249 98 5MB
German Pages 1200 [1220] Year 2013
Großkommentare der Praxis
Löwe-Rosenberg
Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Großkommentar 26., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von
Volker Erb, Robert Esser, Ulrich Franke, Kirsten Graalmann-Scheerer, Hans Hilger, Alexander Ignor
Dritter Band §§ 94–111p Bearbeiter: §§ 94–100: Eva Menges §§ 100a–101; 110a–111a: Pierre Hauck §§ 102 –110: Michael Tsambikakis §§ 111b–111p: Pascal Johann Sachregister: Thomas Vetter
De Gruyter
Stand der Bearbeitung: 31. August 2013
ISBN 978-3-89949-483-9 e-ISBN 978-3-11-025929-2
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Die Bearbeiter der 26. Auflage Jörg-Peter Becker, Vors. Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Obernburg Camilla Bertheau, Rechtsanwältin in Berlin Dr. Werner Beulke, em. Professor an der Universität Passau Dr. Reinhard Böttcher, Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg a.D., Honorarprofessor an der Ludwig Maximilians-Universität München Ottmar Breidling, Vors. Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf i.R. Gabriele Cirener, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Volker Erb, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Robert Esser, Professor an der Universität Passau Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Hemdingen Dr. Karsten Gaede, Professor an der Bucerius Law School, Hamburg Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Kerstin Gärtner, Richterin am Kammergericht Dr. Dirk Gittermann, Richter am Oberlandesgericht Celle Dr. Sabine Gleß, Professorin an der Universität Basel Dr. Dr. h.c. Karl Heinz Gössel, em. Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a.D., München Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer, Generalstaatsanwältin in Bremen, Honorarprofessorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen Dr. Pierre Hauck, Professor an der Universität Trier Dr. Hans Hilger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz a.D., Bad Honnef Dr. Dr. Alexander Ignor, Rechtsanwalt in Berlin, Apl. Professor an der HumboldtUniversität zu Berlin Dr. Christian Jäger, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Matthias Jahn, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Richter am Oberlandesgericht Nürnberg Dr. Björn Jesse, Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Berlin Pascal Johann, Rechtsanwalt in Wiesbaden Dr. Daniel M. Krause, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Matthias Krauß, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dr. h.c. Hans-Heiner Kühne, em. Professor an der Universität Trier Detlef Lind, Richter am Kammergericht Dr. Klaus Lüderssen, em. Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Holger Matt, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der GoetheUniversität Frankfurt am Main Dr. Eva Menges, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Universität Leipzig Dr. Günther M. Sander, Richter am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Wolfgang Siolek, Vors. Richter am Oberlandesgericht Celle
V
Die Bearbeiter der 26. Auflage
Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt in Köln Marc Wenske, Richter am Landgericht Hamburg Dr. Raik Werner, Richter am Landgericht München I Thomas Wickern, Leitender Oberstaatsanwalt beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf Dr. Mark A. Zöller, Professor an der Universität Trier
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg 1. Inhalt der Kommentierung Der Löwe-Rosenberg kommentiert die StPO, das EGStPO, das GVG und das EGGVG mit Ausnahme der nur den Zivilprozess betreffenden Teile, sowie – mit dem Schwerpunkt auf den strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Regelungen – die EMRK und den IPBPR. Wenig bekannte oder schwer auffindbare strafverfahrensrechtliche Nebengesetze, deren Wortlaut für die Kommentierung erforderlich ist, werden bei den einschlägigen Erläuterungen im Kleindruck wiedergegeben. 2. Erscheinungsweise und Stand der Bearbeitung Die 26. Auflage des Löwe-Rosenberg erscheint erstmals in Bänden, deren Erscheinungs-Reihenfolge von der des Gesetzes abweichen kann. Die Bände werden aber in der vom Gesetz vorgegebenen Reihenfolge durchnumeriert. Der Stand der Bearbeitung ist dem Vorwort jedes Bandes zu entnehmen. Die Autoren sind bemüht, besonders wichtige Änderungen und Entwicklungen auch noch nach diesem Stichtag bis zur Drucklegung des Bandes zu berücksichtigen. 3. Bearbeiter Jeder Bearbeiter (in der Fußzeile angegeben) trägt für seinen Teil die alleinige inhaltliche Verantwortung. Die Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die an mehreren Stellen des Kommentars behandelt werden, können daher voneinander abweichen. Auf solche Abweichungen wird nach Möglichkeit hingewiesen. 4. Aufbau der Kommentierung Neben der umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk sind den Untereinheiten der kommentierten Gesetze (Bücher, Abschnitte, Titel), soweit erforderlich, Vorbemerkungen vorangestellt, die das für die jeweilige Untereinheit Gemeinsame erläutern. Der den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften erforderlichenfalls vorangestellte Abschnitt Geltungsbereich enthält Hinweise auf zeitliche und örtliche Besonderheiten. Der Abschnitt Entstehungsgeschichte gibt, abgesehen von ganz unwesentlichen Änderungen, die Entwicklung der geltenden Fassung der Vorschrift vom Erlass des jeweiligen Gesetzes an wieder. Fehlt er, so kann davon ausgegangen werden, dass die Vorschrift unverändert ist. Der Hinweis auf geplante Änderungen verzeichnet Änderungsvorschläge, die sich beim Abschlusszeitpunkt der Lieferung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befinden. Die Erläuterungen sind nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, die durch Überschriften oder Stichworte hervorgehoben sind. In der Regel ist den Erläuterungen eine systematische Übersicht vorangestellt. Soweit angebracht wird sie bei besonders umfang-
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Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg
reichen Erläuterungen durch eine alphabetische Übersicht ergänzt. Bei den Erläuterungen selbst werden für jede Vorschrift (zur Erleichterung des Zitierens) durchlaufende Randnummern verwendet. 5. Schrifttum Der Kommentar enthält am Anfang jedes Bandes ein allgemeines Literaturverzeichnis, das nur die häufiger verwendete oder allgemeine Literatur enthält. Den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften sind Schrifttumsverzeichnisse vorangestellt, die einen Überblick über das wesentliche Schrifttum zu dem jeweils behandelten Thema geben. 6. Zitierweise Literatur, die in diesen Schrifttumsverzeichnissen enthalten ist, wird im laufenden Text im allgemeinen nur mit dem Namen des Verfassers (ggfs. mit einer unterscheidenden Kurzbezeichnung) oder der sonstigen im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Kurzbezeichnung zitiert, doch wird bei Veröffentlichungen in Zeitschriften vielfach auch die genaue Fundstelle nachgewiesen. Sonst sind selbständige Werke mit (gelegentlich verkürztem) Titel und Jahreszahl, unselbständige Veröffentlichungen (auch Beiträge in Festschriften u.ä.) mit der Fundstelle angegeben. Auflagen sind durch hochgestellte Zahlen gekennzeichnet; fehlt eine solche Angabe, so wird aus der Auflage zitiert, die im allgemeinen Schrifttumsverzeichnis angegeben ist. Hat ein Werk Randnummern, so wird nach diesen, sonst nach Seitenzahl oder Gliederungspunkten zitiert. Befindet sich beim Zitat anderer Kommentare die in Bezug genommene Stelle im gleichen Paragraphen, so wird nur die Randnummer oder (bei deren Fehlen) der Gliederungspunkt angegeben; wird auf die Erläuterungen bei einem anderen Paragraphen Bezug genommen, so wird dieser genannt. Entsprechend wird auch im Löwe-Rosenberg selbst verwiesen. Bei diesem wird, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die gegenwärtige 26. Auflage verwiesen. Ist der Band mit den Erläuterungen, auf die verwiesen werden soll, noch nicht erschienen, so ist, soweit dies sachdienlich erschien, in Klammern ergänzend die genaue Fundstelle in der 25. Auflage angegeben. Zeitschriften werden regelmäßig mit dem Jahrgang zitiert. Ausnahmen (Bandangabe) bilden namentlich ZStW, GA (bis 1933) und VRS; hier ist regelmäßig die Jahreszahl zusätzlich angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle eines amtlichen Verkündungsblattes wird die Jahreszahl nur angegeben, wenn sie von der Jahreszahl der Rechtsvorschrift abweicht. Entscheidungen werden im allgemeinen nur mit einer Fundstelle angegeben. Dabei hat die amtliche Sammlung eines obersten Bundesgerichtes den Vorrang, sonst die Fundstelle, die die Entscheidung mit Anmerkung oder am ausführlichsten wiedergibt. 7. Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen, namentlich von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften usw. sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen.
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Inhaltsübersicht Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . .
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ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften Achter Abschnitt Beschlagnahme, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Rasterfahndung, Einsatz technischer Mittel, Einsatz Verdeckter Ermittler und Durchsuchung Vor § 94 § 94 . . § 95 . . § 96 . . § 97 . . § 98 . . § 98a . § 98b . § 98c . § 99 . . § 100 . § 100a . § 100b . § 100c . § 100d . § 100e . § 100f . § 100g . § 100h . § 100i . § 100j . § 101 . § 102 . § 103 . § 104 . § 105 . § 106 .
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1 39 85 100 148 211 239 256 268 272 283 296 393 410 470 497 504 512 541 548 566 581 608 642 652 657 731
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Inhaltsübersicht
§ 107 . . . . . . . § 108 . . . . . . . § 109 . . . . . . . § 110 . . . . . . . § 110a . . . . . . . § 110b . . . . . . . § 110c . . . . . . . § 110d (weggefallen) § 110e (weggefallen) § 111 . . . . . . . § 111a . . . . . . . Vor § 111b ff . . . § 111b . . . . . . . § 111c . . . . . . . § 111d . . . . . . . § 111e . . . . . . . § 111f . . . . . . . § 111g . . . . . . . § 111h . . . . . . . § 111i . . . . . . . § 111k . . . . . . . § 111l . . . . . . . § 111m . . . . . . § 111n . . . . . . . § 111o . . . . . . . § 111p . . . . . . . Sachregister
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849 862 901 906 935 947 964 981 989 1006 1011 1045 1065 1081 1093 1105 1106
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Abkürzungsverzeichnis AA a.A. aaO Abg. AbgG
abl. ABl. ABlEG
ABlEU
ABMG Abs. Abschn. abw. AChRMV AcP AdoptG AdVermiG a.E. ÄndG ÄndVO a.F. AfkKR AfP AG AGIS
AGGewVerbrG
AGGVG AGS AGStPO AHK AIDP
Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Orte Abgeordneter Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz – AbgG) vom 18.2.1977 i.d.F. der Bek. vom 21.2.1996 (BGBl. I S. 326) ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEG Nr. L … /(Seite) vom …) Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEU Nr. L …/(Seite) vom …) Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge vom 5.4.2002 (BGBl. I S. 1234) Absatz Abschnitt abweichend Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker vom 26.6.1981, deutsche Übersetzung EuGRZ 1990, 348 Archiv für die civilistische Praxis Adoptionsgesetz vom 2.7.1976 (BGBl. I S. 1749) Adoptionsvermittlungsgesetz vom 27.11.1989 (BGBl. I S. 2014) i.d.F. der Bek. vom 22.12.2001 (BGBl. 2002 I S. 354) am Ende Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Archiv für katholisches Kirchenrecht Archiv für Presserecht, Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22.7.2002 über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen – AGIS (ABlEG Nr. C 203/5 vom 1.8.2002) Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 1000) Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Landesrecht) Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht und Anwaltsmanagement Ausführungsgesetz zur Strafprozessordnung (Landesrecht) Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal
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Abkürzungsverzeichnis AJIL AktG AktO allg. M. Alsb.E Alt. a.M. AMRK amtl. amtl. Begr. Anh. AnhRügG
Anl. Anm. AnwBl. AöR AO AOStrÄndG apf APR APuZ ArbGG ArchKrim. ArchPF ArchVR arg. Art. ASIL AsylVfG
ATDG
AtomG
AufenthG
aufg.
XII
American Journal of International Law Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1089) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemeine Meinung Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich (1927), 3 Bände Alternative anderer Meinung Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22.11.1969 (Pact of San José), deutsche Übersetzung EuGRZ 1980, 435 amtlich amtliche Begründung Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004 (BGBl. I S. 3220) Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Abgabenordnung vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 613) i.d.F. der Bek. vom 1.10.2002 (BGBl. I S. 3866) Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10.8.1967 (BGBl. I S. 877) Ausbildung Prüfung Praxis – Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung Allgemeines Persönlichkeitsrecht Aus Politik und Zeitgeschichte (Zeitschrift) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9.1953 i.d.F. der Bek. vom 2.7.1979 (BGBl. I S. 853) Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv des Völkerrechts argumentum Artikel The American Society of International Law Gesetz über das Asylverfahren i.d.F. der Bek. vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz – ATDG) v. 22.12.2006 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 31.10.1976 (BGBl. I S. 3053) i.d.F. der Bek. vom 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG), neugefasst durch Bek. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162); zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 1.6.2012 (BGBl. I S. 1224) aufgehoben
Abkürzungsverzeichnis Aufl. AUILR AUR AuR ausf. AuslG
AusnVO
AV AVG AVR AWG Az AZR-Gesetz
BAG BÄO
BAK BAnz. BaWü. Bay. BayAGGVG
BayBS BayObLG BayObLGSt BayPAG
BayRS BayStVollzG BayVerf. BayVerfGH BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH
Auflage American University International Law Review Agrar- und Umweltrecht Arbeit und Recht (Zeitschrift) ausführlich Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354), außer Kraft getreten am 31.12.2004 Ausnahme-(Not-)Verordnung (1) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1.12.1930 (RGBl. I S. 517) (2) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537, 563) (3) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 743) (4) VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.6.1932 (RGBl. I S. 285) Allgemeine Verfügung Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (Österreich) Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz vom 28.4.1961 (BGBl. I S. 481) Aktenzeichen Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom 2.9.1994 (BGBl. I S. 2265) i.d.F. der Bek. vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848) Bundesarbeitsgericht Bundesärzteordnung, neugefasst durch Bek. vom 16.4.1987 (BGBl. I S. 1218); zuletzt geändert durch Art. 29 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Blutalkoholkonzentration Bundesanzeiger Baden-Württemberg Bayern, bayerisch Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes vom 23.6.1981 (BayGVBl. S. 188) Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802 bis 1956) Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) i.d.F. d. Bek. v. 14.9.1990 (GVBl. S. 397), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2011 (GVBl. S. 689) Bayerische Rechtssammlung (ab 1.1.1983) Bayerisches Strafvollzugsgesetz Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.12.1946 (BayBS. I 3) Bayerischer Verfassungsgerichtshof s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
XIII
Abkürzungsverzeichnis BayVGHE
BayZ BB BBG Bbg. BbgVerfG BC Bd. BDG BDH BDSG BeamtStG
Begr. BegrenzungsVO
BEG-SchlußG Bek. Bek. 1924 Bek. 1950 Bek. 1965 Bek. 1975 Bek. 1987 ber. BerathG BerlVerfGH BerRehaG
Beschl. Bespr. BeurkG BewHi. BezG Bf. BFH BfJG
BGB
XIV
Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–34) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz vom 14.7.1953 (BGBl. I S. 551) i.d.F. der Bek. vom 31.3.1999 (BGBl. I S. 675) Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsgericht Business Compliance (Zeitschrift) Band Bundesdisziplinargesetz vom 9.7.2001 (BGBl. I S. 1510) Bundesdisziplinarhof (jetzt Bundesverwaltungsgericht) Bundesdatenschutzgesetz i.d.F. der Bek. vom 14.1.2003 (BGBl. I S. 66) Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) vom 17.6.2008 (BGBl. I S. 1010) Begründung Verordnung über die Begrenzung der Geschäfte des Rechtspflegers bei der Vollstreckung in Straf- und Bußgeldsachen vom 26.6.1970 (BGBl. I S. 992) i.d.F. der Bek. v. 16.2.1982 (BGBl. I S. 188) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 14.9.1965 (BGBl. I S. 1315) Bekanntmachung Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 22.3.1924 (RGBl. I S. 299, 322) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 629) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 17.9.1965 (BGBl. I S. 1373) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7.1.1975 (BGBl. I S. 129) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 18.6.1980 (BGBl. I S. 689) Berliner Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz – BerRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1314) Beschluss Besprechung Beurkundungsgesetz vom 28.8.1969 (BGBl. I S. 1513) Bewährungshilfe (Zeitschrift) Bezirksgericht Beschwerdeführer Bundesfinanzhof Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz vom 17.12.2006 (BGBl. I S. 3171) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195) i.d.F. der Bek. vom 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I S. 738).
Abkürzungsverzeichnis BGBl. I, II, III BGer BGH BGH-DAT BGH (ER) BGHE Strafs. BGHGrS BGHR BGHRZ BGHSt BGHZ BGSG BGSNeuRegG
BinnSchiffG
BinSchiffVfG BJM BJOG BKA BKAG
Bln. Bln.GVBl.Sb. Blutalkohol BMI BMinG
BMJ BNDG Bonn.Komm. BORA BPolBG BR BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BranntWMonG
Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Datenbank der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf CDROM, herausgegeben von Werner Theune Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf CDROM, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichts Bundesgerichtshof, Großer Senat (hier in Strafsachen) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (Loseblattsammlung) BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen (Loseblattsammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz – BGSG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz – BGSNeuRegG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) vom 15.6.1895 i.d.F. der Bek. vom 15.6.1898 (RGBl. S. 868) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen vom 27.9.1952 (BGBl. I S. 641) Basler Juristische Mitteilungen An International Journal of Obstetrics and Gynaecology Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) vom 7.7.1997 (BGBl. I S. 1650) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806 bis 1945) und II (1945 bis 1967) Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(-ium) des Innern Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) vom 17.6.1953 (BGBl. I S. 407) i.d.F. der Bek. vom 27.7.1971 (BGBl. I S. 1166) Bundesminister(-ium) der Justiz Gesetz über den Bundesnachrichtendienst vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2979) i.d.F. der Bek. vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361 ff.) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblattausgabe) Berufsordnung für Rechtsanwälte i.d.F. der Bek. vom 1.11.2001 Bundespolizeibeamtengesetz i.d.F. der Bek. vom 3.6.1976 (BGBl. I S. 1357) s. BRat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 907); ersetzt durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz vom 8.4.1922 (RGBl. I S. 405; BGBl. III 612-7)
XV
Abkürzungsverzeichnis BRAO
bzw.
Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 (BGBl. I S. 565); zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundesregierung Bremen Protokolle des Bundesrates Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundessozialgericht Beispiel Bundestag Drucksachen des Bundestags Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12.9.1990 (BGBl. I S. 2002) Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) vom 28.7.1981 (BGBl. I S. 681) i.d.F. der Bek. vom 1.3.1994 (BGBl. I S. 358) s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.3.1951 i.d.F. der Bek. vom 11.8.1993 (BGBl. I S. 1473) Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2954) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverfassungsgesetz (österreichische Verfassung) Baden-Württemberg Bundeswahlgesetz neugefasst durch Bek. v. 23.7.1993 BGBl. I S. 1288, 1594 bezüglich Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz), neugefasst durch Bek. vom 21.9.1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15.12.2011 (BGBl. I S. 2714) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17.7.1984 (BGBl. I S. 990) beziehungsweise
CAT CCBE CCC CCJE CCPR CCZ CD
siehe UN-CAT Council of the Bars and Law Societies of the European Union Constitutio Criminalis Carolina Consultative Council of European Judges siehe HRC Corporate Compliance Zeitschrift Collection of Decisions Bd. 1 bis 46 (1960 bis 1974), Entscheidungen
BRat BRDrucks. BReg. Brem. BRProt. BS BSG Bsp. BT BTDrucks. BtG BtMG
BTProt. BTRAussch. BTVerh. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfGK BVerfSchG
BVerwG BVerwGE BV-G BW BWahlG bzgl. BZRG
2. BZRÄndG
XVI
Abkürzungsverzeichnis
CDDH CDE CDPC CEAS CELJ CEPEJ CEPOL CERD CERT CETS ChE
ChemG CJ CJEL CMLRev COSI CPP CPS CPT
CR CRC Crim.L.R. CSW CWÜAG
DA DAG DAJV-Newsletter DAR DAV DB DDevR DDR ders. DERechtsmittelG
DG Die Justiz Die Polizei dies.
der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeit von Beschwerden Steering Committee for Human Rights (Europarat) Cahiers de droit européen (Zeitschrift) European Committee on Crime Problems Common European Asylum System China-EU Law Journal European Commission on the Efficiency of Justice European Police College Internationales Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7.3.1966 Computer Emergency Response Team (vgl. CTS) Chiemsee-Entwurf (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der Westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23.8.1948) (1948) Chemikaliengesetz i.d.F. der Bek. vom 20.6.2002 (BGBl. I S. 2090) Corpus Juris Columbia Journal of European Law Common Market Law Review Ständiger Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (EU); vgl. ABl. EU 2010 Nr. L 52, 50 Code Procédure Penal Crown Prosecution Service Committee for the Prevention of Torture – Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Europarat) Computer und Recht (Zeitschrift) Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122) Criminal Law Review Cross-Border Surveillance Working Group Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen vom 2.8.1994 (BGBl. I S. 1954) Dienstanweisung Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23.12.1929 (BGBl. I S. 239), aufgehoben durch IRG vom 23.12.1982 (BGBl. I S. 2071) Zeitschrift der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung e.V. Deutsches Autorecht (Zeitschrift) DeutscherAnwaltVerein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Devisen-Rundschau (1951–59) Deutsche Demokratische Republik derselbe Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen, im Auftrag der JMK vorgelegt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform (1975) Disziplinargesetz (der Länder) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) dieselbe
XVII
Abkürzungsverzeichnis Diss. DiszO DJ DJT DJZ DNA-AnalyseG DNA-IFG DNP DNutzG DÖD DÖV DOGE DPA DR
DRechtsw. DRiG
DRiZ DRpfl. DRsp. Drucks. DRZ DSB DSteuerR DStR DStrZ DStZ dt. DtBR DtZ DuD DuR DVBl. DVO DVollzO DVOVereinf.VO
DVOZust.VO
XVIII
Dissertation Disziplinarordnung (der Länder) Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (1933–45) Deutscher Juristentag (s. auch VerhDJT) Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse v. 12.8.2005 (BGBl. I S. 2360) DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7.9.1998 (BGBl. I S. 2646; 1999 I S. 1242) Die Neue Polizei Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften vom 10.9.2004 (BGBl. I S. 2318) Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Patentamt Deutsches Recht (1931 bis 1945) Decisions and Reports (ab 1975): Entscheidungen über die Zulässigkeit von Beschwerden; Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte; Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates Deutsche Rechtswissenschaft (1936–43) Deutsches Richtergesetz, neugefasst durch Bek. vom 19.4.1972 (BGBl. I S. 713); zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Deutsche Rechtsprechung, herausgegeben von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946 bis 1950) Datenschutz-Berater Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Strafrecht (1934 bis 1944) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914 bis 1922) Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Das Deutsche Bundesrecht, Gesetzessammlung mit Erläuterungen (Loseblattausgabe) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Verordnung zur Durchführung der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 8.9.1939 (RGBl. I S. 1703) Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sonderstrafgerichte sowie sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 13.3.1940 (RGBl. I S. 489)
Abkürzungsverzeichnis DVP DVR DZWIR E E. & P . ebda. EA EAG EAGV
EAJLG EAW EB EBA EBAO ECBA ECG ECJ ECLAN ECOSOC ECPT
ECRI ECRIS EDS/EDU EDV EEA EFG EG EGBGB EGFaxÜbk
EGFinSchÜbk
EGFinSchG
Deutsche Verwaltungspraxis – Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung Datenverarbeitung im Recht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Entwurf International Journal of Evidence & Proof Ebenda Vertrag über Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft i.d.F. nach dem 1.5.1999 Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957, Ges. vom 27.7.1957 (BGBl. II S. 753), Bek. vom 27.12. 1957 (BGBl. 1958 II S. 1) European-Asian Journal of Law and Governance European Arrest Warrant, siehe EuHb Ergänzungsband Europäische Beweisanordnung Einforderungs- und Beitreibungsanordnung i.d.F. der Bek. vom 1.4. 2001 European Criminal Bar Association European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG) siehe EuGH (European Court of Justice) European Criminal Law Academic Network Wirtschafts- und Sozialrat (UN) Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 (ETS 126; BGBl. 1989 II S. 946) European Commission against Racism and Intolerance / Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz European Criminal Records Information System Europäische Drogeneinheit (Vorläufer von Europol)/European Drug Unit Elektronische Datenverarbeitung Europäische Ermittlungsanordnung / European Investigation Order (EIO) Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. nach dem 1.5.1999 (vor dem 1.5.1999: EGV); Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 604) i.d.F. der Bek. vom 21.9.1994 (BGBl. I S. 2494) Abkommen vom 26.5.1989 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen (BGBl. 1995 II S. 969) Übereinkommen vom 26.7.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Übereinkommen; ABlEG Nr. C 316/49 v. 27.11.1995) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EG-Finanzschutzgesetz – EGFinSchG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2322)
XIX
Abkürzungsverzeichnis EGG
EGGVG EGH EGInsO EGKS EGKSV EGMR EGMR (GK) EGMR (K) EGMR Serie A/B; Reports
EGMRVerfO
EG-ne bis in idem-Übk
EGOWiG EGStGB 1870 EGStGB 1974 EGStPO EGV EGVollstrÜbk
EGZPO EhrenGHE EHRLR EhrRiVG
Einf. EinigungsV
EinigungsVG
Einl. EIO EIS
XX
Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3721) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 (RGBl. S. 77) Ehrengerichtshof in Anwaltssachen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2911) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der EGKS vom 18.4.1951 (BGBl. II S. 447) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Kammer) Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Sammlung in deutscher Übersetzung, Band, Seite; ab 1996: Reports of Judgments and Decisions) Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Rules of Court) i.d.F. der Bek. vom 1.9.2012 (www.echr.coe. int) Übereinkommen vom 25.5.1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung – EG-ne bis in idem-Übk (BGBl. 1998 II S. 2227) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.5.1968 (BGBl. I S. 503) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 31.5.1870 (RGBl. S. 195) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. vor dem 1.5.1999 (nach dem 1.5.1999: EG) Übereinkommen vom 13.11.1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 244) Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) European Human Rights Law Review Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 21.12.2004 (BGBl. I S. 3599) Einführung Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) Gesetz zu dem Vertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18.9.1990 vom 23.9.1990 (BGBl. II S. 885) Einleitung siehe EEA Europol-Informationssystem
Abkürzungsverzeichnis EJB
EJF EJG
EJKoV
EJN EJTAnV
EJTN EKMR EKMRVerfO EL ELJ ELRev EMCDDA EmmingerVO EMRK
ENeuOG
Beschluss des Rates (2002/187/JI) vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl EG Nr. L 63/1 v. 6.3.2002), geändert durch Beschluss 2003/659/JI des Rates v. 18.6.2003 (ABlEU Nr. L 245 v. 23.9.2003, S. 44) und den Beschluss 2009/426/JI des Rates vom 16.12.2008 zur Stärkung von Eurojust (ABlEU Nr. L 138 v. 4.6. 2009, S. 14. Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz – EJG) vom 12.5.2004 (BGBl. I S. 902), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 7.6.2012 (BGBl. I S. 1270) Verordnung über die Koordinierung der Zusammenarbeit mit Eurojust (Eurojust-Koordinierungs-Verordnung –) v. 26.9.2012 (BGBl. I S. 2093) Europäisches Justitielles Netz / European Judicial Network Verordnung über die Benennung und Einrichtung der nationalen Eurojust-Anlaufstelle für Terrorismusfragen (Eurojust-AnlaufstellenVerordnung –) v. 17.12.2004 (BGBl. I S. 3520), zuletzt geändert durch die VO v. 26.9.2012 (BGBl. I S. 2093) European Judicial Training Network Europäische Kommission für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.d.F. der Bek. vom 29.5.1991 (BGBl. II S. 838) Ergänzungslieferung European Law Journal European Law Review European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.1924 (RGBl. I S. 23) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II S. 685, 953) i.d.F. der Bek. vom 22.10.2010 (BGBl. II S. 1198) 1. ZP-EMRK vom 20.3.1952 (BGBl. 1956 II S. 1880) 2. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1112) 3. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1116) 4. ZP-EMRK vom 16.9.1963 (BGBl. 1968 II S. 423) 5. P-EMRK vom 20.1.1966 (BGBl. 1968 II S. 1120) 6. ZP-EMRK vom 28.4.1983 (BGBl. 1988 II S. 662) 7. ZP-EMRK vom 22.11.1984 8. P-EMRK vom 19.3.1985 (BGBl. 1989 II S. 547) 9. P-EMRK vom 6.11.1990 (BGBl. 1994 II S. 490) 10. P-EMRK vom 25.3.1992 (BGBl. 1994 II S. 490) 11. P-EMRK vom 11.5.1994 (BGBl. 1995 II S. 578) 12. ZP-EMRK vom 4.11.2000 13. ZP-EMRK vom 3.5.2002 (BGBl. 2004 II S. 982) 14. P-EMRK vom 13.5.2004 (BGBl. 2006 II S. 138) 14bis P-EMRK vom 27.5.2009 15. P-EMRK vom 24.6.2013 16. P-EMRK vom 2.10.2013 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378)
XXI
Abkürzungsverzeichnis EntlG Entsch. entspr. Entw. Entw. 1908 Entw. 1909
Entw. 1919/1920
Entw. 1930
Entw. 1939 EP EPA EPO EPZ ERA ERA-Forum erg. Erg. ErgBd. Erl. ESA EStG ETS EU EuAbgG EuAlÜbk
EUAlÜbk
EuArch EUBestG
EUC EUCARIS
XXII
Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3.1921 (RGBl. S. 229) Entscheidung entsprechend Entwurf Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung (1908), E 1908, MatStrR-Ref. Bd. 11 Entwürfe 1. eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. der Strafprozeßordnung (1909), E 1909 RT-Verhandl. Bd. 254 Drucks. Nr. 1310 = MatStrRRef Bd. 12; Bericht der 7. Kommission des Reichstags 1909 bis 1911 zur Vorbereitung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. einer Strafprozeßordnung, 3. eines zu beiden Gesetzen gehörenden Einführungsgesetzes = MatStrRRef. Bd. 13 Entwürfe 1. eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1919), 2. eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920), E 1919/1920, MatStrRRef. Bd. 14 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz 1930, EGStGB-Entw. 1930, RT-Drucks. Nr. 2070 = MatStrRRef. Bd. 7 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsmannsordnung (1939), StPO-Entw. 1939, Nachdruck 1954 Europäisches Parlament Europäisches Patentamt siehe ESA Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Rechtsakademie (Trier) ERA-Forum (Zeitschrift) ergänzend Ergänzung; Ergebnis Ergänzungsband Erlass; Erläuterung(en) Europäische Schutzanordnung / European Protection Order (EPO) Einkommensteuergesetz European Treaty Series; Übereinkommen des Europarates (fortlaufend nummeriert; www.coe.int; ab 1949) Vertrag über die Europäische Union Europaabgeordnetengesetz vom 6.4.1979 (BGBl. I S. 413) Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 (ETS 024; BGBl. 1964 II S. 1369); 2. ZP EuAlÜbk v. 17.3.1978 (ETS 098; BGBl. 1990 II S. 118; 1991 II S. 874) Übereinkommen vom 27.9.1996 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 313/11 vom 23.10.1996; BGBl. 1998 II S. 2253) Europa-Archiv Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) Charta der Grundrechte der Europäischen Union Vertrag über ein Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininformationssystem
Abkürzungsverzeichnis EuCLR eucrim EuDrogenÜbk
EuG EuGeldwÜbk
EuGH EuGH Slg. EuGHG
EuGRAG
EuGRZ EuHb EuHbG
EuJCCCJ EuKonv EUMC EuOEÜbk EuR EuRAG EuRhÜbk
EURhÜbk
EurJCrimeCrLJ EURODAC Eurojust Europol
European Criminal Law Review (Zeitschrift) Journal for the Protection of the Financial Interests of the European Communities Übereinkommen vom 31.1.1995 über den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchführung des Art. 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (ETS 156; BGBl. 2000 II S. 1313) Europäisches Gericht erster Instanz (Luxemburg) Übereinkommen vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (ETS 141; BGBl. 1998 II S. 519) Gerichtshof der Europäischen Union Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) – Amtliche Sammlung Gesetz vom 6.8.1998 betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages – EuGHG (BGBl. 1998 I S. 2035; 1999 II S. 728) Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1453) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäischer Haftbefehl / European Arrest Warrant (EAW) Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21.7.2004 (BGBl. I S. 1748) und vom 20.7.2006 (BGBl. I S. 1721) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice (Zeitschrift) Europäischer Konvent siehe ECRI Europäisches Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (ETS 116; BGBl. 2000 II S. 1209) Europarecht (Zeitschrift) Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (BGBl. I S. 182) Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 (ETS 30; BGBl. 1964 II S. 1369; 1976 II S. 1799); ZP EuRhÜbk vom 17.3.1978 (ETS 99; BGBl. 1990 II S. 124; 1991 II S. 909); 2. ZP EuRHÜbk v. 8.11.2001 (ETS 182) Rechtshilfeübereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000, ABlEG Nr. C 197/1 vom 12.7.2000; ZP EURHÜbk v. 16.10.2001 (ABlEG Nr. C 326/1 vom 21.11.2001) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice Daktyloskopische Datenbank im Rahmen von Asylantragsverfahren Europäische Justitielle Clearing- und Dokumentationsstelle (Den Haag) Europäisches Polizeiamt (Den Haag)
XXIII
Abkürzungsverzeichnis EuropolÜbk
EuropolG EuroPris EuStA EuTerrÜbk EUV EUVEntw
EUVereinfAlÜbk
EuVKonv
EuZ EuZA EuZW evt. EWG EWGV EWiR EWR-Abk. EYHR EZAR EzSt
f., ff. FamFG
FAG FamPLG FamRZ FAO FG FGG FGO
XXIV
Übereinkommen vom 26.7.1995 auf Grund von Artikel K.3 des EUV über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes, ABlEG Nr. C 316/1 v. 27.11.1995. Europolgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. II S. 2150) European Organisation of Prison and Correctional Services Europäische Staatsanwaltschaft (geplant) Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.1.1977 (ETS 90; BGBl. 1978 II S. 321, 907) Vertrag über die Europäische Union Entwurf einer Europäischen Verfassung i.d.F des am 18.6.2004 zwischen den Staats- und Regierungschefs erzielten Konsenses (Dokument der Regierungskonferenz CIG 86/04 v. 25.6.2004) Übereinkommen vom 10.3.1995 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 78/1 vom 30.3.1995; BGBl. 1998 II S. 2229) Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa – vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13.6. und 10.7.2003 – dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreicht am 18.7.2003 Zeitschrift für Europarecht (Schweiz) Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 (BGBl. II S. 766) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Gesetz zu dem Abkommen vom 2.5.1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum European Yearbook on Human Rights Entscheidungssammlung zum Zuwanderungs-, Asyl- und Freizügigkeitsrecht Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1983 bis 1990 (Loseblattausgabe) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), Artikel 1 des Gesetzes vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586, 2009 I S. 1102); zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1577) Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 6.4.1892 i.d.F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1455); ersetzt durch das TKG Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung i.d.F. der Bek. vom 22.3.1999, zuletzt geändert durch BRAK-Beschluss vom 6.12.2010 Finanzgericht/Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.5.1898 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 771) Finanzgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 28.3.2001
Abkürzungsverzeichnis
FGPrax FinB FinVerwG FLF FlRG
FIU Fn. FN A FN B FO FoR FP-IPBPR 2. FP-IPBPR
FPR FRA FRONTEX FS FS (Name) FuR G 10
GA
GASP GBA GBl. GBl./DDR I, II GedS gem. GemDatG
GemProt. GenG
(BGBl. I S. 442, 2262, 2002 I S. 679); zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1577) Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzbehörde Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6.9.1950 (BGBl. I S. 448) i.d.F. der Bek. vom 30.8.1971 (BGBl. I S. 1426) Finanzierung Leasing Factoring (Zeitschrift) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) vom 8.2.1951 i.d.F. der Bek. vom 29.10.1994 (BGBl. I S. 3140) Financial Intelligence Unit Fußnote Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fernmeldeordnung i.d.F. der Bek. vom 5.5.1971 (BGBl. I S. 541) Forum Recht (Zeitschrift) (1.) Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1992 II S. 1247) 2. Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12. 1989 (BGBl. 1992 II S. 390) Familie Partnerschaft Recht Agentur der Europäischen Union für Grundrechte / Agency for Fundamental Rights Europäische Grenzschutzagentur Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (früher ZfStrV) Festschrift, auch Festgabe usw. (angefügt Name des Geehrten) Familie und Recht Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1254), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 7.12.2011 (BGBl. I S. 2576), (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zitiert nach Jahr und Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafpolitik, zitiert nach Band und Seite) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generalbundesanwalt Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I und II (1949 bis 1990) Gedächtnisschrift (angefügt Name des Geehrten) gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12. 2006 (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) (BGBl. I S. 3409) Gemeinsames Protokoll Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1.5.1889, neugefasst durch Bek. vom 16.10.2006 (BGBl. I
XXV
Abkürzungsverzeichnis
GenStA GerS Ges. GeschlkrG GeschO GETZ GewO
GewSchG
GewVerbrG GG ggf. GKG GKI GKÖD GLY GmbH GmbHG
GMBl. GmS-OGB GnO GNotKG GoJIL GoltdA grds. GRECO GreifRecht GRETA GREVIO GrSSt Gruchot GRUR GRURInt GS
XXVI
S. 2230); zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 25.5.2009 (BGBl. I S. 1102) Generalstaatsanwaltschaft Der Gerichtssaal (1849–1942) Gesetz Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23.7.1953 (BGBl. I S. 700) Geschäftsordnung Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Gewerbeordnung vom 21.6.1869, neugefasst durch Bek. vom 22.2. 1999 (BGBl. I S. 202); zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.2011 (BGBl. I S. 2714) Gesetz vom 11.12.2001 zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Gewaltschutzgesetz – GewSchG; BGBl. I S. 3513) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. S. 1) gegebenenfalls Gerichtskostengesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2182) Gemeinsame Kontrollinstanz (jeweils eingerichtet bei Europol und Eurojust) Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht German Law Journal (Internet-Zeitschrift; www.germanlawjournal. de) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20.4.1892 (RGBl. S. 477); zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gnadenordnung Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare (Gerichts- und Notarkostengesetz) v. 23.7.2013 Göttingen Journal of International Law (Online-Zeitschrift) s. GA grundsätzlich Group of States against Corruption Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings Expertengruppe zur Überwachung des Übereinkommens zum Schutz von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt (CETS 210) Großer Senat in Strafsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International (Zeitschrift) Gesetzessammlung
Abkürzungsverzeichnis GSNW GSSchlH GStA GÜG
GÜV GV GVBl. GVBl. II GVG GVGA GVGÄG 1971 GVGÄG 1974 GVG/DDR
GVO GVVO
GWB GwG GWR GYIL Haager Abk. HalbleiterschutzG
Hamb. HambJVBl. Hans. HansGZ HansJVBl. HansOLGSt HansRGZ HansRZ
HbStrVf/Verfasser
Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945– 56) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde. (1963) Generalstaatsanwalt Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz – GÜG) vom 7.10.1994 (BGBl. I S. 2835) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 i.d.F. der Bek. vom 9.5. 1975 (BGBl. I S. 1077) Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 8.9.1971 (BGBl. I S. 1513) Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25.3.1974 (BGBl. I S. 761) Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik – Gerichtsverfassungsgesetz – vom 27.9.1974 (GBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 595) Gerichtsvollzieherordnung Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.1935 (RGBl. I S. 403) in der im BGBl. III Gliederungsnummer 300-5 veröffentlichten bereinigten Fassung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.7.1957 i.d.F. der Bek. vom 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546) Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 25.10.1993 (BGBl. I S. 1770) Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) German Yearbook of International Law (Zeitschrift) Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17.7.1905 (RGBl. 1909 S. 409) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) vom 22.10.1987 (BGBl. I S. 2294) Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1880 bis 1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879 bis 1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiff-Fahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918 bis 1927) Handbuch zum Strafverfahren, hrsg. von Heghmanns/Scheffler
XXVII
Abkürzungsverzeichnis HdR Hess. HESt
HGB h.M. HmbStVollzG HRC HRLR HRN HRR HRRS HRSt HRLJ Hs. HSOG HStVollzG HUDOC HuV-I HV IAGMR ICC ICJ ICLQ ICLR ICPA i.d.F. i.d.R. i.e.S. IFCCLGE IGH i.H.v. IKV ILO InfAuslR INPOL InsO IPBPR IPBPRG IPWSKR IRG
XXVIII
Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von StierSomlo und Elster (1926 bis 1937) Hessen Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. S. 219) herrschende Meinung Hamburgisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Committee – UN-Menschenrechtsausschuss Human Rights Law Review Hamburger Rechtsnotizen (Zeitschrift) Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928 bis 1942) Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (www.hrr-strafrecht.de) Entscheidungen zum Strafrecht, Strafverfahrensrecht und zu den Nebengebieten (Höchstrichterliche Rechtsprechung) (ab 1996) Human Rights Law Journal Halbsatz Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Hessisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Documentation des Europarates Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften Hauptverhandlung Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte siehe IStGH siehe IGH The International and Cooperative Law Quarterly International Criminal Law Review International Corrections and Prisons Association in der Fassung in der Regel im engeren Sinne International Forum on Crime and Criminal Law in the Global Era (Peking) Internationaler Gerichtshof ICJ (Den Haag) in Höhe von Internationale Kriminalistische Vereinigung International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) Informationsbrief Ausländerrecht Informationssystem der Polizei Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866); zuletzt geändert durch Art. 19 des Gesetzes vom 20.12.2011 (BGBl. I S. 2854) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1534) Zustimmungsgesetz zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533) Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1570) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i.d.F. der
Abkürzungsverzeichnis
i.S. i.S.d. IStR i.S.v. IStGH IStGHG IStGHSt
ITRB Iurratio i.V.m. IWG i.w.S. JA JahrbÖR JahrbPostw. JAVollzO JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBlSaar JGG JICJ JIR JK JKassO JKomG
JKostG JMBl. JMBlNRW, JMBlNW JMK JoJZG JOR JöR JP JR JRP JSt JugG JugK JugSchG
Bek. vom 27.6.1994 (BGBl. I S. 1537); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1566) im Sinne im Sinne des/der Internationales Steuerrecht – Zeitschrift für europäische und internationale Wirtschaftsberatung im Sinne von Internationaler Strafgerichtshof ICC (Den Haag) Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144) Gesetz vom 4.12.2000 zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGH-Statutgesetz (BGBl. II S. 1393) IT-Rechts-Berater Zeitschrift für Stud. Iur und junge Juristen in Verbindung mit International Working Group on Police Undercover Activities im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937 bis 1941/42) Jugendarrestvollzugsordnung vom 12.8.1966 i.d.F. der Bek. vom 30.11.1976 (BGBl. I S. 3270) Justizbeitreibungsordnung vom 11.3.1937 (RGBl. I S. 298) Justizblatt / Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jugendgerichtsgesetz vom 4.8.1953 i.d.F. der Bek. vom 11.12.1974 (BGBl. I S. 3427) Journal of International Criminal Justice Jahrbuch für internationales Recht Jura-Kartei Justizkassenordnung Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) vom 22.3.2005 (BGBl. I S. 832) Justizkostengesetz (Landesrecht) Justizministerialblatt Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Justizministerkonferenz (Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister) Journal der Juristischen Zeitgeschichte Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Person Juristische Rundschau Journal für Rechtspolitik Journal für Strafrecht Jugendgericht Jugendkammer Jugendschöffengericht
XXIX
Abkürzungsverzeichnis JugStrafgG
Jura JurBüro JurJahrb. JuS Justiz JV JVA JVBl. JVEG
JVerwA JverwB JVKostG JVKostO
JVollz. JVollzGB JW JZ 1. JuMoG 2. JuMoG
Kap. KAS KFZ KG KGJ
KJ KO KoDD KOM KonsG KostÄndG KostRMoG 2. KostRMoG
XXX
Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10.4.1995 (BGBl. I S. 485) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristen-Jahrbuch Juristische Schulung (Zeitschrift) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justizverwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Justizverwaltungsakt Justizverwaltungsbehörde Gesetz über Kosten in Angelegenheiten der Justizverwaltung v. 23.7. 2013 (BGBl. I S. 2586) Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14.2. 1940 (RGBl. I S. 357) – ersetzt durch das JVKostG mit Wirkung zum 1.8.2013 Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch JAVollzO Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) vom 22.10.2006 (BGBl. I S. 3416) Kapitel Konrad-Adenauer-Stiftung Kraftfahrzeug Kammergericht/Kommanditgesellschaft Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Kritische Justiz (Zeitschrift) Konkursordnung vom 10.2.1877 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 612) Koordinierungsdauerdienst (Eurojust) Dokument(e) der Europäischen Kommission Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 1.9.1974 (BGBl. I S. 2317) Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5.5.2004 – Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 718) Zweites Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23.7.2013 – 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 2586)
Abkürzungsverzeichnis KostMaßnG KostO
KostRÄndG 1994
KostRspr. KostVfg. K&R KrG Kriminalist Kriminalistik KrimJ KrimPäd. Krit. KritV / CritQ / RCrit
KronzG
KronzVerlG
2. KronzVerlG
KSI KSZE KUG KUP KuR KUR k+v KVGKG KWKG
LegPer. Lfg. LG
Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenrechts vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 401) Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit i.d.F. der Bek. vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) – ersetzt durch das GNotKG mit Wirkung zum 1.8.2013 Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24.6. 1994 (BGBl. I S. 1325) Kostenrechtsprechung (Loseblattsammlung) Kostenverfügung, Durchführungsbestimmungen zu den Kostengesetzen Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kreisgericht Der Kriminalist (Zeitschrift) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpädagogische Praxis (Zeitschrift) Kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft / Critical Quarterly for Legislation and Law / Revue critique trimestrielle de jurisprudence et de législation Gesetz zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Art. 4 des StGBÄndG 1989) vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 16.2.1993 (BGBl. I S. 238) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (2. Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 19.1.1996 (BGBl. I S. 58) Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung (Zeitschrift) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Gesetz über das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie vom 9.1.1907 (RGBl. S. 7 ) Kriminologie und Praxis (Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle) Kirche und Recht (Zeitschrift) Kunst und Recht (Zeitschrift) Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum GKG) Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen i.d.F. der Bek. vom 22.11.1990 (BGBl. I S. 2506) Legislaturperiode Lieferung Landgericht
XXXI
Abkürzungsverzeichnis LJV LKA LKV LM LMBG
LMG (1936)
LPartG LPG LRE Ls. LuftFzgG LuftVG LuftVO LV LVerf. LVG LZ MABl. MarkenG
Mat. MatStrRRef. MBl. MDR MedR MiStra. MittKV MMR MOG MONEYVAL Mot. MR MRG MSchrKrim. MSchrKrimPsych.
XXXII
Landesjustizverwaltung Landeskriminalamt Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung), hrsg. von Lindenmaier/Möhring u.a. Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetz) i.d.F. der Bek. vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2297) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 5.7.1927 i.d.F. der Bek. vom 17.1.1936 (RGBl. I S. 17) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) Landespressegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen vom 26.2.1959 (BGBl. I 57) Luftverkehrsgesetz i.d.F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 550) Luftverkehrs-Ordnung i.d.F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 580) Literaturverzeichnis, Schrifttumsverzeichnis Landesverfassung Landesverwaltungsgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907 bis 1933) Ministerialamtsblatt Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG) vom 25.10.1994 (BGBl. I S. 3082, 1995 I S. 156, 1996 I S. 682); zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) s. Hahn Materialien zur Strafrechtsreform, herausgegeben vom BMJ, Bd. 1–15 (1954–1960) (s. auch Entw.) Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen vom 15.3.1985 i.d.F. der Bek. vom 29.4.1998, bundeseinheitlich Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889 bis 1914; 1926 bis 1933) MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation vom 31.8.1972 (BGBl. I S. 1617) Committee of Experts on the Evaluation of Anti-Money Laundering Measures and the Financing of Terrorism Begründung zur Strafprozeßordnung bei Hahn (s. dort) Medien und Recht (Österreich) Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05 bis 1936)
Abkürzungsverzeichnis MStGO Muster-Entw.
MV m.w.B. m.w.N. NachtrSichVG NATO-Truppenstatut
Nds. NdsAGGVG NdsRpfl. n.F. N.F. Nieders. GVBl. Sb. I, II NJ NJECL NJOZ NJVollzG NJW NKrimpol. NL noeP NordÖR NotVO NPA NRO NRW NRWO NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWB NWVBl. NZA NZA-RR NZI NZM NZS NZV NZWehrr
Militärstrafgerichtsordnung i.d.F. der Bek. vom 29.9.1936 (RGBl. I S. 755) Muster-Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, verabschiedet von der JMK am 10./11.6.1976, geändert durch Beschluss der JMK vom 25.11.1977 Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen Gesetz zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1838) Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190), Bek. vom 16.6.1963 (BGBl. II S. 745) Niedersachsen Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 5.4.1963 (GVBl. S. 225) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Folge Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz (bis 1990 DDR) New Journal of European Criminal Law Neue Juristische Online-Zeitschrift (nur über beck-online abrufbar) Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) Newsletter Menschenrechte Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland s. Ausn. VO Neues Polizei-Archiv Nichtregierungsorganisation Nordrhein-Westfalen (österreichisches) Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992) Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift, ab 1996) Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NWB Steuer- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Nordrheinwestfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht
XXXIII
Abkürzungsverzeichnis NZWiSt
Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
OASG
Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten (Opferanspruchsicherungsgesetz) vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 905) Oberstes Landesgericht Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11.5. 1976 (BGBl. I S. 1181) i.d.F. der Bek. vom 7.1.1985 (BGBl. I S. 1) Osteuropa-Recht Oberstes Gericht der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Österreichische Juristen-Zeitung Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Office Européen de Lutte Anti-Fraude) Oberlandesgericht OLG-Report Neue Länder OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (Loseblattausgabe, bis 1983) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neue Folge (Loseblattausgabe, ab 1983) Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) siehe UNCAT Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24.6.2004 (BGBl. I S. 1354) Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2280) Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302) Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Österreichische Richterzeitung Österreichische Raiffeisen-Zeitung Oberstaatsanwalt Österreichisches Anwaltsblatt Österreichisches Strafvollzugsgesetz Österreichische Steuerzeitung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (der Deutschen
OBLG OECD OEG OER OG OGH OGHSt ÖJZ OLAF OLG OLG-NL OLGR OLGSt OLGSt N. F OLGVertrÄndG OPCAT OpferRRG
2. OpferRRG
OpferschutzG OrgKG
OrgStA ÖRiZ ÖRZ OStA ÖstAnwBl. öStVG ÖStZ OSZE ÖVerfG OVG OWG/DDR
XXXIV
Abkürzungsverzeichnis
OWiG
OWiGÄndG
ParlStG PartG PaßG PatAnwO PatG
PAuswG PD-I PD-IM PD-JS PD-RfA PD-SEF PD-WP PflVG PJZS PKH PKHÄndG
PlenProt. PNR POGNW PolGBW Polizei PostG PostO PostStruktG
Pr. prALR PräsLG PräsOLG
Demokratischen Republik) vom 12.1.1968 (GBl. I S. 101), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, neugefasst durch Bek. vom 19.2. 1987 (BGBl. I S. 602); zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7.7.1986 (BGBl. I S. 977) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der parlamentarischen Staatssekretäre vom 24.7.1974 (BGBl. I S. 1538) Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) neugefasst durch Bek. v. 31.1.1994, BGBl. I S. 149 Paßgesetz vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Patentanwaltsordnung vom 7.9.1966 (BGBl. I S. 557); zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Patentgesetz, neugefasst durch Bek. vom 16.12.1980 (BGBl. 1981 I S. 1); zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) Gesetz über Personalausweise vom 19.12.1950 (BGBl. I S. 807) i.d.F. der Bek. vom 21.4.1986 (BGBl. I S. 548) Practice Direction – Institution of Proceedings (EGMR) Practice Direction – Interim Measures (EGMR) Practice Direction – Just Satisfaction Claims (EGMR) Practice Direction – Request for Anonymity (EGMR) Practice Direction – Secured Electronic Filing Practice Direction – Written Pleadings (EGMR) Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter i.d.F. der Bek. vom 5.4.1965 (BGBl. I S. 213) Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Prozesskostenhilfe Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe (Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz – PKHÄndG) vom 10.10.1994 (BGBl. I S. 2954) Plenarprotokoll, Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages Passenger Name Record Polizeiorganisationsgesetz (des Landes NRW) i.d.F. der Bek. vom 22.10.1994 (GVNW S. 852) Polizeigesetz (des Landes BW) i.d.F. der Bek. vom 13.1.1992 (GBl. S. 1) s. Die Polizei Gesetz über das Postwesen i.d.F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1449) Postordnung vom 16.5.1963 (BGBl. I S. 341) Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz – PoststruktG) vom 8.6.1989 (BGBl. I S. 1026) Preußen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Präsident des Landgerichts Präsident des Oberlandesgerichts
XXXV
Abkürzungsverzeichnis PräsVerfG
PrGS PrG Prot. ProzeßkostenhG Pro-Eurojust PrPG
PrZeugnVerwG PStR PTNeuOG
PUAG
PV PVG PVR RA RabelsZ RAG/DDR RAHG RANotz.PrG
RAO RAussch. RB RBEuHb
RBerG
RdA RdErl. RDG RDH RDIDC RdJ RdK RdM RDStH
XXXVI
Gesetz über die Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassungen der Gerichte vom 26.5.1972 (BGBl. I S. 841) Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Pressegesetz (Landesrecht) Protokoll Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13.6.1980 (BGBl. I S. 677) Vorgänger- und Gründungseinheit von Eurojust Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7.3.1990 (BGBl. I S. 422) Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 (BGBl. I S. 1973) Praxis Steuerstrafrecht Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14.9.1994 (BGBl. I S. 2325) Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) vom 19.6.2001 (BGBl. I S. 1142) Personenvereinigung Polizeiverwaltungsgesetz Praxis Verkehrsrecht Rechtsanwalt Rabels-Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1504) s. RHG Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24.6.1992 (BGBl. I S. 1386) Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919, aufgehoben durch AO vom 16.3.1976 Rechtsausschuss Rahmenbeschluss (Art. 34 EU) Rahmenbeschluss des Rates (2002/584/JI) vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 190/1 v. 18.7.2002) Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478); aufgehoben durch Art. 20 des Gesetzes vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) Recht der Arbeit Runderlass Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) vom 12.12.2007 (BGBl. I. S. 2840) Revue des Droits de l’Homme Revue de droit international et de droit comparé Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Das Recht des Kraftfahrers (1926–43, 1949–55) Recht der Medizin Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41)
Abkürzungsverzeichnis RDStO RDV Recht recht RefE Reg. RegBl. RegE RegE TKÜ
RehabG Res. RevMC Rev.trim.dr.h. RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RheinSchA RHG RHGDVO
RhPf. RiA RichtlRA RiG/DDR RiJGG RiStBV
RiVASt RIW RKG(E) RL RMBl. RMilGE Rn. ROW RpflAnpG
Reichsdienststrafordnung vom 26.1.1937 (RGBl. I S.71) Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897 bis 1944) Information des Bundesministers der Justiz Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt Regierungsentwurf Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/EG vom 18.4.2007 Rehabilitierungsgesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) von 6.9.1990 (GBl. I S. 1459), aufgehoben durch StrRehaG Resolution Revue du Marché commun et de l’Union européenne Revue trimestrielle des droits de l’homme Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922 bis 1945 Teil I und II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879 bis 1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revidierte Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte) i.d.F. der Bek. vom 11.3.1969 (BGBl. II S. 597) Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5.1953 (BGBl. I S. 161) Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 23.12.1953 (BGBl. I S. 1569) Rheinland-Pfalz Recht im Amt Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO vom 21.6.1973 Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.7.1990 (GBl. I S. 637) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1.12.1970 (BAnz. Nr. 17/1971), i.d.F. der Bek. vom 1.2.1997 mit spät. Änderungen, bundeseinheitlich Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Reichskriegsgericht (Entscheidungen des RKG) Richtlinie Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923– 45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Recht in Ost und West (Zeitschrift) Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz – RpflAnpG) vom 26.6.1992 (BGBl. I S. 1147)
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis RpflAnpÄndG Rpfleger RpflEntlG RpflG RpflVereinfG Rspr. RT RTDE RTDrucks. RTVerh. RuP RVerf. RVG RVO RZ R&P r+s S. Sa. SaAnh. SaBremR SächsArch. SächsOLG SAM SchAZtg SchiedsmZ SchiedsstG SchlH SchlHA SchrR SchrRAGStrafR SchRG SchrRBRAK SchwarzArbG
SchwGBG
SchwJZ SchwZStr SDÜ
XXXVIII
Gesetz zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes – RpflAnpG vom 7.12.1995 (BGBl. I S. 1590) Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I S. 50) Rechtspflegergesetz vom 5.11.1969 (BGBl. I S. 2065) Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2847) Rechtsprechung Reichstag Revue trimestrielle de droit européen Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik (Zeitschrift) s. WeimVerf. Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 i.d.F. der Bek. vom 15.12.1924 (RGBl. I S. 779) siehe: ÖRiZ Recht und Psychiatrie (Zeitschrift) Recht und Schaden (Zeitschrift) Satz, Seite Sachsen Sachsen-Anhalt Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42) Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880 bis 1920) Steueranwaltsmagazin Schiedsamtszeitung Schiedsmannszeitung (1926 bis 1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1527) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriftenreihe Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15.11.1940 (RGBl. I S. 1499) Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom 23.7.2004 (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG), BGBl. I S. 1842 Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung vom 28.4.2011 (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz), BGBl. I S. 676 Schweizerische Juristenzeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Übereinkommen vom 19.6.1990 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem
Abkürzungsverzeichnis
1. SED-UnberG
2. SED-UnberG
SeeAufgG
SeemG SeuffBl. SFHÄndG SFHG
SGb SGB
SGG
Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande zur Durchführung des am 14.6.1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen; ABlEG Nr. L 239/19 vom 22.9.2000) Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 1. SED-UnberG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 2. SED–UnBerG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt (Seeaufgabengesetz – SeeAufgG) vom 24.5.1965 i.d.F. der Bek. vom 27.9.1994 (BGBl. I S. 2802) Seemannsgesetz vom 26.7.1957 (BGBl. II S. 713) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.8.1995 (BGBl. I S. 1050) Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfe im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch SGB I – Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (1. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022) SGB II – Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (2. Buch), vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954), SGB III – Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung (3. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IV – Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (4. Buch) vom 24.7.2003 (BGBl. I S. 1526), SGB V – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung (5. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB VI – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung (6. Buch) vom 29.4.2004 (BGBl. I S. 678), SGB VII – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (7. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3019), SGB VIII – Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IX – Sozialgesetzbuch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (9. Buch) vom 23.4.2004 (BGBl. I S. 606), SGB X – Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren (10. Buch) vom 5.4.2004 (BGBl. I S. 718), SGB XI – Sozialgesetzbuch, Soziale Pflegeversicherung (11. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB XII – Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe (12. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) Sozialgerichtsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 23.9.1975 (BGBl. I S. 2535); zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1577)
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis SGV.NW SichVG SIRENE SIS SJIR SJZ SkAufG
s.o. SortSchG SozVw SprengG
SprengstG
SpuRt SRÜ StA StAG/DDR
StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StAZ StBerG
StenB StGB
StGB/DDR
StGBÄndG 1976
StGBÄndG 1989
XL
Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16.6.1995 (BGBl. I S. 818) Supplementary Information Request at the National Entry (nationale Kontaktstelle des SIS) Schengener Informationssystem Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Schweizerische Juristen-Zeitung / Süddeutsche Juristenzeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995 (BGBl. II S. 554) siehe oben Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) vom 20.5.1968 i.d.F. der Bek. vom 4.1.1977 (BGBl. I S. 105) Die Sozialverwaltung (Zeitschrift) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz – SprengG) vom 13.9.1976 (BGBl. I S. 2737) i.d.F. der Bek. vom 17.4. 1986 (BGBl. I S. 577) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1358, ber. BGBl. 1970 I S. 224), aufgehoben durch SprengG vom 13.9.1976 Sport und Recht (Zeitschrift) Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II S. 1799) Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.4.1977 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 635) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8.9.1969 (BGBl. I S. 1582) s. StRÄndG Das Standesamt (Zeitschrift) Steuerberatungsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 4.11.1975 (BGBl. I S. 2735); zuletzt geändert durch Art. 19 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch, neugefasst durch Bek. vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25.6.2012 (BGBl. I S. 1374) Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1. 1968 in der Neufassung vom 14.12.1988 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 218l) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059)
Abkürzungsverzeichnis StPÄG 1964 StPÄG 1972 StPÄG 1978 StPÄG 1986 StPÄG 1988 StPO StPO/DDR StraFo StrafrAbh. StraftVVG StRÄndG
Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964 (BGBl. I S. 1067) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1361) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14.4.1978 (BGBl. I S. 497) Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17.5.1988 (BGBl. I S. 606) Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 i.d.F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 19.12.1974 (GBl. 1975 I S. 61) Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten v. 30.7.2009 (BGBl. I S. 2437) Strafrechtsänderungsgesetz 1. ~ vom 30.8.1951 (BGBl. I S. 739) 2. ~ vom 6.3.1953 (BGBl. I S. 42) 3. ~ vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) 4. ~ vom 11.6.1957 (BGBl. I S. 597) 5. ~ vom 24.6.1960 (BGBl. I S. 477) 6. ~ vom 30.6.1960 (BGBl. I S. 478) 7. ~ vom 1.6.1964 (BGBl. I S. 337) 8. ~ vom 25.6.1968 (BGBl. I S. 741) 9. ~ vom 4.8.1969 (BGBl. I S. 1065) 10. ~ vom 7.4.1970 (BGBl. I S. 313) 11. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1977) 12. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1779) 13. ~ vom 13.6.1975 (BGBl. I S. 1349) 14. ~ vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056) 15. ~ vom 18.5.1976 (BGBl. I S. 1213) 16. ~ vom 16.7.1979 (BGBl. I S. 1078) 17. ~ vom 21.12.1979 (BGBl. I S. 2324) 18. ~ vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 379) – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 19. ~ vom 7.8.1981 (BGBl. I S. 808) 20. ~ vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) 21. ~ vom 13.6.1985 (BGBl. I S. 963) 22. ~ vom 18.7.1985 (BGBl. I S. 1510) 23. ~ vom 13.4.1986 (BGBl. I S. 1986) 24. ~ vom 13.1.1987 (BGBl. I S. 141) 25. ~ vom 20.8.1990 – § 201 StG – (BGBl. I S. 1764) 26. ~ vom 24.7.1992 – Menschenhandel – (BGBl. I S. 1255) 27. ~ vom 23.7.1993 – Kinderpornographie – (BGBl. I S. 1346) 28. ~ vom 13.1.1994 – Abgeordnetenbestechung – (BGBl. I S. 84) 29. ~ vom 31.5.1994 – §§ 175, 182 StGB – (BGBl. I S. 1168) 30. ~ vom 23.6.1994 – Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen – BGBl. I S. 1310)
XLI
Abkürzungsverzeichnis
StraßenVSichG
StREG StrEG StrFG
StRG
StRR StrRehaG
st.Rspr. StudZR
XLII
31. ~ vom 27.6.1994 – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – (BGBl. I S. 1440) 32. ~ vom 1.6.1995 – §§ 44, 69b StGB – (BGBl. I S. 747) 33. ~ vom 1.7.1997 – §§ 177, 178 StGB (BGBl. I S. 1607) 34. ~ vom 22.8.2002 – § 129b StGB (BGBl. I S. 3390) 35. ~ vom 22.12.2003 – Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (BGBl. I S. 2838) 36. ~ vom 30.7.2004 – § 201a StGB (BGBl. I S. 2012) 37. ~ vom 18.2.2005 – §§ 180b, 181 StGB (BGBl. I S. 239) 40. ~ vom 22.3.2007 – Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (Anti-Stalking-Gesetz) (BGBl. I S. 354) 41. ~ vom 7.8.2007 – Bekämpfung der Computerkriminalität (BGBl. I S. 1786) 42. ~ vom 29.6.2009 – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen (BGBl. I S. 1658) 43. ~ vom 29.7.2009 – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (BGBl. I S. 2288) 44. ~ vom 1.11.2011 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (BGBl. I S. 2130) 45. ~ vom 6.12.2011 – Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt (BGBl. I S. 2557) 46. ~ vom 10.6.2013 – Beschränkung der Möglichkeit zur Strafmilderung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (BGBl. I S. 1497) 47. ~ vom 24.9.2013 – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (BGBl. I S. 3671) 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz) vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) 2. Zweites ~ vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) vom 28.8.1975 (BGBl. I S. 2289) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (BGBl. I S. 157) Straffreiheitsgesetz – 1949 vom 31.12.1949 (BGBl. I S. 37) – 1954 vom 17.7.1954 (BGBl. I S. 203) – 1968 vom 9.7.1968 (BGBl. I S. 773) – 1970 vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 509) Gesetz zur Reform des Strafrechts 1. ~ vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) 2. ~ vom 4.7.1969 (BGBl. I S. 717) 3. ~ vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 505) 4. ~ vom 23.11.1973 (BGBl. I S. 1725) 5. ~ vom 18.6.1974 (BGBl. I S. 1297) 6. ~ vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) StrafRechtsReport – Arbeitszeitschrift für das gesamte Strafrecht Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) i.d.F. der Bek. vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2664) ständige Rechtsprechung Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg
Abkürzungsverzeichnis StUG
StuR StuW StV StVÄG 1979 StVÄG 1987 StVÄG 1999 StVG StVO StVollstrO StVollzG
StVollzGK StVollzK 1. StVRErgG 1. StVRG StVZO s.u. SubvG SVR SZ SZIER
TerrorismusG TerrorBekG TerrorBekErgG TFTP ThUG
Thür. TiefseebergbauG TierschG TKG TKÜG
Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 2272) Staat und Recht (Zeitschrift DDR, 1950 bis 1990) Steuern und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5.10.1978 (BGBl. I S. 1645) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27.1.1987 (BGBl. I S. 475) Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253) Straßenverkehrsgesetz vom 3.5.1909 i.d.F. der Bek. vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 837) Straßenverkehrsordnung vom 16.11.1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971, S. 38) Strafvollstreckungsordnung vom 1.4.2001 (BAnz. Nr. 87) bundeseinheitlich Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz – vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 581) Strafvollzugsgesetz-Kommissionsentwurf, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3686) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 (BGBl. I S. 3393) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13.11.1937 i.d.F. der Bek. vom 28.9.1988 (BGBl. I S. 1793) siehe unten Subventionsgesetz vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift) Süddeutsche Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2566) Gesetz vom 9.1.2002 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) (BGBl. I S. 361) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) vom 5.1.2007 (BGBl. I S. 2) Terrorist Finance Tracking Program Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz) vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) Thüringen Gesetz zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1457) Tierschutzgesetz vom 24.7.1972 (BGBl. I S. 1277) Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1120) Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198)
XLIII
Abkürzungsverzeichnis TKO TMG TREVI TVöD TV/L Tz. UCLAF UdG ÜAG
ÜberlG ÜberstÜbk
Übk ÜF UHaftÄndG UN UNCAT
UN-CAT UN-FoltKonv. UNHCR UNO-Pakt UnterbrSichG
UrhG UVollzO UZwG UZwGBw
VA VBlBW
XLIV
Telekommunikationsordnung vom 16.7.1987 (BGBl. I S. 1761) Telemediengesetz vom 26.2.2007 (BGBl. I S. 179) Terrorisme, Radicalisme, Extremisme et Violence Internationale (1975) – Koordinierungsgruppe Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Teilziffer Unité de Coordination de la Lutte Anti-Fraude Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Gesetz vom 26.9.1991 zur Ausführung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 – Überstellungsausführungsgesetz (BGBl. 1991 I S. 1954) Gesetz zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) (Sechstes Überleitungsgesetz) vom 25.9.1990 (BGBl. I S. 2106) Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 (ETS 112; BGBl. 1991 II S. 1006; 1992 II S. 98); ZP ÜberstÜbk vom 18.12.1997 (ETS 167) Übereinkommen Übergangsfassung Gesetz zur Abänderung der Untersuchungshaft vom 27.12.1926 (RGBl. I S. 529) Vereinte Nationen Übereinkommen (der Vereinten Nationen) gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (BGBl. 1990 II S. 246) OPCAT – Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Gesetz vom 26.8.2008 (BGBl. 2008 II S. 854) United Nations Committee against Torture – UN-Antifolterausschuss Siehe UNCAT United Nations High Commissioner for Refugees – Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen s. IPBPR Gesetz zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7. 2007 (BGBl. I S. 1327) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9.9.1965 (BGBl. I S. 1273) Untersuchungshaftvollzugsordnung vom 12.2.1953 i.d.F. der Bek. vom 15.12.1976, bundeseinheitlich Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10.3.1961 (BGBl. I S. 165) Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen vom 12.8.1965 (BGBl. I S. 796) Vorzeitige Anwendung (internationaler Übereinkommen) Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis VDA VDB VerbrbekG
VerbringungsverbG VereinfVO
VereinhG
VereinsG VerfGH VerfO Verh. 1. VerjährungsG 2. VerjährungsG VerkMitt. VerpflichtG VerschG VersR VerständigungsG VerwArch VG VGH vgl. Vhdlgen VIS VIZ VO VOBl. VOR VR VRR VRS
Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. 1 bis 6 (1908) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. 1 bis 9 (1906) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetz (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10. 1994 (BGBl. I S. 3186) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Vereinfachungsverordnung 1. ~, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege vom 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) 2. ~, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942 (RGBl. I S. 508) 3. ~, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 342) 4. ~, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.12.1944 (RGBl. I S. 339) Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 455) Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5.8.1964 (BGBl. I S. 593) Verfassungsgerichtshof Verfahrensordnung (siehe EGMRVerfO) Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26.3.1993 (BGBl. I S. 392) Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 (BGBl. I S. 1657) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Verschollenheitsgesetz vom 15.1.1951 (BGBl. I S. 59) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof; Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Visa-Informations-System Vermögens- und Immobilienrecht (Zeitschrift) Verordnung; s. auch AusnVO Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verwaltungsrundschau VerkehrsRechtsReport Verkehrsrechts-Sammlung
XLV
Abkürzungsverzeichnis VRÜ VStGB VStGBG VVDStRL VVStVollzG VwGO
VwRehaG
VwVfG VwZG WDO WehrbeauftrG WeinG Wiener Übereinkommen
WiJ 1. WiKG 2. WiKG WiStG
WisteV wistra WLR WoÜbG
WRV WStG WM WuV WuW WÜD WÜK WVK
XLVI
Verfassung und Recht in Übersee Völkerstrafgesetzbuch Gesetz vom 26.6.2002 zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (BGBl. I S. 2254) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (bundeseinheitlich) vom 1.7.1976 Verwaltungsgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 19.3.1991 (BGBl. I S. 686); zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 21.7.2012 (BGBl. I S. 1577) Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3.7.1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung vom 15.3.1957 i.d.F. der Bek. vom 9.6.1961 (BGBl. I S. 697) Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i.d.F. der Bek. vom 16.6.1982 (BGBl. I S. 673) Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (Weingesetz) vom 14.1.1971 (BGBl. I S. 893) 1. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (Zustimmungsgesetz vom 6.8.1964, BGBl. II S. 957) 2. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (Zustimmungsgesetz vom 26.8.1969, BGBl. II S. 1585) Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 (BGBl. I S. 721) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) vom 9.7.1954 i.d.F. der Bek. vom 3.6.1975 (BGBl. I S. 1313) Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e.V. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weekly Law Reports (Zeitschrift) Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 24.6. 2005 (BGBl. I S. 1841) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8. 1919 (RGBl. S. 1383) Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957 i.d.F. der Bek. vom 24.5.1974 (BGBl. I S. 1213) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Entscheidungssammlung der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb s. 1. Wiener Übereinkommen s. 2. Wiener Übereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.5.1969 (BGBl. 1985 II S. 926)
Abkürzungsverzeichnis WWSUV
WWSUVG
WZG
Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990 (BGBl. II S. 537) Gesetz zu dem Vertrag vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion … vom 25.6.1990 (BGBl. II S. 518) Warenzeichengesetz vom 5.5.1936 i.d.F. der Bek. vom 2.1.1968 (BGBl. I S. 29)
YEL YB
Yearbook of European Law Yearbook of the European Convention of the Human Rights, the European Commission and the European Court of Human Rights / Annuaire de la Convention Européenne des Droits de l’Homme; Commission et Cour Européenne des Droits de l’Homme, hrsg. vom Europarat
ZahlVGJG
Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden vom 22.12.2006 = Art. 2 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes (BGBl. 2006 I S. 3416) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Corporate Governance Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für Europarecht (Österreich) Zentrum für europäische Rechtspolitik (Universität Bremen) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter (Zollfahndungsdienstgesetz) vom 16.8.2002 (BGBl. I S. 3202) Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für die sozialrechtliche Praxis Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (jetzt: FS – Forum Strafvollzug) Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Online-Zeitschrift) Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für das Juristische Studium (Online-Zeitschrift)
ZAkDR ZaöRV ZAP ZAR ZBJV ZBlJugR ZBR ZCG ZD ZER ZERP ZESAR ZEuS ZEV ZfBR ZfDG ZfJ ZfL ZfRV ZfS ZFSH SGB ZfStrVo ZfZ ZInsO ZIP ZIS ZJJ ZJS
XLVII
Abkürzungsverzeichnis ZKA ZKJ ZLR ZOV ZÖR ZollG. ZP ZPO ZRFC ZRP ZSchG
ZSE ZSEG
ZSHG ZSR ZST ZStW ZTR ZUM ZUM-RD ZusatzAbk. Zusatzvereinb.
ZuSEntschG zust. ZustErgG
ZustG ZustRG
ZustVO
Zuwanderungsgesetz
XLVIII
Zollkriminalinstitut Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für offene Vermögensfragen Zeitschrift für öffentliches Recht Zollgesetz vom 14.6.1961 i.d.F. der Bek. vom 18.5.1970 (BGBl. I S. 529) Zusatzprotokoll Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 i.d.F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Risk, Fraud & Compliance Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz vom 30.4.1998 zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes (Zeugenschutzgesetz – ZSchG) (BGBl. I S. 820) Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26.7.1957 i.d.F. der Bek. vom 1.10.1969 (BGBl. I S. 1756); abgelöst durch das JVEG vom 5.5.2004 Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz) vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3510) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Schweizer Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht - Rechtssprechungsdienst Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31.8.1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 18.9.1990 (BGBl. II S. 1239) Zeugenentschädigung zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 407) Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6.12.1933 (RGBl. I S. 1037) Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001 (BGBl. I S. 1206) Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940 (RGBl. I S. 405) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950)
Abkürzungsverzeichnis ZVG
ZWehrR ZWH ZwHeiratBekG
ZZP
Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) vom 24.3.1897 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 369, 713) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–44) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23.6.2011 (BGBl. I S. 1266) Zeitschrift für Zivilprozeß
XLIX
Literaturverzeichnis Achenbach/Ransiek
Aubert
Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2011) Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV); Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2001) Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung; hrsg. von Schünemann (2004) Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien (AE-StuM: Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2004) Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis (2008) Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, Bd. I (§§ 1 bis 93; 1988), Bd. II 1 (§§ 94 bis 212b; 1992), Bd. II 2 (§§ 213 bis 275; 1993), Bd. III (§§ 276 bis 477; 1996) Alternativkommentar zum Grundgesetz, Bd. I (Art. 1 bis 37; 1989), Bd. II (Art. 38 bis 148; 1989) Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I (§§ 1 bis 21; 1990), Bd. III (§§ 80 bis 145d; 1986) Feest/Lesting, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, AKStVollzG), 6. Aufl. (2012) Krekeler/Löffelmann/Sommer, AnwaltKommentar zur Strafprozessordnung 2. Aufl. (2010) Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), AnwaltKommentar StGB (2011) König (Hrsg.), AnwaltKommentar Untersuchungshaft (2011) Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2000) Albrecht, Kriminologie, 3. Aufl. (2005) Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 6. Aufl. (2013) Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl. (2011) Arloth, Strafprozeßrecht (1995) Arloth, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl. (2011) Reform des Strafprozesses, kritische Besprechung der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge, hrsg. von Aschrott (1906) Artkämper, Die „gestörte“ Hauptverhandlung, 4. Aufl. (2013) Artkämper/Sotelsek, Praxiswissen Strafverfahren bei Tötungsdelikten (2011) Aubert, Fernmelderecht I , 3. Aufl. (1976)
Barton Barton (Verfahrensg.) Barton (Strafverteidigung)
Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung (1994) Barton, Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis (2002) Barton, Einführung in die Strafverteidigung (2007)
AE-EV
AE-EuStV AE-StuM
Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/ Kirsch/Rosenthal AK
AK-GG AK-StGB AK-StVollzG AnwK-StPO AnwK-StGB AnwK-UHaft Albrecht Albrecht (Krim.) Alsberg Ambos Arloth Arloth (StVollzG) Aschrott
Artkämper Artkämper/Sotelsek
LI
Literaturverzeichnis Baumann Baumann/Weber/Mitsch Baumbach/Lauterbach/ Albers/ Hartmann Beck/Berr Beck/Bemmann Beling Bender/Nack/Treuer Benfer/Bialon Bente Berz/Burmann Beulke Beulke/Ruhmannseder Birkenstock Birkmeyer Bock Bockemühl Bohnert (Ordnungsw.) Bohnert (OWiG) Bohnert Bonn.Komm. Booß Bouska/Laeverenz Böhm/Feuerhelm Böhm (Strafvollzug) Böse Brandstetter Brenner Breyer/Mehle/Osnabrügge/ Schaefer von Briel Bringewat Brodag Brunner
LII
Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. (1979) Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 11. Aufl. (2003) Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 71. Aufl. (2013) Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl. (2006) Beck/Bemmann, Fälle und Lösungen zur StPO (2004) Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht (1928) Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. (2007) Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, 4. Aufl. (2010) Bente, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2004) Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Loseblattausgabe, 2 Bände (2004) Beulke, Strafprozessrecht, 12. Aufl. (2012) Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers 2. Aufl. (2010) Birkenstock, Verfahrensrügen im Strafprozess – Rechtsprechungssammlung, 2 Bände (2004) Birkmeyer, Deutsches Strafprozeßrecht (1898) Bock, Criminal Compliance (2011) Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, hrsg. von Bockemühl, 5. Aufl. (2011) Bohnert, Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Aufl. (2010) Bohnert, Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, 3. Aufl. (2010) Bohnert, Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblattausgabe (ab 1950) Booß, Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 3. Aufl. (1980) Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. (2004) Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Böhm, Strafvollzug (2003) Böse (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, Enzyklopädie Europarecht, Band 9 (2013) Brandstetter, Straffreiheitsgesetz, Kommentar (1956) Brenner, Ordnungswidrigkeitenrecht (1996) Breyer/Mehle/Osnabrügge/Schaefer, Strafprozessrecht (2005) von Briel, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2001) Bringewat, Strafvollstreckung, Kommentar zu den §§ 449 bis 463d StPO (1993) Brodag, Strafverfahrensrecht, Kurzlehrbuch zum Ermittlungsverfahren, 12. Aufl. (2008) Brunner, Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, 12. Aufl. (2012)
Literaturverzeichnis Brunner/Dölling Bruns/Schröder/Tappert Brüssow/Gatzweiler/ Krekeler/Mehle Buddendiek/Rutkowski
Burchardi/Klempahn/Wetterich Burhoff (Ermittlungsv.) Burhoff (Hauptv.) Burhoff/Stephan Burhoff/Kotz Burmann/Heß/Jahnke/Janker
Calliess/Müller-Dietz Ciolek-Krepold Corstens/Pradel Cramer Cramer/Bürgle Cramer/Cramer Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst Cullen/Jund
Dahs (Hdb.) Dahs (Rechtl. Gehör) Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dallinger/Lackner Dallmayer/Eickmann Dannecker/Knierim Deckers Delmas-Marty
Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Aufl. (2011) Bruns/Schröder/Tappert, Kommentar zum strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (1993) Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 4. Aufl. (2007) Buddendiek/Rutkowski, Lexikon des Nebenstrafrechts, zugleich Registerband zum Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 35. Aufl. (2012) Burchardi/Klempahn/Wetterich, Der Staatsanwalt und sein Arbeitsgebiet, 5. Aufl. (1982) Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl. (2012) Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl. (2012) Burhoff/Stephan, Strafvereitelung durch Strafverteidiger (2008) Burhoff/Kotz, Handbuch für strafrechtliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe (2012) Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. (2012) Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2008) Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000) Corstens/Pradel, European Criminal Law (2002) Cramer, Straßenverkehrsrecht StVO – StGB, Kommentar, 2. Aufl. (1977) Cramer/Bürgle, Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Aufl. (2004) Cramer/Cramer, Anwalts-Handbuch Strafrecht (2002) Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure (2010) Cullen/Jund, Strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union nach Tampere (2002) Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. (2005) Dahs, Rechtliches Gehör im Strafverfahren (1963) Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 8. Aufl. (2012) Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Kommentar, 37. Aufl. (1961) Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz und ergänzende Vorschriften, Kommentar, 2. Aufl. (1965) Dallmayer/Eickmann, Rechtspflegergesetz, Kommentar, 31. Aufl. (1996) Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. (2011) Deckers, Der strafprozessuale Beweisantrag, 3. Aufl. (2013) Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (1998)
LIII
Literaturverzeichnis Delmas-Marty/Vervaele Detter Diemer/Schatz/Sonnen Dölling/Duttge/Rössner Doswald-Beck/Kolb
Eb. Schmidt
Eb. Schmidt (Geschichte) Eb. Schmidt (Kolleg) Eberth/Müller/Schütrumpf Eidam Eisenberg Eisenberg (Beweismittel) Eisenberg (Beweisrecht) Eisenberg (Krim.) Endriß (BtM-Verfahren) Endriß/Malek Engländer Erbs/Kohlhaas Eser Eser/Hassemer/Burkhardt Esser Esser EuStR Fahl Fehn/Wamers Feisenberger Ferner
LIV
Delmas-Marty/Verwaele, The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, 4 Bände (2001) Detter, Revision im Strafverfahren (2011) Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2011) Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht – Handkommentar 2. Aufl. (2011) (zit.: HK-GS/Verfasser) Doswald-Beck/Kolb, Judicial Process and Human Rights – United Nations, European, American and African Systems – Texts and summaries of international case law, 2004 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Teil II: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz (1957); Teil III: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz (1960), Nachtrag I: Nachträge und Ergänzungen zu Teil II (1967), Nachtrag II: Nachtragsband II (1970) Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. (1965) Schmidt, Deutsches Strafprozeßrecht, ein Kolleg (1967) Eberth/Müller/Schütrumpf, Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, 5. Aufl. (2009) Eidam, Unternehmen und Strafe, 3. Aufl. (2008) Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 16. Aufl. (2013) Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO, 2. Aufl. (1996) Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 8. Aufl. (2013) Eisenberg, Kriminologie, 6. Aufl. (2005) Endriß, Verteidigung in Betäubungsmittelverfahren (1998) Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Aufl. (2008) Engländer, Examensrepetitorium Strafprozessrecht, 5. Aufl. (2011) Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kurzkommentar, Loseblattausgabe, 189. Aufl. (2012) Eser, Einführung in das Strafprozeßrecht (1983) Eser/Hassemer/Burkhardt, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende (2000) Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002) Esser, Europäisches u. Internationales Strafrecht (2013) Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß (2004) Fehn/Wamers, ZfdG – Zollfahndungsdienstgesetz – Handkommentar (2003) Feisenberger, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (1926) Ferner, Strafzumessung (2005)
Literaturverzeichnis Feuerich/Weyland Fezer Fischer Flore/Tsambikakis Franke/Wienroeder Franzen/Gast/Joecks Freyschmidt Fromm Frowein/Peukert FS 45. DJT FS Achenbach FS Adamovich
FS AG Strafrecht DAV FS Amelung FS Androulakis FS Augsburg FS Baudenbacher FS Baumann FS Baumgärtel FS BayVerfGH FS Bemmann FS Bernhardt FG Beulke FS Binding FS BGH
FS II BGH
FS Blau FS Bockelmann FS Böhm
Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 8. Aufl. (2012) Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995) Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 60. Aufl. (2013) Flore/Tsambikakis (Hrsg.), Steuerstrafrecht (2012) Franke/Wienroeder, BtMG, 3. Aufl. (2008) Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht mit Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, 7. Aufl. (2009) Freyschmidt, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 9. Aufl. (2009) Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren (2011) Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. (2009) Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag (1964) Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag (2011) Staatsrecht und Staatswissenschaften in Zeiten des Wandels – Festschrift für Ludwig Adamovich zum 60. Geburtstag (1992) Strafverteidigung im Rechtsstaat – 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (2009) Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts – Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Recht in Europa – Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Economic law and justice in times of globalisation – Festschrift für Carl Baudenbacher (2007) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Gottfried Baumgärtel zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (1997) Festschrift für Günther Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Recht zwischen Umbruch und Bewahrung – Festschrift für Rudolf Bernhardt (1995) Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine: Symposion für Werner Beulke (2012) Festschrift für Karl Binding zum 4. Juni 1911 Festschrift aus Anlass des 50-jährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, hrsg. von Roxin/Widmaier, Bd. IV: Strafrecht (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999)
LV
Literaturverzeichnis FS Böttcher FS Boujong FS BRAK FS Brauneck FS Bruns FS Burgstaller FS Carstens FS Dahs FS Damaska FS Delbrück FS Dencker FS Doehring
FS Dreher FS Dünnebier FS Eide FS Eisenberg FS Engisch FS Ermacora
FS Eser FS Europa-Institut FS Everling FS Faller FS Fezer FS Fiedler FS Flume FS Friauf FS Friebertshäuser FS Gallas FS Geerds FS Geiger
FS Geiß FS Geppert
LVI
Recht gestalten – dem Recht dienen, Festschrift für Reinhard Böttcher zum 70. Geburtstag (2007) Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (2006) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift for Mirjan Damaska (2008) Liber Amicorum Jost Delbrück (2005) Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag (2012) Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring; Beiträge zum ausländischen Recht und Völkerrecht Bd. 98 (1989) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Human rights and criminal justice for the downtrodden; Essays in honour of Asbjørn Eide (2003) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Europäische Integration und Globalisierung, Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Ulrich Everling (1993) Festschrift für Hans Joachim Faller (1984) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1998) Festschrift für Karl Heinrich Friauf (1996) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht, Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmende Ordnung; Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag (1989) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011)
Literaturverzeichnis FS Gollwitzer
FS Gössel FS Graßhoff FS Grünwald FS Grützner FS Hacker FS Haffke FS Hamm FS Hanack FS Hassemer FS Heinitz FS Heinz FS Heldrich FS Helmrich FS Henkel FS Herzberg FS Heusinger FS Hilger FS Hirsch FS B. Hirsch FS H. J. Hirsch FS Hubmann
FS Huber FS Ismayr FS Jahrreiß FS II Jahrreiß FS Jakobs
Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, Kolloquium für Dr. Walter Gollwitzer zum 80. Geburtstag (2004) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Festschrift für Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Wandel durch Beständigkeit, Festschrift für Jens Hacker (1998) Das Dilemma des rechtsstaatlichen Strafrechts: Symposium für Bernhard Haffke zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag (2012) Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag (2005) Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag (1994) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger (2003) Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch (1968) Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat, Festgabe für Burkhard Hirsch (2007) Festschrift Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung, Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag (1981) Analyse demokratischer Regierungssysteme, Festschrift für Wolfgang Ismayr zum 65. Geburtstag (2010) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 70. Geburtstag (1964) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag (1974) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007)
LVII
Literaturverzeichnis FS Jescheck FS Jung FS JurGes. Berlin FS Kaiser
FS Arthur Kaufmann FS Kern FS Kielwein
FS Klecatsky FS Klein FS Kleinknecht FS Klug FS Koch FS Kohlmann FS Kralik FS Krause FS Krauss
FS Kriele FS Krey FS Kunert FS Kühne FS Küper FS Lackner FS Lampe
FS Lange FS Leferenz FS Lenckner FS Lerche FS Loebenstein FS Loewenstein
LVIII
Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag (1998) Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein (1989) Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Festschrift für Hans Klecatsky zum 60. Geburtstag (1980) Festschrift für Franz Klein zum 60. Geburtstag (1914) Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Winfried Kralik zum 65. Geburtstag (1986) Festschrift für Friedrich-Wihelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Prozessuales Denken als Innovationsanreiz für das materielle Strafrecht, Kolloquium zum 70. Geburtstag von Detlef Krauss (2006) Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010) Freiheit, Gesetz und Toleranz, Symposium zum 75. Geburtstag von Karl Heinz Kunert (2006) Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag (1993) Der Rechtsstaat in der Krise – Festschrift für Edwin Loebenstein zum 80. Geburtstag (1991) Festschrift für Karl Loewenstein zum 80. Geburtstag (1971)
Literaturverzeichnis FS von Lübtow FS Lüderssen FS Machacek und Matscher
FS Maelicke FS Maihofer FS Maiwald FS Mangakis FS Manoledakis FS Maurach FS Mayer FS Mehle FS Meyer-Goßner FS Mezger FS Middendorf FS Miebach FS Miklau FS Miyazawa FS Möhring FS Mosler
FS E. Müller FS E. Müller II FS Müller-Dietz FS Nehm FS Nishihara FS Odersky FS Oehler FS Otto FS Paarhammer FS Partsch
FS Paulus
De iustitia et iure – Festschrift für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsschutz gestern – heute – morgen, Festgabe zum 80. Geburtstag für Rudolf Machacek und Franz Matscher (2008) Wertschöpfung durch Wertschätzung, Festschrift für Bernd Maelicke zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Fragmentarisches Strafrecht, Für Manfred Maiwald aus Anlass seiner Emeritierung (2003) Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Ioannis Manoledakis (2005) Festschrift für Reinhard Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorf zum 70. Geburtstag (1986) NStZ-Sonderheft – Zum Eintritt in den Ruhestand für Klaus Miebach (2009) Strafprozessrecht im Wandel, Festschrift für Roland Miklau zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Koichi Miyazawa (1995) Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag (1965) Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte; Festschrift für Hermann Mosler zum 70. Geburtstag (1983) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Grundlagen staatlichen Strafens, Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Harua Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) In mandatis meditari, Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (2012) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Festgabe des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009)
LIX
Literaturverzeichnis FS Peters FS Peters II FS Pfeiffer
FS Pfenniger FS Platzgummer FS Pöttering FS Puppe FS Rebmann FS Reichsgericht
FS Reichsjustizamt
FS Remmers FS Ress FS Richter FS Rieß FS Rill
FS Rissing-van Saan FS Rittler FS Rolinski FS Rosenfeld FS Rowedder FS Roxin FS Roxin II FS Imme Roxin Rudolphi-Symp.
FS Rudolphi FS Rüping FS Rüter FS Salger
LX
Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren, Festgabe für Karl Peters zum 80. Geburtstag (1984) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) Processus Criminalis Europeus, Festschrift für Hans-Gert Pöttering (2008) Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Vertrauen in den Rechtsstaat, Beiträge zur deutschen Einheit im Recht, Festschrift für Walter Remmers (1995) Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag (2005) Verstehen und Widerstehen, Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts – Festschrift für Heinz Peter Rill zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem 80. Geburtstag (1957) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Festschrift für Heinz Rowedder zum 75. Geburtstag (1994) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Festschrift für Imme Roxin zum 75. Geburtstag (2012) Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Symposium zu Ehren von Hans-Joachim Rudolphi zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Recht und Macht: zur Theorie und Praxis von Strafe, Festschrift für Hinrich Rüping zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für C. F. Rüter zum 65. Geburtstag (2003) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht
Literaturverzeichnis
FS Samson FS Sarstedt FS Sauer FS G. Schäfer FS Schäfer FS Schindler FS Schmidt FS Schlochauer FS Schlüchter
FS H. Schmidt FS Schmidt-Leichner FS Schmitt-Glaeser FS Schneider
FS Schöch FS Schreiber FS Schroeder FS Schüler-Springorum FS Schultz FS Schwind
FS Seebode FS Seidl-Hohenveldern
FS Sendler FS Spendel FS Spinellis FS StA Schleswig-Holstein
und Medizin, Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Im Dienst an der Gemeinschaft, Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag (1989) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht, Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer (1981) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit, Kritische Studien aus vorwiegend straf(prozess-)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Kostenerstattung und Streitwert, Festschrift für Herbert Schmidt (1981) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1975) Recht im Pluralismus, Festschrift für Walter Schmitt-Glaeser zum 70. Geburtstag (2003) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht; Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern zum 70. Geburtstag (1988) Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Dionysios Spinellis zum 70. Geburtstag (1999–2003) Strafverfolgung und Strafverzicht, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft SchleswigHolstein (1992)
LXI
Literaturverzeichnis FS Steinberger FS Steinhilper FS Stober FS Stock FS Stöckel FS Strauda
FS Stree/Wessels FS Szwarc FS Tepperwien FS Tiedemann FS Tondorf FS Trechsel FS Triffterer FS Tröndle FS Trusen FS Verdross FS Verdross II FS Verosta FS Volk FS von Simson
FS Wassermann FS v. Weber FS Weber FS Weißauer FS Welp
FS Welzel FS Widmaier
LXII
Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger (2002) Kriminologie und Medizinrecht, Festschrift für Gernot Steinhilper zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Rolf Stober, Wirtschaft – Verwaltung – Recht (2008) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform, Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer anlässlich seiner 196. Tagung vom 13.–15.10.2006 in Münster (2006) Beiträge zur Rechtswissenschaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Vergleichende Strafrechtswissenschaft, Frankfurter Festschrift für Andrzej J. Szwarc zum 70. Geburtstag (2009) NJW-Festheft zum 65. Geburtstag von Ingeborg Tepperwien (2010) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Festschrift für Günter Tondorf zum 70. Geburstag (2004) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Festschrift für Winfried Trusen zum 70. Geburtstag (1994) Völkerrecht und zeitliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross zum 70. Geburtstag (1960) Ius humanitas, Festschrift für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag (1980) Völkerrecht und Rechtsphilosophie, Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag (1980) In dubio pro libertate, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Grundrechtsschutz im nationalen und internationalen Recht – Festschrift für Werner von Simson zum 75. Geburtstag (1983) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Ärztliches Handeln – Verrechtlichung eines Berufsstandes; Festschrift für Walther Weißauer zum 65. Geburtstag (1986) Strafverteidigung in Forschung und Praxis, Kriminalwissenschaftliches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von Jügen Welp (2006) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften – Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008)
Literaturverzeichnis FS Winkler FS Wolff FS Wolter FS Würtenberger FS Würtenberger II FS Würzburger Juristenfakultät FS Zeidler FS Zoll Full/Möhl/Rüth Gaede
Gaier/Wolf/Göcken GedS Bleckmann GedS Blomeyer GedS Blumenwitz GedS Bruns GedS Eckert GedS Geck GedS A. Kaufmann GedS H. Kaufmann GedS Keller GedS Küchenhoff GedS Lisken
GedS Meurer GedS Meyer GedS Noll GedS H. Peters GedS Ryssdal
GedS Schlüchter GedS Schröder GedS Trzaskalik GedS Vogler GedS Zipf Geerds
Beiträge zum Verfassungs- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Günther Winkler (1989) Festschrift für Ernst Amadeus Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Jürgen Wolter zum 70. Geburtstag (2013) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Verfassungsstaatlichkeit im Wandel, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (2013) Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Rechtsstaat und Strafrecht, Festschrift für Andrzej Zoll zum 70. Geburtstag (2012) s. Rüth/Berr/Berz Gaede, Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2007) Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht (2010) Rechtssstaatliche Ordnung Europas – Gedächtnisschrift für Albert Bleckmann (2007) Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer (2004) Iustitia et Pax, Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz (2008) Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns (1980) Gedächtnisschrift für Jörn Eckert (2008) Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günter Küchenhoff (1987) Lauschen im Rechtsstaat – Zu den Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff, Gedächtnisschrift für Hans Lisken (2004) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Protection des droits de l’homme: la perspective européenne/Protecting Human Rights: The European Perspective, Gedächtnisschrift für Rolv Ryssdal (2000) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik (2005) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Handbuch der Kriminalistik, begr. von H. Groß, neubearbeitet von Geerds, 10. Aufl. (Bd. I 1977, Bd. II 1978)
LXIII
Literaturverzeichnis Geiger/Khan/Kotzur Gerland Gerold/Schmidt Glaser
Göbel Göhler
Götz/Tolzmann Gössel Gössel/Dölling Goldschmidt Grabenwarter/Pabel Grabitz/Hilf/Nettesheim Graf Graf (BGH Jahr) Graf/Jäger/Wittig Graf zu Dohna Greeve/Leipold Grote/Marauhn Grunau/Tiesler Grützner/Pötz/Kreß Guradze Gürtner
Habschick Hackner/Schierholt Hahn Haller/Conzen Hamm/Hassemer/Pauly Hamm Hanack-Symp.
Hansens
LXIV
Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Kommentar, 5. Aufl. (2010) Gerland, Der Deutsche Strafprozeß (1927) Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 20. Aufl. (2012) Glaser, Handbuch des Strafprozesses, in Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft (Bd. I 1883, Bd. II 1885) Göbel, Strafprozess, 8. Aufl. (2013) Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kurzkommentar erläutert von Erich Göhler, fortgef. von Peter König und Helmut Seitz, 16. Aufl. (2012) Götz/Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000); Nachtrag zur 4. Auflage (2003) Gössel, Strafverfahrensrecht, Studienbuch (1977) Gössel/Dölling, Strafrecht, Besonderer Teil 1, 2. Aufl. (2004) Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925) Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. (2012) Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, begr. von Grabitz, Loseblattausgabe (ab 1999) Graf, Strafprozessordnung, 2. Aufl. (2012) Graf, BGH-Rechtsprechung Strafrecht 2010 (2011); 2011/ 2012 (2012) Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011) Graf zu Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (1929) Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts (2004) Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (2006) Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1982) Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 3. Aufl. (ab 2008) Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968 Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission, hrsg. von Gürtner (1938) Habschick, Erfolgreich Vernehmen, 3. Aufl. (2012) Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl. (2012) Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz, Bd. I (1880), Bd. II (1881) Haller/Conzen, Das Strafverfahren, 6. Aufl. (2011) Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. (2007) Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. (2010) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, Beiträge eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Walter Hanack (1991) Hansens, RVG, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 9. Aufl. (2009)
Literaturverzeichnis Hartmann Hartung/Schons/Enders Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/ Luxemburger/Marth HdbVerfR Hecker Heghmanns Heghmanns, Verteidigung Heghmanns/Scheffler Hellebrand Hellmann Henkel Henssler/Prütting Hentschel Hentschel/König/Dauer Herrmann Heselhaus/Nowak Herzog/Mülhausen von Hippel HK HK-GS HK-OWiG Höflich/Schriever Hofmann von Holtzendorff HRRS-FG Fezer Ignor/Rixen IK-EMRK Ipsen Isele Jacobs/White/Ovey Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge Jahn/Nack (I)
Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl. (2013) Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), Kommentar, 2. Aufl. (2013) Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/Luxemburger/Marth, Handbuch Opferschutz und Opferhilfe, 2. Aufl. (2003) Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von Benda/Maihofer/Vogel, 2. Aufl. (1994) Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. (2012) Heghmanns, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 4. Aufl. (2010) Heghmanns, Verteidigung in Strafvollstreckung und Strafvollzug, 2. Aufl. (2012) Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren (2008) (zit.: HbStrVf/Verfasser) Hellebrand, Die Staatsanwaltschaft (1999) Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2005) Henkel, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1968) Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, hrsg. von Henssler/Prütting, 3. Aufl. (2010) Hentschel, Fahrverbot – Führerscheinentzug, Band I, Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. (2013) Herrmann, Untersuchungshaft (2007) Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte (2006) Herzog/Mülhausen, Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung (2006) von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Lehrbuch (1941) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, 5. Aufl. (2012) siehe Dölling/Duttge/Rössner Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. (2005) Höflich/Schriever, Grundriss Vollzugsrecht, 3. Aufl. (2003) Hofmann, IPBPR Erläuterung, in: Das Deutsche Bundesrecht I A 10c (1986) von Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozesses (1879) HRRS-Festgabe für Gerald Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Ignor/Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 2. Aufl. (2008) Pabel/Schmahl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004 Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1976) Jacobs/White/Ovey, The European Convention on Human Rights, 5. Aufl. 2010 Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen (2011) Jahn/Nack (Hrsg.), Strafprozessrechtspraxis und Rechtswissenschaft, 1. Karlsruher Strafrechtsdialog (2007)
LXV
Literaturverzeichnis Jahn/Nack (II)
Jahn/Nack (III)
Jakobs Janiszewski Jansen Janssen Jarass Jarass/Pieroth Jescheck/Weigend Jessnitzer/Ulrich Joachimski/Haumer Joecks John Jung Junker Junker/Armatage Kaiser Kaiser/Schöch Kamann Kammeier Karpenstein/Mayer Katholnigg Kämmerer/Eidenmüller Kindhäuser Kindhäuser (StPO) Kinzig Kirsch Kissel/Mayer Klemke/Elbs KK KK-OWiG
LXVI
Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung, Gesetzgebung, Lehre: Wer regelt das Strafrecht?, 2. Karlsruher Strafrechtsdialog (2009) Jahn/Nack (Hrsg.), Gegenwartsfragen des europäischen und deutschen Strafrechts, 3. Karlsruher Strafrechtsdialog (2011) Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, Lehrbuch, 2. Aufl. (1991) Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. (2011) Janssen, Gewinnabschöpfung im Strafverfahren (2007) Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010) Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. (2012) Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, Handbuch für die Praxis, 12. Aufl. (2007) Joachimski/Haumer, Strafverfahrensrecht, 5. Aufl. (2006) Joecks, Studienkommentar StPO, 3. Auflage (2011) John, Strafprozeßordnung, Kommentar, Bd. I (1884), Bd. II (1888), Bd. III Lfg. 1 (1889) Jung, Praxiswissen Strafverteidigung von Ausländern (2009) Junker, Beweisantragsrecht im Strafprozess (2007) Junker/Armatage, Praxiswissen Strafverteidigung (2009) Kaiser, Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1996) Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugenstrafrecht, Strafvollzug, Lehrbuch, 7. Aufl. (2010) Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht, hrsg. von Kammeier, 3. Aufl. (2010) Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK – Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (2012) Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. (1999) Kämmerer/Eidenmüller, Post- und Fernmeldewesen (1971) Kindhäuser, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 5. Aufl. (2012) Kindhäuser, Strafprozessrecht, 3. Aufl. (2013) Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität (2004) Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshöfe (2005) Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. (2013) Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, 2. Aufl. (2009) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. von Pfeiffer, 6. Aufl. (2008) Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. von Boujong, 3. Aufl. (2006)
Literaturverzeichnis Klein/Orlopp Klemke/Elbs Klesczewski KMR
Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis Koch/Scholtz König Koeniger Körner/Patzak/Volkmer Kohlmann Kohlrausch Krack Kramer Krause/Nehring Krekeler Krey von Kries Kühne Kunz Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner
Lackner/Kühl Laubenthal Laubenthal/Baier/Nestler Laubenthal/Nestler Leitner/Michalke Lemke/Mosbacher Lesch von Lilienthal Lisken/Denninger LK Löffler
Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 11. Aufl. (2012) Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung (2007) Klesczewski, Strafprozessrecht (2007) Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, hrsg. von Heintschel-Heinegg/Stöckel, Loseblattausgabe (ab 1998) Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations (2012) Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. (1996) König, Anwaltkommentar Untersuchungshaft (2011) Koeniger, Die Hauptverhandlung in Strafsachen (1966) Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 7. Aufl. (2012) Kohlmann, Steuerstrafrecht mit Ordnungswidrigkeitenrecht und Verfahrensrecht, Loseblattausgabe Kohlrausch, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 24. Aufl. (1936) Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren (2002) Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, 7. Aufl. (2009) Krause/Nehring, Strafverfahrensrecht in der Polizeipraxis (1978) Krekeler, Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen (2002) Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. I (2006), Band 2 (2007) von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts (1892) Kühne, Strafprozeßrecht, 8. Aufl. (2010) Kunz, StrEG – Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, 4. Aufl. (2010) Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, Opferentschädigungsgesetz, 5. Aufl. (2010) Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. (2011) Laubenthal, Strafvollzug, 6. Aufl. (2011) Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 2. Aufl. (2010) Laubenthal/Nestler, Strafvollstreckung (2010) Leitner/Michalke, Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (2007) Lemke/Mosbacher, Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Aufl. (2005) Lesch, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (2001) von Lilienthal, Strafprozeßrecht, Lehrbuch (1923) Handbuch des Polizeirechts, hrsg. von Lisken/Denninger, 5. Aufl. (2012) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Aufl., hrsg. von Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (ab 2006) Löffler, Presserecht, 5. Aufl. (2006)
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MAH (WSSt) Malek Malek (Internet) Malek (BtMG) von Mangoldt/Klein/Starck Marberth-Kubicki Marschner/Volckart/Lesting Marx/Roderfeld Marxen/Tiemann Matt/Renzikowski Maunz/Dürig Maurach/Zipf Maurach/Gössel/Zipf Maurach/Schroeder/Maiwald Mayer/Kroiß Meier (Kriminologie) Meier (Sanktionen) Meier/Rössner/Trüg/Wulf Mellinghoff Mende Merten/Papier Mertens/Stuff Meyer D. Meyer D. (GKG) Meyer/Höver/Bach
Meyer-Goßner (Prozess) Meyer-Goßner
LXVIII
Literaturverzeichnis Meyer-Goßner/Appl
Meyer-Ladewig Minoggio Mitsch Momsen/Grützner Möller/Wilhelm Möthrath/Rüther/Bahr Müller Müller (Beiträge) Müller/Sax Müller-Gugenberger/Bieneck von Münch/Kunig Münchhalffen/Gatzweiler Murmann MüKo-ZPO MüKo-BGB MüKo-StGB
Niese Nipperdey/Scheuner NK-StGB Nobis Nowak
Nowak
Oetjen/Endriß OK-GG OK-StGB OK-StPO Ostendorf Ostendorf (Jugendstrafrecht) Ostendorf (U-Haft) Ostendorf (JStVollzR) Ostendorf (Jugendgerichtsgesetz)
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Roxin/Schünemann Roxin (StrafR) Roxin-Symp.
Roxin (I.) Rönnau Rösch (Jugendrichter) Rösch Rüping Rüth/Berr/Berz Sachs Sack Satzger Satzger (Intern. Strafrecht) Sauer Schäfer Schäfer/Sander/van Gemmeren Schaffstein/Beulke Schellenberg Schenke Schilken Schlüchter Schlothauer/Weider
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Schorn/Stanicki Schroeder/Verrel Schröder Schröder (KapitalStR) Schroth Schulz/Berke-Müller/Händel Schünemann-Symp.
Schwind Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal Schwinge Seier Seifert/Hömig Simma/Fastenrath Sieber/Brüner/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg SK
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Strafprozeßordnung Vom 1. Februar 1877 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319) ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften ACHTER ABSCHNITT Beschlagnahme, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Rasterfahndung, Einsatz technischer Mittel, Einsatz Verdeckter Ermittler und Durchsuchung Vorbemerkungen Schrifttum (Auswahl) Siehe zunächst die Angaben bei den Einzelkommentierungen. Adam Aktuelle Rechtsprechung des BVerfG zum Strafrecht und Strafprozessrecht, NStZ 2010 321; Ahlers Grenzbereich zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, Diss. Marburg 1997; Albers Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, Diss. Bielefeld 2000; Allgayer Die Verwendung von Zufallserkenntnissen aus Überwachungen der Telekommunikation gem. §§ 100a f. StPO (und anderen Ermittlungsmaßnahmen), NStZ 2006 603; Amelung Probleme der Einwilligung in strafprozessuale Grundrechtsbeeinträchtigungen, StV 1985 257; ders. Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß (1990); ders. Die Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Beweismittel zugunsten des Angeklagten und deren Grenzen, StraFo 1999 181; ders. Subjektive Rechte in der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, FS Bemmann 505; ders. Entwicklung, gegenwärtiger Stand und zukunftsweisende Tendenzen der Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, FS II BGH 911; ders. Streit um die Grundlagen der Lehre von den Beweisverwertungsverboten, FS Roxin 1259; Arzt Die verfahrensrechtliche Bedeutung polizeilicher Vorfeldermittlungen. Zugleich eine Studie zur Rechtsstellung des von Vorfeldermittlungen betroffenen Personenkreises (2000); Asbrock „Zum Mythos des Richtervorbehalts“ als wirksames Kontrollinstrument im Zusammenhang mit besonderen polizeilichen Eingriffsbefugnissen, KritV 1997 255; ders. Der Richtervorbehalt – prozessuale Grundrechtssicherung oder rechtsstaatliches Trostpflaster? ZRP 1998 17; Bachmann Probleme des Rechtsschutzes gegen Grundrechtseingriffe im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (1994); Bär Computerkriminalität und EDV-Beweissicherung, in: Wabnitz/Janovsky; Benfer Großer Lauschangriff – einmal ganz anders gesehen, NVwZ 1999 237; Bernsmann Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrolle – Ein systematischer Überblick, StV 1998 217; Beulke Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen, ZStW 103 (1991) 657; Bienert Private Ermittlungen und ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote, Diss. Köln 1997; Binder Rechtsprobleme des Einsatzes technischer Mittel gem. §§ 100c, d StPO und des Lausch-
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Vor § 94
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
angriffs, Diss. Bonn 1997; Bittmann Das staatsanwaltschaftliche Auskunftsverlangen gemäß § 95 StPO – Zugleich Besprechung zu LG Halle und LG Gera, NStZ 2001 276 –, NStZ 2001 231; Bockemühl Private Ermittlungen im Strafprozeß, Diss. Regensburg 1995/96; Boetticher/Landau Plädoyer für eine Stärkung des Richters im Ermittlungsverfahren, FS BGH 555; Bosch Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht. Ein Beitrag zur funktionsorientierten Auslegung des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ (1998); Brandt/ Kukla Anmerkung zu LG Hildesheim, Beschluss vom 21. April 2010 (26 Qs 58/10, wistra 2010 414), wistra 2010 415; Chirinio Sánchez Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren, am Beispiel der neuen Ermittlungsmethoden in der Strafprozeßordnung, (1999); Ciolek-Krepold Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000); Dahs Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998 253; Dalakouras Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre – unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechtsproblematik sowie des griechischen Rechts (1988); Degener Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (1985); Dencker Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977); ders. Über Heimlichkeit, Offenheit und Täuschung bei der Beweisgewinnung im Strafverfahren, StV 1994 667; ders. Verwertungsverbote und Verwendungsverbote im Strafprozeß, FS Meyer-Goßner 237; Denninger Lauschangriff – Anmerkungen eines Verfassungsrechtlers, StV 1998 401; Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei (1992); Dittrich Der „Große Lauschangriff“ – diesseits und jenseits der Verfassung, NStZ 1998 336; Dornach Der Strafverteidiger als Mitgarant eines justizförmigen Strafverfahrens (1994); Dörschuck Polizeiliches Eingriffsrecht. Polizei- und strafverfahrensrechtliche Rechtsgrundlagen vollzugspolizeilicher Eingriffe (2000); Dudel Das Widerspruchserfordernis bei Beweisverwertungsverboten (1999); Duttge Strafprozessualer Einsatz von V-Personen und Vorbehalt des Gesetzes, JZ 1996 556; Einmahl Gefahr im Verzug und Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen, NJW 2001 1393; Eisenberg Straf(verfahrens)rechtliche Maßnahmen gegenüber „Organisiertem Verbrechen“, NJW 1993 1033; Erfurth Verdeckte Ermittlungen. 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Oktober 2011 (Az: 2 BvR 236/08, StV 2012, 257), StV 2012 266; Germann Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in Internet (2000); Glaser/Gedeon Dissonante Harmonie – Zu einem zukünftigen „System“ strafprozessualer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 415; Gleß/Lüke Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Strafverfolgung in Europa, Jura 2000 400; Görtz-Leible Die Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs. 1 StPO im Lichte der Zeugnisverweigerungsrechte, 2000, zugl. Diss. Bayreuth 1999; Gössel Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Beweisverwertungsverboten als neuer Ausgangspunkt einer Lehre von den Beweisverboten im Strafprozeß, FS Hanack 277; Gössel Über das Verhältnis von Beweisermittlungsverbot und Beweisverwertungsverbot unter besonderer Berücksichtigung der Aufklärungsmaxime der §§ 160, 244 II StPO – Zugleich Besprechung der Beschlüsse des Ermittlungsrichters des BGH – 1 BGs 65/97 und 1 BGs 88/97, NStZ 1998 126; Götting Beweisverwertungsverbote in Fällen gesetzlich nicht geregelter Ermittlungstätigkeit – Durch V-Leute, Scheinaufkäufer und Privatleute (2000); Graf Rasterfahndung und organisierte Kriminalität, Diss. Bonn 1997; Gropp Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, ZStW 105 (1993) 405; Groth Verdeckte Ermittlung im Strafverfahren und Gewinnabschöpfung. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung zweier Maßnahmenkomplexe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (1996); Grüner Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß (2000); Grünwald Beweisrecht der Strafprozeßordnung (1993); Gruske Telekommunikationsüberwachung und Pressefreiheit, Diss. 2011; Günther Zur strafprozessualen Erhebung von Telekommunikationsdaten – Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung oder verfassungsrechtlich unkalkulierbares Wagnis? NStZ 2005 485; Haas V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren. Neue prozessuale Aspekte (1986); Haas Großer Lauschangriff und Anwaltskanzlei, BRAK-Mitt. 1997 225; Hamm Verwertung
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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rechtswidriger Ermittlungen – nur zugunsten des Beschuldigten? StraFo 1998 361; ders. Der Einsatz heimlicher Ermittlungsmethoden und der Anspruch auf ein faires Verfahren, StV 2001 81; Hassemer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG), KritJ 1992 64; Hefendehl Die neue Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO: Segen oder Fluch? StV 2001 700; Heneka Rechtsschutz gegen polizeiliche Ermittlungstätigkeit zur Erforschung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, (1993); Hilger Über den „Richtervorbehalt“ im Ermittlungsverfahren, JR 1990 485; ders. Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG, NStZ 1992 (I) 457, (II) 523; ders. Verdeckte Ermittler, V-Leute, FS Hanack 207; Hofe Zur Zulässigkeit von Abhörmaßnahmen in und aus Wohnungen, DuR 1993 117; Hofmann Die Online-Durchsuchung – staatliches „Hacken“ oder zulässige Ermittlungsmaßnahme? 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Kiel 2001; Kelnhofer Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote (1994); Klesczewski Anmerkung zu BGH, Urteil vom 29. April 2009 (1 StR 701/08, StV 2010, 458), StV 2010 462; ders. Straftataufklärung im Internet – Technische Möglichkeiten und rechtliche Grenzen von strafprozessualen Ermittlungseingriffen im Internet, ZStW 123 (2011) 737; Köhler Prozeßrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995) 10; Krach Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, Jura 2001 737; Konrad, Sabine Die Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen – Das deutsche Recht auf dem Prüfstand der Menschenrechte, zugleich ein Beitrag zum Rang der EMRK im innerstaatlichen Recht (2000); Kretschmer Der große Lauschangriff auf die Wohnung als strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme – BGH-Beschluß vom 15.1.1997 – StB 27/96=NJW 1997, 108 –, Jura 1997 581; Krey Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler (1993); ders. Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten. Zulässigkeit und Schranken privater Straftataufklärung durch den Verletzten, seinen Rechtsanwalt und durch Detektive zum Zwecke der Strafverfolgung (1994); ders. Rechtsprobleme beim Einsatz Verdeckter Ermittler einschließlich der elektronischen Überwachung (Lauschangriff) zu ihrem Schutz und als Instrument der Strafverfolgung in Deutschland, JR 1998 1; Krey/Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler – Kritische Stellungnahme zu den strafprozessualen Reformvorschlägen im Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG), JR 1992 309; Kudlich Strafprozessuale Probleme des Internet. Rechtliche Probleme der Beweisgewinnung in Computernetzen, JA 2000 227; ders. Mitteilung der Bewegungsdaten eines Mobiltelefons als Überwachung der Telekommunikation – BGH NJW 2001 1587, JuS 2001 1165; ders. Straftaten und Strafverfolgung im Internet, StV 2012 560; von Kühlewein Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht; Kunz Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerstrafverfahren, BB 2000 438; Lagodny Verdeckte Ermittler und V-Leute im Spiegel von § 136a StPO als „angewandtem Verfassungsrecht“ – Zugleich eine Analyse neuerer BGH-Entscheidungen, StV 1996 167; Landau/Sander Ermittlungsrichterliche Entscheidungen und ihre Revisibilität, StraFo 1998 397; Lange Vorermittlungen. Die Behandlung des staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungsverfahrens unter besonderer Berücksichtigung von Abgeordneten, Politikern und Prominenten (1999) (zitiert: Lange); ders. Staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen – ohne rechtliche Grundlage? DRiZ 2002 264; Lesch „Hörfalle“ und kein Ende – Zur Verwertbarkeit von selbstbelastenden Angaben des Beschuldigten in der Untersuchungshaft, GA 2000 355; Leutheuser-Schnarrenberger Der „große Lauschangriff“ – Sicherheit statt Freiheit, ZRP 1998 87; Lilie Das Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, ZStW 106 (1994) 625; ders. Verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen, in: Hirsch/Hofmanski/Plywaczewski/Roxin (Hrsg.), Neue Erscheinungsformen der Kriminalität in ihrer Auswirkung auf das Straf- und Strafprozeßrecht. Deutsch-polnisches Strafrechtskolloquium Bialystok/Rajgród 12.–17. September 1995 (1996),
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499; Lindemann Straftaten von erheblicher Bedeutung. Von der Karriere eines unbestimmten Rechtsbegriffs, KritJ 2000 86; Lisken Anhörung zum „Großen Lauschangriff“. Eine Dokumentation der Stellungnahmen einiger Sachverständiger im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 21. November 1997, KritJ 1998 106; Löffelmann Die Übertragbarkeit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung auf die Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, ZStW 118 (2006) 358; ders. Die Lehre von den Verwertungsverboten oder die Freude am Hindernislauf auf Umwegen, JR 2009 10; Lohner Der Tatverdacht im Ermittlungsverfahren. Begriff, rechtliche Ausgestaltung, praktische Handhabung und Kontrolle am Beispiel der polizeilichen Verdachtsfeststellung (1994); Lützner Strafprozessuale Zwangsund Überwachungsmaßnahmen im Recht der USA und der Bundesrepublik Deutschland (1999); Mahlstedt Die verdeckte Befragung des Beschuldigten im Auftrag der Polizei, zugl. Diss Regenburg 2011; Makrutzki Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß. Rechtswissenschaftliche Analyse – Rechtsvergleichende Studie mit dem U.S.-amerikanischen Prozeßrecht (2000), zugl. Diss. Freiburg i.Br. 1998, Malek/Wohlers Zwangsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, 2. Aufl. (2001); Maul Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verdeckten Ermittler, StraFo 1997 38; Maul Die Probleme des Bundesgerichtshofs mit der Tatprovokation, FS BGH 567; Maul/Eschelbach Zur „Widerspruchslösung“ von Beweisverwertungsverboten in der Rechtsprechung, StraFo 1996 66; Meertens Das Gesetz gegen die Organisierte Kriminalität, eine unerträgliche Geschichte! ZRP 1992 205; Mertens Strafprozessuale Grundrechtseingriffe und Bindung an den Wortsinn der ermächtigenden Norm (1996), zugl. Diss. Bonn 1995; Messer/Siebenbürger Eingriffsmaßnahmen, in: Vordermayer/von Heintschel-Heinegg (Hrsg.) Handbuch für den Staatsanwalt, 2000, Teil A Kap. 1; Meurer Informelle Ausforschung, FS Roxin 1281; Meyer/Hetzer Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität. Geldwäschebekämpfung, Gewinnabschöpfung und Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen zu Beweiszwecken im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1998 1017; Meyer-Goßner Theorie ohne Praxis und Praxis ohne Theorie im Strafverfahren, ZRP 2000 345; Meyer-Goßner/Appl Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998 258; Möhrenschläger Das OrgKG – eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281; Möllers Gefahr im Verzug – Die Unverletzlichkeit der Wohnung vor der Strafverfolgung, NJW 2001 1397; Momsen Der „große Lauschangriff“. Eine kritische Würdigung der neuen Vorschriften zur „elektronischen Wohnraumüberwachung“, ZRP 1998 459; Morré/Bruns Einfluß verdeckter Ermittlungen auf die Struktur des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, FS BGH 581; Müller, Martin Der sogenannte „Große Lauschangriff“. Eine Untersuchung zu den Rechtsproblemen der Einführung der elektronischen Wohnraumüberwachung zur Beweismittelgewinnung, Diss. Bochum 2000; Müller, Rudolf Neue Ermittlungsmethoden und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung, EuGRZ 2001 546; Nack Verwertung rechtswidriger Ermittlungen nur zugunsten des Beschuldigten? StraFo 1998 366; Nagel Verwertung und Verwertungsverbote im Strafverfahren, Diss. Leipzig 1998; Nehm Umfang der Bindung des Ermittlungsrichters an Anträge der Staatsanwaltschaft, FS Meyer-Goßner 277; Nöding Die Novellierung der strafprozessualen Regelungen zur Telefonüberwachung, StraFo 2007 456; Paeffgen „Verpolizeilichung“ des Strafprozesses – Chimäre oder Gefahr? Rudolphi-Symposium (1995) 13; Paeffgen Strafprozeßrecht im Umbruch – oder: Vom unmöglichen Zustand des Strafprozeßrechts, StV 1999 625; Parigger Zum Begründungszwang bei Durchsuchungsbeschlüssen, in: FS Friebertshäuser 179; Park Durchsuchung und Beschlagnahme, 2. Aufl. 2009; Paulus Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, GedS Meyer 309; Pawlik Verdeckte Ermittlungen und das Schweigerecht des Beschuldigten. Zu den Anwendungsgrenzen der §§ 136 Abs. 1 Satz 2 und 136a StPO, GA 1998 378; Perschke Die Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden im Strafverfahren (1997); Podolsky Wahrnehmung, Ermittlung und Verfolgung neuerer Kriminalitätsformen in Deutschland. Analyse von Problemen des Einsatzes klassischer polizeilicher Ermittlungsmethoden, mit Blick auf die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und V-Personen. Diss. Tübingen 1995; Prittwitz Zur Verwertbarkeit zufällig aufgezeichneter Raum- und Hintergrundgespräche, StV 2009 437; Puschke/Singelnstein Telekommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und (sonstige) heimliche Ermittlungsmaßnahmen der StPO nach der Neuregelung zum 1.1.2008, NJW 2008 113; Radtke Aktive Mitwirkungspflichten und die „freiwillige“ aktive Mitwirkung des Betroffenen bei dem Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten im Strafprozeß – Überlegungen am Beispiel der sog. Bankendurchsuchungen, FS Meyer-Goßner 321; Ransiek Strafprozessuale Abhörmaßnahmen und
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verfassungsrechtlicher Schutz der Wohnung – ein rechtsvergleichender Blick, GA 1995 23; Raum Zur verfassungsrechtlichen Problematik des „Großen Lauschangriffs“, JZ 1994 447; Rebmann Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1985 1; Reiß Der strafprozessuale Schutz verfassungsrechtlich geschützter Kommunikation vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, StV 2008 539; Remmers Die Entwicklung der Gesetzgebung zur Geldwäsche (1998), zugl. Diss. Göttingen 1997; Riepl Informationelle Selbstbestimmung im Strafverfahren (1998); Rieß Legalitätsprinzip – Interessenabwägung – Verhältnismäßigkeit, FS Dünnebier 149; ders. Neue Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, NJ 1992 491; ders. Gerichtliche Kontrolle des Ermittlungsverfahrens, FS Geerds 501; Rogall, Klaus Moderne Fahndungsmethoden im Lichte eines gewandelten Grundrechtsverständnisses, GA 1985 1; ders. Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß, Ein Beitrag zur Lehre der Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote, NStZ 1988 385; ders. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, ZStW 103 (1991), 907; ders. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, 1992; ders. Beweisverbote im System des deutschen und des amerikanischen Strafverfahrensrechts, Rudolphi-Symposium (1995), 113; ders. Abwägungen im Recht der Beweisverbote, FS Hanack 293; ders. Zur Lehre von den Beweisverboten, FS Grünwald 523; Rogall, Sylvia, Der Verdeckte Ermittler – einsamer Wolf auf schwankendem Floß, in: Duttge (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit. Kritische Studien aus vorwiegend straf(prozess)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998), 71; Roggan Anmerkung zu LG Ulm, Beschluss vom 19. April 2004 (1 Qs 1036/04, StV 2006, 8), StV 2006 9; Rothfuß Heimliche Beweisgewinnung unter Einbeziehung des Beschuldigten, StraFo 1998 289; Ruhmannseder Die Neuregelung der strafprozessualen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, JA 2009 57; Rüthing Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG n.F.), JuS 1998 506; Sachs Grundrechte: Fernmeldegeheimnis und Unverletzlichkeit der Wohnung, JuS 2012 374; Sankol Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und Telekommunikation – Der Regelungsgehalt der §§ 100a ff. StPO, JuS 2006 698; G. Schäfer Zum Schutz der Verteidigung gegen Zugriffe der Strafverfolgungsorgane, FS Hanack 77; Schaefer, Hans Christoph Die Staatsanwaltschaft im Rechtsschutzsystem, NJW 2001 1396; Schelter Verbrechensbekämpfung mit elektronischen Mitteln – ein Tabu? ZRP 1994 52; Schenke Verfassungsrechtliche Probleme einer präventiven Überwachung der Telekommunikation, AöR 125 (2000), 1; Schenke Exekutive Rechtssetzung bei der strafprozessualen Überwachung der Telekommunikation, ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes? MMR 2002 8; Schlehofer Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – absolute oder relative Begrenzung staatlicher Strafgewalt? GA 1999 357; Schlothauer Ermittlungsrichterliche Entscheidungen und ihre Revisibilität, StraFo 1998 402; Schlüchter Wert der Form im Strafprozeß, Rudolphi-Symposium 1995, 205; Schmitz, Monika Rechtliche Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler, Diss. Bonn 1995; Schneider, Hartmut Überlegungen zur Zulässigkeit des Aushorchens von Inhaftierten durch V-Leute unter Einsatz technischer Mittel, JR 1996 401; ders. Zur Zulässigkeit strafprozessualer Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes in Kraftfahrzeugen, NStZ 1999 388; ders. Verdeckte Ermittlungen in Haftanstalten, NStZ 2001 8; Schoch Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen, Jura 2001 628; Schoreit Bestimmtheit einer Durchsuchungsanordnung, NStZ 1999 173; Schroeder, FriedrichChristian Darf die StPO von „Tätern“ sprechen? NJW 2000 2483; Schröder, Lars-Hendrik Das verwaltungsrechtlich organisatorische Verhältnis der strafverfolgenden Polizei zur Staatsanwaltschaft (1996); Schröder, Svenja Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, (1992); Schroth Der Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, StV 1999 117; Schulz, Lorenz Normiertes Mißtrauen – Der Verdacht im Strafverfahren (2001); Stein Die Ungleichbehandlung von Beschuldigten und Nichtbeschuldigten durch strafprozessuale Eingriffsermächtigungen, FS Grünwald 685; Steinmetz Zur Kumulierung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen, NStZ 2001 344; von Stetten Beweisverwertung beim Einsatz Verdeckter Ermittler (1999); Stümper Rechtspolitische Nachlese zum „Großen Lauschangriff“, ZRP 1998 463; Stürmer Beurteilungsspielräume im Strafverfahren, ZStW 108 (1996) 494; Stürmer Der gerichtliche Prüfungsumfang bei Telefonüberwachungen – Beurteilungsspielraum bei Anordnungen nach § 100a StPO, StV 1995 653; Thommes Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß aus der Sicht des Datenschutzes, StV 1997 657; Tolksdorf Verwertungsverbot wegen unterlassener Beschuldigtenbelehrung nur bei Widerspruch? FS Graßhof 255; Vahle Ein Koloß auf tönernen Füßen. Anmerkungen zur (Neu-)Regelung des sogenannten Großen Lauschangriffs, Kriminalistik
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1998 378; Vassilaki Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach der Neufassung der §§ 100a, 100b StPO – Erweiterung von staatlichen Grundrechtseingriffen? JR 2000 446; Verrel Nemo tenetur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997 (I) 361, (II) 415; ders. Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren (2001); Vogelberg Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerrecht (2010); Volkmer Verwertbarkeit von Vorratsdaten, NStZ 2010 318; Wagner Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997) 545; Walischewski Das Recht auf Akteneinsicht bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren, StV 2001 243; Warntjen Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung, zugl. Diss. Göttingen 2007; Warntjen Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung, Jura 2007 581; Wecker Beweisverwertungsverbote als Folge rechtswidriger Hausdurchsuchungen (2001), zugl. Diss. Köln 2000; Weiler Die Befragung von Beschuldigten oder aussageverweigerungsberechtigten Zeugen im Ermittlungsverfahren durch V-Leute, GA 1996 101; ders. Irreparable Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren, GA 1994 561; ders. Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von Vertrauenspersonen im Strafverfahren, 2001; Weißer Zeugnisverweigerungsrechte und Menschenwürde als Schutzschild gegen heimliche strafprozessuale Zugriffe auf Kommunikationsinhalte? GA 2006 148; Wesemann Heimliche Ermittlungsmethoden und Interventionsmöglichkeiten der Verteidigung, StV 1997 597; Weßlau Vorfeldermittlungen. Probleme bei der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozeßrechtlicher Sicht (1989); ders. Waffengleichheit mit dem „Organisierten Verbrechen“? Zu den rechtsstaatlichen und bürgerlichrechtlichen Kosten des Anti-OK-Sonderrechtssystems, KritV 1997 238; ders. Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren, ZStW 110 (1998), 1; Wölfl Rechtfertigungsgründe bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Jura 2000 231; ders. Heimliche private Tonaufnahmen im Strafverfahren, StraFo 1999 74; ders. Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft, JuS 2001 478; Wolter Nichtverdächtige und Zufallsfunde im modernen Strafverfahren – Zur Einführung eines grundrechtsschützenden Zeugnis- und Herausgabeverweigerungsrechts, Rudolphi-Symposium (1995), 49; ders. Alternativen zum Regierungs-Entwurf 2007 zur Neuregelung der Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 183; Wulf Telefonüberwachung und Geldwäsche im Steuerstrafrecht, wistra 2008 321; Zaczyk Prozeßsubjekte oder Störer? Die Strafprozeßordnung nach dem OrgKG – dargestellt an der Regelung des Verdeckten Ermittlers, StV 1993 490; Zöller Heimliche und verdeckte Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren, ZStW 124 (2012) 411; Zuck Faires Verfahren und der Nemo tenetur-Grundsatz bei der Besuchsüberwachung in der Untersuchungshaft, JR 2010 17.
Entstehungsgeschichte 1. Der Achte Abschnitt, der ursprünglich (als Siebter Abschnitt) mit „Durchsuchung und Beschlagnahme“1 nur offene,2 d.h. nicht auf Verheimlichung angelegte Ermittlungsmaßnahmen zur Erlangung von Sachbeweisen, vorsah, hat lange Zeit unverändert bestanden. In jüngerer Zeit wurde er durch die sukzessive Einführung einer Reihe von heimlichen Ermittlungsmethoden,3 meist zur Informationsbeschaffung von Zielpersonen, also letztlich von Personalbeweis,4 grundlegend verändert. Dies erfolgte auch, um technische „Waffengleichheit“ der Ermittlungsorgane mit moderner, insbesondere organisierter Kriminalität herzustellen.5 Aus dem jetzigen Normenbestand ist kein allgemeiner
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Vgl. Hahn Materialien Bd. III.1, 124 ff. Zur historischen Entwicklung der heimlichen Ermittlungsmethoden Dencker StV 1994 667 ff.; s.a. Erfurth 33 ff., 40 ff.; Makrutzki 51 ff.
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Zum Begriff Hölscher 3 ff.; Morré/Bruns 581, 582. Makrutzki 51 ff. Vgl. für präventiv-polizeiliche Maßnahmen BbgVerfG LKV 1999 450, 451.
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„Grundsatz der Offenheit“ von Ermittlungen mehr zu entnehmen.6 Allerdings sind die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen regelmäßig subsidiär; insoweit gilt der Grundsatz der Offenheit von Datenerhebungen, der von Ausnahmetatbeständen durchbrochen, aber auch bestätigt wird.7 2. Veränderungen des ursprünglichen Normenbestandes des Achten Abschnitts waren anfangs noch nicht gravierend; sie sind erst in jüngerer Zeit immer tiefgreifender geworden: Art. 6 der 4. VereinfVO, der dem Staatsanwalt das Recht einräumte, Beschlagnahmen und Durchsuchungen anzuordnen sowie Briefe zu öffnen und Papiere durchzusehen, wurde durch Art. 8 Nr. 40 VereinhG wieder aufgehoben. Die §§ 95, 96 bestehen von Anfang an weitgehend unverändert. Das Abgeordnetengesetz vom 11. November 1994 (BGBl. I S. 3346)8 führte nur eine geringfügige Anpassung des § 96 herbei. Eine Regelung über das Verbot der Herausgabe von Bild- und Tonträgern mit Aussagen von Verbrechensopfern gegen deren Willen durch den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verletztenrechte9 ist nicht in Kraft getreten. Eine inhaltliche Änderung des § 97 brachte Art. 4 Nr. 12 des 3. StRÄndG vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 753), ferner nach zahlreichen Änderungsentwürfen zur Anpassung an Zeugnisverweigerungsrechte, die nicht (oder noch nicht) Gesetz wurden,10 das Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit vom 23. Juli 1992 (BGBl. I S. 1365)11 und das PsychotherapeutenG vom 16. Juni 1998 (BGBl. I S. 1311)12 sowie das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 15. Februar 2002 (BGBl. I S. 682). Auch in den letzten zehn Jahren war § 97 wiederholt Gegenstand gesetzgeberischer Aktivitäten: Veränderungen brachten das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190), das für den gesamten Achten Abschnitt bedeutsame Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007
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BGHSt (GrSSt) 42 139, 159. Hefendehl StV 2001 700, 705; Meurer FS Roxin 1281, 1294; Martin Müller 10, 20. Entwurf BTDrucks. 12 7777; Beschlussempfehlung und Berichte BTDrucks. 12 7994, 12 7995. Hamburger Entwurf BRDrucks. 507/99. Entwurf des Saarlandes für ein Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Mitarbeiter/innen von Drogenberatungsstellen BRDrucks. 733/89; entsprechender Entwurf von Hamburg BRDrucks. 5690; entsprechender SPD-Entwurf BTDrucks. 11 3280, 12 655, RAussch BTDrucks. 12 2738; entsprechender Entwurf DIE GRÜNEN BTDrucks. 11 3482, ferner von derselben Fraktion für AIDS-Beratungsstellen BTDrucks. 11 3483; Entwurf von Berlin und Bremen für ein Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts
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und eines Beschlagnahmeverbots für selbst erarbeitetes Pressematerial BRDrucks. 486/89; entsprechender SPD-Entwurf BTDrucks. 11 5377, 12 1112; entsprechender Entwurf von Hamburg und vom Saarland BRDrucks. 479/89, BTDrucks. 11 7031, BRDrucks. 105/91, BTDrucks. 12 499; entsprechender Entwurf DIE GRÜNEN BTDrucks. 11 2000, 13 5285; F.D.P.-Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit BTDrucks. 14 1602. Abgeordneten-Entwurf BTDrucks. 12 655; Bundesratsentwurf BTDrucks. 12 870; RAussch. BTDrucks. 12 2738. Entwurf BTDrucks. 13 8035 (AfGesundh BTDrucks. 13 9212, Zuweisung an AfGesundh BRDrucks. 927/97, Anrufung der VermA BTDrucks. 13 9540, VermA BTDrucks. 13 9770).
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(BGBl. I S. 3198),13 das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Abgeordneten vom 26. Juni 2009 (BGBl. I S. 1597) und das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374). Durch Art. 4 Nr. 1 des 4. StRÄndG (vom 11. Juni 1957, BGBl. I S. 597) ist den §§ 98, 105 jeweils ein Absatz 4 über Maßnahmen in Anlagen der Bundeswehr angefügt worden. Im Übrigen hatte ein Großteil der zuletzt zitierten Gesetze auch Auswirkungen auf die Fassung des § 98. 3. Nachträglich eingefügt wurden § 111l (früher § 101a) zur Notveräußerung durch Art. 4 Nr. 13 des 3. StRÄndG, § 111a zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch Art. 3 Nr. 1 des StraßenVerkSichG vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832), aber auch §§ 100a, 100b zur Überwachung und Aufnahme (zunächst) des Fernmeldeverkehrs als erste „heimliche Ermittlungsmethode“14 durch Art. 2 Nr. 2 des G 10. Diese Regelung über die Überwachung (nunmehr) der Telekommunikation15 wurde hinsichtlich ihrer Grundlagen wesentlich geändert aufgrund des Gesetzes zur Neustrukturierung des Postund Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz – PostStruktG) vom 14. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026),16 des PTNeuOG vom 14. September 1994 (BGBl. I S. 2325)17 und des BegleitG zum TKG18 vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108)19 i.V.m. der TKÜV.20 Hinzu kamen im Anschluss an erledigte, gescheiterte oder noch nicht realisierte Änderungsvorschläge21 Anpassungen dieser Normen an Änderungen des 13
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Zur Verfassungsmäßigkeit wesentlicher mit diesem Gesetz eingeführter Regelungen BVerfGE 129 208 ff.; vgl. außerdem BVerfGE 125 260 ff. Zur Frage des Eingriffscharakters heimlicher Ermittlungen Makrutzki 63 ff.; mit Blick auf Internet-Ermittlungen Germann 494 ff., 519 ff. Zum Umfang der Anwendung der Maßnahme BTDrucks. 14 7521. Regierungsvorlage BTDrucks. 11 2854, Ausschussberichte BTDrucks. 11 4316, 11 4365, Zuweisung an Ausschüsse BRDrucks. 240/88, 223/89; Bericht der Bundesregierung „Die Reform des Post- und Fernmeldewesens …“ BTDrucks. 11 2855. Regierungsvorlage BRDrucks. 115/94 = BTDrucks. 12 7270, (Ausschussberichte BTDrucks. 12 8060, 12 8129, Zuweisung an Ausschuss BRDrucks. 677/94); damit zusammengeführt worden war der Entwurf der CDU/CSU, SPD und F.D.P. BTDrucks. 12 6718. Vgl. Bär CR 1998 434 ff.; Felixberger CR 1998 143 ff.; Vassilaki JR 2000 446 ff. BRDrucks. 369/97, BTDrucks. 13 8016 und 13 8453 (AfPost BTDrucks. 13 8776; HaushAussch BTDrucks. 13 8797; abgelehnter Änderungsantrag DIE GRÜNEN BTDrucks. 13 8858).
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Vom 22. Januar 2002 BGBl. I S. 458; dazu Eckhardt CR 2001 670 ff.; Kloepfer K&R 2001 545 ff. In BRDrucks. 633/94 für erledigt erklärter Entwurf von Bayern für ein Gesetz zur Stärkung des Rechtsfriedens usw. BRDrucks. 792/92, BTDrucks. 12 5683 (RAussch BTDrucks. 12 7827); abgelehnter SPD-Entwurf eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungsexporten BTDrucks. 12 120 (Bericht BTDrucks. 12 289), BTDrucks. 12 209 (WirtschAussch BTDrucks. 12 289); entsprechender Entwurf der CDU/CSU und F.D.P. BTDrucks. 12 104, BRDrucks. 193/91 (VermA BRDrucks. 346/91, Zustimmung versagt BTDrucks. 12 703), erneut BTDrucks. 12 899; erledigte Länderanträge BRDrucks. 380/91, erledigte Fraktionsentwürfe BTDrucks. 12 104, 12 765, 12 899; durch BRDrucks. 963/97 für erledigt erklärter Entwurf von Niedersachsen für ein Gesetz zur Reform der Strafvorschriften gegen Kinderhandel BRDrucks. 874/95, BTDrucks. 13 6038 (RAussch BTDrucks. 13 8991, 13 9064); Entwurf eines KorruptionsBekG BRDrucks. 298/95 und 571/95, BTDrucks. 13 3353; Entwurf eines StrÄndG – Sexueller Mißbrauch von Kindern – BRDrucks. 706/98, BTDrucks. 14 162 und 14 1125.
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AWG,22 so zuletzt durch das Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482),23 und des StGB bezüglich des Menschenhandels.24 Durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3858) wurden anstelle der bisherigen Regelung über die Auskunft bezüglich Telekommunikationsverbindungen gemäß § 12 FAG die inhaltlich detaillierteren, aber auch mit engeren Eingriffsvoraussetzungen versehenen §§ 100g, 100h25 sowie durch Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6. August 2002 (BGBl. I S. 3018) § 100i (IMSI-Catcher) neu eingeführt. Aus jüngerer Zeit seien Änderungen durch das – für den gesamten Achten Abschnitt bedeutsame – Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198), oben Rn. 2, und das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437) erwähnt. Zuletzt noch eingefügt wurde ein neuer § 100j durch Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602). Im Übrigen muss hier wie sonst auf die Kommentierung der einzelnen Vorschriften verwiesen werden. 4. Zu früheren Gesetzesänderungen sei ergänzend angemerkt: Erste deutliche Veränderungen hat der Achte Abschnitt im Jahre 1974 erfahren. Durch Art. 21 Nr. 15 ff. des EGStGB 1974 vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) wurde der Beschlagnahmeteil auseinandergerissen. §§ 94 bis 101 gelten nun nur noch für die Beschlagnahme von Beweismitteln und Führerscheinen; die Beschlagnahme von Verfalls- und Einziehungsgegenständen, auch zur Sicherung von Ansprüchen des Verletzten,26 bestimmt sich dagegen nach §§ 111b ff. Die Vorschriften über die Durchsuchung (§§ 102 ff.) finden aufgrund ausdrücklicher Bestimmung (§ 111b Abs. 4) aber auch für die Beschlagnahme von Verfallsund Einziehungsgegenständen Anwendung. Der bisherige § 111 über die Herausgabe von beschlagnahmten Gegenständen wurde § 111k und gilt für beide Beschlagnahmearten. Die Vorschrift über die Notveräußerung beschlagnahmter Sachen (§ 111l) hat nur für Verfalls- und Einziehungsgegenstände Bedeutung. Insgesamt ist dadurch ein z.T. verworrenes Normengeflecht entstanden. Weitere wesentliche Änderungen des Abschnitts brachte Art. 1 Nr. 23 ff. des 1. StVRG vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393, 3533). Entsprechend dem Ziel dieser Reform, die Rechte der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren zu erweitern, wurden die §§ 100, 110 und 111l dahin geändert, dass eine Reihe von Befugnissen, die bisher nur dem Richter zustanden, auf die Staatsanwaltschaft übertra-
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Vgl. zunächst Gesetz zur Änderung des AWG vom 28. Februar 1992, BGBl. I S. 372, Regierungsvorlage BRDrucks. 449/91, BTDrucks. 12 1134, 12 1475 (Berichte BTDrucks. 12 1952, BRDrucks. 42 92); Achtes Gesetz zur Änderung des AWG vom 9. August 1994, BGBl. I S. 2068, BRDrucks. 27 94, BTDrucks. 12 6911, 12 7115 (WirtschaftsA BTDrucks. 12 7793, Zuweisung an WirtschaftsA BRDrucks. 600/94, SPD-Änderungsantrag BTDrucks. 12 7901). BRDrucks. 519/12; BTDrucks. 17 11127 und 17 12101.
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26. StrÄndG vom 14. Juli 1992 BGBl. I S. 1255, Entwurf BRDrucks. 567/90, BTDrucks. 12 2046 (RAussch BTDrucks. 12 2589, Zuweisung an RAussch BRDrucks. 389/92). RegE BTDrucks. 14 7008, Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 14 7258; Bericht des RAussch BTDrucks. 14 7679. Vgl. zur „Zurückgewinnungshilfe“ Achenbach NStZ 2001 401 ff.
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gen wurden. Ferner wurden die Anordnungs- und Kontrollkompetenzen in § 98 Abs. 2 neu geregelt. Anstelle der vorher in den Landespressegesetzen enthaltenen Sondervorschriften für die Pressebeschlagnahme fügte Art. 1 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter der Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1973) die §§ 111m, 111n in die Strafprozessordnung ein. Eine Erweiterung des Rechts der Gebäudedurchsuchung erfolgte durch Art. 1 Nrn. 1 bis 3 des StPÄG 1978 (Anti-Terror-Novelle) mit einer Änderung der §§ 103, 105 und 108, während Art. 1 Nr. 4 desselben Gesetzes eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Einrichtung von Kontrollstellen in § 111 einfügte, wonach in Fällen des Verdachts terroristischer Straftaten oder des schweren Raubes bzw. schwerer räuberischer Erpressung auch Nichtverdächtige an einer Sperre auf öffentlichen Straßen oder Plätzen kontrolliert werden können. 5. Besonders tiefgreifende Änderungen des Achten Abschnitts erfolgten in der Vergangenheit durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität – OrgKG – vom 17. Juli 1992 (BGBl. I S. 1301).27 Es brachte die Einführung der Regeln über die Rasterfahndung (§§ 98a bis 98c), eine Änderung der Vorschriften über die Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§§ 100a, 100b), die Einführung der §§ 100c, 100d zunächst zur Regelung des „kleinen Lauschangriffs“, eine Anpassung des § 101, die Neueinführung der §§ 110a bis 110e zum Einsatz Verdeckter Ermittler und die Einführung der §§ 111o und 111p über den dinglichen Arrest und die Vermögensbeschlagnahme zur Sicherung einer späteren Vermögensstrafe (§ 43a StGB).28 Die zurückgestellte Regelung des „großen Lauschangriffs“ wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 13) vom 26. März 1998 (BGBl. I 610) eingeführt.29 6. Anknüpfungstatbestand für Eingriffsnormen und für Verfahrensvorschriften zur Sicherung einer Gewinnabschöpfung ist auch der durch das OrgKG eingeführte, weitreichende Straftatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB),30 der selbst in der jüngeren Vergangenheit vielfache Änderungen erfahren hat. Damit ist eine große Bandbreite möglicher Tathandlungen mit sehr unterschiedlichem Schuldgewicht Verdachtsgrund für erhebliche Ermittlungsmaßnahmen. Die Fassung des materiell-strafrechtlichen Geldwäschetatbestandes war ein Kompromiss. Wegen der Einzelheiten der Entstehungsgeschichte wird auf die Vorauflage verwiesen.
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RegE zur Vermögensstrafe und deren prozessualer Sicherung (§§ 111o, 111p) BTDrucks. 11 5461; Bundesratsentwurf zum OrgKG BTDrucks. 12 989 (RAussch BTDrucks. 12 2720). § 111o und § 111p sind gegenstandslos geworden durch das Urteil des BVerfG im Verfahren 2 BvR 794/95 BVerfGE 105 135 ff., durch das die gesetzliche Regelung zur Vermögensstrafe für verfassungswidrig erklärt wurde.
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Entwurf der CDU/CSU, SPD und F.D.P. BTDrucks. 13 8650; Empfehlung des RAussch BTDrucks. 13 9642; Bericht BTDrucks. 13 9660; Änderungsantrag DIE GRÜNEN BTDrucks. 13 9663; Entschließungsantrag BTDrucks. 13 9662; Gesetzesbeschluss BRDrucks. 898; dazu Martin Müller 14 ff., 155 ff. Vgl. Burger wistra 2002 1, 6.
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Übersicht Rn. 1. Überblick a) Die §§ 94 ff. als Eingriffsermächtigungen für Grundrechtseingriffe . . . . . . . . b) Normadressaten . . . . . . . . . . . . c) Regelungsgegenstände der Vorschriften des Achten Abschnitts . . . . . . . . . aa) §§ 94 bis 98 . . . . . . . . . . . . bb) §§ 98a ff. . . . . . . . . . . . . . cc) §§ 99 bis 100j . . . . . . . . . . . dd) §§ 100c, 100d . . . . . . . . . . . ee) §§ 102 bis 110 . . . . . . . . . . . ff) §§ 110a ff. . . . . . . . . . . . . . gg) § 111 . . . . . . . . . . . . . . . . hh) § 111a . . . . . . . . . . . . . . . ii) §§ 111b–111i, 111l . . . . . . . . . jj) § 111k . . . . . . . . . . . . . . . kk) §§ 111m, 111n . . . . . . . . . . ll) §§ 111o, 111p . . . . . . . . . . . d) Geltungsbereich der Vorschriften des Achten Abschnitts aa) Erkenntnisverfahren . . . . . . . . bb) Vollstreckungs- und Auslieferungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorschriften des Achten Abschnitts als abschließende Regelungen a) Bedeutung der spezialgesetzlichen Regelungen aa) Exklusivität der §§ 94 ff. . . . . . bb) Verbot der analogen Anwendung der Eingriffsnormen und des Rückgriffs auf die subsidiäre Ermittlungsgeneralklausel bei einer Sperrwirkung der Spezialnormen . . . . cc) Herleitung und Bedeutung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes . . (1) Extrempositionen . . . . . . .
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Rn. (2) (3) (4) (5) (6)
Wesentlichkeitstheorie . . . . . Schwellentheorie . . . . . . . . Sphären-Theorie . . . . . . . . Lehre vom Informationseingriff Lehre von den Informationsbeherrschungsrechten . . . . . b) Erweiterung der Eingriffsbefugnisse . . aa) Unselbständige Begleitmaßnahmen zu den spezialgesetzlich geregelten Eingriffsakten . . . . . . . . . . . bb) Generalklauseln als Ermächtigung zum Eingriff in die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . (1) Regelungsbestand . . . . . . . (2) Gestattung von Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht durch Generalklauseln . . . . . . . . (3) Freiwilligkeit . . . . . . . . . . (4) Bagatellausschlussprinzip . . . (5) Regelungserfordernis aufgrund des Rechtes auf ein faires Verfahren und aufgrund der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . cc) „Ermittlungsnotstand“ . . . . . . . dd) Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . ee) Übergangsbonus für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr . . . 3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . a) Prüfung von Eingriffsnorm und Eingriffsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzgeberische Wertungen . . . . . . c) Wichtige Abwägungsfaktoren . . . . . 4. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Abschließende Regelung 22 Agents provocateurs 4, 77 Analoge Anwendung 23 Bagatellausschlussprinzip 54 Bagatellhandlungen 54 Bestimmtheitsgebot 46 Beweiserhebungsverbot 52, 61 Doppelfunktionale Maßnahme 76 Erkundigungen 55 Ermittlungsgeneralklausel 23, 44 Ermittlungsnotstand 67 Faires Verfahren 57 Freiwilligkeit 53 Generalklauseln als Ermächtigung 42 Gewohnheitsrecht 68 Heimlichkeit 50 Informationsbeherrschungsrechte 37
Informationseingriff 36 Internet-Streife 55 Nemo tenetur se ipsum accusare 62 Raster personenbezogener Daten 56 Rechtsschutz 87 Regelungslücken 51 Schwellentheorie 32 Sphären-Theorie 33 Spurensuche 55 Stufungen von Eingriffen 63 Totalüberwachung 56 Übergangsbonus für den Gesetzgeber 71 Unselbständige Begleitmaßnahmen 39 Verpolizeilichung des Strafverfahrens 75 Vorbehalt des Gesetzes 23 Wesentlichkeitstheorie 28
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1. Überblick
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a) Die §§ 94 ff. als Ermächtigungen für Grundrechtseingriffe. Der Achte Abschnitt regelt Ermittlungsmaßnahmen, die in verschiedene Grundrechte eingreifen können, nämlich die „klassischen“ offenen Ermittlungszugriffe, wie Beschlagnahme und Durchsuchung, aber auch „heimliche Ermittlungsmethoden“, wie die Überwachung der Telekommunikation, die Feststellung der Telekommunikationsverbindungen oder den Einsatz Verdeckter Ermittler. Unabhängig von der Art der Vorgehensweise handelt es sich, soweit keine wirksame Einwilligung des Betroffenen31 vorliegt, regelmäßig um Eingriffe in Grundrechte,32 seien es spezielle Grundrechte, wie diejenigen aus Art. 10,33 12 Abs. 1,34 13 Abs. 1,35 14 Abs. 1 GG, oder in das allgemeine Persönlichkeitsrecht36 aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie in das Recht auf ein faires Verfahren37 aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip. Dabei ist von einem modernen Eingriffsbegriff auszugehen, wonach jede nicht unerhebliche Einwirkung des Staates auf ein grundrechtliches Schutzgut ausreicht.38 Befehl und Zwang, die früher als maßgebliche Kriterien eines Eingriffs angesehen wurden, sind als Mittel des Eingriffs heute nicht mehr bestimmend und Eingriffe in Freiheit und Eigentum sind nicht mehr die einzigen Grundrechtseingriffe.39 Insbesondere heimliche Ermittlungen sind nach verbreiteter Ansicht „mit einem tiefgehenden Eingriff in Grundrechte verbunden“.40 Auch die lückenlose Überwachung von Personen mit einer Mehrzahl von Ermittlungsmaßnahmen,41 die u.a. ein vollständiges „Bewegungsbild“ erstellen, kann intensiv in das Persönlichkeitsrecht der Zielperson eingreifen. Solche Eingriffsmaßnahmen betreffen hinsichtlich des Inhalts der Informationen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.42 Sie kollidieren im Ansatz zudem mit der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Rechtsschutzgarantie,43 deren Beeinträchtigung z.T. durch einen Richtervorbehalt und durch die nachträgliche Unterrichtung der Betroffenen, um sodann gerichtlichen Rechtsschutz zu ermöglichen, kompensiert werden kann.44 Das im Achten Abschnitt nicht besonders geregelte Recht
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Allg. Bethge VVDStRL 57 (1998), 1, 44; zum Strafverfahren Makrutzki 105 f.; zur Frage der Einwilligung des Wohnrechtsinhabers in das Betreten der Wohnung durch einen Beamten, der eine Legende verwendet, BGH NJW 1997 1516 ff. mit Anm. Felsch StV 1998 285 ff.; Frister JZ 1997 1130 ff.; Hilger NStZ 1997 449 f.; Nitz JR 1998 211 ff.; Roxin StV 1998 43 ff.; Wollweber StV 1997 507 ff.; s.a. Martin Müller 53. Podolsky 158 ff. Vgl. BGH (ER) StV 2001 214, 215 = NJW 2001 1587 f. Die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG schützt den Berufstätigen aber nicht davor, dass er wegen der Begehung von Straftaten bei Gelegenheit seiner Berufsausübung verfolgt wird; BVerfG – Kammer – NJW 2000 3557 f.; Beschl. vom 7. Mai 2001 – 2 BvR 2013/00. Vgl. BVerfGE 42 212, 219; 103 142, 150 ff.; BgbVerfG LKV 1999 450, 460 f.; MecklVorpVerfG LKV 2000 345, 351.
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Zum Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch heimliche Ermittlungen BGHSt 34 39, 41; 44 13, 16; 44 243 ff.; Makrutzki 69 ff. BVerfGE 57 250, 275; BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall; Hamm StV 2001 81 ff. Bethge VVDStRL 57 (1998), 1, 40 m.w.N. BVerfGE 40 237, 249. BTDrucks. 14 1484 S. 29; s.a. BbgVerfG LKV 1999 450, 453. BGHSt 46 266 ff. = StV 2001 216, 219 zum Einsatz eines „global positioning system“ mit Anm. Bernsmann StV 2001 382 ff.; Kühne JZ 2001 1148; Steinmetz NStZ 2001 344 ff. Vgl. BbgVerfG LKV 1999 450, 451. BVerfGE 100 313, 364, 380; BbgVerfG LKV 1999 450, 457; MecklVorpVerfG LKV 2000 345, 348 ff.; SächsVerfGH LKV 1996 273, 286 ff.; Makrutzki 59 f. Für das Polizeirecht MecklVorpVerfG LKV 2000 345, 347; SächsVerfGH LKV 1996 273, 287 f.
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auf effektive Verteidigung45 gegen solche Maßnahmen als Teil der Rechtsschutzgarantie46 bedarf noch der Anpassung an die modernen Ermittlungsmethoden.47 b) Normadressaten. Normadressaten der Eingriffsermächtigungen sind Ermittlungs- 2 beamte und Richter, grundsätzlich aber nicht Privatpersonen, die mangels hoheitlicher Tätigkeit keiner gesetzlichen Ermächtigung bedürfen. Ihr Verhalten hat sich an den Regeln des Zivil- und (materiellen) Strafrechts zu orientieren.48 Gleiches gilt auch für „verdeckte Ermittlungen“ von Privatpersonen.49 Deren Erkenntnisse können im Strafverfahren grundsätzlich verwertet werden, solange der private Informationszugriff, dessen Ergebnis später an die Strafverfolgungsbehörde weitervermittelt wird, nicht eine absolute Grenze überschreitet, die beim unmittelbaren staatlichen Zugriff § 136a Abs. 1 oder Art. 1 Abs. 1 GG verletzen würde.50 Allerdings bedarf auch die staatliche Ausnutzung solcher Vorgehensweisen von Privaten genauer Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Ob die von Ermittlungsorganen mit der Vornahme bestimmter Maßnahmen beauf- 3 tragten Privatpersonen, sogenannte V-Leute, die Vorschriften des Achten Abschnitts beachten müssen und ob im Strafverfahren insoweit die Einhaltung der Grenzen der Eingriffsbefugnisse nach den §§ 94 ff. berücksichtigt werden muss, ist umstritten. Dies ist zunächst eine Frage der Zurechnung.51 Der Staat ist auch im Bereich der strafrechtlichen Ermittlungstätigkeit nicht zur „Flucht ins Privatrecht“ befugt. Sind Privatpersonen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c oder Nr. 4 StGB „Amtsträger“, so erscheint grundsätzlich eine Zurechnung ihres Verhaltens zum staatlichen Strafverfahren möglich.52 Selbst das Verhalten einer Strafgefangenen, die regelmäßig Mitgefangene unter Vor- 4 spiegelung wahrsagerischer Fähigkeiten aushorchte und dann ihre Erkenntnisse als Informant an die Polizeibehörde weitergab, rechnete BGHSt 44 129, 133 f.53 der Strafverfolgungsbehörde zu, weil diese infolge der Dauer und Häufigkeit der früheren Ausforschungsmaßnahmen mit weiteren Handlungen rechnen musste und gegenüber Gefangenen zur Fürsorge verpflichtet war. Ähnlich EGMR StraFo 2003 162. Das Verhalten eines V-Manns als agent provocateur wurde von BGHSt 45 321, 33154 aufgrund des polizeilichen Ermittlungsauftrags der Behörde zugerechnet. Nicht zurechenbar ist ein exzessives Verhalten von V-Leuten oder Informanten, mit dem die Behörden nicht rechnen können und müssen.
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Zur Herleitung des Rechts auf effektive Verteidigung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip BVerfG (Kammer) StV 2000 416, 417; Beschl. vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00. Vgl. Walischewski StV 2001 243, 244 ff. Zur „Akteneinsicht“ in Bänder einer Telefonüberwachung OLG Frankfurt StV 2001 611, 612. Zu privaten Tonaufnahmen Wölfl StraFo 1999 74 ff. Krey Zur Problematik privater Ermittlungen 74 ff. Näher Götting 275 ff. Vgl. BGHSt 44 129, 134 f.; 45 321, 331; 47 44; BGH NStZ 2001 353, 354; BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234; Dencker StV 1994 667, 671 f.; Erfurth 30 ff.; Eschelbach
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StV 2000 390, 392; Götting 172; Katzer 14 ff.; Makrutzki 107 ff.; Maul FS BGH 569, 578; Meurer FS Roxin 1281, 1290; Weiler GA 1996 101, 108. Vgl. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234: s.a. Podolsky 152 ff. Dazu Artkämper NJ 1998 604; Fahl JA 1999 102 ff.; Hanack JR 1999 348 ff.; Jahn JuS 2000 441 ff.; Lesch GA 2000 355, 367 ff.; Martin JuS 1999 196 f.; Roxin NStZ 1999 149 ff.; s.a. Schneider NStZ 2001 8 ff. Bestätigt durch BGHSt 47 44; zu BGHSt 45 321 s. Endriß/Kinzig NStZ 2000 271 ff.; Geppert JK 00 EMRK Art. 6 I/1; Kudlich JuS 2000 951 ff.; Lesch JA 2000 450 ff.; Roxin JZ 2000 369 ff.; Sinner/Kreuzer StV 2000 114 ff.; Sommer StraFo 2000 150 ff.
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Ob im Fall der Unanwendbarkeit der §§ 94 ff. der Einsatz von Privatpersonen durch die Strafverfolgungsorgane, insbesondere bei V-Personen, eine Gesetzesumgehung darstellt, ist eine umstrittene Anschlussfrage.55 Dabei geht es im Zusammenhang mit den Vorschriften des Achten Abschnitts weniger um eine Umgehung von Vernehmungsregeln durch „vernehmungsähnliche Maßnahmen“ als um eine Umgehung der Eingriffsvoraussetzungen für gesetzlich gestattete Maßnahmen durch „informelles Handeln“.
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c) Regelungsgegenstände der Vorschriften des Achten Abschnitts. Die Vorschriften des Achten Abschnitts regeln inzwischen sehr verschiedene Maßnahmen, die zum Teil der Beweisgewinnung und -sicherung, zum Teil der Sicherung künftiger Sanktionen dienen.
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aa) §§ 94 bis 98 betreffen die Sicherstellung von Beweismitteln und dienen damit der Beweisbeschaffung und der Beweissicherung. Soweit § 94 Abs. 3 die Vorschrift auch auf Führerscheine anwendet, die der Einziehung unterliegen, handelt es sich aber nicht um Beweissicherung, sondern um Sicherung der Einziehung des Führerscheins und um die Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung nach § 111a, also einer Präventivmaßnahme.
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bb) §§ 98a ff. normieren die Rasterfahndung unter Datenabgleich mit Hilfe von EDV, eine Maßnahme, die in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreifen kann.
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cc) §§ 99 bis 100j durchbrechen das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) zur Beschaffung von Beweismitteln und gestatten deshalb die Beschlagnahme von Briefen, Sendungen und Telegrammen „auf der Post“ (§§ 99, 100) bzw. die Überwachung der Telekommunikation, ferner die nachträgliche Erfassung der Telekommunikationsverbindungsdaten zu einem bestimmten Endgerät, die auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreift.56
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dd) §§ 100c, 100d regeln neben dem Einsatz sonstiger technischer Mittel, etwa zur Observation, die Überwachung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb bzw. innerhalb von Wohnungen.57 Dadurch wird in den Schutzbereich des
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BGHSt 40 211, 213 erklärte, eine Umgehung gesetzlicher Aussageverweigerungsrechte liege nur vor, wenn ein bereits ausgeübtes Schweigerecht gezielt umgangen werde; zust. Weßlau ZStW 110 (1998), 1, 11. S. auch EGMR StraFo 2003 162 = JR 2004 127 mit Aufs. Esser. Die Zurechnung des Verhaltens von Privatpersonen zum Strafverfahren bei „Hörfallen“ lehnten ab: BGHSt 39 335 ff. mit Anm. Dencker StV 1994 667 ff.; Lisken NJW 1994 2069 f.; Neuhaus Kriminalistik 1995 787 ff.; Sternberg-Lieben Jura 1995 299 ff.; Tietje MDR 1994 1078 ff.; Welp NStZ 1994 292 ff.; BGHSt (GrSSt) 42 139 ff. mit Anm. Artkämper NJ 1998 604; Bär CR 1997 367 f.; Bernsmann StV 1997 116 ff.; Bosch Jura 1998 236 ff.; Derksen JR 1997 167 ff.; Kudlich JuS 1997 696 ff.; Lesch JA 1997 15 ff.; Popp NStZ 1998 95 f.; Renzikowski JZ 1997 710 ff.; Rieß NStZ 1996 505 f.; Weßlau ZStW 110 (1998), 1 ff.; im
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Ergebnis anders der Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats StV 1996 242 ff. mit Anm. Fezer NStZ 1996 289 f.; Lesch JA 1996 632 ff. Die Verfassungsbeschwerden gegen BGHSt 39 335; 42 139 wurden aus verfassungsprozessualen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG (Kammer) NStZ 2000 488 f.; 2000 489 = JR 2000 467 f. mit Anm. Franke = StV 2000 467 f. mit Anm. Weßlau. BTDrucks. 14 7008 S. 1, 6. Zum Vorgarten als Teil des Sphäre des Art. 13 GG BGH (ER) NJW 1997 2189 f. mit Anm. Gössel NStZ 1998 126 ff.; zum Vereinsbüro BGH StV 1997 114 ff. mit Anm. Kretschmer Jura 1997 581 ff.; Martin JuS 1997 758; Scholz NStZ 1997 196 ff.; Wollweber NStZ 1997 351; zur Überwachung des Besuchsraums einer Untersuchungshaftanstalt BGH NJW 1998 3284 ff.
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speziellen Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG, bei Maßnahmen außerhalb einer Wohnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen.58 ee) §§ 102 bis 110 regeln die Durchsuchung von Personen, Sachen und Räumen beim 11 Beschuldigten und bei anderen Personen zur Ergreifung des Beschuldigten und zur Beschaffung von Beweismitteln. Die Vorschriften gelten nach § 111b entsprechend für die Durchsuchung zur Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen. Die Durchsuchung berührt den Schutzbereich der Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. ff) §§ 110a ff. behandeln den Einsatz Verdeckter Ermittler, der verschiedene Grund- 12 rechtssphären betreffen kann, je nachdem, ob Zielperson der heimlichen Ermittlungen ein Beschuldigter, ein Zeuge oder ein Dritter ist und auf welche Weise dieser Person gegenüber gehandelt wird. gg) § 111 regelt die Möglichkeit, Kontrollstellen einzurichten, um bei bestimmten 13 schweren Straftaten, wie terroristischen Anschlägen oder Raubüberfällen, die noch unbekannten Täter zu ergreifen oder Beweismittel sicherzustellen. hh) § 111a enthält mit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis eine Präventiv- 14 maßnahme, die mit den §§ 112a, 126a und 132a verwandt ist und zweckmäßigerweise mit diesen zusammen in einem Abschnitt zu regeln gewesen wäre. ii) §§ 111b bis 111i und 111l regeln die Sicherstellung von Gegenständen, die dem 15 Verfall oder der Einziehung unterliegen, und sichern die spätere Vollstreckung. Gleichzeitig sollen sie auch die Zugriffsmöglichkeit des Geschädigten sichern. jj) § 111k ordnet die Rückgabe nach § 94 als Beweismittel sichergestellter oder nach 16 §§ 111b ff. zur Sicherung des Verfalls oder der Einziehung beschlagnahmter beweglicher Sachen an den Verletzten an. kk) § 111m und § 111n enthalten für den Bereich der Pressebeschlagnahme zur 17 Sicherung der Einziehung Einschränkungen gegenüber §§ 111b ff. ll) §§ 111o, 111p betreffen den dinglichen Arrest und die Vermögensbeschlagnahme 18 zur Sicherung einer späteren Vermögensstrafe59 unter Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. d) Geltungsbereich der Vorschriften des Achten Abschnitts aa) Erkenntnisverfahren. Die Vorschriften des Achten Abschnitts des Ersten Buches 19 der StPO, die grundsätzlich auch im Bußgeldverfahren anwendbar sind,60 gehören zu den allgemeinen Vorschriften. Sie gelten demnach in allen Verfahrensabschnitten. Nicht
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Von zentraler Bedeutung für das Verständnis dieser Vorschriften ist BVerfGE 109 279 ff. Wegen der Einzelheiten muss auf die dortige Kommentierung verwiesen werden. Die Vorschriften sind gegenstandslos gewor-
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den durch das Urteil des BVerfG im Verfahren 2 BvR 794/95 BVerfGE 105 135, durch das die gesetzliche Regelung zur Vermögensstrafe für verfassungswidrig erklärt wurde. Vgl. Benfer/Bialon Rn. 139 ff.
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nur im Ermittlungsverfahren, sondern auch im Zwischen- und Hauptverfahren61 dürfen sie deshalb grundsätzlich angewendet werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass wegen des nach der Abschlussverfügung der 20 Staatsanwaltschaft bestehenden uneingeschränkten Rechts auf Akteneinsicht (vgl. § 147 Abs. 2) eine Geheimhaltung der in den Akten zu dokumentierenden Vorgänge rechtlich nicht mehr möglich ist. Soweit danach solche Maßnahmen noch praktikabel sind, kann sie die Staatsanwaltschaft vornehmen.
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bb) Vollstreckungs- und Auslieferungsverfahren. Der durch das OrgKG62 geänderte § 457 bestimmt ergänzend, dass alle Maßnahmen, die im Erkenntnisverfahren zur Ergreifung des Beschuldigten in Betracht kommen, im Vollstreckungsverfahren ebenfalls zulässig sind; das gilt folglich auch für die Maßnahmen nach dem Achten Abschnitt des Ersten Buches. Indes ist wiederum von Fall zu Fall zu prüfen, ob eine bestimmte Maßnahme zur Ergreifung des Verurteilten geeignet, erforderlich und angemessen ist.63 Ähnliches gilt für die Anwendung der Vorschriften des Achten Abschnitts im Auslieferungsverfahren.64 2. Die Vorschriften des Achten Abschnitts als abschließende Regelungen a) Bedeutung der spezialgesetzlichen Regelungen
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aa) Exklusivität der §§ 94 ff. Die Vorschriften des Achten Abschnitts enthalten, soweit nicht ergänzende Normen aus anderen Gesetzen hinzutreten, für den jeweiligen Regelungsbereich eine abschließende Regelung.65 Auch im Bereich unterhalb der Anwendung unmittelbaren Zwanges liegende Grundrechtseingriffe sind, soweit sie nicht außerhalb des Achten Abschnitts gesetzlich geregelt sind, deshalb zunächst nur nach Maßgabe der vorliegenden Vorschriften gestattet. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kann aber auch ein Minus zu den gesetzlich gestatteten Maßnahmen in Betracht kommen. Praxisrelevant ist insoweit z.B. ein Auskunftsverlangen anstelle von Maßnahmen gemäß §§ 94, 95, 102 ff.66
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bb) Verbot der analogen Anwendung der Eingriffsnormen und des Rückgriffs auf die subsidiäre Ermittlungsgeneralklausel bei einer Sperrwirkung der Spezialnormen. Eine entsprechende Anwendung der Normen des Achten Abschnitts zum Nachteil des Betroffenen kommt nicht in Betracht,67 weil dies dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes68 nicht genügen würde.69 Die Maßnahmen des Achten Abschnitts greifen oft in spezielle Grundrechte nach 24 Art. 10, 13, 14 GG ein, die nach ausdrücklicher grundgesetzlicher Bestimmung einem
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Vgl. zur Durchsuchung von Behördenräumen und Beschlagnahme von Behördenakten durch das erkennende Gericht im Hauptverfahren OLG Jena NJW 2001 1290, 1291 ff. mit Anm. Hohmann wistra 2001 196 ff. Begr. des RegE BTDrucks. 12 989 S. 44 f. Vgl. PfzOLG Zweibrücken StV 2001 305 zur Telefonüberwachung bei der Fahndung im Vollstreckungsverfahren. Zur dortigen Überwachung der Telekommunikation OLG Hamm wistra 2000 278, 279.
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Vgl. BGHSt 31 296, 298; 31 304, 306. Vgl. Bittmann NStZ 2001 231 ff. Zur Unanwendbarkeit der §§ 110a ff. auf nicht offen ermittelnde Polizeibeamte BGHSt 41 42, 44 ff.; BGH StV 1996 241, 242; 1997 233 f.; Makrutzki 113 f. Näher Perschke 25 ff. m.w.N. Binder 191 ff.; Makrutzki 114; Weiler Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von V-Leuten, 185 ff.; im Ansatz a.A. Oliver Mertens 62 ff.
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Gesetzesvorbehalt unterliegen. Zudem liegt meist ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG vor, der auch nach der „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls im Allgemeinen keinem strikten Gesetzesvorbehalt unterliegt und im Übrigen nach § 161 Abs. 1 Satz 1 n.F. gestattet sein kann.70 Analogien zu den §§ 94 ff. sind grundsätzlich ausgeschlossen, weil die so gebildeten Regeln nicht auf einer parlamentarischen Entscheidung, sondern auf derjenigen des Rechtsanwenders beruhen würden. Nur eine entsprechende Anwendung von Regeln, die für den Betroffenen günstig sind, ist dogmatisch zulässig.71 Dies gilt insbesondere für Rechtsschutzmöglichkeiten, wie in § 98 Abs. 2 Satz 2, oder Hindernisse für behördliche Eingriffsakte, wie das Verbot der Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen.72 cc) Herleitung und Bedeutung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes. Im Einzel- 25 nen ist die Bedeutung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes, das bei verschiedenen Grundrechtsbestimmungen unterschiedliche Ausprägungen aufweist und durch einen Allgemeinvorbehalt außerhalb des geschriebenen Verfassungsrechts ergänzt wird,73 für die strafrechtliche Ermittlungstätigkeit unklar. (1) Extrempositionen. Entgegen einer früher in der Literatur vertretenen Auffassung 26 kann ein Handeln der Exekutive, das kein Verwaltungsakt ist, nicht grundsätzlich als Verwaltungsinternum betrachtet werden. Insbesondere verdeckte Ermittlungen sind daher nicht bereits wegen ihrer Eigenschaft als Realhandlungen von der Kategorie der Grundrechtseingriffe ausgeschlossen.74 Ermittlungsmaßnahmen sind oftmals Realhandlungen. Andererseits ist die gegenläufige Lehre vom Totalvorbehalt, wonach jedes Handeln 27 der Exekutive einem Gesetzesvorbehalt unterworfen ist, mit dem Regelungssystem der Grundrechtsnormen kaum vereinbar.75 (2) Wesentlichkeitstheorie. Es gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- 28 gerichts die auf das Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip gestützte „Wesentlichkeitstheorie“,76 wonach der Gesetzgeber zwar nicht alle, wohl aber alle wesentlichen Entscheidungen in Bereichen, die für die Verwirklichung von Grundrechten wesentlich sind, selbst zu treffen hat. Dabei kann sich der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen eingriffsintensiver hoheit- 29 licher Maßnahmen auch nicht auf die Schaffung von Generalermächtigungen an die Exekutive oder Judikative, wie § 161 Abs. 1 Satz 1 n.F., zurückziehen. Denn damit würde er wiederum die vom Gesetzesvorbehalt geforderte parlamentarische Entscheidung über die Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Eingriffsmaßnahmen der Sache nach aus der Hand geben.77 Schließlich muss auch z.B. bei einer Verordnungsermächtigung des
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Vgl. Rogall NStZ 2000 490, 492 f. Zu einem über § 97 hinausgehenden Beschlagnahmeverbot für Verteidigungsunterlagen im Besitz des Beschuldigten BGHSt 44 46, 48 ff. mit Anm. Martin JuS 1998 850 f.; Satzger JA 1998 632 ff.; Schneider Jura 1999 411 ff.; BVerfG – Kammer – Beschl. vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00. Vgl. etwa BGH NStZ 2001 604, 606; LG München I NStZ 2001 612, 613.
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Vgl. Bethge VVDStRL 57 (1998), 1, 27 ff. So aber Kloepfer Datenschutz als Grundrecht (1980), 24; Ramsauer VerwArch 72 (1981), 104; dagegen z.B. Hoppe 46; Podolsky 160. Vgl. Makrutzki 49 m.w.N. Z.B. BVerfGE 61 260, 275. Vgl. für heimliche präventivpolizeiliche Eingriffe in geschützte Vertrauensbeziehungen SächsVerfGH LKV 1996 273, 285.
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Gesetzgebers an die Exekutive das ermächtigende Gesetz selbst Inhalt, Zweck und Ausmaß der Eingriffsbefugnisse regeln (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG); hinter dieses Anforderungsprofil darf in grundrechtswesentlichen Bereichen der Gesetzgebung nicht durch Generalklauseln zurückgewichen werden. Nach der Wesentlichkeitstheorie darf der Gesetzgeber auch nicht der fachgericht30 lichen Rechtsprechung die wesentlichen Entscheidungen überlassen.78 Namentlich die heimliche Ausforschung von Zielpersonen ist ihrer Natur nach ein 31 nachrichtendienstliches Mittel.79 Sie ist aufgrund der Verheimlichung des staatlichen Eindringens in die Privatsphäre besonders eingriffsintensiv und dürfte deshalb zu dem Bereich zu rechnen sein, der nach der „Wesentlichkeitstheorie“ einem Gesetzesvorbehalt unterliegt.
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(3) Schwellentheorie. Für die Frage, ob im Einzelfall ein Grundrechtseingriff vorliegt, der dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes unterliegt, kann die Eingriffsintensität der Maßnahme nicht unberücksichtigt bleiben. Ohne Rücksicht auf den betroffenen Schutzbereich verschiedener Grundrechtsnormen wird man einen Grundsatz, der dem materiell-rechtlichen Bagatellausschlussprinzip ähnelt („minima non curat praetor“), auch im Verfahrensrecht anerkennen können. Erst ab einer relevanten, verifizierbaren Eingriffsintensität wird danach die Schwelle zum Grundrechtseingriff überschritten, während Minima (Rn. 54 ff.) außer Betracht bleiben müssen, um die Ermittlungspraxis nicht zu überfordern und zu blockieren. Für das Strafverfahrensrecht ist das insbesondere im Bereich der informatorischen Befragungen, welche die befragte Person nicht in rechtlich erheblicher Weise beeinträchtigt, anerkannt. Daran anknüpfend kann auch nach dem Volkszählungsurteil in BVerfGE 65 1, 41 ff. immer noch in gewissem Umfang eine Schwellentheorie vertreten werden,80 die allerdings nur Bagatellhandlungen im Randbereich des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Person von der Kategorie des Grundrechtseingriffs ausschließt.81
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(4) Sphären-Theorie. Die Schwellentheorie wird ergänzt durch die Sphären-Theorie,82 welche die Intensität der Eingriffe und das Erfordernis des „Ob“ und „Wie“ einer Legitimation des Eingriffs anhand der beeinträchtigten Schutzsphäre misst. Diese Theorie kennt eine Sphäre des absolut geschützten Kernbereichs der Persönlichkeit (Intimsphäre), in die einzudringen und deren Inhalte zu verwerten den staatlichen Strafverfolgungsorganen ohne Einschränkung verboten sein soll. Neben dem Kernbereich privater Lebensgestaltung gibt es eine nicht absolut, aber 34 relativ geschützte Sphäre. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht liegen danach auch vor, wenn zwar keine im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG genau räumlich abgrenzbare, aber der Sache nach gegen den beliebigen Informationszugriff Dritter abgegrenzte Sphäre der Persönlichkeitsentfaltung betroffen ist.83 Denn die Persönlichkeitsentfaltung ist nicht nur räumlich auf einen häuslichen Bereich beschränkt. Die Privatsphäre ist vielmehr „räum-
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Vgl. BVerfGE 88 103, 115 ff. SächsVerfGH LKV 1996 275, 286; Haas V-Leute 10 f.; Makrutzki 55; Weßlau Vorfeldermittlungen 228. Krit. Erfurth 56 f.; Germann 479; Hoppe 47, 52 ff.; Makrutzki 115 ff.; Chirinio Sánchez 188 f. In der Benutzung einer Legende durch einen
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nicht offen ermittelnden Polizeibeamten sah BGH NStZ 1996 450 mit Anm. Rogall eine nur unerhebliche Täuschung des Beschuldigten. BVerfGE 27 1, 7; 27 344, 350 ff.; 32 373; 34 238; 35 202; 44 353; 54 148, 153; 63 131. Vgl. BVerfGE 101 361, 384 f.
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lich und thematisch“ bestimmt.84 Sie betrifft einen Bereich privater Lebensgestaltung, der nicht für jedermann zugänglich ist.85 In diesem Bereich darf insbesondere das nichtöffentlich gesprochene Wort nicht ohne gesetzliche Ermächtigung durch staatliche Ermittlungsorgane erfasst werden.86 Dagegen ist das gesprochene oder aufgezeichnete Wort in einer Sphäre der sozialen 35 Kommunikation, also etwa beim Gespräch auf der offenen Straße, im Großraumbüro oder in einem öffentlichen Verkehrsmittel, nicht nur für jeden Privaten zur Erfassung und Verwendung preisgegeben, sondern auch dem staatlichen Informationszugriff. Dies folgt aus der Gemeinschaftsbezogenheit dieser Form der Persönlichkeitsentfaltung.87 (5) Lehre vom Informationseingriff. Zum Teil zu weit geht die Lehre vom Informa- 36 tionseingriff,88 die letztlich jede staatliche Informationsbeschaffung, welche personenbezogene Daten betrifft, als Grundrechtseingriff im Sinne des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes betrachtet.89 Sie kann allerdings auf eine nicht entscheidungstragende90 Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Volkszählungsurteil,91 es gebe letztlich „kein belangloses Datum“, verweisen. Das kommt jedoch im Ergebnis einem „Totalvorbehalt“92 gleich, der zu weit geht (Rn. 27). Freilich hat auch der Gesetzgeber des StVÄG 1999 (vgl. die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte) und des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 zur Auskunft über Telekommunikationsverbindungen (§§ 100g, 100h)93 angenommen, dass die strafprozessuale Erfassung und Verwendung von Informationen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschränke. (6) Lehre von den Informationsbeherrschungsrechten. Will man den Ansatz des Ein- 37 griffs in subjektive Rechte an personenbezogenen Daten differenzierend weiterverfolgen, so kann man im Ansatz mit Amelung an Informationsbeherrschungsrechte anknüpfen.94 Aus einer solchen Rechtsposition, die dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ähnelt, wird zum Teil hergeleitet, dass verdeckte Ermittlungen, die auf eine informelle Befragung aussageverweigerungsberechtigter Personen, also Beschuldigte und zur Zeugnisverweigerung befugte Zeugen, zielen, welche in einer Vernehmung ein Aussageverweigerungsrecht hätten, über das sie aus Gründen der Vorsorge und Fürsorge95 sogar zu belehren wären, in spezifisch geschützte prozessuale Rechtspositionen eingreifen und daher einem Gesetzesvorbehalt unterliegen.96 Dies korrespondiert mit dem Ansatz in
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BVerfGE 101 361, 382. Zur Zugänglichkeit personenbezogener Daten als Kriterium der Eingriffsbegrenzung Germann 485 f. Enger vom Standpunkt der Art. 6, 8 EMRK aus EGMR StV 1992 499 f. = NJW 1992 3088 f. Diese in BVerfGE 80 367 ff. nicht näher behandelte dritte Sphäre erläutert – für Bildaufnahmen – BVerfGE 101 361, 380 ff. Vgl. Chirinio Sánchez 185 ff. m.w.N.; s.a. SächsVerfGH LKV 1996 273, 280 zum „polizeilichen Informationseingriff“; ähnlich MecklVorpVerfG LKV 2000 149, 151 f.; abl. etwa Podolsky 159. Chirinio Sánchez 191 f. Die Informationseingriffe aufgrund des VZG
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betrafen jeweils erhebliche Mengen an personenbezogenen Daten; auf Einzeldaten, die für sich genommen wenig Aussagekraft für die Persönlichkeit haben, kam es in BVerfGE 65 1, 41 ff. nicht an. BVerfGE 65 1, 45. Näher Perschke 26 ff. m.w.N. BTDrucks. 14 7008 S. 1, 6. Amelung FS Bemmann 505 ff. und FS Roxin 1259 ff.; krit. Rogall FS Grünwald 523, 531 ff. Zum Vorsorglichkeits- und Fürsorgecharakter der Belehrungspflichten BGHSt 25 325, 330 (zu § 243 Abs. 4); 38 214, 221 (zu § 136 Abs. 1). Weiler GA 1996 101 ff.
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BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234, wo zumindest in der Verletzung besonders geschützter Vertrauensbeziehungen ohne spezialgesetzliche Gestattung auch ein Verstoß gegen den Anspruch auf ein fair trial gesehen wurde.97
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b) Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse. Da die §§ 94 ff. immer noch Regelungslücken im Vergleich mit dem Kanon der bereits praktizierten Ermittlungsmaßnahmen aufweisen,98 stellt sich die Frage, ob Eingriffsmaßnahmen im Einzelfall auch ohne spezialgesetzliche Regelung, insbesondere aufgrund der subsidiären Generalermächtigung nach § 161 Abs. 1 Satz 1 n.F., rechtmäßig sein oder ob zulässige Ermittlungseingriffe um flankierende Maßnahmen ohne Sonderregelungen ergänzt werden können.
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aa) Unselbständige Begleitmaßnahmen zu den spezialgesetzlich geregelten Eingriffsakten. Von der Eingriffsermächtigung für die Hauptmaßnahme gedeckt sind unselbständige Begleitmaßnahmen,99 zumindest soweit sie nicht in den Schutzbereich weiterer Grundrechtspositionen – über die vom Zwangseingriff ohnehin auch mitbetroffene Willensfreiheit hinaus – eingreifen.100 Begleitmaßnahmen, die den Schutzbereich anderer Grundrechtspositionen betreffen, sind bei nachkonstitutionellen Eingriffsnormen dagegen nicht zugleich mit der Hauptmaßnahme gestattet; dem steht schon das Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen. Das Zitiergebot spielt hingegen bei vorkonstitutionellen Eingriffsnormen101 oder der nachkonstitutionellen Wiederholung früherer Normen102 keine Rolle; diese Normen können folglich auch über die Grenzen des Schutzbereichs einzelner Grundrechte hinaus Begleitmaßnahmen im Schutzbereich anderer Grundrechte als derjenigen, die durch die Hauptmaßnahme eingeschränkt werden, legitimieren. Von diesem Blickwinkel aus hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die 40 Öffnung eines Kraftfahrzeugs zur Anbringung einer „Wanze“ aufgrund von § 100c erlaubt, die Wegnahme des Fahrzeugs, um die Maßnahme in einer Werkstatt durchführen zu können, aber nicht gestattet;103 denn in Letzterem liegt eine Besitzentziehung, die 97
In der Entscheidung heißt es: „Sie (gemeint: die Beschwerdeführer) zeigen damit auch eine Verletzung ihres Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches (Ermittlungs-)Verfahren auf. Denn das den Ermittlungsbehörden im Rahmen des erteilten Auftrags zuzurechnende Vorgehen der Vertrauensleute (vgl. BGH StV 2000 57, 61 = BGHSt 47 321 331) stellt sich nicht nur als eine rein passive Informationserlangung ohne Eingriffscharakter, sondern spätestens mit der Nachfrage bei der Zeugin nach ihrer spontanen Äußerung als eine heimliche Befragung einer Aussageperson durch V-Personen und damit als eine Maßnahme dar, die jedenfalls ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig war. Die darin liegende Missachtung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschuldigten und seinen Angehörigen im Sinne des § 52 StPO enthält einen Verstoß gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens, da der in verschiedenen Vorschriften des Straf-
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verfahrensrechts garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses (vgl. § 52 Abs. 1 und 3, § 97 Abs. 1, § 100d Abs. 3 Satz 3, § 252 StPO) in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens zählt“. Zum Fehlen einer Rechtsgrundlage für einen BtM-Scheinkauf durch einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, der kein VE ist, in einer Wohnung BGH NJW 1997 151 ff. Geppert JK 01, StPO § 100c/4;. Vgl. Dörschuck 21 f.; zur zwangsweisen Veränderung der Haar- und Barttracht bei einer Gegenüberstellung nach §§ 81b, 81a BVerfGE 47 239, 246 ff. mit Anm. Grünwald JZ 1981 423 ff. BVerfGE 2 121, 122. Vgl. BVerfGE 5 13, 15 f. BGH (ER) StV 1997 400f mit Anm. Burghard Kriminalistik 1998 63; Gössel NStZ 1998 126 ff.; Gropp JZ 1998 501 ff.; Heger
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nicht durch § 100c gestattet ist. BGHSt 46 266, 275 f. hat demgegenüber allerdings mit Hinweis auf eine Annexkompetenz der Ermittlungsbehörden den ergänzenden Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG durch kurzzeitige heimliche Wegnahme eines Kraftfahrzeugs zur Anbringung eines Peilsenders für ein „global positioning system“ aufgrund von § 100c für gerechtfertigt erachtet. Eine besondere Problemzone bildet die Mischung von repressiven polizeilichen Maß- 41 nahmen mit solchen zur Gefahrenabwehr. Ein Beispiel dafür ist der „Sicherungslauschangriff“, bei dem ein auch in einer fremden Wohnung nach den §§ 110a ff. eingesetzter Verdeckter Ermittler zur Eigensicherung vor Gefahren für Leib oder Leben mit akustischen Überwachungsmitteln ausgestattet wird.104 Für diese Zusatzmaßnahme, die eigenständiges Gewicht als Grundrechtseingriff besitzt, bedarf es einer ergänzenden Legitimation. Art. 13 Abs. 5 GG n.F. gestattet den Sicherungslauschangriff verfassungsrechtlich.105 Durch § 161 Abs. 3 ist er nun auch im einfachen Recht geregelt.106 bb) Generalklauseln als Ermächtigung zum Eingriff in die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 42 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Verschiedene Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere der Einsatz nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder von V-Leuten, wurden bisher von der strafgerichtlichen Rechtsprechung aufgrund allgemeiner Regeln über strafprozessuale Kompetenzen und die Aufklärungspflicht für zulässig erachtet.107 Dies wird neuerdings durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts108 und des EGMR,109 aber auch durch die formelle Subsidiarität der Ermittlungsgeneralklausel des § 161 Abs. 1 n.F. in Frage gestellt. (1) Regelungsbestand. Der bis zum Inkrafttreten des StVÄG 1999 geltenden Befug- 43 nisnorm des § 163 a.F. und der Aufgabenzuweisungsregelung des § 161 a.F. konnte entgegen einer verbreiteten Auffassung in der Rechtsprechung110 und Literatur111 jenseits des Bereichs von Bagatellhandlungen112 oder Maßnahmen, die infolge der Einwilligung des Betroffenen keine Eingriffsqualität besitzen,113 keine ausreichende Ermächtigung entnommen werden.114 Davon ging auch der Gesetzgeber des StVÄG 1999 aus.115 Die durch dieses Gesetz 44 geschaffene Ermittlungsgeneralklausel des § 161 Abs. 1 i.V.m. § 163 Abs. 1 n.F. gestattet der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen Ermittlungen jeder Art und das
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JR 1998 163 ff.; Janker NJW 1998 269 ff.; Martensen JuS 1999 433 ff.; Schairer Kriminalistik 1998 119 f. Zutr. Binder 182 ff.: Schwerpunkt der Gesamtaktion bei der Repression; a.A. Martin Müller 31 ff.: für sich genommen rein präventive Maßnahme. Dazu Martin Müller 169 ff. Brodersen NJW 2000 2536, 2539. Vgl. Jähnke FS Odersky 427, 430. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234. EGMR EuGRZ 1999 660 ff. (Teixeira de Castro ./. Portugal). BayObLGSt 1959 38, 39 f.; 1969 79, 80. Bachmann 22 f.; Bockemühl JA 1996 695, 697 f. (für Bagatelleingriffe); Bottke GedS
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Meyer, 37, 47; Kramer NJW 1992 2732, 2735 (für Maßnahmen ohne Zwang); ders. Kriminalistik 1993 227, 230; Rebmann NJW 1985 1, 3; Rogall Informationseingriff 73; Rieß JR 1993 438, 439 (für Maßnahmen ohne Zwang). Krit. Perschke 82 f. m.w.N. Vgl. Podolsky 161. Germann 479 f., 503 f.; Makrutzki 118; Perschke 93 ff. (nur Befugnis z.B. zu tatspurenbezogenen Ermittlungen oder informatorischen Befragungen, die aber mangels Eingriffsqualität gar keiner gesetzlichen Ermächtigung bedürfen); Monika Schmitz 51; a.A. Kramer Kriminalistik 1993 227. Vgl. BTDrucks. 14 1484 S. 16.
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Einholen von Behördenauskünften, soweit nicht Spezialvorschriften vorgehen. Sie regelt aber insbesondere nicht im Einzelnen116 die Voraussetzungen und die Folgen heimlicher Ermittlungen durch V-Leute oder nicht offen ermittelnde Polizeibeamte.117 Die Annahme, der Gesetzesvorbehalt werde durch § 161 n.F. in sein Gegenteil verkehrt,118 geht in dieser Allgemeinheit zu weit. Nach ihrem Zweck und Regelungszusammenhang mit den Vorschriften des Achten 45 Abschnitts sind die §§ 161, 163 nicht dazu geschaffen, als Eingriffsermächtigungen zu dienen, soweit es um mehr geht als um singuläre Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Ein tieferer Eingriff in Grundrechte119 liegt aber bei heimlichen Ermittlungen schon wegen der damit verbundenen Einschränkungen von Verteidigungsmöglichkeiten und der Erschütterung des Grundvertrauens in die Offenheit staatlichen Handelns vor. Die § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 n.F. genügen auch nicht den Anforderungen an die 46 Bestimmtheit einer aufgrund der Wesentlichkeitstheorie für heimliche staatliche Ausforschungsmaßnahmen erforderlichen speziellen Eingriffsermächtigung.120 Das Gebot der Bestimmtheit von Eingriffsermächtigungen wird ebenso wie der Gesetzesvorbehalt als solcher auch aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet.121 Es verpflichtet den Gesetzgeber, die zu Eingriffen in Grundrechte ermächtigenden Gesetze so zu fassen, dass der potentiell Betroffene ebenso wie der Rechtsanwender Inhalt und Grenzen der Ermächtigung erkennen können. Das Gesetz selbst muss danach die Eingriffsvoraussetzungen bestimmen und es darf dies nicht den mit der Gesetzesanwendung und mit dem Gesetzesvollzug betrauten Behörden oder Gerichten überlassen. Je intensiver der mögliche Grundrechtseingriff ist, zu dem die Norm ermächtigt, desto höhere Anforderungen werden an den Gesetzgeber gestellt, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen.122 Es liegt auf der Hand, dass dies für eingriffsintensive heimliche Ermittlungsmaßnahmen in besonderem Maße gilt. EGMR JZ 2000 993 leitet aus Art. 8 Abs. 2 EMRK Ähnliches her. Zum Teil wird darauf verwiesen, dass die präventiv-polizeirechtliche Generalklausel, wonach die Polizeibehörden zu Handlungen zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ermächtigt sind, als hinreichend bestimmte und daher ausreichende Ermächtigungsnorm123 angesehen wird; Gleiches müsse für eine strafverfahrensrechtliche Ermittlungsgeneralklausel gelten.124 Dabei werden allerdings rechtliche Regelungen gleichgesetzt, die verschiedene Zwecke verfolgen; das präventive Polizeirecht zielt auf den Schutz des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor Gefahren; das Strafverfahrensrecht zielt dagegen auf die Feststellung der Strafbarkeit verdächtiger Personen. Damit weisen die – sonst gleichartigen – Eingriffsmaßnahmen, die verschiedenen Zwecken dienen, auch hinsichtlich ihrer weiteren Wirkungen und Folgen eine verschiedenartige Eingriffsqualität auf, die u.a. auch im Blick auf Verteidigungsinteressen der betroffenen
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Zum rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit präventivpolizeilicher Eingriffsnormen BbgVerfG LKV 1999 450, 452; MecklVorpVerfG LKV 2000 149, 155; SächsVerfGH LKV 1996 273, 281. Hefendehl StV 2001 700, 704. Dencker FS Meyer-Goßner 237, 242. Vgl. für Maßnahmen nach den §§ 98a, 100a, 100c, 110a in Bezug auf die Datenverwendungsregelung des § 477 Abs. 2 Satz 2 n.F. BTDrucks. 14 1484 S. 29.
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Weiler Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von V-Leuten 195; einschränkend Perschke 99 ff. Vgl. für präventivpolizeiliche Eingriffsmaßnahmen BbgVerfG LKV 1999 450, 452. BbgVerfG LKV 1999 450, 452. Vgl. BVerfGE 54 143, 144 f. Dörschuck 5 ff., 20 f.
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Person zu verschiedenartigen Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigungen führen kann. Ungeklärt ist jedoch, für welche Einzelhandlungen eine spezialgesetzliche Ermächti- 47 gung erforderlich ist.125 BVerfG (Kammer) NStZ 2000 489, 490 (Rn. 37) mit Anm. Rogall und Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. weist darauf hin, dass eine „passive Informationserlangung ohne Eingriffscharakter“ schon bei einer Nachfrage eines V-Manns bei der verdeckten Befragung einer Zielperson nicht mehr vorgelegen habe; damit ist umgekehrt in den Raum gestellt worden, dass passives Verhalten von Hoheitsträgern oder deren Hilfspersonen, das zu einer staatlichen Informationserlangung führt, kein Eingriffsakt ist, der einer Ermächtigung bedürfte. Verdeckt ermittelnde Beamte und V-Leute dürfen sich also in eine Szene begeben und dort Informationen an sich herantragen lassen. Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs ist eine dem Staat zuzurechnende Aktivität, die für die staatliche Informationserlangung ursächlich ist. Da jedoch nach allgemeinen Kausalitäts- und Zurechnungsregeln auch ein mittelbar für den Datenzufluss ursächliches, dem Staat zuzurechnendes Handeln ausreicht, etwa der aktive Aufbau einer „Legende“ (§ 110a Abs. 2), ist mit der Begrenzung des Eingriffsbegriffs auf Aktivitäten der für den Staat handelnden Personen nicht viel gewonnen.126 (2) Gestattung von Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht durch Generalklauseln. Eine 48 gesetzliche Grundlage bereits für die Erhebung, Speicherung und Verwendung von personenbezogenen Daten wurde von BVerfGE 65 1, 41 ff. (Volkszählungsurteil)127 mit Bindungswirkung (§ 31 BVerfGG) bei Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorausgesetzt.128 Zwar sieht Art. 2 Abs. 1 GG, auf dem das genannte Recht beruht,129 keinen speziellen Gesetzesvorbehalt vor, weshalb er auch nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG unterfällt. Der Gesetzesvorbehalt, den das Volkszählungsurteil herangezogen hat, beruht auf der „Wesentlichkeitstheorie“ (Rn. 28).130 Er gilt sodann für das Recht auf Selbstbestimmung über alle Daten, die irgendetwas über die Identität einer Person, ihre Eigenschaften, ihre Beziehungen zur Umwelt oder ihr Verhalten aussagen.131 Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann z.B. im Onlinezugriff auf nicht allgemein zugängliche Daten mittels EDV liegen.132 In
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Vgl. Bär in: Wabnitz/Janovsky 18. Kap. Rn. 249. Germann 484. Folgerechtsprechung: BVerfGE 76 363, 388 zur Zeugenvernehmung (!) durch einen Untersuchungsausschuss entsprechend der StPO; BVerfG (Kammer) NJW 1987 2805 ff.; 1988 959 ff.; 1988 962 ff., jew. zum Volkszählungsgesetz 1987; BVerfGE 78 77, 84 ff. zu § 687 ZPO; BVerfG (Kammer) StV 1991 556 f. zu § 11 BZRG; BVerfG (Kammer) DVBl. 1993 601 f. zum Melderecht; BVerfG (Kammer) StV 1995 618 ff. zur DNA-Analyse; BVerfG (Kammer) Beschl. vom 14. Dezember 2001 – 2 BvR 152/01– zur Weitergabe von Informationen über Prämienrückstände an Versicherer; s.a. SächsVerfGH LKV 1996 273, 279 zum Polizeirecht. In BVerfGE 100 313, 358 zur Tele-
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kommunikationsüberwachung durch den BND wurde angenommen, das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei gegenüber dem Grundrecht aus Art. 10 GG subsidiär. Zur Bedeutung im Strafverfahren Perschke 53 ff.; Chirinio Sánchez 185 ff.; zum Eingriffscharakter von Internet-Ermittlungen Germann 468 ff., 511 ff.; allgemein Bethge VVDStRL 57 (1998), 1, 21. Der mit unklarer dogmatischer Bedeutung hinzuzitierte Art. 1 Abs. 1 GG kennt gar keinen Gesetzesvorbehalt. Er kann allerdings durch kollidierende Rechte Dritter begrenzt werden. Dazu Perschke 33 ff. Vgl. Germann 471. Abl. zur Abgrenzung des Eingriffsbegriffs nach dem Kriterium der Zugänglichkeit Germann 485 f.
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freiwillig einer beliebigen Öffentlichkeit preisgegebene Informationen wird hingegen nicht eingegriffen. Nach der Rechtsprechung setzt das materielle Grundrecht auch Maßstäbe für eine effektiven Grundrechtsschutz ermöglichende Verfahrensgestaltung.133 Dies ist namentlich für heimliche Ermittlungsmethoden von Bedeutung, welche die verfahrensrechtliche Stellung des Betroffenen besonders beeinträchtigen und im Grundsatz jedenfalls die nachträgliche Offenlegung erfordern (§ 101), damit alsdann Rechtsschutz ermöglicht wird (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Eingriffe in Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG werden durch die Ermittlungsgeneralklausel 49 in § 161 Abs. 1 Satz 1 n.F. gestattet.134 Deren Unbestimmtheit lässt aber Zweifel darüber aufkommen, ob damit für das Strafverfahren gegenüber dem vorherigen Rechtszustand viel an Rechtsstaatlichkeit gewonnen ist. Ob die Überlegungen des Volkszählungsurteils, das den Gesetzgeber zur Schaffung der Generalklausel veranlasst hat, dahin zu verstehen waren, dass sie auf jede staatliche Informationserlangung und -verwertung im Strafverfahren, das allgemein auf Wahrheitserforschung ausgerichtet ist, übertragbar sind, ist noch nicht abschließend geklärt.135 Dagegen spricht, dass das Volkszählungsgesetz einerseits einen bußgeldbewehrten Zwang zur Auskunft enthielt, andererseits aber auch im Einklang mit BVerfGE 56 37, 51 ein Verwertungsverbot für Sanktionen gegen den Auskunftgeber; denn § 11 Abs. 3 Satz 3 VZG bestimmte: „Aus den Angaben gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht zu Maßnahmen gegen den Betroffenen verwendet werden“. Bei den im Strafverfahren umstrittenen ungeregelten Maßnahmen geht es dagegen um solche, die nicht mit einem Zwang zur aktiven Mitwirkung des Beschuldigten oder eines Dritten verbunden sind. Jedoch ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der dem Volkszählungsurteil nachfolgenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf nicht zwangsbewehrte Informationsbeschaffungsmaßnahmen ausgedehnt worden. Es gilt zudem nicht nur im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung. Daher ist etwa auch das gezielte Aushorchen eines Bürgers durch einen Verdeckten Ermittler, einen sonstigen noch offen ermittelnden Polizeibeamten oder eine V-Person der Polizei, deren Handeln dem Staat zuzurechnen ist, ein Eingriff in dieses Recht.136 Aus der Perspektive der Zielperson macht es keinen Unterschied, ob ein Verdeckter Ermittler, ein sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder eine V-Person im behördlichen Auftrag handelt.137 Rogall138 meint, Generalklauseln seien ausreichend, wenn „der Eingriff nichts weiter als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrifft“. Dies entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers des StVÄG 1999. Allerdings ist für Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch DNA-Identitätsfeststellung im Blick auf BVerfGE 65 1, 41 ff. in den §§ 81e ff. und im DNA-IFG eine dezidierte Regelung geschaffen worden, die BVerfGE 103 21 ff.139 als mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit vereinbar erklärt und zur Ausfüllung des Schrankenvorbehalts geeignet angesehen hat. Ob daraus umgekehrt zu entnehmen ist, dass dieses „Mehr“ an Spezifizierung eines Eingriffstatbestandes erforderlich war, bleibt vorerst ungeklärt.
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Vgl. BVerfGE 65 1, 44 f.; BbgVerfG LKV 1999 450, 455. Vgl. dazu die Begründung des RegE zum StVÄG 1999 BTDrucks. 14 1484 S. 16. Abl. z.B. Lesch GA 2000 355, 363 f., der im Legalitätsprinzip und in der Aufklärungspflicht eine ausreichende Legitimation für strafprozessuale Datenerhebungen sieht.
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BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234; Podolsky 161; offengel. von Makrutzki 94 ff. Jähnke FS Odersky 427, 430. Rogall Rudolphi-Symposium 113, 146. Anschlussentscheidung BVerfG (Kammer) NJW 2001 2320 ff. mit Aufs. Kropp NJ 2001 576 ff.
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Durch die Heimlichkeit des Vorgehens von V-Personen und verdeckt ermittelnden 50 Polizeibeamten unter Ausnutzung von Vertrauen in eine „Legende“ kann darüber hinaus auch ein weitergehender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegen.140 In qualifizierten Fällen, wie den „Romeo-Fällen“,141 ist zugleich ein Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts und damit eine Antastung der Menschenwürde möglich.142 Trotz tiefgreifender gesetzgeberischer Änderungen gerade im Bereich des Achten Ab- 51 schnitts bestehen nach wie vor in den §§ 94 ff., die der formell subsidiären Ermittlungsgeneralklausel des § 161 Abs. 1 Satz 1 vorgehen und diese in ihrem Anwendungsfeld verdrängen,143 für einzelne der oft praktizierten Ermittlungsmaßnahmen Regelungslücken, die nach und nach ausgefüllt werden. Personenbezogene Observationen,144 die ein Datenraster, Persönlichkeitsprofil oder Bewegungsprofil entstehen lassen, und so in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen können,145 waren bis zum StVÄG 1999 nicht geregelt,146 soweit nicht zugleich ein Einsatz technischer Mittel vorliegt, der gemäß § 100c gestattet ist.147 Nun gilt § 163f für längerfristige Observationen, § 161 Abs. 1 Satz 1 für kurzfristige Beobachtungen.148 Demgegenüber ist der in der Praxis häufige, auch observierende Einsatz von V-Personen und nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, die nicht als Verdeckte Ermittler im Sinne der §§ 110a f. gelten, auch nach dem StVÄG 1999 noch nicht durch Spezialgesetz geregelt.149 Es gelten insoweit nur Richtlinien, die aber die gesetzlichen Regeln der Strafprozessordnung nicht abändern können.150 Zwar ist die bloße Informationsbeschaffung durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen – nur – unter Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Zielperson gemäß § 161 Abs. 1 Satz 1 gestattet,151 also etwa ein bloßes „Zuhören“, das aber in dieser reinen Form praktisch kaum vorkommen wird.152 Heimliche Ermittlungen gehen regelmäßig über eine solche passive Informationsbeschaffung weit hinaus.153 Die §§ 110a ff. gehen als Spezialtatbestände für den heimlichen Einsatz von Ermittlungspersonen unter Verwendung einer „Legende“ dem formell subsidiären § 161 Abs. 1 vor und verdrängen diesen. Eine spezialgesetzliche Regelung erscheint deshalb verfassungsrechtlich aufgrund der Wesentlichkeitstheorie und einfach-rechtlich zur Verhinderung einer faktischen Umgehung der §§ 110a ff. geboten.154
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Hefendehl StV 2001 700, 703; Makrutzki 69 ff. Götting 246; Weiler Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von Vertrauenspersonen im Strafverfahren, 43, 222. Eschelbach StV 2000 390, 394; Makrutzki 68. Vgl. BTDrucks. 14 1484 S. 23. Vgl. Hefendehl StV 2000 270 ff.; Podolsky 162. Für Videoaufnahmen BGHSt 44 13, 16; dazu Amelung NStZ 1998 631 f.; Asbrock NStZ 1998 632 f.; Gehrlein NJW 1999 104 f.; Rogall JZ 1998 796 ff.; Satzger JA 1998 539 ff. Hefendehl StV 2000 270, 273 ff.; Perschke 14. BGHSt 44 13, 17 ff.; BGH StV 2001 216, 217 zum „global positioning system“. BVerfGK 16 1, 12.
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Vgl. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall; Eschelbach StV 2000 390, 391; Germann 523 ff.; Hefendehl StV 2001 700, 701 f.; zur Entbehrlichkeit einer spezialgesetzlichen Regelung BGHSt 40 211, 213; 41 42, 45 mit abl. Anm. Fezer JZ 1995 972 und Lilie/Rudolph NStZ 1995 513. Vgl. BVerfGE 40 237, 247. Vgl. Hilger NStZ 2000 561, 564 Fn. 47; BTDrucks. 14 1484 S. 23 nennt beim Aufzählen von Beispielen zum Anwendungsfeld des § 161 Abs. 1 die Informationsbeschaffung durch V-Leute nicht. Rogall NStZ 2000 490, 491. Vgl. Makrutzki 104 ff.; zweifelnd Rogall NStZ 2000 490, 492 f. Den präventivpolizeilichen V-Mann-Einsatz sieht BbgVerfG LKV 1999 450, 461 als
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Mangels spezialgesetzlicher Grundlage einzelner Ermittlungshandlungen, die über eine bloße Informationsbeschaffung nach § 161 Abs. 1 Satz 1 hinausgehen, sind nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes alle heimlichen Ermittlungsmaßnahmen mit Eingriffscharakter grundsätzlich unzulässig.155 Es besteht ein Beweiserhebungsverbot. Eine andere Frage ist diejenige nach den Rechtsfolgen eines mangels gesetzlicher Eingriffsgestattung rechtswidrigen Handelns, also die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot für die Hauptverhandlung (Rn. 81).156
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(3) Freiwilligkeit. Vergleichbare Probleme wie beim V-Mann-Einsatz ergeben sich auch in Fällen des heimlichen Mithörens von Gesprächen unter Anwesenden oder am Telefon.157 Ist dies ein dem Staat zuzurechnender „Informationseingriff“ in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen, dann wäre der sich ggf. aus der Wesentlichkeitstheorie ergebende Gesetzesvorbehalt zu beachten. Handelt es sich dagegen wegen der „Freiwilligkeit“ der Teilnahme am Gespräch nicht um einen solchen Eingriff, so bestehen gegen das polizeiliche Mithören keine Bedenken, solange eine rechtsstaatliche Grenze nicht überschritten wird. Davon geht BGHSt (GrSSt) 42 139 ff. aus. Aber der Ansatz, dass die „Freiwilligkeit“ der Teilnahme am scheinbaren Privatgespräch in Unkenntnis der für das Strafverfahren bestimmenden Umstände zu einem Grundrechtsverzicht führen kann, greift jedenfalls beim gezielten Aushorchen einer Person nicht durch.158 Es fehlt dabei an der Kenntnis der maßgebenden Umstände, die eine Minimalvoraussetzung für einen Grundrechtsverzicht des Betroffenen ist. Anders kann es bei offenen Ermittlungsmaßnahmen liegen, wie freiwilligen Massenblutproben zur Durchführung von DNA-Analysen (vgl. dazu jetzt § 81h). Wird aber dem betroffenen Bürger der Eindruck vermittelt, auf seine Einwilligung komme es nicht an, dann liegt kein Grundrechtsverzicht vor.159 Bedenken bestehen auch gegen die Annahme, es liege keine Durchsuchung vor, wenn ein Gewahrsamsinhaber sich gegenüber den überraschend auftretenden Ermittlungsbeamten, die ggf. bereits eine Durchsuchungsanordnung erwirkt haben, „mit der Inspizierung seines Herrschaftsbereichs freiwillig einverstanden“ erklärt.160 Anders als bei der Befolgung eines Herausgabeverlangens nach § 95 Abs. 1, einer anderen freiwilligen aktiven Mitwirkungshandlung, wie einer „Abwendungsauskunft“161 oder der widerspruchslosen Hinnahme einer formlosen Sicherstellung von Beweisgegenständen nach § 94 Abs. 1, die eine förmliche Beschlagnahme entbehrlich macht, beugt sich der Gewahrsamsinhaber in diesen Fällen meist nur der für ihn unwiderstehlichen staatlichen Gewalt; dies ist kein Grundrechtsverzicht, der die formellen Durchsuchungsvoraussetzungen nach § 105 entbehrlich macht. Benfer/Bialon Rn. 14 f. wollen der Einwilligung des Betroffenen deshalb bei sol-
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ebenso gravierenden Eingriff an, wie andere heimliche Ermittlungen; s.a. Benfer/Bialon Rn. 1188 ff.; Rogall NStZ 2000 490, 492. Vgl. Malek/Wohlers 486. Vgl. zur Unterscheidung dieser Fragen BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234; von der Abwägungslehre ausgehend Eschelbach StV 2000 390, 395 ff.; Rogall NStZ 2000 490, 493; andererseits sieht EGMR JZ 2000 994 ff. mit abw. Votum Loucaides und abl. Anm. Kühne/Nash in einem gesetzlich (Art. 8 EMRK) nicht geregelten Lauschangriff in einer Wohnung noch kein unfaires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1
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EMRK, wenn die Beweisführung im ganzen nicht unfair ist. Zur „Hörfalle“ BGHSt 39 335, 338 ff.; 42 139, 145 ff. (GrSSt); s. auch EGMR JR 2004 127 ff. mit Aufs. Esser. Eschelbach StV 2000 390, 393; Makrutzki 105 ff.; Podolsky 161; Weiler Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von V-Leuten, 180 ff. Dörschuck 23 f. So aber Einmahl NJW 2001 1393, 1394. Krit. Radtke FS Meyer-Goßner 321, 339 ff., 344 ff.
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chen Zwangsmaßnahmen, die nach dem Legalitätsprinzip geboten sind, eine den Eingriffscharakter beseitigende Bedeutung absprechen. Jedenfalls liegt die Annahme nahe, eine rechtlich relevante Freiwilligkeit setze in solchen Überraschungssituationen eine Belehrung des Betroffenen über seine Rechte voraus. (4) Bagatellausschlussprinzip. In welchen Einzelfällen die Erhebung und Verwendung 54 personenbezogener Daten im Strafverfahren einem Gesetzesvorbehalt im Sinne von BVerfGE 65 1, 41 ff. (zur operativen Aufklärung des BND anhand des spezielleren Art. 10 GG ähnlich BVerfGE 100 313, 358 ff.)162 unterliegt, ist ungeklärt. Es dürfte auch hier der zunächst für das materielle Recht geprägte Satz gelten: „Minima non curat praetor“. Bagatellhandlungen besitzen danach keine Eingriffsqualität.163 Der subsidiär geltende § 161 Abs. 1 Satz 1 wird insoweit als Generalermächtigung nicht einmal benötigt. Dies gilt insbesondere für eine Spurensuche164 außerhalb besonders geschützter räum- 55 licher Sphären, ferner für Erkundigungen, die zwar auch zur Erfassung personenbezogener Daten führen können, aber insoweit in einem Bagatellbereich liegen, der nicht zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zu rechnen ist.165 Anderes wird aber schon für informatorische Befragungen gelten, wenn sie vernehmungsähnlichen Charakter haben. Darauf macht der Bundesgerichtshof aufmerksam, wenn er in BGHSt 38 214, 227 von „der missverständlichen Gegenüberstellung von informatorischer Befragung und Vernehmung“ spricht. Eine „Internet-Streife“ in nicht zugangsgeschützten Datenangeboten dürfte dagegen schon mit Blick auf die freiwillige Preisgabe der Informationen im Internet keinen Eingriffscharakter haben.166 Das „Volkszählungsurteil“ steht dem Bagatellausschlussprinzip nicht entgegen. Es bezog sich nur auf den Schutz des Bürgers vor nahezu unbegrenzter Datenerhebung, -speicherung und -verwertung, die durch neue technische Möglichkeiten, insbesondere die elektronische Datenverarbeitung, entstanden sind. Datensammlungen, die „zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden“ können, sollen danach einem strengen Gesetzesvorbehalt unterworfen sein.167 Die Frage, ob auch Einzelinformationen dem Schutzbereich des Grundrechts unterfallen, stand nicht zur Entscheidung. Sie wurde mit der Bemerkung, es gebe letztlich kein „belangloses Datum“, erfasst, war aber nicht entscheidungserheblich.168 Vor diesem Hintergrund hat BGHSt 44 13, 16 angenommen, dass die längerfristige 56 Observation eines Betroffenen mit Hilfe einer Videoaufzeichnung, aus der ein partielles Raster personenbezogener Daten169 entstanden war, ein „Bewegungsbild“, in das Persönlichkeitsrecht eingreife und dem Vorbehalt des Gesetzes unterworfen sei, der durch
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Dazu Müller-Terpitz Jura 2000 296 ff. Benfer/Bialon Rn. 11 ff.; s.a. Bethge VVDStRL 57 (1998), 1, 45. Vgl. zur Spurensuche und DNA-Analyse von Zellspuren BVerfG (Kammer) NJW 1996 771 ff. Vgl. BGHSt 38 214, 227 („im Hinblick auf § 136 StPO indifferente Informationssammlung); Hefendehl StV 2001 700, 704. Das Einwählen in öffentliche Datennetze, das Erlangen der dort allgemein zugänglichen Informationen und deren Verwertung sind erlaubt; vgl. Kudlich JA 2000 227 ff. Rechtliche Hindernisse könnten sich ergeben, wenn von den Ermittlungsorganen
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Zugangsbeschränkungen ohne Wissen des Berechtigten oder unter Verwendung einer falschen Identität überwunden werden. Zu „Chaträumen“ Graf DRiZ 1999 281, 284. Allg. zur Bedeutung des Internet für Ermittlungen Chirinio Sánchez 248 ff.; zum Eingriffscharakter von Internetrecherchen Germann 468 ff., 511 ff. BVerfGE 65 1, 42 ff. BVerfGE 65 1, 45. Die Datenrasterung wird vom SächsVerfGH LKV 1996 283, 294 als geringfügiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen.
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§ 100c, seit Inkrafttreten des StVÄG 1999 auch durch die §§ 163f, 161 Abs. 1 Satz 1, ausgefüllt wird. BGHSt 46 266, 276 f. hat für einen Fall der Totalüberwachung ergänzend ausgeführt, dass die Summe einer Mehrzahl kombinierter Überwachungsmaßnahmen keine weitergehenden Anforderungen an das Ermittlungsverfahren im Ganzen und an einzelne Eingriffsmaßnahmen ergibt als die besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung und Durchführung der Einzelmaßnahmen. BGHSt 44 13, 16 hat bei der Bestimmung der Untergrenze zum Grundrechtseingriff letztlich wiederum auf die Schwellentheorie zurückgegriffen. Die Eingriffsqualität folge bei der längerfristigen technikgestützten Observation aus der Intensivierung des entstehenden Datenrasters gegenüber einer bloßen menschlichen Beobachtung, wie sie etwa durch eine V-Person erfolgen kann. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass auch eine intensive Beobachtung ohne technische Mittel im Einzelfall zur Erfassung eines Persönlichkeitsbildes des Betroffenen führen kann, welches zum Beispiel der Auswertung durch Kriminalpsychologen („profiling“)170 zugänglich wäre. Daraus ergeben sich keine besonderen Eingriffsvoraussetzungen nach ungeschriebenem Strafverfahrensrecht, wohl aber die Erforderlichkeit der besonderen Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Erhebung und die Verwendung der personenbezogenen Daten ggf. durch kumulative Eingriffsakte ist jeweils ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, der die Beachtung des Übermaßverbots voraussetzt. Umgekehrt sind Einzelbeobachtungen vom Erscheinungsbild und Verhalten eines Bürgers in der Öffentlichkeit, d.h. außerhalb einer geschützten Sphäre im Sinne des Art. 13 GG oder einer sonstigen geschützten Persönlichkeitssphäre im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG, noch keine Grundrechtseingriffe. Man muss also differenzieren: Es kommt für die Frage, ob die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG überschritten ist, nicht auf das Medium an, das die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten vermittelt. Vielmehr entscheiden – vom räumlichen Sphärenschutz abgesehen – die Menge und Aussagekraft der von einem zielgerichteten Informationsbeschaffungsakt erfassten personenbezogenen Daten. Danach ist nicht jede singuläre Information (Spur, Äußerung, Beobachtung) notwendigerweise für die Annahme eines Grundrechtseingriffs durch Datenerfassung, -speicherung und -verwendung ausreichend. Zudem sind ungezielte Maßnahmen, wie informatorische Befragungen, die „Zufallserkenntnisse“ erbringen, keine Eingriffsakte.
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(5) Regelungserfordernis aufgrund des Rechtes auf ein faires Verfahren und aufgrund der Selbstbelastungsfreiheit. Es ist nicht zulässig, durch informelle Vorgehensweisen solche prozessualen Rechtspositionen faktisch zu umgehen, die sonst im Gesetz besonders geschützt sind.171 Davon geht BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 (Rn. 37) aus und dies wird durch § 161 Abs. 1 Satz 1 bestätigt. Danach ist die Ermittlungsgeneralklausel, die Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht allgemein zulässt, gegenüber den besonderen Eingriffsermächtigungen des Achten Abschnitts formell subsidiär. In deren Regelungsbereich kommt die Generalklausel folglich nicht zum Zuge. Bestehen dort für bestimmte Maßnahmentypen besondere Voraussetzungen, sind diese Erfordernisse aber im Einzelfall nicht erfüllt, so kann nicht auf die Generalklausel zurückgegrif-
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Zum „psychological profiling“ Reinwart Kriminalistik 1986 173 f., bzw. „criminal profiling“ Winzenried Kriminalistik 1989 434 ff., zum „Täter-profiling multipler Raubmörder“ Harbort Kriminalistik 1998 481 ff., 785 ff.; zu Tatortanalyse und Täter-
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profiling Nagel/Horn Kriminalistik 1998 54 ff.; zum „DNA-profiling“ Kimmich/ Spyra/Steinke NStZ 1990 318 ff. und NStZ 1993 23 ff. Eschelbach StV 2000 390, 395; Meurer FS Roxin 1281, 1293.
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fen werden.172 Dies gilt insbesondere für heimliche Ermittlungen, für welche die Voraussetzungen der §§ 100a f., 100c f., 110a ff. nicht vorliegen. Insoweit ist der von BGHSt 40 211 ff. und BVerfG StV 2000 233 f. (Rn. 37) entschie- 58 dene Fall (Mordfall Sedlmayr) aufschlussreich.173 Nach den Feststellungen des Tatgerichts waren dort zwei Vertrauensleute von der ermittelnden Polizeibehörde förmlich für den öffentlichen Dienst verpflichtet worden. Sie hatten monatelang im Umfeld der beiden des Raubmordes verdächtigen Beschwerdeführer ermittelt und das Vertrauen der Verlobten eines Beschuldigten gewonnen. Diese äußerte sich zunächst ungefragt gegenüber einem der Vertrauensleute zur Herkunft des Tatwerkzeugs und erläuterte ihre Bemerkung auf Nachfrage. Diese Informationen flossen durch die Vernehmung der Vertrauensleute als Zeugen in das Strafurteil ein, obwohl die Verlobte des Beschuldigten in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert hatte. In dieser Informationsbeschaffung durch die V-Leute lag ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin.174 Eine rein passive Informationserlangung ohne Eingriffscharakter lag jedenfalls ab der Nachfrage des V-Manns nicht mehr vor.175 Das Verhalten von Vertrauensleuten der Polizei im Rahmen ihres Auftrags war auch der Ermittlungsbehörde zuzurechnen.176 Einem Grundrechtsverzicht oder einer Einwilligung der Zeugin in die staatliche Informationserlangung und -verwertung stand die Heimlichkeit der Ermittlungen entgegen.177 Einen Eingriff in das subjektive Recht der Verlobten konnten die Beschuldigten allerdings nicht unmittelbar für sich geltend machen. Jedoch waren sie in ihrem Anspruch auf ein rechtsstaatliches Strafverfahren betroffen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren, der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG 59 hergeleitet wird,178 ist jedoch nicht durch jeden Verfahrensfehler verletzt. Ein Eingriff in dieses Recht liegt in der Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Verfahrensprinzipien.179 Dazu zählt der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschuldigten und seinen Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1.180 Dieses Vertrauensverhältnis gibt dem Angehörigen eines Beschuldigten nicht nur das Recht zur Zeugnisverweigerung, über das er in einer Vernehmung zu belehren ist (§ 52 Abs. 1 und 3), sondern es begründet auch ein Beschlagnahmeverbot für die im Gewahrsam des Angehörigen befindlichen Sachbeweise (§ 97 Abs. 1) mit der Folge eines Hindernisses für eine Durchsuchung zur Auffindung solcher Sachbeweise. Es zwingt die Ermittlungsbehörden ferner zur Zurückhaltung bei der Aufzeichnung des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes in der Wohnung (§ 100c
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BTDrucks. 14 1484 S. 23. Erstverfahren: LG München I Urt. vom 21. Mai 1993 – Ks 122 Js 3887/91; BGHSt 40 211 ff.; BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall; Wiederaufnahmeverfahren: LG Augsburg Beschl. vom 14. Dezember 1999 – 8 Ks 401 Js 136969/97; OLG München Beschl. vom 10. Juni 1999 – 3 Ws 295/99; BVerfG (Kammer) Beschl. vom 31. Januar 2000 – 2 BvR 1284/99. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234; s.a. Bockemühl 23; Eschelbach StV 2000 390, 393 f.; Perschke 80 ff., 91 ff., 119 f.; Riepl 212 f.; Chirinio Sánchez 217 ff.; Monika Schmitz 142 ff.
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BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall; s.a. Hilger FS Hanack 207, 215 f. Vgl. für den genannten Fall BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234; anders BGHSt 40 211, 213 ff.; s. nun aber BGHSt 45 321, 331; BGHSt 47 44; Maul FS 50 Jahre BGH 569, 578. Vgl. Frister StV 1993 151, 152; Martin Müller 53; Monika Schmitz 33. BVerfGE 57 250, 274 f. Eschelbach StV 2000 390, 394. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234.
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Abs. 3).181 Es schließt zum Teil den Rückgriff auf Aussagen des Angehörigen in einer früheren Vernehmung aus, wenn dieser in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert (§ 252). Auf diese vom Gesetz geschützten Vertrauensverhältnisse dürfen Ermittlungsmaßnahmen mit Eingriffscharakter deshalb nur einwirken, soweit das Gesetz dies besonders gestattet; denn soweit heimliche Ermittlungsmethoden, die in solche Beziehungen eingreifen, im Gesetz geregelt sind, unterliegen sie engen Voraussetzungen. Sie sind nur bei Vorliegen des Verdachts einer bestimmten Kategorie von Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig. Sie setzen ferner die Beachtung der Subsidiarität der Maßnahme und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus. Sie unterliegen grundsätzlich einem Richtervorbehalt sowie Verwendungsbeschränkungen für die erhobenen Daten. Ein Eingriff in eine gesetzlich geschützte Vertrauensbeziehung ohne eine Ermächtigungsgrundlage, die dem sonst im Gesetz berücksichtigten Schutzbedürfnis in vergleichbarer Weise Rechnung trägt, konterkariert zwar die Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte der § 136 Abs. 1 Satz 2, §§ 52, 53 nur dann, wenn ein bereits ausgeübtes Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht gezielt umgangen wird; er missachtet aber die speziellen Eingriffsermächtigungen nach den Vorschriften des Achten Abschnitts. Deshalb verletzt er den Anspruch eines Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren.182 Er bedarf einer spezialgesetzlichen Regelung.183 Allgemeine Regeln, auch § 161 Abs. 1 Satz 1, und Richterrecht reichen insoweit nicht 60 aus. Die neue subsidiäre Ermittlungsgeneralklausel gilt im Regelungsbereich der Vorschriften des Achten Abschnitts auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen der speziellen Eingriffsermächtigungen nicht vorliegen. Vielfach wurde zwar, auch vom Bundesverfassungsgericht in Kammerentscheidungen, angenommen, der V-Mann-Einsatz sei erforderlich und deshalb ohne weiteres zulässig. Der dafür angeführten Entscheidung BVerfGE 57 250, 284 ist dies aber nicht zu entnehmen; denn die Zulässigkeit eines bestimmten Einsatzes von V-Leuten im Vorverfahren war dort nicht Verfahrensgegenstand. Es ging nur um die Frage, ob heimlich erlangtes Wissen nach § 251 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf. Die Voraussetzungen für einen Eingriffsakt im Vorverfahren waren dort nicht zu prüfen. Das staatliche Handeln ohne gesetzliche Legitimation führt zur Rechtswidrigkeit der 61 Beweiserhebung. Eine andere Frage ist diejenige nach den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren im Bereich der Beweisverwertung.184 Nicht zwingend, sondern nur von Fall zu Fall ist ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, soweit nicht § 136a Abs. 3 (ggf. i.V.m. § 69 Abs. 3, § 72)185 eingreift.186 § 252, aus dem aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall ein Verwertungsverbot entnommen wird,187 muss nicht notwendigerweise analog angewendet werden. Die Annahme, nur bei gezielter Umgehung eines bereits zuvor ausgeübten Zeugnisverweigerungsrechts durch heimliche Ermittlungen sei die entsprechende Anwendung
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Martin Müller 200 ff. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234. Vgl. für den präventivpolizeilichen Eingriff in geschützte Vertrauensbeziehungen SächsVerfGH LKV 1996 273, 285. Eschelbach StV 2000 390, 395 ff.; Steiner 192 ff.; einschränkend zu Art. 6 Abs. 1 EMRK EGMR JZ 2000 994 ff. mit abw. Votum Loucaides und abl. Anm. Kühne/Nash.
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Die § 69 Abs. 3, § 136a Abs. 1 Satz 3 kommen etwa dann zum Zuge, wenn gegenüber einem auskunftsverweigerungsberechtigten Zeugen zu Unrecht Zwang i.S.v. § 70 angewendet wird, vgl. BVerfG (Kammer) NJW 1999 779 f.; StV 2001 257, 258. BVerfGE 56 37, 51. BGHSt 45 203, 205; 45 342, 345; 46 1, 3; s.a. Kretschmer Jura 2000 461 ff.
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des § 252 geboten, ist jedenfalls willkürfrei möglich. Wie in den übrigen Fällen zu entscheiden ist, hängt vom rechtlichen Ansatz zur Begründung von Beweisverwertungsverboten ab.188 Problematisch ist in Fällen der heimlichen Ausforschung des Beschuldigten die Ver- 62 letzung des Prinzips nemo tenetur se ipsum accusare,189 also des Rechts, nicht durch aktives Verhalten190 selbst an der eigenen Überführung teilnehmen zu müssen. Es gehört möglicherweise zum „Unverfügbaren“ im Strafprozess und könnte insoweit einer einschränkenden gesetzlichen Regelung gar nicht zugänglich sein.191 Dann wäre freilich auch die heimliche Belauschung von Beschuldigten nach §§ 100a, 100c, 110a verfassungsrechtlich bedenklich.192 Seine Herleitung aus dem fair trial-Prinzip lässt gestufte Rechtsfolgen zu. Die Rechtsprechung geht, jedenfalls wenn man verschiedene Entscheidungen, wie 63 BGHSt 38 214, 219 ff.; 42 139 ff. (GrSSt), zusammennimmt, im Ergebnis davon aus, dass es verschiedene Stufungen von Eingriffen in die Rechtsposition des Beschuldigten gibt,193 wobei das nemo tenetur-Prinzip im engeren Sinne als ausnahmslos geltender Grundsatz194 nur die erste Stufe ausfüllt, während die folgenden Stufen am allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) bzw. am fair trialPrinzip orientiert sind.195 1. Stufe: Die Anwendung von Zwang zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Über- 64 führung, bewusste Täuschung und ähnlich massive Einflüsse im Sinne des § 136a Abs. 1 sind danach generell verboten196 und führen zu einem umfassenden Beweiserhebungsund -verwertungsverbot (§ 136a Abs. 3).197 Es geht (nur) in diesen Fällen um einen absolut geschützten Kernbereich der Beschuldigtenrechte (Art. 1 Abs. 1 GG).198 2. Stufe: Bei weniger gravierenden Eingriffen, wie Belehrungsmängeln, ist dagegen 65 nur eine Stufe der subjektiven prozessualen Rechte des Beschuldigten betroffen, die disponibel sind, insbesondere das materielle Persönlichkeitsrecht oder das auf einer gleichartigen verfassungsrechtlichen Ebene angesiedelte prozessuale Recht auf ein faires Strafverfahren. Auf dieser Ebene hängt die Verwertbarkeit der Äußerungen des Beschuldigten von einer Abwägung der widerstreitenden Belange ab. Zudem ist die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung zur Disposition der Verteidigung gestellt, worauf die Wider-
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Zur Verwertung heimlich erlangter Informationen zeugnisverweigerungsberechtigter Personen im Hinblick auf § 52 Abs. 3, § 252 von Stetten 140 ff., 151 ff. Katzer 123 ff.; Podolsky 164 ff. Passive Duldungspflichten, die dem Beschuldigten etwa nach § 81a auferlegt werden, sind davon nicht erfasst; vgl. KG JR 2001 162, 163 mit abl. Anm. Hackethal zum Brechmitteleinsatz bei der Sicherstellung verschluckter Drogenportionen. So zu den Hörfallen-Fällen Weßlau ZStW 110 (1998), 1, 27 ff. So für § 110a Rzepka Zur Fairness im deutschen Strafverfahren (2000), 426 f.; ähnlich Kahlo FS E.A. Wolff 153, 187 f.
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Vgl. Eschelbach StV 2000 390, 396; der Sache nach ebenso Katzer 123 ff., die begrifflich zwischen dem nemo-tenetur-Prinzip und dem fair-trial-Grundsatz unterscheidet. Rudolf Müller EuGRZ 2001 546, 553 f. m.w.N. Rudolf Müller EuGRZ 2001 546, 557; Weiler Grundlagen und Grenzen des polizeilichen Einsatzes von V-Leuten, 231 ff. BVerfGE 56 37, 49; BVerfG (Kammer) StV 2001 257, 258. Vgl. BGHSt 51 285, 291; 52 11, 23 f.; 53 294, 304 ff.; 55 138, 142 ff. In diesem Zusammenhang auch von Interesse EGMR NStZ 2008 699 ff.; BVerfGK 4 283 ff.
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spruchslösung aufbaut. Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngster Zeit ausführlich zu den in diesem Zusammenhang durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen Stellung genommen und die von der fachgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gebilligt.199
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3. Stufe: Auch unter Beachtung der gegebenenfalls einschlägigen wesentlichen Verfahrensförmlichkeiten freiwillig gemachte Angaben des Beschuldigten, insbesondere in einem Geständnis oder einer geständnisgleichen Äußerung außerhalb einer Vernehmung, sind grundsätzlich verwertbar.
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cc) „Ermittlungsnotstand“. Nicht positivrechtlich geregelte Eingriffsmaßnahmen im Strafverfahren hielt die Praxis früher mit Hinweis auf einen „Ermittlungsnotstand“, namentlich gegenüber organisierter Kriminalität, für erlaubt. § 34 StGB enthält, von außergewöhnlichen Situationen,200 wie einer konkreten und gegenwärtigen Bedrohung von Leib, Leben oder Freiheit eines verdeckt ermittelnden Beamten oder V-Manns abgesehen, aber keine neben § 161 Abs. 1, § 163 geltende Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe im Bereich repressiver Verbrechensbekämpfung wegen eines „Ermittlungsnotstands“.201 Denn diese zu anderen Zwecken, als Erlaubnissatz des materiellen Rechts, geschaffene Norm ermächtigt die staatlichen Ermittlungsorgane nicht abstrakt-generell zu bestimmten202 Maßnahmen, die in den Schutzbereich von Grundrechten eingreifen. Ein andauernder, von konkreten Einzelfallgestaltungen unabhängiger Ermittlungsnotstand ist auch keine konkrete Gefahr im Sinne des § 34 StGB.
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dd) Gewohnheitsrecht. Die Neugestaltung der §§ 161, 163 i.d.F. des StVÄG 1999 hat die Frage gegenstandslos gemacht, ob Gewohnheitsrecht Ermittlungseingriffe legitimieren kann.
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ee) Übergangsbonus für den Gesetzgeber. Soweit eine gesetzliche Ermächtigung zu bestimmten Ermittlungshandlungen nicht vorlag, deren Regelungsbedürftigkeit sich erst nach und nach gezeigt hat, insbesondere erst im Anschluss an die Betonung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in BVerfGE 65 1, 41 ff., wird in der Rechtsprechung,203
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BVerfG NJW 2012 907 ff. = NStZ 2012 496 ff. = StraFo 2012 27 ff. Vgl. BGH StV 1986 325, 328; Krey Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, 605. BGH NJW 1977 2172; Binder 193 ff.; Dencker FS Dünnebier, 457; Erfurth 57; Franzheim NJW 1979 2015 ff.; Krehl NStZ 1991 387 ff.; Makrutzki 119 ff.; Malek/ Wohlers 482; Meurer FS Roxin 1281, 1295; Perschke 126 f.; Rebmann NJW 1985 1, 3; Monika Schmitz 55; a.A. OLG Saarbrücken NStZ 1991 386; Bottke Jura 1987 356, 363 f.; Friedrichs Der Einsatz von „V-Leuten“ durch die Ämter für Verfassungsschutz, 125; Gropp StV 1989 216, 222; für Ausnahmefälle auch Dörschuck S. 12 ff.
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Zur mangelnden Bestimmtheit Binder 194; a.A. Mann/Müller ZRP 1995 180, 184 ff. Für die längerfristige Observation vor Inkrafttreten des § 100c BGH NStZ 1992 44 f. (dazu BVerfG [Kammer] Beschl. vom 9. März 2000 – 2 BvR 1087/91) mit Anm. Amelung JuS 1993 196 ff.; Gusy StV 1991 499 f.; Hassemer JuS 1992 161 f.; Hippel JR 1992 316 ff.; Kramer NJW 1992 2732 f.; Merten NJW 1992 354 f.; Rogall NStZ 1992 45 ff.; Wolter Jura 1992 520 ff.; zu polizeilichen Datensammlungen BVerfG NJW 1990 2765, 2767; BayVerfGH NJW 1986 915, 916; OVG Berlin NJW 1986 2004, 2005; OLG Frankfurt NJW 1989 47, 50 f.; 1995 1102 ff.; OLG Hamm NStZ 1986 236; NJW 1988 1402; OLG Karlsruhe NStZ 1988 184, 185 f.; 1994 50, 51 f.
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seltener in der Literatur,204 dafür plädiert, die Praxis zur Vermeidung eines noch unerträglicheren Zustands innerhalb einer Übergangsfrist bis zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung hinzunehmen. Das entspricht im Ansatz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bei Beanstandung eines bestehenden Gesetzes dem Gesetzgeber eine Frist zur Herstellung des verfassungsmäßigen Zustands einzuräumen. Dies wurde zuletzt, freilich mit einer eigenen Übergangsregelung durch das Gericht, für das Postulat eines „in camera-Verfahrens“ zur gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Aktensperrung nach § 99 VwGO, einer Parallelnorm zu § 96 StPO, im Verwaltungsprozess angenommen.205 Auch der Bundesrat206 geht von der Möglichkeit eines „Übergangsbonus“ aus. Das StVÄG 1999 trägt dem nun zum Teil in Bezug auf Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht Rechnung. Jedoch erscheint die Gewährung eines Übergangsbonus für den Gesetzgeber, die im 70 Bereich der Leistungsverwaltung zugunsten des betroffenen Bürgers wirkt, im Bereich der Eingriffsrechte der Strafverfolgungsbehörden bedenklich. Es wirkt überraschend, wenn ein Beschwerdeführer, der durch eine mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrige Eingriffsmaßnahme in seinen Rechten verletzt wurde, mit seinem Rechtsbehelf deshalb scheitern soll, weil er auf eine künftige gesetzliche Regelung verwiesen wird. Effektiver Grundrechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) wird durch eine solche Rechtfertigung von an sich rechtswidrigen Handlungen ausgehöhlt. Auch ist die Dauer der „Übergangsfrist“, soweit eine zeitliche Begrenzung, z.B. auf eine oder mehrere Legislaturperioden, überhaupt erwogen wird,207 unklar. Die Literatur 208 spricht sich zunehmend gegen die Zubilligung einer Übergangsfrist 71 bis zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung aus, weil darin eine Umgehung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes liege. Gesetzgeberische Untätigkeit dürfe nicht belohnt, eine Ausnutzung der Situation durch die Exekutive zum Nachteil der in ihren Grundrechten betroffenen Bürger nicht hingenommen werden. Berechtigt erscheint solche Kritik jedenfalls dann, wenn der Gesetzgeber, wie bei den 72 verdeckten Ermittlungen, Teilbereiche regelt (§§ 110a ff.),209 im Übrigen aber die Schaffung von speziellen Eingriffsermächtigungen über längere Zeit bewusst zurückstellt oder gar ablehnt.210 Nach verbreiteter Auffassung ist der „Übergangsbonus“ insoweit inzwischen jedenfalls aufgebraucht.211 c) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Die abschließenden Regelungen des Achten 73 Abschnitts gelten grundsätzlich nur für den Bereich repressiver Strafverfolgung im Rah204
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Hilgendorf-Schmidt wistra 1989 208, 213; früher LR/Rieß 24 § 160, 6; Krey FS Miyazawa 505, 603; Rogall Informationseingriff 102 f. und NStZ 2000 490, 493; Vogelgesang DVBl. 1989 963; einschr. Lammer 36 ff. BVerfGE 101 106, 132 mit Bspr. Ehlers JK 00 GG Art. 19 IV, 21; Sachs JuS 2000 702 f.; s.a. Geppert JK 00, StPO § 261/17. Entwurf eines StVÄG 1994 BRDrucks. 620/94 S. 13. Keine zeitliche Befristung nehmen an BayVerfGH NJW 1986 915, 916; OLG Frankfurt NJW 1995 1102; OLG Hamm NStZ 1986 236; NJW 1988 1402; OLG
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Karlsruhe NStZ 1994 50, 52; Becker Die Polizei 1996 25, 26; Pitschas/Aulehner NJW 1989 2353, 2359; Rogall Informationseingriff 103; Vogelgesang DVBl. 1989 962, 969; für ein Ende der Übergangsfrist mit Ablauf der Legislaturperiode im Jahr 1994 Lammer 36. Alberts ZRP 1987 196; Scholderer NStZ 1989 586. Monika Schmitz 158 ff.; zum Grund für das Absehen von einer Regelung des V-MannEinsatzes Hilger FS Hanack 207, 212 ff. Hilger FS Hanack 207, 212 ff.; Makrutzki 119; s.a. Perschke 133 ff. Germann 478; Makrutzki 119.
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men eines Strafverfahrens, nach BVerfGE 30 1, 29; 103 21, 30 f. freilich auch bei vorsorglichen Maßnahmen mit der Zielrichtung der (künftigen) Strafverfolgung.212 Die Zulässigkeit präventiv-polizeilicher Maßnahmen bestimmt sich dagegen nach dem Polizeirecht des Bundes und der Länder.213 Viele Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung organisierter Krimina74 lität, betreffen sowohl die Aufklärung begangener Straftaten als auch die Abwehr künftiger Taten. Eine klare Trennung von präventiv-polizeilicher Tätigkeit und Strafverfolgung ist in diesem Bereich nicht mehr eindeutig möglich.214 Dann muss anhand eines rechtlichen Kriteriums die doppelfunktionale Maßnahme entweder dem Gefahrenabwehrrecht oder dem Strafprozessrecht zugeordnet werden. Es entscheidet nach verbreiteter Auffassung215 der Schwerpunkt der polizeilichen Tätigkeit über den Charakter der Einzelmaßnahme. Eine andere Meinung216 will dagegen beide Regelungssysteme alternativ zur Anwendung kommen lassen mit der Folge, dass die Maßnahme rechtlich unbedenklich ist, wenn sie entweder nach Polizeirecht oder Strafverfahrensrecht rechtmäßig ist.217 Dabei besteht eine Tendenz zu einer „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrens.218 Diese 75 Tendenz konterkariert die zuletzt in § 161 i.d.F. des StVÄG 1999 aufrechterhaltene Konzeption der StPO,219 die von der Leitungsmacht der Staatsanwaltschaft und der Funktion der Polizei, dieser unterstützende Ermittlungspersonen zur Verfügung zu stellen, ausgeht und den Vorrang der bundesrechtlichen vor den landesrechtlichen Regeln voraussetzt (vgl. Art. 6 EGStPO). Der Bundesgerichtshof220 spricht sich verstärkt für die Anwendung des Strafprozessrechts aus. Kompetenzrechtlich ist nach BVerfGE 30 1, 29; 103 21, 30 f. schließlich auch das Vorfeld des Strafverfahrens Regelungsgegenstand des „gerichtlichen Verfahrens“ in Strafsachen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG),221 soweit es um Maßnahmen zur (künftigen) Strafverfolgung geht. Für die Abgrenzung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung entscheidend ist die 76 Zielrichtung der Maßnahme.222 Viele Autoren wollen hier wiederum im Zweifel zugunsten eines Vorrangs der Prävention vor der Repression entscheiden.223 Auch wegen der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Grenzziehung von repressiver und präventiver Polizeitätigkeit hat sich der Schwerpunkt des staatlichen Handelns vom staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum polizeilichen Erstzugriff mit anschließender poli-
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Vgl. BGHSt 45 321, 337; 47 44, 48. Vgl. BayVerfGH DVBl. 1995 347, 349; BbgVerfG LKV 1999 450, 451; MecklVorpVerfG LKV 2000 149, 150; SächsVerfGH LKV 1996 273, 275. Eine eindeutige Zuordnung fordert insbesondere Schoreit ZRP 1981 73, 74; DRiZ 1982 401, 403; 1989 259, 261; NJW 1985 169, 172. Vgl. BayVGH BayVBl. 1986 337; OVG Berlin NJW 1971 637; OVG Münster DÖV 1980 574; AK/Achenbach § 163, 11. Vgl. Götz NVwZ 1984 211, 215 und JuS 1985 869, 872; Rieger Die Abgrenzung doppelfunktionaler Maßnahmen der Polizei, 147 f.; Schwan VerwArch 70 (1979), 109, 129. Im Ergebnis auch für den Fall der Video-
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überwachung vor Inkrafttreten des § 100c StPO und einer entsprechenden konkreten Regelung des Landespolizeirechts BGH NStZ 1992 44 f. Paeffgen Rudolphi-Symposium 13; Erfurth 147; zum technischen Vorsprung der Polizeibeamten gegenüber Staatsanwälten Martin Müller 151. Podolsky 129. Vgl. BGHSt 41 64, 68; 45 321, 337 f.; 47 44, 48. Vgl. Rackow Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme (2001), 28 ff. Albers 265 ff.; Hoppe 74; s.a. Hefendehl StV 2001 700, 705. Czarnecki Kriminalistik 1996 143, 145; Kniesel Kriminalistik 1987 315, 316.
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zeilicher Tätigkeit bis zum Abschluss der Ermittlungen verschoben.224 Die präventivpolizeiliche Erlangung von Informationen schließt es jedoch nicht aus, dass diese Erkenntnisse für Strafverfolgungszwecke beigezogen und im Strafverfahren verwertet werden dürfen,225 auch wenn die Eingriffsvoraussetzungen nach der StPO im Einzelfall nicht gegeben waren.226 Das StVÄG 1999 hat in den § 161 Abs. 1, § 163 Abs. 1 insoweit die bisherige Rechtslage bestätigt. Der Bundesgerichtshof 227 sieht auch im Handeln von „agents provocateurs“ gegen- 77 über Unverdächtigen zur Bekämpfung künftiger Straftaten, zu denen die V-Leute oder verdeckt ermittelnden Polizeibeamten erst „anstiften“, ein Anwendungsfeld straf- und strafverfahrensrechtlicher Vorschriften. Dadurch wird das grundsätzlich vorrangige Bundesrecht anstelle der Polizeigesetze der Länder zur Anwendung gebracht (s.a. Art. 6 EGStPO). Dort fehlt, auch in den §§ 110a ff., eine gesetzliche Legitimation staatlicher Tatprovokationen gegenüber Unverdächtigen. Die Anwendung des formellen und materiellen Strafrechts auf solche Fälle ist zudem mit Blick auf die im Strafverfahren zu beachtenden Rechtsfolgen zwingend; denn das präventive Polizeiverwaltungsrecht gestattet keine vergleichbar abgestufte Kompensation228 unverhältnismäßiger Eingriffe wie das formelle oder materielle Strafrecht, das Verfahrenshindernisse, Opportunitätsregeln (§§ 153 ff.), Beweisverbote, ferner Schuldausschließungs- oder Strafmilderungsgründe und schließlich eine Berücksichtigung der staatlichen Beeinflussung der Beweislage bei der Beweiswürdigung229 als Rechtsfolgenmöglichkeiten anbietet.230 3. Verhältnismäßigkeit a) Prüfung von Eingriffsnorm und Eingriffsakt. Wie alle Zwangsmaßnahmen unter- 78 liegen auch die im Achten Abschnitt geregelten Eingriffshandlungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.231 Dieser gilt für die Anordnung und Vollziehung von Zwangsmaßnahmen, aber auch für deren Aufrechterhaltung.232 Der jeweilige Eingriff muss insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts stehen;233 das ist ein gewisses Dilemma, weil die Maßnahmen auch auf Verdachtsklärung abzielen. Zudem sind die Eingriffsnormen selbst am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen.234 Für
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Vgl. dazu krit. Roxin DRiZ 1997 120. Jähnke FS Odersky 427, 431; krit. Strate StraFo 1999 73 f. Zur Verwertung der Erkenntnisse aus einem präventiv-polizeilichen „Lauschangriff“ im Strafverfahren BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 8; BGH NStZ 1995 601 f. mit krit. Anm. Bockemühl JA 1996 695 ff.; Köhler StV 1996 186 f.; Roggan KritV 1998 336 ff.; Staechelin ZRP 1996 430 ff.; Welp NStZ 1995 602 ff. BGHSt 45 321, 337 f. mit Anm. Endriß/Kinzig NStZ 2000 271 ff.; Geppert JK 00 EMRK Art. 6 I/1; Kudlich JuS 2000 951 ff.; Lesch JA 2000 450 ff. und JR 2000 434 ff.; Roxin JZ 2000 369 ff.; Sinner/Kreuzer StV 2000 114 ff.; Sommer StraFo 2000 150 ff.; Folgeentscheidungen BGH NStZ 2001 53; StV 2001 461; s.a. BGHSt 47 44 ff.
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Zum Erfordernis der Kompensation EGMR EuGRZ 1999 660 ff. Vgl. BGH NStZ 2000 265, 266 in Abgrenzung zu BVerfGE 101 106, 126. Vgl. BGHSt 45 321 336 ff., der eine Strafzumessungslösung befürwortet. Vgl. BVerfGE 20 182, 186 f.; 42 212, 220; 44 353, 373. LG Aachen StV 2000 548. BVerfGE 20 162, 186 f.; 42 212, 219 f.; 59 95, 97. Vgl. für den „großen Lauschangriff“ Martin Müller 78 ff.; für besondere polizeirechtliche Maßnahmen zur Datenerhebung bei der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ SächsVerfGH LKV 1996 273, 282 ff.
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die Praxis der Strafverfolgungsorgane bedeutsamer ist allerdings meist die Kontrolle der konkreten Maßnahmen. Zu prüfen sind die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der jeweiligen 79 Maßnahme.235 Treffen mehrere Eingriffsakte zusammen, so kann sich aus ihrer Kumulierung kein neues Tatbestandserfordernis ergeben; wohl aber ist bei der Anordnung und Vollziehung jeder weiteren Maßnahme zu beachten, dass auch die kumulative Eingriffsintensität angemessen sein muss.236 Für die Frage der Geeignetheit kommt es nicht nur auf die generelle Eignung der Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks, sondern auch auf deren konkrete Eignung an. Dies kann bei Ermittlungs- und Sicherungsmaßnahmen für künftige Maßregeln oder Sanktionen unterschiedlich zu beurteilen sein. Bei der Erforderlichkeit von Beweiserhebungen ist darauf zu achten, dass sowohl Beweisbeschaffung als auch Beweissicherung angestrebt werden kann (s. § 160 Abs. 2, 2. Halbsatz). Zu Zwecken der Sachaufklärung erscheint etwa ein Ermittlungseingriff nach den §§ 94, 95, 100a, 100c, 102, 103, 110a zunächst nicht mehr erforderlich, wenn ein glaubhaft erscheinendes Geständnis vorliegt; zur Beweissicherung können weitere Eingriffe aber gleichwohl erforderlich bleiben, wenn mit dem Widerruf des Geständnisses zu rechnen ist. Auch kann es erforderlich sein, über die eigentliche Tatbestandsverwirklichung hinaus das kriminelle Umfeld aufzuklären. Unter den verschiedenen Maßnahmen, die nach den Vorschriften des Achten Abschnitts in Betracht kommen, besteht eine Abstufung, die im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung die Auswahl des mildesten Mittels gebietet. Bei der Angemessenheitsprüfung sind das besonders durch das Gewicht des Vorwurfs ausgedrückte Interesse der Allgemeinheit an der Klärung des Verdachts in Bezug auf die konkrete Straftat gegenüber der Eingriffsintensität der Maßnahme zum Nachteil des betroffenen Bürgers abzuwägen. Abwägungsfaktoren sind dabei vor allem die Schwere der aufzuklärenden Straftat, der Grad des Verdachts,237 die Beweisbedeutung der konkreten Maßnahme, die Art und Intensität des hiermit verbundenen Grundrechtseingriffs, einschließlich der Wirkung einer Summe kombinierter Eingriffsmaßnahmen,238 der Eingriff in Rechtspositionen Nichtverdächtiger,239 das Interesse an der Beweisführung zur Entlastung Unschuldiger, gegebenenfalls aber auch das Interesse der Verteidigung an der Verwertung von Entlastungsbeweisen, die mit Hilfe der Maßnahme zu Tage gefördert werden können. Nicht nur die Maßnahme an sich, sondern auch bereits verschiedene Einzelvorausset80 zungen des gesetzlichen Eingriffstatbestands sind vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt, so der Grad oder die Ausrichtung des erforderlichen Verdachts auf Straftaten von mehr oder weniger erheblicher Bedeutung und die Subsidiarität der besonders schwerwiegenden heimlichen Ermittlungsmethoden. Die Rechtsfolge eines Eingriffsakts, der unverhältnismäßig ist, kann im Einzelfall ein 81 Beweisverwertungsverbot sein (BVerfGE 44 353, 383 f.). Dafür kommt es aber auf eine verwertungsbezogene Abwägung der widerstreitenden Belange an, nämlich des konkreten Interesses der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung mit Hilfe des konkreten
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Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer DNA-Reihenuntersuchung (jetzt: § 81h) BVerfG (Kammer) NJW 1996 3071 ff. mit Anm. Benfer NStZ 1997 397 f.; Gusy JZ 1996 1176 ff.; Huber Kriminalistik 1997 733 ff.; Rogall NStZ 1997 399 f. BGHSt 46 266, 277; Steinmetz NStZ 2001 344 ff.
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Vgl. LG Freiburg StV 2001 266, 267. Vgl. zur „Totalüberwachung“ einer Person u.a. mit einem „global positioning system“, BGHSt 46 266. Vgl. BGH NStZ 2002 215; LG Zweibrücken StV 2000 553 zur Durchsuchung einer Arztpraxis.
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Beweises und des vom Verwertungsakt betroffenen Individualinteresses.240 Bewegt sich der Eingriff unterhalb der Schwelle zur Berührung des absolut geschützten Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung, der ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der so erhobenen Beweise führt (Art. 1 Abs. 1 GG, § 136a Abs. 3; vgl. dazu oben),241 so ist auch auf der Rechtsfolgenseite zu prüfen, ob die Verwertung des konkreten Beweises in der Hauptverhandlung für die Aufklärung der Straftat geeignet und erforderlich ist und ob der dadurch bedingte erneute Eingriff in Rechte des Angeklagten zum strafrechtlichen Aufklärungsziel nicht außer Verhältnis steht.242 Dies entspricht allgemein der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.243 b) Gesetzgeberische Wertungen. Die für den Eingriffsakt erforderliche Abwägung hat 82 der Gesetzgeber zum Teil bereits selbst vorgenommen, um dem Zweck der Maßnahme Rechnung zu tragen. Jedoch ist auch in diesen Fällen nicht davon auszugehen, dass gar keine Einzelfallprüfung mehr stattzufinden hat.244 Insbesondere kann auch bei solchen Maßnahmen noch zu prüfen sein, ob Ausnahmen in Betracht kommen. Anders liegt es regelmäßig bei den verschiedenen Ermittlungseingriffen zur Sachauf- 83 klärung; dort hat der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar zum Teil durch die Ausgestaltung der gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen Rechnung getragen, aber nicht in ebenso weitreichendem Umfang (vgl. etwa § 100a). Gleichwohl kann bei der Prüfung der Anordnung der Maßnahme nach Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen der Eingriffsnorm nicht auf eine ergänzende einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Belange verzichtet werden. c) Wichtige Abwägungsfaktoren. Fast keine gesetzgeberischen Vorgaben in einzelnen 84 Tatbestandsmerkmalen zur Abwägung enthalten die „alten“ Normen zu den klassischen Ermittlungseingriffen der Beschlagnahme (Ausnahme etwa: § 97 Abs. 5) und Durchsuchung. Die entsprechenden Vorschriften gelten im Kern seit Inkrafttreten der StPO unverändert. Der Gesetzgeber sah regelmäßig keinen Anlass, hier den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich in die Eingriffsvoraussetzungen der Maßnahmen aufzunehmen; dies ist auch entbehrlich, da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffsakte ohnehin grundsätzlich zu beachten ist. Auch bei Beschlagnahme und Durchsuchung ist also in jedem Einzelfall die Verhältnismäßigkeit als ungeschriebene, von Verfassungs wegen den Eingriff begrenzende Voraussetzung umfassend und einzelfallbezogen zu prüfen.245 Dabei kann von Gewicht sein, dass durch die Maßnahme die Rechte Dritter beeinträchtigt werden.246 Drittbetroffenen ist ein Eingriff
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BVerfGE 80 367, 376 f. Vgl. zur entsprechenden Folge der Verletzung des Prinzips „nemo tenetur se ipsum accusare“ BVerfGE 56 37, 51. Für selbständige Beweisverwertungsverbote von Verfassungs wegen BVerfGE 80 367, 376; zur Übertragbarkeit des Ansatzes auf unselbständige Beweisverwertungsverbote Rogall FS Hanack 293, 296 f. BGHSt 19 325, 329 f.; 27 355, 357; 31 304, 307 ff.; 35 32, 34 f.; 37 30, 31 f.; 38 214, 219 ff.; 38 372, 373 f.; 44 243, 249 f. und ständig. BVerfG (Kammer) Beschl. vom 25. Septem-
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ber 2000 – 2 BvQ 30/00 – weist unter Zitierung der zum Beschlagnahmerecht ergangenen Entscheidung BVerfGE 44 353, 373 undifferenziert darauf hin, dass strafprozessuale Grundrechtseingriffe „wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis“ auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müssen. Vgl. BGHR StPO § 94 Beweismittel 3 und Verhältnismäßigkeit 2; LG Zweibrücken StV 2000 553 (Arztpraxis); BVerfGE 44 353, 380 (Suchtberatungsstelle). Zur Beschlagnahme von Krankenunterlagen BGH StV 1997 622, 623.
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in ihre Grundrechte durch Ermittlungsmaßnahmen nicht in gleichem Maße zumutbar wie Beschuldigten; das zeigen z.B. die §§ 102, 103, die an die Durchsuchung bei Verdächtigen und Unverdächtigen unterschiedliche Anforderungen nicht nur hinsichtlich des Auffindungsverdachts stellen. Erst recht bedarf eine richterliche Gestattung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen, 85 die grundsätzlich ohne vorherige Anhörung im Einzelfall in die Persönlichkeitssphäre eines Bürgers eingreifen, der über die Prüfung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen hinausgehenden Abwägung der betroffenen Belange auf der Grundlage sämtlicher im konkreten Fall relevanten Erkenntnisse.247 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist vor allem auch bei Eingriffen in besonders 86 geschützte Vertrauensbeziehungen (§§ 52,248 53,249 148250) zu berücksichtigen. Dies kommt in § 100c Abs. 3 Satz 3 zum Ausdruck,251 gilt aber im Ansatz auch bei anderen Maßnahmen.252 Erst recht ist ein gesetzlich nicht gestatteter Eingriff in eine Vertrauensbeziehung, die sonst im Gesetz geschützt ist, ohne spezialgesetzliche Grundlage kein faires Verfahren. Dies gilt etwa beim Aushorchen von Angehörigen des Beschuldigten durch V-Leute253 (s. auch Rn. 37). Im Ergebnis Ähnliches gilt aber auch für die Ausnutzung einer Liebesbeziehung durch eine V-Person mit einem Beschuldigten („Romeo-Fälle“).254 Andererseits ist, wie § 97 Abs. 2 Satz 3 zeigt, eine Vertrauensbeziehung nicht mehr schutzwürdig, wenn eine Tatverstrickung des Partners vorliegt; auch die Berufsausübungsfreiheit bietet dann keinen durchgreifenden Schutz vor Strafverfolgung.255
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BGHSt 42 103, 104 ff. mit krit. Anm. Bernsmann NStZ 1997 250f; Weßlau StV 1996 579 f. Vgl. zum Verstoß gegen das fair trial-Prinzip BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall. Zur Durchsuchung einer Arztpraxis LG Zweibrücken StV 2000 553. Zum bedenklichen Eindringen eines V-Manns in die Vertrauensbeziehung zwischen Verteidiger und Mandant BGH NStZ 2000 216, 217; Vorinstanz LG Hamburg Urt. vom 17. Juni 1999 – 619 KLs 5/99; zur Durchsuchung in der Kanzlei des Verteidigers LG Fulda StV 2000 548 ff.; zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant allgemein G. Schäfer FS Hanack 77 ff. Dazu Martin Müller 200 ff. Vgl. auch BbgVerfG LKV 1999 450, 456 f.; SächsVerfGH LKV 1996 273, 285 zum präventivpolizeilichen Eingriff in geschützte Vertrauensbeziehungen; s.a. MecklVorpVerfG LKV 2000 345, 352 zum präventivpolizeilichen Lauschangriff gegenüber Rechtsanwälten.
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BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234 mit Anm. Weßlau StV 2000 468 ff. = NStZ 2000 489, 490 mit Anm. Rogall. AG Heidenheim NJW 1981 1628: Verfahrenseinstellung wegen Ausnutzung einer Liebesbeziehung zur Tatprovokation; LG Hamburg Urt. vom 14. September 1990 – (95) 19/89 KLs: strafmildernd berücksichtigte Intimbeziehung einer weiblichen V-Person mit einem Beschuldigten, dazu BGH Beschl. vom 23. Mai 1991 – 5 StR 176/91 – (Beschl. nach § 349 Abs. 2 StPO) und BVerfG Beschl. vom 26. August 1991 – 2 BvR 959/91 (Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde mangels Kausalität der Intimbeziehung für die Tat und die Beweisgrundlage des Urteils nach Geständnis des Angeklagten); a.A. Küpper JR 2000 257, 259. Vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2000 3557 f. (Arzt); Beschl. vom 7. Mai 2001 – 2 BvR 2013/00 – (Rechtsanwalt mit zivilrechtlichem Mandat); BVerfG (Kammer) NJW 2002 2090 (Straßenverkehrsdelikt des Mitglieds einer Anwaltskanzlei).
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4. Rechtsschutz. Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen (nicht nur des Achten Ab- 87 schnitts) der StPO hat zahlreiche Facetten. So ist er bedeutsam unter den Stichworten vorbeugende und der Vollziehung nachfolgende gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen der Exekutive. Er spielt aber auch eine Rolle bei der wegen Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen gerichtlichen Überprüfung der Ausübung nichtrichterlicher Eilkompetenzen bei Gefahr im Verzug. Dazu hat sich BVerfGE 103 142, 150 ff. mit Blick auf Art. 13 Abs. 2, 19 Abs. 4 GG, § 105 Abs. 1 grundlegend geäußert.256 Die dortigen Ausführungen dürften wegen des allgemein gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zu fordernden Rechtsschutzstandards im Wesentlichen auch bei anderen Eingriffsmaßnahmen als der Durchsuchung, die eine vergleichbare Eilkompetenz vorsehen, entsprechend gelten.257 Schließlich hat das Stichwort Rechtsschutz Bedeutung auch für den Instanzenzug und die Frage der Verwertung von Erkenntnissen unter Verstoß gegen verfahrensrechtliche Gewährleistungen samt einer eventuellen Fernwirkung. Wegen der Einzelheiten muss auf die Kommentierung bei den einzelnen Vorschriften, insbesondere zu § 101 und § 105, verwiesen werden. Zu der über den Anwendungsbereich des Achten Abschnitts weit hinausreichenden Widerspruchslösung sei im Übrigen auf die Hinweise in der Vorauflage Bezug genommen.
§ 94 (1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen. (2) Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Führerscheine, die der Einziehung unterliegen.
Schrifttum Allgemeines zur Beschlagnahme (Auswahl): Achenbach Verfahrenssichernde und vollstreckungssichernde Beschlagnahme im Strafprozess, NJW 1976 1068; Amelung Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff für Schäden, die mittelbar durch eine rechtmäßige Sicherstellung verursacht werden? StV 1988 326; ders. Grenzen der Beschlagnahme notarieller Unterlagen, DNotZ 1984 195; ders. Probleme der Einwilligung in strafprozessuale Grundrechtsbeeinträchtigungen, StV 1985 257; ders. Zur dogmatischen Einordnung strafprozessualer Grundrechtseingriffe, JZ 1987 737; Andreas Beschlagnahme von Krankenunterlagen ohne Einwilligung des Patienten, ArztR 1998 294; Arloth Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen „V-Mann-Problems“ – Durch Beschlagnahme von Behördenakten? NStZ 1993 467; Bär Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996 675 und 744; ders. Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren, (1992) (dazu Buchbesprechung von Rogall ZStW 110 [1998],
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Dazu Amelung NStZ 2001 337 ff.; Asbrock StV 2001 322 ff.; Bittmann wistra 2001 451 ff.; Gusy JZ 2001 1033 ff.; Möllers NJW 2001 1397 f.; Ostendorf/Brüning JuS 2001 1063 ff.; Folgeentscheidung BVerfG
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(Kammer) Beschluss vom 14. November 2001 – 2 BvR 1118/01. Amelung NStZ 2001 337, 342; Gusy JZ 2001 1033, 1034.
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745, 755 ff.); ders. EDV-Beweissicherung im Strafverfahrensrecht, CR 1998 434; Bandisch Mandant und Patient – schutzlos bei Durchsuchung von Kanzlei und Praxis? AnwBl. 1987 436; Bauer Die Grenzen der Beschlagnahme nach den §§ 94 ff. StPO, Diss. Erlangen 1933; Baumann AlternativEntwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit (AE-ZVR). Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (1996); Bauwens Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen beim Steuerberater, wistra 1985 179; Birmanns Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen beim Steuerberater, MDR 1981 102; Bittmann Das Beiziehen von Kontounterlagen im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, wistra 1990 325; Böing Das Beschlagnahmeprivileg der steuerberatenden Berufe gem. § 97 StPO unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen der modernen Informationsverarbeitung, Diss. Münster 1993; Bohmeyer Die Rückgabe von Überführungsstücken, GA 1974 191; Bornheim Steuerfahndung, Steuerstrafverteidigung. Durchsuchung, Beschlagnahme, Verhaftung, Befugnisse der Steuerfahndung, Selbstanzeige, Verteidigungsstrategien (1998); Bramow Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen (kriminologisch – kriminalistisch), BKA (Hrsg.), Das kriminalpolizeiliche Ermittlungsverfahren (1957), 183; Brenner Zur Beschlagnahmefähigkeit von Buchhaltungen und Bilanzen beim Steuerberater, BB 1984 137; Breuer Beschlagnahme- und Ausschüttungskonkurrenzen bei parallellaufenden Straf- und Konkursverfahren, KTS 1995 1; Burhoff Durchsuchung und Beschlagnahme im Strafverfahren, ZAP Fach 22, 299; von Busch Die Beschlagnahme von Druckschriften unter besonderer Berücksichtigung der Presse, Diss. Kiel 1928/29; von Canstein Die öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Tragweite der prozessualen Beschlagnahme, Diss. Köln 1931; Ciolek-Krepold Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000); Creifelds Die Beschlagnahme von Handakten des Verteidigers, GA 1960 65; van Delden Die privatrechtlichen Wirkungen einer Beschlagnahme nach § 94 StPO, Diss. Köln 1935; Dörn Sicherstellung von Geld durch die Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren, wistra 1990 181; Ehlers Durchsuchung – Beschlagnahme – Bankgeheimnis, BB 1978 1515; Eisenberg Beschlagnahme von Akten der Jugendgerichtshilfe durch das Jugendgericht, NStZ 1986 308; Eller Die bürgerlichrechtlichen Wirkungen einer Beschlagnahme nach § 94 StPO, Diss. Hamburg 1935; Erhart Die Beschlagnahme von Buchhaltungsunterlagen des Beschuldigten beim steuerlichen Berater, Diss. Heidelberg 1994; Feiber Beschlagnahme im Privatklageverfahren, NJW 1964 709; Flore Durchsuchung. Beschlagnahmefreiheit von E-Mails, Praxis Steuerstrafrecht 2000 87; Freyberg Über die Beschlagnahme, Diss. Frankfurt a.M. 1971; Freyberg Die Beschlagnahme als kriminalistische Maßnahme, ArchKrim 150 167; Geppert Polizeiliche Sicherstellung von Kraftfahrzeugen im Rahmen der Verkehrsüberwachung? DAR 1988 12; Gilgan Verhaltensempfehlungen bei Durchsuchung und Beschlagnahme beim Steuerberater, Stbg 1989 321; Göggerle Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, BB 1986 41; Göppinger Entbindung von der Schweigepflicht und die Herausgabe oder Beschlagnahme von Krankenblättern, NJW 1958 241; Grau/Blechschmidt Ersatzansprüche für Schäden durch strafprozessuale Maßnahmen – insbesondere Durchsuchungsaktionen und Beschlagnahmen, BB 2011 2378; Graulich Die Sicherstellung von während einer Durchsuchung aufgefundenen Gegenständen – Beispiel Steuerstrafverfahren, wistra 2009 299; Gülzow Beschlagnahme von Unterlagen der Mandanten bei deren Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, NJW 1981 265; Haffke Einschränkung des Beschlagnahmeprivilegs des Verteidigers durch den Rechtsgedanken der Verwirkung? NJW 1975 808; Heinrich Zur Operationsvorbereitung entnommene Blutproben als Beweismittel im Strafprozeß (1996); Herdegen Zur Beschlagnahme und Verwertung schriftlicher Mitteilungen im Gewahrsam von Angehörigen des Beschuldigten (§§ 52, 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2 StPO), GA 1963 141; Hilgendorf Zur Zulässigkeit der Beschlagnahme von Behördenakten im Strafverfahren, JZ 1993 368; von Hippel Über Grenzen der Beschlagnahme, ZStW 47 (1927), 523; Höser Nochmals: Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen bei dem Steuerberater – Entgegnung auf den Beitrag von Birmanns, MDR 1981, S. 102 f., MDR 1982 535; Hoffmann/Knierim Rückgabe von im Strafverfahren sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen. NStZ 2000 461; Jahn/Geck Tagebuchfall revisited – Der Bundesgerichtshof, die Gedankenfreiheit und sein Selbstgespräch im Auto, JZ 2012 561; Janoschek Strafprozessuale Durchsuchung und Beschlagnahme bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Diss. Trier 1990; Janssen Rechtliche Grundlagen und Grenzen der Beschlagnahme, Diss. Bielefeld 1995; Joecks Die Stellung der Kreditwirtschaft im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, WMSonderbeilage Nr. 3/1998; Kalf Die Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen in der Wohnung
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des Beschuldigten, Die Polizei 1985 4; Kay Die Beschlagnahme von Druckschriften durch die Polizei, Die Polizei 1989 240; Kemper Die Beschlagnahme von Beweisgegenständen bei fehlender Beschlagnahmeanordnung, wistra 2006 171; Keunecke Durchsuchung und Beschlagnahme. Die gesetzlichen Voraussetzungen nach Strafprozeßrecht und Polizeirecht (1966); Kielbach/Ohm Zulässigkeit der Beschlagnahmeanordnung und Kostenerstattungsanspruch der Kreditinstitute, WM 1986 313; Klos Die Beschlagnahme von Geld durch die Steuerfahndung, wistra 1987 121; Koch Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen im Wirtschaftsstrafverfahren und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wistra 1983 63; Koch Entschädigung bei unbegründeter Beschlagnahme im Strafverfahren? JR 1959 293; Kohlhaas Herausgabepflicht und Beschlagnahme ärztlicher Aufzeichnungen, NJW 1964 1162; Kramer Die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten im Strafverfahren, NJW 1984 1502; Krekeler Durchsuchung und Beschlagnahme in Anwaltsbüros, FS Koch, 165; Kudlich Der heimliche Zugriff auf Daten in einer Mailbox: ein Fall der Überwachung des Fernmeldeverkehrs? – BGH, NJW 1997, 1934, JuS 1998 209; Kunert Beschlagnahme von Geschäftspapieren, die nach dem Gesetz aufzubewahren sind, bei den nach § 53 Abs. 1 Nr. 2, 3 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, MDR 1973 179; Ledschbor Die Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände, Diss. Köln 1931; Lemcke Die Sicherstellung gem. § 94 StPO und deren Förderung durch die Inpflichtnahme Dritter als Mittel des Zugriffs auf elektronisch gespeicherte Daten, Diss. Bochum 1994; Löffler Die Herausgabe von beschlagnahmten oder sichergestellten Sachen im Strafverfahren, NJW 1991 1705; Löwenstein Zwangsmittel im Strafverfahren. Beschlagnahme, Durchsuchung, Untersuchungshaft, in Aschrott 273; Lohmeyer Beschlagnahme von Fahndungsakten und Steuergeheimnis, JR 1964 171; Lühr Eingeschränkte Beschlagnahmemöglichkeiten von „Mailbox-Systemen“ aufgrund des Fernmeldegeheimnisses? wistra 1995 19; Lüttger/Kaul Ist die gerichtliche Beschlagnahme künftiger Auflagen von erfahrungsgemäß staatsgefährdenden periodischen Schriften zulässig? GA 1961 74; Luther Entziehung der Fahrerlaubnis und Beschlagnahme des Führerscheins, NJ 1992 164; Mayer-Wegelin Der Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung: Theorie und Wirklichkeit, DStZ 1984 244; Meier/Böhm Strafprozessuale Probleme der Computerkriminalität, wistra 1992 165; Meyer Anspruch des tatunbeteiligten Dritten auf Zinsschaden, wenn bei ihm Geld gem. §§ 94, 95 StPO beschlagnahmt bzw. sichergestellt wird? JurBüro 1993 1; Mothes Die Beschlagnahme nach Wesen, Art und Wirkungen (1903); Müller-Dietz Die Beschlagnahme von Krankenblättern im Strafverfahren, Diss. Freiburg 1965; Nestler-Tremel Darf ein nach § 148a StPO vorläufig in Verwahrung genommener Brief des Beschuldigten an seinen Verteidiger als Beweismittel für ein anderes, schon anhängiges Strafverfahren beschlagnahmt werden? StV 1990 147; Nothacker Zur Durchsuchung und Beschlagnahme. Probleme verfahrensrechtlicher Regelungen und ihrer Anwendung aus kriminologischer und kriminalistischer Sicht, ArchKrim. 178 (1986), 1; Ost Zur Beschlagnahme des Testaments eines Klienten beim Berufsgeheimnisträger, wistra 1993 177; Palm/Roy Mailboxen – Staatliche Eingriffe und andere rechtliche Aspekte, NJW 1996 1791; Papier/Dengler Verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Steuerfahndungsmaßnahmen bei Banken, BB 1996 2541, 2593; Quermann Durchsuchung und Beschlagnahme beim steuerlichen Berater, wistra 1988 254; Reiß Beschlagnahmebefugnis der Strafgerichte und Auslieferungs- und Auskunftspflichten der Behörden gegenüber Behörden und Staatsanwaltschaft in Strafverfahren, StV 1988 31; Ried Amtlich verwahrte Beweisstücke (§ 147 StPO), FS Peters II 113; Ronsdorf Die Beschlagnahme von Zufallsfunden bei Durchsuchungen, Diss. Frankfurt a.M. 1992; Sangmeister Polizeilicher Vollzug von Beschlagnahmebeschlüssen im Privatklageverfahren, NJW 1964 16; G. Schäfer Einige Fragen zur Verjährung in Wirtschaftsstrafsachen, FS Dünnebier 541; ders. Zum Schutz der Verteidigung gegen Zugriffe der Strafverfolgungsorgane FS Hanack 77; H. Schäfer Die Beschlagnahme von Handelsbüchern beim Steuerberater, wistra 1985 12; ders. Der Computer im Strafverfahren, wistra 1989 8; ders. Der Konkursverwalter im Strafverfahren, wistra 1985 209; ders. Die Rückgabe beschlagnahmter Beweismittel nach Rechtskraft des Urteils, wistra 1984 136; Schaefgen Durchsuchung – Beschlagnahme – Bankgeheimnis, BB 1979 1498; Schiller Unzulässige Einschränkungen des Anwaltprivilegs bei der Beschlagnahme? StV 1985 169; Schroth/Schneider Die Sichtung von Datenträgern vor Ort, CR 1992 173; Schuhmann Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerstrafverfahren, wistra 1994 93; Seibert Zur Zulässigkeit der Beschlagnahme von ärztlichen Abrechnungsunterlagen bei den Krankenkassen, NStZ 1987 398; Sieg Aushändigung von Kopien beschlagnahmter Unterlagen, wistra 1984 172; Spangenberg Umfang und Grenzen der Beschlagnahmeverbote gem. § 97 StPO in der steuerlichen Beratungspraxis, Diss Bonn 1991; Spaniol Beschlagnahme, in Ulsamer
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
(Hrsg.) Lexikon des Rechts/Strafrecht, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl., 119; Stahl Beschlagnahme von Anderkonten von Berufsgeheimnisträgern bei Kreditinstituten, wistra 1990 94; von Stetten Strafprozessuale Verwertung von beschlagnahmten Akten privater Kfz-Haftpflichtversicherer, JA 1996 55; Stratenwerth Zur Beschlagnahme von Behördenakten im Strafverfahren, JZ 1959 693; Streck Erfahrungen bei der Anfechtung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen in Steuerstrafsachen, StV 1984 348; Stypmann Rechtliche und tatsächliche Probleme bei staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmehandlungen, wistra 1982 11; Trupp Widersprüchliches zur Führerscheinbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten, NZV 2004 389; Tschacksch Die strafprozessuale Editionspflicht (1988); Vogelberg Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerrecht (2010); Volk Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen beim Steuerberater, DStR 1989 338; Wagner Zur Zulässigkeit der Beschlagnahme von Behördenakten und zum Schutz personenbezogener Daten Unbeteiligter bei der Beschlagnahme, DRiZ 1985 16; Wasmuth Beschlagnahme von Patientenkarteien und Krankenscheinen im Strafverfahren wegen Abrechnungsbetruges des Arztes, NJW 1989 2297; Wehnert Zur Praxis der Durchsuchung und Beschlagnahme, StraFo 1996 77; Weinmann Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen des Beschuldigten bei Zeugnisverweigerungsberechtigten, FS Dünnebier 199; Welp Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote – Anmerkungen zum Alternativentwurf „Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit“, FS Bemmann 626; Wieland Buchhaltungsunterlagen als Gegenstand der Beschlagnahme beim Steuerberater des Beschuldigten, Diss. Bochum 1997; Wilhelm Beschlagnahme von Gegenständen, die einem Rechtsanwalt (Verteidiger) von seinem Mandanten übergeben worden sind, NJW 1959 1716; Wolffgramm Beschlagnahme des Führerscheins durch die Polizei, Berliner AnwBl. 1995 269; Wolter Nichtverdächtige und Zufallsfunde im modernen Strafverfahren. Zur Einführung eines grundrechtsschützenden Zeugnis- und Herausgabeverweigerungsrechtes, Rudolphi-Symposium (1995), 49; Zecher Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen im Rahmen von § 97 Abs. 1 Ziff 3 StPO, Diss. Tübingen 1986. Beschlagnahme im Internet (neuere Literatur; Auswahl): Albrecht Sicherstellung von E-Mails auf dem Mailserver eines Internetdienstleisters und anderer beweiserheblicher „Gegenstände“, jurisPR-ITR 25/2009 Anm. 4; Bär Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 31.03.2009 (Az 1 StR 76/09, NStZ 2009, 397), NStZ 2009 398; Brandt/Kukla Anmerkung zu LG Hildesheim, Beschluss vom 21. April 2010 (26 Qs 58/10, wistra 2010 414), wistra 2010 415; Brodowski Strafprozessualer Zugriff auf E-Mail-Kommunikation, JR 2009, 402; Brunst Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 (2 BvR 902/06, CR 2009, 584), CR 2009 591; Gercke Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 31. März 2009 (1 StR 76/09, StV 2009, 623), StV 2009, 624; Härting Beschlagnahme und Archivierung von Mails, CR 2009 581; Kemper Anforderungen und Inhalt der Online-Durchsuchung bei der Verfolgung von Straftaten, ZRP 2007 105; Klein Offen und (deshalb) einfach – Zur Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails beim Provider, NJW 2009 2996; Krüger Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 (2 BvR 902/06, MMR 2009, 673), MMR 2009 680; Lampe Beschlagnahmefähigkeit von dem Postgeheimnis unterliegenden Informationen beim Postdienstleister, jurisPR-StrafR 24/2009 Anm. 2; Meinicke Anmerkung zu AG Reutlingen, Beschluss vom 31.10.2011 (5 Ds 43 Js 18155/10 jug, StV 2012, 462), StV 2012 463; Roggenkamp Beschlagnahme von Facebook-Konten, AnwZertITR 12/2012 Anm. 2; Sankol Verletzung fremdstaatlicher Souveränität durch ermittlungsbehördliche Zugriffe auf E-Mail-Postfächer, K&R 2008 279; Schlegel „Beschlagnahme“ von E-Mail-Verkehr beim Provider, HRRS 2007 44; Störing Strafprozessualer Zugriff auf E-Mailboxen, CR 2009 475; Szebrowski E-Mail-Beschlagnahme – Klärung durch den BGH?, MMR 2009 Nr. 7, V–VI; Winkler Beschlagnahme von gespeicherten E-Mails, jurisPK-StrafR 10/2010 Anm. 3. Vgl. außerdem die Kommentierung zu § 99. Pressebeschlagnahme: Becker Medienfreiheit und Strafverfolgung aus der Sicht des Intendanten, in: Medienfreiheit und Strafverfolgung (1985), 15; Beckmann Staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit als Grenze der Freiheit der Berichterstattung, Film und Recht 1982 73; Bertuleit/Herkströter Medienfreiheit und Beschlagnahmeverbot. Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Beschlagnahme von selbst-
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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recherchiertem Fernsehmaterial, KJ 1988 318; Birkner/Rösler, Pressefreiheit stärken – Strafprozessordnung ändern, ZRP 2006 109; Dörr Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Medienunternehmen, AfP 1995 378; Erhard Mediales Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot im Spannungsverhältnis zwischen Medienfreiheit und Strafverfolgung, in Medienfreiheit und Strafverfolgung (1985), 5; Gerhardt Beschlagnahme von Bildunterlagen bei Presse oder Fernsehen, AfP 1979 394; Glauben Beschlagnahme von Filmmaterial für polizeiliche Ermittlungen, DRiZ 1988 352; Groß Das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht, VerwR 1989 73; ders. Zum journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht, ZUM 1994 214; ders. Zur Beschlagnahme von Druckwerken, VerwR 1995 41; Gössel Der Schutz der Medienfreiheit im Strafverfahren, in: Medienfreiheit und Strafverfolgung (1985), 49; Huppertz Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot zugunsten des Rundfunks im Strafprozess (1971); Ignor/Sättele, Plädoyer für eine Stärkung der Pressefreiheit im Strafrecht, ZRP 2011 69; Jarass Grenzen des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf Presse- und Rundfunkmaterial, AfP 1977 214; Jung Durchsuchung und Beschlagnahme in Medienangelegenheiten, AfP 1995 375; Jung Neuregelung des Zeugnisverweigerungsrechts der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, JuS 1975 672; Jutzi Durchsuchung und Beschlagnahme bei Presseunternehmen, NJ 2007 218; Kerscher Strafjustiz contra Medien – ein Anachronismus, NJW 1997 1350; Leutheusser-Schnarrenberger Die gesetzliche Sicherung der Pressefreiheit: Eine endlose Geschichte, ZRP 2007 249; Lisken Pressefreiheit und Strafprozess, ZRP 1988 193; Löffler Lücken und Mängel im neuen Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmerecht von Presse und Rundfunk, NJW 1978 913; ders. Die Verwertung rechtswidrig erlangter Informationen durch Presse und Rundfunk, NJW 1976 1079; Mensching Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medien. Inhalt und Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts und des damit korrespondierenden Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbotes im Medienbereich, Diss. Bonn 2000; J. Meyer Zur Beschlagnahme selbstrecherchierten Materials von Journalisten, FS Tröndle 837; Ollendorf Der Schutz der Recherche im strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Freiburg 1990; Peters Die Strafprozeßordnung und das Zeugnisverweigerungsrecht, das Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot, in: Strafrechtlicher Schutz der Informationsquellen in Presse und Rundfunk (1975) 51; Rebmann Beschlagnahme von terroristischen „Bekennerschreiben“ bei Presseunternehmen, FS Pfeiffer 234; Scherer Journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme in Redaktionsräumen und Pressefreiheit, EuGRZ 1979 412; Schippan Der Umgang der Presse mit anonym zugesandtem Material, ZUM 2008 572; Schmude Beschlagnahme von Fotound Fernsehaufnahmen, Film und Recht 1981 481; Vieweg Medienfreiheit und Strafverfolgung, Film und Recht 1984 523; Wallraf Medienfreiheit und Strafverfolgung, AfP 1985 166; Wente Die Verwendbarkeit rechtswidrig recherchierten Materials, ZUM 1988 438. Vgl. außerdem die Kommentierung zu § 97. Beweisverbote von Verfassungs wegen: Amelung Der Grundrechtsschutz der Gewissenserforschung und die strafprozessuale Behandlung von Tagebüchern, NJW 1988 1002; ders. Die zweite Tagebuchentscheidung des BVerfG, NJW 1990 1753; ders. Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß. Dogmatische Grundlagen individualrechtlicher Beweisverbote (1990); ders. Probleme des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, NJW 1979 1687; ders. Subjektive Rechte in der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, FS Bemmann 505; ders. Zur dogmatischen Einordnung strafprozessualer Grundrechtseingriffe, JZ 1987 737; Baumann/Brenner Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote (1991); Bienert Private Ermittlungen und ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote, Diss. Köln 1997; Dahs Verwertungsverbote bei unzulässiger Beschlagnahme von Tagebuchaufzeichnungen, Verteidigungsunterlagen sowie bei unzulässiger Gesprächsaufzeichnung und Blutprobe, in: DAV (Hrsg.), Wahrheitsfindung und ihre Schranken (1989), 122; Dalakouras Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre (1988); Degener Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (1985); Delius Tagebücher als Beweismittel im Strafverfahren (1967); Dencker Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977); Dünnebier Zur Tagebuchentscheidung des Bundesgerichtshofs, MDR 1964 965; Feckler Die Verwendbarkeit von Tonbandaufnahmen als Beweismittel im Strafprozeß, Diss. Köln 1962; Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tondbandaufnahmen Privater (1996); Gauthier Die Beweisverbote, ZStW 103
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(1991), 796; Geis Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts. Ein Plädoyer für die „Sphärentheorie“, JZ 1991 112; Gössel Die Beweisverbote im Strafverfahren, FS Bockelmann 801; ders. Die Beweisverbote im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, GA 1991 483; ders. Kritische Bemerkungen zum gegenwärtigen Stand der Lehre von den Beweisverboten im Strafverfahren, NJW 1981 649; ders. Überlegungen zu einer neuen Beweisverbotslehre, NJW 1981 2217; ders. Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafverfahren – Bemerkungen zu den Urteilen des BGH vom 16.3.1983 – 2 StR 775/82 und 17.3.1983 – 4 StR 640/82 –, JZ 1984 361; ders. Die Beweisverbote im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, GA 1991 483; Gramse Zulässigkeit und Grenzen der Verwendung von Ton- und Bildaufnahmen als Beweismittel im Strafverfahren (Privatklageverfahren), AnwBl. 1980 433; Gropp Zur Verwertbarkeit eigenmächtig aufgezeichneter (Telefon-)Gespräche. Der Fall Schenck und die Lehre von den Beweisverboten, StV 1989 216; Grünwald Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966 489; Gusy Grundrechtsschutz vor staatlichen Informationseingriffen, VerwArch 74 (1983), 91; Habscheid Das Persönlichkeitsrecht als Schranke der Wahrheitsfindung im Prozeßrecht, GedS H. Peters, 840; Hassemer Unverfügbares im Strafprozeß, FS Maihofer 183; Heinitz Die Verwertung von Tagebüchern als Beweismittel im Strafprozeß, JR 1964 441; Herdegen Bemerkungen zur Lehre von den Beweisverboten, DAV (Hrsg.), Wahrheitsfindung und ihre Schranken (1989), 103; Herrmann Beweisverbote im Strafverfahrensrecht, NJ 1984 285; Hofmann Beweisverbote im Strafprozeß – Beweiserhebungsverbote und Beweisverwertungsverbote, JuS 1992 587; Hofmann Beweisverbote im Strafprozeß – Beweiserhebungsverbote und Bewiesverwertungsverbote, JuS 1992 587; Kelnhofer Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, Diss. Mannheim 1994; Kleb-Braun Tagebuchaufzeichnungen als Beweismittel. Demokratie – Grenzkonflikt zwischen Meinung, Macht und Recht, CR 1990 344; Klöhn Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, Diss. Göttingen 1984; Koberger Grenzenloser Schutz der Privatsphäre vor Tondbandgeräten? ÖJZ 1990 330; Kohlhaas Beweisverbote im Strafprozeß, DRiZ 1966 286; Kohlhaas Die Tonbandaufnahme als Beweismittel im Strafprozeß, NJW 1957 81; Koriath Über Beweisverbote im Strafprozeß (1994); Kramer Heimliche Tonbandaufnahmen im Strafprozeß, NJW 1990 1760; Krauß Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, FS Gallas 365; Krier Die heimliche Tonbandaufnahme und ihre prozessuale Verwertung im amerikanischen und deutschen Recht, Diss. Bonn 1973; Küpper Tagebücher, Tonbänder, Telefonate. Zur Lehre von den selbständigen Beweisverwertungsverboten im Strafverfahren, JZ 1990 416; Kühne Strafprozessuale Beweisverbote und Art. 1 Abs. 1 GG. Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Rechtsbegriffs Menschenwürde (1970); Laber Die Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen im Strafverfahren, Diss. Köln 1995; Lemcke Die Sicherstellung gem. § 94 StPO und deren Förderung durch die Inpflichtnahme Dritter als Mittel des Zugriffs auf elektronisch gespeicherte Daten (1995); Liermann Die Tonbandaufnahme als Beweismittel im Strafprozeß, Diss. Bonn 1963; Lorenz Absoluter Schutz versus absolute Relativität. Die Verwertung von Tagebüchern zur Urteilsfindung im Strafprozeß, GA 1992 254; Matzky Zugriff auf EDV im Strafprozeß. Rechtliche und technische Probleme der Beschlagnahme und Durchsuchung beim Zugriff auf das Beweismittel „EDV“ (1999); Nüse Zu den Beweisverboten im Strafprozeß, JR 1966 281; Otto Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Beweismitteln, die durch Eingriff in Rechte anderer von Privaten erlangt wurden, FS Kleinknecht 319; Paulus Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, GedS Meyer 309; Peres Strafprozessuale Beweisverbote und Beweisverwertungsverbote und ihre Grundlagen in Gesetz, Verfassung und Rechtsfortbildung (1991); ders. Beweisverbote im deutschen Strafverfahren, Gutachten für die Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil 3A (1966), 91; Petry Beweisverbote im Strafprozeß, Diss. Darmstadt 1971; Ranft Bemerkungen zu den Beweisverboten im Strafprozeß, FS Spendel 719; Riepl Informationelle Selbstbestimmung im Strafverfahren (1998), zugl. Diss. Tübingen 1994; Rogall Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 (1979), 1; ders. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht (1992); Roggemann Das Tonband im Verfahrensrecht (1962); Rupp Beweisverbote im Strafprozeß in verfassungsrechtlicher Sicht, Gutachten für die Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Band I, Teil 3A (1966), 165; Sachs Rechtsprechungsübersicht: Verwertbarkeit tagebuchartiger Aufzeichnungen des Beschuldigten im Strafverfahren, JuS 1990 576; Sax Über die Zulässigkeit der prozessualen Verwertung privater Tagebuchaufzeichnungen als Beweismittel, JZ 1965 1; Schlehofer Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – absolute oder relative Begrenzung staatlicher Strafgewalt? GA 1999 357; Eb. Schmidt Zulässigkeit und Verwendbar-
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keit von Tonbandaufnahmen im Strafverfahren, JZ 1956 206; R. Schmidt Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen, Jura 1993 591; R. Schmitt Tonbänder im Strafprozeß – OLG Celle, NJW 1965, 1677, JuS 1967 19; Schmoller Heimliche Tonbandaufnahmen als Beweismittel im Strafprozeß? ÖJBl. 1994 153; S. Schröder Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, Diss. Passau 1991; Schwabe Die polizeiliche Datenerhebung in oder aus Wohnungen mit Hilfe technischer Mittel, JZ 1993 867; Scupin Die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Tonbandaufnahmen im polizeilichen Ermittlungsverfahren, DÖV 1957 548; Siegert Die Grenzen rechtmäßiger Tonbandaufnahmen im Strafprozeß, DRiZ 1957 101; Siegert Verwertbarkeit rechtmäßiger Tonbandaufnahmen im Strafprozeß, GA 1957 265; Spendel Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966 1102; Störmer Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote (1992); ders. Strafprozessuale Verwertungsverbote in verschiedenen Konstellationen, Jura 1994 621; ders. Die Verwertbarkeit tagebuchartiger Aufzeichnungen. Der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung in der Rechtsprechung des BVerfG, Jura 1991 17; ders. Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafprozeß, Jura 1994 393; Sydow Kritik der Lehre von den „Beweisverboten“, Diss. Würzburg 1975; Vogelgesang Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? (1987); Weinmann Das Tonband als Beweismittel im Strafprozeß, Diss. Mainz 1959; Weiß Heimliche Tonaufnahme durch Strafverfolgungsorgane, Diss. Erlangen-Nürnberg 1976; Welp „Vereinfachter“ Geheimnisschutz im Strafverfahren? JZ 1972 423; Werhahn Nochmals: Persönlichkeitsrecht und Tonbandproblem, UFITA 33 (1961) 205; Werner Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel, NJW 1988 993; Wölfl Die Verwertbarkeit heimlicher privater Ton- und Bildaufnahmen im Strafverfahren, Diss. Passau 1997; Wolfslast Beweisführung durch heimliche Tonbandaufzeichnung. Besprechung des BGH-Urteils vom 9.4.1986 – 3 StR 551/85 (NStZ 1987, 133), NStZ 1987 103; Wolter Menschenwürde und Freiheit im Strafprozeß, GedSchr. Meyer 493; ders. Repressive und präventive Verwertung tagebuchartiger Aufzeichnungen. Zugleich Besprechung der Tagebuch-Entscheidung des BVerfG, StV 1990 175; ders. Verfassungsrecht im Strafprozeß- und Strafrechtssystem. Zugleich ein Beitrag zur Verfassungsmäßigkeit der Norm und zum rechtsfreien Raum „vor dem Tatbestand“, NStZ 1993 1; ders. Verwertungsverbote bei zulässiger Telefonüberwachung, GedS Armin Kaufmann 761.
Entstehungsgeschichte. In den Partikularrechtsordnungen wurde die Beschlagnahme bisweilen als unselbständiger Teil der Durchsuchung angesehen.1 Die StPO hat sie als selbständiges Institut geregelt. Nur soweit es um die Beschlagnahme von Beweisgegenständen geht, gilt die Regelung seit Inkrafttreten der RStPO im Wesentlichen unverändert.2 Ursprünglich lautete § 94 wie folgt: (1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen. (2) Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme.
Die Vorschrift erhielt ihre jetzige Fassung durch Art. 21 Nr. 15 EGStGB.3 Grund dafür war die umfassende und zum Teil von § 94 StGB a.F. abweichende Neuregelung der Voraussetzungen und Folgen der Sicherstellung von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen (vgl. §§ 111b ff.). Das Recht der Beschlagnahme von Beweis-
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AK/Amelung 7 ff.; Freyberg 38 ff. Freyberg 64 f. RegE BRDrucks. 1/72 S. 34; BTDrucks. VI
3250 S. 34; BRDrucks. 111/73 S. 37; BTDrucks. 7 550 S. 37; Antrag des Sonderausschusses BTDrucks. 7 1232 S. 86.
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gegenständen sollte dagegen nicht geändert werden.4 § 94 Abs. 1 und 2 StPO n.F. wurde daher auf die Beschlagnahme von Beweisgegenständen beschränkt. Allerdings wurde die Beschlagnahme von Führerscheinen davon wieder ausgenommen, weil es dabei „auf die tatsächliche Sicherstellung der Urkunden“ ankomme, „nicht aber auf die Verhinderung bestimmter Verfügungen“.5
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich der Vorschrift . 3. Begriffe a) Sicherstellung . . . . . . . . . . b) Beschlagnahme . . . . . . . . . . 4. Verhältnis der Sicherstellung von Gegenständen als Beweismittel zur Sicherung von Verfall und Einziehung nach §§ 111b ff. . . . . . . . . . . . II. Der Sicherstellung als Beweismittel unterliegende Gegenstände (Absatz 1) 1. Beweismittel . . . . . . . . . . . 2. Gegenstände als Beweismittel . . . 3. Bedeutung für die Untersuchung . a) Untersuchung . . . . . . . . . b) Beweisbedeutung . . . . . . . . c) Bedeutung für verfahrensrechtliche Fragen . . . . . . . . . . d) Potentielle Beweisbedeutung . . 4. In behördlichem Gewahrsam befindliche Gegenstände . . . . . . . . .
7
. .
29 30
.
32
III. Führerscheine (Absatz 3) . . . . . . . .
33
. . . .
34 35 39 43
.
44
VIII. Pressebeschlagnahme . . . . . . . 1. Keine Sonderregelung . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . 3. Quantitative Beschränkung der Beschlagnahme . . . . . . . .
46 47
51 59 62 63 67 68 69 70 71
. . .
72
IX. Verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote 1. Übermaßverbot . . . . . . . . . . . 2. Verletzung von Menschenwürde oder Persönlichkeitsrecht durch die Beweisverwertung . . . . . . . . . . a) Allgemeines zu den Beweisverwertungsverboten von Verfassungs wegen . . . . . . . . . . . . . . b) Tagebuchfälle . . . . . . . . . . c) Tonbandfälle . . . . . . . . . . . d) Bildaufzeichnungen . . . . . . . 3. Gefangenenpost . . . . . . . . . . .
75 78 88 91 93
X. Beendigung der Beschlagnahme und Herausgabe des beschlagnahmten Gegenstands . . . . . . . . . . . . . .
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XII. Abgeordnete
. . . . . . . . . . . . . .
49
5
50
. . . . . . . . .
XI. Schadensersatzansprüche . . . . . . . .
Begründung des RegE in BRDrucks. 1/72 S. 34; 111/73 S. 290; BTDrucks. 7 550 S. 290; Bericht der Abg. Eylmann/Penner BTDrucks. 7 1261 S. 24 f.
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VII. Verhältnismäßigkeit 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Unzulässigkeit der Sicherstellung nach dem Übermaßverbot . . . . . . . . . 3. Ersatzmaßnahmen . . . . . . . . . a) Fotokopien von Urkunden oder Kopien eines Datenbestands . . . b) Auskunftsersuchen . . . . . . . 4. Recht auf Besichtigung . . . . . . .
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9 11 18 19 23
V. Formen der Sicherstellung: Verwahrung oder auf andere Weise 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Amtliche Verwahrung . . . . . . . . 3. Sicherstellung in anderer Weise als durch Verwahrung . . . . . . . . .
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1 2
. . . . .
IV. Sicherstellung: formlos oder durch Beschlagnahme 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Formlose Sicherstellung . . . . . . 3. Beschlagnahme . . . . . . . . . . 4. Anordnung der Sicherstellung . . . 5. Durchführung der Sicherstellung – Beschlagnahme oder Sicherstellung?
Rn. VI. Kein Ermessen . . . . . . . . . . . . .
BRDrucks. und BTDrucks. aaO.
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Alphabetische Übersicht Abgeordnete 99 Absolut geschützter Kernbereich 77 Akten 24 Amtliche Verwahrung 47 Amtshaftungsansprüche 97 Anfangsverdacht 20 Anwalts- oder Steuerberaterkanzlei 61 Arten der Sicherstellung 5 Auskunftsersuchen 67 Bankgeheimnis 61a Bedeutung für die Untersuchung 18 Beendigung der Beschlagnahme 94 Berufsgerichtliche Verfahrensordnung 3 Beschlagnahme 4, 6, 39 Beschlagnahmen im Bankenbereich 61a Beweisermittlungsgegenstände 23 Beweisverbot 23 Beweisverwertungsverbote von Verfassungswegen 74 Buchhaltungsunterlagen 24 Bußgeldverfahren 3 Daten in Computern 14 Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgerichts 77 Durchführung der Sicherstellung 44 Durchsuchungsgestattung 45 Einziehungsgegenstände 2 Einziehungsverfahren 21 Ermessen 50 Ersatzmaßnahmen 62 Formlose Sicherstellung 35 Föten 16 Freiwillig 36 Freiwillige Herausgabe 41 Führerscheine 33 Gegenstände als Beweismittel 11 Geld 13 Gewahrsam 40 Heimliche private Bildaufzeichnungen 91 Herausgabe des beschlagnahmten Gegenstands 94 Inverwahrungnahme 46 Internet 14
Kopieren von Daten 28 Körper des lebenden Menschen 15 Kosten für das Heraussuchen 66 Leichen 16 Menschenwürde 74 Mitgewahrsam 40 Öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis 95 Persönlichkeitsrecht 74 Potentielle Beweiserhebung 30 Pressebeschlagnahme 69 Privatklageverfahren 21 Rasterfahndung 26 Schadensersatzansprüche 94 Schlichte Privatsphäre 77 Sicherstellung 4 Sicherstellung von Beweismitteln 1 Sicherstellung von Gegenständen als Beweismittel 7 Sicherstellung, Begriff 34 Sicherung von Verfall oder Einziehung 7 Sicherungsverfahren 21 Sphäre der öffentlichen Kommunikation 77 Suchtberatungsstelle 60 Tagebuchaufzeichnungen 78 Tagebuchfälle 78 Technische Hilfsmittel zur Nutzbarmachung von Beweisgegenständen 23 Tonbandfälle 88 Übermaßverbot 59, 73 Unterlagen auf Bild- oder anderen Datenträger gespeichert 27 Untersuchung 19 Verfahrenshindernis 23 Verfall 2 Verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote 73 Verhältnismäßigkeit 51 Vertrauensverhältnisse 60 Vollstreckungsverfahren 22 Vorermittlungsverfahren 20 Wiederaufnahmeverfahren 22 Zusammengesetzte Sachen 25
I. Allgemeines 1. Zweck. Die Vorschrift gewährleistet die ordentliche Durchführung von Strafverfah- 1 ren, indem sie die Sicherstellung von Beweismitteln ermöglicht. Ihr Zweck ist die Verfahrenssicherung; damit sind auch die Grenzen aufgezeigt: Die Vorschrift greift nur in einem Strafverfahren und da auch nur im Rahmen zulässiger Beweiserhebung. Insoweit enthält die Vorschrift eine entschädigungslos hinzunehmende Inhaltsbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG).6 Andere Zwecke, wie die Vorenthaltung von Informationen zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen, können damit nicht verfolgt werden.7
6 7
Vgl. BVerfGE 20 351, 359; Freyberg 81 f. Janssen 5; Sieg wistra 1984 172, 173;
Malek/Wohlers 155; a.A. Koch wistra 1983 63, 64.
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Die Beweismittelbeschlagnahme dient auch nicht der Regelung der Vermögenslage (dafür sind die §§ 111b ff. geschaffen), der Vorbereitung eines Zivilprozesses oder der Sicherung von Steuerforderungen.
2
2. Anwendungsbereich der Vorschrift. Bis zur Gesetzesänderung durch das EGStGB (s. Entstehungsgeschichte) galt § 94 für die Sicherstellung sowohl von Beweismitteln als auch von Einziehungsgegenständen.8 Seither regeln die §§ 94 bis 99 nur noch die Voraussetzungen der Sicherstellung von Beweismitteln (Absatz 1 und 2) für Zwecke der Strafverfolgung,9 daneben allerdings auch die Beschlagnahme von Führerscheinen, die der Einziehung unterliegen (Absatz 3). Die vollstreckungssichernde Beschlagnahme aller anderen Einziehungsgegenstände und der dem Verfall nach §§ 73 ff. StGB unterliegenden Gegenstände regeln nunmehr die §§ 111b ff. Die Beschlagnahme eines Gegenstands kann zur Sicherung von Beweisen und zur Sicherung von Einziehung oder Verfall erfolgen, wenn die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen (Rn. 7).10 Die Vorschriften über die Beschlagnahme gelten im Bußgeldverfahren entsprechend 3 (§ 46 OWiG). Doch kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rn. 51 ff.) dort größere Bedeutung zu; im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt generell das Opportunitätsprinzip, das Zwangsmaßnahmen eher ausschließt. Soweit berufsgerichtliche Verfahrensordnungen ebenfalls auf die StPO verweisen (wie § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO und § 153 StBerG), ist die Beschlagnahme von Beweisgegenständen grundsätzlich auch möglich; sie wird jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit selten in Betracht kommen. Für Sicherstellungen des Gerichts in der Hauptverhandlung zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptverhandlung (etwa zur vorübergehenden Wegnahme eines von einem Zuhörer benutzten Mobiltelefons) gelten die Regeln über sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§§ 176, 181 GVG).11 3. Begriffe
4
a) Sicherstellung. Sicherstellung ist die Herstellung der staatlichen Gewalt über den als Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstand. Unter dem Oberbegriff „Sicherstellung“ (s.a. § 111k: „nach § 94 beschlagnahmt oder sonst sichergestellt“) werden zwei Arten der staatlichen Inbesitznahme von Beweismitteln verstanden: die formlose Sicherstellung (Absatz 1) und die Beschlagnahme (Absatz 2). Danach ist die Überschrift des Achten Abschnitts („Beschlagnahme“) zu eng gefasst. Soweit in § 69a Abs. 6 StGB, § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO, § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG von der „Sicherstellung oder Beschlagnahme“ die Rede ist und soweit in § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG Sicherstellung und Beschlagnahme nebeneinander aufgeführt sind, versteht das Gesetz ebenso wie in der vorliegenden Vorschrift unter Sicherstellung die formlose Sicherstellung als Gegensatz zur förmlichen Beschlagnahme. Grundsätzlich formlos erfolgt die Sicherstellung bei gewahrsamslosen Sachen oder bei freiwilliger Herausgabe durch den Gewahrsamsinhaber. Befinden sich die Gegenstände im Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, erfolgt förmliche Beschlagnahme. Die Sicherstellung von Beweismitteln im Gewahrsam von Postunternehmen nach §§ 99, 100 ist zum Schutz des Briefgeheimnisses nur durch (förmliche) Beschlagnahme zulässig. Arten der Sicherstellung sind nach § 94 Abs. 1 die Übernahme in amtlichen Gewahr5 sam oder „in anderer Weise“, etwa durch Belassung an Ort und Stelle mit einer Versiege-
8 9
Freyberg 76 ff. Eb. Schmidt Vorbem. 3.
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SK/Wohlers 3. BGHSt 44 23, 24.
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lung12 oder durch das gegenüber dem Gewahrsamsinhaber geäußerte behördliche Verbot der Verfügung über die Sache oder ihrer Veränderung.13 Von der Sicherstellung oder Beschlagnahme nach der vorliegenden Vorschrift zu unterscheiden ist die – begrifflich nicht als „vorläufige Sicherstellung“14 zu bezeichnende – Mitnahme von Unterlagen, die bei einer Durchsuchung gefunden wurden, zur Durchsicht. Sie ist Teil der Durchsuchung.15 Ihre Zulässigkeit folgt nicht als „Minus“ aus der Beschlagnahmemöglichkeit, sondern aus § 110. b) Beschlagnahme. Unter Beschlagnahme16 versteht das Gesetz die förmliche Sicher- 6 stellung eines Gegenstands. Hier ist zwischen Anordnung der Maßnahme und ihrer Vollziehung zu unterscheiden,17 die eine Anordnung voraussetzt.18 Von der Vollziehungsmaßnahme ist also die Anordnung der Beschlagnahme zu unterscheiden. Sie ist in § 98 geregelt. Anordnung der Beschlagnahme und Beschlagnahme selbst können zusammenfallen, wenn der Ermittlungsbeamte, der die Beschlagnahme bei Gefahr in Verzug anordnet, sie sogleich auch selbst vollzieht (§ 98 Abs. 1, § 163). Formlose Sicherstellung und förmliche Beschlagnahme unterscheiden sich durch die Eingriffsintensität.19 Bei Inverwahrungnahme eines gewahrsamslosen Gegenstands oder freiwilliger Herausgabe des Beweisgegenstands durch den Gewahrsamsinhaber liegt regelmäßig keine Zwangsmaßnahme20 und deshalb auch kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG vor, so dass formloses Vorgehen im Interesse der Strafverfolgung bei Vorliegen eines Anfangsverdachts genügt.21 Die Beschlagnahme der Sache ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers greift dagegen grundsätzlich in den Schutzbereich des genannten Grundrechts ein,22 so dass hier ein förmliches Vorgehen erforderlich und die Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO sowie der Richtervorbehalt des § 98 StPO zu beachten sind. 4. Verhältnis der Sicherstellung von Gegenständen als Beweismittel zur Sicherung 7 von Verfall oder Einziehung nach §§ 111b ff. In zahlreichen Fällen kommen Gegenstände als Beweismittel in Betracht, die zugleich auch der Sicherstellung nach §§ 111b ff. unterliegen: die Tatwaffe oder das gehandelte Betäubungsmittel, das Bestechungsentgelt, der Erlös beim Rauschgifthandel, das bei strafbarem Glückspiel verwendete oder erlangte Geld.23 Es fragt sich, welches Verfahren in diesen Fällen anzuwenden ist, denn die Voraussetzungen und das Verfahren für die Sicherstellung von Beweismitteln und für die Sicherung von Verfall und Einziehung sind verschieden geregelt. Während für die Sicherstellung der Beweismittel einfacher Tatverdacht genügt, verlangt das Gesetz in § 111b Abs. 3 für die Aufrechterhaltung der Maßnahme nach gewisser Zeit „dringende Gründe“ und damit (nachträglich) einen dringenden Tatverdacht. Die Sicherstellung von Beweismitteln kann insbesondere bei freiwilliger Herausgabe formlos erfolgen, diejenige nach §§ 111b ff. bedarf bei Gegenständen stets der förmlichen Beschlagnahme (§ 111b Abs. 1). 12 13 14 15
16
Vgl. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461. BGHSt 15 149, 150; Janssen 9 f. Missverständlich LG Koblenz WM 1998 2290, 2292. BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 1; Rechtsschutzbedürfnis 1; Meyer-Goßner § 110, 10. Rechtstatsächlich Nothacker ArchKrim 178 (1986) 1 ff.; krit. zur Praxis Wehnert StraFo 1996 77 ff.
17 18 19 20 21 22 23
AK/Amelung 22; Eb. Schmidt Vor § 94, 2. Eb. Schmidt 7. Bär Zugriff 239. Freyberg 74. Vgl. Amelung StV 1985 257 f. Freyberg 81 ff. Vgl. auch Achenbach NJW 1976 1069.
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Diese hat – anders als bei Beweismitteln – ein Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB24 zur Folge (§ 111c Abs. 5). Die Beschlagnahme von Beweismitteln ist zwingend (vgl. Rn. 34), die von Verfalls- und Einziehungsgegenständen nach § 111b Absatz 1 („können“) dagegen dem pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsorgane überlassen25 (s. Erl. zu § 111b). Andererseits gilt der Beschlagnahmeschutz des § 97 schon aus systematischen Gründen nur für Beweismittel, nicht aber für Verfalls- und Einziehungsgegenstände.26 Auch beim Verfahren finden sich Unterschiede, z.B. bei der richterlichen Bestätigung nach nichtrichterlicher Beschlagnahme. Bei Beweismittelbeschlagnahme soll nach § 98 Abs. 2 Satz 1 unter bestimmten Voraussetzungen binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung herbeigeführt werden, bei der Beschlagnahme beweglicher Sachen zur Sicherung von Verfall oder Einziehung ist dies nach § 111e Abs. 2 Satz 2 nicht erforderlich. Schließlich unterliegen nur Beweismittel dem Akteneinsichtsrecht nach § 147. 8 Aus alledem hat bereits Achenbach27 zutreffend geschlossen, dass dann, wenn ein Gegenstand beiden Beschlagnahmezwecken dienen soll, die Anforderungen beider Verfahrensarten beachtet werden müssen und deshalb bei jeder Beschlagnahme klarzustellen ist, welchem Zweck sie dient. Dies gilt bei einer Beschlagnahme nach § 111b Abs. 1 auch dann, wenn der Gegenstand als Beweismittel verwendet werden soll, wie z.B. die Tatwaffe. Andernfalls würde das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers unterlaufen.28 War ein Gegenstand zunächst nur nach §§ 94 ff. als Beweismittel sichergestellt und ergeben sich erst später die Voraussetzungen der §§ 111b ff., weil die Voraussetzungen für die Einziehung oder den Verfall zunächst nicht bejaht werden konnten, so ist es erforderlich, ungeachtet der Sicherstellung als Beweismittel auch noch die Beschlagnahme nach §§ 111b ff. herbeizuführen, da sonst das Veräußerungsverbot aus § 111c Abs. 5 nicht eintritt und da die Sicherstellung nach §§ 111b ff. gemäß § 111g Abs. 3 anders als die Beweismittelbeschlagnahme auch zu Gunsten des Verletzten wirkt.29
II. Der Sicherstellung als Beweismittel unterliegende Gegenstände (Absatz 1) 9
1. Beweismittel. Das Strafverfahren kennt als Beweismittel Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Objekte des Augenscheins. Auch der Beschuldigte ist mit seinen Äußerungen und als Objekt des Augenscheins Beweismittel im weiteren Sinne.30 Aus Beweismitteln lassen sich unmittelbar oder mittelbar Schlüsse auf Lebenssachverhalte, im Strafverfahren auf strafrechtlich oder strafverfahrensrechtlich erhebliche Lebenssachverhalte ziehen. Der Begriff „Beweismittel“ ist nicht auf den Strengbeweis in der Hauptverhandlung beschränkt, sondern erfasst sämtliche Erkenntnisquellen,31 auf die sich die Beweisführung im Strafverfahren – auch im Freibeweis – stützen kann. Sachaufklärung ist in jeder Lage des Verfahrens erforderlich (§ 155 Abs. 2, §§ 202, 244 Abs. 2; z.B. zur Begründung des Tatverdachts bei Durchsuchung, bei Anklageerhebung, bei Eröffnung
24
25
Zur Beschlagnahme von Geld BGH NStZ 1985 262; OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; zur Beschlagnahme von Wein zur Vorbereitung der Einziehung BGH WM 1997 1756, 1766. Anders Achenbach NStZ 2001 401: Ermessensreduktion auf Null bei gegebenem Sicherstellungsbedürfnis zugunsten des Verletzten.
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26 27 28 29 30 31
Achenbach NJW 1976 1068. NJW 1976 1069. Meyer-Goßner 2. Achenbach NJW 1976 1071. Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer 167; Meyer-Goßner Einl. 49. Alsberg/Nüse/Meyer 168.
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des Hauptverfahrens, zur Begründung der richterlichen Überzeugung im Urteil). Deshalb müssen die Beweismittel für das Verfahren gesichert werden. Soweit Beweismittel körperliche Gegenstände sind, erfolgt dies durch Sicherstellung nach §§ 94 ff. Die Eigenschaft eines Gegenstands als Beweismittel wird nicht dadurch berührt, dass 10 das Gesetz seine Verwertung nur in bestimmten Verfahren zulässt. Nach § 8 GWG von einem Kreditinstitut erstellte Unterlagen sind deshalb Beweismittel, die freilich nur zur Verfolgung der in § 15 Abs. 1 GWG genannten Straftaten verwertet und deshalb nur dafür beschlagnahmt werden dürfen, denen aber deshalb nicht die Beweismitteleigenschaft fehlt.32 2. Gegenstände als Beweismittel. Gegenstände als Beweismittel33 können nur körperliche und nicht körperliche Gegenstände (elektronisch gespeicherte Informationen) sein. Beschlagnahmefähig sind demnach zum einen bewegliche und unbewegliche körperliche Gegenstände (Grundstücke, Räume).34 In der Regel wird es sich um Urkunden (zu Behördenakten s. Rn. 32 und § 96, 4 ff.) und die meisten Objekte des Augenscheins handeln. Darauf, ob es Sachen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind, kommt es nicht an. Für Geld als Beschlagnahmegegenstand gilt grundsätzlich nichts anderes. Geldscheine und Münzen sind Gegenstände, die beweisrechtlich als Augenscheinsobjekte dienen können.35 Ihre Beweiseignung hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab. So können markierte Scheine wichtige Überführungsstücke sein. Seriennummern oder markante Beschädigungen der Banknoten oder Münzen können Beweiskraft besitzen. Die Belassung der Geldscheine oder Münzen im amtlichen Gewahrsam zur Beweissicherung ist vor allem eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Kommt den einzelnen Geldscheinen oder Münzen als solche keine Beweiskraft zu, so ist die Beschlagnahme regelmäßig nicht erforderlich,36 jedenfalls können Beweissurrogate wie Fotographien oder Zeugenangaben von Ermittlungsbeamten die Beweissicherung durch Verwahrung entbehrlich machen (zur Beschlagnahme aus anderen Gründen aber §§ 111b ff.). Daten in Computern sind für sich genommen keine körperlichen Gegenstände.37 Gleichwohl können sie nach §§ 94 ff. sichergestellt und beschlagnahmt werden, da es der Wortsinn des § 94 (entgegen der Voraufl.) gestattet, darunter auch nicht körperliche Gegenstände zu fassen.38 Dies kann zum einem durch Sicherstellung von Ausdrucken oder von Datenträgern erfolgen; die Anfertigung von Kopien des Datenträgers ist ein „Minus“ zur Sicherstellung des Datenträgers (s. Rn. 28)39 und deshalb nach der vorliegenden Vorschrift zulässig.40 Für Ermittlungsmaßnahmen im Internet gelten dieselben Grundsätze. Aber auch die Sicherstellung und Beschlagnahme von auf dem Mailserver
32 33 34 35
36
Begrifflich anders LG Koblenz NStZ 1997 549, 550. Benfer/Bialon Rn. 519 f. Meyer-Goßner 4; Krey Strafverfahrensrecht II, 429; Eb. Schmidt 1. Einschränkend Janssen 6; für das Steuerstrafverfahren: Klos wistra 1987 121, 122; Streck/Mack/Schwedhelm Stbg 1995 412: ohne Beweisbedeutung. Für eine kurzzeitige Beschlagnahme von Geld im Steuerstrafverfahren LG Berlin wistra 1990 157 mit krit. Bspr. Dörn wistra 1990 181.
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38 39 40
Bär Zugriff 246 ff.; ders. CR 1996 675; Böing 129 ff.; Matzky 42 ff.; Wieland 23 f.; zu Daten in „Mailbox-Systemen“ Lührs wistra 1995 19; Palm/Roy NJW 1996 1791. BVerfGE 113 29, 50; 124 43, 53 ff.; MeyerGoßner 16a. A.A. Böing 129 ff.; Wieland 24. Zur Beschlagnahme eines Servers sowie zur Auswertung und Speicherung von Logdateien mit dem Ziel der Identifizierung der dynamischen IP-Adressen eines Tatverdächtigen vgl. LG Konstanz MMR 2007 193 = CR 2007 749.
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eines Providers zwischen- oder endgespeicherten E-Mails können auf §§ 94 ff. gestützt werden. In diesem Fall ist der Eingriff indessen an dem Grundrecht auf Gewährleistung des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG zu messen. Der Eingriff muss verhältnismäßig sein. Außerdem ist den Anforderungen des § 98 Abs. 2 Rechnung zu tragen.41 Der Körper des lebenden Menschen ist – auch soweit er Objekt des Augenscheins ist – 15 kein Gegenstand, welcher der Sicherstellung nach Absatz 1 zugänglich wäre. Der Gebrauch des menschlichen Körpers zu Beweiszwecken ist in den §§ 81a bis 81h abschließend geregelt.42 Sichergestellt werden können jedoch abgetrennte Teile des menschlichen Körpers (Haare, Fingernägel) und Körperinhalte (Blut, Sperma, Mageninhalt, Urin, Kot) sowie Kunstteile (z.B. Herzschrittmacher) nach deren Abtrennung vom menschlichen Körper. Die Gewinnung dieser Sachen vom lebenden Menschen richtet sich ausschließlich nach den §§ 81a ff., soweit die Trennung nicht bereits außerhalb der strafrechtlichen Untersuchung erfolgt ist (z.B. bei einer Operation).43 Besondere kriminalistische Bedeutung hat die Sicherung von Zellproben zur DNA-Analyse, wobei zur Beweissicherung auch die Aufbewahrung von Zellproben von großer Bedeutung ist.44 Dem menschlichen Körper eingefügte Teile (herausnehmbare Gebisse, Prothesen) unterliegen grundsätzlich der Sicherstellung, wobei freilich der Schutz der Rechte des von der Maßnahme Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Beachtung zu schenken ist. Häufig wird eine sachverständige Untersuchung solcher Gegenstände ohne Wegnahme zur Beweissicherung ausreichen. Leichen, Leichenteile (auch Blut oder andere Zellspuren) und Föten können als Beweis16 mittel sichergestellt werden.45 Die Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG werden dadurch nicht verletzt.46 Auf Eigentum, Besitz und Gewahrsam an den Beweisstücken kommt es grundsätzlich 17 ebenso wenig an wie auf eine unmittelbare Beziehung der Gegenstände zu einer bei der Tat beteiligten oder durch sie betroffenen Person (Täter, Teilnehmer, Verletzter) und auf die Prozessrolle des Besitzers.47 Daher können auch Gegenstände als Beweismittel sichergestellt werden, die sich in der Hand des Privatklägers48 oder eines Tatunbeteiligten befinden.49 Differenzierungen sind nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung angebracht. Im Übrigen ist es nur dann, wenn Gegenstände mit einem Zeugnisverweigerungsrecht in Verbindung stehen, nach § 97 Abs. 2 Satz 1 und 2 von Bedeutung, in wessen Gewahrsam sie sich befinden. Deshalb steht etwa der Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Bestellung eines Insolvenzverwalters nichts entgegen.50
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Im Einzelnen BVerfGE 124 43, 53 ff. HK/Gercke 13; KK/Nack 5. Zur Blutentnahme bei der Operationsvorbereitung und späteren Sicherstellung OLG Celle NStZ 1989 385; OLG Frankfurt NStZ 1999 246 f.; OLG Zweibrücken NJW 1994 910; krit. dazu Flöhr Jura 1995 131; Hauf NStZ 1993 457; Weiler MDR 1994 1163 und NStZ 1995 98; Wendisch OLGSt StPO § 81a Nr. 3; Wohlers NStZ 1990 245. Vgl. Rath/Brinkmann NJW 1999 2697 ff. Grebing GA 1979 97; Janetzke DRiZ 1957 233; Janssen 5; Meyer-Goßner 4; Roxin JuS 1976 508; Eb. Schmidt § 86, 16.
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BVerfG NJW 1994 783, 784; Janssen 5. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; Eb. Schmidt 1. AK/Amelung 3; Feiber NJW 1964 709; a.A. Sangmeister NJW 1964 16 ff. Freyberg 92. Vgl. zur Ungleichbehandlung von Beschuldigten und Nichtverdächtigen aber Stein FS Grünwald 685 ff.; Wolter Rudolphi-Symposium 49, 52. Zur KO: H. Schäfer wistra 1985 210; a.A. Breuer KTS 1995 1, 6.
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3. Bedeutung für die Untersuchung. Die sicherzustellenden Beweisgegenstände müs- 18 sen „für die Untersuchung“ von Bedeutung sein. Daraus folgt zweierlei: Die Sicherstellung muss im Rahmen einer bereits stattfindenden Untersuchung erfolgen und die Sicherstellung muss für diese Untersuchung – gegebenenfalls auch für die Entscheidung verfahrensrechtlicher Fragen – von Bedeutung sein. Es genügt, dass die Gegenstände lediglich für das Ermittlungsverfahren, etwa als Grundlage für ein Sachverständigengutachten, benötigt werden. a) Untersuchung.51 Unter der Untersuchung ist das ganze Strafverfahren zu verste- 19 hen. Die Untersuchung beginnt mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Der wichtigste Anwendungsbereich ist sicher das Vorverfahren. Aber auch im Zwischenverfahren und im gerichtlichen Hauptverfahren ist die Maßnahme zulässig. Die Sicherstellung von Beweismitteln im Erkenntnisverfahren ist wegen der Möglichkeit einer Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanz nach § 354 Abs. 2 nicht dadurch ausgeschlossen, dass gegen ein Urteil nur noch die Revision zulässig ist.52 Auch die vorläufige Einstellung nach § 153a oder §§ 154 f., 205 oder die Verfahrensbeschränkung nach §§ 154, 154a stehen der Maßnahme nicht entgegen.53 Ein Ermittlungsverfahren muss bereits anhängig sein. Jedoch ist es nicht erforderlich, 20 dass ein Ermittlungsverfahren bereits förmlich eingeleitet ist. Faktisches Verhalten genügt. Es muss jedenfalls von einer Strafverfolgungsbehörde eine Maßnahme getroffen worden sein, die erkennbar darauf abzielt, gegen einen Beschuldigten oder „gegen unbekannt“ wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen.54 Dies schließt nicht aus, dass die Beschlagnahme selbst die erste Ermittlungshandlung der zuständigen Behörde nach Verdachtsgewinnung darstellt.55 Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens setzt nach § 152 Abs. 2 allerdings voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben sind; das heißt, es muss ein Anfangsverdacht vorliegen.56 Dies kann insbesondere im Anschluss an eine Strafanzeige als Verdachtsgrund, der zur Einleitung der Untersuchung führt, der Fall sein. Auch kann sich im Rahmen eines Strafverfahrens ein Anfangsverdacht ergeben, der eine Beschlagnahme eines Gegenstands mit Beweisbedeutung für ein anderes Verfahren ermöglicht; dann sind jedoch Änderungen der Zuständigkeit für die Anordnung der Maßnahme zu beachten.57 Der Anfangsverdacht muss wenigstens im Kern auf Tatsachen beruhen, eine bloße Vermutung reicht nicht aus.58 Da die Beschlagnahme nach Absatz 1 eine Untersuchung und damit einen Anfangsverdacht voraussetzt, darf die Beschlagnahme nicht dazu dienen, diesen erst zu gewinnen.59 Deshalb dürfen
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Janssen 8 f. Meyer-Goßner 9. SK/Wohlers 17; a.A. Sieg wistra 1984 172. AK/Amelung 9; Lemcke 39; G. Schäfer FS Dünnebier 554. BGHR StPO § 94 Beweismittel 2; OLG Celle NJW 1963 407; AK/Amelung 9; Janssen 8; Lüttger/Kaul GA 1961 76; Beispiel: Ein Polizeibeamter findet zufällig die Leiche eines möglicherweise Ermordeten. Mit der Sicherstellung der Leiche als Beweismittel leitet er das Ermittlungsverfahren ein. Vgl. OLG Hamburg GA 1984 289 f.; LG Köln StV 1983 275; AK/Amelung 9;
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Freyberg 90 f.; Kühne NJW 1979 617, 622; Lemcke 40; Tschacksch 10; zum Anfangsverdacht (i.S.d. § 102) bei anonymer Anzeige LG Offenburg StV 1997 626 f. OLG Düsseldorf NJW 1993 3278. OLG Hamburg GA 1984 289; zum „Betriebsverdacht“, dass in einer Drogentherapieeinrichtung Betäubungsmittelmissbrauch vorkommt, LG München I StV 1996 141 ff. Amelung DNotZ 1984 196; SK/Wohlers 15; Wieland 25; Meyer-Goßner 8, Lüttger/Kaul GA 1961 74, 76; Schlüchter 289 f.; Wieland 25; zur Rspr. etwa LG Köln StV 1983 275:
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Maßnahmen nach § 94 in einem „Vorermittlungsverfahren“ nicht getroffen werden. Grundrechtseingriffe sind zur Verdachtsgewinnung nicht erlaubt.60 Zur Untersuchung im Sinn von Absatz 1 gehört neben dem Ermittlungsverfahren das 21 gesamte gerichtliche Verfahren einschließlich der besonderen Arten des Verfahrens wie des Sicherungsverfahrens nach §§ 413 ff.61 und des Einziehungsverfahrens nach §§ 440 ff.62 Im Privatklageverfahren63 ist die Beschlagnahme bereits im Rahmen der Prüfung gemäß § 383 zulässig. Beweismittel dürfen grundsätzlich nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sichergestellt werden.64 § 457 gestattet aber auch Zwangsmaßnahmen im Vollstreckungsverfahren, soweit 22 diese der Festnahme des Verurteilten dienen (s. Vor § 94, 21). Sollte die Beschlagnahme von Beweismitteln erforderlich sein, weil sich beispielsweise aus einem Datenbestand Hinweise auf dessen Aufenthaltsort ergeben können, dann ist diese Maßnahme gemäß § 457 Abs. 3 zulässig, nicht aber für andere Zwecke des Vollstreckungsverfahrens, wie zur Überwachung der Lebensführung des Verurteilten nach § 453b. Ausnahmsweise auch nach Rechtskraft möglich ist die Beschlagnahme im Wiederaufnahmeverfahren,65 damit dieses außerordentliche Rechtsbehelfsverfahren, in dem ebenfalls nach Einreichung eines zulässigen Wiederaufnahmeantrags die Untersuchungsmaxime gilt, sachgerecht zur Sicherung der Beweise und zur Prüfung der unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände im Probationsverfahren betrieben werden kann; Einschränkungen kommen nur insoweit in Betracht, als Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und im Blick auf strukturelle Besonderheiten des Wiederaufnahmeverfahrens nicht ohne weiteres angewendet werden dürfen.66 Im Übrigen ist die Beschlagnahme im Wiederaufnahmeverfahren bereits dann möglich, wenn die Rechtskraft des Urteils noch nicht durch eine Entscheidung nach § 370 Abs. 2 beseitigt worden ist oder ein Wiederaufnahmeverfahren erst vorbereitet wird.67 Eine vorsorgliche Beschlagnahme von Gegenständen scheidet aber aus, wenn für ein Wiederaufnahmeverfahren noch keine Anhaltspunkte vorliegen.68
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b) Beweisbedeutung. Von Bedeutung für die Untersuchung ist jeder Beweisgegenstand, der die Aufklärung und Ahndung einer Straftat zu fördern geeignet ist, wie etwa Beutestücke, Tatwerkzeuge, Spurenträger, Vergleichsproben und anderes mehr.69 Ohne Bedeutung sind Gegenstände, wenn jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, dass sie auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung mehrerer Beweise Aufschluss auf eine beweiserhebliche Tatsache
einem Steuerpflichtigen darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, er setze ein Steuerdelikt unbegrenzt fort. Zum Anfangsverdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Bankkunden bei Abwicklung von Geschäften über Cpd-Konten BVerfG (Kammer) NJW 1995 2839, 2840; LG Bielefeld WM 1998 2290; LG Düsseldorf wistra 1985 201; LG Mannheim StB 1995 480 f.; LG Koblenz WM 1998 2290; zum Anfangsverdacht der Geldwäsche LG Lübeck wistra 2000 196; LG Saarbrücken wistra 1995 32 mit krit. Anm. Carl/Klos; LG Saarbrücken wistra 1996 189 f. = WiB 1996 656 f. m. Aufs. Klos WiB 1996 627; LG Saar-
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60 61 62 63 64 65 66 67 68 69
brücken wistra 1997 236 f. mit Anm. Klos = WiB 1997 663. Lange 149 ff. Meyer-Goßner 9. Benfer/Bialon Rn. 532. Benfer/Bialon Rn. 533 f. BayObLGSt 20 228; 346; OLG Bremen NJW 1962 649; begrifflich anders Janssen 9. Meyer-Goßner § 369, 1. Vgl. Marxen/Tiemann 233. BayObLG DRiZ 1931 Nr. 49 OLG Breslau GA 59 (1912) 172, Meyer-Goßner 9. BGH Beschl. vom 23. Dezember 1977 – 6 BJs 159/76; Meyer-Goßner 9. Krey Strafverfahrensrecht II, 429.
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geben können.70 Die erforderliche inhaltliche Beweiseignung ist notwendigerweise aus einer ex ante-Sicht zu prüfen, ohne Rücksicht auf eine spätere tatsächliche Nutzung als Beweismittel.71 Ein rechtliches Hindernis für die Beweiseignung kann sich allerdings aus einem Beweisverbot ergeben72 (Rn. 71 ff.); ein Verfahrenshindernis73 steht der Beschlagnahme nur entgegen, wenn es zur Zeit der Ermittlungshandlung bereits endgültig eingetreten ist und die gesamte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne betrifft, nicht nur (wie bisweilen das Fehlen eines erforderlichen Strafantrags oder die Strafverfolgungsverjährung74) einzelne Straftatbestände. Liegen weder Beweisverbote für die Beschlagnahme noch Hindernisse für das Verfahren im ganzen vor, so können alle – zunächst im Ermittlungsverfahren freibeweislich nutzbaren75 – Beweisgegenstände der Beschlagnahme unterliegen, wenn sie nur abstrakt beweisgeeignet sind. Dies ist zunächst der Fall bei Beweisgegenständen, die für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage76 erheblich sind, und unmittelbar oder mittelbar für die Tat oder die Umstände ihrer Begehung, z.B. auch für die innere Einstellung des Beschuldigten,77 Beweis erbringen. Darunter fallen die durch die Tat erlangten, hervorgebrachten oder veränderten Sachen, die Tatwerkzeuge sowie die Grundstücke und Räume, in denen die Tat begangen worden ist. Beweismittel sind auch solche Gegenstände, die zwar nicht selbst zum Beweis dienen können, aber Beweismittel an sich tragen, die von ihnen entweder gar nicht (Blut, Spermaflecke) oder nicht sofort (von Vieh verschluckte Beweisgegenstände) oder nur unter Schwierigkeiten (zerstörte Maschinenteile) getrennt werden können. Ob auch technische Hilfsmittel zur Nutzbarmachung von Beweisgegenständen, insbesondere spezielle Computerteile oder Hilfsprogramme zum Betreiben einer bestimmten Software, die einen Zugang zu den unmittelbar beweiserheblichen Daten auf Datenträgern ermöglichen, für sich genommen Beweisgegenstände sind, die der Beschlagnahme unterliegen können, wird kontrovers diskutiert.78 Jedoch ist nach dem Zweck der vorliegenden Vorschrift, die Beweisführung im Strafverfahren zu ermöglichen, grundsätzlich auch die Beschlagnahmefähigkeit solcher „Beweisermittlungsgegenstände“ anzunehmen,79 denn die Beweisbedeutung ergibt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Komponenten. Allerdings ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten, dass die Wegnahme solcher Computerkomponenten, die handelsüblich und austauschbar sind, nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig ist, wenn die Ermittlungsbehörde die unmittelbar beweisrelevanten Daten auch mit anderer Hard- und Software nutzbar machen kann. Beweismittel können ferner Gegenstände sein, auf deren Wiedererkennung es ankommt und die daher Zeugen bei der Vernehmung vorzulegen sind (z.B. Kleidungsstücke des Beschuldigten), sowie Vergleichsgegenstände (Schriftproben, Schuhe), die mit der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftat in keiner Weise unmittelbar zusammenhängen müssen, mit deren Hilfe aber bewiesen werden kann, dass ein anderer Gegenstand, z.B. eine gefälschte Urkunde oder eine Spur, beweiserheblich ist.80
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Zu einem Notaranderkonto für einen Grundstückskauf, das beschlagnahmt wurde, um Mieteinnahmen des Beschuldigten zu erfassen: LG Frankfurt WM 1994 2280 mit Anm. Ranft WuB VII D § 97 StPO 1.95. Eb. Schmidt 1. Eb. Schmidt 2. SK/Wohlers 16. LG Köln wistra 1997 237 mit. Anm. Stahl.
75 76 77 78 79 80
Tschacksch 18. BVerfG NJW 1995 385; OLG Celle NJW 1965 362; OLG Hamm wistra 1989 359. BGH bei Schmidt MDR 1984 186. Differenzierend Bär Zugriff 255 ff.; Lemcke 42; Matzky 125 ff. Lemcke 46 ff.; Wieland 27; differenzierend nach Marktgängigkeit Bär Zugriff 255. Lemke 43.
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Bei Akten, Buchhaltungsunterlagen81 oder anderen, ähnlichen Sachgesamtheiten ist regelmäßig die Beschlagnahme insgesamt zulässig, da einzelne Teile dieser Sachgesamtheiten (z.B. einzelne Verträge oder einzelne gefälschte Rechnungen bei Buchführungsunterlagen) für sich allein nur beschränkte Beweisbedeutung haben.82 Umgekehrt kann bei zusammengesetzten Sachen die Beschlagnahme auf abtrennbare Teile beschränkt werden, wenn dadurch weder die Sache selbst noch ihre Teile beschädigt oder zerstört werden. Kann etwa einem Computer eine Wechsel-Festplatte entnommen werden, so bedarf es nicht der Beschlagnahme des gesamten Computers. Führt dagegen die Wegnahme eines fest eingebauten Datenträgers zur Beschädigung der Hardware oder zum Verlust der Daten, so ist die Beschlagnahme nur dieses Teils – wegen Zweckverfehlung83 – nicht zulässig;84 es kommt nur die Beschlagnahme des gesamten Geräts oder – falls dies unverhältnismäßig sein sollte – die Unterlassung des Zugriffs in Frage. Diese Grundsätze gelten auch für die Rasterfahndung85 (§ 98a Abs. 1 Satz 1: „unbeschadet §§ 94, 110, 161“), bei der im Rahmen der Strafverfolgung zur Sachverhaltsaufklärung, vor allem aber zur Auffindung von Beschuldigten private oder öffentliche Datensammlungen nach vorher festgelegten kriminalistischen Merkmalen (Rastern) durch EDV-Abgleich überprüft werden (vgl. die Erläuterungen zu §§ 98a ff.). Sind Unterlagen auf Bild- oder anderen Datenträgern gespeichert86 (vgl. zu den Buchhaltungsunterlagen § 238 Abs. 2, § 257 Abs. 3 HGB, § 146 Abs. 5 und § 147 Abs. 2 AO), so sind Gegenstände im Sinne von § 94 Abs. 1 die gesamte EDV-Anlage, deren integrierte oder externe Datenträger87 selbst, die technischen Hilfsmittel,88 mit deren Hilfe sie lesbar gemacht werden, sowie die Unterlagen über die Verfahrensdokumentation, mit deren Hilfe etwa Buchführungen überhaupt nur prüfbar sind.89 Fraglich ist, wieweit der Datenbestand als Beweismittel im Sinne des § 94 der Sicherstellung unterliegt. Die Auffassung,90 der Datenbestand im Ganzen sei Beweismittel, gleichgültig, ob sich neben den letztlich beweiserheblichen auch noch andere Daten in ihm befinden, geht zu weit, weil nur potentiell Beweiserhebliches beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden darf. Freilich ist gerade bei Urkunden und damit auch bei elektronisch gespeicherten Daten der Kontext von erheblicher Beweisbedeutung. Unter dem Aspekt potentieller Beweisbedeutung (Rn. 30) darf deshalb – wie bei Urkunden – der Bereich beschlagnahmefähiger Beweismittel nicht zu eng gezogen werden. Andererseits wäre eine unbeschränkte Sicherstellung auch von Daten, die offensichtlich ohne Beweisbedeutung sind, unverhältnismäßig. Die modernen Rechner gestatten einen differenzierten Suchlauf, der häufig auch mit dem Betroffenen abgestimmt werden kann, um beispielsweise zu vermeiden, dass bei einer Beschlagnahme in einer Anwaltskanzlei auch Mandantenakten, die mit dem erhobenen Vorwurf ersichtlich nichts zu tun haben, nur deshalb sichergestellt werden, weil sie sich auf einer einheitlichen Festplatte befinden. Ob ein Kopieren von Daten anstelle der Beschlagnahme der Datenträger zulässig ist, wird in der Literatur deshalb in Frage gestellt, weil es dafür angesichts des Prinzips vom 81 82 83 84 85 86
Dazu Ciolek-Krepold 247. H. Schäfer wistra 1985 16. Ähnlich Lemcke 37 f. Bär Zugriff 257 ff. Siebrecht CR 1996 545 ff.; zur Rasterfahndung auch Benfer/Bialon Rn. 525 ff. Bär CR 1996 675 ff.; Ciolek-Krepold 357 f.; Meier/Böhm wistra 1992 166 ff.; zum
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Zugriff auf Mailbox-Systeme aus der älteren Literatur Bär CR 1995 489 ff.; Lührs wistra 1995 19; Palm/Roy NJW 1996 1791. Bär Zugriff 246 ff.; Lemcke 25 ff. Lemcke 31 ff. Wieland 26 ff. LG Köln NStZ 1995 54.
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Vorbehalt des Gesetzes91 (Vor § 94, 25 ff.) an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehle. Jedoch kann die Vervielfältigung von Daten geboten sein, um eine eingriffsintensivere Beschlagnahme des Datenträgers zu vermeiden,92 die über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinaus auch den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG betreffen würde. Das Kopieren der Daten auf einen behördeneigenen Datenträger, ohne dem Gewahrsamsinhaber dessen Datenträger und Daten zu entziehen, ist als „Minus“ zur Beschlagnahme bei Beachtung der Beschlagnahmevorschriften (§§ 94, 96, 97, 98) erst recht gestattet. Insofern gilt gleiches wie bei der Anfertigung von Fotokopien anstelle der Beschlagnahme von Originalunterlagen (Rn. 62 ff.); diese weniger einschneidende Ersatzmaßnahme ist bereits verbreitet anerkannt.93 Beim Kopieren von Daten kann nichts anderes gelten.94 c) Bedeutung für verfahrensrechtliche Fragen. Auch für verfahrensrechtliche Fragen 29 können Beweisgegenstände von Bedeutung sein, wenn sie für die geordnete Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens erheblich sind. Zulässig ist deshalb z.B. auch die Sicherstellung von Beweisgegenständen, die der Aufklärung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft oder ihrer Fortdauer,95 der Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten96 oder der Wiederherstellung verlorengegangener Akten zur Fortführung des Verfahrens97 dienen. d) Potentielle Beweisbedeutung.98 Ein Gegenstand hat dann Bedeutung als Beweis- 30 mittel, wenn die nicht fernliegende99 Möglichkeit besteht, ihn im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden.100 Eine ex-ante-Betrachtung ist geboten, da sich die tatsächliche Beweisbedeutung erst nach der Sicherstellung bei der Auswertung ergibt101 und abschließend erst im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweise in der Hauptverhandlung beurteilt werden kann. In welcher Weise der Gegenstand Beweisbedeutung haben kann, braucht deshalb zur Zeit der Sicherstellung noch nicht festzustehen. Es genügt, dass der Gegenstand im Verfahren noch Beweisbedeutung erlangen kann,102 z.B. – bei Handschriften – in Verbindung mit einem noch einzuholenden Schriftvergleichsgutachten oder – bei Schusswaffen, Schussspuren oder Geschossen –
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Dazu allg. Perschke 25 ff. Zur Sicherstellung von Daten durch Überspielen auf behördliche Datenträger LG Köln NStZ 1995 54, 55; Ciolek-Krepold 357 mit Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Wieland 32. BGH GA 1967 282; OLG Hamburg NJW 1967 166; OLG Hamm JMBlNRW 1974 115; Ciolek-Krepold 228 ff. Möhrenschlager wistra 1991 321, 329; im Erg. auch Bär Zugriff 275 f.; H. Schäfer wistra 1989 8, 12; a.A. Lemcke 110 f. OLG Hamburg NJW 1967 166; s. aber für Beschlagnahme bei der Briefkontrolle OLG Düsseldorf NJW 1993 3278. BayObLGSt 20 346. RG JW 1923 17 m. Anm. Mittermaier. BVerfG NJW 1995 2839, 2840 („DresdnerBank II“); dazu Ciolek-Krepold 343 ff.;
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Hamacher WuB X § 370 AO 1.95; Leisner BB 1995 525; Marquardt WiB 1995 839; Ranisek EWiR 1995 149; s.a. Papier/Dengler BB 1996 2541, 2593; BGHSt 41 363, 364; BGHR StPO § 94 Beweismittel 3; BGH NStZ 1981 94; Bär Zugriff 251; CiolekKrepold 227; Janssen 6 f.; Meyer-Goßner 6. BGHR StPO § 94 Beweismittel 3. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; OLG Bremen NJW 1962 649; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1979 226; NJW 1993 3278; OLG München NJW 1978 601. BVerfG NJW 1995 2839, 2840; BGH bei Schmidt MDR 1986 181; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; OLG München NJW 1978 601; OLG Hamburg NJW 1967 166; OLG Bremen NJW 1962 649; Janssen 7; MeyerGoßner 6; Eb. Schmidt 1. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94.
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in Verbindung mit einem noch einzuholenden kriminaltechnischen Gutachten. Bedeutung als Beweismittel hat ein Gegenstand auch, wenn der Beweis schon durch andere Beweismittel geführt werden kann und durch die Vorlage des Beweisgegenstands nur verstärkt oder verdeutlicht wird. Auch die Eignung des Gegenstands, Anhaltspunkte für die Vornahme weiterer Ermittlungen zu liefern, reicht aus. Der Sicherstellung als Beweismittel (bzw. der Aufrechterhaltung der Sicherstellung) steht auch nicht entgegen, dass der Gegenstand zunächst (z.B. in erster Instanz) nicht als Beweismittel benutzt wurde oder nicht beweiserheblich war. Lediglich wenn die fehlende Beweisbedeutung sicher feststeht, ist die Sicherstellung unzulässig.103 In der Beschlagnahmeanordnung bezüglich mehrerer Beweisgegenstände muss die potentielle Beweisbedeutung nicht für jeden Gegenstand einzeln dargelegt werden; es reicht aus, wenn ersichtlich ist, dass der Beschlagnahmeentscheidung keine grundlegend fehlerhafte Einschätzung der Beweiseignung der beschlagnahmten Asservate zugrunde liegt.104 Die potentielle Beweisbedeutung besteht solange, bis feststeht, dass ein Verfahren 31 nicht oder nicht mehr durchgeführt wird.105 Die Sicherstellung ist deshalb unzulässig, wenn ein Verfahrenshindernis endgültig eingetreten ist,106 sie ist dagegen möglich, solange dies nicht feststeht oder solange Verfahrensvoraussetzungen noch geschaffen werden können, wie dies insbesondere der Fall ist, wenn ein Strafantrag (§§ 77, 77a StGB), ein behördlicher Antrag, eine Ermächtigung (z.B. nach § 90 Abs. 4, § 90b Abs. 2, § 97 Abs. 3, §§ 104a, 353a Abs. 2, § 353b Abs. 4 StGB) oder ein Strafverlangen (§ 104a StGB) zwar noch nicht vorliegt, aber noch beschafft werden kann.107 Einer Sicherstellung steht auch nicht entgegen, dass das Verfahren möglicherweise nach dem Opportunitätsprinzip erledigt wird; ob so verfahren werden kann, ist bei § 153a stets, bei § 153 nach Erhebung der öffentlichen Klage regelmäßig von der Zustimmung des Beschuldigten bzw. Angeschuldigten abhängig und deshalb nicht sicher. Die potentielle Beweisbedeutung und damit die Zulässigkeit der Sicherstellung als Beweismittel fehlt aber, wenn ein Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 eingestellt wurde, die Anfechtungsfrist nach §§ 171, 172 Abs. 1 ergebnislos verstrichen ist und auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Einstellungsverfügung oder gegebenenfalls eine Privatklage nicht zu erwarten ist sowie wenn nach Sachlage mit einer alsbaldigen Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens nicht zu rechnen ist.
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4. In behördlichem Gewahrsam befindliche Gegenstände. Auch in behördlichem Gewahrsam befindliche Gegenstände, namentlich Behördenakten, sind Gegenstände im Sinne von Absatz 1.108 Die früher auch in diesem Kommentar vertretene entgegenstehende Auffassung109 unterscheidet nicht genügend zwischen der Geeignetheit eines Gegenstands als Beweismittel und der Zulässigkeit seiner Beschlagnahme (näher dazu § 96, 4 ff.).110 103 104 105 106 107 108
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BGH bei Schmidt MDR 1981 93. BGHR StPO § 94 Beweismittel 5. Meyer-Goßner 7. Zur Strafverfolgungsverjährung LG Köln wistra 1997 237 mit Anm. Stahl. Eb. Schmidt 13. BGHSt 38 237, 241 = JZ 1993 365 mit Anm. Hilgendorf; dazu auch Amelung NStZ 1988 48; Fezer JZ 1996 602, 606; Taschke NStZ 1993 94; Bspr. Heymann JA 1993 254; s.a. Arloth NStZ 1993 467; KG NStZ
109 110
1989 541; OLG Hamm Beschl. vom 16. April 1984 – 3 Ws 187/84 –, dazu Wagner DRiZ 1985 16, 17; OLG Oldenburg wistra 1990 76; LG Marburg StV 1989 426; Amelung DNotZ 1984 196; Janoschek 43 ff., 65 f.; Kramer NJW 1984 1502; Schneider 136. KG JR 1980 476; LG Koblenz wistra 1983 166. Vgl. BGHSt 38 237, 241; LG Hamburg NStZ 1993 401 mit Anm. Dölling.
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III. Führerscheine (Absatz 3) Die Sicherstellung von Führerscheinen kann aus unterschiedlichen Gründen erforder- 33 lich werden: Führerscheine können als Beweismittel in Betracht kommen (z.B. für eine Urkundenfälschung), dann gilt für deren Sicherstellung § 94 Abs. 1 und 2 unmittelbar.111 Inländische112 Führerscheine können aber aus zwei Gründen auch der Einziehung unterliegen: als Tatwerkzeuge oder Tatgegenstände unterliegen sie der Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB; sie unterliegen auch dann der Einziehung, wenn die Fahrerlaubnis entzogen wird (§ 69 Abs. 3 Satz 2 StGB).113 Für die Sicherstellung in den beiden letzten Fällen gilt § 94 Abs. 3. Das ist an sich systemfremd, da die Sicherung der Einziehung sonst nach §§ 111b ff. erfolgt.114 Nach der Gesetzesbegründung soll es hier jedoch auf die tatsächliche Sicherstellung der Urkunden ankommen, nicht – wie bei den §§ 111b ff. – auf die Verhinderung rechtsgeschäftlicher Verfügungen.115 Eine Erweiterung der Voraussetzungen der Sicherstellung erfolgt durch die Anwendung der §§ 94 ff. dadurch nicht, da die Führerscheinbeschlagnahme nach dieser Vorschrift anders als die zur Sicherstellung als Beweismittel ebenso wie diejenige nach § 111b Abs. 3 dringende Gründe für die Annahme voraussetzt, der Führerschein werde später eingezogen werden.116 Eine Beschlagnahme nach § 94 Abs. 3 ist ferner in § 111a Abs. 6 Satz 2 zum Zweck der Eintragung des Vermerks über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in ausländischen Fahrausweisen vorgesehen. Schließlich ordnet § 463b die Beschlagnahme zum Zweck der amtlichen Verwahrung wegen eines Fahrverbots nach § 44 StGB und zur Eintragung eines Vermerks über das Fahrverbot oder über die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre in ausländischen Fahrausweisen an. Die Sicherstellung des Führerscheins nach § 94 Abs. 3 bewirkt ein Verbot, Kraftfahrzeuge zu führen (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG). Eine Beschlagnahme ohne körperliche Wegnahme des Führerscheins ist daher unwirksam.117 Die Einzelheiten der Sicherstellung von Führerscheinen zur Sicherung der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB sind bei § 111a erörtert.
IV. Sicherstellung formlos oder durch Beschlagnahme 1. Allgemeines. Sicherstellung ist die Herstellung der staatlichen Gewalt über den als 34 Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstand. Sie kann formlos oder durch Beschlagnahme erfolgen (vgl. Rn. 4). Soweit eine formlose Sicherstellung möglich ist, ist eine Beschlagnahme häufig nicht geboten, zumal ein Veräußerungs- oder Verfügungsverbot bei Beweismitteln anders als bei den der Einziehung oder dem Verfall unterliegenden Gegenständen nicht erforderlich ist. Ist eine förmliche Sicherstellung geboten, so sind auch die §§ 97, 98 zu beachten, die bei einer formlosen Sicherstellung keine Rolle spielen. 2. Formlose Sicherstellung. Die Sicherstellung erfolgt formlos, wenn bei herrenlosen 35 Sachen ein Gewahrsam nicht besteht, ein Gewahrsamsinhaber nicht bekannt ist118 oder 111 112
113 114 115
Janssen 15. Zur Beschlagnahme ausländischer Führerscheine als Einziehungsgegenstand LG München DAR 1997 80 mit abl. Anm. Ludovisy. Vgl. Krey Strafverfahrensrecht II, 454 ff.; Luther NJ 1992 164 f. AK/Amelung 44; Janssen 15. BTDrucks. 7 550 S. 290.
116
117 118
Zu einer nicht näher erläuterten verfassungskonformen Auslegung des § 94 Abs. 3 bezüglich verschiedener Führerscheinklassen Janssen 15. OLG Schleswig VRS 34 (1968) 460; OLG Stuttgart VRS 35 (1968) 138. Meyer-Goßner 12.
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der Gewahrsamsinhaber den Gegenstand freiwillig zur Verfügung stellt. Ist der Inhaber minderjährig, so bedarf es der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, sofern der Minderjährige über den Gegenstand nicht selbst verfügen kann.119 Von der förmlichen Beschlagnahme kann bei freiwilliger Herausgabe auch dann abgesehen werden, wenn bereits eine die Beschlagnahme gestattende gerichtliche Entscheidung vorliegt. Das Merkmal der Herausgabe120 besitzt dabei keine eigenständige Bedeutung, etwa in dem Sinne, dass nur äußerlich ein „Geben“ (des Gewahrsamsinhabers) vom (behördlichen) „Nehmen“ zu unterscheiden wäre. Vielmehr ist es mit dem weiteren Merkmal der Freiwilligkeit untrennbar verknüpft. Dies zeigt die Konstellation der Herausgabe durch einen Mitinhaber des Gewahrsams oder untergeordneten Gewahrsamsinhaber.121 Für die Unterscheidung zwischen einer Sicherstellung als Maßnahme unterhalb der Schwelle zum Grundrechtseingriff und einer förmlichen Beschlagnahme als erforderlicher Maßnahme bei einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist zudem nur das Merkmal der Freiwilligkeit bedeutsam. Freiwillig im Sinne des Absatzes 2 handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn er weiß, 36 dass er den Gegenstand an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ausliefert und herausgabebereit ist,122 denn der Begriff der Freiwilligkeit123 ist hier vor dem Hintergrund jederzeit möglicher Beschlagnahme und der gesetzlichen Herausgabepflicht in § 95 zu sehen.124 Freiwillig kann danach nur bedeuten, dass der Gewahrsamsinhaber durch die Herausgabe eine Beschlagnahme, eine Durchsuchung, die bei Bereitschaft zu freiwilliger Herausgabe unverhältnismäßig wäre,125 oder ein förmliches Verfahren nach § 95 Abs. 2 abwenden will. Eine freiwillige Herausgabe liegt ferner vor, wenn der Gewahrsamsinhaber durch die Ermittlungsbehörde zur Herausgabe aufgefordert wird oder einem Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 entspricht;126 anders verhält es sich, wenn die Herausgabe nur durch Androhung oder Vollziehung von Zwang nach § 95 Abs. 2 veranlasst worden ist.127 Auch wer aufgrund einer dienstlichen oder privatrechtlichen Verpflichtung handelt, gibt die Sache freiwillig heraus.128 Soweit eine „Abwendungsvorlage“ von Unterlagen durch Banken erfolgt,129 ist die Herausgabe freiwillig, da aber der Pflicht nach § 95 Abs. 1 entsprochen wird, liegt keine Verletzung des Bankgeheimnisses vor. Die freiwillige Herausgabe bedarf keiner ausdrücklichen Willenserklärung; es genügt, dass der Gewahrsamsinhaber sich mit der Übernahme des Gegenstandes in die amtliche Verwahrung stillschweigend einverstanden erklärt. Aus welchen Gründen er sich so verhält, ist gleichgültig. Eine Belehrung über die rechtlichen Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden, den Beweisgegenstand zwangsweise sicherzustellen, die dem Betroffenen eine Risikoabschätzung ermöglichen würde, ist nicht erforderlich. Ob dies auch dann gilt, wenn der handelnde Beamte nach § 98 zur Beschlagnahme nicht befugt ist oder wenn ein Beschlagnahmeverbot etwa nach § 97 vorliegt, erscheint sehr fraglich. Der Betroffene kann allerdings sein Einverständnis jederzeit widerrufen. An der Freiwilligkeit fehlt es, wenn die Herausgabe nach staatlichem Zwang nach § 95 Abs. 2
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Meyer-Goßner 12. Lemcke 64 ff. M. Mayer JZ 1989 908 f. AK/Amelung 17; Amelung StV 1985 257, 262; Lemcke 72 ff., 82 ff. Amelung StV 1985 262 und AK/Amelung 18. SK/Wohlers 7; anders Meyer-Goßner 13. Vgl. LG München II WM 1989 79 mit Anm. Locher WuB I B 3 – 2.89; Bär Zugriff 221.
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LG Arnsberg wistra 1985 205; a.A. LG Landshut WM 1985 749; Lemcke 82 ff.; Tschacksch 35 f. AK/Amelung 18; Meyer-Goßner 13; SK/Wohlers 7. Lüttger MDR 1961 814; Lüttger/Kaul GA 1961 193. Vgl. Ciolek-Krepold 202.
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erfolgte130 oder wenn eine V-Person oder ein verdeckt ermittelnder Polizeibeamter handelt, ohne seine Tätigkeit im Interesse der Strafverfolgung offen zulegen (vgl. Vor § 94, 50, 53). Eine freiwillige Herausgabe kommt also nur bei offenem Vorgehen der Ermittlungsbehörden in Betracht; indes ist eine Beschlagnahme nach Erlangung des Gewahrsams im Rahmen heimlicher Ermittlungen möglich. Ob der Gewahrsamsinhaber über die Sache ein materielles Verfügungsrecht hat oder ob er dem Willen des Eigentümers oder des sonst Berechtigten bei der Herausgabe zuwiderhandelt, ist für die Freiwilligkeit ohne Bedeutung. Wenn mehrere Personen Mitgewahrsam an einer Sache haben, müssen alle einwilligen, es sei denn, einer sei allein verfügungsberechtigt.131 Hat die Anwendung von Zwang nach § 95 Abs. 2 den Gegenstand in die Hand der 37 Behörde gebracht, so muss zusätzlich die Rechtsgrundlage dafür, dass die Behörde den Gegenstand weiterhin verwahren darf, durch Beschlagnahme nach § 94 Abs. 2, § 98 geschaffen werden. Zieht der Gewahrsamsinhaber sein anfänglich erklärtes Einverständnis zurück, was 38 jederzeit möglich ist, wendet sich ein Mitgewahrsamsinhaber gegen die Sicherstellung oder bestreitet ein Berechtigter die Freiwilligkeit der Herausgabe, so berührt dies die zunächst erfolgte Sicherstellung nicht unmittelbar. Die Staatsanwaltschaft hat dann zu prüfen, ob sie wegen Gefahr im Verzug selbst die Beschlagnahme anordnet oder gerichtliche Beschlagnahme beantragt. Nach anderer Auffassung liegt in solchen Erklärungen regelmäßig der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2.132 Das Gericht muss dann prüfen, ob die Voraussetzungen einer Beschlagnahme vorliegen. 3. Beschlagnahme.133 Beschlagnahme ist die förmliche Sicherstellung.134 Sie ist die 39 regelmäßig, aber nicht notwendigerweise gegen den Willen des Verfügungsberechtigten vorgenommene Entziehung oder Beschränkung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Gegenstand in der Weise, dass er in amtliche Verwahrung genommen oder sonst sichergestellt wird. Die Beschlagnahme ist nach Absatz 2 immer dann erforderlich, wenn Gegenstände, die im Gewahrsam einer Person stehen, nicht freiwillig herausgegeben werden. Dies ist auch nach Erzwingung der Herausgabe gemäß § 95 Abs. 2 der Fall. Gewahrsam135 ist dabei die nach der Verkehrsanschauung zu beurteilende tatsäch- 40 liche Sachherrschaft einer Person über den Gegenstand. Ob es darüber hinaus auch eines Gewahrsamswillens bedarf, ist zweifelhaft,136 in der Praxis aber meist unerheblich. Jedenfalls genügt ein genereller Gewahrsamswille. Mitgewahrsam ist möglich. Für die Frage der Freiwilligkeit der Herausgabe kommt es darauf an, ob alle Gewahrsamsinhaber oder der Inhaber eines übergeordneten Mitgewahrsams mit der Herausgabe einverstanden sind. Die freiwillige Herausgabe durch einen untergeordneten Mitgewahrsamsinhaber genügt nicht zur Annahme der Freiwilligkeit, die es erlauben würde, die Beweissicherung durch formlose Sicherstellung vorzunehmen.137 Regelmäßig erfolgt die Beschlagnahme von Gegenständen gegen oder ohne den Wil- 41 len des Gewahrsamsinhabers. Rechtlich möglich ist sie aber auch bei freiwilliger Herausgabe138 (Rn. 36), wenngleich dies meist unangebracht ist, jedenfalls sobald Beschlag-
130 131 132 133 134 135
SK/Wohlers 7. Meyer-Goßner 12. AK/Amelung 19; Meyer-Goßner 12. Janssen 11 ff. Krey Strafverfahrensrecht II, 435. Benfer/Bialon Rn. 535 ff.; Lemcke 52 ff.
136 137 138
Abl. Janssen 12. M. Mayer JZ 1989 908 f. BGH NJW 1956 1805, 1806; Freyberg 94; Krey Strafverfahrensrecht II, 437; MeyerGoßner 13; a.A. AK/Amelung 24.
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nahmeverbote in Betracht kommen, die bei einer Sicherstellung aufgrund freiwilliger Herausgabe des Gegenstands keine Rolle spielen. Der Wortlaut des Absatzes 2 steht der Beschlagnahme auch im Fall der freiwilligen Herausgabe nicht entgegen, da dort nur geregelt ist, wann es der Beschlagnahme „bedarf“. Da bei Freiwilligkeit der Herausgabe (Rn. 36) ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG ausgeschlossen ist, ist es auch nicht von Verfassungs wegen geboten, die Beschlagnahme auf Fälle des Nichtvorliegens einer freiwilligen Herausgabe zu beschränken.139 Die Beschlagnahme setzt nicht voraus, dass der Gewahrsamsinhaber zuvor zur frei42 willigen Herausgabe aufgefordert worden ist.140 Auch bei Bereitschaft des Besitzers zur Herausgabe kann die Beschlagnahme angebracht sein, weil nur diese den strafrechtlichen Schutz des § 136 Abs. 1 StGB begründet.141 Wenn ein Siegel angelegt ist, um eine Sache zu verschließen oder ihre Beschlagnahme zu bezeichnen, wird dadurch außerdem der Schutz des § 136 Abs. 2 StGB bewirkt.
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4. Anordnung der Sicherstellung. Zur Anordnung der formlosen Sicherstellung schweigt das Gesetz. Da sie freiwillige Herausgabe oder fehlenden Gewahrsam voraussetzt, kann sie durch jedes Strafverfolgungsorgan formlos erfolgen. Nur die Zuständigkeit für die Anordnung der Beschlagnahme ist in § 98 Abs. 1 geregelt.
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5. Durchführung der Sicherstellung – Beschlagnahme oder Sicherstellung? Zur Durchführung der formlosen Sicherstellung schweigt das Gesetz ebenfalls. Bei beweglichen Sachen erfolgt sie dadurch, dass der sicherstellende Beamte sie tatsächlich in Gewahrsam nimmt. Die Vollstreckung einer Beschlagnahmeanordnung erfolgt stets, auch bei richterlicher Anordnung (§ 36 Abs. 2), durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen. Die Beschlagnahme ist möglichst schonend durchzuführen; jedoch kann, wenn die Vollstreckung sonst gefährdet wäre, auch Gewalt angewendet werden,142 und zwar gegen Personen, die sich der Wegnahme widersetzen, und gegen Sachen, die ohne gewaltsame Veränderung nicht weggenommen oder nicht von anderen Sachen getrennt werden können. Zu diesen Zwecken kommen in Betracht bei Personen körperliche Gewalt zum Brechen eines Widerstandes (§ 164) und Wegnahme von Hilfsmitteln zur Benutzung der Sache (Schlüssel von Koffern, Aktentaschen, Schränken, Autos; besondere Programme zum Betrieb eines Computers), bei Sachen das Aufbrechen von Türen und Verschlüssen143 oder die Zerstörung einer Umhüllung. Dabei ist unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen die am wenigsten schwerwiegende zu treffen. Auch darf ein durch die Zwangsmaßnahme zu erwartender Schaden nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg stehen. Die Beschlagnahmeanordnung allein rechtfertigt es nicht, Wohnungen und andere 45 Räume gegen den Willen des Berechtigten zu betreten, in der sich die zu beschlagnahmenden Sachen befinden.144 In der 23. Auflage hatte Meyer (§ 98, 35) die Auffassung
139 140 141 142
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A.A. AK/Amelung 24; Janssen 13. KK/Nack 16. Kaufmann 126; Krey Strafverfahrensrecht II, 437. Meyer-Goßner § 98, 24; a.A. Freyberg 114; zum Sonderproblem der zwangsweisen Verabreichung von Brechmitteln zur Erlangung verschluckter Gegenstände (nach § 81a StPO) OLG Frankfurt StV 1996 651 mit
143 144
Anm. Weßlau StV 1997 341 und Rogall NStZ 1998 66 ff.; dazu auch BVerfG (Kammer) StV 2000 1; zum Einsatz von körperlichem Zwang bei Besichtigung der Mundhöhle zur Suche nach Drogenportionen OLG Celle NStZ 1998 87 f. BGH JZ 1962 609 mit Anm. Baumann. A.A. Fezer 7/38.
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vertreten, eines Durchsuchungsbefehls bedürfe es nur, wenn nicht bekannt sei, wo der Gegenstand zu finden ist. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die §§ 94 ff. regeln nur den Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG, nicht denjenigen des Art. 13 GG; insoweit gelten die §§ 102 ff. Auch historisch ist die Beschlagnahme in der StPO – anders als zum Teil in den Partikularrechten, die die Beschlagnahme als Annex zur Durchsuchung betrachteten – von der Durchsuchung getrennt worden (s. Entstehungsgeschichte).145 Dem entspräche es nicht, aus der Durchsuchungsgestattung eine Beschlagnahmeanordnung zu entnehmen; ebenso verbietet sich umgekehrt die Ableitung einer Durchsuchungserlaubnis aus einer reinen Beschlagnahmeanordnung. Ergibt sich freilich aus den Umständen, dass die Beschlagnahme nur in geschützten Räumen vorgenommen werden kann (z.B. Beschlagnahme einer Maschine in einer Fabrikhalle), so kann im Einzelfall in der Beschlagnahmeanordnung zugleich eine stillschweigend erklärte Durchsuchungsanordnung gesehen werden. Eine Beschlagnahmeanordnung mit konkludent erklärter Durchsuchungsgestattung ist aber nicht empfehlenswert, weil dann die notwendige umfassende Abwägung, ob der Eingriff insgesamt verhältnismäßig ist, nicht eindeutig erkennbar ist. Auch erscheint es dann zweifelhaft, ob eine konkludente richterliche Durchsuchungsanordnung den Begründungserfordernissen nach § 105 Abs. 1, § 34 (und Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) entspricht. Die genannten Grundsätze gelten im Übrigen aber unabhängig davon, ob die Beschlagnahme richterlich angeordnet wird oder ob sie auf einer Anordnung der Staatsanwaltschaft oder der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft beruht. Umgekehrt greift die Beschlagnahme als solche, wenn sie nach Betreten einer Wohnung aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses erfolgt, nicht in das Grundrecht aus Art. 13 GG ein.146
V. Formen der Sicherstellung: Verwahrung oder auf andere Weise 1. Allgemeines. Die Sicherstellung einer Sache wird nach § 94 Abs. 1 durch Inverwah- 46 rungnahme oder auf andere Weise bewirkt. Die Verwahrung der Sache ist demnach nur eine bestimmte Art der Sicherstellung, die andere Arten der Sicherstellung nicht ausschließt. Dass das Gesetz an anderer Stelle (§ 51 Abs. 5 Satz 2, § 69a Abs. 6 StGB; § 111a Abs. 5 Satz 1; § 450 Abs. 2 StPO; § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG) die Verwahrung neben der Sicherstellung aufführt, ist begrifflich unverständlich; denn die Sicherstellung ist der Oberbegriff für verschiedene Maßnahmen zur Herstellung des staatlichen Gewahrsams. In welcher anderen Weise als durch Verwahrung die Sicherstellung von Beweisgegenständen bewirkt werden kann, bestimmt das Gesetz freilich nicht. Anders als bei Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen (§ 111b), kommt bei beweglichen Sachen nicht nur die Kenntlichmachung durch Siegel oder in anderer Weise (vgl. § 111c Abs. 1) in Betracht, sondern jede Maßnahme, die zur Herbeiführung des Beschlagnahmeerfolges geeignet erscheint. Zur Bewirkung einer Beschlagnahme ist aber stets erforderlich, dass über die Sache durch Inbesitznahme oder sonstige Sicherstellung ein Herrschaftsverhältnis begründet wird.147 Es muss eine amtliche Handlung vorliegen, die in geeigneter Weise erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Sache der freien Verfügung des Inhabers entzogen und der amtlichen Obhut unterstellt wird.
145 146
Freyberg 62, 64 m.w.N. BVerfGE 76 83, 91; BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2839.
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BGHSt 15 149, 150.
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2. Amtliche Verwahrung. Amtliche Verwahrung ist nur an beweglichen Sachen möglich.148 Sie besteht in der Überführung der Sache in den Besitz einer Behörde oder einer von ihr mit der Aufbewahrung betrauten Person oder Stelle.149 Der in dem zuletzt genannten Fall begründete mittelbare Besitz ist auch dann eine amtliche Verwahrung, wenn der unmittelbare Besitzer eine Privatperson ist. Die amtlich verwahrten Sachen stehen unter dem strafrechtlichen Schutz des § 133 StGB. Sie sind nach § 109 zu verzeichnen und zu kennzeichnen. Die amtliche Verwahrung begründet ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis und die Haftung nach §§ 688 ff. BGB (Rn. 95). Werden Sachen in amtliche Verwahrung genommen, so hat die Polizei sie bei Abgabe 48 der Vorgänge (§ 163 Abs. 2 Satz 1) der Staatsanwaltschaft zu übergeben; die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bei den Polizeibehörden sind lediglich Besitzdiener der allein mit Leitungsmacht ausgestatteten Staatsanwaltschaft.150 Die Beweismittel sind Bestandteil der Akten. Sie unterliegen dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers, dem sie allerdings nicht herausgegeben werden dürfen (§ 147 Abs. 4), und sie werden dem Gericht mit der Anklageschrift vorgelegt (§ 199 Abs. 2). Da die Beweismittel Bestandteile der Akten sind, werden sie von der jeweils die Akten führenden Stelle verwahrt. Auch wenn sie während des gerichtlichen Verfahrens technisch im Gewahrsam der Staatsanwaltschaft bleiben, handelt es sich um Gerichtsakten, über die der Vorsitzende ausschließlich disponiert.151 Einzelheiten über die Verwahrung sind landesrechtlich geregelt.
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3. Sicherstellung in anderer Weise als durch Verwahrung. In anderer Weise müssen Gegenstände sichergestellt werden, die, wie Grundstücke oder Räume, nicht in Verwahrung genommen werden können,152 bei denen das, weil der Zweck der Beschlagnahme auch so erreicht werden kann, nicht angebracht ist oder die zum Zweck genauerer Untersuchung in ihrer Umgebung an Ort und Stelle, wenn auch nur vorübergehend, verbleiben müssen. Als Maßnahmen der Sicherstellung kommen bei Grundstücken und Räumen das Verbot, sie zu betreten, das Absperren und die Versiegelung in Betracht,153 bei beweglichen Sachen Gebote und Verbot,154 z.B. das Verbot an den unmittelbaren Besitzer einer Sache, sie an einen anderen als den behördlich ausgewiesenen Empfänger herauszugeben,155 sie zu vernichten, zu verändern oder sonst über sie zu verfügen.156 Ist eine amtliche Verwahrung an sich möglich, so wird sie durch Gebote und Verbote an den Besitzer nur ersetzt werden können, wenn der Gewahrsamsinhaber nicht der Beschuldigte und der Besitzer so vertrauenswürdig ist, dass ihm die Sache unbedenklich weiter überlassen werden kann. Dabei ist zu beachten, dass auch eine zufällige Veränderung und ein zufälliger Untergang der Beweisstücke ausgeschlossen bleiben müssen. In der Praxis spielt diese Art der Sicherstellung keine große Rolle. Zu denken wäre an Buchhaltungsunterlagen, die dem Insolvenzverwalter überlassen werden können. Da bei der Sicherstellung in anderer Weise Gebote und Verbote erlassen werden müssen, ist sie nur bei förmlicher Beschlagnahme, nicht bei freiwilliger Herausgabe (Rn. 36, 41) möglich.157
148 149 150 151 152 153 154
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Krey Strafverfahrensrecht II, 430. Lemcke 96 f.; Meyer-Goßner 15. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461. Vgl. Rieß FS II Peters, 113. Krey Strafverfahrensrecht II, 431. Feisenberger 3. BGHSt 15 149, 150; Meyer-Goßner 16; Eb. Schmidt Vor § 94, 2.
155 156
157
RGSt 52 117. BGH JZ 1962 609 mit Anm. Baumann; OLG Hamburg MDR 1961 689; OLG Stuttgart MDR 1951 692. Meyer-Goßner 16.
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VI. Kein Ermessen Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor, kann also ein Gegenstand für eine 50 Untersuchung als Beweismittel von Bedeutung sein, so muss er sichergestellt werden.158 Das erfordert das Legalitätsprinzip und dies gilt auch dann, wenn die Möglichkeit einer Verfahrensbeendigung nach dem Opportunitätsprinzip besteht. Bis zur Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff. kann der Gegenstand Beweisbedeutung haben und wegen des Zustimmungserfordernisses in § 153a ist es auch nicht sicher, ob so verfahren werden wird. Soweit das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit davon gesprochen hat, die Beschlagnahme sei in das Ermessen des Richters gestellt,159 kann dem nicht gefolgt werden.
VII. Verhältnismäßigkeit 1. Allgemeines. Siehe zunächst Vor § 94, 78 ff. Hat ein Gegenstand (potentielle) 51 Beweisbedeutung, so ist er grundsätzlich sicherzustellen; bei Widerspruch des Gewahrsamsinhabers ist die Beschlagnahme die vom Gesetz vorgesehene Maßnahme.160 Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Verfassungsrang hat,161 kommt jedoch auch im Beschlagnahmerecht erhebliche Bedeutung zu,162 da die gesetzlich formulierten Voraussetzungen dieses Eingriffs außerordentlich weit sind.163 Die Sicherstellung muss daher zur Erreichung ihres Zwecks, insbesondere der Beweissicherung, geeignet und erforderlich sein; sie darf ferner – insbesondere unter Berücksichtigung der Beweisbedeutung des Gegenstands und des Gewichts des strafrechtlichen Vorwurfes, der damit bewiesen werden soll – nicht außer Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen für den Gewahrsamsinhaber stehen. Daher sind im Einzelfall das Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz, die zum Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips gehört und deshalb ebenfalls Verfassungsrang hat,164 gegen das Grundrecht der störungsfreien Ausübung des Eigentumsrechts, hilfsweise der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, aber auch gegen das Recht auf Achtung der Privatsphäre des Einzelnen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuwägen. Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen schwerer wiegen als diejenigen der Allgemeinheit an wirksamer Strafverfolgung, so ist der Eingriff unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig. Die so gewonnenen Beweismittel dürfen nicht verwertet werden.165 Insoweit begrenzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch das Legalitätsprinzip.166
158 159 160 161
162
OLG Düsseldorf NStZ 1990 145; Achenbach NJW 1976 1068; Janssen 14. BVerfGE 20 162, 186; 27 104, 110; krit. Janssen 14. BGHR StPO § 94 Beweismittel 3. Z.B. BVerfGE 20 162, 186 f.; 42 212, 219; 59 95, 97; BVerfG (Kammer) NStZ 1994 349. BVerfG (Kammer) NdsRPfl. 1984 46; NJW 1995 2839, 2840; Beschl. vom 29. Januar 1998 – 2 BvR 1922/97 (Beschlagnahme eines Testaments); BGHSt 43 300, 303;
163 164
165 166
LG Freiburg NStZ-RR 1999 366 (psychologische Beratungsstelle) mit krit. Anm. Geppert JK 00, StPO § 97/3; Freyberg 103 ff.; Malek/Wohlers 149 ff. So auch LG Frankfurt NStZ 1997 564, 565. BVerfGE 51 324, 343; 77 65, 76; BVerfG (Kammer) NJW 1995 2839, 2840, jew. m.w.N. BVerfGE 44 353, 373, 383, allerdings ohne nähere Begründung dieser Rechtsfolge. BVerfGE 44 353, 373.
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Namentlich folgende Gesichtspunkte sind gegeneinander abzuwägen:167 Die Schwere des Eingriffs in das Eigentumsrecht oder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist stets genau zu prüfen. Ein Eingriff in die Privatsphäre (z.B. bei Beschlagnahme von Patientenunterlagen einer Drogenberatungsstelle, einer psychologischen Beratungsstelle168 oder eines Krankenhauses169) wird stets schwer wiegen; Ähnliches gilt für Eingriffe in die Pressefreiheit170 sowie in die Sphäre besonders geschützter Berufe, wie von Ärzten,171 Rechtsanwälten, Notaren172 oder Steuerberatern. Das „Bankgeheimnis“ begründet allerdings auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich kein Beschlagnahmeverbot;173 Gleiches gilt für das Sozialgeheimnis,174 etwa bei Beschlagnahme von ärztlichen Abrechnungsunterlagen bei Krankenkassen im Verfahren wegen Abrechnungsbetruges. Bei der Abwägung zu berücksichtigen ist auch das Persönlichkeitsrecht Dritter, etwa 53 bei der Beschlagnahme von Krankenunterlagen eines Zeugen.175 Es steht jedoch der Beschlagnahme nicht generell entgegen, sondern ist in Relation zu den gegenläufigen Abwägungsfaktoren zu setzen, insbesondere der Schwere der verfolgten Tat.176 Die Schwere des konkreten Vorwurfs, also das Gewicht des konkreten Tatunrechts, 54 bildet einen Gegenpol. Bei Verfolgung von schwerem Unrecht werden auch schwerwiegende Eingriffe noch verhältnismäßig sein. Bei leichten Delikten kann die Sicherstellung wertvoller oder für den Gewahrsamsinhaber mit hohem Gebrauchswert verbundener Gegenstände unangemessen sein.177 Die Feststellung eines ordnungswidrigen Verhaltens wiegt oft nicht schwer genug, um eine Beschlagnahme zu rechtfertigen.178 Die Beweisbedeutung des angestrebten Beweismittels für das Verfahren ist ein weite55 rer bedeutsamer Abwägungsfaktor. Dabei kann allerdings nicht von vornherein Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme solcher Gegenstände angenommen werden, die gegenüber bereits vorhandenen Beweisen keine neuen Informationen enthalten.179 Denn die spätere Beweislage in der (letzten) tatrichterlichen Hauptverhandlung ist nicht genau vorhersehbar. Daher können auch Gegenstände, die das bisherige Beweisbild nur abrunden oder bestätigen, der Sicherstellung unterliegen. Dies gilt etwa auch dann, wenn ein Geständnis vorliegt, das noch der Überprüfung bedarf. Im Übrigen ist jedoch die Beweisbedeutung des konkreten Gegenstands, der beschlagnahmt werden soll, in Beziehung zur Beweislage aufgrund der bereits vorhandenen Beweismittel zu setzen. Ist das angestrebte
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167 168 169 170 171
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Grundsätzlich etwa BVerfGE 20 162, 187; 44 353, 373. LG Freiburg NStZ-RR 1999 366 mit Anm. Geppert JK 00 StPO § 97/3. BGHSt 43 300, 303 f. BVerfGE 20 162, 187. S. aber BVerfG (Kammer) Beschl. vom 22. Mai 2000 – 2 BvR 291/91 –, wonach Art. 12 Abs. 1 GG nicht den Schutz des Arztes vor eigener Strafverfolgung bezweckt und die Beschlagnahme von Patientenkarteien nicht ohne weiteres zu einem Verwertungsverbot führt. LG Frankfurt WM 1994 2280 mit Anm. Ranft WuB VII D § 97 StPO 1.95; LG Landshut MittBayNot 1994 586 mit Bspr. Reiß MittBayNot 1994 518 ff.
173
174
175 176
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178 179
LG Krefeld NJW 1994 2036 f. = EWiR 1994 1131 mit Anm. Irmen = WuB VII C § 103 StPO 1.94 mit Anm. Locher. Seibert NStZ 1987 398 f. m.w.N.; a.A. für eine Jugendamtsakte mit Arztbericht LG Hamburg NStZ 1993 401 mit Anm. Dölling. BGHSt 43 300, 303. BGHSt 43 300, 303; OLG Celle NJW 1965 362 f.; LG Fulda NJW 1990 2946; a.A. LG Hamburg NJW 1990 78. Zur (teils repressiven, teils präventivpolizeilichen) Sicherstellung von Kraftfahrzeugen im Rahmen der Verkehrsüberwachung Geppert DAR 1988 12 ff. BayObLG NJW 1997 3454, 3455. A.A. Freyberg 102.
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Beweismittel von zentraler Bedeutung für die Überführung, so ist die Sicherstellung eher gerechtfertigt, als wenn der Gegenstand lediglich der Abrundung, Ergänzung oder Bestätigung des bisherigen Beweisbildes dienen oder nur eine Randfrage klären soll. Urkunden können in Verfahren mit längerem Zeitablauf zwischen der Wahrnehmung von Tatsachen und der Aussage des Zeugen dazu mehr Beweisbedeutung besitzen als Zeugenaussagen.180 Eine von Sachverständigen begutachtete Probe einer lebensmittelrechtlich beanstandeten Sektpartie kann dagegen als Beweismittel ausreichen, so dass die anschließende Beschlagnahme der gesamten Partie nicht mehr (als Beweismittel) erforderlich ist.181 Sind im Steuerstrafverfahren Kontoauszüge bereits beim Beschuldigten beschlagnahmt worden, dann bedarf es nicht der Beschlagnahme von Bankunterlagen in der Bank, sofern sich daraus keine weiteren Erkenntnisse ergeben; dies ist jedoch im Frühstadium des Ermittlungsverfahrens meist noch nicht ohne weiteres absehbar.182 Der Grad des Tatverdachts183 ist ein weiterer Abwägungsfaktor. Bei einem vagen Tat- 56 verdacht gegen einen Arzt wegen Kassenbetrugs184 wird die Beschlagnahme der gesamten Patientenkartei unzulässig, die Beschlagnahme einiger weniger Karteikarten als Stichproben vielleicht noch zulässig sein. Bei vagem Geldwäscheverdacht kommt eine Beschlagnahmeanordnung unter Umständen bereits mangels ausreichender Konkretisierung der Tat in der Beschlagnahmeanordnung nicht in Frage.185 Die Beschlagnahme eines Ausweisersatzes eines Ausländers wegen eines Vergehens bedarf eines erheblichen Tatverdachts und sie ist nur angebracht, wenn ausreichende Beweissurrogate nicht zur Verfügung stehen.186 Die Verbuchungspraxis einer Bank über bankinterne CpD-Konten kann indes einen ausreichenden Anfangsverdacht für Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Bankkunden ergeben, der die Beschlagnahme von Kontounterlagen rechtfertigt.187 Die Notwendigkeit des Mittels fehlt stets, wenn andere, weniger einschneidende Mittel 57 zur Verfügung stehen, die den Zweck in gleicher Weise zu erreichen geeignet sind. Dem Betroffenen ist deshalb in jedem Fall Gelegenheit zu geben, die zu beschlagnahmende Sache freiwillig herauszugeben, um ein Suchen nach dem Beweismittel zu vermeiden; bisweilen kann auch seine Vernehmung oder die von Zeugen genügen; freilich ist dies nicht stets der Fall.188 Unter Berücksichtigung aller Umstände kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur 58 Unzulässigkeit der Beschlagnahme insgesamt oder doch dazu führen, dass mildere Maßnahmen als die Beschlagnahme des Beweisgegenstands an deren Stelle treten. 2. Unzulässigkeit der Sicherstellung nach dem Übermaßverbot. Die Sicherstellung 59 eines Beweismittels ist stets unzulässig, wenn sie nicht notwendig ist. Deshalb muss sich die Beschlagnahme bei Druckschriften oder Filmen auf die Anzahl von Exemplaren beschränken, die zur Beweisführung erforderlich ist (Rn. 72). Eine Beweismittelbeschlagnahme ist auch dann unzulässig, wenn der Beweis bereits mit anderen Mitteln ausreichend sicher geführt werden kann. Aber dies wird selten der Fall sein. Liegt z.B. ein voll
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BVerfG (Kammer) NJW 1995 2839, 2840; dazu Hamacher WuB X § 370 AO 1.95; Leisner BB 1995 525 ff.; Marquardt WiB 1995 839 f.; Ransiek EWiR 1995 149 f.; Weiand Information StW 1995 159 f. LG Bad Kreuznach StV 1994 177. LG Bonn WM 1995 1974 mit Anm. Pütz EWiR 1995 1217 f. Vgl. BVerfGE 20 162, 213.
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Wasmuth NJW 1989 2297. Vgl. aber LG Saarbrücken wistra 1995 32 mit abl. Anm. Carl; LG Saarbrücken wistra 1996 189 f.; 1997 235 mit abl. Anm. Klos. LG Berlin StV 1995 459 f. BVerfG (Kammer) wistra 1994 221; LG Mannheim StV 1995 480 f. BVerfG (Kammer) NJW 1995 2839, 2840.
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verwertbares, aussagekräftiges richterliches Geständnis vor, dann ist die Beschlagnahme eines Briefes an die Lebensgefährtin, der neben einer höchstpersönlichen Lebensbeichte auch ein weiteres Eingeständnis der Tat enthält, unverhältnismäßig. Besonders intensiver Prüfung bedarf die Verhältnismäßigkeit dann, wenn mit der 60 Beschlagnahme in gesetzlich geschützte Vertrauensverhältnisse eingegriffen werden soll, wie das bei den nach § 203 StGB dem Schweigegebot unterworfenen Personen der Fall ist. Soweit hier nicht bereits § 97 Abs. 1 i.V.m. §§ 53, 53a einer Beschlagnahme entgegensteht – der Katalog der Schweigepflichtigen in § 203 StGB geht über § 53 StPO hinaus –, ist das Strafverfolgungsinteresse ganz besonders sorgfältig gegen das Geheimhaltungsinteresse abzuwägen. So wird bei einem Arzt bei Verdacht eines Abrechnungsbetrugs, einer Steuerhinterziehung oder von strafbaren Schwangerschaftsabbrüchen189 die Beschlagnahme der Patientenkartei erst zulässig sein, wenn der Verdacht sich aufgrund überprüfter Tatsachen verdichtet hat und auf eine gewichtigere Straftat schließen lässt. Allerdings ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht darauf gerichtet, den Arzt grundsätzlich vor Strafverfolgung zu schützen.190 Die Beschlagnahme der gesamten Patientenkartei einer im Sinne des § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB öffentlich-rechtlich anerkannten Suchtberatungsstelle hat das Bundesverfassungsgericht191 zu Recht für unzulässig gehalten, solange nur der auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützte „Verdacht“ besteht, Klienten der Beratungsstelle – nämlich Drogenabhängige – hätten sich durch Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln strafbar gemacht und solche Mittel illegal bezogen. Bei anderen Therapieeinrichtungen ist ebenfalls eine Abwägung des Strafverfolgungsinteresses mit den Interessen der Betroffenen erforderlich, wobei zu beachten ist, dass die Beschlagnahme der Patientenkartei das für den Therapieerfolg bedeutsame Vertrauensverhältnis zwischen Therapeuten und Patienten beeinträchtigt;192 ein genereller Verdacht, dass in der Einrichtung Gelegenheit zum Betäubungsmittelmissbrauch besteht, rechtfertigt dann die Beschlagnahme der Patientenakten nicht. Die Beschlagnahme kann jedoch dann zulässig sein, wenn von der Patientenkartei Hinweise auf Drogenhändler erwartet werden können oder wenn Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle selbst strafbarer Handlungen konkret verdächtig sind.193 Die Beschlagnahme einer ärztlichen Patientenkartei scheidet wiederum aus, wenn ausreichende andere Beweismittel verfügbar sind.194 Auch für die Beschlagnahme in einer Anwalts- oder Steuerberaterkanzlei in einem 61 Verfahren gegen den Rechtsanwalt oder den Steuerberater wird im Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch die Prüfung des Verdachtsgrades erfordert, in der Regel der einfache Anfangsverdacht nicht ausreichen, wenn die Beschlagnahme Akten geschützter Vertrauensverhältnisse berührt,195 es sei denn, es gälte besonders schwere Straftaten aufzuklären und auf anderem Wege wären Erkenntnisse derzeit nicht zu ge-
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BGHSt 38 144, 148 = JZ 1992 528 mit Anm. Kluth= MDR 1992 272 mit krit. Bspr. Lorenz MDR 1992 313; dazu auch krit. Fezer JZ 1996 602, 606 f.; die Verfassungsbeschwerde gegen BGHSt 38 144 hat BVerfG (Kammer) Beschl. vom 22. Mai 2000 – 2 BvR 291/91 – nicht zur Entscheidung angenommen. BVerfG (Kammer) NJW 2000 3557. BVerfGE 44 354; dazu Knapp NJW 1977 2119; s.a. LG München I StV 1996 141.
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193 194 195
Zur Beschlagnahme von Patienten- und Personalakten einer Drogentherapieeinrichtung LG München I StV 1996 141 ff. Vgl. BVerfGE 44 354, 381 f. LG Dortmund NJW 1972 1533; Wasmuth NJW 1989 2297. A.A. Böing 110 ff.; Erhart 63 ff.; Spangenberg 170 ff.
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winnen196 (s.a. Vor § 94, 84). Besondere Schwierigkeiten entstehen hier, wenn gegen einen von mehreren in einer Sozietät tätigen Anwälte ermittelt wird und die Gefahr besteht, dass die Beschlagnahme (etwa von Handakten) sowohl Beschuldigte (Anwälte oder Mandanten) als auch Nichtbeschuldigte (Anwälte oder Mandanten) trifft und die erfassten Daten zum Teil wegen der Beschuldigteneigenschaft des Anwalts oder doch wegen Tatverstrickung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 einem Beschlagnahmezugriff unterliegen, zum Teil aber auch nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 97 Abs. 1, § 148 rechtlich besonders geschützt sind. Dass das Vertrauensverhältnis bei Tatverstrickung des Berufsangehörigen der Strafverfolgung weicht, sagt § 97 Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich. Erst recht gilt dies, wenn der Berufsangehörige Beschuldigter ist. Es kann also in diesen Fällen nur darum gehen, das Beweismaterial so behutsam zu sichten (die Durchsicht der Papiere ist nach § 110 in erster Linie Sache des Staatsanwalts!), dass Interessen Dritter nicht mehr als unvermeidbar berührt werden können.197 Ebenso ist bei Beschlagnahmen im Bankenbereich der Grundsatz der Verhältnis- 61a mäßigkeit von Bedeutung. Zwar gibt es im Strafverfahren kein Bankgeheimnis, wegen der Vielzahl möglicher Betroffener ist jedoch der Eingriff so schonend wie möglich vorzunehmen. Dies gilt in zweierlei Hinsicht. Einmal ist eine Beschlagnahme so einzugrenzen, dass andere Personen als der Beschuldigte so wenig wie möglich berührt werden. Zum anderen ist dafür Sorge zu tragen, dass keine Gegenstände als Beweismittel beschlagnahmt werden, die für die verfolgte Tat keine Beweisbedeutung haben. Ein gezieltes Suchen nach Zufallsfunden ist unzulässig; Einzelheiten bei § 108. 3. Ersatzmaßnahmen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingt häufig dazu, 62 anstelle der Sicherstellung der Beweisgegenstände weniger belastende Ersatzmaßnahmen zu ergreifen, wie bei Urkunden oder Datenträgern die Anfertigung von Kopien.198 Dabei ist zu beachten, dass bei der Vornahme solcher Ersatzmaßnahmen die Voraussetzungen der Sicherstellung im Übrigen (Tatverdacht, Bedeutung als Beweismittel für eine Untersuchung) vorliegen müssen. Ausgangspunkt aller Überlegungen zu der Frage, ob solche Ersatzmaßnahmen in Betracht kommen, ist der Grundsatz, dass der Eingriff möglichst gering zu halten ist. Dies ist namentlich auch für die Frage, wer die Ersatzmaßnahmen vornimmt und wer die Kosten trägt, von entscheidender Bedeutung. a) Fotokopien von Urkunden oder Kopien eines Datenbestands. Bei der Beschlag- 63 nahme von Geschäftsunterlagen199 oder Patientenkarteien und ähnlichen Gegenständen ist oft eine geordnete Weiterführung des Unternehmens, der ärztlichen Praxis usw. nicht möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob die Datenbestände konservativ oder in elektronischen Datenbanken erfasst sind. Die Beschlagnahme oder Aufrechterhaltung der Beschlagnahme würde dann – abgesehen von ganz gravierenden Vorwürfen – häufig unverhältnismäßig sein. In diesen Fällen sind deshalb den Betroffenen die Originalbeweismittel zurückzugeben, nachdem Fotokopien oder Kopien des Datenbestands gefertigt wurden,200 wobei allerdings ggf. die besonderen Maßgaben der Rundfunkfreiheit zu beach-
196
197 198
Vgl. zu der Problematik der Beschlagnahme gegenüber Rechtsanwälten Krekeler NJW 1977 1417 und die Entschließungen des 39. Deutschen Anwaltstags in München NJW 1977 1439. S. dazu eingehend BVerfGE 113 29 ff. Ciolek-Krepold 228 ff.
199 200
Dazu Ciolek-Krepold 246. BVerfGK 14 83, 90; BGH GA 1967 282; BGH bei Schmidt MDR 1984 186; MDR 1990 105; BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 1; BGH NStE Nr. 4 zu § 94 StPO; OLG Hamburg NJW 1967 166; OLG Hamm JMBlNRW 1974 115;
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ten sind.201 Dabei handelt es sich um einen Sicherstellungsersatz,202 der bei elektronischen Datenbanken unter Umständen mit Hilfe von Zeugen hergestellt wird, wenn es beispielsweise besonderer Kenntnisse der Software-Programme bedarf. Es liegt ein Surrogat vor, dessen Erlangung durch die staatlichen Ermittlungsorgane nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als „Minus“ zur Sicherstellung oder Beschlagnahme der Originalurkunde oder des Originaldatenträgers gestattet ist, wenn auch die Voraussetzungen für die Beschlagnahme der Originalurkunden beziehungsweise Datenträger gemäß den §§ 94, 97, 98 vorliegen würden. Nicht jedes „Minus“ zu einer positivrechtlich geregelten Eingriffshandlung bedarf auch der Erwähnung im Gesetz; denn das Gesetz würde starr und unbeweglich, wollte man alle denkbaren Einzelheiten möglicher Ermittlungshandlungen positiv-rechtlich erfassen. Der Vorbehalt des Gesetzes (vgl. Vor § 94, 25 ff.) ist bei einem „Minus“ zu einer gesetzlich gestatteten Maßnahme nicht berührt. Kommt es für das Verfahren jedoch auf die Originalunterlagen an, weil z.B. kriminal64 technische Untersuchungen anzustellen,203 insbesondere bei Urkunden Fälschungen zu untersuchen sind oder weil mit dem Fälschungseinwand oder dem Vorwurf einer Veränderung des Datenbestands zu rechnen ist, so sind die Originalunterlagen zu beschlagnahmen oder deren Beschlagnahme aufrechtzuerhalten;204 dem Betroffenen sind dann aber die zur Betriebsfortführung oder – bei konkret dargelegtem sonstigem Interesse – zu anderen Zwecken erforderlichen Kopien zur Verfügung zu stellen.205 In Fällen dieser Art ist demnach entweder die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme 65 der Originalbeweismittel nur verhältnismäßig, soweit der Betroffene Kopien zur Verfügung gestellt erhält, oder es ist nur die Beschlagnahme der sofort anzufertigenden Kopien zulässig, da auch diese den Zweck als Beweismittel erfüllen. Die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Beschlagnahmeanordnung enthält deshalb die vorgenannten Begrenzungen ausdrücklich. Ob die Ermittlungsbehörden im Ermittlungsverfahren von der richterlichen Gestattung der Beschlagnahme Gebrauch machen, ist deren Sache. Gezwungen sind sie dazu nicht stets, sondern nur dort, wo das Legalitätsprinzip es gebietet. Daraus folgt aber, dass dann, wenn es unverhältnismäßig wäre, dem Betroffenen nicht zumindest Kopien zu überlassen, die Ermittlungsbehörden auf ihre Kosten die entsprechenden Kopien zu fertigen haben. Bei dieser Rechtslage ist also weder die Fertigung der Kopien im Ermittlungsverfahren Sache des Gerichts206 noch trägt die Kosten der Kopien in einem solchen Fall der Betroffene, wie die überwiegende Meinung unter Verkennung der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes annimmt.207
201 202 203 204 205
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OLG München NJW 1978 601; LG Berlin StV 2002 67, 68; LG Aachen NStE Nr. 6 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner 18; Malek/ Wohlers 156; Wieland 31; zur Verwertbarkeit von Fotokopien im Urkundenbeweis BGHSt 27 135, 137. Vgl. BVerfG NJW 2011 1863 ff. Meyer-Goßner 16; a.A. Lemcke 111: „aliud“ ohne positivrechtliche Grundlage. BGHR StPO § 94 Beweismittel 3. Ciolek-Krepold 235. BGHR StPO § 94 Beweismittel 3 und Verhältnismäßigkeit 2; vgl. auch BGH bei Schmidt MDR 1984 186; KG Beschl. vom 27. September 1999 – 4 Ws 203/99; ent-
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gegen Koch wistra 1983 63 ist festzuhalten, dass der Fälschungseinwand in Wirtschaftsstrafsachen keine nennenswerte Rolle spielt und deshalb in aller Regel Fotokopien für die Ermittlungen und Durchführung des gerichtlichen Verfahrens ausreichen. Wie Koch wistra 1983 63 unter Verkennung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit meint. BGH NStZ 1982 118, OLG Düsseldorf NStZ 1983 32; Amelung 197, Ciolek-Krepold 237; anders im Ergebnis OLG Hamburg NStZ 1981 107; LG Hildesheim NStZ 1982 376 ff.; s.a. Rieß FS II Peters 128; Sieg wistra 1984 172.
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Von der Frage, wer in einem solchen Fall die Kosten der Fotokopie trägt, ist die bei 66 § 95 zu erörternde Frage zu trennen, ob der von einem Herausgabeverlangen nach § 95 Betroffene die Kosten für das Heraussuchen der Unterlagen erstattet erhält; vgl. dazu auch § 23 Abs. 2 JVEG. Im Übrigen kann es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in derartigen Fällen dem Richter gebieten, den Ermittlungsbehörden eine Frist zu setzen, innerhalb der die Fotokopien oder Originalurkunden dem Betroffenen zur Verfügung zu stellen sind. b) Auskunftsersuchen. Namentlich gegenüber Banken, aber auch gegenüber sonstigen 67 Unternehmen verwendet die Praxis nicht selten das sogenannte Auskunftsersuchen.208 In ihm wird „statt Anordnung oder Gestattung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme“ dem Betroffenen zur Auflage gemacht, über bestimmte, aus den Geschäftsunterlagen des Betroffenen ersichtliche Vorgänge schriftlich Auskunft zu erteilen und entsprechende Fotokopien vorzulegen.209 Ein solches Auskunftsersuchen ist gegenüber einer Beschlagnahme das mildere Mittel und deshalb vorzuziehen. Es kann aber nur von der Stelle ausgehen, welche die Beschlagnahme anordnen darf; das ist – da in diesen Fällen Gefahr im Verzug grundsätzlich nicht gegeben ist – der Richter (§ 98 Abs. 1). Da ein solches Auskunftsersuchen die Verjährung nicht unterbricht210 und da für den Fall der Weigerung des Betroffenen ein Durchsuchungs- und/oder Beschlagnahmebeschluss noch erlassen werden muss, empfiehlt es sich, anstelle des Auskunftsersuchens sofort einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss zu erlassen und im Beschluss die Abwendung der Durchsuchung und Beschlagnahme durch Herausgabe der Beweismittel (vgl. § 95 Abs. 1) oder Erteilung bestimmter Auskünfte zu gestatten.211 Steht bei einem solchen Auskunftsersuchen freilich mehr die Zeugenvernehmung im Vordergrund, so kann es auch auf § 161a gestützt werden; dann kann es auch von der Staatsanwaltschaft ausgehen. Auskünfte, die über den Informationsgehalt eines Sachbeweises hinausgehen und damit nicht an die Stelle einer Beschlagnahme treten sollen, können dagegen nicht aufgrund von §§ 94, 98 gefordert werden.212 Ein solches Auskunftsersuchen stellt sich letztlich als schriftliche Zeugenbefragung dar, die im Freibeweis grundsätzlich möglich ist. 4. Recht auf Besichtigung. Da der Beschlagnahmezweck mit der Sicherstellung des 68 Beweismittels erfüllt ist, darf der Gewahrsamsinhaber durch seinen Verteidiger oder Rechtsanwalt die sichergestellten Gegenstände jederzeit einsehen. Gegenüber dem Beschuldigten kommt deshalb wegen der bei ihm sichergestellten Gegenstände auch eine Beschränkung nach § 147 Abs. 2 nicht in Betracht.
VIII. Pressebeschlagnahme Die Pflicht der Mitarbeiter der Medien, an Strafverfahren mitzuwirken, insbesondere 69 über Informanten auszusagen und Gegenstände herauszugeben, gehört seit langem zu den zentralen rechtspolitischen Fragen im Schnittpunkt von Verfassungs-, Strafprozessund Medienrecht.213 Die „Pressebeschlagnahme“ steht damit als Teilkomplex dieser
208 209 210
Locher WuB I B 3 Bankgeheimnis 2.89; Malek/Wohlers 151. Vgl. den Sachverhalt bei LG Kaiserslautern NStZ 1981 438. LG Kaiserslautern NStZ 1981 438.
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G. Schäfer FS Dünnebier 544; zust. CiolekKrepold 202. OLG Celle StraFo 1997 271, 272. Hassemer JuS 1990 503; Mensching 1.
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Materie gleichfalls im Rampenlicht, unterliegt aber nach bisherigem Strafprozessrecht den allgemeinen Regeln, soweit nicht § 97 Abs. 5 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 besondere Bestimmungen enthält.
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1. Keine Sonderregelung. Für die Sicherstellung von Beweismitteln im Bereich der Presse gibt es im Übrigen keine Sondervorschriften.214 Die §§ 111m und 111n betreffen die Beschlagnahme zur Sicherung der Einziehung.215 Soweit die Pressegesetze der Länder in ihrem jeweiligen § 23 Regelungen enthielten oder enthalten, die die Beweismittelbeschlagnahme gegenüber der vorliegenden Vorschrift einschränken, sind diese nichtig, weil es sich dabei nicht um Presserecht, sondern um Bestandteile des Beweiserhebungsrechts der Verfahrensordnungen handelt, die nach Art. 74 Nr. 1 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fällt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht zu § 53 StPO ausdrücklich und mit Gesetzeskraft entschieden,216 so dass der vormalige Meinungsstreit217 überholt ist. Trotz eines gewissen Sachbezuges zum Presserecht sind Regeln über Zeugnisverweigerungsrechte verfahrensrechtlicher Natur.218 Nichts anderes kann für die Sicherstellung von Beweismitteln nach der vorliegenden Vorschrift gelten. Der Bundesgesetzgeber hat deshalb durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1973) das Beschlagnahmerecht im Zuge der Neuordnung des publizistischen Zeugnisverweigerungsrechts teilweise anders und § 97 Abs. 2 und 5 neu gefasst.
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2. Verhältnismäßigkeit. Die Beschlagnahme und Durchsuchung im Bereich der Presse kann zu schweren Beeinträchtigungen der Pressefreiheit führen. § 97 Abs. 5 StPO regelt daher ein besonderes Beschlagnahmeverbot, das nunmehr de lege lata auch für selbstrecherchiertes Material gilt,219 aber auch Lücken aufweist.220 Insofern bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit221 von Relevanz.222 Die überragende Bedeutung der Pressefreiheit für die freiheitlich demokratische Grundordnung hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehoben.223 Deshalb ist bei der Beschlagnahme von Gegenständen bei Presseorganen, soweit nicht bereits § 97 Abs. 5 StPO entgegensteht, eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen den Belangen der Strafverfolgung und der Pressefreiheit geboten.224 Je mehr die Strafverfolgungsmaßnahme den Pressebetrieb zu beeinträchtigen geeignet ist, desto höher sind die Anforderungen an das Strafverfolgungsinteresse zu stellen, desto schwerer muss das konkrete Delikt wiegen, auf das sich die Ermittlungen beziehen, desto stärker muss der Tatverdacht und desto mehr muss
214 215 216
217 218 219
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Meyer-Goßner § 111m, 1. Dazu AG Weinheim NStZ 1996 203 f. mit Anm. Wilhelm. BVerfGE 36 193, 202 f.; s.a. BVerfGE 36 315, 318 f.; 38 103 ff.; 48 367, 372 ff.; 95 220, 238. Vgl. Mensching 77 ff. m.w.N. Mensching 79 ff. Zur früheren Rechtslage: BVerfGE 77 65 (Brokdorf); dazu BRAK AfP 1989 528; Bertuleit/Herkströter KJ 1988 318 ff.; Dörr AfP 1995 378, 380; Glauben DRiZ 1988 352; Hassemer JuS 1988 491 und AfP 1989 418; Lisken ZRP 1988 193; J. Meyer FS Tröndle 837 ff. (rechtsvergleichend); Reissenberger
220 221 222
223 224
DRiZ 1988 189; krit. zu den praktischen Folgen der Entscheidung Kerscher NJW 1997 1350, 1351; zum Fragenkreis i.ü. LG Trier AfP 1988 86; Jung AfP 1995 375, 377. Vgl. Mensching 137 ff. Dazu Ollendorf 118 ff. BVerfGE 15 223, 225; 20 162, 186 f.; 44 353, 373; 56 247, 248 f.; 77 65, 75 f.; AK/Amelung § 97, 35; Gehrhardt AfP 1979 394, 395; Mensching 156. Vgl. BVerfGE 10 118, 121; 20 162, 186; 36 193, 204; 64 108, 114; 77 65, 75 f. BGHSt 41 363, 367 (Bekennerschreiben); LG Bremen AfP 1999 386 ff.
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gerade die Beschlagnahme (und Durchsuchung) erforderlich sein, um den Beweis führen zu können.225 Die beabsichtigte (Durchsuchung und) Beschlagnahme muss auch erfolgversprechend sein,226 sonst scheitert sie am Gebot der Erforderlichkeit. Aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht bereits unmittelbar in jedem Fall ein Verwertungsverbot abzuleiten.227 Auch dafür ist – wie auch sonst (vgl. Rn. 73 ff.) – eine Abwägung der widerstreitenden Belange unter besonderer Berücksichtigung der Pressefreiheit geboten. S. im Einzelnen und insbesondere zu dem Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht die Kommentierung bei § 97. 3. Quantitative Beschränkung der Beschlagnahme. Die Beschlagnahme von Presse- 72 produkten (oder Filmen usw.) als Beweismittel ist grundsätzlich auf ein Exemplar zu beschränken,228 da dieses zur Beweisführung ausreicht. Warum zum Beispiel bei Filmen zwei Exemplare zu beschlagnahmen sein sollen,229 ist nicht ersichtlich.230 Soll der Nachweis der Verbreitung von Schriftstücken geführt werden, bedarf es in der Regel nicht der Beschlagnahme. Es genügt z.B. die Fertigung eines Lichtbildes über die Schaufensterauslage; auch ist die Vernehmung des Ermittlungsbeamten als Zeuge in der Regel ein geeignetes Beweismittel für die Art der Verbreitung, so dass es dazu der Beschlagnahme nicht bedarf. Keinesfalls darf die Beweismittelbeschlagnahme zu einer Umgehung der strengeren Beschlagnahmevorschriften der §§ 111m, 111n zur Sicherung der Einziehung missbraucht werden,231 mit der gegebenenfalls die gesamte Auflage erfasst werden könnte,232 soweit nicht auch die Beschlagnahme der von Pressedelikten betroffenen Teile ausreicht.
IX. Verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote 1. Übermaßverbot. Die StPO nimmt von der Beschlagnahme zu Beweiszwecken nur 73 die nach § 96 gesperrten und die in § 97 bezeichneten Gegenstände ausdrücklich aus. Weitere – subsidiäre – Beweisverbote ergeben sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rn. 51).233 Dabei kann die Beschlagnahme als Beweiserhebungsakt wegen Unverhältnismäßigkeit rechtswidrig sein mit der (möglichen) Rechtsfolge der Unverwertbarkeit des gleichwohl erhobenen Beweises. Es kann aber auch die Beweisverwertung selbst verfassungsrechtlich zu beanstanden sein, weil sie ihrerseits in Grundrechte eingreift; dann ist zu prüfen, ob die für sich genommen fehlerfreie Beschlagnahme als „Vorwirkung“ eines selbständigen Beweisverwertungsverbots ausgeschlossen ist (vgl. Rn. 74). Indes erscheint Letzteres nicht zwingend: Die Unverwertbarkeit eines Sachbeweises wegen eines Beweisverwertungsverbots von Verfassungs wegen ergibt sich gegebenenfalls aus einer Wertung, die von einer Abwägung der widerstreitenden Belange abhängt, welche aber erst nach Abschluss der Ermittlungen genau gewichtet werden können. Im
225 226 227 228 229 230
Vgl. dazu grundsätzlich BVerfGE 20 162, 187; s.a. Mensching 156. Vgl. BVerfGE 42 212, 220 f.; Mensching 156. BVerfG (Kammer) NJW 1981 971; NStZ 1988 33; Jarass JZ 1983 280, 282. Seetzen NJW 1976 449. So OLG Frankfurt NJW 1973 2074; MeyerGoßner 19. Janssen 7 verneint sogar die potentielle Beweisbedeutung der weiteren Exemplare,
231 232 233
die über das zu beschlagnahmende Minimum hinausgehen. Jedoch spricht er den „2 oder 3 Exemplaren“, denen er Beweisbedeutung zumisst, Beschlagnahmefähigkeit zu. OLG Frankfurt NJW 1973 2074. KK/Nack 18. BGHSt 43 300, 303; BGH NStZ 2000 383 mit Anm. Jahn; Wieland 31.
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Stadium des Ermittlungsverfahrens ist das Ergebnis dieser Entscheidung nicht ohne weiteres absehbar; daher muss es im Interesse der Beweissicherung (§ 160 Abs. 2 Hs. 2) grundsätzlich zunächst Vorrang genießen, so dass der Beschlagnahmezugriff zu erfolgen hat. Die Beschlagnahme ist erst zu beenden, wenn ein Verwertungsverbot zuverlässig festgestellt werden kann. 2. Verletzung von Menschenwürde oder Persönlichkeitsrecht durch die Beweisverwertung
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a) Allgemeines zu den Beweisverwertungsverboten von Verfassungs wegen. Über den bei der Beschlagnahme ohnehin zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinaus ergeben sich nach der Rechtsprechung auch weitere Beschlagnahmegrenzen unmittelbar aus der Verfassung, namentlich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG,234 unter Umständen auch aus spezielleren Grundrechten235 oder einfach-rechtlich aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. b und Art. 8 EMRK. Bei ersteren handelt es sich um Beweisverwertungsverbote von Verfassungs wegen. Sie haben in jüngerer Zeit vor allem eine Rolle bei der akustischen Überwachung gespielt: So ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ein in einem Krankenzimmer mittels akustischer Wohnraumüberwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch des Beschuldigten zu dessen Lasten unverwertbar, soweit es dem durch Art. 13 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich zuzuordnen ist.236 Nach einer neueren Entscheidung des 2. Strafsenats ist ein in einem Kraftfahrzeug mittels akustischer Überwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch eines sich unbeobachtet fühlenden Beschuldigten im Strafverfahren auch gegen Mitbeschuldigte unverwertbar, da es dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen ist.237 Die Beweisverwertungsverbote von Verfassungs wegen besitzen aber auch besondere Bedeutung gerade für das Beschlagnahmerecht und bedürfen daher an dieser Stelle ergänzender Erörterung. In der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, Tagebuchaufzeichnungen seien 75 von dem Spezialgrundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG geschützt238 und deshalb beschlagnahmefrei; jedoch ist der dazu angestellte Vergleich des schriftlich fixierten Selbstgesprächs mit einer Beichte nicht überzeugend.239 Die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG ist mit dem von Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschützten „forum internum“ nicht deckungsgleich, wenngleich Überschneidungen möglich sind.240 Es geht bei der Gewissensentscheidung, die Art. 4 Abs. 1 GG schützt, nicht um eine reine Auseinandersetzung mit dem „Ich“. Die Gewissensfreiheit unterliegt im Übrigen auch verfassungsimmanenten Schranken,241 sie ist also im Gegensatz zum Kernbereich der Persönlichkeit (Art. 1
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Ciolek-Krepold 331; zur Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen im Besitz des Beschuldigten BGHSt 44 46 ff. und § 97 Rn. 105. Die Beschlagnahme interner Gutachten eines Versicherers verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, BVerfG (Kammer) Beschl. vom 31. Januar 1994 – 2 BvR 1609/93; Beschlagnahme von Unterlagen einer den Beschuldigten Rechtsschutz gewährenden Gewerkschaft berührt den Schutzbereich des Art. 9
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239 240 241
Abs. 3 GG, BVerfG (Kammer) NJW 1998 893. BGHSt 50 206, 210 ff. BGHSt 57 71. Amelung NJW 1988 1002, 1004 f.; ders. NJW 1990 1753, 1759; Lorenz GA 1992 254, 273 ff.; ders. JZ 1992 1000, 1006; Störmer Jura 1991 17, 23. Früher SK/Schlüchter § 261, 51. Laber 74 f. BVerfGE 53 223, 246 f.
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Abs. 1 GG) nicht absolut geschützt. Das staatliche Strafverfolgungsinteresse kann vielfach Eingriffe hierein gestatten.242 Gleiches gilt für die Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG.243 Daher wird die Frage, ob in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung eingegriffen wird, nicht von speziellen Verfassungsnormen verdrängt. Der Ansatz ist daher zunächst bei den Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu suchen.244 Bei den aus diesen Verfassungsnormen abgeleiteten Beweisverboten handelt es sich 76 nicht um verfahrensrechtliche Folgen von Beweiserhebungsverboten, sondern um selbständige Beweisverwertungsverbote,245 die darauf beruhen, dass die Verwertung der in rechtmäßigem Beweisgang, insbesondere durch eine für sich genommen rechtlich beanstandungsfreie Sicherstellung oder Beschlagnahme, staatlich erlangten Sachbeweise selbst eine Grundrechtsverletzung darstellen kann. Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht eines Tagebuchschreibers können etwa durch die Erörterung des Tagebuchinhalts in der Hauptverhandlung des Strafgerichts, durch seine Verwertung in der Urteilsberatung und durch die Darstellung und Bewertung in den Urteilsgründen verletzt werden. Selbständige Beweisverwertungsverbote entfalten nach herrschender Meinung gegebenenfalls wiederum unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die „Vorwirkung“,246 dass nicht beschlagnahmt werden darf, was im Prozess aus Rechtsgründen nicht verwertet werden kann. Dabei bleibt freilich bisher ungeklärt, meist auch ungeprüft, ob eine Verwertung jedenfalls zugunsten des Beschuldigten möglich ist, weil auch die verfassungsrechtlichen Verwertungsverbote richtigerweise nur als „Belastungsverbote“ ausgestaltet sein können, soweit sie jedenfalls auf subjektiven Beschuldigtenrechten beruhen. Ergeben sich etwa aus einer Tagebuchaufzeichnung Hinweise auf einen Schuldausschluss (§ 20 StGB) oder eine erhebliche Schuldminderung (§ 21 StGB) infolge einer seelischen Erkrankung des Angeklagten zur Tatzeit, so ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum diese Hinweise – zum Schutze der Menschenwürde oder des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten – nicht zu seinen Gunsten verwertet werden dürfen. Umgekehrt ist die Beweiserhebungsnorm – beim Sachbeweis insbesondere die Beschlagnahmeerlaubnis nach den §§ 94, 98 – eine ausreichende prozessuale Ermächtigung zur staatlichen Beweiserhebung und -verwertung, wenn die Prüfung anhand der Verfassung ergibt, dass auch kein selbständiges Beweisverwertungsverbot besteht.247 Die Begründung und Begrenzung der verfassungsrechtlichen Beweisverbote ist im Ein- 77 zelnen aber noch gar nicht abschließend geklärt. Ausgangspunkt ist die – zunächst in anderem Zusammenhang entwickelte248 – von Gössel 249 so genannte Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgerichts,250 auch „Sphärentheorie“ genannt. Danach ist zu unterscheiden251 zwischen dem absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung,
242 243 244 245 246 247 248
Laber 76. Laber 77 f. Vgl. etwa BVerfGE 80 367, 373 ff.; BGH NStZ 2000 383 mit Anm. Jahn. Dalakouras 138 ff.; grundsätzlich abl. Sax JZ 1965 1, 3. Fezer 16/7; Geppert JR 1988 474; Kelnhofer 214; Laber 90. Rogall Rudolphi-Symposium 113, 147 und StV 1996, 513, 516; a.A. Wölfl 111. BVerfGE 6 32; 6 389 ff.; 27 344 ff.; offengelassen in BVerfGE 18 146 f.
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Gössel NJW 1981 649, 655 und JZ 1984 361. BVerfGE 34 238, 245 ff.; 80 367, 373 ff.; krit. Krauß FS Gallas 365, 378 ff.; entgegen Geis JZ 1991 112, 113 ist diese „Sphärentheorie“ nicht durch Nichterwähnung in BVerfGE 65 1, 41 ff. aufgegeben worden; sie wurde auch danach fortgeführt, vgl. Laber 29 f. m.w.N., s. zuletzt BVerfGE 101 361 ff. BVerfGE 34 238, 245 ff.; Kelnhofer 68.
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dessen Beeinträchtigung ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles stets ein Verwertungsverbot zur Folge hat,252 der schlichten Privatsphäre, deren Verletzung von Fall zu Fall ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben kann, wenn die Abwägung des Strafverfolgungsinteresses mit dem beeinträchtigten Interesse des Betroffenen den Vorrang des Individualinteresses ergibt, und der (meist unerwähnt gelassenen) Sphäre der öffentlichen (sozialen) Kommunikation, deren Berührung für sich genommen grundsätzlich kein Verwertungsverbot zur Folge haben kann;253 der Eingriff in die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) im letztgenannten Bereich und in die Verfügungsbefugnis (Art. 14 Abs. 1 GG) ist regelmäßig durch die §§ 94 ff. gestattet. Die Abgrenzung der Sphären254 voneinander ist noch nicht abschließend gelungen,255 und es wird angesichts der Vielgestaltigkeit des Persönlichkeitsrechts bezweifelt, ob dies auch unter Berücksichtigung des Inhalts der Äußerung überhaupt gelingen kann.256 Strafprozessuale Einzelheiten, wie die Frage der Unverzichtbarkeit des absoluten Schutzes der Intimsphäre257 (ähnlich wie in § 136a Abs. 3, der freilich keinen Sphärenschutz regelt, sondern Ermittlungsmethoden)258 auch bezüglich entlastender Beweise259 oder die Frage von Fernwirkungen eines Beweisverwertungsverbots wegen Verletzung der Intimsphäre,260 sind ebenfalls ungeklärt. Ein Angeklagter, der in einer (eigenen oder fremden) Tagebuchnotiz einen Entlastungsbeweis sieht, wird nicht anerkennen, dass er gegebenenfalls einen Schuldspruch und hohe Strafe hinnehmen muss, weil dieser Entlastungsbeweis zum Schutze der Menschenwürde des Verfassers der Aufzeichnung nicht geführt werden dürfe.261 Andererseits ist der Angeklagte nicht daran gehindert, dieselben Angaben, die er in einem Tagebuch niedergelegt hatte, in der Hauptverhandlung mündlich zu äußern; an der Verwertbarkeit dieser Einlassung bestehen dann keine Zweifel; deshalb gilt die Aussage, dass die Zuordnung einer Information zur Intimsphäre aus ihrem Inhalt zu entnehmen sei, nur für den Urkundenbeweis, zumal Teilinhalte eines Tagebuchs verschiedenen Sphären zugeordnet werden können.262 Im Übrigen kann nicht ohne Rücksicht auf die Beweisbedeutung der Aufzeichnung bereits aus ihrer Zuordnung zum nichtkommunikativen Bereich privater Lebensgestaltung auf absolute Unverwertbarkeit geschlossen werden.263 Umgekehrt geht die generelle Verneinung264 eines unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung zu weit. Dem absoluten Schutz unterliegen Tagebücher mit höchstpersönlichen Eintragungen,265 sofern und soweit diese ausschließlich eine Auseinandersetzung mit dem eigenen
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Zur Relativierung des Kernbereichs aber Schlehofer GA 1999 357 ff. Vgl. auch BVerfGE 101 361, 381 ff. (Caroline von Monaco). Dalakouras 50 ff. m.w.N. Vgl. R. Schmidt Jura 1993 591, 593 mit dem Vorschlag der Einführung einer Prüfungszuständigkeit des Ermittlungsrichters. Vgl. die Kritik von Geppert JR 1988 471, 474; Krauß FS Gallas 378 ff. Laber 94 ff. Vgl. dazu Eschelbach StV 2000 390, 396. Zur These, dass Beweisverbote auch insoweit nur „Belastungsverbote“ seien, Kelnhofer 158 f. m.w.N. Im Ergebnis abl. Wölfl 205 ff. Das Problem stellt sich auch bei der Frage der Zulässigkeit des freiwilligen Lügen-
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detektortests, dazu BVerfG (Kammer) NJW 1998 1938, 1939; BGHSt 5 332 ff.; BGH NJW 1999 662 f.; nunmehr anders BGHSt 44 308 ff. mit Anm. Amelung JR 1999 382; Artkämper NJ 1999 153 f. und Hamm NJW 1999 922 f.; aus der Lit. etwa Eisenberg Beweisrecht 695 ff. Ungeklärt war bereits vor BGHSt 44 308 die Frage der Verwertbarkeit der Befunde eines privat durchgeführten Polygraphentests, dazu Dalakouras 185 ff. Ein vergleichbares Problem könnte ggf. künftig für privat zu Verteidigungszwecken angefertigte DNA-Analysen im kodierenden Bereich der DNA entstehen. BayObLG StV 1995 65 mit Anm. Preuß. So aber Dalakouras 216. Krauß FS Gallas 365, 387. BGH JR 1994 430 mit Anm. F. Lorenz.
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„Ich“, aber keinen Sozialkontakt enthalten. Wann dies der Fall ist, ist wiederum nicht abschließend geklärt; eine positive Definition der „Intimsphäre“ ist bisher nicht gelungen. b) Tagebuchfälle. Ein der Sicherstellung unzugänglicher Sachbeweis kann nur dann 78 der auf den nicht kommunikativen Bereich beschränkten Intimsphäre zuzurechnen sein, wenn er eine Fixierung eigener Gedanken und Gefühle ohne Sozialbezug darstellt. Dies wird vornehmlich bei Tagebuchaufzeichnungen erörtert,266 ohne dass dies zwingend die einzige Konstellation wäre, wo dies relevant werden kann. Die Grundsätze hierzu gelten für Tagebuchaufzeichnungen von Beschuldigten und solche von Drittbetroffenen des konkreten Verfahrens267 im Ausgangspunkt in gleicher Weise.268 Denn der Schutz von Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht gilt (erst recht) auch für Personen, die nicht Beschuldigte sind. Die Frage ist nur, ob sich ein Angeklagter darauf berufen kann, dass er in seinem Rechtskreis verfahrensrechtlich betroffen ist, wenn eine Ermittlungsmaßnahme unter Verletzung der Grundrechte Dritter stattfindet. Die Wertung der § 69 Abs. 3, §§ 72, 136a zeigt, dass die Verletzung der Menschenwürde Dritter verfahrensrechtlich auch für den Beschuldigten Bedeutung haben kann, denn § 136a gilt als Ausprägung des Art. 1 Abs. 1 GG.269 Die Tatsache, dass im Einzelfall „nur“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Dritten eingegriffen wurde, kann dagegen ein Abwägungsfaktor bei der zur Prüfung eines Beweisverwertungsverbots notwendigen Gesamtbewertung sein, sofern dem Angeklagten überhaupt eine Rügebefugnis zur Geltendmachung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts eines Dritten wegen der Verwertung der Tagebuchaufzeichnungen zusteht.270 Der Bundesgerichtshof hat in seiner ersten Tagebuchentscheidung271 in einem Verfah- 79 ren wegen Meineids die Unverwertbarkeit des von einem Dritten an die Ermittlungsbehörde übersandten Tagebuchs der Angeklagten bejaht, das nur Aufzeichnungen persönlichen Inhalts ohne unmittelbare Tatrelevanz enthielt, aber belegen konnte, dass die Angeklagte zu diesem Thema nachträglich vor Gericht falsche Angaben beschworen hatte. Die Tagebuchaufzeichnungen hatten zur Zeit ihrer Abfassung keine Beweisrelevanz für Straftaten der Angeklagten, sondern allenfalls für Straftaten ihres Sexualpartners; Beweisrelevanz für den späteren Meineid der Angeklagten erlangten sie erst nachträglich. Der Bundesgerichtshof hat einen Sozialbezug der Tagebuchaufzeichnung verneint und diese der Intimsphäre ihrer Verfasserin zugeordnet. Er hat in dieser Entscheidung jedoch auch bemerkt, dass Aufzeichnungen eines Straftäters über seine Taten und deren Opfer nicht geschützt seien.272 Nur die Entfaltung, nicht der Verfall der Per-
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Notiz- und Taschenkalender sind damit meist nicht gemeint; vgl. BGH NStZ 2000 383 mit abl. Anm. Jahn. Zur Verwertung des Tagebuchs der verstorbenen Ehefrau des Angeklagten BGH NStZ 1998 635. BGH NStZ 1998 635; Laber 93 f. Vgl. BGHSt 5 332, 333; 44 308, 317 zum Polygraphentest; s.a. Eschelbach StV 2000 390 m.w.N. Offengelassen von BGH NStZ 1998 635. BGHSt 19 325; dazu Dünnebier MDR 1964 965; Händel NJW 1964 1139; Heinitz JR 1964 441; Krumme LM Nr. 9 zu Art. 2 GG; Laber 4 ff.; Sax JZ 1965 1; dem BGH fol-
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gend BayVerfGH NJW 1968 99 ff.; OLG Celle NJW 1965 1677, 1678; s.a. OLG Frankfurt NJW 1967 1047; die Kernbereichsthese wurde von BGH bei Dallinger MDR 1966 383, 384 zu Recht nicht auf die Verwertung von Briefen des Angeklagten übertragen, die schon durch ihren Charakter als Mitteilung an andere Personen einen Sozialbezug aufweisen. BGHSt 19 325, 331; zur Ausgliederung von selbstgefertigten Verbrechensstatistiken aus der Intimsphäre auch Otto FS Kleinknecht 319, 329; für Aussagen mit unmittelbarem Beweisbezug auf Straftaten Störmer Jura 1991 17, 23 f. und NStZ 1990 397, 399;
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sönlichkeit werde durch die Grundrechte geschützt. Diese Formulierung brachte der Entscheidung Kritik ein.273 Doch lenkt die Kritik an der drastischen Formulierung vom zutreffenden Aussagekern ab, dass Aufzeichnungen über Straftaten des Verfassers keinen Schutz verdienen. Bei der Abgrenzung zwischen der Intimsphäre und der Privatsphäre im weiteren Sinne 80 müssen neben dem staatlichen Aufklärungsinteresse und dem Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen auch die Interessen Dritter berücksichtigt werden, insbesondere der Tatopfer. Besitzen die Tagebuchaufzeichnungen unmittelbare Tatrelevanz, so kann darin bereits eine Außenwirkung liegen.274 Dann aber gehören sie nicht mehr zur Intimsphäre, sondern zur schlichten Privatsphäre. Die Intimsphäre ist im Einzelfall auch verlassen, wenn der Betroffene in die Verwertung seiner Aufzeichnungen einwilligt.275 Die Annahme der Unverwertbarkeit der Tagebuchaufzeichnungen darf im Übrigen nicht dazu führen, dass der einzige Entlastungsbeweis für einen unschuldigen Dritten gesperrt wird. Dies alles spielte freilich im konkreten Fall, den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte, keine Rolle. Dessen Entscheidung hatte auch in einem verfassungsgerichtlichen Eilverfahren Bestand.276 In der zweiten Tagebuchentscheidung,277 die zu einer Verurteilung wegen Mordes 81 ergangen ist, hat der Bundesgerichtshof ohne ausdrückliche Erwähnung der Kernbereichsthese278 von vornherein eine Gesamtabwägung zwischen dem staatlichen Aufklärungsinteresse und dem Geheimhaltungsinteresse des betroffenen Angeklagten vorgenommen, um die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots bezüglich der tagebuchähnlichen Aufzeichnungen zu klären, welche der Angeklagte auf Anraten eines Psychologen angefertigt hatte. Die Zuordnung der nicht unmittelbar auf die Straftat bezogenen, aber Indizwert für Tatgeneigtheit oder Tatmotiv enthaltenden Aufzeichnungen zum absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit lag für den Bundesgerichtshof fern, wobei unerheblich war, dass sich der (rechtsunkundige) Angeklagte mit der Sicherstellung der Papiere einverstanden erklärt und gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen freiwillig zu demselben Thema geäußert hatte. Dem Standpunkt des Bundesgerichtshofs ist trotz erheblicher Kritik, die vor allem die 82 Verkürzung der Entscheidungsbegründung durch Nichterwähnung der Kernbereichsthese betrifft, für den konkreten Fall im Ergebnis zuzustimmen. Darüber hinaus kann auch eine präventivpolizeiliche Verwertung beweiskräftiger Informationen aus tagebuchähnlichen Aufzeichnungen befürwortet werden,279 wenn sich daraus die Notwendigkeit der Abwehr erheblicher Gefahren für wichtige Rechtsgüter ergibt. Denn die Rechtsordnung
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weitergehend auch für Zwecke der Gefahrenabwehr Wolter StV 1990 175, 176 ff. Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 105; Dalakouras 217; Delius Tagebücher als Beweismittel im Strafverfahren, 27; Dünnebier MDR 1964 965, 968; Frank 46; Hanack JZ 1972 114, 115; Klöhn 241; Sax JZ 1965 1, 2; der „Verfalltheorie“ folgend OLG Frankfurt NJW 1967 1047, 1048; von „Verwirkung“ spricht R. Schmitt JuS 1967 19, 23. S.a. BGH NStZ 1995 79 f. (Abschiedsbrief vor Selbstmordversuch des Täters); BGH Beschl. vom 19. Juni 1998 – 2 StR 189/98
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(Aufzeichnungen der Ehefrau des Angeklagten über dessen Missbrauchstaten). BGHSt 19 325, 329. BVerfGE 18 147. BGHSt 34 397, 399 ff.; dazu Amelung NJW 1988 1002; Geppert JR 1988 471; Laber 34 ff.; Plagemann NStZ 1987 570. Daher krit. Fezer 16/66 ff.; GeppertJR 1988 471, 473; Küpper JZ 1990 416, 420; Plagemann NStZ 1987 570; R. Schmidt Jura 1993 591, 59; Wolfslast NStZ 1987 103, 105; Wolter StV 1990 175, 176. Wolter StV 1990 175.
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muss nicht hinnehmen, dass Straftaten, die in Tagebuchaufzeichnungen angedeutet oder angekündigt werden, erst begangen werden, um sie danach – gegebenenfalls wiederum ohne Heranziehung der Tagebuchaufzeichnungen – verfolgen zu können. Die Annahme der Unverwertbarkeit zum Schutz der Intimsphäre wäre nicht vermittelbar, wenn etwa der Verfasser von Tagebuchnotizen darin seine Neigung zu sexuellen Handlungen an Kindern dokumentieren würde, die spätere Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs indizieren können. Das Bundesverfassungsgericht280 hat im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 83 gegen die zweite Tagebuch-Entscheidung des Bundesgerichtshofs bei Stimmengleichheit keine Grundrechtsverletzung feststellen können. Nach der Meinung der Richter, deren Votum diese Entscheidung trägt, gehören die Tagebuchaufzeichnungen schon deshalb nicht dem absolut geschützten Bereich an, weil der Beschwerdeführer seine Gedanken schriftlich niedergelegt hat. Jedenfalls weise der Inhalt der Aufzeichnungen über die Rechtssphäre des Verfassers hinaus.281 Ob diese Auffassung vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99 – zu den Grenzen zulässiger Überwachung des gesprochenen Wortes in einer Wohnung aufrechterhalten werden kann, erscheint fraglich. S. dazu bei § 100c. Der gegen BVerfGE 80 367 erhobene Einwand des Zirkelschlusses282 verfängt nicht. 84 Er kann ebenso gut gegen die Anwendung der Kernbereichslehre im Strafprozess umgekehrt werden. Ob verwertbares Material vorliegt, entscheidet sich nach dieser These aufgrund des Inhalts der Aufzeichnung, der deshalb zur Prüfung der Rechtsfrage gesichtet werden muss. Verwertbares Beweismaterial kann nicht mit Hinweis auf einen höchstpersönlichen Inhalt dadurch gesperrt werden, dass von seinem Inhalt nicht Kenntnis genommen werden darf, eben weil dadurch die Gefahr der Kenntnisnahme von unverwertbarem Material entsteht. Kritisiert wird ferner die Überlegung des Bundesverfassungsgerichts, der rechtsstaat- 85 liche Auftrag zur möglichst umfassenden Wahrheitserforschung im Strafverfahren beziehe sich nicht nur auf die Ermittlung des äußeren Tatgeschehens, sondern auch der inneren Tatseite. Dies sei wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Schuldprinzips geboten. Dagegen wird vorgebracht,283 mit dem Hinweis auf das Schuldprinzip liege eine ergebnisorientierte Wertung vor, die den Schutz der Menschenwürde relativiere, weil Schuld erst festgestellt werden müsse, bevor sie bewertet werden könne. Der Schutz des Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung stehe dem entgegen. Doch wird mit der so kritisierten Aussage des Bundesverfassungsgerichts nur betont, dass für die verfolgten Straftaten beweisrelevante Aufzeichnungen eines Täters nicht am Schutz der Menschenwürde teilhaben können. Beweisrelevanz in diesem Sinne besitzen auch Äußerungen über
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BVerfGE 80 367 ff. m. abw. Voten Mahrenholz, Böckenförde, Graßhof und Franßen; dazu Amelung NJW 1990 1753; Geis JZ 1991 112; Kleb-Braun CuR 1990 344; Laber 39 ff; Lorenz GA 1992 254; Störmer NStZ 1990 397 und Jura 1991 17; Wolter StV 1990 175. Kritisch zu BVerfGE 80 367 auch Widmaier in Wahrheitsfindung und ihre Schranken, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins Band 6, S. 103 (115); vgl. dazu auch
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BGHSt 19 325, 329; Herdegen Wahrheitsfindung und ihre Schranken, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins Band 6, (113); Küpper JZ 1990 416, 420; vgl. auch Geppert JR 1988 471; Plagemann NStZ 1987 570; Amelung NJW 1988 1002. Laber 42. Amelung NJW 1990 1753, 1757; Geis JZ 1991 112, 117; Kleb-Braun CR 1990 344, 347; Laber 44; Wolter StV 1990 175, 178.
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solche Gedanken und Gefühle, die das Tatmotiv bilden. Diese Gedanken und Gefühle sind der Auslöser der Tat, die Rechtsgüter anderer verletzt. Insofern wird wiederum ein Sozialbezug zu den betroffenen Tatopfern und der an Sachaufklärung interessierten Allgemeinheit hergestellt. Im konkreten Fall, in dem der Angeklagte auf Anraten eines Psychologen die Aufzeichnungen vorgenommen hatte, konnte sich die Frage stellen, ob damit das Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare“ verletzt war; doch ist das nicht der Fall, wenn sich der Beschuldigte freiwillig äußert oder die Veranlassung seiner Äußerung durch eine Privatperson den staatlichen Ermittlungsorganen nicht zuzurechnen ist (Vor § 94, 2).284 In der weiteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Zuordnung von Tage86 buchaufzeichnungen zur Intimsphäre meist abgelehnt worden oder offengeblieben.285 In einer Entscheidung wurde erwogen, dass auch Eingriffe in den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung im Interesse an wirksamer Strafverfolgung grundsätzlich möglich sein müssen;286 in anderen Entscheidungen zur Überwachung eines „Raumgesprächs“ wurde der Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung als Prüfungskriterium auch dort herangezogen, wo der Eingriff den Schutzbereich spezieller Grundrechte berührt.287 Die erste Entscheidung verneinte im Ergebnis den absoluten Schutz des Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung, die weiteren Entscheidungen erwähnen den absoluten Schutz ohne zwingende Notwendigkeit. Eine abschließende Aussage des Bundesgerichtshofs fehlt hingegen. Ein Eingriff in die Intimsphäre im Sinne der Dreistufentheorie kommt auch in der übrigen Rechtsprechung jedenfalls selten vor.288 Stärker betont wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der zweiten Stufe.289 Ob die Kernbereichsthese überhaupt praktikabel ist, kann bezweifelt werden: Was 87 Beweisrelevanz für Straftaten besitzt, ist wegen des darin liegenden Sozialbezugs oft nicht absolut geschützt;290 was absolut geschützt ist, besitzt meist keine Beweiskraft für die Schuldfrage. Eine zurückhaltende Anwendung der Kernbereichsthese trägt jedenfalls ihrer schwierigen Handhabung im Strafverfahren291 Rechnung: Um zu klären, ob Tagebuchaufzeichnungen dem absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung zuzurechnen sind, muss erst deren Inhalt gesichtet, der Beweis also erhoben werden. Die „Vorwirkung“ des Verwertungsverbots – das Beweiserhebungsverbot – ist also nicht uneingeschränkt realisierbar. Nur vor einer näheren Erörterung des Tagebuchinhalts in der öffentlichen Hauptverhandlung kann der Betroffene geschützt werden, wenn das Beweisverwertungsverbot freibeweislich festgestellt wird; andererseits könnte insoweit auch der Ausschluss der Öffentlichkeit genügen. Die rechtliche Festlegung des Verwertungsverbots ist wiederum schwierig und unklar. Wann im Einzelnen die Intimsphäre betroffen ist, ist nicht genau abgrenzbar. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu bisher 284 285
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Dazu BGHSt (GrSSt) 42 139, 147; 44, 129, 133 f. BGH JR 1994 430 mit Anm. Lorenz; dazu auch Laber 47; BGH NStZ 2000 383 mit Anm. Jahn; zu den Rügevoraussetzungen BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Verwertungsverbot 2 = StV 1991 147. BGHSt 29 23, 25. BGHSt 31 296, 297 ff. (Raumgespräch); 50 206, 210 ff. (Gespräch in einem Krankenzimmer). Vgl. LG Saarbrücken StV 1988 480 ff. (Tagebuch der Ehefrau des Beschuldigten);
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AG Aschaffenburg StV 1989 244 f.; LG Arnsberg wistra 1993 199 mit Aufs. Ost wistra 1993 177: Gleichstellung eines noch nicht eröffneten Testaments mit Tagebuchaufzeichnungen; anders LG Freiburg wistra 1998 35, 36 mit Anm. Schmedding. Vgl. OLG Schleswig StV 2000 11 (Tagebuch mit Aufzeichnungen über geplante und begangene Straftaten). Vgl. BGH NStZ 1998 635. Die umgekehrte Konsequenz will Jahn NStZ 2000 383, 384 ziehen.
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keine detaillierten Vorgaben gemacht, was für das Strafverfahren misslich ist; es ist nämlich gerade darauf angelegt, die Persönlichkeit des Straftäters zu erforschen und sogar „intime“ Details zur Sprache zu bringen, notfalls eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 171b GVG). Dies ist insbesondere bei Sexualstraftaten unverzichtbar. Durch psychiatrische Sachverständige wird auch in anderen Fällen das Seelenleben des Angeklagten tiefgreifend erforscht. Schwere seelische Abartigkeiten (§§ 20, 21, 63 StGB) und andere tief in der Persönlichkeit wurzelnde Umstände bedürfen der Aufklärung in der Hauptverhandlung. Der Angeklagte hat das Recht, sich dort dazu zu äußern und insoweit dem Gericht verwertbaren Beweisstoff zu verschaffen; denn die soziale Kommunikation in der Hauptverhandlung trennt den sich aus der Einlassung ergebenden Beweisstoff wiederum von einer rein inhaltlich bestimmten Intimsphäre. Die Unverwertbarkeit der Tagebuchnotizen mit vergleichbarer Aussagekraft, die der Angeklagte außerhalb des Strafverfahrens zunächst nur für sich selbst angefertigt hat, kollidiert mit dem Ziel des Strafverfahrens, die Wahrheit zu erforschen. Auch der richtige Maßstab für die Abgrenzung von Intimsphäre und sonstiger Persönlichkeitssphäre ist noch nicht gefunden; denn die Wirkung von strafprozessualen Maßnahmen, die in die Persönlichkeitssphäre eindringen, ist von Person zu Person verschieden. Das Schamgefühl ist bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt; es hängt von der soziokulturellen Herkunft und Prägung sowie den Einflüssen der aktuellen sozialen Umgebung ab, aber auch von der Einstellung des Einzelnen. Individuelle Faktoren wären also für die Beurteilung der Eindringtiefe des Eingriffs durch Offenlegung personenbezogener Informationen relevant; sie können aber praktisch kaum berücksichtigt werden. Insoweit wird gerade die stark personengebundene Intimsphäre einer generalisierenden Betrachtungsweise unterzogen, die ihr nicht in jedem Falle gerecht wird. c) Tonbandfälle. Ist der absolut geschützte Kernbereich privater Persönlichkeitsentfal- 88 tung als nichtkommunikativer Bereich definiert, so sind private Gesprächsäußerungen – mit Ausnahme des Selbstgesprächs –292 von vornherein nicht der Intimsphäre, sondern der schlichten Privatsphäre zuzurechnen. Daher greifen auch heimliche Tonbandaufzeichnungen293 von Gesprächen selbst dann, wenn sie gegen strafrechtliche Verbotsnormen verstoßen, regelmäßig nicht in die Intimsphäre ein. Bei Verletzung der schlichten Privatsphäre aber entscheidet eine Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls über die Verwertbarkeit. Die früher zum Teil vertretene Auffassung, strafrechtlich relevante Eingriffe durch Privatpersonen in die Rechte anderer seien von der Frage der prozessualen Verwertbarkeit des dadurch gewonnenen Beweismaterials zu trennen, so dass rechtswidrige private Tonbandaufzeichnungen grundsätzlich verwertbar seien,294 ist überholt.295 Gleiches gilt für die Gegenansicht der generellen Unverwertbarkeit solcher Aufnahmen.296
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BGHSt 57 71. BVerfGE 34 238; BGHSt 14 358, 359 ff.; 36 167, 173 f. (private Tonbandaufnahme); dazu Joerden Jura 1990 633, Kramer NJW 1990 1760, Laber 24 ff.; BGH Urt. vom 2. Dezember 1975 – 1 StR 681/75 –; BayObLG NJW 1990 197 f.; BayObLGSt 1994 6 = StV 1995 65f mit Anm. Preuß; Frank 101 ff. Kleinknecht NJW 1966 1537, 1542 f.; Kohlhaas DRiZ 1966 286, 289; Nüse JR 1966 281, 286. Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit privater
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technikgestützer „Lauschangriffe“ mit möglichen Verwertungsverbotsfolgen Bockemühl Private Ermittlungen im Strafprozeß, 82 ff., 123 ff.; Krey Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, 84 ff. Vgl. BGHSt 14 358, 359 ff.; OLG Düsseldorf NJW 1966 214; Grünwald Beweisrecht, 163 f. und JZ 1966 489, 497; Heinitz JR 1964 441, 442; Krier 169 f.; Liermann 103 ff.; Spendel NJW 1966 1102, 1106; Weinmann 93 f.
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Gegen ein Verwertungsverbot sprechen von Fall zu Fall verschiedene Faktoren, die im Wesentlichen auch denjenigen entsprechen, die für die Verhältnismäßigkeitsprüfung heranzuziehen sind. Insbesondere sind zu beachten: Das Gewicht der Tat,297 die verfolgt werden soll, das Bedürfnis nach Entlastung unschuldiger Personen,298 ein rechtfertigender Grund der gegebenenfalls zuerst durch eine Privatperson herbeigeführten Beweiserlangung299 und die besondere Beweisbedeutung des in Rede stehenden Beweismittels.300 Die Bedeutung der Prozessrolle des Betroffenen als Beschuldigter oder Zeuge ist nicht geklärt; dem Wertungsgedanken der §§ 102, 103 kann aber entnommen werden, dass ein Tatverdächtiger Ermittlungsmaßnahmen eher hinzunehmen hat als ein Unverdächtiger. Für ein Beweisverwertungsverbot kann hingegen vor allem die Schwere des Grundrechtseingriffs sprechen, die im Einzelfall durch den Verstoß gegen eine Strafnorm, insbesondere § 201 StGB, unterstrichen wird. Die auf den Beweisgang bezogene Hypothese alternativ rechtmäßiger Beweiserlangung spielt dagegen bei den unselbständigen Beweisverwertungsverboten regelmäßig keine Rolle.301 Die prozessuale Problematik der Beweisverbote von Verfassungs wegen auf der zwei90 ten Stufe der Dreistufentheorie liegt darin, dass die notwendige Gesamtabwägung erst bei der tatrichterlichen Urteilsberatung verbindlich vorgenommen werden kann und keinen festen Maßstab kennt.302 Die Beweisbedeutung des konkreten Sachbeweises und das Gewicht des Vorwurfs lassen sich erst dann für das Tatgericht abschließend einschätzen; Revisions- und Verfassungsgericht können ihrerseits die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht überprüfen. Eine „Vorwirkung“ des Beweisverwertungsverbots, das Beweiserhebungsverbot, kann dagegen gegebenenfalls in der Situation der fortschreitenden Ermittlungen im Vorverfahren nur ex nunc beurteilt werden, hat also eine ganz andere Tatsachengrundlage. Im weiteren Verlaufe des Strafverfahrens kann sich die Bedeutung der Abwägungsfaktoren wesentlich verändern. Eine komplexe Prognoseentscheidung zur Zeit der Beweiserhebung ist zwar nicht ganz unmöglich, aber misslich und ungenau. Daraus ergeben sich zumindest Bedenken gegen eine „Vorwirkung“ eines von einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Belange abhängigen Beweisverwertungsverbots.
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d) Bildaufzeichnungen. Heimliche private303 Bildaufzeichnungen304 haben sich in der Rechtsprechung noch nicht als eigenständige Fallgruppe herauskristallisiert. Sie sind aber
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Für Verwertbarkeit bei Mord: BGHSt 34 97, 401 mit krit. Anm. Geppert JR 1988 471, 473; versuchtem Mord: BGH NStZ 1995 79 f.; BVerfGE 80 367, 380; schwerer Brandstiftung: BGHSt 36 167, 174; für Unverwertbarkeit bei Meineid: BGHSt 19 325, 333; differenzierend BayObLGSt 1994 6 = StV 1995 65; Betrug: BVerfGE 34 238, 245 ff.; geheimdienstlicher Agententätigkeit: BGH JR 1994 430; Betäubungsmitteldelikten: BayObLG NStZ 1992 556; LG Aschaffenburg StV 1989 244; LG Saarbrücken NStZ 1988 424. BVerfGE 34 238, 250; BGHSt 34 397, 401; 36 167, 174; BayObLG NJW 1990 197, 198; Wölfl 160 f. Zur – freilich von der verfassungsrechtlichen
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Frage getrennten – Prüfung der Rechtfertigung heimlicher Tonbandaufzeichnungen BayObLG NJW 1994 1671; s.a. Kramer NJW 1990 1760, 1762 ff.; gegen eine Rechtfertigung des Gebrauchs strafbarer Tonbandaufzeichnungen durch die §§ 94 ff. aaO 1764. BayObLG wistra 1990 38, 39. Kelnhofer 216 f.; Svenja Schröder 81 f.; Wölfl 131 ff. Letzteres beklagt bes. Jahn NStZ 2000 383. Für Bildaufzeichnungen durch die Ermittlungsbehörden verweist auf § 100c StPO BGHSt 44 13, 16. Vgl. im Blick auf die zivilrechtliche Haftung BVerfGE 101 361, 381 ff.
Eva Menges
Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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jedenfalls im Ansatz ebenso wie die Tagebuch- und Tonbandfälle zu behandeln.305 Auch bei Bildaufzeichnungen gilt, dass die Beschlagnahmeerlaubnis nach den §§ 94, 98 zunächst auch die Befugnis zur Verwertung des Sachbeweises enthält. Einer besonderen Ermächtigungsgrundlage dafür, dass die Bildaufzeichnungen in der Hauptverhandlung reproduziert werden dürfen, bedarf es insoweit nicht. Die private Bildaufzeichnung erfüllt indes, anders als die Tonbandaufnahme, grund- 92 sätzlich keinen Straftatbestand, da § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur das nichtöffentlich gesprochene Wort schützt und die §§ 185 ff. StGB nur spezifische Ehrkränkungen erfassen; die §§ 22, 23, 33 KunstUrhG betreffen nicht die Aufnahme, sondern nur die Verbreitung des Bildnisses. Jedoch kann das heimliche Anfertigen von Bildaufzeichnungen in die schlichte Privat- oder Intimsphäre eindringen.306 Die Beweiserlangung ist dann zwar verfahrensrechtlich rechtsfehlerfrei, weil sie gleichsam wertneutral durch Beschlagnahme der privat angefertigten Aufnahmen erfolgt. Eine Verletzung der Rechte der abgebildeten Person durch staatliche Organe kann aber in der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung durch Vorführung der Bildaufzeichnungen erfolgen. Insoweit kann § 24 KunstUrhG bedeutsam werden. Er gestattet grundsätzlich im öffentlichen Interesse auch ein Verbreiten der Aufnahmen. Ob diese Form des Verbreitens geboten ist, hängt von einer Abwägung307 des öffentlichen Interesses an der Nutzung der Aufnahmen zur Sachaufklärung mit dem Individualinteresse des Betroffenen an Geheimhaltung ab. Es gelten vergleichbare Grundsätze wie im Fall des Eingriffs in die Privatsphäre in den Tagebuch- oder Tonbandfällen. Ein Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit ist durch Bildaufzeichnungen kaum möglich, da eine Aufdeckung der Auseinandersetzung des Betroffenen ausschließlich mit dem eigenen „Ich“ durch die bildliche Wiedergabe seiner Person oder seiner Handlungen kaum möglich erscheint. Jedoch kann das Eindringen zugleich in den räumlich abgegrenzten Bereich privater Lebensgestaltung größere Eingriffsintensität zur Folge haben als die schlichte Abbildung der Person. Sie bildet dann einen besonders gewichtigen Abwägungsfaktor. 3. Gefangenenpost. Die Beschlagnahme von Briefen Untersuchungsgefangener als Be- 93 weismittel im anhängigen Verfahren oder für ein anderes oder erst hinzuleitendes Verfahren ist zulässig.308 Bei Beschlagnahme eines persönlichen Briefes des Gefangenen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der es gebieten kann, jedenfalls eine Fotokopie des Briefes an den Adressaten weiterzuleiten.309
X. Beendigung der Beschlagnahme und Herausgabe des beschlagnahmten Gegenstands 94
S. Erl. bei § 98, 56 ff.
305 306 307 308
Wölfl 167. BVerfGE 101 361, 381 ff. Wölfl 191. BVerfGE 57 170, 181; OLG Düsseldorf NJW 1993 3278.
309
BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 2; vgl. außerdem BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 3 zur Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme mit dem Ziel, Material für eine Schriftprobe zu gewinnen.
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XI. Schadensersatzansprüche 95
Mit der Übernahme eines als Beweismittel sichergestellten Gegenstandes in amtliche Verwahrung, die mit einer Besitzergreifung durch die Behörde unter Ausschluss des Berechtigten von eigenen Obhuts-, Sicherungs- und Fürsorgemaßnahmen verbunden ist, wird ein öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis begründet,310 auf das im Wesentlichen die Vorschriften der §§ 688 ff. BGB entsprechend anzuwenden sind.311 Für die Haftung bei Beschädigung oder Zerstörung des Beweisgegenstands gilt der subjektive Sorgfaltsmaßstab des § 690 BGB grundsätzlich nicht; statt dessen kommt § 276 BGB zur Anwendung.312 Die sich aus §§ 688 ff. BGB ergebenden Pflichten bestehen insbesondere auch gegenüber dem in § 111k genannten Verletzten.313 Bei schuldhafter Zerstörung, Beschädigung oder sonstiger Unmöglichkeit der Herausgabe greift eine Haftung entsprechend §§ 280, 282 BGB ein.314 Sonst kommt eine entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG in Betracht.315 96 Bei rechtswidriger Beschlagnahme kann ein enteignungsgleicher Eingriff vorliegen, der den Hoheitsträger zum Schadensersatz verpflichtet.316 Ein Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff kommt in Betracht, wenn sich eine besondere Gefahr verwirklicht, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme der Beschlagnahme selbst angelegt ist. Für schuldhafte Einwirkungen auf die in rechtmäßiger Weise beschlagnahmte Sache durch Dritte kann dagegen eine Entschädigung nicht verlangt werden.317 97 Eine verfahrensrechtlich zulässige Beschlagnahme müssen Beschuldigte und Dritte grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen.318 Auch Entschädigungsansprüche nach dem StrEG stehen einem Drittbetroffenen dann nicht zu.319 Amtshaftungsansprüche kommen nur unter den Voraussetzungen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat bei Beantragung und Vollziehung der Beschlagnahme Amtspflichten gegenüber betroffenen Beschuldigten oder Dritten zu beachten.320 Ob ein tatunbeteiligter Dritter bei Beschlagnahme von Geld oder Wertpapieren321 mit einem Amtshaftungsanspruch auch einen Zinsschaden geltend machen kann, hängt davon ab, ob eine Pflicht zur zinsbringenden Geldanlage schuldhaft verletzt worden ist.322 Dies wird dann zu verneinen sein, wenn nach dem Zweck der Maßnahme die Aufbewahrung des Geldes in der konkreten Stückelung geboten oder mit alsbaldiger Herausgabe zu rechnen ist. 98 Schadensersatzansprüche sind im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen (§ 40 Abs. 2 VwGO).323 Zu den Rechten des Eigentümers einer gestohlenen Sache, die nicht in amtlichen Gewahrsam genommen wird, sondern deren Sicherstellung dadurch erfolgt,
310
311 312 313 314 315 316
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Flore/Schwedtmann PStR 2000 28, 29; diff. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461: durch Hoheitsakt angeordnete Zwangslage. BGHZ 4 192, 193. BGHZ 1 369, 383; 3 162, 174. RGZ 108 251. BGHZ 3 162, 174; 4 192, 195. Ciolek-Krepold 380. Für die Beschlagnahme zur Vorbereitung der Einziehung BGH WM 1997 1755, 1756 = ZLR 1997 572 ff. mit Anm. Koch, Scholl WiB 1997 1050 f., Vollkommer EWiR 1997 815 f.
317 318 319 320 321
322 323
BGHZ 100 335, 337 ff. BGHZ 100 335, 338. OLG Schleswig SchlHA 1989 78. BGH WM 1997 1755, 1756. Gegen die Zulässigkeit der Beschlagnahme als Beweismittel im Steuerstrafverfahren Streck/Mack/Schwedhelm Stbg 1995 412; s. Rn. 13. LG Trier JurBüro 1994 290 f. mit Anm. D. Meyer; D. Meyer JurBüro 1993 1 ff. BGH WM 1997 1755, 1756; Meyer-Goßner 23.
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dass ihr Besitz einem Dritten überlassen wird, vgl. bereits RG bei Warneyer 1925 Nr. 25. Werden beschlagnahmte Gegenstände an einen Nichtberechtigten herausgegeben, hat der geschädigte Eigentümer Anspruch auf Entschädigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG.324
XII. Abgeordnete 99
S. § 98, 80.
§ 95 (1) Wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, ihn auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern. (2) 1Im Falle der Weigerung können gegen ihn die in § 70 bestimmten Ordnungsund Zwangsmittel festgesetzt werden. 2Das gilt nicht bei Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind.
Schrifttum Bär Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren (1992) S. 396 ff. (dazu Buchbesprechung von Rogall ZStW 110 [1998], 745, 762); Bergmann Herausgabe von Krankenunterlagen unter besonderer Berücksichtigung der ärztlichen Schweigepflicht, Krankenhaus 1998 702; Bittmann Das Beiziehen von Kontounterlagen im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, wistra 1990 325; ders. Das Staatsanwaltschaftliche Auskunftsverlangen gemäß § 95 StPO, zugleich Besprechung zu LG Halle und LG Gera, NStZ 2001 231; Braczyk Zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für das Herausgabeverlangen nach § 95 StPO, wistra 1993 57; Burhoff Herausgabeverlangen (§ 95 Abs. 1 StPO) ohne richterlichen Beschluß? PStR 2000 124; Ciolek-Krepold Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000); Döpfer Der Anspruch der Bank auf einen förmlichen Beschlagnahme- bzw. Herausgabebeschluss im Rahmen von § 95 Abs. 1 StPO – oder: Warum auch § 95 Abs. 1 StPO einen richterlichen Beschluss voraussetzt, WM 2002 373; Fischer Zur Frage der Zuständigkeit von Gericht oder Staatsanwaltschaft für die Anordnung der Herausgabe gemäß StPO § 95, WuB VII D § 95 StPO 1.00; Hamm Compliance vor Recht? NJW 2010 1332; Kemper Die Beschlagnahme von Beweisgegenständen bei fehlender Beschlagnahmeanordnung, wistra 2006 171; Klinger Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Maßnahmen nach § 95 StPO, wistra 1991 17; Lopacki Vorlage von Personalakten an das Strafgericht im Kontext mit Straftaten im Amt, DÖD 2005 125; Masthoff Entschädigung von Geldinstituten bei Beschlagnahmeanordnungen oder Auskunftsersuchen, wistra 1982 100; Meyer, Dieter Anspruch des tatunbeteiligten Dritten auf Zinsschaden, wenn bei ihm Geld gem. §§ 94, 95 StPO beschlagnahmt bzw. sichergestellt wird? JurBüro 1993 1; Otto Datenschutz und Umfang der Ermächtigung der Staatsanwaltschaft durch § 95 StPO und Rechtsschutz gegen hierauf gestützte Maßnahmen, WuB VII D § 95 StPO 1.01; Reiß Beschlagnahmebefugnis der Strafgerichte gegenüber Strafgericht und Auslieferungs- und Auskunftspflichten der Behörden gegenüber Behörden und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, StV 1988 31; Samson Im Irrgarten von Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmefreiheit StV 2000 55; Sannwald Entschädigungsansprüche von Kreditinstituten gegenüber auskunftsersuchenden Ermittlungsbehörden, NJW 1984 2495; H. Schäfer Ordnungs- und Zwangsmittel statt Beschlagnahme? wistra 1983 102; Schmitt, Petra Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 52, 53 StPO bei
324
BGHZ 72 302, 303 ff.
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den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen (1993) 68; Tschacksch Die strafprozessuale Editionspflicht (1988); Welp Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote – Anmerkungen zum Alternativentwurf „Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit“ (AE-ZVR), FS Bemmann 626, 647 ff.; weiteres Schrifttum bei § 94.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift hat in Absatz 1 mit Ausnahme einer unwesentlichen redaktionellen Änderung1 seit ihrer Entstehung ihren Wortlaut beibehalten. Durch Art. 21 Nr. 16 EGStGB 1974 wurde Absatz 2 ohne sachliche Änderungen neu gefasst. Dabei wurde in Satz 1 das Wort „Zwangsmittel“ durch die Worte „Ordnungs- und Zwangsmittel“ ersetzt.
Übersicht Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand der Herausgabepflicht (Absatz 1) a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Buchführung mit Hilfe von Datenträgern . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verpflichteter a) Gewahrsamsinhaber . . . . . . . . . aa) Alleingewahrsam . . . . . . . . . bb) Mitgewahrsam . . . . . . . . . . cc) Gewahrsam von juristischen Personen oder Personengesellschaften . b) Beschuldigter . . . . . . . . . . . . c) Zeugnis- und auskunftsverweigerungsberechtigte Zeugen . . . . . . . . . d) Behörden . . . . . . . . . . . . . . . e) Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . 4. Herausgabeverlangen a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
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Rn.
5.
6. 7. 8.
9.
b) Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . Ordnungs- und Zwangsmittel (Absatz 2) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Zeugnisverweigerungsberechtigte . . . c) Zuständigkeit. Verfahren . . . . . . . . d) Ordnungs- und Zwangsmittel . . . . . Kosten der Vorlegung oder Herausgabe . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Vorlegungs- und Herausgabepflicht von Zeugen . . . . . . . . . . . b) Fehlende Vorlegungs- und Herausgabepflicht des Beschuldigten . . . . . . . . aa) Zwang . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verletzung des Herausgabeverweigerungsrechts ohne fehlerhafte Anwendung von Zwang . . . . . . . . . . Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 23 24 25 27 28 29 32 33 34 35 37
39 43
1
1. Allgemeines. Die in Lehrdarstellungen und Kommentaren bisher meist nur knapp behandelte und in der Praxis selten herangezogene2 Vorschrift regelt die Pflicht zur Herausgabe von Beweisgegenständen, die der Sicherstellung unterliegen (vgl. § 94, 9 ff.), und von Führerscheinen (§ 94 Abs. 3). Typischer Fall in der Praxis ist das auf Kontounterlagen bezogene Herausgabeverlangen gegenüber einer Bank.3 Die Vorschrift ist gemäß § 100b Abs. 3 auf das Verlangen nach Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten entsprechend anwendbar. Neben Absatz 1 besteht keine allgemeine Pflicht von Bürgern im Strafverfahren zur Herausgabe von Beweisgegenständen.4 2 Die Norm sieht auch Maßnahmen zur Erzwingung der Herausgabe vor. Gefordert wird also eine aktive Mitwirkung am Verfahren, die den Zeugenpflichten zum Erscheinen und zur Aussage korrespondiert. Eine aktive Mitwirkungspflicht entfällt nach dem Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare“ für Beschuldigte.5 Diese würden sonst zum
1 2 3
RGBl. 1877 S. 253, 269. Bär Zugriff 396; Ciolek-Krepold 202. Ciolek-Krepold 200; Klinger wistra 1991 17.
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4 5
Bär Zugriff 437 ff. m.w.N. Bittmann wistra 1990 325, 327; Ciolek-Krepold 200; Meyer-Goßner 5.
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Objekt des Verfahrens.6 Eine solche Mitwirkungspflicht wäre Beschuldigten nicht zuzumuten. Weiterhin muss aber auch für die Zeugen, die zur Verweigerung der Aussage berechtigt sind, in Absatz 2 Satz 2 der vorliegenden Vorschrift die Erzwingung der Herausgabe von Sachbeweisen ausgeschlossen sein;7 andernfalls wäre der in den §§ 52 ff. verankerte Zeugenschutz, der zu einem fairen Verfahren gehört,8 unvollständig. Wichtiger Anwendungsbereich der Vorschrift ist der Fall, dass ein Beweisgegenstand, 3 der der Beschlagnahme unterliegt, sich im Gewahrsam einer Person befindet, bei einer Durchsuchung aber nicht gefunden werden konnte.9 Die Anwendung der vorliegenden Vorschrift kann das mildere Mittel im Vergleich mit Durchsuchung und Beschlagnahme sein;10 insoweit kommt es aber auf die Umstände des Einzelfalls an. Nur soweit eine Beschlagnahme rechtlich zulässig ist, darf die Vorschrift angewandt werden; die Vorschrift darf nicht so ausgelegt werden, dass dadurch die gesetzliche Zuständigkeitsregelung für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1)11 oder Beschlagnahmeverbote (§ 97) außer Kraft gesetzt werden. Behördlich verwahrte Sachen können auch nach Absatz 1 herausverlangt werden. Nur ist Absatz 2 nicht auf Behörden oder Behördenangehöriger in dieser Eigenschaft anwendbar (Rn. 17). 2. Gegenstand der Herausgabepflicht (Absatz 1) a) Grundsatz. Mit dem Wort „vorbezeichnet“ knüpft Absatz 1 an § 94 an. Unter 4 Gegenständen der vorbezeichneten Art, deren Herausgabe gefordert werden darf, sind daher Gegenstände zu verstehen, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können (§ 94 Abs. 1), ferner Führerscheine, die der Einziehung unterliegen (§ 94 Abs. 3).12 Die Anknüpfung des Absatzes 2 an Regeln über Zeugenpflichten ändert nichts daran, dass die Herausgabepflicht dieselben Gegenstände betrifft wie § 94.13 Gegenstände, deren Sicherstellung § 111b gestattet, weil sie dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, sind nach dem klaren Wortlaut des Absatzes 1 nicht gemeint. Der Anwendung der vorliegenden Vorschrift steht es aber nicht entgegen, dass der Beweisgegenstand zugleich dem Verfall unterliegt oder eingezogen werden kann. Im Gegensatz zu § 94 Abs. 1 umfasst der Begriff Gegenstand in Absatz 1 der vorliegenden Vorschrift nur bewegliche Sachen; Gewahrsam, Vorlegung und Auslieferung sind bei unbeweglichen Sachen nicht möglich. Ob ein Gegenstand als Beweismittel von Bedeutung ist oder ein Führerschein der Einziehung unterliegt, entscheidet allein das zuständige Strafverfolgungsorgan. Der Gewahrsamsinhaber darf die Herausgabe nicht deshalb verweigern, weil er diese Eigenschaft des gesuchten Gegenstandes nicht anerkennt. b) Buchführung mit Hilfe von Datenträgern. Nach § 238 Abs. 2, § 257 Abs. 3 HGB 5 (vgl. auch § 146 Abs. 5 und § 147 Abs. 2 AO) dürfen nach Handelsrecht aufzubewahrende Unterlagen so aufbewahrt werden, dass sie ohne zusätzliche technische Hilfsmittel nicht lesbar sind. In diesen Fällen treten im Rechtsverkehr an die Stelle der auf Bildträgern oder anderen Datenträgern gespeicherten Unterlagen lesbare Reproduktionen. Auf sie und nicht auf die Datenträger erstreckt sich deshalb auch die Vorlegungs- und
6 7 8 9
Vgl. zum Maßstab BGHSt 38 214, 220 ff.; BVerfGE 56 37, 41 ff. Meyer-Goßner 6. Vgl. BVerfG (Kammer) StV 2000 233, 234. LG Bonn NStZ 1983 327; Meyer-Goßner 1; Welp FS Bemmann 647.
10 11 12 13
Welp FS Bemmann 647 f. LG Bonn NStZ 1983 327; a.A. Kurth NStZ 1983 327; H. Schäfer wistra 1983 102. Tschacksch 7 ff., 29 ff. Tschacksch 37 ff.
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Herausgabepflicht nach Absatz 1,14 da diese Art der Buchführung ausschließlich dem Interesse des Kaufmanns dient, der seinen Geschäftsbetrieb möglichst rationell führen will. Während also § 94 zunächst lediglich zur Sicherstellung der Datenträger und der technischen Hilfsmittel führt, wobei freilich auch die Erlangung von Datenkopien als „Minus“ möglich ist, kann über die vorliegende Vorschrift von vornherein die Vorlage und Herausgabe der reproduzierten Unterlagen erreicht werden. Dies entspricht dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, da andernfalls die Datenträger selbst beschlagnahmt werden müssten. Die Tatsache, dass damit nicht etwa ein bereits vorhandener Beweisgegenstand, sondern ein solcher, der durch Ausdruck von Computerdaten erst aufgrund des Herausgabeverlangens geschaffen werden muss, bezeichnet ist, steht dieser Interpretation der vorliegenden Vorschrift nicht entgegen.15 Zwar hat der historische Gesetzgeber diesen Fall noch nicht bedacht. Doch ist die Wortlautgrenze bei Anwendung der vorliegenden Vorschrift nicht überschritten und die modernen technischen Gegebenheiten entsprechende Auslegung der Norm steht im Einklang mit ihrem Regelungszweck. Denn „Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können“, sind auch Ausdrucke von Computerdaten. Und die Pflicht, einen solchen Ausdruck „auf Erfordern vorzulegen oder auszuliefern“, kann sich auf einen solchen Ausdruck erstrecken.16 Die Maßnahme entspricht sodann den Geboten einer möglichst effektiven und doch auch auf Schonung der Betroffenen bedachten Strafrechtspflege. Eine engere Interpretation würde zu kasuistischer Gesetzgebung zwingen, die alsbald durch neue Technologien überholt wäre, etwa bei Benutzung des „Internet“.17 Die betroffenen Grundrechtspositionen können bei sachgerechter Anwendung der §§ 94, 95, 97, 98 jedoch auch bereits jetzt in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Aus diesem Grunde wird namentlich gegenüber Banken von der vorliegenden Vor6 schrift zunehmend Gebrauch gemacht.18 In der Praxis findet sich häufig eine Mischform zwischen § 94 und § 95: Da die Banken sich gegenüber ihren Kunden auf das Bankgeheimnis berufen wollen, das jedoch der Herausgabe von Kreditunterlagen nicht entgegensteht,19 und sie ihre Herausgabepflicht nach § 95 nicht anerkennen oder akzeptieren wollen, wird regelmäßig mit einer Beschlagnahmeanordnung nach §§ 94, 98, die sich zunächst nur auf die Datenträger erstrecken kann, die Befugnis verbunden, die Beschlagnahme durch Herausgabe der reproduzierten Unterlagen abzuwenden. Dies entspricht dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Zur Frage der Kostenerstattung unter Rn. 29 f. 3. Verpflichteter
7
a) Gewahrsamsinhaber. Zur Herausgabe verpflichtet ist der Gewahrsamsinhaber.20 Dabei kommt es nach dem Wortlaut des Gesetzes grundsätzlich nicht auf die Prozessrolle an. Auch ein Privatkläger ist demnach ohne Einschränkung zur Vorlage verpflichtet.21 Herausgabeverweigerungsrechte ergeben sich aber aus dem Regelungszusammenhang der strafprozessualen Vorschriften und aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen.
14 15 16 17 18
A.A. Bär Zugriff 396 ff., 406; Leicht iur 1986 352; Tschacksch 256. A.A. Bär Zugriff 397 ff. Tschacksch 241 f. Zum Gewahrsam beim Online-Zugriff auf Daten Bär Zugriff 412 ff. Die folgenden Fälle betrafen staatsanwaltschaftliche Herausgabeverlangen bezüglich
88
19 20 21
Kontounterlagen einer Bank: LG Lübeck NJW 2000 124; LG Gera NStZ 2001 276; LG Halle NStZ 2001 276: LG Koblenz wistra 2002 359. KG NStZ 1989 192; Bittmann wistra 1990 325. KK/Nack 3. Meyer-Goßner 7.
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Der Gewahrsam des Verpflichteten muss feststehen. Bei dem bloßen Verdacht, dass 8 eine Person einen Beweisgegenstand in Gewahrsam haben könnte, muss durchsucht werden. aa) Alleingewahrsam. Die Herausgabepflicht trifft ausschließlich den Gewahrsams- 9 inhaber.22 Gewahrsam bedeutet, wie im materiellen Strafrecht bei den Zueignungsdelikten, das tatsächliche Herrschaftsverhältnis,23 gleichgültig, wie es zustande gekommen ist (s.a. § 94, 40). Auch wer eine Sache unrechtmäßig im Gewahrsam hat, muss sie (erst recht) herausgeben.24 Ist der Gewahrsamsinhaber nicht der Eigentümer, so hat er die Sache ohne Rücksicht darauf auszuliefern, ob der Eigentümer der Herausgabe zustimmt oder nicht.25 Umgekehrt hat der nichtbesitzende Eigentümer keine Pflicht, zur Herausgabe der Sache beizutragen.26 bb) Mitgewahrsam. Haben zwei gleichrangige Gewahrsamsinhaber die Sachherr- 10 schaft gemeinsam inne, so trifft beide die Pflicht, den Gegenstand herauszugeben. Dies gilt etwa für gleichrangige Mitglieder der Geschäftsführung eines Unternehmens.27 Sind die Inhaber des Mitgewahrsams nur gemeinsam zur Verfügung über die Sache in der Lage, etwa weil nur eine Kombination ihrer Schlüssel oder Zugriffscodes den Zugang ermöglicht, so sind sie zu gemeinsamer Mitwirkung verpflichtet, sofern nicht wenigstens einer von ihnen von der Herausgabepflicht befreit ist; dessen berechtigte Weigerung versperrt dann faktisch den Weg zur Herausgabe der Sache durch den anderen Gewahrsamsinhaber.28 Übt eine Person Mitgewahrsam, insbesondere als Inhaber einer Gewahrsamssphäre, 11 nur mittelbar aus, so hat sie den unmittelbaren Gewahrsamsinhaber zur Mitwirkung aufzufordern,29 um danach selbst die Sache herauszugeben. Das gilt allerdings nur, soweit der übergeordnete Gewahrsamsinhaber nicht zur Verweigerung der Herausgabe berechtigt ist. Praktisch bedeutsam werden die Gewahrsamsstufen, wenn der Inhaber eines Unternehmens Gewahrsam innerhalb der von ihm beherrschten Sphäre hat, während ein Angestellter eine untergeordnete, aber unmittelbare Sachherrschaft innehat. Die Herausgabepflicht des Inhabers des übergeordneten Gewahrsams führt dann dazu, dass dieser zuerst – aufgrund der gegebenenfalls privatrechtlichen Beziehung im Innenverhältnis zum Inhaber des unmittelbaren Gewahrsams – Herausgabe an sich beziehungsweise Aufgabe des unmittelbaren Gewahrsams des anderen verlangen muss, um dann selbst seiner Herausgabepflicht nach Absatz 1 genügen zu können. Alle Handlungen des Inhabers übergeordneten Gewahrsams sind nach Absatz 2 Satz 1 auch dann diesem gegenüber erzwingbar, wenn der Inhaber des unmittelbaren Gewahrsams nach Absatz 2 Satz 2 nicht zur Herausgabe gezwungen werden kann.30 Zweifelhaft ist, ob etwas anderes gilt, wenn ein Beschuldigter die unmittelbare Sachherrschaft ausübt. Dieser darf zwar nicht unmittelbar durch Sanktionen zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung gezwungen werden. Doch darf gegebenenfalls nach Absatz 2 Satz 1 auf den ihm übergeordneten Gewahrsamsinhaber eingewirkt werden. Dient dies nur dazu, dass der Inhaber des übergeordneten Gewahrsams im Innenverhältnis seine privatrechtlichen Befug-
22 23
24 25
Tschacksch 54 ff. Bär Zugriff 410 m.w.N. (dazu Buchbesprechung von Rogall ZStW 110 [1998], 745, 762). Meyer-Goßner 4. Krey Strafverfahrensrecht II Rn. 432.
26 27 28 29 30
Meyer-Goßner 4; zum Gewahrsam in einem Unternehmen vgl. BGHSt 19 374. Bär Zugriff 411. Bär Zugriff 412; Tschacksch 108. Tschacksch 102. Tschacksch 110 ff.
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nisse ausübt, so folgt aus der Beschuldigteneigenschaft des Inhabers untergeordneten Mitgewahrsams nicht, dass die Maßnahme auch gegenüber dem nichtbeschuldigten Mitgewahrsamsinhaber zur Vermeidung mittelbaren Zwangs gegenüber dem Beschuldigten unterbleiben müsste. Die Strafverfolgungsorgane dürfen nur nicht unter Umgehung des Prinzips „nemo tenetur se ipsum accusare“ unmittelbar vom Beschuldigten die Herausgabe verlangen und zwangsweise durchsetzen.31 Die Herausgabe des Beweisgegenstands durch einen Inhaber untergeordneten Ge12 wahrsams ohne Wissen des Inhabers übergeordneten Gewahrsams führt nicht dazu, dass insgesamt eine freiwillige Herausgabe vorliegt. Die Rechte des Inhabers übergeordneten Gewahrsams nach Absatz 2 Satz 2 und § 97 dürfen so nicht umgangen werden;32 es verbietet sich ein nicht durch prozessuale Vorschriften erlaubter, gegebenenfalls sogar strafbewehrter Gewahrsamsbruch des einen Inhabers von Mitgewahrsam gegenüber dem anderen.33
13
cc) Gewahrsam von juristischen Personen oder Personengesellschaften. Juristische Personen oder Personengesellschaften sind als solche nicht Adressaten der Vorschrift.34 Denn sie üben nicht selbst die tatsächliche Sachherrschaft aus und sie sind im Gesetz nicht als Adressaten von Sanktionen nach Absatz 2 Satz 1 vorgesehen. Durch Annahme einer sanktionsbewehrten Editionspflicht der juristischen Personen oder Gesellschaften würde auch das gegenwärtige System von Herausgabepflichten und Weigerungsrechten durchbrochen. Für die Praxis bedeutet der Ausschluss von Herausgabeverlangen und Zwangsmitteln gegenüber juristischen Personen oder Gesellschaften keine besondere Erschwerung der Rechtsanwendung.35 Eine Herausgabeaufforderung an diese kann in die Aufforderung an die vertretungsberechtigten Organe umgedeutet werden.
14
b) Beschuldigter. Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, aktiv zu seiner Überführung beizutragen36 (oben Rn. 2); er braucht daher Sachen, die zum Beweis gegen ihn verwendet werden können, weder vorzulegen noch herauszugeben.37 Ihm kann aber Gelegenheit gegeben werden, zur Abwendung einer Durchsuchung (§ 102), die ihn in zulässiger Weise einer passiven Duldungspflicht unterwerfen würde, oder allgemein zu der auch in seinem Interesse liegenden Beschleunigung des Verfahrens Gegenstände beizubringen.38 Das Fehlen einer Herausgabepflicht des Beschuldigten wird in gewissem Umfang dadurch kompensiert, dass die Durchsuchung seiner Person, Sachen und Räume bereits bei Vorliegen eines abstrakten Auffindeverdachts für Beweisgegenstände zulässig ist (§ 102), während es für die Durchsuchung bei anderen Personen eines konkreten Auffindeverdachts bedarf (§ 103 Abs. 1 Satz 1).
15
c) Zeugnis- und auskunftsverweigerungsberechtigte Zeugen. Auch Zeugnisverweigerungsberechtigte39 (§§ 52–54) dürfen zur Herausgabe von Beweismitteln aufgefordert
31 32 33 34 35 36 37
Tschacksch 110. M. Mayer JZ 1989 908 ff. Bär Zugriff 412. A.A. Tschacksch 306 ff. Vgl. auch Bittmann NStZ 2001 231, 232. Vgl. BVerfGE 56 37, 48 ff. (Gemeinschuldnerbeschluss). AK/Amelung 2; Bär Zugriff 414 f.; Ciolek-
90
38 39
Krepold 200; Meyer-Goßner 5; Krey Strafverfahrensrecht II Rn. 432; Eb. Schmidt 1; Tschacksch 81 ff., 92. Bär Zugriff 415. Vgl. auch den Alternativentwurf eines § 95 Abs. 2 nebst Anmerkungen von Baumann u.a., AE-ZVR 77 ff.; dazu auch Welp FS Bemmann 647 ff.
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werden.40 Dies folgt aus Absatz 2 Satz 2,41 nach dem gegen diese Personen bei einer Weigerung keine Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden dürfen, die Weigerung nach erfolgter Aufforderung zur Herausgabe des Beweisgegenstands also folgenlos bleibt. Ob Absatz 2 Satz 2 die Herausgabepflicht oder nur deren Durchsetzung ausschließt, kann dabei in der Praxis regelmäßig offenbleiben.42 Eine Belehrung über die Folgenlosigkeit der Herausgabeverweigerung ist dem Rechtsgedanken des § 52 Abs. 3 entsprechend bei Angehörigen erforderlich. Soweit allerdings ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 besteht, ist schon das Herausgabeverlangen unzulässig.43 Besonderheiten gelten für Geistliche in bezug auf Gegenstände, die ihnen bei der Seelsorge anvertraut worden sind.44 Ob bei verdächtigen Zeugen im Sinne des § 55 Abs. 1 schon die Herausgabepflicht 16 fehlt oder bei bestehender Herausgabepflicht nur der Einsatz von Zwangsmitteln entsprechend Absatz 2 Satz 2 ausgeschlossen ist, kann in der Praxis wiederum meist offen bleiben. Der verdächtige Zeuge ist jedenfalls nicht verpflichtet, sich selbst aktiv zu belasten,45 auch nicht durch Herausgabe von Beweisgegenständen. Wird aber sein subjektives Recht verletzt, so kann sich ein anderer in der Prozessrolle als Angeklagter bei dem Tatgericht und dem Revisionsgericht nicht auf diesen Verfahrensfehler berufen, denn er ist davon nicht in seinem Rechtskreis betroffen.46 Nur gegenüber dem Zeugen, wenn dieser später selbst Beschuldigter wird,47 wirkt sich der Verfahrensfehler aus; er kann dann unter denselben Voraussetzungen, die auch für die Rechtsbeeinträchtigung des Beschuldigten gelten (Rn. 33 ff.), ein Beweisverwertungsverbot geltend machen. d) Behörden. Absatz 1 gilt nach h.M. auch für Akten oder andere Gegenstände im 17 Gewahrsam von Verwaltungsbehörden.48 Diese können dann nur nach Maßgabe des § 96, der vom Standpunkt der h.M. aus nach seinem Wortlaut eine Einschränkung der sich aus der vorliegenden Vorschrift ergebenden Vorlegungs- und Herausgabepflicht regelt und nach der Gesetzessystematik für Fälle des § 94 und der vorliegenden Vorschrift gilt (vgl. zum Streitstand aber § 96, 4 ff.), vor dem Zugriff der Ermittlungsbehörden bewahrt werden.49 Nach dem hier vertretenen Standpunkt zu § 96 tritt bei Beweisgegenständen im Behördengewahrsam anstelle eines Herausgabeverlangens nach Absatz 1 der vorliegenden Vorschrift ein Amtshilfeersuchen (vgl. § 96, 27 ff.). Jedenfalls sind Zwangsmittel nach Absatz 2 Satz 1 nicht gegen Behördenangehörige anzuwenden, um die Herausgabe der im amtlichen Gewahrsam befindlichen Akten herbeizuführen. § 161 Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des StVÄG 1999 berechtigt die Ermittlungsbeamten nun auch – nur – dazu, Behördenauskünfte einzuholen, an die ein Amtshilfeersuchen anknüpfen
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OLG Celle NJW 1963 407; Bär Zugriff 415 f.; Meyer-Goßner 6. Näher Petra Schmitt 68 ff., 141 f. So auch Petra Schmitt 68 f. m.w.N. in Fn. 107. KK/Nack 2. Nach Art. 9 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (RGBl. II S. 679), das weiterhin gilt (vgl. BVerfGE 6 309 f.), dürfen katholische Geistliche nicht um Auskünfte über Tatsachen angehalten werden, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut sind und deshalb unter die Pflicht der seelsorgerischen Verschwiegenheit fallen. Wer nach seinem
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Wissen nicht gefragt werden darf, darf auch nicht aufgefordert werden, Urkunden über das ihm vorbehaltene Wissen auszuliefern. Nichts anderes gilt für evangelische Geistliche und solche anderer Glaubensrichtungen. Vgl. BVerfG Kammerbeschl. vom 21. August 2000 – 2 BvR 1372/00 – zu §§ 55, 70 StPO. Zu § 55 Abs. 2 BGHSt (GrSSt) 11 213 ff. Zur Bedeutung dieses Rollentauschs für die Beweiswürdigung BGHSt 38 302, 305. BGH (ER) JZ 1993 365 ff. m. Anm. Hilgendorf; LG Darmstadt NStZ 1989 86f; Reiß StV 1988 31 ff. OLG Karlsruhe NJW 1985 145 f.
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kann. Eine Regelung der Anwendung von Zwang durch Strafverfolgungsbehörden gegenüber Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung hat auch der Gesetzgeber des StVÄG 1999 in Kenntnis des Meinungsstreits nicht getroffen. Auch die h.M. fordert die Anwendung von Zwang im Sinne des Absatzes 2 der vorliegenden Vorschrift nicht, weshalb ihr abweichender Standpunkt zur Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten nicht überzeugen kann. Die Anwendung von Zwang durch Strafverfolgungsorgane gegenüber Angehörigen fremder Behörden wäre auch mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Insoweit sind die Strafverfolgungsorgane darauf angewiesen, zunächst mit Mitteln der Sachaufsicht die Herausgabe im Wege der Amtshilfe herbeizuführen. Nur in Ausnahmefällen kommt die nicht gegen Behördenangehörige, sondern gegen die Behörde selbst gerichtete Beschlagnahme des Beweisgegenstands in Betracht (§ 96, 15).
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e) Abgeordnete. Das Herausgabeverlangen ist der Beschlagnahme gleichzustellen. 4. Herausgabeverlangen
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a) Inhalt. Die Herausgabepflicht entsteht mit der Aufforderung durch das zuständige Strafverfolgungsorgan.50 Das Verlangen muss den Gegenstand so genau bezeichnen, wie dies bei einer Beschlagnahmeanordnung erforderlich ist, da sonst nicht zuverlässig festgestellt werden kann, ob und inwieweit eine Weigerung im Sinne von Absatz 2 Satz 1 vorliegt. Auf die nach Absatz 2 Satz 1 für den Fall der Weigerung angedrohten Zwangsmittel ist bei der Herausgabeaufforderung hinzuweisen. Das gerichtliche Verlangen ergeht schriftlich als Beschluss, der einer Begründung bedarf (vgl. § 34 StPO);51 dasjenige der Staatsanwaltschaft und Polizei kann mündlich ergehen.
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b) Berechtigte. Das Herausgabeverlangen kann nur von dem ausgehen, der im konkreten Fall auch zur Beschlagnahme befugt wäre. Das Herausgabeverlangen geht also wie bei § 98 grundsätzlich vom Richter aus, womit der zuständige Spruchkörper gemeint ist; 52 lediglich bei Gefahr im Verzug sind Staatsanwaltschaft und Polizei dazu befugt.53 Die gegenteilige Auffassung,54 welche die Befugnis der Staatsanwaltschaft zum Herausgabeverlangen schon aus deren Leitungsaufgabe im Ermittlungsverfahren herleitet,55 verkennt die Bedeutung des § 94, wonach die Alternative zum Herausgabeverlangen nach der vorliegenden Vorschrift die Beschlagnahme ist. Die Zuweisung einer generellen Kompetenz der Staatsanwaltschaft zur Vornahme von Maßnahmen nach der vorliegenden Vorschrift würde die gesetzlichen Zuständigkeitsregeln in § 98 unterlaufen; § 161 Abs. 1 i.d.F. des StVÄG ist gegenüber den Vorschriften des Achten Abschnitts formell subsidiär
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Tschacksch 118. Vgl. zur Rechtsschutzfunktion der Begründungspflicht im Fall der § 110b Abs. 2, § 34 BGHSt 41 103, 104. A.A. KG NStZ 1989 192: Zuständigkeit des Vorsitzenden. KG NStZ 1989 192; LG Frankfurt/Oder Jur Büro 2000 672; LG Berlin WM 1984 772 f.; LG Bonn NStZ 1983 327 mit abl. Anm. Kurth; LG Düsseldorf WM 1995 576 mit abl. Anm. Otto WuB VII D § 95 StPO 1.95; LG Landshut WM 1985 749 f. = NStE Nr. 1 zu § 95; LG Stuttgart NJW 1992 2646 = StV
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1992 77; Braczyk wistra 1993 57, 58; Ciolek-Krepold 201; Kniffka wistra 1987 309, 311; Reiß StV 1988 31, 35; Tschacksch 122 ff. LG Gera NStZ 2001 276; LG Halle NStZ 2001 276; LG Koblenz WM 2002 383; LG Lübeck NJW 2000 3148; LG Arnsberg wistra 1985 205; AK/Amelung 8; Bittmann NStZ 2001 231; wistra 1990 325 ff.; NStZ 2001 231; Klinger wistra 1991 17; MeyerGoßner 2; H. Schäfer wistra 1983 102. Klinger wistra 1991 17 ff.
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und spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es wäre im Übrigen widersinnig, die Beschlagnahmeanordnung grundsätzlich dem Richter vorzubehalten, die mit Ordnungsmitteln erzwingbare Herausgabepflicht, die bereits infolge der damit verbundenen Handlungspflicht regelmäßig eine schwerere Belastung als die Beschlagnahme darstellt,56 aber der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zu überlassen. Die Auffassung,57 angesichts der richterlichen Zuständigkeit für die Verhängung von Zwangsmaßnahmen nach Absatz 2 sei eine richterliche Präventivkontrolle wie in § 98 Abs. 1 nicht erforderlich, verkennt den psychischen Druck eines derartigen sanktionsbewehrten Vorlegungsverlangens, das gerade nicht zu einer freiwilligen Herausgabe führt.58 Auch aus einem in anderem Regelungszusammenhang59 erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers zur Beschleunigung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens lässt sich nicht entnehmen, dass im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Staatsanwaltschaft und Richter geboten sei.60 Zu beachten ist allerdings, dass die vorliegende Vorschrift die Befugnis der Ermitt- 21 lungsbehörden unberührt lässt, Beschuldigte und Zeugen zur freiwilligen Herausgabe von Beweismitteln und Führerscheinen aufzufordern, wie dies in der Praxis tagtäglich geschieht. Nur bleibt hier eine Weigerung folgenlos.61 Weder das Ersuchen um Auskunft und Urkundenvorlage noch das Herausgabeverlangen nach Absatz 1 unterbricht die Strafverfolgungsverjährung.62 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestags können ent- 22 sprechend § 95 StPO die Herausgabe von Beweisgegenständen verlangen (vgl. Art. 44 Abs. 2 GG).63 Einzelheiten sind in § 29 PUAG geregelt. Die Vorschrift lautet: § 29 Herausgabepflicht (1) Wer einen Gegenstand, der als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein kann, in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, ihn auf Verlangen des Untersuchungsausschusses vorzulegen und auszuliefern. Diese Pflicht besteht nicht, soweit das Beweismittel Informationen enthält, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist. (2) Im Falle der Weigerung kann der Untersuchungsausschuß gegen die Person, die den Gewahrsam hat, ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 Euro festsetzen. Der Ermittlungsrichter oder die Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofes kann auf Antrag des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder zur Erzwingung der Herausgabe die Haft anordnen. § 27 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. Die in diesem Absatz bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel dürfen gegen Personen, die nach § 22 Abs. 1 und 2 zur Verweigerung des Zeugnisses oder der Auskunft berechtigt sind, nicht verhängt werden. (3) Werden Gegenstände nach Absatz 1 nicht freiwillig vorgelegt, so entscheidet auf Antrag des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Ermittlungsrichter oder die Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofes über die Beschlagnahme und die Herausgabe an den Untersuchungsausschuß; § 97 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Zur Beschlagnahme der in Absatz 1 bezeichneten Gegenstände kann der Ermittlungsrichter oder die Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofes auch die Durchsuchung anordnen, wenn Tatsachen vor-
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So auch Braczyk wistra 1993 57, 58. Kurth NStZ 1983 328. Entgegen H. Schäfer wistra 1983 102. 1. StVRG vom 9. Dezember 1974, BGBl. I S. 3393, 3533. Braczyk wistra 1993 57, 58; Reiß StV 1988 31, 35; a.A. Klinger wistra 1991 17, 18.
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Das verkennt H. Schäfer wistra 1983 102. LG Kaiserslautern NStZ 1981 438 f. m. Anm. Lilie. Krit. zur Verfahrenspraxis der Untersuchungsausschüsse H.C. Schaefer NJW 1998 434 f.
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liegen, aus denen zu schließen ist, daß der gesuchte Gegenstand sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Die §§ 104, 105 Abs. 2 und 3, §§ 106, 107 und 109 der Strafprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.
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c) Verhältnismäßigkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeines Regelungsprinzip begrenzt auch das Herausgabeverlangen und seine zwangsweise Durchsetzung.64 Insoweit gilt Ähnliches wie bei der Beschlagnahme (s. § 94, 51 ff.). Umgekehrt stellt das Herausgabeverlangen unter bestimmten Umständen das mildere und damit allein verhältnismäßige Mittel dar, so etwa, wenn gewiss ist, dass sich das Beweismittel im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet, es nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt und weder ein drohender Verlust noch sonst Verdunklungsmaßnahmen zu besorgen sind.65 Im Übrigen gilt: Ist die Herausgabe des Originals einer Beweisurkunde zu Beweiszwecken nicht erforderlich, so kann etwa die Herausgabe einer Fotokopie genügen. 5. Ordnungs- und Zwangsmittel (Absatz 2)
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a) Allgemeines. Die Vorschrift gilt für Herausgabeverlangen nach Absatz 1, ferner entsprechend für das Verlangen auf Herausgabe von Dateien zu Zwecken der Rasterfahndung (§ 98a Abs. 5). Steht fest, dass der Verpflichtete dem Herausgabeverlangen schuldhaft nicht nachgekommen ist, so sind nach Absatz 2 Satz 1 die in § 70 bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel zulässig. Voraussetzung ist zunächst eine klare Bezeichnung des Beweisgegenstands im Herausgabeverlangen; ferner muss feststehen, dass der Betroffene den Gegenstand im Gewahrsam hat und zur Herausgabe auch tatsächlich in der Lage wäre.66 Voraussetzung der Anwendung von Zwangsmitteln ist ein vorheriges richterliches Herausgabeverlangen, aber nicht, dass eine Beschlagnahmeanordnung vorausgegangen wäre, denn Beschlagnahme und Herausgabeverlangen sind verschiedene, voneinander unabhängige Maßnahmen.67
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b) Zeugnisverweigerungsberechtigte (Absatz 2 Satz 2). Die Ordnungs- und Zwangsmittel dürfen nicht angewendet werden, wenn der Gewahrsamsinhaber berechtigt ist, das Zeugnis zu verweigern.68 Das ist stets der Fall bei den in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen. Bei dem Personenkreis des § 53 besteht das Herausgabeverweigerungsrecht im Regelfall nur, wenn ihnen der Gegenstand in der in § 53 bezeichneten Eigenschaft anvertraut oder übergeben worden ist. Häufig wird daher der Fall des § 97 vorliegen, in dem das Verfahren nach § 95 ausgeschlossen ist (oben Rn. 15), aber nicht stets: Das Beschlagnahmeverbot nach § 97 greift grundsätzlich nur, wenn der Mandant/Patient Beschuldigter ist, nicht aber wenn dieser lediglich als Zeuge in Betracht kommt. Näheres bei § 97, 21, 24. In solchen Fällen darf zwar beschlagnahmt, nicht aber der Zeugnisverweigerungsberechtigte nach § 95 zur Herausgabe gezwungen werden.69 Die in § 53 Nr. 2 bis 3a Genannten (Verteidiger, Anwälte, Ärzte usw.) haben kein Weigerungsrecht, wenn (und bei Verteidigern: soweit) sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit, d.h. hier zur Wahrung des Geheimnisses durch Verweigerung der Herausgabe, entbunden
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Bär Zugriff 416 f. Vgl. LG Saarbrücken ZIP 2010 1767, 1768. Meyer-Goßner 6. LG Stuttgart wistra 1992 77 ff. = NStZ 1992 249 f. = NJW 1992 2646 f.
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Dazu Tschacksch 169 ff. S. den Sachverhalt LG Bielefeld StV 2000 12 mit Besprechung Samson StV 2000 55.
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worden sind (vgl. § 53 Abs. 2; Erl. zu § 97, 47).70 Im Übrigen beseitigt das Einverständnis des Beschuldigten das Herausgabeverweigerungsrecht nicht.71 Im Fall des § 55 besteht zwar kein Zeugnis-, sondern nur ein Auskunftsverweige- 26 rungsrecht. Absatz 2 Satz 2 der vorliegenden Vorschrift ist hier aber entsprechend anzuwenden, denn nach dem Sinn des § 55 ist niemand verpflichtet, durch die Herausgabe von Gegenständen die Strafverfolgung auf sich oder seine Angehörigen zu lenken.72 c) Zuständigkeit, Verfahren. Zuständig ist der Richter.73 Im Ermittlungsverfahren ist 27 dies der Ermittlungsrichter (§§ 162, 165), nach Erhebung der öffentlichen Klage das mit der Sache befasste Gericht; anders als nach § 161a aber niemals die Staatsanwaltschaft.74 Die Entscheidung ergeht – im Ermittlungsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft – durch Beschluss, vor dem unter Hinweis auf die nach § 70 möglichen Folgen rechtliches Gehör zu gewähren ist. Die Entscheidung bedarf der Begründung (§ 34). d) Ordnungs- und Zwangsmittel. Absatz 2 verweist wegen der „Ordnungs- und 28 Zwangsmittel“ auf § 70, zwingt aber nicht zu deren Festsetzung, sondern stellt sie in das pflichtgemäße Ermessen des Richters („können“). In Betracht kommen Ordnungsgeld, Ordnungshaft und Beugehaft. Wegen der Einzelheiten dazu s. die Kommentierung zu § 70; dort auch zur nachträglichen Abänderung der Entscheidung bei Herausgabe des verlangten Gegenstands. 6. Kosten der Vorlegung oder Herausgabe. Namentlich Kreditinstituten, aber auch 29 sonstigen Dritten, können durch das Heraussuchen und Vorlegen von Buchhaltungsunterlagen erhebliche Kosten entstehen. Insbesondere das Heraussuchen und Lesbarmachen mikroverfilmter oder sonst auf Datenträger gespeicherter Buchhaltungsunterlagen ist dann sehr zeit- und arbeitsaufwendig, wenn bei Kreditinstituten Kontobewegungen über längere Zeiträume hinweg festgestellt werden müssen.75 Häufig werden von Banken darüber hinaus auch die Buchungsbelege ausgewertet und Aufstellungen über Zahlungsvorgänge gefertigt. Ob derartige Vorarbeiten entschädigungsfähig sind, wenn sie zur Abwendung einer Beschlagnahme, in Erfüllung der Pflicht des § 95 oder auf ein auf § 161a gestütztes Ersuchen um schriftliche Auskunft (vgl. § 94, 67 und Erl. zu § 161a) erfolgen, war vor Inkrafttreten des – inzwischen selbst abgelösten – § 17a ZSEG heftig umstritten. Eine unmittelbare Anwendung des ZSEG kam nicht in Betracht.76 Umstritten war die Frage der entsprechenden Anwendung des Gesetzes.77 Eine weitere Frage war, ob für die in solchen Fällen regelmäßig vorgelegten Fotokopien Entschädigung zu leisten ist. Die Stellungnahmen dazu ließen sich kaum mehr überblicken. Grob vereinfacht wurde folgendes vertreten: Soweit der Aufwand zur Abwendung einer Beschlagnahme erfolgt, verneinte zunächst die überwiegende Meinung eine Entschädigung.78 Die Vorlage der Buchhaltungsunterlagen (in Fotokopie) sei keine Zeugentätig-
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Meyer-Goßner 10. RG Recht 1927 Nr. 2623. Vgl. BVerfG (Kammer) NJW 1999 779 f.; Beschl. vom 21. August 2000 – 2 BvR 1372/00 – jew. zu §§ 55, 70 StPO;. Krey Strafverfahrensrecht II Rn. 433. LG Landshut WM 1985 749; Meyer-Goßner 9; Klinger wistra 1991, 17 ff.; Kurth NStZ 1983 328.
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Masthoff wistra 1982 100. Vgl. BGH (ER) NStZ 1982 118; OLG Bremen NJW 1976 685; LG Frankfurt StV 1981 36; Masthoff wistra 1982 100 ff.; Sannwald NJW 1984 2495. Eingehend zur Problematik Sannwald NJW 1984 2495. OLG Bamberg JurBüro 1979 1686; OLG Düsseldof JZ 1985 544 = JurBüro 1985
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keit, die Entschädigungsvoraussetzungen der §§ 1, 2 ZSEG lägen deshalb nicht vor.79 Der Kaufmann sei nach dem in §§ 261 HGB, 147 Abs. 5 AO zum Ausdruck gebrachten allgemeinen Rechtsgedanken verpflichtet, auf seine Kosten Reproduktionen mikroverfilmter Buchhaltungsunterlagen anzufertigen.80 Eine andere Meinung wollte die Regeln des ZSEG entsprechend anwenden.81 Soweit der Aufwand aufgrund eines Auskunftsersuchens erfolgt, wurde überwiegend die Erstattungsfähigkeit unter Hinweis auf die Ähnlichkeit zur Zeugenaussage bejaht.82 Dasselbe galt auch dann, wenn „zur Abwendung der Beschlagnahme“ Aufstellungen, Auflistungen und sonstige über die bloße Reproduktion der Buchhaltung hinausführende Arbeiten vorgenommen werden.83 Schon mit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026) 30 wurde die Rechtslage mit Wirkung vom 1. Juli 1989 durch Einführung des § 17a ZSEG dahin klargestellt, dass auch eine Kostenerstattung nach dem ZSEG für die Mitwirkung im Strafverfahren unter anderem durch Herausgabe von Gegenständen nach der vorliegenden Vorschrift (§ 17a Abs. 1 Nr. 1 ZSEG a.F.) oder Erteilung von Auskünften84 stattfand, soweit nicht Sonderregeln galten.85 Die Vorschrift wurde durch das OrgKG86 noch um eine Entschädigungsregelung für die Benutzung einer EDV-Anlage erweitert. Inzwischen ergibt sich der Entschädigungsanspruch aus § 23 Abs. 2 JVEG. Die Entschädigung greift nur ein, soweit nicht verfahrensbeteiligte Dritte, die nicht 31 als Justizorgane tätig werden, Gegenstände herausgeben oder Auskünfte erteilen. So hat
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1219 f.; OLG Karlsruhe BB 1987 2188 mit Anm. M. Meyer; OLG Nürnberg JurBüro 1979 1336; LG Oldenburg CR 1988 679. BGH (ER) NStZ 1982 118; OLG Bremen NJW 1976 685; OLG Hamburg MDR 1980 604; OLG Hamm NStZ 1985 106; OLG Nürnberg NJW 1980 1861; LG Oldenburg CR 1988 679; a.A. OLG Hamburg NStZ 1981 107; OLG Düsseldorf MDR 1978 781; OLG Frankfurt WM 1980 753; LG Coburg WM 1979 901; LG Frankenthal JurBüro 1987 1579 mit Anm. Mümmler; LG Frankfurt StV 1981 36; LG Koblenz JurBüro 1985 1532 mit Anm. Mümmler; Kieback/Ohm WM 1986 313. OLG Bremen NJW 1976 685; OLG Nürnberg 1980 1861; OLG Hamburg NStZ 1981 1682; OLG Karlsruhe MDR 1982 605; OLG Oldenburg CR 1988 679; LG Koblenz wistra 1985 207; a.A. OLG Celle WM 1981 1288; LG München NStZ 1981 107; LG Coburg WM 1979 902; LG Frankfurt NStZ 1982 336; LG Hildesheim NStZ 1982 337 mit Anm. Benckendorff. OLG Braunschweig EWiR 1987 99 f. mit Anm. Schroeter; OLG Düsseldorf DB 1985 91; OLG Hamburg JurBüro 1981 409; LG Koblenz JurBüro 1985 1531 ff. (für die Kosten einer Auskunft, nicht für Fotokopierkosten); LG Stuttgart Die Justiz 1986 419 ff. Vgl. OLG Hamm NStZ 1981 106.
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Vgl. OLG Düsseldorf wistra 1985 123; LG Koblenz wistra 1985 207 für Auskünfte. Zur Entschädigung eines Mobilfunkunternehmens oder sonstigen Telekommunikationsdienstes für Auskünfte außerhalb des automatisierten Verfahrens (früher) nach § 90 TKG a.F. OLG Hamm DuD 2000 236 f.; OLG Stuttgart JurBüro 1996 597 f.; LG Bremen NStZ 1999 412 f. = MMR 2000 114 f.; LG München JurBüro 1999 316 f. mit Anm. Scharff; zur Beschwerde gegen die Festsetzung der Entschädigung OLG Hamm JurBüro 1999 319. Einen Vorrang des § 90 Abs. 3 Nr. 1 TKG a.F. auch für Auskünfte über Namen und Anschrift des Inhabers einer Rufnummer durch einen Anbieter von Telekommunikationsdiensten nahm LG Duisburg NStZ 1998 578 = JurBüro 1998 655 f. an. Nach OLG Hamm JMBlNRW 1998 215 f. = JurBüro 1999 318 galt § 90 Abs. 3 TKG a.F. mit der Folge der Unanwendbarkeit von § 17a ZSEG a.F. auch für die Datenherausgabe nach § 90 Abs. 1 TKG a.F. vor Einrichtung der Regulierungsbehörde; a.A. OLG Zweibrücken NJW 1997 2692, 2693 = wistra 1997 656, 657; LG Berlin JurBüro 1999 318 f.; LG Detmold DuD 1998 172f; LG Oldenburg DuD 1998 170 ff. BTDrucks. 12 2720 S. 36.
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ein Gerichtsvollzieher, der auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft eine Aufstellung von Vollstreckungsaufträgen gegen einen Beschuldigten erstellt, keinen Entschädigungsanspruch.87 Auch Verfahrensbeteiligte oder Geschädigte sind nicht Dritte. So soll ein Unternehmen im Strafverfahren gegen seine Bediensteten nicht für Auskünfte an die Strafverfolgungsbehörden entschädigte werden.88 Auf Nichtbeteiligte, die von Maßnahmen der Durchsuchung und Beschlagnahme betroffen werden, kann die Entschädigungsregelung, der aus dem Kreis der Zwangseingriffe nach den §§ 94 ff. nur die Maßnahme nach der vorliegenden Vorschrift und § 98a nennt, entsprechend anzuwenden sein.89 Inhaltlich bemisst die Regelung die Entschädigung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Charakter der Inanspruchnahme nach den Vorschriften über die Zeugenentschädigung. Das kann bei besonders aufwendiger Tätigkeit, z.B. einer umfangreichen Datenentschlüsselung mit einer Spezialanlage,90 unangemessen erscheinen. 7. Anfechtung. Richterliche Herausgabeverlangen (nach § 304 Abs. 4 und 5 auch des 32 Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug oder des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof, da sie der Beschlagnahme gleichzustellen sind) sind mit der Beschwerde anfechtbar; für die nach der hier vertretenen Auffassung nur bei Gefahr im Verzug in Betracht kommenden staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Herausgabeverlangen gilt § 98 Abs. 2 Satz 2 analog.91 8. Verwertungsverbote. Beweisverwertungsverbote kommen in Betracht, wenn von 33 Zeugen oder Beschuldigten die Herausgabe von Beweisgegenständen in verfahrensfehlerhafter Weise verlangt oder das Herausgabeverlangen mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird, obwohl die Adressaten zur Verweigerung der Herausgabe berechtigt sind beziehungsweise die Herausgabe von ihnen rechtlich nicht erzwungen werden darf. Solche Verwertungsverbote können grundsätzlich nicht mit der Hypothese einer alternativ rechtmäßigen Beweiserlangung nach den §§ 102 f., 94 bestritten werden, wenn nicht feststeht, dass auch im Wege einer solchen Vorgehensweise der Beweisgegenstand gefunden worden wäre. a) Fehlende Vorlegungs- und Herausgabepflicht von Zeugen. Nach der hier vertrete- 34 nen Auffassung fehlt es bereits an einer Vorlegungs- und Herausgabepflicht, wenn ein Beschlagnahmeverbot besteht (z.B. in den Fällen des § 97 und Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Diesem Beschlagnahmeverbot entspricht ein Verwertungsverbot bei Verletzung des Rechts, die Vorlegung oder Herausgabe zu verweigern. Denn der Schutzzweck, der den Regeln über die Aussageverweigerungsberechtigung zugrunde liegt, würde ebenso verletzt, wenn entgegen Absatz 2 Satz 2 das flankierende Herausgabeverweigerungsrecht missachtet würde.92 Bezüglich der Angehörigen des Beschuldigten im Sinne des § 52 gilt etwa auch in Absatz 2 Satz 2 der Gedanke des Schutzes des Zeugen vor einer inneren Konfliktlage im Rahmen (zusätzlicher) Zeugenaussagen und des Schutzes des Familienfriedens.93 Bei den Zeugen im Sinne des § 53 steht der Schutz des
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Zu § 17a ZSEG a.F. LG Nürnberg-Fürth DGVZ 1998 60 f. = JurBüro 1998 485 f. OLG Frankfurt NJW 1998 551 f. Wiederum zu § 17a ZSEG a.F. OLG Celle (ER) Beschl. vom 19. April 1995 – UJs 58/91. Vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1993 16 f. = JurBüro 1993 118 f. = CR 1993 295 f.
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Bittmann wistra 1990 331; Kurth NStZ 1983 329; HK/Gercke 12; Meyer-Goßner 12. SK/Wohlers 37. Petra Schmitt 69.
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Vertrauensverhältnisses von Berufsgeheimnisträgern im Vordergrund. Da die Vorlegungsund Herausgabepflicht in Absatz 1 eine öffentlich-rechtliche Pflicht ist, die derjenigen zur Duldung der Beschlagnahme vergleichbar ist, sind Beweismittel nicht verwertbar, die unter Berufung auf eine tatsächlich nicht bestehende Vorlegungs- und Herausgabepflicht herausverlangt wurden, es sei denn, der Betroffene habe auf sein Recht, die Gegenstände nicht herausgeben zu müssen, freiwillig verzichtet. Diese Freiwilligkeit setzt allerdings Rechtskenntnis voraus. Der Zeuge ist deshalb – ebenso wie bei § 97 (s. dort) – über seine Rechte zu belehren. Zwang (vgl. Rn. 25) darf auch gegenüber Zeugen, die zur Verweigerung der Vorlegung oder Herausgabe berechtigt sind, nicht angedroht oder angewendet werden (vgl. § 69 Abs. 3, § 136a Abs. 1); geschieht dies doch, so folgt daraus ein Verwertungsverbot94 (§ 136a Abs. 3). Zu dem so geschützten Personenkreis gehören auch die verdächtigen Zeugen im Sinne des § 55 Abs. 1 (Rn. 16).95
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b) Fehlende Vorlegungs- und Herausgabepflicht des Beschuldigten. Wurde das Herausgabeverlangen unzulässigerweise gegenüber dem Beschuldigten ohne eine § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 entsprechende Belehrung ausgeübt, so kommt es für die Verwertbarkeit der so gewonnenen Beweismittel darauf an, ob der Beschuldigte seine Rechte kannte. Die Rechtslage entspricht insofern im wesentlichen derjenigen bei unterlassener Belehrung des Beschuldigten im Rahmen einer Vernehmung nach den genannten Vorschriften, denn auch hier geht es um die prozessualen Folgen der Beeinträchtigung des Rechts des Beschuldigten, nicht durch aktive Handlung (Herausgabe des Beweisgegenstands) an seiner eigenen Überführung mitwirken zu müssen.96 Der vom Beschuldigten in Unkenntnis seines Herausgabeverweigerungsrechts preis36 gegebene Beweisgegenstand kann allerdings der Beschlagnahme unterliegen. Daher ist zunächst nicht ohne weiteres bereits wegen der Verfahrensfehlerhaftigkeit eines Herausgabeverlangens durch Rückgabe der status quo ante des Gewahrsams herzustellen. Dies hätte indes die Folge der Heilung des Verfahrensfehlers. Die Frage der Verwertbarkeit des Beweisgegenstands selbst stellt sich aber dann, wenn er nicht nach Aufdeckung des Verfahrensfehlers sogleich wieder herausgegeben wird. Sie stellt sich auch bezüglich der Beweissurrogate, die an die Stelle des herausgegebenen Beweisgegenstands treten können, wie Lichtbilder, eine Beschreibung des Beweisgegenstands durch auswertende Ermittlungsbeamte als Zeugen und anderes mehr; diese Frage betrifft die Folgewirkungen eines Beweisverwertungsverbots. Die Verwertbarkeitsfrage stellt sich schließlich bezüglich der mittelbar mit Hilfe des fehlerhaft erlangten Beweisgegenstands gewonnenen anderen Beweismittel als Frage von Fernwirkungen des Beweisverwertungsverbots. Dazu gilt Folgendes:
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aa) Zwang. Soweit durch Androhung oder Anwendung von Zwangsmitteln gegenüber dem Beschuldigten die Herausgabe von Beweisgegenständen erreicht wurde, ist sein subjektives prozessuales Recht, nicht aktiv an seiner Überführung mitwirken zu müssen, in ähnlicher Weise wie im Fall des auf Vernehmungen97 zugeschnittenen § 136a verletzt. Daraus folgt ein von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachtendes Beweisverbot, wenn der nicht erlaubte Zwang kausal für die Herausgabe war und der Verfahrensfehler nicht durch einen neuen, fehlerfreien Beweiserhebungsakt geheilt werden
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SK/Wohlers 38 f. Vgl. BVerfG (Kammer) Beschl. vom 21. August 2000 – 2 BvR 1372/00 – zu §§ 55, 70.
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Vgl. BVerfGE 56 37, 51. Vgl. BGHSt (GrSSt) 42 139, 145, 149.
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kann. Heilung kommt durch formlose Sicherstellung oder Beschlagnahme in Betracht, die jedoch nur nach zwischenzeitlicher Rückgabe der Sache von den Folgen des vormaligen Verfahrensfehlers durch zeitweilige Wiederherstellung des status quo ante befreit wurde. Die Hypothese alternativ rechtmäßiger Beweiserlangung98 durch hypothetische Beschlagnahme anstelle der tatsächlich fehlerhaft erzwungenen Herausgabe durch den Beschuldigten als rechtliche Möglichkeit der Kompensation des Verfahrensfehlers greift dagegen meist schon in tatsächlicher Hinsicht nicht ein; denn die Erzwingung der Herausgabe wird in der Praxis erst dann betrieben, wenn nicht mit Durchsuchung und Beschlagnahme ein sicherer Ermittlungszugriff möglich ist. Zudem begegnet die gedankliche Auswechslung der Eingriffsnorm des § 95 durch die §§ 94, 98 auch rechtlichen Bedenken. Für Folgewirkungen des absoluten Beweisverwertungsverbots gemäß § 136a Abs. 3 38 auf Beweissurrogate ist die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Widerspruchslösung in Betracht zu ziehen.99 Fernwirkungen des Verwertungsverbots sind grundsätzlich abzulehnen. bb) Verletzung des Herausgabeverweigerungsrechts ohne fehlerhafte Anwendung von 39 Zwang. Wird die Herausgabe des Beweisgegenstands ohne Androhung oder Anwendung von Zwang im Sinne des § 136a Abs. 1, aber gleichwohl unter Verletzung des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ herbeigeführt, der vor sonstiger staatlicher Veranlassung einer aktiven Selbstbelastung schützt,100 so kann daraus ein Beweisverwertungsverbot folgen; dies setzt nach der Widerspruchslösung jedoch voraus, dass der verteidigte oder über sein Widerspruchsrecht belehrte Angeklagte, der als Beschuldigter von dem Herausgabeverlangen betroffen worden war, spätestens im Rahmen seines Äußerungsrechts nach § 257 der Verwertung des Beweisgegenstands widerspricht. Nicht vom Herausgabeverlangen betroffen gewesene Angeklagte oder Mitangeklagte sind von der Verwertung des einem anderen abverlangten Beweisgegenstands nicht in ihrem
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Zur Auswechslung der §§ 94, 97 durch § 81a bei Sicherstellung privat entnommener Blutproben OLG Celle NStZ 1989 395 f.; OLG Frankfurt NStZ 1999 246 f.; OLG Zweibrücken NJW 1994 810; abl. Beulke ZStW 103 (1991) 657, 675 ff.; Flöhr Jura 1995 131, 133; Heinrich Zur Operationsvorbereitung entnommene Blutproben als Beweismittel im Strafprozeß, S. 25 ff.; Svenja Schröder Beweisverwertungsverbote, 136 ff.; Weiler MDR 1994 1163 und NStZ 1995 98; Wendisch OLGSt StPO § 81a Nr. 3; Wohlers NStZ 1990 245. Vgl. BGH NStZ 1996 290 f. = StV 1996 360 mit abl. Anm. Fezer StV 1997 57 f. BGHSt (GrSSt) 42 139 ff. hat freilich ausschließlich einen Zwang zur Selbstbelastung dem „nemo tenetur-Prinzip“ zugeordnet; anders der Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats NStZ 1996 200. Dies entspricht nicht dem modernen verfassungsrechtlichen Ein-
griffsbegriff; vgl. Eschelbach StV 2000 390, 396; Renzikowski JZ 1997 710, 713 f. Allerdings hat BVerfG (Kammer) Beschl. vom 27. April 2000 – 2 BvR 1990/96 – die Verfassungsbeschwerde gegen BGHSt 42 139 u.a. wegen fehlender Substantiierung der Annahme, nicht nur ein Aussagezwang sei ein Eingriff, nicht zur Entscheidung angenommen. BGHSt 38 214, 220 ff.; 38 302, 305; BGH StV 2000 234 f. haben bereits in einer verfahrensfehlerhaften Behandlung des Beschuldigtenverhaltens einen Verstoß gegen das „nemo-tenetur-Prinzip“ angenommen, in der Literatur auch etwa Roxin NStZ 1995 465, 466; 1997 18 f.; Weßlau ZStW 110 (1998), 1, 25 ff.; a.A. z.B. Ackemann Rechtmäßigkeit und Verwertbarkeit heimlicher Stimmvergleiche im Strafverfahren (1997), 41 f., 46 ff.; Graf Rasterfahndung 237 ff., 240; Verrel NStZ 1997 361, 364 ff.; 415 f.
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Rechtskreis betroffen;101 Gleiches gilt für das Verhältnis von Angeklagten zu verdächtigen Zeugen, die unter Verstoß gegen Absatz 2 Satz 2 i.V.m. § 55 zur Herausgabe gezwungen werden.102 Die Verletzung des Herausgabeverweigerungsrechts kann im Einzelfall bereits im 40 Herausgabeverlangen ohne Belehrung über dieses subjektive prozessuale Recht liegen, wenn der betroffene Beschuldigte sein Recht nicht ohnehin kannte, er dem Herausgabeverlangen nicht ohnehin auf jeden Fall folgen wollte oder er in der konkreten Situation nicht bereits anwaltlich beraten war. Diese Einschränkungen sind in Anlehnung zu den bei Fehlern der Beschuldigten- bzw. Angeklagtenvernehmung entwickelten Grundsätzen103 angebracht. Für unmittelbare Folgewirkungen des Beweisverwertungsverbots bezüglich möglicher 41 Beweissurrogate für denselben Beweisgegenstand gilt dasselbe wie für die Frage der Verwertbarkeit des Beweisgegenstands selbst. Sonst könnte das Beweisverwertungsverbot nur allzu rasch umgangen werden. Der verfahrensfehlerhaft erlangte Beweisgegenstand könnte durch eine Fotographie oder ähnliches ausgewertet und dann zurückgegeben werden. Auch insoweit ist allerdings die Widerspruchslösung zu beachten. Fernwirkungen eines Beweisverwertungsverbots auf ganz andere Beweismittel, die 42 mittelbar mit Hilfe des unverwertbaren Beweisgegenstands gefunden werden und auch nicht lediglich Beweissurrogate des bemakelten Sachbeweises sind, sind grundsätzlich nicht anzunehmen. Sind sie bereits in Fällen gravierenderer Eingriffe in subjektive Rechte mit Zwang nicht anzunehmen (Rn. 38), so gilt dies hier erst recht.
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9. Revision. Die Verwertung eines Beweismittels entgegen einem Verwertungsverbot kann mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Diese setzt einen vollständigen Vortrag der Prozesstatsachen voraus, die für die Beurteilung des Verwertungsverbots erforderlich sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2), gegebenenfalls auch bezüglich eines rechtzeitigen Widerspruchs gegen die Verwertung des Beweisgegenstands in der Hauptverhandlung. Das Unterlassen eines Herausgabeverlangens nach Absatz 1 der vorliegenden Vorschrift kann nur ausnahmsweise mit einer Aufklärungsrüge geltend gemacht werden. Keinen Erfolg hatte beispielsweise die Rüge, das Landgericht hätte einem Ermittlungsantrag folgen und das Tagebuch der Geschädigten herausverlangen müssen,104 da im Hinblick auf die Zeugenaussage der Geschädigten die Aufklärungspflicht in jenem Fall nicht dazu drängte, diesem Antrag nachzugeben. Im Übrigen hatte die Geschädigte die Herausgabe verweigert und brauchte nicht nochmals dazu aufgefordert zu werden.
§ 96 1Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes
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Vgl. zu § 136 Abs. 1 Satz 2 BGHR StPO § 136 Belehrung 5; BayObLG StV 1995 237; krit. zu beiden Entscheidungen Dencker StV 1995 232 ff.
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HK/Gercke 11. Vgl. BGHSt 25 325, 330 f.; 38 214, 220 ff. BGH NStZ-RR 1997 167 = StV 1997 77.
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Nachteile bereiten würde. 2Satz 1 gilt entsprechend für Akten und sonstige Schriftstücke, die sich im Gewahrsam eines Mitglieds des Bundestages oder eines Landtages beziehungsweise eines Angestellten einer Fraktion des Bundestages oder eines Landtages befinden, wenn die für die Erteilung einer Aussagegenehmigung zuständige Stelle eine solche Erklärung abgegeben hat.
Schrifttum (s. zunächst bei § 94; Auswahl) Ahlers Grenzbereich zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung (1998); Amelung Grenzen der Beschlagnahme notarieller Urkunden, DNotZ 1984 195; Arloth Geheimhaltung von V-Personen und Wahrheitsfindung im Strafprozeß (1987); ders. Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen „V-Mann-Problems“, NStZ 1993 467; Backes Abschied vom Zeugen von Hörensagen, FS Klug 447; Beck Bekämpfung der Organisierten Kriminalität speziell auf dem Gebiet des Rauschgifthandels unter besonderer Berücksichtigung der V-Mann-Problematik (1990); Bender/Nack Unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Vorenthaltung der Spurenakten? ZRP 1983 1; Blankenburg Die Staatsanwaltschaft im System der Strafverfolgung, ZRP 1978 263; Böttcher Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, FS Kleinknecht 541; Bruns Präjudizierende Randbemerkungen zum Vorlage-Beschluss des BGH 2 StR 792/82, StV 1983 382; ders. Der Beschluß des Großen Senats zum strafprozessualen V-Mann-Problem. Anfang oder Ende einer notwendigen Neuorientierung der Rechtsprechung, MDR 1984 177; ders. Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen „V-Mann-Problems“ (1981); Bull Datenschutz contra Amtshilfe, DÖV 1979 689; Detter Einige Gedanken zu audiovisueller Vernehmung, V-Mann in der Hauptverhandlung und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache El Motassadeq, StV 2006 544; Dreher Die Amtshilfe (1959); Düwel Das Amtsgeheimnis (1965); Eisenberg Beschlagnahme von Akten der Jugendgerichtshilfe durch das Jugendgericht, NStZ 1986 308; Erfurth Verdeckte Ermittlungen. Problemlösung durch das OrgKG? (1997); Ellbogen Anfechtung der behördlichen Verweigerung einer Aussagegenehmigung durch die Staatsanwaltschaft? NStZ 2007 310; Ernesti Staatsanwaltschaft, Polizei und die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten, ZRP 1986 57; Fezer Anfechtung der Sperrerklärung des Innenministers und Aussetzung der Hauptverhandlung – BGH NStZ 1985, 466, JuS 1987 358; ders. Zur Problematik des gerichtlichen Rechtsschutzes bei Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO, FS Kleinknecht 113; Friedrichs Der Einsatz von „V-Leuten“ durch die Ämter für Verfassungsschutz, Diss. Göttingen 1981; Füllkrug Das Ende des V-Mannes? Kriminalistik 1984 122; Gaede Schranken des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 EMRK bei der Sperrung verteidigungsrelevanter Informationen und Zeugen, StV 2006 599; Gaede Die besonders vorsichtige Beweiswürdigung bei der exekutiven Sperrung von Beweismaterial im Konflikt mit dem Offenlegungsanspruch des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, StraFo 2004 195; Geisler Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft im heutigen deutschen Strafverfahren, ZStW 93 (1981) 1109; Geißer Das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft und die Gewährsperson als Aufklärungsmittel im Ermittlungs- und als Beweismittel im Strafverfahren, GA 1983 385; ders. Die Zusage der vertraulichen Behandlung einer Mitteilung bei der Straftatenaufklärung, GA 1985 247; Geppert Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren (1979) 282 ff.; ders. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beweisrechtlichen Fragen bei behördlich geheimgehaltenem V-Mann, Jura 1992 24; ders. Zeugen vom Hörensagen, Jura 1991 538; Gribbohm Der Gewährsmann als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1981 305; Görgen Strafverfolgungs- und Sicherheitsauftrag der Polizei, ZRP 1976 59; Gössel Überlegungen über die Stellung der Staatsanwaltschaft im rechtsstaatlichen Strafverfahren und über ihr Verhältnis zur Polizei, GA 1980 333; Gomolla Der Schutz des Zeugen im Strafprozeß (1986); Gropp Diskussionsbeiträge der Strafrechtslehrertagung, ZStW 95 (1983) 998; Groth Verdeckte Ermittlung im Strafverfahren und Gewinnabschöpfung. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung zweier Maßnahmenkomplexe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (1996); Grünwald Der Niedergang des Prinzips der unmittelbaren Zeugenvernehmung, FS Dünnebier 347; Gülzow Die Verwertung verdeckt erlangter Erkenntnisse im Strafprozeß, Die Polizei 1984 331; Haas V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren. Neue prozessuale Probleme, GedS Meyer 239; Herdegen Bemerkungen zum Beweisantragsrecht – zugleich Besprechung von BGH GSSt 1/83, NStZ 1984 97, 200, 337; Heinisch Der Einfluss der Exekutive auf die Wahr-
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heitsfindung im Strafprozeß, MDR 1980 898; Hilger Zum Rechtsweg gegen Sperrerklärung und Verweigern der Aussagegenehmigung in V-Mann-Prozessen, NStZ 1984 145; Paul Hoffmann Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren (1991); Hund Verdeckte Ermittlungen – ein gelöstes Problem? StV 1993 379; Janoschek Strafprozessuale Durchsuchung und Beschlagnahme bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Diss. Trier 1989/1990; Joachim Der Hörensagenbeweis im Strafverfahren (1991); Kay Amts- und Vollzugshilfe als polizeiliche Aufgabe, Die Polizei 1982 106; ders. Zur Frage der Geheimhaltung von Gewährspersonen, Die Polizei 1982 33; Kienzle Die Pflicht der Verwaltungsbehörden zur Vorlage von Akten an Gerichte, Justiz 1955 257; Klemme Die richterliche Kontrolle des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach den §§ 23 ff. EGGVG, Diss. Bielefeld 1995 272 ff.; Knemeyer Staatsanwaltschaft und Polizei, FS W. Krause (1990) 474; ders. Vorsorge für die Gefahrenabwehr sowie für die Strafverfolgung – Eine dritte polizeiliche Aufgabenkategorie, in Kawazoe/Kobayashi (Hrsg.) Recht und Gerechtigkeit. Internationale Gedächtnisschrift für Georg Tagami (1993), 131; Knemeyer/Deubert Zum Verhältnis von Staatsanwaltschaft-Polizei/PolizeiStaatsanwaltschaft, NJW 1992 3131; Köhler Prozessrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995), 10; Körner Verherrlicht und verteufelt – Der V-Mann, Kriminalistik 1983 290; Körner V-Leute: Verbrannt und verblüht, Kriminalistik 1984 338; ders. Der Grundsatz des fair play für den V-Mann und für den Zeugen, Kriminalistik 1984 338; Koller Die Staatsanwaltschaft – Organ der Judikative oder Exekutivbehörde? Die Stellung der Anklagebehörde und die Gewaltenteilung des Grundgesetzes (1997); Kramer Die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten im Strafverfahren, NJW 1984 1502; Kraushaar Behördenangehörige als V-Leute, Kriminalistik 1995 186; Krehl Der Schutz von Zeugen im Strafverfahren, GA 1990 555; Krey Probleme des Zeugenschutzes im Strafverfahren, GedS Meyer 239; Krey Zur Problematik strafprozessualer verdeckter Ermittlungen ohne Einsatz technischer Mittel im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, FS Miyazawa 595, 606 ff.; Krey/Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler, JR 1992 309; Kreysel Der V-Mann, MDR 1996 991; Kriegler Beeinträchtigung des Rechtsschutzes durch staatliche Geheimhaltungsmaßnahmen unter Ausschluß patentrechtlicher Maßnahmen, Diss. München 1968; Krüger Verfassungsrechtliche Grundlagen polizeilicher V-Mann-Arbeit, NJW 1982 855; Krumsiek Verdeckte Ermittler in der Polizei der Bundesrepublik Deutschland (1988); Kugele Pauschale Verweigerung der Vorlage der von der Informationsstelle für Jugendsekten und Psychogruppen gesammelten Dokumente, jurisPK-BVerwG 11/2011 Anm. 3; ders. Voraussetzungen für in-camera-Verfahren, jurisPR-BVerwG 14/2006 Anm. 5; Lammer Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß. Zugleich eine Studie zum Menschenwürdegehalt der Grundrechte (1992); Lesch V-Mann und Hauptverhandlung – die Drei-Stufen-Theorie nach Einführung der §§ 68 III, 110b III StPO und § 172 Nr. 1a GVG, StV 1995 542; Lilie Das Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, ZStW 106 (1994) 625; ders. Verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen, in Hirsch/Hofmanski/Plywaczemski/Roxin (Hrsg.) Neue Erscheinungsformen der Kriminalität in ihrer Auswirkung auf das Straf- und Strafprozeßrecht, Deutsch-polnisches Strafrechtskolloquium (1996) 499; Lilie/Rudolph Sind die Regelungen über Verdeckte Ermittler auch auf Vertrauenspersonen (V-Männer) der Polizei anzuwenden, deren Einsatz sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richtet? NStZ 1995 514; Lisken Sperrerklärungen im Strafprozeß, NJW 1991 1658; Lohmeyer Beschlagnahme von Fahndungsakten und Steuergeheimnis, JR 1964 171; Loretz-Link Verhältnis zwischen Polizei und Ordnungsbehörden. Analyse der Arten und Formen der Kooperation bei der Gefahrenabwehr, Diss. Würzburg 1998 132 ff.; Lüderssen Die V-Leute-Problematik … oder Zynismus, Borniertheit oder „Sachzwang“? Jura 1985 113; Lüderssen V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat (1985); ders. Zur „Unerreichbarkeit“ des V-Mannes, FS Klug 527; Martens Polizeiliche Amts- und Vollzugshilfe, JR 1981 353; Mehner Die Vernehmung von Verhörspersonen im deutschen Strafprozeß, 1975; Meilicke Der vom Staatsgeheimnis verhüllte V-Mann – Belastungszeuge? NJW 1963 425; Messmer Das Steuergeheimnis bei Anzeigen Dritter und die Beschlagnahme von Steuerakten im Strafverfahren, DStRdsch. 1956 315; Meyer-Goßner Die Behandlung kriminalpolizeilicher Spurenakten im Strafverfahren, NStZ 1982 353; Meyer-Teschendorf Das Rechts- und Amtshilfegebot des Art. 35 Abs. 1 GG: Antwort auf ein Föderalismusproblem, DÖV 1988 901; ders. Die Amtshilfe, JuS 1981 187; Miebach Der Ausschluß des anonymen Zeugen aus dem Strafprozeß – Vorschlag zur Korrektur der Entscheidung des Großen Senats des BGH, ZRP 1984 81; Jürgen Meyer Zur prozessrechtlichen Problematik des V-Mannes, ZStW 95 (1983) 834; ders. Zur V-Mann-Problematik aus rechtsvergleichender Sicht, FS Jescheck 1311; Moll Das Problem der Amtshilfe, DVBl. 1954 697; Mosbacher
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Anmerkung zu BGH, Urteil vom 4. März 2004 (3 StR 218/03, JR 2004, 519), JR 2004 523; Henning Ernst Müller Anmerkung zu BGH, Urteil vom 4. März 2004 (3 StR 218/03, JZ 2004, 922), JZ 2004 926; ders. Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, Diss. Berlin 1992; Ostendorf Die Informationsrechte der Strafverfolgungsbehörden gegenüber anderen staatlichen Behörden im Widerstreit mit deren strafrechtlichen Geheimhaltungspflichten, DRiZ 1981 4; Paulus Überprüfung der V-Mann-Sperrung durch einen neutralen Strafrichter? (1988); Pickel Geheimhaltung und Offenbarung von Daten im Sozialrecht, MDR 1984 885; Podolsky Wahrnehmung, Ermittlung und Verfolgung neuer Kriminalitätsformen in Deutschland. Analyse von Problemen des Einsatzes klassischer polizeilicher Ermittlungsmethoden, mit Blick auf die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und V-Personen, Diss. Tübingen 1995; Preuß Prozeßsteuerung durch die Exekutive, StV 1981 312; Prost Die Amtshilfe nach Bundesrecht, DÖV 1956 80; Ranft Verdeckte Ermittler nach dem Inkrafttreten des OrgKG, Jura 1993 449; Rebmann Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1985 1; ders. Der Zeuge vom Hörensagen im Spannungsverhältnis zwischen gerichtlicher Aufklärungspflicht, Belangen der Exekutive und Verteidigungsinteressen, NStZ 1982 315; Reiß Beschlagnahmebefugnis der Strafgerichte gegenüber Strafgericht und Auslieferungs- und Auskunftspflichten der Behörden gegenüber Behörden und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, StV 1988 31; Renzikowski Fair trial und anonymer Zeuge, JZ 1999 605; Röhrich Rechtsprobleme bei der Verwendung von V-Leuten im Strafprozeß, Diss. Erlangen-Nürnberg 1975; Röther Die Verwertung von Mitteilungen anonymer Gewährsleute im Strafprozeß, Diss. Marburg 1969; Rüping Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, ZStW 95 (1983) 894; Rupprecht Keine Bedenken gegen die Leitsätze zum Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei, ZRP 1977 275; Safferling Verdeckte Ermittler im Strafverfahren – deutsche und europäische Rechtsprechung im Konflikt? NStZ 2006 75; Helmut Schäfer Das Recht eines früheren Beschuldigten auf Akteneinsicht und das Geheimhaltungsinteresse des öffentlichen Dienstes, MDR 1984 454; Herbert Schäfer Die Prädominanz der Prävention, GA 1986 49; ders. Das Ende des „V-Mannes“? JR 1984 397; Schiller Unzulässige Einschränkungen des Anwaltsprivilegs bei der Beschlagnahme? StV 1985 169; Schlinck Die Amtshilfe (1982); Karl-Heinz Schmid Der „gesperrte“ V Mann, DRiZ 1984 474; Schmidt-Jorzig Möglichkeiten einer Aussetzung des strafverfolgerischen Legalitätsprinzips bei der Polizei, NJW 1989 129; Schmitz Rechtliche Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler (1996); Schnarr Der Schutz des gefährdeten Zeugen im Strafverfahren, NJW 1989 1185; Schneider Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage im Strafprozeß (1970); Schoreit Datenschutz und Informationsrecht im Bereich der Strafverfolgung unter Berücksichtigung der Dateien des Bundeskriminalamts, ZRP 1981 73; ders. Staatsanwaltschaft und Polizei im Lichte fragwürdiger Beiträge zur Reform des Rechts der Staatsanwaltschaft, ZRP 1982 288; Lars-Hendrik Schröder Das verwaltungsrechtlich-organisatorische Verhältnis der strafverfolgenden Polizei zur Staatsanwaltschaft (1996); Seelmann Der anonyme Zeuge – ein erstrebenswertes Ziel der Gesetzgebung? StV 1984 477; Sieber Die Verwertung des Wissens von V-Leuten im Strafverfahren, NJW 1984 753; Steinke Begriffsentwirrung: V-Mann, UCA, Vigilant, Gewährsperson …, Kriminalistik 1984 285; Stratenwerth Zur Beschlagnahme von Behördenakten im Strafverfahren, JZ 1959 693; Taschke Akteneinsicht und Geheimnisschutz im Strafverfahren, CR 1989 298, 410; ders. Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln im Strafprozeß (1989); Tiedemann/Sieber Die Verwertung des Wissens von V-Leuten im Strafverfahren – Analyse und Konsequenzen der Entscheidung des Großen Senats des BGH, NJW 1984 753; Uhlig „Anspruch der Polizei: Herrin des Verfahrens?“ StV 1986 117; Ulrich Das Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei, ZRP 1977 158; Velten Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung. Über Umfang und Kontrolle daraus resultierender Macht (1995) 62 ff.; Vitt Das Erfordernis weiteren Einsatzes einer V-Person als Grund für eine Sperrerklärung analog § 96 StPO, Jura 1994 17; Wagner Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997), 545; Walder Grenzen der Ermittlungstätigkeit, ZStW 95 (1983) 862; Walter Vermummte Gesichter, verzerrte Stimmen – audiovisuell verfremdete Aussagen von V-Leuten? StraFo 2004 224; Waker Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden und Arbeitsämter in Ermittlungs- und Strafverfahren, NJW 1978 868; Wasserburg Das Einsichtsrecht des Anwalts in kriminalpolizeiliche Spurenakten, NJW 1980 2440; ders. Das Einsichtsrecht des Anwalts in kriminalpolizeiliche Spurenakten, NStZ 1981 211; Wattenberg Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30. Juli 2003 (2 StR 246/03, StV 2004, 241), StV 2004 243; Weider Zur Problematik des polizeilichen V-Mannes, StV 1981 151; Wesemann Heimliche Ermittlungsmethoden und Inter-
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ventionsmöglichkeiten der Verteidigung, StV 1997 597; Wittke Beweisführung mittels verdeckter Ermittlungen, Kriminalistik 2005 221; Zaczyk Prozesssubjekte oder Störer? Die Strafprozeßordnung nach dem OrgKG – dargestellt anhand der Regelung des Verdeckten Ermittlers, StV 1993 490; Zeibig Das Recht zur Übermittlung von Sozialdaten im Strafverfahren, NStZ 1999 339; Ziegler Die gerichtliche Kontrolle der Geheimhaltungsmittel der Exekutive, ZRP 1988 26; von Zwehl Der Einsatz von V-Leuten und die Einführung des Wissens von V-Leuten in das Strafverfahren (1987).
Entstehungsgeschichte 1. Satz 1 gilt seit dem Inkrafttreten der StPO1 inhaltlich unverändert. Ein Antrag des Abgeordneten Dr. Schwarze, der Regelung die Alternative beizufügen: „oder wenn das Schriftstück von einer Privatperson behufs der zeitweiligen oder fortdauernden Geheimhaltung bei einer Behörde niedergelegt und die Geheimhaltung nach den Landesgesetzes gestattet ist“
hatte namentlich Testamente erfassen sollen, die bei einem Amtsnotar verwahrt werden. Der Antrag war jedoch zur Vermeidung von Missbrauchsmöglichkeiten nicht angenommen worden.2 Der Entwurf der Vorschrift wurde daraufhin schon in erster Lesung angenommen und blieb ab der zweiten Lesung unbeanstandet.3 Satz 1 ist seither inhaltlich unverändert geblieben. Durch Art. 3 Nr. 37 VereinhG wurde nur das Wort „Bundes“ an die Stelle des Wortes „Reichs“ gesetzt. 2. Satz 2 wurde eingefügt durch das 17. Gesetz zur Änderung des AbgG und das 14. Gesetz zur Änderung des EuropaAbgG.4 Dieses Gesetz trat am 1. Juli 1994 in Kraft. Erforderlich gehalten wurde es zur Herbeiführung „redaktioneller Änderungen und Klarstellungen“.5 Damit wurde die vorliegende Vorschrift an die neue Regelung des § 44c AbgG angepasst. 3. Im Rahmen der Neueinführung der §§ 110a ff. durch das OrgKG wurde in § 110b Abs. 3 eine Sonderregelung über die Sperrung von Verdeckten Ermittlern geschaffen, die nach der gesetzgeberischen Vorstellung auch Auswirkungen auf die Auslegung der vorliegenden Vorschrift hat.6 Unmittelbar beeinflusst ist die vorliegende Vorschrift in ihrer Fassung durch das OrgKG indes nicht.7
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Zusammenstellung der Gesetzesvorlagen und Entwürfe zur RStPO bei Hahn Materialien Bd. 3.2 S. 2157 f. Hahn Materialien Bd. 3.1 S. 624; Protokolle S. 91 f. Hahn Materialien Bd. 3.2 S. 1240 (2. Lesung), 1772 (erste Beratung im Plenum), Protokolle S. 837. Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 4. November 1994, BGBl. I S. 3346; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,
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SPD und F.D.P. BTDrucks. 12 7777; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung BTDrucks. 12 7994; Bericht des Haushaltsausschusses BTDrucks. 12 7995; Gesetzesbeschluss BRDrucks. 753/94. BTDrucks. 12 7777 S. 1, 8; 12 7994 S. 1, 13; 12 7995. BTDrucks. 12 989 S. 42. Zur Fortgeltung der bisherigen Grundsätze VG Darmstadt HessVGRspr. 1995 28 = NVwZ 1996 92.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Behördliche Aktenvorlagepflicht und Möglichkeit der Beschlagnahme von Behördenakten . . . . . . . . . . . . . 1. Lehre vom behördenbezogenen Beschlagnahmeverbot a) Amtshilfepflicht als Ausgangspunkt b) Grundsätzliches Verbot des Einsatzes von Zwangsmitteln durch die Judikative gegenüber der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis von Strafverfolgungsorganen untereinander . bb) Verhältnis des Strafgerichts zu Verwaltungsbehörden . . . . . c) Rechtsfolgen aa) Beschlagnahmeverbot . . . . . bb) Ausnahme: Beschlagnahmebefugnis bei willkürlicher Vorenthaltung von Akten oder Beweismitteln . . . . . . . . . 2. Die These von der Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten . . . . . a) Herleitung aus der strafprozessualen Editionspflicht . . . . . . . . . b) Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs . . c) Hintergrund . . . . . . . . . . . . d) Kritik aa) Systematik . . . . . . . . . . bb) Folgenbetrachtung . . . . . . cc) Ausgleich des Beweisverlustes durch Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung . . . . . . . e) Beweisverfahrensverbot . . . . . . 3. Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . III. Die Amtshilfepflicht . . . . . . . . . . . 1. Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . 2. Verpflichtete („Behörden und öffentliche Beamte“) a) Behörde . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständige Behörde . . . . . . . 3. Gegenstand der Amtshilfe . . . . . . a) „Akten oder andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke“ b) Andere Gegenstände . . . . . . . . c) Auskunftsersuchen . . . . . . . . 4. Unzulässigkeit des Ersuchens a) Behördliche Schweigepflicht . . . . aa) Strafverfolgungs- und Polizeibehörden . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungsbehörden . . . . . cc) Schutz der Privatsphäre . . . . b) Entscheidung . . . . . . . . . . . 5. Das Ersuchen und seine Erledigung a) Ersuchen . . . . . . . . . . . . . b) Erledigung . . . . . . . . . . . . .
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Rn. IV. Die Sperrerklärung 1. Voraussetzungen a) §§ 96 und 54 . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung und Literatur . . . c) Sonderfall: Der behördlich geheimgehaltene Zeuge . . . . . . . . . . aa) Auskunftsersuchen analog § 96 bb) Materielle Voraussetzungen der Sperrerklärung . . . . . . cc) Verfahren. Der notwendige Inhalt der Sperrerklärung . . . dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur, Form a) Verwaltungsakt . . . . . . . . . . b) Begründung . . . . . . . . . . . . 3. Herbeiführung der Sperrerklärung und Zuständigkeit a) Herbeiführung . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 4. Folgen der Sperrerklärung . . . . . . a) Gegenvorstellung . . . . . . . . . b) Endgültige Sperrerklärung . . . . . c) Konsequenzen . . . . . . . . . . . aa) Literatur . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . cc) Eigene Auffassung . . . . . .
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V. Sperrerklärung für Akten des jeweiligen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermittlungsakten . . . . . . . . . 2. Beigezogene Akten . . . . . . . . . 3. Spurenakten . . . . . . . . . . . .
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VI. Anfechtbarkeit der Sperrerklärung 1. Strafverfolgungsorgane . . . . . . . . 2. Andere Verfahrensbeteiligte . . . . . a) Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . aa) Anfechtung nach den §§ 23 ff. EGGVG . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . . b) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . c) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . d) Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Klage . . . . . . . . VII. Revision 1. Fehlen einer (wirksamen) Sperrerklärung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwertung eines wirksam gesperrten Beweismittels . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtverwertung eines erreichbaren Beweismittels wegen der behördlichen Sperrung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterlassene Aussetzung . . . . . . . 5. Fehler in der Beweiswürdigung . . . .
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Alphabetische Übersicht Akten 39 Amtshilfepflicht 1, 5, 27 Andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke 39 Anfechtbarkeit der Sperrerklärung 102 Auskunftsersuchen 43 Auskunftsersuchen analog § 96 61 Ausschluss der Öffentlichkeit 67 Behörde 29 Behördlich geheimgehaltene Zeuge 60 Behördliche Aktenvorlagepflicht 4 Beschlagnahme von Behördenakten 4 Beweissurrogate 70 Editionspflicht 1 Entfernung des Angeklagten 67 Folgen der Sperrerklärung 78 Gegenstand der Amtshilfe 38
Gesetzgebende Versammlung 32 Herbeiführung der Sperrerklärung 75 Inhalt der Sperrerklärung 66 Konsequenzen 83 Materielle Voraussetzungen der Sperrerklärung 62 Öffentliche Beamte 30 Öffentlich-rechtliche Banken 31 Optisch oder akustisch abschirmen 68 Rechtsnatur der Sperrerklärung 72 Revision 112 Sperrerklärung 55 Sperrerklärung für Akten des jeweiligen Verfahrens 98 Unerreichbar 71a Unerreichbarkeit eines Beweismittels 83 Vertraulichkeitszusage 49, 65 Videosimultanübertragung 71
I. Allgemeines Die Vorschrift8 regelt die Sperrung von Akten und anderen Schriftstücken, die sich in amtlicher Verwahrung befinden. Sie begrenzt also die Aktenvorlagepflicht staatlicher Behörden, sagt jedoch nicht, woraus sich diese vorausgesetzte Pflicht ergibt. In Betracht kommen besondere Vorschriften für das Strafverfahren selbst (§ 163 Abs. 2, § 199 Abs. 2), eine allgemeine strafprozessuale Editionspflicht gemäß § 95 Abs. 1 oder die auch außerhalb des Strafverfahrens allgemein geltende Amtshilfepflicht (Art. 35 Abs. 1 GG). Mit der vorliegenden Regelung ist zudem nicht gesagt, wie zu verfahren ist, wenn von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Sperrerklärung durch die oberste Dienstbehörde nicht Gebrauch gemacht wird, die Behörde, die die Akten oder Schriftstücke verwahrt, aber gleichwohl diese auf Verlangen der Strafverfolgungsorgane nicht herausgibt. Höchstrichterlich ist dies nicht in jeder Hinsicht abschließend entschieden.9 Geklärt ist aufgrund einer wegweisenden Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs allerdings, dass die Geheimhaltungsinteressen des Staates sich im Strafprozess nicht nachteilig für den Angeklagten auswirken dürfen. Kann ein Beweis, der potentiell zur Entlastung des Angeklagten hätte beitragen können, aufgrund von Maßnahmen der Exekutive nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden, obwohl seine Erhebung ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen wäre, ist die hierdurch bedingte Verkürzung der Beweisgrundlage und der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zur Sicherung einer fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes auszugleichen.10 2 Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht ist davon auszugehen, dass innerhalb des Verfahrens Polizei und Staatsanwaltschaft sich gegenüber dem Gericht nicht auf die
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Zur verfassungsrechtlichen Problematik Keller StV 1984 524 f. Offengelassen in BGHSt 33 70, 72; BGHSt 38 237 ist keine Senatsentscheidung, also nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 und 3 GVG verbindlich; die Entscheidung BGHSt 42 71 ff. = NStZ 1997 43 f. mit Anm. Gill-
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meister betrifft die Frage der Bedeutung einer „Vertraulichkeitsbitte“ der Verwaltungsbehörde, die ihre Akten tatsächlich herausgegeben hat, nicht die Frage der Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten bei Nichtherausgabe. BGHSt 49 112, 121 ff.
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vorliegende Vorschrift berufen können,11 weil sie an demselben Verfahren vorbereitend mitwirken und nicht durch – teilweise – Sperrung ihrer Akten und Beweismittel das von ihnen zu fördernde Verfahren selbst torpedieren dürfen. Andererseits sind die Möglichkeiten des Gerichts in dem vom historischen Gesetzgeber noch nicht erahnten Falle, dass gleichwohl Aktenteile (unter AR-Aktenzeichen gesondert geführte Akten von „Vorermittlungen“ oder „Spurenakten“) beziehungsweise Beweismittel entgegen § 163 Abs. 2, § 199 Abs. 2 dem Gericht nicht vorgelegt werden, im Gesetz nicht geregelt worden, sieht man von der Sonderregelung des § 110b Abs. 3 ab. Denn der Gesetzgeber hat solche Komplikationen nicht vorhergesehen. Daher ist nach der hier vertretenen Auffassung aufgrund des Wortlauts der Norm, der keine Ausnahme von der Sperrungsmöglichkeit für bestimmte Behörden vorsieht, davon auszugehen, dass die Frage der Sperrung von Behördenakten auch im Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei zum Strafgericht ebenfalls nach der vorliegenden Vorschrift, nicht etwa nach Richtlinien zu beurteilen ist. Damit besteht im Grundsatz auch für Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, ihre Akten gegenüber dem Strafgericht zu sperren. Freilich kann sich die Polizei im Rahmen ihrer repressiven Tätigkeit nicht gegenüber der Staatsanwaltschaft auf Sperrungsgründe im Sinne der vorliegenden Vorschrift berufen, denn sie ist gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungsgebunden. Innerhalb bestehender Weisungsverhältnisse aber findet Amtshilfe nicht statt, wie § 4 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG zeigt.12 Die Staatsanwaltschaft besitzt indes die Leitungsmacht im Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft kann sich aber gegenüber dem Strafgericht auf Sperrungsgründe berufen, da sie dem Gericht gegenüber selbständig ist. Diese Problembereiche zeigen bereits an, dass die vorliegende Vorschrift im Ganzen 3 mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Die Ermittlungspraxis hat sich vor diesem Hintergrund inzwischen verselbständigt. Sie tendiert dazu, „Vorermittlungen“ oder „operative Aufklärung“ im Vorfeld konkreter Strafverfahren und im Grenzbereich zwischen Polizei- und Strafverfahrensrecht durchzuführen.13 Die Zuordnung behördlicher Akten und Beweismittel zum (späteren) Strafverfahren oder zu einem präventivpolizeilichen Aktenvorgang ist danach oft nicht mehr eindeutig möglich. Der Anwendungsbereich der vorliegenden Vorschrift wird dadurch unklar. Es ist eine Rückbesinnung auf die geltenden prozessualen Grundsätze erforderlich, will man die Vorschrift zutreffend anwenden.
II. Behördliche Aktenvorlagepflicht und Möglichkeit der Beschlagnahme von Behördenakten Nicht ausdrücklich geregelt ist die Aktenherausgabepflicht für Behörden, welche durch 4 die vorliegende Vorschrift eingeschränkt und insofern im Gesetz vorausgesetzt wird. Zwei große Meinungsgruppen sind zu unterscheiden, deren Ansätze jeweils zugleich verschiedene Wege zur Beantwortung der weiteren Frage weisen, ob Behördenakten mangels (wirksamer) Sperrung aufgrund der vorliegenden Vorschrift beschlagnahmt werden können.
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Fezer 7/10; Haas 153; Keller StV 1984 524 f.; krit. Erfurth 176 f. Lorentz-Link 151 ff. Vgl. Erfurth 154; Jäger Kriminalistik 1995
189 ff.; Griesbaum NStZ 1990 416 ff.; Knemeyer GedS Tagami 131 ff.; Kniesel ZRP 1987 377; 1989 329 und 1992 164; Lorenz JZ 1992 1000 ff.
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1. Lehre vom behördenbezogenen Beschlagnahmeverbot
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a) Amtshilfepflicht als Ausgangspunkt. Die Vorschrift setzt nach der auch hier, ebenso in den vorangegangenen Auflagen auch von Dünnebier (22. Aufl.), Meyer (23. Aufl.) und Schäfer (24. Aufl.) geäußerten und von Teilen der Literatur geteilten Ansicht die Verpflichtung von Verwaltungsbehörden zur Herausgabe von Beweisgegenständen an Strafverfolgungsorgane im Wege der Amtshilfe14 aufgrund der durch die vorliegende Bestimmung ausgefüllten Rahmenvorschrift des Art. 35 Abs. 1 GG voraus,15 nicht dagegen eine Editionspflicht nach § 95 Abs. 1. Auch Unterschiede bei den Zuständigkeiten der Adressaten der Pflicht (Rn. 34) deuten in diese Richtung. Die vorliegende Vorschrift kann daher nicht an die strafprozessuale Editionspflicht des § 95 Abs. 1 anknüpfen, die andernfalls gegenüber Privaten und Organen der öffentlichen Gewalt gleichermaßen gälte, aber bei Letzteren nicht nach § 95 Abs. 2 erzwingbar wäre. Sind Zwangsmaßnahmen der Judikative gegenüber der Exekutive im Allgemeinen nicht gestattet, so gilt dies auch für die strafprozessuale Beschlagnahme von Akten, Schriftstücken und Beweismitteln im Besonderen. Der historische Gesetzgeber behandelte die Vorschrift zwar im Zusammenhang mit 6 der Herausgabepflicht nach § 95 und rechnete sie (neben § 97) zu den „Ausnahmen, welche diese allgemeine Pflicht erleidet“.16 Einen zwingenden Schluss darauf, dass die Herausgabepflicht, die § 96 StPO begrenzt, nicht nur aus der allgemeinen Amtshilfepflicht folgt, lässt dies indes nicht zu,17 zumal die Normadressaten des § 95 und der vorliegenden Vorschrift verschieden sind (Rn. 34).
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b) Grundsätzliches Verbot des Einsatzes von Zwangsmitteln durch die Judikative gegenüber der Exekutive. Dem Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung war der Gedanke noch völlig fremd, dass im selben Staat die Judikative gegen die Exekutive strafprozessuale Zwangsmaßnahmen ergreifen dürfe und nach dem Legalitätsprinzip dann auch ergreifen muss.18 Dem lag zwar ein zum Teil anderes Verständnis des Staatsrechts zugrunde als heute.19 Doch ist das Ergebnis nach der „Lehre vom behördenbezogenen Beschlagnahmeverbot“20 immer noch dasselbe.21 Denn auch bei gewandeltem staatsrechtlichem Verständnis darf ein Hoheitsträger jedenfalls nicht mit Zwangsmitteln in den hoheitlichen Bereich eines anderen eingreifen. Dies würde dem Gewaltenteilungsprinzip22
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Zur verwaltungsrechtlichen Beurteilung eines Amtshilfeersuchens VGH Mannheim ESVGH 41 157; zur Amtshilfe zwischen Polizei und Ordnungsbehörden bei der Gefahrenabwehr Lorentz-Link 136 ff. Zumindest im Ansatz, wenngleich zum Teil mit unterschiedlichen Konsequenzen, auch Haas 196 f.; Janoschek 68 f.; Meyer-Goßner 1; Taschke 70; gegen die Anwendung von Zwangsmitteln durch Justizorgane gegenüber der Exekutive KG JR 1980 477; Rudolphi FS Schaffstein 438; Eb. Schmidt § 96, 1; Stratenwerth JZ 1959 693, 694. Hahn Materialien Bd. 3.1 S. 124. H. E. Müller 52. Eb. Schmidt § 96, 1: „Nach den staatsrechtlichen Vorstellungen zur Zeit des Erlasses der Strafprozessordnung hat es sich um eine
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unmögliche Vorstellung gehandelt, dass ein Gericht behördliche Akten beschlagnahmen kann.“ Näher Janoschek 19 ff. So die Bezeichnung von Janoschek 43. KG JR 1980 476; Reiß StV 1988 31, 34; Eb. Schmidt § 96, 1, 6; offengelassen LG Bonn NStZ 1990 555 f. = NStE Nr. 5 zu Art. 44 GG (Beschlagnahme von geheimen U-Boot-Bauunterlagen für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss). Zum Gewaltenteilungsprinzip allgemein Koller 143 ff. m.w.N.; dass die Amtshilfepflicht des Art. 35 Abs. 1 GG „notwendige Folge der Gewaltentrennung“ ist, hat bereits BVerfGE 31 43, 46 ausgesprochen; s.a. Lorentz-Link 140 m.w.N.
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widersprechen.23 Auch für die Amtshilfe im Sinne des Art. 35 Abs. 1 GG sind als Abwehrmaßnahmen gegen die Ablehnung des Amtshilfeersuchens nur Gegenvorstellungen, Dienstaufsichtsbeschwerden und verwaltungsgerichtliche Klagen anerkannt, nicht aber Zwangsmaßnahmen der ersuchenden Stelle. aa) Verhältnis von Strafverfolgungsorganen untereinander. Das Verbot von Zwangs- 8 maßnahmen der Judikative gegenüber der Exekutive gilt zunächst im Verhältnis der verschiedenen Organe des Strafverfahrens zueinander. Dabei fehlt allerdings ein ausdrückliches Beschlagnahmeverbot aufgrund der vorliegenden Vorschrift; Staatsanwaltschaft und Polizei können sich daher nach einer Literaturansicht innerhalb des Verfahrens grundsätzlich nicht auf diese Norm berufen (Rn. 2). Sie sind nach § 163 Abs. 2, § 199 Abs. 2 zur Aktenvorlage verpflichtet und dafür gilt der Grundsatz der „Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit“.24 Folgen die Ermittlungsbehörden dieser Pflicht zur vollständigen Aktenvorlage nicht, so stellt sich zwar die Frage nach der Möglichkeit einer Beschlagnahme der Akten der Ermittlungsbehörden durch das Gericht. Dabei ist aber zunächst auch innerhalb des Strafverfahrens die Gewaltenteilung zu beachten, die verschiedene Justizorgane unterscheidet. Die Gerichte gehören zur dritten Gewalt (Art. 92 GG), die Staatsanwaltschaft nach herrschender Auffassung25 zur Exekutive, wenngleich sie beim Justizressort angesiedelt ist. Die dem Innenressort unterstellten staatsanwaltschaftlichen Hilfsorgane der Polizeibehörden sind (unstreitig) ebenfalls der Exekutive zuzuordnen. Zur Exekutive gehören auch weitere Hilfsorgane der Justiz, etwa die Jugendgerichtshilfe bei den Jugendbehörden.26 Über die Grenze von Judikative und Exekutive sind Zwangsmaßnahmen nach den §§ 94, 95 Abs. 2 durch die Gerichte gegenüber Staatsanwaltschaft, Polizei oder anderen Behörden nicht anzuwenden; hier kommt generell nur Amtshilfe in Betracht, soweit nicht aus der besonderen Stellung der Behörde im konkreten Strafverfahren auch besondere Verpflichtungen resultieren, wie die Aktenvorlagepflicht der Staatsanwaltschaft gemäß § 199 Abs. 2 Satz 2 oder diejenige der Polizeibehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft gemäß § 163 Abs. 2 und aufgrund deren Weisungsgebundenheit als Ermittlungsorgane der Staatsanwaltschaft.27 Es wäre in Abwandlung der Worte von Eb. Schmidt (§ 96, 1) jedenfalls eine „unmögliche Vorstellung“, dass das Strafgericht als Justizorgan mit Zwangsmitteln in den Bereich der Strafverfolgungsbehörden als weitere Justizorgane eingreift. Andernfalls könnte das Gericht etwa Aktenteile, die von der Staatsanwaltschaft entgegen § 199 Abs. 2 Satz 2 nicht dem Gericht vorgelegt werden, oder Ermittlungsakten in anderer Sache,28 die im konkreten Fall für die Sachaufklärung ergänzend von Bedeutung sein könnten, beschlagnahmen. Ebenso müsste vom Standpunkt der Meinung, dass Behördenakten beschlagnahmt werden können, etwa bei polizeilicher Zurückhaltung von „Spurenakten“, eine staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Beschlagnahme möglich, ja sogar im Einzelfall bei beson-
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KG JR 1980 476; LG Frankfurt DAVorm 1993 210 f.; Rudolphi FS Schaffstein 433, 438; Stratenwerth JZ 1959 693; a.A. mit Hinweis auf die „checks and ballances“ im Gewaltenteilungsprinzip BGHSt 38 237, 244 (Ermittlungsrichter); Amelung NStZ 1993 48, 49; Taschke NStZ 1993 94. Zum Fall des Verschweigens des Einsatzes einer V-Person LG Berlin StV 1986 96; grds. zust. Krey FS Miyazawa 595, 608. Nachweise bei Koller 85; zur prozessualen
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Rollenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht Odersky FS Rebmann 343, 357. Zur dortigen Aktenbeschlagnahme Eisenberg NStZ 1986 308 ff. Zur Amtshilfepflicht der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft Lars-Hendrik Schröder 88. Vgl. OLG Frankfurt NJW 1982 1408; zu polizeilichen Vorgängen in anderer Sache VGH Kassel StV 1986 52 mit abl. Anm. Taschke.
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derer Beweisbedeutung des Inhalts dieser Akten29 durch die Aufklärungspflicht geboten sein. Soweit darf es nicht kommen, sonst drohen anarchische Verhältnisse.30 Eine Befugnis zur Beschlagnahme der Akten einer Ermittlungsbehörde durch das Strafgericht wäre auch nicht praktikabel. Verweigert die Behörde die Herausgabe ihrer Akten, durchkreuzt sie gegebenenfalls auch die Beschlagnahme dadurch, dass sie die fraglichen Akten „versteckt“, so bedürfte es nach dem Legalitätsprinzip, wenn die Behördenakten beschlagnahmefähig wären und ihre Beweisbedeutung dies als verhältnismäßig erscheinen ließe, der Durchsuchung der Behördenräume, gegebenenfalls auch der Anwendung der Zwangsmittel des § 95 Abs. 2 StPO gegenüber dem Behördenleiter. Unklar bliebe dann, wer die strafgerichtliche Durchsuchungs-, Beschlagnahme- und Zwangsmittelanordnung vollziehen sollte, wenn sich diese gegen eine Strafverfolgungsbehörde beziehungsweise deren Beamte richten müsste. Diese groteske Szene verdeutlicht, dass Justizbehörden als Betroffene von vornherein von einer Möglichkeit der Beschlagnahme ihrer Behördenakten ausgenommen sind. Nur am Rande fällt dabei ins Gewicht, dass die gerichtliche Beschlagnahme von Behördenakten, die dazu führt, dass sodann ein Akteneinsichtsrecht nach § 147 besteht,31 auch den mit der Aktensperrung bezweckten behördlichen Schutz gefährdeter Zeugen auf diese Weise in Frage stellen kann. Kann das Strafgericht die Behördenakten wegen des behördenbezogenen Beschlagnahmeverbots nicht erlangen, hat es nur die Möglichkeit, mit den in der StPO vorgesehenen (§ 244 Abs. 2, §§ 250, 261) oder dort jedenfalls zugelassenen Maßnahmen auf die Sperrung zu reagieren. In Betracht kommt danach auch etwa die Aktenrückgabe nach Anklageerhebung oder Nichteröffnung des Hauptverfahrens mangels Aktenvollständigkeit oder – nach Eröffnung des Hauptverfahrens – die Berücksichtigung der Unvollständigkeit des verfügbaren Beweisstoffs bei der Beweiswürdigung.
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bb) Verhältnis des Strafgerichts zu Verwaltungsbehörden. Was aber für das Verhältnis von Strafgericht zu Strafverfolgungsbehörden gilt, muss im Ergebnis auch für das Verhältnis des Strafgerichts zu Verwaltungsbehörden gelten. Denn die §§ 94 bis 96 unterscheiden hinsichtlich der Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen und den Ausnahmen davon nicht nach Ressortzugehörigkeiten betroffener Behörden. Darin liegt für die Gegenansicht zur grundsätzlichen Beschlagnahmefähigkeit auch polizeilicher Akten ein Dilemma. Diese Meinung differenziert nämlich danach, ob die Akten für präventive oder repressive Polizeimaßnahmen angelegt wurden.32 Eine solche Unterscheidung wird aber dadurch erschwert, dass die Grenzen zwischen repressivem und präventivem Polizeihandeln zunehmend verschwimmen und insbesondere bei Bekämpfung organisierter Kriminalität oder terroristischer Straftaten33 verbreitet „doppelfunktionale Maßnahmen“34 getroffen werden müssen. Die Differenzierung nach den Kriterien präventiven und repressiven Polizeihandelns kann deshalb von Fall zu Fall ein kaum noch praktikabler Maßstab für die Frage der Beschlagnahmefähigkeit von Akten einer Polizeibehörde sein. Sie erklärt im Übrigen auch nicht ausreichend, weshalb von ihrem Standpunkt aus präventivpolizeiliche Behördenakten beschlagnahmt werden dürfen, polizeiliche Ermittlungsakten aber nicht. 29 30
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Zur Beweisbedeutung von „Spurenakten“ Bender/Nack ZRP 1983 1 ff. Vgl. bereits Stratenwerth JZ 1959 693, 694; hiergegen Janoschek 67 f., der konsequenterweise auch § 95 Abs. 2 auf Amtsträger anwenden will. Vgl. BGHSt 30 131 ff. (Akteneinsicht in
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Spurenakten); 42 17 ff. (Akteneinsicht in beigezogene Verwaltungsakten). Janoschek 56 f. Letzteres zeigt auch der in BGHSt 38 237 ff. beurteilte Fall. Ahlers 70 ff. m.w.N.
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Zwischen Gerichten und Exekutivbehörden besteht generell kein Über- oder Unterordnungsverhältnis,35 das es den Strafgerichten gestattete, im hoheitlichen Bereich mit prozessualen Zwangsmitteln gegen Verwaltungsbehörden vorzugehen. Vielmehr gilt auf der Ebene der Gleichordnung unter verschiedenen Hoheitsträgern eine Amtshilfepflicht. Sind im Verhältnis verschiedener Hoheitsträger zueinander „Insichprozesse“36 vor Gerichten grundsätzlich ausgeschlossen, so müssen dort erst recht Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen sein, denen kein Prozess zugrunde liegt. Von den Strafgerichten wurden, soweit ersichtlich, auch noch nie Zwangsmittel nach den § 95 Abs. 2, § 70 gegen Exekutivbeamte ergriffen, weil diese Beamten Beweismittel nicht herausgegeben hatten. Dies beruht auf demselben Grund, aus dem heraus etwa auch eine Abänderung der von der obersten Dienstbehörde abgegebenen Sperrerklärungen durch die Rechtsprechung grundsätzlich nicht vorgesehen ist: Der autoritäre Eingriff in die Angelegenheiten des nicht untergeordneten, sondern gleichrangigen Organs einer anderen Gewalt im Staate ist im Gesetz weder ausdrücklich noch sinngemäß vorgesehen. Nach einer ergänzenden Überlegung des Kammergerichts37 ist Zweck der Beschlagnahmeregeln nur die Herstellung von (irgendeinem) amtlichen Gewahrsam an dem betroffenen Beweisgegenstand zur Verhinderung einer Beweisvernichtung durch Privatpersonen. Dessen bedürfe es jedoch dann nicht, wenn bereits eine Exekutivbehörde amtlichen Gewahrsam begründet habe.38 Dieser Gedanke überzeugt indes nicht, da sich das Beschlagnahmerecht darauf bezieht, Beweismittel für ein konkretes Strafverfahren herbeizuschaffen. Auch kommt eine Beweismittelvernichtung nicht nur durch Privatpersonen in Betracht. Entgegenstehende Normen. Der hier vertretenen Auffassung, dass eine Beschlagnahme von Behördenakten grundsätzlich unzulässig ist, stehen § 98 Abs. 4, § 105 Abs. 3 nicht entgegen. Diese Vorschriften betreffen nicht Maßnahmen, die gegen die Bundeswehr als Hoheitsträger gerichtet sind.
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c) Rechtsfolgen aa) Beschlagnahmeverbot. Von der sogleich (Rn. 15) zu erörternden Ausnahme abge- 14 sehen, folgt aus Amtshilfepflicht und behördenbezogenem Beschlagnahmeverbot zunächst, dass Akten oder Beweismittel im Besitz einer Behörde mangels Herausgabe im Wege der Amtshilfe für das strafgerichtliche Verfahren nicht verfügbar sind. Die Vorenthaltung der Akten durch die zuständige Behörde kann aber bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden (Rn. 1, 24). Die weitere Frage, ob und gegebenenfalls welche prozessualen Rechtsfolgen entstehen, wenn sich das Gericht über eine (bindende) Sperrung nach der vorliegenden Vorschrift hinwegsetzt, oder durch eine Beschlagnahme von Behördenakten seine Kompetenzen überschreitet, sind nicht abschließend geklärt. Vor allem zwei prozessuale Möglichkeiten kommen in Betracht: Zunächst kann der Richter, der grob gegen prozessuale Regeln verstößt, der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt sein und abgelehnt werden. Auch kommt in Ausnahmefällen ein Beweisverwertungsverbot für die dem Beweiserhebungsverbot zuwider bei der Behörde beschlagnahmten Akten, Schriftstücke oder Beweismittel in Betracht (dazu Rn. 114).
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Krit. Meyer-Goßner 2; HK/Gercke 1; H. E. Müller 56 f. Zu diesem verwaltungsprozessualen Problem etwa BVerwG DÖV 1992 265; Erichsen FS C.-F. Menger 211 ff.; Herbert DÖV 1994
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108 ff.; Löwer VerwArch 68 (1977), 327 ff.; Lorenz AöR 93 (1968), 308 ff.; Naumann DÖV 1974 819 f.; Staudacher JZ 1985 969 ff. JR 1980 476, 477. Hiergegen BGHSt 38 237, 243.
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bb) Ausnahme: Beschlagnahmebefugnis bei willkürlicher Vorenthaltung von Akten oder Beweismitteln. Soweit im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung die Amtshilfe generell oder unter unzutreffender Berufung auf bereichsspezifische Geheimnisverpflichtungen im Einzelfall abgelehnt wird oder eine Ablehnung sicher zu erwarten und im Einzelfall eine Vernichtung oder Verfälschung39 von Beweismitteln zu befürchten ist, muss ausnahmsweise auch hier die Beschlagnahme zulässig sein. Der Zugriff auf das Beweismittel kann in solchen Extremfällen nicht aufgeschoben werden, bis die Verpflichtung zur Amtshilfe durch einen Rechtsstreit zwischen der Aufsichtsbehörde und der amtshilfepflichtigen Behörde oder eine verwaltungsgerichtliche Klage des Angeklagten geklärt ist, die Beweismittel aber vernichtet sind. Dies gebietet das Interesse an einer leistungsfähigen Strafjustiz.40 Grund für diese Ausnahmekompetenz der Judikative zum zwangsweisen Eingriff in den Befugnisbereich der Exekutive ist auch die Nähe der drohenden Beweisquellentrübung oder -vernichtung zum Fall des § 97 Abs. 2 Satz 3. Schließlich kann der Angeklagte bei unmittelbar drohender willkürlicher Beweisvereitelung durch die Exekutive aufgrund des Gebots der Gewährung effektiven Grundrechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen werden.
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2. Die These von der Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten. Überwiegend wird heute aber die Ansicht vertreten, auch Behördenakten könnten beschlagnahmt werden.
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a) Herleitung aus der strafprozessualen Editionspflicht. Danach steht die vorliegende Vorschrift nach dem an § 95 anknüpfenden Wortlaut („Vorlegung oder Auslieferung“), nach ihrer systematischen Stellung im Anschluss an § 9541 und nach ihrer Entstehungsgeschichte (s. aber Rn. 6) – scheinbar – in einem unmittelbaren Regelungszusammenhang mit § 95. Daraus wird von der vorherrschenden Meinung42 eine aus dem Strafprozessrecht entstammende Herausgabepflicht für Behörden hergeleitet, die zwar nicht mit den Zwangsmitteln der § 95 Abs. 2, § 70 durchgesetzt werden könne, jedoch eine Beschlagnahme von Behördenakten zulasse, sofern keine bindende Sperrerklärung vorliege.
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b) Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs. So hat auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs entschieden.43 In seinem Fall hatte das hessische Landesamt für Verfassungsschutz „im Rahmen einer operativen Maßnahme“ zur Aufklärung der Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung Telefonanschlüsse überwacht. Die Protokolle hatte es der für die Strafverfolgung zuständigen Ermittlungsbehörde nicht herausgegeben; die oberste Landesbehörde hatte dazu betont, eine Sperrerklärung werde nicht abgegeben.
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Zu einem solchen Fall LG Hannover StV 1985 94 ff.; dazu ist die Entscheidung BGH StV 1985 398 f. mit Anm. Becker ergangen; krit. dazu Weiler GA 1994 561, 570 f., der entgegen BGH aaO in solchen Fällen sogar ein „Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen“ für möglich hält; vgl. zur Manipulation von Beweisen auch das „Schmücker-Verfahren“ LG Berlin StV 1991 371 ff. mit Aufs. Scheffler JZ 1992 131 ff. Vgl. dazu BVerfGE 51 324, 343 mit Nachweisen.
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Darauf verweist LG Darmstadt NStZ 1989 86 f. = NStE Nr. 3 zu § 96. BGHSt 38 237 (Ermittlungsrichter); Fezer 7/8; Haas 250 ff.; Janoscheck S. 94; MeyerGoßner 2; Krey Strafverfahrensrecht II Rn. 450; H. E. Müller 50 ff., 58. BGHSt 38 237, 239 ff. = NStZ 1992 394 mit Anm. Amelung NStZ 1993 48 und Taschke NStZ 1993 94 = JZ 1993 365 f. mit Anm. Hilgendorf JZ 1993 368 ff.; Bspr. dazu von Arloth NStZ 1993 467 ff.; Heymann JA 1993 254 ff.
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Diese Situation ist derjenigen vergleichbar, in der dem Beamten vom Vorgesetzten 19 weder eine Aussagegenehmigung erteilt, noch die Erteilung durch (erläuterte) Entscheidung abgelehnt wird. Die sich aus § 54 ergebende Konsequenz ist dort der Wegfall eines verwertbaren (personalen) Beweismittels, denn der Beamte, der keine Aussagegenehmigung besitzt, kann nicht zur Aussage gezwungen werden. Im Fall der Nichtherausgabe von Behördenakten ist das Ergebnis ähnlich, wenn man eine Beschlagnahme (§ 94) oder Herausgabeerzwingung (§ 95 Abs. 2) für ausgeschlossen hält: das (sächliche) Beweismittel ist nicht verfügbar. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat in seinem Fall auf Antrag der Bun- 20 desanwaltschaft die Beschlagnahme der Behördenakten angeordnet. Er hat darauf verwiesen, dass zwischen den beschlagnahmefähigen Gegenständen im Sinne des § 94 und den in der vorliegenden Vorschrift angesprochenen Akten und anderen Schriftstücken kein Unterschied bestehe, auch wenn nur diese Vorschrift (Behörden-)Akten und andere Schriftstücke in amtlicher Verwahrung als konkrete Regelungsgegenstände benenne. Behördenakten seien entgegen einer frühen Entscheidung des BayObLG44 und der hier auch schon in der 24. Aufl. vertretenen Ansicht demnach durchaus vom Gegenstandsbegriff des § 94 erfasst. „Vorlegung oder Auslieferung“ seien nicht notwendigerweise die einzigen Formen der Erlangung der Behördenakten durch die Strafverfolgungsorgane, da die vorliegende Vorschrift insofern nach ihrem Wortlaut keine abschließende Regelung darstellen müsse. Die Systematik des Gesetzes deute vielmehr auch auf die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten hin. Enthielte die vorliegende Vorschrift dagegen ausschließlich eine Begrenzung der Amtshilfepflicht, so wäre eine Regelung im Zusammenhang mit § 161 StPO zu erwarten gewesen, da diese Regelung einer Auskunftspflicht der Behörden nur eine Konkretisierung der Amtshilfepflicht des Art. 35 GG sei. In den §§ 94 bis 100 sei dagegen ein geschlossenes System der Beschlagnahmevorschriften zu finden. Darin nehme die vorliegende Vorschrift ihrem Wortlaut nach auf die Herausgabepflicht nach § 95 Abs. 1 Bezug. c) Hintergrund für die von der herrschenden Meinung vertretene These von der Be- 21 schlagnahmefähigkeit von Akten im Behördenbesitz ist die zunehmende Ausdehnung privatrechtlicher Organisationsformen von Verwaltungstätigkeit, die die Grenze zwischen verwaltungsbehördlichem und privatem Gewahrsam an Beweisgegenständen verwischt. Hinzu kommt eine immer häufiger anzutreffende Zurückhaltung der Behörden bei der formlosen Herausgabe von Behördenunterlagen auf Ersuchen der Ermittlungsorgane zum wirklichen oder auch nur vermeintlichen Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts 45 der betroffenen Bürger. Die Herausstellung dieses Rechts durch das Bundesver-
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DRiZ 1931 115. Nach BVerwG NVwZ-RR 1997 631 ff. = DÖD 1997 232 = DuD 1998 288 ff. hindert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht die Verwertung der im Amtshilfewege beigezogenen Strafakten und -urteile im Disziplinarverfahren; nach BVerwG NVwZRR 1991 71 f. (die Verfassungsbeschwerde hiergegen wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG Beschl. vom 8. September 1993 – 1 BvR 692/91) gilt Gleiches für die Weitergabe von Meldedaten unter Behörden. Erst recht kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Sach-
aufklärung im Strafverfahren nicht bereits für sich genommen wirksam entgegenstehen. Zum Datenschutz bei Übermittlung von Patientendaten im Wege der Amtshilfe durch Gesundheitsämter an gesetzliche Unfallversicherer aber etwa VGH Mannheim DVBl. 1997 660 f.; zur Bedeutung des Datenschutzes bei der durch Auskunftsersuchen betriebenen Sachaufklärung im FG-Verfahren OLG Oldenburg FamRZ 1996 757 f.; zur Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechts für Amtshilfeersuchen auch VG Schleswig RDV 1990 268 f.
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fassungsgericht 46 entfaltet auch auf diese Weise mittelbar erhebliche Wirkungen auf das Strafverfahren. Schließlich weigern sich Polizeibehörden zunehmend, das bei präventivpolizeilicher Tätigkeit angefallene Material für Zwecke der Strafverfolgung an die Ermittlungsbehörden herauszugeben, weil Unklarheit über die Zulässigkeit der Verwendung solchen Materials im Strafverfahren besteht oder eine Gefährdung von V-Personen durch Preisgabe des sie betreffenden Aktenmaterials angenommen wird. Richtlinien (Rn. 47 ff.), die Vertraulichkeitszusagen ermöglichen und für verbindlich erklären, tun ein übriges. Die herrschende Auffassung meint deshalb, den Justizorganen müsse durch die Möglichkeit zur Beschlagnahme von Behördenakten ein Mittel an die Hand gegeben werden, rechtswidriger Herausgabeverweigerung entgegenzutreten. Doch ist diese Überlegung, die ein gewünschtes Ergebnis als Begründung nutzt, nicht überzeugend. Sie bedeutet im Bereich der genannten Problemfelder letztlich auch nur ein Kurieren am Symptom. d) Kritik
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aa) Systematik. Die Auffassung, dass eine Beschlagnahme von Behördenakten zulässig sei, ist, wie auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs eingeräumt hat, keineswegs zwingend. Sie liefert zudem kein stringentes Konzept, da auch Zwangsmittel nach § 95 Abs. 2 nicht gegen Behördenangehörige angewendet werden. Die Unanwendbarkeit von Zwangsmitteln – nach § 95 Abs. 2, § 94 Abs. 2, § 103 Abs. 1 – erklärt sich gerade aus dem Fehlen einer behördlichen Herausgabepflicht nach § 95 Abs. 1, an deren Stelle die Verpflichtung zur Amtshilfe tritt. Auch besagt die Anknüpfung an den Wortlaut des § 95 StPO wenig, da die Amtshilfepflicht in der StPO selbst nicht verankert ist und der Gebrauch gleichartiger Begriffe für Herausgabepflichten aus § 95 Abs. 1 einerseits und Art. 35 Abs. 1 GG andererseits in demselben Gesetz nicht als ungewöhnlich empfunden werden muss. Die systematische Anschließung der vorliegenden Vorschrift an § 95 StPO zwingt ebenfalls nicht zu einer anderen Auffassung als sie hier vertreten wird. Denn die Amtshilfepflicht ist in der StPO generell nicht geregelt und deren Beschränkung gehört in den thematischen Zusammenhang mit Herausgabepflicht und Schranken für Beschlagnahmeverbote. Also ist der Regelungsstandort der vorliegenden Vorschrift mit der hier vertretenen Auffassung (Rn. 5 ff.) ebenso gut zu erklären wie mit der Gegenmeinung (Rn. 16 ff.).
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bb) Folgenbetrachtung. Schließlich ist die Folge der hier vertretenen Ansicht, dass Behördenakten danach – von extremen Ausnahmefällen abgesehen (Rn. 15) – grundsätzlich nicht beschlagnahmefähig sind und damit als Beweismittel für den Strafprozess mangels Herausgabe im Wege der Amtshilfe nicht zur Verfügung stehen, kein durchschlagendes Argument für die Gegenauffassung. Diese muss vielmehr zugestehen, dass die Justizorgane auch kaum Einfluss auf die Abgabe und den Inhalt einer Sperrerklärung durch die Exekutivbehörden haben. Die Unmöglichkeit der Beschlagnahme von Behördenakten als Folge der Gewaltenteilung ist dann aber ein vergleichbarer Nachteil wie die von den Strafgerichten nicht abschließend nachprüfbare Sperrung der Akten. Die Garantie effektiven Grundrechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zwingt nicht zu einer anderen Betrachtung.47 Der betroffene Bürger – als Angeklagter oder Nebenkläger – kann im Grundsatz verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz erstreben. Soweit dieser allerdings – verfassungskonform – nur begrenzte Wirkung entfaltet, muss das Strafprozessrecht kein „Mehr“ an Rechtsschutz zur Verfügung stellen. Ist dieser Rechtsschutz nur durch Anwendung von
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BVerfGE 65 1 ff.
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So aber Janoschek 9.
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Zwangsmitteln gegenüber Behörden unter Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips erreichbar, so erscheint der Preis zu hoch: Zwei Gewalten im Staate sollen sich – jenseits des Dienstweges – durch Beweismittelsperrung und Zwangsmaßnahmen hiergegen „bekämpfen“, um jeweils dem Individualinteresse eines Bürgers Rechnung zu tragen, nämlich des geheimgehaltenen Zeugen auf der einen Seite und des nach Entlastungsindizien suchenden Angeklagten auf der anderen Seite. cc) Ausgleich des Beweisverlustes durch Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung. 24 Erwägenswert ist deshalb ein Ausgleich durch Berücksichtigung der Sperrung von Beweisen bei der Gesamtwürdigung der Indizien (Rn. 117).48 Die Rechtsprechung betont immer wieder, dass der Tatrichter bei der Beweisführung durch gesperrte V-Personen besondere Vorsicht walten lassen müsse.49 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat klargestellt, dass eine durch Maßnahmen der Exekutive veranlasste, § 244 Abs. 2 widerstreitende Verkürzung der Beweisgrundlage und der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zur Sicherung einer fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes auszugleichen ist (Rn. 1).50 Allerdings ist der Beweiswert der gesperrten Informationen nicht umfassend messbar; er entzieht sich daher auch bei der Beweiswürdigung in gewissem Umfange der Bewertung durch ein Strafgericht. So kann etwa bezüglich eines anonymen Gewährsmanns kein Auszug aus dem Bundeszentralregister eingeholt werden, um dessen eigene kriminelle Vergangenheit zu prüfen. Freilich besteht kein absolutes Hindernis für die Glaubwürdigkeitsprüfung. Denn das Sekundärbeweismittel, mit dessen Hilfe die Inhalte des gesperrten Beweismittels in die Hauptverhandlung eingeführt werden, erlaubt jedenfalls durch Heranziehung einzelner Glaubwürdigkeitskriterien eine Überprüfung. So kann ein Zeuge vom Hörensagen (insbesondere der „V-Mann-Führer“) seine Erkenntnisse, die einen Schluss auf die Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit des gesperrten Zeugen (V-Mann) zulassen, dem Gericht mitteilen. Auf das Zeugnis vom Hörensagen allein darf sich zwar ein Schuldspruch nicht stützen (Rn. 117). Jedoch ist eine sichere richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten – auch – mit Hilfe dieses mittelbaren Beweises nicht von vornherein ausgeschlossen, soweit weitere aussagekräftige Indizien vorliegen. Die Annahme, dass bei der Beweisführung mit Surrogaten für das gesperrte Beweismittel stets Zweifel an der Schuld des Angeklagten verblieben, die eine Verurteilung hindern,51 geht deshalb zu weit. e) Beweisverfahrensverbot. Aus Gründen der Beachtung des Gewaltenteilungsprin- 25 zips kann das Strafprozessrecht nach alledem nicht die Strafverfolgungsorgane nach dem Legalitätsprinzip dazu zwingen, gewaltsam in die Bereiche der Exekutive einzudringen. Ausgenommen ist nur der bereits im Verfahren vor den Fachgerichten erforderliche Schutz vor Willkür und voreiliger Beweisvernichtung (Rn. 15). Die vorliegende Vorschrift
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Krit. H. E. Müller 58 ff. BGHSt 17 283, 285; 33 83, 88; 33 178, 182; 34 15, 17 f.; 36 159, 166; 42 15, 25; 45 231; 47 44; BGH NStZ 2000 265; BGHR StPO § 261 Zeuge 13, 15, 16, 17 und 19; vgl. auch die Tatgerichte LG Aachen StV 1991 341 f.; LG Darmstadt StV 1991 342 f. und die Nachweise bei G. Schäfer StV 1995 147, 152; vgl. auch BVerfG (Kammer) NJW 2001 2245 m.w.N.
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BGHSt 49 112, 121 ff. Vgl. bereits Holtzendorf Handbuch des deutschen Strafprozeßrechts, 1. Band (1879), 305, 316 Fn. 3, mit der Bemerkung, dass eine Geheimhaltung nicht in Frage komme, wenn dies zur Verurteilung eines Unschuldigen führe, dem der Entlastungsbeweise abgeschnitten wurde; dazu Müller Behördliche Geheimhaltung 2.
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enthält sodann grundsätzlich ein Beweisverfahrensverbot.52 Insoweit korrespondiert sie mit § 54.53 Ähnliche Regelungen finden sich in anderen Verfahrensordnungen, z.B. in § 26 Abs. 2, § 27 BVerfGG; § 99 VwGO; § 86 FGO; § 119 SGG; § 30 AO.54
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3. Rechtsprechungspraxis. Die Gerichtspraxis hat verschiedentlich die Beschlagnahme von Behördenakten in bestimmten Konstellationen akzeptiert: BGHSt 38 237 (Ermittlungsrichter): Telefonüberwachungsprotokolle im Besitz des Verfassungsschutzes; ThürOLG NJW 2001 1290: „Art der Behörde unbeachtlich“; KG NStZ 1989 541 f. = NStE Nr. 6 zu § 96 StPO: Gutachten im Besitz der Finanzverwaltung; OLG Hamm JMBlNRW 1984 232 und Beschl. vom 8.1.1991 – 3 Ws 552/90: Steuerakten; LG Bonn ZBlJugR 1986 67 = NStZ 1986 40 mit Aufs. Eisenberg NStZ 1986 308 ff.: Akten der Jugendgerichtshilfe;55 LG Darmstadt NStZ 1989 86 f. = NStE Nr. 3 zu § 96 StPO: Niederschriften aus Magistratssitzungen; LG Marburg StV 1989 426 f.: Krankenunterlagen in öffentlichrechtlichem Krankenhaus; LG Offenburg NDV 1994 199 f. mit. Anm. Kunkel: Sozialakte des Jugendamts; LG Oldenburg wistra 1990 76 ff.: Akten der Gemeinde-Unfallversicherung; LG Wuppertal NJW 1992 770 ff. = NStE Nr. 10 zu § 96: Abrechnungsunterlagen der kassenärztlichen Vereinigung; VG Frankfurt NJW 1991 120 ff. mit. Anm. Lisken NJW 1991 1658 ff.: präventivpolizeiliche Akten.
III. Die Amtshilfepflicht 27
Die vorliegende Vorschrift setzt nach der hier vertretenen Auffassung (Rn. 5 ff.) eine Amtshilfepflicht der Behörden gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten voraus (Art. 35 Abs. 1 GG). Der Anknüpfungspunkt ist daher von demjenigen der Gegenansicht (Rn. 16 ff.), die von § 95 Abs. 1 ausgeht, zunächst verschieden. Sachliche Unterschiede bei der Prüfung der Amtshilfe- beziehungsweise Editionspflicht ergeben sich indes nur teilweise, da die vorliegende Vorschrift für beide Ansätze gleichermaßen Anhaltspunkte für Inhalt und Grenzen der Behördenpflichten ergibt.
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1. Berechtigte. Das Vorlegungs- und Herausgabeverlangen kann in jeder Lage des Strafverfahrens gestellt werden, sobald und solange die von der vorliegenden Vorschrift erfassten Gegenstände als Beweismittel in Betracht kommen. Berechtigte sind danach die im jeweiligen Verfahrensstand für die Stoffsammlung verantwortlichen Organe, die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Die Polizei ist berechtigt, soweit sie nach § 163 Abs. 1 im ersten Zugriff ermittelt; im Übrigen hat sie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. 2. Verpflichtete („Behörden und öffentliche Beamte“)
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a) Behörde. Aus der in Art. 35 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Einheit der Staatsgewalt 56 folgt, dass der Begriff „Behörde“ im Bereich der Amtshilfe weit auszulegen ist. Das zeigen auch § 4 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgeset52 53 54 55
BVerfGE 57 250, 282; 67 100, 133. BVerfGE 67 100, 133. Dazu OLG Hamm, Beschl. vom 8. Januar 1991 – 3 Ws 552/9. Anders aber für die Beschlagnahme einer Jugendamtsakte, die einen Arztbericht ent-
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hält, LG Hamburg NStZ 1993 401 mit Anm. Dölling; zur Stellung der Jugendhilfe gegenüber den Strafverfolgungsorganen Rauschert ZfJ 1989 477 ff. Lorentz-Link 137.
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zes des Bundes und der entsprechenden Gesetze der Länder;57 danach ist amtshilfepflichtige Behörde „jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt“.58 Es bestehen keine Bedenken, diese Legaldefinition für die Frage der Amtshilfe auch auf Verwaltungsbereiche anzuwenden, die außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs dieser Gesetze liegen.59 Amtshilfepflichtige Behörden im Sinne der vorliegenden Vorschrift sind danach alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden sowie der Gebietskörperschaften.60 Auch die Träger mittelbarer Staatsverwaltung gehören hierher, selbst wenn sie etwa als öffentlich-rechtliche Körperschaften eigene Rechtspersönlichkeiten mit dem Recht der Selbstverwaltung sind, solange sie wenigstens der staatlichen Rechtsaufsicht unterliegen. Behörden im Sinne der vorliegenden Vorschrift sind deshalb auch die Organe der Sozialversicherungsträger,61 die der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der Rechtsanwaltskammern, der Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammern sowie der sonstigen rechtsfähigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Auch eine Berufsgenossenschaft ist als selbständiger Rechtsträger des öffentlichen Rechts eine Behörde im Sinne der Vorschriften über die Amtshilfe.62 Behörden sind auch Außenstellen, soweit diese Entscheidungen treffen.63 Auch Justizorgane einschließlich der Gerichte (§ 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB)64 außerhalb des Bereichs der betroffenen Strafverfolgungsorgane kommen als Adressaten der Amtshilfepflicht in Frage, so die im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätigen Notare im Landesdienst, soweit sie die sonst den Amtsgerichten übertragenen Aufgaben wahrnehmen.65 Mit öffentlichen Beamten sind nach dem Zusammenhang nur solche gemeint, die für 30 sich allein eine Behörde bilden.66 Eine Erweiterung des Beamtenbegriffs durch die Gleichstellung der Statusbeamten mit Amtsträgern im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2c67 und Nr. 468 StGB kommt nicht in Betracht; doch kann das Handeln solcher „Amtsträger“ einer Behörde im Sinne der vorliegenden Vorschrift zuzurechnen sein. Keine Amtshilfepflicht besteht, soweit, wie z.B. bei den öffentlich-rechtlichen Banken 31 (Landesbanken, Sparkassen),69 öffentliche Aufgaben70 im Wettbewerb mit nicht öffentlich-rechtlichen Gewerbeunternehmen wahrgenommen werden.71 Eine gesetzgebende Versammlung (Bundestag, Bundesrat, Landtag, Bürgerschaft, Ab- 32 geordnetenhaus) ist keine Behörde, weil ihr die Vertretungsbefugnis fehlt. Diese Wort-
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59
60 61
Zum Begriff der Amtshilfe nach § 4 VwVfg Lorentz-Link 146 ff. Zur Behördeneigenschaft von Sparkassen OLG Koblenz JurBüro 1997 540 f., von juristischen Personen des Privatrechts VG Frankfurt NVwZ 1995 410 = DÖD 1994 242. Nach Lorentz-Link 145 ist zunächst „die Anwendung der §§ 4 ff. VwVfG nicht auf die Hilfeleistung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG beschränkt“. Dann aber ist auch eine noch weitergehende Anwendung nicht gehindert, da diese Vorschriften einen allgemeinen Gedanken ausdrücken. Ähnlich Eb. Schmidt 2. Nach BGH NJW 1964 299 sollte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte keine Behörde sein; dagegen zutr. Haueisen und Martens NJW 1964 867 und 852.
62 63
64 65 66 67 68 69
70 71
VG Stuttgart HVBG-Info 1995 1736 ff. VG Dresden SächsVBl. 1993 260 f. für Außenstellen des sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen; anders dazu VG Leipzig RAnB 1994 293 f. KK/Nack 3. LG Freiburg wistra 1998 35 f. mit Anm. Schmedding. Eb. Schmidt 2; Schneider 60. Bgl. dazu BGHSt 31 264; 37 191; 43 96; 43 370; BGH NJW 1998 2373. Dazu BGHSt 42 230. Zur Behördeneigenschaft im Umfang der Wahrnehmung der gesetzlich übertragenen öffentlichen Aufgaben OLG Koblenz JurBüro 1997 540, 541. Vgl. dazu BGHSt 31 264, 271. Vgl. auch BVerfGE 64 229, 241.
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interpretation kann jedoch nicht ausschlaggebend sein. Der Rang, der den Volksvertretungen nach der Verfassungsordnung der Bundesrepublik zukommt, erfordert, dass Bundestag und Landtage hinsichtlich des Schutzes, der ihren Akten und Schriftstücken von Staats wegen zugebilligt wird, anderen Staatsorganen gleichgestellt werden. Die vorliegende Vorschrift war daher bereits nach der herrschenden Meinung zur alten Fassung des Gesetzes auf die Parlamente entsprechend anzuwenden.72 Nunmehr gilt jedoch Satz 2 als besondere Regelung. Damit ist nunmehr klargestellt, dass Satz 1 entsprechend gilt, wenn sich die Akten oder Schriftstücke im Gewahrsam eines Mitglieds des Deutschen Bundestages oder eines Landtages oder eines Fraktionsangestellten eines solchen Parlaments befinden.73 Eine entsprechende Anwendung der vorliegenden Vorschrift auf andere Verwaltungsorgane wie Gemeinderäte, Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen kommt jedoch nicht in Betracht.74 Dies ergibt ein Umkehrschluss aus Satz 2 und die Annahme, dass das novellierte Gesetz nunmehr insofern keine Regelungslücke mehr enthält. Bei Parlamenten erfolgt die Sperrerklärung nach außen durch deren Präsidenten; den Vorgang der Meinungsbildung selbst regelt die Geschäftsordnung. Die vorliegende Vorschrift bezieht sich selbstverständlich nur auf zur Amtshilfe ver33 pflichtete Behörden im Geltungsbereich der Strafprozessordnung und auf Auslandsvertretungen der Bundesrepublik
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b) Zuständige Behörde. Während die Herausgabepflicht des § 95 den trifft, der das Beweismittel in Gewahrsam hat, kommt es bei der Amtshilfe nach der vorliegenden Vorschrift auf die rechtliche Verfügungsmacht und nicht auf den u.U. zufälligen Gewahrsam an, da nur der, der die rechtliche Verfügungsmacht hat, entscheiden kann, ob gegen die Herausgabe Bedenken aus Gründen des Staatswohls bestehen.75 Auch dies spricht für die hier vertretene Auffassung, dass die vorliegende Vorschrift nicht an die Editionspflicht des § 95 Abs. 1 anknüpft, sondern an die allgemeine Amtshilfepflicht (Rn. 5). Die rechtliche Verfügungsgewalt über Akten steht in der Regel der Behörde zu, die sie 35 angelegt hat. Bei anderen Gegenständen kommt es darauf an, welche Behörde sie beschafft hat oder für welche Behörde sie hergestellt wurden. Soweit die Polizei (wenigstens auch) repressiv tätig ist, steht die Verfügungsgewalt in 36 vollem Umfang ausschließlich der Staatsanwaltschaft zu. Das folgt aus der gesetzlichen Regelung in der Strafprozessordnung über das Verhältnis zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Nach den §§ 160 bis 163 gibt es keine eigene polizeiliche Zuständigkeit im Ermittlungsverfahren.76 Auch soweit die Polizei nach § 163 zu selbständigen Ermittlungen befugt ist, bleibt sie „verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft“. Der Staatsanwaltschaft steht in jeder Lage des Ermittlungsverfahrens die Leitungsbefugnis zu.77 Diese Auffassung vom Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei wird von der Polizei nahestehenden
72 73 74 75 76 77
BGHSt 20 189; Meyer-Goßner 6. KK/Nack 4. Meyer-Goßner 6; KK/Nack 4; Schneider 64. Schneider 67. Zur neueren Entwicklung krit. Lilie ZStW 106 (1994), 625 ff. BVerwGE 47 255, 263; M. Bräutigam DRiZ 1992 214 ff.; Ernesti ZRP 1986 57; Gössel GA 1980 325, 345; Körner Kriminalistik 1992 130 ff.; Römer Kriminalistik 1979 275 ff.; Uhlig StV 1986 117; zur Rolle der
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Staatsanwaltschaft allg. H. C. Schaefer NJW 1994 2876 ff.; zum Verhältnis des Weisungsrechts aufgrund der Sachleitungsbefugnis zum Weisungsrecht des behördeninternen Dienstvorgesetzten Bindel DRiZ 1994 165 ff.; eine Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft verneinen letztlich Knemeyer/ Deubert NJW 1992 3131 ff.; de lege ferenda für ein kooperatives Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft Häring Kriminalistik 1979 269 ff.
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Autoren bestritten. Dabei wird teilweise aus § 163 auf ein eigenständiges Ermittlungsrecht der Polizei geschlossen,78 teilweise unter dem Schlagwort „operative Verbrechensbekämpfung“ das Ineinandergreifen präventiver und repressiver Tätigkeit betont und daraus wegen des Vorrangs präventiver Aufgaben („Prädominanz der Prävention“79) eine Eigenkompetenz der Polizei auch für den Bereich der Strafverfolgung abgeleitet.80 Beide Konstruktionen überzeugen nicht, weil sie sich jeweils über die klare bundesrechtliche Aufgabenverteilung in §§ 160 bis 163 hinwegsetzen, nach der die Verantwortung für das Ermittlungsverfahren und damit für alle im Bereich repressiver Verbrechensbekämpfung erforderlich werdenden Maßnahmen der Staatsanwaltschaft auferlegt sind, mag im Einzelfall die Polizei zugleich auch präventiv tätig sein.81 Der Bundesgerichtshof hat wiederholt ausdrücklich betont, dass bei einer Gemengelage zwischen präventivem und repressivem Vorgehen die Strafprozessordnung anzuwenden und damit die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft zu bejahen ist.82 Für die Entscheidung über die Freigabe von Akten, Beweismitteln oder Erkenntnissen, 37 die bei der Polizei wenigstens auch im Rahmen der Strafverfolgung angefallen sind, ist deshalb generell die Staatsanwaltschaft und nicht die Polizei zuständig. Daraus folgt z.B., dass es keine Sperre durch die Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft im laufenden Verfahren gibt. Dies gilt auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft tatsächlich nicht informiert ist, denn sie hätte nach § 163 Abs. 2 Satz 1 ohne Verzug unterrichtet werden müssen. Die Praxis der Vertraulichkeitszusagen der Polizei und des Einsatzes verdeckter Ermittler ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist ebenso wenig durch das Gesetz gedeckt wie die Praxis, dass über die Freigabe derartiger Personen die Polizei und nicht die Staatsanwaltschaft entscheidet. 3. Gegenstand der Amtshilfe. Die Vorschrift wird über ihren Wortlaut hinaus auf alle 38 als Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstände sowie auf Auskunftsersuchen angewandt. a) „Akten oder andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke“. Entschei- 39 dend ist ausschließlich, ob sich die Gegenstände zum Zeitpunkt des Amtshilfeersuchens aus dienstlichen Gründen im amtlichen Gewahrsam befinden.83 Der Gewahrsam kann zunächst grob nach der Gewahrsamssphäre beurteilt werden, in der sich die Akten oder Schriftstücke befinden. Dem Gericht übersandte Behördenakten befinden sich demnach, auch wenn die Behörde eine „Vertraulichkeitsbitte“ ausgesprochen hatte, nicht mehr im Behördengewahrsam.84 Akten und Schriftstücke innerhalb eines Behördengebäudes sind dagegen regelmäßig dem Behördengewahrsam zuzuordnen, auch wenn im konkreten
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Vgl. bereits Rupprecht ZRP 1977 275 mit Nachw. H. Schäfer GA 1986 49. Vgl. Kniesel Kriminalistik 1996 229 ff.; H. Schäfer JR 1984 397 und GA 1986 49; zur Organisation der operativen Ermittlungen Voß Kriminalistik 1993 602 ff.; gegen die „Verpolizeilichung“ Backes KritV 1986 315 ff.; Ernesti ZRP 1986 57; Frommel KritV 1990 279 ff. und NJ 1991 16 ff.; Uhlig StV 1986 117; Weßlau KritV 1997 238 ff. Schoreit ZRP 1981 73, 75; vgl. dazu auch BVerwGE 47 255, 265.
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BGHSt 45 321; bestätigt durch BGHSt 47 44; ebenso BGHSt 41 64, 68 m.w.N.; zustimmend Krey/Jaeger NStZ 1995 517, 519; vgl. auch Fischer/Maul NStZ 1992 7, 8 m.w.N. Haas V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren 59–62; von Stetten Beweisverwertung beim Einsatz Verdeckter Ermittler 183 f.; Weßlau Vorfeldermittlungen 90. Schneider 117. BGHSt 42 71 ff.
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Beurteilungszeitpunkt kein Behördenangehöriger darauf Zugriff nimmt. Im Übrigen entscheidet die nach der Verkehrsanschauung zu beurteilende Herrschaftsmacht darüber, ob der Behörde, die durch ihre Organe handelt, Gewahrsam zusteht. Für die Gewahrsamsfrage kommt es dabei nicht darauf an, ob die Schriftstücke bei der Behörde entstanden oder in einer amtlichen Angelegenheit an sie gerichtet worden sind; private Schriftstücke (z.B. Spionageberichte und Briefe), die in amtlichen Gewahrsam genommen wurden,85 sowie bei der Behörde hinterlegte Schriftstücke86 wie Testamente oder in öffentlichen Bibliotheken oder Archiven verwahrte Nachlässe fallen ebenfalls unter die vorliegende Vorschrift, nicht aber private Unterlagen, die ein Behördenangehöriger bei sich führt.87 Die amtliche Verwahrung wird nicht dadurch aufgehoben, dass Akten oder Schrift40 stücke zu amtlichen Zwecken (Einbinden, Restaurieren, Auswerten zu Forschungszwecken) vorübergehend an private Stellen herausgegeben werden. Diebstahl hebt jedoch den amtlichen Gewahrsam auf, nicht aber die Verfügungsmacht der Behörde für den Fall, dass eine Verfügung wieder möglich ist. Auch in einer anderen Strafsache angefallene Akten gehören hierher,88 weshalb in ent41 sprechender Anwendung von der vorliegenden Vorschrift die Staatsanwaltschaft (wegen des Akteneinsichtsrechts nach § 147) sogar bei ihr selbst angefallene Akten sperren kann.89 Gutachten von Behördenangehörigen für Strafverfahren, die bereits Teil der Akten geworden sind, sind aber einer Sperrerklärung nicht mehr zugänglich.90
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b) Auf andere Gegenstände als Akten und Schriftstücke, die als Beweismittel (im weitesten Sinn, vgl. oben § 94, 9 ff.) in Betracht kommen, erstreckt sich die Amtshilfepflicht des Art. 35 Abs. 1 GG über den Wortlaut der vorliegenden Vorschrift hinaus entsprechend; für sie besteht in gleicher Weise wie für Akten ein Geheimhaltungsbedürfnis.91 Dies gilt namentlich für elektronische Datenträger, die zunehmend an die Stelle von Akten oder Schriftstücken treten (§ 94, 14).92
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c) Auskunftsersuchen. Die vorliegende Vorschrift wird auf staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Auskunftsersuchen (§§ 161, 202, 244 Abs. 2) als einem Minus gegenüber dem Verlangen auf Aktenausfolge entsprechend angewandt,93 wobei sich freilich die Frage stellt, ob durch eine Auskunft an die Staatsanwaltschaft eine Gefahr für das Staatswohl überhaupt entstehen kann, da die Staatsanwaltschaft – anders als das Gericht –94 die Erkenntnisse ihrerseits gegenüber dem Gericht (str., vgl. Rn. 2) und damit gegenüber Dritten sperren kann.
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Meyer-Goßner 3; KK/Nack 5. KK/Nack 5; Schneider 117; a.A. Eb. Schmidt 3; Meyer-Goßner 3; soweit die Materialien anderes ergeben sollen, haben sie im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden, vgl. dazu Schneider 116. KK/Nack 5. OLG Frankfurt NJW 1982 1408; zu polizeilichen Vorgängen HessVGH StV 1986 52. A.A. OLG Hamburg StV 1984 11; Taschke StV 1986 5; Keller StV 1984 521. BGHSt 18 370. AK/Amelung § 96, 2; nach Schneider 76 unterliegen diese Gegenstände nicht der
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Amtshilfe und können deshalb bei der Behörde ohne weiteres beschlagnahmt werden; auf sie könne sich eine Sperrerklärung nicht beziehen. KK/Nack 6. BVerfGE 57 250, 282; BGHSt 30 34, 36; 32 115, 123; BGH bei Holtz MDR 1981 101; BGHR StPO § 96 Informant 2; OLG Hamm NStE Nr. 8 zu § 96 StPO; OLG Hamm NStZ 1990 44 ff. mit Anm. G. Schäfer; Geppert Jura 1992 244, 249; Klemme 272; Krey GedS K. H. Meyer 256. BVerfGE 57 250, 288.
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Die vorliegende Vorschrift und nicht § 54 gilt nach Voraussetzungen und Zuständig- 44 keit seit BGHSt 30 34 in gesicherter Rechtsprechung insbesondere auch für das Verlangen nach Auskunft über den Namen und die ladungsfähige Anschrift eines behördlich geheimgehaltenen Zeugen entsprechend.95 Diese Auffassung ist aber in der Literatur nicht unbestritten. Da es keinen Unterschied machen könne, ob die Auskunft über geheimgehaltene Zeugen von der Behörde unmittelbar oder über Zeugen verlangt werde, wollte Herdegen (NStZ 1984 97, 100) die beamtenrechtlichen Vorschriften (§§ 54, 62 Abs. 1 BBG, § 39 Abs. 3 BRRG [a.F.]) anwenden. Dies ist aber deshalb unangemessen, weil zum Teil nicht die oberste Dienstbehörde zuständig ist, während die Weigerungsgründe trotz unterschiedlichen Wortlauts inhaltlich identisch sein dürften (vgl. Rn. 55). Lesch (StV 1995 542 ff.) meint, nach Inkrafttreten des OrgKG mit seiner Sonderrege- 45 lung für Verdeckte Ermittler in § 110b Abs. 3 sowie nach Neuregelung der Möglichkeit für Zeugen, ihre Personalien zu verschweigen (§ 68 Abs. 3), komme eine vollständige Sperrung von Verdeckten Ermittlern und V-Personen nicht mehr in Betracht. Dies entspricht freilich nicht der gesetzgeberischen Vorstellung96 und geht auch im Übrigen zu weit (vgl. Rn. 64). 4. Unzulässigkeit des Ersuchens a) Behördliche Schweigepflicht. Fraglich ist, ob und in welchem Umfang behördliche 46 Schweigepflichten einem Herausgabeverlangen entgegenstehen können. Eine allgemeine „Vertraulichkeitsbitte“ der Behörde, die ihre Akten nicht nach der vorliegenden Vorschrift sperrt, ist jedenfalls für das Strafgericht unbeachtlich, so dass es seinerseits dem Verteidiger nicht die Akteneinsicht verweigern kann.97 Die Rechtsentwicklung ist noch im Fluss. aa) Strafverfolgungs- und Polizeibehörden. Zu beachten ist vor allem die für die Straf- 47 verfolgungs- und Polizeibehörden geltende Regelung über vertrauliche Behandlung der Informationen durch V-Personen oder Informanten durch Richtlinien. Es gelten in den Ländern einheitlich die Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung.98 Damit ist eine für den präventivpolizeilichen Bereich wie für den repressiven Bereich 48 zugleich geltende Verwaltungsvorschrift geschaffen worden, deren Beachtlichkeit im Bereich des Strafverfahrensrechts zweifelhaft ist. Entscheidende Frage ist dabei, ob durch Regelungen unterhalb der Ebene des Parlamentsgesetzes Bestimmungen für das Vorgehen bei der Sachaufklärung geschaffen werden durften oder ob vielmehr das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes verletzt ist.99 Dies wiederum hängt davon ab, ob Maßnahmen
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BVerfGE 57 250; BGHSt 29 390, 393; 30 34; 32 115, 124; BGH bei Holtz MDR 1981 109, OLG Celle NStZ 1983 570; OLG Hamburg NJW 1982 297; StV 1984 11; Hilger NStZ 1984 145, 146; J. Meyer ZStW 95 (1983) 478. BTDrucks. 12 989 S. 42. BGHSt 42 71 ff. Abgedruckt bei Meyer-Goßner RiStBV Anh 12 Anl D.
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Vgl. Benfer MDR 1994 13; Erfurth 74 f.; Lammer 23 ff., 29 ff.; Lilie Verdeckte Ermittler 499, 502; Lilie/Rudolph NStZ 1995 514 ff.; Podolsky 158 ff.; Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht (1992); s.a. Dencker StV 1994 667, 672; Ranft Jura 1993 449 ff.; gegen die Geltung des Gesetzesvorbehalt in diesem Zusammenhang aber BTDrucks. 12 989
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aufgrund dieser Regeln in Grundrechte eingreifen. Die Rechtsprechung hat dies bisher im Hinblick auf fehlende Eingriffsqualität der Maßnahme und das Nichtvorliegen einer Umgehung der Regeln über offene Ermittlungen verneint,100 doch kommt es von Fall zu Fall auf die Art der Maßnahme an. „Ermitteln“ ist für sich genommen noch kein „Informationseingriff“.101 Das Betreten einer Wohnung durch eine heimlich ermittelnde Person kann aber den Schutzbereich des Art. 13 GG berühren.102 Ob die heimliche Befragung von Beschuldigten oder zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen103 durch V-Personen anstelle einer Vernehmung durch Beamte in das Recht zu Schweigen104 beziehungsweise auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, ist in Literatur und Rechtsprechung höchst umstritten.105 Die Zurechnung des Verhaltens der V-Person zu den Behörden kann insbesondere dann nicht schon aufgrund der Eigenschaft als Privatrechtssubjekt bestritten werden, wenn eine förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz106 erfolgt war; dann ist die V-Person „Amtsträger“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB), allerdings nicht „öffentlicher Beamter“ im Sinne der vorliegenden Vorschrift (Rn. 30). Ob Gleiches (etwa auch im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB) für sonstige V-Personen, die von einem Ermittlungsbeamten mit einem konkreten Auftrag versehen sind, gilt, ist offen. Die Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen dem Staat und V-Leuten ist auch im Ganzen noch nicht geklärt.107 Nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben könnten sie Beliehene oder Verwaltungshelfer sein; bei Informanten kommt die Rechtsfigur der Inanspruchnahme Privater in Betracht. Die Rechtsprechung hat die Amtsträgereigenschaft von VPersonen für das materielle Recht bisher verneint108 und im Verfahren eine Zurechnung ihrer Handlungen zur Behörde.109 Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichts-
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S. 34; Krey FS Miyazawa 595, 602 ff.; Krey/Haubrich JR 1992 309, 314. BGHSt 40 211 ff., dazu Gollwitzer JR 1995 469 ff.; Gusy StV 1995 449 f.; Helmhagen JA 1995 183 ff.; Neuhaus Kriminalistik 1995 787 ff.; Th. Schmidt JuS 1995 183 ff.; Schlüchter NStZ 1995 354 f.; SternbergLieben JZ 1995 844 ff.; Weiler GA 1996 101 ff.; BGHSt 42 139 ff. (GrSSt), dazu Bär CR 1997 367 f.; Bernsmann StV 1997 116 ff.; Bosch Jura 1998 236 ff.; Derksen JR 1997 167 ff.; Martin JuS 1997 278 f.; König Kriminalistik 1997 179 ff.; Kudlich JuS 1997 696 ff.; Lesch JA 1997 15 ff.; Popp NStZ 1998 95 ff.; Renzikowski JZ 1997 710 ff.; Rieß NStZ 1996 505 f.; Vahle DVP 1997 173; Weßlau ZStW 110 (1998), 1 ff.; dazu der Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats NStZ 1995 200 ff. mit Anm. Fezer NStZ 1996 289 f.; Lesch JA 1996 632 ff. BGHSt 42 139, 154 (GrSSt); Krey FS Miyazawa 595, 602 f.; zur Vereinbarkeit der §§ 110a ff. mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Groth 14 ff.; s. aber auch Podolsky 178 f., der davon ausgeht, dass die heimlichen Ermittlungen grundsätzlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berühren.
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BGH NStZ 1997 448 f. mit Anm. Hilger und Aufs. Felsch StV 1998 285 ff.; Frister StV 1993 151; Weil ZRP 1992 243. Gegen eine Rechtsverletzung bei Befragung aussageverweigerungsberechtigter Zeugen durch V-Personen BGHSt 40 211 ff.; krit. Weßlau ZStW 110 (1998), 1 ff., die aber letztlich nur feststellt, dass sich die Befragung (von Beschuldigten) durch V-Personen nicht bruchlos in das bisherige System des Strafverfahrensrechts einfügt, ohne freilich der Praxis eine Problemlösung anzubieten. Vgl. dazu Pawlik GA 1998 378 ff. Gegen ein Beweisverbot aus der Sicht der Praxis Krey JR 1998 1, 4; a.A. Lagodny StV 1996 167; Lilie/Rudolph NStZ 1995 514 ff.; Rothfuß StraFo 1998 289, 293 f. Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen vom 2. März 1974, BGBl. I S. 469, 545, mit ÄndG vom 15. August 1974, BGBl. I S. 1942. Vgl. Erfurth 30 ff.; Friedrichs 12 ff.; Haas 16 ff. BGH NJW 1980 846; a.A. Wagner JZ 1987 595; s. dazu auch Steinke Kriminalistik 1980 490. BGHSt 40 211, 213; ausführlich zur Zurechnungsfrage Erfurth 30 ff.
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hofs hat das heimliche Befragen eines Beschuldigten durch Privatpersonen im Interesse und Auftrag der Ermittlungsbehörden für zulässig erachtet und die Erkenntnisse hieraus als verwertbar angesehen.110 Aus den Richtlinien folgt insbesondere, dass eine Vertraulichkeitszusage die Abwä- 49 gung der strafprozessualen Erfordernisse der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der vollständigen Sachaufklärung einerseits sowie der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben durch Sicherung der Vertraulichkeit beziehungsweise Geheimhaltung andererseits voraussetzt. Sie kommt gegenüber V-Personen bei schwerwiegender Kriminalität, insbesondere organisierter Kriminalität, eher in Betracht; im Bereich der mittleren Kriminalität wird die Abwägung eher gegen eine Vertraulichkeitszusage ausfallen; im Bereich der Bagatellkriminalität111 ist eine solche Zusage grundsätzlich ausgeschlossen (Nr. I 3.1). Staatsanwaltschaft und Polizei sind an eine einmal gegebene Vertraulichkeitszusage grundsätzlich gebunden, nicht aber das Gericht,112 weshalb insofern nur die §§ 54, 96 gelten.113 Diese Bindung entfällt jedoch, wenn wissentlich oder leichtfertig falsche Informationen geliefert werden, die V-Person vorwerfbar von einer Weisung abweicht oder sich sonst als unzuverlässig erweist, sich eine strafbare Tatbeteiligung herausstellt oder die V-Person sich bei ihrer Tätigkeit für die Strafverfolgungsbehörden strafbar macht (Nr. I 4). Vor der Zusicherung der Vertraulichkeit durch die Polizei ist die Einwilligung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen, es sei denn, dass der Untersuchungszweck gefährdet würde; dann ist die Staatsanwaltschaft nachträglich zu unterrichten (Nr. I 5.2). Diese Regelung stellt die generelle Entscheidungsbefugnis der Staatsanwaltschaft114 in Frage; sie ist Ausdruck einer partiellen Verlagerung von Verfahrensherrschaft auf die Polizei,115 wie sie auch in § 110b Abs. 3 zum Ausdruck kommt, aber der bisherigen gesetzlichen Rollenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei widerspricht. Die Zusage der Vertraulichkeit/ Geheimhaltung umfasst neben den Personalien auch die Verbindung zu den Strafverfolgungsbehörden sowie alle Umstände, aus denen Rückschlüsse auf die Eigenschaft als Informant/V-Person gezogen werden könnten (Nr. I 5.5). Das erschwert die Verteidigungsmöglichkeiten ganz erheblich und erscheint insgesamt bedenklich. Die Geheimhaltung bereits der Tatsache des Einsatzes eines V-Person, um durch die hiermit erlangten Sekundärbeweise in der Hauptverhandlung auf die V-Person als Zeuge ganz verzichten zu können (Nr. I 3.2 Satz 2 der Gemeinsamen Richtlinien), wird in der Literatur als „Obstruktion der gerichtlichen Aufklärung“ empfunden.116 Der bisher gültige Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit ist dadurch auch nicht mehr gewahrt. bb) Verwaltungsbehörden. Für die sonstige Exekutive gelten verschiedene Regelun- 50 gen:117 Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG118 und den gleichlautenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ist die ersuchte Behörde abgesehen von dem in der vorliegenden Vorschrift enthaltenen Versagungsgrund auch dann nicht zur Amtshilfe verpflichtet, wenn „die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimgehal110 111
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BGHSt 42 139 ff. Zu „vertraulichen Ermittlungen im Umfeld des Betroffenen“ sogar im Bußgeldverfahren OLG Köln StV 1996 252 f. = NStZ 1996 355 f. BGHSt 35 85; 39 144 = JR 1994 250 f. mit Anm. Siegismund; BGH NStZ 2001 333. Erfurth 191; Haas 149. Davon ging aber noch uneingeschränkt aus Geißer GA 1983 385 ff. und GA 1985 256.
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Erfurth 144 ff.; Lilie Verdeckte Ermittler 499, 507 und ZStW 106 (1994) 625 ff. H. E. Müller 3 m.w.N. S. zum Spannungsverhältnis der Geheimhaltungspflichten der Behörden und der Ermittlungsinteressen Ostendorf DRiZ 1981 4 ff. Vgl. dazu Lorentz-Link 160 ff.
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ten werden müssen“. Es bestehen keine Bedenken, § 5 VwVfG entsprechend auf die vorliegende Vorschrift anzuwenden. Gesetzliche Geheimhaltungspflichten auch gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ergeben sich für Sozialdaten119 aus § 35 SGB I, §§ 67 ff. SGB X,120 für das Steuergeheimnis aus § 30 AO121 sowie ganz allgemein für Privat- und Geschäftsgeheimnisse aus § 30 VwVfG.122 Alle diese Vorschriften enthalten für die Zwecke der Strafverfolgung Ausnahmen. Bei § 30 VwVfG ist die Offenbarung zur Wahrung höherer Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Einzelner befugt; dazu gehört mit Sicherheit die Strafverfolgung wegen eines Offizialdelikts. Ein Bankgeheimnis123 gibt es im Strafverfahren weder zugunsten der privaten noch der öffentlich-rechtlichen Banken.124 Im Übrigen sind die öffentlich-rechtlichen Banken in Bezug auf die Amtshilfe ohnehin nicht als Behörden zu behandeln (Rn. 31).
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cc) Schutz der Privatsphäre. Der Anspruch auf Achtung der Privatsphäre125 kann Vorgänge ihrem Wesen nach geheim und damit ein Ersuchen unzulässig machen, wenn dieses angesichts des Geheimhaltungsinteresses auf der einen und des Aufklärungsinteresses auf der anderen Seite unverhältnismäßig wäre.126
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Sofern eine Datenübermittlung nicht nach § 68 Abs. 1 SGB X im Wege der einfachen Amtshilfe zulässig ist, enthält jetzt § 73 SGB X in der Fassung des Gesetzes v. 13. Juni 1994 (BGBl. I S. 1229) insoweit eine abschließende Regelung, als dort die Beschlagnahme zugunsten einer richterlich angeordneten Datenübermittlung ausgeschlossen ist, und die Voraussetzungen der Datenübermittlung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechend ausdrücklich geregelt sind. Ältere Rechtsprechung ist weitgehend überholt, soweit danach angesichts früherer unzureichender gesetzlicher Regelung in § 73 SGB X a.F. Beschlagnahme für erforderlich gehalten worden war. Zur Änderung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB X Klässer RDV 1994 117 ff.; König SozVers 1995 169 ff. Zeibig NStZ 1999 339. OLG Hamm Beschl. vom 8. Januar 1991 – 3 Ws 552/90; zum Schutz von Bankkunden gemäß § 30a AO Schuhmann wistra 1995 336 ff. Zu Geheimhaltungspflichten im Gewerbeuntersagungsverfahren Rudo GewArch 1998 224 ff., 275 ff., bei der Lebensmittelüberwachung Berg WiVerw 1996 171 ff., allgemein beim amtsinternen Datenaustausch Breer VR 1987 114 ff.; Heckel NVwZ 1994 224 ff.; Knemeyer NJW 1984 2241 ff.; Steinbömer DVBl. 1981 340 ff.; W. Schmidt ZRP 1979 185 ff.; Schnapp NJW 1980 2165 ff.; zum „ressortüberschrei-
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tenden Amtshilfeverkehr“ Schnapp DVBl. 1987 561 ff. Allg. dazu OLG Köln OLGZ 1994 47 ff. mit Anm. Locher WuB I B Bankgeheimnis 2.93 und Feuerborn EWiR 1993 443 f.; LG Hamburg NJW 1978 958 f.; Carl StB 1994 135 ff.; Carl/Klos wistra 1990 41 ff.; Lohmeyer JR 1970 248 ff.; R. Müller NJW 1963 833 ff.; Prost NJW 1976 214 f.; Sichtermann NJW 1968 1996 ff.; Ungnade Kreditwesen 1978 1030 ff.; Wolff DB 1968 695 ff.; besonders zu Durchsuchung und Beschlagnahme im Bankenbereich aus Anlass von Steuerstrafverfahren BVerfG StV 1994 353 mit Anm. Streck; Lührs BuW 1998 144 ff.; Klos wistra 1996 176 ff.; Ranft WiB 1997 1126 ff.; Schuhmann wistra 1995 336 ff.; Spitz DStR 1981 428; Streck/ Mack BB 1995 2137 ff.; zur „Ausforschungsbeschlagnahme“ mit Blick auf das Bankgeheimnis im Verhältnis zwischen Bank und Kunden krit. Leisner BB 1995 525 ff. LG Frankfurt NJW 1980 1478 = JA 1980 mit Anm. Solbach; Alsberg/Nüse/Meyer 476 m.w.N.; Kurth NStZ 1983 541. Enger KK/Nack 24: „Intimsphäre“; doch handelt es sich dabei um den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit, dem auch eine schlichte Privatsphäre vorgelagert ist, an deren Beeinträchtigung von Fall zu Fall ebenfalls die Aktenherausgabe scheitern kann. Vgl. BVerfGE 27 344, 353 zur Frage, wann die Beiziehung von Ehescheidungsakten im Disziplinarverfahren zulässig ist.
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b) Entscheidung. Über die Zulässigkeit des Ersuchens kann in diesen Fällen – anders 52 als bei der durch § 96 ausdrücklich geregelten Sperrerklärung aus Gründen des Staatswohls – nur die ersuchende Behörde und nicht die ersuchte entscheiden, da nur sie die regelmäßig erforderlich werdende Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse und dem Strafverfolgungsinteresse in Kenntnis der Bedeutung des Beweismittels für das Verfahren sachgerecht vornehmen kann. Weigert sich die ersuchte Behörde unberechtigt, dem Amtshilfeersuchen zu entsprechen, und erweist sich der Weg über die Aufsichtsbehörde als nicht gangbar, so ist im Bereich mittelbarer Staatsverwaltung ausnahmsweise eine Beschlagnahme gestattet, vgl. Rn. 15. 5. Das Ersuchen und seine Erledigung a) Adressat des Ersuchens ist die Behörde, die für den Aktenvorgang zuständig oder 53 die für den verwahrten Gegenstand sachlich verantwortlich ist, nicht die, die sie nur vorübergehend verwahrt.127 Das Ersuchen muss im Hinblick auf die zahlreichen Geheimhaltungsvorschriften begründet werden, wenn es nicht offensichtlich zulässig ist. Andernfalls wäre die ersuchte Stelle zu einer Prüfung, ob sie unter Geheimnisschutzgesichtspunkten Bedenken gegen das Amtshilfeersuchen vorbringen könnte, nicht in der Lage.128 b) Die Erledigung der Amtshilfe ist als solche in Art. 35 Abs. 1 GG als Rahmenbe- 54 stimmung und der vorliegenden Vorschrift als ausfüllender Norm abschließend geregelt;129 Einzelheiten, insbesondere die Art und Weise der Vorlegung (§ 168 GVG), können sich aus Landesrecht ergeben, soweit die Amtshilfe als solche nicht tangiert wird. So können bestimmte Urkunden (Grundbücher, Handakten) von der Versendung ausgeschlossen werden. Die beweisführende Behörde muss sich dann mit Abschriften, Ablichtungen oder Einsichtnahme, dem Augenschein am Verwahrungsort, begnügen. Kommt es für die beweisführende Stelle auf die Urkunde selbst an und genügt eine Fotokopie oder eine Abschrift nicht, muss die Urschrift vorgelegt werden, solange keine Sperrerklärung abgegeben wird.130
IV. Die Sperrerklärung 1. Voraussetzungen a) §§ 96 und 54. Während nach der vorliegenden Bestimmung materielle Vorausset- 55 zung der Sperrerklärung ausschließlich ist, dass das Bekanntwerden des Inhalts der Akten (bzw. der Auskunft) Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes bereiten würde,131 kann die Aussagegenehmigung nach § 54 i.V.m. § 37 Abs. 4 BeamtStG auch dann versagt werden, wenn die Aussage die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut beider Vorschriften wurde und wird verschiedentlich auf unterschiedlich weite Geheimhaltungsbereiche geschlossen,132 als ob der Umfang des öffentlichen Geheimhal127 128 129 130 131
Schneider 67. Vgl. auch BVerfGE 27 344, 353. Vgl. Schneider 48. Teilweise anders Schneider 77. Dazu Krey FS Miyazawa 595, 606; Heinisch
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MDR 1980 900 hält den Begriff dagegen für zu unbestimmt. Franzheim JR 1981 346; Geerds JZ 1984 46, 48; Geppert Jura 1992 244, 249; Hilger NStZ 1984 145; Janoschek 135; Lüderssen
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tungsbedürfnisses davon abhängen könnte, ob das Gericht zu derselben Tatsache einen Zeugen hört, Akten beizieht oder eine Behörde um Auskunft ersucht.133 Die Frage sollte durch die zu einem Auskunftsersuchen ergangene grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,134 welcher der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung folgt,135 im Sinne einer harmonisierenden Auslegung dahin entschieden sein, dass der Begriff Staatswohl weit gefasst wird und im Ergebnis die Herausgabe des Beweismittels oder der sonstigen Informationen aufgrund der vorliegenden Vorschrift aus allen in § 37 Abs. 4 BeamtStG genannten Gründen versagt werden kann.136
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b) Rechtsprechung und Literatur sehen die Sperrerklärung im Spannungsfeld zwischen gerichtlicher Aufklärungspflicht und staatlichem Geheimhaltungsinteresse bei der Erfüllung „verfassungsmäßig legitimierter staatlicher Aufgaben“137 und verlangen für die Entscheidung eine Abwägung der im Spannungsfeld stehenden Rechtsgüter.138 Das ist auf der einen Seite der hohe Rang der gerichtlichen Wahrheitsfindung für die 57 Sicherung der Gerechtigkeit und das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten. Dabei betont das Bundesverfassungsgericht, dass das Staatswohl und die Wahrung öffentlicher Belange es auch erfordern, sowohl die Grundrechte Einzelner zu schützen und niemanden einer ungerechtfertigten Verurteilung auszuliefern als auch den Strafanspruch durchzusetzen.139 Dieser hohe Rang der gerichtlichen Wahrheitsfindung, der sich in der Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 manifestiert, gebietet es grundsätzlich, das sachnähere als das bessere Beweismittel zu verwenden.140 Auf der anderen Seite fassen Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof ersicht58 lich den Begriff „Staatswohl“ weit und anerkennen zwei Arten von „öffentlichen Interessen“,141 die eine Geheimhaltung rechtfertigen können. Einmal können dies „verfassungsmäßig legitimierte staatliche Aufgaben“ sein, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen,142 weil die Wahrnehmung dieser Aufgaben erheblich erschwert und in weiten Teilen unmöglich gemacht würde, wäre die Aufdeckung geheimhaltungsbedürftiger Vorgänge im Strafverfahren ausnahmslos geboten. Hierher zählt BVerfGE 67 100, 139 auch das Steuergeheimnis, dessen gesetzliche Regelung in § 30 AO indes bereits Ausnahmetatbestände kennt (vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO). Aber auch die auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG beruhende Pflicht des Staates, menschliches Leben und die menschliche Freiheit umfassend zu schützen, kann die Geheimhaltung gebieten, wenn andernfalls rechtswidrige Angriffe auf diese Rechtsgüter ernsthaft zu besorgen sind.143
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FS Klug 529; J. Meyer JR 1983 478 und ZStW 95 (1983) 840; H. E. Müller S. 25 f. Ähnlich Schneider 94. BVerfGE 57 250. BGHSt 31 149, 155; 31 290; 32 32, 35; 32 115, 124; 36 159, 161. Ebenso Herdegen NStZ 1984 97, 100. BVerfGE 57 250, 284; BGHSt 32 32, 36 spricht insoweit von „berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkten des Staatswohls“, BVerfGE 67 100, 139 von den von § 96 erfassten „öffentlichen Belangen“, zu denen auch das Steuergeheimnis zählen könne. Eine sehr gute Abwägung findet sich bei VG Berlin Urteil v. 17. März 2003 – 34 A 41.03 –.
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BGHSt 32 115, 124; BVerfGE 57 250, 285; BVerwGE 66 39, 44; 75 1 ff.; 89 14 ff.; AK/Amelung 22; Janoschek 135 ff.; H. E. Müller 33 ff. BVerfGE 57 250, 284. BVerfGE 57 250 277; BGHSt 6 209; 29 109, 111; 31 148, 152; 32 115, 123; NJW 1980 2088; 1981 770; BGH NStZ 1982 79; Eb. Schmidt § 244, 8. BVerfGE 57 250, 285; krit. H. E. Müller 34 ff. BVerfGE 57 240, 284; BGHSt 32 32, 35; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 355. BVerfGE 57 250, 284; BGHSt 29 109, 111; 31 149, 155; 31 290, 294; 33 178, 180, mit einer von BGHSt 32 115 ff. abgelehnten ver-
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Bei der Abwägung dieser Rechtsgüter werden regelmäßig die Schwere der Straftat,144 59 das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile und das Gewicht der einer bestmöglichen Aufklärung entgegenstehenden Umstände (das Geheimhaltungsinteresse) sowie der Stellenwert des angestrebten Beweismittels im Rahmen der Beweislage zu berücksichtigen sein.145 Insbesondere ist im Rahmen der Sperrerklärung stets zu prüfen, ob es eine zulässige verfahrensrechtliche Möglichkeit gibt, dem Gericht den Zugriff auf das sachnähere und deshalb bessere Beweismittel zu ermöglichen oder ob andere Verfahren in Betracht kommen, die der Aufklärungspflicht und dem Geheimhaltungsbedürfnis in gleicher Weise gerecht werden.146 Bei der Abwägung im Einzelfall ist namentlich der Wert des angestrebten Beweismittels von Bedeutung. Ist dieser gering, kann die Sperrerklärung auch aus Gründen erfolgen, die weit unter der Schwelle der Gründe liegen, die für die Verweigerung der Auskunft über die Identität des behördlich geheimgehaltenen Zeugen ausreichend sind. c) Sonderfall: Der behördlich geheimgehaltene Zeuge. Einigkeit besteht heute weit- 60 gehend darüber, dass der Schutz gefährdeter Zeugen im Strafverfahren erforderlich ist.147 Rechtsprechung148 und Literatur149 haben daher auch die Voraussetzungen der Sperrerklärung und das Verfahren im Wesentlichen an der Frage erarbeitet, ob und wann die Auskunft über die Personalien eines Zeugen – namentlich eines Verdeckten Ermittlers oder eines V-Mannes – geheimgehalten werden können. Dabei kam es zu recht widersprüchlichen Entscheidungen zwischen Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof; inzwischen liegt auch Rechtsprechung des EGMR vor,150 die wiederum andere Akzente setzt, vor allem die Möglichkeit eines Ausgleichs prozessualer Defizite durch gesteigerte Anforderungen an die Beweiswürdigung zum Teil verneint; die Auswirkungen dieser Rechtsprechung des EGMR auf das binnenstaatliche Strafverfahrensrecht sind noch gar nicht abzusehen. Die Literatur ist ausgeufert und kaum mehr zu überblicken. Für Verdeckte Ermittler gilt nun § 110b Abs. 3 StPO als Sonderregelung. Für andere nicht offen ermittelnde Beamte, private V-Leute und Informanten bleibt es dagegen bei der Anwendung der vorliegenden Vorschrift, deren Auslegung indes an § 110b Abs. 3 orientiert werden kann.151
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fahrensrechtlichen Konsequenz; vgl. auch Rebmann NStZ 1982 316 mit Beispielen; Herdegen NStZ 1984 97, 100. Krit. zu diesem Aspekt H. E. Müller 34 f. BVerfGE 57 250, 285; OLG Stuttgart NJW 1991 1071, 1072; die Beurteilung der Beweislage durch die für Beweiswürdigungsaufgaben im Strafverfahren allgemein nicht zuständige sperrende Behörde ist jedoch nicht ganz unproblematisch, zumal sie eine Beweisantizipation enthält; H. E. Müller 37. BVerfGE 57 250, 285, 186, BGHSt 32 115, 123. Kriminologisch Soine ArchKrim 200 (1997), 172 ff.; zu einem rechtsvergleichenden Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts Hünerfeld ZStW 105 (1993), 396 ff.
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Vgl. zum Zeugenschutz von V-Leuten und Informanten der Polizei, denen Vertraulichkeit zugesagt worden war, BGH JZ 1993 1012 f. mit Anm. Beulke/Satzger = JR 1994 250 f. mit Anm. Siegismund. Vgl. Erfurth 163 ff.; Lesch StV 1995 542 ff., jew. m.w.N.; krit. zu Zeugenschutzprogrammen Zieger AnwBl. BE 1992 3 ff. EGMR EuGRZ 1992 300; StV 1997 617, 619 mit Anm. Wattenberg/Violet. Für entsprechende Anwendung auf V-Personen, Scheinaufkäufer und andere gefährdete Personen BTDrucks. 12 989 S. 42; Hilger JR 1992 524 Fn. 154; Krey FS Miyazawa 595, 606 f.; ders. JR 1998 1, 4 Fn. 32; abl. Lilie Verdeckte Ermittler 499, 509 ff.
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aa) Auskunftsersuchen analog § 96. Einigkeit besteht in der Rechtsprechung zunächst darüber, dass das Ersuchen um Auskunft über die Personalien eines zu vernehmenden Zeugen hinsichtlich des Verfahrens und der Voraussetzungen analog § 96 zu behandeln ist;152 für Verdeckte Ermittler folgt dies nun auch aus der Spezialregelung in § 110b Abs. 3. Der Neuregelung kann nicht entnommen werden, dass die bisherigen Grundsätze für die Sperrung von V-Personen, die aus einer entsprechenden Anwendung der vorliegenden Vorschrift entwickelt wurden, nun nicht mehr gelten.153 In der Literatur hatte Herdegen (NStZ 1984 97, 100) für das Verfahren noch § 54 i.V.m. (jetzt) § 67 Abs. 3 BBG, § 37 Abs. 4 BeamtStG anwenden wollen. Dieser Standpunkt dürfte nun nach Inkrafttreten des OrgKG aufgrund des Gedankens der Sonderregelung des § 110b Abs. 3 überholt sein.
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bb) Materielle Voraussetzungen der Sperrerklärung. Während die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts154 und des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen155 lediglich Grundsätze für eine allgemeine Interessenabwägung aufgestellt haben (Rn. 56 ff.), hatte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs dahin erkannt, dass das öffentliche Interesse an einer wirksamen Verbrechensbekämpfung allein die Sperrung eines als V-Mann eingesetzten Zeugen regelmäßig nicht rechtfertige. Dies gelte namentlich für die Fälle der bloßen Enttarnung einer Vertrauensperson,156 auch wenn dieser eine Vertraulichkeitszusage gemacht worden sein sollte. Eine Ausnahme wurde nur für Fälle anerkannt, in denen die Preisgabe der Personalien zugleich eine Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen oder eines seiner Angehörigen bedeuten würde.157 Demgegenüber hat der 1. Strafsenat158 weitergehend in einer Sache, in der „konkrete Anhaltspunkte für eine Bedrohung“ des Lebens des Zeugen vorlagen, eine Sperrerklärung „aus den in § 96 StPO und § 54 Abs. 1 StPO i.V.m. § 39 Abs. 3 Satz 1 BRRG (§ 62 Abs. 1 BBG) (jetzt: § 37 Abs. 4 BeamtStG, § 67 Abs. 3 BBG) anerkannten Gründen“ „sowohl bei zu besorgender Enttarnung als auch bei Gefährdung des Zeugen“ für zulässig gehalten.159
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BVerfGE 57 250, 281; BGHSt 29 390, 393; 30 34, 35; 31 149, 154; 32 32, 35; 32 115, 123; 33 178, 179 f.; BGH NJW 1981 1052; NStZ 1984 178; OLG Hamm NStZ 1990 44 ff. mit Anm. G. Schäfer; aus der Lit. ebenso AK/Achenbach § 161, 6; Fezer 7/13; Franzheim JR 1981 348; Geppert Jura 1992 244, 249. BTDrucks. 12 989 S. 42; VG Darmstadt NStZ 1996 92; a.A. Lesch StV 1995 542 ff. BVerfGE 57 250. BGHSt 32 115 auf Vorlage des 2. Strafsenats NStZ 1984 32. Anders aber OLG Celle NJW 1991 856 f.; OLG Hamm NStZ 1990 44 ff. m. Anm. G. Schäfer. BGHSt 31 148, 156; 31 290, 294 = StV 1983 225 mit Anm. Weider = JR 1983 476 mit Anm. Meyer; BGHSt 33 83, 90 f. = JZ 1985 494 mit Anm. Fezer = StV 1985 45 mit Anm. Taschke = NStZ 1985 278 mit Anm. Arloth.
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158 159
NJW 1985 1478 = StV 1985 3. So auch OLG Hamm NStZ 1990 44 ff. mit Anm. G. Schäfer; zurückhaltend noch BGHSt 31 148, 156 f.; BVerfGE 57 250, 290; im Blick auf § 110b Abs. 3 nunmehr anders BGHSt 42 175 mit Anm. Geerds NStZ 1996 609; Erfurth 187 ff.; Vitt Jura 1994 17, 18 f.; für die Anerkennung weiteren Einsatzes als Sperrungsgrund schon vor Inkrafttreten des OrgKG BGHSt 31 156; BVerfGE 57 250, 284 f.; OLG Stuttgart NJW 1991 1071, 1072 mit Anm. Arloth NStZ 1992 96 f.; Arloth NStZ 1985 280, 281; Herdegen NStZ 1984 97, 100; gegen eine Sperrungsmöglichkeit zur Verhinderung einer Schwächung der polizeilichen Ermittlungstätigkeiten im Bereich der schweren Kriminalität abl. Keller StV 1984 525 f.; Lüderssen FS Klug II 527, 532 f.; Taschke 188 und StV 1988 138; s.a. Jansen StV 1995 275 ff.; Lisken NJW 1991 1659.
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Die Frage, ob die Gefahr der Enttarnung allein ausreichen kann, einen Zeugen zu 63 sperren, hatte in der Praxis keine allzu große Bedeutung, da für den Fall einer Enttarnung regelmäßig zugleich eine Gefahr für Leib oder Leben bejaht wurde, weil milieubedingt mit Angriffen auf den Zeugen oder seine Angehörigen zu rechnen sei.160 Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung bezüglich der materiellen Voraussetzungen der Sperrerklärung, insbesondere aber bezüglich der Gefährdung des Zeugen, um durch die Aufdeckung der gefährdenden Umstände nicht eine neue Gefahrenlage zu schaffen,161 sich im Sinne einer Plausibilitätskontrolle mit der nachvollziehbaren Darlegung von Umständen, aus denen nach der kriminalistischen Erfahrung auf eine Gefährdung des Zeugen geschlossen werden kann, begnügt.162 Ob dies nach der „van Mechelen-Entscheidung“ des EGMR,163 die eine genauere Prü- 63a fung der Bedrohungslage auch angesichts eines besonders gefährlichen Tatverhaltens verlangt, auch weiterhin Geltung beanspruchen kann,164 bleibt abzuwarten. Eine Sperrerklärung, die die Gefahrenlage vollständig offenlegt, schafft selbst eine neue Gefahrenlage. In dieser Entscheidung hat der EGMR wesentlich darauf abgestellt, dass die Identifizierung des Angeklagten als Täter allein durch die Angaben anonym gebliebener Polizeibeamter erfolgt ist. Polizeibeamte kämen aber nur unter außergewöhnlichen Umständen als anonyme Zeugen in Betracht, da sie in besonderer Gehorsamspflicht gegenüber der staatlichen Exekutive stehen und es von Natur aus zu ihren Pflichten gehört, Zeugnis in öffentlicher Sitzung abzugeben. Der EGMR hat aber gleichzeitig klargestellt, dass die Verwendung von anonymen Aussagen zur Begründung einer Verurteilung nicht unter allen Umständen mit der EMRK unvereinbar sei. In diesem Zusammenhang sieht er es als legitim an, dass Polizeibehörden die Anonymität eines geheim operierenden Bediensteten wahren, damit nicht nur dessen Sicherheit und die seiner Familie gewährleistet, sondern auch die Möglichkeit künftiger Einsätze nicht zunichte gemacht wird. Im Übrigen kann dieser Rechtsprechung lediglich entnommen werden, dass die mittelbare Verwertung von Erkenntnissen anonymer Zeugen dann bedenklich ist, wenn sich die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht zusätzlich auf andere Beweismittel stützen kann.165 Zu den Risiken, die ein V-Mann als Zeuge auf sich nehmen muss, hat sich der Gerichtshof nicht geäußert. Die Frage, ob die Gefahr der Enttarnung eines Verdeckten Ermittlers, einer V-Person 64 oder eines Informanten ein selbständiger Grund sein kann, dessen Identität nicht preiszugeben, ist durch die Neuregelung in § 110b Abs. 3 zu Gunsten der Sperrung entschieden. Nach den Gesetzesmaterialien enthält § 110b Abs. 3 „eine Interpretation“166 des § 96 dahin, dass bei Verdeckten Ermittlern neben der Gefährdung von Leben, Leib oder Freiheit seiner oder einer anderen Person auch (als selbständiger Grund für die Sperrung der Identität) die Gefährdung der Möglichkeit der weiteren Verwendung als Grund für die Geheimhaltung seiner Identität ausreicht. Die Regelung gilt zwar unmittelbar nur für verdeckte Ermittler im Sinne der §§ 110a ff. Der Regelungsgedanke spricht aber dafür, dass diese Voraussetzungen auch dann werden gelten müssen, wenn es um die Gefahr der Enttarnung sonstiger nicht offen ermittelnder Beamter, von V-Personen oder von Informanten geht.167 Das bedeutet nicht, dass die Gefahr einer nicht mehr weiter möglichen 160 161 162 163 164
Vgl. nur VGH Baden-Württemberg NJW 1991 2097. BGHSt 39 141; Siegismund JR 1994 252. BGHSt 29 109, 112; 33 178, 180; 36 159, 163; Renzikowski JZ 1999 505, 612. StV 1997 617, 619, dazu Renzikowski JZ 1999 605. Offengelassen von BGH NStZ 2000 265.
165 166 167
Vgl. OVG Oldenburg NJW 2001 1665. BTDrucks. 12 989. So BTDrucks. 12 989 S. 42; BGH StraFo 2007 25 f.; Meyer-Goßner 12a; Arloth NStZ 1993 468; Hilger NStZ 1992 524 Fn. 154; Sigismund JR 1994 251, 252; a.A. Fezer 7/12; Lesch StV 1995 546.
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Verwendung eines Verdeckten Ermittlers, eines V-Mannes oder eines Informanten bei Offenbarung seiner Identität ohne weiteres ausreicht, die Personalien zu sperren. Nach wie vor ist eine Abwägung der oben (Rn. 56) aufgezeigten Rechtsgüter erforderlich. Die Neuregelung in § 110b kann nur dazu führen, dass bei dieser Abwägung das Interesse der Polizei an der Weiterverwendung der genannten Personen in die Abwägung als selbständiger Faktor mit einzubeziehen ist. Dabei kann insbesondere von Bedeutung sein die Austauschbarkeit der Person,168 die unterschiedliche Rechtsstellung und möglicherweise auch Glaubhaftigkeit von Verdeckten Ermittlern und V-Personen169 und die bei V-Personen weniger aufwendige Legendenschaffung.170 Neben diesem Interesse wird es aber weiterhin maßgeblich auf die Schwere der aufzuklärenden Straftat, das Maß der dem Angeklagten drohenden Nachteile, den Stellenwert der Aussage des gefährdeten Zeugen im Rahmen der Beweislage und auf das Gewicht der Umstände, die der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung entgegenstehen könnten, ankommen.171 Ob auch eine Vertraulichkeitszusage der Ermittlungsbehörde wegen behördlicher 65 Selbstbindung und im Hinblick auf einen Vertrauensschutz zugunsten des Gewährsmanns als Sperrungsgrund anzusehen ist, ist nicht abschließend geklärt,172 aber jedenfalls wohl nur dann zu bejahen, wenn die Vertraulichkeitszusage als solche auf Gründen beruht, die eine Sperrung nach der vorliegenden Vorschrift rechtfertigen und auch im Übrigen rechtmäßig ist.173 Die Behörde würde zwar unglaubwürdig, wenn sie sich an eine einmal in rechtmäßiger Weise gegebene Erklärung später nicht gebunden fühlte. Dies würde nach und nach generell dazu führen, dass vertrauliche Mitteilungen unterblieben, die jedoch zur effektiven Strafverfolgung gerade in Bereichen der organisierten Kriminalität unabdingbar sind. Andererseits darf die Vertraulichkeitszusage des sachbearbeitenden Beamten nicht dazu führen, dass sie faktisch zum Surrogat für die Sperrentscheidung der obersten Dienstbehörde im Sinne der vorliegenden Vorschrift wird. Dadurch könnten die gesetzlichen Entscheidungskompetenzen aufgrund einer Selbstbindung der Exekutive an die Vertraulichkeitszusage des behördlichen Sachbearbeiters umgangen werden.174 Daher sind Vertraulichkeitszusage und Sperrerklärung nach denselben Maßstäben zu beurteilen und die Sperrerklärung ist vor dem Hintergrund einer bereits erklärten Vertraulichkeitszusage nur möglich, wenn sie auf Sperrungsgründen im Sinne der vorliegenden Vorschrift beruht.
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cc) Verfahren. Der notwendige Inhalt der Sperrerklärung.175 Bereits das Bundesverfassungsgericht hat sehr eingehend dargelegt, dass die Behörde bei der Sperrung eines Zeugen zu prüfen habe, ob nicht bereits bestimmte verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Wahrung ihrer Belange – hier zum Schutz des Zeugen176 – ausreichen177 und dabei eine Reihe von verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erörtert, die Rebmann (NStZ 1982 168
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170 171 172
Zur begrenzten Ersetzbarkeit Verdeckter Ermittler OLG Stuttgart NJW 1991 1071, 1072. Zur Annäherung der Stellung von V-Personen an diejenige von Verdeckten Ermittlern durch förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz BGHSt 41 36, 39. S. dazu auch BGHSt 45 321, 330. Darauf weist KK/Nack 21 hin. Siehe nur BVerfGE 57 250, 285; BGH NStZ 1984 36, 38. Vgl. dazu BGHSt 31 148, 156 f.; 31 290,
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173
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294; 33 83, 90 f.; Arloth NJW 1985 280 f.; Erfurth 193 ff.; Lüderssen FS Klug II 531 ff.; J. Meyer ZStW 95 (1983), 839 ff.; Vitt Jura 1994 17 f. Vgl. BGHSt 31 290, 294; 33 83, 91; 35 82, 85; 36 159, 163; OLG Frankfurt StV 1983 54; VGH München NJW 1980 199. H. E. Müller 32. Erfurth 196 ff. Zu Möglichkeiten des Zeugenschutzes de lege ferenda Steinke ZRP 1993 253 ff. BVerfGE 57 250, 286.
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315) aufgriff und weiterführte. Dabei stand in der Rechtsprechung178 das Bestreben im Vordergrund, durch eine Stufung des Verfahrens und der Beweismittel179 möglichst eine persönliche Vernehmung des Zeugen durch das Gericht, wenn auch unter optischer oder akustischer Abschirmung,180 kommissarisch in Abwesenheit des Angeklagten und des Verteidigers181 oder unter Verzicht auf die Angabe der Personalien zu erreichen, um nicht auf Beweissurrogate wie die Vernehmung des V-Mannführers als Zeugen vom Hörensagen oder die Verlesung von polizeilichen Vernehmungsniederschriften oder von schriftlichen Erklärungen des Zeugen angewiesen zu sein. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung 67 von 1983182 eine Wende dahin vollzogen, dass er zwar die Bedeutung des sachnäheren Beweismittels für die Wahrheitsfindung betont, dessen Heranziehung und Verwertung aber davon abhängig gemacht hat, dass dies nach den Regeln der Strafprozessordnung geschieht. Eine Reihe weiterer höchstrichterlicher Entscheidungen enthalten ergänzende Präzisierungen. Danach gilt Folgendes: Das Gericht ist durch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) gehalten, das sachnähere Beweismittel dem sachferneren vorzuziehen.183 Das bedeutet, dass zunächst versucht werden muss, den Zeugen in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Um der Gefahr für Leib und Leben des Zeugen zu begegnen, ist es gestattet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG184 zu verhandeln und, wenn die Voraussetzungen des § 172 GVG gegeben sind, die Hauptverhandlung an einen besonders gesicherten Ort zu verlegen.185 Auch eine Hauptverhandlung unter Entfernung des Angeklagten bei der Vernehmung und hier auch, anders als in den sonstigen Fällen des § 247,186 bei der Vereidigung des Zeugen (nicht aber bei der Verhandlung über die Vereidigung!) wurde in entsprechender Anwendung der damals geltenden Fassung von § 247 Satz 1 für zulässig gehalten,187 obwohl der Große Senat insoweit lediglich davon gesprochen hatte, die Entfernung des Angeklagten komme in Betracht, wenn „die Voraussetzungen dafür erfüllt“ sind,188 und gerade dieser Entfernungsgrund in § 247 damals nicht enthalten war. Die persönliche Anwesenheit des verteidigten Angeklagten ist zur Ausübung des Fragerechts nicht unbedingt erforderlich.189 Allerdings ist die Beweiserhebung unter Abschirmung der V-Person der regulären Beweiserhebung so weit wie möglich anzunähern.190 178
179 180 181 182
Vgl. nach BVerfGE 57 250, aber vor der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen: BGHSt 31 148; 31 236; 31 290; 32 32; BGH StV 1981 596; StV 1982 2 f.; StV 1982 56 f.; StV 1983 265 f.; StV 1983 314 f.; StV 1983 355 f.; StV 1983 403; StV 1984 5; NStZ 1983 325 f. Vgl. dazu BVerfGE 57 250, 286; BGHSt 32 115, 122. Vgl. BGHSt 29 109, 111; BGH NStZ 1984 522; Rebmann NStZ 1982 319. BGHSt 31 149. BGHSt 32 115; dazu Bruns StV 1983 382; MDR 1984 177; Erfurth 168 ff.; Frenzel NStZ 1984 39; Gomolla 138 ff.; Grünwald StV 1984 56; Günther NStZ 1984 32; Herdegen NStZ 1984 97, 200, 337; J. Meyer FS Jescheck 1311; Schmid DRiZ 1984 474; Fezer JZ 1984 433; Tiedemann/Sieber NJW 1984 753.
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BGHSt 3 344 f.; 29 113; 32 115, 123; BGH StV 1988 45 f. = BGHR StPO § 244 Abs. 2 Informant 1; BGHR StPO § 96 Abs. 2 Informant 2. BGHSt 32 115, 125; BGH NStZ 1984 522. BGHSt 32 115, 125. BGHSt 26 218; NStZ 1982 256; StV 1983 181. BGH NJW 1985 1478; BGHSt 32 32 = JZ 1984 45 mit Anm. Geerds; abl. Grünwald StV 1984 57; Hassemer JuS 1986 25 ff.; vgl. auch BGHSt 32 115, 125; BVerfGE 57 250, 286. BGHSt 32 115, 125; dazu Grünwald StV 1984 57. Vgl. zu den §§ 247, 338 Nr. 5 auch BGH NJW 1998 2541, 2542. BGH NStZ 1993 292 f.
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Nicht zulässig war es dagegen aufgrund der damaligen Fassung des § 68 nach der Entscheidung des Großen Senats, dem Zeugen (in der Hauptverhandlung und bei einer kommissarischen Vernehmung) zu gestatten, seine Personalien nicht anzugeben,191 wobei bei einer Identitätsänderung dies für den jetzigen Namen nicht gelten sollte.192 Ferner war es unzulässig, ihn bei der Vernehmung optisch oder akustisch abzuschirmen193 oder gar Verteidiger oder Schöffen von der Hauptverhandlung wenn auch nur zeitweilig auszuschließen.194 Letzteres entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des EGMR.195 Der Entscheidung des Großen Senats konnte kaum widersprochen werden. Der Hin69 weis auf die Notwendigkeit, die Regeln der Strafprozessordnung einzuhalten, ist schlechterdings zwingend. So fand die Entscheidung auch wenig Kritik196 und viel Anerkennung,197 wobei die zustimmenden Autoren zunächst freilich teilweise übersehen haben, dass die Entscheidung, ohne dies allerdings anzudeuten, Ersatzwege zulässt, die zur Verwertung weniger zuverlässiger Beweismittel führen.198
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dd) Kritik. Auf die grundsätzlichen, in der Literatur breit aufgeworfenen Fragen der Verwertbarkeit von Beweissurrogaten bei behördlicher Sperrung eines Zeugen ging die Entscheidung nicht ein.199 Keineswegs konnte davon die Rede sein, dass der anonyme Gewährsmann nunmehr „für das gerichtliche Verfahren ein Nullum“ sei.200 Zutreffend musste J. Meyer (FS Jescheck 1331) feststellen, dass der Beschluss des Großen Senats „durchaus zu weniger statt zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Prozessfairness führen“ kann, wenn – und das muss hinzugefügt werden – die Tatrichter den Beweissurrogaten im Rahmen der Beweiswürdigung mehr Bedeutung beimessen, als solchen gerichtlich nicht überprüfbaren Beweismitteln zustehen kann. Gerade auf diesen für die Beweiswürdigung außerordentlich wichtigen Gesichtspunkt weist der Bundesgerichtshof ständig hin. So heißt es etwa in der zu den Grenzen zulässiger Tatprovokation ergangenen Entscheidung BGHSt 45 321, 340: Soweit dabei die Glaubwürdigkeit von Vertrauenspersonen eine Rolle spielt, ist zu bedenken, dass diese häufig selbst dem kriminellen Milieu angehören und ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Provozierten haben. Sollte die VP als Zeuge nicht zur Verfügung stehen, so ist hinsichtlich der Aussage seines Vernehmungsbeamten zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung der Aussage eines „Zeugen vom Hörensagen“ besondere Vorsicht geboten ist. Der Beweiswert eines solchen Beweismittels ist gering, weil weder das Gericht noch die anderen Verfahrensbeteiligten zu einer eigenen Überprüfung der Glaubwürdigkeit in der Lage sind und das Fragerecht der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK) in erheblicher Weise beschränkt ist. Feststellungen
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BGHSt 32 115, 127 f.; vgl. auch schon BGHSt 29 109, 113. BGHSt 32 115, 128; 29 109, 113; offengelassen in BGHSt 33 178, 180. BTDrucks. 12 989 S. 36; Gomolla 158 ff.; nun auch BGHSt 32 115, 124 gegen BGHSt 31 148, 156; 31 290, 293. BGHSt 31 115, 125. Zur „Mechelen-Entscheidung“ StV 1997 617 ff. mit Anm. Wattenberg/Violet. Vgl. aber Herdegen NStZ 1984 200; Miebach ZRP 1984 81. Bruns MDR 1984 177; Engels NJW 1983 1530; Fezer JZ 1984 433; Frenzel NStZ 1984 39; Grünwald StV 1984 56; Schmid
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DRiZ 1983 474; Spannhorst JA 1984 240; Tiedemann/Sieber NJW 1984 753. Vgl. dazu BGHSt 33 178, Zulässigkeit der Vernehmung der Verhörsperson; BGHSt 33 83 = StV 1985 45 = NStZ 1985 278 m. Anm. Arloth: Zulässigkeit der Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle, bei denen § 68 Abs. 1 nicht eingehalten wurde; zum ganzen Gomolla 184 ff. Vgl. Lüderssen FS Klug 533; Weider StV 1983 228; Bruns Neue Wege 65; Grünwald JZ 1966 494 und FS Dünnebier 347, 381; J. Meyer ZStW 95 (1983) 834, 850 ff. So aber Frenzel NStZ 1984 39.
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dürfen auf ein solches Beweismittel regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn der Beweisgehalt dieses Beweismittels durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden ist (BGHSt 17, 382, 385 f.; 33, 83, 88; BGH StV 1994, 637 und 638, jeweils m.w.N. G. Schäfer StV 1995, 147, 152; vgl. zur Verletzung des Art. 6 EMRK im Zusammenhang mit „anonymen Zeugen“ EGMR StV 1990, 481; 1991, 193; 1992, 499; 1997, 617).201
Änderung der Rechtsprechung? Die Diskussion der Frage, ob an den Grundsätzen der 71 Entscheidung des Großen Senats festgehalten werden kann, ist weiter zu führen,202 obwohl weitgehende Gesetzesänderungen und eine dramatische Änderung der technischen Möglichkeiten Überlegungen in verschiedene Richtung nahelegen. Zunächst gestattet nunmehr § 68 Abs. 3 in der Fassung des OrgKG203 dem Zeugen, seine Personalien zu verschweigen, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person gefährden würde. Die Identität Verdeckter Ermittler kann auch zum Schutz vor Enttarnung nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 110b Abs. 3 geheim gehalten werden. Schließlich eröffnet eine Reihe durch das Zeugenschutzgesetz204 geschaffener gesetzlicher Änderungen die Bild-Ton-Aufzeichnung von Vernehmungen gefährdeter Zeugen und deren Einführung in die Hauptverhandlung (§§ 58a, 168e, 247a, 255a). Freilich kann bei einer Videoübertragung der Zeugenvernehmung die Identität des Zeugen nur sehr beschränkt geschützt werden, solange sein Aussehen für jedermann erkennbar ist. Gemessen an dem unbefriedigenden Beweiswert der Vernehmung eines mittelbaren Zeugen über die Bekundungen des gesperrten Zeugen ihm gegenüber (Rn. 70), erscheint eine Videosimultanübertragung der Zeugenvernehmung, bei der die Stimme des Zeugen elektronisch so moduliert und bei der das Gesicht so abgeschirmt wird, dass der Zeuge nicht wiederzuerkennen ist, vorzugswürdig, weil so – wie dies beispielsweise bei den Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien beobachtet werden kann –, trotz der zum Schutz des Zeugen erforderlichen Abschirmungen wenigstens die unmittelbare Reaktion des Zeugen auf Fragen und Vorhalte etwa zu den für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit so wichtigen Realkennzeichen205 weit besser erkannt werden kann, als wenn dies durch die Vernehmung der Verhörsperson eingeführt wird.206 Aufgrund dieser Überlegungen beabsichtigte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs wie folgt zu entscheiden:207 „Die audiovisuelle Vernehmung von Vertrauenspersonen der Polizei oder Verdeckten Ermittlern gemäß § 247a StPO kann mit einer die Identifizierung des Vernommenen verhindernden technischen Veränderung der Bild- und Tonübertragung stattfinden, wenn der Vernehmung sonst eine Sperrerklärung der zuständigen Stelle entgegenstünde“. Er hat deshalb bei den anderen Strafsenaten im Hinblick auf den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 17. Oktober 1983 – BGHSt 32, 115, 124 f. – angefragt, ob sie seiner Auffassung zustimmen: Das Anfrageverfahren wurde leider dadurch gegenstandslos, dass der Beschwerdeführer seine Revision in jener Sache zurückgenommen hat. Inzwischen hat aber
201
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Ebenso BVerfGE 57 250, 273; vgl. ferner Kammerbeschluss vom 9. März 1988 – 2 BvR 301/88 –; NJW 1992 168; NJW 1996 448; NJW 1997 999. S. aber die bei Meyer-Goßner § 247a, 1 Genannten. BTDrucks. 12 989 S. 35. BGBl. I 1998 S. 820; dazu der Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. BTDrucks. 13 7165; Rechtsausschuss BTDrucks. 13 8990; 13 9063.
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BGHSt 45 164, 171; 46 93, 102. Zutreffend Weider StV 2000 48. NJW 2003 74 = NStZ 2003 274 = StV 2002 639. Eingehend zu den in diesem Zusammenhang aufzuwerfenden Fragen Kolz NJW-Sonderheft für G. Schäfer 2002 35 und die Anmerkungen zu der Entscheidung von Norouzi JuS 2003 434; Vahle Kriminalistik 2003 690.
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der 1. Strafsenat bestätigt, dass die audiovisuelle Vernehmung einer Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akustischer Verfremdung das bessere Beweismittel sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten sein kann. Die audiovisuelle Vernehmung führe als gangbare Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz.208 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Im Übrigen wirken entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts209 Ge71a heimhaltungsinteressen der Exekutive keinesfalls ohne weiteres in dubio pro reo. Sie dürfen lediglich nicht gegen den Angeklagten wirken; dass sie seine Verteidigungsmöglichkeiten beinträchtigen, ist im Rahmen der Beweiswürdigung (Rn. 1, 70) zu beachten.210 Dass es im Strafverfahren wegen der notwendigen Gewährung rechtlichen Gehörs kein in-camera-Verfahren211 geben kann, ist wenigstens bis jetzt unbestritten und wurde von BGH NJW 2000 161 klargestellt. Scheidet nach alledem, was in der Sperrerklärung abzuwägen und vom Gericht zu 71b überprüfen ist, eine Vernehmung in der Hauptverhandlung, auch in Abwesenheit des Angeklagten, durch Vernehmung des Zeugen nach § 247a, unter Umständen durch Unkenntlichmachung seiner Person (Rn. 71), aus, ist der Zeuge unerreichbar212 im Sinne des § 244 Abs. 3 und seine kommissarische Vernehmung nach § 223 Abs. 1 durch einen beauftragten oder (seltener) ersuchten Richter ist zu prüfen.213 Von dieser Vernehmung kann der Angeklagte,214 nicht aber sein Verteidiger215 ausgeschlossen werden. 2. Rechtsnatur, Form
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a) Verwaltungsakt. Die Sperrerklärung ist ein Verwaltungsakt, aber kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG.216 Zur Anfechtbarkeit vgl. Rn. 102 ff.
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b) Begründung. Die Sperrerklärung ist zu begründen, damit überprüft werden kann, ob die von der Rechtsprechung geforderte Abwägung der verschiedenen Interessen erfolgt ist.217 Das bedeutet aber nicht, dass die Gründe der Behörde für die Sperrerklärung in vollem Umfang darzulegen wären; dies würde dem Sinn der Geheimnisschutzregelung zuwiderlaufen, da diese Gründe im gerichtlichen Verfahren den Verfahrensbeteiligten wegen ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht vorenthalten werden dürfen.218
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BGHSt 51 232, 235. NJW 2000 1175. BGH NJW 2000 1661. Vgl. BVerfG NJW 2000 1175 zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren. BGHSt 17 384; 32 115, 126; 36 159, 162; BTDrucks. 12 989 S. 36. BVerfGE 57 250, 287; BGHSt 29 109, 113; Gomolla 170 m.w.N.; abl. LG Aachen StV 1988 476 ff. BGH NStZ 1985 136; BGHSt 32 32; ebenso schon BVerfGE 57 250, 286. BGHSt 31 115, 129; s. aber BVerfGE 57 250, 286; Gribbohm NJW 1981 306; Rebmann NStZ 1982 319. Zu der sich daraus ergebenden Konsequenz
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für den Rechtsweg BGH StV 1998 411 = DVBl. 1998 1016; KG StV 1996 531 (Vorlagebeschluss); VGH Mannheim NJW 1991 2097; s.a. zur Einordnung als Verwaltungsakt BVerwG NJW 1983 638; BVerwGE 18 58, 59; 34 252, 254; 66 44, jeweils für die insoweit sachlich gleichgelagerte Aussagegenehmigung für einen Beamten im Strafprozess. Vgl. BVerfGE 57 250, 288 f.; BGHSt 32 115, 125; BGH StV 1989 281; StV 1989 284; BVerwG StV 1985 523; Meyer-Goßner 9; Schlüchter 427.1, für § 110b Abs. 3 auch BTDrucks. 12 989 S. 43; Groth 110. BVerfGE 57 250, 288; BVerwG NJW 1983 638, 639; BGHSt 32 115, 125; anders (aber
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Andererseits genügen floskelhafte Begründungen nicht.219 Die Begründung soll das Strafgericht und auf Anfechtung das Verwaltungsgericht vielmehr in die Lage versetzen, die Sperrerklärung auf Willkür, Widersprüche oder offensichtliche Fehler zu überprüfen.220 Die Behörde hat bezüglich des Umfangs ihrer Darlegungen einen Beurteilungsspielraum.221 Im Anschluss an die Entscheidung des EGMR i.S. van Mechelen222 hat Renzikowski die Frage aufgeworfen,223 ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Sperrerklärungen vom Tatrichter praktisch nur in einer Plausibilitätskontrolle auf die genannten Fehler zu überprüfen sind, nämlich ob sie nicht willkürlich oder offenkundig fehlerhaft sind, nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Die Sache van Mechelen betraf indes einen Fall, in dem die Identifizierung des Angeklagten als Täter allein durch die Angaben anonym gebliebener Polizeibeamter erfolgt ist.224 Dies würde nach deutschem Recht nach den oben Rn. 70 mitgeteilten Grundsätzen für eine Überführung nicht ausreichen. Die Begründungspflicht geht soweit, wie entgegenstehende Gründe des Geheimnis- 74 schutzes dies noch zulassen.225 Die Begründung darf sich also nicht auf den Hinweis auf die gesetzlichen Voraussetzungen („Wohl des Bundes …“) beschränken; sie muss Tatsachen enthalten und sie muss bei der Abwägung226 von den in BVerfGE 57 250 genannten Kriterien ausgehen: Eine Sperrerklärung, welche die Schwere der Straftat, das Ausmaß der dem Beschuldigten durch die Sperrerklärung drohenden Nachteile, den Stellenwert des Beweismittels im Rahmen der Beweislage sowie das Gewicht der für die Sperrerklärung sprechenden Gründe nicht mit Tatsachen belegt und wertet, genügt nicht. Auch die Möglichkeit, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen (Rn. 71) oder von der Sperrerklärung Beweismittelsurrogate auszunehmen oder andere Beweismittel anzubieten, ist zu erörtern. Soweit die Behörde die Gründe für die Sperrerklärung aus Gründen des Geheimnisschutzes nicht vollständig offenlegen kann, muss sie auch darlegen, warum die Geheimhaltung dieser Gründe geboten ist.227 3. Herbeiführung der Sperrerklärung und Zuständigkeit a) Herbeiführung. Die Sperrerklärung wird – anders als nach § 54 die Aussagegeneh- 75 migung – durch die Behörde herbeigeführt, bei der die Akten oder Schriftstücke verwahrt werden.228 Gericht oder Staatsanwaltschaft fordern nur die Akten, Schriftstücke oder
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kaum vertretbar und jedenfalls auf das Strafverfahren nicht übertragbar) BVerfG NJW 2000 1175 für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. BGHSt 29 109, 112; 33 178, 180; 36 159, 163; NJW 2000 1661; BVerfGE 75 1, 9; BGH StV 1982 206, 207; NStZ 1989 282; NJW 1996 2738; BVerwG StV 1986 523, 525; NStZ 1987 520; VG Frankfurt NJW 1991 120 ff. m. Anm. Lisken NJW 1991 1658 ff.; H. E. Müller 31 ff. Vgl. BVerwG NJW 1987 202 mit Anm. Arloth NStZ 1987 520; Erfurth 199; Geppert Jura 1992 244, 250; Hilger NStZ 1992 524; Janoschek 138 ff.; Möhrenschlager wistra 1992 330. OLG Hamm NStZ 1985 566, 567: „nicht
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engen Beurteilungsspielraum“; anders OLG Stuttgart MDR 1986 690, 691. StV 1997 617. JZ 1999 605. Darauf weist insbesondere BGH NJW 2000 1661 hin. BVerfGE 57 250, 288; vgl. auch BGHSt 29 109, 112; 31 148, 155; 32 115, 125; BVerwG NJW 1983 638 zur Aussagegenehmigung nach § 54. Vgl. dazu auch OLG Stuttgart NStZ 1992 96 m. Anm. Arloth; zur Sperrung eines längere Zeit zurückliegenden Observierungsvorgangs OLG Hamburg StV 1993 402. BVerfGE 57 250, 288; BGHSt 31 149, 155, 32 115, 125; AK/Amelung § 96, 23. Eb. Schmidt 4.
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sonstige Beweismittel an. Entsprechendes gilt beim Auskunftsersuchen.229 Die ersuchte Behörde führt, wenn sie gegen die Herausgabe Bedenken hat oder durch Dienstvorschriften dazu gehalten ist, die Entscheidung der vorgesetzten Behörde und diese gegebenenfalls die Erklärung der obersten Dienstbehörde herbei. Die ersuchte Behörde wird der Strafverfolgungsbehörde eine Zwischenmitteilung geben, wenn eine solche Prüfung eingeleitet wird, damit die Strafverfolgungsbehörde den weiteren Verfahrensgang auf das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde abstellen kann.
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b) Zuständigkeit. Die Sperrerklärung darf allein die oberste Dienstbehörde abgeben;230 eine Delegation dieser Befugnis durch landesrechtliche Normen ist nicht möglich, weil das vorrangige Bundesrecht solches nicht vorsieht.231 Zuständig ist also die oberste Aufsichtsbehörde, an deren Spitze ein Regierungsmitglied oder – wenn die Landesregierung oberste Aufsichtsbehörde ist – alle Regierungsmitglieder stehen. Im Bund ist dies zum Beispiel nach Art. 65 Satz 2 GG das zuständige Fachministerium als oberste Fachaufsichtsbehörde. In den Ländern ist gleichfalls das jeweilige Ministerium zuständig, dessen Ressort betroffen ist. Bezüglich polizeilicher Maßnahmen ist dies grundsätzlich das Ministerium des Inneren, nicht (auch) das Justizministerium.232 Für Gemeinden ist oberste Dienstbehörde das Landesinnenministerium,233 in Angelegenheiten im übertragenen Wirkungskreis, die einer besonderen Fachaufsicht unterliegen, das zuständige Fachministerium. Bei Parlamenten ist der Präsident für die Abgabe der Erklärung zuständig.234 Die Entscheidung muss nicht unbedingt im Einzelfall ergehen. Für häufig vorkom77 mende und im wesentlichen gleichgelagerte Fälle ist vielmehr im Rahmen einer begrenzten Weisung eine Delegation zulässig.235 Der Minister muss auch im Übrigen die Erklärung nicht selbst abgeben; es genügt die Erklärung eines zur Vertretung des Ministeriums berechtigten Beamten.236
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4. Folgen der Sperrerklärung. Folge der behördlichen Sperrung eines Beweismittels ist, dass dieses für das Strafverfahren nicht zur Verfügung steht, solange die Sperrung Bestand hat und die Wirkung entfaltet, dass dem Gericht etwa die Möglichkeit zur Ladung des Zeugen fehlt. Für das Gericht ist der Zeuge dann schon aufgrund eines rechtlichen Hindernisses nicht erreichbar.237 Wäre er dagegen für das Gericht aufgrund von Informationen, die aus einer anderen Quelle als der sperrenden Behörde stammen, erreichbar, so bestünde nicht bereits aufgrund der Sperrerklärung ein Beweisverwertungsverbot.238 Das Gericht ist auch gemäß § 244 Abs. 2 StPO verpflichtet, den „bestmöglichen Beweis“239 heranzuziehen, soweit es dazu in der Lage ist. Deshalb muss es zunächst versuchen, den gesperrten Zeugen doch noch heranzuziehen, was indes nur im Falle einer rechtswidrigen Sperrerklärung Aussicht auf Erfolg verspricht.
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231 232
Vgl. BVerfGE 57 250, 289; BGHSt 30 34, 35; 32 115, 123. BGHSt 41 36, 38; 42 175, 177 ff. = NStZ 1996 608 f. mit Anm. Geerds; BGH StV 2001 214; BGHR StPO § 96 Informant 2. BGHSt 42 175, 177 ff. BGHSt 41 36, 38 ff. = NStZ 1996 604 mit. Anm. Gössel NStZ 1996 287; BGHR StPO § 96 Informant 4; BGH NStE Nr. 4 zu § 96 StPO; a.A. Taschke 166.
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BGH NJW 1989 3294. BGHSt 20 190. BVerfGE 57 250, 289. BGHSt 35 82, 86. Gomolla 123. Vgl. BGHSt 35 82; 39 141; BGH NStZ 1993 248. Vgl. nur Geppert Jura 1992 244, 246.
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a) Gegenvorstellung. Das Gericht, im Ermittlungsverfahren die um Auskunft nach- 79 suchende Staatsanwaltschaft, ist deshalb zunächst durch die Aufklärungspflicht (§ 160 Abs. 1 und 2, § 244 Abs. 2) gehalten, die Sperrerklärung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.240 Diese Überprüfung erfolgt in zwei Stufen: Zunächst muss die Behörde ihrer Auskunftspflicht überhaupt genügt haben. Diese reicht soweit, wie entgegenstehende Gründe des Geheimnisschutzes dies noch zulassen, um wenigstens eine Überprüfung auf offensichtliche Fehler zu ermöglichen. Würde man eine weitergehende Begründung verlangen, würde der Geheimnisschutz unterlaufen. Ist die Behörde nach Auffassung des Gerichts ihrer Auskunftspflicht ausreichend nach- 80 gekommen und sind insbesondere auch die erforderlichen Güterabwägungen erfolgt, hat das Gericht die Sperrerklärung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, namentlich, ob die Güterabwägung zutreffend vorgenommen wurde. Ist die Sperrerklärung ausführlich begründet und diese Begründung nachvollziehbar, „nicht willkürlich oder offenkundig fehlerhaft“,241 kann das Gericht diese hinnehmen242 und es ist auch nicht verpflichtet, das Verfahren aussetzen, um eine verwaltungsgerichtliche Anfechtung durch den Angeklagten zu ermöglichen.243 Aus der Entscheidung des EGMR in der Sache van Mechelen244 folgt nichts anderes. Selbst wenn man der Entscheidung entnehmen könnte, in jener Sache habe der Gerichtshof eine Plausibilitätskontrolle der beschriebenen Art nicht ausreichen lassen, könnten daraus deshalb keine Schlüsse für das deutsche Strafverfahren gezogen werden, weil – anders als nach deutschem Recht möglich – dort der Beweis allein auf Aussagen anonymer Zeugen beruhte. Genügt die Sperrerklärung diesen Anforderungen nicht, sei es, dass die Gründe zu 81 dürftig sind, sei es, dass die Abwägung nach Auffassung des Gerichts unrichtig ist, muss das Gericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht begründete Gegenvorstellungen erheben und eine Überprüfung der Sperrerklärung durch die Behörde unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts verlangen.245 Um eine solche Überprüfung zu ermöglichen, muss eine laufende Hauptverhandlung unter Umständen unterbrochen, notfalls sogar ausgesetzt werden. Zwingen kann das Gericht die Behörde zu einer solchen Überprüfung freilich nicht;246 bei einer unberechtigten Weigerung einer Behörde, die Sperrerklärung zu begründen oder zu prüfen, ist allerdings regelmäßig davon auszugehen, dass die Behörde dem Gericht das Beweismittel grundlos und damit rechtswidrig vorenthält.247 b) Endgültige Sperrerklärung. An eine endgültige Sperrerklärung ist der Richter ge- 82 bunden,248 soweit sie nicht als Verwaltungsakt wegen eines offensichtlichen und schweren Fehlers nichtig und damit unbeachtlich ist. Offensichtlich willkürliche und missbräuchliche Sperrerklärungen binden als Verwaltungsakte der Exekutive aus diesem Grunde das Strafgericht nicht.249 Rechtmäßige oder jedenfalls nicht nichtige Sperrerklärungen sind
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BVerfGE 57 250, 288; BGHSt 32 115, 126; BGH StV 1989 284 f.; Gomolla 125. BGH NJW 2000 1661 = NStZ 2000 265. S.a. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aussagegenehmigung 1; BGHSt 33 178, 180; kritisch unter Hinweis auf EGMR StV 1997 617; Renzikowski JZ 1999 605. BGH, Urt. vom 1. Dezember 1993 – 2 StR 583/93. StV 1997 617; dazu Renzikowski JZ 1999 605 und BGH NJW 2000 1661.
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BGHSt 29 109, 122; 31 148, 155; 32 115, 126 f.; 33 178, 180; 42 175, 177; BGH NStZ 1993 248; BVerfGE 57 250, 288. BVerfGE 57 250, 282; BGHSt 31 149, 155. BGHSt 31 149, 155. BGHSt 33 178, 179 f.; KG NStZ 1989 541 f.; Fezer 7/14. KG NStZ 1989 541 f.; vgl. auch BGHSt 36 159.
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dagegen bindend, da das Strafgericht insofern aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips gehindert ist, in die Kompetenzen der Exekutive einzugreifen. Das Beweismittel ist in einem solchen Fall mit der Sperrerklärung unerreichbar geworden.250 Es kann meist schon mangels Verfügbarkeit nicht verwertet werden, ist aber auch unverwertbar, wenn es sich – im Falle einer nachträglicher Sperrerklärung – bereits bei den Akten befindet.
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c) Konsequenzen. Streitig ist, welche weiteren strafprozessualen Konsequenzen aus dieser auf einer behördlichen Entscheidung beruhenden Unerreichbarkeit eines Beweismittels zu ziehen sind.
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aa) In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, ein behördlich gesperrtes Beweismittel scheide wegen widersprüchlichen staatlichen Verhaltens als Beweismittel insgesamt mit der Folge aus, dass auch Beweissurrogate (z.B. Zeugen vom Hörensagen) nicht zulässig seien,251 nicht nur der durch § 250 Satz 2 ausgeschlossene Urkundenbeweis mittels Vernehmungsniederschriften.252 Sei das Beweismittel zum Beweis für eine entlastende Tatsache benannt worden, müsse diese nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ als nicht widerlegbar gelten.253 Die Verurteilung aufgrund mittelbarer Angaben eines anonymen Verdeckten Ermittlers, einer unbekannten V-Person oder eines unerreichbaren Informanten verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör254 oder auf ein faires Verfahren beziehungsweise die sich aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK ergebenden Befugnisse.255 Andere Teile der Literatur wollen dagegen nur bei rechtswidriger Sperrung des Beweismittels den Rückgriff auf Surrogate verbieten,256 lassen also Surrogate bei bindender Sperrerklärung zu.257 Teilweise wird vertreten, nur willkürliche Sperrerklärungen seien nicht bindend.258 Unterhalb der Willkürgrenze seien solche Erklärungen auch im Falle ihrer Fehlerhaftigkeit bindend, das primäre Beweismittel damit unerreichbar und Beweissurrogate verwertbar.
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BGHSt 29 109, 112; 31 148, 155; 32 115, 126; 33 70, 72, 73; 33 178, 181; vgl. auch BGHSt 29 390, 391; BGH NStZ 1982 40; BVerfGE 57 250, 282; Herdegen NStZ 1984 97, 100. Bruns Neue Wege 65 ff.; Haas 232 ff., 240 ff.; Hanack JZ 1972 237; Koffka JR 1969 306; Lüderssen FS Klug II 533 ff.; Röhrich 283; ähnlich Hoffmann 199; dazu Gomolla 187 f. Insbesondere Seebode/Sydow JZ 1980 506 ff. entnehmen der ratio des § 250 Satz 2 ein Verbot des Rückgriffs auf Beweissurrogate. Vgl. Lüderssen FS Klug 528, 538; Grünwald FS Dünnebier 347, 362; Hanack JZ 1972 236 f.; ferner Bruns StV 1983 382, 385 und MDR 1984 182; Weider StV 1983 227. Arndt NJW 1962 27; NJW 1963 433; Geppert Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren (1979), 298; Grünwald JZ 1966 494; Hoffmann 196; Meilicke NJW 1963 428; Seebode/Sydow JZ 1980 507; Temming StV 1983 52; Wasser-
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mann DRiZ 1984 429; von Zezschwitz NJW 1972 799 f.; dagegen jedoch BVerfGE 57 250, 274; BVerfG JZ 1967 570; BGHSt 17 382, 387; s.a. Erfurth 210; Geppert Jura 1992 244, 247. Grünwald JZ 1966 494; Hanack JZ 1972 237; Klug Referat zum 46. DJT (1966) Bd. II F 57 f.; J. Meyer ZStW 95 (1983), 848 ff.; die Rspr. des BGH mit derjenigen des EGMR vergleicht unter diesem Gesichtspunkt Joachim StV 1992 245 ff.; zur Bedeutung der „Mechelen-Entscheidung“ des EGMR Wattenberg/Violett StV 1997 620 ff.; BGH NStZ 1993 292 f. sieht allerdings zur Erfüllung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK vor, dass an den anonymen Gewährsmann schriftliche Fragen weitergeleitet werden können. Backes FS Klug 452 ff.; Bruns Neue Wege 24; H. E. Müller 59 f. Krey FS Miyazawa 595, 607 f.; SK/Rogall Vor § 48, 89; SK/Schlüchter § 251, 58 ff. KK/Nack 28 ff.
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§ 96
Andere Autoren meinen, der Rückgriff auf Beweissurrogate sei durch die genannten 85 Vorschriften und Verfahrensgrundsätze grundsätzlich nicht gehindert. Es sei vielmehr eine Frage der Beweiswürdigung, welcher Beweiswert dem an die Stelle des gesperrten Zeugen tretenden Sekundärbeweis zukomme.259 Zum Teil wird bei rechtswidriger, jedenfalls willkürlicher oder nichtiger260 Sperrerklärung wiederum eine Beschlagnahme der Behördenakten für zulässig gehalten (Rn. 16 ff.).261 Demgegenüber meint z.B. Herdegen (NStZ 1984 97, 101), die auf einer behördlichen 86 Sperrerklärung beruhende Unerreichbarkeit eines Beweismittels führe zu keinerlei besonderen Konsequenzen. Auch eine durch die Sperrerklärung nicht beweisbare entlastende Behauptung wirke nicht stärker „als ein Vorbringen, das nicht unter Beweis gestellt worden ist“. bb) Die Rechtsprechung262 schien zunächst nur zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Sperrerklärungen unterscheiden zu wollen: Bei rechtmäßigen Sperrerklärungen wird das gesperrte Beweismittel als unerreichbar i.S. der §§ 251, 244, 223 angesehen. Beweissurrogate bis zu polizeilichen Vernehmungen ohne Angabe der Personalien263 oder Zeugen vom Hörensagen264 werden zugelassen.265 Bisweilen wird eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darin gesehen, dass im Einzelfall gegen den Willen des Angeklagten anstelle der unmittelbaren Vernehmung des unerreichbaren Informanten dessen kommissarische Vernehmung vorgenommen wird.266 Zu den Konsequenzen endgültiger rechtswidriger Sperrerklärungen lagen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst lediglich obiter dicta vor, die teils von einem Verwertungsverbot267 oder einem Beweiserhebungsverbot268 für das Beweismittel einschließlich seiner Surrogate ausgingen, teils aber auch nur darauf hinweisen, der Tatrichter habe in einem solchen Fall die Weigerung der Behörde und die dafür angegebenen Gründe bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.269 Anknüpfungspunkt war zunächst eine beliebige Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung, auch diejenige unterhalb der Schwelle der Nichtigkeit.270 Ein Änderung der Rechtsprechung271 trat insofern mit der Entscheidung BGHSt 36 159, 162 ein. Rechtswidrige, aber gleichwohl bindende Sperrerklärungen führen danach auch zur Unerreichbarkeit des gesperrten Zeugen und ermöglichen einen Rückgriff auf Surrogate. Dem völligen Fehlen einer Sperrerklärung steht nur deren offensichtliche Fehlerhaftigkeit oder Willkürlichkeit gleich mit der weiteren Folge, dass auf Beweissurrogate nur dann nicht mehr zurückgegriffen werden kann.272
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Gomolla 199 ff. m.w.N.; für Verdeckte Ermittler Groth 102 ff., 110. Erfurth 200 f. Lüderssen FS Klug 536; Schlüchter 306. 1; offengelassen BGHSt 33 70, 72; BGH NStZ 1986 130 mit Anm. J. Meyer. Vgl. BGHSt 17 382, 385; 33 178, 181; 36 159, 161. BGHSt 33 83 = NStZ 1985 278 m. Anm. Arloth. BGHSt 33 178, 181. BGHSt 17 382 ff.; 29 109, 112; 31 148, 154; 31 323, 328; 32 115, 125; 33 83, 92; 33 178, 180; 35 82 ff.; 36 159, 162; 39 141, 144.
266 267 268 269 270 271 272
Vgl. LG Aachen StV 1988 476 ff. BGHSt 29 109, 111; ihm folgend BVerfGE 57 250, 290. BGHSt 31 140, 144, 154; ähnlich BGHSt 31 290, 295. BGHSt 33 178, 180. Vgl. BGHSt 31 148, 155; dazu auch Geppert Jura 1992 244, 251 f. Krit. dazu Geppert Jura 1992 244, 252. BGHSt 33 83, 91 f.; 36 159, 163; BVerfGE 57 250, 290; KG NStZ 1989 541, 542; s.a. Taschke 313; krit. H. E. Müller 43 f.
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Auch bei Beachtung der sich aus den §§ 223, 244 Abs. 2 und 3, § 251 ergebenden Grundsätze dürfen nach der vor allem vom EGMR geprägten Rechtsprechung in jedem Falle die Verteidigungsrechte des Angeklagten, insbesondere sein Fragerecht (§ 240; Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK; Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBR),273 nicht beeinträchtigt werden.274 Der Angeklagte muss danach die Möglichkeit haben, schriftlich Fragen an den anonymen Zeugen zu stellen.275 Und dem Gebot der Einräumung effektiver Verteidigungsrechte ist auch nur dann Genüge getan, wenn die Fragen tatsächlich beantwortet werden, soweit dem anonymen Zeugen kein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Ein Verfahrensmangel durch Beschränkung des Fragerechts kann auch nicht allein durch Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung ausgeglichen werden.276 Bei nicht ausreichender Begründung der Sperrerklärung muss das Tatgericht zwar auf 92 eine Änderung dieses Verwaltungsakts hinwirken. Ein wiederholtes Tätigwerden ist regelmäßig nicht erforderlich. Bleibt die Exekutive trotz Gegenvorstellung bei ihrer Weigerung, so hat das Tatgericht dies hinzunehmen. Es kann aber bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, dass es die Exekutive ist, die eine Überprüfung der Glaubwürdigkeit des unbekannten Informanten oder Fahnders verhindert.277
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cc) Eigene Auffassung. Bei rechtmäßiger Sperrerklärung darf auf die Surrogate bis hin zu schriftlichen Äußerungen des Zeugen278 zurückgegriffen werden, wobei es Sache der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist, dem regelmäßig sehr geringen Beweiswert (Rn. 70) des Surrogats gerecht zu werden. Die so erhobenen Beweise sind besonders kritisch zu würdigen. Auf sie kann eine Feststellung zum Nachteil des Angeklagten regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere nach der Überzeugung des Tatrichters wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden (Rn. 70). Unterbleibt freilich ein solcher Rückgriff, verstößt das Gericht gegen seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2). Kann (dazu bereits oben Rn. 1) ein Beweis, der potentiell zur Entlastung des Angeklagten hätte beitragen können, aufgrund von Maßnahmen der Exekutive nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden, obwohl seine Erhebung ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen wäre, ist die hierdurch bedingte Verkürzung der Beweisgrundlage und der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zur Sicherung einer fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes auszugleichen.279 Ist die Sperrerklärung nichtig, darf auf Surrogate nicht zurückgegriffen werden, denn 94 Unerreichbarkeit i.S. der §§ 251, 244, 223 ist dann nicht gegeben, wenn der Zeuge durch rechtswidriges Verhalten staatlicher Organe der Justiz nicht zur Verfügung steht. Bei Rechtswidrigkeit unterhalb der Schwelle der Nichtigkeit gilt dies im Hinblick auf 95 die durch das OrgKG vorgenommenen Neuregelung für die Sperrung eines Verdeckten Ermittlers in § 110b Abs. 3, die auch für die Fragen der Sperrung von anderen verdeckt ermittelnden Beamten, V-Personen oder Behördenakten aufgrund der vorliegenden Norm jedenfalls mittelbar Bedeutung besitzt, nicht mehr uneingeschränkt. Denn die Frage der
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Vgl. BGH GA 1969 305; dazu Erfurth 184, 211. EGMR StV 1997 617, 619; zur Vereinbarkeit des Rückgriffs auf Beweissurrogate mit der EMRK BGH NStZ 1991 194 f.; zu allem vgl. Renzikowski JZ 1999 605. EGMR StV 1990 481 ff.; NJW 1992 3088 f.; StV 1991 193; BGH NStZ 1993
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292 f. = BGHR EMRK Art. 6 Abs. 3d Verhörsperson 2. Vgl. auch Joachim StV 1992 245 ff.; s. aber BGHSt 46 93, 103. BGH StV 1989 284 f. BVerfGE 57 250, 273; BGH NStZ 1981 270. BGHSt 49 112, 121 ff.
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Fehlerhaftigkeit der Sperrerklärung entzieht sich aufgrund der inzwischen durch die genannte Regelung weiter eingeschränkten Begründungspflicht einer umfassenden Prüfung durch das Strafgericht. Die Annahme der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung müsste dann auf eine sehr eingeschränkte Beurteilungsgrundlage gestützt werden. Ist für die Überprüfung grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so könnte es auch zu divergierenden Entscheidungen von Straf- und Verwaltungsgericht kommen, die nicht wünschenswert erscheinen. Schließlich ist bei strikter Beachtung des Gewaltenteilungsprinzips der rechtswidrige, jedoch nicht nichtige Verwaltungsakt bindend;280 dies gilt dann auch für das Strafgericht, wenn es keine umfassende eigene Prüfungskompetenz und -möglichkeit besitzt. Insofern ergeben sich gewisse Parallelen zur Verwaltungsakzessorietät des materiellen Strafrechts. Auch dort ist die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung für den Strafrichter nicht im Einzelnen überprüfbar, soweit der Behörde ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Dann kann der Strafrichter sein Ermessen nicht an die Stelle desjenigen der Verwaltungsbehörde setzen. Auch für Sperrerklärungen aber besitzt die Exekutive grundsätzlich einen Beurteilungsspielraum. Hierein kann das Strafgericht nicht eindringen, insbesondere dann nicht, wenn auch mangels umfassender Begründungspflicht für die Sperrerklärung eine Nachprüfung anhand dieser Begründung nicht möglich ist. Notwendige Konsequenz ist daher die Annahme einer bindenden Wirkung einer Sperrerklärung, soweit diese nicht offensichtlich unter erheblichen Fehlern leidet oder willkürlich erfolgt.281 Der bindende Verwaltungsakt führt aber zur Unerreichbarkeit des primären Beweismittels mit der weiteren strafprozessualen Folge, dass auf sekundäre Beweismittel zurückgegriffen werden kann. Bei dessen Verwertung ist allerdings der stark eingeschränkte Beweiswert dieses Beweismittels im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen und – wie auch sonst – im Zweifel strikt zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.282 Die von der nunmehr herrschenden Meinung283 vorgeschlagene Beschlagnahme der 96 gesperrten Beweismittel kommt nicht nur aus den eingangs genannten grundsätzlichen Erwägungen (vgl. Rn. 5 ff.) nicht in Betracht. Vielmehr muss auch hier berücksichtigt werden, dass die Abgrenzung einer rechtmäßigen Sperrerklärung, die ein Beschlagnahmeverbot zur Folge hat, und einer rechtswidrigen, welche die Beschlagnahme ermöglichen könnte, in der Praxis kaum realisierbar ist. Dies alles gilt grundsätzlich auch bei entlastenden Umständen. Entlastungsvorbringen 97 kann also weder bei rechtmäßiger noch bei rechtswidriger Sperrerklärung ohne weiteres als wahr unterstellt werden;284 eine solche Beweisregel kennt das deutsche Prozessrecht nicht. Das Entlastungsvorbringen ist aber auch nicht unerheblich. Die Aussage des Angeklagten ist ein Indiz. Auch insoweit gilt der Grundsatz, dass einzelne Indiztatsachen nicht isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden dürfen. Indizien stehen in wechselseitiger Abhängigkeit und sind deshalb stets einer Gesamtwürdigung zu unterziehen.285 Es ist
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BGHSt 36 159, 162. BGH NStZ 1989 282; BTDrucks. 12 989 S. 43; Janoschek 162 ff.; Geppert Jura 1992 244, 250 f.; Möhrenschlager wistra 1992 331. KK/Nack 30; s.a. BVerfG StV 1991 449 f.; abl. Erfurth 217 f. BGHSt 38 237 = JZ 1993 368 mit zust. Anm. Hilgendorf; KG NStZ 1989 541; OLG Hamm JMBlNRW 1985 66; LG Frankfurt StV 1994 475, 476; Meyer-Goßner 2,
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Kramer NJW 1984 1502; Janoschek 94 f.; H. E. Müller 58; a.A. Eb. Schmidt Vor § 94, 2. Vgl. aber LG Berlin StV 1986 96; LG Frankfurt StV 1994 475, 476; LG Münster StV 1983 97 f.; Bruns StV 1983 382, 385; Lüderssen FS Klug 538; J. Meyer ZStW 95 (1983), 859; H. E. Müller 67 ff., 75 ff. BGHSt 35 308, 316; BGH NStZ 1999 205; 1999 523.
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zusammen mit dem übrigen Beweisergebnis unter Abwägung aller belastenden und entlastenden Umstände zu überprüfen. Erscheint danach – aber erst danach – der behauptete Sachverhalt möglich, gilt – wie stets – „in dubio pro reo“.286 Im Übrigen hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Abwägung der in Widerstreit stehenden verfahrensrechtlichen Rechtsgüter bei der Beschränkung des Rechts auf umfassende Verteidigung aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften differenziert Stellung genommen.287
V. Sperrerklärung für Akten des jeweiligen Verfahrens? 98
§ 96 regelt unmittelbar nur den Fall, dass eine Strafverfolgungsbehörde für ein Strafverfahren Beweismittel einer anderen Behörde beiziehen will.
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1. Ermittlungsakten. Auch bezüglich der zu den Akten eines Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft gelangten Informationen ist eine Sperrerklärung zulässig.288 So ist schon nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in den Fällen der § 68 Abs. 3 und des § 110b Abs. 3 die Geheimhaltung von Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren bei der Aktenvorlage geboten. Im Rahmen repressiver Verbrechensbekämpfung bei der Polizei als „verlängertem Arm der Staatsanwaltschaft“289 angefallene Vorgänge stehen sachlich der Staatsanwaltschaft zu, die dafür auch die Verantwortung trifft. Dies gilt namentlich auch für Vertraulichkeitszusagen, Personalien und die Erkenntnisse Verdeckter Ermittler. Es ist aber offenkundig, dass gerade insoweit, wenn auch nur in engen Grenzen, ein Geheimhaltungsbedürfnis bestehen kann, dem nur durch eine Sperrerklärung der der Staatsanwaltschaft vorgesetzten obersten Dienstbehörde gegenüber dem Gericht und damit gegenüber der Öffentlichkeit analog § 96 Rechnung getragen werden kann. Soweit die Praxis hier Sperrerklärungen der der Polizei vorgesetzten obersten Dienstbehörde ausreichen lässt, ist dieses Verfahren rechtswidrig (vgl. Rn. 36).
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2. Beigezogene Akten. Entsprechendes gilt für Akten, die von der ermittelnden Staatsanwaltschaft beigezogen worden sind. Auch diese können gegenüber dem Gericht (und damit gegenüber der Öffentlichkeit) gesperrt werden.290 Zuständig ist die Behörde, der die Akten sachlich zustehen. Das ist bei Ermittlungsakten die für die Ermittlungen im Ausgangsfall zuständige Staatsanwaltschaft, bei ausschließlich präventivpolizeilich entstandenen Akten dagegen die Polizei.
101
3. Spurenakten.291 Auch für Spurenakten gilt nichts Besonderes. Diese können Ansätze für die Sachaufklärung durch das Gericht (§ 244 Abs. 2) ergeben; ihre Zurückbe-
286
287 288 289 290 291
BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung unzureichende 1; 2; 20; 24; BGHSt 25 285, 286; 35 308, 316; 36 286, 289; BGH NStZ 1999 205. BGH NJW 2007 3010 = NStZ 2007 649 = StV 2007 505. A.A. OLG Hamburg StV 1984 11. BVerwGE 47 255, 263. OLG Frankfurt NJW 1982 1409. Zum Problem der Akteneinsicht in Spurenakten BVerfGE 63 45 ff. = StV 1983 177 ff. mit Anm. Amelung = NStZ 1983 273 ff. mit
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Anm. K. Peters; BGHSt 30 131 ff. = StV 1981 504 ff. mit Anm. Dünnebier; BGH NStZ 1983 228; OLG Hamm NStZ 1984 423 ff. mit Anm. Meyer-Goßner; OLG Koblenz NJW 1981 1570; Götz Kriminalistik 1988 481 ff.; Beulke FS Dünnebier 285 ff.; Meyer-Goßner NStZ 1982 353 ff.; Wasserburg NJW 1980 2440 ff. und NStZ 1981 211 f.; Wieczorek Kriminalistik 1984 598 f.; zur Dauer der Aufbewahrung von Spurenakten Schnarr ZRP 1996 128 ff.; Erwiderung dazu von Schild ZRP 1997 256.
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haltung durch die Ermittlungsbehörden verkürzt die Aufklärungsgrundlage unter Umständen erheblich und ist in einem fairen Verfahren grundsätzlich unangemessen.292 Aber unabhängig davon, ob man der Auffassung folgt, dass mit der Anklageerhebung auch alle tatbezogenen Spurenakten dem Gericht nach § 199 Abs. 2 vorzulegen sind, oder ob man einen anderen Aktenbegriff vertritt, in jedem Fall können nach der hier vertretenen Auffassung im Ermittlungsverfahren selbst angefallene Erkenntnisse durch die oberste Dienstbehörde der Staatsanwaltschaft gesperrt werden.293
VI. Anfechtbarkeit der Sperrerklärung 1. Strafverfolgungsorgane. Den Strafverfolgungsorganen (Gericht, Staatsanwaltschaft, 102 am Verfahren beteiligte Behörden wie z.B. das Finanzamt) bleibt lediglich das Recht und nach § 244 Abs. 2 die Pflicht, bei ungenügender Begründung Gegenvorstellungen gegen die Sperrerklärung zu erheben.294 Ein eigenes Anfechtungsrecht haben sie nicht, da andernfalls ein „In-Sich-Prozess“ geführt werden müsste. Auch stehen den Strafverfolgungsorganen keine eigenen subjektiv-öffentlichen Rechte zu, aus denen sich ihre Widerspruchs- und Klagebefugnis ergeben könnte.295 2. Andere Verfahrensbeteiligte. Verfahrensbeteiligte, namentlich der Angeklagte,296 103 aber beispielsweise auch der Nebenkläger, können die Sperrerklärung anfechten. Sie ist ebenso wie die Versagung der Aussagegenehmigung ein Verwaltungsakt, bei der die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Rechtsweg nach § 23 EGGVG bereits deshalb ohne weitere Prüfung verneint hat, weil insoweit eine Maßnahme auf dem Gebiet des Beamtenrechts vorliege.297 a) Rechtsweg. Streitig war lange Zeit, ob bei der Sperrerklärung nach § 96 der 104 Rechtsweg nach § 40 VwGO zu den Verwaltungsgerichten oder nach § 23 EGGVG zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Literatur und Rechtsprechung dazu sind kaum mehr zu übersehen.298 aa) Anfechtung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Eine verbreitete Meinung auch in der 105 Rechtsprechung hielt wegen der Auswirkung der Sperrerklärung der Exekutive auf das Strafverfahren den Rechtsweg nach § 23 EGGVG für gegeben.299 Denn es handele sich
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Eindringlich Bender/Nack ZRP 1983 1 ff.; zur „Sachgebotenheit“ der Beiziehung der Spurenakten K. Peters NStZ 1983 275 f. Vgl. dazu OLG Hamm StV 1984 194. BVerfGE 57 250, 288; BGHSt 31 149, 1556; 31 290, 295; 32 115, 126; 33 83 ff.; 33 178, 180; 36 159 ff.; Geppert Jura 1992 244, 251; a.A. Eb. Schmidt Nachtr. I 6: Staatsanwaltschaft kann Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Haas 249. Näher Fezer FS Kleinknecht 113 ff.; die Effektivität dieses Rechtsschutzes bezweifeln aber etwa Erfurth 201 und Fezer 7/16. BVerwGE 34 252, 253; NJW 1983 638, was
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zumindest zweifelhaft erscheint; vgl. auch Hilger NStZ 1984 145. BGHSt 44 107, 111; BVerwG NJW 1984 2233; OLG Stuttgart NStZ 1985 136 mit Anm. Hilger; OLG Hamm NStZ 1990 44 ff. mit Anm. G. Schäfer; OLG Hamm NStZ 1998 316 (Vorlagebeschluss); VG Darmstadt NVwZ 1996 92 ff. Die Auffassung, die Sperrerklärung greife nicht in Rechte ein und sei deshalb nicht justiziabel (OLG Hamm MDR 1984 73; LR/Meyer23 17) wird heute nicht mehr vertreten. OLG Celle StV 1983 446; OLG Celle NStZ 1991 145; OLG Hamm NStZ 1985 566; NStZ 1990, 44 ff. mit Anm. G. Schäfer;
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bei den Sperrerklärungen ohne Rücksicht auf die Ressortzugehörigkeit der sperrenden Behörde bei funktionaler Betrachtungsweise um Justizverwaltungsakte. Den ordentlichen Gerichten komme zur Beurteilung der Sperrerklärung, die in das laufende Strafverfahren eingreife, größere Sachkunde zu.300
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bb) Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten. Demgegenüber vertritt das Bundesverwaltungsgericht301 auch für die Vorlage von Akten302 die Auffassung, es komme entscheidend nur auf die Rechtsnatur der angefochtenen Maßnahme – hier der Sperrerklärung – an, diese sei kein Akt der Strafrechtspflege, auch wenn die gesperrten Erkenntnisse im Rahmen eines Strafverfahrens gewonnen worden seien. Deshalb sei der Verwaltungsrechtsweg und nicht der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG gegeben. Dem haben sich – jedenfalls für Sperrerklärungen des Innenressorts – die Verwaltungsgerichte weitgehend und zum Teil auch die Strafgerichte angeschlossen,303 ebenso große Teile der Literatur.304 Auch der Bundesgerichtshof teilt nunmehr diese Ansicht,305 so dass der Streit für die Praxis geklärt ist. Der Bundesgerichtshof knüpft daran an, dass es regelmäßig um die Anfechtung einer Entscheidung des Innenministers306 geht, sofern Maßnahmen bezüglich der dem Innenressort unterstehenden Polizeibeamten oder polizeilich eingesetzten V-Personen in Frage stehen. Unabhängig von der Ressortzuständigkeit liege aber bereits funktional ein Handeln auf präventivpolizeilicher Entscheidungsgrundlage vor. Dass diese Auswirkungen auf das Strafverfahren wegen bereits begangener Straftaten habe, ändere am Ergebnis der funktionalen Betrachtung nichts. § 23 EGGVG sei daher als eine grundsätzlich nur ausnahmsweise einschlägige Sonderzuweisung des Rechtswegs an die ordentlichen Gerichte bei sachlicher Zuständigkeit der Oberlandesgerichte hier nicht einschlägig. Vielmehr sei nach der allgemeinen Regelung des § 40 Abs. 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Dieser Auffassung ist für jede Art der Sperrerklärung zuzustimmen. Für die Frage, ob 107 ein Justizverwaltungsakt nach § 23 EGGVG vorliegt, stellen die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur nämlich zu Recht auf eine funktionale Betrachtungsweise ab, das heißt, es soll unabhängig davon, von welcher Behörde die angefochtene
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OLG Hamm NStZ 1991 145; NStZ 1998 316 f.; OLG Hamburg JR 1982 434 mit Anm. Franzheim; OLG Hamburg NStZ 1984 11; OLG Stuttgart NJW 1985 77 mit Anm. Hilger; OLG Stuttgart NStZ 1985 136; OVG Lüneburg NJW 1984 940; OVG Münster NJW 1977 1790; VG Darmstadt StV 1982 415; VG München NStZ 1992 452; Klemme 277 ff.; vgl. auch OLG Hamm NStZ 1984 423 für die Verweigerung der Einsicht in Spurenakten; VGH Kassel NJW 1984 1253 (aufgehoben durch BVerwG NJW 1984 2233) stellte darauf ab, ob die herauszugebenden Akten im Rahmen repressiver oder präventiver Verbrechensbekämpfung entstanden sind. S. auch BTDrucks. III 55 S. 61; Klemme 277. BVerwGE 47 255; 66 192; 69 192; 75 1; vgl. zu dieser Rechtsprechung Klemme 275 f. In der Sache NJW 1984 2233 ging es um
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Akten des Landeskriminalamts mit Aussagen über Einsatzgrundsätze, Auswertungsund Bekämpfungssysteme, aus denen sich die V-Mann-Eigenschaft eines Belastungszeugen ergeben sollte, in der Sache DVBl. 1984 836 ging es um Akten des Verfassungsschutzes. OVG Berlin Beschl. vom 27. November 1996 – 4 S 363/96; VGH Mannheim NJW 1991 2097; VGH Mannheim NJW 1994 1362 ff. VGH München StV 1993 460 f.; VG Darmstadt NVwZ 1996 92 ff.; VG Frankfurt NJW 1991 120; ebenso OLG Hamm NJW 1973 1089; KG StV 1996 531; a.A. OVG Lüneburg NJW 1984 940; VG München NStZ 1992 452. Geppert Jura 1992 244, 251; Meyer JR 1984 297. BGHSt 44 107; dazu der Vorlagebeschluss KG StV 1996 531. Zur Ressortzuständigkeit BGHSt 41 36.
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Maßnahme ausgeht, die Rechtsnatur der Maßnahme (hier: die Verweigerung der Aktenvorlage oder Auskunft) maßgebend sein.307 Nach diesen Grundsätzen ist die Sperrerklärung gemäß § 96 kein Justizverwaltungs- 108 akt im Sinne des § 23 EGGVG, denn sie schränkt die auf allgemeinem öffentlichen Recht beruhende Amtshilfe nach Art. 35 GG aus Gründen des Staatswohls zum Zweck der Gefahrenabwehr und damit aus präventiv-polizeilichen Gründen308 ein. Die Sperrerklärung hat zwar Auswirkungen auf die Strafrechtspflege, die bei der Abwägung auch zu beachten sind, sie ist selbst aber kein Akt der Strafrechtspflege. Dies gilt ausnahmslos. Insbesondere findet dieser Grundsatz auch dann Anwendung, wenn im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens erworbene Erkenntnisse für dieses Verfahren selbst gesperrt werden. Auch in diesem Fall hat die Sperrung selbst ausschließlich präventiven, also ausschließlich polizeilichen Charakter, mag sie auch durch die einer Strafverfolgungsbehörde vorgesetzte oberste Dienstbehörde erfolgen. b) Klagebefugnis. Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) des Angeklagten ergibt 109 sich aus seinem Anspruch auf ein faires Verfahren,309 denn durch die Sperrerklärung wird das Gericht auf sachfernere und damit weniger qualifizierte Beweismittel verwiesen. Deshalb ist die Klagebefugnis auch dann gegeben, wenn der Angeklagte die Beiziehung des gesperrten Beweismittels nicht begehrt hatte. c) Das Rechtsschutzbedürfnis besteht ohne weiteres bis zur Rechtskraft des Urteils, 110 das in dem Verfahren ergeht, in dem der Zeuge gehört werden sollte, da bis zu diesem Zeitpunkt eine Verwertung, u.U. nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, möglich ist.310 Es besteht aber zur Erlangung eines Wiederaufnahmegrunds auch über die Rechtskraft des Urteils hinaus.311 d) Die Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Klage hängt nach der Rechtspre- 111 chung von der Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung ab. Dafür kommt es darauf an, ob von der zuständigen obersten Dienstbehörde Gründe geltend gemacht und im Rahmen des Möglichen belegt sind, welche die Feststellung zulassen, dass die Weigerung, dem Strafgericht eine Vertrauensperson nicht als Zeuge zur Verfügung zu stellen, aus einem gesetzlichen Hinderungsgrund unumgänglich ist.312 Dabei kann auch die Beweislage und die Beweisbedeutung der gesperrten V-Person eine Rolle spielen.
VII. Revision 1. Fehlen einer (wirksamen) Sperrerklärung. Lehnt das Gericht die Beiziehung eines 112 Beweismittels als unerreichbar ab, ohne eine Sperrerklärung herbeizuführen oder auf deren ausreichende Begründung zu drängen, kann bei Ablehnung eines Beweisantrags ein
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BVerwGE 47 255, 259; 69 192, 195; BGHSt 28 206, 209; KG StV 1996 531, 532. Ebenso H. Schäfer GA 1986 49, 58. BVerfGE 57 250; OVG Berlin StV 1984 280 für die Klage auf Erteilung der Aussagegenehmigung; OLG Hamburg JR 1982 434 mit Anm. Franzheim; offengelassen VG Darmstadt NVwZ 1996 92 ff.; a.A. noch LR/Meyer 23 § 96, 17.
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OVG Berlin StV 1984 280. OLG Hamm Beschl. vom 20. August 1992 – 1 VAs 1/92 – verlangt dann aber eine neue Entscheidung der Behörde anstelle der „prozessual überholten“ alten Sperrerklärung. BVerwGE 75 1, 8; OVG Oldenburg NJW 2001 1665; VGH Mannheim NJW 1994 1362 f.
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Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2,313 im Übrigen ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2314 vorliegen, und zwar auch dann, wenn nach Erlass des Urteils eine Sperrerklärung erfolgt.315 Die Aufklärungspflicht kann auch dadurch verletzt sein, dass das Tatgericht es unterlässt, von der Staatsanwaltschaft, der die Identität des Informanten bekannt ist, Auskunft über Namen und Anschrift dieses Zeugen zu verlangen; dies gilt selbst dann, wenn die Erteilung einer Aussagegenehmigung an den sachbearbeitenden Staatsanwalt bezüglich dieser Information versagt worden war.316 Von der Vernehmung des von der Exekutive geheimgehaltenen Zeugen ist aber abzusehen, wenn eine Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen droht.317 Bedient sich das Gericht bei Fehlen einer (wirksamen) Sperrerklärung eines Beweis113 surrogats oder sonst eines Verfahrens, das bei wirksamer Sperrerklärung zulässig wäre, liegt ein Verstoß gegen die jeweilige Verfahrensvorschrift vor. Erfolgte die Sperrerklärung durch die falsche Behörde (vgl. Rn. 76), ist § 96 selbst verletzt und es kommt nicht darauf an, ob die richtige Behörde gleich oder anders entschieden hätte.
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2. Verwertung eines wirksam gesperrten Beweismittels. Hat das Gericht ein nach der vorliegenden Vorschrift wirksam gesperrtes Beweismittel gleichwohl erlangt und verwertet, so kann – ebenso wie bei § 54 – darauf grundsätzlich weder der Angeklagte noch die Staatsanwaltschaft die Revision stützen, weil durch die Verwertung der Geheimnisschutz bereits verletzt ist.318 Insofern kann für die Frage der Verwertbarkeit des erhobenen Sachbeweises Ähnliches gelten wie im Fall des Verstoßes gegen § 81a StPO. Auch dort ist der nicht durch ein Verwertungsverbot heilbare Normverstoß für sich genommen grundsätzlich kein Anlass für die Annahme der Unverwertbarkeit des fehlerhaft erhobenen Sachbeweises.319 Der Normzweck der vorliegenden Vorschrift gebietet es nicht, aus der Verletzung der behördlichen Geheimsphäre ein Beweisverwertungsverbot abzuleiten. Denn auch dadurch kann der Mangel nicht angemessen ausgeglichen werden. Eine Ausnahme könnte nach den in der Rechtsprechung zu § 81a StPO aufgestellten Regeln aufgrund des Anspruchs des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren allerdings dann gelten, wenn bewusst gegen ein sich nach der hier vertretenen Auffassung aus dem behördenbezogenen Beschlagnahmeverbot (Rn. 5 ff.) ergebendes Beweiserhebungsverbot verstoßen worden wäre; jedoch ist aus der Sicht der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze der Rechtskreis des Angeklagten weder von der Amtshilfepflicht320 noch der als Ausnahme dazu aufgestellten Sperrungsmöglichkeit berührt.321 Allerdings wäre es denkbar, dass das von § 96 geschützte Dienstgeheimnis nach fehlerhafter Beweis-
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BGHSt 29 390; 30 34; 35 82; BGH StV 2001 214; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 8. BGHSt 32 115, 123; 41 36; BGHR StPO § 96 Informant 2 und § 244 Abs. 2 Informant 1. BGH MDR 1983 949. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Informant 1. BGHSt 39 141 ff. = JZ 1993 1012 f. mit Anm. Beulke = JR 1994 250 f. mit Anm. Siegismund. Alsberg/Nüse/Meyer 505; Grünwald JZ 1966 498; Meyer-Goßner 15; a.A. Eb. Schmidt Nachträge I 6, weil der Ange-
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klagte durch jeden Rechtsfehler in seinen Rechten verletzt sei, ebenso Schlüchter 306.1, die auch schon aus dem Beweiserhebungsverbot auf die Revisibilität schließt. BGHSt 24 125, 128. In anderem Zusammenhang hat das BVerwG Urt. vom 26. August 1988 – 11 VR 4/98 – ausgeführt, dass die Amtshilfepflicht der Behörden „nicht dem Schutz einzelner verfahrensbeteiligter Dritter, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Verwirklichung der Verwaltungsaufgaben“ dient. Meyer-Goßner 15.
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erhebung, gegebenenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 172 GVG), in der öffentlichen Urteilsbegründung vertiefend verletzt werden könnte. In diesem Sonderfall kann der Schutzzweck der vorliegenden Vorschrift die Annahme eines Beweisverwertungsverbots gebieten. 3. Nichtverwertung eines erreichbaren Beweismittels wegen der behördlichen Sper- 115 rung. Wird in einem Beweisantrag ein Zeuge benannt, der mit einer gesperrten Person identisch sein kann, so ist die beantragte Beweiserhebung noch nicht alleine wegen der Sperrung unzulässig.322 Die mit der Sperrerklärung gegebenenfalls einhergehende Vertraulichkeitszusage der Behörde gegenüber dem Informanten bindet das Strafgericht nicht. Die Verteidigung kann die Identität des Zeugen auch selbst ermitteln und gegebenenfalls den Zeugen sogar im Sinne des § 245 selbst laden. Auch die rechtmäßige Sperrerklärung führt dann nicht zu einem vom Gericht zu beachtenden Beweisverbot,323 sofern kein Aussageverweigerungsrecht gemäß § 54 eingreift.324 Kann das Gericht den Zeugen laden oder wird er von der Verteidigung gestellt, so ist Beweis zu erheben, soweit das Beweisantragrecht der § 244 Abs. 3 Satz 2, § 245 oder die Aufklärungspflicht325 es gebietet.326 Jedoch kann auch das Gericht selbst von der Ladung und Vernehmung im Fall der Erreichbarkeit absehen, wenn dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen droht;327 denn das Gericht hat gegenüber dem Zeugen eine Fürsorgepflicht. Die Nichtvernehmung des gefährdeten Zeugen bedarf gegebenenfalls der Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung. 4. Unterlassene Aussetzung. Hat das Verwaltungsgericht bei der Überprüfung der 116 Sperrerklärung den Vorrang vor dem Strafgericht, so kommt die Aussetzung der Hauptverhandlung in Betracht,328 wenn der Angeklagte eine verwaltungsgerichtliche Klage erhebt, um die Aufhebung der Sperrerklärung zu erreichen. Die Aussetzung ist jedoch nur dann geboten, wenn die verwaltungsgerichtliche Klage aus der Sicht des Strafgerichts Aussicht auf Erfolg verspricht. Andernfalls muss das Strafgericht nicht eine gegebenenfalls längere Verzögerung seines Verfahrens hinnehmen, um den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten und hiernach voraussichtlich vor der gleichen Beweislage zu stehen. Hat der Angeklagte eine Sperrerklärung gerichtlich angefochten, und hat das erkennende Gericht den Ausgang dieses Verfahrens nicht abgewartet, so kann dies auch nur ganz ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) oder der fehlenden Rücksichtnahme auf die Belange der Verteidigung329 die Revision begründen, wenn das erkennende Gericht die Sperrerklärung für rechtswidrig hält, Gegenvorstellungen erfolglos blieben und das Urteil – bei einer entlastenden Tatsache – darauf beruht, weil es nicht von der behaupteten entlastenden Tatsache ausging.330 Maßgebliche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Aus-
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BGHSt 39 141 ff. = JZ 1993 1012 f. mit Anm. Beulke/Satzger = JR 1994 250 f. mit Anm. Siegismund. BGHSt 35 82; 39 141; BGH StV 1993 113; zust. Beulke/Satzger JZ 1993 1013, 1015. Gomolla 130 ff. BGHSt 39 141; BGH NStZ 1993 248; Erfurth 181. Zu den Voraussetzungen für eine gegen die Nichtvernehmung eines Auslandszeugen
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und die Beweiswürdigung bei Zeugnis vom Hörensagen gerichteten Verfassungsbeschwerde in anderem Zusammenhang vgl. BVerfG StV 1997 1 ff. mit abl. Anm. Kinzig. BGHSt 36 159, 163; 39 141. Vgl. BGH NStZ 1985 466, 467 f., Fezer JuS 1987 358; Taschke 301 ff. BGH NStZ 1985 465. Vgl. auch Alsberg/Nüse/Meyer 457.
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setzung sind die Wahrheitsermittlung (Beweisbedeutung des Informanten, Chancen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) einerseits und der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung (Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) andererseits.331
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5. Fehler in der Beweiswürdigung. Auf die Sachrüge prüft das Revisionsgericht, ob der Tatrichter bei der Beweiswürdigung332 dem begrenzten Beweiswert mittelbarer Beweismittel ausreichend Rechnung getragen hat333 (s.a. Rn. 1, 24, 70 mit Nachweisen). Im Fall von Sperrerklärungen, deren Abänderung vom Tatgericht nicht erreicht wird, kann das Tatgericht bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, dass die Exekutive eine erschöpfende Beweisaufnahme durch Sperrung eines Beweismittels verhindert hat und es den Verfahrensbeteiligten unmöglich macht, die persönliche Glaubwürdigkeit des im Dunkeln befindlichen Informanten oder Fahnders zu überprüfen.334 Im Übrigen ist Vorsicht bei der Würdigung der Aussagen anonymer Auskunftspersonen, die durch Zeugen vom Hörensagen oder Urkundenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, geboten. Auf eine solche Aussage allein kann eine Feststellung nicht gestützt werden, da generelle Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe nicht ausgeräumt werden können. Erforderlich ist das Hinzutreten weiterer wichtiger Indizien, die außerhalb des Aussageinhalts gefunden werden müssen, damit das Urteil auf eine ausreichend sichere Tatsachengrundlage gestützt werden kann.335
§ 97 (1) Der Beschlagnahme unterliegen nicht 1. schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach § 52 oder § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b das Zeugnis verweigern dürfen; 2. Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt; 3. andere Gegenstände einschließlich der ärztlichen Untersuchungsbefunde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten erstreckt. (2) 1Diese Beschränkungen gelten nur, wenn die Gegenstände im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind, es sei denn, es handelt sich um eine elektronische Gesundheitskarte im Sinne des § 291a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. 2 Der Beschlagnahme unterliegen auch nicht Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und
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BGH NStZ 1985 465; StraFo 2007 25. Zur Verteidigung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung Nack StV 1994 555 ff. BGH StV 1986 193. BGH NStZ 1989 282; NStZ 1994 502; StV 1994 413; StV 1994 638. BGHSt 17 382, 385 f.; 33 83, 88; 33 178, 181; 36 159, 166; 39 141, 145 f.; 42 15, 25; 45 312, 340; 49 112, 121 ff.; BGHR StPO § 261 Zeuge 13, 15, 16, 17 und Überzeu-
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gungsbildung 27; BGH StV 1996 583 f.; OLG Köln StV 1994 289, vgl. zur Verletzung des Art. 6 EMRK im Zusammenhang mit „anonymen Zeugen“ EGMR StV 1990, 481; 1991, 193; 1992, 499; 1997, 617, ebenso BVerfGE 57, 250, 273; vgl. ferner Kammerbeschluss vom 9. März 1988 – 2 BvR 301/88 –; NJW 1992 168; NJW 1995 448, NJW 1996 448; NJW 1997, 999, G. Schäfer StV 1995, 147, 152.
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Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt oder eines Dienstleisters, der für die Genannten personenbezogene Daten erhebt, verarbeitet oder nutzt, sind, sowie Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und 3b genannten Personen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam der in dieser Vorschrift bezeichneten Beratungsstelle sind. 3Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren. (3) Die Absätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, soweit die Hilfspersonen (§ 53a) der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten das Zeugnis verweigern dürfen. (4) 1Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Gegenständen unzulässig. 2Dieser Beschlagnahmeschutz erstreckt sich auch auf Gegenstände, die von den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 genannten Personen ihren Hilfspersonen (§ 53a) anvertraut sind. 3Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Hilfspersonen (§ 53a) der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 genannten Personen das Zeugnis verweigern dürfen. (5) 1Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken, Ton-, Bild- und Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen, die sich im Gewahrsam dieser Personen oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden, unzulässig. 2 Absatz 2 Satz 3 und § 160a Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend, die Beteiligungsregelung in Absatz 2 Satz 3 jedoch nur dann, wenn die bestimmten Tatsachen einen dringenden Verdacht der Beteiligung begründen; die Beschlagnahme ist jedoch auch in diesen Fällen nur zulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Schrifttum (Auswahl) Ackermann Zur Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwaltes in Strafsachen, DJT-FS 479; Amelung Einwilligung bei strafprozessualen Grundrechtsbeeinträchtigungen (1984); ders. Grenzen der Beschlagnahme notarieller Unterlagen, DNotZ 1984 195; App Maßnahmen bei einer Beschlagnahme in Steuersachen. Mustergültige Gestaltungen, Information StW 1992 351; Bär Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996 675, 744; ders. Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren (1992), S. 278 ff.; ders. Polizeilicher Zugriff auf kriminelle Mailboxen, CR 1995 489; Bandisch Mandant und Patient, schutzlos bei Durchsuchungen von Kanzlei und Praxis? NJW 1987 2200; Bauer Anmerkung zur Entscheidung des LG Hamburg vom 15.10.2010 (Az: 608 Qs 18/10; StV 2011, 148) – „Zur Frage der Beschlagnahmefreiheit für Unterlagen eines mit internen Ermittlungen beauftragten Rechtsanwalts“, StV 2012 277; Baur Mangelnde Bestimmtheit von Durchsuchungsbeschlüssen, wistra 1983 99; Bauwens Schutz der Mandantenakten bei Durchsuchungen in der Kanzlei des Steuerberaters, wistra 1988 100; Beukelmann Beschlagnahme von Mitteilungen zwischen Anwälten und Mandanten, NJW-Spezial 2012 504; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980); ders. Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen, FS Lüderssen 693; ders. Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen, ZStW 103 (1991), 657; Birmanns Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen bei dem Steuerberater, MDR 1981 102; Bittmann Zur Befreiung eines für eine Juristische Person tätigen Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht, wistra 2012 173; Bornheim Steuerfahndung, Steuerstrafverteidigung. Durchsuchung, Beschlagnahme, Verhaftung, Befugnisse der Steuerfahndung,
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Selbstanzeige, Verteidigungsstrategien (1998); Brenner Zur Beschlagnahmefähigkeit von Buchhaltung und Bilanzen beim Steuerberater, BB 1984 137; Bringewat Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeprivileg des Verteidigers, NJW 1974 1740; ders. Grenzen der Beschlagnahmefreiheit im Ermittlungsverfahren nach dem GWB, BB 1974 1559; Brodowski Strafprozessualer Zugriff auf E-Mail-Kommunikation, JR 2009 402; Brosius-Gersdorf Dienstgeheimnis versus Presse- und Rundfunkfreiheit. Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den Medien wegen Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen, AfP 1998 25; Burkhard Beschlagnahmeprivileg von Steuerberater-Handakten Stbg 2001 449; Creifelds Die Beschlagnahme von Handakten des Verteidigers, GA 1960 65; Dencker Besprechung von Aufsätzen zum Straf- und Strafprozeßrecht, NStZ 1982 459; Dörr Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Medienunternehmen, AfP 1995 378; Dünkel Beschlagnahme – Durchsuchung (1976); Felix/Streck Rechtsstaatswidrige Verwaltungsanweisungen, wistra 1982 165; Fezer Grundfälle zum Verlesungs- und Verwertungsverbot im Strafprozeß, JuS 1978 767; Fiala Die Handakte des Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers und Rechtsanwalts, DStR 1998 694, 736; Flöhr Zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalitätsverläufe im Strafprozeßrecht – OLG Zweibrücken – Urt. vom 14.5.1993 – 1 Ss 58/93 –. Jura 1995, 131; Freund § 97 II n.F. StPO – eine ungewollte Gesetzesänderung? NJW 1975 2057; ders. Wirtschaftskriminalität und Beschlagnahmeprivileg, NJW 1976 2002; Fuss Pressefreiheit und Geheimnisschutz, NJW 1962 2225; v. Galen Anmerkung zum Beschluss des LG Hamburg vom 15.10.2010 (Az: 608 Qs 18/10; NJW 2011, 942), NJW 2011 945; Gehre Wirtschaftskriminalität und Beschlagnahmeprivileg, NJW 1977 710; Gehrmann/Kindler Checkliste: Durchsuchung und Beschlagnahme in der Kanzlei des Steuerberaters, PStR 2010 64; Geppert Beschlagnahme von Schadenakten privater (Kraftfahrzeug-)Haftpflichtversicherer im (Verkehrs-)Strafprozeß, DAR 1981 301; Gercke Durchsuchungen in Anwaltskanzleien, PStR 2008 292; Gillmeister Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (1985); Göggerle Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, BB 1986 41; Göppinger Die Entbindung von der Schweigepflicht und die Herausgabe oder Beschlagnahme von Krankenblättern, NJW 1958 241; Gössel Anmerkung zu BGH, Urteil vom 27. März 2009 (2 StR 302/08, NStZ 2009, 517), NStZ 2010 288; ders. Die Beweisverwertungsverbote im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, GA 1991 483; ders. Der Schutz der Medienfreiheit im Strafverfahren, in „Medienfreiheit und Strafverfolgung“, Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität Köln, Band 38 (1985); Groß Zum journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht, ZUM 1994 214; Gross Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeprivileg, ArchPR 1965 542; Grube Der Schutz der Verteidigerpost, JR 2009 362; Gülzow Beschlagnahme von Unterlagen der Mandanten bei deren Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern, NJW 1981 265; Gutmann Anspruch auf Herausgabe von Arbeitspapieren des Wirtschaftsprüfers, BB 2010 171; Haffke Einschränkung des Beschlagnahmeprivilegs des Verteidigers durch den Rechtsgedanken der Verwirkung? NJW 1975 808; Haffke Zum Rechtsschutz bei bevorstehender richterlicher Durchsicht beschlagnahmefreier Papiere, NJW 1974 1983; Hassemer Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, wistra 1986 1; Hebenstreit Beschlagnahme beim Abgeordnetenmitarbeiter, NJW Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag 2002 33; Heilmaier Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen des Mandanten bei seinem StB, WP oder RA, DStR 1980 519; Heinrich Zur Operationsvorbereitung entnommene Blutproben als Beweismittel im Strafprozeß. Zugleich ein Beitrag zur Problematik hypothetischer Ermittlungsverläufe (1996); Herdegen Zur Beschlagnahme und Verwertung schriftlicher Mitteilungen im Gewahrsam von Angehörigen des Beschuldigten (§§ 52, 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 StPO), GA 1963 141; v. Hippel Über Grenzen der Beschlagnahme, ZStW 47 (1927) 523; Höhne Schutz des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwälten durch besondere Anforderungen an Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, jurisPR-ITR 23/2010 Anm. 6; Höser Nochmals: Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen bei dem Steuerberater – Entgegnung auf den Beitrag von Birmanns, MDR 1981 S. 102 f., MDR 1982 535; Huppertz Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot zugunsten des Rundfunks im Strafprozess (1971); Jahn Die verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, ZIS 2011 453; Janssen, Beschlagnahme von Buchungsunterlagen in den Räumen des Steuerberaters bei Außenprüfung, jurisPR-StrafR 11/2010 Anm. 4; Joecks Die Stellung der Kreditwirtschaft im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Kunden, WM IV Sonderbeilage 1998; Jung Durchsuchung und Beschlagnahme in Medienangelegenheiten, AfP 1995 375; Kasiske Neues zur
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Beschlagnahme von E-Mails beim Provider, StraFo 2010 228; Kelnhofer Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote (1994); Klug Presseschutz im Strafprozeß (1965); Kohlhaas Zur Beschlagnahme von Arztakten nach Entbindung von der Schweigepflicht, JR 1958 328; ders. Die strafprozessuale Verwertbarkeit beschlagnahmter Krankenblätter, NJW 1962 670; ders. Herausgabepflicht und Beschlagnahme ärztlicher Aufzeichnungen, NJW 1964 1162; Kneuer Der Schutz der Geheimsphäre der Verteidigung. Das Recht auf ungehinderte Kommunikation zwischen Klient und Verteidiger (§§ 148, 148a StPO), Diss. Bonn 1992; Krämer Das „Verteidigerprivileg“ der §§ 97, 54 StPO im Ermittlungsverfahren nach dem GWB aus verfassungsrechtlicher Sicht, BB 1975 1225; Krekeler Beeinträchtigungen der Rechte des Mandanten durch Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt, NJW 1977 1417; ders. Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983 43; ders. Zufallsfunde bei Berufsgeheimnisträgern und ihre Verwertbarkeit, NStZ 1987 199; Krekeler/Schonard Der Berufshelfer im Sinne des § 53 StPO, wistra 1998 137; Kremer/Voet van Vormizeele Neues Rollenverständnis für Syndikusanwälte und das Anwaltsprivileg, AG 2011 245; Krüger Zeitliche Geltung des Beschlagnahmeverbots, jurisPKStrafR 13/2012 Anm. 1; Kunert Beschlagnahme von Geschäftspapieren, die nach Gesetz aufzubewahren sind, bei den nach § 53 Abs. 1 Nr. 2, 3 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, MDR 1973 179; Kunert Erweitertes Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter, NStZ 2002 169; Kutzner Die berufliche Stellung des Steuerberaters im Lichte des Strafprozessrechts, DStZ 2006 761; Lange Zur Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen beim Verteidiger, AWRdsch. 1963 101; Lenckner/Schumann/Winkelbauer Selbstanzeige im Steuerrecht, wistra 1983 176; Löffler Lücken und Mängel im neuen Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmerecht von Presse und Rundfunk, NJW 1978 913; ders. Presserecht (1997); Lohmeyer Für den Steuerberater bedeutsame Fragen im Zusammenhang mit der Durchsuchung und Beschlagnahme, Der Steuerberater 1982 1; ders. Verwertungsverbote im Steuerfahndungs- und Betriebsprüfungsverfahren, Der Steuerberater 1982 151; Frank Lucien Lorenz Beschlagnahme von Krankenunterlagen – Prozessuale Anmerkungen zur Memmingen-Entscheidung des BGH, MDR 1992 313; Lund/Marose Anwaltsprivileg bei Syndikusanwälten, RIW 2010 803; Mack Die Steuerfahndung: Eingriff/Durchsuchung/Ermittlungen/ Spezialfall: Banken, in: Der Eingriff der Steuerfahndung 1998 79; Mack Erscheinen der Steuerfahndung in der Beraterpraxis, DStR 2011 53; Mann Anwaltsprivileg und Zeugnisverweigerungsrecht des unternehmensinternen Syndikus, DB 2011 978; Hellm. Mayer Inwieweit ist Beweismaterial in der Hand des Verteidigers beschlagnahmefrei? SchlHA 1955 348, Meeger Die Beschlagnahme von Schadensakten der Haftpflichtversicherer unter dem Blickwinkel verfassungsrechtlicher Zulässigkeit, VersR 1974 945; Mehle Bastian/Mehle Volkmar Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen – insbesondere in Kartellbußgeldverfahren, NJW 2011 1639; Bernd-Dieter Meier Strafprozessuale Probleme der Computerkriminalität, wistra 1992 166; Michalowski Schutz der Vertraulichkeit strafrechtlich relevanter Patienteninformationen, ZStW 109 (1997) 519; Mitsch Mitbeschuldigter und Zeugnisverweigerungsrecht, FS Lenckner, 721; Müller-Dietz Die Beschlagnahme von Krankenblättern im Strafverfahren, Diss. Freiburg 1965; Norouzi Anmerkung zu BGH, Urteil vom 27. März 2009 (2 StR 302/08, StV 2010, 667), StV 2010 670; Ost Zur Beschlagnahme des Testaments eines Klienten beim Berufsgeheimnisträger, wistra 1993 177; Palm Mailboxen – Staatliche Eingriffe und andere rechtliche Aspekte, NJW 1996 1791; Pestke Die Beschlagnahme von Buchhaltungsunterlagen beim Steuerberater, Steuerberatung 1986 39; Peters/Klingberg Die Entbindung von der Schweigepflicht bei Wirtschaftsprüfern und gemischten Sozietäten durch juristische Personen, ZWH 2012 11; Petry Beweisverbote im Strafprozess (1971); Pfander Beschlagnahme von Anwaltsakten im Rahmen eines Enqueteverfahrens? NJW 1970 314; von der Pfordten Beschlagnahme und Durchsuchung bei Abgeordneten, LZ 1923 208; Pöppelmann/Steffen „Kunstgriffe“ der Justiz. Ein Plädoyer für die Änderung des Zeugnisverweigerungsrechts für Beschäftigte bei Presse und Rundfunk, AfP 1997 485; Priebe Die Entbindung des Wirtschaftsprüfers und des Steuerberaters von der Schweigepflicht durch den Insolvenzverwalter, ZIP 2011 312; Quack Sinn und Grenzen anwaltlicher Unabhängigkeit heute, NJW 1975 1342; Rau Beschlagnahme von elektronischen Daten bei Rechtsanwälten und Steuerberatern, WM 2006 1281; Rau Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen im Zusammenhang mit Rechtsanwalts- und Notaranderkonten, wistra 2006 410; Reiß Die Beschlagnahme von notariellen Urkunden durch Strafverfolgungsorgane, MittBayNot 1994 518; Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht. Grundlagen, Reformfragen und Stellung im System der Beweisverbote und im Revisionsrecht (1979,
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zugleich Diss. Freiburg); Rogall Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Mandatsträgern, NStZ 2009 Sonderheft 37; Rotsch Der Schutz der journalistischen Recherche im Strafprozeß (2000); Roxin Das Beschlagnahmeprivileg des Syndikusanwalts im Lichte der neuesten Rechtsentwicklung, NJW 1995 17; Ruhmannseder Die Vertrauensbeziehung zwischen Strafverteidiger und Mandant – (k)ein beschlagnahme- und beleidigungsfreier Raum? NJW 2009 2647; Rütters Verfassungsmäßige Differenzierung beim Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts von Berufsgeheimnisträgern, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 2; G. Schäfer Einige Fragen zur Verjährung in Wirtschaftsstrafsachen, FS Dünnebier 541; ders. Zum Schutz der Verteidigung gegen Zugriffe der Strafverfolgungsorgane FS Hanack 77; H. Schäfer Der Konkursverwalter im Strafverfahren, wistra 1985 209; K. Schäfer Einige Bemerkungen zu dem Satz „nemo tenetur se ipsum accusare“, FS Dünnebier 11; Schmedding Beschlagnahme eines Testaments in amtlicher Verwahrung des badischen Amtsnotars, wistra 1998 36; Rolf Schmidt Die Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Absatz 2 Satz 3 1. HS StPO. Eine Untersuchung zum Recht der Beschlagnahme beim der strafrechtlichen Verstrickung verdächtigen Zeugnisverweigerungsberechtigten unter besonderer Berücksichtigung der Stellung des Strafverteidigers (1989) auch Diss. Bayreuth; Schmidtobreick Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot, Sucht 1992 353; Petra Schmitt Probleme des Zeugnisverweigerungsrechts (§ 53 I Nr. 3 StPO, § 383 Nr. 6 ZPO) und des Beschlagnahmeverbots (§ 97 StPO) bei Beratern juristischer Personen – zugleich ein Beitrag zu der Entbindungsbefugnis des Konkursverwalters, wistra 1993 9; Schmitz Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen beim Steuerberater, RWP 1991/ 1204 SG 4.1, 191; Schröder/Kroke Erosion der strafprozessualen Stellung des Wirtschaftsprüfers durch das Berufsaufsichtsrecht? wistra 2010 466; Svenja Schröder Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß (1992), zugleich Diss. Passau 1991; Schumann Zur Beschlagnahme von Mandantenunterlagen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, wistra 1995 50; Schuster Anmerkung zum Beschluss des LG Hamburg vom 15.10.2010 (608 Qs 18/10, NZWiSt 2012, 26), NZWiSt 2012 28; Sdrenka Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, von Handakten und von Verteidigerpost beim Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwalt, StB 1990 334; Seibert Können Handakten eines Rechtsanwalts beschlagnahmt werden? JZ 1951 584; Siegrist Ermittlungen in Steuer- und Wirtschaftsstrafsachen – Quo Vadis? wistra 2010 427; Spelthahn Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, Diss. Bochum 1997; Stahl Beschlagnahme von Anderkonten von Berufsgeheimnisträgern bei Kreditinstituten, wistra 1990 94; Starke Beschlagnahme von im Auftrag des Beschuldigten erstellten Sachverständigengutachten, Rudolphi-Symposium (1995) 81; Steinhauff Durchsuchung einer Notarkanzlei im Rahmen eines gegen Dritte geführten Steuerstrafverfahrens, jurisPR-SteuerR 27/2012 Anm. 1; Stenger Mailboxen. Probleme der Beweissicherung in Strafsachen, CR 1990 786; Stypmann Rechtliche und tatsächliche Probleme bei staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmehandlungen, wistra 1982 11; Volk Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen beim Steuerberater DStR 1989 338; Waldowski Durchsuchung und Beschlagnahme in der Anwaltskanzlei, AnwBl. 1975 106; Wehnert Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen eines Wirtschaftsprüfers, StV 2002 69; Weiler Strafprozessuale Verwertbarkeit von privatrechtlich entnommenen Blutproben, die in einem Krankenhaus beschlagnahmt werden, MDR 1994 1163; Weinmann Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen des Beschuldigten bei Zeugnisverweigerungsberechtigten. – Rückschau und Ausblick, FS Dünnebier 199; Weißer Zeugnisverweigerungsrechte und Menschenwürde als Schutzschild gegen heimliche strafprozessuale Zugriffe auf Kommunikationsinhalte? GA 2006 148; Welp Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihren strafprozessnalen Funktionen, FS Gallas 391; ders. Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote – Anmerkungen zum Alternativentwurf „Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit“ (AE-ZVR), FS Bemmann 626; Werle Schutz von Vertrauensverhältnissen bei der strafprozessualen Fernmeldeüberwachung? JZ 1992 482; Wessing Die Rechtsstellung des Unternehmensanwalts im Strafrecht, ZWH 2012 6; ders. Zeugnisverweigerungsrechte ausländischer Strafverteidiger, wistra 2007 171; Wilhelm Beschlagnahme von Gegenständen, die einem Rechtsanwalt (Verteidiger) von seinem Mandanten übergeben sind, NJW 1959 1716; Winklbauer Der Rechtsschutz gegen die Durchsuchung einer Steuerberaterkanzlei, DStR 1978 693; Winterhoff Kanzleidurchsuchungen im Lichte von Grund- und Menschenrechten, AnwBl. 2011 789; Wohlers Anmerkung zu BGH, Urteil vom 27. März 2009 (2 StR 302/08, JR 2009 519), JR 2009 523.
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Entstehungsgeschichte1 1. Die in Anlehnung an Art. 134 Abs. 2 der württembergischen Strafprozessordnung2 geschaffene Vorschrift lautete ursprünglich als § 87 RStPO: „Schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu ihm nach §§ 52, 53 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, unterliegen der Beschlagnahme nicht, falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und diese nicht einer Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig sind.“
Sie sah von Anfang an „das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und diesen Personen als entscheidend“ an.3 Diese Fassung wurde vom Reichstag ohne Diskussion in erster Lesung angenommen.4 Mit Gesetz vom 27. Dezember 1926 (RGBl. I S. 529) wurde ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Presse eingeführt, auf das durch Verweisung der vorliegenden Vorschrift das Beschlagnahmeverbot erstreckt wurde. In dem hiernach bestehenden Umfang blieb die Beschlagnahmefreiheit bis zum Jahre 1953 unverändert.5 2. Sodann fasste Art. 4 Nr. 12 des 3. StrÄndG vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) die Vorschrift neu.6 Er ergänzte die Bestimmung dadurch, dass nun das Beschlagnahmeverbot von schriftlichen Mitteilungen auf Aufzeichnungen ausgedehnt wurde, die der Geheimnisträger über die ihm vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht hat, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt (Absatz 1 Nr. 2),7 ferner auf Gegenstände (Absatz 1 Nr. 3), wie den vom Arzt aus dem Körper des Beschuldigten entfernten Fremdkörper, den ärztlichen Untersuchungsbefund oder das dem Rechtsanwalt übergebene Dokument. Die Streichung der im Regierungsentwurf noch enthaltenen Worte „einschließlich der ärztlichen Untersuchungsbefunde“ beseitigt nur eine nunmehr überflüssige Aufzählung;8 sie führt nicht etwa dazu, dass Untersuchungsbefunde vom Beschlagnahmeverbot ausgenommen werden sollten. Im Hinblick auf die Neuregelung eines Aussageverweigerungsrechts für Mitglieder des Bundestages, eines Landtages oder einer zweiten Kammer nach § 53 Abs. 1 Nr. 4, für Hilfspersonen der Geheimnisträger nach § 53a und für Presse und Rundfunk nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 und 6 wurde das Beschlagnahmeverbot auch auf diese Personen erstreckt. Durch Art. 21 Nr. 17 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 502)9 wurde im Hinblick auf die Neufassung der §§ 257, 258 StGB in diesem Gesetz in Absatz 2 Satz 2 (jetzt Satz 3) der vorliegenden Vorschrift das Wort „Strafvereitelung“ eingefügt und der letzte Satzteil gestrichen. Art. 6 Nr. 2 des 5. StrRG10 vom 18. Juni 1974 (BGBl. I S. 1297) ersetzte in Absatz 1 jeweils die Angabe „Nr. 1 bis 3“ durch die Angabe „Nr. 1 bis 3a“; in Absatz 2 wurde der Halbsatz 2 des Satzes 1 als Satz 2 neu gefasst, der bisherige Satz 2 wurde Satz 3. 1 2 3 4 5 6 7
8
Vgl. R. Schmidt 8 ff.; P. Schmitt 24 ff. Hahn Materialien Bd. 3.1, 124. Hahn aaO. Hahn aaO Bd. 3.1, 622, Bd. 3.2, 1262. Zu zwischenzeitlichen Entwürfen vgl. P. Schmitt 32 ff. m.w.N. Dazu P. Schmitt 34 ff. Begründung des RegE BTDrucks. I 1307 S. 49; dazu Dallinger RAusschProt. (23. Ausschuss) Nr. 245 vom 12. März 1953, 2 f. Änderungsvorschlag des Bundesrats
9 10
BTDrucks. I 1307 S. 64; krit. dazu Dallinger RAusschProt. (23. Ausschuss) Nr. 245 vom 12. März 1953, 3. BTDrucks. 7 550. Entwurf der Fraktionen der SPD und FDP BTDrucks. 7 375; Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BTDrucks. 7 1981 bzw. 7 1981 (neu) mit eigenem Fassungsentwurf aaO, 31; BTDrucks. 7 1982, 34 und BTDrucks. 7 1984 bzw. 7 1984 (neu) S. 27.
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Durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1973, 2164) wurde der letzte Satzteil des Satzes 3 (früher Satz 2) ohne sachliche Änderungen wieder eingefügt und Absatz 5 neu gefasst. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das 5. StrRG, durch das im Jahre 1974 der Absatz 2 Satz 2 geändert worden war, teilweise für nichtig erklärt hatte,11 wurden die §§ 218 ff. StGB durch das 15. StRÄndG vom 18. Mai 1976 (BGBl. I S. 1213) neu gefasst und § 97 Abs. 2 Satz 2 dem angepasst. Das Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit vom 23. Juli 1992 (BGBl. I S. 1366)12 erstreckte das Beschlagnahmeverbot auch auf die Beratungsstellen im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 3b StPO.13 Dadurch soll es Drogenabhängigen möglich sein, ohne Furcht vor der Intensivierung ihrer Strafverfolgung durch das Aufsuchen von Beratungsstellen, deren Mitarbeiter andernfalls als Zeugen und deren Unterlagen als Sachbeweise bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz dieser Konsumenten zur Verfügung ständen, wirksame Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Umgekehrt sollen auch die Mitarbeiter der Beratungsstellen ihre Aufgabe sachgerecht wahrnehmen können. Dafür wurde die Gewährleistung eines gesicherten, ungestörten Vertrauensverhältnisses vorausgesetzt.14 Nach dem früheren Recht war dies nicht gewährleistet, weil danach nur Mitarbeiter (als Gehilfen im Sinne des § 53a) solcher Beratungsstellen durch ein Aussageverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot geschützt waren, die von einem Arzt oder Priester als Berufsgeheimnisträger im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 und 3 geleitet wurden. Diese vom Bundesverfassungsgericht15 nicht beanstandete und dem Gesetzgeber einen Spielraum für die Regelung belassende Rechtslage wurde als misslich betrachtet, weil danach die Organisationsform der Beratungsstelle für das Eingreifen von Aussageverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten maßgebend war.16 Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398) und das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz (PsychthG) v. 16. Juni 1998,17 durch das auch Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in den Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen aufgenommen wurden, brachten weitere Anpassungen von Absatz 2 Satz 2 mit sich. Ein Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 15. Februar 2002 (BGBl. I S. 682) erweiterte durch Änderung von § 53 das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter und damit auch die Beschlagnahmeverbote des § 97 weitgehend, indem im Gegensatz zur bisherigen Recht das Zeugnisverweigerungsrecht auch für Medienan-
11 12
BVerfGE 39 1. Gesetzesantrag des Bundeslandes Saarland BRDrucks. 733/89; Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg BRDrucks. 56/90; Empfehlungen der Ausschüsse BRDrucks. 56/1/90; Gesetzentwurf BRDrucks. 56/90; BTDrucks. 11 7586; erneuter Gesetzesantrag des Saarlandes BRDrucks. 97/91; Gesetzentwurf BRDrucks. 97/91; BTDrucks. 12 870; Beschlussempfehlung und Bericht des RAussch. BTDrucks. 12 2738; Gesetzesbeschluss BRDrucks. 409/92.
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13 14 15 16
17
Vgl. BVerfGE 44 354. So auch der Unterausschuss des RAussch. Sitzung vom 2. April 1990 Nr. R 33/90, 16. BVerfGE 33 367; 44 353; BVerfG NJW 1988 2945. So schon der Unterausschuss des RAussch. aaO; dementsprechend BRDrucks. 56/90, 9; BTDrucks. 11 7586 S. 5 f.; 12 870 S. 5 f. BTDrucks. 12 5890; 13 1206; 13 733; BRDrucks. 62/95.
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gehörige galt, die sich mit nichtperiodischen Druckwerken und Filmberichten befassten, und indem das selbstrecherchierte Material in den Schutz einbezogen wurde. Außerdem wurde Absatz 5 Satz 2 zweiter Halbsatz angefügt. Absatz 2 wurde durch Art. 30 des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) an die Regelungen im Zuge der Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung angepasst. Durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) wurden die Absätze 2 und 5 geändert.18 Mittels des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Abgeordneten vom 26. Juni 2009 (BGBl. I S. 1597) führte der Gesetzgeber in einen neuen Absatz 4 eine Privilegierung von Abgeordneten ein.19 Schließlich verschärfte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374) die Anforderungen an den Verdacht einer Beteiligung für die nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen.20
Übersicht Rn. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschlagnahmeverbot als Ergänzung des Zeugnisverweigerungsrechts . . . 2. Unterschiede im Umfang der Beschlagnahmefreiheit und des Zeugnisverweigerungsrechts . . . . . . . . . 3. Keine abschließende Regelung der Beschlagnahmeverbote a) Entsprechende Anwendung . . . . b) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . c) Intimsphäre . . . . . . . . . . . d) Selbstbezichtigung . . . . . . . . e) Pressegesetze . . . . . . . . . . . f) Verbot der Beschlagnahme von der Verteidigung dienenden Unterlagen II. Allgemeine Voraussetzungen des Beschlagnahmeverbots 1. Beweismittel . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten
18
19
Rn.
1 2
5
3. 4.
11 12 13 14 17 18
5.
19 6.
Gesetzentwurf der BReg 16 5846; Beschlussempfehlung und Bericht des RAussch. 16 6979; zur Verfassungsmäßigkeit wesentlicher mit diesem Gesetz eingeführter Regelungen BVerfGE 129 208 ff.; vgl. außerdem BVerfGE 125 260 ff. Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU,
20
a) Angehörige, Abgeordnete, Medienangehörige . . . . . . . . . . . . b) Geschützte Berufe nach § 53 Abs. 1 Satz Nr. 1 bis 3b . . . . . . . . . c) Verteidiger . . . . . . . . . . . . Der Zeugnisverweigerungsberechtigte darf nicht selbst Beschuldigter sein . . Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Gewahrsam . . . . . . . . . . . . c) Alleingewahrsam . . . . . . . . . d) Abgeleiteter Gewahrsam . . . . . e) Gewahrsamsverlust . . . . . . . . Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Verdacht der Tatbeteiligung des Zeugnisverweigerungsberechtigten a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Tatbeteiligung . . . . . . . . . . . c) Teilnahmeverdacht . . . . . . . . Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Deliktsgegenständen . . . . . . .
20 21 24 25
27 28 29 31 33
36 38 39 42
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16 10572; Beschlussempfehlung und Bericht des RAussch. 16 12314. Gesetzentwurf der BReg 17 3355; Beschlussempfehlung und Bericht des RAussch. 17 9199.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
III. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot und Widerruf des Verzichts 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Klienten a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Berechtigter . . . . . . . . . . . . c) Kern beruflicher Tätigkeit des Verteidigers . . . . . . . . . . . . d) Höchstpersönliches Recht . . . . . e) Juristische Personen . . . . . . . . f) Insolvenz einer natürlichen Person 3. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Belehrung . . . . . . . . . . . . . 4. Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahmeverbot a) Widerruf durch den Klienten . . . b) Widerruf durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten . . . . IV. Vor Beschlagnahme geschützte Gegenstände 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 2. Schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den nach §§ 52, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Zeugnisverweigerungsberechtigten (Absatz 1 Nr. 1) a) Schriftliche Mitteilungen . . . . . b) Partner der Mitteilungen . . . . . 3. Aufzeichnungen der in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b Genannten a) „Aufzeichnungen“ . . . . . . . . b) Bezug zum Vertrauensverhältnis . c) Aufzeichnungen der Angehörigen . 4. Andere Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b Genannten erstreckt a) „Andere Gegenstände“ . . . . . . b) Bezug zum Vertrauensverhältnis . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . V. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Angehörige (§ 52 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geistliche (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) . . . . . . . 4. Verteidiger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) und der sich selbst verteidigende Beschuldigte . . . . . . . . . . . . . a) Geschützter Personenkreis aa) Verteidiger . . . . . . . . . . bb) Beschuldigter . . . . . . . . . b) Geschützte Gegenstände . . . . . aa) Schriftlich fixierte Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger . . . . .
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Rn.
46
47 48 50 51 52 54
55 57
60 61
5.
65 6.
7.
66 69
72 73 74
75 76 77 78 80 81
82 83 85 86
87
8.
bb) Schriftliche Aufzeichnungen des Verteidigers über andere Umstände . . . . . . . . . . . cc) Andere Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers erstreckt . . . . . . . . . . . c) Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Tatverstrickung des Verteidigers aa) Abgrenzung . . . . . . . . . . bb) Tatverstrickung . . . . . . . . d) Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen nach Entbindung des Verteidigers von der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlagnahmeschutz bei Gehilfen des Verteidigers . . . . . . . . . . f) Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen beim Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und ähnliche Berufe (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Buchhaltungsunterlagen . . . . . Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker, Hebammen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) Mitglieder und Beauftragte von Beratungs- und Begutachtungsstellen für Schwangere (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) . . . . . . . . . . . . . . Drogenberater (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 b) . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 4; Abgeordnete 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Geschützter Personenkreis . . . . . . 3. Geschützte Gegenstände . . . . . . . 4. Gewahrsam . . . . . . . . . . . . . 5. Teilnahmeverdacht. Deliktsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 5; Medienangehörige 1. Gesetzliche Regelung und Schutzzweck a) Gesetzliche Regelung . . . . . . . 129 b) Schutzzweck . . . . . . . . . . . 130 2. Personenkreis . . . . . . . . . . . . 131 3. Geschützte Gegenstände – Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts a) Geschützte Gegenstände . . . . . 132 b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Gewahrsam . . . . . . . . . . . . . 136 5. Teilnahmeverdacht . . . . . . . . . . 137 6. Deliktsgegenstände . . . . . . . . . 138
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 97
Rn.
Rn.
VIII. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 3; Hilfspersonen (§§ 53a, 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b) . . . . . . . . . . . . . . 139
c) Verwertung trotz unzulässiger Beschlagnahme . . . . . . . . . . 146 d) Verwertungsverbot trotz zulässiger Beschlagnahme . . . . . . . . . . 147 e) Einverständnis mit weitergehender Verwertung . . . . . . . . . . . . 150
IX. Folgen des Beschlagnahmeverbots 1. Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Verwertungsverbot a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 141 b) Verwertung mit Einwilligung trotz unzulässiger Beschlagnahme . . . 145
X. Revision
. . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Abgeleiteter Gewahrsam 31 Abgeordnete 20, 123 Abgeordnete und Angehörige der Presse 8 Abschließende Regelung 11 Alleingewahrsam 29 Andere Gegenstände 75 Angehörige 7, 21, 80 Angehörige und Abgeordnete der Presse 8 Anwaltshandakten 22 Anzeigenteil 135 Apotheker 118 Ärzte 118 Aufzeichnungen 72 Auskunftspflicht gesetzliche 15 Bekennerschreiben 135 Belehrung 57 Beratungs- und Begutachtungsstellen für Schwangere 121 Berufe geschützte 6 Berufsgeheimnisträger – Zufallsfunde 25 Beschlagnahmeverbot – Verzicht 46 Beweisverwertungsverbot 4 Buchhaltungsunterlagen 111 Deliktsgegenstände 10, 42 Drogenberater 122 Eheberater und Sozialarbeiter 12 Einziehungs- oder Verfallsgegenstände 19 Entbindung des Verteidigers von der Schweigepflicht 100 Entbindung von der Schweigepflicht 47 Ergänzung des Zeugnisverweigerungsrechts 2 Folgen des Beschlagnahmeverbots 140 Formlose Sicherstellung 1 Gegenstände – geschützte 65 Gehilfen des Verteidigers 101 Geistliche 81 Gemeinsamkeit prozessuale 23 Geschützte Berufe 6 Geschützte Berufe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b 21 Geschützte Gegenstände 65 Gesetzliche Auskunftspflicht 15 Gewahrsam abgeleiteter 31 Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten 27 Gewahrsamsverlust 33
Hebammen 118 Informanten 135 Insolvenz der juristischen Personen 53 Insolvenz einer natürlichen Person 54 Intimsphäre 13 Juristische Personen 52 Kern von Verteidigungstätigkeit 50 Krankenunterlagen über das Opfer der Straftat 22 Kreditbetrug 44 Leserbriefe 135 Medienangehörige 20, 129 Missbrauch der Verteidigerrechte 99 Mitgewahrsam des Beschuldigten 30 Mitteilungen – schriftliche 66 Notare 109 Personengruppe 30a Presseprivileg 12 Prozessuale Gemeinsamkeit 23 Psychotherapeuten 118 Rechtsanwälte 109 Regelung abschließende 11 Revision 151 Schriftliche Mitteilungen 66 Schriftstücke 126 Schweigepflicht – Entbindung 47 Selbst erarbeitete Materialien 134 Selbstbezichtigung 14 Sicherstellung, formlose 1 Sozialarbeiter und Eheberater 12 Sozietät 30a Steuerhinterziehung 44 Tatbeteiligung 38 Tatbeteiligung – Verdacht 36 Tatverstrickung des Verteidigers 95 Teilnahme 10 Teilnahmeverdacht 39 Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts 2 Verdacht der Tatbeteiligung 36 Verfalls- oder Einziehungsgegenstände 19 Verhältnismäßigkeit 12 Verhältnismäßigkeits-Subsidiaritätsklausel 137 Verteidiger 12, 24, 82 Verteidigermandat in Anbahnung 106 Verteidigungsunterlagen 85 Verteidigungsunterlagen beim Beschuldigten 105
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§ 97
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Verwertungsverbot 141 Verzicht – Widerruf 46 Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot 46 Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Klienten 47 Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten 55 Widerruf des Verzichts 46
Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahmeverbot 60 Wirtschaftsprüfer 109 Zahnärzte 118 Zeugnisverweigerungsrecht – Ergänzung 2 Zeugnisverweigerungsrecht – Umgehung 2 Zufallsfunde bei Berufsgeheimnisträgern 25
I. Überblick 1
Die vorliegende Vorschrift verbietet unter bestimmten Voraussetzungen die Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2) von Beweisgegenständen, steht aber deren formloser Sicherstellung (§ 94 Abs. 1; s. dazu § 94, 4 f.) nicht entgegen.21 Ein besonderer Schutz desjenigen, der den Beweisgegenstand freiwillig herausgibt, ist nach der vorliegenden Vorschrift nicht erforderlich. Zur Freiwilligkeit s. Rn. 48.
2
1. Beschlagnahmeverbot als Ergänzung des Zeugnisverweigerungsrechts. Durch die Beschlagnahmeverbote des § 97 soll eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts nach §§ 52, 53 und 53a verhindert werden.22 Sie greifen deshalb nur gegenüber Zeugen, nicht aber gegenüber Beschuldigten oder Mitbeschuldigten oder auch nur Verdächtigen. Insoweit bietet auch die Berufsausübungsfreiheit dann keinen durchgreifenden Schutz vor Strafverfolgung, wenn eine Tatverstrickung des Angehörigen eines geschützten Berufes vorliegt.23 Sie erfassen auch nur die Beschlagname von Gegenständen als Beweismittel und gelten nicht im Bereich der Beschlagnahme nach § 111b. Der Vertrauensschutz, den die Bestimmungen der §§ 52, 53 einräumen, wäre unvollständig, wenn er auf das gesprochene Wort beschränkt bliebe. Von den Angehörigen des Beschuldigten (§ 52 Abs. 1), den in § 53 genannten Vertrauenspersonen und ihren Gehilfen (§ 53a) soll ebenso wenig wie durch ihre Aussage auf sonstige Weise ein Beitrag zur Überführung des Beschuldigten erzwungen werden dürfen. „Denn was der Mund nicht zu offenbaren braucht, darf auch der Hand nicht entrissen werden“.24 Deshalb enthielt § 97 schon immer ein Beschlagnahmeverbot für schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen und Vertrauenspersonen, freilich nur sofern sich die Schriftstücke im Gewahrsam der zeugnisverweigerungsberechtigten Person befinden. Mit Rücksicht auf die beruflichen Gepflogenheiten, insbesondere der Ärzte und Rechtsanwälte, wurde der Schutz nachträglich auf Aufzeichnungen durch diese Personen erstreckt; wegen der zunehmend eingesetzten technischen Untersuchungsmethoden war seine Ausdehnung auch auf Gegenstände erforderlich, wie etwa die Blut-
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KK/Nack 3. BVerfGE 20 162, 188; 32 373, 385; BGHSt 38 144, 145 mit Anm. Frommel StV 1992 114; BGHSt 43 300, 302 f. = NStZ 1998 471 mit Anm. Rudolphi = DVP 1998 301 mit Anm. Vahle; OLG Celle NStZ 1989 385; OLG Frankfurt StV 1982 64, 65; OLG Zweibrücken NJW 1994 810; BTDrucks. I 1307 S. 49; Hahn Materialien 1, 125; Alsberg/Nüse/Meyer 506; Meyer-Goßner 1;
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23
24
AnwK-StPO/Löffelmann 3; R. Schmidt 19; anders P. Schmitt 46 f. Vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2000 3557 f. (Arzt); Beschl. vom 7. Mai 2001 – 2 BvR 2013/00 – (Rechtsanwalt mit zivilrechtlichem Mandat); BVerfG (Kammer) NJW 2002 2090 (Straßenverkehrsdelikt des Mitglieds einer Anwaltskanzlei). Dünnebier, Das Problem einer Sonderstellung der Presse im Strafverfahren [1966] 39.
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probe, die der Arzt vom Patienten zu Untersuchungszwecken nimmt.25 Dies war das wesentliche Ziel der Gesetzesänderung von 1953 (s. Entstehungsgeschichte). Der gesetzgeberische Zweck, einer Umgehung der Vorschriften über das Zeugnisver- 3 weigerungsrecht entgegenzutreten, ist bei der Auslegung der vorliegenden Vorschrift stets im Auge zu behalten; sie erfüllt eine „Komplementärfunktion“ neben den Vorschriften über die Aussageverweigerungsrechte.26 Allerdings sind nach wie vor Lücken im Gesetz vorhanden, die dem genannten Regelungszweck, Umgehungen des Aussageverweigerungsrechts durch Beschlagnahme von Sachbeweisen zu verhindern, entgegenwirken. So sind „Aufzeichnungen“ der Angehörigen im Sinne des § 52 anders als Aufzeichnungen der Berufsgeheimnisträger und ihrer Gehilfen im Sinne der §§ 53, 53a in Absatz 1 der vorliegenden Vorschrift nicht dem Beschlagnahmeverbot unterworfen.27 Auch sind Gegenstände aus dem Schriftverkehr zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, wenn sie sich im Gewahrsam des Beschuldigten befinden, grundsätzlich nicht von der Beschlagnahme ausgenommen; insofern ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und den Personen im Sinne der §§ 52, 53 ungeschützt, obwohl die Herausgabe des Beweisgegenstands von diesen Personen nach § 95 Abs. 2 Satz 2 nicht erzwungen werden kann. Die Gesamtkonzeption der §§ 94, 95, 97 ist demnach nicht geglückt. Von Hippel 28 brachte deshalb frühzeitig die harte, aber nicht ganz unberechtigte Kritik an: „So redigiert kein Gesetzgeber, der seinen Stoff in geistigem Zusammenhang beherrscht.“ Die moderne Praxis ergänzt die vorliegende Vorschrift zum Schutze der Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten durch Rückgriff auf § 148 und auf Art. 6 Abs. 3 EMRK; sie kann aber nicht die weiteren Lücken im Schutz der Vertrauensverhältnisse zu Personen im Sinne der §§ 52 ff. beheben. Denn dabei handelt es sich nicht um Lücken im Gesetz, die durch Analogien geschlossen werden könnten. Eine Abstimmung der §§ 52 ff. und der flankierenden Regelungen zur Verhinderung einer Umgehung der Zeugnisverweigerungsrechte durch Zugriff auf Sachbeweise mit weiteren Aufklärungsmaßnahmen (§§ 100a f.;29 100c ff.; 110a ff.30) fehlt weitgehend.31 Soweit allerdings das Beschlagnahmeverbot reicht, besteht grundsätzlich ein Beweis- 4 verwertungsverbot. Dieses Verwertungsverbot entfaltet im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die „Vorwirkung“, dass Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen sowie ein Herausgabeverlangen nach § 95 unzulässig sind. Denn was nicht verwertet werden darf, kann auch nicht dem Inhaber durch staatliche Zwangsmaßnahmen weggenommen werden.
25
26 27 28
Zur Beschlagnahme von Blutproben, die für Operationszwecke genommen worden waren, OLG Celle NStZ 1989 385; dazu M. Mayer JZ 1989 908; Wendisch OLGSt StPO § 81a Nr. 3 S. 5; Wohlers NStZ 1990 245; OLG Zweibrücken NJW 1994 810; dazu Flöhr Jura 1995 131; Hauf NStZ 1993 457; Weiler MDR 1994 1163 und NStZ 1995 98. Welp FS Bemmann 626, 644. Zu diesem und weiteren Kritikpunkten P. Schmitt 1 ff. von Hippel ZStW 47 (1927) 523, 525.
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30
31
Absatz 2 Satz 3 ist auf die Telefonüberwachung nicht entsprechend anwendbar, BGHSt 33 347 ff. mit Anm. Beulke Jura 1986 642; Rieß JR 1987 77 f.; Teske JA 1986 459 ff.; Welp NStZ 1986 294 ff. Die Möglichkeit des „Aushorchens“ von Beschuldigten oder zeugnisverweigerungsberechtigten Personen durch V-Leute (BGHSt 40 211 ff.; 42 139 ff.) im weitesten Sinne fügt sich nach Weßlau ZStW 110 (1998) 1, 37 nicht ins System des überkommenen Strafverfahrensrechts. P. Schmitt 2.
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2. Unterschiede im Umfang der Beschlagnahmefreiheit und des Zeugnisverweigerungsrechts. Obwohl das Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 53 f. und das flankierende Beschlagnahmeverbot wesentlich denselben Regelungszweck verfolgen, deckt sich ihre Reichweite nicht. Auch bestehen bei den verschiedenen Zeugnisverweigerungsrechten Unterschiede im begleitenden Beschlagnahmeschutz, was sich nicht immer mit unterschiedlichen Akzenten im Schutzzweck der Aussageverweigerungsrechte nach § 52 einerseits und §§ 53, 53a andererseits erklären lässt.
a) Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b geschützte Berufe. Während das Gesetz den genannten Inhabern bestimmter Berufe ein Zeugnisverweigerungsrecht „über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist“, unabhängig davon zugesteht, ob das Vertrauensverhältnis zu einem Dritten oder zum Beschuldigten begründet ist, erfasst das Beschlagnahmeverbot nach dem Wortlaut von Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 nach überwiegender Meinung nur das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten (Rn. 21).32 Deshalb sind zum Beispiel im Verfahren gegen den Beschuldigten Krankenunterlagen über das Opfer der Straftat oder über unbeteiligte Dritte ebenso wenig von Absatz 1 erfasst und damit vor Beschlagnahme geschützt33 wie Anwaltshandakten bezüglich eines Mandanten, der Opfer der Straftat wurde,34 während in beiden Fällen der Arzt oder der Anwalt als Zeuge im Verfahren gegen den Beschuldigten sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 berufen könnte.35 Anderes soll, was nicht gerade zur Klarheit der Rechtsanwendung beiträgt, in Fällen früherer prozessualer Gemeinsamkeit (Rn. 23),36 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit37 (Rn. 23) und für den Verteidiger38 gelten (Rn. 24). Angehörige, § 52. In den Fällen des § 52 wird dagegen nicht nur an ein (intaktes) 7 Vertrauensverhältnis und die daraus resultierende innere Konfliktlage des Zeugen, der aus seiner Sicht möglicherweise zwischen einer Umgehung der Belastung seines Angehörigen und einer wahrheitsgemäßen Aussage zu entscheiden hat,39 angeknüpft, sondern es wird auch der Familienfrieden40 als solcher geschützt.41 Daher sind Mitteilun-
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Meyer-Goßner 10; KK/Nack 1; offengelassen bei BGHSt 43 300, 304; BGH NStZ 1997 562; a.A. AK/Amelung 14. OLG Celle NJW 1965 362; LG Hildesheim NStZ 1982 394. LG Koblenz MDR 1983 779. Kritisch Amelung DNotZ 1984 207. BGHSt 43 300. BGH NStZ 1997 562. G. Schäfer FS Hanack 77, 93. BGHSt 10 393, 394; 11 213, 216; 22 37; BGH StV 1990 435, 436; NJW 1992 1116, 1117; Busch FS Eb. Schmidt 569, 570; Hoffmann MDR 1990 111, 112; näher P. Schmitt 45 ff. Vgl. BGHSt 11 213, 216; BGH NJW 1992 1116, 1117; Arndt NJW 1966 869, 870; Fuchs NJW 1959 14, 18; Hoffmann MDR 1990 111, 112; Krauß FS Gallas 365, 386; Peters JR 1968 429, 430; Spelthahn 44; Tschacksch 171; Rengier Zeugnisverweigerungsrechte 8 ff.; krit. Eb. Schmidt JZ 1958 596, 597.
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41
Ob § 52 auch dem Schutz der Wahrheitsfindung dient, weil der Zeuge in den dort geregelten Fällen tendenziell eher zur Falschaussage im Interesse einer Begünstigung des Angehörigen neigt, ist umstritten, aber wohl eher zu verneinen. Verfahrenspsychologisch ist ein relevanter Umfang falscher Angaben innerhalb komplexer Aussagen durch Angehörige des Beschuldigten nicht belegt. Der durch das Aussageverweigerungsrecht mögliche Wegfall der Angaben des Zeugen beeinträchtigt zudem seinerseits die Wahrheitsfindung, deren Optimierung nur durch Optimierung der Gesamtwürdigung aller Beweise im Einzelfall, nicht aber durch Beweisverwertungsverbote bezüglich tendenziell unzuverlässiger Beweismittel erreicht werden kann. Gegen den Schutz der Wahrheitsfindung als Normzweck des § 52 folglich BGHSt 11 213, 215; Grünwald JZ 1966 489, 497; Spelthahn 48; a.A. Eb. Schmidt JZ 1958 596, 600.
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gen zwischen zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen und dem Beschuldigten ohne Rücksicht auf einen „vertrauensbezogenen“ Inhalt von der Beschlagnahme ausgenommen.42 Abgeordnete und Mitarbeiter der Medien. Da bei den Abgeordneten (§ 53 Abs. 1 8 Satz 1 Nr. 4) und bei den Angehörigen der Medien (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) nicht ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen zwei Personen geschützt werden soll, sondern die Stellung des Abgeordneten und die Pressefreiheit als solche, kommt es dort nach dem ausdrücklichen Wortlaut der genannten Vorschriften für das Beschlagnahmeverbot nicht darauf an, ob zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten ein Vertrauensverhältnis besteht; in diesen Fällen reicht das Beschlagnahmeverbot so weit, wie das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen. b) Unterschiede bestehen auch bei der Bedeutung des Gewahrsams des Zeugnisver- 9 weigerungsberechtigten für das Beschlagnahmeverbot. Dieses erstreckt sich bei Angehörigen, bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b genannten Inhabern geschützter Berufe und bei berufsmäßigen Mitarbeitern der Medien nur auf Gegenstände, die sich im Gewahrsam (§ 94, 40) des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden, wobei in Grenzen auch abgeleiteter Gewahrsam geschützt wird. Der Schutz ist also auf eine Gewahrsamssphäre beschränkt. Mit dem Verlust des Gewahrsams durch die zeugnisverweigerungsberechtigte Person entfällt nach der vorliegenden Vorschrift der Schutz in Form des Beschlagnahmeverbots und im Falle des Mitgewahrsams des Beschuldigten kann der Gegenstand grundsätzlich beschlagnahmt werden.43 Deshalb dürfen z.B. Briefe des Zeugnisverweigerungsberechtigten bei Dritten und beim Beschuldigten beschlagnahmt werden. Für Abgeordnete gilt dagegen das Gewahrsamserfordernis nicht. Soweit für Verteidigungsunterlagen auf das Gewahrsamserfordernis verzichtet wird, beruht dies nicht auf § 97, sondern auf § 148, zum Teil auch auf Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK sowie dem aus den Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, zu dem auch der Anspruch auf Einräumung der Möglichkeit zu ungestörter Vorbereitung der Verteidigung zählt.44 c) Bei den nach §§ 52, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 b und 5 Zeugnisverweigerungsbe- 10 rechtigten, nicht aber bei Abgeordneten (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 97 Abs. 4), ist die Beschlagnahme ungeachtet des Zeugnisverweigerungsrechts nach Absatz 2 Satz 3, Absatz 5 Satz 2 zulässig, wenn diese Personen der Teilnahme im Sinne dieser Vorschrift verdächtig sind (vgl. Rn. 36 ff.) oder wenn die Beschlagnahme Deliktsgegenständen gilt (§ 97 Abs. 2 Satz 3) (vgl. Rn. 42); bei den nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen gelten allerdings schärfere Anforderungen an die Verdachtslage („dringende[r] Verdacht der Beteiligung“); außerdem steht die Beschlagnahme unter dem besonderen Vorbehalt des Absatz 5 Satz 2, letzter Teilsatz. Sinn und Zweck dieser Bestimmungen ist, dass die rechtlich geschützte Gewahrsamssphäre nicht dazu missbraucht werden darf, eigene strafbare Handlungen des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen zu verbergen oder Deliktsgegenständen „Asyl“ zu gewähren.
42 43
Fezer 7/20. BGHSt 19 374; KK/Nack 8.
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G. Schäfer FS Hanack 77.
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3. Keine abschließende Regelung der Beschlagnahmeverbote
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a) Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf andere als die nach §§ 52, 53 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, namentlich auf andere Berufe, ist ebenso wie die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts grundsätzlich unzulässig, denn jede Ausdehnung des Beschlagnahmeverbots schränkt ebenso wie die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung ein und widerstreitet damit grundsätzlich der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Notwendigkeit, eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu erhalten.45 Für eine Analogie fehlt es auch an einer Regelungslücke; denn im Grundsatz ist von der Beschlagnahmefähigkeit im Sinne des § 94 als Regelfall auszugehen, wenn nicht die vorliegende Vorschrift als Ausnahmetatbestand eingreift. Im Hinblick auf das Gebot der Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung ist es auch dem Gesetzgeber nicht völlig freigestellt, den Kreis der aus Berufsgründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen „nach Belieben“ zu erweitern.46
12
b) Verhältnismäßigkeit. Unabhängig von der Berufszugehörigkeit oder jenseits der Grenzen der durch § 97 geschützten Bereiche können sich allerdings unter „ganz besonders strengen Voraussetzungen“ Beschlagnahmeverbote unmittelbar aus der Verfassung ergeben,47 wenn wegen der Eigenart des Beweisthemas in grundrechtlich geschützte Bereiche unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Vor § 94, 78 ff.) eingegriffen würde. Soweit das Presseprivileg nicht reicht (Presseangehörige als Beschuldigte oder Teilnahmeverdächtige nach Maßgabe der strengen Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 2), kann im Einzelfall ein Beschlagnahmeverbot unmittelbar aus Art. 5 GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleiten sein.48 Entsprechendes gilt z.B. für Sozialarbeiter und Eheberater49 oder andere Berufe oder Einrichtungen oder nicht in § 52 geschützte private Vertrauensverhältnisse (Beschlagnahme des Briefwechsels zwischen Geliebten zur Aufklärung einer Zuwiderhandlung gegen die StVO). Auch für den Verteidiger gelten Besonderheiten. Es gibt einen Kern von Verteidigungstätigkeit, für den dem Verteidiger unabhängig von einer Entbindung von der Schweigepflicht ein Schweigerecht verbleibt (Einzelheiten Rn. 50).50
13
c) Intimsphäre. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, die persönliche Intimsphäre, ist unantastbar und jeglichen Eingriffen der öffentlichen Gewalt und damit auch der Beschlagnahme entzogen,51 vgl. § 94, 74 ff. Einem verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbot unterliegen damit etwa Tagebücher mit höchstpersönlichem Inhalt. Intime Aufzeichnungen des Ehegatten des Beschuldigten unterliegen daher von Verfassungs wegen einem Beschlagnahmeverbot, auch wenn „Aufzeichnungen“ von Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 durch Absatz 1 Nr. 1 nicht geschützt sind.52
45
46 47 48
BVerfGE 33 367, 383 mit Anm. Blau NJW 1973 2234; Giese ZfS 1972 277; Kühne JuS 1973 685 und Würtenberger JZ 1973 784; BVerfGE 38 312, 321. BVerfGE 33 367, 383. BVerfGE 38 103, 105. Vgl. BVerfGE 64 108, 116 für den Anzeigenteil; ferner BVerfGE 20 162, 189; 25
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49 50 51
52
296, 304; 36 211; krit. Gössel Medienfreiheit 66. BVerfGE 33 367, 374. G. Schäfer FS Hanack 77, 88. BVerfGE 32 373, 379; 33 367, 374; 44 353, 372 und ständig; Gössel NJW 1981 649, 2217. LG Saarbrücken StV 1988 480 f.
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d) Selbstbezichtigung. Die Regelung in Absatz 1 Nr. 1 könnte auch aus dem aus Art. 2 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Verbot, jemanden zur Selbstbezichtigung53 zu zwingen, erklärt werden,54 denn sie betrifft die vertrauliche Kommunikation des Beschuldigten mit seinen Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 oder mit den Berufsgeheimnisträgern im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1, die andernfalls wegen der latenten Gefahr der unbewussten Selbstbelastung mit der Folge unterbunden würde, dass der Beschuldigte auch von dieser engen Vertrauenssphäre isoliert würde. Mit Blick auf das Verbot der Ausübung eines unmittelbaren oder mittelbaren Selbst- 15 bezichtigungszwangs kann ein Beschlagnahmeverbot auch dann angenommen werden, wenn es sich um Gegenstände handelt, die unmittelbar aufgrund einer gesetzlichen55 Auskunftspflicht entstanden sind. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung56 dürfen nunmehr im Insolvenzverfahren Auskünfte des Schuldners, die dieser zur Erfüllung seiner Pflichten erteilt hat, in einem Strafverfahren gegen den Schuldner oder einen Angehörigen im Sinne des § 52 nicht verwertet werden (§ 97 Abs. 1 InsO). Soweit dieses Verwertungsverbot besteht, dürfen Unterlagen über die Auskünfte des Schuldners nicht beschlagnahmt werden. Stets muss es sich aber um gewichtige rechtliche Auskunftspflichten handeln, deren Verletzung unter Straf- oder Zwangsandrohung steht. Einfache vertragliche Pflichten, wie die Schadensmeldungen an die Versicherer, sog. „Obliegenheiten“, gehören dem privaten Bereich an. Insoweit sind Beschlagnahmen zulässig. Dies gilt insbesondere für die Schadensmeldungen an die Haftpflichtversicherer, denen – z.B. bei Verkehrsunfällen – die Darstellung des Versicherten zum Schadensereignis (Unfallhergang) entnommen werden kann.57 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bildet auch hier freilich eine Grenze der Zulässigkeit der Beschlagnahme.58 Die Annahme, ein Beschlagnahmeverbot nach Absatz 1 Nr. 1 resultiere aus der 16 Selbstbezichtigungsfreiheit des Beschuldigten zur Ermöglichung einer ungestörten Kommunikation im Rahmen des geschützten Vertrauensverhältnisses, lässt sich allerdings schwer mit der Regelung in Absatz 2 Satz 1 in Einklang bringen, wonach derartige Gegenstände nur im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten geschützt sind. Einer durch den genannten Regelungszweck gegebenenfalls erforderlichen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Norm, etwa auch auf Beweisgegenstände im Gewahrsam des Beschuldigten,59 stehen der Wortlaut des Gesetzes und das Regel-/Ausnahmeverhältnis von Verwertbarkeit und Unverwertbarkeit von Sachbeweisen entgegen. e) Soweit die Pressegesetze der Länder das Beschlagnahmerecht abweichend von § 97 17 Abs. 5 regeln, sind diese wegen der dem Bund zustehenden Gesetzeskompetenz nichtig.60 Die Bedeutung einer freien Presse erfordert eine besonders strikte Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall;61 Absatz 5 Satz 2 zweiter Halbsatz sagt dies jetzt ausdrücklich.
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56
Dazu allg. BVerfGE 56 37; K. Schäfer FS Dünnebier 11; zum Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare“ rechtsgrundsätzlich BGHSt 38 214 ff. AK/Amelung 14; Petry 45 ff.; abl. für § 52 Rengier 2; P. Schmitt 52 ff.; Spelthahn 50 f. Es geht regelmäßig um vorkonstitutionelle Gesetze, vgl. Dingeldey NStZ 1984 529, 534; K. Schäfer FS Dünnebier 1, 37 f. Zur Rechtslage nach der KO siehe BVerfGE 56 37.
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OLG Celle NJW 1985 640 zu § 53; Geppert DAR 1981 301 mit Nachweisen; zweifelnd Dencker NStZ 1982 458; a.A. OLG Celle NStZ 1982 393 = JR 1982 475 mit abl. Anm. Rengier. Geppert DAR 1981 301; eingehend und grundsätzlich zum Gesamtproblem K. Schäfer FS Dünnebier 11. So aber Petry 52 f. BVerfGE 36 193; 36 314. BVerfGE 56 247; 64 108, 118; 77 65.
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f) Aus § 148 leiten Rechtsprechung und Literatur z.T. ein umfassendes Verbot der Beschlagnahme von der Verteidigung dienenden Unterlagen auch beim Beschuldigten her. Insoweit kommt es also nicht darauf an, in wessen Gewahrsam diese Unterlagen stehen; vgl. dazu im Einzelnen Rn. 27, 85.
II. Allgemeine Voraussetzungen des Beschlagnahmeverbots 19
1. Beweismittel. Die Vorschrift bestimmt Beschlagnahmeverbote nur für Beweismittel. Für Gegenstände, die dem Verfall (§ 73 StGB) oder der Einziehung (§ 74 StGB) unterliegen und daher nach §§ 111b ff. beschlagnahmt werden können, gilt sie nicht.62 Diese können als Verfalls- oder Einziehungsgegenstände bei zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach §§ 111b ff. auch dann beschlagnahmt werden, wenn sie zugleich Beweismittel sind und insoweit nach § 97 einem Beschlagnahmeverbot unterlägen,63 wobei aber naheliegt, dass Verfalls- und Einziehungsgegenstände gemäß Absatz 2 Satz 3 der vorliegenden Vorschrift ohnehin von dem Beschlagnahmeverbot ausgenommen sind. Als Beweismittel dürfen diese Gegenstände dann auch ohne Rücksicht darauf verwendet werden, dass ihre Beschlagnahme unzulässig gewesen wäre, wenn sie nicht dem Verfall oder der Einziehung unterliegen würden. Allerdings ist § 160a zu beachten. 2. Verhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten
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a) Angehörige, Abgeordnete, Medienangehörige. In den Fällen des Absatzes 4 (Abgeordnete) und des Absatzes 5 (Medienangehörige) ist offensichtlich, dass der Beschlagnahmeschutz unabhängig davon gilt, ob zwischen den Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten des Verfahrens, in dem die Sache beschlagnahmt werden soll, irgendwelche Beziehungen bestehen. Geschützt wird in diesen Fällen nicht ein Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zum Zeugnisverweigerungsberechtigten, sondern die Unabhängigkeit der Abgeordneten und die Freiheit der Berichterstattung durch Medien. Ebenso offensichtlich ist es umgekehrt, dass Gegenstände im Gewahrsam der Zeugnisverweigerungsberechtigten als Angehöriger nach Absatz 1 Nr. 1 nur dann geschützt sind, wenn gerade der Angehörige des Zeugnisverweigerungsberechtigten Beschuldigter ist. Noch nicht abschließend geklärt ist die Rechtslage bei den so genannten geschützten Berufen.
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b) Geschützte Berufe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b.64 Während das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b genannten Berufsgeheimnisträger unbestritten unabhängig davon gilt, ob das Vertrauensverhältnis zu einem Dritten oder zum Beschuldigten besteht, sind die Meinungen dazu, ob dies auch für das Beschlagnahmeverbot bezüglich der in § 97 Abs. 1 Nr. 2 und 3 genannten Gegenstände gilt, geteilt. Die Frage geht konkret dahin, ob im Verfahren gegen A bei einem Arzt die Krankenakten bezüglich B oder bei einem Rechtsanwalt die Handakte bezüglich B mit den darin enthaltenen Beweisen für das Verfahrens gegen A beschlagnahmt werden können.
62 63
KK/Nack 1; Meyer-Goßner 3. Meyer-Goßner 3.
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Einzelheiten bei G. Schäfer FS Hanack 77, 93.
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Nach wohl überwiegender Meinung erfasst das für diese Berufe geltende Beschlagnahmeverbot nur das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Klienten, wenn dieser der Beschuldigte ist.65 Diese Beschränkung des Beschlagnahmeverbots auf das Vertrauensverhältnis zwischen dem im konkreten Fall Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten ist zwar mit dem Zweck der Vorschrift, die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts zu verhindern,66 schwerlich vereinbar, folgt aber zwingend aus deren Wortlaut, der in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 auf die Beziehung zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten abstellt. Zwar ist in § 97 Abs. 1 Nr. 3 vom Beschuldigten nicht mehr die Rede; dem Regelungszusammenhang der Vorschriften muss aber entnommen werden, dass auch hier ein Bezug zum Vertrauensverhältnis zwischen dem im konkreten Verfahren Beschuldigten und dem zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Berufsträger bestehen müsse. Vertreter der Gegenmeinung verweisen vor allem auf den Wortlaut der Nummer 3 und darauf, dass Nummer 2 nicht zwingend so ausgelegt werden müsse, dass die zu beschlagnahmenden Aufzeichnungen sich nur auf Beziehungen zum Beschuldigten beziehen müssten.67 Hätten sie recht, wäre nämlich Nummer 1 überflüssig, soweit diese Vorschrift auch die geschützten Berufe einbezieht, und Nummer 2 könnte sich ganz einfach auf „Aufzeichnungen über Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt“ beschränken. In der älteren Rechtsprechung ist entschieden, dass im Verfahren gegen den Täter 22 Krankenunterlagen über das Opfer der Straftat oder unbeteiligte Dritte ebenso wenig von § 97 Abs. 1 erfasst und damit vor Beschlagnahme geschützt sind68 wie Anwaltshandakten bezüglich eines Mandanten, der Opfer der Straftat wurde,69 obwohl in beiden Fällen der Arzt oder der Anwalt als Zeuge im Verfahren gegen den Täter sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 berufen könnte.70 Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob der Beschlagnahmeschutz des Absatz 1 Nr. 1 23 bis 3b bei den geschützten Berufen über das Verhältnis zum Beschuldigten hinausgehend jedes Vertrauensverhältnis schützt, in zwei Entscheidungen zu der Beschlagnahmefähigkeit von Krankenunterlagen ausdrücklich offen gelassen,71 weil in der einen Sache die Beschlagnahme von Krankenunterlagen unverhältnismäßig gewesen wäre72 und weil in der anderen Sache der Patient bis zur Abtrennung des dieselbe Tat betreffenden Verfahrens Mitbeschuldigter war. Die durch die Abtrennung eingetretene Rollenvertauschung führe aber nicht dazu, dass die Krankenunterlagen nunmehr lediglich in dem abgetrennten Verfahren, in dem der Zeuge weiterhin Beschuldigter ist, beschlagnahmefrei seien, hingegen nicht mehr auch in dem Verfahren gegen seinen früheren Mitbeschuldigten. Vielmehr müsse der Schutz vor Beschlagnahme auch in diesem Verfahren schon im Hinblick auf die prozessuale Gemeinsamkeit, die vor der Verfahrenstrennung bestanden hat, bestehen bleiben, weil eine den Beschuldigten schützende Verfahrensregel nicht durch
65
66 67
Meyer-Goßner 10; KK/Nack 1; Samson StV 2000 55, 56; Weigend Gutachten C 62 DJT 1998 S. 114, allerdings mit einer Anregung, das Gesetz zu ändern; a.A. AK/Amelung 14 mit Nachw.; Kohlhaas JR 1965 109, 110; Krekeler NStZ 1987 199, 201. BGHSt 38 144. Namentlich AK/Amelung 15; Krekeler NStZ 1987 199, 201.
68 69 70 71 72
OLG Celle NJW 1965 362; LG Hildesheim NStZ 1982 394. LG Koblenz MDR 1983 779. Kritisch Amelung DNotZ 1984, 207. BGH NStZ 1997 562; BGHSt 43 300, 304. BGH NStZ 1997 562; vgl. auch den Fall LG Freiburg NStZ 1999 366 und dazu Geppert JK 00 StPO § 97/3.
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den formalen Akt einer Verfahrenstrennung beseitigt werden dürfe.73 Der Bundesgerichtshof wendet damit die auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts74 zurückgehenden Grundsätze zum Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen nach § 52 bei prozessualer Gemeinsamkeit75 auch auf das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 im Bereich der geschützten Berufe an.76 Während das Kriterium der prozessualen Gemeinsamkeit beim Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen nicht zu bestreiten ist, hat die Entscheidung zur Beschlagnahme Kritik gefunden, weil das Beschlagnahmeverbot und damit der Zugriff auf möglicherweise wichtige Beweismittel nach dieser Lösung davon abhänge, ob mehr oder weniger zufällig zu irgendeinem Zeitpunkt die verschiedenen Verfahren verbunden waren.77 Im Interesse einer gerechteren, weniger von Zufälligkeiten abhängenden Lösung müsse auf den materiellen Beschuldigtenbegriff abgehoben werden. Immerhin: Auch wenn man eine Beschlagnahmemöglichkeit geschützter Unterlagen im Verfahren gegen andere als den Klienten (Mandanten/Patienten) bejaht, so besteht in diesen Fällen doch nicht die Möglichkeit durch Ordnungsmaßnahmen die Herausgabe zu erzwingen (§ 95 Abs. 2).78
24
c) Verteidiger. Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch für den Verteidiger gelten können. Nach der oben dargestellten Auffassung wären beispielsweise im Verfahren gegen A die Handakten des Verteidigers des der Teilnahme verdächtigen B beschlagnahmefähig, unabhängig davon, ob B selbst in einem anderen Verfahren der Tat beschuldigt wird oder nicht. Die Angaben des B gegenüber seinem Verteidiger wären damit auf dem Umweg über die Handakten seines Verteidigers dem Zugriff der Ermittlungsbehörden ausgesetzt und im Verfahren gegen A verwertbar. Der freie Gedankenaustausch zwischen Mandant und Verteidiger ist Essentiale einer effektiven Verteidigung. Deshalb muss das Innenverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant unabhängig davon geschützt sein, welche Rolle der Mandant in dem Verfahren hat, in dem die Beweisaufnahme erfolgen soll. Sieht man die Vertraulichkeit des Instituts Verteidigung als geschütztes Rechtsgut, kann eigentlich nicht zweifelhaft sein, dass unabhängig davon, was für die anderen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 geschützten Berufe gilt, § 97 dahin auszulegen ist, dass unabhängig von prozessualer Gemeinsamkeit § 97 Abs. 1 das Verhältnis zwischen dem Verteidiger und jedem Mandanten erfasst.
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3. Der Zeugnisverweigerungsberechtigte darf nicht selbst Beschuldigter sein. Die vorliegende Vorschrift findet insgesamt keine Anwendung, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte selbst Beschuldigter oder Mitbeschuldigter der Tat (im prozessualen Sinne) ist, zu deren Aufklärung das Beweismittel benötigt wird.79 Die Vorschrift dient nur dem Zweck, eine Umgehung der Normen über das Zeugnisverweigerungsrecht zu verhindern
73 74 75
76 77 78
BGHSt 43 300; dazu Geppert JK 98 StPO § 97/2. Dazu BGH NJW 1974, 758; Eb. Schmidt § 52 Rn. 8. Zur prozessualen Gemeinsamkeit in diesem Zusammenhang BGHSt 34 215, 216; BGH NStZ 1984 176 f.; 1998 469; BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 3, 10. BGHSt 43 300. Rudolphi NStZ 1998 472. Samson StV 2000 55, 56.
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BGHSt 38 144, 146 f. (Arzt); 53 257, 260 f. (Strafverteidiger); BVerfGK 13 482 (Strafverteidiger); BVerfGE 108 251 (Abgeordneter); 117 244 (Presse, allerdings nach Maßgabe einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung); KK/Nack 8; Meyer-Goßner 4; Fezer 7/18; Krekeler NStZ 1987 201; Wasmuth NJW 1989 2297, 2302 f.; Weyand wistra 1990 5; a.A. Bandisch NJW 1987 2200, 2203 f.
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(oben Rn. 1). Sie will nicht etwa Beschuldigte, die zum Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen gehören, dadurch begünstigen, dass Schriftstücke und Gegenstände, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht erstrecken würde, wenn sie nicht Beschuldigte, sondern Zeugen wären, bei ihnen nicht beschlagnahmt werden dürfen. Teils wird dies aus Absatz 2 Satz 3 geschlossen, teils – zutreffend – aus dem Normzweck, das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Dritten zu schützen.80 Das Ergebnis ist jedenfalls nicht streitig.81 Dass dadurch ein anvertrautes Geheimnis bekannt wird, nimmt das Gesetz in Kauf. Die Verwertung des durch die Beschlagnahme erlangten Wissens ist jedoch nur in dem Verfahren gegen den Beschuldigten selbst und im Verfahren gegen andere Beschuldigte zulässig, die derselben Tat verdächtig sind.82 Einzelheiten zu Zufallsfunden bei Berufsgeheimnisträgern bei § 108. Beschuldigter ist im (formellen) Unterschied 83 zum Verdächtigen (vgl. Absatz 2 26 Satz 3) derjenige, gegen den aufgrund objektiver Verdachtsgründe mit dem Willen der Strafverfolgungsbehörde ein Verfahren betrieben wird. Es bietet sich allerdings an, die materiellen Voraussetzungen für die Begründung der Beschuldigtenrolle und für den Beteiligungsverdacht, der nach Absatz 2 Satz 3 das Beschlagnahmeverbot entfallen lässt, anzunähern, um Gesetzesumgehungen (auch) im Bereich der vorliegenden Vorschrift zu verhindern.84 Beides – Begründung der Beschuldigtenrolle und Verdachtsbegründung im Sinne von Absatz 2 Satz 3 – darf nicht allein auf einer subjektiven Vermutung beruhen, sondern es bedarf objektiver Verdachtsgründe, zu denen die subjektive Einschätzung des den Verdacht prüfenden Rechtspflegeorgans hinzutreten muss. Der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens bedarf es indessen nicht, eine konkludente Verfahrenshandlung in diesem Sinne genügt. Es reicht daher zur Begründung der Beschuldigtenrolle aus, wenn eine von einem Strafverfolgungsorgan getroffene Maßnahme erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat vorzugehen. Die Beschlagnahme kann dabei der erste Verfolgungsakt in diesem Sinne sein.85 Ist der Zeugnisverweigerungsberechtigte nicht Beschuldigter, sondern lediglich der Teilnahme, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig, findet § 97 Anwendung, wobei das Beschlagnahmeverbot dann aber nach Absatz 2 Satz 3 ausgeschlossen sein kann. 4. Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten a) Allgemeines. Die Beschlagnahmebeschränkungen treten – außer bei Verteidigern 27 (Rn. 105) und Abgeordneten (Rn. 127) – grundsätzlich nur ein, wenn sich die Gegenstände im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden (Absatz 2 Satz 1).86 Nur diese Sphäre schützt die vorliegende Vorschrift. Deshalb sind von der Beschlagnahme auch Mitteilungen der Vertrauensperson an den Beschuldigten ausgenommen, die sich noch oder wieder im Gewahrsam dieser Vertrauensperson befinden.87 Denn das Gesetz schützt nach Absatz 2 Satz 1 ausdrücklich nur die Gegenstände in der Gewahrsamssphäre der Vertrauensperson, wohl aufgrund der Überlegung, dass die Schutzwürdigkeit
80 81 82 83 84
Schlüchter 302, 1. Allg. KK/Nack 8; Meyer-Goßner 4; Eb. Schmidt Nachtr. I 13; Schlüchter 302. 1. Meyer-Goßner 49. Vgl. R. Schmidt 74 ff. R. Schmidt 77 f.
85 86 87
OLG Celle NJW 1963 407; vgl. auch G. Schäfer FS Dünnebier 554. S. bereits Hahn Materialien Bd. 1, 124; RGSt 50 241, 243. Meyer-Goßner 11; P. Schmitt 73.
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des Gegenstands entfällt, wenn er sich außerhalb der Gewahrsamssphäre der Vertrauensperson befindet und dort dem Zugriff Dritter ohnehin leichter zugänglich ist.88 Der Grund dafür, warum der Gegenstand sich in der Gewahrsamssphäre der Vertrauensperson befindet oder diese verlassen hat, ist dann unerheblich. Mitteilungen dürfen daher auch dann nicht beschlagnahmt werden, wenn sie von dem Beschuldigten an die Vertrauensperson, von der er sie empfangen hatte, zurückgegeben worden sind. Was dagegen der Beschuldigte im Gewahrsam hat, kann – von reinen Verteidigungsunterlagen, die auch in seinem Gewahrsam nach § 148 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK besonders geschützt werden,89 abgesehen (Rn. 105) – grundsätzlich jederzeit beschlagnahmt werden, auch wenn die Urschrift, eine Abschrift oder Ablichtung der Urkunde im Gewahrsam eines Zeugnisverweigerungsberechtigten ist.90 Mit dem Regelungszweck, eine Kommunikationssphäre zwischen dem Beschuldigten und der Vertrauensperson zu schützen, ist die Beschränkung auf die Gewahrsamssphäre der Vertrauensperson schwer vereinbar.91
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b) Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft,92 die – nach Gössel 93 – sozial manifest innerhalb einer bestimmten Schutzsphäre besteht.94 Gewahrsam setzt nicht, wie die ursprüngliche Fassung der vorliegenden Vorschrift (s. Entstehungsgeschichte), stets voraus, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte die Beweismittel „in Händen“ habe. Entscheidend ist die tatsächliche Verfügbarkeit. Gewahrsam besteht beispielsweise an den Beweisstücken in einem Schließfach, das der Zeugnisverweigerungsberechtigte nur gemeinsam mit dem Vermieter des Fachs, etwa einer Bank, öffnen kann.95 In einem Unternehmen hat Gewahrsam, wer dieses tatsächlich und rechtlich beherrscht;96 bei juristischen Personen sind dies die zur Geschäftsführung berufenen Organe. Der Gewahrsam der Organe entspricht im Wesentlichen dem zivilrechtlichen Organbesitz für eine juristische Person oder Personengesellschaft. Auf dem Postweg besteht weder Gewahrsam des Absenders noch des Empfängers; eine Beschlagnahme ist daher zulässig;97 § 99 schränkt – aufgrund bewusster Regelung durch den Gesetzgeber98 – die Postbeschlagnahme nicht im Hinblick auf einen flankierenden Schutz von Zeugnisverweigerungsrechten ein. Eine Ausnahme gilt auch hier wiederum wegen § 148 für Verteidigerpost.
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c) Alleingewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten ist bereits nach dem Wortlaut der Norm99 nicht erforderlich, Mitgewahrsam genügt,100 soweit nicht der weitere Mitgewahrsam dem Beschuldigten zusteht. Die abweichende Auffassung, nur Mitgewahrsam mehrerer zeugnisverweigerungsberechtigter Personen führe zum Beschlagnahmeverbot,101 die freilich auf den Zweck des Gewahrsamssphärenschutzes verweisen kann und darauf, dass der nicht zeugnisverweigerungsberechtigte Mitgewahrsamsinhaber als Zeuge ver88 89
90 91 92 93 94 95
P. Schmitt 74. BGH StV 1998 246 f. = NStZ 1998 309 ff. = NJW 1998 1963 ff. mit Anm. Martin JuS 1998 850 f.; Satzger JA 1998 632 ff.; Vahle DSB 1998 Nr. 7/8, 23. Meyer-Goßner 12. P. Schmitt 75. Meyer-Goßner 11; R. Schmidt 38. ZStW 85 (1973) 591, 650. Vgl. RGSt 50 241; Eb. Schmidt Nachtrag I 6. Eb. Schmidt Nachtrag I 6.
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96 97 98 99 100
101
BGHSt 19 374; Gillmeister 118. Meyer-Goßner 11; P. Schmitt 73; Welp FS Gallas 419. P. Schmitt 73. R. Schmidt 38. BGHSt 19 374; LG Stuttgart wistra 1990 282; Amelung DNotZ 1984 198; AK/Amelung 10; KK/Nack 8; Schlüchter 293. 2, 295; Schmidt wistra 1991 248; Schuhmann wistra 1995 52; Welp FS Gallas 391, 411. Birmanns MDR 1981 102; P. Schmitt 85 f.
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nommen werden kann, wird insbesondere den Eigenarten der Gemeinschaftspraxen bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und ähnlichen Berufen, sowie der Gewahrsamslage des Syndikusanwalts,102 der seine Verteidigungsunterlagen im Büro des Unternehmens aufbewahrt, für das er im Übrigen tätig ist, nicht in vollem Umfang gerecht.103 Befinden sich die zur Beschlagnahme vorgesehenen Beweismittel deshalb im Mitgewahrsam einer Anwaltssozietät oder einer Steuerberatersozietät, so sind sie unabhängig davon geschützt, ob sämtliche Angehörige der Sozietät zeugnisverweigerungsberechtigt sind. Der Mitgewahrsam des Beschuldigten führt dagegen nach herrschender Auffassung 30 zum Wegfall der Beschlagnahmefreiheit,104 denn Gegenstände, die (auch) der Disposition des Beschuldigten unterliegen, sind vom staatlichen Zugriff nicht ausgenommen. Vom Standpunkt des Schutzes einer abgegrenzten Gewahrsamssphäre im Interesse der Freihaltung der Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und den Vertrauenspersonen her betrachtet, ist dies zwar nicht zwingend.105 Doch wäre der Beschlagnahmezugriff zu sehr erschwert, wenn etwa bereits die Belegenheit der Sache in der Ehewohnung des Beschuldigten wegen des damit regelmäßig verbundenen Mitgewahrsams seines zeugnisverweigerungsberechtigten Ehegatten ausgeschlossen wäre.106 Die Wertung der herrschenden Meinung entspricht daher grundsätzlich mehr den Anforderungen an eine effektive Strafverfolgung. Deshalb durchbricht Mitgewahrsam des Beschuldigten das Beschlagnahmeverbot. Die Frage ist aber, wann ein relevanter Mitgewahrsam besteht. Ein Herausgabeanspruch gegen den Gewahrsamsinhaber allein begründet noch keinen derartigen Mitgewahrsam des Beschuldigten, der das Beschlagnahmeverbot entfallen ließe.107 Dies ist insbesondere für die Frage von Bedeutung, ob der Beschuldigte an Geschäftsunterlagen, die sich zur Buchführung beim Steuerberater befinden, Mitgewahrsam hat.108 Auch wird es innerhalb einer gemeinschaftlich von mehreren genutzten Gewahrsamssphäre, wie der Familienwohnung, Enklaven geben, die nicht jedem Wohngenossen gleichermaßen zugänglich sind. So besteht gleichrangiger Mitgewahrsam an Sache in den von allen Mitbewohnern genutzten Räumen, während Briefe, die einer von diesen in seinem Nachttisch aufbewahrt, ihm zu Alleingewahrsam zustehen, mögen auch die anderen Mitbewohner eine faktische Zugriffsmöglichkeit haben. Zu Recht wird daher die Annahme, das Auffinden von Beweisgegenständen in der Ehewohnung des Beschuldigten eröffne die Möglichkeit des Beschlagnahmezugriffs,109 als zu ungenau kritisiert.110 Besondere Schwierigkeiten entstehen, wenn die Durchsuchung eine Personengruppe 30a trifft, von denen nur einige Beschuldigte oder der Tatbeteiligung Verdächtige sind, wenn
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105 106
LG Frankfurt a.M. StV 1993 351 f. = WM 1995 47 f. mit Anm. Pankewitz WuB VII D § 97 StPO 2.95. R. Schmidt 39. BGHSt 19 374 f.; KG JR 1967 192; LG Aachen MDR 1981 603; Amelung DNotZ 1984 198; Höser MDR 1982 536; MeyerGoßner 12; Schlüchter 295; a.A. R. Schmidt 41 ff., 45 ff.: nur im Umfang der primären Dispositionsbefugnis des Beschuldigten, was ungefähr der Unterscheidung in über- und unter geordneten Mitgewahrsam entspricht. Im Ergebnis anders daher P. Schmitt 84 f. Zutr. R. Schmidt 45: es dürfe kein „Asylrecht“ für Beweismittel allein dadurch ent-
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stehen, dass der Beschuldigte diese etwa in der Ehewohnung deponiert und damit dem Mitgewahrsam des zeugnisverweigerungsberechtigten Ehegatten unterstellt. So aber LG Aachen MDR 1981 603 und NJW 1985 338; Birmanns MDR 1981 102; dagegen Amelung DNotZ 1984 198; Höser MDR 1982 536; wie hier auch AnwKStPO/Löffelmann 7. Zutr. R. Schmidt 47. Vgl. zur Beschlagnahmefreiheit von Buchführungsunterlagen während ihrer Bearbeitung durch den Steuerberater LG Dresden wistra 2007 237. KG JR 1967 192. R. Schmidt 46.
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etwa gegen einen von mehreren in einer Sozietät tätigen Anwälten ermittelt wird. Hier ist schon häufig die Gewahrsamsfrage nur schwer zu beantworten. Sie kann bei solchen Fallgestaltungen, bei denen es um verfassungsrechtlich geschützte Freiräume bestimmter Berufe geht, auch nicht letztlich ausschlaggebend sein. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass die Beschlagnahme (etwa von Handakten) sowohl Beschuldigte (Anwälte oder Mandanten) als auch Nichtbeschuldigte (Anwälte oder Mandanten) trifft und die erfassten Daten zum Teil wegen der Beschuldigteneigenschaft des Anwalts oder doch wegen Tatverstrickung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 einem Beschlagnahmezugriff unterliegen, zum Teil aber auch nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 97 Abs. 1, § 148 rechtlich besonders geschützt sind. Dass das Vertrauensverhältnis bei Tatverstrickung des Berufsangehörigen der Strafverfolgung weicht, sagt § 97 Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich. Erst recht gilt dies, wenn der Berufsangehörige Beschuldigter ist. Es kann also in diesen Fällen nur darum gehen, den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders strikt zu beachten, die Durchsuchungsziele besonders genau zu bestimmen und das Beweismaterial so behutsam zu sichten, dass Interessen Dritter nicht mehr als unvermeidbar berührt werden können.111
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d) Abgeleiteter Gewahrsam. Gibt der nach § 52 Zeugnisverweigerungsberechtigte den Gewahrsam auf oder stirbt er, dann steht der Beschlagnahme aufgrund der vorliegenden Vorschrift nichts mehr entgegen.112 Denn dem neuen Gewahrsamsinhaber war die Mitteilung nicht gemacht und die Sache nicht anvertraut; er hat sie nicht aufgrund des Vertrauensverhältnisses erhalten, das die vorliegende Vorschrift schützen will. Ist der neue Gewahrsamsinhaber selbst zeugnisverweigerungsberechtigt, besteht freilich das Beschlagnahmeverbot fort, wenn der Gewahrsamsübergang weisungsgemäß erfolgte.113 Die nach § 53 zur Verweigerung berechtigten Vertrauenspersonen nehmen das Ge32 heimnis grundsätzlich als Inhaber eines Berufs entgegen, der Vertrauen erfordert und verspricht. Geben sie das Beweismittel, mit oder ohne Wissen des Beschuldigten, aus sachlichen Gründen, die auf der Art des Vertrauensverhältnisses beruhen, in die Hände Dritter, so ist es auch dort vor der Beschlagnahme geschützt, sofern der Dritte auch eine Vertrauensperson im Sinne des § 53 ist,114 aber sogar auch dann, wenn der Dritte keinem der nach § 53 geschützten Berufe angehört.115 Deshalb ist der vom Zeugnisverweigerungsberechtigten abgeleitete Gewahrsam insbesondere dann geschützt, wenn beispielsweise Beweismittel beim Finanzamt, einer Treuhand- oder Buchprüfungsgesellschaft, einer ärztlichen Verrechnungsstelle aufbewahrt oder wenn Krankenunterlagen für unabsehbare Zeit bei der Ärztekammer hinterlegt werden.116 Dasselbe gilt für den Fall, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte Kollegen zu Rate zieht, die gutachtliche Äußerung einer nicht zeugnisverweigerungsberechtigten Person, etwa eines Kraftfahrzeugsach-
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S. BVerfGE 113 29 ff. AK/Amelung 12; KK/Nack 8; Meyer-Goßner 13. AK/Amelung 12. Vgl. RGSt 28 285; MeyerGoßner 13; R. Schmidt 51 f., nur für Fälle des § 52, nicht des § 53; zu Recht einschr. Eb. Schmidt Nachtr. I 6 für den Fall der Weitergabe aus sachlich notwendigen Gründen; abl. Dünkel 26: verfassungsrechtliche Bedenken gegen Beschlagnahmefähigkeit
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von Mitteilungen, die im engsten Familienkreis weitergegeben werden; ähnlich nun P. Schmitt 86 f., auch mit Hinweis auf BVerfGE 32 373, 385 ff., wo das Beschlagnahmeverbot zugunsten eines Praxisnachfolgers für möglich gehalten wurde. R. Schmidt 52. AK/Amelung 12. OLG Celle MDR 1952 376 mit Anm. Maassen; Kohlhaus NJW 1964 1163.
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verständigen, einholt, die Erledigung des Auftrags einem Kollegen überlässt oder dass etwa der Zeugnisverweigerungsberechtigte Informationen, die er als Mitarbeiter von Presse und Rundfunk erhalten hat, seinem zuständigen Ressortleiter übergibt.117 Die Beschlagnahmefreiheit dauert insbesondere auch dann fort, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte sein Amt oder seine Praxis aufgibt und die ihm anvertrauten Geheimnisse in die Hand seines Nachfolgers gelangen lässt.118 Erben, die den Nachlass verwalten und noch nicht an einen Berufsnachfolger abgegeben haben, sind als Berufshelfer (§ 53a) anzusehen. e) Gewahrsamsverlust. Gibt der Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam nicht frei- 33 willig auf, sondern kommt ihm der Gegenstand abhanden, soll die Beschlagnahmefreiheit grundsätzlich entfallen.119 Wenn die abhanden gekommene Mitteilung, Aufzeichnung oder Sache von einem anderen gefunden worden ist, steht nämlich auch nichts im Wege, diesen als Zeugen zu vernehmen und so den Inhalt des Beweisgegenstandes zu ermitteln.120 Der Schutz, den die vorliegende Vorschrift herbeiführen will, dass nicht auf dem Umweg über eine Beschlagnahme die rechtlich fehlende Möglichkeit, über den Inhalt durch Vernehmung Beweis zu führen, geschaffen wird, ist dann ohnehin verloren gegangen.121 Die Beschlagnahme bei dem Finder des Beweismittels ist daher zulässig.122 Eindeutig ist dagegen die Rechtslage, wenn das Beweisstück in einem anderen Ermitt- 34 lungsverfahren beschlagnahmt worden ist. Dieser unfreiwillige Gewahrsamsverlust hindert die Beschlagnahme und Verwertung des Gegenstandes als Beweismittel wegen einer anderen Tat (im prozessualen Sinne), derentwegen die Beschlagnahme nicht zulässig wäre.123 Es gelten die Regeln über Zufallsfunde, s. die Erl. zu § 108. Dem Beschlagnahmezugriff in anderer Sache steht auch die – dem Staat zuzurechnende – Wegnahme der Sache durch eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden gleich,124 etwa durch einen V-Mann. Petra Schmitt (78 f.)125 will auch den Gewahrsamsverlust wegen eines nicht durch 35 staatliche Stellen veranlassten rechtswidrigen Eingriffs durch eine Privatperson zum Anlass nehmen, den Sphärenschutz der vorliegenden Vorschrift aufrecht zu erhalten. Also wäre bei betrügerischer Erlangung, bei Diebstahl oder Raub der Sache der Gewahrsamsverlust – entgegen dem Wortlaut des Absatzes 2 Satz 1 – kein Grund, den Beschlagnahmeschutz entfallen zu lassen. Doch begegnet dies praktischen und (auch von der Unvereinbarkeit mit Absatz 2 Satz 1 abgesehen) rechtlichen Bedenken. Die Prüfung der Beschlagnahmefähigkeit durch die Ermittlungsbeamten wäre deutlich erschwert. Die Rechtswidrigkeit der Gewahrsamserlangung aufdecken zu müssen, würde oftmals vor-
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Huppertz 58. BVerfGE 32 381 kommt für den Praxisnachfolger eines Arztes durch verfassungskonforme Auslegung des Merkmals „Gewahrsam“ zum gleichen Ergebnis; ähnlich Meyer-Goßner 13. Meyer-Goßner 13; P. Schmitt 76 f.; a.A. für unfreiwilligen Gewahrsamsverlust Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren 210; Nothacker ArchKrim. 178 (1986), 6; R. Schmidt 49 ff.; zurückhaltend auch Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C 113.
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So auch P. Schmitt 77. P. Schmitt 77. Eb. Schmidt Nachtrag I 10; P. Schmidt 77. BGHSt 18 227; AK/Amelung 12; MeyerGoßner 13; P. Schmitt 79 f.; a.A. Creifelds GA 1960 65, 74 f. SK/Wohlers 22. Vgl. auch Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren 210; Nothacker ArchKrim. 178 (1986), 6; R. Schmidt 49 ff.; Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C 113.
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aussetzen, eine weitere Straftat aufklären zu müssen, die dem Wegfall des Beschlagnahmeverbots entgegenstünde. Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Anknüpfung an die tatsächliche Sachherrschaft ein leicht ermittelbares Merkmal verwenden wollen, das solchen Aufwand zur Prüfung der Zulässigkeit des Beschlagnahmezugriffs durch Ermittlungsbeamte nicht erfordert. Diese sollen auch die Eigentumsverhältnisse nicht prüfen müssen; von ihnen würde aber bei der Prüfung einer rechtswidrigen Besitzverschiebung aus der Gewahrsamssphäre der Vertrauensperson der Beschuldigten hinaus erheblicher Aufwand gefordert. Auch ist verfahrensrechtlich zweifelhaft, wo die Grenze zwischen einem für die staatliche Strafverfolgung irrelevanten widerrechtlichen Verhalten einer Privatperson bei der Erlangung eines Beweisgegenstands und einem solchen Verhalten der Privatperson, das einem rechtswidrigen staatlichen Zugriff entsprechen könnte, anzusiedeln sein soll. Die Wertungen des § 136a StPO, die bei missbilligenswerter Erlangung nicht gegenständlicher Informationen durch Privatpersonen als Maßstab herangezogen werden könnten, sind auf den Fall der Sachentziehung nicht ohne weiteres übertragbar.126 Daher scheint es angebracht, alle Fälle des Gewahrsamsverlusts durch die Vertrauensperson gleichzusetzen und darin einen Grund für den Wegfall des Beschlagnahmeverbots zu sehen. Ausgenommen von der Verwertbarkeit wegen Gewahrsamsverlusts der Vertrauensperson sind die Verteidigungsunterlagen. Der in § 148 gewährte freie Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger verbietet jegliche Kenntnisnahme von derartigen Unterlagen, soweit sie nicht vom Beschuldigten oder dem Verteidiger freiwillig zur Verfügung gestellt werden.127 5. Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Verdacht der Tatbeteiligung des Zeugnisverweigerungsberechtigten
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a) Allgemeines. Da es nicht Aufgabe der Rechtsordnung sein kann, das zwischen Rechtsbrechern bestehende Vertrauensverhältnis durch ein Beschlagnahmeverbot zu schützen, entfällt das Beschlagnahmeverbot nach Absatz 2 Satz 3 bei Zeugnisverweigerungsberechtigten, die der Teilnahme an der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat, der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig sind.128 Dies war in der Strafprozessordnung und den Partikularrechten, soweit sie vergleichbare Regeln enthielten, stets vorgesehen.129 Ob gegen die verdächtigen Vertrauenspersonen bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, spielt für Absatz 2 Satz 3 keine Rolle.130 Die verfahrensrechtliche Stellung eines Beschuldigten brauchen die Zeugnisverweigerungsberechtigten daher noch nicht erlangt zu haben.131 Ferner ist es ohne Bedeutung, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen sie überhaupt möglich, insbesondere ob sie wegen eines Verfahrenshindernisses ausgeschlossen ist.132 Der Fall, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte allein tatverdächtig ist, wird von der vorliegenden Vorschrift nicht erfasst. Andererseits setzt Absatz 2 Satz 3 nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass der Beschuldigte zur Teilnahmehandlung der Vertrauensperson irgendeine Beziehung hat.133 Ein kollusives Zusam-
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Gegen das Argument der „Klarheit des Beschlagnahmeverbots“ aber P. Schmitt 83. Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren 210; Welp FS Gallas 413. Fezer 7/25. P. Schmitt 89. Fezer 7/26.
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BGH NJW 1973 2035 mit Anm. Specht NJW 1974 65 = JR 1974 115 mit Anm. Roxin = JZ 1974 421 mit Anm. Welp. Meyer-Goßner 18. Dies setzen aber voraus: Bandisch NJW 1987 2200, 2204; R. Schmidt 60 ff.; Welp JZ 1974 423, 425; ders. NStZ 1986 294, 296.
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menwirken wird schon deshalb nicht gefordert,134 weil die §§ 97, 53 auch Fälle einschließen, in denen ein intrapersonales Verhältnis zwischen Beschuldigtem und Berufsgeheimnisträger nicht (notwendigerweise) besteht, etwa bei Journalisten. Die rechtswidrige Handlung solcher Personen schließt nach Absatz 2 Satz 3 das Beschlagnahmeverbot also auch ohne Kollusion mit dem Beschuldigten aus, wobei allerdings bei den nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Zeugnisverweigerungsberechtigten stets die besonderen Voraussetzungen des § 97 Abs. 5 Satz 2 (insbesondere der dringende Verdacht der Beteiligung) zu prüfen sind. Außerdem ist der Systematik des § 97 zu entnehmen, dass § 97 Abs. 2 Satz 3 auf Abgeordnete (im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) keine Anwendung findet. Der Ausschluss des Beschlagnahmeverbots wegen Teilnahmeverdachts gilt, was freilich 37 alles nicht unbestritten ist, nicht für den Verteidiger, solange dieser nicht nach § 138a ff. ausgeschlossen ist (Rn. 95), weil diese Vorschriften als Sonderregelung vorgehen, und nicht bei Abgeordneten. Bei den nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen gelten besondere Voraussetzungen. Hier bedarf es eines dringenden Verdachts der Beteiligung; außerdem gelten besondere Anforderungen, was die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme betrifft. b) Tatbeteiligung. Der Begriff Tat ist wie in § 60 Nr. 2 nicht im sachlich-rechtlichen 38 Sinn (§§ 52 ff. StGB), sondern in dem verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 zu verstehen.135 Die Teilnahme muss nicht strafbar sein.136 Die bloß objektive Verstrickung des Zeugnisverweigerungsberechtigten in die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat genügt.137 Der Verdacht der Teilnahme an einer anderen Tat, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist, für dessen Zwecke die Beschlagnahme erfolgt, reicht hingegen nicht aus.138 Unter Teilnahme ist nach § 28 Abs. 1 StGB zunächst Beihilfe (§ 27 StGB) und Anstiftung (§ 26 StGB), aber auch Mittäterschaft (§ 25 StGB),139 nicht dagegen Nebentäterschaft140 oder notwendige Teilnahme zu verstehen. Das Beschlagnahmeverbot entfällt ferner bei Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§ 258 StGB), auch wenn sie zugunsten eines Angehörigen verübt worden und daher nach § 258 Abs. 6 StGB nicht strafbar ist,141 und bei Hehlerei (§ 259 StGB). c) Teilnahmeverdacht. Der Verdacht muss bei der Anordnung der Beschlagnahme be- 39 stehen,142 und zwar bei dem anordnenden Rechtspflegeorgan. Eine Beschlagnahme, die den Teilnahmeverdacht erst begründen soll, ist rechtswidrig. Ergibt sich der Teilnahmeverdacht erst aufgrund der Beschlagnahme, wird diese dadurch nicht rechtmäßig. Sichergestellte Beweismittel sind zurückzugeben und dürfen nicht verwertet werden.143 Anders
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Anders aber OLG Celle NJW 1963 406, 407; Bandisch NJW 1987 2204; R. Schmidt 60 ff.; Waldowski AnwBl. 1975 108; Welp JZ 1974 425; ders. NStZ 1986 296. BGHSt 18 227, 229; AK/Amelung 18, Meyer-Goßner 19; SK/Wohlers 38 f. AK/Amelung 19; SK/Wohlers 38. BGHSt 25 167, 168 f.; a.A. AK/Amelung 19; SK/Wohlers 38; Welp JZ 1974 425; zweifelnd Krekeler NJW 1977 1418. BGHSt 25 168, 169; Eb. Schmidt Nachtr. I 13; Amelung DNotZ 1984 212. Eb. Schmidt Nachtr. I 13; Amelung DNotZ 1984 212.
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Meyer-Goßner 19; a.A. AK/Amelung 19; Krekeler NJW 1977 1418; Gillmeister 99. BGHSt 25 168, 169 zu § 257 StGB a.F.; Meyer-Goßner 19; krit. P. Schmitt 91 f. Von BGH NStZ 1983 85 als selbstverständlich vorausgesetzt; ausdrücklich: LG Koblenz StV 1985 8, 9 f.; LG Köln NJW 1960 1875; AK/Amelung 20; SK/Wohlers 37; Meyer-Goßner 20; R. Schmidt 63. BGH NStZ 2001 104; LG Koblenz StV 1985 9; LG Köln NJW 1960 1875; R. Schmidt 63; Meyer-Goßner 48.
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liegt der Fall, wenn ein zunächst fehlender Teilnahmeverdacht sich nachträglich unabhängig von der Beschlagnahme herausstellt, denn dann kann und muss eine Beschlagnahme erfolgen.144 Ein beschlagnahmter Beweisgegenstand bleibt auch dann verwertbar, wenn der von Absatz 2 Satz 3, Absatz 5 Satz 2 vorausgesetzte (dringende) Tatverdacht nachträglich entfallen ist.145 Denn die vorliegende Vorschrift regelt nach ihrem Wortlaut nur ein Beweiserhebungsverbot, das nicht verletzt ist, wenn die als Gegenausnahme zum Beschlagnahmeverbot geregelte Beschlagnahmevoraussetzung des Absatzes 2 Satz 3 (bzw. des Absatzes 5 Satz 2) zu einem anderen Zeitpunkt als demjenigen der Beschlagnahmeanordnung entfällt. Die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels ist hier von der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung abhängig; es besteht nach der Fassung des Gesetzes grundsätzlich146 kein selbständiges Beweisverwertungsverbot,147 das nur als solches davon abhängen könnte, ob die Beschlagnahmevoraussetzungen auch im Zeitpunkt des Verwertungsaktes (in der Hauptverhandlung) vorliegen.148 Das Gesetz verlangt in Absatz 2 Satz 3 – anders allerdings in Absatz 5 Satz 2 – keinen 40 bestimmt qualifizierten Verdacht, weder hinreichenden noch dringenden. Es genügt für Absatz 2 Satz 3 grundsätzlich ein einfacher Tatverdacht gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten, der sich – insofern entsprechend Absatz 5 Satz 2 – auf bestimmte Tatsachen gründen muss.149 Der Tatverdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein, die mit Hilfe kriminalistischer Erfahrung mit einiger Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Tatbeteiligung zulassen und einen „erheblichen“ Verdacht der Teilnahme der Vertrauensperson an der Tat des Beschuldigten begründen.150 Es müssen also Indizien vorliegen, die Aussagekraft für die fragliche Beweistatsache haben151 und „gewichtige Anhaltspunkte“ dafür bieten.152 Allein auf eine subjektive Auffassung (Vermutung) des Beurteilers ohne jegliche objektive Beweisgrundlage in aussagekräftigen Indizien kann ein Teilnahmeverdacht nicht gestützt werden.153 In der Entscheidung nach § 98 muss der Verdacht nachvollziehbar dargelegt werden;154 bloße Behauptungen155 reichen dort nicht aus. Der einfache Anfangsverdacht i.S. des § 152 Abs. 2 wird deshalb auch nicht stets genügen. Im Übrigen ist es eine Frage des Einzelfalls, wie stark der Tatverdacht sein muss. Der stets zu
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BGHSt 25 168. BGHSt 25 168 ff.; BGH NStZ 1982 85 = StV 1983 1 f.; krit. R. Schmidt 68 ff. Eine Ausnahme kommt vom hier vertretenen Standpunkt nur bei Annahme einer Art Institutsgarantie für eine effektive Verteidigung der Fall der Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen in Frage, da insofern auch weitere Schutznormen eingreifen, nämlich § 148 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG. So aber R. Schmidt 71. In diesem Sinne aber Geppert JK StPO § 97/1; R. Schmidt 70; einschr. auch BGHSt 18 227, 228 f. HK/Gercke 78; Meyer-Goßner 20; SK/Wohlers 37. R. Schmidt 56 f. mit Nachw. Dies entspricht im Ansatz der Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass auch die tatrichterliche Beweiswürdigung sich auf
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objektive Beweisgründe stützen muss, die auch für einen Dritten die hohe Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Beweisergebnisses ergeben; eine rein subjektive richterliche Überzeugung ohne objektive Anhaltspunkte genügt nicht; BGH NStZ 1999 420 m.w.N. BGH NJW 1973 2035. Meyer-Goßner 20; R. Schmidt aaO; anders noch LG Kiel SchlHA 1955 368, 369. Dies wirkt der etwa von Dahs NJW 1985 1114 beklagten Tendenz entgegen, „ohne substantiierte Ermittlungen allein aufgrund eines als zureichend empfundenen Anfangsverdachtes prozessuale Zwangsmaßnahmen zu veranlassen“. Vgl. die unzulässige Verallgemeinerung (behaupteter) schlechter Erfahrungen mit Strafverteidigern durch das LG in der Entscheidung OLG Oldenburg StV 1987 523 f.
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beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 94, 51) verlangt, dass die Stärke des Tatverdachts, das Gewicht der konkreten Tat, die Tiefe des Eingriffs und die Bedeutung des zu erlangenden Beweismittels in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen.156 Das bedeutet, dass namentlich bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Angehörigen der Presse der Tatverdacht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zusätzlicher Prüfung bedarf; denn der Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses ist auch im Rahmen der vorläufigen Gesamtwürdigung der Beweise für und gegen eine Tatbeteiligung von Bedeutung. So wird der Umstand allein, dass der Steuerberater bei der Erstellung einer falschen Steuererklärung mitgewirkt hat, zwar den Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 begründen, eine (Durchsuchung und) Beschlagnahme seiner Handakten aber regelmäßig nicht rechtfertigen können. Ob nach diesen Grundsätzen Teilnahmeverdacht bejaht werden konnte, hat das Tat- 41 gericht vor der Verwertung des beschlagnahmten Beweismittels ebenso zu prüfen, wie das Revisionsgericht auf die Verfahrensrüge, das Beweismittel sei, da einem Verwertungsverbot unterliegend, zu Unrecht verwertet worden. Einzelheiten s. unten. 6. Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Deliktsgegenständen. Nach § 97 Abs. 2 42 Satz 3 gilt das Beschlagnahmeverbot nicht für Gegenstände, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren.157 Damit sind – wie der teilweise identische Wortlaut beweist – die producta et instrumenta sceleris des § 74 Abs. 1 StGB bzw. die Tatvorteile des § 73 StGB gemeint,158 denn Gegenstände, die als Verfalls- oder Einziehungsgegenstände ohnehin schon in das Strafverfahren verstrickt sind und für die es ein § 97 entsprechendes Beschlagnahmeverbot nicht gibt, müssen im Strafverfahren auch als Beweismittel zur Verfügung stehen.159 In allen Fällen müssen die Deliktsgegenstände gerade mit der Straftat zusammenhängen, zu deren Aufklärung sie als Beweismittel beschlagnahmt werden sollen.160 Hervorgebracht durch eine Straftat sind nur solche Gegenstände, die durch die Tat 43 entstanden sind oder deren jetzige Beschaffenheit auf die Tat zurückzuführen ist, das ist z.B. die gefälschte Urkunde, der betrügerisch erlangte Kaufvertrag oder die Urschrift und sämtliche Ausfertigungen einer Urkunde in den Fällen des § 271 StGB.161 Gebraucht oder bestimmt zur Begehung einer Straftat sind nur solche Gegenstände, 44 die nach dem Täterplan in irgendeiner Phase – dies kann auch die Vorbereitungsphase sein162 – zu der Tatausführung im weiteren Sinne Verwendung gefunden haben oder Ver156
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BVerfGE 20 162, 186 ff.; 30 1 ff.; 44 353, 373; 59 95; 67 157, 173; Koch wistra 1983 64; R. Schmidt 55. BGHSt 41 363, 366 (Beschlagnahme eines mit dem Ziel der Täuschung der Ermittlungsbehörden über die wahren Täter der Presse übersandten „Bekennerschreibens“ einer terroristischen Vereinigung in den Räumen eines Presseunternehmens); KG Beschl. vom 19. Juni 1998 – 2 AR 72/95 – 5 Ws 355/98 (Beschlagnahme von Unterlagen zu einem Rechtsanwaltsanderkonto bei einer Bank, auf dem Geldbeträge eingezahlt wurden, die möglicherweise aus rechtswidrigen Taten herrühren).
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AK/Amelung 23; Meyer-Goßner 21 ff.; Schlüchter 293. 3; Freund NJW 1976 2002; einschr. Amelung DNotZ 1984 208. Amelung DNotZ 1984 208; Freund NJW 1976 2002. BGHSt 18 227, 229; 25 168, 169; Eb. Schmidt Nachtr. I 14. AK/Amelung 23; Amelung DNotZ 1984 209. OLG Hamburg MDR 1981 603; MeyerGoßner 22; Freund NJW 1976 2002; a.A. Amelung DNotZ 1984 211; AK/Amelung 23.
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wendung finden sollten. Hierher gehören z.B. die Buchhaltungsunterlagen und Bilanzen bei der Steuerhinterziehung, wenn sie falsche Daten enthalten, da sie erst die Unrichtigkeit der Angaben in der Steuererklärung ermöglichen,163 sowie Verträge über die Gründung von Scheinfirmen zur unzulässigen Gewinnverlagerung ins Ausland. Handelt es sich dabei um notariell beurkundete Verträge, ist die Urkunde als solche Beweismittel und nicht nur deren im Einzelfall verwendete Ausfertigung. Deshalb darf die beim Notar verbliebene Urschrift (nicht aber dazugehörige Entwürfe und Korrespondenz) wie jede andere noch existierende Ausfertigung beschlagnahmt werden.164 Anderes gilt nur dann, wenn die Urkunde nachträglich verfälscht wurde. Gleiches gilt für die Korrespondenz der Täter über die Planung der Tat.165 Tatwerkzeuge sind ferner beim Kreditbetrug die falschen Bilanzen samt den ihnen zugrundeliegenden falschen Buchhaltungsunterlagen, nicht aber die als Vorlage für die Fertigung der falschen Bilanzen verwendeten richtigen;166 auch bei unterlassenem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die (richtigen) Bilanzen nicht Tatwerkzeug.167 Bei falschen Bilanzen und unrichtiger Buchführung ist beschlagnahmefähiger Deliktsgegenstand stets die gesamte Buchhaltung (Belege, Inventare, Konten, Bilanzen), auch wenn nur einzelne Belege gefälscht sind.168 Aus einer Straftat herrühren werden Gegenstände, die dem Verfall nach § 73 StGB 45 unterliegen, also Vorteile, die für die Tat oder aus der Tat erlangt sind.169
III. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot und Widerruf des Verzichts 46
1. Überblick. Auf das Beschlagnahmeverbot kann verzichtet werden. Ein solcher Verzicht ist zunächst seitens dessen möglich, der als Klient (Mandant/Patient) gemäß § 53 Abs. 2 einen Angehörigen der geschützten Berufe von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden kann. Ein Verzicht kann aber in allen Fällen auch durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten erfolgen, in dessen Gewahrsam der Gegenstand sich befindet. Der Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot kann widerrufen werden. Verzicht und Widerruf können ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. 2. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Klienten
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a) Allgemeines. Soweit der Berechtigte in den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b den Zeugnisverweigerungsberechtigten von der Pflicht zur Verweigerung des Zeugnisses entbinden kann, kann er auch in die Beschlagnahme geschützter Sachen einwilligen.170 Eine solche Einwilligung liegt regelmäßig in der Entbindung von der Schweigepflicht,171 kann aber auch unabhängig davon erklärt und auf bestimmte Beweismittel beschränkt werden.
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OLG Hamburg MDR 1981 603; LG Aachen MDR 1981 603; NJW 1985 339; H. Schäfer wistra 1985 16; LG Fulda StV 2000 548, 552. Meyer-Goßner 22; a.A. LG Köln NJW 1981 1746; Amelung DNotZ 1984 211. Anders noch die Voraufl.; hier jetzt wie Meyer-Goßner 22.
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LG Stuttgart NJW 1976 2030; a.A. Freund NJW 1976 2002. A.A. H. Schäfer wistra 1985 16. Ebenso H. Schäfer wistra 1985 16. AK/Amelung 23. AnwK-StPO/Löffelmann 5. BGHSt 38 144, 145; KK/Nack 5; Fezer 7/22.
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b) Berechtigter. Zu beachten ist aber, dass das Beschlagnahmeverbot des § 97 in den 48 Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b nur gilt, wenn der Mandant, Klient oder Patient des Zeugnisverweigerungsberechtigten der Beschuldigte ist. Nur dieser kann dann auch auf die Einhaltung des Beschlagnahmeverbots verzichten. Anderes gilt beim Verteidiger (Rn. 24). Hier wird auch dessen Verhältnis zu Mandanten, die nicht Beschuldigte sind, dem Schutz des § 97 unterfallen müssen, mit der Folge, dass in jene Vertrauensverhältnisse ohne Einwilligung des jeweiligen Mandanten nicht eingegriffen werden darf. Die Einwilligung des Berechtigten in die Sicherstellung ist wirksam, auch wenn dieser nicht weiß, was der Beweisgegenstand im Einzelnen enthält.172 In der Regel wird es aber der Vertrauensperson auf deren Wunsch gestattet werden müssen, mit dem Beschuldigten die Frage der Einwilligung vor der Sicherstellung zu besprechen.173 Die Erklärung des Berechtigten ist für den Zeugnisverweigerungsberechtigten bin- 49 dend, auch wenn das Zeugnisverweigerungsrecht, wie die Verschwiegenheitspflicht des Arztes;174 zugleich im öffentlichen Interesse geschaffen ist.175 Dies war früher mit der Begründung bestritten,176 dass die Beschlagnahmeverbote nicht im Interesse des Beschuldigten erlassen seien, dass § 97 ein ausdrückliches Einverständnis entsprechend der Regelung in § 53 Abs. 2 nicht vorsehe, dass eine Beschlagnahme nicht nötig sei, da ja (nach Entbindung von der Schweigepflicht) ein Zeuge zur Verfügung stehe und dass bei Geheimnissen Dritter die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Beschuldigten ohnehin wirkungslos sei.177 Diese Auffassung verkannte, dass das Beschlagnahmeverbot nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 97 Abs. 1 Nr. 1) an das Zeugnisverweigerungsrecht anknüpft. Wenn die zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach der Entbindung von der Schweigepflicht nach § 53 Abs. 2 aber grundsätzlich verpflichtet sind, über den Inhalt der in ihrem Gewahrsam befindlichen Beweismittel als Zeugen auszusagen, dann ist nicht einzusehen, warum die Beschlagnahme dieser Beweismittel nicht zulässig sein sollte. Dies ist heute herrschende Meinung.178 c) Kern beruflicher Tätigkeit des Verteidigers. Eine Ausnahme von der umfassenden 50 Auskunftsverpflichtung bei Entbindung von der Schweigepflicht und entsprechend auch vom Beschlagnahmeverbot gilt im Hinblick auf die Prozessrolle als selbständiges Rechtssubjekt für den Verteidiger. Es gibt einen Kern von Verteidigungstätigkeit, für den dem Verteidiger unabhängig von einer Entbindung von der Schweigepflicht ein Schweigerecht verbleibt. Dies folgt aus der Funktion und Rechtsstellung des Verteidigers im Strafverfahren: Er ist Beistand des Beschuldigten, aber auch Inhaber eigener, von der Zustimmung seines Mandanten unabhängiger Rechte. Seine Unabhängigkeit vom Mandanten zeigt sich beispielsweise darin, dass er auch ohne das Einvernehmen mit seinem Mandanten eigene Ermittlungen zur Sachverhaltserforschung vornehmen und in der Hauptverhandlung Beweisanträge stellen darf. Die Entbindung von der Schweigepflicht kann deshalb nur bedeuten, dass er über das, was er von seinem Mandanten oder im Auftrag und mit Wissen des Mandanten erfahren hat, Auskunft geben muss, nicht aber über alle seine
172
173 174 175 176
OLG Hamburg NJW 1962 690; Schlüchter 299; Kohlhaas NJW 1964 1164; a.A. Eb. Schmidt Nachtr. III. Vgl. Kohlhaas NJW 1964 1164. BGHSt 38 144, 146. BGHSt 38 144, 145. Gülzow 267; Eb. Schmidt Nachtr. I 11; Bringewat NJW 1974 1742; Göppinger
177 178
NJW 1958 241, Kaufmann NJW 1958 272. So insb. Eb. Schmidt Nachtr. I 11. BGHSt 38 144, 145; OLG Hamburg NJW 1962 690; OLG Nürnberg NJW 1958 727 mit ablehnender Anm. Kaufmann; AK/Amelung 27; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 24; Pfeiffer 1.
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Erkenntnisse. Entsprechend besteht auch nur in diesem Umfang eine Beschlagnahmemöglichkeit, denn soweit der Mandant den Verteidiger nicht wirksam von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann, kann er auch nicht das Beschlagnahmeverbot bei seinem Verteidiger durch seine Erklärung aufheben. Es bleibt ein keinerlei Zugriffen zugänglicher Geheimnisbereich des Verteidigers aus eigenem Recht.179
51
d) Höchstpersönliches Recht. Das Recht, die Vertrauensperson von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden oder das Einverständnis mit der Beschlagnahme zu erklären, ist höchstpersönlich. Nach dem Tod des Klienten entscheidet deshalb der Zeugnisverweigerungsberechtigte allein, was bei der Beschlagnahme wenig Bedeutung hat, da hier nur der Beschuldigte entbinden kann und dessen Tod das Verfahren beendet.
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e) Juristische Personen. Sehr streitig ist die Behandlung der Entbindung von der Schweigepflicht bei der Beratung und Vertretung juristischer Personen, da deren Organe ein Interesse haben, Berechtigte zu sein, um sich durch Nichtentbindung von der Schweigepflicht vor strafrechtlicher Verfolgung selbst in Fällen zu schützen, in denen sie zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt haben. Wird dem Beschuldigten eine Straftat im Zusammenhang mit der Vertretung einer juristischen Person vorgeworfen (z.B. der Geschäftsführer einer GmbH hinterzieht Steuern zugunsten der GmbH oder er begeht Untreue zum Nachteil der GmbH und beides lässt sich mit Unterlagen nachweisen, die im Gewahrsam eines Berufsangehörigen im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b sind), dann unterliegen Beweismittel beim Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt, der die juristische Person berät oder vertritt, schon deshalb nicht dem Beschlagnahmeverbot, weil nicht die juristische Person, sondern deren Vertreter Beschuldigter ist, das Beschlagnahmeverbot lediglich das Vertrauensverhältnis mit dem Beschuldigten schützt und das Vertrauensverhältnis zur juristischen Person sich nicht auch auf deren Geschäftsführer erstreckt.180 Aus diesen Gründen gibt es auch für den Fall der Insolvenz der juristischen Person 53 keine Besonderheiten. Zur Entbindung von der Schweigepflicht ist ausschließlich der Insolvenzverwalter befugt. Der Bundesgerichtshof hebt zutreffend hervor, dass in solchen Fällen Auftraggeber etwa des Rechtsanwalts usw. die Gemeinschuldnerin als juristische Person war und dass die einzelnen Organmitglieder außerhalb des Mandatsverhältnisses stehende Dritte waren.181
54
f) Insolvenz einer natürlichen Person. Hier liegt der Fall anders. Es besteht ein persönliches Beratungs- und Vertrauensverhältnis zwischen der natürlichen Person (dem Kaufmann, dem Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft) und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten. Deshalb kann hier immer nur der Vertragspartner persönlich entbinden; richtet sich das Strafverfahren gegen den Schuldner, muss dieser deshalb die Entbindungserklärung nach § 53 Abs. 2 oder die Einverständniserklärung mit der Beschlagnahme abgeben. Der Insolvenzverwalter hat insoweit keine Befugnisse.
179 180
G. Schäfer FS Hanack 77, 88; s. auch BGHZ 109 260, 269. BVerfGK 2 97, 100; OLG Nürnberg OLGZ 1977 370, 373; LG Hamburg wistra 2002 77; LG Lübeck NJW 1978 1014;
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181
KK/Nack 6; H. Schäfer wistra 1984 212 m.w.N.; wistra 1985 209; Weyand wistra 1995 240. BGHZ 109 260, 271.
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3. Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten a) Grundsatz. Ebenso wie die Zeugnisverweigerungsberechtigten (Angehörige und 55 geschützte Berufe) auf das Zeugnisverweigerungsrecht jederzeit verzichten und als Zeuge aussagen können,182 steht es ihnen auch frei, in die Sicherstellung an sich beschlagnahmefreier Gegenstände einzuwilligen,183 und zwar unabhängig davon, ob sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht im Übrigen Gebrauch machen oder nicht. Dies ist für Angehörige184 (§ 52), Geistliche (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), Abgeordnete und Medienmitarbeiter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5) nicht bestritten, da diese Personen keiner strafbewehrten Pflicht zur Geheimhaltung (§ 203 StGB) unterliegen. Streitig ist die Frage dagegen bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b genannten Berufen, wenn eine Entbindung von der Schweigepflicht nicht erfolgt ist. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, es widerspreche einem rechtsstaatlichen Strafverfahren, dass die Strafverfolgungsorgane einen Zeugnisverweigerungsberechtigten zu einem Rechtsbruch veranlassen oder ihn dabei unterstützen und so erlangte Erkenntnisse im Strafverfahren verwerten.185 Dem ist entgegen zu halten, dass es Sache des Zeugnisverweigerungsberechtigten sein muss, darüber zu entscheiden, ob er nach Abwägung widerstreitender Interessen sich zur Aussage entschließt.186 Weder haben der Angeklagte oder ein in seinen Geheimhaltungsinteressen berührter Zeuge einen Anspruch darauf, dass der Arzt von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht,187 noch darf das Gericht, abgesehen von der Aufklärung über einen Irrtum über die Rechts- oder Sachlage, die Entschließung des Zeugen durch Hinweise oder Empfehlungen beeinflussen.188 Der Zeugnisverweigerungsberechtigte kann aus vielerlei Gründen auch bei fehlender Entbindung zur Aussage befugt sein. So kann bei einem Verteidiger die freiwillige Herausgabe an sich geschützter Beweismittel Teil der Verteidigerstrategie sein; schon deshalb muss die Frage, ob die Offenbarung befugt war, im anhängigen Verfahren der Klärung entzogen sein. Auch kann der Zeugnisverweigerungsberechtigte nicht zuletzt zur Wahrung eigener Rechte ein berechtigtes Interesse an der Offenbarung haben und im Einzelfall deshalb gerechtfertigt sein, wenn es etwa darum geht, auf diese Weise falsche Anschuldigungen des Mandanten (der Zeugnisverweigerungsberechtigte habe ihm zu der Straftat geraten) abzuwehren, was namentlich für die geschützten Beraterberufe von existentieller Wichtigkeit sein kann. Da in dem Verfahren, in dem das Beweismittel benötigt wird, nicht geprüft werden kann, ob der Berufsgeheimnisträger bei freiwilliger Herausgabe gegen berufliche Geheimhaltungspflichten, insbesondere gegen § 203 StGB, verstößt, hat ein möglicher Verstoß des Zeugnisverweigerungsberechtigten gegen seine berufliche Geheimhaltungspflicht auf die Verwertbarkeit des Beweismittels keinen Einfluss.189 Gibt der Zeugnisverweigerungsberechtigte einen nach § 97 vor Beschlagnahme ge- 56 schützten Gegenstand freiwillig heraus190 oder erklärt er sich mit seiner Sicherstellung 182 183 184 185
186 187
BGHSt 9 59; 15 202. BGHSt 18 227, 230; KK/Nack 3; MeyerGoßner 5; Fezer 7/29. BGHSt 18 227, 230. Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren S. 210; Welp FS Gallas 409; Weigend C 62. DJT 1998 Gutachten 97; offengelassen von AK/Amelung 30. BGHSt 42 73, 76; 18 146, 147; MeyerGoßner 5. BGHSt 42 73, 76; 9 59, 61.
188 189
190
BGHSt 42 73, 76; 18 146, 147; Lenckner Arzt und Recht 1966 189, 194. BGHR StPO § 53 Schweigepflicht 1 Verletzung; BGHSt 9 59, 61; 15 200, 202 (zur Zeugnisverweigerung); Meyer-Goßner 5; Pfeiffer 1; Creifelds GA 1960 73; a.A. SK/Wohlers 35; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren S. 210; Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C 97; Welp FS Gallas 409. P. Schmitt 71.
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einverstanden,191 wird eine Beschlagnahme, welche die vorliegende Vorschrift allein verbieten könnte, oftmals nicht mehr erforderlich; formlose Sicherstellung kann genügen. Hilfspersonen des § 53a sind allerdings grundsätzlich zur Herausgabe nicht befugt; es entscheidet stets der Zeugnisverweigerungsberechtigte (§ 53a Abs. 1 Satz 2). Bei geschütztem, abgeleitetem Gewahrsam (Krankenanstalten, Beratungsstellen: Absatz 2 Satz 2; Redaktionen usw. Absatz 5 Satz 1) kommt es ebenfalls auf den Verzicht des Zeugnisverweigerungsberechtigten an.
57
b) Belehrung. In der freiwilligen Herausgabe von Beweismitteln und in dem Einverständnis mit ihrer Sicherstellung liegt ein Verzicht auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot.192 Verzichten kann man aber nur auf ein Recht, von dem man weiß, dass es besteht; das Einverständnis setzt daher die Kenntnis des Beschlagnahmeverbots voraus. Bei Angehörigen des Beschuldigten geht das Gesetz grundsätzlich davon aus, dass eine Belehrung über das Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 3 und § 81c Abs. 3) erforderlich ist. Nichts anderes kann hier für den Verzicht auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot des § 97 gelten. Dagegen geht das Gesetz bei den nach § 53 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen davon aus, dass diese ihre Rechte kennen, und sieht deshalb eine Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor.193 Eine Belehrung kommt hier deshalb nur in dem ganz unwahrscheinlichen Fall in Betracht, dass einem Zeugen seine Rechte nicht bekannt sein sollten.194 Deshalb ist entsprechend § 52 Abs. 3 Satz 1 eine Belehrung über die Rechte nach § 97 nur gegenüber den nach § 52 Zeugnisverweigerungsberechtigten erforderlich.195 Eine Belehrung ist auch erforderlich, wenn ein nach § 52 Zeugnisverweigerungsbe58 rechtigter das Beweismittel ohne Aufforderung „spontan“ für Ermittlungen zur Verfügung stellt.196 Soweit eine Belehrung erforderlich ist, ist jede Aufforderung an den Gewahrsamsinha59 ber, die Sache freiwillig zur Verfügung zu stellen oder sich mit ihrer Sicherstellung einverstanden zu erklären, mit dem Hinweis zu verbinden, dass sie nicht beschlagnahmt und nur mit Einwilligung des Gewahrsamsinhabers in amtliche Verwahrung genommen werden darf.197 Wird diese Belehrung, die auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen erteilen können,198 unterlassen und gibt der Zeugnisverweigerungsberechtigte die Sache daher in dem Glauben heraus, er sei hierzu verpflichtet, so wird dadurch das Beweisverbot des § 97 nicht aufgehoben. Die Verwertbarkeit kann aber dadurch hergestellt werden, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte nach nachträglicher Belehrung sein Einverständnis mit der Verwertung erklärt.199
191 192 193 194 195
BGHSt 18 227, 230; Meyer-Goßner 5; Huppertz 62 für Mitarbeiter der Presse. BGHSt 18 227, 230; Meyer-Goßner 5; Fezer JuS 1978 767. OLG Celle JZ 1989 906, 907 mit Anm. Mayer JZ 1989 908, 909. BGH bei Holtz MDR 1980 815 für die Zeugenaussage. Herdegen GA 1963 144; a.A. Wohlers NStZ 1990 245, 246, der eine Belehrung stets für erforderlich hält.
180
196 197
198 199
KK/Nack 3; Herdegen GA 1963 144; Meyer-Goßner 6. Herdegen GA 1963 144; vgl. auch BGHSt 18 227, 230 für eine Beschlagnahme bei der Ehefrau des Beschuldigten. Herdegen GA 1963 145. BGHSt 18 227, 230; Herdegen GA 1963 144.
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4. Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahmeverbot a) Widerruf durch den Klienten. Die Einwilligung (das Einverständnis und die Ent- 60 bindungserklärung) durch den Klienten können in entsprechender Anwendung von § 52 Abs. 3 Satz 2 widerrufen werden. Der Zeugnisverweigerungsberechtigte ist dann wie beim Widerruf der Entbindung von der Schweigepflicht gehalten zu prüfen, ob er auf das dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechende Beschlagnahmeverbot verzichtet. Verzichtet er nicht, entsteht ein neues Beschlagnahmeverbot.200 Der Gegenstand ist dem Berechtigten zurückzugeben; von Schriftstücken dürfen Fotokopien nicht mehr genommen werden. Nach allgemeiner Meinung besteht hier genauso wenig ein Verwertungsverbot wie beim Widerruf der Entbindung von der Schweigepflicht.201 Bereits erlangte Erkenntnisse können weiter benutzt und über den Inhalt des Beweismittels kann durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben werden.202 b) Widerruf durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten. Auch der nach § 52 und § 53 Zeugnisverweigerungsberechtigte kann seinen Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot ebenso wie den auf das Zeugnisverweigerungsrecht jederzeit widerrufen.203 Der Widerruf kann ausdrücklich oder konkludent abgegeben werden. Sie kann beim Zeugnisverweigerungsberechtigten im Einzelfall mit der nachträglichen Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts zusammenfallen. Zeugnisverweigerung und Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahmeverbot sind jedoch grundsätzlich verschiedene Erklärungen, die voneinander getrennt werden können. Daher kann allein in einer Zeugnisverweigerung noch nicht die Erklärung über den Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahmeverbots gesehen werden.204 Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine solche Auslegung zulassen. Dieses Widerrufsrecht gilt ebenso wie beim Zeugnisverweigerungsrecht auch für die nach § 53 Zeugnisverweigerungsberechtigten. Die weitere Verwertbarkeit eines Beweismittels nach dem Widerruf des Verzichts auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot ist wenig geklärt. Zunächst ist davon auszugehen, dass auf den Widerruf der Gegenstand dem Zeugnisverweigerungsberechtigten sofort zurückzugeben ist, er also unmittelbar nicht mehr zur Beweisaufnahme zur Verfügung steht. Im Übrigen können die Folgen des Widerrufs hier kaum anders zu beurteilen sein als nach dem Widerruf des Verzichts auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 53 oder auf das Untersuchungsverweigerungsrecht des Angehörigen nach § 81c. Danach muss Folgendes gelten: Erfolgt der Widerruf in der Hauptverhandlung, nachdem bereits Beweis erhoben wurde (der Brief wurde bereits verlesen), dann bleibt dieses Beweismittel für diese Hauptverhandlung ebenso verwertbar wie eine in der Hauptverhandlung gemachte Zeugenaussage, wenn der Zeuge erst nach seiner Vernehmung den Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht widerrufen hat.205 In den übrigen Fällen kommt, da das Beweismittel auf den Widerruf zurückzugeben ist, eine den Inhalt des Beweismittels reproduzierende Beweisaufnahme z.B. durch Vernehmung eines Ermittlungsbeamten, der das Beweismittel ausgewertet hatte, in Betracht. Diese ist aber in den
200 201 202
Meyer-Goßner 25. BGHSt 18 146, 147. KK/Nack 3; Meyer-Goßner 25; differenzierend SK/Wohlers 44 ff.; anders (keinerlei Verwertbarkeit) wohl OLG Hamburg NJW 1962 689, 691.
203 204 205
KK/Nack 3. BGH Beschl. vom 16. Dezember 1997 – 1 StR 740/97. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 13.
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Fällen des § 52 nur zulässig, wenn dem Verzicht auf das Beschlagnahmeverbot eine (nicht notwendig richterliche)206 Belehrung vorausgegangen war. In den Fällen des § 53 bleibt das Beweismittel mittelbar verwertbar, da diese Zeugen ihre Rechte kennen und deshalb einer Belehrung nicht bedurften.207
IV. Vor Beschlagnahme geschützte Gegenstände 65
1. Überblick. Das Gesetz zieht den Kreis der vor Beschlagnahme geschützten Gegenstände unterschiedlich weit, je nachdem, ob es sich um Gegenstände im Gewahrsam der nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b geschützten Personen (Absatz 1 und 2) oder ob es sich um den Schutz der Abgeordneten (Absatz 4) oder Medienangehörigen (Absatz 5) handelt. Im ersten Fall (Angehörige und nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b geschützte Berufe) sind geschützt schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Angehörigen sowie den Inhabern der geschützten Berufe (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), bestimmte Aufzeichnungen der Inhaber der geschützten Berufe (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) und andere Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Inhaber der geschützten Berufe erstreckt (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). Einzelheiten zu den Gegenständen Rn. 66 bis 77. Bei Abgeordneten ist die Beschlagnahme von Schriftstücken unzulässig, soweit das Zeugnisverweigerungsrecht reicht (Absatz 4), ohne dass das Gesetz wie in den Fällen des Absatzes 1 (und des Absatzes 5 bei Medienangehörigen) das Gewahrsamserfordernis für den Beschlagnahmeschutz erwähnt und ohne dass auf ein Vertrauensverhältnis anderer Personen zu den Abgeordneten abgestellt würde. Einzelheiten bei Rn. 123. Bei den Medienangehörigen schließlich sind geschützte Objekte Schriftstücke, Ton-, Bild- und Datenträger, Abbildungen und andere Darstellungen. Das Gewahrsamserfordernis als Beschlagnahmevoraussetzung gilt hier auch, jedoch wird auch hier wie bei den Abgeordneten auf ein Vertrauensverhältnis anderer Personen zu den Medienangehörigen nicht abgestellt (Absatz 5). Einzelheiten bei Rn. 129. 2. Schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den nach §§ 52, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Zeugnisverweigerungsberechtigten (Absatz 1 Nr. 1)
66
a) Schriftliche Mitteilungen sind Gedankenäußerungen, die eine Person (Absender) einer anderen (Empfänger) zukommen lässt oder zukommen lassen will, damit diese davon Kenntnis nimmt.208 Ob der Empfänger das Mitgeteilte liest oder sonst zur Kenntnis nimmt, ist gleichgültig. Daher tritt die Beschlagnahmefreiheit schon ein, wenn der zeugnisverweigerungsberechtigte Absender die Mitteilung abgesetzt und zum Absenden bestimmt hat, auch wenn sie bei ihm liegen geblieben ist. Diese Abgrenzung ist von Bedeutung für Mitteilungen im Verhältnis der Angehörigen, da hier nur Mitteilungen (Absatz 1 Nr. 1), nicht aber, was andernfalls als geschütztes Objekt in Betracht käme, 206 207
A.A. Meyer-Goßner § 81c, 24 für die Untersuchung des Zeugen. Demgegenüber wird in der Literatur nicht zwischen den nach § 52 und § 53 Zeugnisverweigerungsberechtigten unterschieden sowie dem Widerruf ganz allgemein jede Bedeutung abgesprochen, wenn das Beweismittel schon verwertet worden ist, wobei
182
208
unklar bleibt, ob für diese Verwertung auch die bloße Kenntnisnahme in einem Ermittlungsverfahren durch Ermittlungsbeamte ausreicht, vgl. Alsberg/Nüse/Meyer 493; Creifelds GA 1960 73; Herdegen GA 1963 145. BGH NStZ 1998 309; KK/Nack 11.
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Aufzeichnungen (Absatz 1 Nr. 2) geschützt sind. Ob die schriftliche Mitteilung bei der Vertrauensperson im Original, in einer Durchschrift, Abschrift oder Fotokopie vorhanden ist, macht keinen Unterschied.209 Ferner ist es bedeutungslos, ob der Absender die Mitteilung selbst geschrieben oder sich fremder Hilfe bedient hat, insbesondere, ob er sie von einem Beauftragten als seine Mitteilung hat erstellen lassen.210 Schriftliche Mitteilungen sind in erster Linie Briefe, Karten und Telegramme. Bei 67 einem Tagebuch kommt es auf den Willen des Verfassers an, ob er den Inhalt dem anderen mitteilen oder das Buch bei ihm nur verwahren wollte. Auch sonst kommt es auf die Form der Mitteilung nicht an. Deshalb kommen auch Eintragungen in Gästebüchern oder auf Tischkarten in Betracht. Der Schriftform stehen insbesondere Zeichnungen sowie nach dem hier mindestens entsprechend anzuwendenden § 11 Abs. 3 die dort genannten anderen Darstellungen gedanklicher Äußerungen, wie Ton- und Bildträger und elektronische Datenträger, gleich.211 Sonstige Schriftstücke, die keine Mitteilung an einen Empfänger enthalten, können 68 „Aufzeichnungen“ i.S. von Absatz 1 Nr. 2 oder „andere Gegenstände“ i.S. von Absatz 1 Nr. 3 sein (z.B. Tagebücher, Werkzeichnungen, Verträge, Buchhaltungsunterlagen), sind dann aber nur bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 bis 3b genannten Personen und nicht bei Angehörigen geschützt. b) Partner der Mitteilungen müssen der nach §§ 52, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b 69 Zeugnisverweigerungsberechtigte und der Beschuldigte sein, wobei freilich die für das Zeugnisverweigerungsrecht geltenden Grundsätze früherer prozessualer Gemeinschaft gelten212 (oben Rn. 23). Wenn es sich um den Schriftwechsel mit Angehörigen handelt (§ 52 Abs. 1), sind 70 Zweck und Inhalt gleichgültig;213 eine Beziehung zu der Straftat oder zu dem Strafverfahren braucht nicht zu bestehen. Bei den anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten muss sich die Mitteilung inhalt- 71 lich auf einen Sachverhalt beziehen, auf den sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt.214 Dabei ist nicht erforderlich, dass die Mitteilungen nach der Tat erfolgten,215 denn selbstverständlich muss z.B. auch der beim Steuerberater verwahrte Brief an den Beschuldigten geschützt sein, in dem dieser längst vor der Gründung der Domizilgesellschaft vor Steuerhinterziehungen mit derartigen Gesellschaften warnte. 3. Aufzeichnungen der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten a) „Aufzeichnungen über die dem Zeugnisverweigerungsberechtigten vom Beschul- 72 digten anvertraute Mitteilungen oder über andere Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht“. Der Begriff ist im weitesten Sinne zu verstehen, damit der Schutzzweck, eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts zu verhindern, erfüllt wird.216 Er erfasst zunächst jede Art von Information durch den Mandanten. Gegenstand dieser Aufzeichnungen sind ferner Wahrnehmungen oder eigene Überlegungen des Zeugnisverweigerungsberechtigten. Wahrnehmungen betreffen das ihm von dritten Personen Mitgeteilte oder eigene Recherchen. Die eigenen Überlegungen können etwa bei einem
209 210 211 212
AK/Amelung 5; Meyer-Goßner 28. Meyer-Goßner 28. KK/Nack 11. KK/Nack 13.
213 214 215 216
Meyer-Goßner 34; Pfeiffer 2. Pfeiffer 2. Creifelds GA 1960 68. RegE BTDrucks. I 1307 S. 49.
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Rechtsanwalt die Prozessstrategie, bei einem Arzt217 die günstigste Therapie betreffen. Deshalb gehören hierher auch Aufzeichnungen in Krankengeschichten und Karteien der Ärzte, Entwürfe zu Verträgen, Jahresabschlüssen, Steuererklärungen oder Schriftsätzen in den Handakten eines Steuerberaters, Rechtsanwalts oder Notars.218 Dass diese Urkunden später für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ändert an der Beschlagnahmefreiheit der Entwürfe nichts, da sie Aufschluss über die Überlegungen bei ihrer Fertigung geben.219 Zur Frage, ob die extern beim Steuerberater geführte Buchhaltung Aufzeichnungen im Sinne dieser Vorschrift sind, vgl. Rn. 111. Ohne Bedeutung ist, ob der Zeugnisverweigerungsberechtigte die Aufzeichnungen selbst niedergeschrieben oder sich fremder Hilfe bedient, ob sich diese Hilfe nur auf das Schreiben oder auch auf die Fassung erstreckt hat, solange nur der Gedanke von einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person herrührt.220 Auf welchem Medium (Papier, Daten- oder Tonträger) die Aufzeichnungen erfolgten, spielt keine Rolle.221 Der Schriftform stehen insbesondere Zeichnungen sowie nach dem hier mindestens entsprechend anzuwendenden § 11 Abs. 3 StGB die dort genannten anderen Darstellungen gedanklicher Äußerungen, wie Ton- und Bildträger und elektronische Datenträger, gleich.222
73
b) Bezug zum Vertrauensverhältnis. Den Aufzeichnungen müssen Wahrnehmungen zugrunde liegen, die sich auf das Verhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten beziehen und auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt.223 Ob der Beschuldigte oder ein Dritter dem Zeugnisverweigerungsberechtigten die „Mitteilungen“ anvertraut hat oder auf welche Weise sonst dieser die „Umstände“ wahrgenommen hat, ist gleichgültig.224 Zu Einzelheiten vgl. die Erläuterungen unten zu den einzelnen geschützten Berufen.
74
c) Aufzeichnungen der Angehörigen (§ 52 Abs. 1) über vom Beschuldigten oder über den Beschuldigten von Dritten Anvertrautes sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut der gesetzlichen Regelung nach Absatz 1 Nr. 2 nicht geschützt. Sie können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit beschlagnahmt werden. 4. Andere Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten erstreckt
75
a) „Andere Gegenstände“. Die Reichweite dieser durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz 1953 (s. Entstehungsgeschichte) eingefügten Vorschrift ist noch nicht abschließend geklärt. Das Gesetz bezeichnet beispielhaft die ärztlichen Untersuchungsbefunde als einen nach dieser Vorschrift geschützten Gegenstand und im Gesetzgebungsverfahren wurden die „dem Anwalt übergebenen Dokumente“ ausdrücklich genannt.225 Daraus ist zunächst zu schließen, dass es sich um Gegenstände handeln muss, die aufgrund des zwischen dem Berufsangehörigen und einer anderen Person bestehenden Vertrauensverhältnisses sich im Gewahrsam (Absatz 2 Satz 1) des Berufsträgers befinden. Ob es sich dabei um das Vertrauensverhältnis zwischen dem Berufsträger und dem Beschuldigten handeln
217 218 219 220 221
Vgl. AK/Amelung 6. Vgl. AK/Amelung 6; HK/Gercke 23; KK/Nack 14. AK/Amelung 6; KK/Nack 13. AK/Amelung 6. KK/Nack 13; Meyer-Goßner 29.
184
222 223 224 225
KK/Nack 13. Fezer 7/21. Vgl. Creifelds GA 1960 68. Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf BTDrucks. I 3713 S. 49.
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muss, ist streitig. Das Gesetz erwähnt in Absatz 1 Nr. 3 im Gegensatz zu Nummer 1 und 2 den Beschuldigten nicht. Ob daraus geschlossen werden kann, dass Nummer 3 wie das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 auch das Vertrauensverhältnis des Zeugnisverweigerungsberechtigten mit Dritten schützt, ist streitig, aber grundsätzlich zu verneinen.226 Der Beschlagnahmeschutz ist enger als das Zeugnisverweigerungsrecht.227 Ausnahmen gibt es freilich beim Verteidiger, hier sind auch die Handakten von Mandanten geschützt, die in dem Verfahren, in dem die Durchsuchung stattfindet, nicht Beschuldigte sind. Einzelheiten s. oben. b) Bezug zum Vertrauensverhältnis. Streitig ist ferner, ob alle Gegenstände, die sich 76 beim Berufsträger aufgrund des Vertrauensverhältnisses befinden, vor Beschlagnahme geschützt sind oder ob es über die gesetzliche Regelung in Absatz 2 Satz 3 (instrumenta et producta sceleris) hinaus weitere Ausnahmen gibt. Gegenstand des Schutzes ist die dem Berufsträger von oder für den Klienten anvertraute oder zugänglich gemachte Information.228 Schon daraus folgt, dass „andere Gegenstände“ nicht nur die eigenen Arbeitsergebnisse des Anwalts oder Beraters229 oder solche sein können, die im Rahmen eines bestehenden Vertrauensverhältnisses entstanden sind.230 Schließlich kann es keinen Unterschied machen, ob der Beschuldigte dem Berater einen Vertrag zur Prüfung mündlich mitteilt und der Berater sich hierüber (geschützte!) schriftliche Aufzeichnungen fertigt oder der Beschuldigte dem Berater den Vertrag zur Prüfung überlässt. Die Gegenstände müssen aber einen Bezug zum Vertrauensverhältnis haben. Fehlt dieser Bezug und bewahrt sie der Berater gleichwohl auf, besteht mindestens der Verdacht, der Berater versuche, sie so dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane zu entziehen, und begehe Strafvereitelung, was den Beschlagnahmeschutz aufhöbe (Absatz 2 Satz 3). Der Schutz kann sich aber auch nicht auf alles erstrecken, was der Mandant dem Berufsträger im Rahmen des Mandats überbringt. Die Abgrenzung hat insbesondere bei Buchhaltungs- und sonstigen Geschäftsunterlagen Bedeutung. Aufzeichnungen, die der Kaufmann zur Überwachung seiner Geschäftstätigkeit gesetzlich zu führen verpflichtet ist, dürfen nicht dadurch dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen werden, dass sie beim Berater „deponiert“ werden. Sie müssen der Beschlagnahme zugänglich sein.231 Dass dadurch die Beratung beeinträchtigt werden könnte, lässt sich durch Fertigung von Kopien für den Berater oder die Strafverfolgungsbehörden vermeiden. c) Beispiele: Andere Gegenstände i.S. des Absatzes 1 Nr. 3 sind danach z.B. Fremd- 77 körper, die ein Arzt aus dem Körper des Beschuldigten entfernt hat,232 und Schriftstücke, etwa Geschäftsunterlagen und -papiere, die der Beschuldigte oder ein Dritter233 im Hin-
226
227 228 229 230
OLG Celle NJW 1965 362; Meyer-Goßner 10; Samson StV 2000 55; Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C 110; a.A. AK/Amelung 15; Amelung DNotZ 1984 207; Kohlhaas JR 1965 109, 110; Krekeler NStZ 1987 199, 201. OLG Celle NJW 1965 362. Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C S. 110. Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C S. 110. So aber z.B. LG Mainz NStZ 1986 473; LG Stuttgart wistra 1985 41; LG Braunschweig NJW 1978 2108; dagegen zutreffend LG Aachen MDR 1981 160; LG Koblenz StV
231 232 233
1985 9; LG Stuttgart DStR 1997 1449; LG Fulda StV 2000 548, 550; Kohlmann Steuerstrafrecht § 385, 197; Haffke NJW 1975 808, Gülzow NJW 1981 266, Amelung DNotZ 1984 206; Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C S. 110. LG Braunschweig NJW 1978 2108; AK/Amelung 40; KK/Nack 15. Vgl. BTDrucks. I 3713 S. 49; AnwK-StPO/ Löffelmann 9. OLG Frankfurt StV 1982 64; Creifelds GA 1960 67.
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blick auf dessen berufliche Stellung dem Verteidiger, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater übergeben hat.234 Aber auch privat in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten können dazu gehören.235 Zu den ärztlichen Untersuchungsbefunden, die § 97 Abs. 1 Nr. 3 besonders erwähnt, gehören Lichtbilder, Röntgenaufnahmen, anatomische Präparate, Kardiogramme, Elektroenzephalogramme, Blutbilder, Alkoholbefunde.236 Zur Frage, ob die beim Steuerberater extern geführte Buchhaltung hierher gehört, vgl. ergänzend Rn. 111.
V. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 78
1. Allgemeines. Der Beschlagnahmeschutz des § 97 dient im Grundsatz der Absicherung des Zeugnisverweigerungsrechts. Deshalb kommt es für das Beschlagnahmeverbot nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt der Beschlagnahme (oder der Verwertung) das Vertrauensverhältnis (Ehe, Verteidigung), sondern ob das Zeugnisverweigerungsrecht noch besteht. Zur Einwilligung der nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b Zeugnisverweigerungsbe79 rechtigten s. Rn. 55.
80
2. Angehörige (§ 52 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1). Gegenstand und Zweck der Regelung. Das Beschlagnahmeverbot erfasst bei Angehörigen nur schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und seinen Angehörigen, soweit diese sich im Gewahrsam des zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen befinden. Den schriftlichen Mitteilungen müssen die in § 11 Abs. 3 StGB genannten anderen verkörperten Gedankenerklärungen gleichgestellt werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht schützt den Angehörigen des Beschuldigten vor einem inneren Konflikt zwischen Wahrheits- und Verwandtenliebe,237 oder das innerfamiliäre Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinen Angehörigen, die „Familienbande“,238 da eine den angehörigen Beschuldigten belastende Aussage „das Familienklima vergiften“ kann.239 Hinzu kommt der Schutz der Familie als „unbefangenes Kommunikationszentrum“, in dem sich der Beschuldigte frei äußern können soll.240 Diese Schutzzwecke gelten auch für § 97, freilich mit Einschränkungen. Dies erklärt, warum auch der „Rechtskreis“ des Beschuldigten wesentlich berührt ist und nicht nur subjektive Rechte des aussageverweigerungsberechtigten Zeugen verletzt sind, wenn schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Angehörigen in dessen Gewahrsam beschlagnahmt werden. Freilich ist vor diesem Hintergrund die Begrenzung des Beschlagnahmeverbots auf schriftliche Mitteilungen im Gewahrsam des Angehörigen des Beschuldigten nicht in vollem Umfang befriedigend.241 Auch schützt das Gesetz nicht Aufzeichnungen des Angehörigen über Mitteilungen, die der Beschuldigte ihm anvertraut
234 235 236
237
Vgl. LG Kiel SchlHA 1955 368; Haffke NJW 1975 808. Vgl. Starke Rudolphi-Symposium 83 ff. OLG Nürnberg NJW 1958 272 mit Anm. Kaufmann; Costa MDR 1953 579; Dallinger JZ 1953 437; Kohlhaas NJW 1972 1120. BGHSt 10 393, 394; 13 213, 216; 22 37; BGH StV 1990 435, 436; NJW 1992 1116, 1117; Hoffmann MDR 1990 111, 112;
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238 239 240
241
Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979), 8. BGHSt (GrSSt) 11 213, 216; 38 99. P. Schmitt 49. Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht 8 ff. P. Schmitt 54 f.
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hat oder andere vom Beschuldigten dem Angehörigen übergebene Gegenstände, wie das der Mutter übergebene blutige Hemd des Mordverdächtigen.242 Unterschiede zwischen dem Schutz der Angehörigen und der Personen, die sich einem der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b geschützten Berufe anvertrauen, bestehen ferner insofern, als der zeugnisverweigerungsberechtigte Angehörige allein über sein Aussageverhalten entscheidet,243 während dem Berufsgeheimnisträger eine solche Entscheidungsmöglichkeit nicht zusteht. Wird dieser von der Schweigepflicht entbunden, muss er grundsätzlich aussagen. Auch besteht der Schutz der §§ 52, 97 ohne Rücksicht darauf, ob zwischen dem Beschuldigten und seinem Angehörigen tatsächlich irgendein Vertrauensverhältnis besteht. Das Beschlagnahmeverbot setzt deshalb auch nicht einen „vertrauensbezogenen“ Inhalt bestimmter Schriftstücke voraus. Andere beim Zeugnisverweigerungsberechtigten befindliche Gegenstände, die den Beschuldigten oder die Straftat betreffen, sind dagegen nicht geschützt. Aufzeichnungen des Zeugnisverweigerungsberechtigten, z.B. über Mitteilungen des Beschuldigten, können deshalb unter Beachtung des Übermaßverbots beschlagnahmt werden. Die gesetzliche Regelung, dass hier nur schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und seinen Angehörigen (Absatz 1 Nr. 1), diese aber ohne Rücksicht auf einen „vertrauensbezogenen“ Inhalt, erfasst sind, bewegt sich im Bereich des gesetzgeberischen Handlungsspielraums. 3. Geistliche (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3). Zum Kreis der ge- 81 schützten Geistlichen und zu dem von karitativer, erzieherischer, verwaltender, auch vermögensverwaltender Tätigkeit abzugrenzenden Bereich der Seelsorge s. die Kommentierung zu § 53.244 Das Beschlagnahmeverbot erfasst bei Geistlichen nach dem Gesetz nur schriftliche Mitteilungen (Rn. 66), Aufzeichnungen (Rn. 72) oder andere Gegenstände (Rn. 75) zwischen dem Beschuldigten und dem Geistlichen, soweit diese sich im Gewahrsam des zeugnisverweigerungsberechtigten Geistlichen befinden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind Mitteilungen, Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die sich nicht auf das Vertrauensverhältnis des Geistlichen mit dem Beschuldigten, sondern auf das mit anderen Personen bezieht, nicht von dem Beschlagnahmeverbot erfasst. Ob dies für katholische Geistliche, für evangelische muss Entsprechendes gelten, mit Art. 9 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 vereinbar ist, erscheint zweifelhaft. Man wird hier ein umfassendes Beschlagnahmeverbot bezüglich aller sich auf die Seelsorge bestimmter Personen beziehende Gegenstände annehmen müssen. 4. Verteidiger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) und der sich selbst 82 verteidigende Beschuldigte. Die Vorschrift knüpft auch bezüglich des Verteidigers nur an das Zeugnisverweigerungsrecht an, das solange gilt, bis der Verteidiger davon entbunden wird (§ 53 Abs. 2). Dieses Zeugnisverweigerungsrecht ist geboten, „wenn es überhaupt eine Verteidigung geben“ soll.245 Das Beschlagnahmeverbot wird hinsichtlich der Verteidigungsunterlagen aus dem Rechtsgedanken des § 148 StPO und – mit dem Rang einfachen Bundesrechts – des Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK und schließlich aus dem Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren aufgrund der Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG ergänzt. Zur Reichweite s. zunächst Rn. 24.
242 243
AK/Amelung 37. Zu diesem Einwand gegen den Normzweck des Schutzes der innerfamiliären Kommunikation P. Schmitt 62 f.
244 245
Vgl. im Übrigen auch BGHSt 51 140. Abg. Reichensperger, bei C. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, III. Band 1. Abt., S. 583.
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a) Geschützter Personenkreis
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aa) Verteidiger. Die vorliegende Vorschrift schützt für sich genommen zunächst nur Verteidiger. Dies sind außer Rechtsanwälten und Rechtslehrern an deutschen Hochschulen (§ 138 Abs. 1) die nach § 138 Abs. 2 als Verteidiger zugelassenen Personen und die nach §§ 139, 142 Abs. 2 bestellten Referendare. Verteidigung kann auch schon dann stattfinden, wenn gegen den Betroffenen noch nicht förmlich ermittelt, er vielmehr zum Zeitpunkt des Verteidigerhandelns von den Ermittlungsbehörden noch als Zeuge behandelt wird, wenn nur der Rechtsanwalt aus gutem Grund seine Tätigkeit materiell als Verteidigung ansehen darf. Dies hat der Bundesgerichtshof mit aller wünschenswerten Klarheit ausgesprochen.246 Auch hängt die Frage, ob jemand „Verteidiger“ ist, nicht davon ab, dass mit dem Mandanten bereits ein zivilrechtlicher Vertrag über die Verteidigung zustande gekommen ist. Auch die Anbahnungsphase des Mandats muss als „Verteidigung“ geschützt sein,247 selbst wenn ein Vertrag letztlich nicht zustande kam, denn die Prüfung, ob ein Mandat erteilt oder übernommen werden soll, setzt eingehende Informationen und Erörterungen voraus, die im Interesse späterer wirksamer Verteidigung nur dann sachgerecht erfolgen können, wenn auch dieser Bereich bereits umfassendem Geheimnisschutz unterliegt.248 Deshalb muss bereits die mündlich, fernmündlich oder schriftlich ausgesprochene Bitte, die Verteidigung zu übernehmen, dem Schutz des § 148 unterliegen.249 Freilich bedarf es klarer Abgrenzungen, um die in Zusammenhang mit der Anbahnung des Verteidigungsverhältnisses erforderliche Kommunikation auch wirksam schützen zu können, denn gerade für Rechtsanwälte kann Bedarf zum Austausch mit dem Beschuldigten auch aus anderen Gründen als zur Vorbereitung der Strafverteidigung bestehen. Man wird sich in diesen Fällen auf das Wort des Verteidigers verlassen müssen. Geht es um die Überwachung des Austauschs mit dem Verteidiger bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten, wird es genügen, dass der Beschuldigte erklärt, es handle sich um Kommunikation mit dem Verteidiger.250 Im Übrigen muss einem denkbaren Missbrauch in sogenannten Anbiederungsfällen standesrechtlich begegnet werden.251 Ob Syndikusanwälten im Verfahren gegen deren ständigen Dienstherrn der Schutz des 84 § 97 zukommt, ist zweifelhaft.252 Jedenfalls steht in solchen Fällen der Mitgewahrsam des Beschuldigten als Dienstherrn dem Beschlagnahmeverbot entgegen (Rn. 29).
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bb) Beschuldigter. Geschützt wird aber auch der Beschuldigte selbst, soweit es um Unterlagen geht, die er erkennbar zu seiner Verteidigung im laufenden Verfahren ange-
246 247
248 249 250
BGHSt 29 99, 105; vgl. auch Taschke StV 1990, 437; G. Schäfer FS Hanack 77, 81. OLG Düsseldorf StV 1984 106; Danckert StV 1986 171 ff.; Karl-Heinz Groß StV 1996, 559, 561; Hanack ZStW 93 (1981) 559, 576; Hanack JR 1986 35 f.; Hassemer StV 1985 405 ff.; Kneuer (o. Fn. 7) S. 49 f.; Weigend 62. DJT 1998 Gutachten C S. 65. Scheffler StV 1992 299; Hanack JR 1986 35, 37 zum Arzt. G. Schäfer FS Hanack 77, 81. Weitergehend, aber kaum praktikabel Hassemer StV 1985 405, 406: es genüge, dass
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251 252
der Beschuldigte sich an eine Person wende, die Verteidiger sein könne. G. Schäfer FS Hanack 77, 82. Dazu Gillmeister 96, Hassemer wistra 1986 1; verteidigt ein Syndikusanwalt einen Beschuldigten, der nicht dessen Arbeitgeber (im Übrigen) ist, gelten die allgemeinen Regeln, vgl. LG Frankfurt a.M. StV 1993 351 f. = WM 1995 47 f. mit Anm. Pankewitz WuB VII D § 97 StPO 2.95. Zur Problematik von internen Ermittlungen eines von einem Unternehmensträger beauftragten Rechtsanwalts Meyer-Goßner 10b m.w.N.
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fertigt hat.253 Dies folgt freilich nicht aus § 97, sondern, soweit ein Verteidigermandat besteht oder in Anbahnung befindlich ist, aus der Freiheit der Kommunikation zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten gemäß § 148. Diese Sondernorm dehnt den Beschlagnahmeschutz für Verteidigungsunterlagen also über die nach Absatz 2 Satz 1 der vorliegenden Vorschrift zunächst allein geschützte Gewahrsamssphäre des Verteidigers hinaus auf die Sphäre des Beschuldigten als Kommunikationspartner aus. Da aber der Beschuldigte in gleicher Weise auch den Anspruch besitzt, sich selbst zu verteidigen (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK), und ihm dazu angemessene Vorbereitungsmöglichkeiten eingeräumt werden müssen (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK), sind nach der Rechtsprechung,254 die von der Literatur255 begrüßt wird, seine Verteidigungsunterlagen auch dann geschützt, wenn kein Verteidiger beauftragt oder bestellt ist. Andernfalls wäre eine effektive Verteidigung praktisch nicht möglich. Deren Existenz ist aber ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens. Der Bundesgerichtshof 256 betont, ihm gebühre „bei der Abwägung mit dem staatlichen Interesse an einer funktionierenden Strafrechtspflege Vorrang“. Genaugenommen wird aber auch eine „funktionierende Strafrechtspflege“ nur dann möglich sein, wenn eine sachgerechte Verteidigung gewährleistet ist. Es handelt sich also nicht um zwei gegeneinander abzuwägende Faktoren innerhalb des Rechtsstaatsprinzips, die in eine Rangordnung einzuordnen sind, sondern um unselbständige Komponenten desselben Prinzips. b) Geschützte Gegenstände. Das Beschlagnahmeverbot nach § 97 reicht inhaltlich 86 nicht so weit wie das hiervon flankierte Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1. Letzteres ist thematisch umfassend, Ersteres kennt bereits in Absatz 2 Satz 3 Ausnahmen. Der Grund des reduzierten Umfangs des Beschlagnahmeverbots gegenüber dem Zeugnisverweigerungsrecht kann darin gesehen werden, dass der Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Satz 1 ein zweifacher ist, derjenige der vorliegenden Vorschrift – für sich genommen – nur ein einseitiger: Das Zeugnisverweigerungsrecht soll den Zeugen vor einer Konfliktlage bei der Vernehmung schützen und das Vertrauensverhältnis zum Beschuldigten sichern. Beim Beschlagnahmeverbot steht der Schutz des Vertrauensverhältnisses im Vordergrund, der Gewissenskonflikt des Gewahrsamsinhabers spielt dafür keine Rolle. aa) Schriftlich fixierte Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidi- 87 ger. Besonders betont werden in Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten; diese sind weder in Form von Schriftstücken des Beschuldigten noch als Aufzeichnungen des Verteidigers über Beschuldigtenäußerungen (in beiden Fällen gilt § 11 Abs. 3 StGB) beschlagnahmefähig, wenn sie sich im Gewahrsam des Verteidigers oder seiner Hilfspersonen (Absatz 3) befinden. Diese Regelung schützt das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zum Verteidiger vor allem in einem für die Verteidigung besonders wichtigen Punkt, nämlich bezüglich des „Ob“ und „Wie“ der Abgabe einer „Einlassung“. Der Beschuldigte und der Verteidiger können dadurch zur Vorbereitung ihrer Verteidigungsstrategie257 ungestört Einlassungs-Entwürfe
253
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BGH StV 1998 246 f. = NStZ 1998 309 ff. = NJW 1998 1963 ff. = JuS 1998 850 mit Bspr. Martin; Satzger JA 1998 632 ff.; Vahle DSB 1998 Nr. 7/8, 23; G. Schäfer FS Hanack S. 77, 84. BGH NJW 1973 2035, 2036 f.; Beschl. vom 12. April 1978 – StB 92/78; BGHR StPO
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§ 97 Verteidigungsunterlagen 1 und 2; BGH StV 1998 246. Dahs GedS Meyer 61, 68; KK/Nack 24; Schmidt StV 1989 421. BGH StV 1998 246. Aufschlussreich Schlothauer Vorbereitung der Hauptverhandlung2 Rn. 1–33a.
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fertigen. Ob es sich bei dem Inhalt der schriftlich fixierten Äußerung um eine bestreitende oder geständige Einlassung, um eine dem Angeklagten günstige oder ungünstige Aussage handelt, spielt dabei keine Rolle. Die Wirkung solcher Äußerungen kann je nach Prozesslage günstig oder ungünstig sein, ohne dass dies schon im Ermittlungsverfahren vorhersehbar wäre. Auch der Verwendungszweck der Äußerung ist für seinen Schutz vor Beschlagnahme zunächst unerheblich; ob sie vorab nur der Information des Verteidigers dienen soll oder ob die Abgabe einer Einlassung gegenüber der Ermittlungsbehörde geprüft werden soll, gilt für das Beschlagnahmeverbot gleich. Die schriftlichen Mitteilungen selbst sind demnach zwar beschlagnahmefrei. Ist ihnen 88 jedoch eine andere Urkunde beigefügt, die zum Beispiel als Tatmittel bei der Begehung eines Betruges oder einer Urkundenfälschung gebraucht worden war, so ist diese gemäß Absatz 2 Satz 3 der Beschlagnahme unterworfen. Also ist das Schreiben des Beschuldigten, mit dem dieser die Beweisurkunde übersandt hat, eine beschlagnahmefreie Mitteilung, die weitere Urkunde selbst ein im Sinne des Absatz 2 Satz 3 vom Beschlagnahmeverbot ausgenommener Deliktsgegenstand. Beweiserheblich sein kann in diesem Zusammenhang auch die Feststellung der Auffindesituation der beschlagnahmefähigen Urkunde. Fraglich ist dann, ob die Tatsache, dass der Beschuldigte die Urkunde dem Verteidiger übersandt hat, verwertet werden kann. Die beschlagnahmefreie schriftliche Mitteilung des Beschuldigten steht dafür gemäß Absatz 1 Nr. 1 als verwertbares Beweismittel ebenso wenig zur Verfügung wie der Verteidiger als Zeuge (§ 53 Abs. 1 Nr. 2). Kann aber bereits aus der von den Ermittlungsbeamten angetroffenen Auffindesituation auf die Übersendung der Urkunde durch den Beschuldigten geschlossen werden, so ist dies verwertbar.
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bb) Schriftliche Aufzeichnungen des Verteidigers über andere Umstände. Nach Absatz 1 Nr. 2 sind auch Aufzeichnungen über andere Umstände beschlagnahmefrei, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht. Welche Umstände damit gemeint sind, ist nicht abschließend geklärt. Jedenfalls soll die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts des Verteidigers durch Beschlagnahmezugriffe auch insofern verhindert werden, als sein „schriftlich niedergelegtes Wissen beschlagnahmt werden kann“.258 Dies wirkt sich besonders bei – zulässigen –259 eigenen Ermittlungen des Verteidigers aus: Befragt der Verteidiger selbst einen Zeugen und macht er sich darüber Aufzeichnungen, so bezieht sich sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auf diese Erkenntnisse und das Beschlagnahmeverbot des Absatzes 1 Nr. 2 erfasst sein schriftlich niedergelegtes Wissen. Ist der Zeuge für die Ermittlungen später nicht mehr erreichbar, so wäre die Aufzeichnung zwar als Urkunde auch für die Ermittlungsbehörden das einzige Beweismittel für dessen Wahrnehmungen. Die Möglichkeit der Sperrung dieses Beweismittels durch den Verteidiger mit Hilfe des Beschlagnahmeverbots erweist sich dann zwar als erhebliches Hindernis für die Sachaufklärung. Sie ist aber verfahrensrechtlich zum Schutz der Verteidigung geboten. Bei der alleinigen Beweissicherung durch den Verteidiger liegt auch kein Fall vor, in dem dessen Geheimsphäre als „Asyl“ für „Überführungsstücke“ missbraucht wird, was der Gesetzgeber durch die Regelung der vorliegenden Vorschrift nicht ermöglichen wollte.260 Das zulässige Verteidigerhandeln bei
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Dazu BTDrucks. I 3713 S. 49. BGHSt 46 53; BGH NJW 2000 1277; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980) 44, Dahs GedS Meyer 61, 72; G. Schäfer FS Hanack 77, 90, 95.
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Vgl. Prot. der Kommission für die Reform des Strafverfahrens, Bd. 2 (1905) 175 ff.; Bericht der 7. Kommission des Reichstags, 12. Legislaturperiode, II. Session (1910) zur Vorbereitung des Entwurfs einer StPO, in
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der eigenen Beweiserhebung und -sicherung kann nicht als Rechtsmissbrauch gewertet werden. Zweifelhaft erscheint jedoch, ob dies auch dann gelten kann, wenn der Verteidiger 90 durch die Befragung des Zeugen einen Beweisverlust für die staatlichen Ermittlungsorgane verursacht. Unterstellen wir, der Verteidiger nehme eine Lichtbildvorlage oder eine Wahlgegenüberstellung vor, so dass eine wiederholende Konfrontation des Zeugen mit der abgebildeten Person nach psychologischer Erfahrung keinen Beweiswert261 mehr besitzt, oder er verbrauche die einzige minimale Blutspur, indem er eine Blutuntersuchung zur Prüfung der Täterschaft seines Mandanten veranlasse. Gehen die Erhebungen zu Gunsten seines Mandanten aus, werden sie Eingang in das Verfahren finden, andernfalls nicht. Die Beweise stehen dann den Ermittlungsbehörden nicht mehr zur Verfügung. Das Verbot der Beweisquellentrübung262 könnte in solchen Fällen durchaus zu einem Verbot eigener Ermittlungen des Verteidigers insoweit führen. Verneint man indes ein solches Verbot, wofür gute Gründe sprechen können, muss aber der Zugriff der Strafverfolgungsorgane auf Surrogate, also auf die Aufzeichnungen über die Gegenüberstellung oder auf das Blutgutachten zulässig sein, ohne dass es darauf ankäme, ob der Verteidiger sich durch sein Verhalten dem Verdacht der Strafvereitelung ausgesetzt hat.263 Begeht der Verteidiger, der das von den Ermittlungsorganen noch nicht gesicherte Spurenbild im Schnee fotografiert, bevor es durch Sonneneinstrahlung verschwindet, dagegen keine Strafvereitelungshandlung, so können dessen Lichtbilder nicht als Surrogat für den eigenen Beweisverlust der Ermittlungsbehörden beschlagnahmt werden.264 cc) Andere Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers 91 erstreckt. Die Abgrenzung zwischen den Aufzeichnungen des Zeugnisverweigerungsberechtigten über andere Umstände im Sinne von Nummer 2 und den anderen Gegenständen im Sinne der Nummer 3 lässt sich nicht exakt vornehmen. So können im Rahmen eigener Ermittlungen aufgenommene Fotos vom Tatort oder bestimmten Beweismitteln unter beide Vorschriften subsumiert werden. Auf die zu Nummer 2 angestellten Erörterungen insbesondere zur Beweisquellentrübung sei deshalb zunächst verwiesen. Beschlagnahmefrei können die vom Verteidiger oder vom Beschuldigten erstellten Unterlagen, aber auch solche Unterlagen sein, die von Dritten stammen und sich – soweit nur Absatz 2 Satz 1 der vorliegenden Vorschrift in Betracht gezogen wird – im Gewahrsam des Verteidigers befinden.265 Jedoch bleibt infolge der undifferenzierten Bezugnahme des Absatzes 1 Nr. 3 auf § 53 unklar, auf welche Art von Gegenständen sich das Beschlagnahmeverbot hier im Einzelnen bezieht. S. zunächst oben Rn. 75. Entscheidend ist der Normzweck. Dieser soll das Spannungsverhältnis zwischen der staatlichen Sachaufklärung und dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandanten, dem dieser sich zur sachgerechten Verteidigung anvertrauen können muss, lösen, ohne die Strafverfolgung unangemessen zu blockieren. Für die Abgrenzung wird deshalb zu gelten haben, dass es für die Beschlagnahmefreiheit nicht entscheidend nur darauf ankommen kann, ob die Gegenstände für die Verteidigung von Bedeutung sind, denn das
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Mat. zur Strafrechtsreform, 13. Bd. (1960) 3153 ff.; dazu Weinmann FS Dünnebier 199, 201 f. Vgl. BGHSt 16 204, 205 f.; BGH NStZ 1998 266 f. mit Nachw. Vgl. Beulke aaO S. 152.
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G. Schäfer FS Hanack 77, 96. G. Schäfer FS Hanack 77. OLG Frankfurt StV 1982 64; OLG Koblenz StV 1995 570 = WiB 1996 185 mit Anm. Cramer.
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wäre bei jedem Beweismittel ohne weiteres der Fall, sondern ob es sich um spezifisches Verteidigungsmaterial handelt, ob sich – aus der Sicht der Verteidigung – das Vertrauensverhältnis gerade auf diesen Gegenstand erstreckt. Für die Frage, wann spezifisches Verteidigungsmaterial vorliegt, kommt es nicht da92 rauf an, ob diese Gegenstände nach der Tat entstanden sind und der Verteidiger als geistiger Urheber erscheint.266 S. auch Rn. 76. Entscheidend ist die Bedeutung des Gegenstands für die Verteidigung.267 So kann etwa eine vor der Tat entstandene Beweisurkunde oder eine tatunabhängig entstandene schriftliche Sachverständigenäußerung, etwa ein privatrechtlich erstelltes medizinisches Gutachten zum Gesundheitszustand des späteren Beschuldigten, zu den Verteidigungsunterlagen gerechnet werden, wenn sie nachträglich eine solche Zweckbestimmung erfährt. Hier ist die Abgrenzung von Beweismitteln und Verteidigungsunterlagen schwierig. Die Abgrenzung nur nach der „geistigen Urheberschaft“ des Verteidigers greift zu kurz. Dies hat Dahs 268 zu Recht herausgestellt. Schwierig ist die Abgrenzung bei Gegenständen wie Geschäftsunterlagen oder innerbetrieblichen Weisungen, die zu ganz anderen Zwecken, etwa zum Beweis im Geschäftsverkehr oder als im Rahmen der Betriebsorganisation, entstanden sind und möglicherweise sogar von Gesetzes wegen aufbewahrt werden müssen. Solche Gegenstände sind nicht spezifisches Verteidigungsmaterial und werden durch § 97 Abs. 1 nicht geschützt. Sie können beschlagnahmt werden.269 Die Verteidigung muss sich, soweit es sich um Schriftstücke oder elektronische Daten usw. handelt, mit Kopien, im Übrigen mit der Besichtigung der Beweismittel (§ 147 Abs. 2) begnügen. Erst recht darf unter der Flagge „Verteidigungsunterlagen“ Beweismitteln, die in Wahr93 heit gar nicht der Verteidigung dienen, kein „Asyl“ gewährt werden.270 Aus Absatz 2 Satz 3 ergibt sich, dass das Beschlagnahmeverbot nicht der Strafvereitelung dienen soll; daher sind dem Verteidiger Verdunkelungshandlungen nicht gestattet.271 Er darf Beweisgegenstände nicht der Beschlagnahme entziehen.272 Deliktsgegenstände, nämlich instrumenta et producta sceleris, können stets beschlagnahmt werden, mögen sie auch noch so sehr für die Vorbereitung oder Durchführung der Verteidigung erforderlich sein. Insofern besteht kein Anlass, § 97 Abs. 2 Satz 3 im Interesse sachgerechter Verteidigung restriktiv auszulegen. Der Verteidigung stehen sie als Beweismittel zur Besichtigung zur Verfügung (§ 147 Abs. 2). Auch wenn der Gegenstand im Gewahrsam eines anderen Zeugnisverweigerungsbe94 rechtigten, von dem er dem Verteidiger überlassen wurde, beschlagnahmefrei gewesen wäre, führt dies nicht zum Beschlagnahmeschutz originärer Beweismittel im Gewahrsam des Verteidigers. Hat etwa ein Arzt nach einem Banküberfall dem Beschuldigten die Pistolenkugel eines verfolgenden Polizisten aus dem Körper entfernt und diese dem Verteidiger übergeben, so kann sie dort als Beweisstück beschlagnahmt werden, mag sie nach einer nicht näher vertieften Überlegung des Gesetzgebers273 auch im Gewahrsam des Arztes beschlagnahmefrei gewesen sein.
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So aber LG Mainz NStZ 1986 473, 474. Schuhmann wistra 1995 50, 51. Dahs GedS Meyer 61, 64. Weigend für den 62. DJT 1998 Gutachten C 110, 111 mit Nachweisen; G. Schäfer FS Hanack 77, 97. KK/Nack 24; Meyer-Goßner 39; G. Schäfer FS Hanack 77, 97. Auch soweit von Lorenz MDR 1992 315 ff. in der vorliegenden Vorschrift eine Regelung zum Schutz
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des informationellen Selbstbestimmungsrechts gesehen wird, gilt nichts anderes. Dem Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts unterliegen nicht Indizien für eine strafrechtliche Schuld. Meyer-Goßner 39; G. Schäfer FS Hanack 77, 97. LG Mainz NStE Nr. 1 zu § 97 StPO; LG Stuttgart NStE Nr. 12 zu § 97 StPO. BTDrucks. I 3713 S. 49.
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c) Ausschluss des Beschlagnahmeverbots bei Tatverstrickung des Verteidigers aa) Abgrenzung. Unproblematisch sind die Fälle, in denen dem Verteidiger eine Tat 95 vorgeworfen wird, die mit der seinem Mandanten vorgeworfenen Tat nichts zu tun hat, ihm also insoweit weder Teilnahme noch Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei vorgeworfen wird. Hier wird der Schutzbereich des Verteidigungsverhältnisses durch die Ermittlungen selbst nicht berührt, § 97 greift nicht ein. Werden bei der Durchsuchung Zufallsfunde gemacht, die auf ein strafbares Verhalten eines Mandanten hinweisen, und wären diese Gegenstände in einem Verfahren gegen diesen Mandanten nach § 148 oder § 97 Abs. 1 vor einer Beschlagnahme beim Verteidiger geschützt, ist die Sicherstellung nach § 108 nicht gestattet.274 Im Verfahren gegen den Verteidiger beschlagnahmte Beweismittel, die gleichzeitig als Beweismittel in einem Verfahren gegen dessen Mandanten wegen einer ganz anderen Tat von Bedeutung sein können, dürfen in einem Verfahren gegen den Mandanten nicht verwertet werden. Auf das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Mandanten darf es sich nicht auswirken, dass der Verteidiger einer Straftat beschuldigt wird, mit der er nichts zu tun hat. Näheres bei § 108. bb) Tatverstrickung. Ist der Verteidiger dagegen der Teilnahme, Begünstigung, Straf- 96 vereitelung oder Hehlerei im Zusammenhang mit der seinem Mandanten vorgeworfenen Tat beschuldigt oder auch nur verdächtig (Absatz 2 Satz 3), stellt sich vor dem Hintergrund des Rechts auf ungehinderten Verkehr zwischen Verteidiger und Mandant die Frage, ob die sonst geltenden Grundsätze, dass § 97 keine Anwendung findet, wenn der Berufsangehörige Beschuldigter ist (Rn. 25), und dass das Beschlagnahmeprivileg nicht gilt, wenn der Berufsangehörige der Tatverstrickung verdächtig ist (Absatz 2 Satz 3), Anwendung finden. Da § 148 (abgesehen vom Sonderfall des Absatzes 2) keinerlei Beschränkungen des Rechts auf freien Verkehr enthält, muss dem Gefüge der §§ 138a ff. i.V.m. § 148 eine abschließende Regelung dahin entnommen werden, dass jedenfalls bis zur Entscheidung über das vorläufige Ruhen der Verteidigerrechte nach § 138c Abs. 3 der freie Verkehr und damit das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten nicht berührt werden darf.275 Erst nach dieser Entscheidung sind Eingriffe in die Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger zulässig. Die Regelungen zum Verteidigerausschluss und zum freien Verkehr des Verteidigers mit seinem Mandanten gehen als spezielleres Gesetz der allgemeineren Regelung des § 97 Abs. 2 Satz 3 vor.276 Dass dadurch Beweismittelverluste eintreten können, wenn der durch das Ausschlussverfahren gewarnte Verteidiger Unterlagen beseitigt, muss im Interesse wirksamer Verteidigung hingenommen werden. Allerdings hat der Bundesgerichtshof im Jahre 1973277 entschieden, dass § 148 die 97 Vorschrift des § 97 lediglich ergänze, mithin die Beschlagnahme bei einem der Teilnehme verdächtigen Verteidiger zulässig sei. Diese einschränkende Auslegung des § 148 wurde damit begründet, nach der kurz zuvor ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts278 sei ein Verteidigerausschluss wegen Teilnahmeverdachts mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig. Nachdem der Gesetzgeber den Verteidigerausschluss für alle Teilnahmefälle des § 97 Abs. 2 Satz 3 in § 138a Abs. 1 vorgesehen und die Tatverdachts-
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BGHSt 53 257, 262; Meyer-Goßner § 108, 4. Offengelassen durch BGH NStZ 2001 604; AK/Amelung 21, 38; G. Schäfer FS Hanack 77, 99; Roxin JR 1974 115; Welp NStZ 1986 294; a.A. Meyer-Goßner 38 und § 148, 8.
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Roxin JR 1974 117, 118; Welp JZ 1974 423, 425. BGH NJW 1973 2035 mit abl. Anm. Specht NJW 1974 65 = JR 1974 115 mit abl. Anm. Roxin = JZ 1974 421 mit abl. Anm. Welp. BVerfGE 34 293.
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schwelle und das Verfahren genau geregelt hat, besteht indes ein fortwirkendes Bedürfnis für eine derart restriktive Auslegung des § 148 nicht mehr.279 Der Verdacht der Tatbeteiligung, der gemäß Absatz 2 Satz 3 das Beschlagnahmever98 bot aufhebt, bezieht sich auf eine bestimmte Tat im prozessualen Sinne.280 Nur zu deren Aufklärung dürfen Beweismittel beschlagnahmt werden. Diese sind, da das Verhältnis unter Rechtsbrechern vom Gesetz nicht geschützt wird, in dem Verfahren gegen den Mandanten wegen derselben Tat im prozessualen Sinne verwertbar. Kommen die beschlagnahmten Gegenstände als Beweismittel für verschiedene Taten in Betracht, so dürfen sie in Verfahren gegen Mandanten nur verwertet werden, soweit diese an der dem Verteidiger vorgeworfenen Tat im weitesten Sinne beteiligt waren oder sind oder soweit ihnen die Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei gegolten hat. Siehe dazu Rn. 95. Entsprechendes gilt, wenn der Verteidiger seine Rechte sonst missbraucht,281 denn 99 §§ 138a ff. regeln die Folgen des Missbrauchs der Verteidigerrechte abschließend.282 Abzulehnen ist deshalb insbesondere die Auffassung, im Gewahrsam des Verteidigers befindliche Beweismittel könnten beschlagnahmt werden, wenn sie „ohne sachlichen Grund“ nicht herausgegeben werden.283
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d) Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen nach Entbindung des Verteidigers von der Schweigepflicht. Der Verzicht des Berechtigten auf das Beschlagnahmeverbot führt an sich zur Herausgabepflicht durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten. Dies gilt zweifelsfrei für schriftliche Mitteilungen des Mandanten sowie für Aufzeichnungen über die dem Verteidiger vom Mandanten anvertrauten Mitteilungen oder Umstände. Oben Rn. 49 wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass es jedenfalls beim Verteidiger einen Kernbereich von Verteidigungsmaterial gibt, das der Disposition des Mandanten entzogen ist und über dessen Freigabe als Beweismittel nur der Verteidiger selbst zu entscheiden hat. Dabei kann es sich um Aufzeichnungen über persönliche Wahrnehmungen des Verteidigers, vertrauliche Hintergrundinformationen oder schriftlich niedergelegte Gedanken zur Verteidigungsstrategie handeln.284 Andernfalls könnte er seine Aufgabe als Organ der Rechtspflege, das in eigener Verantwortung eine Verteidigungsstrategie konzipieren darf und muss, nicht wahrnehmen. Eine Ausforschung der Verteidigungsstrategie durch Beschlagnahme von originären Verteidigerunterlagen ist demnach auch nach der Entbindung des Verteidigers von seiner Schweigepflicht grundsätzlich nicht zulässig.
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e) Beschlagnahmeschutz bei Gehilfen des Verteidigers. Nach § 53a StPO steht das Zeugnisverweigerungsrecht auch den Gehilfen 285 des Verteidigers zu. Diese Regelung wurde erstmals durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 eingeführt.286 Die „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ sollen davon erfasst werden, anderen Personen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit des Geheimnisträgers bei diesem beschäftigt sind, soll dagegen ein abgeleitetes Zeugnisverweigerungsrecht nicht zustehen.287 Soweit in der Literatur 288 diese Erläuterungen des Gesetzgebers zum Anlass
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G. Schäfer FS Hanack 77, 100. BGHSt 18 227, 229; Meyer-Goßner 19. Haffke NJW 1975 808; Bringewat NJW 1974 1743; Beulke 230; offengelassen von OLG Frankfurt StV 1982 63. A.A. Beulke 230. Zutr. OLG Frankfurt StV 1982 63; a.A. Bringewat NJW 1974 1743.
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G. Schäfer FS Hanack 77, 101. Zum Arzt und seinem Berufsgehilfen Hanack JR 1986 35 f. Dazu BTDrucks. I 3713 S. 48. BTDrucks. aaO. Meyer-Goßner § 53a, 2.
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genommen werden, selbständige Gewerbetreibende, die für den Geheimnisträger nur Einzelaufträge erledigen, grundsätzlich nicht als Gehilfen zu betrachten, ist dies nach dem Wortlaut und dem Normzweck des § 53a StPO nicht zwingend. Dass etwa ein vom Verteidiger beauftragter Sachverständiger dessen „Gehilfe“ im Sinne des § 53a StPO ist, wird mit dem nicht näher begründeten Hinweis darauf, dass selbständige Gewerbetreibende nicht erfasst seien, bestritten.289 Diese Auffassung ist nicht haltbar.290 Ist der gerichtlich beauftragte Sachverständige 102 der „Gehilfe“ des Richters bei der Urteilsfindung,291 so könnte der privat beauftragte Sachverständige ebenso als „Gehilfe“ des Verteidigers angesehen werden;292 eine besondere rechtliche Qualifizierung des Verhältnisses zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und der Hilfsperson ist nicht erforderlich. Vertragsrechtlich könnte der Sachverständige auch „Erfüllungsgehilfe“ (§ 278 BGB) des Verteidigers sein. Warum er dann nicht Gehilfe im Sinne von § 53a Abs. 1 StPO sein soll, ist mit dem Wortsinn allein nicht zu erklären.293 Auch der Normzweck, Umgehungen des Zeugnisverweigerungsrechts zu verhindern,294 spricht dafür, den Sachverständigen nicht bereits aufgrund seiner beruflichen Selbständigkeit von der Rolle als Gehilfe des Verteidigers im Sinne des § 53a StPO auszuschließen. Hinzu kommt, dass eigene Ermittlungen des Verteidigers mit hohem Risiko ausgestattet, in manchen Fällen sogar gänzlich unzweckmäßig wären, hätten die Helfer des Verteidigers kein Zeugnisverweigerungsrecht oder wäre – als weitere Konsequenz – bei ihnen die Beschlagnahme der erhobenen Befunde oder gar der vom Verteidiger zur Prüfung oder Untersuchung überlassenen Unterlagen möglich, weil der Beschlagnahmeschutz des § 97 Abs. 3 nicht greift. Wortlaut, Normzweck und das Recht des Verteidigers zur Vornahme eigener Ermittlungen sprechen dafür, alle diejenigen Personen, deren sich der Verteidiger zur Erfüllung seiner Aufgaben im Einzelfall bedienen muss, als seine Gehilfen im Sinne des § 53a StPO einzustufen.295 Dies gilt dann für Sachverständige,296 etwa den privat beauftragten Buchprüfer, Unternehmensberater, Steuerberater, Graphologen, Psychiater, Rechtsmediziner, aber auch für Detektive297 und andere Personen mit vergleichbaren die Verteidigung unterstützenden Aufgaben,298 unabhängig davon, ob diese Personen aufgrund einer ständigen vertraglichen Beziehung mit dem Verteidiger oder eines Auftrags im Einzelfall tätig wurden.299 Ist der privat beauftragte Sachverständige Gehilfe des Verteidigers, dann ist er zur 103 Aussageverweigerung nach den § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 53a Abs. 1 berechtigt und gemäß den § 97 Abs. 1 und Abs. 4, § 53a Abs. 1 können die Unterlagen, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers bezieht, nicht bei dem Sachverständigen beschlagnahmt werden. Dies gilt dann gleichermaßen für die ihm vom Verteidiger zur Verfügung gestellten Vorgaben des Beschuldigten und sonstigen Befundtatsachen wie 289 290
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LG Essen StraFo 1996 92 mit abl. Anm. Oster; Meyer-Goßner § 53a, 2. G. Schäfer FS Hanack 77, 91; ebenso Krause StraFo 1998 1; vgl. auch Oster StraFo 1996 92. Vgl. nur BGHSt 3 27 f.; 8 113 ff. Starke in Rudolphi-Symposium (1995) 81 ff. Starke aaO (1995) 81 [86]. Eb. Schmidt zu § 53a. G. Schäfer FS Hanack 77, 92; ebenso Krause StraFo 1998 1, und Krekeler/Schonard wistra 1998 137.
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Oster Anm. zu LG Essen StraFo 1996 92. Jungfer StV 1989 495, 504; str. Für den zugezogenen Dolmetscher wird dies bisweilen anerkannt: Meyer-Goßner § 53a, 4. Mit Hinweis darauf, dass dann § 53a StPO zur Generalklausel für neue Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote werde, anders Starke S. 81, 86, der freilich unter Heranziehung der Grundsätze fairen Verfahrens zu demselben Ergebnis kommt.
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auch für die von ihm selbst ermittelten neuen Beweisergebnisse. Soweit der Beschuldigte dem Sachverständigen eigene Äußerungen zur Sache zur Verfügung stellt, etwa indem er sich einer freiwilligen Exploration durch einen privat beauftragten Psychiater oder einer testpsychologischen Untersuchung unterwirft, um damit die Verteidigung zu führen, muss dies zur sachgerechten Verteidigung ohne das Risiko des Beschlagnahmezugriffs oder der Zeugenvernehmung des Sachverständigen ohne Aussageverweigerungsrecht möglich sein. Das grundsätzliche Verbot der Trübung einer Beweisquelle kann allerdings auch hier 104 wiederum dazu führen, dass der Verbrauch oder die Beeinträchtigung beschlagnahmefähiger Beweismittel durch den Sachverständigen es erfordern, Surrogate für den verlorenen oder verdorbenen Beweis in der Form der vom Sachverständigen schriftlich festgehaltenen Befunde oder seiner Aussage als sachverständiger Zeuge – nur zu dem Thema der Beschaffenheit der verlorenen oder verdorbenen Befundtatsache – für die staatlichen Strafverfolgungsorgane bereitzuhalten. f) Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen beim Beschuldigten.300 Um dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben, dürfen Aufzeichnungen und anderes Verteidigungsmaterial, die sich ein Beschuldigter zur Vorbereitung seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren angefertigt hat, nicht beschlagnahmt werden.301 Dies folgt nicht aus § 97, sondern aus § 148, soweit das Material der Kommunikation mit dem Verteidiger dient, und wird im Übrigen aus Art. 6 Abs. 3 EMRK i.V.m. dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, effektive Verteidigung zu gewährleisten, geschlossen.302 Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, sich zur Vorbereitung seiner Verteidigung Notizen zu machen303 und Material zu sammeln, etwa seine Einlassung für die Hauptverhandlung vorbereitend zu skizzieren. Er darf sich damit dem Verteidiger anvertrauen. Für eine sachgerechte Verteidigung ist dies unumgänglich. Weil § 148 Abs. 1 auch die Freiheit der Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Verteidiger schützt, bedarf auch der Transport der Verteidigungsunterlagen vom Beschuldigten zum Verteidiger und umgekehrt des Schutzes gegen einen Zugriff der Ermittlungsbehörden. Das genannte Verteidigungsmaterial ist daher auch dann geschützt, wenn es sich auf dem Postweg vom Beschuldigten zum Verteidiger oder umgekehrt befindet. Dass durch die bloße Bezeichnung als „Verteidigungsunterlagen“ oder durch Untermischung mit solchen beschlagnahmefähige Gegenstände nicht der Beschlagnahme entzogen werden dürfen, ist selbstverständlich.304 Dass das Verteidigermandat gegebenenfalls erst zugleich mit Übersendung der Vertei106 digungsunterlagen begründet werden soll oder schon besteht, bevor eine förmliche Mandatierung stattgefunden hat, steht dem Beschlagnahmeschutz nicht entgegen. Auch ein Verteidigermandat in Anbahnung305 löst den Schutz des § 53 Abs. 1 Satz 1 und damit
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Zusammenfassend G. Schäfer FS Hanack 77, 83. BGHSt 44 46; BGH NJW 1973 2035, 2036 f.; BGH, Beschl. vom 12. April 1978 – StB 92/78; BGHR StPO § 97 Verteidigungsunterlagen 1 und 2; Dahs GedS Meyer 61, 68; G. Schäfer FS Hanack 77, 80, 83; Schmidt StV 1989 431; Welp FS Gallas 417. BGHSt 44 46.
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Eindrucksvolle Beispiele bei BGHSt 44 46, 47. BGHSt 44 46, 59; Dahs GS K. Meyer 61, 70. OLG Koblenz WiB 1996 185; Janssen 88; zur Anbahnung eines ärztlichen Behandlungsvertrags BGHSt 33 148 ff. = JR 1986 33 mit Anm. Hanack = NStZ 1985 372 mit Anm. Rogall; G. Schäfer FS Hanack 77, 81.
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denjenigen der vorliegenden Vorschrift aus, da nach Art. 6 Abs. 3 Nr. 2 EMRK bereits die sachgerechte Vorbereitung der Verteidigung gewährleistet sein muss. Notizen des sich selbst verteidigenden Beschuldigten sind bei diesem nach dem Wort- 107 laut des Gesetzes eigentlich der Beschlagnahme unterworfen. Weder § 97 noch § 148 greift ein, sofern nicht eine Beziehung zu einem Verteidiger besteht. Es stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis auch im Hinblick auf übergreifende Rechtssätze zutreffend sein kann. Die Rechtsprechung hat die Frage nach dem Beschlagnahmeschutz von Verteidigungsunterlagen für Beschuldigte, die sich selbst verteidigen, bejaht.306 Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, der dem Beschuldigten die Wahl lässt, ob er sich selbst 108 oder durch einen Verteidiger gegen den Vorwurf wehren will, und Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG ergänzen hier die Regeln der §§ 97, 148. Darf der Beschuldigte sich selbst verteidigen und hat er das Recht, dies ausreichend vorzubereiten (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK), so ist es geboten, ihm schriftliche Aufzeichnungen beschlagnahmefrei zu belassen, die der Verteidigungsvorbereitung dienen.307 5. Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und ähnliche Berufe (§ 53 Abs. 1 Satz 1 109 Nr. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3). Zum Personenkreis, zu den Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts und damit des Beschlagnahmeverbots vgl. die Kommentierung zu § 53. Geschützt wird der Personenkreis nur in der berufstypischen Aufgabenstellung, nicht, soweit er andere Funktionen ausübt. Auf die in Baden-Württemberg noch bis zum Jahr 2018 tätigen Notare im Landesdienst ist die Regelung nicht anwendbar, soweit sie Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit wahrnehmen, die in anderen Ländern durch die Amtsgerichte erledigt werden.308 Die Abgrenzung muss so vorgenommen werden, dass die Berufsausübung nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet, dass lediglich solche Kenntnisse vom Zeugnisverweigerungsrecht und damit vom Beschlagnahmeverbot ausgenommen sind, die der Berufsangehörige privat, d.h. ohne Bezug auf ein Mandat oder bei einer Tätigkeit erlangt hat, die nicht dem Berufsbild des geschützten Berufs entspricht.309 Das bedeutet, dass bei Rechtsanwälten gemäß § 3 Abs. 1 BRAO die Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten, bei Wirtschaftsprüfern die gesamte in § 2 WPO beschriebene Tätigkeit, mithin auch die Beratung in wirtschaftlichen Angelegenheiten,310 geschützt ist. a) Allgemeines. Die für den Verteidiger aufgezeigten Besonderheiten gelten hier nicht, 110 es sei denn, der Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sei gleichzeitig Verteidiger (§ 392 AO).311 Dem Beschlagnahmeverbot unterliegen schriftliche Mitteilungen (vgl. Rn. 66), Aufzeichnungen des Zeugnisverweigerungsberechtigten (vgl. Rn. 72) und sonstige Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht (vgl. Rn. 75). b) Buchhaltungsunterlagen. Nach wie vor heftig umstritten ist die Frage, ob und 111 inwieweit Buchhaltungsunterlagen und die aufgrund dieser Unterlagen gefertigten Auf-
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BGH NJW 1973 2035, 2036 f.; BGH Beschl. vom 12. April 1978 – StB 92/87; BGHR StPO § 97 Verteidigungsunterlagen 1 mit Anm. R. Schmidt StV 1989 421; BGH StV 1998 246 f. P. Schmitt 181 Fn. 233. LG Freiburg wistra 1998 35 f. m. Anm. Schmedding.
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LG Berlin StV 2002 67 mit Anm. Wehnert. LG Berlin StV 2002 67 mit Anm. Wehnert. Auch dann sind aber die gesetzlich zu führenden Handelsbücher beschlagnahmefähig, a.A. LG Koblenz StV 1985 8.
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zeichnungen, die Buchhaltung bis hin zum Bilanzentwurf und zur Bilanz, beim Steuerberater und den anderen in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 genannten Personen beschlagnahmt werden dürfen. Das Problem stellt sich, weil durch Einsatz der Datenverarbeitung die Buchhaltung zunehmend nicht mehr beim Kaufmann selbst, sondern „extern“ beim Steuerberater geführt wird. Der Zugriff auf die Buchhaltung erscheint aber für eine effektive Strafverfolgung im Bereich der Wirtschaftskriminalität unverzichtbar. Die Frage war bereits Gegenstand der Beratungen des 49. Deutschen Juristentags und hat dort zu kontroversen Abstimmungsergebnissen geführt.312 Unproblematisch sind zunächst die Fälle, in denen es um die Beschlagnahme von Unterlagen geht, die falsche Daten zur Täuschung des Finanzamts bei der Steuererklärung oder von Banken zur Krediterlangung enthalten. Dann sind die Buchführungsunterlagen insgesamt und die daraus resultierenden Abschlüsse instrumenta sceleris und unterliegen nach Absatz 2 Satz 3 auch dann der Beschlagnahme, wenn sie sich im Gewahrsam eines der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 genannten Berufsangehörigen befinden. Im Übrigen wird zum Teil ein Beschlagnahmeverbot für sämtliche dem Steuerberater zur Buchführung übergebenen Geschäftsunterlagen (Belege) und für die vom Steuerberater daraus gefertigte Buchhaltung (Konten usw.) damit begründet, Erstere seien Gegenstände nach § 97 Abs. 1 Nr. 3, Letztere Aufzeichnungen nach Absatz 1 Nr. 2, auf beide erstrecke sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Steuerberaters.313 Demgegenüber wird von zahlreichen Autoren und Gerichten mit ganz unterschiedlichen Gründen ein umfassendes Beschlagnahmeverbot abgelehnt: Die extern geführte Buchhaltung stehe im Mitgewahrsam des Kaufmanns,314 vgl. Rn. 30; die Kontenführung gehöre nicht zur berufsspezifischen Aufgabe des Steuerberaters, weshalb sich darauf das Zeugnisverweigerungsrecht nicht erstrecke;315 nur aufgrund des Vertrauensverhältnisses entstandene Geschäftsunterlagen seien geschützt,316 vgl. Rn. 72; das Beschlagnahmeverbot könne sich nicht auf Gegenstände erstrecken, die der Kaufmann von Gesetzes wegen aufzubewahren habe,317 die Buchführung als solche betreffe nach ihrem Aussagegehalt nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberater und Auftraggeber.318 Der zuletzt genannten Auffassung ist zu folgen: Die Annahme, der Kaufmann habe an den dem Steuerberater überlassenen oder dort erst entstandenen Unterlagen und Datensammlungen Mitgewahrsam, wird den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht.319 Die 312 313
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Vgl. die eingehende Darstellung von Weinmann FS Dünnebier 199. LG Bonn DB 1984 2193; LG Koblenz StV. 1985 9; DStR 1969 350; LG Köln NJW 1960 1874; LG München NJW 1984 1191; LG Stade wistra 1986 41; LG Stuttgart NJW 1976 2030; Bauwens wistra 1985 179; Gehre NJW 1977 710, Gülzow NJW 1981 265; Heilmeier DStR 1980 519; Kohlmann Wirtschaftsprüfung 1982 70; Lohmeyer DStR 1979 584; Volk DStR 1989 338. LG Aachen NJW 1985 338; MDR 1981 603; Birmanns MDR 1981 102; dagegen zutreffend Meyer-Goßner 40; Amelung DNotZ 1984 198; Höser MDR 1982 535. LG Stuttgart wistra 1985 41; LG Saarbrücken wistra 1984 200; Meyer-Goßner
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40; Stypmann wistra 1982 19; H. Schäfer wistra 1985 13 – alle unter Berufung auf BVerfGE 54 301, wo aber nur entschieden ist, dass das Kontieren nicht nur von Steuerberatern, sondern auch von „einfacheren“ Berufen erledigt werden könne; a.A. Bauwens wistra 1985 182. LG Stuttgart wistra 1985 41; LG Braunschweig NJW 1978 2109. Weinmann FS Dünnebier 212 unter Berufung auf zwei nicht veröffentlichte Entscheidungen des Vorprüfungsausschusses des BVerfG; Stypmann wistra 1982 13; a.A. Meyer-Goßner 40; Kunert MDR 1973 179. LG München wistra 1985 42. Schmidt wistra 1991 250.
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Verfassungswidrigkeit des Buchführungsprivilegs der steuerberatenden Berufe sagt noch nichts darüber, dass Buchführung nicht doch zu den berufsspezifischen Aufgaben des Steuerberaters gehöre. Immerhin erwähnt § 33 StBerG die Hilfeleistung bei den Buchführungspflichten ausdrücklich und § 33 StBGebV sieht für die Buchführung einschließlich des Kontierens Gebühren für den Steuerberater vor. Dass es schließlich für den Schutz vor Beschlagnahme nicht darauf ankommen kann, ob ein Gegenstand aufgrund des Vertrauensverhältnisses entstanden ist, wurde schon oben belegt. Entscheidend dürfte Folgendes sein: Den Kaufmann trifft eine öffentlich-rechtliche 117 Buchführungspflicht nach Handelsrecht und den handelsrechtlichen Nebengesetzen „nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung“ (§§ 238, 242 HGB). Diese Pflicht umfasst die laufende Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle und der mit ihnen verbundenen Mengen- und Wertbewegungen, die regelmäßige Erstellung von Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die geordnete Aufbewahrung der Bilanzen, Handelsbücher, Konten, Handelsbriefe und Buchungsbelege. Soweit der Kaufmann diese gesetzliche Pflicht dadurch erfüllt, dass er die Führung der Bücher und die Aufbewahrung der Belege durch Außenstehende vornehmen lässt, diese also lediglich seine gesetzlichen Pflichten erfüllen, handelt es sich auch bei Angehörigen der in § 53 Abs. 1 Satz 1 genannten Berufe nicht um eine Tätigkeit, auf die sich deren Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt. Zutreffend weist das Landgericht München wistra 1985 42 darauf hin, dass Gegenstände nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 und 3 nur dann vor Beschlagnahme geschützt sind, wenn deren „Aussagegehalt“ das Vertrauensverhältnis betrifft.320 Das ist bei der Erfüllung der gesetzlichen Buchführungspflicht (im weiteren oben genannten Sinne) nicht der Fall. Anderes gilt für jegliche im Zusammenhang mit der Buchführung anfallende Beratertätigkeit. Unterlagen (wie Korrespondenz, Entwürfe von Bilanzen, Gutachten zu Zweifelsfragen) hierüber sind vor Beschlagnahme geschützt.321 Ein solcher Beratungsbedarf fällt häufig schon an bei der Frage, wie die Buchhaltung einzurichten ist. Der Schwerpunkt der Beratung liegt aber regelmäßig bei der Aufstellung des Jahresabschlusses und hier wiederum bei den sog. „vorbereitenden Abschlussbuchungen“, bei der Frage also, wie etwa der Eigenverbrauch und die private Nutzung, die Rechnungsabgrenzung, Rückstellungen, Abschreibungen und das Delkredere zu behandeln sind. Das Ergebnis dieser Beratung äußert sich in Buchungen, die Teil der Buchhaltung und damit wiederum nicht deshalb vor Beschlagnahme geschützt sind, weil sie sich beim Steuerberater befinden, und findet letztlich Niederschlag in der Bilanz, die mit der Unterschrift des Kaufmanns (§ 245 HGB) dessen Aufbewahrungspflicht (§ 257 Abs. 1 HGB) unterliegt und damit nicht mehr vom Zeugnisverweigerungsrecht des Beraters erfasst wird. 6. Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker, Hebammen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 118 Nr. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3). Zum Personenkreis vgl. die Kommentierung zu § 53. Im Gegensatz zu den anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten sind bei Ärzten, Zahnärzten, approbierten Psychotherapeuten,322 Apothekern und Hebammen nach § 97 Abs. 2 Satz 2 auch Beweisgegenstände von der Beschlagnahme ausgenommen, die sich nicht in ihrem Gewahrsam, sondern in dem einer Krankenanstalt befinden, gleichgültig, auf welche Weise sie ihn erlangt hat. Ob der Zeugnisverweigerungsberechtigte in der Anstalt tätig war oder ist, spielt keine Rolle.323 Es muss sich auch nicht um die Anstalt handeln,
320 321
Ebenso LG Saarbrücken wistra 1984 200; vgl. auch BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 84. LG München NJW 1989 536; LG Chemnitz wistra 2000 476.
322 323
Zum PsychthG s. BTDrucks. 13 733. Meyer-Goßner 14.
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in welcher der Beschuldigte früher behandelt worden ist.324 Der Begriff Krankenanstalt ist weit auszulegen. Er umfasst auch unter ärztlicher Betreuung stehende Genesungsheime, Sanatorien, Entbindungsanstalten, Pflege- und Verwahranstalten, Kranken- und Revierabteilungen der Bundeswehr, der Polizei und der Justizvollzugsanstalten.325 Nach der Ergänzung des Absatzes 2 Satz 2 durch Art. 30 des GKV-Modernisierungsgesetzes sind nun auch Dienstleister, die für die Genannten personenbezogene Daten erheben, verarbeiten oder nutzen, von Absatz 2 Satz 2 erfasst. Beschlagnahmefrei sind auch die im ärztlichen Gewahrsam befindlichen Krankenunterlagen eines Mitbeschuldigten, und zwar auch dann, wenn das Verfahren gegen ihn abgetrennt ist, er also in dem Verfahren, in dem das Beweisverbot zu prüfen ist, nur die Rolle eines (verdächtigen) Zeugen innehat.326 Beschlagnahmefrei sind schriftliche Mitteilungen (oben Rn. 66), Aufzeichnungen 119 (oben Rn. 72) und Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht (oben Rn. 75). Als Gegenstände der Beschlagnahme kommen bei den Angehörigen der Heilberufe insbesondere Krankengeschichten und Krankenblätter in Betracht. Krankengeschichten sind schriftliche Aufzeichnungen über Befunde und über Behandlungsmaßnahmen bei Unfällen, Operationen und Krankenhausbehandlung; Krankenblätter sind ärztliche Karteikarten mit Aufzeichnungen über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen. Geschützt sind auch Aufzeichnungen über die Anbahnung des Beratungsoder Behandlungsverhältnisses327 sowie die Korrespondenz des Arztes (mit Kliniken, Kollegen u.ä.) über den Patienten. Ärztliche Erkenntnisse aus Zwangsuntersuchungen in anderen Strafverfahren dürfen beschlagnahmt werden, da dort Zeugnisverweigerungsrechte nicht bestehen und der Betroffene zur Mitwirkung nicht verpflichtet war.328 Zur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässigen Beschlagnahme ärztlicher Unterlagen über Patienten, die nicht Beschuldigte sind (sondern z.B. Opfer), vgl. Rn. 23 und grundsätzlich BVerfGE 32 373, 380. Hat der Arzt an der Tat des Beschuldigten teilgenommen, kommt die dann durch 120 § 97 Abs. 2 Satz 3 zugelassene Beschlagnahme nur in Betracht, sofern die Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der Aufklärung von Straftaten und dem grundrechtlich geschützten Anspruch des Bürgers auf Schutz seiner Privatsphäre diesen Eingriff als nicht unverhältnismäßig erscheinen lässt.329 Zur Beschlagnahme und Verwertung ärztlicher Befunde bei Schwangerschaftsabbruch in Verfahren gegen die Patientin s. Erl. § 108.
121
7. Mitglieder und Beauftragte von Beratungs- und Begutachtungsstellen für Schwangere (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3). Zum Personenkreis vgl. wiederum die Kommentierung zu § 53. Geschützt sind schriftliche Mitteilungen (oben Rn. 66), Aufzeichnungen (oben Rn. 72) und andere Gegenstände (oben Rn. 75). Von der Beschlagnahme ausgeschlossen sind diese Gegenstände nicht nur, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte sie selbst im Gewahrsam hat, sondern nach § 97 Abs. 2 Satz 2 auch, wenn sie im Gewahrsam der Beratungs- oder Begutachtungsstelle sind. Die zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 53 Abs. 1 Nr. 3a Berechtigten bewahren schriftliche Unterlagen und Gegenstände, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht, häufig
324 325 326 327
Eb. Schmidt Nachtr. 18. Meyer-Goßner 14; Eb. Schmidt Nachtr. I 8. BGHSt 43 300. BGHSt 33 148 = NStZ 1985 373 mit
200
328 329
Anm. Rogall = JR 1986 33 mit Anm. Hanack. Cramer NStZ 1996 209, 214. BVerfGE 32 373, 381.
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nicht bei sich auf. § 97 Abs. 2 Satz 2 erstreckt das Beschlagnahmeverbot daher auf Gegenstände, die im Gewahrsam der Beratungs- und Begutachtungsstellen sind. Das ist der Fall, wenn sie in deren Räumen oder an anderer Stelle auf Veranlassung eines dazu befugten Mitglieds der Stelle aufbewahrt werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht umfasst nicht nur die unmittelbar mit der Schwangerschaft zusammenhängenden Umstände, sondern auch die gesamten Lebensumstände der Schwangeren unabhängig davon, von wem diese Erkenntnisse erlangt wurden. 8. Drogenberater (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b). Zum Personenkreis und zum Umfang 122 des Zeugnisverweigerungsrechts vgl. die Ausführungen bei § 53. Zu den geschützten Gegenständen, zu deren Aufbewahrung auf der Beratungsstelle und zum Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts gelten im Übrigen die Ausführungen zu Rn. 121 entsprechend.
VI. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 4; Abgeordnete 1. Allgemeines. Das Beschlagnahmeverbot bei Abgeordneten wurde durch das Gesetz 123 zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Abgeordneten vom 26. Juni 2009 (BGBl. I S. 1597) in Absatz 4 neu geregelt. Zur früheren Rechtslage vgl. Borchert Der Abgeordnete des Deutschen Bundestages im G 10-Verfahren, DÖV 1992 58; Butzer Immunität im demokratischen Rechtsstaat (1991) 252 ff.; Dach Zur Kontrolle von Abgeordnetenpost durch den Verfassungsschutz, ZRP 1992 1; Elf Der Vollzug von Durchsuchungen bei Abgeordneten, NStZ 1994 375; Gatzweiler Art. 46 GG Wiederherstellung der Immunität, StraFo 1998 15; Ranft Staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit und Immunität der parlamentarischen Abgeordneten, ZRP 1981 271; Schulz Neue Variationen über ein Thema – Abgeordnetenimmunität und Zwangsmaßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, DÖV 1991 448; Walter Indemnität und Immunität (Art. 46 GG) im Überblick, Jura 2000 496.
Anlass für die Neuregelung war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 108 251 ff.), der zufolge die Reichweite des Beschlagnahmeschutzes bei Mitarbeitern von Abgeordneten nicht hinreichend geklärt war. Die Neuregelung gewährt nunmehr auch den Mitgliedern der Bundesversammlung und den aus der Bundesrepublik Deutschland entsandten Mitgliedern des Europäischen Parlaments das Beschlagnahmeprivileg des § 97.330 Außerdem bezieht sich das Beschlagnahmeverbot nicht mehr nur auf „Schriftstücke“, sondern allgemein auf „Gegenstände“. Der Umfang des Beschlagnahmeschutzes ist nicht auf einen – ohnehin kaum zu konturierenden – „funktionellen Herrschaftsbereich“ des Abgeordneten beschränkt.331 Geschützt ist auch mehr als der bloße Gewahrsam. Der Beschlagnahmeschutz bei Mitarbeitern von Mandatsträgern bezieht alle Fälle mit ein, in denen der Gegenstand einer Hilfsperson anvertraut wurde, ohne dass es auf den Status der Hilfsperson als Beschuldigter oder Nichtbeschuldigter oder darauf ankommt, ob der Mitarbeiter den Gegenstand von dem Abgeordneten persönlich oder im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Abgeordneten von einem Dritten erhalten hat.332 2. Geschützter Personenkreis. Vgl. dazu auch die Kommentierung zu § 53. Da das 124 Zeugnisverweigerungsrecht die Mandatszeit überdauert, gilt dies auch für das Beschlag330 331
BTDrucks. 16 10572 S. 3. BTDrucks. 16 12314 S. 4.
332
Wörtlich BTDrucks. 16 12314 S. 4.
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nahmeverbot. Der Beschuldigte kann in die Beschlagnahme nicht wirksam einwilligen, da § 53 Abs. 2 nicht gilt. Dagegen steht es dem Abgeordneten frei, den gesuchten Gegenstand trotz des Beschlagnahmeverbots herauszugeben.
125
3. Geschützte Gegenstände. Nur soweit das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 reicht, besteht das Beschlagnahmeverbot, denn Art. 47 GG, § 97 Abs. 4 wollen die „praktische Aufhebung“ des Zeugnisverweigerungsrechts durch die Beschlagnahme verhindern. Der Begriff „anvertraut“ ist vor dem verfassungsrechtlich untermauerten Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen.333 Dieses Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt sich auf Tatsachen, die dem Abgeordneten von irgendjemanden, einem Privatmann, Abgeordneten oder Mitglied der Regierung in seiner Eigenschaft als Abgeordneter schriftlich oder mündlich mitgeteilt oder in irgendeiner sonstigen Weise zur Kenntnis gebracht wurden, über die Person des Informanten, sowie umgekehrt über Tatsachen und Personen, die der Abgeordnete in dieser Eigenschaft anderen Personen anvertraut hat. Darauf, ob die Informationen vom Beschuldigten stammen oder für diesen bestimmt sind, kommt es nicht an. Aufgrund der Neuregelung erfasst Absatz 4 nunmehr sämtliche Gegenstände im Sinne 126 des Absatzes 1, nicht mehr nur „Schriftstücke“. Dies können (wie bisher) Mitteilungen oder Aufzeichnungen des Informanten oder des Abgeordneten oder sonstige Gegenstände, die solche Informationen enthalten, sein. Es kann sich um Ur- oder Abschriften oder um Fotokopien handeln. Schriftstücke, die beschlagnahmefrei sind, auf die sich die Beschlagnahmefreiheit aber nicht mehr beschränkt, können von Hand gefertigt oder gedruckt sein. Dem Sinn der Vorschrift entsprechend fallen darunter auch die in § 11 Abs. 3 StGB genannten anderen Darstellungen von Gedankenäußerungen334 (vgl. Rn. 68, 77).
127
4. Gewahrsam. Anders als Absatz 2 (für den nach Absatz 1 geschützten Personenkreis) und anders auch als Absatz 5 für die Medienmitarbeiter erwähnt Absatz 4 aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers den Gewahrsam des Abgeordneten als Voraussetzung des Beschlagnahmeverbots nicht. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Abgeordnetem im Interesse der ungehinderten Wahrnehmung der politischen Aufgaben endet nicht an der Bürotür des Abgeordneten. Wie das Gesetz durch Unterlassen eines jeglichen Hinweises auf den Gewahrsam eindeutig zum Ausdruck bringt, kommt es hier nicht darauf an, in wessen Gewahrsam sich das Schriftstück befindet. Nur wenn der befugte Gewahrsamsinhaber den Schutz selbst freiwillig aufgibt und das Schriftstück etwa dem Altpapiersammler überlässt, endet der Beschlagnahmeschutz.335
128
5. Teilnahmeverdacht. Deliktsgegenstände. Besonderheiten gelten auch für das Beschlagnahmeverbot bei Deliktsverstrickung. Die maßgebliche Vorschrift in Absatz 2 Satz 3 gilt unmittelbar nur für die in Absatz 1 genannten Angehörigen des Beschuldigten und die dort ebenfalls erfassten Inhaber der nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b geschützten Berufe. Da Absatz 4 anders als Absatz 5 für die Mitarbeiter der Medien nicht auf Absatz 2 Satz 3 verweist, gilt das Beschlagnahmeverbot für Abgeordnete (zu den Hilfspersonen s. Rn. 139) auch bei Teilnahmeverdacht und auch für Deliktsgegen-
333 334
Hebenstreit FS G. Schäfer 33, 34. Ebenso AK/Amelung § 97, 42.
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335
Hebenstreit FS G. Schäfer 33, 34.
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stände. Insoweit ist eine Beschlagnahme erst zulässig, wenn gegen den Abgeordneten als Beschuldigten unter Beachtung der Immunitätsvorschriften ermittelt wird.336 Dann ist er ohnehin Beschuldigter und für Beschuldigte gilt § 97 nicht.
VII. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 5; Medienangehörige 1. Gesetzliche Regelung und Schutzzweck a) Gesetzliche Regelung. Durch die Gesetzesänderung von 1975 ist das Zeugnisver- 129 weigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 einheitlich geregelt und wesentlich erweitert, § 97 Abs. 5 neu gefasst und namentlich in § 98 Abs. 1 Satz 2 der Richtervorbehalt aufgenommen worden (vgl. § 98, 6).337 Weitere wichtige Änderungen brachte das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 15. Februar 2002 (BGBl. I S. 2002) durch eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts der Medienangehörigen. In diesem Kontext von erheblicher Bedeutung war schließlich die Änderung des Absatzes 5 Satz 2 durch das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374). Durch die Änderung im Jahr 2002 entfiel die Beschränkung auf die Mitarbeiter bei periodischen Druckwerken. Es werden nunmehr nicht nur die Mitarbeiter von Presse, Rundfunk oder Fernsehen, sondern auch diejenigen von Informations- und Kommunikationsdiensten erfasst, soweit sie der Unterrichtung und Meinungsbildung dienen,338 und das Zeugnisverweigerungsrecht wurde auch auf selbstrecherchiertes Material und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen erstreckt (Änderung von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Einfügung von Absatz 1 Satz 2). Das Zeugnisverweigerungsrecht gilt, freilich unter dem Vorbehalt einer Subsidiaritätsklausel, nicht für selbstrecherchiertes Material und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn der Gegenstand der Untersuchung bestimmte schwere Vergehen sind. Da das Gesetz in Absatz 5 zur Reichweite des Beschlagnahmeverbots nach wie vor auf § 53 verweist, gelten die neuen Beschränkungen der Zeugenpflicht Medienangehöriger unmittelbar auch im Bereich der Beschlagnahme. Darüber hinaus wurde 2002 in Absatz 5 Satz 2 zweiter Halbsatz eine im Grund selbstverständliche Verhältnismäßigkeitsklausel eingefügt,339 die der Sache nach der früheren Regelung in Nr. 75a RiStBV entspricht.340 Dass diese in § 53 fehlt, könnte darauf zurückzuführen sein, dass bei der Durchsuchung und Beschlagnahme gerade der Art und Weise des Vorgehens großes Gewicht zukommt.341 Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber im Zweifel der Medienfreiheit den Vorrang vor dem Strafverfolgungsinteresse eingeräumt, wie die Begründung des Regierungsentwurfs auch freimütig zum Ausdruck bringt.342 Die Vorschriften der Landespressegesetze, die weitergehende Zeugnisverweigerungsrechte enthalten und teilweise noch nicht aufgehoben sind, sind unwirksam, soweit sie sich auf das Strafverfahren beziehen.343
336
337 338 339
KK/Nack 28; Meyer-Goßner 44, Eb. Schmidt Nachtr. I 17; Hebenstreit FS G. Schäfer 33, 34. Zur Gesetzgebung bis dahin vgl. Rotsch 21 ff. Also nicht etwa die der Telebankingsysteme: BTDrucks. 14 5166 S. 7. Materialien BTDrucks 14 5166; 14 6576; 14 7015.
340 341 342 343
Nr. 73a RiStBV wurde durch die gesetzliche Regelung obsolet; Kunert NStZ 2002 169. Zum neuen Recht: Kunert NStZ 2002 169. BTDrucks. 14 5166 S. 9; kritisch zu Recht deshalb auch Kunert NStZ 2002 169, 174. BVerfGE 36 193; 36 314.
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b) Schutzzweck. Schutzobjekt des publizistischen Zeugnisverweigerungsrechts und damit auch des Beschlagnahmeverbots ist in erster Linie die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film und andere Medien, die durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt werden.344 Dieser Schutz ist umfassend, wie die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts und damit auch des Beschlagnahmeverbots auf selbstrecherchiertes Material und entsprechende eigene Wahrnehmungen durch die Einfügung von § 53 Abs. 1 Satz 2 zeigt. Das Merkmal „sonst bekanntgeworden“, welches das Gesetz in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b bei den geschützten Berufen verwendet und dort sein Gewicht von dem zugrundeliegenden Vertrauensverhältnis her erfährt, wird hier auf die berufliche Tätigkeit als solche ausgedehnt.345 Pressefreiheit und Freiheit der Berichterstattung setzen weitgehende Freiheit der Informationsbeschaffung und Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit voraus. Zur Pressefreiheit gehört deshalb auch der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Medienangehörigen und dem privaten Informanten.346 Daraus folgt: Anders als in den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b kommt es für das die Pressefreiheit absichernde Zeugnisverweigerungsrecht auf eine Vertrauensbeziehung welcher Art auch immer zwischen dem Medienangehörigen und dem Beschuldigten nicht an. Es genügt, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 besteht. Der Beschuldigte kann in die Beschlagnahme nicht wirksam einwilligen; § 53 Abs. 2 Satz 1 findet keine Anwendung. Wohl aber könnte der Zeugnisverweigerungsberechtigte auch gegen den Willen und das Interesse des Informanten auf sein Recht und damit auf das Beschlagnahmeverbot ganz oder teilweise verzichten. Auch soweit eine Beschlagnahme zulässig ist, kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz größte Bedeutung zu. Das war schon immer anerkannt,347 wurde aber nunmehr durch die Anfügung von Absatz 5 Satz 2 zweiter Halbsatz noch verdeutlicht. Die Vorschrift gilt für alle Fälle, bei denen eine Beschlagnahme im Medienbereich noch in Betracht kommt, und nicht nur in den Fällen der Tatbeteiligung oder der Beschlagnahme deliktsverstrickter Gegenstände nach Absatz 2 Satz 3, wie das Wort „auch“ zu Beginn des Halbsatzes zeigt. Stets ist das Gewicht der verfolgten Tat und die Bedeutung des gesuchten Beweismittels gegen die Schwere des Eingriffs in die Pressefreiheit abzuwägen. Außerdem wird die Beschlagnahme nur „streng subsidiär“348 zugelassen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
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2. Personenkreis. Zu beachten ist, dass durch die Änderung von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten über den klassischen Bereich der Angehörigen von Presse und Rundfunk auf Personen ausgedehnt wurde, die berufsmäßig mit der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von nichtperiodischen Druckwerken oder Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten befasst waren oder noch befasst sind. Nicht der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienende Informations- und Kommunikationsdienste wie Telebanking oder ähnliche Einrichtungen sind nicht geschützt. Die Beschränkung auf berufsmäßige Mitwirkung soll einer uferlosen Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts vorbeugen;349 der Begriff erfasst wie bisher auch nebenberufliche oder
344 345 346
BVerfGE 36 193, 204; 64 108, 114; 77 65, 75, NStZ 2001 43 (Kammer). Kunert NStZ 2002 169, 171. BVerfGE 20 162, 176; 36 193, 204; NStZ 2001 43 (Kammer).
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347 348 349
BVerfGE 56 247 mit Nachw.; BVerfG (Kammer) NStZ 2001 43; BGH NStZ 1999 260. BTDrucks. 14 5166 S. 10. S. zu allem BTDrucks. 14 5166; Kunert NStZ 2002 169, 170.
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freiberufliche350 Tätigkeiten. Nicht geschützt sind Anbieter im Bereich der Individualkommunikation zwischen bestimmten Personen und soweit lediglich bestimmte geschlossene Benutzergruppen informiert werden sollen. Nicht geschützt sind ferner Wirtschaftsunternehmen, die vergleichbar dem Anzeigenteil einer Zeitung oder dem Werbefunk Erzeugnisse oder Dienstleistungen über digitale Netze anbieten. 3. Geschützte Gegenstände – Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts a) Geschützte Gegenstände sind Schriftstücke (Rn. 126), Ton-, Bild- und Datenträger, 132 Abbildungen und andere Darstellungen. Die nur in § 97 Abs. 5 vorkommenden Begriffe stimmen im Wesentlichen mit denen überein, die § 11 Abs. 3 StGB verwendet. Danach sind Tonträger solche Gegenstände, die technisch gespeicherte Tonfolgen enthalten, insbesondere Tonbänder und Schallplatten, Bildträger solche, die technisch gespeicherte Bilder oder Bildfolgen enthalten. Auch Kombinationen von Ton- und Bildträger, wie Fernsehkassetten, kommen in Betracht. Unter den Begriff Abbildungen fallen insbesondere Fotos, Dias und Filme. Darstellungen sind alle körperlichen Gegenstände, die eine Vorstellung oder einen Gedanken ausdrücken und unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden können (Bilder, Plastiken, Kennzeichen und dgl.).351 Datenträger (in § 11 Abs. 3 StGB Datenspeicher genannt) sind Geräte zur Speicherung von Informationen.352 Nach dem Sinn der Vorschrift erstreckt sich das Beschlagnahmeverbot auf alle Schriftstücke und sonstigen Unterlagen, aus denen sich Schlüsse auf die Person des Informanten und den Inhalt der Information ziehen lassen. Dass die Gegenstände unmittelbar der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung 133 von Druckschriften oder Rundfunksendungen dienen, ist nicht erforderlich. Auch Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen, an deren Veröffentlichung nicht gedacht wird, die der Redaktion oder Rundfunkanstalt aber zu diesem Zweck zugegangen sind, dürfen nicht beschlagnahmt werden. Dies gilt auch für Gegenstände, die für den laufenden Betrieb der Redaktion oder Anstalt keine Bedeutung mehr haben, insbesondere solche, die im Archiv lagern, sowie für bloßes Hintergrundmaterial. b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts. Vgl. zunächst die Kommentierung zu 134 § 53. Auch hier sind aber die weitreichenden Änderungen des Umfangs des Zeugnisverweigerungsrechts durch Einfügung von § 53 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 zu beachten, nach denen nunmehr auch selbst recherchiertes Material geschützt ist. Danach erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht über den schon bisher geschützten Bereich der Person des Informanten und den Inhalt der Information hinaus nunmehr grundsätzlich auch auf den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien wie Fotos, Notizen, Filmmaterial und auf den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. Freilich entfällt das Zeugnisverweigerungsrecht für diesen Bereich eigener Recherchen und damit auch das Beschlagnahmeverbot, wenn die Beweiserhebung der Aufklärung eines Verbrechens dienen soll oder wenn bestimmte Delikte wie Friedensverrat, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder Geldwäsche Gegenstand der Untersuchung sind. Auf eine bestimmte Tatverdachtsschwelle kommt es nicht an.353 Es genügt, dass wegen der genannten Delikte ein Anfangsverdacht besteht. Entgegen den Überlegungen des Regierungsentwurfs (BTDrucks. 14 5166 S. 9) hat der Gesetzgeber auf eine der Regelung in § 100a entsprechende Subsidiaritätsklausel nicht verzichtet. Um die Verwirrung voll zu machen, soll das 350 351
BGH NJW 1999 2051. Vgl. die Kommentierungen zu § 11 StGB.
352 353
BGH NStZ 2001 596. BTDrucks. 14 5166 S. 8.
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Zeugnisverweigerungsrecht und damit auch das Beschlagnahmeverbot auch bezüglich eigener Recherchen dann gelten, wenn und soweit dies zur Offenbarung eines Informanten oder einer nicht selbst recherchierten Information führen würde. Auch wenn durch die Neuregelung das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter stark erweitert wurde, bleibt festzuhalten, dass stets zu prüfen ist, ob im Einzelfall ein Zeugnisverweigerungsrecht und damit ein Beschlagnahmeverbot unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unmittelbar aus dem Grundrecht der Pressefreiheit herzuleiten ist.354 Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht in der Regel dann nicht, wenn die Identität 135 des Informanten in einem Pressebeitrag über die dem Journalisten gemachte Mitteilung schon offengelegt wurde und der Informationsinhalt im Übrigen bekannt ist.355 Damit entfällt insoweit auch der presserechtliche Beschlagnahmeschutz für das der Veröffentlichung zugrundeliegende Material356. An dieser Rechtslage hat sich durch die Änderung des § 53 nichts geändert. Dasselbe dürfte auch für die sog. „Bekennerschreiben“ gelten, in denen sich Straftäter gegenüber Medienangehörigen als Urheber bestimmter Straftaten bekennen und diese rechtfertigen. Da diese Schreiben in der Erwartung erfolgen, der Öffentlichkeit werde auf diese Weise die Täterschaft bestimmter Personen und deren Motive hierfür bekannt, diese Schreiben also gerade nicht in der Erwartung vertraulicher Behandlung erfolgen, erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht auf sie nicht. Sie unterliegen der Beschlagnahme. Leserbriefe sind Beiträge zum redaktionellen Teil,357 denn sie stellen in der Regel die Auseinandersetzung des Lesers mit dem redaktionellen Teil dar. Der Anzeigenteil (Werbefunk, Werbefernsehen) ist nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 nicht geschützt, da diese Vorschrift sich ausdrücklich nur auf den redaktionellen Teil bezieht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht und damit ein Beschlagnahmeverbot kann sich aber ausnahmsweise aus Art. 5 GG ergeben, wenn einzelne Anzeigen einen solchen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung enthalten, dass sie der kontroll- und meinungsbildenden Funktion des redaktionellen Teils von Presseerzeugnissen vergleichbar sind.358
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4. Gewahrsam. Absatz 5 verweist nicht auf das Gewahrsamserfordernis in Absatz 2, sondern enthält eine eigene Regelung über den räumlich geschützten Bereich. Das Beschlagnahmeverbot ergreift nur Gegenstände, die sich wenigstens im Mitgewahrsam (vgl. Rn. 30) des Zeugnisverweigerungsberechtigten oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden. Das setzt voraus, dass sie in den Räumen dieser Betriebe oder Anstalten auf Veranlassung eines dazu befugten Mitarbeiters aufbewahrt werden. Ob es sich um Räume handelt, die unmittelbar dem Verlags- oder Rundfunkbetrieb dienen, oder um Maschinenräume, Telefonzentralen, Verpackungsräume, Garagen oder Lagerräume, macht keinen Unterschied. Gegenstände, die sich in dem von Redaktionsräumen getrennten Büro eines freien journalistischen Mitarbeiters359 oder in der Privatwohnung eines nicht zur Zeugnisverweigerung Berechtigten befinden, sind nicht geschützt, auch nicht, wenn die Wohnung in dem Redaktions-, Verlags- oder Rund-
354 355
356
Vgl. den Fall BVerfGE 64 108; BGH NStZ 1999 260; kritisch Gössel Medienfreiheit 66. BVerfG NStZ 1982 253, 254; BGHSt 28 240, 243 ff.; KG NJW 1984 1133; Meyer-Goßner § 53, 34; AK/Amelung 43; Hennemann Pressefreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht (1978) 58, 70. BGH NStZ 1999 260.
206
357 358 359
KG NJW 1984 1133. BVerfGE 64 108, 118; a.A. KG NJW 1984 1133. BGH NStZ 1999 260; dem freien Mitarbeiter kann aber ein eigenes Zeugnisverweigerungsrecht zustehen, so dass die Beschlagnahmefreiheit dann darauf und auf seinem Gewahrsam beruht.
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funkgebäude gelegen ist.360 Das Beschlagnahmeverbot entfällt bei freiwilligem und bei unfreiwilligem Gewahrsamsverlust, vgl. Rn. 33. 5. Teilnahmeverdacht. Die Verweisung des § 97 Abs. 5 Satz 2 auf Absatz 2 Satz 3 137 ergibt, dass die Beschlagnahmefreiheit der Schriftstücke und Gegenstände wie bei den anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten (oben Rn. 36 ff.) entfällt, wenn die Mitarbeiter von Presse und Rundfunk verdächtig sind, an der Straftat teilgenommen zu haben, deren Aufklärung versucht wird.361 Anders als in Absatz 2 Satz 3 bedarf es allerdings eines dringenden Verdachts der Beteiligung.362 Ein Ermittlungsverfahren, das den Verdächtigen zum Beschuldigten macht, braucht noch nicht eingeleitet worden zu sein. Die Beschlagnahmefreiheit darf aber nicht dadurch umgangen werden, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Presse- oder Rundfunkmitarbeiter zum Vorwand genommen wird, Informationen über Presseveröffentlichungen strafbaren Inhalts zu erlangen.363 Außerdem reicht die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353b StGB durch einen Journalisten wegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus, um einen genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.364 Ist auch nur einer der Redakteure Beschuldigter, entfällt der Schutz des § 97 insge- 137a samt.365 Dies gilt auch, wenn Gegenstand der Beschuldigung die Art und Weise ist, wie der Gegenstand erlangt wurde (z.B. durch Bestechung oder unter Verstoß gegen gesetzliche Geheimhaltungsvorschriften). Das Gesetz enthält nunmehr in Absatz 5 Satz 2 zweiter Halbsatz für die Fälle des Ab- 137b satzes 2 Satz 3 ausdrücklich eine Verhältnismäßigkeits- und eine Subsidiaritätsklausel. Danach darf auch in den Fällen persönlicher oder sachlicher Verstrickung der Eingriff vor dem Hintergrund des Gewichts des Grundrechts aus Art. 5 GG nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen. Das Gewicht der verfolgten Tat und die Bedeutung des gesuchten Beweismittels sind gegen die Schwere des Eingriffs in die Pressefreiheit abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird vor allem dann genauer Prüfung bedürfen, wenn es um die Aufdeckung von Missständen im öffentlichen Interesse geht.366 6. Deliktsgegenstände. Vgl. zunächst Rn. 42 bis 45 und 137. Lässt sich der zu be- 138 schlagnahmende Gegenstand genau beschreiben, kann der Betroffene eine Durchsuchung leicht abwenden, so dass die Intensität des Eingriffs gering bleiben wird. Der auch hier geltenden Verhältnismäßigkeits- und eine Subsidiaritätsklausel dürfte deshalb hier keine zu große Bedeutung zukommen.
VIII. Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 3; Hilfspersonen (§§ 53a, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b) Absatz 4 erstreckt den Beschlagnahmeschutz auf die Hilfspersonen der Berufsange- 139 hörigen. So einfach sich die Vorschrift liest, so schwierig ist ihre Auslegung. Zunächst ist noch keineswegs geklärt, welche Personen im Einzelnen zu den Hilfspersonen im Sinne
360 361 362 363
Z.B. Privatwohnung des Verlegers, Redakteurs. BVerfG (Kammer) NStZ 2001 43; BGH NJW 1996 532; Meyer/Goßner 45. Meyer-Goßner 45. BVerfGE 20 162 ,190; 117 244 ff.
364 365 366
BVerfGE 117 244 ff. BGHSt 19 374; Kunert MDR 1975 889; Meyer-Goßner 45a. KK/Nack 40. Vgl. zum Themenkreis außerdem § 160a Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 und die Kommentierung zu dieser Vorschrift.
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des § 53a gehören. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob ein vom Verteidiger beauftragter Sachverständiger dessen „Gehilfe“ ist oder als „selbständiger Gewerbetreibender“ nicht unter die Schutzbestimmung fällt (dazu Rn. 101 f.). In der Literatur wird der Sinn der Vorschrift im Allgemeinen so verstanden, dass das Beschlagnahmeverbot nicht deshalb entfallen soll, weil das Beweismittel sich nicht im Gewahrsam des Berufsangehörigen, sondern seines Helfers befindet.367 Besteht gegen den Berufshelfer ein Beteiligungsverdacht im Sinne von Absatz 2 Satz 3, soll das Beschlagnahmeverbot ebenfalls nicht greifen,368 auch wenn der Gegenstand im Gewahrsam des Hauptberufsträgers nicht beschlagnahmt werden dürfte.369 Für Abgeordnete gelten besondere Regelungen, vgl. oben Rn. 123 ff. Die Entbindung der Hauptperson von der Schweigepflicht macht die Beschlagnahme auch bei der Hilfsperson zulässig (§ 53a Abs. 2). Soweit ein Beschlagnahmeverbot besteht, führt eine freiwillige Herausgabe durch die Hilfsperson gegen den Willen des Zeugnisverweigerungsberechtigten zu einem Verwertungsverbot.
IX. Folgen des Beschlagnahmeverbots 140
1. Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung. Auf Gegenstände, die nach § 97 nicht beschlagnahmt werden dürfen, darf sich eine Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnung nicht erstrecken. Das hat bereits der Ermittlungsrichter zu beachten und einen dahingehenden Antrag abzulehnen. Einem Beschlagnahmeverbot zuwider beschlagnahmte Gegenstände hat der Staatsanwalt zurückzugeben; einer Entscheidung nach § 98 Abs. 2 bedarf es dann nicht. Bei der Durchsicht der Papiere eines Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 110 muss der Staatsanwalt prüfen, inwieweit bei einzelnen Papieren ein Beschlagnahmeverbot besteht. Die Durchsicht der Papiere ist nur dann unzulässig und eine Pflicht zur sofortigen und ungelesenen Herausgabe besteht nur dann, wenn offensichtlich ist, dass bezüglich des Schriftstücks ein Beschlagnahmeverbot besteht; 370 die Durchsicht ist zu beenden, sobald sich herausstellt, dass beschlagnahmefähiges Material nicht zu erwarten ist.371 Solche Papiere dürfen weder beschlagnahmt noch nach § 108 vorläufig sichergestellt werden. Ergibt sich erst bei der Durchsicht der Papiere der Teilnahmeverdacht, der die Beschlagnahme zulässig gemacht hätte, bleibt es beim Beschlagnahmeverbot,372 denn die Voraussetzungen der Beschlagnahme dürfen nicht erst durch eine unzulässige Beschlagnahme oder Durchsuchung geschaffen werden (Rn. 39). Eine andere Frage ist es, ob diese Beweismittel nach § 108 sichergestellt werden dürfen und zu einem Verfahren gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten führen können. Dies ist zu bejahen, denn das Zeugnisverweigerungsrecht schützt nicht den Zeugnisverweigerungsberechtigten, sondern dessen Vertrauenspartner. 2. Verwertungsverbot
141
a) Grundsatz. Soweit das Beschlagnahmeverbot des § 97 reicht, besteht auch ein Verwertungsverbot.373 367 368 369 370 371 372
Vgl. in diese Richtung Meyer-Goßner 43. Meyer-Goßner 43. Meyer-Goßner 43. BVerfG (Kammer) NJW 2002 1410; MeyerGoßner § 110, 2. BGH (ER) StV 1988 90. BGH NStZ 2001 604; LG Köln NJW 1960
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373
1874; LG Koblenz StV 1985 9; LG Saarbrücken NStZ 1988 424; Meyer-Goßner 48. RGSt 20 91, 92; 47 195, 196; BGHSt 18 227, 228; 25 168; BGH NJW 2001 3793; OLG Celle NJW 1963 406; Schlüchter 308, Eb. Schmidt Nachtr. I; differenzierend Meyer-Goßner 46 ff.
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Ob die Grundsätze über die Widerspruchslösung auch hier gelten, ist fraglich, im 142 Hinblick auf die Möglichkeit des Betroffenen, auf das Beschlagnahmeverbot zu verzichten (Rn. 46 ff.), aber zu bejahen. Der Bundesgerichtshof ist bei unzulässiger Verwertung von Verteidigungsunterlagen ohne weiteres von dem Erfordernis eines Widerspruchs ausgegangen.374 Das Verwertungsverbot ist umfassend. Es erstreckt sich nicht nur auf den gedank- 143 lichen Inhalt des Beweismittels, so dass dieses auch nicht dem Angeklagten oder einem Zeugen vorgehalten werden darf. Verboten ist auch die Heranziehung des Beweismittels zum Zwecke der Schriftvergleichung.375 Ob ein Beschlagnahmeverbot besteht, hat der Ermittlungsrichter zunächst vor Anordnung der Beschlagnahme und sodann im Verfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 2 in vollem Umfang zu überprüfen. Insbesondere gilt dies auch für die Frage des Verdachts in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3. Gewichtige Verstöße gegen den Richtervorbehalt machen die Beschlagnahme rechtswidrig und führen zum Verwertungsverbot.376 Bejaht der Ermittlungsrichter ein Beschlagnahmeverbot, gibt er den beschlagnahmten Gegenstand frei, obwohl seine Entscheidung für das weitere Verfahren nicht bindend ist. Völlig unabhängig vom Ermittlungsrichter überprüfen Tatgericht und Revisionsgericht (auf Verfahrensrüge) die Verwertbarkeit des Beweismittels. Der Annahme eines Verwertungsverbots steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beschlagnahme durch den Ermittlungsrichter nach § 98 Abs. 2 richterlich bestätigt worden war.377 Weitergehende Folgen ergeben sich aber selbst dann nicht, wenn der Verstoß gegen 144 § 97 besonders gravierend war. Zutreffend hat der Bundesgerichtshof 378 deshalb ein Verfahrenshindernis selbst für den Fall abgelehnt, dass durch eine unzulässige Beschlagnahme der Handakten des Verteidigers die Staatsanwaltschaft vom Verteidigerkonzept Kenntnis erlangt haben sollte.379 b) Verwertung mit Einwilligung trotz unzulässiger Beschlagnahme. Das Verwertungs- 145 verbot entfällt, wenn der frühere Gewahrsamsinhaber mit der Verwertung einverstanden ist, was bei den nach § 52 Zeugnisverweigerungsberechtigten eine Belehrung über das Verwertungsverbot voraussetzt.380 In den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b kann der beschlagnahmte Gegenstand – unabhängig von der Haltung des früheren Gewahrsamsinhabers – verwertet werden, soweit der Zeugnisversweigerungsberechtigte wirksam von seiner Schweigepflicht entbunden wurde (str. vgl. Rn. 47; zur Reichweite einer solchen Erklärung vgl. Rn. 48 ff.). c) Verwertung trotz unzulässiger Beschlagnahme. Beschlagnahme- und Verwertungs- 146 verbot stimmen nicht immer überein.381 Ob ein Beweismittel verwertbar ist oder nicht, bestimmt sich nicht nur nach der Zulässigkeit seiner Beschlagnahme, sondern auch
374 375 376 377 378 379
BGHSt 44 46. RGSt 20 92; Eb. Schmidt Nachtr. I 2. BGH NJW 2001, 3793. Klug 87. NStZ 1984 419 mit Anm. Gössel = JR 1985 75 mit Aufsatz Rieß JR 1985 45. Abzulehnen ist der von Gössel NStZ 1984 422 de lege ferenda vorgeschlagene Ausschluss von Richtern nach §§ 22, 23, die von nichtverwertbarem Beweismaterial
380 381
Kenntnis genommen haben. Der Tatrichter wird ständig mit Beweismitteln konfrontiert, die er nicht verwerten darf. Man denke nur an polizeiliche Vernehmungen von Angehörigen, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Gebrauch machen. BGHSt 18 227, 230 f.; Herdegen GA 1963 144. BGHSt 18 227, 228; 25 168.
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danach, ob es wenigstens im Zeitpunkt seiner Benutzung beschlagnahmt werden könnte. Haben die Beschlagnahmevoraussetzungen, etwa der Verdacht der Teilnahme (§ 97 Abs. 2 Satz 3), bei der Beschlagnahme nicht vorgelegen, sind sie aber später eingetreten (der Begünstigungsverdacht wird z.B. erst durch die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung begründet), so ist das Beweismittel verwertbar,382 es sei denn, der Teilnahmeverdacht habe sich erst aufgrund der unzulässigen Beschlagnahme ergeben;383 vgl. Rn. 39.
147
d) Verwertungsverbot trotz zulässiger Beschlagnahme. Wenn ein Beweismittel in zulässiger Weise beschlagnahmt worden ist, muss seine Verwertung nicht deshalb unterbleiben, weil die Beschlagnahmevoraussetzungen später weggefallen sind. Insbesondere beim Teilnahmeverdacht des Zeugnisverweigerungsberechtigten genügt es, wenn er zur Zeit der Beschlagnahme vorhanden war. Stellt sich später heraus, dass ein Teilnahmeverdacht nicht mehr besteht, so bleibt das Beweismittel verwertbar.384 Der weiteren Verwertung steht auch nicht entgegen, dass die Person, bei der die Beschlagnahme erfolgt ist, später nach § 52 Abs. 1 ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, weil sie z.B. den Beschuldigten geheiratet hat, oder dass sie später als Verteidiger des Beschuldigten zugelassen wird.385 Die Zulässigkeit der Beschlagnahme führt auch nicht immer dazu, dass der Beweis148 gegenstand uneingeschränkt verwertet werden darf. Denn die Verwertbarkeit hängt nicht allein davon ab, dass die Beschlagnahme gerechtfertigt war, sondern auch von dem Grund dieser Rechtfertigung. Auch ein in zulässiger Weise beschlagnahmter Gegenstand darf daher nur in dem Umfang als Beweismittel verwertet werden, in dem die Voraussetzungen einer Beschlagnahme bestanden haben.386 Das ist vor allem von Bedeutung, wenn die Beschlagnahme wegen Verdachts der Teilnahme des Zeugnisverweigerungsberechtigten zulässig war. Der beschlagnahmte Gegenstand darf dann nur wegen der Tat im verfahrensrechtlichen Sinn (§ 264) verwertet werden, hinsichtlich welcher der Teilnahmeverdacht bestanden hat,387 selbst wenn mehrere Taten Gegenstand desselben Verfahrens sind.388 § 97 gilt nicht, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte selbst Beschuldigter ist, vgl. 149 Rn. 25. Wird in einem solchen Fall beim zeugnisverweigerungsberechtigten Beschuldigten ein Gegenstand beschlagnahmt, der auch auf die Verübung einer Straftat durch eine nach § 97 geschützte Person (Mandant, Patient) hindeutet, so darf das Beweismittel in dem Verfahren gegen diese Person nur verwertet werden, wenn es sich um dieselbe Tat im Sinne des § 264 handelt, denn insoweit hätte das Beweismittel in einem Verfahren gegen den Dritten auch nach § 97 Abs. 2 Satz 3 wegen Teilnahmeverdachts beschlagnahmt werden dürfen. Bezieht sich das Beweismittel dagegen auf eine andere Tat (i.S.d.
382 383
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BGHSt 25 168; AK/Amelung 36; MeyerGoßner 48; Schlüchter 308. LG Koblenz StV 1985 9; LG Köln NJW 1960 1875; AK/Amelung 36; Meyer-Goßner 48. BGH NStZ 1983 85; BGHSt 25 168, 171; KK/Nack 10; Meyer-Goßner 47; Alsberg/ Nüse/Meyer 506; differenzierend SK/Wohlers 44 ff.; a.A. Schlüchter 308; Herdegen GA 1963 141. Alsberg/Nüse/Meyer 506; Meyer-Goßner 47; für frühere Aussagen eines solchen Zeugen
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gilt freilich anderes: BGHSt 27 231; a.A. deshalb Schlüchter 308; Herdegen GA 1963 143. Meyer-Goßner 49; Huppertz 59. BGHSt 18 227, 229; KK/Nack 9; MeyerGoßner 49; Schlüchter 309; Alsberg/Nüse/ Meyer 507; Herdegen GA 1963 141, 142; a.A. Creifelds GA 1960 74, der die uneingeschränkte Verwertung für zulässig hält. BGHSt 18 227, 229; Meyer-Goßner 49; Herdegen GA 1963 141.
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§ 264) der geschützten Person als die, wegen der beim beschuldigten Zeugnisverweigerungsberechtigten beschlagnahmt wurde (bei einem Arzt wird die Patientenkartei wegen Steuerhinterziehung beschlagnahmt, dabei entsteht der Verdacht anderer Straftaten eines Patienten, an denen der Arzt nicht beteiligt usw. im Sinne von Absatz 2 Satz 3 ist), dann hätte der Beschlagnahme beim Zeugnisverweigerungsberechtigten § 97 entgegengestanden. e) Einverständnis mit weitergehender Verwertung. Sind die Gegenstände auf recht- 150 mäßige Weise in den Besitz der Strafverfolgungsbehörden gelangt, aber nur in beschränktem Umfang verwertbar, so dürfen sie in einem Verfahren gegen die geschützte Person verwertet werden, wenn die Vertrauensperson, die früher Gewahrsamsinhaber war, ihr Einverständnis erteilt. Ebenso wie sie gefragt werden kann, ob sie Gegenstände freiwillig herausgeben will (oben Rn. 55), kann sie gefragt werden, ob sie freiwillig der Verwertung zustimmt. Für den Hinweis auf die Freiwilligkeit ist in entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 3 Satz 1 die Belehrung über ihre Rechte zu verlangen, die Zustimmung zu verweigern.389
X. Revision Wird entgegen einem Verwertungsverbot ein Beweisstück bei der Urteilsfindung be- 151 rücksichtigt, so begründet das die Revision, sofern das Urteil darauf beruht.390 Den Verfahrensfehler kann auch ein Mitangeklagter rügen, wenn das Beweismittel auch gegen ihn verwendet worden ist. Das Revisionsgericht hat die Voraussetzungen des § 97 in vollem Umfang zu überprüfen. Dies gilt insbesondere auch in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 für das Vorliegen des Verdachts der Tatbeteiligung und die Beachtung der Subsidiaritätsklausel bei Medienangehörigen (§ 53 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5).391 Ein Beurteilungsspielraum besteht insofern nicht, es ist aber auf den Kenntnisstand der anordnenden Behörde und auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Beschlagnahme abzustellen. Die Verfahrensrüge, mit der die Verwertung eines Gegenstands unter Verstoß gegen ein Beschlagnahmeverbot geltend gemacht wird, ist nur zulässig, wenn das Rügevorbringen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 auch Ausführungen dazu enthält, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall des Beschlagnahmeverbots nach Absatz 2 Satz 3 nicht vorliegen, wenn diese Möglichkeit nach Sachlage ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.392
§ 98 (1) 1Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. 2Die Beschlagnahme nach § 97 Abs. 5 Satz 2 in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt darf nur durch das Gericht angeordnet werden.
389 390
BGHSt 18 227, 230. BGHSt 18 227, 228; 25 168; BGH NStZ 1983 85; RGSt 20 91; 47 196; RG DRiZ 1927 Nr. 1082; Eb. Schmidt Nachtr. I 2; Meyer-Goßner 51.
391 392
Kunert NStZ 2002 169, 173. BGHSt 37 245, 249.
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(2) 1Der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. 2Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen. 3Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich nach § 162. 4Der Betroffene kann den Antrag auch bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat; dieses leitet den Antrag dem zuständigen Gericht zu. 5Der Betroffene ist über seine Rechte zu belehren. (3) Ist nach erhobener öffentlicher Klage die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder eine ihrer Ermittlungspersonen erfolgt, so ist binnen drei Tagen dem Gericht von der Beschlagnahme Anzeige zu machen; die beschlagnahmten Gegenstände sind ihm zur Verfügung zu stellen. (4) 1Wird eine Beschlagnahme in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. 2Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. 3Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Beschlagnahme in Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden. Schrifttum Amelung Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe (1976); ders. Probleme des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, NJW 1979 1688; NJW 1991 2533; Blumers/Göggerle Handbuch des Verteidigers und Beraters im Steuerstrafverfahren (1984); Damrau der Ort der Rückgabe beschlagnahmter Sachen, NStZ 2003 408; Dombert Ein Einzelfall? Zur richterlichen Erreichbarkeit nach „Dienstschluß“, NJW 2002 1627; Dörr Rechtsschutz gegen vollzogene Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Strafermittlungsverfahren, NJW 1984 2258; Fezer Rechtsschutz bei Verletzung der Anordnungsvoraussetzung „Gefahr im Verzug“, FS Rieß 93 ff.; Flieger Nachträglicher Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, MDR 1981 17; Greiner Nochmals: Nachträglicher Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, MDR 1981 547; Koch Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen im Wirtschaftsstrafverfahren und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wistra 1983 63; Lisken Nochmals: Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, ZRP 1981 235; Karlheinz Meyer Zur Anfechtung der durch Vollzug erledigten Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, FS Schäfer 119; Nelles Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der StPO (1980); Rengier Praktische Fragen bei Durchsuchungen, insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, NStZ 1981 372; Rieß/ Thym Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, GA 1981 189; Rieß Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, ZRP 1981 101; ders. Der Hauptinhalt des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts, NJW 1975 84; Rüping Durchsuchung, Zufallsfunde und Verwertungsverbote in: Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht (1983) 267; H. Schäfer Die Rückgabe beschlagnahmter Beweismittel nach Rechtskraft des Urteils, wistra 1984 136; Schenke Rechtsschutz bei strafprozessualen Eingriffen von Staatsanwaltschaft und Polizei, NJW 1976 1817; Strate Zur Kompetenzordnung im Hauptverfahren, StV 1985 337; Thiée Polizeirechtliche Sicherstellung nach Freigabe gem. § 98 StPO – Erwiderung auf die Erwiderung, StV 2010 215. Zum Rechtsschutz s. neuere Literatur bei § 105.
Entstehungsgeschichte. Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 wurden durch Art. 3 Nr. 38 und 39 VereinhG ohne inhaltliche Änderung neu gefasst. Der frühere Absatz 4 (Beschlagnahmen in militärischen Dienstgebäuden) war 1945 gegenstandslos geworden und wurde in
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die 1950 neu verkündete Strafprozessordnung nicht aufgenommen. Der jetzige Absatz 4 wurde durch Art. 4 Nr. 4 des 4. StRÄndG angefügt. Durch Art. 1 Nr. 23 des 1. StVRG wurden in Absatz 2 Satz 1 und 2 jeweils das Wort „nachsuchen“ durch das Wort „beantragen“ ersetzt, in Satz 3 die Worte „das Amtsgericht“ an die Stelle der Worte „der Amtsrichter“ gesetzt und die Sätze 4 bis 7 eingefügt. Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I 1973 S. 2164) fügte dem Absatz 1 den Satz 2 an. Mit Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) wurde im Wesentlichen zwecks „Gewährung einer geschlechtsneutralen Gesetzessprache“ (vgl. § 1 Abs. 2 BGleiG) der Begriff des „Richters“ durch den des „Gerichts“ ersetzt und der geltende Absatz 2 Satz 4 eingeführt. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) brachte den Verweis auf § 162 in Absatz 2 Satz 3. Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Regelungsbereich a) Beweismittel und Führerscheine . b) Verfalls- oder Einziehungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit der Anordnung oder Gestattung der Beschlagnahme a) Freiwillige Herausgabe . . . . . b) Vorläufige Festnahme . . . . .
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3 4
II. Richtervorbehalt 1. Gerichtliche Anordnung als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen bei Beschlagnahme in bestimmten Räumen im Pressebereich . . . . . . III. Gerichtliche Beschlagnahmeanordnung oder Beschlagnahmegestattung 1. Zuständigkeit a) Vor Erhebung der öffentlichen Klage b) Nach Klageerhebung . . . . . . . 2. Antrag, Form und Entscheidungsgrundlage a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . c) Umfang der Prüfung und Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . 3. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhalt des Beschlusses a) Genaue Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Gegenstände . b) Begründung . . . . . . . . . . . 5. Bekanntmachung . . . . . . . . . . 6. Vollstreckung a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Begrenzung . . . . . . . c) Zwang . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlagnahme im Bereich der Bundeswehr (Absatz 4) . . . . . .
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Rn. IV. Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit a) Staatsanwaltschaft . . . . . . . b) Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . c) Steuersachen . . . . . . . . . . d) Bußgeldverfahren . . . . . . . 3. Gefahr im Verzug . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bekanntmachung . . . . . . . . . 6. Belehrung . . . . . . . . . . . . . 7. Sonderfall: Beschlagnahme nach Erhebung der öffentlichen Klage (Absatz 3) . . . . . . . . . . . . .
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V. Gerichtliche Überprüfung bei Eilzuständigkeit (Absatz 2) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Auf Antrag des Beamten (Absatz 2 Satz 1) a) Antragspflicht . . . . . . . . . . . b) Betroffener, Angehöriger, Erwachsener . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auf Antrag des Betroffenen (Absatz 2 Satz 2) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Antrag . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit für die gerichtliche Überprüfung, Abs. 2 Satz 3 und 4 . . 5. Inhalt und Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung a) Umfassende Rechtsüberprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art und Weise der Vollstreckung . VI. Beendigung der Beschlagnahme 1. Erlöschen der Beschlagnahme . . . . 2. Aufhebung der Beschlagnahme a) Voraussetzungen . . . . . . . . .
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b) Zuständigkeit für die Aufhebung der Beschlagnahme . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . 3. Rückgabe a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Aufgabe der Staatsanwaltschaft . c) Berechtigte . . . . . . . . . . .
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VII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 1. Gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Beschlagnahme a) Im Ermittlungsverfahren . . . . .
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Rn. b) Nach Erhebung der öffentlichen Klage . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegen die Anordnung der Beschlagnahme und der Art und Weise des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeitsfragen . . . . . . . .
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VIII. Verwertungsverbot. Revision 1. Verwertungsverbot . . . . . . . . . . 2. Revision . . . . . . . . . . . . . . .
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IX. Abgeordnete
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Alphabetische Übersicht Abgeordnete 80 Anhörung 17 Art und Weise der Vollstreckung 55 Aufhebung der Beschlagnahme 57 Beendigung der Beschlagnahme 56 Begründung 20 Bekanntmachung 21, 39 Belehrung 40 Berufungsverfahren 12 Beschlagnahme Aufhebung 57 Beendigung 56 Bestätigung 54 Erlöschen 56 in bestimmten Räumen im Pressebereich 7 nach Erhebung der öffentlichen Klage 41 Beschlagnahmeanordnung, richterliche 8 Bestätigung der Beschlagnahme 54 Betroffener 49 Beweismittel 1 Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Gegenstände 18 Briefe von Untersuchungsgefangenen 13 Bundeswehr 25 Bußgeldverfahren 14 Dienstgebäude 27 Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen 29 Erlöschen der Beschlagnahme 56 Festnahme, vorläufige 4 Finanzbehörde 14
Freiwillige Herausgabe 3 Führerscheine 1 Gefahr im Verzug 34 Gewahrsamsinhaber – letzter 68 Inhalt des Beschlusses 18 Inhalt und Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung 53 Notwendigkeit der Anordnung 3 Rechtsbehelfe 70 Rechtsmittel 70 Revision 75 Revisionsverfahren 12 Richterliche Beschlagnahmeanordnung 8 Richterliche Überprüfung bei Eilzuständigkeit 42 Richterliche Überprüfung, Inhalt, Gegenstand 53 Richtervorbehalt 6 Rückgabe 63 Rückgabe an den Verletzten 67 Steuerfahndung und Zoll 14 Umfang der Prüfung und Entscheidungsgrundlage 16 Verwertungsverbot 75 Vollstreckung 22 Vollstreckung – Art und Weise 55 Vorläufige Festnahme 4 Wechsel der Zuständigkeit des Gerichts 74 Wiederaufnahme 12 Zeitliche Begrenzung 23 Zoll- und Steuerfahndung 14 Zuständigkeit 8 Zuständigkeit des Gerichts – Wechsel 74 Zwang 24
I. Allgemeines 1. Regelungsbereich
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a) Beweismittel und Führerscheine. Von der Bewirkung der Beschlagnahme, der Übernahme eines Gegenstands in amtliche Verwahrung oder seiner sonstigen Sicherstellung (§ 94 Abs. 1; s. § 94, 4 ff.) ist die Anordnung dieser Maßnahme zu unterscheiden. Dabei ist zu beachten, dass trotz des anderen Sprachgebrauchs des Gesetzes im Ermittlungsverfahren eine gerichtliche Entscheidung lediglich die Gestattung des Eingriffs enthält. § 98
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§ 98
regelt für die Beschlagnahme von Beweismitteln (§ 94 Abs. 1) und Führerscheinen (§ 94 Abs. 3) die Zuständigkeit für die Anordnung der Beschlagnahme, das Verfahren und die Rechtsbehelfe bei nichtrichterlichen Beschlagnahmen sowie in Absatz 4 als Sonderfall die Durchführung der Beschlagnahmeanordnung bei der Bundeswehr. Die Anordnung ist wegen des Gewichts des Eingriffs, aber auch im Interesse vorbeugenden Rechtsschutzes („präventiver Richtervorbehalt“)1 grundsätzlich dem Gericht vorbehalten (Rn. 6). Diese Regeln gelten für jede Art der förmlichen Sicherstellung; der amtlichen Verwahrung eines Gegenstandes stehen bloße Verfügungsverbote insoweit gleich. § 98 gilt im Bußgeldverfahren entsprechend (§ 46 OWiG). b) Verfalls- oder Einziehungsgegenstände. Über die Anordnung und Durchführung 2 der Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen oder zur Schadloshaltung des Verletzten dienen können, enthalten die §§ 111e, 111f und 111n besondere Bestimmungen. Jedoch gilt § 98 Abs. 4 nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111f Abs. 1 Satz 2 auch bei der Durchführung von Beschlagnahmen nach § 111b. 2. Notwendigkeit der Anordnung oder Gestattung der Beschlagnahme a) Freiwillige Herausgabe. Werden Beweismittel oder Führerscheine freiwillig heraus- 3 gegeben, so brauchen sie, wie § 94 Abs. 2 ausdrücklich sagt, nicht beschlagnahmt zu werden. Das bezieht sich sowohl auf die Bewirkung der Beschlagnahme als auch auf ihre Anordnung. Die Beschlagnahmeanordnung ist ferner entbehrlich, wenn der sicherzustellende Gegenstand herrenlos ist; auch dann genügt eine formlose Sicherstellung. b) Vorläufige Festnahme. Bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 gehen zunächst 4 alle Sachen, die der Festgenommene bei sich führt, zwangsläufig mit ihm in den polizeilichen oder richterlichen Gewahrsam über.2 Der Festnehmende darf sie für die Dauer der Festnahme auch dann wegnehmen und vorläufig verwahren, wenn er zur Beschlagnahme nicht befugt ist.3 Werden die Gegenstände aber als Beweismittel benötigt, bedarf es der Sicherstellung;4 deren Anordnung ist regelmäßig Sache des Gerichts, da Gefahr im Verzug (vgl. Rn. 34) nur vorliegt, wenn eine gerichtliche Entscheidung vor der Freilassung nicht erreicht werden kann. Aus dem Recht zur Festnahme nach § 127 folgt kein Recht zur Beschlagnahme von 5 Beweismitteln beim Festzunehmenden.5 Die gegenteilige Auffassung6 verkennt, dass jeder Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers nach seinen eigenen spezifischen Voraussetzungen zu beurteilen ist.7
II. Richtervorbehalt 1. Gerichtliche Anordnung als Regelfall. Wegen des Gewichts des Eingriffs ist die An- 6 ordnung der Beschlagnahme grundsätzlich dem Gericht vorbehalten. Es soll, ebenso wie beispielsweise bei Verhaftung und Durchsuchung, als unabhängige und neutrale Instanz
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Maunz/Dürig/Papier GG Art. 13, 21. RGSt 8 291; HK/Gercke 2; Meyer-Goßner 2. RGSt 8 290; HK/Gercke 2. HK/Gercke 2; Meyer-Goßner 2.
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HK/Gercke 2. Z.B. RGSt 8 291; RGZ 64 387 m.w.N. Eb. Schmidt Nachtr. I § 127, 26; HK/Gercke 2.
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das Grundrecht sichern und dabei auch für eine gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen,8 die häufig vor Durchführung der Maßnahme nicht oder nicht ausreichend angehört werden können, weil sonst der Zweck der Maßnahme gefährdet wäre (§ 33 Abs. 4). Lediglich bei Gefahr im Verzug besteht eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen.
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2. Keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen bei Beschlagnahme in bestimmten Räumen im Pressebereich. Nicht bei jeder die Presse im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 5 und Satz 2, § 97 Abs. 5 berührenden Beschlagnahme,9 sondern nur dann, wenn diese in besonders sensiblen Räumen stattfinden soll, ist nach Absatz 1 Satz 2 die Anordnung ausschließlich dem Richter vorbehalten. Der besondere Richtervorbehalt, der für Beschlagnahmen in Redaktionsräumen gilt und auch bei Gefahr im Verzug eine Notfallkompetenz der Staatsanwaltschaft ausschließt, gilt deshalb bei der besonders heiklen Anordnung der Beschlagnahme in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt nach § 97 Abs. 5 Satz 2. Als Grund für die in § 98 Abs. 1 Satz 2 StPO festgelegte Ausnahme von der sogar für schwerwiegendere strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen wie vorläufige Festnahme und Telefonüberwachung geltende Notfallkompetenz der Staatsanwaltschaft ist im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1973) im Wesentlichen die erhöhte Störanfälligkeit eines Pressebetriebs genannt (vgl. BTDrucks. 7 2539 Anlage 1 S. 11/12) und die „besondere Empfindlichkeit der Fragen“ erwogen worden (Protokoll der 51. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages – 7. Wahlperiode – S. 51). Geschützter Raum in diesem Sinne ist der räumlich-gegenständlich begrenzte und organisatorisch zusammengefasste Bereich, in dem Redakteure (im presserechtlichen Sinne) mit ihren Hilfskräften im Rahmen eines Unternehmens zur Herstellung eines Druckwerks den Inhalt von Pressepublikationen mit eigener Entscheidungsbefugnis über Beschaffung und Gestaltung des zu publizierenden Stoffes redigieren oder mitredigieren.10 Das eigene, von der Redaktion räumlich und sachlich getrennte Büro eines freien Mitarbeiters, der einer Zeitung durch einzelne Beiträge zuarbeitet, gehört dazu nicht.11 Es ist, was die Frage der Anordnungszuständigkeit für Durchsuchungen angeht, den Redaktionsräumen auch nicht sachlich gleichzustellen. Eine solche Gleichstellung kommt nur für den selbständigen Betrieb einer Presseagentur im Sinne eines Presseunternehmens in Betracht.12 Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen ist in diesen Fällen, wenn die Beschlagnahme außerhalb der in § 97 Abs. 5 genannten Räume stattfinden soll,13 ebenso wenig eingeschränkt, wie dann, wenn ein Angehöriger der Presse Beschuldigter ist.14
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BVerfGE 9 97; BVerfGE 103 142 = NJW 2001 1121 = StV 2001 207; Nelles 51; Schnarr NStZ 1991 209. KK/Nack 9; Meyer-Goßner 4. BGH NJW 1999 2051. BGH NJW 1999 2051.
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BGH NJW 1999 2051. KK/Nack 9; Meyer-Goßner 4. Achenbach NJW 1976 1068 Fn. 16, Groß NJW 1976 1763 Kunert MDR 1975 887; Meyer-Goßner 4.
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III. Gerichtliche Beschlagnahmeanordnung oder Beschlagnahmegestattung 1. Zuständigkeit a) Vor Erhebung der öffentlichen Klage (§ 199). Zuständig ist nach der Änderung 8 des § 162 durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG nunmehr grundsätzlich das Amtsgericht, in dessen Bezirk die eine Beschlagnahme beantragende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Wird der Antrag durch eine Zweig- oder Außenstelle der Staatsanwaltschaft gestellt, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Zweig- oder Außenstelle ihren Sitz hat.15 b) Nach Klageerhebung (§ 199) entscheidet das mit der Sache befasste Gericht (§ 162 Abs. 3 Satz 1) von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten. Die Zuständigkeit des nach der Klageerhebung mit der Sache befassten Gerichts besteht auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft weiter ermittelt, was zulässig ist (arg. § 98 Abs. 3), soweit sie das gerichtliche Verfahren nicht stört. Ergeht die Entscheidung während einer laufenden Hauptverhandlung (§ 30 GVG), wirken Schöffen mit. Außerhalb einer laufenden Hauptverhandlung darf der Vorsitzende eines kollegial besetzten Spruchkörpers auch in dringenden Fällen nicht allein entscheiden.16 Die für das Haftrecht in § 125 Abs. 2 Satz 2 getroffene Sonderregelung kann nicht auf die Beschlagnahme übertragen werden.17 Der Einreichung der Anklageschrift stehen gleich die Erhebung der Privatklage (§ 378), die Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2), der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (§ 407), ferner der Antrag im Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 2), im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 440), im selbständigen Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 3) sowie auf Vorgehen im vereinfachten Jugendverfahren (§§ 76 ff. JGG). Im beschleunigten Verfahren wird die Anklage entweder durch Einreichen einer Anklageschrift oder in der Hauptverhandlung mündlich erhoben (§ 417). Dabei wird nach dem Grundsatz, dass das sachnächste Gericht entscheiden soll, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht erst mit der mündlichen Anklage, sondern schon mit dem Antrag begründet, die Sache im beschleunigten Verfahren abzuurteilen. Die Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung im Vorverfahren hindert das erkennende Gericht nicht, die Beschlagnahme nach Anklageerhebung wieder anzuordnen.18 Im Berufungsverfahren bleibt das untere Gericht bis zur Vorlegung der Akten bei dem Berufungsgericht (§ 321) zuständig.19 Während des Revisionsverfahrens entscheidet das Gericht, dessen Urteil angefochten ist, niemals das Revisionsgericht (§ 162 Abs. 3 Satz 2).20 Die Zuständigkeit nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bzw. nach einem Antrag auf Wiederaufnahme ergibt sich aus § 162 Abs. 3 Satz 3 und 4.
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Meyer-Goßner § 162, 8. KG Beschl. v. 31. März 2000 1 AR 309/00 –; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht SchlHA 2001 136; OLG Düsseldorf NStZ 1982 398; Meyer-Goßner 4; KK/Nack 7. KK/Nack 7: Die Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft bleibe erhalten.
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OLG Bremen MDR 1960 425. RGSt 3 421; BayObLGSt 32 128, MeyerGoßner 4. RGSt 54 165; KK/Nack 8, Meyer-Goßner 5; Eb. Schmidt 2.
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Bei der Beschlagnahme von Briefen von Untersuchungsgefangenen ist zu unterscheiden, ob sie für das anhängige Verfahren als Beweismittel von Bedeutung sein können oder für ein anderes Verfahren. Sollen sie als Beweismittel für das anhängige Verfahren beschlagnahmt werden, werden sie vor Anklageerhebung vom Haftrichter entsprechend § 108 einstweilen beschlagnahmt und der Staatsanwaltschaft übergeben, die sie entweder freigibt oder deren Beschlagnahme beim Ermittlungsrichter beantragt.21 Nach Anklageerhebung werden sie vom erkennenden Gericht beschlagnahmt. Eine Zuständigkeit des für die Briefkontrolle verantwortlichen Vorsitzenden besteht insoweit nicht.22 Kommen sie als Beweismittel für ein anderes Verfahren in Betracht, können sie von dem für die Briefkontrolle verantwortlichen Richter in entsprechender Anwendung von § 108 einstweilen beschlagnahmt werden. Dieser leitet sie dann der Staatsanwaltschaft oder, wenn die Briefe in einem bereits bei Gericht anhängigen Verfahren als Beweismittel in Betracht kommen, diesem zur Prüfung der Beschlagnahme zu.23 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die entsprechende Anwendung von § 108 bestehen nicht.24 Auch bei der Beschlagnahme von Briefen Untersuchungsgefangener ist allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Stehen etwa andere handschriftliche Zeugnisse eines Beschuldigten im Original als Schriftproben zur Verfügung, kann die Beschlagnahme eines Briefes aus der Untersuchungshaft zur Vorbereitung des Gutachtens eines Schriftsatzverständigen unverhältnismäßig sein.25 2. Antrag, Form und Entscheidungsgrundlage
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a) Antrag. Im Ermittlungsverfahren setzt der Beschluss einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, denn es handelt sich um eine Untersuchungshandlung i.S. des § 162. Ein Antragsrecht der Polizei besteht nicht. Ein Fall des § 165 ist bei den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten kaum denkbar. Führt die Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren das Ermittlungsverfahren nach § 386 Abs. 2 AO selbständig durch, weil beispielsweise die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO), gegen den Beschuldigten kein Haftbefehl erlassen ist (§ 386 Abs. 3 AO) und das Verfahren weder an die Staatsanwaltschaft abgegeben noch von dieser an sich gezogen worden ist (§ 386 Abs. 4 AO), steht die Antragsbefugnis ihr zu, weil sie dann die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft hat (§ 399 Abs. 1 AO).26 Finanzbehörde in diesem Sinne ist nach § 386 Abs. 1 Satz 2 AO das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt für Steuern und die Familienkasse, nicht aber die Zoll- und Steuerfahndung. Diese haben nach § 404 AO die Rechte und Pflichten der Behörden und Beamten des Polizeidienstes und stehen damit nicht der Staatsanwaltschaft gleich, sie sind nicht antragsberechtigt,27 können allenfalls, wenn Richter und sodann auch der Staatsanwalt nicht erreichbar ist, wegen Gefahr im Verzug Beschlagnahme oder Durchsuchung anordnen (§ 404 Satz 2 21
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War die Briefkontrolle dem Staatsanwalt übertragen, verfährt dieser zunächst entsprechend § 108 und beantragt dann die Beschlagnahme durch den Ermittlungsrichter; der Einschaltung des Haftrichters bedarf es nicht, da die Maßnahme nicht dem Zweck der Untersuchungshaft dient. OLG Düsseldorf NStZ 1982 398; MeyerGoßner 5; Graf/Ritzert 1.1. BGHSt 28 349; OLG Düsseldorf NJW 1993 3278; OLG Hamm NStZ 1985 93; OLG
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Düsseldorf NStZ 1982 398; OLG Celle NJW 1974 805; KG NJW 1975 354; JR 1968 31; OLG Hamburg NJW 1967 166; KK/Nack 7; 21; Meyer-Goßner 5; a.A. Birmanns NJW 1967 1358. BVerfGE 57 170, 181; vgl. aber die abw. Meinung von Hirsch 200; zur Anwendung des § 108 auch Graf/Ritzert 1.1. BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 3. LG Freiburg StV 2001 268. LG Freiburg StV 2001 268; allg. Meinung.
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i.V.m. § 399 Abs. 2 Satz 2 AO). War die beantragende Behörde nicht zuständig, führt dies nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der ergangenen Entscheidung, maßgebend ist vielmehr, ob die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren den Antrag billigt.28 Im Bußgeldverfahren stellt den Antrag die Verfolgungsbehörde (§ 46 Abs. 2 OWiG). Im gerichtlichen Verfahren kann das jeweils zuständige Gericht auch von Amts wegen die Maßnahme treffen. b) Form. Das Gericht entscheidet stets durch Beschluss. Dieser wird, wenn er aus- 15 nahmsweise in der Hauptverhandlung ergeht, verkündet, im Übrigen ergeht er schriftlich (vgl. § 35 Abs. 1). An der Schriftform bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung ist im Interesse der Rechtssicherheit festzuhalten.29 Das schließt nicht aus, dass der Richter seine Entscheidung der Staatsanwaltschaft telefonisch, telegrafisch oder mündlich mitteilt, wenn die Eile dies gebietet und andernfalls etwa der vorbeugende Rechtsschutz durch den Richter nicht gewährleistet sein könnte. Ist der Richter bei der Vollstreckung anwesend, kann er seine Entscheidung ergänzende Weisungen auch mündlich geben.30 c) Umfang der Prüfung und Entscheidungsgrundlage. Bei Entscheidungen außerhalb 16 der Hauptverhandlung sind Entscheidungsgrundlage die – im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft vollständig vorgelegten – Akten.31 Der Ermittlungsrichter ist verpflichtet, die rechtlichen Voraussetzungen auf der Grundlage der ihm vollständig vorzulegenden Akten selbständig zu überprüfen,32 ob also ein die Maßnahme rechtfertigender Tatverdacht besteht,33 ob die zu beschlagnahmenden Gegenstände als Beweismittel im konkreten Verfahren von Bedeutung sein können und vor allem, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist.34 Lediglich die Frage, ob die Maßnahme ermittlungstaktisch geboten ist, ist Sache der Staatsanwaltschaft. Ob eine eingriffsintensivere Maßnahme getroffen werden soll, wenn auch eine mildere erfolgversprechend erscheint, ist dagegen eine Frage der Verhältnismäßigkeit, die der Richter zu prüfen hat und nicht eine Frage der Ermittlungstaktik. Eine mündliche Verhandlung findet nicht statt. Jede Art von Beweismittel ist zulässig. Fraglich ist, ob das Gericht im Ermittlungsverfahren zu eigenen Ermittlungen befugt ist. Dies wurde vom LG Stuttgart 35 zutreffend verneint. Hält der Ermittlungsrichter die Erhebung weiterer Beweise für erforderlich, wird er dies bei der Staatsanwaltschaft anregen.36 Kommt die Staatsanwaltschaft seiner Anregung nicht nach und kommt es für die Entscheidung auf das Vorliegen weiterer Beweise an, wird es an einer verlässlichen Entscheidungsgrundlage für einen so schwerwiegenden Eingriff wie die Beschlagnahme (oder die Durchsuchung) fehlen und die beantragte Maßnahme wird abzulehnen sein. 3. Anhörung. Die Staatsanwaltschaft ist nach Erhebung der öffentlichen Klage zu 17 hören, wenn das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten eine Beschlagnahme anordnen will (§ 33 Abs. 2). Im Ermittlungsverfahren bedarf es der 28
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Für Aufhebung der Durchsuchungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit ohne Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer Beschlagnahme: LG Frankfurt NJW 1968 118. Meyer-Goßner 8. Vgl. dazu Rengier NStZ 1981 374. Eingehend OLG Düsseldorf Ermittlungsrichter NStZ 1990 145.
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BVerfGE 96 44, 51. Unrichtig Weyand NStZ 1989 132. Nachw. bei BVerfG (Kammer) NStZ 1992 91. NStZ 1983 521 mit Anm. Rieß; BVerfGE 49 329, 341. BVerfGE 49 329, 341.
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Anhörung der Staatsanwaltschaft regelmäßig nicht: Entweder hat sie selbst den Antrag gestellt oder aber die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft werden von anderen Behörden wahrgenommen, wie z.B. von der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren (Rn. 14) oder der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren (§ 46 Abs. 2 OWiG). Die Anhörung der Staatsanwaltschaft kann in Eilfällen auch telefonisch geschehen. Von der Anhörung der Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dadurch – wie regelmäßig bei Beschlagnahmen beim Beschuldigten – der Untersuchungserfolg gefährdet würde (§ 33 Abs. 4 Satz 1). Dann ist das rechtliche Gehör aber nachträglich zu gewähren.37 Einer Belehrung darüber bedarf es nicht, doch sollte die Entscheidung wenigstens in den Gründen den Zusatz tragen, dass „diese Entscheidung gemäß § 33 Abs. 4 Satz 1 ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs“ erging. Folgt eine Einlassung des Beschuldigten, bedarf es einer neuen ausdrücklichen Entscheidung, welche die alte Entscheidung ändert oder aufhebt oder auch dahingehen kann, dass es bei der alten Entscheidung verbleibe. Befindet sich der zu beschlagnahmende Gegenstand im amtlichen Gewahrsam (z.B. nach einer einstweiligen Beschlagnahme nach § 108 oder bei der Beschlagnahme von Briefen Untersuchungsgefangener, s. Rn. 13), muss die Anhörung durchgeführt werden, da dann die in § 33 Abs. 4 Satz 1 vorausgesetzte Gefahr nicht besteht. 4. Inhalt des Beschlusses
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a) Genaue Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Gegenstände. Diese müssen so genau bezeichnet werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Beschlagnahme durchführenden Beamten Zweifel über den Umfang der Maßnahme bestehen können. Daher müssen die Gegenstände in der Formel, in den Gründen oder in einer Anlage unter deutlicher Kenntlichmachung im Einzelnen aufgeführt werden. Eine allgemeine Beschlagnahmeanordnung, etwa in der Form, dass die bei einer Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel beschlagnahmt werden sollen, ist unzulässig.38 Eine gewisse Unbestimmtheit der Anordnung lässt sich jedoch nicht immer vermeiden. Insbesondere bei der Beschlagnahme von schriftlichen Unterlagen können und müssen die einzelnen Schriftstücke nicht bezeichnet werden; es genügt z.B. die Anordnung der Beschlagnahme der auf einen bestimmten Geschäftsvorfall sich beziehenden Schriftstücke. Sind die Beweismittel in einem Behältnis aufbewahrt, so reicht auch dessen deutliche Kenntlichmachung unter unbestimmter Angabe seines Inhalts aus.39 Können bei einem Durchsuchungsbeschluss die zu beschlagnahmenden Beweismittel noch nicht genau bestimmt werden, so sind sie wenigstens so zu umreißen, dass die Grenzen der Durchsuchung ersichtlich sind. Eine Beschlagnahmeanordnung liegt dann aber nicht vor. Vorgefundene Beweismittel sind dann in der Regel von den durchsuchenden Beamten aufgrund ihrer Eilkompetenz zu beschlagnahmen;40 anschließend ist nach § 98 Abs. 2 Satz 1 oder 2 zu verfahren (Rn. 43). Die Entscheidung wird sich regelmäßig auf den Ausspruch der Beschlagnahme be19 schränken und die Form der Sicherstellung (Verwahrung oder Sicherstellung in anderer Weise) der Staatsanwaltschaft überlassen. Gelegentlich kann es zweckmäßig sein, darüber in der Anordnung selbst eine Verfügung zu treffen, etwa zu bestimmen, dass die
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BVerfGE 49 329, 342. BVerfG (Kammer) NStZ 1992 91; OLG Düsseldorf StV 1982 513; LG Oldenburg wistra 1987 38; LG Lüneburg MDR 1984 603, KK/Nack 2; Meyer-Goßner 9.
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LG München I MDR 1967 687. OLG Düsseldorf StV 1982 513; LG Lüneburg MDR 1984 603.
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Sache an einer bestimmten Stelle (Sachverständiger, Tierpfleger) hinterlegt werden muss oder durch Versiegelung, Absperrung oder ähnliche Maßnahmen zu beschlagnahmen ist, oder dass – z.B. bei der Beschlagnahme von Buchhaltungsunterlagen – dem Betroffenen innerhalb einer Frist, die sofort bestimmt werden kann, Fotokopien zu überlassen sind oder dass die Herausgabe von Fotokopien genügt (§ 94, 62). Da im Ermittlungsverfahren die Beschlagnahme von einem Antrag der Staatsanwaltschaft abhängt, wenn nicht die Voraussetzungen des § 165 vorliegen, darf der Richter während dieses Verfahrensabschnitts nicht einschneidendere Maßnahmen anordnen, als die Staatsanwaltschaft beantragt hat,41 ist aber im Übrigen an den Antrag selbst nicht gebunden. b) Begründung. Der Beschluss muss begründet werden (§ 34). Indes kann der Um- 20 fang der Begründung hinter dem eines Durchsuchungsbeschlusses zurückbleiben, da das hier berührte Grundrecht aus Art. 14 GG keinen dem Art. 13 GG vergleichbaren Richtervorbehalt kennt. Es genügt regelmäßig eine knappe Mitteilung des den Gegenstand der Untersuchung bildenden Sachverhalts, seiner strafrechtlichen Würdigung und der Hinweis, weshalb die zu beschlagnahmende Sache als Beweismittel von Bedeutung sein kann.42 Formelhafte Wendungen reichen aber ebenso wenig aus wie die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts.43 Liegt bereits eine substantiierte Sacheinlassung des Beschuldigten vor, muss darauf eingegangen werden, da andernfalls ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vorliegt.44 Da der richterliche Beschlagnahmebeschluss die Verjährung unterbricht (§ 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB), ist darauf zu achten, dass die persönliche und sachliche Reichweite der Unterbrechungshandlung durch Aufführung der Beschuldigten und der vorgeworfenen Taten im Einzelnen ersichtlich ist.45 Strengere Anforderungen an die Begründung sind freilich dann zu stellen, wenn namentlich bei Beschlagnahmen bei zeugnisverweigerungsberechtigten Dritten nach § 97 Abs. 2 Satz 3 oder bei der Presse im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung der Bedeutung des Beweismittels (Schwere der Tat, Stärke des Tatverdachts, Erforderlichkeit und wahrscheinlicher Erfolg des Eingriffs) gegen das geschützte Rechtsgut erforderlich wird.46 Soweit der Beschluss Dritten bekannt gemacht wird, darf er zum Schutz des Beschuldigten nicht knapper gefasst werden, da der Dritte in der Lage sein muss, die Entscheidung anzufechten. 5. Bekanntmachung. Der Beschluss ist gemäß § 36 Abs. 2 der Staatsanwaltschaft zur 21 Bekanntmachung an den Betroffenen und zur Vollstreckung zu übergeben. Bekanntmachung und Vollstreckung erfolgen zweckmäßigerweise Hand in Hand. Erfolgt die Beschlagnahme in Abwesenheit des Betroffenen, wird der Beschluss durch Übersendung einer Ausfertigung bekannt gemacht. Das folgt aus § 35 Abs. 2 Satz 2. Bei der Beschlagnahme handelt es sich wie bei der Durchsuchung um eine offene Ermittlungsmaßnahme. Es erscheint deshalb nicht vertretbar, die Bekanntgabe aufzuschieben, wenn durch sie der Erfolg der weiteren Ermittlungen gefährdet wäre.47 Die Gefährdung des Untersuchungszwecks bezieht sich immer nur auf die Maßnahme, um deren Bekanntgabe es geht, und nicht darauf, dass der Beschuldigte durch die Bekanntgabe von bis jetzt heimlich geführten Ermittlungen erfährt. Hat das Gericht einen Antrag auf Anordnung oder Gestattung
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LG Kaiserslautern NStZ 1981 438. OLG Düsseldorf StV 1983 407; enger MeyerGoßner 9. LG Köln StV 1983 275. LG Berlin StV 2002 67.
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Einzelheiten bei G. Schäfer FS Dünnebier 544. Vgl. dazu insbes. BVerfGE 20 178, 198; 27 109; 44 373; 56 248; 64 118. Vgl. BGH NJW 2010 1297, 1298; MeyerGoßner 10.
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einer Beschlagnahme abgelehnt, so wird dies dem Beschuldigten regelmäßig nur und erst dann mitgeteilt, wenn sein Verteidiger Anspruch auf unbeschränkte Akteneinsicht (§ 147 Abs. 2) erlangt hat, da sonst das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gestört würde. 6. Vollstreckung
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a) Zuständigkeit. Der richterliche Beschlagnahmebeschluss ist wie alle der Vollstreckung bedürfenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung zu übergeben (§ 36 Abs. 2). Der Richter kann anordnen, dass die Beschlagnahme in seinem Beisein stattfindet (arg. § 105 Abs. 2 Satz 1), was insbesondere bei Durchsuchungsaktionen zweckmäßig sein kann. Im Ermittlungsverfahren ist es Sache der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob überhaupt, wann und wie die Beschlagnahme durchzuführen ist. Die Staatsanwaltschaft kann ihre Ermittlungspersonen (zu denen auch die Steuerfahndung gehört, § 404 AO) damit beauftragen. Diese sind an den Auftrag gebunden und haben ihn zu vollziehen, wobei freilich polizeitaktische Überlegungen von der Staatsanwaltschaft zu beachten sind. Die Beschlagnahme selbst kann aber auch durch Beamte, die nicht Ermittlungspersonen sind, bewirkt werden. In der Hauptverhandlung vollstreckt das Gericht selbst mit Hilfe der Polizei oder der Gerichtswachtmeister. Darüber hinaus besteht keine Vollstreckungszuständigkeit des Gerichts.
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b) Zeitliche Begrenzung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach spätestens nach Ablauf eines halben Jahres davon auszugehen sei, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleiste,48 ist ungeachtet der gegen die Entscheidung zu erhebenden grundsätzlichen Bedenken auf Beschlagnahmebeschlüsse schon deshalb nicht anzuwenden, weil hier im Schutzbereich des Art. 14 GG die Gefahr, dass durch Zeitablauf ein verfassungsrechtlich vorgegebener Richtervorbehalt leer läuft, nicht besteht.49 Die beste Lösung freilich ist die, Beschlagnahmebeschlüsse vermehrt zu befristen, wenn der Richter kurzfristige Änderungen der Ermittlungslage erwartet.
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c) Zwang. Der Beschlagnahmebeschluss berechtigt zu allen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Beschlagnahme zu erreichen, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.50 Es ist die schonendste Maßnahme und die schonendste Art und Weise der Vollstreckung zu wählen. Zwang ist danach zulässig gegen Personen, die sich der Wegnahme widersetzen, und gegen Sachen, die ohne gewaltsame Veränderung nicht weggenommen oder nicht von anderen Sachen getrennt werden können. Zu diesen Zwecken kommen in Betracht bei Personen körperliche Gewalt zum Brechen eines Widerstandes (§ 164) und Wegnahme von Hilfsmitteln der Sache (Schlüssel von Koffern, Aktentaschen, Schränken, Autos), bei Sachen das Aufbrechen von Türen und Verschlüssen51 oder die Zerstörung einer Umhüllung. Dabei ist unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen die am wenigsten eingreifende zu treffen. Auch darf ein durch die Zwangsmaßnahme zu erwartender Schaden nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg stehen. Die Beschlagnahme ist mit Schonung durchzuführen. Der beauftragte Beamte hat
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BVerfGE 96 44, 51 ff.; vgl. auch BVerfGK 1 45 46 f. BVerfG (Kammer) NJW 2002 1410; a.A. LG Neuruppin NStZ 1997 563.
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50 51
Vgl. OLG Karlsruhe StraFo 1997 13. BGH JZ 1962 611 mit Anm. Baumann.
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nicht schon aufgrund des Beschlagnahmebeschlusses das Recht, Wohnungen und andere Räume zu betreten, in denen sich die zu beschlagnahmenden Sachen befinden. Hierzu bedarf es eines die Durchsuchung gestattenden Beschlusses, weil der Durchsuchung wegen Art. 13 GG neben der Beschlagnahme eigene Bedeutung zukommt. d) Beschlagnahme im Bereich der Bundeswehr (Absatz 4). Die Vorschrift bringt keine Ausnahme von dem hier vertretenen Grundsatz, dass gegen Behörden und andere staatliche Hoheitsträger strafprozessuale Zwangsmaßnahmen nicht zulässig sind. Absatz 4 regelt vielmehr die Vollstreckung von Beschlagnahmeanordnungen im nicht öffentlichrechtlichen Bereich der Bundeswehr, z.B. bei der Suche nach Diebesgut im Spind eines Soldaten. Wegen der besonderen Verhältnisse in Einrichtungen der Bundeswehr wird die Durchführung der Beschlagnahme dort auf Ersuchen der mit der Vollstreckung beauftragten Dienststelle (Staatsanwaltschaft oder Polizei)52 durch Dienststellen der Bundeswehr, entweder allein oder unter Mitwirkung der Staatsanwaltschaft oder der Polizei, durchgeführt. Das gilt auch, wenn von der Beschlagnahme ausschließlich eine in dem Dienstgebäude wohnende Zivilperson betroffen wird, sofern nicht der in § 98 Abs. 4 Satz 3 vorgesehene Fall vorliegt. Außerhalb der militärischen Dienstgebäude und der Einrichtungen und Anlagen unterliegt die Beschlagnahme gegenüber Soldaten keinen Beschränkungen. Dienstgebäude sind Kasernen, Werkstätten und dgl. Soldatenwohnungen, die nicht in einem Dienstgebäude liegen, fallen nicht unter die Beschränkungen des § 98 Abs. 4. Nicht allgemein zugängliche Einrichtungen und Anlagen der Bundeswehr sind Kasernenhöfe, Übungsplätze, Schiffe, Schießstände, Lazarette und Genesungsheime, aber auch Wehrmittel wie abgestellte Panzer, Flugzeuge. Räume, die ausschließlich von Nichtsoldaten bewohnt werden (§ 98 Abs. 4 Satz 3), sind die in einem Dienstgebäude oder einer Einrichtung liegenden, aber in sich abgeschlossenen Wohnungen von Zivilangestellten, verpachtete Kantinen und Läden. Die vorgesetzte Dienststelle ist nicht, wie aus der wenig geglückten Fassung des § 98 Abs. 4 geschlossen werden könnte, die jeweils nächsthöhere Dienststelle. Gemeint ist vielmehr die Dienststelle, der die dienstliche Gewalt über das Gebäude oder über die Einrichtung oder Anlage zusteht, in der sich die Sache befindet.53 Das ist bei Dienstgebäuden, die ausschließlich einem Truppenteil oder einer einem militärischen Chef unterstellten Anstalt zur Benutzung überwiesen sind, der Kommandeur oder militärische Chef, sonst der Kommandant oder der Standortälteste, bei anderen Einrichtungen oder Anlagen deren Leiter.54
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26
27
28
IV. Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen 1. Allgemeines. Außer in dem in Absatz 1 Satz 2 angesprochenen Pressebereich sind 29 bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen zur Beschlagnahmeanordnung befugt (Rn. 6). Diese Eilzuständigkeit besteht auch nach Anklageerhebung, wie § 98 Abs. 3 zeigt (Rn. 41).
52 53
KK/Nack 34; Meyer-Goßner 28. Graf/Ritzert 11.
54
Meyer-Goßner 27; KK/Nack 34.
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2. Zuständigkeit
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a) Staatsanwaltschaft. Der Ausdruck Staatsanwaltschaft umfasst die Bundesanwälte, Staatsanwälte und Amtsanwälte (§ 142 Abs. 1 GVG). Amtsanwälte sind in allen Sachen zuständig, die zur Zuständigkeit des Amtsgerichts gehören (§ 24 GVG).
31
b) Die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (vgl. dazu Erl. zu § 152 GVG) dürfen die Beschlagnahme nur anordnen, wenn die Sache „keinen Aufschub“ gestattet (§ 163 Abs. 1). Im Übrigen haben sie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft (u.U. telefonisch) herbeizuführen. Eine andere Zuständigkeitsverteilung widerspräche dem im Gesetz klar zum Ausdruck gebrachten Primat der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens (vgl. dazu § 96, 36). Ein Verstoß gegen § 163 hat freilich keinen Einfluss auf den Bestand der Beschlagnahme, kann aber dienstaufsichtsrechtliche Folgen haben.
32
c) In Steuerstrafsachen nehmen die Finanzbehörden, wenn sie aufgrund des § 386 Abs. 2 AO das Ermittlungsverfahren selbständig führen, die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen (§ 399 Abs. 1 AO). Die Beamten der Steuer- und Zollfahndungsstellen sind nach § 404 AO Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft und deshalb ebenfalls zur Beschlagnahme befugt.55
33
d) Im Bußgeldverfahren hat die Verfolgungsbehörde die Rechte der Staatsanwaltschaft (§ 46 Abs. 2 OWiG).
34
3. Gefahr im Verzug. Voraussetzung für die Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen ist nach § 98 Abs. 1 Satz 1, dass Gefahr im Verzug vorliegt: dass die Beschlagnahme durch die Verzögerung gefährdet wäre, die eintreten würde, sofern der zuständige Richter angerufen werden müsste. Die bloße Möglichkeit der Gefährdung des Untersuchungszwecks reicht nicht aus; Gefahr im Verzug besteht nur, wenn nach den vorliegenden fallbezogenen Tatsachen der Beweismittelverlust bei auch nur telefonischer Einholung einer richterlichen Entscheidung wahrscheinlich ist. Kann eine richterliche Entscheidung nicht mehr eingeholt werden, hat die Polizei zu prüfen, ob nicht wenigstens eine staatsanwaltschaftliche Entscheidung herbeigeführt werden kann (vgl. Rn. 31). Da die gesetzliche Regelung des Richtervorbehalts der in § 105 entspricht, sind die 35 dortigen Ausführungen zur Gefahr im Verzug grundsätzlich auch für die Beschlagnahmeanordnung gültig, auch wenn hier eine Art. 13 Abs. 2 GG entsprechende verfassungsrechtliche Regelung fehlt.56 Auch hier geht das Gesetz von der richterlichen Entscheidung als Regelfall aus. In der Praxis freilich wird sich bei der Beschlagnahme nicht vermeiden lassen, dass von der Eilkompetenz zahlenmäßig in weit größerem Umfang Gebrauch gemacht wird als bei der Durchsuchung. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass im Rahmen von Ermittlungen Beschlagnahmen weit weniger genau vorher geplant werden können als Durchsuchungen. In diesen Fällen wird man auch nicht den Versuch, einen Richter zu erreichen, verlangen können. Auch die Dokumentation der
55 56
Umfassend zur Zuständigkeit der Finanzbehörden Blumers/Göggerle 282 ff., 290. Ebenso Krehl JR 2001 491, 494; vgl. aber Amelung NStZ 2001 337, 342, der auf die
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Bedeutung des präventiven Rechtsschutzes unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG hinweist.
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Voraussetzungen der Gefahr im Verzug wird in vielen Fällen nicht erforderlich sein, weil dies sich, etwa bei einem Rauschgifthändler oder bei einem auf frischer Tat ertappten Dieb, von selbst versteht. Andererseits bedarf es gerade bei Beschlagnahmen bei Dritten genauerer Prüfung, ob die Gefahr eines Beweismittelverlustes tatsächlich besteht. Dies würde ja voraussetzen, dass der Dritte die in seinem Gewahrsam befindlichen Beweismittel bis zum Vorliegen einer richterlichen Entscheidung vernichtet, was nur selten angenommen werden kann. Ein wichtiger Anwendungsfall einer Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug ist ge- 36 geben, wenn der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss die zu beschlagnahmenden Beweismittel nicht konkret, sondern nur ihrer Art nach (z.B. „Schriftproben, Waffen“) bezeichnen konnte, eine wirksame Beschlagnahmeanordnung also nicht enthielt57 (Rn. 18). Auch schließt das Vorliegen einer richterlichen Beschlagnahmegestattung die Beschlagnahme anderer Gegenstände wegen Gefahr im Verzug nicht aus, wenn der die richterliche Entscheidung vollstreckende Beamte dabei andere der Beschlagnahme unterliegende Gegenstände bemerkt. Die Beschlagnahme von Gegenständen im Wege der Eilzuständigkeit, deren Beschlagnahme der Richter abgelehnt hatte, ist aber nur bei veränderter Sachlage zulässig und sollte nicht ohne staatsanwaltschaftliche Weisung erfolgen. Die richterliche Anordnung, bestimmte Gegenstände zu beschlagnahmen, darf nicht Vorwand zur Suche nach anderen Beweismitteln sein. Eine solche Durchsuchung ist zwar nicht ausgeschlossen. Sie kann wegen Gefahr im Verzug an Ort und Stelle vom vollstreckenden Beamten angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 102, 103 vorliegen. Stets ist aber sorgfältig zu prüfen, ob damit nicht die richterliche Anordnungskompetenz unterlaufen wird. Da der Begriff „Gefahr im Verzug“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, unterliegt 37 er in vollem Umfang gerichtlicher Überprüfung. Zur Frage eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen den hier nicht verfassungsrechtlich abgesicherten Richtervorbehalt s. unten Rn. 75. 4. Form. Das Gesetz schreibt für die Beschlagnahmeanordnung keine besondere 38 Form vor. Sie kann von der Staatsanwaltschaft daher auch mündlich, telefonisch, telegrafisch oder fernschriftlich getroffen werden. Bei geringerer Eilbedürftigkeit ordnen die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen Beschlagnahmen in Form einer schriftlichen Verfügung an. Die Anordnung einer Ermittlungsperson kann schlüssig in der Bewirkung der Beschlagnahme liegen.58 In jedem Fall muss die Beschlagnahmeanordnung (Beschlagnahmegegenstand und Sicherungszweck59 samt ihren Voraussetzungen) aktenkundig gemacht werden,60 damit ihre Rechtmäßigkeit, insbesondere die Frage der Gefahr im Verzug und die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, überprüft werden können. 5. Bekanntmachung. Dem Betroffenen ist die Beschlagnahmeanordnung (notfalls 39 mündlich mit den wesentlichen Gründen) zu eröffnen,61 soll er nicht bloßes Objekt staatlichen Handelns sein. Er muss die Möglichkeit haben, durch freiwillige Herausgabe der zu beschlagnahmenden Sache weitere Maßnahmen wie unmittelbaren Zwang oder eine
57 58 59
Vgl. OLG Düsseldorf StV 1982 513; LG Lüneburg MDR 1984 603. Meyer-Goßner 8. Vgl. BGH NStZ 1985 262.
60 61
OLG Karlsruhe Justiz 1981 482; Meyer-Goßner 8. Achenbach NJW 1982 2809; Sommermeyer JR 1990 498; a.A. Meyer-Goßner 10.
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Durchsuchung zu vermeiden. Ist der Betroffene der Beschuldigte, so ist zu beachten, dass in der Bekanntmachung eine verjährungsunterbrechende Handlung nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB (Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens) liegen kann, weshalb der Inhalt der Bekanntmachung aktenkundig zu machen ist, damit die persönliche und sachliche Reichweite der Unterbrechungshandlung dokumentiert ist.62 Ist der Betroffene bei der Beschlagnahme nicht anwesend, muss er alsbald unterrichtet werden, damit er die Frage des nachträglichen Rechtsschutzes prüfen kann. Es ist unzulässig, die Unterrichtung zu unterlassen, um die Maßnahme vor dem Betroffenen geheim zu halten und so die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden (Rn. 21).
40
6. Belehrung. Nach § 98 Abs. 2 Satz 5 ist der Betroffene bei Beschlagnahmeanordnungen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen, nicht bei denen des Gerichts, dahin zu belehren, dass er nach § 98 Abs. 2 Satz 2 berechtigt ist, jederzeit eine gerichtliche Entscheidung zu beantragen, und bei welchem Gericht er den Antrag einreichen kann.63 Weitere Belehrungen, etwa über das Recht zur Beschwerde gegen die auf den Antrag ergehende gerichtliche Entscheidung, sind nicht vorgeschrieben und auch nicht angebracht. Die Belehrung hat die Behörde zu erteilen, welche die Beschlagnahme durchführt. Wird sie mündlich erteilt, so ist hierüber ein Aktenvermerk aufzunehmen. Eine schriftliche Belehrung, etwa durch Überreichung eines Vordrucks, ist vorzuziehen; sie sollte unter allen Umständen in das Beschlagnahmeverzeichnis nach § 107 Satz 2 aufgenommen werden.
41
7. Sonderfall: Beschlagnahme nach Erhebung der öffentlichen Klage (Absatz 3). Die Vorschrift zeigt, dass die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen auch nach Erhebung der öffentlichen Klage zu weiteren Ermittlungen64 und bei Gefahr im Verzug sogar zur Beschlagnahme befugt sind. Da in dieser Lage des Verfahrens die Verfahrensherrschaft beim Gericht liegt, dürfen derartige Maßnahmen das gerichtliche Verfahren aber nicht stören. Das dabei einzuhaltende Verfahren ist in § 98 Abs. 3 nicht abweichend von Absatz 2, sondern ergänzend geregelt. Die Vorschrift bestimmt einmal, dass die beschlagnahmten Gegenstände dem Richter, der nach der Anklageerhebung Herr des Verfahrens geworden ist, zur Verfügung zu stellen sind. Aus der Verfahrensherrschaft des Richters folgt, dass ihm auch die formlos sichergestellten, herrenlosen oder freiwillig herausgegebenen Gegenstände alsbald abzuliefern sind und dass der Beamte den Richter von der Beschlagnahme auch dann binnen drei Tagen zu benachrichtigen hat, wenn er nach § 98 Abs. 2 Satz 1 nicht genötigt ist, die richterliche Bestätigung zu beantragen. Ist die Bestätigung nach § 98 Abs. 2 Satz 1 erforderlich, dann liegt in dem Antrag, sie auszusprechen, zugleich die Anzeige nach Absatz 3. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht ist auf die Rechtswirksamkeit der Beschlagnahme ohne Einfluss.
V. Gerichtliche Überprüfung bei Eilzuständigkeit (Absatz 2) 42
1. Allgemeines. Als Ausgleich dafür, dass der vorbeugende Rechtsschutz durch den Richter nicht stattfinden konnte, sieht das Gesetz ein besonderes Verfahren zur richterlichen Überprüfung der Beschlagnahme vor, wenn die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen von ihrer Eilkompetenz Gebrauch gemacht haben. Die alsbaldige
62
Einzelheiten bei G. Schäfer FS Dünnebier 544.
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63 64
Vgl. BTDrucks. 7 551 S. 65. Kritisch Strate StV 1985 338.
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richterliche Überprüfung der Beschlagnahme hat in bestimmten Fällen der beschlagnahmende Beamte selbst zu veranlassen (nachstehend 2), der Betroffene kann sie stets beantragen (nachstehend 3). 2. Auf Antrag des Beamten (Absatz 2 Satz 1) a) Antragspflicht. War weder der Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger bei der Beschlagnahme anwesend oder wird Widerspruch erhoben, so bedarf die Beschlagnahme der richterlichen Bestätigung, die der Beamte binnen drei Tagen zu beantragen hat. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft legen ihre Vorgänge dem Gericht über die Staatsanwaltschaft vor, denn der Richter entscheidet ohnehin nicht ohne Anhörung der Staatsanwaltschaft (§ 33 Abs. 2), deren Stellungnahme im Ermittlungsverfahren zudem von entscheidender Bedeutung ist. Für die Antragspflicht ist es ohne Bedeutung, ob der Widerspruch vor, während oder nach der Vollziehung der Beschlagnahmeanordnung erklärt worden ist.65 Die Staatsanwaltschaft kann die richterliche Bestätigung auch beantragen, wenn der Beschlagnahmegegenstand freiwillig herausgegeben worden ist.66 Wird das Einverständnis mit der amtlichen Verwahrung widerrufen, so entsteht keine Antragspflicht. Im Widerruf ist aber regelmäßig ein Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 zu sehen.67 Die Frist für den Bestätigungsantrag beginnt mit der Beschlagnahme, nicht mit ihrer Anordnung.68 Sie wird nach §§ 42, 43 Abs. 2 berechnet und gilt nur für den Bestätigungsantrag; die richterliche Entscheidung muss nicht innerhalb der Dreitagesfrist ergehen.69 Einer besonderen Bestätigungsentscheidung bedarf es nicht, wenn der Betroffene selbst nach § 98 Abs. 2 Satz 2 auf gerichtliche Entscheidung angetragen hat und darauf eine Entscheidung erging. Bei Beschlagnahmen von beweglichen Sachen nach § 111c Abs. 1 ist eine richterliche Bestätigung der von der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen nach § 111e Abs. 1 getroffenen Beschlagnahmeanordnungen nicht mehr vorgeschrieben (§ 111e Abs. 2 Satz 2). Die Antragspflicht entfällt aber nicht für Beweisgegenstände, die zugleich als Verfalls- oder Einziehungsgegenstände nach beiden Vorschriften beschlagnahmt werden (vgl. dazu § 94, 7).70 Die Vorschrift des Absatz 2 Satz 2 ist zwar eine Sollvorschrift, an der dienstlichen Verpflichtung der Beamten, sie einzuhalten, ändert sich aber dadurch nichts. Auf die Rechtswirksamkeit der Beschlagnahme hat ein Verstoß gegen die Antragspflicht grundsätzlich keinen Einfluss. Eine ganz außergewöhnliche Fristüberschreitung kann freilich auch hier im Einzelfall zur Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme führen, wenn der Verstoß so gravierend ist, dass die gesetzlich vorgesehene richterliche Kontrolle praktisch ausgeschaltet ist und diese Folge angesichts der geringen Bedeutung der verfolgten Straftat hingenommen werden kann.
43
44
45
46
b) Betroffener, Angehöriger, Erwachsener. Der Begriff Betroffener hat – wie sich aus 47 dem Regelungszusammenhang ergibt – in Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 verschiedene Bedeutung. Absatz 2 Satz 1 meint den Gewahrsamsinhaber.71 Absatz 2 Satz 2 darüber hinaus jeden, in dessen Rechte durch die Beschlagnahme eingegriffen wird (vgl. Rn. 49). 65 66 67 68
AK/Amelung 24; Meyer-Goßner 13. BGH NJW 1956 1806. KK/Nack 18 a.E. KK/Nack 16; Meyer-Goßner 14; Eb. Schmidt 7.
69 70 71
KG VRS 42 211; Meyer-Goßner 14; Eb. Schmidt 7. Achenbach NJW 1976 1070. AK/Amelung 24.
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Angehörige sind die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB Genannten;72 also über § 52 hinaus auch entfernte Verwandte oder Verschwägerte und Pflegeeltern und Pflegekinder. Erwachsener ist, wer volljährig ist.73 3. Auf Antrag des Betroffenen (Absatz 2 Satz 2)
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a) Allgemeines. Gegen die von der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen angeordnete Beschlagnahme ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft. Der Antrag ist an keine Form oder Frist gebunden. Über das Antragsrecht ist der Betroffene nach § 98 Abs. 2 Satz 5 zu belehren (oben Rn. 40). Eine „Beschwerde“ ist in einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung umzudeuten.74 Ist im Verfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 1 die Beschlagnahme bestätigt worden, ist der Antrag als Gesuch um Aufhebung dieser Entscheidung zu behandeln, wurde in jenem Verfahren die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt oder die Beschlagnahme aufgehoben, ist der Antrag gegenstandslos, soweit er durch die gerichtliche Entscheidung erledigt ist. Durch die Zulässigkeit des Antrags nach § 98 Abs. 2 Satz 2 wird nach § 23 Abs. 3 EGGVG der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG ausgeschlossen.75 Betroffener ist jeder, in dessen rechtlich geschützte Interessen durch die Beschlag49 nahme eingegriffen wird.76 Das ist zunächst der Gewahrsamsinhaber, darüber hinaus auch der mittelbar Betroffene, wie der Kontoinhaber bei Beschlagnahme von Kontounterlagen bei einer Bank77 oder z.B. bei der Briefzensur nach § 119 der Verfasser und Empfänger eines Briefs, dessen Original befördert, dessen Fotokopie aber zu den Akten genommen wurde.78 Der Beschuldigte als solcher kann sich gegen Ermittlungshandlungen, die lediglich Rechte Dritter berühren, nicht wenden. § 98 Abs. 2 Satz 2 wird ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen, der nach heuti50 ger Auffassung auf das richterliche Überprüfungsverfahren von Zwangsmaßnahmen, die Staatsanwaltschaft oder Polizei aufgrund ihrer Eilkompetenz angeordnet haben und für die das Gesetz, anders als beispielsweise im Haftrecht, keine besonderen Regeln zur Verfügung stellt, angewandt wird.79 Dies gilt auch für die von den Ermittlungsbehörden angeordnete80 Art und Weise der Vollstreckung81 und unabhängig davon, ob die Maßnahmen noch andauern oder bereits erledigt sind, sofern es jeweils sich nur um einen „tiefgreifenden Grundrechtseingriff“ handelt. Ein solcher wird in den Fällen, in denen das Gesetz für die Anordnung der Maßnahme den Richtervorbehalt anordnet, auch für die Art und Weise der Vollstreckung regelmäßig vorliegen. Hauptanwendungsfall ist die Durchsuchung. Darüber hinaus wird die Vorschrift auch auf Fälle angewandt, in denen die Ermittlungsbehörden aufgrund originärer Zuständigkeit tätig wurden,82 weil dieser
72 73
74 75 76 77 78
Für eine Fassung des Begriffs über § 52 hinaus auch Meyer-Goßner 15. A.A. Meyer-Goßner 15: Allerdings niemand unter 14 Jahren, entscheiden soll die körperliche Entwicklung und das äußere Erscheinungsbild. Meyer-Goßner 19. BGH GA 1981 225; OLG Stuttgart NJW 1972 2146; a.A. Schenke NJW 1975 1530. KG StV 2000 10; AK/Amelung 27; KK/Nack 18; Meyer-Goßner 18 ff.; SK/Rudolphi 33. KG StV 2000 10; KK/Nack 18. OLG München NJW 1978 601.
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80
81 82
Vgl. § 81a Abs. 2: KG Beschl. vom 30. April 2002 – 1 AR 396/01 –; OLG Karlsruhe NStZ 1986 567; KG Beschl. vom 22. September 1999 – 1 AR 913/99 –; § 81b: OLG Koblenz StV 2002 127. Anders, wenn dies bereits in der richterlichen Anordnung ausdrücklich so geregelt war: BGHSt 44 265, 274; BGHSt 45 183; s. dazu Bachmann NJW 1999 2414, 2416. S. nur OLG Karlsruhe NJW 2002 3117, 3118 m. Nachw. Allgemein OLG Karlsruhe NJW 2002 3117, 3118. Vgl. zu § 81b: OLG Koblenz StV 2002
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Rechtsweg sachnäher erscheint, als der nach § 23 EGGVG. Im Anwendungsbereich des § 101 geht diese Regelung allerdings vor. Einzelheiten zur Entwicklung der Rechtsprechung und zu den einzelnen Fallgruppen bei § 105. b) Antrag. Der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 setzt keine förmliche Beschlagnahme 51 voraus. Er ist auch zulässig, wenn der Betroffene, der die als Beweisstücke benötigten Sachen freiwillig herausgegeben hat, die Einwilligung in die behördliche Verwahrung nachträglich widerruft.83 Jedes Gesuch auf Herausgabe der zunächst freiwillig zur Verfügung gestellten Sachen, auch wenn er bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft angebracht wird, ist als ein solcher Antrag zu behandeln.84 4. Zuständigkeit für die gerichtliche Überprüfung, Absatz 2 Satz 3 und 4. Die ge- 52 richtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 162. Absatz 2 Satz 4 erleichtert dem Betroffenen die Antragstellung; eine Verschiebung der Zuständigkeit beinhaltet die Vorschrift nicht. 5. Inhalt und Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung a) Umfassende Rechtsüberprüfung. Nach der durch die neuere Rechtsprechung des 53 Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs geschaffenen Rechtslage bei der Überprüfung von Zwangsmaßnahmen bei Ausübung der Eilkompetenz kann die Auffassung, es sei lediglich zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung die Voraussetzungen einer Beschlagnahme vorliegen, das Verfahren nach Absatz 2 Satz 1 und 2 diene nicht auch der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme durch Polizei und Staatsanwaltschaft,85 nicht aufrechterhalten werden. Da die richterliche Überprüfung dem Ausgleich dafür dient, dass der Richtervorbehalt und damit der präventive Rechtsschutz nicht greifen konnte, erfolgt eine umfassende Rechtsüberprüfung dahin, ob die aufgrund der Eilkompetenz getroffene Maßnahme rechtmäßig war und ob auch zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme noch vorliegen. Diese Prüfung ergeht in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung und betrifft die Zuständigkeit (Voraussetzungen für die Annahme der Eilkompetenz, oben Rn. 34), die Voraussetzungen des Tatverdachts,86 bei Durchsuchungen bei Nichtverdächtigen das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 103 (bestimmte Beweismittel, auf Tatsachen gegründeter Auffindungsverdacht),87 die Beweismitteleignung, das Nichtvorliegen von Beschlagnahmehindernissen und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.88 Das Gericht kann die zu überprüfende Entscheidung ändern oder mit anderen Gründen versehen. Soweit die angegriffene Entscheidung fehlerhaft war, wird
127; OLG Braunschweig NdsRPfl. 1992 56; OLG Oldenburg NStZ 1990 404; OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 356; OLG Hamm Beschl. vom 11. August 1992 – 1 VAs 46/92 –; zu § 127 Abs. 2: KG Beschl. vom 22. September 1999 – 1 AR 913/99 – ; KG Berlin Beschl. vom 5. Juli 1999 – 4 VAs 36/98 –; zu § 163b; § 163f Abs. 3; § 164: OLG Hamburg MDR 1984 1044 hat die Vorschrift auch auf die Zurückweisung eines Zeugenbeistands abgewandt. Siehe zu allem jetzt Fezer FS Rieß 93 ff.
83 84 85 86
87 88
Meyer-Goßner 20; Eb. Schmidt 1. BGH NJW 1956 1806. Schnarr NStZ 1991 214. Angesichts der niedrigen Verdachtsschwelle dürfte dieser Punkt ohne größere Bedeutung sein; vgl. aber die Kommentierung bei § 102 zur Durchsuchung und Beschlagnahme bei Banken. LG Berlin StV 2002 69, 70; LG Frankfurt StV 2002 70, 71. Vgl. nur LG Berlin StV 2002 67.
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ihre Rechtswidrigkeit festgestellt. War der festgestellte Fehler nicht so schwerwiegend, dass er zu einem Verwertungsverbot führt, bleibt die Beschlagnahme ungeachtet der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens aufrechterhalten, wenn die Voraussetzungen der Beschlagnahme im Übrigen jetzt noch vorliegen. Andernfalls wird die Beschlagnahme aufgehoben, weil sie entweder nicht hätte erfolgen dürfen oder weil nunmehr die rechtfertigenden Gründe entfallen sind. Das Gericht kann auch Modifikationen der Beschlagnahme anordnen. So kann die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dazu führen, dass z.B. bei Geschäftsunterlagen dem Betroffenen Fotokopien herauszugeben sind oder dass der Staatsanwaltschaft eine Frist gesetzt wird, innerhalb der sie von den herauszugebenden Unterlagen Fotokopien fertigen kann. Die Prüfung des Gerichts erfolgt nach Aktenlage. Die Bestätigung der Beschlagnahme löst – auch wenn die Beschlagnahme nur in 54 modifizierter Form aufrechterhalten wird – für das weitere Verfahren, insbesondere in Bezug auf die Anfechtung, die nichtrichterliche Beschlagnahmeanordnung ab. Für Form, Verfahren und Inhalt der Entscheidung gelten die Ausführungen zu der richterlichen Beschlagnahmeanordnung (Rn. 14 ff.) entsprechend. Der Betroffene ist vor der Entscheidung zu hören, da der beschlagnahmte Gegenstand sich in amtlichem Gewahrsam befindet oder sonst sichergestellt ist. Die Entscheidung ist bekannt zu geben. Bei der Beschlagnahme von Führerscheinen erfolgt die richterliche Bestätigung als Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 3).
55
b) Auch die Art und Weise der Vollstreckung der Maßnahme wird im Verfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 überprüft. Das ist namentlich dann von Bedeutung, wenn bei umfangreichen Beschlagnahmeaktionen noch während deren Dauer im Zusammenhang mit der Beschlagnahme angeordnete Zwangsmaßnahmen überprüft werden sollen oder wenn zum Beispiel die Art der Verwahrung des beschlagnahmten Gegenstands beanstandet wird. Größere Bedeutung hat dieser Gesichtspunkt naturgemäß bei Durchsuchungen.
VI. Beendigung der Beschlagnahme 56
1. Erlöschen der Beschlagnahme. Die Beschlagnahme als Beweismittel erlischt ohne weiteres mit der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens.89 Denn Beweismittel werden für das Verfahren beschlagnahmt; mit der Beendigung des Verfahrens fällt dieser Zweck fort. Eine förmliche Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung ist daher nicht notwendig.90 Insbesondere kommt eine gerichtliche Entscheidung nicht in Betracht, auch nicht auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Ob diese Grundsätze freilich ausnahmslos gelten dürfen, erscheint zweifelhaft. Handelt es sich um zentrale Beweismittel und liegt es nahe, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens betrieben werden wird, muss die Zulässigkeit einer erneuten Beschlagnahme nach Eintritt der Rechtskraft erwogen werden. Dies würde auch in vielen Fällen dem Angeklagten nach Verurteilung bessere Perspektiven für eine Wiederaufnahme eröffnen, wenn etwa neue wissenschaftliche Erkenntnisse, man denke nur an die Entwicklungen bei der DNA-Analyse, so verwertet werden könnten. Zur Beendigung der Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen oder der Restitution dienen sollen s. § 111e. 89
KG Beschl. vom 1. Juli 1989 – 1 AR 405/98 –; OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; BayOblGSt 10 15; 19 92; OLG Karlsruhe
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Justiz 1977 356; KK/Nack 32; MeyerGoßner 29. H. Schäfer wistra 1984 136.
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2. Aufhebung der Beschlagnahme a) Voraussetzungen. Vor rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens muss die Beschlagnahme jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen aufgehoben werden, wenn sich herausstellt, dass die Beschlagnahme als Beweismittel nicht mehr gerechtfertigt ist,91 weil der Gegenstand als Beweismittel nicht mehr in Betracht kommt oder nicht mehr benötigt wird. Wird der Gegenstand zur Sicherstellung des Verfalls oder der Einziehung oder zur Sicherstellung zugunsten des Verletzten nach § 111b benötigt, so ist er, falls das noch nicht geschehen ist, nach § 111c zu beschlagnahmen.92 Ein beschlagnahmter Gegenstand kommt als Beweismittel nicht (mehr) in Betracht, wenn er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht (mehr) benötigt wird,93 weil er sich auf einen Sachverhalt bezieht, bezüglich dessen kein Tatverdacht mehr besteht. Beweismittel werden nicht mehr benötigt, wenn der Beweis zweifelsfrei auf andere Weise, etwa durch ein richterliches Geständnis, geführt werden kann. Dabei ist aber Vorsicht geboten. Der Beurteilung des erkennenden Gerichts darf nicht vorgegriffen werden. In Einzelfällen kann aber auch hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem das Bundesverfassungsgericht sogar Vorrang vor dem Legalitätsprinzip einräumt,94 zur Freigabe eines Beweismittels führen. Lässt sich ein verderblicher Gegenstand nicht mehr in der zur Beweisführung erforderlichen Form erhalten, müssen Fotografien, Sachverständigengutachten und Zeugenaussagen zur Beweisführung bereitgestellt werden. Die Beschlagnahme ist ferner aufzuheben, wenn ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 (dort Rn. 19), wegen Verstoßes gegen Art. 1 i.V.m. Art. 2 GG (Tagebuch; s. § 94, 78) oder aus Gründen der Verhältnismäßigkeit oder wenn ein Verwertungsverbot (Rn. 75) besteht, denn ein nicht verwertbarer Gegenstand ist für die Untersuchung nicht von Bedeutung. Dies ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen; unzulässig wäre es, diese Entscheidung dem Richter des Hauptverfahrens zu überlassen, obwohl erst dieser verbindlich über die Verwertbarkeit entscheidet. Ein noch nicht rechtskräftiges freisprechendes Urteil, eine Einstellung nach § 154 im Hinblick auf zu erwartende Rechtsfolgen, eine noch nicht rechtskräftige Einstellung nach §§ 206a, 260, eine vorläufige Einstellung nach § 153a oder die noch nicht rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens führen in der Regel noch nicht zur Aufhebung der Sicherstellung. Hier ist die Rechtskraft abzuwarten, wenn die Gegenstände noch als Beweismittel in Betracht kommen. Dies gilt auch für alle Fälle der Verfahrensbeschränkung nach § 154a.95 Nach einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach §§ 153, 170 Abs. 2 ist die Aufhebung der Beschlagnahme zu veranlassen, wenn eine Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung nicht mehr zu erwarten ist. Bei § 153a kommt es auf die endgültige Einstellung an, bei einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 auf die endgültige Erledigung.
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b) Zuständigkeit für die Aufhebung der Beschlagnahme. Vor Erhebung der öffent- 61 lichen Klage entscheidet die Staatsanwaltschaft, wenn nach einer Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug eine richterliche Entscheidung noch nicht ergangen war. Dies gilt auch, wenn eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme angeordnet
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Meyer-Goßner 30. AK/Amelung § 111k, 12; s. den Fall KG Beschl. vom 5.Oktober 2001 – 1 AR 1148/01 –; OLG Köln NStZ-RR 2002 245.
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BGHZ 72 302; Meyer-Goßner 30. BVerfGE 44 353, 373. Durchgehend a.A. Sieg wistra 1984 174.
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hatte,96 denn die Polizei hat nach § 163 Abs. 2 den Gegenstand unverzüglich der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Liegt dagegen eine richterliche Entscheidung vor, ist der Richter für die Aufhebung zuständig;97 einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Beschlagnahme muss er Folge leisten. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend, weshalb der Staatsanwalt in diesem Fall den Gegenstand auch schon vor der richterlichen Entscheidung herausgeben kann. Daneben kann auch der nach § 98 Abs. 2 zuständige Richter von Amts wegen, in der Regel aber auf Antrag des Betroffenen, seine die Beschlagnahme bestätigende Entscheidung aufheben, wenn die Voraussetzungen der Beschlagnahme nachträglich weggefallen sind, namentlich wenn eine Fortdauer der Beschlagnahme (z.B. von Geschäftsunterlagen) nicht mehr verhältnismäßig wäre. Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist ausschließlich das mit der Sache befasste Gericht zuständig.
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c) Verfahren. Vor der Entscheidung sind die Verfahrensbeteiligten zu hören, denn namentlich die Frage der Beweiserheblichkeit oder eines Verwertungsverbots wird häufig kontrovers beurteilt werden. Die Aufhebung der Beschlagnahme wird von der Staatsanwaltschaft durch Verfügung, vom Gericht durch Beschluss angeordnet. Die auszuliefernden Gegenstände und die Person des Empfangsberechtigten sind genau zu bezeichnen. Die Aufhebung ist dem letzten Gewahrsamsinhaber mitzuteilen, außerdem den sonst Beteiligten, wenn sie von der Beschlagnahme Kenntnis erhalten hatten und das Verfahren noch nicht beendet ist. 3. Rückgabe
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a) Allgemeines. Nach Erlöschen oder Aufhebung der Beschlagnahme sind die Gegenstände herauszugeben, wenn nicht das Urteil98 oder die andere das Verfahren rechtskräftig beendende Entscheidung etwas anderes bestimmt, indem Verfall oder Einziehung angeordnet werden oder indem eine Entscheidung nach § 111i ergeht, denn der staatliche Gewahrsam ist dann nicht mehr erforderlich.99 Die weitere Vorenthaltung des Gewahrsams ist gegenüber dem Berechtigten nicht mehr gerechtfertigt; sie wäre unverhältnismäßig. S. aber oben Rn. 58. Das Beweismittel ist zurückzugeben100 oder eine etwa erfolgte anderweitige Sicherstellung aufzuheben. Surrogate (wie z.B. Fotokopien der herauszugebenden beschlagnahmten Papiere) dürfen ohne Zustimmung des Betroffenen nicht mehr amtlich verwahrt werden. Diese sind zu vernichten.101 Soweit Daten elektronisch kopiert wurden, sind jedenfalls die nicht mehr der Beschlagnahme unterliegenden Teile zu löschen.102 Die Gegenstände sind auf Verlangen zurückzubringen.103 Die zivilrechtlich abding64 bare Vorschrift des § 697 BGB, welche den vertraglichen Verwahrungsort zum gesetzlichen Rückgabeort macht, kann auf zwangsweise verwahrte Sachen keine Anwendung finden.104 Für eine entsprechende Anwendung der Norm fehlt es an einer vergleichbaren
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Meyer-Goßner 30; a.A. beiläufig BGHSt 5 155, 158. A.A.: Nicht in den Fällen des § 98 Abs. 2 Satz 1 oder 2: Meyer-Goßner 30; immer die Staatsanwaltschaft: AK/Amelung 31; OLG Neustadt/Weinstraße NJW 1954 286; LG Hildesheim NStZ 1989 192. Vgl. die Kommentierung zu § 111e. Dazu näher Ciolek-Krepold 376 ff.; Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461 ff.
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BVerfGE 44 353, 384. OLG Stuttgart NJW 1977 2277; vgl. auch BVerfGE 42 353, 384. Vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2002 2090. AK/Amelung 34; Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 463; wohl anders Ciolek-Krepold 376. A.A. H. Schäfer wistra 1984 136 f.
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Regelungslage, da der Betroffene den Gewahrsam durch den staatlichen Eingriffsakt der Beschlagnahme verloren hatte. Näher liegt dann die Annahme einer Pflicht des Staates, den Beschlagnahmegegenstand nach Wegfall der Beschlagnahmeanordnung zurückzubringen. Diese Pflicht ergibt sich sodann aus einem öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch105 (Rn. 66). b) Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Die Ausführung des Aufhebungsbeschlusses ob- 65 liegt der Staatsanwaltschaft.106 Der Betroffene kann die Rückgabe oder die Löschung (Rn. 63) durch Anrufung des für die Beschlagnahmeanordnung zuständigen Richters nach § 98 Abs. 2 Satz 2 durchsetzen, denn es handelt sich dabei um Modalitäten der Beschlagnahme. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn die Beschlagnahme z.B. wegen Verstoßes gegen § 97 unzulässig ist. Das Gericht ist, wenn das die Sache beschleunigt, nicht gehindert, einen Beschlagnahmegegenstand selbst herauszugeben, etwa eine in den Akten befindliche Urkunde dem Betroffenen zurückzugeben. Waren die Gegenstände nicht verwahrt, sondern in anderer Weise sichergestellt (§ 94, 34), so ist die Maßnahme, die zu dieser Sicherstellung geführt hat, aufzuheben und dafür zu sorgen, dass der Gewahrsamsberechtigte wieder frei über den Gegenstand verfügen kann. c) Berechtigte. Der Herausgabeanspruch ist öffentlich-rechtlicher Natur und beruht 66 auf dem Gedanken der Folgenbeseitigung.107 Als Inhaber des öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruchs kommen der Verletzte, der letzte Gewahrsamsinhaber oder sonstige Dritte in Frage. Kommt die Rückgabe des Beweisgegenstands an den Verletzten in Betracht108 oder 67 macht dieser Ansprüche auf Herausgabe geltend, so gilt § 111k; vgl. dort. Ist der Verletzte nicht bekannt, steht aber fest, dass der Gegenstand unrechtmäßig in die Hände des letzten Gewahrsamsinhabers gekommen ist, dann ist die Sache nach § 983 BGB und den dazu erlassenen landesrechtlichen Vorschriften zu behandeln, die eine Versteigerung nach vorangegangenem Aufgebotsverfahren vorsehen.109 Ebenso ist zu verfahren, wenn die Gegenstände bei der Sicherstellung in niemandes Gewahrsam waren und kein Berechtigter bekannt ist. In den anderen Fällen ist der Zustand wiederherzustellen, der vor der Sicherstellung 68 bestand, einerlei, ob die Sache freiwillig herausgegeben oder beschlagnahmt worden war. Die Sache ist also grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber zurückzugeben.110 Das gilt auch dann, wenn dieser sie von dem Beschuldigten nur zur vorübergehenden Aufbewahrung erhalten hatte.111 An andere Personen als den letzten Gewahrsamsinhaber darf die Sache nur mit dessen Zustimmung herausgegeben werden. Herausgabeansprüche solcher anderen Personen sieht das Gesetz nicht vor.112
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Damrau NStZ 2003 409; AK/Amelung § 94, 34; Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 462. Meyer-Goßner 30. Vgl. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 462 f. OLG Stuttgart NStZ 1989 39 f. OLG Düsseldorf MDR 1984 424; LG Berlin StV 1994 179; Janssen 166. BGH Urt. vom 13. Juli 2000 – IX ZR 131/99; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567; 1990 202; OLG Frankfurt GA 1972 212;
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OLG Stuttgart NStZ 1989 39 f.; LG Berlin StV 1994 179; Gropp NStZ 1989 337; Janssen 164; Löffler NJW 1991 1705; H. Schäfer wistra 1984 137; Nr. 75 II RiStBV. OLG Bremen MDR 1960 603; OLG Düsseldorf MDR 1973 499. BGHZ 72 302, 304; BGH NJW 2000 3218; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567; NStZ 1990 202; a.A. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 463 bei offensichtlicher oder bewiesener Berechtigung eines anderen, wobei – möglicherweise von Fällen titulier-
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Wenn der letzte Gewahrsamsinhaber verstorben ist, müssen verwahrte Sachen an denjenigen herausgegeben werden, der sich als Erbe ausweist. Zum Ausweis ist ein Erbschein am besten geeignet, aber nicht immer zu fordern, insbesondere nicht bei Sachen von geringem Wert. Sind mehrere Personen Erben, dann dürfen verwahrte Sachen an einen von ihnen nur herausgegeben werden, wenn die anderen zustimmen. Sonst ist die Sache für die Erben gerichtlich zu hinterlegen, und es ist ihnen zu überlassen, durch Klage den Empfänger bestimmen zu lassen. Die an sich tunlichst zu vermeidende gerichtliche Hinterlegung ist auch dann nicht zu umgehen, wenn ein Gegenstand im Gewahrsam mehrerer Personen, z.B. von Eheleuten, war, aber der Ort des gemeinschaftlichen Gewahrsams, etwa durch Ehescheidung, aufgegeben worden und kein Einverständnis über die Herausgabe an einen der mehreren früheren gemeinschaftlichen Gewahrsamsinhaber zu erzielen ist. Die Sache bleibt dann gerichtlich für die letzten Gewahrsamsinhaber hinterlegt, bis einer von ihnen gegen den oder die anderen ein Urteil erwirkt hat, das ihn zum Empfang berechtigt. Die herausgebende Stelle ist an diesem Verfahren nicht beteiligt.
VII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 1. Gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Beschlagnahme
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a) Im Ermittlungsverfahren steht der Staatsanwaltschaft die Beschwerde zu gegen alle richterlichen Entscheidungen, durch die ein Antrag auf Anordnung oder Gestattung einer Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1) oder durch welche die nachträgliche richterliche Bestätigung einer Beschlagnahme (§ 98 Abs. 2 Satz 1 und 2) abgelehnt oder durch die eine zunächst richterlich angeordnete oder bestätigte Beschlagnahme später aufgehoben wurde. Dies gilt auch für Entscheidungen der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1) und des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (§ 304 Abs. 5). Kein Beschwerderecht hat dagegen der Beschuldigte. Er kann im Ermittlungsverfahren die Ablehnung, Beweise zu erheben, nicht gerichtlich angreifen.
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b) Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist bei aufhebenden oder ablehnenden Entscheidungen die Beschwerde nach § 305 Satz 1 ausgeschlossen, da die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand zur Beweissicherung zu beschlagnahmen ist, in notwendigem inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil steht und deshalb ebenso wenig wie die Ablehnung eines Beweisantrags mit der Beschwerde anfechtbar sein kann.113 Dass für die Anordnung der Beschlagnahme Anderes gilt, liegt daran, dass diese Zwangsmaßnahme einen schwerwiegenden Eingriff in Rechte darstellen kann.
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2. Gegen die Anordnung der Beschlagnahme und der Art und Weise des Vollzugs. Nach der durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs geschaffenen Rechtslage bei der Überprüfung von Zwangsmaßnahmen bei Ausübung der Eilkompetenz besteht auch bei erledigter Beschlagnahme ein Rechts-
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ter Ansprüche abgesehen – offen bleibt, wann Offensichtlichkeit vorliegen oder der Beweis geführt sein soll; dies zu prüfen ist aber nicht Sache der Strafjustizorgane. OLG Hamburg MDR 1985 73 = JR 1985 300 mit abl. Anm. Meyer, der im gericht-
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lichen Verfahren auch dem Angeklagten das Beschwerderecht einräumt; a.A. MeyerGoßner 31 unter Verweis auf OLG Jena wistra 2010 80: Umdeutung in einen Antrag auf Aufhebung durch das erkennende Gericht.
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schutzbedürfnis des Betroffenen (Rn. 49) für die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, wenn diese ohne vorherige Anhörung erging. Gegen richterliche Entscheidungen zur Anordnung der Beschlagnahme und zu ihrem Vollzug ist die Beschwerde, gegen nichtrichterliche (zur Anordnung und zum Vollzug) die Anrufung des Gerichts nach § 98 zulässig. Beides führt zu einer umfassenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme.114 Dies gilt auch für die Art und Weise des Vollzugs. Auf die Ausführungen bei § 105 wird verwiesen. Eine weitere Beschwerde ist wegen § 310 Abs. 2 auch dann unzulässig, wenn die Beschlagnahme erstmalig in der Berufungsinstanz angeordnet worden war. Für die Durchsetzung der Herausgabe ist nicht der Rechtsweg zu den Zivilgerichten 73 eröffnet, sondern es entscheidet der für die Beschlagnahme zuständige Richter, da es sich im Verhältnis zur Beschlagnahme um den actus contrarius handelt.115 Soll eine Maßnahme der Staatsanwaltschaft angegriffen werden, findet § 98 Abs. 2 Satz 2 Anwendung. Modalitäten der Rückgabe sind als Modalitäten der Beschlagnahme ebenfalls nach dieser Vorschrift überprüfbar. Gerichtliche Entscheidungen ergehen als Beschluss und sind, da sie Beschlagnahmen betreffen, stets (also auch in den Fällen des § 304 Abs. 4 und 5 und des § 305) mit der Beschwerde anfechtbar. 3. Zuständigkeitsfragen. Bei Wechsel der Zuständigkeit des Gerichts insbesondere 74 nach Anklageerhebung oder nach Vorlage der Akten an das Berufungsgericht hat über eine noch nicht erledigte Beschwerde das nunmehr mit der Sache befasste Gericht zu entscheiden, wobei das Beschwerdebegehren als Antrag auf Aufhebung der mit der Beschwerde angefochtenen Maßnahme und auf Entscheidung im Sinne des Begehrens umzudeuten ist.116
VIII. Verwertungsverbot. Revision 1. Verwertungsverbot. Ein materielles Beschlagnahmeverbot, wie es etwa § 97 enthält 75 oder § 148 zu entnehmen ist, führt stets zu einem Verwertungsverbot.117 Bei Verstößen gegen formelle Vorschriften ist die Rechtslage differenzierter. Dies gilt zunächst für den Richtervorbehalt.118 Zwar ist bei der Beschlagnahme der Richtervorbehalt nicht wie bei der Durchsuchung verfassungsrechtlich abgesichert, der Richtervorbehalt hat aber die Aufgabe, da die Maßnahmen ohne vorherige Anhörung erfolgen müssen, Art. 19 Abs. 4 GG zu ersetzen und präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten.119 Insoweit liegt eine klare gesetzliche (bei der Durchsuchung sogar verfassungsrechtliche) Zuständigkeitsverteilung vor. Ein Verstoß dagegen kann und darf nicht ohne jede Auswirkung auf die Verwertbarkeit des so erlangten Beweismittels bleiben. Schwerwiegende Verstöße gegen den 114 115
Vorbildlich LG Magdeburg StraFo 1998 271. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 463: Zuständigkeit der Strafgerichte entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 oder nach §§ 458, 462a Abs. 2 StPO; FG Bremen EFG 1999 1092: Finanzrechtsweg in Steuersachen; a.A. OLG Düsseldorf NStZ 1990 202; OLG Stuttgart NStZ 1989 39; LG Mannheim NStZ-RR 1998 113; LG Berlin StV 1994 179; Flore/
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Schwedtmann PStR 2000 28, 30; Löffler NJW 1991 1705. BGHSt 27 253; OLG Karlsruhe wistra 1998 76; KG NStZ-RR 1996 365; Meyer-Goßner § 162, 19; a.A. OLG Stuttgart NStZ 1990 141; weit. Nachw. bei § 111a. BGH NJW 2001 380; BGHSt 44 46; 18 227, 228; BGH NStZ 1994 350; LG Aschaffenburg StV 1989 244; AK/Amelung 37. Eingehend Fezer FS Rieß 93 passim. Amelung NStZ 2001 337, 342.
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Richtervorbehalt werden deshalb im Rahmen einer den Interessen der Betroffenen und einer effektiven, in den Augen der Rechtsgemeinschaft auch gerecht erscheinenden Strafrechtspflege in gleicher Weise Rechnung tragenden Güterabwägungslösung zu einem Verwertungsverbot führen können. Der Bundesgerichtshof hat dies bei einer Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft erwogen, nachdem das erkennende Gericht die Maßnahme abgelehnt hatte.120 Entsprechendes gilt für Beschlagnahmen im Zusammenhang mit einer gegen den Richtervorbehalt grob verstoßenden Durchsuchung.121 Eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtige Verkennung der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts kann ein Verwertungsverbot der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel rechtfertigen.122 Danach ist bei fehlerhafter Annahme von Gefahr im Verzug in der Regel ein Verwertungsverbot jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeit willkürlich,123 nämlich „objektiv unter keinem Gesichtspunkt vertretbar“124 angenommen wurde.125 Einfache Verfahrensfehler reichen dagegen regelmäßig nicht aus, ein Verwertungsverbot zu begründen.126 Insbesondere genügt es nicht, dass die richterliche Bestätigung nicht oder nicht fristgerecht herbeigeführt wurde. Bei gewichtigeren Formverstößen ist stets im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Interesse des Staates an der Strafverfolgung und dem Interesse des Betroffenen am Schutz seiner grundgesetzlich geschützten Rechte vorzunehmen. Dabei ist von Bedeutung, welches Gewicht die begangene Tat hat, wie gewichtig der Rechtsverstoß objektiv ist, wie schwer er für den Bürger wiegt und ob das Beweismittel auch hätte auf gesetzmäßigem Weg erlangt werden können.127 Nach diesen Grundsätzen beurteilen sich insbesondere Verstöße bei Annahme des Anfangsverdachts.128 Der Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit führt stets zu einem Verwertungsverbot;129 dasselbe gilt für Verstöße gegen § 97 (vgl. § 97, 141). Inwieweit Fehler bei der Durchsuchung sich auf die Rechtmäßigkeit der im Zusammenhang mit der Durchsuchung erfolgten Beschlagnahme auswirken können, wird bei §105 erörtert. Zu Beschlagnahmeverboten bei sog. Zufallsfunden s. § 108. Über die Frage, ob ein Verwertungsverbot vorliegt, entscheidet im Strafverfahren das Gericht der Hauptsache unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung oder Beschlagnahme.130 Anderes gilt im Finanzverfahren. Wird im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung die Durchsuchung sowie die Beschlag-
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BGH NJW 2001 3793. Meyer-Goßner 7, 32. BGHSt 51 285; BGH NStZ 2012 104; vgl. aber auch BGH wistra 2010 231; LG Heilbronn StV 2005 380. Ebenso BGH NStZ 1985 262; AG Offenbach StV 1991 406; AG Offenbach StV 1993 406; LG Darmstadt StV 1993 573; zustimmend AK/Amelung 37. Vgl. BVerfGE 42 237 zum gesetzlichen Richter. Ebenso im Ergebnis Fezer FS Rieß 93, 102 unter Aufgabe der entgegenstehenden Meinung StV 1989 290, 295. Deshalb hätte z.B. bei dem der Entscheidung OLG Stuttgart NJW 1977 2276 zugrundeliegenden Fall ein Verwertungsverbot angenommen werden
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müssen. Dort wurde in den (verschlossenen) Wohn- und Geschäftsräumen einer im Urlaub abwesenden Rechtsanwältin durchsucht und beschlagnahmt. BGH NStZ 1983 375. BGHSt 24 125, 130; LG Bonn NJW 1981 293; LG Arnsberg ZIP 1984 889; LG Bremen wistra 1984 241; KK/Nack Vor § 94, 11; vgl. auch Gössel NJW 1981 654. KG StV 1985 404; LG Köln StV 1983 36. BVerfGE 44 353, 383; vgl. auch den Sachverhalt LG Köln StV 1983 275, wo weniger einschneidende, wenn auch aufwendigere Mittel nicht angewandt wurden. Amelung NJW 1991 2533, 2539; Weiler GedS Meurer 395, 415.
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nahme nach den §§ 98, 102, 105 StPO angeordnet, so obliegt die Prüfung, ob diese Maßnahme mangels Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist, nicht den Finanzbehörden, sondern dem Amtsgericht und dem im Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO zuständigen Landgericht. Wird der Beschluss des Amtsgerichts nicht angefochten oder die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen, entfaltet die Durchsuchungsanordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass den Steuergerichten eine nochmalige Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses verwehrt ist und sie für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung auszugehen haben. Umgekehrt kann ein Verwertungsverbot aus der Rechtswidrigkeit einer verfahrensmäßig gesondert zu beurteilenden Ermittlungsmaßnahme nur dann abgeleitet werden, wenn die Maßnahme in dem dafür vorgesehenen Verfahren für rechtswidrig erklärt worden ist.131 2. Revision. Die Revision kann nicht auf einen Verstoß gegen § 98, sondern nur da- 78 rauf gestützt werden, dass das Beweismittel nicht hätte verwertet werden dürfen. Entscheidend ist also, welche Folgen rechtliche Fehler bei der Beschlagnahme auf die Verwertbarkeit des Beweismittels haben. Diese rechtlichen Mängel können dem Beschlagnahmevorgang unmittelbar anhaften, sie können sich aber auch nur mittelbar auswirken, wenn etwa die Durchsuchung, die zur Beschlagnahme geführt hat, fehlerhaft war. Ablehnung von Anträgen. Die Ablehnung der Beschlagnahme durch das erkennende 79 Gericht kann die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) verletzen und die Revision begründen, wenn das Urteil auf einem durch die Ablehnung herbeigeführten Beweismangel beruht. Auf die unterlassene Aufhebung einer Beschlagnahmeanordnung kann die Revision nicht gestützt werden, sondern nur auf die Verwendung eines Gegenstands als Beweismittel, der wegen eines Beweisverbots nicht als Beweismittel hätte verwendet werden dürfen.
IX. Abgeordnete 1. Abgeordnete. Für Abgeordnete gelten aufgrund von Art. 46 GG und entsprechen- 80 den Bestimmungen der Länder Besonderheiten, soweit sich Strafverfolgungsmaßnahmen gegen diese richten.132 Ermittlungshandlungen in Strafverfahren gegen Dritte werden in Art. 46 GG grundsätzlich nicht geregelt, weil es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund bzw. um ein personenbezogenes Strafverfolgungshindernis handelt.133 Insoweit ist aber die Bedeutung eines Eingriffs in die Sphäre des Abgeordneten für dessen Mandat und für die gesamte Arbeit des Parlaments im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Das Grundgesetz bestimmt zur Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG) und Immunität 81 (Art. 46 Abs. 2–4 GG) zum Schutz vor Beeinträchtigungen der parlamentarischen Tätigkeit der Abgeordneten und damit zur Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages Folgendes: 131
BFH Beschlüsse vom 29. Januar 2002 – VIII B 91/01 –; vom 10. März 1992 X B 18/91, BFH/NV 1992, 367; vom 17. Mai 1995 I B 118/94, BFHE 177, 242, BStBl. II 1995 S. 497.
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Einzelheiten in den jeweiligen Spezialkommentaren; vgl. auch Ciolek-Krepold 326 ff. Zur Rechtsnatur Walter Jura 2000 496, 498 f.
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(1) Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen. (2) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. (3) Die Genehmigung des Bundestages ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten gemäß Artikel 18 erforderlich. (4) Jedes Strafverfahren und jedes Verfahren gemäß Artikel 18 gegen einen Abgeordneten, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf Verlangen des Bundestages auszusetzen.
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Ist ein Abgeordneter Beschuldigter, so ist er vorbehaltlich der Genehmigung der Strafverfolgung durch das Parlament durch Art. 46 Abs. 3 GG, der auch für die Mitglieder des Europäischen Parlaments gilt, und die entsprechenden Vorschriften der Länderverfassungen vor Beschlagnahmen (und Durchsuchungen)134 geschützt, denn bereits diese Maßnahmen sind ein „zur Verantwortung ziehen“ im Sinne des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG. Unter den Immunitätsschutz fällt bereits das Ermittlungsverfahren als solches. Der Schutz wirkt für die Dauer des Mandats, gegebenenfalls also auch für „mitgebrachte Verfahren“ wegen strafbarer Handlungen vor Erwerb des Abgeordnetenmandats. Nach Ende des Mandats ist die Strafverfolgung wieder möglich.135 Allerdings haben der Deutsche Bundestag und einige Länderparlamente in ständiger 83 parlamentarischer Praxis jeweils für die laufende Wahlperiode im Voraus in die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete wegen verfolgbarer Taten außerhalb der parlamentarischen Tätigkeit (Art. 46 Abs. 2 GG) eingewilligt,136 es sei denn, es handle sich um Beleidigungen politischen Charakters (Art. 46 Abs. 1 Satz 2 GG).137 Diese allgemeine Genehmigung erfasst nicht die Erhebung der öffentlichen Klage und freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren (s.a. Nr. 191–192a RiStBV). Die generelle Genehmigung der Strafverfolgung ist allerdings widerruflich.138 Bei der Auslegung dieser allgemeinen Genehmigung sind Zweifel aufgetreten, ob 84 Durchsuchung und Beschlagnahme bei einem Abgeordneten eine freiheitsbeschränkende Maßnahme139 im Sinne des Art. 46 Abs. 3 GG oder entsprechender Bestimmungen der Länder darstellt und damit einer parlamentarischen Einzelgenehmigung bedarf. Deshalb stellen Landesparlamente durch eine entsprechende Fassung der allgemeinen Genehmigung sinnvollerweise klar, ob auch Durchsuchungen und Beschlagnahmen, die gegen Abgeordnete gerichtet sind, einer besonderen Entscheidung des Parlaments bedürfen. Dies gilt auch für unaufschiebbare Sicherungsmaßnahmen, wie § 111a. 134
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Vgl. aber zur Zulässigkeit einer Durchsuchung einer KG, deren Kommanditist Abgeordneter ist, LG Arnsberg BB 1974 1134. BGH NJW 1992 701. Ranft ZRP 1981 271 ff.; Walter Jura 2000 496, 501; zur Verfassungsmäßigkeit der generellen Genehmigung Schulz DÖV 1991 448 ff.
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Benfer/Bialon Rn. 570. Vgl. zur Wiederherstellung der Immunität Gatzweiler StraFo 1998 15 f. Zur Freiheitsbeschränkung aufgrund von § 81a als Festnahme OLG Bremen NJW 1966 743 ff.; OLG Oldenburg NJW 1966 1764 ff.
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Diese Beschränkungen gelten nicht, wenn der Abgeordnete bei Begehung der Tat140 85 oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird (vgl. Art. 46 Abs. 2 GG). Damit ist, wie sich aus Art. 46 Abs. 3 GG ergibt, nur eine Freiheitsentziehung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung, insbesondere also die Untersuchungshaft, gemeint. 2. Verfolgung Dritter. Bei Strafverfolgung von Dritten sind Ermittlungshandlungen, 86 die in die Sphäre von Abgeordneten eingreifen, grundsätzlich nicht durch Art. 46 GG oder die entsprechenden Bestimmungen der Länder beschränkt, denn durch Ermittlungshandlungen im Verfahren gegen Dritte wird der Abgeordnete nicht selbst „zur Verantwortung gezogen“ (Art. 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG). Der Abgeordnete ist aber durch das Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot aus Art. 47 GG geschützt. Die Vorschrift lautet: Die Abgeordneten sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken unzulässig.
Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren, in welchem dem Mit- 87 arbeiter eines Bundestagsabgeordneten Geheimnisverrat nach § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB vorgeworfen worden war, durch Urteil v. 30. Juli 2003 (BVerfGE 108 251 ff.) wichtige Fragen grundsätzlich entschieden. Der Gesetzgeber hat auf diese Entscheidung durch eine umfassende Neuregelung des Beschlagnahmeverbots in § 97 Abs. 4 mittels des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes bei Abgeordneten vom 26. Juni 2009 (BGBl. I S. 1597) reagiert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu dieser Vorschrift verwiesen.
§ 98a (1) 1Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, daß eine Straftat von erheblicher Bedeutung 1. auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geldoder Wertzeichenfälschung, 2. auf dem Gebiet des Staatsschutzes (§§ 74a, 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes), 3. auf dem Gebiet der gemeingefährlichen Straftaten, 4. gegen Leib oder Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder die persönliche Freiheit, 5. gewerbs- oder gewohnheitsmäßig oder 6. von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen worden ist, so dürfen, unbeschadet §§ 94, 110, 161, personenbezogene Daten von Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen, mit anderen Daten maschinell abgeglichen werden, um Nichtverdächtigte auszuschließen oder Personen festzustellen, die weitere für die Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen. 2Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre.
140
Vgl. zu einem Trunkenheitsverkehrsdelikt mit der Folge einer freiheitsbeschränkenden
Maßnahme aufgrund von § 81a OLG Bremen NJW 1966 743 ff.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
(2) Zu dem in Absatz 1 bezeichneten Zweck hat die speichernde Stelle die für den Abgleich erforderlichen Daten aus den Datenbeständen auszusondern und den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. (3) 1 Soweit die zu übermittelnden Daten von anderen Daten nur mit unverhältnismäßigem Aufwand getrennt werden können, sind auf Anordnung auch die anderen Daten zu übermitteln. 2Ihre Nutzung ist nicht zulässig. (4) Auf Anforderung der Staatsanwaltschaft hat die speichernde Stelle die Stelle, die den Abgleich durchführt, zu unterstützen. (5) § 95 Abs. 2 gilt entsprechend. Schrifttum zu den §§ 98a bis 98c Achelpöhler/Niehaus Rasterfahndung als Mittel zur Verhinderung von Anschlägen islamistischer Terroristen in Deutschland, DÖV 2003 49; Arloth Buchbesprechung, CR 1998 574; Atzbach Polizeiliche Informationsverarbeitung, Kriminalistik 2001 323; Bär Beschlagnahme von Computerdaten CR 1996 645 und 744; ders. Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, MMR 2008 215; Bernsmann/Jansen Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrolle – Ein systematischer Überblick, StV 1998 217; Bischof Europäische Rasterfahndung, KJ 2004 361; Boll Rechtspolitik im Meinungsstreit, Kriminalistik 1992 66; Brodowski Der „Grundsatz der Verfügbarkeit“ von Daten zwischen Staat und Unternehmen, ZIS 2012 474; Dahm Die Übermittlung von Sozialdaten für die Durchführung eines Strafverfahrens, WzS 2008 44; Diercks Der verfassungsrechtlich anstößige Begriff „Täter“ im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1999 311; Gerling/Langer/Roßmann Rechtsgrundlagen zur Rasterfahndung, DuD 2001 746; Graf Rasterfahndung und organisierte Kriminalität (1997); Gropp Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, ZStW 105 (1993) 405; Hassemer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG), KJ 1992 64; Haverkamp Präventive Rasterfahndung: Ein effektives Instrument der Terrorismusbekämpfung? HumFoR 2009 105; Hefendehl Die Entfesselung des Strafverfahrens über Methoden der Nachrichtendienste, GA 2011 209; Herold Rasterfahndung – eine computergestützte Fahndungsform der Polizei, Recht und Politik 1985 84; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG, NStZ 1992 457; ders. Über Vernichtungsregelungen in der StPO NStZ 1997 371; Hübner OK-Bekämpfung in Österreich – Strafrechtsnovelle regelt Lauschangriff und Rasterfahndung, Kriminalistik 1998 770; Krey/Haubrich Zeugenschutz Rasterfahndung Lauschangriff Verdeckte Ermittler, JR 1992 309; Krüger Das OrgKG – Ein Gesetz unter falscher Flagge, Kriminalistik 1992 594; Löwe-Krahl Banken und Rasterfahndung? PStR 2000 251; Möhrenschlager Das OrgKG – eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281 und 326; Moritz Unzulässige Rasterfahndung, PStR 2000 249; ders. Bankenfälle – Rechtssicherheit – quo vadis?, Praxis Steuerstrafrecht 2001 122; Morré/Bruns Einfluß verdeckter Ermittlungen auf die Struktur des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, FS BGH 581; Petri Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht; ders. Auskunftsverlangen nach § 161 StPO gegenüber Privaten – eine verdeckte Rasterfahndung? StV 2007 266; Radtke Aktive Mitwirkungspflichten und die „freiwillige“ aktive Mitwirkung des Betroffenen bei dem Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten im Strafprozess, FS Meyer-Goßner 321; Rauschenberger Zur Reichweite des Fernmeldegeheimnisses, Kriminalistik 2006 328; Rieß Neue Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, NJ 1992 491; ders. Die „Straftat von erheblicher Bedeutung“ als Eingriffsvoraussetzung – Versuch einer Inhaltsbestimmung, GA 2004 623; Rogall Rasterfahnung in Zeiten des Terrorismus, GS Schlüchter 632 ff.; Schnabel Zur Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch maschinellen Abgleich von Kreditkartenabrechnungen – Mikado, CR 2009 384; Siebrecht Rasterfahndung; ders. Rechtsprobleme der Rasterfahndung, CR 1996 545; Steinberg Auskunftsersuchen nach § 93 AO und „Rasterfahndung“ seitens der Steuerfahndung, DStR 2008 1718; Thommes Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß aus der Sicht des Datenschutzes, StV 1997 657; Vahle Datenerhebung und Datenverarbeitung nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, DuD 1993 74; ders. Besondere (technische) Datenerhebungsbefugnisse für Zwecke der Strafverfolgung
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 98a
und Straftatenprävention, Deutsche Verwaltungspraxis (DVP) 2001 343; Volkmann Die Verabschiedung der Rasterfahndung als Mittel der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, Jura 2007 132; Wanner Die negative Rasterfahndung (1985); Wittig Schleppnetzfahndung, Rasterfahndung und Datenabgleich, JuS 1997 961; Weising Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen der Terrorabwehr (2009). Schrifttum zur Ermittlung im Internet (Auswahl) s. Rn. 45
Entstehungsgeschichte. Die §§ 98a und 98b zur Rasterfahndung sowie § 98c zum Datenabgleich wurden durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG)1 vom 15. Juli 1992 in die StPO eingeführt. Das Gesetz trat am 22. September 1992 in Kraft. Zuvor hatte man Rasterfahndungen auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 161, 1632 oder §§ 94, 96, 104, 103, 1103 bzw. auf das Polizeirecht gestützt. Angesichts des Volkszählungsurteils des BVerfG4 hielt man jedoch eine spezialgesetzliche Regelung für erforderlich. Zur Änderung des § 98b durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 20075 vgl. die Kommentierung dort. Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Personenbezogene Daten . . . . b) Fremde Daten . . . . . . . . . c) Maschineller Datenabgleich . . d) Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden . . . . . . e) Einsatzziel . . . . . . . . . . . 3. Funktionsweise der Rasterfahndung 4 Grundrechtseingriff . . . . . . . .
1
. . . .
1 2
. . . . . .
3 4 5
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II. Materielle Voraussetzungen (Absatz 1) . 1. Straftatenkatalog . . . . . . . . . . . a) Straftat auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geld- oder Wertzeichenfälschung (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . b) Straftat auf dem Gebiet des Staatsschutzes (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . c) Straftat auf dem Gebiet der gemeingefährlichen Straftaten (Absatz 1 Satz 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . d) Straftaten gegen Leib oder Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder
15 16
Rn. die persönliche Freiheit (Absatz 1 Satz 1 Nr. 4) . . . . . . . . . . . e) Gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangene Straftaten (Absatz 1 Satz 1 Nr. 5) . . . . . . . . . . . f) Von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 6) . . Straftat von erheblicher Bedeutung . Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . .
III. Mitwirkungspflicht der datenführenden Stelle (Absatz 2 bis 4) 1. Pflicht zur Aussonderung und Übermittlung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übermittlung nicht benötigter Daten 3. Unterstützungspflicht . . . . . . . 4. Kostenerstattung . . . . . . . . . .
.
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21
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24 27 28 29 31
. . . .
32 33 34 35
IV. Ordnungs- und Zwangsmittel (Absatz 5) . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. 3. 4. 5.
17
18
V. Verwertungsverbote 19
BGBl. I S. 1302. Zur Entstehungsgeschichte des OrgKG vgl. Hilger NStZ 1992 457; Möhrenschlager wistra 1992 281; Siebrecht Rasterfahndung 27–34.
2 3 4 5
. . . . . . . . . . .
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VI. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1. LR/G. Schäfer 24 § 94, 17. BVerfGE 65 1 = NJW 1984 419. BGBl. I S. 3198.
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§ 98a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
VIII. Verwandte Regelungen und Fahndungsmethoden 1. Polizeigesetze . . . . . . . . . . . . . 2. DNA-Reihenuntersuchungen . . . . .
Rn. 3 Auswertung beschlagnahmter Datenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlungen im Internet . . . . . . .
40 41
42 43
I. Allgemeines 1
Die §§ 98a und 98b befassen sich mit der sog. Rasterfahndung. Diese Ermittlungsmethode nutzt – ebenso wie etwa der Datenabgleich nach § 98c oder die sogenannte Schleppnetzfahndung nach § 163d 6 – die Möglichkeiten der automatisierten Datenverarbeitung für Zwecke der Strafverfolgung.7
2
1. Begriff. Rasterfahndung ist ein automatisierter (maschineller) Vergleich (Abgleich) personenbezogener Daten, die – für andere Zwecke als Strafverfolgung erhoben – in Dateien anderer Stellen als Strafverfolgungsbehörden gespeichert sind, mit Hilfe fallspezifischer kriminalistischer (tätertypischer) Prüfungskriterien (Raster).8 2. Anwendungsbereich
3
a) Die Vorschrift betrifft „personenbezogene Daten von Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich (je nach dem Ermittlungsstand des Verfahrens)9 zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen“. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener). Täter10 im Sinne dieser Vorschrift sind auch Anstifter und Gehilfen.11 Die Prüfungsmerkmale, auf die sich die Ermittlungen erstrecken sollen, müssen nach Lage des Einzelfalles (§ 98b Abs. 1 Satz 5) auf den Täter vermutlich zutreffen, weil nur mit Hilfe solcher Merkmale ein Hinarbeiten auf die Personen denkbar ist, die das nach kriminalistischen Erfahrungen festgelegte „Verdächtigungsprofil“ erfüllen12 (vgl. die Beispiele Rn. 9). Eine generelle Beschränkung auf „unsensible Daten“, etwa Name, Anschrift und Geburtsdatum,13 ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen; sie ist auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift (vgl. Rn. 7 zum Einsatzziel) nicht zu vereinbaren, da sie im Einzelfall den Erfolg der Rasterfahndung gefährden könnte. Es ist Aufgabe des Gerichts bzw. im Eilfall des Staatsanwaltes, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall zu prüfen, welche Daten benötigt werden (vgl. § 98b Abs. 1 Satz 5). Einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis rechtfertigt § 98a nicht. Soweit dort ein Datenabgleich erforderlich sein sollte, sind nur §§ 100a ff., insbesondere § 100g, anwendbar.14
6
7 8 9
Zu Gemeinsamkeiten der drei genannten Fahndungsmethoden Wittig, JuS 1997 961, 970. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 36. Hilger NStZ 1992 457, 460. G. Schäfer Rn. 432 mit folgenden Beispielen: Name, Anschrift, äußeres Erscheinungsbild, Beruf, Eigentum an einem bestimmten Auto.
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10
11 12 13 14
Kritisch zur Verwendung des Begriffs „Täter“ im Ermittlungsverfahren: Diercks AnwBl. 1999 311; Egon Müller FS Müller-Dietz 567. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 37; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 16. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 37. So Siebrecht CR 1996 545, 551. BGH (ER) NStZ 2002 107.
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§ 98a
b) §§ 98a, 98b regeln nur den Abgleich von für die Strafverfolgungsbehörden frem- 4 den Daten. Aus Absatz 2 (Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden) und dem Vergleich mit § 98c, der den Abgleich von durch die Strafverfolgungsbehörden bereits erhobener und gespeicherter Daten betrifft, ergibt sich, dass §§ 98a, 98b nur für solche Daten gilt, die nicht bereits zuvor bei den Strafverfolgungsbehörden angefallen sind.15 Auch bei Daten, die – hinsichtlich der vorliegenden prozessualen Tat –16 als Beweismittel beschlagnahmt oder nach § 110 (Durchsicht von Papieren bei der Durchsuchung) bzw. § 16117 (Ermittlungsgeneralklausel der Staatsanwaltschaft) in die Verfügungsgewalt der Strafverfolgungsbehörden gelangt sind, gelten die Beschränkungen der Vorschriften über die Rasterfahndung nicht („unbeschadet §§ 94, 110, 161“). Diese Ausnahme darf aber nicht so weit ausgelegt werden, dass dadurch die Vorschriften zur Rasterfahndung (insbesondere hinsichtlich der Beschränkung auf Katalogtaten und des Richtervorbehaltes) leerlaufen. Im Interesse des effektiven Grundrechtsschutzes ist im Zweifelsfall von einer Rasterfahndung auszugehen. Hat etwa die auf der Grundlage des § 161 ein Ermittlungsverfahren führende Staatsanwaltschaft von einem geschädigten Unternehmen freiwillig Dateien mit den Namen aller Angestellten erhalten, unter denen sich vermutlich auch der Täter befindet, und sollen diese mit anderen Dateien maschinell abgeglichen werden, so liegt eine typische Rasterfahndung vor, die den Beschränkungen der §§ 98a, 98b unterliegt. Dagegen liegt keine Rasterfahndung vor, wenn die Strafverfolgungsbehörden (bei Übergabe nicht elektronisch gespeicherte) Auskünfte zu speziellen Täter-Daten erhält oder über Beschlagnahme/Auswertung in den Besitz von Dateien mit insgesamt beweisgeeignete Daten gelangen.18 c) Ein maschineller Datenabgleich („mit anderen Daten maschinell abgeglichen wer- 5 den“) liegt unabhängig davon vor, ob die Datenträger freiwillig oder erst aufgrund des Anordnungsbeschlusses herausgegeben worden sind, so dass auch im ersteren Fall die Beschränkungen der §§ 98a, 98b beachtet werden müssen. Dagegen unterfällt die von Hand vorgenommene Auswertung von Karteien nicht diesen Vorschriften. Der Handabgleich ist als einfacher Ermittlungsvorgang nach §§ 161, 163 zulässig.19 Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass er keinen Massenabgleich von Daten ermöglicht und daher in der Regel nur wenige beschlagnahmefähige, weil beweisgeeignete Daten erfasst.20 d) Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden. Die §§ 98a, 98b gelten 6 nicht, wenn die ersuchten Stellen nach den für sie geltenden Gesetzen selbst einen Datenabgleich durchführen.21 Das gilt auch dann, wenn die speichernden Stelle auf Veranlassung der Strafverfolgungsbehörden zulässig Daten abgleicht. Solche Ermittlungsmaßnahmen sind (zulässig) auf § 161 Abs. 1 StPO zu stützen.22 § 98a erfasst nämlich nur den Datenabgleich, der unter der Verantwortung und im Herrschaftsbereich der Strafverfol-
15 16
17
Wittig JuS 1997 961, 968. Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 78 weist darauf hin, dass auch § 98c nicht zur Umgehung der strengeren Vorschriften zur Rasterfahndung herangezogen werden darf. Ist in einem Strafverfahren eine Datei als Beweismittel beschlagnahmt worden und enthält sie Daten, die für ein anderes Verfahren Ausgangspunkt einer Rasterfahndung sein können, so sind insoweit §§ 98a, 98b zu beachten. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus
18 19 20 21 22
nennen Hilger NStZ 1992 457, 460; MeyerGoßner 8, Pfeiffer 4 und Wittig JuS 1997 961, 969 hier neben §§ 94, 110, 161 auch den § 163. Hilger NStZ 1992 457, 460 Fn. 60. Siebrecht CR 1996 545, 550; MeyerGoßner 8. Hilger NStZ 1992 457, 460. BVerfGK 15 71, 77; Hilger NStZ 1992 457, 460 Fn. 60. BVerfGK 15 71, 78 f.
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gungsbehörden vorgenommen wird.23 Welche Stelle innerhalb der Strafverfolgungsbehörden für die Rasterfahndung zuständig ist, regeln die §§ 98a, 98b nicht. Rein tatsächlich dürfte dies – wegen der bedauerlicherweise geringeren technischen Ausstattung von Gerichten und Staatsanwaltschaften – in der Regel die Polizei sein. Dies ändert allerdings nichts am Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft und an der Verfahrensherrschaft des Gerichts nach Anklageerhebung.
7
e) Einsatzziel ist es nach Absatz 1 Satz 1, entweder „Nichtverdächtigte auszuschließen“ (sog. negative Rasterfahndung) oder „Personen festzustellen, die weitere für die Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen“ (sog. positive Rasterfahndung). Bei der positiven Rasterfahndung werden solche Personen ermittelt, bei denen sich tätertypische Merkmale kumuliert finden.
8
3. Funktionsweise der Rasterfahndung. Die computergestützte Suche der Strafverfolgungsbehörden in fremden Datenbeständen nach einem noch unbekannten Täter kann mit positiven oder negativen Suchkriterien arbeiten. Eine positive Rasterfahndung liegt zum Beispiel vor, wenn die Polizei mit positiven Merkmalen wie Größe, Haarfarbe und Gestalt des mutmaßlichen Täters die Träger dieser Merkmale (die Schnittmenge) aus einer Datei herausfiltert. Negative Rasterfahndung bedeutet demgegenüber, aus einem Datenbestand alle Personen herauszulöschen, die als Täter nicht in Betracht kommen können. Dazu ein Beispiel im Zusammenhang mit der Fahndung nach Mitgliedern der terro9 ristischen Vereinigung RAF: Im Jahre 1979 wurde der Polizei bekannt, dass die RAF in Frankfurt am Main eine oder mehrere unter Falschnamen angemietete konspirative Wohnungen hatte, deren genaue Lage unbekannt war. Da die Terroristen aus Gründen der Tarnung die Stromrechnung nicht von Konto zu Konto bezahlen konnten, war anzunehmen, dass ihre Falschnamen sich in der Gruppe derer befinden müssten, die ihre Stromrechnung bar bezahlten. Dies waren seinerzeit etwa 18 000 Personen. Nun wurden alle vermutlich legalen Namensträger aus der Menge der bar zahlenden Stromkunden getilgt („ausgerastert“), bis nur noch Träger von Falschnamen übrig blieben. Aus dem richterlich beschlagnahmten Magnetband aller bar zahlenden Stromkunden wurden dazu alle Personen ausgesondert, deren Namen als sehr wahrscheinlich legale Namen galten: die gemeldeten Einwohner, die Kfz-Halter, die Rentner, die BAföG-Bezieher, die im Grundbuch verzeichneten Eigentümer, die Brandversicherten, die gesetzlich Krankenversicherten und so weiter – jede Datei diente dabei als sog. Radiergummi. Erst als anzunehmen war, dass alle legalen Namen herausgelöscht sein würden, wurde der Datenrestbestand (auch „Destillat“ oder – weniger schön – „Bodensatz“ genannt)24 ausgedruckt. Im Frankfurter Fall fanden sich am Ende der allerdings auch manuell unterstützten Prozedur nur noch zwei (Falsch-)Namen: der eines Rauschgifthändlers und der eines gesuchten Terroristen, der in der so ermittelten konspirativen Wohnung kurz darauf festgenommen wurde.25 Zur technischen Durchführung: Ausgangspunkt sind die Vorgaben der Strafverfol10 gungsbehörden, welche Daten benötigt werden. In der Regel betrifft dies den Vor- und Nachnamen, das Geburtsdatum, die Anschrift und zusätzliche Unterscheidungsmerkmale,
23
Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 37. Ebenso Siebrecht CR 1996 545, 550, der ausführt, als „Abgleichstelle“ kämen nur die Staatsanwaltschaft und die strafverfolgend tätige Polizei in Betracht.
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24 25
Wanner 20. Herold (von 1971–1981 Leiter des Bundeskriminalamtes) RuP 1985 84, 91 sowie in Der Spiegel vom 8. September 1986, Heft 37 S. 49; vgl. auch Graf 115 und Wanner 29.
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wie etwa „männlich“ und „Student“. Diese Informationen sind möglicherweise in den bei den betreffenden datenführenden Stellen vorhandenen elektronischen Datenbeständen enthalten (etwa in sog. relationalen Datenbanken, d.h. Datenbanken, in denen die Informationen miteinander verknüpft und in Tabellen abgelegt sind mit unterschiedlichen Spalten für den Namen, das Geschlecht usw.). Nach bestimmten Suchkriterien werden nun für diese elektronischen Datenbestände spezifische Abfragen formuliert. Probleme kann es dabei etwa geben, wenn Namen aufgrund von Übersetzungs- oder Eingabefehlern falsch geschrieben sind und so nicht erkannt werden kann, dass etwa der Student Paul Meier mit dem am selben Tag geborenen Halter eines roten Porsche namens Paul Maier identisch ist. Der „herausgefilterte“ Datenrestbestand wird nun in eine separate Datei übertragen, dort mit anderen Datenbeständen abgeglichen (u.U. nach Umwandlung in ein kompatibles Format) und die Schnittmenge anschließend ggf. ausgedruckt. Neben diesen recht einfachen Abfragen werden zukünftig wohl komplexere Ermittlun- 11 gen zunehmen, etwa das Durchforsten von bei privaten Unternehmen in elektronischer Form vorliegendem Bildmaterial (man denke an Fotolabore, private Überwachungskameras, Fotos aus Personalunterlagen, Fernsehanstalten usw.), Schriftproben und gespeicherte Telefonanrufe (Stimmproben-Vergleich etc.), der elektronische Abgleich von „Phantombildern“ mit Fotos von erkennungsdienstlich behandelten Personen26 usw. 4. Grundrechtseingriff. Mit der Rasterfahndung verbunden ist ein Eingriff in das 12 Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in einer Vielzahl von Fällen.27 Zu bedenken ist dabei, dass Daten eines in der Regel recht großen Kreises von Personen herangezogen werden, die sich nicht verdächtig gemacht haben und die nur – zufällig – bestimmte tätertypische Merkmale erfüllen.28 Auch für sich gesehen wenig sensible (belanglose) Daten können dabei durch ihre Verknüpfung „Persönlichkeitsbilder“ entstehen lassen, denen eine Grundrechtsrelevanz nicht abgesprochen werden kann.29 Teilweise wird daher die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz verneint. Bemängelt wird etwa der Umstand, dass der unübersichtliche Straftatenkatalog gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße und zudem auch Straftatbestände enthalte, die für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig seien.30 Andere bemängeln, aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seien hohe Anforderungen an die Einsatzvoraussetzungen zu stellen; ob der Gesetzgeber dem ausreichend Rechnung getragen habe, sei angesichts der dehnbaren in §§ 98a, 98b genannten materiellen Voraussetzungen höchst zweifelhaft.31 In seinem grundlegenden Volkszählungs-Urteil hat das Bundesverfassungsgerichts aus- 13 geführt:32 „Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des 26 27 28 29
Zum „Versuchsprojekt Sigma“ s. Zima/ Zeiner Kriminalistik 1982 593. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 36. Stellungnahme der Bundesregierung zum E-OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 56. Vgl. BVerfGE 65, 1, 45: „Insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ,belangloses‘ Datum mehr.“
30 31 32
Siebrecht CR 1996 545, 548. Graf 295 und 311. Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 = BVerfGE 65, 1, 43 f. = NJW 1984 419, 422; vgl. außerdem BVerfGE 113 29 ff.
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einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Dieses ,Recht auf informationelle Selbstbestimmung‘ ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über seine Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Grundgesetz hat … die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden. Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 I GG … einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Angesichts der … Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber … auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.“
14
Diesen Anforderungen genügen die Bestimmungen zur Rasterfahndung. Zwar gerät zunächst eine Vielzahl von Unbeteiligten in die Rasterfahndung. Die ersten maschinellen „Aussiebungsvorgänge“ sind aber mit keinen spürbaren Belastungen für die Dateninhaber verbunden. Erst die verbleibenden, zur „Restmenge“ gehörenden geraten in den eigentlichen strafrechtlichen Kontrollprozess. Hierbei handelt es sich – denn nur so macht die Rasterfahndung aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden Sinn – um eine relativ geringe Anzahl von Personen. Die Beeinträchtigung der Rechte dieser Personen auf informationelle Selbstbestimmung ist bei anders nicht aufklärbaren (vgl. den Subsidiaritätsgrundsatz Absatz 1 Satz 2) Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ (Absatz 1 Satz 1) zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich. Dabei ist im Auge zu behalten, dass der Schutz der Allgemeinheit durch die Strafrechtspflege von großer, etwa das Interesse an der zwangsweisen Erhebung von statistischen Daten (Volkszählung) noch übersteigender Bedeutung ist. Durch die Verfahrensvorschriften des § 98b sind organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen vorhanden, die der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Datenträger entgegenwirken.
II. Materielle Voraussetzungen (Absatz 1) 15
Materielle Voraussetzungen für die Anordnung einer Rasterfahndung sind: es muss der Anfangsverdacht einer Katalogtat bestehen, dabei muss es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln; die Subsidiaritätsklausel darf nicht eingreifen und die Maßnahme muss nach allgemeinen Grundsätzen verhältnismäßig sein.
16
1. Straftatenkatalog. Der weit33 gefasste, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende34 Katalog35 stimmt weder mit dem engeren des § 110a (Verdeckte Ermittler;
33
Es hätte der Rechtsklarheit gedient und zu keinem erheblich größeren Eingriff in die betroffenen Grundrechte geführt, wenn man
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den Straftatenkatalog gänzlich gestrichen und dafür die Voraussetzung „Straftat von erheblicher Bedeutung“ stärker betont hätte.
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die dort unter Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 angeführten Katalogtaten sind wortgleich mit § 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 und 6) noch – was nahe gelegen hätte – mit dem des § 100a (Überwachung der Telekommunikation) überein. Von den Katalogtaten erfasst werden – wenn sie strafbar sind – auch der Versuch36 und der Versuch der Beteiligung (§ 30 StGB). Unerheblich ist, ob der Gesuchte als Täter oder Teilnehmer mitgewirkt hat.37 a) Straftat auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, 17 der Geld- oder Wertzeichenfälschung (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1). Betäubungsmittelstraftaten sind solche nach §§ 29, 29a, 30 und 30a BtMG. Der Waffenverkehr bezieht sich nicht nur auf §§ 52a, 53 WaffG; erfasst werden u.a. auch das AWG und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Zu den Delikten der Geld- und Wertzeichenfälschung gehören die im 8. Abschnitt des StGB zusammengefassten §§ 146 bis 152a StGB. Die Umschreibung, es seien nicht nur genau bestimmte Straftaten auf einem bestimmten Gebiet, sondern „alle auf diesem Gebiet begangenen Straftaten“ erfasst,38 darf nicht dahingehend verstanden werden, dass allein schon ein Zusammenhang mit Betäubungsmittelstraftaten usw. ausreicht. Dies wäre mit dem Wortlaut und der Umgrenzungsfunktion des Straftatenkatalogs nicht mehr zu vereinbaren. So darf allein zur Aufklärung von Wohnungseinbrüchen, die vermutlich von Rauschgiftsüchtigen begangene Beschaffungskriminalität darstellen, keine Rasterfahndung angeordnet werden (vgl. jedoch Abs. 1 Nr. 5 und 6). b) Straftat auf dem Gebiet des Staatsschutzes (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2). Insoweit ver- 18 weist die Vorschrift auf weitere Straftatenkataloge und zwar in § 74a GVG, der die Zuständigkeit der Staatsschutzkammern regelt, und § 120 GVG, der die erstinstanzliche Zuständigkeit der Staatsschutzstrafsenate bei den Oberlandesgerichten betrifft. Dadurch kommt es zu unübersichtlichen Kettenverweisungen: § 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 verweist u.a. auf § 120 GVG, der seinerseits u.a. auf § 129a StGB verweist, der sich auf mehr als ein Dutzend weiterer Straftatbestände bezieht.39 Die früher vom Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Holstein Bäumler 40 vertretene Einschränkung, im Bereich der Staatsschutzdelikte des § 74a GVG komme eine Rasterfahndung nur in Betracht, wenn der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernehme, ist nicht zwingend, da einerseits für die Zuständigkeit des Bundes auf die Bedeutung für den Gesamtstaat abzustellen ist 41 (mithin eine auf ein Bundesland beschränkte besondere Bedeutung – anders als bei § 98a – nicht ausreicht) und andererseits die Gerichte an die Beurteilung des Generalbundesanwalts nicht gebunden sind (kein Beurteilungsspielraum des Generalbundesanwalts).42
34 35
36 37 38 39
Grunst GA 2002 214, 219. Graf S. 87 und BTDrucks. 12 2720 S. 45: „Generalklausel mit katalogartigen Grenzen“. Pfeiffer 2. Meyer-Goßner 7; Pfeiffer 2. Früher SK/Rudolphi 8. Kritisch dazu im Hinblick auf das Gebot der Normenklarheit Siebrecht CR 1996 545, 547. Nach Graf S. 90 hat die Einbeziehung des § 129a StGB nicht zur Folge, dass alle in dieser Vorschrift genannten Straftatbestände
40
41 42
in den Anwendungsbereich der Rasterfahndung fallen. Das betrifft allerdings nur den in § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB genannten § 305a StGB (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel). Alle übrigen in § 129a Abs. 1 StGB genannten Delikte unterfallen dem Straftatenkatalog des § 98a Abs. 1 Nr. 3 und 4. Früher Bäumler in Lisken/Denninger3 Rn. J 270; weniger streng jetzt wohl Petri in Lisken/Denninger Rn. G 535. BGH NStZ 2001 265, 269. BGH NStZ 2001 265, 269.
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c) Straftat auf dem Gebiet der gemeingefährlichen Straftaten (Absatz 1 Satz 1 Nr. 3). Insoweit handelt es sich um einen Verweis auf den 28. Abschnitt des StGB.43 Zu den dort angeführten Straftaten (§§ 306 bis 323c) gehören etwa die Brandstiftungs- und Verkehrsdelikte sowie der Vollrausch und die unterlassene Hilfeleistung. Angesichts der amtlichen Überschrift des 28. Abschnitts, der Unbestimmtheit des Begriffs „gemeingefährlich“ und der Weite des Straftatenkataloges sind Delikte des StGB außerhalb des 28. Abschnitts (der bereits mehr Straftaten erfasst als die betreffende Aufzählung in § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s StPO) nicht als „gemeingefährliche Straftaten“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Im Gegenteil bietet § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s einen Anhalt dafür, was unter einer gemeingefährlichen Straftat „von erheblicher Bedeutung“ verstanden werden kann. Zur Abgrenzung ist dort von Bedeutung, dass unter Gemeingefahr die Gefahr der Schädigung einer Vielzahl (noch) unbestimmter Personen oder erheblicher Sachwerte zu verstehen ist.44
20
d) Straftaten gegen Leib oder Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder die persönliche Freiheit (Absatz 1 Satz 1 Nr. 4). Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung enthält der 13. Abschnitt des StGB (§§ 174 bis 184b), gegen das Leben und den „Leib“ (die körperliche Unversehrtheit) sowie die persönliche Freiheit der 16. bis 18. Abschnitt (§§ 211 bis 241a).45 Erfasst werden auch die Straftaten im Amt nach §§ 340, 343, 345 StGB oder § 30 WStG, da diese eine „einfache“ Körperverletzung, Nötigung bzw. Freiheitsberaubung beinhalten. Denn der Sinn des Straftatenkataloges ist nicht, die Zahl der betroffenen Delikte willkürlich zu begrenzen, sondern vielmehr, die mit der Rasterfahndung verbundenen Grundrechtseingriffe nur bei klar abgrenzbaren und gewichtigen Straftaten zuzulassen. Entsprechendes muss auch für andere Delikte gelten, die neben zusätzlichen qualifizierenden Tatbestandsmerkmalen eine der Katalogtaten umfassen46 (etwa für den Raub, der sich aus Diebstahl und Nötigung zusammensetzt; geschütztes Rechtsgut ist dort dementsprechend neben dem Eigentum auch die persönliche Freiheit). Anders als bei Nummer 3 (gemeingefährliche Straftaten) erscheint bei Nummer 4 die Umschreibung der betroffenen Delikte genügend konkret, um eine solche weitergehende Auslegung zu ermöglichen.
21
e) Gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangene Straftaten (Absatz 1 Satz 1 Nr. 5). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift werden von dem Straftatenkatalog alle Delikte erfasst, sofern sie gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen wurden; mithin ist nicht erforderlich, dass die betreffenden Delikte die Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit – wie etwa bei § 260 StGB – als Tatbestandsmerkmal oder – wie etwa bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB – als Regelbeispiel enthalten47 (Entsprechendes gilt für Nummer 6).
22
aa) Gewerbsmäßigkeit im Sinne eines besonderen persönlichen Merkmals nach § 28 Abs. 2 StGB liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu
43 44 45 46
So auch BTDrucks. 12 2720 S. 40. Vgl. auch BGHSt 38 353, 355; 43 346, 350. BGHSt 51 25, 28. Dementsprechend hat BGH Urteil vom 22. August 1996 – 5 StR 680/94 den schweren Raub (§ 250 StGB) als eine „Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 98a
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47
StPO“ bezeichnet und damit indirekt wohl auch als Katalogtat im Sinne dieser Vorschrift. Ebenso KK/Nack 13; § 110a, 18. Vgl. aber auch die Nachweise zu Absatz 1 Nr. 6 (Bande).
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verschaffen. Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig zu werten. Unerheblich ist auch, ob die Taten unmittelbar oder lediglich mittelbar als Einnahmequelle dienen sollen, wobei ein bloß mittelbarer Vorteil nur dann ausreicht, wenn der Täter ohne weiteres darauf zugreifen kann oder sich selbst geldwerte Vorteile aus den Taten über Dritte verspricht. Gewerbsmäßigkeit setzt ein zumindest mittelbar eigennütziges Handeln voraus.48 bb) Gewohnheitsmäßig begangene Straftaten liegen vor, wenn sich durch Übung 23 (mehrfache Begehung) ein selbständig fortwirkender Hang zur wiederholten Tatbegehung ausgebildet hat,49 mithin die „Macht der Gewohnheit“ den Täter zur Fortsetzung drängt. f) Von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen (Absatz 1 24 Satz 1 Nr. 6). aa) Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von zumindest drei Personen 25 voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen.50 Ein von der früheren Rechtsprechung teilweise geforderter „gefestigter Bandenwille“,51 ein Zusammenwirken mehrerer Bandenmitglieder am Tatort oder ein Tätigwerden in einem „übergeordneten Bandeninteresse“52 ist dabei – wie der Große Senat für Strafsachen 200153 klargestellt hat – nicht erforderlich. Da insoweit lediglich ein Anfangsverdacht bestehen muss (vgl. Rn. 28), ist auch weder notwendig, dass die Mitwirkung von wenigstens drei Personen bereits feststeht, noch, dass dieser Verdacht sich im späteren Strafverfahren bestätigt. Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, ist es – anders als im materiellen Strafrecht (etwa bei § 244 StGB, der nur Raub und Diebstahl betrifft) – unerheblich, welches Delikt begangen werden soll; eine Katalogtat im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur bei der Verwirklichung von Bandendelikten (etwa §§ 244, 244a, 250, 260, 260a StGB, § 373 AO, §§ 30 und 30a BtMG, § 19 KWKG, § 52a WaffG) vor (str.).54 Vielmehr können alle Delikte eine Katalogtat im Sinne dieser Vorschrift darstellen, wenn sie im Einzelfall von erheblicher Bedeutung (dazu unten Rn. 27) und von einem Bandenmitglied begangen worden sind. Die Tat muss mithin zumindest mittelbar einem Bandenmitglied (das Täter, Anstifter oder Gehilfe ist) zurechenbar sein. Die unmittelbare Tatausführung kann dabei etwa auch einem schuldlosen Werkzeug oder einem nicht der Bande angehörenden Gehilfen überlassen werden. Die Tat muss zudem im Zusammenhang mit der Bandentätigkeit begangen werden (keine Exzesstat). Nicht erforderlich ist, dass es sich um ein Delikt handelt, zu dessen Begehung sich die Bande gebildet hatte. Die Rasterfahndung kann also z.B. auch der Aufklärung erheblicher Sachbeschädigungen dienen, die eine Diebesbande zur Bestrafung einiger „Aussteiger“ begangen hat. bb) Das Merkmal „in anderer Weise organisiert“ knüpft – wie § 110a Abs. 1 Satz 1 26 Nr. 4 – an den Begriff der „Organisierten Kriminalität“ (OK) an. Unter OK wird eine
48 49 50 51
St. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGHSt 57 14. BGHSt 15 377, 379 zur Kuppelei nach § 180 a.F. StGB. BGH Beschl. vom 22. März 2001 – GrSSt 1/00 = BGHSt 46 321, 325. So u.a. noch BGH NStZ 1996 339, 340 und BGH BGH NStZ 2001 32.
52 53 54
Vgl. BGHSt 42 255, 259. BGHSt (GrSSt) 46 321, 325. Wie hier: Möhrenschlager wistra 1992 326 (327); Siebrecht Rasterfahndung 114; a.A. Meyer-Goßner 6 und Pfeiffer 2.
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von Gewinnstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten durch mehrere Beteiligte verstanden, die auf längere Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher und geschäftsähnlicher Strukturen zusammenwirken; dazu gehören auch Taten, die dem Machtaufbau und dem Machterhalt der Organisation dienen.55 Bei dieser Auffangvorschrift 56 ist – anders als bei der Bande und der kriminellen Vereinigung, die sich teilweise mit der OK überschneiden – grundsätzlich ein (eher seltenes) Zusammenwirken von nur zwei Personen ausreichend. Als Auslegungshilfe können die in der Anlage zu den RiStBV aufgeführten OK-Indikatoren dienen.57 Für das Vorliegen einer organisierten Tatbege55 56
57
BRDrucks. 219/91 S. 78. Als „Auffangtatbestand“ wird diese Regelung auch von Hilger NStZ 1992 457, 460 Fn. 6; Meyer-Goßner 6 und Pfeiffer 2 bezeichnet. Anlage zu den Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität = Anlage zu den RiStBV: Generelle Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte Vorbereitung und Planung der Straftat – präzise Planung – Anpassung an Markterfordernisse durch Ausnützen von Marktlücken, Erkundungen von Bedürfnissen u.ä. – Arbeit auf Bestellung – hohe Investitionen, z.B. durch Vorfinanzierung aus nicht erkennbaren Quellen Ausführung der Straftat – professionelle, präzise und qualifizierte Tatausführung – Verwendung verhältnismäßig teurer, unbekannter oder schwierig einzusetzender wissenschaftlicher Mittel und Erkenntnisse – Tätigwerden von Spezialisten (auch aus dem Ausland) – arbeitsteiliges Zusammenwirken Verwertung der Beute aus der Straftat – stark profitorientiert – Rückfluß in den legalen Wirtschaftskreislauf – Veräußerung im Rahmen eigener (legaler) Wirtschaftstätigkeiten – Maßnahmen der Geldwäsche Konspiratives Täterverhalten – Gegenobservation – Abschottung – Decknamen – Codierung in Sprache und Schrift Täterverbindungen/Sprachzusammenhänge – überregional
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– national – international Gruppenstruktur – hierarchischer Aufbau – ein nicht ohne weiteres erklärbares Abhängigkeits- und Autoritätsverhalten zwischen mehreren Tatverdächtigen – internes Sanktionierungssystem Hilfe für Gruppenmitglieder – Fluchtunterstützung – Beauftragung bestimmter Anwälte und deren Honorierung durch Dritte – Mitführen von vorbereiteten Vertretungsvollmachten für Rechtsanwälte – hohe Kautionsangebote – Bedrohung und Einschüchterung von Prozeßbeteiligten – Unauffindbarkeit von Zeugen – typisches ängstliches Schweigen der Betroffenen – überraschendes Auftreten von Entlastungszeugen – Betreuung in der Untersuchungshaft/Strafhaft – Versorgung von Angehörigen – Wiederaufnahme nach der Haftentlassung Korrumpierung – Einbeziehung in den luxuriösen Lebensstil der Täter – Herbeiführen von Abhängigkeiten (z.B. durch Sex, verbotenes Glücksspiel, Zinsund Kreditwucher) – Zahlung von Bestechungsgeldern, Überlassung von Ferienwohnungen, Luxusfahrzeugen usw. Monopolisierungsbestrebungen – „Übernahme“ von Geschäftsbetrieben und Teilhaberschaften – Führung von Geschäftsbetrieben durch Strohleute – Kontrolle bestimmter Geschäftszweige (Casinos, Bordelle) – „Schutzgewährung“ gegen Entgelt
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hung können etwa eine „geschäftsmäßige Auftragsverwaltung“, eine genaue gemeinsame Buchführung, die arbeitsteilige und gleichberechtigte Abwicklung von Akquisition, Vermittlungstätigkeit und Forderungseinziehung, gegenseitige Kontrolle, gegenseitiger Schutz und das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse Indikatoren sein.58 Typisch mag ein komplexes und aufwändiges Täuschungssystem sein, das die systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum bezweckt.59 Zu denken ist dabei nicht nur an die Mafia, Schutzgelderpressungen und dergleichen. Eine organisierte Begehung von Straftaten liegt auch im Bereich der Wirtschaftsstrafsachen häufig vor, wenn etwa große Unternehmen über Jahre hinweg Submissionsabsprachen treffen,60 systematisch Ausfuhrverbote umgehen61 oder Steuern hinterziehen. 2. Straftat von erheblicher Bedeutung. Es muss sich um eine Straftat von erheblicher 27 Bedeutung handeln. Damit verwendet das Gesetz denselben Begriff wie bei § 100g und bei § 110a sowie in §§ 81g, 163e und § 163f. Der Begriff findet sich auch in den meisten Landespolizeigesetzen, soweit diese den Einsatz Verdeckter Ermittler regeln, und war schon vom Bundesratsentwurf des OrgKG (in der 11. Wahlperiode) unter Rückgriff auf den Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1989 (dort § 163e Abs. 1) verwendet worden.62 Hier – wie etwa bei § 110a – tritt er als weitere Voraussetzung zu einem Katalog nicht gerade unbedeutender Straftaten. Daraus folgt, dass es auf das Gewicht der Tat im Einzelfall ankommt und darauf, in welchem Ausmaß diese geeignet ist, den Rechtsfrieden zu stören. Wie der Katalog zeigt, braucht die Tat kein Verbrechen zu sein. Nach überwiegender Auffassung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.63 Erhebliche Bedeutung wird bei Delikten, die als Strafe (auch) lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, stets,64 bei einer nur fahrlässig begangenen bloßen Trunkenheitsfahrt kaum jemals vorliegen. Die Forderung, es müsse sich dabei zumindest um „mittlere Kriminalität“ handeln,65 hilft allerdings nicht weiter. Zu beachten ist dabei, dass auch Straftaten der Massenkriminalität – etwa der Diebstahl bestimmter Autoradios oder Autoteile – Bestandteil organisierter Kriminalität 66 und damit besonders gefährlich und durchaus von erheblicher Bedeutung sein können. Anhaltspunkt kann etwa sein, dass für vergleichbare Straftaten auch bei Ersttätern Freiheitsstrafen verhängt werden.67 Die Ein-
58
59 60 61 62 63
Öffentlichkeitsarbeit – gesteuerte und tendenziöse Veröffentlichungen – auffälliges Mäzenatentum u.a. bei Sportveranstaltungen – gezieltes Suchen von Kontakten zu Personen des öffentlichen Lebens. Vgl. BGH StV 1998 599, der diese Indikatoren als Hinweise auf einen damals für das Vorliegen einer Bande für erforderlich gehaltenen „gefestigten Bandenwillen“ ansieht. BGHSt 53 311, 320. So z.B. im Fall BGHSt 38 186. Vgl. etwa BGH DtZ 1997 382. Möhrenschlager wistra 1992 326, 327; der Text des StVerfÄndG 1988 in StV 1989 172. BTDrucks 13 10791 S. 5; Meyer-Goßner 5; Senge NJW 1999 253; vgl. Auch Möhren-
64
65 66 67
schlager wistra 1992 326, 327; Hilger NStZ 1992 457 Fn. 93; BVerfGE 103 21, 34; 112 304. BGH Urteil vom 22. August 1996 – 5 StR 680/94 bezeichnet auch den schweren Raub (§ 250 StGB) als „eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 98a StPO“. Unklar bleibt, ob sich dies nur auf den entschiedenen Einzelfall (vollendeter schwerer Raub mit einer ungeladenen Pistole und umgerechnet rund 40.000 € Beute) bezog. Meyer-Goßner 5; HK/Gercke 13. Vgl. Möhrenschlager wistra 1992 326, 327. Vgl. Graf S. 94 („Straftaten mit Seriencharakter“) und 198. Ähnlich aber strenger KK/Nack – § 110a, 21: „Ein handhabbares Abgrenzungskriterium ist die Überlegung, ob wegen der Tat Anklage
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schränkung, die Schwere des Unrechts und die Störung des Rechtsfriedens 68 müsse gerade durch die Elemente und Strukturen der organisierten Kriminalität zumindest mitgeprägt sein, ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Ansonsten wären auch bis auf Nummer 6 („in anderer Weise organisiert“) alle anderen Fälle des Straftatenkatalogs überflüssig. In den Fällen mittlerer Kriminalität ist dabei das besondere Maß des Unrechts nach 27a Lage des konkreten Einzelfalls entscheidend, wobei es nicht so sehr auf den abstrakten Charakter des Straftatbestandes, sondern auf Art und Schwere der jeweiligen konkreten Tat gemäß der Verdachtslage bei Anordnung der Maßnahme ankommt. Die Beeinträchtigung des Rechtsfriedens oder der Rechtssicherheit kann sich etwa daraus ergeben, dass durch die Straftat bedeutsame Rechtsgüter, wie z.B. Leib, Leben, Gesundheit oder fremde Sachen von bedeutendem Wert verletzt werden. Nach Lage des Einzelfalles können auch Eigentums- oder Vermögensdelikte mittlerer Kriminalität die genannten Voraussetzungen erfüllen, insbesondere wenn es sich um Straftaten mit Seriencharakter und entsprechend erheblichem (Gesamt-)Schaden für die Allgemeinheit handelt. Daneben können auch die vom Bundesverfassungsgericht und dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Beschreibung besonders gefährlicher Kriminalität herangezogenen Merkmale69 zur Begriffsbestimmung herangezogen werden.
68
69
beim LG oder OLG erhoben werden müsste.“ Diese Auffassung dürfte nach der Erweiterung des Strafbanns der Amtsgerichte auf Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren (§ 24 GVG) nicht zutreffen. Zum Erfordernis der Störung der Rechtsfriedens vgl. Graf 94 sowie Gropp ZStW 105 (1993) 405, 409 Fn. 18. BVerfGE 57 250, 284; BGHSt 32 115, 120: „Die Entwicklung der Kriminalität im mittleren und schweren Bereich in den vergangenen Jahren … lässt vielmehr auch eine qualitative Veränderung insoweit erkennen, als in verstärktem Maße kriminelle Organisationen in Erscheinung treten, durch die die Verbrechensaufklärung wesentlich erschwert wird. Dies gilt insbesondere auf dem Gebiet des Rauschgifthandels, bei Straftaten im Zusammenhang mit dem „Nachtgewerbe“, im Hinblick auf die Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge, für Diebstähle in großem Ausmaß, teilweise auf Bestellung, auf dem Hintergrund eines organisierten Hehlerrings, für die Herstellung und Verbreitung von Falschgeld sowie beim illegalen Waffenhandel. Die Vorgehensweise der Täter im Rahmen dieses „organisierten Verbrechens“ ist darauf angelegt, die Hauptpersonen möglichst nicht nach außen in Erscheinung treten zu lassen. Die Polizei kann mit herkömm-
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lichen Ermittlungsmethoden bei derart organisierten Gruppierungen häufig nur solche Straftäter überführen, die innerhalb der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielen. Da diese Straftäter in der Regel beliebig austauschbar und ersetzbar sind, werden die kriminellen Aktivitäten der Organisation durch eine Aufdeckung der Taten dieser Randfiguren im Kern nicht gestört, zumal die Randtäter in der Regel keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation haben. Unvermeidbare Mitwisser werden im übrigen mittels Schweigegeldern oder durch Drohung und Einschüchterung davon abgehalten, ihre Wahrnehmungen weiterzugeben. Wird ein Einzeltäter gefaßt und in Haft genommen, gewährt die Organisation den bedürftigen Familienangehörigen häufig materielle Unterstützung und übernimmt die Verteidigerkosten, um auf diese Weise Gefügigkeit zu erreichen und der Offenbarung von Wissen, das die Organisation betrifft, vorzubeugen. Der Erfolg der Verbrechensbekämpfung hängt daher letztlich davon ab, inwieweit die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierenden Drahtzieher der Begehung von Straftaten überführt werden können …“
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3. Tatverdacht. Hinsichtlich der Katalogtat müssen „zureichende tatsächliche An- 28 haltspunkte“ vorliegen. Ausreichend ist also ein „Anfangsverdacht“70 im Sinne des insoweit wortgleichen § 152 Abs. 2. Dieser Anfangsverdacht muss sich in der Regel lediglich auf eine konkrete Tat beziehen und nicht bereits auf einen konkreten Täter, da ein solcher zumeist mit Hilfe der Rasterfahndung erst ermittelt werden soll. Nur selten wird bereits ein namentlich bekannter Beschuldigter vorhanden sein, wenn etwa mit Hilfe der Rasterfahndung dessen Aufenthaltsort ermittelt werden soll (vgl. das Beispiel Rn. 9). 4. Subsidiaritätsgrundsatz.71 Die Zulässigkeit der Rasterfahndung hängt nach Absatz 1 29 Satz 2 davon ab, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise „erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre“. Die Erfolgsaussichten der Rasterfahndung ist also mit denen anderer Maßnahmen zu vergleichen. Eine wesentliche Erschwerung liegt vor, wenn mit anderen Aufklärungsmitteln (deren Vorschriften keine entsprechende Subsidiaritätsklausel enthalten) erheblich mehr Zeit aufgewendet werden müsste oder diese zu wesentlich schlechteren Erkenntnissen über die Tat führen würden. Für die Frage, welches von mehreren zur Verfügung stehende Aufklärungsmitteln in Betracht kommt, gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,72 bei dem es auch eine Rolle spielen kann, welche Maßnahme den Betroffenen härter trifft.73 Der Kostenaufwand darf grundsätzlich keine Rolle spielen, es sei denn, er wäre so groß, dass er die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall sprengt. Vergleichbare, allerdings anders formulierte Subsidiaritätsklauseln sind auch in den 30 Vorschriften über die Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§ 100a Abs. 1 Nr. 3; dort allerdings: „wesentlich erschwert oder aussichtslos“), die heimliche Observation (§ 100c Abs. 1 Nr. 4; dort: „unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos“) oder den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a Abs. 1 Satz 3: „aussichtslos oder wesentlich erschwert“) enthalten. Der Wortlaut der Vorschrift zur Rasterfahndung entspricht dem der Subsidiaritätsklauseln in § 100c Abs. 2 Satz 2, § 163e Abs. 1 Satz 2. Er ist schwächer als der Begriff „aussichtslos“. Zum Konflikt mehrerer solcher Subsidiaritätsklauseln und zur zulässigen Reihenfolge entsprechender eingriffsintensiver Ermittlungshandlungen vgl. die Kommentierung dort. 5. Verhältnismäßigkeit. Der bei der vorliegenden grundrechtsrelevanten (s.o. Rn. 12 ff.) 31 Fahndungsmaßnahme verfassungsrechtlich gebotene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Gesetz bereits bei der Schaffung des Straftatenkatalogs, beim Erfordernis einer Straftat von erheblicher Bedeutung und beim Subsidiaritätsgrundsatz Ausdruck gefunden hat, ist – auch wenn er nur selten eine über diese Bedingungen hinausgehende Bedeutung haben dürfte – in jedem Einzelfall als zusätzliche einschränkende Voraussetzung zu beachten. Dabei ist das konkrete strafrechtliche Gewicht der jeweils zu verfolgenden Tat (s. oben Rn. 27), das Maß des Tatverdachts (insbesondere im Hinblick auf die nach dem Datenabgleich verbleibenden Personen) und der erwartete Erfolg gegen die Intensität des Eingriffs abzuwägen.
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KK/Nack 10; Pfeiffer 2; Graf/Ritzert 2. Dies entspricht der Stellungnahme der Bundesregierung zum E-OrgKG, BTDrucks. 12 989 S. 57. Kritisch zu den Subsidiaritätsklauseln MeyerGoßner ZRP 2000 345, 348; umfassend dazu Rieß GedS Meyer 367 ff.
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BGHSt 42 139, 143. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 37 und Möhrenschlager wistra 1992 326, 327 sowie KK/Nack 14. Zur Problematik solcher Subsidiaritätsklauseln vgl. Meyer-Goßner ZRP 2000 345, 348; umfassend Rieß GedS Meyer 367 ff.
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III. Mitwirkungspflicht der datenführenden Stelle (Absatz 2 bis 4) 32
1. Pflicht zur Aussonderung und Übermittlung. Durch Absatz 2 wird der Dateninhaber – eine öffentliche oder private Stelle bzw. genauer der Gewahrsamsinhaber – verpflichtet, die für den Abgleich erforderlichen Daten aus seinem Datenbestand herauszufiltern und den Strafverfolgungsbehörden nur diesen beschränkten Datensatz zu übermitteln. Darin ist für die ersuchte Stelle allerdings keine Ermächtigung zu sehen, neue Daten zum Zwecke der vorgesehenen Rasterung zu erheben.74 Die Speicherstelle muss also aus den bereits bei ihr vorhandenen Datensätzen oder Dateien die benötigten herausfiltern und zu einer oder mehreren separaten Dateien zusammenfassen und diese dann körperlich oder per Datenfernübertragung an die Strafverfolgungsbehörden oder die von diesen benannte (und überwachte) sonstige Auswertungsstelle übermitteln. Die Art der Übermittlung ist im Gesetz nicht vorgeschrieben; aus Absatz 4 ergibt sich, dass der Staatsanwaltschaft insoweit ein Wahlrecht zusteht. Auch Zeugnisverweigerungsberechtigte (§§ 52 ff.) dürfen zur Herausgabe aufgefordert werden; bei Angehörigen ist jedoch eine Belehrung über die Folgenlosigkeit der Herausgabeverweigerung erforderlich; vgl. § 95, 15 (zu Anordnungsverboten vgl. § 98b, 17–19).
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2. Übermittlung nicht benötigter Daten. Ist die nach Absatz 2 den Regelfall darstellende Aussonderung der nicht benötigten Daten nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, so können nach Absatz 3 auch diese Daten – wenn eine entsprechende gesonderte richterliche oder staatsanwaltliche Anordnung vorliegt – zusammen mit den erforderlichen Daten „unsortiert“ den Strafverfolgungsbehörden übergeben werden. Nach Absatz 3 Satz 2 dürfen diese nicht benötigten Daten nicht (etwa für die Aufklärung anderer Straftaten, die keine Katalogtat darstellen oder für die keine Anordnung im Sinne des § 98b vorliegt) genutzt werden. Stellt sich nachträglich heraus, dass auch diese Daten für die Rasterfahndung benötigt werden, so ist eine neue (ergänzende) Anordnung i.S.d. § 98b erforderlich.
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3. Unterstützungspflicht. Nach Absatz 4 hat die speichernde Stelle die Stelle, die den Abgleich im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden durchführt, zu unterstützen. Eine richterliche Anordnung ist dazu nicht erforderlich, es könnte jedoch der Klarstellung dienen, wenn dies deklaratorisch in den Anordnungsbeschluss aufgenommen würde. In Betracht kommt etwa die Übersetzung der herauszugebenden Dateien in ein kompatibles Format oder die Eröffnung des Zugriffs auf Daten, die aus Gründen des Datenschutzes oder zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen verschlüsselt sind. Den Strafverfolgungsbehörden müssen ggf. Hardware, Software, Passwörter, Spezialwissen und/oder Personal zur Verfügung gestellt werden. Eine Verpflichtung zur aktiven Unterstützung besteht nicht hinsichtlich des Beschuldigten (nemo-tenetur-Prinzip).75
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4. Kostenerstattung. Für die Mitwirkung durch Aussonderung der Daten und Unterstützung der abgleichenden Stelle enthält § 23 Abs. 2 bis 4 JVEG eine Entschädigungsregelung.
74 75
Hilger NStZ 1992 457, 460. Vgl. BGHSt 34, 39, 46 – „Stimmprobe“; BGHSt (GrSSt) 42, 139, 151 f. – „Hörfalle I“. Zur Durchsuchung von Banken im Zusammenhang mit der Zinsabschlagsteuer:
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Radtke Aktive Mitwirkungspflichten und die „freiwillige“ aktive Mitwirkung des Betroffenen bei dem Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten im Strafprozeß FS MeyerGoßner 321.
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IV. Ordnungs- und Zwangsmittel (Absatz 5) Die Mitwirkungspflicht der datenführenden Stelle (Absatz 2 bis 4) kann mit Zwang 36 durchgesetzt werden. Insoweit ist gemäß Absatz 5 die zur Durchsetzung der Herausgabepflicht dienende Vorschrift des § 95 Abs. 2 entsprechend anwendbar, die wiederum auf § 70 (Zeugnisverweigerung ohne gesetzlichen Grund) verweist. Nach Absatz 5 i.V.m. § 95 Abs. 2 Satz 2 ist gegen Zeugnis- und Aussageverweigerungsberechtigte (§§ 52 ff.) kein Zwang zulässig. Dies betrifft u.a. den tatverdächtigen Zeugen (§ 55); aber auch der Beschuldigte darf nicht zur Herausgabe oder Mitwirkung gezwungen werden. Wird unzulässig Zwang ausgeübt, so kann daraus ein Verwertungsverbot abgeleitet werden. Die Anordnungszuständigkeit ist in § 98b Abs. 2 geregelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung der genannten Vorschriften verwiesen.
V. Verwertungsverbote 37
Ein Nutzungsverbot enthält Abs. 3 Satz 2 (oben Rn. 33). Im Übrigen s. § 98b, 27.
VI. Rechtsschutz 38
S. dazu § 98b, 28 ff.
VII. Revision 39
S. dazu § 98b, 33.
VIII. Verwandte Regelungen und Fahndungsmethoden 1. Polizeigesetze. Auch im BKA-Gesetz (dort § 20j) und in den Polizeigesetzen der 40 Länder finden sich Spezialvorschriften zur Rasterfahndung, so etwa bzgl. NordrheinWestfalen in § 31 PolG NRW 76 und bzgl. Sachsen in § 47 SächsPolG.77 Sie sind teilweise strenger (etwa hinsichtlich der ausschließlich richterlichen Anordnungskompetenz in § 31 PolG NRW). Diese polizeigesetzlichen Vorschriften finden nur Anwendung, wenn die Rasterfahndung ausschließlich der präventiven Gefahrenabwehr dient.78 Hat sie repressiven Charakter, so sind selbst im Falle einer „Gemengelage“79 nur die Regelungen der StPO anwendbar.
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77
PolG NW in der Fassung vom 25. Juli 2003 (GV NRW 2003 S. 441), § 31 PolG in der Fassung seit dem 24. Februar 2010. Polizeigesetz des Freistaates Sachsen vom 13. August 1999 (Sächs. GVBl. 1999 466), § 47 PolG in der Fassung seit dem 1. Januar 2013. Zur Rasterfahndung im SächsPolG auch der SächsVerfGH JZ 1996, 957, 968 f., der u.a. keine Bedenken dagegen hat, dass die Rasterfahndung dort nicht der richter-
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lichen Anordnung bzw. Bestätigung unterliegt. Vahle DVP 2001 343 meint, eine Rasterfahndung zur Gefahrenabwehr sei nur sehr schwer denkbar. So BGHSt 45 321, 337, 47 44 zur Tatprovokation durch eine Vertrauensperson (VP) der Polizei. Zu anderen Differenzierungen vgl. Vahle DuD 1993 74, 77.
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2. Zu DNA-Reihenuntersuchungen vgl. die Erläuterung zu § 81h.80
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3. Auswertung beschlagnahmter Datenträger. Unberührt von der Rasterfahndung und ihren Einschränkungen bleibt die Möglichkeit der Auswertung von Datenträgern des Beschuldigten oder Dritter, wenn diese als Beweismittel nach §§ 94 ff. beschlagnahmt wurden81 (s. oben Rn. 4). Zur Behandlung von Datenträgern s. § 94, 14; § 95, 5. Auch die Auswertung von Karteien von Hand unterfällt nicht dem § 98a.
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4. Ermittlungen im Internet. Für die Benutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen in Datennetzen durch Strafverfolgungsbehörden genügen als Rechtsgrundlagen die allgemeinen Vorschriften §§ 161, 163 bzw. bei präventiver Tätigkeit der Polizei die Generalklauseln der Polizeigesetze. Eine spezielle Befugnisnorm ist nicht erforderlich, da es an einem Eingriff in grundrechtliche Schutzbereiche fehlt.82 Die Verfasser der Dateien und die Betreiber der betreffenden elektronischen Einrichtungen haben sich mit dem Zugriff beliebiger Dritter einverstanden erklärt, indem sie den freien Zugriff auf die Informationen eröffnet haben. Dies gilt bei der bloßen Abfrage auch für den vom Inland aus vorgenommenen Zugriff auf frei zugängliche Rechner, die sich im Ausland befinden.83
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Schrifttum zur Ermittlung im Internet (Auswahl) Bär Strafverfahrensrechtliche Aspekte der Online-Kommunikation in: Kröger/Gimmy Handbuch zum Internetrecht 2000; von Bubnoff in LK 11. Aufl. Nachtrag zum StGB §§ 130, 131 – Krimineller Missbrauch internationaler Computernetze durch inhaltsbezogene Straftaten; Flore/ Schwedtmann Beschlagnahmefreiheit von E-Mails, PStR 2000 87; Gercke, Straftaten und Strafverfolgung im Internet, GA 2012 474; Jofer Strafverfolgung im Internet (1999); Kröger/Gimmy Handbuch zum Internet-Recht (2000); Kudlich Strafprozessuale Probleme des Internets, JA 2000 227; Kudlich Altes Strafrecht für Neue Medien? Jura 2001 305; Lorch Ermittlungen im Internet Kriminalistik, 2001 328; Obenhaus, Cloud Computing als neue Herausforderung für Strafverfolgungsbehörden und Rechtsanwaltschaft, NJW 2010 651; Sieber Verantwortlichkeit im Internet – Technische Kontrollmöglichkeiten und multimediarechtliche Regelungen – Zugleich eine Kommentierung von § 5 TDG und § 5 MDStV (1999); Zöller Verdachtslose Recherchen und Ermittlungen im Internet, GA 2000 563.
§ 98b (1) 1 Der Abgleich und die Übermittlung der Daten dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. 2 Hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung getroffen, so beantragt sie unverzüglich die gerichtliche Bestätigung. 3 Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen vom Gericht bestätigt wird. 4 Die Anordnung ergeht schriftlich. 5 Sie muß den zur Übermittlung Verpflichteten bezeichnen und ist auf die Daten und Prüfungsmerkmale zu beschränken, die für den Einzelfall benötigt werden. 6 Die Übermittlung von Daten, deren Verwendung besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwen-
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Hier insbesondere jüngst BGH Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 117/12. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 36.
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Bär in Kröger/Gimmy 615 f. Jofer 190 ff.; Bär in: Kröger/Gimmy 628.
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dungsregelungen entgegenstehen, darf nicht angeordnet werden. 7Die §§ 96, 97, 98 Abs. 1 Satz 2 gelten entsprechend. (2) Ordnungs- und Zwangsmittel (§ 95 Abs. 2) dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden; die Festsetzung von Haft bleibt dem Gericht vorbehalten. (3) 1 Sind die Daten auf Datenträgern übermittelt worden, so sind diese nach Beendigung des Abgleichs unverzüglich zurückzugeben. 2 Personenbezogene Daten, die auf andere Datenträger übertragen wurden, sind unverzüglich zu löschen, sobald sie für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden. (4) Nach Beendigung einer Maßnahme gemäß § 98a ist die Stelle zu unterrichten, die für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei öffentlichen Stellen zuständig ist.
Schrifttum und Entstehungsgeschichte s. bei § 98a. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert.
Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . .
II. Anordnungskompetenz 1. Gerichtliche Anordnung . . . . . . . 2. Anordnung durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahr im Verzug . . . . . . . . . b) Gerichtliche Bestätigung . . . . . c) Keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen bei Daten, die sich in bestimmten Räumen im Pressebereich befinden . . . . . . . . . . . . . III. Form und Inhalt der Anordnung . 1. Anhörung der Beteiligten . . . 2. Schriftform . . . . . . . . . . 3. Inhalt der Anordnung a) Gewahrsamsinhaber . . . . b) Angabe der benötigten Daten c) Nicht benötigte Daten . . . d) Anordnungsbegründung . . e) Gefahr im Verzug . . . . . . f) Aussonderungs- und Unterstützungspflicht . . . . . . .
4. Anordnungsverbote . . . . . . . . . 5. Geltungsdauer . . . . . . . . . . . .
2
IV. Ordnungs- und Zwangsmittel . . . . . .
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. . . . . . . . .
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. . . . .
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Rn.
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V. Rückgabe von Datenträgern
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. . . . . .
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VII. Verwendung in anderen Strafverfahren .
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VI. Löschung von Daten
VIII. Datentransfer zwischen Polizei und Strafverfolgungsbehörden 1. Verwendung präventiv-polizeilich erlangter Erkenntnisse im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 24a 2. Verwendung strafprozessrechtlich erlangter Erkenntnisse im präventivpolizeilichen Bereich . . . . . . . . . 24e IX. Benachrichtigungs- und Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . X. Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . XI. Rechtsschutz XII. Revision
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. . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines 1
Die Vorschrift enthält die Rasterfahndung betreffende Verfahrensregelungen.
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II. Anordnungskompetenz 2
1. Die gerichtliche Anordnung stellt den Regelfall dar. Zuständig ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter (§§ 162, 169), nach Erhebung der öffentlichen Klage das mit der Sache befasste Gericht (§ 98, 8, 9). Im Ermittlungsverfahren setzt die Anordnung einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, denn es handelt sich um eine Untersuchungshandlung i.S. des § 162. Weitere Einzelheiten bei § 98, 14 bis 17. Sinn und Zweck des Richtervorbehaltes ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass 3 in erheblicher Weise in die Grundrechte von Bürgern eingegriffen werden soll, in der Regel ohne ihnen zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. So wird der Ermittlungsrichter in diesem Stadium des Verfahrens zum besonderen Sachwalter der Beschuldigtenrechte und der Rechte der Datenträger. Der Richtervorbehalt dient – gerade auch im Lichte der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG – einer Präventivkontrolle im Sinne präventiven Grundrechtsschutzes, den die Betroffenen in diesem Stadium des Verfahrens mangels Kenntnis der gegen sie gerichteten Maßnahme noch nicht einfordern können.1 Im Tätigwerden des Ermittlungsrichters liegt mithin ein Surrogat für wesentliche Verfahrensrechte der Betroffenen, die – das folgt aus der Natur der heimlichen Ermittlungsmaßnahme – vorläufig außer Kraft gesetzt sein müssen. Aufgrund dessen sind die Voraussetzungen für eine Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft eng auszulegen.
4
2. Eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft ist allenfalls in seltenen Ausnahmefällen zulässig. Dazu, dass unter den Begriff Staatsanwalt auch Bundesanwälte und Amtsanwälte fallen, s. § 98, 30. Anders als etwa bei der Beschlagnahme (§ 98) und der Durchsuchung (§ 105) ist eine Anordnung durch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen.
5
a) Gefahr im Verzug liegt vor, wenn der Erfolg der Maßnahme durch die Verzögerung, welche die Erwirkung der richterlichen Entscheidung mit sich bringen würde, gefährdet wäre.2 Die Annahme muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlusts genügt ebenso wenig wie reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen.3 Ein von den Gerichten nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungs- oder Ermessensspielraum4 besteht bei der Frage, ob der unbestimmte Rechtsbegriff „Gefahr im Verzug“ gegeben ist, nicht. Vielmehr ist auch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe von Verfassungs wegen grundsätzlich Sache der Gerichte, welche die Rechtsanwendung der Behörden insoweit uneingeschränkt nachzuprüfen haben.5 Dies ändert allerdings nichts daran, dass bei der Feststellung, ob Gefahr im Verzug vorliegt, mit erheblichen Unsicherheiten verbundene Prognoseentscheidungen getroffen werden müssen. Der daraus entstehenden „besonderen Anordnungssituation der nichtrichterlichen Organe ist bei Annahme der Gefahr im
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Schnarr NStZ 1991 209, 210. BVerfG StV 2001 207, 210; BGH JZ 1962 609, 610. BVerfG Urt. vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00 = StV 2001 207, 210, allerdings zur Durchsuchung, bei der aufgrund des in der Regel erheblicheren Grundrechtseingriffs strengere Anforderungen als bei der Rasterfahndung zu stellen sind.
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4
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BGH JZ 1962 609, 610 hatte den Polizeibeamten bei der Durchsuchung hinsichtlich der Frage, ob Gefahr im Verzuge vorliegt, noch ein Ermessen zugebilligt, das von den Gerichten nur auf Ermessensfehler überprüfbar sei. BVerfG StV 2001 207, 211.
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Verzug Rechnung zu tragen“,6 die Anforderungen dürfen mithin nicht zu streng sein. Da die Rasterfahndung in der Regel keine „ad hoc“ durchgeführte Fahndungsmethode ist,7 liegt hier Gefahr im Verzug allerdings nur selten vor. Rechtswidrig ist es, wenn die Strafverfolgungsbehörden, um die Regelzuständigkeit des Gerichts zu unterlaufen, so lange mit der Antragstellung warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist.8 b) Gerichtliche Bestätigung. Wurde die Rasterfahndung ausnahmsweise von der 6 Staatsanwaltschaft angeordnet, so muss diese nach Absatz 1 Satz 2 „unverzüglich“ die richterliche Bestätigung beantragen. Unverzüglich bedeutet, dass die Bestätigung möglichst schnell und ohne schuldhaftes Zögern, mithin vor Ablauf der Frist des Absatzes 1 Satz 3, beantragt werden muss. Die Regelung entspricht der in § 100 Abs. 2 und § 100b Abs. 1 Satz 3. Nach Absatz 1 Satz 3 tritt die Anordnung der Rasterfahndung „außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen von dem Richter bestätigt wird“. Die Frist beginnt mit der staatsanwaltlichen Anordnung der Maßnahme, nicht etwa mit dem Beginn der Maßnahme (des Einsatzes), zu laufen. Bei der Berechnung der Frist zählt der Anordnungstag gemäß § 42 nicht mit. Liegt die Zustimmung des Richters nach diesen drei Werktagen nicht vor, ist die Maßnahme zu beenden. Bei seiner Bestätigungsentscheidung entscheidet das Gericht (Rn. 2) in der Regel über 6a die Rechtmäßigkeit der durch die Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahme und über die Fortdauer der Rasterfahndung. Dabei wird die staatsanwaltschaftliche Eilentscheidung in vollem Umfang ebenso überprüft wie wenn das Gericht vom Betroffenen entsprechend § 98 Abs. 2 angerufen worden wäre9 (siehe auch dort Rn. 53). Dies gilt für die Voraussetzungen des Tatverdachts ebenso wie für die Beweiserheblichkeit der zu ermittelnden Daten, der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und der Voraussetzungen der Annahme von Gefahr im Verzug. Unabhängig davon und bezüglich der Einzelheiten der Rasterfahndung aufgrund eigener Prüfung10 entscheidet das Gericht zugleich, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt hatte, über die Fortdauer der Maßnahme. Kann eine Bestätigung nicht erfolgen, weil etwa Gefahr im Verzug zu Unrecht angenommen worden war, liegen aber jetzt die Voraussetzungen einer Rasterfahndung im Übrigen vor und beantragt die Staatsanwaltschaft deren Fortdauer, hebt das Gericht die staatsanwaltschaftlich angeordnete Maßnahme auf und erlässt einen neuen Beschluss mit Wirkung ex nunc, bei dem es inhaltlich nicht an die staatsanwaltschaftliche Eilmaßnahme gebunden ist. Zur Frage der Verwertbarkeit der bereits angefallenen Daten s. Rn. 27. Auch eine verspätete Bestätigung gilt als neue richterliche Anordnung, die mit dem Zeitpunkt des Eingangs bei der speichernden Stelle wirksam wird. Eine die späteren Verfahrensbeteiligten bindende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des bisherigen Einsatzes trifft der Richter nicht. Vielmehr bleibt diese Kontrolle dem späteren Prozessgericht vorbehalten. Das erscheint nicht zuletzt deshalb sachgerecht, weil der Betroffene an den ermittlungsrichterlichen Entscheidungen mit Blick auf das Geheimhaltungsbedürfnis nur unzureichend beteiligt werden kann. Daher sind auch durch eine staatsanwaltliche Eilanordnung erlangte Erkenntnisse trotz des Fehlens einer richterlichen Erlaubnis u.U. rechtmäßig und verwertbar.11 Dies ist etwa der Fall, wenn die Bestätigung nur deswegen nicht beantragt
6 7 8 9
BVerfG StV 2001 207, 211. Graf 196; Siebrecht CR 1996 545, 552. BVerfG StV 2001 207, 210. SK/Wohlers 5; s. dazu etwa Morree/Bruns FS BGH 581, 587.
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BGHSt 28 206, 209. Hilger NStZ 1992 457, 460 Fn. 66; Rieß NJ 1992 491, 495 Fn. 82.
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oder nicht erteilt wird, weil der Täter inzwischen gefasst worden ist. Kommt das Prozessgericht später zur Einsicht, der Einsatz sei von vorn herein rechtswidrig gewesen,12 so ist erst dann danach zu fragen, ob daraus ein Beweisverwertungsverbot für die durch die Rasterfahndung gewonnenen Erkenntnisse folgt. Näher dazu unten bei Rn. 27.
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c) Keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen bei Daten, die sich in bestimmten Räumen im Pressebereich befinden. Nicht bei jeder die Presse im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 5 und Satz 2, § 97 Abs. 5 berührenden Rasterfahndung, sondern nur dann, wenn die Daten sich in besonders sensiblen Räumen befinden, ist die Anordnung ausschließlich dem Gericht vorbehalten. Diese Ausnahmen betreffen Dateien in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt, deren Herausgabe und Abgleichung nach Absatz 1 Satz 7 i.V.m. § 98 Abs. 1 Satz 2 (ebenso wie die Beschlagnahme) nur das Gericht anordnen darf. Näheres zu den geschützten Räumen s. bei § 98, 7. Bei den Zwangsmitteln ist die Festsetzung von Haft nach Absatz 2 Halbsatz 2 in 7a Übereinstimmung mit Art. 104 Abs. 2 GG dem Richter vorbehalten.
III. Form und Inhalt der Anordnung 8
Form und Inhalt der Anordnung ergeben sich aus Absatz 1 Satz 4 und 5, die auch für die staatsanwaltliche Anordnung gelten.
9
1. Die Anhörung der Beteiligten richtet sich nach § 33. Beteiligte sind die Personen, um deren personenbezogene Daten es geht und die zur Übermittlung der Daten Verpflichteten. Eine Anhörung der Personen, deren Daten gerastert werden soll, scheitert schon daran, dass diese Personen ohne weitere Datenauswertung gar nicht individuell bekannt sind, im Übrigen stünde auch § 33 Abs. 4 entgegen, da eine vorherige Anhörung etwa einer individuell schon bekannten Person den Zweck der Anordnung gefährden würde. Der Anhörung des Verantwortlichen der speichernden Stelle steht aber nichts entgegen.13
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2. Schriftform (Absatz 1 Satz 4). Die Anordnung – auch die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft – muss schriftlich ergehen.14 3. Inhalt der Anordnung
11
a) Gewahrsamsinhaber. Nach Absatz 1 Satz 5 muss die Anordnung den zur Übermittlung Verpflichteten bezeichnen. Bei der datenführenden Stelle kann es sich auch um eine Behörde oder eine juristische Person des Privatrechts handeln. Das Herausgabeverlangen richtet sich jedoch gegen die Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft; eine lediglich an die juristische Person gerichtete Anordnung ist als Aufforderung an die vertretungsberechtigten Organe umzudeuten (s. § 95, 13).
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Nach der hier vertretenen Lösung kann das Prozessgericht Rechtswidrigkeit der Maßnahme selbst dann annehmen, wenn der Ermittlungsrichter ihr seinerzeit zugestimmt hatte.
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Pfeiffer 1. Graf/Ritzert 2.
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b) Angabe der benötigten Daten. Nach Absatz 1 Satz 5 ist zudem eine Beschränkung 12 auf die Daten und Prüfungsmerkmale vorzunehmen, die für den Einzelfall benötigt werden (s. oben § 98a, 3 und 7). c) Nicht benötigte Daten. Nach § 98a Abs. 3 ist eine ausdrückliche Anordnung 13 erforderlich, falls ausnahmsweise alle in den Dateien enthaltene Daten einschließlich der nicht für die Rasterfahndung benötigten übermittelt werden sollen. d) Anordnungsbegründung. Neben dem „Anordnungstenor“ ist auch eine Begrün- 14 dung erforderlich. Das im Ermittlungsverfahren auch als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden eingeschaltete Gericht trifft die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Anordnungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt; der Anordnungsbeschluss muss daher u.a. den Tatvorwurf möglichst genau umschreiben, damit der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Fahndungsmaßnahme durchzuführen ist.15 Eine genaue rechtliche Konkretisierung der mutmaßlichen Straftatbestände nach bestimmten selbständigen Handlungen (§ 52 bzw. § 53 StGB) kann und muss im Stadium des Beginns eines Ermittlungsverfahrens (etwa bei einer über Jahre hinweg begangenen Vielzahl von Steuerstraftaten oder Betrugstaten) nicht geleistet werden; dabei ist zu berücksichtigen, dass einzelne Umgrenzungsmerkmale des Tatvorwurfs, wie Tatzeit, Tatort oder Handlungsabläufe, von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht haben.16 e) Gefahr im Verzug. Bei der staatsanwaltlichen Eilanordnung sind zudem die den 15 Einzelfall betreffenden tatsächlichen Umstände zu dokumentieren, aus denen die Gefahr des Beweismittelverlusts (s.o. Rn. 5) hergeleitet wird.17 Allgemeine Formulierungen, die lediglich die juristische Definition von „Gefahr im Verzug“ wiedergeben, reichen nicht. f) Nicht notwendig, aber hilfreich ist es, die Aussonderungs- und die Unterstützungs- 16 pflicht des § 98a Abs. 2 und 4, die sich bereits aus dem Gesetz ergeben, zur Klarstellung in den Beschluss aufzunehmen. Soweit gefordert wird, der Beschluss müsse denjenigen nennen, der die Strafverfolgungsmaßnahmen notfalls zu unterstützen hat,18 ist zuzugestehen, dass dies vor der Ergreifung von Zwangsmitteln sicherlich erforderlich ist. Zunächst kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Mitwirkungspflicht den in der Anordnung angeführten Gewahrsamsinhaber bei der speichernden Stelle trifft, dieser die ihn treffenden Verpflichtungen aber delegieren kann. 4. Anordnungsverbote. Nach Absatz 1 Satz 6 darf die Übermittlung von „Daten, 17 deren Verwendung besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen,“ nicht angeordnet werden. Insoweit wird der Schutz besonderer Amts- und Berufsgeheimnisse sichergestellt. Regelungen, die einen gesteigerten Schutz personenbezogener Daten bewirken, z.B. das Steuer-, Sozial-, Post- oder Fernmeldegeheimnis, stehen daher – wenn sie eingreifen – einer Übermittlungsanordnung entgegen.19
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BVerfGE 96 44; 103 142; jeweils zur Durchsuchung. BVerfG Beschl. vom 14. Dezember 2001 – 2 BvR 668/01 (zur Durchsuchung).
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BVerfGE 103 142 = StV 2001 207, 211 = NJW 2001, 1121. So noch SK/Rudolphi 8. Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 37.
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Es ist u.a. auf folgende Vorschriften (einschließlich der dort ggf. geregelten Einschränkungen) zu verweisen: Bundeszentralregister: § 51 BZRG Verwertungsverbot für zu tilgende Eintragungen, Fernmeldegeheimnis: § 88 TKG, Postgeheimnis: § 39 PostG (Datenschutz § 41 PostG; vgl. auch § 206 StGB),20 Sozialgeheimnis: § 35 SGB I, §§ 67 ff. SGB X,21 Statistik: § 16 BStatG (Geheimhaltung), Steuergeheimnis: § 30 AO. Nach Absatz 1 Satz 7 gelten die Beschlagnahmeverbote gemäß § 96 (gesperrte amt19 liche Schriftstücke) und § 97 (Verteidigungsunterlagen, Heilberufe, Presse u.a.) entsprechend. Insoweit ist auf die Kommentierung der genannten Vorschriften zu verweisen. Das Übermittlungs- und Verwendungsverbot gilt nur dann nicht, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte durch freiwillige Herausgabe auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot verzichtet (vgl. § 97, 46 ff.).22
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5. Geltungsdauer. Die staatsanwaltliche Anordnung reicht drei Werktage nach ihrem Erlass für eine Weiterführung der Fahndung nicht mehr aus (Absatz 1 Satz 3). Die Maßnahme ist bereits früher zu beenden, wenn die gerichtliche Bestätigung (Rn. 6) abgelehnt wird. Erklärt das Gericht dagegen lediglich, aufgrund des Umfangs der Sache oder aus sonstigen Gründen könne es die beantragte Entscheidung nicht sogleich treffen, so wirkt die staatsanwaltliche Anordnung zunächst fort, allerdings längstens bis zum Ablauf der in Absatz 1 Satz 3 bezeichneten Frist. Die Staatsanwaltschaft ist als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ in diesem Verfahrensabschnitt nicht verpflichtet, bei vorliegender gerichtlicher Anordnung mit der Rasterfahndung unverzüglich zu beginnen. Wird die gerichtliche Anordnung jedoch über längere Zeit nicht „ausgenutzt“, so verliert sie ihre rechtfertigende Kraft, wenn sich die Sachlage geändert hat. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Durchsuchung kreierte Sechsmonatsfrist23 gilt hier aus den bei § 98 Rn. 23 erörterten Gründen nicht. Eine Rasterfahndung kann in Ausnahmefällen (wenn etwa zu ihrer Durchführung auch Informationen im Wege der Rechtshilfe eingeholt werden müssen) länger als sechs Monate andauern. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit sollte in dem Anordnungsbeschluss die maximale Geltungsdauer datumsmäßig angegeben werden. Unabhängig davon ist die Staatsanwaltschaft während des Vollzugs der Maßnahme verpflichtet zu überprüfen, ob die Anordnungsvoraussetzungen nach wie vor gegeben sind. Bei erheblichen Änderungen der Sachlage ist ggf. eine neue gerichtliche Anordnung bzw. Bestätigung einzuholen.
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§ 5 PostG, der noch in manchen Kommentaren zitiert wird, ist nicht mehr einschlägig; ebenso wenig der inzwischen aufgehobene § 10 FAG. Vgl. insbesondere § 68 SGB X: Übermittlung von Sozialdaten für Aufgaben der Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte. S. dazu Kunkel, Justiz und Sozialdatenschutz, StV 2000 531.
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Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 67; a.A. Bäumler Rn. J 292 und Siebrecht CR 1996 545, 551: auch freiwillig herausgegebene Daten, die einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, dürfen nicht für Rasterfahndungen verwendet werden. BVerfGE 96 44 = StV 1997 394 zur Durchsuchungsanordnung.
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§ 98b
IV. Ordnungs- und Zwangsmittel Insoweit ist gemäß Absatz 2 die zur Durchsetzung der Herausgabepflicht dienende 21 Vorschrift des § 95 Abs. 2 entsprechend anwendbar, die wiederum auf § 70 (Zeugnisverweigerung ohne gesetzlichen Grund) verweist. Vgl. dazu die Kommentierung der genannten Vorschriften, hinsichtlich der „Gefahr im Verzug“ s. die obige Rn. 5.
V. Rückgabe von Datenträgern Zur Rasterfahndung übergebene Datenträger sind gem. Absatz 3 Satz 1 nach Beendi- 22 gung des Abgleichs unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, zurückzugeben. Entsprechendes gilt, wenn bei einer staatsanwaltlichen Anordnung die richterliche Bestätigung abgelehnt worden ist. Einer sofortigen Rückgabe steht die noch nicht erfolgte Beendigung des Strafverfahrens nicht entgegen,24 da die Ermittlungsbehörden ggf. eigene Kopien anfertigen können, die – wenn sie noch benötigt werden – erst nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss gelöscht werden müssen. Da die Rückgabe mithin noch während des Ermittlungsverfahrens zu erfolgen hat, ist für sie ausschließlich die Staatsanwaltschaft zuständig. Sind – was der Regelfall sein dürfte – die zur Rasterfahndung übergebenen Daten keine „Originaldatenbestände“, sondern aus den Gesamtbeständen der datenführenden Stelle ausgesonderte und kopierte Teile, sind die Datenbestände im Interesse der betroffenen „ausgesonderten“ Personen vor Rückgabe des Datenträgers zu löschen.25 Dabei kann sich die Staatsanwaltschaft auf den Wortlaut des § 98b berufen, der hinsichtlich der Rückgabeverpflichtung zwischen Daten und Datenträgern unterscheidet.
VI. Löschung von Daten Falls Daten auf andere Datenträger übertragen worden sind (eigene Kopien der Er- 23 mittlungsbehörden), so sind diese gem. Absatz 3 Satz 2 unverzüglich zu löschen, sobald sie für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden. Löschen ist das Unkenntlichmachen gespeicherter personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 4 Nr. 5 BDSG). Dies dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechte der erfassten Personen (vgl. § 98a Rn. 12 ff.). Andererseits sind das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Interesse an der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und ggf. die Interessen der Verteidigung betroffen. Für eine großzügigere Löschungspraxis kann ins Feld geführt werden, dass die Daten i.d.R. notfalls erneut beschafft werden können. Die Löschung erfolgt während des Ermittlungsverfahrens im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft, die diese anzuordnen und zu überwachen hat, wobei sich die Anfertigung eines Löschungsprotokolls empfiehlt.26 Nach Anklageerhebung kann auch das mit der Sache befasste Gericht die Löschung vornehmen, wenn die Daten ihm übergeben worden sind und die Staatsanwaltschaft zustimmt oder das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Geltend gemacht werden kann der Löschungsanspruch ggf. im Rahmen des Beschwerdeverfahrens (Rn. 29a ff.). Das Löschungsgebot bezieht sich nur auf die zur Rasterfahndung zur Verfügung gestellten Ausgangsdaten bzw. die diesbezüglichen Kopien, nicht jedoch auf das
24 25
Vgl. jedoch KK/Nack 8. Bäumler Rn. J 285.
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Ergebnis des Datenabgleichs (die für die weiteren Ermittlungen aus der Rasterfahndung gezogenen Erkenntnisse).27 Zu weitgehend oder zumindest missverständlich ist daher die Forderung, auch „zwischenzeitlich erstellte konventionelle Datenträger wie Computerausdrucke, schriftliche Aufzeichnungen etc., (seien) zu bereinigen bzw. zu vernichten“.28
VII. Verwendung in anderen Strafverfahren 24
Die durch den Abgleich erlangten personenbezogenen Daten (Zufallserkenntnisse) dürfen gem. § 477 Abs. 2 Satz 2 in anderen Strafverfahren zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 98a Abs. 1 bezeichneten Katalogstraftat benötigt werden (Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs). Unter „andere Strafverfahren“ sind Verfahren wegen anderer prozessualer Taten im Sinne des § 264 zu verstehen.29 Ein anderes Strafverfahren ist ein Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten oder gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens wegen einer anderen Tat. Zu Beweiszwecken werden Erkenntnisse verwendet, wenn sie zur Klärung der Schuld- oder Straffrage dienen, nicht aber als Ermittlungsansatz.
VIII. Datentransfer zwischen Polizei und Strafverfolgungsbehörden 24a
1. Verwendung präventiv-polizeilich erlangter Erkenntnisse im Strafverfahren. Maßgebliche Vorschrift ist § 161 in der Fassung des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999.30 Erkenntnisse aus einer polizeilichen Rasterfahndung sind, wie alle polizeirechtlich erlangten personenbezogenen Informationen, im Strafverfahren grundsätzlich frei und ohne Bindung an Katalogtaten oder ähnliche Eingriffsvoraussetzungen, verwertbar. Das ist das eindeutige Ergebnis des in diesem Punkt kontrovers verlaufenen Gesetzgebungsverfahrens.31 Ein im Regierungsentwurf des StVÄG 1999 vorgeschlagener § 161 Abs. 232 wollte die Verwendung an das Vorliegen einer entsprechenden Katalogtat knüpfen. Er hatte gelautet: „Sind personenbezogene Informationen durch eine polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden, die der Maßnahme nach § 98a entspricht, dürfen sie zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 98a Abs. 1 bezeichneten Straftat benötigt werden. Satz 1 gilt entsprechend, soweit polizeirechtliche Maßnahmen den in § 100c Abs. 1 Nr. 2, § 110a genannten Maßnahmen entsprechen.“33
Für die nun in § 161 Abs. 2 StPO geregelten Fälle der bei einem Einsatz Verdeckter Ermittler in Wohnungen durch Maßnahmen der Eigensicherung erlangten Informationen (Rn. 24d) war in § 161 Abs. 3 des Entwurfs34 ein Straftatenkatalog als Verwendungsvoraussetzung vorgesehen.
27 28 29 30
Hilger NStZ 1997 371 f. So aber Bäumler Rn. J 286. Hilger NStZ 1992 457, 461. Eingehend Brodersen NJW 2000 2536; Wollweber NJW 2000 3623; Hilger NStZ 2000 561.
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31 32 33 34
Hilger NStZ 2000 561, 564. BTDrucks. 14 1484 S. 6. § 100f Abs. 2 sollte unberührt bleiben: BTDrucks. 14 1484 S. 23. BTDrucks. 14 2595 S. 7.
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Diese Vorschriften scheiterten aber im Vermittlungsausschuss.35 Der Bundesrat hatte 24b sich insbesondere auf BGH NStZ 1992 44, 45 berufen, wonach die Verwendung von Präventivdaten grundsätzlich für unbeschränkt zulässig erachtet wurde. Die in dem Gesetz aufgegriffene Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs sei dogmatisch weder ausgereift noch abschließend geklärt. Es bestehe kein Anlass, die Nutzung rechtmäßig erhobener Daten für Strafverfolgungszwecke generell zu beschränken.36 § 100f Abs. 2 blieb freilich unberührt. Da die Zweckumwandlung, wenn auch ohne sachliche Begrenzung, gesetzlich geregelt ist, und dem Gesetzgeber ein breiter Regelungsraum zusteht, dürften verfassungsrechtliche Bedenken dagegen nicht bestehen.37 Freilich bleibt der systematische Bruch, dass nunmehr die Verwendung der Daten innerhalb des Bereichs repressiver Maßnahmen durch die einschränkenden Vorschriften der §§ 110e, 98b Abs. 3 Satz 3, § 100d Abs. 5 Satz 1 enger ist, als bei Übernahme gleichartiger Daten aus dem präventiv-polizeilichen Bereich.38 In der Literatur ist die Frage aufgetaucht, ob § 161 entnommen werden könne, dass auch rechtswidrig erlangte Daten verwertet werden könnten.39 Dem ist Wollweber mit der zutreffenden, freilich dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmenden Begründung entgegengetreten, im Gesetzgebungsverfahren und in der vom Bundesrat herangezogenen Entscheidung des BGH NStZ 1992 44, 45 sei nur von rechtmäßig erlangten Daten die Rede gewesen und auch § 161 a.F. habe von „zulässigen“ Maßnahmen gesprochen.40 Unberührt durch die Regelung des StVÄG 1999 blieb die Verwendungsregelung in 24c § 100f Abs. 2 für den großen Lauschangriff. Sind durch polizeirechtliche, dem großen Lauschangriff des § 100c Abs. 1 Nr. 3 entsprechende Maßnahmen personenbezogene Informationen erlangt worden, dürfen diese nur zur Aufklärung einer der in § 100c Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Straftat verwendet werden. Dagegen enthält § 161 Abs. 2 für bei einem Einsatz Verdeckter Ermittler in Wohnun- 24d gen durch Maßnahmen der Eigensicherung, die auch eine Videoaufzeichnung sein kann, erlangte Informationen keine Verwendungsbeschränkung.41 Hier ist lediglich eine formelle Hürde für die Verwendung aufgebaut worden. 2. Verwendung strafprozessrechtlich erlangter Erkenntnisse im präventiv-polizeilichen 24e Bereich. Hierzu enthält § 481 eine gesetzliche Regelung, die allerdings in einem Wechselspiel zu § 477 Abs. 2 steht, der – anders als bisher – nicht mehr auf § 481 verweist. Die Streichung der Verweisung durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG hat an der grundsätzlichen Anwendung der Vorschrift nichts geändert. Im Strafverfahren erhobene personenbezogene Informationen, die bei den Polizeibehörden angefallen sind, dürfen für alle in den Polizeigesetzen geregelten Polizeiaufgaben42 mit Ausnahme des ausschließlichen Schutzes privater Rechte, insbesondere also präventivpolizeilich, zur Gefahrenabwehr, verwendet werden (Absatz 1 Satz 1 und 3). Verwenden bedeutet Verarbeiten und Nutzen von Daten. Sind solche Informationen nicht
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36 37 38
BTDrucks. 14 3525 S. 2. Zum Gesetzgebungsverfahren m.w.N. Hilger NStZ 2000 561, 564. BTDrucks. 14 2886 S. 3; vgl. auch BTDrucks. 14 2595 S. 27. Anders Hilger NStZ 2000 561, 564. Darauf weist Hilger NStZ 2000 561, 564 zu Recht hin.
39 40 41
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So Brodersen NJW 2000 2536. Wollweber NJW 2000 3623. Meyer-Goßner § 161, 19; Brodersen NJW 2000 2536, 2539; a.A. Hefendehl StV 2001 705. Meyer-Goßner § 481, 1.
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bei der Polizei, sondern bei der Staatsanwaltschaft angefallen, was etwa bei eigenen Vernehmungen oder eigener Sachverständigenbeauftragung durch die Staatsanwaltschaft in Wirtschafts- oder Kapitalstrafsachen der Fall sein kann, dürfen sie von Amts wegen oder auf Ersuchen der Polizei dieser übermittelt und dort verwendet werden (Absatz 1 Satz 2). Voraussetzung ist nach Absatz 2, dass besondere bundesgesetzliche oder landesgesetz24f liche Verwendungsregeln der Übermittlung und Verwertung nicht entgegenstehen. Bei der Verwendung – und damit auch bei der Übermittlung – ist die in § 477 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 enthaltene Verwendungsbeschränkung zu beachten.43 Zu den nach § 481 Abs. 2 maßgeblichen Regelungen gehören aber auch das Steuer- und das Sozialrecht im Steuerund Sozialgeheimnis (s. §§ 30 AO, 35 SGB I, 67 ff. SGB X, 51, 52, 63 Abs. 4 BZRG). Personenbezogene Informationen sind solche im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG. Das 24g Gesetz verwendet den Begriff „Information“, weil es den Begriff „Datei“ den in einer Datei gespeicherten Informationen vorbehält.
IX. Benachrichtigungs- und Unterrichtungspflichten 25
Benachrichtigungspflichten bestehen nach der sog. Transparenzklausel des Absatzes 4, die durch § 101 Abs. 4 Nr. 1 ergänzt wird. Weitere Vorgaben für die Kennzeichnung und Löschung macht § 101 Abs. 3 und 8. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu dieser Vorschrift Bezug genommen. Nach Beendigung der Rasterfahndung ist zudem die für die Kontrolle der Vorschrif26 ten über den Datenschutz bei öffentlichen Stellen zuständige Stelle (Datenschutzbeauftragte; vgl. §§ 22 ff. BDSG und die entsprechenden Regelungen der Länder) zu unterrichten, die nicht die Rechtmäßigkeit der Rasterfahndung im konkreten Strafverfahren, sondern nur die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen überwacht. Er wird auch im Einzelfall besonders darauf zu achten haben, dass die Vorschriften über Datenrückgabe und Löschung erhobener Daten (Absatz 3; oben Rn. 22 und 23) sowie über die Benachrichtigung (Absatz 4, oben Rn. 25) eingehalten werden. Seine Mitwirkung nach dieser Vorschrift soll die Staatsanwaltschaft zu korrekter Einhaltung der genannten Vorschriften veranlassen, ein mit dem geschichtlich gewachsenen Bild und der gesetzlichen Stellung der Staatsanwaltschaft nicht vereinbares Motiv des Gesetzgebers.
X. Verwertungsverbote 27
Allein aus dem Umstand, dass eine richterliche Bestätigung fehlt, folgt noch kein Verwertungsverbot 44 (s.o. Rn. 6). War dagegen bereits die Anordnung der Rasterfahndung rechtswidrig (etwa weil willkürlich oder unvertretbar ein Verdacht hinsichtlich einer Katalogtat angenommen wurde;45 die Polizei eigenmächtig weder Staatsanwaltschaft noch Gericht eingeschaltet hatte oder der Richtervorbehalt bei nicht gegebener Gefahr im Verzuge in schwerwiegender Weise umgangen wurde), so unterliegen die durch die Maßnahme erlangten Erkenntnisse grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot.46
43 44 45
BTDrucks. 16 5846 S. 67. Meyer-Goßner § 98a, 11; § 98b, 10. Vgl. zum Nichtvorliegen einer Katalogtat die entsprechend geltenden Ausführungen zur
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Telefonüberwachung die Kommentierung zu § 100a. Hilger NStZ 1992 457, 460 f. Fn. 66; Pfeiffer 3.
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XI. Rechtsschutz Das entscheidende Rechtsschutzproblem liegt bei Maßnahmen nach §§ 98a, 98b darin, dass der Betroffene von ihnen in der Regel nichts erfährt. Das ist bei den Personen ohne Bedeutung, deren Daten zwar gerastert, aber nicht herausgefiltert wurden, so dass ihre Individualität nicht aufgedeckt wird und die deshalb von der Maßnahme nicht einmal benachrichtigt werden müssen. Generell ist aber nach dem Adressaten der Maßnahme zu unterscheiden: Betroffene Personen im Sinne des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1. Benachrichtigt werden nach § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt werden. Diese Personen können nach § 101 Abs. 7 bei den dort in den Sätzen 1 und 4 genannten Gerichten binnen einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen. Gegen die Entscheidung des Gerichts steht ihnen nach § 101 Abs. 7 Satz 3 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 101 verwiesen. Andere. Soweit die Sonderregelung des § 101 Abs. 7 Satz 2 bis 4 nicht eingreift, wird Rechtsschutz gegen die gerichtliche Anordnung nach §§ 98a, 98b im Wege der Beschwerde gemäß § 304 StPO gewährt. Dies gilt uneingeschränkt, solange die Maßnahme andauert, solange also die Rasterfahndung noch nicht beendet worden ist. Nach Beendigung der Rasterfahndung entfällt die Beschwerdeberechtigung. Dies ergibt sich aus dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis bei diesen automatisch „ausgerasterten“ Personen, die nicht einmal identifiziert worden sind. Beschwerdeberechtigt ist auch die (private) speichernde Stelle, d.h. derjenige, den die Herausgabe- und ggf. Mitwirkungsverpflichtung trifft. Er kann diese Verpflichtung angreifen, aber auch Rückgabe- und Löschungsansprüche durchzusetzen versuchen. Umfassend wie stets ist das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft. Die Datenschutzbehörden sind zwar nach Absatz 4 von der Maßnahme zu unterrichten, ein Beschwerderecht steht ihnen aber nicht zu, wie sich aus § 25 BDSG ergibt. Zu Beschwerden gegen Anordnungen des Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs siehe § 304 Abs. 4 und 5. Gegen die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft ist eine Anrufung des Richters entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 in § 98b nicht vorgesehen. § 98 dürfte aber, soweit § 101 Abs. 7 Satz 2 bis 4 als Spezialregelung nicht vorgeht, entsprechend anwendbar sein.47 S. deshalb zunächst § 98, 48 ff. Gegen die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Maßnahme ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft. Der Antrag ist an keine Form oder Frist gebunden. Eine „Beschwerde“ ist in einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung umzudeuten.48 Ist im Verfahren nach § 98b Abs. 1 Satz 2 und 3 die Anordnung der Staatsanwaltschaft bestätigt worden, ist der Antrag als Gesuch um Aufhebung dieser Entscheidung zu behandeln, wurde in jenem Verfahren die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt oder die Beschlagnahme aufgehoben, ist der Antrag gegenstandslos, soweit er durch die gerichtliche Entscheidung erledigt ist.
47
Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 Seite 36 in den Vorbemerkungen zur Rasterfahndung: „Die vorgeschlagenen Regelungen orientie-
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ren sich an den §§ 94 ff., die – soweit sachgerecht – entsprechend anwendbar sind“. Vgl. LG Lüneburg JZ 1984 343.
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XII. Revision 33
Die Verwertung eines Beweismittels entgegen einem Verwendungsverbot oder einem Verwertungsverbot kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Diese setzt einen vollständigen Vortrag der Prozesstatsachen voraus, die für die Beurteilung des Verwertungsverbots erforderlich sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2), gegebenenfalls auch bezüglich eines rechtzeitigen Widerspruchs 49 gegen die Verwertung des Beweisgegenstands in der Hauptverhandlung. Mitzuteilen sind u.a. der Anordnungsbeschluss bzw. der Antrag der Staatsanwaltschaft, die ermittlungsrichterliche Entscheidung, der Inhalt der diesbezüglich in die Beweisaufnahme eingeführten Beweismittel und die Umstände, aus denen sich die Unzulässigkeit der Rasterfahndung ergeben sollen. Indessen wird ein Urteil auf Erkenntnissen, die durch Rasterfahndung erlangt sind, selten beruhen, in der Regel dienen derartige Erkenntnisse als Ermittlungsansatz.50 Insoweit unterliegen sie bei rechtmäßiger Maßnahme keinem Verwendungsverbot. Bei einer rechtswidrigen Maßnahme wird keine Fernwirkung eines möglichen Verwertungsverbots bestehen.
§ 98c 1Zur
Aufklärung einer Straftat oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes einer Person, nach der für Zwecke eines Strafverfahrens gefahndet wird, dürfen personenbezogene Daten aus einem Strafverfahren mit anderen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung oder zur Gefahrenabwehr gespeicherten Daten maschinell abgeglichen werden. 2Entgegenstehende besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen bleiben unberührt.
Schrifttum (s. zunächst bei § 98a) Siebrecht Ist der Datenabgleich zur Aufklärung einer Straftat rechtmäßig? StV 1996 566.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG)1 vom 15. Juli 1992, das am 22. September 1992 in Kraft trat, in die StPO eingeführt und blieb seitdem unverändert.
49
Vgl. BGH StV 2001 545, wonach für die erfolgreiche Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 100a StPO im Revisionsverfahren erforderlich ist, dass vor dem Tatgericht gegen die beanstandete Verwertung Widerspruch erhoben worden ist.
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KK/Nack 16.
BGBl. I S. 1302.
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Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
II. Anwendungsbereich und Voraussetzungen 1. Einsatzziel und Tatverdacht . . . 2. Daten aus einem Strafverfahren . 3. Andere gespeicherte Daten . . . a) Dateien zur Strafverfolgung . b) Dateien zur Strafvollstreckung c) Dateien zur Gefahrenabwehr
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
Rn.
1
4. 5. 6. 7.
Abgleich . . . . . . . . . . . . . . Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . Einschränkende Regelungen . . . . Unterschied zur Rasterfahndung und anderen Ermittlungsmaßnahmen . . 8. Form der Anordnung . . . . . . . .
4 5 6 8 9 10
III. Beschwerde
. . .
12 13 14
. .
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. . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines Die Vorschrift regelt die Zulässigkeit des Datenabgleichs, soweit für den Abgleich 1 personenbezogene Daten benutzt werden, die zur Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr gespeichert wurden, in deren Besitz mithin die Ermittlungs- bzw. die Polizeibehörden bereits sind.2 Betroffen sind insbesondere Daten, die die Strafverfolgungsbehörden durch die in der StPO sonst geregelten Ermittlungsmaßnahmen, z.B. durch Beschlagnahmen oder die Einrichtung von Kontrollstellen, ohnehin bereits erlangt haben. Dabei handelt es sich um keine Rasterfahndung gemäß §§ 98a, 98b, bei der Daten abgeglichen werden, die von privaten oder öffentlichen Stellen, die nicht Strafverfolgungsbehörden sind, stammen. Mit anderen Worten: Es ist zwischen „polizeiinternen Dateien“3 (§ 98c, auch „Justizinterner Datenabgleich“4 genannt) und „polizeiexternen Dateien“ (§§ 98a, 98b) zu differenzieren. Die Unterscheidung ist erforderlich, damit die engeren Voraussetzungen der Rasterfahndung nicht mit Hilfe des § 98c unterlaufen werden. Gesetzesbegründung. Im Gesetzgebungsverfahren5 wurde § 98c wie folgt begründet: 2 „Die Vorschrift regelt in Halbsatz 1 die Zulässigkeit des maschinellen Abgleichs von Daten, die in einem Strafverfahren durch die in der StPO geregelten Maßnahmen erhoben worden sind, mit Daten, in deren Besitz die Strafverfolgungsbehörden gelangt sind. Da die Möglichkeit einer Nutzung und Auswertung von zur Gefahrenabwehr gespeicherten Daten für Zwecke der Strafverfolgung grundsätzlich unverzichtbar ist, ist der Abgleich der Daten, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, für die in Satz 1 genannten Zwecke in diesem Verfahren auch mit solchen Daten zulässig, welche die Polizei zur Gefahrenabwehr gespeichert hat. Die Regelung des Satzes 1 erfasst auch den maschinellen Abgleich des Strafverfolgungszwecken dienenden Fahndungsbestandes mit anderen personenbezogenen Daten. Dies hat insbesondere den Abgleich des Fahndungstatbestands mit den Dateien der Einwohnermeldeämter vor Augen.6 Satz 2 stellt ausdrücklich klar, dass einschränkende bundesgesetzliche Verwendungsregelungen durch § 98c unberührt bleiben; dasselbe gilt für entsprechende landesgesetzliche Regelungen.“ Durchgreifende Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 98c mit dem Grundgesetz 3 bestehen nicht.7 Die gegenüber der Rasterfahndung geringeren Voraussetzungen recht2 3 4 5
6
Begr. OrgKG BTDrucks. 12 989 S. 36. Siebrecht 21. KK/Nack 1. Begründung des Gesetzentwurfs (OrgKG) des Bundesrates, BTDrucks. 12 989 S. 38 = BRDrucks. 219/91 S. 127. So auch Rieß NJ 1992 491, 495 Fn. 77. Nach
7
einer im Jahr 1992 zitierten Meinung des Richterbundes, vgl. Möhrenschlager wistra 1992 326, 328 Fn. 20, sollten dagegen Dateien von Einwohnermeldeämtern und Kfz.-Ämtern nicht erfasst sein. Meyer-Goßner 1; HK/Gercke 1; Arloth CR 1998 574, 575; a.A. Siebrecht StV 1996 566,
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fertigen sich damit, dass die Strafverfolgungsbehörden beim Datenabgleich nach § 98c lediglich bereits bei ihnen „bevorratetes Wissen“8 nutzen. Wenn beispielsweise ein Kriminalbeamter oder Staatsanwalt sich in einem Strafverfahren die bisher angelegte Ermittlungsakte nochmals durchliest, um bisher übersehene Indizien zu entdecken, so bestehen gegen diese pflichtgemäße Erfüllung seines Strafverfolgungsauftrages keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Etwas anderes kann auch dann nicht gelten, wenn er sich dabei eines Computers bedient. Zudem ist § 98c keine Maßnahme, bei der notwendigerweise auch Daten von Unverdächtigen abgeglichen werden.9
II. Anwendungsbereich und Voraussetzungen 4
1. Einsatzziel und Tatverdacht. Der Datenabgleich darf zur Aufklärung einer Straftat und in diesem Zusammenhang auch zur Aufenthaltsermittlung bezüglich eines Beschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen vorgenommen werden. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts nach § 152 Abs. 2,10 wobei sich dieser aber im Unterschied zur Rasterfahndung nicht auf eine bestimmte Katalogtat und auch nicht auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung beziehen muss. Durch § 98c wird dagegen nicht der Abgleich von Präventivdaten mit Strafverfolgungsdaten zu präventiven Zwecken erlaubt.11 Insoweit sind die entsprechenden Vorschriften in den Polizeigesetzen anzuwenden.
5
2. Daten aus einem Strafverfahren („Strafverfahrensdaten“). In Betracht kommen alle im Rahmen von Strafverfahren zur Aufklärung der jeweiligen Sachverhalte und zur Beund Entlastung zusammengetragenen Daten (Einlassungen der Beschuldigten, Zeugenaussagen, Urkunden, auch beschlagnahmte EDV-Dateien – etwa die beschlagnahmte Buchhaltungsdatei in einer Wirtschaftsstrafsache – und im Rahmen der Strafverfolgung bereits übermittelte Daten der Einwohnermeldeämter).12
6
3. Andere gespeicherte Daten. Datensammlungen auf Bundesebene sind etwa das auf der Grundlage des § 11 BKA-Gesetz geführte Informationssystem der Polizei „INPOLneu“, das durch Systeme der Länder („INPOL-Land“) ergänzt wird, außerdem das Zentrale Verkehrsinformationssystem ZEVIS und das Ausländerzentralregister.13 Die Verwertbarkeit für außerstrafprozessuale Zwecke ist in §§ 474 ff. geregelt. 7 a) Dateien zur Strafverfolgung sind etwa sog. Fahndungsdateien.14
8 9
b) Dateien zur Strafvollstreckung sind beispielsweise die Haftdateien der Justizvollzugsanstalten (die u.a. den im Tatzeitpunkt im geschlossenen Vollzug Inhaftierten ggf. ein Alibi verschaffen können), vgl. § 9 Abs. 2 BKAG.
10
c) Dateien zur Gefahrenabwehr15 sind von der Polizei geführte Dateien, wobei es nicht darauf ankommt, wie und aus welchem Grund sie erhoben wurden, solange nur
8 9
570 und Rasterfahndung (1997) 158 ff.: Wegen der fehlenden verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen sei § 98c, soweit der Abgleich mit Präventivdateien für zulässig erklärte werde, verfassungswidrig. Bedenken äußert auch Hassemer KJ 1992 64, 71. Hilger NStZ 1992 457, 461. Wittig JuS 1997 961, 970.
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10 11 12 13 14 15
Wittig JuS 1997 961, 970. Wittig JuS 1997 961, 970. KK/Nack 1. Näher HK/Gercke 3. Wittig JuS 1997 961, 970. Vgl. BGHSt 46 339, 344 zur Datensammlung „Hepolis“ in Hessen.
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die Datenerhebung rechtmäßig war.16 In Betracht kommen insbesondere die in Rn. 6 genannten Datensammlungen. Zur beim BKA eingerichteten DNA-Analysedatei siehe die Erläuterungen zu § 81g. Abgeglichen werden dürfen die Strafverfahrensdaten auch mit Dateien aus dem Melde- 11 register, die den Strafverfolgungsbehörden auf Anforderung gemäß § 18 Melderechtsrahmengesetz (MRRG) übermittelt worden sind.17 4. Abgleich ist die automatisierte vergleichende Auswertung von Daten.18
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5. Verhältnismäßigkeit. Auch für dieses staatliche Handeln gilt der allgemeine Ver- 13 hältnismäßigkeitsgrundsatz.19 So ist Voraussetzung für den Datenabgleich, dass die Auswertung der Daten grundsätzlich aufklärungsgeeignet ist.20 6. Einschränkende Regelungen. Nach Satz 2 bleiben entgegenstehende besondere 14 bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen unberührt. Zu diesen Verwendungsregelungen gehören etwa die strafprozessualen Schutzvorschriften §§ 96, 97, 136a, 148,21 außerdem § 30 Abs. 1 AO, § 16 BStatG, § 35 Abs. 1 SGB I, §§ 67 ff. SGB X.22 7. Unterschied zur Rasterfahndung und anderen Ermittlungsmaßnahmen. Der maschi- 15 nelle Datenabgleich ist – da es sich um keine Rasterfahndung handelt – ohne Bindung an einen Straftatenkatalog, ohne Beachtung einer Subsidiaritätsklausel und ohne richterliche Anordnung zulässig, da nur bei den Strafverfolgungsbehörden bereits bevorratetes Wissen genutzt wird. Die Vorschriften zum Datenabgleich gem. § 98c gehen den Regelungen zur sog. 16 Schleppnetzfahndung nach § 163d vor.23 8. Form der Anordnung. Die Anordnung des Datenabgleichs kann mündlich ergehen. 17 § 98b Abs. 1 Satz 4 und 5 gilt nicht.24 Ebenso besteht kein Richtervorbehalt.25
III. Beschwerde Die Maßnahme ist nicht anfechtbar, da es sich nur um eine allgemeine Ermittlungs- 18 maßnahme ohne Eingriffscharakter handelt.
IV. Revision Revisionsrechtliche Bedeutung hat § 98c nur selten, etwa wenn entgegen § 98c Satz 2 19 unter Verletzung strafprozessualer Schutzvorschriften (oben Rn. 14) Daten abgeglichen und in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Unerheblich sind Verstöße gegen § 98c, die keine Auswirkungen auf die Hauptverhandlung haben.
16 17 18 19 20 21
Hilger NStZ 1992 457 Fn. 77: KK/Nack 2. Wittig JuS 1997 961, 970. Hilger NStZ 1992 457, 461. Bernsmann/Jansen StV 1998 217, 221. Hilger NStZ 1992 457, 461. Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 79. MeyerGoßner 3 nennt zudem §§ 52 ff.
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SK/Wohlers 3. Meyer-Goßner 2. Graf/Ritzert 2. SK/Wohlers 2; Pfeiffer 2.
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§ 99 1Zulässig ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Postsendungen und Telegramme, die sich im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befinden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken. 2Ebenso ist eine Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen zulässig, bei denen aus vorliegenden Tatsachen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind und daß ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung hat.
Schrifttum Nach der Postreform: Albrecht Sicherstellung von E-Mails auf dem Mailserver eines Internetdienstleisters und anderer beweiserheblicher „Gegenstände“, jurisPR-ITR 25/2009 Anm. 4; Badura/ von Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern Beck’scher Postkommentar (2. Aufl. 2004); Bär Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 31. März 2009 (Az 1 StR 76/09, NStZ 2009, 397), NStZ 2009 398; Brandt/Kukla Anmerkung zu LG Hildesheim, Beschluss vom 21. April 2010 (26 Qs 58/10, wistra 2010 414), wistra 2010 415; Brodowski Strafprozessualer Zugriff auf E-Mail-Kommunikation, JR 2009 402; Brunst Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 (2 BvR 902/06, CR 2009, 584), CR 2009, 591; Gercke Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 31. März 2009 (1 StR 76/09, StV 2009, 623), StV 2009, 624; Gramlich Ende gut, alles gut? – Anmerkungen zum neuen Postgesetz, NJW 1998 866; Härting Beschlagnahme und Archivierung von Mails, CR 2009 581; Kemper Anforderungen und Inhalt der Online-Durchsuchung bei der Verfolgung von Straftaten, ZRP 2007 105; Klein Offen und (deshalb) einfach – Zur Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails beim Provider, NJW 2009 2996; Krüger Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 (2 BvR 902/06, MMR 2009, 673), MMR 2009 680; Lampe, Beschlagnahmefähigkeit von dem Postgeheimnis unterliegenden Informationen beim Postdienstleister, jurisPR-StrafR 24/2009 Anm. 2; Meinicke Anmerkung zu AG Reutlingen, Beschluss vom 31.10.2011 (5 Ds 43 Js 18155/10 jug, StV 2012, 462), StV 2012, 463; Roggenkamp Beschlagnahme von FacebookKonten, AnwZertITR 12/2012 Anm 2; Sankol Verletzung fremdstaatlicher Souveränität durch ermittlungsbehördliche Zugriffe auf E-Mail-Postfächer, K&R 2008 279; Schlegel „Beschlagnahme“ von E-Mail-Verkehr beim Provider, HRRS 2007 44; Störing Strafprozessualer Zugriff auf E-Mailboxen, CR 2009 475; Szebrowski E-Mail-Beschlagnahme – Klärung durch den BGH? MMR 2009 Nr. 7, V–VI; Winkler Beschlagnahme von gespeicherten E-Mails, jurisPK-StrafR 10/2010 Anm. 3. Ältere Literatur: Altmannsperger Gesetz über das Postwesen (1973); Aubert Fernmelderecht I. Teil, 3. Aufl. (1974); ders. Können im Rahmen des § 99 StPO Telephongespräche mit Hilfe von Tonbandgeräten „beschlagnahmt“ werden? NJW 1955 449; Aubert Gibt es übergesetzliche Ausnahmen vom Post- und Fernmeldegeheimnis? Jahrbuch des Postwesens 1956/57 35; Eidenmüller Post- und Fernmeldewesen (Loseblattausgabe Stand 1985); Engels Die Grenzen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, Diss. Bochum 1972; Falck Die Briefsperre in der Strafvollstreckung, DStrZ 1921 83; Gusy Das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses, JuS 1986 89; Hellmuth Die Auskunftserteilung der Post- und Telegraphenbehörden in strafgerichtlichen Untersuchungen, BayZ 1916 101; Huber Das Post-, Telegraphen- und Telephongeheimnis und seine Beschränkung für Zwecke der Strafrechtspflege, Schweiz JZ 1955 165; Kurth Zeugnispflicht und Postgeheimnis, NStZ 1983 541; Lengning Post- und Fernmeldegeheimnis, 3. Aufl. (1967); Marxen Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlich zugelassenen Ausnahmen, Diss. Kiel 1958; Mehl Das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis mit besonderer Berücksichtigung seiner Durchbrechung, Diss. Erlangen 1925; Nawiasky Deutsches und österreichisches Postrecht (1909); Neugebauer Fernmelderecht mit Rundfunkrecht, 3. Aufl. (1929); Niggl Deutsches Postrecht, 2. Aufl. (1931); Oehler Postgeheimnis, in Bettermann/ Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. II (1954) 605; Rochu Das Postgeheimnis und seine
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Wirkung im Verfahren der Zivil- und Strafprozeßordnung, JW 1932 2685; K. Schäfer Das Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis nach der Novelle zum Telegraphengesetz vom 3.Dezember (1927), JR 1928 215; Tonnemacher Das Fernmeldegeheimnis in der Bundesrepublik Deutschland, Schweiz und Österreich, Diss. München 1965; Wegener/Meker Das Post- und Fernmeldegeheimnis (1971); Welp Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (1974); ders. Nachrichtendienstliche und strafprozessuale Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis, DÖV 1970 267; Wolcke Der Schutz des Brief- und Telegraphengeheimnisses im Post- und Telegraphenverkehr (1905); Zillmer Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Fernsprechgeheimnisse, NJW 1965 2094.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift blieb seit Inkrafttreten der StPO von kleinen sprachlichen Korrekturen abgesehen unverändert und lautete: „Zulässig ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Briefe und Sendungen auf der Post sowie der an ihn gerichteten Telegramme auf den Telegraphenanstalten; ebenso ist zulässig an den bezeichneten Orten die Beschlagnahme solcher Briefe, Sendungen und Telegramme, bei denen Tatsachen vorliegen, aus welchen zu schließen ist, dass sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind und dass ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung hat.“
Durch das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz (BegleitG) vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108) wurde die Vorschrift den durch die Postreform II veränderten Verhältnissen angepasst und der Ort der Beschlagnahme neu bestimmt. Gegenüber dem Rechtszustand unter Geltung des Beförderungsmonopols sollte keine Erweiterung der Beschlagnahmemöglichkeiten eintreten (BTDrucks. 13 8016).
Übersicht Rn. I. Überblick über die strafprozessrechtlich erheblichen Schranken des Post- und Fernmeldegeheimnisses 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Postgeheimnis nach dem PostG a) § 39 PostG . . . . . . . . . . . . b) § 138 StGB . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigungsgründe nach § 32 und 34 StGB und Anzeigebefugnis bei schweren Straftaten . . . . . . d) G 10 2001 . . . . . . . . . . . . e) Weitere Durchbrechungen . . . .
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III. Einwilligung des Betroffenen . . . . . . .
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II. Postbeschlagnahme nach § 99 1. Zweistufiges Verfahren . . 2. Verhältnis zu §§ 94 ff. . . . 3. Beweisgegenstände . . . . . 4. Bußgeldverfahren . . . . .
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IV. Freiwillige Herausgabe durch das Postunternehmen . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. V. Beschlagnahme 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . a) Verfahren gegen einen Beschuldigten 18 b) Kein Straftatenkatalog . . . . . . . 21 c) Gewahrsam des Postunternehmens . 22 d) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . 24 3. Beschlagnahmegegenstände a) Postsendungen und Telegramme . . 25 b) E-Mails . . . . . . . . . . . . . . . 25a c) An den Beschuldigten gerichtete Sendungen . . . . . . . . . . . . . 26 d) Von dem Beschuldigten herrührende oder für ihn bestimmte Sendungen . . . . . . . . . . . . . 27 VI. Auskunftsverlangen nach §§ 99, 100 1. Auskunft statt Beschlagnahme nach § 99 2. Der Auskunftspflicht unterliegende Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . VII. Verwertungsverbot. Revision . . . . . . .
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I. Überblick über die strafprozessrechtlich erheblichen Schranken des Post- und Fernmeldegeheimnisses 1
1. Grundsatz. Das in Art. 10 GG als Grundrecht geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis darf nach dessen Absatz 2 nur aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Solche Beschränkungen enthalten §§ 99 bis 101 in Gestalt der Postbeschlagnahme und der Überwachung der Telekommunikation. Weitere Beschränkungen ergeben sich aus dem PostG,1 dem TelekommunikationsG (TKG)2 oder durch Regelungen in anderen Gesetzen. Nach der Postreform, die staatlichen Stellen postalische Dienstleistungen untersagt (Art. 87f Abs. 2 GG i.V.m. den Vorschriften des PostG und des TKG), verpflichtet das Grundrecht des Art. 10 GG den Staat, für den Schutz der von Art. 10 GG erfassten Rechtsgüter zu sorgen, zumal er durch die Privatisierung der Post selbst die geänderte Gefahrenlage geschaffen hat3 und die (privaten) Postunternehmen (soweit nicht die in BVerfGE 128 226 ff. entwickelten Grundsätze eingreifen) nicht grundrechtsverpflichtet sind. Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen über das Postgeheimnis in § 39 PostG und das Fernmeldegeheimnis in § 88 TKG zu sehen. Beide Regelungen sollen unter unterschiedlichen Voraussetzungen den durch Dritte (Post- oder Telekommunikationsunternehmen) vermittelten Kommunikationsvorgang vor zu weitgehenden und dazuhin schwer kontrollierbaren Eingriffen der Strafverfolgungsorgane schützen. 2. Das Postgeheimnis nach dem PostG
2
a) § 39 PostG. Das Postgeheimnis ist in § 39 PostG 1998 näher geregelt und in § 206 StGB strafrechtlich abgesichert.4 Zur Geheimhaltung verpflichtet sind danach die Inhaber und die Beschäftigten der Postunternehmen. Dem Postgeheimnis unterliegen nicht nur der Inhalt von geschlossenen oder offenen5 Postsendungen, sondern auch die näheren Umstände des Postverkehrs. Damit sind alle Verbindungsdaten gemeint, die nicht den Inhalt der Postsendung selbst betreffen,6 mithin der gesamte Kommunikationsvorgang.7 Im Einzelnen sind unter Postverkehr die in § 4 Nr. 1 PostG definierten Postdienstleistungen zu verstehen, nämlich die Beförderung von Briefsendungen, die Beförderung von adressierten Paketen mit einem Einzelgewicht von nicht über 20 kg und die Beförderung von Büchern, Katalogen, Zeitungen oder Zeitschriften, soweit diese durch Unternehmen erfolgt, die auch Briefe und Pakete bis zu 20 kg befördern. Geschützt ist also die Kenntnis, wer mit wem, wann, von wo, nach wohin, mit welchen Mitteln (Brief, Päckchen) postalisch verkehrt hat. Postsendungen sind nach § 4 Nr. 5 PostG die genannten Gegenstände des Postverkehrs. 3 Nach § 39 Abs. 3 Satz 2 PostG dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Postgeheimnis unterliegen, nur für die Erbringung der Postdienste verwendet werden, soweit das Postgesetz oder ein anderes Gesetz nicht ausdrücklich Anderes bestimmt. Damit ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung jede Art postfremder Verwendung solcher Kenntnisse gesperrt. Das PostG und andere Gesetze enthalten folgende Durchbrechungen des Postgeheimnisses:
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Vom 22. Dezember 1997 BGBl. I 1997 S. 3294. Vom 22. Juni 2004 BGBl. I S. 1190. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 6. Zu Einzelheiten s. die Kommentierung zu
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§ 206 StGB; zur Parallelregelung in § 88 TKG s. die Kommentierung zu § 100a. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 14. BRDrucks. 147/97 S. 45. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 9.
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b) § 138 StGB. § 39 Abs. 3 Satz 3 PostG bestimmt ausdrücklich, dass die gesetzliche 4 Anzeigepflicht nach § 138 StGB, die das Vorhaben oder die Ausführung bestimmter schwerer Verbrechen betrifft, Vorrang vor dem Postgeheimnis hat. Das ist jetzt, anders als nach altem Recht (24. Aufl. § 99, 6), ausdrücklich gesetzlich geregelt. Weitere allgemeine Anzeigepflichten oder Anzeigebefugnisse zur Aufklärung von Straftaten enthält das Gesetz in § 39 Abs. 5 PostG nur zur Verfolgung von Straftaten, die beim Postverkehr zum Schaden eines Postunternehmens begangen worden sind. c) Rechtfertigungsgründe nach § 32 und § 34 StGB und Anzeigebefugnis bei schwe- 5 ren Straftaten? Das Gesetz eröffnet keine Anzeigebefugnis bezüglich bereits abgeschlossener anderer, noch so schwerer Straftaten, obwohl diese Fragen schon nach altem Recht nicht einheitlich beantwortet worden war (24. Aufl. Rn. 10, 11). Dies könnte dafür sprechen, dass das Postgeheimnis vorgehen sollte. Andererseits zeigen die Regelungen in § 39 PostG, dass das Postgeheimnis trotz seiner Bedeutung für die moderne Gesellschaft nicht immer stärker zu gewichten ist als andere bedeutsame Belange der Rechtsgemeinschaft.8 Man wird deshalb die genannten Rechtfertigungsgründe sowie eine Anzeigebefugnis der bei einem Postunternehmen Beschäftigten jedenfalls dann bejahen dürfen, wenn sie betriebsbedingt Kenntnis von einem begangenen Verbrechen der in § 138 StGB genannten Art erlangt haben. Im Übrigen kann auch mittelbar die Mitteilungsbefugnis nach § 39 Abs. 4 Nr. 4 PostG eine strafverfahrensrechtliche Reaktion auslösen: Das Verwendungsverbot gilt nämlich nicht, soweit eine Mitteilung erforderlich ist, „um körperliche Gefahren abzuwenden, die von der Postsendung für Personen oder Sachen ausgehen“. Findet also der bei einem Postunternehmen Beschäftigte Leichenteile in einem aufgeplatzten Päckchen, darf er aus diesen Gründen die Polizei verständigen. d) G10 2001. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fern- 6 meldegeheimnisses (G10)9 gestattet den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst Eingriffe in das Postgeheimnis, insbesondere die Überwachung der Telekommunikation und das Öffnen von Postsendungen, deren Verwertbarkeit für das Strafverfahren sich nach den Regelungen des G10 richtet. e) Weitere Durchbrechungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses finden sich 7 in § 99 InsO (Postsendungen für den Schuldner sind dem Verwalter zuzuleiten), Art. 40 des Zollkodex der Europäischen Gemeinschaft und § 5 ZollVG (Gestellungspflicht der Postunternehmen) sowie in §§ 2 bis 4 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote.
II. Postbeschlagnahme nach § 99 1. Zweistufiges Verfahren. Das Verfahren ist zweistufig aufgebaut: Die Postbeschlag- 8 nahme verpflichtet zunächst das Postunternehmen, die beschlagnahmten Sendungen dem Gericht (oder der Staatsanwaltschaft) auszuliefern, das dann entscheidet, ob sie als Beweismittel von Bedeutung und deshalb nach §§ 94, 98 zu beschlagnahmen sind. In dieser letzten Entscheidung liegt die eigentliche Beschlagnahme.10 Vgl. dazu auch § 100, 1 bis 3.
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Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 31. Vom 26. Juni 2001 BGBl. I S. 1254, 2298.
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Vgl. BGH (ER) StV 2008 225 f.
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2. Verhältnis zu §§ 94 ff. Die Vorschrift gestattet einen Eingriff in den durch Art. 10 GG, § 39 PostG geschützten Postverkehr und enthält gegenüber den allgemeinen Beschlagnahmevorschriften der §§ 94 ff. eine diesen vorgehende Sonderregelung für Postsendungen und Telegramme, soweit und solange diese sich im Gewahrsam eines Postunternehmens befinden. Weder dürfen solche Gegenstände beim Postunternehmen nach § 94 beschlagnahmt noch darf nach § 95 deren Herausgabe verlangt werden. § 96 ist ohnehin nicht anwendbar, da die Postunternehmen keine Behörden (mehr) sind. Da die Postbeschlagnahme auf eine Maßnahme nach §§ 94 ff. hinausläuft, ist sie unzulässig, wenn auch eine Beschlagnahme beim Postunternehmen nach diesen Vorschriften unzulässig wäre. Ein besonderer Schutz für die Korrespondenz nach §§ 52, 53 zeugnisverweigerungsberechtigter Personen sieht das Gesetz nicht vor. § 97 greift nicht, soweit dort als Voraussetzung der Beschlagnahmefreiheit Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten vorausgesetzt wird, denn während der Postbeförderung hat das Postunternehmen Alleingewahrsam.11 Anderes gilt für den Schutz des Abgeordnetenverhältnisses (§ 97 Abs. 4; auf die dortige Kommentierung sei verwiesen), da dort die Beschlagnahme von Schriftstücken, soweit das Zeugnisverweigerungsrecht reicht, nach richtiger Auffassung auch dann unzulässig ist, wenn diese Gegenstände sich nicht im Gewahrsam des Abgeordneten befinden. Dass die Korrespondenz zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nicht der Beschlagnahme unterliegt, beruht auf § 148.12 Befinden sich unter den Sendungen, die das Postunternehmen den Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Beschlagnahmeanordnung ausgeliefert hat, Briefe von oder an den Verteidiger, sind diese unverzüglich freizugeben und dem Empfänger ungeöffnet auszuhändigen (§ 101 Abs. 2).
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3. Beweisgegenstände. Die Postbeschlagnahme dient nur der Erlangung von Beweisgegenständen, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift selbst („und dass ihr Inhalt für die Untersuchung von Bedeutung ist“) ergibt. Gegenstände, die der Einziehung unterliegen,13 können nicht durch Postbeschlagnahme sichergestellt werden, da § 111b nicht auf §§ 99 ff. verweist. Meist werden aber die durch das Postunternehmen beförderten Verfalls- und Einziehungsgegenstände als Beweismittel in Betracht kommen. Dann unterliegen sie deshalb der Postbeschlagnahme.
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4. Im Bußgeldverfahren ist die Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen unzulässig (§ 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
III. Einwilligung des Betroffenen 12
Der Zweck des Postgeheimnisses liegt darin, Kommunikationen, die wegen der räumlichen Entfernung zwischen den Beteiligten auf Übermittlung durch Dritte angewiesen sind, auch gegen staatliche Stellen zu schützen.14 Der Postbenutzer kann deshalb nach einhelliger Meinung auf dieses Recht verzichten.15 Willigen Absender und Empfänger in die Herausgabe von Postsendungen und Telegrammen an die Strafverfolgungsbehörden ein, bedarf es des Verfahrens nach §§ 99, 100 nicht. Die Übermittlung der Einwilligung an das Postunternehmen und das damit verbundene Ersuchen um Aushändigung einer
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KK/Nack 12; SK/Wohlers 15; Welp S. 191. HK/Gercke 13; Meyer-Goßner 13; KK/Nack 12; SK/Wohlers 15. Anders als vor der Gesetzesänderung 1974.
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Vgl. BVerfGE 85 386, 396, 399. Meyer-Goßner 3; KK/Nack 4; SK/Wohlers 7; Welp Jura 1981 481.
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Sendung oder um Auskunft über den Postverkehr kann dann auch von anderen Stellen als den nach § 100 Abs. 1 zuständigen Behörden ausgehen, insbesondere von der Polizei. Fraglich erscheint jedoch, ob die Einwilligung eines der beiden Partner des Kommu- 13 nikationsvorgangs genügt. Die herrschende Meinung bejaht dies, weil Absender und Empfänger gegenseitig nicht zur Wahrung des Postgeheimnisses verpflichtet seien.16 Ob diese Auffassung freilich vor dem Hintergrund der Entscheidung BVerfGE 85 386 aufrechterhalten werden kann, ist nicht ganz eindeutig, aber letztlich zu bejahen. Zwar ging es dort um Ferngesprächsdaten, es wurde aber betont, da der Zweck des Fernmeldegeheimnisses darin bestehe, Kommunikationsvorgänge und -inhalte gegen staatliche Zugriffe abzuschirmen, sei jede staatliche Einschaltung, die nicht im Einverständnis mit beiden Kommunikationspartnern erfolge, ein Grundrechtseingriff. Für das Postgeheimnis gilt im Kern nichts Anderes. Allerdings betrifft die Beschlagnahme einer Postsendung nur die Äußerung eines der beiden Kommunizierenden. Deshalb wird die Einwilligung des Absenders genügen. Bei Minderjährigen entscheidet der gesetzliche Vertreter, solange dem Elternrecht und 14 der Erziehungsbedürftigkeit der Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes einzuräumen ist. Hier dürften die zu § 52 Abs. 2 entwickelten Grundsätze entsprechend gelten.
IV. Freiwillige Herausgabe durch das Postunternehmen Eine freiwillige Herausgabe von Postsendungen oder Telegrammen durch Postunter- 15 nehmen an Ermittlungsbehörden würde gegen das Postgeheimnis in § 39 PostG verstoßen, wäre nach § 206 StGB strafbar und würde – jedenfalls wenn die Herausgabe auf Veranlassung der Behörden erfolgte – zu einem Verwertungsverbot führen; vgl. Rn. 32. Das Gleiche gilt für Behörden, die Postsendungen aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung im Gewahrsam haben. Ob es sich dabei um Einzelsendungen oder um Massenlieferungen an einen einzelnen Bezieher handelt, macht entgegen der missverständlichen Bemerkung in der Entscheidung BGHSt 23 331 keinen Unterschied. Zu den zulässigen Durchbrechungen des Postgeheimnisses mit der Folge einer Offen- 16 barungspflicht oder eines Offenbarungsrechts gegenüber Strafverfolgungsorganen s. oben Rn. 4 bis 7. Ein allgemeiner „Ermittlungsnotstand“ genügt nicht (Vor § 94, 67).
V. Beschlagnahme 1. Begriff. Zwei Stufen des Vorgehens. Die Postbeschlagnahme nach § 99 kann 17 anders als die Beschlagnahme nach § 94 nicht nur die Sicherstellung der bereits im Gewahrsam des Postunternehmens befindlichen, sondern auch die Aussonderung und Auslieferung der erst künftig zu erwartenden Gegenstände bezwecken. Die Postbeschlagnahme ist keine Beschlagnahme im eigentlichen Sinne, sondern enthält zunächst nur die Weisung an das Postunternehmen, dass bestimmte Postendungen und Telegramme auszusondern und auszuliefern sind. Dem stehen, da auch insoweit in das Post- und Fernmeldegeheimnis eingegriffen wird, alle anderen Weisungen an das Postunternehmen gleich, die darauf abzielen, dass mit der Sendung in anderer Weise verfahren wird, als es für die
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Meyer-Goßner 3; SK/Wohlers 7; KK/Nack 4.
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ordnungsmäßige Beförderung vorgeschrieben ist, insbesondere dass sie dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zur Besichtigung ihrer äußeren Beschaffenheit, der Anschrift, des Absenders, der Handschrift oder der Papierart vorzulegen ist. Die eigentliche Beschlagnahme der Postsendungen und Telegramme erfolgt erst durch die Entscheidung des Gerichts, dass die Sendung oder Nachricht für die Zwecke des Verfahrens zurückbehalten werden soll. 2. Voraussetzungen
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a) Verfahren gegen einen Beschuldigten. Die Postbeschlagnahme setzt, wie der Wortlaut des § 99 ergibt, ein bestimmtes Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten voraus. Dieses Erfordernis stellt das wesentliche „Individualisierungsmoment“ dar, das die Maßnahme von einer aus Gründen der Staatsräson erfolgenden allgemeinen Postkontrolle unterscheidet.17 Grundsätzlich muss bereits ein Ermittlungsverfahren gegen einen Tatverdächtigen eingeleitet worden sein; zur Beschuldigteneigenschaft vgl. auch die Kommentierung zu § 136. Jedoch kann es auch mit der Postbeschlagnahme als erster Untersuchungshandlung eingeleitet werden. Sie darf auch stattfinden, wenn der Täter noch nicht namentlich identifiziert, ein bestimmter Verdächtiger aber bereits vorhanden ist. Dass die Ermittlungen in einem solchen Fall gegen „Unbekannt“ geführt werden, spielt keine Rolle, auch nicht, dass durch die Postbeschlagnahme erst die wahre Identität des Beschuldigten aufgedeckt werden soll. Die Postbeschlagnahme kommt aber nicht nur im Vorverfahren in Betracht, sie ist 19 vielmehr in allen Lagen des Verfahrens zulässig. Beschuldigter im Sinne des Achten Abschnitts ist auch derjenige, gegen den Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet worden ist.18 Die Postbeschlagnahme darf auch angeordnet werden, wenn ein Urteil bereits ergangen ist, aber der Aufenthalt des Angeklagten für das weitere Verfahren, nach § 457 selbst für die Strafvollstreckung, ermittelt werden muss.19 Auch im Wiederaufnahmeverfahren ist die Postbeschlagnahme statthaft. Nicht nur an einem bestimmten Beschuldigten, sondern überhaupt an einem Beschul20 digten fehlt es in dem selbständigen Einziehungsverfahren nach § 440; die Postbeschlagnahme zur Erlangung von Beweismitteln für dieses Verfahren ist daher nach allgemeiner Ansicht unzulässig.20 Für das selbständige Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen nach § 444 Abs. 3 Satz 1 gilt das Gleiche. Zu beachten ist aber, dass dem selbständigen Verfahren oft ein staatsanwaltliches subjektives Verfahren vorausgeht, in dem die Nichtverfolgbarkeit des zunächst Beschuldigten festgestellt wird. Beweismittel, die in diesem Verfahren erlangt worden sind, dürfen im nachfolgenden selbständigen Verfahren verwertet werden.
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b) Kein Straftatenkatalog. Anders als bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach § 100a ist die Postbeschlagnahme nach dem Gesetzeswortlaut weder auf Ermittlungen wegen bestimmter schwerer Straftaten beschränkt, noch müssen nach dem Gesetzeswortlaut den Tatverdacht stützende bestimmte Tatsachen vorliegen oder muss die Maßnahme als ultima ratio erforderlich erscheinen. Indes muss nach der neueren Begriffsbestimmung des Verdachts durch das Bundesverfassungsgericht dieser stets auf Tatsachen 17 18 19
Vgl. auch BGHSt 23 329, 330. HK/Gercke 6; Meyer-Goßner 6. A.A. für die Zeit nach rechtkräftigem Abschluss des Strafverfahrens SK/Wohlers 11.
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BGHSt 23 329, 331 HK/Gercke 7; MeyerGoßner 7; Graf/ders. 4; KK/Nack 2; SK/Wohlers 11.
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gestützt werden. Allgemeine Vermutungen reichen in keinem Fall als Eingriffsvoraussetzung aus. Zutreffend spricht das Bundesverfassungsgericht21 von dem Erfordernis eines „greifbaren Verdachts“ gegen den Betroffenen. Das Gewicht der aufzuklärenden Straftat und die Möglichkeit anderer weniger einschneidender Ermittlungen spielen bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Rn. 24) eine Rolle. c) Gewahrsam des Postunternehmens. Die Postbeschlagnahme erfasst nur Postsen- 22 dungen und Telegramme während des Postverkehrs, also während des Übermittlungsvorgangs. Dies brachte der Gesetzgeber mit dem Gewahrsamserfordernis (früher „auf der Post“) zum Ausdruck. Im Gewahrsam des Postunternehmens befinden sich danach Sendungen, wenn der Absender nicht mehr und der Empfänger noch nicht, wohl aber das Postunternehmen durch einen Bediensteten Allein- oder Mitgewahrsam hat. Außerhalb dieses räumlich-zeitlichen Bereichs gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 94 ff. und §§ 111b ff. Die Anordnung der Postbeschlagnahme kann sowohl die bereits im Gewahrsam des Postunternehmens befindlichen als auch künftig zu erwartende22 Sendungen erfassen. Das Gesetz nennt als Gewahrsamsinhaber der Postsendungen und Telegramme, bei 23 denen die Postbeschlagnahme durchgeführt werden kann, Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- und Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken. Da der Telegrammdienst aus dem Telekommunikationsbereich ausgegliedert und dem Postwesen betrieblich zugeordnet wurde, läuft die im Gesetz vorgesehene Beschlagnahmemöglichkeit bei Telekommunikationsunternehmen leer.23 Ein geschäftsmäßiges Erbringen von Postdiensten liegt nach der Legaldefinition des § 4 Nr. 4 PostG bei einem nachhaltigen Betreiben der Beförderung von Postsendungen für andere mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht vor, wobei der Begriff „Postsendungen“ wiederum in § 4 Nr. 5 PostG definiert ist. Mit dieser weiten Formulierung wollte der Gesetzgeber der Vielzahl denkbarer Arten von Postdienstleistungen gerecht werden. Auf die Lizenzierung der Betreiber (§ 5 PostG) kommt es nicht an. Deshalb können auch Anwaltsvereine, die Schließfächer für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt zur Verfügung stellen, unter diese Vorschrift fallen, nicht aber ein Unternehmen bezüglich des Vertriebs hausinterner Mitteilungen.24 Letztlich ist die Entscheidung, ob das Unternehmen dem Postgeheimnis unterliegt und damit die engeren Voraussetzungen der Postbeschlagnahme greifen, im Einzelfall nach den berechtigten Interessen der Nutzer an der Geheimhaltung ihres Postverkehrs zu treffen.25 d) Verhältnismäßigkeit. Angesichts des Gewichts des Postgeheimnisses kommt dem 24 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. dazu eingehend § 94, 51 ff.) bei der Postbeschlagnahme erhebliches Gewicht zu. Die Postbeschlagnahme darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe in keinem angemessenen Verhältnis stehen würde.26 Bei der Abwägung mit der Bedeutung der Sache ist auch der Verdachtsgrad von Bedeutung.27 Grundsätzlich setzt die Beschlagnahme daher
21 22
23 24
BVerfGE 59 95, 98. Meyer-Goßner 9, allerdings mit Einschränkungen für noch im Schalterraum befindliche Sendungen; KK/Nack 5. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 38. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 15.
25 26 27
Ähnlich Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 16. Meyer-Goßner 12. Welp 67; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 12; KK/Nack 10.
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voraus, dass ein nicht nur unerheblicher und bereits einigermaßen konkretisierter Tatverdacht besteht. Die Abwägung mit der Straferwartung schließt die Postbeschlagnahme bei kleineren Gelegenheitstaten aus. In Privatklagesachen ist sie rechtlich zwar nicht unzulässig; praktisch wird sie schon wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht in Betracht kommen.28 Bei Ordnungswidrigkeiten ist sie deshalb von Gesetzes wegen ausgeschlossen (§ 46 Abs. 3 OWiG). 3. Beschlagnahmegegenstände
25
a) Postsendungen und Telegramme. Die Vorschrift hat zunächst (aber nicht nur, dazu sogleich unter b) herkömmliche, verkörperte Nachrichten im Auge.29 Die Beschlagnahme darf nur Postsendungen oder Telegramme treffen, die an den Beschuldigten gerichtet oder für ihn bestimmt sind oder von ihm herrühren. Zweck der Beschlagnahme ist es, Beweismittel zu erlangen. Daher ist sie unzulässig, wenn von vorneherein feststeht, dass eine Sendung keinen derartigen Inhalt hat. Es ist deshalb stets zu prüfen, ob die Beschlagnahme nicht auf Sendungen bestimmter Absender oder auf bestimmte Arten von Sendungen beschränkt werden kann (vgl. auch Nr. 77 RiStBV). Dies wird jedoch häufig im Voraus nicht abzuschätzen sein. Postsendungen sind nach der gesetzlichen Definition in § 4 Nr. 1 PostG Briefsendungen, Pakete mit einem Einzelgewicht von nicht über 20 kg sowie Bücher, Kataloge, Zeitungen oder Zeitschriften, soweit deren Beförderung durch Unternehmen erfolgt, die auch Briefe und Pakete bis zu 20 kg befördern. Eine individuelle Nachricht müssen die Postsendungen nicht enthalten. Briefsendungen sind adressierte schriftliche Mitteilungen (§ 4 Nr. 1 PostG), die für eine bestimmte individuelle Person bestimmt sein müssen. Dabei kann es sich um offene Postkarten, Drucksachen oder um ganz gewöhnliche Briefe handeln. Pakete über 20 kg Gewicht unterliegen nicht dem Postgeheimnis;30 ihre Beschlagnahme ist nicht den Beschränkungen des § 99 unterworfen. Dass die Beschlagnahme von Telegrammen hier und nicht bei § 100a geregelt ist, hat historische Gründe.
25a
b) E-Mails. Die Praxis beschränkt die Vorschrift indes nicht auf den überkommenen postalischen Verkehr. So sind E-Mails nach einem neueren Diktum des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs beim E-Mail-Provider entsprechend den Voraussetzungen des § 99 mit der Herausgabepflicht des § 95 Abs. 2 sicherzustellen.31 Ob es neben einer Beschlagnahme nach §§ 94 ff. indessen zusätzlich noch einer Postbeschlagnahme nach § 99 bedürfe, wofür vieles spricht,32 hat das Bundesverfassungsgericht nicht entscheiden müssen.33 Das AG Reutlingen34 hat jüngst judiziert, dass sich die Beschlagnahme von auf einem Facebook-Benutzerkonto dokumentierten „Messages“ und „Chats“ nicht nach § 100a, sondern nach dem entsprechend anzuwendenden § 99 richte. Sie seien nicht Gegenstand einer „aktuell andauernden Kommunikation“, sondern einer „Briefsendung oder einem Telegramm im Gewahrsam des Postdienstleisters vergleichbar“.35
28 29 30
31 32
Meyer-Goßner 12. KK/Nack 7. A.A. unter Verweis auf die Praxis der Deutsche Post AG, Pakete mit einem Gesamtgewicht von bis zu 31,5 kg zu befördern, Graf 2, 7. BGHR StPO § 99 E-Mails 1. Zur Anwendung des § 99 auch Brandt/Kukla wistra 2010 415 f.
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33 34 35
BVerfGE 124 43, 53 ff.; vgl. auch BGH NJW 2010 1297, 1298. AG Reutlingen StV 2012 462. A.A. Meyer-Goßner 16b: Als verdeckte Maßnahme könne der Zugriff nur auf § 100a gestützt werden.
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c) An den Beschuldigten gerichtete Sendungen. Der Beschuldigte muss, auch wenn 26 die Sendung tatsächlich nicht für ihn bestimmt sein sollte, als Empfänger bezeichnet sein; ob dabei sein bürgerlicher Name, ein Künstlername oder ein sonstiger Deckname benutzt wird, spielt keine Rolle. Name oder Deckname müssen jedenfalls zur Zeit der Beschlagnahmeanordnung bekannt sein. d) Von dem Beschuldigten herrührende oder für ihn bestimmte Sendungen. Hierbei 27 handelt es sich um Sendungen, deren Absender der Beschuldigte ist oder die ihm, ohne dass er als Empfänger bezeichnet ist, durch Übergabe oder Übermittlung ihres Inhalts auf irgendeine Weise zugänglich gemacht werden sollen. Sein Name und seine Anschrift brauchen noch nicht bekannt zu sein, sofern die Sendung auf andere Weise dahin identifiziert werden kann, dass sie an den gerichtet ist, gegen den das Verfahren betrieben wird. Da im Gegensatz zu den ausdrücklich an den Beschuldigten gerichteten Sendungen 28 die Beschlagnahme der von ihm herrührenden oder für ihn bestimmten Sendungen in den Nachrichterverkehr Dritter eingreifen kann, sind hier die Voraussetzungen der Postbeschlagnahme strenger. Dass die Briefe oder sonstige Sendungen von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind, muss aus Tatsachen geschlossen werden; Vermutungen genügen nicht. Jedoch kann es sich um Hilfstatsachen handeln, etwa um die Aussage eines Zeugen, dass der Beschuldigte ihm das Kennzeichen für die an ihn zu richtenden postlagernden Sendungen benannt habe, oder um die Beobachtung, dass der Beschuldigte eigene Briefe durch andere Personen mit deren Absenderabgabe hat aufgeben lassen. Die Tatsachen müssen auf die Bestimmung oder Herkunft der Sendung nicht zwingend hindeuten; eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt. Anders als bei Sendungen, auf denen der Beschuldigte eindeutig als Empfänger bezeichnet ist, setzt die Beschlagnahme nach § 99 hier auch den Nachweis von Tatsachen voraus, aus denen zu schließen ist, dass der Inhalt der Sendungen für die Untersuchung von Bedeutung ist (dazu § 94, 18). Bloße Vermutungen, die sich auf Tatsachen nicht stützen können, reichen nicht aus. Die Tatsachen brauchen sich aber nicht aus den Postsendungen selbst zu ergeben, sondern können auch Feststellungen im Ermittlungsverfahren sein.
VI. Auskunftsverlangen nach §§ 99, 100 1. Auskunft statt Beschlagnahme nach § 99. Unter den materiellen und formellen 29 Voraussetzungen der §§ 99, 100 kann statt der Postbeschlagnahme Auskunft über an sich beschlagnahmefähige Briefe, Sendungen und Telegramme verlangt werden.36 Dies war zum früheren Recht nahezu unbestritten (s. 24. Aufl. Rn. 38 mit Fn. 71 und 72), gilt aber auch nach neuem Recht, obwohl § 39 Abs. 3 Satz 3 PostG die Weitergabe von Kenntnissen, die dem Postgeheimnis unterliegen, ausdrücklich nur gestattet, soweit das Postgesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Postsendungen oder Postverkehr bezieht. Die Frage war im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich diskutiert worden. Der Bundesrat hatte angeregt, mit Blick auf die genannte Bestimmung des Postgesetzes zum Postgeheimnis das Auskunftsrecht ausdrücklich gesetzlich zu regeln. Dem war die Bundesregierung mit dem Hinweis entgegengetreten, nach herrschender Meinung sei in der Beschlagnahmebefugnis das geringere 36
Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 43.
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Recht enthalten, von einem Postunternehmen Auskunft zu verlangen, so dass weiterer Gesetzgebungsbedarf nicht bestehe (BTDrucks. 13 8453). Dem ist zuzustimmen, da schon der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, im Zweifel die schonendere Maßnahme zu wählen. Wegen der Zuständigkeit und wegen Form und Inhalt des Auskunftsersuchens vgl. § 100, 45 ff. Die rechtlichen Voraussetzungen der Auskunftspflicht hat das Postunternehmen ebenso wenig zu prüfen wie die rechtlichen Voraussetzungen der Anordnung der Postbeschlagnahme. Die Auskunft kann in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 1 verlesen werden.
30
2. Der Auskunftspflicht unterliegende Gegenstände. Ebenso wie das Beschlagnahmerecht nach § 99 bezieht sich das Auskunftsrecht auf Postsendungen und Telegramme, die zur Zeit der Beschlagnahmeanordnung noch auf der Post aufbewahrt werden oder die dort künftig eingehen. Die Post gab aufgrund langjähriger Verwaltungspraxis auch Auskunft über Briefe und andere Sendungen, die zur Zeit des Auskunftsverlangens bei ihr nicht mehr lagerten und daher von einer Postbeschlagnahme nach § 99 nicht betroffen werden konnten (24. Aufl. Rn. 39). Das wurde damit begründet, dass es mit dem Grundgedanken des § 99 in Widerspruch stünde, wenn nach Beendigung des Gewahrsams der Post an der Sendung dem Postgeheimnis in einem Umfang Schutz gewährt würde, der über den hinausgeht, der während des Postgewahrsams der Sendung bestand. Diese schon früher bestrittene37 Auffassung kann nach der Neufassung des Postgesetzes und der neuen Regelung über das Postgeheimnis nicht aufrechterhalten werden,38 da es insofern an einer ausdrücklichen gesetzlichen Gestattung fehlt. Die Postbeschlagnahme reicht nicht zurück. Soweit Nr. 84 Satz 2 RiStBV Anderes vorsieht, ist die Vorschrift gesetzwidrig. Umfang der Auskunftspflicht. Die Auskunft erstreckt sich in erster Hinsicht auf die 31 äußeren Merkmale der Sendung wie Absender, Empfänger, Art des Postguts und auf die Daten des Postverkehrs.39 Das Postunternehmen darf aber auch Auskunft über den Inhalt einer Sendung geben, sofern er ihm auf rechtmäßige Weise bekannt geworden ist.40 Das folgt daraus, dass die Beschlagnahme nach § 99 vor allem bezweckt, den Inhalt von Sendungen und Nachrichten festzustellen, und dass es daher auch möglich sein muss, diese Feststellungen aufgrund der Auskunft statt aufgrund der Beschlagnahme zu treffen, sofern das ausnahmsweise möglich ist. Die Befugnis der Postunternehmen, den Inhalt von Postsendungen zu prüfen, kann sich aus der Notwendigkeit ergeben, die betriebsbedingte Abwicklung des Postverkehrs zu sichern oder im Zusammenhang mit dem Postdienst begangene Straftaten aufzuklären. Für diese Fälle schränkt § 39 PostG das Postgeheimnis ein. Gelegentlich sind Inhaltsprüfungen auch zum Zweck der Postbeförderung notwendig, wie die Öffnung unzustellbarer Sendungen. Auch kann das Postunternehmen beim Öffnen oder Verschließen von Sendungen, deren Verschluss verletzt ist, Kenntnis von deren Inhalt erlangen. Erfährt das Postunternehmen bei Gelegenheit solcher Prüfungen etwas über den Inhalt verschlossener Sendungen, so darf sie darüber auf Ersuchen des Richters (nicht des Staatsanwalts, der grundsätzlich den Inhalt verschlossener Sendungen nach § 100 Abs. 3 Satz 4 erst von dem Richter erfahren darf) Auskunft geben. Zu beachten ist aber, dass das Postunternehmen grundsätzlich (Ausnahmen oben Rn. 5) das Auskunftsersuchen nicht anregen darf; tut es dies ohne Rechtfertigungsgrund, so ist der Inhalt der daraufhin erteilten Auskunft unverwertbar.
37 38 39
Vgl. noch AK/Amelung 12; SK/Rudolphi 17; Welp 126. Ebenfalls kritisch HK/Gercke 11. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39,
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40
43; HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 14; KK/Nack 11; SK/Wohlers 20. Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 43.
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VII. Verwertungsverbot. Revision Beweismittel, die unter Verletzung des Postgeheimnisses erlangt worden sind, dürfen 32 in dem Strafverfahren grundsätzlich nicht verwertet werden.41 Ausnahmen gelten nur, wenn bei einer Gesamtabwägung der Verstoß gegen das Postgeheimnis deutlich weniger stark wiegt als das Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall oder wenn ein weder gezielter noch auch nur leichtfertiger Verstoß gegen die Art und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahme in Rede steht.42 Der auf § 148 beruhende Beschlagnahmeschutz gilt dagegen uneingeschränkt; vgl. Rn. 9. Beruht ein Urteil auf der Verwertung eines solchen Beweismittels, so begründet das die Revision.
§ 100 (1) Zu der Beschlagnahme (§ 99) ist nur das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft befugt. (2) Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme tritt, auch wenn sie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen gerichtlich bestätigt wird. (3) 1Die Öffnung der ausgelieferten Postsendungen steht dem Gericht zu. 2Es kann diese Befugnis der Staatsanwaltschaft übertragen, soweit dies erforderlich ist, um den Untersuchungserfolg nicht durch Verzögerung zu gefährden. 3Die Übertragung ist nicht anfechtbar; sie kann jederzeit widerrufen werden. 4Solange eine Anordnung nach Satz 2 nicht ergangen ist, legt die Staatsanwaltschaft die ihr ausgelieferten Postsendungen sofort, und zwar verschlossene Postsendungen ungeöffnet, dem Gericht vor. (4) 1Über eine von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme entscheidet das nach § 98 zuständige Gericht. 2Über die Öffnung einer ausgelieferten Postsendung entscheidet das Gericht, das die Beschlagnahme angeordnet oder bestätigt hat. (5) 1Postsendungen, deren Öffnung nicht angeordnet worden ist, sind unverzüglich an den vorgesehenen Empfänger weiterzuleiten. 2Dasselbe gilt, soweit nach der Öffnung die Zurückbehaltung nicht erforderlich ist. (6) Der Teil einer zurückbehaltenen Postsendung, dessen Vorenthaltung nicht mit Rücksicht auf die Untersuchung geboten erscheint, ist dem vorgesehenen Empfänger abschriftlich mitzuteilen.
Schrifttum siehe bei § 99.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 21 Nr. 18 EGStGB 1974 wurde in Absatz 1 hinter den Worten „Gefahr im Verzug“ der Satzteil: „und, wenn die Untersuchung nicht nur eine Übertretung betrifft“ gestrichen. Art. 1 Nr. 24 des 1. StVRG hob Absatz 1 Satz 2 auf und stellte ihn als Absatz 3 Satz 4 ein; der übrige Inhalt des Absatzes 3 ist neu. Der bisherige Absatz 3 wurde als Absatz 4 neu gefasst; dabei wurde in Satz 2 die Zuständigkeit
41
BGHSt 23 331; OLG Karlsruhe NJW 1973 209; LG Berlin NJW 1970 577; LG Kassel NJW 1970 1934; LG Stuttgart NJW 1965
42
595; Meyer-Goßner 17; Kurth NStZ 1983 541. Zu Zweiterem Meyer-Goßner 17.
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zur Entscheidung über die Öffnung eines ausgelieferten Gegenstandes nicht wie in der früheren Fassung dem nach § 98 zuständigen Richter, sondern dem Richter übertragen, der die Beschlagnahme angeordnet oder bestätigt hat. Grundlegend überarbeitet wurde die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198). Insbesondere wurden die neuen Absätze 5 und 6 angefügt. Im Übrigen verwendet das Gesetz nunmehr statt des Begriffs des „Richters“ den des „Gerichts“, um eine „geschlechtsneutrale Gesetzessprache“ zu gewährleisten (vgl. auch § 1 Abs. 2 BGleiG).
Übersicht Rn. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweistufigkeit des Verfahrens . . 2. Gesetzliche Regelung . . . . . . . 3. Notwendigkeit einer Postbeschlagnahmeanordnung . . . . . . . . .
. . . . . .
1 2
. .
3
II. Zuständigkeit. Richtervorbehalt 1. Zuständigkeit (Absatz 1) . . . . . . . 2. Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . .
4 5
III. Die Anordnung der Postbeschlagnahme durch das Gericht 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt des Beschlusses a) Beschuldigter. Bezeichnung der auszuliefernden Sendungen . . . b) Adressat der Postbeschlagnahme . c) Begründung . . . . . . . . . . . 4. Beschränkungen . . . . . . . . . . 5. Rechtliches Gehör. Bekanntmachung
.
6
.
7
. . . . .
IV. Die Anordnung der Postbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft 1. Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltlichen Postbeschlagnahme (Absatz 2) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außerkrafttreten der staatsanwaltlichen Beschlagnahme (Absatz 2) . . . . . .
8 9 10 12 13
15 16 17
18 20
Rn. V. Durchführung der Postbeschlagnahme 1. Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beim Postunternehmen . . . . . . . . VI. Öffnung der Sendungen und Prüfung auf ihre Beweiserheblichkeit (Absatz 3) 1. Grundsatz: Richterliche Zuständigkeit 2. Öffnung und Prüfung durch das Gericht a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . b) Öffnung und Prüfung . . . . . . . c) Verfahren bei Übertragung der Öffnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlagnahme beweiserheblicher Sendungen als Beweismittel . . . . . .
22 23
29 32 33
36 37
VII. Mitteilung von Postsendungen (Absatz 5)
38
VIII. Abschriftliche Mitteilung von Teilen von Postsendungen (Absatz 6) . . . . . .
41
IX. Beendigung der Postbeschlagnahme 1. Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . 2. Erlöschen . . . . . . . . . . . . . . .
43 44
X. Auskunftsersuchen . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliche Bestätigung entsprechend § 100 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . 4. Benachrichtigungspflicht . . . . . . . 5. Auskunft . . . . . . . . . . . . . . .
48 49 50
XI. Anfechtung 1. Gerichtliche Entscheidungen . . . . . 2. Anordnungen der Staatsanwaltschaft .
51 54
XII. Verwertungsverbot. Revision
. . . . . .
45 46 47
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I. Überblick 1
1. Zweistufigkeit des Verfahrens. Bei § 99 wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Beschlagnahme von Postsendungen zweistufig aufgebaut ist. Die in §§ 99 und 100 geregelte „Postbeschlagnahme“ verpflichtet zunächst das Postunternehmen, die mit Beschlag belegten Sendungen dem Gericht (oder – ausnahmsweise – dem Staatsanwalt; vgl. Rn. 15) auszuliefern, der sie öffnet und prüft, ob sie als Beweismittel
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von Bedeutung und deshalb nach §§ 94, 98 zu beschlagnahmen sind. Erst aufgrund dieser Entscheidung erfolgt die eigentliche Beschlagnahme der einzelnen Sendung.1 2. Gesetzliche Regelung. Während § 99 die Voraussetzungen der Postbeschlagnahme 2 bestimmt, enthält § 100 im Wesentlichen Zuständigkeitsregeln, und zwar Absatz 1 und 2 über die Zuständigkeit für die Anordnung und Absatz 3 und 4 für die Öffnung der Sendungen. Für die eigentliche Beschlagnahme einzelner Sendungen als Beweismittel gelten §§ 94, 98. 3. Notwendigkeit einer Postbeschlagnahmeanordnung. Eine freiwillige Herausgabe 3 von Sendungen durch das Postunternehmen kommt wegen des Postgeheimnisses (§ 39 PostG) nicht in Betracht (§ 99, 15). Wohl aber kann die Einwilligung der am Kommunikationsvorgang Beteiligten eine förmliche Postbeschlagnahmeanordnung entbehrlich machen (§ 99, 12).
II. Zuständigkeit. Richtervorbehalt 1. Zuständigkeit (Absatz 1). Die Postbeschlagnahme ist wegen des Eingriffs in das 4 Grundrecht des Postgeheimnisses grundsätzlich dem Gericht vorbehalten. Wegen der gerichtlichen Zuständigkeit vgl. § 98, 8 ff. Welches Gewicht das Gesetz dem Briefgeheimnis beimisst, wird daran deutlich, dass die Staatsanwaltschaft, innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs auch die Amtsanwaltschaft (§ 142 GVG), zur Beschlagnahme nur ausnahmsweise bei Gefahr im Verzug befugt ist und dass eine solche Notzuständigkeit für die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) nicht vorgesehen ist. Diese dürfen die Beschlagnahme niemals anordnen.2 Sie dürfen nicht einmal das kurzfristige Anhalten der Sendungen bei dem Postunternehmen bis zur Erwirkung einer staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Beschlagnahmeanordnung verlangen,3 sondern nur unterstützend herangezogen werden.4 2. Gefahr im Verzug. Auch wenn der Richtervorbehalt hier nicht verfassungsrecht- 5 lich vorgegeben ist, werden an die Annahme von Gefahr im Verzug keine geringeren Anforderungen gestellt werden dürfen als bei der Durchsuchung. Die dortigen Erläuterungen gelten auch hier. Auch hier soll der Richter als unabhängige und neutrale Instanz das Grundrecht sichern und dabei auch für eine gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen, die in der Regel vor Durchführung der Maßnahme nicht angehört werden können. Insbesondere bedarf es einer Dokumentation der Gründe, auf welche die Staatsanwaltschaft die Annahme von Gefahr im Verzug stützt. Die wegen Gefahr im Verzug von der Staatsanwaltschaft erlassene Beschlagnahmeanordnung bedarf nach Absatz 2 der gerichtlichen Bestätigung (unten Rn. 18) und tritt außer Kraft, wenn diese nicht innerhalb der gesetzlich genannten Frist erteilt wird (unten Rn. 20).
1 2
Im Einzelnen BGH (ER) StV 2008 225 f. Die anderslautende Vorschrift des Art. 15 Abs. 4 Satz 2 der Bremer Verfassung vom 21.10.1947 („Bei Gefahr im Verzuge können auch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten eine Beschlagnahme von Postsachen anordnen“) verstößt gegen Bundesrecht und
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4
ist deshalb nichtig, soweit sie die Strafverfolgung betrifft. Meyer-Goßner 2; KK/Nack 1; SK/Wohlers 5. Gleiches gilt für die Bediensteten der Steuerfahndung. BGH StV 2008 225.
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III. Die Anordnung der Postbeschlagnahme durch das Gericht 6
1. Form. Das Wort Beschlagnahme bedeutet in § 100 Abs. 1, anders als in § 98, die an das Postunternehmen gerichtete Anordnung, bestimmte Sendungen auszusondern und den Ermittlungsbehörden auszuliefern. Eine Form für diese Anordnung schreibt § 100 nicht vor. Die Anordnung des Richters ergeht schriftlich als Beschluss, kann aber zunächst mündlich oder fernmündlich übermittelt werden, wobei sie aber schriftlich zu bestätigen ist.
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2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Die Erl. bei § 98, 14 bis 16 gelten entsprechend. Insbesondere bedarf es der Prüfung, ob ein auf Tatsachen gestützter Tatverdacht besteht, denn das Gesetz will gerade die ausforschende Überprüfung des Postverkehrs im Interesse des Postgeheimnisses vermeiden. Auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bedarf angesichts des Gewichts des Eingriffs ausdrücklicher Prüfung (§ 99, 24). Handelt es sich um eine ermittlungsrichterliche Maßnahme, ist zu beachten, dass der Richter hier im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes tätig wird, denn eine vorherige Anhörung des Betroffenen ist bei der Postbeschlagnahme regelmäßig nicht möglich, soll die Maßnahme erfolgreich durchgeführt werden (§ 33 Abs. 4 Satz 1). Der Richter ist also verpflichtet, die beantragte Maßnahme in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit an Hand der vollständigen, ihm von der Staatsanwaltschaft vorzulegenden Akten zu überprüfen. 3. Inhalt des Beschlusses
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a) Beschuldigter. Bezeichnung der auszuliefernden Sendungen. § 99 setzt einen bestimmten Beschuldigten voraus (§ 99 Rn. 18). Dieser ist im Beschluss zu benennen. Die zurückzuhaltenden und auszuliefernden Sendungen oder Gruppen von Sendungen sind in der Anordnung nach äußeren Merkmalen so eindeutig zu beschreiben, dass der Umfang der Beschlagnahme nicht zweifelhaft sein kann.5 Hierzu enthalten Nrn. 77 und 78 RiStBV eingehende für die Staatsanwaltschaft bindende und für den Richter hilfreiche Einzelheiten. Für Gruppen von Sendungen empfehlen sich die in Nr. 77 Abs. 3 genannten Bezeichnungen. Bei Sendungen an den Beschuldigten müssen sein voller Name, bei häufig wiederkehrenden Namen auch andere Unterscheidungsmerkmale, und seine genaue Anschrift (Straße, Hausnummer und Bestimmungspostamt) angegeben werden. Gegebenenfalls ist das Kennzeichen für postlagernde Sendungen, die Deckadresse oder die Anschrift des Empfängers mitzuteilen, der die für den Beschuldigten bestimmten Sendungen in Empfang nimmt. Bei Sendungen, die von dem Beschuldigten herrühren, ist anzugeben, an welchem Ort sie vermutlich aufgegeben und mit welchem Absender sie wahrscheinlich versehen sein werden. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts (Sendungen, bei denen Tatsachen vorliegen, aus welchen zu schließen ist, dass sie von dem Beschuldigten herrühren) genügt nicht. Es empfiehlt sich insbesondere, dem Postunternehmen die wahrscheinlich als Empfänger in Betracht kommenden Personen mitzuteilen. Die Bezeichnung der Sendung nach einer Schriftprobe ist nicht zulässig, da die Tätigkeit des Postunternehmens auf einfaches Aussortieren beschränkt ist.6 Dies schließt nicht aus, dass das Postunternehmen in Zweifelsfällen (unklare Bezeichnung des Adressaten oder
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BGH NJW 1956 1806; HK/Gercke 5; MeyerGoßner 4; KK/Nack 2; SK/Wohlers 8; Welp 157.
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Straße des Empfängers) auch Sendungen ausliefert, die nur möglicherweise von der Postbeschlagnahme erfasst werden. b) Adressat der Postbeschlagnahme. Seit der Postreform können, je nachdem, ob es 9 auf den Absendeort oder den Zustellort ankommt, als Verpflichtete verschiedene Postunternehmen in Betracht kommen. Es ist deshalb zu prüfen und im Beschluss deutlich zu machen, welche Unternehmen verpflichtet werden sollen. Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, Tulpenfeld 4, 53113 Bonn, erteilt Auskunft, welches Unternehmen im Einzelfall als Adressat einer Postbeschlagnahmeanordnung in Betracht kommt (Nr. 79 RiStBV). c) Begründung. Der gerichtliche Beschluss ist zu begründen, da er anfechtbar ist; vgl. 10 Rn. 51. Erforderlich ist eine auf Tatsachen gestützte Begründung des Tatverdachts. Da im Gegensatz zu den ausdrücklich an den Beschuldigten gerichteten Sendungen 11 die Beschlagnahme der von ihm herrührenden oder für ihn bestimmten Sendungen in den Nachrichtenverkehr Dritter eingreifen kann, sind die Voraussetzungen der Beschlagnahme in diesen Fällen strenger. Dass die Briefe oder sonstigen Sendungen von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind, muss aus Tatsachen geschlossen werden; Vermutungen genügen nicht (§ 99 Satz 2; dort Rn. 27). Anders als bei Sendungen, auf denen der Beschuldigte eindeutig als Empfänger bezeichnet ist, setzt die Postbeschlagnahme hier auch den Nachweis von Tatsachen voraus, aus denen zu schließen ist, dass der Inhalt der Sendungen für die Untersuchung von Bedeutung ist (dazu § 94 Rn. 18). Dasselbe gilt trotz fehlender gesetzlicher Regelung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch für an den Beschuldigten gerichtete Sendungen, wenn die Beweisbedeutung erwarteter Sendungen nicht auf der Hand liegt. Dies ist im Beschluss auszuführen. 4. Beschränkungen. Die Beschlagnahmeanordnung soll nach Nr. 80 Abs. 1 RiStBV 12 von vorneherein auf eine bestimmte Zeit beschränkt werden. Dies hat die Staatsanwaltschaft schon in ihrem Antrag an den Ermittlungsrichter zu beachten. Damit werden vermeidbare Verzögerungen bei der Postauslieferung verhindert, im Übrigen wird erfahrungsgemäß jede Beschlagnahme den Beteiligten nach einiger Zeit bekannt und hat dann nur noch selten Erfolg. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet nicht selten auch eine sachliche Beschränkung. Meist wird eine an sich zulässige Beschlagnahme aller Postsendungen nicht geboten sein. Dann muss die Maßnahme je nach dem Ermittlungszweck auf Sendungen des Beschuldigten an bestimmte Empfänger oder auf bestimmte Sendungen, z.B. auf geschlossene Briefe und auf Postkarten oder auf Pakete und Päckchen an den Beschuldigten, auf Geschäftsbriefe oder Privatbriefe (was allerdings genau zu bestimmen ist), beschränkt werden. Das kann für die Ermittlungen sogar zweckmäßig sein, weil die Auslieferung anderer Sendungen oft verhindert, dass die Beschlagnahme vorzeitig bekannt wird. Gelegentlich reicht es aus, nur die bereits vorliegenden Postsendungen zu beschlagnahmen. Dabei ist freilich zu beachten, dass eine zu differenzierte Anordnung zu erhöhtem Arbeitsaufwand und, was schwerer wiegt, zu häufig schwer zu handhabenden Abgrenzungsschwierigkeiten führt. Grundsätzlich gilt, dass der im Einzelfall noch zu rechtfertigende Aufwand auch von der Wichtigkeit der Untersuchung abhängt. 5. Rechtliches Gehör. Bekanntmachung. Bei der Postbeschlagnahme ist vorheriges 13 rechtliches Gehör aus den in § 33 Abs. 4 Satz 1 genannten Gründen regelmäßig nicht angebracht. Der Betroffene kann sich nachträglich Gehör verschaffen, wenn er später von den getroffenen Maßnahmen benachrichtigt worden ist (§ 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2) oder sonst von der Postbeschlagnahme auf andere Weise Kenntnis erhalten hat.
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Aus demselben Grunde unterbleibt gemäß § 101 Abs. 5 zunächst auch eine Bekanntmachung der Anordnungen an den Beschuldigten und die sonst von der Beschlagnahme Betroffenen, etwa an die Empfänger, wenn der Beschuldigte der Absender ist, oder an die wahren Adressaten, wenn irrtümlich angenommen worden war, eine Sendung sei für den Beschuldigten bestimmt gewesen. Zum Zeitpunkt der Benachrichtigung s. Erl. zu § 101.
IV. Die Anordnung der Postbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft 15
1. Gefahr im Verzug. Das Gewicht des Grundrechts des Postgeheimnisses, dem die ausdrückliche gesetzliche Regelung in Absatz 2 Rechnung trägt, gebietet es, den Begriff Gefahr im Verzug hier in derselben Weise zu handhaben wie bei § 105. Dass der Richtervorbehalt hier nicht verfassungsrechtlich verankert ist, mag allenfalls für die Frage eines Verwertungsverbots bei Verstößen, nicht aber für die Voraussetzungen der Notzuständigkeit von Bedeutung sein. Auf die Erl. zu § 105 wird deshalb verwiesen.
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2. Form. Auch die Anordnung der Staatsanwaltschaft ergeht grundsätzlich schriftlich, nur wenn wegen größter Eilbedürftigkeit eine andere Form nicht möglich ist, kann sie auch mündlich oder fernmündlich erfolgen. Die Staatsanwaltschaft muss dann aber ihre Anordnung schon aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich gegenüber dem Postunternehmen bestätigen.
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3. Inhalt. Zum notwendigen Inhalt der Anordnung gilt im Kern dasselbe wie für die richterliche Anordnung. Auch in Eilfällen ist es wichtig, den Beschuldigten und die zu beschlagnahmenden Postsendungen möglichst genau zu bezeichnen, um die Gefahr eines überflüssigen Eingriffs in das Postgeheimnis Beteiligter und Unbeteiligter so gering wie möglich zu halten. Wo für den Richter Begründungspflichten bestehen, muss sie auch die Staatsanwaltschaft beachten. Dabei kann sie sich freilich mit einer nachträglichen Dokumentation der Gründe für ihre Anordnung, die auch die fallbezogenen Tatsachen für die Annahme von Gefahr im Verzug enthalten müssen, begnügen. Einer solchen Begründung bedarf es schon deshalb, weil die gerichtliche Bestätigung nach Absatz 2 eine volle Rechtmäßigkeitsüberprüfung einschließlich der Annahme der Gefahr im Verzug voraussetzt.
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4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Postbeschlagnahme (Absatz 2). Die Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft ist immer nur eine vorläufige. Sie bedarf der richterlichen Bestätigung. Diese muss unverzüglich beantragt werden, da die Entscheidung des Richters binnen drei Tagen nach Erlass der Anordnung der Staatsanwaltschaft7 bei dem Postunternehmen eingegangen sein muss. Das Postunternehmen muss auf die Anordnung der Staatsanwaltschaft sofort tätig werden und ausgesonderte Sendungen der Staatsanwaltschaft übergeben, es darf damit nicht warten, bis die richterliche Bestätigung vorliegt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Zwischensatz von Absatz 2: „auch wenn sie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat.“ S. auch Rn. 20. Bei seiner Bestätigungsentscheidung entscheidet das nach § 98 zuständige Gericht 19 (§ 100 Abs. 4 Satz 1) in der Regel über die Rechtmäßigkeit der durch die Staatsanwalt7
Schnarr NStZ 1988 481, 383; Meyer-Goßner 7; vgl. auch BGHSt 44 243; in Eilfällen
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wird die Anordnung und ihr Eingang beim Postunternehmen an demselben Tag erfolgen.
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schaft angeordneten Maßnahme und über die Fortdauer der Postbeschlagnahme. Dabei wird die staatsanwaltschaftliche Eilentscheidung in vollem Umfang ebenso überprüft, wie wenn das Gericht vom Betroffenen nach § 98 Abs. 2 angerufen worden wäre (siehe auch dort Rn. 53).8 Dies gilt für die Voraussetzungen des Tatverdachts ebenso wie für die Beweiserheblichkeit der benannten Postsendungen, der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und der Voraussetzungen der Annahme von Gefahr im Verzug.9 Unabhängig davon und bezüglich der Einzelheiten der Postbeschlagnahme aufgrund eigener Prüfung10 entscheidet das Gericht zugleich, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt hatte, über die Fortdauer der Postbeschlagnahme. Kann eine Bestätigung nicht erfolgen, weil etwa Gefahr im Verzug zu Unrecht angenommen worden war, liegen aber jetzt die Voraussetzungen einer Postbeschlagnahme im Übrigen vor und beantragt die Staatsanwaltschaft die Fortdauer der Postbeschlagnahme, hebt das Gericht die staatsanwaltschaftlich angeordnete Beschlagnahme auf und erlässt einen neuen Beschluss mit Wirkung ex nunc, bei dem es inhaltlich nicht an die staatsanwaltschaftliche Eilmaßnahme gebunden ist. Zur Frage der Verwertbarkeit der bereits ausgelieferten Sendungen s. Rn. 21. Auch eine verspätete Bestätigung gilt als neue richterliche Beschlagnahmeanordnung, die mit dem Zeitpunkt des Eingangs bei dem Postunternehmen wirksam wird.11 5. Außerkrafttreten der staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahme (Absatz 2). Die 20 staatsanwaltschaftliche Beschlagnahmeanordnung tritt ohne weiteres außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom Gericht bestätigt wird. Ob schon Sendungen eingegangen sind, die unter die Beschlagnahmeanordnung fallen, ist ohne Bedeutung. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses. Die Frist wird nach § 42 berechnet, endet also am dritten Werktag nach dem Erlass der Anordnung um 24 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt muss die richterliche Bestätigung bei dem Postunternehmen vorliegen; auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung kommt es nicht an. § 43 Abs. 2 gilt.12 Die vor Fristablauf ausgesonderten Sendungen sind der Staatsanwaltschaft herauszugeben, nicht etwa bis zum Eintreffen der richterlichen Bestätigung zurückzuhalten (oben Rn. 18). Liegt bei Ablauf der Frist keine Bestätigungsentscheidung vor, dürfen keine Sendungen mehr an die Staatsanwaltschaft ausgeliefert werden, mögen sie auch schon ausgesondert sein. Erfolgt verspätet eine (als neue Entscheidung zu wertende) Bestätigungsentscheidung oder ergeht eine Postbeschlagnahmeentscheidung, werden davon alle noch bei dem Postunternehmen befindlichen Sendungen erfasst. Das Außerkrafttreten der Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft wirkt 21 nicht zurück. Die Sendungen, welche das Postunternehmen der Staatsanwaltschaft bis zum Fristablauf schon ausgeliefert hat, bleiben beschlagnahmt und sind nach § 100 Abs. 3 zu behandeln.13 Ob der Richter sie als Beweismittel beschlagnahmen darf oder ob Mängel der staatsanwaltschaftlichen Anordnung zu einem Verwertungsverbot führen, hat er zu entscheiden.
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S. dazu etwa Morree/Bruns FS BGH 581, 587. KK/Nack 5. BGHSt 28 206, 209; KK/Nack 5. Meyer-Goßner 7; SK/Wohlers 4. A.A. die Vorauflage wegen des Bestehens
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richterlicher Bereitschaftsdienste; der gesetzliche Wortlaut ist indessen eindeutig, vgl. Meyer-Goßner 7. Meyer-Goßner 7; Pfeiffer 2; Eb. Schmidt 4; Aubert 62; a.A. HK/Gercke 10.
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V. Durchführung der Postbeschlagnahme 22
1. Ablauf. Zur Durchführung der Postbeschlagnahme hat das Postunternehmen zunächst die mit Beschlag belegten Sendungen herauszusuchen und der Staatsanwaltschaft zu übergeben, sodann erfolgt, soweit erforderlich, die Öffnung und Prüfung der Sendungen auf ihre Beweiserheblichkeit.
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2. Beim Postunternehmen. Der richterliche Durchsuchungsbeschluss ist wie alle der Vollstreckung bedürfenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung zu übergeben (§ 36 Abs. 2). Im Ermittlungsverfahren ist es deren Sache zu entscheiden, ob überhaupt, wann und wie die Maßnahme durchzuführen ist. In dieser Verfahrenslage ist die Staatsanwaltschaft auch grundsätzlich frei, ob und wann sie von dem richterlichen Beschluss Gebrauch macht. Dies gilt jedenfalls solange, als sich die für den Erlass der Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht wesentlich geändert haben. Die vom Bundesverfassungsgericht für Durchsuchungsbeschlüsse ohne rechtliche Grundlage angenommene „Verfallszeit“ von einem halben Jahr (BVerfGE 96 44 zu § 105) wird auch hier gelten. Die Staatsanwaltschaft legt dem Postunternehmen den richterlichen Beschluss zur Aussonderung der darin bezeichneten Sendungen vor. Die dem Postunternehmen vorzulegende Beschlussfassung braucht nicht die vollständigen Gründe mit den Ausführungen zum Tatverdacht zu enthalten. Die Anordnung ist dem Postunternehmen nur „insoweit mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtungen zu ermöglichen“. Dies bestimmt § 10 Abs. 6 Satz 1 G10 2001 für den dortigen Regelungsbereich ausdrücklich, nichts Anderes gilt hier. Danach muss der dem Postunternehmen zu übergebende Auszug aus dem Beschluss lediglich klar erkennen lassen, welche Sendungen dieses auszusortieren und an wen zu übergeben hat und ob die anordnende Stelle dazu grundsätzlich befugt ist. Das Postunternehmen ist aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 99 und § 100 verpflichtet, die in der Anordnung bezeichneten Sendungen herauszusuchen und sie ungeöffnet der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Diese leitet sie dem Richter weiter, solange dieser die Öffnungsbefugnis nicht nach Absatz 3 Satz 1 der Staatsanwaltschaft übertragen hat (Absatz 3 Satz 4). Zum weiteren Verfahren bei Staatsanwaltschaft und Gericht s. Rn. 29 ff. Soll die Auslieferung an einen Beauftragten der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts erfolgen, so hat das Postunternehmen die Sendung in einem Umschlag zu verschließen, damit das Postgeheimnis gewahrt wird.14 Das Postunternehmen ist nach § 99 und § 100 gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet. Führt es die Anordnung gleichwohl nicht aus oder weigert sie sich, sie auszuführen, ist nach § 70 (i.V.m. § 95 Abs. 2 und § 161a Abs. 2) zu verfahren.15 Bei einer zunächst nur mündlich oder fernmündlich übermittelten Anordnung wird das Postunternehmen regelmäßig nur die von der Anordnung erfassten Sendungen aussondern, diese aber erst nach Eingang der schriftlichen Anordnung ausliefern, es sei denn, an der Ordnungsmäßigkeit der Anordnung bestünden keinerlei Zweifel. Keine sachliche Prüfung durch das Postunternehmen. Die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme trägt nur die anordnende Behörde. Sie allein prüft die Rechtmäßigkeit der Anordnung.
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14 15
Lengning 60. BGH NStZ 2009 397, 398 mit zustimmender
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Anmerkung von Bär NStZ 2009 398, 399; Meyer-Goßner 8; a.A. noch die Vorauflage.
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VI. Öffnung der Sendungen und Prüfung auf ihre Beweiserheblichkeit (Absatz 3) 1. Grundsatz: Richterliche Zuständigkeit. Die Öffnung verschlossener Sendungen ist 29 auch dann, wenn die Anordnung der Postbeschlagnahme wegen Gefahr im Verzug durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, dem Richter vorbehalten (Absatz 3 Satz 1); dieser kann allerdings die Befugnis für Fälle der Gefahr im Verzug auf die Staatsanwaltschaft übertragen (Absatz 3 Satz 2). Wegen des Gewichts des Postgeheimnisses und angesichts überall eingerichteter richterlicher Bereitschaftsdienste wird eine solche Übertragung aber kaum jemals zu rechtfertigen sein. Voraussetzung der Übertragung der Öffnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft ist, 30 dass eine Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung zu besorgen ist. Durch die Übertragung kann bei der Auslieferung der Gegenstände und der weiteren Sachbehandlung eine das Verfahren verzögernde Einschaltung des Richters in den Fällen vermieden werden, in denen der Erfolg der Ermittlungen von einem sofortigen Zugriff der Staatsanwaltschaft abhängt und in denen damit zu rechnen ist, dass sich aus der beschlagnahmten Post Anhaltspunkte für die Art, den Umfang oder den Ort weiterer Ermittlungshandlungen ergeben (vgl. BTDrucks. 7 551 S. 65). Die auf diese Weise ermöglichte schnellere Fortsetzung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kann mitunter auch Verdunkelungsmaßnahmen des Beschuldigten verhindern. Ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Übertragung der Öffnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft zulässig ist, entscheidet der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen. Er kann die Entscheidung von Amts wegen treffen; meist wird die Staatsanwaltschaft sie beantragen. Der Richter ordnet die Übertragung entweder zugleich mit dem Beschluss, durch den er die Beschlagnahme verfügt oder die Beschlagnahme der Staatsanwaltschaft bestätigt, oder nachträglich durch besonderen Beschluss an. Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 100 Abs. 3 Satz 3). Die Übertragung kann nach § 100 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 jederzeit widerrufen werden. Der Richter oder in den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 die Staatsanwaltschaft darf die 31 Öffnung nicht anderen Personen überlassen, sie dürfen aber Hilfspersonen zuziehen, wenn dies aus Sicherheitsgründen oder aus kriminalistischen Gründen erforderlich ist. So kann es erforderlich sein, Postsendungen mit Hilfe der Kriminaltechnik heimlich zu öffnen, um sie sodann weiter in den Postlauf zu geben, damit der Betroffene nicht vorzeitig von der Überwachung seines Postverkehrs erfährt. 2. Öffnung und Prüfung durch das Gericht a) Zuständigkeit. Nach Absatz 3 Satz 4 legt die Staatsanwaltschaft die ausgelieferten 32 Sendungen sofort (und zwar verschlossene ungeöffnet) dem Gericht vor. Dies schließt im Ermittlungsverfahren eine erste äußerliche Sichtung der Sendungen durch die Staatsanwaltschaft nicht aus, um offensichtlich nicht beweiserhebliche Sendungen sofort wieder in den Postlauf zu geben. Zuständig für die Öffnung und Prüfung der beschlagnahmten Postsendungen ist immer der Richter, der die Beschlagnahme angeordnet oder bestätigt hat (Absatz 4 Satz 2). b) Öffnung und Prüfung. Die Prüfung geht dahin, ob die Sendung ganz oder teilweise 33 als Beweismittel in Betracht kommt (§ 94, 11) und deshalb zu beschlagnahmen ist. Bejaht der Richter dies, kommt es zum eigentlichen Beschlagnahmeverfahren. Er darf abgesehen von den heute kaum mehr zu rechtfertigenden Fällen des Absatzes 3 Satz 2
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weder mit der Öffnung noch mit der Prüfung der Sendungen andere Personen beauftragen. Beweiserhebliche Sendungen werden zurückgehalten und in dem für alle Beweismittel geltenden Verfahren nach §§ 94, 98 beschlagnahmt. Der Richter muss nicht jede ihm übergebene Sendung öffnen. Insbesondere ist er 34 durch den die Beschlagnahme anordnenden oder bestätigenden Beschluss bei seiner Entscheidung, ob eine ausgelieferte Sendung zu öffnen ist, nicht gebunden.16 Dies gilt auch für das Ermittlungsverfahren.17 Lehnt er die Öffnung bestimmter Sendungen ab, so liegt darin konkludent eine Korrektur des Postbeschlagnahmebeschlusses, zu der er stets befugt ist. Nicht geöffnete oder heimlich geöffnete Sendungen werden dem Betroffenen wieder ausgehändigt (§ 101 Abs. 2 Satz 1). Geöffnete Sendungen können, auch wenn sie nichts Beweiserhebliches enthalten, zurückbehalten werden, bis durch deren Aushändigung der Zweck der Postbeschlagnahme nicht mehr beeinträchtigt wird (§ 101 Abs. 2 Satz 2). Werden bei der Prüfung des Inhalts Sendungen entdeckt, die zwar in keiner Beziehung 35 zu der Straftat stehen, derentwegen die Postbeschlagnahme angeordnet worden ist, die aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten, handelt es sich um einen Zufallsfund und § 108 gilt sinngemäß.18
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c) Verfahren bei Übertragung der Öffnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft (Absatz 3 Satz 2 und 3). Gegenüber dem Verfahren bei Öffnung und Prüfung durch das Gericht bestehen keine Besonderheiten.
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3. Beschlagnahme beweiserheblicher Sendungen als Beweismittel. Soweit Sendungen als Beweismittel zurückgehalten werden sollen, setzt dies die eigentliche Beschlagnahme nach §§ 94, 98 voraus. Sendungen, die der Ermittlungsrichter aufgrund seiner Prüfung für beweiserheblich hält, nimmt er zu den Akten und leitet sie der Staatsanwaltschaft zu. Damit werden diese Sendungen Teil der Akten und unterliegen der Akteneinsicht, wenn diese nicht im Ermittlungsverfahren nach § 147 Abs. 2 beschränkt wird. Die Staatsanwaltschaft prüft sodann ihrerseits die Beweiserheblichkeit. Bejaht sie dies, stellt sie den Antrag auf Beschlagnahme als Beweismittel gemäß §§ 94, 98. Entsprechendes gilt nach Öffnung und Prüfung von Postsendungen durch die Staatsanwaltschaft. Zu beachten ist, dass in beiden Fällen die zu beschlagnahmenden Gegenstände sich in behördlichem Gewahrsam befinden und dass deshalb Gefahr im Verzug im Sinne des § 98 nicht vorliegen kann. Zuständig für die Beschlagnahme als Beweismittel ist also immer der Richter.
VII. Mitteilung von Postsendungen (Absatz 5) 38
Absatz 5 übernimmt die frühere Regelung des § 101 Abs. 2 a.F., die schon immer systematisch zu § 99 gehörte.19 Die Vorschrift ordnet an, dass dem Beteiligten, das heißt dem Beschuldigten oder dem von ihm bestimmten Empfänger, Sendungen unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, auszuhändigen sind, deren Öffnung nicht angeordnet oder deren Zurückbehaltung nach ihrer Öffnung nicht erforderlich ist. Die Vorgabe, Postsendungen unverzüglich weiterzuleiten, bedeutet indessen nicht, dass die Rückgabe
16 17 18
Eb. Schmidt 7. Welp 95. HK/Gercke 15; Graf 19; KK/Nack 10.
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Vgl. die Gesetzesbegründung BTDrucks. 16 5846 S. 38.
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ohne Rücksicht darauf erfolgen muss, ob dadurch der weitere Untersuchungserfolg gefährdet wird.20 Postsendungen, deren Öffnung nicht angeordnet worden ist, können dem Postunter- 39 nehmen ohne weiteres zur Weiterbeförderung übergeben werden. Werden Postsendungen am Aufgabeort oder während ihrer Beförderung vor Ankunft am Bestimmungsort beschlagnahmt und geöffnet, sind sie zu verschließen und mit einem Vermerk über die gerichtliche Öffnung unter Beidrückung des Dienstsiegels zu versehen; anschließend können sie ebenfalls dem Postunternehmen übergeben werden, sobald sie befördert werden sollen. Häufig wird sich die Übersendung in einem neutralen Umschlag empfehlen. Wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht oder sind Postsendungen am Bestimmungsort beschlagnahmt und geöffnet worden, so müssen sie dem Empfänger durch die beschlagnahmende Stelle ausgehändigt werden. Das Postunternehmen darf darum nicht ersucht werden; jedoch können die Justizbehörden die zu befördernde Sendung in neuer Verpackung als ihre eigene Sendung durch die Post befördern lassen. Aushändigen heißt nicht, dass die Justiz die Postsendung dem Empfänger unmittelbar in die Hand geben muss. Die Weiterleitung ordnet das Gericht an. Eine Übertragung dieser Befugnis in entspre- 40 chender Anwendung des Absatzes 3 Satz 2 ist möglich.21
VIII. Abschriftliche Mitteilung von Teilen von Postsendungen (Absatz 6) Absatz 6 enthält den früheren § 101 Abs. 3 a.F. Die Vorschrift trifft eine besondere 41 Regelung über die Mitteilung von Teilen einer der Postbeschlagnahme unterworfenen Postsendung. Danach ist dem vorgesehenen Empfänger eine Abschrift des Teils der zurückbehaltenen Sendung abschriftlich mitzuteilen, dessen Vorenthaltung nicht durch die Untersuchung geboten erscheint. Eine Gefährdung des Untersuchungserfolges liegt nicht nur dann vor, wenn sie sich aus dem Inhalt der Postsendung ergibt, sondern auch dann, wenn durch die Bekanntgabe gemäß der Vorschrift die Postbeschlagnahme mit für die Untersuchung nachteiligen Folgen als solche offenbar würde.22 Teile von Postsendungen sind darüber hinaus nur dann mitzuteilen, wenn sie eine für 42 sich ohne den zurückbehaltenen Teil verständliche Mitteilung eigenen Inhalts enthalten, also nicht nur in der Anrede und Grußformel bestehen. Auch die üblichen Angaben und Anfragen über Familie und Gesundheitszustand, mit denen die eigentliche Mitteilung aus Gründen der Höflichkeit eingerahmt wird, bilden nur ausnahmsweise einen selbständigen Teil im Sinne der Regelung.
IX. Beendigung der Postbeschlagnahme 1. Aufhebung. Zu unterscheiden ist zwischen der Aufhebung der Postbeschlagnahme 43 und der Beschlagnahme der einzelnen Sendungen als Beweismittel. Erstere ist, wenn sie ohnehin nicht schon von vorneherein zeitlich befristet war, aufzuheben, sobald sie für die Ermittlungen nicht mehr erforderlich ist, sei es, dass der Beweis bereits auf andere Weise geführt werden kann, sei es, dass die Maßnahme dem Betroffenen bekannt wurde und
20
Wie hier die Vorauflage zu § 101 Rn. 12; a.A. KK/Nack 8; Meyer-Goßner 11.
21 22
Meyer-Goßner 11 a.E. A.A. Meyer-Goßner 12 m.w.N.
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deshalb keinen Erfolg mehr verspricht. Dies haben Ermittlungsrichter und Staatsanwaltschaft laufend zu überprüfen. Die Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung sofort den beteiligten Postunternehmen mitzuteilen. Für die Aufhebung der Beschlagnahme einzelner Sendungen gilt nichts Besonderes. Vgl. § 98, 56 ff.
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2. Erlöschen. Mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erlischt die Postbeschlagnahme ohne weiteres.
X. Auskunftsersuchen 45
Statt einer Postbeschlagnahme kann das Postunternehmen in den bei § 99, 29 ff. aufgezeigten Grenzen auch um Auskunft über Postsendungen an und vom Beschuldigten ersucht werden.23
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1. Zuständigkeit. Die Auskunft fordert das Gericht, bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft an (§ 100 Abs. 1). Polizeibeamte, auch wenn sie Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, dürfen keine Auskünfte verlangen, können aber im Auftrag des Richters oder der Staatsanwaltschaft tätig werden, wenn sie eine Ermächtigung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft vorlegen;24 vgl. auch Nr. 84 RiStBV.
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2. Form und Inhalt. Wegen Form und Inhalt gelten die Ausführungen zur Beschlagnahmeanordnung (oben Rn. 6 ff.) entsprechend. Die Postsendungen, die Telegramme und der Fernmeldeverkehr, über die Auskunft erteilt werden soll, müssen in dem Ersuchen so genau bezeichnet werden, dass über den Gegenstand der Auskunft kein Zweifel bestehen kann.25 Auf fernmündliches Ersuchen bereitet die Postbehörde die Auskunft nur vor. Sie erteilt sie erst, wenn das Ersuchen schriftlich bestätigt worden ist.26 Die Frage, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 99 Auskunft verlangt werden kann, und die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft, wenn diese die Auskunft begehrt, hat das Postunternehmen auch hier nicht zu prüfen.
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3. Gerichtliche Bestätigung entsprechend § 100 Abs. 2. Auskünfte über den Postverkehr dürfen der Staatsanwaltschaft in sinngemäßer Anwendung des § 100 Abs. 2 erst erteilt werden, wenn das Auskunftsersuchen richterlich bestätigt worden ist; das folgt daraus, dass das Auskunftsverlangen sich auf § 99 stützt und daher den gleichen Beschränkungen unterliegt, die das Gesetz für Beschlagnahmeanordnungen nach dieser Vorschrift enthält.27 Die Zuständigkeit richtet sich nach § 100 Abs. 4 Satz 1.
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4. Benachrichtigungspflicht. Zwar stellt das Auskunftsersuchen gegenüber der Postbeschlagnahme ein minus dar, Rechtsgrundlage hierfür sind aber §§ 99, 100. Deshalb gilt § 101 entsprechend.
50
5. Auskunft. Die Auskunft kann durch Zeugenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, erteilt das Postunternehmen die Auskunft schriftlich, kann sie in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 1 verlesen werden. 23 24
Vgl. auch Stern in Beck’scher Postkommentar2 § 39, 43. A.A. Welp 123 Fn. 16, der eine solche Ermächtigung für unzulässig hält.
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25 26 27
Neugebauer 267 ff.; Schäfer JR 1928 219. Neugebauer 269. Kurth NStZ 1983 542; Welp 126.
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XI. Anfechtung 1. Gerichtliche Entscheidungen. Es ist zum einen zwischen der Postbeschlagnahme, 51 die nur zur Aussonderung bestimmter Sendungen und deren Überprüfung auf Beweiserheblichkeit führt, und der anschließenden Beschlagnahme der Sendung als Beweismittel und zum anderen zwischen den Rechtsschutzsuchenden zu unterscheiden. Für die an die Postbeschlagnahme anschließende Beschlagnahme gelten die bei § 98 erörterten Grundsätze. Gegen die richterliche Anordnung der Postbeschlagnahme und gegen die richterliche Bestätigung einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung steht dem Absender und dem Adressaten der Postsendung im Sinne einer vorrangigen Sonderregelung der Rechtsbehelf nach § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 7 Satz 2 bis 4 zur Verfügung; auf die Kommentierung zu § 101 sei verwiesen. Für danach nicht Antragsberechtigte bleibt es bei dem Rechtsmittel der Beschwerde (§ 304 Abs. 1 und 2), auch wenn die Anordnung von dem erkennenden Gericht (§ 305 Satz 2) oder von einem Oberlandesgericht als Gericht des ersten Rechtszugs oder von dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts erlassen worden ist (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1). Letzteres ist nicht ganz unzweifelhaft, denn die Wirkung der Postbeschlagnahme beschränkt sich auf eine einstweilige Sicherstellung, die durchaus der des § 108 vergleichbar ist. Entscheidend wird sein, dass § 304 Abs. 4 und 5 lediglich den Begriff Beschlagnahme verwenden und anzunehmen ist, dass damit jede Maßnahme gemeint ist, die das Gesetz an anderer Stelle ausdrücklich so bezeichnet.28 Die Staatsanwaltschaft kann gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer 52 Beschlagnahmeanordnung oder auf Öffnung eines beschlagnahmten Briefes Beschwerde einlegen. Die Anordnung, mit der das Gericht die Befugnis zur Öffnung von Sendungen auf die Staatsanwaltschaft überträgt, ist unanfechtbar (§ 100 Abs. 3 Satz 3). Lehnt das Gericht aber einen Übertragungsantrag der Staatsanwaltschaft ab oder widerruft es die Übertragungsanordnung (§ 100 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2), so kann die Staatsanwaltschaft hiergegen Beschwerde nach § 304 Abs. 1 einlegen. Die Postunternehmen haben ein Beschwerderecht.29 Sie können jedoch nur die 53 Gesetzwidrigkeit der Anordnung geltend machen und insbesondere die Zumutbarkeit der von ihnen verlangten Leistungen gerichtlich überprüfen lassen. 2. Anordnungen der Staatsanwaltschaft. Zur Reichweite des § 101 Abs. 7 Satz 2 bis 4 54 in diesen Fällen vgl. die Kommentierung zu § 101. Gegen die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft ist eine Anrufung des Richters entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 in § 100 nicht vorgesehen. Es dürfte aber ergänzend § 98 entsprechend anwendbar sein. Ist im Verfahren nach § 100 Abs. 2 die Anordnung der Staatsanwaltschaft bestätigt worden, ist der Antrag des Betroffenen – soweit nicht vorrangig § 101 Abs. 7 Satz 2 bis 4 eingreift – als Gesuch um Aufhebung dieser Entscheidung zu behandeln, wurde in jenem Verfahren die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt oder die Beschlagnahme aufgehoben, ist der Antrag gegenstandslos, soweit er durch die gerichtliche Entscheidung erledigt ist.
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HK/Rautenberg § 304, 22. Meyer-Goßner 17; Graf 22 (nach dessen
Auffassung jedoch nur, soweit in ihrer eigenen Sphäre betroffen); a.A. Welp 146.
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XII. Verwertungsverbot. Revision 55
Verstöße gegen § 100 können für sich genommen nicht zu einem Verwertungsverbot führen, da eine Postsendung nicht durch die Postbeschlagnahme, sondern erst durch die anschließende Beschlagnahme nach § 98 zum Beweismittel wird. Wird freilich gegen den Richtervorbehalt in § 100 verstoßen, kann sich die Frage stellen, ob ein so erlangtes Beweismittel beschlagnahmt und dann verwertet werden darf. Die Situation ist mit der bei der Durchsuchung vergleichbar. Dabei kann aber hier von Bedeutung sein, dass bei der Postbeschlagnahme der Richtervorbehalt, anders als bei der Durchsuchung, nicht verfassungsrechtlich abgesichert ist,30 so dass ein Verwertungsverbot nur bei groben Verstößen in Betracht kommen dürfte. Wurde ein nicht verwertbares Beweismittel im Urteil verwertet, begründet dies die Revision, wenn das Urteil darauf beruht.
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1.
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(1) 1Auch ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht, oder durch eine Straftat vorbereitet hat, die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. (2) Schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 sind: aus dem Strafgesetzbuch: a) Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 80 bis 82, 84 bis 86, 87 bis 89a, 94 bis 100a, b) Abgeordnetenbestechung nach § 108e, c) Straftaten gegen die Landesverteidigung nach den §§ 109d bis 109h, d) Straftaten gegen die öffentliche Ordnung nach den §§ 129 bis 130, e) Geld- und Wertzeichenfälschung nach den §§ 146 und 151, jeweils auch in Verbindung mit § 152, sowie nach § 152a Abs. 3 und § 152b Abs. 1 bis 4, f) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen der §§ 176a, 176b, 177 Abs. 2 Nr. 2 und des § 179 Abs. 5 Nr. 2, g) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 bis 3, § 184c Abs. 3, h) Mord und Totschlag nach den §§ 211 und 212, i) Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a, 234, 234a, 239a und 239b, j) Bandendiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 2 und schwerer Bandendiebstahl nach § 244a, k) Straftaten des Raubes und der Erpressung nach den §§ 249 bis 255,
Vgl. Krehl JR 2001 491, 494.
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l) gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach den §§ 260 und 260a, m) Geldwäsche und Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte nach § 261 Abs. 1, 2 und 4, n) Betrug und Computerbetrug unter den in § 263 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Falle des § 263 Abs. 5, jeweils auch in Verbindung mit § 263a Abs. 2, o) Subventionsbetrug unter den in § 264 Abs. 2 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Falle des § 264 Abs. 3 in Verbindung mit § 263 Abs. 5, p) Straftaten der Urkundenfälschung unter den in § 267 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Fall des § 267 Abs. 4, jeweils auch in Verbindung mit § 268 Abs. 5 oder § 269 Abs. 3, sowie nach § 275 Abs. 2 und § 276 Abs. 2, q) Bankrott unter den in § 283a Satz 2 genannten Voraussetzungen, r) Straftaten gegen den Wettbewerb nach § 298 und, unter den in § 300 Satz 2 genannten Voraussetzungen, nach § 299, s) gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c, 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 3, des § 309 Abs. 1 bis 4, des § 310 Abs. 1, der §§ 313, 314, 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 sowie der §§ 316a und 316c, t) Bestechlichkeit und Bestechung nach den §§ 332 und 334, aus der Abgabenordnung: a) Steuerhinterziehung unter den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 genannten Voraussetzungen, b) gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel nach § 373, c) Steuerhehlerei im Falle des § 374 Abs. 2, aus dem Arzneimittelgesetz: Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a unter den in § 95 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe b genannten Voraussetzungen, aus dem Asylverfahrensgesetz: a) Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 Abs. 3, b) gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84a, aus dem Aufenthaltsgesetz: a) Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 2, b) Einschleusen mit Todesfolge und gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97, aus dem Außenwirtschaftsgesetz: vorsätzliche Straftaten nach den §§ 17 und 18 des Außenwirtschaftsgesetzes, aus dem Betäubungsmittelgesetz: a) Straftaten nach einer in § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 in Bezug genommenen Vorschrift unter den dort genannten Voraussetzungen, b) Straftaten nach den §§ 29a, 30 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 sowie den §§ 30a und 30b, aus dem Grundstoffüberwachungsgesetz: Straftaten nach § 19 Abs. 1 unter den in § 19 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen, aus dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen: a) Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3 und § 20 Abs. 1 und 2 sowie § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, b) Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3,
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10. aus dem Völkerstrafgesetzbuch: a) Völkermord nach § 6, b) Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7, c) Kriegsverbrechen nach den §§ 8 bis 12, 11. aus dem Waffengesetz: a) Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3, b) Straftaten nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchstabe c und d sowie Abs. 5 und 6. (3) Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt. (4) 1Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach Absatz 1 allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. 2Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt wurden, dürfen nicht verwertet werden. 3Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. 4Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen. Zur Geltung in Berlin bis zur Vereinigung Deutschlands s. 24. Aufl.
Schrifttum Albrecht/Dorsch/Krüpe Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen (2003); Alke Alles registriert – nur beim Autotelefon, DuD 1988 4; Amelung/Pauli Einwilligung und Verfügungsbefugnis bei staatlichen Beeinträchtigungen des Fernmeldegeheimnisses i.S.d. Art. 10 GG, MDR 1980 801; Amelung Ist die richterliche Anordnung nach StPO § 100a erforderlich, wenn ein Polizist ein Telefongespräch im Einverständnis mit einem der beiden Gesprächspartner mittels eines zweiten Telefonhörers mithören will? NStZ 1988 515; Arndt Kontrolle der Nachrichtendienste bei der Postund Fernmeldeüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika, DÖV 1986 467; ders. Die Fernmeldekontrolle im Verbrechensbekämpfungsgesetz, NJW 1995 169; ders. Grundrechtsschutz bei der Fernmeldeüberwachung, DÖV 1996 459; Aubert Fernmelderecht I. Teil (3) (1974); Backes/Gusy Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? StV 2003 249; Badura, Annuschka Zur Weitergabe von Gesprächsdaten durch die Deutsche Telekom, Archiv PT 1996 348; Badura Der Schutz des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses durch Verfassung und Gesetz, FS Amelung, 529; Bär Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren (1982); ders. Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs – Strafprozessuale Eingriffsmöglichkeiten in den Datenverkehr, CR 1993 587; ders. Zugriff auf Fernmeldedaten der Bundespost TELEKOM oder Dritter, CR 1993 634; ders. Zur Verwertung von Auskünften der Post über den mit einem Autotelefon geführten Fernmeldeverkehr, CR 1993 710; ders. Polizeilicher Zugriff auf kriminelle Mailboxen, CR 1995 489; ders. Zur Frage der Durchsuchung von Mailboxen; CR 1996 490; ders. Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996 675 (I), 744 (II); ders. Zur verdeckten Ausforschung als Zeugenbeweis, CR 1997 367; ders. EDV-Beweissicherung im Strafverfahren bei Computer, Handy, Internet, DRiZ 2007 218; ders. EDV-Beweissicherung im Strafverfahren (2007); ders. Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, MMR 2008 215; Baldus Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber erwägungsoffen, JZ 2008 218; Bergemann Die Telekommunikationsüberwachung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum „großen Lauschangriff“, in: GedS Lisken 69; Bernsmann Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle der tatsächlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Telefonüberwachung, NStZ 1995 512; Bernsmann/Janssen Anm. zu LG Aachen, StV 1999 590; Bernsmann/Sotelsek Telefonüberwachung bei Verdacht der Geldwäsche – Verwertbarkeit, StV 2004 113; Beukelmann Die Online-Durch-
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suchung, StraFo 2008, 1; Beulke Überwachung des Fernsprechanschlusses eines Verteidigers, Jura 1986 642; Beulke/Meininghaus Der Staatsanwalt als Datenreisender. Heimliche Online-Durchsuchung, Fernzugriff und Mailbox-Überwachung, FS Widmaier 63; Bizer Kryptokontroverse – Der Schutz der Vertraulichkeit in der Telekommunikation, DuD 1996 5 = KJ 1995 450; ders. Keine Rechtsgrundlage für Durchsuchung einer Mailbox, DuD 1996 627; Böckenförde Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008 925; Böttger/Pfeiffer Der Lauschangriff in den USA und Deutschland, ZRP 1994 7; Bothe/Heun/Lohmann Rechtsfragen des Errichtens und Betreibens von Fernmeldeanlagen, ArchPT 1995 5; Bottke Verwertbarkeit abgehörter Telefongespräche Dritter, JA 1980 748; Braum Expansive Tendenzen der Telekommunikationsüberwachung, JZ 2004 128; Brenner Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs mit Verteidigern, Diss. Universität Tübingen 1994; Buermeyer Die „Online-Durchsuchung“. Verfassungsrechtliche Grenzen des verdeckten hoheitlichen Zugriffs auf Computersysteme, HRRS 2007 329; Dahs Verwertungsverbote bei unzulässiger Beschlagnahme von Tagebuchaufzeichnungen, Verteidigungsunterlagen sowie bei unzulässiger Gesprächsaufzeichnung und Blutprobe, in: Deutscher Anwaltsverein, Wahrheitsfindung und ihre Schranken 1989 122; Danckert Das Recht des Beschuldigten auf ein unüberwachtes Anbahnungsgespräch, StV 1986 171; Deckers/B. Gercke Strafverteidigung und Überwachung der Telekommunikation, StraFo 2004 84; Degenhart/Kopetz Neue Medien und Datenschutz, jur 1988 278; Demko Die Erstellung von Bewegungsbildern mittels Mobiltelefon als neuartige strafprozessuale Observierungsmaßnahme, NStZ 2004 62; Depping Die „mithörende“ Steuerfahndung, StB 1995 97; Dickel Überwachungspraxis in Deutschland – Telefonüberwachungen auf dem Prüfstand, Kriminalistik 1994 87; Dorsch Die Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO (2005); Duelli Alles über Mobilfunk, 1991; Dünnebier Das Erforschungs- und Verfolgungsverbot des § 7 Abs. 3 G 10, DuR 1980 383; Dürig, Gerhard Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10), ArchPT 1969 293; Eckhardt Die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, CR 2007 336; Eisenberg/Nischan Strafprozessualer Zugriff auf digitale multimediale Videodienste, JZ 1997 74; Eisenberg/Singelnstein Zur Unzulässigkeit der heimlichen Ortung per SMS, NStZ 2005 62; Fezer Überwachung der Telekommunikation und Verwertung eines „Raumgesprächs“, NStZ 2003 625; Fischer, Roger Datenschutz bei Mailboxen, CR 1995 178; Fox Realisierung, Grenzen und Risiken der Online-Durchsuchung, DuD 2007 827; Füllkrug Telefonüberwachung als kriminalistische Erkenntnisquelle, Kriminalistik 1990 349; Gaede Der grundrechtliche Schutz gespeicherter E-Mails beim Provider und ihre weltweite strafprozessuale Überwachung, StV 2009 96; B. Gercke Der Mobilfunkverkehr als Ausgangspunkt für strafprozessuale Überwachungsmaßnahmen – ein Überblick, StraFo 2003 76; ders. Verdeckte Beweisgewinnung im Cyberspace: Die „Online-Durchsuchung“, NIP 2005 21; ders. Auskunftsansprüche der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Internet-Providern, NIP 2006 45; M. Gercke Analyse des Umsetzungsbedarf der Cybercrime Konvention, Teil 1: Umsetzung im Bereich des materiellen Strafrechts, MMR 2004 728; ders. Heimliche Online-Durchsuchung: Anspruch und Wirklichkeit, CR 2007 425; Glaser/Gedeon Dissonante Harmonie: Zu einem zukünftigen „System“ strafprozessualer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 415; Gleß Beweisverbote in Fällen mit Auslandsbezug, JR 2008 317; Globig Die Verwertung von Abhörerkenntnissen aus einer Telefonüberwachung gem. § 100a StPO zu Zwecken der Gefahrenabwehr, ZRP 1991 81; ders. Replik: Gefahrenabwehr durch Verwertung von Erkenntnissen aus Telefonabhörmaßnahmen gem. § 100a StPO, ZRP 1991 289; ders. Zur Vernichtung der Niederschriften über eine Telefonüberwachung und zur gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit erledigter Telefonüberwachungsmaßnahmen, StV 1994 286; Gössel Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1984 361; Götz Sicherstellung von Mobiltelefonen, Kriminalistik 2005 300; Gramlich Die Zweite Novelle des G 10-Gesetzes, NJW 1997 1400; Gropp Zur Verwertbarkeit eigenmächtig aufgezeichneter Telefongespräche, StV 1989 216; Groß Verteidiger, Abgeordnete und Journalisten als verbotene unfreiwillige Medien zur strafprozessualen Aufklärung, StV 1996 559; Gross-Spreitzer Die Grenzen der Telefonüberwachung nach §§ 100a, 100b StPO unter Berücksichtigung der Aussageverweigerungsrechte im Strafprozeß, Diss. Heidelberg 1987; Grunst Moderne Gesetzestechniken in StGB und StPO aus kritischer Sicht der juristischen Methodenlehre, GA 2002 214; Günther Zur strafprozessualen Erhebung von Telekommunikationsdaten – Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung oder verfassungsrechtlich unkalkulierbares Wagnis? NStZ 2005 485; Gusy Das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses, JuS 1986 89; ders. Überwachung der Tele-
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kommunikation unter Richtervorbehalt. Effektiver Grundrechtsschutz oder Alibi? ZRP 2003 275; Hassemer Rechtsprechungsübersicht – Fernwirkung unzulässiger Telefonüberwachung, JuS 1988 658; ders. Telefonüberwachung und Gefahrenabwehr, ZRP 1991 121; Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit, Habil. Gießen 2011/VÖ 2013; Helmken Reform des Richtervorbehalts, StV 2003 193; Herzog/Britting Telefax-Aufzeichnung – ein Fall der Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß § 100a StPO? wistra 1994 86; Hilger Über Vernichtungsregelungen in der StPO, NStZ 1997 371; Heun IT-Unternehmen als Telekommunikationsanbieter, CR 2008 79; Hoeren Überwachungsmöglichkeiten des Internet und Mitwirkungspflichten der Provider, wistra 2005, 1; Hoffmann Die Online Durchsuchung – staatliches „Hacken“ oder zulässige Ermittlungsmaßnahme, NStZ 2005 121; Homick Staatlicher Zugriff auf elektronische Medien, StraFo 2008 281; Hund Überwachungsstaat auf dem Vormarsch – Rechtsstaat auf dem Rückzug? NJW 1992 2118; Jahn Der strafprozessuale Zugriff auf Telekommunikationsverbindungsdaten – BVerfG NJW 2006, 976 JuS 2006 491; Jahn/Kudlich Die strafprozessuale Zulässigkeit der Online-Durchsuchung, JR 2007 57; Joecks Die strafprozessuale Telefonüberwachung, JA 1983 59; Jordan WLAN Scannen – rechtliche Einsatzmöglichkeien bei der Strafverfolgung, Kriminalistik 2005 514; Jung Rechtsprechungsübersicht – Zulässigkeit des Telefonmithörens durch die Polizei, JuS 1994 617; Kaiser Das Postgeheimnis und seine erlaubte Durchbrechung, NJW 1969 18; Kaiser Verwertbarkeit von Äußerungen Dritter während überwachter Telefongespräche (§ 100a StPO), NJW 1974 349; Kemper Anforderungen und Inhalt der Online-Durchsuchung bei der Verfolgung von Straftaten, ZRP 2007 105; Kilian Datensicherheit in Computernetzen, CR 1991 73; Kinzig Die Telefonüberwachung in Verfahren organisierter Kriminalität: Fehler bei der richterlichen Anordnung, Mängel des Gesetzes, StV 2004 560; Klein Strafverfahrensrecht – Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs, Verwertungsverbot, JA 1986 111; Klein Offen und (deshalb) einfach – Zur Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails beim Provider, NJW 2009 2996; Klesczewski Zur Zulässigkeit der Speicherung von Verbindungsdaten und ihrer Verwendung als Beweismittel im Strafverfahren, NStZ 1993 446; ders. Das Auskunftsersuchen an die Post: Die wohlfeile Dauerkontrolle von Fernmeldeanschlüssen, StV 1993 382; ders. Verwertbarkeit der Ergebnisse einer rechtmäßigen Telefonüberwachung in einem wegen Verdachts eines Aussagedelikts gegen einen früheren Zeugen geführten Strafverfahren? StV 1994 530; ders. Das Ende des Auskunftsersuchens nach § 12 FAG, JZ 1997 719; ders. Straftataufklärung im Internet, ZStW 123 (2011) 733; Knauth Zufallserkenntnisse bei der Telefonüberwachung im Strafprozeß, NJW 1977 1510; ders. Beweisrechtliche Probleme bei der Verwertung von Abhörmaterial im Strafverfahren, NJW 1978 741; Königshofen Private Netze aus fernmelderechtlicher Sicht, Archiv PT 1994 39; Kühne Telefonüberwachung von Rechtsanwälten, NStZ 1998 682; Krehl Strafprozessuale Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die die Polizei durch nichtgenehmigtes Mithören eines Telefongesprächs mittels einer zweiten Hörmuschel gewonnen hat, StV 1988 376; Kretschmer Die Verwertung sogenannter Zufallsfunde bei der strafprozessualen Telefonüberwachung, StV 1999 221; Krückels Der Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Beschuldigten des § 100a StPO und des Verdächtigen des Artikels 1 § 2 G10, Diss. Köln 1974; [C.] Krüger Die sogenannte „stille SMS“ im strafprozessualen Ermittlungsverfahren, ZJS 2012 606; Krüpe-Grescher Die Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO in der Rechtspraxis (2005); Kubicek Probleme des Datenschutzes bei der Kommunikationsverarbeitung im ISDN, CR 1990 659; Kubicek/Bach Neue TK-Datenschutzverordnungen, CR 1991 489; dies. Datenschutzprobleme beim ISDN gelöst? DuD 1991 544; Kubicek/Mohr/Falke Daten- und Verbraucherschutz in der Postreform II, ZG 1992 320; Kudlich Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – Zur „MitHör-Fallen“-Entscheidung des Großen Strafsenats – BGH (GS), NStZ 1996, 502, JuS 1997 696; ders. Geldwäscheverdacht und Überwachung der Telekommunikation JR 2003 453; ders. Straftaten und Strafverfolgung im Internet – Zum strafrechtlichen Gutachten für den 69. DJT, StV 2012 560; Küpper Tagebücher, Tonbänder, Telefonate – Zur Lehre von den selbständigen Beweisverwertungsverboten im Strafverfahren, JZ 1990 416; ders. Zur Verwertung von Beweisen aus einer Telefonüberwachung und deren Überprüfbarkeit, JR 1996 214; Kugelmann Die Vertraulichkeit journalistischer Kommunikation und das BVerfG, NJW 2003 1777; Kutscha Neue Grenzmarken des Polizeiverfassungsrechts, NVwZ 2005 1231; ders. Verdeckte Online-Durchsuchung und Unverletzlichkeit der Wohnung, NJW 2007 1169; Kutscha/Roggan Große Lauschangriffe im Polizeirecht. Konsequenzen des Karlsruher Richterspruchs, in: GedS Lisken 25; Lehmann Die Grenzen der Überwachung des Fernmeldeverkehrs als strafprozessuale Maßnahme nach den §§ 100a ff. StPO, Diss.
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Universität Regenburg 1978 (zugleich überarbeitet in ArchPT 1979 1 und 113); Lindemann Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Strafverfahren, JR 2006 191; Lisken Telefonmithören erlaubt? NJW 1994 2069; Löffelmann Aktuelle Rechtsprobleme der Telekommunikationsüberwachung, AnwBl. 2006 598; ders. Die Übertragbarkeit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung auf die Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, ZStW 118 (2006) 358; Lohberger Mittelbare Verwertung sogenannter Zufallserkenntnisse bei rechtmäßiger Telefonüberwachung nach § 100a, b StPO? FS Hanack 253; Lührs Eingeschränkte Beschlagnahmemöglichkeiten von „Mailbox-Systemen“ aufgrund des Fernmeldegeheimnisses? wistra 1995 19; Lücking Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Diss. Freiburg (Breisgau) 1992; Maiwald Zufallsfunde bei zulässiger strafprozessualer Telefonüberwachung – BGH NJW 1976 1462, JuS 1978 379; Mahnkopf/Döring Telefonüberwachungsmaßnahmen bei Opfern von Schutzgelderpressungen ohne deren Einwilligung, NStZ 1995 112; Malek Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Strafverfahren, NJ 1992 242; Mann/Müller Präventiver Lauschangriff via Telefon? ZRP 1995 180; Martina Das Fernmeldeanlagengesetz nach der Postreform II, ArchPT 1995 105; Mechtel Zur Zulässigkeit der Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung auf einen Telefonanschluß, Archiv PT 1988 160; Meier Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Zufallsfunden über Unbeteiligte und die von Unbeteiligten herrühren bei Abhörmaßnahmen nach § 100a StPO, Diss. Tübingen 1988; Meier/Böhm Strafprozessuale Probleme der Computerkriminalität, wistra 1992 166; Michalke Digitale Daten im Spannungsfeld – Chancen der Verteidigung, StraFo 2005 92; dies. Staatlicher Zugriff auf elektronische Medien, StraFo 2008 287; Mörlein Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Beschuldigtem im Rahmen des § 100a StPO, Diss. München, 1993; Mösch Spezielle Fragen der Telefonüberwachung im Rahmen des § 100a StPO und des polizeilichen Einsatzes von Abhörgeräten, Kriminalistik 1975 337; Müller, Harry Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses – Art. 10 GG – und die wesentlichen Ausnahmen, Diss. Kiel 1979; Neuhaus Die strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, 100b, 101 StPO) FS Rieß 375; Neumann/Wolff Informationsermittlung für Anordnungen nach §§ 100a und 100f StPO im Wege telekommunikationsrechtlicher Auskunfsverfahren, TKMR 2003 110; Nöding Die Novellierung der strafprozessualen Regelungen zur Telefonüberwachung, StraFo 2007 456; Palm/Roy Mailboxen: Staatliche Eingriffe und andere rechtliche Aspekte, NJW 1996 1791; Palm/Roy Der BGH und der Zugriff auf Mailboxen, NJW 1997 1904; Petri Im Schatten des Leviathan – Zum Verhältnis von Sicherheit und Freiheit anhand von Beispielen aus der TK-Überwachung, RDV 2003 16; Pfeiffer Telefongespräche im Visier der elektronischen Rasterfahndung, ZRP 1994 253; Penack Erläuterte Entscheidungen, Strafverfahrensrecht – Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch Zählervergleichseinrichtung – Verwertungsverbot, JA 1988 299; Prittwitz Die Grenzen der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO, StV 1984 302; ders. Zur Verwertbarkeit zufällig aufgezeichneter Raum- und Hintergrundgespräche, StV 2009 437; Puschke/Singelnstein Verfassungsrechtliche Vorgaben für heimliche Informationsbeschaffungsmaßnahmen, NJW 2005 3534; dies. Telekommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und (sonstige) heimliche Ermittlungsmaßnahmen der StPO nach der Neuregelung zum 1.1.2008, NJW 2008 113; Ricke Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs durch den Zollfahndungsdienst, ZfZ 1988 2; Riegel Der Quantensprung des Gesetzes zu Art. 10 GG (G10), ZRP 1995 176; ders. Nochmals – Telefonüberwachung und Gefahrenabwehr, ZRP 1991 286; ders. Rechtliche Neuerungen und politische Veränderungen des Gesetzes zu Art. 10 GG (G10), ZRP 1991 392; ders. Zur Suche nach Rechtsgrundlagen für die Fernmeldeaufklärung oder strategische Rasterfahndung des Bundesnachrichtendienstes (BND), ZRP 1993 468; Rieß, Peter Grenzen der Telefonüberwachung des Verteidigers und die Unverwertbarkeit aus ihr gewonnener Erkenntnisse, JR 1987 77; ders. Verwertungsprobleme bei der Aufklärung von Katalogtaten am Beispiel der Fernmeldeüberwachung (§ 100a StPO), in: Wahrheitsfindung und ihre Schranken, 1989 141; ders. Über Subsidiaritätsverhältnisse und Subsidiaritätsklauseln im Strafverfahren, GedS Meyer 367; Rieß, Joachim Regulierung und Datenschutz im europäischen Telekommunikationsrecht (1996); ders. Daten- und Verbraucherschutz im europäischen Kommunikationsrecht, CR 1991 747; ders. Der Telekommunikationsdatenschutz bleibt eine Baustelle, DuD 1996 328; Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, (1992); Roggan Moderne Telekommunikationsüberwachung: Eine kritische Bestandsaufnahme, KritV 2003 76; ders. (Hrsg.) Onlinedurchsuchungen – Rechtliche und tatsächliche Konsequenzen des BVerfG-Urteils vom 27. Fe-
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bruar 2008 (2008); ders. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei strafprozessualer Telekommunikationsüberwachung, StV 2012 762; Rossmüller/Scheinfeld Telekommunikationsüberwachung: Eine kritische Bestandsaufnahme, KritV 2003 76; Rudolphi Grenzen der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den §§ 100a, b StPO, FS Schaffstein 433; Roßmüller/ Scheinfeld Telefonüberwachung bei Geldwäscheverdacht, wistra 2004 52; Ruhmannseder Die Neuregelung der strafprozessualen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, JA 2009 57; Rütter Die Telekommunikationsdienstleistungsfreiheit und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen, jur-PC 1991 1306, 1357; Sankol Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und Telekommunikation – Der Regelungsgehalt der §§ 100a ff. StPO, JuS 2006 698; ders. Überwachung von Internet-Telefonie, CR 2008 13; Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen „Nachrichtenmittler“ – Ein Überblick über die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen, MMR 2008 154; Schäfer/Bock Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs mittels privater Netzbetreiber, ArchPT 1996 19; Schatzschneider Fernmeldegeheimnis und Telefonbeschattung, NJW 1981 268; ders. Telefondatenverarbeitung und Fernmeldegeheimnis, NJW 1993 2029; Schild Die Verwertung von Abhörerkenntnissen aus einer Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO zu Zwecken der Gefahrenabwehr, ZRP 1991 311; Schlink Die dritte Abhörentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1989 11; Schmidt, Joachim Die Gewährleistung des Datenschutzes bei der Teilnahme an Kommunikationsdiensten, dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Telekommunikationsordnung, DuD 1988 564, 613; Schmidt, Jochen Zur strafprozessualen Verwertbarkeit von Aufzeichnungen der DBP Telekom über geführte Funktelefongespräche und zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Erfassung der Gesprächsdaten, Archiv PT 1993 185; Schmidt, Thomas Rechtsprechungsübersicht – Umfang der Nachprüfung von Telefonüberwachungen, JuS 1995 940; Schmittmann Die Überwachung und Aufzeichnung von Telefaxübermittlungen im Lichte des Art. 10 GG, RDV 1995 234; ders. Zur Telefonüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst, CR 1995 753; Schnabl Strafprozessualer Zugriff auf Computerdaten und die „Cyber-Crime“ Konvention, Jura 2004 379; Schnarr Über die Pflicht zur Vernichtung von Unterlagen nach § 100b Abs. 5 S. 1 StPO, MDR 1987 1; ders. Zur Fristberechnung bei Anordnungen der Fernmeldeüberwachung, NStZ 1988 481; ders. Gehören Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB zum Deliktsbereich von Katalogtaten? NStZ 1990 257; Schneider Dürfen Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung, die in einem Verfahren wegen einer Katalogtat einem Zeugen vorgehalten wurden, in einem später wegen Falschaussage gegen den Zeugen gerichteten Strafverfahren verwertet werden? NStZ 1994 504; Schnelle Abhörmaßnahmen nach §§ 100a, 100b StPO in Nebenstellenanlagen, Diss. Tübingen 1989; Scholz Zur Kostenerstattungspflicht des Staates für gesetzliche Maßnahmen der Telefonüberwachung, ArchPT 1995 169; Schwabenbauer Verwertung von Zufallsfunden einer verfassungswidrigen Durchsuchung, NJW 2009 3207; Schüler Rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Die Polizei 1990 105; Schünemann Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Zufallserkenntnissen bei der Telefonüberwachung, NJW 1978 406; Schumacher Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Strafverfahren, Diss. Hamburg 1976; Seitz Strafverfolgungsmaßnahmen im Internet (2004); Steinke Telefondatenspeicherung – Neue Perspektive für die Polizei, NStZ 1992 372; Sternberg-Lieben Die „Hörfalle“ – Eine Falle für die rechtsstaatliche Strafverfolgung? Jura 1995 299; Soviotis Fernmeldegeheimnis, Datenschutz sowie Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, VR 2008 333; Spatscheck Beschlagnahme von Computerdaten und E-Mails beim Berater, FS Hamm 733; Staechelin § 100a als Seismograph der jüngeren Strafrechts- und Strafverfahrensgeschichte, KJ 2005 466; Störing Strafprozessuale Zugriffsmöglichkeiten auf E-Mail-Kommunikation (2007); Störmer Der gerichtliche Prüfungsumfang bei Telefonüberwachungen – Beurteilungsspielraum bei Anordnungen nach § 100a StPO? StV 1995 653; Teske Strafverfahrensrecht – Unzulässige Fernsprechüberwachung eines Strafverteidigers, JA 1986 459; Thieme Zur Einführung: Telekommunikationsrecht, JuS 1989 791; [J.] Tiedemann Die „stille SMS“ – Überwachung im Mobilfunk, K&R 2004 63; Tietje Zulässigkeit des Telefonmithörens durch die Polizei – ein Fall der Art. 10 GG und 8 EMRK, MDR 1994 1078; Tölpe Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“ (2008); Valerius Ermittlungsmaßnahmen im Internet, JR 2007 275; Vassilaki Telekommunikationsüberwachung – Eine Darstellung der aktuellen Rechtsfragen, RDV 2004 11; Velten Verkehrsdaten in der Strafverfolgung: Beispiel für einen schleichenden Strukturwandel des Strafverfahrens, FS Fezer 87; Wagner Terrorismus, Hochverrat und Abhörgesetz, NJW 1980 913; Walther, Susanne Die „strafprozessuale“ Überwachung des Fernmeldeverkehrs – ein rechtsvergleichender Blick auf das gesetzliche
302
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100a
Regelungsmodell in den USA, StV 1991 270; Walz Datenschutz und Telekommunikation, CR 1989 56 (I) und 1990 138 (II); Weber, Gustav Fehlende Harmonisierung bei strafprozessualen Eingriffen in das Post- und Fernmeldewesen, ArchPT 1977 389; Wegermann Überwachungsstaat Deutschland – eine unwirkliche Geschichte, Der Kriminalist 2004 93; Welp Nachrichtendienstliche und strafprozessuale Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis, DÖV 1970 267; ders. Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihren strafprozessualen Funktionen, FS Gallas 391; ders. Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (1974); ders. Zufallsfunde bei der Telefonüberwachung Jura 1981 472; ders. Abhörverbote zum Schutz der Strafverteidigung, NStZ 1986 294; ders. Strafprozessuale Zugriffe auf Verbindungsdaten des Fernmeldeverkehrs, NStZ 1994 209; ders. Wird in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen, wenn ein Polizeibeamter im Einverständnis des Telefoninhabers ein Gespräch ohne Wissen des Gesprächspartners mithört? NStZ 1994 294; Werle Schutz von Vertrauensverhältnissen bei der strafprozessualen Fernmeldeüberwachung, JZ 1991 482; Wohlers/Demko Der strafprozessuale Zugriff auf Verbindungsdaten, StV 2003 243; Wolff/Neumann Anordnung der Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten gegen unbekannt? – Zur Bezeichnung des Betroffenen nach § 100h I 1 StPO, NStZ 2003 404; Wolter Verwertungsverbot bei zulässiger Telefonüberwachung, GedS Armin Kaufmann 1989 761; ders. Potential für eine Totalüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht, FS Rudolph 2004 733; ders. Alternativen zum Regierungs-Entwurf 2007 zur Neuregelung der Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 183; Würmeling/Felixberger Fernmeldegeheimnis und Datenschutz im Telekommunikationsgesetz, CR 1997 230; Wulf Telefonüberwachung und Geldwäsche im Steuerstrafrecht, wistra 2008 321; Zietsch Telefonüberwachung – Zur Frage der Verwertbarkeit von Zufallsfunden im Rahmen einer im Ausland angeordneten Telefonüberwachung, Kriminalistik 1996 129; Zillmer Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Fernsprechgeheimnisse, NJW 1965 2094; Zöller Die Jagd nach den Verbindungsdaten, in Datenübermittlungen und Vorermittlungen, FS Hilger 291; ders. Heimlichkeit als System, StraFo 2008 115; ders., Heimliche und verdeckte Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren, ZStW 124 (2012) 411; Zuck Abhörgesetz und Anwaltschaft, NJW 1969 911.
Übersicht Rn. A. Rechtliche Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung (TÜ) und die gewandelten Rahmenbedingungen der Telekommunikation I. Entstehungsgeschichte der §§ 100a, b StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Postreform und ihre Auswirkungen auf die Telekommunikationsüberwachung 1. Fernmeldeüberwachung zur Zeit des staatlichen Fernmeldemonopols . . 2. Die Postreform . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsverhältnisse der von der Telekommunikationsüberwachung betroffenen Personen . . . . . . . . . III. Das Fernmeldegeheimnis und die rechtlichen Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung heute 1. Das Fernmeldegeheimnis . . . . . . . 2. Rechtliche Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung . . . . a) §§ 100a, 100b StPO – Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . b) § 100g – Auskunft über Verbindungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn. c) § 100i – IMSI-Catcher . . . . . . . d) §§ 112, 113 TKG-Auskunft über Bestands- oder Vertragsdaten . . . e) § 23a ZFdG . . . . . . . . . . . . f) Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10 2001) . . . . . . . . . . . . .
1
16 17 24
26
B. Bedeutung und Geltungsbereich I. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . II. Geltungsbereich 1. Telekommunikation; Abs. 1 Satz 1 a) Telekommunikation als technischer Vorgang . . . . . . . . . . . . . . b) Überwachung nur mit Hilfe der Dienstanbieter . . . . . . . . . . . c) Überwachung nur im Netzbereich . 2. Einschränkende Auslegung; abschließende Regelung . . . . . . . . . 3. Strafverfolgung . . . . . . . . . . . .
34 36
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C. Einwilligung
37
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D. Voraussetzungen des Eingriffs I. Straftatenkatalog (Abs. 2) . . . . . . . . II. Die auch im Einzelfall schwerwiegende Tat (Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . .
4 5
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. . . . . . . . . . . . . .
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§ 100a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
III. Tatverdacht (Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . IV. Unentbehrlichkeit der Anordnung, Subsidiaritätsklausel (Abs. 1 Nr. 3) . . . . . V. Verhältnismäßigkeit; Beweiserhebungsverbot infolge Kernbereichsbetroffenheit nach Abs. 4 Satz 1 . . . . . . . . . . . . E. Maßnahme I. Überwachung der Telekommunikation 1. Allgemeine Begriffsbestimmung . . 2. Telegramme . . . . . . . . . . . . 3. Kommunikationsinhalt und Kommunikationsumstände . . . . . . . 4. Standortdaten. Funkzelle . . . . . . 5. Raumgespräch . . . . . . . . . . . 6. Stille SMS . . . . . . . . . . . . . 7. Netzbereich . . . . . . . . . . . . 8. Mailboxen; insbes. „E-Mailbeschlagnahme“ . . . . . . . . . . . . . . . 9. Quellen-TKÜ . . . . . . . . . . . . 10. Internet-Telefonie . . . . . . . . . . 11. Geschlossener Chat bzw. geschlossene Newsgroup . . . . . . 12. Online-Durchsuchung . . . . . . . II. Überwachung und Aufzeichnung . . . . III. Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschuldigter . . . . . . . . . . . . 2. Nichtbeschuldigte . . . . . . . . . 3. Geschützte Vertrauensverhältnisse . F. Art der Verwertung
. . . . . . . . . .
G. Verwendungsbeschränkungen I. Stellungnahme der Rechtsprechung und Literatur bis zum OrgKG 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung des BGH. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme der Literatur vor Inkrafttreten des § 100b Abs. 5 . . II. Die Verwendungsregelung in § 100b Abs. 5 a.F. in der Fassung des OrgKG . 1. Datentransfer von und zur Polizei . 2. Einzelheiten zur Verwendungsregelung des § 477 Abs. 2 Satz 2 . . a) Verwertung im Ausgangsverfahren, in dem die Maßnahme angeordnet worden ist . . . . . . . . . . b) Verwertung in anderen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . c) Nicht zu Beweiszwecken: Ermittlungsansatz . . . . . . . . . . . III. Äußerungen Dritter . . . . . . . . . . H. I. II. III. IV.
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Verwertungsverbote Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . Widerspruchslösung . . . . . . . . . . Verwendungsregel . . . . . . . . . . . Mängel bei den sachlichen Voraussetzungen (§ 100a) 1. Fehlende Katalogtat. Überwachungsverbot . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
50 51
53
55 56 57 61 69 70 71 72 75 79
V. VI.
80 81 82 86 87 88 92 95
99 101 102 103 104 105
109 111
VII.
112 113
VIII.
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IX.
X. 118
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2. Mängel bei der Begründung des Tatverdachts und der Behandlung der Subsidiaritätsklausel . . . . . . a) BGH: Beurteilungsspielraum bei Anordnungen der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . c) Überprüfung der Rechtmäßigkeit d) Voraussetzungen der Verwertbarkeit . . . . . . . . . . . . . . e) BGH: Anforderungen an den Prüfungsvorgang und die Begründung der richterlichen Entscheidung . . . . . . . . . . f) Prüfungspflicht des erkennenden Richters und des Revisionsgerichts . . . . . . . . . . . . . Mängel bei den förmlichen Voraussetzungen (§ 100b) . . . . . . . . . . . Kernbereichsbezogenes Beweisverwertungsverbot (Abs. 4 Satz 2) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Begriff des Kernbereichs . . . . . . 3. Relativierungen des Kernbereichsschutzes a) Die Bestimmung des privatheitsschützenden Kernbereichs unter Abwägung mit öffentlichen Interessen . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Relativierung infolge der Disponibilität des Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . c) Materielle Relativierung durch funktionale Auslegung des Kernbereichsbegriffs . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . bb) Die Lehre vom Sozialbezug . (1) Kein Sozialbezug durch Telekommunikation . . . . . . . (2) H.M.: Sozialbezug durch Verfahrensbezug . . . . . . . cc) Verdinglichung . . . . . . . 4. Wirkung des kernbereichsbezogenen Verwertungsverbots . . . . . . . . 5. Kritik am Schutzkonzept . . . . . . 6. Löschungs- und Dokumentationspflicht (Satz 3 und 4) . . . . . . . . Provozierte Selbstbelastung, § 136a, Hörfalle“, Fairnessrecht des Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnung von privater Kommunikation außerhalb der durch Netzbetreiber vermittelten Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . Reichweite des Verwertungsverbots. Vorhalt. Fernwirkung 1. Vorhalt . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fernwirkung . . . . . . . . . . . . Revision . . . . . . . . . . . . . . . .
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100a
Alphabetische Übersicht Abschließende Regelung 34, 35 Andere Strafverfahren 109–111 Aufzeichnung 14, 82, 83, 84, 85 Auskunft über Bestand- oder Vertragsdaten 17, 18, 19, 20, 21, 22 Auskunft über Verbindungsdaten/Verbindungsdaten 15 Auslandsbezüge 85 Außenwirtschaftsgesetz § 39 25 AWG § 39 25 Beschuldigter 86, 87 Bestandsdaten 13, 17, 18 Bestimmte Tatsachen 27 Betroffene 86 Beurteilungsspielraum 120, 121 Beweiszwecke 112 Datentransfer von und zur Polizei 104 Digitalisierung der Telekommunikation 83, 84 Einschränkende Auslegung 34, 35 Einwilligung 37, 38, 39, 40 E-mails 21 Ermittlungsansatz 112 Erpressungsopfer als Nachrichtenmittler 90 Fangschaltungen 38 Fehlende Katalogtat 118 Fernmeldemonopol 4, 5 Fernmeldeverkehr 29 Fernschreibverkehr 31 Fernsprechverkehr 31 Fernwirkung 166 Fremdsprachige Äußerungen 96 Funkzelle 49 Geldwäschetatbestand 42 Geschäftsmäßiges Erbringen von Telekommunikationsdiensten 9 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10 2001) 26 Heimliche private Aufzeichnungen 11 9 Hörfalle 159, 160 Inhaltsdaten 13 IMEI 16 IMSI 16 IMSI-Catcher 16 Internet-Telefonie 79, 80, 81 IP-Adresse 21 Kommunikationsinhalt 57 Kommunikationsumstände 57 Kriminalpolitische Bedeutung 28 Kundendatei 17, 18 Kryptodebatte 98 Mailboxen 72–81
Mithören am Endgerät 39, 40 Nachrichtenmittler 86–91 Nachrichtenmittler, Erpressungsopfer als 90 Nichtbeschuldigter 88 Notstand 35 Notwehr 35 Öffentliche Telefonzelle 89 Postreform 4, 5 Pre-paid-Karten 18 Private Kommunikation 162, 163 Provozierte Selbstbelastung 159 Prüfung der Verwertbarkeit 127, 128, 129 Prüfungspflicht des erkennenden Richters 129 Quellen-TKÜ 75, 76, 77, 78 Raumgespräche 69 Revision 167 Richtervorbehalt 130 Roaming 9 Standortdaten 61, 62, 63 Stille SMS 70 Straftatenkatalog 41–48 Subsidiaritätsklausel 51, 52 Tatsachen, bestimmte 50 Tatverdacht 46–50 Telefaxverkehr 31 Telegramme 56 Telekommunikation, Begriff 28 Telekommunikationsdienstleistungen 7 Telekommunikations-Überwachungsverordnung 8 Überprüfung der Rechtmäßigkeit 122–127 Überwachung 32, 33, 34, 35 Überwachungsverbot 118 Unentbehrlichkeit der Anordnung 51, 52 Verbindungsdaten 57, 58, 59, 60 Verdacht 42 Verhältnismäßigkeit 53 Verteidiger 94 Vertragsdaten 17 Vertrauensverhältnis 92, 93, 94 Verwertbarkeit 100, 123, 124, 125 126 VoIP 21 Vollstreckungsverfahren 34 Voraussetzungen des Eingriffs 41 Widerspruchslösung 115 Zählervergleichseinrichtungen 35 Zeugnisverweigerungsrecht 92, 93, 94 ZFdG 24, 25 Zollfahndungsdienstgesetz 22 Zufallsfunde 99
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§ 100a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
A. Rechtliche Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung (TÜ) und die gewandelten Rahmenbedingungen der Telekommunikation I. Entstehungsgeschichte der §§ 100a, 100b StPO In seiner ursprünglichen Fassung1 bestimmte Art. 10 GG, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sei unverletzlich, und fügte lediglich an, dass Beschränkungen nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen könnten.2 Um alliierte Vorbehaltsrechte zum Erlöschen zu bringen, bestimmte der Verfassungsgeber – von den Alliierten dazu bevollmächtigt – mittels des verfassungsändernden Gesetzes vom 24.6.1968,3 dass zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Bundes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes ein hierfür notwendiges Gesetz bestimmen könne, dass eine Beschränkung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses dem Betroffenen nicht mitgeteilt werde und an die Stelle des Rechtswegs die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestimmte Organe und Hilfsorgane (sog. G10-Ausschuss) trete (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG). 2 Eingriffsmöglichkeiten und Verfahren wurden im Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (G10) vom 13.8.1968 (BGBl. I S. 969) geregelt .4 Dessen Art. 1 befasst sich mit den Überwachungsbefugnissen der bundesdeutschen Nachrichtendienste, doch wurden über Art. 2 Nr. 2 G10 zugleich die Vorschriften der §§ 100a und b zur „Überwachung des Fernmeldeverkehrs“ in den achten Abschnitt des ersten Buches der StPO für Zwecke der Strafverfolgung eingefügt. Der Straftatenkatalog in Satz 1 Nr. 2 wurde durch Art. 2 des 12. StrÄndG, durch § 61 Abs. 3 des Waffengesetzes vom 19.9.1972 (BGBl. I S. 1797) und durch Art. 3 Nr. 1 des 4. StrRG geändert. Art. 21 Nr. 19 EGStGB 1974 ersetzte in der Klammerverweisung in Satz 1 Nr. 1 Buchst. b den § 109b durch § 109d, fügte einen neuen Buchstaben d ein (der bisherige wurde unter Neufassung der Klammerverweisung Buchstabe e), ersetzte in Satz 1 die Nummer 2 durch die Nummern 2 und 3 und setzte das Wort „Straftat“ an die Stelle der Worte „mit Strafe bedrohte Handlung“. Durch Art. 1 Nr. 25 des 1. StVRG wurde in Satz 1 die Nummer 4 eingefügt. Mit dem Poststrukturgesetz vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026) entfielen in Satz 1 die Worte „auf Tonträger“, womit die Möglichkeit der Speicherung aufgezeichneten Fernmeldeverkehrs auf anderen Medien eröffnet wurde. Anpassungen des Straftatenkatalogs erfolgten ferner durch das Gesetz zur Änderung des Waffenrechts v. 31.5.1978 (Neufassung von Satz 1 Nr. 3), durch das 18. StRÄndG (Neufassung von Satz 1 Nr. 2), durch das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts v. 28.7.1981 (Neufassung von Satz 1 Nr. 4), durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354; Änderung von Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c), das Gesetz zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsgesetzes und zum Verbot von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen (ABCWaffAWÜVerbG) vom 5. November 1990 (BGBl. I S. 2428; Anpassung von Satz 1 Nr. 3 an die insoweit geänderten Regelungen des Außenwirtschaftsgesetzes und Kriegswaffenkontrollrechts), das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze (AWGÄndG 7) vom 28. Februar 1992 (BGBl. I S. 372; Änderung von Satz 1 Nr. 3), schließlich das 26. StRÄndG
1
1 2 3
BGBl. 1949. Vgl. dazu Gramlich NJW 1997 1400 m.w.N. 17. Gesetz zur Ergänzung des GG vom 24.6.1968 (BGBl. I S. 709) dazu BVerfGE 30 1 ff.; vgl. Gramlich aaO.
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Zur verfassungsrechtlichen Vorgeschichte des Art. 10 GG vgl. Gramlich NJW 1997 1400 m.w.N.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100a
(vom 14. Juli 1992, BGBl. I S. 1255; Menschenhandel, Änderung von Satz 1 Nr. 2), das OrgKG5 (Anpassung von Satz 1 Nr. 4 an die dort geänderten betäubungsmittelrechtlichen Bestimmungen), das VerbrBekG6 (durch welches Satz 1 Nr. 5 eingefügt wurde), das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität7 (Aufnahme von Strafbestimmungen betr. Geldwäsche in Satz 1 Nr. 2) und das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts8 (Anpassung des Katalogs in Satz 1 Nr. 2 an die geänderten materiellrechtlichen Bestimmungen). Abs. 1 Satz 2 wurde durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 2. August 20009 der Änderung des materiellen Rechts durch das 6. StrÄndG angepasst und „§ 244 Abs. 1 Nr. 3“ in „§ 244 Abs. 1 Nr. 2“ geändert. Artikel 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 200210 brachte die Anpassung des Gesetzes an die materiellrechtliche Änderung des Völkermords durch das Völkerstrafgesetzbuch. Sodann wurden die Tatbestände des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 1, 2 und 4 StGB und des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge nach § 176b StGB durch das 6. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes11 in den Katalog aufgenommen. Art. 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts12 ändert (mit Inkrafttreten am 1.4.2003 – Art. 19) § 100a Satz 1 Nr. 3. Es handelt sich um reine Verweisungsänderungen. Mit dem Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108) wurde – um nur die im vorliegenden Zusammenhang wichtigsten Änderungen zu nennen13 – in Art. 1 § 1 und § 3 G10, ferner in § 100a Abs. 1 Satz 1 und § 100b Abs. 1 Satz 1 StPO, schließlich in § 17a ZSEG jeweils das Wort „Fernmeldeverkehr“ durch „Telekommunikation“ ersetzt. Art. 3 § 10 Abs. 1 G10 bestimmt nunmehr, dass Überwachungsmaßnahmen nach Art. 1 G10 oder §§ 100a, b StPO von den Betreibern der Telekommunikationseinrichtungen geheimzuhalten seien, verpflichtet diese also zur Verschwiegenheit. Auch die Mitwirkungspflichten der Betreiber wurden durch Neufassung der Absätze 2 und 3 des § 100b StPO den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung 200714 brachte eine Spezifizierung der Anordnungsvoraussetzungen, indem es in Abs. 1 Nr. 2 nun klarstellt, dass die Anlasstat, hinsichtlich der ein bestimmter Verdacht bestehen muss, auch im Einzelfall schwer wiegen muss. Es überführt die bisherige Subsidiaritätsklausel (am Ende von Satz 1 der a.F.) wortgleich in einen neuen, eigenen Absatz 3 und kodifizierte erstmalig für die TÜ den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in einem eigenen Absatz 4. Zudem wurde der Katalog der Anlasstaten in Absatz 2 wesentlich erweitert und modifiziert; 19 Straftatbestände wurden gestrichen und mehr als 30 neu aufgenommen.15 Nach weiteren Verfassungsbeschwerden im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber den Straftatenkatalog des Absatzes 2 noch um § 89a StGB – durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009, BGBl. I S. 2437, um § 184c Abs. 3 StGB – durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinder5
6
7 8
Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992, BGBl. I S. 1302. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Bestimmungen, Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994, BGBl. I S. 3186. Vom 4. Mai 1998 BGBl. I S. 845 ff. Vom 26. Januar 1998 BGBl. I S. 164, 186.
9 10 11 12 13 14 15
(StVÄG 1999) BGBl. I S. 1253. BGBl. I S. 2254. Vom 5. Oktober 2002 BGBl. I S. 3954. (WaffRNeuRegG) vom 11.10.2002 BGBl. I S. 3970 – Nr. 73 –. Zum Inhalt vgl. den Bericht in wistra 1997 Heft 8/V f. BTDrucks 16 5846 S. 41 ff.; BGBl. I S. 3198. Vgl. BVerfGE 129 208 (Rn. 196).
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pornografie vom 31. Oktober 2008, BGBl. I S. 2149 und um § 19 Abs. 3 Satz 2 Grundstoffüberwachungsgesetz (GÜG) durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Grundstoffüberwachungsrechts vom 11. März 2008, BGBl. I S. 306, ergänzt. Zur früheren Nichtgeltung im Land Berlin vgl. 24. Aufl. zu § 100a. Die infolge eines 3 Vorbehalts der Alliierten16 bestehende Beschränkung ist im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit entfallen. Nachdem die Alliierten auf ihre besonderen Rechte in Bezug auf Berlin schon in einer Erklärung vom 1. Oktober 199017 vorläufig (und später im Zwei-Plus-Vier-Vertrag18 – Art. 7 – endgültig) verzichtet hatten, konnten – nach Beitritt der neuen Bundesländer zum Bundesgebiet – mit Erlass des 6. Überleitungsgesetzes vom 25. September 199019 die §§ 100a, 100b und 101 Abs. 1 auch in (West-)Berlin in Kraft gesetzt werden. Für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin sind die genannten Vorschriften im Zuge der Ausweitung der Geltung der StPO auf dieses Gebiet durch das 6. Überleitungsgesetz und den Einigungsvertrag seit dem 3. Oktober 1990 geltendes Recht geworden.20
II. Die Postreform und ihre Auswirkungen auf die Telekommunikationsüberwachung 4
1. Fernmeldeüberwachung zur Zeit des staatlichen Fernmeldemonopols. Rund 100 Jahre lang war die Fernmeldehoheit des Staates gesetzlich geschützt.21 Der gesamte Fernmeldeverkehr lag damit in staatlicher Obhut. Das Grundgesetz änderte an dieser Zuständigkeit nichts. Das Fernmeldewesen blieb Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art. 73 Nr. 7 GG). Die sich aus dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses ergebende Verpflichtung (Art. 10 GG) traf deshalb zunächst allein den Staat. Er hatte dafür Sorge zu tragen, dass der Fernmeldeverkehr vor staatlichen Zugriffen und auch vor Zugriffen Dritter geschützt blieb. Nach Inkrafttreten des G10 waren umgekehrt allein staatliche Stellen aufgerufen, die Ermittlungsbehörden bei zulässigen Überwachungsmaßnahmen zu unterstützen. Fernmeldeverkehr war damit seinerzeit geprägt durch ein rechtliches „Zweipersonenverhältnis“, bei dem sich auf der einen Seite der Staat, auf der anderen Seite die Nutzer der staatlichen Fernmeldeeinrichtungen gegenüberstanden.
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2. Die Postreform. Diese Struktur hat sich durch die sog. Postreform grundlegend geändert. Europarechtlichen Vorgaben folgend 22 war es Zweck der Reform, das staatliche Monopol im Fernmeldewesen aufzulösen, dem man für die Zukunft ein Schritthalten mit der sprunghaften technischen Entwicklung und die Bereitstellung einer ange16
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Vgl. die Anordnung der Alliierten Kommandatura Berlin BK/O (69) 6 vom 17.7.1969 (GVBl. S.1028) und Art. 21 Nr. 19 EGStGB, der durch die Anordnung BK/O (74) 2 vom 23. April 1974 (GVBl. S. 1055) für in Berlin nicht anwendbar erklärt worden war. BGBl. II S. 1331. BGBl. 1991 II S. 587. BGBl. I S. 2106. Art. 8 i.V.m. Art. 3 des Einigungsvertrages (vgl. dort Anlage Kap. III Abschnitt III Nr. 14). Vgl. zum Ganzen auch SK/Rudolphi vor Rn. 1.
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Gesetz über das Telegrafenwesen des Deutschen Reiches vom 6. April 1892, RGBl. S. 462; Gesetz über Fernmeldeanlagen (FAG), zuletzt i.d.F. vom 3.7. 1989 (BGBl. I S. 1455), zuletzt geändert durch Art. 47d. Gesetzes vom 25.10.1994 (BGBl. I S. 3081); vgl. dazu Erbs/Kohlhaas/Lampe F 55 Vorbemerkung. Vgl. dazu im Einzelnen Büchner/Ehmer/Geppert/Kerkhoff/Piepenbrock/Schütz/Schuster/ Schuster, § 1 2 ff. TKG.; Erbs/Kohlhaas/ Kalf/Papsthart Vor § 1 passim TKG.
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messenen Infrastruktur nicht mehr zutraute.23 In Deutschland vollzog sich dieser Prozess in drei Schritten (Postreformen I – 1989 – und II – 1994 –, ferner Erlass des TKG – 1996). Nachdem schon 1988 zunächst der sog. Endgerätemarkt liberalisiert worden war,24 wurden mit dem Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost vom 8. Juni 1989 („Postreform I“)25 die Zuständigkeiten und Organisation im Bereich der damaligen Deutschen Bundespost grundlegend geändert. Dabei entstanden die zunächst noch öffentlichen Unternehmen Postdienst, Postbank und Telekom.26 Deren spätere Privatisierung wurde mit der Änderung des Grundgesetzes durch das Gesetz vom 30. August 1994 („Postreform II“) 27 in die Wege geleitet, dem zur Umsetzung des Vorhabens das Postneuordnungsgesetz vom 14. September 199428 folgte. Doch blieb zunächst das ursprünglich staatliche Fernmeldemonopol – nunmehr in privater Hand der Telekom – für eine Übergangszeit erhalten. Das Fernmeldeanlagengesetz galt in dieser Zeit als Übergangsrecht und war zuletzt bis zum 31. Dezember 1997 befristet.29 Mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25. Juli 1996 30 („Postreform III“) hat diese Umstrukturierung ihren vorläufigen Abschluss gefunden.31 Das obengenannte telekommunikationsrechtliche „Zweipersonenverhältnis“ hat sich dabei in das „Dreipersonenverhältnis“ Staat – Netzbetreiber – Nutzer gewandelt. An die Stelle des ehemaligen Bundespostministeriums ist zur Wahrung der staatlichen Aufgaben die Regulierungsbehörde getreten, die ihre Tätigkeit am 1. Januar 1998 aufgenommen hat.32 3. Die Rechtsverhältnisse der von der Telekommunikationsüberwachung betroffenen 6 Personen. Auch wenn der technische Betrieb von Telekommunikationseinrichtungen damit in private Hände gelegt ist, ist der Staat aus seiner Verantwortung für die Telekommunikation nicht vollständig entlassen. Nach wie vor hat er die politischen und hoheitlichen Belange des Fernmeldewesens in Händen. Dazu gehört in erster Linie die Wahrung der in Art. 10 GG verbrieften Bürgerrechte. Da er aber nach der Postreform keinen unmittelbaren betrieblichen Zugang zu den Fernmeldeeinrichtungen mehr hat, war ihm die Aufgabe gestellt, mit der Übertragung der Befugnis zum Betrieb von Fernmeldeeinrichtungen an Private Letztere gesetzlich in die Pflicht zu nehmen, um so die Kontinuität des Fernmeldegeheimnisses zu gewährleisten. Das TKG enthält deshalb in den §§ 88 ff. eine Reihe von Vorschriften, die die Netz- 7 betreiber zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses und zum darüber hinausgehenden Datenschutz verpflichten33 und insbesondere auch Bestimmungen zur technischen Um-
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Vgl. die Begründung zum Entwurf des TKG BTDrucks. 13 3609 S. 33. EWG-Richtlinie 88/301 (Abl. EG Nr. L 131 v. 27. Mai 1988); Büchner/Ehmer/Geppert/ Kerkhoff/Piepenbrock/Schütz/ Schuster, § 1, 7 TKG; zur Vorgeschichte Jansen NJW 1991 3062 f. BGBl. I S. 1026. Lampe aaO Rn. 2; zu den Materialien BTDrucks. 11 2854 und 2855. Art. 87f und 143b GG, BGBl. I S. 2245. PTNeuOG BGBl. I S. 2325. § 27 FAG i.d.F. des PTNeuOG, vgl. BTDrucks. 12 6718 S. 106; Lampe aaO Rn. 3. BGBl. I S. 1120.
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Zur Entstehungsgeschichte i.e. vgl. Büchner/Ehmer/Geppert/Kerkhoff/Piepenbrock/ Schütz/Schuster, § 1, 19 ff. TKG. §§ 66 ff., 100 TKG; Erbs/Kohlhaas/Kalf/ Papsthart Vor § 1, 29 TKG. BVerfG NJW 2002 3619; Würmeling/Felixberger CR 1997 230 und 555 ff.; zur Abgrenzung und teilweisen Überschneidung beider Schutzbereiche: Büchner/Ehmer/ Geppert/Kerkhoff/Piepenbrock/Schütz/ Schuster/Büchner, § 88 Rn. 1 TKG; siehe auch die aufgrund von § 30 Abs. 2 des Postverfassungsgesetzes vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026) erlassene Verordnung über den Datenschutz bei Dienstleistungen der Deutschen Bundespost TELEKOM
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setzung dieser Verpflichtungen treffen (§ 109 TKG).34 Angesprochen sind hier alle Betreiber, die geschäftsmäßig (§ 88 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Nr. 6 TKG, § 100b Abs. 3) Telekommunikationsdienstleistungen erbringen. Ferner regelt das TKG und die auf Grund des § 110 Abs. 2 TKG erlassene Telekom8 munikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) vom 22. Januar 200235 – Mitwirkungsund Kostentragungspflichten der Betreiber von Kommunikationsanlagen bei der staatlichen Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§ 110 TKG), sowie deren technische Umsetzung; denn auch hier ist der Staat nunmehr in der Regel auf die Mitwirkung der privaten Netzbetreiber angewiesen. Aus dem in diesem Zusammenhang neu gefassten § 100b Abs. 3 StPO ist ersichtlich, dass der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a alle diejenigen Telekommunikationsanlagen unterfallen, die geschäftsmäßig betrieben werden, für den öffentlichen Verkehr (so die frühere Rechtslage vor dem BegleitG) brauchen sie nicht mehr bestimmt sein. Das geschäftsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdiensten wird in § 3 Nr. 10 9 TKG definiert als das nachhaltige – gemeint ist damit das auf eine gewisse Dauer angelegte – Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht.36 Damit sind nur Betreiber eines Kommunikationsnetzes ausgegrenzt, welches ausschließlich internen Zwecken dient.37 Adressat der Verpflichtung aus § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO ist daher jeder, der einem Dritten, unabhängig davon, ob er zu diesem in Vertragsbeziehung steht, die Nutzung der von ihm im Sinne des § 3 Nr. 24 TKG betriebenen Telekommunikationseinrichtung ermöglicht. Darunter fallen beispielsweise auch die Betreiber von internen Netzen in Hotels, Krankenhäusern, sonstigen Betrieben oder Behörden, auch Clubtelefone,38 soweit über diese Anlagen Privatgespräche der Mitarbeiter/Mitglieder ermöglicht werden. Betreiber privater Haustelefonanlagen sind von der Regelung nicht erfasst,39 solange die Anlagen keine Öffnung (Gateway) zum öffentlichen Fernsprechnetz haben. Bei Mobilfunkunternehmen, die in ihrem Netzbereich aufgrund eines Abkommens ein Roaming, also die Fähigkeit eines Mobilfunkteilnehmers, in einem anderen, fremden Netzwerk als seinem Heimnetzwerk selbsttätig Anrufe empfangen oder tätigen zu können, gestatten, liegen diese Voraussetzungen ebenfalls vor. Zunächst ungeklärt bleibt damit freilich, ob die §§ 100a, b den Ermittlungsbehörden 10 auch die Befugnis einräumen, Telekommunikation ohne Zutun der Netzbetreiber zu überwachen. Das Bestreben der genannten Gesetzesänderungen war es, die neuen Betreiber ähnlich in die Pflicht zu nehmen, wie früher die staatliche Bundespost im Wege der Amtshilfe um technischen Beistand bei der Durchführung der Maßnahme in Anspruch genommen werden konnte. Wegen dieser engen Verbindung zweier staatlicher Stellen (Ermittlungsbehörden und Post) bestand früher kein Bedarf dafür, dass die Ermittlungsbehörden sich mit eigenem technischem Überwachungsgerät hätten ausstatten sollen. Die
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(TELEKOM-Datenschutzverordnung – TDSV vom 24. Juni 1991 (BGBl. I S. 1390 ff.). Vgl. dazu auch die auf Grund von § 41 TKG erlassene Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) vom 11. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2910 ff.), deren §§ 27 ff. den Umgang mit „Kundeninformationen“ näher regeln. BGBl. I S. 458.
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BGH – ER – NStZ 2003 272; Piepenbrock in Beck TKG-Kommentar 3. Aufl. § 3, 27 und 2. Aufl. § 87, 11 TKG; Welp GA 2002 535, 538; Wohlers/Demko StV 2003 241, 242. Wohlers/Demko StV 2003 241, 242. KK/Nack 18; Erbs/Kohlhaas/Kalf § 85, 8 TKG; Wuermeling/Felixberger CR 1997 555 ff. Nack aaO; BTDrucks. 12 S. 3609.
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neue Rechtslage zwingt aber zu Überlegungen, ob die Ermittlungsbehörden dies nunmehr dürfen. Zwar ist den neuen Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung keine Ermächtigung zu entnehmen, etwa in Räumlichkeiten oder Anlagen von Netzbetreibern ohne deren Mitwirkung einzudringen; bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten sieht § 115 TKG lediglich die Möglichkeit zur Verhängung von Zwangsgeld vor, gibt aber kein Recht zur Selbstvornahme. Doch sind – insbesondere bei Funkoder Satellitenübertragung – auch Überwachungsmaßnahmen vorstellbar, die außerhalb des geschützten Bereichs der Netzbetreiber greifen. So könnten staatliche Stellen durchaus auch mit eigenem technischem Gerät (Antennen/Empfangsanlagen) an beliebigen Orten elektromagnetische Wellen auffangen und entschlüsseln, ohne dass es der Mitwirkung der Betreiber dieser Funkstrecken bedürfte. Da damit jedoch Übermittlungsdaten in unüberschaubarem Umfang aufgefangen würden, somit in die Rechte einer unbestimmbaren Vielzahl von Nutzern ohne noch begrenzbaren Bezug zum Ermittlungsanlass eingegriffen würde, müssen die §§ 100a, b dahin verstanden werden, dass die Überwachung nur durch Vermittlung der in § 100b Abs. 3 angesprochenen Netzbetreiber geschehen darf.40 Etwas anderes gilt aber dann, wenn es lediglich darum geht, sich mit allgemein erhältlichem technischem Gerät, etwa einem PC, in eine Mailbox einzuwählen (zur Überwachung von Mailboxen noch unten Rn. 72). Nach wie vor umstritten ist die in § 110 Abs. 1 Nr. 1 (88 Abs. 1 und 4 a.F.) TKG 11 getroffene Kostenregelung.41 § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG verpflichtet die Betreiber von solchen Telekommunikationsanlagen dazu, auf eigene Kosten technische Vorkehrungen (sog. normierte Schnittstellen) vorzuhalten, die den zur Telekommunikationsüberwachung befugten staatlichen Stellen die Übermittlung einer Kopie der Telekommunikation erlauben.42 Die dadurch auf die Betreiber verlagerte Kostenlast ist im Gesetzgebungsverfahren mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gerechtfertigt worden,43 soll aber nach anderer Meinung verfassungsrechtlich bedenklich sein.44 Das VG Berlin war der Ansicht, den TK-Unternehmen müssten neben den Kosten für die Vorhaltung der Technik auch die Investitions- und Betriebskosten erstattet werden, und hatte die Vorschrift deshalb dem BVerfG vorgelegt;45 wegen der Unzulässigkeit dieser Vorlage konnte das BVerfG aber nicht in der Sache entscheiden.46 Inzwischen gewährt § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG nun pauschale Entschädigungssätze für konkrete Überwachungsmaßnahmen.
III. Das Fernmeldegeheimnis und die rechtlichen Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung heute 1. Das Fernmeldegeheimnis. Das verfassungsrechtlich durch Art. 10 Abs. 1 GG abge- 12 sicherte Fernmeldegeheimnis ist einfachgesetzlich in § 88 Abs. 1 TKG näher umschrieben. Danach unterliegen dem Fernmeldegeheimnis der Inhalt der Telekommunikation und die näheren Umstände der Telekommunikation, insbesondere die Tatsache, ob
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So im Ergebnis auch KK/Nack 5; MeyerGoßner 2; SK/Wolter 12 ff. Vgl. Wuermeling/Felixberger CR 1997 555, 560, 561. Zu den technischen Details §§ 6 bis 9 TKÜV. BRDrucks. 80/96 vom 22.3.1996 S. 44 (Nr. 82); BTDrucks. 13 4864 S. 83.
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Übersicht bei Ehmer aaO; Scholz ArchPT 1995 169; Gramlich NJW 1997 1400, 1403; Wächter VerwArch 1996 68, 72 ff. VG Berlin CR 2008 563; ferner VG Berlin MMR 2009 355 (Verstoß gegen Art. 12 GG). BVerfG MMR 2009 606.
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jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu seine Rechtsprechung bestätigend aus:47 „Das Fernmeldegeheimnis schützt zwar in erster Linie den Kommunikationsinhalt, umfasst aber ebenso die Kommunikationsumstände. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (vgl. BVerfGE 67, 157 ; 85, 386 ). Auch insoweit darf der Staat grundsätzlich keine Kenntnis nehmen. Das Grundrecht will die Bedingungen einer freien Telekommunikation aufrechterhalten. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein (vgl. BVerfGE 100, 313 ). Mit der grundrechtlichen Verbürgung der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses soll vermieden werden, dass der Meinungs- und Informationsaustausch mittels Telekommunikationsanlagen deswegen unterbleibt oder nach Form und Inhalt verändert verläuft, weil die Beteiligten damit rechnen müssen, dass staatliche Stellen sich in die Kommunikation einschalten und Kenntnisse über die Kommunikationsbeziehungen oder Kommunikationsinhalte gewinnen (vgl. BVerfGE 100, 313 ). Art. 10 Abs. 1 GG begegnet Gefahren für die Vertraulichkeit von Mitteilungen, die aus dem Übermittlungsvorgang einschließlich der Einschaltung fremder Übermittler entstehen. Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG umfasst sämtliche mit Hilfe der Telekommunikationstechniken erfolgenden Übermittlungen von Informationen, unabhängig davon, wer Betreiber der Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen ist (vgl. BVerfG, NJW 2002, S. 3619 ).“
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2. Rechtliche Grundlagen der Telekommunikationsüberwachung. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der an der Telekommunikation beteiligten Partner liegt vor, wenn staatliche Stellen sich ohne Zustimmung der Beteiligten Kenntnis von dem Inhalt oder den Umständen eines fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgangs verschaffen.48 Dass die staatlichen Überwachungsmaßnahmen sich unmittelbar nur an die Telekommunikationsunternehmen richten und nicht an die an der Kommunikation Beteiligten, ändert am Eingriffscharakter nichts.49 Dabei geht es um drei Arten von Daten, die zwischenzeitlich zum Teil auch Eingang in gesetzliche Regelungen gefunden haben, Bestandsdaten (oder Vertragsdaten), Verbindungsdaten und Inhaltsdaten.50 Bestandsdaten sind Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden (§ 3 Nr. 3 TKG; Rn. 17), Verbindungs- oder Verkehrsdaten sind Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, also solche über die näheren Umstände von Telekommunikation (§ 3 Nr. 30 TKG; Rn. 58, 59) und Inhaltsdaten schließlich sind die Daten, deren Übermittlung der Zweck der Kommunikation ist, also das Gespräch, der Inhalt einer E-Mail.51 Danach greifen die nachfolgend skizzierten Maßnahmen, mit Ausnahme der Auskunft nach §§ 110 ff. TKG,52 in das Grundrecht aus Art. 10 GG ein.
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a) §§ 100a, 100b StPO – Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation. Diese Vorschriften gestatten es den Ermittlungsbehörden am weitesten, in den geschützten Bereich des Fernmeldegeheimnisses einzugreifen. Sie ermöglichen für den Bereich der
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BVerfGE 100 313, 358; BVerfG NJW 2003 1787 = NStZ 2003 441 mit Anm. Gusy 399 = StV 2003 369. BVerfGE 100 313, 366; BVerfG NStZ 2003 441 = StV 2002 369. BVerfG NStZ 2003 441.
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Einzelheiten bei Zöller in: Datenübermittlungen und Vorermittlungen, FS Hilger 291, 296. Zöller Datenübermittlungen und Vorermittlungen, FS Hilger 291, 296. OVG Münster CR 2002 662.
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Strafverfolgung die „Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation“, und zwar sowohl von ihrem Inhalt als auch von ihren näheren Umständen, insbesondere der Verbindungsdaten. b) § 100g – Auskunft über Verbindungsdaten. Diese Vorschrift und ihre Vorgänger- 15 regelungen in §§ 100g und 100h a.F. lösen § 12 FAG ab und geben den Ermittlungsbehörden einen Auskunftsanspruch gegenüber den Betreibern auf Mitteilung von Verbindungsdaten, also nicht des Inhalts, sondern der näheren Umstände einer stattgefundenen oder erst noch stattfindenden Telekommunikation des Beschuldigten oder der in § 100a genannten Nachrichtenmittler, wenn es zu einer Verbindung gekommen ist. Verbindungsdaten können auch nach §§ 100a, 100b erhoben werden, jedoch sind dabei einerseits die Eingriffsvoraussetzungen strenger, andererseits entfällt die in § 100g Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 TKG enthaltene Beschränkung auf bestimmte Daten. c) § 100i – IMSI-Catcher. Das Gerät, dessen Einsatz in § 100i nunmehr geregelt ist, 16 ermöglicht es, innerhalb eines engeren räumlichen Bereichs die für die Überwachung des Mobilfunks erforderlichen individuellen Kennungen eines Endgeräts, aber auch dessen Standort festzustellen. Im Mobilnetz kann Telekommunikation praktisch nur in Kenntnis der digitalen Kennung der einzelnen Geräte oder ihrer Nutzer überwacht werden. Dazu gibt es zwei Codes. Es werden Karten- und Gerätenummern verwendet (vgl. § 100i Abs. 1 Nr. 1). Die IMSI (International Mobile Subscriber Identity) dient gemäß der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) der international eindeutigen Identifikation von Teilnehmern in drahtlosen (und drahtgebundenen) Kommunikationsdiensten. Bei Mobiltelefonen ist die IMSI auf der SIM-Karte gespeichert (die mit der Endgerätekennung IMEI nichts zu tun hat). Die IMSI bestehen aus einem 15-stelligen Code, der aus einem dreistelligen Ländercode (Deutschland 262), einem zweistelligen Code für den Netzbetreiber (z.B. 01 für Deutsche Telekom Mobilnet GmbH) und einem zehnstelligen Code für die Identifikation des Teilnehmers zusammengesetzt sind. Letzterem kann über weitere Verzeichnisse die Rufnummer entnommen werden. Während die SIM-Karte mit der IMSI beliebig in verschiedenen mobilen Endgeräten verwendet werden kann,53 ist die weltweit nur einmal vergebene Gerätenummer oder elektronische Gerätekennung, die IMEI (International Mobile Station Equipment Identity), grundsätzlich fest mit dem jeweiligen Endgerät verbunden, identifiziert also das Gerät. Wird ein mobiles Endgerät eingeschaltet, sendet es, auch wenn es nur auf Bereitschaft geschaltet ist, beide Kennungen über die nächste Basisstation der Funkzelle, in der sich das mobile Endgerät gerade befindet, an den Netzbetreiber. Damit ist die Überwachung der mit diesem Endgerät stattfindenden Telekommunikation möglich. Sind dieses Daten (IMEI und IMSI) des mobilen Endgeräts nicht bekannt, können sie gemäß § 100i mit Hilfe des sog. IMSI-Catchers für anschließende Maßnahmen nach §§ 100a und 100b (Überwachung der Telekommunikation) sowie nach § 100g (Auskunft über Verbindungsdaten) ermittelt werden. d) §§ 112, 113 TKG – Auskunft über Bestands- oder Vertragsdaten. Über die zur 17 Überwachung der Telekommunikation erforderlichen Kennungen werden bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten Dateien geführt. Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 TKG „haben“ Telekommunikationsdienste erbringende oder an der Erbringung mitwirkende Unternehmen Kundendaten unter den dort genannten Voraussetzungen zu erheben und
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Es soll Personen mit 90 und mehr SIM-Karten geben; vgl. 18.
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zu speichern. Ihnen wird insoweit eine Befugnis oder Rechtfertigung zum Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bezüglich der Kundendaten zugesprochen, von dem sie für ihre Zwecke mehr oder minder Gebrauch machen können, aber nicht müssen. Solche Daten müssen nach § 112 Abs. 4 TKG den zuständigen Stellen zur Verfolgung von Straftaten usw. übermittelt werden. § 112 Abs. 1 TKG „verpflichtet“ weitergehend den Anbieter – und nicht nur den Erbringer – von Telekommunikationsdiensten zur Führung von Kundendateien.54 § 111 Abs. 1 Satz 1 TKG zielt daher auf den Datenschutz, während § 112 Abs. 1 TKG den Bedürfnissen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben dient.55 Nach § 112 Abs. 1 TKG ist ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflich18 tet, Kundendateien zu führen, in die u.a. Rufnummer und Rufnummernkontingente sowie Name und Anschrift der Inhaber aufzunehmen sind. Nach Abs. 1 Nr. 1 sind die aktuellen Kundendateien von den Diensteanbietern verfügbar zu halten, sodass sie die Bundesnetzagentur abrufen kann. Das Führen von Kundendateien, aus denen Kundendaten abgerufen werden können, setzt zwingend die Erhebung dieser Kundendaten und ihr Einstellen in die Datei voraus. Dazu sind die Dienstanbieter deshalb verpflichtet. Bei den in die Datei einzustellenden Daten muss es sich um zutreffende Daten handeln. Das ergibt sich schon aus Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich den zuständigen Sicherheitsbehörden die Strafverfolgung anhand der von der Regulierungsbehörde abrufbaren Daten zu ermöglichen oder zu erleichtern, sondern auch aus der ausdrücklichen Forderung nach der „aktuellen Portierungskennung“ in § 112 Abs. 1 Satz 1. Die von den Diensteanbietern durch Richtlinien abverlangte Identitätsprüfung dient mithin der Sicherstellung der Richtigkeit der zu erhebenden und in die Datei einzustellenden Kundendaten (Bestandsdaten). Diesem Ziel dient auch die durch Richtlinien verlangte Notierung der Nummer des Identitätsdokuments, weil sie zur Überprüfung von Inhalt und Echtheit des Dokuments und damit letztlich der Daten selbst erforderlich sein kann. Die Einstellung der angeführten Daten in die Datei ist zwingende Voraussetzung zum Datenabruf. Die Freischaltung des Dienstes erst nach Abschluss des Identitätsnachweises ist notwendige Voraussetzung für eine ihrem Zweck entsprechende Anwendung der Vorschrift. Ein Abrufen „gesicherter“ Daten eines benutzten oder benutzbaren freigeschalteten Dienstes ist vor Abschluss der Identitätsprüfung nicht möglich. Der Streit, ob § 90 Abs. 1 TKG a.F. die Diensteanbieter verpflichtete, die Daten der Kunden auch dann zu erfassen und in Dateien aufzunehmen, wenn dies zur Vertragsabwicklung nicht erforderlich, aber für Zwecke der Strafverfolgung nützlich ist,56 wurde zunächst durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2003 – 6 C 23.02 – dahin entschieden, dass § 90 TKG a.F. nur die Verpflichtung enthielt, die für Zwecke der Diensteanbieter erforderlichen Daten zu erfassen und den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Nach dieser Rechtsprechung gab es anonyme Teilnehmer. Insbesondere musste bei vorausbezahlten Karten (pre-paid-Karten), für deren Kunden aus Gründen der Abrechnung eine Datenspeicherung nicht erforderlich ist, der Inhaber nach Name, Anschrift und Rufnummer nicht festgestellt und in der Datei nicht erfasst werden. Durch diese Entscheidung57 entstand so eine Überwachungslücke, weil in diesen Fällen über die nach
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Über den Wortlaut hinaus soll auch jeder Anbieter erfasst sein; vgl. nur Bock in Beckscher TKG-Kommentar § 112, 12 TKG. OVG Münster CR 2002 662. OVG Münster CR 2002 662 gegen die Vorinstanz VG Köln DuD 2001 45;
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Erbs/Kohlhaas/Kalf/Papsthart § 90, 2 TKG; a.A. Beck’scher TKG-Kommentar/Ehmer § 90, 14 TKG. Auf die der Bund Deutscher Kriminalbeamter empört reagiert habe, wie „Der Spiegel“ Nr. 44/203 S. 18 schrieb.
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§ 100i festgestellte Kartennummer eine Feststellung der Identität des Teilnehmers nicht möglich war. Andererseits haben Kriminelle die Überwachungsmöglichkeiten schon seither dadurch ausgehebelt, dass sie Mobilfunkendgeräte über mehrere Stationen geliehen und unter laufendem Austausch eine Vielzahl58 von Karten verwendet haben. Diese Regelungslücke hat § 111 Abs. 1 Satz 1 TKG inzwischen geschlossen: Danach sind sämtliche in § 111 Abs. 1 Nr. 1–6 TKG genannten Verkehrsdaten zu speichern, „auch soweit diese Daten für betriebliche Zwecke nicht erforderlich sind“. Auf Ersuchen (auch) der Strafverfolgungsbehörden hat nach § 112 TKG die Bundes- 19 netzagentur diese Kundendateien entweder im automatisierten Verfahren abzurufen und der ersuchenden Stelle zu übermitteln. Alternativ sieht § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG auch ein manuelles Verfahren zur Erteilung solcher Auskünfte im Einzelfall unmittelbar durch das Telekommunikationsunternehmen vor. Unabhängig davon, ob die Übermittlung im automatisierten Verfahren nach § 112 TKG oder im manuellen Verfahren gem. § 113 TKG erfolgt, treffen §§ 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG und § 23 JVEG eine abschließende Regelung über die Kosten der Dienstanbieter (dazu schon oben Rn. 8, 11). Diese Auskunftsansprüche umfassen gem. § 111 Abs. 1 Nr. 1 TKG, wie sich früher 20 schon den Worten „inhaltliche Ausgestaltung“ in § 89 Abs. 3 TKG a.F. entnehmen ließ59 und wie § 114 Abs. 1 Satz 2 TKG für die dort geregelte Auskunftspflicht über Telekommunikationsstrukturen und Netze ausdrücklich klarstellt, keine Informationen über einzelne Telekommunikationsvorgänge oder Verbindungsdaten von Teilnehmern. Vielmehr sind die inhaltlichen Vorgaben in § 111 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 TKG abschließend aufgezählt.60 Weitere Vertragsdaten können Polizei-, Ermittlungs- und Verfassungsschutzbehörden zu deren Aufgabenerfüllung nur bekanntgegeben werden, sofern eine andere Ermächtigungsgrundlage, wie z.B. § 100a oder u.U. auch § 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2 StPO, dies gestattet. Soweit ein Abruf der Daten im automatisierten Verfahren nicht erfolgen kann, kommt heute ein Abruf im manuellen Verfahren nach § 113 TKG in Betracht, sodass die früher favorisierte Lösung einer Auskunftserteilung über eine Zeugenvernehmung eine Umgehung der gesetzlichen Geheimhaltungsvorschriften bedeuten dürfte. Es ist daher nicht möglich, nach § 111 TKG zu übermittelnde Daten auch durch Zeugen zu erheben.61 Zwar findet für die Entschädigung § 23 Abs. 1 JVEG Anwendung; das heißt aber nicht, dass die Auskunft von einem „Zeugen“ erteilt wird. Auskunftspflichtig ist heute allein der Diensterbringer bzw. -anbieter. Zu den Kosten s. § 100b, 41. Soweit es um Auskünfte über die Internetadressen, etwa zur Überwachung des E-Mail- 21 Verkehrs geht, war die Rechtslage schwierig: Maßgebend für die Überwachung eingehender oder ausgehender Mails ist die Internet-Adresse des Rechners (IP-Adresse, Internet Protocol Address). Diese Adresse, die aus vier maximal dreistelligen Zahlen besteht, die durch Punkte getrennt sind, identifiziert weltweit eindeutig jeden einzelnen Rechner, der sich im Netzwerk befindet. Es gibt statische und dynamische IP-Adressen. Jeder Computer, der gewissermaßen per Standleitung im Internet immer unter derselben Adresse erreichbar sein muss, besitzt eine statische IP-Adresse (z.B.: Server, steuerbare WebCam). Wer sich über ein Modem, Kabel oder ADSL in das Internet einwählt, erhält vom Provider jedes Mal eine andere (dynamische) Adresse. Sämtliche Adressen sind beim Provider gespeichert, statische Adressen werden dem Anwender bei der Internetanmeldung
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Nach dem Bund Deutscher Kriminalbeamter in Einzelfällen mehr als 80 Handykarten; Quelle: wie „Der Spiegel“ Nr. 44/203 S. 18. Erbs/Kohlhaas/Kalf § 89, 35 TKG.
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Ehmer aaO § 90, 6 TKG. A.A. die Voraufl. unter Verweis auf OLG Zweibrücken NJW 1997 2692.
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mitgeteilt. Dynamische Adressen können beim Provider zurückverfolgt werden. Ein merkwürdiges Ergebnis, das nicht vom Gewicht des Eingriffs, sondern von der Technik der Datenspeicherung abhängt. Da die dynamischen IP-Adressen im Zusammenhang mit einer Verbindung entstehen, sollte insoweit die Auskunft des Providers früher nur nach § 100g erfolgen können.62 Heute bietet § 100j Abs. 2 eine eigenständige Auskunftsregelung. Statische IP-Adressen sind an sich Bestandsdaten, da es sich dabei aber nicht um Rufnummern im Sinne von § 111 Abs. 1 Nr. 1 TKG handelt, soll § 111 TKG nicht gelten. Früher stand so nur der kostenpflichtige Weg nach § 89 Abs. 6 TKG a.F. offen, um diese Adressen zu ermitteln.63 Eine Gesetzesinitiative des Bundesrats64 mit dem Ziel einer erweiterten Speicherverpflichtung auch der Anbieter von Telediensten mit der Möglichkeit, den Abruf der statischen IP-Adresse im automatisierten Verfahren zu ermöglichen, verfiel der Diskontinuität. Näheres bei § 100g und 100j. Die heute maßgeblichen Vorschriften für die Erfüllung von Auskunftsersuchen über 22 Bestands- oder Vertragsdaten lauten: § 111 TKG [Daten für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden] (1) Wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt und dabei Rufnummern oder andere Anschlusskennungen vergibt oder Telekommunikationsanschlüsse für von anderen vergebene Rufnummern oder andere Anschlusskennungen bereitstellt, hat für die Auskunftsverfahren nach den §§ 112 und 113 1. die Rufnummern und anderen Anschlusskennungen, 2. den Namen und die Anschrift des Anschlussinhabers, 3. bei natürlichen Personen deren Geburtsdatum, 4. ei Festnetzanschlüssen auch die Anschrift des Anschlusses, 5. in Fällen, in denen neben einem Mobilfunkanschluss auch ein Mobilfunkendgerät überlassen wird, die Gerätenummer dieses Gerätes sowie 6. das Datum des Vertragsbeginns vor der Freischaltung zu erheben und unverzüglich zu speichern, auch soweit diese Daten für betriebliche Zwecke nicht erforderlich sind; das Datum des Vertragsendes ist bei Bekanntwerden ebenfalls zu speichern. Satz 1 gilt auch, soweit die Daten nicht in Teilnehmerverzeichnisse (§ 104) eingetragen werden. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Speicherung nach Satz 1 gilt hinsichtlich der Daten nach Satz 1 Nr. 1 und 2 entsprechend für denjenigen, der geschäftsmäßig einen öffentlich zugänglichen Dienst der elektronischen Post erbringt und dabei Daten nach Satz 1 Nr. 1 und 2 erhebt, wobei an die Stelle der Daten nach Satz 1 Nr. 1 die Kennungen der elektronischen Postfächer und an die Stelle des Anschlussinhabers nach Satz 1 Nr. 2 der Inhaber des elektronischen Postfachs tritt. Wird dem Verpflichteten nach Satz 1 oder Satz 3 eine Änderung bekannt, hat er die Daten unverzüglich zu berichtigen; in diesem Zusammenhang hat der nach Satz 1 Verpflichtete bisher noch nicht erhobene Daten zu erheben und zu speichern, sofern ihm eine Erhebung der Daten ohne besonderen Aufwand möglich ist. Für das Auskunftsverfahren nach § 113 ist die Form der Datenspeicherung freigestellt. (2) Bedient sich der Diensteanbieter nach Absatz 1 Satz 1 oder Satz 3 eines Vertriebspartners, hat der Vertriebspartner die Daten nach Absatz 1 Satz 1 und 3 unter den dort genannten Voraussetzungen zu erheben und diese sowie die nach § 95 erhobenen Daten unverzüglich dem Diensteanbieter zu übermitteln; Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Satz 1 gilt auch für Daten über Änderungen, soweit sie dem Vertriebspartner im Rahmen der üblichen Geschäftsabwicklung zur Kenntnis gelangen.
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SK/Wolter § 100g, 31; Zöller in: Datenübermittlungen und Vorermittlungen, FS Hilger 291, 296; Welp GA 2002 535, 552; Bär MMR 2002 358, 359.
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Erbs/Kohlhaas/Kalf/Papsthart § 90, 2 TKG; SK/Wolter Voraufl. § 100g, 19. BRDrucks. 275/02.
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(3) Für Vertragsverhältnisse, die am Tage des Inkrafttretens dieser Vorschrift bereits bestehen, müssen Daten im Sinne von Absatz 1 Satz 1 oder Satz 3 außer in den Fällen des Absatzes 1 Satz 4 nicht nachträglich erhoben werden. (4) Die Daten sind mit Ablauf des auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses folgenden Kalenderjahres zu löschen. (5) Eine Entschädigung für die Datenerhebung und -speicherung wird nicht gewährt.
§ 112 TKG [Automatisiertes Auskunftsverfahren] (1) Wer öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt, hat die nach § 111 Abs. 1 Satz 1, 3 und 4 und Abs. 2 erhobenen Daten unverzüglich in Kundendateien zu speichern, in die auch Rufnummern und Rufnummernkontingente, die zur weiteren Vermarktung oder sonstigen Nutzung an andere Anbieter von Telekommunikationsdiensten vergeben werden, sowie bei portierten Rufnummern die aktuelle Portierungskennung aufzunehmen sind. Der Verpflichtete kann auch eine andere Stelle nach Maßgabe des § 11 des Bundesdatenschutzgesetzes beauftragen, die Kundendateien zu führen. Für die Berichtigung und Löschung der in den Kundendateien gespeicherten Daten gilt § 111 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4 entsprechend. In Fällen portierter Rufnummern sind die Rufnummer und die zugehörige Portierungskennung erst nach Ablauf des Jahres zu löschen, das dem Zeitpunkt folgt, zu dem die Rufnummer wieder an den Netzbetreiber zurückgegeben wurde, dem sie ursprünglich zugeteilt worden war. Der Verpflichtete hat zu gewährleisten, dass 1. die Bundesnetzagentur jederzeit Daten aus den Kundendateien automatisiert im Inland abrufen kann, 2. der Abruf von Daten unter Verwendung unvollständiger Abfragedaten oder die Suche mittels einer Ähnlichenfunktion erfolgen kann. Der Verpflichtete und sein Beauftragter haben durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihnen Abrufe nicht zur Kenntnis gelangen können. Die Bundesnetzagentur darf Daten aus den Kundendateien nur abrufen, soweit die Kenntnis der Daten erforderlich ist 1. für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach diesem Gesetz oder nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2 für die Erledigung von Auskunftsersuchen der in Absatz 2 genannten Stellen. Die ersuchende Stelle prüft unverzüglich, inwieweit sie die als Antwort übermittelten Daten benötigt, nicht benötigte Daten löscht sie unverzüglich; dies gilt auch für die Bundesnetzagentur für den Abruf von Daten nach Satz 7 Nummer 1. (2) Auskünfte aus den Kundendateien nach Absatz 1 werden 1. den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden, 2. den Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder für Zwecke der Gefahrenabwehr, 3. dem Zollkriminalamt und den Zollfahndungsämtern für Zwecke eines Strafverfahrens sowie dem Zollkriminalamt zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach § 23a des Zollfahndungsdienstgesetzes, 4. den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, 5 den Notrufabfragestellen nach § 108 sowie der Abfragestelle für die Rufnummer 124 124, 6. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie 7. den Behörden der Zollverwaltung für die in § 2 Abs. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Zwecke über zentrale Abfragestellen nach Absatz 4 jederzeit erteilt, soweit die Auskünfte zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich sind und die Ersuchen an die Bundesnetzagentur im automatisierten Verfahren vorgelegt werden. (3) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium der Finanzen sowie dem Bundesministerium der
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Verteidigung eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen, in der geregelt werden 1. die wesentlichen Anforderungen an die technischen Verfahren a) zur Übermittlung der Ersuchen an die Bundesnetzagentur, b) zum Abruf der Daten durch die Bundesnetzagentur von den Verpflichteten einschließlich der für die Abfrage zu verwendenden Datenarten und c) zur Übermittlung der Ergebnisse des Abrufs von der Bundesnetzagentur an die ersuchenden Stellen, 2. die zu beachtenden Sicherheitsanforderungen, 3. für Abrufe mit unvollständigen Abfragedaten und für die Suche mittels einer Ähnlichenfunktion a) die Mindestanforderungen an den Umfang der einzugebenden Daten zur möglichst genauen Bestimmung der gesuchten Person, b) die Zeichen, die in der Abfrage verwendet werden dürfen, c) Anforderungen an den Einsatz sprachwissenschaftlicher Verfahren, die gewährleisten, dass unterschiedliche Schreibweisen eines Personen-, Straßen- oder Ortsnamens sowie Abweichungen, die sich aus der Vertauschung, Auslassung oder Hinzufügung von Namensbestandteilen ergeben, in die Suche und das Suchergebnis einbezogen werden, d) die zulässige Menge der an die Bundesnetzagentur zu übermittelnden Antwortdatensätze sowie 4. wer abweichend von Absatz 1 Satz 1 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine Kundendateien für das automatisierte Auskunftsverfahren vorhalten muss; in diesen Fällen gilt § 111 Abs. 1 Satz 5 entsprechend. Im Übrigen können in der Verordnung auch Einschränkungen der Abfragemöglichkeit für die in Absatz 2 Nr. 5 bis 7 genannten Stellen auf den für diese Stellen erforderlichen Umfang geregelt werden. Die technischen Einzelheiten des automatisierten Abrufverfahrens gibt die Bundesnetzagentur in einer unter Beteiligung der betroffenen Verbände und der berechtigten Stellen zu erarbeitenden Technischen Richtlinie vor, die bei Bedarf an den Stand der Technik anzupassen und von der Bundesnetzagentur in ihrem Amtsblatt bekannt zu machen ist. Der Verpflichtete nach Absatz 1 und die berechtigten Stellen haben die Anforderungen der Technischen Richtlinie spätestens ein Jahr nach deren Bekanntmachung zu erfüllen. Nach dieser Richtlinie gestaltete mängelfreie technische Einrichtungen müssen im Falle einer Änderung der Richtlinie spätestens drei Jahre nach deren Inkrafttreten die geänderten Anforderungen erfüllen. (4) Auf Ersuchen der in Absatz 2 genannten Stellen hat die Bundesnetzagentur die entsprechenden Datensätze aus den Kundendateien nach Absatz 1 abzurufen und an die ersuchende Stelle zu übermitteln. Sie prüft die Zulässigkeit der Übermittlung nur, soweit hierzu ein besonderer Anlass besteht. Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung tragen 1. in den Fällen des Absatzes 1 Satz 7 Nummer 1 die Bundesnetzagentur und 2. in den Fällen des Absatzes 1 Satz 7 Nummer 2 die in Absatz 2 genannten Stellen. Die Bundesnetzagentur protokolliert für Zwecke der Datenschutzkontrolle durch die jeweils zuständige Stelle bei jedem Abruf den Zeitpunkt, die bei der Durchführung des Abrufs verwendeten Daten, die abgerufenen Daten, ein die abrufende Person eindeutig bezeichnendes Datum sowie die ersuchende Stelle, deren Aktenzeichen und ein die ersuchende Person eindeutig bezeichnendes Datum. Eine Verwendung der Protokolldaten für andere Zwecke ist unzulässig. Die Protokolldaten sind nach einem Jahr zu löschen. (5) Der Verpflichtete nach Absatz 1 hat alle technischen Vorkehrungen in seinem Verantwortungsbereich auf seine Kosten zu treffen, die für die Erteilung der Auskünfte nach dieser Vorschrift erforderlich sind. Dazu gehören auch die Anschaffung der zur Sicherstellung der Vertraulichkeit und des Schutzes vor unberechtigten Zugriffen erforderlichen Geräte, die Einrichtung eines geeigneten Telekommunikationsanschlusses und die Teilnahme an dem geschlossenen Benutzersystem sowie die laufende Bereitstellung dieser Vorkehrungen nach Maßgaben der Rechtsverordnung und der Technischen Richtlinie nach Absatz 3. Eine Entschädigung für im automatisierten Verfahren erteilte Auskünfte wird den Verpflichteten nicht gewährt.
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§ 113 TKG [Manuelles Auskunftsverfahren] (1) Wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, hat im Einzelfall den zuständigen Stellen auf deren Verlangen unverzüglich Auskünfte über die nach den §§ 95 und 111 erhobenen Daten zu erteilen, soweit dies für die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes erforderlich ist. Auskünfte über Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder in diesen oder im Netz eingesetzte Speichereinrichtungen geschützt wird, insbesondere PIN oder PUK, hat der nach Satz 1 Verpflichtete auf Grund eines Auskunftsersuchens nach § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 Abs. 1 der Strafprozessordnung, der Datenerhebungsvorschriften der Polizeigesetze des Bundes oder der Länder zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, § 8 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, der entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungsschutzgesetze, § 2 Abs. 1 des BND-Gesetzes oder § 4 Abs. 1 des MAD-Gesetzes zu erteilen; an andere öffentliche oder nicht öffentliche Stellen dürfen diese Daten nicht übermittelt werden.65 Ein Zugriff auf Daten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, ist nur unter den Voraussetzungen der hierfür einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zulässig. Über die Auskunftserteilung hat der Verpflichtete gegenüber seinen Kundinnen und Kunden sowie Dritten gegenüber Stillschweigen zu wahren. (2) Der Verpflichtete nach Absatz 1 hat die in seinem Verantwortungsbereich für die Auskunftserteilung erforderlichen Vorkehrungen auf seine Kosten zu treffen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und das Amt für den Militärischen Abschirmdienst haben für ihnen erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach § 23 und Anlage 3 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in § 2 Absatz 1 und 4 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung.
§ 113a TKG, der die Diensteanbieter zu einer vorsorglichen sechsmonatigen Speiche- 23 rung von Verkehrsdaten verpflichtete, verstößt nach Maßgabe der Entscheidungsformel von BVerfGE 125, 260 infolge seiner Unverhältnismäßigkeit gegen Art. 10 Abs. 1 GG und ist nichtig. Näheres dazu bei § 100g, 2. e) § 23a ZFdG. Zur Verhütung bestimmter Katalogtaten aus dem Bereich des AWG 24 und KWKG, d.h. ausschließlich zur Gefahrenabwehr auf diesem Gebiet, kann das Zollkriminalamt nach § 23a ZFdG den Fernmeldeverkehr überwachen und aufzeichnen.66 In ihrer Struktur ähnelt die Vorschrift dem § 100a. Auch sie ist mittels einer Subsidiaritätsklausel eingeschränkt (§ 23a Abs. 6 ZFdG) und unterliegt einem strengen Anordnungsverfahren (§ 23b ZFdG). Zuständig für die Anordnung ist nach § 23b Abs. 1 Satz 1 ZFdG das Landgericht, bei Gefahr im Verzug gem. § 23b Abs. 1 Satz 2 ZFdG das Bundesministerium für Finanzen. Die Verpflichtung der Netzbetreiber zur Hilfeleistung bei der Überwachung folgt aus § 23a Abs. 8 ZFdG, der auf § 2 G 10 2001 verweist. Bemerkenswert an dieser Vorschrift ist, dass ungeachtet ihres präventiven Charakters die Staatsanwaltschaft vor dem Antrag auf Anordnung der Maßnahme, von Eilmaßnahmen und von dem Ergebnis der beantragten Maßnahme zu unterrichten ist (§ 23a Abs. 7 ZFdG). Diese Unterrichtung kann nur den Zweck haben, der Staatsanwaltschaft die Prüfung zu ermöglichen, ob ein zum Einleiten eines Ermittlungsverfahrens ausreichender
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§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG ist nach Maßgabe der Entscheidungsformel mit GG unvereinbar gem. BVerfGE 130 151, 207 ff. Dazu Depping StB 1995 97; Beck’scher TKG
Kommentar/Bock § 88, 30 TKG; Handtke NJW 1992 2123; Hund NJW 1992 2118; Jahnke ZRP 1992 83; Ricke ZfZ 1988 2.
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Anfangsverdacht besteht. Im Übrigen wäre auch ein Datentransfer zum Zwecke der Strafverfolgung nach § 161 ohne Beschränkungen möglich (§ 98b, 24a). Bei den §§ 23a ff. ZFdG handelt es sich um Nachfolgevorschriften der einstigen 25 §§ 39 ff. AWG. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte nach einer Verfahrensdauer von 12 Jahren durch Beschl. vom 3. März 2004 – 1 BvF 3/92 – entschieden, dass §§ 39, 40 und 41 AWG mit Art. 10 des Grundgesetzes unvereinbar sind. Die alte Rechtslage war bis zum Ablauf der vom Gesetzgeber selbst vorgesehenen Frist am 31. Dezember 2004 zwar noch hinnehmbar. Bei der gesetzlichen Neuregelung (§§ 23a ff. ZFdG) seien die zur Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz führenden Mängel, insbesondere der Bestimmtheit der Regelung, zu beseitigen. Das durch § 39 AWG ermöglichte Abhören eines Telefongesprächs war ein schwerwiegender gezielter personenbezogener Eingriff in das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG. Da er im Vorfeld einer strafbaren Handlung in der schwer abgrenzbaren und durch Tatsachen schwer belegbaren Phase des Planens erfolgte, fehlte es im Gegensatz etwa zur Überwachung der Telekommunikation nach § 100a an einem abgeschlossenen oder in Verwirklichung begriffenen strafbaren Handeln. Dies führte zu dem erheblichen Risiko, dass die Überwachungsmaßnahme an ein Verhalten anknüpfte, das sich im Nachhinein als strafrechtlich irrelevant erweist. Die Ermächtigungsnorm des § 39 AWG wirkte diesem Risiko nicht in der rechtsstaatlich gebotenen Weise entgegen. Das Zusammenwirken der verschiedenen Tatbestandsmerkmale sowie eine große Zahl von Verweisungen auf andere Normen ergaben im Gesamtgefüge der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik Mängel an hinreichender Normenbestimmtheit und Normenklarheit, die durch die Beschränkung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung nicht beseitigt wurden. Die Neuregelungen müssten den Grundsätzen entsprechen, die der Senat in seinen Urteilen vom 14. Juli 1999 (BVerfGE 100, 313) und vom 3. März 2004 (1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1048/99) aufgestellt hat. Zu sichern war insbesondere ein hinreichender Rechtsschutz für sämtliche Betroffenen gegenüber der Datenerhebung und Weiterverwertung, aber auch bei der Vernichtung nicht mehr benötigter oder rechtswidrig erhobener Daten, ferner die Kennzeichnung der erhobenen Daten bei der Verwendung zu weiteren Zwecken. Die neuen Vorschriften der §§ 23a ff. ZFdG halten diesen Anforderungen stand. Auch dem vom BVerfG eingeforderten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird ebenso Rechnung getragen wie dem Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen (§ 23a Abs. 4a, 5 ZFdG).
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f) Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10 2001).67 Die Vorschrift erlaubt die Überwachung der Telekommunikation (und der dem Brief- und Postgeheimnis unterliegenden Sendungen) zu nachrichtendienstlichen Zwecken.68 Berechtigte Stellen sind nach § 1 G10 die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Bundesnachrichtendienst und der militärische Abschirmdienst. Ein Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis erfolgt hier „zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes …“ und setzt tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass jemand eine der in § 3 Abs. 1 G10 2001 aufgeführten Straftaten plant, begeht oder auch schon begangen hat. In besonderen Fällen (Abwehr der Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland, Verbreitung von
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Gesetz vom 26. Juni 2001 BGBl. S. 1254. S. dazu BVerfGE 30 1; BVerfG NJW 1985 121 m. Anm. Arndt NJW 1985 107; BVerfG NStZ 1988 32 m. Anm. Schlink NJW 1989
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11; EuGHMR NJW 1979 1755; Bock aaO § 88 Rn. 29; KK/Nack 55; Riegel ZRP 1991 392; Schröder NJW 1980 920; Wagner NJW 1980 913.
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Kriegswaffen, Einfuhr nicht geringer Betäubungsmittelmengen oder Geldfälschung im Ausland) dürfen nach § 5 G10 2001 Beschränkungen für „internationale nicht leitungsgebundene Fernmeldeverkehrsbeziehungen“ durch Abhören mit Hilfe von Suchbegriffen (§ 5 Abs. 2) vorgenommen werden. Die Überwachung nach § 1 G1069 erfolgt nicht im Strafverfahren. Deshalb sind die 27 Maßnahmen nach § 100a neben der nach § 1 G10 2001 zulässig.70 Eine Übermittlung der nach dem G10 2001 erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden und deren Verwendung durch diese sind nur in Grenzen erlaubt. Das Gesetz enthält insofern eine gegenüber anderen präventiv erhobenen Daten (zusammengefasst bei § 98b, 24a ff.) engere Verwendungsregelung. Danach dürfen sowohl in den Fällen des § 3 als auch in denen des § 5 Daten zur Verfolgung von Straftaten an die zuständigen Behörden nur übermittelt werden, wenn bestimmte Tatsachen (für die Anordnung der Maßnahme nach § 3 G10 2001 reichten „tatsächliche Anhaltspunkte“) den Verdacht begründen, dass jemand eine enumerativ bezeichnete Straftat begeht oder begangen hat. In den Fällen des § 3 sind dies nach § 4 Abs. 4 Nr. 2 die in § 1 Abs. 1, in denen des § 5 nach § 7 Abs. 4 Satz 2 die dort in Satz 1 aufgeführten Straftaten. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 und § 7 Abs. 6 Satz 1 G10 2001 darf der Empfänger die Daten nur für die Zwecke verwenden, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt wurden. Das bedeutet, dass die Daten nicht nur zur Verfolgung der konkreten Taten verwendet werden dürfen, wegen denen die Anordnung der Überwachung erfolgte, sondern auch wegen aller anderen, soweit es sich nur um solche handelt, wegen denen nach § 3 Abs. 1 oder § 5 G10 2001 eine solche Anordnung erfolgen durfte. Durch diese gesetzliche Regelung ist die früher streitige Frage nach der Fernwirkung71 gegenstandslos geworden, denn rechtswidrig gewonnene Daten dürfen nicht übermittelt werden (§ 98b, 24b) und für rechtmäßig gewonnene gelten klare Verwendungsregeln.
B. Bedeutung und Geltungsbereich I. Bedeutung der Vorschrift Die früher72 geäußerten Bedenken gegen die kriminalpolitische Bedeutung der Vor- 28 schrift können – ihre zurückhaltende Anwendung vorausgesetzt – nicht aufrechterhalten werden. Das „organisierte Verbrechen“ ist überörtlich tätig und bedient sich aller technischen Möglichkeiten. Insoweit ist die Telekommunikationsüberwachung vor allem bei der Verfolgung der sog. Transaktionskriminalität des Waffen-, Drogen- und Menschenhandels ein geradezu unverzichtbares Mittel der Verbrechensaufklärung geworden.73 Dies gilt auch für den organisierten Mord, wie die Beispiele BGHSt 29 23 und BGHSt 33 217 = NJW 1986 390 zeigen.74 Die Vorschrift hat sich so in den vergangenen Jahren als 69 70 71 72 73
Dazu Schroeder NJW 1980 920; Wagner NJW 1980 913. Welp DöV 1970 271. Kritisch dazu SK/Wolter 8; Welp DÖV 1970 267 ff. BGHSt 29 244 einerseits, BGHSt 32 68, 70 andererseits. In der 23. Aufl. Rn. 1 von Meyer; ähnlich schon LR/Dünnebier 22 1. Vgl. Kinzig Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Krimina-
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lität (2004) 449 ff. („häufigste Maßnahme“); nach [H.] Schneider NStZ 2001 8 f., können Straftaten aus dem Bereich der Bandendelikte und vergleichbarer organisierter Strukturen ganz allgemein ohne Einsatz heimlicher Ermittlungsmaßnahmen kaum zur Aburteilung gebracht werden. Vgl. zum Problem auch Rieß JR 1979 169; Prittwitz StV 1984 303.
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kaum noch entbehrliches Mittel zur Bekämpfung schwerer Kriminalität erwiesen. Die Gesamtzahl der richterlichen sowie staatsanwaltschaftlichen Anordnungen zur Fernmeldeüberwachung nach §§ 100a und b ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Im Jahre 2001 wurden bundesweit in 3868 Verfahren Maßnahmen nach §§ 100a, 100b angeordnet; davon waren 9122 Personen betroffen.75 Nach einer weiteren in demselben Zusammenhang erfolgten Auskunft wurden die meisten Telefonüberwachungen im Zusammenhang mit Drogendelikten angeordnet. Es folgten Abhöraktionen wegen räuberischer Erpressung sowie wegen Mord, Totschlag und Völkermord. Grund für den starken Anstieg der Anordnungen in den letzten Jahren sind die durch die digitale Technik ermöglichten erweiterten Überwachungen insbesondere im Mobilfunkbereich. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz76 hält angesichts des Gewichts der Eingriffe „vertrauensbildende Maßnahmen“ für erforderlich und verlangt deshalb eine jährliche Berichterstattung über Anlass Verlauf, Ergebnis, Anzahl der Betroffenen und Kosten der Telefonüberwachung, eine Verbesserung des Verfahrens der richterlichen Anordnung durch umfassendere Begründungen und Konzentration der Zuständigkeit, Einführung interner Erfolgskontrollen und gesetzliche Regelungen über Zeugnisverweigerungsrechte. Starker Kritik ausgesetzt ist derzeit die ermittlungsrichterliche Praxis im Verfahren um die Gestattung oder Anordnung der Maßnahme. Im Jahre 2003 veröffentlichten Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg, „Rechtswirklichkeit“ und „Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“77 und einem Forschungsprojekt „Wirksamkeitsbedingungen von Richtervorbehalten bei Telefonüberwachungen“ der Universität Bielefeld78 wird entnommen, die Ermittlungsrichter würden teilweise zu unkritisch und ohne ausreichende Sachverhaltsprüfung mit schlecht begründeten Entscheidungen staatsanwaltschaftlichen Anträgen folgen und so ihrer Kontroll- und Dokumentationspflicht nicht genügen. In der Praxis steht dem richterlichen Prüfungswillen der sich aus der Arbeitsbelastung ergebende immense Zeitdruck (10–30 Minuten pro TÜ-Beschl.) entgegen.79 Über 90 % der staatsanwaltschaftlichen Anträge folgt eine inhaltlich unveränderte richterliche Anordnung, nur 4 % der Fälle enthalten Ergänzungen, 1 % Änderungen.80 Indes wäre es verfehlt, aus dem Umfang der richterlichen Begründungen auf den Umfang der Prüfung schließen zu wollen, zumal das untersuchte Material Fälle betraf, die vor den grundlegenden Entscheidungen des Bundes-
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Antwort der Bundesregierung vom 17. Oktober 2002 auf eine parlamentarische Anfrage BTDrucks. 14 10001 S. 2 und 3. Für die Jahre 1983 bis 1994: Parlamentarische Auskunft der Bundesregierung vom 12. November 1984 – BTDrucks. 10 2395 S. 7 sowie vom 11. Februar 1986 – BTDrucks. 10 5038 S. 9; Antwort der Bundesregierung vom 23. Juni 1993 auf die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Jörg van Essen F.D.P. – BTDrucks. 12 5269 S. 6 ff.; Antwort der Bundesregierung vom 23. April 1996 auf die Große Anfrage der Abgeordneten Manfred Such, Volker Beck (Köln) und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – BTDrucks. 12 4437 S. 6 ff.; dort auch weiteres Zahlenwerk; für die Jahre 1995 bis
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1999 Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht: sehr kritisch Prittwitz StV 1984 304, der sich aber eher gegen die weite Rechtsprechung des BGH zur Verwertbarkeit wendet. Zur Praxis der Telefonüberwachung in Baden-Württemberg LTDrucks. 11 4888. Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht –: S. 50. Download unter http://www.mpicc.de/ shared/data/pdf/k115.pdf (zuletzt abgerufen am 31.08.2012). Kurzfassung StV 2003 249. Vgl. Gutachten des MPI, aaO, S. 446 f. Vgl. Gutachten des MPI, aaO, S. 452.
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verfassungsgerichts zur Begründung tiefgreifender Grundrechtseingriffe erledigt wurden. Der BGH hat in einer instruktiven Entscheidung81 unter Bezug auf frühere Rechtsprechung82 und Literatur83 zum Umfang der Dokumentationspflicht des Ermittlungsrichters und zur Prüfungspflicht des erkennenden Richters hinreichend deutlich Stellung genommen. Einzelheiten unten bei § 100b, 8.
II. Geltungsbereich 1. Telekommunikation; Abs. 1 Satz 1 a) „Telekommunikation“ als technischer Vorgang. Schon der früher im Gesetz ver- 29 wendete Begriff des Fernmeldeverkehrs wurde von der Rechtsprechung dahin verstanden, der Gesetzgeber habe damit nicht einen status quo der technischen Möglichkeiten zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes festschreiben, sondern das Gesetz bewusst für technische Weiterentwicklungen auf dem Kommunikationssektor offenhalten wollen.84 Dies ist mit der Auswechslung der Begriffe durch das BegleitG (vgl. oben) noch verdeutlicht worden.85 Nach der Gesetzesbegründung86 sollte die Einfügung des Wortes Telekommunikation den Sprachgebrauch der StPO an die des TKG anpassen. Deshalb ist zur Auslegung auf die Legaldefinition in § 3 Nr. 22 TKG zurückzugreifen.87 Telekommunikation ist danach der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen. Letztere sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können (§ 3 Nr. 23 TKG).88 Freilich fällt nicht jeder technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns, oder Empfangens von analog oder digital codierten Daten unter § 100a. Voraussetzung ist, dass eine Person mittels dieser Technik Kommunikation betreibt.89 Das soll nach der Rechtsprechung aber schon dann der Fall sein, wenn eine Telekommunikationsanlage betriebsbereit gehalten wird.90 In diesen Fällen kommt es also nicht auf den Inhalt einer (gar nicht stattfindenden) Kommunikation, sondern auf technische Daten an, aus denen sich schließen lässt, wer, wann wo zur Kommunikation bereit ist (Rn. 57). Diese Punkte sind insbesondere für die Frage der Verwertbarkeit sog. Raumgespräche und der Standortbestimmung mobiler Kommunikationsgeräte von Bedeutung (unten Rn. 69). Gegen diesen weiten Begriff „Telekommunikation“ wenden sich Teile der Literatur 30 mit dem nicht ohne weiteres von der Hand zuweisenden Argument, damit werde die
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BGHSt 47 362 = StV 2003 2 mit Anm. Schlothauer 208. BGHSt 42 103, 104. LR/G. Schäfer 24 § 100b, 5. BVerfGE 46 120, 143; Vassilaki JR 2000 446. Zugleich hat der Gesetzgeber damit den früheren Streit darüber beendet, ob die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zum allgemeinen Fernmelderecht (sog. „Direktrufentscheidung“) ergangen war, auf die spezielle Eingriffsbefugnis des § 110a übertragbar sei, vgl.
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dazu Kudlich JuS 1998 209, 211, dort weit. Nachw. in Fn. 21 bis 24. BRDrucks. 369/97 S. 46. BGH NJW 2003 2034 = StV 2003 370; Bär CR 1993 578, 582; CR 1998 434, 435; KK/Nack 4; Meyer-Goßner 6; Eisenberg/ Nischan JZ 1997 74, 77; Vassilaki JR 2000 446. Vgl. auch BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. BGH NJW 2003 2034 = StV 2003 370. BGH NJW 2003 2034 = StV 2003 370.
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Kommunikation selbst mit den technischen Mitteln der Kommunikation gleichgesetzt. Der Überwachung nach § 100a unterlägen nur die Nachrichteninhalte und die näheren Umstände der Kommunikation, nicht aber alle Daten, die bei Verwendung moderner Kommunikationstechniken entstehen.91 Unter Telekommunikation in § 100a ist mithin nicht nur der Fernsprechverkehr und 31 der Fernschreibverkehr (auch Telefax-Verkehr) zu verstehen, sondern jede Form der Datenübermittlung unter Überwindung räumlicher Entfernungen bei nicht körperlicher Übertragung, insbesondere auf elektronischem oder optischem Wege.92 Eine daher nur noch rechtshistorisch begründete Ausnahme bildet die Beschlagnahme von Telegrammen, die traditionell bereits in § 99 gesondert geregelt ist; vgl. dort Rn. 9, 25. Gegenstand der Überwachung sind Inhalt und Umstände der Nachrichtenübermittlung.
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b) Überwachung nur mit Hilfe der Dienstanbieter. § 100a regelt also unmittelbar die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden, mit Hilfe (Rn. 8) der Unternehmen und Personen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste anbieten (vgl. § 3 Nr. 6 und 10 TKG), Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen. „Geschäftsmäßiges Erbringen“ ist nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 10 TKG das nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht. Mit dem Begriff „geschäftsmäßig“ erfasst der Gesetzgeber auch nicht auf Gewinn abzielende Unternehmen, wenn nur das Betreiben der Telekommunikation nachhaltig geplant ist.93 Es ist also nicht mehr erforderlich, dass die Betreiber ihre Dienste auch öffentlich anbieten.94 Nunmehr sind deshalb auch Nebenstellenanlagen in Hotels, Krankenhäusern oder anderen Betrieben (corporate networks), Behördenanlagen, soweit sie auch zur privaten Nutzung freigegeben sind, oder auch Clubtelefone in den Kreis der überwachungsgeeigneten Anlagen aufgenommen.95 Unerheblich ist es dabei, ob die Telekommunikationsanlage illegal oder erlaubt betrieben wird.96 Nach § 100b Abs. 3 haben die Betreiber nach Maßgabe des § 110 TKG i.V.m. der Telekommunikationsüberwachungsverordnung 200597 die entsprechenden Maßnahmen zu ermöglichen.98 S. dazu § 100b, 29.
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c) Überwachung nur im Netzbereich. Da der Eingriff mit Hilfe des Netzbetreibers vorzunehmen ist, kann er nur in dessen Herrschaftsbereich, also im Netzbereich erfolgen.99 Dieser endet am Endgerät des jeweiligen Teilnehmers.100 Das bedeutet, dass Eingriffe, die auf die Nachricht oder Daten außerhalb des Netzbereiches zielen, einerseits nicht an § 100a gemessen, andererseits aber von der Vorschrift auch nicht gedeckt sein können. Die Beschlagnahme eines Anrufbeantworters oder sonstigen Datenpuffers (PC, Faxgerät, Rufnummernspeicher ankommender Gespräche o.ä.) im Herrschaftsbereich des Empfängers mit dem Ziel dort angekommene Nachrichten auszuwerten, fällt mithin nicht unter § 100a, sondern unterliegt den allgemeinen Bestimmungen über die Beschlag-
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Weßlau StV 2003 483; ZStW 113 (2001) 681, 689; Kudlich JuS 2001 1165, 1168; vgl. aber auch Vassilaki JR 2000 446; Fezer NStZ 2003 627. BGH CR 1996 488; KK/Nack 4. Erbs/Kohlhaas/Kalf § 85, 8 TKG. Dazu, dass der Anwendungsbereich der strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung damit deutlich ausgeweitet wurde: Wuermeling/Felixberger CR 1997 555 ff.
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Erbs/Kohlhaas/Kalf § 85, 8 TKG. Strittig, wie hier KK/Nack 4; a.A. LG Stuttgart StV 1991 13 m. abl. Anm. Walter. V. 22. Januar 2002 BGBl. I 2002 S. 458. Vassilaki JR 2000 448. BGHSt 42 139; BGH CR 1996 488; KK/Nack 5. BGHSt 42 139; Welp NStZ 1994 294.
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nahme. Über die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme ist damit aber noch nichts gesagt, denn das Fernmeldegeheimnis endet nicht zwingend am Endgerät.101 Eine Gefährdung der durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation kann auch durch Zugriff am Endgerät erfolgen. Ob Art. 10 Abs. 1 GG Schutz vor solchen Zugriffen bietet, ist mit dem Blick auf den Zweck der Freiheitsverbürgung unter Berücksichtigung der spezifischen Gefährdungslage zu bestimmen. So gewährt Art. 10 Abs. 1 GG auch Schutz, wenn an einem Endgerät, etwa einem Telefon, ein Abhörgerät angebracht und genutzt wird. Eine zu Eingriffen am Endgerät nach Art. 10 Abs. 2 GG erforderliche gesetzliche Regelung findet sich nur in § 100a. Soweit diese Vorschrift nicht greift, sind deshalb Maßnahmen unzulässig. Da Art. 10 Abs. 1 GG nur die Vertraulichkeit des zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten Übertragungsmediums schützt, ist der Gewährleistungsbereich des Grundrechts aber nach wohl h.M. nicht beeinträchtigt, wenn ein Gesprächspartner in seinem Einfluss- und Verantwortungsbereich einem privaten Dritten den Zugriff auf die Telekommunikationseinrichtung ermöglicht. Deshalb liegt kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vor, wenn am Endgerät des Empfängers ein Dritter – sei er auch Polizeibeamter – mit Zustimmung des Empfängers mithört102 (dazu unten Rn. 39 f.). Zwar wird auch dann das Übertragungsmedium für den Kommunikationszugriff genutzt. Es realisiert sich jedoch nicht die von Art. 10 Abs. 1 GG vorausgesetzte spezifische Gefährdungslage. Im Vordergrund steht nicht die Verletzung des Vertrauens in die Sicherheit der zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten Telekommunikationsanlage, sondern die Enttäuschung des personengebundenen Vertrauens in den Gesprächspartner.103 2. Einschränkende Auslegung; abschließende Regelung. § 100a schränkt das Grund- 34 recht auf Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) und das in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ein.104 Die Norm ist deshalb als grundrechtsbeschränkende Vorschrift (Rn. 13) „aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieser Grundrechte“ einschränkend auszulegen.105 Sie enthält für die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden, Telekommunikation zu überwachen, deshalb eine nach Voraussetzungen, Umfang und Zuständigkeit abschließende Regelung,106 soweit nicht die neueren Vorschriften der §§ 100g und 100i greifen. Da Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 2 GG und im Übrigen auch sonst alle im Bereich der Strafverfolgung grundsätzlich in Rechte eingreifende Maßnahmen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen (vgl. vor § 94, 1, 9), sind mangels anderer gesetzlicher Regelung – abgesehen vom kleinen und großen Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 und § 100 f Abs. 1 – sonstige Maßnahmen zum Abhören und Aufzeichnen privater Gespräche unzulässig.107
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BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. BGHSt 39 335, 338; 42 139 „Hörfalle“ m.w.N. Ebenso BVerfG NJW 2002 3619. Zur „Hörfalle“ s. auch Rn. 111. BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. BGHSt 31 296, 298; 27 355, 357; 26 298, 300; 19 327; BGH NJW 2003 1880; MeyerGoßner 1; Schlüchter 347. BGHSt 31 296, 298; 29 244, 249; 28 122, 125; 26 298, 303; 19 325, 330; BGH NStZ 2003 444; KK/Nack 1; Roxin 25 § 34
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C IV 3; Bottke JA 1980 748; Rudolphi FS Schaffstein 436; Kudlich JR 2003 453. BGHSt 31 304; 31 296, 298; 34 39 = NJW 1986 2261, wo die Unzulässigkeit eines „Lauschangriffs“ gegen die im Entführungsfall Schleyer Verdächtigen (zur Gewinnung von Stimmproben) festgestellt wird; BGH NStZ 2003 444; KK/Nack 1; MeyerGoßner 2; Evers ZRP 1970 147; Welp 209. BGHSt 31 296, 298; KK/Nack § 100a, 1.
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Dies gilt für die Überwachung von Ferngesprächen im Bereich nicht geschäftsmäßig betriebener Anlagen ebenso wie für Gespräche, die ohne Vermittlung technischer Hilfsmittel geführt werden. Verboten ist also im Rahmen der Strafverfolgung z.B. das Anzapfen von Telekommunikation ohne Hilfe der Netzbetreiber (vgl. schon oben Rn. 10). Ob sich nach Notstandsgrundsätzen im Einzelfall derartige Maßnahmen rechtfertigen lassen, ist streitig. Die Frage berührt das grundlegende Problem, ob die Strafprozessordnung die zulässigen Eingriffe abschließend regelt, und wird bei den §§ 160, 161, 163 erörtert. Für den Regelungsbereich des § 100a hat der Bundesgerichtshof angedeutet, Notwehr oder rechtfertigender Notstand komme „allenfalls in ganz außergewöhnlichen Fällen in Betracht“.108 Eine ähnliche Auffassung vertreten Fischer 109 sowie Schönke/ Schröder/Lenckner/Perron110 gegen eine Reihe beachtlicher Stimmen in der Literatur. Dieser Auffassung kann im Ergebnis nur dann zugestimmt werden, wenn es sich um Ermittlungshandlungen handelt, die wenigstens auch „der Abwehr einer gegenwärtigen, einem bestimmten Rechtsgut drohenden Gefahr“111 dienen, wobei die vielfach bemühte Effektivität der Strafrechtspflege hierzu nicht zählen sollte. Für die Erfassung von Fernsprechdaten mittels Fangschaltungen und Zählervergleichseinrichtungen zum Zweck der Ortung und Überführung anonymer Anrufer oder auch zur Gefahrenabwehr etwa bei Erpressungen, hat das Bundesverfassungsgericht112 allerdings klargestellt, dass ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG gegeben ist, der weder von § 100a noch von dem damals noch geltenden § 12 FAG gedeckt ist. Gleichwohl hat es solche Maßnahmen aus einer Güterabwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten für eine Übergangszeit bis zur gesetzlichen Regelung solcher Maßnahmen für zulässig erklärt. Inzwischen enthält § 101 Abs. 1 Satz 1 TKG eine solche gesetzliche Regelung.
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3. Strafverfolgung. § 100a enthält lediglich eine Eingriffsermächtigung zugunsten der Strafverfolgungsbehörden.113 Die Maßnahme kann im gesamten Strafverfahren (§ 94, 19), gemäß § 457 auch noch im Vollstreckungsverfahren ergriffen werden, wenn wegen einer Katalogtat vollstreckt wird und die Maßnahme angesichts der Dauer der noch zu vollstreckenden Strafe nicht unverhältnismäßig ist. So hatte das OLG Celle etwa jüngst über die Anwendbarkeit des § 100a zur Vollstreckung eines Sicherungshaftbefehls gem. § 453c zu entscheiden.114 Ob bei der Prüfung dieser Frage freilich an die für die Katalogtat angedrohte Mindeststrafe angeknüpft werden kann,115 erscheint fraglich. Richtigerweise wird man darauf abstellen müssen, welches Gewicht die noch zu vollstreckende Strafe im Vergleich zu dem Gewicht der Tat hat. Inwieweit im Strafverfahren gewonnene Daten in anderen Verfahren verwendet werden können, wird allgemein von § 477 Abs. 2 geregelt (zur Spezialvorschrift des § 100d Abs. 5 vgl. § 100d, 36 ff.). Die Zulässigkeit privater Aufnahmen oder des privaten Mithörens und deren Verwertbarkeit im Strafverfahren oder in sonstigen Verfahren richten sich nicht nach § 100a, sondern sind unmittelbar dem Grundgesetz zu entnehmen.116 Danach sind Aufnahmen über Äußerungen mit privatem Charakter wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit grundsätzlich unverwertbar. Ausnahmen sind nur bei überwiegenden Interessen der Allgemeinheit denkbar, wenn es um die Aufklärung schwerer Kriminalität
108 109 110 111 112 113
BGHSt 31 304. 60. Aufl. § 34, 24 ff. m.w.N. 28. Aufl. § 34, 7 je m.w.N. BGHSt 31 304. BVerfGE 85 386. Dünnebier NStZ 1982 255.
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NStZ 2010 107 f. Vgl. insoweit auch LR/Graalmann-Scheerer § 453c, 12 und § 457, 27. So OLG Zweibrücken StV 2001 305. BVerfGE 34 239, 248; BVerfG NJW 2002 3619.
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geht und im Einzelfall der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleibt. Das Bundesverfassungsgericht lässt offen, wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen sei und ob dafür die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 100a eine Rolle spiele. Letzteres wird freilich zu verneinen sein. Maßgebend für die Verwertbarkeit privater Tonbandaufnahmen kann nur das konkrete Gewicht der im Einzelfall aufzuklärenden Tat sein. Es spricht nichts dagegen, hier auch das Rechtsbewusstsein stark tangierende schwere Straftaten z.B. nach §§ 263, 266 StGB, 370 AO ausreichen zu lassen. Dabei sind freilich die engen Grenzen zu beachten, die § 201 StGB solchen zumeist unbefugten Tonaufnahmen setzt.
C. Einwilligung Gegenstand des Eingriffs nach §§ 100a, 100b ist die Kommunikation im Netzbereich 37 (Rn. 33) einschließlich ihrer näheren Umstände (Rn. 13), wobei das Fernmeldegeheimnis über das Ende der Kommunikation hinaus Nachwirkungen insoweit entfaltet, als Endgeräte von der Überwachung betroffen sind und etwa unerlaubt auf Tonband aufgenommene Telekommunikation nicht verwertet werden darf.117 Für den Bereich der Eingriffe nach §§ 100a, 100b und 100g können deshalb nur Einwilligungen relevant sein, die sich auf die Überwachung im Netzbereich erstrecken. Sind alle an einem Telekommunikationsvorgang Beteiligten damit einverstanden, dass Dritte generell daran teilhaben können, so liegt kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vor, wenn sich die Ermittlungsbehörden Kenntnis vom Inhalt verschaffen. Es fehlt dann bereits an einem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, weil die Partner des betreffenden Gedankenaustauschs diesen nicht vertraulich oder geheim abwickeln. Bedeutsam ist das insbesondere bei jedermann frei zugänglichen Kommunikationsvorgängen im Internet (Abruf von Homepages, Teilnahme an „Chatrooms“ oder sonstigen elektronischen Foren). Heftig umstritten war die Frage, ob bei einer Einwilligung (vgl. dazu Vor § 94, 1, 43, 38 53, 58) des Anschlussinhabers eine Überwachung im Netzbereich auch ohne förmliche Anordnung nach § 100b und auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 100a zulässig ist. Die überwiegende Meinung bejahte dies mit der Begründung, am Fernmeldeverkehr Beteiligte hätten gegeneinander keinen Anspruch auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses. Jeder von ihnen könne jeweils ohne Rücksicht auf den anderen jedem beliebigen Dritten Mitteilung von dem Inhalt der gewechselten Nachrichten machen. Daraus folge, dass jeder Partner auf die Geheimhaltung verzichten und die Überwachung gestatten könne.118 Demgegenüber wurde betont, das Fernmeldegeheimnis stehe jedem Partner der Kommunikation zu, der Anschlussinhaber sei nicht befugt, über fremde Rechte zu verfügen.119 Der Streit dürfte durch die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erfassung von Ferngesprächsdaten mittels Fangschaltungen und Zählervergleicheinrichtungen entschieden sein.120 Danach scheidet ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis bei Einwilligung eines Teilnehmers in die Überwachung der Telekommunikation nicht deswegen aus, weil das Fernmeldegeheimnis nicht zwischen
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BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. BGH StV 1994 58; JZ 1965 66; OLG Hamm StV 1988 374 m. abl. Anm. Krehl = NStZ 1988 515 m. abl. Anm. Amelung; BayObLG JZ 1974 393; Erbs/Kohlhaas/ Meyer, § 10 Anm. 6 FAG; Lengning Post und Fernmeldegeheimnis3 (1967) 51; Wege-
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ner/Melzer Das Post- und Fernmeldegeheimnis (1971) 71 f.; Cremerius DÖV 1957 174, 176; Aubert 2 69 f.; Ohnheiser 2 572; Welp 71 f. Amelung/Pauli MDR 1980 801; Gusy JuS 1986 95. BVerfGE 85 386, 399.
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den Gesprächsteilnehmern gilt. Zwar dürfe jeder Fernsprechteilnehmer ohne Grundrechtsverstoß Dritte von seinen Telefongesprächen unterrichten. Daraus folge aber nicht, wie in der postrechtlichen Literatur allgemein angenommen werde, dass ein Fernsprechteilnehmer mit Wirkung für den anderen auf die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verzichten könne. Wenn der Zweck des Fernmeldegeheimnisses darin liege, Kommunikationsvorgänge und -inhalte gegen staatliche Zugriffe abzuschirmen, sei jede staatliche Einschaltung, die nicht im Einverständnis mit beiden Kommunikationspartnern erfolgt, Grundrechtseingriff. Die gegenteilige Auffassung verkenne Bedeutung und Tragweite von Art. 10 GG, weil sie die in der Gesprächsbeobachtung liegende Gefahr einer Grundrechtsverletzung der anderen Gesprächsteilnehmer wie auch die Gefahr der Sammlung, Verwertung und Weitergabe der Informationen zu anderen Zwecken als dem Schutz belästigter Fernsprechteilnehmer aus den Augen verliere. Für die Telekommunikation ist danach zu unterscheiden: Das Mithören und die Auf39 nahme der Telekommunikation ist bei Einwilligung nur eines Gesprächspartners verboten,121 solange der Eingriff in den Netzbereich geschieht. Eingriffe im Bereich des Endgeräts unterfallen nicht §§ 100a, 100b.122 § 201 Abs. 1 40 StGB ist allerdings eindeutig zu entnehmen, dass ein Gesprächspartner ohne Einwilligung des anderen dessen Worte auch am Endgerät nicht aufnehmen darf. Dann kann er auch Strafverfolgungsbehörden eine solche Aufnahme im Regelfall nicht gestatten.123 Das Mithören am Endgerät stellt keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.124 Unter heutigen Verhältnissen, d.h. schon seit der 1988 eingeleiteten Liberalisierung des Endgerätemarktes von Telefonen und der danach einsetzenden weiten Verbreitung von Mithöreinrichtungen jeder Art (Zweithörer, Lautsprecher, Raumgesprächsfunktionen) muss grundsätzlich jedermann damit rechnen, dass seine Äußerungen am Telefon unmittelbar Dritten zugänglich sind. Das Mithören über Zweithörer, Lautsprecher oder ähnliche Geräte stellt deshalb heute kein Eindringen in den geschützten Bereich des Privaten mehr dar.125 Soweit gleichwohl im Mithören am Endgerät ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesehen wird, ist zu beachten, dass dieses nicht unbeschränkt gewährleistet wird. Entscheidend ist eine Interessenabwägung, welche dazu führen wird, dass zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten ein Mithören gestattet sein muss.126
D. Voraussetzungen des Eingriffs I. Straftatenkatalog (Abs. 2) 41
Anordnungen nach § 100a greifen in schwerwiegender Weise in das Fernmeldegeheimnis ein. Der Gesetzgeber hat deshalb – dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein Rechnung tragend127 – die Anordnung auf bestimmte, in § 100a Abs. 2 abschließend aufgeführte Straftaten128 beschränkt, die entweder den Staatsschutz oder die
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BVerfGE 85 386; KK/Nack 3. BGHSt 42 139. Ebenso BGHSt 31 304, wo die Aufnahme eines Ferngespräches zwischen einem in die Aufnahme offensichtlich einwilligenden V-Mann der Polizei und dem Beschuldigten durch die Polizei als Verstoß gegen § 201 StGB angesehen wurde.
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BGHSt 39 335, 343; 42 139; a.A. BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. A.A. BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. BVerfGE 106 28 = NJW 2002 3619. Meyer-Goßner 15; Grunst GA 2002 214, 219. Meyer-Goßner 15; Pfeiffer 5.
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Schwerkriminalität betreffen. Der Katalog enthält u.a. sämtliche Straftaten, die in der Strafvorschrift des § 138 StGB aufgeführt sind, darüber hinaus in § 100a Abs. 2 Nr. 1a), c) und d) Straftaten, die gegen die öffentliche Ordnung, die Erhaltung der Wehrkraft und die Sicherheit der NATO-Truppen gerichtet sind, sowie in § 100a Abs. 2 Nr. 7b) besonders schwerwiegende Fälle der Betäubungsmittelkriminalität. Neu hinzugekommen sind weitere typische Betätigungsfelder organisierter Kriminalität (Menschenhandel, Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz, Geldwäsche sowie waffenrechtliche Bestimmungen; i.e. Rn. 2). Es ist allgemein anerkannt, dass der Katalog des § 100a StPO jedenfalls nicht konsistent mit Blick auf den Unrechtsgehalt der jeweiligen Handlungen ist. Einerseits fehlt – neben dem vielleicht plastischsten Beispiel des § 370a AO – eine ganze Reihe von Verbrechenstatbeständen in § 100a StPO,129 andererseits sind Vergehen wie der Bandendiebstahl, die gewerbsmäßige Hehlerei oder die Geldwäsche aufgenommen. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber sich jedenfalls nicht allein von der Schwere der jeweiligen Delikte leiten ließ, sondern die Auswahl der Katalogtaten auch nach bestimmten „Lebensbereichen“ sowie nach ihrer Bedeutung für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (welcher § 261 StGB ja insbesondere dienen soll) getroffen hat.130 Eine erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der Vorschrift brachte die Auf- 42 nahme des uferlos weiten Geldwäschetatbestands in den Katalog, ohne gleichzeitig für die im Sinne des § 53 geschützten Berufe eine Sonderregelung gegenüber § 160a zu suchen, die sich schon durch Honorarannahme in vielen Fällen mindestens dem Verdacht der Geldwäsche aussetzen. Wenig erkannt waren zunächst auch die Folgen der Änderung des § 261 StGB durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998131 dahin, dass nunmehr auch der Vortäter Täter der Geldwäsche sein kann und sich damit die Frage stellte, ob alle Vortaten der Geldwäsche die Überwachung nach § 100a begründen könnten, wenn der Täter seine Beute durch Geldwäsche sichert oder ein anderer ihm dabei hilft.132 Hier hat der BGH133 insoweit Klarheit geschaffen, als die Maßnahme dann nicht auf den Verdacht der Geldwäsche gestützt werden kann, wenn eine Verurteilung wegen Geldwäsche auf Grund der Vorrangklausel des § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB nicht zu erwarten und die der Geldwäsche zugrundeliegende Tat keine Katalogtat im Sinne des § 100a ist. Die Eingriffsbefugnisse der Verfolgungsbehörden können für den Auffangtatbestand der Geldwäsche134 nicht weiter gehen als für die Haupttat selbst.135 Der Senat hat offengelassen, ob § 100a nur dann nicht anwendbar ist, wenn eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche nur wegen der Subsidiaritätsklausel in § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB entfällt. Unter Wertungsgesichtspunkten sollte § 100a auch dann unanwendbar sein, wenn nur die Vortat, von wem auch immer begangen, nicht unter den Katalog des § 100a fällt.136 Ein Verwertungsverbot soll freilich ausscheiden, wenn zum Zeitpunkt der Anordnung oder Gestattung der Maßnahme die Beweislage den Verdacht einer anderen Katalogtat gerechtfertigt hätte. Dazu Rn. 100. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in Abs. 1 Nr. 1 wird die Teilnahme (nach 43 § 28 Abs. 1 StGB sind das Anstiftung und Beihilfe gem. §§ 26, 27 StGB) der Täterschaft gleichgestellt, nicht aber die Strafvereitelung und die Begünstigung (wie z.B. in § 97 Abs. 2
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Siehe nur §§ 154, 177, 178, 252 StGB. Kudlich JR 2003 453, 454; kritisch zum Katalog Neuhaus FS Rieß 385. BGBl. I S. 845. Vgl. Meyer-Abich NStZ 2001 465. BGHSt 48, 240; kritisch Kudlich JR 2003 453, 456.
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Vgl. BGH NStZ 2000 653. Vgl. StV 2000 590. Eingehend Kudlich JR 2003 453, 456, der bei dieser Lösung die Grenzen zulässiger Auslegung secundum legem als überschritten sieht.
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Satz 3).137 Versuch reicht aus, soweit er strafbar ist, desgleichen die Vorbereitung einer in Absatz 2 aufgeführten Katalogtat, soweit diese Vorbereitungshandlung nach irgendwelchen Vorschriften (z.B. als Diebstahl einer Waffe zur Vorbereitung eines Totschlags) oder nach § 30 Abs. 2 StGB strafbar ist.138 Eine Beschränkung auf nach § 30 StGB strafbare Vorbereitungshandlungen139 ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Dagegen reichen nicht strafbare Vorbereitungshandlungen nicht aus; § 100a dient der Strafverfolgung, die Vorschrift ist keine polizeiliche Präventivmaßnahme.140 Das BVerfG hat den neuen Straftatkatalog des § 100a Abs. 2 jüngst insgesamt für ver44 fassungsgemäß erklärt. Den Vorwurf, durch die Erweiterung des Katalogs um 30 neu aufgenommene Straftatbestände, sei die TÜ nun auch in Fällen nur mittlerer Kriminalität erlaubt und damit unverhältnismäßig, hat es zurückgewiesen. § 100a Abs. 2 begegne keinen „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“, weil die Katalogtaten mit ihrer Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe („im StGB der Regelfall“) nicht über den mittleren Kriminalitätsbereich hinausgehen. Allerdings sei die Einordnung als „schwere Straftaten“ bei einer Gesamtschau, die auch die betroffenen Rechtsgüter in den Blick nehme, vertretbar.141 Denn entweder griffen diese Delikte „erheblich in die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen ein, oder sie beeinträchtigen in einschneidender Weise die Rechtsgüter Privater“142. Kritik und Überlegungen de lege ferenda. Auch wenn das BVerfG § 100a Abs. 2 45 damit als den Mindestanforderungen des GG entsprechend ansieht, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Vorschrift derart heterogene Deliktstatbestände zu tauglichen Anlasstaten für einen schweren Grundrechtseingriff erklärt, sodass man diese fragwürdige Konzeption zumindest für stark verbesserungsbedürftig, wenn nicht gar für ersatzbedürftig beurteilen muss. Die Aufnahme von Tatbeständen wie der Abgeordnetenbestechung gem. § 108e StGB, die anderenorts schon im materiellrechtlichen Sinne zum „schlechten Witz“143 degradiert wurde, kann kaum über die genannten hochtrabenden teleologischen Gesichtspunkte des Rechtsgüterschutzes begründet werden. Zudem bedient sich der Gesetzgeber hier seit Jahren sog. Straftatenkataloge, die für die verschiedenen Ermittlungsbefugnisse in oft wenig nachvollziehbarer Weise unterschiedlich ausfallen.144 De facto sind die Straftatkataloge der §§ 100a („schwere Straftaten“) und 100c („besonders schwere Straftaten“) keineswegs logisch und stringent gestaltet. Vielmehr weisen sie erhebliche systematische Brüche auf, weshalb sie ohnehin einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen.145 Und schon ganz allgemein muss die Frage erlaubt sein, ob sich die Katalogtattechnik, die eine wohlbegründete Auswahl erfordert und vom Rechtsanwender in ihrer heutigen Gestalt sicher nicht „auf einen Blick“ nachvollzogen werden kann, nicht durch eine weitaus einfachere, in der Sache aber oft zu denselben Ergebnissen führende Gesetzestechnik ersetzen lässt.
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Meyer-Goßner 12. BGHSt 32 10, 16 = NStZ 1984 372 mit Anm. Schlüchter; KK/Nack 33; Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 12; Schnarr NStZ 1990 259. So aber Niehaus Katalogtatensysteme als Beschränkungen strafprozessualer Eingriffsbefugnisse (2002) 81; vgl. auch Welp GA 2002 535, 539, 540. Schlüchter NStZ 1984 375.
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BVerfGE 129 208 (Rn. 201 ff.) BVerfGE 129 208 (Rn. 202). Wessels/Hettinger Strafrecht BT 1, Rn. 1125. Zur fehlenden dogmatischen Legitimation Hauck wistra 2010 255, 256. Eingehend Niehaus, Katalogtatensysteme als Beschränkungen strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, passim. Vgl. SK/Wolter 45, 48 f., § 100c, 43 f.
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§ 100a
So zeichnet sich maßnahmenübergreifend heute ein verwirrendes Bild: § 100a Abs. 2 46 setzt den Verdacht „schwerer Straftaten“,146 § 100c Abs. 2 (ebenso Art. 13 Abs. 3 GG) denjenigen „besonders schwerer Straftaten“147 voraus. §§ 100f Abs. 1, 100g Abs. 1 Nr. 1 und § 163d Abs. 1 verweisen brav auf § 100a Abs. 2, letzterer aber nur mit Einschränkungen. Von „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ gehen stattdessen (oder in Ergänzung der jedenfalls von § 100i Abs. 1 als Unterfall der Straftaten von erheblicher Bedeutung verstandenen schweren Strafaten) – neben § 160a Abs. 2 Satz 1, der keine Befugnisnorm darstellt – die §§ 98a Abs. 1, 163e Abs. 1 Satz 1, 163f Abs. 1 aus, § 100h Abs. 1 Nr. 2 allerdings nur für die Nutzung bestimmter technischer Mittel (ansonsten – für die Herstellung von Bildaufnahmen – reicht hier jeder Tatverdacht) und § 110a auch nur nach Abs. 1 Satz 1, während Abs. 1 Satz 2 den VE-Einsatz für den Verdacht eines jeglichen Verbrechens gestattet, solange Wiederholungsgefahr besteht. Ungeachtet dieser Binnendifferenzierungen unterscheidet das Gesetz mit Verbrechen, schweren, besonders schweren und Straftaten von erheblicher Bedeutung damit heute bereits vier verschiedene Legitimationsebenen für heimliche Ermittlungsmaßnahmen. Dabei überschneiden sich die Regelungsbereiche oft. Der Grund für eine Unterscheidung von Straftaten von erheblicher Bedeutung und schweren Straftaten leuchtet nicht ein und vor allem ist der sachliche Differenzierungsgrund, etwa den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers bei Wiederholungsgefahr bei jedem Verbrechen zuzulassen, die sicher nicht weniger schwerwiegende akustische Wohnraumüberwachung hingegen ohne Koppelung an eine Wiederholungsgefahr, oft nicht nachzuvollziehen. Der Gesetzgeber sollte deshalb prüfen, ob es vorzugswürdig ist, die Katalogtatentech- 47 nik („schwere Straftaten“, „besonders schwere Straftaten“) durch den materiellrechtlich eindeutig definierten und zweifelsfrei handhabbaren Begriff des Verbrechens (vgl. § 12 Abs. 1 StGB) zu ersetzen. Gegen diese einfache Lösung spricht freilich, dass mit ihr gewisse, heute von den Katalogen der §§ 100a Abs. 2, 100c Abs. 2 durchaus erfasste Vergehen nicht länger Anlass zu heimlichen Maßnahmen geben. Deren Zahl ist nicht unerheblich; betroffen sind etwa die §§ 80a, 84–86, 95, 97, 98, 99, 100a, 129, 130, 146 ff., 244 Abs. 1 Nr. 2, 253, 260, 261 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, und 263 Abs. 3 Satz 2 StGB. Neuesten empirischen Forschungen zufolge haben diese Tatbestände aber in der Vergangenheit ohnehin kaum eine Rolle beim Einsatz heimlicher Ermittlungsmaßnahmen gespielt.148 Allerdings bringt der Gesetzgeber mit ihrer Qualifizierung als bloße Vergehen eine eindeutige Abstufung zum Ausdruck, die selbst mit Blick auf den mit der hier vertretenen Lösung nolens volens verbundenen und wohl am schmerzlichsten empfundenen Wegfall der §§ 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung), 244 Abs. 1 Nr. 2 (Bandendiebstahl), 253 (Erpressung), 260 (Gewerbsmäßige und Bandenhehlerei) und 263 Abs. 3 Satz 2 (besonders schwerer Fall des Betruges) StGB auch eine prozessuale Vorwertung bedeutet, die nicht ignoriert werden kann. Das Abstellen auf den Verbrechensbegriff ist der Kataloglösung auf Grund der Ein- 48 deutigkeit, mit der das Verbrechen gem. § 12 Abs. 1 StGB definiert wird, überlegen.149 Der angesichts der unbefriedigenden Rechtslage oftmals unterbreitete Vorschlag, neben dem Verdacht eines Verbrechens auch den Verdacht eines Vergehens ausreichen zu lassen,
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Vgl. zu den „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ Rieß GA 2004 623. Vgl. zu den „besonders schweren Straftaten“ Dittrich NStZ 1998 336; Gusy JuS 2004 460. § 100c richtete sich 2009 nur auf Taten
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nach § 100c Abs. 2 Nr. 1b und f, also auf die Organisations- und Tötungsdelikte, vgl. BTDrucks. 17 3038, Bericht der Bundesregierung gem. Art. 13 VI 1 GG für das Jahr 2009 vom 24.09.2010 S. 3. Vgl. SK/Wolter 48 Fn. 127.
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solange hier eine Strafe zu erwarten ist, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann,150 überzeugt hingegen nicht, weil er allen Beteiligten (auch den Nichtrichtern!) die schwere Last einer Strafzumessungsprognose auferlegt, deren Missbrauchsanfälligkeit auf der Hand liegt. Zusammen mit der ebenso naheliegenden Uneinheitlichkeit in der Handhabung einer solchen Bewährungsprognose begründet das im Ergebnis die Untauglichkeit dieses Kriteriums. Vielmehr ist das Abstellen auf den Verdacht eines Verbrechens – womit auch der Vorgabe des BVerfG nach einer höheren Höchststrafe als fünf Jahren Freiheitsstrafe entsprochen wäre und so „de[r] Bereich der mittleren Kriminalität eindeutig verlassen“ wäre –151 die einzige eindeutige und damit allein annehmbare Option. Der naheliegende Einwand, das schematische Abstellen auf Verbrechen widerspreche der Anforderung des BVerfG an eine Strafobergrenze von mehr als fünf Jahren dort, wo sich in gewissen „minder schweren Fällen“ von Verbrechen eine dahinter zurückbleibende, eben nur fünf Jahre erreichende Höchststrafe ergibt,152 ändert nichts. Denn die „minder schweren Fälle“ setzen voraus, „dass die Tat im Ganzen unter Berücksichtigung auch der Täterpersönlichkeit – namentlich im Hinblick auf die Schwere des angerichteten Schadens,153 die Hartnäckigkeit und Stärke des verbrecherischen Willens oder die besondere Gefährlichkeit der angewendeten Mittel – so sehr von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden und deshalb vom Gesetz für den Spielraum des ordentlichen Strafrahmens schon bedachten Fällen an Strafwürdigkeit abweicht, dass der ordentliche Strafrahmen unangemessen erscheint (st. Rspr.; vgl. BGHSt 29 319; NStZ-RR 2008 153)“.154 Wenn die Strafwürdigkeit einer Tat aber so gering ist, dass der ordentliche Strafrahmen eines Verbrechens unangemessen erscheint, dann muss auch die staatliche Legitimation, den Verdacht einer solch minder schweren Tat mit intrusiven heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu bekämpfen, unbegründet erscheinen. Wenn der Vergehensverdacht als solcher daher nicht genügen kann, ist es gleichwohl möglich, den Verdacht eines Vergehens dann ausreichen zu lassen, wenn es gesetzlich derart qualifiziert ist, dass seine Mindeststrafdrohung derjenigen eines Verbrechens gleichsteht (vgl. z.B. § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG). Unter Überwindung des aufgezeigten gesetzlichen Chaos wären heimliche Ermittlungsmaßnahmen dann immer statthaft, wenn der Verdacht eines Verbrechens oder eines gleichwertigen qualifizierten Vergehens mit einer Mindeststrafdrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe gegeben ist.155
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So SK/Wohlers § 98a, 17; Rieß GA 2004 623, 636 ff. ; Meyer-Goßner, § 98a, 5; HK/Gercke, § 98a, 13; Pehl Die Implementation der Rasterfahndung 27 f. Vgl. BVerfGE 109 279 347 f. Die Verbrechensgrundtatbestände des deutschen Strafrechts warten stets mit einer Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe auf. So Ruthig GA 2004 587 601. Solche Fälle von Verbrechen, die in minder schweren Fällen nur noch eine Höchststrafe von fünf Jahren vorsehen, sind zahlreich. Die Durchsicht des StGB kann man nach den ersten Funden bald abbrechen: §§ 82 Abs. 2, 83 Abs. 1 Alt. 2, 100 Abs. 3, 105 Abs. 2, 146
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Abs. 3 Alt. 1, 152b Abs. 3 Alt. 1, 154 Abs. 2, 176a Abs. 4 Alt. 1 StGB usw. BGH StV 1996 34. Lackner/Kühl § 46, 7 StGB. Die Strafrahmen der minder schweren Fälle eines Verbrechens liegen hingegen bei sechs Monaten bis zu fünf Jahren oder bei einem Jahr bis zu zehn Jahren (statt des normalen Strafrahmens von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren). Die durchaus vorzufindenden Strafrahmen von bis zu drei Jahren betreffen hingegen schon grundtatbestandlich keine Verbrechen, vgl. etwa § 332 Abs. 1 Satz 2 StGB. Näher Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit S. 170 Rn. 204.
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II. Die auch im Einzelfall schwerwiegende Tat (Abs. 1 Nr. 2) § 100a weist mit dem neu eingefügten Abs. 1 Nr. 2 eine Bestimmung auf, die infolge 49 verfassungsgerichtlicher Vorgaben sicherstellen soll, dass die bereits auf abstrakter Ebene, durch den Deliktskatalog des Abs. 2 vom Gesetzgeber als „schwer“ eingestufte Straftat auch im konkreten Einzelfall schwer wiegt. Es handelt sich also um ein zusätzliches, über die abstrakte Festlegung eines Straftatenkatalogs hinausgehendes Instrument der Freiheitssicherung.156 Erforderlich ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls, also eine Prüfung des Rechtsanwenders, im Regelfall des anordnenden Richters und des die Maßnahme durchführenden Polizeibeamten, ob sich die Überwachungsmaßnahme vor und während ihrer Durchführung auf den Verdacht vom Vorliegen einer Tat gründet, die sich auch in ihrer konkreten Ausprägung als ein Fall von Schwerkriminalität darstellt. Indizien hierfür können die Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsgüter, der Grad der Bedrohung der Allgemeinheit, die Art der Begehung der Straftat, die Anzahl der Geschädigten und/oder das Ausmaß des Schadens sein.157
III. Tatverdacht (Abs. 1 Nr. 1) Zum Verdacht allgemein s. zunächst Vor § 94, 78 ff. Ein bestimmter Verdachtsgrad 50 wie hinreichender oder dringender Tatverdacht i.S. der §§ 203, 112 ist nicht erforderlich.158 Den Tatverdacht müssen aber bestimmte Tatsachen begründen. Näher § 100c, 76 f., 89 f. Damit verwendet das Gesetz den gleichen ungenauen Ausdruck wie in § 112 und in §§ 138a, 111. Vgl. deshalb zunächst § 112, 27. Für die Annahme des Tatverdachts ist also eine gesicherte Tatsachenbasis erforderlich. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen, wie übrigens auch in den Fällen, in denen das Gesetz „bestimmte Tatsachen“ nicht verlangt (Vor § 94, 78 f.), also nicht aus. Bloße Vermutungen und allgemeine Erfahrungssätze reichen für sich allein gerade nicht aus. Wohl aber kann es genügen, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen, sachlichen Beweisanzeichen wie Fingerspuren oder den Ergebnissen eines Schusswaffenvergleichs auf eine Katalogtat mit einiger Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann.159 Auf Rechtswidrigkeit und Schuld muss sich der Verdacht nicht erstrecken,160 es sei denn (kaum vorstellbar), die Rechtmäßigkeit stünde zweifelsfrei jetzt schon fest. Einfacher Tatverdacht genügt auch, wenn die Maßnahme zur Aufenthaltsermittlung einer Person ergriffen werden soll.
IV. Unentbehrlichkeit der Anordnung, Subsidiaritätsklausel (Abs. 1 Nr. 3) Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ist nur als letztes Mittel 51 zur Aufklärung einer Straftat zulässig. Die Maßnahme setzt nach § 100a Abs. 1 Satz 3 voraus, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts 156 157 158
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Vgl. BVerfGE 125 260, 329. BVerfGE 129 208 (Rn. 204) m.w.N. Eb. Schmidt Nachtr. II 4; KK/Nack 34; KMR/Bär 17; Meyer/Goßner 9; Pfeiffer 6; Rudolphi FS Schaffstein 436; Maunz/Dürig Art. 10, 49. Krause FS Hanack 221, 233; Ähnlich KK/Nack 34; KMR/Bär 17; Meyer-Goß-
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ner 9; Pfeiffer 6; Roxin § 36 A I Rn. 9 Schlüchter 348, 209; vgl. auch BTDrucks. V 1880 S. 11: Der Verdacht muss durch schlüssiges Tatsachenmaterial ein gewisses Maß an Konkretisierung erlangt haben (vgl. ferner zu § 138a Abs. 2 KG NJW 1978 1538). Meyer-Goßner 9; a.A. KMR/Bär 2.
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des Beschuldigten andernfalls aussichtslos oder wesentlich erschwert sein würde.161 Die Erfolgsaussichten einer Maßnahme nach § 100a sind also stets mit denen anderer Maßnahmen zu vergleichen.162 Bei gleichen Voraussetzungen ist die schonendere Maßnahme zu wählen.163 Aussichtslosigkeit liegt vor, wenn andere Ermittlungsmöglichkeiten fehlen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg versprechen. Eine wesentliche Erschwerung liegt vor, wenn mit anderen – auch den Betroffenen härter treffenden164 – Aufklärungsmitteln erheblich mehr Zeit aufgewendet werden müsste165 oder wenn umgekehrt ein sofortiger Zugriff (z.B. die Festnahme des bekannten Beschuldigten) zu wesentlich schlechteren Erkenntnissen über die Tat (z.B. über noch nicht bekannte Hintermänner) führen würde als längeres Zuwarten und Beobachten nach § 100a. Ein sonst größerer Arbeitsaufwand rechtfertigt die Maßnahme nur, wenn wegen seines zu erwartenden außergewöhnlichen Umfangs das Interesse an der Strafverfolgung das an der Erhaltung des Grundrechts eindeutig überwiegt.166 Der Kostenaufwand darf grundsätzlich keine Rolle spielen,167 es sei denn, er sei so groß, dass er die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall sprengt. Vergleichbare Subsidiaritätsklauseln sind auch in den Vorschriften über die Rasterfahndung (§ 98a), den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a), die heimliche Observation mit technischen Mitteln (§ 100c), die Beobachtende Fahndung (§ 163e Abs. 1) und die langfristige Observation (§ 163f) enthalten. Zum Konflikt mehrerer solcher Subsidiaritätsklauseln und zur zulässigen Reihenfolge entsprechender eingriffsintensiver Ermittlungshandlungen, vgl. § 110a, 24. Kritik und Überlegungen de lege ferenda. Die Existenz dieser sog. (qualifizierten) Be52 weisnotstandsregeln168 zeigt, dass die Erforderlichkeit einer Maßnahme abgestuft geregelt werden kann. Freilich lässt sich die Feststellung des Aufenthaltsorts des Täters und die Aufklärung des Tatverdachts oft durch eine Vielzahl von auch weniger einschneidenden Ermittlungsmaßnahmen erreichen (z.B. durch die offene Vernehmung eines Zeugen, durch offene Fahndungsmaßnahmen u. dgl.). Doch ist dabei zu bezweifeln, ob dieser Zweck damit ebenso gut erreicht wird. Besondere Beachtung verdient an dieser Stelle freilich der vom Gesetzgeber im hier entscheidenden Sinne nie wirklich umgesetzte Regierungsentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes (StVÄG) 1989. Denn dieser hielt gerade für heimliche Ermittlungsmaßnahmen ein Regelungskonzept von aufeinander abgestimmten ausdrücklichen Subsidiaritätsklauseln vor. Auch wenn man sich trefflich darüber streiten mag, ob dessen erste Stufe, eine allgemeine Subsidiaritätsklausel [wonach bei mehreren Ermittlungsmaßnahmen „bei (voraussichtlich) gleicher Eignung die (voraussichtlich) weniger beeinträchtigende“169 zu wählen ist] als überflüssige Wiederholung einer der Grundaussagen des Rechtsstaatsprinzips und damit einer Selbstverständlichkeit, überhaupt fachgesetzlich kodifiziert werden muss, so ist dessen zweite
161
162 163 164 165
Grundlegend Rieß GedS Meyer, 367 ff., 371, 378 f., 380, auch zur Verwurzelung der Subsidiarität von grundrechtsbeschränkenden Prozesshandlungen im Verhältnismäßigkeitsprinzip. Kritisch mit Blick auf die Praxistauglichkeit solcher Klauseln SK/Wolter § 100c, 47. Rudolphi FS Schaffstein 437. Meyer-Goßner 14. Welp 68. KK/Nack 35; Meyer-Goßner 13, Schlüchter 349.
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KK/Nack 35; Meyer-Goßner 14; Rudolphi FS Schaffstein 437; a.A. Schlüchter 349. Meyer-Goßner 13; Rudolphi FS Schaffstein 437; Schlüchter 349; a.A. KMR/Bär 11; Welp 67 Fn. 106. Zum Begriff SK/Wolter § 100g, 20, 27, § 100a, 46 mit Fn. 124, § 100h, 15 mit Fn. 38. Rieß GedS Meyer 367, 382.
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Ebene hier unmittelbar einschlägig:170 Der Vorschlag lässt eine Maßnahme zu, wenn die Tataufklärung durch andere Maßnahmen „aussichtslos“ (z.B. für den VE-Einsatz), „aussichtslos oder wesentlich erschwert“ (z.B. für die Aufzeichnung des gesprochenen Worts im Beisein eines NoeP in einer Wohnung oder für die polizeiliche Beobachtung, Observation und Einsatz technischer Mittel gegen Nichtbeschuldigte), oder „erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert sind“ (z.B. für die Rasterfahndung, polizeiliche Beobachtung, Observation, Einsatz technischer Mittel gegen Beschuldigte und Einsatz VE).171 Ungeachtet dessen, wie diese erfolgs- bzw. erschwernisorientierten Merkmale im Einzelnen zu definieren sind172 und wie sie sich systematisch zueinander verhalten,173 sind heimliche Ermittlungsmaßnahmen von mehreren gleich wirksamen nur dann das mildere Mittel, wenn die Ermittlungen ansonsten unmöglich oder aussichtslos sind. Wenn andere Maßnahmen nur wesentlich mehr Mühe machen (wesentlich erschwert) oder deren Erfolgsprognose mehr Risiken offenlässt (erheblich weniger erfolgversprechend), dann handelt es sich bei diesen Alternativen gemessen am Eingriffsgut gleichwohl um mildere Mittel.
V. Verhältnismäßigkeit; Beweiserhebungsverbot infolge Kernbereichsbetroffenheit nach Abs. 4 Satz 1 Obwohl § 100a bereits von Gesetzes wegen eine Abwägung unter dem Gesichtspunkt 53 der Verhältnismäßigkeit enthält (Rn. 34, 41, 49) ist diese auch im Einzelfall zu prüfen.174 Dabei ist das konkrete strafrechtliche Gewicht der jeweils zu verfolgenden Tat, das Maß des Tatverdachts und der erwartete Erfolg gegen die Intensität des Eingriffs abzuwägen.175 Für die Gewichtung einer Straftat sind nicht allein das betroffene Rechtsgut, sondern auch die Tatbegehung und das Ausmaß der Schäden maßgebend, weshalb die Maßnahme auch bei erheblichen materiellen Schäden verhältnismäßig sein kann.176 Das
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Strate ZRP 1990 143, 144 f. , übt allgemeine Kritik an den Subsidiaritätsklauseln des StVÄG 1989 und hält „Wortkram solcher Güte“ als „für die polizeiliche Praxis nicht verstehbar und deshalb irrelevant“. Vgl. Rieß GedS Meyer 367, 382. Mit Rieß , GedS Meyer 367, 382 ist Aussichtlosigkeit gegeben, „wenn bei einer Gesamtwürdigung der Situation des jeweiligen konkreten Einzelfalles andere Ermittlungsmaßnahmen gänzlich fehlen oder oder wenn ihr Einsatz keinen mit der subsidiären Maßnahme vergleichbaren Erfolg erwarten läßt“. Dafür reicht nicht, dass die Erfolgsaussichten der heimlichen Maßnahme lediglich „mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich höher zu veranschlagen sind“. „Erheblich weniger erfolgversprechend“ sind Maßnahmen, bei deren Unterlassen ein deutliches Aufklärungsdefizit (ex ante) entsteht. Umgekehrt reicht auch ein wesentliches Steigern des Aufklärungserfolgs (dazu Welp Überwachung
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des Fernmeldeverkehrs 67, 89). Das Merkmal „wesentlich erschwert“ ist nicht mit einer Erfolgsprognose gleichzusetzen und auch nicht in erster Linie mit dem andernfalls erforderlichen Ermitlungsaufwand zu begründen (Rieß 385). Deshalb ist es angezeigt, auf die zeitliche Verzögerung beim Rückgriff auf andere Maßnahmen abzustellen. Bei einer Konkurrenz der Klauseln bedarf es des Rückgriffs auf den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, sodass stets das weniger beeinträchtigende Mittel zu wählen ist, vgl. Rieß GedS Meyer 367, 387. BVerfG NJW 2003 1787, 1791 unter C II 3b dd (3); Meyer-Goßner 15; KK/Nack 35; Prittwitz StV 1984 304; vgl. auch Grunst GA 2002 214, 221. Im Ergebnis ähnlich KK/Nack 35; Prittwitz StV 1984 304; Maiwald JuS 1978 382; Knauth NJW 1978 742. BVerfG NJW 2003 1787, 1791 unter C II 3b dd (3).
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Bundesverfassungsgericht verlangt in diesem Zusammenhang ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und den Belangen der Strafrechtspflege.177 Soll die Maßnahme der Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten dienen, ist sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur zu dessen Festnahme (§§ 127 Abs. 2, 112) zulässig; insoweit ist dringender Tatverdacht geboten.178 Soweit ermittlungstaktisch und technisch die Maßnahme auf die Kommunikation bestimmter Partner beschränkt werden kann, ist dies schon bei der Anordnung zu beachten. Kernbereichsbetroffenheit nach Abs. 4 Satz 1. Unverhältnismäßig sind nach der h.M. 54 auch Zugriffe auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung (zu den Einzelheiten unten Rn. 132 ff.). Das BVerfG will in der Vorschrift des Abs. 4 Satz 1 heute gleichwohl kein umfassendes Erhebungsverbot erkennen, obwohl der Gesetzeswortlaut eindeutig davon spricht, dass eine solche Maßnahme unzulässig ist. Nach Ansicht des BVerfG müssten TÜ-Maßnahmen aber „nicht schon deshalb von vornherein unterlassen werden, weil auch Tatsachen mit erfasst werden, die auch den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts berühren.“179 Denn ein solches umfassendes Erhebungsverbot würde die TÜ „in einem Maße einschränken, dass eine wirksame Strafverfolgung gerade im Bereich schwerer und schwerster Kriminalität nicht mehr gewährleistet wäre.“ Erhebliche praktische Schwierigkeiten, gerade bei der TÜ mittels automatisierter Aufzeichnung (dazu unten Rn. 82 ff.) und beim Mithören in Echtzeit, drängten daher zu einer besser handhabbaren Lösung. So sei der Kernbereichsschutz allein durch einen „hinreichenden Grundrechtsschutz in der Auswertungsphase sicherzustellen.“, m.a.W. soll allein das Verwertungsverbot des Abs. 4 Satz 2 diesen Schutz vermitteln. Doch schon im systematischen Vergleich mit Satz 2, der die Unverwertbarkeit von Kernbereichserkenntnissen anordnet (dazu unten Rn. 129) kann diese Differenzierung im Gesetzeswortlaut freilich nicht ignoriert und auch nicht anders gedeutet werden, als dass sie bereits die Ermittlungshandlung untersagt, sofern und soweit der Kernbereich betroffen ist. In der Literatur geht man inzwischen sogar noch einen Schritt weiter. Dort wird vorgeschlagen, die Schutzwirkung des Abs. 4 Satz 1 auf sog. Mischgespräche auszudehnen.180 Danach gilt: Liegen schon vor ihrer Durchführung tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Überwachungsmaßnahme auch (!) den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen wird, so ist die Maßnahme unzulässig und es greift ein Beweiserhebungsverbot. Das gilt erst recht für den praktisch kaum vorstellbaren Fall, dass die Abhörmaßnahmen allein und ausschließlich den Kernbereich betreffen wird. Fehlt es hingegen an solchen kernbereichsrelevanten Informationen im Vorfeld der Maßnahme und ergeben sich diese erst bei ihrer Ausführung, so greift in jedem Fall das absolute Verwertungsverbot des Abs. 4 Satz 2 (dazu eingehend Rn. 132 ff.). Es würde aber dem Schutzzweck des Abs. 4 Satz 1 widersprechen, wenn die Polizei in solchen Fällen während der Maßnahme weiterhin auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung zugreifen dürfte. Deshalb greift das Erhebungsverbot des Abs. 4 Satz 1 – jetzt im Sinne eines Gebots zum Abbruch der Echtzeitüberwachung181 – ein, sobald sich die Kernbereichsrelevanz der Maßnahme abzeichnet, und zwar gleich, ob bereits im Vorfeld der Maßnahme oder erst bei ihrer Ausführung. Dass die Schutzwirkung des Abs. 4 Satz 1 gleichwohl sehr gering ist,182 liegt an der inhaltlichen Beschneidung des
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NJW 2003 1787, 1791 unter C II 3b dd (3). KK/Nack 35; Schlüchter 349; Rudolphi FS Schaffstein 437; a.A. Meyer-Goßner 9. BVerfGE 129 208 (Rn. 212 ff.) auch zum Folgenden. Ähnlich AnwK-StPO/Löffelmann 11.
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Vgl. SK/Wolter 57. Ähnlich kritisch Rogall FS Fezer 61, 81; Zöller StraFo 2008 15, 22. Ebenso Roggan StV 2012 762, 764; Bergemann DuD 2007 581, 584; a.A. KK/Nack 40; Graf-StPO/Graf 53. Ebenso Zöller ZStW 124 (2012) 411, 431.
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Kernbereichsbegriffs (unten Rn. 135). In jedem Fall darf der Kernbereichsschutz des Abs. 4 nicht rein maßnahmenbezogen dergestalt ausgelegt werden, dass nur bestimmte, von vornherein als besonders schutzwürdig erachtete TK-Anschlüsse (etwa der Anschluss der Telefonseelsorge u. dgl.) von ihm erfasst werden. Kernbereichsschutz bedeutet immer einen auf höchstpersönliches Verhalten bezogenen und damit einen auf die Höchstpersönlichkeit der Einzelverbindung abzielenden Schutz.183
E. Maßnahme I. Überwachung der Telekommunikation 1. Allgemeine Begriffsbestimmung. Zur allgemeinen Begriffsbestimmung der Tele- 55 kommunikation vgl. oben Rn. 29. § 100a erfasst neben der Überwachung „klassischer“ Datenübermittlung mittels des Telefons oder des Fernschreibers auch die Überwachung von Datenübertragung mittels modernerer Techniken, dazu gehören Telefondienste jeder Art (Mobilfunk,184 Satellitenübertragung, Bildtelefon), Text- und Bildübermittlungsdienste (Telex, Teletext, Bildschirmtext – Btx –, Telebox, Telefax) und auch die Telekommunikation in Computernetzen (E-Mail, Online-Kommunikation, Videodienste,185 sonstiger Datentransfer), insbesondere im Internet.186 2. Telegramme fallen zwar unter den Begriff „Telekommunikation“. Ihre Beschlag- 56 nahme, soweit sie heute überhaupt noch in der Praxis vorkommt, richtet sich aber nach der Spezialvorschrift des § 99,187 über dessen Existenzberechtigung (soweit darin die Beschlagnahme von Telegrammen geregelt ist) sich angesichts der Erweiterung des § 100a auf die gesamte Telekommunikation streiten lässt. 3. Kommunikationsinhalt und Kommunikationsumstände. Die Überwachung der 57 Telekommunikation im Sinne des § 100a umfasst nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern ebenso die (bei digitaler Verbindungstechnik speicherbaren oder gespeicherten) näheren Umstände der Telekommunikation; die sog. Verbindungsdaten. Hierzu gehört insbesondere, ob und gegebenenfalls wann und wie oft und wo zwischen welchen Personen oder Anschlüssen bzw. bei mobilen Anlagen zwischen welchen Kennungen (Rn. 17) eine Verbindung stattgefunden hat oder versucht worden ist.188 Insoweit kann auf die gesetzliche Regelung des Fernmeldegeheimnisses in § 88 Abs. 1 TKG und in § 206 Abs. 5 StGB zurückgegriffen werden.189 Verbindungsdaten. Nähere Umstände der Telekommunikation ergeben sich insbeson- 58 dere aus den Verbindungsdaten eines zustande gekommenen oder auch nur versuchten
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Zum Ganzen Roggan StV 2012 762. S. dazu Artkämper Kriminalistik 1998 202; Weinem Kriminalistik 1995 735; Leiberich Kriminalistik 1995 731; KK/Nack 14; zur Frage, wie der Anschluss im anordnenden Beschluss bezeichnet werden muss und dass insoweit auch die Benennung der sog. elektronischen Gerätekennung (IMEI) ausreichend sein kann, vgl. BGH ER CR 1998 738 = MMR 1999 99, vgl. dazu auch § 110b, 4.
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Dazu Eisenberg/Nischan JZ 1997 74. Vgl. zu allem KK/Nack 16 ff. Meyer-Goßner 6. BVerfG NJW 2003 1777; BVerfGE 67 157, 172; 85 386, 396; 100 313, 358; NJW 2003 1787 = NStZ 2003 441; BGH (ER) NStZ 2001 389; BGH StV 1998 173. BGH (ER) NStZ 2001 389; s. auch BVerfGE 100 313, 358 und oben Rn. 12.
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Kommunikationsvorgangs,190 wie sie in § 96 Abs. 1 TKG – in Abgrenzung zu den Bestandsdaten im Sinne von § 95 Abs. 1 und 2 TKG – umschrieben sind. § 3 Nr. 30 TKG definiert die Verkehrs- bzw. Verbindungsdaten ausdrücklich als „bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt“ und noch genauer bestimmt § 96 TKG die wichtigsten Verbindungsdaten, die das Telekommunikationsunternehmen erheben, verarbeiten und nutzen darf: 1. die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten; 2. den Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen; 3. den vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst; 4. die Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen; 5. sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwendige Verkehrsdaten.
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Verbindungsdaten können sowohl nach § 100a, § 100b als auch nach § 100g erhoben werden. Während allerdings § 100g Abs. 1 den Kreis erhebungsfähiger Verbindungsdaten durch seinen Verweis auf §§ 96 Abs. 1, 113a TKG abschließend umschreibt und beispielsweise die übermittelte Datenmenge nur im Falle ihrer Entgeltrelevanz erfasst, ebenso wenig wie Daten, die außerhalb einer Verbindung entstehen (§ 100g Abs. 3 „nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs“), gelten diese Beschränkungen für die an engere Voraussetzungen geknüpfte Überwachung nach § 100a nicht. 60 In der analogen Telekommunikationstechnik wurden die für eine Verbindung notwendigen Schaltungen durch elektromechanische Stellgeräte bewirkt, die nach Ende der Verbindung in ihre Ausgangsposition zurückgingen. Verbindungsdaten waren also nur bis zum Ende des Gesprächs verfügbar. Seit Einführung der digitalen Technik wird für jede Kommunikationsbeziehung im digitalen Netz ein Datensatz erzeugt, der der rechnergesteuerten Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung dient. Wird die Verbindung von einem digitalisierten Anschluss aufgebaut, werden die Verbindungsdaten mindestens bis zur Rechnungserstellung gespeichert. Damit stehen in erheblichem Umfang Verbindungsdaten zur Verfügung, die auch für Zwecke der Strafverfolgung nutzbar sind. Die Bedeutung der Verbindungsdaten für diese Zwecke ist ferner dadurch gesteigert worden, dass im digitalisierten Telekommunikationsnetz alle Telekommunikationsdienste integriert sein können, also neben der Sprache auch sonstige Daten, Texte und Bilder. Hinzu kommt die starke Ausdehnung des Internet. Die Verbindungsdaten der Telekommunikation lassen erhebliche Rückschlüsse auf das Kommunikations- und Bewegungsverhalten zu, deren Genauigkeit von der Zahl und Vielfalt der erzeugten Datensätze abhängt. Aus der Gesamtheit der Kommunikationsdaten, die für die Anschlussnummer einer Person gespeichert sind, lassen sich insbesondere Informationen über das soziale Umfeld gewinnen. Die Ermittlungsbehörden erhalten eine Möglichkeit zur Erfassung aller Personen, zu deren Anschlüssen in dem betreffenden Zeitraum Telekommunikationsverbindungen hergestellt worden sind. Mit Informationen über die Anschrift, Standortdaten und Datenmengen, die sich aus den für die Strafverfolgungsbehörden nach §§ 96 Abs. 1, 111 Abs. 1 TKG abrufbaren Kundendaten oder aus den öffentlichen Teil-
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Geppert/Schütz/Büchner § 85, 3 TKG; Erbs/Kohlhaas/Kalf/Papsthart § 85, 4 TKG.
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nehmerverzeichnissen ermitteln lassen, werden sogar begrenzte Rückschlüsse auf die Art der mutmaßlichen Gesprächsinhalte möglich, da beispielsweise auch die Datenmengen eines Kommunikationsvorgangs gespeichert werden. Die in den Kommunikationsdatensätzen gespeicherten Zeitdaten der Kommunikation sowie die Häufigkeit der Verbindungen erlauben zudem Schlussfolgerungen auf die Intensität der Kontakte und können gegebenenfalls zu bereits bekannten Vorgängen in Verbindung gesetzt werden.191 Da bei der Abfrage von Verbindungsdaten allein die Anschlusskennung abgefragt wird, werden, was bei der Beurteilung des Gewichts des Eingriffs von Bedeutung ist, Telekommunikationsdaten einer Vielzahl von Personen betroffen. 4. Standortdaten. Funkzelle. Standortdaten geben bei mobilen Endgeräten Auskunft 61 über den Aufenthaltsort des Betroffenen und ermöglichen recht genaue Bewegungsbilder. Die Funkzelle ist der kleinste Baustein eines Mobilfunknetzes, der kleinste Funkbereich, der von einer Basisstation versorgt wird. In der Mitte jeder Zelle befindet sich eine Basisstation (häufig ein Funkturm) mit einer Antenne. Funkzellen sind wabenförmig und je nach geografischer Lage und den zu versorgenden Teilnehmern unterschiedlich groß. Ein Mobilfunkteilnehmer kann während eines Gesprächs von einer Zelle problemlos in die nächste wechseln, ohne etwas zu bemerken. Wird das mobile Endgerät in Bereitschaft geschaltet, um ständig empfangsbereit zu sein, muss das Mobiltelefon seine Position regelmäßig dem Netz mitteilen und loggt sich dazu im Abstand von Sekunden bei der nächsten Basisstation unter Mitteilung der Geräte- und Teilnehmernummer ein, sodass diese Daten elektronisch abrufbar sind und aufgezeichnet werden können.192 Streitig war zunächst, ob bei mobilen Anschlüssen auch Auskunft über die Standort- 62 daten oder Funkzellen empfangsbereiter mobiler Endgeräte verlangt werden kann, wenn diese lediglich auf Bereitschaft (sog. Standby) geschaltet sind, also mit diesen nicht telefoniert wird. Aus dem Begriff „Bereitstellung“ in § 2 TDSV, der heute auch im TKG allgegenwärtig ist, hat der Ermittlungsrichter des BGH193 geschlossen, dass zu den Verbindungsdaten auch solche gehören, die bereits im Vorfeld eines (potentiellen) Telefongesprächs erhoben werden. Die technisch bedingten Positionsmeldungen nicht telefonierender Mobilgeräte stellten derartige Verbindungsdaten dar.194 Die Positionsmeldungen
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Zu alledem BVerfG NJW 2003 1777. Zur Technik: Artkämper KR 1998 202; Neuhaus FS Rieß 375, 383; s. auch KK/Nack 11. BGH (ER) NStZ 2001 389 = BGH NJW 2001 1587 mit ablehnender Anm. Bernsmann NStZ 2002 103, sodann BGH NJW 2003 2034, 2035; kritisch auch Weßlau StV 2003 483; ZStW 113 (2001) 681, 689; vgl. aber zustimmend Vassilaki JR 2000 446; dazu auch Kudlich JuS 2001 1165; Eckhardt DSB 2002 19; Bär MMR 2001 19; ders. MMR 2000 472, 473; ders. MMR 2001 443, 444; Artkämper Kriminalistik 2001 427. Wie der Ermittlungsrichter des BGH schon LG Dortmund NStZ 1998 577 unter extensiver Interpretation des Begriffs des Fernmeldeverkehrs; LG Ravensburg NStZ-RR 1999 84 f.; LG Aachen StV 1999
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590, 591 m. abl. Anm. Bernsmann; KK/Nack 11; Pfeiffer 1; Artkämper Kriminalistik 1998 202, 206; ; LG Hamburg NStZ-RR 1999 82, 83; VG Darmstadt NJW 2001 2273, 2274; Hermes in Dreier, Art. 10 Rn. 21; SK/Wolter § 100i, 12; ders., FS Rudolphi 733, 744; [B.] Gercke Bewegungsprofile anhand von Mobilfunkdaten, 70 f.; ders. MMR 2003 453, 455; ders. StraFo 2003 76, 78; HK/ders. § 100i, 2; Nachbaur NJW 2007 335, 336 f.; [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1, 20 f.; Roggan KritV 2003 76, 89; Gundermann K&R 1998 48, 53; v. Denkowski Kriminalistik 2002 117, 119; Löwnau-Iqbal DuD 2001 578; Dix Kriminalistik 2004 81, 83; Eckhardt CR 2001 386, 672. LG Dortmund NStZ 1998, 577: „denn die gesamten Umstände, ob und wann und
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seien, auch wenn nicht telefoniert wird, kommunikationserheblich, weil sie die Betriebsbereitschaft des im sog. Stand-by-Betriebs befindlichen Mobiltelefons sicherstellten. Dass auch solche Vorbereitungsakte vom Begriff der Telekommunikation erfasst sein sollten, ergebe sich auch aus der großen Nähe zu der von Art. 10 GG unstreitig erfassten Mobilfunkkommunikation.195 Es gehöre zwingend zu dem Telefonieren mit einem Mobilgerät, dieses empfangsbereit zu halten, da sonst der Empfang von Gesprächen nicht möglich sei. Da es sich folglich auch insoweit um Telekommunikationsvorgänge in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen weiten Rahmen handelt, stehe nichts entgegen, dass die Strafverfolgungsbehörden unter den Voraussetzungen des § 100a StPO auf die technisch bedingten Positionsmeldungen von Mobilgeräten auch dann zurückgreifen, wenn mit diesen nicht telefoniert wird. Angesichts der im Vergleich zu anderen strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen engen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Maßnahme nach § 100a StPO und des bedeutend geringeren Gewichts der Offenbarung von Standortdaten gegenüber dem inhaltlichen Abhören von Telefongesprächen bestünden hiergegen auch im Hinblick auf den hohen Rang des Grundrechts des Fernmeldegeheimnisses keine Bedenken, zumal § 100a StPO auch ausdrücklich die Möglichkeit zur Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten eröffnet. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich die Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten in § 100g unter gegenüber § 100a erleichterten Voraussetzungen geregelt. Danach darf über Verbindungsdaten heute zwar nicht mehr nur „im Falle einer Verbindung“ (so § 100g Abs. 3 a.F.) Auskunft verlangt werden. Diese Regelung steht aber einer Auskunftsanordnung unter den strengeren Voraussetzungen des § 100a nicht entgegen. Dieser Auffassung scheint auch die Bundesregierung zu sein. In der zeitlich nach der Neuregelung in § 100g erlassenen Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) vom 22.1.2002 – und auch in ihrer heute geltenden Fassung vom 3.11.2005 – wird nämlich in § 7 Abs. 1 Nr. 7 ausdrücklich geregelt, dass „zur Umsetzung von Anordnungen, durch die Angaben zum Standort des empfangsbereiten, der zu überwachenden Kennung zugeordneten Endgerätes verlangt werden“, das verpflichtete Telekommunikationsunternehmen seine technischen Einrichtungen so gestalten kann, dass sie diese Angaben erfassen und an die berechtigte Stelle weiterleiten kann. Diese Regelung ist eindeutig, sie muss auch vor dem Hintergrund der Argumentation des Telekommunikationsunternehmens in der vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs196 entschiedenen Sache gesehen werden. Dort hatte das Unternehmen geltend gemacht, § 3 Abs. 2 Nr. 4 der damals geltenden Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung vom 18. Mai 1995 verpflichte die Netzbetreiber, bei überwachten Mobilanschlüssen Informationen (nur) zu den Funkzellen mitzuteilen, „über die die Verbindung abgewickelt wird“. 63 Der Entscheidung des Ermittlungsrichters kann nicht zugestimmt werden. Ausgehend von dem weiten Begriff der Telekommunikation, wie er in § 3 Nr. 16 und 17 TKG definiert worden ist (Rn. 30), kann zwar nicht zweifelhaft sein, dass das Einschalten einer mobilen Endeinrichtung Empfangsbereitschaft des Inhabers gegenüber dem Telekommunikationsunternehmen signalisiert unter Übermittlung all der Daten, die erforderlich
zwischen welchen Personen und Anschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat, unterfallen dem geschützten Kommunikationsvorgang (BVerfG 85, 386 [396] = NJW 1992, 1875). Aus diesem Grunde zählt auch die Frage, wo sich das Endgerät befindet und damit möglicherweise diese Person
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aufhält, zu den „näheren Umständen“ der Telekommunikation.“ [Hervorhebung nicht im Original]. Vgl. SK/Wolter § 100i, 12; [R. P.] Schenke, AöR 125 (2000), 1, 20: „innere Einheit“. NStZ 2001 389.
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sind, um ein für diese Endeinrichtung bestimmtes Gespräch dorthin zu leiten, dass diese Daten einschließlich der zur Standortbestimmung erforderlichen bei der Netzbetreiberin nicht automatisch erfasst werden, weil sie zur Abrechnung nur gebraucht werden, wenn es zu einer Verbindung kommt, und deshalb den Strafverfolgungsbehörden nicht „online“ zugänglich gemacht werden können, hindert die Netzbetreiberin auch nicht, ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten für die Zukunft durch Feststellung und Mitteilung von Funkbereichen nachzukommen. Eine unzumutbare Belastung hat der Ermittlungsrichter des BGH darin nicht gesehen.197 Er hat allerdings zutreffend klargestellt, dass die Netzbetreiberin nur zur Mitteilung der Funkzelle im Sinne des § 2 Nr. 5 TKÜV a.F. und nicht zu weitergehenden Peilungen oder Messungen innerhalb der Funkzelle verpflichtet ist. Der bloße Standby-Betrieb eines empfangsbereiten Mobiltelefons ist keine Telekom- 64 munikation, Ermittlungszugriffe darauf liegen damit außerhalb des § 100a: Heute ist auch das BVerfG Teil einer breiten Front gegen einen Einbezug von Standort- und Gerätenummernermittlungen in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses; entsprechende Maßnahmen sind allein am APR zu messen.198 Bei der gebotenen Auslegung des Begriffs der Telekommunikation führt uns eine historisch-teleologische Sichtweise zunächst auf den Grundgedanken des Schutzes einer „Privatheit auf Distanz“ zurück. Das Briefgeheimnis wurde als Geheimnisgarantie gegenüber einem an privaten Informationen interessierten absolutistischen Staat formuliert.199 Es sollte ebenso wie die flankierende Gewährleistung des Post- und später auch des Fernmeldegeheimnisses einen Ausgleich bieten für den Nachteil, dass Fernkommunikation in besonderer Weise für externe Zugriffe anfällig ist.200 Denn dort fällt die Möglichkeit der Gesprächskontrolle, die es anwesenden Kommunikationspartnern erlaubt, Dialoginhalte durch die Wahl des Gesprächsorts oder der Sprechlautstärke gegenüber Mithörern abzuschirmen, weitgehend weg.201 Zudem werden private Informationen einem Medium anvertraut, das man nicht kontrollieren kann. Maßgeblicher Schutzgegenstand ist damit zunächst der Kommunika-
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BGH (ER) NStZ 2001 389. Vgl. BVerfG NJW 2007 351, 353; KK/Nack § 100i, 5; Bär TKÜ, § 100i, 3; Meyer-Goßner § 100i, 2; Badura FS Amelung 529, 540 f.; Günther NStZ 2005 485 Fn. 1, 491 f.: „nur die Verständigung zwischen Personen“; Günther Kriminalistik 2004 11, 14; Jordan Kriminalistik 2005 514, 515 f.; Demko NStZ 2004 57, 60 ff.; Eisenberg/ Singelnstein, NStZ 2005 62, 66; nur „aktiv verbale Kommunikation“ betroffen; Kudlich JuS 2001 1165, 1168; Welp Überwachung und Kontrolle S. 29 ff.; Weßlau ZStW 113 (2001) 681, 690; Brenner 251 („nur […], wenn […] untrennbar mit einem Kommunikationsvorgang in Verbindung“); Walther StV 1991, 14, 15; zweifelnd auch Bernsmann NStZ 2002 103; ders./Jansen StV 1999, 591, 592 f. Vgl. Mohl Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. II (1833) 390, der schon 1833 die Sicherheit der Beförderung von Briefen
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darin erblickte, „daß sie uneröffnet übergeben werden, (daß das Postgeheimnis bewahrt werde.)“, daneben aber auch auf die äußeren Umstände der brieflichen Kommunikation abstellt, S. 391: „auch den Polizeibehörden kann die Kenntnisnahme von einem bestimmten Briefwechsel sehr wichtig seyn“; Austermühle Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches (2002) 101 ff., 111 ff.; Marxen Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlich zulässigen Ausnahmen (1957) 4; Maunz/Dürig/Durner, 57. Lfg., Art. 10, 9, 60 GG. Vgl. – auch zum Folgenden – die Passage in BVerfGE 115 166, 182. Sieht man einmal von Briefen in Geheimschrift oder entlegenen Fremdsprachen ab.
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tionsinhalt.202 Die vom BVerfG behauptete ebenso große Schutzwürdigkeit der Tatsache des Gesprächs als solches (als ein „näherer Umstand“ der Kommunikation) lässt sich damit nicht ohne Weiteres begründen, weil die Tatsache eines Gesprächs zwar ein ebenfalls sensibler Umstand sein mag, hieraus jedoch keine Erkenntnisse über dessen Inhalt gewonnen werden können. Gleichwohl erschöpft sich die Schutzweite des Art. 10 Abs. 1 GG nicht in einem Schutz kommunikativen Informationsaustausches. Auch das Kommunikationsverhalten, das über die Ermittlung der sog. Fernmeldeumstände 203 in gewisser Weise nachvollzogen werden kann, erweist sich als schutzwürdig, und zwar über Art. 10 Abs. 1 GG. Das BVerfG hat diese vom Kommunikationsinhalt unabhängige Schutzwirkung des Art. 10 Abs. 1 GG erstmals für das Fernmeldegeheimnis unter Berufung auf eine Entscheidung des BVerwG und eine des OVG Münster vertreten.204 Urspünglich erstreckte das BVerwG lediglich das Postgeheimnis in der Tradition des prALR [Zweyter Theil 15. Titel 4. Abschnitt §. 204]205 auf die Tatsache des Briefkontakts zwischen Sender und Adressat.206 Auf das Fernmeldegeheimnis übertragen wurde dieser Schutz der Kommunikationsumstände („Umstände des Fernmeldeverhältnisses“) dann vom OVG Münster unter zweifelhaftem – da normhierarchisch und normlogisch undurchführbarem – Rückgriff auf § 10 Abs. 1 Satz 3 FAG a.F.207 und drei Literaturstellen.208 Auch wenn der Sprung vom Schutz des Inhalts auf den Schutz der äußeren Formen gerade teleologisch nur schwer nachzuvollziehen ist,209 muss man diese Vertraulichkeit der Kommunikation „in allem“ als wesentlichen Schutzaspekt des Art. 10 Abs. 1 GG dennoch zugrundelegen, weil auch die Vertraulichkeit eines Kommunikationsverhältnisses als solches, unabhängig von seinem Inhalt, schutzwürdig ist. Ein Grund hierfür ist die eigene Dispositionsfreiheit über die Art und Weise privater Kommunikation und der Umstand, dass schon die Tatsache einer kommunikativen Beziehung zu einer anderen Person für sich genommen ein Umstand des privaten Lebens ist, der viel preisgeben kann, wenn er denn öffentlich wird. Eben jene, sich vom Gedanken des Inhaltsschutzes noch weiter entfernende Idee der 65 Erfassung von Gerätenummern und Standortinformationen steht aber nicht die vorgebrachte enge Verzahnung des einschlägigen § 100i mit den entsprechenden Befugnisnormen für die Erhebung von Verbindungsdaten in § 100g zur Seite.210 Unabhängig davon, dass es normhierarchisch und rechtslogisch unmöglich ist, die Reichweite eines grundrechtlichen Schutzbereichs über die Reichweite einer strafprozessualen Befugnisnorm zu definieren,211 von der man nicht einmal weiß, ob sie den Schutzbereich berührt,
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BVerfGE 115 166, 183; „in erster Linie“; BVerfGE 100 313, 358; „zuvörderst“. Zum Begriff Maunz/Dürig/Durner Lfg. 57, Art. 10, 86 GG. Vgl. BVerfGE 67 157, 172. „Die Postbedienten müssen die ankommende und abgehende Correspondenz verschwiegen halten, und mit wem jemand Briefe wechsele, keinem andern offenbaren.“ BVerwGE 6 299, 300 f. Die Bestimmung lautete noch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 1989 (BGBl. I S. 1455): „Der Schutz erstreckt sich auch auf die näheren Umstände des Fernmeldeverkehrs, insbesondere darauf, ob und
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zwischen welchen Personen ein Fernmeldeverkehr stattgefunden hat.“ NJW 1975, 1335: „insbesondere die Tatsache, ob, wann und zwischen welchen Personen und Fernsprechanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist. (Vgl. Kämmerer-Eidenmüller, Post- und Fernmeldewesen, § 10 FAG Anm. 4; Aubert, Fernmelderecht I, 3. Aufl., S. 47, 48; Maunz/Dürig/Herzog Art. 10, 18 GG. Vgl. aber Maunz/Dürig/Durner Art. 10, 60 GG. So jedoch SK/Wolter § 100i, 12. Vgl. zur allgemeinen Kritik an diesem Vorgehen Kudlich JuS 2001 1165, 1167.
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betrifft § 100g nun mal lediglich Verbindungsdaten, die als nähere Umstände der Telekommunikation dem Art. 10 Abs. 1 GG unterfallen. Dieses entscheidende Differenzierungskriterium, näherer Umstand eines tatsächlichen Telekommunikationsvorgangs zu sein, fehlt jedoch gerade den Standort- und Gerätedaten, auf die sich § 100i bezieht.212 Dieses Argument der besonderen Nähe oder Wesensverwandtschaft wird sodann auch 66 im Zusammenhang mit dem Aspekt der Kommunikationsbereitschaft vorgetragen: Ein Handy, das im Bereitschaftsmodus laufe, signalisiere automatisch seine allgemeine Kommunikationsbereitschaft, die von der durch Anwahl einer bestimmten Nummer signalisierten besonderen Bereitschaft zur Kommunikation aus teleologischen Gesichtspunkten kaum sinnvoll zu unterscheiden sei.213 Dabei wird verkannt, dass die Aussendung der besonderen Kommunikationsbereitschaft auf eine menschliche Initiative (nämlich auf den Tastendruck) zurückzuführen ist, die sich unmittelbar auf den Aufbau einer Telefonverbindung zum Zweck eines Ferngesprächs richtet. Sicherlich führt der Einzelnutzer auch den Stand-by Betrieb eines Handys zielgerichtet herbei, indem er das Gerät einschaltet. Genau dieser individual-initiativ gesprächsvorbereitende Charakter fehlt dem rein technisch vollzogenen Signalisierungsverkehr, wie er im Stand-by Betrieb dauernd passieren kann, jedoch.214 Es müsste deshalb zumindest unter einigem Aufwand begründet werden, in diesem 67 Zusammenhang von der Kommunikationsbereitschaft des Geräts auf die Kommunikationsbereitschaft der Person zu schließen.215 Die besondere Kommunikationsbereitschaft, die technisch vermittelt durch das Anwählen einer Rufnummer signalisiert wird, ist doch zugleich Teil, genauer: Anfang des Kommunikationsprozesses und als solcher pars pro toto von Art. 10 Abs. 1 GG geschützt. Jede andere bloße Bereitschaft zur Kommunikation, die nicht Teil des Kommunikationsprozesses selbst ist und – als bloße „Kommunikationsanbahnung“216 – auch nicht als „näherer Umstand“ eines solchen definiert werden kann, hat nicht Teil an diesem Schutz, weil insofern die spezifische Schutzwürdigkeit fehlt. Die allgemeine Kommunikationsbereitschaft eines Menschen hier zum Anlass zu nehmen, den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG zu eröffnen, müsste – will man die dynamische Kommunikationsmedienakzessorietät der Schutzbereichsbestimmung, also ihre Abhängigkeit vom jeweils benutzten Kommunikationsgerät, ernst nehmen –217 dazu
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Wie hier Badura FS Amelung 529, 540 f.; Kudlich JuS 2001 1165, 1168 f.; Demko NStZ 2004 57, 60 f. Es bedeutet entgegen Gundermann K&R 1998 48, 53; deshalb auch keine „Aushöhlung“ des Schutzes des Art. 10 Abs. 1 GG oder eine unzulässige Missachtung eines „dienenden Charakters“ dieser Aktivmeldungen. Denn eine bloße Existenz im (weiteren) „Kontext der Telekommunikation“ ist weder selbst Telekommunikation noch einer ihrer „näheren Umstände“. Wegen dieses Unterscheidungskriteriums, Standort- und Geräteinformation als Verbindungsdaten, also als Teil eines tatsächlichen Kommunikationsvorgangs, oder nicht, geht auch die „Kontrollüberlegung“ des LG Aachen StV 1999 590, 591 fehl: Dass der Gesetzgeber eine Erfassung dieser Informationen als Verbindungsdaten
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einer tatsächlichen Telekommunikation in Kauf genommen hat (was er mit Blick auf die §§ 100g, h dann 2001 eigens normierte), heißt noch lange nicht, dass er deren Erhebung auch im bloßen Standby-Betrieb erfassen wollte. Vgl. SK/Wolter § 100i, 12. Die Differenzierung beruht also auf einem sachlichen Grund, der es verbietet, wie Gundermann K&R 1998 48, 53, von einer willkürlichen Trennung zwischen kommunikationsunmittelbaren und „zeitlich weiter entfernten“ Ortsmeldungen zu sprechen. So namentlich Nachbaur NJW 2007 335, 337; ferner SK/Wolter § 100i, 12. So [R. P.] Schenke, AöR 125 (2000) 1, 21. Vgl. BVerfGE 100 313, 363; V. Mangoldt/ Klein/Starck/Gusy Art. 10, 40 f. GG; Dreier/Hermes Art. 10, 25 GG.
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führen, die Anschlussdaten bei der bloßen Inhaberschaft eines Festnetzanschlusses ebenso dem Schutz des Art. 10 Abs. 1 zu unterstellen wie den Besitz von Briefpapier und Tinte. Deshalb ist auch die Behauptung, in der Abfrage der Gerätenummern realisiere sich 68 „das spezifische Risiko für die Vertraulichkeit der Telekommunikation“, weil es „derartige Verkehrsdaten […] bei einer unmittelbaren Kommunikation nicht geben“218 würde, aus zwei Gründen unhaltbar. Erstens produziert die Standort- oder Gerätedatenabfrage schon keine Verkehrsdaten als Schutzobjekt des Fernmeldegeheimnisses. Selbst die zum Beleg zitierte Definition des § 3 Nr. 30 TKG setzt die „Erbringung“ eines Telekommunikationsdienstes, also die Vornahme eines Telefonats, voraus,219 was für die Geräte- und Standortnummernabfrage nach § 100i doch gerade nicht Voraussetzung sein soll. Und zweitens belegt der Wegfall eines Datenbestands im Falle der nicht fernmündlich, sondern unter Anwesenden geführten Kommunikation doch mit keinem Wort, dass sämtliche, also auch die ohne Bezug zu konkreten Kommunikationsverhältnissen im rein technischen Signalisierungsverkehr anfallenden Daten über die Ausgleichsfunktion des Art. 10 Abs. 1 GG schutzwürdig sind. Und auch über den für sich genommen sicher zutreffenden Hinweis, Grundrechte seien „in ihrem Freiheitsgehalt entscheidend darauf angelegt, dass der Grundrechtsträger nicht befürchten muss, wegen oder aus Anlass der Grundrechtsausübung Objekt staatlicher Beaufsichtigung und möglicher nachteiliger Maßnahmen zu werden“,220 lässt sich eine solche Schutzbereichsergänzung auf die technische Anbahnungsphase nicht begründen. Dabei bliebe doch außer Acht, dass sich die Grundrechtsausübung bei Art. 10 Abs. 1 GG allein im Kommunikationsvorgang vollzieht.221 Wegen der Grundrechtsausübung wird man daher nur dann Objekt staatlicher Maßnahmen, wenn dieser Informationsaustausch selbst (und nicht lediglich dessen Anbahnung) interessant ist. Aus Anlass der Grundrechtsausübung geschieht dies dann, wenn der vollzogene Kommunikationsprozess entsprechende Folgemaßnahmen nach sich zieht.222
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Keller Die Ermittlung der Kennungen und des Standorts von Mobilfunkgeräten im Spannungsfeld zwischen Kriminalitätsbekämpfung und Verfassungsmäßigkeit (2008) 147; ebenso Gercke Bewegungsprofile anhand von Mobilfunkdaten im Strafverfahren (2002) 71. Zum Erfordernis der „Inanspruchnahme“ eines Dienstes Geppert/Schütz/Braun § 3, 93 TKG. Auch die den Begriff der Verkehrsdaten konkretisierende Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–5 TKG setzt den Aufbau einer Telekommunikationsbeziehung voraus. Das gilt selbst für die nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG relevanten Standortinformationen, die nur dann zu Verkehrsdaten werden, wenn die von ihnen betroffenen Geräte zu einer konkreten Kommunikation benutzt werden; vgl. BeckOK/TKGGraf, § 96 Rn. 1: „Daten einer Kommunikation – mit Ausnahme der Inhaltsdaten.“ R. P. Schenke AöR 125 (2000) 1, 20 f., unter Verweis auf VG Bremen NVwZ 1989 895 ff., und OVG Bremen, NVwZ 1990
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1188 ff. (optische Dokumentation eines Demonstrationszuges). Was einen entscheidenden Unterschied gegenüber den von Schenke angegebenen Judikaten darstellt. Dort war stets eine Versammlung gegeben, damit der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG immer eröffnet und die Frage nach einer Schutzbereichserweiterung auf Vorfeldgeschehen nie relevant. Auch eine Schutzerstreckung auf kommunikationsvorbereitende Handlungen nach Kloepfer Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz 99 f., kann nicht überzeugen, weil so über die Kommunikationsbereitschaft letztlich doch eine Kommunikationshandlungsfreiheit geschützt wird, die mit dem Geheimnisschutzgedanken des Art. 10 GG unvereinbar ist. Dies ist auch BerlKommTKG/Klesczewski § 88, 15 TKG, entgegenzuhalten, wenn er in der reinen Standortabfrage eine „willensgetragene Informationsübermittlung“ erkennen will. Vgl. eingehend Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit S. 372.
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5. Raumgespräch. Schwierigkeiten bereitet auch die rechtliche Beurteilung sog. Raum- 69 gespräche. Darunter versteht man Gespräche zwischen zwei oder mehreren Personen anlässlich einer Telekommunikation, die von den Gesprächsteilnehmern entweder irrtümlich für beendet oder nie bestanden gehalten wurde oder zwar aus ihrer Sicht durchaus besteht, der Einbezug von Gesprächsbeiträgen Dritter Personen indes unfreiwillig erfolgte und die mittels einer zulässigen Telefonüberwachung nur deshalb mitgehört werden können, weil ein Gesprächsteilnehmer (der Betroffene) seinen Telefonhörer, der dann wie eine „Wanze“ wirkt, nicht ordnungsgemäß aufgelegt oder sonst die Verbindung nicht ordentlich beendet hat.223 Dasselbe gilt auch für Raumgespräche, die nach Abnahme des Telefonhörers, d.h. vor Beginn eines Ferngesprächs, von dem Hörer zu den Aufzeichnungsgeräten übertragen werden.224 Der BGH ist nunmehr 225 in gewisser Abkehr von einer früheren Entscheidung226 der Auffassung, dass es sich bei der Übertragung dieser Gespräche um Telekommunikation im Sinne des § 100a handele, da von diesem nunmehr maßgeblichen weiten Begriff die Vorgänge des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art, also grundsätzlich der gesamte Datenverkehr mittels Telekommunikationsanlagen umfasst werde227 der insoweit inhaltsgleich mit der Legaldefinition des § 3 Nr. 22 TKG sei. Im entschiedenen Fall erreichte der Betroffene nur die Mailbox seines Gesprächspartners und sah deshalb davon ab, Nachrichten darauf zu hinterlassen, unterließ es aber, die Taste zur Gesprächstrennung zu drücken, sodass ein von ihm mit anderen Personen geführtes Gespräch mitgeschnitten wurde. Der BGH betonte, Voraussetzung einer Kommunikation sei freilich, dass sich eine Person einer Kommunikationsanlage bediene, also mittels einer solchen Anlage kommuniziere. Diese Kommunikation umfasse aber nicht nur unmittelbare „Nachrichten“-Inhalte, sondern auch alle sonstigen mit Aussenden, Übermitteln oder Empfangen verbundenen Vorgänge. Voraussetzung des Vorliegens von Telekommunikation in diesem Sinne sei nicht, dass sich der Vorgang im konkreten Fall mit aktuellem Willen oder Wissen der betroffenen Person vollziehe. Das sei bei den Vorgängen des Empfangens (z.B. bei auf Anrufbeantworter gesprochenen mündlichen Nachrichten oder bei in einer Mailbox eingehenden E-Mail-Schreiben) offensichtlich, gelte aber grundsätzlich auch für das Versenden von Nachrichten. Auch von einem Funktelefon an die nächstgelegene Funkzelle eines Mobilnetzes übermittelte Standortdaten seien selbst dann Gegenstand von Telekommunikation, wenn der Benutzer des aussendenden Endgeräts im Einzelfall kein aktuelles Bewusstsein von dem Vorgang habe; dasselbe gilt bei automatisierten Übertragungen. Telekommunikation im Sinne von § 100a Abs. 1 StPO liege jedenfalls228 dann vor, wenn
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Vgl. BGHSt 31 296 („Raumgespräch I“; Hörer nach Gesprächsende nicht richtig aufgelegt) mit Anm. von Amelung JR 1984 254; Geerds NStZ 1983 517; Gössel JZ 1984 361; Küpper JZ 1990 422; BGH NStZ 2003 66 („Raumgespräch II“; gescheiterte Telefonatsbeendigung infolge Bedienfehler); BGH NStZ 2003 669, und StV 2009 398 („Raumgespräch III“; Hintergrundunterhaltung mit Dritten während Gesprächsaufbaus); BGH NStZ 2003 670 („Raumgespräch IV“; Nutzung der TK-Anlage als Abhörgerät ohne Kenntnis bzw. gegen den Willen des Beschuldigten). Vgl. ferner SK/Wolter § 100a, 23 ff.
224 225 226 227
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Wie hier Meyer-Goßner 2; a.A. OLG Düsseldorf NJW 1995 975. BGH NStZ 2003 668 ff. = StV 2003 370 ff. BGHSt 31 296, dazu Weßlau StV 2003 483: „Paradigmawechsel“. Unter Hinweis auf Bär CR 1993 578, 582; CR 1998 434, 435; kritisch Weßlau StV 2003 483. Damit lässt der Senat seine Stellungnahme zu BGH (ER) NJW 2001 1587 = NStZ 2001 389 = StV 2001 214 offen, wonach die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation mit einem Mobilfunktele-
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der von einer Überwachungsanordnung Betroffene ein von ihm benutztes Mobiltelefon zum Aussenden von Nachrichten in Betrieb setze oder wenn eine betriebsbereit gehaltene Telekommunikationsanlage Nachrichten Dritter empfange. Diese Argumentation fordert zur Kritik heraus: Betreibt wirklich Telekommunikation, wer irrig annimmt, sein Telefonat sei beendet, und dennoch weiterspricht, oder wer weiterspricht und nichts von einer noch bestehenden Telekommunikationsverbindung weiß, die ein Dritter begonnen und nicht beendet hat?229 Der Senat betont anschließend noch Selbstverständliches: Anderes würde dann gelten müssen, wenn die Telekommunikationsanlage von vornherein zielgerichtet ohne oder gegen den Willen des Betroffenen in Betrieb genommen worden wäre und daher allein die Funktion einer „Abhöranlage“ im Sinne von § 100c StPO gehabt hätte, denn hierdurch würde sich die Richtung des Grundrechtseingriffs ändern. Zu dem in BGHSt 31 296 entschiedenen Fall bestehe insoweit ein Unterschied, als dort zwar vergleichbar die Verbindung nicht ordentlich beendet worden war, aber weder die Verbindung mit dem Anschluss eines Dritten durch den Betroffenen selbst hergestellt noch ihre versehentliche Aufrechterhaltung durch ihn verursacht wurde. Auch habe in der früheren Entscheidung die abgehörte Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung (über ihre Verbrechen!) den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung tangiert. In der neuen Entscheidung blieb offen, ob die Verwertbarkeit des Gesprächs auch zum Nachteil des Gesprächspartners, der nicht an der eigentlichen Telekommunikation beteiligt war, auf Grund der §§ 100a, 100b möglich sei. Selbst wenn (insoweit?) die Überwachung und Aufzeichnung des Raumgesprächs durch die Anordnung nach §§ 100a, 100b StPO nicht gedeckt sei, ergäbe sich hieraus nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot.230 Ob ein solches eintrete, bestimme sich durch Abwägung des staatlichen Interesses an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gegen das individuelle Interesse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter,231 hier am Schutz der grundrechtlich geschützten Privatsphäre und des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gegen heimliche Eingriffe von außen. Diese Abwägung ergebe hier kein Überwiegen schutzwürdiger Belange des Persönlichkeitsrechts der Angeklagten. Das aufgezeichnete Gespräch habe die Planung eines schweren Verbrechens zum Gegenstand gehabt und hätte gemäß § 100c Abs. 1 Nr. 2 (a.F., heute § 100f Abs. 1) abgehört und aufgezeichnet werden dürfen, um eine in dem Tatbestandskatalog des § 100a StPO aufgeführte schwere Straftat, die hier vorlag, aufzuklären. Mit dieser Entscheidung bestätigt der BGH einmal mehr die Abwägungslehre, wobei er die Zulässigkeit eines anderen vergleichbaren Eingriffs in die Güterabwägung einbringt, ohne auf das Institut des hypothetischen Ersatzeingriffs zurückgreifen zu müssen. Zur Kritik s. auch Rn. 28.
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6. Stille SMS. Mit Hilfe bestimmter Software ist es möglich, einem auf Empfangsbereitschaft geschalteten mobilen Endgerät eine „Stille SMS“ zu schicken, die anders als
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fon von dem Netzbetreiber die Bereitstellung von Informationen darüber, in welcher Funkzelle sich das Telefon befindet, auch dann verlangen können, wenn mit diesem nicht telefoniert wird. Vgl. zur Kritik Fezer NStZ 2003 625, 626 ff.; Vorgang der Telekommunikation mit dem unerkannt gescheiterten Versuch der Verbindungstrennung beendet; Prittwitz StV 2009 437, 441; zwar Eröffnung des sachlichen, nicht jedoch des persönlichen
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Schutzbereichs bei fehlender telekommunikationsgerichteter Initiative zum Absenden einer Nachricht; ferner Weßlau StV 2003 483, 484; Koch K&R 2004 137, 138; ders. JA 2004 707; ablehnend auch SK/Wolter 23 ff. m.w.N. Unter Hinweis auf BVerfG NJW 2000 3357; BGHSt 31 304, 308; 34 39, 52; 37 30, 32; 38 214, 219; 44 243. Unter Hinweis auf Meyer-Goßner Einl. 55 f. m.N.
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die übliche SMS beim anvisierten Gerät nicht als Nachricht registriert und damit vom Empfänger auch nicht bemerkt wird. Es werden aber Verbindungsdaten erzeugt, die beim Mobilfunkprovider gespeichert werden und sofort abrufbar sind, sodass die Ermittlungsbehörden unmittelbar nach dem Versenden der stillen SMS den Aufenthaltsort des Geräteinhabers über die verwendete Funkzelle je nach Funkzellendichte bis auf hundert Meter genau feststellen können. Nach der Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH (Rn. 63) findet auch hier Telekommunikation statt. Ob es dabei zu einer Verbindung gekommen ist, wird man zwar verneinen müssen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Einschränkung in § 100g Abs. 3 Nr. 1 a.F. die Feststellung von Verbindungsdaten nur für den Fall zulassen, dass der Geräteinhaber telefoniert usw. Heute hat er diese Voraussetzung in § 100g Abs. 1 Satz 3 unter Verzicht auf das Merkmal der „Verbindung“ aufgegeben (dazu § 100g, 38). Da es unter den strengeren Voraussetzungen des § 100a auf diese Einschränkung ohnehin nicht ankommt, ist nach dieser Vorschrift die Verwendung der stillen SMS nach Ansicht der Rspr. erlaubt. Diese Ansicht bleibt zweifelhaft: Denn diese Praxis der Polizei, durch den Versand einer heimlichen, vom Empfänger nicht bemerkbaren SMS den Standort des Handys festzustellen, bedeutet keinen Zugriff auf einen bereits bestehenden Kommunikationsprozess, der Vertraulichkeitsschutz genießt, sondern geradezu ein Aufzwingen, also ein aktives Generieren solcher Tele-„Kommunikation“ durch die Polizei. Weil Art. 10 Abs. 1 GG aber nicht vor aufgedrängten Kommunikationsprozessen schützt, sondern nur Geheimnisschutz hinsichtlich des Inhalts und der näheren Umstände gewollter stattfindender Kommunikation bietet, sollte auch ein Eingriff in die Telekommunikation ein Mindestmaß an Kommunikationsbewusstsein und Kommunikationswilligkeit voraussetzen.232 7. Netzbereich. Allen Überwachungsmaßnahmen ist gemeinsam, dass die Maßnahme 71 nach § 100a allein in den Nachrichtenübermittlungsvorgang im Netzbereich, d.h. in dem Herrschaftsbereich des Netzbetreibers, eingreift (Rn. 33). Ist die Nachricht am Endgerät des Teilnehmers eingetroffen – oder wird sie schon am Telekommunikationsgerät des Absenders, etwa einem Computer, in dem ein abgesandtes Fax niedergelegt ist, abgegriffen –, so ist sie einer Überwachungsmaßnahme nach § 100a nicht mehr – oder im Falle des Absendergeräts noch nicht – zugänglich.233 Ebenso wie der beim Absender liegengebliebene oder der beim Empfänger angelangte Brief nicht (mehr) der Postüberwachung unterliegt (sondern nach den allgemeinen Vorschriften beschlagnahmt werden kann), ist die Nachricht, die – als Datensatz, ausgedrucktes Fax oder gesprochenes Wort – an einem Endgerät im Herrschaftsbereich des Empfängers (Telefon, Faxgerät, Anrufbeantworter, Speicher eines PC, Datenpuffer sonstiger Art) angelangt ist oder entsprechend beim Absender gefunden werden kann, nicht mittels Telekommunikationsüberwachung nach § 100a zu greifen. Die Fernabfrage eines Anrufbeantworters, den der Empfänger in seinem Herrschaftsbereich betreibt, ist deshalb von der Beschränkung der Eingriffsbefugnis des § 100a ebensowenig erfasst wie das Mithören eines Telefonats am Endgerät. Eine Aufzeichnung in diesem Bereich kann nach § 100c erfolgen. Damit ist allerdings nichts
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Vgl. zur Kritik der Literatur SK/Wolter 21 m.w.N.; Zur Ermittlungspraxis jüngst [C.] Krüger ZJS 2012 606. Dafür, dass die Maßnahme nicht auf § 100i gestützt werden kann [J.] Tiedemann K&R 2004 63, 66; Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005 62, 63; Meyer-Goßner § 100i, 4; Roggan,
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FS B. Hirsch, 159; Röwer Erscheinungsformen und Zulässigkeit heimlicher Ermittlungen 220 ff.; Tölpe Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“ (2008) 241 ff., 248. BGHSt 42 139, Welp NStZ 1994 294, 295; KK/Nack 5.
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darüber gesagt, ob der Zugriff nicht anderweitig möglich ist. Einzelheiten zum Mithören am Endgerät und zur Hörfalle Rn. 40, 159.
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8. Mailboxen, insbes. „E-Mailbeschlagnahme“. Rechtliche Probleme bereitet in diesem Zusammenhang der Zugriff der Ermittlungsbehörden auf Mail- oder Voiceboxen, das sind i.d.R. rechnergestützte Datenpuffer, die zwar im Herrschaftsbereich des Netzbetreibers unterhalten werden, in denen andererseits aber der Nachrichtenübermittlungsvorgang „zur Ruhe kommt“, weil die Nachricht – wie in einem Anrufbeantworter – für den Empfänger „zwischengelagert“ wird und dabei „ihren Aggregatzustand“234 ändert.235 Mailboxen sollen bestimmte Informationen entweder selektiv an bestimmte (mittels individueller Kennung ausgewiesene) Nutzer (E-Mail Funktion, vergleichbar einem herkömmlichen Postfach) oder aber auch generell (als „Schwarze Bretter“) an viele (nur mittels sog. „Gastkennung“ ausgewiesene) Nutzer weiterleiten.236 Nur der erstgenannte Fall bedarf der näheren Untersuchung, denn die als „Schwarze Bretter“ genutzten Mailboxen werden nicht mit der für den Grundrechtsschutz aus Art. 10 GG notwendigen Vertraulichkeit betrieben. Vielmehr zeigt derjenige, von dem die über eine Gastkennung zu erreichende „öffentliche“ Nachricht herrührt, dass er mit der Abfrage durch beliebige Nutzer einverstanden ist.237 Insoweit können sich auch Ermittlungsbeamte ohne Grundrechtseingriff mittels Gastkennung in solche Mailboxen einwählen und die darin verfügbaren Daten zur Kenntnis nehmen. Problematischer ist die Rechtslage bei Mailboxen mit Individualkennung, vor allem 73 im praktisch wichtigsten Fall der sog. E-Mail-Beschlagnahme. Der Nachrichtenübermittlungsvorgang verläuft hier, wie Palm/Roy 238 herausgearbeitet haben, in drei Phasen: 1. (vertraulicher) Nachrichtenfluss vom Absender zur Mailbox; 2. Ruhen der Nachricht bis zum Abruf durch den Empfänger; 3. Abruf der Nachricht durch den (speziellen) Empfänger. Weitgehend unstreitig ist die rechtliche Einordnung in den Phasen 1 und 3: Hier ist die Nachricht im Fluss und kann nach § 100a abgehört/aufgezeichnet werden.239 Für die 2. Phase stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit unterschiedlicher Zugriffe. Denn mit dem Ruhen der Nachricht ist auch eine Anbindung an Gegenstände verbunden. So wäre zwar zunächst daran zu denken, sich mittels einer Kennung in die Mailbox einzuwählen, um so die gespeicherten Daten abzufragen und aufzuzeichnen, andererseits könnte aber auch eine Durchsuchung mit nachfolgender Beschlagnahme des Speichermediums (Rechner, Festplatte, sonstiger Datenspeicher) beim Netzbetreiber erwogen werden. Teilweise wird deshalb die Auffassung vertreten, die im ruhenden Aggregatzustand befindliche Nachricht könne mittels Durchsuchung und Beschlagnahme des
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Palm/Roy NJW 1996 1791, 1793. Zur Überwachung von Mailboxen vgl. BGH – ER – Beschluss vom 31. Juli 1995 – 1 BGs 625/95 = NStZ 1997 247 = CR 1996 488 mit Anm. Bär 490; Bär CR 1995 489 ff.; Bizer DuD 1996 627; Eisenberg/ Nischan JZ 1997 74, 79; R. A. Fischer CR 1995 178 ff.; Hülsmann DuD 1994 621 ff.; Kudlich JuS 1998 209 ff.; Meier/ Böhm wistra 1992 166 ff.; KK/Nack 19 ff.; Palm/Roy NJW 1996 1791 ff.; Stenger CR 1990 786 ff.
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Vgl. dazu Bär CR 1995 489, 490; Kudlich JuS 1998 209 ff.; Palm/Roy NJW 1996 1791 ff.; die daneben mögliche Nutzung von Mailboxen als „Schaltstation“ für den Übergang zu anderen Kommunikationsdiensten („Schnittstellenfunktion“, „Durchschaltfunktion“) spielt für die hier erörterte Problematik keine Rolle. Kudlich Jus 1998 209, 213; Bär CR 1995 489, 491. NJW 1996 1791; ebenso KK/Nack 19 ff. KK/Nack 19 ff.; Palm/Roy NJW 1996 1791.
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Speichermediums abgegriffen werden.240 Diese Auffassung führt zu Wertungswidersprüchen in der rechtlich unterschiedlichen Behandlung der Nachricht je nach „Aggregatzustand“ in den Phasen 1 und 3 (nur hier soll die hohe Schwelle der §§ 100a, 100b gelten) einerseits und in Phase 2 andererseits (hier soll nach Maßgabe der §§ 94 ff., 102 ff. auf die Nachricht zugegriffen werden können), obwohl dem Gesetz eine Differenzierung nach dem „Aggregatzustand“ der Nachricht für die Zulässigkeit der Nachrichtenüberwachung nicht zu entnehmen ist. Die frühere Rechtsprechung des BGH ist durch die inzwischen ergangene maßgebliche Entscheidung des BVerfG 241 obsolet. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs242 hatte darauf abgestellt, dass der Nachrichtenübermittlungsvorgang auch während des Ruhens der Nachricht (in Phase 2 also) noch nicht abgeschlossen sei – die Mailbox sei Teil der Fernmeldeanlage –, und den heimlichen Zugriff der Polizei auch auf in der Mailbox gespeicherte Daten nach §§ 100a und 100b zugelassen. Zugleich hat er einen heimlichen Zugriff auf die gespeicherten Daten im Wege der Durchsuchung/Beschlagnahme für nicht zulässig erachtet. Zwar gäbe es Ähnlichkeiten zu der Situation, in der diese Ermittlungsmaßnahmen anzuwenden seien, doch liege der Schwerpunkt des Eingriffs nicht beim Eindringen in die Räume des Netzbetreibers, sondern im Zugriff auf die durch das Fernmeldegeheimnis geschützten Daten. Dem ist zuzustimmen, auch wenn das BVerfG in genau diesem Punkt widerspricht.243 Die Betrachtung muss hier grundrechtsbezogen erfolgen. Die §§ 94 ff. und 102 ff. regeln seit jeher die klassischen Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden, in die Grundrechte aus Art. 13 und 14 GG einzugreifen. Dazu, dass die Durchsuchung und die Beschlagnahme demgegenüber – auch über § 110 StPO – für sich genommen keine Handhabe dafür geben, auch in das in Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis – und damit in Grundrechte Dritter (der Nutzer der Fernmeldeanlage) einzugreifen, hat sich der Gesetzgeber schon mit Erlass einer besonderen Vorschrift für die Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen auf der Post (§ 99) bekannt. Wollen die Ermittlungsbehörden einen Teil der Fernmeldeanlage des Netzbetreibers, etwa einen Datenspeicher, beschlagnahmen, so erlaubt ihnen § 102 lediglich den Eingriff in die Wohnungsschutz-, Besitz- oder Eigentumsrechte des betroffenen Netzbetreibers. Demgegenüber sind die in dem beschlagnahmten Gegenstand enthaltenen Telekommunikationsdaten über Art. 10 GG selbständig geschützt. Zudem meinen die §§ 94 ff. nur körperliche „Gegenstände“.244 Nimmt man freilich an, dass der strafprozessuale Zugriff auf Inhalte der Telekommunikation in den §§ 100a, b seine abschließende Regelung gefunden hat, lässt sich der Zugriff auf E-Mails in der 2. Phase dennoch nicht auf § 100a stützen. Die auf Kooperation mit dem TK-Anbieter ausgerichtete Ermächtigungsgrundlage (vgl. § 100b Abs. 3 Satz 3) „passt“ nicht auf das für die 2. Phase typische Zugriffs-, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeszenario.245 Auch die aus diesem Grund vorgeschlagene 246 Kombination der §§ 100a, b mit den §§ 94 ff. kommt nicht in Betracht: Die bloße Addition zweier unpassender Ermächtigungsgrundlagen erzeugt noch keine taugliche Eingriffsnorm,
240
241 242
Bär MMR 2000 176 (zu Hanau NJW 2000 175); CR 1995 489, 495; KK/Nack 24; Lührs wistra 1995 19; Palm/Roy NJW 1996 1794 ff. BVerfGE 124 43 (Rn. 55 ff.). NStZ 1997 247 = CR 1996 488 m. Anm. Bär 490; ebenso Landgericht Hanau NJW 2000 175; LG Mannheim StV 2002 242 mit Anm. Jäger.
243 244 245 246
BVerfGE 124 43, 58. Vgl. Klesczewski ZStW 123 (2011) 737, 747 m.w.N. Eingehend Klesczewski ZStW 123 (2001) 737, 750. So von BGH (ER) NJW 1997 1934, 1935 f. und von SK/Wolter 40.
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außerdem würde es sich dabei um eine unzulässige Analogie handeln.247 Im Ergebnis gilt daher: Bis zur Schaffung einer eigenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den strafprozessualen Zugriff auf E-Mails bietet die StPO keine entsprechende Befugnisnorm. In der genannten Entscheidung hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit 74 Blick auf die Heimlichkeit der Maßnahme einerseits sowie der Effizienz der richterlichen Kontrolle andererseits zwei weitere Einschränkungen für das heimliche Einwählen in Mailboxsysteme gemacht: Zum einen müssen bei einer Maßnahme gegen einen Unverdächtigen – gemeint ist insoweit der Betreiber der Mailbox, nicht derjenige, der sie nutzt – konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass „in seiner“ Mailbox ermittlungsrelevante Daten gefunden werden, zum anderen darf auf Grund einer richterlichen Zulassung auf die Mailbox nur einmal zugegriffen werden.248 Diese Vorgaben sind bei der Neuschaffung einer tauglichen Befugnisnorm zu berücksichtigen.
75
9. Quellen-TKÜ. Ebenfalls nicht von § 100a gedeckt sind Zugriffe im Rahmen der sog. Quellen-TKÜ,249 deren Qualität als Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG bei daneben bestehender „Gefährdung“ des schlichten Datenschutzes in Gestalt des Schutzes der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme den 1. Senat des BVerfG zu einer missverstandenen (nicht aber missverständlichen) Abgrenzungsformel motiviert hat. Soweit „sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt“, ist Art. 10 Abs. 1 GG „der alleinige grundrechtliche Maßstab für die Beurteilung einer Ermächtigung zu einer „Quellen-TKÜ“.250 Eine durch das APR „in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen“ schließungsbedürftige Schutzlücke verbleibe aber dort, wo „der heimliche Zugriff auf ein informationstechnisches System dazu dient, Daten auch insoweit zu erheben, als Art. 10 Abs. 1 GG nicht vor einem Zugriff schützt“.251 Zu Unrecht schließen das AG Bayreuth und Teile der Literatur daraus, dass sich die 76 Quellen-TKÜ schon heute allein auf § 100a gründen lasse, solange sich diese nur ausschließlich auf jene Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang richtet.252 247 248 249
250 251 252
Ebenso Klesczewski ZStW 123 (2011) 737, 750; Valerius JR 2007, 275, 277. BGH – ER – NStZ 1997 247, 248. Die Maßnahme heißt deshalb „Quellen“Telekommunikationsüberwachung, weil die Polizei das gesprochene Wort mit Hilfe einer sog. Remote Forensic Software (RFS) an seiner Quelle abfängt, noch bevor es im Rahmen eines Voice-over-IP Verfahrens von entsprechenden internetbasierten Telekommunikationsprogrammen auf dem PC (v.a. Skype) für den Datenstrom verschlüsselt werden kann. Vgl. zum technischen Ablauf Becker/Meinicke StV 2011 50 f.; OK-StPO/Graf § 100a, 112 ff.; SK/Wolter § 100a, 28. BVerfGE 120 274, 309. BVerfGE 120 274, 308. Vgl. AG Bayreuth MMR 2010 266, im Anschluss an Meyer-Goßner § 100a, 7; OK-StPO/Graf § 100a, 31, 114; KK/Nack
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§ 100a, 27; KMR/Bär § 100a, 30; dem wiederum zustimmend ders. MMR 2010 267, 268; für eine Anwendung des § 100a auch ders. MMR 2008 215, 218; ders. MMR 2008 325, 326; ders. MMR 2008 425 ff.; ders. TK-Überwachung § 100a, 32; ders. Handbuch Rn. 318; gegen diese zweifelhafte Begründung einer „h.M.“ zu Recht Becker/Meinicke StV 2011 50 ff.; eingehende Kritik bei SK/Wolter § 100a, 27 ff. Ebenfalls gegen die Anwendbarkeit des § 100a OLG Hamburg NStZ 2008 478; mit zust. Anm. Vogel/Brodowski StV 2009 632 ff.; LG Hamburg MMR 2008 423; AG Hamburg StV 2009 636; [T.] Böckenförde JZ 2008 925, 934 bei Fn. 96, vgl. auch 937; Buermeyer/Bäcker HRRS 2009 433, 440 m.w.N.; Hornung CR 2008 299, 300 f.; Sankol, CR 2008 13, 15, 17 f., und Hoffmann-Riem JZ 2008 1009, 1022, bezeichnenderweise dem Berichterstatter
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Das aber ist schon wegen der – im Vergleich zu dem wenigstens insofern eindeutigen § 20l II BKAG253 – völligen Unbestimmtheit des § 100a, der schlicht von der „Telekommunikation“ spricht, bedenklich. Unhaltbar wird dieser Rückgriff aber, weil man damit das Gebot des BVerfG ignoriert, wonach die ausschließliche Erfassung von Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang „durch technische Vorkehrungen und rechtliche Vorgaben sichergestellt sein“ muss.254 Gerade diese rechtlichen Vorgaben fehlen § 100a aber gänzlich,255 weshalb das Preisen technischer Sicherungsvorkehrungen keinen Schritt weiterführt.256 Die angeblich 257 h.M. erliegt so auch bei der Quellen-TKÜ der schon mehrfach bemängelten Versuchung, für verschiedene Ermittlungsmaßnahmen dieselbe Befugnisnorm heranzuziehen, allein weil sie dasselbe Grundrecht betreffen.258 Ausgehend von der Überzeugung, dass der Schutzbereich des Wohnungsgrundrechts 77 nur bei einem körperlichen Eindringen in solche Räume eröffnet sein kann, dreht sich die Problematik hier ausschließlich um das Verhältnis zwischen Art. 10 Abs. 1 GG und dem APR in Gestalt des neuen Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme.259 Hier dürfte nun Folgendes gelten: Da jeder Telekommunikationsvorgang neben den Inhaltsdaten auch Verbindungsdaten hervorbringt, besteht für einen Schutz durch das APR in Gestalt des Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme weder Raum noch Anlass, soweit die Quellen-TKÜ allein auf die Ermittlung dieser Daten gerichtet ist.260 Denn das Fernmeldegeheimnis deckt diese Informationen, notfalls als „nähere Umstände“ der Telekommunikation, bereits vollständig ab.261 Soweit mit dem Kommunikationszugriff also auch ein Zugriff
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des BVerfG in der Entscheidung zur OnlineDurchsuchung. Daher zu Recht kritisch Vogel/Brodowski StV 2009 632, 634; Becker/Meinicke StV 2011 50, 52. Im Kontrast zu § 100a Abs. 1 lautet § 20l Abs. 2 Satz 1 BKAG: „Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf ohne Wissen des Betroffenen in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn 1. durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und 2. der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.“. BVerfGE 120 274, 309. Vor allem im Kontrast zu § 20l II BKAG. So jedoch das AG Bayreuth MMR 2010 266, 267 und Bär MMR 2010 267 f. Kritisch zur künstlichen Aufblähung als „h.M.“ Becker/Meinicke StV 2011 50 ff. Treffend Welp NStZ 1994 294, 295: „Der Schutzbereich eines Grundrechts ist nun mit
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der Reichweite seines Eingriffstatbestandes nicht notwendig kongruent.“ SK/Wolter § 100a, 13, 18: „Der Befugnisbereich von § 100a ist damit nach geltendem Recht nicht mit dem Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses deckungsgleich“; Becker/Meinicke StV 2011 50, 51 sprechen zutreffend von einem Fehlschluss. Dazu eingehend Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit S. 382 ff. Vgl. BVerfG NJW 2008 822, 826; Nr. 190 = E 120 274; AG Hamburg StV 2009 636; Becker/Meinicke StV 2011 50, 51. A.A. SK/Wolter § 100a, 27, 29, dem zwar zuzustimmen ist, dass § 100a zurzeit nicht als Befugnisnorm für die Quellen-TKÜ genügt. Das hat seinen Grund aber in der nicht näher gesetzlich erläuterten Verwendung des Begriffs der Telekommunikation und nicht etwa in einer doppelten Schutzbereichsrelevanz, die es nicht gibt, sondern über die Regel lex specialis derogat legi generali aufzulösen ist. In dieser untrennbaren Einheit von Kommunikationsbereich und Kommunikationsinhalt liegt der wesentliche Unterschied zum Zusammentreffen von APR und Wohnungsgrundrecht.
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auf die Vertraulichkeit des informationstechnischen Systems notwendigerweise verbunden ist, muss man zudem beachten, dass sich das Schutzniveau von Art 10 Abs. 2 Satz 1 GG als allgemeiner Rechtsvorbehalt („aufgrund eines Gesetzes“) nicht von demjenigen des APR („verfassungsmäßige Ordnung“) unterscheidet. Sind sie eine bloße notwendige Begleiterscheinung des Kommunikationszugriffs, so erfahren die Datenerhebungen Schutz durch Art. 10 Abs. 1 GG. Sind sie es nicht, kommt diesen Daten also nicht die Eigenschaft als Inhalts- oder Verbindungsdaten zu, sondern stehen sie vielmehr selbständig neben dem Kommunikationsvorgang, so ist der auf sie gerichtete Ermittlungszugriff kein Kommunikationszugriff und der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses insofern nicht eröffnet. Allein dann bleibt Raum für eine Schutzwirkung des Grundrechts auf Vertraulichkeit (und Integrität) informationstechnischer Systeme.262 Hiervon bleibt der Bereich von die Quellen-TKÜ lediglich vorbereitenden Maßnahmen streng zu unterscheiden, namentlich das Aufspielen und Infiltrieren der dazu benötigten Software. Solche Eingriffe beeinträchtigen den Schutzbereich des Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, haben mit der Telekommunikation (einschließlich ihrer „näheren Umstände“) als solcher aber noch nichts zu tun, weshalb Art. 10 Abs. 1 GG nicht einschlägig sein kann.263 Nicht also wegen einer tatsächlich nicht existierenden Doppelbetroffenheit der Schutz78 bereiche des Art. 10 Abs. 1 GG und des APR, sondern aus den dargelegten Gründen der Normbestimmtheit bzw. der Pflicht zur Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG taugt § 100a Abs. 1 de lege lata nicht als Rechtsgrundlage für eine Quellen-TKÜ.264 Die noch zu schaffende „rechtsstaatlich bedenkenfreie Rechtsgrundlage“265 muss keiner doppelten Schutzbereichsbetroffenheit, sondern allein dem Konkretisierungsgebot gehorchen, indem sie die Möglichkeit für einen Kommunikationseingriff auch unter Zugriff auf informationstechnische Systeme vorsieht. Ob sich mit dieser Lösung zumindest ein stückweit „friedliche Koexistenz“ herstellen lässt, die man heute zwischen dem E-Mailbeschl. des 2. Senats des BVerfG und dem Urteil des 1. Senats zur Online-Durchsuchung vermisst,266 darf bezweifelt werden: Wenn der 2. Senat in seinem Beschl. argumentiert, trotz Eröffnung des Schutzbereichs des Fernmeldegeheimnisses genüge § 94 als Ermächtigungsgrundlage für die Beschlagnahme einer (bereits
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A.A. offenbar Vogel/Brodowski StV 2009 632, 633: „Eingriffskumulation“. Wegen dieser Schutzbereichsexklusivität gibt es auch keine „kombinierte“ Schutzmöglichkeit etwa dergestalt, dass man die Kommunikation über den kategorischen Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses sichert, die darin kommunizierten Daten dann aber noch gesondert (zusätzlich) über das APR. Abgesehen von den grundsätzlichen Schwierigkeiten, die der Versuch einer doppelten Schutzbereichseröffnung mit sich brächte, führte das schon deshalb zu keiner Verbesserung, solange man auch die Innominatrechte des APR im Sinne eines Sphärenschutzes konzipiert. Weshalb es höchst untunlich ist, diese Eingriffe in Abgrenzung von den in der Tat
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Art. 10 Abs. 1 GG betreffenden Primäreingriff der Überwachung und Aufzeichnung der Gespräche als Sekundäreingriffe zu bezeichnen. So jedoch AG Hamburg, StV 2009 636. A.A. Vogel/Brodowski StV 2009 632, 633: „Angesichts dieser Eingriffskumulation aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 10 GG und letztlich auch Elementen des Art. 13 GG muß Quellen-TKÜ unter Einsatz von RFS jedenfalls strengeren Grenzen unterworfen werden als der ,gewöhnliche‘ Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis.“ Vogel/Brodowski StV 2009 632, 634. Diese Pflicht zur Schaffung einer eigenständigen Regelung betont auch SK/Wolter § 100a, 29 Fn. 74. Vgl. Becker/Meinicke StV 2011 50, 52.
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gelesenen) E-Mail auf dem Server des Providers,267 liegt darin zwar noch keine „Absenkung des Schutzniveaus“ des Art. 10 Abs. 1 GG.268 Denn immerhin ist der Schutzbereich eröffnet und das BVerfG misst § 94 an dem Erfordernis einer verhältnismäßigen und hinreichend bestimmten Befugnisnorm und selbst unter Rückgriff auf § 100a anstelle des § 94 hätte sich schließlich kein höheres Schutzniveau erreichen lassen. Gleichwohl widerspricht der 1. Senat dem 2. Senat darin, dass aus der Schutzbereichsbetroffenheit des Art. 10 Abs. 1 GG bei heimlichen Ermittlungen im Internet kein besonderer, sondern ein nur gewöhnlicher, über § 94 bereits hinreichend gewährleisteter Schutzbedarf folge.269 Freilich folgt dieser erhöhte technische und rechtliche Schutzbedarf aus der Natur der Quellen-TKÜ als Maßnahme im Schutzbereich zweier Grundrechte (wobei das dem APR zugehörige Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme von Art. 10 Abs. 1 GG verdrängt wird), wohingegen die E-Mailbeschlagnahme allein das Fernmeldegeheimnis betrifft.270 10. Internet-Telefonie.271 Vor diesem Hintergrund lassen sich nun auch strafprozes- 79 suale Zugriffe auf sog. Internet-Telefonie einordnen. Gemeint ist damit entweder die sog. anbietergestützte oder nutzerbasierte Vermittlung. Was zunächst die anbieterbasierte Verbindung betrifft, so handelt es sich um Telekommunikation, bei der der Nutzer über seinen Zugangsanbieter eine Internetverbindung zu einem Anbieter von Internet-Telefonie nutzt, bei der die Kommunikation in Datenpaketen durch sog. Signalisierungsprotokolle verschlüsselt verschickt werden (sog. Voice-over-IP, VoIP, oder sog. InternetProtokoll-IP-Telefonie). Ein strafprozessualer Ermittlungszugriff auf solche Kommunikation lässt sich auf § 100a stützen, weil er die während des Sendevorgangs verschlüsselten Daten abfangen und entschlüsseln kann. Was sodann die nutzerbasierte Vermittlung betrifft, bei der z.B. von Skype ein eigenes, nicht offengelegtes Protokoll zur IP-Telefonie basierend auf der Peer-to-Peer-Technik genutzt wird, so erfolgt der Ermittlungszugriff hier mittels einer speziellen Software, die den Inhalt der Kommunikation vor dem Aussenden in einem Zeitpunkt abfängt, in dem zwar noch keine Verschlüsselung erfolgt ist, in dem aber auch noch keine Telekommunikation vorliegt, sodass es sich um einen Fall der sog. Quellen-TKÜ handelt, die nicht auf § 100a gegründet werden kann (oben Rn. 75). 11. Geschlossener Chat bzw. geschlossene Newsgroup. Von kriminalistischem Zu- 80 griffsinteresse kann auch solche Telekommunikation sein, die sich außerhalb des klassischen Telefonierens bewegt. Von praktisch großer Bedeutung sind hier insbesondere Nachrichtenübermittlungen in sog. Chats und Newsgroups. Sofern diese Nachrichtenräume offen gehalten sind und somit jedermann zugänglich sind, ist der polizeiliche
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BVerfGE 124 43, 555. So jedoch Becker/Meinicke StV 2011 50, 52; [H.] Krüger MMR 2009 680, 683: „Schutz zweiter Klasse“. BVerfGE 120 274, 307: „Das Telekommunikationsgeheimnis begegnet in diesem Rahmen alten sowie neuen Persönlichkeitsgefährdungen, die sich aus der gestiegenen Bedeutung der Informationstechnik für die Entfaltung des Einzelnen ergeben.“ BVerfGE 120 274, 309. „Art. 10 Abs. 1 GG
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ist hingegen der alleinige grundrechtliche Maßstab für die Beurteilung einer Ermächtigung zu einer ,Quellen-Telekommunikationsüberwachung‘, wenn sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt. Dies muss durch technische Vorkehrungen und rechtliche Vorgaben sichergestellt sein.“ Vgl. zum Folgenden Klesczewski ZStW 123 (2011) 737, 741.
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Ermittlungszugriff schon über die Generalklausel des §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2 gedeckt. Sind die Räume geschlossen, bedarf es einer besonderen Befugnisnorm, die in § 100a zu finden ist.272
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12. Online-Durchsuchung. Der mittels eines Spionageprogrammes (z.B. dem sog. Bundestrojaner) mögliche Zugriff auf den Datenbestand eines Computers ist keine TÜ. § 100a bietet für ein solches Vorgehen keine taugliche Rechtsgrundlage, weil er mit seiner Gestattung von Zugriffen auf die Telekommunikation Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis gem. Art 10 GG erlaubt. Ein solcher Kommunikationsprozess ist bei der Online-Durchsuchung aber nicht Voraussetzung (Einzelheiten bei § 100c, 12 ff.).
II. Überwachung und Aufzeichnung 82
Soweit der Begriff „Telekommunikation“ reicht (Rn. 29 bis 31), darf diese überwacht und aufgezeichnet werden. Im Zeitalter des „Dampftelefons“ erfolgte dies durch Schaltung von Leitungen durch die Post, die den ermittelnden Beamten das Mithören, zunehmend auch das Aufnehmen der überwachten Gespräche auf Tonband ermöglichte. Wurde gleichzeitig mitgehört, konnte die Tonbandkapazität dadurch geschont werden, dass nur ermittlungsrelevante Gespräche aufgezeichnet wurden. Die Digitalisierung der Telekommunikation hat dieses Bild verändert (oben Rn. 29). 83 Das Erfassen und Aufzeichnen des Inhalts der Kommunikation ist technisch unproblematisch und umfangmäßig praktisch unbegrenzt möglich. Dies hat für die Ermittlungsbehörden den großen Vorteil, ohne Personalaufwand aufnehmen und erst nachträglich durch Suchläufe ermittlungsrelevantes Material aussondern zu können. Da dadurch freilich eine Vielzahl nicht relevanter Gespräche aufgenommen und dadurch vermeidbar in das Recht auf Fernmeldegeheimnis und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen wird, begegnet dieses Verfahren erheblichen Bedenken. Auch könnten durch eine persönliche Überwachung etwa Gespräche mit Verteidigern von vorneherein von der Überwachung und Aufzeichnung ausgeschlossen werden. Immerhin verlangt der EGMR, dass Gespräche mit Rechtsanwälten nicht nur von der Verwertung ausgeschlossen, sondern erst gar nicht aufgezeichnet werden.273 Die Umstände der Kommunikation sind aus den Bestands- und Verbindungsdaten ersichtlich. Die Verbindungsdaten dürfen zu Abrechnungszwecken bis zu sechs Monate nach Versendung der Rechnung gespeichert werden (§ 97 Abs. 3 Satz 2 TKG). Obwohl dabei ungeheure Datenmengen anfallen, ist das Herausfiltern einzelner Kommunikationsvorgänge mit Hilfe der EDV unproblematisch. Einzelheiten zu den Anforderungen an die Gestaltung der technischen Einrichtungen, die für die Umsetzung der Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung erforderlich sind, sind in der TKÜV v. 22. Januar 2002 274 geregelt. Danach hat der Betreiber von Telekommunikationsanlagen sicherzustellen, dass er 84 jederzeit über das Vorliegen einer TÜ-Anordnung benachrichtigt werden kann und auch außerhalb der Geschäftszeiten angemessen erreichbar ist ( 12 TKÜV). Er hat sicherzustellen, dass eine TÜ-Anordnung unverzüglich umgesetzt werden kann (§ 6 Abs. 1 TKÜV). Der Betreiber hat ferner den Ermittlungsbehörden „online“ an einem bestimmten Übergabepunkt (Schnittstelle) eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen,
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Vgl. Klesczewski ZStW 123 (2011) 737 ff. StV 1998 683 mit Anm. Kühne.
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BGBl. I S. 458, geändert durch VO v. 16. August 2002 BGBl. I S. 3317.
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die über seine Telekommunikationsanlage unter der in der TÜ-Anordnung angegebenen Kennung abgewickelt wird. Dabei hat er bei begrenzter TÜ-Anordnung (nur Gesprächsinhalt, nur Verbindungsdaten, nur Funkzelle und Datum) sicherzustellen, dass die bereitgestellten Daten keine nicht durch die Anordnung bezeichnete Telekommunikation enthalten (§ 5 Abs. 2 TKÜV). Die vom Betreiber bereitzustellenden Daten, die über den Inhalt der Kommunikation hinausgehen, sind genau geregelt und in § 7 Abs. 1 TKÜV zusammengefasst. Zur praktischen Bedeutung s. § 100b, 10. Die Vorschrift lautet: (1) Der Verpflichtete hat der berechtigten Stelle als Teil der Überwachungskopie auch die folgenden bei ihm vorhandenen Daten bereitzustellen, auch wenn die Übermittlung von Telekommunikationsinhalten nicht zustande kommt: 1. die zu überwachende Kennung; 2. in Fällen, in denen die Telekommunikation von der zu überwachenden Kennung ausgeht, a) die jeweils gewählte Rufnummer oder andere Adressierungsangabe, auch wenn diese bei vorzeitiger Beendigung eines im Telekommunikationsnetz begonnenen Telekommunikationsversuches unvollständig bleibt und b) sofern die zu überwachende Telekommunikation an ein anderes als das von dem Nutzer der zu überwachenden Kennung gewählte Ziel um- oder weitergeleitet wird, auch die Rufnummer oder andere Adressierungsangabe des Um- oder Weiterleitungsziels, bei mehrfach gestaffelten Um- oder Weiterleitungen die Rufnummern oder anderen Adressierungsangaben der einzelnen Um- oder Weiterleitungsziele; 3. in Fällen, in denen die zu überwachende Kennung Ziel der Telekommunikation ist, die Rufnummer oder andere Adressierungsangabe, von der die zu überwachende Telekommunikation ausgeht, auch wenn die Telekommunikation an eine andere, der zu überwachenden Kennung aktuell zugeordnete Zieladresse um- oder weitergeleitet wird oder das Ziel eine der zu überwachenden Kennung zugeordnete Speichereinrichtung ist; 4. in Fällen, in denen die zu überwachende Kennung einem beliebigen Telekommunikationsanschluss zugeordnet ist, auch die diesem Anschluss fest zugeordnete Rufnummer oder andere Adressierungsangabe; 5. in Fällen, in denen der Nutzer für eine bestimmte Telekommunikation ein Dienstmerkmal in Anspruch nimmt, die Angabe dieses Dienstmerkmals einschließlich dessen Kenngrößen, soweit diese Angaben in dem Netzknoten vorhanden sind, in dem die Anordnung umgesetzt wird; 6. Angaben über die technische Ursache für die Beendigung der zu überwachenden Telekommunikation oder für das Nichtzustandekommen einer von der zu überwachenden Kennung veranlassten Telekommunikation, soweit diese Angaben in dem Netzknoten vorhanden sind, in dem die Anordnung umgesetzt wird; 7. bei einer zu überwachenden Kennung, deren Nutzung nicht ortsgebunden ist, Angaben zum Standort des Endgerätes mit der größtmöglichen Genauigkeit, die in dem das Endgerät versorgenden Netz für diesen Standort üblicherweise zur Verfügung steht; zur Umsetzung von Anordnungen, durch die Angaben zum Standort des empfangsbereiten, der zu überwachenden Kennung zugeordneten Endgerätes verlangt werden, kann der Verpflichtete seine Überwachungseinrichtungen so gestalten, dass sie diese Angaben automatisch erfassen und an die berechtigte Stelle weiterleiten; 8. Angaben zur Zeit (auf der Grundlage der amtlichen Zeit), zu der die zu überwachende Telekommunikation stattgefunden hat, a) in Fällen, in denen die zu überwachende Telekommunikation über physikalische oder logische Kanäle übermittelt wird (verbindungsorientierte Telekommunikation), mindestens zwei der folgenden Angaben: aa) Datum und Uhrzeit des Beginns der Telekommunikation oder des Telekommunikationsversuchs, bb) Datum und Uhrzeit des Endes der Telekommunikation, cc) Dauer der Telekommunikation, b) in Fällen, in denen die zu überwachende Telekommunikation nicht über physikalische oder logische Kanäle übermittelt wird (verbindungslose Telekommunikation), die Zeitpunkte
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mit Datum und Uhrzeit, zu denen die einzelnen Bestandteile der zu überwachenden Telekommunikation an die zu überwachende Kennung oder von der zu überwachenden Kennung gesendet werden. Daten zur Anzeige des Entgelts, das für die von der zu überwachenden Kennung geführte Telekommunikation anfällt, sind nicht an die berechtigte Stelle zu übermitteln, auch wenn diese Daten an das von der zu überwachenden Kennung genutzte Endgerät übermittelt werden. Auf die wiederholte Übermittlung von Ansagen oder vergleichbaren Daten kann verzichtet werden, solange diese Daten unverändert bleiben.
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Für Auslandsbezüge bestimmt § 4 TKÜV, dass Telekommunikation, bei der die Telekommunikationsanlage im Rahmen der üblichen Betriebsverfahren erkennt, dass sich das von der zu überwachenden Person genutzte Endgerät im Ausland befindet, nicht zu erfassen ist, es sei denn, die zu überwachende Telekommunikation werde an einen im Inland gelegenen Anschluss um- oder weitergeleitet.
III. Betroffene 86
Nach Abs. 3 darf sich die Maßnahme, was in dem die Maßnahme anordnenden oder gestattenden Beschl. klar gestellt werden muss,275 nur gegen den Beschuldigten sowie – unter recht weiten Voraussetzungen – gegen Nichtverdächtige als Nachrichtenmittler richten. Die Maßnahme darf also nicht ergriffen werden, um beispielsweise die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu überprüfen. Eine Abhörmaßnahme i.S. des § 100a richtet sich dann gegen jemanden, wenn dessen Telekommunikation überwacht wird.
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1. Beschuldigter. Zum Begriff vgl. zunächst § 136, 4. Die Maßnahme kann in jeder Lage des Verfahrens ergehen, nach § 457 auch noch im Vollstreckungsverfahren (Rn. 36). Ein Ermittlungsverfahren muss noch nicht eingeleitet sein; die Anordnung der Überwachung kann die erste Ermittlungshandlung sein. Insbesondere zur Ermittlung des Aufenthalts, aber auch für sonstige ergänzende Ermittlungen, kommt die Maßnahme auch gegen Angeschuldigte und Angeklagte, in Betracht. Die Maßnahme ist nur gegen bestimmte Beschuldigte zulässig; deren Identität braucht aber noch nicht bekannt zu sein.276 Der verdeckt durchgeführten Maßnahme wohnt die Möglichkeit inne, dass sich der Beschuldigte bei überwachter Telekommunikation selbst belastet. Darin liegt weder ein Verstoß gegen die §§ 136, 136a, noch ein Verfassungsverstoß.277 Nach den vom Großen Senat für Strafsachen aufgestellten Grundsätzen zur sog. „Hörfalle“278 ist es weiter möglich, den Überwachten durch Zuspielen bestimmter Informationen zu Äußerungen zu veranlassen, die sich auf den Ermittlungsgegenstand beziehen 279 (zu den Grenzen des Zulässigen s. Rn. 159).
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2. Nichtbeschuldigte. Gegen andere Personen als Beschuldigte darf sich nach Absatz 3 die Maßnahme nur richten, wenn sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben (sogenannte Nachrichtenmittler) oder wenn der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt (zum Sonderfall der Überwachung einer Voice- oder Mailbox siehe oben Rn. 72). Nachrichtenmittler können Ehe-
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NJW 1994 2904 2907, insoweit in BGHSt 40 211 nicht abgedruckt. Meyer-Goßner 17. BGHSt 33 217.
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BGHSt 42 139. Siehe den Sachverhalt BGHSt 17 217, 224; KK/Nack 38.
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gatten, Freunde, Gastwirte, Berufskollegen usw. sein. Ferner muss sich derjenige die Überwachung gefallen lassen, von dem bekannt oder anzunehmen ist, dass der Beschuldigte seinen Anschluss benutzt. In Betracht kommen vor allem der Haushaltsvorstand, Freunde, Nachbarn, Bekannte des Beschuldigten, Gastwirte. Von der Benutzung des Anschlusses brauchen diese Personen nichts zu wissen.280 Auch die Telefonanlage eines ganzen Betriebes kann überwacht werden. Nichts anderes gilt für Behörden.281 So wie dort die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln für „private“ Verfehlungen grundsätzlich gestattet und nur soweit verboten ist, als die Pflicht nach § 96 auf Amtshilfe reicht, ist auch die Telekommunikationsüberwachung zur Aufklärung strafbarer Handlungen von Angehörigen der Behörde gestattet, wenn diese den Behördenanschluss benutzen.282 Die Überwachung darf aber nicht zur Gewinnung von Beweismitteln führen, für die § 96 gilt. Der Schutz des Amtsgeheimnisses steht der Überwachung in solchen Fällen nicht entgegen; dieses ist bei den das Überwachungsergebnis auswertenden Beamten gut aufgehoben (vgl. auch § 100b, 31). Bei „Hackerangriffen“, in denen sich der Täter unerlaubt unter Ausnutzung von Computernetzwerken einwählt, sind Betreiber solcher missbrauchter Netzwerke Personen im Sinne von Abs. 3.283 Gestattet ist auch die Überwachung der von einer öffentlichen Telefonzelle geführten 89 Gespräche, wenn z.B. bekannt ist, dass sie der Beschuldigte oder ein Nachrichtenmittler benutzt.284 Da hier jedoch viele Gespräche Unbeteiligter überwacht werden, bedarf die Verhältnismäßigkeit besonderer Prüfung. Nach alledem dient die Überwachung Dritter nur der mittelbaren Überwachung des 90 Beschuldigten, nicht primär der Überwachung ihm nahestehender Personen,285 was bei der Verwertbarkeit so erlangter Erkenntnisse eine Rolle spielen kann. Der gebräuchliche Begriff „Nachrichtenmittler“ suggeriert, der Dritte würde bei der Entgegennahme von Nachrichten für den Beschuldigten tätig, und hat damit den Blick dafür verstellt, dass bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes Opfer von Straftaten, insbesondere von Erpressungen, Dritte im Sinne von Abs. 3 sein können. Sie nehmen, wenn sie vom Erpresser usw. angerufen werden, von diesem herrührende Mitteilungen entgegen. Ihre Telekommunikation kann deshalb auch ohne Einwilligung überwacht werden,286 was aus kriminalistischen Gründen auch vielfach erforderlich ist. Für die Annahme, dass die betroffenen Dritten Nachrichtenmittler sind oder dass der 91 Beschuldigte ihren Anschluss benutzt, müssen bestimmte Tatsachen (vgl. Rn. 50) sprechen; es genügt ein auf den Einzelfall bezogener 287 konkretisierter Verdacht, bewiesen muss das nicht sein. Die Anordnung ist auch gegen offensichtlich gutgläubige Personen zulässig.288 3. Geschützte Vertrauensverhältnisse. Die §§ 100a, 100b kennen zwar selbst keine 92 dem Zeugnisverweigerungsrecht in §§ 52, 53 oder dem Beschlagnahmeverbot in § 97
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285
Meyer-Goßner 20. KMR/Bär 13, a.A. Meyer-Goßner 20; Rudolphi FS Schaffstein 438; Pfeiffer 8. KK/Nack 50. BTDrucks. 14 7008 S. 7. KK/Nack 37; Eb. Schmidt Nachtr. II 6; Knauth NJW 1977 1512 Fn. 14; Maiwald JuS 1978 383, Aubert 67; kritisch Welp 78 ff. Prittwitz StV 1984 308.
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KK/Nack 37; Mahnkopf/Döring NStZ 1995 112; a.A. Meyer-Goßner 19. BVerfG NJW 2003 1777. Meyer-Goßner 19; Welp 76; Kaiser NJW 1969 19; Joecks JA 1983 60; a.A. Zuck NJW 1969 911, der im Wege verfassungskonformer Auslegung die Vorschrift dahin interpretiert, die Überwachung sei nur bei dolosen Nachrichtenübermittlern zulässig. Vgl. auch Blei JA 1969 133.
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vergleichbare Regelung.289 Doch enthält die StPO seit dem 1. Januar 2008 einen mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 eingeführten § 160a, der sich ausschließlich dem Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger gem. §§ 53, 53a vor sämtlichen (offenen und geheimen) Ermittlungsmaßnahmen widmet (vgl. deshalb hauptsächlich die Erl. zu § 160a). Die Norm sucht diesen Schutz durch ein „abgestufte[s] System“290 von Erhebungs- und Verwertungsverboten zu erreichen. Daneben existiert eine auch die Berechtigten nach § 52 erfassende Schutznorm in § 100c Abs. 6 speziell für den Lauschangriff und freilich die Beschlagnahmevorschrift des § 97 Abs. 3, die für Postbeschlagnahmen relevant ist. Die Gesetzeslage bleibt damit uneinheitlich. Sie statuiert Überwachungsverbote (Erhebungsverbote) für sämtliche Berufgsgeheimnisträger nur im Fall des großen Lauschangriffs (§ 100c Abs. 6 Satz 1), bei den übrigen Ermittlungsmaßnahmen aber lediglich für eine gewisse Gruppe unter ihnen und für die dieser Gruppe zuzuordnenden Berufshelfer (§ 160a Abs. 1, Abs. 3). Das Gesetz gewährt daneben nur relative, also richterlich abwägungsoffene Verwertungsverbote für alle Berechtigten der §§ 52, 53a im Fall des großen Lauschangriffs, womit einhergeht, dass die Berufshelfer im Fall des § 100c ihr in § 160a Abs. 3 gewährtes Erhebungsverbot verlieren. Relative Verwertungsverbote werden im Übrigen gem. § 160a Abs. 2 nur zugunsten der übrigen von § 160a Abs. 1 nicht erfassten Berufsgeheimnisträger bei sämtlichen Ermittlungsmaßnahmen gewährt. Und an diesem Befund ändert leider auch das jüngste, zum 1.1.2011 in Kraft getretene „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht vom 22.12.2010“,291 wenig. Dieser letzte korrigierende Eingriff stellt den bisher allein privilegierten Strafverteidigern jetzt alle übrigen Rechtsanwälte gem. § 53 Nr. 3 gleich und wird zumindest der diesbezüglichen Kritik in der Literatur gerecht.292 Ferner sind es aber hauptsächlich die teilweise als willkürlich zu bezeichnenden293 93 Differenzierungen bei der personellen Schutzerstreckung der Konzeption, die auf Ablehnung stoßen: So sei es nicht zu rechtfertigen, wenn § 100c Abs. 6 den Berufshelfern gem. § 53a nach wie vor den Schutz der Berufsgeheimnisträger gem. § 53 versage.294 Dies sei aber dringend notwendig, weil ein gleichrangiger Helferschutz aus Gründen des Umgehungsschutzes unabdingbar sei.295 Auch was den Schutz der Berufsgeheimnisträger als solchen betreffe, sei die Regelung des § 160a Abs. 1 verfehlt. So sei der Schutz von Geistlichen auf derselben Stufe wie derjenige von Verteidigern und Abgeordneten nicht nachvollziehbar.296 Manchen erscheint das durchgängige Verwertungsverbot für die Berechtigten nach § 53 Abs. 1 Nr. 3–3b als „zu großzügig“.297 Andere raten hingegen zu einer umfassenden Gleichbehandlung aller nach § 53 Berechtigten, weil sie alle von verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnissen abhingen, womit ein einheitliches
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Kritisch dazu Rudolphi FS Schaffstein 444; Wolter FS Rieß 633; eingehend KK/Nack 42 ff. Meyer-Goßner, § 160a, 1. BGBl. I S. 2261; vgl. BRDrucks. 229/10 vom 23. April 2010. Vgl. zur bisherigen Kritik HK/Zöller § 160a, 3; Ignor NJW 2007 3404; Fahr DStR 2008 379; Puschke/Singelnstein NJW 2008 113, 117. Vgl. SK/Wolter Lfg. 1/2009 § 100c, 79.
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Zöller StraFo 2008 15, 23: „technischer Fehler“; HK/[B.] Gercke § 100c, 34; SK/Wolter Lfg. 1/2009 § 100c, 79. So allgemein HK/Zöller § 160a, 13; SK/Wolter Lfg 1/2009 § 100c, 79. Wolter GA 2007 188: „systematischen und dogmatischen Trugschluss“. Wolter GA 2007 191: „Herausnahme der Verwalter überwiegender Vermögensinteressen“.
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gleichförmiges Schutzgebot einhergehe.298 Wiederum andere halten es für nicht nachvollziehbar, weshalb Steuerberater schwächer zu schützen seien als Strafverteidiger 299 oder weshalb Pressemitarbeiter ungeschützt blieben.300 In der Schutzwirkung würde es sich empfehlen, die Berechtigten nach § 53, die nicht schon über ein Überwachungsverbot geschützt sind, wenigstens durchgängig mit einem absoluten statt einem nur relativen Verwertungsverbot abzusichern.301 Auch die Tatsache, dass der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts von Berufsgeheimnisträgern angesichts der Entbindung von ihrer Schweigepflicht verzichtbar ist, sei nur unzureichend umgesetzt.302 Schließlich wird der gänzliche Nichteinbezug der nach § 52 Berechtigten in die Generalklausel des § 160a als nicht hinnehmbar verworfen, weil es einen Rückschritt hinter die schon bisher bestehende Berücksichtigung der nach § 52 Berechtigten in der Regelung zur akustischen Wohnraumüberwachung in § 100c Abs. 6 Satz 2 (relatives Verwertungsverbot) darstelle.303 Bei aller Notwendigkeit einer inhaltlich differenzierten Betrachtung sei nicht einsichtig zu machen, weshalb man beim Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte ihre beiden großen Gruppen derart ungleich behandelt (Vorwurf des unterschiedlichen Schutzniveaus) 304.305 Der Verteidiger ist auch durch § 148 geschützt (Rn. 75). Zwar soll es nach älterer 94 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar sein, auch diesen Verkehr zu überwachen und aufzunehmen.306 Ob dies mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Auftrag der Verteidigung vereinbar ist, erscheint fraglich.307 Nach § 148 darf aber der Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger nicht behindert werden, er muss insbesondere frei von jeder Überwachung sein (vgl. die Erläuterungen zu § 148). Daher darf der Telefonanschluss des Verteidigers des Beschuldigten nicht abgehört werden.308 Jedenfalls darf die Abhörung und Aufnahme eines Gesprächs nicht fortgesetzt werden, nachdem feststeht, dass der Gesprächspartner der Verteidiger
298
299 300 301 302 303
304 305
Zöller StraFo 2008 15, 23; HK/ders. § 160a, 9; so schon Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 1998 87, 91 für das Gesetz zur Verbesserung der OK von 1998. Fahr DStR 2008 375. Gola/Klug/Reif NJW 2007 2599, 2602. Wolter GA 2007 191. Glaser/Gedeon GA 2007 425 f. Glaser/Gedeon GA 2007 429 f.: „keine Regelung zu treffen, stellt jedoch ein Versäumnis dar, das […] schwer wiegt, weil es das ,Gesamtkonzept‘ […] als willkürlich erscheinen lässt.“; Zöller StraFo 2008 15, 23: „Rückschritt hinter die schon bislang bestehende Regelung im Rahmen der akustischen Wohnraumüberwachung“; ebenso HK/Zöller § 160a, 14. Zöller StraFo 2008 15, 23: HK-ders. § 160a, 18. Vgl. Weißer GA 2006, Für eine „Gesamtschau“ der Zeugnisverweigerungsrechte auch Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1978) 2. A.A. – keine Schutzwürdigkeit – etwa KK/Griesbaum § 160a, 1.
306
307 308
BVerfGE 30 32 = NJW 1971 280. Allerdings hat der EGMR im Urteil vom 25.3.1998 (13/1997/797/1000), auszugsweise veröffentlicht in StV 1998 683 m. Anm. Kühne in der Überwachung der Telefone einer Schweizer Anwaltskanzlei (als unbeteiligter Dritter) einen Verstoß gegen Art. 8 MRK gesehen, weil das Schweizer Recht – wie in diesem Punkte auch die StPO – keine genügende Differenzierung treffe, anhand derer sich die Grenzen des – rechtsstaatlich gebotenen – Berufsprivilegs des Anwalts erkennen ließe. G. Schäfer FS Hanack 77, 102. BGH NStZ 1988 562 mit Anm. Taschke; KK/Nack 45; Meyer-Goßner 21; KMR/Bär; Roxin § 36 A. I.Rn. 12; G. Schäfer FS Hanack 77, 82; Schlüchter 353; Beulke 211; Niemöller/Schuppert AöR 107 1982 440; Rudolphi FS Schaffstein 440; Welp JZ 1972 428 und FS Gallas 421 sowie Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs 196.
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ist.309 Für den Schutz des § 148 kommt es im Übrigen nicht darauf an, dass der Mandant des Verteidigers gerade Beschuldigter des Verfahrens ist, in dem die Maßnahme nach § 100a ergeht. Da ein Rechtsanwalt immer Verteidiger sein kann und auch sonst viele vertrauliche Gespräche führt, ist bei der Überwachung anwaltlicher Telefonanschlüsse größte Zurückhaltung geboten.310 Dieses Überwachungsverbot zugunsten des Verteidigers gilt auch dann, wenn dieser der Teilnahme verdächtig ist, denn bis zu dessen Ausschluss nach § 138a muss das Recht auf freien Verkehr nach § 148 gelten und zwar auch dann, wenn der Verteidiger selbst als Beschuldigter der Teilnahme an einer Katalogtat des § 100a verdächtig ist. Gerade für solche Fälle hat der Gesetzgeber § 138a ff. geschaffen, die auch Eilentscheidungen zulassen. S. § 97, 96 ff. und die Erl. zu §§ 138a ff. Demgegenüber lässt der Bundesgerichtshof 311 die Überwachung des Verteidigers dann zu, wenn dieser selbst als Täter oder Teilnehmer einer Katalogtat i.S. von § 100a verdächtig ist. Diese Rechtsprechung wird der gesetzlichen Wertentscheidung in §§ 148, 138a ff. nicht gerecht. Dieser hier schon seit der 24. Auflage vertretenen Auffassung steht auch die Neuregelung in §§ 160a, 100c Abs. 6 nicht entgegen.312 Zwar enthält diese Vorschrift eine Spezialregelung für besonders schützenswerte Berufe (neben Verteidigern auch Geistliche und Abgeordnete) und verweigert den Schutz bereits bei Verdacht der Teilnahme, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei. Gleichwohl kann dieser Vorschrift nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber damit von der umfassenden Garantie freier Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandant bis zum Ausschluss des Verteidigers nach § 138a StPO abrücken wollte.
F. Art der Verwertung 95
Originäres Beweismittel ist bei einer Aufzeichnung der überwachten Telekommunikation das aufzeichnende Medium, beim Mithören der Zeuge. Es bleibt dem an seiner Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 ausgerichteten Ermessen des Tatrichters überlassen, auf welchem Wege er die Ergebnisse der Telefonüberwachung verwertet und wie er sich von der Zuverlässigkeit der Datenaufzeichnung oder – beim Mithören – des Verstehens der mitgehörten Gespräche durch den Zeugen überzeugt.313 Bei der Überwachung unmittelbar gewonnene Beweismittel, wie Tonbandaufnahmen oder maschinell erstellte Listen von Verbindungsdaten, ferner Datenträger jeder Art, werden in der für das Beweismittel gesetzlich vorgesehenen Weise verwertet. Tonbänder sind Gegenstand des Augenscheinbeweises und deshalb abzuspielen,314 Abdrucke, Ausdrucke (etwa von Listen mit Verbindungsdaten oder Fotokopien Gegenstand des Urkundenbeweises315 und grundsätzlich zu verlesen (§ 249). Den Inhalt von Disketten kann sich das Gericht über die Inaugenscheinnahme mittels PC und – soweit Schrift enthalten ist – Verlesung des Inhalts –
309 310
311
Welp Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs 208 und JZ 1972 428. Ebenso BGH – ER – Beschl. v. 15. August 2003 – 1 BGs 249/2003 – 2 BJs 118/93/7; v. 16. September 2003 – 1 BGs 267/2003 – 2 BJs 118/93/7. BGHSt 33 347 = NJW 1986 1183 = StV 1986 1; zu dieser Entscheidung Welp NStZ 1986 289; wie BGH KK/Nack 48; Schlüchter 353; wie hier Meyer-Goßner 21; SK/Wolter 56; Beulke12 254; Rudolphi
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FS Schaffstein 441; Waldowski AnwBl. 1975 108; Zuck NJW 1969 912. A.A. KK/Nack 48. KK/Nack 51. BGH StV 1991 517; NStZ 2002 493; BGHSt 27 135 = JR 1978 117 mit Anm. Gollwitzer; BGH NStZ 1985 466; BGHSt 14 339, 341; Peters § 49 I 1. Zu den Abdrucken und Fotokopien vgl. auch BGHSt 27 135, 137.
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zugänglich machen. Bei anderen Datenträgern wird man häufig auf sachverständige Hilfe angewiesen sein. Auch die Verwendung transformierter Beweismittel ist zulässig. Bei maschinell erstellten Listen (über Verbindungsdaten z.B.) kann es genügen, einen Sachverständigen oder Zeugen über die Erhebung der Listen, ihre Bedeutung und ihren Inhalt zu hören.316 Nicht beanstandet wurde auch die mittelbare Beweiserhebung durch Bericht eines mit der Auswertung befassten Polizeibeamten als Zeugen, und zwar auch dann, wenn die Protokolle zuvor von einem Dolmetscher in die deutsche Sprache übertragen worden waren.317 Ob bei umfangreichen und sprachlich komplexen Gesprächen anderes gilt, blieb offen. Insbesondere ist die Verlesung von wörtlichen Niederschriften über die Tonbandaufzeichnungen nicht durch § 250 Satz 2 ausgeschlossen, da die Übertragung der Tonbandaufzeichnungen eher mechanisch erfolgt und keinen eigenständigen Erkenntnisvorgang enthält.318 Ob in einem solchen Fall neben der Verlesung der Niederschriften noch Zeugen zum Beweis der Richtigkeit und Vollständigkeit der Übertragung – oder auch zur Identifizierung von Gesprächsteilnehmern – gehört werden müssen, ist eine Frage der Aufklärungspflicht.319 Ebenfalls eine Frage der Aufklärungspflicht ist es, inwieweit Gespräche vollständig in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen.320 Da die Verlesung der Abschriften von Tonbandprotokollen kein echter Urkundsbeweis, sondern die Einführung eines transformierten Augenscheinsobjekts ist, bestehen im Grundsatz auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, den deutschsprachigen Prozessbeteiligten im Selbstleseverfahren die Abschriften und einem fremdsprachigen Angeklagten zugleich anstelle des Selbstleseverfahrens die in seiner Muttersprache geführten Tonbänder (durch Abspielen) zugänglich zu machen. Letztlich geht es hierbei darum, alle Verfahrensbeteiligten über den Inhalt der Tonträger in Kenntnis zu setzen. Hier zu fordern, dem Angeklagten müssten bei Durchführung des Selbstleseverfahrens „Rückübersetzungen“ der (ins Deutsche übersetzten) Abschriften zur Verfügung gestellt werden, wäre ein sinnwidriger – zumal kostentreibender – und mit dem Risiko zusätzlicher Übersetzungsfehler behafteter Formalismus. Das Originaltonband stellt für den Angeklagten insoweit das sachnähere Beweismittel dar. Freilich muss das Gericht sich auch dabei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht ausreichend davon überzeugen, dass der Inhalt der Tonbänder nicht wesentlich von der Übersetzung in den Abschriften abweicht. Dass in diesen Niederschriften die Gespräche nicht immer in wörtlicher Rede wiedergegeben sind, steht einer Verlesung nicht entgegen, wenn es nicht auf den genauen Wortlaut der Gespräche ankommt, sondern etwa auf die Tatsache, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt von seiner Wohnung aus Telefonate geführt hat.321 Fremdsprachige Äußerungen sind ins Deutsche zu übersetzen.322 Allerdings bestimmt 96 sich der Umfang dessen, was zu übersetzen ist, nach der Aufklärungspflicht. Einen Anspruch darauf, dass das Gericht sämtliche im Rahmen einer Überwachungsmaßnahme angefallenen Texte ohne Rücksicht auf ihre Entscheidungserheblichkeit übersetzen lässt,
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320
KK/Nack 51. BGH NStZ 2002 493. BGH NStZ 1985 466; BGH StV 1987 421; Schöffen dürfen Kopien der TÜ-Protokolle erhalten: BGH NJW 1997 1792, vgl. zum Ganzen auch BGH NStZ 1991 535. BGHSt 27 135 = JR 1978 117 mit Anm. Gollwitzer; BGH NStZ 1991 535; KK/Nack 35; Meyer-Goßner 30. BGH NStZ 1985 466; StV 1987 421.
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BGH NStZ 2009 280, 281. BGH StV 1991 517; BGH NStZ 1991 535 m.w.N.; NStZ 1985 466; vgl. auch OLG Koblenz NStZ 1995 611; zur Akteneinsicht: OLG Köln StV 1995 12; zur Aufklärungspflicht des Gerichts bei einer von einem anonymen Polizeidolmetscher herrührenden Übersetzung: BGHR StPO § 244 Abs. 2 Tonband 1.
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hat der Beschuldigte nicht.323 Eine vollständige (wörtliche) Übersetzung wird vor allem dann entbehrlich sein, wenn sich bereits Zusammenfassungen in deutscher Sprache über den Inhalt der Telefonate in den Akten befinden, aus denen sich keine Relevanz der in einer Fremdsprache geführten Gespräche ergibt, und wenn das Gericht zur Überprüfung der durch die Ermittlungsbehörden getroffenen Vorauswahl „relevanter“ Telefonate bereits die Aufzeichnungen von mehreren Hundert Gesprächen in Augenschein genommen hatte, ohne dass sich eine von den Angaben in den schriftlichen Zusammenfassungen abweichende Verfahrensrelevanz ergeben konnte.324 Auch wird die Verteidigung dadurch nicht in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt; die Vorschrift des § 147 Abs. 1 gibt keinen Anspruch auf eine Übersetzung sämtlicher in einer fremden Sprache aufgezeichneten Gespräche.325 Der Dolmetscher fungiert dabei – da es sich nicht um Prozessgeschehen handelt – als Sachverständiger.326 Doch kann das Gericht auf den Dolmetscher – in Sachverständigenrolle – zurückgreifen, ohne ihn zugleich von seiner Dolmetscheraufgabe ablösen zu müssen.327 Die Telefonüberwachung und nachfolgende Übersetzung der gefertigten Protokolle stellen hingegen notwendige Ermittlungshandlungen zur Aufklärung einer Straftat dar, die deutsche Beschuldigte oder ausländische, aber der deutschen Sprache mächtige Beschuldigte, die fremdsprachige Telefonate führen, in gleicher Weise treffen können und die deshalb Ausländern ohne Verstoß gegen Art. 3 GG als Kosten des Verfahrens in Rechnung gestellt werden dürfen.328 Die von der Rechtsprechung zur Übersetzung entwickelten Maßstäbe lassen sich auch 97 auf den häufigen Fall übertragen, dass aufgezeichnete Telekommunikationsdaten nicht ohne weiteres mittels Augenscheinseinnahme oder Lesen inhaltlich erfasst werden können, weil ihr Inhalt nicht aus Wort oder Schrift, sondern digitalisierten Daten besteht, die erst transformiert werden müssen. Meist wird sich das Gericht dazu eines Sachverständigen bedienen müssen. Bei den regelmäßig außerordentlich umfangreichen Listen der Verbindungsdaten, die im automatisierten Datenabrufverfahren entstanden sind (§ 112 TKG i.V.m. § 8 und § 9 TKÜV), handelt es sich um technische Aufzeichnungen mit gedanklichem Inhalt. Als solche sind sie zunächst einmal Urkunden, über deren Inhalt nach § 249 Beweis zu erheben ist. Da diese Aufzeichnungen der Auswertung durch fachkundige Personen bedürfen, bietet es sich auch hier an, diese als Zeugen auch zum Beweis des wesentlichen Inhalts der Zahlenkolonnen zu vernehmen, ohne dass es erforderlich wäre, viele Tausende für sich genommen nichtsagender Daten zu verlesen oder nach § 249 Abs. 2 einzuführen. Besondere Probleme wird künftig die zunehmende Datenverschlüsselung bei der Tele98 kommunikation – vor allem in Computernetzen – bereiten. Die seitens des Bundesinnenministeriums erhobene Forderung nach Hinterlegung von Verschlüsselungsprogrammen bei den Netzbetreibern (sog. „Kryptodebatte“329) kann hier wenig helfen, da jeder in der
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327 328
OLG Koblenz aaO. BGH NStZ 2008 230, 231. BGH NStZ 2008 230, 231; OLG Koblenz NStZ 1995 611; Meyer-Goßner § 147, 19. BGHSt 1 4, 6; BGH NStZ 1985 466; BGH NJW 1997 1792; BGHR StPO § 100a Einführung 1; KK/Nack 36; a.A. anscheinend BGH StV 1991 517. RGSt 45 304; BGH NJW 1965 643. BVerfG Kammer Beschl. vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01.
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Vgl. dazu Bizer Kryptokontroverse – Der Schutz der Vertraulichkeit in der Telekommunikation, DuD 1996 5 = KJ 1995 450; auch Leiberich Kriminalistik 1995 731; Weinem Kriminalistik 1995 735; Hamm DRiZ 1997 418 ff.; Beutelspacher/Federrath/Pfitzmann in: Hamm/Möller (Hrsg.) Datenschutz durch Kryptographie – ein Sicherheitsrisiko? Band 6 (1997).
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Programmierung erfahrene Nutzer im Prinzip eigene Verschlüsselungen entwickeln kann und nicht erwartet werden kann, dass gerade kriminelle Nutzer ihre Verschlüsselungsmethoden offenlegen würden. Andererseits gibt es kaum technische Handhaben, „illegal verschlüsselte“ Datensätze vom Transport – etwa im Internet – auszuschließen. Hier wird es möglicherweise zu einem anhaltenden technischen Wettlauf bei der Entwicklung und Dechiffrierung immer neuer Verschlüsselungsprogramme kommen.
G. Verwendungsbeschränkungen I. Stellungnahme der Rechtsprechung und Literatur bis zum OrgKG 1. Allgemeines. Die Überwachung der Telekommunikation erfolgt praktisch durch die 99 Überwachung eines bestimmten Anschlusses330 oder bei Mobiltelefonen einer bestimmten Kennung. Die Beschränkung auf die Kommunikation bestimmter Personen ist technisch selten durchführbar und bei der Überwachung des Anschlusses eines Nachrichtenmittlers auch rechtlich nicht geboten. Wird ein Anschluss überwacht, den der Beschuldigte, wie zum Beispiel in einer Gaststätte331 in einem Betrieb oder in einer Behörde, zusammen mit anderen benutzt (vgl. Abs. 3 letzter Satzteil), kann dies zur Aufnahme von Tausenden von Gesprächen oder sonstiger Formen der Datenübermittlung führen. Es liegt auf der Hand, dass bei einer derart umfassenden Überwachung die Strafverfolgungsbehörden auch Erkenntnisse erlangen können, die sich nicht auf die dem Beschuldigten vorgeworfene Katalogtat erstrecken, sondern auf andere Taten des Beschuldigten oder – im Extremfall –, dass von der Überwachungsanordnung nicht betroffene Anschlussbenutzer durch ihr Gespräch (oder ihre sonstige fernübertragene Nachricht) Beweis für eine völlig andere Tat völlig anderer Personen – sog. „Zufallsfunde“ – liefern. Das OLG Hamburg schloss entsprechend § 108 zunächst auf unbeschränkte Verwert- 100 barkeit sämtlicher bei rechtmäßigen Überwachungsmaßnahmen nach § 100a erlangter Erkenntnisse.332 Diese Auffassung fand indes sofort Kritik, die unter Hinweis auf das Gewicht der berührten Grundrechte eine Verwertbarkeit der bei einer Überwachung erlangten Erkenntnisse auf Fälle beschränken will, bei denen eine Überwachung zulässig gewesen wäre, weil der Verdacht einer Katalogtat bestand.333 Dieser Kritik liegt der Gedanke zugrunde, Erkenntnisse soweit zu verwerten, wie sie durch einen an die Stelle des tatsächlichen Eingriffs tretenden, gedachten, „hypothetischen“ Eingriff zulässigerweise hätten erlangt werden können.
330 331
Vgl. Welp Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs 78. Ein solcher Fall war Anlass für die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses des badenwürttembergischen Landtags LTDrucks. 11 4888. Der Telefonanschluss einer Gaststätte wurde überwacht, weil der Inhaber der Gaststätte im Verdacht stand, der Mafia anzugehören oder für sie tätig zu sein. Im Rahmen dieser Überwachung wurden auch Gespräche des Fraktionsvorsitzenden der CDU aufgezeichnet, die dieser als Gast führte.
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OLG Hamburg NJW 1973 157; ebenso Schünemann NJW 1978 406; KMR/Bär 15; vgl. auch Sax JZ 1965 1, 5. Schroeder JR 1973 252; Weber NJW 1973 1056; Welp JZ 1973 288 und Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs 225 mit der Beschränkung auf Verfahren gegen den Beschuldigten oder die in Satz 2 genannten Personen; Rudolphi FS Schaffstein 449; Maunz/Dürig Art. 10, 49; großzügiger Kaiser NJW 1974 349. Vgl. zum Ganzen Kretschmer StV 1999 221 ff.
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2. Rechtsprechung des BGH. Grundsatz. Der Bundesgerichtshof hat diesen Gedanken aufgegriffen und in einer Vielzahl zunächst recht kasuistisch erscheinender Entscheidungen differenziert. Er hat dabei stets betont, dass angesichts des Gewichts des Grundrechts aus Art. 10 GG eine enge Anwendung und Auslegung des § 100a im Lichte der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts geboten sei,334 dass das Gebot enger Auslegung auch Bedeutung für den Umfang der Verwertbarkeit gewonnener Erkenntnisse habe335 und dass sich aus der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung nicht zwingend die Verwertbarkeit des Beweises ergebe.336 Trotz dieser im Grundsatz zutreffenden Erwägungen zur Auslegung des § 100a hat diese Rechtsprechung zu einer weitgehenden Verwertbarkeit der bei einer rechtmäßigen Überwachung des Fernmeldeverkehrs gewonnenen Erkenntnisse geführt. Nicht verwertbar im Verfahren gegen den Beschuldigten oder irgendwelche Dritte sind danach im Ergebnis lediglich solche Erkenntnisse, die sich auf eine andere Tat im Sinne des § 264 beziehen, als die wegen der die Telekommunikation überwacht worden war, wenn diese andere Tat nicht ihrerseits eine Katalogtat war. Zulässig sollte auch ohne Beschränkung auf Katalogtaten die Verwertung erlangter Erkenntnisse als Ermittlungsansatz sein. Zur Widerspruchslösung Rn. 115.
102
3. Stellungnahme der Literatur vor Inkrafttreten des § 100b Abs. 5 a.F. Diese Rechtsprechung wird in der Literatur zum Teil heftig kritisiert, wobei der Lösungsansatz ganz unterschiedlich ist. Prittwitz337 lehnt jede Verwertung über den Nachweis der Katalogtat hinaus, wegen der die Überwachung stattgefunden hat, ab. Roxin,338 Peters339 und Maiwald 340 beschränken die Verwertbarkeit auf Katalogtaten, teilweise einschließlich der im Rahmen der kriminellen Vereinigung begangenen Straftaten; [J.] Kretschmer differenziert danach, ob der Verdacht einer Katalogtat sich bestätigt, oder ob er im Laufe der Ermittlungen entfällt; eine Verwertung bei nicht möglichem Nachweis einer Katalogtat wird von den zuletzt genannten Autoren abgelehnt. Dem stimmt Odenthal 341 zu. Demgegenüber folgen Nack; Meyer-Goßner; Rieß und Schlüchter 342 jedenfalls im Ergebnis im Wesentlichen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
II. Die Verwendungsregelung in § 100b Abs. 5 a.F. in der Fassung des OrgKG 103
Der Gesetzgeber des OrgKG hatte in § 100b Abs. 5 die Rechtslage klarzustellen versucht, indem er es unternahm, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Gesetzesform zu gießen.343 Heute findet sich die maßgebliche Folgevorschrift in § 477 Abs. 2 Satz 2, der lautet:
334 335 336 337 338 339 340
BGHSt 26 298, 303, 304; 28 122, 125 mit Anm. Rieß JR 1979 168; 31 296. BGHSt 28 122, 125 mit Anm. Rieß JR 1979 168. BGHSt 28 122, 124 mit Anm. Rieß JR 1979 168. StV 1984 308, 311. § 34c IV 4. 4. Aufl. § 49 I 1. JuS 1978 379, 381. Auch Kretschmer StV 1999 221 ff.
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NStZ 1982 390. KK/Nack 58; Meyer-Goßner 30 ff.; Rieß JR 1979 167 und JR 1983 125; Schlüchter 352; auch HK/Lemke 3 16, 21. Gesetzentwurf des Bundesrates BTDrucks. 12 989 S. 38. Dort heißt es: „Die Zulässigkeit einer Nutzung zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren orientiert sich vielmehr an der vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG NStZ 1988 32) nichtbeanstandeten Rechtsprechung des Bundesgerichts-
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„Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer solchen Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen.“
1. Datentransfer von und zur Polizei. § 477 Abs. 2 Satz 2 lässt nicht den Umkehr- 104 schluss zu, jegliche andere Verwendung (z.B. die Nutzung von im Rahmen des Strafverfahrens erhobener Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr) sei unzulässig; vielmehr seien, so betonte die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren zu § 100b Abs. 5 a.F. ausdrücklich, die Voraussetzungen unter denen personenbezogene Informationen (zum Begriff § 98b, 24a ff.) aus Strafverfahren für andere Zwecke, insbesondere Zwecke der Gefahrenabwehr, verwendet werden dürfen, bei anderer Gelegenheit zu regeln.344 Eine solche Regelung enthält inzwischen § 481, sodass ein Datentransfer zur Polizei zu präventiv-polizeilichen Zwecken möglich ist, auch wenn nach allgemeinem Polizeirecht die Überwachung der Telekommunikation nicht zulässig ist. Einzelheiten bei § 481. 2. Einzelheiten zur Verwendungsregelung des § 477 Abs. 2 Satz 2. Die Auslegung der 105 neuen Vorschrift hat indes von ihrem Wortlaut auszugehen. Ergeben sich Fragen, kann die frühere Rechtsprechung durchaus herangezogen werden. Der Vorschrift kann Folgendes entnommen werden.345 Hier können im Folgenden nur Eckpunkte aufgegriffen werden, sofern dies für eine Kommentierung des § 100a sinnvoll ist. Im Übrigen wird vollumfänglich auf die Kommentierung zu § 477 Abs. 2 Satz 2 verwiesen. Die Vorschrift setzt eine rechtmäßige Anordnung der Telekommunikationsüber- 106 wachung voraus.346 Sie unterscheidet ersichtlich zwischen der Verwertung von durch Überwachung der Telekommunikation erlangten Informationen in anderen Strafverfahren und in dem Strafverfahren in dem die Maßnahme angeordnet worden war und sie unterscheidet zwischen einer Verwendung zu Beweiszwecken und zu anderen Zwecken. Ein anderes Strafverfahren im Sinne dieser Vorschrift ist ein Verfahren wegen einer 107 anderen Tat im Sinne des § 264.347 Ob die verschiedenen Prozessgegenstände verbunden oder getrennt beurteilt werden, spielt dabei keine Rolle. Da die Tat im Sinne des § 264 immer nur die Tat eines bestimmten Täters ist, kann ein anderes Strafverfahren in diesem Sinne ein anderes Verfahren gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens wegen
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hofs zur Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung nach § 100a (vgl. dazu u.a. BGHSt 26 298; 27 355; 28 122; 29 23; 30 317; 32 10). Dies stellt Abs. 3 Satz 3 ausdrücklich klar.“ Die Bundesregierung merkte dazu nur an, dass aus der gewählten Formulierung nicht der Umkehrschluss gezogen werden dürfe, die Nutzung im Rahmen des Strafverfahrens erhobener Daten in anderen Verfahren, etwa zur Gefahrenabwehr sei unzulässig (BTDrucks. 12 989 S. 57). BTDrucks. 12 989. Hilger (NStZ 1992 457, 461 Fn. 72) bringt das Anliegen des Gesetzgebers (allerdings nur in einer Fußnote) zutreffend auf den Nenner: „Also grundsätzlich – unabhängig
346
347
davon, wie die Erkenntnisse fixiert wurden (in Akten oder Dateien) – unbeschränkte Verwertbarkeit im Ausgangsverfahren wegen der prozessualen Tat, zu deren Aufklärung die Maßnahme angeordnet wurde, wegen einer anderen prozessualen Tat (als Zufallserkenntnis) – auch in einem anderen Verfahren – ebenfalls unbeschränkt als Ermittlungsansatz (Spur) – etwa zu Aufenthaltsermittlung des Täters oder zum Auffinden als Beweismitteln –, als Beweismittel oder Vorhalt jedoch nur bei Katalogtat.“ BGH NJW 2003 1880, 1883; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 5, 8, 10; Kudlich JR 2003 493. Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 72.
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einer anderen Tat sein oder ein anderes Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten. Zu Beweiszwecken (Rn. 112) werden Informationen verwendet, wenn sie zur Beurteilung der Schuld- oder Straffrage und nicht etwa nur als Spur oder Ermittlungsansatz herangezogen werden.348 Zu Beweiszwecken verwendet wird eine Information auch dann, wenn sie als Vorhalt dient.349 Unter Verstoß gegen das Verwendungsverbot erlangte Aussagen dürfen nicht verwertet werden.350 Damit sind die wesentlichen Fallgruppen bereits unterschieden. Es geht um die Ver108 wertbarkeit solcher personenbezogener Informationen351 (1) in dem Ausgangsverfahren gegen den Beschuldigten (Rn. 109), in einem anderen Verfahren gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat oder gegen einen anderen als den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens, wobei die Verfahren gemäß §§ 2 bis 4 getrennt oder verbunden geführt werden können (Rn. 111), und es geht darum, wann diese Informationen zu anderen als zu Beweiszwecken verwendet werden dürfen (Rn. 112).
109
a) Verwertung im Ausgangsverfahren, in dem die Maßnahme angeordnet worden ist. Da § 477 Abs. 2 Satz 2 Verwendungsbeschränkungen nur für andere Strafverfahren statuiert, ist die Verwendung im Ausgangsverfahren wegen der Tat im prozessualen Sinne, die Anlass für die Maßnahme war, unbeschränkt, also nicht nur zum Nachweis (irgend)einer Katalogtat, sondern (erst recht) auch als Spurenansatz für weitere Ermittlungen zulässig. Verwertbar sind die Erkenntnisse aber auch dann, wenn der Verdacht der Katalogtat sich – gleichgültig ob schon bei Anklageerhebung352 oder erst im Urteilszeitpunkt – nicht bewahrheitet hat und die nunmehr zur Anklage oder Aburteilung stehende Straftat keine Katalogtat ist.353 Denn keiner Vorschrift, weder § 100a noch § 100b, kann entnommen werden, dass die Verwertung der erlangten Erkenntnisse vom Fortbestand des Verdachts einer Katalogtat abhängen soll.354 Voraussetzung ist nur, dass es sich bei der zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme angenommenen Katalogtat und der jetzt abzuurteilenden Tat um ein einheitliches Geschehen im Sinne des § 264 handelt 355 oder dass bei Nichtvorliegen des § 129 StGB es sich bei der abzuurteilenden Straftat um eine solche handelt, auf deren Begehung die kriminelle Vereinigung abzielt.356 Die früher verwendete Formel vom „Zusammenhang“ mit einer Katalogtat ist wenig hilfreich, da unscharf.357 Die neuere Rechtsprechung verwendet den Zusammenhang in diesem Sinne – abgesehen von den Fällen des § 129 StGB – als Synonym für den Prozessgegenstand.358 Zum Nachweis einer anderen Tat im prozessualen Sinne (§ 264) dürfen die Erkenntnisse aber auch gegen den Beschuldigten nicht verwertet werden.359
348 349
350 351 352 353
BGHSt 27 355; Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 72. BGHSt 27 355, 357; Meyer-Goßner 19; SK/Wolter Voraufl. 31; Lohberger FS Hanack 253, 259. Lohberger FS Hanack 253 m.N. Siehe § 98b, 24 f. BGHSt 22 122. BGHSt 28 122, 129; 32 10, 15 = NStZ 1984 372 mit Anm. Schlüchter; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 4; BVerfG NStZ 1988 32; KK/Nack 45; Meyer-Goßner 35; Schlüchter 352, 2; dagegen Prittwitz StV 1984 308, 311, SK/Rudolphi 25 welche die Verwertung nur zum Nachweis der Katalog-
366
354 355
356
357 358 359
tat zulassen wollen, wegen der die Überwachung angeordnet wurde; ebenso Welp Jura 1981 478; Roxin 25 § 34, 33. Vgl. dazu auch BVerfG NStZ 1988 32. BGH NStZ 1998 426; vgl. BGHSt 26 298, 30 317, 320, KK/Nack ; HK/Temming § 477, 7 (objektiver Bezug); enger SK-Wolter Voraufl. 25; Prittwitz StV 1984 302. BGH NStZ 1998 426; BGHSt 28 122; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 4; KK/Nack 63. Kritisch etwa BVerfG NStZ 1988 32. Ausdrücklich so BGH NStZ 1998 426. BGH NJW 2003 1880; BGHSt 27 355, 357.
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§ 100a
Wurde beispielsweise wegen des Verdachts gewerbsmäßigen Handelns mit Betäu- 110 bungsmitteln (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG) die Telekommunikation zulässigerweise (§ 100a Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a) überwacht, dann fragt sich, ob dabei erlangte Erkenntnisse auch dann verwertbar bleiben müssen, wenn das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit, das die Straftat zur Katalogtat macht, irgendwann entfällt oder doch mit der zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nicht nachgewiesen werden kann. Dafür spricht, dass die Frage, ob Gewerbsmäßigkeit vorliegt, wegen §§ 155 Abs. 2, 264, 244 Abs. 2 bis zur Rechtskraft zu prüfen ist und zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht – und da wiederum von Instanz zu Instanz – anders beurteilt werden kann. Es liegt zunächst jedenfalls nahe anzunehmen, diese mögliche unterschiedliche Beurteilung dürfe schon aus Gründen der Rechtssicherheit auf die Verwertbarkeit von Beweismitteln keinen Einfluss haben.360 b) Verwertung in anderen Strafverfahren. Im Verfahren wegen einer anderen Tat (im 111 prozessualen Sinne des § 264) gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens oder gegen Dritte dürfen die erlangten Informationen nach § 477 Abs. 2 Satz 2 nur als Beweismittel zur Verfolgung (irgend)einer Katalogtat verwendet werden. Wann der Verdacht bezüglich der anderen Katalogtat entstand, ist unerheblich.361 Insoweit besteht für die Verwendung einer Nichtkatalogtat ein Verwertungsverbot.362 Ob dieser Dritte ein Nachrichtenmittler, der Anschlussinhaber oder lediglich eine mit einem anderen kommunizierende Person ist, ist gleichgültig.363 Deshalb können beispielsweise gegen einen Rauschgifterwerber Erkenntnisse nicht verwertet werden, die durch eine TÜ gegen den Verkäufer erlangt wurden, gegen den die Telefonüberwachung wegen des Verdachts angeordnet und durchgeführt worden, gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben.364 Ob dies auch dann gilt, wenn der Beschuldigte oder der Dritte bezüglich des anderen Lebenssachverhalts zeitweise im Verdacht einer Katalogtat stand, sodass gegen ihn eine Maßnahme nach § 100a hätte ergriffen werden dürfen und die Katalogtat und die abzuurteilende Straftat einen Prozessgegenstand darstellen, dürfte nach dem Wortlaut des § 477 Abs. 2 Satz 2 ausgeschlossen sein, wurde aber von der früheren Rechtsprechung bejaht.365 Näheres bei den Erl. zu § 477. c) Nicht zu Beweiszwecken: Ermittlungsansatz:366 Nicht zu Beweiszwecken verwen- 112 det werden Erkenntnisse dann, wenn sie nicht, auch nicht im Wege des Vorhalts zur Klärung der Schuld- oder Straffrage herangezogen werden. Als Ermittlungsansatz, etwa zur Begründung eines Anfangsverdachts oder als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen, etwa zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses, dürfen die Erkenntnisse, da rechtmäßig erlangt,367 sowohl in Verfahren gegen den Beschuldigten als auch in Verfahren gegen Dritte unbeschränkt, also nicht nur zur Verfolgung von Katalogtaten verwendet werden368 wie die Einschränkung „zu Beweiszwecken“ zeigt.
360 361 362 363
Im Ergebnis ebenso Rieß JR 1979 169; Schlüchter 352.1. BGH NJW 1979 1371; BayOblG JR 1983 124 mit Anm. Rieß. BGH NStZ 1998 426. BGHSt 32 10, 15; 29 23, 24; 28 122, 129 = JR 1979 165 mit Anm. Rieß; BGHSt 26 298, 302; SK/Wolter Voraufl. 30; KK/Nack 65; Meyer-Goßner 35; enger Kretzschmer StV 1999 227.
364 365 366 367
368
BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 5. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 5. Ausführlich Lohberger FS Hanack 264. Die Fernwirkung von Beweisverboten wird regelmäßig bei rechtswidrig erlangten Beweisen diskutiert „fruit of the poisonous tree doctrine“; vgl. nur BGHSt 32 68 und LR/Gössel Einl. K 92, 97 f. Beulke Rn. 482. BGH NStZ 1998 426; BGHSt 27 355.
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III. Äußerungen Dritter 113
Verwertbar (auch in anderen Strafverfahren wegen einer Katalogtat, s. dazu Rn. 111) sind nicht nur Äußerungen und Verbindungsdaten des Beschuldigten oder seiner Nachrichtenmittler, sondern auch solche Dritter, sofern diese nur die überwachten Anschlüsse bzw. Mobilfunkkennungen benützen369 und deren Kommunikationspartner, sodass es Fälle geben kann, in denen Kommunikation von Personen verwertet wird, die weder im Ausgangsverfahren beschuldigt waren noch zu den in Abs. 3 Genannten gehören. Deren Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses müsse zurücktreten, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 100a gegeben sind.370
H. Verwertungsverbote I. Allgemeines 114
Verstöße gegen die Verwendungsregel des § 477 Abs. 2 Satz 2 und gegen die formellen und materiellen Voraussetzungen der §§ 100a, 100b können zu einem Verwertungsverbot führen.
II. Widerspruchslösung 115
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH soll die Widerspruchslösung (dazu Vor § 94, 65, 87 371) auch im Bereich der §§ 100a, 100b Anwendung finden.372 Entschieden wurde dies bis jetzt nur in Fällen, in denen wegen rechtswidriger Anordnungen ein Verwertungsverbot bestand. Entsprechendes müsste aber konsequenterweise auch für die Fälle gelten, in denen ein auf Grund rechtmäßiger Anordnung erlangtes Beweismittel zum Nachweis einer Nichtkatalogtat verwendet werden soll, weil es auch hier zur Disposition des Beschuldigten stehen muss, ob er die Verwertung des Beweismittels als für seine Beweisführung nützlich ansieht. Die Anwendbarkeit der Widerspruchslösung hat gewichtige Auswirkungen auf die Rechte Mitangeklagter, dazu 25. Aufl. Vor § 94, 150. Ungeklärt ist freilich, wie sich die Widerspruchslösung zu den vom 3. Senat des Bundesgerichtshofs373 aufgestellten Anforderungen an die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung des Tatrichters (Rn. 129) verhalten soll. Denn nach dieser Entscheidung hängt die Verwertbarkeit nicht vom Fehlen eines Widerspruchs, sondern davon ab, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung gegeben waren, was der verwertende Tatrichter von Amts wegen zu prüfen habe. Der Senat hat dieses Problem offensichtlich nicht gesehen, denn bei der Erörterung der Zulässigkeit der Verfahrensrügen betont er, „die von den Angeklagten gegen die Verwertung der aufgezeichneten Telefonate erhobenen Widersprüche sowie der diese Widersprüche
369
370 371
BGHSt 29 23, 24; KK/Nack 48; SK/Wolter 50; a.A. Knauth NJW 1978 741, 742; Prittwitz StV 1984 308; Vogel NJW 1979 2524. BGHSt 29 23, 24 unter Berufung auf Kaiser NJW 1974 349, 350. Vgl. auch Meyer-Goßner § 136, 25; KK/Laufhütte Vor § 137, 6.
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BGH StV 2001 545 (nicht tragend) mit abl. Anm. Ventzke; kritisch auch Wollweber wistra 2001 182; unklar BGHSt 47 362; BGH NJW 2003 1880. BGHSt 47 362.
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zurückweisende Beschluß der Strafkammer“ seien vorgetragen. Richtigerweise wird man auch für die Überwachung der Telekommunikation die Widerspruchslösung verwerfen müssen.374 In diesen Fällen hat der Tatrichter vielmehr eigenverantwortlich und von Amts wegen insbesondere ohne Bindung an eine Wertung des Ermittlungsrichters die Voraussetzungen der §§ 100a, 100b entweder anhand der Entscheidung des Ermittlungsrichters, wenn diese zur Beurteilung ausreicht und die ihr zugrunde gelegten Fakten nicht angegriffen werden, oder auf Grund eigener Tatsachenerhebung festzustellen.
III. Verwendungsregel Soweit nach oben dargestellten Grundsätzen des § 477 Abs. 2 Satz 2 (Rn. 103 ff.) 116 eine Verwendung personenbezogener Informationen zu Beweiszwecken in anderen Straftaten (gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens wegen einer anderen Tat oder gegen einen Dritten) nicht zulässig ist, weil das Verfahren nicht der Aufklärung einer Katalogtat dient, besteht ein Verwertungsverbot.
IV. Mängel bei den sachlichen Voraussetzungen (§ 100a) Die Rechtsprechung unterscheidet hinsichtlich der Verwertbarkeit erlangter Erkennt- 117 nisse zwischen Mängeln verschiedenen Gewichts und differenziert danach die Rechtsfolgen. Sie differenziert insbesondere zwischen Eingriffen, denen eine Katalogtat nicht zugrunde lag oder denen ein Überwachungsverbot entgegenstand und solchen, bei denen bei der Annahme des Tatverdachts und bei Anwendung der Subsidiaritätsklausel Fehler unterlaufen sind. 1. Fehlende Katalogtat. Überwachungsverbot. War die Überwachung der Telekom- 118 munikation nach § 100a fehlerhaft auf eine Straftat gestützt worden, die keine Katalogtat ist, oder lag eine solche aus rechtlichen Gründen nicht vor, weil beispielsweise falsch subsumiert wurde, oder unterlag die Überwachung einem absoluten Verbot, wie dies nach § 148 bei Gesprächen zwischen Verteidigern und ihren Mandanten der Fall ist,375 dürfen dadurch gewonnene Erkenntnisse nicht zum Nachteil des Beschuldigten verwertet werden.376 Dies gebietet die Wertentscheidung des Gesetzgebers, im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 10 GG den Eingriff vom Verdacht bestimmter schwerwiegender Straftaten abhängig zu machen und das Verteidigungsverhältnis absolut zu schützen. Eine (scheinbare) Ausnahme wird nur dann angenommen werden können, wenn die angenommene Katalogtat wegen eines Subsumtionsfehlers zu Unrecht bejaht wurde, derselbe Lebenssachverhalt im Sinne des § 264 aber auf der Grundlage der Verdachtssituation zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung die Annahme des Verdachts einer anderen Katalogtat gerechtfertigt hätte und die (nachträgliche) Änderung der Rechtsgrundlage der damals bestehenden Ermittlungssituation nicht ein „völlig anderes Gepräge“ gegeben hätte.377
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375
Eingehende Kritik an der Widerspruchslösung bei Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit S. 531 ff. BGHSt 33 347.
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BGHSt 31 304, 308; 32 68, 70; 41 30, 31; 47 362. Zu § 148 s. BGHSt 33 347. NJW 2003 1880; dazu Kudlich JR 2003 453; Arloth NStZ 2003 609, 610.
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Beispiel nach BGH NJW 2003 1880 (freilich wegen der inzwischen erfolgten Aufnahme des § 373 AO in den Anlasstatenkatalog veraltet und deshalb nur im übertragenen Sinne zu verstehen): Gegen eine Zigarettenschmugglerbande wird wegen Geldwäsche ermittelt und dabei die Telekommunikation überwacht. Da der als Vortat der Geldwäsche angenommene Schmuggel nach § 373 AO keine Katalogtat im Sinne des § 100a ist, fehlte es an den Voraussetzungen des § 100a. Dies stand der Verwertbarkeit aber deshalb nicht entgegen, weil die Tätigkeit der Bande sich auch als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 100a hätte qualifizieren lassen und dies das Revisionsgericht ohne weiteres feststellen konnte. Ein anderes Gepräge hätte wohl vorgelegen, wenn die kriminelle Vereinigung tatsächlich nicht mit Zigaretten gehandelt hätte, sondern sich mit Mädchenhandel oder Schutzgelderpressungen beschäftigt hätte.
119
2. Mängel bei der Begründung des Tatverdachts und der Behandlung der Subsidiaritätsklausel. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, inwieweit Mängel bei der Bejahung des Verdachts (begründen bestimmte Tatsachen wirklich den Verdacht?) und bei der Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes (waren andere Ermittlungen wirklich aussichtslos oder wesentlich erschwert?) der Verwertbarkeit entgegenstehen können.
120
a) BGH: Beurteilungsspielraum bei Anordnung der Maßnahme. Bis zur Entscheidung des 4. Strafsenats378 war die Rechtslage offen. Der 3. Strafsenat hatte zu der Auffassung geneigt, „dass die Maßnahme grundsätzlich nicht auf den zur Zeit ihrer Anordnung vorliegenden Grad des Verdachts einer Katalogtat geprüft werden könne, der Revisionsrichter aber erkennbare Willkür zu beachten habe“.379 Dagegen hatten der 1. und der 2. Strafsenat erwogen (wenn auch letztlich offengelassen), ob nicht der Umstand, dass der gemäß § 100a ergehende Beschl. der an sich zulässigen Beschwerde faktisch entzogen ist, zu einer weitergehenden Prüfung des Revisionsgerichts führen müsse.380 In der genannten Entscheidung des 4. Strafsenats381 wird zunächst breit ausgeführt, dass Tatrichter und Revisionsgericht im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse in gleichem Umfang zur Nachprüfung der Rechtsmäßigkeit der Entscheidung verpflichtet seien und dass das Gewicht des mit der Telefonüberwachung verbundenen Eingriffs, der auch die Grundrechte unbeteiligter Dritter berühre, sowie der Umstand, dass eine Beschwerde gegen die Anordnung der Maßnahme faktisch nicht möglich sei, für eine möglichst gründliche und umfassende Überprüfung der Anordnung gemäß § 100a sprächen. Die – sich aus den Ermittlungsakten ergebenden – Untersuchungen und Verhandlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft, die Grundlage für die Anordnung der Telefonüberwachung durch den Ermittlungsrichter waren, stünden auch dem Tatgericht und – bei ordnungsgemäßer Verfahrensrüge – ebenso dem Revisionsgericht zur Verfügung. Maßgeblicher Zeitpunkt sei der der Anordnung, spätere Erkenntnisse hätten außer Betracht zu bleiben. Der Verdachtsgrad und die Frage, ob die Subsidiaritätsklausel der Maßnahme entgegenstehe, könne aber, unter anderem abhängig von der kriminalistischen Erfahrung des zur Entscheidung berufenen Staatsanwalts oder Richters, unterschiedlich beurteilt werden. Deshalb stehe diesen ein Beurteilungsspielraum zu. Bei der Nachprüfung durch Tat- und Revisionsgericht komme es nicht darauf an, wie diese den Sachverhalt zum maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen würden. Als rechtswidrig – mit der Folge eines Verwertungsverbots – stelle sich die Anordnung der Überwachungsmaßnahme nur dann dar, wenn die Entscheidung diesen Spielraum überschreite und daher
378 379 380
BGHSt 41 30. BGHSt 28 122, 124. BGHSt 33 217, 222, 223; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 4.
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nicht mehr vertretbar sei. Allein unter diesem Blickwinkel habe im weiteren Verfahren sowohl das erkennende wie das Rechtsmittelgericht die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu beurteilen.382 Dieser Entscheidung sind in weiteren grundsätzlichen Entscheidungen der 3. und der 5. Strafsenat ausdrücklich gefolgt.383 b) Kritik. Dieser Rechtsprechung kann nicht gefolgt werden.384 Die Annahme eines 121 nicht weiter überprüfbaren Beurteilungsspielraums von Staatsanwaltschaft und Gericht ist mit der Notwendigkeit der Überprüfung so gewichtiger Grundrechtseingriffe, wie dies die Überwachung der Telekommunikation darstellt, nicht zu vereinbaren. Die Entscheidungen des BGH unterscheiden nicht zwischen der notwendigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit grundrechtsbeschränkender Maßnahmen und der davon zu trennenden Frage der Verwertbarkeit bei Fehlern. Nicht jeder Rechtsfehler führt zu einem Verwertungsverbot. Eine solche Folge wäre gänzlich unangemessen. Soweit das Gesetz keine ausdrückliche Regelung enthält, bedarf es regelmäßig einer Abwägung. c) Überprüfung der Rechtmäßigkeit. Bei § 105, 107 ff., 132 wird die Auffassung ver- 122 treten, dass sowohl im Überprüfungsverfahren entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 als auch im Nachverfahren zur Nachholung rechtlichen Gehörs (entsprechend §§ 33a, 311a) das Gericht bei Zulässigkeit des Begehrens die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in materieller und formeller Hinsicht in vollem Umfang überprüft385 und in der Sache selbst entscheidet.386 S. dazu LR/Matt Vor § 304, 73. Der Prüfung unterliegen danach auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung bestehenden Ermittlungsstandes387 zunächst in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung die Voraussetzungen des Tatverdachts,388 die Beweisgeeignetheit, die Zulässigkeit der Maßnahme im Hinblick auf Beweisverbote sowie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Ebenso zu überprüfen sind die Förmlichkeiten: Voraussetzungen der Eilkompetenz, die Zuständigkeit für die Antragstellung beim Ermittlungsrichter, formelle Einhaltung der Anforderungen an eine richterliche Entscheidung im Hinblick auf die tatsächlichen Angaben zum Inhalt des Tatvorwurfs.389 Bei der Überwachung der Telekommunikation kommt als weiterer zu überprüfender Punkt die Subsidiarität nach § 100a Abs. 1 Nr. 3 hinzu. Der vorbeugende Rechtsschutz, den der Richter bei Eingriffen wie solchen nach § 100a oder § 102 gewähren soll, verlangt umfassende eigenverantwortliche Überprüfung sämtlicher Eingriffsvoraussetzungen durch den Richter. Ob diese Überprüfung stattgefunden hat, muss im Interesse ausreichender Rechtschutzgewährung nachträglich voll kontrolliert werden können. Dabei kommt es nur darauf an, ob der Richter zum Zeitpunkt seiner Entscheidung richtig gehandelt hat. Hat er ausweislich der Begründung seiner Entscheidung die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft oder den Subsidiaritätsgrundsatz unbeachtet gelassen,
382 383 384 385
386
BGHSt 41 30, 33. BGH NJW 47 362; BGH NJW 2003 1880. Kritisch auch Krause FS Hanack 221, 246. Die Beschwerdegerichte haben ihre Aufgabe auch so verstanden: vgl. nur Landgericht Detmold StV 2001 503; LG Bremen StV 2002 536. Vgl. BVerfG – Kammer – Beschl. v. 16. Juli 2001 – 2 BvR 791/01 –; Beschl. v. 18. Dezember 2002 – 2 BvR 1910/02 –; KK/Engelhardt § 309, 6 ff.; Meyer-Goßner § 309, 4.
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BVerfG – Kammer – Beschl. v. 18.12.2002 – 2 BvR 1910/02. LG Detmold StV 2001 503; vgl. auch § 102, 15 zur Rasterfahndung bei Banken. BGHSt 47 362 zu § 100a; BGHSt 42 103, 104 zu § 110a, § 110b; BVerfG NJW 2001 1121, 1124 zu § 105; LG Frankfurt wistra 2001 28; LG Koblenz wistra 2001 195; LG Bochum StV 2001 503.
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ist seine Entscheidung rechtswidrig. Dies wird auch festgestellt. Seine Entscheidung wird auch nicht dadurch rechtmäßig oder geheilt, dass die Entscheidung mit anderer Begründung oder auf Grund des wahren, dem Richter freilich gar nicht bekannten Sachverhalts hätte ergehen können. Einen Beurteilungsspielraum und damit einen der Rechtsüberprüfung entzogenen Raum darf und kann es bei Grundrechtseingriffen der vorliegenden gewichtigen Art nicht geben. Zu Recht vertritt deshalb das Bundesverwaltungsgericht zu § 2 Abs. 1 G10 (a.F.) die Auffassung, bei der dort näher umschriebenen „Gefahr“ („tatsächliche Anhaltspunkte“) handle es sich ebenso wie bei dem Begriff der Polizeigefahr um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der für einen Beurteilungsspielraum der anordnenden Behörde keinen Raum lasse, sondern in vollem Umfang verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung unterliege.390 Der Kritik von Bernsmann,391 Küpper,392 Neuhaus393 und Störmer394 an der Entscheidung BGHSt 41 30 ist deshalb zuzustimmen.
123
d) Voraussetzungen der Verwertbarkeit. Mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung ist aber die Frage des Verwertungsverbots noch nicht beantwortet. Bei § 105, 139 ist ausgeführt, dass nicht jeder Fehler im Verfahren zu einem Verwertungsverbot führt. Insoweit bedarf es nach der Rspr. einer Rechtsgüterabwägung (§ 105, 139). BGHSt 44 243395 führt dazu aus: 124 „Eine ausdrückliche Regelung, welche die Verwertung der unter Verstoß gegen § 100d Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 100b Abs. 2 Satz 3 und 4 StPO erlangten Beweise ausschlösse, enthält die Strafprozessordnung nicht. Auch ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und des Gewichts des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. BGHSt 38, 214, 219 ff; 38, 372, 373/374; 37, 30, 31/32; 35, 32, 34 f; 31, 304, 307 ff; 27, 355, 357; 19, 325, 329 ff). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung um jeden Preis gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt 37, 30, 32 m.w.N.). Maßgeblich mitbeeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes (vgl. BGHSt 42, 372, 377; 38, 372, 373). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Im Falle von Abhörmaßnahmen ist das im Schutz der Privatsphäre und im Recht am eigenen Wort konkretisierte Persönlichkeitsrecht des Einzelnen und damit ein verfassungsrechtlich geschützter Bereich betroffen (Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG). So gesehen kommt Verfahrensverstößen bei Abhörmaßnahmen nach § 100a und § 100c StPO besonderes Gewicht zu.“
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Hängt aber die Verwertbarkeit von einer Güterabwägung ab, bei dem die Art des Verbots und das Gewicht des Verstoßes zu berücksichtigen sowie die widerstreitenden Inte-
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391 392 393
BVerwGE 87 23 = NJW 1991 581 unter Bezug auf OVG Münster NJW 1983 2346, 2347. Bernsmann NStZ 1995 512. Küpper JR 1996 214. FS Rieß 396.
372
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Störmer StV 1995 653. Siehe auch BGHSt 42 372, 377; 38 214, 219 ff.; 38 372, 373 f.; 37 30 ff.; 35 32, 34 ff.; 31 304, 307 ff.; 27 355, 357; 19 325, 329 ff.
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ressen abzuwägen sind, folgt aus der Rechtswidrigkeit der Entscheidung nicht ohne weiteres die Nichtverwertbarkeit erlangter Erkenntnisse. Insoweit wird es bei Wertungen auch sehr stark auf die „verfahrensrechtliche Nachvollziehbarkeit“ der Entscheidungen des Ermittlungsrichters oder der Staatsanwaltschaft ankommen.396 Dies gilt insbesondere für die Frage nach dem Verdacht und der Beachtung der Subsidiaritätsklausel. Ist die Entscheidung verfahrensrechtlich nachvollziehbar und wiegt der Verstoß auch sonst nicht stark, ist ein Verwertungsverbot abzulehnen, mag auch im Verfahren nach § 98 Abs. 2 oder in dem zur Nachholung rechtlichen Gehörs der dortige Richter die Rechtswidrigkeit bejahen. Nicht nachvollziehbar in diesem Sinne sind jedenfalls im Bereich des § 100a die 126 Anordnung der Maßnahme, ohne dass der Verdacht einer Katalogtat ersichtlich ist, die fehlerhafte Subsumtion bei der Prüfung der Katalogtat, der Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot (§ 148) oder der Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz, wenn die Möglichkeit weniger einschneidender Ermittlungsmöglichkeiten mit Händen zu greifen sind. Aus der Unterscheidung der Beurteilungsmaßstäbe im Verfahren über die Überprü- 127 fung der Rechtmäßigkeit der richterlichen Entscheidung und bei der Prüfung der Verwertbarkeit folgt, dass der Richter, der die Überprüfung nach § 98 Abs. 2 vornimmt oder nachträglich rechtliches Gehör gewährt, immer nur zur Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Entscheidung zum Zeitpunkt ihres Erlasses Stellung nehmen kann, nicht aber zur Frage der Verwertbarkeit. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit bindet den Tatrichter nicht und präjudiziert schon gar nicht seine Entscheidung zur Verwertbarkeit. e) BGH: Anforderungen an den Prüfungsvorgang und die Begründung der richter- 128 lichen Entscheidung.397 Zu folgen ist dem BGH aber, soweit er in der Entscheidung BGHSt 47 362 die Anforderungen an den Prüfungsvorgang und die Begründung der richterlichen Entscheidung unter Bezug auf die hier schon in der 24. Auflage vertretene Meinung398 präzisiert. Sowohl zur Selbstkontrolle des Richters als auch zur Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Maßnahme bedarf es der aktenmäßigen Dokumentation ihrer rechtlichen Voraussetzungen. Der gemäß § 34 StPO zu begründende ermittlungsrichterliche Beschl., der die Überwachung der Telekommunikation anordnet (§ 100b Abs. 1 Satz 1 StPO) oder bestätigt (§ 100b Abs. 1 Satz 3 StPO), muss zumindest eine knappe Darlegung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen und der Beweislage enthalten, wie dies die Rechtsprechung auch für andere Fälle fordert.399 Zutreffend lässt es der BGH genügen, dass dabei auch eine konkrete Bezugnahme auf Aktenteile genügen kann. f) Prüfungspflicht des erkennenden Richters und des Revisionsgerichts. Der erken- 129 nende Richter hat die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Überwachung von Telekommunikation stets von Amts wegen zu prüfen. Maßstab ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und im Ergebnis auch nach der hier vertretenen Auffassung die Vertretbarkeit, die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung, insbesondere bedarf es der Prüfung durch den Tatrichter, ob die dem Ermittlungsrichter unterbreitete Verdachtsund Beweislage die Anordnung der Maßnahme vertretbar erscheinen ließ.400 In der 396 397 398 399
Landau/Sander StraFo 1998 397. Zum folgenden Nack FS Hilger 349, 351. 24. Aufl. § 100b, 5. Vgl. BGHSt 42 103, 104 f. = NStZ 1997
400
249 zu §§ 110a, 110b StPO; BVerfG NJW 2001 1121, 1124 zu § 105 Abs. 1 StPO. BGHSt 47 362; 41 30, 34.
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Regel wird es ausreichen, wenn der Beschl. des Ermittlungsrichters die Verdachts- und Beweislage plausibel darlegt. Fehlt eine derartige Begründung, führt dies für sich nicht zur Unverwertbarkeit der aus der Überwachungsmaßnahme gewonnenen Beweise, denn es kommt für die Verwertbarkeit anders als für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Ermittlungsrichters auf die wahre Sachlage an.401 In diesem Falle hat der Tatrichter vielmehr den Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Entscheidung eigenständig zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Vertretbarkeit der Anordnung zu untersuchen. Dies erfordert eine Sichtung des Aktenbestandes, wie er sich dem Ermittlungsrichter bei dessen Entscheidung bot. Wurde die Maßnahme in einem anderen Verfahren angeordnet, sind daher die einschlägigen Akten soweit erforderlich beizuziehen und – zur Gewährung rechtlichen Gehörs – den Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu bringen. Eine solche vertiefte Überprüfung ist auch dann erforderlich, wenn konkrete Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vorgebracht werden. Sieht das Tatgericht von einer solchen Überprüfung ab, liegt hierin ein eigenständiger Rechtsfehler, der im Einzelfall zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils in der Revision mit dem Ziel einer Überprüfung nach Zurückverweisung führen kann.402 Im Übrigen überprüft das Revisionsgericht auf die Verfahrensrüge, ob der Tatrichter zutreffend die Frage der Verwertbarkeit entschieden hatte.403
V. Mängel bei den förmlichen Voraussetzungen (§ 100b) 130
Auch Verstöße gegen § 100b können zu einem Verwertungsverbot führen, wenn es sich um solche von Gewicht handelt. Einfache Formfehler, wie fehlende Schriftform,404 genügen nicht. Zum Verstoß gegen die Benachrichtigungspflichten des § 101 Abs. 4, siehe dort. Ein Verwertungsverbot liegt aber bei Verstößen gegen den Richtervorbehalt nahe.405 Eine rückwirkende richterliche Genehmigung gegen den Richtervorbehalt verstoßender Maßnahmen sieht das Gesetz nicht vor und kann auch sonst nicht anerkannt werden.406 Insoweit gilt dasselbe wie bei § 105, 138 ff., 143. Zunächst hatte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus § 100b, begleitet von besonderen Umständen, ein Verwertungsverbot angenommen.407 Der 3. Strafsenat hat daraus (allerdings nur i.R. eines obiter dictum) allgemein gefolgert, Erkenntnisse aus rechtswidrig angeordneter Telekommunikationsüberwachung seien unverwertbar.408 Der 4. Strafsenat hat sodann die Erkenntnisse aus einer nicht richterlich angeordneten Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung ohne weitere Einschränkung für unverwertbar angesehen.409 Dies gilt jedenfalls für die nur polizeilich angeordnete Maßnahme,410 denn die Polizei ist absolut unzuständig, da sie nach § 100b nie, auch nicht bei Gefahr im Verzug, zur Anordnung der Überwachung befugt ist,411 sodass
401 402 403 404 405
406 407
BGHSt 47 362; vgl. auch BGHSt 33 217, 223. BGHSt 47 362. BGHSt 47 362. BGH NStZ 1996 39. BGHSt 44 243; 35 32, 34; 31 304, 306; KK/Nack 57; HK/Gercke 41; SK/Wolter 64; Pfeiffer 11; Jäger StV 2002 244. BGH NStZ 1998 426. BGHSt 31 304, 306, wobei dort allerdings
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408 409 410 411
hinzutrat, dass der Beschuldigte zugleich mittels einer nach § 136a verbotenen Täuschung zu einer Selbstbelastung veranlasst worden war. BGHSt 32 68, 70. BGHSt 35 32, 33. Dazu Jäger StV 2002 243; HK/Gercke 41; offengelassen bei BGHSt 31 304, 308. Vgl. BGHSt 31 304, 308; Jäger StV 2002 243.
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hier immer ein besonders schwerwiegender Verfahrensverstoß angenommen wird. Dies muss aber auch für staatsanwaltschaftliche Anordnungen jedenfalls dann gelten, wenn die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug unvertretbar fehlerhaft angenommen worden sind,412 weil etwa zwischen der Überlegung eine Überwachung der Telekommunikation durchzuführen und der Ausführung der Maßnahme ausreichend Zeit für die Einschaltung des Richters gewesen wäre, weil gar nicht versucht wurde, einen Richter zu erreichen, obwohl die Zeit nicht drängte und – außerhalb der Dienstzeit – ein Richterbereitschaftsdienst zur Verfügung stand. Näheres § 105, 143. Eine andere Lösung als ein Verwertungsverbot bei einer bloß polizeilich angeordneten 131 Maßnahme oder bei grob fehlerhafter Annahme von Gefahr im Verzug würde in diesen Fällen gegen die verfassungsrechtlich erhebliche Wertentscheidung des Gesetzgebers verstoßen,413 die in der Anordnungskompetenz des Richters das nötige Korrektiv zur Heimlichkeit und Eingriffstiefe der Maßnahme sieht. Zu Recht wird nicht danach gefragt, ob die richterliche Anordnung bei Zugrundelegung eines hypothetischen Ersatzeingriffs erreichbar gewesen wäre, denn darauf kann es bei Aushöhlung des präventiven Rechtsschutzes durch den Richter nicht ankommen.414 Dies gilt auch für Fristüberschreitungen.415 Eine nicht unbedenkliche, aber wegen der Besonderheiten des Sachverhalts wohl noch vertretbare Ausnahme hat der Bundesgerichtshof in einem Fall gemacht, in dem zwischen der auf Grund richterlicher Erstanordnung und richterlicher Verlängerungsanordnung erfolgten Telekommunikationsüberwachung ein nicht durch richterliche Entscheidungen gedeckter Zeitraum deshalb lag, weil der Fristbeginn für die Erstanordnung fälschlicherweise ab Einsetzen der Überwachungsmaßnahme und nicht ab Erlass der Erstanordnung berechnet worden war. Hier habe lediglich ein willkürfreier Irrtum über Fristbeginn und -ende vorgelegen und die Maßnahme sei davor und danach richterlich bestätigt worden. Das lasse den Verfahrensfehler nicht so schwerwiegend erscheinen, dass ein Beweisverwertungsverbot daran geknüpft werden müsse.416
VI. Kernbereichsbezogenes Beweisverwertungsverbot (Abs. 4 Satz 2) 1. Allgemeines. Die auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung abzie- 132 lende Vorschrift des Abs. 4 ist eine unmittelbare Folge der diesen Schutz wiederholt eingefordert habenden Rechtsprechung des BVerfG.417 Gleichwohl muss die gesetzliche Umsetzung als verunglückt bewertet werden. Das gilt bereits für Satz 1, der eine Maßnahme nach § 100a für unzulässig erklärt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass mit ihr allein (gemeint ist: ausschließlich) Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden“ (dazu schon oben Rn. 53 ff.). Eine solche Situation ist kaum vorstellbar. Auch das intimste Gespräch, etwa unter Ehegatten, gibt nicht ausschließlich kernbereichsrelevante Informationen preis, sondern enthält auch Triviales. Die Vorschrift des Satzes 1 hat damit so gut wie keinen praktischen
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Ebenso HK/Gercke 41; KK/Nack 57; MeyerGoßner 35; SK/Wolter 64. In BGHSt 31 304, 309 ist diese Frage aber für §100b noch offengelassen worden. Im Ergebnis ebenso Weßlau StV 2003 483, 484. SK/Rudolphi 26; ebenso wohl auch BGHSt 44 243, 249. BGHSt 44 243 = StV 1999 185 mit abl.
417
Anm Asbrock = JZ 1999 425 mit Anm. Fezer = JR 1999 521 mit Anm. Wolters; zu dieser Entscheidung s. auch Starkgraff NStZ 1999 470; Wollweber CR 1999 297. Kritisch zu dieser Entscheidung auch MeyerGoßner § 100b, 15. Vgl. hauptsächlich BVerfGE 109 279 m.w.N.
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Anwendungsbereich.418 Bestand und Reichweite des absoluten Verwertungsverbots in Satz 2 („dürfen nicht verwertet werden“) für gleichwohl erlangte kernbereichsrelevante Informationen hängen hingegen ganz von der zugrundeliegenden Konzeption zum Schutze des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ab:
133
2. Begriff des Kernbereichs. Nach diesem von der h.M. auf die Menschenwürdegarantie gestützten Schutz des „unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung“419 ist dem Einzelnen „eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten. Es bleibt ihm also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit bestehen, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.420 Damit bietet das deutsche GG zumindest auf den ersten Blick eine echte, da relativierungsfeindliche („abhörfeste“421) Grenze für strafprozessuale Ermittlungszugriffe, die inzwischen zum festen Lehrbestand des strafprozessual Unverzichtbaren gezählt wird,422 es sich bei ihr also um ein sog. Unverfügbarkeitstheorem423 handelt. Dieses ursprünglich von der liberalen Staatsrechtslehre424 rechtspolitisch eingeforderte Refugium wurde vom BVerfG bald zur Begrenzung strafprozessualer Ermittlungsinteressen etabliert, stand dort aber zunächst nur mehr oder weniger offenen Maßnahmen, hauptsächlich Durchsuchungen und Beschlagnahmen, entgegen.425 Auf den Komplex der Wohnraumüberwachung wurde das Rechtsinstitut dann wohl erstmals vom Sächsischen VerfGH (dort freilich im präventiven Sinne des Gefahrenabwehrrechts) übertragen.426 Seither gilt es in seinem Bestand nach h.M. allgemein fort, wenngleich Tendenzen hin zu seiner Relativierung, vor allem aber zu seiner Umgestaltung durch eine eher die Schutzwürdigkeit des Kommunikationsinhalts als vielmehr die räumlich-gegenständliche Schutzsphäre in das Zentrum rückende Definition, inzwischen unübersehbar geworden sind.427 418 419 420
421 422
423
Vgl. SK/Wolter 57. Poscher JZ 2009 269, 276: aus der Menschenwürde abgeleiteter Kernbereichsschutz. BVerfGE 6 32, 41 „Elfes“. Vgl. auch SächsVerfGH LKV 1996 273 unter Verweis auf BVerfGE 34 238, 245: „Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt.“ Rogall ZG 2005 164, 166 und passim. Vgl. zur Unverfügbarkeit Weigend ZStW 113 (2001) 271, 293, der den Menschenwürdeschutz im Zusammenhang mit dem nemo tenetur-Grundsatz als Bestandteil unverzichtbarer Beschuldigtenrechte erwähnt. Ferner freilich Hassemer FS Maihofer 183, 188, 198 , der die Unverfügbarkeit (etwa bei der Verwertung tagebuchartiger Aufzeichnungen als Verstoß gegen konkretisierte Fairness und Subjektstellung des Beschuldigten im Verfahren) durch den Funktionalismus bedroht sieht. Zu dieser Klassifizierung Rogall ZG 2005 164, 166 Fn. 5.
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Vgl. Gierke Labands Staatsrecht, in: Schmollers Jahrbuch 1883 1133. Vgl. BVerfGE 27 1, 6; 32 373, 379: Patientenkartei; 33 367, 376 f., 34 238, 246: Tonband; 80 367, 374: Tagebuch; sodann für heimliche Maßnahmen BVerfGE 109 279, 314: „Akustische Wohnraumüberwachung“; BVerfGE 113 348, 391: „Präventive Telefonüberwachung“; BVerfGE 120 274, 335 ff.: Onlinedurchsuchung; BVerfGE 124 43, 49 f. „E-Mailbeschlagnahme“; BGHSt 19 325 (intime Tagebuchaufzeichnung zum Beweis einer sexuellen Beziehung schutzwürdig); BGHSt 34 397 (schriftliche Darlegungen eines Mordverdächtigen ohne konkreten Tatbezug nicht schutzwürdig); LG Saarbrücken StV 1988, 480 (intime Tagebücher der Ehefrau des Beschuldigten); BayObLG NStZ 1992 556 (nicht versandter Brief des Beschuldigten an einen Arzt); dazu Roxin § 24, 41 ff. SächsVerfGH LKV 1996 273, 291. Maunz/Dürig/Herdegen Art. 1, 91 GG spricht von einem „komplexe[m] Zusammenspiel räumlicher und anderer Faktoren“.
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Die momentane Konzeption der StPO hat allerdings Schwierigkeiten, solchen Kern- 134 bereichsschutz mit fachrechtlich-strafprozessualen Vorgaben abzustimmen. Hauptkritikpunkte sind das Fehlen einer positiven Umschreibung dessen, was den Kernbereich inhaltlich ausmacht, eine Klärung des Verhältnisses zum Schutz von Zeugnisverweigerungsrechten428 und gewisse Missstände in der Gesetzgebungstechnik, namentlich bei der Umsetzung der notwendigen Einzelfallbetrachtung.429 Die aufgezeigten systematischen wie konzeptionellen Brüche legen es somit nahe, den Kernbereich gerade nicht im Sinne der Intimsphäre zu verstehen. Auch jede schlichte Verräumlichung des Schutzbereichs und jedes Verständnis i.S.e. „bereichspezifischen Konkretisierung der räumlichen Privatsphäre“430 gehen fehl, weil das Konzept zum Schutz eines letzten unantastbaren Lebensbereichs auch aus strafprozessualer Sicht in der Lage sein muss, über feste räumliche Grenzen hinaus zu wirken. Damit fungieren räumliche Bereiche aber nur noch als bloße, gleichwohl wichtige Indikatoren für oder wider den Kernbereichsschutz,431 abschließend bestimmt wird er von ihnen aber nicht.432 Jene „neue Linie“,433 die man in BVerfGE 109, 279 erblicken will, dürfte noch aus einem weiteren Grund (zu) teuer erkauft sein: Denn das Gericht nivelliert nicht nur Kernbereichsschutz und Menschenwürdegarantie in bedenklicher Weise. Seine bereichsspezifische Konkretisierung der Menschenwürdegarantie führt überdies dazu, dass die Wohnungsfreiheit heute aus zwei Gewährleistungen, einem althergebrachten und rein räumlich, d.h. sachbezogen zu verstehenden Schutzbereich und einem von der privaten Lebensgestaltung geformten, also rein verhaltensbezogenen Schutzbereich, besteht.434 Der Kernbereich ist auch nicht auf das forum internum i.S. rein innerpsychischer Vor- 135 gänge beschränkt, sondern umfasst, weil sich auch der Kern der persönlichen Lebensgestaltung seiner Natur nach auf jedwede zwischenmenschliche Kommunikation erstreckt, Gespräche unter Anwesenden oder fernmündlich geführte.435 Versagt das Kriterium der Räumlichkeit damit in gewisser Weise, weil es zwar die typischen Kernbereichssituationen innerhalb der eigenen vier Wände erfassen kann, ebenso höchstpersönliche Vorgänge außerhalb von Wohnungen, unter freiem Himmel oder im Rahmen
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Vgl. nur Wolter GA 2007 183, 188 f. Vgl. SK/Wolter § 100c, 54. Lindemann JR 2006 191, 193 [Hervorhebung im Original]. Vgl. auch Lepsius Jura 2005 433, 437; Roxin FS Böttcher 159, 162. Zu diesen Indikatoren Warntjen Heimliche Zwangsmaßnahmen 37 ff. Vgl. Wolter GA 2007 183 197, und [B.] Hirsch GedS Lisken, 87, 97: „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung endet nicht an der Wohnungstür.“ So Lepsius Jura 2005 433 437; auch Roxin FS Böttcher 159, 162. Vgl. Lepsius Jura 2005 433, 437. Vgl. BVerfGE 113 348, 391 f.; Bergemann, GedS Lisken 69 ff.; Roggan StV 2006 9, 10; Rogall ZG 2005 164, 169. Die Unterscheidung zwischen einem statischen und einem dynamischen Privatheitsschutz, den Warntjen Heimliche Zwangsmaßnahmen 74 ff., unter Berufung auf Duttge Der
Begriff der Zwangsmaßnahme 170, 183, und SK/Wolter Vor § 151, 132, nennt, ist nichts anderes als das forum internum und dessen „äußere Erscheinungsformen“, die das Zivilrecht seit 1967 kennt: vgl. OLG Hamburg NJW 1967 2314, 2316: „Gegenstand der Intim- oder Geheimsphäre ist die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen, wie Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und dergleichen, von der niemand oder höchstens ein eng begrenzter Kreis von Vertrauten Kenntnis erlangen soll (Hubmann, aaO; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil d. BGB, 15. Aufl., 1. Bd. S. 591 f.).“ Die Differenzierung von Lammer Verdeckte Ermittlungen 81 ff., zwischen Höchstpersönlichkeitspotentialen und Höchstpersönlichkeitsmanifestationen überzeugt nicht.
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fernmündlicher Kommunikation wegen der dort nicht immer gegebenen Nähebeziehung der Gesprächsteilnehmer aber gerade nicht zu erklären vermag, so kommt es vorrangig auf das Kriterium der Höchstpersönlichkeit interner und externer Kommunikation an.436 Im Falle eines Gesprächs wird sich diese Höchstpersönlichkeit dann in einer besonderen Vertrauensbeziehung der beteiligten Kommunikationspartner äußern.437 Sie kann dort aber auch deshalb anzunehmen sein, weil sich das Gespräch seinem Inhalt nach um intime Gegenstände dreht.438 Solche in ihrem Gehalt sensiblen Gespräche sind schlechterdings überall denkbar, weshalb es verwundern muss, wenn manche Plätze unter freiem Himmel vom Kernbereichsschutz ausschließen.439 Das Inhaltskriterium kann schließlich auch dort Kernbereichsrelevanz sichern, wo die Kommunikation gerade nicht extern, also mit Bezug auf einen Gesprächspartner geführt wird, sondern intern erfolgt, im mündlichen Selbstgespräch und seinem schriftlichen Pendant, der Tagebuchaufzeichnung. Dieses Inhaltskriterium taugt an sich durchaus als Unterscheidungsmerkmal, indem es die Handlung intimer Informationen dem Kernbereich zuweist und umgekehrt all das aus ihm heraushält, was trivialen Charakter hat. Das Inhaltskriterium bringt aber auch Probleme mit sich, weil es infolge der unter136 schiedlichen Deutungsmöglichkeiten eines Informationsinhalts höchst relativer Natur und so sehr anfällig für Bestrebungen ist, gewissen Inhalten den Kernbereichsschutz von vornherein zu entziehen. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Lehre vom Sozialbezug der Information zu, wonach der Kernbereichsschutz dort endet, wo die Grenzen des Höchstpersönlichen hin zum Zwischenmenschlichen überschritten werden. 3. Relativierungen des Kernbereichsschutzes
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a) Die Bestimmung des privatheitsschützenden Kernbereichs unter Abwägung mit öffentlichen Interessen. Die h.M. setzt sich mit ihrer Anerkennung „schlechthin schrankenloser Rechte“ in gewissen Widerspruch zu einer gegenläufigen älteren Rechtsprechung des BVerfG, wonach eine wertgebundene Rechtsordnung schlicht nicht in der Lage sei, ebensolche anzuerkennen.440 Die verfassungsmäßige Ordnung bilde vielmehr ein „Sinnganzes“, weshalb jeder Widerstreit zwischen verfassungsrechtlich geschützten Belangen nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen sei. Uneinschränkbare, d.h. „schrankenlos“ gewährleistete Grundrechte, wie das dieser Entscheidung zugrunde liegende Petitionsrecht gem. Art. 17 GG, könnten deshalb in diesem Rahmen durchaus Begrenzungen erfahren.
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Schaar/Gusy 51; Roggan StV 2006 9, 10; Weißer GA 2006 148, 160 ff.; Wolter GA 2007 183, 196 f. nennt mit dem Kirchensaal, der Arztpraxis, dem einsamen Strand, dem Auto und dem einsamen Park anschauliche Beispiele. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Kernbereichsbetroffenheit i.R.d. U-Haftvollzuges erkennt BGHSt 44 138, 143 an. Wegen dieser theoretischen Schwäche des Räumlichkeitselements ist es verfehlt, Kernbereichsschutz nur dort anzuerkennen, wo die höchstpersönliche Vertraulichkeit mit eben diesem Wohnraumelement kumuliert; so jedoch Löffelmann
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440
ZStW 118 (2006) 358, 382, der eine „situative Verortung […] in einer Sphäre, die einen letzten Rückzugsbereich, ein ,Refugium‘ darstellt, in dem sich der Einzelne des Zutritts Außenstehender nicht zu versehen braucht“ stets für erforderlich hält. Vgl. Roggan StV 2006 9, 10. Vgl. BVerfGE 109 279, 320 ff. So Löffelmann ZStW 118 (2006) 358, 375 für die „einsame Parkbank“; dagegen aber – wie hier im Sinne eines eher weiten Schutzbereichsverständnisses – [B.] Hirsch GedS Lisken 87, 97. BVerfGE 49 24, 55 f.
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Diese vom BVerfG früher vertretene Rechtsrelativität, die heute jedenfalls insoweit 138 zum alten Eisen zählt, als sie den Bestand eines absolut zu schützenden Kernbereichs bestritten hätte, zwingt zu einer Differenzierung: Dass der zu schützende Kernbereich nicht mehr relativiert werden kann, weil er gerade absoluten Schutz genießen soll, hindert nicht, Abwägungen dort zuzulassen, wo diese Schutzfunktion noch nicht eingreifen kann, weil das absolute Kernbereichsrecht erst noch zugesprochen, also erst noch bestimmt werden muss, ob der Kernbereich überhaupt betroffen ist. Das betrifft die beiden vorgelagerten Ebenen der Rechtsanerkennung und der Schutzausgestaltung: Denn die Überzeugung, dass es einen Kernbereichsschutz geben soll, ist ihrerseits Ergebnis einer Abwägung. Und auch die Folgefrage, ob ein solcher Kernbereich absoluten oder nur relativen Schutz genießen sollte, ist Ergebnis einer Wertung, die widerläufige Interessen berücksichtigt. Die Abwägungsresistenz des Kernbereichsrechts bezieht sich somit nicht auf den Prozess seiner Entstehung, sondern nur auf die dritte Ebene, die Schutzwirkung des Rechts nach Ermittlung eines ihn einfordernden Bedarfs und seines Bestands und nach Ermittlung der Schutzart. Man könnte meinen, diesem Ergebnis, der Anerkennung einer Absolutheit des Kern- 139 bereichsschutzes, widersprächen Judikate, die eine Relativierung auch auf der dritten Ebene, der Schutzwirkungsebene, zuzulassen scheinen. So findet man die Menschenwürde in der Lebach-Entscheidung als zentralen Fixpunkt („dem Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung“441) einer Abwägung zwischen APR und Rundfunkfreiheit442 und man sieht sie zuweilen gar in eine Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalls gestellt.443 Einer Relativierung der Menschenwürdegarantie (und damit des Kernbereichsschutzes) wird damit aber keineswegs Vorschub geleistet. Denn nur, weil die Menschenwürde zum zentralen Fixpunkt einer Abwägung zwischen zwei anderen Verfassungsrechtsgewährleistungen wird, wird sie noch lange nicht selbst relativiert. Und dass sie selbst abhängig ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls, ist Ausdruck gebotener Rechtskonkretisierung im Einzelfall, folgt also zwingenden methodischen Vorgaben der Rechtsanwendung und ist nicht selbst schon Kennzeichen einer unstatthaften Relativierung des Kernbereichsrechts. b) Prozessuale Relativierung infolge der Disponibilität des Verwertungsverbots. Der 140 BGH vertritt die These, der Beschuldigte könne auf ein Beweisverwertungsverbot, das auf einem Kernbereichsverstoß beruht, wirksam verzichten und rechtsfehlerhaft gewonnenen Beweisen auf diese Weise zur Zulässigkeit verhelfen.444 Diese Auffassung ist abzulehnen: Das Ansinnen, Verstöße gegen den Kernbereichsschutz in die Verfügungsbefugnis des Einzelnen zu stellen, verkennt zunächst den objektiv-institutionellen Charakter, der Schranken-Schranken von Verfassungs wegen zukommt.445 Über sie verfügen zu können, würde bedeuten, über Verfassungsrecht zu disponieren. Dieses Recht steht aber nicht dem einzelnen Beschuldigten, sondern allein der verfassungsgebenden Gewalt zu. Zudem widerspricht sich der BGH selbst, wenn er einerseits daran festhält, dass der Kernbereichsschutz einen wohl unstreitig indisponiblen Menschenwürdegehalt aufweist, ge-
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BVerfGE 35 202, 225 „Lebach“. BVerfGE 35 202 ff. („Lebach“); vgl. auch BVerfGE 34 269 ff. (Soraya). BVerfGE 115 118, 151 ff. LuftSiG. Vgl. BGHSt 51 1, 4:„Wollen die Verfahrensbeteiligten – weil sie anderer Ansicht sind – gleichwohl den Beweis erheben lassen, so
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müssen sie einen hierauf gerichteten Antrag stellen. Auch über ein derartiges Verwertungsverbot kann der Angeklagte disponieren, soweit allein seine eigene Sphäre tangiert ist […]).“ Vgl. nur Pieroth/Schlink Grundrechte Rn. 285 ff.
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rade diesen Menschenwürdegehalt dann aber für disponibel erklärt. Und schließlich spricht auch der objektivrechtliche Charakter des Beweisverwertungsrechts gegen jede Disponibilität von Verwertungsverboten.446
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c) Materielle Relativierung durch funktionale Auslegung des Kernbereichsbegriffs. Neben diese formalen Relativierungen des Kernbereichsschutzes durch Verwertungsverbotsverzicht und seine Bestimmung unter Abwägung mit öffentlichen Interessen tritt sodann seine materielle Relativierung durch funktionale Auslegung.
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aa) Allgemeines. Zum Hauptvorwurf gegen den Versuch einer Anpassung des Kernbereichsschutzes an strafprozessuale Einzelmaßnahmen wurde bald der kategorische Einwand, dass selbst wenn eine solche Adaption gelänge, es in vielen Fällen weiter ungeklärt bleibe, ob der Kernbereich im Einzelfall überhaupt betroffen sei.447 So habe der BGH in seiner Krankenzimmer-Entscheidung für den Kernbereichsschutz votiert und damit falsch entschieden, weil „[e]ine Äußerung des Verdächtigen, auch wenn sie per Selbstgespräch im Zimmer einer Rehabilitationsklinik fällt und in sehr nachvollziehbarer tatrichterlicher Interpretation Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, es im Sinne einer Minimierung des Entdeckungsrisikos nicht mit einer anderen Tötungsart versucht zu haben, […] nie und nimmer zum Kernbereich gezählt werden [kann].“448 Anders gewendet könne der Kernbereich privater Lebensgestaltung damit nie zum Gegenstand strafprozessualer Ermittlungen werden, weil er – in dieser funktionalen Betrachtung von allem strafprozessual Relevanten entkleidet – nur noch aus einer (leeren) Hülle privater Nebensächlichkeiten bestehe (etwa die im Krankenzimmerfall mit aufgezeichneten „kreatürlichen Vorgänge[n]“,449 wie etwa „,pinkeln‘, ,Spülung‘, ,pupsen‘, ,husten‘, ,schnarchen‘“ 450), die als „Beiprodukte ohne Wert“ tatsächlich weder Polizei noch Staatsanwaltschaft interessieren. Legt man den Kernbereich (bzw. die Intimsphäre) nämlich funktional derart aus, dass all jenes, was im strafrechtlichen Ermittlungsinteresse liegt, hinreichenden Sozialbezug aufweist und deshalb aus dem Kernbereich heraus- und in die (weitere) Sozialsphäre hineinfällt, so sind die strafprozessual relevanten Informationen über die zu ermittelnde Straftat per se vom Kernbereichsschutz ausgenommen. Ob eine solche Interpretation des Kernbereichsbegriffs statthaft ist, muss zunächst mit Blick auf seine Auslegungsbedürftigkeit und -fähigkeit sowie unter Berücksichtigung der geltenden Methoden der Auslegung beantwortet werden. Ausgesprochen ist damit nicht lediglich die bereits bekannte Kritik an der inhaltlichen 143 Unbestimmtheit des Kernbereichsbegriffs. Die unter Anknüpfung an Vorarbeiten von Krauß und Forsthoff erhobene Forderung Rogalls nach einer „Funktionalisierung der Intimsphäre vom öffentlichen Interesse her“ 451 bedeutet vielmehr nicht mehr und nicht weniger als eine Relativierung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung durch Auslegung in Exekutive und Judikative, also durch den Rechtsanwender im Einzelfall. Inso446
447
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Vgl. eingehend Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit S. 341 f., 531 ff. Vgl. die ernüchternde Bewertung der Dissertation von Warntjen bei Rogall Stellungnahme BTag 2007, S. 3: „zur Erhellung des Kernbereichs für die Praxis kaum tauglich.“ Vgl. Rogall Stellungnahme BTag 2007 S. 3. Rogall FS Fezer 61, 78. Vgl. BGHSt 50 206, 209.
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451
Vgl. Rogall Stellungnahme BTag 2007, S. 3; in diesem Sinne auch ders. ZG 2005 164, 166 ff., zur strafprozessualen Bedeutungslosigkeit von Kernbereichsinformationen, „weil sie ,nicht zur Sache‘ gehören“ (!); ferner ders. FS Fezer 61, 73 ff.; grundlegend Krauß FS Gallas 365, 381 ff., 385 ff.; Forsthoff FS 45. DJT 41, 53; vgl. auch den Hinweis bei Lesch JR 2000 334, 337 f.
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weit fügt sich seine Forderung ganz in die Linie des Gesetzgebers, der es unter eigenem Verzicht auf eine Definition des Begriffs im Gesetz den „spezialisierten Strafkammern“ überlassen wollte, den durch die Rechtsprechung des BVerfG bereits vorkonturierten Begriff des Kernbereichs in „entsprechender Kasuistik“ weiter auszulegen.452 Ein solches Vorgehen ist aber aus mehrerlei Gründen problematisch: Zunächst muss sich die Forderung nach einer Festlegung des Kernbereichsschutzes in einem Fachgesetz die Frage gefallen lassen, ob diese Aufgabe nicht im Verfassungsrecht bzw. Verfassungsgesetz geleistet werden müsse. Ferner ist es aus Sicht der Wesentlichkeitslehre bedenklich, den Begriff nicht einmal im Wege einer halbvollständigen Inhaltsbestimmung, etwa durch eine Regelbeispielstechnik, inhaltlich zu erschließen. Denn wie weit der Kernbereich jedenfalls im Groben reicht, dürfte doch vom Parlamentsgesetzgeber selbst zu entscheiden sein, will man den allgemeinen Gesetzesvorbehalt nicht völlig auf den Kopf stellen. bb) Die Lehre vom Sozialbezug. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung wird vor 144 allem dadurch eingeschränkt, dass Gesprächsinhalte mit Sozialbezug aus seinem Schutzbereich herausfallen sollen. (1) Kein Sozialbezug durch Telekommunikation. So vertritt Löffelmann die Ansicht, 145 die Reduzierung von Ferne durch das Mittel der Telekommunikation bewirke einen Sozialbezug des auf diese Weise geführten Gesprächs, weil der Mensch bspw. am Telefon nicht nur „für sich“ sei, und deshalb Störungen der Telekommunikation (z.B. durch strafprozessuale Überwachung) die Menschenwürde gar nicht berühren könnten.453 Ein Kernbereichsschutz vor Ermittlungszugriffen auf den Schutzbereich des Art. 10 GG wäre damit kategorisch ausgeschlossen. Damit entzieht Löffelmann aber nicht nur dem Telekommunikationsgrundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG jede Möglichkeit der Zuweisung eines Menschenwürdegehalts und setzt sich damit in Widerspruch zur anderslautenden Rechtsprechung des BVerfG und der h.L. Weitaus problematischer ist eine andere Konsequenz seiner Ansicht, die in der Grenzenlosigkeit seines Sozialbezugsverständnisses, und zwar sowohl hinsichtlich dessen Inhalts wie auch hinsichtlich dessen rechtsnormativer Ausschlusswirkung zulasten des Kernbereichs besteht. Denn wenn schon die bloße Überschreitung des „Für-sich-Seins“, also das Verlassen des forum internum, Sozialbezug begründen kann, lässt sich nicht recht einsehen, welche zwischenmenschlichen Dialoge Löffelmann überhaupt noch dem Kernbereichsschutz unterstellen kann. Wenn der schützenswerte Ort des „Selbstseins“, kein „soziologischer, wie eine ,Sprechsituation‘“, sein soll, dann wäre das aber eine ebenso unausweichliche wie normativ unerträgliche Folge. Sofern er zur Stütze seiner Ansicht dann noch auf die Gemeinwohlpassagen in BVerfGE 100 313 abhebt, macht er sich eine Argumentation zu eigen, die nie in seinem Sinne erfolgt ist. Denn dem 1. Senat lag mit seiner auch institutionellen Deutung des Schutzbereichs von Art. 10 Abs. 1 GG schließlich daran, dessen Schutzwirkung unter Zuerkennung eines Gemeinwohlbezugs über seinen individuell-abwehrrechtlichen Charakter hinaus zu erhöhen, um auch eine zeitlich nachfolgende kommunikationsverarbeitende Datenverwendung erfassen zu können.454 Es ist deshalb unzulässig, sich auf diese rein schutzausweitende Entscheidung in der Absicht zu berufen, dem Schutzgehalt des Art. 10
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BTDrucks. 15 4533 S. 14. Löffelmann ZStW 118 (2006) 358, 383 ff.: so auch Dencker Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977) 127; Sarstedt DJT 46 1966 F71; Lammer Verdeckte Ermittlungen
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im Strafprozeß (1992) 122 f.; [M.] Gercke JR 2004 347 ff.; bloß angedeutet bei Küpper JZ 1990 416, 424. Vgl. BVerfGE 100 313, 359, 381.
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Abs. 1 GG den Menschenwürdegehalt zu entziehen. Vielmehr ändert die Öffnung der Kommunikation in Gestalt ihrer Anvertrauung an ein von jedermann nutzbares, also nur insofern öffentliches System der Telekommunikation nichts daran, dass Telefonate grds. allein den beteiligten Gesprächspartnern zugänglich sind. Würde die Möglichkeit einer öffentlichen polizeilichen Überwachung den Ausschlag dafür geben können, dass solche Kommunikation ihren höchstpersönlichen Charakter verliert, so hätte heute auch deshalb keine Kommunikation mehr Kernbereichsrelevanz, weil mit den aktuellen technischen Möglichkeiten nahezu jedes Gespräch belauscht werden kann.455
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(2) H.M.: Sozialbezug durch „Verfahrensbezug“ bei Gesprächen, die sich unmittelbar auf eine begangene oder geplante Straftat beziehen. Wichtigstes Beispiel für ein funktionales Verständnis der Intimsphäre bzw. der Privatheit i.e.S. ist die Lehre vom Kernbereichsausschluss infolge des Sozialbezugs der geführten Kommunikation. „Gespräche, die Angaben über begangene Straftaten enthalten, gehören ihrem Inhalt nach [in der Regel]456 nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung an.“457 So ähnlich bestimmt es heute auch § 100c Abs. 4 Satz 3, der zudem solchen Gesprächen Sozialbezug zuweist, mittels derer Straftaten begangen werden. Denn maßgeblich sei, ob ein Sachverhalt „nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist, also auch in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt.“458 Dabei sei dem BVerfG zufolge nicht schon jede Äußerung oder Aufzeichnung zum weiteren thematischen Rahmen strafbaren Verhaltens geeignet, einen solch hinreichenden Sozialbezug herzustellen, solange sie nicht unmittelbaren Bezug auf eine konkrete Straftat nimmt.459 Weil der gesellschaftliche Zweck der Inanspruchnahme von Privatheit durch Strafverfolgung die Aufklärung der Straftat ist, müssen (!) straftatverdachtsrelevante Informationen hiernach selbst dann zugänglich bleiben, wenn sie eigentlich der Intimsphäre (verstanden als Kommunikationsakt und als Thema des strafbaren Sachverhalts) zuzuordnen sind. Es handelt sich also um eine Spielart funktionaler Reduktion des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Übrig bleibt damit die Anerkennung eines außerfunktionalen Kernbereichs, also von (Kommunikations-)Vorgängen des Höchstpersönlichen, die keinen konkreten Straftatbezug haben.460 Es wäre also nicht gestattet, strafrechtlich unverfängliche Äußerungen im Ehebett abzuhören, wohl aber das dort erfolgte Geständnis der eigenen Mordtat. Der 2. Strafsenat des BGH461 reißt aus dieser Linie inzwischen aus, wenn er den Sozialbezug eines aufgezeichneten Selbstgesprächs des Angeklagten trotz seines deutlichen Bezugs zu einer konkreten
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Mit Recht ablehnend daher auch Warntjen KJ 2005 276, 282 und Weißer GA 2006 148, 161, die den „Zirkelschluss“ von der Möglichkeit hin zur Zulässigkeit der Überwachung moniert; vgl. freilich ferner BVerfGE 113 348, 390 f. Derart relativierend BTDrucks. 15 4533 S. 14 Punkt 3. BVerfGE 109 279, 319; BVerfGE 80 367, 375; BVerfGE 113 348, 391 [Hervorhebung nicht im Original]. BVerfGE 109 279, 314; BVerfGE 80 367, 374; ohne explizit auf den Inhalt abzustellen auch BVerfGE 113 348, 391 [Hervorhebung nicht im Original].
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Vgl. BVerfGE 109 279, 319. Vgl. Benda FS Geiger 23, 31: „Wenn keinerlei berechtigtes Interesse erkennbar ist, das der Staat an dem Privatverhalten eines Bürgers nehmen kann, also jeder soziale Bezug fehlt, besteht auch kein Recht, sich über solche Vorgänge zu informieren und die erlangten Kenntnisse zu speichern.“ BGHSt 57 71 m. krit. Anm. Warg NStZ 2012 237; Mosbacher JuS 2012 705; Jahn/Geck JZ 2012 561; Mitsch NJW 2012 1486; Allgayer NStZ 2012 399; Ladiges StV 2012 517; Zabel ZJS 2012 563; Ernst/Sturm HRRS 2012, 374.
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Straftat 462 gegenüber der eindeutigen Zuordnung zum Kernbereich für nachrangig und die Aussage damit für unverwertbar hält. Der 2. Strafsenat kommt zu dieser Annahme, weil er die eigentlich nur als Indiz behandelte Art der Kommunikation463 stärker gewichtet als ihren Inhalt, den unmittelbaren und konkreten Straftatbezug. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Lehre wurde bislang darauf 147 hingewiesen, dass der Kernbereichsschutz im Strafverfahren leerzulaufen drohe, wenn er immer dann – wie so oft in einem Strafprozess – über die Sozialbezugslehre ausgehebelt werden kann, sobald die Information ihrem Inhalt nach hinreichend konkreten Straftatbezug aufweist.464 Damit kommt es zu einer fachrechtlichen (eben „fachfunktionalen“) Einfärbung der Kernbereichsbestimmung, und von der Einheit der Rechtsordnung, die unter dem Kernbereich privater Lebensgestaltung im Zivilprozess dasselbe versteht wie im Verwaltungsverfahren oder Strafprozess, entfernt man sich mehr und mehr.465 Die eigentliche Crux mit dieser gesamten Diskussion liegt in einem Missverständnis begründet, das auf den Ursprung der Sozialbezugslehre zurückgeht. Das BVerfG hatte sich erstmals in seiner Homosexuellen-Entscheidung für eine Einschränkung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ausgesprochen, „wenn Handlungen des Menschen in den Bereich eines andern einwirken, ohne dass besondere Umstände, wie etwa familienrechtliche Beziehungen, diese Gemeinschaftlichkeit des Handelns als noch in den engsten Intimbereich fallend erscheinen lassen. Grundsätzlich gibt schon die Berührung mit der Persönlichkeitssphäre eines andern Menschen einer Handlung den Bezug auf das Soziale, der sie dem Recht zugänglich macht. Doch können auch Vorgänge, die sich in ,Kommunikation‘ mit andern vollziehen, aus dem Gesichtspunkte der Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG dem Zugriff des Gesetzgebers entzogen sein; die Zulässigkeit eines Eingriffs hängt dann davon ab, ob der ,Sozialbezug‘ der Handlung intensiv genug ist.“ 466
Dieser Sozialbezug menschlichen Verhaltens, also etwa das öffentliche Ausleben der 148 eigenen Sexualität oder das Aussprechen der eigenen Beteiligung an einer Straftat, ist gemeint, wenn das BVerfG damals die Verfassungsgemäßheit sexualitätsbezogener Strafvorschriften (in §§ 175 f. StGB a.F.) begründete und es heute – ebenso wie das Gesetzes-
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NStZ 2012 277: Am 29.10.2007 erklärte der Angekl. S. K. im Selbstgespräch unter anderem, es sei: „… langweilig, der das Gehirn rausprügeln … kann ich dir sagen, joh und weg damit … werde auch keine mehr wegknallen … nö I, wir haben sie tot gemacht …“. Schließlich war aus einem weiteren Selbstgespräch am selben Tag zu späterer Stunde herauszuhören: „… ist eben lebenslang und fertig aus, lebenslang … war nicht alt …“. Vgl. Warg NStZ 2012 237, 239: „Für den BGH sind die maßgebenden Kriterien, weshalb das Selbstgespräch im konkreten Fall dem innersten Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen, die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, also die Äußerung ohne kommunikativen Bezug; die Nichtöffentlichkeit der Äußerungssituation und das Maß des berechtigten Vertrauens der Person darauf, an dem jeweiligen Ort vor
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staatlicher Überwachung geschützt zu sein; die mögliche Unbewusstheit der verbalen Äußerung; die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken sowie die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes (Rn 14 des Urteils), womit die Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder – bedürftiger Ausschnitt eines „Gedankenflusses“ gemeint ist.“ Vgl. Lindemann JR 2006 191, 197 f.; Wolter FS Küper, 707, 717 ff. Vgl. Forsthoff FS 45. DJT, S. 41, 43: „Es macht einen Unterschied aus, ob man sich nach herkömmlicher Auffassung mit der Forderung bescheidet, daß das Strafverfahrensrecht im Einklang mit der Verfassung sein muß oder ob man es zum angewandten Verfassungsrecht erklärt.“ BVerfGE 6 389, 433 [Hervorhebung nicht im Original].
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recht in § 100c Abs. 4 Satz 3 – den strafprozessualen Ermittlungszugriff auf ein Gespräch seines sozialbezogenen Inhalts wegen gestattet. Im Unterschied zu jenem Sozialbezug, den menschliches Verhalten deshalb aufweist, weil es die Rechtsphäre Dritter tangiert, weil etwa jemand seine Sexualität besonders aggressiv auslebt oder jemanden umbringt, ist der Sozialbezug eines Gesprächs über solch sozialerhebliches Verhalten nicht von vornherein evident. Selbst wenn der Inhalt eines Gesprächs derartigen Sozialbezug aufweist, heißt das noch lange nicht, dass dieses Gespräch auch seiner Form nach ebensolchen Sozialbezug aufweisen muss. Betrachten wir dazu das Beispiel der Krankenzimmerentscheidung, so weist das Selbstgespräch über die alternative Tötungsart inhaltlich sicher diesen Sozialbezug auf, weil der Beschuldigte schließlich nicht über einen höchstpersönlichen Vorgang sinniert hat, sondern über ein in höchstem Maße Rechte Anderer verletzendes soziales Fehlverhalten. Inwiefern dieser inhaltlich begründete Sozialbezug aber in der Lage sein soll, den nicht gegebenen Sozialbezug der intimen Entäußerungssituation zu überwinden, der doch ebenso schutzwürdig ist,467 muss erst noch begründet werden. Tatsächlich ist der Sozialbezug gar kein taugliches Kriterium, um die schutzwürdige 149 Privatheit von der Öffentlichkeit abzugrenzen. Die h.M. verwechselt seit Jahrzehnten den von innen heraus initiierten und äußerlich wahrnehmbaren Sozialbezug eines Verhaltens mit dem von außen her zu begründenden öffentlichen Zugriffsinteresse auf dieses Verhalten. Dass der Sozialbezug als Differenzierungskriterium untauglich ist, wird deutlich, sobald man das Verhalten eines „untätigen, in selbstgewählter Isolierung verharrenden Bürger[s]“468 betrachtet. Dies kann seiner Natur nach keinerlei Sozialbezug aufweisen und müsste demnach als Verhalten im Kernbereich privater Lebensgestaltung stets von staatlichen Zugriffen verschont bleiben. Das aber kann nicht richtig sein. Freilich muss das öffentliche Zugriffsinteresse im Einzelfall auch begründet werden 150 und dafür taugt dann wiederum jeder soziale Grund, der für die Veröffentlichung streitet. Dieser ergibt sich aber gerade nicht immer aus der sozialerheblichen Ausstrahlungswirkung menschlichen Verhaltens. Dort, wo eine solche fehlt, ist der öffentliche Zugriff statthaft, wenn es einen anderen Grund zur Inanspruchnahme gibt. Dass einem Selbstgespräch ebenso Sozialbezug zukommen kann, wie einer Tötungs151 handlung oder dem eigenen Sexualleben, kann sich nur mit Blick auf die jeweilige Art der sozialen Inanspruchnahme erschließen: Der Tötungsakt denaturiert das Existenzrecht der Person. Wegen des Tötungsverbots kann er nie privater Akt sein. Vielmehr ist er immer aus einem öffentlichen Interesse dem staatlichen Zugriff preisgegeben. Die eigene Sexualität ist ein öffentliches Ereignis, sofern sie entweder ausdrücklich öffentlich zur Schau gestellt wird oder sofern sie in Rechtsgüter Dritter eingreift. In beiden Fällen besteht ein öffentliches Zugriffsrecht: Jedermann darf sich über eine öffentliche Sache informieren und im Fall des interpersonalen Güterzugriffs besteht ein solches Recht entweder zum Rechtsgüterschutz. Das Selbstgespräch hat die Öffentlichkeit als Privatangelegenheit grundsätzlich nicht zu interessieren. Das ändert sich aber schon dann, wenn dieses Selbstgespräch zum Zwecke der Aufklärung der Persönlichkeit ausnahmsweise erforscht werden muss.469
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Vgl. BVerfGE 109 279, 314 f.: „Entscheidend ist, ob eine Situation gegeben ist, in der auf Grund von konkreten Hinweisen oder typischerweise und ohne gegenteilige tatsächliche Anhaltspunkte im Einzelfall der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen wird, etwa im Zuge der
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Beobachtung von Äußerungen innerster Gefühle oder von Ausdrucksformen der Sexualität.“ [Hervorhebung nicht im Original]. Krauß FS Gallas 365, 380. Vgl. BVerfGE 80 367, 378: „Der rechtsstaatliche Auftrag zur möglichst umfassenden
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cc) Verdinglichung. Gleiche Zurückhaltung ist gegenüber Versuchen angebracht, den 152 Kernbereichsschutz mit dem Argument zu relativieren, mit einer schriftlichen Niederlegung der Information (z.B. durch Schreiben eines Tagebuchs) werde diese der Gefahr eines Zugriffs ausgesetzt und verdiene deshalb keinen Schutz mehr.470 Abgesehen davon, dass eine solche Auffassung in letzter Konsequenz (wiederum) allein rein innerpsychischen Vorgängen überhaupt noch Kernbereichsrelevanz zuerkennen dürfte und den Kernbereich so in unzulässiger Weise verengt,471 versagt das Argument der minderen Schutzwürdigkeit privater Informationen infolge ihrer Verdinglichung schon grundlegend. Die Verdinglichung durch Verschriftlichung, Verbildlichung usw. zeigt sich aus allgemein-ethischer Sicht vielmehr neutral; sie bewirkt weder eine Erhöhung noch eine Absenkung der Schutzbedürftigkeit, weil man mit der Verdinglichung von Informationen zwar eine Veröffentlichung riskiert, zugleich Privatheit aber auch in besonderer Weise ausdrückt.472 Der besondere Ausdruck privater Information, also ihre gesteigerte Lebensweise, kann aber nicht zu ihrer minderen Schutzwürdigkeit führen. Insofern ist dem BGH also durchaus zuzustimmen, wenn er in der Krankenzimmer-Entscheidung daraus, dass der Beschuldigte seine Gedanken ausgesprochen hatte, keinen minderen Schutzbedarf folgert.473 4. Wirkung des kernbereichsbezogenen Verwertungsverbots. Sofern der Schutz des 153 Kernbereichs privater Lebensgestaltung dann überhaupt greift, ist die Wirkungsweise des daraus abgeleiteten Verwertungsverbots freilich sehr stark: In Rechtsprechung und Lehre herrscht seltene Einigkeit, dass das Verwertungsverbot nach Abs. 4 Satz 2 jegliche Verwendung der gewonnenen Informationen verbietet.474 Das gilt auch für ihre Verwendung als Spuren- oder Ermittlungsansatz, sodass insofern eine echte Fernwirkung angenommen werden kann.475
Wahrheitsermittlung im Strafverfahren (vgl. BVerfGE 77 65 [76] m.w.N.) bezieht sich nicht nur auf die Aufklärung des äußeren Tatgeschehens, sondern erfaßt wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Schuldprinzips (vgl. BVerfGE 57, 250 [275]) alle Merkmale, die für die Beurteilung der strafrechtlichen Schuld und für die Strafzumessung von Bedeutung sind. […] Die Ermittlungen können sich deshalb in aller Regel nicht allein auf die Aufklärung des der Anlage zugrundeliegenden unmittelbaren Tatgeschehens beschränken; sie müssen im Interesse gerechter Urteilsfindung auch die Persönlichkeit des Tatverdächtigen, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zum Gegenstand strafrechtlicher Untersuchung und Erörterung machen (vgl. § 46 Abs. 2 StGB).“ OLG Koblenz Beschl. v. 11.6.2010, 2VAs 1/10 (juris Rn. 25): „Ein solch unmittelbarer Bezug liegt nicht nur dann vor, wenn die Informationen der Aufklärung des äußeren
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Tatgeschehens dienlich sein können, sondern auch dann, wenn sie konkrete Hinweise auf die Persönlichkeitsstruktur des Täters im Zusammenhang mit dem erhobenen Tatvorwurf sowie auf sein tatrelevantes Vorleben und Nachtatverhalten enthalten. Denn auch auf diese für die Beurteilung der strafrechtlichen Schuld und für die Strafzumessung bedeutsamen Umstände müssen sich die strafrechtlichen Untersuchungen erstrecken (BVerfG StraFo 2008, 421 ff, zit. n. juris Rdnr. 19, 21).“ So BVerfGE 80 367, 376. Krit. vor diesem Hintergrund Gössel ZIS 2008 264. Vgl. Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit 91 ff. Vgl. Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit 92 f. BVerfGE 129 208 (Rn. 220); Meyer-Goßner 25; SK/Wolter 59. SK/Wolter 59.
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5. Kritik am Schutzkonzept. Vor diesem Hintergrund erweist sich das momentane gesetzliche Konzept zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung als fragwürdig. Denn dieser Kernbereich erweist sich entgegen der h.M. als keineswegs „unantastbar“. Zwar handelt es sich um die Sphäre privater Lebensgestaltung, die im Rahmen des APR gem. Art. 2 Abs. 1 GG den höchsten Schutz verdient. Als persönlichkeitsrechtlicher Tatbestand verwirklicht sich Individualität dort in der Tat in ihrer schutzwürdigsten Form. Allerdings darf man diese intensivste Form des Persönlichkeitsschutzes nicht mit einem unantastbaren, personalen Freiheitsbereich verwechseln. Ein solcher ist in einer sozialen Umgebung schlechterdings nicht anerkennungsfähig. Die Grenze des Privaten endet vielmehr auch hier an der Berechtigung zur öffentlichen Inanspruchnahme. In einem Strafprozess ist es daher nicht der Sozialbezug des Kommunikationsakts, der als Ermittlungsobjekt Sozialbezug aufweist und so die Schutzwirkung aufhebt, sondern die öffentlichen Zwecken folgende strafprozessuale Inanspruchnahme aller Freiheitsrechte, einschließlich des APR. Maßgeblich ist also, dass der Ermittlungszugriff auf Grund des Kommunikationsthemas beweiserhebliche Erkenntnisse zu Tage fördert, sodass vor allem dann, wenn die aufzuklärende Straftat, wie regelmäßig bei Gewalt- und Sexualdelikten, im sozialen Nahraum wurzelt, ein „funktionierendes“ Ermittlungsverfahren auch einen solchen „Kernbereich“ ausloten können darf. In diesen engen Grenzen, in denen ein absoluter Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung überhaupt anerkennungsfähig ist, weil der Ermittlungszweck der Verbrechensverdachtsaufklärung den Zugriff nicht legitimieren kann, lässt sich aus der Informationsfunktion der strafprozessualen Normbildung eine Kernbereichsbestimmung formulieren, die sich an anderer Stelle findet.476
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6. Löschungs- und Dokumentationspflicht (Satz 3 und 4). Schließlich bestimmt Abs. 4 Satz 3 eine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, Aufzeichnungen hierüber unverzüglich zu löschen sowie Satz 4 die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung aktenkundig zu machen. Bei der Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation kann kernbereichs156 relevantes Material anfallen, das für die Strafverfolgung nicht benötigt wird. Solche Aufzeichnungen sind zu löschen, sobald feststeht, dass sie nicht oder nicht mehr erforderlich sind. Insbesondere alles Zufallsmaterial muss alsbald vernichtet werden. Eine sofortige Vernichtung verlangte das Gesetz ursprünglich nicht, doch war schon in der Vorgängervorschrift des § 100b Abs. 6 durch das OrgKG das Wort „unverzüglich“ eingefügt worden, sodass ein schuldhaftes Zuwarten mit der Vernichtung nicht zulässig ist.477 Material, dessen Bedeutung für das Verfahren nicht gleich endgültig beurteilt werden kann, ist zunächst aufzubewahren, aber zu löschen, sobald erkennbar geworden ist, dass es nicht gebraucht wird. Beweiserhebliches Material (Tonbänder, schriftliche Fixierung des Tonbandinhalts, Abschriften von Fernschreiben, sonstige Datenspeicher, etwa Disketten, CDs, Festplatten) ist nur zu vernichten, wenn es mit Sicherheit nicht mehr benötigt wird, weil sein Inhalt inzwischen durch andere Beweismittel bestätigt worden ist. Wird das Material hingegen als Beweismittel für die Hauptverhandlung möglicherweise noch gebraucht, so kommt eine Vernichtung niemals in Frage; es ist bei den Beweismitteln aufzubewahren. Nach Rechtskraft des Urteils ist es an sich „zur Strafverfolgung nicht mehr
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Vgl. Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit 334 ff., 340 ff., 346 ff.
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Dazu Schnarr MDR 1987 1 und ZRP 1990 295.
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erforderlich“. Die Beweismittel des Hauptverfahrens können aber auch in einem Wiederaufnahmeverfahren von Bedeutung sein; sie müssen daher erhalten bleiben.478 Löschen. Das bloße Löschen von Tonbändern oder Dateien auf Disketten oder sonsti- 157 gen Datenträgern genügt regelmäßig nicht,479 da infolge technischer Verbesserungen gelöschte Daten rekonstruierbar sind. Jedenfalls muss die Form der Vernichtung sicherstellen, dass die Aufzeichnungen unwiederbringlich verlorengehen. Dazu wird häufig die physische Vernichtung des Datenträgers (Verbrennen von Tonbändern, Zerstörung von Disketten, Vernichtung von Schriftstücken im Reißwolf usw.) erforderlich sein. Auch Niederschriften über elektronische Aufzeichnungen oder sonstige Erkenntnisse sind aus den Akten zu entfernen und zu vernichten.480 Die Vernichtung ist eine Vollstreckungshandlung, die auf Anordnung der Staats- 158 anwaltschaft durchgeführt wird. In der Regel wird die Polizei, die die Überwachung durchgeführt hat, mit der Vernichtung beauftragt werden. Die Staatsanwaltschaft hat, auch wenn die Sache bei Gericht anhängig ist, den Vernichtungsvorgang zu beaufsichtigen (vgl. § 100b Abs. 6 Satz 1 a.F.). Da die Aufsicht kaum wegen der Art der Vernichtung (Reißwolf, Verbrennen) erforderlich ist, bezweckt die Vorschrift in erster Hinsicht, dass die Staatsanwaltschaft den Umfang der Aussonderung bestimmt, damit nicht aus übergroßer Vorsicht zu wenig vernichtet wird, andererseits aber auch, damit alles Beweiserhebliche erhalten bleibt. Über die Erlangung und Löschung ist ein Aktenvermerk anzufertigen (Abs. 4 Satz 4). Er muss die Anzahl der vernichteten Unterlagen aufführen. Der Inhalt der Unterlagen darf nicht angegeben, kann aber allgemein („familiäre Gespräche“) bezeichnet werden.
VII. Provozierte Selbstbelastung, § 136a, „Hörfalle“, Fairnessrecht des Art. 6 EMRK Zum Wesen der Vorschrift des § 100a StPO gehört, dass sie zur Selbstbelastung des 159 Beschuldigten führen kann, ohne dass dieser hiervon weiß. Dies kann sich die Polizei zu Nutze machen, weil in dem bloßen Verschweigen der Überwachung gegenüber dem Beschuldigten eine Täuschung i.S. des § 136a StPO noch nicht liegen kann.481 Fraglich sind freilich die Grenzen. Die Entscheidung BGHSt 33 217 hatte es mit einem solchen Fall zu tun. Während eine rechtmäßig angeordnete Telekommunikationsüberwachung lief, unterrichtete ein Polizeibeamter wahrheitsgemäß den Ehemann der späteren Angeklagten H von der bevorstehenden Verhaftung seiner Ehefrau und einer weiteren Beschuldigten. H verständigte fernmündlich seine Ehefrau, diese die weitere Beschuldigte. Diese Gespräche wurden aufgezeichnet und zum Nachteil der Angeklagten verwertet. Ein aus § 136a folgendes Verwertungsverbot sah der Bundesgerichtshof nicht, weil der Polizeibeamte offen aufgetreten sei und wahrheitsgemäß die bevorstehende Verhaftung angekündigt habe. Auch habe er die Telefongespräche nicht ausdrücklich angeregt. Dem ist zuzustimmen. Das Verhalten der Polizei fällt unter die Kategorie zulässiger „List“.482
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LR/Meyer 23 § 100b, 6; Meyer-Goßner § 100b, 8; a.A. KMR/Bär § 100b, 11; Eb. Schmidt Nachtr. II 13, der das für eine Übertreibung hält. A.A. Meyer-Goßner § 100b, 8, wonach das Löschen von Tonbändern genügen soll.
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OLG Koblenz StV 1994 284; KK/Nack 10. Eingehend Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit 226 ff., 229 ff. m.w.N. Meyer-Goßner § 136a, 15; kritisch LR/Hanack25 § 136a, 33.
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Die Grenzen freilich sind schwer zu ziehen. Zulässig ist es sicher auch, über die Presse oder über den Bekanntenkreis der Betroffenen Falschmeldungen über Ermittlungserfolge zu lancieren oder dem Betroffenen bekannt werdende (Schein-)Ermittlungen vorzunehmen, um Telefongespräche anzuschieben. Zutreffend weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass solche Schritte in vielfacher Weise denkbar seien.483 Siehe auch die Fallschilderung der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 17.12.2001 in einem Fall akustischer Wohnraumüberwachung:484 „Ziel des Lauschangriffs war es, den Tatverdächtigen dazu zu bringen, sich in der gemeinsamen Wohnung mit seiner Lebensgefährtin über das Verbrechen zu unterhalten und ihn dabei zu belauschen“. Nicht gestattet ist es dagegen den Ermittlungsbehörden auch bei an sich rechtmäßiger 160 Anordnung der Überwachung, unter Vortäuschung falscher Identität oder durch Vorschieben einer Privatperson den Beschuldigten gezielt auszuhorchen und so durch Täuschung zur Selbstbelastung zu veranlassen.485 Der Sache nach handelt es sich nämlich bei derartigen Befragungen um Vernehmungen, bei denen die von der Strafprozessordnung vorgesehenen den Beschuldigten schützenden Formen, wie Belehrung über das Schweigerecht, umgangen werden. Diese bereits 1995 vom 5.Strafsenat des BGH geäußerte Meinung486 vertrat zwischenzeitlich auch der EGMR in einer Entscheidung vom 05.11.2002 (Allan gegen Vereinigtes Königreich),487 nach der eine gezielte von der Polizei gesteuerte Befragung eines Beschuldigten, der allerdings unter dem Druck der Untersuchungshaft stand, durch einen Spitzel gegen Art. 6 EMRK verstößt. Beim Schweigerecht handle es sich um den grundlegenden Kerngedanken eines fairen Verfahrens, welches generell dem Schutz der Freiheit des Beschuldigten diene zu entscheiden, ob er bei einer polizeilichen Vernehmung aussagen oder schweigen möchte. Diese Entscheidungsfreiheit werde ausgehöhlt, wenn der Beschuldigte sich dazu entschlossen habe, bei Vernehmungen zu schweigen und die Behörden eine List verwenden, um von dem Beschuldigten Äußerungen selbstbelastender Natur zu erhalten, die sie während derartiger Vernehmungen nicht erhalten haben oder, so wird hinzuzufügen sein, nicht erhalten würden. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hatte dies noch anders gesehen.488 Er war von 483 484
485
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487 488
BGHSt 33 217, 224. Mitgeteilt in der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.01.2002 auf Grund des Beschlusses des Bundestags vom 16. Januar 1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 43). Offengelassen von BGHSt 33 217, 223 = NJW 1986 390 = StV 1986 185 mit kritischer Anm. Kühl; vgl. dazu auch BGHSt 31 304 (frühere „Hörfallenentscheidung“ des 4. Senats des BGH). Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen NStZ 1996 200 ff. und vorherige Anfrage NStZ 1995 410 mit Anm. Seitz 519; ebenso Schäfer Rn. 316; LR/Hanack25 – § 136a, 13; Grünwald StV 1987 470. StraFo 2003 162 = JR 2004 127 mit Aufs. Esser. BGHSt 42 139 – auf Vorlage NStZ 1996 200 ff. (und vorherige Anfrage – NStZ 1995
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410 mit Anm. Seitz 519) des 5. Strafsenats; vgl. dazu auch die Antwort des 1. Senats NStZ 1995 557 auf die Anfrage des 5. Senats und die frühere „ältere Hörfallenentscheidung“ des 2. Senats – BGHSt 39 335 = NStZ 1994 292 m. Anm. Welp. Zur Entscheidung des Großen Senats Artkämper NJ 1998 604; Bär CR 1997 367; Bernsmann StV 1997 116; Bosch Jura 1998 236; Derksen JR 1997 167; König Kriminalistik 1997 179; Kudlich JuS 1997 696; Lesch JA 1997 15; Martin JuS 1997 278; Popp NStZ 1998 95; Renzikowski JZ 1997 710; Rieß NStZ 1996 505; Vahle DVP 1997 173; Weßlau ZStW 110 (1998) 1; zum Meinungsstand vor Entscheidung des Großen Senats: Achenbach/Perschke StV 1994 577; Dencker StV 1994 680; Duttge JZ 1996 556; Fezer NStZ 1996 289; Lagodny StV 1996 167; Neuhaus Kriminalistik 1995 787; Roxin NStZ 1995 465; Schlüchter/Radbruch NStZ 1995 354; Schneider JR 1996 405;
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einem förmlichen, „funktionalen“ Vernehmungsbegriff ausgegangen. Danach stelle es weder eine durch § 136a verbotene Täuschung, noch eine Vernehmung im Sinne von §§ 161, 163 dar, wenn eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden, jedoch ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht, ein auf die Erlangung von Erkenntnissen gerichtetes Telefongespräch führe und ein Ermittlungsbeamter dabei mithöre. Die Äußerung erfolge schließlich freiwillig. Beide, Privatperson und Ermittlungsbeamter, sollen jedenfalls dann als (verwertbare) Zeugen über den Gesprächsinhalt (beispielsweise ein Geständnis) vernommen werden können, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von wesentlicher Bedeutung geht, deren Aufklärung anderenfalls weit weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre. Die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung des Großen Senats wurde mit Recht bezweifelt.489 Schließlich beruht die Freiwilligkeit der Äußerung auf einem täuschungsbedingten Irrtum. In gewissem Widerspruch zu der Entscheidung des Großen Senats hat der 1. Strafsenat des BGH bei der Frage der Grenzen zulässiger Tatprovokation das Handeln auch von Privatpersonen dann dem Staat zugerechnet hat, wenn diese durch die Polizei gesteuert wurden.490 Jedenfalls war der Entscheidung des Großen Senats durch die zutreffende Allan-Entscheidung des EGMR der Boden entzogen. Man hatte diese Entscheidung so zu verstehen, dass unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens polizeilich gesteuertes Aushorchen von Beschuldigten wie eine Vernehmung zu behandeln ist, bei der das Schweigerecht des Beschuldigten ausgehebelt wurde. Dann konnte aber vor dem Hintergrund der Entscheidung BGHSt 38 214 kein Zweifel bestehen, dass für die erschlichene Aussage, also für die Gewinnung eines Beweismittels, nur ein Verwertungsverbot und nicht wie bei den Lockspitzelfällen491 die Strafzumessungslösung die angemessene Reaktion ist. In seiner neuesten einschlägigen Entscheidung (Urt. der Großen Kammer im Fall 161 Bykov gegen Russland vom 10.3.2009) engt der EGMR den Bereich der irrtumsbedingten Selbstbelastung aber wieder ein: Im Falle eines freiwilligen Gesprächs mit einem unerkannten, mit einer verdeckten Abhöreinrichtung versehenen V-Mann, der das Gespräch gezielt auf den Tatvorwurf gelenkt hatte, verneint er die fairnesswidrige Täuschung, weil es dem Angeklagten frei stand, auf Fragen zu antworten bzw. überhaupt ein Gespräch zu führen.492 Die Gleichung: Irreführung = fairnessrechtswidrige Täuschung ist also (vorerst) aufgehoben. Die Strafsenate des BGH neigten in der Folgezeit nur teilweise dazu, dieser neueren restriktiven Linie der Bykov-Entscheidung des EGMR zu folgen: Der 1. Strafsenat 493 entschied nur 4 Wochen nach und wohl noch in Unkenntnis von der Bykov-Entscheidung den Fall eines heimlich abgehörten Ehegattengesprächs so, dass das absichtliche Hervorrufen der Fehlvorstellung, der für das Gespräch zur Verfügung gestellte separate Besuchsraum der U-Haft werde nicht überwacht, einen Fairnessverstoß begründe. Ob der EGMR diesen Sachverhalt ebenso entschieden hätte, muss angesichts seines neuen Maßstabs stark bezweifelt werden. Umgekehrt ging der 3. Strafsenat 494 – selbst gemessen an dieser restriktiven Bykov-Entscheidung des EGMR – aber sicher zu weit, als er einen Fairnessverstoß in einem Fall verneinte, in dem eine von der Polizei
489 490 491 492
Seitz NStZ 1995 519; Sternberg-Lieben Jura 1995 299; Weiler GA 1996 101; zum gesamten Meinungsstand vgl. insbes. KK/Nack § 110c, 17. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 23. BGHSt 45 321, 331; 47 44, 48. BGHSt 45 321. NJW 2010 213.
493
494
BGHSt 53 294 mit Anm, Engländer JZ 2009 1179; Hauck NStZ 2010 17; Klesczewski StV 2010 462; Rogall HRRS 2010 289; Zuck JR 2010 17. NStZ 2011 596, mit Anm. Eisenberg JR 2011 409; Roxin StV 2012 131; [A.] Schumann JZ 2012 265; Wolter ZIS 2012 238.
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instruierte und mit Abhörgeräten ausgestattete Zeugin ein privates Gespräch heimlich aufzeichnete und zuvor dem Beschuldigten auch noch wahrheitswidrig vorspiegelte, dass sie bereits von seiner Tatbeteiligung wisse und dass sie dieses Gespräch vertraulich behandeln würde. Auch das BVerfG495 hatte sich kürzlich mit dem Fairnessrecht bei heimlichen Abhörmaßnahmen zu befassen, doch betraf der ihm zur Entscheidung vorgelegte Fall nur das reine zwischen möglichen Mittätern geführte Gespräch in einem Pkw, ohne dass die Polizei diese Unterhaltung initiiert geschweige denn irgendwie gelenkt hätte. Als Leitlinie für die Praxis muss daher Folgendes gelten: Ist (1.) die Täuschung den Strafverfolgungsbehörden zurechenbar, ist die List m.a.W. also amtlich veranlasst, kommt es dadurch (2.) zu einer Irreführung des Beschuldigten über seine Rolle als Objekt einer Befragung und bezieht sich dieser Irrtum (3.) nicht nur auf die eigene (vermeintlich nicht) unterlegene Stellung im Gespräch, sondern auch auf die Selbstbestimmtheit einer unverfänglichen Informationsentäußerung, so liegt eine Missachtung der Selbstbelastungsfreiheit und damit ein Fairnessverstoß vor.496
VIII. Aufzeichnung von privater Kommunikation außerhalb der durch Netzbetreiber vermittelten Telekommunikation 162
Die Überwachung und Aufzeichnung privater Kommunikation außerhalb der durch Netzbetreiber vermittelten Telekommunikation durch Strafverfolgungsbehörden ist grundsätzlich mangels Rechtsgrundlage unzulässig, soweit nicht § 100c Abs. 1 oder § 100f Abs. 1 greifen, die das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln unter den dort genannten Voraussetzungen gestatten. Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die zur Eigensicherung erlangt worden sind, ist in § 161 Abs. 2 geregelt. Weitere Ausnahmen können sich im Einzelfall aus § 34 StGB ergeben. Entsprechendes gilt für die Verwertbarkeit derartiger Maßnahmen. Soweit bei der (zulässigen) Überwachung der Telekommunikation (zufällig) ein Gespräch abgehört wird, weil beispielsweise der Telefonhörer nicht aufgelegt war oder sonst auf Grund eines Bedienungsfehlers die Verbindung nicht beendet wurde, ist dessen Überwachung und Aufzeichnung nach neuerer Auffassung des BGH durch § 100a gerechtfertigt (vgl. Rn. 35). Die Frage der Verwertbarkeit gegen dritte Gesprächsteilnehmer, die nicht Betroffene der Maßnahme nach § 100a, § 100b waren, richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen: Das Gewicht des Verstoßes gegen die durch Art. 1, 2 GG geschützte Vertraulichkeit des gesprochenen Worts ist gegen das Interesse an der Strafverfolgung abzuwägen, soweit nicht der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung im Sinne von BVerfGE 44 353, 372; 34 238, 245 (vgl. § 97, 11 ff.) berührt ist.497 Die Verwertung heimlicher privater Aufzeichnungen über Telekommunikation durch 163 einen Gesprächsteilnehmer im Strafverfahren berührt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und nicht Art. 10 GG, da diese Vorschrift nicht vor der Nutzung einer vom anderen Gesprächsteilnehmer einem Dritten bereitgestellten Mithöreinrichtung schützt. Die Ver-
495 496 497
NJW 2010 287. Vgl. Hauck NStZ 2010 17, 22. BGHSt Urteil v. 14.3.2003 – 2 StR 341/02 –; 31 296 „Raumgespräch“ = NJW 1983 1569 = NStZ 1983 517 mit Anm. Geerds = JR 1984 254 mit Anm. Amelung = JuS 1983 809 mit Anm. Hassemer; ob freilich in dem
390
vom BGH entschiedenen Fall der Rückgriff auf die Intimsphäre angesichts des Inhalts des Gesprächs – Bilanz des bisherigen Heroinhandels der Eheleute – zutreffend war, muss bezweifelt werden; vgl. dazu Gössel JZ 1984 362.
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wertbarkeit solcher Aufnahmen richtet sich deshalb nicht nach § 100a.498 Entscheidend für die Verwertbarkeit ist das Ergebnis einer Güterabwägung. Allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege reicht nicht, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Vielmehr müssen weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. Im Strafverfahren kann dies etwa die Aufklärung besonders schwerer Straftaten sein. Vgl. oben Rn. 35.
IX. Reichweite des Verwertungsverbots. Vorhalt. Fernwirkung 1. Vorhalt. Dem Verwertungsverbot unterliegende Beweismittel dürfen weder in dem 164 Verfahren, in dem sie erhoben wurden noch in anderen Strafverfahren unmittelbar oder mittelbar Gegenstand der Beweisaufnahme sein, also zu Beweiszwecken verwendet werden.499 Sie dürfen aber auch nicht – weder in der Hauptverhandlung noch im Ermittlungsverfahren – bei einer Vernehmung vorgehalten werden. Soweit eine Aussage von einem solchen Vorhalt beeinflusst ist, darf sie nicht verwertet werden.500 Das hat BGHSt 27 355, 357 für das Verwertungsverbot aus § 100a wegen des Gewichts des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis und in die Privatsphäre des Betroffenen ausdrücklich entschieden und dem ist zuzustimmen.501 Eine wegen des unklaren Leitsatzes nur scheinbare Ausnahme von diesem Grundsatz 165 findet sich in BGHSt 30 317.502 In einem Verfahren, in dem zulässigerweise eine Telefonüberwachung stattgefunden hatte, räumte ein Zeuge nach Vorhalt der Tonbandaufzeichnung ein, bei seiner vorangegangenen und beschworenen Aussage falsche Angaben gemacht zu haben. Über diese Vorgänge wurde im späteren Meineidsverfahren der frühere Vorsitzende als Zeuge vernommen. Gewiss mit Recht, denn der Vorhalt erfolgte zulässigerweise und es ist nichts dafür ersichtlich, warum das Prozessverhalten des früheren Zeugen nicht verwertbar sein soll. Anders läge der Fall doch nur, wenn der Vorhalt der Tonbandaufzeichnung im Meineidsverfahren erfolgt wäre. 2. Fernwirkung. Soweit nach dem oben zu den Voraussetzungen der Verwertungs- 166 verbote Dargelegten Erkenntnisse aus einer Überwachung der Telekommunikation wegen rechtlicher Mängel bei der Anordnung oder Durchführung der Maßnahme nicht verwertbar sind, stellt sich die Frage, ob das Verwertungsverbot Fernwirkung auch in dem Sinne entfalten kann, dass auf Grund der an sich nicht verwertbaren Erkenntnisse erlangte weitere Erkenntnisse ebenfalls nicht verwertet werden dürfen. § 100b beantwortet diese Frage nicht, da diese Vorschrift von grundsätzlich verwertbaren Erkenntnissen ausgeht. Das Problem ist höchst umstritten und alles andere als geklärt. Während in der Literatur eine solche Fernwirkung überwiegend bejaht wird,503 weil auch durch Verwertung als
498 499 500 501
BVerfG NJW 2002 3619; BVerfGE 34 238, 248; 80 367, 380. BGHSt 26 298; 27 355, 356; Rieß JR 1979 169. Meyer-Goßner 35. Ebenso BGH NJW 1986 1183; KK/Nack 69; Meyer-Goßner 35; vgl. auch BGHSt 32 68, 70.
502
503
NStZ 1982 125 mit abl. Anm. Odenthal = JA 1982 267 mit Anm. Sonnen; vgl. dazu auch OLG Karlsruhe NStZ 1994 201 mit krit. Anm. Schneider NStZ 1994 504; Klesczewski StV 1994 530; Rieß JR 1983 125. Zur Stellungnahme der Literatur s. LR/Gössel Einl. L 106 ff.; SK/Wolter 63 ff.; ferner Beulke 482; Eisenberg Beweisrecht
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Ermittlungsansatz die Rechtsverletzung verstärkt werde, wird sie von der Rechtsprechung abgelehnt.504 Ein einziger Fehler könne nicht das ganze Strafverfahren lahmlegen und es sei auch schwer aufzuklären, ob die Ermittlungsbehörden den Beweis auch ohne Rückgriff auf das verbotene Beweismittel als Ermittlungsansatz gefunden hätten.505 Richtigerweise wird auf die Art des verletzten Rechtsguts abzustellen sein. Danach wird – anders als etwa bei einem Verstoß gegen § 136a – bei einem Verstoß gegen §§ 100a, 100b das einem Verwertungsverbot unterliegende Beweismittel zwar nicht geeignet sein, Zwangsmaßnahmen zu begründen,506 wohl aber kann es als Ermittlungsansatz dienen und so mittelbar zu weiteren Erkenntnissen führen. Wegen weiterer Einzelheiten sei auf LR/Gössel Einleitung L verwiesen.
X. Revision 167
Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Anordnung oder Durchführung der Telekommunikation oder sonstige Fehler etwa bei Beurteilung der materiellen Voraussetzungen vermögen die Revision nur dann zu begründen, wenn sie zu einem Verwertungsverbot führen. Dazu oben Rn. 117 ff., 130 ff. Revisibler Rechtsfehler im Sinne des § 337 ist regelmäßig nicht der Rechtsfehler bei 168 Anwendung der §§ 100a, 100b, sondern ein daraus folgender Verstoß gegen ein Verwertungsverbot. Dieses ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Für den Umfang des nach § 344 Abs. 2 Satz 2 erforderlichen Vortrags gilt: Dieser muss zunächst die Tatsachen enthalten, die den Mangel bei Anwendung der §§ 100a, 100b begründen. Vorzutragen sind ferner die Tatsache, Zeitpunkt und Inhalt des Widerspruchs gegen die Verwertung (zu dessen Notwendigkeit Rn. 115 ff.),507 der Inhalt der staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung oder Verlängerung der Maßnahme508 einschließlich der in Bezug genommenen Aktenteile509 sowie die aus der Durchführung der Maßnahme erlangten Erkenntnisse, da andernfalls der Rechtsfehler, nämlich die unzulässige Verwertung, nicht auf Grund der Revisionsbegründung überprüft werden kann. Wurde in der Hauptverhandlung entsprechend BGHSt 47 362 (oben Rn. 128) die 169 fehlende Plausibilität oder die fehlende Begründung des ermittlungsrichterlichen Beschlusses beanstandet und hat der Tatrichter darauf die erforderliche Prüfung der Ermittlungslage zur Zeit der Entscheidung nicht vorgenommen, liegt allein darin der Rechtsfehler, da die Frage der Verwertbarkeit offen ist. Und nur soweit der Rechtsfehler reicht und nicht zur Beruhensfrage muss gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 vorgetragen werden. Deshalb verlangt der 3. Strafsenat zutreffend in solchen Fällen keinen Vortrag zur tatsächlichen Beweislage zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Entscheidung. Dies ver-
504 505 506
403; Gössel NStZ 1998 126; Roxin § 24, 75; Lohberger FS Hanack 253, 264; Schlüchter JR 1984 517; Wolter NStZ 1984 276; a.A. Meyer-Goßner 38; diff. KK/Nack 70 f. BGH StV 1998 247; NStZ 1996 200; vgl. auch BGHSt 27 355, 358; 32 68, 71. BGHSt 32 68, 70; vgl. KK/Nack 70. LR/Beulke § 152, 27; fraglich vgl. LG Stuttgart NStZ 1985 568 mit Anm. Hilger.
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507 508
509
BGH StV 1996 529; StV 2001 432. BGH NJW 2003 1880; soweit dort auch die Mitteilung der staatsanwaltschaftlichen Antragsschriften verlangt wird, geht dies zu weit, solange diese in den gerichtlichen Entscheidungen nicht in Bezug genommen sind. Vgl. BGHSt 47 362.
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kennt der 5. Strafsenat, wenn er weitergehende Anforderungen an den Vortrag stellt.510 Dem Beschwerdeführers sei gleichwohl angeraten, in solchen Fällen auch zur Beweislage vorzutragen. Ist bei staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen eine Verletzung des Richtervorbehalts 170 Gegenstand der Rüge und wird deshalb die Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse bestritten, muss vorgetragen werden, mit welcher Begründung die Staatsanwaltschaft Gefahr im Verzug bejaht hatte und aus welchen tatsächlichen Gründen in Wahrheit Gefahr im Verzug nicht bestanden haben soll. Sind durch Überwachung der Telekommunikation erlangte Erkenntnisse nicht pro- 171 zessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden (Rn. 95), ist dies regelmäßig als Verstoß gegen § 261 mit der Verfahrensrüge geltend zu machen.511
§ 100b (1) 1Maßnahmen nach § 100a dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. 2Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. 3Soweit die Anordnung der Staatsanwaltschaft nicht binnen drei Werktagen von dem Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft. 4Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 5Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse fortbestehen. (2) 1Die Anordnung ergeht schriftlich. 2In ihrer Entscheidungsformel sind anzugeben: 1. soweit möglich, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet, 2. die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgerätes, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist, 3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes. (3) 1Auf Grund der Anordnung hat jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und ihren im Polizeidienst tätigen Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) die Maßnahmen nach § 100a zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen. 2Ob und in welchem Umfang hierfür Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich nach dem Telekommunikationsgesetz und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung. 3§ 95 Abs. 2 gilt entsprechend. (4) 1Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so sind die auf Grund der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden. 2Nach Beendigung der Maßnahme ist das anordnende Gericht über deren Ergebnisse zu unterrichten. (5) 1Die Länder und der Generalbundesanwalt berichten dem Bundesamt für Justiz kalenderjährlich jeweils bis zum 30. Juni des dem Berichtsjahr folgenden Jahres über in ihrem Zuständigkeitsbereich angeordnete Maßnahmen nach § 100a. 2Das Bundesamt für Justiz erstellt eine Übersicht zu den im Berichtsjahr bundesweit angeordneten Maßnahmen und veröffentlicht diese im Internet.
510
BGH NJW 2002 1880.
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BGH NStZ 2002 493 mit Einzelheiten.
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(6) In den Berichten nach Absatz 5 sind anzugeben: 1. die Anzahl der Verfahren, in denen Maßnahmen nach § 100a Abs. 1 angeordnet worden sind; 2. die Anzahl der Überwachungsanordnungen nach § 100a Abs. 1, unterschieden nach a) Erst- und Verlängerungsanordnungen sowie b) Festnetz-, Mobilfunk- und Internettelekommunikation; 3. die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat nach Maßgabe der Unterteilung in § 100a Abs. 2. Zu Schrifttum, Entstehungsgeschichte s. bei § 100a
Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . .
1
II. Zuständigkeit (Absatz 1) . . . . . . . .
2
III. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt des Beschlusses a) Formel . . . . . . . . . . . . . . b) Identifizierung, Kennung . . . . . c) Befristung (Absatz 1 Satz 4 und 5) d) Begründung . . . . . . . . . . . . 4. Rechtliches Gehör, Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . .
17
IV. Verlängerung (Absatz 1 Satz 5) . . . . .
18
V. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Staatsanwalt (Absatz 1 Satz 2 und 3) 1. Nur bei Gefahr im Verzug . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 1 Satz 3) . . . . . . . . . .
. . .
7
8 9 11 15 16
19 20 21
Rn. 5. Außerkrafttreten der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . .
29
VII. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Absatz 4) . . . . . . . . . . .
32
VIII. Berichtspflicht der Länder und des GBA (Absatz 5 und 6) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt und Zweck der Berichte 3. Gegenstand und Inhalt der Berichte 4. Internetveröffentlichung durch das Bundesamt für Justiz . . . . . . . .
37 38 39
.
40 41
. . . .
42 44 45 48
.
50
. . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht
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. . .
X. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels . . 1. Vor Beendigung der Maßnahme . . 2. Nach Beendigung der Maßnahme . 3. Berechtigte . . . . . . . . . . . . . 4. Entfernung von Aufzeichnungen, Niederschriften usw. aus den Akten
22
Anfechtung 42 Vor Beendigung der Maßnahme 44 Nach Beendigung der Maßnahme 45 Anfechtungsberechtigte 48 Außerkrafttreten der staatsanwaltlichen Anordnung 24 Beendigung der Maßnahmen 32 Befristung der Anordnung 15 Begründung der Anordnung 16 Bekanntmachung 17 Berichtspflicht der Länder und des GBA 37 Beschlussformel 9 Durchführung der Anordnung 26 Entfernung aus den Akten 50
26
IX. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI. Revision .
24
VI. Durchführung der Anordnung (Absatz 3) 1. Vollstreckung der Anordnung . . . . 2. Mitwirkungsverpflichtung des Anbieters . . . . . . . . . . . . . . . .
Form der Anordnung 7, 20 Gefahr im Verzug 19 Gerichtliche Bestätigung 22 Inhalt der Anordnung 9 ff., 21 Internetveröffentlichung durch das BfJ 40 Kosten 41 Mitwirkungspflicht des Anbieters 29 Rechtliches Gehör 17 Revision 51 Überwachung der Maßnahmen 32 Vollstreckung der Anordnung 26 Zuständigkeit 2
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§ 100b
I. Allgemeines Die Vorschrift regelt das Verfahren bei der Überwachung der Telekommunikation1 1 nach § 100a. Sie wird durch § 101 ergänzt.
II. Zuständigkeit (Absatz 1) Für die Anordnung zur Überwachung und Aufnahme der Telekommunikation trifft § 100b Abs. 1 die gleiche Zuständigkeitsregelung wie § 100 für die Postbeschlagnahme. § 100f Abs. 4, 100g Abs. 2, 100i Abs. 3 Satz 1 verweisen auf § 100b. Siehe deshalb zunächst § 100, 4 bis 21. Zuständig ist danach der Richter, bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft. Deren Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen vom Richter bestätigt wird. Die Überwachung der Telekommunikation ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Rechtsschutzes. Der Richtervorbehalt soll gerade in den Fällen der vorliegenden Art präventiven Rechtsschutz garantieren, da eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Maßnahme deren Erfolg vereiteln würde. Auf die grundsätzlichen Erwägungen zum Richtervorbehalt bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen bei § 105, 1 ff. und Vor § 94, 1 ff. wird vollumfänglich verwiesen. Zu beachten ist jedoch, dass bei §§ 100, 100b, 100 d, 100f, 100g und 100i anders als bei § 105 keinerlei Eilkompetenz der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft besteht. Anordnungen der Staatsanwaltschaft treten auch hier außer Kraft, werden jedoch nicht rückwirkend unwirksam, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt werden (Rn. 24). Die 3-Tagesfrist beginnt mit der Anordnung, nicht etwa mit dem Zugang der Anordnung bei dem von ihr betroffenen Netzbetreiber oder mit dem Beginn der Überwachung, zu laufen.2 Für die Fristberechnung zählt der Anordnungstag nicht mit, § 42. Im Übrigen wird auf die Erläuterungen zu § 100 verwiesen. Eine Anordnungskompetenz für die Polizei (oder andere Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft) sieht das Gesetz – anders als bei der Anordnung des Einsatzes Verdeckter Ermittler – auch bei Gefahr in Verzug nicht vor. Zum Richtervorbehalt allgemein und zur gerade bei Maßnahmen nach § 100a bestrittenen Effektivität des Richtervorbehalts s. Vor § 94, 1, 87. Zuständig für die Anordnung oder für die nach einer staatsanwaltschaftlichen Eilmaßnahme erforderliche richterliche Bestätigung ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter (§ 162). Die zur effektiveren Wahrnehmung der ermittlungsrichterlichen Aufgaben notwendige Zuständigkeitskonzentration auf bestimmte Richter ist im Wege der Geschäftsverteilung schon nach geltendem Recht möglich. Die Begründung der Zuständigkeit eines bestimmten Amtsgerichts im Landgerichtsbezirk sollte de lege ferenda angestrebt werden. Im Übrigen kommt es für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters in den Fällen der §§ 100g Abs. 1 Satz 1, 100h Abs. 1 StPO gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO darauf an, wo die Auskunft zu erteilen oder die Überwachung und Aufzeichnung zu ermöglichen ist und wo die Anordnung gegebenenfalls zu vollstrecken wäre. Hat ein
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Dieser Begriff wurde anstelle von „des Fernmeldeverkehrs“ durch § 9 Abs. 9 Nr. 2 BegleitG eingefügt, vgl. § 100a, 2.
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KK/Nack 1; Schnarr NStZ 1988 481, 484.
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Anbieter von Telekommunikationsdiensten an einem anderen Ort als am Sitz der Gesellschaft eine Niederlassung oder Abteilung errichtet, welche die Feststellung und den Abruf von Telekommunikationsdaten technisch umsetzt (vgl. § 100b Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 110 TKG), so ist nicht das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Sitz der (Verwaltungs-)Zentrale des Diensteanbieters befindet, sondern dasjenige Amtsgericht, in dessen Bezirk die Daten zu erheben und die Auskünfte zu erteilen sind.3 Ist im Auslieferungsverfahren die Maßnahme zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Verfolgten erforderlich, ist das Oberlandesgericht zuständig.4 Die Annahme von Gefahr im Verzug muss hier ebenso wie bei § 105 Ausnahme blei6 ben. Zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug, zu diesem Begriff und zur Notwendigkeit deren Voraussetzungen, insbesondere die Nichterreichbarkeit eines Richters zu dokumentieren s. unten und § 105, 83 ff., 86, 102, 105 f.
III. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 7
1. Form. Die Anordnung muss stets schriftlich ergehen. Dies bestimmt Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich. Der Richter trifft die Anordnung durch Beschluss Zur Übermittlung der Anordnung an den Betreiber siehe Rn. 22.
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2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Die Erl. bei § 98, 14 bis 16 und bei § 105, 29 bis 44 gelten entsprechend. Der Richter ist verpflichtet, anhand der vollständigen, ihm von der Staatsanwaltschaft vorzulegenden Akten, die beantragte Maßnahme in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Insbesondere bedarf es der in vollem Umfang eigenverantwortlichen Prüfung durch den Richter, ob ein auf konkrete, fallbezogene Tatsachen gestützter Verdacht einer Katalogtat besteht, denn das Gesetz will gerade die ausforschende Überprüfung der Telekommunikation im Interesse des Fernmeldegeheimnisses vermeiden. Auch die Unentbehrlichkeit der Maßnahme und deren Verhältnismäßigkeit bedarf angesichts des Gewichts des Eingriffs ausdrücklicher Prüfung (§ 100a, 53). Handelt es sich, wie regelmäßig, um eine ermittlungsrichterliche Maßnahme, ist zu beachten, dass der Richter im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes tätig wird, denn eine vorherige Anhörung des Betroffenen ist bei der Überwachung der Telekommunikation naturgemäß regelmäßig nicht möglich, soll die Maßnahme erfolgreich durchgeführt werden. 3. Inhalt des Beschlusses
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a) Formel. Zweckmäßigerweise und jetzt auch kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in Abs. 2 Satz 2 sind bereits in der Formel der Anordnung soweit möglich Name und Anschrift des Betroffenen, also des Beschuldigten oder sonstigen Betroffenen (§ 100a, 86 ff.), sowie die Nummern oder sonstige Kennung (Rn. 11) der zu überwachenden Anschlüsse aufzuführen, ferner Art, Umfang und Dauer unter Benennung des Endzeitpunktes der Maßnahmen. Insbesondere ist klarzustellen, ob die Maßnahme sich 3
Zu § 100h a.F. BGH NStZ 2003 163; ferner BGHR StPO § 162 Zuständigkeit 2; NStZ-RR 2002 369.
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OLG Hamm NStZ-RR 1998 350; NStZ 2000 666.
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gegen den Beschuldigten oder gegen einen Nachrichtenmittler oder gegen beide richtet, denn davon hängt ab, wie lange die Maßnahme auf Grund des Beschlusses vollzogen werden darf, wenn beispielsweise der Beschuldigte oder der Nachrichtenmittler verhaftet werden.5 Schon die alte Formulierung „seines Telekommunikationsanschlusses“ in § 100b Abs. 2 Satz 2 a.F. bedeutete nicht, dass der zu überwachende Anschluss dem Betroffenen gehören oder sonst zustehen müsste. Es genügt, dass er ihn benutzt. Dies hat der Gesetzgeber mit der neutralen Formulierung „des zu überwachenden Anschlusses oder Endgerätes“ nun klargestellt.6 Auch ist anzugeben, ob die Telekommunikation nur überwacht oder auch, was die Regel sein wird, (technisch) aufgezeichnet werden soll. Bei der Überwachung von Mobiltelefonen muss, wenn die Maßnahme darauf abzielen soll, auch angegeben werden, dass eine Standortbestimmung über die sog. Funkzelle (§ 3 Nr. 19 TKG, § 7 Abs. 1 Nr. 7 TKÜV7) erfolgen soll.8 Die Dauer der Überwachung ist stets anzugeben, auch wenn die Höchstzeit von drei Monaten (§ 100a Abs. 2 Satz 4) festgesetzt wird. Eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Beschränkung der Überwachungszeit muss soweit möglich vorgenommen werden (z.B. tagsüber im Büro, abends in der Wohnung), stets aber die Benennung des Endzeitpunkts der Überwachung. Behält sich der Richter (ausnahmsweise) selbst die Leitung der Überwachung vor (Rn. 31), bringt er dies in der Formel zum Ausdruck. Dasselbe gilt für sein Verlangen, ihn in bestimmten Abständen über den Stand der Ermittlungen und insbesondere über die bei der Überwachung erlangten Erkenntnisse zu unterrichten, damit er die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme auch vor Fristablauf überprüfen kann, wenn er dies für erforderlich hält. Selbstverständlich kann der für die Maßnahme verantwortliche Richter dies aber auch noch nach Erlass der Entscheidung bis zur Beendigung der Maßnahme verlangen. § 7 TKÜV enthält eine sehr detaillierte Zusammenstellung der von den Dienstanbie- 10 tern für die verschiedenen Arten der Überwachung bereitzustellenden Daten. Diese Vorschrift, die bei § 100a, 84 abgedruckt ist, zeigt insbesondere auch die Möglichkeiten auf, durch präzise Angaben und Beschränkungen in der Formel den Eingriff nicht uferlos werden zu lassen. So kann etwa die Überwachung beschränkt werden auf Fälle, in denen die Telekommunikation von der zu überwachenden Kennung ausgeht oder bei denen die zu überwachende Kennung das Ziel der Telekommunikation ist oder bei denen eine Telekommunikation mit der Gegenseite zustande kommt und es nicht nur bei Telekommunikationsversuchen bleibt. b) Identifizierung, Kennung. Die Anordnung muss die Rufnummer oder eine sonstige 11 Kennung (Abs. 2 S. 2 Nr. 2) des zu überwachenden Telekommunikationsanschlusses enthalten. Die Angabe von Name und Anschrift des Betroffenen würden nur dann genügen, wenn dieser mit dem Netzbetreiber, der die Überwachung vornehmen soll, in einem Vertragsverhältnis steht, weil sich dann aus den Dateien des Betreibers die zur Überwachung erforderlichen Gerätedaten entnehmen lassen, und wenn die zu überwachende Telekommunikation gerade mit dem Gerät oder Anschluss betrieben werden soll, auf die sich der Vertrag bezieht. Indes besteht ein solches Vertragsverhältnis namentlich im Mobilfunkbereich nicht unbedingt. Die Anordnung muss deshalb die technischen Daten nennen, welche die Überwachung 12 erst ermöglichen. Diese meint das Gesetz mit dem Wort „Kennung“ (BTDrucks. 13 8016 5 6
BGH NJW 1994 2904, 2907 in BGHSt 40 211 nicht abgedruckt. BTDrucks. 14 7679 S. 8.
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V. 22. Januar 2002 BGBl. I S. 458. Dazu Artkämper Kriminalistik 1998 202; KK/Nack 9.
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S. 26).9 Unter Kennung versteht § 2 Nr. 17 TKÜV „das in der Anordnung angegebene technische Merkmal, durch das die zu überwachende Telekommunikation in der Telekommunikationsanlage des Verpflichteten gekennzeichnet ist“. Dies ist bei Anschlüssen im Festnetz die Rufnummer. Im Mobilnetz dagegen kann Telekommunikation heute praktisch nur in Kenntnis der 13 digitalen Kennung der einzelnen Geräte oder ihrer Nutzer überwacht werden. Dazu gibt es zwei Codes. Für den Mobilfunk werden Karten- und Gerätenummern verwendet (vgl. § 100i Abs. 1 Nr. 1). Die IMSI (International Mobile Subscriber Identity) dient gemäß der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) der international eindeutigen Identifikation von Teilnehmern in drahtlosen und drahtgebundenen Kommunikationsdiensten. Bei Mobiltelefonen ist die IMSI auf der SIM-Karte gespeichert (die mit der Endgerätekennung IMEI nichts zu tun hat). Die IMSI besteht aus einem 15-stelligen Code, der aus einem dreistelligen Ländercode (Deutschland 262), einem zweistelligen Code für den Netzbetreiber (z.B. 01 für Deutsche Telekom Mobilnet GmbH) und einem zehnstelligen Code für die Identifikation des Teilnehmers zusammengesetzt sind. Letzterem kann über weitere Verzeichnisse die Rufnummer entnommen werden. Während die SIM-Karte mit der IMSI beliebig in verschiedenen mobilen Endgeräten verwendet werden kann,10 ist die weltweit nur einmal vergebene Gerätenummer oder elektronische Gerätekennung, die IMEI (International Mobile Station Equipment Identity), grundsätzlich fest mit dem jeweiligen Endgerät verbunden, identifiziert also das Gerät. Wird ein mobiles Endgerät eingeschaltet, sendet es, auch wenn es nur auf Bereitschaft geschaltet ist, beide Kennungen über die nächste Basisstation der Funkzelle, in der sich das mobile Endgerät gerade befindet, an den Netzbetreiber. Damit ist die Überwachung der mit diesem Endgerät stattfindenden Telekommunikation möglich. Sind dieses Daten (IMEI und IMSI) des mobilen Endgeräts nicht bekannt, können sie gemäß § 100i für anschließende Maßnahmen nach §§ 100a und 100b (Überwachung der Telekommunikation) sowie nach § 100g (Auskunft über Verbindungsdaten) ermittelt werden. Im Übrigen führen die Netzbetreiber Dateien nicht nur darüber, welche Anschlussnummern (diese führen zur IMSI), sondern auch welche Hardware mit welchen IMEI Nummern an wen ausgegeben sind (s. aber § 100a, 18). Da die Gerätekarten beliebig austauschbar sind, mit ihrer Hilfe also die Überwachung 14 der Telekommunikation einer bestimmten Person häufig sehr schwierig ist, hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs11 entschieden, dass die Gerätekennung (IMEI) ein „idealtypischer Fall“ einer „anderen Kennung“ im Sinne von Abs. 2 Nr. 2 sei und es deshalb genüge, wenn die TÜ-Anordnung diese aufführe. Zwar sei der Benutzerkreis dann nicht in gleicher Weise eng gezogen, wie dies bei der Überwachung eines bestimmten mit einer Rufnummer gekennzeichneten Festnetzanschlusses in der Regel der Fall sei, doch bestehe auch dort prinzipiell die Gefahr, dass die Telekommunikation Dritter miterfasst werde. Letzteres trifft etwa bei der Überwachung von Anschlüssen, die einer Vielzahl von Personen zugänglich sind (z.B. Telefone in Gaststätten), sicherlich zu, weshalb der Entscheidung, die den Besonderheiten des Mobilfunks Rechnung trägt, uneingeschränkt zuzustimmen ist.
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c) Befristung (Absatz 1 Satz 4 und 5). Die Überwachung der Telekommunikation darf nur befristet gestattet oder angeordnet werden; die (nach Abs. 1 Satz 5 verlänger-
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KK/Nack 8. Es soll Personen mit 90 und mehr SIMKarten geben; vgl. § 100a, 18.
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BGH – Ermittlungsrichter – CR 1998 738 = MMR 1999 99; anders LG Hamburg NStZ-RR 1999 82.
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bare) Frist beträgt höchstens drei Monate (Absatz 1 Satz 4); der Richter kann je nach Sachlage auch eine kürzere Dauer festsetzen. Entscheidend ist im Einzelfall das konkrete Gewicht des Eingriffs, das Maß des Tatverdachts und die Schwere der vorgeworfenen Straftat. Überwacht der Ermittlungsrichter laufend die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme (insbesondere auch darauf, ob sie noch erforderlich ist), kann er die Höchstfrist ausschöpfen, anderenfalls wird er kürzere Fristen wählen, um bei einer erforderlich werdenden Verlängerungsentscheidung das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der bereits gewonnenen Ermittlungsergebnisse zu prüfen. Eine rückwirkende Verlängerung der Frist ist nicht möglich.12 Die Frist beginnt, wie der BGH inzwischen für den entsprechenden Fristbeginn bei dem Einsatz technischer Mittel im Sinne von § 100c ausgesprochen hat,13 mit der Anordnung, nicht erst mit dem Vollzug der Maßnahme. Der BGH begründet dies unter Hinweis auf die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht zur Dauer der Vollstreckbarkeit von Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellt hat,14 damit, dass nur so eine ausreichende Effektivität der richterlichen Kontrolle der Maßnahme gewährleistet bleibe. d) Begründung. Die richterliche Anordnung ist gem. § 34 zu begründen, da sie 16 grundsätzlich anfechtbar ist (vgl. Rn. 16 f.) und da andernfalls bei der späteren Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder der Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse nicht festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen des § 100a vorlagen.15 Es bedarf also der Mitteilung eines Sachverhalts, der die Annahme einer Katalogtat begründet,16 der rechtlichen Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen Tatbestand des Katalogs in § 100a sowie einer Darlegung der Beweislage, aus der sich der Verdacht einer Katalogtat in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung ergibt, ferner der Angabe der bestimmten Tatsachen, die diesen Verdacht begründen, der Unentbehrlichkeit der Maßnahme sowie bei Maßnahmen gegen Dritte der bestimmten Tatsachen, auf Grund derer anzunehmen ist, dass diese als Nachrichtenmittler in Betracht kommen oder dass der Beschuldigte deren Anschluss benutzt.17 Anzugeben ist ferner, ob die Maßnahme der Sachverhaltserforschung oder der Aufenthaltsermittlung dient. Einzelheiten zur Verdachts- und Beweislage bei § 100a, 42. Liegt im seitherigen Verfahren wesentliches Verteidigungsvorbringen vor, muss darauf eingegangen werden.18 Zutreffend weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin,19 dass ebenso wie bei der Gestattung einer Durchsuchung (§ 105, 59 ff.) der Richter die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebotene Abwägung der sich bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis gegenüberstehenden Rechtspositionen vorzunehmen hat. Die Abwägung hängt entscheidend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Es ist die Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Übermittlung der Verbindungsdaten nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen ver-
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BGH NStZ 1998 426, 427. BGHSt 44 243, dazu Fezer JZ 1999 526; ebenso SK/Wolter 6; Füllkrug Kriminalistik 1990 349, 354. BVerfGE 96 44. Zum späteren Umfang der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch den
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Tatrichter oder das Revisionsgericht vgl. § 100a, 129. Arloth NStZ 2003 609, 610 m.N. Vgl. auch BVerfG NJW 2003 1787. LG Berlin StV 2002 67. NJW 2003 1787.
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tragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss.20 Vor der Entscheidung werden der Beschuldigte und die sonst Betroffenen nicht angehört (§ 33 Abs. 4 Satz 1). Zur Entscheidungsgrundlage s. § 98, 16 und § 111a, 49 ff.
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4. Rechtliches Gehör. Bekanntmachung. Bei der Überwachung der Telekommunikation ist vorheriges rechtliches Gehör aus den in § 33 Abs. 4 genannten Gründen regelmäßig nicht angebracht. Der Betroffene kann sich nachträglich Gehör verschaffen, wenn er später von den getroffenen Maßnahmen benachrichtigt worden ist (§ 101 Abs. 4 Nr. 3) oder sonst von der Maßnahme auf andere Weise Kenntnis erhalten hat. Aus demselben Grunde unterbleibt gemäß § 101 Abs. 5 zunächst auch eine Bekanntmachung der Anordnungen an den Beschuldigten und die sonst von der Beschlagnahme Betroffenen, etwa an die Gesprächsteilnehmer, wenn der Beschuldigte der Anschlussinhaber ist. Zum Kreis der zu Benachrichtigenden und zum Zeitpunkt der Benachrichtigung s. Erl. zu § 101.
IV. Verlängerung (Absatz 1 Satz 5) 18
Die Überwachungszeit kann um jeweils höchstens drei Monate verlängert werden, sooft dies erforderlich ist. Dass dabei die Voraussetzungen des § 100a vorliegen müssen, ist selbstverständlich; Absatz 1 Satz 5 sagt dies überflüssigerweise ausdrücklich („soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse fortbestehen“). Denn eine Verlängerung ohne Kenntnis der seitherigen Überwachungsergebnisse und der sonstigen neuen Ermittlungsergebnisse ist nicht zu verantworten.21 Der Richter muss deshalb darauf bestehen, dass ihm sämtliche bis zur neuen Entscheidung angefallenen Erkenntnisse vorgelegt werden. Erfolgt dies nicht, muss der Richter mangels Überprüfbarkeit der Anordnungsvoraussetzungen die Verlängerung ablehnen. Die Verlängerung erfolgt (im Ermittlungsverfahren auf Antrag, nach Erhebung der öffentlichen Klage nach Anhörung der Staatsanwaltschaft) durch gerichtlichen Beschl., für dessen Form und Inhalt Rn. 2 bis 17 entsprechend gelten. Für die Verlängerung ist nur der Richter zuständig, da Gefahr im Verzug insoweit nicht denkbar ist. Zur Entscheidungsgrundlage (§ 98, 16) gehören auch die bereits gewonnenen Abhörergebnisse.
V. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Staatsanwalt (Absatz 1 Satz 2 und 3) 19
1. Nur bei Gefahr im Verzug. Das Gewicht des Fernmeldegeheimnisses gebietet es, den Begriff Gefahr im Verzug hier in derselben Weise zu handhaben, wie bei § 105. Dass der Richtervorbehalt hier nicht verfassungsrechtlich verankert ist, mag allenfalls für die Frage eines Verwertungsverbots bei Verstößen, nicht aber für die Voraussetzungen der Notzuständigkeit von Bedeutung sein. Auf die Erl. bei § 105, 83 ff. wird deshalb verwiesen.
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Unter Hinweis auf die zur Durchsuchung ergangene Entscheidung BVerfGE 103 142, 151.
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Krause FS Hanack 221, 240.
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2. Form. Auch die Anordnung des Staatsanwalts ergeht, wie Abs. 2 Satz 1 ausdrück- 20 lich bestimmt, schriftlich. Im Interesse der Rechtssicherheit ist dies unabdingbar. 3. Inhalt. Zum notwendigen Inhalt der Anordnung gilt im Kern dasselbe wie für die 21 richterliche Anordnung. Wo für den Richter Begründungspflichten bestehen, muss sie auch der Staatsanwalt beachten. Dabei kann sich der Staatsanwalt freilich in Ausnahmefällen mit einer nachträglichen Dokumentation der Gründe für seine Anordnung, die auch die fallbezogenen Tatsachen für die Annahme von Gefahr im Verzug enthalten müssen, begnügen. Einer solchen Begründung bedarf es schon deshalb, weil die gerichtliche Bestätigung nach Abs. 1 Satz 3 eine volle Rechtmäßigkeitsüberprüfung einschließlich der Annahme der Gefahr im Verzug voraussetzt. 4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 1 Satz 3). 22 Die Anordnung der Staatsanwaltschaft ist immer nur vorläufig. Sie bedarf der richterlichen Bestätigung. Diese muss unverzüglich beantragt werden, da die Entscheidung des Richters binnen drei Tagen nach Erlass der Anordnung der Staatsanwaltschaft22 bei dem Netzbetreiber eingegangen sein muss. Der Netzbetreiber muss auf die Anordnung der Staatsanwaltschaft sofort tätig werden, er darf nicht warten bis die richterliche Bestätigung vorliegt. Bei seiner Bestätigungsentscheidung entscheidet das nach § 98 zuständige Gericht 23 (§ 100 Abs. 4 Satz 1) auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Regel über die Rechtmäßigkeit der durch die Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahme und über die Fortdauer der Telekommunikationsüberwachung. Dabei wird die staatsanwaltschaftliche Eilentscheidung in vollem Umfang ebenso überprüft, wie wenn das Gericht vom Betroffenen nach § 98 Abs. 2 angerufen worden wäre23 (siehe auch dort Rn. 53). Dies gilt für die Voraussetzungen des Tatverdachts ebenso wie für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und der Voraussetzungen der Annahme von Gefahr im Verzug. Unabhängig davon und bezüglich der Einzelheiten der Überwachung auf Grund eigener Prüfung24 entscheidet das Gericht zugleich, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt hatte, über die Fortdauer der Überwachung. Kann eine Bestätigung nicht erfolgen, weil etwa Gefahr im Verzug zu Unrecht angenommen worden war, liegen aber jetzt die Voraussetzungen einer Überwachung im Übrigen vor und beantragt die Staatsanwaltschaft deren Fortdauer, hebt das Gericht die staatsanwaltschaftlich angeordnete Überwachung auf und erlässt einen neuen Beschl. mit Wirkung ex nunc, bei dem es inhaltlich nicht an die staatsanwaltschaftliche Eilmaßnahme gebunden ist. Über die Verwertbarkeit der bereits erlangten Erkenntnisse hat das Gericht der Hauptsache zu entscheiden. Hält der Ermittlungsrichter freilich die Erkenntnisse wegen groben Rechtsfehlers etwa bei der Annahme von Gefahr im Verzug für unverwertbar, hat er dies auszusprechen. Eine verspätete Bestätigung gilt als neue richterliche Anordnung, die mit dem Zeitpunkt des Eingangs bei dem Netzbetreiber wirksam wird. Zur Verwertbarkeit der nach Ablauf der Dreitagesfrist und vor Wirksamwerden der neuen Entscheidung erlangten Erkenntnisse s. § 100a, 110. 5. Außerkrafttreten der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 1 Satz 3). Die 24 staatsanwaltschaftliche Anordnung tritt ohne weiteres außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom Richter bestätigt wird. Ob schon Telekommunikation überwacht 22 23
Schnarr NStZ 1988 481, 484; Meyer-Goßner 1; vgl. auch BGHSt 44 243. S. dazu etwa Morree/Bruns FS BGH 581, 587.
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Vgl. zu § 100: BGHSt 28 206, 209.
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wurde, ist ohne Bedeutung. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung (Rn. 15). Die Frist wird nach § 42 berechnet, endet also am dritten Tage nach dem Eingang der Anordnung um 24 Uhr (§ 42, 1). Bis zu diesem Zeitpunkt muss die richterliche Bestätigung bei dem Netzbetreiber vorliegen; auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung kommt es nicht an. § 43 Abs. 2 gilt nicht.25 Für seine Anwendung besteht wegen der überall eingerichteten oder einzurichtenden (§ 22c GVG) richterlichen Bereitschaftsdienste keine Notwendigkeit. Liegt bei Ablauf der Frist keine Bestätigungsentscheidung vor, dürfen keine Überwachungen mehr stattfinden und keine neu anfallenden Daten der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt werden. Das Außerkrafttreten der Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft wirkt 25 nicht zurück. Erlangte Erkenntnisse bleiben verwertbar, auch wenn eine Bestätigungsentscheidung nicht ergeht oder abgelehnt wird. Eine Ausnahme kann allenfalls bei Rechtsfehlern, die zu einem Verwertungsverbot führen, anerkannt werden (§ 100a, 114 ff.).
VI. Durchführung der Anordnung (Absatz 3) 26
1. Vollstreckung der Anordnung. Die Vollstreckung der Anordnung ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft (§ 36), in deren Ermessen es auch steht, ob sie im Ermittlungsverfahren von einer richterlichen „Anordnung“26 überhaupt Gebrauch machen will27 (§ 98, 22). Die Staatsanwaltschaft teilt ihre eigene oder die richterliche Anordnung (in der Regel in Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift) dem nach Abs. 3 zur Mitwirkung verpflichteten Unternehmen (zumeist dem dortigen Sicherheitsbeauftragten) mit und ersucht gleichzeitig um die erforderlichen technischen Maßnahmen. Die auf Seiten der Dienstebetreiber an der Überwachung mitwirkenden Personen dürfen unter Strafandrohung davon anderen Personen keine Mitteilung machen (§§ 17, 18 G10 2001). In Eilfällen kann die Mitteilung an den Dienstebetreiber durch Übermittlung der 27 schriftlich zu erlassenden (Abs. 2 Satz 1) Anordnung durch Telefax oder e-mail erfolgen, das verpflichtete Unternehmen muss sich dann aber vor Einleitung der Überwachungsmaßnahme durch Rückruf davon überzeugen, dass das Ersuchen von einer berechtigten Stelle ausgeht. Wird dem Unternehmen nicht innerhalb einer Woche die Originalanordnung oder eine beglaubigte Abschrift vorgelegt, hat es die Überwachungsmaßnahme zu beenden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 TKÜV). Roaming. Manche Mobilfunkbetreiber verfügen nicht über ein flächendeckendes 28 Netz in Deutschland. Sie bedienen sich dann anderer Netzbetreiber (sog. Roamingpartner) in den Gebieten, in denen sie keine eigenen Netze haben. Da sich die Überwachung eines Mobilfunkgeräts nicht auf die Bereiche beschränken kann, in denen der Vertragspartner des von der Überwachung betroffenen Kunden ein eigenes Netz hat, gilt die Überwachungsanordnung bezüglich bestimmter Mobilfunkanschlüsse auch gegenüber den Roamingpartnern. Auch diese sind Verpflichtete im Sinne von § 12 TKÜV und müssen deshalb von der Anordnung durch die Staatsanwaltschaft unterrichtet werden.28
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A.A. Meyer-Goßner 1. Anordnungscharakter hat die Maßnahme allenfalls in Bezug auf die nach Abs. 3 zur Mitwirkung bei der Telekommunikationsüberwachung verpflichteten Netzbetreiber oder sonstigen Anbieter. Im Verhältnis zur
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Staatsanwaltschaft ist die richterliche Entscheidung der Sache nach eine Genehmigung. A.A. Welp Überwachung 101, der eine ausdrückliche Übertragung der Überwachungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft verlangt. BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2003 272.
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Zur Auskunft darüber, über welche Roamingpartner der einzelne Betreiber verfügt, ist der Anschlussanbieter nach § 100b Abs. 3 verpflichtet,29 denn er hat nach dieser Vorschrift die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation „zu ermöglichen“ und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen. 2. Mitwirkungsverpflichtung des Anbieters. Die Durchführung der Telekommunika- 29 tionsüberwachung setzt die Mitwirkung der nach Abs. 3 dazu verpflichteten Anbieter und Netzbetreiber (§ 100a, 8), die – nicht notwendigerweise geschäftsmäßig30 – Telekommunikationsdienste erbringen, oder an solchen mitwirken, voraus. Einzelheiten sind in §§ 110 ff. TKG geregelt. Die Anbieter und Betreiber müssen zunächst auf ihre Kosten, aber mit der Möglichkeit zur Entschädigung31 zur technischen und organisatorischen Umsetzung der Überwachungsmaßnahmen beitragen. Jeder Betreiber einer Telekommunikationsanlage, mittels derer Telekommunikationsdienstleistungen nicht nur ausschließlich für interne Zwecke erbracht werden,32 ist danach verpflichtet, sicherzustellen, dass die technischen Einrichtungen für die Telekommunikationsüberwachung vorhanden sind (§ 110 TKG, § 6 TKÜV) und die zu überwachende Telekommunikation, deren Umfang in § 7 TKÜV geregelt ist, in Kopie dem Berechtigten, im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft, an einem bestimmten Übergabepunkt (elektronisch) bereitgestellt werden kann (§§ 8, 9 TKÜV). Im Weigerungsfalle hat die Staatsanwaltschaft durch die Verweisung auf § 95 Abs. 2 die Zwangsmittel des § 70 zur Verfügung, die allerdings der Richter anordnen muss. Daneben kann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 TKG die Regulierungsbehörde Zwangsgelder bis zu 500.000 € verhängen, wenn ein Netzbetreiber seine Mitwirkung verweigert. Die Betreiber haben weiter sicherzustellen, dass sie jederzeit über eine Telekommunikationsüberwachungsanordnung unterrichtet werden können (§ 12 TKÜV). Die nach Abs. 3 verpflichteten Anbieter oder Netzbetreiber müssen zwar die für die 30 Überwachung erforderlichen Schaltungen herstellen, sind aber nicht verpflichtet, zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs Personal zur Verfügung zu stellen.33 Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen sind nicht berechtigt, von dem Inhalt des Nachrichtenverkehrs Kenntnis zu nehmen. Zur Prüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Anordnungen vorliegen, insbesondere ob bei Anordnungen der Staatsanwaltschaft Gefahr im Verzug vorliegt, sind sie ebenfalls nicht berechtigt.34 Die Diensteanbieter können sich aber mit der Beschwerde bzw. in den Fällen, in denen Beschwerde nicht zulässig ist, mit der Gegenvorstellung gegen gesetzlich nicht zugelassene Überwachungsmaßnahmen wenden (Rn. 43). In der Regel wird die Staatsanwaltschaft ihre im Polizeidienst tätigen Ermittlungs- 31 personen (Absatz 3) mit der technischen Durchführung der Überwachung beauftragen (§ 152 GVG). Zwingend ist dies jedoch nicht. Aus Absatz 3 ergibt sich vielmehr, dass sich der Richter und die Staatsanwaltschaft die Überwachung oder deren Leitung vorbe-
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BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2003 272. Vgl. dazu § 100a, 8, für den öffentlichen Verkehr bestimmt (so die frühere Gesetzeslage) braucht eine Fernmeldeanlage nicht mehr zu sein, um die Mitwirkungspflicht des Betreibers auszulösen. Vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG, § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG; Erbs/Kohlhaas/ Kalf/Papsthart § 88 TKG, 3; KK/Nack 14; s. auch § 100a, Entstehungsgeschichte.
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Wohlers/Demko StV 2003 241, 242. Zur früheren Rechtslage (keine Verpflichtung der Post, Beamte dafür bereitzustellen): Eb. Schmidt Nachtr. II 7; Kaiser NJW 1969 19. Zur früheren Rechtslage (insoweit keine Prüfungskompetenz der Bundespost): LR/Meyer 23 3; Aubert, Fernmelderecht I. Teil, 3. Aufl. (1974) 67.
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halten können. Soweit die Anordnung dies gestattet, können Ferngespräche auf Tonband aufgenommen oder ihr Inhalt sonst (z.B. in Aktenvermerken) festgehalten werden. Die Fertigung von wörtlichen Niederschriften über den Inhalt der auf Tonband genommenen Gespräche ist zulässig.35 Bei Fernschreiben dürfen Abschriften, Abdrucke oder Ablichtungen hergestellt werden.36 Digitalisierte Datenübermittlungsvorgänge, die heute die Regel sind, werden unmittelbar überspielt (§§ 8, 9 TKÜV). Die technischen Voraussetzungen dafür hat gesetzwidrig nur die Polizei und nicht auch die Staatsanwaltschaft. Den Umfang der späteren Auswertung im Einzelfall bestimmt im Ermittlungsverfahren aber ausschließlich die Staatsanwaltschaft, die sich vorbehalten muss, die Auswertung selbst zu steuern, um angesichts der bei Anwendung der digitalen Technik unbeschränkten Datenmengen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit insbesondere bei der Auswertung der Telekommunikation mit geschützten Berufen Rechnung zu tragen.
VII. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Absatz 4) 32
Sobald eine der Voraussetzungen des § 100a weggefallen ist (der Sachverhalt ist einschließlich der Hintergründe, Tathintermänner usw. geklärt – s. dazu § 100a –, es genügen nunmehr andere Mittel, den Sachverhalt aufzuklären oder den Aufenthalt zu ermitteln; der Tatverdacht hat sich zerstreut; der Aufenthalt des Beschuldigten ist bekanntgeworden) oder sobald feststeht, dass eine weitere Überwachung keinen Erfolg verspricht, ist die Maßnahme auch vor Fristablauf unverzüglich zu beenden (§ 100b Abs. 4 Satz 1). War die Maßnahme gegen den Beschuldigten angeordnet worden und wurde dieser verhaftet, kann die Überwachung aufrecht erhalten bleiben, wenn anzunehmen ist, dass etwa ein Nachrichtenmittler von diesem Anschluss Gebrauch macht und eine weitere Sachaufklärung dadurch zu erwarten ist, denn die Überwachung hätte auch gegen den Dritten als Nachrichtenmittler angeordnet werden dürfen.37 Freilich muss die Fortdauer der Überwachung durch eine dahingehende Anordnung des Ermittlungsrichters gegen den anderen Betroffenen gedeckt sein.38 Eine laufende Überwachung des Fortbestehens der Voraussetzungen des § 100a ist daher notwendig.39 Verantwortlich für diese Überwachung sind zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens der 33 Richter, der die Maßnahme gestattet oder (nach Erhebung der öffentlichen Klage) angeordnet hat und auch vor Ablauf der gesetzten Frist zur laufenden Überprüfung befugt ist, ob die Maßnahme aufrechterhalten werden darf, und der Staatsanwalt.40 Um ihrer Überwachungsverpflichtung gerecht zu werden, können der Richter und Staatsanwalt anordnen, dass die Überwachungsergebnisse in kürzeren Zeitabschnitten ausgewertet und ihnen zur Verfügung gestellt werden. Sieht sich die Polizei aus ökonomischen oder sonstigen Gründen zu solchen Berichten nicht in der Lage, kann der Richter oder der Staatsanwalt die Maßnahme nicht aufrecht erhalten. Erkennt im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt, dass die Voraussetzungen für eine Überwachung der Telekommunikation nicht mehr vorliegen, hat er sie zu beenden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend. Der Staatsanwalt teilt die Tatsache der Beendigung und die durch die Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse dem anordnenden Gericht mit (Abs. 4 Satz 2).
35 36 37
BGHSt 27 135. Zum technischen Ablauf vgl. Mösch Kriminalistik 1974 168. BGH NJW 1994 2904, 2907, insoweit in BGHSt 40 211 nicht abgedruckt.
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38 39 40
BGH NJW 1994 2904, 2907, insoweit in BGHSt 40 211 nicht abgedruckt. Meyer-Goßner 9. KMR/Bär 12, 22.
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Diese laufende Überprüfung ist besonders deshalb geboten, weil hier – anders als bei 34 den meisten anderen Zwangsmaßnahmen – der Betroffene den Eingriff nicht kennt und deshalb nicht von sich aus auf eine gerichtliche Überprüfung antragen kann (s. § 120, 25). Dieser Verpflichtung zur laufenden Überwachung kann sich Richter und Staatsanwaltschaft zwar nicht durch eine engere Begrenzung der Befristung entziehen, jedoch wird die Intensität der Überwachung bei einer nur für kurze Zeit angeordneten Überwachung geringer sein. Die Auffassung von Meyer ,41 im Ermittlungsverfahren habe der Richter nach der 35 Gestattung der Maßnahme keine weiteren Überwachungspflichten und -rechte, verkennt die Bedeutung des Richtervorbehalts, der sich gerade nicht auf die Gestattung oder Anordnung der Maßnahme beschränkt, sondern auch Auswirkungen auf die Zuständigkeit hat, die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme zu überprüfen. § 120 Absatz 1 Satz 1 zeigt dies deutlich für die Untersuchungshaft (vgl. dazu § 120, 25). Für die Telekommunikationsüberwachung kann weder der Befristung der Maßnahme noch Absatz 4 Satz 2 anderes entnommen werden. Auch die Untersuchungshaft ist grundsätzlich befristet, wie sich aus § 121 ergibt (vgl. § 121, 1) und Absatz 4 Satz 2 berechtigt lediglich die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren als die das Ermittlungsverfahren verantwortlich führende Behörde, die Maßnahme von sich aus zu beenden, wenn sie dies für angezeigt und erforderlich hält. Eine Einschränkung der Befugnisse des Ermittlungsrichters kann daraus ebensowenig geschlossen werden, wie aus der verwandten Vorschrift des § 120 Abs. 3. Hat der Tatrichter während einer laufenden Hauptverhandlung die Telekommunika- 36 tionsüberwachung angeordnet und durchführen lassen, so gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, dass der Angeklagte und sein Verteidiger sowie die übrigen Verfahrensbeteiligten noch vor Urteilsverkündung über die Maßnahme unterrichtet werden und ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Ergebnis der Ermittlungen gegeben wird. Das gilt auch dann, wenn das Gericht diese Ergebnisse nicht für entscheidungserheblich hält.42
VIII. Berichtspflicht der Länder und des GBA (Absatz 5 und 6) 1. Allgemeines. Absatz 5 statuiert eine Pflicht der Länder und des GBA, dem Bundes- 37 amt für Justiz über Überwachungsmaßnahmen nach § 100a zu berichten. Eine ähnliche Vorschrift fand sich nach alter Rechtslage für den sog. „großen Lauschangriff“ in § 100e Abs. 1. Dort waren allerdings nur die Staatsanwaltschaften gegenüber ihren Landesregierungen zur Berichterstattung verpflichtet. Heute geht diese Berichtspflicht somit in zweierlei Hinsicht über die alte Rechtslage hinaus: Zum einen sieht sie bundesweit das Bundesamt für Justiz und nicht mehr nur an die Landesjustizverwaltungen als Berichtsempfänger vor, zum anderen erstreckt sie sich nicht mehr nur auf den „großen Lauschangriff“ (vgl. § 100e Abs. 1 Satz 1), sondern mit § 100b Abs. 5 auch auf die Telekommunikationsüberwachung. 2. Zeitpunkt und Zweck der Berichte. Nach Absatz 5 haben die Länder und der 38 GBA kalenderjährlich jeweils bis zum 30. Juni des dem Berichtsjahr folgenden Jahres
41
LR/Meyer23 Rn. 5; Meyer-Goßner 9 verkennt die hier vertretene Auffassung.
42
BGH NStZ 1990 193.
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über in ihrem Zuständigkeitsbereich angeordnete Maßnahmen nach § 100a dem Bundesamt für Justiz über die Anzahl der Verfahren mit Maßnahmen nach § 100a, die Anzahl der Anordnungen nach § 100a differenziert nach Erst- und Verlängerungsanordnung sowie hinsichtlich Mobilfunk-, Festnetz oder Internettelefonie, und die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat zu berichten. Zweck der Berichte ist die Information durch die oberste Justizbehörde des Landes und des GBA an das Bundesamt für Justiz, welches auf dieser Grundlage wiederum eine Übersicht erstellt und diese im Internet veröffentlicht. Daher müssen die Berichte die parlamentarische Kontrolle des Gesetzesvollzuges bei der Telekommunikationsüberwachung ermöglichen43 und hierzu ausreichende Informationen enthalten. Die Länderberichte sollen auch Verbesserungsvorschläge einschließen.44 Das Gesetz stellt Mindestanforderungen auf; weitergehende Berichte sind nicht ausgeschlossen.45 Ergänzende Berichte im Falle vorher unrichtiger oder unvollständiger Angaben sind möglich.46 Probleme mit der Erfüllung der Berichtspflicht wurden bisher allerdings nicht bekannt.
39
3. Gegenstand und Inhalt der Berichte. Der Bericht enthält ausschließlich statistische Angaben und keine personenbezogenen Daten. Die inhaltlichen Anforderungen des Abs. 6 unterscheiden sich erheblich von den für den großen Lauschangriff geltenden Berichtsinhalten des § 100e (vgl. dort). Anzugeben sind: Die Anzahl der Verfahren, in denen Maßnahmen nach § 100a Abs. 1 angeordnet worden sind (Abs. 6 Nr. 1): Maßgeblich ist nur eine Nennung pro Ermittlungsverfahren, bei verbundenen Sachen reicht die Angabe des führenden Verfahrens nicht aus. Die Anzahl der Überwachungsanordnungen nach § 100a Abs. 1, unterschieden nach a) Erst- und Verlängerungsanordnungen sowie b) Festnetz-, Mobilfunk- und Internettelekommunikation (Abs. 6 Nr. 2): Maßgeblich ist die Zahl der richterlichen und eilkompetenziell-staatsanwaltlichen Anordnungen. Diese Differenzierungen sind sinnvoll, weil sich auf diese Weise nachvollziehen lässt, welche praktische Entwicklung die Maßnahme nimmt und so ggfs. Handlungsanreize für den Gesetzgeber deutlich werden. Die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat nach Maßgabe der Unterteilung in § 100a Abs. 2 (Abs. 6 Nr. 3): Hier sollten auch die Einstufung der Art und Gefährlichkeit der Tat aus dem Bericht hervorgehen.47 Kritik und Überlegungen de lege ferenda. Die Berichtspflicht nach Abs. 6 ist nur rudimentär formuliert. Sie erfasst einige Informationen nicht, deren Kenntnis durchaus wichtig ist. So ist nicht vorgesehen, dass die genaue Anzahl der der überwachten Telekommunikationsvorgänge mitgeteilt wird.48 Auch die Angabe der Zahl der überwachten Telekommunikationsvorgänge und die Zahl der Adressaten i.S.d. § 100a Abs. 3 ist notwendig, weil die Einbindung in die Verdachtsannahme als mutmaßliche Tatbeteiligte oder Drittbetroffene und damit der Grad der Erfassung Unverdächtiger für die parlamentarische Kontrolle des Gesetzesvollzuges von besonderer Bedeutung ist. Dasselbe gilt für die Dauer der Maßnahme, bei der die Dauer der Anordnung und die Dauer der Vollziehung zu unterscheiden und jeweils gesondert zu erfassen wären. Angaben über den Erfolg der Maßnahme, die alle aus der Maßnahme folgenden verfahrensrelevanten Erkenntnisse49 um-
43
44 45
Hölscher Der Rechtsschutz und die Mitteilungspflichten bei heimlichen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen (2001) 291. Vgl. die Änderungsvorschläge in BTDrucks. 14 8155 S. 11 f. Auch Zwischenberichte sind zeitlich möglich,
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46 47 48 49
ebenso inhaltlich ergänzende Berichte; KK/Nack5 §100e 2. BTDrucks. 13 8651 S. 14 f.; SK/Wolter 3. KK/Nack5 § 100e, 3. OK – StPO Graf 28; Meyer-Goßner 12. KK/Nack5 § 100e, 3.
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fassen und die sich, wenn innerhalb des Berichtszeitraums noch keine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist, nur auf die vorläufigen Befunde beziehen können, sind zunächst unabhängig von der Frage, ob es sich um belastende oder entlastende Beweise handelt, für die Bewertung der Subsidiaritätsklausel und der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung und sollten künftig daher ebenso verlangt werden.50 4. Internetveröffentlichung durch das Bundesamt für Justiz. Das Bundesamt für 40 Justiz erstellt auf dieser Grundlage sodann eine Übersicht zu den im Berichtsjahr bundesweit angeordneten Maßnahmen und veröffentlicht diese im Internet. Diese Berichte können über die amtliche Homepage des BfJ eingesehen werden. Die Internetadresse des Bundesamtes für Justiz lautet: www.bundesjustizamt.de.
IX. Kosten Die Anbieter und Betreiber von Telekommunikationsdiensten haben nach § 110 41 Abs. 1 Nr. 1 TKG die Möglichkeit zum Abruf von Kopien der Telekommunikation im automatisierten Verfahren auf ihre Kosten zu schaffen.51 Im Gesetzgebungsverfahren wurde diese Regelung mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums begründet. Heute sieht § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG freilich eine Entschädigung vor.
X. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Ermittlungsrichter analog 42 § 98 Abs. 2 Satz 2 (vgl. § 98, 50) angerufen werden, es sei denn, die richterliche Bestätigung der Anordnung der Staatsanwaltschaft ist (vor oder nach Antragstellung) gemäß § 100b Abs. 1 Satz 3 erfolgt.52 Gegen richterliche Entscheidungen, sei es die Anordnung bzw. Gestattung nach § 100b Abs. 1 Satz 1, die richterliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2 oder die Bestätigung nach § 100b Abs. 1 Satz 3 ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft, es sei denn, die Anordnung sei durch das Beschwerdegericht getroffen worden.53 Nur bei bereits beendeten Maßnahmen geht § 101 Abs. 7 Satz 2 nach Ansicht des BGH heute als abschließende Sonderregelung vor (vgl. § 101, 45). Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Sachen, in denen diese im ersten Rechtszug 43 zuständig sind, und des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof und des Oberlandesgerichts sind nach § 304 Abs. 4 und 5 nicht beschwerdefähig. Auch wenn die Überwachung der Telekommunikation in ihrer Eingriffsintensität der Beschlagnahme mindestens gleichgestellt werden muss, scheitert die Zulässigkeit der Beschwerde an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.54 Zweck der Einführung des § 304 Abs. 5 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 sei es, so BGH NStZ 2002 274, gewesen, zur Entlastung des Staatsschutzsenats des Bundesgerichtshofs die Möglichkeit der
50 51 52
Ebenso HK-GS/Hartmann 12; a.A. Bittmann DRiZ 2007 115, 117. Kritisch dazu Ehmer in Beck’scher TKG Kommentar 2. Aufl. § 88, 49. BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2003 273 für den Fall, dass die Bestätigung vor Antragstellung erfolgt war.
53 54
OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 76. BGH NStZ 2002 274; BGH Ermittlungsrichter NStZ 2003 272; NStZ 2001 389; CR 1998 738; Meyer-Goßner 14; Pfeiffer 6; KK/Nack 16 zweifelnd KK/Engelhardt § 304 9; a.A. LR/Matt § 304, 77; HK/Rautenberg § 304, 21.
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Anfechtung von Verfügungen des Ermittlungsrichters auf einen engen Kreis von Maßnahmen zu begrenzen, die nachhaltig in die Rechtssphäre des jeweils Betroffenen eingreifen.55 Dabei habe der Gesetzgeber nicht alle besonders eingriffsintensiven Maßnahmen der Anfechtung unterstellt. Vielmehr habe er Ermittlungsmaßnahmen, die in vergleichbarer oder noch schwerer wiegender Weise (Grund-)Rechte des Betroffenen berühren, nicht in den Katalog des § 304 Abs. 5 StPO aufgenommen, wie etwa die körperliche Untersuchung (§ 81a StPO) oder die Überwachung der Telekommunikation (§ 100a StPO). Er habe diesen Katalog auch später nicht erweitert, als er beispielsweise durch die gesetzliche Regelung der Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes (§ 100c Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO) oder des Einsatzes Verdeckter Ermittler in Wohnungen (§§ 110a, 110c StPO) weitere in besonderem Maße grundrechtsrelevante und dem Richtervorbehalt unterstellte Ermittlungsmaßnahmen in die StPO einfügte. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber den Ausnahmekatalog des § 304 Abs. 5 StPO nicht allein nach dem Maßstab der Schwere der angeordneten Eingriffe in (Grund-)Rechte der Betroffenen gestaltet, sondern auch andere Besonderheiten berücksichtigt, so etwa den Umstand, ob der Betroffene von der in Rede stehenden Eingriffsmaßnahme regelmäßig erst nach deren Beendigung erfährt (vgl. § 101 Abs. 4). Allein die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen stellt daher kein Kriterium dar, das bei der Auslegung des § 304 Abs. 5 StPO eine Erweiterung des Katalogs dieser Vorschrift über den möglichen Wortsinn hinaus rechtfertigen könnte. Im Hinblick auf die restriktiven gesetzlichen Regelungen zum Umgang mit dem Zellmaterial und zum zulässigen Untersuchungsbereich der DNA (vgl. § 81g Abs. 2, § 81f Abs. 2 StPO sowie dem 2005 außer Kraft getretenen § 2 DNA-IFG) käme die Intensität des Eingriffs hier zudem ohnehin nur der der Abnahme eines Fingerabdrucks gleich (vgl. BVerfG NStZ 2001 328, 329). Unzulässige Beschwerden sind sachlich als Gegenvorstellung zu behandeln.56
44
1. Vor Beendigung der Maßnahme. In dieser Phase werden Rechtsbehelfe seitens des Betroffenen kaum jemals eingelegt werden, da die Maßnahme regelmäßig erst nach deren Beendigung bekanntgemacht wird (vgl. § 101, 1, 44). Die Staatsanwaltschaft kann gegen die Ablehnung eines Antrags auf Gestattung der Überwachung der Telekommunikation in den Rn. 42 aufgezeigten Grenzen Beschwerde einlegen.
45
2. Nach Beendigung der Maßnahme. Nach früher herrschender Rechtsauffassung bestand ein Feststellungsinteresse (vgl. § 98, 72) in der Regel nur, wenn über die Telekommunikation Aufzeichnungen gefertigt worden waren. Im Übrigen wurde ein Rechtsschutzinteresse für erledigte Maßnahmen überwiegend wegen prozessualer Überholung verneint.57 Dies hatte zur Folge, dass Rechtsschutz praktisch nicht gewährt wurde, da bei der gegenüber dem Betroffenen regelmäßig zunächst verheimlichten Telekommunikationsüberwachung kaum ein Fall denkbar war, in dem Rechtsschutz gegen noch laufende Maßnahmen erstrebt werden konnte. Da es sich bei der Überwachung der Telekommunikation um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff handelt,58 bei dem der Betroffene regelmäßig vorher nicht gehört werden kann, der aber zur Sicherung präventiven Rechtsschutzes unter Richtervorbehalt steht, kann für den Rechtsschutz bei erledigten Maß-
55 56 57
Vgl. die Gesetzesbegründung BRDrucks. 420/77 S. 57 f. BGH Ermittlungsrichter NStZ 2003 272; CR 1998 738; NStZ 2001 389. Vgl. dazu BVerfGE 49 329; BGHSt 28 57,
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58
58; 28 160, 161; 37 79, 82; NJW 1978 1013; NStZ 1989 189; BGHR StPO § 98 Abs. 2 Feststellungsinteresse 3; Meyer-Goßner 14 m.w.N. BVerfG NJW 2003 1777.
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nahmen einschließlich der Art und Weise ihres Vollzugs heute nach § 101 Abs. 7 Satz 2 auch ohne den Nachweis eines Rechtsschutzbedürfnisses im Einzelfall vorgegangen werden (vgl. § 101, 44). Auch nach Erledigung der Maßnahme kann der Betroffene folglich den für die 46 Anordnung an sich zuständigen Richter gem. § 101 Abs. 7 Satz 2 anrufen. Gerichtliche Entscheidungen werden mit der Beschwerde angefochten. Ziel dieser Überprüfung ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung und der Art und Weise ihrer Durchführung (§ 100a, 122). Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist der des Erlasses der Maßnahme oder ihrer Durchführung. Auf spätere Erkenntnisse kommt es nicht an. Über die Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse ist damit noch nichts gesagt, da nicht jeder Fehler bei Anordnung oder Durchführung zu einem Verwertungsverbot führt (§ 100a, 123). Kommt im Ermittlungsverfahren der zur Entscheidung berufene Ermittlungsrichter zum Ergebnis, rechtliche Mängel würden so schwer wiegen, dass sie zu einem Verwertungsverbot führen, kann er dies festzustellen und die Vernichtung der erlangten Beweise anzuordnen. Die Überprüfung erfasst sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen der 47 §§ 100a und 100b. Ein Beurteilungsspielraum besteht weder zur Frage der Gefahr im Verzug bei Anordnungen der Staatsanwaltschaft, noch des Tatverdachts oder zur Verhältnismäßigkeit (s. aber § 100a, 120), jedoch ist auf die Sicht des Entscheidungsträgers bei Erlass der Maßnahme abzustellen. Näheres bei § 105, 132, 135 und bei LR/Matt Vor § 304, 73 Fn. 165. 3. Berechtigte. Zur Anfechtung befugt sind der von der Maßnahme Betroffene, das 48 ist regelmäßig der Inhaber des zu überwachenden Anschlusses, nicht der Beschuldigte als solcher, es sei denn die Maßnahme richtet sich gegen ihn, sowie die Staatsanwaltschaft. Der Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 steht nur den in § 101 Absatz 4 Satz 1 genannten Personen, also den „Beteiligten der überwachten Telekommunikation“ offen, worunter die h.M. den Beschuldigten und den Inhaber des überwachten Anschlusses, ggf. auch den Nachrichtenmittler und dessen Gesprächspartner, versteht.59 Noch nicht abschließend geklärt ist daher, ob und in welchem Umfang die gemäß 49 § 100b Abs. 3 zur technischen Mitwirkung verpflichteten Betreiber die Maßnahme anfechten können. Einigkeit besteht wohl darüber, dass ihnen ein umfassendes Anfechtungsrecht, das auch Angriffe gegen Tatverdacht, Verhältnismäßigkeit bezüglich des Eingriffs gegenüber dem Betroffenen umfasst, nicht zusteht. Einige Landgerichte sind der Auffassung, die Telekommunikationsbetreiber hätten zu prüfen, ob die formellen Voraussetzungen der Überwachungsanordnung vorliegen, beispielsweise ob die Anordnung von einem zuständigen Richter oder Staatsanwalt in einem Strafverfahren gegen einen bestimmten Beschluss erlassen worden ist oder ob der Umfang der angeordneten Mitteilungspflicht dem Gesetz entspricht. Es sei unbillig, die Betreiber auf die Beschwerde gegen eine Maßnahme nach §§ 100b Abs. 3 Satz 2, 95 Abs. 2, 70 zu verweisen.60 Demgegenüber spricht der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs dem kraft Gesetzes zur Durchführung der Maßnahme verpflichteten Betreiber die Befugnis ab, die Wirksamkeit der Anordnung anzugreifen. Dem Betreiber stehe es nicht zu, faktisch die Interessen des von der Überwachungsmaßnahme in erster Linie betroffenen Beschuldigten oder dessen
59 60
Vgl. KK/Nack § 101, 13. Vgl. LG Bremen StV 1999 307 m.w.N.; LG Ravensburg NStZ-RR 1999 84;
LG Hamburg NStZ 1999 82; ebenso SK/Wolter 36; Ehmer in Beck’scher TKG Kommentar 2. Aufl. § 88, 31.
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Nachrichtenmittler wahrzunehmen, um auf diesem Wege mittelbar eigene Rechte und Interessen durchzusetzen.61 Für diese Auffassung spricht viel. Andererseits kann es dem Betreiber nicht zugemutet werden, sich gegen technisch unmögliches oder durch das Gesetz nicht gedecktes Verlangen nicht unmittelbar wehren zu können. Man wird ihm deshalb ein Beschwerderecht (soweit § 304 Abs. 4 und 5 nicht entgegensteht, dann ist seine „Beschwerde“ als Gegenvorstellung zu behandeln, Rn. 43) einräumen müssen, soweit die Maßnahme von ihm eine gesetzlich nicht einforderbare Mitwirkung verlangt;62 die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Übrigen kann er nicht angreifen.
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4. Entfernung von Aufzeichnungen, Niederschriften o.ä. aus den Akten. Der Zeitpunkt, der Umfang und die Art und Weise der Vernichtung betreffen die Vollstreckung der Art und Weise der Maßnahme. Insoweit stehen dem Betroffenen die Rechtsmittel zu, die er gegen die Art und Weise der Vollstreckung hat. Einzelheiten bei § 105, 131, 134.
XI. Revision 51
Vgl. § 100a, 167.
§ 100c (1) Auch ohne Wissen der Betroffenen darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn 1. bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete besonders schwere Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat, 2. die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, 3. auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen des Beschuldigten erfasst werden, die für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten von Bedeutung sind, und 4. die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. (2) Besonders schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 sind: 1. aus dem Strafgesetzbuch: a) Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 80, 81, 82, 89a, nach den §§ 94, 95 Abs. 3 und § 96 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit § 97b, sowie nach den §§ 97a, 98 Abs. 1 Satz 2, § 99 Abs. 2 und den §§ 100, 100a Abs. 4,
61 62
CR 1998 738; ebenso BGH (Ermittlungsrichter) NStZ 2001 389; Fezer Kapitel 8, 8. BGH (Ermittlungsrichter) CR 1998 738 mitAnm. Bär MMR 1999 101; KK/Nack 10;
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gegen eine Beschwerdebefugnis könnte allerdings sprechen, dass die Betreiber sich gegen entsprechende Zwangsmaßnahmen mit der Beschwerde zur Wehr setzen können.
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2.
3.
4.
5.
6.
7.
§ 100c
b) Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Halbsatz 2 und Bildung terroristischer Vereinigungen nach § 129a Abs. 1, 2, 4, 5 Satz 1 Alternative 1, jeweils auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, c) Geld- und Wertzeichenfälschung nach den §§ 146 und 151, jeweils auch in Verbindung mit § 152, sowie nach § 152a Abs. 3 und § 152b Abs. 1 bis 4, d) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 176a Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3, § 177 Abs. 2 Nr. 2 oder § 179 Abs. 5 Nr. 2, e) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften in den Fällen des § 184b Abs. 3, f) Mord und Totschlag nach den §§ 211, 212, g) Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen der §§ 234, 234a Abs. 1, 2, §§ 239a, 239b und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und anderweitiger Ausbeutung nach § 232 Abs. 3, Abs. 4 oder Abs. 5, § 233 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, h) Bandendiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 2 und schwerer Bandendiebstahl nach § 244a, i) schwerer Raub und Raub mit Todesfolge nach § 250 Abs. 1 oder Abs. 2, § 251, j) räuberische Erpressung nach § 255 und besonders schwerer Fall einer Erpressung nach § 253 unter den in § 253 Abs. 4 Satz 2 genannten Voraussetzungen, k) gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach den §§ 260, 260a, l) besonders schwerer Fall der Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte nach § 261 unter den in § 261 Abs. 4 Satz 2 genannten Voraussetzungen, m) besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung nach § 335 Abs. 1 unter den in § 335 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen, aus dem Asylverfahrensgesetz: a) Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 Abs. 3, b) gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84a Abs. 1, aus dem Aufenthaltsgesetz: a) Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 2, b) Einschleusen mit Todesfolge oder gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97, aus dem Betäubungsmittelgesetz: a) besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13, Abs. 3 unter der in § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 genannten Voraussetzung, b) eine Straftat nach den §§ 29a, 30 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, § 30a, aus dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen: a) eine Straftat nach § 19 Abs. 2 oder § 20 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit § 21, b) besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 22a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, aus dem Völkerstrafgesetzbuch: a) Völkermord nach § 6, b) Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7, c) Kriegsverbrechen nach den §§ 8 bis 12, aus dem Waffengesetz: a) besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 51 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, b) besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 5.
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(3) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen den Beschuldigten richten und nur in Wohnungen des Beschuldigten durchgeführt werden. 2In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass 1. der in der Anordnung nach § 100d Abs. 2 bezeichnete Beschuldigte sich dort aufhält und 2. die Maßnahme in Wohnungen des Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten führen wird. 3Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden. (4) 1Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. 2Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. 3Das Gleiche gilt für Gespräche über begangene Straftaten und Äußerungen, mittels derer Straftaten begangen werden. (5) 1Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. 2Aufzeichnungen über solche Äußerungen sind unverzüglich zu löschen. 3Erkenntnisse über solche Äußerungen dürfen nicht verwertet werden. 4Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. 5Ist eine Maßnahme nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf sie unter den in Absatz 4 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. 6Im Zweifel ist über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen; § 100d Abs. 4 gilt entsprechend. (6) 1In den Fällen des § 53 ist eine Maßnahme nach Absatz 1 unzulässig; ergibt sich während oder nach Durchführung der Maßnahme, dass ein Fall des § 53 vorliegt, gilt Absatz 5 Satz 2 bis 4 entsprechend. 2In den Fällen der §§ 52 und 53a dürfen aus einer Maßnahme nach Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur verwertet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten steht. 3§ 160a Abs. 4 gilt entsprechend. (7) 1Soweit ein Verwertungsverbot nach Absatz 5 in Betracht kommt, hat die Staatsanwaltschaft unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen. 2Soweit das Gericht eine Verwertbarkeit verneint, ist dies für das weitere Verfahren bindend. Schrifttum Vgl. zunächst die Angaben zu § 100a und sodann: Abdallah/Gercke Verwertbarkeit privat veranlasster GPS-Peilung von gestohlenem Gut, CR 2003 298; Allgayer Die Verwendung von Zufallserkenntnissen aus Überwachungen der Telekommunikation gem. §§ 100a f. StPO (und anderen Ermittlungsmaßnahmen), NStZ 2006 603; Asbrock Der Lauschangriff in der Praxis, GrundrechteReport 1999 124; Baldus Überwachungsrecht unter Novellierungsdruck, in: Schaar (Hrsg.), Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung: Staatliche Eingriffsbefugnisse auf dem Prüfstand (2005) 9; ders. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen, JZ 2008 218; Bär Telekommunikationsüber-
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wachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, MMR 2008 215; Bäumler Lauschangriff: Regelung unzureichend, DuD 1998 282; ders. Datenschutzrechtliche Grenzen der Videoüberwachung, RDV 2001 67; Bergemann Die Telekommunikationsüberwachung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum „großen Lauschangriff“, GedS Lisken 69; Bernsmann/Jansen Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrolle – Ein systematischer Überblick, StV 1998 217; Binder Rechtsprobleme des Einsatzes technischer Mittel gem. §§ 100c, 100d StPO und des Lauschangriffs, Diss. Bonn (1996); Bittmann Grundrechtsschutz durch vermehrte Eingriffe und überbordende Bürokratie? DRiZ 2007 115; Bludovsky Rechtliche Probleme bei der Beweiserhebung und Beweisverwertung im Zusammenhang mit dem Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO (2002); Bockemühl Zur Verwertbarkeit von präventiv-polizeilichen Erkenntnissen aus „Lauschangriffen“ im Strafverfahren. „Von hinten durch die Brust ins Auge“ – Die Legalisierung des „Großen Lauschangriffs“ durch die Rechtsprechung des BGH? JA 1996 695; Braun, Frank Der sogenannte „Lauschangriff“ im präventiv-polizeilichen Bereich: die Neuregelung in Art. 13 IV – VI GG, NVwZ 2000 375; Brodag Die akustische Wohnraumüberwachung. Maßnahmen ohne Wissen des Betroffenen gemäß § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO („großer Lauschangriff“), Kriminalistik 1999 745; Buddefeld Akustische Wohnraumüberwachung, Kriminalistik 2005 204; Caesar Plädoyer gegen den „großen Lauschangriff“, ZRP 1993 67; Chirino Sánchez Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren, am Beispiel der neuen Ermittlungsmethoden in der Strafprozeßordnung. Zugleich ein Beitrag zur Diskussion über die Zukunft des Datenschutzes im Strafverfahren (1999); Comes Der Fluch der kleinen Schritte – Wie weit tragen die Legitimationsgrundlagen der StPO bei Observationsmaßnahmen? Zugleich eine Anmerkung zu OLG Düsseldorf StV 1998, S. 170, StV 1998 569; Denninger Lauschangriff – Anmerkungen eines Verfassungsrechtlers, StV 1998 401; ders. Verfassungsrechtliche Grenzen des Lauschens. Der „große Lauschangriff“ auf dem Prüfstand der Verfassung, ZRP 2004 101 (vgl. auch ders. GedS Lisken 13); Diercks Der verfassungsrechtlich anstößige Begriff „Täter“ im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1999 311; Dittrich Der „Große Lauschangriff“ – diesseits und jenseits der Verfassung, NStZ 1998 336; Dombeck Der Große Lauschangriff – Hysterie oder Abscheu, NJ 1998 119; Eckhardt Die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, CR 2007 336; Eisenberg Straf(verfahrens)rechtliche Maßnahmen gegenüber „Organisiertem Verbrechen“, NJW 1993 1033; ders. Zur Unzulässigkeit optischer Ermittlungsmaßnahmen (Observation) betreffend eine Wohnung, NStZ 2002 638; Ernst/Kopp Gedanken zum „Großen Lauschangriff“ und der „Umkehr der Beweislast bei unklarer Herkunft von Geldmitteln“, BRAK-Mitt. 3/1996 94; Eschelbach Begleitmaßnahmen zum großen Lauschangriff, NJW-Sonderheft für G. Schäfer 2002 20; Fehn Akustische Wohnraumüberwachung, Kriminalistik 2008 251; Fickert Die Behandlung von Zufallserkenntnissen im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze über Verwertungsverbote (2002); Frister Zur Frage der Vereinbarkeit verdeckter Ermittlungen in Privatwohnungen mit Art. 13 GG, StV 1993 151; Gau Die rechtswidrige Beweiserhebung nach § 136a StPO als Verfahrenshindernis (2006); Geis Angriff auf drei Ebenen: Verfassung, Strafprozessordnung und Überwachungspraxis. Die Entscheidung des BVerfG zum großen Lauschangriff und ihre Folgen für die Strafverfolgungspraxis, CR 2004 338; Glaser/Gedeon Dissonante Harmonie: Zu einem zukünftigen „System“ strafprozessualer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 415; Glauben Kann der „Große Lauschangriff“ zulässig sein? Ein Überblick über die verfassungsrechtlichen Aspekte, DRiZ 1993 41; Goerdeler Schweizer Käse mit großen Ohren. Der Schutz der Wohnung hat viele Löcher bekommen, FoR 1998 54; Graulich Die Novellierung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Jahr 2004, NVwZ 2005 271; Gropp Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität (1992); ders. Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität, ZStW 105 (1993) 404; Groth Verdeckte Ermittlung und Gewinnabschöpfung (1995); Groß Verteidiger, Abgeordnete und Journalisten als verbotene unfreiwillige Medien zur strafprozessualen Aufklärung. StV 1996 559; Gurlit Die Verfassungsrechtsprechung zur Privatheit im gesellschaftlichen und technologischen Wandel, RDV 2006 43; Gusy Lauschangriff und Grundgesetz, JuS 2004 457; ders. Auswirkungen des Lauschangriffsurteils außerhalb der strafprozessualen Wohnraumüberwachung, in: Schaar (vgl. o. bei Baldus) (2005) 35; Guttenberg Das heimliche Überwachen von Wohnungen, NJW 1993 567; Haas Großer Lauschangriff und Anwaltskanzlei BRAK-Mitt. 1997, 225; ders. Der „Große Lauschangriff“ – klein geschrieben, NJW 2004 3082; Hannich Verfassungsrechtliche Grenzen der akusti-
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schen Wohnraumüberwachung, DRiZ 2004 270; Hassemer Brauchen wir den „Großen Lauschangriff“? DRiZ 1992 355; Hefendehl Observation im Spannungsfeld von Prävention und Repression. Oder was von CCTV und längerfristigen Observationen zu halten ist, StV 2000 270; Hetzer Vermögenseinziehung, Geldwäsche, Wohnraumüberwachung – Neue Ansätze zur Prävention und Repression der Mafia –, wistra 1994 176; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgG, NStZ 1992 457 und 523; von Hippel/Weiß Eingriffsqualität polizeilicher Observierungen, JR 1992 316; B. Hirsch Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts v. 30. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung), GedS Lisken 87; ders. Gesellschaftliche Folgen staatlicher Überwachung, DuD 2008 87; Hohmann-Dennhardt Freiräume – Zum Schutz der Privatheit, NJW 2006 545; Hofe Zur Zulässigkeit von Abhörmaßnahmen in und aus Wohnungen, RuP 1993 117; Hornung Ein neues Grundrecht. Der verfassungsrechtliche Schutz der „Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“, CR 2008 299; Huber Effektiver Grundrechtsschutz mit Verfallsdatum, NJW 2005 2260; Hufen Der Menschenwürdegehalt der Wohnungsfreiheit, in: Schaar (vgl. o. bei Baldus) (2005) 29; Hund Der Einsatz technischer Mittel in Wohnungen. Versuch einer verfassungskonformen Lösung, ZRP 1995 334; Janker Zur Reichweite der Eingriffsermächtigung des § 100c I Nr. 2 StPO bei Abhörmaßnahmen in Kraftfahrzeugen, NJW 1998 269; Kempf Lauschangriff und kein Ende? AnwBl. 2005 247; Kiper/Ruhmann Von der Datenflut zur Abhörwut – Erfahrungen mit „kleinen“ Lauschangriffen, Blätter für deutsche und internationale Politik 1998 312; König Einsatz technischer Mittel nach § 100c StPO. Anmerkungen zu Möglichkeiten geheimer Ermittlungen, Kriminalistik 1998 349; Kötter Novellierung der präventiven Wohnraumüberwachung? DÖV 2005 225; Krause Großer Lauschangriff – Anmerkungen eines Verteidigers, FS Hanack (1999) 221; Kretschmer Der große Lauschangriff auf die Wohnung als strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme, Jura 1997 581; ders. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in ihren strafrechtlichen und strafprozessualen Problemen, JR 2008 51; Krey Rechtsprobleme beim Einsatz Verdeckter Ermittler einschließlich der elektronischen Überwachung (Lauschangriff) zu ihrem Schutz und als Instrument der Strafverfolgung in Deutschland (1993); ders. Rechtsprobleme beim Einsatz Verdeckter Ermittler einschließlich der elektronischen Überwachung (Lauschangriff) zu ihrem Schutz und als Instrument der Strafverfolgung in Deutschland, JR 1998 1; ders./Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler – Kritische Stellungnahme zu den strafprozessualen Reformvorschlägen im Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG), JR 1992 309; ders. Der Große Lauschangriff im Strafprozess- und Polizeirecht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004, FS Schwind, 725; Krüger Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1993 124; Kutscha Die Legalisierung des Lauschangriffs, DuR 1992 247; ders. Der Lauschangriff im Polizeirecht der Länder, NJW 1994 85 ff.; ders. Verfassungsrechtlicher Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – nichts Neues aus Karlsruhe? NJW 2005 20; ders./Möritz Lauschangriffe zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung, StV 1998 564; ders. Neue Grenzmarken des Polizeiverfassungsrechts, NVwZ 2005 1231; ders. Mehr Schutz von Computerdaten durch ein neues Grundrecht? NJW 2008 1042; ders./Roggan Große Lauschangriffe im Polizeirecht, GedS Lisken 25; Lammer Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß (1992); Lepsius Der große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I+II), Jura 2005 433/586; Leutheuser-Schnarrenberger Der „große Lauschangriff“ – Sicherheit statt Freiheit, ZRP 1998 87; dies. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum großen Lauschangriff, ZRP 2005 1; Lindemann Die Straftat von erheblicher Bedeutung. Von der Karriere eines unbestimmten Rechtsbegriffs, KJ 2000 86; ders. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Strafverfahren, JR 2006 191; Lisken Anhörung zum „Großen Lauschangriff“. Eine Dokumentation der Stellungnahmen einiger Sachverständiger im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 21. November 1997, KJ 1998 106; Löffelmann Die Neuregelung der akustischen Wohnraumüberwachung, NJW 2005 2033; ders. Das Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung), ZIS 2006 87; Merten Zulässigkeit der längerfristigen Videoüberwachung, NJW 1992 354; Meyer/Hetzer Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität. Geldwäschebekämpfung, Gewinnabschöpfung und Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen für Beweiszwecke im Bereich von Strafverfolgung, NJW 1998 1017; Meyer-Wieck Der Große Lauschangriff. Eine empirische Untersuchung zur Anwendung und Folgen des § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO (2005); ders. Der große Lauschangriff – Anmerkun-
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gen aus empirischer Sicht, NJW 2005 2037; Möhrenschlager Das OrgKG – eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281 und 326; Momsen Der „große Lauschangriff“. Eine kritische Würdigung der neuen Vorschriften zur „elektronischen Wohnraumüberwachung“, ZRP 1998 459; Morre/Bruns Einfluß verdeckter Ermittlungen auf die Struktur des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, FS BGH I 581; Mozek Der „große Lauschangriff“. Die Regelung des § 100c I Nr. 3 StPO im Spannungsfeld zwischen „Verbrechensbekämpfung“ und Verfassungswirklichkeit (2001); K. Müller Grenzen der heimlichen Observation von Wohnungen mit technischen Mitteln, Polizei 2004 257; Müller, Martin Der sogenannte „Große Lauschangriff“. Eine Untersuchung zu den Rechtsproblemen der Einführung der elektronischen Wohnraumüberwachung zur Beweismittelgewinnung (2000); Ostendorf Ein Allheilmittel? – Der sogenannte „Lauschangriff“ auf dem rechtsstaatlichen Prüfstand, Neue Kriminalpolitik 3/1996 32; Nack Akustische Wohnraumüberwachung und Verwertungsverbot, FS Nehm, 310; Neumann Zeugnisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen (2005); Paeffgen Strafprozeß im Umbruch, StV 1999 625; ders. Kompetenzen zur (präventiven und repressiven) Datenübermittlung, FS Hilger, 153; ders. Fürsorgliche Erschießung. Über einige Pragmata hoheitlicher Grundrechts-Eingriffe – und das Glück, heute zu leben, FS Seebode, 245; Perne „Großer Lauschangriff“, DRiZ 2004 286; ders. Richterband und Kernbereichsschutz – Zur verfassungsrechtlichen Problematik des nachträglichen Lauschens und Spähens durch den Richter, DVBl. 2006 1486; Petersen Auf dem Weg zur zweckrationalen Relativität des Menschenwürdeschutzes, KJ 2004 316; Petrovicki Der „große Lauschangriff“ – ein Angriff auf die Verfassung? ZRP 1995 393; Pinkenburg Polizeiliche Informationsbeschaffung und Privatsphäre, dargestellt am sogenannten großen Lauschangriff (2000); Pohlmann Der „Lauschangriff“ in NRW – eine verfassungsschützende Verfassungswidrigkeit? NWVBl. 2008 132; Puschke/Singelnstein Verfassungsrechtliche Vorgaben für heimliche Informationsbeschaffungsmaßnahmen, NJW 2005 3534; dies. Telekommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und (sonstige) heimliche Ermittlungsmaßnahmen der StPO nach der Neuregelung zum 1.1.2008, NJW 2008 113; Ransiek Strafprozessuale Abhörmaßnahmen und verfassungsrechtlicher Schutz der Wohnung – ein rechtsvergleichender Blick, GA 1995 23; Raum/Palm Zur verfassungsrechtlichen Problematik des „Großen Lauschangriffs“, JZ 1994 447; Rauschenberger Heimliches Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes innerhalb von Wohnungen. Zur Neuregelung des § 100c StPO vom 30.6.2005, Kriminalistik 2005 654; Reiß Der strafprozessuale Schutz verfassungsrechtlich geschützter Kommunikation vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, StV 2008 539; Rieß Datenübermittlungen im neuen Strafprozessrecht, FS Hilger 171; Rogall Die akustische Wohnraumüberwachung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004, ZG 2005 164; Roggan Unerhörte Intimsphäre. Zum Erfordernis kernbereichsschützender Regelungen im Sicherheitsrecht, in: Sicherheit statt Freiheit? (hrsg. von Blaschke/Förster/Lumpp/Schmidt), (2005) 51; ders. Grenzenlose Ortungen im Strafverfahren, FS B. Hirsch 153; ders. Große Lauschangriffe, in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit (hrsg. von Roggan/Kutscha), 2. Aufl. 2006, 106; ders. (Hrsg.) OnlineDurchsuchungen (2008); Rohe Verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (1997); Roxin Großer Lauschangriff und Kernbereich privater Lebensgestaltung, FS Böttcher 159; Rüping Gefahren für das Zeugnisverweigerungsrecht des Steuerberaters, DStR 2007 1182; Ruthig Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG n.F.), JuS 1998 506; ders. Verfassungsrechtliche Grenzen der transnationalen Übermittlung, FS Hilger, 183; ders. Verfassungsrechtliche Grenzen der heimlichen Datenerhebung aus Wohnungen, GA 2004 586; Rux Ausforschung privater Rechner durch die Polizei- und Sicherheitsbehörden, JZ 2007 285; Schelter Verbrechensbekämpfung mit elektronischen Mitteln – ein Tabu? ZRP 1994 52; R. P. Schenke Verfassungsfragen einer Nutzung repressiver Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr am Beispiel der Überwachung der Telekommunikation, FS Hilger 211; W.-R. Schenke Probleme der Übermittlung und Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke, FS Hilger 225; Schily Nachbesserungsbedarf bei der Wohnraumüberwachung? ZRP 1999 129; Schneider/Rick Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten, Kriminalistik 2003 103; Schneider, Hartmut Überlegungen zur Zulässigkeit des Aushorchens von Inhaftierten durch V-Leute unter Einsatz technischer Hilfsmittel, JR 1996 401; ders. Überlegungen zur strafprozessualen Zulässigkeit heimlich durchgeführter Stimmenvergleiche, GA 1997 371; ders. Zur Zulässigkeit strafprozessualer Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes in Kraftfahrzeugen, NStZ 1999 388; Schroeder, Friedrich-Christian Darf die StPO von „Tätern“ spre-
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chen? NJW 2000 2483; Schwabe Die polizeiliche Datenerhebung in oder aus Wohnungen mit Hilfe technischer Mittel, JZ 1993 867; Seifert Vom Lauschangriff zum „großen Lauschangriff“, KritJ 1992 355; Sommermeyer Schutz der Wohnung gegenüber strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, ein Phantom? JR 1990 493; Staechelin Der „Große Lauschangriff“ der dritten Gewalt, ZRP 1996 430; Steinberg Verdacht als quantifizierbare Prognose? JZ 2006 1045; Steinmetz Zur Kumulierung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen, NStZ 2001 344; Stümper Rechtspolitische Nachlese zum „Großen Lauschangriff“, ZRP 1998 463; Strate Lauschangriff zwischen Polizeirecht und Strafprozeß, Grundrechte-Report 1999 143; Tiedemann Lauschangriff und Landesverfassung, KJ 1998 529; Vahle Ein Koloß auf tönernen Füßen. Anmerkungen zur (Neu-)Regelung des sogenannten Großen Lauschangriffs, Kriminalistik 1998 378; Vahle Vorsicht Kamera! Anmerkungen zur „Video-Novelle“ im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz, NVwZ 2001 165; Wälter/Stienkemeier Beweissicherung im Ermittlungsverfahren. Zur Zulässigkeit von Bildaufzeichnungen bei Versammlungen, Kriminalistik 1994 93; Wagner Bleibt die akustische Wohnraumüberwachung als kriminalistisches Ermittlungsinstrument erhalten? Der Kriminalist 2004 391; Warntjen Der Kernbereich privater Lebensgestaltung und die Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO, KritJ 2005 276; ders. Heimliche Zwangsmaßnahmen und der Kernbereich privater Lebensgestaltung (2007); Weichert Genügen Bergpredigten gegen Sicherheitspopulismus? Zum Lauschurteil des Bundesverfassungsgerichts, MMR 2004 209; Weil Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1992 243; Welp Sind Erkenntnisse eines zur präventiven Verbrechensbekämpfung durchgeführten Lausch-Eingriffs strafprozessual verwertbar? NStZ 1995 602; Weißer Zeugnisverweigerungsrechte und Menschenwürde als Schutzschild gegen heimliche strafprozessuale Zugriffe auf Kommunikationsinhalte? GA 2006 148; Wesemann Heimliche Ermittlungsmethoden und Interventionsmöglichkeiten der Verteidigung, StV 1997 597; Weßlau Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren ZStW 110 (1998) 1; dies. Vor(feld)ermittlungen, Datentransfer und Beweisrecht, FS Hilger 57; dies. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung, GedS Lisken 47; Wolter Polizeiliche und justitielle Datenübermittlungen in Deutschland und der Europäischen Union, FS Hilger 275; ders. Alternativen zum Regierungs-Entwurf 2007 zur Neuregelung der Ermittlungsmaßnahmen, GA 2007 183; ders. Menschenwürde, Kernbereich privater Lebensgestaltung und Recht auf Leben (Schwerpunkt: Wohnraumüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht), FS Küper 707; Würtenberger Übermittlung und Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke, FS Hilger 263; Zachert Brauchen wir den „Großen Lauschangriff“? DRiZ 1992 355; Zöller in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Wieviel Sicherheit braucht die Freiheit? (2007), 251; ders. Heimlichkeit als System, StraFo 2008 15; Zwiehoff „Großer Lauschangriff“: die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000).
Entstehungsgeschichte. 1. §§ 100c, 100d wurden, zunächst ohne den „großen Lauschangriff“ in Wohnungen, durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität – OrgKG – vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302)1 als eine für notwendig erachtete Ermittlungsmaßnahme zur Bekämpfung namentlich der Organisierten Kriminalität eingeführt. Neben dieser Neu-
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Erste Gesetzesinitiativen in der 11. Wahlperiode durch Entwürfe der Länder Bayern und Baden-Württemberg, BRDrucks. 74/90 und 83/90. Bundesratsbeschluss BRDrucks. 74/90; Gesetzentwurf BTDrucks. 11 7663; krit. dazu Hermanski DRiZ 1990 192; Prantl DRiZ 1991 69; Weber DRiZ 1990 306. Zur Zurückstellung des Gesetzgebungsvorhabens am Ende der 11. Wahlperiode Caesar ZRP
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1991 241, 242. Neuer Gesetzesantrag der Länder Bayern und Baden-Württemberg in der 12. Wahlperiode BRDrucks. 219/91; zu den Gründen Gropp ZStW 105 (1993) 404, 405. Abschließender Gesetzentwurf zum OrgKG unter Verschmelzung der bisherigen Entwürfe BTDrucks. 12 989 mit Begründung S. 38 ff.
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regelung des Einsatzes technischer Mittel wurden im OrgKG zugleich u.a. die Regeln über die Rasterfahndung (§§ 98a ff.) und den Einsatz Verdeckter Ermittler (§§ 110a ff.) geschaffen, die hinsichtlich der Einsatzvoraussetzungen und Verwertungsfolgen zum Teil ähnlich zu bewerten oder bei der wertenden Einschätzung dazu in Relation zu setzen sind. Die Regelung des OrgKG war zeitlich zusammengetroffen mit ersten Entwürfen für ein Strafverfahrensänderungsgesetz 1989 – StVÄG –,2 das den Vorgaben des „Volkszählungsurteils“ in BVerfGE 65 1, 41 ff. für die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten folgen wollte, im Schwerpunkt also datenschutzrechtliche Bestimmungen enthielt; es wurde erst in der Fassung des StVÄG 1999 realisiert. Das im Jahre 1992 verabschiedete OrgKG regelte zuvor das Eingriffsrecht, wurde darin aber zugleich mit Blick auf das damals erst projektierte Datenschutzrecht gebremst, wenngleich sich der Gesetzgeber entschlossen hatte, „die Pferde zu wechseln und mit den besonderen Ermittlungsmaßnahmen von der lahmenden Strafprozeßreform, sprich Strafverfahrensänderungsgesetz, auf das flinke OrgKG umzusatteln“.3 Dieses Hin und Her erklärt zum Teil die jeweilige Unausgewogenheit der unterschiedlichen Gesetze, das Zögern des Gesetzgebers bei der Einführung des „Großen Lauschangriffs“ und die stark akzentuierte Kritik aus verschiedenen Lagern am Gesamtkonzept. Namentlich die polizeiliche Praxis empfindet die komplizierte Regelung der §§ 100c, 100d als starke Einengung ihrer bisherigen Handlungsmöglichkeiten.4 Die Kritiker erheben gegen die Gestattung von Grundrechtseingriffen mit Hilfe technischer Mittel fundamentale rechtsstaatliche Bedenken.5 Sie befürchten eine „Strafverfolgung um jeden Preis“, eine Aushöhlung der betroffenen Grundrechte und eine Missachtung der sonst in der StPO besonders geschützten Vertrauensbeziehungen des Beschuldigten zu Angehörigen oder Berufsgeheimnisträgern.6 Schließlich wird ein heimlicher Informationszugriff mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor allem deswegen bemängelt, weil eine Vielzahl Nichtverdächtiger betroffen sein kann und § 101 eine unvollkommene Benachrichtigungspflicht enthalte; daher sei anzunehmen, dass niemand wisse, wer wann welche Informationen erfasse.7 Der „Große Lauschangriff“, also die rein technikgestützte akustische Überwachung von Wohnungen, war in der ursprünglichen Fassung des § 100c Abs. 1 Nr. 2 begrifflich nicht ausgeschlossen;8 dass er von der anfänglichen Regelung nicht erfasst wurde, folgte vielmehr vor allem aus der Nichtberücksichtigung des Art. 13 Abs. 1 GG im Sinne des Zitiergebots nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG sowie aus dem Gesamtzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der durch das OrgKG eingeführten Normen.9 Auf eine Klarstellung im Gesetzestext der vorliegenden Vorschrift wurde bewusst verzichtet.10 Der Rechtsausschuss wies darauf hin, dass er alle mit dem Einsatz technischer Mittel in Wohnungen verbundenen Fragen, auch denjenigen des Verfassungsrechts, im Rahmen seiner Beratungen zum OrgKG nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beantworten könne und daher zurückstelle.11 Eine Regelung unterblieb daher vorerst. Damit hatte sich der Gesetzgeber zunächst „sehenden Auges“ gegen das Abhören und
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Dokumentation und Kritik, insbesondere hinsichtlich der Nichtbeteiligung der Strafprozeßrechtswissenschaft, bei Wolter StV 1989 358, 371. Gropp ZStW 105 (1993) 405, 406. Burghard Kriminalistik 1992 595; Krey/ Haubrich JR 1992 309, 315; Krüger Kriminalistik 1992 594, 596 und ders. Die Polizei 1993 29, 33, 35.
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Vgl. etwa Hassemer DRiZ 1992 357; Hund StV 1993 379, 381. Weber DRiZ 1990 306. Chirino Sánchez 242 ff. Vgl. BGHSt 42 372, 374; 44 138, 140; Binder 70 ff. BGHSt 42 372, 374. BTDrucks. 12 2720 S. 46. BTDrucks. 12 2720 S. 5.
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Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in einer Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG entschieden,12 aber gleichwohl verstärkt heimliche Ermittlungsmethoden im Gesetz verankert und damit das Gesicht des gesetzlichen Strafprozesssystems verändert.13 Grund dafür waren die zunehmende Zahl und Menge von Drogen- und Waffengeschäften, Autoschiebereien, Schutzgelderpressungen und anderen Arten besonders gefährlicher, oftmals bandenmäßig begangener Straftaten mit beträchtlichen Gewinnspannen und internationalen Verknüpfungen.14 Der Einsatz technischer Überwachungsmittel erscheint auch bisweilen deshalb unabdingbar, weil das Einschleusen von Ermittlern in ethnisch abgeschottete Banden ausländischer Straftäter kaum unauffällig möglich ist. 2. Im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes15 vom 28.10.1994 – VerbrBekG – sollte auch das Abhören von Wohnungen („Großer Lauschangriff“16) geregelt werden. Eine solche Regelung unterblieb aber wiederum, namentlich weil die verfassungsrechtlichen Fragen immer noch ungeklärt erschienen, namentlich, ob die Schrankenbestimmung des Wohnungsgrundrechts in Art. 13 Abs. 2 GG a.F. für die „akustische Durchsuchung“ ausreichend war. Erste Ansätze zur Aktivierung des Gesetzesvorhabens, das erneut auf Initiativen der Länder Bayern und Baden-Württemberg in Gang gesetzt wurde,17 erfolgten im Jahre 1995 durch eine Mitgliederbefragung innerhalb der Fraktion der FDP,18 sodann durch Abstimmungen innerhalb der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP, schließlich durch Verständigung mit der SPD als größter Oppositionspartei. Dadurch wurden die Voraussetzungen für eine nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit mögliche Verfassungsänderung geschaffen, die hinsichtlich des Eingriffs mit dem „Großen Lauschangriff“ in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG notwendig erschien. Grund der Regelung sollte es sein, die zunehmenden und neuartigen Gefahren durch die Organisierte Kriminalität besser bekämpfen zu können, indem Ermittlungsmaßnahmen nicht nur in die Peripherie krimineller Strukturen eindringen sollten, sondern auch in deren Kernbereiche.19 Die Entwürfe20 zum Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität – OrgKGVerbG – wurden federführend vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages erörtert.21 Der Bundestag beschloss schließlich den Erlass des Gesetzespakets einschließlich der für erforderlich gehaltenen Verfassungsänderung am 16.1.1998,22 der Bundesrat verabschiedete die Verfassungsänderung am 6.2.1998.23 Zur Prüfung der Begleitgesetze wurde zunächst ein Vermittlungsverfahren durchgeführt, wobei es vor allem um die Frage der Erstreckung eines Beweiserhebungsverbots gegenüber Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten24 auch auf Rechtsanwälte in anderen Funktionen als der Strafverteidigertätigkeit, ferner auf Ärzte und Journalisten ging.25
12 13 14 15 16 17
Bockemühl JA 1996 695, 697. Bockemühl JA 1996 695, 696. BTDrucks. 11 7663 S. 31. Überblick über die Einzelregelungen bei Krüger Kriminalistik 1995 41 ff. Zu diesem Begriff Krause FS Hanack 221. Entwurf des Landes Bayern BRDrucks. 494/94; Entwurf des Landes Baden-Württemberg BRDrucks. 695/95; dieser Entwurf sah konsequenterweise nicht nur die akustische, sondern auch die optische Überwachung von Wohnungen vor.
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18 19 20 21 22 23 24 25
Martin Müller 14 f. m.w.N. Vgl. BTDrucks. 13 8651 S. 9 f.; s.a. BRDrucks. 695 S. 1 f. BTDrucks. 13 8650, 8651. Beschlussempfehlung und Bericht des RAussch. BTDrucks. 13 9642, 13 9660. BTProt. der 214. Sitzung S. 19517 ff. BRProt. der 721. Sitzung S. 1 ff. Vorschlag des Rechtsausschusses BTDrucks. 13 9644 S. 8. Unterrichtung durch den Bundesrat BTDrucks. 13 9841.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100c
Auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses26 wurde die schließlich konzipierte Beweisverbotsregelung in § 100d Abs. 3 a.F. auf die Berufsgeheimnisträger im Sinne von § 53 Abs. 1 ausgedehnt.27 Das Gesetz zur Änderung des Art. 13 GG trat am 26.3.1998 in Kraft, das Gesetz zur Änderung der StPO am 8.5.1998 (BGBl. I S. 845). 3. Die durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes v. 26.3.1998 mit Wirkung vom 1.4.1998 eingeführte Fassung der Grundrechtsnorm lautete wie folgt: Art. 13 (1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden. (4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. (5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle. (7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.
An dieser verfassungsrechtlichen Regelung, die sogar die Besetzung des Spruchkörpers festlegt, der die Eingriffserlaubnis aussprechen darf, wird u.a. die übermäßige „Detailfreudigkeit“ des verfassungsändernden Gesetzgebers bemängelt,28 der dem Gesetzgeber für die einfach-rechtliche Ausführungsregelung kaum noch Spielraum belasse. Die detaillierte Verfassungsnorm kann auch den unzutreffenden Eindruck erwecken, sie enthalte
26 27
BTDrucks. 13 10004. Zustimmung des Bundestages BTProt. der 222. Sitzung S. 20294 ff., des Bundesrates BRProt. der 722. Sitzung S. 53 ff.; Gesetzesbeschluss BRDrucks. 214/98.
28
Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 69, 71 GG; Scholz/Meyer-Teschendorf DÖV 1998 10, 13 ff.; Zuck NJW 1998 1919.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
selbst unmittelbar eine Eingriffsermächtigung. Dabei bedarf es gleichwohl einer einfachrechtlichen Erlaubnisnorm,29 die weitere Einzelheiten festlegt, wie insbesondere den Katalog der Straftaten, welche den Eingriffsakt rechtfertigen. Für die Voraussetzungen der Anordnung des Einsatzes technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in einer Wohnung ist in der Praxis daher zunächst die Regelung der §§ 100c, 100d, nicht Art. 13 Abs. 3 GG, maßgebend. 4. Im Zusammenhang mit der Einfügung von § 129b in das StGB durch das 34. StrÄndG vom 22.8.2002 (BGBl. I S. 3390) wurde Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e geändert. 5. Gegen die Änderung des GG und der StPO waren beim BVerfG bald zwei Verfassungsbeschwerden anhängig über die am 1.7.2003 mündlich verhandelt wurde. Die Beschwerdeführer wandten sich gegen die Grundgesetzänderung und gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Sie sahen sich insbesondere in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungsänderung sei verfassungswidrig. Sie berühre einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen sei. Die Neuregelung ermögliche nicht nur einen Verstoß gegen grundlegende Persönlichkeitsrechte, sondern lasse eine Verletzung der Menschenwürde zu. Sie sei auch unverhältnismäßig. Die geänderten Bestimmungen der StPO seien selbst dann verfassungswidrig, wenn die Grundgesetzänderung verfassungsmäßig wäre. Insbesondere seien das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. 6. Das BVerfG hat durch Urteil vom 3. März 200430 auf diese Verfassungsbeschwerden Art. 13 Abs. 3 GG für verfassungskonform gehalten, die Vorschrift aber vor dem Hintergrund von Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG restriktiv ausgelegt. Die auf Art. 13 Abs. 3 GG beruhenden gesetzlichen Ermächtigungen wurden teilweise als mit dem GG unvereinbar erklärt. Die Beschwerdeführer hatten teils unmittelbar, teils mittelbar die Verfassungsmäßigkeit der Grundgesetzänderung angegriffen, weil Art. 13 Abs. 3 GG nicht nur einen Verstoß gegen grundlegende Persönlichkeitsrechte, sondern auch eine Verletzung der Menschenwürde zulasse.31 Die auf Grund dieser Norm erlassenen Vorschriften seien verfassungswidrig, weil sie Eingriffen in den absolut geschützten Kernbereich persönlicher Lebensentfaltung zuließen und weil unzureichende Benachrichtigungspflichten eine gerichtliche Anfechtung getroffener Maßnahmen verhinderten.32 § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. war nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung unvereinbar mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG. Das Gericht hatte keine Vorschrift aufgehoben, vielmehr den Gesetzgeber verpflichtet, bis 30.6.2005 einen verfassungsgemäßen Rechtszustand herzustellen und angeordnet, dass bis dahin die bestehenden Vorschriften unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wie dies den Gründen entnommen werden kann, weiter angewandt werden können. In den Gründen seiner Entscheidung, die auf Grund der richtungsweisenden Bedeutung dieser Entscheidung und zum besseren Verständnis der heutigen Gesetzeslage in der gebotenen Ausführlichkeit unten Rn. 30 ff. referiert werden,
29 30
Sachs/Kühne 5. Aufl. Art. 13, 41 GG; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 73 GG. BVerfGE 109 279.
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31 32
BVerfGE 109 279 Rn. 54. BVerfGE 109 279 Rn. 55.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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behandelte das BVerfG zunächst die Frage der Übereinstimmung von Art. 13 Abs. 3 GG mit dem GG und bejaht diese (Rn. 30). In einem zweiten Schritt wurde die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung der §§ 100c, d untersucht (Rn. 57). Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Zweck, praktische Bedeutung und Regelungszusammenhang . . . . . . 2. Lücken a) Begleitmaßnahmen . . . . . . . . b) Optische Überwachung . . . . . c) Online-Durchsuchung . . . . . . 3. Verfassungsmäßigkeit des „Lauschangriffs“ insbesondere im Lichte von BVerfGE 109 279 . . . . . . . . . . a) Eingriff in die prozessuale Rechtsposition des Beschuldigten und „nemo tenetur se ipsum accusare“ b) Betroffene Personen als Objekte des Verfahrens . . . . . . . . . . c) Kernbereich der räumlichen Privatsphäre und u.a. des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . d) BVerfGE 109 279: Übereinstimmung von Art. 13 Abs. 3 GG mit dem Grundgesetz: aa) Der Schutzbereich des Art. 13 GG . . . . . . . . . bb) Die Unantastbarkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG . . . (1) Menschenwürde (a) Kernbereich privater Lebensgestaltung und absoluter Schutz dieses Kernbereiches . . . . (b) Kernbereich und akustische Wohnraumüberwachung . . (aa) Schutz des Kernbereiches s. Verbot der Überwachung von vorneherein . . . . . . . (bb) Fehlende Beachtung des Kernbereichs im Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 GG . . . . . . (2) Der Rechtsstaatsgedanke . . (a) Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung . . . . (b) Anordnungsvoraussetzungen, Schutz des Kernbereichs, § 100d Abs. 3 a.F. . . . . . . (aa) Verwertungsverbot . . . . . (bb) Löschungsgebot . . . . . . . (c) Anordnungsvoraussetzungen bei Maßnahmen, die nicht den Kernbereich betreffen, § 100d Abs. 3 a.F. . . . . . . . . . . (d) Benachrichtigungspflichten . (e) Rechtsschutz . . . . . . . . II. Allgemeine Einsatzvoraussetzungen 1. Verdacht . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmte Tatsachen . . . . . . . .
1 8 11 12
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32 36
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54 56 57
58 65 68
69 77 87 88 89
Rn. III. Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen 1. Nichtöffentlich gesprochenes Wort . 2. Technische Mittel zum Abhören und Aufzeichnen . . . . . . . . . . . . . 3. Einsatz a) Allgemeines zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes . . . . . . b) Voraussetzungen für den Einsatz in Wohnungen aa) Wohnung . . . . . . . . . . bb) Verdacht einer Tat aus dem speziellen Katalog des Abs. 2. Spezieller Katalog . . . . . . cc) Zielrichtung des Lauschangriffs (Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . . dd) Subsidiarität der Maßnahme als ultima ratio (Abs. 1 Nr. 4) ee) Besonderer Richtervorbehalt ff) Befristung . . . . . . . . . .
92 94
96
99
102 104 105 106 107
IV. Einsatzrichtung: Beschuldigte und unvermeidbar betroffene Dritte (Absatz 3) 1. Maßnahmen gegen den Beschuldigten in seiner Wohnung, Abs. 3 Satz 1 . . 2. Maßnahmen gegen den Beschuldigten in Wohnungen Dritter, Abs. 3 Satz 2 3. Unvermeidbar betroffene Dritte, Abs. 3 Satz 3. . . . . . . . . . . . .
108 109 110
V. Negative Kernbereichsprognose (Abs. 4)
115
VI. Löschungsgebot und Verwertungsverbot bei Kernbereichsbetroffenheit; Dokumentationspflicht, Abbruch und Fortsetzung (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VII. Überprüfung der Verwertbarkeit (Abs. 7)
128
VIII. Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen (Abs. 6) 1. Schutz des Vertrauensverhältnisses bei heimlichen Ermittlungen . . . . . . 2. Die Regelung in Abs. 6 . . . . . . . a) Erhebungsverbot im Schutzbereich des § 53 (Abs. 3 Satz 1). . . . . . b) Verwertungsverbot im Schutzbereich der §§ 52, 53a (Abs. 6 Satz 2). . . c) Erhebungsverbot bei gänzlicher Unverwertbarkeit . . . . . . . . d) Tatverstrickung (Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 160a Abs. 4) . . . . . . . . . . IX. Die Kumulierung mehrerer Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . .
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132 142 143 147 148 149 150
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I. Allgemeines 1
1. Zweck, praktische Bedeutung und Regelungszusammenhang. Bei der vorliegenden Vorschrift handelt es sich wie bei § 100a um eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe durch Informationserhebungen, die „ohne Wissen des Betroffenen“ erfolgen. §§ 100d Abs. 5, 477 Abs. 2 Satz 2 und 481 ordnen Verwendungsbeschränkungen an. Die prozessuale Eingriffserlaubnis nach der vorliegenden Vorschrift begründet materiellrechtlich einen Rechtfertigungsgrund für strafrechtlich relevante Handlungen, wie das Aufnehmen, Gebrauchen und Zugänglichmachen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB.33 Gemeint sind Eingriffsakte durch staatliche Strafverfolgungsorgane, nicht aber private Tonaufzeichnungen. Berührt sind bei staatlichen Maßnahmen in einer Wohnung der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG und zugleich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65 1, 40 ff.), bei allein von § 100h erfassten Bildaufnahmen oder dem lediglich für § 100f relevanten Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen der Schutzbereich des aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, auch wiederum in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Ermittlungsmöglichkeit mit Hilfe technischer Mittel ist u.a. deshalb für erforderlich erachtet worden, weil erfahrene Kriminelle anderen Maßnahmen, wie der Telekommunikationsüberwachung, ausweichen,34 so etwa im Fall BGHSt 46 266, 270. Infolge des heimlichen staatlichen Vorgehens gegen Zielpersonen der Ermittlungen wird zugleich die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG eingeschränkt. Verfahrensrechtlich kann dabei auch das Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare vel prodere“, das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt,35 betroffen sein. Dies kommt in Betracht, wenn die Ermittlungsbeamten nicht nur Gesprächsäußerungen mit Hilfe technischer Mittel erfassen, sondern das Gespräch selbst zu diesem Zweck durch Verdeckte Ermittler oder V-Leute veranlassen oder in eine bestimmte Richtung lenken. Für diese „Hörfallen“-Situation36 dürften nach der neueren Rechtsprechung des EGMR37 nicht mehr die Maßstäbe von BGHSt 42 139 ff. gelten. Einzelheiten s. § 100a, 160 f. Die gesetzliche Eingriffsermächtigung ist entbehrlich, wenn und soweit Ermittlungs2 maßnahmen mit technischen Mitteln nicht die Qualität von Grundrechtseingriffen erlangen. Dies gilt etwa – freilich aus Sicht des § 100h – für die Anfertigung von Bildaufnahmen bei der Tatortarbeit, die nicht das Persönlichkeitsrecht einer bestimmten Person berührt. Aus der Anknüpfung akustischer Überwachungsmaßnahmen an das „nichtöffentlich“ gesprochene Wort lässt sich folgern, dass die Erfassung öffentlicher Äußerungen, die vom Träger des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung freiwillig einer beliebigen Öffentlichkeit preisgegeben werden, auch keinen Eingriff 38 darstellt.39 Von einem „Abhören“ kann insoweit schon begrifflich kaum gesprochen werden, aber auch das Aufnehmen des öffentlich gesprochenen Wortes hat infolge der freiwilligen Entäußerung keine Eingriffsqualität. Kein Eingriff ist auch privates Handeln; private Bild- und Tonaufnahmen gelangen als Sachbeweise erst durch Sicherstellung in den staatlichen Gewahrsam, nicht auf Grund der vorliegenden Vorschrift oder der §§ 100f und 100h.
33 34 35 36 37
Vgl. LK/Schünemann § 201, 33. BTDrucks. 12 989 S. 39. BVerfGE 56 37, 43 f.; BGHSt 38 214, 219 f. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 23. JR 2004 127 mit Aufs. Esser.
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38 39
Zum Eingriffsbegriff bei der Informationserfassung BVerfGE 100 313, 366. Vgl. Geller/von Schlabrendorff/Rupp Sondervotum in BVerfGE 30 1, 33, 42.
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§ 100c
Soweit die Ermittlungsmaßnahmen Eingriffscharakter haben, findet sich in § 100c eine mehrschichtige und komplizierte Regelung der Eingriffsvoraussetzungen (§ 100c Abs. 1, 2 und 3) und der Beachtung von Beweisverboten (§ 100c Abs. 4, 5, 6 und 7). § 100d regelt das Verfahren insbesondere hinsichtlich der Anordnungskompetenzen (§ 100d Abs. 1, 2 und 3) und der Verwendung der gewonnenen Informationen in anderen Strafverfahren und im Bereich der Gefahrenabwehr (§ 100d Abs. 5). In Bezug auf „Lauschangriffe“ nach § 100c Abs. 1 stellt § 100e besondere Berichtspflichten auf. § 101 enthält verschiedene Bestimmungen über die nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen, seinen Rechtsschutz und die Aufbewahrung der Unterlagen über die Anordnung der Maßnahme. Von der vorliegenden Bestimmung über den Einsatz technischer Mittel abzugrenzen ist die durch das StVÄG 1999 eingeführte Regelung über die längerfristige Observation in § 163f, die den nicht technikgestützten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch andauernde Überwachung des Beschuldigten oder von Kontaktpersonen betrifft. Werden zusätzlich technische Mittel zur längerfristigen Observation eingesetzt, so müssen die Maßnahmen nach §§ 163f, 100c, 100f und 100h kombiniert werden. Nach früherem Recht genügte, wie BGHSt 44 13, 16 ff. ausgeführt hat, bereits die Beachtung der Voraussetzungen des § 100c Abs. 1 Nr. 1b a.F. nicht nur als Ermächtigung für den Einsatz technischer Mittel zu Observationszwecken, sondern auch für die längerfristige Observation als solche (s.a. BGHSt 46 266, 271 ff.). Kurzfristige, nicht technikgestützte Observationen sind nach § 161 Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des StVÄG 1999 allgemein gestattet; dafür ist weder § 163f noch § 100c von Bedeutung. Der Einsatz technischer Mittel zur Gefahrenabwehr richtet sich, auch als „Sicherungslauschangriff“ zum Schutz Verdeckter Ermittler, nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder von V-Leuten, grundsätzlich nach dem Polizeirecht der Länder (s.a. Art. 13 Abs. 5 GG, § 16 Abs. 3 BKAG).40 Einzig das Polizeirecht von Bremen verzichtete früher ganz auf heimliche Datenerhebungen und damit auch auf einen präventivpolizeilichen „Lauschangriff“ (vgl. § 28 BremPolG, GVBl. 1983 S. 141); heute findet sich auch dort eine dem § 100c entsprechende Vorschrift zur Gefahrenabwehr (vgl. § 33 Abs. 2 BremPolG v. 19.5.2012). Die Bundesländer sehen so in sehr unterschiedlicher Ausgestaltung funktional vergleichbare Regelungen vor. Durch polizeirechtliche „große Lauschangriffe“ erlangte Informationen konnten nach BGH StV 1996 185 auch im Strafverfahren verwendet werden.41 Der im Jahre 1998 eingeführte § 100f Abs. 2 a.F. begrenzte dies wie seine aktuelle Nachfolgebestimmung § 100d Abs. 5 Nr. 1 auf Katalogtaten im Sinne von Abs. 2. Werden von Verdeckten Ermittlern, nicht offen ermittelnden Polizeibeamten oder V-Leuten ergänzend zu ihrem personalen Einsatz auch technische Mittel zur Beweisgewinnung oder Beweissicherung im Strafverfahren eingesetzt,42 was beim Einsatz in einer Wohnung als „kleiner Lauschangriff“ bezeichnet wird, so sind wiederum die Einsatzvoraussetzungen nach §§ 100c, 100f oder 100h sowie 100d zusätzlich zu denjenigen für ihren personalen Einsatz zu beachten.43 Die praktische Bedeutung der akustischen Wohnraumüberwachung ist nicht allzu groß. Nach der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002
40
Vgl. Malek 7 29; Kutscha NJW 1994 85 ff.; Malek/Wohlers 534; Schwabe JZ 1993 867 ff.; Überblick auch in BTDrucks. 13 4942 S. 39 ff.
41 42 43
A.A. Welp NStZ 1996 602. Vgl. dazu BTDrucks. 12 989 S. 40. BGHSt 41 42, 45.
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auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.199844 wurden in den Jahren 1998 bis 2000 in insgesamt 70 Verfahren in 78 Wohnungen akustische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen vollzogen. Anlasstaten waren ganz überwiegend (zu 90 %) Tötungs- und Betäubungsmitteldelikte. In 41 von 70 Fällen waren die erlangten Erkenntnisse nicht für die Ermittlungsverfahren von Bedeutung, was zu einem nicht unwesentlichen Teil auf technische Fehlschläge sowie auf nicht vorhersehbare Entwicklungen im tatsächlichen Bereich zurückzuführen sei.45 Nach dem Bericht der Bundesregierung gem. Art. 13 Abs. 6 Satz 1 GG vom 5.9.2012 wurden 2011 im repressiven Bereich des GBA und in fünf Ländern in zehn Verfahren insgesamt zehn Maßnahmen der akustischen Überwachung von acht Privatwohnungen und zwei Hotelzimmern angeordnet.46 Durch sie waren ca. 45 Personen betroffen, davon 21 Beschuldigte. Anlasstaten waren beim GBA Straftaten nach §§ 129, 129a StGB, in den betroffenen Ländern solche nach §§ 211, 212 StGB, §§ 29 ff. BtMG, Straftaten gegen die persönliche Freiheit und Staatsschutzdelikte. Die Abhördauer schwankte dabei überwiegend zwischen 1 und 36 Tagen, im Einzelfall betrug sie 130 Tage. Angesichts der geringen Zahl von Verfahren hat die Bundesregierung von einer Bewertung der Effektivität der Maßnahme Abstand genommen. Auf Grund dieser geringen praktischen Relevanz gilt der große Lauschangriff bisweilen als geradezu überflüssige Eingriffsbefugnis, die konsequenterweise der Streichung aus dem Gesetz preiszugeben sei.47 2. Lücken
8
a) Begleitmaßnahmen. Die vorliegende Vorschrift regelt den Einsatz technischer Mittel zur Erfassung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes einer Zielperson. Sie besagt aber, wie andere Eingriffsnormen der StPO auch,48 nichts über das „Wie“ des Mitteleinsatzes. Dabei geht es insbesondere um das eigentliche Abhören vorbereitende Maßnahmen. Solche sind unproblematisch, soweit es sich um allgemeine Ermittlungshandlungen wie Zeugenvernehmungen (des Hausmeisters über die Haus- und Wohnungseingänge, den Wohnungsgrundriss, der Nachbarn über die üblichen Anwesenheitszeiten in der Wohnung) handelt.49 Problematisch sind Eingriffe, wie das Eindringen in fremde Wohnungen50 oder das Öffnen51 und Benutzen fremder Sachen, um Mikrofone, Sender u.a. anzubringen.52 Sieht man darin unselbständige Begleitmaßnahmen, dann ist vom Gesetz grundsätzlich mitgeregelt, was notwendigerweise dazu erforderlich ist, um
44 45 46 47
BTDrucks. 13 9662 S. 4. BTDrucks. 13 9662 S. 4 und Anlage 7 und 8. BTDrucks. 17 10601 S. 3 ff. Zum Folgenden auch Möhrenschlager wistra 2012 R LXXVII. SK/Wolter 11; ders. FS Küper 707, 719; ihm folgend Meyer-Goßner 1. Entsprechend kritisch Meyer-Wieck NJW 2005 2037; Lisken ZRP 1993 121 ff.; Caesar ZRP 1993 67 ff. Rechtsvergleichend (USA) Krause FS Hanack 221 ff., der sich auf Böttger/ Pfeiffer ZRP 1994 7 ff., stützt. Einem der letzten Jahresberichte der Bundesregierung gem. Art. 13 VI 1 GG (BTDrucks. 17 3038) zufolge kam es im Jahr 2009 in insgesamt sieben Bundesländern zu gerade einmal neun Wohnraumüberwachungen in nur acht von
424
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52
insgesamt wohl über 5.000.000 Ermittlungsverfahren. Mozek 41 f.; SK/Rudolphi Voraufl. Vor § 94, 31. Siehe dazu das Fallbeispiel der Staatsanwaltschaft Leipzig in der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 44). Mozek 43 ff. BGH Ermittlungsrichter JR 1998 162 mit Anm. Heger; Gropp JZ 1998 501; Schneider NStZ 1999 388; Theisen JR 1999 259. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 22.
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technische Mittel sinnvoll einzusetzen.53 Dies gilt jedenfalls bei geringfügigen ergänzenden Eingriffen in den Rechtskreis des Betroffenen. Gleiches wird schließlich auch an anderer Stelle angenommen, wie etwa beim Öffnen verschlossener Räume oder Behältnisse im Rahmen einer Durchsuchung.54 Die von der Verfassung gezogene Grenze mag schon mit Blick auf das Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG bei Eingriffen in den Schutzbereich eines zitierpflichtigen anderen Grundrechts als desjenigen aus Art. 13 Abs. 1 GG liegen.55 Dabei ist zu beachten, dass Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG und damit auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, auch in der Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht zitierpflichtig sind. BGHSt 46 266, 273 f.56 hat demgegenüber eine Annexkompetenz auch für Fälle 9 angenommen,57 in denen der Begleiteingriff den Schutzbereich anderer Grundrechte berührt als die Hauptmaßnahme. Dies ist mit Blick auf das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG bedenklich. Eine Annexkompetenz steht auch begrifflich gegebenenfalls nur dem Gesetzgeber zu, wo dessen Kompetenz in Frage gestellt ist, nicht aber dem Rechtsanwender, wo die gesetzliche Eingriffsermächtigung eine Lücke aufweist.58 Für das Betreten einer Wohnung zur Sicherung der zu überwachenden Räumlich- 10 keiten, zum Anbringen, Warten und Abbau einer „Wanze“ oder einer anderen Abhöranlage, zu deren Anschluss an das Stromnetz, zur Auswechselung erforderlicher Batterien usw., ergeben sich solche Bedenken nicht, da jedenfalls der Schutzbereich des betroffenen Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG beim Anbringen und Benutzen der „Wanze“ gleich bleibt, mag auch die Eingriffsart sich ändern.59 Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass das Betreten einer Wohnung zur Anbringung der technischen Mittel im Sinne von Abs. 1 von der gesetzlichen Ermächtigung mit umfasst sei.60 Einer ergänzenden Durchsuchungsanordnung zum Anbringen der Abhöreinrichtung in der Wohnung bedarf es daher nicht.61 Die Möglichkeit, insbesondere bei der akustischen Wohnraumüberwachung private Dritte zur Mitwirkung zu verpflichten, besteht nicht. Wirken sie freiwillig mit, können sie nach dem Verpflichtungsgesetz62 zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Es handelt sich etwa um die Mitwirkung eines Schlossers zum Öffnen von Türen, eines Fensterbauers zum Öffnen von Fenstern, eines Flaschners, Elektrikers, Schornsteinfegers oder sonstigen Handwerkers zum Betreten von Räumen unter einem Vorwand, um technische Möglichkeiten zum Einbau von Abhörgeräten zu erkunden oder zu deren Einbau oder Ausbau selbst. Die Bundesregierung prüfte auf Bitte der Landesjustizverwaltungen eine dahingehende Ergänzung des Gesetzes, wies aber darauf hin, dass die angestrebte Mitwirkung Privater weit über die Mitwirkungpflicht der Telekommunikationsdiensteanbieter in § 100b Abs. 3 Satz 1 hinausgehen würde.63
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Beulke 265; krit. Bernsmann StV 2001 382, 385. Mozek 42. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 22. Abl. Kühne JZ 2001 1148. Ebenso KK/Nack 4; Meyer-Goßner 7; a.A. BGH (Ermittlungsrichter) JR 1998 162. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 22. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 22. BTDrucks. 13 8651 S. 13; vgl. auch die Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund
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des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 12); KK/Nack 4. A.A. Mozek 43 ff. Vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 547). Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 13).
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b) Optische Überwachung. Während § 100h Abs. 1 Nr. 1 die optische Überwachung außerhalb von Wohnungen gestattet und § 100c Abs. 1 den „Lauschangriff“ in einer Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG, fehlt eine optische Wohnungsüberwachung im Gesetz.64 Der Grund kann darin gesehen werden, dass die Überwachung mit „Wanzen“ und zugleich mit Videoaufzeichnungen der Vorgänge in der Wohnung als besonders intensiver Eingriff gewertet wird. Andererseits ist die Wertung, die Filmaufzeichnung sei ein tieferer Eingriff in die räumliche Privatsphäre als die Aufzeichnung des gesprochenen Wortes, nicht zwingend. Wie dem aber auch sei, jedenfalls ist de lege lata die Anfertigung von Foto- oder Filmaufnahmen zur Observation in der Wohnung zu Zwecken der Strafverfolgung nicht gestattet. Das wird von der Polizei beklagt, weil es ohne optische Aufzeichnung häufig schwierig sei, die gesprochenen Worte einem bestimmten Sprecher zuzuordnen.65
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c) Online-Durchsuchung. §§ 100c, 100f und 100h bieten in ihrer heutigen Fassung auch keine Grundlage für die sog. Online-Durchsuchung, also verschiedenste Arten des Computerfernzugriffs. Hierunter fallen der einmalige Datenzugriff (durch Dateisuche und Datenspiegelung) ebenso wie die kontinuierliche Überwachung des Dateisystems (Daten-Monitoring) oder das Mitschneiden von Tastatur- und Mauseingaben (sog. Keylogging).66 Zwar nehmen manche einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG durch eine sog. „Online-Durchsuchung“ an. Denn wenn das Ausspähen der Wohnung auch von einer gewissen Distanz aus möglich sei, liege auch in der Infiltration eines Computers, der sich in einer Wohnung befindet, eine Öffnung der räumlich geschützten Privatsphäre begründet.67 Dem ist zu widersprechen.68 Kaum überzeugend ist dabei zunächst jedoch der Ver13 weis des einen Eingriff in Art. 13 GG ebenfalls ablehnenden BVerfG, der Computer-
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Vgl. Eisenberg NStZ 2002 638 ff.; Martin Müller 242 ff. Vgl. die Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 11). Vgl. – auch zur Technik – Buermeyer HRRS 2007 154, 160 f.; Fox DuD 2007 827, 828 ff.; Hansen/Pfitzmann in: Roggan (Hrsg.) 131, 132 ff.; Jahn/Kudlich JR 2007 57, 58; Käß BayVerwBl. 2010 1, 4 f.; Sokol FS Hamm 719, 721 f. Aus der Praxis BGHSt 51 211 f. Die Durchsicht von Speichermedien beschlagnahmter Gegenstände nach § 110 Abs. 3 fällt nicht hierunter, weil diese als „Fernzugriff im Rahmen einer Durchsuchung“ eine echte (offene) Durchsuchung gem. §§ 102 ff. voraussetzt; vgl. Beulke/ Meininghaus FS Widmaier 63, 72 ff., 79: keine „originäre Heimlichkeit“; Schlegel HHRS 2008 23 ff. Vgl. etwa Bär Zugriff auf Computerdaten 219; ders. Handbuch Rn. 467; ders. MMR
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2007 239, 240; Buermeyer HRRS 2007 329, 333 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13 Rn. 43; Hornung JZ 2007 828, 829; ders. DuD 2007 575, 578; ders. CR 2008 301; Kutscha NJW 2007 1169, 1170; Matzky Zugriff auf EDV 234 f.; Roßnagel DRiZ 2007 229, 230; Rux JZ 2007 285, 292 f.; Valerius JR 2007 275, 279 f.; Schaar/Landwehr K&R 2007 202, 204; Schantz KritV 2007 343, 347 f.; Sokol FS Hamm 719, 726 f.; wohl auch Jahn/Kudlich JR 2007 57, 60: Art. 13 Abs. 1 GG bleibe „anwendbar“, und Huber NVwZ 2007 880, 883. Gegen die Schutzbereichseröffnung mit verschiedenen Begründungen auch BVerfGE 120 274, 310 f.; BGH StV 2007 60, 62; Beulke/Meininghaus StV 2007 63, 64; dies. FS Widmaier 62, 68; Böckenförde Die Ermittlung im Netz 223 f.; ders. JZ 2008 925, 926 f.; Cornelius JZ 2007 798, 799 f.; [M.] Gercke CR 2007 245, 250; Graf DRiZ 1999 281, 285; [M.] Hofmann NStZ 2005 121, 124; Meininghaus Zugriff auf E-Mails 146 ff., 257; Sachs/Murswiek GG Art. 2 Rn. 73c; Schlegel GA 2007, 648, 655 ff.;
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zugriff könne unabhängig vom Standort des Geräts, also (wie beim Betrieb v.a. von Notebooks mit WLAN-Surfsticks) auch außerhalb einer Wohnung erfolgen.69 Denn dass sich eine Sache auch außerhalb einer Wohnung befinden kann, ändert nichts daran, dass sie den Wohnungsschutz genießt, sobald sie in diese besondere Schutzsphäre gelangt. Auch bei einem intimen Schlafzimmergespräch kommt niemand auf die Idee, den Schutzbereich des Art. 13 GG zu bezweifeln, nur weil ein solches Gespräch auch auf einer einsamen Parkbank stattfinden könnte. Allein maßgeblich ist schlichtweg, dass sich gewisse Vorgänge in einer Wohnung zutragen; die theoretisch fehlende Notwendigkeit einer solchen lokalen Gebundenheit ist demgegenüber ohne jede Relevanz.70 Aus demselben Grund ist es auch unerheblich, dass der raumbezogene Schutzbereich des Art. 13 GG nicht in der Lage ist, gerade „die spezifische Gefährdung des informationstechnischen Systems abzuwehren“.71 Grundrechtliche Schutzbereiche sind nicht erst dort eröffnet, wo sich ihre Schutzwirkung optimal entfalten kann, sondern bereits dann, wenn der Lebenssachverhalt ihrem Regelungsbereich thematisch (wenn auch nur in Teilen) entspricht. Auch der Hinweis, dass die Ermittlungsbehörden den Rechnerstandort manchmal nicht einmal kennen, liegt deshalb neben der Sache.72 Der moderne Eingriffsbegriff setzt keine finale, auf den Schutzbereich des Art. 13 GG explizit bezogene Infiltration voraus. Der Grundrechtstatbestand beurteilt sich vielmehr anhand eines rein objektiven Maßstabs.73 Und auch die These, der Computernutzer „öffne“ mit dem bewussten Online-Gehen die „objektiven Kommunikationsbedingungen“, sodass der Schutzbereich des Art. 13 GG nicht eröffnet sein könne,74 übersieht, dass es für den grundrechtlichen Wohnungsschutz nur auf die Möglichkeit der Zugangsversagung ankommt, nicht jedoch darauf, solchen Zugang, auch soweit er mit einer technischen Infiltration einhergeht, tatsächlich zu verweigern.75 Selbst wenn diese Argumentation des BVerfG gegen eine Schutzbereichsrelevanz folg- 14 lich nicht überzeugen kann, gibt es andere entscheidende Gründe gegen eine Relevanz der Online-Durchsuchung für den Schutzbereich des Art. 13 GG und damit auch des § 100c. Die Befürworter der Schutzbereichseröffnung argumentieren verfänglicherweise damit, 15 ein Zugriff aus der Distanz sei wie bei der Online-Durchsuchung deshalb möglich, weil Art. 13 GG auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen darüber schütze, „welche Informationen aus dem Bereich seiner ,Wohnung‘ (im weiteren Sinne) er Dritten zugänglich
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unentschieden Kemper ZRP 2007 105, 106 f.; Schelter ZRP 1994 52, 54: „muß nicht entschieden werden“. So BVerfGE 120 274, 310, ferner Beulke/ Meininghaus FS Widmaier 63, 67 f.; Cornelius JZ 2007 798, 799 f.; [M.] Hofmann NStZ 2005 121, 124; im Ansatz auch Rux JZ 2007 285, 292 f. Ebenso Kudlich HFR 19/2007 1 (6); Schlegel GA 2007 648 (659). Grundsätzlich erweist sich ein Rückgriff auf räumliche Anknüpfungspunkte für die rechtliche Bewertung der Ermittlungstätigkeit entgegen Cornelius JZ 2007 798, 800, und Böckenförde Die Ermittlung im Netz, 224, deshalb nicht nur als „sinnvoll“, sondern als rechtlich unabweisbar.
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BVerfGE 120 274, 310 f. So aber BVerfGE 120 274, 310 f.; Cornelius JZ 2007 798, 799 f. Vgl. Hornung JZ 2007 828, 830; Kudlich HFR 19/2007 1, 6. So Hofmann NStZ 2005 121, 122, 124: nimmt Infizierung nolens volens in Kauf; Kemper ZRP 2007, 105, 109: fast freiwillige Herausgabe. Mit Recht daher ablehnend Kudlich in: Hilgendorf (Hrsg.) Informationsstrafrecht (2009) 177, 184 f.: „unsinnig“; Hornung JZ 2007 828, 829; Rux JZ 2007 285, 292; Valerius JR 2007 275, 280.
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machen will“.76 Deshalb seien auch die „gezielte Ausspähung der Vorgänge in einem Garten durch Luftbildaufnahmen oder in der Wohnung durch hochempfindliche Richtmikrophone, Interferenzträger, Infrarotkameras oder Ähnliches“77 erfasst. Diese informationelle Ausdeutung des Schutzbereichs ist bedenklich und an entscheidender Stelle verfehlt: Die optische und akustische Wahrnehmung von Lebensvorgängen in einer Wohnung ist nicht „deshalb“ ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG, weil dieser dem Wohnungsinhaber ein besonderes Selbstbestimmungsrecht über wohnungsbezogene Informationen verleiht. Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht stellen sie vielmehr allein deshalb dar, weil durch das Aushorchen oder Ausspähen von Wohnungen deren spezifische Schutzfunktion als Rückzugsraum, als vertraulicher räumlicher Lebenssphäre aufgehoben wird. Es ist deshalb auch gleichgültig, ob der körperliche oder unkörperliche, aus der 16 Distanz erfolgende Zugriff auf eine unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Information gerichtet ist (wie beim Spähangriff auf ein offen herumliegendes Blatt Papier), oder ob er eine erst noch zu entschlüsselnde Information betrifft (wie bei der Online-Durchsuchung). Solange der Zugriff geeignet ist, diese Vertraulichkeit der räumlichen Privatsphäre zu erschüttern, liegt ein Grundrechtseingriff vor. Die Eingriffsqualität der OnlineDurchsuchung lässt sich deshalb auch nicht mit dem Argument verneinen, sie bewirke keine Veränderung der physischen Lage der Dateien in der Wohnung.78 Denn das ist bei Aushorch- und Spähangriffen nicht anders und es kommt darauf auch nicht an. Auch die These, der Eingriff in das Wohnungsgrundrecht setze eine Überwindung derjenigen räumlichen Barrieren (Wände, Decke, Boden) voraus, die den Schutzbereich i.S.e. optischen oder akustischen Abschirmung konstituieren, sodass zwar das Eindringen oder optische und akustische Ausspähen erfasst sind, nicht jedoch die Online-Durchsuchung, die keine dieser räumlichen Barrieren überwindet,79 überzeugt nicht. Denn dieser Ansatz lässt sich kaum mit der Überzeugung vereinbaren, wonach der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts niemals allein im spiegelbildlichen Angriff auf die schutzbereichskonstituierenden Voraussetzungen zu verstehen ist, sondern in jeglicher Verkürzung grundrechtlich geschützter Freiheit begründet ist. Auch derjenige Angriffsmodus, der diese Freiheit schmälert, ohne sich explizit gegen die Grundbedingungen dieser Freiheit zu wenden (Wände, Decke, Boden), ist ein Eingriff. Aus diesem Grund wäre die Online-Durchsuchung also durchaus ein Eingriff in 17 Art. 13 GG, wenn mit ihr die Vertraulichkeit der Wohnung gefährdet wäre. Das ist aber nicht der Fall: Denn als raumblinder Außenangriff auf eine Information im Raum lässt
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Vgl. Bär Handbuch Rn. 467: „dass die Maßnahme im Ergebnis doch auf Informationen zugreift, die sich in der räumlichen Sphäre der Wohnung befinden und die deshalb auch einen besonderen Schutz bedürfen, der über Art. 13 GG gewährleistet werden soll“; Kudlich HFR 19/2007, 1, 6: „Vielmehr muss Art. 13 GG auch die Verfügungsbefugnis darüber schützen, welche Informationen aus der Wohnung eigenmächtig entnommen werden.“; Valerius JR 2007 275, 280: „Dies [scil. die Rückzugsfunktion] setzt aber voraus, dass der Einzelne darüber bestimmen kann, ob und ggf. welche Informationen
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über Vorgänge und Gegenstände in seiner Wohnung preisgegeben werden.“; Kutscha NJW 2007 1169, 1170, mit Bezug auf Dreier/Hermes GG Art. 13 Rn. 12/33, dieser wiederum unter Verweis auf Amelung NJW 1991 2533, 2535. Kutscha NJW 2007 1169, 1170 m.w.N. Zum Vergleich mit dem Richtmikrofon Rux JZ 2007 285, 292. So Schlegel GA 2007 648, 657; Hornung JZ 2007 828, 829. So Bockenförde JZ 2008 925, 926; im Ansatz Heckmann FS Stober 615, 629.
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die Online-Durchsuchung die Möglichkeit vertraulicher, privater Lebensgestaltung im Raum bestehen: Ein vertrauliches Gespräch oder eine private Handlung in der Wohnung bleiben von ihr unbemerkt. Demgegenüber erfassen Lausch- und Spähangriffe alle akustisch oder optisch wahrnehmbaren Vorgänge in der Wohnung, sodass bezogen auf die jeweilige sensorische Form der Überwachung keinerlei Vertraulichkeit mehr gewährleistet ist. Würden sich Lausch- oder Spähangriffe hingegen nur auf eine einzelne wohnungsbezogene Information richten (wenn bspw. das Richtmikrofon nur die Flurgeräusche nahe der Wohnungstür erfassen könnte), so wäre kein Grund ersichtlich, diesen Informationsschutz nicht allein auf das APR zu gründen. Gesteigerten Anforderungen unterliegen solche Maßnahmen angesichts des Wohnungsgrundrechtsschutzes aber deshalb, weil sie nicht nur wohnungsbezogene Einzelinformationen betreffen, sondern weil ihnen das Potential zu eigen ist, die Wohnung in ihrer Räumlichkeit als solche, als Rückzugsraum zu desavouieren.80 Aus diesem Grund greifen distanzweise ausgeführte Lausch- und Spähangriffe in Art. 13 GG ein, die Online-Durchsuchung, die nur die Vertraulichkeit einer Rechnerinformation verletzt,81 ohne die Vertraulichkeit der Wohnung als Räumlichkeit zu beeinträchtigen,82 hingegen nicht. Die Gegenmeinung stellt die Online-Durchsuchung als Außenangriff auf eine Sache 18 im Raum aber mit ebenfalls aus der Distanz erfolgenden Bild- und Tonaufnahmen als Außenangriff auf den Raum als solchem gleich. In letzter Konsequenz muss sie die Wohnungsgegründetheit der Information deshalb zum Anlass nehmen, auch solche Informationen über Art. 13 GG zu schützen, die sich nicht mehr in der Wohnung befinden (z.B. die Fotos der Geburtstagsfeier, die im Wald betrachtet werden).83 Eine solche „Wohnungsexklave im Sozialbereich“84 ist nichts anderes als der nicht hinnehmbare Auswuchs informationeller Übersteigerung des Wohnungsschutzes.85 Das Verfügungsrecht des Wohnungsinhabers, Informationen aus dem Bereich seiner Wohnung preiszugeben, muss stattdessen seine Grenze im Bereich der Wohnung als physischer Gegebenheit finden. Der
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Der Schutzbereich des Wohnungsgrundrechts ist nicht deshalb begründet, weil die Wohnung besonders schutzwürdige Gegenstände beherbergt. Diese erfahren vielmehr einen nur reflexartigen Grundrechtsschutz über Art. 13 GG (vgl. Schlegel GA 2007 648, 657): Die besondere Vertraulichkeit der auf PC gespeicherten Informationen (vgl. Rux JZ 2007 285, 293), die Ungleichbehandlung des konventionellen Inhalts eines Wohnzimmerregals und als Datei auf PC (vgl. Kutscha NJW 2007 1170 f.) oder die Ungleichbehandlung von Vorgängen und Gegenständen in der Wohnung (vgl. Schantz KritV 2007 343, 348), auf all das kann es deshalb nicht ankommen. Und sich somit entgegen Schaar/Landwehr K&R 2007 202, 204, nicht auf innerhalb der Wohnung stattfindende Vorgänge bezieht. Wie hier Heckmann FS Stober, 615, 628 ff. Insofern zutreffend BVerfGE 120 274, 310 f., wonach die Infiltration „die durch die Abgrenzung der Wohnung vermittelte räumliche Privatsphäre unberührt“ lässt. Ähnlich
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BGH StV 2007 60, 62: „beeinträchtigt die geschützte Sphäre […] als privater Rückzugsraum nicht“. Kaum überzeugend dagegen [M.] Gercke CR 2007 245, 250, wenn er eine Beeinträchtigung der „räumlichen Integrität“ auch bei dem Blick eines Polizisten durch das Fenster ablehnen will. So in der Tat Rux JZ 2007 285, 292 f.; und im Ergebnis wohl auch Schaar/Landwehr K&R 2007 202, 204, da ihr Schutzkriterium des „begrenzte[n] Radius eines Drahtlosnetzwerks“ den häuslichen Bereich überschreitet. Eine Formulierung von Schlegel GA 2007 648, 658. Außerhalb von Wohnungen befindliche Rechner werden selbstverständlich nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst. Mangels Schutzbereichsrelevanz muss eine Ermächtigungsgrundlage zur Online-Durchsuchung auch nicht etwa infolge der Ungewissheit über den Rechnerstandort den Anforderungen des Art. 13 GG genügen (vgl. aber Hornung JZ 2007 828, 831).
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Computer in der Wohnung enthält zwar Informationen. Doch ist der Zugriff auf den Computer nicht deshalb zugleich Eingriff in die Wohnung, nur weil sich der PC darin befindet. Die genannten optischen und akustischen Überwachungsmaßnahmen haben im Unterschied zur Online-Durchsuchung genau diesen spezifisch räumlichen Wohnungsbezug durch Betrachten oder Belauschen des Raumes ganz oder in Teilen. Nur in diesem Rahmen schützt Art. 13 GG auch ein Verfügungsrecht über Informationen des Raumes. Diese restriktive Interpretation findet eine weitere Stütze im Vergleich mit der Überwachung von Telekommunikation unter Nutzung eines lokalen Drahtlosnetzwerks. Solche Netzwerke weisen durchaus einen gewissen Wohnungsbezug auf, weil sich Telefonanschluss und WLAN-Router regelmäßig darin befinden. Gleichwohl ist der Ermittlungszugriff kein Eingriff in Art. 13 GG, sondern nur in Art. 10 GG bzw. – falls kommunikationsunabhängige reine Gerätenummern- oder Standortermittlung –86 das APR, und das nicht etwa nur deshalb, weil der Wohnungsschutzbereich im Wege der Konkurrenz hinter dem des Fernmeldegeheimnisses zurücktritt, sondern weil sein Schutzbereich nicht betroffen ist.87 Im Ergebnis ist die Online-Durchsuchung allein am Maßstab des APR in seiner Ausformung als Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme zu messen;88 sie hat nicht den für § 100c erforderlichen Wohnungsbezug. Schließlich wird eine Schutzerstreckung dennoch dadurch zu erreichen versucht, 19 indem man den Datenbestand eines Computers als „virtuellen Raum“ schützt, der in Analogie zu Art. 13 GG wirklichen Räumen gleichgestellt werden müsse. Dementsprechend hätten die Schrankenregeln des Art. 13 Abs. 2 bis 7 GG zu gelten, und zwar selbst dann, wenn sich der Computer (z.B. als Laptop) nicht innerhalb einer Wohnung im ursprünglichen Sinne befinde.89 Doch wo befindet sich die planwidrige Regelungslücke bei gleichwertiger Interessenlage?90 Es lässt sich schon trefflich darüber streiten, ob der Datenbestand eines mit dem 20 Internet verbundenen Einzel-PC überhaupt einen solch virtuellen Raum darstellt. Überwiegend soll ein virtueller Raum (cyberspace) als Phantasieprodukt seiner Nutzer vorliegen, wo sich Daten grenzenübergreifend nutzen lassen (internetmetaphorisches Begriffsverständnis) oder Leben in einer künstlichen Datenwelt, z.B. einem sog. sozialen
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Vgl. Kleih Die strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation 217 ff., 231. Vgl. Vogel/Brodowski StV 2009 632, 633; [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1, 21 f. Ebenso Beulke/Meininghaus FS Widmaier 63, 69, die von einer etablierten Sicherung durch das APR sprechen. Kritisch dagegen Kudlich HFS 19/2007 1, 6: „völlig unangemessene Bagatellisierung“. Vgl. Rux JZ 2007 285, 293 ff., der sich allerdings später selbst (ders. JZ 2007 831, 832) korrigiert: „[…] sehe ich dennoch keinen Anlass, den Schutzbereich des Art. 13 GG durch eine Analogie zu erweitern.“ Gegen die Anwendbarkeit des Art. 13 Abs. 2 bis 7 GG auch Jahn/Kudlich JR 2007 57, 60; ferner Heckmann FS Stober 615, 622. Die planwidrige Regelungslücke fehlt, weil der Wille des Gesetzgebers, bestimmte Lebensbereiche besonders zu schützen, auch
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bzgl. sonstiger Formen der Datenaufbewahrung (Tagebücher, Koffer, Unterlagen im Banksafe, Gegenstände in Pkw) keinen eigenständigen Ausdruck fand. Die Gleichwertigkeit lässt sich nicht mit der Gradualität begründen, die zwischen Privatheitseingriffen in Gestalt der Durchsuchung eines Schlafzimmers oder eines Computers bestehe. Denn die Räumlichkeit der Wohnung ist ein eigenständiger schutzintensivierender Umstand. Vgl. dazu Hornung JZ 2007 828, 829 f. Prinzipiell skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines Analogieschlusses im Bereich grundrechtlicher Schutzbereiche Böckenförde JZ 2008 925, 926; Beulke/ Meininghaus FS Widmaier 63, 69 Fn. 38. Dieselben aaO., stellen die Regelungslücke in Frage, weil bereits eine hinreichende Sicherung über das APR bestehe.
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Netzwerk, ermöglicht wird (Begriffsverständnis einer künstlichen Lebenswelt).91 Der Begriff des „virtuellen Raums“ ist also schon allgemein (noch) nicht hinreichend klar umrissen. Diese definitorischen Unsicherheiten und die daraus folgende fehlende Unterscheidungskraft müssen diesen Begriff aber im Sinne eines verfassungsrechtlichen Schutzbereichs disqualifizieren.92 Selbst wenn man annimmt, wir hätten bereits begriffliche Klarheit über virtuelle Räume erlangt, müsste man eingehend begründen, weshalb ein solcher, von Daten konstituierter „Raum“ gerade lokalen Privatheitsschutz genießen soll. Die geforderte Möglichkeit einer Zugangskontrolle ließe sich über entsprechende technische Vorkehrungen (Passwörter, Firewalls usw.) noch sicherstellen.93 Doch ist dieser Schutz rein formaler Natur. Die Portaltechnologie gewährt auch „falschen Freunden“ Zutritt, solange diese die Hürde eines Zugangsaccounts nehmen.94 Hinzu kommen teleologische und systematische Bedenken: Die Anerkennung einer virtuellen Privatsphäre, die sich nur unter Öffnung und Preisgabe privater Informationen konstruieren lässt, bedeutet letztlich eine Verwässerung der Grenze zwischen Sozial- und Privatsphäre.95 Eine Zuweisung der virtuellen Privatsphäre unter den Schutz des Art. 13 GG hätte letztlich die kontraproduktive Folge, dass sich IT-Nutzer in einer Sicherheit wähnen, die dem von ihnen genutzten Medium nicht zukommen kann.96 Ferner steht die künstliche Erweiterung eines Lebensbereichs wohl diametral zu einer 21 Funktion als Zufluchtsstätte, die eine reale Wohnung durch die Möglichkeit des Rückzugs und des Ausschlusses anderer – sprichwörtlich durch das Schließen der Tür – bieten soll.97 Zudem dient der Schutz lokaler Privatheit durch Art. 13 Abs. 1 GG auch als Ausgangspunkt der Entfaltung informationeller und dezisionaler Privatheit,98 während die lokale Privatheit eines virtuellen Raumes von der Zuordnung von Daten abhängt, umgekehrt also erst durch informationelle Privatheit begründet wird. Und wenn man diesen lokalen Schutzcharakter des Art. 13 Abs. 1 GG indes leugnen und dem Schutzbereich der Vorschrift neben seinem herkömmlichen physisch-realen Räumlichkeitsbezug auch virtuelle Räume zuordnen würde, brächte das weitere Probleme mit sich: Man hätte zunächst dafür zu sorgen, dass man diese virtuellen Räume gerade nicht als Datenprodukte einer informationellen Selbstbestimmung begreift. Denn das führte wiederum zu jener persönlichkeitsrechtszentrierten Aufladung des Art. 13 GG, die schon allgemein als Ausdruck einer verhaltensbezogenen Schutzbereichsauslegung zurückzuweisen ist. Aber selbst wenn man den virtuellen Raum nicht als persönlichkeitsrechtlichen Autonomiebereich, sondern zutreffend als rein personale Freiheitssphäre verstünde, tritt doch der „virtuell-lokale“ Charakter dieser Räumlichkeit hinter ihrem informationellen Cha-
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Vgl. Benschop, http://www.sociosite.org/ index_en.php, “Cyberspace is an illusion, it is a consensual hallucination that is not anywhere in our physical reality. It is a no-place that exists only within headspace. Cyberspace is something that cannot be demarcated in geographical terms at all. It is a reality that can be localized ‘nowhere’ and yet its presence is felt ‘everywhere’.” Auch Ausführungen wie die von Rux JZ 2007 285, 293, die Internetnutzung eröffne „ein[e] virtuell[e] Welt, die fast schon zu einer Art parallelem Universum geworden ist“, führen zu keinerlei begrifflichen Schärfung.
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Die Abwehrfunktion des cyberspace vor staatlichen Zugriffen betont Barlow, https://projects.eff.org/~barlow/ Declaration-Final.html. 94 Vgl. eingehend Heckmann K&R 2010 1, 2, 5 f. m.w.N.: „Recht als bedingt tauglicher Vertrauensgarant“; ebenso ders. FS Stober 615, 622 ff. 95 So Heckmann FS Stober 615, 623. 96 Eindringlich Heckmann FS Stober 615, 630 f. 97 Auch Heckmann FS Stober 615, 622, bestreitet diese Möglichkeit zur „Flucht in den virtuellen Raum“. 98 Vgl. Rössler Der Wert des Privaten, 16 ff., 25 f.
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rakter nicht deutlich genug hervor.99 Weil in unserer modernen Welt vielmehr alles und nichts informationell begründet werden kann, lässt die Berücksichtigung informationell konstruierter Lebensbereiche in Spezialfreiheitsrechten den Verlust der Eigenständigkeit und Spezifizität dieser Schutzbereiche befürchten.100 Wenn solche personal begründeten Schutzbereiche infolge der Aufladung mit persönlichkeitsrechtlichen Elementen zu „Supergrundrechten“101 mutieren, verlieren sie letztlich ihre Identität. Böckenfördes Konzept einer „elektronischen Privatsphäre“, deren Schutz in Gestalt von Teilmengen der Einzelfreiheitsrechte (v.a. der informationellen Selbstbestimmung, des Rechts auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und Art. 10 Abs. 1 GG) gewährleistet sein soll,102 widerspricht dem nicht. Denn auch eine solche elektronisch konstituierte Privatsphäre, die sich auch in der zunehmenden elektronischen Vernetzung von Gegenständen in einem Haushalt äußern mag,103 bleibt letztlich ein informationeller Schutzbereich, der direkt nur durch informationell begründete Grundrechte (also durch das APR in Gestalt des informationellen Selbstbestimmungsrechts, des neuen Computergrundrechts oder eines eben neu zu schaffenden Innominatrechts) gewährleistet werden kann. Nicht-informationell begründete Grundrechte schützen diese elektronische Privatsphäre hingegen allenfalls mittelbar in Gestalt von Schutzreflexen.104 Auch grundrechtsdogmatisch bleibt eine Differenzierung zwischen Privatheit in Wohnräumen und in einer virtuellen Welt damit geboten.105 Wohl auch deshalb sah sich das BVerfG in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung genötigt, in Gestalt des Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme ein neues Innominatfreiheitsrecht des APR zu begründen.
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3. Verfassungsmäßigkeit des „Lauschangriffs“, insbesondere im Lichte von BVerfGE 109 279. Die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes technischer Mittel ist nur umstritten, soweit es um das heimliche Abhören und die Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb (§ 100f) oder innerhalb (§ 100c) einer Wohnung geht. Die Möglichkeit der Anfertigung von Lichtbildern oder Filmaufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung auf Grund eines Gesetzes (§ 100h) dürfte demgegenüber, auch wenn sie hier – anders als im Fall des § 81b – „ohne Wissen des Betroffenen“ erfolgt, verfassungsrechtlich unbedenklich sein. Bei der umstrittenen verfassungsrechtlichen Bewertung der „Lauschangriffe“ ist vorab zu berücksichtigen, dass eine heimliche Erfassung von Äußerungen in der Praxis auf zwei Wegen erfolgt: In Betracht kommt zum einen der Einsatz von Personen, die als Verdeckte Ermittler, nicht offen ermittelnde Polizeibeamte oder V-Leute Gespräche mit vernehmungsähnlicher Zielrichtung führen und zwar nach
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Vgl. Böckenförde JZ 2008 925, 927, der von einem Wegbrechen des „letzte[n] belastbare[n] Kriterium[s]“ der Abgrenzung zu Art. 2 Abs. 1 GG spricht. Der informationelle Gehalt wird über das APR aber schon hinreichend geschützt, weshalb es nicht nachvollzogen werden kann, wenn Rux JZ 2007 285, 293, hier eine „ganz erhebliche Schutzlücke“ annimmt. Gegen die „rechtliche Parallelität“ realer und virtueller Räume auch OK-GG/Fink Art. 13, 10 GG. Zum Begriff Heckmann FS Stober 615, 629 f.
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Vgl. Böckenförde JZ 2008 925, 939; ebenso Gusy/Worms APuZ 18–19/2009 26, 31 ff. Vgl. Hornung DuD 2007 575, 578; krit. hiergegen Schlegel GA 2007 648, 658 f. Vgl. Heckmann FS Stober 615, 623 ff., 625 f. Kritisch hinsichtlich der bisherigen Schutzabdeckung der „digitalen Privatsphäre“ Kutscha in: Roggan (Hrsg.), Lauschen im Rechtsstaat 157, 161 ff. So auch Heckmann FS Stober 615, 622 ff.; leise Kritik bei Albers DVBl. 2010 1061, 1065.
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BGHSt 40 211, 213 (wohl nicht aber nach EGMR StraFo 2003 162, siehe dazu § 100a, 160) ohne Vernehmungsqualität. Zum anderen kommt der Einsatz technischer Mittel in Betracht. Dabei werden Äußerungen der Zielpersonen auch erfasst und zudem aufgezeichnet, aber im Gegensatz zu den vernehmungsähnlichen Gesprächen der heimlich vorgehenden Ermittler nicht direkt provoziert oder sonst beeinflusst.106 Wohl aber werden häufig indirekt durch List Gespräche über ermittlungserhebliche Themen veranlasst.107 Insoweit sind relativ geringere verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einsatz technischer Mittel anzumelden als gegen vernehmungsähnliche Gespräche unter Verheimlichung der Eigenschaft als Ermittlungsmaßnahmen, welche zumindest faktisch zur Umgehung von Vernehmungen samt deren schützenden Formen führen; Gleiches gilt für eine Beurteilung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.108 Die technische Aufzeichnung von Äußerungen verbürgt zudem eine größere Richtigkeitsgewähr als die Wahrnehmung der Äußerungen durch Personen, die später als Zeugen den Äußerungsinhalt aus ihrem Gedächtnis rekapitulieren müssen. Soll mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip auch die Effektivität der Strafverfolgung bei der verfassungsrechtlichen Bewertung berücksichtigt werden, dann ist der mit höherer Beweisqualität ausgestattete „Lauschangriff“ besser als der Einsatz heimlich ermittelnder Beamter oder V-Leute. „Wer den Zeugenbeweis kennt, liebt den Sachbeweis“,109 mag er hier auch nur in der technisierten Form der Erfassung und Aufzeichnung fremder Äußerungen, die im folgenden Verfahren durch Sachbeweis rekonstruiert werden, vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung jedenfalls nicht als verfassungswidrig anzusehen. a) Eingriff in die prozessuale Rechtsposition des Beschuldigten und „nemo tenetur se 23 ipsum accusare“. Zum Teil wird auch angenommen, die heimliche Ausforschung des Beschuldigten durch Abhören und Aufzeichnen seines nichtöffentlich gesprochenen Wortes verstoße gegen den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare vel prodere“.110 Diese Freiheit von Selbstbelastungszwang wird aber nicht dadurch verletzt, dass von sich aus gemachte und nicht von den Strafverfolgungsorganen provozierte oder beeinflusste111 Äußerungen im Wege eines „Lauschangriffs“ erfasst werden (vgl. grundlegend § 100a, 159).112 Zu diskutieren wäre insoweit allenfalls eine Täuschung (vgl. § 136a Abs. 1 Satz 1) durch Unterlassen113 der Offenlegung der Ermittlungsmaßnahme; jedoch besteht insoweit nach dem Gesetz keine Rechtspflicht zum Handeln (s.a. BGHSt 40 66, 72). Auch aus dem Regelungsgedanken des § 136 Abs. 1 Satz 2 ergibt sich dies nach BGHSt 42 139, 146 f. nicht. Das Ausnutzen der Fehlvorstellung des Beschuldigten von der Ungestörtheit ist demnach noch keine den Kernbereich der Entschlussfreiheit zur Selbstbelastung durch Äußerung verletzende Handlung.114 Denn es bleibt ihm überlassen, ob und wie er sich äußert. Der verbleibende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch die §§ 100c, 100d als Schrankenbestimmungen gestat-
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Binder 157; s.a. Martin Müller 144 f. S. die Fallschilderung der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 17.12.2001, mitgeteilt in der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 44): „Ziel des Lauschangriffs war es, den Tatverdächtigen dazu zu bringen, sich in der gemeinsamen
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Wohnung mit seiner Lebensgefährtin über das Verbrechen zu unterhalten und ihn dabei zu belauschen“. Vgl. EGMR JZ 2000 993, 994 (Nr. 36). Zur Beweisbedeutung des Sachbeweises Foth NStZ 1989 166 ff. Mozek 130 f. Binder 157; s. dazu auch § 100a, 164. Bludovsky 91 f. Mozek 130. Binder 156 f.
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tet, soweit der Eingriff im Einzelfall verhältnismäßig ist.115 Anders kann die Situation dann sein, wenn die Ermittlungsbeamten nach der Einrichtung einer Wohnraumüberwachung das Gespräch, das sie abhören und aufzeichnen wollen, erst „anschieben“ müssen.116 Insoweit kommen die Kriterien einer „Hörfalle“ zu den Einsatzvoraussetzungen eines „großen Lauschangriffs“ hinzu (s. Rn. 1 am Ende den Hinweis auf die neuere Rechtsprechung des EGMR117 und § 100a, 160 f.). Diese Kumulation von Eingriffsakten ist zumindest im Bereich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Besondere Bedeutung kommt aber der Frage zu, ob das Abhören und Aufzeichnen 24 des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb oder innerhalb einer Wohnung gegen die Menschenwürde der betroffenen Personen verstößt oder in den Wesensgehalt anderer Grundrechte eingreift. Dann wäre, sofern man keine „verfassungsimmanenten Schranken“ auch der sonst schrankenlos gewährleisteten Grundrechte118 durch kollidierende verfassungsrechtliche Rechtspositionen akzeptiert,119 schon die gesetzliche Regelung, aber auch jeder darauf beruhende Eingriffsakt, im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG zu beanstanden. Auch der verfassungsändernde Gesetzgeber könnte einen Eingriff nicht gestatten, sodass Art. 13 Abs. 3 GG selbst verfassungswidrig wäre. Bei der beeinträchtigten Rechtsposition würde es sich dann um „Unverfügbares im Strafprozeß“120 handeln.
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b) Betroffene Personen als Objekte des Verfahrens. Der in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegte Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde darf gemäß Art. 79 Abs. 3 GG auch durch eine Verfassungsänderung nicht berührt werden.121 Nicht einmal die Änderung des Art. 13 GG durch qualifizierte Mehrheitsentscheidung des Gesetzgebers im Jahre 1998 wäre also im Fall einer Antastung der Menschenwürde dazu geeignet, einen „Lauschangriff“ zu gestatten. Die Frage ist aber, unter welchen Umständen die Menschenwürde durch einen Eingriffsakt im Strafverfahren verletzt sein kann, insbesondere also ob ein technikgestütztes heimliches Ausforschen der privaten Äußerungen einer Person, gegebenenfalls innerhalb einer verfassungsrechtlich noch besonders geschützten räumlichen Privatsphäre gemäß Art. 13 Abs. 1 GG, den Betroffenen zum bloßen Objekt des Verfahrens macht.122 Das erste123 „Abhörurteil“ in BVerfGE 30 1, 25 f. hat dies im Ergebnis verneint; es 26 besitzt mit seinen verfassungsrechtlichen Aussagen zu Art. 1 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG Bindungswirkung im Sinne des § 31 BVerfGG. Es führt aus, eine Verletzung der Menschenwürde liege nur vor, wenn der Betroffene einer Behandlung ausgesetzt werde, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt, oder wenn in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen liege. Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, müsse also,
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Binder 160. Eschelbach FS G. Schäfer 20, 23; s. auch § 100a, 160 f. StraFo 2003 163 = JR 2004 127 mit Aufs. Esser 98. Vgl. Martin Müller 58 ff. Im präventiven Bereich wird meist akzeptiert, dass etwa eine Geiselbefreiung mit Hilfe von Lauschangriffen zulässig ist, weil das kollidierende Rechtsgut des Lebens dies erlaubt; vgl. Martin Müller 77.
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Vgl. dazu allgemein Hassemer FS Maihofer 193 ff. BVerfGE 30 1, 25; krit. Sachs/Kühne Art. 13, 39 GG; SK/Wolter 4. Vgl. Bludovsky 60 ff.; Mozek 131. Die weitere Abhörentscheidung in BVerfGE 100 313, 358 ff. (BND-Urteil) hat sich mit Art. 1 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG nicht mehr befasst, sondern ihre verfassungsrechtlichen Fragen nur noch am Maßstab der Art. 10, 19 Abs. 4 GG geprüft.
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wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes sein, der dem Menschen kraft seines Personseins zukomme; sie müsse in diesem Sinne eine „verächtliche Behandlung“ sein. Dies sei bei einer heimlichen akustischen Überwachung der Telekommunikation nicht der Fall.124 Gleiches muss von demselben verfassungsrechtlichen Blickwinkel aus gesehen auch für eine heimliche akustische Überwachung mit „Geheimmikrofonen“ gelten.125 Werden Zielpersonen wegen des Verdachts bestimmter schwerwiegender Straftaten so überwacht, dann ist dies aber nicht Ausdruck der Verachtung ihrer Menschenwürde. Dies gilt auch, soweit Dritte im Umfeld des Beschuldigten unvermeidbar betroffen sind.126 Dass diese bisher bindende Auslegung der Art. 1 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG nicht aufrecht 27 erhalten blieb, zeigt die kernbereichszentrierte Entscheidung BVerfGE 109 279 in aller Deutlichkeit (dazu sogleich Rn. 31 ff.).127 Bereits in BVerfGE 30 1 wurde von drei Richtern des erkennenden Senats in einem Sondervotum eine deutlich abweichende Auslegung formuliert, die auch bei der Bewertung des „Lauschangriffs“ von Bedeutung sein kann.128 Es ging damals freilich auch darum, dass in Art. 10 Abs. 2 GG keine „Einschränkung des Kreises derjenigen, die überwacht werden dürfen“, vorliege.129 Im Kern beanstandete die abweichende Meinung die Einfügung eines subjektiven Elements der willkürlichen, verächtlichen Behandlung als Kriterium der Menschenwürdeverletzung. Der Betroffene dürfe nicht unpersönlich behandelt werden, auch wenn es in „guter Absicht“ geschehe“.130 Von dem heimlichen Eingriff in die Privatsphäre, der zu einem weitgehenden Ausschluss von Rechtsschutzmöglichkeiten führe, würden auch Unverdächtige betroffen. Über diese Personen werde dann kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt, sie würden zum Objekt staatlicher Gewalt gemacht.131 Die „Staatsraison“ sei keine ausreichende Legitimation hierfür.132 Dieser für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 2 GG formulierten Kritik ist beim Versuch ihrer Übertragung auf Art. 13 Abs. 3 GG allerdings entgegenzuhalten, dass bei der akustischen Überwachung zur Verfolgung schwerer Straftaten zumindest eine gewisse Eingrenzung des betroffenen Personenkreises auf das Umfeld des Beschuldigten erfolgt. Der spezielle Richtervorbehalt in Art. 13 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG gewährleistet auch dann, wenn eine vorherige Anhörung des Betroffenen notwendigerweise fehlt, einen präventiven Rechtsschutz.133 Einfach-rechtlich wird in § 101 Abs. 1 auch eine nachträgliche Information des Betroffenen verlangt, die ihm regelmäßig faktisch den Zugang zum Rechtsweg eröffnet. Insoweit wird über die Betroffenen nicht „kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt“. Dass dies nicht ausnahmslos geschieht, betrifft nicht den Wesensgehalt des beschränkten Grund-
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Martin Müller 76 f. So das Sondervotum von Geller/von Schlabrendorff/Rupp in BVerfGE 30 1, 33, 46; für „große Lauschangriffe“ auch Martin Müller 75 ff. BVerfGE 30 1, 22. S.a. Cassardt ZRP 1997 370, 373 f.; Martin Müller 72. BVerfGE 30 1, 33 ff. Vom selben Standpunkt aus gelangt etwa Mozek 175 ff. zur Verfassungswidrigkeit von Art. 13 Abs. 3 GG und § 100c, weil Art. 1 Abs. 1 GG und damit zugleich der Kernbereich der Rechte aus Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 1, 13 Abs. 1 GG
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verletzt sei; s.a. Guttenberg NJW 1993 567, 571. Geller/von Schlabrendorff/Rupp in BVerfGE 30 1, 33, 35, 38. Geller/von Schlabrendorff/Rupp in BVerfGE 30 1, 33, 40. Geller/von Schlabrendorff/Rupp in BVerfGE 30 1, 33, 42. Geller/von Schlabrendorff/Rupp in BVerfGE 30 1, 33, 45. Zur Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts bei der Durchsuchung BVerfGE 103 142, 151.
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rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
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c) Kernbereich der räumlichen Privatsphäre und u.a. des Persönlichkeitsrechts. Eine andere verfassungsrechtliche Frage ist diejenige, ob das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes der betroffenen Personen in den Kernbereich oder Wesensgehalt134 des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Persönlichkeitsrechts, gegebenenfalls auch innerhalb einer räumlich besonders geschützten Privatsphäre gemäß Art. 13 Abs. 1 GG,135 aber u.U. auch einer Vielzahl möglicher anderer Grundrechtspositionen,136 wie der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit von Berufsgeheimnisträgern (Art. 12 Abs. 1 GG) oder der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG),137 eingreift und dabei das jeweils betroffene Grundrecht in seinem Kernbereich antastet. Dann wären zugleich die nach BVerfGE 30 1, 24 dem Wesensgehalt vergleichbaren „Grundsätze“ (Art. 79 Abs. 3 GG) jener Grundrechte berührt. Wäre aber ihr Wesensgehalt betroffen, so wäre wiederum ein durchgreifender Einwand gegen die Verfassungsänderung und die darauf beruhende Regelung des § 100c Abs. 1 gegeben. Auch BGHSt 31 296, 299 f. hatte angenommen, die Aufzeichnung eines „Raumgesprächs“ unter Ehegatten – bei dem der Ehemann „die Bilanz aus seinen bisherigen Heroingeschäften“ gezogen hatte –, berühre den unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung; das erscheint nicht zwingend. Selbst die heutige Kritik in der Literatur gegen „Lauschangriffe“138 setzt namentlich noch immer an der Heimlichkeit der staatlichen Vorgehensweise an und meint, schon dadurch werde der Betroffene grundsätzlich zum Objekt staatlichen Handelns. Dies beträfe aber letztlich jede heimliche Ermittlungsweise gegenüber bestimmten Zielpersonen. Die Heimlichkeit des Eingriffsakts ist hingegen für sich genommen noch nicht dazu geeignet, die Qualität der betroffenen Rechtsposition grundlegend zu verändern; sie führt bei beschränkbaren Positionen nur zu besonderen Anforderungen an die Anwendung der gesetzlichen Schrankenbestimmungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dies gilt auch für die Rechtsschutzgewährleistung gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, die bei „heimlichem Rechtsschutz“ nur durch einen Richtervorbehalt ohne vorherige Anhörung des Betroffenen zwar reduziert, aber nicht grundsätzlich aufgehoben und deshalb nicht in ihrem Wesensgehalt betroffen ist.139 Der unantastbare Kernbereich des Persönlichkeitsrechts und u.a. des Schutzes von 29 Ehe und Familie wurde zunächst in der Tonbandentscheidung in BVerfGE 34 238, 245 entwickelt. Er wurde in der Tagebuchentscheidung in BVerfGE 80 367, 373 ff. aber
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Zwischen dem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) und dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte besteht ein Zusammenhang, weil die dem Art. 1 Abs. 1 GG nachfolgenden Grundrechte die Menschenwürde konkretisieren; vgl. Martin Müller 70 m.w.N. Nach h.M. bildet Art. 19 Abs. 2 GG, der sich an den Gesetzgeber des einfachen Rechts, nicht an den Verfassungsgesetzgeber wendet, aber keinen Maßstab, der hier eigenständige Bedeutung hätte; vgl. Maunz/Dürig/Papier GG Art. 13, 62 m.w.N.
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Bludovsky 64 ff.; Mozek 170 ff. Vgl. BTDrucks. 13 9669 S. 6 f.; Martin Müller 46, 63 ff. Martin Müller 66 ff. Vgl. Guttenberg NJW 1993 567, 570 ff.; Hassemer DRiZ 1992 357, 358; Lisken ZRP 1993 121, 123; Mozek 189 ff.; Raum/Palm JZ 1994 447, 452. So im Ergebnis auch Martin Müller 68 f.; a.A. Kutscha NJW 1993 85, 87.
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schließlich eng formuliert. Dabei geht es nur um die Intimsphäre“, ein „forum internum“ ohne Sozialbezug. Das nichtöffentlich gesprochene Wort verlässt bereits durch die Entäußerung des Gedankens diesen absolut geschützten Bereich. Dies gilt sicher für Äußerungen in Gesprächen mit anderen Personen. Was dort geäußert wird, mag „privat“ sein, es ist aber – abstrakt-generell gesehen – nicht unantastbar „intim“. Ausnahmen sind denkbar; sie könnten etwa für bestimmte Gespräche unter Ehegatten gelten,140 die freilich auch dem Schutzbereich des spezielleren Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen können,141 oder für bestimmte Selbstgespräche142 des vom „Lauschangriff“ Betroffenen, die allein der Auseinandersetzung mit dessen eigenem „Ich“ dienen. Solche Ausnahmen heben indes die abstrakt-generelle Regel nicht auf, dass von „Lauschangriffen“ im Allgemeinen nur die schlichte Privatsphäre, nicht stets auch die Intimsphäre betroffen ist143 bzw. der Menschenwürdegehalt des Persönlichkeitsrechts.144 Freilich hat die Lehre vom Kernbereich privater Lebensgestaltung ihre wichtigste Fortentwicklung in der Entscheidung des BVerfG vom 3.3.2004 gefunden, weshalb hierauf nun gesondert einzugehen ist: d) BVerfGE 109 279:145 Übereinstimmung von Art. 13 Abs. 3 GG mit dem Grundgesetz aa) Der Schutzbereich des Art. 13 GG. Das Urteil umschreibt zunächst unter Bezug- 30 nahme auf frühere Rechtsprechung den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 13, das durch den neuen Abs. 3 der genannten Vorschrift beschränkt werden kann. Es verbürgt dem Einzelnen einen elementaren Lebensraum und gewährleistet das Recht, in ihm in Ruhe gelassen zu werden. Die Norm enthält das an Träger der öffentlichen Gewalt gerichtete grundsätzliche Verbot, gegen den Willen des Wohnungsinhabers in die Wohnung einzudringen und darin zu verweilen (vgl. BVerfGE 76 83, 89 f.), aber auch Abhörgeräte in der Wohnung zu installieren oder sie dort zu benutzen (BVerfGE 65 1, 40). Weitergehend und in der Rechtsprechung des BVerfG damals neu, aber in der Sache konsequent ist der in der vorliegenden Entscheidung ersichtlich zum ersten Mal ausgesprochene Satz, dass Art. 13 GG die Wohnung auch gegen eine Überwachung durch technische Hilfsmittel, welche von außerhalb der Wohnung eingesetzt werden, schützt.146 Gemeint sind Richtmikrofone oder ähnliche Geräte, mit deren Hilfe Gespräche im Haus belauscht oder etwa Schwingungen der Fensterscheiben aufgefangen und so der Inhalt im Hause geführter Gespräche abgehört werden kann. bb) Die Unantastbarkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG. Die Verfassungsmäßigkeit 31 der Verfassungsänderung wird sodann am Gebot des Art. 79 Abs. 3 GG gemessen, die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze einzuhalten. Dazu heißt es: „Art. 79 Abs. 3 GG verbietet Verfassungsänderungen, durch welche die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Zu ihnen gehört das Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), aber auch das Bekenntnis zu unverletzlichen
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141 142
Für Ehegattengespräche allgemein Martin Müller 71, was aber zu weit gehen dürfte, da Ehegatten auch Gespräche mit einem im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG nicht schutzwürdigen Inhalt führen können. Dazu Hund ZRP 1995 334, 335; Mozek 197 ff., 200; Martin Müller 65 f. Weitergehend für alle Selbstgespräche Martin Müller 71.
143 144
145 146
Vgl. Binder 216. So aber Mozek 200 f., der im Ergebnis wiederum den Menschenwürdegehalt mit dem gesamten Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts gleichsetzt. Instruktiv zu dieser Entscheidung Gusy JuS 2004 457; Lepsius Jura 2005 433, 586. BVerfGE 109 279 Rn. 104.
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und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit (Art. 1 Abs. 2 GG). In Verbindung mit der in Art. 1 Abs. 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit der Einschränkung durch den Gesetzgeber grundsätzlich entzogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs.1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind (vgl. BVerfGE 84, 90 ). Ebenso sind grundlegende Elemente des Rechts- und des Sozialstaatsprinzips, die in Art. 20 Abs. 1 und 3 GG zum Ausdruck kommen, zu achten.“147
(1) Menschenwürde
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(a) Kernbereich privater Lebensgestaltung und absoluter Schutz dieses Kernbereichs. Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass der Gewährleistungsgehalt der Menschenwürdegarantie der Konkretisierung in Ansehung des einzelnen Sachverhalts bedürfe.148 Die durch Art. 13 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung habe einen engen Bezug zur Menschenwürde und stehe zugleich im nahen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private – eine „höchstpersönliche“ – Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen Wohnräumen gesichert werden.149 In Übereinstimmung mit früherer Judikatur (BVerfGE 32 373; 34 328; 80 367) wird 33 sodann auf die Kernbereichslehre eingegangen: Es gebe einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der jeder Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist. Eingriffe in diesen Bereich seien auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege und der Erforschung der Wahrheit zulässig. Eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Wahrung der Menschenwürde und dem Strafverfolgungsinteresse findet insoweit nicht statt. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit, wie die Aufklärung schwerer Verbrechen, könnten einen Eingriff in diese Freiheit zur Entfaltung in höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht rechtfertigen. Freilich war in keinem Fall der zitierten Entscheidungen ein Eingriff in den Kern34 bereich angenommen worden, vielmehr wurden alle Eingriffe dem Abwägungsbereich zugeordnet. Es handelt sich um BVerfGE 32 373, 379, wo es um ärztliche Karteikarten im Besitz eines Praxisnachfolgers ging, um BVerfGE 34 238, 245, bei dem die Verwertung einer heimlich aufgenommenen Tonbandaufnahme eines Gesprächs unter sechs Augen über Vertragsverhandlungen, nicht aber wie betont wird, über „höchstpersönliche Dinge, die der unantastbaren Intimsphäre zugerechnet werden könnten“, im Strafverfahren in Rede stand, und um BVerfGE 80 367, wo mit Stimmengleichheit die Verwertung eines zu Hause aufbewahrten Tagebuchs mit eineinhalb Jahre vor der Straftat niedergeschriebenen Aufzeichnungen höchstpersönlichen Charakters,150 welches der psychisch gestörte Täter auf Anraten eines Psychiaters geführt hatte, nicht als Eingriff in den Kernbereich angesehen wurde. Diese Auffassung wurde wesentlich darauf gestützt, der Beschwerdeführer habe „seine Gedanken schriftlich niedergelegt“.151
147 148 149 150
BVerfGE 109 279 Rn. 109. BVerfGE 109 279 Rn. 115. BVerfGE 109 279 Rn. 119. Widmaier in: Wahrheitsfindung und ihre Schranken, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen
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Anwaltvereins Band 6, S. 103 (115) spricht davon, diese Aufzeichnungen hätten den „Charakter eines letzten seelischen Refugiums“ gehabt. BVerfGE 80 367, 376.
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Demgegenüber hatten die vier anderen Richter den höchstpersönlichen Charakter der 35 Aufzeichnungen mit der folgenden Begründung bejaht (BVerfGE 80 367, 381), die ebenfalls Wesentliches über den absolut geschützten Kernbereich aussagt: „Sie enthalten eine offene, von keiner Rücksichtnahme sich selbst gegenüber beeinflusste Wiedergabe bestimmter Gemütszustände sowie Reflexionen über die eigene Persönlichkeitsstruktur, die der Beschwerdeführer durch eine schonungslose Darstellung seiner Gefühlswelt besser ergründen wollte, um auf diese Weise über zentrale, ihn quälende Probleme mit sich ins Reine zu kommen. Diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, die nur so, wie geschehen, geführt wurde und geführt werden konnte, weil sie in der Einsamkeit des Selbstgesprächs, also geschützt vor fremden Augen und Ohren stattfand, und auch in diesem Bereich verbleiben sollte, verlor ihren höchstpersönlichen Charakter nicht deshalb, weil sie dem Papier anvertraut wurde. So gewiss es ist, dass die Gedanken frei sind – und deshalb frei bleiben müssen von staatlichem Zwang und Zugriff, wenn nicht der Mensch im Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen werden soll –‚ so gewiss muss gleicher Schutz für das schriftlich mit sich selbst geführte Gespräch gelten, bei dem das andere Ich durch die Niederschrift zum Sprechen gebracht und damit als Gegenüber besser verstanden wird.“
(b) Kernbereich und akustische Wohnraumüberwachung. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsänderung am Maßstab der Menschenwürdegarantie führt zu der Frage, ob und gegebenenfalls wann bei einer Überwachung des gesprochenen Wortes in einer Wohnung der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt sein kann. Die Entscheidung BVerfGE 80 367 hatte es noch nahe gelegt, entäußerte Gedanken, also auch Gespräche dem Kernbereich ganz zu entziehen, zumal auch das erste Abhörurteil (BVerfGE 30 1, 25) auf die Menschenwürdegarantie nicht gerade vertieft eingegangen war, sondern die in der damaligen Verfassungsänderung liegende wahre Problematik erst durch das abweichende Votum der Richter Geller, von Schlabrendorff und Rupp aufgedeckt wurde (aaO S. 42). Insbesondere vor dem Hintergrund der Tagebuchentscheidung (BVerfGE 80 367) überrascht dann doch die (durchaus begrüßenswerte) Klarheit, mit welcher der Senat bei akustischer Wohnraumüberwachung, bei der ja nahezu stets „Äußerungen“, also verbal entäußerte Gedanken, betroffen sind, die Möglichkeit von Eingriffen in den Kernbereich bejaht und bei seinen weiteren Ausführungen diesen Kernbereich auch recht großzügig definiert. Ausgehend von der Objektformel, dass es mit der Würde des Menschen unvereinbar sei, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen, wird zunächst eher beiläufig ausgeführt, ein „heimliches Vorgehen des Staates an sich“ führe noch nicht zu einer Verletzung des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Das betrifft zunächst Ermittlungen jeder Art. Dann aber wendet sich das Gericht der Beobachtung zu und führt aus, auch heimliches Beobachten eines Menschen durch den Staat bedeute „noch nicht zwingend“ eine Missachtung seines Wertes als Mensch. Es sei aber ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren. Diesen Kernbereich selbst umschreibt das Urteil wie folgt. „Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen. Vom Schutz umfasst sind auch Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität. Die Möglichkeit entsprechender Entfaltung setzt voraus, dass der Einzelne über einen dafür geeigneten Freiraum verfügt. Auch die vertrauliche Kommunikation benötigt ein räumliches Substrat jedenfalls dort, wo die Rechtsordnung um der höchstpersönlichen Lebensgestaltung willen einen besonderen Schutz einräumt und die Bürger auf diesen Schutz vertrauen. Das ist regelmäßig die Privatwohnung, die
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für andere verschlossen werden kann. Verfügt der Einzelne über einen solchen Raum, kann er für sich sein und sich nach selbst gesetzten Maßstäben frei entfalten. Die Privatwohnung ist als „letztes Refugium“ ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde. Dies verlangt zwar nicht einen absoluten Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aber absoluten Schutz des Verhaltens in diesen Räumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt“.152
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(aa) Schutz des Kernbereichs. Verbot der Überwachung von vornherein. Die Überwachung muss „in Situationen von vornherein unterbleiben, in denen Anhaltspunkte bestehen, dass die Menschenwürde durch die Maßnahme verletzt wird. Führt die akustische Wohnraumüberwachung im Übrigen unerwartet zur Erhebung von absolut geschützten Informationen, muss sie abgebrochen werden, und die Aufzeichnungen müssen gelöscht werden; jede Verwendung solcher im Rahmen der Strafverfolgung erhobener absolut geschützter Daten ist ausgeschlossen“.153 Für die Einordnung eines Gesprächs ist nicht die Person des Gesprächspartners, sondern der Inhalt des Gesprächs maßgeblich.154 Die Verletzung des absolut geschützten Kernbereichs könnte demnach nur festgestellt werden, wenn die Verletzung bereits eingetreten ist. Deshalb ist durch gesetzliche Regelungen sicher zu stellen, dass die akustische Wohnraumüberwachung nicht zu einer Verletzung der Menschenwürde führt.155 Den dazu erforderlichen (gesetzlichen) Vorkehrungen widmet das Urteil breiten Raum. Seine Ausführungen lesen sich wie Dienstanweisungen für Staatsanwälte, machen aber deutlich, wie weit der absolute Schutz der Privatsphäre tatsächlich vorverlagert wird. Kommunikation kann zum geschützten Kernbereich gehören. Als Beispiele für den in der Wohnung absolut geschützten Kernbereich nennt das Urteil zunächst die Beobachtung von Äußerungen innerster Gefühle oder von Ausdrucksformen der Sexualität.156 Solche Äußerungen werden zwar selten der Überwachung im Rahmen von § 100c zugänglich sein. Diese Beispiele setzen aber Maßstäbe. Bei der ausdrücklich angesprochenen Kommunikation („der Mensch „verwirklicht sich notwendig in sozialen Bezügen“)157 muss es sich um Fälle handeln, in denen der Mensch in seiner Privatwohnung vertrauliche Kommunikation als Ausdruck individueller Lebensgestaltung betreibt. Gespräche über begangene Straftaten. Deshalb kann nicht jede Kommunikation derart geschützt sein. Das Gericht schichtet zunächst ab und führt aus, dass Gespräche über begangene Straftaten nicht zum absolut geschützten Lebensbereich gehören, sodass zu ihrer Feststellung Eingriffe zulässig wären,158 schränkt diese Aussage aber sogleich in sehr wichtiger Weise ein, weil auch diese Einschränkung Auslegungshilfe für die Abgrenzung des absolut geschützten Kernbereichs bietet: Nicht jede Verknüpfung zwischen Straftat und Äußerung führt dazu, dass der geschützte Kernbereich verlassen wird. „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen“.159 Damit können beispielsweise Gespräche über psychische oder sonstige höchstpersönliche Schwierigkeiten gemeint sein, die im Zusammenhang mit einer begangenen Straftat erfolgen und durchaus indiziellen Beweiswert für die Strafverfolgung
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BVerfGE 109 279 Rn. 119. BVerfGE 109 279 Rn. 135. BVerfGE 109 279 Rn. 139. BVerfGE 109 279 Rn. 135.
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BVerfGE 109 279 Rn. 115. BVerfGE 109 279 Rn. 135. BVerfGE 109 279 Rn. 137. BVerfGE 109 279 Rn. 137.
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haben können. Dies erinnert an die Entscheidung des BVerfG zur Verwertbarkeit bei Tagebucheintragungen höchstpersönlichen Charakters (BVerfGE 80 367), wo bei Stimmengleichheit der absolut geschützte Bereich persönliche Lebensgestaltung verneint worden war, weil der Beschwerdeführer seine Gedanken einem in seiner Wohnung verwahrten Tagebuch anvertraut hatte (BVerfGE 80 367, 376). Es liegt nahe, dass der hier entscheidende Senat die Verwertbarkeit des Tagebuches im Fall BVerfGE 80 367 anders gesehen hätte. Vermutung für Kernbereich bei Gesprächen mit Familienangehörigen und engsten Vertrauten. Auf bestimmte Personengruppen als Gesprächspartner kann diese höchstpersönliche Kommunikation nicht beschränkt sein. Dem Kernbereich können Gespräche unter Eheleuten oder mit sonst eng Vertrauten, Angehörigen oder Freunden, aber auch mit Inhabern bestimmter Berufe unterfallen. Zwar gehören nicht sämtliche Gespräche, die ein Einzelner mit seinen engsten Vertrauten in der Wohnung führt, zum Kernbereich privater Lebensgestaltung. Im Interesse der Effektivität des Schutzes der Menschenwürde spricht aber eine Vermutung dafür. Abhörmaßnahmen sind ausgeschlossen, wenn es wahrscheinlich ist, dass mit ihnen absolut geschützte Gespräche erfasst werden. Ein Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen hat zur Vermeidung von Eingriffen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu unterbleiben, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhält, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht – etwa mit Familienangehörigen oder sonstigen engsten Vertrauten – und es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, dass die zu erwartenden Gespräche nach ihrem Inhalt einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen.160 Verletzung des Kernbereichs. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung fordert eine Vorverlagerung des Schutzes dahin, dass es möglichst nicht zu einer Verletzung des Kernbereichs kommt. Deshalb müssen „vor Maßnahmen akustischer Wohnraumüberwachung tatsächliche Anhaltspunkte gegeben (sein), aus denen zumindest in typisierender Weise geschlossen werden kann, dass das Gespräch nicht den Bereich des Höchstpersönlichen betrifft. Die Ermittlungsmaßnahme muss dort unterbleiben, wo das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen mit Wahrscheinlichkeit zu einer Kernbereichsverletzung führen wird. Die Strafverfolgungsbehörden haben dementsprechend vor Beginn einer Maßnahme im Rahmen der von ihnen vorzunehmenden Prognose mögliche Indikatoren für kernbereichsrelevante Handlungen in der zu überwachenden Wohnung zu beachten. Dies ist auch praktisch möglich“.161 Anhaltspunkte für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, durch Überwachungsmaßnahmen in den Kernbereich der Persönlichkeit einzudringen, können sich aus dem Ort ergeben, wo die Gespräche stattfinden,162 aber auch aus dem Kreis der in der Wohnung sich aufhaltenden Personen, also der mutmaßlichen Gesprächspartner.163 Ort des Gesprächs. Je nach der Art der zu überwachenden Räume entnimmt das Gericht eine Vermutung gegen oder für Gespräche mit absolutem Schutz. Bei Betriebs- und Geschäftsräumen (die auch unter den Schutz des Art. 13 GG fallen) besteht die Vermutung, dass dort geführte Gespräche geschäftlicher Art sind. Hier setzt der absolute Schutz erst ein, wenn konkret erkennbar ist, dass höchstpersönliche Gespräche geführt werden.164 Damit wird die weite Ausdehnung des Begriffs „Wohnung“ in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (dazu kritisch § 100c, 100) jedenfalls für
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BVerfGE 109 279 Rn. 138. BVerfGE 109 279 Rn. 139 f. BVerfGE 109 279 Rn. 141.
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BVerfGE 109 279 Rn. 145. BVerfGE 109 279 Rn. 142.
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die akustische Wohnraumüberwachung relativiert. Anderes soll aber schon dann gelten, wenn die Räume auch zum Wohnen benutzt werden oder der Ausübung von Berufen dienen, ein besonderes, den Bereich des Höchstpersönlichen betreffendes Vertrauensverhältnis voraussetzen. Dann bestehe eine solche Vermutung nicht.165 Dagegen besteht umgekehrt bei Räumen, denen typischerweise oder im Einzelfall die Funktion als Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung zukommt, eine Vermutung für Gespräche aus dem unantastbaren Kernbereich. Innerhalb der Privatwohnung will das Gericht aber nun doch nicht mehr differenzieren. Hier ist eine Unterscheidung nach den einzelnen Räumen regelmäßig nicht durchführbar. Auch höchstpersönliche Handlungen und Gespräche müssen nicht auf bestimmte Räume innerhalb der Privatwohnung beschränkt sein. Der Einzelne sieht im Allgemeinen jeden Raum seiner Wohnung als gleich überschaubar an und fühlt sich überall gleich unbeobachtet. Es widerspricht der Vielfalt individueller Nutzung einer Privatwohnung, die Handlungen nach einzelnen Räumen typisiert einzuordnen. Daher ist es ausgeschlossen, den Kernbereich der räumlichen Privatsphäre auf bestimmte Teile einer Privatwohnung festzulegen.166 Mutmaßliche Gesprächspartner. Ein gewichtiger Anhaltspunkt für die Menschenwürderelevanz des Gesprächsinhalts ist die Anwesenheit von Personen des höchstpersönlichen Vertrauens.167 Das sind die Ehepartner und engste Familienangehörige, vor allem wenn sie im gemeinsamen Haushalt leben. Dazu gehören auch sonstige Personen des engsten Vertrauens, wie enge persönliche Freunde, unabhängig davon, ob diese ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 53 haben.168 Mit den durch § 53 geschützten Inhabern der dort genannten Berufe werden allenfalls mit Geistlichen, Verteidigern und unter Umständen mit Ärzten Gespräche höchstpersönlichen Charakters geführt.169 Wahrscheinlichkeit strafverfahrensrelevanter Gesprächsinhalte, keine „Rundumüberwachung“. Selbst wenn nach alledem das Abhören grundsätzlich zulässig sein sollte, ist es auf Gesprächssituationen zu beschränken, die mit Wahrscheinlichkeit relevante Inhalte umfassen.170 Eine zeitliche und räumliche Rundumüberwachung ist unzulässig, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass dabei auch höchstpersönliche Gespräche abgehört werden und weil die lückenlose Beobachtung zur Grundlage eines Persönlichkeitsprofils werden könnte. Zurückhaltung bei Überwachung und Auswertung; Abbruch bei Kernbereichsberührung. Soweit danach die Überwachung zulässig ist, weil die Erfassung absolut geschützter Gespräche nicht wahrscheinlich ist, ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesprächsinhalt auf strafverfahrensrelevante Inhalte gesichtet wird. „Die gebotene größtmögliche Zurückhaltung ist … durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen“. So kann es der Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG erforderlich machen, bei dem Abhören einer Privatwohnung auf eine nur automatische Aufzeichnung der abgehörten Gespräche zu verzichten, um jederzeit die Ermittlungsmaßnahme unterbrechen zu können. Sollte im Rahmen einer Wohnraumüberwachung eine Situation eintreten, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, muss die Überwachung abgebrochen werden. Dennoch erfolgte Aufzeichnungen sind zu vernichten. Die Weitergabe und Verwertung der gewonnenen Informationen sind untersagt. Art. 13 Abs. 3 GG ist dahingehend auszulegen, dass bei entsprechenden Aufzeichnungen Beweisverwertungsverbote bestehen müssen.
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BVerfGE 109 279 Rn. 143. BVerfGE 109 279 Rn. 144. BVerfGE 109 279 Rn. 146.
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BVerfGE 109 279 Rn. 146 f. BVerfGE 109 279 Rn. 148. BVerfGE 109 279 Rn. 149.
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(bb) Fehlende Beachtung des Kernbereichs im Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 GG. Von 54 all diesen aus der Verfassung abgeleiteten Beschränkungen enthält der Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 GG nichts. Gleichwohl ist die Vorschrift nach Auffassung der Mehrheit des Senats mit der Verfassung vereinbar, da sie die Menschenwürde- und die Rechtsstaatsgarantie des Grundgesetzes selbst nicht in Frage stellt. Der verfassungsändernde Gesetzgeber sei auch bei Modifikationen von Grundrechtsnormen nicht gehalten, alle ohnehin maßgebenden verfassungsrechtlichen Regeln erneut zu normieren. Der Überprüfung am Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG unterliege dementsprechend Art. 13 Abs. 3 GG in Verbindung mit solchen anderen verfassungsrechtlichen Vorgaben.171 Die Vorschrift sei restriktiv dahin auszulegen, dass sie nur den Erlass von solchen Eingriffsregelungen erlaubt, welche die Menschenwürde- und die Rechtsstaatsgarantie wahren.172 Das Gericht ergänzt damit praktisch Art. 13 Abs. 3 GG um weitere durch Auslegung 55 gewonnene ungeschriebene Grenzen, die der einfache Gesetzgeber bei Erlass der Eingriffsnormen zu beachten hat. Zu diesem entscheidenden Punkt liegt eine abweichende Meinung der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt vor, welche bemängeln, dass durch dieses Vorgehen der durch Art. 79 Abs. 3 garantierte Menschenwürdegehalt des Wohnraumschutzes nur noch als Interpretationshilfe dazu diene, „einer ansonsten verfassungswidrigen Verfassungsänderung zu einem verfassungsgemäßen Bestand zu verhelfen“.173 (2) Der Rechtsstaatsgedanke. Verglichen mit der Prüfung des Art. 13 Abs. 3 GG auf 56 seine Vereinbarkeit mit der Menschenwürdegarantie fällt die Prüfung seiner Vereinbarkeit mit der Rechtstaatsgarantie recht kurz aus. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibe unberührt und die Aussage- und Entschließungsfreiheit des Beschuldigten („nemo tenetur“) sei nicht beeinträchtigt, da der dafür erforderliche Zwang, sich zu äußern, fehle. Die Heimlichkeit von Maßnahmen der Strafverfolgung verstoße als solche auch nicht gegen das im Gebot des fairen Verfahrens wurzelnde Täuschungsverbot. Das heimliche Abhören nutze zwar eine Fehlvorstellung des Betroffenen in Bezug auf die Abgeschirmtheit der Wohnung aus. Die Äußerung des Beschuldigten beruhe aber vielmehr auf seiner freiwilligen Entscheidung. Nicht freiwillig sei allerdings die Kenntnisgabe dieser Äußerung an die Staatsgewalt. Ermittlungen in Heimlichkeit seien aber eine unabdingbare Voraussetzung des Erfolgs einer Reihe von Maßnahmen der Strafverfolgung, die nicht allein deshalb rechtsstaatswidrig seien.174 (a) Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. Als Zwischenergebnis ist fest- 57 zuhalten, dass Art. 13 Abs. 3 GG nach Ansicht des BVerfG dahingehend zu verstehen ist, dass seine gesetzliche Ausgestaltung die Erhebung von Informationen durch die akustische Überwachung von Wohnungen dort ausschließen muss, wo die Ermittlungsmaßnahme in den durch Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung vordringen würde.175 Art. 13 Abs. 3 GG gestattet nur gesetzliche Regelungen, die diese Grenzen wahren.176 Danach sind weite Teile des Gesetzes verfassungswidrig. (b) Anordnungsvoraussetzungen, Schutz des Kernbereichs, § 100d Abs. 3 a.F. § 100d 58 Abs. 3 a.F. verbot die Anordnung der Maßnahme nur in Fällen, in denen Gespräche mit
171 172 173
BVerfGE 109 279 Rn. 129. BVerfGE 109 279 Rn. 113, 153. BVerfGE 109 279 Rn. 367.
174 175 176
BVerfGE 109 279 Rn. 154 ff. BVerfGE 109 279 Rn. 134. BVerfGE 109 279 Rn. 124, 134.
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nach § 53 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen betroffen sind sowie dann, wenn nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sämtliche zu erwartenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Das genügt nicht. Die gesetzlichen Vorschriften müssen hinreichende Vorkehrungen dafür treffen, dass Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung unterbleiben (Rn. 59) und damit die Menschenwürde gewahrt wird. Wird dieses Verbot verletzt oder greift eine Maßnahme unerwartet in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung ein, muss sie abgebrochen werden (Rn. 63) und es muss durch Löschungspflichten und Verwertungsverbote (Rn. 64) vorgesorgt sein, dass die Folgen beseitigt werden.177 Bis zu der zum 30.6.2005 erforderlichen gesetzlichen Neuregelung durften die seitherigen Vorschriften mit diesen Einschränkungen noch angewandt werden.178 Das Gesetz muss das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen untersagen, wenn Anhaltspunkte (an anderer Stelle des Urteils ist von der Wahrscheinlichkeit die Rede)179 dafür bestehen, dass (auch) absolut geschützte Gespräche erfasst werden.180 Dass auch andere der Aufklärung schwerer Verbrechen dienende Gespräche erfasst werden, rechtfertigt die Maßnahme nicht, da im Kernbereich eine Abwägung nicht stattfindet.181 Die Wahrscheinlichkeit, dass Gespräche höchstpersönlichen Inhalts erfasst würden, ist typischerweise beim Abhören von Gesprächen mit engsten Familienangehörigen, sonstigen engsten Vertrauten und einzelnen Berufsgeheimnisträgern gegeben. Bei diesem Personenkreis dürfen Überwachungsmaßnahmen nur ergriffen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesprächsinhalte zwischen dem Beschuldigten und diesen Personen keinen absoluten Schutz erfordern, insbesondere bei einer Tatbeteiligung der das Gespräch führenden Personen. Ein konkreter Verdacht auf solche Gesprächsinhalte muss schon zum Zeitpunkt der Anordnung bestehen. Er kann nicht erst durch eine akustische Wohnraumüberwachung begründet werden.182 Das Beweiserhebungsverbot bei Gesprächen mit nach § 53 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen genügt der Verfassung; ob es auf alle in § 53 genannten Berufe erstreckt werden musste oder auf Geistliche, Verteidiger und Ärzte hätte beschränkt werden können, bleibt offen.183 Es fehlte aber eine gesetzliche Regelung über ein Beweiserhebungsverbot bei Gesprächen mit engsten Familienangehörigen oder anderen engsten Vertrauten, welche sich in der Wohnung aufhalten. Insoweit genügte die Regelung in § 100d Abs. 3 Satz 3 a.F. nicht, weil diese Regelung lediglich dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt, aber nicht den Schutz des Kernbereichs im Auge hat und weil danach ein Erhebungsverbot nur dann besteht, wenn sämtliche Erkenntnisse nicht verwertbar sind.184 Das Gesetz muss ferner bestimmen, dass die Überwachung abgebrochen wird, wenn unerwartet eine Situation eintritt, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist. Die Fortsetzung der Überwachung ist in solchen Fällen rechtswidrig.185 Solche Situationen können leicht auftreten, weil sich insbesondere bei längeren Überwachungen der Gegenstand des Gesprächs häufig ändern wird. Tritt ein
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BVerfGE 109 279 Rn. 169. BVerfGE 109 279 Rn. 353. BVerfGE 109 279 Rn. 184. BVerfGE 109 279 Rn. 171. BVerfGE 109 279 Rn. 121.
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BVerfGE 109 279 Rn. 172. BVerfGE 109 279 Rn. 173. BVerfGE 109 279 Rn. 174. BVerfGE 109 279 Rn. 179.
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solcher Fall ein, darf die Überwachung erst dann wieder fortgesetzt werden, wenn mit guten Gründen angenommen werden kann, das dem Kernbereich angehörende Gespräch sei beendet. Für den Fall, dass Erkenntnisse unter Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erlangt werden, muss durch gesetzliche Regelung ein Verwertungsverbot und ein Löschungsgebot bestimmt werden. Das Verwertungsverbot bedarf der verfahrensrechtlichen Absicherung. (aa) Verwertungsverbot. Unabhängig davon, ob die Erkenntnisse gewonnen wurden, obwohl schon die Erhebung unzulässig war, weil die Wahrscheinlichkeit bestand, dass (auch) dem Kernbereich zuzurechnende Gespräche erfasst würden, oder ob sich erst nachträglich im Laufe der Überwachung herausstellte, dass der Kernbereich berührt wurde, besteht für erlangte Erkenntnisse ein umfassendes, gesetzlich abzusicherndes Verwertungsverbot, das sowohl einer Verwendung als Beweismittel, etwa im Verfahren der Hauptsache, als auch einer weiteren Verwertung als Spurenansatz und damit Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen entgegensteht.186 Insoweit geht das vom Gericht der Verfassung entnommene Verwertungsverbot weiter als die Auslegung zu den bestehenden gesetzlichen Verwendungsregelungen beispielsweise in § 100b Abs. 5 a.F. oder in § 100d Abs. 4 a.F. Entsprechendes hat das Gericht aber auch zu den Verwendungsregelungen nach rechtmäßiger Datenerhebung entschieden. § 100d Abs. 3 Satz 5 a.F. enthielt nach Auffassung des BVerfG keine ausreichende verfahrensrechtliche Garantie dafür, dass das Verwertungsverbot eingehalten wird. Die Vorschrift betreffe auch nur Gespräche mit nach § 53 zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. Zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes bedarf es einer Regelung, nach der eine Verwendung von Informationen, die durch eine akustische Wohnraumüberwachung erlangt worden sind, nur dann zulässig ist, wenn die Verwertbarkeit der Informationen zuvor von einer unabhängigen Stelle, etwa dem in § 100d Abs. 3 Satz 5 a.F. bezeichneten Gericht, überprüft worden ist.187 Das bedeutet, dass jegliche Verwertung ohne gerichtliche Entscheidung unzulässig ist und dass dem genannten Gericht erlangte Erkenntnisse „zur Freigabe“ unverzüglich von Amts wegen vorzulegen sind. Dies hat unter Vorlage der Akten zu geschehen, da anders über die Verwertbarkeit nicht entschieden werden kann. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung musste das in § 100d Abs. 2 Satz 1 a.F. genannte Gericht von Amts wegen über die weitere Verwertbarkeit der Erkenntnisse im vorbereitenden Verfahren entscheiden.188 (bb) Löschungsgebot. Mit dem Verwertungsverbot korrespondiert ein ebenfalls gesetzlich abzusicherndes Löschungsgebot. Aus dem Kernbereich stammende Daten müssen unverzüglich gelöscht werden, es ist schriftlich festzuhalten, dass es zur Aufnahme absolut geschützter Gesprächsinhalte gekommen ist und die entsprechenden Aufzeichnungen vollständig gelöscht worden sind.189
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(c) Anordnungsvoraussetzungen bei Maßnahmen, die nicht den Kernbereich betref- 69 fen, § 100d Abs. 3 a.F. Hier sieht das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht voll gewahrt. Der Straftatenkatalog bedurfte der Korrektur und für die Beurteilung einer Tat als besonders schwer im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG kommt es auch auf deren Schwere im konkreten Fall an. Bis zu der zum 30.6.2005 erforderlichen gesetzlichen
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BVerfGE 109 279 Rn. 184 f. BVerfGE 109 279 Rn. 194.
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BVerfGE 109 279 Rn. 353. BVerfGE 109 279 Rn. 187, 196.
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Neuregelung können die seitherigen Vorschriften mit diesen Einschränkungen angewandt werden.190 1. Zwar verfolge die Maßnahme einen legitimen Zweck, sie ist dafür geeignet und 70 erforderlich.191 2. Jedoch genüge der Straftatenkatalog des § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. dem verfassungs71 kräftigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insoweit nicht, als er sich nicht auf besonders schwere Straftaten im Sinne des Art. 13 Abs. 3 GG beschränkt.192 Nach Art. 13 Abs. 3 GG muss sich der Verdacht auf eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat beziehen. Die von Art. 13 Abs. 3 GG vorausgesetzten „besonders schweren Straftaten“ müssen den mittleren Kriminalitätsbereich, welcher Maßstab ist für die Straftat von erheblicher Bedeutung, wie sie in §§ 81g, 98a, 100g, 110a vorausgesetzt wird, deutlich übersteigen.193 Es würde dem Sinn und Zweck des Art. 13 Abs. 3 GG nicht entsprechen, die akustische Wohnraumüberwachung nur von Voraussetzungen abhängig zu machen, die für Ermittlungsmaßnahmen geringerer Eingriffstiefe vorgesehen sind.194 Abstrakt schwer in diesem Sinne seien nur Katalogtaten, deren Tatbestand eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren androht.195 Für diese Einordnung genügt es, dass wenigstens die Strafandrohung für den besonders schweren Fall über fünf Jahren liegt; ob für einen minder schweren Fall eine geringere Strafe angedroht wird ist für die Beurteilung der abstrakten Schwere der Tat unerheblich.196 Dieser Gesichtspunkt kann aber bei der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle spielen.
72 Verfassungswidrig war deshalb die Bezugnahme in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a a.F. auf Vorbereitung einer Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Europaschecks (§ 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 StGB); Vorbereitung einer Verschleppung (§ 234a Abs. 3 StGB); Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte (§ 261 Abs. 1, 2 StGB); Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1, auch i.V.m. Abs. 3 StGB); Bestechung (§ 334 StGB); in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b a.F. auf § 51 (mit Ausnahme der Qualifikation nach Abs. 2) sowie § 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 Buchstabe c und d, Abs. 6 Waffengesetz; § 34 Abs. 1 bis 3 Außenwirtschaftsgesetz; § 19 Abs. 1 und 3 Nr. 1 sowie § 22a Abs. 1 und 3 Kriegswaffenkontrollgesetz; in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe c a.F. auf § 30b Betäubungsmittelgesetz i.V.m. § 129 StGB; in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe d a.F. auf Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB); Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot (§ 85 StGB); Agententätigkeit zu Sabotagezwecken (§ 87 StGB); verfassungsfeindliche Sabotage (§ 88 StGB); Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95 Abs. 1 StGB); 190 191 192 193
BVerfGE 109 279 Rn. 353. BVerfGE 109 279 Rn. 198, 201, 215. BVerfGE 109 279 Rn. 215. BVerfGE 109 279 Rn. 229.
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BVerfGE 109 279 Rn. 229. BVerfGE 109 279 Rn. 241. BVerfGE 109 279 Rn. 241.
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Auskundschaften von Staatsgeheimnissen (§ 96 Abs. 2 StGB); landesverräterische Agententätigkeit (§ 98 Abs. 1 Satz 1 StGB); geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 StGB); landesverräterische Fälschung (§ 100a Abs. 1 und 2 StGB); und in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe e a.F. auf Bildung einer kriminellen Vereinigung in einem besonders schweren Fall (§ 129 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StGB); Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 3 sowie Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz und Satz 2, jeweils auch i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB). 3. Darüber hinaus bedurfte die Vorschrift einer einengenden Auslegung dahin, dass (wie bei § 100g; vgl. BVerfGE 107 229, 322) nicht nur der Verdacht einer abstrakt schweren Katalogtat vorliegt, sondern dass die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt.197 Anhaltspunkt für die Schwere sind vor allem die Folgen der Tat für die verletzten Rechtsgüter. Bis zu der zum 30.6.2005 erforderlichen gesetzlichen Neuregelung durfte eine Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. nicht auf eine Katalogtat gestützt werden, deren Höchststrafe nicht über fünf Jahren liegt. Außerdem war im Einzelfall zu prüfen, ob die Tat im konkreten Fall schwer wiegt. 4. Im Übrigen wurde § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Zum Verdachtsgrad führt das Gericht aus, der „durch bestimmte Tatsachen begründete Verdacht unterliegt zwar höheren Anforderungen als der bloße Anfangsverdacht, erreicht jedoch nicht bereits den Grad eines „hinreichenden“ oder gar „dringenden“ Tatverdachts, den andere Normen der Strafprozessordnung vorsehen. § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO erfordert eine konkretisierte Verdachtslage.198 Hierfür reicht das bloße Vorliegen von Anhaltspunkten nicht aus. Es müssen vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorhanden sein (vgl. BVerfGE 100 313, 395). Nur bereits ermittelte und in Antrag und Anordnung genannte Tatsachen kommen für die jeweilige Bewertung in Betracht. Da sich die akustische Wohnraumüberwachung nur gegen den Beschuldigten richten und erst als letztes Mittel der Strafverfolgung eingesetzt werden darf, muss auf Grund der bereits vorliegenden Erkenntnisse eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Begehung der besonders schweren Katalogstraftat bestehen. Eine Anhebung der Verdachtsstufe sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht geboten.199 Art. 13 Abs. 3 GG erwähnt als Fahndungsziel allein die Erforschung des Sachverhalts. Dazu gehört aber auch der in § 100c Abs. 3 Nr. 1 a.F. genannte Aufenthalt des Beschuldigten und der von Mittätern.200
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(d) Benachrichtigungspflichten. Die in § 101 a.F. für die akustische Wohnraumüber- 77 wachung getroffenen Regelungen über die Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten standen mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG nur teilweise in Einklang.201 Verfassungswidrig war zunächst die in § 101 Abs. 1 a.F. vorgesehene Benachrichti- 78 gungssperre bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten. Ebenfalls verfassungswidrig war, dass die (gerichtliche) Zustimmung zur weiteren Zurückstellung der Benachrichtigung
197 198 199
BVerfGE 109 279 Rn. 234. BVerfGE 109 279 Rn. 247. BVerfGE 109 279 Rn. 248.
200 201
BVerfGE 109 279 Rn. 251. BVerfGE 109 279 Rn. 288.
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nach sechs Monaten nach § 101 Abs. 1 Satz 2 a.F. nicht in bestimmten Zeitabständen der gerichtlichen Überprüfung unterliegt und dass nach Erhebung der öffentlichen Klage für in diesem Zusammenhang erforderliche Entscheidungen nach § 101 Abs. 1 Satz 3 a.F. das Gericht der Hauptsache zuständig sein sollte, obwohl die den Entscheidungen zu Grunde liegenden Erkenntnisse im Verfahren nicht verwertet werden dürfen. Verfassungswidrig, weil mit Art. 13 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, war die Benachrichtigungssperre des § 101 Abs. 1 Satz 1 a.F. für die akustische Wohnraumüberwachung, soweit das Gesetz als Gründe für eine solche Sperre über die Gefährdung des Untersuchungszwecks und von Leib oder Leben einer Person auch die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder die weitere Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten vorsieht. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst praktisch sämtliche in der Rechtsordnung geschützten Rechtsgüter (zum Begriff siehe BVerfGE 69 315, 352). Nicht alle sind aber so gewichtig, dass sie eine Zurückstellung oder gar einen Ausschluss der Benachrichtigung bei heimlichen Grundrechtseingriffen rechtfertigen. Deshalb muss der Gesetzgeber präzisieren, welche Rechtsgüter er als so gewichtig einschätzt.202 Bemerkenswert ist, dass das Gericht an dieser Stelle allgemein von „heimlichen Grundrechtseingriffen“ spricht und sich nicht wie sonst auf die akustische Wohnraumüberwachung beschränkt. Es spricht viel dafür, dass die Beschränkung der Benachrichtigungspflicht aus diesem Grund auch bei den anderen in § 101 a.F. genannten Maßnahmen verfassungswidrig war. Auch die Gefährdung der weiteren Verwendung eines nicht offen ermittelnden Beamten vermag die Zurückstellung der Benachrichtigung im Falle der akustischen Wohnraumüberwachung nicht zu rechtfertigen.203 Soweit der Gesetzgeber in erster Linie die Gefährdung von Leib und Leben von Personen, insbesondere der Ermittlungsbeamten und ihrer Angehörigen, ausschließen wollte, ist diese Gefährdungslage bereits durch die entsprechende, verfassungsrechtlich unbedenkliche Alternative erfasst. Soweit es um die Sicherung des Ermittlungsverfahrens geht, in dem die akustische Wohnraumüberwachung angewendet worden ist, kann die Benachrichtigung unterbleiben, um den Untersuchungszweck nicht zu gefährden. Die Möglichkeit zum weiteren Einsatz eines verdeckten Ermittlers in späteren Verfahren, möglicherweise bis zum Ruhestand des Beamten, ist nach zutreffender Auffassung des Gerichts kein gleichgewichtiges Anliegen. Die darauf gestützte Hinauszögerung der Benachrichtigung kann sich über einen erheblichen Zeitraum erstrecken, sodass die Benachrichtigung für unabsehbare Zeit ausgeschlossen und letztlich von zukünftigen ermittlungstaktischen Erwägungen der Strafverfolgungsbehörden abhängig gemacht wird. Dies widerspricht dem verfassungsrechtlichen Anliegen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zum Zwecke der Abwehr von Beeinträchtigungen der hier in Rede stehenden Grundrechte.204 Vor dem Hintergrund der so getroffenen Einschränkung der Gründe für die Benachrichtigungssperre ist die Führung von gesonderten Vorgängen205 nach § 101 Abs. 4 Satz 1 a.F. mit der Folge einer Sperrung dieser Akten für das Verfahren verfassungsrechtlich unbedenklich.206 Der Senat wiederholt aber den Hinweis aus der Entscheidung aus dem Jahre 1981 zum Beweiswert mittelbarer Zeugen (BVerfGE 57 250, 285), wonach „die Strafverfolgungsbehörden alles Zumutbare und der Bedeutung der Sache Angemes-
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BVerfGE 109 279 Rn. 301. BVerfGE 109 279 Rn. 302. BVerfGE 109 279 Rn. 303.
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Bei denen es sich nicht um Sonderakten oder Sonderhefte gem. § 3 AktO handelt. BVerfGE 109 279 Rn. 309.
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sene zu tun (haben), um die der Herausgabe der Unterlagen entgegenstehenden Gründe auszuräumen, damit die erforderliche Sachaufklärung sich auch auf die heimlich gewonnenen Informationen beziehen kann und die damit verbundenen Rechte der Verfahrensbeteiligten nicht mehr als unvermeidlich beeinträchtigt werden“. Verfassungswidrig ist auch die in § 101 Abs. 1 Satz 2 a.F. vorgesehene weitere Zurückstellung der Benachrichtigung nach sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme durch einmalige und zeitlich nicht befristete richterliche Zustimmung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es zwar, dass die richterliche Zustimmung für die Zurückstellung erst nach sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme erforderlich ist. Diese Zustimmung darf aber nicht „für immer“ gelten. Sie muss vielmehr in gesetzlich festzusetzenden Zeitabständen wiederholt werden, bis der Betroffene unterrichtet ist. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung tat die Praxis gut daran, solche Entscheidungen mindestens im Abstand von jeweils einem Jahr zu erlassen, wobei dafür sowohl der Staatsanwalt als auch der zuständige Richter Sorge zu tragen hat. Als Beteiligte im Sinne des § 101 Abs. 1 a.F. sind neben dem Beschuldigten, der bei Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. ja stets betroffen war, weil sich die Maßnahme nur gegen ihn richten darf (§ 100c Abs. 2 Satz 3 und 4 a.F.), die Inhaber und Bewohner einer Wohnung zu benachrichtigen, in denen Abhörmaßnahmen durchgeführt worden sind.207 Eine Benachrichtigungspflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber solchen Personen, die sich als Gast oder sonst zufällig in einer überwachten Wohnung aufgehalten haben und die in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Recht am gesprochenen Wort und in ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffen sind.208 Doch hängt hier die Benachrichtigungspflicht von einer Abwägung ab. Die Benachrichtigung weiterer Beteiligter kann den Grundrechtseingriff bei der in erster Linie betroffenen Zielperson der Maßnahme vertiefen. Das gilt insbesondere, wenn die Überwachung keine verwertbaren Ergebnisse erbracht hat. Außerdem kann die Benachrichtigungspflicht dort auf praktische Hindernisse stoßen, wo die Identität des Beteiligten im Rahmen der Maßnahme der Behörde nicht bekannt geworden ist. Auch die Nachforschung zur Feststellung der Identität sonstiger Beteiligter könnte den Grundrechtseingriff sowohl für die Zielperson wie für sonstige Beteiligte noch vertiefen. Das Bestehen von Benachrichtigungspflichten hängt unter diesen Umständen von einer Abwägung ab. Für sie ist zum einen die Intensität des Überwachungseingriffs bedeutsam, insbesondere in welchem Umfang und zu welchem Inhalt Kommunikation des unbekannten Betroffenen abgehört und aufgezeichnet worden ist, und zum anderen, welchen Aufwand die Feststellung der Identität des Betroffenen fordert und welche Beeinträchtigungen mit ihr für die Zielperson und sonstige Beteiligte verbunden sein könnten.209 Die in § 101 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz a.F. bestimmte Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache für die Zustimmung zur Zurückstellung der Benachrichtigung nach Erhebung der öffentlichen Klage soll ebenfalls verfassungswidrig sein.210 Würden die geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen über eine akustische Wohnraumüberwachung nur dem erkennenden Gericht offenbart, könne dies die Rechtsschutzposition des Angeklagten auch dann verschlechtern, wenn das Gericht an einer Verwertung im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung gehindert ist.211 Im Klartext soll dies heißen, es müsse
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BVerfGE 109 279 Rn. 295. BVerfGE 109 279 Rn. 296. BVerfGE 109 279 Rn. 297.
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BVerfGE 109 279 Rn. 316. BVerfGE 109 279 Rn. 318.
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verhindert werden, dass das Gericht unzulässigerweise aus den Akten ihm bekannte, dem Angeklagten aber nicht zugängliche Erkenntnisse zu dessen Nachteil verwertet. Über diesen Gedanken mögen manche diskutieren. Verfassungsrechtliche Relevanz hat er, auch unter dem Aspekt des Art. 103 GG, ganz sicher nicht. Merkwürdigerweise hat derselbe Senat für das verwaltungsgerichtliche Verfahren keine Bedenken unter dem Aspekt des rechtlichen Gehörs gehabt, Beweismaterial verwerten zu lassen, das einer Partei vorenthalten wird.212 Der Bundesgerichtshof hat Entsprechendes für das Strafverfahren zutreffend abgelehnt.213
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(e) Rechtsschutz. Die Regelung des § 100d Abs. 6 a.F. über den nachträglichen Rechtsschutz wird grundsätzlich für verfassungsgemäß gehalten. Verfassungswidrig sei lediglich die Regelung über die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache nach Erhebung der öffentlichen Klage für den Fall, dass der Angeklagte noch nicht über die Maßnahme unterrichtet ist.214 Das Gesetz sprach in § 100d Abs. 6 a.F. zwar nur vom Beschuldigten und vom Wohnungsinhaber als Berechtigtem. Deshalb seien aber andere Betroffene nicht rechtsschutzlos gestellt. Ihnen stehe die Beschwerde nach allgemeinen Grundsätzen offen.
II. Allgemeine Einsatzvoraussetzungen 88
1. Verdacht (Zum Verdacht allgemein Vor § 94, 78 ff.). Absatz 1 Nr. 1 greift ein, wenn Gegenstand der Untersuchung eine besonders schwere Straftat ist. Eine Untersuchung in diesem Sinne meint ein Verfahren, das infolge eines Anfangsverdachts gemäß §§ 152 Abs. 2, 160 eingeleitet wurde. Insoweit genügt eindeutig ein Anfangsverdacht, wenngleich dessen Bezugspunkt eine besonders schwere Straftat sein muss. Für den Verdachtsgrad ergeben sich jedenfalls keine über die Standardsituation von Ermittlungsmaßnahmen hinausgehenden Anforderungen.
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2. Bestimmte Tatsachen. Absatz 1 Nr. 1 formuliert zudem, dass die Maßnahme nur zulässig ist, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, eine Straftat des im Gesetz vorausgesetzten Schweregrades liege vor. Ob mit dem Verweis auf bestimmte Tatsachen ein erhöhter Verdachtsgrad angesprochen sein soll, stand früher im Streit.215 Die Begründung zur Änderung des Art. 13 GG liefert keine Lösung.216 Da sich das Erfordernis des auf „bestimmten Tatsachen“ beruhenden Verdachts in der gleichzeitig zu Art. 13 Abs. 3 GG geschaffenen einfachgesetzlichen Regelung des § 100c Abs. 1 Nr. 1 findet und diese Formulierung in der StPO verbreitet ist, liegt es nahe, ihr dieselbe Bedeutung in der Verfassung wie in der einfachrechtlichen Ausführungsbestimmung zuzumessen. Die Entwurfsbegründung des OrgKGVBG hat für das Verdachtserfordernis des § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. auch auf die entsprechende Verdachtslage bei §§ 100a, 100c Abs. l Nr. 2 a.F. hingewiesen.217 Die Bestimmung von Art und Intensität des Verdachts wird aber auch dort nicht einheitlich interpretiert.218 Die Rechtsprechung verweist auf einen „mehr als
212 213 214 215
BVerfGE 101 106. BGH NJW 2000 1661. BVerfGE 109 279 Rn. 320. Vgl. dazu Krause FS Hanack 221, 233 m.w.N.
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216 217 218
BTDrucks. 13 8650 S. 7. BTDrucks. 13 8651 S. 33. Bernsmann/Jansen StV 1998 219 Fn. 38.
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nur unerheblichen“ Verdacht (BGHSt 41 30, 33).219 „Bestimmte Tatsachen“ beziehen sich auf die Merkmale der Katalogtatbestände des § 100c Abs. 2. Dies besagt aber nichts über den Grad des Verdachts im Allgemeinen. Sicher umschreiben „bestimmte Tatsachen“ auch in Art. 13 Abs. 3 GG nicht den Grad des dringenden oder „hinreichenden“ Verdachts, wie dies zum Teil angenommen wird.220 Ein Anfangsverdacht genügt.221 Dies folgt schon aus der Entstehungsgeschichte zum GGÄndG (Art. 13) und OrgKGVBG auf Grund der mehrmaligen Ablehnung des Vorschlags, den Ausdruck „dringend“ in den Gesetzestext aufzunehmen und des erfolglosen Antrags des Bundesrates an den Vermittlungsausschuss, eine Anhebung der Eingriffsschwelle vorzunehmen. Die StPO bezeichnet erhöhte Verdachtsgrade, wo sie diese sonst verlangt, auch dementsprechend. Zwar wird betont, es sei wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sehr bedenklich, bei einem geringeren Verdachtsgrad als einem dringenden Tatverdacht eine Wohnraumüberwachung zu gestatten. Jedoch entspricht das nicht dem Gesetz. Dem Schutzbedürfnis der Betroffenen ist dadurch Genüge getan, dass die Eingriffsmaßnahme nur an einen Verdacht anknüpfen darf, der bestimmte Katalogtaten zum Gegenstand hat, und dass eine strenge Subsidiaritätsklausel zu beachten ist. Zusätzlich muss daher nicht auch noch ein erhöhter Verdachtsgrad verlangt werden, zumal dieser bei Vorliegen der übrigen Eingriffsvoraussetzungen meist gegeben sein wird. Der Ausdruck „bestimmte Tatsachen“ bestimmt deshalb keinen besonderen Ver- 90 dachtsgrad hinsichtlich der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten, sondern eine bestimmte rechtliche Qualität des Verdachts, indem konkrete Indizien des Einzelfalls auf Katalogtaten hinweisen müssen. Das Gesetz verwendet hier den gleichen ungenauen Ausdruck wie in § 100a Abs. 1 Nr. 1, § 112 Abs. 2 und in §§ 138a Abs. 2, 111 Abs. 1. Vgl. deshalb zunächst § 112, 23. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen also nicht aus. Wohl aber kann es genügen, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung aus Zeugenaussagen, Observationen, sachlichen Beweisanzeichen auf eine Katalogtat mit einiger Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann.222 Auf Rechtswidrigkeit und Schuld muss sich der Verdacht nicht erstrecken,223 es sei denn (kaum vorstellbar), die Rechtmäßigkeit stünde zweifelsfrei jetzt schon fest. Einfacher Tatverdacht genügt auch, wenn die Maßnahme zur Aufenthaltsermittlung einer Person ergriffen werden soll. Nach der in Rn. 7 mitgeteilten Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregie- 91 rung vom 30.01.2002 haben die Länder zur Begründung des auf eine Katalogtat bezogenen Anfangsverdachtes neben den üblichen Standardermittlungsmaßnahmen wie z.B. Zeugenvernehmungen namentlich verdeckte Ermittlungsmaßnahmen genannt. So gehörte zu dem vorausgegangenen Ermittlungsinstrumentarium vor allem die Einvernahme von Vertrauensleuten, der Einsatz verdeckter Ermittler, die Observation und die Telekommunikationsüberwachung.224
219
220 221
222
Krit. zur Auswechslung eines unbestimmten Begriffs durch einen ebenso unbestimmten Störmer StV 1995 653, 658. AK/Berkemann Art. 13, 139 GG; Sachs/ Kühne Art. 13, 42 GG. v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 98 GG; von Münch/Kunig/Kunig Art. 13, 41 GG. Vgl. Krause FS Hanack 221, 233; ähnlich
223 224
KK/Nack 9; KMR/Bär 10; Meyer-Goßner 5; Roxin/Schünemann § 36 A I Rn. 9; Schlüchter 348, 209; vgl. auch BTDrucks. V 1880 S. 11: Der Verdacht muss durch schlüssiges Tatsachenmaterial ein gewisses Maß an Konkretisierung erlangt haben (vgl. ferner zu § 138a Abs. 2 KG NJW 1978 1538). Meyer-Goßner 5; KMR/Bär 11. BTDrucks. 14 8155 S. 5.
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III. Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen 1. Nichtöffentlich gesprochenes Wort. Der Begriff des nichtöffentlich gesprochenen Wortes entspricht begrifflich demjenigen in § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB.225 Auslegungsunterschiede im Detail können sich aber aus der unterschiedlichen Zwecksetzung der Vorschriften ergeben. Unter dem nichtöffentlich gesprochenen Wort sind nach dem Schutzzweck der vorliegenden Norm solche Äußerungen zu verstehen, die der Betroffene in Form eines Selbstgesprächs, eines Zwiegesprächs oder eines Gesprächs innerhalb eines begrenzten Teilnehmerkreises226 in einer Weise macht, die erkennbar darauf ausgerichtet ist, die Äußerung nicht einer beliebigen Öffentlichkeit preiszugeben.227 Dabei kann es nicht allein auf den Willen des Sprechenden ankommen. Maßgebend sind zumindest unter anderem auch der Zweck und die erkennbaren Umstände der Äußerung.228 Abzugrenzen sind solche nichtöffentlichen Äußerungen von Gedankenerklärungen, die ohne Rücksicht darauf gemacht werden, dass sie von einer beliebigen Öffentlichkeit, etwa von Passanten, wahrgenommen werden. Öffentliche Äußerungen werden freiwillig preisgegeben, sodass sie von jedermann, auch von Ermittlungsbeamten, aufgenommen und verwertet werden können. Eine Eingriffserlaubnis ist allenfalls bei heimlichem Vorgehen und Technikeinsatz erforderlich und kann dann aus § 161 Abs. 1 n.F. entnommen werden.229 Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung scheidet daher von vornherein aus. Eine gesetzliche Eingriffsermächtigung ist dafür entbehrlich, sodass die Unanwendbarkeit von Absatz 1 keine Regelungslücke im Eingriffsrecht entstehen lässt. Bei nichtöffentlichen Äußerungen im Privatgespräch besteht ein Einverständnis der Gesprächsteilnehmer mit der Wahrnehmung durch andere nicht; das Abhören und Aufzeichnen ihrer Erklärungen hat deshalb Eingriffscharakter; jedenfalls die Heimlichkeit der Informationserfassung im staatlichen Strafverfahren gebietet insoweit einen Gesetzesvorbehalt. Nur das gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln unter den Voraussetzungen 93 von Absatz 1 erfasst werden. Dabei kommt es begrifflich nicht darauf an, ob die Äußerung unmittelbar aus dem Munde des Betroffenen stammt oder mittelbar über ein weiteres technisches Medium geäußert wird, also etwa durch eine privat abgespielte Tonbandaufnahme, die dann durch technische Mittel von Ermittlungsbeamten erfasst wird. Unerheblich ist auch, ob die abgehörte und aufgezeichnete Äußerung eigene Gedanken des Betroffenen enthält oder fremde Überlegungen, ferner ob sie einen bestimmten Gedankeninhalt hat oder in einer bestimmten Sprache formuliert ist.230 Auch eine Kunstsprache schadet nicht, erst recht nicht eine Verwendung von Tarnbezeichnungen. Das gesprochene Wort ist begrifflich aber eigentlich vom gesungenen Wort oder von Lauten ohne erkennbaren Wortinhalt zu unterscheiden, doch wird man insoweit den prozessualen Eingriffstatbestand nicht ebenso eng begrenzen müssen, wie den Straftatbestand des § 201 Abs. 1 StGB, der dem speziellen Gesetzesvorbehalt nach Art. 103 Abs. 2 GG unterliegt. Anders als im Bereich des materiellen Strafrechts, das ein Verhaltensverbot für Private aufstellt, welches in einer für den Täter konkret erfassbaren Situation wirksam wird, ist auch bei der Anordnung und zu Beginn der Durchführung der Abhörmaßnahmen durch staatliche Strafverfolgungsorgane meist nicht vorhersehbar, welche Art
92
225 226 227 228
Mozek 26. Mozek 27; LK/Schünemann § 201, 8. Vgl. Meyer-Goßner 3. Vgl. LK/Schünemann § 201, 7.
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229 230
Vgl. SK/Wolter 38. Vgl. Mozek 26 f.; LK/Schünemann § 201, 3 ff.
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von akustischen Signalen aufzufangen sein wird. Es ist ausgeschlossen, diese im Vorhinein von dem nichtöffentlich gesprochenen „Wort“ auszusondern. Dies verlangt der Gesetzesvorbehalt auch nicht. 2. Technische Mittel zum Abhören und Aufzeichnen. Abhöreinrichtungen sind tech- 94 nische Vorrichtungen, die das gesprochene Wort über dessen normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar machen.231 Sie kommen in zunehmenden Varianten vor.232 Das Abhören wird üblicherweise mit batteriebetriebenen Minisendern, so genannten Wanzen, durchgeführt. Handelsübliche „Wanzen“ haben die Größe eines Zuckerwürfels bis zur Größe einer Zigarettenschachtel. Die Betriebsdauer kleiner batteriebetriebener „Wanzen“ liegt zwischen fünf und hundert Stunden. Werden Minisender hingegen in Telefone oder Elektrogeräte eingebaut und an deren Stromversorgung angeschlossen, so ist ihre Betriebsdauer nicht energiebedingt begrenzt. Andererseits sind die Versteckmöglichkeiten wegen der Netzabhängigkeit begrenzter. Drahtgebundene Abhöranlagen werden fest ins Mauerwerk eines Gebäudes eingebaut, erfordern also erheblichen Vorbereitungsaufwand, sind dann aber kaum zu entdecken und haben eine nahezu unbegrenzte Betriebsdauer. Infrarotsender erfordern eine optische Verbindung zwischen Sender und Empfänger; dadurch ist ihr Einsatzspektrum begrenzt. Ähnliches gilt für Richtmikrophone. Eine modernere Version des Abhörens ist die Laserabtastung von Fensterscheiben, bei der die Schallwellen an der Scheibe aufgefangen und in Worte rückübersetzt werden. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass kein Sender am Zielort der Überwachung installiert werden muss. Der Nachteil besteht darin, dass eine nicht abgedeckte Fensterscheibe möglichst rechtwinklig angepeilt werden muss. Letzteres Problem kann durch Einsatz von Körperschallmikrophonen umgangen werden, die Schwingungen des Mauerwerks oder von Leitungen aus Metall auffangen, oder durch Antennenanlagen, die Sekundärstrahlungen von Computern oder Datenleitzungen o.Ä. auffassen, die dann wieder in Worte umgesetzt werden. Aufzeichnen ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Tonträger in einer 95 Weise, dass es mit seinem ursprünglichen Klangbild wieder hörbar gemacht werden kann.233 Dies erfolgte früher vor allem auf einem Tonband, einer Kassette oder Diskette, heute eher auf digitalen Flash-, USB- und sonstigen elektronischen Speichermedien oder Computer-Festplatten. 3. Einsatz a) Allgemeines zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen 96 Wortes. Das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes kennzeichnet zwei jeweils technische Vorgänge, nämlich das durch technische Mittel ermöglichte heimliche Mithören der Äußerung und ihre Sicherung auf Speichermedien.234 Durch Verwendung des Bindewortes „und“ in Absatz 1ist freilich nicht ausgeschlossen, dass ein Abhören ohne technische Aufzeichnung erfolgt, also ein reines technikgestütztes Mithören des Gesprächs durch Ermittlungsbeamte. Ebenso ist nicht ausgeschlossen, dass Abhören und Aufzeichnen in einem einheitlichen Vorgang erfolgt, etwa durch eine Tonbandaufnahme vor Ort.
231 232
LK/Schünemann § 201, 21. Binder 14; Martin Müller 99 ff.
233 234
Vgl. LK/Schünemann § 201, 14. Binder 13.
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Vorbereitungsmaßnahmen, die typischerweise zur Durchführung der Maßnahme erforderlich sind, werden durch Absatz 1 mitgestattet, soweit nicht in den Schutzbereich eines anderen Grundrechts mit speziellem Gesetzesvorbehalt eingegriffen wird.235 Soweit kein Technikeinsatz erfolgt, ist das heimliche Mithören und spätere Aufschrei98 ben des nichtöffentlich gesprochenen Wortes durch einen Ermittlungsbeamten oder V-Mann kein Fall der vorliegenden Vorschrift.236 Die in § 110c fehlende Regelung einer Mithörbefugnis kann daher nicht aus der vorliegenden Vorschrift entnommen werden; sie ist auch kein „Minus“ dazu, sondern durch die Art des Einsatzes des Ermittlungsbeamten oder V-Manns ein aliud. b) Voraussetzungen für den Einsatz in Wohnungen237
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aa) Wohnung. Der „große Lauschangriff“ in Wohnungen betrifft den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG. Daher ist der Begriff der Wohnung in der vorliegenden Vorschrift mit demjenigen des Grundgesetzes identisch. Dort wird die Wohnung als elementarer Lebensraum des Einzelnen verstanden,238 in dem der Bürger grundsätzlich das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden.239 Dafür steht ihm eine räumlich abgegrenzte Privatsphäre 240 zur Verfügung, ohne dass es auf die Eigentumsverhältnisse ankommt. Zur Wohnung in diesem Sinne gehören neben den eigentlichen Wohnräumen eines Gebäudes auch Nebenräume und Höfe, soweit diese erkennbar gegenüber öffentlichen Nutzflächen oder anderen Grundstücken abgegrenzt sind. Ob umzäunte Gärten auch zum Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG gehören, ist umstritten; dies wird jedenfalls nur bei einer erkennbaren Abgrenzung und unmittelbarer räumlicher Nähe zu einem Gebäude anzunehmen sein.241 Wohnungen müssen aber nicht notwendigerweise Gebäude sein, auch Hausboote, ständig benutzte Wohnmobile oder Hotelzimmer können als Wohnung definiert werden. Wasser-, Luft- oder Landfahrzeuge, die nicht dauernd als Wohnung benutzt werden, sind indes keine Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG und Absatz 1 Nr. 3 der vorliegenden Vorschrift. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung sind 100 auch nicht allgemein zugängliche Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume als Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG aufzufassen.242 Denn Wohnung soll jeder nicht allgemein zugängliche Raum sein, der zur Stätte des menschlichen Wirkens gemacht wird.243 Deshalb gelten auch Vereinsräume als geschützt.244 Dies entspricht freilich nicht dem Schutzzweck der Verfassungsnorm. Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume als elementaren Lebensraum zu definieren, der verfassungsrechtlichen Schutz genießen müsste, geht zu weit. Dies wird deutlich, wenn selbst allgemein zugängliche Räume, wie Verkaufsräume oder Sportstadien, als Wohnung verstanden werden,245 oder aber Hinterzimmer von Bordellen.246 Dadurch wird zudem in der Praxis der Schutz nicht erweitert, sondern
235 236 237 238 239 240 241
SK/Wolter 40. Binder 13 f. Rechtstatsächliches bei Rn. 1. Vgl. BVerfGE 103 142, 150 f. BVerfGE 27 1, 6; 32 54, 75; 51 97, 101; 103 142, 150 f. BVerfGE 65 1, 40; 89 1, 12; Mozek 149. Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 15 GG; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 11 GG.
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242
243 244 245 246
BVerfGE 42 212, 219; 44 353, 371; 76 83, 88; 96 44, 51; BK/Herdegen Art. 13, 34 GG; krit. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 13, 5 GG. BVerfGE 32 54, 71 f. BGHSt 42 372, 375. BVerfGE 97 228, 265; abl. Ruthig JuS 1998 510. Vgl. Martin Müller 48 m.w.N.
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letztlich ausgedünnt. Denn die allzu weite Ausdehnung des Schutzbereichs der Verfassungsnorm senkt die Bereitschaft, alle diese Sphären gleichermaßen zu respektieren. Daran ändert es auch nichts, dass namentlich bei Verhältnismäßigkeitsprüfungen der Schutz der Privatwohnung stärker ausgeprägt wird, als derjenige von Arbeits-, Betriebsund Geschäftsräumen.247 Ungereimt erscheint es, wenn gegenüber der Überdehnung im geschäftlichen Bereich 101 der Schutzbereich des Wohnungsrechts bei Unterkunfts- oder Unterbringungsräumen wieder eingeengt wird. Unterkunftsräume von Soldaten oder Polizisten und Hafträume248 von Gefangenen sollen keine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG sein249 obwohl dort oft mehr Privatheit in Anspruch genommen wird als in Geschäftsräumen. bb) Verdacht einer Tat aus dem speziellen Katalog des Abs. 2. Spezieller Katalog. 102 Art. 13 Abs. 3 GG bestimmt, dass die Maßnahme nur bei einer besonders schweren Straftat, die in der einfach-rechtlichen Eingriffsermächtigung katalogartig „einzeln“ bestimmt sein muss, getroffen werden darf. Der Gesetzgeber hat dies dahin umgesetzt, dass er in § 100c Abs. 2 einen eigenen Katalog aufgestellt hat. Ob damit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Genüge getan wurde, ist heute kaum noch unzweifelhaft, denn der Katalog ist enger als der zu § 100a, der auch die Eingriffsermächtigung zur akustischen Überwachung außerhalb von Wohnungen nach § 100f umgrenzt, sodass eine spürbare Abstufung zur akustischen Überwachung in Wohnungen durchaus ersichtlich ist,250 wenngleich eine Betonung von Deliktstypen, die häufig im Bereich der organisierten Kriminalität anzutreffen sind,251 nicht zu verkennen ist (vgl. grundlegend zum Anlasstatenkatalog § 100a, 41). Trotzdem kann Eingriffsvoraussetzung nicht jeder Sachverhalt sein, der unter eine Katalogtat im Sinne des Abs. 2 subsumiert werden kann. Hinzukommen muss nach Abs. 1 Nr. 2, dass es sich dabei im konkreten Einzelfall um eine besonders schwere Straftat handelt (vgl. zunächst § 100a, 49).252 Was unter einer besonders schweren Straftat253 in diesem Sinne gemeint ist, wird in der Verfassungsnorm freilich nicht genau deutlich,254 zumal bezüglich dieses Begriffs nicht auf überkommene Begrifflichkeiten zurückgegriffen werden kann. Verbrechen werden nach überkommener einfach-rechtlicher Wertung, grundsätzlich als schwere Taten anzusehen sein.255 Aus dem gesetzgeberischen Motiv für die Änderung der Strafprozessordnung und zugleich der Verfassung heraus wird man ferner darauf schließen können, dass Deliktstypen, die im Bereich der organisierten Kriminalität anzutreffen sind, auch als schwerwiegende Straftaten im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG anzusehen sind. Bei ihnen ist es die abstraktgenerelle Gefährlichkeit der Taten, die besondere Ermittlungsmethoden erforderlich macht.256
247 248 249 250
251 252 253
Vgl. BVerfGE 32 54, 75 ff. BVerfG – Kammer – NJW 1996 2643. Zum Besuchsraum einer U-Haftanstalt BGHSt 44 138. Kritisch zum Katalog Krause FS Hanack 221, 335; KK/Nack 43; SK/Wolter 23; Dittrich NStZ 1998 336. Vgl. Martin Müller 78 ff., 238. KK/Nack 12; Denninger StV 1998 401; Meyer-Goßner 6. Bludovsky 110 ff.
254 255 256
Mozek 162; Sachs/Kühne Art. 13, 41 GG. von Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 95 GG; Mozek 162. Einige Landesjustizverwaltungen streben eine Ausweitung des Katalogs an. Vgl. Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschl. des Bundestags vom 16.1.1998 über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung BTDrucks. 14 8155 S. 11.
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Die Verfassungsnorm hat es trotz der genannten Vorgaben daher erfordert, dass in Absatz 1 Nr. 1, Abs. 2 ein anderer Katalog von Anknüpfungstaten als etwa in §§ 81g Abs. 1, 98a Abs. 1 Satz 1, 100a, 110a Abs. 1 aufgenommen wurde. Dies gilt ungeachtet des Subsidiaritätsprinzips und der generellen Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Gesetz ist durch Anknüpfung verschiedener Ermittlungsmaßnahmen an unterschiedliche Katalogtaten, die jeweils als besonders schwere Taten oder als Straftaten von erheblicher Bedeutung gelten, allerdings sehr unübersichtlich geworden (vgl. die Kritik bei § 100a, 45 ff.).257 Dies erscheint auch deshalb unnötig, weil der Katalog in Absatz 2 immer noch recht weit gefasst ist, sodass ein wesentlicher Eingrenzungseffekt gegenüber den Katalogen der anderen Eingriffsnormen, die nicht von Verfassungs wegen gefordert wurden, kaum festzustellen ist. Nach der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschlusses des Bundestags vom 16.1.1998258 über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung haben die Länder berichtet, dass in nahezu 90 % der Fälle die Maßnahme wegen des Verdachts von Tötungs- und Betäubungsmitteldelikten angeordnet wurden.259
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cc) Zielrichtung des Lauschangriffs (Abs. 1 Nr. 3). Auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte muss anzunehmen sein, dass durch die Überwachung Äußerungen des Beschuldigten erfasst werden, die für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten von Bedeutung sind. Voraussetzung ist demnach, dass die bisherigen Ermittlungen konkrete Tatsachen erbracht haben, wonach der Beschuldigte in der Wohnung Informationen entäußern wird, die zur Sachverhaltserforschung oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts beitragen werden. Dies setzt eine auf konkrete Tatsachen des Einzelfalls gegründete sorgfältige Ermittlungsprognose voraus. Solche Ermittlungsansätze dürfen sich angesichts des Gewichts des Grundrechtseingriffs nicht wie selbstverständlich von selbst ergeben, sondern müssen in jedem Falle positiv begründet werden. Floskelartige Ausführungen reichen wie auch sonst nicht aus.
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dd) Subsidiarität der Maßnahme als ultima ratio (Abs. 1 Nr. 4). Die Maßnahme nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Sachverhaltserforschung oder Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten ohne sie unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre (Art. 13 Abs. 3 GG).260 Diese Subsidiaritätsklausel geht über diejenigen in §§ 100a, 100f und 100h hinaus (vgl. zunächst § 100a, 51).261 Sie erklärt die Maßnahme zur ultima ratio.262 Grund dafür ist bereits die Annahme des verfassungsändernden Gesetzgebers, es liege eine besonders eingriffsintensive Ermittlungsmethode vor, die eine so weitreichende Beschränkung erfordere. Da indes bei staatlichen Grundrechtseingriffen ohnehin stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, hätte es einer solchen Subsidiaritätsklausel nicht bedurft. Die Wahl der engeren Variante führt dazu, dass der „große Lauschangriff“ gegenüber allen anderen Möglichkeiten nachrangig ist, obwohl etwa das Eindringen eines Verdeckten Ermittlers unter Verwendung einer Legende oder eine im behördlichen Auftrag handelnden V-Manns in die Wohnung des Betroffenen nicht notwendigerweise weniger gravierend ist. Zugleich erschwert die ultima-ratio-Klausel in Abs. 1 Nr. 4 die Rechtsanwendung unnötig, da deren Abgrenzung zu den anderen Subsidiaritätsklauseln für heimliche Ermittlungsmethoden im Übrigen unklar bleibt. Lässt sich die Aussichtslosigkeit anderer Maßnahmen im Einzelfall als Prognoseergebnis noch hin-
257 258 259
Meyer-Goßner § 100a, 10. BTDrucks. 13 9962. BTDrucks. 14 8155 S. 5.
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260 261 262
Bludovsky 138 ff. Vgl. dazu Martin Müller 182 ff. BTDrucks. 13 8651 S. 33.
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länglich eingrenzen, so bleibt deren unverhältnismäßige Erschwerung ein Prognoseakt, der keinen greifbaren Unterschied zu der Prüfung der wesentlichen Erschwerung des Ermittlungserfolges bei anderen Maßnahmen aufweist (vgl. auch die Kritik bei § 100a, 52). Nach der in Rn. 7 mitgeteilten Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung spricht viel dafür, dass die Praxis die Subsidiaritätsklauseln strikt beachtet263 und dass auch der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dahin beachtet wird, dass der Grundrechtseingriff möglichst wenig intensiv gestaltet wird, indem beispielsweise angeordnet wurde, dass eine Überwachung nur durchgeführt werden durfte, wenn und solange Treffen der Beschuldigten in der zu überwachenden Wohnung durch Beobachtung des Gebäudezugangs mit Videotechnik festgestellt wurden.264 dd) Besonderer Richtervorbehalt. Schon in der detailfreudigen verfassungsrechtlichen 106 Vorgabe des Art. 13 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG ist ausgeführt, dass die Maßnahme grundsätzlich nur von einem mit drei Richtern besetzten gerichtlichen Spruchkörper angeordnet werden darf. Bei Gefahr im Verzug kann ein Richter ausnahmsweise allein entscheiden. § 100d Abs. 1 Satz 1 enthält die Ausführungsregelung dahin, dass eine Spezialstrafkammer nach § 74a Abs. 4 GVG zuständig ist und die Eilkompetenz dem Vorsitzenden zusteht. Näheres s. bei § 100d. ee) Befristung. Wiederum schon von Verfassungs wegen wird eine Befristung der 107 Maßnahme gefordert (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 GG), ohne dass dafür freilich im Grundgesetz genaue Vorgaben gemacht würden. § 100d Abs. 1 Satz 4 enthält die Ausführungsregelung, dass eine erstmalige Befristung auf höchstens einen Monat und bei Fortbestehen der Voraussetzungen eine Verlängerung um jeweils einen Monat möglich sein soll. Auch dazu s. bei § 100d.
IV. Einsatzrichtung: Beschuldigte und unvermeidbar betroffene Dritte (Absatz 3) 1. Maßnahmen gegen den Beschuldigten in seiner Wohnung, Abs. 3 Satz 1. Gemäß 108 § 100c Abs. 1 darf nur das Wort des „Betroffenen“ abgehört werden und nach § 100c Abs. 3 Satz 1 dürfen sich die Maßnahmen nach Absatz 1, also das Abhören und Aufzeichnen, grundsätzlich nur gegen den Beschuldigten richten und nur in Wohnungen des Beschuldigten durchgeführt werden. Der Verdacht einer Katalogtat muss sich „in personam“ richten. Ein großer Lauschangriff im Verfahren gegen Unbekannt scheidet damit aus. Eine Ausnahme hiervon, wie dies für Maßnahmen nach § 100f Abs. 2 Satz 2 oder § 100h Abs. 2 Nr. 1 und 2 möglich ist, wird beim großen Lauschangriff nicht zugelassen. Die Einschränkung auf den Beschuldigten gilt deshalb auch für akustische Überwachungsmaßnahmen in der Wohnung anderer Personen nach § 100c Abs. 3 Satz 2. 2. Maßnahmen gegen den Beschuldigten in Wohnungen Dritter, Abs. 3 Satz 2. Mit 109 Ausnahme der unvermeidbaren Drittbetroffenheit nach Abs. 3 Satz 3 (Rn. 110) sind Maßnahmen, nach § 100c gegen andere Personen, also Nichtbeschuldigte, nie zulässig. Allerdings gestattet Abs. 3 Satz 2 unter gewissen Umständen eine Maßnahme nach § 100c gegen den Beschuldigten in der Wohnung eines Dritten. In Wohnungen anderer 263
BTDrucks. 14 8155 S. 6.
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BTDrucks. 14 8155 S. 8.
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Personen als des Beschuldigten sind Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass der Beschuldigte sich dort aufhält, die Maßnahme in Wohnungen des Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Hier muss also ein konkreter Hinweis darauf vorliegen, dass der Zielort des Lauschangriffs der Aufenthaltsort des Beschuldigten ist und der Lauschangriff auf die eigene Wohnung des Beschuldigten nicht zur Sachaufklärung oder Aufenthaltsbestimmung ausreicht. Ist erstere Voraussetzung zu bejahen, dann wird sich die letztere in der Praxis aber meist nur selten verneinen lassen. Mit dem zweiten Einschränkungskriterium ist also nicht viel zum Schutze Drittbetroffener gewonnen; doch scheint eine solche Einschränkung auch nicht unbedingt geboten, weil der Eingriffsanlass des Aufenthalts des Beschuldigten in der Wohnung des Dritten beim Verdacht schwerwiegender Straftaten ausreichen dürfte, um die Inanspruchnahme des Dritten zu legitimieren.
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3. Unvermeidbar betroffene Dritte, Abs. 3 Satz 3. Problematisch gestaltet sich, dass es technisch nicht möglich ist, allein das vom Beschuldigten gesprochene Wort abzuhören, ohne zugleich zumindest dessen Gesprächspartner zu erfassen (vgl. BGHSt 44 138, 142). Mithin werden zu einem gewissen Teil auch Unverdächtige abgehört, die in eigener Person keine Veranlassung zum Eingriff in ihre Grundrechte, zumindest in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gegeben haben.265 Die staatliche Inanspruchnahme der Unverdächtigen ergibt sich also aus einem Annex zur Inanspruchnahme des Beschuldigten und ist nur zulässig, wenn sie unvermeidlich damit verbunden ist. Der Gesetzgeber war sich dieser Problematik bewusst. Er hat sie mit dem Kriterium der unvermeidbaren Betroffenheit in einer Weise gelöst, die erforderlich war, weil sonst die Regelung zur akustischen Überwachung weitgehend ihren Sinn verloren hätte.266 Die Maßnahmen dürfen nach Abs. 3 Satz 3 deshalb auch durchgeführt werden, wenn 111 Dritte unvermeidbar betroffen werden. Dritte sind Personen, die nicht Zielperson der Maßnahme sind. Das Gesetz enthält keine Konkretisierung, wann Unvermeidbarkeit gegeben ist. Die Frage ist im Detail umstritten. Eine Ansicht stellt auf den Aufenthaltsort des Beschuldigten als Abgrenzungskrite112 rium ab. Art. 13 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt, dass nur die Wohnung abgehört werden darf, in welcher sich der Beschuldigte vermutlich aufhält, und § 100c Abs. 2 Satz 2 lässt das Abhören von Wohnungen Unverdächtiger nur dann zu, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen zu vermuten ist, dass sich der Beschuldigte dort aufhält. Dann ist jeder Unverdächtige unvermeidbar betroffen, der in der Wohnung abgehört wird, die als momentaner Aufenthaltsort des Beschuldigten gilt. Nach anderer Ansicht ist das nichtöffentlich gesprochene Wort als Zielobjekt der 113 Maßnahme auch Ausgangspunkt der Abgrenzung. Unvermeidbarkeit rechtfertigt danach lediglich das Abhören und Aufzeichnen der Worte des Gesprächspartners des Beschuldigten. Nur diese Äußerungen müssen zwingend von der Überwachung erfasst werden, da sie mit den Äußerungen des Beschuldigten verbunden sind. Demnach wäre bereits jeder,
265
Vgl. zur Inanspruchnahme Dritter bei der Telekommunikationsüberwachung oder bei der Auskunft über Kommunikationsverbindungen BVerfGE 100 313, 380; BVerfG NJW 2003 1787, 1791.
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Vgl. BTDrucks. 12 989 S. 40; BGHSt 44 138, 142.
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nicht an einem Gespräch mit dem Beschuldigten selbst aktuell und unmittelbar Beteiligte, der sich anderweit äußert, nicht unvermeidbar betroffen. Diese rechtliche Eingrenzung stößt aber tatsächlich an die Grenzen des Realisierbaren. Die Ermittlungsbehörden sind technisch nicht in der Lage sofort zu erkennen, ob der Beschuldigte am abgehörten Gespräch beteiligt ist. Rechtlich besteht kein Beweiserhebungsverbot für das Erfassen von Äußerungen Dritter, wenn diese sich in der Wohnung befinden, in der sich mutmaßlich auch der Beschuldigte aufhält. Weil das Gesetz das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wor- 114 tes des Beschuldigten gestattet, die Maßnahme grundsätzlich in seiner Wohnung stattfinden soll und Dritte nur betroffen sein dürfen, wenn dies unvermeidbar ist, werden die beiden genannten Positionen jeweils als unbefriedigend empfunden. Die Betroffenheit Dritter soll daher von Fall zu Fall als Verhältnismäßigkeitskriterium zu prüfen sein. Vor allem soll die Frage, ob sich der Beschuldigte in der zu überwachenden Wohnung aufhält, zuvor durch herkömmliche Observationsmaßnahmen in Erfahrung gebracht werden; die bloße Vermutung seiner Anwesenheit reiche nicht aus. Begrifflich begründet eine solche Prüfung keine Unvermeidbarkeit der Betroffenheit unverdächtiger Dritter. Damit verlangt diese Lösung flankierende Observationsmaßnahmen zum Lauschangriff, die selber in Grundrechte Dritter eingreifen. Damit ist also nicht viel zum Schutz Drittbetroffener gewonnen. Zudem kann die vorherige Ausspähung des Zielortes mit so viel Zeitverlust verbunden sein, dass der Lauschangriff fehlschlägt.
V. Negative Kernbereichsprognose (Abs. 4) Abs. 4 bestimmt in seinem Satz 1, dass die Maßnahme nur angeordnet werden darf, 115 soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Dieses Gebot zur sog. negativen Kernbereichsprognose ist expressis verbis an die die Maßnahme anordnende Strafkammer adressiert. Sie muss im Rahmen einer Prognose abschätzen, ob die beantragte Maßnahme einen solchen Kernbereichsbezug aufweist oder nicht. Das bedeutet eine Pflicht zur sorgfältigen Prüfung im Vorfeld der Maßnahme. Die gesetzliche Regelung weist aber problematische Wendungen auf, die zum einen die inhaltliche Bestimmung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung betreffen, zum anderen die praktische Handhabung dieser Prognose betreffen. Was zunächst Inhalt, Grenzen und praktische Umsetzung des Kernbereichsschutzes 116 betrifft, gilt zunächst das zu § 100a Gesagte entsprechend (vgl. § 100a, 133 ff.). Der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist als letztes Refugium vor staatlichen Zugriffen also nicht auf das reine forum internum beschränkt, sondern umfasst auch höchstpersönliche Gespräche in sozialer Interaktion. Weil der Kernbereichsschutz damit nach der hier vertretenen materiellen Betrachtung allein durch die Vertraulichkeit des (Selbst-)Gesprächs konstituiert wird, egal wo es stattfindet, ist die gesetzlich deutlich zum Ausdruck gebrachte räumliche Schutzkonzeption („Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen.“) sehr problematisch. Gewiss bedeutet es ein gewisses Indiz gegen Vertraulichkeit, Höchstpersönlichkeit und damit Kernbereichsbezug, wenn das Gespräch in der Montagehalle oder der Kantine geführt wird. Ausgeschlossen ist die Kernbereichsrelevanz dort aber nicht einmal „in der Regel“ nicht. Es bedarf vielmehr einer genauen Überprüfung im Einzelfall anhand der oben (§ 100a, 134 ff.) dargelegten Kriterien.
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Hinsichtlich der gesetzlichen Relativierung des Kernbereichsschutzes „für Gespräche über begangene Straftaten und Äußerungen, mittels derer Straftaten begangen werden“, muss ebenfalls vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Sozialbezugslehre verwiesen werden (vgl. § 100a, 144 ff.). Was sodann die gesetzliche Regelungstechnik in § 100c Abs. 4 betrifft, weist die For118 mulierung der negativen Kernbereichsprognose in Abs. 4 viele Schwächen auf, die ihre praktische Handhabung erschweren.267 Insbesondere konterkariert sie infolge ihrer sprachlichen Mängel das gesetzgeberische Anliegen, den Kernbereich privater Lebensgestaltung besonders zu schützen. Darauf hat Wolter umfassend aufmerksam gemacht.268 Anstatt die grundsätzliche Erlaubnis zur Überwachung durch eine soweit-Formulierung von der Nichtbetroffenheit des Kernbereichs abhängig zu machen, hätte eine Verbotsnorm in klarer Diktion die Sache eher getroffen: „Die Maßnahme nach Abs. 1 darf nicht angeordnet werden, wenn anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden.“269 Außerdem krankt die Vorschrift des Abs. 4 an weiteren Unzulänglichkeiten: Die Wendung bezieht sich nur auf den Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme und belässt damit die Stadien der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft und die Phase der Durchführung der Maßnahme jedenfalls unmittelbar ohne Regelung. Das Abstellen auf tatsächliche Anhaltspunkte ist zwar geboten, hätte aber auch die Frage beantworten müssen, aus welchen (zulässigen?, anderen heimlichen?) bisherigen Ermittlungen solche Anhaltspunkte gewonnen werden dürfen. Ferner ist jedes rein räumliche Verständnis des Kernbereichs privater Lebensgestaltung problematisch, solange es – wie mit der Wendung „insbesondere zu der Art der überwachten Räumlichkeiten“ zum Ausdruck gebracht – nicht auch die Höchstpersönlichkeit des Kommunikationsinhalts zum maßgeblichen Kriterium erhebt (vgl. § 100a, 135).
VI. Löschungsgebot und Verwertungsverbot bei Kernbereichsbetroffenheit; Dokumentationspflicht, Abbruch und Fortsetzung (Abs. 5) 119
Ähnlich gut gemeint, aber ebenso problematisch erweist sich die gesetzliche Formulierung flankierender Ge- und Verbote in Abs. 5. Die Vorschrift weist viele Parallelen zu § 100a Abs. 4 auf, ist im Detail aber keinesfalls deckungsgleich. Satz 1 statuiert zunächst ein die Echtzeitüberwachung betreffendes unverzügliches 120 Unterbrechungsgebot bei dabei auftretender Kernbereichsbetroffenheit. Satz 1 normiert damit – anders als § 100a Abs. 4 Satz 1 unstreitig – ein Beweiserhebungsverbot (vgl. zum Streit bei § 100a Abs. 4 Satz 1; § 100a, 53). Die Formulierungen im Gesetz weichen auch sonst voneinander ab: § 100c Abs. 5 Satz bezieht das Beweisverbot auf „Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind“, während § 100a Abs. 4 Satz 1 auf „Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung“ abstellt. Das sind aber ganz unterschiedliche Sachverhalte. Nimmt man das Gesetz beim Wort, dürften bei einer Maßnahme nach § 100c Äußerungen, die außerhalb des Kernbereichs erfolgen, unabhängig von ihrem Inhalt abgehört werden, während ebensolche Äußerungen nach § 100a Abs. 4 Satz 2 zumindest mit einem Verwertungsverbot belegt sind. Die Absurdität dieses Ergebnisses liegt auf der Hand. Richtigerweise sollte der Gesetzgeber den Wortlaut
267
Ebenso SK/Wolter 54: „weitreichend misslungen“.
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SK/Wolter 55 ff. Vgl. SK/Wolter 59.
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beider Bestimmungen bei nächster Gelegenheit harmonisieren und ein Erhebungsverbot für den Fall aussprechen, dass die Maßnahme nach § 100a oder § 100c Äußerungen betrifft, die nach den Umständen ihres Auftretens und nach ihrem Inhalt höchstpersönliche Kommunikation betreffen und damit dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Nach Satz 2 sind Aufzeichnungen über solche Äußerungen unverzüglich zu löschen. Dieses Löschungsgebot entspricht schon dem Wortlaut nach § 100a Abs. 4 Satz 3, weshalb es hier bei einem Verweis nach oben sein Bewenden haben kann (vgl. § 100a, 155 ff.). Satz 3 bestimmt dann, dass Erkenntnisse über solche Äußerungen nicht verwertet werden dürfen. Damit formuliert das Gesetz ein Beweisverwertungsverbot wie in § 100a Abs. 4 Satz 2 (vgl. § 100a, 153) und stellt damit zunächst klar, dass alle Äußerungen, die nach Satz 1 einem Erhebungsverbot unterliegen, auch ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Darüber hinaus erfasst das Verwertungsverbot nach Satz 3 auch den kaum denkbaren Fall, dass eine kernbereichsbezogene Äußerung nicht bereits ein Erhebungsverbot nach Satz 1 ausgelöst hat. Satz 4 normiert eine Dokumentationspflicht über „die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung“. Das hat zwar wiederum nicht denselben Wortlaut wie § 100a Abs. 4 Satz 4, entspricht inhaltlich aber vollauf dem dortigen Gebot zur Dokumentation in den Akten (vgl. § 100a, 156). Satz 5 gestattet sodann die Fortführung einer Maßnahme, die nach Satz 1 unterbrochen wurde, wenn die Voraussetzungen nach Abs. 4, also die Kernbereichsunbedenklichkeit, wieder gegeben sind. Im Zweifel ist über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen; § 100d Abs. 4 gilt entsprechend (vgl. § 100d, 25). Das BVerfG hat hierzu unlängst ausgeführt, dass akustische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen unzulässig sind, wenn es wahrscheinlich ist, dass dadurch zum Kernbereich gehörende Informationen erfasst werden. Informationen, die in einem Zeitraum gewonnen wurden, in dem die Erfassung absolut geschützter Informationen wahrscheinlich war, dürfen umfassend und ungeachtet ihres Inhalts nicht verwendet werden. Zur Bestimmung des Umfangs eines Verwendungsverbots muss dargelegt werden, in welchem Zeitraum die Erfassung absolut geschützter Gespräche wahrscheinlich war. Ebenfalls ist dazulegen, dass dem Kernbereich zuzurechnende Informationen tatsächlich aufgezeichnet oder überwacht wurden. Stichwortartige Beschreibungen wie „Selbstgespräch“, „Beten“, „Gespräch über Tod des Vaters“ oder „Heirat“ genügen dafür nicht, weil allein damit nicht beurteilt werden kann, ob sie höchstpersönlichen Charakter haben.270 Auch eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeit wegen eines Verstoßes gegen Dokumentationspflichten muss schlüssig dargelegt werden. Schriftlich festzuhalten ist nur, dass es zur Aufnahme absolut geschützter Gesprächsinhalte gekommen ist und dass die diesbezüglichen Aufzeichnungen deswegen vollständig gelöscht worden sind. Jede darüber hinausgehende aussagekräftige Dokumentation würde gegen das absolute Verbot der Erhebung kernbereichsrelevanter Informationen verstoßen.271 Eine unzulässige Rundumüberwachung liegt vor, wenn die Überwachung über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für
270
BVerfGE 130 1 Rn. 102 ff.
271
BVerfGE 130 1 Rn. 104.
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ein Persönlichkeitsprofil werden können. Um dies zu verhindern, muss sichergestellt werden, dass die eine Ermittlungsmaßnahme beantragende oder anordnende Staatsanwaltschaft als primär verantwortlicher Entscheidungsträger über alle Ermittlungseingriffe informiert wird, die den Grundrechtsträger treffen. Die bloße Angabe, dass intensive verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt wurden, gegen deren Verhältnismäßigkeit angesichts der Umstände (etwa konspiratives Verhalten der Beschwerdeführer und Schwere des Tatverdachts) keine Bedenken bestehen, reicht dafür nicht. Vielmehr ist darzulegen, dass und inwiefern die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen geeignet waren, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen.272
VII. Überprüfung der Verwertbarkeit (Abs. 7) 128
Neuland beschritt der Gesetzgeber bereits mit einer ähnlichen Regelung in Abs. 3 Satz 5 a.F., die unabhängig von der Verwendungsregelung in Abs. 5 die Feststellung der Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse regelt, soweit diese zweifelhaft erscheinen kann. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung dem Schutz solcher Gespräche Rechnung tragen, die sich nicht von Anfang an, sondern erst nachträglich als Gespräche in besonderen Vertrauensverhältnissen erweisen (vgl. Rn. 53).273 Der Wortlaut zwingt aber nicht zu einer derartigen Beschränkung des Anwendungsbereichs. Der Prüfung unterliegt vielmehr, ob die Erkenntnisse unter Verstoß gegen Abs. 5 erhoben wurden. Ungewöhnlich an dieser Regelung ist, dass die Entscheidung über die Verwertbarkeit 129 nicht das erkennende Gericht treffen soll, sondern im vorbereitenden Verfahren die Spezialstrafkammer nach § 74a Abs. 4 GVG, welche die Maßnahme gestattet hatte. Anliegen des Gesetzgebers dürfte es gewesen sein, nicht verwertbare Erkenntnisse früh aus dem Verfahren herauszunehmen. Insoweit korrespondiert mit dieser Regelung die Vernichtungsregelung in Abs. 5 Satz 2 (s.o. Rn. 121). Indes erscheint es fraglich, ob eine abschließende Entscheidung über die Verwertbarkeit schon im vorbereitenden Verfahren getroffen werden kann, denn ein abschließendes Urteil über die Kernbereichsproblematik dürfte oft erst auf Grund der Hauptverhandlung möglich sein. Hinzu kommen praktische Schwierigkeiten: Vor der Benachrichtigung der Betroffenen nach § 101 befinden sich die erlangten Erkenntnisse in bei der Staatsanwaltschaft geführten Sonderheften, sodass für eine umfassende Beurteilung aller für und gegen eine Verwertbarkeit sprechenden Umstände häufig keine ausreichenden Grundlagen vorhanden sind.274 Der Richter kann und darf über die Verwertbarkeit nicht entscheiden, wenn ihm nicht sämtliche in der Sache angefallenen Akten vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift wie folgt auszulegen: Die Entscheidung 130 kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines Betroffenen, das ist jeder dessen Gespräch abgehört wurde, oder von Amts wegen ergehen.275 Regelmäßig wird ihr ein Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Betroffenen zu Grunde liegen. Eine Pflicht zur Antragstellung besteht nach Abs. 7 Satz 1 indes nur für die Staatsanwaltschaft. Bei eindeutigem Verstoß gegen die Vorschrift des Abs. 5 kann über die Nichtverwertbarkeit bereits im vorbereitenden Verfahren, für das erkennende Gericht bindend, entschieden werden. Unterlagen über erlangte Erkenntnisse sind dann zu vernichten, Abs. 5 Satz 2.
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BVerfGE 130 1 Rn. 105 ff. BTDrucks. 13 9661. S. auch KK/Nack 25.
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KK/Nack 40; a.A. Meyer-Goßner 20; vgl. auch Dittrich NStZ 1998 338; Morre/Bruns FS BGH II 593, 594.
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Hält die Spezialstrafkammer die Erkenntnisse dagegen für verwertbar, weil sie beispielsweise eine besonders geschützte vertrauliche Kommunikation verneint, ist das erkennende Gericht an diese Entscheidung nicht gebunden. Es hat über die Verwertbarkeit selbständig zu entscheiden. Wie gefährlich für die Wahrheitsfindung die vorzeitige Entscheidung über Verwertbarkeit und Vernichtung sein kann, zeigt sich dann, wenn die Erkenntnisse sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung als für den Angeklagten günstig herausstellen, weil dieser beispielsweise zur Schuldfrage gestanden hat, aber die Ergebnisse des Abhörens für den Angeklagten günstige Strafzumessungsumstände enthalten. In einem solchen Fall muss das erkennende Gericht die Erkenntnisse ungeachtet einer anderslautenden Entscheidung im vorbereitenden Verfahren verwerten können. Zur gespaltenen Verwertung s. BGHSt 42 191.276 Hat die Spezialstrafkammer die Verwertbarkeit verneint, ist das für das weitere Ver- 131 fahren bindend (Abs. 7 Satz 2), und zwar mit absoluter Wirkung. Umgekehrt besteht aber keine Bindungswirkung bei Annahme der Verwertbarkeit. Hat die Spezialstrafkammer im vorbereitenden Verfahren (bis zur Erhebung der öffentlichen Klage) über die Verwertbarkeit nicht entschieden, wird das erkennende Gericht zuständig. Dieses kann an sich jederzeit über die Verwertbarkeit entscheiden. Zweckmäßig ist es jedoch, diese Entscheidung zusammen mit dem Urteil und im Urteil zu treffen. Eines gesonderten Beschl. bedarf es dann nicht, weil das Urteil sich auch sonst zur Verwertbarkeit von Beweismitteln äußern kann.277
VIII. Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen (Abs. 6) 1. Schutz des Vertrauensverhältnisses bei heimlichen Ermittlungen. Die StPO enthält 132 seit dem 1.1.2008 einen mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.12.2007 eingeführten § 160a, der sich ausschließlich dem Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger gem. §§ 53, 53a vor sämtlichen (offenen und geheimen) Ermittlungsmaßnahmen widmet. Die Norm sucht diesen Schutz durch ein „abgestufte[s] System“278 von Erhebungs- und Verwertungsverboten zu erreichen. Daneben existiert eine auch die Berechtigten nach § 52 erfassende Schutznorm in § 100c Abs. 6 speziell für den großen Lauschangriff und freilich die Beschlagnahmevorschrift des § 97 Abs. 3, die für Postbeschlagnahmen relevant ist. Doch bereits der früheren Regelung in Abs. 3 a.F. ging eine intensive rechtspolitische 133 Diskussion voraus. Zur jetzigen Fassung kam es, nachdem mit erheblichem publizistischen Aufwand die Gefahr der „Wanze im Beichtstuhl“, merkwürdigerweise mehr als die der Wanze in der Anwaltskanzlei, beschworen worden war. Weitgehend gesichert war indes die Rechtslage nur für das Vertrauensverhältnis zwi- 134 schen einem Beschuldigten und seinem Verteidiger. Zwar wäre es mit dem Grundgesetz wohl vereinbar, auch diesen Kontakt zu überwachen und aufzunehmen.279 Nach § 148
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Mit Anm. von Beulke/Satzger JuS 1997 1072. Aber nicht muss! Meyer-Goßner § 160a, 1. Für die Telefonüberwachung BVerfGE 30 32 = NJW 1971 280. Enger G. Schäfer FS Hanack 82. Der EGMR hat im Urteil vom 25.3.1998 (13/1997/797/1000, auszugs-
weise veröffentlicht in StV 1998 683 mit Anm. Kühne) in der Überwachung der Telefone einer Schweizer Anwaltskanzlei (als unbeteiligter Dritter) einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK gesehen, weil das Schweizer Recht – wie in diesem Punkte auch die StPO – keine genügende Differenzierung treffe, anhand derer sich die
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darf aber der Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger nicht behindert werden, er muss insbesondere frei von jeder Überwachung sein. Daher darf der Kontakt des Verteidigers des Beschuldigten nicht abgehört werden.280 Jedenfalls darf das Abhören und die Aufnahme eines Gesprächs nicht fortgesetzt werden, nachdem feststeht, dass der Gesprächspartner der Verteidiger ist.281 Im Gesetzgebungsverfahren zur akustischen Wohnraumüberwachung wurde dann 135 zunächst zutreffend betont, dass Beichtgespräche und andere seelsorgerische Gespräche Geistlicher durch Art. 4 GG, die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger durch § 148 und vertrauliche Gespräche des Abgeordneten auf Grund von Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 47 GG generell, also auch (so ausdrücklich die Materialien) in Fällen des § 100a und des § 100c Abs. 1 Nr. 2 a.F. geschützt seien.282 Gleichwohl sollten Gespräche dieser Berufsangehörigen ausdrücklich von der akustischen Überwachung des Wohnraums ausgenommen werden.283 Zu der Gesetz gewordenen Fassung, die alle nach § 52, 53 geschützten Zeugen erfasst, kam es erst im Vermittlungsverfahren.284 Ohne auf eine in Angriff genommene umfassende Lösung zu warten, wurden damit zunächst beim großen Lauschangriff und sodann bei der Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten Regelungen geschaffen, die kaum miteinander in Einklang zu bringen sind und auch im krassen Gegensatz zu aus anderem Anlass erfolgten gleichzeitigen Regelungen (etwa zu § 53 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 2) stehen. In der Literatur regten sich erste Stimmen auch gegen die neue Konzeption aus dem 136 Jahr 2008: Begrüßt wird zwar zunächst, dass es überhaupt zu einer generalklauselartigen Regelung zum Schutz von Zeugnisverweigerungsrechten beim Einsatz heimlicher Ermittlungsmaßnahmen gekommen sei. Angegriffen werden aber „hochproblematische Unterdifferenzierungen“,285 die das Gesetz in § 160a treffe. Diese Kritik ist eine zwangsläufige Folge der gesetzgeberischen Tätigkeit. Denn neben dem Bedürfnis, überhaupt zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, war es stets ein wesentliches Anliegen der Wissenschaft, dass eine solche Normierung möglichst nicht wie in der Vergangenheit „bei Ermittlungsmaßnahmen, namentlich nach den §§ 99, 100a, 100c, 100g, 110a, 111, 163b, 163d–163f, uneinheitlich, unvollkommen und unausgewogen“286 erfolgt. Eben diese Attribute scheint sich die derzeitige Gesetzeslage aber wieder zuzuziehen, weil sie (uneinheitlich) die Generalklausel des § 160a nicht als solche begreift, ihr vielmehr eine Sonderregel in § 100c Abs. 6 für den großen Lauschangriff zur Seite stellt, weil sie (unvollkommen und unausgewogen) den Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte gem. § 52 als gegenüber den Rechten der Berufsgeheimnisträger in § 53 nachrangig und weniger schützenswert ansieht.
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Grenzen des – rechtsstaatlich gebotenen – Berufsprivilegs des Anwalts erkennen ließe. S. dazu auch § 100a, 83. G. Schäfer FS Hanack 82; zur Telefonüberwachung BGH NStZ 1988 562 mit Anm. Taschke; KK/Nack 36; Meyer-Goßner 24; KMR/Bär 36; Roxin/Schünemann § 36 A I Rn. 12; Schlüchter 353; Beulke 266; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 440; Rudolphi FS Schaffstein 440; Welp JZ 1972 428 und FS Gallas 421 sowie Überwachung 196. Für die Telefonüberwachung Welp 208 und JZ 1972 428.
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BTDrucks. 13 9661. BTDrucks. 13 9661. BTDrucks. 13 10004. Dann wistra 2010 97. Wolter/Schenke „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung […]“, Begründung, A. Allgemeines, in: dies. (Hrsg.), Zeugnisverweigerungsrechte 5; zur Frage, ob eine einheitliche Regelung tatsächlich erstrebenswert ist, Weßlau in: Wolter/Schenke Zeugnisverweigerungsrechte bei (verdeckten) Ermittlungsmaßnahmen, 279 ff. und sogleich.
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Die Gesetzeslage bleibt damit uneinheitlich. Sie statuiert Überwachungsverbote (Erhebungsverbote) für sämtliche Berufsgeheimnisträger nur im Fall des großen Lauschangriffs (§ 100c Abs. 6 Satz 1), bei den übrigen Ermittlungsmaßnahmen aber lediglich für eine gewisse Gruppe unter ihnen und für die dieser Gruppe zuzuordnenden Berufshelfer (§ 160a Abs. 1, Abs. 3). Das Gesetz gewährt daneben nur relative, also richterlich abwägungsoffene Verwertungsverbote für alle Berechtigten der §§ 52, 53a im Fall des großen Lauschangriffs, womit einhergeht, dass die Berufshelfer im Fall des § 100c ihr in § 160a Abs. 3 gewährtes Erhebungsverbot verlieren. Relative Verwertungsverbote werden im Übrigen gem. § 160a Abs. 2 nur zugunsten der übrigen von § 160a Abs. 1 nicht erfassten Berufgsgeheimnisträger bei sämtlichen Ermittlungsmaßnahmen gewährt. Auch sonst haben diese jüngsten Gesetzesreformen aber ein überwiegend ablehnendes Echo hervorgerufen. „[…] Der Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte […] bleibt systematisch wie sachlich problematisch und unvollständig zugleich“287 bzw. „entbehrt jedenfalls nach wie vor eines durchgängigen Konzepts“.288 Die Hauptkritikpunkte seien schnell zusammengefasst: Neben der bereits erwähnten rechtssetzungstechnischen Rüge der unpassenden Platzierung im Gesetz289 – auch, soweit die Überwachungsverbote nicht schon an erster Stelle der Befugnisnorm statuiert wurden –290 und neben den Zweifeln, die die zu unbestimmte Verhältnismäßigkeitsklausel des § 160a Abs. 2 in der Praxis hervorruft („Schlagseitigkeit im Abwägungsergebnis“),291 wird die fehlende Differenzierung in der Konzeption zum Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte zwischen einer Verwertung zu Beweiszwecken und der bloßen Nutzung als Spurenansatz kritisiert.292 Auch die mangelnde Schaffung von Dokumentations- und Löschungspflichten wird gerügt.293 Ferner sind es aber hauptsächlich die teilweise als willkürlich zu bezeichnenden294 Differenzierungen bei der personellen Schutzerstreckung der Konzeption, die auf Ablehnung stoßen: So sei es nicht zu rechtfertigen, wenn § 100c Abs. 6 den Berufshelfern gem. § 53a nach wie vor den Schutz der Berufsgeheimnisträger gem. § 53 versage.295 Dies sei aber dringend notwendig, weil ein gleichrangiger Helferschutz aus Gründen des Umgehungsschutzes unabdingbar sei.296 Auch was den Schutz der Berufsgeheimnisträger als solchen betreffe, sei die Regelung des § 160a Abs. 1 verfehlt. So sei der Schutz von Geistlichen auf derselben Stufe wie derjenige von Verteidigern und Abgeordneten nicht nachvollziehbar.297 Manchen erscheint das durchgängige Verwertungsverbot für die Berechtigten nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 bis 3b
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Wolter GA 2007 199. Löffelmann ZIS 2006 94 freilich noch zur alten Rechtslage. HK/Zöller § 160a, 2. Vgl. Rogall ZG 2005 176; ders. Stellungnahme Bundestag, S. 12, dessen Kritik man leicht auf die neue Rechtslage übertragen kann. Puschke/Singelnstein NJW 2008 117; freilich wird die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch deshalb in Frage gestellt, weil sich in der Praxis mit Blick auf den vorauszusetzenden Verdacht einer schweren Straftat eine gewisse Schlagseitigkeit zugunsten des öffentlichen Interesses an der Strafverfol-
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gung einstellen dürfte, vgl. dazu Wolter GA 2007 192; SK/ders. 79: „regelmäßig durchschlagende[n] Strafverfolgungsinteressen“. Glaser/Gedeon GA 2007 429 (unter Verweis auf LR25/Schäfer § 100a, 87, 93 zur Terminologie). Glaser/Gedeon GA 2007 424. Vgl. SK/Wolter 79. Zöller StraFo 2008 15, 23: „technischer Fehler“; HK/[B.] Gercke 34; SK/Wolter, 79. So allgemein HK/Zöller § 160a, 13; SK/ Wolter 79. Wolter GA 2007 188: „systematischen und dogmatischen Trugschluss“.
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als „zu großzügig“.298 Andere raten hingegen zu einer umfassenden Gleichbehandlung aller nach § 53 Berechtigten, weil sie alle von verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnissen abhingen, womit ein einheitliches gleichförmiges Schutzgebot einhergehe.299 Wiederum andere halten es für nicht nachvollziehbar, weshalb Steuerberater schwächer zu schützen seien als Strafverteidiger300 oder weshalb Pressemitarbeiter ungeschützt blieben.301 In der Schutzwirkung würde es sich empfehlen, die Berechtigten nach § 53, die nicht schon über ein Überwachungsverbot geschützt sind, wenigstens durchgängig mit einem absoluten statt einem nur relativen Verwertungsverbot abzusichern.302 Auch die Tatsache, dass der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts von Berufsgeheimnisträgern angesichts der Entbindung von ihrer Schweigepflicht verzichtbar ist, sei nur unzureichend umgesetzt.303 Schließlich wird der gänzliche Nichteinbezug der nach § 52 Berechtigten in die Gene141 ralklausel des § 160a als nicht hinnehmbar verworfen, weil es einen Rückschritt hinter die schon bisher bestehende Berücksichtigung der nach § 52 Berechtigten in der Regelung zur akustischen Wohnraumüberwachung in § 100c Abs. 6 Satz 2 (relatives Verwertungsverbot) darstelle.304 Bei aller Notwendigkeit einer inhaltlich differenzierten Betrachtung sei nicht einsichtig zu machen, weshalb man beim Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte ihre beiden großen Gruppen derart ungleich behandelt (Vorwurf des unterschiedlichen Schutzniveaus)305.306
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2. Die Regelung in Abs. 6. Das Gesetz betrifft in Abs. 6 nur die akustische Wohnraumüberwachung (vgl. allgemein § 160a) und unterscheidet zwischen Beweiserhebungsverboten und Beweisverwertungsverboten. Es bestimmt in Abs. 6 Satz 1 zunächst lapidar, dass „in den Fällen des § 53“ der große Lauschangriff unzulässig sei (a) und regelt in Abs. 6 Satz 2, dass „in den Fällen der §§ 52 und 53a“ Erkenntnisse nur verwertet werden dürfen, wenn dies – grob gesagt – nicht unverhältnismäßig ist (b). Besteht ein Verwertungsverbot in den Fällen der §§ 52 und 53a, ist nach zutreffender Ansicht über die sog. Vorwirkung des Verwertungsverbots auch schon die Erhebung wie in den Fällen des § 53 unzulässig, wenn sämtliche aus der Maßnahme zu gewinnenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen (c). In den bereits aus § 97 Abs. 2 Satz 3 bekannten Fällen der Tatverstrickung gilt nach Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 160a Abs. 4 das Erhebungsverbot nach Satz 1 nicht (d). Schließlich bestimmt Satz 5, dass im vorbereitenden Verfahren die Staatsschutzkammer über die Verwertbarkeit bestimmt (e).
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Wolter GA 2007 191: „Herausnahme der Verwalter überwiegender Vermögensinteressen“. Zöller StraFo 2008 15, 23; HK/ders. § 160a, 9; so schon Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 1998 87, 91 für das Gesetz zur Verbesserung der OK von 1998. Fahr DStR 2008 375. Gola/Klug/Reif NJW 2007 2599, 2602. Wolter GA 2007 191. Glaser/Gedeon GA 2007 425 f. Glaser/Gedeon GA 2007 429 f.: „keine Regelung zu treffen, stellt jedoch ein Versäumnis dar, das […] schwer wiegt, weil es das ,Gesamtkonzept‘ […] als willkürlich
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erscheinen lässt.“; Zöller StraFo 2008 15, 23: „Rückschritt hinter die schon bislang bestehende Regelung im Rahmen der akustischen Wohnraumüberwachung“; ebenso HK/ders. § 160a, 14. Zöller StraFo 2008 15, 23; HK/ders. § 160a, 18. Vgl. Weißer GA 2006 148. Für eine „Gesamtschau“ der Zeugnisverweigerungsrechte auch Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, 2. A.A. – keine Schutzwürdigkeit – etwa KK/Griesbaum § 160a, 1.
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a) Erhebungsverbot im Schutzbereich des § 53 (Abs. 3 Satz 1). „In den Fällen des § 53“ sei die Maßnahme nach § 100c Abs. 1 unzulässig, bestimmt das Gesetz in Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR,307 der ein bloßes Verwertungsverbot nicht ausreichen lässt. Die Regelung kann nur bedeuten, dass die Maßnahme unzulässig ist, soweit sie darauf abzielen würde, Erkenntnisse zu erlangen, welche die in § 53 genannten Berufsangehörigen als Zeugen nicht offenbaren müssten, weil ihnen insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Ob das Abhören in der Wohnung des Beschuldigten oder in einer anderen Wohnung erfolgen soll, spielt keine Rolle. Es muss für die Annahme eines Erhebungsverbots nur vorhersehbar sein, dass es sich um geschützte Kommunikation handelt. Nicht ausdrücklich geregelt ist die Situation, dass zufällig und nicht vorhersehbar ein nach § 53 Zeugnisverweigerungsberechtigter in einer Wohnung, in der abgehört wird, mit dem Beschuldigten zusammen kommt und das Gespräch dem Zeugnisverweigerungsrecht des Berufsangehörigen unterliegt. In einem solchen Fall muss, da die Maßnahme unzulässig war, ein absolutes Verwertungsverbot die rechtliche Folge sein.308 Dieses erstreckt sich sicher auf die Verwertung erlangter Erkenntnisse zu Beweiszwecken (zum Begriff s. § 100a, 106, 107). Fraglich und eher zu verneinen ist dagegen, ob auch eine Verwertung als Spurenansatz (zum Begriff s. § 100a, 109, 112) ausgeschlossen ist. Ein solches weitgehendes Verwertungsverbot liefe auf die dem deutschen Recht fernliegende Anerkennung eines Verbots der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten hinaus,309 das Gerechtigkeitsgesichtspunkten widerspricht.310 Allenfalls könnte die Verwertbarkeit als Spurenansatz von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig gemacht werden, bei der das Gewicht der zu verfolgenden Straftat gegen das Gewicht des Vertrauensverhältnisses abgewogen wird. Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ordnet ferner die entsprechende Anwendung des Abs. 5 Satz 2 bis 4 an, wenn sich erst während oder nach Durchführung der Maßnahme ergibt, dass ein Fall des § 53 vorliegt. Danach sind Aufzeichnungen über solche Äußerungen unverzüglich zu löschen. Erkenntnisse über solche Äußerungen dürfen nicht verwertet werden. Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. Vgl. dazu die Erläuterungen Rn. 123.
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b) Verwertungsverbot im Schutzbereich der §§ 52, 53a (Abs. 6 Satz 2). Soweit es um 147 Angehörige geht oder um Kommunikation, über welche die Berufshelfer der nach § 53 geschützten Berufe das Zeugnis verweigern dürften, besteht grundsätzlich kein Erhebungsverbot, also kein Verbot Gespräche in Wohnungen abzuhören. Diese Differenzierung ist bezüglich der Berufshelfer nicht gerechtfertigt,311 wenn man beispielsweise an die Anwaltsgehilfin oder an den vom Rechtsanwalt beauftragten Sachverständigen312 denkt, der zur Vorbereitung eines Gutachtens für den Rechtsanwalt nach ausführlicher Information durch diesen ein Gespräch mit dem Beschuldigten bei diesem zu Hause führt. Erlangte Erkenntnisse sind verwertbar, „wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten steht“. Im Ergebnis dürfte dies bedeuten, dass mindestens bei erheblichen Straftaten die Erkenntnisse verwertbar sind.313 307 308 309 310
(Fall Kopp gegen Schweiz) StV 1998 683 mit Anm. Kühne. KK/Nack 33. Vgl. Meyer-Goßner Einl. 57. Zurückhaltend KK/Nack 33.
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Momsen ZRP 1998 461. Zu seiner Rolle als Berufshelfer G. Schäfer FS Hanack 91. Vgl. die Abwägung in BGHSt 42 139, 157.
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c) Erhebungsverbot bei gänzlicher Unverwertbarkeit. Lässt sich von vorne herein abschätzen, dass sämtliche aus der Abhörmaßnahme zu erwartenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen, weil im Schutzbereich der §§ 52, 53a das Vertrauensverhältnis starkes Gewicht hat und die aufzuklärende Tat eher gering wiegt314 oder weil die Erkenntnisse ausnahmslos aus der Verfassung unmittelbar abzuleitenden Beweisverboten unterliegen, ist die Maßnahme schon von vornherein unzulässig und nicht erst unverwertbar. Eine entsprechende Regelung hatte § 1002 Abs. 3 Satz 2 der a.F. ausdrücklich getroffen. Ob eine dahingehende Prognose jedoch verantwortlich in der Praxis möglich ist, muss bezweifelt werden, sodass die Annahme eines Erhebungsverbots tatsächlich wohl leer läuft. Im Übrigen dürfte in diesen Fällen schon der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer Beweiserhebung entgegenstehen.
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d) Tatverstrickung (Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 160a Abs. 4). Die Überwachung von Gesprächen im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses nach § 53 ist dann allerdings nicht unzulässig, wenn der Inhaber des geschützten Berufs, wie bei § 97 Abs. 2 Satz 3 einer Teilnahme oder einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist. Zu diesen Voraussetzungen s. § 160a Abs. 4 Satz 1. Auch wenn die Maßnahme danach grundsätzlich zulässig ist, bedarf es gleichwohl noch der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Dafür könnte Satz 2, der freilich nur Fälle des § 52 und § 53a unmittelbar erfasst, einen Maßstab abgeben.
IX. Die Kumulierung mehrerer Ermittlungsmaßnahmen 150
Nicht abschließend geklärt ist, ob durch Kumulierung mehrerer Eingriffsmaßnahmen eine Maßnahme neuer Qualität entsteht.315 Ein Beispiel für eine solche Kumulation ist der „kleine“ Lauschangriff, bei dem der Einsatz eines nicht offen ermittelnden Beamten, der eine Wohnung betritt, mit dem Einsatz technischer Mittel zusammentrifft. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung für solche Maßnahmenhäufungen, sodass grundsätzlich die jeweiligen Eingriffsvoraussetzungen nebeneinander zu prüfen sind. Die Subsidiaritätsklauseln sehen allerdings mit ihrer unterschiedlichen Staffelung ein alternatives Verhältnis einzelner Eingriffsmaßnahmen vor. Sie verbieten es allerdings nicht, dass ein Lauschangriff parallel mit anderen Ermittlungsmaßnahmen erfolgt. Ist die Maßnahme nur in der Kombination mit weiteren Eingriffsakten durchführbar, so ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch in seiner Ausprägung, die er durch die Subsidiaritätsklauseln gefunden hat, Genüge getan. Nach der Rechtsprechung316 ergeben sich dann, wenn die einzelnen Eingriffsmaßnahmen für sich betrachtet von den einschlägigen Ermächtigungsnormen gedeckt sind, keine besonderen weiteren Eingriffsvoraussetzungen aus dem Zusammentreffen mehrerer Maßnahmen. Die Kumulation von Ermittlungsmethoden, die unterschiedliche Zielrichtungen ver151 folgen, ist danach nur bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, was freilich voraussetzt, dass die anordnende Stelle von den weiteren Maßnahmen unterrichtet ist.
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Morre/Bruns FS II BGH 593. BGHSt 46 266, 274 ff.; OLG Düsseldorf NStZ 1998 268; Bludowsky 152ff.; Comes StV 1998 560, 570 f.; Steinmetz NStZ 2001 344 ff.
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BGHSt 46 266, 276 ff.; OLG Düsseldorf NStZ 1998 268, 269 f.; a.A. SK/Wolter 47; Comes StV 1998 569, 570 f.
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Insbesondere kann das Zusammentreffen von verschiedenen Eingriffsmethoden die 152 Zuständigkeitsregelungen für die Anordnung der einzelnen Maßnahmen nicht verändern. Hat etwa der Ermittlungsrichter keine Kompetenz für eine bestimmte Maßnahme, etwa weil die sachleitende Staatsanwaltschaft selbst für eine längerfristige Observation zuständig ist (§ 163f) und ein großer Lauschangriff von der Spezialstrafkammer angeordnet wurde, so folgt aus dem Zusammentreffen der längerfristigen Observation mit dem Lauschangriff nicht etwa, dass die Observation nun zum Beispiel vom Ermittlungsrichter angeordnet werden müsste. Eine Summe von Beeinträchtigungen des Betroffenen führt auch sachlich nicht dazu, dass dieser rechtswidrig in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen wird, sobald Einzelmaßnahmen für sich genommen rechtmäßig angeordnet wurden. Selbst eine zeitlich befristete „Totalüberwachung“ verletzt regelmäßig nicht den absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts oder die Menschenwürde, zumal wenn die Maßnahmen unbemerkt bleiben und eine völlige Lückenlosigkeit des Eingriffs nicht feststellbar ist. Wird der Betroffene jedoch etwa telefonisch und in und außerhalb der Wohnung akustisch überwacht, dann kann dies zu einer nahezu vollständigen Überwachung durch den Staat führen, die den Einzelnen zum bloßen Objekt staatlicher Maßnahmen degradiert und so seine Menschenwürde verletzen kann. Aus der Summe der Erkenntnisse lässt sich freilich ein Persönlichkeitsprofil erstellen. 153 Dies kann im Extremfall bis zu einer Kernbereichsverletzung des Rechts auf Privatsphäre führen (vgl. Rn. 28, 29).317 Kritiker der gesetzlichen Regelung verweisen darauf, dass die Strafprozessordnung an die einzelnen Maßnahmen je nach Schwere und Intensität ihres Eingriffs unterschiedliche Voraussetzungen stellt. Damit stehe es in Widerspruch, die Bündelung von verschiedenen Maßnahmen, die den Betroffenen in entschieden höherem Maße in seinen Grundrechten treffen können, nur an die Voraussetzungen zu knüpfen, die jeweils für die einzelnen Maßnahmen vom Gesetz verlangt werden.318 Indes wäre eine neue Definition der Eingriffsvoraussetzungen in solchen Fällen Sache des Gesetzgebers. De lege lata muss die Rechtsprechung dafür Sorge tragen, dass bei einer Kernbereichsverletzung die Verwertbarkeit wegen eines Verstoßes gegen Art. 1 GG verneint wird und in den sonstigen Fällen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird, wobei gewichtige Verstöße auch hier zu einem Verwertungsverbot führen können. Maßgebende Abwägungsgesichtspunkte werden das Gewicht der aufzuklärenden Tat, das aus der Kumulation der Maßnahme resultierende Gewicht des Eingriffs, die Beweislage im Übrigen und das Gewicht der zu erwartenden Erkenntnisse sein. Diese Kriterien sind bereits bei der Anordnung oder Gestattung der einzelnen Maßnahmen zu beachten. Daraus folgt und darauf weist Comes319 zutreffend hin, dass dem einen Eingriff gestattenden oder anordnenden Organ alle ergriffenen oder gestatteten Maßnahmen offengelegt werden müssen. Der Ermittlungsrichter oder in den Fällen des Abs. 1 die spezialzuständige Strafkammer hat also die Staatsanwaltschaft bei Antragstellung ausdrücklich danach zu befragen, wenn diese nicht schon von vorne herein mit ihrem Antrag eine solche Erklärung abgibt.
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OLG Düsseldorf NStZ 1998 268 f. Comes StV 1998 569, 571.
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Comes StV 1998 569, 571.
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§ 100d (1) 1Maßnahmen nach § 100c dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch die in § 74a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kammer des Landgerichts angeordnet werden, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. 2Bei Gefahr im Verzug kann diese Anordnung auch durch den Vorsitzenden getroffen werden. 3Dessen Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen von der Strafkammer bestätigt wird. 4Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. 5Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als einen Monat ist zulässig, soweit die Voraussetzungen unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse fortbestehen. 6Ist die Dauer der Anordnung auf insgesamt sechs Monate verlängert worden, so entscheidet über weitere Verlängerungen das Oberlandesgericht. (2) 1Die Anordnung ergeht schriftlich. 2In der Anordnung sind anzugeben: 1. soweit möglich, der Name und die Anschrift des Beschuldigten, gegen den sich die Maßnahme richtet, 2. der Tatvorwurf, auf Grund dessen die Maßnahme angeordnet wird, 3. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume, 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, 5. die Art der durch die Maßnahme zu erhebenden Informationen und ihre Bedeutung für das Verfahren. (3) 1In der Begründung der Anordnung oder Verlängerung sind deren Voraussetzungen und die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte darzulegen. 2Insbesondere sind einzelfallbezogen anzugeben: 1. die bestimmten Tatsachen, die den Verdacht begründen, 2. die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, 3. die tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des § 100c Abs. 4 Satz 1. (4) 1Das anordnende Gericht ist über den Verlauf und die Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. 2Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so hat das Gericht den Abbruch der Maßnahme anzuordnen, sofern der Abbruch nicht bereits durch die Staatsanwaltschaft veranlasst wurde. 3Die Anordnung des Abbruchs der Maßnahme kann auch durch den Vorsitzenden erfolgen. (5) Personenbezogene Daten aus einer akustischen Wohnraumüberwachung dürfen für andere Zwecke nach folgenden Maßgaben verwendet werden: 1. Die durch eine Maßnahme nach § 100c erlangten verwertbaren personenbezogenen Daten dürfen in anderen Strafverfahren ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer die Maßnahme nach § 100c angeordnet werden könnte, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. 2. Die Verwendung der durch eine Maßnahme nach § 100c erlangten personenbezogenen Daten, auch solcher nach § 100c Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2, zu Zwecken der Gefahrenabwehr ist nur zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr für Leib oder Freiheit einer Person oder Gegenstände von bedeutendem Wert, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, von kulturell herausragendem Wert oder in § 305 des Strafgesetzbuches genannt sind, zulässig. Die durch eine Maßnahme nach § 100c erlangten und verwertbaren personenbezogenen Daten dürfen auch zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden dringenden Gefahr für sonstige bedeutende Vermögenswerte verwendet werden. Sind die Daten zur Abwehr der Gefahr oder für eine vorgerichtliche oder gerichtliche Überprüfung der zur Ge-
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fahrenabwehr getroffenen Maßnahmen nicht mehr erforderlich, so sind Aufzeichnungen über diese Daten von der für die Gefahrenabwehr zuständigen Stelle unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist aktenkundig zu machen. Soweit die Löschung lediglich für eine etwaige vorgerichtliche oder gerichtliche Überprüfung zurückgestellt ist, dürfen die Daten nur für diesen Zweck verwendet werden; für eine Verwendung zu anderen Zwecken sind sie zu sperren. 3. Sind verwertbare personenbezogene Daten durch eine entsprechende polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden, dürfen sie in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer die Maßnahme nach § 100c angeordnet werden könnte, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Schrifttum Siehe § 100c sowie Bertram Die Verwendung präventiv-polizeilicher Erkenntnisse im Strafverfahren (2009); Braun Der sogenannte Lauschangriff im präventiv-polizeilichen Bereich, NVwZ 2000 375; Brodersen Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, NJW 2000 2536; Hilger Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, StraFo 2001 109; ders. StVÄG 1999 und Verteidigung, FS Rieß 171; Koch Datenerhebung in oder aus Wohnungen nach der Neufassung des Art. 13 GG, DuD 1999 451; Kutscha Der Lauschangriff im Polizeirecht der Länder, NJW 1994 85; ders. Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes – Mehr Sicherheit durch weniger Grundrechtsschutz, LKV 2003 114; Paeffgen Vernachrichtendienstlichung von Strafprozeß- und Polizeirecht, StV 2002 336; Schnarr Die Verwendung präventiv erhobener Daten zu repressiven Zwecken, StraFo 1998 217; Singelnstein Strafprozessuale Verwendungsregelungen zwischen Zweckbindungsgrundsatz und Verwertungsverboten. Voraussetzungen der Verwertung von Zufallsfunden und sonstiger zweckentfremdender Nutzung personenbezogener Daten im Strafverfahren seit dem 1. Januar 2008, ZStW 120 (2008), 854; ders. Unselbständige Verwertungsverbote und informationelle Selbstbestimmung. Zum Gesetzesvorbehalt in der Beweisverbotslehre aus grundrechtlicher Perspektive, FS Eisenberg 643; Strate Präventivdaten und ihre Verwendung im Strafverfahren, StraFo 1999 73; Wollweber Nochmals – Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, NJW 2000 3623; Wolter 35 Jahre Verfahrensrechtskultur und Strafprozeßverfassungsrecht in Ansehung von Freiheitsentziehung, (DNA-) Identifizierung und Überwachung, GA 1999 158; ders. Beweisverbote und Umgehungsverbote zwischen Wahrheitserforschung und Ausforschung, FS II BGH 963; ders. Zeugnisverweigerungsrecht bei (verdeckten) Maßnahmen im Strafprozeßrecht und Polizeirecht, FS Rieß 633.
Entstehungsgeschichte. Die Änderungen durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität mit Wirkung vom 9.5.1998 waren wie folgt: Es wurden Absatz 2 bis 4 neu eingefügt, Abs. 2 wurde Abs. 5 und dort wurde Satz 2 neu eingefügt; ferner wurde Abs. 6 neu angefügt. § 100d Abs. 3 a.F. war nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 – 1 BvR 1084/99 – (NJW 2004 999) unvereinbar mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Absatz 1 und Art. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, § 100d Abs. 4 Satz 3 a.F. i.V.m. § 100b Abs. 6 a.F. mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, § 100d Abs. 5 Satz 2 a.F. mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Absatz 1 und Art. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes und § 100d Abs. 6 Satz 2 a.F. mit Art. 103 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber war deshalb verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Rechtszustand bis spätestens 30.6.2005 herzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 a.F. unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit weiterhin angewandt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war auch nach Erhebung der öffentlichen Klage in den Fällen des Abs. 6 Satz 2 das in § 100d Abs. 2 Satz 1 genannte Gericht (Staatsschutzkammer) zuständig. Die Neuregelung durch das TKÜG 2007 ist seit 1.1.2008 in Kraft.
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Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Zuständigkeit (Absatz 1 Satz 1, 2 und 3) 1. Qualifizierter Richtervorbehalt und Regelzuständigkeit . . . . . . . . . 2. Eilzuständigkeit bei Gefahr im Verzug (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . b) Außerkrafttreten der Anordnung des Vorsitzenden . . . . . . . . . c) Gerichtliche Bestätigung (Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . III. Form und Inhalt der Anordnung (Absatz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Name und Anschrift des Beschuldigten, gegen den sich die Maßnahme richtet 2. Tatvorwurf, auf Grund dessen die Maßnahme angeordnet wird . . . . 3. Die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume . 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Art der durch die Maßnahme zu erhebenden Informationen und ihre Bedeutung für das Verfahren . . . . . . IV. Begründungspflicht (Absatz 3) . . . . . 1. Voraussetzungen und wesentliche Abwägungsgesichtspunkte der Anordnung bzw. Verlängerung . . . . . . . 2. Bestimmte Tatsachen, die den Verdacht begründen (Nr. 1) . . . . . . . 3. Wesentliche Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (Nr. 2). . . . . . . . . . 4. Tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 100c Abs. 4 Satz 1 (Nr. 3) . . . V. Befristung, Überwachung und Beendigung, Vernichtung (Absatz 1 Satz 4 bis 6; Absatz 4) 1. Befristung (Abs. 1 Satz 4, 5 und 6) . 2. Unterrichtung, Überwachung und Beendigung (Abs. 4) . . . . . . . . . VI. Verwendungsregelungen (Absatz 5) 1. Regelungsgehalt und Überblick . . . 2. Verhältnis zu anderen Bestimmungen 3. Verwendungsregelung gilt nur für im Ausgangsverfahren verwertbare Daten 4. Eingriff der Informationsverwendung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 5. Adressat der Verwendungsgestattung . . . . . . . . . . . . . .
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Rn.
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6. Personenbezogene Daten als Gegenstand der Verwendungsgestattung . . 7. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 1 (Verwendung strafprozessual erlangter Informationen im selben oder in anderen Strafverfahren) . . . . . . . a) Verwendung im Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . b) Verwendung in anderen Straf- . . verfahren . . . . . . . . . . . . . c) Bindung an den Straftatenkatalog des § 100c Absatz 2 . . . . . . . d) Konkretisierte Verdachtslage auch im anderen Verfahren . . . . . . e) Beweiszwecke . . . . . . . . . . f) Verwendung als Ermittlungsansatz . . . . . . . . . . . . . . g) Kernbereichs- und zeugnisverweigerungsrechtsrelevante Zugriffe . 8. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 2 (Verwendung strafprozessual erlangter Informationen zur Gefahrenabwehr) a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . b) Verwendungsgrenze bei entgegenstehendem Bundes- oder Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . 9. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 3 (Verwendung gefahrenabwehrrechtlich erlangter Informationen im Strafverfahren) . . . . . . . . . . . . . . a) Geschichte . . . . . . . . . . . . b) Regelungsgehalt . . . . . . . . . c) Polizeirechtliche Maßnahme . . . d) Entsprechung zu § 100c Abs. 1 . . 10. Strafprozessuale Verwendung der Informationen . . . . . . . . . . . . 11. Überlegungen de lege ferenda . . . .
3 5 5 7 8 10 11 12 13 14
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VII. Verwertungsverbote 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Widerspruchslösung . . . . . . . . 3. Verwendungsregelung in den Fällen akustischer Überwachung . . . . . 4. Mängel bei den sachlichen Voraussetzungen in den Fällen der akustischen Überwachung (§ 100c Abs. 1 Nr. 1 bis 4) . . . . . . . . . 5. Mängel bei den förmlichen Voraussetzungen (§ 100d) . . . . . . . . 6. Zeugnisverweigerungsrechte . . . . 7. Einwilligung . . . . . . . . . . . .
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VIII. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Abwägungsgesichtspunkte 17 Allgemeines 1 Außerkrafttreten der Anordnung des Vorsitzenden 7 Beendigung der Maßnahme 24 Befristung der Anordnung 14, 21 Begründung der Anordnung 16 Bestimmte Tatsachen 18 Eilzuständigkeit 5 ff. Einwilligung 70 Erforderlichkeit 19 Form der Anordnung 10 ff. Gefahr im Verzug 5 ff. Gerichtliche Bestätigung 8 Inhalt der Anordnung 10 ff. Mängel bei den förmlichen Voraussetzungen 68
Mängel bei den sachlichen Voraussetzungen 67 Personenbezogene Daten 34 Qualifizierter Richtervorbehalt 3 Regelzuständigkeit 3 Revision 71 Überwachung der Maßnahme 24 Unterrichtung 24 Verhältnismäßigkeit 19 Vernichtung 21 ff. Verwendungsregelung 26 ff. Verwertungsverbote 63 Widerspruchslösung 64 Zeugnisverweigerungsrechte 69 Zufallsfunde 36 ff. Zuständigkeit 3
I. Allgemeines Die Vorschrift regelt Einzelheiten des Verfahrens bei den Maßnahmen nach § 100c. 1 Sie wird durch § 101 ergänzt. Absatz 1 bestimmt die Regel- und Eilzuständigkeit für die Anordnung sowie deren 2 Befristung, Absatz 2 normiert die Erfordernisse für die Form und den Inhalt der Anordnung, Absatz 3 statuiert besondere Begründungspflichten, Absatz 4 regelt die Pflichten zur Unterrichtung und zum Abbruch der Maßnahme nach § 100c und Absatz 5 enthält unterschiedlich weite Verwendungsregelungen für Maßnahmen nach Abs. 1 Nr. 2 und 3.
II. Zuständigkeit (Absatz 1 Satz 1, 2 und 3) 1. Qualifizierter Richtervorbehalt und Regelzuständigkeit. Der Richtervorbehalt zielt 3 auf eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können (vgl. BVerfGE 77 1, 51; 103 142, 151; 107 299, 325). Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt, ist der Richter – entsprechend der Trennung von Anklagebehörde und Gericht im deutschen Strafprozess – unbeteiligter Dritter. Der Richtervorbehalt dient bei der akustischen Wohnraumüberwachung der Wahrung des Schutzes durch das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 103 142, 151 für die Durchsuchung).1 Der Richtervorbehalt in Art. 13 Abs. 3 GG geht in zweifacher Hinsicht weiter als im Falle der Durchsuchung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG. Die richterliche Anordnung muss Absatz 3 Satz 3 zufolge grundsätzlich durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper getroffen werden. Nur bei Gefahr im Verzug genügt nach Satz 4 die Anordnung eines einzelnen Richters; eine Anordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen reicht selbst im Eilfall nicht aus. Damit soll dem besonderen Gewicht des durch Art. 13 Abs. 3 GG zugelassenen Grundrechtseingriffs Rechnung getragen werden.2
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BVerfGE 109 279 Rn. 280.
2
BVerfGE 109 279 Rn. 281.
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Zuständig für die Anordnung des „großen Lauschangriffs“ ist im Ermittlungsverfahren an Stelle des Ermittlungsrichters die in § 74a Abs. 4 GVG genannte Strafkammer, das ist nicht mehr die Staatsschutzkammer, sondern „eine nicht mit Hauptverfahren in Strafsachen befasste Kammer bei den Landgerichten“, also eine Spezialkammer für Maßnahmen nach § 100c. Diese besteht am Sitz des Landgerichts, in dessen Bezirk das Oberlandesgericht seinen Sitz hat, mit der Zuständigkeit für den ganzen Oberlandesgerichtsbezirk. Sie entscheidet, was sogar von Art. 13 Abs. 3 Satz 3 GG vorgeschrieben ist, in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 1 Satz 2, § 73 Abs. 2 GVG). Ziel dieser Regelung sollte es sein, „eine Bündelung der Erkenntnisse und Erfahrungen über den Bezirk einzelner Landgerichte und Staatsanwaltschaften hinaus bei bestimmten Spruchkörpern zu erreichen.3 Gegen eine solche Konzentration ist nichts einzuwenden, fraglich war früher nur, ob es der Zuständigkeit einer Strafkammer bedurfte. Im Gesetzgebungsverfahren ist sogar vorgeschlagen worden, die Zuständigkeit einem nur mit Vorsitzenden Richtern besetzten Senat des Oberlandesgerichts vorzubehalten.4 Die Strafkammer entscheidet auch dann, wenn nach § 169 sonst die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim OLG oder BGH gegeben wäre,5 was nicht gerade für die Klugheit des Gesetzgebers spricht, denn die Strafkammer beim LG hat in der Regel mit Sachen, die nach § 120 GVG zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in erster Instanz gehören, wenig Erfahrung. 2. Eilzuständigkeit bei Gefahr im Verzug (Abs. 1 Satz 2)
5
a) Voraussetzungen. Bei Gefahr im Verzug entscheidet der Vorsitzende der Spezialkammer. Das ist der Vorsitzende Richter, im Falle seiner Verhinderung das Mitglied der Spezialkammer, welches nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden den Vorsitz zu führen hat (§ 21f GVG). Ist auch dieses verhindert, führt das dienstälteste, bei gleichem Dienstalter das lebensälteste Mitglied den Vorsitz (§ 21f Abs. 2 Satz 2 GVG). Zum Begriff der Gefahr im Verzug § 105, 83 ff. Eine solche wird – ungeachtet der darüber hinaus gem. Art. 13 Abs. 3 Satz 4 gebotenen besonders engen Auslegung des Begriffs – kaum jemals angenommen werden können, weil es für die Frage, ob die Spezialkammer mit drei Richtern entscheiden kann, nicht darauf ankommt, ob die ordentlichen Mitglieder der Kammer zur Verfügung stehen, sondern ob nach dem Geschäftsverteilungsplan des betreffenden Landgerichts die Möglichkeit einer Vertretung der nicht anwesenden Mitglieder besteht. Notfalls ist eine Eilentscheidung des Präsidiums oder des Präsidenten nach § 21i GVG6 herbeizuführen. Gefahr im Verzug ist aber denkbar, wenn etwa nachts oder an Feiertagen das Zusammentreten des gesamten Spruchkörpers so viel Zeit benötigen würde, dass der Erfolg der Maßnahme wegen dieser Verzögerung gefährdet würde. Das BVerfG erklärt die Eilkompetenz des Kammervorsitzenden als mit Art. 13 Abs. 3 GG vereinbar. Mit ihr werde nicht auf den grundrechtssichernden Richtervorbehalt verzichtet, sondern nur einstweilig das besondere Schutzinstrument der Kammerentscheidung durch das andere der Entscheidung des Vorsitzenden ersetzt. Dies bleibt in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 3 Satz 4 GG auf eine besonders eilbedürftige Situation, die Gefahr im Verzug, beschränkt.7
3 4 5
BTDrucks. 13 9661. BTDrucks. 13 9661. KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1a.
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6 7
Meyer-Goßner § 21i GVG, 2. BVerfGE 109 279 Rn. 295.
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Wurde Gefahr im Verzug angenommen, muss wegen des Gewichts des Eingriffs und 6 der von der Verfassung zum Ausdruck gebrachten Bedeutung des Richtervorbehalts dahin, dass drei Richter entscheiden müssen, der Vorsitzende die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug besonders dokumentieren, also insbesondere darlegen, welche Bemühungen er unternommen hat, eine dem Geschäftsverteilungsplan entsprechende Besetzung zu erreichen. Die Gründe für seine Anordnung müssen die fallbezogenen Tatsachen für die Annahme von Gefahr im Verzug enthalten, nämlich die Nichterreichbarkeit der zur Mitwirkung außer ihm berufenen Mitglieder der Spezialkammer, einschließlich sämtlicher weiteren zur Vertretung berufenen richterlichen Angehörigen des Landgerichts. b) Außerkrafttreten der Anordnung des Vorsitzenden. Auch hier tritt die wegen Ge- 7 fahr im Verzug durch den Vorsitzenden erfolgte Anordnung außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von der Strafkammer (unter seiner Mitwirkung) bestätigt wird. Ob schon eine Überwachung stattgefunden hatte, ist ohne Bedeutung. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung (§ 100b), sie wird nach § 42 berechnet, endet also am dritten Tage nach dem Erlass um 24 Uhr (§ 42, 1). Bis zu diesem Zeitpunkt muss die gerichtliche Bestätigung erlassen sein; auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung kommt es nicht an.8 § 43 Abs. 2 gilt nicht.9 Für seine Anwendung besteht wegen der überall eingerichteten oder einzurichtenden (§ 22c GVG) richterlichen Bereitschaftsdienste keine Notwendigkeit. Liegt bei Ablauf der Frist keine Bestätigungsentscheidung vor, dürfen keine Überwachungen mehr stattfinden und keine neu anfallenden Daten der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt werden. c) Gerichtliche Bestätigung (Abs. 1 Satz 3). Einer solchen Begründung bedarf es 8 schon deshalb, weil die gerichtliche Bestätigung nach Abs. 1 Satz 3 eine volle Rechtmäßigkeitsüberprüfung ex nunc einschließlich der Annahme der Gefahr im Verzug voraussetzt (§ 100b, 21). Diese Bestätigung wirkt nur für die Zukunft („tritt außer Kraft“) und stellt keine Überprüfung einer vorausgegangenen Eilentscheidung des Kammervorsitzenden dar.10 Erfolgt keine Bestätigung durch die Kammer, weil es wegen Erreichen des Ermittlungszwecks nicht mehr zu einer Bestätigungsentscheidung kommt oder weil die Kammer eine solche ablehnt, so tritt die Anordnung des Vorsitzenden außer Kraft, bleibt aber für die Vergangenheit wirksam. Die Anordnung wird also, wie auch in den sonstigen Fällen, nicht rückwirkend unwirksam. Die Wirksamkeit einer Eilentscheidung des Vorsitzenden ohne Kammerbestätigung sei auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG unbedenklich. Denn bereits die Eilentscheidung werde durch einen Richter und nicht einen der Exekutive zuzurechnenden Staatsanwalt getroffen.11 Zudem verbleibe es auch hinsichtlich der Eilentscheidung bei den auch sonst gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten.12 Das BVerfG hat das Risiko einer Umgehung der Anordnungskompetenz der Kammer, anders als bei dem Richtervorbehalt für Durchsuchungen,13 für die akustische Wohnraumüberwachung praktisch verneint, weil der Erfolg einer Abhörmaßnahme innerhalb von drei Tagen in der Regel nicht erwartet werden kann, und die Voraussetzungen einer Eilentscheidung wegen der zeitumfänglichen Vorbereitung der
8
9
Zum Begriff des Erlasses einer gerichtlichen Entscheidung Meyer-Goßner Vor § 33, 2, 5; LR/Graalmann-Scheerer Vor § 33 2 ff. A.A. Meyer-Goßner § 100b 1.
10 11 12 13
BVerfGE 109 279 Rn. 296. BVerfGE 103 142, 156. BVerfGE 109 279 Rn. 297. Hierzu BVerfGE 103 142.
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Maßnahme nur im Ausnahmefall vorliegen werden.14 Auf die gegen entsprechende Ausführungen bei den Entscheidungen zur Beschlagnahme geäußerten Bedenken15 geht das Gericht leider nicht ein. Zur gerichtlichen Bestätigungsentscheidung gelten ferner die Erl. zu § 100b, 22 bis 25 entsprechend. Eine Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft oder gar ihrer Ermittlungspersonen be9 steht nicht. Der Gesetzgeber wollte mit dem ausnahmslosen Richtervorbehalt dem besonderen Gewicht des Eingriffs Rechnung tragen (vgl. § 100c, 27 f., 106).
III. Form und Inhalt der Anordnung (Absatz 2) 10
Die Anordnungen der Strafkammer oder, bei Gefahr im Verzug, ihres Vorsitzenden müssen schriftlich als Beschl. ergehen. Das verfassungsrechtliche Gebot vorbeugender richterlicher Kontrolle aus Art. 13 Abs. 3 GG stellt strenge Anforderungen an den Inhalt und die Begründung der gerichtlichen Anordnung nach § 100d. Die Kammer muss daher eine angemessene Begrenzung der Maßnahme sicherstellen. Zur Prüfungsaufgabe der die Maßnahme anordnenden Richter gehört es, sich eigenverantwortlich ein Urteil darüber zu bilden, ob die beantragte akustische Wohnraumüberwachung zulässig und geboten ist.16 Dazu gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung der zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall führenden Gesichtspunkte. Der Anordnungsbeschluss muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die heimliche Maßnahme durchzuführen ist.17 Die maßgeblichen Erwägungen des Gerichts sind in der Begründung der Anordnung hinreichend zu dokumentieren. Das Gericht hat durch geeignete Formulierungen des Anordnungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte meßbar und kontrollierbar bleibt“.18 Die Begründung muss sich auf sämtliche materiellen und prozessualen Voraussetzungen beziehen. Aus ihr muss sich die konkrete Verdachtslage ergeben, und es muss erkennbar werden, dass eine Abwägung auf Grund der im Einzelfall relevanten Umstände stattgefunden hat. Wegen der ultima ratio-Klausel sind auch die Umstände anzugeben, die belegen, dass der Subsidiaritätsgrundsatz beachtet worden ist.
11
1. Name und Anschrift des Beschuldigten, gegen den sich die Maßnahme richtet. Der Beschuldigte, gegen den sich die Maßnahme richtet, ist genau zu bezeichnen. Regelmäßig ist auch dessen Anschrift leicht zu ermitteln. Für den Fall, dass diese Angabe ausnahmsweise nicht möglich ist, soll sie, weil etwa gem. § 100c Abs. 3 Satz 2 die Wohnung eines Dritten abgehört werden soll, entbehrlich sein („soweit möglich“).19
12
2. Tatvorwurf, auf Grund dessen die Maßnahme angeordnet wird. Dabei handelt es sich um ein die Maßnahme in ihrer Reichweite begrenzendes Erfordernis. Maßgeblich ist zunächst die Bezeichnung der entsprechenden abstrakten Katalogtat, zusätzlich aber auch der zugehörige angenommene konkrete Lebenssachverhalt. Erst auf diese Weise wird überhaupt die Bestimmung der prozessualen Tat i.S.d. § 264 erreicht, die den Tatvorwurf bestimmt.
14 15 16
BVerfGE 109 279 Rn. 296. Schaefer NJW 2001 1396. BVerfGE 109 279 Rn. 285.
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17 18 19
BVerfGE 107 299, 325. BVerfGE 103 142 151 f. Vgl. KK/Nack 7; SK/Wolter 16.
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3. Die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume. Aus dem 13 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass die konkret zu überwachenden Räume der Wohnung anzugeben sind, wenn die Maßnahme von vornherein nur für bestimmte Bereiche innerhalb der Wohnung gerechtfertigt ist. Bei mehreren Wohnungen zwingt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu einer Auswahl bestimmter, für den Ermittlungszugriff besonders geeigneter Wohnungen. Auch ist in der Anordnung anzugeben, ob es sich um eine Wohnung des Beschuldigten oder eines Dritten (vgl. § 100c Abs. 3 Satz 2) handelt. 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme. Durch die Angaben zu Art, Dauer und 14 Umfang der Anordnung hat die Kammer zu gewährleisten, dass die Maßnahme auch inhaltlich den Anforderungen des Grundrechts aus Art. 13 GG genügt. Dabei ist der Verhältnismäßigkeit besonders Rechnung zu tragen. So müssen nicht nur die Person, gegen die sich die akustische Wohnraumüberwachung richtet, und der Tatvorwurf sowie die Erwartungen an die zu erhebenden Informationen in der Anordnung bezeichnet werden. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und bestehende Beweisverbote gebieten es, die von der Anordnung ausgenommenen Gesprächspartner des Beschuldigten festzulegen. In zeitlicher Hinsicht ist zunächst die Höchstdauer der Maßnahme anzugeben. Ungeachtet der gesetzlichen Höchstdauer der Maßnahme von drei Monaten (mit Verlängerungsmöglichkeit) bedarf es ferner einer ausdrücklichen Befristung. Die Maßnahme kann durch Beschl. der Kammer (Gefahr im Verzug ist hier kaum vorstellbar) bis zur Grenze der Unverhältnismäßigkeit beliebig oft jeweils für die Dauer von höchstens drei Monaten verlängert werden. Die nach Nr. 4 vorgesehene Frist beginnt von Verfassungs wegen mit der Anordnung und nicht mit der Maßnahme. Dies ist zwar inzwischen gesicherte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu anderen vergleichbaren Maßnahmen. Darin eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit zu sehen, überrascht dann aber doch. Schließlich wird die Kammer je nach den Umständen des Einzelfalls auch Regelungen zu Art und Weise des Vollzugs zu treffen haben, darunter auch zu Vorbereitungsund Begleitmaßnahmen sowie gegebenenfalls zur technischen Durchführung. Sehr wichtig und für alle Ermittlungsmaßnahmen in gleicher Weise gültig, freilich in der ermittlungsrichterlichen Praxis noch oft vernachlässigt, ist der Hinweis, dass das die Maßnahme (im Ermittlungsverfahren) gestattende oder (nach Erhebung der öffentlichen Klage) anordnende Gericht auch berechtigt ist, den durchführenden Stellen eine in bestimmten Abständen erfolgende Unterrichtung über den Verlauf der Maßnahme aufzugeben und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen, etwa um zu sichern, dass der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht berührt wird und im Übrigen die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Weil die Anordnungskompetenz die Regelung der Art und Weise der Durchführung umfasst, kann das anordnende Gericht deshalb den Abbruch der Maßnahme anordnen, wenn sich auf Grund der ihm vorgelegten Informationen zeigt, dass die Voraussetzungen für die Fortdauer der Maßnahme fehlen. 5. Art der durch die Maßnahme zu erhebenden Informationen und ihre Bedeutung 15 für das Verfahren. Hier ist anzugeben, welche Gespräche zwischen welchen Personen welche Gesprächsinformationen erbringen könnten, die als Erkenntnisse im Prozess wertvoll sein werden. Hinsichtlich der Beweiswirkung ist dabei zwischen Beweisen unter Angabe des Beweismittels und bloßen Spurenansätzen zu differenzieren.20
20
Vgl. KK/Nack 8; SK/Wolter 17.
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IV. Begründungspflicht (Absatz 3) 16
Die Kammer hat durch die Begründung der Anordnung oder Verlängerung dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen der Betroffenen gewahrt werden, da es diesen auf Grund der Heimlichkeit verwehrt ist, präventiv Einwände gegen die Anordnung zu erheben. Im Einzelnen sind in der Begründung einzelfallbezogen darzulegen:
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1. Voraussetzungen und wesentliche Abwägungsgesichtspunkte der Anordnung bzw. Verlängerung. Da die Kammer eine angemessene Begrenzung der Maßnahme sicherzustellen hat und die Betroffenen in die Lage versetzen soll, von ihren Möglichkeiten des nachträglichen Rechtsschutzes Gebrauch zu machen,21 muss die Begründung sich auf sämtliche materiellen und prozessualen Voraussetzungen beziehen. Aus ihr muss sich die konkrete Verdachtslage ergeben, und es muss erkennbar werden, dass eine Abwägung auf Grund der im Einzelfall relevanten Umstände stattgefunden hat. Wegen der ultima ratio-Klausel sind auch die Umstände anzugeben, die belegen, dass der Subsidiaritätsgrundsatz beachtet worden ist.
18
2. Bestimmte Tatsachen, die den Verdacht begründen (Nr. 1). Dies erfordert die möglichst genaue Schilderung des angenommenen, sich zum bisherigen Stand der Ermittlungen ergebenden Lebenssachverhalts sowie die Angabe, inwiefern in diesem konkreten Tatsachengeschehnis eine strafbare Verhaltensweise liegt, die eine Katalogtat gem. § 100c Abs. 2 verwirklicht haben soll.
19
3. Wesentliche Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (Nr. 2). Vor diesem rechtstatsächlichen Hintergrund lassen sich dann auch die sehr schwierigen, gleichwohl jedoch notwendigen Erwägungen formulieren, weshalb es sich bei dieser Maßnahme unter mehreren zwecktauglichen Instrumenten um das relativ mildeste Mittel handelt, das noch dazu proportional in das Wohnungsgrundrecht eingreift (vgl. § 100c, 105).
20
4. Tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 100c Abs. 4 Satz 1 (Nr. 3). Erforderlich ist auch eine Stellungnahme zu den tatsächlichen Umständen der negativen Kernbereichsprognose. Darzulegen ist also die Art der zu überwachenden Räume, also ihr kernbereichsfremder Charakter, sowie das Verhältnis der überwachenden Personen zueinander, das ebenfalls nicht auf Höchstpersönlichkeit hindeuten darf (vgl. § 100c Rn. 118).
V. Befristung, Überwachung und Beendigung, Vernichtung (Absatz 1 Satz 4 bis 6; Absatz 4) 21
1. Befristung (Abs. 1 Satz 4, 5 und 6). Die Anordnung oder die Gestattung, das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln innerhalb von Wohnungen abzuhören (§ 100c Abs. 1), darf nur befristet erlassen werden. S. zunächst § 100b, 15. Bei Maßnahmen innerhalb von Wohnungen beträgt die (verlängerbare) Frist nach Abs. 1 Satz 4 höchstens einen Monat. Während Krause FS Hanack 221, 240 diese Frist ange-
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sichts des Gewichts des Eingriffs für zu lang hält, erscheint sie einigen Landesjustizverwaltungen zu kurz. Da die Frist bereits mit dem Erlass der richterlichen Entscheidung in Lauf gesetzt wird, sei es oftmals gar nicht möglich, bei umfangreichen Vorbereitungsarbeiten (Rn. 8 ff.) innerhalb der Frist auch nur mit der Überwachung zu beginnen.22 Dies braucht aber nicht gegen die gesetzliche Regelung zu sprechen, da in solchen Fällen bei unveränderter Beweislage im Übrigen eine Fristverlängerung problemlos zulässig ist. Darüber hinaus erfordert die Effektivität der richterlichen Anordnungs- und Prüfungsbefugnisse im Hinblick auf den einschneidenden Eingriff der akustischen Wohnraumüberwachung eine vorausschauende Beurteilung, die verantwortungsvoll nur für einen überschaubaren Zeitraum vorgenommen werden kann. Dies wäre nicht hinreichend gewährleistet, wenn die Frist erst mit dem Beginn der Überwachungsmaßnahme einsetzen würde.23 Das BVerfG hat die Fristfestsetzung auf einen Monat nicht beanstandet; sie gewährleiste eine der Tiefe des Grundrechtseingriffs angemessene regelmäßige gerichtliche Überprüfung der Überwachung.24 Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als einen Monat ist zulässig (Abs. 1 Satz 5). 22 Dafür müssen die Voraussetzungen der Grundanordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse aber fortbestehen. Die Entscheidung hat somit unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Ermittlungsergebnisse zu erfolgen. Eine Verlängerung ist deshalb auch dann möglich, wenn sich der Verdacht nunmehr auf eine andere Katalogtat bezieht. Hat schon eine Überwachung stattgefunden, ist eine Verlängerung ohne Kenntnis der seitherigen Überwachungsergebnisse und der sonstigen neuen Ermittlungsergebnisse nicht zu verantworten.25 Werden sie nicht vorgelegt, weil sie beispielsweise in einer Sonderakte der Staatsanwaltschaft geführt werden (§ 101 Abs. 2), muss der Richter mangels Überprüfbarkeit der Anordnungsvoraussetzungen die Verlängerung ablehnen. Die Frist ist auch dann nicht zu verlängern, wenn die Überwachung bisher ergebnislos verlaufen ist und sich nach der Sachlage für die Zukunft keine hinreichenden Erfolgschancen prognostizieren lassen oder wenn erkennbar wird, dass andere Ermittlungsmaßnahmen ausreichen. Bei einer Verlängerung bestehen daher sowohl für die beantragende Staatsanwaltschaft als auch für das anordnende Gericht Prüfungs- und Begründungspflichten im Hinblick auf die bisherigen Ergebnisse der Maßnahme und die Erfolgsprognose.26 Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die nach Fristablauf und vor Erlass einer Verlängerungsanordnung erlangt werden, werden die Erl. zu § 100a, 110 entsprechend gelten können. Ist die Dauer der Anordnung auf insgesamt sechs Monate verlängert worden, so entscheidet über weitere Verlängerungen das OLG (Abs. 1 Satz 6). Eine absolute Höchstdauer, nach der eine Verlängerung nicht mehr erfolgen darf, 23 existiert nicht. Das BVerfG hält eine solche Begrenzung aber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall dann für geboten, wenn mit zunehmender Dauer der akustischen Wohnraumüberwachung der Eingriff in die räumliche Privatsphäre immer intensiver wird und sogar dazu führen kann, dass Art. 13 GG in seinem Menschenwürdegehalt verletzt wird.27 2. Unterrichtung, Überwachung und Beendigung (Abs. 4). Während der Durchfüh- 24 rung der Maßnahme ist das anordnende Gericht, also auch bei der Eilentscheidung durch ihren Vorsitzenden die spezielle Kammer nach Abs. 1, über den Verlauf und die 22 23 24
Unterrichtung durch die Bundesregierung BTDrucks. 14 8155 S. 11. BVerfGE 109 279 Rn. 292. BVerfGE 109 279 Rn. 291.
25 26 27
Krause FS Hanack 221, 240. BVerfGE 109 279 Rn. 293. BVerfGE 109 279 Rn. 294.
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Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. Da die Anordnungskompetenz die Regelung der Art und Weise der Durchführung umfasst, ist das Gericht auch berechtigt, den durchführenden Stellen eine in bestimmten Abständen erfolgende Unterrichtung über den Verlauf der Maßnahme aufzugeben und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen, etwa um zu sichern, dass der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht berührt wird und im Übrigen die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Liegen die gesetzlichen oder weiteren, in der Anordnung festgelegten Voraussetzun25 gen der Anordnung nicht mehr vor, so hat das anordnende Gericht den Abbruch der Maßnahme anzuordnen, sofern der Abbruch nicht bereits durch die Staatsanwaltschaft veranlasst wurde. Das anordnende Gericht ist die Kammer nach Abs. 1, u.U. aber auch nur ihr Vorsitzender, ohne dass dessen Abbruchanordnung nachträglich noch von der Kammer bestätigt werden müsste, um wirksam zu sein.28 Ein Abbruch ist mehr als eine bloße Unterbrechung nach § 100c Abs. 5: Unterbrochene Maßnahmen können ohne neue Anordnung fortgesetzt werden, wenn sich die Umstände ändern. Abgebrochene Maßnahmen nach Abs. 4 dürfen nur dann wieder durchgeführt werden, wenn ein neuer Anordnungsbeschluss dies gestattet.29 „Es würde der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG und der grundrechtssichernden Funktion des Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 3 GG nicht gerecht, wenn das anordnende Gericht eine einmal angeordnete Maßnahme in einem solchen Fall nicht abbrechen ließe und die Verletzung der räumlichen Privatsphäre deshalb fortdauern könnte. Dies gilt umso mehr, als die abgehörte Person ihre Interessen wegen der Heimlichkeit der Maßnahme nicht von sich aus gerichtlich verfolgen kann.“30 Das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln innerhalb von Wohnungen ist also auch vor Fristablauf unverzüglich zu beenden, wenn – was schon durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geboten und deshalb selbstverständlich ist – eine ihrer Anordnungsvoraussetzungen weggefallen ist oder sobald feststeht, dass eine weitere Überwachung keinen Erfolg verspricht. Das bestimmt Abs. 4 Satz 2 ausdrücklich. Die Erl. bei § 100b, 32 bis 36 gelten entsprechend. Unabhängig davon, ob die Maßnahme von der Polizei allein oder unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft durchgeführt wird, ordnet im vorbereitenden Verfahren das anordnende Gericht, im gerichtlichen Verfahren dagegen das erkennende Gericht die Beendigung an. Die Kammer, welche die Maßnahme angeordnet hatte, ist im letztgenannten Fall dann zu benachrichtigen.
VI. Verwendungsregelungen (Absatz 5) 26
1. Regelungsgehalt und Überblick. § 100d Abs. 5 ist eine Sonderregelung für die Verwendung von Beweisen aus Maßnahmen nach § 100c für andere Strafverfahren oder für Zwecke der Gefahrenabwehr oder von Erkenntnissen aus polizeirechtlichen Maßnahmen für den Strafprozess. Sie geht den insofern allgemeinen Regeln der §§ 477 Abs. 2 Satz 2, 481, die für alle sonstigen (auch heimlichen) Ermittlungsmaßnahmen gelten, vor. § 100d Abs. 5 ist in seiner heutigen Fassung eine Synthese aus der alten Regelung des § 100d Abs. 5 und des § 100f a.F., der Regeln für die Verwendung gefahrenabwehrrechtlich erlangter Beweise aufstellte.
28 29
Ebenso OK-StPO/Hegmann 8. OK-StPO/Hegmann 7; KK/Nack 12.
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30
BVerfGE 109 279 Rn. 290.
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2. Verhältnis zu anderen Bestimmungen. Die Regelungen der § 161, 477, 481 betref- 27 fen den Datentransfer zwischen präventivpolizeilichen Verfahren und Strafverfahren. Sie sind schlecht harmonisiert.31 Soweit es um die Verwendung von Informationen für präventivpolizeiliche Zwecke 28 geht, konkurriert die vorliegende Vorschrift mit § 481 und geht dieser mit Blick auf die besondere Art der Informationserlangung und die thematische Beschränkung der Informationsverwendung als lex specialis vor. Nach § 481 Abs. 1 Satz 1 und 2 ist die Übermittlung von Informationen, die aus anderen Eingriffsakten herrühren, thematisch nicht auf bestimmte Arten von Straftaten beschränkt.32 Die Polizeibehörden können insoweit die Informationen nach Belieben verwenden und zur Abwehr auch geringfügiger Gefahren, zum Schutz weniger wichtiger Rechtsgüter oder zur Verhütung von Straftaten aller Art eingesetzt werden. Umgekehrt können im Allgemeinen präventivpolizeiliche Erkenntnisse im Strafverfahren gemäß § 161 ohne thematische Bindung an Katalogtaten u.a. verwendet werden. Demgegenüber geht es bei der Verwendung von Informationen aus einem großen Lauschangriff ausschließlich um die Bekämpfung von Katalogtaten oder die Abwehr schwerwiegender Gefahren. Die Informationen, die aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung stam- 29 men (Art. 13 Abs. 5 GG, § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 16 BKAG; §§ 22, 32 ZFdG), können nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 5 GG verwendet werden, und zwar in gewisser Weise systembrüchig33 für Zwecke der Strafverfolgung schlechthin. § 161 Abs. 2 Satz 1 grenzt diesen Verwendungszweck mit seiner thematischen Bindung an Katalogtaten hingegen ein. Art. 13 Abs. 5 GG enthält einen Richtervorbehalt für die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Insoweit ist jene Vorschrift spezieller als die vorliegende Bestimmung, die für sich genommen keinen Richtervorbehalt enthält. Zur Eigensicherung ist nicht nur die akustische, sondern auch die optische Wohnraumüberwachung zulässig (§ 16 BKAG); deren Ergebnisse sind aber im Strafprozess nicht verwertbar, weil insoweit keine Entsprechung des Gefahrenabwehrrechts mit dem Strafprozessrecht im Sinne von §§ 100c, 100f und 100h herzustellen ist.34 Weil § 161 Abs. 2 Satz 1 die Verwendung personenbezogener Daten aus der akustischen Wohnraumüberwachung zur Eigensicherung nur zu Beweiszwecken regelt, ist eine Verwendung dieser Informationen aus der Eigensicherung als Ermittlungsansatz generell unzulässig,35 und wegen der Eindeutigkeit des Gesetzeswortlauts heute auch nicht mehr mit Blick auf Art. 13 Abs. 5 GG, der nicht zwischen Beweiszwecken und anderen Zwecken der Informationsverwendung differenziert, anzuzweifeln.36 3. Verwendungsregelung gilt nur für im Ausgangsverfahren verwertbare Daten. Nur 30 verwertbare Erkenntnisse sind in anderen Strafverfahren verwendbar. Das heißt, im anderen Verfahren sind die Verwertungsverbote zu beachten, die für das Ausgangsverfahren gelten, in dem die Daten erhoben wurden. Das gilt jedenfalls für die repressive Übernahme von Beweisen nach Nr. 1, soll nach Ansicht des Rechtsausschuss aber nicht für den Fall der Nr. 2 gelten, sodass auch ein strafprozessual unverwertbarer Beweis zur Gefahrenabwehr genutzt werden darf.37
31 32 33 34 35
Wolter FS II BGH 633, 635. Krit. dazu SK/Wolter 55. KK/Nack 24. HK/Gercke 15. A.A. Brodersen NJW 2000 2536, 2539; wie
36 37
hier dagegen Wollweber NJW 2000 3623, 3624. So noch Hilger FS Rieß 171, 182. Vgl. BTDrucks 15 5486 S. 27; ferner KK/Nack 17.
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4. Eingriff der Informationsverwendung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nach dem „Volkszählungsurteil“38 ist nicht nur die staatliche Erlangung, sondern auch jede Verwendung personenbezogener Daten ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.39 Die Schutzwirkungen eines die Datenerhebung erfassenden Grundrechts beziehen sich auch auf die Weitergabe der Daten.40 Verwenden ist das Nutzen oder Verarbeiten von Daten (§ 3 Abs. 5 BDSG), die Verarbeitung geschieht in Form einer Speicherung, Veränderung, Übermittlung, Sperrung oder Löschung von Daten (§ 3 Abs. 4 BDSG).41 Deshalb muss nicht nur der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG durch einen „großen Lauschangriff“, der zugleich bei Erfassung des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, sondern auch die spätere Verwendung der so gewonnenen personenbezogenen Daten als weiterer selbstständiger Eingriff in dieses Recht gesetzlich geregelt sein. Das „Volkszählungsurteil“ hat für alle Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der Grundlage der sogenannten Wesentlichkeitstheorie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Gesetzesvorbehalt aufgestellt. Unklar bleibt, wie genau die jeweilige gesetzliche Regelung über die Datenverwendung bestimmt sein und welches Anforderungsprofil sie für die Legitimierung der Umwidmung erfüllen muss.42 Im Strafprozessrecht wurde seit jeher vorausgesetzt, das die dort gesetzlich verankerten Eingriffsakte zur Informationsbeschaffung unausgesprochen auch die Befugnis für die Behörden enthalten, die so gewonnenen Informationen im weiteren Verfahren zu verwenden, insbesondere jeder Gesamtwürdigung der Beweise zu Grunde zu legen, sei es im Freibeweis, sei es im Strengbeweisverfahren. Das ist schließlich der alleinige Zweck der Informationsbeschaffung in einem auf Sachaufklärung und Wahrheitserforschung ausgerichteten Amtsverfahren. Die Beweisverwertung im Strafprozess ist stets eine Informationsverwendung.43 Es gilt auch für den Fall des großen Lauschangriffs; insoweit ist also bereits aus der Eingriffsgestattung für die Informationsbeschaffung gemäß § 100c Abs. 1 auch die Ermächtigung zur anschließenden Informationsverwendung herzuleiten, freilich nur bei gleichbleibender Zielrichtung des staatlichen Handelns. Die vorliegende Vorschrift hat demnach nur eigenständige Bedeutung für Fälle einer Verwendungsänderung,44 sei es, dass die Informationen aus einem Strafverfahren in ein selbständiges anderes Verfahren – gegen andere Beschuldigte oder wegen anderer Taten im prozessualen Sinn – übertragen werden, sei es, dass Informationen vom Strafverfahren in ein präventivpolizeiliches (Verwaltungs-)Verfahren übertragen werden oder umgekehrt. Die vorliegende Vorschrift betrifft damit sowohl die Verwendungsgestattung und Verwendungsbegrenzung bei Datenverschiebung aus einem Strafverfahren in ein anderes als auch die Verwendungsänderung beim Wechsel vom Strafverfahrensrecht zum präventiven Polizeirecht und umgekehrt. Für das Strafverfahrensrecht folgt aus der wenig praktikablen verfassungsgericht32 lichen Rechtsprechung über das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs bei jeder Informationsbeschaffung oder Informationsverwendung, dass entweder jede einzelne Maßnahme im Strafprozess, die personenbezogene Informationen betrifft, in einem besonderen
31
38 39 40 41 42
In BVerfGE 65 1, 41 ff. Hefendehl StV 2001 700, 705. Vgl. BVerfGE 100 313, 360. LR/Hilger Vor § 483, 19. Vgl. eingehend Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozessrecht (1992).
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43 44
Dallmeyer Beweisführung im Strengbeweisverfahren (2002) 66. Vgl. BVerfGE 46 1, 46; BVerfG NJW 2000 55, 66; Blusdowsky 337; Schnarr StraFo 1998 217, 221.
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Gesetz geregelt oder zumindest von einer Generalklausel, wie § 161 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 163 Abs. 1 Satz 2, erfasst sein muss. Dabei stellt sich andererseits wiederum die Frage, ob eine Generalklausel den Bestimmtheitsanforderungen, die im Volkszählungsurteil genannt sind, entsprechen kann.45 Weitere Einschränkungen der Verwendung von Daten, die aus bestimmten, schwerwiegenden Eingriffsakten herrühren, sind hingegen durch die Bedeutung des Verwendungsakts als weiterer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht geboten. Denn die weitere Informationsverwendung erlangt für sich genommen kein spezifisches Eingriffsgewicht dadurch, dass der vorherige Eingriffsakt zur Informationsbeschaffung wegen des Eindringens in den Schutzbereich eines anderen Grundrechts, hier Art. 13 Abs. 1 GG, ein gesteigertes Gewicht hatte. Die thematische Verwendungsbeschränkung von personenbezogenen Informationen, die aus einem großen Lauschangriff stammen, geht deshalb, gemessen am Recht auf informationelle Selbstbestimmung, über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus. Ein weiterer Eingriff in das Wohnungsgrundrecht gemäß Art. 13 Abs. 1 GG liegt in der Verwendung der Daten, die bei der akustischen Überwachung einer Wohnung gewonnen worden waren, nicht.46 5. Adressat der Verwendungsgestattung. Da es „nur“ um den hoheitlichen Eingriff in 33 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der Form des Verwendens von personenbezogenen Informationen geht, bedarf es in der vorliegenden Vorschrift keiner Begrenzung auf die Verwendung der Informationen durch eine bestimmte Behörde oder ein Gericht. Der Adressat der Verwendungsgestattung ist nicht genannt und eine Beschränkung innerhalb der Strafverfolgungsbehörden auf die mit Sachleitungsbefugnis ausgestattete Staatsanwaltschaft ist nicht vorgesehen;47 von Verfassungs wegen ist dies auch nicht geboten. Die hoheitliche Verwendung personenbezogener Informationen, welche von der vorliegenden Vorschrift gestattet wird, kann deshalb auch in der Weitergabe an Privatpersonen, die im behördlichen Auftrag handeln, also V-Leute, bestehen. 6. Personenbezogene Daten als Gegenstand der Verwendungsgestattung. Personen- 34 bezogene Daten sind nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 BDSG alle „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener)“. Es muss sich also um Einzelangaben handeln, die unmittelbar oder mittelbar die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person betreffen.48 Bei Ermittlungsansätzen gegen noch unbekannte Täter ist das nicht der Fall. Andererseits kommt es nicht auf den Grad der Bedeutung der Informationen für eine betroffene Person oder für das Verfahren, in dem die Informationen verwendet werden, an. Denn nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es keine belanglosen Daten.49 Ob die einzelnen Informationen gezielt erstrebt worden waren oder einen Zufallsfund darstellen, ist für die Qualität als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gleichfalls ohne Belang. In Strafverfahren, in denen das nicht-öffentlich gesprochene Wort einer Person im Rahmen der akustischen Überwachung einer Wohnung erfasst wird, beziehen sich die Informationsbeschaffung und die anschließende Verwendung der Informationen ganz grundsätz-
45 46
Näher Hefendehl StV 2001 700 ff. A.A. Singelnstein FS Eisenberg 643 ff.; dagegen wiederum Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit (2013) 523 ff., 525 ff.
47 48 49
Krit. SK/Wolter 32. SK/Wolter 32; LR/Hilger Vor § 483, 11. BVerfGE 65 1, 44 f.
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lich auf „personenbezogene Daten“. Denn die erfasste Äußerung stammt von einem Sprecher, auf den die Informationen zurückzuführen sind. Die sich äußernde Person ist also in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Soweit der Äußerungsinhalt andere Personen anspricht, sind auch diese betroffen. Es ist demnach kaum vorstellbar, dass eine Maßnahme nach § 100c Abs. 1 oder den entsprechenden polizeirechtlichen Regeln der Länder im Einzelfall einmal keine personenbezogenen Informationen zum Gegenstand hat.50 Also ist grundsätzlich alles, was an Informationen durch solche Maßnahmen erlangt wird, hinsichtlich der Verwendung der Daten an der vorliegenden Vorschrift zu messen. Kritik an der Terminologie. Die StPO bezieht die Verwendungsbeschränkung leider 35 auf personenbezogene Daten, obwohl der neutralere Begriff der Information besser auf ein Strafverfahren passt. Die StPO normiert Strafprozessrecht und primär kein Datenschutzrecht. Im Zuge einer hypertrophen Datenschutzgesetzgebung, die jeden Bereich staatlicher Datenverarbeitung mit einem umfassenden detaillierten Kodifikationszwang zu überziehen scheint,51 wird leider übersehen, dass die Information als Oberbegriff zu verstehen ist, zu dem sich das Datum als Unterbegriff verhält. Eine Information (von lat. informare = Auskunft geben, benachrichtigen)52 ist eine Angabe über Sachverhalte oder Vorgänge.53 Daten (von lat. dare = geben) sind gegebene, „[z]um Zweck der Verarbeitung zusammengefasste Zeichen, die auf Grund bekannter oder unterstellter Abmachungen Informationen (d.h. Angaben über Sachverhalte und Vorgänge) darstellen.“54 Daten sind damit ein Ausdruck von „Informationen, die auf einem Datenträger erfasst worden sind“.55 Erkenntnisgegenstand strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen können aber nur Informationen sein.
36
7. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 1 (Verwendung strafprozessual erlangter Informationen im selben oder in anderen Strafverfahren). Die erste Variante in Absatz 5 Nr. 1 betrifft die Verwendung der personenbezogenen Informationen aus einem strafprozessualen großen Lauschangriff für Zwecke eines anderen Strafverfahrens. Personenbezogene Informationen aus dem Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln innerhalb von Wohnungen gem. § 100c Abs. 1 unterliegen nach § 100d Abs. 5 Nr. 1 schon dann Verwendungsregelungen, soweit sie nur in einem anderen Strafverfahren verwendet werden sollen. Das Gesetz regelt in Nr. 1 also die Verwertung sogenannter Zufallsfunde.
37
a) Verwendung im Ausgangsverfahren. Das Strafverfahren, in dem die Informationen verwendet werden dürfen, kann zunächst das Verfahren sein, das den Anlass zu dem großen Lauschangriff geboten hatte. Da § 100d Abs. 5 Nr. 1 Verwendungsbeschränkungen nur für andere Strafverfahren statuiert, ist die Verwendung im Ausgangsverfahren, welches Anlass für die Maßnahme war, unbeschränkt, also nicht nur zum Nachweis (irgend)einer Katalogtat, sondern auch zum Nachweis anderer als Katalogtaten, weil solche nicht bewiesen oder das Verfahren insoweit eingestellt wird,56 zulässig, soweit es
50 51 52
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SK/Wolter 32. Die Begriffe stammen von Rogall GA 1989 319. http://www.auxilium-online.net/wb/ woerterbuch.php, http://www.albertmartin. de/latein/?q=informare&con=0. Vgl. Rogall NStZ 1983 1, 5.
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54 55 56
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/54483/daten-v5.html. Vgl. Rogall NStZ 1983 1, 5. A.A. Krause FS Hanack 221, 244: damit würde die durch den Katalog intendierte Begrenzung unterlaufen. Die Zusammenhangformel, die Krause (zu Recht) angreift
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sich um dieselbe Tat im prozessualen Sinne (§ 264) handelt. Unbeschränkt verwertbar auch jenseits des Prozessgegenstands sind erlangte Erkenntnisse gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens als Spurenansatz für weitere Ermittlungen. b) Verwendung in anderen Strafverfahren. Das Strafverfahren, in dem die Informa- 38 tionen verwendet werden dürfen, kann aber auch ein anderes Strafverfahren sein, in dem die Informationen aus dem Anlassverfahren für die Eingriffsmaßnahme auch von Bedeutung sind. Die Informationen können also auch im weiteren Strafverfahren verwendet werden, wenn ihnen mit Blick auf das Anlassverfahren wegen der dort zu Grunde gelegten Katalogtat samt dem dafür bestimmenden historischen Geschehen als Tat im prozessualen Sinn und für das weitere Verfahren wegen einer anderen Tat Doppelrelevanz zukommt (unechte Zufallsfunde)57 oder wenn die Informationen im Anlassverfahren (echte) Zufallsfunde sind, also nur für ein neues Verfahren von Bedeutung sind. Nr. 1 regelt also nicht nur den Fall der echten Zufallsfunde.58 Ein anderes Strafverfahren im Sinne dieser Vorschrift ist ein Verfahren wegen einer anderen Tat im Sinne des § 264.59 Strafverfahren ist dabei das gesamte Verfahren nach der StPO, einschließlich des Strafvollstreckungsverfahrens.60 Ob das andere Verfahren mit dem Ausgangsverfahren verbunden oder getrennt beurteilt wird, spielt dabei keine Rolle. Bei dem anderen Strafverfahren kann es sich also um ein (oder mehrere) Verfahren gegen denselben Beschuldigten wegen einer anderen Tat im Sinne des § 264, aber auch um solche handeln, die gegen einen anderen Beschuldigten geführt werden. Im Verfahren wegen einer anderen Tat gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens oder gegen Dritte dürfen die erlangten Informationen als Beweismittel zur Verfolgung (irgend)einer Katalogtat verwendet werden. Insoweit unterscheiden sich die Verwendungsregelungen für die Fälle des § 100c Abs. 1 dadurch, dass die Verwendung stets nur zur Verfolgung einer Katalogtat gestattet ist, die Voraussetzung der Anwendung der jeweiligen Vorschrift ist. Wann der Verdacht bezüglich der anderen Katalogtat entstand, ist unerheblich.61 Insoweit besteht für die Verwendung einer Nichtkatalogtat ein Verwertungsverbot.62 c) Bindung an den Straftatenkatalog des § 100c Absatz 2. Zulässig erworbene perso- 39 nenbezogene Zufallserkenntnisse dürfen nur dann zu Beweiszwecken im Verfahren wegen einer anderen Straftat verwendet werden, wenn ihre Auswertung Erkenntnisse dafür ergeben, dass sie zur Aufklärung (irgend)einer Straftat nach § 100c Abs. 2 benötigt werden. Für dieses Verfahren, sei es dass es denselben oder einen anderen Beschuldigten betrifft, gelten damit dieselben „materiellen“ Schutzvorschriften wie für den ursprünglich observierten Beschuldigten. Die Verwendungsregelung entspricht damit der Regelung in § 477 Abs. 2 Satz 2 und orientiert sich zugleich an der insbesondere zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Telefonüberwachung entwickelten Rechtsprechung,63 die dem
57 58 59 60 61 62 63
hat die Rechtsprechung aufgegeben und stellt auf den einheitlichen Prozessgegenstand ab. Vgl. Blusdowsky 338 f. Vgl. SK/Wolter 35 ff. Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 72. Meyer-Goßner 7. BGH NJW 1979 1371; BayObLG JR 1983 124 mit Anm. Rieß. BGH NStZ 1998 426. BGHSt 26 298, 303; 28 122, 124; 29 23; 30 317 = NStZ 1982 125 mit Anm. Odenthal
NStZ 1982 390; Heldenberg LM Nr. 7 zu § 100a StPO; BGHSt 31 296; 32 10, 15; 32 68 mit Anmerkungen Schlüchter JR 1984 517; Wolter NStZ 1984 276; Gössel NJW 1981 649, 654 f.; Gössel JZ 1984 361, 362; Schlüchter NStZ 1984 373; Rogall NStZ 1988 385; BVerfG NStZ 1988 32 mit Anm. Schlink NJW 1989 11; BGHSt 44 243 = NJW 1999 959 = NStZ 1999 203 = StV 1999 185. Vgl. zum Ganzen auch Meier Die strafprozessuale Verwertung von Zufalls-
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Gesetzgeber bei Erlass des OrgKG bekannt war und die durch die Regelungen des OrgKG keine inhaltliche Änderung erfahren sollte.64
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d) Konkretisierte Verdachtslage auch im anderen Verfahren. Die für die Erhebung der Informationen bestehenden strengen Voraussetzungen sind in gleicher Weise bei der Verwendung in anderen Verfahren zu beachten. Das bedeutet, da Art. 13 Abs. 3 GG von besonders schweren Straftaten spricht, dass die Vorschrift dahin auszulegen ist, dass die Straftaten, zu deren Aufklärung die Erkenntnisse verwendet werden sollen, auch im konkreten Fall besonders schwer sind. Maßstab für die Verwendung im anderen Verfahren muss danach sein, ob die Maßnahme auch in jenem Verfahren hätte angeordnet werden dürfen.
41
e) Beweiszwecke. Weil das Strafverfahren grundsätzlich ein Verfahren ist, in dem zur Sachaufklärung wegen eines Anfangsverdachts Informationen aller Art mit dem Ziel der Wahrheitserforschung verwendet werden, sind Zwecke des Strafverfahrens in aller Regel Beweiszwecke in einem weiteren Sinne. Ob eine Verwendung als Beweismittel im Strengbeweis oder im Freibeweis vorgenommen wird, ist unerheblich. Die begriffliche Unterscheidung in allgemeine und spezielle (Beweis-)Zwecke des Strafverfahrens lässt sich in Einklang mit der Unterscheidung des Bundesgerichtshofs65 bringen, wonach die Informationsverwendung im Fall des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes zwar ausgeschlossen ist, soweit es um die Beweisführung geht, andererseits ein Beweisverwertungsverbot nicht dazu führt, dass die Informationen nicht als Ansatz zur Aufnahme von Ermittlungen herangezogen werden dürfen.66 Die Verwertung von Erkenntnissen zu Beweiszwecken ist beschränkt. Der Begriff umfasst den Beweis der Schuld- und Straffrage, genauer die Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer die Maßnahme nach § 100c angeordnet werden könnte, oder die Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Auch Vorhalte sind nicht zulässig, soweit die Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet werden dürfen.67
42
f) Verwendung als Ermittlungsansatz. Nicht zu Beweiszwecken verwendet werden Erkenntnisse dann, wenn sie nicht, auch nicht im Wege des Vorhalts, zur Klärung der Schuld- oder Straffrage sondern als Ermittlungsansatz herangezogen werden. Auf Grund der erlangten Erkenntnisse dürfen aber Ermittlungen geführt werden („Ermittlungsansatz“) und dabei andere, verwertbare, Beweismittel gewonnen werden.68 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 3.3.2004 soll die Verwendungsbeschränkung nicht nur für die Verwendung zu Beweiszwecken im engeren Sinne, sondern darüber hinaus auch bei der Verwendung als Spurenansatz für die Aufklärung von Straftaten zu beachten sein. Anderenfalls könnten in einem Folgeverfahren Informationen aus einer akustischen Wohnraumüberwachung verwendet werden, ohne dass in diesem Verfahren jemals der Verdacht einer Katalogtat bestanden hat.69 Gerade diese Frage war unter Hinweis auf Hilger 70 bisher überwiegend anders gesehen worden. Das Bundesverfassungs-
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funden über Unbeteiligte und die von unbeteiligten Dritten herrühren bei Abhörmaßnahmen nach § 100a StPO (1988); KK/Nack 58. BTDrucks. 12 989 S. 38. BGHSt 27 355, 358. KK/Nack 22 ff. BGHSt 27 255 zu § 100a; Meyer-Goßner § 100a, 19; SK/Wolter 35.
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BGHSt 27 355, 358; LG Landshut NStZ 1999 636; Meyer-Goßner § 100a, 19; a.A. Beulke Rn. 476; SK/Wolter 35 ff.; Lohberger FS Hanack 253. BVerfGE 109, 9, 339. NStZ 1992 457, 461 Fn. 72.
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gericht geht bei dieser Interpretation der Vorschrift über deren Wortlaut hinaus, denn so wie es diese auslegt, hätte es der Beschränkung auf Beweiszwecke nicht bedurft. Mit der vom Bundesverfassungsgericht gegebenen Begründung spricht freilich wenig dagegen, diese Auslegung auch bei weniger eingriffsintensiven Maßnahmen gelten zu lassen. g) Kernbereichs- und zeugnisverweigerungsrechtsrelevante Zugriffe. Hier gilt: Erkennt- 43 nisse aus einem Kernbereichszugriff nach § 100 c Abs. 5 müssen vor ihrer Weiterverwendung zunächst gem. § 100c Abs. 7 mit positivem Ergebnis gerichtlich überprüft worden sein.71 Ermittlungen unter Zugriff auf das relative Verwertungsverbot des § 100 c Abs. 6 S. 2 sind verwendbar, wenn sie der im Ausgangsverfahren erforderlichen Abwägung standhalten. Ergibt die Abwägung im Ausgangsverfahren jedoch, dass ein Verwertungsverbot besteht, gilt dieses Ergebnis auch für das andere Strafverfahren, auch wenn dort eine Verwertung an sich möglich wäre.72 8. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 2 (Verwendung strafprozessual erlangter 44 Informationen zur Gefahrenabwehr). Nr. 2 bestimmt, dass personenbezogene Informationen, die durch einen strafprozessualen großen Lauschangriff (auch solchen nach § 100c Abs. 6 Satz 1 Hs. 2) erlangt worden sind, für Zwecke der Gefahrenabwehr nur in zwei Fällen verwendet werden dürfen: Einmal zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr für Leib oder Freiheit einer Person oder Gegenstände von bedeutendem Wert, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, von kulturell herausragendem Wert oder in § 305 des StGB genannt sind. Zum anderen ist die Verwendbarkeit zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden dringenden Gefahr für sonstige bedeutende Vermögenswerte möglich. § 100d Abs. 5 Nr. 2 beschränkt die präventivpolizeiliche Verwendbarkeit von nach § 100c ermittelten Erkenntnissen damit auf einen sehr engen Bereich und verdrängt so die allgemeine Regel des § 481 Abs. 1. Nach Ansicht des Rechtsausschusses müssen die gefahrenabwehrrechtlich genutzten Erkenntnisse im strafprozessualen Ausgangsverfahren nicht verwertbar sein.73 a) Gefahrenabwehr. Auch die präventivpolizeiliche Verwendung personenbezogener 45 Daten aus einem Strafverfahren bedarf nach dem Ansatz des Volkszählungsurteils wegen der Umwidmung als Verwendungsänderung einer gesetzlichen Grundlage.74 Nr. 2 gestattet die präventivpolizeiliche Verwendung der personenbezogenen Informationen, die aus einem strafprozessualen großen Lauschangriff herrühren. Vorausgesetzt wird hier allerdings über die Fälle der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung75 wegen einer noch nicht näher konkretisierten Gefahr der Begehung künftiger Straftaten hinaus, dass der Verwendungszweck die Abwehr einer im Einzelfall bestehenden (dringenden) Gefahr ist und sich diese Gefahr auf Leben, Leib oder Freiheit einer Person oder erhebliche Sach- oder Vermögenswerte bezieht.76 Art. 13 Abs. 4 GG verlangt sogar „dringende Gefahren“. Das Adjektiv „dringend“ 46 betrifft Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des Schadens für ein Rechtsgut.77 Das Erforder-
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KK/Nack 15. KK/Nack 15. BTDrucks 15 5486 S. 27; ferner KK/Nack 17. Vgl. Schenke JZ 2001 997, 999. Zur Ländersicht der Zuordnung zum präventiven Polizeirecht etwa mit Blick auf die TKÜ Niedersächs. LTDrucks. 15 240 S. 15.
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SK/Wolter 60 f.; HK/Gercke 14: allgemeine Gefahrenabwehr über die (präventive) Aufklärung von Katalogtaten im Sinne des § 100c Abs. 1 Nr. 3 hinaus. Vgl. BVerwGE 47 31, 40; Jarass/Pieroth GG Art. 13, 30.
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nis wird in der vorliegenden Vorschrift über die Änderung der Verwendung der personenbezogenen Informationen aus einem strafprozessualen großen Lauschangriff für präventivpolizeiliche Zwecke besonders aufgegriffen; das erweist sich als hilfreiche, gleichwohl zuweilen überflüssige Klarstellung,78 weil der Anfangsverdacht, der die Maßnahme nach § 100c Abs. 1 legitimiert, grundsätzlich dazu führt, dass die Gefahren, die mit Hilfe der daraus gewonnenen Informationen bekämpft werden sollen, „dringend“ sind. Bei der Anordnung eines präventivpolizeilichen Lauschangriffs wird hingegen ein spezifisch polizeirechtlicher Begriff der unmittelbar bevorstehenden Gefahr angewendet.79 Der Katalog der Bezugspunkte der Gefahren ist gegenüber dem strafprozessualen 47 Tatenkatalog naturgemäß verschieden.80 Es geht jedenfalls um die Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter, was auch in Art. 13 Abs. 4 GG implizit vorausgesetzt wird. Angesprochen sind insbesondere Fälle, in denen es neben der Strafverfolgung als Anlass für den großen Lauschangriff auch um die Befreiung von Geiseln oder die Sicherstellung von Lösegeldern geht. Im Einzelnen bedeutet Lebensgefahr einen konkreten Zustand, in dem auf Grund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Todes besteht; dringende Gefahr für Leib oder Freiheit einer Person die im Einzelfall bestehende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für körperliche Unversehrtheit oder persönliche Fortbewegungsfreiheit; Gegenstände von bedeutendem Wert sind angelehnt an §§ 315c Abs. 1, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5, 305a Abs. 1 Nr. 1 StGB solche mit einem erheblichen Verkehrswert, den man nicht schon bei € 750, sondern wohl erst ab € 1.300 annehmen kann, wobei es sich dabei nicht um eine feste Grenze handelt und es nicht auf den Wert des eingetretenen, sondern auf den Umfang des in der Gefahrlage drohenden Schadens ankommt;81 die der Versorgung der Bevölkerung dienen: damit sind in Anlehnung an §§ 88 Abs. 1 Nr. 1, 3, 303b Abs. 4 Nr. 3, 316b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB Fälle gemeint, in denen jemand etwa die Strom- oder Fernwärmeversorgung einer ganzen Gemeinde lahmlegt und/oder die medizinische Versorgung in Krankenhäusern beeinträchtigt;82 Gegenstände von kulturell herausragendem Wert sind – gemessen an § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StGB – solche von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung. Anzeichen einer kulturell großen Bedeutung können etwa die Einmaligkeit der Sache oder zumindest die schwierige Wiederbeschaffung oder die Tatsache sein, dass sie Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung war.83 Hier kommen vor allem Gegenstände in Betracht, die in Museen oder Ausstellungen untergebracht sind und entweder, wie solche der Kunst, der Erbauung oder, wie die der Wissenschaft oder Geschichte, der wissenschaftlichen Erkenntnis dienen; Gegenstände gem. § 305 StGB sind Gebäude, Schiffe, Brücken, Dämme, gebaute Straßen, Eisenbahnen oder andere Bauwerke, welche fremdes Eigentum sind; dringende Gefahr für sonstige bedeutende Vermögenswerte: Hier wird man unter systematischer Auslegung zu den o.g. Gefährdungsobjekten zumindest einen Sachwert von mindestens € 1.300 zu fordern haben.
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b) Verwendungsgrenze bei entgegenstehendem Bundes- oder Landesrecht. Nach § 481 Abs. 2 (s.a. §§ 98b Abs. 1 Satz 6, 160 Abs. 4) wird für die Verwendungsänderung im Allgemeinen vorausgesetzt, dass besondere Verwendungsregeln in Bundes- oder
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KK/Nack 5 § 100f, 3. Vgl. in einem Amtshaftungsfall BGH Urt. vom 23.10.2003 – III ZR 9/03; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001 811 ff. KK/Nack 5 § 100f, 4.
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Vgl. Schönke/Schröder/Heine Vor §§ 306 ff., 14. Lackner/Kühl § 316b, 7. Vgl. MüKo-StGB/Schmitz § 243, 46.
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Landesgesetzen nicht entgegenstehen. Solche entgegenstehenden Normen finden sich etwa in § 30 AO, § 35 SGB I, §§ 67 ff. SGB X, §§ 51, 52, 63 Abs. 4 BZRG (vgl. § 98b, 24e). Die vorliegende Sonderbestimmung über die Verwendungsänderung bezüglich personenbezogener Informationen, die aus einem großen Lauschangriff herrühren, enthält nach ihrem Wortlaut keine entsprechende Schranke. Da sie aber eine Sonderbestimmung zur weiteren Einschränkung von Verwendungsänderungen ist, kann sie hinsichtlich des allgemeinen Anforderungsprofils hinter den Grenzen der allgemeinen Regelung nicht zurückbleiben. § 481 Abs. 2 ist nach h.M. deshalb entsprechend anzuwenden (s.a. § 98b, 24e).84 Sobald und sofern die Daten zur Abwehr der Gefahr oder für eine vorgerichtliche 49 oder gerichtliche Überprüfung der zur Gefahrenabwehr getroffenen Maßnahmen nicht mehr erforderlich sind, sind Aufzeichnungen über diese Daten von der für die Gefahrenabwehr zuständigen Stelle unverzüglich zu löschen und diese Löschung aktenkundig zu machen. Insofern gelten die Erläuterungen bei § 100a, 155–158 entsprechend. Soweit die Löschung lediglich für eine etwaige vorgerichtliche oder gerichtliche Überprüfung zurückgestellt ist, dürfen die Daten nur für diesen Zweck verwendet werden; für eine Verwendung zu anderen Zwecken sind sie zu sperren. Diese Verwendungsmöglichkeit will den Rechtsschutz des Betroffenen ermöglichen. Denn durch die datenschutzrechtlich geboten erscheinenden Löschungspflichten soll für den Angeklagten deshalb keine Rechtsschutzverkürzung eintreten, weil ihm durch die Löschung die Möglichkeit genommen wird, an sich zu löschendes Material entlastend zu verwerten oder später bei einer Wiederaufnahme heranzuziehen, wenn durch neue andere Beweismittel auch der Beweiswert der gelöschten Daten anderes Gewicht bekommt. Eine Abstimmung der Vernichtungspflicht mit der Rechtsschutzgarantie erfolgt deshalb in der Weise, dass dann, wenn der Betroffene ein ernsthaftes – grundsätzlich zu vermutendes – Interesse am Rechtsschutz oder an der Geltendmachung seines Datenschutzrechts gegenüber der zuständigen Stelle haben kann, die Daten einstweilen nicht gelöscht, wohl aber gesperrt werden und zu keinem anderen Zweck als dem zur Information des Betroffenen und zur gerichtlichen Kontrolle verwendet werden dürfen. Eine endgültige Vernichtung kommt erst dann in Betracht, wenn sichergestellt ist, dass die Daten für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht oder nicht mehr benötigt werden. 9. Maßnahmen nach § 100d Abs. 5 Nr. 3 (Verwendung gefahrenabwehrrechtlich erlangter Informationen im Strafverfahren) a) Geschichte. Bereits ein im Regierungsentwurf des Strafverfahrensänderungsge- 50 setzes 1999 vorgeschlagener § 161 Abs. 285 wollte die Verwendung gefahrenabwehrrechtlich erlangter Informationen an das Vorliegen einer entsprechenden Katalogtat knüpfen. Er hatte gelautet: „Sind personenbezogene Informationen durch eine polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden, die der Maßnahme nach § 98a entspricht, dürfen sie zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 98a Abs. 1 bezeichneten Straftat benötigt werden. Satz 1 gilt entsprechend, soweit polizeirechtliche Maßnahmen den in § 100c Abs. 1 Nr. 2, § 110a genannten Maßnahmen entsprechen.“86
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LR/Hilger § 481, 8; Wollweber NJW 2000 3623, 3624; a.A. Brodersen NJW 2000 2536, 2539.
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BTDrucks. 14 1484 S. 6. § 100f Abs. 2 sollte unberührt bleiben: BTDrucks. 14 1484 S. 23.
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Diese Vorschrift scheiterte aber im Vermittlungsausschuss.87 Der Bundesrat hatte sich insbesondere auf BGH NStZ 1992 44, 45 berufen, wonach die Verwendung von Präventivdaten grundsätzlich für unbeschränkt zulässig erachtet wurde. Die in dem Gesetz aufgegriffene Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs sei dogmatisch weder ausgereift noch abschließend geklärt. Es bestehe kein Anlass, die Nutzung rechtmäßig erhobener Daten für Strafverfolgungszwecke generell zu beschränken.88 Eine vergleichsweise wenig gewichtige Einschränkung für die Verwendbarkeit präventiv-polizeilich erlangter Daten aus einem Einsatz Verdeckter Ermittler enthält aber § 161 Abs. 2 in der Fassung des StVÄG 1999. Danach sind Erkenntnisse aus dem präventiv-polizeilichen Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung bei nicht offenen Ermittlungen, die in – etwa durch Abhören der Vorgänge während des Einsatzes des Verdeckten Ermittlers zu dessen Schutz – in der Wohnung oder aus Wohnungen erlangt wurden, zu Beweiszwecken im Strafverfahren89 unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, also stets zur Verfolgung erheblicher Straftaten, uneingeschränkt verwertbar, wenn nur das Amtsgericht die Rechtmäßigkeit des Einsatzes technischer Mittel festgestellt hatte.
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b) Regelungsgehalt. Nr. 3 bestimmt, dass personenbezogene Informationen, die durch einen polizeirechtlichen großen Lauschangriff nach dem jeweils maßgeblichen Landesrecht erlangt wurden, im Strafverfahren zu Beweiszwecken nur verwendet werden dürfen, soweit sich bei der Gefahrenabwehrmaßnahme Auswertungserkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung eine Katalogtat im Sinne von § 100c Abs. 2 benötigt werden. Damit wird eine genaue Unterscheidung von Prävention und Repression gefordert,90 die auch in Art. 13 Abs. 3 und 4 GG zum Ausdruck gekommen ist. Ohne eine solche Unterscheidung läge gar keine Verwendungsänderung vor, die einer gesetzlichen Überleitungsregelung bedürfte.91 Fälle einer echten Gemengelage bei doppelfunktionalen Handlungen sind weder verfassungsrechtlich noch auf der Ebene des einfachen Rechts geregelt. Der typische Fall ist der polizeiliche Einsatz bei einer Geiselnahme, wobei sowohl die bereits begangene Straftat repressiv zu verfolgen, als auch das Leben einer Geisel präventiv zu schützen ist. Die Fälle der Gemengelage werfen auch die Frage nach der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern auf. Regelungen des Bundesrechts über den großen Lauschangriff finden sich in § 20h 53 BKAG und § 32a ZfDG. Landesrechtliche Regelungen finden sich in § 33a Bbg. PAG,92 § 23 BaWü PolG,93 Art. 34 Abs. 1 BayPAG, § 34b MeckVorp. SOG,94 § 18 NRW PolG, § 35a Nds. SOG, § 29 RLP POG, § 40 Sächs. PolG,95 § 28a Saarl. PolG, § 35 Thür. PAG.96
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c) Polizeirechtliche Maßnahme. Die genaue Abgrenzung von polizeirechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen ist, unabhängig von der Frage des Lauschangriffs, seit jeher
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BTDrucks. 14 3525 S. 2. Zum Gesetzgebungsverfahren m.w.N. Hilger NStZ 2000 561, 564. BTDrucks. 14 2886 S. 3. Also nicht soweit die Erkenntnisse als Ermittlungsansatz dienen; vgl. Hilger NStZ 2000 561, 564. S.a. Chirinio Sánchez 298 ff. Schnarr StraFo 1998 217, 219 f. Dazu Bbg. VerfG Potsdam LKV 1999 450 ff. mit Anm. Kutscha LKV 2000 63 ff.
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95 96
Dazu BGH Urt. vom 23.10.2003 – III ZR 9/03; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001 811 ff. Dazu MeckVorp. VerfGH Greifswald LKV 2000 345 ff. mit Aufsatz Krech LKV 2003 201 ff. Dazu Sächs. VerfGH Leipzig LVerfGE 4 303 ff. = JZ 1996 957 f. mit Anm. Götz. Dazu Kutscha LKV 2003 114 ff.
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ein Streitpunkt; auch im vorliegenden Regelungszusammenhang erweist sie sich als schwierig.97 Namentlich die Frage, ob die sogenannte vorbeugende Verbrechensbekämpfung dem präventiven Polizeirecht oder dem Strafprozessrecht zuzuordnen ist, ist nicht abschließend geklärt. Handelt es sich um Maßnahmen mit der Zielrichtung der Ermöglichung eines Strafverfahrens, so geht es um Strafprozessrecht.98 Ist die Zielrichtung noch offen, was am Anfang der Ermittlungen in einem bestimmten Komplex nahezu regelmäßig der Fall sein wird, so entscheidet der Schwerpunkt der Maßnahmen über die rechtliche Zuordnung.99 Auch ein Schwerpunkt ist freilich im Frühstadium von Ermittlungen selten präzise festzulegen. Deshalb muss den staatlichen Ermittlungsorganen insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt werden; es genügt grundsätzlich, wenn sie die Eingriffsvoraussetzungen entweder des präventiven Polizeirechts oder des repressiven Strafprozessrechts beachten.100 Eine kumulative Anwendung beider Regelungen erscheint auch aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht geboten. Je mehr die Maßnahmen auf einzelne Personen oder konkrete strafrechtlich relevante Verhaltensweisen ausgerichtet sind, desto mehr spricht für eine strafprozessuale Zuordnung. Je mehr sie eine noch nicht näher begrenzte kriminelle Szene und Vielfalt strafrechtlich relevanter Handlungen betreffen, desto eher liegt die einzelne Aufklärungsmaßnahme im Bereich des präventiven Polizeirechts. d) Entsprechung zu § 100c Abs. 1. Soweit die Polizeigesetze der Länder einen präven- 55 tivpolizeilichen großen Lauschangriff regeln, enthalten sie sehr detailreiche Vorschriften, die weithin der Regelung in § 100c Abs. 1 StPO entsprechen. Die Voraussetzung in Abs. 5 Nr. 3 der vorliegenden Vorschrift, dass es um Maßnahmen geht, die § 100c Abs. 1 StPO funktional entsprechen, ist folglich leicht zu prüfen. Es geht stets um die akustische Überwachung einer Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG mit der Folge, dass das nichtöffentlich gesprochene Wort von Personen, die sich in dieser Wohnung aufhalten, erfasst wird. Verlangt wird also eine Entsprechung der Art der Maßnahmen, nicht der einzelnen Eingriffsvoraussetzungen.101 Entsprechung der Maßnahme bedeutet nicht Identität der Anordnungsvoraussetzungen. Eine Ausnahme von der Entbehrlichkeit der Entsprechung der Eingriffsvoraussetzungen wird man nur für die prinzipielle Beachtung eines Richtervorbehalts machen müssen,102 freilich ohne die qualifizierenden Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG, § 100d Abs. 1 StPO.103 Damit ist natürlich nicht viel gewonnen, weil der Richtervorbehalt grundsätzlich auch im Länderrecht vorgesehen ist. Nicht zu verkennen ist, dass auch dann noch der Rechtschutzstandard bei der Anordnung von Lauschangriffen im präventiven Polizeirecht demjenigen im Strafprozess unterlegen ist. Dort stellt die zuständige Polizeibehörde den Antrag auf Gestattung der schwerwiegenden Eingriffsmaßnahme und der Richter der Freiwilligen Gerichtsbarkeit trifft gegebenenfalls die Anordnung; hier stellt die zur Sachleitung berufene Staatsanwaltschaft auf polizeiliche Anregung den Antrag und es entscheidet eine mit drei Berufsrichtern besetzte Spezialstrafkammer. Insoweit kann aber beim nachträglichen Datentransfer vom Polizeiverwaltungsverfahren in das Strafverfahren keine Aufwertung des Rechtsschutzes erzielt werden. Ebenso ist nach dem Gesetz eine Anpassung der mate97 98 99
Näher Blusdowsky 352 ff.; Schnarr StraFo 1998 217, 220. BVerfGE 30 1, 29; 103 21, 30. Vgl. BVerfGE 47 255, 265; VGH München BayVerwBl. 1992 429, 430; Scholz NStZ 1997 197; s.a. Döschuck Polizeiliches Eingriffsrecht (2000) 29; Hefendehl StV 2001 700, 705.
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Vgl. auch Blusdowsky 355; Schnarr StraFo 1998 217, 219 f. Vgl. Schnarr StraFo 1998 217, 218. BTDrucks. 13 8651 S. 14. KK/Nack 18; SK/Wolter 65.
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riellen Anordnungsvoraussetzungen104 nicht geboten, vorausgesetzt diejenigen des Polizeirechts des handelnden Landes sind verfassungskonform. Die Begrenzung des nach Umwidmung zulässigen Verwendungszwecks gemäß Nr. 3 auf die Verfolgung von Katalogtaten im Sinne des § 100c Abs. 2 genügt und durch das Merkmal des Benötigens der Informationen fließen Verhältnismäßigkeitskriterien ein. Eine präventivpolizeiliche optische Überwachung von Wohnungen, die in § 100c Abs. 1 nicht, auch nicht in § 100h gestattet ist, ist indes schon nach der Überleitungsnorm der Nr. 3 keine dem strafprozessualen großen Lauschangriff entsprechende Maßnahme.105 Erst aus den Materialien des Gesetzes ergibt sich, dass es um eine Ausprägung der 56 Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs geht.106 Nur nach dieser Überlegung, die aber im Wortlaut des Gesetzes nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen ist,107 wären auch die Eingriffsvoraussetzungen des strafprozessualen großen Lauschangriffs ergänzend zu prüfen. So, wie das Gesetz nun gefasst ist, ist dies freilich nicht erforderlich. Die Verwendung anderweitig rechtmäßig erhobener Daten ist dann, wenn die Umwidmung als solche gesetzlich gestattet ist, jedenfalls dann kein Grundrechtseingriff, wenn keine gezielte Gesetzesumgehung der strengeren Eingriffsvoraussetzungen durch bloße Umwidmung vorliegt. § 100d Abs. 5 Nr. 3 regelt nicht ausdrücklich die Frage, ob die polizeirechtliche Maß57 nahme nach dem Länderrecht rechtmäßig sein muss und wie zu verfahren ist, wenn im Einzelfall hinsichtlich der Rechtmäßigkeit Bedenken entstehen. Erhält die Verwendung der Informationen im Strafverfahren ihre Legitimation dadurch, dass nach dem Polizeirecht des Landes eine Maßnahme, die dem strafprozessualen großen Lauschangriff entspricht, gestattet ist, so ist für die Zulässigkeit der Informationsverwendung im Strafverfahren aber naturgemäß auch die Rechtmäßigkeit der Informationsbeschaffung nach dem Recht des Landes vorauszusetzen.108 In Betracht kommt aber auch dann, wenn das Landesrecht in einzelnen Punkten nicht genau beachtet wurde, dass ein Beweisverwertungsverbot, welches der Verwendungsänderung entgegenstünde, nur anzunehmen ist, sofern auf Grund einer umfassenden Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen Interessen eine solche Rechtsfolge geboten erscheint.109 Dies ist zumindest bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte anzunehmen, namentlich bei besonders schweren Straftaten.110 Auf diese Weise werden die Regeln über die Informationsverwendung, die aus dem Datenschutzrecht entnommen sind, sinnvoll in das Strafverfahrensrecht übertragen. Es könnte nämlich nicht überzeugen, dass bei der originären strafprozessualen Informationsbeschaffung Beweisverwertungsverbote im Fall von Verfahrensfehlern bei der Informationsbeschaffung nur nach Maßgabe der Abwägungstheorien anzunehmen sind, während in den Fällen der Verwendungsänderung präventivpolizeilich beschaffter Informationen ein wesentlich strengerer Maßstab anzulegen wäre. Eine Inzidentprüfung von Länderrecht auch durch Bundesbehörden (GBA, BKA) und 58 Gerichte, die für den Bund handeln (Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte,111
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106
Allgemein zur Unbestimmtheit des Länderpolizeirechts Strate StraFo 1999 73 f. SK/Wolter 66; KK/Nack 19; zwar geht es in Rn. 23 um präventivpolizeiliche Verwendung, jedoch kein Bezug zu optischer Überwachung HK/Gercke 14: nur präventivpolizeilich erlaubte akustische Wohnraumüberwachung. BTDrucks. 13 8651 S. 38; Meyer/Hetzer NJW 1998 1916, 1928; zu Recht a.A.
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Schnarr StraFo 1998 217, 218: nur Teilaspekte des hypothetischen Ersatzeingriffs. Blusdowsky 350. BGH NStZ-RR 2006 240; BGH NJW 2003 3692; Blusdowsky 351; KK/Nack 19. Blusdowsky 352. Vgl. Wolter FS II BGH 963, 992 f. Zur Strafverfolgungskompetenz des Bundes und der Organleihe der Länder BGHSt 46 238 ff.
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BGH), ist rechtlich nicht ausgeschlossen und praktisch üblich. Zu beachten sind dabei allenfalls Beurteilungsspielräume, die den Polizeibehörden und Gerichten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit einzuräumen sind.112 Freilich hat sich der BGH113 vor Inkrafttreten der vorliegenden Vorschrift letztlich auf eine bloße Willkürkontrolle der verwaltungsrechtlichen Anordnung beschränkt; das mag zu eng gegriffen sein. Ein strengerer Prüfungsmaßstab wird auf Grund der zwischenzeitlich zu Tage getretenen Unterschiede zwischen § 100c Abs. 1 und den funktional entsprechenden Maßnahmen des Polizeirechts der Länder erforderlich. Nr. 3 setzt zumindest nicht ausdrücklich voraus, dass auch die Voraussetzungen eines 59 großen Lauschangriffs nach §§ 100c Abs. 1, 100d im Sinne eines hypothetischen Ersatzeingriffs vorliegen müssen.114 Enthält das Polizeirecht des Landes eine funktional entsprechende Maßnahme mit zum Teil anderen Eingriffsvoraussetzungen, so müssen nur diese Voraussetzungen des Polizeirechts des Landes eingehalten werden, nicht notwendigerweise auch diejenigen, die nach §§ 100c Abs. 1, 100d für eine entsprechende Maßnahme im Strafverfahren zu beachten gewesen wären.115 Der Regelungszusammenhang von Nr. 3 der vorliegenden Vorschrift verdeutlicht dies. Danach erfolgt nämlich eine Verwendungsbeschränkung auf Katalogtaten im Sinne von § 100c Abs. 1, soweit es um die Verwendung von personenbezogenen Informationen geht, die durch eine polizeirechtliche Maßnahme erlangt wurden, welche dem strafprozessualen großen Lauschangriff funktional entspricht und die nach Maßgabe des Polizeirechts des Landes durchgeführt wurde. Freilich gilt es auch hier, Beweisverwertungsverbote nach § 100c Abs. 5 und 6 zu beachten;116 andernfalls entstünde ein nicht überwindbarer Wertungswiderspruch. 10. Strafprozessuale Verwendung der Informationen. Die Verwendung der personen- 60 bezogenen Informationen, die aus einem polizeirechtlichen großen Lauschangriff stammen, ist hinsichtlich der Beweiszwecke auf Katalogtaten gemäß § 100c Abs. 1 beschränkt. Über die Verwendung für allgemeine „Zwecke“ sagt Nr. 3 nichts. Das bedeutet wiederum, dass personenbezogene Informationen, die nicht oder – namentlich im Frühstadium von Ermittlungen – auch bei Gesamtwürdigung der Beweise noch nicht auf Katalogtaten hindeuten, immerhin als Ermittlungsansatz auch außerhalb des Bereichs der Katalogtaten verwendet werden können.117 Die Verwendungsvoraussetzung, dass die Informationen, welche präventivpolizeilich 61 erlangt worden waren, für die Beweissicherung im Strafverfahren wegen einer Katalogtat nach § 100c Abs. 2 benötigt werden, setzt bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus, dass diese Informationen einen konkretisierten Verdacht bzgl. einer Katalogtat begründen und ohne sie die Erforschung des Sachverhalts unverhältnismäßig erschwert oder unmöglich wäre.118 11. Überlegungen de lege ferenda. Um den aufgezeigten Auslegungsproblemen zu ent- 62 gehen, sei hier ein Vorschlag zur Neunormierung des § 100d Abs. 5 Nr. 3 unterbreitet: „Sind personenbezogene Informationen durch eine dem § 100c Abs. 1 entsprechende polizeirechtliche Maßnahme mit Richtervorbehalt in rechtmäßiger und verwertbarer Weise erlangt worden, dürfen sie in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen
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Vgl. zur Amtshaftung BGH Urt. vom 23.10.2003 – III ZR 9/03; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001 811 ff. NStZ 1996 601. A.A. SK/Wolter 67.
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A.A. KK/Nack 18. KK/Nack 18. Brodersen NJW 2000 2536, 2539; KK/Nack 14. Blusdowsky 351.
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nur zur Aufklärung einer Straftat gem. § 100c Abs. 2, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, gerichtlich festgestellt wurde.119
VII. Verwertungsverbote 63
1. Allgemeines. Verstöße gegen die Verwendungsregel des § 100d Abs. 5 und gegen die formellen und materiellen Voraussetzungen der §§ 100c, 100d können zu einem Verwertungsverbot führen. Auch hier muss, ebenso wie bei § 100a, gelten, dass nicht jeder Rechtsfehler zu einem Verwertungsverbot führt.120 Dies gilt etwa für Verstöße gegen die durch Abs. 2 und durch Abs. 3 normierten Formvorschriften.
2. Widerspruchslösung. Ob die vom Bundesgerichtshof zu Verstößen gegen die Belehrungspflicht entwickelte Widerspruchslösung (dazu eingehend § 100a, 115) auch in Fällen des § 100c Anwendung findet, erscheint zweifelhaft.121 Nach der neueren Rechtsprechung kann sie aber überall dort angewendet werden, wo es um rechtlich vergleichbare Beweisverbotsfragen geht. Das bedeutet, dass konsequenterweise auch Fragen der Verwertungsverbotsfolgen von faktischen Umgehungen einer Beschuldigtenvernehmung durch heimliche Ermittlungsmethoden,122 die zur Erfassung von Beschuldigtenäußerungen führen,123 der Widerspruchslösung unterworfen werden müssen. Befürwortet wurde dies in der Rechtsprechung und in der Literatur folgerichtig bereits für die Befragung des Beschuldigten durch einen Verdeckten Ermittler oder eine V-Person.124 Ähnliches muss konsequenterweise aber bei anderen Verletzungen subjektiver prozessualer Rechte gelten,125 so etwa durch eine – nach dem Verteidigungsvorbringen verfahrensfehlerhafte Überwachung der Telekommunikation126 oder bei § 100c bei verfahrensfehlerhafter Observation nach § 100a Abs. 1 Nr. 3 (Verstoß gegen die Subsidiaritätsregel!) und in den Fällen akustischer Überwachung. Im Falle des § 100c spricht für die Anwendbarkeit der Widerspruchslösung auch der 65 Umstand, dass der Beschuldigte über die Verwertbarkeit in Fällen des § 53 weitgehend disponieren kann, nämlich immer dann, wenn er befugt ist, von der Schweigepflicht zu
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Auf die nachträgliche richterliche Feststellung der Rechtmäßigkeit sollte auch dann nicht verzichtet werden, wenn der präventivpolizeiliche Lauschangriff eine richterliche Kontrolle im vorbeugenden Rechtsschutz kennt (a.A. Bertram Die Verwendung präventivpolizeilicher Erkenntnisse im Strafverfahren (2009) 343). Denn die präventive Prognose der Rechtmäßigkeit kann ihre retrospektive Feststellung nicht ersetzen. Anders Krause FS Hanack 221, 243 unter Hinweis auf das Gewicht des Eingriffs. Bejahend KK/Nack 44; verneinend MeyerGoßner 13. BGHSt 40 211 ff.; 42 139 ff.; zu letzterer Entscheidung (GrSSt) ergangen war der Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats NStZ 1995 200 ff. mit Anm. Fezer NStZ 1996 289 f.
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Zur Verteidigung in der Hauptverhandlung gegen heimliche Ermittlungsmethoden Wesemann StV 1997 597 ff. BGH StV 1996 529; Beschl. vom 12.7.2000 – 1 StR 113/00; BVerfG (Kammer) Beschl. vom 20.6.1999 – 2 BvR 997/99 – und StV 2000 233, 234; Basdorf StV 1997 488, 491; Eschelbach StV 2000 390; Maul/Eschelbach StraFo 1996 66, 68; Maul StraFo 1997 38, 40. Zum Widerspruch gegen die Verwertung einer Videoaufzeichnung nach § 255a StPO ohne Verteidigerbeistand OLG München StV 2000 352 f. BGH wistra 2000 432 mit abl. Anm. Vahle StV 2001 545 ff.; Wollweber wistra 2001 182 f.
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§ 100d
entbinden (§ 53 Abs. 2 Satz 1). Die Anwendbarkeit der Widerspruchslösung hat gewichtige Auswirkungen auf die Rechte Mitangeklagter, dazu 25. Auflage Vor § 94, 150. Zur Frage wie sich die Widerspruchslösung zur Rechtsprechung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zur Verpflichtung des Richters verhält, von Amts wegen die Einsatzvoraussetzungen zu überprüfen s. § 100a, 115. 3. Verwendungsregelung in den Fällen akustischer Überwachung. Soweit nach den 66 oben dargestellten Grundsätzen (Rn. 36) eine Verwendung personenbezogener Informationen zu Beweiszwecken in anderen Straftaten (gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens wegen einer anderen Tat oder gegen einen Dritten) nicht zulässig ist, weil das Verfahren nicht der Aufklärung einer Katalogtat im Sinne des § 100c Abs. 2 dient, besteht ein Verwertungsverbot. 4. Mängel bei den sachlichen Voraussetzungen in den Fällen der akustischen Über- 67 wachung (§ 100c Abs. 1 Nr. 1 bis 4). Die Erläuterungen zu § 100a, 117 bis 129 gelten entsprechend. Ebenfalls entsprechend gelten die Ausführungen bei § 100a, 162 zur Verwertung privater Aufzeichnungen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes. Schwierig zu beurteilen ist die Hörfallensituation. In der Regel erfolgt die akustische Überwachung im Strafverfahren um Gespräche des Beschuldigten oder anderer über die Tat oder den Aufenthaltsort des „Täters“ abzuhören. Solche Gespräche werden die Betroffenen selten von sich aus führen, zumal die Vorbereitung der akustischen Überwachung anders als etwa die der Telekommunikation häufig längere Zeit, gelegentlich mehrere Monate dauert127 und deshalb der Abhörzeitpunkt lange nach der Tat liegen kann. Erfolgversprechend ist das Abhören in solchen Fällen häufig nur dann, wenn es gelingt, die Betroffenen auf irgendeine Weise zum Reden zu bringen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens dabei gelten dieselben Gesichtspunkte wie sie bei § 100a, 159 f. dargestellt sind: List ist in Grenzen erlaubt, die Schaffung einer vernehmungsähnlichen Situation mit der Ausnutzung des Faktenwissens der Ermittlungsbehörden ist dagegen verboten. 5. Mängel bei den förmlichen Voraussetzungen (§ 100d). Die Erläuterungen zu 68 § 100a, 130 f. gelten entsprechend. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung des Richtervorbehalts in den Fällen des § 100c Abs. 1. Verstöße hiergegen müssen regelmäßig zu einem Verwertungsverbot führen. 6. Zeugnisverweigerungsrechte. Verwertungsverbote bestehen auch, soweit gegen das 69 Beweiserhebungsverbot in § 100c Abs. 5 und 6 verstoßen wurde und in den weiteren dort genannten Fällen (vgl. § 100c, 132 ff., 142 ff.). 7. Einwilligung. Unbeschadet des Verwertungsverbots kann die überwachte Person 70 aber in die Verwertung einwilligen, etwa auch dann, wenn keine Katalogtat vorliegt. Das wird namentlich dann in Betracht kommen, wenn die erfassten Äußerungen entlastend sind (vor § 94, 1, 43, 53).
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S. die Fallschilderung im Bericht der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 17.12.2001, mitgeteilt in der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung vom 30.1.2002 auf Grund des Beschlusses des Bundestags
vom 16.1.1998 (BTDrucks. 13 9662) über die Praxis der akustischen Wohnraumüberwachung (BTDrucks. 14 8155 S. 46) und die Fallschilderung zum „Anschieben“ S. 44.
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VIII. Revision 71
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Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Anordnung oder Durchführung der akustischen Überwachung oder sonstige Fehler etwa bei Beurteilung der materiellen Voraussetzungen vermögen die Revision nur dann zu begründen, wenn sie zu einem Verwertungsverbot führen. Dazu oben § 100a, 167 ff. Revisibler Rechtsfehler im Sinne des § 337 ist nicht der Rechtsfehler bei Anwendung der §§ 100c, 100d, sondern ein sich daraus ergebender Verstoß gegen ein Verwertungsverbot. Dieses ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Für den Umfang des nach § 344 Abs. 2 Satz 2 erforderlichen Vortrags gilt dasselbe wie zu § 100a. Dieser muss zunächst die Tatsachen enthalten, die den Mangel bei Anwendung der §§ 100c, 100d begründen. Vorzutragen sind ferner die Tatsache, Zeitpunkt und Inhalt des Widerspruchs gegen die Verwertung,128 der Inhalt der staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung oder Verlängerung der Maßnahme129 einschließlich der in Bezug genommenen Aktenteile130 sowie die aus der Durchführung der Maßnahme erlangten Erkenntnisse, da andernfalls der Rechtsfehler (unzulässige Verwertung) nicht auf Grund der Revisionsbegründung überprüft werden kann. Wurde in der Hauptverhandlung entsprechend der zu § 100a ergangenen aber auch auf § 100c anzuwendenden Entscheidung BGHSt 47 362 (§ 100a, 169) die fehlende Plausibilität oder die fehlende Begründung des ermittlungsrichterlichen Beschlusses beanstandet und hat der Tatrichter darauf die erforderliche Prüfung der Ermittlungslage zur Zeit der Entscheidung nicht vorgenommen, liegt allein darin der Rechtsfehler, da die Frage der Verwertbarkeit offen ist. Und nur soweit der Rechtsfehler reicht und nicht zur Beruhensfrage muss gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 vorgetragen werden. Deshalb verlangt der 3. Strafsenat zutreffend in solchen Fällen keinen Vortrag zur tatsächlichen Beweislage zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Entscheidung. Dies verkennt der 5. Strafsenat, wenn er zu § 100a weitergehende Anforderungen an den Vortrag stellt.131 Dem Beschwerdeführer sei gleichwohl angeraten, in solchen Fällen auch zur Beweislage vorzutragen. Ist bei staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen eine Verletzung des qualifizierten Richtervorbehalts Gegenstand der Rüge und wird deshalb die Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse bestritten, muss vorgetragen werden, mit welcher Begründung der Vorsitzende Gefahr im Verzug bejaht hatte und aus welchen Gründen in Wahrheit Gefahr im Verzug nicht bestanden haben soll. Sind durch die akustische Wohnraumüberwachung erlangte Erkenntnisse nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden (vgl. § 100a, 171), ist dies regelmäßig als Verstoß gegen § 261 geltend zu machen.132
128 129
Es sei denn, die Rechtsprechung würde die Widerspruchslösung bei § 100c ablehnen. Vgl. zu § 100a BGH NJW 2003 1880; soweit dort auch die Mitteilung der staatsanwaltschaftlichen Antragsschriften verlangt wird, geht dies zu weit, solange diese in den
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gerichtlichen Entscheidungen nicht in Bezug genommen sind. Vgl. zu § 100a BGHSt 47 362. BGH NJW 2002 1880. Zu § 100a BGH NStZ 2002 493 mit Einzelheiten.
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§ 100e (1) 1Für die nach § 100c angeordneten Maßnahmen gilt § 100b Abs. 5 entsprechend. der Veröffentlichung im Internet berichtet die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag über die im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr nach § 100c angeordneten Maßnahmen. (2) In den Berichten nach Absatz 1 sind anzugeben: 1. die Anzahl der Verfahren, in denen Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 angeordnet worden sind; 2. die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat nach Maßgabe der Unterteilung in § 100c Abs. 2; 3. ob das Verfahren einen Bezug zur Verfolgung organisierter Kriminalität aufweist; 4. die Anzahl der überwachten Objekte je Verfahren nach Privatwohnungen und sonstigen Wohnungen sowie nach Wohnungen des Beschuldigten und Wohnungen dritter Personen; 5. die Anzahl der überwachten Personen je Verfahren nach Beschuldigten und nichtbeschuldigten Personen; 6. die Dauer der einzelnen Überwachung nach Dauer der Anordnung, Dauer der Verlängerung und Abhördauer; 7. wie häufig eine Maßnahme nach § 100c Abs. 5, § 100d Abs. 4 unterbrochen oder abgebrochen worden ist; 8. ob eine Benachrichtigung der Betroffenen (§ 101 Abs. 4 bis 6) erfolgt ist oder aus welchen Gründen von einer Benachrichtigung abgesehen worden ist; 9. ob die Überwachung Ergebnisse erbracht hat, die für das Verfahren relevant sind oder voraussichtlich relevant sein werden; 10. ob die Überwachung Ergebnisse erbracht hat, die für andere Strafverfahren relevant sind oder voraussichtlich relevant sein werden; 11. wenn die Überwachung keine relevanten Ergebnisse erbracht hat: die Gründe hierfür, differenziert nach technischen Gründen und sonstigen Gründen; 12. die Kosten der Maßnahme, differenziert nach Kosten für Übersetzungsdienste und sonstigen Kosten. 2Vor
Entstehungsgeschichte. § 100e ist in seiner aktuellen Fassung eine erhebliche Abwandlung des § 100e a.F.1 Die alte Vorschrift war bei ihrer Einführung eine neuartige Verfahrensnorm,2 die – wie auch die neue Fassung – nicht der Anwendung des Eingriffsrechts auf den Einzelfall, sondern der nachträglichen Normenkontrolle und parlamentarischen Kontrolle des Gesetzesvollzuges diente. Sie wurde eingeführt durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung der StPO vom 4.5.1998 (BGBl. I S. 845) mit Wirkung vom 9.5.1998 (s. § 100c Entstehungsgeschichte 2). Sie wird aufgegriffen durch den im Einklang mit der bayerischen Landesverfassung stehenden3 Art. 48a des bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG).4 Sie beruht auf Art. 13 Abs. 6 GG, wonach die Bundesregierung den
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3
Vgl. SK/Wolter 5. Hölscher Der Rechtsschutz und die Mitteilungspflichten bei heimlichen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen (2002) 291 f. BayVerfGH NVwZ 2002 1372 ff.
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Art. 48a (Parlamentarische Kontrolle von Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozeßordnung). Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag jährlich auf der Grundlage der dem Staatsministerium der
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Bundestag jährlich über den Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten (Art. 13 Abs. 3 GG) oder zur Gefahrenabwehr (Art. 13 Abs. 4 GG) oder zur Eigensicherung (Art. 13 Abs. 5 GG) unterrichtet.
Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
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II. Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag (Absatz 1 Satz 2)
4
III. Vorgeschriebener Berichtsinhalt nach Absatz 2 1. Anzahl der Verfahren (Nr. 1) . . . . 2. Zugrunde liegende Anlassstraftat nach Maßgabe der Unterteilung in § 100c Abs. 2 (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . 3. Bezug zur Verfolgung Organisierter Kriminalität (Nr. 3) . . . . . . . . . 4. Anzahl der überwachten Objekte je Verfahren nach Privatwohnungen und sonstigen Wohnungen sowie nach Wohnungen des Beschuldigten und Wohnungen dritter Personen (Nr. 4) . 5. Anzahl der überwachten Personen je Verfahren nach Beschuldigten und nichtbeschuldigten Personen (Nr. 5) .
Rn. 6. Dauer der einzelnen Überwachung nach Dauer der Anordnung, Dauer der Verlängerung und Abhördauer (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Häufigkeit der Unterbrechung oder des Abbruchs einer Maßnahme nach § 100c Abs. 5, § 100d Abs. 4 (Nr. 7) . 8. Angaben zur Benachrichtigung der Betroffenen (§ 101 Abs. 4 bis 6) (Nr. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verfahrensrelevante ÜberwachungsErgebnisse (Nr. 9) . . . . . . . . . . 10. Fremdverfahrensrelevante Überwachungsergebnisse (Nr. 10) . . 11. Fehlende Überwachungsergebnisse (Nr. 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Kosten der Maßnahme (Nr. 12) . . .
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IV. Konsequenzen bei Schlechterfüllung der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines 1
Die Adressaten der neuen Fassung sind zwar nach wie vor Justizverwaltungen und Bundesregierung. Inhaltlich geht § 100e n.F. mit seinen Anforderungen in Abs. 2 für beide Arten der Berichterstattung aber deutlich über die a.F. hinaus. Er trägt so dem Umstand Rechnung, dass ein Lauschangriff nach § 100c gegenüber der Telefonüberwachung nach § 100a einen stärkeren Grundrechtseingriff darstellt und deshalb gegenüber § 100b Abs. 6 weitergehende inhaltliche Anforderungen an die auf solche Lauschangriffe bezogene Berichterstattungen zu stellen sind. Die vorliegende Vorschrift konkretisiert so aber ebenfalls die Berichtsvoraussetzungen 2 und Berichtsinhalte gemäß Art. 13 Abs. 6 GG.5 Sie ordnet Berichtspflichten an, die diese parlamentarische Kontrolle des Gesetzesvollzugs und mittelbar auch einer Information der Öffentlichkeit ermöglichen sollen.6 Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt die parlamentarische Kontrolle praktisch aus.7 Der Gesetzgeber, der bei Normerlass eine
Justiz vorgelegten Berichte nach § 100e Abs. 1 der Strafprozessordnung über die durchgeführten Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozessordnung, die von einem bayerischen Gericht angeordnet worden sind. Ein vom Landtag gewähltes Gremium übt auf
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der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. BTDrucks. 14 2452 S. 1. BTDrucks. 13 8651 S. 14. Meyer-Goßner 3; KK/Nack 1.
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Einschätzungsprärogative8 für die Frage des Bestehens einer zu bekämpfenden Gefahr und der Notwendigkeit des konkreten gesetzlichen Abwehrmittels hat, muss von Rechts wegen die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit seiner gesetzlichen Regelungen auch nach deren Inkrafttreten sukzessive kontrollieren; es geht nicht nur um eine politische Bilanzierung.9 Er muss nach Ablauf einer angemessenen Beobachtungszeit prüfen, ob es der eingriffsrechtlichen Bestimmungen noch bedarf. Dazu muss er Informationen über die Art und Weise sowie die Häufigkeit der Rechtsanwendung der konkreten Normen haben; ferner muss er wissen, mit welchem Ergebnis bezogen auf das Regelungsziel die gesetzlichen Eingriffsbestimmungen angewendet worden sind. Je nach Eingriffsgewicht ist bei verschiedenen Maßnahmen (u.a.) des Achten Abschnitts des Ersten Buches der StPO hier ein unterschiedlicher Maßstab der Intensität der nachträglichen parlamentarischen Kontrolle möglich. Im Fall des als besonders eingriffsintensiv geltenden „großen Lauschangriffs“ ist eine jährliche Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung vorgesehen, wenngleich die Notwendigkeit der nachträglichen Normenüberprüfung durch den Gesetzgeber im Bereich des staatlichen Eingriffsrechts eigentlich allgemein gilt.10 Art. 13 Abs. 6 GG schreibt die besondere parlamentarische Kontrolle für den großen Lauschangriff vor; Absatz 1 Satz 2 der vorliegenden Bestimmung greift diese Vorgabe auf und setzt sie einfachrechtlich um. Die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung erfolgt demnach auf der Grundlage von Ländermitteilungen und Mitteilungen des GBA an das Bundesamt für Justiz (Absatz 1 i.V.m. § 100b Abs. 5 Satz 1). Die Ländermitteilungen wiederum beruhen auf Berichten der Staatsanwaltschaften an die oberste Justizbehörde. Durch diese Regelung werden alle „Lauschangriffe“ erfasst, die im Zuständigkeits- 3 bereich der mit Leitungsmacht im Vorverfahren ausgestatteten Staatsanwaltschaften liegen, also alle solchen, die nach dem repressiven Strafverfahrensrecht erfolgen. Für die präventivpolizeilichen Maßnahmen, die denjenigen nach § 100c Abs. 1 funktional entsprechen, gelten andere Regeln im Recht der Länder. Eine richterliche Pflicht zur Rechenschaftsregelung besteht im vorliegenden Regelungsbereich, anders als bei den wire tapReports11 des US-amerikanischen Rechts,12 hingegen nicht.13 Richter legen Rechenschaft durch die Begründung ihrer Entscheidungen ab. Darauf können die nach der vorliegenden Vorschrift geforderten Berichte der Exekutive an die gesetzgebende Gewalt zurückgreifen.
II. Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag (Absatz 1 Satz 2) Die Bundesregierung ist zu jährlichen Berichten gegenüber dem Bundestag verpflich- 4 tet (Absatz 1 Satz 2, Art. 13 Abs. 6 GG). Die jährliche Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung ist in den Bundestagsdrucksachen nachzulesen.14
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Allgemein (zum materiellen Strafrecht) BVerfGE 90 145, 183. Ebenso SK/Wolter 1. Unbeachtet bleibt dabei, dass andere Eingriffsmaßnahmen, wie etwa der Einsatz Verdeckter Ermittler in einer Wohnung, vom Eingriffsgewicht her gesehen, ebenso intensiv wirken und keine vergleichbare parlamentarische Nachsorge erfahren. Auch insoweit
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erscheint der „große Lauschangriff“ überreguliert. Vgl. Böttger/Pfeiffer ZRP 1994 7, 8; Raum/ Palm JZ 1994 447, 448 f. Hölscher (Fn. 2) 291 Fn. 1485. SK/Wolter 1; krit. Denninger StV 1998 405; Momsen ZRP 1998 462. BTDrucks. 14 2452; 14 3998; 14 6778; jeweils auch als Anlage zu BTDrucks. 14 8155.
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Zu Grunde liegen neben dem Bericht des GBA vor allem Länderberichte, deren Art und Umfang gesetzlich jetzt durch Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 5 und 6, vor allem aber durch Abs. 2 genauer bestimmt ist.15 Diese Berichte orientieren sich inhaltlich an den Berichten, die nach Absatz 1 von den Staatsanwaltschaften gegenüber den Landesjustizverwaltungen erstattet werden. Die vorliegende Regelung ist also insoweit unvollständig, als nur den Staatsanwaltschaften genau vorgeschrieben wird, worüber sie im Einzelnen zu berichten haben, während die von der obersten Justizbehörde zu erstattenden Berichte als Grundlage der Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung nicht näher konkretisiert sind. Vor diesem Hintergrund hat die Justizministerkonferenz vom 3. bis 5.11.2001 eine Präzisierung der Erhebungsbögen sowie Hinweise zu diesen Erhebungsbögen beschlossen.16 Über die gesetzliche Mindestberichtspflicht hinaus hatte der Deutsche Bundestag die 6 Bundesregierung aufgefordert, unabhängig von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht spätestens zum 31.1.2002 einen detaillierten Erfahrungsbericht zu den Wirkungen der Wohnungsüberwachung durch Einsatz technischer Mittel vorzulegen, der eine Bewertung der Gesetzesfolgen mit verfassungsrechtlicher und kriminalpolitischer Würdigung der bis dahin durchgeführten Maßnahmen der Überwachung einschließt.17 Die Bundesregierung sollte außerdem konkrete Vorschläge dazu unterbreiten, wie etwaige Mängel im Gesetzesvollzug durch Gesetzesänderungen beseitigt werden können. Dieser Bericht liegt nun vor (BTDrucks. 14 8155). Er beruht auch auf den jährlichen Berichten der Landesjustizverwaltung an das Bundesministerium der Justiz sowie auf zusätzlichen Erfahrungsberichten. Daraus ergibt sich, dass in den Kalenderjahren 1998 bis 2000 nur in insgesamt 70 Verfahren akustische Wohnraumüberwachungen angeordnet und vollzogen wurden; diese betrafen 78 Wohnungen. In 41 dieser 70 Fälle waren die aus der Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse nicht für das Verfahren von Bedeutung.18 Häufig kam es zu technischen Fehlschlägen.19 Als problematisch hat sich ferner erwiesen, wie die technischen Mittel in der zu überwachenden Wohnung installiert werden können; eine Überwachung von außen ist oftmals nicht effizient. Aus der geringen Zahl der Fälle ist zu entnehmen, dass die Praxis insgesamt sehr vorsichtig und zurückhaltend mit dem Eingriffsinstrument umgeht. Die Mehrzahl der gesetzlichen Katalogtaten als abstrakt-generell vorgesehener Anlass der Maßnahme werden bisher gar nicht ausgeschöpft. In der Praxis der Wohnraumüberwachung dominieren Kapitalverbrechen oder schwere Drogendelikte als Anlässe der Überwachungsanordnungen. Bisher vorliegende Änderungsvorschläge der Landesjustizverwaltungen betrafen die 7 Frist des § 100d Abs. 4 a.F., den Katalog der Anlasstaten hinsichtlich Korruptionsdelikten, die Ergänzungen des Lauschangriffs um die optische Wohnraumüberwachung, die Legitimation notwendiger Begleitmaßnahmen, die Zuständigkeit der Staatsschutzstrafkammer, die Ausdehnung der Wohnraumüberwachung auch für Zwecke der Verhandlungen und die Verpflichtung Dritter zur Ermöglichung von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen.20
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BTDrucks. 14 8155 S. 3. Vgl. BTDrucks. 14 8155 S. 3 f., 8 f. BTDrucks. 13 9644; 13 9661 S. 8; KK/Nack5 1.
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Näher BTDrucks. 14 8155 S. 9. Näher BTDrucks. 14 8155 S. 7. BTDrucks. 14 8155 S. 11 ff.; s. dazu auch Eschelbach FS G. Schäfer 20 ff.
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III. Vorgeschriebener Berichtsinhalt nach Absatz 2 1. Anzahl der Verfahren (Nr. 1). Soweit sich die Berichtspflicht auf die Verfahrens- 8 anzahl erstreckt, entspricht diese Pflicht derjenigen des § 100b Abs. 6 Nr. 1 (vgl. § 100b, 37–40). Leider fehlt eine Pflicht zu der Angabe, wie oft die Maßnahme nach § 100c im Einzelnen durchgeführt worden ist. Auch eine Information darüber, ob und aus welchen Gründen es trotz einer richterlichen Anordnung nicht zur Durchführung der Maßnahme kam, wäre durchaus sinnvoll.21 2. Zugrunde liegende Anlassstraftat nach Maßgabe der Unterteilung in § 100c 9 Abs. 2 (Nr. 2). Dass die Berichte eine Angabe darüber treffen müssen, welche Anlasstat der Einzelanordnung zugrunde liegt, ist sinnvoll, weil der Gesetzgeber nur auf diese Weise seiner parlamentarischen Pflicht zur Nachkontrolle der Verhältnismäßigkeit (oben Rn. 2) gerecht werden kann. Hierbei wird deutlich, dass die Maßnahme nach § 100c nur für einen sehr überschaubaren Deliktsbereich überhaupt in Betracht kommt. Der Katalog des § 100c Abs. 2 wird in der Praxis bei weitem nicht ausgeschöpft. Insofern liegt die fehlende Erforderlichkeit der Eingriffsbefugnis auf der Hand, doch schon die Geeignetheit einer Maßnahme, mit der sich bestimmte Kriminalitätsfelder erwiesenermaßen nicht aufklären lassen, dürfte deshalb fraglich sein.22 3. Bezug zur Verfolgung Organisierter Kriminalität (Nr. 3). Ob die Maßnahme einen 10 Bezug zur Organisierten Kriminalität hat, ist eine im Einzelfall schwierige Feststellung. Denn der Begriff der Organisierten Kriminalität ist auch heute nicht zweifelsfrei geklärt.23 Jede dahingehende Einschätzung sollte sich deshalb an der Arbeitsdefinition der EU orientieren, wonach Organisierte Kriminalität dann vorliegt, wenn mindestens sechs der folgenden Definitionsmerkmale, darunter immer diejenigen nach Nr. 1, 3, 5 und 11, gegeben sein müssen: 1. Zusammenarbeit von mehr als zwei Personen, 2. mit jeweils individuell zugewiesenen Aufgaben, 3. für eine längere oder unbestimmte Zeit, 4. unter Nutzung irgendeiner Form von Disziplinierung oder Kontrolle, 5. die unter dem Verdacht steht, schwere Straftaten zu begehen, 6. die auf einer internationalen Ebene operiert, 7. dabei Gewalt oder andere Mittel zur Einschüchterung anwendet, 8. sich geschäftlicher oder zumindest geschäftsähnlicher Strukturen bedient, 9. in Geldwäsche involviert ist, 10. Einfluss auf Politiker, die Medien, die öffentliche Verwaltung, Justizbehörden oder die Wirtschaft ausübt und 11. dabei von Gewinnerzielung und/oder Machtstreben geleitet ist.24
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23
Ebenso Meyer-Goßner 2. Vgl. im Einzelnen Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit 2013 158 ff., 428 ff. Zum internationalen Stand der Forschung und auch zum Folgenden Hauck/Peterke International Review of the Red Cross (IRRC) Vol. 92 (2010) 407, 408 ff.
24
Vgl. Commission Staff Working Paper. Joint report from Commission services and EUROPOL “Towards a European Strategy to prevent organized crime”, SEC (2001) 433 v. 13.3.2001, Anhang S. 42; dazu Hauck/ Peterke International Review of the Red Cross (IRRC) Vol. 92 (2010) 407, 426 m.w.N.
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4. Anzahl der überwachten Objekte je Verfahren nach Privatwohnungen und sonstigen Wohnungen sowie nach Wohnungen des Beschuldigten und Wohnungen dritter Personen (Nr. 4). Der Bericht über den Umfang der Maßnahme bezieht sich auf Art und Zahl der akustisch überwachten Wohnräume. Erforderlich ist hier eine typisierende Beschreibung der betroffenen Wohnungen, auch soweit die Wohnungen von anderen Personen und insbesondere diejenigen von Zeugnisverweigerungsberechtigten betroffen sind.25
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5. Anzahl der überwachten Personen je Verfahren nach Beschuldigten und nichtbeschuldigten Personen (Nr. 5). Diese Einordnung setzt eine Klärung der Zahl der überwachten Gesprächskontakte und die Zahl der betroffenen Personen sowie deren Einbindung in die Verdachtsannahme als mutmaßliche Tatbeteiligte oder Drittbetroffene voraus; denn der Grad der Erfassung Unverdächtiger ist für die parlamentarische Kontrolle des Gesetzesvollzuges von besonderer Bedeutung. Nachdem für die heutige Rechtslage immerhin klar ist, dass der große Lauschangriff nicht gegenüber Berufsgeheimnisträgern (§ 53), wohl aber gegenüber anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten (§§ 52, 53a, 54) durchgeführt werden kann (vgl. § 100c Abs. 6), muss bei Abfassung der Berichte in besonderem Maße darauf Bedacht genommen werden, ob und aus welchem Grunde die akustische Überwachung von Wohnräumen auch solche Personen betreffen kann.26
13
6. Dauer der einzelnen Überwachung nach Dauer der Anordnung, Dauer der Verlängerung und Abhördauer (Nr. 6). Die Berichterstattung zur Überwachungsdauer muss zwischen dem Zeitraum der Anordnung, einer etwaigen Verlängerung und der Dauer der tatsächlich durchgeführten Abhörmaßnahme differenzieren. Diese sind jeweils gesondert zu erfassen. Notwendigerweise muss dabei auch angegeben werden, ob eine Eilanordnung durch den Kammervorsitzenden bei Gefahr im Verzug (§ 100d Abs. 1 Satz 2) vorlag und ob diese dann später von der Strafkammer bestätigt worden ist.27 Denn nur so lässt sich eine Aussage über die Dauer einer Eilanordnung überhaupt treffen.
14
7. Häufigkeit der Unterbrechung oder des Abbruchs einer Maßnahme nach § 100c Abs. 5, § 100d Abs. 4 (Nr. 7). Auch polizeiliche oder richterliche Unterbrechungen der Maßnahme, die sich entweder aus ihrer bei der Ausführung auftretenden Kernbereichsrelevanz (§ 100c Abs. 5) oder daraus ergeben, dass ihre Anordnungsvoraussetzungen nicht länger gegeben sind (§ 100d Abs. 4 Satz 2), sind zu dokumentieren. Die Erfüllung dieser Anforderung lässt im Fall der Kernbereichsbetroffenheit direkte Rückschlüsse über die Verhältnismäßigkeit der Überwachungsmaßnahme zu: Je häufiger eine Abhörmaßnahme nach § 100c Abs. 1 infolge einer Kernbereichsbetroffenheit abzubrechen ist, desto pessimistischer dürfte ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit auch im Allgemeinen einzuschätzen sein.
15
8. Angaben zur Benachrichtigung der Betroffenen (§ 101 Abs. 4 bis 6) (Nr. 8). Die Berichtspflicht bezieht sich schließlich auf die Benachrichtigung der Beteiligten oder die Gründe, aus denen diese Benachrichtigung gem. § 101 Abs. 4 bis 6 bisher unterblieben ist und den Zeitpunkt, indem die Benachrichtigung voraussichtlich erfolgen kann. Als Gründe für die vorläufige Nichtbenachrichtigung kommen vor allen Dingen entgegenstehende schutzwürdige Belange des Betroffenen, nur unerhebliches Betroffensein einer
25 26
So KK/Nack5 3. KK/Nack5 3.
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Person, Gefährdungen des Untersuchungszwecks, Gefahren für Leib oder Leben anderer Beteiligter, die unbekannte Identität oder der unbekannte Aufenthalt einer zu benachrichtigenden Person, die anderweitige Kenntniserlangung durch den Betroffenen und anderes mehr in Betracht.28 9. Verfahrensrelevante Überwachungsergebnisse (Nr. 9). Die Angabe der für das zu- 16 grundeliegende Verfahren relevanten Überwachungsergebnisse ist für die parlamentarische Kontrolle von besonderer Bedeutung.29 Die geforderte Einschätzung, ob das Überwachungsergebnis für das Strafverfahren Erkenntnisse erbracht hat, muss anhand standardisierter Bewertungskriterien unter Berücksichtigung womöglich bestehender Beweisverbote ermittelt werden.30 Das Ergebnis der Maßnahme kann sich dann, wenn innerhalb des Berichtszeitraums noch keine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist, nur auf die vorläufigen Befunde beziehen. Gemeint sind nach Nr. 9 nur die verfahrensrelevanten Erkenntnisse,31 zunächst unabhängig von der Frage, ob es sich um belastende oder entlastende Beweise handelt. Nach Abschluss des Verfahrens sollte der Bericht hinsichtlich des Gesamtergebnisses ergänzt werden, wie es § 100e Abs. 1 Satz 2 a.F. vorsah. 10. Fremdverfahrensrelevante Überwachungsergebnisse (Nr. 10). Die Angabe solcher 17 Ermittlungsergebnisse, die für andere Strafverfahren relevant wurden, ist ebenfalls im Licht der parlamentarischen Kontrolle zu verstehen: Entsprechende Erkenntnisse erlauben u.U. eine Nachjustierung des Straftatenkatalogs nach § 100c Abs. 2, wenn sich – was praktisch allerdings kaum anzunehmen sein dürfte – doch einmal ergeben sollte, dass sich eine bislang dort nicht aufgeführte Deliktsart in besonders guter Weise durch einen Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 aufklären lässt. 11. Fehlende Überwachungsergebnisse (Nr. 11). Sollte die Überwachungsmaßnahme 18 wider Erwarten zu keinen relevanten Ergebnissen geführt haben, so ist freilich eine Differenzierung dahingehend notwendig, ob dieses Ausbleiben von Erkenntnissen rein technischen Gründen (z.B. der schlechten Tonqualität oder einem Stromausfall) oder sonstigen, hier vor allem rechtlichen Gründen geschuldet ist. 12. Kosten der Maßnahme (Nr. 12). Bei den Kosten der Maßnahme sind die Gesamt- 19 kosten von Bedeutung. Mit den anzugebenden Kosten sind immer nur die tatsächlichen Aufwendungen gemeint, die für die Vorbereitung und Durchführung der Abhörmaßnahme erforderlich wurden, also etwa die („sonstigen“) Kosten für die notwendigen technischen Mittel, mit denen die akustische Überwachung durchgeführt wird, die Kosten ihrer Anbringung und ihres Einsatzes, sowie Kosten für den Einbezug technischer Sachverständiger oder die Kosten, die aus der Beauftragung von Unternehmen entstanden sind. Ferner sind Kosten für Begleitmaßnahmen, die zur Installation der akustischen Überwachungstechnik erforderlich werden,32 zu berücksichtigen. Diese Kosten bewegen sich meist im deutlich fünfstelligen Bereich, im Einzelfall bis zu 120.000 €.33 Die Kosten für Übersetzungsdienste sind eigens aufzuführen, weil diese in der Praxis oft anfallen und einen Großteil der Gesamtkosten ausmachen können (in einem Verfahren 2005 in NRW ca. 50.000 €!).34
28 29 30 31
SK/Wolter 5. KK/Nack5 3. Vgl. KK/Nack5 3. KK/Nack5 3
32 33 34
Vgl. Eschelbach FS G. Schäfer 20 ff. Vgl. SK/Wolter 6 m.w.N. Vgl. SK/Wolter 6.
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IV. Konsequenzen bei Schlechterfüllung der Berichtspflicht 20
Fraglich bleibt, welche Folgen die Missachtung der Berichtspflicht insbesondere dann hat, wenn die Bundesregierung vom Bundesamt für Justiz deshalb nicht mit hinreichenden Informationen versorgt werden kann, weil die Länder ihrer Berichtspflicht nicht, nicht hinreichend oder zumindest nicht fristgerecht nachgekommen sind. Ohne diese Informationsbeiträge der Länder statuiert § 100e Abs. 1 Satz 2 nämlich eine für die Bundesregierung nicht erfüllbare Verpflichtung.35 Art. 84 GG scheidet als Ermächtigungsgrundlage zur Verpflichtung der Länder jedenfalls aus. Hier sollte der Gesetzgeber bei nächster Gelegenheit für Klarheit sorgen und den § 100e um eine entsprechende Sanktionsnorm ergänzen.
§ 100f (1) Auch ohne Wissen der Betroffenen darf außerhalb von Wohnungen das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete, auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (2) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen einen Beschuldigten richten. 2Gegen andere Personen darf die Maßnahme nur angeordnet werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit einem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (3) Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. (4) § 100b Abs. 1, 4 Satz 1 und § 100d Abs. 2 gelten entsprechend. Schrifttum S. Vor § 94 und bei § 100a und 100c. Ferner: Allgayer Strafprozessuale Unverwertbarkeit eines Selbstgesprächs im Auto, NStZ 2012 399; Brunhöber Für ein Grundrecht auf ein faires Verfahren in der strafprozessualen Praxis, ZIS 2010 761; Ernst/Sturm Nichtöffentlich geführte Selbstgespräche und der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, HRRS 2012 374; Hauck Lauschangriff in der U-Haft – Anmerkungen zu BGH, Urt. v. 29.4.2009 (1 StR 701/08) und Versuch einer dogmatischen Klärung, NStZ 2010 17; Hefendehl Die neue Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO: Segen oder Fluch?, StV 2001 700; Jahn/Geck Tagebuchfall revisited - Der Bundesgerichtshof, die Gedankenfreiheit und ein Selbstgespräch im Auto, JZ 2012 561; Mitsch Strafprozessual unantastbare „Kommunikation mit sich selbst“, NJW 2012 1486; Mosbacher Aktuelles Strafprozessrecht, JuS 2012 705; Rogall Zur Zulässigkeit einer heimlichen akustischen Überwachung von Ehegattengesprächen in der Untersuchungshaft, HRRS 2010 289; Roxin Zur verdeckten Befragung des Beschuldigten, NStZ-Sonderheft 2009
35
So Maunz-Dürig/Papier Art. 13, 118.
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41; Warg Anmerkungen zum Kernbereich privater Lebensgestaltung, NStZ 2012 237; Wolter Der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs in § 201a StGB, in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus (Schünemann-Symposium) (2005) 225; ders. Staatlich gesteuerte Selbstbelastungsprovokation mit Umgehung des Schweigerechts. Zur objektiven Zurechnung im Strafprozessrecht, ZIS 2012 238; Zuck Faires Verfahren und der Nemo tenetur-Grundsatz bei der Besuchsüberwachung in der Untersuchungshaft, JR 2010 17.
Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen 1. Nichtöffentlich gesprochenes Wort . . 2. Außerhalb von Wohnungen . . . . . . 3. Technische Mittel . . . . . . . . . . . a) Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsatz . . . . . . . . . . . . . . .
4 5 6 7
III. Voraussetzungen für den Einsatz außerhalb von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . 1. Verdacht einer Katalogtat nach § 100a
12 13
Rn. 2. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . 4. Maßnahmen gegen Dritte, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahren
. . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Revision 1. Allgemeines . . . . . . . . . . 2. Lauschangriff in der U-Haft . . 3. Selbstgespräch im Pkw . . . . . 4. Einsatz technischer Mittel durch V-Personen . . . . . . . . . . .
15 17 18 21
. . . . . . . . . . . .
23 24 25
. . . .
26
I. Allgemeines Die vorliegende Vorschrift wurde durch das TKÜG 2007 neu formuliert. § 100f in 1 der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 24.6.20051 – in Kraft seit 1.7.2005 – stimmte mit der aktuellen Fassung („Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung usw.“ (vom 21.12.2007; in Kraft seit 1.1.2008) hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen schon im Wesentlichen überein.2 Heute regelt § 100f den sog. kleinen Lauschangriff, d.h. das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen, übernimmt damit teilweise den Regelungsgehalt des § 100c Abs. 1 Nr. 2 a.F. und hat so mit dem Datenverwendungsgehalt des § 100f der Vorauflage nichts mehr zu tun. Die Vorschrift gestattet damit einen weniger schwerwiegenden Eingriff als der wohnungsbezogene § 100c Abs. 1 und ist wohl auch deshalb praktisch bedeutender. § 100f ist eine § 100c zusammen mit § 100h ergänzende Regelung zum Einsatz technischer Mittel. Während § 100c ausschließlich die akustische Überwachung von Wohnungen regelt und § 100h zum Herstellen von Bildaufnahmen und zum Einsatz von sonstigen technischen Mitteln außerhalb von Wohnungen berechtigt, regelt § 100f das „Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes“, also ebenso wie § 100c die akustische Überwachung, jedoch außerhalb von Wohnungen. § 100f war ursprünglich durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der 2 Organisierten Kriminalität vom 4.5.19983 zusammen mit der Regelung über den sogenannten großen Lauschangriff in § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. im Jahr 1998 eingeführt wor1 2
BGBl. I S. 1841. Vgl. zu Abweichungen SK/Wolter 61. Lfg. April 2009 1, und zum Gesetzestext der a.F. SK/Wolter 52. Lfg. März 2007 § 100f.
3
BGBl. I S. 845.
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den (näher dazu § 100c Entstehungsgeschichte Anm. 1 und 2). Das VBOrgKG hatte die vorliegende Regelung noch unberührt gelassen (s.a. § 98b, 24b, 24c).4 Sie stand damals im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Datenverwendung nach dem StVÄG 1999 und behandelte die Verwendung personenbezogener Informationen, die durch eine Maßnahme der akustischen Wohnungsüberwachung nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 a.F. oder nach entsprechenden polizeirechtlichen Regelungen der Länder erlangt worden sind. Vor Inkrafttreten der §§ 100c Abs. 1 Nr. 3, 100d Abs. 5, 100f a.F. waren zum Teil bereits in den Ländern Regelungen über den heimlichen Informationszugriff zu präventivpolizeilichen Zwecken vorhanden, die Zweckänderung der Verwendung von Daten aus dem polizeirechtlichen Gefahrenabwehrbereich für Strafverfahren wurde von BGH NStZ 1992 44 (Videoüberwachung) und BGH NStZ 1995 601 (Blockhüttenfall) als unproblematisch bewertet, was in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen war.5 Diese Problematik wurde durch § 100f a.F. beseitigt;6 der Gesetzgeber hatte die Rechtsprechung im Ergebnis aufgegriffen. § 100f Abs. 1 war allerdings nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bun3 desverfassungsgerichts vom 3.3.2004 (BVerfGE 109 279) unvereinbar mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Absatz 1 und Art. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Rechtszustand bis spätestens 30.6.2005 herzustellen.
II. Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen 4
1. Nichtöffentlich gesprochenes Wort. Ebenso wie der „große Lauschangriff“ nach § 100c Abs. 1 richtet sich der Einsatz technischer Mittel nach § 100f ausschließlich auf das „Abhören und Aufzeichnen“ des nichtöffentlich gesprochenen Wortes. Damit sind nach dem Schutzzweck der vorliegenden Norm solche Äußerungen gemeint, die der Betroffene in Form eines Selbstgesprächs, eines Zwiegesprächs oder eines Gesprächs innerhalb eines begrenzten Teilnehmerkreises7 in einer Weise macht, die erkennbar darauf ausgerichtet ist, die Äußerung nicht einer beliebigen Öffentlichkeit preiszugeben.8 Vgl. im Einzelnen § 100c, 92.
5
2. Außerhalb von Wohnungen. Das nichtöffentlich gesprochene Wort darf unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 nur außerhalb von Wohnungen abgehört und aufgezeichnet werden.9 Die Voraussetzung ist vor allem bei Äußerungen unter freiem Himmel und in der Öffentlichkeit (vgl. aber Rn. 4) gegeben, aber auch etwa beim Abhören und Aufzeichnen in einem Haft- oder Besucherraum einer Justizvollzugsanstalt10 oder in einem Auto erfüllt,11 die alle keine „Wohnung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG darstel-
4 5
6 7
BRDrucks. 65/99 S. 47; Blusdowsky 350. Namentlich zum Blockhüttenfall Bockemühl JA 1996 695 ff.; Köhler StV 1996 186 f.; Roggan KritV 1998 336 f.; Staechelin ZRP 1996 430 ff.; Strate StraFo 1999 73, 74; Welp NStZ 1995 602 ff.; Wolter FS II BGH 963, 990 ff. Meyer-Goßner 2. Mozek 27; LK/Schünemann § 201, 8.
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8 9 10
11
Vgl. Meyer-Goßner 2, 3. SK/Wolter 7. Für den Haftraum BVerfG NStZ 1996 511 = NJW 1996 2643 f.; für den Besuchsraum BGHSt 44 138, 140 f. mit zust. Anm. Duttge JZ 1999 261, 262; [H.] Schneider NStZ 2001 8, 14; Roxin NStZ 1999 150. BGH JR 1998 162 mit Anm. Gössel NStZ 1998 126; Janker NJW 1998 269; Heger JR
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len.12 Auch unabgegrenzte Vorräume oder Zugangsbereiche von Wohnungen sind nicht erfasst; wohl aber wird ein Vorgarten zur „Wohnung“ gerechnet. Ein Krankenzimmer im Krankenhaus ist nach BGHSt 50 206 hingegen vom Begriff der Wohnung umfasst, was angesichts der Betretungs-, Kontroll- und Überwachungsbefugnisse des Krankenhauspersonals zweifelhaft ist.13 Vgl. zum Wohnungsbegriff ergänzend § 100c, 99. 3. Technische Mittel a) Mittel. Nach Absatz 1 ist der Einsatz technischer Mittel zu Abhörzwecken unter 6 bestimmten Voraussetzungen gestattet. Technische Mittel im Sinne der vorliegenden Vorschrift müssen nicht ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen und auf deren Einsatzanforderungen zu Abhörzwecken zugeschnitten sein. Eine technische Eingrenzung des Anwendungsfeldes der Norm auf bestimmte Mittel ist dem Gesetz hingegen nicht zu entnehmen,14 solange sich mit ihnen das gesprochene Wort abhören und aufzeichnen lässt. Deshalb unterfallen neben typischen Abhörgeräten wie Richtmikrofonen oder Wanzen auch sonstige technische Geräte der vorliegenden Vorschrift, wenn ihr Einsatz als besondere Mittel des Abhörens sich als Eingriff in Grundrechte auswirkt. b) Einsatz. Gesetzlich gestattete Handlung ist das Verwenden des technischen Mittels 7 im Sinne des Abhörens und Aufzeichnens. Dies setzt grundsätzlich nicht nur die sachgerechte Handhabung, sondern auch das vorherige Bereitmachen unter Anbringung der erforderlichen Vorrichtungen voraus. Beides ist vom Begriff des Verwendens umfasst,15 wobei sich Grenzen nur aus dem Schutzbereich der Grundrechtsnorm ergeben, für die Absatz 1 eine gesetzliche Eingriffsermächtigung liefert. Bleibt das beschränkte Grundrecht gleich, so sind die Vorbereitung und das eigentliche Verwenden gestattet; muss die technisch erforderliche Vorbereitungsmaßnahme dagegen rechtlich in ein anderes Grundrecht eingreifen, für das ein Gesetzesvorbehalt besteht, dann ergibt sich eine Eingriffsgrenze aus dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Einsatzziel ist entweder die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des 8 Aufenthalts des Beschuldigten. Sachverhaltserforschung durch Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln ist die Erfassung von Informationen, die unmittelbar oder mittelbar im Wege von Beweisschlüssen für sich genommen oder in der Gesamtschau mit anderen Beweisen Aussagekraft für die Aufklärung des zu Grunde liegenden Verdachts dienen. Die gesuchten Informationen können sich auf die äußere oder innere Tatseite, auf die Schuldfrage und die Frage nach dem Schuldumfang beziehen. Ob es sich bei den Abhörergebnissen um belastende oder entlastende Umstände handelt, ist unerheblich (vgl. § 160 Abs. 1 und 2). Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten ist von der Sachverhaltserfor- 9 schung, die der Ermittlung des wahren Täters dient, zu unterscheiden. Es geht, wie bei
12
1998 163; Gropp JZ 1998 501; zum „Raumgespräch“ im Auto, wenn der Beschuldigte eine Telefonverbindung unterbrechen wollte, dies aber nicht geschah, BGH Urt. vom 14.3.2003 – 2 StR 341/02. Für das Auto LG Stendal NStZ 1994 556 mit Anm. Mahnkopf. Vgl. KK/Nack 5; so bereits zur alten Rechts-
13 14 15
lage (§ 100c I Nr. 2 a.F. StPO) BGHSt 44 138; für Besuchsräume der U-Haft instruktiv [H.] Schneider NStZ 2001 14; zuvor bereits allgemein ders. JR 1996 401, 403 f. Vgl. BGHSt 50 206, 210 ff. mit Hinweisen auf die a.A. Binder 16 f. Krit. Bernsmann StV 2001 382, 385.
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§ 100a, um Fahndung. Eine Unterscheidung in die Ermittlung des Aufenthaltsorts des „Täters“ oder eines Teilnehmers an der aufzuklärenden Tat ist nicht angebracht.16 Andererseits muss die Aufenthaltsermittlung nicht auf Fälle beschränkt werden, in denen die Voraussetzungen eines Haftbefehls, einschließlich eines dringenden Tatverdachts, vorliegen.17 Es geht nicht notwendigerweise nur um eine Vorbereitung zur Festnahme nach § 127 Abs. 2. Freilich ist im Rahmen der stets erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung der verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sodass es praktisch regelmäßig um Fahndungsmaßnahmen vor einer Festnahme geht. Die Einsatzziele der Sachaufklärung und der Fahndung können miteinander kombi10 niert werden. Aus der Verwendung des Wortes „oder“ im Gesetzestext ergibt sich nicht, dass in jedem Fall nur eines der beiden Ziele mit der Maßnahme verfolgt werden dürfte;18 dies reicht andererseits im Einzelfall aus. Hinsichtlich der Dauer der Maßnahme gilt über den Verweis in Abs. 4 auf § 100b 11 Abs. 1 Satz 4 eine um jeweils nicht mehr als drei Monate verlängerbare Dreimonatsfrist (vgl. § 100b, 15).
III. Voraussetzungen für den Einsatz außerhalb von Wohnungen 12
Das nichtöffentlich gesprochene Wort darf unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 nur außerhalb von Wohnungen abgehört und aufgezeichnet werden.
13
1. Verdacht einer Katalogtat nach § 100a. Eingriffsvoraussetzung ist der auf bestimmte Tatsachen gestützte Verdacht, dass jemand eine Katalogtat im Sinne des § 100a begangen hat. Wo diese strafbar ist, reicht auch der Verdacht des Versuchs der Tat aus;19 dies wird in § 100a Abs. 1 Nr. 1 ausdrücklich hervorgehoben. Auch die Vorbereitung einer Katalogtat durch eine andere Straftat oder gemäß § 30 StGB strafbare Vorbereitungshandlung reicht aus. Ferner kann sich die Maßnahme nicht nur gegen mutmaßliche Täter, sondern auch gegen Teilnehmer richten.20 Die Voraussetzung eines auf bestimmte Tatsachen gestützten Verdachts21 unterschei14 det sich nicht von dem sonst erforderlichen Anfangsverdacht (näher § 100c, 88 ff.); auch dieser ist zur Abgrenzung von einer bloßen Vermutung auf konkrete Tatsachen zu stützen. Aus der Verwendung des Wortes „bestimmt“ ist nicht zu entnehmen, dass hier – anders als beim schlichten Anfangsverdacht – nur unmittelbar tatbezogene Indizien zur Verdachtsbegründung ausreichend sind.22 Größere Anforderungen als in anderen strafprozessualen Eingriffsnormen ergeben sich nur aus der Notwendigkeit der Verdachtskonkretisierung auf eine Katalogtat. Aus der Eingriffsintensität der Maßnahme ergeben sich nicht notwendigerweise besondere Anforderungen an den Verdachtsgrad.23 Diese können aber aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen,24 der es bei weniger gewichtigen Delikten aus dem Kreis der Katalogtaten gebieten kann, den schwer wiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch einen nicht nur entfernten Verdacht zu legitimieren.
16 17 18 19 20
Binder 23. Binder 25 f. Binder 24 f. Meyer-Goßner 5; SK/Wolter 9. Vgl. Meyer-Goßner § 100a, 12.
508
21 22 23 24
Binder 48 ff.; Meyer-Goßner 5. So aber Binder 50; wie hier Martin Müller 188 f. Vgl. Mozek 38. Binder 49.
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2. Subsidiarität. Die Maßnahme ist zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts 15 oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes „des Täters“ auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Dies ist eine gegenüber § 100h Abs. 1 Satz 1 qualifizierte Subsidiaritätsklausel, was sich freilich in der Praxis kaum auswirken dürfte.25 Maßgebend ist, ob weniger eingriffsintensive Maßnahmen, zu denen regelmäßig die offenen Ermittlungszugriffe nach §§ 94, 102, 103 zählen, oder Vernehmungen von Beweispersonen im Einzelfall weder für sich genommen noch in einer Kombination Aussicht auf gleichartigen Erfolg bieten. Die Subsidiaritätsklausel des Absatzes 1 entspricht derjenigen in § 100a Abs. 1 Nr. 3 16 und § 110a Abs. 1 Satz 3, die folglich gleichrangige Maßnahmen gestatten. Wäre die Sachaufklärung oder die Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten im Einzelfall ohne eine Maßnahme nach § 100a, § 100f Abs. 1 oder § 110a aussichtslos oder wesentlich erschwert, so hat das zuständige Ermittlungsorgan die Wahl, welche der Maßnahmen ergriffen werden; diese kommen wegen der vergleichbaren Zielrichtung des Abhörens des nichtöffentlich gesprochenen Wortes aber auch nebeneinander in Betracht, wenn und soweit der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht entgegensteht. 3. Verhältnismäßigkeit. Der stets einzuhaltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 17 muss als verletzt bzw. das Übermaßverbot als missachtet angesehen werden, wenn der geeignete und erforderliche Eingriff deshalb unangemessen ist, weil er „außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts steht“.26 4. Maßnahmen gegen Dritte, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3. § 100f Abs. 2 Satz 1 stellt zu- 18 nächst die Regel auf, dass sich die Maßnahme nur gegen Beschuldigte richten darf. Abs. 2 Satz 2 macht davon eine Ausnahme und erklärt die Maßnahme auch gegen andere Personen, also auch gegen Nichtbeschuldigte, für zulässig, wenn mehrere Voraussetzungen vorliegen: Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen gegen Nichtbeschuldigte nur angeordnet werden, 19 wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, dass die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Es muss demnach eine Verbindung zwischen dem Beschuldigten und der nicht selbst beschuldigten Zielperson der akustischen Überwachung zu vermuten sein, die erwarten lässt, dass es zu einem Kontakt mit dem Beschuldigten kommt oder durch Verhaltensweisen oder Äußerungen der Zielperson Rückschlüsse auf die Tat gezogen werden können. Freilich wird es dann meist um Personen gehen, gegen die sich auch der Verdacht einer Beteiligung oder einer Nachtat im Sinne von §§ 257 ff. StGB begründen lässt. Ist eine Drittbetroffenheit unvermeidbar, so dürfen gem. Abs. 3 die Maßnahmen nach 20 Abs. 1 durchgeführt werden. Insofern gelten die Ausführungen zu § 100c, 110.
IV. Verfahren Nach Abs. 4 gelten für das Verfahren § 100b Abs. 1, 4 Satz 1 und § 100d Abs. 2 ent- 21 sprechend. Damit richtet sich die Anordnungsbefugnis gem. Abs. 4 nach § 100b Abs. 1, Abs. 4 S. 1 und § 100d Abs. 2. Die Verweisungstechnik sieht also grundsätzlich einen
25
Meyer-Goßner 8.
26
Meyer-Goßner Einl. 20.
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Richtervorbehalt mit einer ausnahmsweisen Eilkompetenz für die Staatsanwaltschaft vor. Dadurch soll ein Rechtsschutzmindeststandard bei der heimlichen Vorgehensweise ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gewährleistet werden. Bei Gefahr im Verzug ist die Staatsanwaltschaft zuständig, nicht aber ihre Ermittlungspersonen.27 Vgl. zu Einzelheiten § 100b, 2. Inhalt und Form des Anordnungsbeschlusses bzw. der Anordnungsverfügung richten sich nicht nach § 100b Abs. 2, sondern nach § 100d Abs. 2 (§ 100d, 10). Die Maßnahme ist gem. Abs. 4 i.V.m. § 100b Abs. 4 Satz 1 unverzüglich zu beenden, sobald die Anordnungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Es wäre konsequent gewesen, in § 100f Abs. 4 auch auf die Pflicht zur Unterrichtung des Gerichts nach § 100b Abs. 4 Satz 2 zu verweisen, weil es auch bei einem kleinen Lauschangriff nach § 100f sinnvoll ist, die Erfahrung der die Maßnahme anordnenden Richter durch entsprechende Rückmeldungen über die Ergebnisse und so letztlich auch den Ermittlungserfolg der Maßnahme zu fördern.28 Aktenführung, Benachrichtigung, Rechtsbehelfe, Kennzeichnung und Löschung von 22 Daten. § 101 Abs. 2 bestimmt, dass „Entscheidungen und sonstige Unterlagen über Maßnahmen nach den §§ 100c, 100f, 100h Abs. 1 Nr. 2 und § 110a“ bei der Staatsanwaltschaft verwahrt werden und erst dann zu den Akten zu nehmen sind, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung nach § 101 Abs. 5 erfüllt sind, also „sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist.“ Personenbezogene Daten, die durch die Maßnahme nach Abs. 1 erhoben wurden, sind gem. § 101 Abs. 3 entsprechend zu kennzeichnen, um ihre Zweckbindung zu gewährleisten.29 Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten.30 Gem. § 101 Abs. 4 Nr. 5 sind die Zielperson und erheblich mitbetroffene Personen, also solche, die für einige Zeit an einem abgehörten Gespräch teilgenommen haben, von der Maßnahme zu benachrichtigen, sofern keine Ausnahme nach § 101 Abs. 4 Satz 3 und 4 vorliegt und sobald dies gem. § 101 Abs. 5 ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist. Gem. § 101 Abs. 4 Satz 2 ist dabei auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes für die Zielperson und erheblich mitbetroffene Personen durch den befristeten Rechtsbehelf nach § 101 Abs. 7 zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme und der Art und Weise ihres Vollzuges und die dafür vorgesehene Zweiwochenfrist hinzuweisen. § 101 Abs. 8 ordnet schließlich die Löschung von nicht mehr erforderlichen Daten an, die durch die Maßnahme erlangt wurden.
V. Revision 23
1. Allgemeines. § 100f enthält keinerlei Regelungen zur Unverwertbarkeit bestimmter Erkenntnisse. Allerdings sind die allgemeinen Vorgaben des § 160a zum Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Personen zu beachten. Ebenfalls gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 477 Abs. 2 und 481 hinsichtlich des Beweistransfers für andere Strafverfahren und zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung hält das BVerfG bei einer Maßnahme nach § 100f auch außerhalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Kodifikation als unmittelbar durch die Verfassung hin27 28
Vgl. HK-GS/Hartmann 7. Ebenso HK-GS/Hartmann 7.
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29 30
Vgl. HK-GS/Hartmann 8. Vgl. BVerfGE 109 279.
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reichend geschützt.31 Gleichwohl bietet sich eine analoge Anwendung des § 100a Abs. 4 freilich an. In den letzten Jahren hatte der BGH mehrfach Gelegenheit, die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nach § 100f im Rahmen von Revisionsverfahren zu überprüfen: 2. Lauschangriff in der U-Haft. Der 1. Strafsenat des BGH hält ein heimlich abge- 24 hörtes Gespräch zwischen Ehegatten in einem nicht überwachten separaten Besuchsraum einer JVA für konform zu § 100f, bejaht auf Grund der besonderen Umstände aber einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und ein daraus folgendes Verwertungsverbot.32 Problematisch ist damit bereits, dass die Befugnisnorm des § 100f als eine vergleichsweise junge Vorschrift33 trotz ihrer jahrelangen, bisweilen rechtspolitisch turbulenten und von intensiven wissenschaftlichen Diskussionen begleiteten Genese34 keine ausgegorene Konzeption zu bieten scheint, die insbesondere auch den europäischen Anforderungen an eine faire Beweisgewinnung genügt. Die Entscheidung stieß überwiegend auf Zustimmung, wenngleich nicht zu übersehen ist, dass der Beurteilungsmaßstab des 1. Strafsenats zur Überprüfung der Fairness des Verfahrens erheblich von dem Prüfungsmaßstab des EGMR abweicht.35 Der 1. Strafsenat darf zwar einen höheren Schutzstandard vertreten; auch dann bleibt es aber unverständlich, weshalb er sich den Prüfungsvorgaben und Beurteilungsmethoden in den zahlreichen, mitunter sehr vergleichbaren Judikaten des EGMR großteils verschlossen hat (vgl. auch § 100a, 161).36 3. Selbstgespräch im Pkw. Der 2. Strafsenat hat im Dezember 2011 entschieden, dass 25 ein Selbstgespräch eines sich unbeobachtet fühlenden Beschuldigten, das in einem Kraftfahrzeug mittels akustischer Überwachung aufgezeichnet wird, im Strafverfahren – auch gegen Mitbeschuldigte – unverwertbar ist, da es dem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen ist.37 Diese Entscheidung betrifft somit die allgemeine Frage von Inhalt und Schutzwirkung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, die oben (§ 100a, 133 ff.) ausführlich dargestellt ist. 4. Einsatz technischer Mittel durch V-Personen. Der 3. Strafsenat hält den Inhalt 26 eines heimlich aufgezeichneten Gesprächs, das die Ehefrau eines (wegen Betäubungsmitteldelikten) Angeklagten im Rahmen der von ihr initiierten Zusammenarbeit mit der Polizei mit dem nicht inhaftierten Mitangeklagten unter wahrheitswidriger Zusicherung der Vertraulichkeit und Behauptung eines Geständnisses ihres Ehemannes geführt, und in dem der Mitangeklagte seinen Tatbeitrag eingeräumt hat, für verwertbar; weder liege darin ein Verstoß gegen § 163a Abs. 3, 136a Abs. 1 noch eine Umgehung des § 163a
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BVerfGE 122 63; BVerfGE 113 348. BGHSt 53 294 mit Anm. Engländer JZ 2009 1179; Zuck JR 2010 17; Hauck NStZ 2010 17; Rogall HRRS 2010 289; Klesczewski StV 2010 462; Brunhöber ZIS 2010 761. Zur Normgenese der letzten vier Jahre vgl. Fn. 1. Zur Entstehungsgeschichte SK/Wolter 52. Lfg. März 2007 1; KK/Nack 1. Zuvor enthielt § 100f eine reine Verwendungsregel für gem. § 100c a.F. erlangte personenbezogene Informationen; zur Verfassungswidrigkeit jener Fassung LR/Schäfer25 Vor Rn. 1.
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Vgl. stellvertretend Roggan GedS Lisken einerseits; Krey FS Schwind 725, 728 Fn. 18 andererseits. Vgl. die Nachweise in Fn. 28. Vgl. Hauck NStZ 2010 17; Rogall HRRS 2010 289. BGHSt 57 71 mit Anm. Ernst/Sturm HRRS 2012 374; von Heintschel-Heinegg JA 2012 395; Mosbacher JuS 2012 705; Jahn/Geck JZ 2012 561; Mitsch NJW 2012 1486; Warg NStZ 2012 237; Allgayer NStZ 2012 399; Ladiges StV 2012 517; Zabel ZJS 2012 563.
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Abs. 4, § 136 Abs. 1 noch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit oder gegen das Recht auf ein faires Verfahren.38 Nach den oben (§ 100a, 159 ff.) dargelegten Grundsätzen, die auch in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK ihre Grundlage finden, liegt in einer derartigen, den Strafverfolgungsbehörden zurechenbaren Täuschung, die den Beschuldigten über seine Rolle als Objekt einer Befragung irreführt und die sich auch auf die Selbstbestimmtheit einer unverfänglichen Informationsentäußerung bezieht, eine Missachtung der Selbstbelastungsfreiheit und damit ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren.39
§ 100g (1) 1Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer 1. eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete Straftat, begangen hat, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat oder durch eine Straftat vorbereitet hat oder 2. eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat, so dürfen auch ohne Wissen des Betroffenen Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1, § 113a des Telekommunikationsgesetzes) erhoben werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist.* 2Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 ist die Maßnahme nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. 3Die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit ist nur im Falle des Satzes 1 Nr. 1 zulässig. (2) 1§ 100a Abs. 3 und § 100b Abs. 1 bis 4 Satz 1 gelten entsprechend. 2Abweichend von § 100b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 genügt im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (3) Erfolgt die Erhebung von Verkehrsdaten nicht beim Telekommunikationsdiensteanbieter, bestimmt sie sich nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs nach den allgemeinen Vorschriften. (4) Über Maßnahmen nach Absatz 1 ist entsprechend § 100b Abs. 5 jährlich eine Übersicht zu erstellen, in der anzugeben sind: 1. die Anzahl der Verfahren, in denen Maßnahmen nach Absatz 1 durchgeführt worden sind; 2. die Anzahl der Anordnungen von Maßnahmen nach Absatz 1, unterschieden nach Erst- und Verlängerungsanordnungen;
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BGH NStZ 2011 596 m. Anm. Eisenberg JR 2011 409; [A.] Schumann JZ 2012 265; Roxin StV 2012 131; Wolter ZIS 2012 238. Vgl. Hauck NStZ 2010 17, 22; Wolter ZIS 2012 238.
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§ 100g Abs. 1 Satz 1: Soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes erhoben werden dürfen gem. Entscheidungsformel mit GG unvereinbar und nichtig gem. BVerfGE v. 10.3.2010 I 272 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08. 1 BvR 586/08 –.
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3. die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat, unterschieden nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2; 4. die Anzahl der zurückliegenden Monate, für die Verkehrsdaten nach Absatz 1 abgefragt wurden, bemessen ab dem Zeitpunkt der Anordnung; 5. die Anzahl der Maßnahmen, die ergebnislos geblieben sind, weil die abgefragten Daten ganz oder teilweise nicht verfügbar waren.
Schrifttum S. zunächst die Literatur zu den §§ 100a, 100c, 100d, 100f, 101, 160a; speziell zu § 100g: Abdallah/B. Gercke Strafrechtliche und strafprozessuale Probleme der Ermittlungen nutzerbezogener Daten im Internet, ZUM 2004 368; Albrecht/Grafe/Kilchling Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO (2008); Bär Auskunftsanspruch über Telekommunikationsdaten nach den neuen §§ 100g, 100h StPO, MMR 2002 358; ders. Auskunftsanspruch über Verbindungsdaten, MMR 2003 54; ders. LG Hamburg: Abruf von Daten und Auslesen der SIM-Karte des Mobiltelefons, MMR 2002 406; Beck/Kreißig Tauschbörsen-Nutzer im Fadenkreuz der Strafverfolgungsbehörden, NStZ 2007 304; Bizer Verpflichtung zur Herausgabe von TK-Verbindungsdaten an den Staatsanwalt, DuD 2002 237; Braum „Parallelwertungen in der Laiensphäre“: Der EuGH und die Vorratsdatenspeicherung, ZRP 2009 174; Breyer Der staatliche Zugriff auf Telekommunikations-Bestandsdaten aus verfassungsrechtlicher Sicht, RDV 2003 218; ders. Rechtsprobleme der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung und ihrer Umsetzung in Deutschland, StV 2007 214; Brinkel/Lammers Innere Sicherheit auf Vorrat? Ein erster kritischer Blick auf die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, ZUM 2008 11; Burhoff Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten, DSB 2002 Nr. 7/8, 15–16; Czychowski/ Nordermann Vorratsdaten und Urheberrecht – Zulässige Nutzung gespeicherter Daten, NJW 2008 3095; Demko Die Erstellung von Bewegungsbildern mittels Mobiltelefon als neuartige strafprozessuale Observationsmaßnahme, NStZ 2004 57; Eckhardt Neue Regelungen der TK-Überwachung, DuD 2002 197; ders. Neue Entwicklungen der Telekommunikationsüberwachung, CR 2002 770; ders. Die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, CR 2007 336; ders. Einstweilige Anordnung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung, DuD 2008 520; Faber Verrechtlichung – ja, aber immer noch kein „Grundrecht“! – Zwanzig Jahre informationelles Selbstbestimmungsrecht, RDV 2003 278; Forgó u.a. Die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, DuD 2008 680; Gercke Die Speicherung von Nutzungsdaten, Zwischen effektiver Kriminalitätsbekämpfung und Privatsphäre, DuD 2002 477; B. Gercke Telekommunikationsüberwachung: noch keine Reform CILIP 3/2004 31; ders. Auskunftsanspruch Privater gegenüber Internet-Providern, NIP 3/2005 15; Gietl Das Schicksal der Vorratsdatenspeicherung, DuD 2008 317; Gitter/Schnabel Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und ihre Umsetzung in das nationale Recht, MMR 2007 411; Gola/Klug/Reif Datenschutz- und presserechtliche Bewertung der „Vorratsdatenspeicherung“, NJW 2007 2599; Graulich Telekommunikationsgesetz und Vorratsdatenspeicherung, NVwZ 2008 485; Günther Zur strafprozessualen Erhebung von Telekommunikationsdaten – Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung oder verfassungsrechtlich unkalkulierbares Wagnis? NStZ 2005 485; Hefendehl Daten-Dammbrüche … Zugleich ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung, JZ 2009 165; Hilger Gesetzgebungsbericht: §§ 100g, 100h StPO, die Nachfolgeregelungen zu § 12 FAG, in Kraft, GA 2002 229; Hoeren Auskunftspflichten der Internetprovider an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden – eine Einführung, wistra 2005 1; ders. Die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung – Konsequenzen für die Privatwirtschaft, JZ 2008 668; ders. Vorratsdaten und Urheberrecht – Keine Nutzung gespeicherter Daten, NJW 2008 3099; Holznagel/Schulz Die Auskunftsrechte der Regulierungsbehörde aus § 72 TKG und § 45 PostG, MMR 2002 364; Jenny Eile mit Weile – Vorratsdatenspeicherung auf dem Prüfstand, CR 2008 282; Kelker Die Standortbestimmung von Mobiltelefonen, Die Polizei 2005 106; Kindt Grundrechtsschutz für Raubkopierer und Musikpiraten? MMR 2009 147; Köcher Vorratsdatenspeicherung – Die Zweite, DuD 2009 20; Korn Der strafprozessuale Zugriff auf Verkehrsdaten nach § 100g StPO, HRRS 2009 112; Leutheusser-Schnarrenberger Vorratsdatenspeiche-
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rung – Ein vorprogrammierter Verfassungskonflikt, ZRP 2007 9; Simitis Übermittlung der Daten von Flugpassagieren in die USA: Dispens vom Datenschutz?, NJW 2006 2011; Neumann/Wolff Informationsvermittlung nach §§ 100a und 100g im Wege telekommunikationsrechtlicher Auskunftsverfahren, TKMR 2003 110; Ronellenfitsch Datenverkehr, DuD 2008 110; Singelnstein/ Stolle Entwicklungen in der Telekommunikationsüberwachung und der Sicherheitspolitik – zur Novellierung des TKG, StraFo 2005 96; Thiede Auslesen von beschlagnahmten Mobilfunkgeräten, Kriminalistik 2005 346; Welp Verbindungsdaten zur Reform des Auskunftsrechts (§§ 100g, 100h StPO), GA 2002 535; Westphal Die neue EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, EuZW 2006 555; Wohlers/Demko Der strafprozessuale Zugriff auf Verbindungsdaten, FS Hilger 291; Wohlers Vorratsdatenspeicherung zwischen nationaler und europäischer Strafverfolgung, GA 2007 393; Wollweber Verbindungsdaten der Telekommunikation im Visier der Strafverfolgungsbehörden, NJW 2002 554; Zöller Vorratsdatenspeicherung zwischen nationaler und europäischer Strafverfolgung, GA 2007 393.
Entstehungsgeschichte. § 100g und § 100h a.F. wurden als Nachfolgevorschriften von § 12 FAG durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3879) mit Wirkung vom 1.1.2002 eingeführt. Die Vorschriften galten nach Art. 4 des genannten Gesetzes nur bis 31.12.2004, da angestrebt war, auf der Grundlage eines beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Auftrag gegebenen Gutachtens zu einem in sich stimmigen und harmonischen Gesamtsystem der strafprozessual zulässigen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu gelangen. Insbesondere wurde eine einheitliche Regelung des Schutzes der Kommunikation mit zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen angestrebt, die bis zu diesem Zeitpunkt in § 100d Abs. 3 und § 100h Abs. 2 a.F. nur bruchstückhaft und unabgestimmt angesprochen war.1 Zu diesen Fragen lag zwischenzeitlich auch der Bericht des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht „Zeugnisverweigerungsrechte bei (verdeckten) Ermittlungsmaßnahmen“2 vor. § 12 FAG i.d.F. des Art. 262 Nr. 1 EGStGB lautete ursprünglich: „In strafgerichtlichen Untersuchungen kann der Richter und bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft Auskunft über die Telekommunikation verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von dem Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren, und daß die Auskunft für die Untersuchung Bedeutung hat.“
Da mit zunehmender Digitalisierung (Stichwort: ISDN) des Fernmeldeverkehrs im Festnetz, vor allem aber auch in den Mobilfunknetzen 3 in großem Umfang gespeicherte Verbindungsdaten anfallen, die im früheren Analogverfahren nicht angefallen waren4 und allenfalls über technisch aufwendige Fangschaltungen5 oder Zählervergleichseinrichtungen6 erhoben werden konnten, gewann die Auskunft über Telekommunikations-
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Hilger GA 2002 228, 231. Herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz 2002. Zum Autotelefon vgl. BGH NStZ 1993 192 mit krit. Anm. Klescewski NStZ 1993 446. Dazu Bär CR 1993 634, 637; Klesczewski StV 1993 382; Königshofen ArchPT 1994 39, 48; vgl. zur zeitweisen Speicherung von Verbindungsdaten auch § 6 Abs. 3 TDSV a.F.; vgl. weiter BGH NStZ 1993 192 ff., wo die Frage offengelassen wird, ob die Verbindungsdaten
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eine Dichte erreichen können, die ihre Heranziehung nur noch unter den strengeren Anordnungsvoraussetzungen der §§ 100a/b möglich erscheinen ließe. Dazu OLG Saarbrücken NStZ 1991 386 mit Anm. Krehl; OLG Karlsruhe NStZ 1992 401; Steinke NStZ 1992 372. Zur mangelnden Rechtsgrundlage für dieses Ermittlungsinstrument: BVerfGE 85 386 ff. mit Anm. Gusy JZ 1992 1015 und Schatzschneider NJW 1993 202; s. auch BGH NStZ
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verbindungen als wichtiges Ermittlungsinstrument schnell an praktischer Bedeutung für die Ermittlungsbehörden. Über die Verbindungsdaten (§ 100a, 58) kann durch Computerdatenabgleich festgestellt werden, wer wann mit wem wo kommuniziert und es können Bewegungsbilder bestimmter Personen erstellt werden.7 Wenngleich sich die Auskunftspflicht unter der Geltung des § 12 FAG nach freilich bestrittener Meinung nur auf zeitlich zurückliegenden (nicht künftigen) Fernmeldeverkehr bezog,8 waren die Eingriffsvoraussetzungen verglichen etwa mit § 100a eher niedrig. Die Anwendung der Vorschrift war nicht an Katalogtaten gebunden9 und eine besondere Subsidiaritätsklausel gab es nicht. Bei wiederholter Auskunft („Kettenanordnungen“ nach § 12 FAG) ergab sich ein an das Ergebnis einer Telefonüberwachung angenähertes Bild über die Beziehungen des Beschuldigten zu anderen Personen. So war die Maßnahme insbesondere im Mobiltelefonbereich ein preiswerter und hoch effektiver Ersatz für die technisch anfangs schwierige echte Telefonüberwachung.10 Vor diesem Hintergrund wurde eine Neuregelung, die dem Gewicht des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird, zunehmend für erforderlich gehalten.11 So bestimmte bereits Art. 5 Nr. 20 des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 14.9.1994 (BGBl. I S. 2325), dass § 12 FAG am 31.12.1997 außer Kraft treten sollte. Mehrere Vorstöße im Gesetzgebungsverfahren des TKG, eine der mittlerweile immer wieder befristeten Regelung des § 12 FAG entsprechende neue Regelung in das TKG aufzunehmen, scheiterten jedoch. Art. 2 Abs. 9 des Entwurfs der Bundesregierung zum Telekommunikationsgesetz (Begleitgesetz) hatte die Einfügung eines § 99a mit folgendem Wortlaut vorgeschlagen:12 „§ 99a (1) Von denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen, kann Auskunft über die näheren Umstände der Telekommunikation verlangt werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet hat, und insoweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlungen des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist. Betrifft der Verdacht einer Straftat nicht eine mittels Endeinrichtung (§ 3 Nr. 3 TKG) begangene Straftat, kann Auskunft
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1993 192 mit Anm. Schmidt ArchPF 1993 185, Anm. Kleszewski NStZ 1993 446; Bär CR 1993 710. LG Aachen StV 1999 590; KK/Nack 4 f.; BGH StV 1998 173; Artkämper Kriminalistik 1998 202; Bernsmann/Janssen StV 1999 590; ebenso brisant sind die durch Verbindungsdaten anfallenden Bewegungsbilder und sogar Standortbestimmungen der Gesprächsteilnehmer bei laufender Telefonüberwachung von Mobiltelefonen nach § 100a: Durch die Mitteilung der Funkzelle (dazu § 2 Nr. 5, § 3 Abs. 1 Nr. 4 FÜV), über die die Verbindung abgewickelt wird, kann sodann innerhalb dieser Funkzelle eine genaue „Standortpeilung“ erfolgen. Das hat in jüngster Vergangenheit mehrfach zu spektakulären Aufklärungserfolgen bei Menschenraub geführt. Lampe § 12, 9 FAG; OLG Köln NJW 1970 1857; Klesczewski aaO; Palm/Roy NJW 1996
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1791; a.A. etwa LG München I NStZ-RR 1999 85. A.A. Kleszewski StV 1993 446; SK/Wolter § 100g, 19; Weber ArchPF 1977 391; Welp NStZ 1994 209, letztlich offen gelassen in BGH NStZ 1993 192 und BGH Beschl. vom 22. Oktober 1997 – 2 StR 445/97. Vgl. zum Ganzen Bär CR 1993 634 (Autotelefon); Klesczewski NStZ 1993 446, StV 1993 382, JZ 1997 719; Steinke NStZ 1992 372; Welp NStZ 1994 209. Bedenken gegen die Weite des Tatbestands vor dem Hintergrund der neueren technischen Möglichkeiten bei Klesczewski NStZ 1993 446, StV 1993 382, JZ 1997 719; Eisenberg/Nischan JZ 1997 485; KK/Nack § 100a, 11 ; die Gesetzgebungsgeschichte ist dargestellt bei Welp GA 2002 535 Fn. 4. BTDrucks. 13 8016.
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über die näheren Umstände der Telekommunikation nur verlangt werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von nicht unerheblicher Bedeutung ist. (2) Die Auskunft darf nur vom Richter, bei Gefahr im Verzuge auch von der Staatsanwaltschaft verlangt werden. (3) Die Anordnung ergeht schriftlich. Sie darf sich nur gegen den Beschuldigten oder solche Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegengenommen oder weitergegeben haben oder daß der Beschuldigte ihren Anschluß benutzt hat.“
Diese Vorschrift wurde aber nicht Gesetz. Zu einer solchen Neuregelung hatte sich der Gesetzgeber nicht durchringen können.13 Ausschlaggebend waren dabei insbesondere Bedenken hinsichtlich der Wertungswidersprüche, die sich im Vergleich der strengen Voraussetzungen des § 100a einerseits und der geringen Eingriffsvoraussetzungen des § 12 FAG bei zunehmender Datendichte andererseits ergeben hatten. Stattdessen wurde durch § 99 Abs. 1 Nr. 2 TKG vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1120) durch Änderung von § 28 FAG die befristete Fortgeltung von § 12 FAG bis 31.12.1999 angeordnet und – dem Zitiergebot entsprechend – der Vorschrift folgender Satz 2 angefügt: „Das Grundrecht des Artikels 10 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt.“
Das Gesetz vom 20.12.1999 (BGBl. I S. 2491) brachte durch Änderung von § 28 FAG eine erneute Verlängerung der Geltung der Vorschrift bis 31.12.2001. Gleichzeitig wurden in einem neu angefügten Abs. 2 die Vernichtungs- und Benachrichtigungsvorschriften der § 100b Abs. 6 a.F. und § 101 Abs. 1 Satz 1 a.F. für entsprechend anwendbar erklärt (Art. 4 Nr. 1 Buchst. b G. v. 20.12.1999, BGBl. I S. 2491 mit Wirkung vom 28.12.1999): „(2) § 100b Abs. 6 und § 101 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend.“
Dazu heißt es in der Begründung:14 „Entsprechend der im Telekommunikationsgesetz vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1120) enthaltenen Terminologie kann Auskunft über die näheren Umstände der Telekommunikation verlangt werden, wenn eine Straftat zur Aufklärung steht, die mittels Endeinrichtung im Sinne von § 3 Nr. 3 TKG begangen wurde. Im Vordergrund stehen hier belästigende und beleidigende Anrufe, bei denen das Auskunftsersuchen ein wichtiges Instrument der Sachverhaltsaufklärung und Beweissicherung ist. In anderen Fällen kann Auskunft verlangt werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Damit wird – ohne Einschränkung oder Ausweitung des Anwendungsbereichs – dem schon bisher anzuwendenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ausdruck verliehen.“ Erst mit dem Gesetz v. 20.12.2001 (BGBl. I S. 3879) kam es dann mit Wirkung vom 1.1.2002 zur Einfügung der §§ 100g, h a.F. Diese Vorschriften hatten folgenden Wortlaut: § 100g [Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten] (1) 1Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eine der in § 100a Satz 1 genannten Straftaten, oder mittels einer Endeinrichtung (§ 3 Nr. 3 des Telekommunikationsgesetzes) begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet hat, darf angeordnet werden, dass diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, unverzüglich Auskunft über die in Absatz 3
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BTDrucks. 13 4438 S. 27; BRDrucks. 80/1/96 S. 117 ff.; BRDrucks. 80/9/96.
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bezeichneten Telekommunikationsverbindungsdaten zu erteilen haben, soweit die Auskunft für die Untersuchung erforderlich ist. 2Dies gilt nur, soweit diese Verbindungsdaten den Beschuldigten oder die sonstigen in § 100a Satz 2 bezeichneten Personen betreffen. 3Die Auskunft darf auch über zukünftige Telekommunikationsverbindungen angeordnet werden. (2) Die Erteilung einer Auskunft darüber, ob von einem Telekommunikationsanschluss Telekommunikationsverbindungen zu den in Absatz 1 Satz 2 genannten Personen hergestellt worden sind, darf nur angeordnet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (3) Telekommunikationsverbindungsdaten sind: 1. im Falle einer Verbindung Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. vom Kunden in Anspruch genommene Telekommunikationsdienstleistung, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. § 100h [Form der Anordnung der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten] (1) 1Die Anordnung muss den Namen und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sie sich richtet, sowie die Rufnummer oder eine andere Kennung seines Telekommunikationsanschlusses enthalten. 2Im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung genügt eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation, über die Auskunft erteilt werden soll, wenn andernfalls die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 3§ 100b Abs. 1, 2 Satz 1 und 3, Abs. 6 und § 95 Abs. 2 gelten entsprechend; im Falle der Anordnung der Auskunft über zukünftige Telekommunikationsverbindungen gilt auch § 100b Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 4 entsprechend. (2) 1Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht in den Fällen des § 53 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 reicht, ist das Verlangen einer Auskunft über Telekommunikationsverbindungen, die von dem oder zu dem zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten hergestellt wurden, unzulässig; eine dennoch erlangte Auskunft darf nicht verwertet werden. 2Dies gilt nicht, wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme oder einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig sind. (3) Die durch die Auskunft erlangten personenbezogenen Informationen dürfen in anderen Strafverfahren zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer der in § 100g Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Straftaten benötigt werden, oder wenn der Beschuldigte zustimmt.
Die nächsten Änderungen erfolgten durch das Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer der §§ 100g, 100h StPO v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3231: Verlängerung bis 1.1.2008) und durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198). Die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung15 vom 15.3.2006 bezweckte die Harmonisierung der mitgliedsstaatlichen Verpflichtungen der jeweiligen Netzbetreiber oder Diensteanbieter, Verkehrsdaten aller Formen der modernen Telekommunikation (Festnetz, Mobilfunk, Internet usw.) auf Vorrat über die Zwecke der Abrechnung hinaus zu speichern. Damit sollen diese Daten zur Verfolgung schwerer
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Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.3.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG vom 13.4.2006 (ABl. EU Nr. L 105 S. 54–60).
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Straftaten zu Verfügung stehen (Art. 1 RL). Zu unterscheiden sind zwei Pflichten: Einmal die Pflicht, die Vorratsdatenspeicherung durch die Netzbetreiber sicherzustellen (Art. 3 RL), und sodann die Pflicht der Netzbetreiber, diese gespeicherten Daten unverzüglich auf deren Anfrage an die zuständigen Behörden weiterzuleiten (Art. 4 und 8 RL). Unabhängig von der europarechtlichen Kontroverse, ob diese Richtlinie gegen Gemeinschaftsgrundrechte16 und gegen die Kompetenzbestimmung des ehemaligen Art. 95 EG (jetzt Art. 114 AEUV) verstößt,17 trug sie zur erheblich zur Formulierung des § 100g in seiner heutigen Gestalt bei. Dessen Befugnisnorm in Abs. 1 Nr. 1 wurde vom BVerfG18 inzwischen freilich mehrfach dahingehend begrenzt, dass eine Vorratsdatenspeicherung nicht nur insbesondere, sondern abschließend nur bei einer Katalogtat gem. § 100a Abs. 2 in Betracht kommt: Soweit § 100g Abs. 1 Satz 1 die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 113a des TKG gestattet, ist er dem BVerfG zufolge mit dem GG unvereinbar und nichtig (dazu eingehend Rn. 2). Hinsichtlich der Überwachung in Echtzeit (Abs. 1 Satz 3) hat das BVerfG flankierende Dokumentationserfordernisse formuliert. Der deutsche Gesetzgeber ist damit also zu einer Neunormierung gezwungen und sieht sich dabei in einem heiklen Spagat zwischen den unionsrechtlichen Vorgaben zur Speicherpflicht und dem nationalen bzw. europäischen Grundrechtsschutz.
Übersicht Rn. I. Gegenstand, Nichtigkeit und Reform der Regelung 1. Gegenstand der Regelung . . . . . 2. Nichtigkeit der Regelung . . . . . . 3. Reform . . . . . . . . . . . . . . . a) Eckpunktepapier des BMJ . . . . aa) Sicherung vorhandener Verkehrsdaten . . . . . . . . . . bb) Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet . b) Gutachten des MPI . . . . . . . c) Gesetzentwürfe für §§ 100j und 100k . . . . . . . . . . . . II. Fernmeldegeheimnis
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III. Überblick über die gesetzliche Regelung IV. Eingriffsvoraussetzungen. Abs. 1 . . . 1. Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine der in § 100a Abs. 2 genannten Straftaten (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) . . . . . a) Katalog . . . . . . . . . . . . . b) Erhebliche Bedeutung . . . . . . 2. Straftat mittels Telekommunikation (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . .
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V. Betroffene
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VI. Gegenstand der Auskunft. Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 TKG 1. Verkehrsdaten . . . . . . . . . . . a) Daten . . . . . . . . . . . . . . b) Im Falle einer Verbindung . . . . c) Zukünftige Telekommunikationsverbindungen . . . . . . . . . . 2. Arten der Telekommunikationsverbindungen . . . . . . . . . . . . . a) Vom Beschuldigten oder einem Nachrichtenmittler ausgehende Kommunikation, Abs. 1, Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . b) Zielwahlsuche, Abs. 1 Satz 1 . . c) Funkzellenabfrage, Abs. 2 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . d) Echtzeiterhebung von Standortdaten, Abs. 1 Satz 3 . . . . . . .
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Eine entsprechende Vorlage des irischen High Court in Dublin an den EuGH liegt vor, vgl. http://www.thejournal.ie/ecj-asked-torule-on-mandatory-retention-of-phone-andinternet-data-339434-Jan2012/. Der EuGH hatte die Nichtigkeitsklage
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Rn. 3. Täter oder Teilnehmer; Versuch oder strafbare Vorbereitungshandlung . . . 4. Strafverfolgung, Tatverdacht . . . . . 5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . .
VII. Auskunftsverpflichtete
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Irlands zurückgewiesen, vgl. EuGH, Urt. v. 10.2.2009 – C-301/06, abrufbar unter http:/curia.europa.eu/de/actu/communiques/ cp09/aff/cp090011de.pdf. Vgl. zunächst BVerfGE 121 1 und zuletzt BVerfGE 125 260.
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Rn. VIII. Art der Auskunftserteilung 1. Die Art und Weise der Auskunftserteilung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nur Verbindungsdaten des Beschuldigten oder eines Nachrichtenmittlers, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100a Abs. 3 . . 3. Unverzügliche Auskunft, § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG . . . . . . . . . .
Rn. XII. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch die Staatsanwaltschaft (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 2 und 3) . . . . . .
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IX. Zuständigkeit (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . 50 X. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt des Beschlusses . . . . . . . . a) Formel . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Identifizierung der Gespräche c) Begründung . . . . . . . . . . . 4. Rechtliches Gehör, Bekanntmachung
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XIII. Durchführung der Anordnung . . . . .
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XIV. Zeugnisverweigerungsrechte . . . . . .
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XV. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 4 Satz 1) . . . . . . . . .
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XVI. Verwendungsregelung (§ 100h Abs. 3 a.F.) . . . . . . . . . . . . . .
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XVII. Vernichtung
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XVIII. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XIX. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels
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XX. Berichtspflicht ( Abs. 4) . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt, Inhalt und Zweck der Berichte . . . . . . . . . . . . . . .
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XXI. Revision . . . . . . . . . . . . . . . .
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XI. Verlängerung (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 5) . . . . . . . . . . . . . 65
I. Gegenstand, Nichtigkeit und Reform der Regelung 1. Gegenstand der Regelung. Die Vorschrift gestattet es den Strafverfolgungsbehör- 1 den, von den Diensteanbietern Auskunft über die nach den Telekommunikationsgesetzen zulässigerweise gespeicherten Daten über die Umstände von Telekommunikationsverbindungen (Verbindungsdaten) zu verlangen. Diese sind zu diesen Auskünften gesetzlich verpflichtet. Während die Überwachung der Telekommunikation nach § 100a sowohl den Inhalt der Kommunikation, als auch im Zusammenhang mit der Inhaltsüberwachung und -aufzeichnung (oder auch ohne eine solche) angefallene Verbindungsdaten erfasst, geht es bei § 100g nur um die äußeren Daten der Kommunikation, also darum, wer wann wo mit wem wie kommuniziert hat. Auch diese Daten sind durch das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG geschützt.19 Hinzu kommt, dass angesichts des durch die Digitalisierung ermöglichten Abrufs ungeheurer Datenmengen auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) beeinträchtigt werden kann.20 Freilich ist der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis weniger intensiv als bei der Überwachung des Inhalts der Kommunikation. Deshalb ist die Eingriffsschwelle insoweit etwas niedriger als bei § 100a, als hier zu den dortigen Katalogtaten beliebige weitere Straftaten als Eingriffsvoraussetzung ausreichen, so ihnen nur im Einzelfall erhebliche Bedeutung zukommt. In der Praxis handelt es sich um ein wichtiges Ermittlungsinstrument beispielsweise zur Beschaffung von Beweismitteln, zur Bestimmung des Tatorts und der Tatzeit eines Verbrechens oder zur Klärung des Aufenthaltsortes oder auch zur Abklärung, ob und bezüglich welcher Personen eine Telekommunikationsüberwachung
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BVerfGE 100 313, 358; BTDrucks. 14 7679 S. 1.
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BTDrucks. 14 7679 S. 1.
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erforderlich und unabdingbar ist.21 Das Verfahren bei der Auskunftserhebung ist nach Abs. 2 und 3 geregelt. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsbeschränkungen bei Angehörigen bestimmter zeugnisverweigerungsberechtigter Berufe ergeben sich aus § 160a.
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2. Nichtigkeit der Regelung. Die Befugnisnorm des Abs. 1 Nr. 1 wurde vom BVerfG22 mehrfach dahingehend begrenzt, dass eine Vorratsdatenspeicherung nicht nur „insbesondere“, sondern abschließend nur bei einer Katalogtat gem. § 100a Abs. 2 in Betracht kommt: Soweit § 100g Abs. 1 Satz 1 die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 113a des TKG gestattet, verstößt er dem BVerfG zufolge gegen Art. 10 Abs. 1 GG und ist damit nichtig: Im Einzelnen genügt § 113b Satz 1 Nr. 1 TKG i.V.m. § 100g nicht den besonders engen Voraussetzungen, unter denen allein auf die nach § 113a TKG gespeicherten Daten zurückgegriffen werden darf. Zwar habe der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften eine in ihrem Zusammenwirken differenzierte und nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 72 Abs. 1 GG abschließende Zweckbestimmung der Datenverwendung für die Strafverfolgung getroffen. Der Gesetzgeber ließ dabei für die Verwendung der Daten jedoch ähnliche Anforderungen genügen wie sie bisher für die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten galten, die die Diensteanbieter nach Maßgabe ihrer betrieblichen und vertraglichen Erfordernisse in begrenzterem Umfang und für den Einzelnen durch Vertragsgestaltung teilweise vermeidbar gemäß § 96 TKG speichern dürfen. Dies trägt dem besonders schweren Eingriff, der in der vorsorglich anlasslosen und systematischen Datenspeicherung des § 113a TKG liegt, nicht hinreichend Rechnung.23 Ferner stellt § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht sicher, dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern lässt – unabhängig von einem abschließenden Katalog – generell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen. Dies gilt erst recht für § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, weil er unabhängig von deren Schwere jede mittels Telekommunikation begangene Straftat nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als möglichen Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lässt. Ihre Verwendung verliert damit angesichts der fortschreitenden Bedeutung der Telekommunikation im Lebensalltag ihren Ausnahmecharakter.24 Nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht § 100g Abs. 1 Satz 1 weiterhin insoweit, als er einen Datenabruf grundsätzlich auch ohne Wissen des Betroffenen zulässt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Transparenz der Datenverwendung erlauben eine geheime Erhebung der nach § 113a TKG gespeicherten Daten nur, wenn dies aus überwiegenden, gesetzlich näher zu konkretisierenden Gründen erforderlich und richterlich angeordnet ist.25 Auch die Ausgestaltung der Benachrichtigungspflicht genügt nicht in jeder Hinsicht den oben entwickelten Maßgaben. Unzureichend sind demgegenüber die Regeln zur richterlichen Kontrolle für Fälle, in denen eine Benachrichtigung unterbleiben kann. § 101 Abs. 6 sieht eine gerichtliche Kontrolle nur für die Zurückstellung der Benachrichtigung gemäß § 101 Abs. 5 vor, nicht jedoch für das Absehen von einer Benachrichtigung
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Däubler-Gmelin, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung des Deutschen Bundestags, Protokoll S. 18699. Vgl. zunächst BVerfGE 121 1 und zuletzt BVerfGE 125 260.
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BVerfGE 125 260, 351 f. Rn. 277. BVerfGE 125 260, 352 f. Rn. 278. BVerfGE 125 260, 353 Rn. 279.
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gemäß § 101 Abs. 4. Dies trage dem hohen Stellenwert der Benachrichtigung für eine transparente Verwendung der nach § 113a TKG gespeicherten Daten nicht hinreichend Rechnung. Soweit sich eine Datenabfrage unmittelbar auf Verkehrsdaten einer bestimmten Person bezieht, darf auf deren nachträgliche Benachrichtigung nur nach einer gerichtlichen Kontrolle der entsprechenden Ausnahmegründe verzichtet werden. An einer solchen Kontrolle fehlt es in den Fällen, in denen von einer Benachrichtigung gemäß § 101 Abs. 4 Satz 3 wegen überwiegender Belange einer betroffenen Person abgesehen werden soll.26 Nicht hinreichend normenklar geregelt sind allerdings die gesetzlichen Bestimmungen 7 zu den formalen Anforderungen an die richterliche Anordnung. § 100g Abs. 2 i.V.m. § 100b Abs. 2 regelt lediglich Mindestanforderungen an die Entscheidungsformel; im Übrigen gilt die allgemeine Begründungspflicht für Entscheidungen gemäß § 34. Der Gesetzgeber sollte bei einer Neuregelung erwägen, ob es sachdienlich wäre, den strengen Anforderungen an eine substantiierte Begründung richterlicher Anordnungen durch eine spezielle und differenzierte Vorschrift Nachdruck zu verleihen. Jedenfalls sei sicherzustellen, dass der Umfang der zu übermittelnden Daten in der Anordnung in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Weise hinreichend selektiv und für die Diensteanbieter eindeutig beschrieben wird.27 Hinsichtlich der Überwachung in Echtzeit (Abs. 1 Satz 3) hat das BVerfG flankierende 8 Dokumentationserfordernisse formuliert. Der deutsche Gesetzgeber ist damit zu einer Neunormierung gezwungen und sieht sich dabei in einem heiklen Spagat zwischen den unionsrechtlichen Vorgaben zur Speicherpflicht und dem nationalen bzw. europäischen Grundrechtsschutz. 3. Reform. Infolge dieser Entscheidung liegt es damit am Gesetzgeber, eine verfas- 9 sungskonforme Neuregelung der „Vorratsdatenspeicherung“ vorzulegen. Zur Förderung dieser Reformdiskussion hat das BMJ ein Eckpunktepapier vorgelegt (a), das MPI für ausländisches und internationales Strafrecht ein Gutachten erstattet (b) und der Bundesrat noch im Jahr 2012 zwei Gesetzentwürfe für die neuen §§ 100j und 100k eingebracht (c): a) Eckpunktepapier des BMJ. Am 17.1.2011 hat die Bundesministerin der Justiz ein 10 „Eckpunktepapier zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet“ vorgelegt.28 In dem vom BMJ vorgeschlagenen Quick-Freeze-Verfahren kann nur die Sicherung von Verkehrsdaten derjenigen Personen angeordnet werden, die einen hinreichenden Anlass dazu gegeben haben. Die bei den Telekommunikationsunternehmen aus geschäftlichen Gründen bereits vorhandenen Verkehrsdaten sollen also anlassbezogen gesichert („eingefroren“) werden und so den Ermittlern unter Richtervorbehalt eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen können. Im Internetbereich soll eine auf sieben Tage befristete Speicherung von Verkehrsdaten erfolgen, um bei einem konkreten Verdacht dynamische IP-Adressen Personen zuordnen zu können. Im Einzelnen wird Folgendes vorgeschlagen:
26 27 28
BVerfGE 125 260, 353 f. Rn. 280 f. BVerfGE 125 260, 354 f. Rn. 283 m.w.N. Abrufbar unter http://www.bmj.de/ SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/ Eckpunktepapier_zur_Sicherung_
vorhandener_Verkehrsdaten_und_ Gewaehrleistung_von_ Bestandsdatenauskuenften_im_Internet.pdf; jsessionid=D6A4F8CA9171269043ACE6DC 486AD52F.1_cid297?_blob=publicationFile.
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aa) Sicherung vorhandener Verkehrsdaten. Mit der Sicherungsanordnung (sog. QuickFreeze) wird bewirkt, dass aktuell bei einem TK-Unternehmen vorhandene (und während der Laufzeit einer Sicherungsanordnung noch anfallende) Verkehrsdaten bei Bestehen eines hinreichenden Anlasses nicht gelöscht werden und damit für ihre spätere Erhebung oder Verwendung noch zur Verfügung stehen. Eine solche Sicherung von Daten ist im Vergleich mit dem ohnehin derzeit nach § 100g möglichen Zugriff auf Verkehrsdaten nur dann vorteilhaft, wenn die Sicherung schneller und einfacher erfolgen kann als die Datenerhebung. Dies setzt tendenziell voraus, dass eine Sicherungsanordnung geringeren Anforderungen unterworfen wird, als sie für eine Erhebungsanordnung gelten. (1) Materielle Voraussetzung für die Sicherungsanordnung soll sein, dass die zu sichernden Verkehrsdaten „für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich“ sind. Damit ist ein hinreichender Anlass vorgegeben, der den Umfang der zu sichernden Daten strikt begrenzt und verhindert, dass die Daten unverdächtiger Bürger für Strafverfolgungszwecke vorrätig gehalten werden. (2) Formelle Voraussetzung für eine Sicherungsanordnung ist eine Anordnung der zuständigen Polizeibehörde oder der Staatsanwaltschaft, um eine rasche Sicherung der vorhandenen Daten zu gewährleisten. (3) Bei den TK-Unternehmen werden Verkehrsdaten nach § 96 TKG zu geschäftlichen Zwecken gespeichert. Dies gilt auch, soweit sog. Flatrates vereinbart sind. Hier werden Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken gespeichert, die abrechnungsrelevant gegenüber anderen Diensteanbietern sind, z.B. für sog. Terminierungsentgelte bzw. Wholesale- oder Inter-Carrier-Abrechnungen. Ungeachtet von Unterschieden in der Handhabung bei einzelnen Unternehmen stehen damit Verkehrsdaten für Zeiträume bis zu sechs Monaten zur Verfügung. Die Speicherungsdauer ist dabei im Regelfall zumindest so lange, dass sie bei einer schnell wirkenden Zugriffsregelung und raschem Vorgehen der Polizeibehörden unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausreichend erscheint. (4) Die potentiell betroffenen TK-Diensteanbieter werden verpflichtet, auf eigene Kosten Vorkehrungen zu treffen, damit eine Sicherungsanordnung auch umgesetzt werden kann. Für die Schnittstelle zwischen Polizeibehörden und TK-Unternehmen muss eine Verfahrensregelung gefunden werden, die eine schnelle und effektive Zusammenarbeit ermöglicht. (5) Der Zugriff auf die gesicherten Daten ist gemäß § 100g StPO nur unter Richtervorbehalt möglich. (6) Nach § 100g ist eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung erforderlich, wozu insbesondere Katalogtaten nach § 100a Absatz 2 gehören können. Daneben erfasst die vom BVerfG insoweit gebilligte Vorschrift auch mittels Telekommunikation begangene Straftaten, zu denen vor allem Kinderpornografie im Internet zählt. (7) Die Sicherungsanordnung soll gegenüber Anbietern von öffentlich zugänglichen Telefon- und Internetzugangsdiensten möglich sein. (8) Ihr sollen die Datenarten unterfallen, wie sie durch die EU-Richtlinie vorgegeben und seinerzeit im Rahmen der Verhandlung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von der Praxis als besonders relevant für die Strafverfolgung benannt wurden. Die TK-Unternehmen können sich dadurch auf Sicherungsmaßnahmen für diese Datenarten einrichten. (9) Die Sicherungsfrist muss so kurz wie möglich und so lang wie nötig bemessen sein.
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(10) Da die Voraussetzungen für eine Sicherungsanordnung im Interesse einer raschen Datensicherung niedrig angesetzt werden, bedarf es einer zusätzlichen Begrenzung der Anordnung durch eine „Negativklausel“: Ist bereits bei Erlass einer Sicherungsanordnung voraussehbar, dass die Voraussetzungen für die Erhebung oder sonstige Verwendung der Daten nach § 100g nicht eintreten werden, dann muss die Sicherungsanordnung unzulässig sein. (11) Die gesicherten Daten sind unverzüglich zu löschen, sobald die Sicherungsfrist abgelaufen ist. (12) Hinsichtlich der Sicherung der mittels Sicherungsanordnung eingefrorenen Daten gelten die allgemeinen Regelungen des Telekommunikationsrechts, wonach jeder Diensteanbieter angemessene technische Vorkehrungen oder sonstige Maßnahmen zum Schutze des Fernmeldegeheimnisses und personenbezogener Daten sowie der Telekommunikations- und Datenverarbeitungssysteme gegen unerlaubte Zugriffe zu treffen hat, vgl. § 109 TKG. bb) Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet. Das BVerfG hat in 12 seinem Urteil vom 2.3.2010 zur Vorratsdatenspeicherung die Regelung zur Erhebung von Bestandsdaten grundsätzlich nicht beanstandet und vielmehr festgestellt: „Auskünfte nach § 113 Abs. 1 TKG kann der Gesetzgeber – auch unter mittelbarer Nutzung der nach § 113a TKG gespeicherten Daten – für die Aufklärung aller Straftaten vorsehen.“ Unter Bestandsdatenauskünften versteht man die Mitteilung der TK-Unternehmen darüber, welchem Teilnehmer (unter Angabe von Name und Adresse) eine bestimmte, der Polizeibehörde bereits bekannte Internetprotokoll-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war. Um insbesondere zum Vorgehen gegen Kinderpornografie solche Bestandsdatenauskünfte zu ermöglichen, soll im Bereich von Internetzugangsdiensten eine eng befristete Speicherung von Verkehrsdaten vorgesehen werden, wobei die Strafverfolgungsbehörden keinen Zugriff auf die Verkehrsdaten selbst erhalten. (1) Zulässig ist danach allein die (betriebsinterne) Verwendung zur Auskunftserteilung über Bestandsdaten des Anschlussinhabers, die bereits heute nach § 113 TKG i.V.m. §§ 161, 163 zur Verfolgung von Straftaten möglich ist und vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 2.3.2010 als zulässig zu Grunde gelegt wurde. In diesen Fällen sind den Strafverfolgungsbehörden bereits die Internetprotokoll-Adressen bekannt. Das vom BVerfG angesprochene diffus bedrohliche Gefühl des Beobachtetseins entsteht hier mangels unmittelbaren Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf die Verkehrsdaten nicht. Ebenso wenig besteht aus diesem Grund die ebenfalls vom BVerfG angesprochene Ermöglichung der Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers. Ein Zugriff zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (vgl. Urteil des BVerfG vom 2.3.2010, Rn. 262) ist nicht erlaubt. (2) Die Regelung wird auf Internetzugangsdienste beschränkt. (3) Bei der näheren Ausgestaltung ist aus Verhältnismäßigkeitsgründen, insbesondere Vermeidung absehbarer Existenzgefährdungen, eine Marginalgrenze für Kleinstunternehmen zu prüfen. Auch die geltende TKÜV sieht bezüglich der Verpflichtung von TK-Anlagenbetreibern zum Treffen von TKÜ-Vorkehrungen eine Marginalgrenze vor (§ 3 Abs. 2 Nr. 5 TKÜV). (4) Die Speicherungsdauer muss strikt auf das notwendige Maß beschränkt bleiben und soll sieben Tage betragen. (5) Der Umfang der Speicherungspflicht sollte auf die in der EU-Richtlinie vorgegebenen Daten für Internetzugangsdienste (vgl. §113a Abs. 4 TKG a. F.) beschränkt sein.
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(6) Auch wenn kein Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die Verkehrsdaten selbst zulässig ist, müssen die Vorgaben des BVerfG insbesondere zur Gewährleistung der Datensicherheit beachtet werden. Das BVerfG hat einen besonders hohen Sicherheitsstandard vorgegeben, der über das allgemein verfassungsrechtlich gebotene Maß für die Aufbewahrung von Daten der Telekommunikation hinausgeht. Sicherzustellen sind demnach jedenfalls – die getrennte Speicherung der anlasslos zu speichernden Daten, – eine anspruchsvolle Verschlüsselung der Daten, – ein gesichertes Zugriffsregime unter Nutzung etwa des Vier-Augen-Prinzips – eine revisionssichere Protokollierung. (7) Erforderlich ist ergänzend eine Benachrichtigung des Anschlussinhabers nach Maßgabe der Regelungen in § 101 Abs. 4 bis 8, um den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 2.3.2010 Rechnung zu tragen.
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b) Gutachten des MPI. In der zweiten, erweiterten Fassung seines Gutachtens „Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung. Eine Untersuchung zu Problemen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bei Fehlen gespeicherter Telekommunikationsverkehrsdaten“ vom Juli 2011 zieht das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht folgendes Fazit: Obwohl der Evaluationsbericht der Europäischen Kommission davon ausgeht, dass die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten signifikant zur Sicherheit in Europa beigetragen habe,29 und obwohl die ausländischen Interviewpartner darauf verweisen, dass die Verkehrsdatenabfrage heute ein wichtiger Bestandteil im Katalog der polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen sei,30 lässt sich der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote abbilden.31 Trotz einer gegenwärtig noch sehr unsicheren statistischen Datengrundlage, dem Fehlen systematischer empirischer Untersuchungen und sehr unterschiedlichen Einschätzungen bei den unmittelbar betroffenen Praktikern,32 spielen Verkehrsdaten in der Regel nur in Kombination mit anderen Ermittlungsmaßnahmen eine Rolle.33 In einem Quick-Freeze-Verfahren wird von den Praktikern über alle Berufsgruppen hinweg kein taugliches Äquivalent zur Vorratsdatenspeicherung gesehen, weil diese Methode lediglich ohnehin vorhandene Verkehrsdaten selektiv vor der Löschung bewahren, gerade die aus ermittlerischer Perspektive besonders wichtigen retrograden Daten aber nicht ex post generieren könne.34
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c) Gesetzentwürfe für §§ 100j und 100k. Zuletzt hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vorgelegt.35 Darin ist ein neuer § 100j vorgesehen, der folgenden Wortlaut hat: 29
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Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung. Eine Untersuchung zu Problemen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bei Fehlen gespeicherter Telekommunikationsverkehrsdaten. Gutachten im Auftrag des Bundesamtes für Justiz, 2. erweiterte Fassung (Juli 2011), 228 Rn. 46. MPI-Gutachten 227 Rn. 39. MPI-Gutachten 219 Rn. 9.
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MPI-Gutachten 218. MPI-Gutachten 221 Rn. 18. MPI-Gutachten 227 Rn. 38. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 9.1.2013 (BTDrucks. 17 12034 S. 3 f.); zuletzt überarbeitet in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) vom 20.3.2013 (BTDrucks. 17 12879).
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100g
§ 100j „(1) Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den §§ 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten verlangt werden (§ 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (§ 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (§ 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). (3) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich zu übermitteln. § 95 Absatz 2 gilt entsprechend.“
Damit soll den materiellen Anforderungen des BVerfG in seiner Entscheidung vom 15 24.1.201236 an die spezifischen Erhebungsbefugnisse in den jeweiligen Fachgesetzen Rechnung getragen werden. § 113 TKG, §§ 7, 20b, 20w und 22 BKAG, §§ 33 und 70 BPolG, § 8c und 8d BVerfSchG, §§ 7, 15, 23g und 27 ZFdG sollen geändert werden. Weiterhin werden § 100j StPO, § 22a BPOlG, § 41a ZFdG, § 2b BNDG und § 4b MADG neu eingefügt und § 23f ZFdG gestrichen. Dem vergleichbar ist ein älterer Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Siche- 16 rung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet. Darin sind die neuen §§ 100j und 100k vorgesehen, die folgenden Wortlaut aufweisen: § 100j (1) Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist, darf gegenüber demjenigen, der öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, angeordnet werden, dass er die bei der Nutzung des Dienstes bereits erzeugten oder verarbeiteten sowie künftig anfallenden Verkehrsdaten (§ 96 Absatz 1 des Telekommunikationsgesetzes), die in den Absätzen 3 und 4 benannt sind, zu sichern hat. Die Anordnung ist unzulässig, soweit die Voraussetzungen für eine Erhebung oder Verwendung der Daten voraussichtlich nicht vorliegen werden. (2) Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. Eine Verlängerung der Anordnung um nicht mehr als einen Monat ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. § 100a Absatz 3 und § 100b Absatz 2, 3 Satz 2 und 3, Absatz 4 Satz 1 gelten entsprechend. (3) Die Anordnung nach Absatz 1 darf sich bei Anbietern von öffentlich zugänglichen Telefondiensten auf Folgendes beziehen: 1. die Rufnummer oder andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses, 2. Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone von Beginn und Ende der Verbindung, 3. Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können,
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BVerfGE 130 151.
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§ 100g
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
4. im Fall mobiler Telefondienste ferner a) die internationale Kennung für mobile Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss, b) die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes, c) die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden, sowie geografische Lage und Hauptstrahlrichtung der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantenne, d) Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes sowie Bezeichnung der Funkzelle, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden, 5. im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses. Satz 1 gilt entsprechend bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht; hierbei treten an die Stelle der Angaben nach Satz 1 Nummer 2 die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht. Die Anordnung darf sich auch auf unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des Netzwerkmanagements erfolglose Anrufe erstrecken. (4) Die Anordnung nach Absatz 1 darf sich bei Anbietern von öffentlich zugänglichen Internetzugangsdiensten beziehen auf: 1. die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse, 2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, 3. Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse. (5) Der nach dieser Vorschrift Verpflichtete darf die allein auf Grund der Sicherungsanordnung gesicherten Daten nur für eine Auskunftserteilung verwenden, die von einer Strafverfolgungsbehörde für Zwecke der Verfolgung von Straftaten verlangt wird, und hat diese Daten nach Ablauf der Sicherungsfrist unverzüglich zu löschen. (6) § 113 Absatz 2 des Telekommunikationsgesetzes gilt entsprechend. § 100k (1) Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist, darf von demjenigen, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die in § 113 des Telekommunikationsgesetzes in Bezug genommenen Daten verlangt werden. § 95 Absatz 2 gilt entsprechend. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 kann auch zu bekannten Internetprotokoll-Adressen verlangt werden, die zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesen waren oder noch sind. Die betroffene Person ist von der Beauskunftung zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt wird. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 3 zurückgestellt oder nach Satz 4 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (3) In der Auskunft ist mitzuteilen, ob die Internetprotokoll-Adressen für die bestimmten Zeitpunkte jeweils allein nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes gespeichert waren. (4) Über die Maßnahmen nach Absatz 2 Satz 1 ist entsprechend § 100b Absatz 5 jährlich eine Übersicht zu erstellen, in der anzugeben sind: 1. die Anzahl der Verfahren, in denen Maßnahmen nach Absatz 2 Satz 1 durchgeführt worden sind, und 2. die Anzahl der Internetprotokoll-Adressen, zu denen um Auskunft ersucht wurde, unterschieden nach ihrem Alter und weiter unterschieden danach, ob sie allein nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes gespeichert waren. Das Alter der Internetprotokoll-Adressen bestimmt sich danach, wie viele Tage zwischen dem Zeitpunkt der Anordnung und dem in der Anordnung genannten Zeitpunkt, zu dem die Internetprotokoll-Adresse vergeben war, liegen. In der nach Satz 1 zu erstellenden Übersicht ist dieses Alter für den Zeitraum bis zu einer Woche taggenau, bis zu einem Monat wochenweise und für darüber hinausgehende Zeiträume monatsweise zu erfassen.“
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100g
II. Fernmeldegeheimnis Die Auskunft über die Verbindungsdaten der Telekommunikation nach § 100g be- 17 rührt den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG.37 Der Schutz ist nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost genutzten Technologien und angebotenen Fernmeldedienste (wie Telefon, Telefax oder Teletext) beschränkt, sondern umfasst sämtliche mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken erfolgenden Übermittlungen von Informationen, unabhängig davon, wer Betreiber der Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen ist.38 Auf die konkrete Übermittlungsart (etwa über Kabel oder Funk, durch analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (etwa Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an.39 Mit Rücksicht auf die technologische Entwicklung ist der früher verwendete Begriff des Fernmeldewesens in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes durch den der Telekommunikation ersetzt worden (vgl. Art. 73 Nr. 7, Art. 87f GG). Vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses sind nicht nur die Kommunikationsinhalte, 18 sondern auch die näheren Umstände der Telekommunikation erfasst, die hier Gegenstand der Auskunftserteilung nach § 100g sind. Das Fernmeldegeheimnis schützt zwar in erster Linie den Kommunikationsinhalt, umfasst aber ebenso die Kommunikationsumstände. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist.40 Das Grundrecht will die Bedingungen einer freien Telekommunikation aufrechterhalten. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein.41 Mit der grundrechtlichen Verbürgung der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses soll vermieden werden, dass der Meinungs- und Informationsaustausch mittels Telekommunikationsanlagen deswegen unterbleibt oder nach Form und Inhalt verändert verläuft, weil die Beteiligten mit Überwachung rechnen müssen.42 Dieser Schutzzweck des Grundrechts ist bei der Auslegung der vorliegenden Vorschrift, insbesondere auch bei einer im Einzelfall vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung,43 zu beachten. Durch die Privatisierung der Telekommunikation hat sich am Schutz des Fernmelde- 19 geheimnisses nichts geändert (§ 100a, 5). Art. 10 Abs. 1 GG begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat und einen Auftrag an den Staat, durch geeignete rechtliche Gestaltung das Fernmeldegeheimnis auch dann zu schützen, wenn das Betreiben der Telekommunikation in den Händen Privater liegt. Der Schutzauftrag bezieht sich deshalb nach der gemäß Art. 87f GG erfolgten Liberalisierung des Telekommunikationswesens auch auf die von Privaten betriebenen Telekommunikationsanlagen. Dem trägt insbesondere § 85 TKG Rechnung, der besondere Pflichten zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses für diejenigen normiert, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken.44
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BVerfG NJW 2003 1787. BVerfG NJW 2002 3619, 3620; BVerfG NJW 2003 1777. Vgl. BVerfG NJW 2002 3619, 3620. BVerfG NJW 2003 1787; BVerfGE 67 157, 172; 85 386, 396.
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BVerfG NJW 2003 1787; BVerfGE 100 313, 358. BVerfG NJW 2003 1787; BVerfGE 100 313, 359. BVerfG NJW 2003 1787. BVerfG NJW 2002 3619, 3620.
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III. Überblick über die gesetzliche Regelung 20
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Die gesetzliche Regelung der §§ 100g und 100h der a.F. von 2002 war denkbar unübersichtlich, was mit dem schwierigen unter starkem Zeitdruck erfolgten Gesetzgebungsverfahren zusammenhing. So wurde die Regelung über die Funkzellenabfrage in § 100h Abs. 1 a.F. und über den Schutz von Angehörigen bestimmter zeugnisverweigerungsberechtigter Berufe erst durch den Rechtsausschuss eingefügt.45 Die vom BVerfG für nichtig erklärte Fassung von 2007 bot demgegenüber eine bessere Struktur: Voraussetzung ist zunächst entweder der Anfangsverdacht einer bestimmten, qualifizierten Straftat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) oder der Anfangsverdacht irgendeiner Straftat, sofern sie mittels Telekommunikation begangen wurde (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; Rn. 29). Auskunft ist zu erteilen über Telekommunikationsverkehrsdaten gem. §§ 96, 113a TKG (Rn. 3). Dabei handelt es sich also nicht um alle Verkehrsdaten, die § 3 Nr. 30 TKG definiert als „Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden“. Vielmehr sind nur diejenigen Verkehrsdaten von § 100g Abs. 1 Satz 1 erfasst, die § 96 Abs. 1 TKG herausgreift. Das Gesetz kennt zwei Arten von Auskünften (Rn. 36): Auskunft über die Verbindungsdaten von Telekommunikation, die vom Beschuldigten oder einem Nachrichtenmittler ausging oder die zu dem Beschuldigten oder einem Nachrichtenmittler hergestellt wurde, sog. Zielwahlsuche (§ 100g Abs. 1 Satz 1), und Auskunft über Verbindungsdaten von Telekommunikation in Echtzeit, die in einem räumlich und zeitlich bestimmten Bereich stattfindet (sog. Standortdaten in Echtzeit, geregelt in Abs. 1 Satz 3). Die Auskunft durfte, was unter der Geltung von § 12 FAG streitig war, auch über zukünftige Telekommunikation (Rn. 39) angeordnet werden (§ 100g Abs. 1 Satz 3 a.F. i.V.m. § 100h Abs. 1 Satz 3 a.F. und die Verweisung auf § 100b Abs. 2 Satz 4 und 5 a.F.).46 Der Richtervorbehalt und die Förmlichkeiten der Anordnung sind in Abs. 2 i.V.m. einigen Bestimmungen des § 100b geregelt (Rn. 55). un. Die Telekommunikation mit manchen (nicht allen!) Angehörigen zeugnisverweigerungsberechtigter Berufe ist geschützt. § 160a Abs. 2 enthält insoweit ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot. Schließlich enthält Abs. 3 eine Regelung über die Pflicht zur Erstellung einer jährlichen Übersicht über die Maßnahmen nach Abs. 1 (Rn. 76).
IV. Eingriffsvoraussetzungen. Abs. 1 26
1. Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine der in § 100a Abs. 2 genannten Straftaten (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)
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a) Katalog. Das Gesetz begrenzt den Kreis der Straftaten, die Anlass für eine Maßnahme nach § 100g sein können, anders als die Vorgängervorschrift § 12 FAG, die eine solche Einschränkung nicht kannte. Es muss sich um eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung handeln, insbesondere um eine der im Katalog des § 100a Abs. 2 genannten Straftaten. Damit verwendet das Gesetz dieselbe Konstruktion wie in § 81g. 45
BTDrucks. 14 7679 S. 5 mit knapper Begründung S. 8. In einem späteren Gesetzentwurf hat der Bundesrat vergeblich eine
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Streichung von Abs. 2 verlangt, BTDrucks. 14 9801 S. 12 und 15. Bär MMR 2002 358, 361.
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§ 100g
Es verwendet eine Generalklausel und exemplifiziert diese durch Verweisung auf den Katalog (hier) des § 100a Abs. 2.47 Zutreffend weist Welp 48 darauf hin, dass damit zwei Auslegungswege grundsätzlich eröffnet sind: Entweder ist bei Vorliegen einer Katalogtat auch die besondere Bedeutung ohne Weiteres zu bejahen oder es bedarf wie bei den Regelbeispielen des besonders schweren Falles im Strafzumessungsrecht einer Prüfung im Einzelfall, ob ungeachtet des Vorliegens einer Katalogtat eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt.49 Da indes bereits das Vorliegen einer Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 die eingriffsintensivere Maßnahme der inhaltlichen Telekommunikationsüberwachung erlaube, werde man, so Welp, bei der weniger eingriffsintensiven Maßnahme nach § 100g keine strengeren Voraussetzungen verlangen können, sodass mit Vorliegen der Katalogtat auch die besondere Bedeutung im Sinne der Vorschrift zu bejahen sei. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um ein schlecht gemachtes Gesetz. Da bei der Maßnahme nach § 100a auch bei Vorliegen einer Katalogtat eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich ist,50 erscheint es sachgerechter, die Regelbeispielstechnik zu übernehmen. Das Vorliegen einer Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 ist danach zwar nicht unbedingte Voraussetzung der Anordnung, aber doch bedeutsamer Anwendungsfall für eine Straftat von erheblicher Bedeutung.51 Das BVerfG hat diese Regelbeispielstechnik jedoch verworfen und fordert für eine Verkehrsdatenerhebung stets eine im Einzelfall bestehende Katalogtat nach § 100a Abs. 2.52 b) Erhebliche Bedeutung. Die Tat muss nach dem nichtigen Wortlaut des Gesetzes 28 indes nicht stets dem Katalog des § 100a angehören. Für die Bestimmung der erheblichen Bedeutung ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen.53 Die Straftat muss, so die verbreitete Begriffsbestimmung, mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.54 Gegen diese Begriffsbestimmung, die sich schon in früheren Gesetzesmaterialien55 findet, wurde zu Recht eingewandt, dass sie wegen der Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe wenig mehr als den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umschreibe.56 Dass durch die ausdrückliche beispielhafte Erwähnung der in § 100a genannten Straftaten eine Präzisierung erreicht würde,57 ist angesichts des ausgeuferten Katalogs ein frommer Wunsch des Gesetzgebers, der das Problem aber offensichtlich gesehen hat.58 Auch bestimmen spezi-
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Das war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Die CDU-Fraktion hatte vergeblich die Streichung der Halbsatzes „insbesondere eine der in § 100a genannten Straftaten“ verlangt; BTDrucks. 14 7679 S. 6. Welp GA 2002 535, 538. Für Letzteres bei § 81g beispielsweise Krause FS Rieß 261, 271. Welp GA 2002 535, 538; KK/Nack § 100a, 36. Ebenso BVerfG NJW 2003 1787; anders Welp GA 2002 535, 539; zur Bedeutung des Wortes „insbesondere“ im Sinne von „vor allem“ s. auch BGH NStZ 2001 598. BVerfG 125 260, 351 ff. Ebenso BVerfG NJW 2003 1787; Welp GA 2002 535, 539.
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BTDrucks. 13 10791 S. 5; Meyer-Goßner § 98a, 5; SK/Wohlers § 98a, 17; Senge NJW 1999 253; Welp GA 2002 535, 539; vgl. auch Möhrenschlager wistra 1992 326, 327; Hilger NStZ 1992 457 Fn. 93; BVerfGE 103 21, 34. BTDrucks. 13 10791 S. 5. Welp GA 2002 535, 539. BTDrucks. 14 7008 S. 6. S. dazu auch die Stellungnahme des Bundesrats, der die Bezugnahme auf den Katalog des § 100a gestrichen wissen wollte und die Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 14 7258 S. 1 und 4.
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fische Aufklärungsdefizite und allgemeine kriminalpolitische Erwägungen den Katalog.59 Gerade wegen der Uneinheitlichkeit der im Katalog des § 100a enthaltenen Straftaten führt auch die Auffassung nicht weiter, die Taten müssten „im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, die tatbestandsmäßige Handlung und den Strafrahmen einer Katalogtat wenigstens vergleichbar sein“.60 Erhebliche Bedeutung wird bei Delikten, die mit höherer Freiheitsstrafe als fünf Jahre bedroht sind, stets,61 bei einer nur fahrlässig begangenen bloßen Trunkenheitsfahrt62 kaum jemals, beim Ausspähen von Daten nach § 202a StGB überhaupt nicht63 vorliegen. Anhaltspunkt kann etwa sein, ob für vergleichbare Straftaten auch bei Ersttätern Freiheitsstrafen verhängt werden.64 Die zu § 98a vertretene Auffassung, die Schwere des Unrechts und die Störung des Rechtsfriedens65 müsse gerade durch die Elemente und Strukturen der organisierten Kriminalität zumindest mitgeprägt sein,66 ist mit dem Wortlaut schon jener Vorschrift nicht zu vereinbaren. In seiner Entscheidung zur Frage, ob bei Angehörigen der Medien Verbindungsdaten zur Feststellung des Aufenthaltsorts von Beschuldigten erhoben werden dürfen, wenn diese Kontakte zu den Medien haben, hat das Bundesverfassungsgericht 67 zu dem Verfahren, in dem der Beschuldigte wegen Vermögensdelikten (keine Katalogtaten!) gesucht wurde, die Erheblichkeit zutreffend bejaht und dies damit begründet, dass die angenommenen Schäden sich auf eine Höhe von 2 bis 3 Milliarden DM beliefen, es eine große Zahl Geschädigter gegeben habe und es um eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren in Deutschland gegangen sei. Auch Wirtschaftsstraftaten könnten von erheblicher Bedeutung sein. Für die Gewichtung einer Straftat sind nicht allein das betroffene Rechtsgut, sondern ebenfalls die Tatbegehung und das Ausmaß der Schäden maßgebend. Die dem Beschuldigten (Schneider) angelasteten Straftaten hätten nicht zuletzt hinsichtlich der Art ihrer Begehung, der Anzahl der Geschädigten und wegen des Ausmaßes des Schadens ein hinreichendes strafrechtliches Gewicht. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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2. Straftat mittels Telekommunikation (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten kann auch dann verlangt werden, wenn eine Straftat mittels Telekommunikation begangen wurde. Meist wird es sich dabei um Straftaten mittels sog. Endeinrichtungen handeln. Der Begriff Endeinrichtung war in § 3 Nr. 3 TKG a.F. gesetzlich definiert: Es handelt sich um „Einrichtungen, die unmittelbar an die Abschlusseinrichtung eines Telekommunikationsnetzes angeschlossen werden sollen oder die mit einem Telekommunikationsnetz zusammenarbeiten und dabei unmittelbar oder mittelbar an die Abschlusseinrichtung eines Telekommunikationsnetzes angeschlossen werden sollen“. Mittels Endeinrichtung (im Sinne von § 3 Nr. 3 TKG a.F.) begangen werden also Straftaten, bei denen das Telefon, das Faxgerät oder der Internetzugang des
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Welp GA 2002 535, 540. Wollweber NJW 2002 1554. BGH Urteil vom 22.8.1996 – 5 StR 680/94 bezeichnet auch den schweren Raub (§ 250 StGB) als „eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 98a StPO“. Unklar bleibt, ob sich dies nur auf den entschiedenen Einzelfall (vollendeter schwerer Raub mit einer ungeladenen Pistole und umgerechnet rund 40.000 € Beute) bezog. Bzgl. der fahrlässigen Trunkenheitsfahrt ebenso: Meyer-Goßner § 98a, 6. LG Dortmund MMR 2003 54.
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Ähnlich, aber strenger KK/Nack § 110a Rn. 21: „Ein handhabbares Abgrenzungskriterium ist die Überlegung, ob wegen der Tat Anklage beim LG oder OLG erhoben werden müßte.“ Diese Auffassung dürfte nach der Erweiterung des Strafbanns der Amtsgerichte auf Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren (§ 24 GVG) nicht zutreffen. Zum Erfordernis der Störung des Rechtsfriedens vgl. Graf 94 sowie Gropp ZStW 105 (1993) 405, 409 Fn. 18. So SK/Wolter § 98a, 17. BVerfG NJW 2003 1777.
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Computers (E-mail) als Tatinstrument zur Begehung von Straftaten benutzt wurden.68 Es reicht sicher nicht aus, dass das Gerät nur, wie etwa im Betäubungsmittelhandel üblich, anlässlich der Begehung einer Straftat Verwendung findet; sonst wäre der Katalog überflüssig.69 Entscheidend ist, ob die Telekommunikation als Mittel zur Begehung von Straftaten eingesetzt wird und nicht nur das eigentliche Angriffsobjekt darstellt.70 Gegen diese Auslegung, wendet sich Welp,71 der eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschrift, mindestens aber eine strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Fallgestaltungen für angezeigt hält, bei denen die spezifischen Bedingungen der Telekommunikation missbraucht würden, bei denen etwa wie beim sog. Hacking gegen die Nutzungsbedingungen des Mediums selbst verstoßen wird. Der Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialien geben aber für diese Auslegung nichts her. Es sprechen vielmehr gute Gründe dafür, dass die Vorschrift auf alle Sachverhalte angewandt wird, bei denen sich der Täter der Anonymität der Telekommunikation bedient.72 Im Vordergrund stehen belästigende und (sexuell) beleidigende Anrufe oder sonst im Wege der Telekommunikation übermittelte Äußerungen. In diesen Fällen ist das Auskunftsersuchen ein wichtiges Instrument der Sachverhaltsaufklärung und Beweissicherung, weil diese Taten sonst kaum aufgeklärt werden könnten. Deshalb wird vom Gesetz nach dessen ausdrücklichem Wortlaut („oder“) die Auskunft weder vom Vorliegen einer Katalogtat abhängig gemacht noch wird der Verdacht einer erheblichen Straftat verlangt.73 In Bagatellfällen wird allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der hier wie 30 stets gilt, besondere Bedeutung erlangen. Bei wiederholten belästigenden Anrufen ist eine nach § 10 TDSV auf Antrag des betroffenen Kunden eingerichtete Fangschaltung sicher der weniger gewichtige Eingriff und deshalb vorzuziehen.74 3. Täter oder Teilnehmer; Versuch oder strafbare Vorbereitungshandlung a) Wie in § 100a wird nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in Satz 1 die Teil- 31 nahme (nach §§ 28 Abs. 1, 26, 27 StGB Anstiftung und Beihilfe) der Täterschaft gleichgestellt, nicht aber die Strafvereitelung und die Begünstigung (wie z.B. in § 97 Abs. 2 Satz 3). Versuch reicht aus, soweit er strafbar ist, desgleichen die Vorbereitung einer zur Anordnung der Maßnahme nach § 100g berechtigenden Straftat, soweit diese Vorbereitungshandlung nach irgendwelchen Vorschriften (z.B. als Diebstahl einer Waffe zur Vorbereitung eines Totschlags) oder nach § 30 Abs. 2 StGB strafbar ist.75 Eine Beschränkung auf nach § 30 StGB strafbare Vorbereitungshandlungen76 ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Dagegen reichen nicht strafbare Vorbereitungshandlungen nicht aus; § 100g dient der Strafverfolgung, die Vorschrift ist keine polizeiliche Präventivmaßnahme.77
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Bär MMR 2003 54; Welp GA 2002 535, 540; Wohlers/Demko StV 2003 241, 245. Wohlers/Demko StV 2003 241, 245. Bär MMR 2003 54. Welp GA 2002 535, 541; kritisch auch Eisenberg Beweisrecht 2473 . Wollweber NJW 2002 1554; Meyer-Goßner 17; Pfeiffer 1. BTDrucks. 14 7008 S. 6, 7; Bär MMR 2003 54; Welp GA 2002 535, 540. SK/Wolter 23; Welp GA 2002 535, 541.
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BGHSt 32 10, 16 = NStZ 1984 372 mit Anm. Schlüchter; KK/Nack § 100a, 33; Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 15; Schnarr NStZ 1990 259. So aber Niehaus Katalogtatensysteme als Beschränkungen strafprozessualer Eingriffsbefugnisse (2002) 81; vgl. auch Welp GA 2002 535, 539. Welp GA 2003 535, 540; Schlüchter NStZ 1984 375 zu § 100a.
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b) Soweit nicht eine Katalogtat in Rede steht, sondern die Haupttat eine solche von erheblicher Bedeutung ist, kommt es in erster Linie darauf an, ob die Haupttat diese Voraussetzungen erfüllt, das Gewicht der Teilnahmehandlung, des Versuchs oder der Vorbereitungshandlung ist nicht entscheidend.78 Je nach Ermittlungslage kann die Anordnung der Maßnahme aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen.
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4. Strafverfolgung; Tatverdacht. § 100g enthält eine Eingriffsermächtigung zugunsten der Strafverfolgungsbehörden.79 Die Maßnahme kann im gesamten Strafverfahren (§ 94, 19), gemäß § 457 auch noch im Vollstreckungsverfahren, ergriffen werden, wenn wegen einer Tat i.S. von Abs. 1 vollstreckt wird und die Maßnahme angesichts der Dauer der noch zu vollstreckenden Strafe nicht unverhältnismäßig ist. Es genügt einfacher Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne von Rn. 33 ff., dieser muss aber auf bestimmten Tatsachen beruhen, also objektivierbar und konkret auf den Einzelfall bezogen sein.80 Insofern entspricht die gesetzliche Regelung der in § 100a. Auf Rn. 50 dort wird verwiesen.
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5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ungeachtet der vom Gesetz vorgesehenen generellen Eingriffsvoraussetzungen (Deliktskatalog, Erheblichkeit der Straftat, bestimmte Tatsachen für die Verdachtsannahme, Subsidiaritätsklausel bei der Zielwahlsuche nach Abs. 1 Satz 2 und bei der Funkzellenabfrage nach Abs. 2 Satz 2) ist zusätzlich in jedem Einzelfall zu prüfen, ob etwa wegen des geringen Grads von Tatverdacht, wegen des geringen Gewichts der Katalogtat oder der Teilnahmehandlung usw. die Maßnahme nicht unverhältnismäßig ist. Das Gesetz bringt dies mit dem (überflüssigen81) Hinweis auf die Erforderlichkeit der Auskunft (Abs. 1 Satz 1 a.E.) zum Ausdruck. Der Eingriff wäre rechtswidrig, wenn ungeachtet des Vorliegens einer Straftat von erheblicher Bedeutung der verfolgte Zweck mit für die Betroffenen weniger belastenden Mitteln erreichbar wäre,82 wobei zu bedenken ist, dass bei Auskünften der vorliegenden Art häufig sehr viele Personen betroffen sind. Der Grundsatz der Erforderlichkeit führt aber nicht zu einer unbedingten Rangfolge zwischen der Auskunftserteilung einerseits und möglichen alternativen Ermittlungsmaßnahmen andererseits. Er bleibt insbesondere einer Einzelfallprüfung zugänglich, ob alternative Ermittlungsmaßnahmen zu gleich schweren oder schwereren Eingriffen führen.83
V. Betroffene 35
Nur über Verbindungsdaten, welche den Beschuldigten oder einen Nachrichtenmittler (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100a Abs. 3) betreffen, darf Auskunft erhoben werden. Die Maßnahme darf also nicht ergriffen werden, um beispielsweise die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu überprüfen. Zum Begriff des Beschuldigten und des Nachrichtenmittlers siehe § 100a, 86–91.
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Teilweise anders Welp GA 2002 535, 539. Meyer-Goßner 3. BTDrucks. 14 7008 S. 6; Wohlers/Demko StV 2003 241, 245.
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Hilger GA 2003 228, 229. BTDrucks. 14 7008 S. 7; BVerfG NJW 2003 1787. BVerfG NJW 2003 1787.
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§ 100g
VI. Gegenstand der Auskunft. Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 TKG 1. Verkehrsdaten. Gegenstand der Auskunft sind die in § 96 Abs. 1 TKG genannten 36 Telekommunikationsdaten. Dabei handelt es sich um sog. Verkehrsdaten (zum Begriff s. zunächst § 100a, 13), welche die äußeren Umstände einer Telekommunikation, nicht deren gedanklichen Inhalt betreffen. Anders als dies nach § 12 FAG grundsätzlich zulässig war, dürfen also nach § 100g keine Inhaltsdaten erhoben werden.84 Dies ist nur nach § 100a möglich. Nicht im Katalog des § 96 Abs. 1 TKG enthaltene Daten können unter den strengeren Voraussetzungen des § 100a erhoben werden. Anders als bei § 100a durfte sich die Auskunftspflicht über die nach § 100g zu erhebenden Daten nur auf solche erstrecken, die der Betreiber ohnehin speichert.85 Bestrebungen des Bundesrats, die Betreiber zu einer länger und umfangreicher als abrechnungstechnisch benötigten Speicherung vorhandener Daten (zu zukünftig anfallenden s. Rn. 39) zu verpflichten, sind zunächst im Bundestag gescheitert.86 Eine solche Speicherpflicht wurde dann aber in §§ 113a, 113b TKG normiert. Diese Bestimmungen wurden zwischenzeitlich vom BVerfG freilich für nichtig erklärt (vgl. oben Rn. 2 ff.).87 a) Daten.88 Unter Kennung in § 96 Abs. 1 Nr. 1 sind auch die nur einmal vergebene 37 elektronische Gerätenummer des mobilen Endgeräts (IMEI, § 100a, 16), die im Rahmen der Telekommunikation übertragen wird, und die statische IP-Adresse (§ 100a, 21) zu verstehen.89 Welche Personen hinter diesen Nummern stehen, kann als Bestandsdatum (§ 100a, 18) nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 TKG beim Betreiber abgefragt werden.90 Zur Standortkennung s. § 100a, 61–63. b) Im Falle einer Verbindung. Vor dem Inkrafttreten der Neuregelung war streitig, ob 38 auch Verbindungsdaten erhoben werden könnten, die im Mobilfunknetz bereits dadurch anfallen, dass das Endgerät (vulgo: Handy) auf Bereitschaft geschaltet wird (§ 100a, 61) oder eine Verbindung nur versucht wird. Der Ermittlungsrichter des BGH hatte dies bejaht, aber insofern § 100a angewandt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Frage für § 100g diskutiert und letztlich abgelehnt.91 Im Rahmen des § 100g kann also im Mobilfunkbereich die Standortkennung nur dann abgefragt werden, wenn eine Telekommunikationsbeziehung zu einem anderen Anschluss hergestellt wurde.92 Im bloßen StandbyBetrieb gilt § 100i. Unter den Voraussetzungen des § 100a dürfen aber solche Daten nach wie vor erhoben werden.93 c) Zukünftige Telekommunikationsverbindungen. § 12 FAG sah nach seinem Wort- 39 laut Auskünfte nur über stattgefundene Telekommunikation vor. Dies führte dazu, dass
84 85 86 87 88 89 90 91
SK/Wolter 3, 24; Welp GA 2003 533, 553. Welp GA 2002 535, 556. Vgl. BTDrucks. 14 9801 S. 11, 14; Welp GA 2002 535, 556. BVerfGE 125 260, 351 ff. Eingehend dazu Wohlers/Demko StV 2003 241, 243. BTDrucks. 14 7008 S. 7; SK/Wolter 31. BTDrucks. 14 7008 S. 7; SK/Wolter 31. Für die Überwachung im stand-by Betrieb sprach sich der Bundesrat aus; die Bundesregierung lehnte ab: BTDrucks. 14 7528
92
93
S. 2 und S. 4; BTDrucks. 14 7691 S. 2; BTDrucks. 14 7258 S. 4. BTDrucks. 14 7008 S. 7; SK/Wolter 6; Welp GA 2002 535, 541; Hilger GA 2002 228; Wohlers/Demko StV 2003 241, 243. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats BTDrucks. 14 7528 S. 4; BGH StV 2002 214; kritisch SK/Wolter 6; Welp GA 2002 535, 554; Bernsmann NStZ 2002 103; Weßlau StV 2003 483.
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die – befristeten – Auskunftsersuchen alsbald wiederholt wurden („Kettenbeschlüsse“). Abs. 1 Satz 3 a.F. regelte ausdrücklich, dass die Auskunftsanordnung auch zukünftige Telekommunikation erfassen kann, über die seither Auskunft nur nach § 100a erlangt werden konnte. Die Unterscheidung zwischen abgeschlossener und zukünftiger Telekommunikation hat Bedeutung für den Umfang der zu erhebenden Daten. Betrifft die Anordnung Daten abgeschlossener Telekommunikation, stehen nur die Daten zur Verfügung, die der Anbieter zur Entgeltabrechnung usw. (noch) gespeichert hat, während bei einer zukünftige Telekommunikation erfassenden Anordnung die zu speichernden Daten bis zur Auskunft ungeachtet sonst geltender Löschungsverpflichtungen unverkürzt bleiben müssen.94 Dies wurde § 3 Abs. 1 TDSV a.F. („andere Rechtsvorschriften“) entnommen.95 Eine von der CDU/CSU-Fraktion verlangte generelle Anordnung der Speicherung sämtlicher Daten im Sinne des Abs. 3 über zukünftige Verbindungen für Strafverfolgungszwecke, auch soweit sie zu Abrechnungszwecken nicht benötigt werden, wurde im Rechtsausschuss zunächst abgelehnt.96 Inzwischen wurde er in §§ 113a, 113b TKG freilich Realität. Zur Nichtigkeit dieser Regelungen oben Rn. 2 ff.
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2. Arten der Telekommunikationsverbindungen. Das Gesetz unterscheidet zwischen vier verschiedenen Arten von Telekommunikationsverbindungen, über deren Daten Auskunft zu erteilen ist.
41
a) Vom Beschuldigten oder einem Nachrichtenmittler ausgehende Kommunikation, Abs. 1 Satz 1. Mit dieser Auskunftsart soll festgestellt werden, mit wem der Beschuldigte oder ein Nachrichtenmittler kommuniziert hat. Da die Kommunikation vom Beschuldigten oder dem Nachrichtenmittler oder wenigstens von einem vom Beschuldigten benutzten Anschluss ausging, werden Unbeteiligte nur in geringem Umfang tangiert. Die Daten ausgehender Gespräche werden zur Entgeltberechnung gespeichert. Für diesen „Normalfall“ sieht das Gesetz deshalb keine weitergehenden besonderen Voraussetzungen vor.
42
b) Zielwahlsuche, Abs. 1 Satz 1. Mit dieser Auskunftsart soll festgestellt werden, wer den Beschuldigten oder einen Nachrichtenmittler angerufen hat. Verbindungsdaten eingehender Telefongespräche werden für die Entgeltabrechnung nur benötigt, wenn der Anruf aus dem Ausland kommt, da der anrufende Teilnehmer die Entgelte für die Verbindungen sonst allein zu tragen hat. Deshalb werden unter der Nummer des Angerufenen – abgesehen von Auslandsgesprächen – keine Verbindungsdaten über eingehende Gespräche gespeichert. Um festzustellen, wer eine bestimmte Rufnummer angerufen hat, müssen die Kommunikationsdatensätze aller übrigen von dem Diensteanbieter eingerichteten Anschlüsse sowie der im Übrigen gespeicherten Verbindungsdaten mit der fraglichen Anschlussnummer abgeglichen werden,97 mit der Folge, dass mehrere hundert Millionen von Daten gerastert werden müssen. Der Abgleich erfasst alle Verbindungsdaten der deutschen Telekommunikation und damit praktisch jeden Bürger. Dass dies trotz der Anonymität des Vorgangs einen erheblichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis zur Folge hat, liegt auf der Hand.98 Deshalb ist diese Maßnahme wie die Überwachung der Telekommunikation nach § 100a mit einer jener Norm entsprechenden Subsidiari-
94 95 96 97
BTDrucks. 14 7008 S. 7; Welp GA 2002 535, 555; Meyer-Goßner 10. Wohlers/Demko StV 2003 241, 244. BTDrucks. 14 7679 S. 7. Welp Überwachung und Kontrolle (2000)
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98
20 ff., 33 ff.; Welp GA 2002 535, 543; Wohlers/Demko StV 2003 241, 247. BVerfG NJW 2003 1787; Welp GA 2002 535, 543.
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tätsklausel verknüpft (dazu § 100a, 51 f.). Ob dies in allen Fällen genügt, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, hat das Bundesverfassungsgericht offengelassen.99 Den Datenabgleich haben die Diensteanbieter vorzunehmen.100 c) Funkzellenabfrage, Abs. 2 Satz 2. Die Funkzellenabfrage kommt in Betracht, wenn 43 Kennungen nicht bekannt sind, aber Erkenntnisse dafür vorliegen, dass in bestimmten räumlichen Bereichen mit Hilfe des Mobilfunks Telekommunikation betrieben wird, deren Daten für die Identifizierung noch unbekannter Täter101 von Bedeutung sein kann. Die erst im Rechtsausschuss eingefügte102 und deshalb unsystematisch in § 100h Abs. 1 a.F. im Zusammenhang mit der Regelung von Formalien in das Gesetz eingerückte Regelung, die nach ausdrücklicher Bestimmung nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung, nicht also bei mittels der Endeinrichtung begangenen Straftaten in Betracht kommt, führt zu der Auskunft, mit Hilfe welcher mobilen Endgeräte mit welchen Kennungen welche Telekommunikation von einer bestimmten Funkzelle (§ 100a, 61) aus betrieben wurde. Damit sollen unbekannte Täter identifiziert werden. Voraussetzung der Maßnahme nach Abs. 2 Satz 2 ist auch hier, dass eine Verbindung zustande gekommen ist; für die Auskunft über die Daten nur auf Bereitschaft geschalteter Endgeräte gilt § 100a bzw. § 100i. Mit Hilfe der so erlangten Kennungen und Verbindungsdaten lassen sich Telekommunikationsvorgänge rekonstruieren. Eine derartige Auskunft hatte der Ermittlungsrichter des BGH zunächst in einem Fall angeordnet, in dem Anschläge auf elektrische Bahnoberleitungen mit Hakenkrallen zeitgleich an verschiedenen Orten ausgeführt worden waren und anzunehmen war, dass die Täter sich während der Tatausführung mit Hilfe des Mobilfunks verständigt haben.103 Im Gegensatz zu den anderen Abfragearten ist hier keine Kennung eines Beschuldigten oder sonstigen Betroffenen bekannt. Die Gefahr, dass Telekommunikationsdaten völlig unbeteiligter Personen erhoben werden, ist groß. Die Maßnahme darf deshalb ungeachtet des stets zu beachtenden allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur zur Sachverhaltserforschung und nicht zur Aufenthaltsermittlung104 eingesetzt werden und es gilt die bereits in § 100a verwendete Subsidiaritätsklausel (dazu § 100a, 51 f.). Ein Gesetzentwurf des Bundestages vom 18.10.2011 sieht die Abschaffung der nicht individualisierten Funkzellenabfrage vor.105 d) Echtzeiterhebung von Standortdaten, Abs. 1 Satz 3. Abs. 1 Satz 3 gestattet es im 44 Falle des Abs. 1 Nr. 1, die Standortdaten der Endgeräte auch in Echtzeit, also „live“, während der gerade erfolgenden Verbindung, zu erheben. Diese Daten können vom Diensteanbieter direkt oder in bestimmte Zeiträume zusammengefasst an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden.106 Eine solche Echtzeitüberwachung ist auch nach § 100a möglich, muss dort aber freilich strengeren Anforderungen genügen (vgl. § 100a, 54).
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100 101
BVerfG NJW 2003 1787; verfassungsrechtliche Bedenken bei Welp GA 2002 535, 546; Weßlau ZStW 113 (2001) 681, 693; Wollweber NJW 2002 1554; Wohlers/Demko StV 2003 241, 247. Wollweber NJW 2002 1554; Hilger GA 2002 228; Welp GA 2002 535, 544. Hilger GA 2002 228, 230; Wohlers/Demko StV 2003 241, 247; SK/Wolter 9.
102 103 104
105 106
BTDrucks. 14 7679 S. 8. BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 2002 107. Ein Versuch des Bundesrats, insoweit das Gesetz zu ändern, scheiterte, BTDrucks. 14 9801 S. 11, 14. BTDrucks. 17 7335. Vgl. auch BTDrucks. 17 7033. Vgl. OK-StPO/Hegmann 7.
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VII. Auskunftsverpflichtete 45
Adressat des Auskunftsersuchens ist nach § 100g Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 3 Satz 1 grundsätzlich „jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt“ (§ 100a, 9; § 100b, 39). Nach Abs. 3 ist es aber auch möglich, dass die Erhebung von Verkehrsdaten nicht beim Telekommunikationsdiensteanbieter erfolgt. In einem solchen Fall, etwa bei einem sichergestellten Gerät, Datenträger oder bei verschrifteten Verbindungsnachweisen, bestimmt sich die Datenerhebung nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs nach den allgemeinen Vorschriften, also etwa nach den Beschlagnahmevorschriften oder den Vorschriften über die Erhebung des Zeugenbeweises, nicht jedoch nach Abs. 1 oder 2.107
VIII. Art der Auskunftserteilung 46
1. Die Art und Weise der Auskunftserteilung war im Gegensatz zu den Maßnahmen nach §§ 100a, 100b (siehe dazu § 100b Abs. 3; §§ 111 ff. TKG) im Gesetz zunächst nicht geregelt.108 Heute existiert eine Verweisungsnorm in Abs. 2 Satz 1 auf § 100b Abs. 3. Die richterliche Gestattung einer strafprozessualen Maßnahme enthält in aller Regel keine Einzelheiten über die Art und Weise des Vollzugs des Eingriffs und muss dies grundsätzlich auch nicht. Der Beschluss gemäß § 100g Abs. 2 Satz 1 ist wie alle Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung zu übergeben (§ 36 Abs. 2 Satz 1). Im Ermittlungsverfahren ist es dann deren Sache zu entscheiden, ob überhaupt und wie die Maßnahme durchgeführt wird. Sie kann mit dem Vollzug auch andere Behörden beauftragen. Über die zur Umsetzung der Maßnahme erforderlichen Schritte haben die Ermittlungsbehörden unter Beachtung des Grundsatzes der Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit, orientiert an der möglichst einfachen und zügigen Umsetzung der angeordneten Eingriffsmaßnahme selbst zu befinden. Dem Richter ist es jedoch unbenommen – zuweilen mag es geboten sein – zur Begrenzung des Eingriffs im Einzelfall schon im Beschl. Einzelheiten der Art und Weise von deren Durchführung zu regeln (§ 105, 74). Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bzw. des betroffenen Netzbetreibers wird er darüber zu entscheiden haben, wenn Letzterer gesetzwidriges Verlangen der Staatsanwaltschaft geltend macht.109 47 Häufig wird es zweckmäßig sein, Verbindungsdaten auf elektronischen Speichermedien und nicht in Papier ausgedruckt zu verlangen, weil dann die durch die Ermittlungsbehörden vorzunehmende Weiterverarbeitung erleichtert ist und die Netzbetreiber dadurch nicht stärker belastet werden, als wenn sie Papierausdrucke zu erstellen hätten.110
48
2. Nur Verbindungsdaten des Beschuldigten oder eines Nachrichtenmittlers, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100a Abs. 3. Soweit es sich um die vom Beschuldigten oder einem Nachrichtenmittler ausgehende Kommunikation oder um eine Zielwahlsuche handelt, darf die Auskunft, anders als bei einer Funkzellenabfrage (zu den Abfragearten Rn. 40 bis 44), nur Verbindungsdaten des Beschuldigten oder eines Nachrichtenmittlers erfassen (§ 100g Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100a Abs. 3). Deshalb sind diese in der Auskunftsanordnung (§ 100g Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 2 Nr. 1) zu nennen. 107 108
KK/Nack 3 unter Verweis auf BGH NStZ 2006 650. BGH – Ermittlungsrichter – Beschl. v. 20.3.2003 – 1 BGs 107/03.
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BGH – Ermittlungsrichter – Beschl. v. 20.3.2003 – 1 BGs 107/03. BGH – Ermittlungsrichter – Beschl. v. 20.3.2003 – 1 BGs 107/03.
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3. Unverzügliche Auskunft, § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG. Die Auskunft hat unverzüglich 49 zu erfolgen. Das Wort „unverzüglich“ wurde in § 100g Abs. 1 Satz 1 a.F. erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Initiative des Bundesrats eingefügt, weil in der Vergangenheit manche Betreiber die ihnen lästigen Auskünfte nicht zeitnah erteilt haben.111 Nach § 115 Abs. 2 TKG kann die Bundesnetzagentur Zwangsgelder festsetzen, falls die Netzbetreiber ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen. Diese Vorschrift ist auch bei verzögerter Herausgabe solange anwendbar, bis die Auskunft erteilt wurde.
IX. Zuständigkeit (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1) Die Vorschrift des Abs. 2 Satz 1 verweist auf § 100b Abs. 1 bis Abs. 4 Satz 1 und regelt damit das Verfahren bei der Anordnung und Durchführung der Auskunft über Telekommunikation nach § 100g. Sie wird durch § 101 ergänzt. Für die Anordnung der Auskunft über Telekommunikation verweist Abs. 2 Satz 1 auf § 100b Abs. 1 und trifft damit die gleiche Zuständigkeitsregelung wie § 100 für die Postbeschlagnahme. Siehe deshalb zunächst § 100b, 2 und § 100, 4 bis 21. Zuständig ist danach der Richter, bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft. Ebenso wie die Überwachung der Telekommunikation (§ 100b, 1) ist die Auskunft über Telekommunikation ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Rechtsschutzes. Der Richtervorbehalt soll gerade auch in den Fällen der vorliegenden Art präventiven Rechtsschutz garantieren, da eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Maßnahme deren Erfolg vereiteln würde. Auf die grundsätzlichen Erwägungen zum Richtervorbehalt bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen bei § 105, 25 ff., 83 ff., 96 ff., 103 ff. wird vollumfänglich verwiesen. Zu beachten ist jedoch, dass bei §§ 100 und 100b anders als bei § 105 keinerlei Eilkompetenz der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft besteht. Anordnungen der Staatsanwaltschaft treten auch hier außer Kraft, werden jedoch nicht rückwirkend unwirksam, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt werden. Einzelheiten § 100b, 4. Zuständig für die Anordnung oder für die nach einer staatsanwaltschaftlichen Eilmaßnahme erforderliche richterliche Bestätigung ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter (§ 162). Einzelheiten § 100b, 5. Die Annahme von Gefahr im Verzug muss hier ebenso wie bei § 105 und bei § 100b Ausnahme bleiben. Zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug, zu diesem Begriff und zur Notwendigkeit deren Voraussetzungen, insbesondere die Nichterreichbarkeit eines Richters zu dokumentieren s. § 100b, 6.
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53 54
X. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 1. Form. Die Anordnung muss stets schriftlich ergehen. Abs. 2 Satz 1 verweist auf 55 § 100b Abs. 2 Satz 1, der dies ausdrücklich bestimmt. Der Richter trifft die Anordnung durch Beschl. Zur Übermittlung der Anordnung an den Betreiber siehe Rn. 17. 2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der 56 Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Die Erl. bei § 100b, 8 und die dortigen Verweisungen 111
BTDrucks. 14 7528 S. 1.
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gelten entsprechend. Dies gilt insbesondere auch für das Erfordernis der Prüfung des Verdachts und der Verhältnismäßigkeit. Die Subsidiaritätsklauseln bei der Zielwahlsuche (Rn. 42) und der Funkzellenabfrage (Rn. 43) sind zu beachten. Handelt es sich, wie regelmäßig, um eine ermittlungsrichterliche Maßnahme, ist auch hier zu beachten, dass der Richter im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes tätig wird, denn eine vorherige Anhörung des Betroffenen ist bei der Überwachung der Telekommunikation regelmäßig nicht möglich, soll die Maßnahme erfolgreich durchgeführt werden. 3. Inhalt des Beschlusses
57
a) Formel. Zweckmäßigerweise sind bereits in der Formel die wichtigsten Daten der Anordnung anzugeben. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um Auskunft über Telekommunikation zwischen bestimmten Personen (Rn. 41) oder um einen Fall der sog. Funkzellenabfrage (Rn. 43) handelt und ob die Auskunft vergangene Telekommunikation oder auch zukünftige betrifft. Zunächst sind nach Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 „soweit mög58 lich“, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet (§ 100b, 9, § 100a, 18 ff.), nach § 100b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgerätes, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist (§ 100b, 14), und nach § 100b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes zu bestimmen. Denn davon hängen die weiteren erforderlichen Angaben ab. Zur Art der Maßnahme gehört die Angabe, welche der drei möglichen Arten der Überwachung (Rn. 40 ff.) vorgenommen werden sollen. Der Umfang betrifft die Arten der mitzuteilenden Daten, die Dauer sowie die zeitliche Begrenzung, innerhalb der entstandene oder entstehende Daten zur Verfügung zu stellen sind. Soweit es um zurückliegende Telekommunikation geht, sind die Daten regelmäßig nur für die Dauer bis zum Ablauf des auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses folgenden Kalenderjahres gespeichert (§ 111 Abs. 4 TKG). § 111 Abs. 1 TKG enthält eine sehr detaillierte Zusammenstellung der von den Diensteanbietern für die verschiedenen Arten der Überwachung bereitzustellenden Daten. Die Vorschrift, die bei § 100a, 22 abgedruckt ist, zeigt insbesondere auch die Möglichkeiten auf, durch präzise Angaben und Beschränkungen in der Formel den Eingriff nicht uferlos werden zu lassen. Wenn eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Beschränkung der Zeit und der Art der Überwachung möglich ist, muss sie vorgenommen werden (z.B. tagsüber im Büro, abends in der Wohnung, nur Daten der letzten zwei oder drei Monate, nur Anrufe aus dem Ausland). Bei der Funkzellenabfrage (Rn. 43) genügt nach Abs. 2 Satz 2 zur Identifizierung der 59 vergangenen oder zukünftigen Telekommunikation, über deren Daten Auskunft verlangt wird, eine zeitlich und räumlich hinreichende Eingrenzung, um einerseits die für die Strafverfolgung erforderlichen Daten erhalten zu können und um andererseits eine uferlose und zahlreiche Unbeteiligte berührende Datenüberwachung zu vermeiden. Wie eng im Einzelfall die räumlichen und zeitlichen Grenzen zu ziehen sind, wird von der Schwere der Straftat und der Anzahl der möglicherweise betroffenen unbeteiligten Dritten abhängen.112 Die räumliche Beschränkung wird sich in der Regel geographisch umschreiben lassen (z.B. „alle Funkzellen entlang der Eisenbahnstrecke von A nach B einschließlich eines an die Bahn angrenzenden Geländestreifens von 1 km Breite“). 112
BTDrucks. 14 7258 S. 5.
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Die Auskunft ist ausdrücklich zu befristen. Abs. 2 Satz 1 verweist auf § 100b Abs. 1 60 Satz 4 und 5. Siehe § 100b, 15. Die Dauer der Überwachung ist also stets anzugeben, auch wenn die Höchstzeit von drei Monaten festgesetzt wird. Verlangt der zuständige Richter bei Auskunft über zukünftige Telekommunikation 61 ihn in bestimmten Abständen über den Stand der Ermittlungen und insbesondere über die bei der Überwachung erlangten Erkenntnisse zu unterrichten, damit er die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme auch vor Fristablauf überprüfen kann, bringt er dies zweckmäßig schon in der Formel zum Ausdruck. Selbstverständlich kann der für die Maßnahme verantwortliche Richter dies aber auch noch nach Erlass der Entscheidung bis zur Beendigung der Maßnahme verlangen. b) Zur Identifizierung der Gespräche, über deren Daten Auskunft verlangt wird 62 s. § 100b, 11. c) Begründung. Die richterliche Anordnung ist zu begründen, da sie grundsätzlich 63 anfechtbar ist (§ 34) und da andernfalls bei der späteren Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder der Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse nicht festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen des § 100g vorlagen.113 Einzelheiten § 100b, 16. 4. Rechtliches Gehör, Bekanntmachung. Bei der Auskunft über Telekommunikation 64 ist vorheriges rechtliches Gehör aus den in § 33 Abs. 4 genannten Gründen regelmäßig nicht angebracht. Einzelheiten bei § 100b, 17.
XI. Verlängerung (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 5) 65
Einzelheiten bei § 100b, 18.
XII. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch die Staatsanwaltschaft (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 2 und 3) Zu den Voraussetzungen der Gefahr im Verzug, der Form der staatsanwaltschaft- 66 lichen Anordnung und ihrem Inhalt, der gerichtlichen Bestätigung und ihrem Außerkrafttreten gelten die Erl. zu § 100b, 19 bis 25 entsprechend.
XIII. Durchführung der Anordnung Zu den Auskunftsverpflichteten und zur Auskunftserteilung siehe oben Rn. 46 und 67 bei 100b, 26 bis 31.
XIV. Zeugnisverweigerungsrechte Vgl. die Erläuterungen zu § 160a. Die Vorschrift des § 100c Abs. 6 findet auf Maß- 68 nahmen nach § 100g keine Anwendung.
113
Zum späteren Umfang der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch den
Tatrichter oder das Revisionsgericht vgl. § 100a, 129.
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XV. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 4 Satz 1) 69
Sobald eine der Voraussetzungen des § 100g weggefallen ist oder sobald feststeht, dass eine weitere Überwachung keinen Erfolg verspricht, ist die Maßnahme auch vor Fristablauf unverzüglich zu beenden. Einzelheiten bei § 100b, 32 bis 36.
XVI. Verwendungsregelung (§ 100h Abs. 3 a.F.) 70
Die durch das OrgKG eingeführte Verwendungsregelung des § 100b Abs. 5 a.F., die in § 100h Abs. 3 a.F. wörtlich übernommen wurde,114 ist inzwischen von den allgemeinen Regeln der §§ 477 Abs. 2, 481 verdrängt worden. Zu den Einzelheiten siehe deshalb zunächst bei § 100a, 103 ff. und § 98b, 24 und sodann die Erl. zu §§ 477 Abs. 2, 481.
XVII. Vernichtung 71
Auch für Maßnahmen nach § 100g gilt die Vernichtungsregelung in § 101 Abs. 8. S. die Erl. zu § 101, 62. Gerade bei der Fülle hier anfallenden Materials ist es erforderlich, dass die Datenvernichtung durchgeführt wird, sobald sich herausstellt, dass Daten nicht gebraucht werden oder nicht verwertet werden dürfen.
XVIII. Kosten 72
Die Anbieter und Betreiber von Telekommunikationsdiensten haben nach §§ 110 Abs. 1 Nr. 1, 111 Abs. 5 TKG die technischen Einrichtungen zur Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation auf eigene Kosten einzurichten und vorzuhalten. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Auskunft über Telekommunikation.115 Im Gesetzgebungsverfahren wurde diese Regelung mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums begründet. Inzwischen gewährt § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG nun pauschale Entschädigungssätze für konkrete Überwachungsmaßnahmen. Vgl. § 100a, 11.
XIX. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels 73
Die Erl. zu § 100b, 42 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass ein Verwertungsverbot bei § 100g auch aus einem auf einem Zeugnisverweigerungsrecht beruhenden Beweiserhebungs- oder Verwertungsverbot beruhen kann. Den Worten „soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung 74 des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist“ in § 100g Abs. 1 Satz 1 ist kein eigenes Prüfungs- und damit Anfechtungsrecht des Betreibers zu entnehmen. Es handelt sich lediglich um einen überflüssigen Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.116 114 115
Kritik bei SK/Wolter 5. So LR/Schäfer 25 § 100h, 34 unter Verweis auf Erbs/Kohlhaas/Kalf/Papsthart § 88, 2 TKG.
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XX. Berichtspflicht (Abs. 4) 1. Allgemeines. Abs. 4 statuiert eine Pflicht der Länder und des GBA, dem Bundes- 75 amt für Justiz über Überwachungsmaßnahmen nach § 100g zu berichten. Vgl. deshalb zunächst die Erl. zu § 100b, 37 ff. 2. Zeitpunkt, Inhalt und Zweck der Berichte. Nach Abs. 4 i.V.m. § 100b Abs. 5 76 haben die Länder und der GBA kalenderjährlich jeweils bis zum 30. Juni des dem Berichtsjahr folgenden Jahres über in ihrem Zuständigkeitsbereich angeordnete Maßnahmen nach § 100g dem Bundesamt für Justiz über die Anzahl der Verfahren mit Maßnahmen nach § 100g Abs. 1, die Anzahl der Anordnungen nach § 100g Abs. 1 differenziert nach Erst- und Verlängerungsanordnung, die jeweils zugrunde liegende Anlassstraftat, unterschieden nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, die Anzahl der zurückliegenden Monate, für die Verkehrsdaten nach Abs. 1 abgefragt wurden, bemessen ab dem Zeitpunkt der Anordnung, sowie die Anzahl der Maßnahmen, die ergebnislos geblieben sind, weil die abgefragten Daten ganz oder teilweise nicht verfügbar waren, zu berichten. Zweck der Berichte ist die Information durch die oberste Justizbehörde des Landes und des GBA an das Bundesamt für Justiz, welches auf dieser Grundlage wiederum eine Übersicht erstellt und diese im Internet veröffentlicht. Die Länderberichte sollen auch Verbesserungsvorschläge einschließen.117 Das Gesetz stellt Mindestanforderungen auf; weitergehende Berichte sind nicht ausgeschlossen.118 Ergänzende Berichte im Falle vorher unrichtiger oder unvollständiger Angaben sind möglich.119 Probleme mit der Erfüllung der Berichtspflicht wurden bisher allerdings nicht bekannt. Ferner gelten die Ausführungen zu § 100b, 37 ff. entsprechend.
XXI. Revision 77
Die Erl. zu § 100a, 167 gelten entsprechend.
§ 100h (1) 1Auch ohne Wissen der Betroffenen dürfen außerhalb von Wohnungen 1. Bildaufnahmen hergestellt werden, 2. sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. 2Eine Maßnahme nach Satz 1 Nr. 2 ist nur zulässig, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. (2) 1Die Maßnahmen dürfen sich nur gegen einen Beschuldigten richten. 2Gegen andere Personen sind 1. Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre, 117 118
Vgl. die Änderungsvorschläge in BTDrucks. 14 8155 S. 11 f. Auch Zwischenberichte sind zeitlich mög-
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lich, ebenso inhaltlich ergänzende Berichte; KK/Nack § 100e Rn. 2. BTDrucks. 13 8651 S. 14 f.; SK/Wolter 3.
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2. Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit einem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (3) Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar mitbetroffen werden. Schrifttum und Entstehungsgeschichte S. zunächst zu § 100c und § 100f. Ferner: Abdallah/ B. Gercke Verwertbarkeit privat veranlasster GPS-Peilungen von gestohlenem Gut, CR 2003 298; Eisenberg/Puschke/Singelnstein Überwachung mittels RFID-Technologie, Aspekte der Ausforschung und Kontrolle mit neuartigen Funk-Chips, ZRP 2005 9; Roggan Grenzenlose Ortungen im Strafverfahren? in: Roggan (Hrsg.), FS B. Hirsch 153.
Übersicht Rn. I. Allgemeines
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II. Ermittlungsbefugnisse 1. Herstellen von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . 2. Einsatz sonstiger technischer Mittel (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) a) Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsatz . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. III. Voraussetzungen der Maßnahme 1. Straftat von erheblicher Bedeutung als Anknüpfungspunkt für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Abs. 1 Satz 2) 2. Subsidiarität (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . 3. Maßnahmen gegen Dritte (Abs. 2 Satz 2, Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Verfahren; Revision
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I. Allgemeines 1
§ 100h ist eine § 100c zusammen mit § 100f ergänzende Regelung zum Einsatz technischer Mittel. Während § 100c ausschließlich die akustische Überwachung von Wohnungen regelt und § 100f dieses „Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes“ auf Bereiche außerhalb von Wohnungen ausdehnt, berechtigt § 100h zum Herstellen von Bildaufnahmen und zum Einsatz von sonstigen technischen Mitteln. Sein Anwendungsbereich sind damit alle nichtakustischen Mittel außerhalb von Wohnungen, hauptsächlich also optische Maßnahmen.
II. Ermittlungsbefugnisse 2
1. Herstellen von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 gestattet das Herstellen von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen. Dies dient, wie aus der nachfolgenden Subsidiaritätsklausel zu entnehmen ist, zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Bestimmung des Aufenthaltsortes „des Täters“. Daher können Bilder oder Videoaufnahmen zu Observationszwecken1 oder für Licht-
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bildvorlagen an Zeugen im Rahmen der Sachaufklärung oder zu Fahndungszwecken hergestellt werden. Werden Bildaufnahmen vom Beschuldigten mit dessen Wissen hergestellt, so beurteilt sich dies nach § 81b. Aus der Unterscheidung von § 100c und § 100h ergibt sich, dass ein Anfertigen von Lichtbildern oder Bildaufzeichnungen nur außerhalb von Wohnungen im Sinne des Art. 13 GG erfolgen darf .2 Zulässig ist aber die Videoüberwachung zur Erfassung des Betretens und Verlassens der Wohnung.3 Voraussetzung ist nur der Anfangsverdacht einer Straftat, ohne dass es auf einen bestimmten Verdachtsgrad und eine bestimmte rechtliche Einordnung der mutmaßlichen Tat ankommt.4 Das Erfordernis einer Straftat von erheblicher Bedeutung (unten Rn. 13) gilt nur für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, nicht aber für Maßnahmen nach Nr. 1. Die Tatortarbeit, die nicht unmittelbar eine bestimmte Person betrifft, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Vorschrift;5 mangels Eingriffs in Grundrechte bedarf es dazu auch keiner spezialgesetzlichen Ermächtigung; insoweit greift auch § 161 Abs. 1 Satz 1 ein, der „Ermittlungen aller Art“ ohne besondere Eingriffsqualität erfasst. Die Herstellung von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Bestimmung des Aufenthaltsortes ist an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft,6 insbesondere nicht an den Verdacht einer bestimmten Kategorie von Straftaten.7 Eine zeitliche Beschränkung von Observationen mit der Anfertigung von Lichtbildern oder Bildaufzeichnungen enthält die vorliegende Vorschrift nicht;8 eine Begrenzung längerfristiger Observationen folgt erst aus § 163f i.d.F. des StVÄG 1999. Es gilt im Übrigen eine Subsidiaritätsklausel des Inhalts, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes „des Täters“ auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre.9 Allgemein ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, sodass die Maßnahme zur Sachaufklärung oder Fahndung geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Dies entspricht der Regelungslage für den offenen Zugriff auf das Recht am eigenen Bild in § 81b. Die Regelung umfasst das Herstellen von Bildaufnahmen, also von Lichtbildern, die Augenblicksaufnahmen darstellen, und Bildaufzeichnungen, die namentlich als Videofilme10 Sequenzen von Vorgängen über einen bestimmten Zeitraum hinweg festhalten.11 Bildaufzeichnungen können auch als Oberbegriff gelten. Darunter subsumierbare Bildsequenzen schließen Einzelbilder ein, sodass es der früher gesonderten Ermächtigung für das Herstellen von Lichtbildern nicht bedurft hätte.12 Die Verwendung von einfachen Sehhilfen, die keine Bilder fixieren, ist von der vorliegenden Vorschrift nicht erfasst. Dazu wiederum bedarf es keiner spezialgesetzlichen Ermächtigung, weil die Beobachtung der Person außerhalb einer Wohnung, also regelmäßig in der Öffentlichkeit, entweder keine Eingriffsqualität besitzt oder jedenfalls durch §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 163f gestattet ist. § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 umfasst mit dem Begriff der „Bildaufnahme“ auch den Einsatz von sog. Drohnen. Das sind unbemannte Flugsysteme (unmanned aerial vehicles, UAV) zur optischen Aufklärung. Bei den deutschen Polizeibehörden sind diese unter
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Vgl. BGHSt 44 13, 17; Endriß/Malek 1352. BGHSt 44 13, 16; KK/Nack 3. Malek/Wohlers 537. Endriß/Malek 1348; Hilger NStZ 1992 462; Meyer-Goßner 1; a.A. König Kriminalistik 1998 349. Binder 90. Endriß/Malek 1353; Meyer-Goßner 1. BGHSt 44 13, 16 ff. mit Anm. Amelung NStZ
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1998 631 f.; Asbrock NStZ 1998 632 f.; Gehrlein NJW 1999 104 f.; Rogall JZ 1998 796 ff.; Satzger JA 1998 539 ff. Vgl. BGHSt 44 13, 17. Vgl. BGHSt 44 13, 17. Binder 12; Hilger NStZ 1992 467, 461; Meyer-Goßner 1; KK/Nack 3; SK/Wolter 4. Binder 13.
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Modellbezeichnungen wie Sensocopter, EMT Fancopter oder AirRobot im Einsatz. Sie bestehen aus einem Verbund zwischen dem eigentlichen Flugkörper (also der durch die Luft fliegenden Drohne i.e.S.) mit einer Steuerungseinheit zur Fernlenkung, die typischerweise irgendwo am Boden platziert ist und von einem Menschen bedient wird, und der Kommunikation zwischen diesem Flugkörper und der Steuerungseinheit. Praktisch denkbar ist ein strafprozessualer Einsatz solcher Drohnen etwa zur Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten auf einem weitläufigen und unwegsamen Grundstück zur Vorbereitung einer Festnahme. Auf Grund der weitgehenden technischen Möglichkeiten ist bei einem Drohneneinsatz nach § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 neben den allgemeinen Voraussetzungen auf zwei besondere Umstände zu achten: Zum einen darf die optische Überwachung mit einer Drohne selbstverständlich nicht zu einer Totalüberwachung des Beschuldigten führen. Hier gelten die allgemeinen Grenzen der Menschenwürdegarantie nach Art. 1 GG (vgl. § 100a, 133). Längerfristige Einsätze sind zudem ohnehin nur unter den Voraussetzungen des § 163f möglich. Ferner gelten die weiteren Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, insbesondere ist stets genau zu prüfen, ob neben dem Drohneneinsatz – gerade in Anbetracht der Subsidiaritätsklausel – nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen, um das Ermittlungsziel zu erreichen. Bei der Beweissicherung im Rahmen von Versammlungen beschränkt zudem die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG den Bereich eines angemessenen Drohneneinsatzes.13 Zum anderen ergibt sich aus der oben beschriebenen Eigenschaft der Drohne als Gesamtverbund die Notwendigkeit, bei einem grenzüberschreitenden Einsatz, z.B. im Rahmen von transnationalen Fahndungsmaßnahmen, dieses Gesamtsystem rechtlich einheitlich zu beurteilen, also nicht zwischen dem Steuerungs- und dem Flugort der Drohne künstlich zu differenzieren. 2. Einsatz sonstiger technischer Mittel (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2)
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a) Mittel. Nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 ist der Einsatz sonstiger besonderer technischer Mittel zu Observierungszwecken unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Der Begriff der sonstigen besonderen technischen Mittel ist weit gefasst, um technischen Neuerungen Rechnung tragen zu können.14 Der IMSI-Catcher15 ist in § 100i speziell geregelt, sodass er hier keine Rolle spielt. Aus der Abgrenzung zu §§ 100c, 100f und 100h Abs. 2 Nr. 1 ergibt sich, dass es um technische Mittel geht, die weder Observationsmöglichkeiten durch Bildaufzeichnungen noch das Abhören und Aufzeichnen von Äußerungen ermöglichen.16 Es muss sich aber um Mittel zu Observationszwecken handeln, wobei die Bestimmung des Mittels zu Observationszwecken auf den konkreten Einsatz im Strafverfahren bezogen ist, nicht auf eine bei der technischen Einführung des Mittels in Anwendungsbereichen außerhalb des Strafverfahrens etwa vorhandene Zweckbestimmung.17 Andernfalls wären alle Mittel, die ursprünglich zu einem anderen Zweck geschaffen worden waren, vom späteren Einsatz im Strafverfahren ausgeschlossen; dafür besteht kein Anlass. Technische Mittel im Sinne der vorliegenden Vorschrift müssen nicht ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen und auf deren Einsatzanforderungen zu Observa13
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Vgl. ZEIT Online vom 16.1.2008 „Die unsichtbaren Ermittler“, verfügbar unter http://www.zeit.de/online/2008/03/ unbemannte-drohnen-hooligans-sachsen. BGHSt 46 266, 272; OLG Düsseldorf JR 1999 255, 257; abl. Bernsmann StV 2001 382, 384. Zum Einsatz solcher Messgeräte zur Orts-
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bestimmung von Mobiltelefonbenutzern Denkowski Kriminalistik 2002 117 ff. BGHSt 46 266, 271 f.; OLG Düsseldorf JR 1999 255, 256; Binder 15 f.; Meyer-Goßner 2; Malek/Wohlers 539. A.A. Bernsmann StV 2001 382, 383 für das ursprünglich zu militärischen Zwecken entworfene global positioning system.
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tionszwecken zugeschnitten sein. Eine technische Eingrenzung des Anwendungsfeldes der Norm auf Mittel, die Signale aussenden, wie Peilsender,18 ist dem Gesetz hingegen nicht zu entnehmen,19 mögen dies auch die meisten Fälle sein, die unter Absatz 1 Nr. 2 zu subsumieren sind. Deshalb unterfallen auch passive technische Beobachtungsgeräte, wie Nachtsichtgeräte,20 der vorliegenden Vorschrift, wenn ihr Einsatz als besondere Mittel der Beobachtung sich als Eingriff in Grundrechte auswirkt und von einer allgemein erlaubten schlichten Beobachtung unterscheidet.21 Für gewöhnliche Sehhilfen, wie Ferngläser, oder andere gebräuchliche Mittel, zum Beispiel Telefone oder Sprechfunkgeräte, bedarf es der spezialgesetzlichen Ermächtigung nicht. Deren Einsatz ist nach § 161 Abs. 1 Satz 1 gestattet. Es handelt sich insoweit nicht um „besondere“ technische Mittel.22 Auch die GPS-Technik (global positioning system) als satellitengestützte Standort- 8 bestimmung eines am Zielobjekt angebrachten Empfangsgeräts stellt ein besonderes technisches Mittel für Observationszwecke dar.23 Der Wortlaut der Norm24 trägt dieses Ergebnis, zum Teil erkennen dies auch die Kritiker an.25 Da mit Hilfe der GPS-Technik nur Standort und Geschwindigkeit des angepeilten Fahrzeugs bestimmt werden, handelt es sich begrifflich sicher um ein Observationsmittel. Anhaltspunkte dafür, dass dieses konkrete Mittel nach dem Willen des Gesetzgebers nicht von der Norm erfasst werden soll, sind nicht ersichtlich,26 zumal der Gesetzgeber auch in § 100a n.F. bewusst weite Begriffe verwendet hat, um moderne Techniken schon im Vorhinein zu erfassen.27 Dies ist ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen und führt nicht zur Unbestimmtheit der gesetzlichen Eingriffsermächtigung. Diese greift zwar durch Erstellung eines Bewegungsprofils in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Der unantastbare Kernbereich des durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzes der Privatsphäre28 und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung29 werden durch die Verwendung des „GPS“ nicht berührt.30 Angesichts des Interesses an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten handelt es sich um eine vom Gesetzesvorbehalt gedeckte und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragende Grundrechtsbeschränkung.31 Allein daraus, dass diese Datenerfassung eine relativ hohe technische Präzision und Informationsdichte aufweist, ergibt sich nichts anderes.32 Es geht eben „nur“ um – wenngleich genaue und zu einem Bewegungsprofil zusammengefügte – Positionsdaten, nicht um die Erfassung von Äußerungsinhalten oder anderen aussagekräftigen Informationen über die Persönlichkeitsprägung des Betroffenen wie etwa bei §§ 100a, 100c und § 100f; dies erklärt die von Kritikern33 hervorgehobenen geringeren Eingriffsvoraussetzungen der Vorschrift, die insoweit auch beim Einsatz der GPS-Technik ausreichen.
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BTDrucks. 12 989 S. 39; Meyer-Goßner 2. Binder 16 f. Binder 20; Meyer-Goßner 2. Binder 20. BTDrucks. 12 989 S. 58; Hilger NStZ 1992 457, 461 Fn. 89. BGHSt 46 266, 271 f. mit abl. Anm. Bernsmann StV 2001 382 ff.; OLG Düsseldorf NStZ 1998 268 ff. mit zust. Anm. Theisen JR 1999 259 f. und abl. Anm. Comes StV 1998 569; dazu auch Gusy StV 1998 526 f.; wie hier ferner Beulke 264; Meyer-Goßner 2; KK/Nack 7; SK/Wolter 13. OLG Düsseldorf JR 1999 255, 256.
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Comes StV 1998 569; a.A. Bernsmann StV 2001 382, 383 f. BGHSt 46 266, 272. OLG Düsseldorf JR 1999 255, 257. Vgl. BVerfGE 34 238, 245 ff.; 80 367, 373 ff. BVerfGE 65 1, 41 ff.; 78 77, 84 ff. BGHSt 46 266. BGHSt 46 266 unter Bezugnahme auf Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG Art. 2, 65; Dreier, GG Art. 2 I, 51, 52, 59 ff.; Jarass/ Pieroth, GG Art. 2, 36 ff. Vgl. für die DNA-Identitätsfeststellung BVerfGE 103 21, 32. Bernsmann StV 2001 382, 384.
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b) Einsatz. Gesetzlich gestattete Handlung ist das Verwenden des technischen Mittels. Dies setzt grundsätzlich nicht nur die sachgerechte Handhabung, sondern auch das vorherige Bereitmachen unter Anbringung der erforderlichen Vorrichtungen voraus. Beides ist vom Begriff des Verwendens umfasst,34 wobei sich Grenzen nur aus dem Schutzbereich der Grundrechtsnorm ergeben, für die Absatz 1 Nr. 2 eine gesetzliche Eingriffsermächtigung liefert. Bleibt das beschränkte Grundrecht gleich, so sind die Vorbereitung und das eigentliche Verwenden gestattet; muss die technisch erforderliche Vorbereitungsmaßnahme dagegen rechtlich in ein anderes Grundrecht eingreifen, für das ein Gesetzesvorbehalt besteht, dann ergibt sich eine Eingriffsgrenze aus dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Einsatzziel ist entweder die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthalts „des Beschuldigten“ (früher „des Täters“35). Sachverhaltserforschung durch Observation mit besonderen technischen Mitteln ist die Erfassung von Informationen, die unmittelbar oder mittelbar im Wege von Beweisschlüssen für sich genommen oder in der Gesamtschau mit anderen Beweisen Aussagekraft für die Aufklärung des zu Grunde liegenden Verdachts dienen. Die gesuchten Informationen können sich auf die äußere oder innere Tatseite, auf die Schuldfrage und die Frage nach dem Schuldumfang beziehen. Ob es sich bei den Observationsergebnissen um belastende oder entlastende Umstände handelt, ist unerheblich (vgl. § 160 Abs. 1 und 2). Die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten ist von der Sachverhaltserforschung, die der Ermittlung des wahren Täters dient, zu unterscheiden. Es geht, wie bei § 100a, um die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten,36 also Fahndung. Eine Unterscheidung in die Ermittlung des Aufenthaltsorts des „Täters“ oder eines Teilnehmers an der aufzuklärenden Tat ist erst recht nicht angebracht.37 Andererseits muss die Aufenthaltsermittlung nicht auf Fälle beschränkt werden, in denen die Voraussetzungen eines Haftbefehls, einschließlich eines dringenden Tatverdachts, vorliegen.38 Es geht nicht notwendigerweise nur um eine Vorbereitung zur Festnahme nach § 127 Abs. 2. Freilich ist im Rahmen der stets erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung der verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sodass es praktisch regelmäßig um Fahndungsmaßnahmen vor einer Festnahme geht. Die Einsatzziele der Sachaufklärung und der Fahndung können miteinander kombiniert werden. Aus der Verwendung des Wortes „oder“ im Gesetzestext ergibt sich nicht, dass in jedem Fall nur eines der beiden Ziele mit der Maßnahme verfolgt werden dürfte;39 dies reicht andererseits im Einzelfall aus. Über die Dauer der Maßnahme besagt die vorliegende Vorschrift nichts.40 Daher ist sie für sich genommen nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Jedoch ergibt sich aus § 163f, dass einer längerfristige Observation weiteren Voraussetzungen nach dieser Bestimmung unterliegt.
III. Voraussetzungen der Maßnahme 14
1. Straftat von erheblicher Bedeutung als Anknüpfungspunkt für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Abs. 1 Satz 2). Die Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sind nur zulässig, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. Der Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung ist relativ unbestimmt,41 aber ge34 35 36 37 38
Krit. Bernsmann StV 2001 382, 385. Binder 22 f. Binder 22 f. Binder 23. Binder 25 f.
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Binder 24 f. BGHSt 44 13, 18. Krit. daher Lindemann KritJ 2000 86 ff.; SK/Wolter 12.
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bräuchlich und bestimmbar; seine Verwendung führt daher nicht zu einer rechtsstaatswidrigen Unbestimmtheit der gesetzlichen Eingriffsgestattung.42 Nach herrschender Meinung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.43 Anhaltspunkte dafür können u.a. aus dem Katalog der Bezugstaten des § 138 StGB entnommen werden; typischerweise sind Verbrechen und im Einzelfall auch schwer wiegende Vergehen, namentlich aber auch Taten, die der Organisierten Kriminalität zuzurechnen sind, Straftaten von erheblicher Bedeutung. Insoweit kann Ähnliches gelten wie für den Anknüpfungspunkt der Garantenpflicht von Ermittlungsbeamten außerhalb der eigentlichen Dienstzeiten.44 S. auch Erl. zu § 98a, 27 ff., § 100g. 2. Subsidiarität (Abs. 1 Satz 1). Die Maßnahmen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 sind nur 15 dann durchzuführen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Begrifflich ist dies eine weiter gefasste Klausel als die qualifizierte Subsidiaritätsklausel in § 100f Abs. 2 Satz 2 („wesentlich erschwert“) oder die ultima-ratioKlausel in § 100c Abs. 1 Nr. 4 („unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos“).45 Sie läuft weitgehend leer, weil ein erfolgversprechender Einsatz auch nach dem allgemein geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorauszusetzen ist.46 3. Maßnahmen gegen Dritte, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3. Gegen andere Personen, also 16 Nichtbeschuldigte, sind Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 dürfen gegen Nichtbeschuldigte nur angeordnet 17 werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, dass die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Es muss demnach eine Verbindung zwischen dem Beschuldigten und der nicht selbst beschuldigten Zielperson der Observation oder sonstigen technischen Überwachung zu vermuten sein, die erwarten lässt, dass es zu einem Kontakt mit dem Beschuldigten kommt oder durch Verhaltensweisen oder Äußerungen der Zielperson Rückschlüsse auf die Tat gezogen werden können. Freilich wird es dann meist um Personen gehen, gegen die sich auch der Verdacht einer Beteiligung oder einer Nachtat im Sinne von §§ 257 ff. StGB begründen lässt. Ist eine Drittbetroffenheit unvermeidbar, so dürfen gem. Abs. 3 die Maßnahmen nach 18 Abs. 1 durchgeführt werden. Insofern gelten die Ausführungen zu § 100c, 109.
IV. Verfahren; Revision 19
Diesbezüglich gelten die obigen Ausführungen zu § 100f, 23 entsprechend.
42 43
Vgl. zu § 81g BVerfGE 103 21, 33 f. Vgl. BTDrucks. 13 10791 S. 5; BVerfGE 103 21, 34; Meyer-Goßner § 98a, 5; SK/Wohlers § 98a, 17.
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Vgl. dazu BGHSt 38 388, 392. KK/Nack 6. Meyer-Goßner 4.
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§ 100i
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§ 100i (1) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete Straftat, begangen hat, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat oder durch eine Straftat vorbereitet hat, so dürfen durch technische Mittel 1. die Gerätenummer eines Mobilfunkendgerätes und die Kartennummer der darin verwendeten Karte sowie 2. der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist. (2) 1Personenbezogene Daten Dritter dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Absatz 1 unvermeidbar ist. 2Über den Datenabgleich zur Ermittlung der gesuchten Geräte- und Kartennummer hinaus dürfen sie nicht verwendet werden und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. (3) 1§ 100a Abs. 3 und § 100b Abs. 1 Satz 1 bis 3, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 gelten entsprechend. 2Die Anordnung ist auf höchstens sechs Monate zu befristen. 3Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als sechs weitere Monate ist zulässig, soweit die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen fortbestehen. Schrifttum Vgl. zunächst die Literatur bei den §§ 100a, 100c, 100g, 101, 160a. Ferner Bär Der IMSICatcher – neue Eingriffsermächtigung in § 100i StPO, MMR 2003 VI; Bizer Die Evaluierung der Telekommunikations–Überwachung, KrimJ 2003 280; Fox Der IMSI-Catcher, DuD 2002 212; Gercke, Björn Rechtliche Probleme durch den Einsatz des IMSI-Catchers, MMR 2003 453; ders. Der Mobilfunkverkehr als Ausgangspunkt für strafprozessuale Überwachungsmaßnahmen, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Sicherheit vor Freiheit? (2003) 33 (vgl. auch StraFo 2003 76); Harnisch/Pohlmann Strafprozessuale Maßnahmen bei Mobilfunkendgeräten, HRRS 2009 202; Hilger Gesetzgebungsbericht: Über den neuen § 100i StPO, GA 2002 557; Keller Die Ermittlung der Kennungen und des Standortes von Mobilfunkgeräten im Spannungsfeld zwischen Kriminalitätsbekämpfungen und Verfassungsmäßigkeit – Der Einsatz von IMSI-Catchern (2008); Nachbaur Standortfeststellung und Art. 10 GG – Der Kammerbeschluss des BVerfG zum Einsatz des „IMSICatchers“, NJW 2007 335; Petri Im Schatten des Leviathan – Zum Verhältnis von Sicherheit und Freiheit anhand von Beispielen aus der TK-Überwachung, RDV 2003 16; Roggan Moderne Kommunikationsüberwachung, KritV 2003 76; Ronellenfitsch Datenschutzrechtliche Schranken bei der Terrorismusbekämpfung, DuD 2007 561; ders. Datennotwehr, DuD 2008 110; Ruhmannseder Strafprozessuale Zulässigkeit von Standortermittlungen im Mobilfunkverkehr, JA 2007 47; Saurer Grundrechtskonkurrenzen bei der Mobilfunküberwachung – insbesondere beim Einsatz des IMSICatchers, RDV 2007 100; Schrader Die Anti-Terror-Pakete ein Jahr nach ihrer Einführung, Kriminalistik 2003 209; Wolter Potenzial für eine Totalüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht (auch; Handy-Standort und Stand-by, Fang-SMS und IMSI-catching), FS Rudolphi 731.
Entstehungsgeschichte. § 100i wurde eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der StPO vom 6.8.2002 (BGBl. I S. 3018) mit Wirkung vom 14.8.2002. Weil die Notwendigkeit und die nähere Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung zum Einsatz des „IMSI-Catchers“ bereits Gegenstand eines Änderungsvorschlags des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 23.5.1997 war, hatten Parlament und Öffentlichkeit bis zum Gesetzgebungs-
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verfahren im Jahre 2002 ausreichend Gelegenheit, sich mit einer solchen Regelung auseinanderzusetzen.1 § 100i wurde dann – entgegen seiner ursprünglichen Formulierung als „Vorbereitungsmaßnahme“ für § 100a – in nicht unerheblicher Weise umgestaltet durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl. I S. 3198, 3202.2
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Technischer und kriminalistischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtsrelevanz der Vorschrift . II. Einsatzvoraussetzungen (Absatz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermittlung der Geräte- und Kartennummer (Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . 2. Feststellung des Standorts eines Mobilfunkendgerätes. (Abs. 1 Nr. 2) . . . . III. Verwendungsregelung. Vernichtung (Absatz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zuständigkeit (Absatz 3) 1. Richtervorbehalt . . . . . . . . . . . 2. Ermittlungsrichter . . . . . . . . . . 3. Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . V. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt des Beschlusses a) Formel . . . . . . . . . . . . . . b) Befristung, Abs. 3 Satz 2 . . . . c) Begründung . . . . . . . . . . . 4. Rechtliches Gehör. Bekanntmachung 5. Verlängerung, Abs. 3 Satz 3 . . . .
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Rn. VI. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch die Staatsanwaltschaft 1. Nur bei Gefahr im Verzug . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 3 Satz 1; § 100b Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außerkrafttreten der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 3 Satz 1; § 100b Abs. 1 Satz 3) . . . . .
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VII. Durchführung der Anordnung (Absatz 2) 1. Die Vollstreckung der Anordnung . . 2. Mitwirkungsverpflichtung des Anbieters bei der Standortsuche . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unbekannter Teilnehmer bei Standortsuche . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Absatz 3) . . . . . . . . . . .
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IX. Kosten
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X. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels . . .
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XI. Verwertungsverbot XII. Revision
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I. Allgemeines 1. Technischer und kriminalistischer Hintergrund. Die Vorschrift regelt die Voraus- 1 setzungen des Einsatzes des sogenannten IMSI-Catchers und das dabei einzuhaltende Verfahren. Die Vorschrift gestattet die Ermittlung der Geräte- und Kartennummer, und zwar – nicht mehr nur allein wie noch in der a.F. – zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a, sondern mit der ebenfalls gestatteten Feststellung des Standorts eines aktiv
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BVerfG NJW 2007 351 Rn. 70. Vgl. zur Ursprungsfassung Hilger GA 2002 557 ff. Sodann OK-StPO/Hegmann vor Rn. 1:
„Gesetzgeberisches Anliegen war insbes. eine Steigerung der Übersichtlichkeit und Verbesserung der Lesbarkeit der Vorschrift.“
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geschalteten Mobilfunkendgerätes auch zur Festnahme des Beschuldigten.3 § 100i wurde in die StPO aufgenommen, weil man von der kriminalistischen Notwendigkeit überzeugt ist, diese Informationen, die „bei dem häufig zu beobachtenden Einsatz von Mobiltelefonen durch Straftäter oft nicht bekannt“, jedoch auch „zur Vorbereitung der vorläufigen Festnahme oder Ergreifung eines Straftäters zur Vermeidung unnötiger Risiken erforderlich“ sind, ermitteln zu dürfen.4 Bei IMSI und IMEI eines Mobiltelefons handelt es sich um personenbeziehbare Daten, die – gegebenenfalls mittels eines Auskunftsersuchens an den Telekommunikationsanbieter – einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich einer virtuellen Funkzelle aufhält.5 Die Möglichkeit, zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a die Geräte- und Kartennummer oder zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 oder Ergreifung des Täters auf Grund eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls den Standort eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts zu ermitteln, ist zur Erreichung dieses Ziels in den Worten des BVerfG geeignet, erforderlich und auch angemessen.6 Der Einsatz des IMSI-Catchers ermöglicht die Feststellung bislang unbekannter Geräte- und SIM-Kartennummern und erlaubt damit eine Zuordnung der Rufnummer zu dem von einem Tatverdächtigen benutzten Mobiltelefon als notwendige Voraussetzung für die Anordnung und Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a. Berichte aus der kriminalistischen Praxis belegen dem BVerfG zufolge die Geeignetheit und Erforderlichkeit des kriminaltechnischen Hilfsmittels IMSICatcher.7 Dies wurde auch durch die im Verfassungsbeschwerdeverfahren BVerfG NJW 2007 351 abgegebenen Stellungnahmen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts bestätigt. Technisch möglich ist das unter Einsatz eines sog. IMSI-Catchers, einer besonderen 2 Messtechnik, welche alle in einem gewissen Bereich befindlichen und wenigstens in Bereitschaft (Standby) betriebenen Handys zu einer Anmeldung und damit der aus Ermittlersicht erwünschten Datenpreisgabe veranlasst.8 Diesen Umstand einer kommunikationsunabhängigen, rein technischen Kontrolle nimmt eine auch vom BVerfG vertretene Auffassung zum Anlass, die Relevanz dieser Maßnahme für das Fernmeldegeheimnis zu leugnen und § 100i stattdessen allein am Maßstab des APR und der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen.9 Im Jahre 1996 kam ein von der Firma Rhode und Schwarz entwickeltes, ursprünglich 3 zu Test- und Messzwecken entwickeltes Gerät mit der Typenbezeichnung GA 090, später als GA 900 fortentwickelt, auf den Markt, der sog. IMSI-Catcher, mit dessen Hilfe sich die digitale Kennung mindestens aktiv geschalteter mobiler Endgeräte sowie durch Peilung der genaue Standort des Geräts feststellen lässt. Das Gerät wurde zunächst vom Bundeskriminalamt und vom Bundesgrenzschutz präventiv und wohl auch von Nach3
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Also hauptsächlich des an einen Netzabschluss drahtlos angeschlossenen Handys, aber auch weiterer Endgeräte wie UMTSDatenkarten bzw. -Sticks oder sog. Mobilfunk-Gateways. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. 5. 2002, BTDrucks. 14 9088 S. 7. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 68. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 73. Vgl. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 74 unter Verweis auf von Denkowski Kriminalistik 2002 117, 118 f.; Albrecht/Dorsch/Krüpe Rechts-
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wirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen (2003) 199 f., 216. Zum technischen Ablauf Bär MMR 2003 VI f.; von Denkowski Kriminalistik 2002 117 ff.; Fox DuD 2002 212, 213 ff.; zuvor bereits ders. DuD 1997 539; [B.] Gercke StraFo 2003 76, 78; Wolter FS Rudolphi 733, 739 f.; umfassend [C. M.] Keller Die Ermittlung der Kennungen und des Standorts von Mobilfunkgeräten 43 ff. Vgl. dazu unten Rn. 7 ff.
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richtendiensten eingesetzt.10 Die Bundesregierung hielt den Einsatz des Geräts zu repressiven Zwecken durch §§ 100a, 161 gedeckt.11 Indes sieht das Gesetz bei § 100a nur Maßnahmen vor, die mit Hilfe der Betreiber vorgenommen werden, dazu gehört der Einsatz des beschriebenen Geräts nicht. § 100c konnte keine Anwendung finden, weil diese Vorschrift eine Überwachung der Telekommunikation nicht gestattet. So kam es nach verschiedenen Gesetzesinitiativen zur Einfügung von § 100i. Am 17. Mai 2002 hatte zunächst der Bundestag eine Regelung zum Einsatz des IMSI-Catchers beschlossen.12 Als das weitere Gesetzgebungsverfahren stockte, folgte eine Gesetzesinitiative des Bundesrats mit dem Ziel einer Änderung des § 100c Abs. 1 Nr. 1b a.F., wonach ohne weitere einengende Voraussetzungen technische Mittel über den seitherigen Anwendungsbereich hinaus auch eingesetzt werden dürften „zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummern“.13 Dieser Initiative folgte die Bundesregierung aber nicht.14 Statt dessen fügte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags in einen Gesetzentwurf gänzlich anderer Zielrichtung mit einer sehr knappen Begründung die Vorschrift des § 100i a.F. ein,15 die dann auch so Gesetz wurde. Telekommunikation kann heute praktisch nur in Kenntnis der digitalen Kennung der 4 einzelnen Geräte überwacht werden. Für den Mobilfunk werden Geräte- und Kartennummern verwendet (vgl. § 100i Abs. 1 Nr. 1).16 Die weltweit einmalige Gerätenummer oder Gerätekennung ist fest mit dem jeweiligen Endgerät verbunden (elektronische Gerätekennung, IMEI, International Mobile Equipment Identity), während die weltweit ebenfalls nur einmal vorhandene Kartennummer (IMSI, International Mobile Subscriber Identity) auf den austauschbaren, in das mobile Endgeräte eingelegten Chipkarten (SIM) enthalten ist. Diese Kartennummer ermöglicht die Feststellung der Rufnummer und anderer zur Abrechnung erforderlicher Daten. Die ersten Ziffern der IMSI bezeichnen den Netzbetreiber, die weiteren dienen über beim Netzbetreiber gespeicherte Bestandsdaten (§ 100a, 13) zur Identifizierung des Mobilfunkteilnehmers, nach Rufnummer und Namen. Wird ein mobiles Endgerät eingeschaltet (vgl. Abs. 1 Nr. 1 der a.F.: „aktiv geschaltet“), sendet es, auch wenn eine Verbindung nicht besteht, beide Kennungen an die nächste Basisstation der Funkzelle, in der sich das mobile Endgerät gerade befindet. Diese Kennungen werden von dort weitergeleitet, damit bei Bedarf eine Verbindung hergestellt, insbesondere das Endgerät angerufen werden kann. Dadurch kann der Standort eines jeden auf Bereitschaft geschalteten Mobilfunkendgeräts und die mit ihm betriebene Kommunikation festgestellt und überwacht werden, wenn IMEI oder IMSI bekannt sind. Sind diese Daten des mobilen Endgeräts nicht bekannt, kann die von dem Endgerät ausgehende oder für das Endgerät bestimmte Telekommunikation nicht überwacht werden. Zur Feststellung unbekannter IMEI- oder IMSI-Nummern wird der sog. IMSI- 5 Catcher (Rn. 2) eingesetzt. Ist bekannt, wo etwa sich das gesuchte Mobilfunkendgerät befindet und ist es mindestens auf Bereitschaft (aktiv) geschaltet, kann mit Hilfe einer speziellen Messtechnik (des sog. IMSI-Catchers) die IMEI oder IMSI dieses Geräts ermittelt werden. Das dabei verwendete Messgerät simuliert die Funktion der Basisstation der Funkzelle und „fängt“ deshalb die Daten der in seiner (variablen) Reichweite aktiv ge-
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Zu allem vgl. Fox DuD 2002 212. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der FDP-Fraktion BTDrucks. 14 6885. BTDrucks. 452 02.
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BTDrucks. 14 9801 S. 7. BTDrucks. 14 9801 S. 14. BTDrucks. 14 9088. Fox DuD 2002 212; Hilger GA 2002 557; Meyer-Goßner 1.
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schalteten Endgeräte samt Kommunikationsdaten, ohne dass es zu Verbindungen kommt. Diese Messtechnik kann auch dazu benutzt werden, durch mehrere Peilungen den genauen Standort eines auf Bereitschaft geschalteten Mobilfunkendgeräts festzustellen. Auf diese beiden Möglichkeiten stellt Abs. 1 Nr. 1 und 2 ab. Während der kurzen Dauer der Messung von (im Jahre 2001) etwa 10 Sekunden haben alle erfassten Endgeräte keine Verbindung zum Mobilfunknetz.17 Laufende Gespräche werden abgebrochen. Technisch möglich wäre es auch, von dem „gefangenen“ Endgerät abgehende Gespräche mitzuschneiden,18 das ist aber nach der StPO nicht zulässig, weil § 100i dafür keine Rechtsgrundlage hergibt und § 100a die Mitwirkung des Diensteanbieters voraussetzt.
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2. Grundrechtsrelevanz der Vorschrift. Während des Gesetzgebungsverfahrens war von den Datenschutzbeauftragten der Länder Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein die Auffassung vertreten worden, das Gesetz zur Einführung des § 100i verstoße gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, des Fernmeldegeheimnisses, eingreife. So sah dies auch der Bundesrat, der bei seiner Gesetzesinitiative mit dem Ziel einer Änderung des § 100c (Rn. 3) in Art. 5 des Gesetzentwurfs die Zitierklausel vorsah. Zu Recht, wenn man die Maßstäbe anlegt, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt und erst jüngst in der Entscheidung zur Auskunft über Telekommunikationsverbindungen bei Angehörigen der Medien bestätigt hat.19 S. zunächst § 100g, 2 ff. Diese Frage nach der Schutzbereichsrelevanz des IMSI-Catchers für das Fernmeldegeheimnis ist heute freilich hochumstritten:20 Das BVerfG ist Teil einer breiten Front gegen einen Einbezug von Standort- und Geräte7 nummernermittlungen in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses; stattdessen sollen entsprechende Maßnahmen allein am APR und an der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen sein.21 Die Gegenansicht22 sieht hingegen eine Notwendigkeit zur Erstreckung des
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BTDrucks. 14 6885 S. 4; längere Zeiten nimmt Fox DuD 2002 212 auf Grund einer Auskunft der Herstellerfirma an. Bei Fox finden sich auch weitere Einzelheiten zur Technik. Fox DuD 2002 212, 214. Nach Fox seien Geräte mit diesen Möglichkeiten ein Exportschlager. BVerfG NJW 2003 1787. Die folgende Passage entstammt überwiegend wörtlich Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit (2013) S. 367 ff. Vgl. BVerfG NJW 2007 351, 353; KK/Nack 5; Bär TK-Überwachung 3; MeyerGoßner 2; Badura FS Amelung 529, 540 f.; [R.] Günther NStZ 2005 485 Fn. 1, 491 f.: „nur die Verständigung zwischen Personen“; Günther Kriminalistik 2004 11, 14; Jordan Kriminalistik 2005 514, 515 f.; Demko NStZ 2004 57, 60 ff.; Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005 62, 66: nur „aktiv verbale Kommunikation“ betroffen; Kudlich JuS 2001 1165, 1168; Welp Überwachung und Kontrolle 29 ff.; Weßlau ZStW 113 (2001) 681, 690;
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Brenner Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs 251 („nur […], wenn […] untrennbar mit einem Kommunikationsvorgang in Verbindung“); Walther StV 1991 14, 15; zweifelnd auch Bernsmann NStZ 2002 103; ders./Jansen StV 1999 591, 592 f. BGH (ER) NJW 2001 1587 mit Anm. Bernsmann NStZ 2002 103 f.; im Anschluss an LG Aachen StV 1999 590, 591, im Anschluss an LG Dortmund NStZ 1998 577, unter extensiver Interpretation des Begriffs des Fernmeldeverkehrs; sodann BGH NJW 2003 2034, 2035; LG Ravensburg NStZ-RR 1999 84 f.; LG Hamburg NStZ-RR 1999 82, 83; VG Darmstadt NJW 2001 2273, 2274; Dreier/Hermes Art. 10 21 GG; SK/Wolter 12; ders. FS Rudolphi 733, 744; Artkämper Kriminalistik 1998 202, 206; Bär MMR 2000 472, 473; ders. MMR 2001 443, 444; [B.] Gercke Bewegungsprofile anhand von Mobilfunkdaten 70 f.; ders. MMR 2003 453, 455; ders. StraFo 2003 76, 78; HK/ders. 2; Nachbaur NJW 2007 335, 336 f.; [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1,
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Schutzes nach Art. 10 Abs. 1 GG auf diese Vorgänge und argumentiert hauptsächlich, dass zu den unstreitig erfassten „näheren Umständen“ der Telekommunikation auch die Verbindungsdaten zählten. Laut § 89 Abs. 2 Nr. 1 b) TKG a.F.23 handele es sich dabei auch um die bei der „Bereitstellung“ von Telekommunikationsdiensten erhobenen Daten, wozu auch die technischen Positionsmeldungen eines nicht telefonierenden Handys zählten.24 Dass Art. 10 Abs. 1 GG auch Vorbereitungsakte schützen soll, ergebe sich auch aus der großen Nähe zu der von ihm unstreitig erfassten Mobilfunkkommunikation.25 Die eigene Positionierung innerhalb dieses Meinungsspektrums muss zunächst von der 8 Annahme ausgehen, dass der Begriff der Telekommunikation als Synonym für den Fernmeldeverkehr in Art. 10 Abs. 1 GG selbständig, d.h. unabhängig von der strafprozessualen oder sonst fachrechtlichen Diskussion und damit außerhalb des Befugniswirrwarrs der StPO und thematisch verwandter Normen des TKG oder TKÜV auszulegen ist. Ist auf diese Weise erst einmal Gewissheit darüber erlangt, mit welcher Reichweite Art. 10 Abs. 1 GG die Telekommunikation schützt, so kann das Strafverfahrensrecht hierauf wiederum reagieren und in Übernahme dieser verfassungsrechtlichen Erkenntnisse seine Befugnisnormierung entsprechend ausrichten. In diesem Sinne führt uns eine historisch-teleologische Sichtweise zunächst auf den 9 Grundgedanken des Schutzes einer „Privatheit auf Distanz“ zurück. Das Briefgeheimnis wurde als Geheimnisgarantie gegenüber einem an privaten Informationen interessierten absolutistischen Staat formuliert.26 Es sollte ebenso wie die flankierende Gewährleistung des Post- und später auch des Fernmeldegeheimnisses einen Ausgleich bieten für den Nachteil, dass Fernkommunikation in besonderer Weise für externe Zugriffe anfällig ist.27 Denn dort fällt die Möglichkeit der Gesprächskontrolle, die es anwesenden Kommunikations-
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20 f.; Roggan KritV 2003 76, 89; Gundermann K&R 1998 48, 53, 55; v. Denkowski Kriminalistik 2002 117, 119; Löwnau-Iqbal DuD 2001 578; Dix Kriminalistik 2004 81, 83; LR/Schäfer 25 5 unter Verweis auf BVerfG NJW 2003 1787; Eckhardt CR 2001 386, 672. In der Fassung des TKG 1996 (BGBl. I S. 1120) hatte die Bestimmung den Wortlaut: „(2) Nach Maßgabe der Rechtsverordnung dürfen Unternehmen und Personen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, die Daten natürlicher und juristischer Personen erheben, verarbeiten und nutzen, soweit dies erforderlich ist 1. zur betrieblichen Abwicklung ihrer jeweiligen geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienste, nämlich für […] b) das Herstellen und Aufrechterhalten einer Telekommunikationsverbindung […]“. LG Dortmund NStZ 1998 577: „denn die gesamten Umstände, ob und wann und zwischen welchen Personen und Anschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat, unterfallen dem geschützten Kommunikationsvorgang (BVerfG 85, 386 [396] = NJW 1992,
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1875). Aus diesem Grunde zählt auch die Frage, wo sich das Endgerät befindet und damit möglicherweise diese Person aufhält, zu den „näheren Umständen“ der Telekommunikation.“ [Hervorhebung nicht im Original] Vgl. SK/Wolter 12; [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1, 20: „innere Einheit“. Vgl. Mohl Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates (1833) Bd. II, 390, der schon 1833 die Sicherheit der Beförderung von Briefen darin erblickte, „daß sie uneröffnet übergeben werden, (daß das Postgeheimnis bewahrt werde.)“, daneben aber auch auf die äußeren Umstände der brieflichen Kommunikation abstellt, S. 391: „auch den Polizeibehörden kann die Kenntnisnahme von einem bestimmten Briefwechsel sehr wichtig seyn“; Austermühle Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes 101 ff., 111 ff.; Marxen Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (1957) 4; Maunz/Dürig/Durner Art. 10, 9, 60 GG. Vgl. – auch zum Folgenden – die Passage in BVerfGE 115 166, 182.
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partnern erlaubt, Dialoginhalte durch die Wahl des Gesprächsorts oder der Sprechlautstärke gegenüber Mithörern abzuschirmen, weitgehend weg.28 Zudem werden private Informationen einem Medium anvertraut, das man nicht kontrollieren kann. Maßgeblicher Schutzgegenstand ist damit zunächst der Kommunikationsinhalt.29 Die vom BVerfG behauptete ebenso große Schutzwürdigkeit der Tatsache des 10 Gesprächs als solche (als ein „näherer Umstand“ der Kommunikation) lässt sich damit nicht ohne Weiteres begründen, weil die Tatsache eines Gesprächs zwar ein ebenfalls sensibler Umstand sein mag, hieraus jedoch keine Erkenntnisse über dessen Inhalt gewonnen werden können. Gleichwohl erschöpft sich die Schutzweite des Art. 10 Abs. 1 GG nicht in einem Schutz kommunikativen Informationsaustausches. Auch das Kommunikationsverhalten, das über die Ermittlung der sog. Fernmeldeumstände30 in gewisser Weise nachvollzogen werden kann, erweist sich als schutzwürdig, und zwar über Art. 10 Abs. 1 GG. Das BVerfG hat diese vom Kommunikationsinhalt unabhängige Schutzwirkung des Art. 10 Abs. 1 GG erstmals für das Fernmeldegeheimnis unter Berufung auf eine Entscheidung des BVerwG und eine des OVG Münster vertreten.31 Ursprünglich erstreckte das BVerwG lediglich das Postgeheimnis in der Tradition des prALR [Zweyter Theil 15. Titel 4. Abschnitt § 204] 32 auf die Tatsache des Briefkontakts zwischen Sender und Adressat.33 Auf das Fernmeldegeheimnis übertragen wurde dieser Schutz der Kommunikationsumstände („Umstände des Fernmeldeverhältnisses“) dann vom OVG Münster unter zweifelhaftem – da normhierarchisch und normlogisch undurchführbarem – Rückgriff auf § 10 Abs. 1 Satz 3 FAG a.F.34 und drei Literaturstellen.35 Auch wenn der Sprung vom Schutz des Inhalts auf den Schutz der äußeren Formen gerade teleologisch nur schwer nachzuvollziehen ist,36 wollen wir diese Vertraulichkeit der Kommunikation „in allem“ als wesentlichen Schutzaspekt des Art. 10 Abs. 1 GG dennoch zugrunde legen, weil auch die Vertraulichkeit eines Kommunikationsverhältnisses als solches, unabhängig von seinem Inhalt, schutzwürdig ist. Ein Grund hierfür ist die eigene Dispositionsfreiheit über die Art und Weise privater Kommunikation und der Umstand, dass schon die Tatsache einer kommunikativen Beziehung zu einer anderen Person für sich genommen ein Umstand des privaten Lebens ist, der viel preisgeben kann, wenn er denn öffentlich wird. Eben jene, sich vom Gedanken des Inhaltsschutzes noch weiter entfernende Idee der 11 Erfassung von Gerätenummern und Standortinformationen steht heute aber in Streit. Für die Schutzerstreckung spricht zunächst nicht die vorgebrachte enge Verzahnung des einschlägigen § 100i mit den entsprechenden Befugnisnormen für die Erhebung von Verbindungsdaten in § 100g.37 Unabhängig davon, dass es normhierarchisch und rechtslogisch
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Sieht man einmal von Briefen in Geheimschrift oder entlegenen Fremdsprachen ab. BVerfGE 115 166, 183: „in erster Linie“; BVerfGE 100 313, 358: „zuvörderst“. Zum Begriff Maunz/Dürig/Durner Art. 10, 86 GG. Vgl. BVerfGE 67 157, 172. „Die Postbedienten müssen die ankommende und abgehende Correspondenz verschwiegen halten, und mit wem jemand Briefe wechsele, keinem andern offenbaren.“ BVerwGE 6 299, 300 f. Die Bestimmung lautete noch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1455): „Der Schutz erstreckt sich auch auf
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die näheren Umstände des Fernmeldeverkehrs, insbesondere darauf, ob und zwischen welchen Personen ein Fernmeldeverkehr stattgefunden hat.“ NJW 1975 1335: „insbesondere die Tatsache, ob, wann und zwischen welchen Personen und Fernsprechanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist. (Vgl. Kämmerer-Eidenmüller Post- und Fernmeldewesen, § 10 FAG Anm. 4; Aubert Fernmelderecht I, 3. Aufl., 47 f.; Maunz/Dürig/Herzog, Art. 10, 18 GG. Vgl. aber Maunz/Dürig/Durner Art. 10, 60 GG. So jedoch SK/Wolter 12.
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unmöglich ist, die Reichweite eines grundrechtlichen Schutzbereichs über die Reichweite einer strafprozessualen Befugnisnorm zu definieren,38 von der man nicht einmal weiß, ob sie den Schutzbereich berührt, betrifft § 100g nun mal lediglich Verbindungsdaten, die als nähere Umstände der Telekommunikation dem Art. 10 Abs. 1 GG unterfallen. Dieses entscheidende Differenzierungskriterium, näherer Umstand eines tatsächlichen Telekommunikationsvorgangs zu sein, fehlt jedoch gerade den Standort- und Gerätedaten, auf die sich § 100i bezieht.39 Dieses Argument der besonderen Nähe oder Wesensverwandtschaft wird sodann auch 12 im Zusammenhang mit dem Aspekt der Kommunikationsbereitschaft vorgetragen: Ein Handy, das im Bereitschaftsmodus laufe, signalisiere automatisch seine allgemeine Kommunikationsbereitschaft, die von der durch Anwahl einer bestimmten Nummer signalisierten besonderen Bereitschaft zur Kommunikation aus teleologischen Gesichtspunkten kaum sinnvoll zu unterscheiden sei.40 Dabei wird verkannt, dass die Aussendung der besonderen Kommunikationsbereitschaft auf eine menschliche Initiative (nämlich auf den Tastendruck) zurückzuführen ist, die sich unmittelbar auf den Aufbau einer Telefonverbindung zum Zweck eines Ferngesprächs richtet. Sicherlich führt der Einzelnutzer auch den Stand-by Betrieb eines Handys zielgerichtet herbei, indem er das Gerät einschaltet. Genau dieser individual-initiativ gesprächsvorbereitende Charakter fehlt dem rein technisch vollzogenen Signalisierungsverkehr, wie er im Stand-by Betrieb dauernd passieren kann, jedoch.41 Es müsste deshalb zumindest unter einigem Aufwand begründet werden, in diesem 13 Zusammenhang von der Kommunikationsbereitschaft des Geräts auf die Kommunikationsbereitschaft der Person zu schließen.42 Die besondere Kommunikationsbereitschaft, die technisch vermittelt durch das Anwählen einer Rufnummer signalisiert wird, ist doch zugleich Teil, genauer: Anfang des Kommunikationsprozesses und als solcher pars pro toto von Art. 10 Abs. 1 GG geschützt. Jede andere bloße Bereitschaft zur Kommunikation, die nicht Teil des Kommunikationsprozesses selbst ist und – als bloße „Kommunikationsanbahnung“43 – auch nicht als „näherer Umstand“ eines solchen definiert werden kann, hat nicht Teil an diesem Schutz, weil insofern die spezifische Schutzwürdigkeit fehlt. Die allgemeine Kommunikationsbereitschaft eines Menschen hier zum Anlass zu nehmen, den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG zu eröffnen, müsste – will man die dynamische
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Vgl. zur allgemeinen Kritik an diesem Vorgehen Kudlich JuS 2001 1165, 1167. Wie hier Badura FS Amelung 529, 540 f.; Kudlich JuS 2001 1165, 1168 f.; Demko NStZ 2004 57, 60 f. Es bedeutet entgegen Gundermann K&R 1998 48, 53, deshalb auch keine „Aushöhlung“ des Schutzes des Art. 10 Abs. 1 GG oder eine unzulässige Missachtung eines „dienenden Charakters“ dieser Aktivmeldungen. Denn eine bloße Existenz im (weiteren) „Kontext der Telekommunikation“ ist weder selbst Telekommunikation noch einer ihrer „näheren Umstände“. Wegen dieses Unterscheidungskriteriums, Standort- und Geräteinformation als Verbindungsdaten, also als Teil eines tatsächlichen Kommunikationsvorgangs, oder nicht, geht auch die „Kontrollüberlegung“ des LG Aachen StV 1999 590, 591
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fehl: Dass der Gesetzgeber eine Erfassung dieser Informationen als Verbindungsdaten einer tatsächlichen Telekommunikation in Kauf genommen hat (was er mit Blick auf die §§ 100g, h dann 2001 eigens normierte), heißt noch lange nicht, dass er deren Erhebung auch im bloßen Standby-Betrieb erfassen wollte. Vgl. SK/Wolter 12. Die Differenzierung beruht also auf einem sachlichen Grund, der es verbietet, wie Gundermann K&R 1998 48, 53 von einer willkürlichen Trennung zwischen kommunikationsunmittelbaren und „zeitlich weiter entfernten“ Ortsmeldungen zu sprechen. So namentlich Nachbaur NJW 2007 335, 337; ferner SK/Wolter 12. So [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1, 21.
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Kommunikationsmedienakzessorietät der Schutzbereichsbestimmung, also ihre Abhängigkeit vom jeweils benutzten Kommunikationsgerät, ernst nehmen –44 dazu führen, die Anschlussdaten bei der bloßen Inhaberschaft eines Festnetzanschlusses ebenso dem Schutz des Art. 10 Abs. 1 zu unterstellen wie den Besitz von Briefpapier und Tinte. Deshalb ist auch die Behauptung, in der Abfrage der Gerätenummern realisiere sich „das 14 spezifische Risiko für die Vertraulichkeit der Telekommunikation“, weil es „derartige Verkehrsdaten […] bei einer unmittelbaren Kommunikation nicht geben“ 45 würde, aus zwei Gründen unhaltbar. Erstens produziert die Standort- oder Gerätedatenabfrage schon keine Verkehrsdaten als Schutzobjekt des Fernmeldegeheimnisses. Selbst die zum Beleg zitierte Definition des § 3 Nr. 30 TKG setzt die „Erbringung“ eines Telekommunikationsdienstes, also die Vornahme eines Telefonats, voraus,46 was für die Geräte- und Standortnummernabfrage nach § 100i doch gerade nicht Voraussetzung sein soll. Und zweitens belegt der Wegfall eines Datenbestands im Falle der nicht fernmündlich, sondern unter Anwesenden geführten Kommunikation doch mit keinem Wort, dass sämtliche, also auch die ohne Bezug zu konkreten Kommunikationsverhältnissesn im rein technischen Signalisierungsverkehr anfallenden Daten über die Ausgleichsfunktion des Art. 10 Abs. 1 GG schutzwürdig sind. Und auch über den für sich genommen sicher zutreffenden Hinweis, Grundrechte seien 15 „in ihrem Freiheitsgehalt entscheidend darauf angelegt, dass der Grundrechtsträger nicht befürchten muss, wegen oder aus Anlass der Grundrechtsausübung Objekt staatlicher Beaufsichtigung und möglicher nachteiliger Maßnahmen zu werden“,47 lässt sich eine solche Schutzbereichsergänzung auf die technische Anbahnungsphase nicht begründen. Dabei bliebe doch außer Acht, dass sich die Grundrechtsausübung bei Art. 10 Abs. 1 GG allein im Kommunikationsvorgang vollzieht.48 Wegen der Grundrechtsausübung wird man daher nur dann Objekt staatlicher Maßnahmen, wenn dieser Informationsaustausch selbst (und nicht lediglich dessen Anbahnung) interessant ist. Aus Anlass der Grundrechtsausübung geschieht dies dann, wenn der vollzogene Kommunikationsprozess entsprechende Folgemaßnahmen nach sich zieht. 44
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Vgl. BVerfGE 100 313, 363; v. Mangoldt/ Klein/Starck/Gusy Art. 10, 40 f. GG; Dreier/Hermes Art. 10, 25 GG. [C. M.] Keller Die Ermittlung der Kennungen und des Standorts von Mobilfunkgeräten 147; ebenso [B.] Gercke Bewegungsprofile anhand von Mobilfunkdaten 71. Zum Erfordernis der „Inanspruchnahme“ eines Dienstes Geppert/Schütz/Braun § 3, 93 TKG. Auch die den Begriff der Verkehrsdaten konkretisierende Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–5 TKG setzt den Aufbau einer Telekommunikationsbeziehung voraus. Das gilt selbst für die nach § 96 I 1 Nr. 1 TKG relevanten Standortinformationen, die nur dann zu Verkehrsdaten werden, wenn die von ihnen betroffenen Geräte zu einer konkreten Kommunikation benutzt werden; vgl. OK-TKG/Graf § 96, 1: „Daten einer Kommunikation – mit Ausnahme der Inhaltsdaten.“ [R. P.] Schenke AöR 125 (2000) 1, 20 f., unter Verweis auf VG Bremen NVwZ 1989
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895 ff. und OVG Bremen NVwZ 1990 1188 ff. (optische Dokumentation eines Demonstrationszuges). Was einen entscheidenden Unterschied gegenüber den von Schenke angegebenen Judikaten darstellt. Dort war stets eine Versammlung gegeben, damit der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG immer eröffnet und die Frage nach einer Schutzbereichserweiterung auf Vorfeldgeschehen nie relevant. Auch eine Schutzerstreckung auf kommunikationsvorbereitende Handlungen nach Kloepfer Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz (1970) 99 f., kann nicht überzeugen, weil so über die Kommunikationsbereitschaft letztlich doch eine Kommunikationshandlungsfreiheit geschützt wird, die mit dem Geheimnisschutzgedanken des Art. 10 GG unvereinbar ist. Dies ist auch BerlKommTKG/Klesczewski § 88, 15 entgegenzuhalten, wenn er in der reinen Standortabfrage eine „willensgetragene Informationsübermittlung“ erkennen will.
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Fragwürdig bleibt schließlich, wie der Hinweis von Wolter behandelt werden muss, 16 wonach es der „Senatslinie“ entspreche, bei fehlender oder eingeschränkter Privatsphäre Art. 10 GG einschlägig zu halten.49 Die von ihm angeführte Entscheidung im 115. Band konstatiert zwar in der Tat, dass die Nutzung der Telekommunikation „eine neue Dimension der Privatsphäre“ eröffne, dass Privatheit also nicht nur im Gespräch unter Anwesenden stattfinden kann, sondern sich auch unter Nutzung neuer Medien ausleben lasse und deshalb auch dort zu schützen sei. Gleichwohl erfolge mit der Wahl neuer Kommunikationsformen aber auch ein „Verlust an Privatheit“, weil die Kommunikation infolge der Unkontrollierbarkeit der genutzten Medien zugriffsanfälliger werde. Dort jedoch, wo die Nachricht „nicht mehr den erleichterten Zugriffsmöglichkeiten Dritter – auch des Staates – ausgesetzt“ sei, ende der Schutz von Art. 10 Abs. 1 GG.50 Diese Ausgleichswirkung des Art. 10 Abs. 1 GG für jene „technisch bedingte Einbuße 17 an Privatheit“51 leitet über auf eine zentrale funktionale Überlegung: Betrifft die Ermittlung einer Gerätenummer oder des Standorts eines im Standby betriebenen Handys kein konkretes Fernmeldeverhältnis zwischen zwei Gesprächspartnern, sondern allein eine allgemeine Kommunikationsbereitschaft, so müsste man die „technisch bedingte Einbuße an Privatheit“ folgerichtig auf einen akommunikativen Bereich ausweiten, um den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG in seiner Ausgleichsfunktion hier noch konstruieren zu können. Selbst bei noch so dynamisch-medienakzessorischer Auslegung des Art. 10 GG führt die Diskussion aber immer auf das konkrete Kommunikationsverhältnis zurück. Nur insoweit gewährleistet Art. 10 GG einen Ausgleich, wie die Beteiligten ihre private Kommunikation aus den Händen geben. Tun sie das nicht, so büßen sie ihre Privatheit auch nicht „technisch bedingt“ ein. Wer die Ausgleichsfunktion des Art. 10 Abs. 1 GG auf die technisch bedingte Einbuße 18 beziehen will, als mit einem betriebsbereiten Mobiltelefon allgemein kommunikationsbereite Person den Standort- oder Gerätenummernermittlungen des Staates ausgesetzt zu sein, der muss deshalb entweder den Begriff des Fernmeldegeheimnisses in Art. 10 Abs. 1 GG so weit auslegen, dass darunter auch die von einem konkreten Gespräch weit entfernte bloße Kommunikationsbereitschaft fällt, oder er muss dem Art. 10 Abs. 1 GG unabhängig vom Fernmeldegeheimnis einen kommunikationsübersteigenden Persönlichkeitsschutzgehalt zuweisen, der gleich einem umfassenden Persönlichkeitsbild alle Bestandteile der Persönlichkeit erfasst, die den modernen, heutige Kommunikationsmittel bereithaltenden Menschen ausmachen. Zu einem solchen Persönlichkeitsbild gehört aber nicht nur das Bereithalten von Kommunikationstechnik, sondern auch die Nutzung moderner Unterhaltungsmedien oder die Existenz in digitalen sozialen Netzen. Das sprengt nicht nur die Grenzen des Art. 10 GG, sondern klingt auch deutlich nach einem Schutz durch das APR, entweder im Ganzen oder als Schutzgegenstand eines (neuen) Innominatrechts. Über eine extensive Auslegung des Begriffs der (Tele-)Kommunikation lässt sich eine solche Schutzerstreckung jedenfalls nicht verwirklichen. Die Kommunikation versteht sich als sozialerhebliche Mitteilung von Informationen und umfasst keinesfalls die von dem Informationsaustausch unabhängige technische Einhegung.52 Erweist sich der Schutz dieser privaten Informationen damit als doch wenigstens über das APR gewährleistet, besteht auch aus
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SK/Wolter 12 unter Verweis auf BVerfGE 115, 166 ff. und BVerfG NJW 2009 2431. BVerfGE 115 166 184 f. unter Verweis auf v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 10, 18 f. GG. BVerfGE 115 166 184 f.; im Anschluss an
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BVerfGE 85 386 396; 106 28, 36; 107 299, 313. Vgl. BVerfGE 67 157, 171; Weßlau StV 2003 483, 484: „Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen (Informationen)“.
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einer ethischen Perspektive kein Bedarf nach Schutzintensivierung oder Schutzdifferenzierung: Privatheit wird sowohl in ihrer informationellen wie auch in ihrer dezisionalen Ausgestaltung geschützt.53 Aus diesen Gründen betrifft auch die Standortermittlung mittels „stiller SMS“ nicht 19 den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG (vgl. § 100a, 70).54 Diese Praxis der Polizei, durch den Versand einer heimlichen, vom Empfänger nicht bemerkbaren SMS den Standort des Handys festzustellen, bedeutet keinen Zugriff auf einen bereits bestehenden Kommunikationsprozess, der Vertraulichkeitsschutz genießt, sondern geradezu ein Aufzwingen, also ein aktives Generieren solcher Tele-„Kommunikation“ durch die Polizei. Weil Art. 10 Abs. 1 GG nicht vor aufgedrängten Kommunikationsprozessen schützt, sondern nur Geheimnisschutz hinsichtlich des Inhalts und der näheren Umstände gewollter stattfindender Kommunikation bietet, betrifft diese Ermittlungspraxis daher nicht den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses. Man könnte endlich überlegen, ob sich die Schutzbereichsrelevanz des IMSI-Catcher20 Einsatzes nicht darüber begründen ließe, dass hierbei laufende Telefonate aus technischen Gründen abgebrochen werden müssen bzw. während dieser kurzen Messphase keinerlei neuen Verbindungen aufgebaut werden können, sodass in diesem Zeitraum keinerlei Anrufe, ja nicht einmal Notrufe mehr möglich sind.55 Dieses Ansinnen, den Eingriff weniger in der Informationsermittlung als vielmehr in der aus technischen Gründen damit notwendigerweise einhergehenden Unterbindung von Kommunikationsmöglichkeiten zu sehen, scheitert an der Ausrichtung der Schutzwirkung des Art. 10 Abs. 1 GG im Sinne eines Schutzes von Vertraulichkeit. Der nur so zu verstehende Schutz des Fernmeldegeheimnisses lässt sich nicht im Sinne eines Schutzes der „Fernmeldefreiheit“ interpretieren und ist deshalb auch nicht von Art. 10 Abs. 1 GG, sondern allein von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG erfasst.56 Diesbezüglich lehnt das BVerfG aber entweder schon einen Eingriff ab, wenn hinsichtlich 82 laufender Gespräche oder anderweitige Kommunikationsverbindungen wegen der Funktionsweise des „IMSI-Catchers“ nicht gestört werden.57 Oder es handele sich bei einer kurzfristigen Versorgungslücke beim Erfassen der IMSI- oder IMEI-Nummer eines unbeteiligten Dritten um einen nur geringfügigen und damit rechtfertigungsfähigen Eingriff, der nicht über das Maß an Empfangs- und Sendestörungen hinaus geht, die im Mobilfunkbetrieb alltäglich auftreten.58 Durch den Einsatz nach § 100i werden die überwachten Personen ebenfalls nicht über21 mäßig in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. In den Worten des BVerfG ist das Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden mit dem technischen Fortschritt 53
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Vgl. Rössler Der Wert des Privaten (2001) 144 ff., 201 ff., die ohnehin nur den Schutz der dezisionalen neben der informationellen Privatheit gesichert wissen möchte. Ferner Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit (2013) 94 ff. Dafür, dass die Maßnahme nicht auf § 100i gestützt werden kann [J.] Tiedemann K&R 2004 63, 66; Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005 62, 63; Meyer-Goßner 4; Roggan FS B. Hirsch 159; Röwer Erscheinungsformen und Zulässigkeit heimlicher Ermittlungen (2007) 220 ff.; Tölpe Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“ (2008) 241 ff., 248; die von BTDrucks. 16
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5846 S. 51 erwogene Stützung auf § 100g Abs. 1 Satz 3 ist keine Alternative, da dafür telefoniert werden muss, bei „stiller SMS“ aber nicht. Zu diesen catcherbedingten Störungen Fox DuD 2002 212, 214 f.; ferner LR/Schäfer 25 4; regelrechte Empörung bei Wolter FS Rudolphi 733, 739. v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 10, 57 GG; Maunz/Dürig/Durner Art. 10, 17 GG; Dreier/Hermes Art. 10, 15 GG, 82; Sachs/Pagenkopf, Art. 10, 52 GG ; Jarass/ Pieroth Art. 10, 12 GG. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 80, 82. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 83.
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nicht lediglich als sinnvolle Abrundung des Arsenals kriminalistischer Ermittlungsmethoden zu begreifen, die weiterhin wirkungsvolle herkömmliche Ermittlungsmaßnahmen ergänzt, sondern ist vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr einschließlich der anschließenden digitalen Verarbeitung und Speicherung zu sehen.59
II. Einsatzvoraussetzungen (Absatz 1) § 100i enthält eine Eingriffsermächtigung zugunsten der Strafverfolgungsbehörden. 22 Die Maßnahme kann im gesamten Strafverfahren (§ 94, 19), gemäß § 457 auch noch im Vollstreckungsverfahren ergriffen werden, wenn wegen einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 vollstreckt wird und die Maßnahme angesichts der Dauer der noch zu vollstreckenden Strafe nicht unverhältnismäßig ist. Die Vorschrift regelt abschließend 60 zwei verschiedene Fallgruppen mit denselben 23 Voraussetzungen: 1. Ermittlung der Geräte- und Kartennummer (Abs. 1 Nr. 1). IMEI und IMSI dürfen 24 auf die beschriebene Weise (Rn. 5) festgestellt werden entweder zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten. Bestimmte Tatsachen müssen den Verdacht einer Katalogtat oder einer anderen Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung begründen. Damit kann eine Maßnahme nach § 100i Abs. 1 Nr. 1 auch heute zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a dienen, wie es nach § 100i Abs. 1 Nr. 1 der a.F. ausschließlich der Fall war. Die heutige Befugnisnorm des Abs. 1 Nr. 1 ist also deutlich offener formuliert; sie dient nun jeglicher Erforschung des Sachverhalts. Deshalb ist es heute zumindest fraglich, ob der IMSI-Catcher nicht auch zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100g eingesetzt werden darf .61 § 100i kann somit heute auch dazu dienen, IMSI oder IMEI zur Vorbereitung der Bestimmung des Aufenthaltsorts zur Festnahme nach Abs. 1 Nr. 2 festzustellen.62 Sind diese nicht bekannt und soll der Beschuldigte festgenommen werden, ist es jedenfalls zulässig, den IMSI-Catcher nach Abs. 1 Nr. 1 einzusetzen und eine Maßnahme nach § 100a zu ergreifen. Denn nach dieser Vorschrift darf auch ein Bewegungsprofil erstellt (§ 100a, 60) und der Aufenthaltsort des Beschuldigten erforscht werden (§ 100a, 51). Hauptanwendungsfall ist die Situation, dass sich ein mutmaßlicher Täter nach polizei- 25 lichen Erkenntnissen an einem bestimmten Ort mit einem Mobilfunkendgerät („Handy“) aufhält. Mit Hilfe des IMSI-Catchers können nun IMEI und IMSI dieses Geräts festgestellt und damit nach § 100a die Telekommunikation mit diesem Gerät inhaltlich überwacht werden. Zu praktischen Schwierigkeiten bei Verwendung von pre-paid-Karten s. § 100a, 18. 2. Feststellung des Standorts eines Mobilfunkendgerätes (Abs. 1 Nr. 2). Die Maß- 26 nahme hat die Feststellung des Aufenthaltsorts „des Beschuldigten“ (dazu Einl. J, 71) zu dessen Ergreifung zum Ziel. Sie setzt Kenntnis von IMSI oder IMEI des zu suchenden Mobilfunkendgeräts voraus. Die dazu erforderlichen Peilungen (Rn. 3) sind heute, anders als 59 60 61
So BVerfG NJW 2007 351 Rn. 75 m.w.N. Hilger GA 2002 557. Ablehnend noch Hilger GA 2002 557 für die a.F.
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in Abs. 1 Nr. 2 a.F. nicht mehr nur zulässig zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2, also wenn Gefahr im Verzug ist und die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls vorliegen, oder zur Ergreifung des Täters auf Grund eines bestehenden Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls. Vielmehr kann die Standortfeststellung nach Nr. 2 heutzutage jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme dienen, die die beiden Einsatzzwecke, die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten, verfolgt. Im Übrigen sind die Voraussetzungen gegenüber Abs. 1 Nr. 1 dieselben. Nach Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100a Abs. 3 kann die Maßnahme auch gegen Dritte, im 27 wesentlichen sog. Kontaktpersonen,63 ergriffen werden, wenn die Voraussetzungen des § 100a Abs. 3 vorliegen. S. § 100a, 88. Da die Maßnahme längere Zeit andauern kann (Abs. 3 Satz 2 und 3), ist es zulässig, 28 ein Bewegungsprofil zu erstellen, um auf diese Weise den günstigsten Einsatzort zu ermitteln, nicht aber um Sachermittlungen zu tätigen, etwa ein Täterbewegungsprofil zu fertigen.64 Fallen dahingehende Erkenntnisse freilich bei der Suche nach dem Aufenthaltsort als Zufallsfunde an, sind sie ohne Weiteres verwertbar. Täterbewegungsprofile dürfen nur nach § 100a erhoben werden, § 100a, 61. Eigensicherung. Etwas systemwidrig, weil der Gefahrenabwehr dienend, gestattete 29 Abs. 2 Satz 3 der a.F. die Vornahme der Standortermittlung beim Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung auch zur Eigensicherung der zur Festnahme eingesetzten Beamten. Es liegt auf der Hand, dass hierfür ein Bedürfnis besteht. Es ist für die Beamten ungefährlicher etwa einen Geiselnehmer, der sich in einer Bank verschanzt hat, festzunehmen, wenn dessen Aufenthaltsort ganz genau bekannt ist.
III. Verwendungsregelung. Vernichtung (Absatz 2) 30
Personenbezogene Daten Dritter, also nicht des Beschuldigten, dürfen nur erhoben werden, soweit dies für den Datenabgleich, in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 etwa zur Feststellung von IMEI und IMSI des Endgeräts der gesuchten Person, in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 zur Identifizierung des gesuchten Endgeräts, erforderlich ist. Die nach Abs. 1 Nr. 1 erhobenen Daten dürfen nur für den Datenabgleich verwendet werden. Jede weitere Verwendung ist damit unzulässig, da der Zusatz „zu Beweiszwecken“ wie etwa in § 100b Abs. 5 a.F. (s. dazu § 100a, 88 ff.) fehlt. Auch als Spurenansatz dürfen die Daten nicht verwertet werden. Wird also zufällig festgestellt, dass ein in einem ganz anderen Verfahren gesuchter Mörder ein ihm zuzurechnendes Endgerät im Arbeitsbereich des IMSI-Catchers aktiv geschaltet hat, darf die Polizei diese Kenntnis nicht dazu verwerten, den gesuchten Mörder zu fangen und seinen Aufenthalt etwa mit einer Maßnahme nach Abs. 1 Satz 2 festzustellen. Eine solche Regelung ist kaum durchdacht und hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Bedenken begegnet auch die Verpflichtung, nach Beendigung der Maßnahme die Daten zu löschen. Das mag gut gemeint sein, aber jede Löschung bedeutet Beweismittelverlust für das Strafverfahren und für eine spätere Wiederaufnahme. Eine maßvolle Verwendungsregelung wie in § 100b Abs. 5 a.F. hätte der guten Sache mehr gedient.
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Zudem hat das BVerfG unlängst klargestellt, dass die Ermittlungsbehörden bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 100i darauf Bedacht zu nehmen haben, dass die Grundrechtspositionen von unbeteiligten Dritten nicht über das unbedingt notwendige 63
Hilger GA 2002 557, 559.
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Maß hinaus berührt werden. Wesentliches Indiz für eine Wahrung dieses Gebots sei, dass die technischen Kommunikationsdaten automatisch und anonym abgeglichen und unverzüglich gelöscht werden. Unbeteiligte Dritte würden nach Auskunft des Bundeskriminalamts zudem nicht identifiziert. Die Speicherung ihrer Daten erfolge maximal für die Dauer des Messeinsatzes. Danach werden die Daten von der Festplatte des Messsystems ohne weitere Bearbeitung und Prüfung unverzüglich und unwiderruflich gelöscht.65 Angesichts der geringen Eingriffsintensität sei es auch nicht unverhältnismäßig, auf die Benachrichtigung mitbetroffener Dritter zu verzichten (vgl. § 98b Abs. 4 Satz 1 a.F., § 163d Abs. 5 a.F.). Denn in der für eine solche Benachrichtigung erforderliche Deanonymisierung läge ein schwerer wiegender Eingriff.66
IV. Zuständigkeit (Absatz 3) 1. Richtervorbehalt. Für die Anordnung gilt die gleiche Zuständigkeitsregelung wie 32 bei § 100b Abs. 1. Zuständig ist danach der Richter, bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft. Deren Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen vom Richter bestätigt wird. Einzelheiten s. § 100b, 4 ff. Auch die Maßnahmen nach § 100i sind tiefgreifende Grundrechtseingriffe im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Rechtsschutzes. Der Richtervorbehalt soll gerade in den Fällen der vorliegenden Art präventiven Rechtsschutz garantieren, da eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Maßnahme deren Erfolg vereiteln würde. Auf die grundsätzlichen Erwägungen zum Richtervorbehalt bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen bei § 105, 25 ff. wird vollumfänglich verwiesen. Zu beachten ist jedoch, dass bei §§ 100, 100b, 100f und 100g anders als bei § 105 keinerlei Eilkompetenz der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft besteht. Anordnungen der Staatsanwaltschaft treten auch hier außer Kraft, werden jedoch 33 nicht rückwirkend unwirksam, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt werden (Einzelheiten bei § 100b, 4). 2. Ermittlungsrichter. Zuständig für die Anordnung oder für die nach einer staats- 34 anwaltschaftlichen Eilmaßnahme erforderliche richterliche Bestätigung ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter (§ 162). Die zur effektiveren Wahrnehmung der ermittlungsrichterlichen Aufgaben notwendige Zuständigkeitskonzentration auf bestimmte Richter ist im Wege der Geschäftsverteilung schon nach geltendem Recht möglich. Die Begründung der Zuständigkeit eines bestimmten Amtsgerichts im Landgerichtsbezirk sollte de lege ferenda angestrebt werden. Ist im Auslieferungsverfahren die Maßnahme zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Verfolgten erforderlich, ist das Oberlandesgericht zuständig.67 3. Gefahr im Verzug. Die Annahme von Gefahr im Verzug muss hier ebenso wie bei 35 § 105 Ausnahme bleiben,68 wird freilich in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 häufiger als sonst bejaht werden können. Zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug, zu diesem Begriff und zur Notwendigkeit deren Voraussetzungen, insbesondere die Nichterreichbarkeit eines Richters zu dokumentieren s. unten und § 105, 86, 105. 65 66 67
BVerfG NJW 2007 351 Rn. 76 m.w.N. BVerfG NJW 2007 351 Rn. 77. OLG Hamm NStZ-RR 1998 350; NStZ 2000 666.
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Vgl. auch BTDrucks. 14 9088 S. 7.
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V. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch den Richter 36
1. Form. Die richterliche Entscheidung ergeht, wie stets, schriftlich (§ 98, 15; § 105, 33 ff.). Der Richter trifft die Anordnung durch Beschl.
37
2. Antrag, Entscheidungsgrundlage und eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Die Erl. bei § 98, 14 bis 16 und bei § 105, 14 ff. gelten entsprechend. Der Richter ist verpflichtet, anhand der vollständigen, ihm von der Staatsanwaltschaft vorzulegenden Akten, die beantragte Maßnahme in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. 3. Inhalt des Beschlusses
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a) Formel. Zweckmäßigerweise sind bereits in der Formel neben der Zielrichtung der Anordnung (Feststellung von IMEI oder IMSI, Abs. 1 Nr. 1, oder des Standorts des aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts, Abs. 1 Nr. 2) Name und Anschrift des Beschuldigten und, wenn sie vom Beschuldigten verschieden sind, Name und Anschrift der sonstigen Betroffenen (§ 100a, 18 ff.) anzugeben, in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 auch die Kennung des zu suchenden Anschlusses. Die Dauer der Überwachung ist stets anzugeben, auch wenn die Höchstzeit von sechs Monaten (§ 100i Abs. 3 Satz 2) festgesetzt wird. Da namentlich in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 die Kennungen der Geräte einer Vielzahl unbeteiligter Personen erfasst werden kann, ist eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Beschränkung etwa der Überwachungszeit zu prüfen und vorzunehmen (z.B. tagsüber, abends). Verlangt der Richter, ihn in bestimmten Abständen über den Stand der Ermittlungen und insbesondere über die erlangten Erkenntnisse zu unterrichten, damit er die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme auch vor Fristablauf überprüfen kann, bringt er dies schon in der Formel zum Ausdruck. Selbstverständlich kann der für die Maßnahme verantwortliche Richter diese Unterrichtung auch noch nach Erlass der Entscheidung bis zur Beendigung der Maßnahme verlangen.
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b) Befristung, Abs. 3 Satz 2. Die Überwachung der Telekommunikation darf nur befristet gestattet oder angeordnet werden; die (nach Abs. 3 Satz 3 verlängerbare) Frist beträgt höchstens sechs Monate (Absatz 3 Satz 2); der Richter kann je nach Sachlage auch eine kürzere Dauer festsetzen. Entscheidend ist im Einzelfall das konkrete Gewicht des Eingriffs, das Maß des Tatverdachts und die Schwere der vorgeworfenen Straftat. Überwacht der Ermittlungsrichter laufend die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Maßnahme (insbesondere auch darauf, ob sie noch erforderlich ist), kann er die Höchstfrist ausschöpfen, anderenfalls wird er kürzere Fristen wählen, um bei einer erforderlich werdenden Verlängerungsentscheidung das weitere Vorliegen der in § 100i bezeichneten Voraussetzungen zu prüfen. Eine rückwirkende Verlängerung der Frist ist nicht möglich.69 Zur Fristberechnung s. § 100b, 15.
40
c) Begründung. Die richterliche Anordnung ist zu begründen (§ 34), da sie grundsätzlich anfechtbar ist (vgl. § 100b, 16 f.) und da andernfalls bei der späteren Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder der Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse nicht
69
BGH NStZ 1998 426, 427 zu § 100b.
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festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen des § 100a vorlagen.70 Die Erläuterungen zu § 100b, 16 gelten entsprechend. 4. Rechtliches Gehör. Bekanntmachung. Bei den Maßnahmen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 41 ist vorheriges rechtliches Gehör aus den in § 33 Abs. 4 genannten Gründen regelmäßig nicht angebracht. Der Betroffene muss sich nachträglich Gehör verschaffen können. Dementsprechend gilt § 101 Abs. 2 und Abs. 7. Zum Zeitpunkt der Benachrichtigung s. Erl. zu § 101. 5. Verlängerung, Abs. 3 Satz 3. Die Überwachungszeit kann um jeweils höchstens 42 sechs Monate verlängert werden, sooft dies erforderlich ist. Dass dabei die Voraussetzungen des § 100i vorliegen müssen, ist selbstverständlich; Absatz 3 Satz 3 sagt dies überflüssigerweise ausdrücklich. Die Verlängerung erfolgt (im Ermittlungsverfahren auf Antrag, nach Erhebung der öffentlichen Klage nach Anhörung der Staatsanwaltschaft) durch gerichtlichen Beschl., für dessen Form und Inhalt § 100b, 20 ff. entsprechend gelten. Für die Verlängerung ist nur der Richter zuständig, da Gefahr im Verzug insoweit nicht denkbar ist. Zur Entscheidungsgrundlage (§ 98, 16) gehören auch die bereits gewonnenen Ergebnisse.
VI. Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation durch die Staatsanwaltschaft 1. Nur bei Gefahr im Verzug. Das Gewicht der betroffenen Grundrechte gebietet es, 43 den Begriff Gefahr im Verzug hier in derselben Weise zu handhaben wie bei § 105. Dass der Richtervorbehalt hier nicht verfassungsrechtlich verankert ist, mag allenfalls für die Frage eines Verwertungsverbots bei Verstößen, nicht aber für die Voraussetzungen der Notzuständigkeit von Bedeutung sein. Auf die Erl. zu § 105 wird deshalb verwiesen. 2. Form. Die Anordnung des Staatsanwalts ergeht wie Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz 44 durch Verweisung auf § 100b Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich bestimmt, stets schriftlich. Selbst wenn bei akuten Gefährdungslagen (Geiselnahme, Rn. 26) große Eile geboten ist, kann sie damit nicht auch mündlich ergehen. 3. Inhalt. Zum notwendigen Inhalt der Anordnung gilt im Kern dasselbe wie für die 45 richterliche Anordnung. Wo für den Richter Begründungspflichten bestehen, muss sie auch der Staatsanwalt beachten. Dabei kann sich der Staatsanwalt freilich nicht mit einer nachträglichen Dokumentation der Gründe für seine Anordnung, die auch die fallbezogenen Tatsachen für die Annahme von Gefahr im Verzug enthalten müssen, begnügen. Die Einsatzvoraussetzungen sind vielmehr direkt aktenkundig zu machen, damit die Rechtmäßigkeit der Anordnung im Bestätigungsverfahren (Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 3, dazu § 100b, 21), im Verfahren nach § 98 Abs. 2 (§ 100b, 23) oder zur Frage der Verwertbarkeit überprüft werden kann. Einer solchen Begründung bedarf es schon deshalb, weil in allen drei Fällen eine volle Rechtmäßigkeitsüberprüfung einschließlich der Voraussetzungen der Gefahr im Verzug voraussetzt.
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Zum späteren Umfang der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch den
Tatrichter oder das Revisionsgericht vgl. § 100a, 129.
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4. Gerichtliche Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 3 Satz 1; § 100b Abs. 1 Satz 3). Die Anordnung der Staatsanwaltschaft ist immer nur vorläufig. Sie bedarf der richterlichen Bestätigung. Diese muss unverzüglich beantragt werden, da die Entscheidung des Richters binnen drei Tagen nach Erlass der Anordnung der Staatsanwaltschaft 71 ergehen muss. Bei seiner Bestätigungsentscheidung entscheidet das nach § 98 zuständige Gericht 47 (§ 100 Abs. 4 Satz 1) auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Regel über die Rechtmäßigkeit der durch die Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahme und über deren Fortdauer. Zum Umfang der Überprüfung gelten die Erl. zu § 100b, 21 ff. entsprechend.
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5. Außerkrafttreten der staatsanwaltschaftlichen Anordnung (Absatz 3 Satz 1; § 100b Abs. 1 Satz 3). Die staatsanwaltschaftliche Anordnung tritt ohne Weiteres außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom Richter bestätigt wird. Ob die Maßnahme schon umgesetzt wurde, ist ohne Bedeutung. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung (§ 100b, 4). Die Frist wird nach § 42 berechnet, endet also am dritten Tage nach dem Erlass der Anordnung um 24 Uhr (§ 42, 1). § 43 Abs. 2 gilt nicht.72 Für seine Anwendung besteht wegen der überall eingerichteten oder einzurichtenden (§ 22c GVG) richterlichen Bereitschaftsdienste keine Notwendigkeit. Liegt bei Ablauf der Frist keine Bestätigungsentscheidung vor, dürfen keine Maßnahmen nach Abs. 1 mehr getroffen werden. Das Außerkrafttreten der Anordnung der Staatsanwaltschaft wirkt nicht zurück. 49 Erlangte Erkenntnisse bleiben verwertbar, auch wenn eine Bestätigungsentscheidung nicht ergeht oder abgelehnt wird. Eine Ausnahme kann allenfalls bei Rechtsfehlern, die zu einem Verwertungsverbot führen, anerkannt werden (§ 100a, 121 ff.). Dies wird bei § 100i selten der Fall sein.
48
VII. Durchführung der Anordnung (Absatz 2) 50
1. Die Vollstreckung der Anordnung. Die Vollstreckung der Anordnung ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft (§ 36), in deren Ermessen es auch steht, ob sie im Ermittlungsverfahren von einer richterlichen „Anordnung“73 überhaupt Gebrauch machen will74 (§ 98, 22). Mit der Durchführung der Maßnahme beauftragt die Staatsanwaltschaft die Polizei, kann sich aber die Kontrolle der Durchführung vorbehalten. Die Diensteanbieter sind zu der Durchführung der Maßnahmen (s. aber Rn. 5), anders als bei § 100a und § 100g, gesetzlich nicht verpflichtet, obwohl ihnen die Technik zur Verfügung steht.
51
2. Mitwirkungsverpflichtung des Anbieters bei der Standortsuche. In den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 kann die erforderliche Peilung nur vorgenommen werden, wenn IMEI oder IMSI des zu suchenden Geräts bekannt sind. Ist dies nicht der Fall, ist aber die gesuchte
71 72 73
Schnarr NStZ 1988 481, 383; Meyer-Goßner 16; vgl. auch BGHSt 44 243. A.A. Meyer-Goßner 16 und ders. § 100b, 1. Anordnungscharakter hat die Maßnahme allenfalls in Bezug auf die nach Abs. 4 Satz 3 a.F. (bzw. § 100b Abs. 3 der geltenden Fassung) zur Mitwirkung bei der Telekommunikationsüberwachung verpflichteten
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74
Netzbetreiber oder sonstigen Anbieter. Im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft ist die richterliche Entscheidung der Sache nach eine Genehmigung. A.A. Welp Überwachung 101, der eine ausdrückliche Übertragung der Überwachungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft verlangt.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 100i
Person namentlich bekannt, hätten die Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, über eine Abfrage der Bestandsdaten der Betreiber die Kennungen der von der gesuchten Person gekauften Karten oder Geräte zu erfahren. Dementsprechend enthielt Abs. 4 Satz 3 der a.F. (ähnlich wie der geltende § 100b Abs. 3) ausdrücklich die Verpflichtung der Betreiber zur Mitwirkung an einer solchen Bestandsdatenabfrage. Heute werden beim Einsatz des „IMSI-Catchers“ die IMSI- und IMEI-Daten aber nicht innerhalb des Herrschaftsbereichs eines Telekommunikationsunternehmens, sondern ohne dessen Mitwirkung durch die Strafverfolgungsbehörden selbst und unmittelbar erhoben.75 Diese schaffen mit dem Einsatz des „IMSI-Catchers“ eine netzexterne, gleichsam virtuelle Funkzelle, die die Erhebung der Daten ermöglicht. 3. Unbekannter Teilnehmer bei Standortsuche. Ist die gesuchte Person namentlich 52 nicht bekannt, kann eine Bestandsdatenabfrage nicht vorgenommen werden. Diese Situation ist nicht selten, weil Endgeräte nicht von dem benutzt werden, der sie gekauft hat und weil SIM-Karten beliebig ausgetauscht oder unter falschem Namen gekauft werden. Eine Maßnahme nach Abs. 1 Nr. 1 würde helfen und kann heute auf Grund der im Vergleich zur a.F. viel offeneren Formulierung der Befugnisnorm nicht nur zur Vorbereitung einer Überwachung nach § 100a, sondern auch zur Vorbereitung einer solchen nach Abs. 1 Nr. 2 ergriffen werden. Für akute Gefahrenlagen bietet sich heute so folgende Lösung an, wenn das Polizeirecht nicht weitergehende Möglichkeiten eröffnet: Verschanzt sich etwa ein Geiselnehmer in einer Bank und soll im Interesse eines Geiseln und Beamten schonenden Zugriffs der genaue Aufenthaltsort des Täters etwa in einem Gebäude festgestellt werden, können IMEI oder IMSI bei aktiv geschaltetem Endgerät des Täters durch eine Maßnahme nach Abs. 1 Nr. 1 festgestellt werden, ohne dass regelmäßig auch eine Überwachung nach § 100a erforderlich sein müsste. Mit den auf diese Weise festgestellten Kennungen kann sodann die nach Abs. 1 Nr. 2 mögliche Peilung durchgeführt werden.
VIII. Überwachung und Beendigung der Maßnahmen (Absatz 3) Sobald eine der Voraussetzungen des § 100i weggefallen ist oder sobald feststeht, 53 dass eine weitere Überwachung keinen Erfolg verspricht, ist die Maßnahme auch vor Fristablauf unverzüglich zu beenden. Im Übrigen gelten die Erl. bei § 100b, 32 ff. entsprechend.
IX. Kosten Die Anbieter und Betreiber von Telekommunikationsdiensten haben nach § 110 ff. 54 TKG den Abruf der Kundendaten im automatisierten Verfahren unentgeltlich zu ermöglichen.76 Für Einzelauskünfte gilt § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG.
75 76
BVerfG NJW 2007 351 Rn. 62. Kritisch dazu Geppert/Schütz/Eckhardt § 110, 34 ff.
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X. Anfechtung. Ziel des Rechtsmittels 55
Grundsätzlich zulässig ist bei einer Anordnung des Ermittlungsrichters oder der Staatsanwaltschaft der Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2. Vgl. im Einzelnen § 101, 44. Dort auch zur Möglichkeit einer parallelen Beschwerde. Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Sachen, in denen diese im ersten Rechtszug zuständig sind, und des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof sind nach § 304 Abs. 4 und 5 nicht beschwerdefähig. Unzulässige Beschwerden sind sachlich als Gegenvorstellung zu behandeln.77 Mit der Anfechtung kann die Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und 56 Weise ihres Vollzugs festgestellt werden. Auf die Erl. zu § 101, 46 ff. sei hiermit verwiesen.
XI. Verwertungsverbot 57
Ein Verwertungsverbot kommt zunächst bei einem Verstoß gegen die Verwendungsregelung in Abs. 2 in Betracht. S. zunächst Rn. 30. An ein Verwertungsverbot ist auch zu denken, wenn die Maßnahme ergriffen wird, obwohl nicht der Verdacht einer Katalogtat oder nicht der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung bestand oder weil gegen den Richtervorbehalt in grober Weise verstoßen wurde. Praktische Bedeutung wird indes ein Verwertungsverbot hier selten haben, da ermittelte Daten regelmäßig für die Schuld- oder Straffrage nicht von Bedeutung sein werden, sondern nur als Ermittlungsansatz verwendet werden, sodass diese nur bei (abzulehnender) Anerkennung eines Verbots der Fernwirkung nicht verwertet werden könnten.
XII. Revision 58
Soweit Erkenntnisse aus Maßnahmen nach § 100i für die Schuld- und Straffrage überhaupt (unmittelbar) bedeutsam sind und das Urteil solche Erkenntnisse verwertet, kann die Verwertung ein die Revision begründender Rechtsfehler sein, wenn das Urteil auf der Verwertung beruht. Vgl. § 100a, 167.
§ 100j (1) 1Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den §§ 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten verlangt werden (§ 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). 2Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt einge-
77
BGH Ermittlungsrichter NStZ 2003 272; CR 1998 738; NStZ 2001 389.
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§ 100j
setzt werden, geschützt wird (§ 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (§ 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). (3) 1Auskunftsverlangen nach Absatz 1 Satz 2 dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. 2Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) getroffen werden. 3In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. 4Die Sätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, wenn der Betroffene vom Auskunftsverlangen bereits Kenntnis hat oder haben muss oder wenn die Nutzung der Daten bereits durch eine gerichtliche Entscheidung gestattet wird. 5Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 4 ist aktenkundig zu machen. (4) 1Die betroffene Person ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 über die Beauskunftung zu benachrichtigen. 2Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt wird. 3Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. 4Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (5) 1Auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich zu übermitteln. 2§ 95 Absatz 2 gilt entsprechend.
Schrifttum Bertermann Anmerkung zur Entscheidung des LG München I, Urteil vom 12.1.2012 – 17 HK O 1398/11 – Betreiber von WLAN-Hotspots dürfen lediglich die zur Erbringung des Dienstes erforderlichen Nutzerdaten speichern, ZD 2012 282; Dalby Das neue Auskunftsverfahren nach § 113 TKG – Zeitdruck macht Gesetze, CR 2013 361; Hey/Pauly/Kartheuser Speicherungspflicht von Kundendaten durch Prepaid-Anbieter. Stand der Diskussion nach den BVerfG-Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung und rechtspolitische Ansätze, ZD 2012 455; Holznagel Ausweiskontrollpflicht beim Verkauf von Prepaid-Karten. Pflicht zur Verifizierung der Kundendaten nach § 111 TKG? ZD 2013 73; Meinicke Anmerkung zur Entscheidung des BVerfG vom 24.1.2012 (1 BvR 1299/05; MMR 2012, 410) – Zur Auskunftspflicht von Telekommunikationsunternehmen, MMR 2012 416; Orantek Anmerkung zur Entscheidung des BVerfG vom 24.1.2012 (1 BvR 1299/05; NJ 2012, 336) – Zur Frage der teilweisen Verfassungswidrigkeit der Regelungen im TKG über die Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsbestandteilen, NJ 2012 337; Rettenmaier/Palm Vorratsdatenspeicherung: Bestandsaufnahme und Ausblick, ZIS 2012 469; Roth Anmerkung zur Entscheidung des BVerfG vom 24.1.2012 (1 BvR 1299/05; WM 2012, 562) – Zur Frage der Verfassungswidrigkeit von Normen zur Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten, K&R 2012 278; ders. Anmerkung zu einer Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 24.1.2012 – 1 BvR 1299/05, ZD 2012, 220) zur Speicherung und Verwendung von TK-Daten, ZD 2012 228; Schnabel Anmerkung zu einer Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 24.1.2012 (1 BvR 1299/05; CR 2012, 245) – Zur Verfassungskonformität der Speicherpflicht und der Auskunftsverfahren nach dem TKG, CR 2012 253; Vahle Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten: Regelungen im TKG teilweise verfassungswidrig, DSB 2012 89.
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Übersicht Rn. I. Einleitung und Überblick über die gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . II. Eingriffsvoraussetzungen
1
. . . . . . . .
3
III. Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . .
5
IV. Gegenstand der Auskünfte nach Abs. 1 und Abs. 2 1. Allgemeine Befugnisnorm: Auskunft über Bestandsdaten (Abs. 1 Satz 1) . . 2. Auskunft über Zugangssicherungscodes (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . 3. Auskunft über dynamische IP-Adressen (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anordnungsverfahren (Abs. 3) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . .
Rn. 2. Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . 3. Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug (Abs. 3 Satz 2 und 3) . . . . . . . . . 4. Wegfall des Anordnungserfordernisses bei gegebener Kenntnis des Betroffenen oder bei gestatteter Datennutzung (Abs. 3 Satz 4 und 5) . . . . . . . . .
6 10 13 16
VI. Benachrichtigungspflicht (Abs. 4) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Zurückstellen und Absehen von der Benachrichtigung (Abs. 4 Satz 2 und 3) VII. Mitwirkungspflicht des Diensteanbieters (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsschutz
. . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Absehen von der Benachrichtigung 26 Allgemeine Voraussetzungen 3 Benachrichtigungspflicht 23 ff. Bestandsdaten 6 Betroffene 5 Diensteanbieter 27 f. Drittbetroffenheit 5 Dynamische IP-Adressen 13 Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug 19 Fernmeldegeheimnis 9 Gefahr im Verzug 19 IP-Adressen 13 Mitwirkungspflicht des Diensteanbieters 27 f.
Normenklarheit und -bestimmtheit 8 Rechtsschutz 29 Revision 30 f. Richtervorbehalt 16 ff. Tatverdacht 3 Verfahren 16 ff. Verhältnismäßigkeit 4 Wegfall des Erfordernisses richterlicher Anordnung 20 ff. Zugangssicherungscodes 10 Zurückstellen der Benachrichtigung 26 Zwangsmittel 27
I. Einleitung und Überblick über die gesetzliche Regelung 1
Mit dem „Gesetz zur Änderung des TKG und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 20.6.2013“ wurde § 100j in die StPO neu eingefügt.1 Die Vorschrift ist seit 1.7.2013 in Kraft. Sie regelt im Unterschied zu § 100a (Inhaltsdaten), § 100i (Standortdaten) und zu § 100g, der die Verkehrsdaten betrifft, die sog. Bestandsdatenauskunft. Diese Gesetzesergänzung versteht sich als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG vom 24. Januar 2012.2 Das BVerfG hatte seinerzeit eigenständige fachrechtliche Ermächtigungsgrundlagen gefordert. Die Neuregelung hat im Vorfeld ihres Inkrafttretens viel Kritik von Seiten der Bürgerrechtsbewegung erfahren.3 Hauptvorwurf ist die vor allem für
1 2 3
BGBl. I S. 1602. BVerfGE 130 151. Vgl. nur Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung
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der Bestandsdatenauskunft Nr. 24/12 vom Oktober 2012; Stellungnahme der BRAK Nr. 35, Juni 2012, zum Diskussionsentwurf eines „Gesetzes zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet“ des
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die gefahrenabwehrrechtlichen Parallelregelungen in BPolG, BKAG, ZfDG und BND-G weitgehende Anlasslosigkeit der Maßnahme („zur Erfüllung der Aufgaben“),4 die hier im strafprozessualen Kontext durch das Erfordernis eines konkreten Tatverdachts noch halbwegs entschärft werden konnte. Daneben bleiben aber gleichwohl rechtsstaatliche Bedenken, weil die Norm präventiven Rechtsschutz durch den Richtervorbehalt nur für Auskünfte nach Abs. 1 Satz 2 vorsieht,5 die Auskunftsanordnung nach Abs. 1 Satz 1 und nach Abs. 2 hingegen vollständig der Kompetenz der Polizei überlässt. § 100j ist in fünf Absätze gegliedert: Abs. 1 normiert in Satz 1 die allgemeine Aus- 2 kunftsbefugnis hinsichtlich der Bestandsdaten gem. §§ 95, 111 TKG, während Satz 2 diese Befugnis auf sog. Zugangssicherungscodes ausdehnt. Abs. 2 trifft sodann eine Sonderregelung für die Auskunft über sog. dynamische, also nicht dauerhaft vergebene IPAdressen. Abs. 3 normiert die Voraussetzungen für das Verfahren der Anordnung, Abs. 4 spezielle Benachrichtigungspflichten und Abs. 5 schließlich die Mitwirkungspflicht des Diensteanbieters.
II. Eingriffsvoraussetzungen Zu den allgemeinen Voraussetzungen für sämtliche Auskünfte des § 100j zählt zu- 3 nächst der bestehende Verdacht vom Vorliegen (irgend)einer Straftat. Damit ist ein einfacher Tatverdacht gemeint, nicht also ein hinreichender oder dringender. Gleichwohl muss der Tatverdacht dergestalt „qualifiziert“ sein, dass er auf konkreten Tatsachen des jeweiligen Sachverhalts im Einzelfall beruht.6 Der Tatverdacht, der Anlass zu offenen oder heimlichen Ermittlungen gibt und diese zugleich legitimiert, ist doch stets durch bestimmte Tatsachen zu begründen. Schon per definitionem lässt sich daher kein Tatverdacht beschreiben, wenn nicht bestimmte, konkret benennbare tatsächliche Umstände des Falles auf die Möglichkeit einer begangenen Straftat hindeuten.7 Die Auskunftsersuchen des § 100j müssen sodann erforderlich sein, diesen Verdacht 4 entweder zur „Erforschung des Sachverhalts“ oder zur „Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten“ aufzuklären. Dahinter steht das Gebot der Verhältnismäßigkeit, wonach die Maßnahme geeignet, erforderlich und ein angemessenes Mittel zur Zielerreichung sein muss. Auf eine die Erforderlichkeit präzisierende Subsidiaritätsklausel hat der Gesetzgeber in § 100j verzichten dürfen, weil Bestandsdatenauskünfte zu den weniger beeinträchtigenden Maßnahmen zählen.8 Die Abhängigkeit von der Aufklärung des Tatverdachts als Verfahrensziel macht es notwendig, zwischen verschiedenen Ermittlungsobjekten zu differenzieren. An erster Stelle steht freilich die Aufklärung des Tatverdachts,
4
5
Bundesministeriums der Justiz vom 7.6.2011 (Vorratsdatenspeicherung); kritisch zur Reform auch Dalby CR 2013 361 ff. Vgl. die gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen in § 23a Abs. 9 PolG BW, §§ 7, 20b, 22 BKAG, § 22a BPolG, §§ 7, 15 ZFdG, § 2b BNDG, § 4b MADG. Dieser Richtervorbehalt für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 2 wurde sogar erst nachträglich auf Grund der Ausschussberatungen in das Gesetz aufgenommen. Vgl. BTDrucks. 17 12879 S. 11; OK-StPO/Graf § 100j, 20.
6
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BVerfGE 125 260 Rn. 261: „Hinsichtlich der Eingriffsschwellen ist allerdings sicherzustellen, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt werden, sondern nur auf Grund eines hinreichenden Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr auf einzelfallbezogener Tatsachenbasis erfolgen darf.“ Vgl. zu dieser Notwendigkeit, das konkrete Delikt mit der Norm zu verbinden, Härter Inquisition, in: Blauert/Schwerhoff, S. 459, für den Inquisitionsprozess des Gemeinen Rechts. Ebenso OK-StPO/Graf § 100j, 11.
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die vom Gesetz heute als „Erforschung des Sachverhalts“ bezeichnet wird. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bliebe aber sprichwörtlich „auf der Strecke“, wenn er mangels einer tatverdächtigen Person nicht durchgesetzt werden kann. Deshalb ist auch die „Ermittlung des Aufenthaltsorts“ des Beschuldigten als tatverdächtiger Person ein zweites statthaftes Ermittlungsobjekt.9 Bei dieser Ermittlung des Aufenthaltsortes handelt es sich aber nicht selbst um einen Teil des zu erforschenden Sachverhalts, wenn man diesen als Gegenstand des prozessualen Tatbegriffs i.S.e. historisch-natürlichen, also in der Vergangenheit liegenden Lebensvorgangs versteht. Im Zeitpunkt der Ermittlungen gehört der Aufenthaltsort des Täters vielmehr zur Gegenwart.
III. Betroffene 5
Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 100j ist der Zweck der Auskunftsmaßnahmen eine Ermittlungstätigkeit gegen Beschuldigte im formellen Sinne. Das sind diejenigen, gegen die polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung geführt werden, wobei der Verfolgungswille der Behörde maßgeblich ist.10 Gleichwohl formulieren Abs. 1 und 2 an keiner Stelle, dass diese Auskünfte ausschließlich Daten des Beschuldigten betreffen müssen. Dritte, auch soweit es sich dabei um „unvermeidbar Mitbetroffene“ handelt, sind damit weder ausdrücklich einbezogen noch ausgeschlossen. Dieser Zustand der Nichtregelung erscheint schon deshalb bedenklich, weil andere Befugnisnormen hinsichtlich dieser Personengruppe eigenständige Regelungen treffen (vgl. §§ 100c Abs. 3, 100f Abs. 2, 3, 100h Abs. 2, 3, 100i Abs. 2). Die Notwendigkeit, zumindest die unvermeidbare Mitbetroffenheit auch in § 100j zu regeln, wird aber handgreiflich, wenn man § 95 Abs. 1 TKG betrachtet. Diese Verweisungsnorm des § 100j gibt dem Diensteanbieter nicht nur das Recht, die Bestandsdaten seiner Teilnehmer, sondern auch diejenigen der Teilnehmer anderer Diensteanbieter zu erheben und zu verwenden, soweit dies erforderlich ist.
IV. Gegenstand der Auskünfte nach Abs. 1 und Abs. 2 6
1. Allgemeine Befugnisnorm: Auskunft über Bestandsdaten (Abs. 1 Satz 1). Abs. 1 Satz 1 regelt die allgemeine Auskunft über Bestandsdaten im Sinne der §§ 95 und 111 TKG. Anders als Inhaltsdaten (Was wird gesagt?, § 100a) und Verkehrs- bzw. (synonym) Verbindungsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG: „Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden“; Welche TK-Verbindung liegt dem Einzelgespräch zugrunde?, §§ 100g, 100i) betreffen Bestandsdaten diejenigen (personenbezogenen) „Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden“ (§ 3 Nr. 3 TKG) und gespeichert werden müssen, auch soweit diese Daten für betriebliche Zwecke nicht erforderlich sind (§ 111 Abs. 1 Satz 1 TKG). Dazu zählen nach der abschließenden Aufzählung in § 111 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 TKG: Name und Anschrift des Anschlussinhabers, dessen Geburtsdatum, zugeteilte Rufnummern und andere Anschlusskennungen, die Gerätenummer der dem Nutzer überlassenen Mobilfunkendgeräte, das Datum des Vertragsbeginns sowie bei Festnetzanschlüssen auch die Anschrift, an welcher dieser Anschluss betrieben wird.
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Krit. AK/Achenbach § 163d, 14, 17, 20.
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KK/Schoreit § 157, 1.
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Diese Neuregelung der allgemeinen strafprozessualen Bestandsdatenauskunft war not- 7 wendig geworden, seitdem das BVerfG 201211 entgegen seiner früheren Einschätzung aus dem Jahre 201012 die Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 163 Abs. 1 Satz 2 nicht länger als hinreichend normenklare Befugnisnorm für eine Bestandsdatenauskunft ansieht. Das gilt auch für Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (Abs. 1 Satz 2) und für zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesene Internetprotokoll-Adressen (Abs. 2).13 Die Frage nach dem Wie der fachgesetzlichen Regelung wird damit nicht nur von der 8 Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes beherrscht, sondern steht auch unter dem Einfluss der hiervon abgekoppelten14 und vom BVerfG15 zuerst16 aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelten und bald auch auf speziellere Freiheitsrechte übertragenen17 rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Normenbestimmtheit. Eine strafprozessuale Befugnisnorm muss daher, gerade, soweit sie zur verdeckten Strafverfolgung ermächtigt, drei Funktionen erfüllen: 1. Der Betroffene muss mit ihrer Hilfe die Rechtslage so deutlich erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (Verhaltenssteuerungsfunktion). 2. Den Strafverfolgungsbehörden müssen hinreichend klare Maßstäbe für Abwägungsentscheidungen bereitgestellt werden, „um ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen,“ sodass die Freiheit des Bürgers nicht einseitig dem Ermessen der Strafverfolgungsbehörden überantwortet wird (Disziplinierungs- und Befugnisbegrenzungfunktion). 3. Die Gerichte müssen in die Lage versetzt werden, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren (Kontrollfunktion).18 Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines strafprozessualen Eingriffs in einen grundrechtlichen Schutzbereich erweist sich zunächst die Aufgabe einer fachgesetzlichen Konkretisierung der Schrankenvorbehalte der Artt. 2 Abs. 1, 10 Abs. 2, 13 Abs. 2 ff. GG als zentrale Aufgabe. Bestandsdaten fallen aber nicht in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses nach 9 Art. 10 Abs. 1 GG. Denn vom Fernmeldegeheimnis umfasst ist neben den Inhalten der Kommunikation nur der Gesamtvorgang der Informationsübermittlung an bestimmte/ individuelle Empfänger einschließlich seiner „näheren Umstände“, also Umstände, die den jeweiligen Kommunikationsvorgang individualisierbar machen, insbesondere die Tatsache, ob, wann, wie oft und zwischen welchen Personen und Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat.19 Hierzu zählen auch sog. Verkehrs- oder Verbin-
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14
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BVerfGE 130 151 Rn. 168 ff. BVerfGE 125 260 Rn. 289. Vgl. Geppert/Schütz/Eckhardt § 113, 32 TKG zu Details sowie Roth ZD 2012 228; ders. K&R 2012 278. Vgl. zu dieser Streitfrage der Selbstständigkeit Reimer in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 9, 62 m.w.N. BVerfGE 65 1, 44 ff., 54. Zwar etablierte bereits BVerfGE 1 14, 59 ff. den Bestimmtheitsgrundsatz, aber lediglich für die Anforderungen an eine gesetzliche Ermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 GG. So von BVerfGE 100 313, 359 und BVerfGE 110 33, 53 ff. für Art. 10 GG.
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Frei nach BVerfGE 110 33, 53 ff.; vgl. auch Baldus in Epping/Hillgruber, Art. 10, 33 GG. BVerfGE 115 166, 183; 113 348, 365; 110 33, 52 f.; 107 299, 312 f.; 100 313, 358; 85 386, 396; 67 157, 172. Vgl. auch die Legaldefinition in § 88 Abs. 1 TKG: „Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.“
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dungsdaten, die Auskunft über Telekommunikationskontakte als solche geben (z.B. über Verbindungsaufbau und Dauer) und die heute von ebenso großer kriminalistischer Relevanz sind wie Angaben zum Inhalt der Gespräche selbst, weil sie Rückschlüsse über soziale Kontakte zulassen und bei Mobilfunkgeräten auch Angaben über den Aufenthaltsort einer Person ermöglichen.20 Bestandsdaten fallen hingegen nicht unter den Begriff der näheren Umstände der Telekommunikation, weil sie keine konkret-individuellen Kommunikationsvorgänge, sondern nur das allgemeine Vertragsverhältnis betreffen.21 Daraus folgt, dass für die Auskunft nach Abs. 1 Satz 1 nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Innominatrecht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Grenzen setzen kann. Das BVerfG folgert aus dem Grundsatz der Normenklarheit auch hier eine inhaltlich hinreichend bestimmte Regelung, und zwar sowohl im TKG als auch im (strafprozessualen) Fachrecht.
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2. Auskunft über Zugangssicherungscodes (Abs. 1 Satz 2). Die Regelung des Abs. 1 Satz 2 betrifft den Sonderfall der Auskunft über Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird. Mit diesen sog. Zugangssicherungscodes sind vor allem Passwörter, PIN (Persönliche Identifikationsnummer) und PUK (Personal Unblocking Key) gemeint. Erfasst sind diese Zugangsdaten zu den Einzelgeräten unabhängig davon, ob diese bereits voreingestellt sind oder vom Nutzer selbst erst angelegt wurden.22 Hinsichtlich dieser Daten schränkt Abs. 1 Satz 2 den allgemeinen Auskunftsanspruch ein, weil es sich um besonders sensible Daten handelt, die nicht zu den allgemeinen Bestandsdaten i.S.d. § 111 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 TKG gehören. Abs. 1 Satz 2 ordnet zu diesem Zweck an, dass eine Auskunft über solche Zugangs11 daten nur verlangt werden kann, „wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen.“ Damit sollen diese Zugangscodes nicht unter leichteren Voraussetzungen abgefragt werden dürfen, als es für ihre Nutzung der Fall wäre.23 Denn liegen die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Nutzung der Codes schon nicht vor, so ist deren Abfrage im Auskunftsverfahren auch nicht erforderlich, ja wohl nicht einmal geeignetes Mittel. Beispiel: Die Polizei beantragt die Auskunft über Zugangscodes, um mit deren Nutzung laufende Telekommunikation zu überwachen. Hier müssen die Nutzungsvoraussetzungen der §§ 100a, 100b vorliegen, wenn die Auskunft nach § 100j Abs. 1 Satz 2 rechtmäßig erfolgen soll.24 Gegenbeispiel: Nach dessen Beschlagnahme soll der Inhalt eines Mobiltelefons (z.B. das Verzeichnis der Kontakte) unter Nutzung der PIN ausgelesen werden.25 Das Auslesen des Datenspeichers unterliegt hier keinen besonderen Voraussetzungen. Das Gesetz meint mit dem Begriff der Nutzung freilich nicht die denkbar eingriffs12 intensivste, sondern die jeweils kriminalistisch notwendige Nutzung.26 Strafprozessuale Zugriffe auf diese Zugangscodes sind in § 100j nunmehr abschließend geregelt. Jede polizeiliche Umgehung der Anforderungen dieser Maßnahme, z.B. durch eigenes Auspro-
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21 22 23
Vgl. Gusy NStZ 2003 399, 400; siehe zum Grundrechtsschutz auch Meinicke MMR 2012 416 und Orantek NJ 2012 337. Vgl. Geppert/Schütz/Bock § 88, 14 TKG. OK-StPO/Graf § 100j, 13. BVerfGE 130 151 Rn. 183 ff.; OK-StPO/Graf § 100j, 14; Roth K&R 2012 278; Vahle DSB 2012 89.
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Vgl. Meyer-Goßner § 100j, 3; OK-StPO/Graf § 100j, 14. Vgl. Meyer-Goßner § 100j, 3; OK-StPO/Graf § 100j, 15. Ebenso BVerfGE 130 151 Rn. 183 ff.; OK-StPO/Graf § 100j, 14.
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bieren oder dem Ausnutzen von Lücken im Betriebssystem, macht die Ermittlungstätigkeit rechtswidrig und unter Umständen strafbar gem. § 202a StGB.27 3. Auskunft über dynamische IP-Adressen (Abs. 2). Abs. 2 regelt die „Auskunft nach 13 Abs. 1“ „anhand einer“ dynamischen IP-Adresse. Das sind dynamisch, also jeweils beim Aufbau einer Internetverbindung einem Gerät für die Dauer der konkreten Nutzung, zugeteilte Adressen in Computernetzen, die auf dem Internetprotokoll (IP) basieren. Sie machen das Gerät adressierbar und erreichbar. „[S]ie kann vereinfacht als ,Telefonnummer‘ des Computers beschrieben werden.“28 Eine eigenständige Normierung war notwendig geworden, weil das BVerfG die Auskunft über dynamische IP-Adressen sowohl in ihrer Gestalt als Auskunft über die Nutzer29 (bereits bekannter) dynamischer IP-Adressen als auch in ihrer Form als Mitteilung der (noch unbekannten) dynamischen IP-Adresse als solche30 dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG zuordnet und so eine klare bereichsspezifische Normierung verlangt. Maßgeblich für diese Einschätzung ist der Umstand, „dass die Telekommunikationsunternehmen für die Identifizierung einer dynamischen IP-Adresse in einem Zwischenschritt die entsprechenden Verbindungsdaten ihrer Kunden sichten müssen, also auf konkrete Telekommunikationsvorgänge zugreifen.“31 Mit diesem Telekommunikationsverhalten sind aber Verkehrsdaten betroffen und nicht lediglich die zur Abrechnung benötigten Bestandsdaten. Die Auskunft der dynamischen IP-Adresse setzt die Angabe eines konkreten Zeitpunkts 14 voraus, zu welchem die Adresse verwendet wurde.32 Die Angabe eines Zeitraums genügt nicht, weil dynamische IP-Adressen beim Zugang zum Internet vom Provider aus einem ihm zur Verfügung stehenden Nummernraum zugeteilt werden, sodass von dem Auskunftsgesuch auch Dritte betroffen sein könnten, gegen die kein Anfangsverdacht besteht.33 Versuche, die Auskunft über die dynamische IP-Adresse nach Abs. 2 als Auskunft über ein Nutzungsdatum im Rahmen eines Telemediendienstes zu umgehen, sind rechtswidrig. Die gesetzliche Regelung in § 100j Abs. 2 bleibt vor diesem Hintergrund problema- 15 tisch, weil dieser Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG ein strengeres Rechtfertigungsregime nach sich ziehen muss, als dies mit § 100j Abs. 2 derzeit der Fall ist:34 Verglichen mit den Befugnissen gem. §§ 100a und 100g fehlen Vorgaben zur Erheblichkeit der Anlasstat, Spezifikationen der Verdachtsbegründung und formelle Subsidiaritätsklauseln.35 Ferner differenziert die Regelung nicht zwischen dem Auskunftsersuchen gegenüber dem Kommunikationspartner oder dessen Internetanbieter über die noch unbekannte IP-Adresse als solche als erstem Ermittlungsschritt und dem folgenden Auskunftsbegehren gegenüber dem Internetanbieter über den Nutzer dieser Adresse als zweitem Ermittlungsschritt;36 ganz zu schweigen vom fehlenden Richtervorbehalt in Abs. 3 (dazu sogleich). 27 28 29
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OK-StPO/Graf § 100j, 16. BVerfGE 130 151 Rn. 63. BVerfGE 125 260 Rn. 258 f.; BVerfGE 130 151 Rn. 116; Geppert/Schütz/Eckhardt § 113, 29 TKG. BVerfG K&R 2011 320 Rn. 12; BVerfGE 130 151 Rn. 116; Geppert/Schütz/Eckhardt § 113, 30 ff. TKG; Orantek NJ 2012 337; siehe zum Auskunftsverfahren auch Dalby CR 2013 361 ff. BVerfGE 130 151 Rn. 116; vgl. auch Schnabel CR 2012 253.
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OK-StPO/Graf § 100j, 19. OK-StPO/Graf § 100j, 19. Vgl. OVG NRW MMR 2009 424 und die weitere, bei Geppert/Schütz/Eckhardt § 113, 31 TKG zitierte Rechtsprechung. Daher zu unkritisch OK-StPO/Graf § 100j, 18: „eindeutig geregelt, dass die Auskunftserteilung hinsichtlich verwendeter IP-Adressen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 verlangt werden kann“. Vgl. OVG NRW MMR 2009 424; Geppert/ Schütz/Eckhardt § 113, 30 TKG.
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V. Anordnungsverfahren (Abs. 3) 16
1. Überblick. Abs. 3 regelt das Verfahren für die Anordnung einer Auskunft nach Abs. 1 und Abs. 2. Dabei unterstellt Abs. 3 Satz 1 allerdings nur Auskunftsanordnungen nach Abs. 1 Satz 2 einem Richtervorbehalt, während die Auskünfte nach Abs. 1 Satz 1 und nach Abs. 2 e contrario allein polizeilicher Kompetenz unterstellt sind.
2. Grundsätzliche Kritik. Diese Praxis des Gesetzgebers folgt zwar den Vorgaben des BVerfG:37 Die Auskunft über den Nutzer einer dynamischen IP-Adresse soll deshalb ohne Richtervorbehalt und ohne eine besonders schwerwiegende Anlasstat möglich sein, weil Verkehrsdaten bei den Telekommunikationsunternehmen dezentral gespeichert werden und somit nur Telekommunikationsunternehmen Verkehrsdaten auswerten, ohne dass diese den Behörden bekannt werden.38 Die Schaffung von solchen Auskunftsansprüchen sei insgesamt weitergehend zulässig als die Abfrage und Verwendung der Telekommunikationsverkehrsdaten selbst. Von Bedeutung sei hierfür zum einen, dass die Behörden im Rahmen solcher Auskunftsansprüche nicht die vorsorglich anlasslos gespeicherten Daten selbst abrufen, sondern lediglich personenbezogene Auskünfte über den Inhaber eines bestimmten Anschlusses erhalten, der von den Diensteanbietern unter Rückgriff auf diese Daten ermittelt wurde. Die Aussagekraft dieser Daten sei eng begrenzt: Die Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten führe allein zu der Auskunft, welcher Anschlussinhaber unter einer bereits bekannten, etwa anderweitig ermittelten IP-Adresse im Internet angemeldet war. Der Erkenntniswert einer solchen Abfrage bleibe punktuell. Systematische Ausforschungen über einen längeren Zeitraum oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen ließen sich allein auf Grundlage solcher Auskünfte nicht verwirklichen. Maßgeblich sei zum anderen, dass für solche Auskünfte nur ein von vornherein feststehender kleiner Ausschnitt der Daten verwendet wird, deren Speicherung für sich genommen unter deutlich geringeren Voraussetzungen angeordnet werden könne. Eine Speicherung allein der für solche Auskünfte erforderlichen Internetzugangsdaten zur Identifizierung dynamischer IP-Adressen hätte ein erheblich weniger belastendes Gewicht als die nahezu vollständige Speicherung der Daten sämtlicher Telekommunikationsverbindungen. Aus dem Zusammenwirken dieser Gesichtspunkte ergebe sich, dass die für die Verwendung von vorsorglich gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten ansonsten maßgeblichen Anforderungen für solche Auskünfte nicht gleichermaßen gelten. Gleichwohl lässt sich mit einer solchen bedenklichen Argumentation nicht auf den 18 Richtervorbehalt verzichten. Das BVerfG39 gesteht selbst zu, dass der Begründung von behördlichen Auskunftsansprüchen zur Identifizierung von IP-Adressen erhebliches Gewicht zukomme. Mit ihr wirke der Gesetzgeber auf die Kommunikationsbedingungen im Internet ein und begrenze den Umfang ihrer Anonymität. Auf ihrer Grundlage könne i.V.m. der systematischen Speicherung der Internetzugangsdaten in weitem Umfang die Identität von Internetnutzern ermittelt werden. Sofern Privatpersonen, die sich im Internet geschädigt sehen, die entsprechenden IP-Adressen registrieren und Anzeige erstatten oder soweit die Behörde selbst IP-Adressen ermittelt, können diese bestimmten Anschlussinhabern zugeordnet und die dahinter stehenden Kommunikationsvorgänge mit erheblicher Wahrscheinlichkeit individualisiert werden. Ferner lasse sich die Zuordnung einer
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Zum Folgenden BVerfGE 125 260 Rn. 255 ff. Geppert/Schütz/Eckhardt § 113, 29 TKG; Rettenmaier/Palm ZIS 2012 469, 473.
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BVerfGE 125 260 Rn. 258 ff.
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IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber nicht mit der Identifizierung einer Telefonnummer gleichsetzen, vor allem weil die mögliche Persönlichkeitsrelevanz einer Abfrage des Inhabers einer IP-Adresse eine andere ist als die des Inhabers einer Telefonnummer: „Schon vom Umfang der Kontakte her, die jeweils durch das Aufrufen von Internetseiten neu hergestellt werden, ist sie aussagekräftiger als eine Telefonnummernabfrage. Auch hat die Kenntnis einer Kontaktaufnahme mit einer Internetseite eine andere inhaltliche Bedeutung: Da der Inhalt von Internetseiten anders als das beim Telefongespräch gesprochene Wort elektronisch fixiert und länger wieder aufrufbar ist, lässt sich mit ihr vielfach verlässlich rekonstruieren, mit welchem Gegenstand sich der Kommunizierende auseinandergesetzt hat. Die Individualisierung der IP-Adresse als der „Telefonnummer des Internets“ gibt damit zugleich Auskunft über den Inhalt der Kommunikation. Die für das Telefongespräch geltende Unterscheidung von äußerlichen Verbindungsdaten und Gesprächsinhalten löst sich hier auf.“40 Der Auskunftseingriff betrifft dann aber nicht mehr nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG. Dort, wo dem unzweifelhaft berechtigten öffentlichen Interesse an einer Aufklärung von Bestandsdaten derart gewichtige private Interessen gegenüberstehen, wo also ein Zweifelsfall vorliegt, bei dem – im Kontrast zu unsensibleren Materien41 – keine Seite die andere eindeutig überwiegt, ist präventiver Rechtsschutz in Gestalt des Richtervorbehalts das Mittel der Wahl. Damit bleibt das öffentliche Interesse am Informationszugriff gewahrt und das Individualinteresse des Betroffenen wird im Rahmen der Gewaltenteilung in rechtsstaatlicher Art und Weise geschützt. 3. Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug (Abs. 3 Satz 2 und 3). Abs. 3 Satz 2 normiert 19 sodann eine eng (!)42 auszulegende Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft bzw. ihrer Ermittlungspersonen gem. § 152 GVG bei Gefahr im Verzug. Weil damit auch der Polizei eine Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug übertragen wird, ist die Regelung des Abs. 3 Satz 2 weiter als diejenige in § 100b Abs. 1 Satz 2, die nur der Staatsanwaltschaft ein solches Recht gibt.43 Ferner koppelt Abs. 3 Satz 3 die Eilkompetenz an die Pflicht, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Gesetz trifft damit – anders als § 100b Abs. 1 Satz 3 – keine Anordnung für den Fall, dass diese richterliche Entscheidung nicht nachgeholt wird, sodass man versucht ist anzunehmen, dass eine staatsanwaltschaftliche oder polizeiliche Eilanordnung nicht automatisch unwirksam wird.44 Allerdings ist die Sachlage bei § 100j mit derjenigen bei der Überwachung der Telekommunikation vergleichbar: Staatsanwaltschaft und Polizei ist es durchaus möglich und zumutbar, die gerichtliche Bestätigung binnen drei Werktagen einzuholen. Schaffen sie das nicht, wird die Eilanordnung unwirksam. Ob daraus auch ein Beweisverwertungsverbot folgt, muss allerdings erst im Rahmen einer Abwägung bewertet werden.45 4. Wegfall des Anordnungserfordernisses bei gegebener Kenntnis des Betroffenen 20 oder bei gestatteter Datennutzung (Abs. 3 Satz 4 und 5). Abs. 3 Satz 4 und 5 regeln Umstände, bei deren Vorliegen die regelmäßige Anordnungskompetenz des Richters für
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BVerfGE 125 260 Rn. 259 für einen gewissenhaften Umgang mit den sensiblen Daten siehe auch Rettenmaier/Palm ZIS 2012 469, 473. Vgl. etwa einfache Observationsmaßnahmen nach §§ 100h, 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2.
42 43 44 45
Ebenso ausdrücklich Meyer-Goßner § 100j, 5. OK-StPO/Graf § 100j, 22. So in der Tat OK-StPO/Graf § 100j, 22. Generell gegen ein Verwertungsverbot aber OK-StPO/Graf § 100j, 22.
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Bestandsdatenauskünfte nach Abs. 1 Satz 2 entfällt. Damit statuiert das Gesetz also eine Rückausnahme vom Richtervorbehalt und weist die Anordnung wieder der Polizei zu. Hintergrund dieser Vorschrift, die präventiven Rechtsschutz durch den Richter für entbehrlich hält, ist die angeblich fehlende Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten in den beiden genannten Konstellationen: „Ein eigenständiger richterlicher Beschluss ist nur dann entbehrlich, wenn die Nutzung der Zugangssicherungscodes bereits durch eine richterliche Entscheidung gestattet wurde, z.B. durch einen entsprechenden Beschlagnahmebeschluss der gesicherten Daten, oder der Betroffene Kenntnis vom Herausgabeverlangen hat oder haben muss. Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene in die Nutzung der Zugangssicherungscodes ausdrücklich eingewilligt hat oder er mit deren Nutzung rechnen muss, weil das entsprechende Endgerät bei ihm beschlagnahmt wurde oder ein Auskunftsverlangen unter Hinweis auf die Möglichkeit der Abfrage beim Provider zuvor an ihn persönlich gerichtet wurde.“46 Auch diese Regelung ist aus inhaltlichen wie regelungstechnischen Gründen bedenk21 lich und nähert sich der Grenze zur Verfassungswidrigkeit. Was zunächst die bereits gegebene Kenntnis des Beschuldigten vom Auskunftsverlangen betrifft, bezieht sich das Gesetz auf gegebene Kenntnis und alternativ auf ein Kennenmüssen. In beiden Fällen soll die richterliche Anordnung entbehrlich sein. Zunächst ist schon nicht einsichtig zu machen, weshalb die bloße Kenntnis von einem Auskunftsverlangen die richterliche Kontrolle desselben entbehrlich macht. Zwar ist mit einer solchen Kenntnis die erste Voraussetzung für die Wahrnehmung von Rechtsschutz gegeben. Dass dieser vom Betroffenen aber überhaupt oder gar ebenso effektiv ausgeübt wird, wie durch den Ermittlungsrichter, ist mehr als fraglich. Zudem verstößt eine solche Regelung gegen das Rechtsstaatsprinzip, das mit seinem Teilelement der Gewaltenteilung kategorisch gewisse Materien richterlicher Kontrollkompetenz zuweist, und zwar ungeachtet der Möglichkeit des Einzelnen, diese Kontrolle ebenso gut selbst oder mit anwaltlichem Beistand wahrzunehmen. Effektiver Grundrechtsschutz erfordert mitunter eine kategorische Einbeziehung judikativer Gewalt. Würde eine solche Regelung wie die des 100j Abs. 3 Satz 4 Schule machen, könnte man künftig genauso gut einen Haftbefehl vom Erfordernis richterlicher Billigung befreien, sofern der Beschuldigte die polizeiliche Absicht seiner bevorstehenden Verhaftung kennt. Erst recht gelten diese grundsätzlichen Bedenken für die Alternative des Kennenmüssens. Diese gesetzliche Fiktion bestraft jede grob fahrlässige Unkenntnis und statuiert damit indirekt eine Pflicht des Beschuldigten zur Informationsbeschaffung. Zur Mitwirkung ist der Beschuldigte im Strafprozess aber nur ganz ausnahmsweise verpflichtet. Freilich sind die dem Gesetzgeber vorschwebenden konkreten Konstellationen der erklärten Einwilligung und der Endgerätebeschlagnahme Fälle, in denen das Schutzbedürfnis des Beschuldigten verneint werden kann. Doch geht die legislative Umsetzung mangelnden Schutzbedarfs mit den (zu) abstrakten Rechtsbegriffen des Kennens oder Kennenmüssens zu weit. Die Kritik setzt sich am zweiten Grund für den Wegfall des richterlichen Anordnungs22 erfordernisses fort. Danach soll der Richtervorbehalt auch dann nicht mehr greifen, wenn die Nutzung der Daten bereits durch eine gerichtliche Entscheidung gestattet wird. Ratio dieser Ausnahme ist offenbar, dass das Bedürfnis nach präventivem Rechtsschutz entfällt, sobald die Judikative die Datennutzung gebilligt hat. Denn dann ist die Interessenlage des Beschuldigten, wie bei dem beispielsweise angeführten Beschlagnahmebe46
Möhrenschlager wistra 6/2013 XI f.; BTDrucks. 17 12879 S. 11; OK-StPO/Graf § 100j, 20; Meyer-Goßner § 100j, 5.
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schluss, durch einen strafrechtlich versierten Ermittlungsrichter bereits geprüft worden. Jedoch verfolgt nicht jede „gerichtliche Entscheidung“ das Ziel des präventiven Rechtschutzes. Problematisch ist bereits die allgemeine Wendung „durch eine gerichtliche Entscheidung gestattet“. Prima facie zählen dazu alle Arten von Entscheidungen durch alle möglichen Gerichte, solange sich darin nur eine Billigung der Datennutzung finden lässt. Wollte man den Gesetzgeber also sprichwörtlich beim Wort nehmen, müsste man zu solchen gerichtlichen Entscheidungen auch einen zivilgerichtlichen Beschluss zählen, der beispielsweise als einstweilige Anordnung gem. §§ 49 FamFG, 101 UrhG der Sicherung der Verkehrsdaten laufender Verbindungen dient.47 Eine solche Entscheidung bezweckt jedoch mit keinem Wort, die strafprozessuale Schutzbedürftigkeit eines Beschuldigten zu bewerten. Damit ist eine restriktive teleologische Auslegung des Abs. 3 Satz 4 zwingend erforderlich, bis der Gesetzgeber die Formulierung des Satzes 4 korrigiert hat.
VI. Benachrichtigungspflicht (Abs. 4) 1. Allgemeines. Mit Abs. 4 regelt § 100j in Abweichung von der allgemeinen Rege- 23 lung des § 101 Abs. 4 und 5 eine Benachrichtigungspflicht, wonach die sachleitende Staatsanwaltschaft 48 den Betroffenen von einer Auskunftsmaßnahme nach § 100j Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 grundsätzlich informieren muss. Der Gesetzgeber verfolgt damit hehre Ziele: „Mit der […] Benachrichtigungspflicht soll […] – insbesondere ,bei Einbeziehung von dynamischen IP-Adressen in Absatz 2 wegen des mit der Identifizierung erforderlichen Sichtung von Verbindungsdaten der Kunden von Telekommunikationsunternehmen verbundenen Eingriffs in das Telekommunikationsgeheimnis‘ 49 – zur Sicherstellung hoher rechtsstaatlicher Hürden dem Grundsatz der Transparenz Rechnung getragen und damit auch die Möglichkeit für nachträglichen Rechtsschutz eröffnet werden. Diese hohen Verfahrenssicherungen sollen – wegen des damit verbundenen mittelbaren Grundrechtseingriffs – auch für die Beauskunftung von so genannten Zugangssicherungscodes (z.B. PIN und PUK) gelten.“50 Doch leider wird der Gesetzgeber mit dieser Spezialregelung seinen eigenen Beweg- 24 gründen kaum gerecht:51 Denn für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 gibt es schon überhaupt keine Benachrichtigungspflicht, solange § 100j nicht in den Maßnahmenkatalog des § 101 Abs. 2 aufgenommen wird. Das ist unsystematisch, solange vergleichbar „eingriffsschwache“ Maßnahmen wie solche nach §§ 100h oder 163f dort zu finden sind, und es ist unverständlich, weil es keinen Grund gibt, den Betroffenen – nach Abschluss der Maßnahme risikolos – nicht zu informieren. Für Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 2 und nach Abs. 2 wird diese Pflicht im Vergleich zu § 101 Abs. 4 und 5 modifiziert. Ferner fehlt in § 100j eine dem § 101 Abs. 4 Satz 2 entsprechende Regelung, wonach der Betroffene bei der Benachrichtigung über die Maßnahme „auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes nach [§ 101] Absatz 7 und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen“ ist.
47 48 49 50
Vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013 208. Vgl. BTDrucks. 17 12879 S. 11; OK-StPO/ Graf § 100j, 27. Möhrenschlager wistra 6/2013 XII [Hervorhebung nicht im Original]. BTDrucks. 17 12879 S. 11; OK-StPO/Graf § 100j, 24 f.
51
Wenngleich man schon froh sein darf, dass es heute überhaupt eine Regelung über die Benachrichtigung gibt. Denn noch im Regierungsentwurf war eine solche nicht vorgesehen. Vgl. OK-StPO/Graf § 100j, 23.
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Dass der Gesetzgeber in Abs. 4 überhaupt eine eigene Regelung der Benachrichtigungspflicht getroffen hat, die § 101 Abs. 4 und 5 modifiziert, wird gemeinhin auf eine Aussage des BVerfG zurückgeführt, wonach die Benachrichtigungspflicht (künftig immer?) bei der jeweiligen Befugnisnorm zu regeln sei.52 Zieht man jedoch die in Bezug genommene Stelle des Beschlusses heran, fordert das BVerfG eine solche Gesetzgebung aber mit keinem Satz. Es heißt dort ausdrücklich, dass sich „[a]us den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes […] für Auskünfte gemäß § 112 und § 113 TKG – auch auf der Ebene der fachrechtlichen Abrufnormen, wo solche Regelungen kompetenzrechtlich anzusiedeln wären (vgl. BVerfGE 125, 260 ) – kein flächendeckendes Erfordernis zur Benachrichtigung der von der Auskunft Betroffenen“53 ergibt. Aus Gründen der Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit wäre der Gesetzgeber vielmehr gut beraten gewesen, die Pflicht zur Benachrichtigung über eine Maßnahme nach § 100j durch dessen Aufnahme in die allgemeine Regelung nach § 101 Abs. 1 und 4 zu normieren.
26
2. Zurückstellen und Absehen von der Benachrichtigung (Abs. 4 Satz 2 und 3). Neben diesen rechtstechnischen Bedenken fordert die Regelung aber ebenso hinsichtlich der Gründe für ein Zurückstellen oder Absehen von der Benachrichtigung zu inhaltlicher Kritik heraus. Im Vergleich mit § 101 Abs. 4 und 5 wird die Benachrichtigung nach § 100j Abs. 4 Satz 2 allein dann zurückgestellt, wenn sie den Zweck der Auskunft vereiteln würde. Demgegenüber bietet § 101 Abs. 5 Satz 1 mit der Gefährdung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten, weitere Gründe einer Zurückstellung. Doch auch diese Gründe können Anlass sein, erst zu einem späteren Zeitpunkt über die Auskunftsmaßnahme zu informieren. Ferner hat die Benachrichtigung nach § 100j Abs. 4 Satz 3 zu unterbleiben, „wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen.“ Damit wird der Kreis der Schutzbedürftigen gegenüber § 101 Abs. 4 Satz 3 um Dritte erweitert. Fraglich ist jedoch, ob es neben Betroffenen überhaupt weitere schutzbedürftige Dritte geben kann. § 101 Abs. 4 Satz 4 differenziert in ähnlich zweifelhafter Weise zwischen Betroffenen und solchen Personen, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, die von ihr aber dennoch (nur unerheblich) betroffen sind. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen.
VII. Mitwirkungspflicht des Diensteanbieters (Abs. 5) 27
Abs. 5 regelt schließlich die Mitwirkungspflicht des Diensteanbieters bei der Auskunftserteilung und entspricht damit der Vorschrift des § 100b Abs. 3 (vgl. § 100b, 26 ff.). Deshalb hätte es der eigenständigen Regelung in Abs. 5 Satz 1 nicht bedurft. Stattdessen hätte in § 100j der einfache Satz genügt: „§ 100b Abs. 3 gilt entsprechend.“ Damit wäre auch ein Verweis auf § 95 Abs. 2 erreicht worden. Denn inhaltlich treffen beide Vorschriften, § 100b Abs. 3 und § 100j Abs. 5, dieselbe Anordnung: Wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, hat nach Abs. 5 Satz 1 auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Abs. 1 oder 2 die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich zu übermitteln. Einzelheiten sind in §§ 110 ff. TKG geregelt. Die Anbieter müssen gem. § 113 Abs. 5 Satz 1 TKG zunächst auf ihre Kosten,
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So ausdrücklich BTDrucks. 17 12879 S. 11; OK-StPO/Graf § 100j, 23.
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BVerfGE 130 151 Rn. 187 [Hervorhebungen nicht im Original].
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aber mit der Möglichkeit zur Entschädigung54 zur technischen und organisatorischen Umsetzung der Maßnahmen beitragen. Jeder Betreiber einer Telekommunikationsanlage, mittels derer Telekommunikationsdienstleistungen nicht nur ausschließlich für interne Zwecke erbracht werden,55 ist danach verpflichtet, sicherzustellen, dass die technischen Einrichtungen für die Bestandsdatenauskunft vorhanden sind (§ 110 TKG, § 6 TKÜV) und die zu überwachenden Daten (elektronisch) bereitgestellt werden können (§§ 8, 9 TKÜV). Wer mehr als 100.000 Kunden hat, hat für die Entgegennahme der Auskunftsverlangen sowie für die Erteilung der zugehörigen Auskünfte eine gesicherte elektronische Schnittstelle nach Maßgabe der Technischen Richtlinie nach § 110 Abs. 3 TKG bereitzuhalten, durch die auch die gegen die Kenntnisnahme der Daten durch Unbefugte gesicherte Übertragung gewährleistet ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 TKG). Im Weigerungsfalle hat die Staatsanwaltschaft durch die Verweisung auf § 95 Abs. 2 die Zwangsmittel des § 70 (Ordnungsgeld und Ordnungshaft) zur Verfügung, die allerdings der Richter anordnen muss.56 Daneben kann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 TKG die Regulierungsbehörde Zwangsgelder bis zu 500.000 € verhängen, wenn ein Netzbetreiber seine Mitwirkung verweigert. Die Betreiber haben weiter sicherzustellen, dass sie jederzeit über ein Begehren zur Auskunft über Bestandsdaten unterrichtet werden können (§ 12 TKÜV). Die nach Abs. 5 verpflichteten Anbieter müssen zwar dafür Sorge tragen, dass jedes 28 Auskunftsverlangen durch eine verantwortliche Fachkraft auf Einhaltung der in § 113 Abs. 2 TKG genannten formalen Voraussetzungen geprüft und die weitere Bearbeitung des Verlangens erst nach einem positiven Prüfergebnis freigegeben wird (§ 113 Abs. 5 Satz 3 TKG). Sie sind aber nicht verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden zur Erfüllung eines Auskunftsersuchens Personal zur Verfügung zu stellen.57 Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen sind nicht berechtigt, von dem Inhalt des Nachrichtenverkehrs Kenntnis zu nehmen. Zur weitergehenden Prüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Anordnungen vorliegen, insbesondere ob bei Anordnungen der Staatsanwaltschaft Gefahr im Verzug vorliegt, sind sie ebenfalls nicht berechtigt.58 Die Diensteanbieter können sich aber mit der Beschwerde bzw. in den Fällen, in denen eine Beschwerde nicht zulässig ist, mit der Gegenvorstellung gegen gesetzlich nicht zugelassene Überwachungsmaßnahmen wenden.59
VIII. Rechtsschutz § 100j gewährleistet leider nur unvollkommenen präventiven Rechtsschutz durch den 29 lückenhaften Richtervorbehalt in Abs. 3 Satz 1 (s.o.). Bis zur fälligen Überarbeitung des Gesetzeswortlauts bleibt in der Praxis damit regelmäßig 60 nur nachträglicher Rechtsschutz auf zwei Wegen: die Beschwerde nach erfolgter Benachrichtigung gem. Abs. 4
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Vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG, § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 3 JVEG; Erbs/Kohlhaas/ Kalf/Papsthart § 88, 3 TKG; KK/Nack § 100b, 14; s. auch LR/Hauck § 100a, Entstehungsgeschichte. Wohlers/Demko StV 2003 241, 242. Vgl. OK-StPO/Graf § 100j, 29. Zur früheren Rechtslage (keine Verpflichtung der Post, Beamte dafür bereitzustellen): Eb. Schmidt Nachtr. II 7; Kaiser NJW 1969 19.
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Ebenso OK-StPO/Graf § 100j, 28. Zur früheren Rechtslage (insoweit keine Prüfungskompetenz der Bundespost): LR/Meyer23 § 100b, 3; Aubert 67. LR/Hauck § 100b, 30. A.A. – keine Beschwerdebefugnis – OK-StPO/Graf § 100j, 28. Ebenso OK-StPO/Graf § 100j, 30.
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einerseits und die Revision bzw. der Existenz eines Beweisverwertungsverbots im Hauptsacheverfahren andererseits. Doch wie gesehen gründet sich der Beschwerdeweg schon auf eine defizitäre Benachrichtigungspflicht, insbesondere ist die Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 2 nicht direkt einschlägig,61 sondern allenfalls analog statthaft,62 solange der Gesetzgeber auch hier nicht korrigierend eingreift. Für die Revision ist das Vorliegen eines unselbständigen Beweisverwertungsverbots jeweils im Einzelfall zu rügen und nach der Abwägungslehre der Rechtsprechung zu begründen, weshalb sich aus einer fehlerhaften Auskunftserteilung auch ihre Unverwertbarkeit ergibt. Für die Praxis der Strafverteidigung ergeben sich Möglichkeiten für Verfahrensrügen 30 unter den folgenden Voraussetzungen: Denkbare Stoßrichtungen von Rügemöglichkeiten bestehen aus Sicht der Verteidigung hinsichtlich von Fehlern bei der Anordnung oder Ausführung einer Auskunft nach § 100j Abs. 1 oder 2, die ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Denn ein revisibler Rechtsfehler im Sinne des § 337 ist regelmäßig nicht der Rechtsfehler bei Anwendung des § 100j, sondern ein daraus folgender Verstoß gegen ein Verwertungsverbot. Vorzutragen sind nach der Rechtsprechung des BGH zunächst die Tatsache, der Zeitpunkt und der Inhalt des Widerspruchs gegen die Verwertung (zu dessen Notwendigkeit § 100a, 115). Sodann bestehen die Anforderungen an den Rügevortrag nach § 344 Abs. 2 Satz 2 31 darin, dass dieser wie allgemein näher zu begründen ist. Das Bestimmtheitsgebot dieser Vorschrift verlangt, dass die Revision sämtliche Tatsachen ausreichend angibt, die den behaupteten Verfahrensmangel enthalten. Diese Tatsachen müssen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund dieser Darlegung – unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit – das Vorhandensein des Verfahrensmangels feststellen kann.63 Dazu gehört nach der Rechtsprechung des BGH bei Schriftstücken oder Aktenstellen deren genaue Bezeichnung und die Angabe ihres Wortlauts oder ihres Inhalts. Demgemäß müssen auch Bestandsdatenauskünfte oder die Mitteilung von Zugangssicherungscodes oder dynamischen IP-Adressen, auf welche die Verfahrensrüge gestützt wird, im Einzelnen bezeichnet und muss ihr Wortlaut oder ihr Inhalt mitgeteilt werden. Zur erforderlichen Substantiierung des behaupteten Verfahrensfehlers gehört schließlich auch ein Vortrag über den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung der Maßnahme64 einschließlich der in Bezug genommenen Aktenteile65 sowie die aus der Durchführung der Maßnahme erlangten Erkenntnisse, da andernfalls der Rechtsfehler, nämlich die unzulässige Verwertung, nicht auf Grund der Revisionsbegründung überprüft werden kann. Entsprechendes gilt für Rügen der Staatsanwaltschaft. Sind Auskünfte nach § 100j nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden, ist dies regelmäßig als Verstoß gegen § 261 mit der Verfahrensrüge geltend zu machen (vgl. § 100a, 168, 171). Im Übrigen gelten die Ausführungen zur Revision bei der Telekommunikationsüberwachung – vor allem zur Frage der Zufallsfunde und der Begründung von Gefahr im Verzug – entsprechend (vgl. § 100a, 167 ff.).
61 62 63 64
So aber offenbar OK-StPO/Graf § 100j, 31. A.A. – allgemeine Beschwerde, also nach § 304 – Meyer-Goßner § 100j, 8. BGH StV 1984 64. BGH NJW 2003 1880; soweit dort auch die
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Mitteilung der staatsanwaltschaftlichen Antragsschriften verlangt wird, geht dies zu weit, solange diese in den gerichtlichen Entscheidungen nicht in Bezug genommen sind. Vgl. BGHSt 47 362.
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§ 101 (1) Für Maßnahmen nach den §§ 98a, 99, 100a, 100c bis 100i, 110a, 163d bis 163f gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die nachstehenden Regelungen. (2) 1Entscheidungen und sonstige Unterlagen über Maßnahmen nach den §§ 100c, 100f, 100h Abs. 1 Nr. 2 und § 110a werden bei der Staatsanwaltschaft verwahrt. 2Zu den Akten sind sie erst zu nehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung nach Absatz 5 erfüllt sind. (3) 1Personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, sind entsprechend zu kennzeichnen. 2Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten. (4) 1Von den in Absatz 1 genannten Maßnahmen sind im Falle 1. des § 98a die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden, 2. des § 99 der Absender und der Adressat der Postsendung, 3. des § 100a die Beteiligten der überwachten Telekommunikation, 4. des § 100c a) der Beschuldigte, gegen den sich die Maßnahme richtete, b) sonstige überwachte Personen, c) Personen, die die überwachte Wohnung zur Zeit der Durchführung der Maßnahme innehatten oder bewohnten, 5. des § 100f die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen, 6. des § 100g die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation, 7. des § 100h Abs. 1 die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen, 8. des § 100i die Zielperson, 9. des § 110a a) die Zielperson, b) die erheblich mitbetroffenen Personen, c) die Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der Verdeckte Ermittler betreten hat, 10. des § 163d die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden, 11. des § 163e die Zielperson und die Person, deren personenbezogene Daten gemeldet worden sind, 12. des § 163f die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen zu benachrichtigen. 2Dabei ist auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes nach Absatz 7 und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen. 3Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. 4Zudem kann die Benachrichtigung einer in Satz 1 Nr. 2, 3 und 6 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. 5Nachforschungen zur Feststellung der Identität einer in Satz 1 bezeichneten Person sind nur vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist. (5) 1Die Benachrichtigung erfolgt, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten, im Fall des § 110a auch der Möglichkeit
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der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers möglich ist. 2Wird die Benachrichtigung nach Satz 1 zurückgestellt, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (6) 1Erfolgt die nach Absatz 5 zurückgestellte Benachrichtigung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedürfen weitere Zurückstellungen der gerichtlichen Zustimmung. 2Das Gericht bestimmt die Dauer weiterer Zurückstellungen. 3Es kann dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. 4Sind mehrere Maßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt worden, so beginnt die in Satz 1 genannte Frist mit der Beendigung der letzten Maßnahme. 5Im Fall des § 100c beträgt die in Satz 1 genannte Frist sechs Monate. (7) 1Gerichtliche Entscheidungen nach Absatz 6 trifft das für die Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht, im Übrigen das Gericht am Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft. 2Die in Absatz 4 Satz 1 genannten Personen können bei dem nach Satz 1 zuständigen Gericht auch nach Beendigung der Maßnahme bis zu zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen. 3Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. 4Ist die öffentliche Klage erhoben und der Angeklagte benachrichtigt worden, entscheidet über den Antrag das mit der Sache befasste Gericht in der das Verfahren abschließenden Entscheidung. (8) 1Sind die durch die Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten zur Strafverfolgung und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr erforderlich, so sind sie unverzüglich zu löschen. 2Die Löschung ist aktenkundig zu machen. 3Soweit die Löschung lediglich für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme zurückgestellt ist, dürfen die Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nur zu diesem Zweck verwendet werden; sie sind entsprechend zu sperren. Schrifttum Börner Grenzfragen der Akteneinsicht nach Zwangsmaßnahmen, NStZ 2010 417; Böse Die neuen Regelungen zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Informationseingriffe und ihre Konsequenzen für die prozessuale Geltendmachung von Verwertungsverboten, FS Amelung 565; Burghardt Der Rechtsschutz gegen Zwangsmittel im Ermittlungsverfahren, JuS 2010 605; ders. Die neue Unübersichtlichkeit – Die Rechtsprechung des BGH zum nachträglichen Rechtsschutz, HRRS 2009 567; Engländer Die Rechtsbehelfe gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, Jura 2010 414; Glaser Der Rechtsschutz gegen „verdeckte“ strafprozessuale Grundrechtseingriffe, JR 2010 423; Löffelmann Der Rechtsschutz gegen Ermittlungsmaßnahmen, StV 2009 379; Meyer Die Stellung des § 101 Abs. 7 StPO innerhalb der strafprozessualen Rechtsbehelfe, JR 2009 318; ders./Rettenmaier Zur Praxis des nachträglichen Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, NJW 2009 1238; Singelnstein Rechtsschutz gegen heimliche Ermittlungsmaßnahmen nach Einführung des § 101 VII 2–4 StPO, NStZ 2009 481; Wesemann Die Neuregelungen des § 101 StPO, StraFo 2009 505.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) vom 13.8.1968 (BGBl. I S. 949) wurden in die Klammerverweisung in Absatz 1 a.F. die §§ 100a und 100b, mit Gesetz vom 15.7.1992 (OrgKG) wurde § 100c Abs. 1 Buchstabe b), Nr. 2, § 100d sowie der gesamte Abs. 4 eingefügt. Mit Gesetz vom 17.3.1997 wurde in Abs. 1 a.F. die Klammerverweisung um „§ 81e“ ergänzt. Die Einführung des großen Lauschangriffs durch Gesetz vom 4.5.1998 brachte eine entsprechende Änderung in der Klam-
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merverweisung in Abs. 1 Satz 1 a.F. und die Einfügung von Abs. 1 Satz 2 und das Gesetz vom 20.12.2001 mit der Einfügung der §§ 100g und h die entsprechenden Ergänzungen in der Klammerverweisung in Abs. 1 Satz 1 a.F. § 101 Abs. 1 Satz 1 und 2 a.F. war, soweit die Vorschrift die akustische Wohnraumüberwachung nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 betraf, nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98 – 1 BvR 1084/99 – (abgedruckt NJW 2004 999) unvereinbar mit Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 des GG. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Rechtszustand bis spätestens 30.6.2005 herzustellen. Bis zu diesem Termin konnten Abs. 1 Satz 1 und 2 unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit weiterhin angewandt werden. § 101 Abs. 1 Satz 3 war, soweit die Vorschrift die akustische Wohnraumüberwachung nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 betraf, nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98 – 1 BvR 1084/99 – (BVerfGE 109 279 = NJW 2004 999) unvereinbar mit Art. 103 Abs. 1 des GG. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Rechtszustand bis spätestens 30.6.2005 herzustellen. Bis zu diesem Termin war auch nach Erhebung der öffentlichen Klage das in § 100d Abs. 2 Satz 1 a.F. genannte Gericht (Staatsschutzkammer) zuständig. Die aktuelle Fassung trägt dieser Rechtsprechung Rechnung.
Übersicht Rn. I. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . . .
1
II. Aktenführung beim Einsatz technischer Mittel und beim Einsatz Verdeckter Ermittler (Abs. 2) 1. Pflicht zur Führung von Sonderheften . 2. „Entscheidungen und sonstige Unterlagen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Problematik der Regelung . . . . . . . 4. Zuständigkeit für die Sperrung der Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Sperrung gegenüber dem Ermittlungsrichter . . . . . . . . . . . . . . 6. Sperrung gegenüber dem Prozessgericht
9 10
III. Pflicht zur Kennzeichnung personenbezogener Daten (Abs. 3) . . . . . . . .
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IV. Benachrichtigungspflichten (Abs. 4, 5 und 6) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck der Benachrichtigung . . . . . 3. Adressaten der Benachrichtigung . . . a) die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden (§§ 98a, 163d) . . . . . . . . . . . b) der Absender und der Adressat der Postsendung (§ 99) . . . . . . . . . c) die Beteiligten der überwachten Telekommunikation (§§ 100a und 100g) d) der Beschuldigte, gegen den sich die Maßnahme richtete (§ 100c) . . . . e) sonstige überwachte Personen (§ 100c) . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. f) Personen, die die überwachte Wohnung zur Zeit der Durchführung der Maßnahme innehatten oder bewohnten (§ 100c) . . . . . . . . . . g) die Zielperson (§§ 100f, 100h Abs. 1, 100i, 110a, 163e und 163f) . . . . . h) die erheblich mitbetroffenen Personen (§§ 100f, 100h Abs. 1 und 163f) . . i) die Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der Verdeckte Ermittler betreten hat (§ 110a) . . . j) die Person, deren personenbezogene Daten gemeldet worden sind (§ 163e) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umfang und Inhalt der Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeitpunkt, Unterbleiben und Aufschub der Benachrichtigung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Unterbleiben (Abs. 4 Satz 3–5) . . . c) Aufschub (Abs. 5) aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Gefährdung des Untersuchungszwecks . . . . . . . . . . . . . cc) Gefährdung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten . . . . . . . dd) Gefährdung der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers . . . . . 6. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
V. Rechtsschutz (Abs. 7 Satz 2–4) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine abschließende Sonderregelung . . 3. Gegenstände der gerichtlichen Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art und Weise des Vollzuges aa) Zeitpunkt und Zurückstellung der Benachrichtigung . . . . . . bb) Aktenführung, Abs. 2 . . . . . b) Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . aa) Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln außerhalb oder innerhalb einer Wohnung (§§ 100c Abs. 1, 100f Abs. 1) .
Rn. bb) Einsatz technischer Mittel für Observationszwecke (§ 100h Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . 4. Sachliche und örtliche Zuständigkeit 5. Bindungswirkung . . . . . . . . . 6. Frist . . . . . . . . . . . . . . . .
44 45 46
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. . . .
. . . .
57 58 59 60
VI. Löschungspflichten (Abs. 8) 1. Löschungspflicht (Abs. 8 Satz 1, 2) . . 2. Zurückstellung der Löschung; Sperrung der Daten (Abs. 8 Satz 3) . . . . . . .
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VII. Revision
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. . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Aktenführung 3 ff. Benachrichtigungspflichten 15 ff. Adressaten 17 ff. Aufschub 32 ff. Inhalt 28 ff. Umfang 28 ff. Unterbleiben 32 ff. Zeitpunkt 32 ff. Zuständigkeit 43 Löschungspflichten 61 ff. Pflicht zur Kennzeichnung personenbezogener Daten 14 Rechtsschutz 44 ff. Art und Weise des Vollzuges 47 ff.
Bindungswirkung 59 Frist 60 Keine Sonderregelung 45 Rechtmäßigkeit der Maßnahme 53 ff. Sachliche und örtliche Zuständigkeit 58 Revision 63 Sperrung der Akten 8 ff. Gegenüber dem Ermittlungsrichter 9 Gegenüber dem Prozessgericht 10 Zuständigkeit 8 Sperrung der Daten 62 Sonderhefte 3 ff. Zurückstellung der Löschung 62
I. Zweck der Vorschrift 1
Es liegt in der Natur der in Abs. 1 genannten Maßnahmen, bei denen es sich durchweg um heimliche Informationssammlungen handelt, dass sie ohne vorherige Anhörung angeordnet (§ 33 Abs. 4 Satz 1) und heimlich durchgeführt werden müssen, sollen sie wirksam sein. Bei dieser Vorschrift handelt es sich somit um eine grundrechtssichernde Verfahrensvorschrift;1 sie regelt einheitlich für die Ermittlungsmaßnahmen des Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis 12 die Kennzeichnungspflicht (Abs. 3), die Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten (Abs. 4, 5 und 6), ihre besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten (Abs. 7) und Pflichten zur Löschung von Ermittlungsmaterial (Abs. 8) in allen solchen Fällen und speziell für den Einsatz technischer Mittel nach §§ 100c, 100f und 100h Abs. 1 Nr. 2 sowie für den Einsatz Verdeckter Ermittler besondere Aktenführungspflichten (Abs. 2). All das dient der nachträglichen Gewährung rechtlichen Gehörs und verschafft dem Betroffenen die Möglichkeit, Anordnung und Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.2
1 2
BVerfGE 129 208 Rn. 229. Begründung des Regierungsentwurfs zum G 10 BTDrucks. V 1880 S. 13; BGHSt 36
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305, 311; KK/Nack 1; Thommes StV 1997 657, 660.
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Die Vorschrift gewinnt vor dem Hintergrund des Gebotes effektiven Rechtsschutzes gerade auch bei durchgeführten, erledigten Zwangsmaßnahmen3 besondere Bedeutung (s. § 105, 129 ff.). Sie ist so auszulegen, dass diese Effektivität gewährleistet wird, um die Rechte auf Löschung oder Berichtigung gegenüber der Informationen und Daten verarbeitenden Stelle durchzusetzen.4 Den in Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis 12 aufgeführten Ermittlungsmaßnahmen ist gemein, dass ihre Anordnung – mit Ausnahme des § 100h StPO – unter Richtervorbehalt steht und daher alle Maßnahmen, von denen Betroffene zu benachrichtigen sein können, von einem Richter auf ihre Rechtmäßigkeit zum Zeitpunkt ihrer Anordnung geprüft und gebilligt worden sind.5 Eine Besonderheit gilt für Maßnahmen während einer laufenden Hauptverhandlung: 2 Führt das Gericht in einem solchen Fall Ermittlungen durch, muss es ungeachtet engerer Voraussetzungen in § 101 dem Angeklagten vor dem Urteil Gelegenheit geben, von deren Ergebnissen Kenntnis zu nehmen, auch wenn das Gericht selbst die Erkenntnisse nicht für entscheidungserheblich hält.6 Der Bundesgerichtshof begründet dies mit dem Gebot fairen Verfahrens, indes verlangt bereits § 33 Abs. 4 die Mitteilung derartiger Entscheidungen. Von erheblicher Bedeutung ist die in Abs. 2 angeordnete Führung von Sonderheften (dazu sogleich Rn. 3 mit Fn. 8) in den Fällen des Einsatzes technischer Mittel bei der Observation (§ 100h Abs. 1) und beim Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb oder innerhalb einer Wohnung (§ 100f Abs. 1 bzw. § 100c Abs. 1) bzw. bei einem Einsatz von Verdeckten Ermittlern (§ 110a). Erst wenn nach Abklingen einer Gefährdungslage die Nachricht nach Abs. 4 erfolgen kann, sind die in den Sonderheften bei der Staatsanwaltschaft verwahrten Unterlagen über die genannten Maßnahmen einschließlich der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu den Akten des Verfahrens zu nehmen und damit für das Prozessgericht und im Wege der Akteneinsicht für den Beschuldigten zugänglich.
II. Aktenführung beim Einsatz technischer Mittel und beim Einsatz Verdeckter Ermittler (Abs. 2) 1. Pflicht zur Führung von Sonderheften Abs. 2 bestimmt, dass Aktenstücke („Ent- 3 scheidungen und sonstige Unterlagen“), die die akustische oder optische Überwachung nach §§ 100c, 100f oder 100h Abs. 1 Nr. 2 bzw. den Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 110a betreffen, „bei der Staatsanwaltschaft“ getrennt verwahrt und erst dann zu den Akten genommen werden dürfen, wenn die Voraussetzungen für die Benachrichtigung der Betroffenen nach Abs. 5 erfüllt sind. Entsprechend den in den § 68 Abs. 4 Satz 3 und 4, getroffenen Regelungen sieht damit auch Abs. 2 die Führung von Sonderheften in bestimmten Fällen heimlicher oder verdeckter Ermittlungen vor. Die den Einsatz dokumentierenden Unterlagen sind nicht zu den Strafakten zu nehmen, sondern zunächst bei der Staatsanwaltschaft gesondert zu verwahren (Sonderhefte, oft unzutreffend auch: „Sonderakten“7).8 Damit werden der Kriminalakte häufig nicht nur für das Verständnis
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BVerfGE 96 27 und 44; 100 313, 361; BVerfG – Kammer – StV 2001 627. BVerfG – Kammer – StV 2001 627; BVerfGE 100 313, 361. BVerfGE 129 208 Rn. 229. BGHSt 36 305. KK/Nack 6.
8
Die getrennte Verwahrung findet nicht in „Sonderakten“ statt. Den Begriff der „Sonderakten“ kennt die Aktenordnung nicht. In der staatsanwaltschaftlichen Praxis werden gleichwohl in Sonderakten diejenigen Aktenbestandteile erfasst, die weitere Tatvorwürfe, die über den Tatvorwurf in den Hauptakten
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des zugrundeliegenden Sachverhalts entscheidende Tatsachen vorenthalten, sondern es wird den Verfahrensbeteiligten darüber hinaus im Erkenntnisverfahren die Kontrolle darüber erschwert, ob die Voraussetzungen für den Einsatz der genannten technischen Mittel oder eines Verdeckten Ermittlers vorgelegen haben.9 Erst nach Wegfall der in Absatz 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 genannten Gefahrenlage sind die Strafakten um die Dokumente über den Einsatz dieser Maßnahmen zu ergänzen. Die Vorschrift steht im Spannungsfeld zwischen den mit dem Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen ausgelösten Geheimhaltungs- und Sicherheitsbedürfnissen einerseits und dem Grundsatz der Vollständigkeit der Kriminalakten,10 dem Akteneinsichtsrecht (§ 147) und – damit korrespondierend – der Aktenvorlageverpflichtung der Staatsanwaltschaft aus § 199 Abs. 2 Satz 2 andererseits. Der Gesetzgeber hat sich auch hier vorrangig für die Geheimhaltungsbedürfnisse und die Sicherheit und den Schutz des Verdeckten Ermittlers entschieden.11
4
2. „Entscheidungen und sonstige Unterlagen“. Gegenstand der Sonderhefte sind alle Aktenteile, die Hinweise auf den Einsatz besonderer technischer Mittel oder eines Verdeckten Ermittlers geben. Dies gilt für Anordnung des Einsatzes durch das Gericht (§§ 100c, 100f) oder die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei (§ 100h) und die Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 110b Abs. 2, die richterliche Zustimmungsentscheidung und den zugehörigen Antrag nach § 110b Abs. 2, aber auch für alle anderen im Zusammenhang mit dem Einsatz angefallene Vorgänge, wie Unterlagen über die Legende oder Einsatzmodalitäten beim Verdeckten Ermittler, Abhörprotokolle, Berichte des Verdeckten Ermittlers und andere durch den Einsatz dieser Maßnahmen erlangte Erkenntnisse, soweit sie für einen solchen Einsatz Hinweise geben,12 Aktennotizen sowie allen polizeilichen Unterlagen usw., die nach § 163 Abs. 2 der Staatsanwaltschaft vorzulegen sind.13
5
3. Problematik der Regelung. Die Regelung stellt einen erheblichen gesetzgeberischen Eingriff in das bisherige System der aktenmäßigen Dokumentation strafprozessualer Ermittlungen dar. Da die Sonderhefte nicht Bestandteil der Ermittlungsakten sind,
9
hinausgehen, enthalten (z.B. wird bei Wohnungseinbruchsdiebstahl mit vier Tatorten der Hauptvorwurf in den Hauptakten erfasst, aber die drei weiteren Taten in jeweils einer Sonderakte; diese Akten bilden dann zusammen die Hauptakten). Die getrennte Verwahrung findet in Sonderheften statt, teilweise auch in den Generalakten zum Generalaktenzeichen 4110, auf keinen Fall aber in den staatsanwaltschaftlichen Handakten und eben auch nicht in Sonderakten. § 3 Abs. 1 Satz 10 Buchst. b) Aktenordnung regelt, dass Niederschriften über Maßnahmen nach den §§ 98a, 100a, 110a, 163f StPO sowie personenbezogene Informationen aus Maßnahmen nach den §§ 100c und 100f Abs. 1 StPO sowie andere Unterlagen, die von dem Staatsanwalt besonders gekennzeichnet sind, in einem Sonderheft zu verwahren sind. Meertens ZRP 1992 205, 207; vgl. die krit.
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11 12 13
Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins zum Entwurf des OrgKG (Berichterstatters: Strate) StV 1992 29, 34; auch Strate ZRP 1990 145. Dazu LR/Lüderssen/Jahn § 147, 22 ff.; LR/Stuckenberg § 199, 7 ff.; Meyer-Goßner § 147, 13 ff.; KK/Pfeiffer Einl. 72 ff. jeweils m.w.N.; Meertens ZRP 1992 205, 207; BVerfGE 63 45; LG Berlin StV 1986 96. BTDrucks. 12 989 S. 43. Hilger NStZ 1992 525 Fn. 163. KK/Nack 5; vgl. auch die Regelung in II Ziff. 2.7 der Anlage D zu den RiStBV, wonach die Polizei der Staatsanwaltschaft die den Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten betreffenden Dokumente zu übergeben hat. Zur Aktenführung der Polizei allgemein vgl. Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei (1992).
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erstrecken sich weder das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers noch die Aktenvorlageverpflichtung der Staatsanwaltschaft nach § 199 Abs. 2 Satz 2 auf diese Unterlagen. Weder das erkennende Gericht noch der Angeklagte kann den Akten entnehmen, dass eine der genannten technischen Maßnahmen oder ein Verdeckter Ermittler eingeschaltet war und welche Erkenntnisse dieser Einsatz zu Lasten oder zu Gunsten des Angeklagten erbracht hat. In vielen Fällen wird auch der für die Beweiswürdigung oft erhebliche Punkt nicht ersichtlich sein, auf welchem Wege in den Ermittlungsakten enthaltene Beweise erlangt wurden. Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der schon vom OrgKG für § 110d a.F. 6 gewählten Lösung kann nicht losgelöst von verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Strafprozess beantwortet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass das Grundgesetz dem Beschuldigten neben dem Recht auf rechtliches Gehör, welches hier tangiert sein kann, das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren garantiere,14 welches einen Mindestbestand an verfahrensrechtlichen Befugnissen für den Beschuldigten voraussetze. Hierzu gehört eine gewisse „Waffengleichheit“ von Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem im Strafprozess.15 Weiter ist es zentrales Anliegen des Strafprozesses, die Wahrheit zu ermitteln; das Strafverfahren muss dies durch seine Ausgestaltung ermöglichen, u.a. durch Zugrundelegung der vollständigen und inhaltlich wahren Ermittlungsakten (Grundsatz der Aktenwahrheit und -vollständigkeit), welche der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und dem Beschuldigten (über seinen Verteidiger) zugänglich sein müssen.16 Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht diesen Verpflichtungen auch die Verpflichtung des Staates gegenübergestellt, Leben und körperliche Unversehrtheit von Zeugen vor rechtswidrigen Angriffen zu schützen, auch hat es – insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität – andere geheimhaltungsbedürftige staatliche Belange anerkannt, die einer vollständigen Offenlegung aller staatlichen Erkenntnisse im Strafverfahren entgegenstehen können.17 Der Ausgleich der insoweit widerstreitenden Interessen habe – so das Bundesverfassungsgericht – durch sorgfältige Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen, von besonderer Bedeutung seien dabei die Schwere der vorgeworfenen Tat, das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile, das Gewicht der einer bestmöglichen Sachaufklärung entgegenstehenden Umstände und der Stellenwert eines geheim gehaltenen Beweismittels im Gesamtgefüge der Beweislage.18 Diese Abwägung vorzunehmen, sei vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, der die inhaltlichen Vorgaben des Strafprozesses so zu gestalten habe, dass die gebotene Konkretisierung des von Verfassungs wegen nicht in allen Einzelheiten bestimmten Grundsatz eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens geleistet werde und dabei zugleich die widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen hinreichend gewahrt seien.19 Erst dort, wo sich auf Grund einer Bewertung aller Umstände des Einzelfalles und bei einer Gesamtschau der vom Gesetzgeber geschaffenen Verfahrensregeln unzweideutig ergebe, dass bei Anwendung geltenden Rechts unverzichtbare rechtsstaatliche Anforderungen nicht mehr gewahrt seien, sei Raum für eine verfassungsrechtliche Korrektur geltenden Strafverfahrensrechts.20 Im Kontext mit den weiteren Vorschriften über heimliche und verdeckte Ermittlungs- 7 maßnahmen bewegt sich die Regelung des Abs. 2 zunächst im Rahmen der vom Bundes14 15 16
BVerfGE 57 250, 273, 275 m.w.N.; BVerfGE 63 45 ff. = NStZ 1983 273. BVerfG NStZ 1983 273; BVerfGE 38 105, 111. BVerfG NStZ 1983 273, 274.
17 18 19 20
BVerfGE 57 250, 284; BVerfG NStZ 1983 273, 274. BVerfGE 57 250, 285. BVerfGE 57 250, 276. BVerfGE 57 250, 276.
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verfassungsgericht vorgezeichneten Vorgaben. Mit den Anordnungsvoraussetzungen nach §§ 100c, 100f, 100h und § 110a Abs. 1 (Straftatenkataloge und Subsidiaritätsklauseln) ist die geforderte besondere Berücksichtigung der Tatschwere und der Bedeutung des Beweismittels vom Gesetzgeber bei Abwägung der widerstreitenden Interessen aufgegriffen worden. Die Zustimmungsvorbehalte nach §§ 100d Abs. 1 Satz 3, 100f Abs. 4 i.V.m. 100b Abs. 1 Satz 3 und nach 110b Abs. 1 und 2 sollen ein Korrektiv dafür schaffen, dass der Beschuldigte mangels Kenntnisnahme von einer Ermittlungshandlung Einbußen in Bezug auf sein rechtliches Gehör erleidet. Der Gefahrenkatalog des Abs. 5 (auf den Abs. 2 Satz 2 verweist) soll gewährleisten, dass nur zur Sicherung der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Zwecke das Aktenmaterial des Ermittlungseinsatzes von den Verfahrensakten getrennt gehalten werden kann. Auch dem Umstand, dass die rechtsstaatliche Kontrolle des Strafverfahrens hier partiell vom Gericht auf die insoweit – losgelöst vom Verfahrensstand – primär zuständige Staatsanwaltschaft verlagert wird, stehen generell keine verfassungsmäßigen Hindernisse entgegen.21
8
4. Zuständigkeit für die Sperrung der Akten. Das Gesetz spricht nur davon, dass die Sonderhefte „bei der Staatsanwaltschaft verwahrt“ werden. Dies spricht zunächst dafür, dass die Staatsanwaltschaft auch zu entscheiden hat, wann die Sonderhefte zu den Strafakten zu nehmen sind. Andererseits dient die Vorschrift auch dem Schutz des Verdeckten Ermittlers. Dessen Identität wird aber nach nunmehr ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 110b Abs. 3 (s. dort Rn. 19) nach Maßgabe des § 96 geheim gehalten. Soweit die Führung von Sonderheften nichts anderes bezweckt, und dies gilt für alle Gründe außer der Gefährdung des Untersuchungszecks, kann aber für die Ablehnung der Freigabe nichts anderes gelten. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft die Akten im Benehmen mit der Polizei freigeben kann, dass aber die Ablehnung der Freigabe nur auf eine Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde (§ 96) 22 des zu schützenden Beamten23 gestützt werden darf.
9
5. Keine Sperrung gegenüber dem Ermittlungsrichter. Die Sperrung der Akten wirkt nicht gegenüber dem Ermittlungsrichter bzw. der Spezialstrafkammer, die für die Zustimmung zum Einsatz der Maßnahmen nach § 100c, § 100f und zum Einsatz des Verdeckten Ermittlers gem. § 110b Abs. 2 zuständig sind. Der Richtervorbehalt ist gerade ein Korrelat dafür, dass in erheblicher Weise in die Grundrechte von Bürgern eingegriffen werden soll, ohne ihnen zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. So wird der Ermittlungsrichter in diesem Stadium des Verfahrens zum besonderen Sachwalter der Beschuldigtenrechte und dient – gerade auch im Lichte der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG – einer Präventivkontrolle im Sinne präventiven Grundrechtsschutzes, den die Betroffenen in diesem Stadium des Verfahrens mangels Kenntnis der gegen sie gerichteten Maßnahme noch nicht einfordern können.24 Im Tätigwerden des Ermittlungsrichters liegt mithin ein Surrogat für wesentliche Verfahrensrechte der Betroffenen, die – das folgt aus der Natur der heimlichen Ermittlungsmaßnahme – vorläufig außer Kraft gesetzt sein müssen.25 Der Ermitt-
21
BVerfGE 63 45 ff. = NStZ 1983 273, 274 hat auch die Verfügungsgewalt des Staatsanwalts über sog. Spurenakten für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt und eine gerichtliche Kontrolle der Staatsanwaltschaft insoweit als nicht von der Verfassung geboten erachtet.
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22 23 24 25
BVerfGE 57 250, 283, 288. BGHSt 41 36. Schnarr NStZ 1991 209, 210. Vgl. dazu auch LR/Schäfer25 § 110e, 23.
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lungsrichter hat das Recht, die vollständige Vorlage der bisherigen Erkenntnisse, auf die sich die Anordnung des qualifizierten Einsatzes stützt, zu verlangen.26 Seine Zustimmung zum Einsatz hat er schriftlich zu begründen und dabei seine Entscheidungsgründe so darzulegen, dass sie einer späteren Überprüfung auf Antrag des Betroffenen im Rahmen nachträglicher Gewährung rechtlichen Gehörs oder durch das Prozessgericht zur Prüfung der Verwertbarkeit zugänglich sind.27 Damit steht fest, dass dem Ermittlungsrichter die Sonderhefte offen stehen müssen. In diesem Umfang müssen die Akten aber auch dem Prozessgericht zur Verfügung stehen. Denn dieses kann nicht über die Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse entscheiden, ohne die Rechtmäßigkeit der Anordnung in vollem Maße nachprüfen zu können. Der Weg, dem Prozessgericht einseitig „Geheimwissen“ hinter dem Rücken des Beschuldigten zu offenbaren, hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das rechtliche Gehör des Beschuldigten zu Recht als nicht gangbar beschrieben.28 Ein „in camera“-Verfahren, wie es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig ist,29 kommt im Bereich des Strafverfahrens nicht in Betracht.30 Jedenfalls im Erkenntnisverfahren soll der Beschuldigte zu allem Stellung nehmen können, was dem erkennenden Gericht vorliegt. Eine vernünftige, eines Rechtsstaates würdige Lösung kann nur in die Richtung gehen, wie sie in Rn. 10 am Ende vorgeschlagen wird. 6. Sperrung gegenüber dem Prozessgericht. Da die Vorschrift des Abs. 2 keine zeit- 10 liche Begrenzung für die Sperrung der Sonderhefte enthält, können diese auch nach Anklageerhebung während des gesamten gerichtlichen Verfahrens gesperrt bleiben, wenn die Gefahrenlage noch nicht abgeklungen ist oder die Gefährdung der weiteren Verwendung eines Verdeckten Ermittlers fortbesteht mit der Folge, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 5 grundsätzlich Beschuldigter und Prozessgericht in gleicher Weise von der Kenntnis der Unterlagen über den Einsatz besonderer technischer Maßnahmen oder Verdeckter Ermittler ausgeschlossen werden. Ein „in camera-Verfahren, bei dem die Sonderhefte nur dem Gericht zur Verfügung stünden, scheidet im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG aus.31 Selbst wenn man unter Zugrundelegung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe keine generellen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Aktenführungsregeln erhebt, entbindet dies die Staatsanwaltschaft und das Prozessgericht, sofern dieses überhaupt Kenntnis vom Einsatz der besonderen Maßnahmen hat, nicht von der Aufgabe, unter Abwägung der Einzelfallumstände sorgfältig zu prüfen, ob die Regelung im konkret zu entscheidenden Fall nicht zu rechtsstaatswidrigen Ergebnissen führt. Dass dem Prozessgericht der Einsatz der jeweiligen Maßnahme im Ermittlungsverfahren und die dabei erlangten Erkenntnissen vorenthalten werden können, lässt sich schwer mit der herkömmlichen Vorstellung des deutschen Strafprozesses vereinbaren. Die Rechtsprechung sollte den Mut haben, zu entscheiden, dass ab Abschluss der Ermittlungen jedenfalls die Tatsache des Einsatzes besonderer technischer Mittel oder eines Verdeckten Ermittlers offengelegt werden muss, damit das Prozessgericht prüfen
26 27 28 29 30
31
BGHSt 42 103, 105; KK/Nack 6. KK/Nack 6; vgl. auch § 110b, 17. BVerfGE 57 250, 288. BVerfGE 101 106. BGH NJW 2000 1661; die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde nicht angenommen: 2 BvR 591/00. BGH NJW 2000 1661 hat im Einklang mit
BVerfGE 57 250, 288 entschieden, dass sich der Ausweg, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen nur dem Prozessgericht zu offenbaren, wegen der darin liegenden Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör für das Strafverfahren nicht bietet; siehe dazu auch LR/Stuckenberg § 199, 14.
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kann, welche weiteren Schritte zur Offenlegung der Sonderhefte insgesamt oder von Teilen davon erforderlich sind. Im Übrigen ist – auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 110a Abs. 1 – die voll11 ständige Absonderung aller Erkenntnisse aus den Sonderheften dann nicht durchzuhalten, wenn Erkenntnisse des Einsatzes der genannten technischen Maßnahmen oder des Verdeckten Ermittlers – sei es durch eine Zeugenaussage oder durch eine Ermittlungsperson (z.B. einen Vernehmungsbeamten) – in das laufende Verfahren eingeführt werden sollen, weil sie zur Überführung des Angeklagten benötigt werden. Die Verwertbarkeit solcher Erkenntnisse hängt nämlich von der Rechtmäßigkeit der Anordnung ab. Erkennendes Gericht und Angeklagter müssen deshalb in die Lage versetzt werden, die materiellen und formellen Einsatzvoraussetzungen vor der Beweiserhebung zu überprüfen. Dazu ist es zumindest erforderlich, die dem Einsatz zustimmenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls des Ermittlungsrichters, ferner diejenigen Unterlagen zu kennen, die die Zustimmung erst verständlich und nachvollziehbar machen. Nicht erforderlich wird es aber etwa sein, die Identität und Legende eines VE zu offenbaren. Die Staatsanwaltschaft steht somit vor der Wahl: Liegen die Voraussetzungen des Abs. 5 weiterhin vor, so muss sie entscheiden, ob sie – um den Preis der teilweisen Präsentation der Sonderhefte – Erkenntnisse aus dem Maßnahmeneinsatz in den Prozess einführen oder – bei vollständiger Geheimhaltung der Sonderhefte – auf diese Erkenntnisse bei der Beweisführung (gegebenenfalls unter Preisgabe des Legalitätsprinzips zugunsten der Sicherheit und weiteren Einsatzbereitschaft solcher besonderen Ermittlungsmaßnahmen) vollends verzichten will. Das Prozessgericht gerät hier in ein Dilemma. Sobald es erkennt oder auch nur ver12 mutet, es könne bei der Sachaufklärung eine besondere technische Maßnahme oder ein Verdeckter Ermittler mitgewirkt haben, stellt der Verzicht auf diese Erkenntnisquelle regelmäßig nicht nur einen Verzicht auf belastendes, sondern möglicherweise auch entlastendes Beweismaterial dar. Obwohl – abweichend von der Regel des § 199 Abs. 2 S. 2 – wegen § 101 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 kein Anspruch auf Vorlage der Sonderhefte besteht, steht das erkennende Gericht weiter unter der umfassenden Pflicht zur Wahrheitserforschung. Das ist nicht zuletzt auch die Folge davon, dass das Prozessgericht nicht in die Geheimhaltungsverpflichtung aus § 101 Abs. 5 eingebunden ist, sondern seinerseits nur mit den Folgen der von der Staatsanwaltschaft zu verantwortenden Geheimhaltung konfrontiert wird. Es wird deshalb im Einzelfall – ähnlich wie bei Sperrerklärungen im Sinne von § 96 – verpflichtet sein, im Rahmen der Aufklärungspflicht zumutbare Schritte zu unternehmen, um eine Vorlage der Sonderhefte herbeizuführen. Noch völlig ungeklärt ist dabei die Frage, ob es sich bei der Weigerung, Sonderhefte herauszugeben, mit der Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft begnügen darf oder im Falle, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft das Prozessgericht nicht überzeugt – entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht zur Sperrerklärung aufgestellten Grundsätzen32 – auf eine Entscheidung der zuständigen obersten Dienstbehörde33 dringen muss. Ein durchgreifender Grund dafür, die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Sonderhefte herauszugeben, insoweit anders zu behandeln, als eine Sperrerklärung im Sinne von § 96 ist (nach den vom Bundesverfassungsgericht – aaO – als von der Verfassung geboten angesehenen Maßstäben) allerdings nicht ersichtlich. Leuchten dem Gericht die Gründe für die Versagung nicht ein, hat es die Pflicht die behördliche Maßnahme in eigener Zuständigkeit auf ihre Vereinbarkeit mit den Regeln des Strafprozessrechts zu überprüfen und erforder-
32 33
BVerfGE 57 250, 288 f. Das ist beispielsweise das Landes-Innen-
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ministerium bei Polizeibeamten der Länder, der Bundesfinanzminister bei Zollbeamten.
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lichenfalls Gegenvorstellung zu erheben oder bei zulässigen Einzelfallentscheidungen nachgeordneter Behörden34 eine Entscheidung der obersten Dienstbehörde selbst herbeizuführen.35 Einzelheiten § 96, 79. Im Ergebnis wird sich die völlige Trennung der Sonderhefte über den Einsatz der 13 genannten technischen Maßnahmen oder eines Verdeckten Ermittlers nur in den Fällen unproblematisch durchhalten lassen, in denen das Ermittlungsverfahren schon bei der Staatsanwaltschaft durch Einstellung endet.36 Im Hauptverfahren wird die gesetzliche Regelung selbst dort Schwierigkeiten bereiten und – über die gesetzliche Regelung hinaus – zu diffizilen Einzelfallabwägungen zwingen, wo die Ermittlungserkenntnisse von der Staatsanwaltschaft – beispielsweise infolge anderweitiger Beweismittel – völlig herausgehalten werden sollen. Regelmäßig wird sich für das erkennende Gericht auch hier die Frage nach möglichen entlastenden Erkenntnissen stellen. Bei Überführung des Angeklagten auch mittels Erkenntnissen des Verdeckten Ermittlers oder des Einsatzes technischer Mittel sind die Sonderhefte in dem Umfang zur Verfahrensakte zu nehmen, in dem eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes ermöglicht wird. Anders lässt sich die Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse für das Prozessgericht nicht lösen. In der Praxis kann das bedeuten, dass vielfach lediglich die Identität des VE, nicht aber die Modalitäten seines Einsatzes geheim gehalten werden können. Dass hier die Grenzen fließend sind, macht die Entscheidung im Einzelfall zusätzlich schwer und schafft bei allem Bemühen des Gesetzgebers um eine generelle Regelung des Problems – wegen der revisionsrechtlichen Bedeutung insbesondere der verfassungsrechtlichen Schutzrechte des Beschuldigten – erhebliche Rechtsunsicherheit für alle Verfahrensbeteiligten.
III. Pflicht zur Kennzeichnung personenbezogener Daten (Abs. 3) Die Pflicht zur Kennzeichnung personenbezogener Daten, also „Einzelangaben über 14 persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“ (§ 3 Abs. 1 BDSG), nach Abs. 3 erstreckt sich auf sämtliche dieser Daten, die durch Maßnahmen nach Abs. 1 erhoben wurden. Diese Daten sind als solche zu kennzeichnen, um ihre Zweckbindung zu gewährleisten, weil mit Ausnahme des § 99 für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen die Verwendungsbeschränkung des § 477 Abs. 2 gilt.37 Im Regelfall ist dieser Kennzeichnungspflicht schon durch einfache Vermerke, wie z.B. Stempelaufdrucke, entsprochen;38 falls der Schutzzweck damit noch nicht erreicht wird, können im Einzelfall weitergehende Kennzeichnungen erforderlich werden. Über die bloße Bezeichnung der personenbezogenen Daten als solche hinaus muss die Kennzeichnung angeben, „aufgrund welcher Maßnahme und zweckmäßigerweise auch hinsichtlich welcher Katalogtat die Daten erlangt wurden.“39 Adressaten dieser Kennzeichnungspflicht sind die datenerhebende und die datenempfangende Stelle.40 Die Kennzeichnungspflicht erstreckt sich nach Abs. 3 Satz 2 auch auf Dritte, die als Übermittlungsempfänger verpflichtet sind, die schon bestehende Kennzeichnung aufrechtzuerhalten und bei einer Weiterleitung ihrerseits auf die bestehende Kennzeichnungspflicht hinzuweisen.41
34 35 36 37
Vgl. BVerfGE 57 250, 289, 290. BGHSt 42 175, 178; 32 115, 126; BGH NStZ 1993 248. KK/Nack 9. Vgl. HK-GS/Hartmann 3.
38 39 40 41
Meyer-Goßner 3; HK-GS/Hartmann 3; Bittmann DRiZ 2007 115, 118. KK/Nack 9. KK/Nack 9. HK-GS/Hartmann 3; BVerfGE 109 279, 379 f.
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IV. Benachrichtigungspflichten (Abs. 4, 5 und 6) 15
1. Allgemeines. Bei allen in Abs. 1 aufgeführten Ermittlungsmaßnahmen sind die Beteiligten von der Anordnung und den zu ihrer Durchführung getroffenen Maßnahmen42 zu benachrichtigen. Die Benachrichtigungspflicht besteht auch dann, wenn die Ermittlungsbehörden keine, oder doch nach ihrer Auffassung keine brauchbaren Erkenntnisse erlangt haben, weil etwa keine Post eingegangen oder kein aufzeichnungswertes Gespräch geführt wurde.43
16
2. Zweck der Benachrichtigung. Bei den in § 101 Abs. 1 genannten Maßnahmen ist es den betroffenen Personen im Regelfall nicht möglich, sich gegen die Maßnahme rechtlich zur Wehr zu setzen, weil sie davon zunächst keine Kenntnis erhalten (vgl. dazu § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Benachrichtigungspflicht dient der nachträglichen Gewährung rechtlichen Gehörs und verschafft dem Betroffenen die Möglichkeit, Anordnung und Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.44 Das BVerfG hat dazu unlängst ausgeführt, dass der Gesetzgeber bei der heimlichen Erhebung von Daten seiner Bürger zur Transparenz verpflichtet sei. Er habe Regelungen zur Information der von Datenerhebungen oder -nutzungen Betroffenen zu schaffen, da diese allgemein zu den elementaren Instrumenten des grundrechtlichen Datenschutzes gehörten.45 Nur durch die Information des Betroffenen kann ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden. Ohne zumindest nachträgliche Kenntnis können die Betroffenen weder eine Unrechtmäßigkeit der Datenverwendung noch etwaige Rechte auf Löschung, Berichtigung oder Genugtuung geltend machen.46 Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht kann der Gesetzgeber in Abwägung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter vorsehen. Sie sind jedoch auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken.47
17
3. Adressaten der Benachrichtigung. Abs. 4 Satz 1 bestimmt die Pflicht zur Benachrichtigung von einer Maßnahme nach Abs. 1. Diese Benachrichtigungspflicht besteht gegenüber den in Abs. 4 Satz 1 enumerativ genannten Adressaten. Im Einzelnen sind zu benachrichtigen
18
a) die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden (§§ 98a, 163d). Also diejenigen Personen, die im Ergebnis des positiven oder negativen Rastervorgangs bzw. der Schleppnetzfahndung zu den Treffern zählten und gegen die sodann herkömmliche (konventionelle) Ermittlungen (v.a. Vernehmungen) geführt wurden. Es ist dabei nicht maßgeblich, ob sich der Tatverdacht durch die weiteren Ermittlungen bestätigt hat.
19
b) der Absender und der Adressat der Postsendung (§ 99). Maßgeblich ist damit die auf der Sendung angebrachte Zweckbestimmung, welche Person als Absender oder
42
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KK/Nack 1; Meyer-Goßner 6; a.A. Eb. Schmidt 1 und Nachtr. II 2, der darunter nur die Vollstreckungsmaßnahmen versteht. BGHSt 36 305, 312 für eine Maßnahme nach § 100a während der Dauer der Hauptverhandlung; KK/Nack 5 1; Meyer-Goßner 6; Welp 114. Begründung des Regierungsentwurfs zum G10 BTDrucks. V 1880 S. 13; BGHSt 36
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305, 311; KK/Nack 1; Thommes StV 1997 657, 660; s. auch BTDrucks. 12 989 S. 43; SK/Wolter 1; vgl. zu § 101 BGHSt 36 305, 311 mit Anm. Hassemer in JuS 1990 587; Zöller ZStW 124 (2012) 411, 436. So BVerfGE 129 208 Rn. 226 m.w.N. BVerfGE 129 208 Rn. 226 m.w.N. BVerfGE 129 208 Rn. 227.
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Adressat fungieren soll. Die tatsächliche Empfangsperson, die den Brief bloß entgegennimmt, ohne Adressat zu sein, zählt daher nicht zum Kreis der zu benachrichtigenden Personen, auch nicht das befördernde Postunternehmen. Voraussetzung für die Benachrichtigungspflicht ist freilich stets, dass eine Postbeschlagnahme nach § 99 überhaupt vorliegt. Deshalb ist keine Benachrichtigung erforderlich, wenn ein Brief zwar geöffnet, aber nicht zurückbehalten und beschlagnahmt wurde.48 Bei Massenbriefsendungen darf regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die nur unerheblich betroffenen Absender kein Interesse an einer Benachrichtigung haben.49 c) die Beteiligten der überwachten Telekommunikation (§§ 100a und 100g). Beteilig- 20 ter bei Überwachung der Telekommunikation sind zunächst der Beschuldigte, wenn sich die Anordnung gegen ihn richtet, der Anschlussinhaber des Anschlusses, den der Beschuldigte benutzt (§ 100a Abs. 3 Alt. 1) und der Nachrichtenmittler (§ 100a Abs. 3 Alt. 2). Der Anschlussinhaber muss nicht benachrichtigt werden, wenn nur ein Telefonat eines Nachrichtenmittlers mit einem Dritten überwacht wurde.50 Allerdings ist der Diensteanbieter nicht Beteiligter.51 Beteiligt sind auch die Kommunikationspartner und die Mitbenutzer eines überwachten Anschlusses, also alle Anrufer und Angerufenen, in deren Rechte aus Art. 10 GG durch Anordnung oder Durchführung der Maßnahme eingegriffen wurde. Dies gilt auch, wenn das Gespräch nicht entscheidungserheblich war.52 Bei geschäftlichen Kontakten ist die inländische juristische Person zu benachrichtigen, wenn der Gesprächsteilnehmer für diese gesprochen und gehandelt hat, da auch diese gem. Art. 19 Abs. 3 GG den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG genießt.53 Nach diesen Grundsätzen könnte Beteiligter in diesem Sinne aber jede Person sein, die den überwachten Anschluss benutzt hat, sei es als Anrufer, sei es als Angerufener. Damit würde der Begriff „Beteiligter“ uferlos und könnte für die Benachrichtigung zu erheblichen praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten führen, weil Identifizierungsprobleme bestehen und die Anschrift häufig nur schwer zu ermitteln sein wird. Hinzu kommt, dass umfangreiche Ermittlungen bezüglich der Anschrift einen erneuten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bedeuten können und auch der Beschuldigte, gegen den der Verdacht sich nicht erhärtet hat oder der sonst als Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater besonders schutzwürdig ist, einen Anspruch darauf hat, dass die Tatsache, dass gegen ihn ermittelt worden ist, einer breiteren Öffentlichkeit nicht ohne Not bekannt wird. Soll der Frisör, mit dem der Beschuldigte telefonisch einen Termin vereinbart hatte, von der Überwachung dieses Gesprächs und damit zwangsläufig auch von dem gegen den Beschuldigten vorhanden gewesenen Verdacht unterrichtet werden müssen?54 Das ginge zu weit. Nach den vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz mitgeteilten Richtlinien des Generalbundesanwalts sind in dessen Geschäftsbereich von den Maßnahmen der Telefonüberwachung in jedem Fall der Beschuldigte und, falls keine Identität besteht, der Anschlussinhaber zu benachrichtigen. Ferner werden die bekannten Nutzer eines privaten Telefonanschlusses benachrichtigt. Dabei kann es sich z.B. um im Haushalt des Anschlussinhabers lebende Familienangehörige oder um Mitbewohner einer Wohngemeinschaft handeln. Die Benachrichtigungen sind an die Adresse der Wohnanschrift zu senden. Falls diese Person dort nicht mehr wohnt und die neue Adresse nicht bekannt ist, werden in der Regel keine
48 49 50
So OK/Hegmann 11 unter Verweis auf BTDrucks. 16 5846 S. 58. OK/Hegmann 12. So OK/Hegmann 13 unter Verweis auf BTDrucks. 16 5846 S. 58.
51 52 53 54
Meyer-Goßner 9; OK/Hegmann 13; Eb. Schmidt 2; a.A. KMR-Müller 2. OK/Hegmann 14; KK/Nack Rn 3. Vgl. OK/Hegmann 15. Beispiel von Thommes StV 1997 657, 660.
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Ermittlungen zur Feststellung des Aufenthaltsortes eingeleitet.55 Damit ist dem gesetzlichen Gebot der Benachrichtigung und den schutzwürdigen Belangen des Beschuldigten hinreichend Genüge getan.
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d) der Beschuldigte, gegen den sich die Maßnahme richtete (§ 100c). Wer Beschuldigter ist, ergibt sich auf Grund des gemischt objektiv-subjektiven Beschuldigtenbegriffs daraus, gegen wen die Strafverfolgungsbehörde subjektiv die Strafverfolgung betreiben will, soweit sich dieser Wille in einem objektiven Willensakt manifestiert. Zusätzlich muss sich die Maßnahme des § 100c auch gegen diesen Beschuldigten „richten“; der Beschuldigte muss also zudem Überwachungsobjekt sein.
22
e) sonstige überwachte Personen (§ 100c). Hierzu zählen grundsätzlich auch die Gäste und Personen, die sich zufällig in der abgehörten Wohnung aufhalten.56
23
f) Personen, die die überwachte Wohnung zur Zeit der Durchführung der Maßnahme innehatten oder bewohnten (§ 100c). Das sind der Inhaber der Wohnung, also ihr Eigentümer und ihr Mieter, selbst dann, wenn sie die Wohnung während der Überwachung nicht bewohnt, aber den Wohnzweck nicht aufgegeben haben, sowie alle sonstigen Bewohner.57 Wegen des Gebots einer grundrechtssensiblen Auslegung muss man hierzu selbst solche Personen rechnen, die die Wohnung ohne Rechtsgrundlage, also „schwarz“ bewohnen.
24
g) die Zielperson (§§ 100f, 100h Abs. 1, 100i, 110a, 163e und 163f). Zielperson ist die Person, gegen die sich die Ermittlungsmaßnahme ihrer Natur nach richtet, also derjenige, der durch die Maßnahme überwacht werden soll.58 Beim Verdeckten Ermittler wurde schon nach der alten Rechtslage, die eine Benachrichtigungspflicht nur für den Wohnungsinhaber, nicht aber für die Zielperson und sonst Mitbetroffene vorsah, eine ergänzungsbedürftige Regelungslücke gesehen,59 die durch analoge Anwendung der Benachrichtigungspflicht jedenfalls dann zu schließen sei, wenn sich die Unschuld des Beschuldigten herausgestellt habe oder Dritte unter dem Einfluss der Legende des Verdeckten Ermittlers Vermögensverfügungen getroffen hätten, die ihnen Schaden zugefügt hätten. Die Rechtsprechung hatte sich zu diesem Problem nicht geäußert, den Gesetzesmaterialien60 war allenfalls die Tendenz zu entnehmen, die Legende des Verdeckten Ermittlers weitestgehend zu schützen und diesem Schutz im Zweifel auch das Interesse Betroffener an rechtlichem Gehör nachzuordnen. Das Gesetz regelt diesen Interessenkonflikt heute genau umgekehrt, was gewisse Kritik verdient: Eine tragfähige Begründung dafür, betroffene Beschuldigte und Dritte im Regelfall von der Benachrichtigung über den Einsatz auszuschließen, ergibt sich aus der Erwägung, dass die Gefahr der Enttarnung des Verdeckten Ermittlers mit der Zahl derer steigt, die darüber aufgeklärt sind, dass sie einmal einem solchen Verdeckten Ermittler begegnet sind. Dennoch wird im Einzelfall, etwa dann, wenn die Ermittlungsmaßnahme bei einzelnen Betroffenen hohe Schäden verursacht hat, eine Abwägung mit deren Grundrechten aus Artt. 2 oder 14 GG zur Offenlegung der Maßnahme zwingen. Dass der Gesetzgeber – trotz der Gefahren für eine nachträgliche Enttarnung des VE – demgegenüber dem Betreten von Wohnungen eine so
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Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht – S. 56. OK/Hegmann 17.
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KK/Nack 14. Vgl. SK/Wolter 19; Meyer-Goßner 11. SK/Wolter 1; KK/Nack 3; KMR/Bär 5. Vgl. BTDrucks. 12 989 S. 43.
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herausragende – offenbar grundrechtsrelevante – Bedeutung beimisst, stellt einen gewissen Wertungswiderspruch zu der dem § 110c zugrundeliegenden Annahme (§ 110c, 23) dar, dass mit einer solchen Maßnahme in den Schutzbereich des Art. 13 GG gar nicht eingegriffen werde.61 h) die erheblich mitbetroffenen Personen (§§ 100f, 100h Abs. 1 und 163f). Hierzu 25 zählen alle nicht nur zufällig mitüberwachten Personen. Personen, die sich z.B. beim Vorbeigehen, lediglich in der Nähe der Zielperson aufhalten und nicht selbst Gesprächspartner sind, sind nur unerheblich mitbetroffen.62 Freilich ist der Begriff zu unbestimmt, weil er die beiden dem Gesetzgeber vorschwebenden Abgrenzungsbeispiele, die lediglich vorbeispazierenden gegenüber den sich für einige Zeit hinzugesellenden Personen, nicht trennscharf unterscheiden kann.63 i) die Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der Verdeckte Ermittler 26 betreten hat (§ 110a). Gemeint sind damit Wohnungsinhaber im Sinne von § 106 (dort Rn. 2). Mehrere Wohnungsinhaber sind – jeder für sich – zu benachrichtigen, nicht hingegen Personen, die – etwa als Hausbesetzer – die Wohnung rechtswidrig innehaben. Die ordnungsgemäße Erfüllung der Benachrichtigungspflicht setzt – schon wegen des nicht selten langen Zeitablaufs zwischen Einsatz und Benachrichtigung – eine zeitnahe, genaue Dokumentation des Einsatzes durch den Verdeckten Ermittler voraus.64 Selbst wenn im Betreten einer Wohnung durch einen Verdeckten Ermittler kein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung gesehen werden sollte (zur Problemlage siehe § 110c, 11) dürfte das durch Täuschung erreichte Betreten und heimliche Ausforschen der Wohnung doch einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG65 darstellen. Die Vorschrift gewinnt deshalb vor dem Hintergrund des Gebotes effektiven Rechtsschutzes gerade auch bei durchgeführten, erledigten Maßnahmen,66 zu denen der Betroffene vorher nicht gehört werden könnte, besondere Bedeutung (s. § 105, 129 ff.). Sie ist so auszulegen, dass diese Effektivität gewährleistet wird. j) die Person, deren personenbezogene Daten gemeldet worden sind (§ 163e). Darun- 27 ter fallen die Begleiter und Kfz-Führer nach § 163e Abs. 3.67 4. Umfang und Inhalt der Benachrichtigung. Diese Benachrichtigung muss inhaltlich 28 so weit gehen, dass nachträgliches rechtliches Gehör und die Möglichkeit gewährleistet sind, Anordnung und Maßnahme einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Die Beteiligten sind also nur soweit zu benachrichtigen, wie sie von ihnen betroffen sind.68 Daraus folgt, dass es nicht erforderlich ist, den Inhalt der Anordnung mit Einzelheiten und jede getroffene Maßnahme samt Ergebnis mitzuteilen. In der Regel wird etwa bei Überwachung des Fernmeldeverkehrs der Hinweis genügen, dass ein bestimmter An-
61
62 63
Vgl. die Erläuterungen zu § 110c; KK/Nack 4 spricht in diesem Zusammenhang von der Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. KK/Nack 15. Ebenso SK/Wolter 19; Bittmann DRiZ 2007 118; KMR/Bär 17; Puschke/Singelnstein NJW 2008 116.
64 65 66 67 68
Meyer-Goßner 13. BVerfGE 96 27 und 44; 100 313, 361. BVerfGE 96 27 und 44; 100 313, 361. SK/Wolter 22 unter Verweis auf die Kritik von Bittmann DRiZ 2007 118. BTDrucks. 12 989 S. 41.
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schluss während einer bestimmten Zeit gemäß §§ 100a, 100b StPO überwacht worden sei oder dass gemäß § 100c Abs. 3 in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Wohnung Gespräche überwacht und aufgezeichnet wurden. Der interessierte Betroffene kann dann Näheres durch Akteneinsicht über einen Rechtsanwalt oder einen Verteidiger erfahren. Soweit freilich Akteneinsicht nicht gewährt werden kann, müssen dem Beteiligten auf Verlangen die zur Anfechtung der Maßnahme erforderlichen Angaben gemacht werden. Dies kann im Einzelfall eine umfangreichere Unterrichtungspflicht (gerichtliche Entscheidung nach §§ 100a, 100b; Abhören und Aufzeichnung der einzeln aufzuführenden Gespräche) zur Folge haben. Da Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und 4 nicht auch § 100b und § 100d nennt, umfasst die Benachrichtigung auch nicht die dort genannten Modalitäten (wie die Beendigung bei § 100b Abs. 4 oder das tätig gewordene Gericht in § 100d Abs. 4). Der Umfang der Benachrichtigung wird auch davon abhängen, inwieweit durch eine detailliertere Mitteilung schutzwürdige Belange anderer berührt werden. So kann beispielsweise der Beschuldigte, insbesondere wenn der Verdacht sich nicht erhärtet hat, ein berechtigtes Interesse haben, dass seine (abgehörten) Gesprächspartner von diesem Verdacht nichts erfahren. Man denke nur an das Vertrauensverhältnis zwischen einem beschuldigten Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und seinen Mandanten. Ähnliche Konfliktlagen ergeben sich, wenn nicht der überwachte Anschlussinhaber telefoniert hat. Der betroffene Wohnungsinhaber ist von der Maßnahme nur soweit zu benachrich29 tigen, wie er von ihr betroffen wurde.69 Die Benachrichtigung muss ihn in die Lage versetzen, sein bisher unterbliebenes rechtliches Gehör geltend zu machen.70 Deshalb muss der Benachrichtigung Zeitpunkt und Dauer der Maßnahme hinreichend entnommen werden können. Allerdings ist auch dabei immer zu prüfen, inwieweit die in Abs. 5 genannten Gefahren ausgeschlossen werden können. War der Verdeckte Ermittler an einem bestimmten Tag möglicherweise der einzige Besucher einer Wohnung, so verbietet es sich, den genauen Tag mitzuteilen, wenn seine Identität immer noch geschützt werden muss. Ungeklärt ist, ob zu einer ordnungsgemäßen Benachrichtigung auch eine Begründung 30 der Maßnahme gehört.71 Da die Benachrichtigung den Betroffenen zunächst nur in die Lage versetzen soll, zu einer bereits durchgeführten Ermittlungshandlung rechtlich Stellung zu nehmen, kann eine Begründung der Maßnahme aufgeschoben werden, bis der Betroffene sich tatsächlich gegen den durchgeführten Einsatz wendet. Das ergibt sich schon aus der in Abs. 5 ausgesprochenen Verpflichtung, Gefährdungen der dort genannten Art weitgehend zu vermeiden. Gem. Abs. 4 Satz 2 ist in der Benachrichtigung zudem auf die Möglichkeit nachträg31 lichen Rechtsschutzes nach Abs. 7 und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen. 5. Zeitpunkt, Unterbleiben und Aufschub der Benachrichtigung
32
a) Allgemeines. Von der Benachrichtigungspflicht nach Abs. 4 sind Ausnahmen möglich, wenn die Kenntnis vom Eingriff dazu führen würde, dass dieser seinen Zweck verfehlt, wenn die Benachrichtigung nicht ohne Gefährdung von Leib oder Leben einer Person geschehen kann oder wenn ihr überwiegende Belange einer betroffenen Person
69 70
BTDrucks. 12 989 S. 41. BGHSt 36 305, 311, m. Anm. Hassemer JuS 1990, 587; KK/Nack 4.
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So SK/Wolter 12.
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entgegenstehen, etwa weil durch die Benachrichtigung von einer Maßnahme, die keine weiteren Folgen gehabt hat, der Grundrechtseingriff noch vertieft würde. Darüber hinaus hält es das BVerfG verfassungsrechtlich nicht für geboten, vergleichbar strenge Benachrichtigungspflichten gegenüber Personen zu begründen, die nur zufällig von einer Ermittlungsmaßnahme gegen einen Beschuldigten betroffen sind und somit nicht Ziel des behördlichen Handelns sind. Eine Benachrichtigung könne ihnen gegenüber im Einzelfall den Eingriff vielfach sogar vertiefen. In diesen Fällen kann eine Benachrichtigung grundsätzlich schon dann unterbleiben, wenn die Betroffenen von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurden und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an der Benachrichtigung haben.72 Ein fester Zeitpunkt für die Unterrichtung ist nicht bestimmt;73 dies ist deshalb in hohem Maße bedenklich, weil von diesem Zeitpunkt auch abhängt, ab wann die Sonderhefte über den Einsatz des Verdeckten Ermittlers zu den Strafakten zu nehmen sind. Die Auffassung, es sei denkbar, dass dies während des ganzen Strafverfahrens nicht der Fall sein könne,74 ist kaum hinzunehmen. b) Unterbleiben (Abs. 4 Satz 3–5). Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr über- 33 wiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. Zudem kann die Benachrichtigung einer in Satz 1 Nr. 2, 3 und 6 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Nach Abs. 4 Satz 3 unterbleibt die Benachrichtigung einer von einer heimlichen 34 Ermittlungsmaßnahme betroffenen Person, wenn der Benachrichtigung überwiegende schutzwürdige Belange einer anderen, von der Maßnahme ebenfalls betroffenen Person entgegenstehen. Dies ist etwa der Fall, wenn Gespräche des Beschuldigten mit einem an der Straftat unbeteiligten Geschäftspartner erfasst wurden.75 Das kann dazu führen, dass Personen nicht benachrichtigt werden dürfen, die durch eine Ermittlungsmaßnahme zufällig betroffen sind, aber nicht Anlass zu ihr gegeben haben. Dem BVerfG zufolge trägt Abs. 4 Satz 3 vor allem den Interessen des unmittelbar von der Ermittlungsmaßnahme Betroffenen Rechnung. Da zu diesem Zeitpunkt trotz vorhandenen Anfangsverdachts noch nicht feststeht, ob sich die Verdachtsmomente gegen ihn zu einem für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen hinreichenden Tatverdacht (§ 203) verdichten oder nicht, sei der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt mit Blick auf seine persönlichen und beruflichen Beziehungen besonders schutzbedürftig.76 Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des Abs. 4 Satz 3 die Erwägung des BVerfG aufgenommen, nach der es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, vergleichbar strenge Benachrichtigungspflichten gegenüber Personen zu begründen, deren Daten nur zufällig miterfasst wurden; in Bezug auf diese Personengruppe bedarf es von Verfassungs wegen keiner richterlichen Bestätigung der Abwägungsentscheidung über einen Ausschluss der Benachrichtigung nach Abs. 4 Satz 3. Die Abwägung zwischen den Interessen des Beschuldigten und des Nichtbeschuldigten bei der Entscheidung über dessen Benachrichtigung darf im Hinblick auf die vergleichsweise geringe Eingriffsintensität diesem gegenüber von Verfassungs wegen der Staatsanwaltschaft überlassen bleiben.77
72 73 74 75
So BVerfGE 129 208 Rn. 227 m.w.N. Kritisch dazu Krüger ZRP 1993 124, 125. HK/Lemke3 9 m.w.N. Vgl. BVerfGE 129 208 Rn. 230 unter Verweis
76 77
auf BTDrucks. 16 5846 S. 59; ferner MeyerGoßner 16. BVerfGE 129 208 Rn. 230. BVerfGE 129 208 Rn. 231.
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Nach Abs. 4 Satz 4 kann in den Fällen der Postbeschlagnahme (§ 99), der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a) und der Verkehrsdatenerhebung (§ 100g) die Benachrichtigung einer Person unterbleiben, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, wenn sie von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Das BVerfG hat auch diese Vorschrift verfassungsrechtlich nicht beanstandet, weil es bei lediglich unerheblichen Grundrechtseingriffen gegen Personen, die nicht Ziel behördlichen Handelns waren, keiner Bestätigung der Entscheidung, den Betroffenen hiervon nicht zu benachrichtigen, durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Instanz bedarf.78 Abs. 4 Satz 5 befasst sich mit der Fallgestaltung, dass die Identität einer von einer 36 heimlichen Ermittlungsmaßnahme betroffenen Person nicht bekannt ist, sodass eine Benachrichtigung praktisch nur erfolgen kann, wenn zuvor mittels entsprechender Nachforschungen ihre Identität festgestellt wird. Damit bezieht sich die Norm wie Abs. 4 Satz 4 nicht auf einen Beschuldigten, dessen Identität in diesem Stadium des Ermittlungsverfahrens bereits bekannt ist, sondern auf einen zufällig von der Ermittlungsmaßnahme betroffenen, nicht tatverdächtigen Dritten. In Bezug auf diese Personengruppe können Nachforschungen den Grundrechtseingriff sowohl für die Zielperson als auch für sonstige Beteiligte vertiefen. Nachforschungen zur Feststellung der Identität einer in Satz 1 bezeichneten Person sind daher nur dann vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist. Der Gesetzgeber durfte so die in Abs. 4 Satz 5 vorgesehene Entscheidung den Ermittlungsbehörden übertragen, zumal sich die Identität der betroffenen Personen häufig nur mit hohem Aufwand ermitteln lassen dürfte.79 c) Aufschub (Abs. 5)
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aa) Allgemeines. Absatz 5 Satz 1 stellt die Benachrichtigung unter drei alternative80 Vorbehalte. Sie erfolgt erst, muss dann aber auch erfolgen (vgl. BVerfG – Kammer – StV 2001 627), wenn eine Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten oder der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers nicht mehr zu besorgen ist. Abs. 5 Satz 2 ordnet an, dass eine Zurückstellung nach Satz 1 mit Gründen aktenkundig zu machen ist. Die Vorschrift des Satzes 1 mit ihrem differenzierten System, das den Grundsatz einer nachträglichen Benachrichtigung des Betroffenen verfassungsrechtlich tragfähig mit im Einzelfall ausnahmsweise entgegenstehenden überwiegenden Belangen in Ausgleich bringt, ist verfassungskonform.81 Ein fester Zeitpunkt für die Unterrichtung, etwa dahin, dass diese spätestens mit Abschluss der Ermittlungen zu erfolgen habe, ist damit nicht bestimmt,82 vielmehr gebietet die Vorschrift eine Abwägung der genannten Belange mit dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen. Erst wenn beim Einsatz nicht offen ermittelnder Beamter eine Gefährdungslage abgeklungen ist, darf die Benachrichtigung erfolgen.83 Wird zu einem relativ frühen Zeitpunkt benachrichtigt, kann es geboten sein, die Information des Betroffenen auf ein Minimum zu beschränken, während die Benachrichtigung zu einem späteren Zeitpunkt bei Abnehmen
78 79 80 81
BVerfGE 129 208 Rn. 232. BVerfGE 129 208 Rn. 233. BTDrucks. 12 989 S. 41. BVerfGE 129 208 Rn. 234 f.
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82 83
Kritisch dazu Krüger ZRP 1993 124, 125; instruktiv BVerfG – Kammer – StV 2001 627. BTDrucks. 12 989 S. 41; KK/Nack 24.
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der Gefahren im Sinne von Abs. 1 eine umfassendere Information ermöglichen kann. Die Vorschrift ist deshalb von großer Brisanz, weil von diesem Benachrichtigungszeitpunkt die viel gewichtigere Frage abhängt, ab wann beim Einsatz technischer Mittel die betreffenden Vorgänge zu den Akten genommen werden (Abs. 2); dazu oben Rn. 3 und 17 ff. Heute bestimmt Abs. 6 Satz 1 immerhin, dass weitere Zurückstellungen der gericht- 38 lichen Zustimmung bedürfen, in der das Gericht auch die Dauer weiterer Zurückstellungen bestimmt, wenn die nach Absatz 5 zurückgestellte Benachrichtigung nicht binnen zwölf Monaten (bzw. im Fall des § 100c: 6 Monate, vgl. Abs. 6 Satz 5) nach Beendigung der Maßnahme erfolgt. Zuständig ist nach Abs. 7 Satz 1 das für die Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht, im Übrigen das Gericht am Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft. Das Gericht kann nach Abs. 6 Satz 3 dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. Sind die Gründe für eine Zurückstellung der Benachrichtigung vorübergehender Natur, stellt Abs. 6 Satz 2 die dann in Zeitabständen gebotene wiederkehrende gerichtliche Kontrolle sicher und sorgt dafür, dass die Zurückstellung der an sich zu veranlassenden Benachrichtigung in zeitlicher Hinsicht auf das unbedingt Erforderliche begrenzt bleibt. Das Gericht bestimmt dann gemäß Abs. 6 Satz 2 eine weitere Zurückstellung und deren Dauer. Liegt hingegen ein Grund vor, der dauerhaft zur Suspendierung der Benachrichtigungspflicht führt, sieht Abs. 6 Satz 3 eine einmalige gerichtliche Kontrolle vor, um gegebenenfalls ein endgültiges Absehen von der Benachrichtigung zu ermöglichen.84 Das BVerfG hält es für verfassungskonform, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu wiederholten Prüfungen weiterer Zurückstellungen zu verpflichten, wenn sich an der eine Benachrichtigung hindernden Sachlage aller Wahrscheinlichkeit nach auf Dauer nichts ändern wird. Mit dem Tatbestandsmerkmal „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ habe er für die Prognose der Dauerhaftigkeit eine hinreichend hohe Hürde errichtet, um vorschnelle Beurteilungen wirkungsvoll zu verhindern.85 Bei mehreren Maßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang beginnt die in Satz 1 genannte Frist mit der Beendigung der letzten Maßnahme (Abs. 6 Satz 4). bb) Gefährdung des Untersuchungszwecks. Das Gesetz verwendet hier denselben Be- 39 griff wie bei der Beschränkung der Akteneinsicht bei § 147 Abs. 2 (s. § 147, 132 ff.), jedoch kommt es hier nur darauf an, ob zu erwarten ist, dass gerade mit Hilfe der noch nicht bekannt gewordenen Maßnahme noch beweiserhebliche Erkenntnisse erlangt werden können.86 Diese Erwartung entfällt regelmäßig, wenn die Maßnahme z.B. durch Aushändigung geöffneter Briefe bekannt wird87 sowie dann, wenn die Maßnahme beendet ist.88 Dass durch Akteneinsicht (Abs. 2!) der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte, weil beispielsweise durch die Maßnahmen erlangte Erkenntnisse Hinweise auf noch zu treffende andere Ermittlungsmaßnahmen geben, rechtfertigt die Nichtbenachrichtigung nach § 101 nicht; für diese Fälle ist die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 zu beschränken. Folgerichtig gilt die in § 147 Abs. 2 genannte zeitliche Zäsur (Abschlussvermerk) hier nicht, wenn ausnahmsweise die Maßnahme über diesen Zeitpunkt hinweg andauern oder etwa erst während der Hauptverhandlung angeordnet werden sollte. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf offene Ermittlungen 84 85 86
BVerfGE 129 208 Rn. 241. BVerfGE 129 208 Rn. 242. Meyer-Goßner 15, 17 f.
87 88
Meyer-Goßner 15, 17 f.; Welp 114. AK/Amelung 3.
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wie Durchsuchung oder Beschlagnahme ist abzulehnen (§ 98, 21 und § 105, 38). Die Sonderregelung für die Benachrichtigung bei den in Abs. 1 aufgezählten heimlichen Ermittlungen rechtfertigt es nicht, vom Gesetz als offen angelegte Maßnahmen heimlich vorzunehmen.
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cc) Gefährdung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten. Die Vorschrift schützt insbesondere V-Leute, nicht offen ermittelnde Polizeibeamte und Verdeckte Ermittler samt ihren Angehörigen vor Angriffen aus dem kriminellen Umfeld, die bei einer Offenlegung einer der genannten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu gewärtigen wären.89 Wie groß diese Gefahr im Einzelfall ist, wird regelmäßig schwer abzuschätzen sein. Auch wenn man von Polizeibeamten grundsätzlich eine erhöhte Gefahrtragungspflicht verlangt, wird dieser Grund doch häufig einer Mitteilung entgegenstehen.90 Auch ist das Tatbestandsmerkmal des „bedeutenden Vermögenswertes“ hinreichend bestimmt.91 Denn der Begriff des „Vermögenswertes“ wird in gesetzlichen Bestimmungen vielfach verwendet (z.B. in § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB oder in § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe m), § 100c Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe l), § 100d Abs. 5 Nr. 2 Satz 2 StPO). Somit sind bedeutende Vermögenswerte in Anlehnung an §§ 315c Abs. 1, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5, 305a Abs. 1 Nr. 1 StGB solche mit einem erheblichen Verkehrswert, den man nicht schon bei € 750, sondern wohl erst ab € 1.300 annehmen kann, wobei es sich dabei nicht um eine feste Grenze handelt und es nicht auf den Wert des eingetretenen, sondern auf den Umfang des in der Gefahrlage drohenden Schadens ankommt.92
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dd) Gefährdung der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers. Die Enttarnung eines nicht offen ermittelnden Beamten, der nicht notwendig ein Verdeckter Ermittler im Sinne des § 110a ff. zu sein braucht, macht dessen weiteren Einsatz im Bereich seiner seitherigen Tätigkeit in der Regel unmöglich. Damit gehen wichtige Ermittlungsmöglichkeiten verloren. Dies ist der Grund für die gesetzliche Regelung, zu deren Begründung im Gesetzentwurf des Bundesrates so gut wie nichts zu finden ist.93 Im Grenzfall könnte die Vorschrift freilich dazu führen, dass eine Unterrichtung über Jahre unterbleibt, solange nämlich der betreffende Beamte nicht offen ermittelt. Dies ist schon wegen der Folge für die Aktenvollständigkeit beim Einsatz technischer Mittel (Abs. 2) nicht hinzunehmen. Polizeiökonomische Erwägungen dürfen nicht dazu führen, dass dem Gericht wesentliche Erkenntnisquellen verschlossen bleiben.94 S. dazu oben Rn. 5 ff. Das BVerfG tendiert jüngst dazu, in der Abwägung zugunsten der Belange einer funk42 tionstüchtigen Strafrechtspflege und zulasten des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung eine gesetzliche Beschränkung der Benachrichtigungspflicht auch dauerhaft zu rechtfertigen.95 Wenn der Einsatz von Verdeckten Ermittlern unmöglich werde, weil eine Unterrichtung des Betroffenen in einem bestimmten Zeitraum den Betroffenen und sein Umfeld in die Lage versetzt, Rückschlüsse auf deren Identität zu ziehen, gingen wichtige Ermittlungsmöglichkeiten gerade dort verloren, wo die Aufklärung besonders schwierig ist und der Rechtsfrieden und die Sicherheit in besonderer Weise bedroht sind.
89 90 91 92
BTDrucks. 12 989 S. 41. Vgl. Krey Rechtsprobleme 574 ff. BVerfGE 129 208 Rn. 236. Vgl. Schönke/Schröder/Heine Vor §§ 306 ff., 14.
600
93 94
95
BTDrucks. 12 989 S. 41. KMR/Bockemühl 9 befürchtet, dass dieser Grund zum „Allheimittel“ für die Versagung der Akteneinsicht wird. BVerfGE 129 208 Rn. 237.
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In Abs. 5 Satz 1 sieht das BVerfG deshalb einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Benachrichtigungsinteresse des von einer heimlichen Ermittlungsmaßnahme Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates,96 dem auch das Urteil des BVerfG zur akustischen Wohnraumüberwachung (BVerfGE 109, 279) nicht entgegensteht. Denn dort war allein die Frage einer Suspendierung der Benachrichtigungspflicht bis zu dem Zeitpunkt, in dem die weitere Verwendung eines nicht offen eingesetzten Beamten nicht mehr gefährdet ist, Gegenstand der Entscheidung.97 Ein nicht offen ermittelnder Beamter ist jedoch kein Verdeckter Ermittler (vgl. § 110a, 11). Vor allem aber liegt der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nicht in den Händen der Polizei, sondern bedarf der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, in bestimmten Fällen sogar derjenigen des Ermittlungsgerichts (§ 110b Abs. 2 StPO), und es handelt sich um eine ultima ratio der Ermittlungsbehörden (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 3).98 6. Zuständigkeit. Die Benachrichtigung von der Anordnung der Maßnahmen und 43 ihrer Durchführung obliegt – obwohl im Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet – der Staatsanwaltschaft,99 auch soweit es sich um richterliche Anordnungen oder Maßnahmen zu ihrer Durchführung handelt, denn die Benachrichtigung ist eine Vollstreckungshandlung i.S. des § 36. Auch kann – jedenfalls im Ermittlungsverfahren – regelmäßig nur die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit der Polizei beurteilen, wann die Voraussetzungen für die Benachrichtigung vorliegen.100 Soweit der Richter ihm ausgelieferte Sendungen freigibt, veranlasst er deren Weiterleitung unmittelbar oder über die Staatsanwaltschaft. Die Post- und Telekommunikationsunternehmen dürfen von sich aus die Betroffenen nicht benachrichtigen.
V. Rechtsschutz (Abs. 7 Satz 2–4) 1. Allgemeines. Abs. 7 enthält eine Sonderregel für die Überprüfung der Rechtmäßig- 44 keit sowohl der Anordnung als auch der Art und Weise der Vollstreckung einer Maßnahme nach Abs. 1. Weil Abs. 7 Satz 2 den Rechtsschutz für die in Abs. 4 Satz 1 genannten betroffenen Personen „auch nach Beendigung der Maßnahme“ zulässt, tritt die Regelung des Abs. 7 in Konkurrenz zu den allgemeinen Rechtsbehelfen, namentlich zu dem Antrag entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 sowie zu Beschwerde, Berufung und Revision (dazu Rn. 63 f.). Die angefochtene Entscheidung wird in vollem Umfang in allen Voraussetzungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Ein Beurteilungsspielraum besteht entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder zur Frage des Tatverdachts noch zur Verhältnismäßigkeit (s. § 100a, 122), jedoch ist auf die Sicht des Entscheidungsträgers bei Erlass der Maßnahme abzustellen. Zu betonen ist auch hier, dass mit einer solchen Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit noch nichts Abschließendes über die Verwertbarkeit gesagt ist, weil dafür andere Kriterien gelten (s. zur fehlenden Bindungswirkung unten Rn. 59). Der Rechtsschutz nach Abs. 7 Satz 2 wird unabhängig vom Nachweis eines Rechtsschutzbedürfnisses gewährleistet.101
96 97 98
BVerfGE 129 208 Rn. 238. BVerfGE 129 208 Rn. 239; BVerfGE 109, 279, 289 f., 366. BVerfGE 129 208 Rn. 240.
99 100 101
Vgl. dazu auch Rn. 9 zu § 106. BTDrucks. 12 989 S. 41; KK/Nack 4. Vgl. OLG Zweibrücken NJW-Spezial 2010 442; HK-GS/Hartmann 12.
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2. Keine abschließende Sonderregelung. Weil den Betroffenen gerade unter Verzicht auf den Nachweis eines Rechtsschutzbedürfnisses stets die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Maßnahmen nach Abs. 1 eröffnet werden sollte, verdrängt die Antragsmöglichkeit nach Abs. 7 Satz 2 nicht solche Rechtsbehelfe, die weitergehenden Voraussetzungen unterliegen, wie etwa namentlich der nachträgliche Rechtsschutz entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2.102 Die Gegenauffassung des BGH, die in der Antragsmöglichkeit nach Abs. 7 Satz 2 jedenfalls bei bereits beendeten Maßnahmen eine abschließende Sonderregelung erkennen will, kann nicht überzeugen.103 Seine Zurückhaltung bei der Anerkennung anderer Rechtsschutzmöglichkeiten neben dem Antrag nach Abs. 7 Satz 2 begründet der BGH damit, dass ansonsten das vom Gesetzgeber erstrebte Ziel eines harmonischen Gesamtsystems des Rechtsschutzes gegen heimliche Ermittlungsmaßnahmen nicht umgesetzt werden könne. Denn die kurze Frist des Antrags nach Abs. 7 Satz 2 werde durch die Anerkennung anderer Rechtsbehelfe konterkariert, was zudem für die Absicherung einer baldigen Löschung der durch die Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten wenig hilfreich sei.104 Diese Argumentation steht freilich auf tönernen Füßen, wenn man bedenkt, dass das BVerfG gerade die vom BGH so entscheidend vorgetragene Verfristung von Rechtsbehelfen gegen erledigte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen dann nicht als maßgeblichen Ausschlussgrund ansieht, wenn damit Bedeutung und Reichweite des Rechtsschutzanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG verkannt wird. In zeitlicher Hinsicht geht das BVerfG davon aus, dass bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres ab der Bekanntgabe der Maßnahme das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfällt, soll das von der Prozessordnung eröffnete Rechtsmittel nicht ineffektiv werden.105 Dem BGH ist auch darin zu widersprechen, wenn er die insoweit eindeutige Gesetzesbegründung für Abs. 7 Satz 2 als weitere Rechtsschutzmöglichkeit für missverständlich hält.106 Und schließlich ist es auch nicht von der Hand zu weisen, dass es Personen geben kann, die von der Maßnahme betroffen wurden, aber in Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–12 nicht genannt sind, sodass ihnen der Rechtsschutz nach allgemeinen Regeln auf Grund Art. 19 Abs. 4 GG nicht versagt werden kann.107
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3. Gegenstände der gerichtlichen Überprüfung. Nach Abs. 7 Satz 2 erstreckt sich der Rechtsschutz auf „die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs“. a) Art und Weise des Vollzuges
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aa) Zeitpunkt und Zurückstellung der Benachrichtigung. Die Entscheidungen über den Zeitpunkt und die Zurückstellung der Benachrichtigung nach Abs. 5 und die Führung der Akten nach Abs. 2 betreffen die Art und Weise der Durchführung der einzelnen Maßnahmen. Soweit es sich dabei um eine staatsanwaltschaftliche Entscheidung handelt, kann der Betroffene den Antrag nach Abs. 7 Satz 2 stellen, auch wenn die Maßnahme bereits erledigt ist. Das Problem dieser Fälle ist freilich, dass der Betroffene dazu erst in
102
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Ebenso RegE TKÜ, 141; BTDrucks. 16 5846 S. 62; SK/Wolter 39, 50; HK-GS/Hartmann 12; HK/Gercke 16; KMR/Bär 34; Meyer-Goßner 26; A.A. Meyer-Goßner 26a; Puschke/Singelnstein NJW 2008 113, 116; Nöding StraFo 2007 463. Vgl. dazu und im Folgenden BGHSt 53 1; dazu Glaser JR 2010 423.
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BGHSt 53 1, 4 ff. unter Verweis auf BTDrucks. 16 5846 S. 62, 91. BVerfG NStZ 2009 166 (für Maßnahmen nach § 102 und § 100g). HK-GS/Hartmann 12 unter Verweis auf RegE TKÜ, 141; BTDrucks. 16 5846 S. 62. So HK-GS/Hartmann 12; Kritisch auch Puschke/Singelnstein NJW 2008 113, 116.
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der Lage sein wird, wenn die Benachrichtigung stattgefunden hat, er also allenfalls die verspätete oder auch eine unzureichende Benachrichtigung beanstanden kann. Vom Gesetzgeber ersichtlich nicht bedacht und bis jetzt auch in der Rechtsprechung 48 noch nicht erörtert ist die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Staatsanwaltschaft die Aufrechterhaltung der Sonderhefte mit der Notwendigkeit begründet, die Identität eines Verdeckten Ermittlers müsse nach § 110b Abs. 3, § 96 geheim gehalten werden. Für diese Fälle hat die Sperrung der Auskunft durch die oberste Dienstbehörde des eingesetzten Beamten108 zu erfolgen und diese kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angegriffen werden.109 S. dazu oben Rn. 8. Die richterliche Zustimmung zur Zurückstellung der Benachrichtigung nach Ablauf 49 von zwölf Monaten nach Abs. 6 Satz 1 ist eine mit dem Antrag nach Abs. 7 Satz 2 oder mit der Beschwerde anfechtbare gerichtliche Entscheidung. Ein Rechtsschutzbedürfnis dafür wird wegen des Gewichts des Eingriffs und dem dadurch bedingten Interesse an alsbaldiger Benachrichtigung hiervon auch nach erfolgter Benachrichtigung zu bejahen sein, da der Betroffene in der Regel erst durch die Benachrichtigung von den getroffenen Maßnahmen einschließlich der Verlängerungsentscheidung erfährt. Der Wohnungsinhaber kann sich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach 50 Abs. 7 Satz 2 dagegen wenden, dass die Staatsanwaltschaft ihn zu spät vom Einsatz eines Verdeckten Ermittlers in seiner Wohnung benachrichtigt hat. Auch kann er mit diesem Rechtsbehelf geltend machen, dass eine erfolgte Unterrichtung nicht ausreichend im Sinne der Ausführungen oben Rn. 29 gewesen sei. bb) Aktenführung, Abs. 2. Lehnt es die Staatsanwaltschaft wegen fortdauernder Ge- 51 fährdungslage ab, Sonderhefte zu den Strafakten zu geben, muss dies der Angeklagte anfechten können. Seine Interessenlage entspricht weitgehend der bei einer Sperrerklärung nach § 96. Fraglich kann nur der Rechtsweg sein. An sich geht es um Modalitäten beim Einsatz von Zwangsmaßnahmen, deren Anordnung nicht in die Kompetenz des Richters fällt, sodass der Antrag nach Abs. 7 Satz 2 am Platze wäre. Soweit freilich die Sperrung der Akten erfolgt, weil Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung Leib oder Leben einer Person sowie die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde, sind für die Aktensperrung dieselben Gründe maßgeblich wie für die Geheimhaltung der Identität des Verdeckten Ermittlers gemäß § 110b Abs. 3 Satz 3. Für diesen Fall ist aber für die Erteilung einer Sperrerklärung die oberste Dienstbehörde der zu schützenden Person zuständig (§ 110b, 20). Will die Staatsanwaltschaft die Freigabe der Sonderhefte aus den in § 110b Abs. 3 Satz 3 genannten Gründen vermeiden, hat sie deshalb die Sperrerklärung der für den Beamten zuständigen obersten Dienstbehörde herbeizuführen. Diese kann der Betroffene mit der verwaltungsgerichtlichen Klage anfechten. Dazu und zum Inhalt der Sperrerklärung wird auf die Erläuterungen zu § 96, 55 ff., 102 ff. verwiesen. In der Sache könnte dies freilich zu einer schwer erträglichen Spaltung des Rechts- 52 wegs führen, weil dann je nachdem, ob die Ablehnung, die Sonderhefte zu den Strafakten zu geben, mit den Voraussetzungen des § 110b Abs. 3 Satz 3 oder mit der übrigen Voraussetzung des § 101 Abs. 5, der Gefährdung des Untersuchungszwecks, begründet wird, der Verwaltungsrechtsweg oder der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach
108 109
BGHSt 41 36. BGHSt 44 107 m. Anm. Katholnigg NStZ 1999 40.
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Abs. 7 Satz 2 gegeben ist. Der Gesetzgeber hat diese Problematik ersichtlich nicht gesehen, die Rechtsprechung hat dazu noch nicht Stellung nehmen können.
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b) Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Über die Art und Weise des Maßnahmenvollzuges hinaus gewährleistet Abs. 7 Satz 2 dann aber vor allem einen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Damit sind alle Anforderungen der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit gemeint. Es gilt der normale öffentlich-rechtliche Prüfungsmaßstab; Abschwächungen in der Überprüfung, wie sie etwa im Rahmen des § 113 StGB („strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff“) anerkannt sind, gibt es nicht. Welche formellen und materiellen Bezugspunkte diese vollumfängliche Rechtmäßigkeitsprüfung aufweisen kann, soll anhand einiger, keineswegs abschließend zu verstehender Beispiele verdeutlicht werden.
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aa) Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln außerhalb oder innerhalb einer Wohnung (§§ 100c Abs. 1, 100f Abs. 1). Zuständig ist bei der akustischen Wohnraumüberwachung vor Erhebung der öffentlichen Klage die Spezialstrafkammer als das für die Anordnung zuständige Gericht, danach das mit der Sache befasste Gericht. Letzteres kann über die Rechtmäßigkeit in der das Verfahren abschließenden Entscheidung befinden. Die zusätzliche Antragsmöglichkeit nach Abs. 7 Satz 2 gestattet die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auch in Fällen der sog. prozessualen Überholung, schließt auch die Art und Weise des Vollzugs ein und erklärt bis zur Erhebung der öffentlichen Klage den Richter für zuständig, der die Maßnahme angeordnet hat oder – in Fällen der Anfechtung des Vollzugs – für deren ordnungsgemäße Durchführung verantwortlich war. Für die (selten praktisch werdende) Anfechtung andauernder Maßnahmen gelten 55 keine Besonderheiten. Gegen die gerichtliche Anordnung oder Verlängerungsentscheidung ist der Antrag nach Abs. 7 Satz 2 oder die Beschwerde nach allgemeinen Grundsätzen zulässig. Die Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel werden seitens des Betroffenen mit dem Ziel der Aufhebung der getroffenen Maßnahmen eingelegt. Sollte in einem solchen Fall, was ebenfalls kaum vorstellbar ist, die Art und Weise der Vollstreckung der Anordnung während deren Dauer angegriffen werden, ist der Richter nach Abs. 7 Satz 2 zuständig, in den Fällen des § 100c Abs. 1 die Spezialstrafkammer. Von größerer praktischer Bedeutung ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der 56 Anordnung und der Art und Weise der Vollstreckung, wenn die Maßnahme bereits vollzogen ist. Hier greift heute für alle in Abs. 1 genannten Maßnahmen die Rechtsschutzmöglichkeit nach Abs. 7 Satz 2. Ebenso wie die Überwachung der Telekommunikation (§ 100b, 3) ist das Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln außerhalb oder innerhalb einer Wohnung ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Rechtsschutzes. Der Richtervorbehalt soll gerade auch in den Fällen der vorliegenden Art präventiven Rechtsschutz garantieren, da eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Maßnahme deren Erfolg vereiteln würde. Zu beachten ist, dass bei § 100c Abs. 1 anders als bei § 100f Abs. 1 keinerlei Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und erst Recht keine ihrer Ermittlungspersonen besteht. Zur Bedeutung des Richtervorbehalts bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen s. § 105, 25 ff. und Vor § 94, 1; zum Umfang der Überprüfung s. § 105, 132.
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bb) Einsatz technischer Mittel für Observationszwecke (§ 100h Abs. 1 Nr. 2). Gleiches gilt für diese Maßnahmen. Sie haben Eingriffscharakter, wie sich schon aus der vorsichtigen gesetzlichen Regelung ersehen lässt, wonach Voraussetzung des Einsatzes ist,
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dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung Gegenstand des Verfahrens ist, eine Subsidiaritätsklausel gilt und der Betroffene gemäß § 101 nachträglich über die Maßnahme zu unterrichten ist. Bedenkt man die Eingriffstiefe etwa bei einer mit der GPS-Technik vorgenommenen Observation mit der Erhebung einer Vielzahl persönlicher Daten (Bewegungsbild) liegt ein tiefgreifender Grundrechtseingriff auf der Hand, sodass auch nach Erledigung der Maßnahme noch ein Rechtschutzbedürfnis auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit besteht. Die Erl. zu § 105, 130, 133; § 98, 50 gelten entsprechend. 4. Sachliche und örtliche Zuständigkeit. Stets bis zur Anklageerhebung und auch 58 danach, soweit es dann noch nicht zu einer Benachrichtigung der betroffenen Person nach Abs. 4 gekommen ist, ist gem. Abs. 7 Satz 4 das in Satz 1 bezeichnete Gericht zuständig. Dabei handelt es sich nach Abs. 7 Satz 1 um „das für die Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht, im Übrigen das Gericht am Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft“. Sachlich zuständig ist damit regelmäßig der Ermittlungsrichter, für Maßnahmen nach § 100c die Spezialstrafkammer am LG nach § 74a Abs. 4 GVG.110 Die Formulierung „im Übrigen“ meint den Fall, dass für die Anordnung der Maßnahme wie im Fall der §§ 100h Abs. 1, 110b Abs. 1 kein Richtervorbehalt besteht.111 Das Prozessgericht wird als „das mit der Sache befasste Gericht“ also erst dann zuständig, wenn es ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung auch zu einer Benachrichtigung des Betroffenen gekommen ist. Damit wird sichergestellt, dass sich das Prozessgericht nicht mit Umständen befasst, von denen der Angeklagte nichts weiß und sich dementsprechend auch nicht äußern kann.112 Eingereicht werden kann der Antrag aber stets beim iudex a quo, also beim anordnenden Gericht.113 Wird der Antrag nach Abs. 7 Satz 2 früh, also vor dem Zeitpunkt der Anklageerhebung bzw. der Benachrichtigung gestellt, so ist nach Abs. 7 Satz 4 eigentlich das anordnende Gericht zuständig; allerdings geht dessen Zuständigkeit dann auf das Prozessgericht über, sobald die Anklageerhebung und die Benachrichtigung erfolgen und zudem mit dem BGH ansonsten eine Gefahr divergierender Entscheidungen bestünde.114 Mit Eintritt der Rechtskraft hält das OLG Koblenz wieder das für die Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht für zuständig, da es ein mit der Sache befasstes Gericht i.S.d. Abs. 7 Satz 4 nicht mehr gebe.115 An der Richtigkeit dieser Auffassung ändert auch die Existenz der Strafvollstreckungskammern nach §§ 78a f. GVG nichts. Diese Grundsätze des Zuständigkeitswechsels gelten auch für Drittbetroffene, die nicht selbst Beteiligte des Hauptverfahrens, wohl aber in eigener Person nach Abs. 7 Satz 2 antragsberechtigt sind.116 Damit besteht die Gefahr, dass Dritte den Prozessverlauf mit einer Antragsstellung nach Abs. 7 Satz 2 unter Umständen erheblich verzögern, was im Einzelfall eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zur Folge haben kann.117 Ist der Dritte von einer einheitlichen Überwachungsmaßnahme betroffen, die mehreren Hauptverfahren gegen unterschiedliche Angeklagte zugrunde liegt, so soll der Dritte die Wahl haben, wo er seinen Antrag stellt.118 Aus Gründen der Prozessökonomie muss man dem Gericht des komplexeren Hauptverfahrens aber die Möglichkeit eröffnen, sich unter Verweisung auf ein anderes, weniger belastetes Hauptverfahren für unzuständig zu erklären.
110 111 112 113 114
HK-GS/Hartmann 12; Meyer-Goßner 25; SK/Wolter 42. HK-GS/Hartmann 9. BVerfGE 109 279, 370. Ebenso HK-GS/Hartmann 12. BGH NStZ 2009 399; HK-GS/Hartmann 12.
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OLG Koblenz StV 2010 562; ebenso HK-GS/Hartmann 12. BGHSt 53 1; Meyer-Goßner 25; HK-GS/Hartmann 12. Vgl. KK/Nack 37; HK-GS/Hartmann 12. Vgl. HK-GS/Hartmann 12.
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5. Bindungswirkung. Soweit das anordnende Gericht nach Abs. 7 Satz 1 entscheidet, entfaltet diese Entscheidung keine Bindungswirkung für das Hauptverfahren.119 Das Prozessgericht entscheidet über die Rechtmäßigkeit einer Überwachungsmaßnahme im Rahmen der von ihm vorzunehmenden beweisrechtlichen Prüfung daher stets autonom, ohne an das womöglich bestehende Präjudiz des Ermittlungsrichters gebunden zu sein. Diese Grundannahme hat zwei denkbare Szenarien zur Konsequenz: In Konstellation 1 hat das anordnende Gericht die Maßnahme für rechtswidrig oder rechtmäßig erklärt, das Prozessgericht im Rahmen des Endurteils aber genau umgekehrt entschieden. In Konstellation 2 kam es zu einer Antragstellung nach Anklageerhebung und Benachrichtigung, sodass das Prozessgericht im Endurteil sowohl isoliert über die Rechtmäßigkeit nach Abs. 7 Satz 4 entschieden hat als auch über die beweisrechtliche Verwertbarkeit hieraus gewonnener Erkenntnisse. In beiden Fällen ist die gerichtliche Entscheidung nach Abs. 7 Satz 2 – gleich, ob sie isoliert erfolgt oder im Endurteil steckt – gemäß Abs. 7 Satz 3 von jedem Betroffenen i.S.d. Abs. 4 mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, während das Urteil als solches nur mit den statthaften Rechtsmitteln der Berufung und Revision angefochten werden kann. Die Rechtmäßigkeit ein und derselben Überwachungsmaßnahme kann also auf zwei verschiedenen Rechtswegen überprüft werden.120 Die Eröffnung eines einheitlichen Rechtswegs für Betroffene i.S.d. Abs. 7 Satz 2 und für sonstige Anfechtungsberechtigte gem. § 296 Abs. 1 hätte hingegen kaum annehmbare Folgen: Betroffene i.S.d. Abs. 7 Satz 2, erst recht Drittbetroffene, wären gleich zu behandeln wie Revisionsberechtigte, das einheitliche Rechtsmittel müsste auch dann statthaft sein, wenn das Urteil im revisionsrechtlichen Sinne nicht auf der fehlerhaften Überwachungsmaßnahme beruht usw. § 336 Satz 2 schließt die Überprüfung der Verwertbarkeit der durch die Überwachungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse in der Revision ebenso wenig aus wie § 305 Satz 1 die Beschwerdemöglichkeit gegen eine in oder neben dem Urteil getroffene Entscheidung nach § 101 Abs. 7 Satz 2.121
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6. Frist. Nach Abs. 7 Satz 2 beträgt die Frist zur Antragstellung „bis zu zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung“ über die Maßnahme nach Abs. 4. Begründet wurde diese kurze Frist mit dem Umstand, dass eine Löschung der erlangten Daten nach Abs. 8 und der zugrunde liegenden Rechtsprechung des BVerfG erst erfolgen darf, wenn die Daten für eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr benötigt werden.122 Die damit zum Ausdruck gebrachte bloße Garantie einer Berücksichtigungsmöglichkeit im Hauptverfahren ändert aber nichts daran, dass diese Kürze der Frist die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes – gerade angesichts der Möglichkeit zur Datensperrung nach Abs. 8 Satz 3 – zu konterkarieren droht.123 Daher werden in der Literatur zu Recht längere Fristen von sechs oder acht Wochen vorgeschlagen, mit denen auch dem erhöhten Risiko von Wiederaufnahmeanträgen gem. § 44 entgegengewirkt werden kann.124 Weil der Fristbeginn keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Antragstellung darstellt und der Antrag nach Abs. 7 Satz 2 damit auch zulässig ist, wenn der Betroffene nicht durch die Benachrichtigung nach Abs. 2, sondern auf andere Weise von der Maßnahme
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Ebenso HK-GS/Hartmann 13 unter Verweis auf RegE TKÜ, 142; BTDrucks. 16 5846 S. 63; SK/Wolter 44; ders., FS Küper 710. BGHSt 54 30; Meyer-Goßner 26; HK-GS/Hartmann 13. Krit. Böse FS Amelung 576; a.A. Meyer-Goßner 25.
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BGHSt 54 30; Glaser JR 2010 423. So HK-GS/Hartmann 14 unter Verweis auf RegE TKÜ, 143, BTDrucks. 16 5846 S. 63 und BVerfGE 109 279, 380 ff. Kritisch auch SK/Wolter 40. Vgl. HK-GS/Hartmann 14.
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erfährt, ist es geboten, den Antrag mit dem beschränkten Inhalt des § 491 Abs. 1 zu bescheiden, damit der Antrag nicht zur Ausforschung der Ermittlungstätigkeit missbraucht wird.125
VI. Löschungspflichten (Abs. 8) 1. Löschungspflicht (Abs. 8 Satz 1, 2). Durch die Maßnahmen nach Abs. 1 erlangte, 61 für Zwecke der Strafverfolgung nicht mehr erforderliche personenbezogene Daten sind – wegen ihrer allgemeinen Sachleitungsbefugnis nach §§ 160, 161 – unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft, ab Übergang der Verfahrensherrschaft an das mit der Sache befasste Gericht durch dieses,126 unter Anfertigung einer Niederschrift hierüber unverzüglich zu löschen.127 Diese Niederschrift über die erfolgte Löschung, die Art und Umfang der gelöschten Daten angeben muss, ihren Inhalt aber nur in allgemeiner, abstrakt-generalisierender Form,128 ist zu den Akten zu nehmen (Abs. 8 Satz 2). Auch die durch die Maßnahme erlangten Unterlagen sind unverzüglich unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten, sofern sie personenbezogene Daten enthalten und wenn sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind.129 Sind die erlangten personenbezogenen Daten zwar strafprozessual nicht mehr erforderlich, aber im präventivpolizeilichen Sinne weiterhin von Belang, so hat die Löschung zu unterbleiben.130 Prüfungsfristen für die Löschung ergeben sich aus § 489 Abs. 4, u.U. auch aus § 32 Abs. 3 BKAG.131 Zu beachten ist, dass dem Löschungsgebot des § 101 Abs. 8 die §§ 100c Abs. 5 Satz 2, 4 und 100a Abs. 4 Satz 3, 4 als leges speciales vorgehen.132 2. Zurückstellung der Löschung; Sperrung der Daten (Abs. 8 Satz 3). Wenn die 62 Löschung lediglich für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme zurückgestellt ist, dürfen die Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nur zu diesem Zweck verwendet werden; sie sind entsprechend zu sperren. Diese Regelung entspricht dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, weil eine Nachprüfung des Vorgangs nach Vernichtung der Unterlagen nur noch eingeschränkt möglich ist. Eine Abstimmung der Löschungsund Vernichtungspflicht mit der Rechtsschutzgarantie ist hier in der Weise erfolgt, dass dann, wenn der Betroffene ein ernsthaftes – grundsätzlich zu vermutendes – Interesse an Rechtsschutz oder an der Geltendmachung seines Datenschutzrechts gegenüber der zuständigen Stelle haben kann, die Daten einstweilen nicht gelöscht, wohl aber gesperrt werden und zu keinem anderen Zweck als dem zur Information des Betroffenen und zur gerichtlichen Kontrolle verwendet werden dürfen. Eine Vernichtung kommt erst dann in Betracht, wenn sichergestellt sei, dass die Daten für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht oder nicht mehr benötigt werden.133 Im Übrigen wurde die ganz grundsätzliche Frage nicht gesehen, ob durch die datenschutzrechtlich geboten erscheinenden Löschungspflichten deshalb eine Rechtsschutzverkürzung für den Angeklagten eintreten kann, weil ihm durch die Löschung die Möglichkeit genommen
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So KK/Nack 34. Vgl. ferner HK-GS/Hartmann 14; SK/Wolter 39; Bittmann DRiZ 2007 115, 119; Meyer-Goßner 25a. Meyer-Goßner 28; HK-GS/Hartmann 15. Vgl. BTDrucks. 15 4533 S. 17; 16 5846 S. 63; Meyer-Goßner 28; SK/Wolter 46; HK-GS/Hartmann 15.
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Vgl. HK-GS/Hartmann 15. Vgl. SK/Wolter 48. KK/Nack 39. HK-GS/Hartmann 15. SK/Wolter 45; HK-GS/Hartmann 15. Vgl. BVerfGE 109 279 unter Verweis auf BVerfGE 100 313, 400.
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wird, an sich zu löschendes Material entlastend zu verwerten oder später bei einer Wiederaufnahme heranzuziehen, wenn durch neue andere Beweismittel auch der Beweiswert der gelöschten Daten anderes Gewicht bekommt.
VII. Revision 63
1. Verstoß gegen die Benachrichtigungsvorschriften (Abs. 4) kann die Revision nur begründen, wenn dadurch die Verteidigung in einer Weise beeinträchtigt wurde, die sich auf das Urteil ausgewirkt haben kann.
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2. Werden Sonderhefte nicht freigegeben, kann die Revision mit der Aufklärungsrüge geltend machen, das Gericht habe sich nicht oder nicht ausreichend um deren Freigabe, insbesondere um eine fehlerfreie Sperrerklärung bemüht. Die Erläuterungen zu § 96, 112 gelten entsprechend.
§ 102 Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.
Schrifttum zu §§ 102–110 Achenbach Zu den Anforderungen an die Konkretisierung der richterlichen Anordnung einer Kontrollstelle und zum Anfechtungsrecht des an einer Kontrollstelle Durchsuchten, NStZ 1989 82; Amelung Der Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe und die neue Rechtsprechung zur Ausweitung des Eingriffsbegriffs bei staatlichen Ermittlungsmaßnahmen, StV 2001 131; ders. Die Entscheidung des BVerfG zur „Gefahr im Verzug“ i.S. des Artikel 13 II GG, NStZ 2001 337; ders. Grundfragen der Verwertungsverbote bei beweissichernden Haussuchungen im Strafverfahren, NJW 1991 2533; ders. Zur Frage des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, insbesondere bei schon vollzogenen richterlichen Durchsuchungsanordnungen, JR 1997 384; ders. Probleme der Einwilligung in strafprozessuale Grundrechtsbeschränkungen, StV 1985 257; ders. Entwicklung, gegenwärtiger Stand und zukunftsweisende Tendenzen der Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, FS II BGH 911; ders. Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsrechtsguts (1981); App Maßnahmen gegen eine Durchsuchung in Steuerstrafsachen, StW 1992 300; ders. Die Entscheidung des BVerfG zur „Gefahr im Verzug“ i.S. des Art. 13 II GG, NStZ 2001 337; Asbrock „Zum Mythos des Richtervorbehalts“ als wirksames Kontrollinstrument im Zusammenhang mit besonderen polizeilichen Eingriffsbefugnissen, KritV 1997 255; G. Bachmann Einheitlicher Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren, NJW 1999 2414; H. Bachmann Beschlagnahme von Mandantenunterlagen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, Stbg 1986 157; Bandisch Formulare und Formeln in der Praxis der Durchsuchung, AnwBl. 1992 355; 436; ders. Mandant und Patient, schutzlos bei Durchsuchung von Kanzlei und Praxis? AnwBl. 1987 436; Bär Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996 675; ders. Durchsuchungen im EDV-Bereich, CR 1995 158; ders. Durchsuchungen im EDV-Bereich, CR 1995 227; ders. Polizeilicher Zugriff auf kriminelle Mailboxen, CR 1995 489; ders. Rechtsschutzmöglichkeiten bei Durchsuchung und Durchsicht von EDV-Anlagen und Anwendbarkeit des StPO § 110 auf tech-
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nische Papiere, CR 1996 37; ders. Zur Frage der Durchsuchung von Mailboxen, CR 1996 490; Baur Aktuelle Probleme im Steuerstrafrecht, Steuerberaterkongreß-Report 1996 325; Bauwens Schutz der Mandantenakten bei Durchsuchungen in der Kanzlei des Steuerberaters, wistra 1988 100; Beichel/ Kieninger „Gefahr im Verzug“ auf Grund Selbstausschaltung des erreichbaren, jedoch „unwilligen“ Bereitschaftsrichters, NStZ 2003 10; Benfer Die Haussuchung im Strafprozess, Diss. Bochum 1980; ders. Die strafprozessuale Haussuchung als implizierte Befugnis, NJW 1980 1611; Beulke Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen, ZStW 103 (1991) 657; Bilsdorfer Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung eines Kreditinstituts bei Verdacht der Steuerhinterziehung, StW 1994 383; Bilsdorfer/Weyand Verhaltens- und Handlungsempfehlungen für Steuerberater im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, Information StW 1996 321; Birmanns Informationsaustausch zwischen Zoll und Steuerverwaltung, NWB Fach 13, 769 (30/1990); Bittmann Gefahr im Verzug, wistra 2001 451; ders. Das Beiziehen von Kontounterlagen im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, wistra 1990 325; Bizer Keine Rechtsgrundlage für Durchsuchung einer Mailbox, DuD 1996 627; Bohlander Grundrechtswidrige Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschlüsse, AnwBl. 1996 177; Born Kann auf die Zuziehung von Zeugen bei der Durchsuchung durch Polizeibeamte (§ 105 Abs. 2 StPO) wirksam verzichtet werden? JR 1983 52; Brenner Die Bedeutung der Rechtsprechung für das Ermittlungsverfahren, DZB 1986 F 71; ders. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren, StW 1987 57; Brosius-Gersdorf Dienstgeheimnis versus Presse- und Rundfunkfreiheit, AfP 1998 25; Brüning Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt, HRRS 2007 250; dies. Privatisierungstendenzen im Strafprozeß – Chancen und Risiken der Mitwirkung sachverständiger Privatpersonen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, StV 2008 100; Burhoff Durchsuchung und Beschlagnahme – Bestandsaufnahme zur obergerichtlichen Rechtsprechung, StraFo 2005 140; ders. Mindestanforderungen an Durchsuchungsanordnungen, PStR 1999 25; ders. Prüfung sichergestellter Unterlagen, PStR 1999 28; ders. Prüfung sichergestellter Unterlagen, PStR 1999 28; ders. Rechtsschutz nach Durchsuchung beim Beschuldigten im Steuerstrafverfahren, PStR 1998 114; Burkhard Fahndungssituation: Durchsuchung beim Beschuldigten, Stbg 1998 310; Carl/Klos Zum Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf CpD-Konten einer Bank, NWB Fach 13, 849 (29/1994); Cassardt Zur Gültigkeitsdauer ermittlungsrichterlicher Durchsuchungsanordnungen, NJW 1996 554; Cirener Zur Frage der Gültigkeitsdauer richterlicher Durchsuchungsanordnungen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, JR 1997 389; Ciolek-Krepold Durchsuchungen und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000); Dallmeyer Verletzt der zwangsweise Brechmitteleinsatz gegen Beschuldigte deren Persönlichkeitsrechte? StV 1997 606; Dauster Betroffenheit in der Vertraulichkeitssphäre, polizeiliche venia legendi aufgrund richterlicher Beschlagnahmeanordnung und die Restriktionen des § 110 StPO, StraFo 1999 186; ders. Die Entscheidung des BVerfG vom 27.05.1997 zur Gültigkeitsdauer ermittlungsrichterlicher Durchsuchungsanordnungen und ihre Wirkung auf die strafprozessuale Praxis im übrigen, StraFo 1998 408; Deckers Rechtstatsächliche Defizite, AnwBl. 1992 352; Dencker Das „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus“, StV 1987 117; Dörn Anforderungen an die Durchsuchung in Steuerstrafverfahren, Stbg 1993 471; ders. Die Praxis des Steuerstrafverfahrens – ein unbekanntes Gebiet strafrechtlicher Auseinandersetzung, Stbg 1991 514; ders. Die Überprüfung von CpD-Konten durch die Steuerfahndung, ZBB 1993 164; ders. Durchsuchungsbefugnisse der Steuerfahndung, BuW 1997 498; ders. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung gemäß § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO während Durchsuchungsmaßnahmen bei Kreditinstituten, DStR 2002 574; ders. Ermittlungsbefugnisse von Steuerfahndung und Bankbetriebsprüfungen gegenüber Bankkunden, Stbg 2002 156; Dörr Rechtsschutz gegen vollzogene Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Strafermittlungsverfahren, NJW 1984 2260; Dörr Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Medienunternehmen, AfP 1995 378; Drescher Steuerfahndung – Rechtmäßigkeit von Bankdurchsuchungen bereits bei anonymisierter Überweisung in zwei Fällen, EWiR 1998 1045; Ehlers Durchsuchung – Beschlagnahme – Bankgeheimnis, BB 1978 1515; Einmahl Gefahr im Verzug und Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen, NJW 2001 1393; Eisenberg Zur Rechtsstellung von Kindern im polizeilichen Ermittlungsverfahren, StV 1989 554; ders. Aspekte der Durchsuchung (§ 102 ff. StPO) im Verhältnis zu ethologischen Grundbedürfnissen, FS Rolinski 165; Eisenberg/Nischan Strafprozessualer Zugriff auf digitale multimediale Videodienste, JZ 1997 74; Esskandari Zum Rechtsschutz bei prozessualer Überholung (§§ 304 ff., 33a StPO) – Überlegungen im Anschluß an BVerfG, NJW 1997, 2163 ff., StraFo 1997 289; Feuerborn Unzulässige Beschlagnahme
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
bei der Durchsuchung von Kreditinstituten, EWiR 1989 709; ders. Zur Verwertung von bei der Durchsuchung von Kreditinstituten unzulässig gefertigten Abschriften, EWiR 1989 711; Fezer Effektiver Rechtsschutz bei Verletzung der Anordnungsvoraussetzung „Gefahr im Verzug“; FS Rieß 93; ders. Rechtsweg für Überprüfung der Art und Weise einer Durchsuchung NStZ 1999 151; ders. Zum Rechtsschutzinteresse eines Rechtsmittels gegen bereits erledigte strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, JZ 1997 1062; ders. Zur revisionsrechtlichen Bedeutung eines Verstoßes gegen GVG § 169 S. 2 und zum Erfordernis eines zweiten Durchsuchungsbeschlusses für eine erneute Durchsuchung derselben Räume, StV 1989 290; Fickenscher/Dingelstadt Richterlicher Bereitschaftsdienst „rund um die Uhr“? NJW 2009 3473; Finke Die Durchsuchung von Räumlichkeiten im Ermittlungsverfahren, Diss. Bielefeld 2008; Frey Dauert eine Durchsuchung noch an, solange die sichergestellten Gegenstände noch durchgesehen werden? Zu den Befugnissen der Steuerfahndung im Strafverfahren und zu ihrer Berechtigung, eine Durchsuchung zu beantragen, wistra 1989 40; Fricke Durchsicht der Papiere gemäß § 110 StPO, ZfZ 1988 279; Frister Zur Frage der Vereinbarkeit verdeckter Ermittlungen in Privatwohnungen mit Art. 13 GG, StV 1993 151; Fülbier Unzulässigkeit der Verwertung gemäß GwG § 9 gefertigter Aufzeichnungen in einem Steuerstrafverfahren, WuB I D 6 Sonstiges (Geldwäsche) 1.97; Füllkrug Wie weit reichen die Gesetze? Kriminalistik 1987 5; Füllsack Beschwerde gegen prozessual überholten Durchsuchungsbeschluss kann zulässig sein – Beschlagnahmefreiheit von Bankunterlagen, DStR 1997 1450; Gaede Der grundrechtliche Schutz gespeicherter E-Mails beim Provider und ihre weltweite strafprozessuale Überwachung, StV 2009 96; Gatzweiler: Zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen gegen Verteidiger und der Entpflichtung von Pflichtverteidigern, die sich solchen Maßnahmen nicht unterziehen lassen, sowie zur Anfechtbarkeit dahingehender Beschlüsse, StV 1988 520; Geerds Strafprozessualer Zwang gegen den Vater des Tatverdächtigen als Störer bei Durchsuchung und Beschlagnahme eines verdächtigen Zufallsfundes, Jura 1987 210; ders. Durchsuchungen von Personen, Räumen und Sachen, FS Dünnebier 171; Gehrmann/Kindler Checkliste: Durchsuchung und Beschlagnahme in der Kanzlei des Steuerberaters, PStR 2010 64; B. Gercke Straftaten und Strafverfolgung im Internet, GA 2012 474; ders. Zur Zulässigkeit sog. Transborder Searches – Der strafprozessuale Zugriff auf im Ausland gespeicherte Daten, StraFo 2009 271; ders. Durchsuchungen in Anwaltskanzleien, PStR 2008 292; M. Gercke Heimliche Online-Durchsuchung: Anspruch und Wirklichkeit, CR 2007 245; Gilgan Verhaltensempfehlungen bei Durchsuchung und Beschlagnahme beim Steuerberater, Stbg 1989 321; Göggerle Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, BB 1986 41; Gillmeister Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, Diss. Freiburg 1984; Gottschalck Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern – Erlass von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen, DVBl. 1992 790; Groß Verteidiger, Abgeordnete und Journalisten als verbotene unfreiwillige Medien zur strafprozessualen Aufklärung, StV 1996 559; Gudermann Online-Durchsuchung im Lichte des Verfassungsrechts, Diss. Münster 2009; Günther Die Durchsuchung von Räumen und Sachen (1973); Gusy Grundgesetzliche Anforderungen an Durchsuchungsbeschlüsse i.S.d. Artikel 13 Abs. 2 GG, NStZ 2010 353; ders. Zum Richtervorbehalt nach GG Art. 13 Abs. 2, JZ 2001 1033; Habetha Verwaltungsrechtliche Rasterfahndung mit strafrechtlichen Konsequenzen? WM IV 1996 2133; Hamacher Anordnung der Durchsuchung einer Bank und der Beschlagnahme von Unterlagen – Einräumung einer Austauschbefugnis, WuB VII D § 103 StPO 1.96; ders. Kritik an Beschlüssen des BVerfG zur Durchsuchung einer Bank wegen Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung, WuB X § 370 AO 1.95; Hannover Strafverteidiger als Objekte politischer Justiz, StV 1990 126; Harms Kann ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss auch mündlich erlassen werden? DRiZ 2004 25; ders. Warum eine mündliche Durchsuchungsanordnung des Richters rechtswidrig ist und welche Konsequenzen eine lediglich mündliche Anordnung für das weitere Verfahren hat, StV 2006 215; Heine Strafrechtliche Gefahren im Rahmen der Steuerberatung, DeuStBT 1994 119; ders. Zur aktuellen Situation der Prüfungsdienste der Finanzverwaltung, Stbg 1998 241; Heinen Durchsuchung eines unerlaubt abwesenden Soldaten durch Feldjäger im Rahmen der Nachforschung, NZWehrR 1992 114; Herrmann/Soiné Durchsuchung persönlicher Datenspeicher und Grundrechtsschutz, NJW 2011 2922; Heuchemer Die Praxis der Hausdurchsuchung und Beschlagnahme und die Wirksamkeit von Rechtsbehelfen im Wirtschaftsstrafrecht, NZWiSt 2012 137; Heuer Unterbricht ein Durchsuchungsbeschluß gegen die Verantwortlichen eines Unternehmens die Verjährung? wistra 1987 170; Hilger Zur Vereinbarkeit des StPO § 110c mit dem Grundrecht aus
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 102
GG Art. 13, NStZ 1997 449; Höfling Fernmündliche Durchsuchungsanordnungen durch den Richter gem. §§ 102 ff. StPO, JR 2003 408; Hofe Zur Zulässigkeit von Abhörmaßnahmen in und aus Wohnungen, DuR 1993 117; Hoffmann/Wißmann Zur zulässigen Dauer von Durchsuchungsmaßnahmen, NStZ 1998 443; Hofmann Beweisverbote im Strafprozeß – Beweiserhebungsverbote und Beweisverwertungsverbote, JuS 1992 587; ders. Der „unwillige Bereitschaftsrichter und Durchsuchungsanordnungen wegen Gefahr im Verzug, NStZ 2003 230; ders. Die Online-Durchsuchung – staatliches „Hacken“ oder zulässige Ermittlungsmaßnahme? NStZ 2005 121; Hornung Ermächtigungsgrundlage für die „Online-Durchsuchung“? DuD 2007 575; ders. Die Festplatte als „Wohnung“? JZ 2007 828; Hübel Sitzungspolizeilich verfügte Durchsuchung von Verteidigern nach GVG § 176, StV 1998 243; Hüls Der Richtervorbehalt – seine Bedeutung für das Strafverfahren und die Folgen von Verstößen, ZIS 2009 160; Huber Grundwissen – Strafprozessrecht: Durchsuchung, JuS 2013 408; Irmen Anforderungen an Durchsuchungsbeschluß – Amtsträgereigenschaft des Mitglieds eines Stadtrats, EWiR 1994 1131; Jacob Journalismus im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Datenschutz, DuD 1998 65; Jaeschke Durchsuchung besetzter Häuser nach der Strafprozeßordnung, NJW 1983 434; Jahn Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG, NStZ 2007 255; Jahn/Dallmeyer Zum heutigen Stand der beweisrechtlichen Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe im deutschen Strafverfahrensrecht, NStZ 2005 297; Jahn/Kudlich Die strafprozessuale Zulässigkeit der Online-Durchsuchung, JR 2007 57; Joecks Die Stellung der Kreditwirtschaft im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Kunden, WM IV Sonderbeilage 1998 1; Jung Durchsuchung und Beschlagnahme in Medienangelegenheiten, AfP 1995 375; Kaiser Die Wohnung als Schranke bei der Vollstreckung von Haft- und Vorführungsbefehlen, NJW 1964 759; ders. Notwendigkeit eines Durchsuchungsbefehls bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen? NJW 1980 876; Kasiske Neues zur Beschlagnahme von E-Mails beim Provider, Besprechung von BGH 1 StR 76/09 und BVerfG 2 BvR 902/06, StraFo 2010 228; Keller Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume des Schuldners, Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen (KO § 106) – Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Rechtskreis, EWiR 1991 601; Keller Grenzbereiche zwischen Strafrecht und Standesrecht des Notars, DNotZ 1995 99; Kemper Die Beschlagnahme von Beweisgegenständen bei fehlender Beschlagnahmeanordnung, wistra 2006 171; ders. Die Voraussetzungen einer Wohnungsdurchsuchung in Steuerstrafsachen, wistra 2007 249; ders. Anforderungen und Inhalt der Online-Durchsuchung bei der Verfolgung von Straftaten, ZRP 2007 105; ders. Das Beschlagnahmeverzeichnis nach § 109 in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren, wistra 2008, 96; Kerscher Strafjustiz contra Medien – ein Anachronismus, NJW 1997 1350; Keune Rechtsschutzinteresse bei richterlichen Durchsuchungsanordnungen, KFR F 2 GG Art 19, 1/98, S 75–76 (H 3/1998); Kiehl Zur Mitwirkung des Geschädigten bei einer Durchsuchung im Ermittlungsverfahren und zum Begriff der Vernehmung im Sinne von StPO § 252, StV 1988 48; Klaas Zum Zeitpunkt des Vollzuges einer Durchsuchung, wenn beim Beschuldigten elektronisch gespeicherte Daten in der Weise beschlagnahmt werden, daß eine Kopie des gesamten Datenträgers erstellt wird, NStZ 1995 55; Klein Strafverfahrensrecht – Durchsuchung beim Verdächtigen oder dritten Personen, JA 1986 341; Klemke Gefahr im Verzug durch richterliche Untätigkeit, StraFo 2004 13; Klos Doppelter Anfangsverdacht bei der Geldwäsche, wistra 1997 236; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme durch die Steuerfahndung, StW 1992 161; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme durch die Steuerfahndung, WiB 1997 1166; Knauer/Wolf Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz – Teil 2: Änderungen der StPO, NJW 2004 2932; Knierim Fallrepetitorium zur Wohnraumüberwachung und anderen verdeckten Eingriffen nach neuem Recht, StV 2009 206; Kniffka Die Durchsuchung von Kreditinstituten in Steuerstrafverfahren, wistra 1987 309; Köhler Polizeiliche Weitergabe- und strafprozessuale Verwertungsbefugnis, StV 1996 186; Kohlmann Kassenärzte – bevorzugte Zielgruppe staatsanwaltschaftlicher Ermittlungstätigkeit? JbFfS 1988/1989, 280–315; König Grundrechtlicher Schutz der Wohnung, Jura 1992 476; Kottke Verbesserter Rechtschutz gegen Durchsuchungen der Steuerfahndung, StWK Gruppe 2, 105–106 (21/1997); Kottkel Steuerfahndung Titelzusatz: Funktionen – Methoden – Rechtsschutz, StWK Gruppe 2, 2277 (10/1986); Krämer Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1987, AnwBl. 1989, 249; Kramer Ermittlungen bei Wirtschaftsdelikten (1987); Krause Vollstreckung von Vollstreckungshaftbefehlen in der Wohnung oder den sonstigen Räumen eines unbeteiligten Dritten, NJW 1974 303; Krehl Gefahr im Verzug, JR 2001 491; ders. Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug, JR 2003 302; Krekeler Probleme der
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Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983 43; ders. Beweisverwertungsverbote bei fehlerhaften Durchsuchungen, NStZ 1993 263; ders. Die Durchsuchung beim Beschuldigten im Steuerstrafverfahren, PStR 1998 4; ders. Die Durchsuchung von Unternehmen im Steuerstrafverfahren PStR 1998 132; ders. Verwertungsverbot bei der Durchsuchung, AnwBl. 1992 356; ders. Zufallsfunde bei Berufsgeheimnisträgern und ihre Verwertbarkeit, NStZ 1987 199; Krekeler/Schütz Die Durchsuchung von beziehungsweise in Unternehmen wistra 1995 296; Kruis/Wehowsky Verfassungsgerichtliche Leitlinien zur Wohnungsdurchsuchung, NJW 1999 682; Kringe Der Grundrechtsberechtigte des Grundrechts aus Art. 13 GG, Diss. Köln 2009; Kronisch Zur zeitlichen Geltung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen, AnwBl. 1988 617; ders. Unzulässigkeit der Vollstreckung eines Durchsuchungsbefehls wegen Zeitablaufs? NStZ 1987 522; Kudlich Der heimliche Zugriff auf Daten einer Mailbox – ein Fall der Überwachung des Fernmeldeverkehrs? – BGH, NJW 1997 1934, JuS 1998 209; Küper Die Bedeutung des § 105 Abs. 2 StPO für die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (§ 113 Abs. 3 StGB), JZ 1980 633; Kuhn Telefonrichter – Anmerkung zu LG Dresden, StraFo 2004 94; Kurth Identitätsfeststellung, Einrichtung von Kontrollstellen und Gebäudedurchsuchungen nach neuem Recht, NJW 1979 1377; Kretschmer „Legen Sie das Telefon weg!“ – oder: Telefonsperre bei der strafprozessualen Durchsuchung, StRR 2013 164; Laser Das Rechtsschutzsystem gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, NStZ 2001 120; Laule Durchsuchung und Beschlagnahme in Geschäftsräumen von Banken – Erwiderung auf den Beitrag von Ranft, WiB 1996 49, WiB 1997 1126; Leisner Ausforschungsdurchsuchung? BB 1994 1941; Lisken Rechtsschutzbedürfnis bei Überprüfung erledigter Anordnungen zu Durchsuchung und Beschlagnahme, StV 1997 396; Locher Durchsuchung einer Bank als nichtverdächtige Person, WuB VII C § 103 StPO 1.94; ders. Zu den Befugnissen der Ermittlungsbehörden gegenüber Kreditinstituten als anderen Personen, WuB I B 3 Bankgeheimnis 2.89; Locklair Sind Rechtsmittel gegen Durchsuchungen und Beschlagnahmen zweckmäßig? PStR 1999 37; ders. Verhalten von Bankmitarbeitern bei Durchsuchungen durch die Steufa PStR 1998, 109; Lohmeyer Der Steuerberater als Verteidiger im Verfahren wegen Steuerzuwiderhandlungen, StB 1986 84; ders. Neue Rechtsprechung zum materiellen und formellen Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht, RWP 1986/1148 SG 2.5, 97; Lührs Eingeschränkte Beschlagnahmemöglichkeiten von „Mailbox-Systemen“ aufgrund des Fernmeldegeheimnisses? wistra 1995 19; Malek/Wohlers Zwangsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe (2001); Matzke Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz – 2. Teil, NStZ 1997 426; Meier Strafprozessuale Probleme der Computerkriminalität, wistra 1992 166; Meurer BGH verwirft Revision im Mordfall Weimar, JR 1990 389; Meyer Die Fortsetzungsfeststellungsklage im Strafprozessrecht, HRRS-Fezer-FG 2008 131; Michalke Wenn der Staatsanwalt klingelt – Verhalten bei Durchsuchung und Beschlagnahme NJW 2008 1490; ders. Staatlicher Zugriff auf elektronische Medien, StraFo 2008 287; Michel Aus der Praxis – Der nicht erschienene Zeuge, JuS 1992 246; Mildeberger/Riveiro Zur Durchsicht von Papieren gem. § 110 StPO, StraFo 2004 43; Möhrenschlager Computerstraftaten und ihre Bekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland, wistra 1991 321; Möller Arzt und Staatsanwalt am Beispiel der Laborgemeinschaften, ArztuR 1992, Nr. 13–14, 4–10 und Nr. 15–16, 4–9; Mosbacher Verwertungsverbot bei Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts, NJW 2007, 3686; C. Müller Rechtsgrundlagen und Grenzen zulässiger Maßnahmen bei der Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen (2003); E. Müller Die Durchsuchungspraxis – Unterwanderung eines Grundrechts, AnwBl. 1992 349; Müller/Trurnit Eilzuständigkeiten der Staatsanwaltschaft und des Polizeivollzugsdienstes in der StPO, StraFo 2008 144; Münchhalffen Zur Verwertbarkeit auf der Grundlage rechtswidriger Durchsuchungsmaßnahmen erlangter Beweismittel, FS Mehle 448; Nelles Strafprozeßrecht – Spuren aus der Datensammlung, JuS 1987 51; dies. Strafprozessuale Eingriffe in das Hausrecht von Angehörigen, StV 1991 488; Nenstiel Zweckentfremdung von Wohnraum – Überlegungen zur Vorbereitung und Führung von Prozessen sowie zur OWi-Verfolgung im Rahmen des Art. 6 MRVerbG, ZMR 1994 1; Neufang Der richtige Umgang mit der Steuerfahndung, StW 1990 323; Neuhaus Die Änderungen der StPO durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004, StV 2005 47; Nothacker Zur Durchsuchung und Beschlagnahme Archiv für Kriminologie 178. Band, 1986 1; Obenhaus Cloud Computing als neue Herausforderung für Strafverfolgungsbehörden und Rechtsanwaltschaft, NJW 2010 651; Odenthal Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach Eröffnung des Hauptverfahrens, StV 1991 441; Ostendorf/Brüning Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug“, JuS 2001 1063; Papier/Dengler Verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Steuerfahndungsmaßnahmen
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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bei Banken, BB 1996 2541, BB 1996 2593; Park Die Anfechtung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen, StRR 2008 4; ders. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Rechtsschutzverfahren gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen StV 2009 276; ders. Der Anwendungsbereich des § 110 StPO bei Durchsuchungen in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, wistra 2000 453; Pfaff Aktuelle Fragen aus dem Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, StBp 1986 86; Pump Überlegungen bei einem Einsatz der Steuerfahndung im Steuerstrafverfahren, StW 1989 365; Puschke/Singelnstein Telekommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und (sonstige) heimliche Ermittlungsmaßnahmen der StPO nach der Neuregelung zum 1.1.2008, NJW 2008 113; Pütz Beschlagnahme der vollständigen Kontoauszüge in der Wohnung des Kunden durch die Steuerfahndung – Zur Unzulässigkeit einer nachfolgenden Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahmeanordnung gegen die Bank, EWiR 1995 1217; Quermann Durchsuchung und Beschlagnahme beim steuerlichen Berater, wistra 1988 254; Rabe von Kühlewein Der Richtervorbehalt im Polizeiund Strafprozeßrecht, Diss. Hannover 2000; ders. Normative Grundlagen der Richtervorbehalte, GA 2002 637; Ranft Durchsuchung und Beschlagnahme in Geschäftsräumen von Banken, WiB 1996 49; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme in Geschäftsräumen von Banken – Schlußwort, WiB 1997 1131; Ransiek Durchsuchung, Beschlagnahme und Verwertungsverbot, StV 2002 565; ders. Strafprozessuale Abhörmaßnahmen und verfassungsrechtlicher Schutz der Wohnung – ein rechtsvergleichender Blick, GA 1995 23; ders. Zur Durchsuchung von Geschäftsräumen einer Bank bei Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, EWiR 1994 573; Reichling Strafprozessuale Ermittlungen bei Kreditinstituten – ein Überblick, JR 2011 12; Reiß Die Beschlagnahme von notariellen Urkunden durch Strafverfolgungsorgane, MittBayNot 1994 518; Rengier Praktische Fragen bei Durchsuchungen, insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, NStZ 1981 372; Ricke Die Bedeutung strafprozessualer Bestimmungen beim Umgang mit Datenverarbeitungsanlagen/Vorgehensweise des Ermittlungsbeamten bei Durchsuchung und Beschlagnahme, DDZ 1989 F 27; Rieß Die Prüfungskompetenz des Ermittlungsrichters, NStZ 1991 513; Robbers Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Wahlrecht – BVerfG, NVwZ 1994, 54 und 893, JuS 1996 116; Rogall Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß – Ein Beitrag zur Lehre der Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote, NStZ 1988 385; ders. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote im Spannungsfeld zwischen den Garantien des Rechtsstaates und der effektiven Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus, JZ 2008 818; ders. Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, ZStW 103 (1991) 907; ders. Zum Übergang der Zeugenstellung zur Beschuldigteneigenschaft im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1997 399; Rondsdorf Geplante Zufallsfunde, ArchKrim. 191 (1993) 42; Rose Fälle zu den Beweisverwertungsverboten, JA 1998 400; Roxin Zur revisionsrechtlichen Bedeutung eines Verstoßes gegen GVG § 169 S. 2, des Nichtbewiesenseins eines Verfahrensfehlers und hypothetischer Ermittlungsverläufe, NStZ 1989 376; ders. Zur richterlichen Kontrolle von Durchsuchungen und Beschlagnahmen, StV 1997 654; Rüping Rechtsprobleme der Durchsuchung, insbesondere in Steuerstrafsachen, StV 1991 322; ders. Durchsuchung, Zufallsfunde und Verwertungsverbote im Steuerstrafverfahren, in: Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht 267; Ruthig Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG n.F.), JuS 1998 506; Rux Ausforschung privater Rechner durch die Polizei- und Sicherheitsbehörden JZ 2007 285; Salditt Ein Blick über die Grenze – die Durchsuchung im anglo-amerikanischen Recht, AnwBl. 1992 360; Schaefer Effektivität und Rechtsstaatlichkeit der Strafverfolgung – Versuch einer Grenzziehung, NJW 1997 2437; Schenke Rechtsschutz bei strafprozessualen Eingriffen von Staatsanwaltschaft und Polizei, NJW 1976 1820; Schlag Zur Praxis von Durchsuchungen in der BRD, AnwBl. 1992 347; Schlegel „Online-Durchsuchung light“ – Die Änderung des § 110 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, HRRS 2008 23; Schmechel, Zufallsfunde bei Durchsuchungen im Steuerstrafverfahren, Diss. Hannover 2004; Schmidt Öffentlichkeitsgrundsatz versus Hausrecht – BGH, NJW 1994, 2773, JuS 1995 110; ders. Die unzureichende Begründung ermittlungsrichterlicher Anordnungen und deren Auswirkung auf die Beweisverwertung im Strafprozessrecht, StraFo 2009 448; Schmitt: Das beschlagnahmte Motorrad, JuS 1986 423; Scholz Grundrechtsprobleme im europäischen Kartellrecht – Zur Hoechstentscheidung des EuGH, WuW 1990 99; Schoreit Bestimmtheit einer Durchsuchungsanordnung, NStZ 1999 137; Schroth Probleme der Sichtung von Datenträgern vor Ort, CR 1992 173; Schuhmann Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerstrafverfahren, wistra 1993 93; ders. Zur Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens nach der Abgabenordnung, wistra 1992 293; Schulte-Kelling-
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haus Bereitschaftsdienst bei den Amtsgerichten – Welche Interessen verfolgen die Landesjustizverwaltungen? NJW 2004 477; Schulz Neue Variationen über ein Thema – Abgeordnetenimmunität und Zwangsmaßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, DÖV 1991 448; ders. Letztmals: Der „unwillige“ Bereitschaftsrichter und Durchsuchungsanordnungen wegen Gefahr im Verzug, NStZ 2003 635; Schürmann Wohnungsdurchsuchung nach vorläufiger Festnahme, Kriminalistik 1994 735; Sdrenka Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen, Stbg 1988 164; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, von Handakten und von Verteidigerpost beim Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwalt, StB 1990 334; Seer Die Verwertbarkeit strafrechtlicher Ermittlungsergebnisse für das Besteuerungsverfahren – Umfang und Grenzen einer Amtshilfe, StuW 1991 165; Singelnstein Möglichkeiten und Grenzen neuer strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen – Telekommunikation, Web 2.0, Datenbeschlagnahme, polizeiliche Datenverarbeitung & Co, NStZ 2012 593; Sommer Moderne Strafverteidigung – Strafprozessuale Änderungen des Justizmodernisierungsgesetzes, StraFo 2004 295; Sommermeyer Die materiellen und formellen Voraussetzungen der strafprozessualen Hausdurchsuchung, Jura 1992, 449; ders. Neuralgische Aspekte der Betroffenenrechte und ihres Rechtsschutzes bei strafprozessualen Hausdurchsuchungen, NStZ 1991 257; ders. Schutz der Wohnung gegenüber strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, ein Phänomen? JR 1990 493; ders. Zur Kontrolle erledigter Anordnungen im Strafverfahren, JR 1991 517; Spaniol Grundrechtsschutz im Ermittlungsverfahren durch qualifizierten Richtervorbehalt und wirksame richterliche Kontrolle, FS Eser 473; Späth Die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen des Mandanten im Gewahrsam des Steuerberaters, Stbg 1988 393; Specht Kassenärzte – bevorzugte Zielgruppe staatsanwaltschaftlicher Ermittlungstätigkeit? JbFfS 1988/1989 316; Stahl Durchsuchung der Steuerberater-Praxis, KÖSDI 1989, Nr. 1, 7503; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme in Steuerstrafsachen, Rechtsfragen und Empfehlungen, KÖSDI 1997 Nr. 5 11101; ders. Durchsuchungen bei Banken: Selbstanzeigeberatung der Bankkunden, KÖSDI 1998 Nr. 8, 11659; ders. Neue Entwicklungen und beratungspraktische Erkenntnisse aus dem Steuerstrafrecht, KÖSDI 1992 Nr 1, 8782; Störing Strafprozessuale Zugriffsmöglichkeiten auf E-Mail-Kommunikation, Diss. Bochum 2007; Streck Der Rechtsschutz in Steuerstrafsachen, in: Trzaskalik (Hrsg.) Der Rechtsschutz in Steuersachen 1995 173; ders. Erfahrungen bei der Anfechtung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen in Steuerstrafsachen, StV 1984 348; ders. Zur Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchung bei einer Bank wegen des Verdachts, durch Ermöglichung eines anonymisierten Zahlungsverkehrs mit einer Bank in Luxemburg Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet zu haben, StV 1994 355; Thomas Der Ermittlungsrichter – Norm und Wirklichkeit, AnwBl. 1992 354; Trück Mündliche Entscheidung des Ermittlungsrichters ohne Akten? – Überlegungen zu Zweck und Tragweite des strafprozessualen Richtervorbehalts am Beispiel von Durchsuchung und Beschlagnahme, JZ 2010 1106; Tsambikakis Durchsuchung: Drei wichtige Checklisten, PStR 2012 255; Vahle Was ist das? VR 1994 424; Vogel Strafverfahrensrecht und Terrorismus – eine Bilanz, NJW 1978, 1217; Vogelberg Durchsuchung und Beschlagnahme im Steuerrecht (2010); Volk Der Tatbegriff und die Bestimmtheit von Durchsuchungsbeschlüssen im Steuerstrafrecht, wistra 1998 281; ders. Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen beim Steuerberater, DStR 1989 338; ders. Kronzeugen praeter legem? NJW 1996 879; F. Walther Die strafprozessuale Hausdurchsuchung JA 2010, 32; Wamers Die Bedeutung strafprozessualer Bestimmungen beim Umgang mit Datenverarbeitungsanlagen/Vorgehensweise des Ermittlungsbeamten bei Durchsuchung und Beschlagnahme, DDZ 1989 F 62; Warda Die Durchsuchung bei Verdächtigen und bei anderen Personen nach den §§ 102, 103 StPO (1986); Wasmuth Zur Zulässigkeit der zwangsweisen Durchsuchung des Zimmers eines strafunmündigen Kindes, NStZ 1989 40; Weber Gefahr im Verzug, DRiZ 1991 116; Wecker Beweisverwertungsverbote als Folge rechtswidriger Hausdurchsuchungen, Diss. Köln 2000; Wehnert Zur Praxis der Durchsuchung und Beschlagnahme, StraFo 1996 77; Weil Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1992 243; Weiler Arzt und Staatsanwalt, ArztuR 1989 Nr. 2, 14; ders. Beweissichernde Durchsuchung und die Folgen von Verfahrensfehlern, GedS Meurer 398; Weitbrecht/ Weidenbach Die Rolle des Anwalts bei Durchsuchungen NJW 2010 2328; Welp Sind Erkenntnisse eines zur präventiven Verbrechensbekämpfung durchgeführten Lausch-Eingriffs strafprozeßual verwertbar? NStZ 1995 602; Werle Der praktische Fall – Strafprozeßrecht – Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, JuS 1993 935; Werner Der Steuerberater als Verteidiger im Steuerstrafverfahren, Steuerrecht Gesellschaftsrecht Berufsrecht 1995 179 (Festschrift 15 Jahre Fachrichtung Steuern und
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Prüfungswesen der Berufsakademie Villingen-Schwenningen); Wesemann Heimliche Ermittlungsmethoden und Interventionsmöglichkeiten der Verteidigung, StV 1997 597; Werwigk Zur Geltung des Richtervorbehalts bei der Durchsuchung von besetzten Häusern, NJW 1983 2366; Weyand Zeitlich unbegrenzte Vollstreckungsmöglichkeit bei Durchsuchungsbeschlüssen? BB 1988 1726; ders. Zu den Befugnissen der Finanzbehörde und des Ermittlungsrichters im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1989 132; ders. Zur Beantragung richterlicher Untersuchungshandlungen durch die Finanzbehörde, DStZ 1988 191; ders. Zur Bedeutung des strafrechtlichen Vorbehalts nach § 201 Abs. 2 AO, StBp 1988 93; Wolf, Manfred Zum Rechtsweg für die Anfechtung von strafprozessual angeordneten erledigten Durchsuchungen und Beschlagnahmen, StV 1992 56; Wohlers Die Nichtbeachtung des Richtervorbehalts – Probierstein für die Dogmatik der unselbständigen Verwertungsverbote, StV 2008 434; Wollweber Polizeilicher Scheinaufkäufer und Unverletzlichkeit der Wohnung, StV 1997 507; Zöller Verdachtslose Recherchen und Ermittlungen im Internet, GA 2000 563. Weiteres Schrifttum s. bei § 94.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 21 Nr. 21 EGStGB 1974 wurden die Worte „Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei“ an die Stelle der Worte „strafbaren Handlung oder als Begünstiger oder Hehler“ gesetzt.
Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Durchsuchung . . . . . 2. Überblick über die gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung der Durchsuchung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . II. Verdächtiger im Sinne des § 102 1. Täter oder Teilnehmer . . . . . . 2. Juristische Personen . . . . . . . 3. Tatverdacht a) Tatsächliche Anhaltspunkte . b) Mehrere Tatverdächtige . . . c) Schriftenbeschlagnahme . . . d) Verdachtsmaß bei Ergreifungsdurchsuchung . . . . . . . . e) Verhältnismäßigkeit . . . . .
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III. Durchsuchungszwecke 1. Ergreifung des Verdächtigen . . . . a) Ergreifung . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Vermutung . . . . . 2. Auffinden von Spuren und Beweismitteln a) Begriff . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Vermutung . . . . . 3. Auffinden von Verfalls- und Einziehungsgegenständen . . . . . . .
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Rn. IV. Durchsuchungsobjekte 1. Wohnungen, andere Räume und Sachen . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff „Wohnung“ . . . . . . . . b) Andere Räume, befriedetes Besitztum, Sachen . . . . . . . . . . . 2. Personen . . . . . . . . . . . . . . V. Die Beziehung der zu durchsuchenden Gegenstände zum Verdächtigen: Abgrenzung zwischen § 102 und § 103 .
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VI. Durchsuchung von EDV-Anlagen . . . .
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VII. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . .
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VIII. Sonderfälle 1. Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . 2. Ärzte, Kliniken, Krankenhäuser . . . 3. Banken . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . 5. Geistliche . . . . . . . . . . . . . . 6. Hafträume . . . . . . . . . . . . . . 7. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . 8. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare 10. Unternehmen . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Anfangsverdacht 5 Ärzte 47 Banken 48 Befriedetes Besitztum 35 Begriff der Durchsuchung 1 Bloße Vermutungen 14 Bundeswehr 49 Durchsuchung von Hafträumen 2 Durchsuchungsobjekte 25 Durchsuchungszwecke 19 EDV-Anlagen 41 Einziehung 2 Ergreifung des Verdächtigen 19 Flächendeckende Fahndung 15 Geistliche 50 Hafträume 51 Hausbesetzer 26 Internet-Provider 44 Juristische Personen 11 Kleider 37 Kliniken 47 Körperöffnungen 37 Krankenhäuser 47 Mehrere Tatverdächtige 15 Mitbenutzung oder Mitgewahrsam mehrerer Personen 38
Nachschau 3 Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte 1 offenes Vorgehen der Ermittlungsbehörden 1 Notare 54 Online-Durchsuchung 43 Parteien 52 Presse 53 Räume 25 Rechtsanwälte 9, 54 Sachen 25 Schriftenbeschlagnahme 16 Spuren und Beweismittel 21 Statistische Wahrscheinlichkeit 15 Steuerberater 54 Tatsächliche Anhaltspunkte 12 Tatverdacht 12 Unternehmen 55 Verdächtiger 8 Verdachtsmaß bei Ergreifungsdurchsuchung 17 Verdeckter Ermittler 1 Verfall 2 Verfalls- und Einziehungsgegenstände 24 Verhältnismäßigkeit 18, 45 Verteidiger 54 V-Leute 1 Wohnung 25, 29
I. Allgemeines 1
1. Begriff der Durchsuchung. Durchsuchen bedeutet „alles sorgfältig untersuchen, durchforschen, um etwas aufzufinden.“1 Im Einklang damit versteht das BVerfG unter einer Durchsuchung „das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will.“2 Dabei geht das Gesetz, wie bereits §§ 105 Abs. 2, 106, 107 indizieren, von einem offenen Vorgehen der Ermittlungsbehörden aus.3 Eine Durchsuchung erfordert stets die physische Anwesenheit der Ermittlungsbeamten vor Ort.4 Heimliche Ausforschungen der Wohnung sind durch die §§ 102 bis 110 nicht gedeckt. Ob solche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem
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Grimm Deutsches Wörterbuch Band 2 1860 S. 1699. BVerfGE 51 97, 106; 75 318, 327; 76 83, 89; im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 47 31, 37; 28 285, 287; zwar bezieht sich diese Definition zunächst nur auf Wohnungen im Sinne des Art. 13 GG, nichts anderes gilt aber für jede Durchsuchung; so auch Maunz/ Dürig/Papier Art. 13, 22 GG; Sachs/Kühne Art. 13 GG, 27; Weiler GedS Meurer 395; allgemein zur Durchsuchung Geerds FS Dünnebier 171; s. auch § 110c, 20.
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BGHSt 51 211; Weiler GedS Meurer 395, 398; Roxin StV 1998 43, 44; Zöller GA 2000 563, 572 f.; Müller/Römer NStZ 2012 543, 544; KK/Nack 1. BVerfG 115 166; SK/Wohlers 2; HK/Gercke 5; KMR/Hadamitzky 14; Müller/Römer NStZ 2012 543, 544; Beulke/Meininghaus Anm. zu BGH Beschl. v. 21.2.2006 StV 2007 63; Zöller GA 2000 563, 572 f.; a.A. Hofmann NStZ 2005 121, 123, wonach die OnlineDurchsuchung in § 102 StPO ihre Rechtsgrundlage haben soll.
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Einsatz Verdeckter Ermittler eine Rechtsgrundlage in §§ 110a bis 110e haben, wird bei § 110c, 1 ff. erörtert. Für andere nicht offen ermittelnde Polizeibeamte und für das regelmäßig dem Staat zuzurechnende Vorgehen von V-Leuten5 in fremden Wohnungen fehlt eine von Verfassung wegen (Art. 13 Abs. 2 GG) erforderliche Eingriffsgrundlage. Solche Ermittlungen sind nicht nur rechtswidrig, sondern auch verfassungswidrig. 2. Überblick über die gesetzliche Regelung. Die Durchsuchung im Strafverfahren 2 wird in den §§ 102 bis 110 geregelt. Sie ist nur zulässig, um einen Beschuldigten zu ergreifen (Ergreifungsdurchsuchung), Beweise aufzufinden (Ermittlungsdurchsuchung) und nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4, um Gegenstände sicherzustellen, die der Einziehung oder dem Verfall unterliegen oder die der Schadloshaltung des Verletzten dienen. Objekt der Durchsuchung können Personen und Sachen, vor allem Räume einschließlich der verfassungsrechtlich besonders geschützten Wohnung sein. Damit ist meist Art. 13 GG, im Übrigen aber auch Art. 2 und Art. 14 GG berührt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchsuchung sind bei verdächtigen Personen (§ 102) weniger streng als bei nichtverdächtigen Personen (§ 103). Die Anordnungskompetenz ist in § 105 Abs. 1 einfachgesetzlich normiert und – außer bei Gefahr im Verzug – dem Richter vorbehalten. Die übrigen Vorschriften gelten den Modalitäten der Durchsuchung (§§ 104, 105 Abs. 2 und 3, 106, 107 Satz 1, 110) oder der Beschlagnahme von bei der Durchsuchung gefundenen Gegenständen (§§ 107 Satz 2, 108, 109). Zur Anwendung der Vorschriften über die Durchsuchung im Bußgeldverfahren und in berufsgerichtlichen Verfahren s. § 94, 3. Das dort Ausgeführte gilt hier entsprechend. Jedoch ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu beachten, dass namentlich eine Wohnungsdurchsuchung regelmäßig schwerer wiegt als die bloße Beschlagnahme. Vereinzelt wird in Rechtsprechung6 und Literatur7 eine begriffliche Einschränkung 3 der Durchsuchung vertreten: Wenn bekannt ist, dass sich in bestimmten Räumen eine zu ergreifende Person aufhält oder sich ein bestimmtes zu suchendes Beweismittel befindet, sei ein Betreten dieser Räume gegen den Willen des Berechtigten keine Durchsuchung (sondern eine „Nachschau“) und deshalb nicht an die Voraussetzungen der §§ 102 ff. gebunden. Der Eingriff richte sich in einem solchen Fall vielmehr nach den §§ 127, 127b Abs. 1, 134.8 Es liege ein Eingriff im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG vor, der nicht den formellen Anforderungen einer Durchsuchung bedürfe.9 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.10 Sie verkennt den Begriff Durchsuchung und die Schrankensystematik des Art. 13 GG, die für das Strafverfahren für Wohnungen nur die in §§ 102 bis 110 geregelte Durchsuchung zulässt.11 Die „Nachschau“ ist ein ziel- und zweckgerichtetes Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will, und damit per definitionem (Rn. 1) eine Durchsuchung. Die zur Begründung der Gegenauffassung herangezogenen Entscheidungen befassen sich nicht mit strafprozessualen, sondern mit polizeirechtlichen Sachverhalten. Dort wurden einfache Betretungsrechte gemäß § 14
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Zur Zurechenbarkeit des Vorgehens von V-Leuten vgl. BGHSt 45 321, 336; 47 44, 48; s.a. Conen StraFo 2013 140, 144 f. KG Beschl. v. 19.2.1999 (5) 1 Ss 363/98 (6/99) im Anschluss an die einen anderen Sachverhalt betreffende Entscheidung BVerwG NJW 1975 30. Kaiser NJW 1980 876; AnwK-StPO/Löffel-
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mann 4; Meyer-Goßner 8; vgl. auch König JuS 1985 52; Schmitt JuS 1986 423. Schlüchter Strafprozessrecht 118. König JuS 1986 423. Ablehnend auch AK/Amelung 21; HK/Gercke 16. BVerfGE 75 318, 327.
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Abs. 1 Berl. PVG12 bzw. nach §§ 20, 17 Handwerksordnung13 nicht als Durchsuchung, sondern als „Eingriffe und Beschränkungen“ im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG qualifiziert. Um solche einfachen Betretungsrechte geht es in der Strafprozessordnung aber nie. Für ein strafprozessuales Betretungsrecht würde im Gegensatz zu den ordnungsrechtlichen Betretungsrechten bereits die gesetzliche Grundlage fehlen. Eine „Nachschau“ in einer Wohnung zu repressiven Zwecken ist durch Art. 13 Abs. 7 GG nicht zu rechtfertigen.14 Der in § 102 verwendete Begriff des der Tat oder der Teilnahme an ihr Verdächtigen 4 oder der des Beschuldigten in § 103 bedeutet nicht, dass die Durchsuchung nur in einem bestimmten Verfahrensabschnitt, etwa im Ermittlungsverfahren, nach dieser Vorschrift zulässig wäre. § 102 gilt in jeder Lage des Verfahrens und so ist eine Durchsuchung z.B. auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Für die Strafvollstreckung wird § 102 nach § 457 Abs. 3 entsprechend angewendet, soweit Durchsuchungen zur Ergreifung des Verurteilten oder zur Auffindung von Beweisen zur Feststellung des Aufenthalts des Verurteilten erforderlich sind. Erl. Vor § 94, 21. Nicht anwendbar sind die §§ 102 ff. zur Überwachung der Lebensführung des Verurteilten in der Bewährungszeit.15 Notwendige Voraussetzung jeder Durchsuchung ist ein Anfangsverdacht im Sinne des 5 § 152 Abs. 2 wegen einer bestimmten Straftat, mag diese anfangs auch noch wenig präzise umrissen sein. Ist ein Ermittlungsverfahren bis dahin nicht formell eingeleitet worden, macht die Anordnung der Durchsuchung,16 spätestens aber ihre Durchführung17 den Verdächtigen zum Beschuldigten und stellt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dar. Das gilt selbstverständlich unabhängig vom Ausgang der Durchsuchung. Die Durchsuchung beim Nichtverdächtigen nach § 103 setzt ohnehin einen „Beschuldigten“ und damit ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren voraus. Der Inhalt des Anfangsverdachts oder der Gegenstand des eingeleiteten Ermittlungs6 verfahrens ist für die Zulässigkeit der Durchsuchung von besonderer Bedeutung; denn nur in den Grenzen des bestehenden Verdachts ist eine Durchsuchung gestattet. Stehen zwei Personen im Verdacht, mit Betäubungsmitteln zu handeln, dann rechtfertigt dies nicht eine umfassende Durchsuchung des gesamten Cafés, in dem die Verdächtigen ihren Handel abwickeln sollen.18 Der Anfangsverdacht für eine Durchsuchung kann nach der Rechtsprechung ohne Verstoß gegen die Verfassung sogar auf Grundlage von Tatsachen begründet werden, deren Gewinnung ihrerseits nicht mit dem geltenden Recht übereinstimmt („Steuer-CD“).19 Einzelheiten zum Anfangsverdacht Rn. 12 ff.; LR/Beulke § 152, 21 ff. Fehlte es an einem Anfangsverdacht, sind ggf. Beweisverwertungsverbote zu beachten.20
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5. Bedeutung der Durchsuchung in der Praxis. Die Durchsuchung gehört zu den effektivsten Ermittlungshandlungen, ohne die sich in vielen Fällen ein Tatverdacht nicht
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BVerwG NJW 1975 130. BVerfGE 32 54; vgl. auch BVerfGE 75 318, 327. Kühne 170; Schlüchter Das Strafverfahren 325. KG Berlin NJW 1999 2979; OLG Hamburg NStZ-RR 2004 364. BGHSt 38 214, 228; ebenso BGH StV 1997 281; Geerds FS Dünnebier 171, 174; Göres/Kleinert NJW 2008 1353, 1358;
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Warda S. 168; SK/Wohlers 5; AnwK-StPO/ Löffelmann 7. BGHSt 51 367, 370 f.; OLG Köln StV 2004, 417; KK/Nack 1; Park 36. OLG Köln StV 1993 574. BVerfG NJW 2011 2417 (Steuer-CD). BVerfGE 42 212, 219 (offengelassen); BVerfG NJW 1991 690, 691; BGHSt 31 304, 308 f.; s. auch § 105, 140.
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hinreichend klären ließe.21 Die Anzahl der vollstreckten Durchsuchungen wird auf ca. 50.000 im Jahr geschätzt.22 Für den Betroffenen bedeutet sie einen schweren Eingriff in grundrechtlich geschützte Lebensbereiche. Ihrem Gewicht werden weder die gesetzlichen Regelungen noch die Praxis der Strafverfolgungsbehörden gänzlich gerecht. Gerade zur Praxis der Durchsuchung finden sich seit jeher viele Klagen nicht nur von Seiten der Verteidiger.23 Namentlich die unzureichende Bestimmtheit einer Vielzahl von Beschlüssen mit der Folge uferloser Durchsuchung und gezieltem Suchen nach „Zufallsfunden“ werden beklagt.24 Dem Unterlaufen des Richtervorbehalts durch Annahme von Gefahr im Verzug hat das BVerfG durch seine rigorose Rechtsprechung in den 2000er Jahren einen deutlichen Riegel vorgeschoben. Die Mängel und Versäumnisse in der Praxis führten zu einer Reihe von Entscheidungen des BVerfG, die das Rechtsinstitut in wichtigen Punkten, insbesondere zu den Voraussetzungen des Eingriffs und des Rechtsschutzes gestärkt und konkretisiert haben.25 Dennoch heißt es immer noch, dass wohl nirgendwo sonst im Strafprozess Theorie und Praxis so weit auseinander klaffen wie bei der Hausdurchsuchung.26
II. Verdächtiger im Sinne des § 102 1. Täter oder Teilnehmer. Unter den gegenüber § 103 erleichterten Voraussetzungen 8 des § 102 darf bei dem Verdächtigen durchsucht werden,27 wenn damit die Tat weiter aufgeklärt werden soll. Trifft die Durchsuchung eine Personengruppe, innerhalb derer nicht alle Beschuldigte 9 sind, können sich spezifische Schwierigkeiten ergeben. Wird etwa gegen einen von mehreren in einer Sozietät tätigen Anwälte ermittelt, kann die Durchsuchung und sich anschließende Beschlagnahmen (etwa von Handakten) sowohl Beschuldigte (Anwälte oder Mandanten) als auch Nichtbeschuldigte (Anwälte oder Mandanten) treffen.28 Die erfassten Daten können wegen der Beschuldigteneigenschaft des Anwalts oder wegen Tatverstrickung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 der Beschlagnahme unterfallen, zum Teil aber auch nach §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, 97 Abs. 1, 148, 160a rechtlich besonders geschützt sein. Dass das Vertrauensverhältnis bei Tatverstrickung des Berufsangehörigen der Strafverfolgung weicht, sagt § 97 Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich. Erst recht gilt dies, wenn der Berufsangehörige Beschuldigter ist. In diesen Fällen muss allerdings zur Gewährleistung eines möglichst schonungsvollen Umgangs mit den Rechtspositionen Dritter der Staatsanwalt das Beweismaterial durchsehen, vgl. § 110, 17 f. Nur diese Vor-
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Egon Müller AnwBl. 1992 349; Burhoff StraFo 2005 140. Walther JA 2010 32; Radtke/Hohmann/ Ladiges 2. Vgl. nur AK/Amelung Vor § 102, 5 f.; Nothacker ArchKrim. 178 (1986) 1, 7; Park 1 ff. Heuchemer NZWiSt 2012 137, 138; s. dazu auch den Bericht von Schlag und die Beiträge von Egon Müller, Deckers, Thomas, Bandisch, Krekeler und Salditt zum Forum des Strafrechtsausschusses und der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV AnwBl. 1992 347 ff.
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Vor allem BVerfGE 96 27; 96 44; 103 142, vgl. zu Einzelheiten dazu bei § 105, 45 ff. und 83 ff. Heuchemer NZWiSt 2012 137, 138 Die ausdrückliche Benennung der Tatbestände der Anschlussdelikte Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei ist historisch bedingt, aber heute ohne Bedeutung, vgl. Geerds FS Dünnebier 171, 173; Radtke/ Hohmann/Ladiges 7. Vgl. zur Durchsuchung bei Rechtsanwälten auch Rn. 54.
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gehensweise stellt sicher, dass Interessen Dritter nicht mehr als unvermeidbar berührt werden.29 Bei Datenträgern muss der Zugriff auf für das Verfahren bedeutungslose Informationen im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden.30 Im Übrigen setzt der Begriff des Verdächtigen wenigstens die Möglichkeit voraus, 10 dass sich der Verdächtige durch das ihm vorgeworfene Verhalten nach materiellem Recht strafbar gemacht hat31 und deshalb gegen ihn ein Strafverfahren durchgeführt werden kann. Eine straflose Vorbereitungshandlung reicht deshalb für eine auf strafprozessuale Vorschriften gestützte Durchsuchung keinesfalls aus. Auch Strafunmündige (§ 19 StGB) können keine „Verdächtigen“ sein. Durchsuchungen ihrer Sachen sind nur unter den Voraussetzungen des § 103 zulässig, wenn wegen der Tat gegen eine andere Person ein Verfahren durchgeführt werden kann.32 Ausnahmsweise kann die Durchsuchung bei einem Schuldunfähigen zulässig sein, wenn sie zur Sicherung von Verfall, Einziehung und Gewinnabschöpfung nach § 111b Abs. 4 i.V.m. § 102 notwendig ist,33 denn hierfür ist die Schuld des Täters gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB irrelevant. Der Schuldunfähigkeit stehen die Fälle gleich, bei denen offensichtlich Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe34 bzw. nicht behebbare Verfahrenshindernisse vorliegen.35 Ist der Betroffene schuldunfähig und kommt ein Sicherungsverfahren (§§ 413 ff.) in Betracht, ist eine Durchsuchung dafür wiederum zulässig.36
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2. Juristische Personen können nicht Verdächtige oder Beschuldigte sein; für sie handeln natürliche Personen.37 Dementsprechend richtet sich eine Durchsuchung von Räumen einer juristischen Person immer gegen eine natürliche Person als Verdächtigten. Streit besteht über die richtige Ermächtigungsgrundlage: In der Rechtsprechung wird vertreten, die Durchsuchung bei juristischen Personen stütze sich wahlweise auf § 102 oder auf § 103.38 In der Literatur wird teilweise auf den Hausrechtsinhaber abgestellt;39 andere gehen davon aus, dass es für die Zuordnung eines Raumes nicht auf das Hausrecht, sondern auf die tatsächliche Nutzung bzw. die Beherrschung der Räume ankomme.40 Während § 102 einschlägig sei, sofern es sich um Räume handelt, die ausschließlich dem Verdächtigen persönlich zuzuordnen sind, komme es zu einer Durchsuchung nach § 103, wenn Räume betroffen sind, die der Verdächtige nicht zumindest mitbeherrscht. Danach wird man bei einem geschäftsführenden Organ einer juristischen Person regelmäßig davon ausgehen, es habe an seinem Büro Gewahrsam. Gleiches ergibt sich nach der An-
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Vgl. BVerfGE 113 29. BVerfGE 113 29. BVerfGE 20 162, 185. OLG Bamberg NStZ 1989 40 m. Anm. Wasmuth; Eisenberg StV 1989 554; KK/Nack 1; Meyer-Goßner 4; ebenso in Verfahren gegen „Unbekannt“: LG Trier StraFo 2007 371; a.A. KMR/Hadamitzky 5 wonach in einem Verfahren gegen Unbekannt auch eine Durchsuchung gem. § 102 durchgeführt werden kann. Wasmuth NStZ 1989 40; SK/Wohlers 24. Meyer-Goßner 4; SK/Wohlers 24. Können Zweifel am Vorliegen von Entschuldigungsoder Rechtfertigungsgründen nur durch die Durchsuchung ausgeräumt werden, so ist diese zulässig AK/Amelung 27.
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Meyer-Goßner 4; Park 39. SK/Wohlers 24; zweifelnd AK/Amelung 8. Vgl. zur Problematik, ob juristische Personen strafbare Handlungen begehen können, Schönke/Schröder/Cramer Vor §§ 25 ff., 118. BVerfG NJW 2003 2669; BVerfG NStZ-RR 2005 203, 205; BGH NStZ 1997 147; KK/Nack 8; Meyer-Goßner 7. HK/Gercke § 103 12; AK/Amelung 17; Krekeler/Schütz wistra 1995 296, 297; Benfer 109; Ciolek-Krepold 43 f. KMR/Hadamitzky 9; SK/Wohlers 12; Kramer Ermittlungen bei Wirtschaftsdelikten (1987), Rn. 81.
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sicht, die auf das Hausrecht abstellt. Unterschiede offenbaren sich bei Räumen und Sachen, die der Verdächtige tatsächlich nutzt und ihm alleine zuzuordnen sind, er jedoch z.B aufgrund seiner untergeordneten Stellung im Unternehmen nicht befugt ist, das Hausrecht auszuüben. In diesen Fällen ist mit der letztgenannten Ansicht § 102 anwendbar. Das folgt aus der gesetzgeberischen Wertung des § 103 Abs. 2.41 Dort wird das Betreten einer Wohnung zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten von den Fesseln des § 103 Abs. 1 befreit. Wenn zur Ergreifung eines Beschuldigten geringere Anforderungen an das Betreten der Wohnung eines nicht Verdächtigen aufgestellt werden, dokumentiert das ein allgemein geringeres Schutzniveau, wenn es sich um Räume handelt, die sich eine Person mit einem Verdächtigen (jedenfalls temporär und ggf. unfreiwillig) teilt. Fehl geht die Einschränkung, eine Durchsuchung nach § 102 bei der juristischen Person erfordere, dass die Organtätigkeit der juristischen Person wirtschaftlich nützen sollte oder genützt hat, denn sie entbehrt einer Stütze im Gesetz.42 Darüber hinaus sind, ähnlich der Durchsuchung von Wohngemeinschaften, nur die persönlichen Bereiche des Verdächtigen von § 102 erfasst, so dass die Interessen des Betriebsinhabers nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. S. zu Einzelheiten § 103, 5. 3. Tatverdacht a) Tatsächliche Anhaltspunkte. Die Wahl des Begriffs „Verdächtiger“ in § 102 soll 12 nach verbreiteter Meinung43 bedeuten, dass die Durchsuchung schon dann nach dieser Vorschrift und nicht unter den engeren Voraussetzungen des § 103 zulässig ist, wenn der Verdacht noch nicht so konkretisiert ist, dass er die Beschuldigteneigenschaft begründen kann.44 Ein Verdächtiger im Sinne des § 102 müsse die Durchsuchung dulden, auch wenn er noch nicht Beschuldigter sei.45 Danach wäre es möglich, dass ein Zeuge nach einer informatorischen Befragung nach § 102 durchsucht wird, obwohl er noch nicht Beschuldigter, sondern nur „verdächtig“ sei.46 Zum Beschuldigten werde der Verdächtige erst, wenn die Durchsuchung dazu diene, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen.47 Soweit dadurch die Verdachtsschwelle unter die des Anfangsverdachts nach den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 gesenkt werden soll, kann dem nicht gefolgt werden.48 Die Verfassung gebietet es, den Begriff des Verdächtigen bei § 102 enger zu fassen, als dies früher erforderlich erschienen sein mag. Jede Durchsuchung, vor allem aber die Wohnungsdurchsuchung, ist ein so schwer wiegender Eingriff, dass er angesichts der Bedeutung der durch sie berührten Grundrechte unter den erleichterten Voraussetzungen des § 102 nur gestattet sein kann, wenn wenigstens – verfahrensrechtlich verwertbare49 – Tatsachen unter Vermittlung kriminalistischer Erfahrungswerte eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Täterschaft oder Teilnahme des Betroffenen begründen.50 Auf-
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Warda 255 ff. So aber: Joecks WM-Sonderbeilage Nr. 3/1998, S. 23. OLG Köln VRS 27 103; Meyer-Goßner 3; KK/Nack 1; Bruns FS Schmidt-Leichner 5. Meyer-Goßner 3; HK-GS/Hartmann 2; a.A. Pfeiffer 1. Huber JuS 2013 408. Rogall NJW 1978 2535; Huber JuS 2013 408. BGHSt 51 367, 371; Roxin JR 2008 17; BGH NStZ 1997 398;
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BGHR StPO § 102 Tatverdacht 1; vgl. auch HK/Gercke 6; Geerds FS Dünnebier 171, 173 f. LG Stuttgart NStZ 1985 568 mit Anm. Hilger. Im Ergebnis ebenso; Geerds FS Dünnebier 174; Schlüchter 326; Rüping 270, Gillmeister 53; Joecks WM-Sonderbeilage Nr. 3/1998, 10 bezeichnet den Verdacht als „Produkt aus Tatsachenkenntnis und Erfahrungssatz“.
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grund des Gewichts des Eingriffs sind Verdachtsgründe zu verlangen, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen, Hypothesen und Schlussfolgerungen ohne tatsächliche Erkenntnisse hinausreichen.51 Eine repressive Durchsuchung setzt also einen Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 13 voraus. Zutreffend spricht das BVerfG52 von dem Erfordernis eines „greifbaren Verdachts“ gegen den Betroffenen und verneinte ihn in einem Fall, in dem einziger Verdachtsgrund der Umstand war, dass der Betroffene Besitzer einer in Deutschland häufig geführten Waffe gleichen Typs sein sollte, mit der in der Schweiz ein fünffacher Mord begangen wurde. Ebenso wurde zutreffend der eine Durchsuchung rechtfertigende Anfangsverdacht wegen eines Verstoßes gegen das FAG in einem Fall verneint, in dem die Ermittlungsbehörden allein aus dem (zulässigen) Besitz eines Allbereichsempfängers, mit dem der Polizeifunk abgehört werden kann, auf dessen verbotswidrige Verwendung geschlossen hatten.53 Das BVerfG vermisste hier „jegliche konkrete Anhaltspunkte“ dafür, dass der Betroffene den von der Rechtsordnung erlaubten Besitz eines Rundfunkgeräts zur Begehung einer strafbaren Handlung genutzt habe. Die vorgelegten Beweise müssen aktuell sein; bei älteren Beweisen darf sich die Sachlage seither nicht geändert haben.54 Zu Recht hat das Landgericht Berlin deshalb den Antrag auf eine Durchsuchung in einem Fall abgelehnt, in dem dieser auf die Erkenntnisse einer dreieinhalb Jahre zurückliegenden Fernmeldeüberwachung gestützt war, zwischenzeitlich die Ermittlungen aber keine neuen Verdachtsgründe ergeben haben.55 Feste Fristen, wie sie das BVerfG für die Vollstreckbarkeit eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses aufgestellt hat,56 wird man für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses, der an bekannte Verdachtsgründe anknüpft, freilich nicht verlangen.57 Bei bestimmten Berufsgruppen sind von Verfassung wegen allgemein höhere Anforderungen an das Vorliegen eines Tatverdachtes zu stellen, was bei §§ 102 ff. zu berücksichtigen ist.58 S. weiter zur Verdachtsbegründung § 105, 49.
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BVerfGE 44 353, 381 f.; 59 95, 97 f.; BVerfG NJW 2003 1513; NJW 2003 2669, 2670; NJW 2004 3171, 3172; NJW 2006 2974; NJW 2007 1443; NStZ-RR 2008 176, 177; NJW 2011 291; NJW 2011 2275; BGH NJW 2000 84,85; LG Offenburg StV 1997 626, 627; LG Hildesheim wistra 2007 399; Meyer-Goßner 2; SK/Wohlers 25; HK/Gercke 2. BVerfGE 59 95, 96, 98; BVerfG StV 2010 665 wonach die Beifahrereigenschaft eines Pkw-Fahrers, bei dem Betäubungsmittel aufgefunden werden, keinen ausreichenden Tatverdacht liefert, selbst gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen; NJW 2011 291, wonach der Vertrieb einer großen Anzahl von Mobiltelefonen auf einer Internetplattform durch eine Privatperson noch nicht den Verdacht der Hehlerei erzeugt. BVerfGE 96 27; s. die darauf ergangene Entscheidung LG Frankenthal NStZ-RR 1998 146. LG Osnabrück NStZ 1987 522; mit zustimmender Anm. Kronisch.
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LG Berlin StV 2003 69. BVerfGE 96 44 wonach die Gültigkeit des Durchsuchungsbeschlusses auf maximal sechs Monate begrenzt ist. Je mehr Zeit zwischen der richterlichen Durchsuchungsanordnung und deren Vollzug vergeht, desto wahrscheinlicher erscheint eine Veränderung der Ausgangslage, auf der die Anordnung fußt. So aber LG Berlin StV 2003 69; a.A. Anm. Heghmanns NStZ 2004 102. BVerfG NStZ 2005 443; BVerfG NStZ-RR 2008 176 (Arztpraxis); BVerfG NJW 2006 2974 zu den Voraussetzungen des Geldwäscheverdachts beim Strafverteidiger, s. hierzu auch AnwK-StPO/Löffelmann 2 und 13 f.; BVerfGE 117 244 (Cicero) zum Tatverdacht der Beihilfe zum Geheimnisverrat gem. §§ 353b, 27 StGB durch Presseangehörige. Diese Fallgruppe ist allerdings durch das Inkrafttreten von § 353b Abs. 3a StGB obsolet geworden, der bei bestimmten Beihilfehandlungen von Pressemitgliedern die Rechtswidrigkeit entfallen lässt.
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Insbesondere darf die Durchsuchung nicht dazu dienen, erst Verdachtsgründe zu 14 schaffen.59 Auf anonyme Anzeigen wird sich daher nur in Ausnahmefällen eine Durchsuchung stützen lassen, es sei denn, sie sind von „beträchtlicher sachlicher Qualität“,60 mit ihr zusammen ist schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden oder aufgrund der Anzeige angestellte Ermittlungen haben solches ergeben.61 Bei schwachem Tatverdacht bedarf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonderer Beachtung. S. § 105, 64 ff. Vor einer Durchsuchung in Steuerstrafverfahren sind gegebenenfalls Vorermittlungen im Besteuerungsverfahren durchzuführen, die einen ausreichenden Tatverdacht erhärten.62 b) Mehrere Tatverdächtige. Diese Auffassung schließt nicht aus, dass bei mehreren 15 Tatverdächtigen nach § 102 durchsucht werden kann, obwohl nur einer von ihnen tatsächlich der Täter sein kann. Es müssen aber Tatsachen vorliegen, die auf jeden als Täter hinweisen. Eine nur statistische Wahrscheinlichkeit kann regelmäßig nur zusammen mit Umständen genügen, die auf eine bestimmte Person deuten.63 Eine „flächendeckende Fahndung“ (auch) gegen Personen, gegen die ein solcher durch Tatsachen konkretisierter individueller Verdacht nicht besteht, wäre unzulässig (s. auch § 108, 9). Der Umstand, dass an einer Stelle und bei bestimmten Gelegenheiten viel gestohlen wird (Kleindiebstähle in Ladengeschäften, Kaufhäusern, Fabriken oder Häfen, bei Volksfesten und anderen Großveranstaltungen), begründet noch keinen Verdacht gegen Einzelne, die sich dort aufhalten. Ebenso wenig besteht ein genereller Verdacht, dass Ärzte, die sich ein bestimmtes Arzneimittel von einer Großapotheke liefern lassen, dieses Arzneimittel bei Verabreichung und Verkauf an Patienten nicht ordnungsgemäß versteuern, selbst wenn eine Vielzahl der belieferten Ärzte in dieser Art verfährt.64 Daher ist eine (mit einer Durchsuchung verbundene) allgemeine polizeiliche Kontrolle an den Ausgängen dieser Räume und Anlagen unzulässig.65 Aus den gleichen Gründen ist auch eine allgemeine Kontrolle von Postabholern nicht statthaft, die den Zweck verfolgt, Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat (Verbreitung staatsgefährdender oder pornographischer Schriften) erst zu erlangen. Allein die Tatsache, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen häufig unvollständig erklärt werden, begründet noch keinen Tatverdacht der Steuerhinterziehung bei Steuerpflichtigen. Dagegen wurde die Annahme eines Tatverdachts in einer Mordsache nicht beanstandet, bei der ein Fahrer eines Porsches mit Münchner Kennzeichen als Täter in Betracht kam und der Betroffene für die Tatzeit unterschiedliche Angaben zu seinem Alibi gemacht hatte.66 c) Schriftenbeschlagnahme. Zur Frage, wann bei einer allgemeinen Beschlagnahme 16 von Schriften usw. im Sinne des § 111m im Einzelfall der Anfangsverdacht für eine Durchsuchung gegeben ist, vgl. § 111m, 18.
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BVerfGE 20 162, 185; BVerfG StV 2006 624; BVerfG StV 2010 665; Meyer-Goßner 2; SK/Wohlers 24. BGHSt 38 144, 147; LG Karlsruhe StraFo 2005 420. S. LG Offenburg StV 1997 626, 627; LG Regensburg StV 2004 198. Meyer-Goßner 2; LG Hildesheim wistra 2007 399; mit Anm. Matthes wistra 2008 10, 14; Kemper wistra 2007 249.
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AG Saalfeld StV 2001 504; SK/Wohlers 28. LG Hildesheim wistra 2007 399; mit Anm. Matthes wistra 2008 10, 14. BGHZ 124 39; AK/Amelung 4; SK/Wohlers 27. BVerfG (zur Anordnung der Entnahme einer Blutprobe für eine DNA-Analyse) NStZ 1996 606 mit Anm. Benfer 397; Rogall 399; Gusy JZ 1996 1176; Huber Kriminalistik 1997 733.
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d) Verdachtsmaß bei Ergreifungsdurchsuchung (Rn. 20). Soweit die Durchsuchung der Ergreifung des Verdächtigen dienen soll, müssen ohnehin die Voraussetzungen für den Freiheitsentzug – also regelmäßig ein dringender Tatverdacht (vgl. §§ 127 Abs. 2, 112 Abs. 1) – vorliegen.
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e) Verhältnismäßigkeit. Welches Maß an Tatverdacht im Einzelfall eine Durchsuchung zu rechtfertigen vermag, ist im Übrigen stets eine Frage der Verhältnismäßigkeit, die in jedem Fall zu prüfen und bei Berufsgeheimnisträgern gemäß § 53 von besonderer Bedeutung ist.67 Einzelheiten dazu § 105, 68 ff.
III. Durchsuchungszwecke 1. Ergreifung des Verdächtigen
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a) Ergreifung im Sinne des § 102 ist jede Festnahme zur Durchführung einer gesetzlich zugelassenen Zwangsmaßnahme, selbst wenn dazu nur ein kurzfristiges Festhalten des Verdächtigen erforderlich ist:68 in erster Linie die vorläufige Festnahme nach § 127, die Verhaftung nach § 112 oder nach § 126a Abs. 1 und die Festnahme aufgrund eines Vorführungs- oder Haftbefehls nach den §§ 134, 163a Abs. 3, 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 4 Satz 1. Dazu zählt ferner die Festnahme zur Verbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Beobachtung nach § 81, zur Vornahme körperlicher Eingriffe nach § 81a, z.B. einer Blutprobenentnahme,69 einer erkennungsdienstlichen Behandlung für Zwecke der Strafverfolgung nach § 81b,70 nicht aber für Zwecke des Erkennungsdienstes (vgl. Erläuterungen zu § 81b) sowie zur Durchführung von Maßnahmen nach § 163b.71 Entsprechendes gilt für § 81g. Eine Ergreifungsdurchsuchung beim Verdächtigen darf nach § 102 mit dem Ziel der Entnahme von Körperzellen durchgeführt werden.72 Soweit es um die Entnahme von Körperzellen beim nicht Verdächtigen gemäß § 81g Abs. 4 geht, ist § 102 nach überwiegender Ansicht keine taugliche Eingriffsgrundlage.73 Zur Vernehmung vor der Polizei darf der Beschuldigte – anders zur Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft, § 163a Abs. 3 – nicht ergriffen werden. Da die Durchsuchung nach § 457 Abs. 3 auch im Strafvollstreckungsverfahren gilt, fällt unter Ergreifung schließlich auch die Festnahme des Verurteilten74 zur Einlieferung in Sicherungshaft (§ 453c), in Strafhaft (§ 457) oder in den Maßregelvollzug (§ 463). Wird der Verdächtige nicht selbst in den Räumen vermutet oder gesucht, sondern wird nur nach Anhaltspunkten für seinen Verbleib geforscht, so handelt es sich nicht um eine Durchsuchung zum Zweck seiner Ergreifung, sondern zur Auffindung von Beweismitteln. 67 68 69
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Vorbildlich LG Berlin NJW 2003 2695. KK/Nack 5; Meyer-Goßner 12; wohl auch Eb. Schmidt 12. OLG Düsseldorf VRS 41 (1971) 429; OLG Stuttgart Justiz 1971 29; KK/Nack 5; Gobrecht Polizei 1969 284; a.A. Kohlhaas DAR 1968 69, 74. Meyer-Goßner 12; OLG Naumburg NStZ-RR 2006 178, 180; OLG Hamm NStZ-RR 2012 254. Meyer-Goßner 12. LG Hamburg NStZ 2005 406; Benfer 358; Fluck NJW 2001 2292, 2295.
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LG Frankfurt StV 2003 610; LG BadenBaden Beschl. v. 22. 11. 2000 – 1 Qs 175/00; Fluck NJW 2001 2292, 2295; Malek MAH § 27, 9; a.A. LG Hamburg NStZ 2005 406; NStZ-RR 2004 213; Graalmann-Scheerer ZRP 2002 72, 75; Meyer-Goßner § 81g, 21. OLG Düsseldorf NJW 1981 2133; BayObLG 8 239; 20 153; OLG Frankfurt NJW 1964 785, 786; OLG München Alsb. E 3 Nr. 232; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 12; Eb. Schmidt 12.
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b) Die allgemeine Vermutung, dass sich der Verdächtige in seinen Räumen aufhält, 20 rechtfertigt nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits die Durchsuchung seiner Räume zu seiner Ergreifung. Bei mehreren Verdächtigen findet auf die Ergreifungsdurchsuchung in den Räumen eines anderen Verdächtigen § 102 und nicht § 103 Anwendung, der die Durchsuchung bei nicht tatbeteiligten Dritten regelt.75 Eine Durchsuchung „auch ins Blaue hinein aufs Geratewohl“ bei einem Verdächtigen zur Ergreifung anderer Verdächtiger ist aber willkürlich und damit unzulässig.76 Wenigstens der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesuchte in den Räumen des Mitverdächtigen aufhält. 2. Auffinden von Spuren und Beweismitteln a) Begriff. § 102 und § 103 formulieren den Durchsuchungszweck unterschiedlich. 21 Während in § 102 von der Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln die Rede ist, spricht § 103 von der Durchsuchung zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände. Ein sachlicher Unterschied ist damit nicht verbunden.77 Spuren sind Beweismittel, die nicht beschlagnahmt werden können.78 Ihr sachlicher Gehalt wird durch die ermittelnden Beamten in Aktenvermerken, fotografisch oder in sonstiger Weise festgehalten. Keine Beweismittel im Sinne der §§ 102, 103 sind Zeugen, nach denen gesucht wird.79 Die Durchsuchung von Sachen beschränkt § 102 nicht auf Beweismittel. Sie ist gerade 22 auch an Sachen zulässig, die keine Beweismittel sind, aber solche enthalten oder auf solche hinweisen. So darf bei der Suche nach einem Koffer eine Brieftasche durchsucht werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort ein Hinterlegungsschein gefunden werden könnte.80 b) Eine ganz allgemeine Vermutung, in der Wohnung oder in den Sachen eines Ver- 23 dächtigen ließen sich Beweismittel finden, reicht für eine Auffindevermutung nach den §§ 102, 103 nicht aus, um eine Wohnungsdurchsuchung zu rechtfertigen. Allerdings sind die Anforderungen für die Durchsuchung beim Verdächtigen signifikant geringer als nach § 103.81 „Ist eine Person einer Straftat verdächtig, so ist es bereits nach der Lebenserfahrung in gewissem Grade wahrscheinlich, dass bei dieser Person Beweisgegenstände zu finden sind, die zur Prüfung der Verdachtsannahme beitragen können. Durch die Verknüpfung des personenbezogenen Tatverdachts mit einem eher abstrakten Auffindeverdacht wird ein ausreichender Eingriffsanlass geschaffen.“82 Es ist nicht erforderlich, dass bei der Durchsuchungsanordnung konkrete Vorstellungen über die zu suchenden Gegenstände bestehen, weshalb eine gleichzeitige Beschlagnahme häufig nicht angeordnet werden kann. Die zu suchenden Gegenstände müssen aber wenigstens annäherungsweise, etwa in Form beispielhafter Angaben, beschreibbar sein.83 Es genügt, dass aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht besteht, dass der Zweck der
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Eb. Schmidt 14. Anders Eb. Schmidt 14. HK/Gercke 9; Meyer-Goßner 13; Eb. Schmidt 13. Geerds FS Dünnebier 174; KK/Nack 4. Meyer-Goßner 13 Personen die lediglich in Augenschein genommen werden, sind hingegen Beweismittel.
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Meyer-Goßner 13. BVerfG NJW 2003 2669, 2670; BVerfG NJW 2007 1804. BVerfG NJW 2003 2669, 2670. BVerfGE 44 212, 220.
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Durchsuchung erreicht werden kann.84 Stets muss der Eingriff verhältnismäßig sein, also in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat, zur Stärke des Tatverdachts und zum erwarteten Erfolg stehen.
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3. Auffinden von Verfalls- und Einziehungsgegenständen. Nach § 111b Abs. 4 und 5 sind die §§ 102 bis 110 entsprechend anwendbar auf Durchsuchungen zur Beschlagnahme von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen können, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen (s. § 111b, 48).
IV. Durchsuchungsobjekte 25
1. Wohnungen, andere Räume und Sachen. Das Gesetz unterscheidet bezüglich der Eingriffsvoraussetzungen (Verdachtsstärke, Richtervorbehalt) nicht ausdrücklich zwischen den genannten Durchsuchungsobjekten. Gleichwohl kommt der Differenzierung zwischen der Wohnung und anderen Räumen und den Sachen durchaus eine Bedeutung zu, weil der Grundrechtsschutz des Art. 13 GG nur Wohnungen erfasst.85 Auch bezieht sich die Rechtsprechung des BVerfG zum Rechtsschutz nach abgeschlossener Durchsuchung unmittelbar nur auf Sachverhalte, in denen das Grundrecht aus Art. 13 GG betroffen war. Bei den nicht unter Art. 13 GG fallenden anderen Räumen liegen nicht immer „tiefgreifende Grundrechtseingriffe“86 vor. Allerdings wird weitgehend davon ausgegangen, dass die verfassungsrechtlichen Postulate zur Wohnungsdurchsuchung auf Personendurchsuchungen übertragbar sind.87 Umstritten ist, ob auch der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz einer Woh26 nung (Hausbesetzung) den Schutz des Wohnungsgrundrechtes genießt88 und damit nur unter strengeren Voraussetzungen zulässig ist. Dieser Streit ist weiter von Bedeutung, wenn es um die Einwilligungsmöglichkeit des Eigentümers bzw. Hausbesetzers geht.89 Richtigerweise kommt dem Hausbesetzer nicht der Schutz des Art. 13 GG zu. Aus der Perpetuierung eines rechtswidrigen Zustandes kann kein Grundrechtsschutz abgeleitet
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OLG Dresden StraFo 2008 118; MeyerGoßner 2; Eb. Schmidt 15; Enger Geerds FS Dünnebier 195, wonach auch bei Durchsuchungen nach § 102 konkrete Anhaltspunkte erforderlich sein müssen, die einen Erfolg der Maßnahme möglich erscheinen lassen; auch Günther Die Durchsuchung von Räumen und Sachen (1973) 176, der ebenfalls eine Begrenzung der Vermutungswirkung verlangt; anders Rengier NStZ 1981 372, der in der Auffindungsvermutung ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal sieht, da aus dem bestehenden Tatverdacht bereits die Vermutung folge, Beweismittel zu finden. Zur geschichtlichen Entwicklung des Schutzes der Wohnung Sommermeyer JR 1990 493 m.w.N.
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BVerfGE 96 27, 40. Radtke/Hohmann/Ladiges § 105, 4; Wohlers StV 2008 434, 440; Müller/Trurnit StraFo 2008 144, 146; Spaniol FS Eser 473, 489; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 653; Amelung NStZ 2001 337, 342. Vgl. zu § 81a ferner: BVerfG NJW 2007 1345; OLG Karlsruhe NStZ 2005 399, 399 f. Zustimmend: Sachs/Kühne Art 13, 19 GG; BK/Herdegen Art. 13, 38 GG; Dreier/Hermes Art. 13, 22 GG; Radtke/Hohmann/Ladiges 9; Dagtoglou JuS 1975 753, 755; ablehnend: v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 33 GG; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 12 GG; Stern Staatsrecht IV/1, § 99 IV 3, 216. Vgl. § 105, 12.
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werden.90 Nach anderer Ansicht erstreckt sich der Grundrechtsschutz aus Art. 13 GG auch auf unberechtigt in Wohnungen Verweilende.91 Unberechtigt Eingedrungenen müsse der spezielle räumliche Persönlichkeitsschutz aus Art. 13 GG zukommen.92 Dieser Sichtweise steht der Grundsatz der Einheit der Verfassung entgegen.93 Es wäre widersprüchlich, dem Hausbesetzer, der sich rechtswidriges „Wohnen“ anmaßt, Grundrechtsschutz zu gewähren, nicht aber dem Hauseigentümer, der aufgrund der Schutzpflicht des Staates einen Anspruch aus Art. 14 GG darauf hat, dass die Hausbesetzung unterbunden wird.94 § 102 spricht von der Durchsuchung „der Wohnungen und anderer Räume“, § 103 27 von „den zu durchsuchenden Räumen“ und von „einer Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen“, während § 104 und § 105 neben der Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum als Objekte der Durchsuchung nennen. Die unterschiedlichen Begriffe bedeuten nicht, dass der geschützte räumliche Bereich in den verschiedenen Vorschriften unterschiedlich weit reichen würde. Entscheidend ist vielmehr, welche Räume als „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 GG zu gelten haben und welche nicht.95 Das Grundrecht normiert ein grundsätzliches Verbot des Eindringens in die Wohnung oder des Verweilens darin gegen den Willen des Wohnungsinhabers. Dazu gehören auch der Einbau von Abhörgeräten und ihre Benutzung in der Wohnung,96 weshalb die Zulässigkeit des „großen Lauschangriffs“ eine Verfassungsänderung voraussetzte (s. Erl. zu § 100c Abs. 1 Nr. 3). Dürfen Räume nach den §§ 102, 103 durchsucht werden, gilt dies gleichfalls für die 28 sich in diesen Räumen befindlichen Sachen, wie Taschen, Schränke und andere geschlossene oder offene Behälter. a) Begriff „Wohnung“. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist durch Art. 13 GG ge- 29 schützt. Es handelt sich um ein Individualgrundrecht, das dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse seiner freien Entfaltung, als Rückzugsbereich der individuellen Lebensgestaltung,97 einen elementaren Lebensraum gewährleisten soll.98 Deshalb wird der Begriff Wohnung nicht im engen Sinne der Umgangssprache, sondern weit ausgelegt und als „räumliche Privatsphäre“99 verstanden. Von der baulichen Gestaltung müssen als Wohnung genutzte Räume nach außen abgeschlossen sein: Geschützt wird eine räumliche Entfaltungs- und Lebenssphäre nur, soweit sie sich durch räumliche Abschottung konstituiert.100 Schließlich bedarf es einer subjektiven Bestimmung zu
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„Ex iniuria ius non oritur“ v. Mangoldt/ Klein/Starck/Gornig Art. 13, 33 GG mit Verweis auf Brownlie Principles of Public International Law (1990)4 511 und Lauterpacht Recognition in International Law (1947) 421 ff. Aus verfassungsrechtlicher Sicht: Sachs/ Kühne Art. 13, 19 GG; Dagtoglou JuS 1975 753, 755; BK/Herdegen Art. 13, 38 GG; Dreier/Hermes Art. 13, 22 GG; aus strafprozessualer Sicht: SK/Wohlers 9; KMR/Hadamitzky 9; KK/Nack 9; AK/Amelung 19; HK/Gercke 13. Werwigk NJW 1983 2366. Jaeschke NJW 1983 434; Kunig Jura 1992
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476, 479; Park 52: etwas anderes ergebe sich aber, soweit der Hausbesetzer vom Berechtigten geduldet werde. v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 33 GG; BK/Herdegen Art. 13, 38 GG. SK/Wohlers 7. BVerfGE 65 1, 40. BK/Herdegen Art. 13, 27 GG; Sachs/Kühne Art. 13, 7 GG. BVerfGE; 32 54, 75; 42 212, 219; 51 97, 110; 75 318, 328; 96 44, 51; Maunz/Dürig/ Papier Art. 13, 10 GG. Vgl. nur BVerfGE 32 54, 72; BGHSt 44 138. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 13, 7 GG.
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Wohnzwecken in dem genannten Sinne und deren objektiver Erkennbarkeit.101 „Wohnung“ ist danach jeder nicht allgemein zugängliche Raum, der zur Stätte des Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht wird,102 also die nicht allgemein zugänglichen Wohnräume und auch die nicht allgemein zugänglichen beruflich genutzten Räume,103 wie Arbeits-, Amts-,104 Betriebs-, Dienst-105 und Geschäftsräume.106 Hierher gehören insbesondere auch Anwaltskanzleien,107 Arztpraxen,108 Diensträume ausländischer Konsulate,109 Werkstätten, Arbeitshallen, Fabriken, Läden, Büroräume jeglicher Art, Bordelle usw.110 Im Übrigen ist „Wohnung“ der Inbegriff der Räume (Wohn- und Schlafräume, Winter30 garten, Balkon, Terrasse, Küche, Bad, Flur, Treppe, Keller, Waschküche, Bodenraum, Garage und dgl.), die Einzelpersonen, Familien oder anderen zusammengehörenden Personengruppen zum ständigen Aufenthalt dienen oder zur Benutzung freistehen.111 Auf eine Bestimmung oder Eignung der Räume zur Übernachtung kommt es ebenso wenig an wie auf die Absicht eines längeren Aufenthalts. Wohnungen sind daher112 auch Wochenendhäuser, Ferienhäuser, Jagdhütten und Hotelzimmer, Krankenzimmer,113 Schlafwagenabteile, Hausboote und Schiffe, Artisten-, Bau- und sonstige Wohnwagen114 sowie Campingfahrzeuge und Zelte, nicht aber bloße Schlafstätten im Freien,115 offene Schutzhütten.116 Zur „Wohnung“ gehören Zubehörflächen, die in erkennbarem Zusammenhang mit 31 Wohnzwecken stehen, wie die umfriedete Grundstücksfläche zwischen Haus und Gehweg.117 Träger des Grundrechts kann jedermann sein. Auch juristische Personen118 und nicht 32 rechtsfähige Personenverbände119 kommen in Betracht, so dass auch in deren Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen,120 in Vereinsräumen,121 Clubräumen oder Spielsälen eine räumliche Privatsphäre bestehen kann, die dann als „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 GG anzusehen ist.122
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Sachs/Kühne Art. 13, 2 GG; BK/Herdegen Art. 13, 27 GG; Dagtoglou JuS 1975 753, 754. BGHSt 42 372, 375; BGH NJW 1998 3284. BVerfGE 96 44; für Geschäfts- und Betriebsräume ist dies in der verfassungsrechtlichen Literatur nicht unbestritten, vgl. Sachs/ Kühne Art. 13, 4 GG m.w.N. BVerfGE 32 54, 68; BVerfGE 103 142. BayObLG NJW 1993 744. Zu allem vgl. BVerfGE 32 54, 72; 96 44; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 10 ff. GG; BK/Herdegen Art.13, 26 ff. GG; Sachs/ Kühne Art. 13, 4 GG; KK/Nack 8; MeyerGoßner 7. EGMR Niemitz/D, 16.12.1992, NJW 1993 718; EGMR Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/A, 16.10.2007, NJW 2008 3409; siehe LR/Esser Art. 8 EMRK Rn. 148. BVerfGE 96 44; vgl. BVerfGE 32 54, 69 ff.; 42 212, 219; 44 353, 371; 76 83, 88; NStZ-RR 2008 176. OLG Köln NJW 1982 2740. S. zu alledem BGHSt 42 372 mit Anm.
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Scholz NStZ 1997 196; Hilger NStZ 1992 457, 462 Fn. 101. BGH NStZ 1998 157. Vgl. dazu Fischer § 123, 6 ff. StGB. BGHSt 50 206, 210 f. RGSt 14 312, 314; zuletzt BGH NJW 2005 3295, 3297. RGSt 13 312. SK/Wohlers 7. BGHSt 44 138; BGH (Ermittlungsrichter) NStZ 1998 157 (1 BGs 65/97); vgl. aus der Literatur zusammenfassend Maunz/Dürig/ Papier Art. 13, 11 ff.; BK/Herdegen Art. 13, 26 ff. GG; Sachs/Kühne Art. 13, 3 GG; laut BGH nicht jedoch der Zugangsbereich eines Hauses BGHSt 44 13. BVerfGE 76 83, 88. Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 17 GG. BVerfGE 76, 83, 88; nicht aber öffentlichrechtliche Banken BVerfG NJW 1995 582. BGHSt 42 372 mit Anm. Scholz NStZ 1997 196; Wollweber NStZ 1997 351; Martin JuS 1997 758. Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 17 GG.
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b) Andere Räume, befriedetes Besitztum, Sachen unterfallen nicht dem Schutz des Art. 13 GG, für deren Durchsuchung gelten aber ebenfalls die Voraussetzungen der §§ 102 ff. Zu den anderen Räumen gehören Räume von Behörden,123 die keinen Grundrechtsschutz genießen, Unterkunftsräume eines Soldaten oder Polizeibeamten124 oder Hafträume in einer Justizvollzugsanstalt.125 Auch ein Besucherraum in einer Untersuchungshaftvollzugsanstalt gewährt dem Gefangenen wegen der dort bestehenden besonderen Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse des Anstaltspersonals keine Privatsphäre, wie sie der Schutzbereich des Art. 13 GG voraussetzt.126 Das Recht des Einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden, wird einem Gefangenen unter den besonderen Bedingungen des Untersuchungshaftvollzugs in einem Besucherraum nur in erheblich beschränktem Umfang gewährleistet. Eine räumliche Privatsphäre ist dort noch weniger garantiert als in einem Haftraum.127 Zur Durchsuchung von Hafträumen s. Rn. 51. Der Personenkraftwagen dient der Fortbewegung des Menschen, nicht seiner „Behausung“, seinem Aufenthalt.128 Außerhalb des Wohnhauses befindliche Nebenräume der Wohnung und noch nicht bewohnte Neubauten sind befriedetes Besitztum. Befriedetes Besitztum kann nur ein Grundstück sein. In einem räumlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Gebäude braucht es nicht zu stehen. Befriedet ist das Besitztum, wenn es von seinem berechtigten Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise durch zusammenhängende Schutzwehren (Mauern, Zäune, Verdrahtungen, Hecken, Abgrenzungen durch Gräben oder Wälle) gegen das willkürliche Betreten und Eindringen durch andere gesichert ist.129 Unüberwindlich und lückenlos braucht dieser Schutz aber nicht zu sein. Bloße Verbotstafeln genügen jedoch nicht.130 Ein äußerlicher Schutz ist nach der Rechtsprechung entbehrlich, wenn das Besitztum für jedermann erkennbar zu einer Wohnung oder einem Geschäftsraum gehört.131 Befriedetes Besitztum sind auch Hofplätze, Haus- und Wirtschaftsgärten, Lagerplätze, Ställe, Scheunen, Fried- und Kirchhöfe sowie Neubauten, die noch nicht bewohnt sind. Mit „Sachen“ meint das Gesetz im Gegensatz zu Wohnung und Räumen bewegliche Sachen wie Akten, jede Art von Geschäftspapieren, elektronische Datenträger, EDV-Anlagen (zu deren Durchsuchung s. Rn. 41 ff. und Durchsicht § 110, 5, 7 ff., 16), Kleider, Taschen, Koffer, Fahrzeuge jeder Art, soweit sie nicht, wie der zu Wohnzwecken benutzte Wohnwagen, als Wohnung gelten.
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LG Koblenz wistra 2004 438, wonach die Durchsuchung bei einer Behörde auch auf § 102 gestützt werden kann, soweit nur die von dem Beschuldigten innegehaltenen Räumlichkeiten in dem Dienstgebäude durchsucht werden sollten. BGHSt 44 138; BK/Herdegen Art. 13, 26 GG. BVerfG NJW 1996 2643; BGHSt 44 138; OLG Stuttgart NStZ 1984 574; vgl. Rn. 51. BVerfG NJW 1996 2643; BGHSt 44 138; 53 294; Roxin NStZ 1999 149, 150 f.; in Bezug auf § 100d angezweifelt, aber offen gelassen BVerfG NJW 2006 2974. BGHSt 44 138.
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BGH NJW 1997 2189; LG Stendhal NStZ 1994 556. BGH NStZ 1998 157; RGSt 11 293; 20 150, 155; 36 395, 397; BayObLGSt 1969 77 = JR 1969 466 m. Anm. Schröder. BGH NStZ 1998 157; OLG Hamm VRS 37 265, 266. RGSt 20 150, 155; 36 395, 398; RGRspr. 3 143, BayObLGSt 1965 10 = JR 1965 265; BayObLGSt 1969 77 = JR 1969 466 m. Anm. Schröder; OLG Hamm VRS 37 266; krit.: Dreier/Hermes Art. 13, 13 GG, der auf eine Banalisierung des Grundrechtsschutzes hinweist, wenn nicht abgegrenzten Grundstücksflächen Grundrechtsschutz zugebilligt wird.
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2. Personen. § 102 gestattet auch die Durchsuchung der Person des Verdächtigen. Diese Durchsuchung ist von der Untersuchung nach § 81a abzugrenzen: Durchsuchung ist die Suche am bekleideten oder unbekleideten Körper nach Beweismitteln oder Spuren, soweit dies ohne Einsatz medizinischer Hilfsmittel möglich ist.132 Eine Untersuchung des Körperinneren bzw. in Körperöffnungen gestattet die Vorschrift daher nicht.133 Dass § 102 vom Verdächtigen, § 81a vom Beschuldigten spricht, hat rechtliche Relevanz (s. dazu Rn. 12). Näheres s. Erläuterungen zu § 81a. Bei der Durchsuchung, die geeignet ist, das Schamgefühl der verdächtigen Person zu beeinträchtigen, ist § 81d entsprechend anwendbar (vgl. die Erläuterungen dort).
V. Die Beziehung der zu durchsuchenden Gegenstände zum Verdächtigen: Abgrenzung zwischen § 102 und § 103 38
Das Gesetz stellt an die Zulässigkeit der Durchsuchung beim Verdächtigen (§ 102) geringere Anforderungen als an die Durchsuchung bei anderen Personen (§ 103). Für die Abgrenzung kommt es bei Räumen unabhängig von den Eigentumsverhältnissen auf deren tatsächliche Nutzung, bei beweglichen Sachen auf den Gewahrsam an.134 Für Wohnräume, wie auch für Geschäftsräume, wird dies bestritten. Teilweise wird eingewandt, es sei vielmehr auf das Hausrecht des Inhabers abzustellen.135 Die überwiegende Ansicht hingegen stellt auf die tatsächliche Nutzung ab.136 Bei Mitbenutzung oder Mitgewahrsam mehrerer Personen, von denen nur ein Teil verdächtig ist, gilt daher § 102.137 Das Gesetz geht davon aus, dass im unmittelbaren Einwirkungsbereich des Verdächtigen das Auffinden von Beweismitteln so nahe liegt, dass die allgemeine Vermutung des § 102 bereits die Durchsuchung rechtfertigt, auch wenn dadurch Nichtverdächtige betroffen werden.138 Voraussetzung ist aber, dass es sich tatsächlich um gemeinsam genutzte Räume handelt. Sind Räume hingegen ausschließlich dem unverdächtigen Mitbewohner zuzuordnen, scheidet eine Durchsuchung nach § 102 aus.139 Bei Wohnungen und Räumen kann diese Rechtslage zu Härten für die Mitbewohner 39 führen. Dies gilt zunächst für Familienwohnungen, aber auch für Arbeits-, Geschäftsund Betriebsräume, die der Verdächtige nur mitbenutzt, die ihm aber vom Arbeitgeber oder Dienstherrn zur Arbeitsausübung oder sonstigen Nutzung überlassen worden sind. Alle diese Räume werden nach § 102 durchsucht, wenn nur ein Mitbenutzer Verdächti-
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Zum Brechmitteleinsatz Schaefer NJW 1997 2438 gegen OLG Frankfurt NJW 1997 1647. Der EGMR erklärt den Einsatz von Brechmittel für menschenrechtswidrig, Jalloh/D, 11.7.2006, NJW 2006 3117; infolge von 2 Todesfällen änderte sich die Rspr. und gebietet nunmehr sehr restriktiven Brechmitteleinsatz BGH NJW 2010 2595, 2599. Das ist für natürliche Körperöffnungen streitig; wie hier Eb. Schmidt 11 und Nachtrag I § 81a, 4; Rüping, Strafverfahren Rn. 261, AK/Wassermann § 81a, 2; Müller Rechtsgrundlagen und Grenzen (2003), 35; a.A. OLG Celle NJW 1997 2463 (Mundhöhle); Peters § 48 A V 1; Radtke/Hoh-
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mann/Ladiges 13; HK/Gercke 17; AK/Amelung 23; Meyer-Goßner 9; vgl. zum Brechmitteleinsatz Fn. 132. BGH StV 2007 60; Geerds FS Dünnebier 171, 174. Nelles StV 1991 488, 491. BGHR StPO § 102 Geschäftsräume 1; Geerds FS Dünnebier 171, 174; Stoffers wistra 2009 380. BGH NStZ 1986 84; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 11; AK/Amelung 17; SK/Wohlers 11; KMR/Hadamitzky 9; grundsätzlich anders Nelles StV 1991 488 passim. Im Einzelnen Warda 259 ff. LG Heilbronn StV 2005 380; LG Saarbrücken NStZ 1988 424.
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ger ist.140 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 105, 59 ff.) gebietet ein schonendes Vorgehen, das die Sphäre der Nichtverdächtigen respektiert.141 Dem ist vorab durch eine genaue Umschreibung des Durchsuchungszwecks Rechnung zu tragen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass nicht zum gemeinschaftlichen Herrschaftsbereich gehörende Gegenstände, wie Tagebücher des nichtverdächtigen Ehegatten, erst gar nicht durchsucht oder im Sinne des § 110 durchgesehen oder gar als Beweismittel beschlagnahmt werden.142 Ist eine eindeutige Zuordnung zum verdächtigen Mitbewohner unmöglich, muss eine Durchsuchung nach § 102 unterbleiben. Dem Verdächtigen gehörende Sachen sind bewegliche Sachen, die in seinem Gewahr- 40 sam stehen;143 auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an. Ein Mitgewahrsam des Verdächtigen genügt für § 102.144 Sachen in diesem Sinne sind zunächst alle Gegenstände, die der Verdächtige bei sich führt, seine Taschen, Koffer u.Ä. Auch der PKW gehört hierzu,145 soweit man ihn nicht, wie zum Wohnen benutzte Wohnwagen, unter den Begriff Wohnung fasst. Ausgeschlossen ist dagegen die am Körper getragene Kleidung:146 Das Abtasten der am Körper getragenen Kleidung wird bereits von der Variante der Personendurchsuchung erfasst. Die Gegenstände können sich, wie z.B. der Schreibtisch am Arbeitsplatz, in den Räumen Dritter befinden. Hat der Verdächtige bei seinem Arbeitgeber einen eigenen Büroraum, so kann dieser nach § 102 durchsucht werden.147 Ist ein eigener Büroraum nicht vorhanden, wird § 102 auf den Schreibtisch, Kleiderschrank, Werkzeugschrank usw. des Beschuldigten anzuwenden sein, da es sich insoweit um dem Beschuldigten gehörende „Sachen“ handelt. Sollen diese Sachen in fremden Räumen erst gesucht werden, gilt für die Suche nach diesen § 103. Entsprechendes muss für EDV-Anlagen gelten, an denen der Verdächtige Mitgewahrsam hat oder die von ihm an seinem Arbeitsplatz benutzt werden. Auch hier ist bei der Durchsuchung der Zugriff auf die Datensammlung insgesamt, in der Regel die Festplatte, zulässig, auch wenn diese von nicht verdächtigen Dritten ebenfalls genutzt wird.
VI. Durchsuchung von EDV-Anlagen §§ 102, 103 ermächtigen zu Durchsuchungen von EDV-Anlagen als Sachen des Ver- 41 dächtigen oder eines Dritten.148 Davon umfasst ist das Suchen nach elektronisch gespeicherten Daten. § 94 ermöglicht die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände.149 Dazu dürfen die Anlagen in Betrieb genommen werden.
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BGH NStZ 1986 84; BGHR StPO § 102 Geschäftsräume 1; KK/Nack 8; MeyerGoßner 7. BGHR StPO § 102 Geschäftsräume 1; AK/Amelung 17. LG Saarbrücken NStZ 1988 424 hat in einem solchen Fall die Beschlagnahme aufgehoben. Geerds FS Dünnebier 174; Schlüchter 328.1. SK/Wohlers 14. BGH (Ermittlungsrichter) NStZ 1998 157; LG Stendal NStZ 1994 556; LG Freiburg NStZ 1996 508; KK/Nack 9. SK/Wohlers 14; Meyer-Goßner 10; Geerds
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FS Dünnebier 171, 174, 188; Schlüchter 328.1. KMR/Hadamitzky 9. HK/Gercke 19; Bär Handbuch zur EDVBeweissicherung 360. BVerfGE 113 29, 50; 115 166, 191; BVerfGE 124 43, 67 f.; insbesondere zur Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme des gesamten auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mail-Bestands BVerfGE 113 29, 56 f.; BGH NJW 2010 1297; im Übrigen zum Ganzen: Bär Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren 1992, S. 179 f.
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Der Zugriff auf Daten in anderen Zielsystemen unter Verwendung von Netzwerken lässt sich nicht alleine mit den §§ 102, 103 legitimieren. Bei derartigen Eingriffen wird ein in den Räumen des Betroffenen befindlicher Rechner genutzt, um auf weitere über ein Netzwerk verbundene Speichermedien, wie beispielsweise Server, zuzugreifen. Diese stehen immer seltener in den Räumen, die der Durchsuchungsbeschluss benennt. Die Durchsuchung über Netzwerke auf externe Zielmedien ist von §§ 102, 103 erfasst, wenn sich der Durchsuchungsbeschluss auf die Räume erstreckt, in denen sich das Zielmedium der Maßnahme befindet.150 Darüber hinaus kann nach Maßgabe des § 110 Abs. 3 während der Durchsuchung auch auf externe Speichermedien zugegriffen werden, die sich nicht am Orte der Durchsuchung befinden, auf die der Betroffene von seinem Rechner aus Zugriff hat.151 Diese Eingriffsbefugnis nach § 110 Abs. 3 besteht allerdings nur während der Durchsuchung, nicht bei Beschlagnahme der EDV-Systeme nach §§ 94 ff. Daher ist die Speicherung dieser Daten auf externen Systemen notwendig und zulässig, wenn die Gefahr des Beweismittelverlustes besteht.152 Befinden sich die Speichermedien im Ausland und damit nicht im territorialen Geltungsbereich der StPO, so ist der Zugriff nicht mehr über § 110 Abs. 3 legitimiert.153 Allerdings wäre nach der Rechtsprechung zu erwarten, dass bei der Verletzung des völkerrechtlichen Souveränitätsgebotes ein Beweisverwertungsverbot auf Grundlage der Rechtskreistheorie ausscheidet, da die Rechtsprechung davon ausgeht, aus dem völkerrechtlichen Souveränitätsgebot ließen sich keine subjektiven Rechte ableiten.154 Von §§ 102, 103 nicht gedeckt ist hingegen die sog. Online-Durchsuchung.155 Hier43 unter versteht man die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, wodurch aus der Ferne die Nutzung eines Rechners überwacht werden kann, oder Speichermedien ausgelesen werden können.156 Eine Durchsuchung nach §§ 102, 103 setzt voraus, dass der Ermittlungsbeamte am Ort der Durchsuchung körperlich anwesend ist und die Ermittlungen offen legt.157 Die Grundsätze der Offenheit und Erkennbarkeit werden bereits durch die §§ 105 bis 107 indiziert. Die Online-Durchsuchung ist damit von vornherein systemfremd. So ist bei der Online-Durchsuchung die Anwesenheit des Inhabers oder eines Vertreters der zu durchsuchenden Räume nach § 106 Abs. 1 sowie die Pflicht auf Zuziehung eines Gemeindebeamten bei der Durchsuchung ohne Richter oder Staatsanwalt gemäß § 105 Abs. 2 S. 1 nicht möglich.158 Die Pflicht, dem
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BVerfGE 124 43; Bär EDV-Beweissicherung 368; ders. ZIS 2011 53, 55; HK/Gercke 20. Singelnstein NStZ 2012 593, 598; AnwKStPO/Löffelmann 12. HK/Gercke § 110 16 ff.; KK/Nack § 110 8. Bär Handbuch zur EDV-Beweissicherung 372 ff., wonach es auch bei elektronischer Beschaffung von Beweismitteln eines Rechtshilfeersuchens bedarf; Obenhaus NJW 2010 651, 654; Herrmann/Soiné NJW 2011 2922, 2925; Gercke GA 2012 474, 489. BGH JZ 1990 1033 m. krit. Anm. Schroeder. Ganz h.M. vgl. BGHSt 51 211; Anm. Bär MMR 2007 175, 176; Beulke/Meininghaus Anm. zu BGH StV 2007 60, 63; Gercke CR 2007 245, 251; Jahn/Kudlich JR 2007 57,
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59; Rux JZ 2007 285, 290 f.; Zöller GA 2000 563, 572 f.; a.A. Hofmann NStZ 2005 121, so auch noch BGH StV 2007 60; Graf DRiZ 1999 281, 285. BVerfGE 120 274, 302; BGHSt 51 211; BGH StV 2007 60; JR 2007 77; zum Ganzen: Gudermann Online-Durchsuchung im Lichte des Verfassungsrechts (2010), 13 f. BVerfG NJW 2006 976, 981; BGHSt 51 211, 212; vgl oben unter Rn. 1 zum Begriff der Durchsuchung; Bär MMR 2007 175, 176; Rux JZ 2007 285, 290 f.; Zöller GA 2000 563, 572 f. A.A. Hofmann NStZ 2005 121, 124 wonach es ausreichen soll, dass der Nutzer des Systems „online“ ist und damit während der Maßnahme zugegen sei.
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Betroffenen auf Verlangen nach Beendigung der Durchsuchung eine Durchsuchungsbescheinigung nach § 107 zu zeigen, erscheint bei der Online-Durchsuchung fernliegend, denn dies würde voraussetzen, dass der Betroffene zuvor von der Maßnahme Kenntnis erlangt hat. Die §§ 106 bis 107 zwingen, den Betroffenen der Maßnahme zu schützen und stehen nicht zur Disposition der Ermittlungsbehörden.159 Auch systematische Gesichtspunkte sprechen gegen die Annahme, § 102 sei die zutreffende Ermächtigungsgrundlage, denn weitere besonders grundrechtsintensive Ermittlungsmaßnahmen unter Verwendung technischer Mittel sind in §§ 100a bis 100i gesondert geregelt.160 Eine analoge Anwendung des § 102 scheidet ebenfalls aus. Zwar verstößt diese nicht gegen das Analogieverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB, da es sich um eine strafprozessuale Maßnahme handelt.161 Allerdings bleibt es bei einem so schwerwiegenden Grundrechtseingriff dem Gesetzgeber nach Art. 20 Abs. 3 GG vorbehalten, eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.162 Die Durchsuchung beim Internet-Provider kann je nach strafrechtlicher Verantwort- 44 lichkeit des Providers gemäß §§ 102 oder 103 angeordnet werden. Sie ist akzessorisch zu der Verantwortlichkeit nach §§ 7 ff. TMG.163 Die Vorschriften des TMG sollen die Akzeptanz der Kommunikations- und Informationsdienste stärken, sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sichern.164 Diese Ziele würden konterkariert, wenn jeder Anbieter von Fremdinhalten zunächst als Beschuldigter durchsucht werden könnte. Daher sehen die §§ 7 ff. TMG eine Verantwortlichkeitsbegrenzung auf Tatbestandsebene vor. Ob ein Provider für die Inhalte verantwortlich gemacht werden kann, hängt davon ab, um welche Art von Provider es sich handelt:165 Der Content-Provider nach § 7 Abs. 1 TMG stellt eigene Inhalte ins Netz und ist gleichsam Autor. Es besteht eine uneingeschränkte Verantwortlichkeit, so dass eine Durchsuchung nach § 102 erfolgen kann. Hingegen vermittelt der Access-Provider Zugang zu fremden Informationen im Internet. Er ist nach § 8 TMG von jeder Haftung freigestellt, so dass eine Durchsuchung nur auf § 103 gestützt werden kann. Der Host-Provider speichert auch Inhalte für Nutzer. Er ist gem. § 10 TMG nur bei positiver Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten verantwortlich und kann nur bei entsprechender Verdachtslage nach § 102 durchsucht werden. Ansonsten gilt § 103.166
VII. Verhältnismäßigkeit 45
Siehe die Erläuterungen bei § 105, 59 ff.
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BGHSt 51 211, 213; Beulke/Meininghaus Anm. zu BGH StV 2007 60, 63; a.A. Hofmann NStZ 2005 121, so auch noch BGH StV 2007 60. BGHSt 51 211, 215 f.; Jahn/Kudlich JR 2007 57, 59. Meyer-Goßner Einl. 198. BGHSt 51 211, 218; der 69. Deutsche Juristentag hat sich für eine strafprozessuale Online-Durchsuchung ausgesprochen, vgl. Beschlüsse des 69. Deutschen Juristentags, Abteilung Strafrecht, III. 4. b).
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Gercke GA 2012 474, 479; HK/Gercke 22; SK/Wohlers 16; Bär EDV-Beweissicherung 380 ff.; Sieber Verantwortlichkeit im Internet 115 ff. BTDrucks. 13 7385 zum TDG, S.16; LG Stuttgart NStZ-RR 2002 241. Zum Ganzen Bär EDV-Beweissicherung 380 ff. LG Stuttgart NStZ-RR 2002 241 m. Anm. Eckhardt CR 2001 628.
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VIII. Sonderfälle 46
1. Abgeordnete. Siehe die Erläuterungen bei § 98, 80 ff., § 103, 24. Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung dürfen Mitglieder des Deutschen Bundestages und der gesetzgebenden Körperschaften der Länder nach Art. 46 Abs. 2 GG bzw. nach den entsprechenden Vorschriften in den Verfassungen der Länder grundsätzlich nur mit Genehmigung des Bundestages bzw. der betreffenden gesetzgebenden Körperschaft des Landes zur Verantwortung gezogen werden.167 Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren wie z.B. Durchsuchungen verbieten sich daher. Der Deutsche Bundestag und die Parlamente der Bundesländer erteilen üblicherweise zu Beginn einer neuen Wahlperiode eine allgemeine Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete. Diese allgemeine Genehmigung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die in den Geschäftsordnungen der Parlamente unterschiedlich geregelt sind und vor allem eine Anzeige an den Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft erfordert. Die Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungen umfasst aber nicht alle Strafverfolgungsmaßnahmen.168 In den RiStBV finden sich die Ausnahmen von der allgemeinen Genehmigung in Nr. 192a Abs. 2. Dort heißt es zu Buchst. d, dass die allgemeine Genehmigung nicht „den Vollzug einer angeordneten Durchsuchung oder Beschlagnahme in dem genehmigten Verfahren, vorbehaltlich etwaiger von den gesetzgebenden Körperschaften der Länder getroffener abweichender Regelungen“ umfasst. Es kommt mithin auf den konkreten Inhalt der Regelungen des Bundestages und der Länderparlamente an. In Anlage 6 (Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages) Nr. 2 Buchst. c zur aktuellen GO BT ist lediglich festgehalten, dass diese ständige Genehmigung keine „freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren“ umfasst. Von der Durchsuchung nach §§ 102, 103 ist darin nicht ausdrücklich die Rede. Ob die Durchführung von gerichtlich angeordneten Durchsuchungsmaßnahmen einer besonderen Genehmigung nach Art. 46 Abs. 3 GG bedarf, hängt also davon ab, ob sie freiheitsentziehenden oder freiheitsbeschränkenden Charakter haben, da sich die allgemeine Genehmigung darauf nicht erstreckt (RiStBV Nr. 192a Abs. 2c). Dies wird man für Durchsuchungen gemäß § 102 zur Ergreifung des beschuldigten Abgeordneten oder für die der Auffindung von Beweismitteln dienende Durchsuchung nach § 102 – in den Räumlichkeiten des beschuldigten Abgeordneten – jedoch schwerlich bestreiten können. Dann setzt der Vollzug einer Durchsuchung eine Einzelgenehmigung voraus.169 In den Bundesländern sind die in der konstitutiven Sitzung der jeweiligen Legislaturperiode individuell getroffenen Beschlüsse der Landtage maßgeblich. Teilweise – beispielsweise in Nordrhein-Westfalen – wurden explizite Regelungen getroffen, wonach eine Durchsuchung von der allgemeinen Zulassung umfasst ist, wenn der sofortige Vollzug der Durchsuchung zur Sicherung der Beweise unbedingt geboten ist.170 Bei Gefahr im Verzug unterscheidet sich diese Rechtslage vom Bund. Die allgemeine Genehmigung des Landtags wird erst wirksam, wenn die anordnende Stelle dem Parlamentspräsidenten vor dem Vollzug die Gründe und den Beginn der Maßnahme mit-
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Nur die Verfassung des Landes Brandenburg vom 21.08.1992 beschränkt sich gemäß Art. 58 auf eine nachträgliche Überprüfung, Elf NStZ 1994 375. Elf NStZ 1994 375.
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KK/Nack vor § 94, 8/9; a.A. Elf NStZ 1994 375. Elf NStZ 1994 375; Richtlinien für die Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Landtags, Nr. 1b.
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teilt und sicherstellt, dass die vom Präsidenten des Landtags im Einvernehmen mit dem Präsidium gegebenenfalls erteilten Auflagen befolgt werden.171 2. Ärzte, Kliniken, Krankenhäuser, Apotheken etc. Der besondere Schutz von Ärzten, 47 Zahnärzten, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, Apothekern und Hebammen als Berufsgeheimnisträger – hier gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO – gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung von Praxen, Kliniken, Krankenhäusern, Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Apotheken die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.172 Bei geringer Schadenshöhe und wenn der Anfangsverdacht kaum über bloße Vermutungen hinausreicht, ist z.B. die Durchsuchung einer Arztpraxis unverhältnismäßig; in die Verhältnismäßigkeitserwägungen muss stets eingestellt werden, ob und inwieweit mit der Durchsuchung der Praxisräume die Vertraulichkeit empfindlicher Daten Dritter – insbesondere von Patientendaten – gefährdet wird.173 Nach der Rechtsprechung überwiegen Geheimhaltungsinteressen des Patienten dann, wenn sich der Tatverdacht auch auf den Patienten richtet;174 die Aktenbeschlagnahme kaum nennenswerte Beweisergebnisse gegen den Arzt erwarten lässt;175 lediglich ein einfacher Anfangsverdacht begründet ist, der sich noch nicht näher konkretisiert hat. Dann ist eine Beschlagnahme bis auf wenige Stichproben unzulässig;176 erst wenn sich der Verdacht aufgrund der Befragung von Zeugen, z.B. Patienten oder Praxispersonal, verdichtet, ist die Beschlagnahme weiterer Abrechnungsunterlagen gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Patienten angemessen; die Beschlagnahme sämtlicher Unterlagen ist erst gerechtfertigt, wenn bereits konkrete Anhaltspunkte für einen Abrechnungsbetrug in einer Vielzahl von Fällen gegeben sind; die Verwendung der Unterlagen im Ermittlungs- und Strafverfahren ist nur unter engen Begrenzungen zulässig.177 Insoweit kommt der Abwendungsbefugnis des Betroffenen eine besondere Bedeutung zu (§ 105, 62). Der neue § 160a hat die Hürden für eine Durchsuchung noch einmal tendenziell weiter erhöht, weshalb die Rechtsprechung vor 2008 nur eingeschränkt Gültigkeit für sich beanspruchen kann. Zum Verhältnis der dargestellten Rechtsprechung zu dem neu eingeführten § 160a vgl. § 105, 71 f. 3. Banken (s. auch Rn. 11). Für die Durchsuchung bei Banken wegen des Verdachts, 48 Organe oder Angestellte hätten sich der Anstiftung oder Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Verlagerung von Geldern durch Bankkunden ins Ausland schuldig gemacht178 ist zu beachten, dass die Kapitalverlagerung als solche nicht strafbar ist, da auch ausländische Kapitalerträge (u.U.) im Inland zu versteuern sind. Eine Behinderung der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs in der Europäischen Union darf nicht stattfinden.179 Eine strafbare Handlung des Steuerpflichtigen liegt zudem erst dann vor, wenn dieser die Kapitaleinkünfte, regelmäßig erst lange Zeit nach der Kapitalverlagerung, in seiner Steuererklärung verschweigt. Indes schließt dieser Umstand strafbare Anstiftung oder
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Richtlinien für die Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Landtags, Nr. 1b. BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177. BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177. BVerfG NJW 1977 1489; NJW 1973 891; NJW 1972 1123. BVerfG NJW 1977 1489. BVerfG NJW 1977 1489.
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BVerfG NJW 1972 1123. Vgl. BGHSt 46 107. S. dazu BFHE 195 40, BStBl. II 2001, 624 – auch zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Freiheit nach Art. 56 EGV n.F. = Art. 73b EGV a.F.; vgl. hierzu auch BFHBeschluss in BFHE 194 26, BStBl. II 2001, 306.
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Beihilfe durch die Angestellten der Bank nicht aus. Auch die Beihilfe kann schon in der Vorbereitungsphase einer Straftat geleistet werden. Voraussetzung ist aber, dass – in den Fällen der Beihilfe – der Teilnehmer sich bewusst ist oder doch damit rechnet, eine spätere Haupttat zu unterstützen. Jedenfalls wenn sein Verhalten mit Verschleierungshandlungen180 oder wenigstens unter Missachtung banküblicher Usancen einhergeht,181 kann der Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung bejaht werden.182 Solche Handlungen wurden gesehen in der Verschleierung von Geldüberweisungen aufgrund der Buchung auf bankinterne Konten183 oder durch Anonymisierung aufgrund Abkoppelung der (Bar-) Zahlungen für ein Tafelgeschäft von bestehenden Konten.184 Liegen aber Tatsachen vor, die den Verdacht begründen, dass Verantwortliche einer bestimmten Leitungsebene, etwa im Bereich einer bestimmten Filiale oder im Bereich der Privatkundenbetreuung, in einer Mehrzahl von Fällen185 sich in der genannten Weise strafbar gemacht haben können, bestehen nach der Rechtsprechung keine Bedenken gegen die Annahme des Verdachts, dass auch in anderen Fällen im Bereich dieser Leitungsebene so gehandelt wurde.186 Besteht der Verdacht gleichartigen Verhaltens etwa bei mehreren Filialen, kann dies den Verdacht begründen, die Geschäftsleitung habe generell derartiges Verhalten zumindest gebilligt, was die Durchsuchung anderer Filialen oder der Abteilungen für Privatkundenbetreuung insgesamt rechtfertigen kann.187 Zur Verwendung von cpd-Konten für Überweisungen ins Ausland (hier: Luxemburg) in einer Mehrzahl von Fällen und zu dem dadurch begründeten Verdacht einer organisierten Beihilfe zur Steuerhinterziehung „in groß angelegtem Stil“ hat eine Kammer des BVerfG mit eingehender Begründung Stellung genommen.188 Aus dem so begründeten Verdacht gegen Verantwortliche einer bestimmten Bank kann freilich noch nicht auf den Verdacht gegen Verantwortliche einer anderen Bank geschlossen werden. Zum so genannten, für das Strafverfahren nicht bestehende Bankgeheimnis, das allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielt, s. § 94, 61a. Es ist mit praktischen Besonderheiten im äußeren Ablauf bei der Durchsuchung von Banken (oder anderen Großunternehmen) in Großverfahren zu rechnen. Typischerweise nimmt eine größere Zahl von Beamten an der Durchsuchung teil – insbesondere auch bewaffnete uniformierte Polizeibeamte in erheblicher Anzahl, was bei Bekanntwerden schon für sich genommen Reputationsschäden verur180
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Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung der Landgerichte aber auch des BVerfG insbesondere in den Fällen erfüllt, in denen nicht der vollständige Name und die Anschrift des Kunden genannt wird und die Abwicklung des Transfers über ein bankinternes Konto erfolgte, obwohl der Kunde über ein Girokonto bei der Bank verfügte sowie in den Fällen, in denen Bargeschäfte von Kunden ohne eigenes Konto vorgenommen wurden, ohne Nennung des vollständigen Namens und der Anschrift des Kunden: LG Bielefeld NStZ 1999 581; LG Koblenz WM 1998 2290, 2292; BVerfG NJW 1994 2079. Vgl. dazu BVerfG NJW 1994 2079. Grundsätzlich anders Joecks WM-Sonderbeilage Nr. 3/1998 (Gutachten im Auftrag der Gesellschaft für bankwissenschaftliche Forschung).
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BVerfG NJW 1994 2079. BFHE 195 40. Zwei anonymisierte Überweisungen von einem bankinternen Konto reichten für eine Durchsuchung einer Bank im Fall LG Baden-Baden wistra 1998 362. Vgl. BVerfG NStZ 1994 349. SK/Wohlers 29. NStZ 1994 349 und NJW 1995 2839; zu BVerfG NStZ 1994 349 s. auch Bilsdorfer Information StW 1994 383; Carl DStZ 1994 391; Carl NWB Fach 13, 849; Carl wistra 1994 211; Hamacher WuB X § 370 AO 1.95; Leisner BB 1995 525; Otto StV 1994 409; Raeschke-Kessler WM 1996 1764; Ransiek EWiR 1994 573; Ransiek wistra 1997 41; Streck StV 1994 355.
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sachen kann. Zudem werden meist eine große Menge von Unterlagen und insbesondere EDV-Daten – bis hin zum kompletten Inhalt des Servers der Bank – sichergestellt, was – falls nicht lediglich Kopien sichergestellt werden bzw. dem Unternehmen die sofortige Fertigung von Kopien gestattet wird – zu erheblichen Problemen bei der Fortführung der Geschäftstätigkeit führen wird. Gerade bei (länger andauernden) Durchsuchungen größeren Umfangs wird regelmäßig in den Medien – auch mittels Film- und Fotoaufnahmen – über die Ermittlungen berichtet, wodurch der Ruf des Unternehmens in der Öffentlichkeit besonders geschädigt werden kann.189 Wegen der u.U. besonders erheblichen negativen Folgen für Reputation und Geschäftsbetrieb von Banken sollte diesen – unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit – spätestens zu Beginn der Durchsuchung die Möglichkeit zur Abwendung derselben gegeben werden, indem sie die gesuchten Bankunterlagen bzw. -daten freiwillig herausgeben.190 4. Bundeswehr. Siehe auch § 105, 123. Grundsätzlich gilt § 102 für Personal und 49 Liegenschaften der Bundeswehr uneingeschränkt.191 Die Bundeswehr verfügt daneben gem. §§ 7, 8 UZwGBw allerdings selbst über (eingeschränkte) Rechte zur Durchsuchung, insbesondere in einem militärischen Sicherheitsbereich (vgl. §§ 4, 2 Abs. 2 UZwGBw), d.h. auf ihrem eigenen Gelände. Wer nach § 4 UZwGBw – d.h. bei Betreten und Verlassen eines militärischen Sicherheitsbereichs – der Personenüberprüfung unterliegt, kann bei Gefahr im Verzug durchsucht werden, wenn gegen ihn der Verdacht einer Straftat gegen die Bundeswehr besteht und zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde (§ 7 Abs. 1 S. 1 UZwGBw). Die von einer solchen Person mitgeführten Gegenstände können gleichfalls durchsucht werden (§ 7 Abs. 1 Satz 2 UZwGBw). Allgemeine Anordnungen von Durchsuchungen durch das Bundesministerium der Verteidigung oder die von ihm bestimmte Stelle sind zulässig, wenn es aus Gründen militärischer Sicherheit unerlässlich ist. Es kann dann allgemein angeordnet werden, dass Personen, die bestimmte militärische Sicherheitsbereiche (§ 2 Abs. 2 UZwGBw) betreten oder verlassen, und die von ihnen mitgeführten Gegenstände durchsucht werden (§ 8 Abs. 1 UZwGBw). Eine solche Anordnung darf nur zur Feststellung von Gegenständen getroffen werden, die durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen gegen die Bundeswehr hervorgebracht oder zur Begehung einer solchen Straftat geeignet sind oder als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können (§ 8 Abs. 2 UZwGBw). 5. Geistliche. Das Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen nach § § 53 Abs. 1 50 Nr. 1 ist nicht auf Angehörige der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften beschränkt; der Begriff des „Geistlichen“ ist dahin auszulegen, dass ihm eine mit einem Schweigegebot verbundene seelsorgerische Tätigkeit von der Religionsgemeinschaft übertragen und ihm ein entsprechendes Amt – verbunden mit einer herausgehobenen Stellung innerhalb der Religionsgemeinschaft – anvertraut sein muss.192 Da Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist, nach den Vorgaben ihrer Religion schweigen müssen – was dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG unterfällt193 – und ihnen insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, muss die Durchsuchung einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung – insbesondere auch hinsichtlich des Umfangs und Gegenstands der
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Park 853. Vgl. Graf/Hegmann 18. BGH NStZ-RR 2002 78 (Unterkunft bei der Bundeswehr).
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BGH NStZ 2010 646, 648; enger KK/Senge § 53, 11; Park 527. BVerfG NJW 2007 1865, 1867; BGH NStZ 2010 646, 648.
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Maßnahme – unterzogen werden. Es ist wegen der wohl überwiegenden Mündlichkeit der seelsorgerischen Tätigkeit zwar nicht so wahrscheinlich wie bei anderen geschützten Berufsgruppen des § 53, aber auch nicht auszuschließen, dass diese Informationen auch in verkörperter Form – Urkunden oder Daten – vorliegen und zum Gegenstand einer Durchsuchung werden können. Da Gespräche, Erkenntnisse oder Tätigkeiten des Geistlichen auf dem Gebiet des täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von Seelsorge ohne Bezug zum seelischen Bereich nach h.M. nicht vom Zeugnisverweigerungsrecht geschützt sind, genießen Unterlagen und Daten, die ausschließlich die karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende Tätigkeit des Geistlichen betreffen, konsequenterweise auch bei Anordnung oder Durchführung einer Durchsuchung keinen besonderen Schutz.194 Dies gilt mit der Einschränkung, dass sie räumlich klar von seelsorgerisch relevanten Objekten zu trennen und äußerlich von diesen zu unterscheiden sind. Zum Verhältnis der dargestellten Rechtsprechung zu dem neu eingeführten § 160a vgl. § 105, 71.
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6. Hafträume. Hafträume sind nicht in den Schutzbereich des Art. 13 GG einbezogen.195 Für ihre Durchsuchung zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt gelten die §§ 102 ff. nicht, sondern – soweit vorhanden – die jeweiligen Landesvollzugsgesetze,196 ansonsten § 84 StVollZG. Für Durchsuchungen in der Untersuchungshaft gelten die Untersuchungshaftvollzugsgesetze der Länder.197 Deren Vorschriften dienen ebenfalls der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt.198 Sie ermächtigen daher nicht zur Durchsuchung der Wohnung des Gefangenen außerhalb der Anstalt.199 Die §§ 102 ff. müssen aber bei Durchsuchungen in Strafvollzugsanstalten angewendet werden, wenn die Suche Beweismitteln oder der Einziehung oder dem Verfall unterliegenden Gegenständen gilt.200
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7. Parteien. Die Räume politischer Parteien, etwa des Arbeitsplatzes eines Beschuldigten, sind ebenfalls nicht von Durchsuchungen ausgenommen.201 Zu der Frage, wieweit hier § 102 und wieweit § 103 anzuwenden ist, s. oben Rn. 39 und 11. Auch hier bedarf die Verhältnismäßigkeit (§ 105, 59 ff.) strenger Prüfung.202 Berücksichtigt werden muss die mögliche negative Auswirkung von Durchsuchungen im Strafverfahren beim Bevollmächtigten einer politischen Partei auf ein Parteiverbotsverfahren gem. Art. 21 Abs. 2 GG. Letzteres darf durch die Sicherstellung von Verteidigungsunterlagen bei dem Bevollmächtigten nicht gefährdet werden; die betroffene Partei hat im Parteiverbotsverfahren das Recht auf ein faires Verfahren, das durch Entzug von Daten und Arbeitsmitteln ihrer Bevollmächtigten ebenso wie durch eine Aufdeckung der Prozessstrategie beeinträchtigt werden kann. Die Abwägung des Interesses an der zügigen Beweiserhebung im Strafver-
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Vgl. BGHSt 37 138, 140; 51 140, 141 ff.; BGH NStZ 2010 646, 648. BVerfG NJW 1996 2643. § 64 JVollzGB BW III; Art. 91 BayStVollzG; § 77 NJVollzG; § 70 HmbStVollzG; § 46 HStVollzG. § 46 JVollzGB BW II; Art. 46 BayUVollzG i.V.m. Art. 91 BayStVollzG; § 44 UvollzG Bln; § 44 BbgUVollzG; § 44 BremUVollzG; § 50 HmbUVollzG; § 31 HUVollzG; § 44 UVollzG M-V; § 156 i.V.m. § 77 NJVollzG; § 32 UVollzG NRW; § 44 LUVollzG RhPf;
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§ 44 SUVollzG; § 44 SächsUHaftVollzG; § 44 UVollzG LSA; § 44 UVollzG Schl-H; § 44 ThürUVollzG. Laubenthal Strafvollzug 701; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 8, 7; SK/Wohlers 4. LG Koblenz NStZ 2004 231. LG Karlsruhe StV 1985 382. BVerfG wistra 1984 221. Ebenso BGH (Ermittlungsrichter) Beschl. v. 25.3.2003 – 1 BGs120/2003/3 BJs 87/02-2.
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fahren gegen die Gewährleistung rechtsstaatlicher Grundsätze im Parteiverbotsverfahren kann zu Gunsten der ungestörten Fortsetzung des Verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG und – zumindest zeitweilig – gegen die Durchsuchung bzw. gegen die Nutzung sichergestellter Beweisgegenstände ausfallen.203 8. Presse. Die Presse ist im Strafverfahren privilegiert: Einmal ist für Durchsuchungen 53 die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen ausgeschlossen, zum anderen bestehen weitgehende Beschlagnahmeverbote: Soweit gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 (s. Erl. zu § 98, 7) die Anordnung oder Gestattung einer Beschlagnahme nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ausschließlich dem Richter vorbehalten ist, gilt dies auch für die der Sicherstellung solcher Gegenstände dienende Durchsuchung. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, stehen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 weitgehende Zeugnisverweigerungsrechte zu, denen gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 Beschlagnahmeverbote entsprechen. Darüber hinaus enthält § 97 Abs. 5 Satz 2 weitere Einschränkungen der Beschlagnahmemöglichkeit bei Teilnahmeverdächtigen und bei Deliktsgegenständen. Aber selbst wenn ein Beschlagnahmeverbot nicht vorliegt, bedarf eine Durchsuchung wegen der Auswirkungen auf den Pressebetrieb sorgfältiger Prüfung der Verhältnismäßigkeit (dazu § 105, 68 und 73). Durchsuchungen bei Medien in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind stets unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln.204 Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB) durch einen Journalisten reicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des betreffenden Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Es bedarf zusätzlicher Anhaltspunkte bzgl. einer Haupttat, nämlich bzgl. spezifischer Tatsachen, die auf das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses hindeuten.205 Man wird im Fall des § 102 wohl auch für eine vorsätzliche Hilfeleistung des Journalisten hierzu (§ 27 StGB) konkrete tatsächliche Anhaltspunkte verlangen müssen, da sich ein Vorsatz von der Motivationslage her und eine ursächliche Hilfeleistung von der zeitlichen Abfolge nicht von selbst versteht – Letzteres, weil eine vorherige Beendigung der Haupttat kaum auszuschließen ist. Durchsuchungsanordnungen gegen Presseorgane bedürfen für eine tragfähige Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zudem substantieller Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit, besonders zur Erforderlichkeit der Durchsuchung im konkret angeordneten Umfang, d.h. zu anderen möglicherweise gleich geeigneten Mitteln, z.B. anderen nicht bei Medienunternehmen sicherzustellenden Beweismitteln.206 Eine auf die Beschlagnahme von Beweismitteln in Redaktionsräumen oder Rundfunksendern gerichtete Durchsuchung kommt nach dem BVerfG gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 generell nur in Betracht, wenn die Ermittlung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder unmöglich wäre; die Fachgerichte sind gehal-
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BVerfG NJW 2001 2957; vgl. auch BVerfG Beschl. v. 15.6.2001 – 2 BvB 1/01. BVerfGE 20 162, 191 f., 217; BVerfG NJW 2007 1117 („Cicero“, Leitsatz 1); zur Frage, ob der Nutzer eines Online-Forums Informant ist, vgl. LG Augsburg ZD 2013 285.
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BVerfG NJW 2007 1117, 1120 und Leitsatz 2 („Cicero“). BVerfG NJW 2011 1859, 1861.
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ten, die Frage zu erörtern, ob die Taten nicht auch auf andere Weise aufgeklärt werden können. In der Begründung zu erörtern ist das Gewicht des Interesses an der Strafverfolgung der konkreten Tat; nicht nur die rein tatsächlichen Behinderungen der Medientätigkeit durch die Durchsuchung müssen zudem in die Waagschale gelegt werden, sondern auch die Auswirkungen der strafprozessualen Maßnahmen auf das Medienorgan als solches, z.B. in Gestalt einer möglichen Beeinflussung und Einschüchterung der freien Berichterstattung. Es muss weiter (explizit) auch der verfassungsrechtliche Schutz der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit und der Vertraulichkeit der Informantenbeziehungen berücksichtigt werden.207 Besonders kritisch ist die Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne bzw. Angemessenheit) der Maßnahme zu prüfen, wenn sich die Durchsuchung nicht auf die räumlich-personelle Sphäre eines einzelnen Journalisten beschränken lässt, sondern sich zwangsläufig auf die gesamte Redaktion erstreckt, da eine Störung des Vertrauensverhältnisses des Medienorgans zu ihren Informanten und eine erhebliche einschüchternde Wirkung auf das betroffene Medienorgan zu befürchten ist. Die drohende Gefahr der Verschlechterung der Beweislage kann auf der anderen Seite u.U. einen Grund dafür darstellen, eine grundrechtsschonendere Maßnahme zurückzustellen oder von ihr abzusehen.208 Zum Verhältnis der dargestellten Rechtsprechung zu dem neu eingeführten § 160a vgl. § 105, 71, 73.
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9. Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare etc. Bei der Durchsuchung der Kanzleiräume von Verteidigern, Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern oder sonstigen Geheimnisträgern gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3 und 3a erfordert die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung des Art. 12 GG bei der Anordnung und der Durchführung der Durchsuchung die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung.209 Mit dem Ausmaß potenzieller Kenntnis staatlicher Organe von vertraulichen Äußerungen wächst die Gefahr, dass sich auch Unverdächtige nicht mehr den Berufsgeheimnisträgern zur Durchsetzung ihrer Interessen anvertrauen.210 Es besteht weiter die Gefahr, dass Mandanten, denen der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Kanzleidaten bekannt wird, das Mandatsverhältnis zu ihrem Rechtsanwalt oder Steuerberater kündigen; eine Durchsuchung kann somit die grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Entfaltung der Berater beschränken.211 Daher muss das Gericht bei Kanzleidurchsuchungen nicht nur die Stärke des Tatverdachts prüfen, sondern sich auch mit der Schwere der Straftat und der zu erwartenden Strafe auseinandersetzen und feststellen, ob nach dem Stand der Ermittlungen im konkreten Fall die Verurteilung zu einer mehr als nur geringfügigen Sanktion in Betracht zu ziehen ist.212 Regelmäßig wird zu prüfen sein, ob nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen.213 Das Herausgabeverlangen nach § 95 Abs. 1 kann ein solches milderes Mittel sein.214 Weiter kann die Schwere des Durchsuchungseingriffs – bei Vorsatzdelikten – eine besonders skrupulöse Prüfung erfordern, ob für den subjektiven Tatbestand zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen; jedenfalls allein zur Auffindung von den Geheimnisträger entlastender Beweismitteln
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BVerfG NJW 2011 1859, 1862. BVerfG NStZ-RR 2006 110, 111. BVerfG NJW 2005 1917; NJW 2006, 29; StraFo 2008 236. BVerfG NJW 2005 1917. BVerfGE 98 218, 259. BVerfG NJW 2008 1937; NJW 2011 2275.
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Vgl. OLG Rostock NJW 2013 484; BVerfG NJW 2012 2096 mit zust. Anm. Tsambikakis/Stalberg ZWH 2012 473 f. LG Saarbrücken NStZ-RR 2013 183 m. Anm. Kirsch NZWiSt 2013, 153 und Weber DStR 2013 1204.
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darf die Durchsuchung nicht stattfinden.215 Formelhafte Wendungen des Beschlusses, die nicht auf die konkreten Einzelheiten des Sachverhalts und der Rechtslage – einschließlich der unter Angemessenheitsgesichtspunkten entscheidenden konkreten Straferwartung – eingehen, machen diesen verfassungsrechtlich angreifbar.216 Eine Erstreckung von Durchsuchungsmaßnahmen auf einen Archivraum der gesamten Sozietät soll nicht zu beanstanden sein, wenn der Durchsuchungsbeschluss die Durchsuchung der von einem bestimmten, beschuldigten Geheimnisträger genutzten Geschäftsräume bei der Kanzlei angeordnet hat, auch wenn nicht festgestellt ist, dass der Beschuldigte und Partner der Sozietät das konkrete Archiv zur Ablage nutzte.217 Dies erscheint zweifelhaft, da sich das Archiv nur bei Nutzung durch den Beschuldigten als dessen Geschäftsraum ansehen lässt; auf eine formale Betrachtungsweise, die dem Partner einer Sozietät alle Räume zurechnet, sollte aus Gründen eines effektiven Geheimnisschutzes nicht abgestellt werden. Rein praktisch können auch die meisten Kanzleien ihre interne Organisation nicht so gestalten, dass der einzelne (beschuldigte) Berater keinen Zugriff auf Daten von Mandanten (nichtbeschuldigter) Kanzleikollegen hat – auch wenn eine strikte Trennung von Aktenführung, -ablage und Archivbereichen ratsam erscheint.218 Die aktuelle Erweiterung des § 160a auf Rechtsanwälte (vgl. § 105, 71) stellt die bisherige Rechtsprechung des BVerfG, die eine Durchsuchung einer Anwaltskanzlei als grundsätzlich zulässig erachtet, in Frage, soweit die dort tätigen Anwälte nicht selbst Beschuldigte sind.219 Ob der Verteidiger sich bei Kollusionsverdacht zwischen ihm und dem Bürger auf den Schutz des § 160a Abs. 1 berufen kann, oder ob auch ihm gegenüber Abs. 4 Satz 1 greift, ist umstritten.11 Hierzu und zum Verhältnis der dargestellten Rechtsprechung zu dem neu eingeführten § 160a vgl. § 105, 71. 10. Unternehmen. Siehe zunächst Rn. 11. Durchsuchungsbeschlüsse gegen Unterneh- 55 men verletzen typischerweise nicht Art. 12 GG, denn sie haben regelmäßig nicht die Wahrnehmung der beruflichen Funktion des Unternehmens als solche zum Gegenstand. Unternehmen werden von Durchsuchungen in gleicher Weise wie jede andere Person getroffen; solche Auswirkungen müssen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren grundsätzlich hingenommen werden. Bei Unternehmensdurchsuchungen bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Art. 13, 20 GG) dagegen, wenn die zu durchsuchenden Räumlichkeiten nur sehr allgemein beschrieben wurden, sofern dies nicht besser möglich ist. Eine Eingrenzung der zu durchsuchenden Räume über die betroffene Niederlassung bzw. den Standort hinaus ist nicht möglich, wenn nicht bekannt ist, in welchen Räumen der Niederlassung die Auffindung der zu suchenden Unterlagen sicher ausgeschlossen werden kann. Wenn die Ermittlungsbehörden auf der Basis der vorläufigen Beweislage davon ausgehen können, dass die gesamte Struktur des Unternehmens in die Tatbegehung eingebunden ist, ist ihnen eine umfassende Durchsuchung von Verfassung wegen nicht verwehrt.220 Wenn den Ermittlungsbehörden allerdings Möglichkeiten zu Gebote stehen, sicher festzustellen, wo sich die zu suchenden Unterlagen bzw. Daten befinden,
215 216 217 218 219
BVerfG NJW 2011 2275, 2276. BVerfG NJW 2008 1937, 1938. LG Bonn BeckRS 2011 11803 Graf/Hegmann 20 unter Bezugnahme auf LG Bonn BeckRS 2011 11803. Dies betrifft z.B. BVerfG NJW 2009 281 f. (zu § 103). Auf selbst beschuldigte Zeugnis-
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verweigerungsberechtigte ist § 160a bereits seinem Wortlaut nach nicht anwendbar; BGHSt 53 257, 262. Für den Schutz des Abs. 1: Meyer-Goßner § 160a, 15; SK/Wolter § 160a 10, 14. Dagegen wohl: BVerfG NJW 2012 833, 843 Tz 272 f.
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und sie ausschließen können, dass bestimmte Liegenschaften des Unternehmens nicht als Aufbewahrungsort hierfür dienen, dann haben sie diese wahrzunehmen und den räumlichen Umfang der Durchsuchung entsprechend zu beschränken.221 Eine vorherige Befragung von Angestellten des Unternehmens hierzu kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Zweck der Durchsuchung hierdurch nicht gefährdet wird. Richtet sich der Tatverdacht gegen eine Vielzahl von Mitarbeitern, wird dies zumeist nicht auszuschließen sein. Die Durchsuchungsbeschlüsse müssen die zu suchenden Gegenstände in einer am Stand des Verfahrens gemessen ausreichend genauen Weise beschreiben; bei einem frühen Ermittlungsstand und einer vom Anfangsverdacht erfassten sehr großen Zahl von Taten stellt das BVerfG insofern keine hohen Anforderungen. Beispielhafte Aufzählungen des Typus bzw. der Kategorie der zu suchenden Unterlagen und Daten, die Bezüge zum Ermittlungsanlass herstellen und hierdurch das Ausmaß des Eingriffs eingrenzen, führen nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig dazu, dass – bei Umfangsverfahren – insofern dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen ist.222 Auch die Erstreckung der Durchsuchung auf Unterlagen bzw. Daten aus strafrechtlich verjährter Zeit bzw. auf noch nicht strafrechtlich relevante Zeiträume ist dann nicht unverhältnismäßig, wenn aufgrund der bereits vorhandenen Erkenntnisse zum modus operandi zu erwarten ist, dass aufgrund von Erkenntnissen zu schon verjährten Taten bzw. späteren Zeiträumen unverjährte Straftaten ermittelt werden können.223 Wenn sich der Durchsuchungsbeschluss auf eine große Zahl von Betroffenen – Unternehmensmitarbeitern, Kunden, Lieferanten – und Taten bezieht, kann ihm bei entsprechendem Anfangsverdacht nicht allein deshalb entgegengehalten werden, er sei unverhältnismäßig („Flächenfahndung“). Die Einräumung einer Abwendungsbefugnis bzw. die bloße Aufforderung zur Herausgabe ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur angezeigt, wenn aufgrund der Eigenart des Verdachts nicht befürchtet werden muss, dass die Mitarbeiter des Unternehmens Verdunkelungshandlungen vornehmen werden, nachdem sie durch derart eingeschränkte Ermittlungsmaßnahmen von der Einleitung eines Strafverfahrens erfahren haben; bei zahlreichen – bis dahin unbekannten – weiteren in die Straftaten involvierten Mitarbeitern müssen die Strafverfolgungsbehörden dieses Risiko nicht eingehen. Bei sehr umfangreichen Durchsuchungen dürfen diese nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Straftaten stehen, deren Aufklärung sie dienen.
§ 103 (1) 1Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. 2Zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach § 89a des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält.
221 222
BVerfG NStZ 1994 349. Vgl. BVerfG NStZ 1994 349.
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Vgl. BVerfG NStZ 1994 349.
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(2) Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht für Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat. Schrifttum vgl. bei § 94 und § 102.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 21 Nr. 22 EGStGB wurden in Absatz 1 die Worte „strafbaren Handlung“ durch das Wort „Straftat“ ersetzt und in Absatz 2 der letzte Satzteil („oder in denen eine unter Polizeiaufsicht stehende Person wohnt oder sich aufhält“) gestrichen. Art. 1 Nr. 1 StPÄG 1978 fügte dem Absatz 1 den Satz 2 an und ersetzte in Absatz 2 die Eingangsworte („Diese Beschränkung gilt nicht …“) durch die Worte „Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht …“. Im Zusammenhang mit der Einfügung von § 129b in das Strafgesetzbuch durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 wurde Abs. 1 Satz 2 geändert. Zuletzt wurden durch das Gesetz zur Verfolgung der Verbreitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009 in Abs. 1 Satz 1 vor der Angabe „§ 129a“ die Wörter „§ 89a des Strafgesetzbuchs oder nach“ eingefügt.
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Voraussetzungen a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . b) Besondere Voraussetzungen . . . . 2. „Andere Personen“ . . . . . . . . . . 3. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnismäßigkeit. Freiwillige Herausgabe a) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . b) Freiwillige Herausgabe . . . . . . .
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II. Durchsuchung bei Dritten. Normalfall (Absatz 1 Satz 1) 1. Durchsuchungszwecke . . . . . . . . 2. Auffindungsverdacht . . . . . . . . .
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Rn. 3. Durchsuchungsobjekte . . . . . . . . 4. Auffinden von Verfalls- und Einziehungsgegenständen . . . . . . . . . III. Gebäudedurchsuchung (Absatz 1 Satz 2) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsuchungszweck . . . . . . . . 3. Auffindungsverdacht . . . . . . . . 4. Durchsuchungsobjekt . . . . . . . .
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. . . .
17 18 21 22
IV. Durchsuchung von Räumen bei Ergreifung oder Verfolgung des Beschuldigten (Absatz 2) . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Abgeordnete
. . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines 1. Voraussetzungen a) Allgemeine Voraussetzungen. § 103 regelt die Durchsuchung bei nichtverdächtigen 1 Dritten. Trotz des teilweise unterschiedlichen Wortlauts teilt sie den Begriff der Durchsuchung (§ 102, 1), die Durchsuchungszwecke (§ 102, 19 ff.) und die Durchsuchungsobjekte (§ 102, 25 ff.) mit § 102 und ist gleichfalls in jeder Lage des Strafverfahrens zulässig. Schon nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut setzt die Durchsuchung nach § 103 einen Beschuldigten voraus. Es muss also ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen einen nicht notwendig bereits namentlich bekannten Beschuldigten (zum Begriff vgl. § 136, 4 ff.) eingeleitet sein oder durch die Durchsuchung eingeleitet werden.1 Abge-
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sehen von der Gebäudedurchsuchung nach Abs. 1 Satz 2 (vgl. Rn. 17), wo ein dringender Tatverdacht ausdrücklich benannter Straftaten verlangt wird, setzt das Gesetz weder einen besonders qualifizierten Tatverdacht noch eine bestimmte Deliktsschwere voraus. Der für die Einleitung des Verfahrens erforderliche Anfangsverdacht im Sinne des § 152 muss auf verwertbaren Tatsachen beruhen.2 S. zum Tatverdacht bei Durchsuchungen zunächst § 102, 12. Da die Tatverdachtsschwelle niedrig liegt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein bedeutsames Korrektiv angesichts des Gewichts des von der Maßnahme berührten Grundrechts (vgl. dazu § 105, 59 ff. und § 94, 51 ff.) – das gilt vor allem bei „sensiblen“ Berufen (wie Rechtsanwälten, Steuerberatern und Ärzten) in ihrer tragenden Rolle für eine freiheitliche Gesellschaft.3 Wird rechtsirrtümlich nach § 103 durchsucht, obwohl die Voraussetzungen einer Durchsuchung nach § 102 gegeben gewesen wären, kann dies nur unter dem Gesichtspunkt der Täuschung nach § 136a bedeutsam sein, wenn der Betroffene im Vertrauen darauf, nicht beschuldigt zu sein, freiwillig Beweismaterial herausgibt.4 Im Übrigen bleibt der Fehler nach überwiegender Ansicht unbeachtlich, denn eine Durchsuchung nach § 103 umfasst die Anordnungsvoraussetzungen des § 102.5 Die Vorschrift gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen.
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b) Die Voraussetzungen des § 103 sind enger als die des § 102 für die Durchsuchung beim Verdächtigen. Absatz 1 Satz 1 beschreibt den Normalfall: Das Gesetz verlangt anders als bei der Durchsuchung beim Verdächtigen einen konkreten Verdacht dafür, dass bestimmte Beweismittel (Rn. 10) gefunden werden können. Absatz 1 Satz 2 gestattet unter engen Voraussetzungen die Durchsuchung ganzer Gebäude und Absatz 2 regelt die Durchsuchung von Räumen, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat und bei denen deshalb die Anforderungen an den Auffindungsverdacht erleichtert sind.
3
2. „Andere Personen“. Der Begriff steht im Gegensatz zu dem des Verdächtigen (oder besser: des Beschuldigten) in § 102 (§ 102, 8) und umfasst daher alle Personen, bei denen nach Sachlage nicht der Anfangsverdacht besteht, dass sie sich bezüglich der Tat, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist, nach materiellem Recht strafbar gemacht haben.6 Deshalb sind „andere Personen“ auch solche, gegen die ein Strafverfahren nicht durchgeführt werden kann,7 wie Strafunmündige und Personen, bei denen offensichtlich Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen oder bei denen ein nicht behebbares Verfahrenshindernis besteht (s. § 102, 10).
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3 4 5
LG Stuttgart NStZ 1985 568 m. Anm. Hilger; hierbei geht es weniger um eine Fernwirkung, als um die Frage, wann weitere Ermittlungsmaßnahmen zulässig sind; eine bloße Vermutung reicht hier so wenig wie bei § 102 (s. dort Rn. 12 ff.; s. auch den Fall LG Köln StV 1983 275). Vgl. dazu § 105, 68 ff. Weitergehend Krekeler NStZ 1993 263, 266. BGHSt 28 57, 60; SK/Wohlers § 102 38; AK/Amelung 3; Meyer-Goßner 1; KK/Nack 3;
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6 7
HK/Gercke 7; a.A. Krekeler NStZ 1993 263, 266 wonach die Anordnung nach § 102 StPO dem Betroffenen gerade als Tatverdächtigem bekannt gemacht werden muss; Fezer StV 1989 290, 293 wonach der Eingriff schon deshalb nicht auf § 103 gestützt werden kann, da dem Verdächtigen ermöglicht werden soll, sein Verteidigungsverhalten einzurichten. BVerfGE 20 162, 185. KK/Nack 1; Meyer-Goßner 1.
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Behörden oder die hinter ihnen stehenden Körperschaften sind ebenfalls „andere Per- 4 sonen“ im Sinne dieser Vorschrift.8 Während die Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten unproblematisch ist, bereitet die Durchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln Schwierigkeiten. Derartige Durchsuchungen sind nur gestattet, soweit Beweismittel bei Behörden, insbesondere Behördenakten, beschlagnahmt werden dürfen. Diese streitige Frage wird bei § 96, 4 ff. erörtert. Durchsuchungen bei Behörden dürfen daher nicht der Suche nach Beweismitteln dienen, deren Herausgabe, wie Sozialdaten gemäß § 73 SGB X, nach einem gesetzlich abschließend geregelten Verfahren erfolgt und die deshalb nicht der Beschlagnahme unterliegen.9 Zu Sozialdaten, Steuerdaten usw. siehe bei § 96, 50. Soweit die Durchsuchung zulässigen Zwecken dient, werden Behörden in der Regel im Wege der Amtshilfe den Ermittlungsbehörden das Suchen in den Behördenräumen jedenfalls dann gestatten, wenn eine Durchsuchungsanordnung vorliegt. Eine förmliche Durchsuchung ist dann nicht erforderlich. Sie wäre unverhältnismäßig. Die Durchsuchung ist somit nur statthaft, sofern zuvor die Herausgabe der Schriftstücke begehrt wurde und keine Sperrerklärung abgegeben wurde. Sofern die Sperrerklärung willkürlich oder rechtsmissbräuchlich erscheint, ist die Durchsuchung gleichwohl zulässig.10 Bei juristischen Personen ist zu unterscheiden (vgl. § 102, 11): § 102 ist anzuwenden, 5 wenn der Verdächtige die tatsächliche Herrschaftsmacht über Räume der juristischen Person inne hält.11 Möchten die Ermittlungsbehörden darüber hinaus auch Räume durchsuchen, die nicht dem Herrschaftsbereich des Verdächtigen unterliegen, ist dies nur nach Maßgabe des § 103 möglich, z.B. wenn sich Beweismittel in Räumen einer juristischen Person befinden, der Verdächtige aber keine tatsächliche Herrschaftsmacht über diese Räume hat.12 Entsprechendes gilt auch für Kommanditgesellschaften und offene Handelsgesellschaften, soweit sie in ihrer Struktur der juristischen Person angenähert sind.13
6
3. Einwilligung. S. § 105, 2 ff. 4. Verhältnismäßigkeit. Freiwillige Herausgabe
a) Die (etwas) strengeren gesetzlichen Anforderungen bei einer Durchsuchung bei 7 anderen Personen als Verdächtigen entbinden nicht von der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Einzelfall. Im Gegenteil: Die Durchsuchung nach § 103 bei einer nicht verdächtigen Person, die durch ihr Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden in keiner Weise Anlass zu der Zwangsmaßnahme gegeben hat, stellt besondere Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit.14 Unzulässig sind Durchsuchungen, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verletzen.15 S. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Durchsuchungen § 105, 59 ff.
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KK/Nack 1; Meyer-Goßner 2. OLG Celle NJW 1997 2964; LG Saarbrücken JAmt 2007 321. OLG Jena NJW 2001 1290. Radtke/Hohmann/Ladiges 4 m.w.N. KMR/Hadamitzky § 102, 9; SK/Wohlers § 102, 12; Kramer Ermittlungen bei Wirtschaftsdelikten 1987 81; a.A. die auf das
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Hausrecht der Betriebsinhaber abstellt: HK/Gercke 12; AK/Amelung § 102, 17; Krekeler/Schütz wistra 1995 296, 297. Ciolek-Krepold Rn. 43 f. BVerfG NJW 2009 2518, 2519; NJW 2007, 1804, 1805. HK-GS/Hartmann 6.
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b) Dient die Durchsuchung der Auffindung bestimmter Beweismittel, muss der Betroffene vor der Durchsuchung zur freiwilligen Herausgabe der Gegenstände aufgefordert und ihm dadurch Gelegenheit gegeben werden, die Durchsuchung abzuwenden;16 ohne eine solche Aufforderung ist die Durchsuchung rechtswidrig. Da der Betroffene mit einer solchen Herausgabe nur seiner gesetzlichen Pflicht aus § 95 nachkommt, ist damit nie der Tatbestand des § 203 StGB erfüllt.17 Ein solches Verfahren ist für den Betroffenen empfehlenswert und ermöglicht optimalen Rechtsschutz. Gibt er nämlich die Gegenstände freiwillig heraus, vermeidet er nicht nur die Durchsuchung. Handelt es sich bei den Beweismitteln um Schriftstücke, kann er sie versiegelt (§ 110 Abs. 3) herausgeben und gleichzeitig Beschwerde gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung einlegen.
II. Durchsuchung bei Dritten. Normalfall (Absatz 1 Satz 1) 9
1. Durchsuchungszwecke sind die Ergreifung des Beschuldigten, die Verfolgung von Spuren einer Straftat oder die Beschlagnahme bestimmter Gegenstände. Die Durchsuchungszwecke sind mit denen des § 102 identisch, weshalb auf die Erläuterungen dort in Rn. 19 ff. verwiesen werden kann. Anders als bei § 102, wo allgemein von Beweismitteln die Rede ist, spricht § 103 von 10 bestimmten Gegenständen. Daraus folgt, dass eine allgemeine Suche nach Beweismitteln unzulässig ist.18 Dasselbe gilt auch für Spuren.19 Zwar bemerkt § 103 Abs. 1 nur im Zusammenhang mit Gegenständen, dass sie „bestimmt“ sein müssen. Es kann aber nicht angenommen werden, dass das Gesetz für die Suche nach Spuren erleichterte Voraussetzungen hat schaffen wollen. Sowohl nach Beweisgegenständen als auch nach Spuren darf daher nur gesucht werden, wenn sie wenigstens der Gattung nach näher bestimmt20 sind, so dass weder bei dem Betroffenen noch bei den vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können21 und der Betroffene in der Lage ist, durch freiwillige Herausgabe die Durchsuchung abzuwenden.22 Insbesondere zur Suche nach Beweisgegenständen ist die Durchsuchung nur zulässig, soweit die Gegenstände schon in der Anordnung in diesem Sinne konkret, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, bezeichnet werden können.23 Es kann nicht verlangt werden, dass die Gegenstände oder Spuren bereits so genau bestimmbar sind, dass bereits bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses deren Beschlagnahme angeordnet werden könnte. Es muss aber verlangt werden, dass im Durchsuchungsbeschluss Tatsachen angegeben werden, aus denen zu schließen ist, dass sich die gesuchten Beweismittel gerade in den zu durchsuchenden Räumen befinden.24 Aus Gründen der Messbarkeit und Kontrollierbarkeit des Beschlusses muss ersichtlich sein, warum die Maßnahme gegen 16
17 18
LG Kaiserslautern NStZ 1981 439; LG Mühlhausen wistra 2007 195, 197; LG Köln, StV 2005 260; LG Saarbrücken NStZ 2010 534; „häufig geboten“: AK/Amelung 13; SK/Wohlers 16; Eb. Schmidt 10; ähnlich einschränkend Meyer-Goßner 1a, wonach die Aufforderung zur Herausgabe i.d.R. erforderlich ist; Ähnliches gilt im Steuerstrafverfahren: BVerfG NJW 2005 1640. Amelung DNotZ 1984 195, 221; FAK-MedR/Tsambikakis StGB § 203, 57. BGH NStZ 2000, 154; 2002 215; BGHR
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StPO § 103 Tatsachen 1; OLG Celle StV 1982 561, 562; LG Frankfurt/M. MMR 2004 339. AK/Amelung 10. BGH NStZ 2000 154; BGH NStZ 2002 215; AK/Amelung 10. BGH wistra 2002 109. AK/Amelung 10. BGH NStZ 2000 154; vgl. auch BGHR StPO § 103 Tatsachen 1; SK/Wohlers 9. BVerfG NJW 2007 1804; BVerfG NJW 2009 2518.
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einen Dritten als Adressaten gerichtet wird. Die Anordnung, nach Geschäftsbüchern des Beschuldigten, nach Packungen verschiedener Zigarettenmarken, nach Zeitungsexemplaren bestimmter Art, nach Rauschgift, nach Schußwaffen, nach Briefen bestimmter Personen, nach geschäftlichen Unterlagen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer bestimmten Firma zu suchen, reicht also aus. Als unzureichend wurde angesehen, die Formulierung „zur Sicherstellung von Schriftstücken, Tonträgern und anderen Beweismitteln, welche geeignet sind, die Struktur der Bande, deren Organisation und Arbeitsweise zu belegen.“25 Die Beweisbedeutung der gesuchten Gegenstände muss feststehen.26 Die Verfolgung von Spuren und die Suche nach Beweismitteln sind nicht, wie es nach dem Wortlaut des § 103 scheinen könnte, auf das Auffinden von belastenden Umständen beschränkt; die Vorschrift ist auch auf die Verfolgung entlastender Anzeichen anwendbar.27 Werden bei der Durchsuchung andere als die in der Durchsuchungsanordnung be- 11 zeichneten Gegenstände aufgefunden, die für die Straftat, deretwegen die Durchsuchung stattfindet, als Beweismittel in Betracht kommen oder die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, so werden diese nach §§ 94, 98 beschlagnahmt. Wegen anderer Zufallsfunde s. § 108. Die Durchsuchung ist unzulässig, wenn sie darauf gerichtet ist, einen Gegenstand zu 12 finden, dessen Beschlagnahme verboten ist,28 mit der materiell-rechtlichen Folge, dass Widerstand nach § 113 StGB rechtmäßig ist.29 Deshalb dürfen bei zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen keine Durchsuchungen zu dem Zweck vorgenommen werden, Mitteilungen, Schriftstücke, Aufzeichnungen und Gegenstände aufzuspüren, die nach § 97 von der Beschlagnahme ausgenommen sind.30 Nach anderen Gegenständen darf gesucht werden.31 Lässt sich bei der Durchsuchung nicht sicher beurteilen, ob die aufgefundenen Gegenstände nach § 97 von der Beschlagnahme ausgeschlossen sind, so hat der Durchsuchungsbeamte sie einstweilig zu beschlagnahmen (§ 110, 17/18). Überhaupt ist bei Ermittlungsmaßnahmen gegen einen Berufsgeheimnisträger die Gefahr zu beachten, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers sicher wähnen durften. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Bei strafprozessualen Eingriffen ist das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme.32 Überdies ist § 160a zu beachten.33 25 26 27 28
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BGH NStZ 2002 215. BGHR StPO § 103 Gegenstände 3; MeyerGoßner 6. RGSt 14 189, 195. BGH NJW 1973 2035; KG NJW 1984 1133; LG Köln NJW 1981 1746; Gusy NStZ 2010 358; KK/Nack 7; Meyer-Goßner 7; KMR/Hadamitzky 3; Eb. Schmidt 11. § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB; Eb. Schmidt 11; AnwK-StGB/Barton § 113, 33. BGH NJW 1973 2035; KG NJW 1984 1133; LG Köln NJW 1981 1746; OLG Frankfurt StraFo 2005 421; AnwK-StPO/Löffelmann 7;
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KK/Nack 7; Meyer-Goßner 7; KMR/Hadamitzky 7; Eb. Schmidt 11; Kunert MDR 1975 889; vgl. auch Klug Presseschutz im Strafprozeß (1965) 61 ff. für Durchsuchungen bei der Presse; Waldowski AnwBl. 1975 106 für Durchsuchungen in der Anwaltskanzlei; vgl. auch Jaraß NJW 1981 197 und Haffke NJW 1974 1984. Meyer-Goßner 7; Creifelds GA 1960 70; Haffke NJW 1974 1984. BVerfGE 113, 29, 56; 115, 166, 197; BVerfG NJW 2009 2518, 2519. Vgl. § 105, 71 ff.
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Ein der Beschlagnahmefreiheit nach § 97 unterliegender Gegenstand ist zurückzugeben, sobald sich die Beschlagnahmefreiheit herausstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gegenstand beschlagnahmt oder lediglich nach § 108 vorläufig sichergestellt war. Das Beweismittel unterliegt einem Verwertungsverbot. Deshalb darf der Beamte, der bei der Durchsuchung, bei der Beschlagnahme oder bei der Sicherstellung nach § 110 vom Beweismittel Kenntnis erlangte, nicht als Zeuge über seine Erkenntnisse vernommen werden.34
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2. Auffindungsverdacht. Um den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre zu rechtfertigen, müssen Tatsachen („konkrete Fakten“),35 nicht lediglich Vermutungen,36 vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person oder die in dem erforderlichen Maß bestimmte (Rn. 10) Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet.37 Ein effektiver Grundrechtsschutz verlangt einen wenigstens wahrscheinlichen Durchsuchungserfolg. Gerade bei der Ergreifungsdurchsuchung muss mehr für als gegen den momentanen Aufenthalt des Beschuldigten in der Wohnung eines anderen sprechen.38 Der Schluss muss nicht zwingend, aber vertretbar sein.39 Deshalb darf an mehreren Stellen durchsucht werden, auch wenn der gesuchte Gegenstand nur an einer Stelle sein kann. Allerdings wird man wohl verlangen müssen, dass die gleichzeitig mehrere Räume betreffende Durchsuchung nur dann zulässig sein kann, wenn nur so der Gefahr der Verdunkelung vorgebeugt werden kann.40 Es darf gleichzeitig bei einer verdächtigen Person nach § 102 durchsucht werden und bei einer nicht verdächtigen Person nach § 103.41 Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Maßnahme ist erforderlich, aber auch ausreichend.42 Dabei muss, namentlich dann, wenn Eile geboten ist,43 die Staatsanwaltschaft nicht jede von der Polizei ermittelte Tatsache auf ihren Wahrheitsgehalt selbst überprüfen. Jedenfalls bei § 103 genügt die allgemeine Vermutung nicht, es könnten die gesuchte Person oder die gesuchten Beweismittel gefunden werden.44
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3. Durchsuchungsobjekte. Aus der Verwendung des Begriffs „Durchsuchung“ in Absatz 1 Satz 1 folgt, dass § 103 die Durchsuchung im Sinne des § 102 und damit dieselben Objekte wie § 102 (s. dort Rn. 25 ff.) meint, obwohl Satz 1 am Ende nur von „zu durchsuchenden Räumen“ spricht und Personen und Sachen nicht ausdrücklich nennt.45 Da die Durchsuchungsobjekte sich aus dem in § 102 näher bestimmten Begriff der strafprozessualen Durchsuchung ergeben, widerspricht diese Auslegung nicht dem Analogieverbot bei strafprozessualen Grundrechtseingriffen.46 Dass das Gesetz gegenüber § 102 die
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KK/Nack 7. BGH NJW 1996 405, 406; OLG Celle StV 1982 562; BGHR StPO § 103 Tatsachen 1; Maunz/Dürig/Papier GG Art. 13, 39: „Bewiesene Tatsachen“. BGHR StPO § 103 Tatsachen 2; LG Frankfurt StV 2002 70. BGHR StPO § 103 Tatsachen 2; BGH NJW 1996 405, 406 (Beispiel für die Prüfung eines Auffindungsverdachts); BVerfG NJW 2009 2518, 2519. OLG Düsseldorf wistra 2008 318; a.A. in einem Amtshaftungsprozess OLG Bamberg, Urt. v. 6.5.2013 – 4 U 218/12.
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39 40 41 42 43 44 45 46
BGHSt 28 57, 59; BGH NJW 1989 1924; KK/Nack 5. KK/Nack 5; KMR/Hadamitzky 6; offen gelassen BVerfG NJW 2003 2669. BVerfG NJW 2003 2669. OLG Düsseldorf wistra 2008 318; LG Frankfurt StV 2002 70. BGHSt 28 57, 60. BGH NJW 1996 405, 406; OLG Celle StV 1982 562. KK/Nack 3; Meyer-Goßner 3; SK/Wohlers 7; a.A. AK/Amelung 6 f. So aber AK/Amelung 6 f.
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§ 103
Durchsuchungsobjekte nicht einschränken und etwa Personen ausnehmen wollte, folgt nach zutreffender Auffassung schon daraus, dass § 81c sogar körperliche Untersuchungen bei dritten nicht tatverdächtigen Personen zulässt.47 Danach ist eine körperliche Durchsuchung, d.h. die Durchsuchung der am Körper getragenen Kleidung und die Suche nach Gegenständen an der Körperoberfläche, nicht jedoch im Körperinneren oder in den natürlichen Körperöffnungen beim Dritten, der nicht tatverdächtig ist, zulässig, wenn der Eingriff ohne medizinische Hilfsmittel möglich ist.48 Dass bei derartigen Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz große Bedeutung zukommt, liegt auf der Hand.49 Bei körperlichen Durchsuchungen, die geeignet sind, das Schamgefühl der verdächtigen Person zu beeinträchtigen, ist § 81d zu beachten. 4. Auffinden von Verfalls- und Einziehungsgegenständen. Nach § 111b Abs. 4 und 5 16 finden die §§ 102 bis 110 Anwendung, um die Beschlagnahme von Gegenständen zu ermöglichen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen können. Es müssen Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die Gegenstände in den zu durchsuchenden Räumen befinden. Die Gegenstände müssen, wie die Beweismittel (oben Rn. 10), schon bei der Durchsuchungsanordnung, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, bekannt sein. Wegen der „Gründe“ nach § 111b Abs. 1 vgl. § 111b, 22 f.; wegen der allgemeinen Beschlagnahme von Schriften vgl. § 111n, 19.
III. Gebäudedurchsuchung (Absatz 1 Satz 2) 1. Allgemeines. Nach dem bis 1978 geltenden Recht war zur Ergreifung von Beschul- 17 digten und zur Sicherstellung von Beweismaterial bei nicht tatverdächtigen Personen keine allgemeine Haussuchung, sondern nur die Durchsuchung einzelner Wohnungen oder anderer Räumlichkeiten unter der Voraussetzung zulässig, dass bestimmte Tatsachen den Schluss auf das Vorhandensein des Gesuchten in diesen Räumen zuließen. Befanden sich mehrere Wohnungen in einem Gebäude, so musste der durch Tatsachen belegte Verdacht hinsichtlich jeder Wohnung vorliegen und für die Durchsuchung jeder Wohnung eine besondere Anordnung getroffen werden. Diese Regelung erschwerte ein schnelles Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden, wenn sich der Verdacht zwar auf ein bestimmtes Gebäude, aber nicht auf eine bestimmte Wohnung richtete.50 Durch Einfügen des § 103 Abs. 1 Satz 2 durch Art. I Nr. 1 StPÄG 1978 sind die Durchsuchungsmöglichkeiten dahin erweitert worden, dass zum Zweck der Ergreifung bestimmter Beschuldigter eine allgemeine Haussuchung angeordnet werden kann.51 Zur Anordnung der Gebäudedurchsuchung ist nur der Richter oder – bei Gefahr im Verzug – der Staatsanwalt befugt; zur Behandlung von Zufallsfunden vgl. § 108, 16. 2. Durchsuchungszweck. Einziger Durchsuchungszweck der Gebäudedurchsuchung 18 ist die Ergreifung (§ 102, 19) eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine
47
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Roxin § 35 A V 1; Peters § 48 A V 1c; Meyer-Goßner 3; KK/Nack 3; dagegen kritisch Geerds FS Dünnebier 175. Das ist für die Körperöffnungen streitig; wie hier: Eb. Schmidt Nachtrag I § 81a, 4; a.A. OLG Celle NJW 1997 2463 (Mund-
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höhle); Eisenberg 2408; Meyer-Goßner § 102, 9; AK/Amelung § 102, 23. Vgl. dazu auch Geerds FS Dünnebier 192. Vgl. BTDrucks. 8 1482, S. 9; Kurth NJW 1979 1382. Kritisch AK/Amelung 14 f.
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§ 103
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Straftat nach § 89a oder § 129a, auch in Verbindung mit § 129b StGB oder eine der im dortigen Katalog genannten schweren Straftaten als Täter oder Teilnehmer begangen oder zu begehen versucht zu haben. Die allgemeinen Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Fällen, in denen dem Beschuldigten nur Werben für eine terroristische Vereinigung oder eine geringfügige Unterstützung einer solchen Vereinigung zur Last gelegt wird,52 sind mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar. Richtig ist es dennoch, das Gewicht des Tatvorwurfs auch hier gegen das Gewicht des Eingriffs in grundrechtlich geschützte Positionen abzuwägen. Der Begriff dringender Tatverdacht verlangt einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit späterer Verurteilung (vgl. dazu § 112, 16 ff.), der sich regelmäßig nur auf bestimmte Tatsachen stützen lässt. Dabei ist für die jeweils geforderte Beweisdichte der aktuelle Verfahrensstand ausschlaggebend.53 Der beschränkte Durchsuchungszweck muss beachtet werden: Der Beschuldigte soll 19 ergriffen werden. Dazu gehört zwar auch die Suche nach Anhaltspunkten für seinen Verbleib. Behältnisse, in denen sich wegen ihrer geringen Größe ein Mensch nicht verbergen kann, dürfen nur durchsucht werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass sich dort Unterlagen oder andere Beweismittel befinden, die zur Ergreifung des Beschuldigten führen können.54 Unter keinen Umständen darf die Anordnung der allgemeinen Haussuchung dazu benutzt werden, Wohnungen und andere Räume nach bloßen Anhaltspunkten für den Verbleib des Beschuldigten zu durchsuchen, anstatt nach ihm selbst zu suchen. Denn dann würde es sich nicht um eine Durchsuchung zum Zweck der Ergreifung, sondern zum Auffinden von Beweismitteln handeln, was wiederum an § 103 Abs. 1 Satz 1 zu messen wäre. Da die Gebäudedurchsuchung nur zur Ergreifung des Beschuldigten zulässig ist, 20 bestehen bei der Beschlagnahme von Beweismitteln Einschränkungen. Die vorläufige Sicherstellung von Zufallsfunden gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 ist nach Satz 3 ausgeschlossen. Dagegen ist nach herrschender Meinung die gewöhnliche Beschlagnahme von Beweismitteln nach den §§ 94 und 98 möglich, vgl. § 108, 16.
21
3. Auffindungsverdacht. Es muss aufgrund von Tatsachen anzunehmen sein, dass sich der Beschuldigte im Gebäude in irgendeiner Wohnung oder in einem sonstigen Raum aufhält,55 z.B. durch Zeugenaussagen, das Auffinden von Fahrzeugen in der Nähe des betreffenden Gebäudes oder durch bei Observationen erlangte Kenntnisse.56 Scheiden bestimmte Wohnungen oder andere Räume von vornherein als nicht „verdächtig“ aus, so ist die Durchsuchung auf die übrigen Gebäudeteile zu beschränken, wenn nach Sachlage der Durchsuchungszweck auch so erreicht werden kann.57 Besteht umgekehrt lediglich die Vermutung, der Beschuldigte befinde sich in einer bestimmten Wohnung, kann gleichwohl die Gebäudedurchsuchung angeordnet werden, wenn es sich lediglich um eine nicht näher belegbare Vermutung handelt. Die Durchsuchung wird dann aus kriminalistischen Gründen, aber auch um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, dort zu beginnen haben.58
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AK/Amelung 17; Rudolphi JA 1979 16. Radtke/Hohmann/Tsambikakis § 112, 22. Meyer-Goßner 14; Vogel NJW 1978 1217, 1226; SK/Wohlers 23. Vgl. dazu Vogel NJW 1978 1217, 1226. LG Saarbrücken NStZ-RR 2002 267;
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57 58
Vgl. dazu auch Benfer Polizei 1979 196; Meyer-Goßner 11. HK/Gercke 13; Meyer-Goßner 13; vgl. auch AK/Amelung 19. Meyer-Goßner 11.
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4. Durchsuchungsobjekt. Die Durchsuchung erstreckt sich auf das gesamte Gebäude. 22 Der Begriff ist wörtlich zu nehmen. Der Gesetzgeber hat es ausdrücklich abgelehnt, die Neuregelung auf Gebäudekomplexe auszudehnen.59 Sie fallen auch dann nicht unter die Vorschrift, wenn gemeinschaftliche Versorgungseinrichtungen vorhanden sind. Ebensowenig ist eine allgemeine Haussuchung in allen Gebäuden einer abgeschlossenen Wohnsiedlung oder Laubenkolonie zulässig. „Gebäude“ ist eine räumlich abgegrenzte selbständige bauliche Einheit,60 innerhalb derer sich der Beschuldigte bewegen kann. Auf die Größe des Gebäudes, die Zahl der Treppenhäuser, Eingänge und Wohneinheiten kommt es nicht an.61 Um ein einziges Gebäude handelt es sich auch, wenn Vorderhaus, Seitenflügel und Hinterhaus eine bauliche Einheit bilden, nicht aber, wenn mehrere Teile einer solchen Einheit nur durch gemeinsame Kelleranlagen oder eine Tiefgarage miteinander verbunden sind62 oder wenn ein Hinterhaus mit dem Vordergebäude keine bauliche Verbindung hat. Reihenhäuser sind jeweils einzelne Gebäude. Anders als bei der Durchsuchung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 ist bei der Gebäudedurchsuchung nach überwiegender Ansicht immer nur an einem Ort zu suchen. Auch wenn Tatsachen daraufhin deuten, dass sich der Verdächtige in einem von mehreren Gebäuden aufhält, darf nicht die zeitgleiche Durchsuchung mehrerer Gebäude angeordnet werden.63 Zuerst soll immer das Gebäude mit der größeren Wahrscheinlichkeit eines Durchsuchungserfolgs durchsucht werden. Möglich soll aber eine bedingte Anordnung sein, wonach für den Fall der Erfolglosigkeit der Durchsuchung eines Gebäudes in einem zweiten Gebäude gesucht werden kann.64
IV. Durchsuchung von Räumen bei Ergreifung oder Verfolgung des Beschuldigten (Absatz 2) In Räumen, die der Beschuldigte während der Verfolgung betreten hat oder in denen 23 er ergriffen worden ist, darf ohne die einschränkenden Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 Satz 1 durchsucht werden. Dies bedeutet, dass diese Räume unter den einfacheren Voraussetzungen des § 102 durchsucht werden dürfen, obwohl deren Inhaber unverdächtig ist.65 Ausweislich des Wortlautes sind nur Räume unter den erleichterten Voraussetzungen zu durchsuchen, nicht jedoch ganze Gebäude.66 Der Grund für die Erweiterung liegt in der Erfahrungstatsache begründet, dass ein Verfolgter in den genannten Räumen Spuren zu hinterlassen und sich der Beute oder sonstiger Beweisstücke zu entledigen pflegt. Eine Durchsuchung nach § 103 Abs. 2 wird nach verbreiteter Ansicht auch dann für zulässig gehalten, wenn sie dazu dient, Zeugen aufzufinden.67 Der Beschuldigte entfalte eine so enge Beziehung zu den Räumen, dass vermutet werden könne, irgendein denkbarer Durchsuchungszweck werde erreicht. Dem ist zuzustimmen, denn insbesondere Zeugenaussagen können zur Überführung des Täters dienlich sein. Beschuldigter im Sinne des § 103 Abs. 2 ist auch der aus der Strafhaft entflohene Verurteilte.68
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BTDrucks. 8 1482 S. 9. KK/Nack 9; Meyer-Goßner 12; Benfer Polizei 1979 197; Kurth NJW 1979 1382. Kurth NJW 1979 1382. Kurth NJW 1979 1382; a.A. Benfer Polizei 1979 196, 198; vgl. auch AK/Amelung 16. Meyer-Goßner 10; KK/Nack 10; HK/Gercke 13. SK/Wohlers 22; a.A. AK/Amelung 19;
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KK/Nack 10, wonach die zweite Anordnung erst nach erfolgloser Durchsuchung des ersten Gebäudes erfolgen darf. KK/Nack 8; SK/Wohlers 18; AK/Amelung 21. Park Rn. 120; SK/Wohlers 18. Meyer-Goßner 15; HK/Gercke 15. BayObLGSt 20 152 a.F.; Meyer-Goßner 15; SK/Wohlers 18; a.A. AK/Amelung 21.
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Ergreifung ist jede Gestellung durch Strafverfolgungsorgane, auch wenn sie nicht zu einer förmlichen Festnahme geführt hat, und die Festnahme durch eine Privatperson nach § 127.69
V. Abgeordnete 24
S. auch § 102, 46. Bei nicht tatverdächtigen Abgeordneten ist die Durchsuchung zulässig,70 soweit diese nicht, wie bei der Sicherstellung umfangreicher Akten zur Durchsicht, zu einer Hinderung der Abgeordnetentätigkeit (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG) führt. Bei Durchsuchungen im Gebäude des Deutschen Bundestags ist nach Art. 40 Abs. 2 GG die Genehmigung des Präsidenten erforderlich. Die Durchsuchung ist auch zulässig, wenn ein verdächtiger Abgeordneter aus Immunitätsgründen nicht verfolgt werden kann, wohl aber ein Mittäter.71 Der nicht verfolgbare Abgeordnete ist dann als Nichtverdächtiger zu behandeln.72 Die Durchsuchung darf nicht darauf gerichtet sein, nach § 97 Abs. 3, Art. 47 GG vor Beschlagnahme geschützte Gegenstände aufzufinden; s. Rn. 12; § 97, 4. Vgl. zur Immunität die Erläuterungen zu § 152a; ferner Nr. 191 Abs. 4 RiStBV.
§ 104 (1) Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. (2) Diese Beschränkung gilt nicht für Räume, die zur Nachtzeit jedermann zugänglich oder die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind. (3) Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraum vom ersten April bis dreißigsten September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in dem Zeitraum vom ersten Oktober bis einunddreißigsten März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Entstehungsgeschichte. Art. 3 Nr. 2 des 4. StrRG setzte in Absatz 2 die Worte „der Prostitution“ an die Stelle der Worte „gewerbsmäßiger Unzucht“. Durch Art. 21 Nr. 23 EGStGB 1974 wurden in Absatz 2 nach den Eingangsworten („Diese Beschränkung gilt nicht“) die Worte „für Wohnungen von Personen, die unter Polizeiaufsicht stehen,
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Meyer-Goßner 15; a.A. Benfer 105 f., kritisiert, dass durch das Festhalten vermittels eines Privaten noch nicht die Beschuldigtenstellung des Festgehaltenen begründet werde. In dieser Situation, die zwar selten vorkommen dürfte, könnten Strafverfolgungsbehörden die Schutzvor-
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schriften des § 103 Abs. 1 S. 1 umgehen, obwohl es sich noch nicht um einen Beschuldigten handle; Benfer/Bialon 398. KK/Nack 13; Meyer-Goßner 16; Nr. 191 IIId RiStBV. Meyer-Goßner 16. Meyer-Goßner 16.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 104
sowie“ gestrichen; ferner wurden die Worte „strafbarer Handlungen“ durch das Wort „Straftat“ ersetzt. Durch Art. 1 Nr. 26 des 1. StVRG wurden in Absatz 2 die Worte „des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels“ eingefügt.
Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Grundsatz. Bedeutung der Vorschrift b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . c) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . 2. Nachtzeit (Abs. 3) . . . . . . . . . . . 3. Durchsuchungsvoraussetzungen (Abs. 1) a) Verfolgung auf frischer Tat . . . . .
. . . .
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Rn. b) Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . c) Wiederergreifung eines Gefangenen . 4. Ausnahmen von den Durchsuchungsbeschränkungen (Abs. 2) . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel. Verwertungsverbot. Revision . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Allgemeines a) Grundsatz. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift verbietet die Durchsuchung 1 geschützter Räume zur Nachtzeit. Drei Sachverhalte (Absatz 1) und bestimmte Räume (Absatz 2) werden von diesem Verbot ausgenommen. § 104 berührt demnach nicht die Anordnung, sondern regelt die Durchführung, für die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 102, 103, 105 vorliegen müssen. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung der „Form“ der Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, die der Wohnung als der „räumlichen Privatsphäre“1 besonderen Schutz zuteilwerden lässt. Die Vorschrift kann deshalb nicht als (bloße) Ordnungsvorschrift eingeordnet werden. Personen und Sachen können, wenn dazu keine Hausdurchsuchung erforderlich ist, auch bei Nacht stets durchsucht werden.2 Die Vorschrift gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen. b) Entscheidung. Die Entscheidung, ob eine Durchsuchung zur Nachtzeit nach dieser 2 Vorschrift gestattet ist, kann bereits mit der richterlichen Entscheidung nach § 105 getroffen werden.3 Der Richter kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Durchsuchung zur Nachtzeit ausschließen und damit verbieten, selbst wenn die Voraussetzungen des § 104 vorliegen. Im Übrigen entscheidet der die Durchsuchung anordnende Beamte nach pflichtgemäßem Ermessen. c) Einwilligung. Bei Einwilligung des Berechtigten (vgl. dazu § 105, 2 ff.) ist die 3 Durchsuchung nachts auch dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des Absatz 1 nicht vorliegen.4
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BVerfGE 32 54, 72. KK/Nack 3; Meyer-Goßner 1. Vgl. BGH MDR 1964 71; ebenso MeyerGoßner 1; KK/Nack 1. Radtke/Hohmann/Ladiges 2; KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1. Kritisch insoweit AK/Ame-
lung 11, der zu bedenken gibt, dass bereits das nächtliche Klingeln Interessen verletzt, die durch § 104 Abs. 1 geschützt werden. Er hält eine Einschränkung auf Fälle, in denen der Betroffene nicht im Schlaf überrascht werde, für geboten.
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2. Nachtzeit (Abs. 3). Der Begriff ist – heute nicht mehr zeitgemäß, möglicherweise auch nicht mehr verfassungsgemäß5 – in § 104 Abs. 3 abschließend so umschrieben, dass als Nachtzeit die Zeit von neun Uhr abends bis vier Uhr (in den Monaten April bis September) oder sechs Uhr morgens (in den Monaten Oktober bis März) gilt. Eine vor neun Uhr abends begonnene Durchsuchung darf in die Nacht hinein fortgesetzt werden, auch wenn die Voraussetzungen des § 104 nicht vorliegen.6 Das folgt schon daraus, dass nach Beginn einer Durchsuchung stets die Gefahr des Beweisverlustes im Verzug ist, wenn sie wegen hereinbrechender Nacht abgebrochen würde. Jedoch muss eine Durchsuchung so rechtzeitig beginnen, dass ihr Ende vor Beginn der Nachtzeit zu erwarten ist.7 Ermittlungsbehörden dürfen nicht durchsuchen, wenn in einer Ex-ante-Betrachtung ganz sicher oder höchstwahrscheinlich mit einer Dauer bis in die Nachtzeit zu rechnen ist. Ansonsten würde das Verbot der nächtlichen Haussuchung leerlaufen. § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO bestimmt als Nachtzeit die Stunden von 21 Uhr bis 6 Uhr. 3. Durchsuchungsvoraussetzungen (Abs. 1)
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a) Verfolgung auf frischer Tat ist gegeben, wenn unmittelbar nach Entdeckung der vollendeten oder, sofern das strafbar ist, auch der versuchten Tat die strafrechtliche Verfolgung des Täters aufgenommen worden ist. Der Täter braucht bei der Tat nicht betroffen worden zu sein; seine Verfolgung auf Sicht oder Gehör wird nicht vorausgesetzt8 (vgl. im Übrigen § 127, 14 ff.). Die Verfolgung muss nicht auf die Ergreifung des Täters abzielen; es genügen auch sonstige Maßnahmen zur Aufklärung der Tat, insbesondere das Suchen nach Beute, die der Täter in die Wohnung verbracht hat.9 Ein Verdacht, der Täter sei in die zu durchsuchenden Räume geflüchtet, ist nicht erforderlich; deshalb darf dort auch nach Tatspuren gesucht werden, die sich z.B. auf die Vorbereitung der Tat beziehen.
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b) Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die durch Tatsachen begründete naheliegende Möglichkeit besteht, dass ohne die nächtliche Durchsuchung die beabsichtigte Ergreifung des Verdächtigen (§ 102) oder Beschuldigten (§ 103) vereitelt oder die gesuchte Sache oder Spur beiseite geschafft, vernichtet oder sonst dem Zugriff entzogen werden könnte10 (s. zum Begriff § 105, 83 ff.).
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c) Wiederergreifen eines Gefangenen. Da § 104 lediglich die Durchführung einer Durchsuchung nach §§ 102, 103 regelt, können unter „Gefangener“ hier nur Personen verstanden werden, zu deren Ergreifung eine Durchsuchung nach §§ 102, 103 zulässig ist. Es müssen also Verdächtige (§ 102) oder Beschuldigte (§ 103) sein, die als Gefangene entwichen sind und sie müssen aus Gründen der Strafverfolgung inhaftiert sein. Die Vorschrift will ersichtlich die Festnahmevoraussetzungen bei entwichenen Beschuldigten erleichtern. Deshalb kann der Begriff entgegen einer verbreiteten Meinung11 nicht wie in
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Bedenken auch bei AK/Amelung 18 f.; HK/Gercke 9; AnwK-StPO/Löffelmann 3. BVerfGE 44 353, 369; KK/Nack 2; MeyerGoßner 10; Eb. Schmidt 2; Fezer StV 1989 290, 292; v. Kries 299. BVerfGE 44 353, 369; vgl. auch SK/Wohlers 4; AK/Amelung 20; HK/Gercke 10; Vgl. Park Hdb 179.
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SK/Wohlers 8; Meyer-Goßner 3; AK/Amelung 6; krit. Eisenberg FS Rolinski 165, 172. Eb. Schmidt 4; AK/Amelung 6. AK/Amelung 7; Eb. Schmidt 5. KK/Nack 5; Radtke/Hohmann/Ladiges 4; Meyer-Goßner 5; HK-GS/Hartmann 3; anders aber AK/Amelung 8; Eb. Schmidt 6; SK/Wohlers 10; Rechtsprechung zu § 104
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§ 120 StGB ausgelegt werden, was eigentlich schon aus dessen Abs. 4 folgen sollte. § 120 Abs. 4 StGB stellt nämlich solche Personen den Gefangenen gleich, die nicht aus strafrechtlichen Gründen festgehalten werden. Diese sind selbst nicht Objekt der Strafverfolgung und können folgerichtig auch nicht von § 104 erfasst werden.12 „Gefangene“ im Sinne des § 104 sind demnach: Amtlich vorläufig festgenommene 8 Personen (§ 127), nicht dagegen die von einer Privatperson nach § 127 Abs. 1 S. 1 vorläufig Festgenommenen, solange sie noch nicht dem zuständigen Beamten übergeben worden sind;13 Personen, die sich in Untersuchungshaft (§§ 112, 112a, § 230 Abs. 2), in einstweiliger Unterbringung (§ 126a Abs. 1), in Widerrufshaft (§ 453c) oder in Auslieferungshaft (§ 15 IRG) befinden oder um dahin gebracht zu werden, verhaftet worden sind, im laufenden Verfahren aufgrund eines Vorführungsbefehls Verhaftete (§§ 134, 230 Abs. 2, §§ 236, 329 Abs. 4 Satz 1). Die nach § 81 zur Beobachtung Untergebrachten sind keine Gefangenen. Die §§ 102 ff. sind in der Strafvollstreckung gemäß § 457 Abs. 3 Satz 1 entsprechend 9 anwendbar.14 Als Gefangene sind auch alle die Personen zu verstehen, die aufgrund eines rechtskräftigen Urteils nicht auf freiem Fuß sind: Strafgefangene, nach §§ 61 ff. StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder der Sicherungsverwahrung Untergebrachte, sowie die Personen, gegen die Jugendarrest oder Jugendstrafe nach JGG vollstreckt wird. Gefangener ist auch, wer ohne Unterbrechung des Strafvollzugs in ein Krankenhaus verlegt wurde.15 Die Durchsuchung zur Nachtzeit ist nicht nur zulässig, wenn der Verfolgte selbst in 10 den Räumen gesucht wird. Statthaft ist auch das Suchen nach Anhaltspunkten für seinen Verbleib, etwa nach abgelegten Kleidern, oder die Suche nach negativen Beweismitteln wie dem Fehlen von Beförderungsmitteln (etwa des PKWs), die zur weiteren Flucht benutzt worden sind.16 Das ergibt sich deutlich aus der Wendung: „wenn es sich um die Wiederergreifung eines Gefangenen handelt“. 4. Ausnahmen von den Durchsuchungsbeschränkungen (Abs. 2). Für die Durch- 11 suchung bestimmter Unterkünfte gelten die Beschränkungen des § 104 Abs. 1 nicht; vielmehr sind hier die §§ 102, 103 zur Nachtzeit uneingeschränkt anwendbar. Im Einzelnen handelt es sich dabei um: Räume, die zur Nachtzeit jedermann zugänglich sind, deren Betreten also üblicher- 12 weise ohne Prüfung gestattet wird, gleichgültig, ob dafür ein Entgelt zu zahlen ist oder nicht.17 Auch wenn der Betreiber keinem Kontrahierungszwang unterliegt, sind die Räume jedermann zugänglich, wenn die Entscheidung über den Zutritt letztlich rein wirtschaftlichen Erwägungen folgt.18 Darunter fallen insbesondere Hotels, Herbergen, Schankwirtschaften, Gasthäuser, Bahnhofshallen, Wartesäle, Theater, Kinos, Discotheken oder Bars, solange sie zum beliebigen Betreten geöffnet sind.19 Eine vorzeitige Schließung, die nur dem Zweck dient, die Durchsuchung zu hindern, ist unbeachtlich.20 Räume, die dem
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liegt nicht vor. Die in der Literatur gebrauchten Zitate beziehen sich auf Entscheidungen nach §§ 120, 121 StGB. Benfer 139. Eb. Schmidt 6; AK/Amelung 8; KMR/Hadamitzky 3. LR/Graalmann-Scheerer § 457, 28; SK/Wohlers 10.
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Eb. Schmidt 6. SK/Wohlers 10; AK/Amelung 8; MeyerGoßner 5. Meyer-Goßner 7; SK/Wohlers 12. Benfer 144. Meyer-Goßner 7. SK/Wohlers 12; Meyer-Goßner 7; AK/Amelung 12.
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Wirt oder Inhaber zur Wohnung oder zu anderen privaten Zwecken dienen und von den Räumen, deren Durchsuchung zulässig ist, deutlich abgetrennt sind, dürfen nicht betreten werden. Im Übrigen gilt das Verbot der nächtlichen Durchsuchung aus Absatz 1 nicht für 13 andere Räumlichkeiten, die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind. Die im Einzelnen bezeichneten Räume werden in der Literatur oftmals nicht voneinander unterschieden.21 Dies kann damit begründet werden, dass die bezeichneten Räume oftmals mehreren Fallgruppen unterfallen. Als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen versteht man Orte, die dem kurzfristigen Aufenthalt eines wechselnden Personenkreises dienen.22 Die erleichterte Durchsuchung zu Nachtzeiten rechtfertigt sich dadurch, dass bei bestraften Personen die Vermutung besteht, die Räume würden zu konspirativen Zwecken genutzt.23 Ebenso ausgenommen vom Verbot des § 104 Abs. 1 sind Räume, die der Niederlage von Sachen dienen, die mittels Straftaten erlangt worden sind (z.B. Hehlerkneipen, Hehlerläden). Auch Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution dürfen zu Nachtzeiten durchsucht werden. Die bezeichneten Schlupfwinkel sind allesamt heimliche Orte. Ein legal betriebenes Bordell begründet mangels Heimlichkeit keinen Schlupfwinkel.24 Weiterhin müssen die Räume der Polizei als solche der genannten Art bekannt sein. Bekanntgeworden sind solche Räume der Polizei schon dann, wenn sie einmal zu den bezeichneten Zwecken in Erscheinung getreten sind und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich ihr Verwendungszweck geändert hat.25 Umstritten ist, ob die in Abs. 2 genannten Räume auch Wohnungen des Täters sein können. Teilweise wird vertreten, Wohnungen, einschließlich der unter den Wohnungsbegriff des Art. 13 GG fallenden Arbeits-, Betriebs und Geschäftsräume, können niemals Räumlichkeiten im Sinne des § 104 Abs. 2 sein. Begründet wird dies mit der Bedeutung des Art. 13 GG. Art 13 Abs. 2 GG sehe vor, dass Wohnungsdurchsuchungen nur in der „in den Gesetzen (...) vorgeschriebenen Form durchgeführt werden“ können. Dem sei zu entnehmen, dass Wohnungen, selbst wenn für sie die Bedingungen des Abs. 2 zutreffen, nur unter den Voraussetzungen der Wohnungsdurchsuchung, also nach Abs. 1 durchsucht werden dürften, sofern sie nicht allgemein zugänglich sind.26 Der Wortlaut ließe eine Auslegung zu, wonach unter den Oberbegriff „Räume“ auch Wohnungen fielen. Aus der inneren Systematik der Vorschrift könnte man hingegen schließen, dass Wohnräume gerade nicht gemeint sind. Der erste Halbsatz spricht nur von öffentlich zugänglichen Räumen. In diesem Zusammenhang stehen auch die anderen in Abs. 2 genannten Räume. Würde man auch Wohnräume unter die Räumlichkeiten des Abs. 2 subsumieren, würde das Verbot aus Abs. 1 weitestgehend entleert. Schließlich nutzt ein Täter regelmäßig seine eigene Wohnung zur Niederlage von Gegenständen. Dies alleine genügt wohl noch nicht für die Notwendigkeit einer nächtlichen Durchsuchung. Die, wenn auch heimlich ausgeübte, Wohnungsprostitution genügt ebenfalls nicht, um eine Durchsuchung zur Nachtzeit erforderlich zu machen. Abs. 2 ist daher restriktiv auszulegen.
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Roxin/Schünemann 6. Kapitel, § 35, 7 sprechen allgemein von verrufenen Häusern; Ranft 1050 wählt den Begriff der anrüchigen Örtlichkeit. KK/Nack 4.
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Benfer 148. SK/Wohlers 13. Verfassungsrechtliche Bedenken bei AK/Amelung 14. KK/Nack 4; SK/Wohlers 14.
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5. Rechtsmittel. Verwertungsverbot. Revision. Die Vorschrift regelt die Art und Weise 14 der Durchsuchung. Zu ihrer Überprüfung kann der Betroffene auch nach Beendigung der Durchsuchung die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 bei nichtrichterlich27 und bei richterlich28 angeordneter Durchsuchung beantragen. Verstöße gegen die Vorschrift berühren zwar die Rechtmäßigkeit des Vorgehens bei der Durchsuchung, was auch ausdrücklich festzustellen ist; sie sind aber meist nicht so gravierend, dass deshalb bei der nach der Rechtsprechung gebotenen Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und denen der Rechtsgemeinschaft an angemessener Strafverfolgung ein Verwertungsverbot der bei der Durchsuchung erlangten Erkenntnisse angenommen werden müsste.29 Zum Verwertungsverbot bei fehlerhaften Durchsuchungen s. § 105, 138 ff.
§ 105 (1) 1Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. 2Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist. (2) 1Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. 2Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein. (3) 1Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. 2Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. 3Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden. Schrifttum s. bei § 94, § 98 und bei § 102
Entstehungsgeschichte. Absatz 1 wurde ohne inhaltliche Änderung durch Art. 3 Nr. 42 VereinhG neu gefasst. Art. 3 Nr. 43 VereinhG ersetzte in Absatz 2 die Worte „Polizei- oder Sicherheitsbeamte“ durch die Worte „Polizeibeamte oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“. Der frühere Absatz 4 (Durchsuchungen in militärischen Dienstgebäuden) war 1945 gegenstandslos geworden und wurde in die 1950 neu verkündete Strafprozessordnung nicht aufgenommen. Durch Art. 4 Nr. 2 des 4. StRÄndG wurde ein
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BGHSt 44 265. BGHSt 45 183; OLG Hamburg StV 1999 301; s. auch den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart NStZ 1999 374. HK-GS/Hartmann 5 erkennt ein Verwer-
tungsverbot bei schweren, bewussten oder systematischen Verstößen an. Nach AnwKStPO/Löffelmann 4 dient die Vorschrift allein dem Schutz der Nachtruhe, weshalb Verwertungsverbote ausgeschlossen sein sollen.
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neuer Absatz 4 (jetzt Absatz 3) angefügt. Der frühere Absatz 3 („Die in den vorstehenden Absätzen angeordneten Beschränkungen der Durchsuchung gelten nicht für die in § 104 Abs. 2 bezeichneten Wohnungen und Räume“) wurde durch Art. 21 Nr. 24 EGStGB 1974 gestrichen; der frühere Absatz 4 wurde Absatz 3. Durch Art. 1 Nr. 2 StPÄG 1978 wurde dem Absatz 1 der Satz 2 angefügt. Schließlich wurde 2004 durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz das Wort „Hilfsbeamten“ durch das Wort „Ermittlungspersonen“ ersetzt.
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Regelungsbereich . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit einer Durchsuchungsanordnung a) Einwilligung . . . . . . . . . . . b) Implizite oder stillschweigende Durchsuchungsanordnungen . . . II. Richterliche Durchsuchungsanordnung 1. Zweck des Richtervorbehalts . . . . 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 3. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . 6. Prüfungskompetenz . . . . . . . . . 7. Inhalt des Beschlusses a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Tatvorwurf . . . . . . . . . . . . c) Durchsuchungszweck . . . . . . . d) Beweismittel . . . . . . . . . . . e) Durchsuchungsobjekte . . . . . . f) Auffindungsvermutung . . . . . . g) Verhältnismäßigkeit aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . (1) Allgemein . . . . . . . . . . . (2) Abwendungsbefugnis . . . . . (3) Mildere Mittel . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . ee) Verhältnis der bisherigen Rechtsprechung zum neuen § 160a . h) Modalitäten des Vollzugs . . . . . III. Nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 2. Form und Entscheidungsgrundlage . 3. Dokumentationspflicht . . . . . . . 4. Gefahr im Verzug a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen aa) Drohender Beweismittelverlust bb) Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Richter . . . . . . . . cc) Einzelfälle . . . . . . . . . . . dd) Gefahr im Verzug trotz Richterkontakts . . . . . . . . . . . ee) Fehlender richterlicher Eildienst
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Rn. c) Gerichtsorganisatorische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . d) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . IV. Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 2. Wirksame Durchsuchungsanordnung a) Änderung von Umständen durch Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . b) Verbrauch der Durchsuchungsanordnung . . . . . . . . . . . . 3. Die Anordnung als Grenze der Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . V. Durchsuchungszeugen (Absatz 2) 1. Allgemeines . . . . . . . . . 2. Geeignete Personen . . . . . 3. Zwingendes Recht . . . . . . 4. Ausnahmen . . . . . . . . . 5. Weitere Personen . . . . . . .
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VI. Durchsuchungen bei der Bundeswehr 59 60 61 61 62 63 64 71 74
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VII. Unmittelbarer Zwang beim Vollzug der Durchsuchungen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Zwangsmaßnahmen bei Raumdurchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwangsmaßnahmen bei Personendurchsuchungen . . . . . . . . . . . 4. Einschränkungen der Kommunikation und Bewegungsfreiheit . . . . . . . . 5. Optische Dokumentation des Durchsuchungsobjekts . . . . . . . . . . . VIII. Beendigung der Durchsuchung . . . . . IX. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 1. Gegen richterliche Durchsuchungsanordnungen a) Rechtsschutz gegen die Anordnung der Maßnahme . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Durchführung . . . . . c) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . 2. Gegen nichtrichterliche Durchsuchungsanordnungen a) Rechtsschutz gegen die Anordnung der Maßnahme . . . . . . . . . .
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Rn. b) Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Durchführung . . . . . c) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . 3. Einwände gegen die Art und Weise einer Anordnung . . . . . . . . . . . 4. Schlussentscheidung im Rechtsbehelfsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsverbot . . . . . . . . b) Fehlen einer wirksamen Durchsuchungsanordnung . . . . . . . . c) Fehlen der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug . . . . . . . . . d) Begründungsmängel nicht-richterlicher Anordnungen . . . . . . . .
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Rn. e) Sonstige Verfahrensfehler bei nichtrichterlichen Anordnungen . . . . f) Fehlen der Voraussetzungen für eine Durchsuchung . . . . . . . . g) Unzureichende Begründung bei richterlichen Durchsuchungen . . h) Überschreiten der Grenzen eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . i) Verstöße gegen § 105 Abs. 2 . . . 6. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 7. Revision . . . . . . . . . . . . . . . X. Schadensersatz und Entschädigung . . .
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Alphabetische Übersicht Angemessenheit 64 ff. Anordnung der Durchsuchung 25 ff. und 75 ff. Art und Weise der Durchsuchung 74 und 110 ff. Auffindungsvermutung 57 Beendigung der Durchsuchung 129 Beweisverwertungsverbot 139 ff. Bundeswehr 123 Dokumentationspflicht 81 Durchsuchungszeugen 118 ff. Eilkompetenz als Ausnahme 75 ff. Einwilligung 2 ff. Entschädigung 150 Erforderlichkeit 61 ff. Führerscheine 17 Geeignetheit 60 Gefahr im Verzug 83 ff. Geschäftsunterlagen 52 Gewicht der Straftat 59, 64 Grad des Tatverdachts 59, 64 Implizite Durchsuchungsanordnung 16 ff. Inhalt des Beschlusses 45 ff. Konkretisierung der sicherzustellenden Gegenstände 54 ff. Kontakt zum Verteidiger 127
Nichtrichterliche Durchsuchungsanordnungen 75 ff. Optische Aufnahmen 128 Personendurchsuchung 126 Rechtsbehelfe 130 Rechtsmittel 130 Rechtsschutzinteresse 130 Revision 149 Richterlicher Durchsuchungsbeschluss 25 ff. Richtervorbehalt 1 und 25 Schadensersatz 150 Stillschweigende Durchsuchungsanordnungen 16 ff. Stubenarrest 127 Telefonsperre 127 Unmittelbarer Zwang 124 VEP 8 V-Leute 9 Verdeckter Ermittler 7 Verhältnismäßigkeit 59 ff. Verhältnis zu § 160a 71 Verwertungsverbot 139 Vollstreckung des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses 110 Zeitliche Begrenzung 113 ff. Zuziehung von sachkundigen Personen 122
I. Allgemeines 1. Regelungsbereich. Abs. 1 regelt die Zuständigkeit für die Anordnung von Durch- 1 suchungen nach §§ 102, 103 (zum Begriff Durchsuchung s. § 102, 1) nach Maßgabe des Art. 13 GG. Die Anordnung ist wegen des Gewichts des Eingriffs, aber auch im Interesse eines vorbeugenden Rechtsschutzes („präventiver Richtervorbehalt“1) dem Richter vorbehalten. Er soll als unabhängige und neutrale Instanz das Grundrecht sichern und die
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Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 21 GG.
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Interessen der Beteiligten gebührend berücksichtigen;2 zumal die Betroffenen regelmäßig vor Durchführung der Maßnahme nicht angehört werden, weil eine Anhörung den Zweck der Maßnahme gefährden würde (§ 33 Abs. 4).3 Nur bei Gefahr im Verzug sind auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen zur Anordnung befugt. Abs. 2 und 3 enthalten Einzelheiten zur Durchführung der Durchsuchung. Bei Abs. 2 handelt sich um eine gesetzliche, die „räumliche Privatsphäre“4 schützende Regelung der „Form“ der Durchsuchung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG. § 105 gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen. Vorschriften über Rechtsbehelfe bei nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnungen enthält § 105, anders als § 98, nicht; vgl. Rn. 130. 2. Notwendigkeit einer Durchsuchungsanordnung a) Einwilligung. Grundsatz. Liegt eine wirksame Einwilligung5 des Berechtigten vor, gelten die Beschränkungen der §§ 102 ff. nicht.6 In ihr ist kein (echter) Grundrechtsverzicht zu sehen.7 Sie kann jederzeit frei und begründungslos widerrufen werden,8 woraufhin die Wohnung in der Regel unverzüglich verlassen werden muss. Wird die Durchsuchung dennoch fortgesetzt, kann dies als stillschweigende Durchsuchungsanordnung gewertet werden. Eine richterliche Anordnung ist zu diesem Zeitpunkt entbehrlich, wenn der Durchsuchungszweck bei einer Unterbrechung gefährdet wäre.9 Die Einwilligung bezieht sich immer nur auf den konkreten Einzelfall. Der Berechtigte 3 muss wissen, weshalb bei ihm durchsucht werden soll. Schon deshalb ist eine durch Täuschung herbeigeführte Einwilligung zum Betreten der Wohnung unwirksam. Das ist für die Beurteilung des Verhaltens verdeckt operierender Polizeibeamter umstritten. S. dazu Rn. 7 und § 110c, 14 ff. Die Einwilligung muss ausdrücklich erteilt werden. Ein stillschweigendes Dulden ge4 nügt nicht.10 Auch muss der Betroffene freiwillig handeln, was die Kenntnis aller der für die Einwilligung maßgeblichen Umstände voraussetzt.11 Dabei muss das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger berücksichtigt werden, das ihn dazu bewegen könnte, in eine Maßnahme einzuwilligen, die er sonst abgelehnt hätte. Es existiert deshalb eine latente Missbrauchsgefahr, den Bürger „freiwillig“ zu dem angestrebten Verhalten zu bewe-
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BVerfGE 103 142, 151; BVerfG NJW 2002 1333 jeweils m.w.N. Näher zum Zweck des Richtervorbehalts Rn. 25. BVerfGE 32 54, 72. Grundsätzlich zur Einwilligung in Grundrechtsgüter: Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsrechtsguts (1981); ders. StV 1985 257 f. BGH NStZ 1986 84, 85 erlaubt es jedenfalls auf eine Hinzuziehung von Durchsuchungszeugen nach § 105 Abs. 2 zu verzichten, sofern eine Einwilligung vorliegt. Unabhängig von der Zulässigkeit des Instituts „Grundrechtsverzicht“, wird hier nicht das Grundrecht als solches aufgegeben, sondern es wird lediglich auf die Geltendmachung des
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gewährten Abwehranspruchs gegenüber dem Staat verzichtet. Es wird nur ein Einzelelement des Grundrechtsschutzes aufgegeben. Vgl. dazu: Merten Papier/ Merten III §73, Rn 2; Sachs/Sachs Vor. Art. 1, 52 ff. GG. v. Münch/Kunig/Kunig Art. 13, 20 GG; AK/Amelung 25; HK/Gercke 8. BGH NStZ 1986 84, 85. OLG Köln StV 2010 14, 15; LG Bremen StV 1998 180; Park 56; KMR/Hadamitzky 2; SK/Wohlers 4. Dem Betroffenen muss bekannt sein, dass gegen ihn der Anfangsverdacht einer Straftat besteht und die Maßnahme der Auffindung weiterer ihn ggf. belastender Erkenntnisse dient; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435.
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gen.12 Keinesfalls dürfen dadurch strafprozessuale Standards umgangen werden. Eine Durchsuchung darf nur in Aussicht gestellt werden, wenn deren Voraussetzungen vorliegen – andernfalls ist die Einwilligung unwirksam.13 Den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt es nicht, wenn der Betroffene die Ermittlungsmaßnahme widerspruchslos oder wortlos14 über sich ergehen lässt: Nur weil ein Bürger sein Grundrecht nicht ausdrücklich einfordert, erteilt er dadurch noch keine wirksame Einwilligung.15 Die Einwilligung kann auf einem Irrtum beruhen. Willigt der Bürger z.B. nur ein, weil 5 er die Maßnahme als unvermeidbar erachtet, sich ausdrücklich oder konkludent zur Duldung aufgefordert sieht und somit über seine Abwehrrechte irrt (Einwilligung aufgrund scheinbarer Unvermeidbarkeit), ist die Einwilligung unfreiwillig erteilt und damit unwirksam.16 Die Folgen dieses Irrtums, bis hin zur Unverwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse, tragen die Strafverfolgungsbehörden jedenfalls, soweit der Irrtum aus der staatlichen Sphäre herrührt.17 Einer Unwirksamkeit begegnet die Strafverfolgungsbehörde von vornherein, wenn sie den Betroffenen belehrt. Eine solche Belehrung ist immer notwendig, wenn die Voraussetzungen der §§ 102 f. nicht vorliegen.18 Der Betroffene muss darüber aufgeklärt werden, dass eine Durchsuchung nicht ohne weiteres (vor allem nicht ohne richterliche Anordnung) stattfinden darf, wenn er nicht zustimmt.19 Ausnahmsweise sollte auch dann belehrt werden, wenn die irrtumsträchtige Situation zwar nicht durch die Verfolgungsbehörden geschaffen wurde, der Betroffene aber erkennbar einem Irrtum unterliegt.20 Die fehlende Belehrung in Irrtumsfällen führt zwar in der Regel zur Unwirksamkeit der Einwilligung und damit zur Rechtswidrigkeit einer auf die Erklärung gestützten Maßnahme, ein Verwertungsverbot der erlangten Erkenntnisse folgt daraus
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Amelung StV 1985 257, 261. OLG Hamburg StV 2008 12. A.A. Graf/Hegmann 2 – jedenfalls „eine eindeutige, schweigende Zustimmung“. OLG Hamm NJW 2008 3109, 3110; Amelung StV 1985 257, 258; Radtke/Hohmann/Ladiges § 102, 2. LG Bremen StV 2005 318, 320; Amelung StV 1985 257, 263. Amelung StV 1985 257, 263. LG Bremen StV 2005 318; Radtke/Hohmann/Ladiges § 102, 2 Meyer-Goßner 1. LG Bremen StV 2005 318, 320; Amelung StV 1985 257, 263. Weiter geht noch das LG Stuttgart (NStE § 105 StPO Nr. 2), das für die Wirksamkeit einer Einwilligung immer eine ausdrückliche Belehrung über die Freiwilligkeit verlangt (so auch HK-GS/Hartmann 1 „qualifizierte Belehrung“). Im entschiedenen Fall scheiterte die Einwilligung bereits an der Kenntnis aller für die Einwilligung maßgeblichen Umstände. Das LG Stuttgart verweist auf BGH NStZ 1986 84, aus dem sich ein solches Erfordernis aber nicht ergibt. Ähnlich weitgehend: v. Münch/ Kunig/Kunig Art. 13, 19 GG. Eine derart umfassende Belehrungspflicht ist – im Gegensatz zu anderen StPO-Normen – in den
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§§ 102 f. aber weder angelegt noch ergibt sie sich zwingend aus der Pflicht des Staates, rechtswidrige Grundrechtsbeeinträchtigungen zu unterlassen; mithin aus Verfassungsrecht. Die Möglichkeit der Belehrung soll den Strafverfolgungsbehörden lediglich dazu verhelfen, in Irrtumskonstellationen eine wirksame Einwilligung und damit die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu erreichen. Unklar insoweit Amelung, der einerseits von einer „allgemeinen Belehrungspflicht“ spricht (StV 1985 257, 263), andererseits vom „mit der Aufklärung … erstrebten Ziel der Entlastung vom Irrtumsrisiko“ (Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 102). Ohnehin hätte eine Belehrungspflicht immer nur dann Gewicht, wenn ihre Missachtung einer Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen würde. Vgl. auch Rn. 140. Amelung StV 1985 257, 263. Vergleichbar hat der BGHSt 34 397, 400 die Freiwilligkeit verneint, als der Betroffene Tagebuchaufzeichnungen gegenüber einem Gutachter preisgab und damit vermeintlich auf sein Persönlichkeitsrecht verzichtete, weil er der Auffassung war, er könne die ihn belastende Rechtsfolge ohnehin nicht verhindern.
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aber nicht ohne weiteres.21 Nach der ständigen Rechtsprechung ist bei Vorliegen objektiver, formaler Fehler bei einer Durchsuchung oder Beschlagnahme die hypothetische Rechtmäßigkeit zu prüfen.22 Eine formal fehlerhafte, also ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss durchgeführte Durchsuchung und Beschlagnahme führt danach nicht zu einem Verbot die sichergestellten Gegenstände als Beweise zu verwerten, wenn der Richter in Kenntnis der Beweislage einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erlassen hätte. Die Strafprozessordnung kennt kein ausdrückliches Beschlagnahmeverbot bei fehlerhaften Durchsuchungen. Nur wenn die Durchsuchung mit einem besonders schwerwiegenden Fehler behaftet ist oder der Verfahrensverstoß bewusst oder willkürlich begangen wurde, steht die Fehlerhaftigkeit der Durchsuchung der Verwertung der sichergestellten Beweismittel entgegen.23 Ein Irrtum liegt ebenfalls vor, wenn der Bürger nur deshalb die Einwilligung erklärt, weil er sich ansonsten unweigerlich einer Straftat verdächtigt sieht (verdachtsabwehrende Einwilligung). Auch in diesem Fall fehlt es an dem Merkmal der Freiwilligkeit.24 Nach alldem ist die unter Täuschung herbeigeführte Einwilligung zum Betreten der 6 Wohnung erst recht unwirksam.25 Werden Gegenstände herausgegeben, nachdem eine rechtmäßige körperliche Durchsuchung in einer Wohnung in Aussicht gestellt wird, obwohl die Voraussetzungen der §§ 102 f. nicht vorliegen, liegt in der Herausgabe keine freiwillige Einwilligung in eine Durchsuchung.26 Die Frage der Täuschung wird auch beim Betreten und Durchsuchen einer Wohnung 7 durch einen Verdeckten Ermittler bedeutsam: Denn das offene Betreten einer Wohnung unter Zuhilfenahme der Legende (vgl. § 110c Satz 2) ist letztlich eine Täuschung und entkernt die vermeintliche Einwilligung. Die allgemeinen Grundsätze der Willenslehre verbieten es, dass sich das staatliche Organ auf die Wirksamkeit der täuschungsbedingten Einwilligung beruft (§ 110c, 17). Unabhängig von diesem Willensmangel fällt eine (verdeckte) Durchsuchung durch einen Verdeckten Ermittler, d.h. ohne Preisgabe seiner wahren Identität als Polizeibeamter, aber bereits nicht unter die §§ 102 f. Denn §§ 105 Abs. 2, 106, 107 verlangen ein offenes Vorgehen der Ermittlungsbehörden. Die befassten Staatsorgane üben offen Herrschaft über das Hausrecht des Betroffenen aus (§ 102, 1). Nur ein Handeln unter Offenbarung seiner wahren Identität sowie unter Anordnung einer Durchsuchung nach § 105 Abs. 1 könnte auf die §§ 102 f. gestützt werden. Da ein solches Vorgehen für den Verdeckten Ermittler nach mühsamem Aufbau der Identität wohl weithin nicht in Betracht kommen dürfte, stellt sich die Frage, ob ein verdecktes Durchsuchen jedenfalls durch die §§ 110a f. erlaubt wird. § 110c Satz 1 und auch § 110b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gestatten jedoch nur ein „Betreten“ der Wohnung eines Beschuldigten. Da die Grenzen zwischen einem Betreten der Wohnung, ohne eine besondere Inaugenscheinnahme von Personen, Sachen oder Spuren (noch keine Durchsuchung) und eben einem zielgerichteten Forschen (Durchsuchung) fließend sind, wird vertreten, dass man dem Verdeckten Ermittler eben eine solche Befugnis nach § 110c Satz 1 einräumen müsste.27 Dafür spricht die praktische Erwägung, dass die Trennung zwischen einem bewussten Forschen durch Inaugenscheinnahme und einem bloßen „Mitbekommen“
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LG Bremen StV 2005 318, 320. BVerfG StV 2002 113; BGH NStZ 1989 375. BGHSt 31 304, 307 f.; kritisch Fezer StV 1989 290, 292 ff. s.a. Rn. 139 f. BVerfG NJW 2009 3225, 3225 f.; BGH NStZ 2004 449; LG Saarbrücken StV 2003 434, 436.
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Amelung StV 1985 257, 261. AnwK/Löffelmann 3; Gleiches gilt für unzulässigen Zwang (KMR/Hadamitzky 2). OLG Hamburg StV 2008 12. § 110c, 1 a.E.
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neuer Erkenntnisse – durch aufmerksames Verhalten – kaum praktikabel sein dürfte. Dagegen spricht allerdings der Wortlaut des § 110c Satz 1, der von „Betreten“ spricht sowie der Umstand, dass die Norm nach wohl richtiger Ansicht verfassungswidrig sein dürfte (vgl. dazu auch § 110c, 11 ff.). Wenn nun bereits das Betreten einer Wohnung durch den Verdeckten Ermittler nicht von den Schranken des Art. 13 GG gedeckt ist, muss dies erst Recht für das weitergehende Durchsuchen gelten.28 Es wäre eine Verfassungsänderung nötig, um die Grenzen des Art. 13 Abs. 2 GG von der offenen Durchsuchung auf das (verdeckte) Betreten und Durchsuchen zu erweitern.29 Im Übrigen würde ansonsten der § 110c Satz 3 unterlaufen, der den Verdeckten Ermittler hinsichtlich aller über das Betreten hinausgehender Ermittlungsmaßnahmen an die jeweiligen Voraussetzungen der StPO, d.h. hier der §§ 102 f. bindet. Dies gilt für alle verdeckt ermittelnden Polizeibeamten. Ob ein Verdeckter Ermittler 8 oder ein anderer verdeckt ermittelnder Polizeibeamter die Wohnung des Betroffenen betritt und (verdeckt) durchsucht, macht für den Betroffenen keinen Unterschied. Die Maßnahme ist nicht weniger intensiv, so dass der Richtervorbehalt stets greifen muss. Mangels einschlägiger Schrankenregelung in Art. 13 GG und gültiger Rechtsgrundlage in der StPO (§ 110c Satz 1) ist auch dieses Verhalten als verfassungswidrig einzustufen. § 163 reicht als Rechtsgrundlage nicht aus, da ein derart intensiver Eingriff in Art. 13 GG einer strafprozessualen Einzelermächtigung sowie der Zustimmung eines Richters bedarf (§ 110c, 24). Einzig ein vergleichbares Tätigwerden von V-Leuten lässt sich grundsätzlich nicht an 9 den Maßstäben der §§ 102 f. oder §§ 110a f. messen. Für Privatleute gelten die Eingriffsermächtigungen der StPO nicht. Zum Ausnahmefall der gezielten Umgehung der zitierten Normen siehe § 110c, 25. Berechtigt zur Einwilligung ist der Grundrechtsträger.30 Dies ist „jeder Inhaber oder 10 Bewohner eines Wohnraums, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht“.31 Maßgeblich ist, wer nach sozial anerkannter Zuordnung tatsächlich „wohnt“, d.h. über einen räumlich-gegenständlichen Bereich zu seiner Privatheit verfügen kann.32 An den besitzrechtlichen Differenzierungen des Zivilrechts (unmittelbarer berechtigter Besitz) wird man sich lediglich orientieren können.33
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Art. 13 Abs. 2 GG enthält einen dahingehenden „verklausulierten“ Gesetzesvorbehalt, dass Durchsuchungen immer auf einen einfachgesetzlichen Richtervorbehalt zu stützen sind, meint dabei aber nur solche Durchsuchungen, die offen durchgeführt werden. Sofern nun ein Betreten unter Verwendung der Legende – d.h. unter Täuschung – oder darüber hinaus ein „verdecktes Durchsuchen“ unternommen wird, wird dieses Verhalten nicht von der Schranke des Art. 13 Abs. 2 GG gedeckt. Hierin ist jedenfalls ein Eingriff in Art. 13 GG zu erblicken (str.; vgl. dazu § 110c 15 f.), der sich, sofern er denn gerechtfertigt sein will, innerhalb der Schranken des Art. 13 GG bewegen muss. Doch auch weitere geschriebene sowie ungeschriebene Schranken des Art. 13 GG
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können das hier aufgeworfene Verhalten nicht rechtfertigen (dazu § 110c, 19 und 21). Ebenso: SK/Wolter § 110c, 6. HdbdGR III/Merten, § 73, 17. BVerfGE 109 279, 326. AK-GG/Berkemann Art. 13, 51 f.; v. Münch/ Kunig/Kunig Art. 13, 12 GG. Oft wird formuliert, dass i.d.R. nur der unmittelbare, berechtigte Besitzer geschützt wird, sodann aber zahlreiche Ausnahmen zugelassen (z.B. beim Besitzdiener oder gekündigten, nicht mehr berechtigten Mieter), was die Richtigkeit der Regel wiederum in Frage stellt. Vgl. v. Mangoldt/ Klein/Starck/Gornig Art. 13, 28 f. GG; BK/Herdegen Art. 13, 36 GG. Auch ein Heranziehen des Gewahrsamsbegriffs überzeugt nicht; siehe unten Rn. 12.
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Der Vermieter einer Wohnung scheidet daher aus.34 Der Besitzdiener ist lediglich Grundrechtsträger, soweit ihm Räumlichkeiten als Reservat privater Lebensgestaltung zur (Mit-) Nutzung zugewiesen sind und ihm ein Mindestmaß an Dispositionsbefugnis gegenüber dem Besitzherrn zusteht.35 Bei mehreren Bewohnern einer Wohnung sind demgemäß alle Mitbewohner, bei einer Familie alle Mitglieder einer Familie einwilligungsberechtigt,36 auch der nicht im Mietvertrag ausgewiesene Ehegatte oder Lebensgefährte.37 Die Einwilligung muss durch alle erfolgen.38 Bei mehreren Mitbewohnern kann die Einwilligung eines Bewohners nicht für andere abwesende Bewohner wirken.39 Denn jeder Bewohner ist Inhaber des sich aus dem Grundrecht ergebenden Selbstbestimmungsrechts (dazu sogleich Rn. 12 in Bezug auf Hausbesetzer). Eine Verfügung über das Recht des Anderen bedürfte dessen Ermächtigung.40 Von einer generellen, dem gemeinsamen Wohnen immanenten Ermächtigung unter Mitbewohnern, strafverfahrensrechtliche Durchsuchungen mit weitreichenden Konsequenzen zuzulassen, kann nicht ausgegangen werden.41 Ebenso wenig kann von der stillschweigenden Zustimmung des abwesenden Mitbewohners ausgegangen werden.42 Minderjährige können nur dann wirksam einwilligen, wenn sie einwilligungsfähig 11 sind, was der Grundrechtsmündigkeit (Einsichts- und Urteilsfähigkeit) gleichsteht.43 Wegen der Verschiedenartigkeit der Einzelgrundrechte ist die Einwilligungsfähigkeit aber nicht einheitlich, sondern für die einzelnen Grundrechte oder Grundrechtsgruppen gesondert zu bestimmen.44 Bei Wohnungsdurchsuchungen nach Art. 13 Abs. 2 GG dürfte
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Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 12 GG; VG Berlin DÖV 1972 103, 104 das allerdings über eine präventive Durchsuchung nach Polizeigesetz zu entscheiden hatte. Dennoch geht es inhaltlich um die Grundrechtsberechtigung aus Art. 13 GG. BK/Herdegen Art. 13, 36 GG. BVerfGE 109 279, 326. v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 27 GG. BVerfGE 109, 279, 365; AK-GG/Berkemann Art. 13, 66; BK/Herdegen Art. 13, 44 GG; v. Münch/Kunig/Kunig Art. 13, 21 GG; AnwK/Löffelmann 3; a.A. HK-GS/Hartmann 1 unter Berufung auf die (nicht vergleichbare Dogmatik) des § 123 StGB. Anders wohl auch: Sachs/Kühne Art. 13, 23 f. GG. Entgegen Kühne steht dem Erfordernis der Zustimmung aller auch nicht BGH NJW 1991 2651, 2652 entgegen. Dort hatte das Gericht lediglich über die Rechtmäßigkeit des Betretens und der Videoüberwachung des Treppenhauses zu befinden, zu dem einzig eine Wohnungsnachbarin zustimmte. Weder war hier eine Wohnung betroffen noch lag – auch nach Ansicht des Gerichts – eine Durchsuchung vor. Amelung StV 1985 257, 260. Zu den damit verbundenen Problematiken ausführlich: Kringe 113 f.
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Amelung StV 1985 257, 260. Hierzu näher Kringe 124 f. HK/Gercke 5. Bethge Papier/Merten IX § 203, 119; Merten Papier/Merten III § 73, 16. Anders: BeckOK-GG/Fink, Art. 13, 4, der wegen „des engen Bezugs zur Menschenwürdegarantie“ davon ausgeht, alle Minderjährigen könnten sich „auf das Grundrecht berufen“ und es käme auf deren Grundrechtsmündigkeit nicht an. Wie allerdings ein grundrechtsunmündiges Kind sein Grundrecht ohne Vertretung ausüben will, lässt er offen. Das BVerfG 109 279, 326 spricht davon, dass das Grundrecht „jedem Familienmitglied zusteht“, behandelt jedoch nur die Frage der Grundrechtsträgereigenschaft und geht auf die Grundrechtsmündigkeit nicht näher ein. Merten Papier/Merten III § 73, 16; Sachs/ Sachs Vor Art. 1, 55 GG; v. Münch/ Kunig/v. Münch/Kunig Art. 1–19, 31 GG. Dabei kann allerdings nicht auf die individuelle Einsichtsfähigkeit, sondern muss generalisierend die für die jeweilige Altersstufe typische Verantwortungsfähigkeit maßgeblich sein, wie sie für die Aufgabe des Grundrechtschutzes angesichts dessen Bedeutung und Tragweite in einzelnen Bereichen erforderlich ist; Merten Papier/Merten III § 73, 16.
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die Altersstufe nahe der Volljährigkeit liegen, da die Minderjährigen in der Regel nicht die Folgen ihrer Zustimmung gegenüber den Verfolgungsbehörden erblicken können. Erst dann dürften sie fähig sein, das Grundrecht selbständig auszuüben.45 Umstritten ist, ob der rechtswidrige Hausbesetzer ebenfalls einwilligungsberechtigt 12 ist. Ein Teil der strafrechtlichen Literatur stellt für die Einwilligungsberechtigung auf den Gewahrsam ab und folgert daraus, der rechtswidrige Hausbesetzer sei einwilligungsberechtigt.46 Richtigerweise ist dagegen die Grundrechtsträgereigenschaft des Einwilligenden nach den o.g. Maßstäben ausschlaggebend. Denn nicht alle Gewahrsamsinhaber sind Grundrechtsträger des Art. 13 GG und damit über das Freiheitsrecht verfügungsbefugt.47 Die Befugnis ergibt sich aus der Grundrechtsträgereigenschaft, genauer dem aus dem jeweiligen Grundrecht entspringenden Selbstbestimmungsrecht.48 Dieses ist für die Frage der Einwilligungsberechtigung der Hausbesetzer entscheidend. Im Ergebnis und im Einklang mit dem überwiegenden Teil der verfassungsrechtlichen Literatur ergibt sich aus ihrem Fehlen, dass sich unberechtigt eingedrungene Personen nicht auf den Schutz des Art. 13 GG berufen können.49 Die Einwilligungsberechtigung allein dem Gewahrsam folgen zu lassen, widerspräche dem Grundsatz der Einheit der Verfassung. Es wäre unbillig, dem Hausbesetzer, der sich rechtswidriges „Wohnen“ anmaßt, Grundrechtsschutz zu gewähren, nicht aber dem Hauseigentümer, der aufgrund der Schutzpflicht des Staates einen Anspruch aus Art. 14 GG darauf hat, dass die Hausbesetzung unterbunden wird.50 Die Einwilligung muss persönlich erfolgen.51 Sie muss vom Grundrechtsträger, ggf. 13 von dessen gesetzlichem Vertreter ausgehen.52 Der grundrechtsunmündige Minderjährige kann hinsichtlich Art. 13 GG von seinen Eltern im Rahmen des elterlichen Erziehungsrechts vertreten werden.53 Bei Geschäfts- und Betriebsstätten ist grundsätzlich der Inhaber Träger des Grund- 14 rechts. Die Teilhabe dieser Räumlichkeiten am Schutz des Grundrechts erkennt den Umstand an, dass berufliche Betätigung als Persönlichkeitsentfaltung eines raumbezogenen Schutzes vor staatlichen Störungen bedarf. Dies gilt auch für Räumlichkeiten, die der
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Das in diesem Zusammenhang verfolgte Ziel, zu verhindern, dass Minderjährige in Abwesenheit ihrer Eltern den Verfolgungsbehörden das Eindringen in die Wohnung gestatten, wird bereits durch das Erfordernis verwirklicht, dass alle Bewohner in die Durchsuchung einwilligen müssen und somit nicht in Abwesenheit der Eltern durchsucht werden kann. SK/Wohlers 6; HK/Gercke 7. Man denke beispielsweise an die angestellte Haushälterin, die nach den o.g. Maßstäben zum Besitzdiener nicht ohne weiteres einwilligungsberechtigt wäre, aber über untergeordneten Mitgewahrsam verfügt. Ausprägung der grundrechtlichen Selbstbestimmung eines jeden Grundrechts ist, über Elemente und Modalitäten der Freiheitsbetätigung zu verfügen; Bethge Papier/Merten IX § 203, 109. In dogmatischer Hinsicht lässt sich auch hören, dass die hier maßgebliche „Berechtigung zur Einwilli-
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gung“ als „Einwilligungsbefugnis“ zu verstehen ist, die sich aus der Grundrechtsberechtigung und der Dispositionsbefugnis über das grundrechtliche Schutzgut zusammensetzt. So: Merten Papier/Merten III § 73, 17. Ähnlich: Stern, Staatsrecht III/2, S. 913. Im Ergebnis ebenso: Maunz/Dürig/Papier Art. 1, 12 GG; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Gornig Art. 13, 33 GG (hier auch zum Unterschied der Durchsuchung beim gekündigten Mieter); BK/Herdegen Art. 13, 38 GG. Anders: Sachs/Kühne Art. 13, 19 GG. Offen gelassen bei BeckOK-GG/Fink Art. 13, 4. Differenzierend: v. Münch/Kunig/Kunig Art. 13, 14 GG. v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 33 GG; BK/Herdegen Art. 13, 38 GG. Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, 40; AK-GG/Berkemann Art. 13, 66. Merten Papier/Merten III § 73, 16. Dazu näher: Kringe 166 f.
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Öffentlichkeit ohne spezielle Kontrollmaßnahmen zugänglich sind. Der Inhaber nimmt hier seinen Abwehranspruch selbst partiell zurück, ohne ihn damit ganz aufzugeben.54 Bei juristischen Personen oder sonstigen Personengesamtheiten (nicht rechtsfähige Personenvereinigungen) entscheiden die gesetzlichen Vertreter nach Maßgabe ihrer Vertretungsmacht. Hat ein Arbeitnehmer ein eigenes Dienstzimmer, ist er neben dem Inhaber Berechtigter. Im Übrigen beschränkt sich der von der Einwilligung des Inhabers nicht erfassbare Bereich auf die den einzelnen Arbeitnehmern persönlich zugewiesenen verschließbaren Behältnisse. Ist die Einwilligung unwirksam, führt dies zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchung, 15 sofern auch die Voraussetzungen der §§ 102 f. nicht eingehalten sind.55 Die Unverwertbarkeit der bei der Durchsuchung beschlagnahmten Beweismittel ergibt sich hieraus aber nicht ohne weiteres.56
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b) Implizite oder stillschweigende Durchsuchungsanordnungen. Einige Zwangsmaßnahmen (vor allem Beschlagnahmeanordnungen und Haftbefehle) können häufig nur durch ein Eindringen in die Wohnung des Betroffenen oder eines Dritten durchgesetzt werden. Es stellt sich dann die Frage, ob dafür der Erlass einer separaten Durchsuchungsanordnung erforderlich ist. Diese könnte entbehrlich sein, wenn man in dem Haftbefehl oder der Beschlagnahmeanordnung eine (Mit-)Anordnung der Durchsuchung sieht. Eine Beschlagnahmeanordnung impliziert zunächst keine Gestattung zur Durch17 suchung. Das wäre der Fall, wenn die Anordnung einer Beschlagnahme eine Durchsuchungsanordnung quasi enthält, ohne dass dies sonst erkennbar sein müsste. Die Durchsuchung ist aber im Verhältnis zur Beschlagnahme kein Minus, sondern ein gänzlich anderer Grundrechtseingriff und somit ein aliud.57 Die Beschlagnahme richtet sich – verfassungsrechtlich betrachtet – primär gegen das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum des Betroffenen. Die Durchsuchung kann in Einzelfällen aber stillschweigend (mit-)angeordnet worden sein. Das ist der Fall, wenn sie in der Beschlagnahmeanordnung miterklärt wird und dort unzweideutig zum Ausdruck kommt. Maßgeblich ist ein objektiver Empfängerhorizont und die Absicht, für die Beschlagnahme bestimmte geschützte Räume zu betreten. Der Anordnende muss also wissen, dass und wo durchsucht werden soll, und dies in der Anordnung erkennen lassen. Alle strafprozessualen Anforderungen an eine Durchsuchungsanordnung müssen selbstverständlich erfüllt sein. Dies ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln. Liegt keine stillschweigende Durchsuchungsanordnung vor, bleibt dem die Beschlagnahme durchführenden Beamten noch die selbstständige Anordnung der Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug. Gleiches gilt, wenn Führerscheine aufgrund einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu beschlagnahmen sind (§ 111a Abs. 3). Auch in diesem Fall kann keine grundsätzlich implizit miterklärte Durchsuchungsanordnung anerkannt werden.58 Davon unberührt bleibt die eigene Anordnungskompetenz einer Ermittlungsperson bei Gefahr im Verzug, wenn zu besorgen ist, der Betroffene missachte das bereits mit der Entscheidung nach § 111a verbundene Fahrverbot. Umgekehrt ist auch die Beschlagnahme kein selbstverständlicher Bestandteil einer 18 Durchsuchungsanordnung.59 Die Verbindung beider Anordnungen (einheitlicher Durch-
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v. Münch/Kunig/Kunig Art. 13, 11 GG. Vgl. dazu eingehend Amelung StV 1985 257, 263. LG Bremen StV 2005 318, 320. SK/Wohlers 10; HK/Gercke 12; AK/Amelung 14.
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Ebenso: SK/Wohlers 9. Anders: Meyer/ Goßner 6. Kemper wistra 2006 171, 172.
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suchungs- und Beschlagnahmebeschluss) ist jedoch – zumindest im Rahmen des § 102 – üblich und zulässig60 und hilft über zahlreiche Probleme hinweg, die bei isolierten Anordnungen bestehen: Denn sofern keine Gefahr im Verzug besteht, ein Richter nicht zu erreichen ist und der Gewahrsamsinhaber zudem die freiwillige Herausgabe verweigert, besteht kein Ermächtigungsgrundlage, das vorgefundene Beweismittel sicherzustellen.61 Bei Haftbefehlen (einschließlich derer zur Sicherung und Vollstreckung; §§ 112, 453c, 19 457), Unterbringungsbefehlen (§ 126a) und Vorführungsbefehlen62 (§§ 134, 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 4 Satz 1) ist umstritten, ob die jeweiligen Maßnahmen eine Durchsuchungsanordnung implizieren. Die bislang herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung vertritt, dass eine gesonderte Anordnung nicht erforderlich ist, sofern der Betroffene in seinen eigenen Räumen festgenommen wird.63 Eine im Vordringen befindliche Auffassung in der Literatur verneint dagegen eine Anordnung kraft Implikation und fordert für die Durchsuchung von Wohnungen stets eine separate Anordnung.64 Zunächst ist zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Anordnungen zu unter- 20 scheiden. Bei richterlichen Anordnungen wird im Kern darüber gestritten, ob der Betroffene in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG ausreichend geschützt wird. Bei einem Haftbefehl steht der Grundrechtseingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG im Mittelpunkt der Betrachtung. Man könnte argumentieren, dieser Eingriff sei tiefgreifender, als der einer Wohnungsdurchsuchung und umfasse diesen daher. Art. 13 „weiche“ insofern Art. 104 GG.65 Der Betroffene „verliere“ das Recht, in seiner Wohnung „in Ruhe gelassen zu werden“.66 Dem wird entgegengehalten, der Eingriff in die Bewegungsfreiheit des Betroffenen wirke eben nicht stets schwerer als eine Wohnungsdurchsuchung, weil Art. 13 GG auch die „Intimsphäre“ des Betroffenen schütze67 (als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG); zumal das allgemeine Persönlichkeitsrecht keinen Richtervorbehalt kennt.68 Diese strafprozessuale Diskussion spiegelt letztlich die Frage des anzulegenden Prü- 21 fungsmaßstabes aus der grundrechtlichen Konkurrenzlehre wieder. Denn der Betroffene beansprucht hier den Schutz mehrerer Grundrechtsbestimmungen. Hier lässt sich in beide Richtungen argumentieren: Obgleich Verdrängungen nicht vorschnell angenommen werden sollten, lässt es sich zunächst hören, dass Art. 13 GG als spezielleres Freiheitsrecht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorgeht, da die Persönlichkeitssphäre dort in ihrer gegenständlich-räumlichen Dimension im Besonderen geschützt wird.69 Dies 60 61
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Meyer-Goßner 7; HK/Gercke 13. Näher hierzu Kemper wistra 2006 171, 173 f. Sog. „isolierte“ Durchsuchungsbeschlüsse finden sich insbesondere bei § 103 StPO. Beim Vorführungsbefehl wäre allerdings die vorherige Bekanntmachung gegenüber dem Beschuldigten erforderlich (vgl. BGH NStZ 1981 22, 23), die unmittelbar vor dessen Vollstreckung erfolgt (siehe LR/Gleß § 134, 7). OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134 f.; OLG Frankfurt NJW 1964 785 f.; Krause NJW 1974 303 f.; Kaiser NJW 1964 759, 760; ders. NJW 1980 875; Meyer-Goßner 6;
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KK/Nack 6; KMR/Hadamitzky 2; AnwK/ Löffelmann 4; HK-GS/Hartmann 9; Roxin/ Schünemann § 35, 8. Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 651 f.; Benfer NJW 1980 1611 f. (für Haftbefehle); Radtke/Hohmann/Ladiges 2; SK/Wohlers 9; HK/Gercke 9 f.; AK/Amelung 14; Rüping Rn. 305. So Vorauflage LR/Schäfer 10. OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134 f. HK/Gercke 10. Radtke/Hohmann/Ladiges 2. So: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 301; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 52 GG; Papier Papier/Merten IV § 91, 1.
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hätte den Anwendungsvorrang des Art. 13 GG zur Konsequenz. Gleichermaßen kann bei Freiheitsentziehungen das Recht auf körperliche Fortbewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG als gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht spezieller angesehen werden.70 Die nun verbleibenden Grundrechte aus Art. 13 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG bestehen jedoch bei Freiheitsentziehungen in Wohnungen nebeneinander (Kumulation), so dass im Falle der Schrankendivergenz die insgesamt strengsten Anforderungen maßgeblich sind. Insbesondere die Ansicht, Art. 13 GG „weiche“ Art. 104 GG bzw. würde durch ihn verdrängt, ist damit abzulehnen. Obgleich auch der Gegenansicht hinsichtlich ihres Verweises auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht gefolgt werden kann, ist ihr zuzugestehen, dass sich der Betroffene weiterhin auf Art. 13 GG berufen kann, da diese Norm Prüfungsmaßstab bleibt. Die erste Ansicht wäre nur noch aufrecht zu erhalten, wenn man hinsichtlich der Verhältnisse der Grundrechte zueinander nicht auf die Konkurrenzlehre abstellte, sondern mit der vom Bundesverfassungsgericht z.T. angewandten „Meist-Betroffenheits-Theorie“71 einzig das Recht auf körperliche Fortbewegungsfreiheit als maßgeblich erachten würde. Denn zumindest bei der Vollziehung von Haft- und Unterbringungsbefehlen wird schwerpunktmäßig darin eingegriffen. Diese Lösung lässt jedoch die grundrechtsdogmatische Konkurrenzlehre außer Acht und vermengt die Eingriffslehre mit der Frage des Verhältnisses einschlägiger Grundrechte zueinander. Auch kann sie im Fall der zwangsweisen Vorführung als Folge eines Vorführungsbefehls nach § 134 nicht überzeugen, da in dieser Maßnahme kein per se schwerwiegenderer Eingriff als dem Betreten der Wohnung gesehen werden kann. Zudem wäre unklar, woraus sich in den Vorführungsfällen der Richtervorbehalt ergäbe, wenn Art. 13 Abs. 2 GG nicht maßgeblich wäre und auch Art. 104 Abs. 2 („Freiheitsentziehung“) keine Anwendung fände. Denn die Maßnahme stellt im Gegensatz zu den Haftbefehlen eine „bloße“ Freiheitsbeschränkung dar.72 Festzuhalten bleibt daher zunächst, dass Art. 13 GG Prüfungsmaßstab bleibt und bei der richterlichen Anordnung jedenfalls ausreichend berücksichtigt werden muss. Ob dem Grundrecht im Einzelnen genüge getan wird, richtet sich nach den einfachgesetzlichen §§ 102 f., die wiederum durch die Rechtsprechung konkretisiert werden. Durchgreifend gegen eine implizite Durchsuchungsanordnung spricht, dass schon 22 deren üblichen Anforderungen durch einen Haftbefehl regelmäßig nicht erfüllt werden.73 Der einen Haftbefehl erlassende Richter prüft zwar auch eigenverantwortlich und einzelfallbezogen, konkretisiert und substantiiert den Tatvorwurf und benennt die zu ergreifende Person. Problematisch ist jedoch die exakte Benennung des Durchsuchungsobjekts, mag regelmäßig auch die Wohnadresse des Beschuldigten aufgeführt sein („zuletzt wohnhaft in …“). Dies ist für eine Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung unabdingbar.74 Hieraus ergibt sich auch, dass eine implizite Durchsuchungsanordnung keinesfalls in
Grundsätzlich ebenso: BVerfGE 51 97, 105, 107, BVerfGE 115 166, 187. Dagegen könnte man allerdings anführen, dass – sofern man die Regel der Spezialität eng versteht – hier keineswegs jeder Anwendungsfall des spezielleren Grundrechts zugleich die Voraussetzungen der allgemeineren Grundrechtsbestimmung erfüllt. Allgemein: Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, A 11, 12. Dann wäre auch mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein kumulatives Verhältnis anzunehmen.
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So Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 304. Zur Vorgehensweise des BVerfG ausführlich: Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 1385 f. Sachs/Degenhart Art. 104, 5a, 19 GG. Hier wird teilweise pauschal auf die durch das BVerfG aufgestellten Anforderungen an die Anordnung einer Durchsuchung (BVerfGE 57 346, 355; 103 142, 151; näher zu den Voraussetzungen Rn. 45 ff.) verwiesen, vgl. Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 651 f.; SK/Wohlers 9; HK/Gercke 11. Vgl. Rn. 54.
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Betracht kommen kann, wenn der Betroffene in den Räumlichkeiten Dritter festgenommen werden soll. Das Durchsuchungsobjekt (Wohnung des Dritten) wird in der Anordnung in der Regel nicht aufgeführt, so dass eine explizite Anordnung nach den §§ 103, 105 erforderlich wird, um die Rechte des Dritten aus Art. 13 GG ausreichend zu schützen.75 Ebenfalls ergibt sich hieraus, dass eine Implikation nur in den Fällen der „Ergreifungsdurchsuchung“ in Betracht kommen kann. Denn etwaig gesuchte Beweisgegenstände dürften in keinem Fall z.B. in einem Haftbefehl hinreichend spezifiziert sein, um eine „Ermittlungsdurchsuchung“ zu rechtfertigen. Die Problematik der impliziten Durchsuchungsanordnungen spitzt sich weiter zu bei 23 nichtrichterlichen Entscheidungen (Vollstreckungshaftbefehl nach § 457, Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 459e). Die Gegner der Implikation sehen den Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG unterlaufen, weil die Anordnung durch die Vollstreckungsbehörden ergeht.76 Die Befürworter stellen daher auf die richterliche Verurteilung des Betroffenen (Freiheits- oder Geldstrafe) oder den Beschluss über den Widerruf der Aussetzung ab, die der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde vorangehen.77 In einer richterlichen Verurteilung kann aber keine Durchsuchungsanordnung gesehen werden: Zunächst kann die vom BVerfG aufgestellte Anforderung der eigenverantwortlichen Prüfung der Durchsuchungsvoraussetzungen durch den Richter nicht ohne weiteres unterstellt werden. Während das gedankliche „(Mit-)prüfen“ einer Ergreifungsdurchsuchung bei Erlass eines Haftbefehls noch nachvollziehbar erscheint, weil sie eine natürliche Konsequenz der Entscheidung darstellt,78 kann dies bei einer Verurteilung nicht mehr angenommen werden. Dass sich der Richter bei Urteilserlass bereits Gedanken über eine spätere, etwaig erforderliche Ergreifungsdurchsuchung des Betroffenen macht, erscheint gekünstelt. Auch verfolgt die Verurteilung andere Ziele. Während sie übergeordneten Zwecken dient, verfolgt die Ergreifungsdurchsuchung – ebenso wie der Haftbefehl – das konkretere Ziel, des Betroffenen habhaft zu werden. Hierdurch besteht zwischen Haftbefehl und Ergreifungsdurchsuchung ein Sachzusammenhang, der im Verhältnis zur Verurteilung fehlt. Auch ist bei Erlass eines Urteils regelmäßig nicht abzusehen, welche Zwangsmaßnahmen zu seiner Durchsetzung ergriffen werden müssen. Wird beispielsweise eine Geldstrafe ausgeurteilt, ist nicht voraussehbar, ob infolge von Uneinbringlichkeit die Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet und sodann ggf. mangels freiwilligen Haftantritts ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen werden muss, aufgrund dessen dann letztlich die Ergreifungsdurchsuchung erfolgt. Bei der Frage des Rückgriffs auf die richterliche Verurteilung wird zudem eine Ent- 24 scheidung des BVerfG zum Zivilprozessrecht diskutiert, die dort zur Einführung des § 758a ZPO führte.79 Das BVerfG verneinte dort eine implizite Durchsuchungsanordnung der Wohnung des Schuldners zur Vollstreckung zivilrechtlicher Zahlungstitel. Dem (vorausgegangen Zivil-)Urteil sei „noch nichts in Richtung auf die Durchsuchung zu entnehmen“ und es ziehe „keinesfalls zwangsläufig eine Wohnungsdurchsuchung nach sich“. Der Schuldner könne schließlich noch freiwillig zahlen oder der Gläubiger von der
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OLG Celle StV 1982 561, 562. So auch die Befürworter der Implikation: Meyer-Goßner 6; KK/Nack 6; Krause NJW 1974 303 f. Anders einzig: Kaiser NJW 1964 759, 760; ders. NJW 1980 875, 876, der darauf verweist, dass zahlreiche richterliche Maßnahmen Beeinträchtigungen von Rechten Dritter nach sich ziehen.
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SK/Wohlers 9; HK/Gercke 10; Benfer NJW 1980 1612. OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134; OLG Frankfurt NJW 1964 785 f.; KK/Nack 6; Meyer-Goßner 6. So BK/Herdegen Art. 13, 59 GG. BVerfGE 51 97.
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Vollstreckung absehen.80 Die Überlegungen des BVerfG zum Zwangsvollstreckungsrecht bestätigen zwar die hier gefundenen Ergebnisse. Zwingende Rückschlüsse auf das Strafrecht können dem Urteil jedoch nicht entnommen werden.81 Denn neben den grundsätzlichen Unterschieden zwischen dem Straf- und Zwangsvollstreckungsrecht,82 handelte es sich in dem zu entscheidenden Fall um eine Durchsuchung zum Zwecke der Pfändung. Diese ist jedoch auf die Erlangung von Sachen gerichtet und daher eher mit der strafrechtlichen Ermittlungsdurchsuchung vergleichbar. Die implizite Anordnung einer solchen wird jedoch auch im Strafrecht nicht behauptet.
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1. Zweck des Richtervorbehaltes. Art. 13 Abs. 2 GG legt die Anordnung einer Durchsuchung – und damit den Grundrechtsschutz des Art. 13 Abs. 1 GG – in die Verantwortung des Richters. Das Grundgesetz geht davon aus, dass er aufgrund seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann.83 Durch seine unabhängige und neutrale Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen wird die Rechtsstaatlichkeit der Durchsuchung gewährleistet.84 Die Rechtmäßigkeitskontrolle erfolgt bereits vorbeugend85 („präventiver Richtervorbehalt“), da der Betroffene in der Regel zuvor nicht angehört wird und der nachträgliche Rechtschutz typischerweise wegen des Überraschungscharakters der Durchsuchung auf vollendete Tatsachen stößt.86 Damit geht Art. 13 Abs. 2 GG über die allgemeine Gewährleistung eines repressiven richterlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG hinaus.87 Das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG wird so verstärkt gesichert,88 was dem Gewicht des Eingriffs gerecht wird.89 Der Grundgedanke bzw. Zweck des Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen liegt somit gerade in der Kombination mit dem vorbeugenden Rechtschutz gegen den schweren Eingriff.90
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2. Zuständigkeit. Wegen des Gewichts des Eingriffs ist die Anordnung der Durchsuchung nach § 105 Abs. 1 grundsätzlich dem Richter vorbehalten (einfacher Richtervorbehalt). Lediglich bei Gefahr im Verzug besteht eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen (siehe dazu Rn. 83).
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BVerfGE 51 97, 111 f. unter Berücksichtigung seiner Rechtsprechung BVerfGE 16 239 f. Anders wohl: HK/Gercke 10. Diese betonend: OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134. BVerfGE 103 142, 151; BVerfG wistra 2009 227, 228; BVerfG NJW 2005 275, 276. BVerfGE 20 162, 223; BVerfGE 57 346, 355. BVerfGE 103 142, 151; BVerfG NJW 1966 1603, 1615; BVerfG NJW 2004 3171. Gusy JZ 2001 1033, 1034; Amelung NStZ 2001 337, 338. Papier Papier/Merten IV § 91, 13. BVerfGE 57 346, 355; Kruis/Wehowsky NJW 1999 682.
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Ähnlich: BVerfGE 103 142, 151. Gusy JZ 2001 1033 f. (jedoch ebenfalls die Schwächen des Richtervorbehaltes ansprechend; S. 1035); Amelung NStZ 2001 337, 338 (ebenfalls auf S. 343 von einem „unfertigen … Institut“ sprechend). Den Zusammenhang zwischen Richtervorbehalt und Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG generell ablehnend: Rabe von Kühlewein 88 f., 410 f. Grundlegend ferner: Rabe von Kühlewein GA 2002 637 f.; Ostendorf/Brüning JuS 2001 1063 f.; Spaniol FS Eser 473, 479 f., die allerdings missverständlich vom Zweck der „Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses“ spricht.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 105
Vor Klageerhebung ist nach § 162 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich das Amtsgericht für die 27 Anordnung sachlich zuständig. Funktionell ist der Ermittlungsrichter zuständig. In den sog. Staatsschutz-Strafsachen können die besonderen Ermittlungsrichter des OLG oder BGH gemäß § 169 daneben zuständig sein (dazu LR/Erb § 169, 1 f.). Örtlich zuständig ist nach § 162 Abs. 1 Satz 1 das Amtsgericht, in dessen Bezirk die antragstellende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Dies gilt auch, wenn Durchsuchungen in mehreren verschiedenen Amtsgerichtsbezirken durchgeführt werden.91 Nach Klageerhebung gilt § 162 Abs. 3 Satz 1, wonach die Zuständigkeit auf das 28 jeweils mit der Sache befasste Gericht92 übergeht.93 Die Zuständigkeit beschränkt sich auf Durchsuchungen für das anhängige Strafverfahren.94 Sofern gegen einen in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen wegen Verdachts der Teilnahme an der angeklagten Tat eine Durchsuchung angeordnet wird (neues Ermittlungsverfahren), ist diese wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und auch nicht gemäß § 20 heilbar.95 Die Anordnung ist im Ermittlungsverfahren schließlich dem Ermittlungsrichter vorbehalten. 3. Antrag. Die gerichtliche Anordnung der Durchsuchung im Ermittlungsverfahren 29 setzt einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus (§ 162 Abs. 1 Satz 1). Die Polizei ist nicht antragsbefugt,96 kann aber in Einzelfällen nach § 163 Abs. 2 Satz 2 anregen, dass der Richter unter den Voraussetzungen des § 165 (als sog. Notstaatsanwalt) tätig wird. Ein Fall des § 165 ist aufgrund der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten allerdings kaum denkbar (dazu LR/Erb § 165, 2). Der Amtsanwalt ist im Rahmen seiner Zuständigkeit (§ 142 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 GVG) antragsbefugt. Führt die Straf- und Bußgeldsachenstelle der Finanzbehörde (vgl. § 386 Abs. 1 Satz 2 30 AO, Hauptzoll-, Finanz- oder entsprechende Bundesamt) im Steuerstrafverfahren das Ermittlungsverfahren nach § 386 Abs. 2 AO selbständig durch, ist sie ebenfalls antragsbefugt, da sie dann gem. § 399 Abs. 1 AO die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrnimmt. Dies gilt nicht für die Steuer- und Zollfahndung, die mit ihren Beamten nach § 404 AO vielmehr den Behörden und Beamten des Polizeidienstes gleichstehen und somit nicht antragsberechtigt sind (zu ihrer Eilkompetenz, siehe Rn. 77).97 Insofern
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Park 61. Der Vorsitzende entscheidet im Kollegialgericht nicht allein. Dies gilt auch in dringenden Fällen außerhalb der laufenden Hauptverhandlung. Paeffgen hält die Einschaltung des Ermittlungsrichters in den Fällen des § 202 weiterhin für möglich, wenn ansonsten, der Untersuchungserfolg durch die damit verbundene Zeitverzögerung gefährdet würde (SK/Paeffgen § 202, 4). Für einen strikten Ausschluss schon vor Einführung des Abs. 3 S. 1: BGHSt 27 253. Ebenso: OLG Frankfurt StV 2006 122, 123, bezogen auf die Zuständigkeit der nachträglichen Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Ermittlungsmaßnahme. Park 59. OLG Köln StV 2004 417 f. OLG Hamm NJW 2009 242, 243 (zu § 81a); Radtke/Hohmann/Ladiges 8; Meyer-Goßner,
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§ 163, 26; a.A. unter Berufung auf § 163 Abs. 2 Satz 2 AnwK/Löffelmann 5, der aber verkennt, dass der Richter dann als sog. Notstaatsanwalt tätig wird. LG Berlin wistra 1988 203; LG Freiburg wistra 1987 155; LG Stuttgart wistra 1988 328; LG Hildesheim BB 1981 356; Krekeler, wistra 1983 43, 45; Schuhmann wistra 1993 93, 94; Flore/Tsambikakis/Klötzer-Assion § 404, 3 AO; Franzen/Gast/Joecks/Randt § 404, 54 AO m.w.N. Anders: AG Kempten wistra 1986 271 mit Anm. Cratz, die entgegen der klaren gesetzlichen Differenzierung von einer Antragsbefugnis eines mit der Zoll- und Steuerfahndung betrauten Beamten ausgehen, da es sich bei der Steuer- und Zollfahndung – ebenso wie die Straf- und Bußgeldsachenstelle – in der Regel lediglich um eine unselbstständige Abteilung des Finanzamtes handele und letztlich das Finanzamt
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ergibt sich aus dem Gesetz eine strenge Aufgabenteilung zwischen den Finanzbehörden und der Steuer- und Zollfahndung.98 Fehlt ein Antrag der zuständigen Behörde bzw. stellt eine unzuständige Behörde den Antrag und liegt kein Fall des § 165 vor, ist die Anordnung rechtswidrig.99 Damit allein geht jedoch nach der Rechtsprechung weder die Unwirksamkeit der Maßnahme noch die Unverwertbarkeit der durch sie gewonnenen Beweismittel einher (zu § 165 vgl. LR/Erb § 165, 17).100 Im Bußgeldverfahren ist die Verfolgungsbehörde antragsbefugt (§ 46 Abs. 2 OWiG). 31 Im gerichtlichen Verfahren nach Klageerhebung bedarf es aufgrund des Übergangs der Verfahrensherrschaft keines Antrages mehr. Das zuständige Gericht kann die Maßnahme von Amts wegen treffen. Der Antrag bedarf keiner bestimmten Form. Er darf (fern-)mündlich gestellt wer32 den.101 Durch den Antrag oder durch die Aktenvorlage ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass die Staatsanwaltschaft alle wesentlichen Tatsachen vorträgt, die zur Begründung des Anfangsverdachts erforderlich sind.102
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4. Form. Das Gesetz kennt keine ausdrücklich bestimmte Form für Durchsuchungsanordnungen. Dennoch wird über die Notwendigkeit ihrer Schriftform gestritten. Nach Ansicht der Rechtsprechung und Teilen der Literatur soll der Beschluss zwar in der Regel schriftlich ergehen, was im Eilfall jedoch auch (fern-)mündlich geschehen könne.103 Erst im Anschluss daran müsse die Anordnung in der Ermittlungsakte schriftlich fixiert werden, wozu wiederum eine Dokumentation der Anordnung in einem polizeilichen Vermerk genüge.104 Ebenfalls seien die Dringlichkeitsgründe schriftlich festzuhalten.105 Eine unzureichende Dokumentation führe jedoch weder zur Unwirksamkeit der Anordnung noch zur Unverwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse.106 Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen: Die Anordnung ist stets schriftlich zu verfassen, 34 wobei sie allerdings ausnahmsweise (fern-)mündlich übermittelt werden kann (zum prak-
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selbst Antragsteller sei. Antragsbefugt seien letztlich alle Abteilungen des Finanzamtes bzw. die jeweiligen Sachgebietsleiter. LG Freiburg wistra 1987 155. LG Freiburg StV 2001 268, 269; LG Frankfurt NJW 1968 118; Krekeler, wistra 1983 43, 45; Park 58. Vgl. LG Cottbus StV 2002 535, 536; LG Freiburg StV 2001 268, 269 (zum Fall des unzulässigen Antrags); KK/Griesbaum, § 165, 6; KMR/Plöd, § 165, 8 (zu § 165). BGH StV 2006 174, 175. BVerfG StV 2006 565. Zu weitgehend wohl: Gusy NStZ 2010 353, 357. BVerfGE 20 162, 227 (obgleich die Ausführungen in der „Spiegel-Entscheidung“ nicht gänzlich widerspruchsfrei sind); BVerfGE 103 142, 154; BVerfG StRR 2007 242 („unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken“); BGH StV 2007 337, 339; BGH StV 2006 174, 175; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg StV 2003 207, 208; OLG Hamm NJW 2009 242, 243 (zu § 81a); LG Tübingen NStZ 2008 589,
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590; LG Mühlhausen wistra 2007 195, 196; LG Bremen StV 1998 180; LG Saarbrücken NStZ-RR 2002 267, 269; LG Stuttgart wistra 1990 282, 283; LG Berlin NStZ 2010 415 (zu § 81a); AG Essen StraFo 2007 505 f.; Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 12; Rengier NStZ 1981 374; Burhoff StraFo 2005 140, 142; Seifert DRiZ 2004 141, 142; Einmahl NJW 2001 1393, 1394; Krehl JR 2003 302, 303; Klemke StraFo 2004 13, 14; Kuhn StraFo 2004 94; Schulz NStZ 2003 635; Hofmann NStZ 2003 230, 231; Mosbacher JuS 2009 124, 125; Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475; Park 63; KK/Nack 3; Meyer-Goßner 3; HK/Gercke 43. BVerfGE 103 142, 160; Krehl JR 2003 302, 303; Seifert DRiZ 2004 141, 142; AK/Amelung 13; AnwK/Löffelmann 7; MeyerGoßner 3. BVerfGE 103 142, 160; LG Tübingen NStZ 2008 589, 591. BGH StV 2006 174, 175.
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tischen Bedürfnis siehe sogleich Rn. 35).107 Hierfür spricht zunächst die Orientierung an den Anforderungen, die das BVerfG an den Inhalt eines Durchsuchungsbeschlusses stellt (näher zu den Voraussetzungen; Rn. 45 ff.). Den Richter trifft hiernach die Pflicht, durch eine „geeignete Formulierung“ der Anordnung „sicherzustellen, dass der Eingriff … messbar und kontrollierbar bleibt“. Dem Betroffenen muss die Möglichkeit gegeben werden, „die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen … von vornherein entgegenzutreten“.108 Der Erlass einer mündlichen Anordnung auf eine telefonische Antragstellung hin kann mit dieser präventiven Begrenzungsfunktion jedoch kaum in Einklang gebracht werden.109 Dem Betroffenen wird die Möglichkeit geraubt, die Durchsuchung vor Ort zu überprüfen110 (keine „sichtbaren Grenzen“111). Die Rechtmäßigkeit der Formulierung der konkreten Voraussetzungen und Grenzen ist hier maßgeblich.112 Die Schriftform ist deshalb keine bloße Formalie.113 Eine Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass dem Betroffenen grundsätzlich vor der Durchsuchung die richterliche Anordnung in schriftlicher Form auszuhändigen ist (zur Ausnahme siehe sogleich Rn. 35).114 Neben diesem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) spricht für ein Schriftformerfordernis, dass sich die Gefahr von Missverständnissen zwischen den an der Verfolgung beteiligten Personen bei einem nur mündlichen Erlass erhöht.115 Die Gefahr ist real, da von der Möglichkeit der mündlichen Anordnung in der Praxis Gebrauch gemacht wird. Der Richter weiß intuitiv, dass schriftliche Beschlüsse leichter überprüft werden kön- 35 nen; sie werden deshalb auch sorgfältiger formuliert sein. Auch kann er durch das schriftliche Abfassen nochmals seine Entscheidung reflektieren und etwaig zu Tage tretende Ungereimtheiten, die erst dabei aufkommen, überwinden, was letztlich wiederum die Gewissenhaftigkeit der Prüfung fördert.116 Dem Richter obliegt ohnehin „die verfassungsrechtlich begründete Pflicht, „sich die notwendige Zeit für die Prüfung … zu
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LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 82 (zu § 81a); Trück JZ 2010 1106, 1113; Bittmann wistra 2001 451, 454; Höfling JR 2003 408, 409; Schulte-Kellinghaus NJW 2004 477, 478; Harms DRiZ 2004 25, 26 f.; ders. StV 2006 215 f.; Spaniol FS Eser 473, 481 f.; SK/Wohlers 29. Enger: Ciolek-Krepold 65, die auch eine nur fernmündliche Übermittlung nicht zulässt; a.A. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 12; Hofmann NStZ 2003 230, 231. In der Regel schriftlich, in Eilfällen mündlich: BVerfG NJW 2003 2303; BGHSt 51 285, 295; 28 57, 59; BGH NStZ 2005 392; LG Mühlhausen wistra 2007 195; KK/Nack 3, HK-GS/Hartmann 6; in der Regel schriftlich, mündlich, wenn sie die Ermittlungsperson sofort ausführt Pfeiffer 2. BVerfGE 103 142, 151 f. Harms DRiZ 2004 25, 26; Höfling JR 2003 408, 409. Harms DRiZ 2004 25, 26. Im Falle der ausnahmsweisen nur (fern-)mündlichen Übermittlung des Beschlusses ist dem Betroffenen eine schriftliche Abfassung jedoch alsbald
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auszuhändigen. Nur auf diese Weise besteht für den Beschuldigten zumindest im Nachhinein die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Durchsuchung zu überprüfen und ggf. Rechtsmittel dagegen einzulegen. Auch hat in diesen Fällen eine genaue mündliche Belehrung durch die ausführenden Beamten zu erfolgen. Dazu: Höfling JR 2003 408, 409. Rengier NStZ 1981 372, 374. Ähnlich: Trück JZ 2010 1106, 1114. Park, 63. Einmahl NJW 2001 1393, 1394. Harms DRiZ 2004 25, 26 f. Der Übertragungsweg der Information ist im Regelfall lang. Der Richter ordnet gegenüber der Staatsanwaltschaft an, die an den jeweilig durchführenden Beamten weiterleitet; Harms DRiZ 2004 25, 26. Ebenso Trück JZ 2010 1106, 1113, der sogar so weit geht, dass die Gefahr bestünde, eine eigenverantwortliche Prüfung fände nicht einmal statt. Ähnlich: Harms DRiZ 2004 25, 27.
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nehmen“,117 so dass es auf die zusätzliche, für die Niederschrift verwendete Zeit nicht ankommen dürfte, zumal die Abfassung auch handschriftlich erfolgen kann. Der von der Gegenansicht angeführte zeitliche Mehraufwand118 kann für sich allein kein Absehen vom Schriftformerfordernis rechtfertigen.119 Auch mit der darauffolgenden Übermittlung des Beschlusses dürfte durch die heutigen schnellen Telekommunikationsmöglichkeiten (Telefax, E-Mail, MMS), die in Echtzeit Schriftliches übermitteln, regelmäßig kein Zeitverlust eintreten, den der Rechtsstaat nicht verkraften könnte. Deshalb ist die nur mündliche Übermittlung der (schriftlichen) Anordnung an den ausführenden Beamten nur ausnahmsweise zulässig, wenn dies die einzig geeignete Kommunikationsmöglichkeit ist. Ein praktisches Bedürfnis dürfte dafür kaum bestehen.120 Sollten die Richter im Bereitschaftsdienst von der Justiz unzureichend ausgestattet werden, sei auf die Ausführungen des BVerfG verwiesen: Art. 13 GG verpflichtet alle staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass auch die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen getroffen werden, um den Richtervorbehalt praktisch wirksam werden zu lassen.121 Es erscheint wenig plausibel, dass ein Richter umfassend die Anforderungen erfüllt, die an eine Durchsuchungsanordnung zu stellen sind, aber dann nicht mehr die Zeit finden könnte, die wesentlichen Punkte seiner Überlegungen – die schließlich den Grundrechtseingriff begrenzen sollen – nicht mehr kurz schriftlich zu fassen. Der Richter, der seiner grundrechtssichernden Funktion gewissenhaft nachkommt und nicht nur von der Staatsanwaltschaft vorformulierte Entwürfe unterschreibt, wird damit kaum Probleme haben. Ausgeschlossen dürfte das in den allerwenigsten Fällen sein. In diesen seltenen Ausnahmefällen mag dann ohnehin Gefahr im Verzug sein (dazu sogleich unter Rn. 36). Mit der hier vertretenen Ansicht eröffnet sich möglicherweise ein um Nuancen erweiterter Anwendungsbereich der Eilfälle. Aufgrund des vorhandenen Instrumentariums für Eilfälle besteht kein praktisches 36 Bedürfnis für eine mündliche Durchsuchungsanordnung.122 Gefahr im Verzug liegt vor, wenn durch die mit der Einholung einer richterlichen Anordnung verbundenen zeitliche Verzögerung ein Beweismittelverlust droht (dazu Rn. 83). Der die Ausübung der Eilkompetenz in Betracht ziehende Beamte darf nach der hier vertretenden Ansicht den Zeitaufwand in seine Prognose mit einbeziehen, der für das schriftliche Anfertigen und Übermitteln der Anordnung anfällt.123 Steht diese Zeit nicht zur Verfügung, kann er von ihr Gebrauch machen. Sofern der Richter jedoch einmal erfolgreich kontaktiert ist, geht die Entscheidungskompetenz, ob sein Beschluss rechtzeitig angefertigt werden kann, auf ihn über (siehe dazu sowie zur Frage des „unwilligen Richters“ Rn. 91 und 94 f.).124 Auch der in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand der Gegenansicht, dass „lieber ein nur mündlich entscheidender Richter als gar kein Richter und nur ein mündlich entscheidender Staatsanwalt entschiede“,125 vermag nicht vollends zu überzeugen: Denn nur eine vollwertige, schriftlich fixierte und damit messbare und kontrollierbare richterliche Entscheidung kann dem Richtervorbehalt ausreichend Rechnung tragen. Schließlich bleibt zu erwähnen, dass weder die Existenz des § 107126 noch das Fehlen des Schrift-
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BVerfGE 103 142, 152. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 12. Harms DRiZ 2004 25, 28. Höfling JR 2003 408, 409. BVerfGE 103 142, 152. Höfling JR 2003 408, 410; Harms DRiZ 2004 25, 29. Harms DRiZ 2004 25, 29. Ebenso hat er
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die Dauer der Aktenvorlage (vgl. dazu Rn. 41) mit einzubeziehen: Kuhn StraFo 2004 94, 95. Krehl JR 2001 491, 493; Harms DRiZ 2004 25, 29. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 12. Trück JZ 2010 1106, 1109; a.A. BVerfG NJW 1966 1603, 1616.
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formerfordernisses in § 105 – im Vergleich zu anderen Ermittlungsmaßnahmen – für die Möglichkeit der mündlichen Anordnung spricht.127 § 107 hat eine eigenständige Bedeutung nur bei der nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung (vgl. § 107, 1); die anderen Ermittlungsmaßnahmen richten sich regelmäßig an die Staatsanwaltschaft, für die §§ 34, 35 nicht unmittelbar gelten128 – im Übrigen gibt es diesbezüglich keine einheitliche Systematik in der StPO.129 Mit der hier vertretenen Ansicht geht einher, dass die zu Grunde gelegte Entscheidung 37 des Bundesverfassungsgerichts, in der einerseits strenge Anforderungen an den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses gestellt werden, andererseits die mündliche Anordnung als ausreichend erachtet wird,130 als in sich widersprüchlich zu bezeichnen ist. Die Entscheidung aus dem Jahr 1966 ist aber gut 40 Jahre vor den aktuell verschärften Anforderungen durch das BVerfG entstanden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sie sich nicht ohne weiteres mit den fortgeschrittenen Judikaten vereinbaren lässt. Heute ist von der Rechtswidrigkeit der nur mündlich erlassenen Durchsuchungsanordnung auszugehen.131 Zur Frage, ob damit Verwertungsverbote einhergehen, vgl. Rn. 139 f. Das Schriftformerfordernis bezieht sich auch auf Erweiterungen des Durchsuchungsbeschlusses.132 Sofern die Anordnung in schriftlicher Form existiert, ist allerdings schon entschieden worden, dass dem Rechtschutz des Betroffenen genüge getan sei, wenn er die Durchsuchung anhand des schriftlichen Beschlusses in Kombination mit der z.B. mündlichen Erweiterung auf ein anderes Durchsuchungsobjekt überprüfen könne.133 5. Anhörung. Von einer Anhörung des Betroffenen kann regelmäßig nach § 33 38 Abs. 4 Satz 1 abgesehen werden, da der Durchsuchungserfolg ansonsten gefährdet werden würde.134 Der Richter hat die Voraussetzungen dieser Ausnahmevorschrift (vgl. § 33 Abs. 3) jedoch im Einzelfall zu prüfen135 und sollte die Norm in den Gründen der Anordnung zumindest erwähnen.136 Zudem muss dem Betroffenen in diesen Fällen nachträglich Gelegenheit gegeben werden, sich in derselben Instanz gegen die Maßnahme zu wehren, solange diese fortdauert oder aus anderen Gründen ein Rechtsschutzbedürfnis für die nachträgliche Überprüfung gegeben ist (siehe dazu Rn. 133).137 Bei Durchsuchungen nach § 103, z.B. bei nicht teilnahmeverdächtigen Angehörigen geschützter Berufe oder Banken, kann eine Anhörung durchaus nahe liegen und geboten sein. Den nicht selten kooperationsbereiten Dritten wird auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, den Erlass des Beschlusses oder zumindest dessen Vollstreckung im Vorhinein zu verhindern. Auch bei einem inhaftierten Beschuldigten ist nicht vorschnell von einer Entbehrlichkeit der Anhörung auszugehen.138 Vor Klageerhebung bedarf es wegen des Antragserfordernisses regelmäßig keiner 39 Anhörung der Staatsanwaltschaft oder der ihrer Rechte wahrnehmenden Behörde (dazu Rn. 30 f.). Dagegen ist sie nach Klageerhebung schriftlich,139 in Eilfällen jedenfalls mündlich zu hören (vgl. § 33 Abs. 2).
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Harms DRiZ 2004 25, 28 (zu § 107); Trück JZ 2010 1106, 1109. LR/Graalmann-Scheerer § 34, 5 und § 35, 19. Dazu näher: Trück JZ 2010 1106, 1109. BVerfG NJW 1966 1603, 1616 Harms StV 2006 215, 218. A.A. SK/Wohlers 29. So im Fall: LG Stuttgart wistra 1990 282.
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BVerfGE 49 329, 342. BVerfGE 57 346, 360 (zu § 287 AO). Es genügt der Zusatz: „Diese Entscheidung erging gem. § 33 Abs. 4 S. 1 ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs.“ BVerfGE 49 329, 342. Park, 72. Meyer-Goßner, § 33, 10.
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6. Prüfungskompetenz des anordnenden Richters. Vor Klageerhebung hat der Ermittlungsrichter, der die Durchsuchung im gegenwärtigen Sachverhalt anordnet, zu prüfen, „ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist“ (Rechtmäßigkeit);140 näher zu den gesetzlichen Voraussetzungen Rn. 45 ff. An den Antrag der Staatsanwaltschaft ist er dabei nur insoweit gebunden, als er nicht über ihn hinausgehen darf (ne ultra petita).141 Es steht in seinem Ermessen, die Sachlage rechtlich neu zu beurteilen. An die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ist er nicht gebunden.142 Zur Prüfung der Zweckmäßigkeit ist er dagegen nicht befugt,143 was sich aus der Rollenverteilung von Staatsanwaltschaft („Herrin des Verfahrens“) und Ermittlungsrichter („Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden“) im Ermittlungsverfahren sowie aus § 162 Abs. 2 ergibt, der von einer Prüfung der Maßnahme als „gesetzlich zulässig“ spricht. Hält ein Tatrichter die Aussage eines Zeugen für falsch, darf er keine Durchsuchung bei diesem Zeugen zum Nachweis der Falschaussage nach § 102 anordnen, da er dafür nicht zuständig ist. Nach Klageerhebung hat das jeweils mit der Sache befasste Gericht neben der Rechtmäßigkeit auch über die Zweckmäßigkeit der Durchsuchung zu entscheiden.144 Entscheidungsgrundlage. In einer älteren Entscheidung hat das BVerfG die vollstän41 dige Vorlage der Ermittlungsakte durch die Staatsanwaltschaft nicht zur zwingenden Voraussetzung für die ermittlungsrichterliche Entscheidung gemacht. Das Gesetz gebe nicht vor, welche Beweismittel der Richter für seine Überzeugungsbildung heranzuziehen habe.145 Diese Ansicht änderte das Gericht auch in neueren Entscheidungen nicht.146 Dennoch lassen zahlreiche Gerichte verlautbaren, nicht ohne Vorlage von Akten zu entscheiden.147 Dass der BGH dieses Vorgehen billigt, zeigt sich dadurch, dass er die Inanspruchnahme der Eilkompetenz zulässt, wenn der Ermittlungsrichter eine Entscheidung über den Durchsuchungsantrag ablehnt, weil ihm keine Akte vorliegt und sich daher nicht zu einer Entscheidung im Stande sieht (zum Problem des „unwilligen Richters“ siehe Rn. 94 f.).148 Auch die überwiegende Meinung in der Literatur verlangt die vollständige Vorlage der Akte.149 Mit den durch das BVerfG aufgestellten Anforderungen, 140 141 142 143
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BVerfGE 57 346, 356. Lehrreich zur Verhältnismäßigkeit: Rieß NStZ 1991 513, 515. Rieß NStZ 1991 513, 514. BGH NStZ-RR 2005 73, 74; BGH NStZ 1989 333 f.; OLG Düsseldorf StV 1990 154. Rieß NStZ 1991 513, 515; ders. NStZ 1983 521; Ciolek-Krepold 53; Park 69; HK/ Gercke 26; AK/Amelung 11; SK/Wohlers 14; Radtke/Hohmann/Ladiges 5; a.A. OLG Düsseldorf StV 1990 154; Meyer-Goßner § 162, 14. Benfer NJW 1981 1245, 1246; SK/Wohlers 14; HK/Gercke 26; Park 69. BVerfGE 57 346, 357. BVerfG StV 2006 565 („Die vollständige Aktenvorlage und –Einsichtnahme … ist nicht in jedem Fall erforderlich …“). In der Entscheidung BVerfGE 103 142, 151 f. verhält sich das Gericht hierzu nicht. Vgl. OLG Köln StV 2010 14, 15 f.; LG Limburg NStZ-RR 2010 80, 81 (zu § 81a); LG Hamburg NZV 2008 213, 215 (zu
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§ 81a); LG Braunschweig NdsRpfl. 2008 84, 85 (zu § 81a; das Gericht verhält sich nicht zur Frage des Schriftformerfordernisses). Anders wohl: AG Essen StraFo 2007 505f.; OLG Hamm NJW 2009 242, 243 (zu § 81a); LG Berlin NStZ 2010 415 (zu § 81a). BGH NStZ 2006 114, 115. Höfling JR 2003 408, 410; Kuhn StraFo 2004 94, 95; Trück JZ 2010 1106, 1114 f.; Schulte-Kellinghaus NJW 2004 477, 478; Bittmann wistra 2001 451, 454 („regelmäßig das Aktenstudium vorausgehen“); HK/Gercke 26; AK/Amelung 11; SK/Wohlers 15. Anders: Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 12 f. (nur mündlich, „sofern die Zeit zur Niederlegung der Entscheidung fehlt“); Einmahl NJW 2001 1393, 1394 („Entscheidend ist, dass sich das Gericht so mit dem Sachverhalt vertraut gemacht hat, dass es eine eigenverantwortliche, objektive Entscheidung treffen kann. Dies kann auch
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das von einer „eigenverantwortlichen“ Prüfung, vom Ermittlungsrichter als „Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden“ als „unabhängige und neutrale Instanz“ sowie der verfassungsrechtlichen Pflicht spricht, sich die notwendige Zeit zu nehmen, um „sich Kenntnis von der Sache sowie das erforderliche Fachwissen zu verschaffen“,150 (näher zu den Voraussetzungen Rn. 45) ist eine bloß (fern-)mündliche Darstellung des Sachverhalts durch einen Staatsanwalt nicht zu vereinbaren. Dem Richter dürfte es schwer fallen, sich einen unabhängigen Eindruck zu verschaffen. Es besteht die (Missbrauchs-)Gefahr – wohl in erhöhtem Maße bei einer Darstellung durch Polizeibeamten (vgl. § 165) –, dass dem Richter ggf. unbewusst ein eingefärbtes, unvollständiges Bild durch die Brille der Ermittlungsperson übermittelt wird, die naturgemäß versucht, ihre ermittlungstaktischen Ziele zu erreichen.151 Ein effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) wird nur dann gewährt, wenn der Betroffene auch die Grundlage der richterlichen Entscheidung anhand einer schriftlichen Akte nachvollziehen und überprüfen kann.152 Die Vorlage der Akte ist auch im richterlichen Bereitschaftsdienst zu fordern. Der Bereitschaftsrichter ist verpflichtet, sich die Akte nach Hause bringen zu lassen oder sich in seine Diensträume bei Gericht zu begeben und dort Kenntnis vom Inhalt der Akte zu nehmen.153 Ausnahmen können hiervon nur in einem engen Rahmen zugelassen werden:154 42 (1) Der Richter kennt den Fall aus anderweitiger/vorheriger Befassung. (2) Der Verdächtige wird auf frischer Tat betroffen und es liegen noch keine Akten oder allenfalls kurze Vermerke der Polizei vor. Denn in den Fällen, in denen unmittelbar nach Tatentdeckung ein Durchsuchungsantrag gestellt wird (Kapitaldelikte oder bei auf frischer Tat betroffenen Dealern oder Einbrechern), besteht ein praktisches Bedürfnis der nur fernmündlichen Unterrichtung des Bereitschaftsrichters durch den Staatsanwalt oder – sofern Vermerke vorhanden sind – deren fernmündliche Vorlesung oder Übermittlung mittels Telefax oder E-Mail.155 In diesem Fall lässt sich der StPO keine zwingende Notwendigkeit entnehmen, die Akten schon vor der richterlichen Entscheidung zu erstellen.156
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durch mündlichen Vortrag geschehen.“); Mosbacher JuS 2009 124, 125; Fickenscher/ Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475 („hängt von der Komplexität des Einzelfalls ab“); Spaniol FS Eser 473, 481, die die Vorlage der Akte nur als Regel ansieht, das Ausreichen einer nur mündlichen Information ansonsten aber vom Einzelfall abhängig macht. Ebenfalls wohl anders: Krehl NStZ 2003 461, 462, nach dem sich der Richter „nicht … mit einer bloß fernmündlichen Unterrichtung durch den Staatsanwalt abfinden“ muss, womit Krehl diese aber wohl als zulässig erachtet. BVerfGE 103 142, 152 f. Ähnlich: Trück JZ 2010 1106, 1114; Einmahl NJW 2001 1393, 1394 (jedoch mit anderem Ergebnis). Ähnlich ebenfalls: LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 82 (zu § 81a; „das gesprochene Wort ist flüchtig“; „Gefahr, dass entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können“).
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Trück JZ 2010 1106, 1115; Höfling JR 2003 408, 410. Hofmann NStZ 2003 230, 231. Spaniol FS Eser 473, 481 lässt zusätzlich zu den hier genannten Fällen bei einfach gelagerten Sachverhalten einen Verzicht auf die Vorlage der Akten zu, „wenn der Richter aus früheren Erfahrungen weiß, dass die Angaben des die Durchsuchung anregenden Polizeibeamten verlässlich sind“. Hofmann NStZ 2003 230, 231. Dagegen: Trück JZ 2010 1106, 1114 f., der davon spricht, die „Büchse der Pandora“ dürfe für die fernmündliche Übermittlung gar nicht erst geöffnet werden; Krehl NStZ 2003 461, 462, der ebenfalls die vorherige Erstellung von Unterlagen fordert. Differenzierend: Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475 („hängt von der Komplexität des Einzelfalls ab“). Trück JZ 2010 1106, 1112.
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Unmittelbar nach der Durchsuchungsanordnung muss der Richter allerdings selbst einen zusätzlichen Aktenvermerk über den zuvor fernmündlich mitgeteilten Sachverhalt anlegen.157 Im Ergebnis kann der Richter aber immer auf die Vorlage der vollständigen Akte bestehen: Er hat seine grundrechtssichernde Funktion eigenständig auszufüllen. Sofern eine Akte noch gar nicht existiert, wird der Richter auf eine Niederschrift der bisherigen Ermittlungsergebnisse in Form eines Aktenvermerkes bestehen können.158 Er muss sich nicht mit einer fernmündlichen Unterrichtung abfinden.159 Bleibt hierzu keine Zeit, muss die Eilkompetenz in Anspruch genommen werden.160 Doch auch in einem solchen Fall ist der Richter über die Unmöglichkeit der rechtzeitigen Information in Kenntnis zu setzen und ihm somit die Möglichkeit zu geben, dennoch zu entscheiden.161 Diese Ansicht fördert eine hinreichende Dokumentation des Ermittlungsstandes.162 Existiert eine vollständige Akte, dürfen dem Ermittlungsrichter nicht lediglich Akten43 auszüge zugeleitet werden. Der Richter darf nicht auf zusammengefasste Ermittlungsergebnisse (insb. Vermerke) verwiesen werden, wenn originäre Beweismittel vorhanden sind.163 Gezwungen werden kann die Staatsanwaltschaft zur vollständigen Aktenvorlage zwar nicht – kommt sie der Aufforderung der Vorlage weiterer Unterlagen oder der Erhebung weiterer Beweise allerdings nicht nach, wird eine angemessene Prüfung regelmäßig nicht möglich und der Antrag abzulehnen sein.164 Eigene Ermittlungen kann der Ermittlungsrichter aufgrund seiner Stellung im Ermittlungsverfahren (Rn. 40) nicht durchführen.165 Die Staatsanwaltschaft hält gegenüber dem Gericht eine Informationsfunktion inne.166 Verbleiben trotz Vorlage der gesamten Akte Zweifel, ob die Voraussetzungen für den Erlass der Anordnung vorliegen, hat der Ermittlungsrichter den Antrag abzulehnen. Diese Entscheidung darf nicht über eine Inanspruchnahme der Eilkompetenz konterkariert werden.167 Nimmt der Richter einen Anfangsverdacht für eine andere Tat als die durch die Staatsanwaltschaft angestrebte und verfolgte an, darf er die Durchsuchungsanordnung darauf nicht stützen.168 Die dem Richter vorgelegten Beweise sollten aktuell sein. Bei älteren Beweisen muss 44 zumindest davon ausgegangen werden können, dass sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Feste Fristen, wie sie das BVerfG für die Vollstreckbarkeit von bereits ergangenen Durchsuchungsbeschlüssen aufstellt (zur 6-Monats-Frist siehe Rn. 113 f.), gelten hier nicht, da es sich um eine nicht vergleichbare Verfahrenssituation handelt und sich das Risiko ausbleibender Ermittlungsfortschritte untragbar zu Lasten der Strafverfolgung verschiebt.169 Es wird vertreten, je älter die übermittelte Information sei, desto stärker sei die Begründungslast der beantragenden Stelle im Hinblick auf ihre fortdauernde verdachtsbegründende Wirkung.170 Letztlich ist im Einzelfall auf Basis der aktualisierten, ggf. unveränderten Verdachtslage zu entscheiden.171 157 158 159 160 161 162 163 164
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Dies in Erwägung ziehend: Trück JZ 2010 1106, 1112. Krehl NStZ 2003 462. Krehl NStZ 2003 462. Kuhn StraFo 2004 94; Krehl NStZ 2003 462; Trück JZ 2010 1115. Krehl NStZ 2003 462. Trück JZ 2010 1114. LG Stuttgart NStZ 1983 520, 521. LG Stuttgart NStZ 1983 520, 521 mit Anm. Rieß NStZ 1983 521, 522; OLG Düsseldorf StV 1990 154. LG Stuttgart NStZ 1983 520 mit Anm. Rieß NStZ 1983 521, 522.
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Gusy NStZ 2010 353, 357. HK/Gercke 26; SK/Wohlers 15. LG Freiburg StraFo 2006 168, 169; SK/Wohlers 15. Während sich die Entscheidung des BVerfG auf die Dauer der richterlichen Autorisierung der Durchsuchung bezieht, geht es vorliegend um die Prüfung eines über 6 Monate alten staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsantrags; Heghmanns NStZ 2004 102, 103. Anders: LG Berlin StV 2003 68 f. Gusy NStZ 2010 353, 357. Heghmanns NStZ 2004 102, 103.
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7. Inhalt des Beschlusses a) Allgemeines. Der Richter ist für die angemessene Begrenzung der Durchsuchung 45 verantwortlich:172 Der Grundrechtschutz darf nicht den durchsuchenden Beamten überlassen bleiben.173 Der Richter muss den Eingriff nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend genau umgrenzen, damit er messbar und kontrollierbar bleibt.174 Spätestens in den Gründen eines Beschlusses müssen daher Tatvorwurf (in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht), Beschuldigter, Durchsuchungszweck (bei der Ermittlungsdurchsuchung die zu suchenden Beweismittel), Durchsuchungsobjekte, Auffindungsvermutung (bei § 103) und ggf. die Verhältnismäßigkeit (bei Durchsuchungen in gesondert geschützten Bereichen) und Vollzugsmodalitäten den Rahmen der Durchsuchung abstecken (vgl. zu diesen Punkten ausführlich in der genannten Reihenfolge die Rn. 47 ff.).175 Aus der Formel des Beschlusses muss sich zunächst das Aktenzeichen, das anordnende Gericht,176 der Name des Beschuldigten, das Anordnungsdatum sowie die Anordnung selbst ergeben.177 In der Regel werden hier bereits Angaben zum Tatverdacht, zum Beschuldigten, zu den angewandten Vorschriften, zum Durchsuchungsobjekt, der gesuchten Beweismittel sowie der fehlenden Anhörung nach § 33 Abs. 4 erscheinen.178 Wer den Antrag gestellt hat, muss nicht erwähnt werden.179 Die Umgrenzungen setzen dem durchführenden Beamten einerseits klare Grenzen und helfen ihm andererseits z.B. bezüglich der zu suchenden Beweise. Gleichfalls versetzen sie den Betroffenen in den Stand, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen entgegen treten zu können.180 Die Messbarkeit und Kontrollierbarkeit des Eingriffs stellen eine spezifische verfassungsrechtliche Anforderung an den Inhalt der Anordnung dar. Sie ergeben sich aus dem Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, also dem Rechtsstaatsprinzip.181 Der Richter genügt seiner grundrechtssichernden Kontrollfunktion nur, wenn er die 46 Eingriffsvoraussetzungen eigenverantwortlich prüft. Die Durchsuchungsanordnung ist mehr als eine bloße Formalie.182 Ob eine eigenverantwortliche Prüfung stattgefunden hat, muss sich aus der Anordnung selbst ergeben.183 Deshalb ist es in einem ersten Schritt nicht zulässig, den Antrag der Staatsanwaltschaft nach pauschaler Überprüfung lediglich gegenzuzeichnen, die Formulierung184 des Antrags schlicht zu übernehmen185 oder einen von der Staatsanwaltschaft vorformuliertes Schreiben in Beschlussform zu unterzeichnen.186 Die Verwendung von Formularen verleitet zu einer oberflächlichen Darlegung der Durchsuchungsvoraussetzungen durch den Richter. Solange der Beschluss jedoch den inhaltlichen Anforderungen genügt, dürften die Zweifel hinsichtlich der
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BVerfGE 42 212, 220. BVerfG NJW 1976 1735. BVerfG NJW 1966 1603, 1615. Einen guten Überblick über die Anforderungen liefern: Gusy NStZ 2010 353, 359 f.; Park StRR 2007 50 f.; Kruis/Wehowsky NJW 1999 682, 683 f.; Kritisch: Schoreit NStZ 1999 173 f. Das anordnende Gericht kann sich auch aus der Nennung des Spruchkörpers ergeben („Richter am Amtsgericht …“). Park 73; Park StRR 2007 50. Vgl. Gusy NStZ 2010 353, 359.
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Anders: Park 73. BVerfG NJW 1976 1735, 1736; BVerfG NJW 2005 275, 276. Dazu: Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 25, 26 GG; Maunz/Dürig/Grzeszick Art. 20, 68 GG. BVerfG NJW 2004 3171; BVerfG NJW 2005 275, 276; BVerfG wistra 2009 227, 228. BVerfG StraFo 2006 450, 451. BVerfG NJW 2009 2516, 2517. BVerfG NJW 2005 3630 f. (zu § 111e); HK/Gercke 24. Ciolek-Krepold 53 f.
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Eigenverantwortlichkeit der Prüfung ausgeräumt sein.187 Ergeht eine formularmäßige Begründung dagegen ohne Einzelfallbezug, fehlt es in der Regel an einer eigenverantwortlichen Prüfung.188 Verfassungswidrig ist es bspw., wenn im Einzelfall besondere Umstände zu einer Auseinandersetzung im Beschluss drängen, dort gleichwohl jede Erörterung unterbleibt. Ein Begründungsdefizit kann nicht dadurch geheilt werden, dass die Konkretisierung der erforderlichen Beschlussvoraussetzung den Akten entnehmbar ist. Das sich dort ausreichende Anhaltspunkte für die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung finden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Dem Richtervorbehalt kann das allein nicht genügen. Der durch den (präventiven) Richtervorbehalt bezweckte Schutz liefe im Übrigen leer, wenn das Beschwerdegericht über die Möglichkeit der „Nachbesserung“ auf die Unbeachtlichkeit eines solchen Fehlers verweisen könnte.189
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b) Tatvorwurf. Die aufzuklärende Straftat muss in der Durchsuchungsanordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht190 genau umschrieben werden,191 d.h. soweit es nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich ist.192 Rechtlich sind die gesetzlichen Tatbestände konkret zu bezeichnen;193 alle in Betracht kommenden Delikte sind aufzuführen.194 Im Anfangsstadium eines Ermittlungsverfahrens ist die Angabe eines Deliktes mit dem Zusatz „und anderer Straftatbestände“ noch ausreichend.195 Die Anforderungen steigen mit der Dauer des Ermittlungsverfahrens. Im Tatsächlichen kann es zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zulässig sein, bei mehreren in Betracht kommenden Handlungen Tatzeit, Tatort oder Handlungsabläufe noch nicht so genau zu bestimmen.196 Hier steigen mit der
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BVerfG NJW 2005 275, 276. Ähnlich: Gusy NStZ 2010 353, 359. BVerfG StV 2002 345, 346; BVerfG StV 2003 203, 204. BVerfG NStZ-RR 2005 203, 205; BVerfG StV 2000 465 f.; BVerfG StV 2002 345, 346; BVerfG StV 2005 643, 644 m. zust. Anm. Putzke/Scheinfeld, die das Institut des „(hypothetischen) rechtmäßigen Alternativverhaltens“ heranziehen. BVerfG NStZ 2002 212, 213. BVerfGE 20 162, 224; BVerfG NStZ-RR 2005 203, 204; BVerfG wistra 2009 227, 228; Burhoff StraFo 2005 140, 144. BVerfGE 42 212, 220. Dass auf eine Angabe der tatsächlichen Verdachtsumstände unter dem Vorwand verzichtet wird, bei deren Bekanntgabe würde der Durchsuchungszweck gefährdet, dürfte aber wohl eine eng auszulegende Ausnahme sein. Die Aussage des BVerfG ist nicht so zu verstehen, dass die Berufung auf die Gefährdung des Untersuchungserfolgs stets zu einer Nichtangabe des tatsächlichen Tatvorwurfs berechtige. Dies würde den sonstigen Ausführungen des BVerfG zuwider laufen. Vgl. dazu: BGH NStZ-RR 2009 142, 143; Park 75. Vgl. ferner zum Tatvorwurf (unterinstanzliche
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Rechtsprechung): Verfassungsgericht des Landes Brandenburg NStZ-RR 1998 366, 367; LG Bielefeld NStZ 1999 581, 582; LG Bochum StV 2001 503; LG Köln StV 2005 260; LG Köln StV 1997 180; LG Nürnberg-Fürth StV 1999 521; LG Braunschweig StV 1998 480; LG Mönchengladbach StV 1986 246; LG Kleve StraFo 2002 195; LG Magdeburg StraFo 1998 271, 272; LG Darmstadt wistra 2000 238, 239; LG Halle wistra 2008 280; LG Koblenz wistra 2004 438, 439; LG Konstanz wistra 2001 195; LG Krefeld wistra 1993 316 f.; LG Krefeld NJW 1994 2036. BVerfG StraFo 2006 450, 451; BVerfG StV 2006 505, 506; BVerfG NStZ-RR 2005 203, 204 (Steuerstrafverfahren). Vgl. BVerfGE 42 212, 221 wo eine ebenfalls in Betracht kommende Bestechung unerwähnt blieb; BVerfG StV 1992 49 wo Straftaten aus dem ehemaligen AuslG keine Berücksichtigung fanden. BVerfG NStZ 2002 212 („Verdacht des Betruges und anderer Straftatbestände“). Vgl. BVerfG NStZ 2002 212, 213; BVerfG NStZ-RR 2002 172; BVerfG StV 1994 353, 354.
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Dynamik des Ermittlungsverfahrens die Anforderungen. Stets müssen die Tathandlungen so gut wie möglich bezeichnet werden. Ist dies bereits zu Beginn eines Verfahrens der Fall, erlaubt ein Verweis auf den Beginn der Ermittlungen keine Nachlässigkeiten. Insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren kann der Tatvorwurf jedoch zu einem ganz frühen Zeitpunkt häufig erst aufgrund der durch eine Durchsuchung gewonnen Unterlagen weiter konkretisiert werden. Dann genügt es, wenn die Taten unter zusammenfassenden, kennzeichnenden Merkmalen bestimmbar gemacht werden.197 Immer sind die einzelnen Tathandlungen wie auch der Tatzeit und Tatort198 so zu umschreiben, wie es der Ermittlungsstand eröffnet. Das Verhalten des Täters oder die sonstigen Umstände müssen mit Hilfe aussagekräftiger Tatsachenangaben199 bzw. konkreter Darstellung von Lebenssachverhalten200 so geschildert werden, dass sie den gesetzlichen Tatbestand erfüllen.201 Der Beschuldigte muss wissen, „was ihm vorgeworfen wird“.202 Weder die bloße Nennung der Norm,203 noch die (abstrakte) Wiedergabe des Gesetzestextes oder eine formelhafte Umschreibung der mutmaßlichen Straftat ohne Einzelfallbezug genügen.204 Sofern es um mehrere Beschuldigte geht, muss sich aus den Anordnungen ergeben, welche Tathandlungen welchen Beschuldigten vorgeworfen werden.205 In den Fällen der Steuerhinterziehung muss z.B. verdeutlicht werden, welche Steuer inkriminiert sein soll (insb. Umsatz-, Gewerbe-, Körperschaft- und Einkommensteuer).206 Es muss angegeben werden, welche Steuer und welcher steuerbare Gegenstand betroffen sind und durch welche Verletzung einer steuerrechtlichen Verpflichtung (falsche oder pflichtwidrig unterlassene Erklärungen gegenüber den Behörden) die Steuerverkürzung oder der Steuervorteil bewirkt worden sein sollen.207 Die Rechtsprechung des BVerfG stellt inzwischen erhebliche Anforderungen an die 48 Umschreibung des Tatvorwurfs. Obgleich sie bemüht ist, diese nicht als zu hoch erscheinen zu lassen, sind echte Erleichterungen – mit Ausnahme der o.g. zu Beginn des Ermittlungsverfahrens – kaum zu erkennen. Die Tatsachenangaben seien „knapp“ zu halten;208 eine „vergröbernde Schilderung“ reiche aus.209 Die Umschreibung des Tatvorwurfs brauche „nicht so vollständig sein, wie die Formulierung eines Anklagesatzes oder gar
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BGH NStZ 2007 213, 214 f. BVerfG NStZ-RR 2005 203, 204. Vgl. zudem: BVerfGE 20 162, 224; LG Nürnberg-Fürth StV 1999 521; LG Braunschweig StV 1998 480; LG Magdeburg StraFo 1998 271, 272; LG Konstanz wistra 2001 195; LG Köln StV 2005 260; LG Halle wistra 2008 280. BVerfG NStZ 2002 212, 213. BVerfG wistra 2009 227, 228. BVerfG StraFo 2006 450, 451. LG Mönchengladbach StV 1986 246; LG Konstanz wistra 2001 195; Burhoff StraFo 2005 140, 144. Vgl.: BVerfGE 42 212, 221; BVerfG NStZ 1999 414 (Ausländerrecht); BVerfG StV 2000 465 und StV 2002 345, 346 (Steuerstrafverfahren); LG Krefeld NJW 1994 2036 (Vorteilsannahme des Stadtrates); BVerfG StV 1992 49 (Mord); LG Braunschweig StV 1998 480 (§ 184 StGB); LG Magdeburg
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StraFo 1998 271, 272 (falsche Verdächtigung); LG Krefeld NJW 1994 2036. BVerfGE 20 162, 225; BVerfGE 42 212, 220; BVerfG StraFo 2006 369, 370; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg NStZ-RR 1998 366, 367. Vgl. zudem: BVerfG StV 2003 203, 204 (BtMG); BVerfG StV 2006 624 und BGH NStZ 2000 427, 429 (zum Steuerstrafverfahren); BVerfG StV 2002 406, 407 (BtMG); LG Koblenz wistra 2004 438, 439. LG Köln StV 1997 180. BVerfG StV 2006 505, 506 (grundlegend); BVerfG NStZ-RR 2005 203, 204; BVerfG StV 2000 465; LG Bonn StraFo 2001 418, 419; LG Halle wistra 2008 280; LG Koblenz wistra 2004 438, 439; Burhoff StraFo 2005 140, 144. BVerfG StV 2006 505, 506. BVerfG NStZ 2002 212, 213. BVerfG StV 2006 505, 506.
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die tatsächlichen Feststellungen eines Urteils“.210 Das geschilderte Tatverhalten müsse nur die „wesentlichen Merkmale“ des gesetzlichen Tatbestandes belegen. Was jedoch ein unwesentliches Merkmal ist, bleibt offen.211 Es gibt keinen rechtlichen Anhaltspunkt dafür, dass nicht alle Tatbestandsmerkmale durch den beschriebenen Sachverhalt erfüllt sein müssen, da sie alle konstituierend für den Verdacht einer Straftat sind. Diese Verschärfung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zu begrüßen. Sie sichert das Grundrecht und wertet den Richtervorbehalt auf. Neben dem Tatvorwurf müssen im Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschuldigten 49 gesonderte Angaben zum Tatverdacht gemacht werden,212 insbesondere, wenn dies zur Begrenzung der Durchsuchung erforderlich ist,213 d.h. die Durchsuchung durch die übrigen Angaben im Beschluss nicht bereits hinreichend umrissen ist. Die Merkmale des Tatvorwurfs, der Verhältnismäßigkeit und des Tatverdachts stehen aber in einem engen Verhältnis zueinander bzw. gehen ineinander über,214 so dass die Ausführungen insgesamt ihrer Begrenzungsfunktion genügen müssen. Auch das BVerfG verwendet die Begrifflichkeiten (zunehmend) uneinheitlich: So erscheint der Begriff des Tatverdachts teilweise als Oberbegriff für den Tatvorwurf und den Tatverdacht.215 Betrifft die Durchsuchung einen Dritten können sich Besonderheiten ergeben; z.B. das 50 Steuergeheimnis (§ 30 AO) hindert bei der steuerstrafrechtlichen Umschreibung des Vorwurfs, Steuerdaten des Beschuldigten preiszugeben216 – d.h. auf Einzelheiten des Tatvorwurfs ist zu verzichten.
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c) Durchsuchungszweck. Der Durchsuchungszweck (Ergreifung des Beschuldigten oder Auffinden von Beweismitteln) ist anzugeben,217 was in der Regel mit der Beschreibung der Beweismittel in der Formel geschieht („Die Durchsuchung dient der Auffindung von …“).218 Das trägt zur weiteren Konkretisierung der Durchsuchung bei.
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d) Beweismittel. Auch die Angaben über die Beweismittel begrenzen die Durchsuchung. Sie verhindern, dass sich die Durchsuchung auf Gegenstände erstreckt, die vom Beschluss nicht erfasst werden. Dies ist besonders wichtig, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen können.219 Die Durchsuchung dient aber nicht einer allgemeinen Ausforschung, sondern ist eine gezielte Ermittlungsmaßnahme, um bestimmte Beweismittel für das Verfahren sichern zu können. Gestattet die Anordnung beispielsweise die Suche nach gestohlenen Fahrrädern und Warenautomaten, ist den voll210 211
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BVerfG StraFo 2006 450, 451; BVerfG StV 2006 505, 506. Als wesentliche Merkmale gelten jedenfalls das „unmittelbare Ansetzen“ bei der Versuchsstrafbarkeit (BVerfG StraFo 2006 450, 451) und die Darlegung von Verdachtstatsachen für die einer Norm zu Grunde liegende „Vortat“ (BVerfG StV 2006 505, 506). BGH NStZ-RR 2009 142, 143; Meyer-Goßner 5a; SK/Wohlers 25; HK/Gercke 33. Insofern einschränkend: BVerfG NStZ 2004 160; BVerfG NJW 2007 2749, 2751. Generell gegen eine gesonderte Darlegung: LG Krefeld NJW 1994 2036.
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Dies zeigen auch: BVerfG NJW 2009 2516, 2517; BVerfG StV 2006 624; LG Detmold StV 2001 503; vgl. auch Rn. 65. Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002 172; BVerfG NJW 2009 2516, 2517; BVerfG NJW 2011 2275. BVerfG StV 2002 345, 346; LG Konstanz wistra 2000 118. Allgemeiner: LG Krefeld wistra 1993 316. Anders: Reichling JR 2011 12, 14; LG Koblenz wistra 2004 438, 439. BVerfGE 20 162, 227. Vgl. die Musterdurchsuchungsbeschlüsse bei: Göbel, Das Strafverfahren, 31 f. BVerfG StV 2005 643, 644 m. Anm. Putzke/Scheinfeld.
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ziehenden Beamten ein Blick in die Nachttischschublade verwehrt. Zwischen dem Tatvorwurf und den zu bezeichnenden Beweismitteln besteht eine Wechselwirkung, da aus der Schilderung des tatsächlichen Tatvorwurfs häufig auf die zu suchende Beweise geschlossen werden kann und umgekehrt.220 U.U. können Mängel bei der Konkretisierung der einen Voraussetzung durch eine präzisierende Darstellung der anderen Voraussetzung ausgeglichen werden.221 Sofern im Falle einer „Ermittlungsdurchsuchung“ nur ganz bestimmte Beweismittel gesucht werden, ist die Anordnung von vornherein auf sie zu begrenzen und der ggf. weitergehende Antrag zurückzuweisen.222 Nicht immer wird das Beweismaterial ganz exakt beschrieben werden können;223 dann darf kein einheitlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erlassen werden (zu den sodann vergleichbaren Anforderungen bei § 103 s.u.). In diesem Fall sind die (zunächst) sicherzustellenden Beweismittel nach Art und dem vorgestellten Inhalt so genau zu umschreiben, wie es nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen vernünftigerweise möglich224 und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich ist.225 Die erwarteten Beweismittel sind wenigstens annäherungsweise – ggf. in Form beispielhafter Angaben – zu beschreiben.226 Auch hier gilt die Einschränkung, dass die Anforderungen zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens – insbesondere bei umfangreichen Verfahren – nicht allzu hoch sein dürfen:227 Als ausreichend wurde beim Abrechnungsbetrug die Bezeichnung der Beweismittel als „Geschäftsunterlagen wie Abrechnungen, Aufmaßzettel, allgemeiner Schriftverkehr und Notizen sowie PC-Dateiinhalte“ erachtet.228 Bei dem Vorwurf einer systematischen Steuerhinterziehung durch eine Bank genügte die Beschreibung als „Unterlagen, die im Zusammenhang mit der verheimlichenden Transferierung von Geld in das und aus dem Ausland stehen.“229 In einem anderen Fall der Steuerhinterziehung reichte die Beschreibung als „Geschäftsunterlagen betreffend die Beziehungen des Betriebes des Beschuldigten zu der Bundeswehr“ aus.230 Auch ein Auffinden „der am Tattag getragenen Kleidung“ genügte bei dem Vorwurf eines Landfriedensbruches infolge einer Demonstration.231 Nicht ausreichend waren dagegen die zu allgemeinen Bezeichnungen
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Das BVerfG spricht davon, dass „die Beschreibung der aufzuklärenden Straftaten … durch die Angaben über die Beweismittel … ergänzt“ werden; BVerfGE 42 212, 221. BVerfG StV 2003 203, 204; BVerfG StV 2005 643, 644. Vgl. ebenso BVerfG NStZ 2002 212 f. wo im Rahmen der rechtlichen Würdigung der Beweismittel auf die „Abrechnungsmodalitäten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bahnstrecke nach Berlin“ als ausreichend bewertet wurden, nachdem in der Anordnung als Beweismittel aber nur „Geschäftsunterlagen wie Abrechnungen, Aufmaßzettel, allgemeiner Schriftverkehr und Notizen sowie PC-Dateiinhalte“ genannt wurden, d.h. eine Konkretisierung durch der Beweismittel mit Hilfe des tatsächlichen Vorwurfs unternommen wurde. Ferner: BVerfG StV 1994 353, 355. Vgl. LG Bonn WM 1995 1974, 1975.
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BVerfGE 42 212, 221. BVerfGE 20 162, 224; BVerfG wistra 2008 339; Vgl. ferner LG Köln StV 1997 180; LG Nürnberg-Fürth StV 1999 521; LG Magdeburg StraFo 1998 271, 272; LG Bonn StraFo 2001 418, 420. BVerfGE 42 212, 220. BVerfGE 42 212, 221; BVerfG NStZ-RR 2002 172. Vgl. ferner LG Kleve StraFo 2002 195; OLG Koblenz StraFo 2002 298, 299; LG Bremen StraFo 2005 246; LG Chemnitz wistra 1999 154, 155. Ablehnend zur Verwendung des Begriffs „insbesondere“: LG Berlin StV 2004 198 f., das den Beschluss aber sodann aufrecht erhaltend restriktiv auslegt. Vgl. BVerfG StV 1994 353, 355 („am Stand des Verfahrens gemessen“). BVerfG NStZ 2002 212. BVerfG StV 1994 353, 355. LG Oldenburg wistra 1987 38. LG Berlin StV 2004 198.
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„Schriftstücke und sonstigen Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können“232 oder „Beweismittel(n), Verfalls- oder Einziehungsgegenstände“233; ebenso wenig genügte beim Gewerbetreiben ohne Eintragung in die Handwerksrolle die Bezeichnung von „Verträgen und Aufträgen jeder Art, Rechnungen, Bankbelegen sowie Buchführungsunterlagen, Zahlungsquittungen, Schriftverkehr, Notizbüchern oder sonstigen Aufzeichnungen, aus denen die Beauftragung von Schwarzarbeit hervorgeht sowie Stunden- und Lohnzettel“, denn sie erfassten praktisch „alle nur denkbaren schriftlichen Unterlagen“.234 Bei einem Verdacht des Verstoßes gegen das BtMG reicht die Angabe „Beweismitteln, insbesondere von Betäubungsmitteln“ nicht.235 In den Fällen der Durchsuchungen bei Dritten (§ 103) ist eine genaue Umschrei53 bung,236 d.h. eine hinreichende Individualisierung der Beweismittel stets erforderlich.237 Die allgemeine Aussicht, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden, rechtfertigt die in die Rechte des Dritten eingreifende Durchsuchung niemals.238 Bereits der Wortlaut des § 103 rekurriert im Gegensatz zu § 102 auf „bestimmte Gegenstände“. Wichtig ist vor allem, dass die Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsanordnung gewahrt bleibt. Deshalb müssen die Angaben so exakt konkretisiert werden, dass weder beim Betroffenen noch beim vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können.239 Die Rechtsprechung lässt leichte Lockerungen zu: Es sei zwar nicht notwendig, dass die Gegenstände in allen Einzelheiten umschrieben werden; erforderlich sei jedoch, dass sie zumindest ihrer Gattung nach bestimmt sind.240 Bei Verdacht auf Insiderhandel genügte die Bezeichnung „sämtliche(r) Unterlagen und sonstige(r) Aufzeichnungen, insbesondere Verkaufsaufträge, Depotauszüge und anderes, Gesprächsnotizen und Schriftverkehr …, den An- und Verkauf von Aktien der … im Juli 2002 betreffend sowie hierauf bezogene Verhandlungsunterlagen und Gesprächsnotizen, auch Aufzeichnungen bezüglich hierauf bezogener Gespräche oder sonstiger Vereinbarungen des …“.241 Ebenso wurde die Formulierung „Kontounterlagen … betreffend die Jahre 1987 und 1988“ gebilligt.242 Bei dem Verdacht einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung reichte ferner die Angabe „von sog. Hakenkrallen sowie von Gegenständen, die zur Anfertigung von Hakenkrallen dienen können, insbesondere … sowie von schriftlichen Unterlagen über die Planung und Ausführung der Taten sowie über Verbindungen zu anderen Tätern, von Schriften und Plakaten, die sich auf den Castor-Transport u.a. beziehen, sowie von Textverarbeitungssystemen, Druckern, Datenträgern und Schreibmaschinen“, die der Unterbindung der Castor-Transporte der Deutschen Bahn AG mittels militanter Anschläge dienen sollten.243 Ebenfalls bei Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (einer rechtsradikalen Musikgruppe), wurde dagegen die Bezeichnung als „Schriftstücke, Tonträger und andere Beweismittel, welche geeignet sind, die Struktur der Band, deren Organisation und Arbeitsweise zu belegen“ als unwirksam beanstandet.244 Ebenso wie 232 233 234
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BGH NStZ 2000 427, 429. BVerfG StV 1992 49. Ebenfalls wurde bemängelt, dass im Rahmen des Tatvorwurfs nicht der ebenso in Betracht zu ziehende § 1 des SchwarzArbG als Qualifikation gegenüber § 117 der HandwO aufgeführt wurde; BVerfG wistra 2008 339 f. Ähnlich: BVerfG NVwZ 2007 1047, 1048. BVerfG StV 2003 203, 204. BVerfG NJW 1981 971.
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BGH NStZ 2002 215, 216 (grundlegend); BGH NStZ 2000 154, 155. BGH NStZ 2002 215, 216; BGH NStZ 2000 154, 155. BGH NStZ 2002 215, 216. BGH NStZ 2002 215, 216; BVerfG NJW 2003 2669, 2670. BVerfG NJW 2007 1804 f. LG Krefeld wistra 1993 316. BGH NStZ 2000 154. BGH NStZ 2002 215, 216.
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beim Tatvorwurf kann sich hier die Besonderheit ergeben, dass im Interesse des Beschuldigten auf nähere Angaben zu den Beweismitteln gegenüber dem Dritten verzichtet werden muss. e) Durchsuchungsobjekte. Die zu durchsuchenden Räume sind so konkret wie mög- 54 lich und bereits in der Formel zu benennen. Die Durchsuchung mehrerer Räume kann in einem Beschluss angeordnet werden. Bei Wohnräumen – und damit auch Geschäftsräumen – genügt regelmäßig die Angabe der Adresse (Name, Straße, Stadt).245 Die Bezeichnung „Wohnräume“ erfasst die an der angegebenen Adresse befindlichen Nebenräume, nicht aber andere Räume des Betroffenen, die sich an gänzlich anderer Stelle befinden. Ergeben sich bei einer Durchsuchung Hinweise auf weitere bislang unbekannte Räume des Betroffenen an einem anderen Ort, bedarf es einer weiteren, getrennten Anordnung. Jedoch wird häufig Gefahr im Verzug vorliegen, so dass nicht zwingend ein richterlicher Beschluss benötigt wird.246 Nicht ausreichend ist die Bezeichnung der „anderen Räume des Beschuldigten“, wenn diese von der durchsuchten Wohnung weit entfernt liegen.247 Der Zusatz „sowie der ihm gehörenden Sachen“ ist dagegen für sich allein grundsätz- 55 lich hinreichend bestimmt,248 da es sich weder um unbewegliche, von der Wohnungsdurchsuchung umfasst Sachen (vgl. § 102, 29) noch um die Kleidung im Rahmen einer Personendurchsuchung handelt. Übrig bleiben damit nur noch bewegliche Sachen, die die Person mit sich führt wie z.B. Koffer, Taschen oder auch das Kraftfahrzeug (vgl. § 102, 36).249 Sofern eine Konkretisierung allerdings möglich ist, d.h. z.B. das Kennzeichen seines Kraftfahrzeuges bekannt ist, sind die Sachen auch ausdrücklich zu benennen.250 Bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten oder Banken mit mehreren Filialen 56 werden sich zwar regelmäßig Anhaltspunkte finden lassen, wo die zu suchenden Gegenstände nicht gefunden werden können, so dass der Beschluss entsprechend einzuschränken ist.251 Sofern ein solcher Ausschluss jedoch nicht sicher ist, wird die (weitreichende) Durchsuchung sämtlicher Räumlichkeiten des Unternehmens als zulässig erachtet.252 Auf eine Nennung der Adressen der einzelnen Betriebsstätten oder Filialen ist allerdings nicht zu verzichten („Durchsuchung der Räumlichkeiten der … in …“).253 f) Auffindungsvermutung. „Ist eine Person einer Straftat verdächtig, so ist es bereits 57 nach der Lebenserfahrung in gewissem Grade wahrscheinlich, dass bei dieser Person Beweisgegenstände zu finden sind, die zur Prüfung der Verdachtsannahme beitragen können. Durch die Verknüpfung des personenbezogenen Tatverdachts mit einem eher abstrakten Auffindeverdacht wird ein ausreichender Eingriffsanlass geschaffen. Fehlt dagegen ein gegen den von der Durchsuchung Betroffenen selbst gerichteter Verdacht der
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Kruis/Wehowsky NJW 1999 682, 683. Kruis/Wehowsky NJW 1999 682, 684. BVerfG StV 1992 49. Vgl. BVerfG StV 1992 49 und BGH NStZ 2000 154, die diese Formulierung nicht gerügt haben. Vgl. ebenso: Göbel 31. Vgl. BGH NStZ 2000 154 wo der Ermittlungsrichter des BGH bei einer Durchsuchung nach § 103 von Personen „jeweils mit den dazugehörigen Sachen einschließlich der von den Beschuldigten und von den
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Betroffenen genutzten Kraftfahrzeugen“ sprach. Die nochmalige Hervorhebung der Kraftfahrzeuge ist hier den erhöhten Anforderungen des § 103 geschuldet, aber im Rahmen des § 102 jedenfalls nicht zu fordern. So wohl ebenfalls: Park 77. BVerfG StV 1994 353, 354. BVerfG StV 1994 353, 354. Vgl. Göbel 33.
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Beteiligung an der Tat, dann muss der Eingriffsanlass hinsichtlich des Durchsuchungsziels näher konkretisiert sein, um die staatliche Inanspruchnahme des Betroffenen zu rechtfertigen. Insoweit müssen konkrete Gründe dafür sprechen, dass ein Beweisgegenstand bei dem Unverdächtigen gefunden werden kann.“254 Diese Rechtsprechung liefert die dogmatische Begründung, warum die Auffindungsvermutung lediglich bei § 103, nicht aber bei § 102255 darzustellen ist. Ergänzend dazu müssen die „konkrete(n) Gründe“ (Tatsachen) aber nicht bloß existieren, sondern sind ausdrücklich im Beschluss gegenüber Dritten zu benennen.256 Die alleinige abstrakte Angabe, aus den „vorliegenden Tatsachen“ ergebe sich diese Vermutung (ohne ausdrückliche Nennung der Umstände), reicht dazu nicht aus.257 Die Auffindungsvermutung und der Tatverdacht (vgl. dazu auch Rn. 69 f.) sind nicht 58 deckungsgleich, dürften aber – wie eingangs angedeutet – bei § 102 regelmäßig auf denselben Umständen beruhen. Der Tatverdacht allein begründet schon deshalb keine Auffindungsvermutung, weil er noch nichts darüber sagt, an welchem Ort welche Beweismittel zu finden sind.258 Vor allem bei § 103 muss sich aus einem Tatverdacht gegenüber dem Betroffenen noch nicht ergeben, weshalb ein Auffinden von Beweismitteln bei einem Dritten erwartet wird. g) Verhältnismäßigkeit
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aa) Allgemeines. Wie alle Zwangsmaßnahmen steht auch die Durchsuchung – sowohl deren Anordnung als auch deren Durchführung259 – unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen Verfassungsrang unbestritten ist.260 Die Durchsuchung greift erheblich in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen ein.261 Sie muss zunächst im Einzelfall für den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend, d.h. geeignet sein. Ferner muss sie zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss sie in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen.262 Ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist, ergibt sich also erst nach einer Abwägung aller genannten Gesichtspunkte. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme muss zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung gegeben sein.263 Der Beschluss muss nur dann Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit (insbesondere im engeren Sinne) enthalten, wenn sie sich nicht von selbst ergibt,264 bzw. 254 255
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BVerfG NJW 2003 2669, 2670. Anders wohl: Park 80, der für den Nachweis der Auffindungsvermutung auch bei § 102 nicht „auf jegliche Tatsachengrundlage … verzichten“ will. Kritisch zum Erfordernis allgemein: Ciolek-Krepold 71. Insofern klarer: BVerfG NJW 2007 1804, 1805; LG Chemnitz StraFo 2009 280; LG Krefeld wistra 1993 316, 317; NJW 1994 2036. LG Chemnitz StraFo 2009 280. Park 44. BVerfGE 42 212, 219 f.; BVerfG NJW 2005 965, 966. Zu seinem Ursprung im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 GG: Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20, 49 GG.
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BVerfGE 20 162, 186; BVerfGE 42 212, 219. BVerfGE 20 162, 187; BVerfGE 42 212, 220; BVerfG NJW 2008 1937; BVerfG NJW 2011 2275, 2276. Vgl. ferner: EGMR NJW 2006 1495, 1497; OLG Hamburg StV 2008 12, 13; OLG Koblenz StraFo 2002 298, 300; LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2007 201, 202; LG Itzehoe, Beschl. v. 10.10.2008 – 1 Qs 143/08; LG Kaiserslautern StV 2007 71 f.; LG Mainz wistra 2000 475, 476. Dazu: BVerfGE 96 44 53. SK/Wohlers 24; HK/Gercke 39.
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sich Ausführungen hierzu aufdrängen.265 Dies ist insbesondere bei Durchsuchungen in besonders geschützten Bereichen (Redaktionsräume, Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Notariat)266, in Banken267, bei Dritten268 und bei nur geringfügigen Tatvorwürfen269 der Fall. Dann sind formelhafte Wendungen nicht ausreichend; der Richter muss umfassend prüfen (näheres sogleich).270 In den übrigen Fällen hat sich die Verhältnismäßigkeit in der Formulierung der übrigen, die Durchsuchung begrenzenden Voraussetzungen widerzuspiegeln. bb) Geeignetheit. Dass die Durchsuchung geeignet sein muss, ihre Zwecke zu erfül- 60 len, versteht sich von selbst und ergibt sich in aller Regel aus der Anordnung selbst. Es bedarf dann keiner weitergehenden Ausführungen hierzu. cc) Erforderlichkeit Allgemein. Sofern mildere Mittel nicht ernsthaft zur Disposition stehen, sind Aus- 61 führungen hierzu im Beschluss entbehrlich.271 Kommen sie aber in Betracht, so sind auch mühevollere Wege wie z.B. Zeugenbefragungen im Hinblick auf den hohen Wert der Integrität der Wohnung zu gehen – selbst wenn damit Verzögerungen verbunden sind.272 Bei der Beurteilung, ob ein anderes, milderes Mittel zur Verfügung steht, ist die ggf. entgegenstehende hypothetische Gefahr eines Beweismittelverlustes – beispielsweise durch Vernichtung – zu prüfen.273 Der Überraschungseffekt einer Durchsuchung darf nicht um seiner selbst willen ausgespielt werden. Berücksichtigt werden darf jedoch, dass er nach dem Einsatz eines milderen Mittels nicht mehr genutzt werden könnte. Die Anhaltspunkte für die Verdunkelungsgefahr sind dann im Beschluss zu benennen.274 Eine Durchsuchung ist nicht erforderlich, wenn sie den für die Anklage bereits erreichten Verdachtsgrad
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266
Vgl. BVerfG NVwZ 2007 1047, 1048. Anders: Park 82; Ciolek-Krepold 72, die bei jedem Durchsuchungsbeschluss entsprechende Ausführungen fordern. Vgl. BVerfG NJW 2005 965; BVerfGE 20 162, 185 f. (Redaktionsräume); BVerfG NJW 2011 2275; BVerfG NJW 2009 281 f. (§ 103); BVerfG NJW 2008 1937 f.; BVerfG NJW 2006 3411 f.; BVerfG NJW-RR 2005 1289 f.; BVerfG NJW 2007 1443; BVerfG NJW 2008 2422; LG Hannover StV 1997 626 (Anwaltskanzleien); BVerfGE 96 44 f.; BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177 (Arztpraxen); BVerfG NJW 2012 2096 (Notariat); Gusy NStZ 2010 353, 358 f. Zur Durchsuchung bei Anwaltskanzleien ebenso: EGMR NJW 2008 3409, 3410, der im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit einer Durchsuchung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK unter dem Merkmal „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ebenfalls die Frage stellt, „ob die Maßnahme verhältnismäßig zum berechtigten Ziel gewesen“ sei, dies sodann aber weder konkretisiert noch eine Verhältnismäßig-
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keitsprüfung nach Maßstäben des deutschen Rechts unternimmt. Ferner zur Unverhältnismäßigkeit der Durchsuchung und Beschlagnahme eines gesamten elektronischen Datenbestandes in einer Anwaltskanzlei: EGMR Robathin/A, 3.7.2012, HRRS 2012 402. Vgl. BGHR § 103 StPO Tatsachen 2; BVerfG StV 1994 353, 355. BVerfG NJW 2007 1804, 1805. Vgl. ferner: BGHR § 103 StPO Tatsachen 2. AG Landau NStZ-RR 2002 220 (Verkehrsordnungswidrigkeit); BVerfG NStZ 1999 414 (Ausländerrecht); LG Freiburg StraFo 2006 168 f. (verbotene Prostitution); BVerfG NVwZ 2007 1047 f. und BVerfG wistra 2008 339 f. (HandwO). Vgl. BVerfG NJW 2005 965, 966; BVerfG NJW 2008 1937, 1938. Vgl. BVerfG NJW 2005 965. OLG Dresden StraFo 2007 329; LG Bremen NJW 1981 592. Vgl. BVerfG StraFo 2005 377. Vgl. BVerfG NJW 2008 1937, 1938.
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(„hinreichender Tatverdacht“) nur erhärten kann – auch nicht, um entlastendes Beweismaterial zu finden, was der Betroffene selbstständig zu seiner Verteidigung vorlegen kann.275 Abwendungsbefugnis. Sollen bestimmte Gegenstände beim Beschuldigten oder bei 62 Dritten beschlagnahmt werden, müssen die Betroffenen Gelegenheit erhalten, die Durchsuchung durch freiwillige Herausgabe zur Beschlagnahme abzuwenden.276 Enthält der Durchsuchungsbeschluss eine solche Abwendungsbefugnis nicht ausdrücklich, muss dem Betroffenen bei der Vollstreckung dazu die Möglichkeit eröffnet werden. Der belastende Eingriff einer Durchsuchung wird so vermieden, der Durchsuchungszweck gleichwohl erfüllt, Zufallsfunde fallen nicht an. Unterbleibt ein derartiges Angebot an den Betroffenen, ist die Durchsuchung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Im Übrigen ist eine Durchsuchung stets unverhältnismäßig, wenn dieselben Erkenntnisse auch durch andere, weniger eingreifende, wenn auch aufwendigere Mittel erlangt werden können.277 In vielen Fällen, vor allem bei der Durchsuchung bei Dritten, kann auch die bloße Auskunft oder eine Zeugenvernehmung, ausreichen. Eine vorherige Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe von Beweismitteln (Abwendungsbefugnis) ist – jedenfalls bei § 102 – nicht erforderlich. Insbesondere wenn nicht genau feststeht, welche Beweismittel konkret vorhanden sind, würde eine Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe die Entscheidung, was als Beweismittel zur Verfügung gestellt wird, in weitem Umfang in das Belieben des Betroffenen stellen.278 Diese Ausnahme ist eng zu begrenzen. Die Durchsuchungsbefugnis ist keine allgemeine Erlaubnis für die Ausforschung der Privatsphäre. Für eine Aufforderung spricht, dass der Durchsuchungszweck durch die freiwillige Herausgabe sofort erreicht wird. Die grundrechtsinvasive Durchsuchung entfällt. Es besteht kein „Recht auf Zufallsfunde“ zugunsten der Strafverfolgungsbehörde. In der Praxis wird von der Abwendungsbefugnis z.B. regelmäßig Gebrauch gemacht, wenn die Durchsuchung bei einer Bank als Dritten ansteht und Kontounterlagen benötigt werden.279 Tatsächlich sind jedoch Defizite zu beklagen. Die Abwendungsbefugnis müsste signifikant häufiger eingeräumt werden. Mildere Mittel. Stehen mildere Mittel zur Verfügung, so ist die Durchsuchung un63 zulässig. Andere heimliche Informationseingriffe – insbesondere die Telekommunikationsüberwachung – stellen keine milderen und damit vorrangigen Mittel dar.280 Sofern nach einem Entscheidungs- bzw. Auftraggeber gesucht wird, ist es nicht zu beanstanden, dass die beschuldigten Mitarbeiter nicht zuvor vernommen und nach weiteren Entscheidungsträgern befragt werden.281 Sofern die Mitarbeiter dagegen nicht beschuldigt sind, kann deren Vernehmung ein milderes Mittel darstellen.282 Auch eine Vernehmung nicht beschuldigter Mitarbeiter eines Mandanten eines (nichtbeschuldigten) Rechtsanwalts kann erforderlich sein.283 Um zu ermitteln, ob ein Beschuldigter einen Aufenthaltstitel durch Eingehung einer Scheinehe erschleicht und damit gegen das AufenthaltsG verstößt, kann die Befragung weiterer Hausbewohner erforderlich sein.284 An eine Durchsuchung, 275 276 277
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Vgl. BVerfG NJW 2011 2275, 2276; BVerfG NJW 2008 1937. Gillmeister 58; vgl. auch LG Berlin NJW 2003 2694. BVerfGE 96 44, 51; LG Bremen NJW 1981 592; LG Köln StV 1983 275; KK/Nack Vor § 94, 5. BVerfG Besch. v. 28.9.2008 – 2 BvR 1800/07, Rn 26; Meyer-Goßner § 102, 15. Anders: LG Berlin NJW 2003 2694, 2695 (zu § 102); LR/Schäfer 25 35, der die Durch-
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suchung bei Unterbleiben der Abwendungsbefugnis als rechtswidrig ansieht. Ciolek-Krepold 73. Gusy NStZ 2010 353, 358. BVerfG NJW 2005 965. Vgl. ebenso: BVerfG StV 1994 353, 355. LG Hannover StV 1997 626. BVerfG NJW 2009 281, 282. LG Bremen StraFo 2009 416, 417. Ähnlich: BVerfG BayVerwBl. 2009 207.
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die ausschließlich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten dient, sind erhöhte Anforderungen zu stellen, da das Gesetz in § 40 Abs. 3 StGB ausdrücklich die Möglichkeit der Schätzung vorsieht. Die Vernehmung von Zeugen oder die Einholung behördlicher Auskünfte kann hier milder sein.285 In einem gegen einen Anwalt eingeleitetem Verfahren wegen Beleidigung, muss dessen Kanzlei nicht nach der entsprechenden Handakte und dem ohnehin dem Gericht vorliegenden Schriftsatz durchsucht werden, wenn nicht zweifelhaft ist, dass die ihm vorgeworfenen Äußerungen von ihm stammen. Das Auffinden von etwaig entlastendem Material kann die Durchsuchung nicht rechtfertigen, da dies von ihm im Verfahren selbst vorgelegt werden kann.286 In den Fällen, in denen ohne weiteres auf vorhandene Akten bei anderen Behörden zurückgegriffen werden kann und der Ermittlungserfolg offensichtlich durch eine vorherige Prüfung dieser Akten nicht gefährdet wird, sind diese Maßnahmen vorrangig zu ergreifen;287 weshalb die Durchsuchung nicht prima ratio sein darf.288 Ein Landgericht muss sich zunächst an ein Finanzamt wenden, bevor es bei Notaren versucht, per Durchsuchungsbeschluss eine dort hinterlegte Urkunde, die die Verfügung über Anteile an Kapitalgesellschaften zum Gegenstand hat, zu erlangen. Denn die Notare sind nach § 54 Abs. 1 EStDV verpflichtet, dem Finanzamt eine beglaubigte Abschrift dieser Urkunden zu übersenden.289 Im Steuerstrafverfahren sind seitens des Finanzamtes zunächst die ihm im Rahmen einer Betriebsprüfung obliegenden Mittel vollständig auszuschöpfen, bevor auf strafprozessuale Zwangsmittel zurückgegriffen wird.290 Auch kann hier ein Ersuchen über die Offenlegung der steuerlichen Verhältnisse oft milder sein.291 dd) Angemessenheit. Die maßgeblichen Abwägungskriterien für die Angemessenheit 64 sind bei der Durchsuchungsanordnung vor allem die Schwere des Tatvorwurfs und der Grad des konkreten Tatverdachts.292 Je schwerer die Tat und je stärker der Verdacht, desto eher ist der Eingriff gerechtfertigt. Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen der Grundrechtsbeeinträchtigung und ihrem Anlass bzw. dem mit ihr verfolgten Zweck, ist es verfehlt, auf eine völlig abstrakte Zielsetzung – wie etwa dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Strafrechtspflege – abzustellen. Das öffentliche Interesse erfährt sein konkretes Gewicht hier durch die Stärke des Tatverdachts und die Schwere des erhobenen Tatvorwurfs.293 Sie lösen den Eingriff aus. Doch nicht nur diese beiden Elemente können dem Eingriff im Rahmen der Abwägung gegenüber stehen. Im Einzelfall können z.B. die „Erfolgsaussichten der Durchsuchung“,294 die „Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren“,295 die „Zahl der Straftaten“296 oder „die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat“297 einbezogen werden.
285 286 287
288 289 290 291 292
OLG Dresden StraFo 2007 329. BVerfG NJW 2008 2422, 2423. Jahn NStZ 2007 255, 260; BVerfG StV 2006 565 f. (zur Einholung von Veranlagungsakten des Finanzamts und Bankauskünften über eine Geldanlage und Kontobewegungen). Jahn NStZ 2007 255, 260. BVerfG NJW 2012 2096 mit zust. Anm. Tsambikakis/Stalberg ZWH 2012 473 f. LG Köln StV 1983 275, 276. Vgl. LG Bremen NJW 1981 592; LG Köln StV 1983 275, 276. Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 35 GG.
293 294
295 296 297
Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 35 GG; Gusy NStZ 2010 353, 358. BVerfG NJW 2009 281; BVerfGE 96 44, 51; BVerfG NJW 2007 1804, 1805; BVerfG NJW 2006 976, 982; BVerfG NJW 2009 281; BGHR § 103 StPO Tatsachen 2. BVerfG NJW 2009 281; BVerfG NJW 2007 1804, 1805; BVerfG NJW 2006 976, 982. Vgl. BVerfG StV 1994 353, 355 („sehr große Zahl von Straftaten“). BVerfG NJW 2009 281; BVerfG NJW 2007 1804, 1805.
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65
Hinsichtlich des Tatverdachtes legt das BVerfG den Maßstab des Willkürverbots an, wonach die Anordnung der Durchsuchung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn sich für die Anordnung sachlich zureichende, plausible Gründe nicht finden lassen, so dass ihr Ergebnis bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist. Dann drängt sich der Schluss zur Willkür auf.298 Obgleich dies zunächst wie eine bloße Plausibilitätsprüfung klingen mag,299 greift die Rechtsprechung konkret auf die Maßstäbe des § 152 Abs. 2 zurück, wonach für eine verhältnismäßige Durchsuchung wenigstens ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht, der über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgeht,300 vorliegen muss.301 Es muss nach kriminalistischer Erfahrung zumindest möglich erscheinen, dass der Verdächtige durch das Verhalten, das ihm vorgeworfen wird, eine strafbare Tat begangen hat.302 Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es zwar nicht,303 er schlägt aber für die Rechtfertigung eines Eingriffs ins Gewicht. Eine alleinige Auseinandersetzung mit dem Grad des Tatverdachts genügt jedoch 66 nicht. Die Abwägung erfordert es, sich ebenso mit der Schwere des Tatvorwurfs auseinanderzusetzen sowie ihres voraussichtlichen Unrechtsgehalts304 und zu erwartenden Strafe zu vergegenwärtigen.305 Der Hinweis auf den Strafrahmen allein, d.h. die abstrakte Strafandrohung reicht hierbei nicht aus.306 Der Unrechtsgehalt wird maßgeblich durch den Erfolgs- und Handlungsunwert einer Tat bestimmt. Bei Vermögensdelikten charakterisiert z.B. die Höhe des Schadens durchaus den Unwertgehalt der Tat.307 Durchsuchungen sind nicht nur bei leichten Straftaten, sondern nach §§ 102 f. i.V.m. 67 § 46 Abs. 1 OWiG in „sinngemäßer“ Anwendung der entsprechenden Vorschriften der StPO auch bei Ordnungswidrigkeiten zulässig.308 Die Ermittlungsdurchsuchung wird in der Regel nur wegen schwerwiegender Ordnungswidrigkeiten, namentlich im Wirtschaftsrecht verhältnismäßig sein (dazu siehe unten Rn. 69).309 Die Durchsuchung von Geschäftsräumen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit zum Zwecke des Auffindens einer Tachoscheibe ist unzulässig.310 Doch auch bei der Aufklärung schwerster Straftaten müssen tatsächlicher Tatvorwurf und Tatverdacht sorgfältig geprüft werden. Die Durchsuchung selbst bei dem Verdacht des fünffachen Mordes ist unverhältnismäßig, wenn die Durchsuchung bei einem Schusswaffenbesitzer lediglich deshalb erfolgt, weil er als Besitzer der gleichen wie bei der Tat verwendeten, häufig geführten Waffe ermittelt wurde.311
298
299 300
301 302 303 304
BVerfGE 59 94, 97; BVerfG NJW 1991 690, 691; BVerfG Besch. v. 19.07.2004 – 2 BvR 1052/04, Rn. 5. Kritisch: Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 38 GG. BGH NStZ-RR 2009 142, 143; BVerfG NJW 2007 2749, 2751; BVerfG StraFo 2006 450, 451; BVerfG StV 2006 624. BVerfG Besch. v. 19.7.2004 – 2 BvR 1052/04, Rn. 5. BVerfG Besch. v. 19.7.2004 – 2 BvR 1052/04, Rn. 5. BGH NStZ-RR 2009 142, 143. Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 41 GG. Vgl. ebenso: BVerfG NJW 2009 281, 282 („zahlenmäßige(n) Größenordnung der Betrugstaten“).
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305 306 307 308
309 310 311
BVerfG NJW 2008 1937, 1938; BVerfG StraFo 2005 377. BVerfG NJW 2008 1937, 1938. Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 43 GG (zu Steuerdelikten). Vgl. KK-OWiG/Wache, Vorbem. §§ 53 f., 117; EGMR Buck/D, 28.4.2005, NJW 2006 1495, 1496. Zur Angemessenheit trotz nur leichter Straftaten: BVerfG NJW 2004 1442. KK-OWiG/Wache, Vorbem. §§ 53 f., 119. Vgl. ebenso: BVerfG NStZ 1999 414. AG Landau NStZ-RR 2002 220. BVerfGE 59 94, 98. Weiterer Fall der Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung trotz Mordverdachts: LG Bremen StV 2002 536.
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Bei Durchsuchungen einer Bank, die zugleich Dritter ist, da ihre Angestellten nicht 68 beschuldigt sind, kann ein nur schwacher Tatverdacht kombiniert mit geringen Erfolgsaussichten (fehlende Auffindungsvernutung) die Durchsuchung und Beschlagnahme von Kontounterlagen eines ihrer Kunden nicht rechtfertigen.312 Die dargelegte Kombination führt auch ansonsten bei Dritten zur Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme.313 Die im vorliegenden Fall fehlende, aber erforderliche Auffindungsvermutung wird hier jeweils in die Abwägung mit einbezogen. Bei der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei, deren Anwältin beschuldigt wird und bei der Rechte Dritter, nämlich unbeteiligter Mandanten betroffen sind, reicht ein geringer, als Anfangsverdacht ausreichender Tatverdacht ebenfalls nicht aus, da besonders geschützte Bereiche betroffen sind.314 Hier besteht regelmäßig die Gefahr, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten (etwa Mandanten) zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege.315 Die Durchsuchung wegen einer nur geringfügigen Straftat,316 erst recht wegen einer Ordnungswidrigkeit317 ist hier unverhältnismäßig. Zusätzlich ist Art. 12 GG tangiert, wenn während des laufenden Geschäftsbetriebes durchsucht wird.318 Die Beschlagnahme anwaltlicher Akten kann sodann zusätzlich an Art. 14 GG zu messen zu sein.319 Auch bei der Durchsuchung von Arztpraxen muss der Eingriff in empfindliche Daten Dritter (Patienten) berücksichtigt werden.320 Ein nur schwacher, aber ausreichender Anfangsverdacht bei einem nur geringen Betrugsschaden kann eine Durchsuchung nicht rechtfertigen.321 Durchsuchungen in Redaktionsräumen werden in der Regel nur bei einem schweren Tatvorwurf verhältnismäßig sein können.322 Schließlich stehen sich in der Abwägung der Grad des Tatverdachts und die Schwere der Tat auf der einen Seite und die Beeinträchtigung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1) sowie Unverletzlichkeit der Wohnung auf der anderen Seite gegenüber.323 Das BVerfG führte zuletzt in zwei Entscheidungen ausdrücklich aus, dass bei einer 69 Durchsuchung bei Dritten „erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit“ zu stellen sind.324 Wie dies umzusetzen sein soll, wurde allerdings nicht weiter konkretisiert. Stattdessen wird die „Geeignetheit“ einer Durchsuchung dadurch angezweifelt, dass lediglich die „vage Möglichkeit“ bestanden habe, dass das aufzufindende Beweis-
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316 317 318 319
BGHR § 103 StPO Tatsachen 2. Auch der Kunde selbst war hier wiederum nicht Beschuldigter, sondern stand lediglich im Verdacht, mit diesem in Kontakt zu stehen. BVerfG NJW 2007 1804, 1805. LG Hannover StV 1997 626. BVerfG NJW-RR 2005 1289, 1290; BVerfG NJW 2008 1937; BVerfG NJW 2009 281, 282. Zu dieser Vertrauensbeziehung ebenso, allerdings ohne Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit: BVerfG NJW 2005 1917, 1919. Vgl. BVerfG 2008 1938; BVerfG NJW-RR 2005 1289, 1290. BVerfG NJW 2006 3411, 3412. LG Berlin NJW 2003 2694, 2695. BVerfG NJW 2009 281, 282.
320 321 322 323
324
BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177. BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177. Vgl. BVerfGE 20 162, 185 f., 201, 214; BVerfG NJW 2005 965 f. Es wird nicht nur die Ausübung des Grundrechts der Pressefreiheit behindert, indem z.B. notwendige Arbeitsräume blockiert werden, sondern es kommt i.d.R. auch zu einem Einbruch in das Redaktionsgeheimnis. Ebenfalls können über den Einzelfall hinaus nachteilige Auswirkungen auf andere Presseorgane und damit für die Pressefreiheit überhaupt folgen. BVerfGE 20 162, 187. BVerfG NJW 2007 1804, 1805; BVerfG NJW 2009 281, 282.
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mittel „neue verfahrensrelevante Erkenntnisse enthalten würde“, dem Beschluss hierüber aber keine konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen seien.325 Das sich hierin widerspiegelnde Erfordernis der Auffindungsvermutung, was bei Durchsuchungen gegenüber Dritten ohnehin darzulegen ist (Rn. 57), begründet im Vergleich zu dem hier ohnehin vertretenen Standpunkt keine erhöhte Anforderung an die Verhältnismäßigkeit. Es stellt eine übliche Voraussetzung der Durchsuchung bei Dritten dar. Auch bei der Durchsuchung nach § 102 darf zumindest nicht völlig unerfindlich sein, welche Beweismittel in einer Wohnung aufzufinden sein sollten, aus denen geschlossen werden kann, dass der Wohnungsinhaber an einem bestimmten zurückliegenden Tag eine Straftat begangen hat.326 Auch aus den übrigen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der beiden Entscheidungen, lassen sich inhaltlich keine konkreten erhöhten Anforderungen erkennen.327 Es ist mithin davon auszugehen, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen bei Dritten zumindest faktisch nicht erhöht sind.328 Das liegt aber weniger an einer Abwertung dieses Gesichtspunktes bei den besonders schutzbedürftigen Dritten, sondern vielmehr an den gestiegenen und damit angepassten Anforderungen des BVerfG an die Verhältnismäßigkeit bei Durchsuchungen insgesamt. Das BVerfG fordert aufgrund des nur minderen Unrechtsgehalts ferner, dass bei allen 70 Ordnungswidrigkeiten erhöhte „Anforderungen an die Stärke des Tatverdachts unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit“ zu stellen sind.329 Die Erhöhung der Anforderungen mag in dem zu entscheidenden Einzelfall wegen des erheblichen, in die Abwägung mit einzubeziehenden Eingriffs in Art. 12 GG gerechtfertigt gewesen sein. Die kategorische Annahme, bei jeglichen Ermittlungsdurchsuchungen im Ordnungswidrigkeitenrecht einen bloßen Anfangsverdacht nicht mehr ausreichen zu lassen, überzeugt jedoch nicht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Durchsuchungen im Kartellordnungswidrigkeitenrecht, wo ein Anfangsverdacht angesichts der Bedeutung der Angelegenheiten in der Regel ausreichen muss. Dagegen lässt sich den genannten Rechtsprechungsnachweisen jedoch entnehmen, dass in den Fällen gesondert geschützter Bereiche (Anwaltskanzlei/Arzträume/Redaktionsräume) nun tatsächlich erhöhte Anforderungen gestellt werden. Hier reicht ein bloßer Anfangsverdacht oder eine nur leichte Straftat nicht mehr aus, um die Durchsuchung verhältnismäßig erscheinen zu lassen. Paradoxerweise spricht das BVerfG hier aber nicht ausdrücklich von einer Erhöhung der Anforderungen, sondern lediglich von einem „besonderen Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“330 bzw. von einer „besonders sorgfältigen Beachtung … des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ bei „Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO)“331.
71
ee) Verhältnis der bisherigen Rechtsprechung zum neuen § 160a. Der am 1.1.2008 in Kraft getretene § 160a beschränkt sämtliche offenen und verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, wenn sie zu Erkenntnissen führen, die in einer Vernehmungssituation dem Zeugnisverweigerungsrecht eines Berufsgeheimnisträgers unterfallen würden.332 Er enthält ein abgestuftes System von Beweiserhebungs- und Verwertungsverboten333 und be-
325 326 327 328 329
BVerfG NJW 2009 281, 282. Vgl. Jahn NStZ 2007 255, 259 und § 102, 23 zur Auffindungsvermutung. Vgl. BVerfG NJW 2009 281, 282; BVerfG NJW 2007 1804, 1805. A.A. Meyer-Goßner § 103, 1a. BVerfG wistra 2008 339, 340.
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330 331 332 333
BVerfG NJW 2008 1937; BVerfG NJW-RR 2005 1289, 1290; BVerfG NJW 2009 281. BVerfG NStZ-RR 2008 176, 177; BVerfG NJW 2007 1443; BVerfG NJW 2008 2422. BVerfG NJW 2012 833, 840 f. Tz 244; Meyer-Goßner § 160a, 1. BVerfG NJW 2012 833, 840 f. Tz 244.
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zweckt in Anlehnung an die in § 53 Abs. 1 normierten Zeugnisverweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger den Schutz des zu diesen bestehenden Vertrauensverhältnisses.334 § 160a Abs. 1 Satz 1 ordnet zunächst für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), Verteidiger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2), Abgeordnete (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) und Rechtsanwälte, nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen sowie auf Kammerrechtsbeistände insoweit ein absolutes Beweiserhebungs- und verwertungsverbot an. Dieses Verbot wurde erst nachträglich von den Verteidigern auf die Rechtsanwälte allgemein ausgedehnt,335 da man eine Differenzierung aufgrund der Nähe und Überschneidungen der Tätigkeiten als nicht mehr möglich erachtete (vgl. auch § 160a Abs. 2 Satz 4).336 Demgegenüber sieht § 160a Abs. 2 hinsichtlich der übrigen in § 53 Abs. 1 Satz 1 genannten Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte und Personen, die in den Medien mitwirken) ein von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall abhängiges und damit relatives Beweiserhebungs- und verwertungsverbot vor.337 Hieraus ergibt sich bereits, dass die bisherige Rechtsprechung des BVerfG, die die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei als grundsätzlich zulässig erachtet, für die Zukunft teilweise obsolet sein dürfte, soweit die dort tätigen Anwälte nicht selbst Beschuldigte sind.338 Ob der Verteidiger sich bei Kollusionsverdacht zwischen ihm und dem Bürger auf den Schutz des § 160a Abs. 1 berufen kann, oder ob auch ihm gegenüber Abs. 4 Satz 1 greift, ist umstritten.339 Soweit ein Durchsuchungsbeschluss nach § 103 bei einer Anwaltskanzlei auf Beweismittel gerichtet ist, der vom Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts umfasst ist, verstößt er gegen das Beweiserhebungsverbot aus § 160a Abs. 1 Satz 1. Ob die Durchsuchung beim Zeugnisverweigerungsberechtigten von vornherein gänzlich unzulässig ist und damit dem Erhebungsverbot unterfällt, hängt an der Prognose, ob Erkenntnisse aus dem nach § 53 geheimnisgeschützten Bereich zu erwarten sind.340 Auch wenn sich die Durchsuchung gegen jemanden richtet, der nicht zeugnisverweigerungsberechtigt ist, ordnet Abs. 1 Satz 5 zumindest ein Verwertungsverbot an, wenn dabei mittelbar geheimnisgeschützte Beweismittel gefunden werden. Das Beweiserhebungs- und –verwertungsverbot wird durch Löschungs- und Dokumentationspflichten in § 160a Abs. 1 Satz 2 und 4 flankiert. Wird die Durchsuchung also z.B. beim beschuldigten Mandanten selbst vorgenommen oder bei einem weiteren Dritten, und werden dabei dem Schutz des § 53 unterfallende Erkenntnisse erlangt, unterfallen diese dem Verwertungsverbot. Hat der Durchsuchungsbeschluss also z.B. zunächst Beweismittel anvisiert, die nicht vom Zeugnisverweigerungsrecht umfasst sind, werden aber dennoch ihm unterfallenende Beweismittel aufgefunden und beschlagnahmt, greift ein Verwertungsverbot.341 Ebenso stellt sich die Frage, ob die bisherige Rechtsprechung zu Durchsuchungen in 72 Arztpraxen und Redaktionsräumen weiter Gültigkeit beanspruchen kann. Die Betroffen334 335
336 337 338
BVerfG NJW 2012 833, 841 Tz 247. BVerfG NJW 2012 833, 841 Tz 245. Zum Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Unterlagen, die dem Zeugnisverweigerungsrecht unterfallen, ebenfalls: EGMR Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/A, 16.10.2007, NJW 2008 3409, 3410 (m.w.N. zur EGMRRechtsprechung). BVerfG NJW 2012 833, 842 Tz 262. BVerfG NJW 2012 833, 841 Tz 246. Dies betrifft z.B. BVerfG NJW 2009 281 f. (zu § 103). Auf selbst beschuldigte Zeugnis-
339
340 341
verweigerungsberechtigte ist § 160a bereits seinem Wortlaut nach nicht anwendbar; BGHSt 53 257, 262. Für den Schutz des Abs. 1: Meyer-Goßner § 160a, 15; SK/Wolter § 160a 10, 14. Dagegen wohl: BVerfG NJW 2012 833, 843 Tz 272 f. Vgl. Meyer-Goßner § 160a, 3a; SK/Wolter § 160a, 19 f. Meyer-Goßner § 160a, 7. Zu den Zufallserkenntnissen generell kritisch: SK/Wolter § 160a 30.
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heit des Berufsgeheimnisträgers hängt zunächst in § 160a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 nicht davon ab, ob sich die Ermittlungsmaßnahme gegen ihn richtet, d.h. eine Durchsuchung nach § 102 oder § 103 erfolgt. Es kommt darauf an, ob eine Prognose ergibt, dass die Maßnahme dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 unterfallende Erkenntnisse erbringen würde.342 Ist damit zu rechnen, ist dies bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 160a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 besonders zu berücksichtigen. Abzuwägen ist das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafrechtspflege gegen das ebenfalls öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und dem weiteren individuellen Interesse an der Geheimhaltung der ihm anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen.343 Wenn der Gegenstand des Verfahrens nicht zumindest eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ umfasst, was wie bereits oben beschrieben das öffentliche Interesse an einer wirksamen Strafrechtspflege widerspiegelt, ist ein Überwiegen dieses Interesses regelmäßig ausgeschlossen (§ 160a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2). Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit erhöhen sich also durch die neue Norm signifikant. Eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ ist nach Ansicht des BVerfG jede Tat, die zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.344 Dies ist bei Verbrechen die Regel und bei Vergehen nur dann der Fall, wenn die Strafrahmenobergrenze über zwei Jahre liegt.345 Diese Maßstäbe widersprechen zwar nicht der bisherigen Rechtsprechung zu Durchsuchungen bei Arztpraxen und in Redaktionsräumen. Insbesondere bei Durchsuchungen von Arztpraxen – wo bislang jedenfalls eine „nur leichte Straftat“ als nicht mehr ausreichend angesehen wurde – wird das Merkmal der Schwere des Tatvorwurfs jedoch entscheidend konkretisiert. Entsprechend der Durchsuchungen in Redaktionsräumen muss für eine verhältnismäßige Durchsuchung hier ebenfalls eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ vorliegen. Im Gesundheitswesen stellt sich im Übrigen generell folgendes Problem: Der Gesetzgeber hat die Fallgruppen dem relativen Schutz des § 160a Abs. 2 unterworfen, in denen zwar eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Bürger und dem Berufsgeheimnisträger bestehen und der Kernbereich privater Lebensführung berührt sein könnte, bei typisierender Betrachtung – im Gegensatz zu den Fällen des Abs. 1 – aber nach seiner Ansicht nicht notwendig berührt ist. Soweit bei den Fällen des § 160a Abs. 2 im Einzelfall der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung dennoch tangiert sei, ist die Maßnahme auch nach Abs. 2 unzulässig.346 Das BVerfG ist der Ansicht, dass die damit einhergehende Ungleichbehandlung des Verhältnisses Arzt zu Patient im Gegensatz zu den in Abs. 1 privilegierten Verhältnissen wie z.B. Rechtsanwalt/Mandant nach den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt sei.347 Zwar könnten bestimmte Inhalte, wie etwa Arztgespräche, im Einzelfall dem Kernbereich zuzuordnen sein, und eine darauf gerichtete Ermittlungsmaßnahme als unzulässig erscheinen lassen, ärztliche Aufzeichnungen über Anamnese, Diagnose oder therapeutische Maßnahmen seien aber nicht ohne Weiteres dem unantastbaren Intimbereich, sondern grundsätzlich lediglich der Privatsphäre des Patienten zuzuordnen, in die bei überwiegenden Belangen des Gemeinwohls eingegriffen werden darf.348 Die Literatur ordnet dagegen zutreffend zunächst sämtliche Arztgespräche dem Kernbereichsschutz zu.349 Auch Informationen, die jeden-
342 343 344 345
Meyer-Goßner § 160a, 9. BTDrucks. 16 5846 S. 36; Meyer-Goßner § 160a, 9a. BVerfGE 112 304. Meyer-Goßner § 98a 5 m.w.N.
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Vgl. BTDrucks. 16 5846 S. 36 f. BVerfG NJW 2012 833, 841 Tz 253 f. BVerfG NJW 2012 833, 843 Tz 265 f. SK/Wolter § 160a, 9 m.w.N.
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falls kernbereichsnah sind, d.h. besonders sensible Informationen wie z.B. Erkrankungen, sind der Abwägung des § 160a Abs. 2 entzogen.350 Entgegen dem BVerfG ist es nur schwer vertretbar, Aufzeichnungen über die Anamnese, Diagnose oder therapeutische Maßnahmen nicht dem Kernbereich, d.h. der Intimsphäre des Betroffenen zuzuordnen. Dann stellt sich aber die Frage, welche ärztlichen Informationen dann überhaupt unter die Abwägungsmöglichkeit des § 160a Abs. 2 fallen.351 § 160a Abs. 2 ist bezüglich der Ärzte – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG und dem Normkonzept des § 160a Abs. 2 – misslungen. Für ihn bleibt allenfalls ein geringer praktischer Anwendungsbereich übrig. Durchsuchungen von Arztpraxen, die auf sensible Patienteninformationen zielen, sind von vornherein unzulässig. Eine vergleichbare Problematik stellt sich bei den Durchsuchungen von Redaktions- 73 räumen bzw. bei Medienmitarbeitern als zeugnisverweigerungsberechtigte Personen. Entgegen dem BVerfG, wonach der Medienfreiheit im Verhältnis zum Gebot der funktionstüchtigen Strafrechtspflege abstrakt kein Vorrang gebührt,352 wird in der Literatur die Herausnahme dieser Fälle aus dem absoluten Schutz des Abs. 1 unter Verweis auf herausragende Bedeutung der Pressefreiheit kritisiert und ein Beweisverwertungsverbot gefordert.353 h) Modalitäten des Vollzugs. Der richterliche Durchsuchungsbeschluss enthält in der 74 Regel keine Einzelheiten über die Art und Weise des Vollzugs des Eingriffs.354 Der Beschluss ist der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung zu übergeben (§ 36 Abs. 2 S. 1), die sodann über den Vollzug entscheidet. Dem Richter ist es jedoch unbenommen – zuweilen mag es sogar geboten sein –, zur Begrenzung des Eingriffs im Einzelfall bereits im Beschluss Modalitäten des Vollzugs zu regeln.355 Er kann sich z.B. seine Anwesenheit bei der Vollstreckung vorbehalten und vor Ort weitere Einzelheiten regeln (vgl. § 105 Abs. 2 S. 1), die Vollstreckung zur Nachtzeit ausschließen oder zulassen356 (die Voraussetzungen des § 104 sind darzulegen; vgl. § 104, 5 ff.), in einem Steuerstrafverfahren die Mitnahme von Rauschgiftspürhunden untersagen, anordnen, dass von zur Durchsicht zur Staatsanwaltschaft verbrachten Papieren Kopien für den Betroffenen zu fertigen sind, festsetzen, dass die Durchsuchung einer Arztpraxis nicht während der Sprechstundenzeiten erfolgt357 oder sonst durch geeignete Anordnungen dafür Sorge tragen, dass der Eingriff möglichst gering wiegt. Die Sicherstellung elektronischer Daten ist untrennbar mit technischen Modalitäten der Durchführung verknüpft, z.B. den Fragen, wie die relevanten Daten gefunden, auf welche Speichermedien zugegriffen, wie Daten entschlüsselt, ob auch Programmdateien sichergestellt oder ob Zeugen und Sachverständige hinzugezogen werden sollen. Ob der Richter solche Modalitäten von vornherein im Beschluss aufnimmt oder erst später regelt, obliegt seiner eigenen Entscheidung. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Betroffenen hat er die Modalitäten zu regeln.358
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Meyer-Goßner § 160a, 13. Tsambikakis, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen, S. 160. BVerfG NJW 2012 833, 843 Tz 268. SK/Wolter § 160a, 37; Tsambikakis, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen, S. 158.
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BGH NStZ 2005 278. Anders: Schneider NStZ 1999 388, 390, der die Möglichkeit der Regelung von Vollzugsmodalitäten wegen § 36 Abs. 2 S. 1 verneint. BGH NStZ 2005 278, 279. Vgl. BGH MDR 1964 71. Wasmuth NJW 1989 2297, 2300. BGH NStZ 2005 278, 279.
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III. Nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung 1. Zuständigkeit. § 105 Abs. 1 S. 1 erlaubt es der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 GVG), bei Gefahr im Verzug (dazu Rn. 83 ff.) Durchsuchungen anzuordnen. Sofern Polizeibeamte nach der maßgeblichen landesrechtlichen Verordnung (vgl. § 152 Abs. 2 Satz 1 GVG) nicht mit ihrer Beamtengruppe bezeichnet sein sollten, fehlt ihnen eine ausreichende Kompetenzzuweisung.359 Die Eilkompetenz der Ermittlungspersonen ist aber gegenüber derjenigen der Staatsanwaltschaft subsidiär,360 was ihrer natürlichen Stellung im Verfahren entspricht.361 Die Ermittlungsperson darf also nur anordnen, sofern der Staatsanwalt nicht erreichbar bzw. der in aller Regel zu unternehmende Versuch des Erreichens zeitlich nicht mehr möglich ist.362 Diese Eilkompetenz wird in zwei Fällen eingeschränkt: Bei einer Gebäudedurch76 suchung (vgl. § 103, 17 ff.) besteht nach § 105 Abs. 1 Satz 2 nur eine staatsanwaltschaftliche, nicht aber eine Notkompetenz derer Ermittlungspersonen. Bei der Presse, d.h. soweit Räume einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt nach Gegenständen durchsucht werden, die nur nach § 97 Abs. 5 Satz 2 beschlagnahmt werden dürfen, ist § 98 Abs. 1 Satz 2 auf die Durchsuchung entsprechend anzuwenden,363 wodurch weder die Staatsanwaltschaft noch ihre Ermittlungspersonen über eine Notkompetenz verfügen. Die Anordnung ist ausschließlich dem Richter vorbehalten (besonderer Richtervorbehalt). Im Steuerstrafverfahren steht die Eilkompetenz sowohl den Beamten der Finanz77 behörde (nach § 399 Abs. 1 AO mit Rechten und Pflichten der Staatsanwaltschaft ausgestattet) als auch diejenigen der Steuer- und Zollfahndung (nach § 404 Satz 2 i.V.m. § 399 Abs. 2 Satz 2 AO als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft) zu; vgl. dazu Rn. 30. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren ergibt sich die Kompetenz der Verfolgungsbehörde aus § 46 Abs. 2 OWiG. Weitere Ausnahmen vom Richtervorbehalt finden sich in §§ 7, 8 UZwGBw, § 2 Abs. 2 VerbrVerbG und § 4 Abs. 5 VereinsG, die nicht immer an die Voraussetzung von Gefahr im Verzug gekoppelt sind.364
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2. Form und Entscheidungsgrundlage. Das Gesetz sieht keine bestimmte Form vor, in der die Durchsuchungsanordnung zu ergehen hat; jedoch verschärft sich hier das Erfordernis einer klaren – möglichst schriftlichen – Fixierung des Durchsuchungsziels nochmals. Es wird immer akute Eingriffe geben, die so schnell vorgenommen werden müssen, dass die Staatsanwaltschaft nicht mehr angerufen werden kann oder gar ein schriftlicher Durchsuchungsbeschluss eingeholt werden könnte. Die Anordnung kann sogar konkludent ergehen, wenn der anordnende Beamte die Durchsuchung sogleich selbst ausführt.365 Diese Fälle werden aber die Ausnahme bleiben müssen, da jedenfalls
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SK/Wohlers 31. BVerfG NJW 2005 1637, 1638; OLG Köln StV 2010 14, 15; AG Kiel StV 2002 536, 537; Gusy JZ 2001 1033, 1034. Park 89. BGH wistra 2010 231; AG Kiel StV 2002 536, 537. Vgl. ferner: BVerfG NJW 2005 1637, 1638. BGH NJW 1999 2051. Vgl. § 8 UZwGBw „aus Gründen militärischer Sicherheit“; § 2 Abs. 2 VerbrVerbG
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„zum Zwecke der Nachprüfung (von) Beförderungsmitteln“. BGH NStZ 1986 84, 85 (konkludente Anordnung durch Fortführung der Durchsuchung nach Rücknahme der Einwilligung des Betroffenen); LG Frankfurt NJW 1982 897 (zu einer Beschlagnahme nach § 111c); AK/Amelung 17; HK/Gercke 61; MeyerGoßner 3. Dagegen: Park 91, der auf die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen verweist.
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durch eine mündliche Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft regelmäßig kein wesentlicher Zeitverlust einhergeht. Die gesamte behördliche Prüfung der Eilkompetenz stellt eine auf den drohenden 79 Beweismittelverlust bezogene Prognoseentscheidung dar, für die das Freibeweisverfahren gilt.366 Der Polizeibeamte hat sich die Frage zu stellen, ob für den Versuch eines Telefonats mit der Staatsanwaltschaft Zeit bleibt. Es kommt dabei auf den Zeitpunkt an, zu dem er die Durchsuchung für erforderlich hält367 (vgl. aber auch Rn. 85 a.E.). Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft vorrangig dazu berufen ist, die Entscheidung über die Anordnung von Gefahr im Verzug zu treffen.368 Die Ermittlungsperson muss einschätzen, ob eine zumindest mündliche staatsanwaltschaftliche Entscheidung nach Darstellung der Sachlage noch möglich ist.369 Bei der Prognose können die Komplexität des Sachverhalts sowie die Frage, ob der Staatsanwalt schon mit dieser Sache befasst war, eine Rolle spielen.370 Sobald der Staatsanwalt erreicht ist, obliegt ihm die weitere (Prognose-)Entscheidung, ob er nur mündlich oder sogar schriftlich eine Durchsuchung anordnet, zu seiner Entscheidung die Vorlage einer Akte verlangt, oder ob er den Ermittlungsrichter kontaktiert. Wird der Ermittlungsrichter erreicht, geht die Entscheidungskompetenz wiederum auf diesen über (dazu Rn. 94).371 Dass die staatsanwaltschaftliche Anordnung auch nur fernmündlich ergehen kann,372 und – im Gegensatz zum richterlichen Durchsuchungsbeschluss (Rn. 33 ff.) – nicht per se schriftlich zu ergehen hat, lässt sich mit der Verfahrensstellung der Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens begründen. Auch würden die Kompetenzen der Ermittlungspersonen erheblich ausgeweitet, sofern diese in ihre Prognose mit einbeziehen müssten, dass die Staatsanwaltschaft nur schriftlich entscheidet. Dies kann im Hinblick auf den Rechtschutz des Betroffenen und die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung nicht wünschenswert sein. Denn die Beamten der Staatsanwaltschaft genießen gegenüber den Ermittlungspersonen die intensivere juristische Ausbildung und sind nach dem Gesetz zur Objektivität verpflichtet. Ein nur mündlich informierter und sodann mündlich entscheidender Staatsanwalt ist der (bloßen) Entscheidung einer Ermittlungsperson vorzuziehen. Neben der Möglichkeit der mündlichen Entscheidung kann die Staatsanwaltschaft auch ihre Entscheidungsgrundlage selbst wählen. Um das Ziel der Ausweitung der zumindest staatsanwaltschaftlich entschiedenen Anordnungen zu erreichen, ist eine nur mündliche Sachverhaltsdarstellung als ausreichend anzusehen.373 Dennoch sollte auch bei den Eilfällen die schriftliche staatsanwaltschaftliche Durch- 80 suchungsanordnung die Regel sein. Dem verfassungsrechtlichen Gebot, Durchsuchungseingriffe in Grenzen zu halten, wird dann nur entsprochen, wenn zu Beginn der Durchsuchung eine schriftliche staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung vorliegt. Überschreitungen der Durchsuchung lassen sich sonst nur mühsam durch eine Rekonstruktion des Akteninhalts zum Zeitpunkt der Anordnung feststellen. Ohne Not darf der Staatsanwalt nicht auf das Gebot der Schriftlichkeit verzichten.
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BVerfG StV 2003 205, 207. BGH NStZ 2012 104, 105; BGH StV 2007 337; Park 88. Vgl. Park 89. Park 88. Vgl. BVerfG NJW 2003 2303, 2304; BVerfG StV 2003 205, 206 (beide Entscheidungen entsprechend zur Kontaktierung eines Ermittlungsrichters durch den Staatsanwalt).
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Krehl JR 2001 491, 493; Harms DRiZ 2004 25, 29; Spaniol FS Eser 473, 486; HK/Gercke 52. LG Stuttgart wistra 1990 282, 283; AK/Amelung 17; HK/Gercke 61; SK/Wohlers 42. Vgl. zudem: BVerfGE 103 142, 154, das ja schon bei richterlichen Anordnungen nur i.d.R. die Schriftlichkeit fordert. BGHSt 28 56, 59.
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3. Dokumentationspflicht. Die verfassungsrechtlich gebotene volle gerichtliche Kontrolle der Annahme von Gefahr im Verzug ist nur möglich, wenn nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Grundlagen der Entscheidung der Behörden und ihr Zustandekommen zuverlässig erkennbar bleiben.374 Die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden375 Dokumentations- und Begründungspflichten behindern nicht die effektive Strafverfolgung, sondern sind Teil einer ordnungsgemäßen Sachbehandlung der Strafverfolgungsbehörden.376 Der handelnde Beamte – möglichst der vorrangig verantwortliche Staatsanwalt377 – muss vor oder jedenfalls unmittelbar nach der Durchsuchung seine für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnisse und Annahmen in den Ermittlungsakten dokumentieren.378 Eine Dokumentation erst drei Tage nach der Tat dürfte nicht ausreichen.379 Die Ausführungen müssen sich auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Durchsuchung (§§ 102 f.) erstrecken,380 was die Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten Beweismittel umfasst.381 Insbesondere müssen ferner die Umstände dargelegt werden, auf die die Gefahr des Beweismittelverlustes gestützt wird.382 Weder ein bloßes Ankreuzen von Gefahr im Verzug auf einem Formular383 noch die floskelartige Wiedergabe der Definition des Merkmals384 reichen hierzu aus. Neben der Begründung der Durchsuchung ist auch darzulegen, welche Bemühungen ggf. unternommen wurden, den Staatsanwalt oder im Falle des § 165 den Ermittlungsrichter zu erreichen (Uhrzeit). Gleiches gilt für den Versuch des Staatsanwalts den Ermittlungsrichter zu erreichen.385 Der dargestellten ausdifferenzierten Dokumentationspflichten (insb. Umstände, die die Gefahr begründen, Versuch der Kontaktaufnahme) bedarf es einzig dann nicht, wenn allein die Beschreibung der tatsächlichen Umstände den Tatverdacht, die Zielsetzung der Durchsuchung und deren Dringlichkeit als evident erscheinen lassen,386 d.h. die Annahme von
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BVerfGE 103 142, 159 f. Siehe dort ebenfalls zu den weiteren Zwecken der Dokumentationspflicht, wie z.B. dem Vorbeugen der Missbrauchsgefahr oder der Vergewisserung der Rechtsmäßigkeit des Handelns. Dazu ebenfalls: Park StraFo 2001 159, 160. Zu den Schwierigkeiten einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall: BVerfG StV 2003 205, 207. BVerfGE 103 142, 160; Amelung NStZ 2001 337, 339. Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 195. Jahn NStZ 2007 255, 260. BVerfGE 103 142, 160; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; BayObLG JR 2003 300, 301; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; LG Berlin StV 2008 244, 245; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 195; Jahn NStZ 2007 255, 260. Zu eng: HK/Gercke 59 (nicht erst nach der Ermittlungshandlung). Vgl. LG Saarbrücken StV 2003 434, 435. BVerfGE 103 142, 160. BVerfGE 103 142, 160; BVerfG StraFo 2006 368, 369; BVerfG StV 2004 633, 634; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; LG Frankfurt
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(Oder) StraFo 2006 494; Spaniol FS Eser 473, 483; HK/Gercke 59. BVerfGE 103 142, 160; BVerfG StraFo 2006 368, 369; BVerfG StV 2004 633, 634; BGH StV 2007 337, 339; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; LG Frankfurt (Oder) StraFo 2006 494; LG Berlin StV 2008 244 f.; LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 81 (zu § 81a); Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 655; Spaniol FS Eser 473, 483; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063, 1067; HK/Gercke 58; SK/Wohlers 41. BVerfG StV 2004 633, 634. BVerfGE 103 142, 160; LG Cottbus StV 2002 535; Jahn NStZ 2007 255, 260. BVerfGE 103 142, 160; BVerfG StraFo 2006 368, 369; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; LG Cottbus StV 2002 535; LG Frankfurt (Oder) StraFo 2006 494; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Einmahl NJW 2001 1393, 1395; Jahn NStZ 2007 255, 260; Spaniol FS Eser 473, 483; HK/Gercke 58. BVerfGK 5 74, 79; BVerfG NJW 2008 3053, 3054 (zu § 81a); LG Limburg NStZ-RR
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Gefahr im Verzug auf der Hand liegt, wie z.B. bei der Durchsuchung eines soeben Festgenommenen. Das (bloße) Unterlassen der Dokumentation führt jedoch nach der Rechtsprechung 82 weder zur Unwirksamkeit der Anordnung noch zur Unverwertbarkeit der durch die Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse.387 Sofern nach freibeweislicher Erhebung der nahe liegenden Beweise Anhaltspunkte dafür fehlen, dass tragfähige Gründe für die Annahme von Gefahr im Verzug vorlagen, wird davon ausgegangen, dass die Eilkompetenz zu Unrecht in Anspruch genommen wurde.388 Eine fehlende Dokumentation darf nicht durch eine nachträgliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft oder des handelnden Beamten ersetzt werden, da die präventive Funktion des Richtervorbehaltes ansonsten leer liefe.389 4. Gefahr im Verzug a) Allgemeines. Art. 13 Abs. 2 GG bestimmt, dass Durchsuchungen bei Gefahr im 83 Verzug auch durch die „in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet“ werden dürfen. § 105 Abs. 1 S. 1 benennt für die strafprozessuale Durchsuchung insofern die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen. Gefahr im Verzug im Sinne beider Normen liegt vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde.390 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege, die sich – bei nachhaltiger Sicherung der Rechte des Beschuldigten – auch auf die wirksame Strafverfolgung erstreckt, erlaubt es den Strafverfolgungsbehörden, einen Beweismittelverlust zu verhindern.391 Sie müssen dann zwischen der Gefahr des Beweismittelverlustes und den Rechten des Betroffenen abwägen.392 Sie entscheiden dabei selbst über die Voraussetzungen ihrer Zuständigkeit – was bei „Gefahr im Verzug“ unausweichlich ist. Diese Machtfülle zwingt zu besonderen tatsächlichen und rechtlichen Vorkehrungen: Sonst droht die gesetzliche Regelzuständig-
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2009 80, 81 (zu § 81a; wo es tatsächlich keiner Dokumentation bedurfte); Jahn NStZ 2007 255, 260. BGH StV 2006 174, 175; SK/Wohlers 41. BVerfG StV 2003 205, 207; SK/Wohlers 41. BVerfGK 12 374, 377 (zu § 81a); BVerfG NJW 2008 3053, 3054 (zu § 81a). Anders: LG Berlin StV 2008 244, 245, das von einer eintretenden Heilung durch eine Stellungnahme der handelnden Beamten spricht. Grundlegend: BVerfGE 51 97, 111; BVerfGE 103 142, 154 mit Anmerkungen: Gusy JZ 2001 1033, 1034 f.; Park StraFo 2001 159 f., Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193 f.; Amelung NStZ 2001 337 f.; Asbrock StV 2001 322 f.; Bittmann wistra 2001 451 f.; Einmahl NJW 2001 1393 f.; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063 f. Ferner: BGH StV 2007 337; BGH NStZ 2006 114, 115; BGH JZ 1962 609, 610; BayObLG JR 2003 300, 301; OLG Stuttgart NJW 1969 760, 761; OLG Köln NJW 1968 666,
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667; OLG Köln StV 2010 14, 15; LG Osnabrück StV 1991 152, 153; LG Heilbronn StV 2005 380, 381; LG Darmstadt StV 1993 573; LG Cottbus StV 2002 535; LG Berlin StV 2008 244, 245; AG Essen StraFo 2008 199; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 46 GG; Park 88; Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung (1980) 131 f.; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 652; Ciolek-Krepold 57; Spaniol FS Eser 473, 479; HK/Gercke 48; SK/Wohlers 33; Meyer-Goßner 2; BK/Herdegen Art. 13, 62 GG. Grundlegend: Krehl JR 2001 491. Nicht von der „Einholung einer richterlichen Anordnung“ sondern von einer „Anrufung des Richters“ (wohl i.w.S.) sprechend: AK/Amelung ; KK/Nack 1; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 71 GG. BVerfGE 103 142, 154. Gusy JZ 2001 1033, 1035.
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keit des Richters393 in der Praxis unterlaufen zu werden, wie dies in der Vergangenheit bis zum Einschreiten des BVerfG in unvertretbarer Weise geschehen ist.394 Dem Ausnahmecharakter der nichtrichterlichen Anordnung sowie der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts entspricht das Erfordernis einer engen Auslegung des Merkmals „Gefahr im Verzug“.395 Schließlich ist im Grundsatz derjenigen Auslegung einer Grundrechtsnorm den Vorzug zu geben, die ihre Wirkungskraft am stärksten entfaltet.396 Denn die Annahme von Gefahr im Verzug bewirkt eine beträchtliche Minderung des Grundrechtsschutzes aus Art. 13 GG.397 Bis zum viel zitierten Urteil des BVerfG aus dem Jahre 2001398 hielten sich weder die 84 Strafverfolgungsbehörden noch die unterinstanzlichen Gerichte an die richterliche Regelzuständigkeit.399 Vielmehr wurde „mehr als 100 Jahre lang … Rechtsbruch“ praktiziert,400 indem die Regel als Ausnahme und die Ausnahme als Regelfall behandelt wurde.401 Die grundsätzliche Neubestimmung des Urteils zur Zuständigkeit von Strafverfolgungsbehörden und Gericht in Eilfällen,402 hat den Richtervorbehalt nachhaltig gestärkt 403 und wirkt bis heute in der alltäglichen Strafverfolgungspraxis.404 b) Voraussetzungen
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aa) Drohender Beweismittelverlust. Für Gefahr im Verzug (zur Definition vgl. Rn. 83) reicht die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlustes nicht aus;405 er muss vielmehr wahrscheinlich sein.406 Es ist keine hohe Wahrscheinlichkeit,407 sondern lediglich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu fordern, d.h. dass bei objektiver Betrachtung sprechen die überwiegenden Gründe für eine Vereitelung der Maßnahme – der Misserfolg ist wahrscheinlicher als der Erfolg.408 Diese Prognose muss mit konkreten,
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BVerfGE 103 142, 153; BGH StV 2007 337, 338; Amelung NStZ 2001 337 f. (beide auch zur Entstehungsgeschichte). BVerfGE 103 142, 155. BVerfGE 103 142, 153; BGH StV 2007 337, 338; AG Kiel StV 2002 536, 537; Gusy JZ 2001 1033, 1034; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654; Brüning ZJS 2010 129, 130; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063, 1066; HK/Gercke 48. BVerfGE 51 97, 110. BVerfGE 103 142, 153; Gusy JZ 2001 1033, 1034. BVerfGE 103 142 f. Zahlen bei: Nelles Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung (1980) 182 f. Amelung NStZ 2001 337. Amelung NStZ 2001 337 m.w.N. Vgl. bezeichnend folgende Entscheidungen: OLG Stuttgart NJW 1977 2276, bei der den Ermittlungsbehörden bekannt war, dass sich die alleinige Inhaberin einer Anwaltskanzlei im Urlaub befand; LG Bremen StV 1998 180, bei der Ermittlungsrichter eine Durchsuchung zuließ, obwohl der Betroffene in
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einer Vollzugsanstalt saß; AG Offenbach StV 1991 153, 154 und LG Darmstadt StV 1993 573, bei der die Staatsanwaltschaft von der Einholung einer richterlichen Entscheidung absah, weil sie „undichte Stellen“ bei Gericht vermutete. Krehl JR 2001 491. Ähnlich: Gusy JZ 2001 1033, 1035, allerdings kritisch dazu, ob dadurch ein höheres Maß an Grundrechtsschutz erreicht wird. Park StraFo 2001 159, 160. Asbrock StV 2001 322, 323; Krehl JR 2001 491. BVerfGE 103 142, 155. Anders: Park 88. Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654 f.; HK/Gercke 49; BK/Herdegen Art. 13, 62 GG. Vgl.: BVerfG NJW 2003 2303, 2304, („…. mit dem alsbaldigen Verbergen von Beweismitteln zu rechnen gewesen sei. Diese Begründung trägt nicht.“) Vgl. auch: OLG Koblenz StV 2002 533, 534, wonach die „theoretische Gefahr“ nicht ausreicht. So aber: AK-GG/Berkemann, Art. 13, Rn 96. Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654 f.
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einzelfallbezogenen Tatsachen begründet werden. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus,409 was wiederum nicht heißt, dass die in der Praxis bedeutsamen (mehr oder weniger fundierten, selten evaluierten) „kriminalistischen Erfahrungen“ gänzlich ausgeschlossen sind.410 Die bloße Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn laufenden Ermittlungen reicht als Tatsache allein nicht aus, um Gefahr im Verzug anzunehmen. Zu dem Wissen um die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen, die eine abstrakte Gefahr der Beweismittelbeeinträchtigung durch oder auf Veranlassung des Beschuldigten zu einem konkreten Verdacht verdichten lassen.411 Die Voraussetzungen für Gefahr im Verzug dürfen selbstredend nicht künstlich herbeiführt werden, um eine eigene Zuständigkeit zu begründen oder nur eine unliebsame zu umgehen: Es ist verfassungswidrig, so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter abzuwarten, bis die Gefahr des Beweismittelverlustes tatsächlich eingetreten ist, und damit die richterliche Regelzuständigkeit zu unterlaufen.412 bb) Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Richter. Die Ermittler müssen in der 86 Regel versuchen, den instanziell und funktionell zuständigen Richter zu erreichen, bevor sie selbst eine Durchsuchung anordnen.413 Im Gegensatz zur bereits beschriebenen Pflicht der Ermittlungspersonen, den Versuch unternehmen zu müssen, den zuständigen Staatsanwalt zu erreichen (Rn. 75), muss gegenüber dem Gericht der Staatsanwalt handeln. Er muss versuchen, den Ermittlungsrichter zu erreichen, da nur er antragsbefugt ist (durch die Ermittlungspersonen kann im Ausnahmefall allenfalls eine Anregung nach § 165 ergehen; vgl. Rn. 29).414 Während der üblichen Dienstzeiten ist der Ermittlungs-
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BVerfGE 103 142, 155; BVerfG StV 2004 633; BayObLG JR 2003 300, 301; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; OLG Köln StV 2010 14, 15; LG Cottbus StV 2002 535; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; AG Essen StraFo 2008 199; AG Kiel StV 2002 536, 537; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Park 88; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654; Brüning ZJS 2010 129, 130; Ostendorf/ Brüning, JuS 2001 1063, 1066; HK/Gercke 49; SK/Wohlers 34; AK/Amelung 5. Gusy JZ 2001 1033, 1035. Diese These jedenfalls in ihrer Pauschalität ablehnend: Krehl JR 2001 491, 492; ders. JR 2003 302, 304. BVerfGE 103 142, 155; BVerfG NJW 2003 2303, 2304; BVerfG StV 2003 205, 206; BVerfG NJW 2005 1637, 1638; BGH NStZ 2012 104 f.; BGH StV 2007 337; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Gusy NStZ 2010 353, 356; Park 88, 97; Krehl JR 2003 302, 303; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 655; Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 194; Brüning ZJS 2010 129, 130; HK/Gercke 49; Meyer-Goßner 2.
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BVerfGE 103 142, 155; BVerfG NJW 2005 1637, 1638; BVerfG StV 2006 676; BVerfG StraFo 2006 368; BayObLG JR 2003 300, 301; BGH NStZ 2004 449 f.; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg StV 2003 207, 208; OLG Düsseldorf StraFo 2009 280, 281; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; OLG Hamm NStZ 2007 355, 356; OLG Köln StV 2010 14, 15; LG Heilbronn StV 2005 380, 381; LG Cottbus StV 2002 535; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; LG Bremen StV 1998 180; LG Frankfurt (Oder) StraFo 2006 494; LG Berlin StV 2008 244, 245; LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 81 (zu § 81a); AG Essen StraFo 2008 199, 200; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Gusy NStZ 2010 353, 356; Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 195; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654; HK/Gercke 50; SK/Wohlers 35; Meyer-Goßner 2. Hier treten oft Missverständnisse auf; verwirrend z.B. HK/Gercke 51. Dagegen klärend: Spaniol FS Eser 473, 478, die ebenfalls vor der Formulierung warnt, die Polizei müsse versuchen, den Ermittlungsrichter zu erreichen.
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richter, sonst der Bereitschaftsrichter anzurufen. Versuche, den jeweils unzuständigen Richter zu erreichen, gelten als nicht unternommen und eine Inanspruchnahme der Eilkompetenz wäre dann rechtswidrig.415 Einen solchen Versuch sogar noch während einer laufenden Durchsuchung zu verlangen, während weitere Beamte die Wohnung vor Ort bis zur Entscheidung absichern,416 erscheint sehr weitgehend, ist aber zulässig und vorbildlich. Der abstrakte Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne gewöhnlicherweise nicht zu erlangen (Hinweis auf die Uhrzeit), entbindet nicht von der Verpflichtung, es wenigstens zu versuchen.417 Gefahr im Verzug darf sonst nicht bejaht werden. Dem entspricht auch die grundsätzliche verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (dazu siehe unten Rn. 105).418 Der Versuch ist allerdings entbehrlich, wenn im zuständigen Bezirk rechtmäßiger Weise kein nächtlicher Eildienst eingerichtet ist.419 Er wäre nicht nur unsinnig, sondern von vornherein (legitim) aussichtslos. Etwas anderes gilt, wenn der zur Tagzeit erforderliche Bereitschaftsdienst außerhalb der üblichen Dienststunden rechtswidriger Weise nicht errichtet wurde. Dann bleibt ein Versuch zwingend erforderlich.420 Von dem Versuch der telefonischen Kontaktaufnahme darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schon die dadurch eintretende zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würden.421 Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Ermittlungspersonen und der Staatsanwaltschaft (zur Subsidiarität siehe oben, Rn. 75). Ungefähr zwei Zeitstunden werden als ausreichend angesehen, um einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erlangen.422
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cc) Einzelfälle. Gefahr im Verzug wird vor allem dann anzunehmen sein, wenn sich bei laufenden Ermittlungen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass nur eine sofortige Durch-
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AG Tiergarten StV 2003 663. So aber: LG Heilbronn StV 2005 380, 381, das im zu entscheidenden Fall aber dennoch berechtigterweise Gefahr im Verzug verneinte, da die Beamten es auch im Vorfeld versäumt hatten, einen Durchsuchungsbeschluss zu erlangen. BVerfGE 103 142, 156; BVerfG NJW 2005 1637, 1638; BVerfG StV 2006 676; BVerfG StraFo 2006 368; BayObLG JR 2003 300, 301; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; LG Osnabrück StV 1991 152, 153; Gusy JZ 2001 1033, 1035; Krehl JR 2001 491, 492; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063, 1066; HK/Gercke 51; SK/Wohlers 35. Vgl. ebenso: BGH StV 2007 337, 339. BVerfGE 103 142, 156; BGH StV 2007 337, 339. OLG Köln StV 2010 622, 623 (zu § 81a); OLG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2009 – 2 Ss OWi 1423/2009 (zu § 81a). Anders: Heinrich NZV 2010 278; vgl. auch Rn. 96. BVerfG StraFo 2006 368, 369. BVerfGE 103 142, 155 f.; BVerfG NJW
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2005 1637; BVerfG StraFo 2006 368; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg StV 2003 207, 208; BayObLG JR 2003 300, 301; OLG Köln StV 2010 14, 15; OLG Koblenz StV 2002 533, 534; LG Saarbrücken StV 2003 434, 435; LG Frankfurt (Oder) StraFo 2006 494; LG Berlin StV 2008 244, 245; LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 81 (zu § 81a); Einmahl NJW 2001 1393, 1395; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 654. Vgl. ferner: BGH wistra 2010 231; AG Kiel StV 2002 536, 537; HK/Gercke 51; SK/Wohlers 35. Zweifelhaft: LG Magdeburg wistra 2006 276 f. (mit abl. Anm. Hitz), das den Grundsatz des erforderlichen Versuchs einer telefonischen Kontaktaufnahme nicht klar herausstellt und jedenfalls 1 1/2 Std. für eine Kontaktierung als nicht ausreichend ansieht. Gusy NStZ 2010 353, 356. Vgl. BVerfG NJW 2005 1637, 1638. Das LG Magdeburg wistra 2006 276 f. mit abl. Anm. Hitz, sieht 1 1/2 Stunden als für einen Versuch der Kontaktierung nicht ausreichend an.
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suchung beim (nicht festgenommenen) Beschuldigten oder Dritten zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Auffindung von Beweismitteln führen kann. Ebenfalls kann bei einem nachts Festgenommenen und wegen Diebstahls Verdächtigen wegen Gefahr im Verzug die Wohnung durchsucht werden, wenn der Verdächtige wegen Fehlens eines Haftgrundes nach einer Vernehmung wieder freigelassen werden muss, und die Einhaltung des Richtervorbehaltes ansonsten dazu führen würde, dass er bis zum Morgengrauen festgehalten würde. Die Berücksichtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 GG gegenüber Art. 13 GG führt hier dazu, ihn ohne jede Verzögerung freizulassen und die Wohnung unter Annahme von Gefahr im Verzug zu durchsuchen, um etwaiges Diebesgut aufzuspüren.423 Anders liegt der Fall dann, wenn sich der Beschuldigte vorläufig festgenommen in polizeilichem Gewahrsam befindet. Dann lässt sich Gefahr im Verzug nicht ohne weiteres begründen.424 Anders als bei Wohnungsdurchsuchungen kann bei Durchsuchungen der Person eines Beschuldigten oder seiner mitgeführten Sachen sehr viel schneller Gefahr im Verzug angenommen werden, weil diese Durchsuchungen in nicht vorhersehbaren Aufgreifsituationen erfolgen und dann keinen Aufschub dulden. In vielen dieser Fälle wird auch eine Durchsuchung zur Eigensicherung oder sonst nach Polizeirecht erforderlich oder wenigstens zulässig sein. Gefahr im Verzug liegt nicht vor, wenn die Staatsanwaltschaft die bevorstehende 88 Durchsuchung für in besonderem Maße geheimhaltungsbedürftig hält und auch begründete Anhaltspunkte für die Annahme hat, es gebe bei Gericht eine „undichte Stelle“. In einem solchen Fall besteht z.B. die Möglichkeit, die Akten dem für die Entscheidung zuständigen Richter unter Umgehung des normalen Geschäftsweges persönlich zu übergeben und ihn auf die Gefahr des drohenden „Verrats“ hinzuweisen. Ebenso könnte die Staatsanwaltschaft die Akte als Verschlusssache einstufen.425 Im Steuerstrafverfahren darf die Gefahr im Verzug nicht damit begründet werden, 89 der Beschuldigte zeige sich ansonsten ggf. nach § 371 AO selbst an. Diese vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit der Strafbefreiung darf dem Betroffenen nicht abgeschnitten werden.426 dd) Gefahr im Verzug trotz Richterkontakts. Wird ein Ermittlungsrichter erreicht, 90 sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Trifft der Richter eine ablehnende Entscheidung in der Sache, darf Gefahr im Verzug nicht mehr angenommen und dadurch der Richtervorbehalt umgangen werden.427 Die Verfolgungsbehörden müssen auf das Rechtsmittel der Beschwerde zurückgreifen. Nach einer Befassung des Richters kann nur ausnahmsweise dann die Eilkompetenz in Anspruch genommen werden, wenn ganz überraschende neue Umstände Gefahr im Verzug begründen, d.h. wenn sich der drohende Beweismittelverlust während der richterlichen Befassung z.B. weiter zuspitzt, woraufhin die Erstellung der Anordnung nun zu lange dauert.428 Doch selbst dann muss der 423
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BayObLG JR 2003 300, 301 f. m. Anm. Krehl JR 2003 302; OLG Hamm NJW 2009 3109, 3111; Krehl JR 2001 491, 493, der dieses Vorgehen zwar abstrakt unterstützt, im untersuchten Einzelfall aber der Meinung ist, die richterliche Anordnung hätte noch während des Festhaltens erwirkt werden können. Vgl. OLG Hamm NJW 2009 3109 f.; OLG Koblenz StV 2002 533 f.; Bittmann wistra 2001 451, 455.
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AG Offenbach StV 1991 153, 154; LG Darmstadt StV 2003 573. Park 88. BGH NJW 2001 3793, 3794; Krehl JR 2001 491, 493; HK/Gercke 52; AK/Amelung 19. Krehl JR 2001 491, 493; Schulz NStZ 2003 635, 636; Hofmann NStZ 2003 230, 232; Bittmann wistra 2001 451, 454; HK/Gercke 52 („nur in absoluten Ausnahmefällen“).
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Richter über die veränderte Situation informiert werden, um ggf. noch rechtzeitig über den Antrag entscheiden zu können.429 Etwas anderes gilt nur dann, wenn selbst dazu keine Zeit mehr verbleibt. Der Richter ist an seine vorhergehende ablehnende Entscheidung nicht gebunden.430 Verweigert der Ermittlungsrichter eine Entscheidung, weil ihm die Ermittlungsakte 91 nicht vorliegt und er nicht auf eine mündliche Schilderung hin eine mündliche Anordnung erlassen will (siehe dazu Rn. 41 ff.), so liegt nach der Rechtsprechung Gefahr im Verzug vor, wenn der Verlust der Beweismittel zeitnah droht, d.h. nicht mehr genug Zeit bleibt, um die Aktenvorlage und sodann schriftliche Entscheidung zu ermöglichen.431 Der BGH akzeptiert damit die oft verbreiteten internen untergerichtlichen Vorgaben, nur schriftlich nach Vorlage von Akten zu entscheiden. Nach der hier vertretenen Auffassung des Schriftformerfordernisses der Anordnung liegt in diesen Fällen immer Gefahr im Verzug vor, da der Richter sich weder ausschließlich mündlich informieren noch mündlich anordnen darf. Eine richterliche Entscheidung darf in diesem Fall nicht ergehen, da die Anforderungen des BVerfG ansonsten nicht eingehalten würden.432 Gefahr im Verzug liegt ebenfalls vor, wenn der Richter eine Entscheidung bereits von 92 Beginn an ablehnt, weil eine Entscheidung angesichts des Umfangs des Verfahrensstoffes in der noch bis zum Beweismittelverlust drohenden Zeit nicht möglich erscheint.433 Er entscheidet weder in der Sache noch darüber, ob Gefahr im Verzug vorliegt.434 Sofern allerdings ausreichend Zeit blieb, um die Akten z.B. im Laufe desselben Tages dem Richter mit Hilfe eines Boten zu übermitteln und eine (wenn auch nur) handschriftliche Anordnung zu erlassen, die dann wiederum den Beamten z.B. in elektronischer Form übermittelt werden kann, liegt dagegen kein Fall von Gefahr im Verzug vor.435 Der Richter ist verpflichtet, sich Kenntnis von der Sache sowie das erforderliche Fachwissen zu verschaffen.436 Ob dafür genug Zeit bleibt oder er die Verfolgungsbehörden auf die Inanspruchnahme ihrer Eilkompetenz verweist, muss er – sobald er erfolgreich kontaktiert ist – selbst entscheiden.437 Gefahr im Verzug liegt ferner nicht vor, wenn der Ermittlungsrichter von den Verfol93 gungsorganen unvollständig unterrichtet wird, um eine Ablehnung eines richterlichen Beschlusses zu provozieren und dadurch für sich die Eilkompetenz zu begründen.438 Dies gilt sowohl, wenn die Ablehnung in der Sache geschieht, als auch, wenn der Richter sich zu einer Entscheidung aufgrund der vorgelegten Informationen nicht in der Lage sieht, weil er z.B. die noch erforderlichen Informationen nicht erhält.439 Ist der Richter aller429 430 431
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Krehl JR 2001 491, 493. AK/Amelung 19. BGH NStZ 2006 114, 115; Brocke/Herb NStZ 2009 671, 674 (zu § 81a); Trück JZ 2010 1106, 1115; Hofmann NStZ 2003 230, 232. Dagegen: LG Berlin NStZ 2010 415 f. (zu § 81a), das aber wohl die nicht vergleichbaren Konstellationen der „nicht vorliegenden Ermittlungsakte“ und „unvollständigen Unterrichtung“ vermischt. Im Einzelfall fraglich bei: LG Dresden StraFo 2004 13 mit abl. Anm. Klemke StraFo 2004 13, 14. Ebenso: Kuhn StraFo 2004 94, 95. Krehl JR 2003 302, 303 (in den Fußnoten); SK/Wohlers 37.
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Vgl. Spaniol FS Eser 473, 486, allerdings in anderem Zusammenhang. Vgl. LG Dresden StraFo 2004 13 mit abl. Anm. Klemke StraFo 2004 13, 14. BVerfGE 103 142, 152 f. Harms DRiZ 2004 25, 29; Fickenscher/ Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475. BGH NStZ 2006 114, 115; LG Berlin NStZ 2010 415 (bezüglich § 81a äußerte der Richter, dass er nach dem Akteninhalt „auf Grund unzureichender Informationen keine Entscheidung treffen konnte“); SK/Wohlers 37. Krehl JR 2003 302, 303; Burhoff StraFo 2005 140, 143.
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dings ausreichend informiert, bzw. können ihm die erforderlichen Akten ohne weiteres vorgelegt werden, was wiederum durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen zu gewährleisten ist, und ist seine Entscheidung innerhalb der verbleibenden Zeit möglich, so muss er entscheiden. Dazu kann er sich zwar angemessen Zeit nehmen, er kann die Entscheidung aber nicht mit der Begründung ablehnen, er habe keine Schreibkraft, die ihm bei der Abfassung helfe.440 Deshalb darf der Bereitschaftsrichter den Bereitschaftsstaatsanwalt zu Beginn des richterlichen Bereitschaftsdienstes nicht pauschal auf dessen Eilkompetenz mit der Begründung verweisen, es mache wenig Sinn, nachts anzurufen, da er sich nicht in der Lage sähe, ohne Akten und Schreibkraft Durchsuchungsanordnungen zu erlassen.441 Das wäre die Karikatur eines richterlichen Bereitschaftsdienstes. Von dem Bereitschaftsrichter kann erwartet werden, dass er selbst schreibt, sei es auch handschriftlich.442 Er muss zudem nicht zwingend mit einem Laptop mit Internetzugang ausgestattet werden, um einen Durchsuchungsbeschluss erlassen zu können. Ihm kann die Akte zur Not nach Hause gebracht und der handschriftliche Durchsuchungsbeschluss wieder abgeholt werden. Die Verfolgungsbehörden sind in der Pflicht, alles Erforderliche zu tun, um die vollständige Unterrichtung des Richters zu erreichen. Ansonsten ist ihnen der Rückgriff auf ihre Eilkompetenz verwehrt. Der unwillige Richter handelt unstreitig pflicht- und verfassungswidrig.443 In der Lite- 94 ratur wird darüber gestritten, ob sich die Verfolgungsbehörden dennoch auf ihre Eilkompetenz berufen können. Für die Annahme von Gefahr im Verzug spricht zunächst mit der überwiegenden Meinung,444 dass ein Verwehren der Eilkompetenz in diesen Fällen, eine effektive Strafrechtspflege hemmen kann.445 Es könne nicht angehen, dass das richterliche Verhalten selbst bei schwersten Straftaten zu unwiederbringlichen Verlusten wesentlicher Beweismittel führt.446 Die Definition von Gefahr in Verzug stelle auf den objektiv möglichen Beweismittelverlust durch den Zeitlauf ab.447 Auf die Gründe, weshalb eine richterliche Entscheidung nicht rechtzeitig erlangt werden kann, käme es nicht an.448 Die Konstellation sei damit zu vergleichen, dass der Richter überhaupt nicht erreicht wird.449 Dem ist entgegen zu halten, dass die strikte Kompetenzverteilung des Gesetzes nicht in eine gewillkürte, manipulierbare bzw. dispositive verwandelt werden darf. Das gilt immer und unabhängig davon, von wem die Manipulation ausgeht.450 Dieser Schutz
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Burhoff StraFo 2005 140, 143. Vgl. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10. Krehl NStZ 2003 461, 462; Burhoff StraFo 2005 140, 143. Auch ist davon auszugehen, dass die meisten Richter zu Hause über einen Computer mit Internetzugang verfügen; Harms DRiZ 2004 25, 29. Hofmann NStZ 2003 230, 231; Beichel/ Kieninger NStZ 2003 10, 13; Burhoff StraFo 2005 140, 143; Schulz NStZ 2003 635; Mosbacher JuS 2009 124, 125 (bezüglich § 81a); Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475; HK/Gercke 53. Hofmann NStZ 2003 230, 232; Burhoff StraFo 2005 140, 143; Schulz NStZ 2003 635, 636; Meyer-Goßner 2. Wohl ebenso: HK/Gercke 52. Schulz NStZ 2003 635, 636. Schulz NStZ 2003 635, 636; Hofmann
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NStZ 2003 230, 232. Dagegen: Krehl NStZ 2003 461, 463. Hofmann NStZ 2003 230, 232; Burhoff StraFo 2005 140, 143; Schulz NStZ 2003 635, 636. Hofmann NStZ 2003 230, 232. Anders: Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 11; Krehl NStZ 2003 461, 463, nach denen die Entscheidungsunwilligkeit des Richters kein Zeitproblem darstelle und daher kein Fall von Gefahr im Verzug vorliege. Hofmann NStZ 2003 230, 232; Schulz NStZ 2003 635, 636. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 13; Krehl NStZ 2003 461, 463; Mosbacher JuS 2009 124, 125 (i.R.d. § 81a); Park 90. Gegen die Annahme von Gefahr im Verzug ebenfalls: Jahn NStZ 2007 255, 260; Spaniol FS Eser 473, 487.
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steht dem Grundrechtsträger gegen die Staatsgewalt zu. Der Staatsanwalt kann sich nicht darauf berufen, er sei für das Verhalten des Richters nicht verantwortlich gewesen.451 Verstoßen die Ermittlungsbehörden dagegen, greift ein Beweisverwertungsverbot, da es nicht dem Betroffenen anzulasten ist, wenn der Richter ihm seinen erhöhten Schutz verweigert.452 Ob in den unterschiedlichsten Fallgruppen auf die Eilkompetenz zurückgegriffen wer95 den kann, richtet sich somit immer nach der Verantwortung für den Fehler. Liegt er bei den Ermittlungsbehörden, weil sie den Richter z.B. nicht ausreichend oder rechtzeitig informieren, entfällt der Rückgriff auf die eigene Eilkompetenz wegen der rechtswidrigen Umgehung des Richtervorbehalts. Liegt der Fehler beim Richter (z.B. Unwilligkeit) kann sich die Staatsanwaltschaft mangels Zuständigkeit nicht auf die eigene Eilkompetenz berufen. Die Entscheidungsgewalt für die Durchsuchungsanordnung ist auf den Richter übertragen worden, der jetzt verantwortlich ist. Die Staatsanwaltschaft ist keine Kontrollinstanz für das Gericht.
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ee) Fehlender richterlicher Eildienst. Ob die Eilkompetenz in Anspruch genommen werden kann, d.h. Gefahr im Verzug noch angenommen werden kann, wenn ein nächtlicher Eil- oder Notdienst gar nicht existiert, ist umstritten (zur Erforderlichkeit der Einrichtung siehe Rn. 105). Eindeutig dürfte der Fall nur liegen, wenn rechtmäßig kein nächtlicher Eil- oder Notdienst eingerichtet wurde. Dann kann den Verfolgungsbehörden nicht die Möglichkeit genommen werden, Gefahr im Verzug anzunehmen, sofern dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen.453 Ansonsten gibt es eine regional stark differierende Rechtsprechung, die sich im Wesentlichen an der Erforderlichkeit eines richterlichen Eildienstes wegen Blutentnahmen nach § 81a StPO abarbeitet. Der 3. Strafsenat des OLG Hamm nimmt an, eine Wohnungsdurchsuchung sei rechts97 widrig, soweit die Einrichtung eines Eildienstes rechtswidrig unterbleibt. Allein das Organisationsverschulden durch die „fehlerhafte Missachtung des Richtervorbehalts durch die Justizverwaltungen“ reiche für ein Beweisverwertungsverbot der bei einer Wohnungsdurchsuchung erlangten Informationen aus.454 Der 3. Strafsenat kritisierte in seiner Entscheidung zunächst die Erhebung der maßgeblichen Zahlen durch das Justiz-
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Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 13. Zum Verlagern von Verantwortung auf die Richter, weiterführend: Schulte-Kellinghaus NJW 2004 477, 478. Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 13; Krehl NStZ 2003 461, 463; Spaniol FS Eser 473, 487. Dagegen: Mosbacher JuS 2009 124, 125 (zu § 81a). Vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2009 – 2 Ss OWi 1423/2009 (zu § 81a), dass die fehlende Errichtung des nächtlichen Bereitschaftsdienstes in Hof nicht in Frage stellt. Dass Gefahr in Verzug wegen der Nachtzeit nicht per se angenommen werden kann, sondern vielmehr die Gefahr eines Beweismittelverlustes vorliegen muss: LG Potsdam, Beschl. v. 3.3.2009 – 24 Qs 22/09 (zu § 81a); OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.3.2009 – 1 Ss 15/09 (zu § 81a);
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OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2010 – (1) 53 Ss 68/10 (34/10, 53 Ss 68/10) (zu § 81a). So: OLG Hamm (3. StS) NJW 2009 3109 f., zust. Anmerkungen von Brüning ZJS 2010 129 f. und Fromm NZV 2009 514; abl. Anm. von Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167 f. Seine Entscheidung nochmals bestätigend: OLG Hamm (3. StS), Beschl. v. 30.3.2010 – 3RVs 9/10 (zu § 81a). Ebenso: OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2010 – (1) 53 Ss 68/10 (34/10, 53 Ss 68/10) (zu § 81a). Offen lassend: BGH NStZ 2012 104, 105; BGH wistra 2010 231, 232. Ebenfalls zustimmend: Sachs/Kühne Art. 13, 35 GG; Heinrich NZV 2010 278, 279; Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473 f. (offen lassend in Bezug auf die Rechtsfolge des Beweisverwertungsverbotes).
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ministerium, sprach von einer „nicht eindeutigen“ Fragestellung und „nicht plausiblem Zahlenmaterial“, erhob sodann (stichpunktartig) eigene Zahlen (nicht zu nächtlichen Durchsuchungen)455 und kam abschließend zu dem Ergebnis, dass zumindest für die Jahre 2007 und 2008 – allein für die Einhaltung des Richtervorbehaltes bei § 81a – die Errichtung eines nächtlichen Eildienstes im LG-Bezirk Bielefeld erforderlich gewesen wäre.456 In nachfolgenden Entscheidungen übertrug er seine Rechtsprechung auf § 81a und konkretisierte seine Erhebungen mit Hilfe von Fallzahlen des neu eingerichteten nächtlichen Eildienstes im LG-Bezirk Bielefeld, die nun auch Wohnungsdurchsuchungen erfassten.457 Gegen die Übertragung der Rechtsprechung auf § 81a sprachen sich zuvor die rest- 98 lichen Senate unter Federführung des 4. Strafsenats des OLG Hamm sowie das OLG Köln aus. Entgegen Art. 13 Abs. 2 GG sei der Richtervorbehalt bei § 81a nur ein einfachgesetzlicher. Wegen der Eilbedürftigkeit könne es zur Nachtzeit ohnehin nur zu einem telefonischen Antrag und einer mündlichen Entscheidung kommen, wodurch eine Kontrolle nur sehr eingeschränkt stattfände. Der mit der Einrichtung einhergehende erhebliche personelle Aufwand stünde unter Beachtung der knappen Ressourcen der Justiz in keinem Verhältnis zum erreichten Erfolg hinsichtlich des Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen.458 Obgleich es in beiden von den Senaten zu entscheidenden Fällen nicht darauf ankam, da ein echter Fall von Gefahr im Verzug angenommen wurde, verneinte erstmals das OLG Köln für § 81a die Konsequenz eines Beweisverwertungsverbotes bei fehlender Einrichtung eines nächtlichen Eildienstes, da der Fall nicht der Willkür oder bewussten Umgehung des Richtervorbehaltes (schwerwiegender Fehler) gleichzustellen sei.459 Die Senate beider OLG verhielten sich aber weder dazu, ob die Errichtung eines Eildienstes in dem maßgeblichen Bezirk erforderlich war, noch dazu, ob die von ihnen vertretene Ansicht ebenfalls für die Wohnungsdurchsuchung gelte. Im Jahre 2011 äußerte dann das BVerfG, dass seine eigene Rechtsprechung zur Wohnungsdurchsuchung aus dem Jahre 2001 „nicht schematisch auf den einfachrechtlichen Richtervorbehalt des § 81a StPO übertragen werden“ könne, da dieser Vorbehalt „nicht als rechtstaatlicher Mindeststandard geboten“ sei.460 Ferner führt das Gericht aus: „Selbst wenn das Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes der Inanspruchnahme der Eilkompetenz entgegenstünde, folgte daraus von Verfassungs wegen kein Beweisverwertungsverbot. Die Strafgerichte können darauf verweisen, dass die handeln-
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Diese konnten mangels entsprechender Erhebung nicht erlangt werden. OLG Hamm (3. StS) NJW 2009 3110, 3112. Kritisch wiederum zu dieser Erhebung: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 168. Erstmalige Übertragung auf § 81a: OLG Hamm (3. StS) NStZ-RR 2010 148 (zu § 81a). Nochmals bestätigend unter Heranziehung neuer Zahlen: OLG Hamm (3. StS), Beschl. v. 30.3.2010 – 3RVs 9/10 (zu § 81a). Zustimmend: OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2010 – (1) 53 Ss 68/10 (34/10, 53 Ss 68/10) (zu § 81a). OLG Hamm (4. StS) StraFo 2009 509 (zu § 81a); OLG Köln StV 2010 622, 624 (zu § 81a); OLG Oldenburg, Besch. v. 15.4.2010 – 2 SsBs 59/10 (zu § 81a). Ebenso
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zur mangelnden Vergleichbarkeit von Art. 13 Abs. 2 GG und § 81a, jedoch nicht im Hinblick auf einen fehlenden nächtlichen Eildienst: OLG Jena, Beschl. v. 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 (zu § 81a); OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.3.2009 – 1 Ss 15/09 (zu § 81a). OLG Köln StV 2010 622, 624 (zu § 81a). Dem nachfolgend: OLG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2009 – 2 Ss OWi 1423/2009 (zu § 81a) mit abl. Anm. Heinrich NZV 2010 278 f.; OLG Oldenburg, Besch. v. 15.4.2010 – 2 SsBs 59/10 (zu § 81a). Offen lassend: OLG Hamm (4. StS) StraFo 2009 509 (zu § 81a). BVerfG, Beschl. v. 24.2.2011 – 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 (zu § 81a).
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den Polizeibeamten in einem solchen Fall den Richtervorbehalt nicht willkürlich oder zielgerichtet umgehen.“ Es bestätigte damit Teile der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des OLG Hamm und des OLG Köln. Zur konkreten Berechnung des praktischen Bedarfs eines nächtlichen Bereitschaftsdienstes äußerte sich das Gericht indessen ebensowenig, wie zu den hier aufgeworfenen Fragen bei der Wohnungsdurchsuchung. Für die Einbeziehung der Fallzahlen nächtlicher Blutentnahmen auch bei der Beurtei99 lung der Errichtung eines Eildienstes zur Wahrung des Art. 13 GG spricht, dass auch das Gesetz in Bezug auf die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters keine Differenzierung nach der Art der Maßnahme vornimmt. Er ist während der Dauer seines Dienstes für alle unaufschiebbaren Amtshandlungen zuständig.461 Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb nach verschiedenen Ermittlungsmaßnahmen oder unterschiedlichen Richtervorbehalten differenziert werden sollte.462 Wenn genug Fälle mit einem Richtervorbehalt unterfallenden Maßnahmen anfallen, stellt die Situation keinen Ausnahmefall mehr dar und ein praktischer Bedarf ist zu bejahen.463 Zwar hat das BVerfG die Bedarfsbestimmung in einer Entscheidung im Jahr 2003 lediglich am Fallaufkommen von Wohnungsdurchsuchungen festgemacht.464 Dies ist aber wohl darauf zurückzuführen, dass die Einhaltung des Richtervorbehaltes zu dieser Zeit in erster Linie bei Wohnungsdurchsuchungen maßgeblich und fast ausschließlich im Fokus der Rechtsprechung stand.465 Erst wenn sich die viel diskutierte Abschaffung des Richtervorbehaltes in § 81a durchsetzt, dürften die maßgeblichen Fallzahlen bei der Prüfung des praktischen Bedarfs merklich sinken.466 Es ist allerdings zuzugestehen, dass die konkrete eigene Erhebung des 3. Strafsenats 100 des OLG Hamm in der Literatur zu Recht kritisiert wird, da die herangezogenen Zahlen des Senates u.a. Fälle enthielten, in denen der Betroffene in den Eingriff eingewilligt hatte und eine richterliche Anordnung mithin entbehrlich war.467 Wünschenswert wäre eine empirische Studie über die tatsächlichen Fallzahlen nächtlicher Eingriffe. Diese müsste nach Gerichtsbezirken geordnet sein und idealiter die verschiedenen Ermittlungsmaßnahmen unterscheiden. Dann kann bei der Entscheidung über die Einrichtung eines Eildienstes auf verlässliches Zahlenmaterial zurückgegriffen werden (zur Frage, wer für die Errichtung des Eildienstes zuständig ist, vgl. Rn. 105).468 Gegen das Argument des 4. Strafsenats des OLG Hamm, zur Nachtzeit käme es 101 ohnehin nur zu einer eingeschränkten Kontrolle in Form einer nur mündlichen Sachverhaltsdarstellung und mündlichen Anordnung, sprechen die bereits mehrfach vorgetragenen Erwägungen zu den zwingenden Erfordernissen einer vollständigen Aktenvorlage und schriftlichen Anordnung (Rn. 41 ff.).469 Die Rechtsprechung des BVerfG
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OLG Hamm (3. StS) NJW 2009 3109, 3111. Radtke/Hohmann/Ladiges 16 m.w.N. OLG Hamm (3. StS), Beschl. v. 30.3.2010 – 3RVs 9/10 (zu § 81a); OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2010 – (1) 53 Ss 68/10 (34/10, 53 Ss 68/10) (zu § 81a). Ähnlich: Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473 f. Anders: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 168. BVerfG NJW 2004 1442 („Kommt es dagegen, wie im Land Brandenburg, nur ganz vereinzelt zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen …“). Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473.
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Ebenso: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 169 m.w.N. Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 168. Der Hinweis des Senates darauf, dass die Einwilligung auch jederzeit widerrufen werden könnte, überzeugt nicht; vgl. OLG Hamm (3. StS) NJW 2009 3109, 3111. Ähnlich: Sachs/Kühne Art. 13, 35 GG, der sogar eine „Verpflichtung“ fordert, zur „turnusmäßigen Veröffentlichung einer bislang fehlenden statistischen Offizialübersicht“. Bereits im Jahre 2001 ebenso: Bittmann wistra 2001 451, 455. Ähnlich: Spaniol FS Eser 473, 477.
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gebietet es, dass der Richter entweder die nötige technische Ausstattung erhält, die Akte in elektronischer Form zu erhalten und sodann einen elektronischen Beschluss zu erlassen, oder er die Akte aber zumindest in körperlicher Form erhält, um sodann handschriftlich entscheiden zu können. Weder dieser Aspekt noch ein sonstiger mit der Errichtung einhergehender personeller Mehraufwand kann für die Beachtung des Gesetzes maßgeblich sein.470 Fehlt ein Eildienst rechtswidrig, stellt sich die Frage, ob die gewonnenen Erkenntnisse 102 einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Das BVerfG lässt zunächst die Vorfrage, ob die Eilkompetenz dann überhaupt noch in Anspruch genommen werden kann, offen. Jedenfalls resultiere daraus kein Beweisverwertungsverbot.471 Dass der in § 81a enthaltene Richtervorbehalt nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zu zählen sei – was auf den fehlenden grundgesetzlichen Richtervorbehalt bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit gestützt wird (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG)472 – führt dazu, in der rechtswidrig unterlassenen Einrichtung eines Eildienstes keinen schwerwiegenden Fehler anzuerkennen.473 Dagegen ließe sich anführen, dass das BVerfG in einer anderen Entscheidung Anforderungen an den Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG weitreichend auf § 81a übertragen hat.474 Für die Annahme eines Verwertungsverbotes spricht, dass die sowohl in der Verfassung als auch der StPO vorgesehenen Richtervorbehalte von ihrem Wortlaut und Zweck her die Erreichbarkeit des Richters voraussetzen („nur durch den Richter … angeordnet werden“). Es darf nicht zu Lasten des Betroffenen in Form der Versagung des vorbeugenden Rechtschutzes durch eine unabhängige Instanz gehen, wenn die Verfolgungsbehörden die Maßnahme ausgerechnet zu einer Zeit vornehmen wollen, zu der kein Richter erreichbar ist.475 c) Gerichtsorganisatorische Maßnahmen. Nach dem BVerfG verpflichtet „Art. 13 103 GG … alle staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt praktisch wirksam wird. Defiziten müssen sowohl die Gerichte – die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Bestellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) – als auch die Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken. Zudem sind die für die Organisation der Gerichte
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Ebenso: OLG Hamm (3. StS) NStZ-RR 2010 148, der insoweit auf die Rechtsprechung des BVerfGs zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung verweist; Park StraFo 2001 159, 161. BVerfG, Beschl. v. 24.2.2011 – 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 (zu § 81a). Zuvor ebenso: OLG Köln StV 2010 622, 624 (zu § 81a); Brocke/Herb NStZ 2009 671, 676 (zu § 81a). Gegen ein Verwertungsverbot bei fehlender Errichtung eines Bereitschaftsdienstes jedenfalls zur Tagzeit an Feiertagen: BGH NStZ-RR 2007 242, 243 (zu § 105). Zu § 105 ebenso: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 168 f. Offen lassend: BGH NStZ 2012 104, 105; BGH wistra 2010 231, 232 (beide Entscheidungen zu § 105; zur Nachtzeit). BVerfG NJW 2008 3053, 3054.
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BVerfG, Beschl. v. 24.2.2011 – 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 (zu § 81a). Vgl. BVerfG NJW 2007 1345 f., wo das Gericht zwar davon spricht, dass es an dieser Stelle keiner Entscheidung bedürfe, ob die Maßstäbe in vollem Umfang übertragbar seien, dann aber dennoch zahlreiche zu § 105 entwickelten Maßstäbe anwendet (Zweck des Vorbehaltes, Erforderlichkeit eines Versuchs der Kontaktierung, Begründung- und Dokumentationspflichten, Prüfungsmaßstab bei nachträglicher gerichtlicher Überprüfung). Zur Vergleichbarkeit von Blutentnahme und Wohnungsdurchsuchung ferner: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167, 168; Brocke/Herb NStZ 2009 671 f. m.w.N (zu § 81a). Ähnlich: Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167; ders. GA 2002 637, 655 f.
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und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes aus Art. 13 GG gehalten, die Voraussetzungen für eine tatsächlich effektive präventive richterliche Kontrolle zu schaffen.“476 Konkret muss der Ermittlungsrichter die „notwendige Zeit für die Prüfung des 104 Durchsuchungsantrags“ und „das erforderliche Fachwissen“ haben, was „nur bei einer entsprechenden Geschäftsverteilung, ausreichender personeller und sächlicher Ausstattung seines Gerichts, durch Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten“ gewährleistet werden kann.477 Das BVerfG spricht damit verschiedene Aspekte an: Das Vorhandensein ausreichender „Zeit“ ist Bestandteil der personellen Ausstattung und zunächst Sache des Präsidiums, da dieses nach § 21e GVG die Geschäftsverteilung bestimmt.478 Um den Richtern den nötigen breiten Erfahrungshorizont zu verschaffen, erscheint eine Verteilung der ermittlungsrichterlichen auf alle mit Strafsachen befassten Richter nicht unbedingt geeignet. Sofern es die Organisation und Größe des Gerichts zulassen, sollte das ermittlungsrichterliche Tätigwerden einer bestimmten Abteilung zugewiesen werden. Die „Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten“ ebenso wie die „personelle und sächliche Ausstattung seines (des Ermittlungsrichters) Gerichts“ unterfällt dagegen der Gerichtsverwaltung, dessen Zuständigkeit in erster Linie dem Haushaltsgesetzgeber (sächliche Ausstattung) obliegt und z.T. dem OLG-Präsidenten übertragen wird (personelle Ausstattung des Gerichts).479 Ebenfalls müssen die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen getroffen werden, 105 die die „jederzeitige“ Erreichbarkeit des Richters gewährleisten. Die Gerichte bzw. Justizverwaltungen müssen Eil- oder Notdienste einrichten.480 Nach § 21e GVG obliegt die Einrichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes den Präsidien.481 Über eine Konzentration des Bereitschaftsdienstes können nach § 22c GVG jedoch auch die Landesregierungen mitentscheiden.482 Zur Errichtung des Eildienstes gehört zunächst die uneingeschränkte Erreichbarkeit bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten (vgl. § 104 476 477
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BVerfGE 103 142, 152. BVerfGE 103 142, 152 f.; BVerfG StV 2006 676. Kritisch zur Umsetzung der Vorgaben: Spaniol FS Eser 473, 476. Vgl. Kissel/Mayer GVG § 21e 6. Vgl. Kissel/Mayer GVG § 12, 86 f. BVerfGE 103 142, 156; BVerfG NJW 2004 1442; BVerfG NJW 2007 1443, 1444; BGH StV 2007 337, 339; BGH NStZ-RR 2007 242 f. Vgl. dazu: Kissel/Mayer GVG § 21e, 136. Auf die oben genannte Entscheidung des BVerfGs aus dem Jahre 2003 wurden im Hinblick auf die zu erwartende vermehrte Inanspruchnahme des Eildienstes die Möglichkeiten der Errichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes erheblich erweitert. Mit § 22c Abs. 1 S. 1 GVG wurde die Möglichkeit einer Bereitschaftsdienstkonzentration mittels Rechtsverordnung der Landesregierungen eingefügt, indem entweder ein AG bestimmt wird, das für mehrere AGs im Bezirk des LG den Bereitschaftsdienst übernimmt (sog. „Konzentrationslösung“;
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2. Alt.) oder für mehrere AGs innerhalb eines LG-Bezirkes ein gemeinsamer Bereitschaftsdienstplan aufgestellt wird (sog. „Pool-Lösung“; 1. Alt.). Beide Alternativen verfolgen den Zweck, einer ungleichmäßigen Belastung der Amtsrichter (insb. bei kleineren AGs) entgegenzuwirken. Von beiden Möglichkeiten haben zahlreiche Länder durch Erlass einer entsprechenden BereitschaftsdienstVO Gebrauch gemacht (vgl. z.B. die Verordnung über die Zusammenfassung von Geschäften des Bereitschaftsdienstes bei den Amtsgerichten des Landes NRW vom 23.9.2003; zu weiteren Verordnungen: LR/Siolek § 22c 3). Auch besteht nach Abs. 1 S. 2 die Möglichkeit, mittels der Verordnung Richter des LG in den Bereitschaftsdienst mit einzubeziehen. Vgl. zu all dem: KK/Hannich § 22c 1 f.; LR/Siolek § 22c 1 f.; Kissel/Mayer GVG § 22c 1 f. Zum zunehmenden Konflikt zwischen Präsidien und Justizverwaltungen: SchulteKellinghaus NJW 2004 477, 479.
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Abs. 3),483 d.h. auch an Wochenenden und Feiertagen.484 Deren Errichtung zur Nachtzeit (nach § 104 Abs. 3 in der Zeit vom 1.4. bis 30.9. die Zeit zwischen 21 und 4 Uhr sowie in der Zeit vom 1.10. bis 31.3. die Zeit zwischen 21 und 6 Uhr) ist aber nur erforderlich, sofern hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht.485 Zur Bestimmung des praktischen Bedarfs ist das Kriterium des nächtlichen Fallaufkommens maßgeblich,486 deren Berechnung im Einzelnen unklar ist (dazu siehe oben Rn. 97 ff.). Der Bereitschaftsrichter muss sich während des Eildienstes nicht im Gerichtsgebäude 106 befinden und dort auf den Eingang eilbedürftiger Angelegenheiten warten.487 Er muss mit Hilfe der Justizverwaltungen lediglich sicherstellen, dass er zur Entscheidung über entsprechende Anträge erreichbar ist und in angemessener Zeit darüber entscheiden kann (flexible Sachbehandlung).488 Ihm sind die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner Aufgaben zur Verfügung zu stellen.489 Wie er das im Einzelnen gewährleistet, kann der Richter mitbestimmen.490 Insbesondere kann ihm die Nutzung moderner Kommunikationsmöglichkeiten die Wahrnehmung seiner Aufgaben erleichtern.491
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BVerfG StraFo 2006 368; BVerfG StV 2006 676 (zur Rechtswidrigkeit der fehlenden Errichtung eines Eildienstes in München an einem Montag); BVerfG NJW 2004 1442. Anders: Bittmann wistra 2001 451, 453 (Eildienst „während der üblichen Dienstzeiten“). BGH NStZ-RR 2007 242, 243 (zur Rechtswidrigkeit der fehlenden Errichtung eines Eildienstes in Augsburg zur Tagzeit an einem Feiertag); LG Hamburg StV 2009 485; Bittmann wistra 2001 451, 455. Grundlegend: BVerfG NJW 2004 1442 (hier wurde der praktische Bedarf im Zusammenhang mit Durchsuchungsanordnungen für das „Land Brandenburg“ verneint). Ferner: BVerfG NJW 2005 1637, 1638; BVerfG StV 2006 676; OLG Hamm (3. StS) NJW 2009 3109, 3110 f. (kritisch zur (ehemals) fehlenden Errichtung eines nächtlichen Eildienstes im LG-Bezirk Bielefeld); mit zust. Anm. Brüning ZJS 2010 129 f.; zust. Anm. Fromm NZV 2009 514; abl. Anm. von Rabe von Kühlewein NStZ 2010 167 f. Nach erfolgter Errichtung: OLG Hamm (3. StS), Beschl. v. 30.3.2010 – 3RVs 9/10 (zu § 81a). Anders zur Errichtung im OLG-Bezirk Hamm: OLG Hamm (4. StS) StraFo 2009 509 (zu § 81a). Ferner: OLG Köln StV 2010 622, 624 (zu § 81a); OLG Oldenburg, Besch. v. 15.4.2010 – 2 SsBs 59/10 (zu § 81a); OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2010 – (1) 53 Ss 68/10 (34/10, 53 Ss
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68/10) (zu § 81a); OLG Celle NZV 2010 362 f.; LG Potsdam, Beschl. v. 3.3.2009 – 24 Qs 22/09 (zu § 81a); LG Limburg NStZ-RR 2009 80, 81 (zu § 81a; zur Rechtmäßigkeit der fehlenden Errichtung eines Eildienstes beim AG Limburg). In der Literatur (Bestätigung der Grundsätze): Burhoff StraFo 2005 140, 142; Schulte-Kellinghaus NJW 2004 477 f.; Gusy NStZ 2010 353, 356; Spaniol FS Eser 473, 477 f.; LR/Siolek § 22c 4; Kissel/Mayer GVG § 21e 136; HK/Gercke 54 („jedenfalls in größeren Städten“). Zu eng (im ganzen Bundesgebiet „an jedem Tag rund um die Uhr“: LG Berlin, Beschl. v. 23.4.2008 – 528 Qs 42/08; Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473; Einmahl NJW 2001 1393, 1394; Rabe von Kühlewein GA 2002 637, 655 f.; Sendler NJW 2001 1256, 1257; Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 15.4.2009, Pkt. II., 3., b). Vgl. BVerfG 2004 1442; Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473. LG Hamburg StV 2009 485, 486; Krehl NStZ 2003 461, 462; Fickenscher/Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475. Krehl NStZ 2003 461, 462; Fickenscher/ Dingelstadt NJW 2009 3473, 3475. BVerfG StV 2006 676. Ähnlich: Krehl NStZ 2003 461, 462. Krehl NStZ 2003 461, 462.
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d) Prüfungsmaßstab. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen.492 Art. 13 Abs. 1 und 2 GG erlauben hierzu keine Ausnahme. Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle.493 Den Behörden kommt insoweit weder Beurteilungsspielraum noch Ermessen zu, wenn sie das Vorliegen der Eilkompetenz prüfen.494 Daran vermag die Tatsache, dass es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit prognostischen Elementen handelt, nichts zu ändern.495 Jeder Spielraum würde den Behörden eine Letztentscheidungsbefugnis über ihre eigene sowie die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters einräumen, die aber in Art. 13 Abs. 2 nicht angelegt ist.496 Auch bestünde die Missbrauchsgefahr, sich der präventiven richterlichen Kontrolle zu entziehen und damit den Zweck des Richtervorbehalts zu vereiteln.497 Dennoch müssen die Gerichte bei einer nachfolgenden Rechtsmäßigkeitsprüfung auch 108 aus der ex ante Perspektive der besonderen Anordnungssituation der handelnden polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Beamten Rechnung tragen, d.h. sich die Schwierigkeiten der Situation zu vergegenwärtigen und als Ausgangspunkt bei der Überprüfung zu Grunde legen.498 Die bei der Entscheidung herrschenden faktischen Bedingungen bzw. das konkrete Handlungsumfeld der entscheidenden Beamten sind maßgeblich und ggf. nachträglich aufzuklären. Der Richter hat z.B. zu beachten, wie groß der Beurteilungs-
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BVerfGE 103 142, 156; Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann Art. 19 Abs. 4, 183 f. GG. BVerfGE 103 142, 157; BVerfG StV 2002 348 f.; BVerfG NJW 2003 2303, 2304; BVerfG StV 2003 205, 206; BVerfG StV 2004 633 f.; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg StV 2003 207, 208; AG Kiel StV 2002 536, 537; AG Braunschweig StV 2001 393, 394; KK/Nack § 98, 14; SK/Wohlers 39 f.; Meyer-Goßner 16; Park StraFo 2001 159, 160; Park 93 f.; Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 194; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063, 1066 f.; Maunz/Dürig/Papier Art. 13, 46 GG; Sachs/Kühne GG Art. 13, 35; BK/Herdegen Art. 13, 62 GG; Spaniol FS Eser 473, 482; HK/Gercke 55; SK/Wohlers 39; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig Art. 13, 71 GG. Bereits zuvor: AK/Amelung 6; Baumann JZ 1962 611, 612; Nelles Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen, 99 f., 121. Anders die vor dem BVerfG-Urteil herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung: RGSt 23 334; BGH JZ 1962 609, 610; OLG Köln NJW 1986 667; OLG Stuttgart NJW 1969 760, 761; KG Berlin JR 1972 297, 300 mit zust. Anm. Peters 300, 301; OLG Düsseldorf VRS 41 (1971) 429, 430; LG Osnabrück StV 1991 152, 153; CiolekKrepold 58. BVerfGE 103 142, 157; BVerfG StV 2004
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633 f.; BVerfG NJW 2003 2303, 2304; BVerfG StV 2003 205, 206; BVerfG StV 2002 348, 349; Einmahl NJW 2001 1393, 1396 (in den Fussnoten); Spaniol FS Eser 473, 482; Rabe von Kühlewein StraFo 2001 193, 194; HK/Gercke 55; Meyer-Goßner § 98, 7 (kein Beurteilungsspielraum); SK/Wohlers 39 (kein Ermessensspielraum). Ebenso wohl: Beichel/Kieninger NStZ 2003 10, 11. BVerfGE 103 142, 157; Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann Art. 19 Abs. 4, 198 GG. BVerfGE 103 142, 158 mit weiteren Argumenten. Weitere Argumente auch bei: Park StraFo 2001 159, 160. Amelung NStZ 2001 337, 339. BVerfGE 103 142, 158 f.; AG Kiel StV 2002 536, 537; Amelung NStZ 2001 337, 339; KK/Nack § 98, 14; Spaniol FS Eser 473, 482 f.; Ostendorf/Brüning, JuS 2001 1063, 1066 f.; HK/Gercke 56; SK/Wohlers 40; Krehl JR 2001 491, 493, wohl bejahend aber auch insofern kritisch betrachtend, als dieses Vorgehen wiederum ein Einfallstor für die Verfolgungsbehörden sein könnte, die begründete Kontrolldichte zu Gunsten einer effektiven Strafverfolgung erneut abzuschwächen. Ähnlich bereits vor dem BVerfG-Urteil: OLG Düsseldorf VRS 41 (1971) 429, 430.
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und Handlungsdruck der Beamten war und ob ausreichend Zeit für Rücksprachen mit Kollegen und Vorgesetzten sowie zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bestand (zeitlicher Rahmen).499 Auch muss er die situationsbedingten Erkenntnisgrenzen wie z.B. unvollständige oder vorläufige Informationen berücksichtigen. Er darf seine nachträgliche Einschätzung ohne zeitlichen Druck und in Kenntnis der weiteren Entwicklung nicht ohne Weiteres mit der Ausgangssituation gleichsetzen.500 Der Richter hat die Feststellung von Gefahr im Verzug aufgrund der Anordnungs- 109 situation nachzuvollziehen.501 Es gilt der Freibeweis.502 Die Ausgangsentscheidung kann als zutreffend erachtet werden, wenn sie auf einschlägigen Tatsachen beruht und nach der Sachlage, wie sie sich den handelnden Beamten darstellte, nachvollziehbar bzw. plausibel ist.503 Es dürfen keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sein, dass die Annahme von Gefahr im Verzug mit der Einschätzung eines sachkundigen und pflichtgemäß handelnden Beamten nicht zu vereinbaren ist (besonnener Ermittler beurteilt die Entscheidung als nicht verständig).504 Hierunter fallen die früheren Ermessensfehler, wenn sich die Beamten z.B. über das Vorliegen von Gefahr im Verzug gar keine Gedanken machen oder sich ersichtlich von sachfremden Erwägungen leiten lassen.505
IV. Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung 1. Zuständigkeit. Der richterliche Durchsuchungsbeschluss ist wie alle Entscheidun- 110 gen, die der Vollstreckung bedürfen, nach § 36 Abs. 2 Satz 1 der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlasst. Sie durchsucht selbst oder beauftragt ihre Ermittlungspersonen (auch die Steuer- und Zollfahndung; vgl. Rn. 30). An den Auftrag („Ob“) sind sie gebunden und haben ihn zu vollziehen (vgl. § 152 Abs. 1 GVG; für die Polizei ebenso § 161 Abs. 1 Satz 2), nur die Art und Weise der Durchführung („Wie“) organisieren sie eigenständig (zum Ausnahmefall, dass Modalitäten des Vollzugs bereits im richterlichen Beschluss geregelt sind, siehe Rn. 74). Die Durchsuchung ist in einem Zug durchzuführen und nur ausnahmsweise zu unterbrechen und am nächsten Tag fortzuführen.506 Zeitliche Verzögerungen durch evidente Belange der Polizei (z.B. um den Einsatz aus gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten ausreichend vorbereiten zu können oder aus sonstigen polizeitaktischen Erwägungen) sind hinzunehmen.507 Denn polizeitaktisch Unvertretbares wird von der Polizei nicht verlangt werden können.508 Sind die Behörden über die Art und Weise der Durchführung einer rechtmäßigen Durchsuchung verschiedener Meinung, hat die Polizei die Pflicht, ihre Erwägungen und Bedenken – auch gegenüber der bereits ergangenen Anordnung – der Staatsanwaltschaft vorzutragen, um eine einvernehmliche Entscheidung herbeizuführen.509 Die Letztentscheidungsbefugnis obliegt der Staatsanwaltschaft, die dann nicht durch Untätigkeit der
499 500 501 502
503
BVerfGE 103 142, 159; AG Kiel StV 2002 536, 537; Spaniol FS Eser 473, 482 f. BVerfGE 103 142, 159. BVerfGE 103 142, 159. BVerfG StV 2003 205, 207; BVerfG NJW 2003 2303, 2305; Trück JZ 2010 1106, 1117. BVerfGE 103 142, 159; SK/Wohlers 40; KK/Nack § 98, 14.
504 505 506 507 508 509
BVerfGE 103 142, 159; Amelung NStZ 2001 337, 340. Vgl. SK/Wohlers 40. AnwK/Löffelmann 9; Meyer-Goßner 9. Benfer NJW 1981 1245; Schultz/Leppin JURA 1981 523, 533; KK/Nack 8. KK/Nack 8. Schultz/Leppin JURA 1981 523.
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Polizei unterlaufen werden darf.510 Die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen vollstrecken auch ihre eigenen Durchsuchungsanordnungen, wenn sie nach ihrer Eilkompetenz handeln.511 Im Ermittlungsverfahren entscheidet die Staatsanwaltschaft eigenständig, ob sie 111 durchsucht. Der richterlichen Anordnung kommt nicht der Charakter eines Befehls zu, sondern der einer Erlaubnis.512 Der Staatsanwaltschaft ist es als Herrin des Verfahrens unbenommen, aus ermittlungstaktischen Überlegungen keinen Gebrauch von der erwirkten Anordnung zu machen.513 Die Gründe dafür müssen nicht in den Akten dargelegt werde, weil sie ohnehin keine Rolle spielen.514 Die Staatsanwaltschaft entscheidet selbst, wie sie ermittelt. Der Richter hat daneben kein eigenständiges Durchführungsrecht.515 Aus § 105 Abs. 2 Satz 1 ergibt sich lediglich ein Anwesenheitsrecht, das sich auf die Überwachung der Rechtmäßig-, insbesondere Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beschränkt.516 Im Zwischen-, Haupt- und Rechtsmittelverfahren ist die Anordnung des erkennenden 112 Gerichts für die Staatsanwaltschaft aufgrund des Übergangs der Verfahrensherrschaft bindend.517 Dem Gericht steht dennoch kein eigenständiges Durchführungsrecht zu.518 Sofern der Richter bei der Durchsuchung anwesend ist (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 1) darf er nun neben der Überwachung der Maßnahme den Durchsuchungsbeschluss von Amts wegen auch erweitern (zum Antragserfordernis, Rn. 29).519 Lediglich in der Hauptverhandlung vollstreckt das Gericht mit Hilfe der Polizei oder der Wachtmeister selbst (z.B. bei der Durchsuchung von Zeugen).520 2. Wirksame Durchsuchungsanordnung
113
a) Änderung von Umständen durch Zeitablauf. Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist nicht unbegrenzt vollstreckbar. Die Staatsanwaltschaft darf sie nur vollziehen, solange sich die für den Erlass der Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht wesentlich geändert haben. Andernfalls wäre der gerichtlichen Entscheidung die tatsächliche Grundlage entzogen. Das gilt insbesondere, wenn kein Tatverdacht mehr besteht oder die Durchsuchung wegen anderweitig erlangter Erkenntnisse nicht mehr erforderlich oder verhältnismäßig wäre. Ein Durchsuchungsbeschluss verliert durch Zeitablauf seine rechtfertigende Kraft, weil sich die Entscheidungsgrundlage im Laufe der Zeit vom Entscheidungsinhalt der Durchsuchungsanordnung entfernt:521 Eine einmal erteilte
510
511 512 513 514 515
516 517
KK/Nack 8, § 102, 13; Schultz/Leppin JURA 1981 532 f. (auch grundlegend zum Verhältnis Staatsanwaltschaft/Polizei). Vgl. AK/Amelung 27. Cassardt NJW 1996 554, 555; Benfer NJW 1981 1245, 1246. Benfer NJW 1981 1245, 1247. Benfer NJW 1981 1245, 1247. Anders wohl: KK/Nack 8. SK/Wohlers 43; AK/Amelung 27; HK/Gercke 63; a.A. Meyer-Goßner 8; KK/Nack 7. AK/Amelung 27. Benfer NJW 1981 1245, 1246; HK/Gercke 65; AK/Amelung 18; KK/Nack 8.
714
518 519 520
521
AK/Amelung 27; a.A. Meyer-Goßner 8; KK/Nack 7; SK/Wohlers 44. AK/Amelung 27. Der Fall ist mithin von dem zu unterscheiden, dass das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung ein Beweismittel für entscheidungserheblich befindet und im Anschluss an den Hauptverhandlungstag sodann eine Durchsuchungsanordnung erlässt, die es der Staatsanwaltschaft nach § 36 Abs. 2 S. 1 zur Vollstreckung übergibt. Hierzu: Benfer NJW 1981 1245, 1246. BVerfGE 96 44; m. Anm. Roxin StV 1997 654; Dauster StraFo 1998 408; Cirener JR 1997 389, 390.
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Durchsuchungsanordnung ist keine Blankettermächtigung für alle Zukunft. Wann eine Anordnung ihre Gültigkeit verliert, hängt vom Einzelfall ab. Maßgebliche Kriterien sind vor allem der Grad des Tatverdachtes, die Schwierigkeit der Ermittlungen, sowie die Anzahl der Beschuldigten und der Beweismittel, aber auch die dauerhafte Belastbarkeit der tatsächlichen Grundlagen. Vor allem Sachverhaltsänderungen berühren die Wirksamkeit einer Durchsuchungsanordnung.522 Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist zu unterstellen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes sichert.523 Diese vom BVerfG bestimmte Frist erscheint zwar willkürlich,524 dient aber der Rechtssicherheit. Sie ist als Ausschlussfrist zu verstehen.525 Tendenzen, die Anordnungen nach Ablauf eines halben Jahres noch ausnahmsweise als gültig akzeptieren,526 sind abzulehnen.527 Dennoch liefert der Zeitablauf eines halben Jahres lediglich ein Indiz für die Veränderung der äußeren Umstände. Die Anordnung kann weit vor Ablauf eines halben Jahres ihre Wirksamkeit verlieren.528 Darüber hinaus verbleibt dem anordnenden Richter die Möglichkeit den Durchsuchungsbeschluss zu befristen, wenn er eine kurzfristige Änderung der Ermittlungslage erwartet. Sofern die Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf unwirksam geworden ist, steht dies einer erneuten Prüfung und Anordnung nicht entgegen.529 Unklar ist, wie die Frist zu berechnen ist, da das Gesetz eine Halbjahresfrist nicht 114 kennt. Soll der Beschluss nach 182,5 Tagen530 oder bei Schaltjahren nach 183 Tagen unwirksam werden? Praktikabel und sinnhaft erscheint es, eine Frist von sechs Monaten zugrunde zu legen.531 Dann kann § 43 entsprechend angewendet werden und es besteht die notwendige Rechtssicherheit. Die Durchsuchung muss innerhalb dieser Frist tatsächlich abgeschlossen sein.532 Der bloß rechtzeitige Beginn oder gar nur interne Anweisungen, eine Durchsuchung zu beginnen,533 genügen nicht. Eine der Rechtssicherheit dienende absolute zeitliche Grenze kann sonst künstlich verlängert werden. Die Strafverfolgungsbehörden sind kompetent genug, Durchsuchungen so zu planen, dass sie rechtzeitig beendet sind. Sonst ist es Ihnen unbenommen, die Anordnung durch den Richter erneut bestätigen zu lassen und sich so ihrer Ermächtigungsgrundlage zu versichern. Ist die Halbjahresfrist verstrichen, kann die Durchsuchung dem ursprünglichen Be- 115 schluss entsprechend ohne weiteres durchgeführt werden, wenn der Richter die Fortgeltung seines Beschlusses auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestätigt hat.534 Voraus-
522
523
524 525
So schon LG Osnabrück NStZ 1987 522; Cassardt NJW 1996 554; Krekeler NStZ 1993 266; Streck StV 1984 348; KK/Nack § 105, 5; AK/Amelung § 98, 18; MeyerGoßner 8a. BVerfGE 96 44; Pfeiffer 5; Streck StV 1984 348, 350 tritt für eine deutlich kürzere Frist von vier Wochen ein; krit. Kronisch NStZ 1987 522, der eine Vermutungswirkung gänzlich ablehnt und nur auf die veränderte Tatsachenlage abstellt. Cirener JR 1997 389, 391, Roxin StV 1997 654. So aber LG Neuruppin NStZ 1997 563.
526 527 528 529 530 531 532 533 534
BVerfG StraFo 2005 377; LG Zweibrücken NJW 2003 156; Meyer-Goßner 8a. Radtke/Hohmann/Ladiges 26. Nur zwei Tage vor Ablauf eines halben Jahres: LG Braunschweig StraFo 2007 288. LG Aachen StRR 2008 467 So LG Zweibrücken NJW 2003 156 mit Kritik am BVerfG. Cassardt NJW 1996 554. Hoffmann/Wißmann NStZ 1998 443. So auch LG Berlin StV 1999 520; SK/Wohlers 48; HK/Gercke 68. BVerfG BeckRS 2003 24633.
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setzung dieser – zu begründenden – richterlichen Entscheidung ist nur, dass der Richter sich davon überzeugt hat, dass Beweislage, aber auch die übrigen Voraussetzungen der früheren Anordnung fortbestehen.535
116
b) Verbrauch der Durchsuchungsanordnung. Eine Durchsuchungsanordnung berechtigt zu einer einmaligen, einheitlichen Durchsuchung. Sie kann nicht für weitere Versuche genutzt werden, wenn sie „verbraucht“ ist. Ob die Durchsuchung zwangsweise stattgefunden hat oder der Betroffene in die Maßnahme eingewilligt hatte, ist gleichgültig.536 Für eine erneute Durchsuchung ist in jedem Fall eine erneute Anordnung erforderlich. Die richterliche Entscheidung über die Durchsuchung betrifft eine bestimmte Verfahrenssituation, die nicht beliebig in die Zukunft übertragbar ist.537 Erst recht bedarf es bei Fortsetzung nach Unterbrechungen einer Durchsuchung eines richterlichen Beschlusses, wenn die ursprüngliche Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug auf einer nichtrichterlichen Anordnung beruhte.538 Unzulässig ist es, für einen bestimmten Zeitraum von vornherein unbestimmt viele Durchsuchungen anzuordnen.539
117
3. Die Anordnung als Grenze der Durchsuchung. Das gezielte Suchen nach Beweismitteln, die nicht Gegenstand der Durchsuchungsanordnung sind, ist unzulässig.540 Wurden bestimmte Gegenstände im Durchsuchungsbeschluss ausgeklammert, dann darf diese richterliche Beschränkung nicht umgangen werden, indem man sich auf § 108 beruft.541 Zu der Frage, wann eine Durchsuchung beendet und dann ggf. eine neue Anordnung erforderlich ist, vgl. Rn. 129.
V. Durchsuchungszeugen (Absatz 2) 118
1. Allgemeines. Werden Wohnungen, Geschäftsräume oder ein befriedetes Besitztum (einschließlich der in § 104 Abs. 2 genannten Räume) nicht im Beisein des Richters (der die Maßnahme gestattet oder angeordnet hat) oder des Staatsanwalts durchsucht, sind „wenn möglich“ Durchsuchungszeugen spätestens mit dem Beginn der Durchsuchung542 beizuziehen. Das Gleiche gilt bei fehlender Präsenz des zuständigen Amtsanwaltes oder der Vertreter der zuständigen Finanzbehörde nach § 399 Abs. 1 AO.543 Die Anwesenheit von Zeugen soll einem rechtswidrigen Verhalten der Ermittlungsbeamten vorbeugen.544 Sie ermöglicht es darüber hinaus nicht nur dem Betroffenen,545 sondern auch dem Staat,546 das Verhalten der Ermittlungsbeamten im konkreten Fall zu beweisen. Früher wurde daneben ein Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen Durchsuchung
535 536 537
538 539 540
A.A. LG Berlin NStZ 2004 102 m. abl. Anm. Heghmanns; SK/Wohlers 48. Rengier NStZ 1981 372, 378; HK/Gercke 69; Schuhmann wistra 1993 93, 95. Meyer-Goßner 14; HK/Gercke 70; Fezer StV 1989 290, 293; Roxin NStZ 1989 376, 378; Rengier NStZ 1981 372, 377. LG Bremen StV 1998 180. Vgl. LG Hamburg wistra 2004 36, m. krit. Anm. Webel. LG Berlin NStZ 2004 571; LG Bonn NJW 1981 292, 293; LG Baden-Baden StV 1989 428, 429 und LG Bremen StV 1989 505,
716
541 542 543 544 545
546
wonach Funde einer solchen Durchsuchung unverwertbar sind; LG Berlin StV 1987 97, 98. LG Freiburg NStZ 1999 582; m. abl. Anm. Hentschel NStZ 2000 274. BGH NJW 1963 1461; SK/Wohlers 60. LG Koblenz wistra 2004 438, 440; Weyand wistra 2008 214, 215. SK/Wohlers 53; Ciolek-Krepold Rn. 120. BGH NJW 1963 1461; BayObLG JR 1981 28; Born JR 1983 52, 55; Küper JZ 1980 633. SK/Wohlers 53; Born JR 1983 52, 55.
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betont.547 Relevant wird der Schutzzweck des § 105 Abs. 2 für die Frage, ob der Verzicht des Betroffenen alleine für den Ausschluss von Durchsuchungszeugen genügt, oder ob es eines übereinstimmenden Verzichts des Betroffenen und der Durchsuchungsbeamten bedarf. Teilweise wird vertreten, den Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen werde dadurch genüge getan, dass der Kreis der Durchsuchungszeugen beschränkt sei.548 Nach anderer Ansicht darf die Zeugenhinzuziehung nur dann unterbleiben, wenn sowohl der Betroffene als auch die beteiligten Beamten darauf verzichten.549 Obwohl die Durchsuchungszeugen nicht nur dem Betroffenen, sondern auch staatlichen Interessen dienen, darf der Betroffene allein auf die Einhaltung der Vorschrift wirksam verzichten.550 Seinem Interesse, kompromittierende Vorgänge geheim zu halten, kann entsprochen werden. Den Strafverfolgungsbehörden verbleiben ohnehin die vollstreckenden Beamten als Zeugen. Allerdings bindet ein solcher Verzicht die durchsuchenden Beamten nicht. Vielmehr liegt die Entscheidung über die Hinzuziehung der Durchsuchungszeugen nach Verzicht des Betroffenen im pflichtgemäßen Ermessen der Ermittlungsbeamten.551 Der Verzicht des Betroffenen ist mithin nur wirksam, wenn die Ermittlungsbeamten zustimmen.552 Der Entscheidungsspielraum wird jedoch im Regelfall sehr eingeschränkt sein.553 Häufige Klagen über das Vorgehen der Beamten könnten die Ermittlungsbeamten dazu bewegen, in der Regel Zeugen zuzuziehen.554 Der Verzicht ist außerdem zu dokumentieren und mit einer überprüfbaren Begründung zu versehen. Der Hinweis „Stadt München stellt keine DuSu-Zeugen“ genügt dem nicht.555 2. Geeignete Personen. Als Durchsuchungszeugen sind ein Gemeindebeamter oder 119 zwei Gemeindemitglieder zuzuziehen. Die Gemeindemitglieder dürfen nach Abs. 2 Satz 2 nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft oder sonst mit Ermittlungen in der vorliegenden Sache befasst556 und nicht von der Durchsuchung Betroffene sein.557 Ungeeignet sind alle Personen, die nicht die notwendige Neutralität besitzen.558 Hierunter fällt der Anzeigeerstatter,559 ausländische Ermittlungsbeamte,560 sowie Mitarbeiter eines Konkurrenzunternehmens.561 Gleiches gilt für Personen, die dem Betroffenen oder dem Anzeigeerstatter nahe stehen, wie Verwandte und Betriebsangehörige.562 Nachbarn hingegen besitzen in der Regel die nötige Neutralität.563 Den Zeugen muss der Grund ihrer Zuziehung und der Durchsuchungsbeschluss bekannt gegeben werden, damit sie ihre Aufgabe wahrnehmen können.564
547 548
549 550
551
552 553
Eb. Schmidt 30; Küper JZ 1980 63; Born JR 1983 52, 56. AK/Amelung 31 spricht von geeigneten Durchsuchungszeugen; Ciolek-Krepold Rn. 121. Gillmeister 60; Roxin/Schünemann § 35 10; Born JR 1983 52. BGH NJW 1963 1461; OLG Hamm NStZ 1986 326; OLG Celle StV 1985 137; OLG Stuttgart MDR 1984 249; Meyer-Goßner 12; KK/Nack 14; KMR/Hadamitzky 31; Rengier NStZ 1981 374; Schlüchter 328.2. OLG Hamm NStZ 1986 326; OLG Celle StV 1985 137; Eisenberg FS Rolinski 162, 173; Gillmeister 60. A.A. AK/Amelung; Ciolek-Krepold Rn. 121, wonach § 105 Abs. 2 unabdingbar ist. Vgl. SK/Wohlers 54.
554 555 556 557 558
559 560 561 562 563 564
Vgl. auch Rengier NStZ 1981 371. LG München StraFo 2009 146. OLG Karlsruhe NStZ 1991 50. OLG Celle StV 1985 137. OLG Bremen wistra 1999 74; AK/Amelung 32; vgl. SK/Wohlers 59; HK/Gercke 73, die für die Beurteilung der Neutralität auf die Sicht des Betroffenen abstellen. AK/Amelung 32. OLG Karlsruhe NStZ 1991 50, 52; SK/Wohlers 59. AK/Amelung 32. AK/Amelung 32; Gillmeister 59. SK/Wohlers 59; A.A. AK/Amelung 32. A.A. Gillmeister 59; Rengier NStZ 1981 374 unter Berufung auf den Persönlichkeitsschutz mit der Folge, dass die Zeugenzuziehung zur Farce wird.
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3. Zwingendes Recht. § 105 Abs. 2 ist keine Ordnungsvorschrift, sondern zwingendes Recht;565 von ihrer Einhaltung hängt die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung ab.566 Das folgt schon daraus, dass sie eine gesetzliche Regelung der Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG ist und wesentlich (auch) dem Schutz des Grundrechts des Betroffenen dient. Ein Verstoß gegen § 105 Abs. 2 gibt dem Betroffenen daher das Recht, Notwehr auszuüben und Widerstand (§ 113 StGB) zu leisten.567 Angesichts des den Beamten („wenn möglich“) eingeräumten Beurteilungsspielraums stellt sich allerdings die Frage, wann ein solcher Verstoß anzunehmen ist. Rechtswidrigkeit ist dann gegeben, wenn ein Irrtum über die gesetzliche Regelung vorliegt, insbesondere, wenn der Beamte die Prüfung unterlässt, weil er z.B. § 105 Abs. 2 nicht kennt568 – es sei denn, auch in Kenntnis der Vorschrift hätte von einer Zuziehung von Zeugen abgesehen werden können,569 oder wenn er glaubt, der von der Durchsuchung Betroffene sei geeigneter Durchsuchungszeuge.570 Ein Irrtum über die Möglichkeit, innerhalb angemessener Zeit einen Zeugen zuziehen zu können, ist unschädlich.571
121
4. Ausnahmen. Die Zuziehung darf unterbleiben, wenn sonst der Erfolg der Durchsuchung gefährdet wäre, mithin so zeitaufwändig wäre, dass diese Verzögerung wahrscheinlich zu einer Vereitelung des Durchsuchungszwecks führen würde,572 oder wenn andere erhebliche Schwierigkeiten, wie eine (zulässige) Weigerung oder Gefährdung der Zeugen, deren Anwesenheit entgegenstehen.573 Widerruft der Berechtigte ein zunächst erteiltes Einverständnis in die Durchsuchung, so kann der mit der Zuziehung der Zeugen eingetretene Zeitverlust den Erfolg der Durchsuchung in Frage stellen.574 Die Vereitelung des Durchsuchungszwecks wird eher selten anzunehmen sein, da in der Regel ein oder zwei Polizeibeamte das zu durchsuchende Objekt gegen das Wegschaffen oder Vernichten von Beweismitteln schützen können, bis bei überraschend angeordneten Durchsuchungen die Zeugen gerufen sind. Notfalls müssen auch in anderen Orten Wohnhafte als Zeugen hinzugezogen werden.575 Über die Zuziehung entscheidet der die Durchsuchung leitende Beamte nach pflichtgemäßem Ermessen.576 Von der Zuziehung der genannten Personen darf nicht deshalb abgesehen werden, weil sonst dem Betroffenen die Durchsuchung 565 566
567
568
569
BGHSt 51 211; AnwK/Löffelmann 11. BGH NStZ 1986 84; OLG Karlsruhe NStZ 1991 50; OLG Celle StV 1985 137; BayObLG JR 1981 28; Küper JZ 1980 633; AK/Amelung 34; Meyer-Goßner 11; KK/Nack 14; a.A. OLG München NJW 1972 2276; OLG Stuttgart NJW 1971 629; undifferenziert: OLG Stuttgart MDR 1984 249; offengelassen von BGH NJW 1963 1461. BayObLG MDR 1980 423; OLG Stuttgart MDR 1984 249; LK/Rosenau § 113, 46; Fischer § 113, 17; Schönke/Schröder/Eser § 113, 26; Born JR 1983 53; Küper JZ 1980 633; einschränkend HK/Gercke 76: nur bei bewussten Verstößen gegen § 105 Abs. 2. Küper NJW 1971 1681, 1683; a.A. OLG Stuttgart NJW 1971 629; offengelassen bei BayObLG MDR 1980 423. BayObLG MDR 1980 423; Küper JZ 1980 633, 637.
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570 571 572
573 574 575 576
OLG Celle StV 1985 137; Küper JZ 1980 633. OLG Celle StV 1985 137. BGHSt 51 211, 214; RGSt 55 162, 166; RG Rspr. 6, 366; BGH NStZ 1986 84; OLG Celle StV 1985 137; LG Koblenz StraFo 2004 95, 96; LG München I StraFo 2009 146, 147; Meyer-Goßner 11; SK/Wohlers 56; Schlüchter 328.2; Küper NJW 1971 1681. OLG Stuttgart Justiz 1984 24. Vgl. BGH NStZ 1986 84. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1991 50. RGSt 55 162, 166; BayObLG JR 1981 28; LG München I StraFo 2009 146, 147; OLG Celle StV 1985 137; OLG Stuttgart MDR 1984 249; Meyer-Goßner 11; SK/Wohlers 57; KK/Nack 14.
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bekannt würde und dies den Erfolg weiterer Ermittlungen gefährden könnte. Das Gesetz stellt mit der Wendung „wenn möglich“ nur auf die Möglichkeit der Zuziehung von Zeugen und nicht auf eine durch Bekanntwerden der Durchsuchung möglicherweise eintretende Erschwerung der weiteren Ermittlungen ab. Die Frage, ob von Durchsuchungszeugen abgesehen werden kann, misst sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Annahme von Gefahr im Verzug.577 5. Weitere Personen. Weitere Personen sind hinzuzuziehen, falls deren Kenntnisse 122 notwendig erscheinen, um die Maßnahme effektiv durchführen zu können.578 In Wirtschaftsstrafsachen wird deshalb gegen die Mitwirkung eines Buchprüfers, in Steuerstrafsachen eines Betriebsprüfers grundsätzlich nichts einzuwenden sein. Ebenso kann die Zuziehung eines EDV-Experten nötig sein, wenn die Beschlagnahme einer EDV-Anlage überprüft werden soll. Es kann sein, dass der Sachverständige die Anlage in Betrieb nehmen muss, um zu prüfen, ob und wenn ja wo sich Dateien oder Programme befinden, die als Beweismittel in Frage kommen.579 Auch die Hinzuziehung von Beamten der Steuerfahndung in einem Ermittlungsverfahren ohne steuerstrafrechtliche Bezüge ist nicht ausgeschlossen, wenn deren Sachkunde erforderlich erscheint und gewährleistet ist, dass nicht gezielt nach Zufallsfunden geforscht werden soll.580 Keinesfalls darf aber gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen werden.581 In der Regel sind daher der Anzeigeerstatter, sowie Mitarbeiter eines geschädigten Unternehmens von der Durchsuchung auszuschließen.582 Es kann aber nötig sein, dass der Geschädigte ausnahmsweise mitwirkt, wenn die Identifizierung des Diebesgutes in Frage steht.583
VI. Durchsuchungen bei der Bundeswehr Die Regelung in Absatz 3 stimmt, abgesehen vom Wort „Durchsuchung“ wörtlich 123 mit § 98 Abs. 4 überein; vgl. § 98, 25 ff.
VII. Unmittelbarer Zwang beim Vollzug der Durchsuchungen 1. Allgemeines. Umstritten ist, wie weit der Durchsuchungsbeschluss zur Anwendung 124 unmittelbaren Zwanges ermächtigt. Verweigert der Betroffene seine Mitwirkung, kann es z.B. notwendig sein, die Haustür aufzubrechen, um überhaupt durchsuchen zu können. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Anordnung einer Durchsuchung die typischen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen umfasst, die mit einer Durchsuchung unerlässlich verbunden sind.584 Darüber hinaus sollen Zwangsmaßnahmen zulässig sein, die 577 578
579 580
581
SK/Wohlers 57; Dominok StraFo 2009 147. OLG Bremen wistra 1999 74; OLG Karlsruhe NStZ 1991 50; OLG Hamm NStZ 1986, 326. Bär CR 1995 158; Rengier NStZ 1981 372, 376 f. Vgl. LG Stuttgart NStZ-RR 1998, 54 unter Hinweis auf die Gefahr eines Verwertungsverbots bei Missbrauch (s. § 108, 9). OLG Bremen wistra 1999 74, 75; SK/Wohlers 61; Meyer-Goßner 8; zum
582 583 584
Ganzen: Mahnkopf/Funk NStZ 2001 519, 520. Meyer-Goßner 8; SK/Wohlers 61. OLG Hamm NStZ 1986 326; Kiehl StV 1988 48. BGH NJW 1997 2189, am Beispiel des § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO; LG Frankfurt a.M. NJW 2008 2201; Eisenberg FS Rolinski 162, 174; Meyer-Goßner 13; SK/Wohlers 63 ff.; HK/Gercke 77; KMR/Hadamitzky 37.
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nur geringfügig in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifen und ihm mit Blick auf den hohen Rang des staatlichen Strafanspruches zugemutet werden können.585 Der Gesetzesvorbehalt zwingt dazu, nur solche Eingriffe zuzulassen die einerseits vom Wortsinn der Ermächtigungsgrundlage getragen sind und andererseits nicht schwerer wiegen als die gestattete Maßnahme.586 Stets ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.587
125
2. Zwangsmaßnahmen bei Raumdurchsuchungen. Ermächtigt sind die Ermittlungsbeamten dazu, sich gewaltsam Zutritt zu den Räumen des Betroffenen zu verschaffen, wenn eine freiwillige Mitwirkung des Betroffenen ausscheidet;588 ebenso das gewaltsame Öffnen von Behältnissen, soweit die theoretische Möglichkeit besteht, dass sich in den Behältnissen beweiserhebliche Gegenstände befinden. Auch Verschlüsselungen von EDVAnlagen dürfen überwunden werden.589 Zulässig ist es z.B. ferner, Wasser aus einem Teich abzulassen oder auf Grundstücken zu graben.590 Die damit verbundene Zerstörung muss verhältnismäßig bleiben. Um den Schaden möglichst gering zu halten, kann es geboten sein, einen Handwerker heranzuziehen.591
126
3. Zwangsmaßnahmen bei Personendurchsuchungen. Die Ermittlungsbeamten dürfen körperlichen Zwang anwenden, wenn Widerstand geleistet wird.592 Notfalls kann die zu durchsuchende Person kurzfristig festgenommen werden und einen geeigneten Ort verbracht werden.593 Das gilt nicht nur, wenn der Verdächtige sich widersetzt, sondern auch, wenn die Durchsuchung aus anderen Gründen nicht an Ort und Stelle möglich ist.594 Wird die Durchsuchungshandlung gestört, so gilt § 164.595
127
4. Einschränkungen der Kommunikation und Bewegungsfreiheit. Eine generelle Telefonsperre für den Zeitraum der Durchsuchung wird allgemein als unzulässig erachtet.596 Der Beschuldigte muss jederzeit seinen Verteidiger kontaktieren können, was sich bereits aus § 137 Abs. 1 S. 1 ergibt.597 Bei nachvollziehbaren Zweifeln, ob tatsächlich nur der Rechtsberater angerufen wird, dürfen die Beamten überprüfen, ob sich der richtige Gesprächsteilnehmer meldet.598 Ein Mithören darüber hinaus ist nicht gestattet. Diese Kommunikation darf inhaltlich nicht überwacht werden.599 Auch einem nach § 103 Betroffenen ist die Kontaktaufnahme zu einem Anwalt jederzeit gestattet.600 Ein Telefonverbot ist überhaupt nur dann statthaft, wenn die berechtigte Sorge besteht, der Erfolg
585
586 587 588
589 590 591
BGH NJW 1997 2189; zust. Heger JR 1998 163; auch Janker NJW 1998 269; Schneider NStZ 1999, 388; krit. Gropp JZ 1998 501; LG Freiburg NJW 1996 3021; vgl. LG Offenburg StV 2000 32, 33; mit abl. Anm. Wohlers. Gropp JZ 1998 501. Meyer-Goßner 13. LG Frankfurt a.M. NJW 2008 2201; Eisenberg FS Rolinski 162, 174; Meyer-Goßner 13; SK/Wohlers 64; HK/Gerke 78. Obenhaus NJW 2010 651, 653; MeyerGoßner 13. Meyer-Goßner 13; SK/Wohlers 64; HK/Gercke 78 AK/Amelung 38; SK/Wohlers 65; Krekeler/ Schütz wistra 1995 296, 298.
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592 593
594 595 596
597 598 599 600
OLG Celle NStZ 1998 87; AK/Amelung 38; SK/Wohlers 66. LG Frankfurt a.M. NJW 2008 2201; Baumann FS Eb. Schmidt 165; Meyer-Goßner 13; SK/Wohlers 66; HK/Gercke 78. Hoffmann Polizei 1969 11, 13. RGSt 33 251; eingehend dazu Gillmeister 74 ff. Eisenberg in FS Rolinski 162, 177; Kretschmer StRR 2013 164; Schuhmann wistra 1993 93, 96. Rengier NStZ 1981 372, 375 Ciolek-Krepold 136; Park 191; Rengier NStZ 1981 372, 375. Meyer-Goßner 13. Burhoff Ermittlungsv. 614.
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der Ermittlungen könne durch Telefonate mit anderen Personen beeinträchtigt werden – etwa, wenn das Warnen von Mittätern oder die Anweisung zur Beweisvernichtung zu befürchten ist.601 Darüber hinaus kann der Betroffene in seiner Wohnung festgehalten werden, wenn sonst mit Verdunkelungshandlungen zu rechnen ist und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.602 Man spricht vom sog. „Stubenarrest“. 5. Optische Dokumentation des Durchsuchungsobjekts. Das Fotografieren und 128 Filmen des Durchsuchungsobjekts ist nur zulässig, wenn eine Abwägung ergibt, dass das Dokumentationsinteresse der Ermittlungsbehörden das Persönlichkeitsinteresse des Betroffenen überwiegt.603 Dabei stellen die Schwere der Straftat und die Bedeutung als Beweismittel maßgebliche Abwägungsgesichtspunkte dar. Derartige Aufnahmen können zur Dokumentation von „Spuren“, die sich einer körperlichen Sicherstellung entziehen sowie zur Dokumentation des Tatorts oder des Fundorts von Beweismitteln dienen. Wenn sich bereits abzeichnet, dass weitere Durchsuchungen oder Spurensicherungen erforderlich sind, die nicht sofort ausgeführt werden können, besteht ein erhebliches Interesse an Aufnahmen der Wohnung.604 Zulässig ist das Fotografieren ferner, wenn die Ablichtung gegenüber einer Beschlagnahme des Objekts das mildere Mittel darstellt.605 Die Voraussetzungen der Beschlagnahme müssen aber im Übrigen vorliegen. Um die Zulässigkeit der Durchführung der Durchsuchung zu dokumentieren, ist das Filmen oder Fotografieren nicht gestattet.606 Hierfür hat der Gesetzgeber die Anwesenheit von Durchsuchungszeugen vorgesehen.
VIII. Beendigung der Durchsuchung Abgeschlossen ist die Durchsuchung, sobald ihr Ziel erreicht ist oder nicht mehr 129 erreicht werden kann, weil sie erfolglos verlaufen ist.607 Die Beschlagnahme oder das Ergreifen eines Verdächtigen beenden daher die Durchsuchung.608 Sie ist dann auch tatsächlich zu beenden. Weitere Durchsuchungen sind ohne erneute Anordnung verboten. Es kommt nicht darauf an, ob die ursprüngliche Anordnung ausgeschöpft wurde.609 Das Gleiche gilt, wenn die Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf gerichtliche Beschlagnahme der sichergestellten Gegenstände gestellt hat. Erledigung liegt aber erst dann vor, wenn auch die Durchsicht nach § 110 abgeschlossen ist.610 Wurden die Gegenstände hingegen vorläufig sichergestellt und erfolgt die Durchsicht zum Zwecke der Beweiserhebung, so ist die anschließende Durchsicht keine gemäß § 110.611 Die exakte Bestimmung des Beendigungszeitpunktes ist manchmal entscheidend, wenn auch nicht immer ganz leicht: Wird die Durchsuchung nicht gestoppt, muss unterschieden werden, welche Beweismittel aufgrund einer rechtmäßigen Anordnung gesichert werden konnten und bei welchen die Durchsuchung rechtswidrig war. Zweifelsfrei ist eine Durchsuchung dann 601
602 603 604
LG Karlsruhe StraFo 1997 13; SK/Wohlers 66; HK/Gerke 79; Rengier NStZ 1981 372, 375; Eisenberg FS Rolinski 162, 174. LG Frankfurt a.M. NJW 2008 2201; Rengier NStZ 1981 372, 375. LG Hamburg StV 2004 368; SK/Wohlers 70; HK/Gerke 80. OLG Celle StV 1985 137; a.A. AK/Amelung 42, wonach die Eingriffsqualität des Fotografierens in Frage gestellt wird.
605 606 607 608 609 610
611
OLG Celle StV 1985 139. OLG Celle StV 1985 137; HK/Gercke 80; SK/Wohlers 70; Park 195. AK/Amelung 45 ff.; SK/Wohlers 71. SK/Wohlers 71; KK/Nack 20. Park 142; Rengier NStZ 1981 377. BGHSt 44 265, 273; BVerfG NJW 2003 2669; BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 1; SK/Wohlers § 110, 28. KK/Nack 20.
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beendet, wenn dem Betroffenen eine entsprechende Mitteilung gemacht wird. Die Beendigung kann aber auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, z.B. wenn die Beamten sich vom Durchsuchungsobjekt entfernen, ohne den Willen zu äußern, zu einem späteren Zeitpunkt die Durchsuchung fortzusetzen. Der BGH hat es genügen lassen, dass die Beamten ihren Willen zu einer späteren Fortsetzung der Durchsuchung bekundet haben, in dem sie die Wohnung versiegelt hinterlassen und den Originalschlüssel mitgenommen haben.612 „Kriminalistische Tricks“,613 wie eine erfolglose Durchsuchung zum Schein zu beenden und dann alsbald wiederzukommen, um die Betroffenen beim Aussortieren des nicht gefundenen Materials zu überraschen, sind stets unzulässig. Allein aus der Erfolglosigkeit der ersten Durchsuchung darf nicht auf Gefahr im Verzug geschlossen, um eine neuerliche Anordnungsmöglichkeit im Wege der Eilkompetenz zu kreieren. Für eine richterliche Anordnung der zweiten Durchsuchung ist kein Raum: Die Wiederholung einer erfolglosen Durchsuchung ist unverhältnismäßig und einen allgemeinen kriminalistischen Erfahrungssatz dahin, dass bei einer zweiten Durchsuchung die bei der ersten Durchsuchung nicht gefundenen Gegenstände gefunden werden, gibt es nicht.614
IX. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 1. Gegen richterliche Durchsuchungsanordnungen
130
a) Rechtsschutz gegen die Anordnung der Maßnahme. Die richterliche Anordnung der Durchsuchung sowie ihre Ablehnung kann mit der Beschwerde gemäß § 304 angefochten werden. § 304 gilt nach § 305 Satz 2 für die Entscheidung des erkennenden Gerichts entsprechend.615 Die dort genannte Aufzählung ist nach allgemeiner Meinung nicht abschließend.616 Eine Beschwerde ist auch gegen bereits vollzogene und damit erledigte Anordnungen zulässig,617 wenn der Betroffene ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme hat (vgl. § 98).618 Ein solches fortbestehendes Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Betroffene den Antrag stark verspätet stellt,619 insbesondere das Strafverfahren abgeschlossen ist.620 Die freiwillige Herausgabe von Gegenständen zur Abwendung der Durchsuchung, lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.621
131
b) Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Durchführung. Umstritten ist, ob Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Durchsuchung bei einer bereits vollzogenen richterlichen Anordnung auf § 304 zu stützen ist, oder vielmehr § 98 Abs. 2 S. 2 Anwendung findet. Geklärt ist dies nur für den Fall, dass die richterliche Anordnung keine ausdrückliche Regelung über die Modalitäten der Durchsuchung enthält: Da eine konkrete richterliche Entscheidung fehlt, gilt § 98 Abs. 2 Satz 2 analog.622 Sind die Vollzugsmoda-
612 613 614 615 616
BGH StV 1989 289, 290 m. abl. Anm. Fezer Wie sie Rengier NStZ 1981 378 und Geerds FS Dünnebier 185 schildern. Vgl. dazu auch Rengier NStZ 1981 378; SK/Wohlers 50. SK/Wohlers 72; Meyer-Goßner 15; vgl. BVerfGE 96 27. Peters JR 1973 342; Eb. Schmidt 4.
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617 618 619 620 621 622
BVerfGE 96 27; 96 44, 49; BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 1. BVerfG NJW 2003 1514. BVerfG NStZ 2009 166. BVerfG NJW 2003 1514. BVerfG wistra 2008 463. BGHSt 45 183; BGH NJW 2000 84; OLG Hamburg StV 1999 301.
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litäten durch die richterliche Anordnung geregelt worden,623 wird teilweise vertreten, die Beschwerde gemäß § 304 sei eröffnet.624 Da Fragen des „Ob und Wie“ einer Maßnahme häufig eng miteinander verbunden seien, sollen Anordnung und Umsetzung einheitlich mit der Beschwerde angegriffen werden können. Bei der richterlichen Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2 bestünde nur eine Selbstkontrolle durch einen nicht mehr gänzlich unbefangenen Richter.625 Andere interpretieren die Entscheidungen des BGH so, dass bei Einwänden gegen die Art und Weise der Durchsuchung nur mit § 98 Abs. 2 Satz 2 die richterliche Entscheidung beantragt werden kann.626 Enthält die richterliche Anordnung jedoch Maßgaben hinsichtlich der Art und Weise der Durchsuchung, so ist es überzeugender die Beschwerde nach § 304 zuzulassen. Diese Sichtweise entspricht nicht nur der vom BVerfG aufgestellten Forderung nach Übersichtlichkeit und Effizienz der Rechtsmittel gemäß Art. 19 Abs. 4 GG; die Frage der Art und Weise ist nicht selten so eng mit der Frage des „Ob“ verknüpft, dass ein einziges Gericht zuständig sein sollte. Richterliche Anordnungen zur Art und Weise werden schließlich nicht grundlos erlassen. Sie sind kein notwendiger Bestandteil des Durchsuchungsbeschlusses (Rn. 74). Zwar handelt es sich um denselben Richter, der über die Abhilfe der Beschwerde und die Entscheidung bei § 98 Abs. 2 Satz 2 entscheidet, jedoch wird bei § 304 die Sache dem Beschwerdegericht zugeleitet, wenn ihr nicht abgeholfen wird. Somit ist es sachgerecht sämtliche Einwände gegen den richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Wege der Beschwerde zu erheben. Das Gleiche gilt für noch andauernde Durchsuchungen. Dann gelten die Argumente für den Beschwerdeweg nach § 304 erst recht.627 Im Übrigen sind nach den allgemeinen Grundsätzen Rechtsmittel so auszulegen, dass effektiver Rechtsschutz gewährleistet wird.628 Eine falsche Bezeichnung eines Begehrens als Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 oder Beschwerde nach § 304 schadet nicht. Entscheidungen des Ermittlungsrichters des BGH oder des erstinstanzlich zuständigen OLG über Einwände gegen die Art und Weise der Durchsuchung sind nicht mit der Beschwerde anfechtbar (s. § 304 Abs. 4, 5).629 c) Prüfungsmaßstab. Prüfungsmaßstab ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit des 132 Erlasses der Anordnung.630 Das Beschwerdegericht darf seine Entscheidung daher nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren. Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden, denn diese Angaben dienen dem durchsuchenden Beamten zur Begrenzung des Eingriffs auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß.631 Zur Begründung der Beschwerdeent-
623 624
625 626 627
Offen gelassen BGHSt 45 183, 186 und BGH NJW 2000 84; Meyer-Goßner 17; Amelung JR 2000 479, 480 f.; Eisele StV 1999 300; Fezer NStZ 1999 151, 152; Meyer HRRS-Fezer-FG 131, 141; Bachmann NJW 1999 2414, 2415; Roxin/Schünemann § 29, 14; HK/Gercke 84. Amelung JR 2000 479, 480 f.; Laser NStZ 2001 120; Roxin/Schünemann § 29, 14. OLG Hamburg StV 1999 301; Katholnigg NStZ 2000 155. A.A. Kühne 565, der ohne nähere Begründung die Anrufung des erlassenden Richters nach § 98 Abs. 2 S. 2 für statthaft erachtet,
628
629 630 631
obwohl bei Einwänden gegen die Art und Weise eines vollzogenen Eingriffs die Beschwerde nach § 304 favorisiert wird. BVerfG NJW 2000 649; OLG Hamm wistra 2000 318; BVerfG NStZ 2007 413 für ein mit „Beschwerde“ überschriebenes Schreiben als Antrag nach § 23 EGGVG BGHSt 44 265, 274; BGH NJW 2000 84; Meyer-Goßner 17. BVerfG NJW 2011 291; Jahn NStZ 2007 255, 261. BVerfG NJW 2011 291; BVerfG NJW 2004 3171 Meyer-Goßner 5a m.w.N.
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scheidung dürfen keine Erkenntnisse herangezogen werden, die erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden.632 Der bei § 103 erforderliche konkrete Bezug, bei einem Dritten Beweismittel aufzufinden, kann nicht nachgeschoben werden.633 Möglich ist aber eine abweichende rechtliche Beurteilung durch das Beschwerdegericht, solange diese an die damals bekannten tatsächlichen Umstände anknüpft.634 Die schlichte Ergänzung der Begründung des Beschlusses ist zulässig, wenn die Bekanntgabe der Gründe im Beschluss den Erfolg der Untersuchungsmaßnahme gefährdet hätte. Solange dadurch die Funktion der präventiven Kontrolle gewahrt wird und der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen eigenständig geprüft hat, kann das Beschwerdegericht die Konkretisierung der den Anfangsverdacht belegenden Umstände nachholen.635 2. Gegen nichtrichterliche Durchsuchungsanordnungen
133
a) Rechtsschutz gegen die Anordnung der Maßnahme. Für nichtrichterliche Anordnungen gilt § 98 Abs. 2 Satz 2 in entsprechender Anwendung. Eine Vorschrift, die eine nachträglich richterliche Genehmigung vorsieht, wie dies bei der Beschlagnahme der Fall ist (vgl. § 98 Abs. 2 Satz 1), existiert für die Durchsuchung nicht. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass im Interesse eines gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutzes § 98 Abs. 2 Satz 2 auf alle anderen Zwangsmaßnahmen mit richterlichem Entscheidungsvorbehalt analog anzuwenden ist.636 Dies gilt auch für Maßnahmen, die sich erledigt haben. Früher wurde vertreten, die erledigte nichtrichterliche Anordnung habe nach §§ 23, 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG zu erfolgen, weil dort ein Fortsetzungsfeststellungsverfahren für erledigte Maßnahmen geregelt sei.637 Die Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 erscheint aber vorzugswürdig, da mit der nachträglichen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Richter betraut wird, der ursprünglich für den Erlass zuständig gewesen wäre.638 Bei erledigten Maßnahmen ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse zu fordern. Dieses wird jedoch in der Regel anzunehmen sein, da es sich bei der Wohnungsdurchsuchung um einen schwerwiegenden Eingriff handelt.639
134
b) Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Durchführung. Nicht nur die Rechtswidrigkeit der Anordnung kann festgestellt werden, es kann auch die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Durchführung festgestellt werden.640 Die vorläufige Sicherstellung von Gegenständen zur Durchsicht nach § 110 Abs. 2 kann nach nunmehr ganz herrschender Meinung ebenfalls entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 angegriffen werden.641 Gegen die Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2 ist die Beschwerde nach § 304 statthaft.642
632 633 634 635
636 637 638
BVerfG NJW 2011 291; BVerfG NStZ-RR 2005 207. BVerfG NJW 2009 2518, 2520. BVerfG NStZ-RR 2005 207; BVerfG NJW 2007 1443; Meyer-Goßner 15a. BGH NStZ-RR 2009 142; krit. Knierim FD-StrafR 2009 276062; Schmidt StraFo 2009, 451. BVerfGE 96 44 50. Dörr NJW 1984 2260; Schenke NJW 1976 1820. BVerfGE 96 27; 96 44, 49; BGHSt 26 209 m. Anm. Amelung NJW 1987, 1013.
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BVerfGE 96 27, 41; Esskandari StraFo 1997 289; Amelung NJW 1978, 1013; KMR/Hadamitzky 40. BGHSt 44 265; Fezer NStZ 1999 151. BVerfG NStZ-RR 2002 144; BVerfG NJW 2002 1410. Offen gelassen BGHSt 44 265; BVerfG NJW 1999 273; Park StRR 2008 4, 5; Eisele StV 1999 300; KK/Nack § 98, 32; MeyerGoßner § 98, 31.
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c) Prüfungsmaßstab. Auch im Verfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 2 überprüft der 135 Richter, ob die Durchsuchung im Zeitpunkt der Entscheidung gerechtfertigt war. Das Vorliegen der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar643 (vgl. Rn. 107 zum allgemeinen Begriff Rn. 83). Bei nichtrichterlichen Anordnungen darf eine fehlende Dokumentation der bedeutsamen Erkenntnisse und Annahmen für das Vorliegen der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug nicht durch eine nachträgliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ersetzt werden.644 Die wesentlichen Gründe, die die Ermittlungsbehörden zur Annahme von Gefahr im Verzug verleitet haben, müssen vorher in der Ermittlungsakte festgehalten werden (Rn. 81 f.). Eine nachträgliche Ergänzungsmöglichkeit würde die Kontrollierbarkeit einer Maßnahme erheblich einschränken. 3. Einwände gegen die Art und Weise einer Anordnung. Zur überprüfbaren Art und 136 Weise einer Maßnahme gehört zum Beispiel die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen,645 das Verhängen einer Telefonsperre,646 das Fotografieren der durchsuchten Räume zur Dokumentation der Durchsuchung,647 Verstöße gegen §§ 106, 107, 109 und 110,648 die Nichtzuziehung von Durchsuchungszeugen, die Zuziehung von parteiischen Zeugen,649 die Wahl des Zeitpunktes der Maßnahme,650 sowie die Zuziehung von Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft.651 4. Schlussentscheidung im Rechtsbehelfsverfahren. Hebt das Beschwerdegericht die 137 Anordnung auf, so ist die andauernde Durchsuchung sofort zu unterbrechen. Der Richter ordnet die Beendigung an. Bei bereits beendeten Durchsuchungen stellt der Richter die Rechtswidrigkeit der Maßnahme fest.652 5. Rechtsfolgen. Verstöße gegen die §§ 102 bis 110 können die Verwertbarkeit der 138 bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel ausschließen.653 Der durch Art. 13 GG verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Wohnung und die diesen Schutz garantierenden Vorschriften der §§ 102 bis 110 sind nicht Selbstzweck, sondern sollen die private Sphäre samt den dort befindlichen Gegenständen, potentiellen Beweismitteln, schützen und dafür sorgen, dass staatliche Eingriffe in diese Sphäre nur in den durch Verfassung und Gesetz gezogenen Grenzen stattfinden.654 Die Frage ist insbesondere bei Verstößen gegen den Richtervorbehalt,655 aber auch bei anderen Mängeln, wie unzureichender Umschreibung des Durchsuchungszwecks bei richterlichen Durchsuchungsanordnun643
644
645 646 647 648
649 650 651
BVerfG 103 142, 156; BVerfG NJW 2002 1333; BVerfG NStZ 2003 319; Meyer-Goßner 16; HK/Gercke 55; AK/Amelung 6; Fezer FS Rieß 95 ff. BVerfG NJW 2008 3053, 3054; AnwK/Löffelmann 6; a.A. LG Berlin StV 2008 244; Meyer-Goßner 16. OLG Stuttgart NJW 1972 2146. OLG Karlsruhe StraFo 1997 13, 15. LG Hamburg StV 2004 368 OLG Celle NStZ 1985 44; OLG Karlsruhe NStZ 1995 48; zum Ganzen Burhoff Ermittlungsv. 606. OLG Hamm NStZ 1986 326. OLG Hamm NStZ 1984 136. BVerfG HRRS 2007 Nr. 961; LG Kiel NJW 2006 3224.
652 653
654 655
Park StRR 2008 4; BVerfG StV 1990 483; LG Magdeburg StraFo 1998 271, 273. Dazu eingehend Amelung NJW 1991 2535; Weiler GedS Meurer 395, 417; Ransiek StV 2002 565, 567; für umfassendes Verwertungsverbot bei jedem verfahrensrechtlichen Fehler bei der Durchsuchung Krekeler NStZ 1993 263; generell ablehnend auch Schoreit NStZ 1999 173: „ungeeignet, unverhältnismäßig und unzulässig“, dort auch Nachw. aus der Rechtsprechung; vgl. auch LG Wiesbaden StV 1988 292. Amelung NJW 1991 2533, 2555. Für Verwertungsverbot bei Verstößen gegen den Richtervorbehalt beispielsweise Fezer StV 1989 290; ders. FS Rieß 93; Weiler GedS Meurer 395, 417; Zweifel bei Gusy
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gen656 von erheblicher Bedeutung. Die Verwertbarkeit eines Beweismittels hat das erkennende Gericht auch dann zu prüfen, wenn der Angeklagte die Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 nicht genutzt hat.657
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a) Verwertungsverbot. Durchsuchungen sind keine Beweismittel, deren Verwertung verboten sein könnte. Fehler bei der Durchsuchung können aber die Verwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel beeinträchtigen.658 Verstöße gegen die Beweiserhebung führen nach der ständigen Rechtsprechung nicht ohne weiteres zu einem Verwertungsverbot.659 Fehler bei der Durchsuchung lösen mithin kein automatisches Verwertungsverbot der sichergestellten Beweismittel aus.660 Das BVerfG konstatiert, dass es feste verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen von Verfassung wegen ein Beweisverbot im Strafverfahren in Betracht komme, noch nicht gebe.661 Ein Beweisverwertungsverbot ist in der Praxis eher die Ausnahme. Es ist nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung sicher anzunehmen, und folgt sonst bestenfalls aus übergeordneten gewichtigen Gründen nach Abwägung der widerstreitenden Interessen. Wann ein Verwertungsverbot eingreift, beurteilt sich nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, sowie danach, ob das Beweismittel auch auf gesetzmäßigem Weg hätte erlangt werden können. Hierüber ist unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.662 Nach der Strafprozessordnung erfolge zwar keine Wahrheitserforschung „um jeden Preis“, allerdings werde eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts eingeschränkt – nämlich der Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind.663 Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes. Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Ferner kommt der Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung besondere Bedeutung zu.664 Danach sind solche Beweismittel verwertbar, die auch im Falle ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit erlangt worden wären. Die Rechtsprechung ist tendenziell zurückhaltend bei der Annahme eines Verwertungsverbotes.665 Konkret bedeutet dies, dass ein rechtsfehlerhafter Zugriff auf
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NStZ 2010 353; vermittelnd Roxin NStZ 1989 376, 378 und Anm. Meurer JR 1990 389; alle mit Nachw. Vgl. BVerfG NJW 1999 273; BGH wistra 1997 147. BGH NStZ 2009 648; Meyer-Goßner 18. Eingehend, aber zum Teil veraltet Wecker Beweisverwertungsverbote als Folge rechtswidriger Hausdurchsuchungen, Diss. Köln 2000. BGHSt 44 243, 249; BGHSt 51 285, 289; BVerfG NJW 2009 3225; BVerfG StV 2002 113. BVerfG NStZ 2002 371; BVerfG StV 2002 113; BVerfG NStZ 2004 216. BVerfG NStZ 2000; Gusy NStZ 2010 353; Rogall NStZ 2000 489, Lesch JR 2000 333; vgl. auch BVerfGE 44 353, 370; 56 37, 50; 80 367, 373; 85 386, 395.
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BGHSt 44 243, 249; BGHSt 51 285, 289; BVerfG NJW 2008 3053; BVerfG NJW 2009 3225; BVerfG NJW 2011 1377. BGHSt 44 243, 249. BGH NStZ 1989 375 m. Anm. Roxin; BGH NStZ 2004 449. BVerfG NJW 2009 3225; kritisch dagegen: Anm. Fezer JZ 1987 936; Wohlers FS Fezer 311; Wohlers JZ 2011 252; differenzierend: Ransiek StV 2002 565, der in bestimmten Fällen Ausnahmen von der Erforderlichkeit des Verwertungsverbotes zulässt; Rogall NStZ 1988 385, 391 möchte hypothetische Verfahrensabläufe jedenfalls bei präventiven Entscheidungen des Richters nicht als Abwägungskriterium zulassen.
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Beweismittel in der Praxis nur dann Konsequenzen hat, wenn es bei der Beweiserlangung zu „schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen gekommen ist, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig außer Acht gelassen worden sind“ oder bei denen „der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist“666. b) Fehlen einer wirksamen Durchsuchungsanordnung. Sofern keine wirksame Durch- 140 suchungsanordnung gegeben ist, etwa wegen Änderung der Sachlage oder weil zwischen Anordnung der Durchsuchung und deren Vollstreckung eine lange Zeitspanne liegt oder wegen Außerkrafttreten der Anordnung durch Zeitablauf (vgl. Rn. 113),667 so folgt daraus nach der Rechtsprechung des BGH kein Verwertungsverbot aufgefundener Beweismittel, „wenn dem Erlass der Durchsuchungsanordnung rechtliche Hindernisse nicht entgegengestanden hätten und die tatsächlich sichergestellten Gegenstände als solche der Verwertung als Beweismittel rechtlich zugänglich waren“668. Diese Rechtsprechung ist zu kritisieren. Die Verwertbarkeit der Beweismittel davon abhängig zu machen, ob die Ermittlungsbehörden vorsätzlich oder fahrlässig auf eine Durchsuchungsanordnung verzichtet haben, ist unzureichend.669 Die notwendige Rechtssicherheit geht verloren, wenn es auf die subjektive Einstellung der Strafverfolgungsbehörden ankommen sollte. In die wird man wenig Einblick bekommen. Für den betroffenen Bürger ist dies ein kaum nachvollziehbares und damit wenig überzeugendes und vertrauenserweckendes Kriterium. Es ist ein grundsätzliches Verbot der Verwertung für solche Beweismittel zu fordern, die ohne richterliche Anordnung erlangt wurden.670 Dies folgt unmittelbar aus Art. 13 GG.671 Eine Umgehung des Richtervorbehalts ist stets ein schwerer Verfahrensverstoß. Ebenso ist die Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe zu kritisieren.672 Sie lässt den Richtervorbehalt leerlaufen.673 Fehlt es an einem Anfangsverdacht, liegen Beweisverwertungsverbote nahe.674 c) Fehlen der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug. Erfolgt die Durchsuchung auf- 141 grund einer Eilanordnung der Strafverfolgungsbehörde, obwohl die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug nicht vorlagen, bemüht die Rechtsprechung insbesondere als Abwägungskriterium den hypothetischen Ersatzeingriff.675 Es existiert allerdings keine gefestigte Rechtsprechung. Es wird daher zu Recht kritisiert, dass bislang unklar ist, wann bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriff die Verwertbarkeit der Beweismittel
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BVerfG NStZ 2011 103; BVerfGE 34 238, 245 f.; 80 367, 374 f.; 109 279, 320. BGH NStZ 1989 375. BGH NStZ 1989 375. Kritisch ebenso Meurer JR 1990 389, 392; Roxin NStZ 1989 376, 379; vgl. Amelung NJW 1991 2533, 2537, der ein Verwertungsverbot bei schwerem Rechtsbruch durch die Ermittlungsbeamten annimmt. Einen solchen nimmt er bei Verstößen gegen die Menschenwürde oder das StGB an. Krehl JR 2001 491, 494; Weiler GedS Meurer 395, 416 ff.; Beulke ZStW 103 (1991) 657, 673; Park 391; SK/Wohlers 75.
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Ransiek JR 2007 432, 438; Harms StV 2006 215, 219; Burhoff StraFo 2005 140, 146. AG Braunschweig StV 2001 394; Rogall NStZ 1988 385, 391; Fezer StV 1989 290, 292 ff.; Beulke ZStW 1991 657, 673; Krekeler NStZ 1993, 263, 264; Ransiek StV 2002 565; Park 381. Radtke/Hohmann/Ladiges 21. BVerfGE 42 212, 219 (offengelassen); BVerfG NJW 1991 690, 691; BGHSt 31 304, 308 f. BGH NStZ 1989 375 m.Anm. Roxin; BGH NStZ 2004 449; OLG Koblenz NStZ 2002 660; AG Tiergarten StV 2003 663, 664.
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angenommen werden kann.676 Geklärt ist hingegen, dass der hypothetische Verlauf der Ermittlungen nicht darüber hinweghelfen kann, wenn der Richtervorbehalt durch die Ermittlungspersonen bewusst ignoriert oder mutwillig umgangen wurde.677 Eine „bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts“ führt nach neuerer Rechtsprechung zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes.678 Bei irrtümlicher Annahme von Gefahr im Verzug ist hingegen nach der Rechtsprechung in der Regel kein Verwertungsverbot anzunehmen.679 Ein Beweisverwertungsverbot besteht, wenn die Eilkompetenz willkürlich, nämlich objektiv unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar, angenommen wurde.680 Zu fordern ist auch hier ein allgemeines Verbot der Verwertung.681 Die richterliche Anordnung darf nicht zur bloßen Formalie verkommen.682 Die genannte Rechtsprechung verstößt letztlich gegen den Vorbehalt des Gesetzes.683
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d) Begründungsmängel nicht-richterlicher Anordnungen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.684 Unzulässig ist es, die Dokumentation durch eine erst nachträglich zugänglich gemachte Stellungnahme der Ermittlungsbehörden zu ersetzen, da dies die richterliche Kontrolle aushebeln würde.685 Allein der Verstoß gegen die Begründungs- und Dokumentationspflicht löst allerdings nach der Rechtsprechung noch kein Beweisverwertungsverbot aus.686 Dennoch stellt sie ein Indiz für die missbräuchliche Nutzung der Eilkompetenz dar.687 Der Dokumentationsmangel ist nach seinem jeweiligen Gewicht im Einzelfall als Gesichtspunkt in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen.
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e) Sonstige Verfahrensfehler bei nichtrichterlichen Anordnungen. Auch bei tatsächlicher Gefahr im Verzug kann die Verwertung der Beweismittel verboten sein – z.B. und unter Umständen bei Fehlen eines Bereitschaftsdienstes.688 Jedenfalls tagsüber ist ein
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Jahn/Dallmeyer NStZ 2005 297; Fezer NStZ 2003 625, 629. BGHSt 51 285; BVerfGE 113 29, 61; BVerfG NJW 2006 2684; BGH NStZ 2012 104. BGHSt 51 285; BGH NStZ 2012 104. BGHSt 51 285. BGHSt 51 285; BGH wistra 2010 231; LG Cottbus StV 2002 535; LG Saarbrücken StV 2003 434, 436; AG Kiel StV 2002 536; KK/Nack 22; SK/Wohlers 79; KMR/Hadamitzky 45; Meyer-Goßner 18; HK/Gercke 89. Krehl JR 2001 491, 494; SK/Wohlers 79; wohl auch: Weiler GedS Meurer 395, 416 ff.; Hüls ZIS 2009 160; Harms StV 2006 215; Jahn/Dallmeyer NStZ 2005 297; Münchhalffen FS Mehle 448; Ransiek StV 2002 565, 567; Wohlers StV 2008 434, 436; Asbrock StV 2001 207; Burhoff StraFo 2005 140, 146; Beulke ZStW 1991 657, 673, der die Berücksichtigungsmöglichkeit hypothetischer Ermittlungsverläufe nur
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beschränkt zulässt; vgl. auch Rogall NStZ 1988 385, 391, der hypothetische Erwägungen nicht bei präventiven Kontrollentscheidungen berücksichtigen möchte; hingegen zustimmend Krekeler NStZ 1993 263, 266. Fezer StV 1989 290, 292 ff.; Beulke ZStW 1991 657, 673; Krekeler NStZ 1993, 263, 264; Krehl JR 2001 491, 494; Weiler GedS Meurer 395, 416 ff.; SK/Wohlers 75. Wohlers StV 2008 434, 435. BVerfG NJW 2007 1345; BVerfGE 103 142, 160 f.; BVerfG NZV 2008 636. BVerfG StRR 2008 21; BVerfG NJW 2008 3053. BGH NStZ-RR 2007 242; NStZ 2005 392; BVerfG NJW 2008 3053; Meyer-Goßner 18. SK/Wohlers 41; Brüning HRRS 2007 250, 254. OLG Hamm NJW 2009 3109; vgl. BVerfG NJW 2004 1442.
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richterlicher Bereitschaftsdienst verfassungsrechtlich geboten,689 ein nächtlicher Bereitschaftsdienst nicht ohne weiteres (vgl. Rn. 105).690 Wenn die nächtliche Anordnung allerdings nicht nur den Ausnahmefall darstellt und ein praktischer Bedarf für nächtliche richterliche Anordnungen besteht, kann dies die Einrichtung eines nächtlichen Bereitschaftsdienstes erfordern (vgl. hierzu Rn. 96 ff.). Beweisverwertungsverbote wurden anerkannt für Funde, die unter Missachtung des Richtervorbehaltes ermittelt wurden, wenn die vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters dadurch unterlaufen wurde, dass mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter entgegen jeglicher kriminalistischer Erfahrung so lange gewartet wurde, bis die Gefahr eines Beweismittelverlustes als Voraussetzung für die Annahme von Gefahr im Verzug tatsächlich eingetreten ist.691 Wenn Gefahr im Verzug angenommen wird, obwohl nicht einmal die telefonische Kontaktaufnahme versucht worden ist, führt dies regelmäßig ebenfalls zu einem Verwertungsverbot, wenn nicht schon die telefonische Kontaktaufnahme den Durchsuchungserfolg zu vereiteln droht.692 f) Fehlen der Voraussetzungen für eine Durchsuchung. Bei Fehlen der Voraussetzun- 144 gen für eine Durchsuchung liegt ein Beweisverwertungsverbot vor.693 Stehen einer Durchsuchung rechtliche Hindernisse entgegen, wäre nämlich auch bei einem hypothetischen Ersatzeingriff, kein verwertbares Ergebnis zu erzielen gewesen.694 g) Unzureichende Begründung bei richterlichen Durchsuchungen. Die unzureichende 145 Begründung des Tatvorwurfs einer richterlichen Durchsuchungsanordnung kann zwar einen schwerwiegenden Verstoß gegen Art. 13 GG darstellen, sie zieht aber nach verbreiteter Ansicht kein Beweisverwertungsverbot nach sich.695 Zu den inhaltlichen Anforderungen an einen wirksamen Durchsuchungsbeschluss vgl. Rn. 45 ff. Erfüllt die Anordnung diese Standards nicht, wird sie rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich wären.696 Die Rechtsprechung hat ein allein auf die mangelhafte Begründung gestütztes Beweisverwertungsverbot bislang verneint.697 Einer Beschlagnahme stehe regelmäßig nicht entgegen, dass der Gegenstand aufgrund einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung erlangt worden sei, außer es liege ein „besonders schwer wiegender Grundrechtsverstoß“ vor.698 In der Literatur wird wegen fehlender Überprüfbarkeit ein umfassendes Beweisverwertungsverbot von Beweismitteln gefordert, die auf Grundlage unzureichend begründeter richterlicher Anordnung erzielt worden sind.699
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BVerfG NJW 2005 1637; BVerfG NJW 2002 3161; Bittmann wistra 2001 451, 453; Spaniol in FS Eser 473, 477. BVerfG NJW 2004 1442. Meyer-Goßner 18; BGH NStZ 2012 104; OLG Düsseldorf StraFo 2009 280; vgl. BGH NStZ 2004 449; anders: LG Cottbus StV 2002 535, 536; vgl. auch AG Tiergarten StV 2003 663, 664. SK/Wohlers § 102, 38; HK/Gercke § 102, 35; LG Köln StraFo 2011 223; Amelung NJW 1991 2533, 2536; Krekeler NStZ 1993 263, 266; LG Heilbronn StV 2005 380, 382. BVerfG StV 2002 113; BVerfG NStZ 2004 216.
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BVerfGE 44 353, 371, 373; BGH NStZ 1997 147; KK/Nack 22; Amelung NJW 1991 2533, 2537; Schoreit NStZ 1999 173, 174; Münchhalffen FS Mehle 448. BVerfGE 42 212, 220; BVerfGE 44 353, 371 ff.; BVerfG wistra 2009 227. BGH wistra 1997 107, 108; BVerfG wistra 2009 425, 427, wonach nur bei bewusst rechtswidriger oder willkürlicher Rechtsanwendung durch den Ermittlungsrichter ein Verwertungsverbot anzunehmen sei; LG Wiesbaden NJW 1979 175. BVerfG NJW 1999 273. Schmidt StraFo 2009 448 m.w.N.; SK/Wohlers 77; Hüls ZIS 2009 160, 165; Asbrock
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h) Überschreiten der Grenzen eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Das Überschreiten der durch die Anordnung gesteckten Grenzen durch die Ermittlungsbeamten kann dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wenn die Beschränkung auf den Ermittlungszweck planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wird.700 Liegt eine bewusste Missachtung der Grenzen des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses vor, wie es beispielsweise bei einem planmäßigem Suchen nach „Zufallsfunden“ der Fall ist, so unterfallen die aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot. Eine (analoge) Anwendung des § 108 kommt nicht in Betracht, da die Begrenzungsfunktion der richterlichen Anordnung anderenfalls ausgehebelt wird.701 Die bewusste Missachtung der Grenzen einer richterlichen Anordnung ist daher im Ergebnis nicht anders zu bewerten als die bewusste Missachtung des Richtervorbehaltes insgesamt. Soweit ersichtlich ist bislang nicht entschieden worden, ob diese Maßstäbe auch gelten, wenn es sich um schwerwiegende Taten handelt.702
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i) Verstöße gegen § 105 Abs. 2. Verstöße gegen § 105 Abs. 2 begründen nach Sinn und Zweck der Vorschrift ein Verwertungsverbot für Beweismittel, die bei der insoweit rechtswidrigen Durchsuchung aufgefunden werden.703 Es handelt sich bei der Hinzuziehung von Zeugen um zwingendes, den Betroffenen schützenden Recht (vgl. Rn. 120). Die Hinzuziehung von Durchsuchungszeugen dient zwar nicht ausschließlich den Interessen des Betroffenen, sondern auch dem öffentlichen Interesse, weil die Strafverfolgungsorgane vor unberechtigten Vorwürfen des Betroffenen geschützt werden sollen.704 Es wäre aber zu weitgehend, daraus besondere Einschränkungen abzuleiten und insbesondere Beweisverwertungsverbote bei Verstößen gegen § 105 Abs. 2 abzulehnen.705
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6. Zuständigkeit. Über die Frage, ob ein Verwertungsverbot vorliegt, entscheidet im Strafverfahren das Gericht der Hauptsache unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung oder Beschlagnahme.706 Anderes gilt im Finanzgerichtsverfahren: Wird dort die Durchsuchung sowie die Beschlagnahme nach den §§ 98, 102, 105 angeordnet, so obliegt die Prüfung, ob diese Maßnahme mangels Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist, nicht den Finanzbehörden, sondern dem Amtsgericht und dem im Beschwerdeverfahren nach § 304 zuständigen Landgericht.707 Wird der Beschluss des Amtsgerichts nicht angefochten oder die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen, entfaltet die Durchsuchungsanordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass den Steuergerichten eine nochmalige Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses verwehrt ist und sie für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung auszugehen haben. Umgekehrt kann ein Verwertungsverbot aus der Rechtswidrigkeit einer verfahrensmäßig gesondert zu beurteilenden
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StV 1999 187, 189; Krekeler NStZ 1993 263, 265; Ransiek StV 2002 565, 570; Wehnert StV 1999 522; Wohlers StV 2008 434, 436. KG Berlin StV 1985 404; vgl. ferner LG Arnsberg, ZIP 1984 889; LG Bremen StV 1984 505; LG Wiesbaden StV 1988 292; vgl. BVerfGE 113 29, 61. LG Freiburg NStZ 1999 582. Bejahend Krekeler NJW 1993 263, 267. Born JR 1983 52, 54.
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BGH NJW 1963 1461; Meyer-Goßner 11; Krekeler NJW 1993 263, 267; Rengier NStZ 1981 372, 374. Radtke/Hohmann/Ladiges macht zu Recht verfassungsrechtliche Bedenken geltend; a.A. SK/Wohlers 80. Amelung NJW 1991 2533, 2539; Weiler GedS Meurer 395, 415; Fezer FS Rieß 93, 106; a.A. Schlothauer StV 2003 208, 210. Schwarz/Dumke § 208, 15a AO.
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Ermittlungsmaßnahme nur dann abgeleitet werden, wenn die Maßnahme in dem dafür vorgesehenen Verfahren für rechtswidrig erklärt worden ist.708 7. Revision. Auf Fehler bei der Durchsuchung kann die Revision nicht gestützt wer- 149 den, da die Durchsuchung kein Beweismittel ist.709 Wohl aber kann mit der Revision, und zwar mit der Verfahrensrüge, geltend gemacht werden, das Gericht habe ein wegen Mängeln bei der Durchsuchung nicht verwertbares Beweismittel verwertet.710
X. Schadensersatz und Entschädigung Die Durchsuchung kann für den Betroffenen erhebliche wirtschaftliche Nachteile zur 150 Folge haben. Soweit das Verhalten der durchsuchenden Beamten namentlich bei der Ausübung unmittelbaren Zwangs rechtswidrig und schuldhaft war, kommt Schadensersatz nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht (Beispiel: Schäden durch gewaltsames Öffnen von Behältnissen, sofern ein Handwerker hätte herbeigeholt werden können). Im Übrigen ist zu unterscheiden: Bei Dritten kommt Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen,711 beim Beschuldigten eine solche nach StrEG in Betracht.712 Geringfügige wirtschaftliche Nachteile müssen die Betroffenen in jedem Fall aus Gründen der sozialen Adäquanz selbst tragen.
§ 106 (1) 1Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume oder Gegenstände darf der Durchsuchung beiwohnen. 2Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar zuzuziehen. (2) 1Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit zugezogenen Person ist in den Fällen des § 103 Abs. 1 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekanntzumachen. 2Diese Vorschrift gilt nicht für die Inhaber der in § 104 Abs. 2 bezeichneten Räume. Übersicht Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwesenheitsrecht des Betroffenen (Abs. 1 Satz 1) a) Inhaber der Räume oder Durchsuchungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . b) Wartepflicht . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzicht. Verwirkung . . . . . . . . . . 3. Zuziehung Dritter bei Abwesenheit des Inhabers (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . .
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BFHE 177 242; BFH BStBl. II 1995 497; BFH/NV 2006 483; BFH/NV 2008 1519; Tipke/Kruse/Seer § 208 AO 1977 Tz. 143. Eb. Schmidt Nachtr. I 2; Roxin NStZ 1989 376, 378.
Rn. 4. Sonstige Anwesenheitsrechte a) Staatsanwalt . . . . . . . . . b) Finanzbehörde . . . . . . . c) Beschuldigter. Verteidiger . . 5. Bekanntmachung (Abs. 2) . . . 6. Rechtsfolgen bei Verstößen a) Rechtsnatur . . . . . . . . . b) Anfechtbarkeit . . . . . . . c) Verwertungsverbot. Revision
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Vgl. BVerfG NJW 2009 3225; BGHSt 51 285; BGH StV 2012 3, 4. BGH NJW 2013 1736. OLG Rostock NJW-RR 2011 878 m.w.N.; Meyer StrEG § 2, 15.
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1. Allgemeines. Die Vorschrift belegt, dass die Durchsuchung eine offene Ermittlungsmaßnahme ist (§ 102, 1). Sie regelt das Verfahren bei Durchsuchungen und damit die gesetzlich vorgeschriebene Form im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG und dient dem Schutz des Betroffenen. § 106 bezieht sich sowohl auf Durchsuchungen bei Verdächtigen nach § 102 als auch bei Nichtverdächtigen nach § 103 – und zwar unabhängig davon, ob sie richterlich angeordnet worden sind. Letzteres ist vor allem für Abs. 2 von Bedeutung. Die Norm gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen. Zur Rechtsnatur der Vorschrift s. Rn. 15. 2. Anwesenheitsrecht des Betroffenen (Abs. 1 Satz 1)
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a) Inhaber der Räume oder Durchsuchungsgegenstände (Abs. 1 Satz 1). Inhaber ist, wer die zu durchsuchenden Räume tatsächlich innehat und wer an den Durchsuchungsgegenständen Gewahrsam hat.1 Hat der Raum mehrere Inhaber oder steht der Gegenstand im Gewahrsam mehrerer Personen, so sind sie alle berechtigt, der Durchsuchung beizuwohnen. Bei Hotelzimmern ist neben dem Gast der Hotelbesitzer Inhaber, bei Mietwohnungen dagegen nur der Mieter.2 Auf den Mietvertrag kommt es nicht an. Deshalb sind bei Wohnungen die tatsächlichen Benutzer Inhaber, es sei denn, sie seien als Hausbesetzer rechtswidrig eingedrungen. Ein Haftraum ist zwar keine Wohnung im Sinne des Art. 102 GG (oben § 102, 51), wohl aber kann der Gefangene „Inhaber“ im Sinne der Vorschrift sein;3 zumindest ist er Inhaber seiner im Haftraum verwahrten Sachen, auf die es in der Regel bei einer Durchsuchung ankommt. Bei Betrieben, namentlich bei Niederlassungen und Zweigbetrieben, entscheiden die tatsächlichen Umstände, weshalb z.B. bei Zweigbetrieben der örtliche Betriebsleiter auch Inhaber der Räume im Sinne von § 106 ist.
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b) Keine Wartepflicht. Das Recht zur Anwesenheit bei der Durchsuchung hat der Inhaber nur, wenn er sich am Durchsuchungsort, also in den zu durchsuchenden Räumen oder bei dem zu durchsuchenden Gegenstand, aufhält. Er darf dabeibleiben und muss sich in den zu durchsuchenden Räumen frei bewegen können,4 um die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Durchsuchung zu kontrollieren. Der die Durchsuchung ausführende Beamte ist nicht verpflichtet, auf das Erscheinen des abwesenden Inhabers zu warten oder ihn gar holen zu lassen. Befindet sich dieser indes in der Nähe, gebietet es das Gewicht des Eingriffs und die verfassungsrechtliche Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre,5 ihn zu benachrichtigen und auf sein Erscheinen zu warten, damit der Inhaber die Durchsuchung durch freiwillige Herausgabe der gesuchten Gegenstände abwenden oder wenigstens deren Rechtmäßigkeit kontrollieren kann. Erscheint der Inhaber nach Beginn der Durchsuchung, hat er ab seinem Erscheinen die Rechte des §106 Abs. 1.
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Park 158; KK/Nack 1; HK/Gercke 2; SK/Wohlers 4. KMR/Hadamitzky 3. OLG Hamm Beschl. v. 28.3.1980 – I VAs 8/80; a.A. OLG Dresden ZfStrVo 1995 251; OLG Karlsruhe StV 1986 10, 12; OLG Stuttgart NStZ 1984 574; OLG Frankfurt ZfStrVo
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1982 191; GA 1979 429; Meyer-Goßner 3; KK/Nack 1; offengelassen bei BGH NStZ 1983 375. Vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 26.10.1992 – 4 VAs 5/92 – (insoweit in StV 1993 235 nicht abgedruckt). BVerfGE 51 97, 107; 96 27, 40; 103 142.
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§ 106
c) Verzicht. Verwirkung. Der anwesende Inhaber der Räume oder Gegenstände kann 4 auf die Teilnahme an der Durchsuchung verzichten; er kann auch einen anderen beauftragen, der Durchsuchung beizuwohnen und dabei seine Rechte wahrzunehmen.6 Stört der Inhaber die Durchsuchung, so kann er nach § 164 entfernt und festgehalten werden,7 sein Anwesenheitsrecht ist dann verwirkt.8 Nimmt der Betroffene seine Rechte wahr oder überprüft sein rechtlicher Beistand bzw. Verteidiger die Rechtmäßigkeit des Vorgehens, liegt darin nie eine Störung.9 3. Zuziehung Dritter bei Abwesenheit des Inhabers (Abs. 1 Satz 2). Ist der Inhaber der Räume oder der Durchsuchungsgegenstände nicht anwesend, so müssen, und zwar in der angegebenen Reihenfolge,10 sein Vertreter, ein erwachsener Angehöriger, ein Hausgenosse oder ein Nachbar11 zugezogen werden. Das gilt auch, wenn es sich um Räume der in § 104 Abs. 2 bezeichneten Art handelt. Ist der anwesende Inhaber entfernt worden, weil er die Durchsuchung gestört hat, so hat er sein Anwesenheitsrecht verwirkt;12 Abs. 1 Satz 2 findet dennoch Anwendung.13 Vertreter ist sowohl derjenige, der den Inhaber in sonstigen Angelegenheiten kraft Auftrags (Hausverwalter) oder üblicherweise (Ehepartner, der auch sonst die Geschäfte des betroffenen Ehepartners erledigt)14 vertritt, als auch der eigens zur Wahrnehmung der Rechte des Inhabers bei der Durchsuchung bestellte Vertreter.15 Ist der Inhaber der Beschuldigte, so kann ihn sein Verteidiger bei der Durchsuchung vertreten.16 Ist ein Vertreter anwesend, aber zur Teilnahme an der Durchsuchung nicht bereit, so ist die Lage nicht anders als in dem Fall, dass der Inhaber selbst auf die Teilnahme verzichtet; eine andere Person braucht daher nicht zugezogen werden.17 Da die Beiziehung von Zeugen schon in § 105 Abs. 2 geregelt ist, kommt den nach § 106 Abs. 1 Satz 2 zuzuziehenden Personen offenbar eine andere Funktion zu: Sie werden anstelle des abwesenden Inhabers zugezogen; ihre Aufgabe kann daher nur darin bestehen, dass sie die Interessen des Inhabers wahrnehmen. Von der Zuziehung der in § 106 Abs. 1 Satz 2 genannten Personen kann abgesehen werden, wenn sie unmöglich ist oder für den Zugezogenen gefährlich wäre. Stört der Zugezogene die Durchsuchung, so ist er nach § 164 zu entfernen und an seiner Stelle eine andere Person zuzuziehen.
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Meyer-Goßner 2; KMR/Hadamitzky 3. RGSt 33 251; Meyer-Goßner 2; Gillmeister 82; SK/Wohlers 19: Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen den Inhaber sei die Durchsuchungsanordnung, außer es liegt eine Störung einer Begleitmaßnahme vor, so dass der Durchsuchungszweck nicht gefährdet ist; zur Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen wie „Stubenarrest“ und „Telefonsperre“: § 105, 127; Eisenberg FS Rolinski 165, 175 ff.; Park 191 ff.; SK/Wohlers 22 f. Meyer-Goßner 2; a.A. SK/Wohlers 24. SK/Wohlers 10. KK/Nack 2; Meyer-Goßner 4; KMR/Hadamitzky 12; Pfeiffer 2; Kaufmann 115.
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Eisenberg FS Rolinski 165, 170 ff. sieht die Hinzuziehung des Nachbars im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung problematisch. Meyer-Goßner 5; KMR/Hadamitzky 12; Krause/Nehring 7. KK/Nack 5; SK/Wohlers 24; a.A. Eisenberg 2438; Meyer-Goßner 4; Graf/Hegmann 6; KMR/Hadamitzky 12. A.A. SK/Wohlers 15. KMR/Hadamitzky 2; Meyer-Goßner 4. Zum Unternehmensanwalt vgl. Stoffers wistra 2009, 379, 382; Taschke StV 2007, 495, 498. Meyer-Goßner 4.
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4. Sonstige Anwesenheitsrechte
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a) Staatsanwalt. Da er gesetzlich (§ 36 Abs. 2 Satz 1) mit der Durchführung der Durchsuchungsanordnung betraut ist, hat der Staatsanwalt immer ein Anwesenheitsrecht. Das gilt auch, wenn der Richter ausnahmsweise an der Durchsuchung selbst teilnimmt (§ 105, 111). Dem Privatkläger, Nebenkläger und ihren Prozessbevollmächtigten steht kein Teilnahmerecht zu.
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b) Finanzbehörde. Führt in einem Steuerstrafverfahren die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren (vgl. § 386 AO), ist nach § 403 AO die Finanzbehörde (vgl. zum Begriff § 386 Abs. 1 AO), die für das Ermittlungsverfahren zuständig wäre, würde nicht die Staatsanwaltschaft ermitteln, zur Anwesenheit berechtigt. Die Steuerfahndung ist nicht Finanzbehörde im Sinne des § 403,18 sie kann aber von der Staatsanwaltschaft mit der (Mitwirkung an der) Durchsuchung beauftragt werden (§ 404 Satz 1 AO).
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c) Beschuldigter. Verteidiger. Der Beschuldigte hat in dieser Eigenschaft kein Anwesenheitsrecht bei der Durchsuchung;19 es sei denn, er ist selbst anwesender Inhaber der von der Durchsuchung betroffenen Räume und Gegenstände (dann gilt § 106 Abs. 1 Satz 1) oder der Inhaber gestattet ihm die Anwesenheit.20 Anderes gilt nur dann, wenn mit der Durchsuchung – was in der Praxis selten ist – eine richterliche Ermittlungshandlung, z.B. ein Augenschein verbunden ist. Dann finden §§ 168c, 168d Anwendung. Ist der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, so kann er seine Vorführung zu der Durch12 suchung selbst dann nicht verlangen, wenn sie in seinen eigenen Wohn- oder Geschäftsräumen vorgenommen wird. Wird der Verteidiger nicht als Vertreter des abwesenden Inhabers zugezogen (Rn. 6), 13 hat er ein Anwesenheitsrecht, soweit der Beschuldigte Inhaber der von der Durchsuchung betroffenen Räume und Gegenstände ist oder soweit ihm der Inhaber die Anwesenheit gestattet. Der Verteidiger wird von der Durchsuchung benachrichtigt und will er erscheinen, sollte aus den in Rn. 3 genannten Gründen auf ihn gewartet werden, was auch aus atmosphärisch regelmäßig zweckmäßig sein dürfte.21 Zur Anwesenheit bei mit einer Durchsuchung verbundenen richterlichen Ermittlungshandlung, z.B. einem Augenschein, vgl. §§ 168c, 168d.
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5. Bekanntmachung (Abs. 2). Unabhängig davon, ob der Durchsuchung eine richterliche Entscheidung zugrunde liegt oder nicht, ist nach Abs. 2 Satz 1 bei einer Durchsuchung nach § 103 dem Inhaber oder – bei dessen Abwesenheit – der zugezogenen Person vor der Durchsuchung deren Zweck bekanntzugeben; nach § 107 ist dem Betroffenen nach der Durchsuchung ferner deren Grund und – soweit es sich um den Beschuldigten handelt – die vorgeworfene Straftat mitzuteilen. Diese (vorkonstitutionelle) Regelung wird der Bedeutung des Eingriffs nicht gerecht und degradiert den Betroffenen zu einem bloßen Objekt staatlichen Verhaltens. Insbesondere ist der Eingriff bei Anwendung dieser Vorschriften nicht messbar und kontrollierbar, wie dies das BVerfG22 ver18 19
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Flore/Tsambikakis/Klötzer-Assion § 404, 3 AO; a.A. Küster BB 1980 1371. OLG Stuttgart NStZ 1984 574; KK/Nack 3; Meyer-Goßner 3; KMR/Hadamitzky 7; Rengier NStZ 1981 372, 374. Meyer-Goßner 3. Michalke NJW 2008 1490, 1491; Park 189;
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KMR/Hadamitzky 6; Meyer-Goßner 2; SK/Wohlers 13; vgl. zu allem Rengier NStZ 1981 372, 375. BVerfGE 42 212, 220; BVerfG NJW 1997 2163; BVerfG (Kammer) Beschl. v. 18. Februar 2002 – 2 BvR 863/01.
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langt. Ein verfassungskonforme Auslegung der genannten Vorschriften dahin, dass der richterliche Durchsuchungsbeschluss dem Betroffenen oder seinem Vertreter (auch in Fällen des § 106 Abs. 2 Satz 2) vor der Durchsuchung auszuhändigen ist, ist deshalb geboten,23 soweit der Durchsuchungszweck dadurch nicht ausnahmsweise gefährdet wird (§ 107, 2). Wird die Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug ohne richterliche Entscheidung durchgeführt, muss eine entsprechende, möglichst schriftliche Bekanntgabe erfolgen. Dies gilt auch in den Fällen des § 103, da der Dritte andernfalls seine Rechte nicht wahrnehmen kann.24 Im Übrigen gebietet schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die vorherige Bekanntmachung der richterlichen oder nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung, da nur so der Betroffene in die Lage versetzt wird, durch freiwillige Herausgabe die regelmäßig schwerwiegende Maßnahme abzuwenden. Diese Grundsätze müssen auch auf die Personendurchsuchung des Verdächtigen angewandt werden, soll die Maßnahme rechtmäßig sein.25 6. Rechtsfolgen bei Verstößen a) Rechtsnatur. Ebenso wie § 105 Abs. 2 bezüglich der Zuziehung von Durchsuchungs- 15 zeugen (vgl. § 105, 118) enthält § 106 als gesetzlich geregelte „Form“ der Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG zwingendes Recht und stellt nicht lediglich eine Ordnungsvorschrift dar.26 Eine andere Auslegung würde den Bürger zum Objekt staatlichen Handelns degradieren. Bei einem Verstoß gegen § 106 hat der Betroffene deshalb das Recht, Notwehr auszuüben.27 b) Anfechtbarkeit. Die Vorschrift regelt die Art und Weise der Durchsuchung. Zu 16 ihrer Überprüfung kann der Betroffene auch nach Beendigung der Durchsuchung die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 bei nichtrichterlich28 und bei richterlich29 angeordneter Durchsuchung beantragen. c) Verwertungsverbot. Revision. Mit der Revision könnte allenfalls ein durch den 17 Verstoß gegen die Vorschrift begründetes Verwertungsverbot geltend gemacht werden. S. § 105, 149. Verstöße gegen die Vorschrift berühren indes zwar die Rechtmäßigkeit des Vorgehens bei der Durchsuchung, sie sind aber nicht so gravierend, dass deshalb bei der nach der Rechtsprechung gebotenen Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und denen der Rechtsgemeinschaft an angemessener Strafverfolgung ein Verwertungsverbot der bei der Durchsuchung erlangten Erkenntnisse angenommen werden müsste.30
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BGHR StPO § 105 Bekanntmachung 1; Gillmeister 57. A.A. Rengier NStZ 1981 372, 374 unter Berufung auf den Persönlichkeitsschutz des Beschuldigten. OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37. BGHSt 51 211, 213 ff.; OLG Hamm Beschl. vom 28.3.1980 – 1 VAs 8/80; Rengier NStZ 1981 372, 373; Sommermeyer JR 1990 493, 499; a.A. Meyer-Goßner 1; Graf/Hegmann 3; HK/GS/Hartmann 1.
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BGH NStZ 1983 375, 376; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37. BGHSt 44 265. BGHSt 45 183; Hans OLG StV 1999 301; s. auch den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart NStZ 1999 374; s. aber auch § 105, 131. BGH NStZ 1983 375, 376; Meyer-Goßner 1; KK/Nack 1; a.A. AG Bremen StV 2008, 589; vgl. zu Beweisverwertungsverboten infolge rechtswidriger Durchsuchungen § 105, 139 ff.
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§ 107
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§ 107 1Dem
von der Durchsuchung Betroffenen ist nach deren Beendigung auf Verlangen eine schriftliche Mitteilung zu machen, die den Grund der Durchsuchung (§§ 102, 103) sowie im Falle des § 102 die Straftat bezeichnen muß. 2Auch ist ihm auf Verlangen ein Verzeichnis der in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände, falls aber nichts Verdächtiges gefunden wird, eine Bescheinigung hierüber zu geben.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 21 Nr. 25 EGStGB 1974 wurden in Satz 1 die Worte „strafbare Handlung“ durch das Wort „Straftat“ ersetzt.
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1. Allgemeines. Die durchsuchende Behörde wird durch § 107 verpflichtet, dem von der Durchsuchung Betroffenen den Durchsuchungsgrund mitzuteilen und das Durchsuchungsergebnis zu bescheinigen. Gebühren dürfen dafür nicht erhoben werden.1 Diese Mitteilungspflicht ist für die richterliche Anordnung bereits in § 35 geregelt. Eigenständige Bedeutung gewinnt § 107 daher bei nichtrichterlichen Anordnungen und in den Fällen, in denen die Bekanntmachung der richterlichen Anordnung zurückgestellt wurde.2 Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung der „Form“ der Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, die der Wohnung als der „räumlichen Privatsphäre“3 besonderen Schutz zuteil werden lässt. Die Vorschrift kann deshalb nicht (mehr) als Ordnungsvorschrift angesehen werden.4 § 107 gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen. Unabhängig davon ist gemäß § 168b wie bei allen staatsanwaltschaftlichen Untersuchungshandlungen, die von der Staatsanwaltschaft durchgeführt worden sind, ein Protokoll über das Durchsuchungsergebnis zu fertigen und zu den Akten zu nehmen. Für polizeiliche Maßnahmen gilt wegen § 163 Abs. 2 Satz 1 Entsprechendes.
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2. Durchsuchungsbescheinigung. Der von der Durchsuchung Betroffene, also der verdächtige (§ 102) oder unverdächtige (§ 103) Inhaber der Wohnung, des Geschäftsraums, des befriedeten Besitztums oder der Inhaber des Gewahrsams an den durchsuchten Sachen hat einen Anspruch darauf zu erfahren, was man bei ihm gesucht hat und ob er selbst verdächtigt wird oder nicht. Allein abstrakte Ausführungen genügen dabei nicht. Es müssen alle Umstände aufgeführt, die für eine Überprüfung der Durchsuchungsanordnung notwendig sind. Ansonsten würde der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes konterkariert werden.5 Anderes gilt nur, wenn der Untersuchungszweck gefährdet werden würde.6 Soweit § 107 sich darauf beschränkt, dass diese Angaben nach der Durchsuchung gemacht werden und sich auf Grund der Durchsuchung (Ergreifung des Beschuldigten, Auffindung von Beweismitteln) und im Falle des § 102 auf die Nennung der Straftat beschränken können, ist die Vorschrift mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Vgl. § 106, 14. Eine nachträgliche Mitteilung kommt nur dann in Betracht, wenn
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Eb. Schmidt 3; Kaufmann 116. Park 202; KK/Nack 2; SK/Wohlers 1. BVerfGE 32 54, 72. BGHSt 51 211, 213; a.A. unter Berufung auf die 24. Aufl. OLG Stuttgart StV 1993 235.
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Vgl. auch Krekeler NStZ 1993 263, 265; SK/Wohlers 6. BGH v. 07.11.2002, StB 16/02; AK/Amelung 7; KK/Nack 3; Park 202; a.A. MeyerGoßner 2.
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andernfalls der Durchsuchungserfolg gefährdet wäre.7 In der Regel ist dem Betroffenen deshalb die richterliche Anordnung vor der Durchsuchung auszuhändigen. Bei Maßnahmen der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen genügt ausnahmsweise (§ 105, 79) eine – allerdings eingehende – mündliche Mitteilung, deren Inhalt aktenkundig zu machen ist.8 3. Beschlagnahmeverzeichnis. Negativbescheinigung. Sowohl im Fall der Durch- 3 suchung nach § 102 als auch in dem nach § 103 ist dem Betroffenen auf Verlangen ein Verzeichnis der formlos sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände, die in amtliche Verwahrung genommen oder in anderer Weise sichergestellt worden sind, oder eine Bescheinigung zu geben, dass nichts gefunden worden ist. Das Beschlagnahmeverzeichnis soll für den Betroffenen, aber auch im Interesse der durchsuchenden Beamten die beschlagnahmten Gegenstände festhalten. Dazu genügt es, sie nach Art und Zahl identifizierbar aufzuführen.9 Es ist nicht erforderlich, sie näher zu beschreiben oder, wenn es sich um Schriftstücke handelt, ihren Inhalt stichwortartig wiederzugeben. Bei Leitzordnern wird in der Regel die Angabe der Beschriftung auf der Rückseite,10 bei einzelnen Urkunden die Angabe des Gegenstands („Kaufvertrag v. 12.12.1985“), bei Waffen und Rauschgift die Art und Menge ausreichen. 4. Anspruchsberechtigte. Die in § 107 aufgeführten Mitteilungen, Verzeichnisse und 4 Bescheinigungen müssen nur auf Verlangen erteilt werden.11 Die Praxis verfährt hier zu Recht großzügig. Das Verlangen kann an den Beamten gerichtet werden, der die Durchsuchung vorgenommen, oder an die Behörde, die sie angeordnet hat.12 Haben die Räume mehrere Inhaber, so hat jeder von ihnen den Anspruch für sich. Wenn der Inhaber abwesend ist, kann die nach § 106 Abs. 1 Satz 2 zugezogene Person das Verlangen stellen.13 Der abwesende Betroffene kann die Mitteilung, das Verzeichnis oder die Bescheinigung aber auch selbst nachträglich verlangen.14 Dieses Recht wird durch Zeitablauf nicht verwirkt.15 Zuständig für die nachträgliche Mitteilung ist die in diesem Zeitpunkt für das Verfahren zuständige Stelle.16 Eine Verpflichtung dem Berechtigten das Beschlagnahmeverzeichnis und die Negativbescheinigung auch dann auszustellen, wenn er dies nicht verlangt, besteht nicht. 5. Zeitpunkt. Die Worte „nach deren Beendigung“ in § 107 Satz 1 besagen nur, dass 5 die schriftliche Mitteilung nicht früher gefordert werden darf als vor dem Ende der Durchsuchung. Da die Vorschrift der Kontrolle des Betroffenen dient und Misstrauen vermeiden soll, muss das Beschlagnahmeverzeichnis oder die Negativbescheinigung an
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HK/Gercke 3; SK/Wohlers 1; einschränkend: die Bescheinigung sollte möglichst vor der Durchsuchung ausgehändigt werden, so KK/Nack 3; a.A. Meyer-Goßner 2. Zur Verwendung von Formblättern: Michalke NJW 2008 1493. OLG Stuttgart StV 1993 235; Michalke NJW 2008 1943; Stoffers wistra 2009 379, 383; eine Aufführung nach Art und Zahl ist ausreichend: Kemper wistra 2008 96, 97 sowie Krekeler wistra 1983 43, 46. Vgl. KK/Nack 4; Krekeler wistra 1983 43, 46.
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KG Beschl. v. 5.9.2008 – 2 Ws 408/08: Kein Anspruch auf Erteilung einer sog. Negativbescheinigung bei einer Durchsuchung des Haftraums nach § 84 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Meyer-Goßner 4; Eb. Schmidt 3. SK/Wohlers 4; a.A. Eb. Schmidt 2. SK/Wohlers 4. So auch Park 203. OLG Schleswig bei Döller/Dreeßen SchlHA 2003 187.
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Ort und Stelle sofort schriftlich hergestellt werden.17 Dies gilt auch dann, wenn Schriftstücke noch nicht beschlagnahmt, sondern erst zur Durchsicht mitgenommen werden.
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6. Rechtsmittel. Verwertungsverbot. Revision. Die Erteilung der Durchsuchungsbescheinigung und des Beschlagnahmeverzeichnisses betreffen die Art und Weise der Durchsuchung. Zu ihrer Überprüfung kann der Betroffene auch nach Beendigung der Durchsuchung die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 bei nichtrichterlich18 und bei richterlich19 angeordneter Durchsuchung beantragen (S. Erl. bei § 105, 131 und 134).20 Verstöße gegen die Vorschrift berühren zwar die Rechtmäßigkeit des Vorgehens bei der Durchsuchung, sie sind aber nicht so gravierend, dass deshalb bei der gebotenen Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und denen der Rechtsgemeinschaft an angemessener Strafverfolgung ein Verwertungsverbot der bei der Durchsuchung erlangten Erkenntnisse angenommen werden müsste.21 Mit der Revision könnte allenfalls ein durch den Verstoß gegen die Vorschrift begründetes Verwertungsverbot geltend gemacht werden. S. § 105, 115.
§ 108 (1) 1Werden bei Gelegenheit einer Durchsuchung Gegenstände gefunden, die zwar in keiner Beziehung zu der Untersuchung stehen, aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten, so sind sie einstweilen in Beschlag zu nehmen. 2Der Staatsanwaltschaft ist hiervon Kenntnis zu geben. 3Satz 1 findet keine Anwendung, soweit eine Durchsuchung nach § 103 Abs. 1 Satz 2 stattfindet. (2) Werden bei einem Arzt Gegenstände im Sinne von Absatz 1 Satz 1 gefunden, die den Schwangerschaftsabbruch einer Patientin betreffen, ist ihre Verwertung zu Beweiszwecken in einem Strafverfahren gegen die Patientin wegen einer Straftat nach § 218 des Strafgesetzbuches unzulässig. (3) Werden bei einer in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 genannten Person Gegenstände im Sinne von Absatz 1 Satz 1 gefunden, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der genannten Person erstreckt, ist die Verwertung des Gegenstandes zu Beweiszwecken in einem Strafverfahren nur insoweit zulässig, als Gegenstand dieses Strafverfahrens eine Straftat ist, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist und bei der es sich nicht um eine Straftat nach § 353b des Strafgesetzbuches handelt.
Schrifttum s. bei § 94.
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OLG Stuttgart StV 1993 235; Meyer-Goßner 4; „alsbald“, wenn die sofortige Erstellung nicht möglich ist. BGHSt 44 265. BGHSt 45 183; OLG Hamburg StV 1999 301; s. auch den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart NStZ 1999 374; s. aber auch § 105, 131. LG Stade wistra 2002 319; HK/Gercke 9;
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KK/Nack 5; dagegen halten den Rechtsweg nach § 23 EGGVG für eröffnet: OLG Karlsruhe NStZ 1995 48; LG Gießen wistra 2000 76; Meyer-Goßner 5; Krekeler wistra 1983 43, 46. OLG Stuttgart StV 1993 235; KK/Nack 5; Neuhaus FS Herzberg 878 zu § 107 S. 2; a.A. Krekeler NStZ 1993 263, 268; Sommermeyer JR 1990 493, 499.
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Entstehungsgeschichte. Durch Art. 21 Nr. 26 EGStGB 1974 wurden in Satz 1 die Worte „strafbaren Handlung“ durch das Wort „Straftat“ ersetzt. Satz 3 wurde durch Art. 1 Nr. 3 StPÄG 1978 angefügt. Mit Wirkung vom 5.8.1992 fügte Art. 14 Nr. 3 Buchst. a des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom. 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Abs. 2 ein, der frühere Text wurde Absatz 1. Abs. 3 wurde mit Wirkung vom 1.1.2008 durch Gesetz vom 21.12.2007 eingefügt (Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG – BGBl. I S. 3198) und dient der Stärkung des sog. Informantenschutzes von Medienmitarbeitern und damit letztlich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG; BTDrucks. 16 6679 S. 44). Gemäß Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 7.11.2007 wurden zudem zur Klarstellung der Schutzrichtung in Abs. 2 nach dem Wort „Verwertung“ die Wörter „zu Beweiszwecken“ eingefügt und das Wort „ausgeschlossen“ durch „unzulässig“ ersetzt (BTDrucks. 16 6679 S. 18 f., 44).
Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . . b) Regelungsbereich . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zu §§ 94, 98, 105 . . . . . . d) Einziehung und Verfall . . . . . . . . . e) Briefkontrolle bei Untersuchungsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . f) „Zufallsfunde“ in dem Verfahren, in dem die Durchsuchung stattfindet . . . . . . 2. Einstweilige Beschlagnahme (Abs. 1 Satz 1) a) Vorläufige Maßnahme . . . . . . . . . b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
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3.
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4.
7 5. 6. 7.
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c) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . d) Weitere Behandlung . . . . . . . Gebäudedurchsuchung (Abs. 1 Satz 3) a) Zufallsfunde bei Gebäudedurchsuchungen . . . . . . . . . . . . . b) Mitteilungspflichten . . . . . . . Verwertungsverbote. Revision a) Verwertungsverbot . . . . . . . . b) Revision . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . Abs. 2: „Lex Theissen“ . . . . . . . . Abs. 3: „Lex Cicero“ . . . . . . . .
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1. Allgemeines a) Zweck der Vorschrift: Sicherstellung möglicher Beweismittel für ein anderes Ver- 1 fahren. Durchsuchungen werden in einem bestimmten Verfahren durchgeführt.1 Sie führen immer wieder zu Funden, die zwar mit der Tat, derentwegen die Durchsuchung angeordnet worden ist, in keinem Zusammenhang stehen, aber auf die Begehung einer anderen Straftat hindeuten. Dem Gesetz und den Zielen einer wirksamen Verbrechensbekämpfung würde es zuwiderlaufen, wenn die Durchsuchungsbeamten die Augen vor solchen Beweismitteln nur deswegen verschließen müssten, weil die Durchsuchung für die Zwecke eines anderen Verfahrens angeordnet worden ist. Es wäre nicht nur eine „wertlose Umständlichkeit“2, sondern würde vielfach zu einem endgültigen Beweisverlust führen, wenn die Zufallsfunde zunächst am Fundort belassen werden müssten, aber aufgrund einer neuen Durchsuchungsanordnung beschlagnahmt werden könnten.3 Die dem Legalitätsprinzip unterliegenden Strafverfolger (vgl. § 152 Abs. 2, § 163 Abs. 1) dürfen nach geltenden Recht den Zufallsfund nicht einfach ignorieren. Liegt der Anfangsverdacht einer anderen Straftat vor oder begründet der Zufallsfund diesen, so besteht die Pflicht von Staatsanwaltschaft und Polizei zum Einschreiten (vgl. LR/Beulke § 152, 32). Zufallsfunde können deshalb an Ort und Stelle nach § 98 auch ohne richter-
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Eb. Schmidt 1. RGSt 47 197.
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Vgl. BGHSt 31 296, 301.
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liche Gestattung einer Durchsuchung wegen dieser anderen Straftat beschlagnahmt werden, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift (Beweismitteleignung, Gefahr im Verzug usw.) vorliegen. Im Übrigen können sie, und nur dies regelt § 108, zur Prüfung, ob sie für jenes andere, möglicherweise erst noch einzuleitende, Verfahren als Beweismittel in Betracht kommen, vorläufig sichergestellt werden.4 Der praktische Bereich der unmittelbaren Anwendung der Vorschrift ist deshalb gering. Gegen die Vorschrift hat bereits Rupp5 Bedenken erhoben. Mayer-Wegelin6 sieht 2 wegen der praktisch unbeschränkten Duldungspflicht bei Durchsuchungen den Nemotenetur-Grundsatz gefährdet und Labe7 hält § 108 für verfassungswidrig, weil die Vorschrift die Abwägung zwischen dem Restitutionsprinzip, das zur Folgenbeseitigung bei rechtswidrig gewordenen Maßnahmen oder bei Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse verpflichte, und dem Legalitätsprinzip vermissen lasse. Amelung8 und Welp9 haben mit zutreffenden Überlegungen widersprochen. Eine Beschränkung der Verwertung von Erkenntnissen, die durch eine rechtmäßig angeordnete Durchsuchung erlangt worden sind, ist dem § 108 nicht zu entnehmen. Insoweit ergeben sich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit auf die Zweckbindung als Begrenzung für die Verwendung der Erkenntnisse verwiesen wird,10 folgen daraus jedenfalls für die Zufallsfunde einer Durchsuchung keine besonderen Verwendungs- oder Verwertbarkeitsbegrenzungen. Eine Durchsuchung erfordert den Verdacht irgendeiner Tat und nicht einer bestimmten Katalogtat. Durch diese Maßnahme erlangte Erkenntnisse dürfen demnach bei dem Verdacht jeder Straftat verwertet werden, soweit nicht ein Beschlagnahmeverbot vorliegt. Diese Wertung resultiert auch aus der Systematik der Verwendungsregelungen. Soweit neuere Regelungen begrenzte Zweckbindungen enthalten, beziehen sie sich allein auf solche Maßnahmen, die nur bei Verdacht einer in der Eingriffsnorm bestimmten Katalogstraftat vorgenommen werden dürfen; vgl. § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO, ähnlich ebenso § 161 Abs. 2 StPO. Hierbei wird die Verwendung zu Beweiszwecken beschränkt. Darunter fällt die Maßnahme der Durchsuchung gerade nicht.
3
b) Regelungsbereich. Die Vorschrift erweitert das Beschlagnahmerecht, nicht das Durchsuchungsrecht, für Fälle, in denen die allgemeinen Beschlagnahmevoraussetzungen nicht vorliegen.11 Dies ist namentlich dann der Fall, wenn (kaum vorstellbar) der vollstreckende Beamte nicht Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft sein sollte und deshalb nicht zu einer Beschlagnahmeanordnung befugt ist (§ 98 Abs. 1), wenn keine Gefahr im Verzug gegeben ist (§ 98 Abs. 1),12 vor allem aber dann, wenn der vollstreckende Beamte die Beweisbedeutung des Gegenstands für ein anderes Verfahren nicht abschätzen kann und nicht weiß, ob ein solches anderes Verfahren bereits eingeleitet ist. Die Sicherstellung nach § 108 setzt also nicht voraus, dass bereits im Augenblick des Fundes feststeht, der Gegenstand werde im Sinne des § 94 als Beweismittel für eine Untersuchung von Bedeutung sein. Dies alles soll die Staatsanwaltschaft, welcher der Gegenstand nach § 108 Abs. 1 Satz 2 vorzulegen ist, erst noch prüfen.13 4 5 6 7 8 9 10
Welp JZ 1973 289. ZRP 1972 239. DStZ 1984 244. Zufallsfund und Restitutionsprinzip im Strafverfahren, Diss. Berlin 1990. ZStW 104 (1992) 843. GA 1992 285. HK/Zöller § 161, 32; Engelhardt, Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten
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im Strafprozess, Diss. Münster 2011, 3. Teil; a.A. SK/Wohlers 3; vgl. auch BVerfG NJW 2005 2766: die Verwendung des Spurenansatzes ohne Beschränkung bejahend auch bei Katalogtaten als Voraussetzung der Ermittlungsmaßnahme. Meyer-Goßner 1. BGHSt 19 374, 376; SK/Wohlers 5. Meyer-Goßner 1.
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c) Verhältnis zu § 94, 98, 105. Aus dem Ausgeführten folgt: Stößt der die Durch- 4 suchung vollstreckende Beamte, der Staatsanwalt oder eine Ermittlungsperson auf einen Gegenstand, der nach seiner Kenntnis oder nach seiner bei der Auffindung gewonnenen Erkenntnis für ein bereits anhängiges oder einzuleitendes Verfahren als Beweismittel in Betracht kommt und besteht Gefahr im Verzug, wird er diesen Gegenstand zweckmäßigerweise nach §§ 94, 98 beschlagnahmen und nicht nach § 108 vorläufig sicherstellen.14 War bis zu diesem Zeitpunkt wegen dieser Straftat ein Verfahren noch nicht anhängig, wird es durch diese Beschlagnahme nach §§ 94, 98 eingeleitet (§ 94, 13). In einem solchen Fall darf der vollstreckende Beamte, wenn er nach § 105 Abs. 1 dazu befugt ist, also Staatsanwalt oder Ermittlungsperson ist, eine Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug jenseits des ursprünglichen Durchsuchungszwecks zur Auffindung von Spuren oder Beweismitteln bezüglich der neuen Straftat anordnen, soweit im Übrigen die Voraussetzungen des § 102 oder des § 103 erfüllt sind. d) Einziehung und Verfall. Die Vorschrift gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in 5 § 111b Abs. 4 auch für die Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen. e) Briefkontrolle bei Untersuchungsgefangenen. § 108 ist entsprechend anwendbar, 6 wenn Briefe Untersuchungsgefangener als Beweismittel in einem anderen Verfahren als in dem, in dem die Briefkontrolle stattfindet, in Betracht kommen können.15 f) „Zufallsfunde“ in dem Verfahren, in dem die Durchsuchung stattfindet. § 108 7 erfasst nicht die Fälle, in denen zufällig vom Durchsuchungsbeschluss nicht individuell oder der Art nach erfasste Gegenstände gefunden werden, die aber als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sind, in dem die Durchsuchung stattfindet. Diese Regelung hat gute Gründe:16 Da die vollstreckenden Beamten in diesem Fall das Verfahren und damit auch die Beweiserheblichkeit derartiger Gegenstände kennen, besteht kein Bedürfnis für eine vorläufige Sicherstellung. In solchen Fällen finden nur §§ 94, 98 Anwendung.17 Ob es sich um dieselbe Tat oder eine „andere Straftat“ im Sinne des § 108 handelt, richtet sich nach den Grundsätzen des § 264,18 weshalb grundsätzlich darauf abzustellen ist, ob die Zufallsfunde für eine andere (§ 53 StGB) oder dieselbe (§ 52 StGB) – d.h. verfahrensgegenständliche – Tat im materiell-rechtlichen Sinne relevant wären. Jedenfalls in letztgenannten Fall finden nur §§ 94, 98 Anwendung. Soweit die Rechtsprechung für die Anwendbarkeit des § 108 auf einen „nicht einmal … mittelbaren Zusammenhang“ mit dem Verfahrensgegenstand abgestellt hat,19 ist dies dementsprechend keine notwendige, sondern eine hinreichende Bedingung.
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So auch SK/Wohlers 5; wohl a.A. KK/Nack 3 und 7. BVerfG NJW 2010 2937; BGHSt 28 349; OLG Düsseldorf NJW 1993 3278; SK/Wohlers 10; HK/Gercke 8; kritisch AK/Amelung 21 mit weiteren Hinweisen auf entsprechende Anwendung der Vorschrift durch die Praxis; Einzelheiten zur Briefkontrolle bei § 98, 13.
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A.A. AK/Amelung 10. KK/Nack 7; SK/Wohlers 5; AnwK/Löffelmann 1; kritisch: AK/Amelung 10. BGHSt 19 374, 275; KK/Nack 1; SK/Wohlers 1, 11. BGHSt 19 374, 275.
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2. Einstweilige Beschlagnahme (Abs. 1 Satz 1)
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a) Vorläufige Maßnahme. Die einstweilige Beschlagnahme erfolgt in der bei § 94, 24 beschriebenen Weise. Sie ist eine vorläufige Maßnahme, welche die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzen soll zu prüfen, ob der Gegenstand in einem anderen anhängigen oder auf Grund dieses Zufallsfunds erst noch einzuleitenden Verfahren als Beweismittel in Betracht kommt und dann in jenem Verfahren nach §§ 94, 98 zu beschlagnahmen ist.20 Die von § 108 umfassten Gegenstände brauchen auf die Verübung einer anderen Straftat als derjenigen, derentwegen die Untersuchung geführt wird, nur hinzudeuten. Ausreichend ist der ungewisse Verdacht einer Straftat oder der mutmaßliche Zusammenhang mit einer bereits bekannten Tat.21 Ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 muss nicht bestehen;22 wäre ein solcher Voraussetzung der Sicherstellung, müsste der durchsuchende Beamte diese Frage allein an Hand des Zufallsfunds beurteilen. Der Wortlaut spricht auch nur von „hindeuten“. Jedoch muss die naheliegende Möglichkeit bestehen, dass sie zum Beweis einer anderen Straftat geeignet sind. Auf diese Tat können nicht nur die Gegenstände selbst, sondern auch die Umstände hindeuten, unter denen sie gefunden werden.23
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b) Grenzen. Ebenso wie die Beschlagnahme von Zufallsfunden nach § 98 ist die vorläufige Sicherstellung von „Zufallsfunden“ nach § 108 rechtsstaatlich nur vertretbar, wenn die richterliche Durchsuchungsentscheidung die Grenzen zulässigen Suchens zuvor so klar wie möglich konkretisiert, damit der ursprüngliche Durchsuchungszweck nicht aus dem Blick gerät, Verstöße vermieden werden und ggf. leicht überprüfbar bleiben. § 108 bietet keine Rechtsgrundlage für das Überschreiten der gezogenen, grundrechtlich geschützten Grenzen. Sie ist kein Ermächtigung dafür, anlässlich einer Durchsuchung beliebig nach anderen Gegenständen Umschau zu halten, als nach denen, die im Durchsuchungsbeschluss individuell oder doch der Art nach als zu beschlagnahmende Gegenstände umschrieben sind, aber vielleicht Anlass geben könnten, ein weiteres Strafverfahren einzuleiten.24 Zweifelhaft ist – im Hinblick auf die durch §§ 102, 103 und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezogen Grenzen – auch, ob nach Maßgabe des Beschlusses gemäß § 105 oder unabhängig davon Beweisgegenstände gesucht werden dürfen, die sich zwar bei Dauerdelikten auf dieselbe Tat (§ 264) beziehen, aber (nur oder vorrangig) für einen Tatzeitraum relevant sind, hinsichtlich dessen ein Anfangsverdacht (noch) nicht bejaht werden kann. Problematisch wäre dies insbesondere, wenn auf diesem Wege gezielt einer drohenden Verjährung entgegengewirkt würde. Schon gar nicht kann die Vorschrift dazu dienen, eine Durchsuchung nur zum Vorwand zu nehmen, systematisch nach belastenden Gegenständen zu suchen, die mit der Straftat, auf die sich die Durchsuchungsanordnung bezieht, nichts zu tun haben.25 Der Wortlaut spricht eindeutig nur von Gegenständen, die „bei Gelegenheit einer Durchsuchung“ gefunden werden. Auf-
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BGHSt 28 349; 19 374, 376; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 1. Meyer-Goßner 2; HK/Gercke 10; Hinweise allein auf ein beamtenrechtliche Pflichtverstöße ohne strafrechtliche Relevant reichen nicht aus: OVG Hamburg NVwZ-RR 2012 845. Eisenberg 2445; SK/Wohlers 11; KMR/Hadamitzky 1; Meyer-Goßner 3; Flore/Tsambikakis/Webel 130; a.A. Blumers/Göggerle 520;
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Park 207; Joecks Franzen/Gast/Joecks § 399, 85 AO; Benfer 458; AK/Amelung 8. Meyer-Goßner 2; SK/Wohlers 11. LG Freiburg NStZ 1999 582. LG Hamburg Beschluss v. 6.8.2008 – 632 Qs 33/08; LG Berlin NStZ 2004, 571; nach Krekeler NStZ 1993 263, 267 eine in Wirtschaftsstrafsachen nicht seltene Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden; vgl. auch Ronsdorf ArchKrim. 191 (1993) 42.
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zeichnungen über den Inhalt nicht beschlagnahmefähiger Urkunden sind unzulässig.26 Wird bei einer Bank wegen eines konkreten Tatvorwurfs ermittelt, darf dies nicht dazu ausgenutzt werden, auch gegen unverdächtige Bankkunden eine „Flächenfahndung“ durchzuführen, indem für den konkreten Fall als irrelevant erkanntes Material auf steuerrechtliche oder strafrechtliche Relevanz für andere Verfahren überprüft und Kontrollmaterial gefertigt wird.27 Sollte es noch der „Praxis“ entsprechen,28 dass die Fahndungsprüfer im Steuerstrafverfahren bei Durchsuchungen nach § 103 vor der Durchsuchung die Steuerakten der Dritten ansehen, um bei Durchsicht der Papiere gleichzeitig mitzuprüfen, ob die Dritten sich steuerlich korrekt verhalten haben und um „Zufallsfunde“ gegen diese Dritten zu erzielen, läge ein eindeutiger Fall unzulässiger Überschreitung des Durchsuchungszwecks vor. Hinweise auf ein gezieltes Suchen nach „Zufallsfunden“ geben häufig die Vorbereitung und die Vornahme der Durchsuchung.29 Werden bei einer Durchsuchung wegen Steuerhinterziehung Rauschgifthunde eingesetzt oder werden zu einer Durchsuchung wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz Buchprüfer oder zu einer Durchsuchung wegen eines Brandstiftungsdelikts Steuerfahnder30 mitgenommen, dürften dies Indizien für unzulässiges Suchen nach „Zufallsfunden“ sein.31 Da eine Überschreitung der festgelegten zulässigen Grenzen bei der Durchsuchung als Verstoß gegen den Richtervorbehalt bei (objektiver) Willkür zu einem Verwertungsverbot führen kann (vgl. Rn. 18; § 98, 82), ist es erforderlich, durch ein Durchsuchungsprotokoll oder durch Aktenvermerke klarzustellen, in welchem Zusammenhang Zufallsfunde gemacht oder für ein anderes Verfahren nach §§ 94, 98 beschlagnahmte Gegenstände vorgefunden wurden. Für die Sicherstellung von Zufallsfunden bei einer Durchsuchung bei einem Berufs- 10 geheimnisträger gelten Besonderheiten.32 Zwar dürfen auch hier Gegenstände, die auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten als die, wegen der durchsucht wird, grundsätzlich sichergestellt werden,33 unabhängig davon, ob diese Tat vom Berufsgeheimnisträger, seinem Mandanten oder Patienten oder einem Dritten begangen wurde. Die einstweilige Beschlagnahme ist aber unzulässig, wenn bei einer gedachten Durchsuchung in dem (hypothetischen) Verfahren, für das die Maßnahme nach § 108 erfolgt, der Beschlagnahme ein Beschlagnahmeverbot (z.B. nach § 9734 oder wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) entgegenstehen würde.35 Das ist insbesondere bei Durchsuchungen bei Angehörigen der nach § 53 geschützten Berufe von Bedeutung, wenn eine strafrechtliche Verstrickung des Berufsgeheimnisträgers oder des Beweisgegenstands im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 3 nicht vorliegt, wenn also insbesondere der Berufsangehörige an der Tat, für welche die Sicherstellung erfolgt, nicht im Sinne der genannten Vorschrift
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LG Baden-Baden StV 1989 428. LG Freiburg NStZ 1999 582; FG BadenWürttemberg EFG 1997 519. Wie von Briel/Ehlscheid Steuerstrafrecht § 3 436 berichten; vgl. zu Vorfeldermittlungen: Dörn DStR 2002 754. Dahs Handbuch 350. LG Bremen wistra 1984 241. Vgl. auch den Fall BVerfG StV 2006 676: Drogenspürhunde bei der Suche nach der Tatwaffe nach einer Messerstecherei oder LG Berlin StV 1987 97. Bei Krekeler NStZ 1987 199 zusammenfassend dargestellt.
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BVerfG StV 2005 363, 368. Welp JZ 1973 289, 290; Krekeler NStZ 1987 199, 202; Roxin/Schünemann § 35, 9; Schlüchter 330; KK/Nack 2; Meyer-Goßner 4 und bei § 97, 1. BGHSt 53 257, 262 m. Anm. Gössel NStZ 2010 288; Brüning NStZ 2006 256; Krekeler NJW 1977 1423; NStZ 1987 199, 200; Maiwald JuS 1978 382; Rudolphi FS Schaffstein 450; Welp JZ 1973 289, 290; AK/Amelung 7; KK/Nack 1; Meyer-Goßner 4; SK/Wohlers 6.
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beteiligt ist bzw. einer Beteiligung nicht verdächtig ist. Beispiel: Bei einer Durchsuchung bei einem der Steuerhinterziehung beschuldigten Verteidiger, die nach der ausdrücklichen Begrenzung im Durchsuchungsbeschluss nur Buchführungsunterlagen gelten darf, stoßen die durchsuchenden Beamten auf den Brief eines Mandanten, der ein Schuldbekenntnis wegen einer Vergewaltigung enthält. Kommt der gefundene Gegenstand ausschließlich als Beweismittel in einem noch einzuleitenden oder schon eingeleiteten Verfahren gegen den Mandanten wegen Vergewaltigung in Betracht, darf er nicht sichergestellt werden, da der Beschlagnahme beim Verteidiger § 97 Abs. 1 Nr. 1 entgegensteht. Ist der Gegenstand aber gleichzeitig auch im Verfahren gegen den Verteidiger von Beweisbedeutung (weil er die Mitteilung einer Honorarüberweisung enthält), darf er im Verfahren gegen den Verteidiger sichergestellt oder (einstweilen) beschlagnahmt werden, seine Verwertung in einem Verfahren gegen den Mandanten ist dann aber wegen der Schutzwirkung des § 97 verboten.36 Für das Verhältnis zwischen Arzt und Patientinnen enthält Abs. 2 für Verfahren gegen Patientinnen wegen Schwangerschaftsabbruchs ausdrücklich eine weitergehende Regelung.
11
c) Zuständigkeit. Für die einstweilige Beschlagnahme gelten die Zuständigkeitsregelungen des § 98 Abs. 1 nicht. Jeder Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamte, der die Durchsuchung vornimmt, ist ohne weiteres befugt, das zufällig gefundene Beweisstück einstweilen in Beschlag zu nehmen. Insbesondere dürfen, was freilich selten praktisch werden wird, auch Polizeibeamte, die nicht Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind und deshalb nach § 98 zu einer Beschlagnahme nicht befugt sind, die Maßnahme nach § 108 vornehmen.37 Gefahr im Verzug wird nach § 108 gesetzlich vermutet.38 § 108 findet selbst dann Anwendung, wenn die (endgültige) Beschlagnahme nach § 98 Abs. 1 Satz 2 dem Richter vorbehalten ist.39 Der Richtervorbehalt kann dadurch nicht unterlaufen werden, da dieser bei der auf die vorläufige Sicherstellung folgenden richterlichen Beschlagnahmeanordnung nicht in Frage steht. Für die (seltene) richterliche Durchsuchung (vgl. § 105, 112) enthält § 108 eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Gerichte nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft einschreiten dürfen. Ist freilich der Staatsanwalt, der zur Verfolgung der anderen Tat zuständig ist, bei der Durchsuchung anwesend, darf der Richter seine Tätigkeit nicht ohne dessen Antrag auf die andere Sache erstrecken, also auch keine einstweilige Beschlagnahme anordnen. Stößt im Steuerstrafverfahren das die Ermittlungen selbständig führende Finanzamt 12 bei einer Durchsuchung nach §§ 102 ff. auf Gegenstände, die auf eine andere Straftat hindeuten, können diese nach § 108 vorläufig beschlagnahmt werden,40 einerlei, ob es sich bei dieser anderen Tat um ein Steuerdelikt (dann gilt § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO) oder um ein Nichtsteuerdelikt (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 AO) handelt.41 Das Finanzamt ist somit auch befugt, präsumtive Beweismittel für Nichtsteuerdelikte vorläufig sicherzustellen: § 108
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BGHSt 53 257, 262; Krekeler NStZ 1987 199, 202; SK/Wohlers § 97, 14. Park 215; AK/Amelung 5; Meyer-Goßner 6; HK/Gercke 14. BGHSt 19 374, 276; Fischer 6. Meyer-Goßner 6; SK/Wohlers 13; HK/Gercke 14; AnwK/Löffelmann 2; Graf/Hegmann 10; HK-GS/Hartmann 2; a.A. KK/Nack 3: wenn nur der für das neu einzuleitende Verfahren zuständige Richter über die endgültige
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Beschlagnahme entscheiden kann, ist dieser auch für die vorläufige Beschlagnahme zuständig, ansonsten würde der Richtervorbehalt nach § 98 Abs. 1 S. 2 unterlaufen. Ausführlich Schmechel, Zufallsfunde bei Durchsuchungen im Steuerstrafverfahren, Diss. Hannover 2004. Zurückhaltender Graf/Hegmann 3 und wohl auch Meyer-Goßner 4.
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eröffnet ja gerade die Möglichkeit der einstweiligen Beschlagnahme durch Stellen, die zur Beschlagnahme selbst nicht befugt sind.42 d) Weitere Behandlung. Der Staatsanwalt ist, damit er gegebenenfalls ein neues Er- 13 mittlungsverfahren einleiten und die Beschlagnahme nach § 98 beantragen kann, von der einstweiligen Beschlagnahme in Kenntnis zu setzen (§ 108 Abs. 1 Satz 2). Hierzu sind ihm das Durchsuchungsprotokoll oder der Aktenvermerk über die Sicherstellung und das aufgefundene Beweismittel zu überbringen. Der Staatsanwalt kann die Gegenstände freigeben, wenn er kein neues Verfahren einleitet oder sie als Beweismittel für entbehrlich hält. Werden die Sachen nicht alsbald freigegeben, so ist in angemessener Frist43 ihre Beschlagnahme herbeizuführen. Die Beschlagnahme ist entbehrlich, wenn der Gewahrsamsinhaber sich mit der Sicherstellung ausdrücklich einverstanden erklärt. Einzelheiten zur Einwilligung bei § 105, 2 ff. Deutet ein Zufallsfund auf eine Steuerstraftat hin, sollen diesbezügliche Tatsachen nach § 116 Abs. 1 Satz 1 AO der zuständigen Finanzbehörden mitgeteilt werden.44 Da wegen der vorläufigen Verwahrung der Sache Gefahr im Verzug nicht mehr vor- 14 liegen kann, ist nach § 98 Abs. 1 zur Beschlagnahme allein der Richter zuständig, und zwar der Richter der neuen Sache, d.h. der für die „andere Straftat“ zuständige Richter.45 Verfahren und sonstige Zuständigkeit richten sich nach den allgemeinen Vorschriften (§ 98). In dem Verfahren, in dem die Durchsuchung stattgefunden hat und die Sachen einstweilen in Beschlag genommen worden sind, kann die Beschlagnahme für das andere Verfahren nicht wirksam angeordnet werden. „Bestätigt“ der nur für diese Sache zuständige Richter die einstweilige Beschlagnahme, so ist das ebenso unschädlich wie nutzlos; die Beschlagnahme bleibt trotzdem „einstweilig“46. Die einstweilige Beschlagnahme ist aufzuheben und die Sachen sind freizugeben, wenn 15 die Staatsanwaltschaft es unterlässt, in dem (unter Umständen erst einzuleitenden) Verfahren wegen der Tat, auf welche die aufgefundenen Beweisstücke hindeuten, in angemessener Frist die endgültige Beschlagnahme zu beantragen. Eine vorläufige prozessuale Zwangsmaßnahme wie die einstweilige Beschlagnahme nach § 108 darf nicht längere Zeit, etwa weit über ein Jahr hinaus,47 andauern.48 Richtigerweise wird man grundsätzlich eine unverzügliche Entscheidung – jedenfalls innerhalb einiger Wochen – verlangen müssen, da alles andere dem vorläufigen Charakter der Maßnahme widersprechen würde. 3. Gebäudedurchsuchung (Abs. 1 Satz 3) a) Zufallsfunde bei Gebäudedurchsuchungen. Eine durch das StPÄG 1978 in die 16 damalige Fassung des § 103 als Satz 3 eingefügte Regelung (heute § 103 Abs. 1 Satz 2) gestattet die allgemeine Gebäudedurchsuchung, die aber nur zur Ergreifung eines der in
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Blumers/Göggerle 520; Flore/Tsambikakis/ Webel § 399, 132 AO; a.A. Joecks Franzen/ Gast/Joecks § 399, 84 AO; vgl. auch von Briel/Ehlscheid Steuerstrafrecht § 3 434; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Spanner § 30, 73 AO; Bilsdorfer wistra 1984 8, 10; Brenner DStZ 1974 12; Schaefgen BB 1979 1499; Ehlers BB 1979 1500. BGHSt 29 13, 15; 28 349; 19 374, 376; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 7. OLG Frankfurt NStZ 1996 196; Graf/Heg-
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mann 3; Flore/Tsambikakis/Webel § 399, 133 AO. BGHSt 19 374, 376; 28 349; FG BadenWürttemberg Beschluss v. 20.02.2008 – 6 V 382/07; AK/Amelung 12; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 7. BGHSt 19 374, 376. BGHSt 19 374, 376; vgl. AG Dippoldiswalde StRR 2008 349 m. Anm. Stephan. BGHSt 19 374, 376; 28 349, 359; 29 13, 14, 15; Meyer-Goßner 7.
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der Vorschrift aufgeführten (Staatsschutz-)Straftaten (§§ 89a, 129a, 129b StGB oder der dort genannten Katalogtaten) dringend verdächtigen Beschuldigten zulässig ist. Diese Durchsuchung soll, was freilich selbstverständlich ist,49 nicht zum Anlass genommen werden, allgemein nach Beweismitteln zu suchen.50 Der gleichzeitig in § 108 Abs. 1 eingefügte Satz 3 verbietet – bezugnehmend auf § 103 Abs. 1 Satz 2 – deshalb die einstweilige Beschlagnahme von Beweismitteln, die sich nicht auf das Verfahren beziehen, in dem die Gebäudedurchsuchung bei Dritten zur Ergreifung des Beschuldigten angeordnet worden ist, die aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten. Dabei ist zu beachten, dass die Zulässigkeit der einstweiligen Beschlagnahme nach § 108 Abs. 1 Satz 1 ohnehin nur für den Fall von Bedeutung ist, das bei Gefahr im Verzug eine förmliche Beschlagnahme nach §§ 94, 98 im anderen Verfahren nicht in Betracht kommt (Rn. 2). Daran ändert § 108 Abs. 1 Satz 3 nichts.51 Die Vorschrift bezieht sich nur auf die einstweilige Beschlagnahme nach § 108 Abs. 1 Satz 1, nicht auf die gewöhnliche Beschlagnahme von Beweismitteln nach §§ 94, 98. § 108 Abs. 1 Satz 3 hat daher allenfalls die rechtspolitische Bedeutung, zu betonen, dass die nur zur Ergreifung des Beschuldigten bestimmter schwerer Straftaten zulässige Durchsuchung nach § 103 Abs. 1 Satz 2 nicht zum Vorwand für ein allgemeines Suchen nach belastenden Gegenständen genommen werden darf,52 wofür auch die Entstehungsgeschichte spricht. § 108 Abs.1 Satz 3 ist nämlich erst während der zweiten Lesung des Gesetzes ohne Begründung beschlossen worden.53
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b) Mitteilungspflichten. Da bei einer Gebäudedurchsuchung bei Dritten Zufallsfunde nicht nach § 108 einstweilen beschlagnahmt werden dürfen, entfällt die nach Abs. 1 Satz 2 vorgesehene Mitteilung an die Staatsanwaltschaft. Diese Mitteilungspflicht bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut von Abs. 1 Satz 2 nicht auf das Auffinden, sondern auf das einstweilige Sicherstellen von Zufallsfunden.54 Selbstverständlich sind die Beamten, die eine allgemeine Haussuchung vornehmen und dabei Beweisgegenstände für andere Verfahren finden, nicht gehindert, davon der Staatsanwaltschaft Mitteilung zu machen. Eine Rechtspflicht dazu besteht aber nicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2, sondern ergibt sich aus der allgemeinen Ermittlungspflicht nach § 163.55 4. Verwertungsverbote. Revision
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a) Verwertungsverbot. Das Gesetz sagt hier sowenig wie sonst bei Durchsuchungen, wie bei Verstößen gegen Zuständigkeitsregelungen oder gegen den Durchsuchungszweck zu verfahren sei. Bei richterlich angeordneten oder gestatteten Durchsuchungen bedeuten Verstöße gegen die in der richterlichen Entscheidung markierten Grenzen zulässiger Durchsuchung einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt. Es gelten deshalb zunächst die zu § 105 für §§ 102, 103 angeführten Grundsätze (§ 105, 139 ff.). Das Überschreiten der 49 50 51
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Zutreffende Kritik am Gesetzgeber deshalb bei AK/Amelung 18. Vogel NJW 1978 1217, 1226; Kurth NJW 1979 1377, 1384. Kurth NJW 1979 1384; Vogel NJW 1978 1217, 1226; Park 118; AK/Amelung 15; KK/Nack 8; Meyer-Goßner 5; SK/Wohlers 8. Vgl. Kurth NJW 1979 1377, 1384; Vogel NJW 1978 1217, 1227; Kritik an der Vorschrift deshalb bei AK/Amelung 18.
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Vgl. Vogel NJW 1978 1217, 1226 Fn. 159. Meyer-Goßner 5; a.A. Vogel NJW 1978 1217, 1226; KK/Nack 8; beide mit der Begründung, Satz 3 schließe nur die Anwendung von Satz 1, nicht aber auch von Satz 2 aus. SK/Wohlers 8.
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§ 108
durch die Anordnung gesteckten Grenzen durch die Ermittlungsbeamten kann dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wenn die Beschränkung auf den Ermittlungszweck planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wird.56 Liegt eine bewusste Missachtung der Grenzen des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses vor, wie es beispielsweise bei einem planmäßigem Suchen nach „Zufallsfunden“ der Fall ist, so unterfallen die aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot. Eine (analoge) Anwendung des § 108 StPO für unechte – d.h. planmäßig gesuchte – Zufallsfunde kommt nicht in Betracht, da die Begrenzungsfunktion der richterlichen Anordnung anderenfalls ausgehebelt wird.57 Die bewusste Missachtung der Grenzen einer richterlichen Anordnung ist daher im Ergebnis nicht anders zu bewerten als die bewusste Missachtung des Richtervorbehaltes insgesamt. Soweit ersichtlich ist allerdings bislang nicht entschieden worden, ob diese Maßstäbe auch gelten, wenn es sich um schwerwiegende Taten handelt.58 Bei einem schwerwiegenden Verbrechen (z.B. bei einem Tötungsdelikt) wird die Rechtsprechung mit der Annahme eines Verwertungsverbots vermutlich zurückhaltend sein:59 Auch wenn den durchsuchenden Beamten in einem Steuerhinterziehungsverfahren nur die Suche nach bestimmten Aktenordnern gestattet war und diese bereits gefunden sind, wird der durchsuchende Beamte die unter eindeutiger und zielgerichteter Überschreitung der für die Durchsuchung gezogenen Grenzen im Bad gefundene Leiche der Ehefrau des Betroffenen wohl nach § 108 sicherstellen oder nach § 98 beschlagnahmen. Solange die Rechtsprechung bei der Frage nach Beweisverwertungsverboten der Abwägungslehre folgt, ist damit zu rechnen, dass die Gerichte in einem solchen Fall eine Verwertung zulassen dürften. Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, ein Verwertungsverbot begründen können,60 darf es für die Verwertbarkeit richtigerweise aber nur sehr begrenzt auf das Gewicht der entgegen §§ 102 ff., 108 aufgedeckten anderen Straftat ankommen, da ansonsten Art. 13 GG und dem Richtervorbehalt nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Bei Durchsuchungen, die nicht auf einer richterlichen Entscheidung beruhen, ist zu 19 unterscheiden: Wurde zu Unrecht Gefahr im Verzug bejaht, kommt ein Verwertungsverbot schon nach den oben bei § 105 aufgezeigten Grundsätzen in Betracht.61 Im Übrigen müssen die für richterlich gestattete oder angeordnete Durchsuchungen aufgezeigten Vorgaben über die Begrenzung der Maßnahme nach Zweck und Gegenstand auch für nicht richterlich angeordnete entsprechend gelten. Der Grundrechtsschutz kann nicht deshalb geringer sein, weil die Verfassung (Art. 13 Abs. 2 GG) den Ermittlungsbehörden ausnahmsweise gestattet, bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Entscheidung die Zwangsmaßnahme durchzuführen. Nach Möglichkeit muss deshalb der Durchsuchungszweck und der Durchsuchungsgegenstand in einem Aktenvermerk so präzise festgelegt werden, dass der Eingriff messbar bleibt und es möglich ist, zu prüfen, ob die Zufallsfunde durch zulässiges Suchen gemacht worden sind.
56
57 58 59
KG Berlin StV 1985 404; vgl. ferner LG Arnsberg ZIP 1984 889; LG Bremen StV 1984 505; LG Wiesbaden StV 1988 292; vgl. BVerfGE 113 29, 61. LG Freiburg NStZ 1999 582. Bejahend Krekeler NJW 1993 263, 267. Optimistischer HK/Gercke 4, „stets unver-
60
61
wertbar“; allerdings gegen die insoweit klare Linie der Rechtsprechung, vgl. BGHSt 51 285, 289 f.; Meyer-Goßner § 105, 18 m.w.N. BVerfG NStZ 2011 103, 105 m.w.N. zur Rspr.; vgl. auch BGH NJW 2011 1377; BGH NStZ 2012 104. Vgl. BGH NStZ 2012 104.
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b) Revision. Auf bloße Verfahrensfehler bei der Durchsuchung kann die Revision mit der Verfahrensrüge nicht gestützt werden. Entscheidend ist, ob der Fehler zu einem Verwertungsverbot geführt hat.62
21
5. Rechtsschutz. Die einstweilige Beschlagnahme erfolgt in dem Verfahren, in dem die Durchsuchung stattfindet. Will sich der Betroffene dagegen wenden, geht es um die Art und Weise der Durchsuchung. Zu Überprüfung der einstweiligen Beschlagnahme kann der Betroffene, auch nach abgeschlossener Durchsuchung, bei nichtrichterlich63 und bei richterlich64 angeordneter Durchsuchung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 die Entscheidung des Richters beantragen, der für das Verfahren zuständig ist, für das die Durchsuchung erfolgte.65 Ist nach der einstweiligen Beschlagnahme eine unangemessen lange Zeit verstrichen, ist sie aufzuheben (Rn. 15). Der Richter kann eine Frist setzen, in der über die Beschlagnahme oder Freigabe des vorläufig sichergestellten Gegenstands zu entscheiden ist. Ist zwischenzeitlich eine Beschlagnahme nach § 98 erfolgt (oder wurde an Ort und Stelle nach § 98 beschlagnahmt), wird nicht § 108, sondern § 98 angewendet. Es können die gegen eine solche Beschlagnahme bestehenden Rechtsbehelfe ergriffen werden. Bei richterlicher Entscheidung ist dies die Beschwerde, bei nichtrichterlicher der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2.
22
6. Abs. 2. „Lex Theissen“. Aus Anlass der Memminger Abtreibungsprozesse,66 in denen die in einem Verfahren gegen einen Arzt wegen Steuerhinterziehung beschlagnahmte Patientinnenkartei gegen diese Patientinnen in Verfahren wegen Schwangerschaftsunterbrechung verwertet wurden, wurde Abs. 2 als besondere Verwendungsregelung zu Gunsten Dritter eingefügt, die an der Tat, wegen der die Durchsuchung stattfand, nicht beteiligt waren. Die Vorschrift erweitert das Verwertungsverbot in den Fällen des § 97 Abs. 2 Satz 3. Nach dieser Vorschrift könnte in Verfahren gegen Patientinnen wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 218 StGB beim Arzt als Tatbeteiligtem durchsucht und Patientenunterlagen beschlagnahmt werden, so dass nach den oben (Rn. 10) dargestellten Grundsätzen solche Gegenstände auch als Zufallsfunde in einem wegen eines anderen Vorwurfs gegen den Arzt geführten Verfahrens sichergestellt und beschlagnahmt und gegen Arzt und Patientinnen verwertet werden könnten. Abs. 2 geht ersichtlich von dieser Rechtslage aus und verbietet nun nicht die Beschlagnahme und spätere Verwendung der Karteien als Zufallsfunde in einem Verfahren gegen den Arzt wegen Unterbrechung der Schwangerschaft; die Vorschrift steht aber der Verwertung der Gegenstände in Verfahren wegen Unterbrechung der Schwangerschaft gegen Patientinnen entgegen. Die Vorschrift erfasst nicht Funde, die in einem Verfahren gegen Arzt und/oder Patientin wegen eines Verstoßes gegen § 218 StGB gemacht werden. Bei Durchsuchung und Beschlagnahme der Patientenkartei in einem Verfahren gegen Arzt und/oder Patientin wegen Unterbrechung der Schwangerschaft handelt es sich nicht um einen Zufallsfund, die Verwertung ist möglich, wenn der Arzt bei der Durchsuchung im Verdacht der Tatbeteiligung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 3 stand.
62 63 64
65
S. auch § 105, 149. BGHSt 44 265. OLG Hamburg StV 1999 301; s. auch den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart v. 26.2.1999 – 4 VAs 34/98 – mitgeteilt StV 1999 374; vgl. auch § 105, 131. Meyer-Goßner 8; AnwK/Löffelmann 8;
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a.A. KK/Nack 9; SK/Wohlers 15, danach ist der für das neue Strafverfahren zuständige Richter entscheidungsbefugt. Verfahren gegen den Arzt: BGHSt 38 144 m. Anm. Frommel StV 1992 114; vgl. dazu auch G. Schäfer FS Hanack 77, 101.
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§ 109
7. Abs. 3. „Lex Cicero“. Im Anschluss an die Cicero-Entscheidung des BVerfG67 hat 23 der Gesetzgeber mit Abs. 3 ein spezielles Verwertungsverbot für nach Abs. 1 beschlagnahmte Gegenstände eingefügt, die bei einem zeugnisverweigerungsberechtigten Medienmitarbeiter im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 beschlagnahmt wurden. Die betroffenen Gegenstände dürfen nur in solchen Verfahren verwertet werden, deren Gegenstand eine Straftat mit einem Höchstmaß von mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe darstellt und nicht § 353b StGB unterfällt. Die Regelung wurde mit dem TKÜG v. 21.12.2007 eingeführt und soll dem Informantenschutz und der Pressefreiheit dienen.68 Es handelt sich nicht um ein absolutes Verwendungsverbot. Ausgeschlossen ist allein die unmittelbare Verwertung „zu Beweiszwecken“, so dass eine Verwendung als Spurenansatz ohne Einschränkung zulässig ist,69 mit der Folge, dass u.U. Durchsuchungsanordnungen und andere Ermittlungsmaßnahmen mit Hilfe solcher Zufallsfunde begründet werden könnten. Auch wird vertreten, dass Abs. 3 eine vorläufige Sicherstellung nach Abs. 1 nicht ausschließt, es sei denn, dass ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 oder nach Verfassungsrecht besteht.70 Soweit eine Beschlagnahme nach §§ 94 ff. erfolgt, steht Abs. 3 nicht entgegen. Ein Beschlagnahmeverbot kann sich allein aus § 97 Abs. 5 ergeben, da Abs. 3 die Verwertung betrifft.71 In den besonderen Fällen, in denen der Medienmitarbeiter einer Beteiligung an der Tat dringend verdächtig ist, greift das Beschlagnahmeverbot nicht (§ 97 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3). Das Verwertungsverbot nach Abs. 3 bezieht sich nach dem Wortlaut allein auf Zufallsfunde, also nach Abs. 1 beschlagnahmte Gegenstände. Soweit die Sicherstellung auf den §§ 94 ff. beruht, ist Abs. 3 nicht anwendbar.72 Die verfassungsrechtlichen Grundsätze in der Cicero-Entscheidung führen zu keinem anderen Ergebnis.73
§ 109 Die in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände sind genau zu verzeichnen und zur Verhütung von Verwechslungen durch amtliche Siegel oder in sonst geeigneter Weise kenntlich zu machen. 1. Zweck und Anwendungsbereich der Vorschrift. § 109 ist Ausfluss der selbstver- 1 ständlichen Pflicht, zur pfleglichen Verwahrung und Behandlung beschlagnahmter Gegenstände.1 Es muss dafür Sorge getragen werden, dass sichergestellte Gegenstände jederzeit identifizierbar sind. Trotz der Stellung der Vorschrift im Recht der Durchsuchung regelt sie alle Fälle der Sicherstellung von Beweismitteln nach §§ 94 ff. oder
67 68 69 70 71 72
BVerfGE 117 224. BTDrucks. 16 6979 S. 44, 65. Vgl. Rn. 1 ff.; so auch AnwK/Löffelmann 6; Meyer-Goßner 10; SK/Wohlers 19 HK-GS/Hartmann 8. HK/Gercke 19; Meyer-Goßner 11; SK/Wohlers 19. A.A. allerdings ohne Begründung: MeyerGoßner 11; HK/Gercke 19; zwar sieht auch der Gesetzgeber bei Verstrickung des Medienmitarbeiters den Abs. 3 weiterhin für anwendbar; allerdings wird nicht explizit
73
1
auf den Fall der Beschlagnahme nach § 94 ff. statt Abs. 1 Bezug genommen: BTDrucks. 16 6979 S. 44; ebenfalls ohne klare Differenzierung: KK/Nack 13. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beschlagnahme nur für Zeugen und nicht für Beschuldigte bzw. Teilnehmer gilt: BVerfG NJW 2007 1119.
Eb. Schmidt 1; AK/Amelung 1.
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§ 108, auch wenn eine Durchsuchung nicht vorausgegangen ist.2 Die Vorschrift gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen.
2
2. Verzeichnis. Kenntlichmachung. In welcher Weise das Verwahrungs- und Beschlagnahmeverzeichnis aufzustellen ist und die Kenntlichmachung anders als durch amtliche Siegel erfolgen kann, bestimmt die Vorschrift nicht. Einzelheiten über die Listen der Überführungsstücke, in die auch Verfalls- und Einziehungsgegenstände aufzunehmen sind, und über die Kenntlichmachung der verwahrten oder in Beschlagnahme genommenen Gegenstände regelt § 9 der von den Landesjustizverwaltungen gleichlautend erlassenen Aktenordnung.3 Das Verzeichnis muss mindestens den verwahrten Gegenstand, das Verfahren und den früheren Gewahrsamsinhaber ergeben,4 so dass die Gegenstände vor Verlust oder Verwechslung geschützt sind. Hierauf hat der Betroffene einen Anspruch. Das Verzeichnis verschafft ihm einen Nachweis über den Verbleib der Unterlagen und kann im Rahmen eines Rechtsmittels eingeführt werden.5 Die genaue Identifizierung der Gegenstände im Sicherstellungsverzeichnis dient aber auch dem Schutz der Durchsuchungsbeamten vor unberechtigten Vorwürfen, dass bei der Durchsuchung Sachen abhandengekommen wären.6 Weitere einschlägige Vorschriften finden sich zum Teil in den Gewahrsamssachenanweisungen einzelner Bundesländer.7 Bei Ordnern mit Schriftstücken muss die Anzahl der enthaltenen Blätter nicht aufge3 nommen werden,8 es genügt die Angabe der Ordnerbeschriftung.9 Die verbreitete, zusammenfassende Erfassung als „schriftliche Unterlagen“ oder „diverse Schriftstücke“ – ggf. noch mit der Anzahl der Ordner etc. – ist hingegen nicht ausreichend.10 Der erforderliche Ausschluss von Verlust- und Verwechslungsgefahr kann auch durch Einschließen der Gegenstände bzw. Unterlagen in ein Behältnis, u.a. einen Umschlag, erfolgen, das seinerseits genau kenntlich gemacht wird.11 Insbesondere bei einer Vielzahl kleinteiliger, unbenannter Sicherstellungsstücke oder bei Unterlagenkonvoluten, die am selben Ort (etwa: einer Schublade, einer Tasche o.ä.) vorgefunden wurden, kann sich dies anbieten. Es ist allerdings darauf zu achten, dass sowohl der Herkunftsort als auch das Behältnis genau und unverwechselbar bezeichnet wird und keine Verwechslungen beim Einschließungsvorgang unterlaufen. Die Verzeichnispflicht besteht ebenfalls, wenn zwar keine Originalunterlagen beschlagnahmt werden, aber Fotokopien gefertigt werden.12 Soweit EDV-Daten bei Mehrplatzsystemen beschlagnahmt werden, ist der Speicherort der Daten zu verzeichnen sowie auch gegebenenfalls Zugriffs- und Passwörter und Benutzerprotokolle zu vermerken.13 Im Verzeichnis sind die Beamten zu nennen, die die Durchsuchung durchgeführt haben.14
2 3 4 5 6 7 8
Graulich wistra 2009 302. Näher Kemper wistra 2008 96 ff.; Michalke NJW 2008 1490, 1493. AK/Amelung 2. Park 204; SK/Wohlers 2. Michalke NJW 2008 1490, 1493. KMR/Hadamitzky 3. OLG Karlsruhe StraFo 1997 13, 15; LG Fulda, Beschl. v. 19.11.1984 – Qs 241/84 – 26
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9 10 11 12 13 14
Js 3653/84; a.A. Krekeler wistra 1983 43, 46; Wehnert StraFo 1996 77, 79. Ciolek/Krepold 154. Michalke NJW 2008 1490, 1493. HK-GS/Hartmann 2. LG Stade WM 2003 246. KK/Nack 1; Kemper wistra 2008 96, 99. Ciolek-Krepold 156; Park 205.
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Die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, die sichergestellten Gegenstände zur Verhü- 4 tung von Verwechslungen kenntlich zu machen, schließt nicht aus, dass auch der Inhaber der Sachen Identifizierungsmerkmale anbringt. Insoweit gilt § 110 Abs. 3 entsprechend. 3. Ordnungsvorschrift. Ein Verstoß gegen § 109 hat auf die Rechtswirksamkeit der 5 Beschlagnahme keinen Einfluss,15 kann aber bei Schadensersatzforderungen von Bedeutung sein.16 Die Gegenmeinung, die dem § 109 für die Beschlagnahme eine konstitutive Bedeutung beimisst,17 beruft sich auf eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift. Eine solche Auslegung ist schon deshalb verfehlt, weil § 109 ausschließlich Einzelheiten der nach vollzogener Beschlagnahme aus verwaltungstechnischen Gründen erforderlichen Aufzeichnungs- und Kenntlichmachungspflicht regelt, keineswegs aber über die bereits erfolgte Beschlagnahme hinaus selbst in Grundrechte eingreift. Im Übrigen kann die Herstellung eines ordnungsmäßigen Verzeichnisses der in Verwahrung genommenen oder in anderer Weise beschlagnahmten Sachen jederzeit nachgeholt werden, wenn das, etwa für die richterliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2, erforderlich wird.
§ 110 (1) Die Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht der Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. (2) 1Im Übrigen sind Beamte zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber die Durchsicht genehmigt. 2Andernfalls haben sie die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten erachten, in einem Umschlag, der in Gegenwart des Inhabers mit dem Amtssiegel zu verschließen ist, an die Staatsanwaltschaft abzuliefern. (3) 1Die Durchsicht eines elektronischen Speichermediums bei dem von der Durchsuchung Betroffenen darf auch auf hiervon räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann, erstreckt werden, wenn andernfalls der Verlust der gesuchten Daten zu besorgen ist. 2Daten, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, dürfen gesichert werden; § 98 Abs. 2 gilt entsprechend. Schrifttum: vgl. die Verzeichnisse zu § 94 und § 102.
Entstehungsgeschichte. Absatz 1 lautete ursprünglich: „Eine Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht nur dem Richter zu“. Abweichend vom Entw., der die Durchsicht auch den Beamten der Staatsanwaltschaft zugestehen wollte, „weil von diesen wie von jenem die erforderliche Diskretion erwartet werden könne“ (Mot. S 155), glaubte die RTK die Befugnis zur Durchsicht nur dem Richter gewähren zu sollen (Prot. S. 120 ff., vgl. Sten. Bericht S. 462). Erst Art. 2 Nr. 4 EGOWiG fasste den Absatz neu; die Durchsicht der Geschäftspapiere, die nach dem Gesetz aufzubewahren sind, wurde auch der Staatsanwaltschaft gestattet. In Absatz 2 Satz 2 wurden vor dem Wort „abzuliefern“ 15 16
Meyer-Goßner 2; KK/Nack 1; AK/Amelung 3. AK/Amelung 3; Eb. Schmidt 3.
17
Klug Presseschutz im Strafprozeß (1965) 91 ff.
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die Worte „oder die Staatsanwaltschaft“ eingefügt. Durch Art. 1 Nr. 27 des 1. StVRG wurde Absatz 1 folgendermaßen gefasst: „Die Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht der Staatsanwaltschaft zu.“ Ein zunächst der Diskontinuität verfallener Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) – BTDrucks. 13 4541 – sah eine Änderung von Abs. 1 dahin vor, nach dem Wort ,,Staatsanwaltschaft“ die Wörter ,,und auf deren Weisung ihren Hilfsbeamten (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes)“ einzufügen. Dasselbe strebte eine Bundesratsinitiative in der 14. Wahlperiode an (BTDrucks. 14 6079), die der Bundestag am 11.10.2001 beraten und an den Rechtsausschuss überwiesen hatte (Plenarprotokoll 14 192). Auf dessen Empfehlung (BTDrucks. 14 8627) hat der Bundestag am 21.3.2002 den Gesetzentwurf abgelehnt (Plenarprotokoll 14. Wahlperiode S. 22515). Schließlich wurde der Staatsanwaltschaft aber im Rahmen des 1. JuMoG vom 24.8.2004 (BGBl. 2004 I S. 2198) die Befugnis eingeräumt, die Durchsicht der Papiere auch auf Ermittlungspersonen zu übertragen. Da die Polizei technisch und personell eher in der Lage sei, umfangreiche Datenbestände aufzuarbeiten, diente die Gesetzesänderung in erster Linie der Verfahrensbeschleunigung. Im Zuge des 1. JuMoG wurde auch der bisherige Abs. 3 gestrichen, der vorsah, dass der Betroffene sein eigenes Siegel beidrücken durfte und er zur Teilnahme an Entsiegelung und Durchsicht der Papiere aufzufordern war. Durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (VDSG) vom 21.12.2007 (BGBl. 2007 I S. 3198) wurde mit Wirkung zum 1.1.2008 ein neuer Absatz 3 betreffend die Durchsicht elektronischer Speichermedien eingefügt. Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . II. Papiere
. . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Zur Durchsicht der Papiere befugte Personen 1. Staatsanwaltschaft . . . . . . . 2. Im Steuerstrafverfahren . . . . 3. Hilfskräfte . . . . . . . . . . . 4. Andere Beamte. „Genehmigung“ Abs. 2 . . . . . . . . . . . . .
Rn. IV. Durchsicht 1. Begriff . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . 3. Versiegelung . . . . . . . 4. Verfahren nach Durchsicht
1 3 5
. . . .
16 21 25 26
. . . . . . . . . . . . . . .
27
VI. Verwertungsverbot Revision 1. Verwertungsverbot . . . . . . . . . . 2. Revision . . . . . . . . . . . . . . .
32 33
V. Anfechtung . . . . . . . . .
10 12 13
. . .
14
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
I. Allgemeines 1
1. Zweck der Vorschrift. Durchsicht bedeutet Kenntnisnahme des Inhalts zur Prüfung, ob das Papier als Beweismittel in Betracht kommt1 oder – falls der Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschluss eine genauere Konkretisierung enthält – ob es sich um dort genannte Papiere handelt. Lediglich die verfahrensrelevanten und verwertbaren Informationen sollen für dauerhafte und vertiefte Analysen greifbar bleiben.2 Nur auf sie erstreckt sich sodann die Beschlagnahme.3 Die Durchsicht bezweckt, übermäßige und 1
BVerfG (Kammer) Beschl. v. 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00; Thüringisches OLG NJW 2001 1290 mit Anm. Hohmann wistra 2001 196.
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2 3
BVerfG NJW 2009 2431, 2436; BVerfG NJW 2005 1917, 1921. BVerfG NJW 2009 2431, 2438.
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auf Dauer angelegte Datenerhebungen zu vermeiden und vermindert dadurch die Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 4 bzw. das Fernmeldegeheimnis.5 Für diese Durchsicht gelten zunächst die allgemeinen Grenzen jeder Durchsuchung. Soll also z.B. bei einem Beschuldigten zur Beschlagnahme einer bestimmten Waffe durchsucht werden, ist die Besichtigung von Papieren unzulässig; soll eine das Jahr 2008 betreffende Steuerhinterziehung aufgeklärt werden, dürfen die Belege anderer Jahre nur durchgesehen werden, wenn aus ihnen Schlüsse auf die Vorgänge des Jahres 2008 denkbar sind. Die Durchsicht der Papiere ist unzulässig, wenn offensichtlich ist, dass bezüglich des Schriftstücks ein Beschlagnahmeverbot besteht; dann besteht eine Pflicht zur sofortigen und ungelesenen Herausgabe.6 Die Durchsicht ist zu beenden, sobald sich herausstellt, dass beschlagnahmefähiges Material nicht zu erwarten ist.7 Die Vorschrift greift nicht ein, wenn der richterliche Beschluss bereits eine konkrete Beschlagnahmeanordnung oder Beschlagnahmegestattung enthält, weil es dann nicht mehr um die Sichtung von Papieren auf ihre Beweiserheblichkeit geht.8 Enthält der Beschluss hingegen nur eine gattungsmäßige Umschreibung, so handelt es sich um eine bloße Richtlinie für die Durchsuchung.9 Bei der Gestaltung der Durchsicht kommt der Staatsanwaltschaft ein eigenverantwortlicher Ermessensspielraum zu.10 Soweit Papiere im Ermittlungsverfahren bei einer Durchsuchung überhaupt durchge- 2 sehen werden dürfen, war diese Durchsicht zunächst dem Richter, dann dem Staatsanwalt vorbehalten. Dies diente dem Schutz der Geheimsphäre des Inhabers von Schriftstücken.11 Ist es zur Aufklärung von Straftaten schon notwendig, in diese Geheimsphäre einzudringen, sollte dies wenigstens unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte des davon Betroffenen geschehen. Die Aussonderung beweiserheblicher Papiere oder von solchen, die nicht einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, war deshalb ursprünglich ausschließlich dem Richter vorbehalten. Sie wurde durch die Gesetzesänderung von 1974 zur Verfahrensbeschleunigung dem Staatsanwalt übertragen, durch die Gesetzesänderung von 2004 wurde darüber hinaus die Übertragung auf Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft ermöglicht. Die Rechtsentwicklung weicht die zur Wahrung der persönlichen Geheimsphäre gedachten Schutzgesetze in bedenklicher Weise auf.12 Nominell ist der Schutz der Geheimnissphäre primärer Schutzzweck geblieben. Da die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen damit hinter Effektivitätsgesichtspunkten weitgehend zurücktreten, hat die Regelung ihre ursprüngliche Bedeutung, die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen zu schützen, in der Praxis fast vollständig verloren.13 Faktisch verbleibender Normzweck ist daher, die Durchsuchung auf den Zeitraum der Durchsicht auszudehnen
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BVerfG NJW 2005 1917, 1922; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. BVerfG NJW 2009 2431, 2437. BVerfG, Beschl. v. 01.07.2003 – 2 BvR 306/03; BVerfG (Kammer) Beschl. v. 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00; KK/Nack § 97, 25; Meyer-Goßner 2. BGH – Ermittlungsrichter – StV 1988 90. SK/Wohlers 1; Dauster StraFo 1999 186 sieht deshalb in der antizipierten Beschlagnahmeanordnung einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt und übersieht dabei, dass nur so ein Suchen bei der Durchsuchung überflüssig wird. BVerfG NJW 2009 2431, 2438.
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BGH NStZ 2003 670, 671; BVerfG NJW 2003 2669, 2671; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10; AnwK/Löffelmann 445; HK/Gercke 36; KK/Nack 1; KMR/ Hadamitzky 7; Radtke/Hohmann/Ladiges 3; SK/Wohlers 29. Welp JZ 1972 424. Kritisch insbesondere Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937; Neuhaus StV 2005 47, 49 f.; Sommer StraFo 2004 295, 296 f.; AK/Amelung 5; HK/Gercke 2. Neuhaus StV 2005 47, 50; SK/Wohlers 4; Schlegel HRRS 2008 23, 25; Sommer StraFo 2004 295, 296 f.
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und damit eine Beschlagnahme nicht verfahrensrelevanter Gegenstände weitgehend zu vermeiden.14 Anderes gilt, wenn im gerichtlichen Verfahren eine vom Gericht angeordnete Durchsuchung stattfindet. Dann liegt die gesamte Verfahrensherrschaft beim Gericht, das auch in erster Linie zur Durchsicht der Papiere berufen ist,15 die Durchsicht freilich auch der Staatsanwaltschaft übertragen kann. Die Beschränkungen des § 110 gelten nicht mehr, wenn die Beschlagnahme der Papiere richterlich bestätigt worden ist.16 Die Vorschrift enthält eine gesetzliche Regelung der „Form“ der Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, die der Wohnung als der „räumlichen Privatsphäre“17 besonderen Schutz zuteil werden lässt. Die Vorschrift kann deshalb nicht als Ordnungsvorschrift angesehen werden.
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2. Anwendungsbereich. § 110 regelt nach seinem Wortlaut und seiner Stellung im Gesetz lediglich die Durchsicht von Papieren bei einer Durchsuchung nach § 102 oder § 103 zur Prüfung, ob diese Papiere beschlagnahmt werden sollen oder herauszugeben sind. Unerheblich ist es, ob die Durchsicht am ursprünglichen Ort der Durchsuchung stattfindet, oder ob die Papiere zur Durchsicht in die Diensträume der Staatsanwaltschaft mitgenommen werden, was auch dann zulässig ist, wenn an der Durchsuchung vor Ort ein Staatsanwalt bzw. dessen Ermittlungspersonen mitwirken. Dem Schutzzweck der Vorschrift entsprechend ist § 110 stets analog anzuwenden, wenn Papiere auf andere Weise in den Gewahrsam der Behörde gelangt sind;18 wenn sie dem Inhaber gegen seinen Willen entzogen wurden und auf beweiserhebliche Teile noch durchgesehen werden müssen.19 Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn Papiere ohne Durchsuchung beschlagnahmt oder nach § 95 herausgegeben werden, ihre Beweiserheblichkeit im Einzelnen aber noch weiterer Prüfung bedarf. Die Vorschrift gilt nach der ausdrücklichen Verweisung in § 111b Abs. 4 auch für die 4 Durchsuchung zur Sicherstellung von Gegenständen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen oder der Schadloshaltung des Verletzten dienen.
II. Papiere 5
Der Begriff ist nach dem Sinn der Vorschrift, die Geheimsphäre zu schützen, weit auszulegen.20 § 110 umfasst zunächst alles auf Papier Geschriebene und Gedruckte, das wegen seines Gedankeninhalts Bedeutung hat, gleichgültig, ob es persönlicher, geschäftlicher oder beruflicher Art und ob es vertraulich, verschlossen oder offen ist. Lediglich auf dem freien Markt erhältliche gedruckte oder sonst publizierte Äußerungen, wie Bücher,21 Zeitungen und alle Werke der schönen Künste (Gemälde, Collagen, Zeichnungen, Grafiken), auch wenn sie auf Papier gebracht worden sind,22 gehören nicht hierzu.23 14 15 16 17 18
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Schlegel HRRS 2008 23, 25; SK/Wohlers 6. Vgl. Thüringisches OLG NJW 2001 1290. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 74; SK/Wohlers 27. BVerfGE 32 54, 72. Burhoff Ermittlungsv. 1142; SK/Wohlers 7; HK/Gercke 5; KMR/Hadamitzky 9; Radtke/Hohmann/Ladiges 7. Eb. Schmidt 6; HK-GS/Hartmann, 2; HK/Gercke 5; a.A.; Creifelds GA 1960 71; Krause/Nehring 2, die auf den Wortlaut der Vorschrift und die Stellung im Gesetz hinweisen.
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Darüber besteht Einigkeit: BGH (Ermittlungsrichter) StV 1988 90; HK-GS/Hartmann 3; HK/Gercke 6; Meyer-Goßner 1; Mildeberger/Riveiro StraFo 2004 43, 44; Blumers/Göggerle 515; Rengier NStZ 1981 376. KK/Nack 3. Eb. Schmidt Nachtr. II 7. AnwK/Löffelmann 443; HK-GS/Hartmann 3; HK/Gercke 6; Meyer-Goßner 1; SK/Wohlers 11.
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Sind sie mit persönlichen Anmerkungen versehen, unterfallen sie wieder § 110.24 Auf bildliche Darstellungen, die der Persönlichkeitssphäre entstammen (Fotoalbum) ist § 110 entsprechend anwendbar.25 Auf die Eigentumsverhältnisse oder die Herkunft der Papiere kommt es nicht an; sie 6 müssen nur im Gewahrsam des Betroffenen stehen.26 Unter § 110 fallen insbesondere Briefe, Tagebücher, Aufzeichnungen, Handakten, Krankengeschichten, Inventaraufstellungen, Buchführungsunterlagen jeglicher Art und Bilanzen, Druckfahnen einer Tageszeitung (da noch nicht veröffentlicht), Orts- und Lageskizzen, Werkzeichnungen, aber auch Bücher, die als Manuskript oder als Privatdruck gedruckt worden sind.27 Nicht erfasst sind hingegen Urkunden, die zur Vorlage bei Behörden bestimmt sind (z.B. Personalausweise, Führerscheine).28 Gedankliche Äußerungen sind auch dann geschützt, wenn sie nicht auf Papier, son- 7 dern auf anderen Stoffen niedergelegt sind.29 Hierzu gehören in erster Linie Dateien, die auf sämtlichen Arten von elektronischen Datenträgern und -speichern für die elektronische Datenverarbeitung, etwa Festplatten,30 CDs/CD-ROMs,31 DVDs, Disketten,32 USB-Speichersticks33 oder Bändern34 gespeichert sind,35 aber auch Geräte mit fest installiertem Speicher, etwa Mobiltelefone36 oder Notebooks37. Handelt es sich nicht um allgemein leicht zugängliche Betriebssysteme und Programme, werden auch diese zur Ermöglichung der Durchsicht sichergestellt.38 Entsprechendes gilt für Filme, Mikrofilme, Tonträger, Lochkarten oder Lochstreifen. Der frühere Streit, ob über § 110 auch der Zugriff auf die in einem Computernetz- 8 werk vorhandenen Ressourcen möglich ist, ist infolge der Einführung des Abs. 3 n.F. entsprechend der Forderung des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität vom 23.11.2001 hinfällig geworden. Er ermöglicht nunmehr bei der Durchsicht eines elektronischen Speichermediums selbst die Durchsicht hiervon räumlich getrennter Speichermedien (etwa auf einem Server im Intra- oder Internet), soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann und sofern andernfalls der Verlust der gesuchten Daten zu besorgen ist. Dies erlangt insbesondere auch angesichts neuerer Ent-
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HK/Gercke 6; Radtke/Hohmann/Ladiges 6; SK/Wohlers 11. HK-GS/Hartmann 3. LG Bremen StV 2006 571, 572; KK/Nack 3; SK/Wohlers 7. Anders Eb. Schmidt Nachtr. II 7, der alle Druckwerke ausscheiden will. Burhoff (Ermittlungsv.) 1143; HK/Gercke 6; Meyer-Goßner 1; Radtke/Hohmann/ Ladiges 6. BGH NStZ 2003 670, 671; Rengier NStZ 1981 376; Burhoff (Ermittlungsv.) 1143; KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1; Mildeberger/ Riveiro StraFo 2004 43, 44; LG Berlin StV 1987 97 zählt auch das benutzte Farbband einer Schreibmaschine dazu (fraglich). LG Berlin StV 2005 261. LG Berlin StV 2005 261; LG Berlin NStZ 2004 571, 573. LG Berlin StV 2005 261; LG Berlin NStZ 2004 571, 573.
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LG Berlin NStZ 2004 571, 573. LG Berlin StV 1987 97 zu Farbbändern einer Schreibmaschine. BGH NStZ 2003, 670, 671; BGH Ermittlungsrichter StV 1988 90; BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292; LG Kiel NJW 2006 3224, 3225; vgl. auch BGH (Ermittlungsrichter), Beschl. v. 28.11.2006 – 1 BGs 186/06; BGH NJW 1995 3397; Bär CR 1996 675; Mildeberger/Riveiro StraFo 2004 43, 44; Schroth/Schneider CR 1992 173; HKGS/Hartmann, 3; KK/Nack 2; Graulich wistra 2009 299, 300; Schlegel HRRS 2008 23, 25; kritisch Artkämper StRR 2007 13; vgl. Rux JZ 2007 285, 290. HK-GS/Hartmann, 3; HK/Gercke 6; SK/Wohlers 8. BVerfG NJW 2002 1410; HK-GS/Hartmann, 3; Meyer-Goßner 1. BVerfG NStZ 2002 379.
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wicklungen wie Cloud-Computing bzw. Cloud-Storage Bedeutung.39 Durch die Einführung des Abs. 3 ist damit auch der frühere Streit, ob ein Online-Zugriff auf beim Provider des Betroffenen zum Abruf gespeicherte E-Mails möglich ist, erledigt.40 Das Endgerät, von dem aus zugegriffen werden kann, befindet sich hierbei an dem Ort, für den der Durchsuchungsbeschluss gilt.41 Es handelt sich demnach im Gegensatz zur sog. OnlineDurchsuchung um eine offene Ermittlungsmaßnahme, die nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen heimlicher Ermittlungsmaßnahmen genügen muss.42 § 110 Abs. 3 erlaubt nur die offene Durchsicht von Daten auf externen Speichermedien, nicht den heimlichen Zugriff auf Computersysteme im Sinne einer Online-Durchsuchung.43 Problematisch ist aber, dass über Abs. 3 jede Wohnungsdurchsuchung durch die Netzwerkdurchsicht faktisch zu einer Online-Durchsuchung von nicht oder nur einseitig geschützten Netzwerken bei fremden Dritten genutzt werden und damit der Richtervorbehalt des § 105 StPO, Art. 13 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2 GG umgangen werden kann.44 Es ist daher stets im konkreten Einzelfall anhand der Verdachtslage und der vorzunehmenden Güterabwägung zu prüfen, ob der Zugriff auf solche ortsfernen Netzwerke noch im Verhältnis zu Durchsuchungsanlass und -zweck steht.45 Aus Abs. 3 folgt auch nicht etwa ein allgemeiner Grundsatz, wonach alle über das System des von der Durchsicht Betroffenen abrufbaren Daten ggf. auch unmittelbar bei Dritten durchgesehen werden dürfen, da dann ggf. nur die Voraussetzungen des §§ 102, 103 und nicht die des § 110a zu beachten wären.46 Die Regelung dient dazu, der Gefahr des Beweismittelverlusts zu begegnen, da der Datenträger mit dem Zugangsgerät keine räumliche Einheit bilden muss und eine Beschlagnahme des Zugangsgeräts daher unter Umständen nutzlos ist.47 Ohne den durch Abs. 3 ermöglichten Zugriff könnten beweisrelevante Daten infolge der offen durchzuführenden Durchsuchung kurzfristig gelöscht werden.48 Erforderlich für die Durchsicht ist zum einen, dass andernfalls der Verlust der Daten zu besorgen ist, d.h. die Gefahr besteht, dass der Betroffene ansonsten die Daten, etwa durch Löschen, dem Zugriff der Behörden entziehen wird. Hierfür bedarf es auf Tatsachen beruhende Erkenntnisse, bloße Vermutungen reichen nicht 49 und der Zugriffsmöglichkeit auf das externe Speichermedium vom Zugangsgerät aus 50 auch mittels vorgefundener Passwörter.51 Freilich verpflichtet § 110 den Betroffenen oder den Provider nicht, den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff, etwa durch Nennung von Passwörtern, zu ermöglichen.52 Werden in einem Postfach auf dem Mailserver des Providers eingegangene
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S. hierzu Kudlich GA 2011 193, 207 f.; ausführlich Obenhaus NJW 2010 651. Vgl. hierzu Kasiske StraFo 2010 228–235; Knierim StV 2009 206, 211; Szebrowski K&R 2009 564; a.A. Brodowski JR 2009 408. SK/Wohlers 9. HK-GS/Hartmann 5; kritisch Kasiske StraFo 2010 228 – 235 und Puschke/Singelnstein NJW 2008 113, 115. AnwK/Löffelmann 444; Burhoff (Ermittlungsv.) 1155; Bär MMR 2008 221; Hermann/Soiné NJW 2011 2922, 2925; Schlegel HRRS 2008 23, 26; kritisch Puschke/Singelnstein NJW 2008 113, 115; vgl. auch HK/Gercke 31/34. Knierim StV 2009 206 212.
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Knierim StV 2009 206 212. Burhoff (Ermittlungsv.) 1155; vgl. auch Schlegel HRRS 2008 23, 29. HK-GS/Hartmann 5. HK-GS/Hartmann 5. HK/Gercke 19. Meyer-Goßner 6; SK/Wohlers 11; HKGS/Hartmann 5; a.A. Brodowski JR 2009 402, 408. HK/Gercke 24; Kasiske StraFo 2010 228–235; Meyer-Goßner 6; Radtke/Hohmann/Ladiges 16; Schlegel HRRS 2008 23, 28; Bär ZIS 2011 54; dagegen will Burhoff (Ermittlungsv.) 1157 allein auf die vorgefundene aktuelle Konfiguration abstellen. Kasiske StraFo 2010 228–235; SK/Wohlers 10; Obenhaus NJW 2010 651, 652 f.
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E-Mails sichergestellt, sollte der Postfachinhaber zuvor von den Strafverfolgungsbehörden unterrichtet werden, damit er jedenfalls bei der Sichtung seines E-Mail-Bestandes seine Rechte wahrnehmen kann.53 E-Mails auf einem Endgerät des Betroffenen sind im Übrigen wie andere elektronisch gespeicherte Daten zu behandeln54 und konnten daher auch vor der Einführung des Abs. 3 unproblematisch nach § 110 gesichtet werden. Finden sich auf dem externen Speicher beweiserhebliche Daten, dürfen diese nach Abs. 3 Satz 2 gesichert werden.55 Für nicht zur Durchsicht befugte Beamte gelten die Beschränkungen des Abs. 2. Zweifelhaft ist, ob eine Sicherung über das Internet auf einem Server der Behörden zulässig ist.56 Sobald die Daten für die Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind, sind sie zu löschen. Abs. 3 Satz 2 verweist auf § 98 Abs. 2, so dass der Beamte unter den Voraussetzungen des § 98 Abs. 2 Satz 1 binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung der Sicherung beantragen soll.57 Dem Inhaber des externen Speichermediums ist nach § 33 Abs. 2 und Abs. 3 – auch bei Sitz im Ausland 58 – rechtliches Gehör zu gewähren, so dass auch er Kenntnis von der Durchsuchung erhält.59 Zweifelhaft ist, ob § 98 Abs. 2 nur im Fall der Datensicherung, nicht aber im Fall der Durchsicht Anwendung finden soll.60 Bestätigt das Gericht die Sicherstellung nicht, ist der vorherige Zustand, durch Löschen der Daten oder durch Vernichten des Datenträgers, wiederherzustellen.61 Schwieriger gestaltet sich der Zugriff auf Datenbestände, die auf Servern im Ausland 9 gespeichert sind. Dabei ist zu differenzieren: Auf öffentlich zugängliche Daten darf zugegriffen werden,62 nicht frei zugängliche Daten dürfen mit Zustimmung des Berechtigten gesichert werden (Art. 32 Cybercrime-Convention).63 Andernfalls fehlt es für diesen Eingriff in die Hoheitssphäre eines fremden Staates grundsätzlich an einer Rechtsgrundlage,64 so dass es eines förmlichen Rechtshilfeersuchens (Art. 31 Cybercrime-Convention) bedarf. Um einen Beweisverlust zu vermeiden, wird aber meist die umgehende Sicherung der Daten im Wege der vorläufigen Rechtshilfe erfolgen (Art. 29 CybercrimeConvention, in dringenden Fällen per Fax- oder Emailabfrage gemäß Art. 25 Abs. 2 Cybercrime-Convention). Eine vorläufige Sicherung zugangsgeschützter Datenbestände im Ausland ist daneben nicht zulässig.65 Dies darf auch nicht dadurch umgangen werden, dass dem ausländischen E-Mail-Provider die Herausgabe der Daten mit einer zwangsbewehrten Anordnung abverlangt wird.66 Ein Beweisverwertungsverbot soll aber
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BVerfG NJW 2009 2431, 2437. SK/Wohlers 10. Vgl. aber Böckenförde JZ 2008 930. Verneinend wegen der eventuell erforderlichen Siegelung des Datenträgers: HK/Gercke 21; a.A. Schlegel HRRS 2008 23, 28 f. Meyer-Goßner 8. Obenhaus NJW 2010 651, 653. Meyer-Goßner 8; Brodowski JR 2009 408; Knierim StV 2009 206, 212; kritisch Puschke/ Singelnstein NJW 2008 113, 115; vgl. auch HK/Gercke 31/34. So HK/Gercke 31, Meyer-Goßner 11 und Radtke/Hohmann/Ladiges 17. Meyer-Goßner 8; SK/Wohlers 9; HK/Gercke 32.
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KMR/Hadamitzky 26, HK/Gercke 27 und Gercke StraFo 2009 271 wollen dies außerhalb der Cybercrime-Convention aus internationalem Gewohnheitsrecht herleiten. Gaede StV 2009 96, 101; vgl. Gercke StraFo 2009 271; HK/Gercke 28; Meyer-Goßner 7a. SK/Wohlers 9. Gaede StV 2009, 96, 101 f.; Gercke StraFo 2009 271; Bär MMR 2008 215, 221; ders. ZIS 2011 55; Sankol K&R 2008 279, 281; Kudlich GA 2011 193, 208; HK/Gercke 28; Meyer-Goßner 7a; a.A. Radtke/Hohmann/ Ladiges 19. Gaede StV 2009 96, 101 f., der dies auch für den Fall der Bitte annehmen will.
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auch bei Verletzung des Souveränitätsrechts eines fremden Staates nur ausnahmsweise bei bewussten Zuwiderhandlungen, insbesondere gegen den ausdrücklich erklärten Widerspruch des anderen Staates, in Betracht kommen.67
III. Zur Durchsicht der Papiere befugte Personen
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1. Staatsanwaltschaft. Nach Abs. 1 steht die Durchsicht der Papiere der Staatsanwaltschaft zu. Hierzu zählt auch der Amtsanwalt.68 Seit 200469 darf die Staatsanwaltschaft Ermittlungspersonen im Sinne des § 152 GVG mit der Durchsicht beauftragen. Wer Ermittlungsperson ist, bestimmen die einzelnen Landesregierungen durch Rechtsverordnung. Es sind regelmäßig – nicht jedoch alle – Polizeibeamte; daneben können auch Zollund Finanzbeamte, Beamte der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsverwaltung, Beamte der Bergämter oder der Forst- und Fischereiverwaltungen etc. zu den Ermittlungspersonen zählen. Je nach Landesrecht können hierzu auch die sog. Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft zählen.70 Die Sachleitungsbefugnis bleibt aber infolge der Anordnungspflicht auch bei der Übertragung auf Ermittlungspersonen weiterhin bei der Staatsanwaltschaft.71 Dabei reicht es, wenn die Anordnung vorab oder fernmündlich erfolgt; die physische Anwesenheit eines Staatsanwalts ist nicht erforderlich.72 Ohne Anordnung stehen die Ermittlungspersonen anderen Dritten gleich, so dass es darauf ankommt, ob der Inhaber in die Durchsicht einwilligt. Der Richter ist in § 110 nicht erwähnt. Gleichwohl wird es allgemein für zulässig 11 erachtet, dass er sich die Anwesenheit bei der Durchsuchung und die Durchsicht der Papiere vorbehalten kann,73 auch wenn dies bei Durchsuchungen im Ermittlungsverfahren selten vorkommen mag. Häufiger sind diese Fälle bei Durchsuchungen, die das erkennende Gericht angeordnet hat. Dann kann die Durchsicht entsprechend § 223 durch einen ersuchten oder (besser) beauftragten Richter erfolgen. Der Richter kann die Durchsicht vor Ort auf die Staatsanwaltschaft und diese auf ihre Ermittlungspersonen übertragen.74 Wenn die Durchsuchung von nicht zur Durchsicht befugten Personen vorgenommen wird, dürfen diese die Papiere ohne Einwilligung des Inhabers (unten Rn. 14) nicht durchsehen, um deren Beweisbedeutung festzustellen. Dies kann dazu führen, dass zur Durchsicht durch die dazu Berechtigten entweder sehr viele Unterlagen mitgenommen werden oder dass der Betroffene seine Genehmigung zur Durchsicht der Papiere durch die Polizeibeamten erteilt.75
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2. Finanzbehörde und Fahndung. Im Steuerstrafverfahren steht das Recht nach § 110 Abs. 1 auf Durchsicht der Papiere nach § 399 Abs. 1 AO der Finanzbehörde, also der Bußgeld- und Strafsachenstelle, zu, wenn sie das Ermittlungsverfahren nach § 386 Abs. 2 selbständig durchführt, nach § 404 Satz 2 AO aber auch der Zoll- und Steuerfahndung 67
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Bär ZIS 2011 59; Meyer-Goßner 7a; Graf/Hegmann 16; HK/Gercke 30; dagegen will Radtke/Hohmann/Ladiges 19 bereits bei einem Widerspruch des betroffenen Staates ein Verwertungsverbot annehmen. SK/Wohlers 12. S. Entstehungsgeschichte. SK/Wohlers 14. Meyer-Goßner 3; Radtke/Hohmann/ Ladiges 3; SK/Wohlers 14.
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Burhoff (Ermittlungsv.) 1148; Graf/Hegmann 7; HK-GS/Hartmann 6; KMR/Hadamitzky 11; Meyer-Goßner 3. Thüringisches OLG NJW 2001 1290; HK/Gercke 3; KK/Nack 1; KMR/Hadamitzky 13; Radtke/Hohmann/Ladiges 4; wohl enger Meyer-Goßner 3. HK-GS/Hartmann, 6. Darauf weist Meyer-Goßner 4 zutreffend hin.
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und dies unabhängig davon, ob die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt und ohne die Beschränkung auf Geschäftspapiere.76 Diese Regelung liegt innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und ist deshalb nicht verfassungswidrig,77 rechtspolitisch freilich bedenklich. Die Befugnis zur Durchsicht wird durch § 404 Satz 2 den Fahndungsstellen erteilt, nicht aber den einzelnen Fahndungsbeamten.78 Diese können aber für die Fahndungsstelle in deren Auftrag tätig werden.79 Im Übrigen sind die Beamten der Zollfahndungsämter und der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden nach § 404 Satz 2 AO auch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, so dass ihnen zudem gemäß Abs. 1 die Durchsicht übertragen werden kann. 3. Hilfskräfte. Die Durchsicht hat grundsätzlich durch die hierzu befugten Personen 13 persönlich zu erfolgen. Die zur Durchsicht Berechtigten dürfen aber bei der Durchsicht Hilfskräfte zu ihrer Unterstützung hinzuziehen, um das Durchsuchungsziel zu erreichen.80 Grundsätzlich zulässig ist daher die Hinzuziehung von Personen mit Spezialkenntnissen, etwa von Dolmetschern,81 Sachverständigen,82 Wirtschaftsreferenten oder sonstigen Personen. Dies soll im Einzelfall gegenüber der Alternative einer blinden Sicherstellung aller auf den ersten Blick potentiell beweiserheblichen Gegenstände sogar vorzugswürdig sein.83 Die Hinzuziehung setzt aber voraus, dass dies zum Verständnis des Inhalts der Papiere erforderlich ist und dass die Personen unparteiisch und neutral sind.84 Ein eigenes Ermittlungsinteresse jenseits des konkreten Durchsuchungsziels dürfen sie nicht haben.85 Es wäre deshalb unzulässig, bei der Durchsicht von Papieren in einem Verfahren wegen Betrugs „vorsorglich“ Beamte der Steuerfahndung mitzunehmen. Ausnahmen können nur in eng gesteckten Grenzen zulässig sein,86 namentlich dann, wenn neutrale Sachverständige nicht zur Verfügung stehen oder Beweise ohne Spezialwissen des möglichen Geschädigten nicht erhoben werden können.87 Im Übrigen darf den Hilfskräften die Durchsicht nicht eigenverantwortlich überlassen werden.88 So soll die Staatsanwaltschaft zunächst selbst oder durch ihre Ermittlungspersonen eine Sichtung vornehmen, um die Notwendig-
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H.M. Meyer-Goßner 3; Briel/Ehlscheid Steuerstrafrecht 3, 340; Klein/Jäger § 404, 36 AO; a.A. Ehlers BB 1978 1513 und 1979 1499 gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes; gegen ihn insoweit zutreffend Schaefgen BB 1979 1498; HK/Gercke 3 äußert Bedenken, dass keine Beschränkung auf Geschäftsunterlagen erfolgen soll. Blumers/Göggerle 515; a.A. Rüping 277; Hubner Hübschmann/Hepp/Spitale § 404, 62. Klein/Jäger § 404, 35 AO. Klein/Jäger § 404, 35 AO. Vgl. LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs 10/12, 11/12; Rengier NStZ 1981 376; HK-GS/Hartmann 7; Meyer-Goßner 3; KK/Nack 4; KMR/Hadamitzky 11; Radtke/ Hohmann/Ladiges 9; SK/Wohlers 13. AnwK/Löffelmann 443; Graf/Hegmann 7; HK-GS/Hartmann 7; HK/Gercke 4; KMR/Hadamitzky 11; Meyer-Goßner 3; SK/Wohlers 13. LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs
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10/12, 11/12; LG München I MDR 1967 687; Creifelds GA 1960 71; Graf /Hegmann 7; AnwK/Löffelmann 443; HK/Gercke 4; KK/Nack 4; KMR/Hadamitzky 11; MeyerGoßner 3; SK/Wohlers 13. LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs 10/12, 11/12. Schlegel HRRS 2008 23, 26; SK/Wohlers 13; HK/Gercke 4; vgl. LG Kiel NJW 2006 3224 f.; einschränkend LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs 10/12, 11/12. Hans OLG Bremen wistra 1999 74; vgl. SK/Wohlers 13. LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs 10/12, 11/12; vgl. SK/Wohlers 13. LG Berlin, Beschl. v. 3.5.2012 – 526 Qs 10/12, 11/12. Brüning StV 2008 100, 103; Schlegel HRRS 2008 23, 26; Wehnert JR 2007 82; AnwK/ Löffelmann 443; HK-GS/Hartmann 7; HK/ Gercke 4; KK/Nack 4; KMR/Hadamitzky 12; Meyer-Goßner 3.
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keit einer sachverständigen Begutachtung beurteilen zu können.89 Um das Übertragungsverbot nicht zu unterlaufen, muss der zur Durchsicht Berechtigte dafür Sorge tragen, dass die Verletzung der Privatsphäre so gering wie möglich bleibt. Eine Zuziehung von Personen zur Aufklärung von Sachverhalten jenseits des Durchsuchungsziels ist nicht gestattet und führt zur Unverwertbarkeit so erlangter Erkenntnisse.
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4. Andere Beamte. „Genehmigung“ (Absatz 2). Ihnen ist die Durchsicht nur gestattet, wenn der Inhaber dies – was häufig der Fall ist90 und worauf der die Durchsuchung leitende Beamte hinweisen sollte91 – „genehmigt“. Genehmigung bedeutet hier (anders als in § 184 BGB): vorherige Einwilligung.92 Für sie gelten die bei § 105, 2 ff. entwickelten allgemeinen Grundsätze. Die Einwilligung kann nur der Betroffene, das ist jeder Gewahrsamsinhaber (bei Mitgewahrsam jeder),93 erteilen. Die Genehmigung des nach § 106 Abs. 1 Satz 2 zugezogenen Vertreters genügt nicht.94 Im Übrigen ist Vertretung möglich. Jedoch ist Vorsicht geboten. Der Mitgewahrsamsinhaber ist nicht ohne weiteres befugt, für den anderen die Einwilligung zu erteilen. Dasselbe gilt bei Eheleuten. Zur Beweissicherung sollte die Einwilligung im Durchsuchungsprotokoll zweifelsfrei protokolliert werden.95 Die Einwilligung in die Durchsicht erstreckt sich nur hierauf und enthält deshalb keinen Verzicht auf die Geltendmachung eines Verwertungsverbots nach § 97 oder wegen des Grundrechtsschutzes der Persönlichkeitssphäre.96 Die Einwilligung kann – was zweckmäßig ist – nach bestimmten äußeren Merkmalen (Beschriftung der Ordner, Aufbewahrungsräume, Art der Papiere, etwa Buchhaltungsunterlagen) oder etwa auch für bestimmte Beamte97 beschränkt98 und auch widerrufen99 werden. Wird diese Einwilligung nicht erteilt, müssen die Beamten bei der Durchsuchung nach 15 Abs. 2 Satz 2 verfahren und die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten halten, versiegelt der Staatsanwaltschaft abliefern. Zur Prüfung der Frage, welche Papiere bei der Durchsuchung mitzunehmen sind, ist den Beamten eine Kenntnis des Inhalts der Papiere nicht gestattet. Denn Durchsicht bedeutet Kenntnisnahme vom Inhalt. Auch ein oberflächliches Lesen mit dem Ziel einer Grobsichtung ist verboten;100 die Beamten dürfen die Papiere nur nach äußeren Merkmalen aussondern (Aufbewahrung im Schreibtisch; Beschriftung des Ordners) und über das Lesen des Betreffs eines Schreibens nicht hinausgehen.101 Bei elektronischen Daten darf daher eine Dateiübersicht angezeigt werden, die
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LG Kiel NJW 2006 3224, 3225; Brüning StV 2008 100, 103. Rengier NStZ 1981 377. Vgl. HK/Gercke 12, KMR/Hadamitzky 14 und SK/Wohlers 15, die eine Belehrung über die Möglichkeit der Verweigerung für notwendig erachten. AK/Amelung 14; Eb. Schmidt 1. Gillmeister 84 Fn. 135; SK/Wohlers 15. AnwK/Löffelmann 444; HK-GS/Hartmann, 7; HK/Gercke 12; Meyer-Goßner 4; Radtke/Hohmann/Ladiges 5; SK/Wohlers 15; Eb. Schmidt Nachtr. II 3. SK/Wohlers 15. Schleswig-Holsteinisches OLG NStZ-RR 2000 112; SK/Wohlers 15. HK/Gercke 12; Meyer-Goßner 4. AK/Amelung 14; HK/Gercke 12; KK/Nack 5;
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KMR/Hadamitzky 14; Meyer-Goßner 4; Radtke/Hohmann/Ladiges 5; SK/Wohlers 15. AK/Amelung 14; HK/Gercke 12; KMR/ Hadamitzky 14; Meyer-Goßner 4; Radtke/ Hohmann/Ladiges 5; SK/Wohlers 15. OLG Celle StV 1985 139; Hermann/Soiné NJW 2011, 2922, 2925; Rengier NStZ 1981 376; Welp JZ 1972 424 Fn. 18; Roxin 19 § 36 A IV 1; Schlegel HRRS 2008, 23, 26; SK/Wohlers 17; AK/Amelung 9; Graf 9; HK/Gercke 12; KMR/Hadamitzky 15; Meyer-Goßner 4; auf Dokumente in Papierform beschränkend KK/Nack 7; a.A. Krause/Nehring 5; Haffke NJW 1974 1983. OLG Celle StV 1985 139; Mildeberger/ Riveiro StraFo 2004 43, 44; AnwK/Löffelmann 444; KMR/Hadamitzky 14; Meyer-
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einzelne Datei aber nicht geöffnet werden.102 Allerdings ist denkbar, dass sich eine Grobsichtung anstelle der Mitnahme eines umfangreichen Datenbestandes bei der vorläufigen Sichtung von EDV-Daten als weniger eingriffsintensiv darstellt.103 Soweit die Beamten dabei auf Papiere stoßen, die auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten, ist nach § 108 oder §§ 94, 98 zu verfahren. Dabei kann es für die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme im anderen Verfahren von Bedeutung sein, ob die Beamten im vorliegenden Verfahren die Grenzen des § 110 Abs. 2 Satz 2 eingehalten haben (vgl. § 108, 18).
IV. Durchsicht 1. Begriff. Durchsicht von Papieren im Rahmen einer Durchsuchung bedeutet Kennt- 16 nisnahme vom Inhalt zur Prüfung, ob das Papier als Beweismittel in Betracht kommt104 oder – falls der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss eine genauere Konkretisierung enthält – ob es sich um dort genannte Papiere handelt.105 Zu dieser inhaltlichen Durchsicht sind nur die in § 110 genannten Personen berechtigt. Der Begriff der Durchsicht erfordert, dass die Informationen sinnlich wahrgenommen werden können und umfasst nicht nur eine visuelle, sondern auch eine akustische Kenntnisnahme.106 Die weite Auslegung des Begriffs „Papiere“ dient dem Schutz des Betroffenen (Rn. 5, 2). Aus ihr darf deshalb nicht geschlossen werden, sämtliche Papiere dürften oder müssten gar in jedem Fall durchgesehen werden.107 Die Durchsicht ist zu beenden, wenn nicht mehr zu erwarten ist, dass sie beschlagnahmefähige Beweise zu Tage fördern wird.108 Die Papiere sind dann ohne weitere Kenntnisnahme vom Inhalt freizugeben; erstellte Kopien sind zu löschen.109 In den Fällen des § 103 dürfen Papiere nur darauf durchgesehen werden, ob sie „bestimmte Gegenstände“ im Sinne dieser Vorschrift sind und in den Fällen des § 102 nur, soweit Papiere überhaupt oder doch bestimmte Arten von Papieren als Beweismittel in Betracht kommen, solange und soweit der Durchsuchungsbeschluss die Durchsicht von Papieren überhaupt gestattet. Eine systematische Suche nach Zufallsfunden im Sinne des § 108 ist unzulässig110 und kann wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt zu einem Verwertungsverbot führen (§ 108, 18). Auf Papiere, die mit der Sache ersichtlich nichts zu tun haben, darf sich die Durch- 17 sicht ebenso wenig erstrecken wie auf geschützte Papiere (§ 97). Die Gewinnung überschießender und vertraulicher, für das Verfahren aber bedeutungsloser Informationen muss vermieden werden.111 Die Durchsicht privater Papiere (Briefe, Tagebücher, Testament) ist nicht gestattet, wenn z.B. lediglich bestimmte Buchhaltungsunterlagen gesucht werden. Geschützte Papiere sind grundsätzlich auch die Handakten der Angehörigen der geheimnisgeschützten Berufe. Ob es sich um solche Papiere handelt und ob bei an sich beschlagnahmefähigen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer Beschlagnahme entgegensteht,112 lässt sich freilich häufig ohne eine wenigstens oberflächliche Prüfung nicht fest-
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Goßner 4; Radtke/Hohmann/Ladiges 11; Schlegel HRRS 2008, 23, 26. Schlegel HRRS 2008, 23, 26 f.; Radtke/Hohmann/Ladiges 11; vgl. HK/Gercke 12. KK/Nack 7. Thüringisches OLG NJW 2001 1290 m. Anm. Hohmann wistra 2001 196; SK/Wohlers 20. SK/Wohlers 20.
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HK-GS/Hartmann 4. So aber abwegig Schaefgen BB 1979 1498. BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292; BGH Ermittlungsrichter StV 1988 90; LG Frankfurt a.M. NJW 1997 1170. SK/Wohlers 20. Vgl. nur LG Arnsberg ZIP 1984 889. BVerfG NVwZ 2005 1304, 1306. BGH NStZ 1997 562.
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stellen. Ist daher nicht sofort feststellbar, ob Unterlagen ihrem Inhalt nach einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, erfordern bereits die tatsächlichen Umstände ihre Durchsicht.113 Der Betroffene darf aber versuchen und ihm muss dazu auch Gelegenheit gegeben werden, durch Erläuterungen, durch Einsicht in Anschrift und Unterschrift oder auf sonstige Weise glaubhaft zu machen, dass einzelne Papiere nicht der Beschlagnahme unterliegen,114 soweit der Durchsuchungszweck dies gestattet. Die Zuordnung der Daten nach ihrer Verfahrensrelevanz kann unter Umständen auch mit Hilfe geeigneter Suchbegriffe oder Suchprogramme gelingen.115 Allerdings kann es aufgrund möglicherweise irreparabler Beeinträchtigungen der Vertrauensbeziehungen zu den Mandanten der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen, wenn der Datenträger einer Rechtsanwaltskanzlei wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften mithilfe eines speziellen Computerprogramms allein nach Bilddateien durchsucht werden soll.116 Ist offensichtlich, dass ein Beschlagnahmeverbot vorliegt, sind die Papiere sofort ungelesen herauszugeben.117 Steht somit auch ohne Durchsicht fest, dass ein Papier nach § 97 geschützt ist, darf es auch nicht darauf durchgesehen werden, ob vielleicht Tat- oder Teilnahmeverdacht nach § 97 Abs. 2 Satz 3 vorliegt und deshalb das Beschlagnahmeverbot entfällt, vgl. auch § 97, 26 f. Die Korrespondenz eines Beschuldigten mit seinem Verteidiger ist absolut geschützt, unabhängig davon, wo sich diese befindet oder ob gegen den Verteidiger Teilnahmeverdacht besteht.118 Stellt sich erst bei der Durchsicht heraus, dass ein nach § 97 oder aus sonstigen Gründen geschütztes Papier vorliegt, darf dessen Inhalt nicht verwertet werden. Werden Papiere gefunden, die auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten, ist nach § 108119 oder nach §§ 94, 98 zu verfahren.120 Bei verfassungsrechtlichen Verwertungsverboten ist größtmögliche Zurückhaltung zu wahren.121 Tagebücher jedenfalls können grundsätzlich daraufhin gesichtet werden, ob sie verwertbare Informationen enthalten.122 Verfassungsrechtliche Grenzen sind bei uneingeschränkter Durchsicht oder Beschlagnahme ganzer Dateisysteme da tangiert, wo hierdurch ein Einblick in den Kernbereich der Lebensgestaltung einer Person oder ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit ermöglicht wird.123 In Streitfällen hat es sich bewährt, die Entscheidung, ob die Durchsicht bestimmter 18 Papiere überhaupt von der Durchsuchung erfasst sein darf oder ob es sich um geschützte Papiere handelt, dem Richter zu überlassen, dazu die Papiere sicherzustellen und zu versiegeln und dem Richter zur Entscheidung zuzuleiten. Dies gilt insbesondere für Handakten und für die besonders heiklen Fälle einer Durchsuchung beim Berater durch Beamte der Steuerfahndung, die nach § 404 AO zur Durchsicht der Papiere befugt sind.124 Anwesenheit bei der Durchsicht. Durch den Wegfall des Abs. 3 a.F. ist die Regelung, 19 wonach der Inhaber zur Teilnahme an der Entsiegelung und Durchsicht aufgefordert 113 114 115
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BVerfG, Beschl. v. 1.7.2003 – 2 BvR 306/03. Eb. Schmidt Nachtr. II 6. BVerfG NVwZ 2005 1304, 1306; Michalke NJW 2008 1490, 1492; Rau WM 2006 1281. BVerfG NJW 2003 3761. BVerfG, Beschl. v. 1.7.2003 – 2 BvR 306/03; HK/Gercke 9; Meyer-Goßner 2; Radtke/Hohmann/Ladiges 10. Vgl. § 97 Rn. 96; a.A. zum Teilnahmeverdacht des Verteidigers BGH Ermittlungsrichter NJW 1973 2035 s.a. BVerfG NJW 2010 2937; BGH NJW 2009 2690.
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Vgl. KG NJW 1975 355. Auch beim Verteidiger, s. BVerfG NJW 2010 2937; BGH NJW 2009 2690. BVerfG, Beschl. v. 17.11.2007 – 2 BvR 518/07; BVerfG PStR 2006 143; MeyerGoßner 2; HK/Gercke 9; KMR/ Hadamitzky 4. BVerfG, Beschl. v. 17.11.2007 – 2 BvR 518/07; BVerfG PStR 2006 143; SK/Wohlers 22. Michalke StraFo 2008 287. Park Stbg 2001 449.
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werden sollte, entfallen.125 Für die Teilnahme des Betroffenen bei der Durchsicht fehlt es daher an einer Rechtsgrundlage.126 Zum Teil wird die Streichung als Redaktionsversehen angesehen, so dass ein Anwesenheitsrecht weiter bestehen soll.127 Dies ergebe sich für den Betroffenen aus § 106 Abs. 1,128 für den Verteidiger aus §§ 163a Abs. 3 S. 2, 168c Abs. 1.129 Jedenfalls schließt die Streichung nicht aus, dem Inhaber die Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. Das Bundesverfassungsgericht hält die Einbeziehung des Inhabers jedenfalls im Einzelfall zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs für geboten.130 So kann es angebracht sein, den Inhaber des jeweiligen Datenbestandes in die Prüfung der Verfahrenserheblichkeit sichergestellter Daten einzubeziehen, um die materielle Zuordnung zu vereinfachen und den Umfang der sicherzustellenden Daten zu reduzieren.131 Es ist nicht gestattet, andere Personen, denen der Inhaber des Schriftguts dies nicht 20 gestattet, hinzuzuziehen oder auch nur die Anwesenheit zu gestatten. Ist der Beschuldigte nicht der Gewahrsamsinhaber, kann ihm oder seinem Verteidiger die Anwesenheit nur mit Zustimmung des Gewahrsamsinhabers gestattet werden, da andernfalls der durch § 110 angestrebte Schutz der Privatsphäre unterlaufen würde. Legitime Verteidigungsinteressen werden dadurch nicht berührt, denn zu Papieren, auf die sich die Akteneinsicht erstreckt, werden die der Durchsicht unterliegenden Gegenstände erst mit der Beschlagnahme.132 2. Verfahren bei Durchsuchung durch zur Durchsicht befugte Personen. Erfolgt die 21 Durchsicht an Ort und Stelle, kann sofort über die Beschlagnahme der Papiere entschieden werden. Allerdings soll eine Grobdurchsicht, nach der damit zu rechnen ist, dass sich unter den Unterlagen auch beschlagnahmefähige Beweismittel befinden, nicht dazu ausreichen, die Unterlagen in ihrer Gesamtheit zu beschlagnahmen.133 Die potentiell beweisbedeutsamen Papiere sind herauszufiltern und so konkret zu bezeichnen, dass über den Umfang der Beschlagnahme keine Unsicherheit bestehen kann.134 Die gesamten Papiere oder Teile können aber auch zur Durchsicht in die Diensträume der Staatsanwaltschaft mitgenommen werden. Damit bewegt sich das Sichtungsverfahren, bei dem die Papiere auf ihre Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit hin überprüft werden, zwischen Durchsuchung und Beschlagnahme.135 Die dazu erforderliche vorläufige Sicherstellung ist Teil der Durchsuchung und von der nach der Durchsicht erfolgenden Entscheidung
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Für eine Fortgeltung HK/Gercke 13; Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937 f.; SK/Wohlers 25; zweifelnd Radtke/Hohmann/Ladiges 14. LG Braunschweig, Beschl. v. 12.4.2006 – 6 Qs 88/06; a.A. Burhoff (Ermittlungsv.) 1152, HK/Gercke 13 und Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937 f., die für den Betroffenen ein Anwesenheitsrecht aus § 106 Abs. 1 folgern wollen. Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937 f.; HK/Gercke 13; SK/Wohlers 25. Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937 f.; Burhoff (Ermittlungsv.) 1152 ; HK/Gercke 13; wohl auch SK/Wohlers 25; gegen eine Herleitung aus § 106 Abs. 1: Radtke/ Hohmann/Ladiges 14.
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Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2937 f.; Burhoff (Ermittlungsv.) 1152 ; vgl. HK/Gercke 13. BVerfG NJW 2009 2431, 2436, 2437; BVerfG NJW 2005 1917, 1922; SK/Wohlers 25. BVerfG NJW 2009 2431, 2436, 2437; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. Thüringisches OLG NJW 2001 1290. LG Bonn, Beschl. v. 9.6.2004 – 37 Qs 18/04, 37 Qs 20/04. LG Bonn, Beschl. v. 9.6.2004 – 37 Qs 18/04, 37 Qs 20/04. BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08; BVerfG NJW 2003 2669, 2670.
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über die Beschlagnahme zu unterscheiden.136 Eine solche Mitnahme der Papiere über die zunächst die Staatsanwaltschaft zu entscheiden hat,137 ist namentlich bei Geschäftsunterlagen schonender als eine langwierige, den Geschäftsbetrieb blockierende Durchsicht an Ort und Stelle. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen ist daher darauf abzustellen, ob eine Durchsicht an Ort und Stelle zumutbar ist und den Durchsuchungszweck nicht gefährdet.138 Eine generelle Grobsichtung auf beschlagnahmefähiges Material ist nicht in jedem Fall zwingend erforderlich.139 Bei Mitnahme von Hardware sind in jedem Fall geeignete Schutzvorkehrungen zu treffen, um einen unberechtigten Zugriff, Verlust oder Beschädigung zu verhindern.140 Auch bei Mitnahme ist die Durchsicht zügig durchzuführen,141 damit der Betroffene 22 baldmöglichst wieder über die nicht als Beweismittel benötigten Gegenstände verfügen kann. Wie lange diese Durchsicht dauern darf, hängt von dem Grad des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen und dem zugrunde liegenden Tatvorwurf,142 von dem Umfang der Papiere, der Schwierigkeit der Auswertung und der Bedeutung der Papiere für den Betroffenen ab. Aus der Praxis wird von Fällen berichtet, in denen vor allem Geschäftsunterlagen lastwagenweise zur Staatsanwaltschaft verbracht wurden, um dann dort monate- oder gar jahrelang ungeprüft zu liegen. Dass dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang zu bringen ist, liegt auf der Hand. Von der Ermittlungsbehörde ist zu verlangen, dass sie sich zügig an die Durchsicht der Daten macht, um in angemessener Zeit zu entscheiden, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme anzutragen und was an den Betroffenen herauszugeben ist.143 Indes werden sich absolute Fristen kaum festlegen lassen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auf ein halbes Jahr befristeten Wirksamkeit von Durchsuchungsbeschlüssen (§ 105, 113 ff.) betrifft die Zulässigkeit der Durchsuchung als solche und findet auf die Durchsicht keine Anwendung.144 Der für die Befristung richterlicher Durchsuchungsgestattungen entscheidende Grund war, dass durch Vorratshaltung richterlicher Beschlüsse der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 1 GG leerlaufen könnte. Die durch verzögerte Durchsicht im Sachentzug liegende Eingriffswirkung unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art. 13 GG, sondern dem des Art. 14 GG.145 Daher muss die Durchsicht der Papiere nicht innerhalb von sechs Monaten, allerdings in angemessener Zeit beendet 136
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BVerfG NJW 2011 1863, 1865; BVerfG NJW 2009 2431, 2436; BVerfG, Beschl. v. 18.03.2009 – 2 BvR 1036/08; BGH NStZ 2003 670, 671; BVerfG, Beschl. v. 1.7.2003 – 2 BvR 306/03; BVerfG NJW 2003 2669, 2670; BGH Ermittlungsrichter StV 1988 90 und CR 1999 292; OVG Hamburg NVwZRR 2012 845; Thüringisches OLG NJW 2001 1290; OLG Karlsruhe NStZ 1995 40; LG Hildesheim StraFo 2007 114, 115; LG Limburg StraFo 2006 198; HK-GS/Hartmann, 11; Meyer-Goßner 10; KK/Nack 8; SK/Wohlers 28; eingehend Graulich wistra 2009, 299; AK/Amelung 17 hält die Mitnahme außer im Rahmen des Abs. 2 S. 2 durch den Staatsanwalt für unzulässig. BGH NStZ 2003 670, 671; BGH NJW 1995 3397. SK/Wohlers 16. SK/Wohlers 16.
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Hermann/Soiné NJW 2011 2922, 2925. BGH NStZ 2003 670, 671; LG Limburg, Beschl. v. 15.2.2011 – 1 Qs 20/11; LG Hildesheim StraFo 2007 114, 115; LG Frankfurt NStZ 1997 564; AG Karlsruhe-Durlach StraFo 2007 152. LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. Ausdrücklich BVerfG (Kammer) NJW 2002 1410 gegen Hoffmann/Wißmann NStZ 1998 443 und Burhoff PStR 1999 28; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10; Graulich wistra 2009, 299, 302; AnwK/ Löffelmann 444; Graf/Hegmann 8; HK/Gercke 10; KK/Nack 9; KMR/Hadamitzky 8; Radtke/Hohmann/Ladiges 20; SK/Wohlers 24. Vgl. BVerfG NJW 2003 2669, 2670.
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sein146 bzw. sie darf nicht unzumutbar lange147 andauern. Für den vergleichbaren Fall der einstweiligen Beschlagnahme hat der Bundesgerichtshof aber entschieden, dass es auf der Hand liege, „dass vorläufige prozessuale Zwangsmaßnahmen nicht weit über ein Jahr hinaus andauern dürfen“.148 Auch eine Beschlagnahme von Computern soll nicht länger als zur Auswertung erforderlich dauern und kann bei voraussichtlich 11 Monaten bis zur Auswertung unverhältnismäßig sein.149 So kann im Einzelfall schon eine weit über drei Monate,150 eine acht Monate151 oder jedenfalls eine mehr als 2 3/4 Jahre152 andauernde Durchsicht zu einem nicht hinzunehmenden Nachteil führen. Eine Überlastung der Ermittlungsbehörden153 oder eine unzureichende personale154 oder sächliche155 Ausrüstung der Polizei reichen für eine verzögerte Durchsicht in jedem Fall nicht aus. Der jeweilige Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der 23 Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger vermuteten Informationen sowie die Vagheit eines Auffindeverdachts einer Sicherstellung des Datenbestandes entgegenstehen.156 In geeigneten Fällen wird nach einer groben Durchsicht zu prüfen sein, ob sich die Durchsicht im Einzelnen auf das gesamte mitgenommene Material erstrecken muss oder ob dem Betroffenen wenigstens Kopien wichtiger benötigter Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, wenn es sich etwa um Geschäftspapiere handelt, die für den laufenden Betrieb erforderlich sind. Benötigt der Betroffene das sichergestellte Material dringend zur Fortführung seines Betriebes und entstehen bei der weiteren Durchsicht erhebliche Nachteile, so ist die Durchsuchung unverhältnismäßig, wenn auf der anderen Seite nur ein vager Verdacht vorliegt, das gesuchte Beweismittel befinde sich unter den mitgenommenen Gegenständen.157 Bei EDV-Anlagen wird häufig eine Mitnahme der Computer usw. nicht erforderlich sein, wenn es genügt, die Festplatte zu kopieren und die darauf enthaltenen Daten auf der Dienststelle zur Prüfung ihrer Beweisgeeignetheit zu lesen.158 Da häufig der Beweiswert einer Datei, wie auch der einzelner Geschäftspapiere, von ihrem Kontext abhängt, ist aber zu beachten, dass der kopierte Datenbestand als Ganzes Beweismittel ist.159 Soweit dort gelöschte aber wiederherstellbare Dateien vermutet werden, kann die Durchsicht insbesondere bei übermäßiger Dauer mithilfe einer Sicherungskopie durchzuführen und hierauf zu beschränken sein, auch wenn hierdurch möglicherweise nicht mehr auf gelöschte Fragmente des Festplatteninhaltes zurückgegriffen werden kann.160 Nicht gehalten sind die Ermittlungsbehörden, sich ohne Kenntnis von der Funktionsweise einer
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BGH NStZ 2003 670, 671; LG Mühlhausen StV 2003 433; Artkämper StRR 2007 14; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 2; Burhoff Ermittlungsv. 1166 will die zu § 121 entwickelten Grundsätze entsprechend heranziehen. KK/Nack 9. BGHSt 19 374, 376. LG Kiel StraFo 2004 93, 94 bei einer Dauer von bereits neun Monaten und voraussichtlich weiteren zwei Monate bis zur Auswertung. LG Dresden NStZ 2003 567; vgl. LG Hildesheim StraFo 2007 114, 115; vgl. LG Limburg, Beschl. v. 15.2.2011 – 1 Qs 20/11, wonach die Durchsicht bei einer mehr als
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2 Monate zurückliegenden Durchsuchung beschleunigt durchzuführen sein soll. LG Limburg StraFo 2006 198. LG Mühlhausen StraFo 2003 237, 238. LG Limburg StraFo 2006 198 für eine 8 Monate andauernde Durchsicht; SK/Wohlers 24. LG Mühlhausen StraFo 2003 237, 238. AG Karlsruhe-Durlach StraFo 2007 152. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2008 – 2 BvR 1111/08. BGH Ermittlungsrichter StV 1988 90. KMR/Hadamitzky 20; SK/Wohlers 16. LG Köln NStZ 1995 54. LG Limburg StraFo 2006 198.
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Datenbank auf eine selektive Herausgabe einzelner Datensätze durch Vertreter des Betroffenen einzulassen.161 Es ist stets zu prüfen, ob eine Sicherstellung des Datenträgers und aller darauf gespeicherter Daten erforderlich ist oder ob als milderes Mittel die Sicherstellung allein der beweiserheblichen Daten genügt. Eine Prüfung kann etwa mit Hilfe geeigneter Suchbegriffe oder durch die Verwendung von Suchprogrammen erfolgen; auch kommt eine Mitwirkung des Betroffenen in Betracht.162 Auch wenn Abs. 2 Satz 2 für den Fall der Mitnahme durch einen Durchsichtsberech24 tigten keine Anwendung findet und daher keine Pflicht zur Versiegelung besteht,163 ist eine Versiegelung dennoch empfehlenswert.164
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3. Versiegelung. Bei Durchsuchung durch nicht zur Durchsicht befugte Personen sind die zur Durchsicht bestimmten Papiere in einen Umschlag oder ein sonstiges Behältnis zu nehmen, der in Anwesenheit des Inhabers zu versiegeln ist (Abs. 2 Satz 2), oder in einer dem Sinn dieser Vorschrift entsprechenden Weise vor dem Einblick anderer Personen zu schützen und der Staatsanwaltschaft zur Durchsicht vorzulegen. Diese verfährt dann nach Rn. 16 ff. Bei elektronischen Daten sind die Datenträger in geeignete Behältnisse einzulegen und sind diese zu versiegeln; bei Festeinbauten sind die elektronischen Geräte durch Siegelung der Bedienelemente oder der Stromversorgung vor unbefugter Kenntnisnahme zu schützen.165 Der Gewahrsamsinhaber kann der Versiegelung (§ 110 Abs. 2 Satz 2) bei der Mitnahme von Papieren beiwohnen. Die Versiegelung ist in seiner Gegenwart vorzunehmen, wenn er anwesend ist; andernfalls muss der nach § 106 Abs. 1 Satz 2 zuständige Vertreter zugezogen werden. Die Regelung des Abs. 3, wonach der Inhaber ein eigenes Siegel beidrücken konnte, ist entfallen.166 Dennoch bleibt es dem Betroffenen unbenommen, hierauf hinzuwirken.
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4. Verfahren nach der Durchsicht. Diejenigen Papiere, die weder in der Sache, in der die Durchsuchung stattgefunden hat, als Beweismittel oder als Verfalls- oder Einziehungsgegenstände in Betracht kommen, noch auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten (§ 108), muss der Staatsanwalt dem Betroffenen unverzüglich herausgeben. Wurden Datenträger zur Durchsicht kopiert, sind diese Kopien zu löschen. Die für das Ermittlungsverfahren benötigten Papiere müssen dem Richter mit dem Antrag vorgelegt werden, sie zu beschlagnahmen. Da Gefahr im Verzug nicht mehr in Betracht kommt (die Papiere sind ja in Beschlag genommen), ist der Staatsanwalt selbst nicht zuständig, die Beschlagnahme anzuordnen (§ 98 Abs. 1; § 111e Abs. 1).167 Vor Beendigung der Durchsicht kommt eine Beschlagnahme schon rechtssystematisch nicht in Betracht.168 Mit der Beschlagnahme enden auch die Beschränkungen des § 110.169 161 162 163 164 165 166
LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. Michalke NJW 2008 1490, 1492. LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. SK/Wohlers 16. Schlegel HRRS 2008 23, 27; SK/Wohlers 18; HK/Gercke 21. Hierfür besteht nach KMR/Hadamitzky 21 und SK/Wohlers 19 kein anerkennenswertes Bedürfnis mehr; dagegen halten Graf /Hegmann 10 und Meyer-Goßner 5 die Beidrückung des eigenen Siegels nach wie vor
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für möglich; vgl. auch Michalke NJW 2008 1490, 1493. LG Berlin NStZ 2004 571, 573; Burhoff Ermittlungsv. 1150; HK/Gercke 15; AnwK/Löffelmann 444; KK/Nack 4; Radtke/Hohmann/Ladiges 15; SK/Wohlers 6; vgl. den Fall Thüringisches OLG NJW 2001 1290. LG Limburg, Beschl. v. 15.2.2011 – 1 Qs 20/11; vgl. LG Limburg StraFo 2006 198; LG Berlin StV 2005 261. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 74; SK/Wohlers 27.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 110
V. Anfechtung Anfechtungsbefugt ist, wer unmittelbar oder mittelbar als natürliche oder juristische 27 Person durch die Maßnahme in eigenen Rechten betroffen ist.170 Das ist in der Regel der Gewahrsamsinhaber. Die Mitnahme zur Durchsicht und die Durchsicht der Papiere ist Teil der Durch- 28 suchung. In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des u.U. umfangreichen Schriftguts notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen gestaltet wird und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft.171 Bei deren gerichtlicher Überprüfung wird der eigenverantwortlichen Stellung, die der Strafverfolgungsbehörde insoweit zukommt, durch Zubilligung eines gewissen Ermessensspielraums innerhalb der insbesondere durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesetzten rechtlichen Grenzen Rechnung getragen werden müssen.172 Für die Überprüfung der Durchsicht gelten, da es sich um Teil der Durchsuchung handelt, die oben § 105, 131 und 134 mitgeteilten Grundsätze. Insbesondere kann der Betroffene, auch nach abgeschlossener Durchsuchung die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 bei nichtrichterlich173 und bei richterlich174 angeordneter Durchsuchung zur Regelung von Modalitäten175 oder – nach angeschlossener Durchsuchung – zu deren Überprüfung beantragen. Er kann insbesondere geltend machen, die Voraussetzungen einer Durchsuchung seien zum Zeitpunkt der Durchsicht entfallen mit der Folge, dass auch diese als Teil der Durchsuchung nicht mehr zulässig sei,176 die Mitnahme der Papiere sei unverhältnismäßig, die Durchsicht werde nicht zügig vorgenommen und sie dauere unverhältnismäßig lange,177 die weitere Durchsicht sei unverhältnismäßig, nachdem die bisherigen Erkenntnisse nichts dafür hergaben, die weitere Durchsicht werde zum Auffinden von Beweismitteln führen,178 zu Unrecht seien ihm zur Fortführung seines Geschäftsbetriebs erforderliche Kopien nicht überlassen worden,179 die Sicherstellung gehe über die thematisch begrenzte Zielvorgabe in dem nur bestimmte Datensätze betreffen-
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BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292. BGH NStZ 2003 670, 671. BGH NJW 1995 3397; BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292; vgl. BGH NStZ 2003 670, 671; BVerfG NJW 2003 2669, 2671; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10; KK/Nack 1; SK/Wohlers 29. BGHSt 44 265. BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292; OLG Hamburg StV 1999 301; s. auch den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart NStZ 1999 374; vgl. auch § 105, 131. BVerfG, Entsch. v. 18.2.2010 – 2 BvQ 8/10; BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08; BGH NStZ 2003 670, 671; BVerfG NJW 2003 2669, 2671; BGHSt 44 265; BGH Ermittlungsrichter CR 1999 292; BGHSt 28 206, 209; BGHSt 36 30, 31 – Ermittlungsrichter –; BGH – Ermittlungsrichter – StV 1988 90; OVG Hamburg NVwZ-RR 2012 845; OLG Karlsruhe
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NStZ 1995 48; VerfGH Bayern, Entsch. v. 26.1.2011 – Vf. 129-VI-09; LG Hildesheim StraFo 2007 114, 115; vgl. auch BVerfGE 96 44 – jeweils m.w.N. BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08; BVerfG, Beschl. v. 19.6.2008 – 2 BvR 1111/08; BGH – Ermittlungsrichter – StV 1988 90; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10; LG Leipzig, Beschl. v. 6.6.2008 – 5 Qs 18/08; Hermann/Soiné NJW 2011 2922, 2925; KMR/Hadamitzky 6; Meyer-Goßner 10. BGH – Ermittlungsrichter – StV 1988 90; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10; Meyer-Goßner 10; Mildeberger/ Riveiro StraFo 2004 43, 45 f.; SK/Wohlers 28. BGH – Ermittlungsrichter – StV 1988 90; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.9.2010 – 2 Qs 24/10. Meyer-Goßner 10.
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den Durchsuchungsbeschluss hinaus,180 die Durchsicht erfolge nicht durch zur Durchsicht befugte Personen181 oder dass sich unter den Papieren beschlagnahmefreie Gegenstände befinden.182 Zuständig ist der Ermittlungsrichter oder bei einer Durchsuchung im gerichtlichen Verfahren das erkennende Gericht.183 Die Entscheidung des Richters ist mit der Beschwerde anfechtbar. In den letzten Jahren gewann die Durchsuchung von elektronischen Speichermedien 29 immer größere Bedeutung. Die Sicherstellung elektronisch gespeicherter Daten ist untrennbar mit technischen Modalitäten der Durchsuchung verknüpft – etwa danach, wie die relevanten Daten gefunden werden, welche Daten ausgesondert werden sollen, wie sie gesichert werden sollen, auf welches Speichermedium zugegriffen werden soll, wie Daten entschlüsselt werden, ob auch Programmdateien sichergestellt werden sollen, ob die Hinzuziehung von Zeugen und Sachverständigen notwendig ist. Hinzu kommt, dass die „Durchsicht“ (§ 110 StPO) solcher Datenbestände längere Zeit in Anspruch nehmen kann – so lange ist die Durchsuchung nicht abgeschlossen –, so dass der nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO angerufene Richter noch Anordnungen zu den Modalitäten der Auswertung treffen kann. Auch kann die Frage, welche Vorgänge der Datenauswertung noch zur Durchsicht gehören, strittig sein.184 Der Inhaber des externen Speichermediums kann entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 30 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen,185 worüber er nach § 98 Abs. 2 Satz 5 zu belehren ist. Hierdurch wird sichergestellt, dass er von der Maßnahme zeitnah Kenntnis erhält und seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann.186 Zweifelhaft ist, ob § 98 Abs. 2 aus gesetzessystematischen Gründen nur im Fall der Datensicherung, nicht aber im Fall der Durchsicht Anwendung finden soll.187 Der angerufene Richter kann die Rückgabe der Unterlagen anordnen oder Modalitä31 ten der weiteren Durchsicht regeln, insbesondere Fristen bestimmen, innerhalb derer die Durchsicht zu beenden ist.
VI. Verwertungsverbot. Revision 32
1. Verwertungsverbot. Verstöße gegen § 110 werden selten ein Verwertungsverbot zur Folge haben.188 Verstöße können aber dann ausnahmsweise nach den bei § 98, 82 dargelegten Grundsätzen nach einer Güterabwägung zu einem Verwertungsverbot führen, wenn bei nicht allzu gewichtigem strafrechtlichen Vorwurf bewusst gegen die dem Schutz des Betroffenen vor zu weitreichenden Eingriffen geschaffenen Vorschriften verstoßen wurde.189 Ein solcher Fall ist insbesondere dann denkbar, wenn die Beschränkungen auf den Ermittlungszweck planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden190 oder wenn offensichtlich als Beweismittel im anhängigen Verfahren nicht in Betracht kom-
180 181 182 183 184 185 186
BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08. LG Kiel NJW 2006 3224, 3225; SK/Wohlers 28. SK/Wohlers 28. Thüringisches OLG NJW 2001 1290. BGHSt 44 265. KK/Nack 8; Meyer-Goßner 11. BVerfG NVwZ 2009 103, 106.
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So Meyer-Goßner 11 und Radtke/Hohmann/Ladiges 17. Vgl. Amelung NJW 1991 2533, 2538. Gegen ein Verwertungsverbot bei Durchsicht einer elektronischen Datei durch das Landeskriminalamt LG Magdeburg StraFo 1998 271. BVerfG NJW 2005 1917, 1923; HK/Gercke 35; KMR/Hadamitzky 33; SK/Wohlers 30.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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mende Papiere durchgesehen und beschlagnahmt werden.191 Die Durchsicht durch Nichtberechtigte dürfte für die Annahme eines Verwertungsverbots regelmäßig nicht ausreichen, ein bewusster Verstoß gegen das Neutralitätsgebot hingegen schon.192 Vgl. dazu § 108, 18. 2. Revision. Die Revision könnte nur darauf gestützt werden, dass einem Verwer- 33 tungsverbot unterliegende Beweismittel verwertet werden. Andernfalls kann das Urteil auf dem Fehler nicht beruhen.
§ 110a (1) 1Verdeckte Ermittler dürfen zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß eine Straftat von erheblicher Bedeutung 1. auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geldoder Wertzeichenfälschung, 2. auf dem Gebiet des Staatsschutzes (§§ 74a, 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes), 3. gewerbs- oder gewohnheitsmäßig oder 4. von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen worden ist. 2Zur Aufklärung von Verbrechen dürfen Verdeckte Ermittler auch eingesetzt werden, soweit aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung besteht. 3Der Einsatz ist nur zulässig, soweit die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 4Zur Aufklärung von Verbrechen dürfen Verdeckte Ermittler außerdem eingesetzt werden, wenn die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären. (2) 1Verdeckte Ermittler sind Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln. 2Sie dürfen unter der Legende am Rechtsverkehr teilnehmen. (3) Soweit es für den Aufbau oder die Aufrechterhaltung der Legende unerläßlich ist, dürfen entsprechende Urkunden hergestellt, verändert und gebraucht werden.
Schrifttum zu den §§ 110a bis c Amelung/Kerckhoff Zur strafprozessualen Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen ohne gesetzliche Ermächtigung – BGH NJW 1991 2651, JuS 1991 196; Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts (1981); ders. Probleme der Einwilligung in strafprozessuale Grundrechtsverletzungen, StV 1985 257; Arloth Geheimhaltung von V-Personen und Wahrheitsfindung im Strafprozeß (1987); ders. Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen „V-Mann-Problems“. Durch Beschlagnahme von Behördenakten? NStZ 1993 467; Barczak Der verdeckte Einsatz ausländischer Polizisten in Deutschland – Rechtsrahmen, Rechtsprobleme und Reformbedarf, StV 2012 182; Beck Bekämpfung der Organisierten Kriminalität speziell auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität unter besonderer Berücksichtigung der V-Mann-Problematik (1990); Benfer Grundrechtseingriffe und Ermittlungsverfahren (1990); ders. Verdeckte Ermittlungen durch Polizeibeamte, MDR 1994 12; Boll Rechtspolitik im Meinungsstreit, Kriminalistik 1992 66; Braum Verdeckte
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Park wistra 2000 457; HK/Gercke 35; SK/Wohlers 30.
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SK/Wohlers 31; HK/Gercke 35.
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Ermittlung – Kontinuitätsphänomen des autoritären Strafverfahrens, in: Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts (1995), 13; Bundeskriminalamt (Hrsg.) Organisiertes Verbrechen (1985); Caesar Gesetz gegen die Organisierte Kriminalität – eine unendliche Geschichte? ZRP 1991 241; Creutz Verfassungsrechtliche Probleme des Lockspitzeleinsatzes, ZRP 1988 415; Danwitz Anmerkungen zu einem Irrweg in der Bekämpfung der Drogenkriminalität, StV 1995 431; Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei (1991); Deutscher Richterbund Stellungnahme zum Entwurf des OrgKG, DRiZ 1991 457; Diercks Die Zulässigkeit des Einsatzes von V-Leuten, undercoveragents und Lockspitzeln im Vorverfahren, AnwBl. 1987 154; Eisenberg Straf(verfahrens-)rechtliche Maßnahmen gegenüber „Organisiertem Verbrechen“, NJW 1993 1033; Eisenberg/Ohder Über Organisiertes Verbrechen, JZ 1990 574; Engländer Das nemo-teneturPrinzip als Schranke verdeckter Ermittlungen, ZIS 2008 163; Eschelbach Rechtsfragen zum Einsatz von V-Leuten, StV 2000 390; Felsch Zuhälter oder Schornsteinfeger? – Gedanken zur „limitierten Tarnkappe“ des Verdeckten Ermittlers beim Betreten von Wohnungen nach § 110c Satz 2 StPO, StV 1998 285; Fischer/Maul Tatprovozierendes Verhalten als polizeiliche Ermittlungsmaßnahme, NStZ 1992 7; Frister Zur Frage der Vereinbarkeit verdeckter Ermittlungen in Privatwohnungen mit Art. 13 GG, StV 1993 151; Füllkrug Kein „staatsanwaltsfreier“ Raum im Ermittlungsverfahren. Aktuelle Tendenzen im Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, Kriminalistik 1986 155; ders. Wie weit reichen die Gesetze? Der Verdeckte Ermittler: Auftrag, Erfolgschancen und -risiken, Kriminalistik 1987 5; Gaede Beweisverwertungsverbote und „Beweislastumkehr“ bei unzulässigen Tatprovokationen nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR, HRRS 2008 279; Gehm/Link Organisierte Kriminalität, Kriminalistik 1992 491; Geißdörfer V-Personen und Verdeckte Ermittler – Zwei unverzichtbare Ermittlungsinstrumente, Kriminalistik 1993 679; Gemmer Organisiertes Verbrechen – eine Gefahr für die Sicherheit? Kriminalistik 1974 529; Greco Menschenrechtskonformes Täterstrafrecht? Überlegungen anlässlich der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Lockspitzelproblematik, StraFo 2010 52; Groth Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und Gewinnabschöpfung (1996); Grünwald Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966 489; Guttenberg Die heimliche Überwachung von Wohnungen, NJW 1993 567; Haas V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren (1986); Hammel Der Einsatz von „verdeckten Ermittlern“ durch Sozialleistungsträger, ZFSH/SGB 2011 577; Hapkemeyer Zur Entwicklung der Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern (VE) und Vertrauenspersonen (VP) in den novellierten Polizeigesetzen – eine Zwischenbilanz, Schriftenreihe der Politischen Führungsakademie 1991 57; Hassemer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität, KJ 1992 64; ders. Warum man den „Großen Lauschangriff“ nicht führen sollte, DRiZ 1992 357; Hassemer/Starzacher (Hrsg.) Organisierte Kriminalität – geschützt vom Datenschutz? (1993); Hertlein Kriminalisten im Tarngewand. Neue Formen der Kriminalität erfordern neue Polizeiarbeit, Kriminalistik 1987 3; Herzog Rechtsstaatliche Begrenzungen der Verbrechensbekämpfung, NStZ 1985 153; Hilger Neues Strafverfahren durch das OrgKG, NStZ 1992 457, 523; ders. Verdeckte Ermittler, V-Leute, FS Hanack 207; Hund Verdeckte Ermittlungen – ein gelöstes Problem?, StV 1993 379; ders. Beteiligung Verdeckter Ermittler am unerlaubten Glücksspiel, NStZ 1993 571; Janssen § 110b Abs. 3 S. 2 StPO – ein Schlag gegen die „Waffengleichheit“, StV 1995 275; Joachim Anonyme Zeugen im Strafverfahren – Neue Tendenzen in der Rechtsprechung, StV 1992 245; Keller/Griesbaum Das Phänomen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, NStZ 1990 416; Kniesel Neue Polizeigesetze contra StPO?, ZRP 1987 377; Körner Verdeckte Ermittlungen ohne Straftaten, Kriminalistik 1991 601; ders. Die Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität durch V-Leute, in: Taschenbuch für Kriminalisten Bd. 35 (1985) 29; Koriath Straftaten bei Verdeckten Ermittlungen – Ein Geständnis, Kriminalistik 1992 370; Korn Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren. V-Leute, Lockspitzel, Telefonüberwachung von Rechtsanwälten (2005); Kraushaar Der „polizeiliche Scheinaufkäufer“ – ein Verdeckter Ermittler im Sinne des § 110a Abs. 2 StPO?, Kriminalistik 1994 481; ders. Behördenangehörige als V-Personen, Kriminalistik 1995 186; Krauß Sicherheitsstaat und Strafverteidigung, StV 1989 315; ders. Der Verdeckte Ermittler (VE) aus psychologischer Sicht, Die Polizei 1994 142; Krauß, K. V-Leute im Strafprozeß und die EMRK (1999); Krey/Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler, JR 1992 309; Krey Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes verdeckter Ermittler einschließlich des Lauschangriffs zu seiner Sicherung und als Instrument der Verbrechensbekämp-
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fung, BKA Forschungsreihe Sonderband (1993); ders. Zur Problematik verdeckter Ermittlungen ohne Einsatz technischer Mittel im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, FS Miyazawa 595; ders. Rechtsprobleme beim Einsatz Verdeckter Ermittler einschließlich der elektronischen Überwachung (Lauschangriff) zu ihrem Schutz und als Instrument der Strafverfolgung in Deutschland, JR 1998 1; Krost Verdeckte Maßnahmen der Polizei – Eine grundsätzliche Betrachtung zur rechtlichen Eingebundenheit, Der Kriminalist 1985 450; Krüger Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1993 124; ders. Das OrgKG – ein Gesetz unter falscher Flagge, Kriminalistik 1992 594; ders. Rechtsfragen bei Verdeckten Ermittlungen aus verfassungsrechtlicher Sicht, JR 1984 490; ders. Verfassungsrechtliche Grundlagen polizeilicher V-Mann-Arbeit, NJW 1982 855; ders. Organisierte Kriminalität – Eine Herausforderung für die Strafrechtspflege, in: Die Zukunft des Straf- und Strafprozeßrechts in Deutschland, Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen (1992) 193; Krumsiek Die Verrechtlichung des Einsatzes Verdeckter Ermittler, Kriminalist 1989 576; Lagodny Verdeckte Ermittler und V-Leute im Spiegel von § 136a StPO als „angewandtem Verfassungsrecht“, StV 1996 167; Lammer Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß (1992); Lenhard Das organisierte Verbrechen – Eine wieder einmal nötige Standortbestimmung, Kriminalistik 1991 223; Lesch Soll die Begehung „millieutypischer“ Straftaten durch Verdeckte Ermittler erlaubt werden? StV 1993 94; ders. V-Mann und Hauptverhandlung – die DreiStufen-Theorie nach Einführung der §§ 68 III, 110b III StPO und 172 Nr. 1a GVG, StV 1995 542; Lindemann Die Straftat von erheblicher Bedeutung, KJ 2000 86; Meyer Verdeckte Ermittlungen, Kriminalistik 1999 49; Lisken Befugnis zum Belauschen? ZRP 1993 121; Lorenz „Operative Informationserhebung“ im Strafverfahren, „Unverfügbares“ und Grundrechtsschutz durch „institutionelle Kontrolle“, JZ 1992 1000; Lüderssen (Hrsg.) V-Leute Die Falle im Rechtsstaat (1985); Malek Staatlicher „Handlungsbedarf“ als Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen? Zur Verfassungswidrigkeit von Videoüberwachung und V-Mann-Einsatz im Strafverfahren, StV 1992 342; Maluga Tatprovokation Unverdächtiger durch V-Leute (2006); Maul Neue Ermittlungsmethoden im Lichte des Revisionsrechts, in: Rechtsgestaltende Wirkung des Revisionsrechts (1993) 159; ders. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verdeckten Ermittler, StraFo 1997 38; Meertens Das Gesetz gegen die Organisierte Kriminalität, die unerträgliche Geschichte, ZRP 1992 204; Meyer, Jens Verdeckte Ermittlungen – Zulässigkeit und rechtliche Grenzen des Einsatzes nicht offen operierender Polizeibeamter, Kriminalistik 1999 49; Meyer, Jürgen Zur V-Mann-Problematik aus rechtsvergleichender Sicht, FS Jescheck 1311; Möhrenschlager Das OrgKG – eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281, 326; Müßig Grenzen der Beweisverwertung beim Einsatz „Verdeckter Ermittler“ gegen den Verdächtigen, GA 2004 87; Ostendorf/Meyer-Seitz Die strafrechtlichen Grenzen des polizeilichen Lockspitzel-Einsatzes, StV 1985 73; Ostendorf „Verdeckte“ Polizeiarbeit – Kriminalpolitische Thesen zu V-Mann und UCA, Kriminalistik 1985 409; ders. Organisierte Kriminalität – eine Herausforderung für die Justiz, JZ 1991 62; Ott Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren. Die deutsche Rechtsordnung und die Rechtslage nach der EMRK in einer rechtsvergleichenden Betrachtung (2008); Panka Probleme des V-Mann-Einsatzes, in 8. Strafverteidigertag (1985) 64; Petersdorf Völker- und strafrechtliche Probleme der Tatprovokation durch vom Ausland gesteuerte Lockspitzel, ZEuS 2005 441; Prittwitz Die Grenzen der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung gemäß § 110a StPO, StV 1984 302; Pütter/Diederichs V-Personen, Verdeckte Ermittler, NoePs, qualifizierte Scheinaufkäufer und andere – Die Polizei im kriminellen Untergrund, in: Bürgerrechte und Polizei (1994) 24; Puppe Verführung als Sonderopfer – Zugleich Besprechung von BGH – 2 StR 446/85, NStZ 1986 162; Quentin Der verdeckte Ermittler im Sinne der §§ 110a ff StPO, JuS 1999 134; Ranft Verdeckte Ermittler im Strafverfahren nach dem Inkrafttreten des OrgKG, Jura 1993 449; Rebmann Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1985 1; Rebscher/Vahlenkamp Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland (1988); Reiners, Carola Erscheinungsformen und Ursachen Organisierter Kriminalität in Italien, den USA und der Bundesrepublik Deutschland (1989); Rieß Über Subsidiaritätsverhältnisse und Subsidiaritätsklauseln im Strafverfahren, GedS Meyer 367; ders. Neue Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, NJ 1992 491; Ring Die Befugnis der Polizei zur verdeckten Ermittlung, StV 1990 372; Rogall Strafprozessuale Grundlagen und legislative Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler, JZ 1987 847; Rosengarten/Römer Der „virtuelle verdeckte Ermittler“ in sozialen Netzwerken und Internetboards, NJW 2012 1764; Roxin Zur verdeckten Befragung des Beschuldigten, NStZ–Sonderheft 2009 41; Safferling Verdeckte Ermittler im Strafverfahren –
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
deutsche und europäische Rechtsprechung im Konflikt?, NStZ 2006 75; Schaefer, Christoph Polizeiarbeit auf schwankendem Grund: Ist die organisierte Kriminalität mit dem geltenden Recht wirksam zu bekämpfen? Kriminalistik 1987 230; Schäfer, Herbert Die Prädominanz der Prävention, GA 1986 49; ders. Verdeckte Ermittlungen der Polizei – Schutz oder Bruch der Verfassung? in 10. Strafverteidigertag (1987) 44; Schmitz, Monika Rechtliche Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler (1996); Schneider Neue kriminologische Forschungen zum organisierten Verbrechen, FS Stree/Wessels 813; Schneider Das organisierte Verbrechen, Jura 1984 169; Schneider, Hartmut Ausgewählte Rechtsprobleme des Einsatzes verdeckter Ermittler, NStZ 2004; Schomburg V-Personen – Ein heißes Eisen, Kriminalistik 1992 679; Schoreit Organisierte Kriminalität, MDR 1992 1013; ders. Bekämpfung der organisierten Kriminalität und anderer Formen von Straftaten aus der Sicht der Polizei und der Staatsanwaltschaft, StV 1991 535; Schünemann Der polizeiliche Lockspitzel – Kontroverse ohne Ende? StV 1985 424; Schulte Kopf runter und durch? Zur Garantenstellung und Haftung des Staates für Schäden von V-Personen im „Einsatz“, Kriminalistik 1992 683; Schulz, Heinz Thesen zur Verdeckung der Strafverfolgung, Kriminalist 1986 79; Schumann Verfahrenshindernis bei Einsatz von V-Leuten als agents provocateurs? JZ 1986 66; Schuster Organisierte Kriminalität – eine Bestandsaufnahme, Die Polizei 1990 25; Schwarzburg Einsatzbedingte Straftaten Verdeckter Ermittler, NStZ 1995 469; Schwind/Steinhilper/Kube (Hrsg.) Organisierte Kriminalität (1987); Sieber/ Bögel Logistik der Organisierten Kriminalität, BKA-Forschungsreihe Band 28 (1993); Steinke Die Rechtmäßigkeit von polizeilichen Fahndungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des Datenschutzes, DVBl. 1980 433; ders. Das Organisierte Verbrechen, Kriminalist 1982 78; ders. Begriffsentwirrung: V-Mann, UCA, Vigilant, Gewährsperson …, Kriminalistik 1984 285; Stückemann Der getäuschte Hausrechtsinhaber, JR 1973 414; Strate Der Einsatz von V-Leuten – veränderte Polizeistrategien und Reaktionsmöglichkeiten der Verteidigung, in: 10. Strafverteidigertag (1987) S. 32; ders. Verdeckte Ermittlungen – auch gedeckt durch die Verfassung? AnwBl. 1986 309; Stümper Farbe bekennen. Verdeckte polizeiliche Ermittlungen in einem Rechtsstaat, Kriminalistik 1991 695; Thommes Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß aus der Sicht des Datenschutzes, StV 1997 657; Utecht Bemerkungen zur Polizei im Untergrund, in: Sicherheit durch Gesetze? (1987) 83; Vahle Rechtsgrundlagen präventiv-polizeilicher Ermittlungen, Neue Polizei 1985 254; Vitt Das Erfordernis weiteren Einsatzes einer V-Person als Grund für eine Sperrerklärung analog § 96 StPO, Jura 1994 17; Wächtler Der Geheimprozeß – bald gerichtlicher Alltag? DuR 1992 126; Wehner Informanten und V-Personen. Begriff, Inanspruchnahme und Einsatz im Ermittlungsverfahren endgültig klargestellt, Kriminalistik 1986 383; Weil Verdeckte Ermittlung im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1992 243; Weschke/Heine-Heß Organisierte Kriminalität als Netzstrukturkriminalität (1990); Weßlau Vorfeldermittlungen. Probleme der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozeßrechtlicher Sicht (1989); Wetterich Verwertung vertraulicher Informationen – Einige forensisch-kriminalistische Bemerkungen, FS Middendorf 273; Wick Gefahrenabwehr – Vorbeugende Verbrechensbekämpfung – Legalitätsprinzip, DRiZ 1992 217; Wolter Beweisverbote und Informationsübermittlung der Polizei bei präventiver Videoüberwachung eines Tatverdächtigen, Jura 1992 520; Wulft Zum Einsatz Verdeckter Ermittler nach Polizeirecht, FS Remmers 615; Zachert Brauchen wir den „Großen Lauschangriff“? DRiZ 1992 355; ders. Organisierte Kriminalität: Strukturen, Bedrohungspotential, Bekämpfungsprobleme, Kriminalistik 1990 622; Zaczyk Prozeßsubjekte oder Störer? Die Strafprozeßordnung nach dem OrgKG – dargestellt an der Regelung des Verdeckten Ermittlers, StV 1993 491. Weiteres Schrifttum bei den §§ 96, 100a, 163, 250.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschriften über Verdeckte Ermittler (§§ 110a bis 110c) wurden durch Art. 3 Nr. 8 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl. I S. 1302), das am 22.9.1992 in Kraft trat, in die Strafprozessordnung aufgenommen. Näheres siehe unter Rn. 1.
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Übersicht Rn. I. Vorgeschichte der gesetzlichen Regelung 1. Organisierte Kriminalität a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung . . . . . . . . . . . . 2. Frühere Rechtslage für den Einsatz Verdeckter Ermittler a) Die gemeinsamen Richtlinien . . . b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . 3. Der Weg des Gesetzgebungsverfahrens a) Frühere Gesetzesentwürfe . . . . . b) Der Weg zur geltenden Gesetzesfassung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzliche Regelung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verdeckte Ermittler a) Begriff, Abgrenzung zur V-Person und Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Befugnisnorm für beide Formen . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung aa) Beamte . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige nicht offen operierende Polizeibeamte (NoePs) . . . . . cc) under-cover-agents . . . . . . . dd) Virtuelle Verdeckte Ermittler . . c) Die Legende und ihr Aufbau (Abs. 2 und 3) aa) Legende (Abs. 2) . . . . . . . . bb) Aufbau der Legende (Abs. 3) . . d) Teilnahme am Rechtsverkehr (Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . 3. Einsatzvoraussetzungen (Abs. 1) . . . a) Deliktsgruppen (Abs. 1 Satz 1) aa) Mischung aus Katalog und einer Art Generalklausel . . . . . . . bb) Fallgruppe Katalog . . . . . . . (1) Katalog . . . . . . . . . . . . (2) Erhebliche Bedeutung . . . . . (3) Subsidiaritätsklausel . . . . . . cc) Fallgruppe Generalklausel . . . (1) Wiederholungsgefahr . . . . . (2) Subsidiaritätsklauseln . . . . . b) Tatverdacht . . . . . . . . . . . . III. Die Verwertung von Erkenntnissen Verdeckter Ermittler im Übrigen . . . . . .
Rn. 1. Verwertbarkeit rechtmäßig gewonnener Erkenntnisse a) Erkenntnisse aus Strafverfolgung . aa) Fallgruppe 1 . . . . . . . . . . bb) Fallgruppe 2 . . . . . . . . . . b) Erkenntnisse aus präventiver Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Erkenntnisse a) Fehlende Einsatzvoraussetzungen nach § 110a Abs. 1 . . . . . . . . . b) Fehlende Verfahrensvoraussetzungen im Sinne von § 110b . . aa) Fehlende Zustimmung des Richters . . . . . . . . . . . . bb) Fehlende Zustimmung der Staatsanwaltschaft . . . . . . . cc) Mängel in der Zustimmungsbegründung . . . . . . . . . . c) Rechtsfehlerhaftes Betreten von Wohnungen . . . . . . . . . . . . d) Unterbliebene Benachrichtigung . . e) Reichweite des Verwertungsverbots
1 2
4 5 6 7 9 10
11 17 18 25 26
27 28 29 31
32 33 34 35 36 38 39 41 42
IV. Revision 1. Verfahrensrüge . . . . . . . . . . . . 2. Einsatzvoraussetzungen . . . . . . . . 3. Rechtswidrige Tatprovokation, provozierte Selbstbelastung, § 136a, Fairnessrecht des Art. 6 EMRK . . . . . . . . 4. Rechtsfehler beim Einsatz . . . . . . .
47 49 50 52
54 56 59 66 67 68 69 70 71 72
73 81
V. Anlagen zu den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) Anlage D. Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/ -senatoren des Bundes und der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung . . . . . . . . .
82
Anlage E. Richtlinie über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität . .
83
45
Alphabetische Übersicht Beweisverwertung 45 ff. Deliktsgruppen 32 Fairnessrecht 73 Frühere Rechtslage für den Einsatz von VE 4 Gesetzgebungsverfahren 6 Legende 27 ff. Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte (NoeP) 18 Organisierte Kriminalität 1
Polizeirecht 9 Provozierte Selbstbelastung 73 Rechtswidrige Tatprovokation 73 Revision 71 Tatverdacht 42 Terminologie 11 ff. Undercover agents 25 Verdeckte Ermittler 11
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Verwertbarkeit von Beweisen 45 Rechtmäßig gewonnener Beweise 47 Rechtswidrig gewonnener Beweise 54
Virtuelle Verdeckte Ermittler 26 V-Person 11
I. Vorgeschichte der gesetzlichen Regelung 1. Organisierte Kriminalität
1
a) Begriff. Die Vorschriften über den Einsatz Verdeckter Ermittler (VE) sind ein strafprozessuales Kernstück des OrgKG. Mit seiner Verabschiedung hat der Gesetzgeber nach langem politischen Tauziehen1 auf die zunehmende Bedrohung durch Organisierte Kriminalität (OK) reagiert, die seinerzeit u.a. durch eine steigende Zahl von Drogentoten, die Beschlagnahme immer größerer Rauschgiftmengen, besorgniserregende Berichte über Waffenhandel, organisierten Diebstahl, die organisierte Verschiebung hochwertiger Güter, insbesondere gestohlener Fahrzeuge, Veränderungen der „Milieukriminalität“ im Umfeld der Prostitution oder Schutzgelderpressungen gekennzeichnet war.2 Ob und in welchem Umfang es Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland gibt, war dabei heftig umstritten.3 Das hängt auch damit zusammen, dass es noch immer keine feststehende Definition des Begriffs gibt. Auch das OrgKG und die StPO definieren den Begriff nicht, sondern setzen Organisierte Kriminalität als kriminalistisch-kriminologisches Phänomen voraus. Dagegen hat es – beginnend mit einer von einem Arbeitskreis der Innenministerkonferenz im Januar 19834 erarbeiteten Definition – im Gesetzgebungsverfahren nicht an Versuchen gefehlt, dieses Phänomen näher zu umschreiben.5 Zwischenzeitlich hatte sich die Bundesregierung an der von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei im Jahre 1990 erarbeiteten Begriffsbestimmung orientiert.6 Danach ist Organisierte Kriminalität die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind. Voraussetzung ist ferner, dass mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Dem entspricht heute die Arbeitsdefinition der EU, wonach Organisierte Kriminalität dann vorliegt, wenn mindestens sechs der folgenden Definitonsmerkmale, darunter immer diejenigen nach Nr. 1, 3, 5 und 11, gegeben sein müssen:
1
2 3 4 5
BTDrucks. 12 989 S. 20; dazu umfangreiche Nachweise bei Hilger NStZ 1992 457 in Fn. 1; Rieß NJ 1992 491; Meertens ZRP 1992 205 ff. Caesar ZRP 1991 241 ff.; Hilger NStZ 1992 457. Übersicht bei KK/Nack 4; Strate StV 1992, 29 ff. Auszüge aus den Sitzungsprotokollen dieser Arbeitsgruppe in StV 1984 350 ff. BTDrucks. 12 989 S. 24; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe PDS/Linke Liste – BTDrucks. 12 1255; vgl. dazu auch Hetzer wistra 1999 126 ff.
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6
Vgl. dazu auch die Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität = Anlage E zu den RiStBV, abgedruckt unten Rn. 83. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer, Günther Graf, Dr. Däubler-Gmelin und weiterer Abgeordneter der SPD-Fraktion – BTDrucks. 13 4942 S. 2, auszugsweise veröffentlicht in DRiZ 1997 45 ff.; vgl. auch Hetzer aaO.
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„1. Zusammenarbeit von mehr als zwei Personen, 2. mit jeweils individuell zugewiesenen Aufgaben, 3. für eine längere oder unbestimmte Zeit, 4. unter Nutzung irgendeiner Form von Disziplinierung oder Kontrolle, 5. die unter dem Verdacht steht, schwere Straftaten zu begehen, 6. die auf einer internationalen Ebene operiert, 7. dabei Gewalt oder andere Mittel zur Einschüchterung anwendet, 8. sich geschäftlicher oder zumindest geschäftsähnlicher Strukturen bedient, 9. in Geldwäsche involviert ist, 10. Einfluss auf Politiker, die Medien, die öffentliche Verwaltung, Justizbehörden oder die Wirtschaft ausübt und 11. dabei von Gewinnerzielung und/oder Machtstreben geleitet ist.“7 Betätigungsfelder der Organisierten Kriminalität werden insbesondere in den nachfolgenden Kriminalitätsbereichen gesehen: Rauschgifthandel und -schmuggel, Waffenhandel und -schmuggel, Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben, Schutzgelderpressung, Herstellen und Verbreitung von Falschgeld, Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge, Schleuserkriminalität und Zigarettenschmuggel. Diese Liste ist nicht abschließend, wie nicht nur ein Blick auf die erweiterte Liste in Ziffer 2.3 der Anlage E der RiStBV,8 sondern beispielsweise auch besorgniserregende Entwicklungen im Bereich von Wirtschaftsstraftaten, insbesondere Ausschreibungsbetrug, Steuerhinterziehung, Korruption, illegaler Abfallentsorgung9 oder Markenpiraterie zeigen. Bezeichnend für die Vorgehensweise verbrecherischer Organisationen ist es, dass Hauptpersonen („Hintermänner“) möglichst nicht nach außen in Erscheinung treten, sodass die Strafverfolgungsbehörden mit ihrem herkömmlichen Instrumentarium bei derart konspirativ organisierten Gruppen häufig nur untergeordnete – beliebig austauschbare – Täter ergreifen und überführen können. Da diese Randfiguren meist nicht einmal Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation haben, werden deren Aktivitäten durch die Ergreifung solcher peripherer Täter im Kern nicht gestört. Wird ein Randtäter gefasst, gewährt die Organisation seinen Familienangehörigen häufig materielle Unterstützung und übernimmt auch die Verteidigerkosten, um auch auf diese Weise der unerwünschten Preisgabe von Wissen über die Organisation vorzubeugen. Unvermeidbare Mitwisser werden entweder mittels Schweigegeldern oder durch Drohung und Einschüchterung davon abgehalten, ihre Wahrnehmungen zu offenbaren.10 Noch anschaulicher ist das Vorgehen solcher Gruppen allerdings mittels der in der Anlage zu Anlage E der RiStBV aufgelisteten unten Rn. 83 abgedruckten Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte11 beschrieben. Gerade aus dieser Organisationsstruktur erklärt sich das Interesse der Ermittlungsbehörden, mit Hilfe verdeckter Ermittlungsmethoden in die Strukturen solcher kriminellen Verbindungen einzudringen. b) Entwicklung. Einen nach dem derzeitigen Kenntnisstand umfassenden Überblick 2 über die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland
7
Vgl. Commission Staff Working Paper. Joint report from Commission services and EUROPOL “Towards a European Strategy to prevent organized crime”, SEC (2001) 433 v. 13.3.2001, Anhang, S. 42; dazu Hauck/Peterke IRRC Vol. 92 (2010), 407 (426) m.w.N.
8 9 10 11
Vgl. unten Rn. 83. Für eine Zuordnung auch dieser Bereiche zur OK auch KK/Nack 4. BGHSt 32, 115, 120 (GrSSt). Vgl. auch Fn. 6.
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geben die Lageberichte des Bundeskriminalamts, die seit 1991 auf Grund eines einheitlichen Rasters erstellt werden. Nach dem Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2011 Bundesrepublik Deutschland des Bundeskriminalamtes12 wurden im Jahr 2011 in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 589 OK-Ermittlungsverfahren bearbeitet. Dabei waren die Tätergruppierungen in den folgenden Kriminalitätsbereichen aktiv: Rauschgiftdelikte 36,7 %; Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben 14,8 %; Eigentumskriminalität 13,1 %; Steuer- und Zolldelikte 7,6 %; Schleuserkriminalität 6,8 %; Fälschungskriminalität 6,1 %; Gewaltkriminalität 4,2 %; Geldwäsche 1,5 %; Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben 3,6 %; Cybercrime 1,5%; Waffenhandel und -schmuggel 1,2 %; Umweltkriminalität 1,2 % und sonstige Kriminalitätsbereiche 1,7 %. Der Bereich Rauschgifthandel und -schmuggel stellt also den zahlenmäßigen Schwerpunkt Organisierter Kriminalität in Deutschland dar. Auffallend ist die „Internationalität“ der Täter. Im Rahmen der 589 Ermittlungsverfahren mit Sachverhaltsdaten zu Tatverdächtigen wurden im Jahr 2011 insgesamt 8 413 Tatverdächtige aus 107 Staaten ermittelt: 38,4 % aller Tatverdächtigen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die größte Gruppe der nichtdeutschen Tatverdächtigen stellen türkische Staatsangehörige mit 11,6 % aller Tatverdächtigen. Danach folgen Italiener mit 3,6 %, Rumänen mit 3,5 %, Libanesen mit 3,3 %, Polen mit 2,8 %, Litauer mit 2,7 %, Vietnamesen mit 2,1 %, Russen mit 2,0 % und Holländer mit 1,6 %. Insgesamt kamen 1487 oder 15,8 % der Tatverdächtigen aus Mittel- und Osteuropa. Die für 2011 geschätzten Schäden aus Organisierter Kriminalität belaufen sich auf ca. 884 Millionen Euro. Hinzu kommen geschätzte illegale Gewinne in Höhe von ca. 347 Millionen Euro. Verdeckte Ermittler werden sowohl zur Gefahrenabwehr auf Grundlage der in den 3 Polizeigesetzen der Länder geregelten Ermächtigungen,13 als auch zur Strafverfolgung eingesetzt. Überwiegend richten sich die Einsätze gegen international operierende Rauschgifthändlergruppen, gefolgt von den Bereichen Falschgeld, Waffen-, Kfz- und Vermögensdelikte. Die Zahl der als Verdeckte Ermittler eingesetzten Polizeibeamten wird geheimgehalten, auch scheint die Praxis der Länder unterschiedlich zu sein. So dürfte beispielsweise Bayern auf Verdeckte Ermittler weitgehend verzichten. Allzu hohe Erwartungen dürfen an den Einsatz Verdeckter Ermittler allerdings nicht geknüpft werden. Insbesondere homogene ausländische Tätergruppen erschweren ein Eindringen in deren innere Strukturen. In dem Bundesgerichtshof bekanntgewordenen landgerichtlichen Urteilen wurden bisher nur ganz selten Fälle behandelt, in denen Verdeckte Ermittler in das Innere krimineller Organisationen eingedrungen wären.14 2. Frühere Rechtslage für den Einsatz Verdeckter Ermittler
4
a) Die gemeinsamen Richtlinien. Verdeckt ermittelnde Beamte, Informanten und Vertrauenspersonen der Polizei (V-Leute) wurden bereits vor Inkrafttreten des OrgKG zur 12
13
http://www.bka.de/nn_205960/sid_ 3BB1CDA508233F51847A69EC3F7F84F0/ DE/Publikationen/JahresberichteUndLage bilder/jahresberichteUndLagebilder_node. html?_nnn=true. Z.B. Baden-Württemberg: §§ 22 Abs. 1 Nr. 4, 24 PolG; Bayern: Artt. 33 Abs. 1 Nr. 3, 35 PAG; Berlin: § 26 ASOG Bln; Brandenburg: § 35 BbgPolG; Bremen: § 35 BremPolG; Hamburg: § 12 PolDVG HA; Hessen: § 16
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14
HSOG; Mecklenburg-Vorpommern: § 33 SOG MV; Niedersachsen: § 36a Nds. SOG; Nordrhein-Westfalen: § 20 PolG NRW; Rheinland-Pfalz: § 28 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 POG; Saarland: § 28 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 SPolG; Sachsen: §§ 38 Abs. 1 Nr. 3, 39 Sächs. PolG; Sachsen-Anhalt: § 18 SOG LSA; Thüringen: §§ 34 Abs. 1 Nr. 3, 36 PAG. Dazu Maul StraFo 1997 38: keine Fälle.
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Verbrechensbekämpfung eingesetzt. Grundlage dafür waren für den Bereich der Strafverfolgung seit Mitte der 1980er Jahre die Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung,15 welche die weitgefassten polizeilichen gesetzlichen Befugnisse der Polizei aus den §§ 161, 163 StPO mit Blick auf die genannten besonderen Ermittlungsmethoden eingrenzen und konkretisieren sollten. Doch blieb die Zulässigkeit dieser besonderen Ermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften umstritten.16 Wegen dieser Kritik, wohl auch mit Blick auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts17 und das darin festgeschriebene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, ferner um das strafprozessuale System der Einzeleingriffsermächtigung zu wahren,18 vor allem aber auch, um den eingesetzten Polizeibeamten mehr Rechtssicherheit zu geben,19 wurde der Einsatz Verdeckter Ermittler im OrgKG auf eine spezielle gesetzliche Grundlage gestellt. b) Die Rechtsprechung. Sie hatte die Notwendigkeit und Zulässigkeit verdeckter Er- 5 mittlungen – sei es mittels Verdeckter Ermittler im weitesten Sinne, sei es über Informanten und V-Leute – schon vor Inkrafttreten des OrgKG anerkannt20 und dabei deutlich gemacht, dass Staatswohl und die Wahrung öffentlicher Belange es im Rahmen der gebotenen Abwägung nicht nur erforderten, die Grundrechte Einzelner zu schützen und niemanden einer ungerechtfertigten Verurteilung auszuliefern, sondern auch den Strafanspruch des Staates durchzusetzen. Dabei liege es auf der Hand, dass es staatliche Aufgaben gebe, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürften, dazu zählten auch die Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität mit Hilfe von Zeugen, deren Identität zum Schutz vor Gefahren für Leib und Leben geheimgehalten werden müsse.21 Es wurde auch betont, dass bei solchen Einsätzen die durch das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen
15
16 17
Anlage D zu den RiStBV, abgedruckt unten Rn. 82; in Kraft gesetzt und geändert in Baden-Württemberg durch Gemeinsame VV vom 4.3.1986 (Justiz 1980 81); in Bayern durch Gemeinsame Bekanntmachung vom 27.3.1986 (JMBl. 33), 13.5.1994 (JMBl. 87); in Berlin durch Gemeinsame AV vom 7.3.1986 (Abl. 488); in Brandenburg durch Gemeinsamen Runderlaß vom 21.2.1994 (JMBl. 55); in Hamburg durch Gemeinsame VV vom 4.2.1987 (JVBl. 59), 12.1.1994 (JVBl. 10); in Niedersachsen durch Gemeinsamen Runderlaß vom 16.6.1986 (JMBl.NW 62); in Rheinland-Pfalz durch Gemeinsame VV vom 17.1.1986 (JBl. 28), 31.3.1994 (Jbl. 147); im Saarland durch Gemeinsamen Erlaß vom 24.6.1986 (MBl. 464), 7.3.1994 (MBl. 133) und in Schleswig-Holstein durch Gemeinsamen Erlaß vom 28.2.1986 (SchlHA 52), 29.6.1994 (SchlHA 232) und 11.7.1994 (SchlHA 230). LR/Erb § 163, 58 m.w.N. BVerfGE 65 1 ff.; zu diesem Gesichtspunkt
18 19
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21
der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung Caesar ZRP 1991 241, 243 f. Hilger NStZ 1992 457, 458 m.w.N. in Fn. 13. BTDrucks. 12 989 S. 41; dazu, dass eine gesetzliche Regelung insbesondere auch aus Kreisen der Polizei gefordert worden war Rebmann NJW 1985 1; Stümper Die Polizei 1982 231; Schmid Polizeinachrichten 1982 65. U.a. BVerfGE 57 250, 283, 284 ff.; BGHSt 32 115, 120 ff. (GrSSt) m.w.N.; 33 23; 33 91; BGH NStZ 1983 325; vgl. auch Rn. 60 ff. zu § 96. BVerfG aaO; vgl. auch § 96, 55 ff.; demgegenüber gelangt M. Schmitz Rechtliche Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler (1996) zu dem Ergebnis, die nunmehr geltende Regelung verstoße wegen mangelnder Bestimmtheit einzelner Katalogtaten und Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
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eingehalten werden müssten.22 Eine exaktere Beschreibung der Zulässigkeitsgrenzen für verdeckte Ermittlungen hatte die Rechtsprechung allerdings nicht vorgenommen. 3. Der Weg des Gesetzgebungsverfahrens
6
a) Frühere Gesetzesentwürfe. Wesentliche Teile der strafprozessualen Regelungen des OrgKG – auch die über den Einsatz Verdeckter Ermittler – sollten ursprünglich in das geplante, jedoch nicht Gesetz gewordene Strafverfahrensänderungsgesetz 1988 aufgenommen werden.23 Im Januar 1990 brachte Bayern einen ersten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels in den Bundesrat ein.24 Wenige Tage später folgte Baden-Württemberg mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität.25 Beide Entwürfe wurden in den nachfolgenden Ausschussberatungen gebündelt mit einem Hamburgischen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes26 und Gesetzesentwürfen Hamburgs und des Saarlandes für ein Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit.27 Am 11. Mai 1990 beschloss der Bundesrat das so entstandene Gesetzespaket mit großer Mehrheit, doch konnte es bis zum Abschluss der Legislaturperiode nicht mehr vom Bundestag verabschiedet werden.
7
b) Der Weg zur geltenden Gesetzesfassung. Nach der Wahl des 12. Deutschen Bundestages beschloss der Bundesrat auf der Grundlage neuer umfangreicher Beratungen der Länder, bei denen insbesondere den neu hinzugekommenen fünf Bundesländern Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde28 einen modifizierten Entwurf eines OrgKG.29 Daneben wurde ohne Veränderungen der Entwurf eines Gesetzes über das o.g. Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater eingebracht.30 Die Bundesregierung stimmte dem Entwurf des OrgKG unter zahlreichen Änderungs8 vorschlägen zu.31 Nach einer öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestags32 und dessen Beratungen vom 21. Mai und 3. Juni 1992 wurde das OrgKG am 4.6.1992 vom Bundestag verabschiedet.33 Der Bundesrat stimmte am 26.6.1992 zu, sodass das OrgKG am 22.7.1992 verkündet werden konnte.34 Im Gesetzgebungsverfahren war insbesondere das Erfordernis richterlicher Zustimmung beim Einsatz Verdeckter Ermittler in Wohnungen betont und als rechtsstaatliche Absicherung dargestellt worden.35
22
23
24 25 26 27
BGHSt 32 345, 346 m.w.N. zur Tatprovokation durch einen polizeilich gesteuerten V-Mann; ebenso BGH StV 1993 127. Hilgendorf-Schmidt wistra 1989 208 ff.; Hilger NStZ 1992 457, 458; Keller/Griesbaum NStZ 1990 416 ff.; Wolter StV 1989 358 ff.; Dokumentation zum Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1988 in StV 1989 172, (dort zu den den Einsatz Verdeckter Ermittler regelnden Entwürfen §§ 163k bis n: S. 173). BRDrucks. 74/90 vom 30.1.1990. BRDrucks. 83/90 vom 2.2.1990. BRDrucks. 57/90 vom 23.1.1990. BRDrucks. 733/89 vom 18.12.1989 und BRDrucks. 56/90 vom 23.1.1990.
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33 34
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Caesar ZRP 1991 241, 242. BRDrucks. 219/91 vom 26.4.1991; BTDrucks. 12 989 vom 25.7.1991. BRDrucks. 97/91 vom 26.4.1991. BTDrucks. 12 989 S. 52 ff. Prot. Nr. 31 vom 22.1.1992 des RA-BT; Abschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 4.6.1992 BTDrucks. 12 2720. 95. Sitzung; Plenarprotokoll 12 95 S. 7815 ff. BGBl. I S. 1302 ff.; vgl. zum Gesetzgebungsverfahren Caesar aaO; Hilger NStZ 1992 457; Möhrenschlager wistra 1992 281, 326. Nachweise bei Weßlau StV 1995 506.
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4. Polizeirecht. Die meisten Polizeigesetze der Länder enthalten für den Bereich der 9 Gefahrenabwehr ebenfalls gesetzliche Ermächtigungen zum Einsatz Verdeckter Ermittler.36 Da polizeiliche Maßnahmen häufig zugleich präventive wie repressive Zwecke verfolgen, können „doppelfunktionale Gemengelagen“37 entstehen, welche die Frage aufwerfen, nach welchen Regeln die Rechtmäßigkeit des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers zu bestimmen ist. Regelmäßig wird entscheidend sein, wo der Schwerpunkt des Einsatzes liegt. Zur sog. Tatprovokation durch Lockspitzel hat der Bundesgerichtshof aber wiederholt betont, dass eine Maßnahme der Strafverfolgung auch dann vorliegt, wenn präventive Gesichtspunkte den Einsatz ebenfalls rechtfertigen. Für das Verfahren bei der strafrechtlichen Verfolgung des so überführten Täters wird die Rechtmäßigkeit der Tatprovokation allein nach den Vorschriften der StPO beurteilt. Dies gilt gerade auch dann, wenn deren Regeln strenger sind als entsprechende Vorschriften des Polizeirechts.38 War der Einsatz eines agent provocateur danach rechtswidrig, so ist es für den Strafprozess unbeachtlich, dass sein Verhalten unter Umständen bis zur Tatprovokation nach Landespolizeirecht für den Bereich der Gefahrenabwehr gedeckt war.
II. Die gesetzliche Regelung 1. Überblick Die gesetzliche Regelung über den Verdeckten Ermittler ist ganz unübersichtlich. 10 § 110a Abs. 2 bringt eine Legaldefinition des Verdeckten Ermittlers, dessen Tätigkeit das Gesetz in den §§ 110a bis 110c (höchst unvollständig) regelt. Dieser Legaldefinition ist zu entnehmen, dass keineswegs der gesamte Bereich heimlichen Ermittelns durch Polizeibeamte geregelt werden sollte, sondern als Verdeckte Ermittler im Sinne der vorliegenden Vorschriften nur Polizeibeamte gemeint sind, die unter einer auf Dauer angelegten Legende ermitteln. Folglich gelten die Einsatzbeschränkungen in § 110a Abs. 1 auch nur für diesen in Abs. 2 definierten Kreis der Ermittler. Abs. 3 gestattet den Aufbau der Legende. § 110b bindet den Einsatz dieses Verdeckten Ermittlers grundsätzlich an die Zustimmung des Staatsanwalts (Abs. 1), ausnahmsweise an die des Richters (Abs. 2). Schließlich enthält diese Vorschrift Geheimhaltungsregeln, die der Sache nach vor allem § 96 betreffen. § 110c gestattet dem Verdeckten Ermittler, Wohnungen unter Ausnutzung seiner falschen Identität zu betreten (Abs. 1) und stellt im Übrigen klar, dass der Verdeckte Ermittler keinerlei weitere Befugnisse als jeder andere Polizeibeamte hat (Abs. 3). Früher enthielt der inzwischen aufgehobene § 110d a.F. Benachrichtigungspflichten gegenüber den Betroffenen und ordnete die Führung von Sonderakten über den Einsatz des Verdeckten
36 37
Vgl. die Übersicht in Fn. 15. KK/Nack 14; Baumann JuS 1987 681; Eisenberg NJW 1993 1038; Keller/Griesbaum NStZ 1990 416; Kniesel ZRP 1987 377, 378; ders. ZRP 1989 329 ff.; Lisken DRiZ 1987 184 ff.; ders. ZRP 1993 123; Merten/Merten ZRP 1991 213; Merten NJW 1992 354; Ring StV 1990 372; H. Schäfer GA 1986 49 ff.; Schoreit MDR 1992 1013 ff.;Weil ZRP 1992 246; Wick DRiZ 1992, 217; Wolter Jura 1992 526. Vgl. dazu auch OLG Hamburg,
38
Beschl. vom 10. Dezember 1997 – 2 Ws 281/97. BGHSt 41 64 = NStZ 1995 516, 517 mit insoweit zust. Anm. Krey/Jäger; Fischer/Maul NStZ 1992 7, 8; ebenso BGHSt 45 321, 337 mit Anm. Sinner StV 2000 114; Kreuzer StV 2000 114; Roxin JZ 2000 369; Endriß NStZ 2000 271; Kinzig NStZ 2000 271; Lesch JA 2000 450; Kudlich JuS 2000 951; BGHSt 47 44, 48 mit Anm. Weber NStZ 2002 50.
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Ermittlers an, was heute in § 101 Abs. 4 geregelt ist. Schließlich enthielt der ebenfalls aufgehobene § 110e a.F. eine Verwertungsregelung, die sich heute in allgemeiner Form in § 477 Abs. 2 Satz 2 findet. 2. Verdeckte Ermittler
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a) Begriff, Abgrenzung zur V-Person und Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Befugnisnorm für beide Formen. Abs. 2 Satz 1 gibt eine Legaldefinition des Verdeckten Ermittlers. Verdeckte Ermittler im Sinne der §§ 110a ff. sind danach (nur) die Beamten des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln. Das OrgKG hat damit den Vorschlag, für verdeckte Ermittlungen insgesamt, sei es durch Polizeibeamte, sei es durch Privatpersonen im Auftrag oder doch im Zusammenwirken mit der Polizei (Informanten oder Vertrauenspersonen – V-Leuten –), besondere gesetzliche Regelungen in die StPO aufzunehmen, nicht aufgegriffen.39 Somit fehlt für den Einsatz verdeckt operierender Polizeibeamter, die nicht unter einer Legende arbeiten, sowie für Informanten und V-Leute jegliche gesetzliche Regelung. Man begnügte sich im Gesetzgebungsverfahren mit dem Hinweis, soweit es um die Wahrnehmungen von Informanten und V-Leuten gehe, würden auf diese die im Strafprozess allgemein geltenden Vorschriften für Zeugen Anwendung finden.40 Soweit sie auf Grund ihrer Wahrnehmungen gefährdet seien, könne ihnen Zeugenschutz (Zusicherung von Vertraulichkeit, Geheimhaltung ihrer Identität usw.) nach Maßgabe des § 9641 und der Anlage D zu den RiStBV gewährt werden.42 Dass eine Regelung über den Einsatz dieser Personen unterblieben ist, rechtfertigt jedenfalls nicht den Schluss, dass ihre Heranziehung nicht weiter zulässig wäre.43 Über die Befugnisse dieser nicht offen operierenden Polizeibeamten oder Privatpersonen ist damit freilich noch nichts gesagt. Eine Lösung könnte § 110c Abs. 3 entnommen werden, wonach sich die Befugnisse des Verdeckten Ermittlers – abgesehen vom Recht fremde Wohnungen mit Hilfe der Identitätstäuschung zu betreten – nach der StPO „und anderen Rechtsvorschriften“ richten. Weitere Befugnisse als Verdeckte Ermittler haben andere verdeckt operierende Polizeibeamte oder für die Polizei tätige Privatpersonen mit Sicherheit nicht. Es bestehen deshalb erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, soweit ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage dem Staat zurechenbar 44 eine einer Vernehmung vergleichbare heimliche Befragung einer Aussageperson durch Polizeibeamte und V-Personen stattfindet 45 oder soweit solche Personen fremde Wohnungen betreten, um dort Erkundigungen irgendwelcher Art durchzuführen. Beide Gruppen, die verdeckt agierenden VE und NoeP wie auch die verdeckt han12 delnden VP und Informanten gewinnen ihre Informationen hauptsächlich durch das Mithören des gesprochenen Wortes und daneben durch das Beobachten von Geschehnissen.46 Als Informationszugriffe betreffen sie damit das Recht am eigenen Wort oder
39 40 41 42 43 44
BTDrucks. 12 989 S. 41. BTDrucks. 12 989 S. 42; Hilger FS Hanack 207, 213. § 96, 66 ff., 71. Hilger NStZ 1992 457, 458. BTDrucks. 12 989 S. 41; BGHSt 42 139, 151 – GrSSt –; 41 42, 44. Zur Zurechenbarkeit des Vorgehens von V-Leuten vgl. BGHSt 45 321, 336; 47 48.
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BVerfG (Kammer) NStZ 2000 489 mit Anm. Rogall NStZ 2000 490 und Weßlau StV 2000 468. A.A. – kein Eingriff in das APR, sondern in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Ellbogen, Die verdeckte Ermittlungstätigkeit, S. 68 ff., 78, 96 f.
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eigenen Bild und lösen so den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG aus.47 Bei aller Verschiedenheit ist es diese Gemeinsamkeit des Grundrechtseingriffs, die es gestattet, VE, NoeP und VP gleich zu behandeln.48 Fraglich ist allerdings, ob es für die Frage der Grundrechtsbindung durch Eingriff in 13 das Recht am eigenen Wort oder Bild einen Unterschied machen kann, dass Informanten zwar ebenso dauerhaft und auch unter Zusage von Vertraulichkeit agieren, jedoch nicht „angesetzt“ werden, um ihre Informationen zu erhalten. Manche halten hier die Dauerhaftigkeit der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Informant für entscheidend.49 Doch beantwortet sich die Frage nach dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG allein nach dem Vorliegen eines Eingriffs in dessen Schutzbereich. Hier wirkt sich nun die nach Schutzwürdigkeit differenzierende Auslegung des APR aus: Trotz des weiten Eingriffsbegriffs, der weder eine dauernde Zusammenarbeit noch ein Ansetzen voraussetzen würde, ist der Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort oder Bild dann nicht beeinträchtigt, wenn ein Informant Gespräche mithört, die der Betroffene freimütig führt. Ebenso wie bei der Auslegung der Selbstbelastungsfreiheit ist also auch für den Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG maßgeblich, dass die Informationsgewinnung auf eine staatliche Veranlassung zurückgeführt werden kann. Rein privatautonom erfolgende Äußerungen beeinträchtigen weder die Selbstbelastungsfreiheit noch begründen sie einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG. Zum regelungsbedürftigen Informanten wird der Denunziant, der Anzeigende, der aus überwiegend persönlichen, vor allem privaten und ideologischen Motiven oder auf Grund einer Pflichtenstellung mit der Polizei kooperiert,50 folglich nicht allein, sondern nur in Verbindung mit dieser Eigenschaft der staatlichen Initiative zur Informationsgewinnung. Eine „Flucht in die Ermittlungsgeneralklausel“51 der §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 14 Satz 2, die die staatsanwaltliche Befugnis zu „Ermittlungen jeder Art“ auf Polizeibeamte erstreckt, wird dem entgegen der inzwischen durchaus bröckelnden h.M.52 nicht gerecht, 47
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Zur Frage der Befugnis zum Betreten von Wohnungen s. § 110c, 24. Rogall, JZ 1987, 847, 852, nennt mit den Befugnissen zur „Ausstellung und Verwendung von Identitätspapieren mit Tarnangaben“ und der „Einrichtung von Scheinfirmen“ weitere regelungsbedürftige Punkte, die mangels Eingriffs in das APR hier aber nicht näher behandelt werden. Vgl. Lilie/Rudolph, NStZ 1995 514 ff., zu den „feinmaschigen Unterschieden“ (etwa bzgl. der Bindung an das Legalitätsprinzip, der Handlungsbefugnisse, der Führung usw.) zwischen VE und VP, die „bei genauerem Hinsehen“ „viel von ihrer Überzeugungskraft“ verlieren. So Hanack JR 1999 348, 349; Roxin NStZ 1999 149, 150; SK/Rogall § 136a Rn. 56; SK/Wolter Vor § 151, 138; a.A. [H.] Schneider NStZ 2001 8, 11. Vgl. für das unternehmensbezogene „Whistleblowing“ Hefendehl FS Amelung 617, 631 f.; Backes/Lindemann Staatlich organisierte Anonymität, 100 ff.
51 52
Frei nach Duttge JZ 1996 556, 563 m.w.N. Vgl. für diese noch h.M. BVerfG NStZ 1991 445; BVerfGE 57 250, 284; BGHSt 44 129; BGHSt 41 42, 43 f.; BGHSt 40 211, 216; BGHSt 34 362; BGHSt 32 115, 121 f.; BGHSt 32 345, 346; BGHSt 20 164 m. Besprechung Tiedemann MDR 1965 870; BTDrucks. 12 989 S. 41; Diercks AnwBl. 1987 154, 159; Ellbogen Die verdeckte Ermittlungstätigkeit, 110 ff.; Hilger FS Hanack 207, 212 f.; Meyer-Goßner 4a; Rebmann NJW 1985 1, 2 f.: „Die Zulässigkeit des Einsatzes verdeckt arbeitender Polizeibeamter im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren folgt aus § 163 StPO i.V.m. § 161 StPO und dem verfassungsrechtlichen Gebot strafprozessualer Sachverhaltsaufklärung“; LR/Rieß 25 § 163 Rn. 39. A.A. – wie hier gegen ein Abstellen auf die Generalklausel – aber BVerfG NStZ 2000 489: „jedenfalls ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig“; Benfer MDR 1994 12; Bernsmann/Jansen StV 1998 230; Duttge JZ 1996 556 ff.; LR/Erb § 163, 65;
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weshalb die notwendige gesetzliche Regelung für NoeP, solche Informanten und VP bislang noch immer fehlt und daher weiterhin eine „verfassungsrechtlich höchst bedenkliche“,53 ja schlicht unhaltbare Rechtslage zu attestieren ist.54 Sofern Hilger meint, der Gesetzgeber habe „gute Gründe“, von einer spezifischen Befugnisnorm für VP Abstand zu halten,55 geht die seiner Haltung zugrunde liegende Einschätzung, staatliche Strafverfolgungsbehörden würden solche milieunahen Privaten nicht „einsetzen“, an der Realität vorbei.56 Dass sich der Gesetzgeber durch die bisherige Nichtkodifikation von einem solchen Einsatz „distanziert“ hat, weil er ihn „nicht billigt“, ändert nichts an der
53 54
Endriß/Kinzig StraFo 1998 299, 301; Erfurth Verdeckte Ermittlungen, 71 ff.; Eschelbach StV 2000 390, 391 f., 394; Fezer JZ 1995 972; ders. NStZ 1996 289, 290; Fischer/Maul NStZ 1992 7, 10; Hecker EuStrR § 3, 55; Lilie/Rudolph NStZ 1995 514, 515 f.; Renzikowski JZ 1997 710, 716 Fn. 70; Roxin StrafverfahrensR § 10, 29; Scherp Die polizeirechtliche Zusammenarbeit mit V-Personen (1992) 22 f.; [M.] Schmitz Rechtliche Probleme 158, 161; [H.] Schneider NStZ 2004 359; Weiler GA 1996 101, 116; ders. Grundlagen und Grenzen, 195 f.; die gesetzliche Regelung für VP fordert unter Anerkennung der §§ 161, 163 als Übergangsbefugnisnormen Rogall NStZ 2000 490, 493; dagegen aber schon Lammer Verdeckte Ermittlungen 38: „Diese Übergangsfrist kann allenfalls noch bis zum Ende der Legislaturperiode 1994 dauern.“ Ebenso Ernst Verarbeitung und Zweckbindung, 188; für eine – damals noch fehlende – gesetzliche Regelung des VE Reichert-Hammer/Renzikowski JA 1990 153; Rogall JZ 1987 847, 849 f. Duttge JZ 1996 556, 563 unter Verweis auf Fezer JZ 1995 972. Das gilt für NoeP, aber auch für VP und Informanten. Deren Einsatz wird zurzeit noch auf „Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung“ gestützt (abgedruckt unten Rn. 82). Darin wird die Zusicherung von Vertraulichkeit an eine Abwägung zwischen strafprozessualen Ermittlungserfordernissen und dem „Grundsatz des rechtsstaatlichen fairen Verfahrens“ gebunden. Jedenfalls bei Schwerund Organisierter Kriminalität, u.U. nach „besonders sorgfältiger Prüfung des Einzelfalles“ auch bei mittlerer, nicht jedoch im
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Falle der Bagatellkriminaliät, kommt die „Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Personen“ in Betracht. Vgl. die „Gemeinsamen Richtlinien“, unten Rn. 82, I. 3. (Voraussetzungen der Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung). Vgl. – auch zum Folgenden – Hilger FS Hanack 207, 212; ders., NStZ 1992 523 Fn. 128. Freilich lässt sich Hilgers Rechtsansicht durchaus nachvollziehen, wenn man die damaligen Umstände der Gesetzgebung beachtet. Eine gesetzliche Regelung zu V-Leuten – neben der zu den VE – war wohl fachlich und rechtspolitisch unerwünscht. Eine Regelung hätte die V-Leute ähnlich den VE systematisch in die Nähe eines „Organs der Rechtspflege“ gerückt. Eine einfache Regelung hätte auch zu der Gefahr geführt, dass namentlich von der Polizei gefordert worden wäre, die Möglichkeit einer Legendenbildung und Befugnisse zu regeln. Schließlich hoffte man wohl, durch eine „Nicht-Regelung“ die unschöne Praxis austrocknen zu können. Wenn man das Instrument nicht regele, sei klar, dass ein „gezielter Einsatz“ ohne gesetzliche Grundlage erfolge und damit unzulässig sei. Ein „Einsatz“ ist nämlich problematisch, weil V-Leute anders als VE nicht Beamte sind und damit nicht über Weisungen steuerbar. Man wollte also wohl durch eine „Nichtregelung“ die V-Leute „entschärfen“ und auf das Niveau der Nutzung von Zeugen „herabstufen“. So gesehen ist Anlage D 5.3 problematisch. Vernehmungsähnliche Gespräche von V-Leuten mit Beschuldigten wären wie beim VE mangels eigentlich notwendiger, aber nicht möglicher Belehrung unzulässig (Umgehungsgedanke) und somit unverwertbar gewesen. Schon BGHSt 32 115, 122, war der Ansicht, „daß die Bekämpfung der geschilderten Formen der Kriminalität den Einsatz anonymer Gewährsleute erfordert“.
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Grundrechtsbindung und der daraus folgenden Pflicht zur Schrankennormierung im Falle eines Grundrechtseingriffs, auch wenn man diesen noch so wenig wertschätzen mag. Alles andere bedeutet eine nicht hinnehmbare „Flucht zur Privatperson“.57 Außerdem wird Hilgers Behauptung, der Gesetzgeber wolle sich das Verhalten der VP „nicht als staatliches Handeln zurechnen lassen“, durch die alltägliche Ermittlungspraxis der Polizei widerlegt: Die Exekutive ebenso wie die Judikative, die diese Praxis seit Jahrzehnten mitträgt, wollen diese Zurechnung, weil es ihnen gerade darauf ankommt, die Erkenntnisse von VP als verwertbare Beweise in den Strafprozess einzuführen.58 Hilgers Argumentation ist ferner deshalb unhaltbar, weil sie der Ansicht des BVerfG widerspricht, wonach die VP-Praxis „in ihrer rechtlichen Gebundenheit [gerade] nicht außerhalb des Rechtsstaats steh[t]“.59 Freilich bekunden auch Zeugen Informationen. Im entscheidenden Unterschied zu VP 15 und Informanten im dargelegten Sinne gehen ihre Wahrnehmungen aber weder auf eine staatliche Veranlassung zurück noch beziehen sie sich auf aktiv generierte Informationen, sondern beschränken sich auf das mehr oder weniger passiv Erlebte, auf die „stimulierungsneutrale Entgegennahme“, die die „Zurechnungsbrücke der Einwirkung auf den Prozess der Informationsgewinnung“60 ausschließt.61 VP, NoeP und Informanten werden hingegen gezielt zur Tataufklärung eingesetzt, gerade um heimlich aufzuklären, weil das offene polizeiliche Agieren wenig Erfolg verspricht.62 Dass diese Personen neben ihrer Rolle als initiierend-steuernde „Ermittlungsakteure“ strafprozessual auch (!) Zeugen sind, kann es daher nicht rechtfertigen, unter Berufung auf eben diese (unbedenkliche) Funktion die aus der anderen Funktion folgende dringliche Notwendigkeit einer speziellen gesetzlichen Normierung abzustreiten.63 Die Pflicht zur Kodifikation einer entsprechenden Ermittlungsbefugnis folgt für alle derart eingesetzten Ermittlungsakteure aus Art. 2 Abs. 1 GG und subsidiär aus Art. 8 Abs. 2 EMRK. Denn auch der EGMR vertritt zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK inzwi- 16 schen ein Verständnis, wonach staatlich veranlasste Ermittlungszugriffe generell als Eingriffe in das Privatleben zu verstehen sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der verdeckt, also unter Verschleierung ihrer wahren Funktion, handelnden Person um einen Polizisten oder eine Privatperson handelte.64 Es kann für die Frage des Eingriffs kaum auf 57 58 59 60 61 62
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Lagodny StV 1996 167, 170. Vgl. die Rechtsprechungsnachweise oben Fn. 52. BVerfGE 57 250, 284. [H.] Schneider NStZ 2001 8, 11. Vgl. zu dieser Differenzierung auch SK/Wolter Rn. 3. Weshalb der „differenzierten Bewertung“ von LR/Erb, § 163, 65, in Wirklichkeit keine Differenzierung zugrunde liegt. Genau diesen Versuch unternimmt jedoch BTDrucks. 12 989 S. 41. Auch [J.] Meyer ZStW 95 (1983) 834, verkürzt die Rolle der VP auf die Zeugeneigenschaft. So EGMR, A. v. France, Serie A Nr. 277-B § 36; im Falle des zusätzlichen Einsatzes technischer Abhörgeräte auch EGMR Allan v UK § 35; Khan v UK § 25; MM v Netherlands §§ 36–42; Wolf v UK § 29; vgl. ferner Esser StraFo 2003 335, 338. Zurückhaltend
zuvor noch EGMR Lüdi v. Switzerland, Serie A Nr. 238 § 40: “Mr Lüdi must therefore have been aware from then on that he was engaged in a criminal act punishable under Article 19 of the Drugs Law and that consequently he was running the risk of encountering an undercover police officer whose task would in fact be to expose him.” Und zuvor: “On the other hand, the Court agrees with the Government that in the present case the use of an undercover agent did not, either alone or in combination with the telephone interception, affect private life within the meaning of Article 8”; kritisch hiergegen schon die Kommission EKMR Lüdi v Switzerland, Serie A Nr. 238 Annex, § 58; ferner Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht 168 ff.; [D.] Korn Defizite bei der Umsetzung der EMRK 129 f.
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dessen Vorhersehbarkeit ankommen, ebenso wenig die mehr oder weniger gegebene Freiwilligkeit, mit der dem verdeckt Agierenden Einblick in das Privatleben gewährt wird. Maßgeblich ist damit das Kriterium der staatlichen Zurechenbarkeit des Handelns der Privatperson,65 wofür freilich gewisse Mindestanforderungen gelten.66 Die Eingriffsrechtfertigung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK fordert eine in den jeweiligen Rechtssystemen hinreichend klare und zugängliche, die Vorhersehbarkeit der Maßnahme gewährleistende Regelung, die insbesondere der Heimlichkeit des Ermittlungszugriffs gerecht wird. Damit ist die deutsche Praxis des Einsatzes von V-Leuten unter Abstellen auf eine insoweit indifferente, da nicht zwischen offenen und heimlichen Maßnahmen unterscheidende Generalklausel (vgl. §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2) konventionswidrig b) Abgrenzung
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aa) Beamte. Nur Beamte im Sinne der §§ 3, 33 ff. BeamtStG können Verdeckte Ermittler sein. Der Gesetzgeber hat sich dabei von der Vorstellung leiten lassen, dass die besondere Ermittlungstätigkeit und die mit ihr verbundenen Gefährdungen eine straffe Führung und wirksame, auch disziplinarrechtliche Dienstaufsicht erfordere, die nur im Rahmen von Beamtenverhältnissen gewährleistet sei.67 Der Begriff des Beamten im Polizeidienst ist Vor § 15868 näher erläutert, er erfasst auch die Sonderpolizeibehörden69 sowie Beamte des Steuer- und Zollfahndungsdienstes. Deshalb sind Informanten, d.h. (Privat-)Personen, die im Einzelfall bereit sind, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfolgungsbehörde Informationen zu geben,70 sowie V-Leute, d.h. Personen, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit sind, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen und deren Identität deshalb grundsätzlich geheim gehalten wird,71 keine Verdeckten Ermittler. Auf sie sind die §§ 110a ff. grundsätzlich auch nicht analog anzuwenden.72
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bb) Sonstige nicht offen operierende Polizeibeamte (NoePs). Ungleich schwieriger ist die Abgrenzung Verdeckter Ermittler von sonstigen beamteten Strafverfolgern, die verdeckte Ermittlungen anstellen.73 Dass das Gesetz von der Zulässigkeit solcher verdeckt arbeitenden Beamten ausgeht, zeigt schon § 161 Abs. 3, wo von „nicht offenen Ermittlungen“ die Rede ist. Auch Abs. 2 ist zu entnehmen, dass es Polizeibeamte geben muss, die zwar nicht offen als Polizeibeamte agieren, aber nicht unter einer ihnen auf Dauer verliehenen Legende ermitteln. Die Begründung des Gesetzentwurfs spricht denn auch davon, dass sich der Verdeckte Ermittler kraft der ihm verliehenen, auf Dauer angelegten Legende von Beamten unterscheide, die nur gelegentlich verdeckt aufträten und ihre Funktion dabei nicht offenlegten (z.B. Scheinaufkäufern).74 Schwierigkeiten bereitet es, die Grenze zwischen dem Verdeckten Ermittler und dem 19 sonstigen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten zu ziehen. Die Frage ist schon deshalb von erheblicher Brisanz, weil davon abhängt, inwieweit die Polizei bei verdeckten Ermitt65 66
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KK/Schädler EMRK Art. 8 Rn. 3. Vgl. zu den Grenzen der Eigenmächtigkeit EGMR Stocké v Germany § 48 ff.; Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht 179. BTDrucks. 12 989 S. 42. LR/Erb Vor § 158, 25 ff. LR/Erb Vor § 158, 29 m.w.N. Definition aus Ziff. 2.1. der Anlage D zu den RiStBV.
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Ziff. 2.2 der Anlage D RiStBV. BGHR StPO § 110a V-Mann 1. Für diese Gruppe von Beamten hat sich die Bezeichnung „nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ („NOEP“ – mitunter auch NOP) eingebürgert. Vgl. dazu Krey/Jäger NStZ 1995 517. BTDrucks. 12 989 S. 42.
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lungen die Staatsanwaltschaft und – über § 110b Abs. 2 – auch den Ermittlungsrichter einschalten muss, denen nach § 110b Abs. 3 auf Verlangen auch die Identität des Verdeckten Ermittlers zu offenbaren ist. Letztlich geht es darum, wie selbständig die Polizei im Bereich verdeckter Ermittlungen agieren kann. Nach dem Gesetzeswortlaut liegt es nahe, einen Verdeckten Ermittler dann anzuneh- 20 men, wenn er unter einer auf Dauer angelegten, also längerfristigen und nicht nur vorübergehenden, veränderten Identität ermittelt.75 Der Bundesgerichtshof ist indes einen anderen Weg gegangen. Er hat einen funktiona- 21 len, vom bloßen Status des jeweiligen Polizeibeamten abgekoppelten, Begriff des Verdeckten Ermittlers entwickelt. Durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände sei festzustellen, ob der jeweilige Einsatz (nicht die Legende!) des verdeckt operierenden Polizeibeamten auf Dauer angelegt sei und deshalb den strengen Auflagen der §§ 110a ff. unterliege. Eine Festlegung auf bestimmte zeitliche Mindestgrenzen für die Beschreibung der „Dauerhaftigkeit“ des Einsatzes wurde abgelehnt.76 Entscheidend sei, ob der Ermittlungsauftrag über einzelne, konkret umrissene Ermittlungshandlungen hinausgehe, ob es erforderlich werde, eine unbestimmte Vielzahl von Personen über die wahre Identität des Beamten zu täuschen und ob sich von vorn herein absehen lasse, dass diese in künftigen Strafverfahren auf Dauer geheim gehalten werden müsse. Auch sei darauf abzustellen, ob der allgemeine Rechtsverkehr oder die Beschuldigtenrechte im künftigen Strafverfahren durch den Einsatz eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung erfahren könnten.77 Ein Einsatz als Verdeckter Ermittler könne danach ausscheiden, wenn ein Polizeibeamter – sei es auch unter seiner Legende – lediglich als Scheinaufkäufer auftrete, ohne in die Ermittlungen sonst eingeschaltet zu sein. Deshalb kommt es, wie es in einer späteren Entscheidung heißt, nicht darauf an, wie der Beamte in Ermittlungsvermerken bezeichnet wird.78 In der Folge kam es zu einer Reihe weiterer Entscheidungen, in denen betont wurde, dass Polizeibeamte, die mit einer langfristig angelegten Legende im kriminellen Umfeld ermitteln, nicht dadurch Verdeckte Ermittler werden, dass sie – sei es auch unter einem Decknamen – lediglich als Scheinaufkäufer auftreten, ohne darüber hinaus mit Außenwirkung79 in die Ermittlungen eingeschaltet zu sein.80 Das gelte jedenfalls dann, wenn sich die Tätigkeit des Beamten im Umfeld des Beschuldigten auf eine Einzelaktion beschränke. Auch das Betreten von Wohnungen unter falscher Identität mache den Beamten noch nicht zwingend zu einem Verdeckten Ermittler.81 Nach dieser Rechtsprechung kann der Verdeckte Ermittler jederzeit flexibel auch als 22 NoeP eingesetzt werden. Dies kommt dem Bedürfnis der Polizei, auch außerhalb der strengen Einsatzvoraussetzungen der §§ 110a ff. mit verdeckt operierenden Beamten Ermittlungen anstellen zu können, weitgehend entgegen. In der Praxis ist der Einsatz dieser „NoePs“ nicht selten.
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Vgl. Beulke JR 1996 515, 516; Rogall NStZ 1996 451; Krey/Jaeger NStZ 1995 518; Rogall JZ 1996 262. Krey Gutachten 1994 31 und Kraushaar Kriminalistik 1994 481, 482 waren von einer Dauer von sechs Monaten ausgegangen. BGHSt 41 64 mit Anm. Weßlau StV 1995 506; Krey NStZ 1995 517; Rogall JZ 1996, 260; Beulke JR 1996 517. BGH StV 1996 241. Nach Auffassung des BGH NStZ 1996 450
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sollen interne Ermittlungsvorgänge wie die Einbindung in die Erarbeitung eines Fahndungs- und Ermittlungskonzepts, die mehrfache Entgegennahme von Informationen durch V-Leute oder sogar die Erteilung von Handlungsaufträgen an diese bei der Beschreibung des „Einsatzes“ außer Betracht bleiben. BGH NStZ 1996 450; BGHR StPO § 110a Ermittler 3; BGH NStZ 1997 294. BGH NStZ 1997 448.
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Die Literatur hat die genannten Entscheidungen teilweise (jedenfalls im Ergebnis) zustimmend aufgenommen.82 Es wird insbesondere begrüßt, dass der sog. „qualifizierte Scheinaufkäufer“ damit erstmals von der Rechtsprechung als Ermittlungsinstrument neben dem echten VE anerkannt worden sei.83 Beulke hält die Auslegung des Bundesgerichtshofs für praktikabel und mit dem Wortlaut insgesamt noch für vereinbar,84 während Rogall 85 zutreffend herausgearbeitet hat, dass sich die vom BGH gewonnene Abgrenzung – jedenfalls für langfristig ins kriminelle Milieu abgetauchte „echte“ Verdeckte Ermittler – weitgehend vom Gesetzeswortlaut löst. Stehe nämlich auf Grund des Werdegangs eines mit einer kompletten und langfristig angelegten Legende versehenen Ermittlers fest, dass dieser alle Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1 erfüllt, so sei jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes kein Raum mehr dafür, ihn wegen eines nur kurzfristigen Einsatzes einem sonstigen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten gleichzustellen. Ganz ähnlich äußert sich Hilger.86 Der Kritik Rogalls und Hilgers ist zuzustimmen. Ein Polizeibeamter, der unter seiner 24 Dauerlegende auftritt, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ein Verdeckter Ermittler.87 Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen kurzfristigen oder begrenzten Einsätzen einerseits und umfangreich angelegten Einsätzen andererseits, sondern nur zwischen einfachen Einsätzen im Sinne von § 110a Abs. 1 und qualifizierten Einsätzen im Sinne von § 110b Abs. 2, und nicht die Tätigkeit des Beamten muss auf Dauer angelegt, sondern die Legende muss ihm auf Dauer verliehen sein. Mit Blick darauf, dass ein Beschuldigter, der – sei es auch nur kurzzeitig – ins Visier eines solchen Verdeckten Ermittlers geraten ist, aus Rücksicht auf dessen weitergehenden Ermittlungsauftrag so gut wie nie eine Chance erhalten wird, die Identität dieses Zeugen in seinem Strafverfahren zu erfahren, machen die strengeren Einsatzvoraussetzungen für echte Verdeckte Ermittler durchaus auch bei kurzen und begrenzten Einsätzen Sinn. Die qualifizierten Einsatzvoraussetzungen der §§ 110a und 110b sind das gesetzliche Regulativ dafür, dass von einem Verdeckten Ermittler sowohl für die Verteidigungsrechte des Beschuldigten als auch für den allgemeinen Rechtsverkehr eine besondere (abstrakte) Gefahr ausgeht. Diese abstrakte Gefahr ist weitgehend unabhängig von der Einsatzdauer in einem konkreten Fall.88 Entscheiden sich die Strafverfolgungsbehörden deshalb dafür, einen mit einer auf Dauer angelegten Legende versehenen (echten) Verdeckten Ermittler im Sinne von § 110a Abs. 2 in die Aufklärung eines Sachverhalts einzuschalten, so knüpft das Gesetz an jeden Einsatz dieses besonders eingriffsintensiven Ermittlungsinstruments qualifizierte Eingriffsvoraussetzungen, ganz gleich, ob dieselben Ermittlungsergebnisse auch durch weniger eingriffsintensive Verdeckte Ermittlungen (z.B. durch einfache Scheinaufkäufer) hätten erzielt werden können. Nur dieses Verständnis des „Einsatzbegriffs“ verleiht auch den Subsidiaritätsklauseln des Abs. 1 Satz 3 und 4 die nötige Trennschärfe. Denn nach der Interpretation des Bundesgerichtshofs stünde es der Polizei bei kurzfristigen, punktuellen Ermittlungshandlungen (die keinen „Einsatz“ im Sinne des § 110a darstellen sollen) völlig frei, ob sie den mit einer Legende ausgestatteten Beamten als Verdeckten Ermittler oder als sonstigen „NoeP“ behandelt.
82
83 84
Krey/Jäger NStZ 1995 517; Rogall JZ 1996 260; Beulke JR 1996 517; vgl. auch Schmidt JuS 1995 1043. Weßlau StV 1995 506 befasst sich mit dem hier angesprochenen Problem nicht. Krey/Jäger NStZ 1995 517. JR 1996 517, 518.
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85 86 87 88
JZ 1996 260 und NStZ 1996 451 f. FS Hanack 209; zurückhaltend Wollweber StV 1997 507. Hilger FS Hanack 209, 210; Rogall NStZ 1996 451; JZ 1996 260. Hilger FS Hanack 209, 210.
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§ 110a
cc) under-cover-agents. Weder von den §§ 110a ff. noch von den allgemeinen Vor- 25 schriften gedeckt ist der Einsatz sog. undercover-agents (UCA). Das sind Ermittler, die unter falscher Identität langfristig als Agenten ins kriminelle Milieu abtauchen und sich diesem – auch unter Begehung milieutypischer Straftaten – anschließen, um ohne konkreten Anfangsverdacht Erkenntnisse zu gewinnen.89 Eine Ermächtigung zur Begehung von Straftaten gibt das Gesetz in keinem Fall, selbst wenn Verdeckten Ermittlern durch diese Beschränkung ihr Auftrag im Einzelfall wesentlich erschwert wird, weil die Gegenseite ihnen unschwer durch entsprechende „Mutproben“ oder „Aufnahmeprüfungen“ den Weg ins Milieu versperren bzw. in einzelnen Fällen den VE anhand seiner Weigerung (daran teilzunehmen) enttarnen kann.90 dd) Virtuelle Verdeckte Ermittler. Die Polizei setzt für eine längerfristige, gezielte Teil- 26 nahme an der Kommunikation in sozialen Netzwerken (Facebook, XING, MySpace usw.) nach Anordnung der Staatsanwaltschaft auch sogenannte virtuelle Verdeckte Ermittler ein. Diese Einsätze finden nach Auffassung der Bundesregierung auf der Rechtsgrundlage und nach Maßgabe der § 110a ff. statt.91 So wurden beispielsweise von Juli 2009 bis Juli 2011 in sechs Ermittlungsverfahren virtuelle Verdeckte Ermittler durch das BKA eingesetzt.92 Sind Polizeibeamte unter einer Legende auf diese Art und Weise im Internet aktiv, so gilt für diesen „virtuellen“ Einsatz grundsätzlich dasselbe wie für jeden anderen Einsatz auch. Demnach sind die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 110a ff. zu wahren und selbstverständlich ist es auch virtuellen Verdeckten Ermittlern nicht gestattet, sich an Straftaten zu beteiligen oder zu Straftaten aufzurufen. Ebenso zieht es unter den Voraussetzungen des Art. 6 EMRK möglicherweise die Unverwertbarkeit des Beweises nach sich, wenn sie gegen die Selbstbelastungsfreiheit verstoßen (Rn. 76 ff.). Umgekehrt kann man dem Einsatz virtueller Verdeckter Ermittler nicht einfach entgegnen, dieser verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wenn §§ 110a ff. dafür eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage bieten. Denn wer sich an sozialen Netzwerken beteiligt und dort im Rahmen gewöhnlicher Nutzung Informationen über sich preisgibt, ist hinsichtlich solcher Informationen nicht besonders schutzwürdig und der Wortlaut des § 110a ist in seiner allgemeingültigen Formulierung („Verdeckte Ermittler dürfen […] eingesetzt werden“) nicht zu unbestimmt. Allerdings dürfen sich auch virtuelle Verdeckte Ermittler nach § 110c Satz 2 „nicht durch ein über die Nutzung der Legende hinausgehendes Vortäuschen eines Zutrittsrechts“ Zugang zu solchen Netzwerken verschaffen. §§ 110a ff. gestatten also nur die Nutzung einer anderen Identität für den Zugang zum und die Nutzung des sozialen Netzwerks, nicht jedoch das „Hacken“ von anderen Nutzeraccounts unter Überwindung von Zugangssicherungscodes u. dgl. Sofern die Polizei im Zuge eines solchen rechtmäßigen Einsatzes virtueller Verdeckter Ermittler den Diensteanbieter auffordert, Bestandsdaten eines Nutzers preiszugeben, so reichen dafür §§ 110a ff. als Rechtsgrundlage nicht aus, sondern es müssen 89
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Körner/Patzak/Volkmer § 31 Rn. 109; Puppe JA 1987 364; Warner Kriminalistik 1985 291. Vgl. Lenhardt 1991 223 ff., 506; Krey Rechtsprobleme 12; Lesch StV 1993 94; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes DRiZ 1991 457; vgl. dazu auch den Bericht des VE Koriath Kriminalistik 1992 370 vom LKA Niedersachsen über die Praxis seiner Arbeit, die ohne die Beteiligung an Straftaten
91 92
undenkbar erscheint, weshalb die öffentliche Forderung nach VE, die keine Straftaten begehen, „Heuchelei“ sei. Krey Rechtsprobleme S. 70 zeiht die Autoren, die strafbare Handlungen Verdeckter Ermittler ablehnen, der Lebensferne oder der Heuchelei. Dagegen Körner Kriminalistik 1992 601 ff. BTDrucks. 17 6587 S. 5. BTDrucks. 17 6587 S. 5.
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zusätzlich die Voraussetzungen des § 100j vorliegen. Angesichts der Tatsache, dass die Nutzung von Pseudonymen im Internet gängig ist, bleibt allerdings fraglich, ob eine pauschale Unterwerfung der virtuellen Verdeckten Ermittler unter das Regime der §§ 110a ff. die Polizei nicht strenger reglementiert, als dies eigentlich notwendig wäre. Unter Übertragung der Rechtsfigur vom Geschäft für den, den es angeht wird man deshalb zumindest dort von den Anforderungen der §§ 110a ff. absehen dürfen, wo die Polizei z.B. unter Nutzung eines auf Jugendlichkeit hindeutenden Pseudonyms an einem jedermann zugänglichen Chat teilnimmt und auf diese Weise pädophile Straftäter überführt. Ein solches Vorgehen ist schon von der Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2 gedeckt. c) Die Legende und ihr Aufbau (Abs. 2 und 3)
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aa) Legende (Abs. 2). Um dem Verdeckten Ermittler die Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen, ihn zugleich vor Nachforschungen und Nachstellungen aus dem von ihm ausgespähten Milieu zu schützen, darf seine Identität umfassend verändert werden. Praktisch alle personenbezogenen Daten (Name, Adresse, Beruf, Werdegang, Nationalität, Konfession, familiäre oder sonstige Beziehungen) können deshalb durch erfundene Daten ersetzt werden.
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bb) Aufbau der Legende (Abs. 3). Soweit dies zum Aufbau und zur Unterhaltung der Legende unerlässlich ist, wird die neue Identität auch in amtlichen (inhaltlich unrichtigen) Ausweisen (Personalausweis, Führerschein) ohne Verstoß gegen Urkundenvorschriften dokumentiert (Abs. 3).93 Eine umfassende Aufzählung derjenigen Urkunden, die hergestellt, verändert und gebraucht werden dürfen, enthält das Gesetz nicht. Unklarheiten bestehen vorwiegend darüber, inwieweit öffentliche Bücher und Register zum Schutz des Verdeckten Ermittlers unrichtige Angaben enthalten dürfen. In Art. 7 des Bundesratsentwurfs des OrgKG war vorgesehen, auch das Personenstandsgesetz zu ändern, um gefährdeten Zeugen eine neue Identität verschaffen zu können. Dagegen erhob die Bundesregierung rechtliche Bedenken, weil eine so weitgehende Regelung geeignet sei, den öffentlichen Glauben an die entsprechenden Personenstandsregister insgesamt zu gefährden.94 Auf Grund dieser Bedenken unterblieb die vorgeschlagene Regelung.95 Wegen dieser Entstehungsgeschichte wird Abs. 3 überwiegend dahin verstanden, dass die Änderung bestehender Eintragungen in öffentlichen Büchern und Registern unzulässig sein soll.96 Umgekehrt darf der VE unter seiner veränderten Identität am Rechtsverkehr teilnehmen (Abs. 2 Satz 2). Das bringt es mit sich, dass er dann jedenfalls Neueintragungen (z.B. bei Erwerb eines Grundstücks, Eheschließung oder bei Gründung einer Firma) unter seinen neuen Personaldaten und damit inhaltlich falsch bewirken kann.97
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d) Teilnahme am Rechtsverkehr (Abs. 2 Satz 3). Unter dieser Legende, mit dieser neuen Identität, lebt der Verdeckte Ermittler dienstlich und privat und nimmt mit ihr – auch privat – am Rechtsleben98 teil (Abs. 2 Satz 2). Er kann also unter seinem neuen Namen alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte vornehmen, Verträge jeglicher Art
93 94 95 96 97
BTDrucks. 12 989 S. 42. BTDrucks. 12 989 S. 60. KK/Nack 10. KK/Nack 10; Hilger NStZ 1992 524. KK/Nack 10; Zaczyk StV 1993 490, 493;
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Hilger NStZ 1992 524 Fn. 142; MeyerGoßner 7. Der Begriff des „Rechtsverkehrs“ ist kein anderer als in § 267 StGB; dazu KK/Nack 11 m.w.N.
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schließen, heiraten, klagen und verklagt werden. Dass Dritte dabei (Vertrauens-)Schäden erleiden können, hat der Gesetzgeber sehenden Auges in Kauf genommen99 und – ohne freilich diese Verpflichtung gesetzlich zu fixieren – in der Begründung des Gesetzentwurfs dazu aufgefordert, der Dienstherr müsse sich im Einzelfall um Schadensregulierung bemühen. Mangels gesetzlicher Regelung kann Schadensregulierung nur nach den allgemeinen Grundsätzen des Staatshaftungsrechts erfolgen.100 In der Regel wird ein Aufopferungsanspruch in Betracht kommen.101 Mit den Regelungen zur Tarnung des Verdeckten Ermittlers hat der Gesetzgeber ver- 30 sucht, dem gesteigerten Schutzbedürfnis dieser Beamten ausreichend Rechnung zu tragen. Die dagegen geäußerte Kritik, „Lug und Trug“ würden erstmals in einem Verfahrensgesetz vorgesehen und selbst Gerichte könnten belogen werden, darin liege eine dramatische Veränderung des Rechtsstaats,102 ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Indes ist die gesetzliche Regelung durch die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs vorgezeichnet.103 3. Einsatzvoraussetzungen (Abs. 1). Die Regelung der Einsatzvoraussetzungen ist sehr 31 unübersichtlich, weil im Gesetzgebungsverfahren an die Stelle des ursprünglich vorgesehenen Katalogs des § 98a eine Mischung aus Katalog und Generalklausel trat.104 Bezüglich der Tatverdachtsschwelle begnügt sich das Gesetz mit dem einfachen Anfangsverdacht, für den freilich die für die Durchsuchung von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze gelten müssen. Für verschiedene Deliktsgruppen unterschiedlich weit reichende Subsidiaritätsklauseln erschweren die Rechtsanwendung. Bernsmann105 weist zutreffend darauf hin, dass dies alles ein hohes Maß an rechtsstaatlichen Beschränkungen vortäuscht, die letztlich wegen der Unübersichtlichkeit der Regelung kaum zu greifen vermögen. a) Deliktsgruppen (Abs. 1 Satz 1) aa) Mischung aus Katalog und einer Art Generalklausel. Abs. 1 Satz 1 zählt be- 32 stimmte Deliktsgruppen (Nr. 1 und 2) und bestimmte Begehungsweisen (Nr. 3 und 4) auf. Unabhängig davon, wie diese im Katalog oder in katalogartig erfassten Delikten zu qualifizieren sind, nennt Satz 2 als weitere Einsatzvoraussetzungen Verbrechen. Dabei handelt es sich ersichtlich um solche, die noch nicht durch den Katalog erfasst sind. Dabei wird zwischen zwei Gruppen von Verbrechen unterschieden, an die sich unterschiedlich weit reichende Subsidiaritätsklauseln knüpfen: Besteht auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung des Verbrechens, gilt die auch für die Katalogtaten geltende Subsidiaritätsklausel des Abs. 1 Satz 3. Für alle anderen Verbrechen, die nicht durch den Katalog erfasst sind und für die auch nicht die Gefahr der Wiederholung besteht, gilt die strengere Subsidiaritätsklausel des Abs. 1 Satz 4. bb) Fallgruppe Katalog. Das Gesetz begnügt sich nicht damit, als Einsatzvoraus- 33 setzung den Verdacht der Begehung bestimmter Delikte zu verlangen, zusätzlich muss es sich im Einzelfall um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln und der Einsatz des Verdeckten Ermittlers steht unter dem Vorbehalt einer Subsidiaritätsklausel. 99 100 101 102 103
BTDrucks. 12 989 S. 42. Näher dazu KK/Nack 12. Näher KK/Nack 12. Zaczyk aaO. So im Ergebnis auch die krit. Stellungnahme in SK/Wolter Rn. 4; keine Bedenken gegen
104 105
heimliche Ermittlungen hat BVerfG NJW 2004 999. BTDrucks. 12 989 S. 41; BTDrucks. 12 2720 S. 46. StV 1998 217, 223.
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(1) Katalog. Zunächst werden – angelehnt an den entsprechenden Katalog bei der Rasterfahndung nach § 98a106 – in Satz 1 unter den Nr. 1 bis 4 Deliktsgruppen aufgezählt, die sich als bevorzugte Betätigungsfelder organisierten Verbrechens erwiesen haben, und zu deren Aufklärung der Einsatz Verdeckter Ermittler sinnvoll erscheint.107 Während Nr. 1 eine geschlossene Aufzählung von Deliktsgruppen enthält (Betäubungsmitteldelikte, Waffendelikte, Geld- und Wertzeichenfälschung), verweist Nr. 2 auf die in den §§ 74a, 120 GVG aufgezählten zahlreichen (Staatsschutz-)Delikte. Auch diese Aufzählung ist abschließend. Nr. 3 und Nr. 4 enthalten dagegen Generalklauseln und erfassen die für organisiertes Verbrechen typischen Begehungsformen der Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit (Nr. 3) wie auch der bandenmäßigen oder sonst organisierten Begehung (Nr. 4), ohne dass es darauf ankäme, ob die im Einzelfall in Betracht kommenden Straftatbestände in Strafschärfungsvorschriften oder Qualifikationstatbeständen ausdrücklich an diese Begehungsformen anknüpfen, wie aus dem im Gesetz sonst nicht als Strafschärfungsgrund verwendeten Merkmal „in anderer Weise organisiert“ folgt.108 Jedoch können die von der Rechtsprechung zu jenen Strafbestimmungen (z.B. §§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; 244 Abs. 1 Nr. 2; 284 Abs. 2 und 3; 292 Abs. 2 Nr. 1; 293 Abs. 2 Nr. 1 StGB; 29 Abs. 3 Nr. 1; 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BtMG) entwickelten Beschreibungen für die Auslegung der gewerbs-, gewohnheits- oder bandenmäßigen Begehung im Sinne von § 110a Abs. 1 herangezogen werden. Nach diesen Grundsätzen liegt eine Bande vor, wenn mindestens drei109 Personen sich ausdrücklich oder stillschweigend zur Verübung fortgesetzter, im Einzelnen noch ungewisser Straftaten verbunden haben.110 Das Merkmal „in anderer Weise organisiert“ (Nr. 4 2. Alt.) knüpft als einziges Tatbestandsmerkmal des Abs. 1 an den Begriff „Organisierten Verbrechens“ an111 und setzt damit eine gewisse Vorstellung davon voraus, was in diesem Zusammenhang unter „organisiert“ – in Erweiterung der sonstigen Begehungsformen der Nr. 3 und 4 – zu verstehen ist. Als Auslegungshilfe können dabei die unter Rn. 1 zusammengestellten Merkmale, ferner die in der Anlage E zu den RiStBV aufgeführten OK-Indikatoren dienen, die unten Rn. 83 abgedruckt sind.
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(2) Erhebliche Bedeutung. Es muss sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln. Damit verwendet das Gesetz denselben Begriff, wie bei § 98a Abs. 1 und bei § 100h Abs. 1. Maßgeblich ist die im Einzelfall gegebene Schwere der Straftat, die wie der Katalog zeigt, kein Verbrechen zu sein braucht. Nach überwiegender Auffassung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.112 Wegen der Einzelheiten wird auf § 98a, 27 verwiesen.
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(3) Subsidiaritätsklausel. Die Zulässigkeit des Einsatzes des Verdeckten Ermittlers hängt bei den Katalogtaten und bei den Verbrechen mit Wiederholungsgefahr ferner davon ab, dass „die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“ (Abs. 1 Satz 3). Der Wortlaut dieser Klausel stimmt mit der des § 100a Abs. 1 Nr. 3
106 107 108 109 110
BTDrucks. 12 989 S. 41. Rieß NJ 1992 491. Hilger NStZ 1992 457 Fn. 51; unklar KK/Nack 20. BGHSt (GrS) 46 321. BGHSt (GrS) 46 321.
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111 112
Rieß NJ 1992 491. BTDrucks. 13 10791 S. 5; Meyer-Goßner § 98a, 5; SK/Wohlers § 98a, 10; Senge NJW 1999 253; vgl. auch Möhrenschlager wistra 1992 326, 327; Hilger NStZ 1992 457 Fn. 93; vgl. auch BVerfGE 103 21, 34.
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überein. Zwar ist hier nur von „Aufklärung“ die Rede, während § 100a (und § 98a) von „Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten“ spricht, in der Sache ist aber dasselbe gemeint, denn zur Aufklärung einer Straftat gehört beides. Aussichtslosigkeit liegt vor, wenn andere Ermittlungsmöglichkeiten fehlen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg versprechen. Eine wesentliche Erschwerung ist gegeben, wenn mit anderen Aufklärungsmitteln erheblich mehr Zeit aufgewendet werden müsste113 oder wenn umgekehrt ein sofortiger Zugriff (z.B. die Festnahme des bekannten Beschuldigten) zu wesentlich schlechteren Erkenntnissen über die Tat (auch über noch nicht bekannte Hintermänner) führen würde als längeres Beobachten nach § 110a. Ein sonst größerer Arbeitsaufwand rechtfertigt die Maßnahme nur, wenn wegen seines zu erwartenden außergewöhnlichen Umfangs das Interesse an der Strafverfolgung das an der Erhaltung des Grundrechts eindeutig überwiegt.114 Der Kostenaufwand darf grundsätzlich keine Rolle spielen,115 es sei denn, er sei so groß, dass er die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall sprengt. Rieß116 hat auf das besondere Problem hingewiesen, das sich daraus ergibt, dass ähn- 37 liche Subsidiaritätsklauseln wie die des Abs. 1 Satz 3 auch für die Rasterfahndung (§ 98a), die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a), die Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes, den Datenabgleich, die heimliche Observation (§ 110c) und die Beobachtende Fahndung (§ 163e Abs. 1) gelten. Wörtlich genommen blockieren sich diese Subsidiaritätsklauseln gegenseitig. Man wird dem Gesetz jedoch die generelle Wertung entnehmen können, dass es sich bei den mit diesen Subsidiaritätsklauseln versehenen Eingriffsbefugnissen um solche handelt, die eine gegenüber den „klassischen“ Eingriffsbefugnissen der StPO gesteigerte Eingriffsintensität aufweisen, weshalb zunächst nach Möglichkeit den klassischen Ermittlungsmaßnahmen aus Verhältnismäßigkeitsgründen der Vorzug gebührt. Auf diese Wertung des Gesetzes wird bei der Frage der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus rechtswidrigen VE-Einsätzen zurückzukommen sein. Umgekehrt zeigt die Verwendung ähnlich strukturierter Subsidiaritätsklauseln für verschiedene eingriffsintensive Maßnahmen, dass es dem Gesetz nicht darum geht, innerhalb dieser Gruppe eine Rangordnung aufzustellen. Vielmehr wird man im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes danach zu fragen haben, welche Maßnahme in concreto den milderen Eingriff darstellt.117 Unterscheiden sich zwei beabsichtigte Maßnahmen dabei nicht in ihrer Eingriffstiefe, können die Ermittlungsbehörden zwischen ihnen wählen. cc) Fallgruppe Generalklausel. Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 regeln die Voraussetzungen 38 des Einsatzes Verdeckter Ermittler bei Verbrechen, soweit diese nicht unter den Katalog des Abs. 1 Satz 1 fallen. Um Taten von erheblicher Bedeutung im Sinne des Abs. 1 Satz 1 braucht es sich dabei nicht zu handeln, denn diese Einschränkung gilt nur für die Katalogtaten. Verdeckte Ermittler dürfen hier nur eingesetzt werden, wenn entweder Wiederholungsgefahr besteht (Abs. 1 Satz 2) oder wenn es sich um eine Tat von besonderer Bedeutung handelt (Abs. 2 Satz 4).
113 114 115
KK/Nack 22; Meyer-Goßner 15; Schlüchter 349. KK/Nack 22; Meyer-Goßner 15; Rudolphi FS Schaffstein 437; a.A. Schlüchter 349. KK/Nack5 22; Meyer-Goßner 15; Rudolphi FS Schaffstein 437; Schlüchter 349; a.A. KMR/Müller 11; Welp 67 Fn. 106.
116 117
Rieß GedS Meyer 386 ff. So im Ergebnis auch Rieß aaO; KK/Nack 22; zustimmend Zaczyk aaO 493 und SK/Wolter Rn. 9.
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(1) Wiederholungsgefahr bedeutet, dass die Gefahr bestehen muss, dass der oder die Tatverdächtigen erneut ein vergleichbares Verbrechen begehen.118 Dies muss aus bestimmten Tatsachen geschlossen werden können; allgemeine, nicht einzelfallbezogene kriminalistische Erfahrungen genügen also nicht (zum Begriff s. auch LR/Hilger § 112a, 36). „Soweit“ soll nicht den sachlichen Einsatzbereich des Verdeckten Ermittlers beschränken, sondern ist als „wenn“ zu lesen.119 Kann Wiederholungsgefahr nicht festgestellt werden, ist der Einsatz eines Verdeckten 40 Ermittlers bei Verbrechen außerhalb des Katalogs des Abs. 1 Satz 1 auch dann zulässig, wenn die Tat besondere Bedeutung hat. Die Zielrichtung dieses Merkmals ist die gleiche wie bei dem Begriff der erheblichen Bedeutung in Abs. 1 Satz 1.120 Weshalb das Gesetz hier unterschiedliche Begriffe verwendet, bleibt nicht recht nachvollziehbar. In beiden Fällen geht es um eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei der Entscheidung für oder gegen den Einsatz eines VE soll abgewogen werden zwischen der Eingriffsintensität der verdeckten Ermittlungsmaßnahme einerseits und der anhand des konkreten Tatverdachts vorzunehmenden Gewichtung des angenommenen Tatgeschehens andererseits.121
41
(2) Subsidiaritätsklauseln. Um die Verwirrung komplett zu machen, vielleicht aber auch, weil der Gesetzgeber sein schlechtes Gewissen bei Schaffung der Norm durch rechtsstaatlich erscheinende Kautelen beruhigen wollte, gelten für die beiden Fallgruppen der Verbrechen unterschiedliche Subsidiaritätsklauseln. Für die Fälle der Wiederholungsgefahr gilt die auch bei Katalogtaten anwendbare Klausel des Abs. 1 Satz 3. Sie wurde bereits oben Rn. 36 erläutert. Bei den sonstigen Verbrechen ist nach Abs. 1 Satz 4 der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nur zulässig, wenn andere Maßnahmen aussichtslos wären. Dass sie die Aufklärung nur erschweren würden, genügt nicht. Wegen des Merkmals „aussichtslos“ siehe oben Rn. 36.
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b) Tatverdacht. Voraussetzung für den nach § 110a ausschließlich zur Strafverfolgung zulässigen Einsatz des Verdeckten Ermittlers ist nach Abs. 1 Satz 1, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine der in Abs. 1 aufgezählten Straftaten begangen worden ist. Es muss also ein strafprozessualer Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 vorliegen.122 Es genügt, dass dieser Anfangsverdacht sich auf eine konkrete Tat bezieht, er muss sich noch nicht gegen einen bestimmten Täter richten.123 Dieser soll häufig erst ermittelt werden. Auf die Erl. § 100c, 88 ff. und zu § 152 wird verwiesen. Handelt es sich freilich um einen Einsatz nach § 110b Abs. 2 sind die Anforderungen 43 höher. Systematisch können nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs124 an die Zustimmung zu derartigen Einsätzen, bei denen der Verdeckte Ermittler eine oder mehrere noch nicht einmal bekannte Wohnungen betreten darf (§ 110b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO), im Lichte des Art. 13 GG jedenfalls keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an eine Durchsuchungsanordnung nach § 105 StPO gemäß Art. 13 Abs. 2 GG (§ 105, 49). Wegen des Gewichts des Eingriffs werden dieselben Anforderungen auch beim Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten gelten müssen. Erforderlich
118 119 120 121
Dazu Zaczyk aaO Fn. 39. Hilger NStZ 1992 523 Fn. 135. KK/Nack 16; Meyer-Goßner 13. Hilger NStZ 1992 457, 462 Fn. 93, 94.
792
122 123 124
KK/Nack 13; Hilger NStZ 1992 523; Krey Rechtsprobleme 130. Vgl. dazu auch Anl. E Nr. 6.2 zu RiStBV. BGH NJW 1997 1516.
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sind danach einzelfallbezogene verfahrensrechtlich verwertbare125 Tatsachen, die unter Vermittlung kriminalistischer Erfahrungswerte eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Täterschaft oder Teilnahme usw. des Betroffenen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) oder für das Vorliegen einer strafbaren Handlung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) begründen (§ 105, 47 ff.; § 100a, 50; § 100c, 89).126 Zutreffend spricht das Bundesverfassungsgericht127 von dem Erfordernis eines „greifbaren Verdachts“ gegen den Betroffenen. Dieser greifbare Verdacht kann auch auf Erkenntnissen eines V-Mannes oder des bis dahin auf Grund polizeirechtlicher Vorschriften präventiv eingesetzten Verdeckten Ermittlers beruhen. Diese bedürfen dann aber, wie stets, besonders sorgfältiger Prüfung, um eine Außensteuerung der Justiz oder Selbstermächtigung des Verdeckten Ermittlers zu verhindern.128 Auf § 110a kann ein Einsatz eines Verdeckten Ermittlers ohne strafprozessualen An- 44 fangsverdacht etwa im Bereich von sogenannten Vorfeldermittlungen oder Initiativermittlungen129 nicht gestützt werden. Gerade beim Einsatz von Verdeckten Ermittlern kann es aber zu einem Nebeneinander von Polizeirecht und Strafprozessrecht kommen. Gewinnt ein zunächst nach Polizeirecht zur Gefahrenabwehr präventiv eingesetzter Verdeckter Ermittler den Anfangsverdacht im Sinne zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers rechtfertigende Tat oder ergeben sich solche Anhaltspunkte aus anderen Erkenntnissen, richtet sich das weitere Tätigwerden des Verdeckten Ermittlers nach der Strafprozessordnung und unterliegt fortan der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft.130 Daneben kann der Verdeckte Ermittler aber zugleich weiterhin präventive Aufgaben wahrnehmen.131 Jedoch dürfen die Regelungen des Polizeirechts nicht dazu herhalten, bei nunmehr repressivem Vorgehen eine nach den §§ 110a ff. unzulässige Maßnahme durch die oft weitergehenden Eingriffsbefugnisse der Polizeigesetze132 zu rechtfertigen.133 Insbesondere dürfen sie nicht dazu benutzt werden, um die meist strengeren Einsatzvoraussetzungen der StPO zu umgehen. Liegt daher ein Anfangsverdacht im Sinne von § 110a Abs. 1 vor und sollen insbesondere Maßnahmen nach § 110b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 ergriffen werden, so sind die Regeln der StPO zu beachten. Den Vorrang der Strafprozessordnung hat der Bundesgerichtshof wiederholt für die Fälle der Tatprovokation betont,134 er gilt aber für jeden Einsatz. Gewinnt freilich ein Verdeckter Ermittler bei präventiven Ermittlungen strafrechtlich relevante Erkenntnisse über eine Person, gegen die im Zeitpunkt seines Einsatzes noch kein Anfangsverdacht einer Straftat vorlag, dann hat sich dieser Einsatz nicht über Bestimmungen der §§ 110a ff. hinweggesetzt und kann auch im Strafprozess nicht als rechtswidrig bewertet werden.135
125 126
127 128 129
130
LG Stuttgart NStZ 1985 568 mit Anm. Hilger. Im Ergebnis ebenso KMR/Bockemühl 22; Geerds FS Dünnebier 174; Schlüchter Rn. 326; Rüping 270; Gillmeister 53; Joecks WM-Sonderbeilage Nr. 3/1998, 10 bezeichnet den Verdacht als „Produkt aus Tatsachenkenntnis und Erfahrungssatz“. BVerfGE 59 95, 98. BGHSt 42 103, 105. Vgl. dazu auch Anl. E Nr. 6 zu RiStBV unten Rn. 83; die Zulässigkeit dieser Initiativermittlungen ist bestritten; vgl. Vor § 94, 105; LR/Erb Vor § 158, 12b f. BGHSt 45 321, 337; 47 44, 48; KK/Nack 14.
131 132 133 134
135
BTDrucks. 12 2720 S. 47; BGHSt 41 42, 45; Hilger NStZ 1992 523. KK/Nack 14. SK/Wolter Rn. 2; Hassemer KJ 1992 64. BGHSt 41 64, 68; 45 321, 337; zustimmend Krey/Jaeger NStZ 1995, 517, 519; LR/Erb § 163, 67; vgl. auch KK/Nack 14; SK/Wolter Vor § 151, 100; Fischer/Maul NStZ 1992 7, 8 m.w.N.; Haas V-Leute im Ermittlungsund Hauptverfahren (1986) 59–62; von Stetten Beweisverwertung beim Einsatz Verdeckter Ermittler (1999) 183 f.; Weßlau Vorfeldermittlungen 90. KK/Nack 14; Meyer-Goßner 14; Hilger NStZ 1992 523 Fn. 138; Jähnke FS Odersky
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III. Die Verwertung von Erkenntnissen Verdeckter Ermittler im Übrigen 45
Jenseits der Verwertbarkeit sog. Zufallsfunde enthalten die §§ 110a ff. keine Bestimmung darüber, in welchem Umfang die Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers zu Beweiszwecken gegen den Beschuldigten insbesondere dann Verwendung finden dürfen, wenn sich die Anordnung des Einsatzes als rechtswidrig herausstellt. Wenngleich die StPO an verschiedenen Stellen Beweisverwertungsverbote ausdrücklich regelt (z.B. in §§ 136a Abs. 3 Satz 2; 252, vgl. auch § 51 BZRG), kann aus dem Fehlen einer vergleichbaren Regelung für Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers aber nicht der Umkehrschluss der unbegrenzten Verwertbarkeit gezogen werden.136 Denn bei Erlass des OrgKG hatte sich seit langem außerhalb des Anwendungsbereichs des § 136a eine umfangreiche Rechtsprechung zu ungeschriebenen Verwertungsverboten – insbesondere auch für die Telefonüberwachung – entwickelt. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber ersichtlich vorausgesetzt. Seine Entscheidung, die Verwertbarkeit der Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers nicht gesetzlich zu normieren, muss dahin gedeutet werden, es solle auch hier der Rechtsprechung überlassen bleiben, die Grenzen der Verwertbarkeit zu bestimmen. 46 Ein allgemein anerkanntes, normübergreifendes Erklärungsmodell zur Entstehung von Beweisverwertungsverboten haben – trotz zahlreicher Ansätze – bislang weder die Rechtswissenschaft noch die Rechtsprechung entwickelt.137 Die Rechtsprechung greift daher von Fall zu Fall auf Begründungsmuster zurück, die sich in einer zunehmend schwerer zu überschauenden Kasuistik zu einzelnen Beweismitteln und Beweismethoden entwickelt haben. Besondere Bedeutung gewinnen für die vorliegende Frage Entscheidungen, die sich zu Beweisverwertungsverboten einerseits im Zusammenhang mit Durchsuchung und Beschlagnahme, andererseits bei der Telefonüberwachung beschäftigt haben.138
136 137
433 m.w.N.; vgl. dazu auch OLG Hamburg, Beschl. vom 10. Dezember 1997 – 2 Ws 281/97: dort war ein VE zunächst nur zur Legendenbildung kraft Polizeirechts tätig, erlangte dabei aber schon ermittlungsrelevante Informationen; diese – so das OLG – seien im Strafverfahren verwertbar, ohne dass die bisherige Tätigkeit des VE den Zustimmungserfordernissen des § 110b unterlegen hätte. Jähnke FS Odersky 427, 428. Vgl. dazu zunächst LR/Gössel Einl. K; Alsberg/Nüse/Meyer Der Beweisantrag im Strafprozeß 476 ff.; Amelung Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß (1990); Amelung NJW 1991 2533; Beulke StV 1990 184; Bottke Jura 1987, 366; Dencker Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977); Fezer Grundfragen der Beweisverwertungsverbote (1995); Fezer StV 1989 290, 294; Gössel GA 1991 483; Grünwald JZ 1966 489 ff.; Hauf NStZ 1993 457; Jähnke aaO 429; Meyer-Goßner Einl. Rn. 55; KK/Pfeiffer5 Einl. Rn. 20; Ranft FS Spendel 719; Rogall JZ 1996 947; Störmer Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote (1992);
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vgl. auch die Gutachten (Verhandlungen des 46. DJT 1966, Band I, Teil 3a) u.a. von Jescheck Generalgutachten; Peters Beweisverbote im Deutschen Strafverfahren; Rupp Beweisverbote im Strafprozeß in verfassungsrechtlicher Sicht; aus jüngerer Zeit Jahn Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages Erfurt 2008, Band I: Gutachten/Teil C: Beweiserhebung und Beweisverwertungsverbote im Spannungsfeld zwischen den Garantien des Rechtsstaates und der effektiven Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus; Rogall JZ 2008 818; ders. FS Rieß 951; Amelung JR 2008 327, ders. FS Roxin I 1259; ders. Prinzipien strafprozessualer Beweisverwertungsverbote (2011). Vgl. nur BGHSt 26 298, 303; 28 122, 124; 29 23; 30, 317 = NStZ 1982 125 mit Anm. Odenthal NStZ 1982 390; Heldenberg LM Nr. 7 zu § 100a StPO; BGHSt 31 296; 32 10, 15; 32 68 mit Anm. Schlüchter JR 1984 517; Wolter NStZ 1984 276; Gössel NJW 1981 649, 654 f.; Gössel JZ 1984 361, 362; Schlüchter NStZ 1984 373; Rogall NStZ 1988 385; BVerfG NStZ 1988 32 mit Anm. Schlink NJW 1989 11; BGHSt 44 243 =
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1. Verwertbarkeit rechtmäßig gewonnener Erkenntnisse a) Erkenntnisse aus Strafverfolgung. War die Anordnung des Einsatzes des Verdeck- 47 ten Ermittlers rechtmäßig, lagen also vor dem Einsatz die materiellen und formellen Voraussetzungen der §§ 110a, 110b und 110c vor, so tritt das Problem auf, inwieweit Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers im weiteren Verfahren zur Beweisführung dann noch herangezogen werden können, wenn der Anfangsverdacht der Tat, welche die Anordnung gerechtfertigt hatte, nicht erhärtet, stattdessen dem Beschuldigten aber mittels der Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers eine andere Straftat nachgewiesen werden könnte. Der Wortlaut des § 110a Abs. 1 gibt darauf keine Antwort. Er besagt nicht, dass Ver- 48 deckte Ermittler nur zur Aufklärung der dort genannten Straftaten von erheblicher Bedeutung eingesetzt werden dürften, und er sagt nichts über die Grenzen der Verwertbarkeit bei Fragen der vorliegenden Art. § 110a ist lediglich eindeutig zu entnehmen, dass die Vorschrift für den Einsatz Verdeckter Ermittler voraussetzt, dass der qualifizierte Verdacht besteht, es sei eine solche Straftat begangen worden. Die Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse ist nach den gleichen Grundsätzen zu beantworten, wie sie auch für § 100a gelten und dort durch die Rechtsprechung erörtert wurden. Hierzu hat der Bundesgerichtshof bereits in der Entscheidung BGHSt 28 122, 124 klargestellt, dass aus der rechtlich einwandfreien Anordnung der Telefonüberwachung nicht folge, dass die so gewonnenen Erkenntnisse ohne weiteres zum Nachweis einer jeden Straftat verwendet werden dürften.139 Es gebe Beweisverwertungsverbote, bei denen die Unzulässigkeit der Beweisgewinnung nicht vorausgesetzt wird. § 100a StPO stelle eine nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG zugelassene gesetzliche Beschränkung des Grundrechts der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) dar. Das fordere eine den Wertgehalt eben dieses Grundrechts wahrende Auslegung und Anwendung der Eingriffsnorm. Danach ist insbesondere auch vor dem Hintergrund der Verwendungsregelung des § 477 Abs. 2 Satz 2, die teilweise ältere Literatur und Rechtsprechung gegenstandslos macht,140 zwischen zwei Fallgruppen zu unterscheiden. aa) Fallgruppe 1. Zufallserkenntnisse dürfen als Beweismittel verwertet werden, 49 wenn sich zwar der Verdacht der Katalogtat, die Anlass zur Anordnung der Maßnahme gewesen war, nicht erhärten ließ, aber die gewonnenen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen, dass die Anordnung wegen einer anderen Katalogtat zulässig gewesen wäre. Diese Grundsätze des hypothetischen Ersatzeingriffs liegen der gesetzlichen Regelung in § 477 Abs. 2 Satz 2 (ebenso in § 100d Abs. 5 Nr. 1) zu Grunde und rechtfertigen sogar die Verwertung erlangter Erkenntnisse in anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten, aber auch gegen Dritte. Erst recht müssen diese Erkenntnisse dann in demselben Verfahren verwendbar sein (Beispiel: Der Einsatz erfolgte wegen des Verdachts einer erheblichen Tat auf dem Gebiet des Betäubungsmittelverkehrs, die erlangten Erkenntnisse führten aber dazu, dass das untersuchte Verhalten einen bandenmäßig begangenen Raub
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NJW 1999 959 = NStZ 1999 203 = StV 1999 185. Vgl. zum Ganzen auch Meier Die strafprozessuale Verwertung von Zufallsfunden über Unbeteiligte und die von unbeteiligten Dritten herrühren bei Abhörmaßnahmen nach § 100a StPO (1988); KK/Nack Rn. 1. Insoweit ausdrücklich gegen W. B. Schüne-
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mann NJW 1978 406; Sax JZ 1965 1, 6 und OLG Hamburg NJW 1973 157; vgl. auch die ablehnenden Anm. zu der letztgenannten Entscheidung von Weber NJW 1973 1056; Schroeder JR 1973 253; Welp JZ 1973 289 und Rudolphi FS Schaffstein 433, 449. Dazu 24. Aufl. § 100a, 28 ff.
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darstellte). Ob es wegen der anderen Tat, wegen welcher der qualifizierte Verdacht ebenfalls hätte bejaht werden können, zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung kommt, spielt keine Rolle.141
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bb) Fallgruppe 2. Die Grundsätze des hypothetischen Ersatzeingriffs und die Anwendung des § 477 Abs. 2 Satz 2 versagen natürlich, wenn sich der Verdacht der Katalogtat nicht erhärtet und lediglich der Verdacht einer anderen Tat bestehen bleibt, wegen der die Anordnung der Maßnahme nicht zulässig gewesen wäre. In diesen Fällen waren nach der Rechtsprechung zu § 100a die erlangten Erkenntnisse nur dann und nur soweit verwertbar, als bezüglich der verbleibenden Tat ein enger Bezug (oder: Zusammenhang) zu der in der Anordnung aufgeführten Katalogtat besteht.142 Dieser Begriff erscheint zunächst reichlich unscharf.143 Indessen wurde er durch die Rechtsprechung praktisch dahin konkretisiert, dass ein solcher Zusammenhang zwischen der Katalogtat des § 129 StGB und den Taten besteht, auf deren Begehung die kriminelle Vereinigung abzielt,144 und im Übrigen darauf abzustellen ist, ob die verbleibende Nichtkatalogtat denselben Prozessgegenstand bildet, wie die zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme angenommene Katalogtat.145 Dabei kommt es nicht darauf an, ob wegen der Katalogtat Anklage erhoben wird oder Verurteilung erfolgt. Eine Verwertung derartiger Erkenntnisse in Verfahren gegen Dritte scheidet aus.146 Dieses Ergebnis hat im Schrifttum Widerspruch gefunden. Ein nicht bestätigter An51 fangsverdacht könne niemals Grundlage der Verwertbarkeit sonstiger Nichtkatalogtaten sein.147 Die Voraussetzungen des § 100a, nichts anderes gilt für § 98c, § 100d Abs. 5 Nr. 1 und schließlich hier § 110a,148 limitieren auch die Verwertbarkeit erlangter Erkenntnisse. Für diese Auffassung spricht angesichts der Neuregelungen in § 477 Abs. 2 Satz 2 und § 100b Abs. 5 Nr. 1, die auf den hypothetischen Ersatzeingriff abstellen, viel. Sie wird aber der Verfahrenspraxis nicht gerecht. Die Frage der Verwertbarkeit einzelner Beweismittel kann innerhalb eines Prozessgegenstands nur einheitlich behandelt werden; sonst hinge die Verwertbarkeit stets von der jeweiligen Beweislage ab und könnte innerhalb des Laufs des Verfahrens,149 ja von Hauptverhandlungstag zu Hauptverhandlungstag wechseln mit der Folge, dass möglicherweise von Zeugenaussage zu Zeugenaussage die Verwertbarkeit und damit auch der Tatverdacht mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen ändert.150 Einer zu weitgehenden Verwertung von Erkenntnissen, muss anders begegnet werden. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Präzisierung des Anfangsverdachts bei Durchsuchungen (§ 105, 48 ff.) sind der bessere Ansatz.
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b) Erkenntnisse aus präventiver Tätigkeit. Präventiv-polizeilich erlangte Erkenntnisse eines Verdeckten Ermittlers sind im Strafverfahren heute nur noch in gewissen Grenzen 141 142
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BGH NStZ 1998 426; KK/Nack5 § 100a, 45. BGHSt 26 298; 27 355; 28 122; 29 22; NJW 1979 1370; BGH NStZ 1998 426; BVerfG NStZ 1988 32; Schlüchter Rn. 352, 2; KK/Nack § 100a, 22; Meyer-Goßner § 100a, 16 f.; Rieß JR 1979 167, 168; kritisch zu BGH NStZ 1998 426 Kretschmer StV 1999 223; zu BVerfG NStZ 1988 32 Schlink NJW 1989 11. Zutreffend BVerfG (Kammer) NStZ 1988 32; Rieß JR 1983 125, 126.
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148 149 150
BGHSt 28 122; KK/Nack § 100a, 46. KK/Nack § 100a, 46; Meyer-Goßner 19. Meyer-Goßner § 100a, 20. SK/Wolter § 100d, 35 f.; Peters 452; Kretschmer StV 1999 225; Küpper JZ 1990 416, 422; Prittwitz StV 1984 302, 307; Welp Jura 1981 427, 478. Zutreffend Kretschmer StV 1999 221, 227. BGHSt 22 122. Zutreffend Rieß JR 1979 168, a.A. aber Welp Jura 1981 478; Roxin 25 § 34 C IV 4.
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verwertbar. Insbesondere müssen beim polizeilichen Einsatz zwar nicht alle Voraussetzungen des § 110a oder des § 110b vorgelegen haben; allerdings bestimmt § 161 Abs. 2 Satz 1 heute ausdrücklich, dass „die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen.“ Es gilt also die Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs. Schon der im Regierungsentwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 vorgeschlagene § 161 Abs. 2151 wollte die Verwendung an das Vorliegen einer entsprechenden Katalogtat knüpfen. Er hatte gelautet: „Sind personenbezogene Informationen durch eine polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden, die der Maßnahme nach § 98a entspricht, dürfen sie zu Beweiszwecken nur verwendet werden,, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer in § 98a Abs. 1 bezeichneten Straftat benötigt werden. Satz 1 gilt entsprechend, soweit polizeirechtliche Maßnahmen den in § 100c Abs. 1 Nr. 2, § 110a genannten Maßnahmen entsprechen.“152
Diese Vorschrift scheiterte aber zunächst im Vermittlungsausschuss.153 Der Bundesrat 53 hatte sich insbesondere auf BGH NStZ 1992 44, 45 berufen, wonach die Verwendung von Präventivdaten grundsätzlich für unbeschränkt zulässig erachtet wurde. Die in dem Gesetz aufgegriffene Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs sei dogmatisch weder ausgereift noch abschließend geklärt. Es bestehe kein Anlass, die Nutzung rechtmäßig erhobener Daten für Strafverfolgungszwecke generell zu beschränken.154 Eine vergleichsweise wenig gewichtige Einschränkung für die Verwendbarkeit präventiv-polizeilich erlangter Daten aus einem Einsatz Verdeckter Ermittler enthielt dann aber § 161 Abs. 2 a.F. (in der Fassung des StVÄG 1999). Danach waren Erkenntnisse aus dem präventivpolizeilichen Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung bei nicht offenen Ermittlungen, die in – etwa durch Abhören der Vorgänge während des Einsatzes des verdeckten Ermittlers zu dessen Schutz – in der Wohnung oder aus Wohnungen erlangt wurden, zu Beweiszwecken im Strafverfahren155 unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, also stets zur Verfolgung erheblicher Straftaten, uneingeschränkt verwertbar, wenn nur das Amtsgericht die Rechtmäßigkeit des Einsatzes technischer Mittel festgestellt hatte. 2. Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Erkenntnisse a) Fehlende Einsatzvoraussetzungen nach § 110a Abs. 1. Dem § 110a Abs. 1 kann die 54 grundlegende gesetzgeberische Wertung entnommen werden, dass die Strafverfolgungsbehörden sich nur dann der Erkenntnisse Verdeckter Ermittlungen bedienen dürfen, wenn es um die Aufklärung sog. Katalogtaten geht und die Aufklärung bei Verzicht auf den Einsatz des Verdeckten Ermittlers wesentlich erschwert wäre (Subsidiaritätsklausel des § 110a Abs. 1 Satz 3). Stehen solche Taten nicht in Rede oder ist der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers für die Ermittlungen wegen anderweitiger erfolgversprechender
151 152 153
BTDrucks. 14 1484 S. 6. § 100f Abs. 2 a.F. sollte unberührt bleiben: BTDrucks. 14 1484 S. 23. BTDrucks. 14 3525 S. 2. Zum Gesetzgebungsverfahren m.w.N. Hilger NStZ 2000 561, 564.
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BTDrucks. 14 2886 S. 3. Also nicht, soweit die Erkenntnisse als Ermittlungsansatz dienen; vgl. Hilger NStZ 2000 561, 564.
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Ermittlungsmöglichkeiten nicht erforderlich, so dürfen Verdeckte Ermittler nicht eingesetzt, ihre dennoch gewonnenen Erkenntnisse im Grundsatz auch nicht zur Aufklärung sonstiger Straftaten verwertet werden. Dennoch lässt sich aus dieser grundsätzlichen Positionsbestimmung nicht ohne weiteres ein allgemeines Beweisverwertungsverbot entwickeln. Die Komplexität dieser Frage hängt vielmehr damit zusammen, dass das Gesetz zu verschiedenen Stadien des Verfahrens die Prüfung, ob die Einsatzvoraussetzungen des § 110a Abs. 1 vorliegen, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Ermittlungsrichter, dem Tat- und schließlich dem Revisionsgericht in die Hände legt.156 Mit zunehmendem Wissensstand kann sich der ursprüngliche Verdacht einer Katalogtat zur Gewissheit verdichten oder auch erledigen. Bei der Frage, ob die Anordnung des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers rechtswidrig oder rechtmäßig war, muss deshalb auch eine Antwort darauf gegeben werden, auf wessen Sicht der Dinge und auf welchen Zeitpunkt dabei abzustellen ist und in welchem Umfang Tat- und Revisionsgericht befugt sein sollen, die im Ermittlungsverfahren getroffenen Entscheidungen nachträglich rechtlich zu überprüfen. Staatsanwalt und Ermittlungsrichter haben im Rahmen der von ihnen nach § 110b 55 zu treffenden Entscheidungen kein abschließendes Urteil über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes zu fällen. Vielmehr haben später das Tat- und auch das Revisionsgericht die Kompetenz, die Entscheidungen des Staatsanwalts und des Ermittlungsrichters zu überprüfen.157 Das gilt aber – soweit davon die Annahme eines Verwertungsverbots abhängen soll – nicht uneingeschränkt, denn es würde zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen, wenn Einsätze verdeckter Ermittler, die ursprünglich von den zuständigen Stellen nach bestem Wissen und Gewissen eingeleitet waren, sich häufig auf Grund rückblickender Betrachtung als rechtswidrig herausstellen müssten. Maßstab für die nachträgliche Überprüfung muss deshalb die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnungsbzw. Zustimmungsentscheidung sein. Schon für den Bereich der §§ 100a ff. hat deshalb die Rechtsprechung wie folgt differenziert: Nicht verwertbar sind die Erkenntnisse dann, wenn bei Anordnung des Einsatzes eines eingriffsintensiven Ermittlungsinstruments der Verdacht einer Katalogtat aus Rechtsgründen nicht vorlag,158 wenn also die zutreffende rechtliche Würdigung der bei Anordnung des Einsatzes bekannten Tatsachen den Verdacht einer Katalogtat von vornherein ausgeschlossen hätte. Problematischer ist es, wenn die Annahme des Verdachts einer Katalogtat tatsächlichen Zweifeln unterliegt, also fraglich ist, ob das der Anordnung zugrunde gelegte Tatsachenmaterial ausreichend war oder ob „mildere“ Ermittlungsmaßnahmen nicht hinreichend erfolgversprechend gewesen wären. Hier stehen Tat- und auch Revisionsgericht regelmäßig vor dem Problem, dass sich die Situation zum Zeitpunkt der Anordnung kaum noch rekonstruieren lässt.159 Ein Beweisverwertungsverbot muss hier auf Fälle grober Rechtsverstöße bei der Anordnung beschränkt bleiben. Solche Verstöße liegen vor bei willkürlichen, d.h. objektiv nicht mehr vertretbaren Entscheidungen160 – sei es zur Frage des Verdachts einer Katalogtat, sei es zur Frage der Subsidiarität des Ermittlungsinstruments –, ebenso bei offenkundigen Umgehungen der gesetzlichen Einsatzbeschränkungen. Im Ergebnis haben Tat- und Revisionsgericht insoweit also einen Beurteilungsspielraum der Ermittlungsbehörden und des Ermittlungsrichters hinzunehmen, der – analog der allgemeinen Ermessenslehre – nur auf
156
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Zu dieser Struktur von unterschiedlich gestaffelten Zustimmungsvorbehalten grundlegend Schnarr NStZ 1991 209 ff. Dazu, dass die Prüfungskompetenz beider gleich weit reicht: BGH StV 1995 226, 227.
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Vgl. § 100a, 118 m.w.N. Vgl. § 100a, 120 m.w.N. BGH StV 1995 226, 228; BGH NJW 1996 2518, 2519 mit abl. Anm. Weßlau StV 1996 578.
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schwere Rechtsfehler hin zu überprüfen ist. Diese schon zu den §§ 100a ff. entwickelten Grundsätze lassen sich auf die Verwertung von Erkenntnissen Verdeckter Ermittler übertragen. b) Fehlende Verfahrensvoraussetzungen im Sinne von § 110b. Probleme bereiten aber 56 insbesondere Fälle, in denen (lediglich) Anordnungskompetenzen missachtet worden sind. Der Rechtsfehler, der die Anordnung dabei rechtswidrig werden lässt, liegt nicht in einer Missachtung der „materiellen“ Anordnungsvoraussetzungen im Sinne von § 110a begründet, sodass sich im Hinblick auf mögliche Verwertungsverbote regelmäßig die Frage nach der Bedeutung eines „hypothetischen Ersatzeingriffs“ stellt, also die Feststellung, dass die in Wahrheit zur Anordnung der Maßnahme berufene Stelle, wäre sie eingeschaltet worden, die Anordnung hätte ebenso (rechtmäßig) treffen können. Dass die Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs auch bei Verstoß gegen Anordnungskompetenzen ein Verwertungsverbot ausschließen kann, ist etwa für Rechtsverstöße bei der Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme seit langem anerkannt.161 Teilweise wird daraus gefolgert, der Berücksichtigung solcher Hypothesen liege ein allgemeines Prinzip zugrunde, das für den gesamten Bereich des Strafprozessrechts Gültigkeit habe.162 Dem ist die Rechtsprechung für fehlerhafte Anordnungen von Telefonüberwachung 57 jedoch nicht gefolgt. So hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 100b ein Verwertungsverbot angenommen,163 wobei in dem dort entschiedenen Fall allerdings hinzutrat, dass der Beschuldigte zugleich entgegen § 136a durch Täuschung zu einer telefonischen Selbstbelastung veranlasst worden war.164 Der 3. Strafsenat hat – ohne dass es für seine Entscheidung im konkreten Fall darauf angekommen wäre – daraus allgemein gefolgert, die Erkenntnisse aus rechtswidrig angeordneter Telefonüberwachung dürften nicht verwertet werden.165 Der 4. Strafsenat hat die Erkenntnisse aus einer ohne richterliche Anordnung geschalteten Zählervergleichseinrichtung ohne weiteres für unverwertbar gehalten.166 Dem hat sich die h.M. jedenfalls insoweit angeschlossen, als beispielsweise eine bloße Anordnung der Telefonüberwachung durch die Polizei – weil im Gesetz unter keinen Umständen vorgesehen – als besonders schwerer Verfahrensverstoß ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen soll,167 weil sonst im Ergebnis auf die Anordnungsvoraussetzungen des § 100b völlig verzichtet werde, das Erfordernis richterlicher Zustimmung daher leerlaufen könne. Auch wenn die Rechtsprechung anfangs ein Verwertungsverbot bei Verstoß gegen den Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung nur für Fälle angenommen hatte, bei denen weitere (rechtswidrige) Umstände hinzugetreten waren, ist inzwischen weithin anerkannt, dass auch die Verletzung des Richtervorbehalts – für sich genommen – bereits ein Beweisverwertungsverbot auslöst. Mithin stehen sich – was die Begründung von Beweisverwertungsverboten infolge 58 mangelhafter Anordnung von Eingriffen angeht – zwei Erklärungsmodelle gegenüber. Die besseren Gründe sprechen dafür, die zur Telefonüberwachung entwickelten Grund-
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Grundlegend dazu Rogall NStZ 1988 385 ff.; BGH NStZ 1989 375 mit zust. Anm. Roxin; dazu auch Fezer StV 1989 290, 294; Krekeler NStZ 1993 263; Jähnke FS Odersky 427, 433; KK/Nack § 94, 18; Meyer-Goßner § 94, 21; SK/Wohlers § 98, 63; a.A. Kühne NJW 1979 1053, 1054.
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Jähnke aaO. BGHSt 31 304, 306. Vgl. dazu auch § 100a, 130, 131. BGHSt 32 68, 70. BGHSt 35 32, 33. KK/Nack § 100a, 37; Meyer-Goßner § 100a, 21.
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sätze auf die Frage der Verwertbarkeit von Erkenntnissen Verdeckter Ermittler zu übertragen und die Frage nach einem hypothetischen Ersatzeingriff nur im Bereich der klassischen Eingriffsbefugnisse der StPO, nicht jedoch für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zuzulassen.
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aa) Fehlende Zustimmung des Richters. Die Diskussion um die Tragweite von Verfahrensverstößen hat sich vorwiegend an der Frage entzündet, ob die fehlende Zustimmung des Richters ein Beweisverwertungsverbot auslöse.168 Das hat seine Ursache insbesondere darin, dass die gesetzgeberische Entscheidung, den Richter bei der Anordnung des Einsatzes Verdeckter Ermittler zu beteiligen, heftiger Kritik unterliegt.169 Aus den gesetzlichen Ungereimtheiten der im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht vorgesehenen Regelung wird versucht, Rückschlüsse auf die – in Ansehung eines Beweisverwertungsverbots – mindere Bedeutung des entsprechenden Verfahrensverstoßes herzuleiten.170 Doch überzeugt dieser Ansatz, der im Ergebnis darauf hinausläuft, die als nicht sachgerecht angesehene Regelung des Richtervorbehalts zu unterlaufen, nicht.171 Gegenüber den klassischen Eingriffsbefugnissen der StPO sind die Telefonüberwa60 chung und auch der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers Maßnahmen, die nicht nur in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Beschuldigten, sondern auch einer nicht überschaubaren Anzahl von Dritten eingreifen (§ 100a, 10). Das Gesetz hat – und dies rechtfertigt eine Gleichbehandlung beider Maßnahmen in Bezug auf die Entstehung von Verwertungsverboten – dieser Gewichtung zum einen in materieller Hinsicht durch die Anbindung dieser Maßnahmen an sog. Katalogtaten, ferner durch die Subsidiaritätsklauseln Rechnung getragen.172 Zum anderen hat es die Rechtmäßigkeit der Anordnung von richterlicher Zustimmung abhängig gemacht. Bei aller Kritik am Richtervorbehalt des § 110b ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber damit eine besondere Absicherung der Beschuldigten- und (Dritt-)Betroffenenrechte im Auge hatte. Denn anders als bei den „klassischen“ Zwangsmaßnahmen der StPO treten die Ermittlungsbehörden hier nicht offen auf, bieten den betroffenen Personen schon von daher zunächst keine Angriffsfläche zur rechtsstaatlichen Kontrolle, weil der Eingriff unbemerkt bleibt. Mehr als bei offen vorgenommenen Ermittlungsmaßnahmen erweist sich hier der Richtervorbehalt als Korrelat dafür, dass in erheblicher Weise in die Grundrechte von Bürgern eingegriffen werden soll, ohne ihnen zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. Somit wird der Richter in diesem Stadium des Verfahrens zum besonderen Sachwalter der Rechte Betroffener, seine Zustimmung dient – gerade auch im Lichte der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG – einer Präventivkontrolle im Sinne präventiven Grundrechtsschutzes, den die Betroffenen in diesem Stadium des Verfahrens mangels Kenntnis der gegen sie gerichteten Maßnahme noch nicht einfordern können.173 Der Richter hat mithin nicht allein über die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung zu befinden, sein Tätigwerden ist zugleich Surrogat für wesentliche Verfahrensrechte der Betroffenen, die – das folgt aus der Natur der heimlichen Ermittlungsmaßnahme – vorläufig außer Kraft gesetzt sein müssen. Würde seine Zustimmung bei der Frage der Verwertbarkeit von Erkenntnissen Verdeckter Ermittler
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Noch offengelassen in BGH StV 1995 398; verneinend: Jähnke FS Odersky 427 ff.; für ein Verwertungsverbot KK/Nack § 110b, 7 i.V.m. 14; Meyer-Goßner § 110b, 11; HK/Gercke § 110a, 25. Vgl. dazu § 110b, 9; Jähnke FS Odersky 427 ff.
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Jähnke FS Odersky 427 ff. So auch KK/Nack § 110b, 7, 13; MeyerGoßner § 110b, 11; differenzierend Zaczyk StV 1993 490, 497 f. Vgl. § 110a, 32. Schnarr NStZ 1991 209, 210.
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durch die Frage nach einem hypothetischen Ersatzeingriff ersetzt, ließe sich damit nur die materielle Rechtmäßigkeit des Einsatzes fingieren, die grundgesetzlich verbrieften Verfahrensrechte der Betroffenen, die der Richter stellvertretend hätte wahrnehmen sollen, blieben jedoch irreparabel verletzt. Auf einer so mangelhaften Verfahrensgrundlage bliebe jede hypothetische Sachentscheidung wertlos. Gerade der Umstand, dass die richterliche Zustimmung von Polizeipraktikern vielfach 61 als hinderlich bis unsinnig eingestuft wird, lässt besorgen, dass die Versuchung groß sein kann, auf die Hinzuziehung des Richters beim Einsatz Verdeckter Ermittler zu verzichten. Ließe sich dies im weiteren Verfahren allein mit dem Hinweis darauf heilen, die materiellen Voraussetzungen des § 110a hätten vorgelegen, wäre dem Richtervorbehalt jede Wirkung und Bedeutung genommen.174 Dem kann nur durch ein striktes Beweisverwertungsverbot für die ohne richterliche Zustimmung erzielten Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers begegnet werden. Im Grundsatz neigt auch der Bundesgerichtshof dieser Auffassung zu. So hat der 3. Strafsenat175 für Abhörmaßnahmen nach § 100c entschieden, dass zwar – mangels gesetzlich geregelten Verwertungsverbots – ein Verbot der Verwertung von Erkenntnissen allein aus der Güterabwägung zwischen den widerstreitenden Interessen, unter besonderer Berücksichtigung des Gebots der Wahrheitserforschung einerseits und der Art und des Gewichts des Verfahrensverstoßes andererseits folgen könne. Jedoch komme, wenn – wie im Falle von Abhörmaßnahmen – in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen oder andere Grundrechte eingegriffen werde, Verfahrensverstößen bei dieser Abwägung regelmäßig ein besonderes Gewicht zu, welches es nahelege, aus der fehlenden richterlichen Anordnung ein Beweisverwertungsverbot abzuleiten. Allerdings unterliegt dieser Grundsatz vier Einschränkungen: Die erste zielt auf die 62 materiellen Einsatzvoraussetzungen und besagt, dass die richterliche Zustimmung nicht notwendig auf diejenige Katalogtat oder sonstige besonders schwere Straftat bezogen sein muss, die sich bei den weiteren Ermittlungen herausstellt. Das ergibt sich bereits aus den Ausführungen in Rn. 42 bis 44. Es liegt somit kein Fall der fehlenden richterlichen Zustimmung vor, wenn der Richter wegen des Verdachts einer bestimmten Katalogtat seine Zustimmung erteilt hat, sich dann aber eine andere Tat herausstellt, zu deren Aufklärung nach den oben aufgestellten Maßstäben die Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers herangezogen werden dürfen. Das muss deshalb so sein, weil der Richter seine Zustimmung nur auf der Grundlage des Tatsachenmaterials erteilen kann, welches ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegt. Über eine Verwertbarkeit der Erkenntnisse des Verdeckten Ermittlers für die Aufdeckung anderweitiger Straftaten hat später nicht mehr der Ermittlungsrichter, sondern der Tatrichter (und gegebenenfalls das Revisionsgericht) zu entscheiden. Ein Beweisverwertungsverbot entsteht auch dann nicht, wenn Polizei oder Staatsan- 63 waltschaft die Einschaltung des Ermittlungsrichters nur deshalb nicht veranlasst haben, weil sie rechtsirrig den Begriff der Gefahr im Verzug falsch interpretiert haben, ohne dabei willkürlich oder in der Absicht, den Richtervorbehalt zu umgehen, zu handeln.176 Das ist auch für sonstige Fälle der Eilanordnung von Ermittlungsmaßnahmen wegen Gefahr im Verzug anerkannt und folgt aus der in Rn. 55 dargelegten Schwierigkeit, die Entscheidungen der Ermittlungsbehörden nachträglich zu rekonstruieren und zu überprüfen.
174 175 176
Meyer-Goßner § 110b, 11. BGHSt 44 243. § 98, 7; § 100b, 23; § 98, 37 und 75;
§ 100a, 130; vgl. dazu auch KK/Nack § 110b, 13; Meyer-Goßner § 110b, 11; SK/Wolter § 110b, 14.
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Die dritte Einschränkung eines Beweisverwertungsverbots bei fehlender richterlicher Zustimmung nach § 110b Abs. 2 betrifft die Kompetenzverteilung zwischen Richter und Staatsanwalt.177 Wie bereits dargelegt,178 sieht der Bundesgerichtshof hier ein „duales System“ der Kompetenzen, in dessen Rahmen zunächst der Staatsanwalt in eigener Zuständigkeit und Verantwortung über seine Zustimmung zum VE-Einsatz nach § 100b Abs. 1 und – bei Gefahr im Verzug – auch nach § 100b Abs. 2 Satz 2 entscheidet. Die gemäß § 110b Abs. 2 Satz 4 binnen drei Werktagen einzuholende Entscheidung des Richters stellt keine Kontrolle der vorangegangenen Entscheidung der Staatsanwaltschaft „ex tunc“ dar mit der Folge, dass der Richter diese staatsanwaltschaftliche Zustimmung aufheben oder unwirksam machen könnte, vielmehr übernimmt der Ermittlungsrichter mit seiner Entscheidung die Verantwortung nur für die Fortdauer der Maßnahme („ex nunc“).179 Das hat zur Folge, dass Fälle, in denen sich ein VE-Einsatz, der wegen Gefahr im Verzug zunächst nur von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft getragen war, vor Zustimmung des Richters erledigt hat oder in denen ein solcher Einsatz kurzfristig noch vor Ablauf der Frist des § 110b Abs. 2 Satz 4 beendet wird, keine Beweisverwertungsverbote hinsichtlich der in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse auslösen, weil etwa die (dann entbehrliche) richterliche Zustimmung gefehlt hätte. Das gilt selbst dann, wenn der Ermittlungsrichter später angerufen wird und seine Zustimmung zum VE-Einsatz verweigert. Auf die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse wirkt sich diese Verweigerung der Zustimmung, die nur für die Zukunft rechtliche Bedeutung hat, nicht aus.180 Die vierte Einschränkung ist Folge der Rechtsnatur des Beweisverwertungsverbots. 65 Dieses ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern ist das Ergebnis einer Güterabwägung zwischen dem Gebot der Erforschung der Wahrheit einerseits und dem Gewicht des Verfahrensverstoßes andererseits, welches im Wesentlichen gekennzeichnet ist von der Schwere der Rechtsgutbeeinträchtigung, die die Maßnahme für den Beschuldigten in sich birgt. Insoweit ist zunächst auf die Ausführungen zu § 100a (dort Rn. 123) zu verweisen. Im Regelfall gilt, dass das Gesetz – losgelöst von der – m.E. zu bejahenden – Frage, ob etwa der Einsatz des VE in Wohnungen einen echten Grundrechtseingriff darstellt (vgl. insoweit Rn. 23 zu § 110c) – mit dem Erfordernis richterlicher Zustimmung zumindest eine Werteentscheidung dahingehend getroffen hat, dass die verletzten Rechtspositionen des Beschuldigten beim qualifizierten Einsatz des VE im Sinne von § 110b Abs. 2 verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen gleichgestellt sind. Daraus folgt, dass (nur) im Regelfall die mangelhafte richterliche Anordnung bei Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu einem Verwertungsverbot führt, sich andererseits aber Fälle denken lassen, deren Besonderheiten bei Abwägung aller Umstände zu einem anderen Ergebnis führen. So kann die fehlende richterliche Zustimmung beispielsweise dann weniger schwer wiegen, wenn sie auf einem – nicht willkürlichen – bloßen Rechtsirrtum über die Berechnung der Zustimmungsbefristung beruht.181
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bb) Fehlende Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Gerade die vom Bundesgerichtshof angestellten Überlegungen zur Eigenverantwortung des Staatsanwalts im Rahmen dieses „dualen Systems“ zeigen, dass die Zustimmung des Staatsanwalts nach § 110b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 gegenüber der Zustimmung des Ermittlungsrichters keine „mindere Qualität“ aufweist, die es rechtfertigen könnte, der fehlenden Zustimmung des
177 178 179
Vgl. dazu § 110b, 14. § 110b, 14. BGHSt 41 64 ff. = StV 1995 281 = NStZ 1995 516; Schnarr NStZ 1991 209, 214 ff.
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BGH aaO; Einzelheiten unten § 110b, 14. Vgl. dazu BGHSt 44 243, 248 (die Entscheidung ist zu § 100c ergangen).
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Staatsanwalts zum VE-Einsatz bei der Frage nach beweisrechtlichen Konsequenzen geringere Bedeutung beizumessen als der fehlenden Zustimmung des Ermittlungsrichters. Der Staatsanwalt hat in eigener Kompetenz in gleichem Umfang wie der Ermittlungsrichter die Grund- und Verfahrensrechte der von einem VE-Einsatz betroffenen Bürger zu wahren und dies – in Abwägung mit seiner Ermittlungsaufgabe – zum Maßstab für seine Entscheidung zu machen. Daraus folgt umgekehrt, dass VE-Einsätze, die die Polizei ohne die rechtlich gebotene Zustimmung des Staatsanwalts durchführt, im Regelfall auch nicht zu im Prozess verwertbaren Erkenntnissen führen können. Entsprechend dem oben Gesagten ist eine Ausnahme aber wiederum für den Fall zu machen, in denen die Polizei rechtsirrig, aber ohne Willkür, die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug bei einer Anordnung nach § 110b Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 Satz 3 annimmt.182 Als Herrin des Ermittlungsverfahrens übt die Staatsanwaltschaft bei ihrer Zustimmungsentscheidung aber auch „ex tunc“ eine rechtliche Kontrolle über eine bereits erfolgte Eilanordnung der Polizei aus. Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zum Verhältnis von Staatsanwalt und Ermittlungsrichter aufgestellt hat, können insoweit nicht gelten. Verweigert der Staatsanwalt deshalb nachträglich die Zustimmung zu einem wegen Gefahr im Verzug von der Polizei angeordneten Eileinsatz, so begründet dies ein Verwertungsverbot auch für die Erkenntnisse, die bis zur ablehnenden Entscheidung des Staatsanwalts bereits gewonnen waren. cc) Mängel in der Zustimmungsbegründung.183 Das Schriftformerfordernis des § 110b 67 Abs. 1 Satz 3 stellt nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs lediglich eine Formvorschrift dar, deren Verletzung kein Beweisverwertungsverbot für die Erkenntnisse des mittels mündlich erteilter Zustimmung eingesetzten VE zur Folge haben soll.184 Andererseits hat der 1. Strafsenat in einem Urteil vom 23. März 1996185 dargelegt, welche Mindestanforderungen seiner Auffassung nach an die Begründung der richterlichen Zustimmungsentscheidung zu stellen sind, weil diese grundsätzlich anfechtbar sei.186 Da die Zustimmungsentscheidung von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter – wenn auch in den aufgezeigten Grenzen – der rechtlichen Überprüfung durch Prozess- und ggfs. auch Revisionsgericht unterliegt,187 erscheint es konsequent, eine nachprüfbare Begründung der Zustimmungsentscheidung zu fordern. Schon oben wurde dargelegt, dass Tat- und Revisionsrichter mangels Rekonstruierbarkeit der Entscheidungssituation von Staatsanwalt und Ermittlungsrichter deren Zustimmungsentscheidung zwar nur auf grobe Rechtsfehler hin untersuchen, nach allgemeinen Grundsätzen gilt jedoch eine Entscheidung selbst dann, wenn dafür Ermessens- oder Beurteilungsspielräume eröffnet waren, als grob rechtsfehlerhaft, wenn sie keinerlei Begründung enthält. Deshalb wird man die Entscheidung des 2. Strafsenats nur dahin verstehen können, dass es – für die Verwertbarkeit von VE-Erkenntnissen – zunächst unschädlich ist, wenn Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter der Polizei ihre Zustimmung zum VE-Einsatz vorläufig nur mündlich übermitteln. Im Weiteren sind die Gründe jedenfalls für eine zustimmende Entscheidung schriftlich aktenkundig zu machen, denn anderenfalls können Tat- und Revisionsgericht später nicht ausschließen, dass der Verdacht einer Katalogtat im Sinne von § 110a Abs. 1 und/oder die Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Zustim-
182 183 184 185
Oben Rn. 63. Zu den Anforderungen an die Begründung vgl. § 110b, 15 bis 18. BGHR StPO § 110b Abs. 1 Zustimmung 1. BGHR StPO § 110b Abs. 2 Zustimmung 1, vgl. dazu auch § 110b, 12.
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Unter Hinweis auf KK/Maul § 34, 1 ff., wobei der Senat sieht, dass eine Anfechtung des VE-Einsatzes oder der dazu erteilten Zustimmung die Ausnahme bleiben dürfte. Vgl. oben Rn. 55.
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mungsentscheidung grob rechtsfehlerhaft bejaht worden waren. Dieses Ergebnis zwänge letztlich doch zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes, das nur mittelbar an die mangelhafte schriftliche Begründung, in erster Linie aber an die grob rechtsfehlerhafte Bejahung der materiellen Voraussetzungen des § 110a Abs. 1 anknüpfen würde.
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c) Rechtsfehlerhaftes Betreten von Wohnungen. Soweit es um die fehlerhafte Anordnung des VE-Einsatzes in einer Wohnung geht, ist das Problem eines Beweisverwertungsverbots bereits erörtert.188 Auch ein Verstoß des VE gegen § 110c Satz 2, d.h. das verbotene Erschleichen des Zutritts zur Wohnung, führt dazu, dass so gewonnene Erkenntnisse nicht verwertet werden können. Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage noch nicht befasst, doch folgt dieses Ergebnis schon aus § 110c Satz 2 in Verbindung mit dem gesetzlichen Verwertungsverbot des § 136a. Hier liegt ein im Gesetz geregelter Fall der unzulässigen Täuschung vor, die zwar nicht unmittelbar zu einer Aussage des Beschuldigten, wohl aber zu einer (meist konkludenten) Einverständniserklärung führt, die dem VE den Weg zu seinen Erkenntnissen öffnet. Für die Verwertung dieser Erkenntnisse muss das Verbot aus § 136a Abs. 3 analog gelten, das den Schutz des hier berührten „nemo tenetur-Grundsatzes“ bezweckt.
69
d) Unterbliebene Benachrichtigung. Kein Beweisverwertungsverbot löst es aus, wenn die in § 101 Abs. 4 Nr. 9 vorgeschriebene Benachrichtigung über den VE-Einsatz unterbleibt. Häufig wird – insbesondere wegen der Geheimhaltung der Identität des VE und mit Blick auf seine weitere Verwendung – zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung die Benachrichtigungspflicht noch gar nicht bestehen. Sie soll es Betroffenen ohnehin nur ermöglichen, den VE-Einsatz rechtlich überprüfen zu lassen. Werden in die Hauptverhandlung Erkenntnisse eines VE eingeführt, so erfährt der Angeklagte durch die Beweisaufnahme selbst davon, dass ein VE eingesetzt war. Damit sind – für die Person des Angeklagten – die von § 101 Abs. 4 Nr. 9 verfolgten Ziele erreicht.
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e) Reichweite des Verwertungsverbots. Für die Frage, wie weit Verwertungsverbote aus Verstößen gegen die §§ 110a ff. reichen, kann auf die Ausführungen zu § 100a verwiesen werden.189 Insbesondere bleibt festzuhalten, dass die Rechtsprechung auch hier ein Verbot der Fernwirkung unverwertbarer Erkenntnisse nicht anerkennt.190 Das Verwertungsverbot kann sich mithin allein auf Wahrnehmungen des VE, ferner auf von ihm bei seinem Einsatz hergestellte technische Aufzeichnungen beziehen, nicht aber auf Indizien, die erst infolge solcher VE-Erkenntnisse gewonnen worden sind.
IV. Revision 71
1. Verfahrensrüge. Die Verwertung von VE-Erkenntnissen, welche gegen eines der oben dargelegten Verwertungsverbote verstößt, stellt einen Verfahrensfehler dar, der in der Revision mit einer Verfahrensrüge191 gerügt werden kann. Allerdings kann diese nur
188 189 190
Vgl. Rn. 55–65. § 100a, 164 ff. BGHR StPO § 110a Fernwirkung 1 (unter Hinweis auf BGHSt 32 68, 70 f.); BGHR StPO § 110b Abs. 2 Verwertungsverbot 1; vgl. auch Zaczyk StV 1993 490, 497.
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BGH NStZ 1994 289 = StV 1994 169; vgl. für Verwertungsverbote, die aus fehlerhafter Telefonüberwachung entstanden sind: BGHSt 28 122; 33 217, 222.
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dann zum Erfolg führen, wenn – was vorgetragen werden muss – die Verteidigung der Verwertung auch schon in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter widersprochen hatte.192 Ergänzend kann auf die Ausführungen zu § 100a193 verwiesen werden. 2. Einsatzvoraussetzungen. Ob ein Verstoß gegen die Einsatzvoraussetzungen des 72 Abs. 1 zu einem Verwertungsverbot führen kann, ist in der Rechtsprechung noch ungeklärt;194 s. dazu oben Rn. 46. Wer ein Verwertungsverbot geltend machen will, muss nach den Grundsätzen der Widerspruchslösung (§ 100a, 115) bis zu dem in § 257 genannten Zeitpunkt der Verwertung von Erkenntnissen des Verdeckten Ermittlers in der Hauptverhandlung widersprochen haben und diesen Widerspruchsvorgang sowie die Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Einsatzes ergeben soll, mit der Verfahrensrüge vortragen,195 sodass das Revisionsgericht allein auf Grund des Vortrags prüfen kann, ob der Beschwerdeführer zu Recht einen Verstoß gegen ein Verwertungsverbot geltend macht. Allerdings sind zahlreiche Entscheidungen zum Begriff des Verdeckten Ermittlers, seinen Einsatzvoraussetzungen und dem Verfahren beim Einsatz auf Sachrügen ergangen.196 3. Rechtswidrige Tatprovokation, provozierte Selbstbelastung, § 136a, Fairnessrecht 73 des Art. 6 EMRK. Zum Wesen des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers gehört es, dass er zur Selbstbelastung des Beschuldigten führen kann, ohne dass dieser hiervon weiß (vgl. schon § 100a, 159 ff.). Dies kann sich die Polizei zu Nutze machen, weil in dem bloßen Verschweigen der Überwachung gegenüber dem Beschuldigten eine Täuschung i.S.d. § 136a StPO noch nicht liegen kann.197 Fraglich sind freilich die Grenzen. Der Bundesgerichtshof 198 hat in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte199 entschieden, wann eine Tatprovokation durch einen Lockspitzel, mag dieser Verdeckte Ermittler, nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder V-Mann sein, unzulässig ist und welche Rechtsfolgen sich an den unzulässigen Einsatz knüpfen. Eine unzulässige Tatprovokation und damit auch eine Konventionsverletzung liegt 74 danach vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt.200 Dabei ist zu unterscheiden, wann überhaupt eine Tatprovokation vorliegt und wann diese unzulässig ist.
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BGH StV 1996 529 mit Hinweis (insoweit in StV 1996 nicht abgedruckt) auf BGHSt 38 214, 215; 39 349, 352; BGH StV 1996 187, 189. Dort Rn. 168. Vgl. BGHR StPO § 110a Ermittler 1 und § 110b Verwertungsverbot 1; BGH NStZ 1997 448; die genannten Entscheidungen lassen die Frage ausdrücklich offen. BGH StV 1996 529; NStZ-RR 2001 260; vgl. auch BVerfG (Kammer) Beschl. v. 20.06.1999 – 2 BvR 997/99 –; kritisch zur sog. „Widerspruchslösung“ Maul/Eschelbach StraFo 1996 66 ff.; Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit (2013) 531.
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Z.B. BGHSt 41 64; BGH StV 1996 241; BGHR StPO § 110a Ermittler 1; zur Abgrenzung der Sachrüge von der Verfahrensrüge Jähnke FS Meyer-Goßner 559 und G. Schäfer FS Rieß 477. Eingehend Hauck Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit (2013) 214 m.w.N. BGHSt 45 321; 47 44, 47; s. auch LR/Erb § 163, 67. EGMR EuGRZ 1999 660 = StV 1999 127 = NStZ 1999 47. BGHSt 45 321, 335; 47 44, 47.
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Um eine Tatprovokation in diesem Sinne handelt es sich noch nicht, wenn ein Verdeckter Ermittler, ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder eine V-Person einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser eine bestimmte Straftat begehen, etwa Betäubungsmittel beschaffen könne. Eine Provokation liegt auch noch nicht vor, wenn nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausgenutzt wird. Anderes gilt, wenn ein Verdeckter Ermittler, ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder eine V-Person über das bloße „Mitmachen“ hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt.201 Nicht gestattet ist es dagegen den Ermittlungsbehörden auch bei an sich rechtmäßiger 76 Anordnung der Überwachung, unter Vortäuschung falscher Identität oder durch Vorschieben einer Privatperson den Beschuldigten gezielt auszuhorchen und so durch Täuschung zur Selbstbelastung zu veranlassen.202 Der Sache nach handelt es sich nämlich bei derartigen Befragungen um Vernehmungen, bei denen die von der Strafprozessordnung vorgesehenen den Beschuldigten schützende Formen, wie Belehrung über das Schweigerecht, umgangen werden. Diese bereits 1995 vom 5. Strafsenat des BGH geäußerte Meinung203 vertrat zwischenzeitlich auch der EGMR in einer Entscheidung vom 5.11.2002 (Allan gegen Vereinigtes Königreich),204 nach der eine gezielte von der Polizei gesteuerte Befragung eines Beschuldigten, der allerdings unter dem Druck der Untersuchungshaft stand, durch einen Spitzel gegen Art. 6 EMRK verstößt. Beim Schweigerecht handle es sich um den grundlegenden Kerngedanken eines fairen Verfahrens, welches generell dem Schutz der Freiheit des Beschuldigten diene zu entscheiden, ob er bei einer polizeilichen Vernehmung aussagen oder schweigen möchte. Diese Entscheidungsfreiheit werde ausgehöhlt, wenn der Beschuldigte sich dazu entschlossen habe, bei Vernehmungen zu schweigen und die Behörden eine List verwenden, um von dem Beschuldigten Äußerungen selbstbelastender Natur zu erhalten, die sie während derartiger Vernehmungen nicht erhalten haben oder, so wird hinzuzufügen sein, nicht erhalten würden. Man hatte diese Entscheidung so zu verstehen, dass unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens polizeilich gesteuertes Aushorchen von Beschuldigten wie eine Vernehmung zu behandeln ist, bei der das Schweigerecht des Beschuldigten ausgehebelt wurde. Dann konnte aber vor dem Hintergrund der Entscheidung BGHSt 38 214 kein Zweifel bestehen, dass für die erschlichene Aussage, also für die Gewinnung eines Beweismittels, nur ein Verwertungsverbot und nicht wie bei den Lockspitzelfällen205 die Strafzumessungslösung die angemessene Reaktion ist. Zwischenzeitlich hat der 3. Strafsenat des BGH in seiner Mallorca-Entscheidung von 2007206 diese Linie weitgehend bestätigt. Der Leitsatz lautet: „Ein Verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken.“ In einem vergleichbaren Fall hat der 4. Strafsenat ein Verwertungsverbot angenommen, wenn ein VE nach anfänglichem Misserfolg unter Absprache mit dem Füh-
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BGHSt 45 321, 338; 47 44, 47. Offengelassen von BGHSt 33 217, 223 = NJW 1986 390 = StV 1986 185 mit kritischer Anm. Kühl; vgl. dazu auch BGHSt 31 304 (frühere „Hörfallenentscheidung“ des 4. Senats des BGH). Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen NStZ 1996 200 ff. und vorherige
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Anfrage NStZ 1995 410 mit Anm. Seitz 519; ebenso G. Schäfer 6 Rn. 316; LR/Hanack25 § 136a, 13; Grünwald StV 1987 470. StraFo 2003 162 = JR 2004 127 mit Aufs. Esser. BGHSt 45 321. BGHSt 52 11.
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rungsbeamten auf den Beschuldigten dahingehend einwirkt, dass er wahrheitswidrig eine eigene einschlägige kriminelle Vergangenheit behauptet, so eine fast anderthalb Jahre dauernde, in der Intensität zunehmende Vertrauensbasis schafft und den Beschuldigten in der Folgezeit zum Teil auch zusammen mit offen ermittelnden Kriminalbeamten so stark unter Druck setzt, dass er sich schließlich selbst belastet.207 Und auch der 5. Strafsenat hält in BGHSt 55 138 ein verdecktes Verhör eines Beschuldigten durch einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten für unzulässig, wenn der NoeP nicht nur, wozu er berechtigt wäre, selbstbelastende Äußerungen eines Beschuldigten entgegennimmt und an die Ermittlungsbehörden weiterleitet, sondern in diesem Rahmen den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen drängt, noch dazu unter Ausnutzung der besonders belastenden Haftsituation und unter Anwendung rechtswidrigen Nötigungszwangs. In seiner neuesten einschlägigen Entscheidung (Urt. der Großen Kammer im Fall 77 Bykov gegen Russland vom 10.3.2009) engt der EGMR den Bereich der irrtumsbedingten Selbstbelastung aber wieder ein: Im Falle eines freiwilligen Gesprächs mit einem unerkannten, mit einer verdeckten Abhöreinrichtung versehenen V-Mann, der das Gespräch gezielt auf den Tatvorwurf gelenkt hatte, verneint er die fairnesswidrige Täuschung, weil es dem Angeklagten frei stand, auf Fragen zu antworten bzw. überhaupt ein Gespräch zu führen.208 Die Gleichung: Irreführung = fairnessrechtswidrige Täuschung ist also (vorerst) aufgehoben. Die Strafsenate des BGH neigten in der Folgezeit nur teilweise dazu, dieser neueren restriktiven Linie der Bykov-Entscheidung des EGMR zu folgen: Der 1. Strafsenat209 entschied nur 4 Wochen nach und wohl noch in Unkenntnis von der Bykov-Entscheidung den Fall eines heimlich abgehörten Ehegattengesprächs so, dass das absichtliche Hervorrufen der Fehlvorstellung, der für das Gespräch zur Verfügung gestellte separate Besuchsraum der U-Haft werde nicht überwacht, einen Fairnessverstoß begründe. Ob der EGMR diesen Sachverhalt ebenso entschieden hätte, muss angesichts seines neuen Maßstabs stark bezweifelt werden. Umgekehrt ging der 3. Strafsenat210 – selbst gemessen an dieser restriktiven Bykov-Entscheidung des EGMR – aber sicher zu weit, als er einen Fairnessverstoß in einem Fall verneinte, in dem eine von der Polizei instruierte und mit Abhörgeräten ausgestattete Zeugin ein privates Gespräch heimlich aufzeichnete und zuvor dem Beschuldigten auch noch wahrheitswidrig vorspiegelte, dass sie bereits von seiner Tatbeteiligung wisse und dass sie dieses Gespräch vertraulich behandeln würde. Auch das BVerfG211 hatte sich kürzlich mit dem Fairnessrecht bei heimlichen Abhörmaßnahmen zu befassen, doch betraf der ihm zur Entscheidung vorgelegte Fall nur das reine zwischen möglichen Mittätern geführte Gespräch in einem Pkw, ohne dass die Polizei diese Unterhaltung initiiert geschweige denn irgendwie gelenkt hätte. Als Leitlinie für die Praxis muss daher Folgendes gelten: Ist (1.) die Täuschung den Strafverfolgungsbehörden zurechenbar, ist die List m.a.W. also amtlich veranlasst, kommt es dadurch (2.) zu einer Irreführung des Beschuldigten über seine Rolle als Objekt einer Befragung und bezieht sich dieser Irrtum (3.) nicht nur auf die eigene (vermeintlich nicht) unterlegene Stellung im Gespräch, sondern auch auf die Selbstbestimmtheit einer unverfänglichen Informationsentäußerung, so liegt eine Missachtung der Selbstbelastungsfreiheit und damit ein Fairnessverstoß vor.212
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BGH NStZ 2009 343. NJW 2010 213. BGHSt 53 294 mit Anm. Engländer JZ 2009 1179; Hauck NStZ 2010 17; Klesczewski StV 2010 462; Rogall HRRS 2010 289; Zuck JR 2010 17.
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NStZ 2011 596 mit Anm. Eisenberg JR 2011 409; Roxin StV 2012 131; [A.] Schumann JZ 2012 265; Wolter ZIS 2012 238. NJW 2010 287. Vgl. Hauck NStZ 2010 17, 22.
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Zulässig ist eine solche Tatprovokation damit nur in den soeben aufgezeigten Grenzen und auch nur dann, wenn der Verdeckte Ermittler, der nicht offen ermittelnde Polizeibeamte oder die V-Person gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Einsatzes solcher Personen ist selbst im Falle einer „Gemengelage“ einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen.213 Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung des 79 fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit Wissen eines für den Einsatz verantwortlichen Amtsträgers geschieht, wenn ein Verdeckter Ermittler sich mithin im Rahmen seines Auftrags bewegt hat, oder wenn ein Amtsträger die unzulässige Provokation jedenfalls hätte unterbinden können.214 Als Rechtsfolge einer unzulässigen Tatprovokation für die Frage der Strafbarkeit des 80 Provozierten (und nicht für die Frage der Strafbarkeit des Überführten, wo der Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit auch nach Ansicht des BGH zu einem Verwertungsverbot führt, vgl. Rn. 76) lehnt der Bundesgerichtshof ein Verfahrenshindernis noch immer ab und hält gegen gewichtige Stimmen in der Literatur215 an der Rechtsfolgenlösung fest.216 Der Verstoß ist bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensieren. Zunächst bedarf es aber der ausdrücklichen Feststellung des Verstoßes in den Urteilsgründen. Das Maß der Kompensation für das konventionswidrige Handeln ist gesondert zum Ausdruck zu bringen.217 Will der Beschwerdeführer in der Revision geltend machen, das Gericht habe zu Unrecht eine unzulässige Tatprovokation verneint oder nicht die richtigen Konsequenzen aus einem solchen Verstoß gezogen, wird die Verfahrensrüge zu erheben sein, da es um die (verfahrensrechtlich relevante) Überprüfung geht, ob das Verfahren insgesamt fair war.218 Der Bundesgerichtshof hat bis jetzt offengelassen, ob die Revision diesen Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens nur mit einer Verfahrensrüge oder auch mit der Sachrüge geltend machen kann.219 Jedenfalls ist entschieden, dass die Wertung, ob eine unzulässige Tatprovokation nach den Maßstäben der neueren Entscheidungen220 vorliegt, revisionsrechtlich überprüft werden kann.221 Allerdings wird die vom Bundesgerichtshof der Entscheidung BGHSt 45 44 noch zu Grunde gelegte Auffassung, bei der Frage, ob bei der Tatprovokation aus damaliger Sicht ein 213 214 215 216
BGHSt 45 321, 337; 47 44, 48. BGHSt 45 321, 336; 47 44, 48. Nachweise in den Anmerkungen zu BGHSt 45 321, s. die nächste Fußnote. BGHSt 45 321 mit Anm. Endriß NStZ 2000 271; Kinzig NStZ 2000 271; Kreuzer StV 2000 114; Kudlich JuS 2000 951; Lesch JA 2000 450; Roxin JZ 2000 369; Sinner StV 2000 114; fortgeführt durch BGHSt 47 44 m. Anm. Weber NStZ 2002 50; früher schon für die Rechtsfolgenlösung : BGHSt 32 345, 355; BGH StV 1982 221; BGH NStZ 1986 162; 1994 289, 290; BGH NJW 1986 75; BGH StV 1987 435; BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 6 und 12.
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217
218 219 220 221
BGHSt 45 321 mit Anm. Endriß NStZ 2000 271; Kinzig NStZ 2000 271; Kreuzer StV 2000 114; Kudlich JuS 2000 951; Lesch JA 2000 450; Roxin JZ 2000 369; Sinner StV 2000 114; fortgeführt durch BGHSt 47 44 m. Anm. Weber NStZ 2002 50. Nähere Begründung bei G. Schäfer FS Rieß S. 478, 488. BGH St 45 321, 323; 47 44, 47. BGHSt 45 321; 47 44. BGHSt 45 321, 340.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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Anfangsverdacht vorlag, sei den Strafverfolgungsbehörden ein gewisser Beurteilungsspielraum einzuräumen, angesichts der neueren Rechtsprechung zu der vergleichbaren Frage bei der Durchsuchung nicht aufrechterhalten werden können (vgl. dazu § 105, 107 f.). Soweit bei der Beurteilung des Tatverdachts die Glaubwürdigkeit von Vertrauenspersonen eine Rolle spielt, ist zu bedenken, dass diese häufig selbst dem kriminellen Milieu angehören und ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Provozierten haben. Sollte die Vertrauensperson als Zeuge in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen, ist hinsichtlich der Aussage seines Vernehmungsbeamten zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung der Aussage eines „Zeugen vom Hörensagen“ besondere Vorsicht geboten ist. Der Beweiswert eines solchen Beweismittels ist gering, weil weder das Gericht noch die anderen Verfahrensbeteiligten zu einer eigenen Überprüfung der Glaubwürdigkeit in der Lage sind und das Fragerecht der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK) in erheblicher Weise beschränkt ist. Feststellungen dürfen auf ein solches Beweismittel regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn der Beweisgehalt dieses Beweismittels durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden ist.222 4. Rechtsfehler beim Einsatz. S. die Erl. oben Rn. 72.
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V. Anhang:
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Anlagen zu den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)
Anlage D Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung
I. Inanspruchnahme von Informanten und Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) im Rahmen der Strafverfolgung 1. Grundsätzliches 1.1 Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind Polizei und Staatsanwaltschaft in zunehmendem Maße auf Informationen und Hinweise aus der Öffentlichkeit angewiesen. Diese lassen sich oft nur gegen Zusicherung der Vertraulichkeit gewinnen. 1.2 Darüber hinaus ist bei bestimmten Erscheinungsformen der Kriminalität der Einsatz von VPersonen erforderlich. Sie können regelmäßig nur dann für eine Mitarbeit gewonnen werden, wenn ihnen die Geheimhaltung ihrer Identität zugesichert wird. 1.3 Die Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Personen sind als zulässige Mittel der Strafverfolgung in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte anerkannt.
222
BGHSt 45 321, 340 unter Hinweis auf BGHSt 17, 382, 385 f.; 33 83, 88; BGH StV 1994 637 und 638, jeweils m.w.N.; G. Schäfer StV 1995 147, 152; vgl. zur Verletzung
des Art. 6 EMRK im Zusammenhang mit „anonymen Zeugen“ EGMR StV 1990 481; 1991 193; 1992 499; 1997 617.
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1.4 Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozeßordnung zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt. Die besondere Natur dieses Beweismittels gebietet es grundsätzlich, daß der Zeuge von der Staatsanwaltschaft und/oder dem Gericht aussagt. Daher kann Informanten und V-Personen nur nach den folgenden Grundsätzen Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltung zugesichert werden. 2. Begriffsbestimmungen 2.1 Informant ist eine Person, die im Einzelfall bereit ist, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfolgungsbehörde Informationen zu geben. 2.1 V-Person ist eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird. 3. Voraussetzungen der Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung 3.1 Die Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Personen gebieten eine Abwägung der strafprozessualen Erfordernisse der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der vollständigen Sachverhaltserforschung einerseits und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Sicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung andererseits. Hierbei ist der Grundsatz des rechtsstaatlichen fairen Verfahrens zu beachten. Daraus folgt: a) Die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung kommt im Bereich der Schwerkriminalität, organisierten Kriminalität, des illegalen Betäubungsmittel- und Waffenhandels, der Falschgeldkriminalität und der Staatsschutzdelikte in Betracht. b) Im Bereich der mittleren Kriminalität bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles. Die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung wird ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn durch eine Massierung gleichartiger Straftaten ein die Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder die Allgemeinheit ernsthaft gefährdender Schaden eintreten kann. c) In Verfahren der Bagatellkriminalität kommt die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung nicht in Betracht. 3.2 Informanten dürfen nur in Anspruch genommen, V-Personen nur eingesetzt werden, wenn die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Werden sie in Anspruch genommen bzw. eingesetzt, so ist Ziel der weiteren Ermittlungen das Beschaffen von Beweismitteln, die den strafprozessualen Erfordernissen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme entsprechen und einen Rückgriff auf diese Personen erübrigen. 3.3 Einem Informanten darf Vertraulichkeit nur zugesichert werden, wenn dieser bei Bekanntwerden seiner Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden erheblich gefährdet wäre oder unzumutbare Nachteile zu erwarten hätte. 3.4 Der Einsatz von Minderjährigen als V-Personen ist nicht zulässig. 4. Umfang und Folgen der Zusicherung Staatsanwaltschaft und Polizei sind an die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung gebunden. Die Bindung entfällt grundsätzlich, wenn a) die Information wissentlich oder leichtfertig falsch gegeben wird, b) die V-Person von einer Weisung vorwerfbar abweicht oder sich sonst als unzuverlässig erweist, c) sich eine strafbare Tatbeteiligung des Empfängers der Zusicherung herausstellt, d) die V-Person sich bei ihrer Tätigkeit für die Strafverfolgungsbehörden strafbar macht. Hierauf ist der Informant/die V-Person vor jeder Zusicherung hinzuweisen.
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5. Verfahren 5.1 Über die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung entscheiden im Bereich der Staatsanwaltschaft der Behördenleiter oder ein von ihm besonders bezeichneter Staatsanwalt, bei Gefahr in Verzug der Dezernent. Im Polizeibereich werden Regelungen getroffen, die die Entscheidung auf einer möglichst hohen Ebene vorsehen, mindestens auf der Ebene des Leiters der sachbearbeitenden Organisationseinheit. 5.2 Vor der Zusicherung der Vertraulichkeit gegenüber einem Informanten ist die Einwilligung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen, es sei denn, daß der Untersuchungszweck gefährdet würde. Ist die Einwilligung nach Satz 1 nicht herbeigeführt worden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten. 5.3 Soll eine V-Person in einem Ermittlungsverfahren gezielt eingesetzt werden, so ist zur Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung für diesen Einsatz die Einwilligung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Kann die Einwilligung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich über den Einsatz zu unterrichten. 5.4 In begründeten Ausnahmefällen unterrichtet die Polizei die Staatsanwaltschaft auch über die Identität des Informanten/der V-Person, Vertraulichkeit/Geheimhaltung ist zu gewährleisten. 5.5 Die Zusage der Vertraulichkeit/Geheimhaltung umfaßt neben den Personalien auch die Verbindung zu Strafverfolgungsbehörden sowie alle Umstände, aus denen Rückschlüsse auf die Eigenschaft als Informant/V-Person gezogen werden könnten. 5.6 Die Staatsanwaltschaft fertigt über das Gespräch mit der Polizei über die Mitwirkung des Informanten/V-Person und über die getroffene Entscheidung ohne Nennung des Namens einen Vermerk zu den Generalakten 4110. Vertrauliche Behandlung ist sicherzustellen. Die Polizei verfährt entsprechend. Staatsanwaltschaft und Polizei erhalten eine Durchschrift des Vermerks der jeweils anderen Behörde.
II. Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter im Rahmen der Strafverfolgung 1. Grundsätzliches 1.1 Die qualitativen Veränderungen der Erscheinungsformen der Kriminalität, insbesondere der Organisierten Kriminalität, erfordern dieser Entwicklung angepaßte Methoden der Verbrechensbekämpfung. 1.2 Zu ihnen gehört neben der Inanspruchnahme von Informanten und V-Personen auch der operative Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter. 2. Voraussetzung und Verfahren 2.1 Der Einsatz Verdeckter Ermittler richtet sich nach §§ 110a bis 110e StPO. 2.2 Verdeckte Ermittler dürfen keine Straftaten begehen. Eingriffe in Rechte Dritter sind ihnen nur im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet. Als gesetzliche Generalermächtigung kann § 34 StGB nicht herangezogen werden. Unberührt bleibt in Ausnahmefällen eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Verhaltens des einzelnen Polizeibeamten unter den Voraussetzungen der §§ 34, 35 StGB. 2.3 Bei Verletzung von Rechtsgütern, die zur Disposition des Berechtigten stehen, kann die Rechtswidrigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung entfallen. 2.4 Die Entscheidung über die Zustimmung der Staatsanwaltschaft trifft der Behördenleiter oder ein von ihm besonders bezeichneter Staatsanwalt. Im Polizeibereich werden Regelungen getroffen, die die Entscheidung über den Einsatz auf einer möglichst hohen Ebene vorsehen, mindestens auf der Ebene des Leiters der sachbearbeitenden Organisationseinheit. 2.5 Beim Einsatz auftretende materiell- oder verfahrensrechtliche Probleme trägt die Polizei an die Staatsanwaltschaft heran. Die Staatsanwaltschaft trifft ihre Entscheidung in enger und vertraulicher Zusammenarbeit mit der Polizei.
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2.6 Der Verdeckte Ermittler ist von der Strafverfolgungspflicht gemäß § 163 StPO nicht befreit. 2.6.1 Aus kriminaltaktischen Erwägungen können Ermittlungsmaßnahmen, die in den Auftrag des Verdeckten Ermittlers fallen, zurückgestellt werden. 2.6.2 Neu hinzukommenden zureichenden Anhaltspunkten für strafbare Handlungen braucht der Verdeckte Ermittler solange nicht nachzugehen, als dies ohne Gefährdung seiner Ermittlungen nicht möglich ist; dies gilt nicht, wenn sofortige Ermittlungsmaßnahmen wegen der Schwere der neu entdeckten Tat geboten sind. 2.6.3 In den Fällen der Nummern 2.6.1 und 2.6.2 ist die Zustimmung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Kann die Zustimmung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, so ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten. Nummer 2.5 gilt entsprechend. 2.7 Die Staatsanwaltschaft fertigt über die Gespräche mit der Polizei, über die Mitwirkung des Verdeckten Ermittlers und über die getroffenen Entscheidungen – ohne Nennung des Namens des Verdeckten Ermittlers – Vermerke, die gesondert zu verwahren sind. Die Polizei erhält eine Durchschrift des Vermerks. Vertrauliche Behandlung ist sicherzustellen. 2.8 Die Entscheidungen nach § 110d StPO trifft die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit der Polizei. Nummer 2.4 Satz 1 gilt entsprechend. Die Staatsanwaltschaft setzt die Polizei über ihre Entscheidung vor deren Ausführung in Kenntnis. 2.9 Die Ermittlungstätigkeit sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen. Ergibt sich im Einzelfall die Notwendigkeit, deren Identität im Strafverfahren geheimzuhalten, so ist für den Einsatz die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzuholen. Ist diese nicht rechtzeitig zu erlangen, ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten; sie entscheidet, ob der Einsatz fortgeführt werden soll. Der Staatsanwalt, der für die Entscheidung über die Zustimmung zu dem Einsatz zuständig ist, kann verlangen, daß ihm gegenüber die Identität des nicht offen ermittelnden Polizeibeamten offenbart wird. Geheimhaltung ist zu gewährleisten.
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Anlage E Richtlinie über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität Gem. RdErl. d. MJ u. d. MI v. 16.7.2008 – 4208-S4.84, P23.23-12334/4 (Nds.MBl. Nr. 30/2008 S. 825) – VORIS 21021 – Bezug: a) Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ v. 23.1.2006 (Nds.MBl. S. 86, Nds.Rpfl. S. 118) – VORIS 21021 – b) AV d. MJ v. 15.2.1996 (Nds.Rpfl. S. 55) – VORIS 33200 00 00 00 014 1. Grundsätzliches 1.1 Die Verfolgung der Organisierten Kriminalität ist ein wichtiges Anliegen der Allgemeinheit. Es ist eine zentrale Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, dieser Erscheinungsform der Kriminalität wirksam und mit Nachdruck zu begegnen. 1.2 Aufklärungserfolge können nur erreicht werden, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei im einzelnen Verfahren und verfahrensübergreifend besonders eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten; dies setzt eine möglichst frühzeitige gegenseitige Unterrichtung voraus. 1.3 Notwendig ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Stellen, insbesondere den Justizvollzugsanstalten, den Finanz- und Zollbehörden, den Ordnungsbehörden (z.B. Ausländer- oder Gewerbeämter) sowie den Dienststellen der Arbeitsverwaltung. 2. Begriff, Erscheinungsformen und Indikatoren der Organisierten Kriminalität 2.1 Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
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a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus. 2.2 Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund) finden sich – auf der Basis eines Systems persönlicher und geschäftlicher kriminell nutzbarer Verbindungen – Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad der Personen untereinander, deren konkrete Ausformung durch die jeweiligen kriminellen Interessen bestimmt wird. 2.3 Organisierte Kriminalität wird zurzeit vorwiegend in den folgenden Kriminalitätsbereichen festgestellt: – Rauschgifthandel und -schmuggel, – Waffenhandel und -schmuggel, – Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (vor allem Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel, illegales Glücks- und Falschspiel), – Schutzgelderpressung, – unerlaubte Arbeitsvermittlung und Beschäftigung, – illegale Einschleusung von Ausländerinnen und Ausländern, – Warenzeichenfälschung (Markenpiraterie), – Goldschmuggel, – Kapitalanlagebetrug, – Subventionsbetrug und Eingangsabgabenhinterziehung, – Fälschung und Missbrauch unbarer Zahlungsmittel, – Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, – Verschiebung insbesondere hochwertiger Kraftfahrzeuge und von Lkw-, Container- und Schiffsladungen, – Betrug zum Nachteil von Versicherungen, – Einbruchsdiebstahl in Wohnungen mit zentraler Beuteverwertung. Neben diesen Kriminalitätsbereichen zeichnen sich Ansätze Organisierter Kriminalität auch auf den Gebieten der illegalen Entsorgung von Sonderabfall und des illegalen Technologietransfers ab. 2.4 Indikatoren, die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlass geben können, einen Sachverhalt der Organisierten Kriminalität zuzurechnen, sind in der Anlage 1 genannt. Die Aufzählung ist nicht abschließend und nicht auf spezielle Deliktsbereiche abgestellt. In Zweifelsfällen stellen die einander zugeordneten Strafverfolgungsbehörden umgehend Einvernehmen darüber her, ob sie einen Sachverhalt als Organisierte Kriminalität bewerten. 3. Grundlagen der Zusammenarbeit 3.1 Die zügige und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt eine aufeinander abgestimmte Organisation der Strafverfolgungsbehörden voraus. Ein identischer Aufbau ist nicht erforderlich. 3.2 Örtliche und überörtliche Stellen der Staatsanwaltschaft 3.2.1 Bei jeder Staatsanwaltschaft wird eine Abteilungsleiterin, ein Abteilungsleiter, eine Staatsanwältin oder Staatsanwalt bestellt, die oder der die Aufgabe hat, in ständiger und enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizeidienststellen die Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu beobachten, zu analysieren und Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden zu planen und zu koordinieren (Ansprechpartnerin, Ansprechpartner, OK-Beauftragte oder OK-Beauftragter). 3.2.2 Der Abteilung oder dem Sachgebiet der Ansprechpartnerin, des Ansprechpartners oder der oder des OK-Beauftragten soll die Bearbeitung aller Verfahren zugewiesen werden, denen Organisierte Kriminalität zugrunde liegt. Soweit besondere Zuständigkeiten bestehen (z.B. für die Rauschgift- oder Wirtschaftskriminalität), können diese hiervon ausgenommen werden.
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3.2.3 Bei der Generalstaatsanwältin oder dem Generalstaatsanwalt werden die verfahrensübergreifenden Aufgaben der Ansprechpartnerin, des Ansprechpartners oder der oder des OK-Beauftragten für den Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft einer Koordinatorin oder einem Koordinator übertragen. Die Koordinatorin oder der Koordinator sorgt auch dafür, dass über die Führung von Sammelverfahren umgehend entschieden wird. Sie oder er hat ferner die Aufgabe, den Erfahrungsund Informationsaustausch auf überörtlicher Ebene zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei sowie mit den sonst in den Nummern 1.2 und 1.3 genannten Behörden vorzubereiten und durchzuführen. Nummer 3.2.2 gilt sinngemäß. 3.2.4 Die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt prüft in geeigneten Fällen, ob bestimmte Verfahren für den Bezirk mehrerer Staatsanwaltschaften einer Staatsanwaltschaft zuzuweisen sind (§§ 143 und 145 GVG). 3.2.5 Die „Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität und Korruption“ bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle ist in Niedersachsen als Ansprechstelle beratend für Dienststellen, die mit der Verfolgung oder Aufdeckung Organisierter Kriminalität oder korruptiver Verhaltensweisen befasst sind, tätig. Sie klärt in diesem Bereich bei überörtlichen Ermittlungskomplexen Zuständigkeitsfragen, berät in Fragen der justitiellen Zusammenarbeit und Rechtshilfe, betreibt Fortbildung und Schulung, erfasst zentral die bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften geführten Verfahren mit Bezug zur Organisierten Kriminalität und zur Korruptionskriminalität und erstattet dem MJ jährlich Erfahrungsberichte zur Organisierten Kriminalität und zur Korruption (siehe Bezugs-AV zu b). 3.3 Örtliche und überörtliche Stellen der Polizei 3.3.1 Zur Aufdeckung und Verfolgung Organisierter Kriminalität werden beim Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern sowie in den Flächenstaaten im örtlichen oder regionalen Bereich an Brennpunkten der Organisierten Kriminalität Spezialdienststellen eingerichtet oder ausgebaut, die insbesondere deliktsübergreifend und täterorientiert ermitteln. In Niedersachsen sind Spezialdienststellen oder Organisationseinheiten zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität beim Landeskriminalamt (Abteilung 3) und bei den Polizeidirektionen (Zentrale Kriminalinspektionen) flächendeckend eingerichtet. Daneben können auch andere Fachdienststellen oder Organisationseinheiten der Polizei Organisierte Kriminalität, insbesondere Fälle der deliktstreuen Organisierten Kriminalität, bearbeiten. Besondere Organisationseinheiten zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sollen hier nur in Ausnahmefällen eingerichtet werden. 3.3.2 Die polizeilichen Ermittlungen einschließlich operativer Maßnahmen obliegen vorrangig den örtlichen oder regionalen Spezialdienststellen in enger Abstimmung mit der für das jeweilige Verfahren zuständigen Staatsanwaltschaft. Zu ihren Aufgaben gehören ferner a) das Zusammenführen OK-relevanter Erkenntnisse, b) die Mitwirkung an der Erstellung des Kriminalitätslagebildes „Organisierte Kriminalität“ für das Land, c) der Informationsaustausch – mit der Staatsanwaltschaft, – mit den Organisierte Kriminalität bearbeitenden Polizeidienststellen des Landes, – anlassbezogen mit anderen Polizeidienststellen, – mit dem Landeskriminalamt, – mit anderen Behörden und Stellen. 3.3.3 Das Landeskriminalamt wertet zentral den OK-Bereich betreffende Informationen aus und verknüpft sie mit eigenen und länderübergreifenden Erkenntnissen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit führt es die Ermittlungen selbst oder veranlasst ihre Durchführung durch andere Dienststellen. Für den Informationsaustausch gilt Nummer 3.3.2 entsprechend. 3.3.4 Das Bundeskriminalamt wertet zentral OK-relevante Informationen aus und verknüpft sie mit Erkenntnissen aus eigenen Verfahren und aus dem internationalen Bereich. Es führt im Rahmen seiner originären oder auftragsabhängigen Zuständigkeit die kriminalpolizeilichen Ermittlungen selbst oder weist sie im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen einem Land zu.
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3.4 Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist eine Aufgabe nicht nur der in den Nummern 3.2 und 3.3 aufgeführten Dienststellen sowie Beamtinnen und Beamten. Vielmehr sind alle Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden gehalten, auf Anzeichen für Organisierte Kriminalität zu achten: 3.4.1 Im Bereich der Staatsanwaltschaft ist sicherzustellen, dass sich die Beamtinnen und Beamten an die besonderen Sachbearbeiterinnen, Sachbearbeiter, Dezernentinnen oder Dezernenten wenden und, wenn die Sachbearbeitung konzentriert ist, die Verfahren abgeben können. 3.4.2 Im Bereich der Polizei sind entsprechende Erkenntnisse an die zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingerichteten Spezialdienststellen oder Organisationseinheiten weiterzuleiten. 4. Zusammenarbeit bei der Verfahrensbearbeitung 4.1 Vorrangiges Ziel der Ermittlungen muss es sein, in den Kernbereich der kriminellen Organisation einzudringen und die im Hintergrund agierenden hauptverantwortlichen Straftäter zu erkennen, zu überführen und zur Aburteilung zu bringen. 4.2 Die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt schaltet sich schon zu Beginn der Ermittlungen in die unmittelbare Fallaufklärung ein. Die Verfahrenstaktik und die einzelnen Ermittlungsschritte sind abzustimmen. Die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft bleibt unberührt. 4.2.1 Der Grundsatz, dass Ermittlungen straff und beschleunigt zu führen sind, gilt auch im Verfahren wegen Organisierter Kriminalität. Das vorrangige Ermittlungsziel ist aber im Auge zu behalten, auch wenn dies länger dauernde Ermittlungen erfordert. Auf die Grundsätze des Bezugserlasses zu a (Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei; Beschleunigung der Verfahrensabläufe insbesondere in so genannten Umfangsverfahren) wird ergänzend verwiesen. 4.2.2 Im Interesse des vorrangigen Ermittlungsziels sind die Mittel zur Begrenzung des Verfahrensstoffes (§§ 153 ff. der Strafprozessordnung – StPO –) möglichst frühzeitig zu nutzen. Dies gilt besonders auch im Hinblick auf das Hauptverfahren, das sich auf die wesentlichen Vorwürfe konzentrieren sollte. 4.2.3 Die Abfolge der Ermittlungshandlungen wird in erster Linie von dem vorrangigen Ermittlungsziel bestimmt. Einzelne Maßnahmen können vorläufig zurückgestellt werden, wenn ihre Vornahme die Erreichung dieses Zieles gefährden würde. Dies gilt nicht, wenn sofortige Maßnahmen wegen der Schwere der Tat oder aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten sind. 4.2.4 Erfordert die Erledigung von Verfahren gegen Randtäter der kriminellen Organisation oder sonstige Nebenbeteiligte noch weitere Ermittlungen, so darf der schnelle Abschluss dieser Verfahren dem vorrangigen Ermittlungsziel nicht übergeordnet werden. Bei der gebotenen Abwägung ist den Ermittlungen gegen die verantwortlichen Haupttäter der Vorzug zu geben; die übrigen Verfahren sind vorübergehend zurückzustellen. 4.3 In Verfahren wegen Organisierter Kriminalität soll möglichst die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt die Anklage vertreten, die oder der die Ermittlungen geleitet hat. 4.4 Für die Zusammenarbeit bei der Inanspruchnahme von Informantinnen oder Informanten, bei dem Einsatz von V-Personen und verdeckten Ermittlerinnen oder verdeckten Ermittlern sowie beim Zeugenschutz gelten die hierfür erlassenen Richtlinien. 4.5 Für die Zusammenarbeit im Rahmen von Initiativermittlungen gilt Nummer 6. 5. Verfahrensübergreifende Zusammenarbeit 5.1 Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hat zum Ziel, dass beide Behörden einen vertieften und gleichen Erkenntnisstand über die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität und die spezifischen Probleme einschlägiger Verfahren gewinnen, gemeinsam fortentwickeln und bei den jeweiligen Einzelmaßnahmen zugrunde legen. Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit dient auch der Verständigung über die örtliche und zeitliche Steuerung der Ermittlungskapazitäten von Staatsanwaltschaft und Polizei durch Bildung von Schwerpunkten entsprechend dem jeweiligen Lagebild.
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5.2 Die Staatsanwaltschaft und die Polizei vereinbaren regelmäßige Dienstbesprechungen, bei denen insbesondere erörtert werden – Lage, voraussichtliche Entwicklung und Maßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in ihrem Bereich, – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Ablauf von Ermittlungs- und gerichtlichen Verfahren, auch Auswirkungen von Fehlern in der Ermittlungstätigkeit, – Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Anwendung verdeckter Ermittlungsmethoden und aus dem Zeugenschutz, einschließlich der Sicherung der gebotenen Geheimhaltung, – Erkenntnisse und Erfahrungen aus Maßnahmen zur Gewinnabschöpfung, – örtliche Praxis der internationalen Rechtshilfe und sonstigen Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden, – allgemeine Fragen der Zusammenarbeit, – Öffentlichkeitsarbeit. Die Besprechungen sollen einmal jährlich, bei Bedarf auch häufiger, stattfinden. Dem Zoll- und dem Steuerfahndungsdienst soll Gelegenheit zur Teilnahme gegeben werden. Über die Zuziehung anderer Behörden entscheiden die beteiligten Stellen. Über das Ergebnis der Besprechungen ist den jeweils vorgesetzten Behörden zu berichten. 5.3 Die Besprechungen können auch auf der Ebene der Generalstaatsanwältinnen oder Generalstaatsanwälte vereinbart werden. 5.4 Gemeinsame Informations- und Fortbildungsveranstaltungen sind vorzusehen. Dabei sollte den entsprechenden Stellen des Königreichs der Niederlande und der angrenzenden Bundesländer Gelegenheit zur Teilnahme gegeben werden. 5.5 Die Hospitation von Beamtinnen und Beamten der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei der jeweils anderen Behörde ist zu ermöglichen. 6. Initiativermittlungen 6.1 Organisierte Kriminalität wird nur selten von sich aus offenbar. Strafanzeigen in diesem Bereich werden häufig nicht erstattet, u.a. weil die Zeuginnen oder Zeugen Angst haben. Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staatsanwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten (Initiativermittlungen). 6.2 Liegt ein Sachverhalt vor, bei dem nach kriminalistischer Erfahrung die wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist, besteht ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO). Dieser löst die Strafverfolgungspflicht aus. Es ist nicht notwendig, dass sich der Verdacht gegen eine bestimmte Person richtet. Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte unklar, ob ein Anfangsverdacht besteht, und sind Ansätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so können die Strafverfolgungsbehörden diesen nachgehen. In solchen Fällen besteht keine gesetzliche Verfolgungspflicht. Ziel ist allein die Klärung, ob ein Anfangsverdacht besteht. Strafprozessuale Zwangs- und Eingriffsbefugnisse stehen den Strafverfolgungsbehörden in diesem Stadium nicht zu. Ob und inwieweit die Strafverfolgungsbehörden sich in diesen Fällen um weitere Aufklärung bemühen, richtet sich nach Verhältnismäßigkeitserwägungen; wegen der besonderen Gefährlichkeit der Organisierten Kriminalität werden sie ihre Aufklärungsmöglichkeiten bei Anhaltspunkten für solche Straftaten in der Regel ausschöpfen. 6.3 Die Befugnisse der Polizei zu Initiativermittlungen im Rahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den Polizeigesetzen, in Niedersachsen nach dem Nds. SOG. 6.4 Bei Initiativermittlungen liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor oder gehen im Verlauf eines Verdichtungs- und Erkenntnisprozesses ineinander über. Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten auch in diesem Bereich eng zusammen. Für die Zusammenarbeit gelten die Nummern 4 und 5 sinngemäß mit der Maßgabe, dass – das Ziel der Initiativermittlungen die Klärung des Anfangsverdachts oder der Gefahrenlage ist,
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– der Staatsanwältin oder dem Staatsanwalt in Fällen der Gefahrenabwehr eine Leitungsbefugnis nicht zusteht, – das Ergebnis der Initiativermittlungen mit den Vorgängen unverzüglich der Staatsanwaltschaft vorzulegen ist, sobald die Initiativermittlungen Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten (§ 152 Abs. 2 StPO) ergeben haben. Die Vorlage hat auch dann zu erfolgen, wenn aus polizeilicher Sicht unklar ist, ob Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten vorliegen. 6.5 Die Zusammenarbeit obliegt auf der Seite der Staatsanwaltschaft der Behörde, die für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens zuständig wäre. In Zweifelsfällen entscheidet die nächst höhere Behörde. Bei einzuleitenden Initiativermittlungen, die den Zuständigkeitsbereich einer Staatsanwaltschaft überschreiten, unterrichten die betroffenen Staatsanwaltschaften zeitnah die Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK –. 7. Zusammenarbeit mit den Justizvollzugsanstalten 7.1 Die von der Organisierten Kriminalität ausgehenden Gefahren sind auch bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigen. 7.2 Die Justizvollzugsanstalten sind über – Verbindungen einer oder eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen zur Organisierten Kriminalität, – Erscheinungsformen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu informieren, soweit es für Vollzugsentscheidungen erheblich sein kann und Belange der Strafverfolgung nicht entgegenstehen. 7.3 Die Information über den oder die Gefangenen muss möglichst bei der Einlieferung erfolgen. Anderenfalls ist sie nachzuholen. Sie obliegt der Staatsanwaltschaft, in Eilfällen der Polizei. 7.4 Den Vollzugsbehörden soll Gelegenheit gegeben werden, an den in den Nummern 5.3 und 5.4 genannten Veranstaltungen teilzunehmen; bei Bedarf sind sie auch zu den Besprechungen nach Nummer 5.2 hinzuzuziehen. 7.5 Die Justizvollzugsanstalt unterrichtet die Staatsanwaltschaft, in Eilfällen die Polizei, über Erkenntnisse, die für die Verfolgung der Organisierten Kriminalität von Bedeutung sein können. 7.6 Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner in der Justizvollzugsanstalt ist die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter. 8. Zusammenarbeit mit anderen Behörden 8.1 Zoll- und Finanzbehörden 8.1.1 Soweit Staatsanwaltschaft oder Polizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für – Hinterziehung von Eingangsabgaben oder Verbrauchsteuern, z.B. Gold- oder Alkoholschmuggel, – Straftaten i.S. des § 37 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen, z.B. Subventionsbetrug im Zusammenhang mit Fleisch oder Getreide, – Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz, z.B. illegaler Technologietransfer oder nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen mit Auslandsbezug, – Zuwiderhandlungen gegen Verbote und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, z.B. Rauschgift- oder Waffenschmuggel, Warenzeichenfälschungen, feststellen, ist der Zollfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116 der Abgabenordnung – AO –, § 42 des Außenwirtschaftsgesetzes). Dies kann entweder über das Zollkriminalamt – Zentrales Zollfahndungsamt – oder das örtliche Zollfahndungsamt erfolgen. Gewinnt der Zollfahndungsdienst im Rahmen seiner Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei oder Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Handelt es sich bei den Ermittlungen des Zollfahndungsdienstes um Ermittlungen wegen einer Zoll- oder Ver-
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brauchsteuerstraftat, so ist das Steuergeheimnis zu beachten. Es ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob das Steuergeheimnis durchbrochen werden kann. 8.1.2 Soweit Staatsanwaltschaft oder Polizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für Steuerstraftaten feststellen, ist der Steuerfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116 AO). Gewinnt der Steuerfahndungsdienst im Rahmen seiner steuerstrafrechtlichen Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen von Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei oder Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, wenn das Steuergeheimnis dem nicht entgegensteht. Dies ist im Einzelfall zu prüfen. Satz 2 gilt entsprechend für die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter. 8.2 Die Zusammenarbeit der Niedersächsischen Landespolizei mit der Bundespolizei richtet sich im Rahmen des geltenden Rechts nach der Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem MI über die Bildung eines gemeinsamen Sicherheitskooperationssystems zwischen ihren Polizeien vom 26.4.1999 (PolNBl. S.146). 8.3 Andere Behörden Die Organisierte Kriminalität kann mit strafrechtlichen Mitteln allein nicht mit Erfolg bekämpft werden. Die von ihr ausgehenden Gefahren sind auch bei den Entscheidungen der Ordnungsbehörden (vgl. Nummer 1.3) und sonstiger Verwaltungsbehörden zu berücksichtigen. Die Verwaltungsbehörden können ferner zur Aufklärung der Organisierten Kriminalität beitragen, indem sie relevante Erkenntnisse z.B. über unerlaubte Arbeitsvermittlung und Beschäftigung, illegale Einschleusung von Ausländerinnen und Ausländern, den Strafverfolgungsbehörden mitteilen. 8.4 Verfahrensübergreifende Zusammenarbeit Für die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit kann sich die Einrichtung von Gesprächskreisen auf örtlicher und über-örtlicher Ebene durch die Ansprechpartnerinnen, Ansprechpartner, OKBeauftragten, Koordinatorinnen und Koordinatoren (Nummer 3.2) empfehlen. 9. Schutz der Ermittlungen Dem Schutz der Ermittlungen kommt in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität besonders hohe Bedeutung zu. Ihm muss durch Ermittlungsbehörden und Justizvollzugsanstalten Rechnung getragen werden. Um das vorrangige Ermittlungsziel (vgl. Nummer 4.1) nicht zu gefährden, ist sicherzustellen, dass – ausschließlich unmittelbar an den Ermittlungen Beteiligte Kenntnis von Maßnahmen der verdeckten Informationsgewinnung erlangen und – in den mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität befassten Dienststellen oder Organisationseinheiten alle Voraussetzungen für den Schutz der Ermittlungen gegeben sind. Die Rechte der Verteidigung bleiben unberührt. 10. Gemeinsames Lagebild von Polizei und Staatsanwaltschaft über die Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 10.1 Grundsätzliches Das Lagebild „Organisierte Kriminalität in Niedersachsen” (Lagebild OK) soll den Zustand und die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität in Niedersachsen in dem jeweiligen Berichtsjahr möglichst umfassend und verlässlich beschreiben, bewerten und Entwicklungstendenzen aufzeigen. Es soll damit – den Strafverfolgungsbehörden die Grundlage für eine realistische, möglichst übereinstimmende Lageeinschätzung des Gefahrenpotenzials und des Umfangs der Organisierten Kriminalität liefern, – Rückschlüsse auf polizeiliche und justizielle Aufgabenstellungen, Bekämpfungsmaßnahmen und -ziele ermöglichen, – die Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzen, strategische Entscheidungen zur Optimierung der zielgerichteten OK-Bekämpfung zu treffen,
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– die Entscheidung über Schwerpunkte und Prioritäten erleichtern, – Empfehlungen an die politische Ebene und den Gesetzgeber geben, – eine möglichst effiziente Steuerung der Ressourcen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ermöglichen und – eine Überprüfung der Effektivität justizieller und polizeilicher Maßnahmen gewährleisten. Zur Erreichung dieser Zwecke ist das Lagebild OK als ein Produkt der strategischen Auswertung ständig weiterzuentwickeln und den Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität und den Notwendigkeiten einer effektiven Bekämpfung im nationalen und internationalen Zusammenhang anzupassen. Zu einer weiteren Verbesserung der Lagedarstellung ist es erforderlich, die justiziellen und die polizeilichen Daten und Erkenntnisse zusammenzuführen, um so die Erkenntnisgrundlagen über die Organisierte Kriminalität in Niedersachsen zu verbreitern. 10.2 Verfahren zur Erstellung des gemeinsamen Lagebildes 10.2.1 Grundlage des Lagebildes sind die in Niedersachsen bearbeiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mit OK-Relevanz. Die OK-Relevanz wird anhand der Definition „Organisierte Kriminalität“ der Gemeinsamen Arbeitsgruppe „Justiz/Polizei“ aus dem Jahr 1990 i.V.m. den Anlagen 1 und 2 festgestellt. 10.2.2 Gelangt die Polizei im Rahmen ihrer Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass der zugrunde liegende Sachverhalt der Organisierten Kriminalität zuzurechnen ist, so nimmt sie darüber eine Abstimmung mit der zuständigen Staatsanwaltschaft vor. Auf polizeilicher Seite ist daran in jedem Fall die Leiterin oder der Leiter der Zentralen Kriminalinspektion oder des zuständigen Dezernates der Abteilung 3 des Landeskriminalamtes zu beteiligen, deren oder dessen Entscheidung für die Polizei auf dieser Ebene maßgeblich ist. 10.2.3 Stimmen Polizei und Staatsanwaltschaft in der Bewertung der OK-Relevanz des Sachverhalts überein, so dokumentieren sie dies und geben dem gesamten Verfahrenskomplex einen Namen, der während der weiteren Verfahrensdauer beibehalten wird und der leichteren Zuordnung in späteren Verfahrensstadien dient. 10.2.4 Bestehen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bezüglich der OK-Relevanz unterschiedliche Auffassungen, die auf dieser Ebene nicht ausgeräumt werden können, so wird die Entscheidung darüber auf der Ebene des Landeskriminalamtes und der Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – herbeigeführt. 10.2.5 Die Polizei erhebt und meldet dem Landeskriminalamt die Lage unter Verwendung des bundeseinheitlich vorgegebenen Rasters und unter Beachtung der darüber hinaus auf Landesebene bestehenden Regelungen. Näheres regelt das Landeskriminalamt im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz. 10.2.6 Die Staatsanwaltschaften berichten zeitnah der Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – zu Eingang und Abschluss von OK-Verfahren (siehe Nummer 10.2.3). Maßgeblicher Inhalt dieser Berichte sind die spezifisch justiziellen Erkenntnisse, über die die Polizei nicht verfügt sowie neue, von den bisherigen polizeilichen Informationen abweichende Erkenntnisse, z.B. über die Effektivität der angewandten Ermittlungsmethoden, den Verlauf des gerichtlichen Verfahrens, die Herkunft und Verbindungen der Haupttäter, Vermögensabschöpfungen, Rechtshilfe oder Besonderheiten im Strafvollzug. Die Erfassung der justiziellen Daten wird im Einzelnen von der Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – geregelt. 10.2.7 Das Landeskriminalamt stellt sicher, dass die Daten aus OK-Verfahrenskomplexen des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei und des Zolls, soweit sie in Niedersachsen geführt werden, in das Lagebild einfließen. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – informiert das Landeskriminalamt über diejenigen eingeleiteten OK-Verfahrenskomplexe der niedersächsischen Staatsanwaltschaften, an denen die niedersächsische Polizei nicht beteiligt ist. 10.2.8 Meldeschluss für die zu berücksichtigenden Verfahren ist jeweils der 15. Dezember. Die Lagemeldungen der Polizei und der Staatsanwaltschaften werden durch das Landeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – zusammengefasst und zu Beginn des Folgejahres gemeinsam bewertet. Sie entscheiden einvernehmlich, ob die gemeldeten Verfahrenskomplexe in das Lagebild OK aufgenommen werden.
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10.2.9 Das Landeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft Celle – ZOK – erstellen auf der Grundlage dieser Bewertung den polizeilichen und den justiziellen Teil des gemeinsamen Lagebildes OK und legen ihn zum 15. Mai des jeweiligen Folgejahres dem MI und dem MJ vor. Sie berichten über die dabei gemachten Erfahrungen und die für erforderlich erachteten Änderungen in der Erfassung. 10.2.10 Das Landeskriminalamt teilt davon unabhängig dem Bundeskriminalamt die Daten mit, die zur Erstellung des Bundeslagebildes OK erforderlich sind. 10.2.11 Die Unterrichtung des LT, der Öffentlichkeit und der anderen Länder über das gemeinsame Langebild OK erfolgt einvernehmlich durch das MI und das MJ. 10.2.12 Das Landeskriminalamt versendet das Lagebild an die Landeskriminalämter der anderen Länder, das Bundeskriminalamt, den Zoll und die Bundespolizei. 11. Schlussbestimmung Dieser auf einer Vereinbarung der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder basierende Gem. RdErl. tritt am 13.8.2008 in Kraft. __________________________________________________
Anlage 1 Generelle Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte 1. Vorbereitung und Planung der Tat – präzise Planung, – Anpassung an Markterfordernisse durch Ausnützen von Marktlücken, Erkundungen von Bedürfnissen und Ähnliches, – Arbeit auf Bestellung, – hohe Investitionen, z.B. durch Vorfinanzierung aus nicht erkennbaren Quellen, – Verschaffung und Nutzung legaler Einflusssphären, – Vorhalten von Ruheräumen im Ausland. 2. Ausführung der Tat – präzise und qualifizierte Tatdurchführung, – Verwendung verhältnismäßig teurer oder schwierig einzusetzender wissenschaftlicher Mittel und Erkenntnisse, – Tätigwerden von Spezialisten (auch aus dem Ausland), – arbeitsteiliges Zusammenwirken, – Einsatz von polizeilich „unbelasteten“ Personen, – Konstruktion schwer durchschaubarer Firmengeflechte. 3. Finanzgebaren – Einsatz von Geldmitteln ungeklärter Herkunft im Zusammenhang mit Investitionen, – Inkaufnahme von Verlusten bei Gewerbebetrieben, – Diskrepanz zwischen dem Einsatz finanzieller Mittel und dem zu erwartenden Gewinn, – Auffälligkeiten bei Geldanlagen, z.B. beim Kauf von Immobilien oder sonstigen Sachwerten, die in keinem Verhältnis zum Einkommen stehen. 4. Verwertung der Beute – Rückfluss in den legalen Wirtschaftskreislauf, – Veräußerung im Rahmen eigener (legaler) Wirtschaftstätigkeiten, – Maßnahmen der Geldwäsche. 5. Konspiratives Täterverhalten – Gegenobservation, – Abschottung,
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– Decknamen, – Codierung in Sprache und Schrift, – Verwendung modernster technischer Mittel zur Umgehung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen. 6. Täterverbindungen oder Tatzusammenhänge – überregional, – national, – international. 7. Gruppenstruktur – hierarchischer Aufbau, – ein nicht ohne weiteres erklärbares Abhängigkeits- oder Autoritätsverhältnis zwischen mehreren Tatverdächtigen, – internes Sanktionssystem. 8. Hilfe für Gruppenmitglieder – Fluchtunterstützung, – Beauftragung bestimmter Anwälte und deren Honorierung durch Dritte, – Aufwendung größerer Barmittel im Rahmen der Verteidigung, – hohe Kautionsangebote, – Bedrohung und Einschüchterung von Verfahrensbeteiligten, – Unauffindbarkeit von zuvor verfügbaren Zeugen, – ängstliches Schweigen von Betroffenen, – überraschendes Benennen von Entlastungszeugen, – Betreuung in der Untersuchungshaft oder Strafhaft, – Versorgung von Angehörigen, – Wiederaufnahme nach der Haftentlassung. 9. Korrumpierung – Einbeziehung in das soziale Umfeld der Täter, – Herbeiführen von Abhängigkeiten (z.B. durch Sex, verbotenes Glücksspiel, Zins- und Kreditwucher), – Zahlung von Bestechungsgeldern, Überlassung von Ferienwohnungen, Luxusfahrzeugen usw. 10. Monopolisierungsbestrebungen – „Übernahme“ von Geschäftsbetrieben und Teilhaberschaften, – Führung von Geschäftsbetrieben durch Strohleute, – Kontrolle bestimmter Geschäftszweige, – „Schutzgewährung“ gegen Entgelt. 11. Öffentlichkeitsarbeit – gesteuerte oder tendenziöse Veröffentlichungen, die von einem bestimmten Tatverdacht ablenken, – systematischer Versuch der Ausnutzung gesellschaftlicher Einrichtungen (z.B. durch auffälliges Mäzenatentum). _________________________________________________
Anlage 2 Hinweise zur praktischen Anwendung der Definition „Organisierte Kriminalität“ Vorbemerkung Die Definition der Organisierten Kriminalität (im Folgenden: OK) soll der Anwenderin oder dem Anwender der Richtlinie über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der OK eine Hilfestellung bei der sachgerechten und möglichst eindeutigen Bewertung geben, ob Straftatenkomplexe und Verhaltensweisen Verdächtiger der OK zuzuordnen sind.
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Die Folgen einer solchen Zuordnung können vielfältig sein, z.B. – Begründung von Zuständigkeiten von Fachdienststellen zur Strafverfolgung, – Begründung der Anwendung besonderer Eingriffsmaßnahmen, – Einbeziehung der Informationen in zentrale Auswertungssysteme (Intelligence-Systeme), – Erfüllung besonderer Informations- und Meldepflichten einschließlich internationalem Nachrichtenaustausch, – Erfassung in gesonderten Lagebildern. Die nachfolgenden Ausführungen richten sich vor allem an die in den Strafverfolgungsbehörden mit der Bekämpfung der OK befassten Bediensteten, um auf der Grundlage angenäherter Lageeinschätzungen zu einer einheitlichen Bekämpfung der OK zu gelangen. 1. Definition „Organisierte Kriminalität“ 1.1 Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus. 1.2 Aufbau der Definition Die Definition OK umfasst strafrechtliche, soziologische, psychologische und ökonomische Elemente. Sie stellt keinen materiell-strafrechtlichen Normenbegriff dar. Sie ist in zwei Teile gegliedert: die generellen und speziellen Merkmale der Alternativen der Nummer 1.1 Buchst. a bis c. 1.2.1 Generelle Merkmale – Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, – Gewinn- oder Machtstreben, – auf längere oder unbestimmte Dauer, – Arbeitsteiligkeit, – Zusammenwirken von mehr als zwei Beteiligten, – planmäßige Begehung. 1.2.2 Spezielle Merkmale Erst die speziellen Merkmale der Alternativen der Nummer 1.1 Buchst. a bis c qualifizieren organisiertes kriminelles Verhalten zu OK. Im Verhältnis zueinander können diese Merkmale einzeln oder kumulativ gegeben sein. Für die Bestimmung „OK“ ist nicht erforderlich, dass beide Merkmalsgruppen sachlich und zeitlich in einem zur Bewertung anstehenden Sachverhalt zusammenfallen. Eine einzelne noch fehlende Merkmalsgruppe kann sich auch aus anderen, zeitlich zurückliegenden Feststellungen der Strafverfolgungsbehörden herleiten lassen. Wesentlich ist, dass der im Einzelfall angestrebte Tatzweck erreicht und/oder der Fortbestand und die Wirksamkeit der Organisation gesichert werden sollen. Darin liegt die besondere Gefährlichkeit der OK; die kriminalpolitische Zielsetzung besteht darin, mit adäquaten Bekämpfungsmaßnahmen die Etablierung und Verfestigung der kriminellen Strukturen in Teilbereichen der Gesellschaft zu unterbinden. 1.3 Anwendungsfälle 1.3.1 Grundsätzlich unproblematisch ist die Anwendung der Definition auf Sachverhalte, bei denen die Ermittlungen ganz oder weitgehend abgeschlossen sind. Um OK zu bejahen, müssen die generellen Merkmale gegeben sein und zumindest die speziellen Merkmale einer der Fallgruppen der Nummer 1.1 Buchst. a bis c vorliegen. Bei der Untersuchung der speziellen Merkmale kann sich als unproblematisch erweisen, dass solche bereits Tatbestandsmerkmale der Straftatbestände darstellen. In eine Überprüfung dieser Merkmale ist im Einzelnen nicht erneut einzutreten:
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Wird nämlich bei der Beurteilung der zugrunde liegenden Straftaten die Nutzung geschäftsähnlicher Strukturen, z.B. von Betrieben oder Unternehmen bei wirtschaftskriminellem Verhalten, oder die Gewaltanwendung, z.B. bei der Durchführung einer Raubtat, festgestellt, so reichen diese tatbestandlichen Verhaltensweisen allein nicht aus, auch gleichzeitig die speziellen Merkmale für OK zu bejahen. Hierzu sind zusätzliche Feststellungen zu OK-typischen Verhaltensweisen i.S. der speziellen Merkmale der Nummer 1.1 Buchst. a bis c erforderlich. Sind diese Verhaltensweisen nicht feststellbar, so werden selbst schwer wiegende Straftaten nicht zur OK; es handelt sich zwar um geplant vorbereitete und durchgeführte Straftaten, aber nicht um OK i.S. der Definition. 1.3.2 Problematisch sind diejenigen Sachverhalte, bei denen deutliche Hinweise auf OK-Hintergründe (noch) nicht erkennbar sind. Es gibt z.B. im Diebstahlsbereich eine Fülle von Delikten, die für sich allein keine OK abbilden. Dennoch können diese Taten, z.B. bezogen auf eine organisierte Verwertung der erlangten Güter, durchaus einen gemeinsamen OK-Hintergrund haben. Zur Beschreibung des „Tatbildes“ sind dann alle aus der Auswertungstätigkeit resultierenden Informationen zusammenzufassen und die personenbezogenen Informationen zusätzlich aufzubereiten. Beim personen- oder gruppenbezogenen Ansatz liegen zur Tatzeit regelmäßig noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte (i.S. des § 152 Abs. 2 StPO) vor, so dass die generellen Merkmale zunächst zu verneinen sind. Ungeachtet dessen weisen die personenbezogenen Erkenntnisse auf OK hin. 2. Begriffsmerkmale der Definition „Organisierte Kriminalität“ 2.1 Generelle Merkmale 2.1.1 Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind Unter dem Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung sind solche Straftaten zu verstehen, die den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nachdrücklich zu beeinträchtigen. Dabei kann es sich auch um Straftaten handeln, die von der Öffentlichkeit nicht augenfällig wahrgenommen werden können, dem gegenüber aber einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden für die Allgemeinheit verursachen und deshalb auch eine wesentliche Bedrohung darstellen. 2.1.2 Gewinn- und Machtstreben Gewinnstreben ist das planvolle Verhalten zur Erlangung wesentlicher materieller Vorteile. Machtstreben ist umfassend zu verstehen (wirtschaftlich und sozial). Es setzt Aktivitäten voraus, die die Erlangung von Einflusspositionen gegenüber Dritten oder eigenen Gefolgsleuten zum Ziel haben. Auch Monopolisierungsbestrebungen können hierunter fallen. Zu diesem Zweck werden auch Straftaten begangen, die keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile erbringen. Weiterhin werden Anstrengungen unternommen, gesellschaftliche Anerkennung und Einfluss zu erlangen. Dies wird im Bereich der Milieukriminalität der Großstädte besonders deutlich. 2.1.3 Auf längere oder unbestimmte Dauer Dieses zeitliche Merkmal schließt diejenigen Verhaltensweisen aus, bei denen die Beteiligten nur im Einzelfall oder für einen kurzfristigen Zeitraum zusammenwirken. Es ist erfüllt, wenn Serientaten, Tatzusammenhänge, verfestigte Informations- oder Kommunikationsstrukturen, Abrechnungsmodalitäten (Beuteverteilung) oder Ähnliches festgestellt werden und Tatsachen die Annahme begründen, dass dieses durch die Absichten der Beteiligten, z.B. in Form von Bekundungen oder konkludenten Verhalten, getragen ist. 2.1.4 Arbeitsteiligkeit Die Arbeitsteiligkeit bemisst sich nach dem erkennbaren Grad der Aufgabenteilung bei der Verwirklichung der Straftatbestände. Wegen der Planmäßigkeit und Spezialisierung bei der OK können Täter – insbesondere wenn sie einer höheren Ebene angehören – vielfach (lediglich) steuernd auf die Tatverwirklichung Einfluss nehmen, ohne selbst unmittelbar an der Tat beteiligt oder am Tatort anwesend zu sein.
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2.1.5 Zusammenwirken von mehr als zwei Beteiligten Voraussetzung ist das Zusammenwirken von mindestens drei Personen, die aus einer gemeinsamen Zielsetzung heraus handeln. Zusammenwirken ist das koordinierte Entfalten von Tätigkeiten (auch in der Form der Unterlassung), die Tatvorhaben und Ziele der Organisation fördern. Die Grundlagen ergeben sich aus einem gemeinschaftlichen Plan, der die arbeitsteiligen Elemente der Straftatenbegehung umfasst. 2.1.6 Planmäßige Begehung Die planmäßige Begehung umfasst die Tatphasen mit ihren Elementen der – Tatverabredung, – Tatvorbereitung, – Tatdurchführung, – Absatzplanung oder Beuteverwertung, – Tatsicherung. Dieses Merkmal zielt auf die „Perfektionierung und Professionalisierung der Begehensweisen“ ab und dient somit dem Erfolg im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln auf der Grundlage der Arbeitsteiligkeit und Spezialisierung. Bei Tatbeteiligten im Hintergrund kommt es darauf an nachzuweisen, dass die intellektuelle oder wirtschaftliche (Mit-)Beherrschung des Tatgeschehens notwendige Voraussetzung für die Begehung der Tat ist. 2.2 Spezielle Merkmale der Alternativen der Nummer 1.1 Buchst. a bis c 2.2.1 Zu Nummer 1.1 Buchst. a: Unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen Aus der (Mit-)Nutzung vorhandener, überwiegend legaler gewerblicher Strukturen durch kriminelle Organisation ergibt sich eine Verflechtung illegalen und legalen Wirtschaftslebens. Sie stellt einen zentralen Aspekt der OK dar. Da Beschaffungs- oder Verwertungshandlungen, in großen Dimensionen angelegt, nicht ohne weiteres geheim zu halten sind, werden sie oft dadurch getarnt, dass sie mit legalen Geschäftsvorgängen durchgeführt werden. Die Tatausübung muss mit Vorgängen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung einhergehen. Durch dieses Verhalten werden (auch ohne weitere straf-rechtlich relevante Handlungen) Situationen geschaffen, die die Aufklärung des Sachverhalts erheblich beeinträchtigen. Insbesondere führt es zu gravierenden Vertrauensverlusten in die auf Treu und Glauben basierenden Wirtschaftsabläufe. Die OK-Täter stellen auf Dauer vor allem auf die Maximierung und Sicherung ihrer Profite ab; insoweit bedeutet dies auch die Erweiterung der kriminellen Aktionsmöglichkeiten. Hierunter sind auch die Verschleierung der kriminellen Handlungen oder Interessen oder der Missbrauch besonderer Befugnisse oder Erlaubnisse (z.B. Lizenzen) zu verstehen. Damit kommt es nicht darauf an, ob die Täter diese Strukturen eigens hierfür geschaffen haben oder sich nur solcher bedienen. Eine wesentliche zeitliche oder quantitative oder qualitative Begleitkomponente muss z.B. dann bejaht werden, wenn Straftäter sich der Möglichkeiten moderner Infrastrukturen oder Ähnlichem bedienen, um „erfolgreicher“ zu handeln, weil mengenmäßig keine Begrenzungen zu sehen und Nachweise beim Massenverkehr nur unter erschwerten Bedingungen zu führen sind. Soweit tatbestandliche Verhaltensweisen zugrunde liegender Straftaten der Wirtschaftskriminalität mit den speziellen Merkmalen der Alternative der Nummer 1.1 Buchst. a übereinstimmen, können diese allein nicht für die „Qualifizierung“ als OK herangezogen werden. Hierzu sind darüber hinausgehende Feststellungen zu den Alternativen der Nummer 1.1 Buchst. b oder c erforderlich, wie sie nachfolgend in den Nummern 2.2.2 und 2.2.3 erläutert sind. 2.2.2 Zu Nummer 1.1 Buchst. b: Unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel Wenn die Gewaltanwendung Tatbestandsmerkmal einer Straftat ist, z.B. bei Angriffen gegen Leib und Leben, die persönliche Freiheit oder die Freiheit der Willensentschließung, ist dieses konstitutives Merkmal und erfüllt für sich allein die qualifizierende Alternative nicht. Der Gewaltbegriff
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ist weitergehend zu prüfen, wenn unabhängig von der Gewaltanwendung bei der Verwirklichung des Straftatbestandes diese zugleich oder als selbständiges Teilziel – in ihrer Wirkung auf die Allgemeinheit, – mit bestimmbarer Auswirkung auf weitere potenzielle Opfer oder – auf die Aufrechterhaltung der „inneren Ordnung der Organisation“ gerichtet ist. Bei den weitergehenden Prüfungen ist sowohl die Tätervorstellung und -absicht zugrunde zu legen wie auch die objektiv feststellbare Wirkung auf die Betroffenen. Die Verhaltensweisen gemäß Alternative der Nummer 1.1 Buchst. b – gleichgültig in welcher Form angewendet, auch vordergründig positiv erscheinende Verhaltensweisen – müssen aus der Sicht der Betroffenen als Zwang verstanden werden. Einschüchterung und Gewalt sind zur Durchsetzung und Sicherung der Machtansprüche gängige Mittel, wenngleich sich mit zunehmendem Organisationsgrad die Anwendung immer subtilerer Machtmittel beobachten lässt. Fehlende tatsächliche Gewaltanwendung ist deshalb kein Hinweis auf das Nichtvorhandensein von OK. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass bei ausgereiften, in ihrer Struktur verfestigten Organisationen Gewalt nur selten offenkundig wird, da subtilere Formen von Pressionen ausreichen. Allein das Wissen um die im Extremfall unausweichliche, konsequente und in aller Härte durchgeführte Gewaltanwendung reicht aus, um Organisationsmitglieder, Opfer und Zeugen gefügig zu machen. Hier sind sowohl die interne Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel (innerhalb der Organisationsstruktur) als auch die externe (gegenüber Dritter) zu subsumieren. 2.2.3 Zu Nummer 1.1 Buchst. c: Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Führungspersonen der OK sind bestrebt, innerhalb ihres „Herrschaftsbereichs“ und oft auch in der Gesellschaft Anerkennung zu finden. Soziale Integration bietet nach außen hin die beste Gewähr, „Geschäfte“ ungestört und – bei Bedarf – mit Unterstützung der so gewonnenen „Freunde“ erfolgreich abzuwickeln. Zu diesem Zweck werden gesellschaftliche Anlässe gesucht (oder selbst geschaffen), bei denen Kontakte zu Personen des öffentlichen Lebens – sei es aus dem Bereich der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft oder der Medien – hergestellt werden könne. Ob und wie diese Beziehungen einmal für die illegalen Zwecke genutzt werden können, ob durch wie auch immer geartete Formen der Bestechung, der Erpressung oder sonstiger Beeinflussung die Betroffenen zur Mithilfe „bewegt“ werden, steht zunächst nicht im Vordergrund. Einflussnahme ist das Einwirken auf Entscheidungsprozesse in den genannten Bereichen. Diese können sich in begünstigenden Handlungen oder Unterlassungen darstellen, die insgesamt im Interesse der Straftäter liegen. Eine Einflussnahme kann auch in kollusivem Verhalten bestehen. Zur Abgrenzung der verfassungsrechtlich erwünschten oder der legitimen Formen der Beeinflussung von Entscheidungsträgern ist es zusätzlich erforderlich, dass der verwerfliche Charakter der Einflussnahme – entweder in den Mitteln oder in den Zielsetzungen – festgestellt wird. Indizien für das Vorliegen verwerflicher Einflussnahme können u.a. sein – Bedrohungen, Nötigungen, Erpressung oder Anwendung von Gewalt sowie – Bestechung oder Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen.
§ 110b (1) 1Der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers ist erst nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulässig. 2Besteht Gefahr im Verzug und kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeholt werden, so ist sie unverzüglich herbeizuführen; die Maßnahme ist zu beenden, wenn nicht die Staatsanwaltschaft binnen drei Werktagen Pierre Hauck
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zustimmt. 3Die Zustimmung ist schriftlich zu erteilen und zu befristen. 4 Eine Verlängerung ist zulässig, solange die Voraussetzungen für den Einsatz fortbestehen. (2) 1 Einsätze, 1. die sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richten oder 2. bei denen der Verdeckte Ermittler eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist, bedürfen der Zustimmung des Gerichts. 2Bei Gefahr im Verzug genügt die Zustimmung der Staatsanwaltschaft. 3Kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeholt werden, so ist sie unverzüglich herbeizuführen. 4Die Maßnahme ist zu beenden, wenn nicht das Gericht binnen drei Werktagen zustimmt. 5Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. (3) 1 Die Identität des Verdeckten Ermittlers kann auch nach Beendigung des Einsatzes geheimgehalten werden. 2Der Staatsanwalt und das Gericht, die für die Entscheidung über die Zustimmung zu dem Einsatz zuständig sind, können verlangen, daß die Identität ihnen gegenüber offenbart wird. 3 Im übrigen ist in einem Strafverfahren die Geheimhaltung der Identität nach Maßgabe des § 96 zulässig, insbesondere dann, wenn Anlaß zu der Besorgnis besteht, daß die Offenbarung Leben, Leib oder Freiheit des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person oder die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde. Schrifttum und Entstehungsgeschichte siehe bei § 110a.
Übersicht Rn. I. Einsatz des VE nach Abs. 1 und 2 . . 1. Allgemeiner Einsatz . . . . . . . . 2. Qualifizierter Einsatz . . . . . . . a) Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten . . . . . . . . . b) Betreten von Wohnungen . . .
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II. Rechtliche Voraussetzungen 1. Allgemeiner Einsatz nach Abs. 1 a) Anordnungskompetenz der Polizei . b) Zustimmung der Staatsanwaltschaft 2. Qualifizierter Einsatz nach Abs. 2 a) Richtervorbehalt . . . . . . . . . . aa) Zustimmung zum Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten
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Rn. bb) Zustimmung zum Betreten von Wohnungen . . . . . . . . . . b) Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft in den Fällen des Abs. 2 . . . c) Form und Inhalt der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts
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III. Identitätsschutz 1. Die Regelung in Abs. 3 . . . . . . . . 2. Das Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 d) EMRK . . . . . . . . . . .
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IV. Anfechtbarkeit der Maßnahme
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I. Einsatz des VE nach Abs. 1 und 2 1
Die Vorschrift regelt besondere Anordnungs- und Mitwirkungskompetenzen für den allgemeinen Einsatz (Abs. 1) und für qualifizierte Einsätze (Abs. 2) Verdeckter Ermittler. Zur Frage, wann ein Polizeibeamter als Verdeckter Ermittler eingesetzt wird, s. § 110a, 10 ff. Die Anordnung des Einsatzes ist nach dem Gesetz Sache der Polizei, nur sie soll beurteilen können, ob eine solche Maßnahme ergriffen werden kann.1 Der Staats-
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anwaltschaft hat man dies nicht zugetraut, sie hat wieder einmal eine Position gegen die stärkeren Interessen der Innenverwaltung verloren. Immerhin sah sich der Gesetzgeber genötigt, aus rechtsstaatlichen Gründen den Einsatz an die Zustimmung der Staatsanwaltschaft (Abs. 1), in besonderen Fällen (Abs. 2) an die Zustimmung des Richters zu binden. Diese Einsatzvoraussetzungen gelten auch dann, wenn ein zunächst nach Polizeirecht eingesetzter Verdeckter Ermittler wenigstens auch strafverfolgend tätig wird, wenn also auf Grund seiner eigenen Ermittlungen oder auf Grund anderer Erkenntnisse zureichende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen und er diesen zur Aufklärung strafbarer Handlungen pflichtgemäß nachgeht (§ 110a, 44). Zur „Gemengelage“, wenn ein VE zunächst nach Landespolizeirecht präventiv tätig wird, vgl. § 110a, 9. Inwieweit sich der Begriff des „Einsatzes“ für die Abgrenzung von Verdeckten Ermittlern zu nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (NoeP) eignet, ist bereits bei § 110a (dort 23, 24) erörtert. 1. Allgemeiner Einsatz. Solange sich der Einsatz des Verdeckten Ermittlers auf Maß- 2 nahmen beschränkt, die nicht unter Abs. 2 fallen, ist nach Abs. 1 für die Anordnung allein (vgl. unten Rn. 6) die Polizei zuständig, doch bedarf sie der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft. 2. Qualifizierter Einsatz. Abs. 2 Satz 1 macht die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes 3 eines Verdeckten Ermittlers gegen einen bestimmten Beschuldigten (Nr. 1) oder in nicht allgemein zugänglichen Wohnungen (Nr. 2) von einer richterlichen Zustimmung abhängig. a) Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten. Richtet sich die Ermittlungstätig- 4 keit (sei es zur Tataufklärung, sei es zur Aufenthaltsermittlung) gegen einen bestimmten Beschuldigten (oder mehrere), so bedarf der VE-Einsatz der richterlichen Zustimmung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Der Beschuldigte braucht noch nicht namentlich bekannt zu sein, es genügt, wenn er auf Grund anderer Umstände (etwa als Fahrer eines bestimmten Fahrzeugs zu einer bestimmten Zeit, als Träger einer unverwechselbaren Funktion usw.) identifizierbar 2 ist. Geraten mehrere bestimmte Personen – auch alternativ – unter Tatverdacht, so richten sich die Ermittlungen gegen jeden Einzelnen. Beschränken sich die Ermittlungen anfangs auf einen begrenzten Personenkreis (z.B. den gesamten Freundeskreis des Mordopfers), so ist ein bestimmter Beschuldigter im Sinne von Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 noch nicht auszumachen. Anders verhält es sich aber, wenn sich die weiteren Ermittlungen auf bestimmte einzelne Tatverdächtige aus einer solchen Gruppe konzentrieren. Die Ermittlungsrichtung hin auf einen bestimmten Beschuldigten kann schon bei der Anordnung des Einsatzes feststehen, nicht selten werden sich Ermittlungen aber erst im Lauf der Zeit auf bestimmte Tatverdächtige konzentrieren, weil beispielsweise zunächst nur die Tat selbst, nicht aber die dafür Verantwortlichen bekannt geworden waren. Die richterliche Zustimmung wird dann erforderlich, wenn gegen eine bestimmte Person gerade als Beschuldigter ermittelt wird.3 Zwar ist damit zunächst ein Willensakt 4 der Strafverfolgungsbehörde (oft des Verdeckten Ermittlers selbst) maßgeblich, doch kann das nicht dazu führen, das Erfordernis der richterlichen Zustimmung willkürlich
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BGH NStZ 1997 294. KK/Nack 4; zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft vgl. LR/Gleß § 136, 4 ff. zur sog. „Gemengelage“ bei zunächst präven-
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tivem, später auch repressivem Einsatz des VE siehe § 110a, 9 und 44. BGHSt 34 138, 140; KK/Nack 4; BGH NJW 1997 1591 = NStZ 1997 398.
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hinauszuzögern.5 Vielmehr sind die Ermittlungsbehörden schon nach dem Legalitätsgrundsatz verpflichtet, den genannten Willensakt zu vollziehen, wenn sich zureichende Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht ergeben, dass die mutmaßliche Straftat von einer bestimmten Person begangen wurde. Dabei können auch objektive Umstände und Ermittlungsmaßnahmen gewichtige Anhaltspunkte dafür abgeben, dass in Wahrheit schon gegen eine bestimmte Person ermittelt wird. Im Ergebnis wird man die Regelung des § 397 Abs. 1 AO analog6 dafür heranziehen können, wann die Schwelle zur richterlichen Zustimmung erreicht ist. Danach ist das Strafverfahren eingeleitet, „sobald die [Strafverfolgungsbehörde] eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer [Straftat] strafrechtlich vorzugehen.“ Willkür (und zugleich eine Umgehung des Richtervorbehalts) liegt dann vor, wenn das Hinauszögern oder Unterlassen des Willensakts, gegen die betreffende Person als Beschuldigte vorzugehen, unter keinem rechtlichen oder sachlichen Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar erscheint. Trifft die Zielperson sich mit zuvor nicht bestimmbaren Tatbeteiligten, so deckt die Zustimmung des Einsatzes gegen die ursprüngliche Zielperson auch den Einsatz gegen solche Kontaktpersonen ab. Richtet sich der Einsatz des Verdeckten Ermittlers jedoch darüber hinaus nicht mehr (nur) gegen den ursprünglichen Beschuldigten, sondern (auch) gezielt gegen weitere bestimmte Personen im Sinne von Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, so ist die Einholung einer Zustimmungserklärung auch hinsichtlich der weiteren Beschuldigten erforderlich.7 Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die gegen Dritte gewonnen worden sind, auf die sich die Zustimmung nicht erstreckte s. § 110a, 49 f.
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b) Betreten von Wohnungen. Der richterlichen Zustimmung bedarf ferner der VEEinsatz, im Rahmen dessen der VE eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2). Der Begriff der Wohnung ist zunächst kein anderer als in § 102; siehe dort Rn. 28. Er umfasst alle von Art. 13 GG geschützten Räumlichkeiten,8 das sind solche, die zur Stätte des Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht werden,9 nimmt aber – wie der Vergleich mit § 102 zeigt – „andere Räume“, das sind solche, die nicht Wohnzwecken oder jedenfalls dem Aufenthalt von Menschen dienen (z.B. Geräteschuppen), von dem Zustimmungserfordernis aus. Die Beschränkung auf nicht allgemein zugängliche Wohnungen ist überflüssig, weil 5a allgemein zugängliche Wohnungen nicht dem Schutz des Art. 13 GG unterliegen. Soweit in § 110c nur von Wohnungen die Rede ist, sind möglicherweise auch allgemein zugängliche Räume gemeint (S. § 110c, 100). Damit darf der VE Geschäftsräume, die dem Publikum offenstehen, zu Ermittlungszwecken auch ohne Zustimmung des Richters betreten. Am Beispiel eines Hotels lässt sich der Unterschied verdeutlichen: Der VE kann ohne richterliche Zustimmung etwa die Rezeption oder das Restaurant betreten,10 dagegen bleiben ihm die einzelnen Hotelzimmer ohne diese Zustimmung verschlossen. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der gesamten Regelung vgl. bei § 110c, 11 ff. 5b
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BGHSt 10 8, 12. Für eine entsprechende Überprüfung des Willensakts der Strafverfolgungsbehörde bei der Zuschreibung der Beschuldigteneigenschaft schon Rogall MDR 1977 978; neuerdings so auch BGH NStZ 1997 398 = NJW 1997 1597.
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BGH NStZ-RR 1999 340; KK/Nack 9. BTDrucks. 12 989 S. 39; § 110c, 1; vgl. auch BVerfG NJW 1979 2299. BVerfGE 32 54, 71. Das sind Räume, deren Durchsuchung dem Richtervorbehalt des § 102 i.V.m. § 105 Abs. 1 unterliegen würde.
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II. Rechtliche Voraussetzungen 1. Allgemeiner Einsatz nach Abs. 1 a) Anordnungskompetenz der Polizei. Die Polizei, der als Dienstherrin die beamten- 6 rechtliche Fürsorgepflicht für den als VE eingesetzten Beamten obliegt, soll nicht von dritter Seite gezwungen werden können, gegen ihren Willen einen Beamten als Verdeckten Ermittler ein- und ihn damit den besonderen Gefahren eines solchen Einsatzes auszusetzen. Deshalb machen die Absätze 1 und 2 den Einsatz lediglich von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und – in besonderen Fällen – des Richters abhängig. Anordnen können die Letztgenannten solche Einsätze hingegen nicht.11 Der Polizei ist in II. Nr. 2.6. der Anlage D zu den RiStBV12 trotz Anerkennung des Legalitätsprinzips auch für die strafverfolgende Tätigkeit des VE (II. Nr. 2.6) das Recht vorbehalten, aus kriminaltaktischen Erwägungen einzelne vom Legalitätsprinzip u.U. gebotene Ermittlungshandlungen zurückzustellen (II. Nr. 2.6.1.) und den VE von der Verfolgung neu auftauchender Ermittlungsansätze mit Rücksicht auf seine Gefährdung freizustellen, soweit nicht der neu aufkommende Verdacht besonders schwerer Straftaten begründet ist (II. Nr. 2.6.2.). Daraus ist aber nicht umgekehrt zu folgern, dass – soweit es sich um Maßnahmen der Strafverfolgung handelt – die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Übrigen eingeschränkt wäre. Vielmehr bleibt sie auch insoweit Herrin der Ermittlungen. Besteht sie auf der Beendigung des Einsatzes, weil sie ihn beispielsweise angesichts der Beweislage und des Gewichts des Vorwurfs für nicht verhältnismäßig hält, hat die Polizei dem Folge zu leisten. Über die aus einer Güterabwägung mit der Gefährdung des VE herrührenden o.g. Einschränkungen des Legalitätsprinzips ist die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzuholen (II. Nr. 2.6.3 der Anlage D zu den RiStBV). Mithin trägt die Staatsanwaltschaft rechtlich auch die Verantwortung für den Einsatz.13 Die Auswahl des konkret einzusetzenden Polizeibeamten trifft allein die Polizei, denn hierfür kann die Staatsanwaltschaft die Verantwortung nicht übernehmen.14 b) Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers be- 7 darf also mindestens der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Lediglich dann, wenn Gefahr im Verzug (dazu § 98, 34 ff.; und § 105, 83 ff.) vorliegt und die Zustimmung der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, besteht eine (alleinige) Eilkompetenz der Polizei für die Anordnung des Einsatzes. Da Gefahr im Verzug nach allgemeinem Verständnis ohnehin erst dann vorliegt, wenn im Falle der Einholung der für eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme vom Gesetz vorgeschriebenen Zustimmung, Genehmigung oder Anordnung ein Beweismittelverlust wahrscheinlich ist, erschöpft sich die zweite Voraussetzung in der tautologischen Beschreibung des Begriffs der „Gefahr im Verzug“.15 Ein eigenständiges zusätzliches Erfordernis enthält sie nicht.16 Wenngleich der Einsatz Verdeckter Ermittler in der überwiegenden Zahl der Fälle längerer Vorausplanung bedarf, kann sich die Notwendigkeit unverzüglicher Entscheidungen
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BTDrucks. 12 989 S. 42. „Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung“, abgedruckt oben § 110a, 82.
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KK/Nack 1. Meyer-Goßner 1; Hilger NStZ 1992 524 Fn. 145. So zutreffend SK/Wolter 3. A.A. KK/Nack 2.
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über einen Einsatz vor allem dann ergeben, wenn der Übergang von präventiver zu repressiver Ermittlung wegen eines neu aufkommenden Tatverdachts im Zuge eines zunächst zur Gefahrenabwehr begonnenen Einsatzes ansteht.17 Der Verdeckte Ermittler kann hier bei Gefahr im Verzug selbst sofort dem neuen Anfangsverdacht nachgehen. Das ergibt sich schon daraus, dass er als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft weiter dem Legalitätsprinzip unterliegt.18 Trifft er die Entscheidung zunächst allein, hat er unverzüglich die innerdienstlich dafür zuständige Stelle19 zu unterrichten, damit diese die nach Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft herbeiführt. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist unverzüglich herbeizuführen. Der Ein8 satz ist in jedem Fall zu beenden, wenn die Zustimmung nicht binnen drei Werktagen vorliegt.20 Diese Frist beginnt mit der Anordnung der Maßnahme zu laufen,21 nicht erst mit dem Tätigwerden des VE, jedoch wird der Tag, an dem die Entscheidung der Polizei, den Einsatz anzuordnen, getroffen wurde, nicht eingerechnet. Das ergibt sich aus § 42.22 Aus der Dreitagesfrist kann nicht gefolgert werden, sie dürfe in jedem Fall ausgeschöpft werden, vielmehr gilt primär die Forderung der Unverzüglichkeit.23 Auch wenn der Einsatz alsbald von der Polizei abgebrochen wird, ist die für die Sachleitung verantwortliche Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten; das folgt aus § 163 Abs. 2 Satz 1. 2. Qualifizierter Einsatz nach Abs. 2
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a) Richtervorbehalt. Der VE-Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten oder in nicht allgemein zugänglichen Wohnungen unterliegt nach Abs. 2 einem zu dem stets erforderlichen Zustimmungserfordernis der Staatsanwaltschaft hinzutretenden Richtervorbehalt.24 Der Richter muss – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – solchen Einsätzen schriftlich (Abs. 2 Satz 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 3) und – im Regelfall – vorher zustimmen. Seine Zustimmung erstreckt sich allerdings lediglich auf den Einsatz als solchen, nicht von dem Zustimmungserfordernis erfasst sind hingegen die Einzelheiten des Einsatzes. Nicht zuletzt deshalb, weil der Gesetzgeber es versäumt hat, im Gesetzgebungsverfahren klarzustellen, ob und inwieweit er in den genannten Maßnahmen Grundrechtseingriffe sieht,25 ist die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der im ursprünglichen Entwurf des OrgKG noch nicht vorgesehenen Regelung umstritten. Polizeipraktiker sehen darin einen Rückschritt gegenüber dem früher auf Grund der Gemeinsamen Richtlinien26 i.V.m. § 163 praktizierten Verfahren und verweisen auf die Risiken für den Schutz des VE, die sich bei jeder Ausweitung des mit seinem Einsatz befassten Personenkreises erge-
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Dazu § 110a, 9; KK/Nack 2. § 163, vgl. auch II. Ziffer 2.6 der Anlage D zu den RiStBV. In II. Ziffer 2.4 der Anlage D zu den RiStBV haben sich die Innenminister und -senatoren der Länder dazu verpflichtet, für den Polizeibereich Regelungen zu treffen, die die Entscheidung über den Einsatz auf einer möglichst hohen Ebene, zumindest auf der Ebene des Leiters der sachbearbeitenden Organisationseinheit, vorsehen.
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Zur Verwertbarkeit der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse vgl. bei § 110a, 66. Meyer-Goßner 1. Wie hier Meyer-Goßner 42 Rn. 1; SK/Wolter 3; KK/Nack 2. KK/Nack 2; SK/Wolter aaO. Krey Rechtsprobleme 143 hält den Richtervorbehalt für eine Überspannung „rechtsstaatlicher Anforderungen“ (sic!). Das gilt insbesondere für das Betreten von Wohnungen, näher dazu bei § 110c. Abgedruckt oben § 110a, 83.
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ben.27 Von einer überflüssigen Regelung ist ebenso die Rede wie von einer kriminalpolitisch misslungenen Regelung, die eine „ärgerliche Überspannung“ darstelle.28 Andererseits ist im Gesetzgebungsverfahren mit Nachdruck die besondere rechtsstaatliche Qualität dieser richterlichen Kontrollbefugnis hervorgehoben worden.29 Das erkennbare Bestreben von Polizei und Staatsanwaltschaften, vom Geltungsbereich der §§ 110a ff. möglichst viele verdeckt operierende Polizeibeamte auszunehmen,30 muss vor allem vor dem Hintergrund dieser Regelung gesehen werden. Zuständig für die Entscheidung nach Abs. 2 ist im Ermittlungsverfahren der Ermitt- 10 lungsrichter (§§ 162, 169), sonst das mit der Sache befasste Gericht. Der Ermittlungsrichter entscheidet hier, wie stets, nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Nach Erhebung der öffentlichen Klage wird die Staatsanwaltschaft angehört, da die Zustimmung eine Entscheidung im Sinne des § 33 Abs. 2 ist. aa) Zustimmung zum Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten. Die Zustim- 11 mung nach Abs. 2 Nr. 1 ist für jeden Beschuldigten gesondert zu erteilen, das ergibt sich aus der Gesetzesformulierung „gegen einen bestimmten Beschuldigten“.31 Der Name dessen, gegen den sich der VE-Einsatz richtet, braucht noch nicht bekannt zu sein, es genügt, wenn die Zielperson des Einsatzes individualisierbar und identifizierbar wird, beispielsweise auf Grund ihres Aussehens, ihrer beruflichen Stellung oder sonstiger Beziehungen oder ihres Verhaltens.32 Die aktenmäßige Dokumentation des Vorgehens gegen einen bestimmten Beschuldigten obliegt der Staatsanwaltschaft.33 Vgl. i.Ü. oben Rn. 4. bb) Zustimmung zum Betreten von Wohnungen. Soll der VE im Rahmen seines Ein- 12 satzes eine nicht allgemein zugängliche Wohnung (vgl. oben Rn. 5) betreten, so muss nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Ermittlungsrichter dem ebenfalls zustimmen. Ungeklärt ist hier die Frage, ob – wie bei Nr. 1 – die richterliche Zustimmung lediglich bezogen auf ein konkretes Zielobjekt, d.h. nur für eine genau bezeichnete Wohnung erteilt wird. Die wohl h.M. verneint dies mit der Begründung, dass schon der Wortlaut der Nr. 2, die nicht von einer „bestimmten“ Wohnung spreche, dagegen stehe, dass im Übrigen der Einsatz des VE weitgehend entwertet werde, weil es gerade dem Wesen solcher Einsätze entspreche, die Zielpersonen in wechselnde Wohnungen zu begleiten.34 Die in der Begründung des Gesetzentwurfs35 niedergelegte Motivation, wonach Verdeckte Ermittler keinen Einsatzwert hätten, wenn sie unter ihrer Legende keine Wohnungen betreten dürften, spricht für die letztgenannte Auffassung. Ihr scheint sich auch der 1. Strafsenat des
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Krüger Kriminalistik 1992 594, 597; Burghard Kriminalistik 1992 595; vgl. weiter die anlässlich der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages von den Praktikern geäußerte Kritik, dazu Möhrenschlager wistra 1992 331 Fn. 61. Krey Gutachten für das Zollkriminalamt Köln (1994) 42, 43. Die Erforderlichkeit eines solchen Richtervorbehalts stellen auch Zaczyk StV 1993 493; Hassemer KritJ 1992 570 und Eisenberg NJW 1993 1036 in Frage, wobei Letzterer den in der Heimlichkeit der Ermittlungen liegenden Vertrauensbruch als bestimmenden Grund für die Regelung ansieht, zustimmend Zaczyk aaO.
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Vgl. die Zitate aus den Beratungen des Deutschen Bundestages bei Weßlau StV 1995 506 Fn. 2. Vgl. dazu § 110a, 18 ff. Meyer-Goßner46 3; SK/Wolter 6; KK/Nack 4. Vgl. dazu Hilger NStZ 1992 523, 524 Fn. 147; BGH NStZ 1997 294; vgl. i.Ü. oben Rn. 4. II Ziffer 2.7 der Anlage D zu den RiStBV. KK/Nack 6; Meyer-Goßner 4; SK/Wolter 6; Krüger Kriminalistik 1992 595; Zaczyk StV 1993 490, 494. BTDrucks. 12 989 S. 43.
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Bundesgerichtshofs angeschlossen zu haben.36 Damit wird die Zustimmung nach Nr. 2 als allgemeine Zustimmung zum Betreten von Wohnungen gegeben. Allerdings deckt die Zustimmung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nicht zugleich diejenige 13 nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ab. Beide Zustimmungen regeln unterschiedliche Sachverhalte. Es sind Fälle denkbar, in denen noch nicht gegen einen konkreten Beschuldigten ermittelt wird und sich gleichwohl bereits die Notwendigkeit zum Betreten von Wohnungen ergibt. Umgekehrt wird es im Regelfall sinnvoll sein, zugleich mit der Zustimmung nach Nr. 1 vorsorglich auch diejenige nach Nr. 2 einzuholen, denn meist ist es unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg eines VE-Einsatzes, dass der VE in die Lage versetzt wird, seine Zielpersonen an deren regelmäßige Aufenthaltsorte, also auch in Wohnungen und Geschäftsräume, zu begleiten.37 Zu den inhaltlichen Anforderungen an die richterliche Zustimmung vgl. unten Rn. 15.
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b) Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft in den Fällen des Abs. 2. Ähnlich wie die Polizei im Fall des Abs. 1 Satz 2 kann die Staatsanwaltschaft im Fall des Abs. 2 Satz 2 dem Einsatz bei Gefahr im Verzug zunächst allein zustimmen. Kann auch ihre Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden, genügt vorläufig sogar eine Anordnung der Polizei (Abs. 2 Satz 3), d.h. der Verdeckte Ermittler kann notfalls auch selbst vor Ort erkennen, wer als Tatverdächtiger in Betracht kommt und sofort gegen ihn ermitteln, wenn seine Maßnahmen keinen Aufschub dulden. Allerdings ist dann die Zustimmung der Staatsanwaltschaft unverzüglich und außerdem die Zustimmung des Richters binnen drei Werktagen herbeizuführen. Auch hier beginnt die Frist mit der Anordnung der Maßnahme, nicht etwa mit dem Beginn der Maßnahme (des Einsatzes), zu laufen. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 110b Abs. 2 Satz 1 und 2.38 Dies ist auch sinnvoll, weil die Staatsanwaltschaft, die nur bei Gefahr im Verzug die Anordnung erlassen darf, ohnehin verpflichtet ist, die Maßnahme alsbald durchzuführen. Bei der Berechnung der 3-Tagesfrist zählt der Anordnungstag gem. § 42 nicht mit. Liegt die Zustimmung des Richters nach diesen drei Werktagen nicht vor, ist die Maßnahme zu beenden. Die Regelung wirft die Frage auf, wie die im Rahmen der Eilkompetenz ergriffenen Maßnahmen rechtlich zu bewerten sind, wenn eine richterliche Zustimmung nicht eingeholt wird oder der Richter seine Zustimmung später verweigert. Im Urteil vom 7. März 199539 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zum erstgenannten Fall entschieden, dass die nach Abs. 2 Satz 2 und 3 im Wege der Eilzuständigkeit erteilte Zustimmung der Staatsanwaltschaft ihre Rechtswirkungen auch dann behält, wenn die Zustimmung des Richters nicht eingeholt wird. Das ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut, der nur davon spreche, dass die Maßnahme nach drei Werktagen zu beenden sei, also nicht fortgesetzt werden dürfe. Lägen die Voraussetzungen für eine Eilentscheidung der Staatsanwaltschaft vor, ergebe sich aus dem „dualen System“,40 welches die Richterkompetenz und die des Staatsanwalts hier bildeten, dass der Staatsanwalt eine eigene Entscheidungskompetenz aus
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In der Entscheidung BGHSt 42 103 = BGHR StPO § 110b Abs. 2 Zustimmung 1 wird eine eingehende Begründung der Zustimmungsentscheidung des Richters auch deshalb gefordert, weil die Zustimmung weitreichende Wirkungen habe, so könne der VE auf Grund der Zustimmung eine oder mehrere noch nicht einmal bekannte Wohnungen betreten.
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Meyer-Goßner 4; SK/Wolter 7. Meyer-Goßner 1; vgl. für das gleichgelagerte Problem bei § 100b auch Schnarr NStZ 1988 481, 484. BGHSt 41 64 ff. = StV 1995 281 = NStZ 1995 516. Dazu Schnarr NStZ 1991 209, 214 ff.
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eigener Verantwortung wahrnehme. Dieser Entscheidung wird man zunächst uneingeschränkt für den Fall zustimmen können, dass sich die Ermittlungsmaßnahme schon vor der richterlichen Entscheidung erledigt hat und der Richter nur deshalb nicht mehr bemüht wird. Die so gewonnenen Erkenntnisse des VE bleiben uneingeschränkt verwertbar. Gleiches gilt im Regelfall dann, wenn der Richter nach drei Tagen die Fortsetzung eines Einsatzes, dem die Staatsanwaltschaft zugestimmt hat, durch Verweigerung seiner Zustimmung unterbindet. Die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse können weiter verwertet werden.41 Problematisch erscheinen aber die Fälle, in denen der Staatsanwaltschaft gar nicht bewusst ist, dass ein Fall des § 110b Abs. 2 vorliegt, etwa weil sie den VE rechtlich nur als Scheinaufkäufer einstuft. Wie auch der Bundesgerichtshof 42 andeutet, ist es dem Staatsanwalt bei seiner Zustimmungsentscheidung dann nämlich nicht bewusst, dass er auch über die Frage der Begründung der Eilkompetenz nach § 110b Abs. 2 Satz 2 nachdenken muss. Seine vermeintlich nur auf Grund der Anlage D der RiStBV erteilte Zustimmung kann von vornherein unter diesem Mangel leiden, weil ihr eine fehlerhafte Rechtsvorstellung und damit ein unzureichender Prüfungsmaßstab zugrunde liegt. Ähnlich ist es dann, wenn der Richter die Zustimmung verweigert, weil er zu dem Ergebnis kommt, die Einsatzvoraussetzungen nach § 110a StPO hätten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Man wird aber auch diesen Fall mit Hilfe des vom 1. Strafsenat vorgegebenen Weges lösen können. Der Ermittlungsrichter hat nach dem Wortlaut des Abs. 2 Satz 3 nur darüber zu befinden, ob eine schon begonnene Maßnahme fortgesetzt werden kann. Er entscheidet mithin nur „ex nunc“ über die mögliche „Beendigung“ der Maßnahme, nicht darüber, ob bereits Geschehenes („ex tunc“) „außer Kraft gesetzt“ wird. Eine die späteren Verfahrensbeteiligten bindende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des bisherigen Einsatzes trifft er deshalb nicht.43 Vielmehr bleibt diese Kontrolle dem späteren Prozessgericht vorbehalten. Das erscheint nicht zuletzt deshalb sachgerecht, weil der Betroffene an den ermittlungsrichterlichen Entscheidungen mit Blick auf das Geheimhaltungsbedürfnis nur unzureichend beteiligt werden kann. Kommt auch das Prozessgericht zur Einsicht, der Einsatz sei von vornherein rechtswidrig gewesen,44 so ist erst dann danach zu fragen, ob daraus ein Beweisverwertungsverbot für die vom VE gewonnenen Erkenntnisse folgt. Näher dazu bei § 110a, 56 ff. c) Form und Inhalt der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts. Die 15 Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist nach Abs. 1 Satz 3 schriftlich zu erteilen. Die richterliche Entscheidung ergeht als Beschluss. Zur Wahrung der Schriftform45 genügen telegrafische Übermittlung oder Telefax.46 Die Zustimmung wird auf Grundlage der Akten erteilt. Eine vorherige Anhörung Betroffener findet, um den Untersuchungszweck nicht zu gefährden, naturgemäß nicht statt, vgl. § 33 Abs. 4. Bei dem Schriftformerfordernis handelt es sich allerdings lediglich um eine Formvorschrift, die der Rechtssicherheit, nämlich der Klarstellung des Umfangs der gestatteten Maßnahme und der Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der Anordnung dient, deren Nichtbeachtung aber kein
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Vgl. dazu auch Rogall JZ 1996 264. BGHSt 41 64 ff. A.A. offenbar Meyer-Goßner 11; wohl auch Zaczyk StV 1993 490, 496; im Ergebnis wie hier Weßlau in der Entscheidungsanmerkung StV 1995 506 ff. Nach der hier vertretenen Lösung kann das Prozessgericht die Rechtswidrigkeit der
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Maßnahme selbst dann annehmen, wenn der Ermittlungsrichter ihr seinerzeit zugestimmt hatte. Vgl. dazu auch § 100a, 67. Vgl. zur Wahrung strafprozessualer Schriftformerfordernisse bei fernschriftlicher Übermittlung BGHSt 31 7, 8.
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Verwertungsverbot hinsichtlich der durch den VE-Einsatz gewonnenen Erkenntnisse begründen soll.47 Im Einzelfall wird es deshalb vertretbar sein zur Beschleunigung eine mündliche Zustimmung ausreichen zu lassen. Die Zustimmung ist zu befristen, wobei das Gesetz allerdings keine Höchstfrist vor16 sieht (Absatz 1 Satz 3). Damit ist die dem Einsatz zustimmende Staatsanwaltschaft aufgerufen, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Erwägungen zur zeitlichen Erforderlichkeit der eingriffsintensiven Maßnahme anzustellen. In diesem Appell scheint sich die Bedeutung der Pflicht zur Befristung der Maßnahme allerdings auch zu erschöpfen,48 zumal das Gesetz eine Verlängerung der Befristung zulässt, solange die Einsatzvoraussetzungen nach § 110a fortbestehen.49 Eine Selbstbindung der Staatsanwaltschaft durch die zunächst gesetzte Frist tritt damit nicht ein. Eine gerichtliche Kontrolle kann allenfalls mittelbar im Hauptverfahren durch das erkennende Gericht erfolgen, wobei noch ungeklärt ist, ob eine zu lange Frist für sich genommen rechtliche Konsequenzen nach sich zieht.50 Der Gesetzgeber hat darauf vertraut, dass übergebührlich lange Einsätze schon mit Rücksicht auf die „begrenzte Verfügbarkeit Verdeckter Ermittler“ nicht zu erwarten seien.51 Ob dieses Argument mit Blick darauf durchgreift, dass Verdeckte Ermittler auch präventiv nach Polizeirecht ermitteln, kann bezweifelt werden. Häufig wird gerade die Pflege der Legende es erfordern, einen VE über längere Zeit im Milieu einzusetzen. Die Frist beginnt mit der Zustimmung zu laufen. Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof insoweit – fußend auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Dauer der Vollstreckbarkeit von Durchsuchungsbeschlüssen52 – für den Fristbeginn bei einer Anordnung nach § 100b aufgestellt hat, gelten hier entsprechend.53 Aus der Zustimmungsbegründung – das gilt für die staatsanwaltschaftliche und die 17 richterliche Zustimmung in gleicher Weise – muss sich die Anordnungsgrundlage im Sinne des § 110a Abs. 1 (Satz 1, 2 oder 4) ebenso ergeben wie der Umfang des Einsatzes (allgemein, gegen einen bestimmten Beschuldigten oder zum Betreten von Wohnungen). Ob die Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach Abs. 1 neben der Befristung weiteren inhaltlichen Mindestvorgaben unterliegt, ist weitgehend ungeklärt, aber grundsätzlich zu bejahen. Eine – wenn auch knappe – Begründung zum Tatverdacht, zur Subsidiaritätsklausel und allgemein zur Verhältnismäßigkeit sind im Hinblick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit erforderlich. Der Bundesgerichtshof hat sich bisher nur zum Inhalt der richterlichen Zustimmung nach Abs. 2 geäußert.54 Er hat sich dabei an den Grundsätzen orientiert, die zu sonstigen Richtervorbehalten bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen entwickelt worden sind, namentlich der Rechtsprechung zu Durchsuchungsanordnungen, aber auch hervorgehoben, dass die Verdeckte Ermittlung eine vergleichsweise eingriffsintensivere Maßnahme darstelle, an die in der Tendenz evtl. sogar strengere Begründungsanforderungen zu stellen seien. Danach bedarf die Zustimmungsentscheidung einer
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BGHR NStZ 1996 48. Auch Meyer-Goßner 7 hält die Befristungspflicht weitgehend für bedeutungslos. Allerdings ist eine rückwirkende Verlängerung der Zustimmung bei Fristüberschreitung nicht möglich, vgl. dazu BGH NStZ 1998 426, 427; BGHSt 44 243, die Entscheidung betrifft die Anordnung zum Einsatz technischer Mittel nach § 100c StPO. Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen vgl. bei § 100a, 131; § 110a, 65.
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BTDrucks. 12 1989 S. 42. BVerfGE 96 44. BGHSt 44 243; ebenso SK/Wolter § 100b, 6; Füllkrug Kriminalistik 1990 349, 354; a.A. (Fristbeginn ab Durchführung der Maßnahme) früher Schnarr NStZ 1988 481 ff. Meyer-Goßner § 100b, 1; AK/Maiwald § 100b, 8. BGHSt 42 103 m. Anm. Weßlau StV 1996 579.
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Begründung, weil sie anfechtbar bleibt. Diese Begründung muss erkennen lassen, inwieweit der Richter die Einsatzvoraussetzungen nach den §§ 110a und b für gegeben hält, die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügt – wie sonst auch – dafür nicht, vielmehr sind die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen mit Sachverhalt zu unterlegen. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn die Zustimmung allein auf der Grundlage von Hinweisen eines V-Mannes erteilt werden soll.55 Gegen die Verwendung von Formularen hat der Bundesgerichtshof keine Bedenken.56 Ebenso darf der Ermittlungsrichter auf einen schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft Bezug nehmen. Ungeklärt ist freilich noch, welche Rechtsfolgen sich an eine Missachtung dieser Maßstäbe anknüpfen sollen. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs liegt die Annahme zugrunde, dass Einsätze nach Abs. 1 Nr. 1 und/oder 2 mit erheblichen Eingriffen in die Grundrechte aus den Artikeln 2 Abs. 1 und 13 Abs. 1 GG einhergehen können, dass andererseits eine vorherige Anhörung des Betroffenen aus ermittlungstaktischen Gründen regelmäßig unterbleiben muss (§ 33 Abs. 4). Diesen Nachteil des Betroffenen soll die richterliche Überprüfung der Strafverfolgungsmaßnahme – ähnlich wie bei anderen naturgemäß heimlichen Ermittlungshandlungen – soweit wie möglich ausgleichen. Das kann sie jedoch nur dann leisten, wenn der Richter die formellen und sachlich-rechtlichen Voraussetzungen für seine Zustimmungsentscheidung umfassend prüfen kann und auch tatsächlich prüft.57 Dazu gehört auch, dass die Staatsanwaltschaft dem Richter vollständige Akten vorlegt und ihren Antrag nachvollziehbar begründet. Die Frage, ob eine unzureichende Begründung der Zustimmung Beweisverwertungsverbote auslösen kann, hat der Bundesgerichtshof bisher offengelassen, weil die überprüfte Begründung ausreichend war.58 Näher dazu bei § 110a, 67. Für die staatsanwaltschaftliche Zustimmung wird lediglich zu fordern sein, dass sich 18 aus ihr zweifelsfrei ergeben muss, auf welchen Einsatz sie sich bezieht, damit sie nicht zur Rechtfertigung mehrmaliger neuer und unterschiedlicher Einsätze herangezogen werden kann. Dazu wird es erforderlich sein, dass aus dem polizeilichen Antrag in Verbindung mit der staatsanwaltschaftlichen Zustimmung hervorgehen muss, welchem Anfangsverdacht der Verdeckte Ermittler nachgehen soll, inwieweit dieser Anfangsverdacht die Voraussetzungen nach § 110a Abs. 1 erfüllt und für wie lange dem Einsatz (vorläufig) zugestimmt wird. Steht allerdings von vornherein fest, dass der Einsatz gegen bestimmte Tatverdächtige beschränkt ist, so sind auch diese zu bezeichnen, denn damit wird zugleich verdeutlicht, dass es dann grundsätzlich einer ergänzenden Zustimmung bedarf, wenn sich der Tatverdacht auf weitere Personen ausweitet. Aus der Verantwortung des Staatsanwalts für das Ermittlungsverfahren ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, dem Einsatz näher festgelegte Grenzen zu setzen, ihn etwa räumlich zu beschränken. Nach II. 2.7 der Anlage D zu den RiStBV59 hat der Staatsanwalt über die Gespräche mit der Polizei, über die Mitwirkung des Verdeckten Ermittlers (daran) und über die getroffenen Entscheidungen vertraulich zu behandelnde, gesondert verwahrte Aktenvermerke anzufertigen,60 in denen der Name des eingesetzten oder einzusetzenden VE nicht genannt werden darf. Der Polizei ist jeweils eine Durchschrift davon auszuhändigen. Die Entscheidung über die Zustimmung der Staatsanwaltschaft trifft nach II. Nr. 2.4 der Anlage D zu den RiStBV entweder der Behördenleiter oder ein von ihm dafür besonders bezeichneter Staatsanwalt.
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BGHSt 42 103, 105. Ebenso KK/Nack 8. Dazu Geppert DRiZ 1992 402, 409. BGHSt 42 103, 106.
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Abgedruckt bei § 110a, 82. Zur Aktenführung und -verwahrung s. auch § 101, 3.
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III. Identitätsschutz 19
1. Die Regelung in Abs. 3. Die (wahre) Identität des Verdeckten Ermittlers kann nach Abs. 3 Satz 1 auch nach Beendigung des Einsatzes geheim gehalten werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, die Offenbarung der Identität könne Leib, Leben, Freiheit 61 des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person oder die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden. Der letztgenannte Schutzzweck stellt eine Erweiterung gegenüber den früheren Möglichkeiten der Sperrung über § 96 dar, denn die Rechtsprechung hatte zunächst eine solche Sperrung nur mit Blick auf Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit, nicht jedoch mit Rücksicht auf die weitere Verwendbarkeit anerkannt.62 Bedenkt man, welchen Aufwand es für die Polizei bedeutet, die glaubhafte Legende eines echten Verdeckten Ermittlers aufzubauen, so lässt sich trotz aller Abwägungserfordernisse im konkreten Einzelfall absehen, dass es für den betroffenen Beschuldigten gerade mit Blick auf eine spätere Verwendung des VE meist aussichtslos werden wird, dessen Identität im Prozess aufgedeckt zu bekommen oder dem Zeugen gegenübergestellt zu werden. Darauf war schon bei der Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Erkenntnisse einzugehen, vgl. bei § 110a, 69. Inhaltlich und verfahrenstechnisch richtet sich die Sperrung des Zeugen im Prozess nach § 96 (Abs. 3 Satz 3), dessen entsprechende Anwendung auf Zeugen damit vom Gesetz ausdrücklich anerkannt und vorausgesetzt wird. Zugleich leistet Abs. 3 Satz 3 damit eine „bessere Abstimmung“ zwischen § 54 und § 96, d.h. das Gesetz stellt klar, dass die Geheimhaltung der Identität des VE mit dem Mittel der strafprozessualen Sperrerklärung, nicht jedoch über Verweigerung von Aussagegenehmigungen zu erfolgen hat.63 Darüber hinaus wird Abs. 3 Satz 3 auch als gesetzgeberische Interpretation des Inhalts von § 96 verstanden mit der Folge, dass die frühere Rechtsprechung, welche die Sorge um die weitere Verwendung eines VE oder einer V-Person für eine Sperrung nicht genügen ließ, als überholt gilt.64 Auf die Sperrung sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter und von V-Leuten kann dies nicht ohne Auswirkungen bleiben (§ 96, 60 ff.). 20 Wird keine Sperrerklärung von der obersten Dienstbehörde abgegeben,65 so muss der VE66 grundsätzlich mit seinen wahren Personalien vor Gericht als Zeuge auftreten, kann jedoch – theoretisch – auch nach § 68 Abs. 2 und 3 geschützt werden.67 Meist wird bei echten Verdeckten Ermittlern die Fürsorge des Dienstherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 oder 3 auch eine Sperrerklärung gebieten. Auf die etwas kryptische Regelung des § 68 Abs. 3 Satz 2 sei hier nur am Rande verwiesen.68 Zeugenschutz nach § 68 kann aber auch zu einer Sperrerklärung hinzutreten. Das ist dann der Fall, wenn der VE zwar als Zeuge vor Gericht erscheint, dort aber unter seiner Legende auftritt. Hier kann ihm im Einzelfall gestattet werden, auch Angaben zu seiner Legende zu verweigern.
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Dieses Merkmal ist infolge des ausdrücklichen Hinweises des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung BVerfGE 57 250, 285 ins Gesetz aufgenommen worden, vgl. BTDrucks. 12 989 S. 42. BGHSt 31 148, 156 = NStZ 1983 228; BGHSt 33 83, 90 f. = NStZ 1985 278 mit Anm. Arloth = StV 1985 45 mit Anm. Taschke 269 = JZ 1985 494 mit Anm. Fezer; KK/Nack 17; vgl. dazu auch OLG Hamm NStZ 1990 44 mit Anm. G. Schäfer und § 96, 60 ff., 62 ff.
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Dazu Hilger NStZ 1992 523, 524 Fn. 154; BGHSt 42 175 ff. BTDrucks. 12 989 S. 42; Meyer-Goßner 8 und § 96, 12 m.w.N.; Arloth NStZ 1993 468; Möhrenschlager wistra 1992 331. Dazu BVerfGE 57 250 ff.; BGHSt 42 175 ff. Der ansonsten, d.h. dann, wenn seine Identität nach Abs. 3 Satz 3 geschützt wird, – wenn überhaupt – nur unter seinen „neuen“ Personalien auftritt. Hilger NStZ 1992, 523, 524 Fn. 154. Näher LR/Ignor/Bertheau § 68, 16.
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Nach Abs. 2 Satz 2 können sowohl der zuständige Staatsanwalt als auch der Ermitt- 21 lungsrichter, der die Entscheidung über die Zustimmung zu treffen hat, verlangen, dass ihnen die Identität des Verdeckten Ermittlers offenbart wird. Gemeint ist damit, dass beide dies schon vor ihrer Zustimmungsentscheidung verlangen können.69 So ist ihnen die Möglichkeit eröffnet, die Zustimmung auch mit Blick auf die konkrete Person des einzusetzenden Verdeckten Ermittlers zu verweigern. Dies entspricht ihrer Verantwortung für den Einsatz.70 Deshalb kann die gegen die Regelung von polizeilicher Seite vorgebrachte Kritik71 trotz berechtigten Hinweises auf eine Erhöhung des Sicherheitsrisikos, das dadurch eintritt, dass der Kreis der in die Legende Eingeweihten erweitert wird, im Ergebnis nicht überzeugen. Staatsanwaltschaft und Gericht sind allerdings gehalten, durch besondere Geheimhaltungsmaßnahmen für die Sicherheit des Verdeckten Ermittlers zu sorgen. 2. Das Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 d) EMRK. Das Recht auf ein faires Ver- 22 fahren sieht in seiner speziellen Ausprägung des Konfrontations- und Fragerechts gem. Art. 6 Abs. 3 d) EMRK vor, dass der Angeklagte vor allem in der Hauptverhandlung sämtliche Belastungszeugen befragen kann. Sollen verdeckt ermittelnde Personen als Zeugen in der Hauptverhandlung aber anonym bleiben, weil alles andere eine Gefährdung ihrer Sicherheit oder eine unerwünschte Preisgabe kriminalistisch-taktischer Abläufe zur Folge hätte, so „beißen“ sich die Regelung des § 110b Abs. 3 sowie die von der StPO in solchen Fällen anerkannten Beweissurrogate, die ein persönliches Erscheinen dieser Zeugen entbehrlich machen, mit dem Konfrontationsrecht. Wegen dieser grundsätzlichen Unvereinbarkeit von StPO und EMRK in dieser Angelegenheit greifen BVerfG und BGH auf eine kompromisshafte72 Stufentheorie zurück: Dem Anspruch des Beschuldigten auf materielle Beweisteilhabe, also auf Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsfeststellung,73 sei auch damit entsprochen, dass das Recht des Beschuldigten, den Zeugen direkt – entweder selbst oder durch den Anwalt – befragen zu dürfen, nur grundsätzlich gewährleistet wird.74 Sofern jedoch zum Zwecke des Zeugenschutzes oder wegen ansonsten auftretender Bedenken an der Wahrheitsgemäßheit der Aussage ein Anonymitätsinteresse besteht, darf auf eine direkte Konfrontation verzichtet werden. Die dann nur indirekt mögliche Konfrontation ist jedoch durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen zu kompensieren. Dazu zählen vor allem die Möglichkeit der Befragung durch den Anwalt des Beschuldigten, die Formulierung schriftlicher Fragen im Falle einer kommissarischen richterlichen Vernehmung oder die Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung.75 Aber selbst dann, wenn diese indirekte Konfrontation fehlschlägt, liegt so lange
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Hilger aaO Fn. 153. Hilger aaO. Z.B. Krüger Kriminalistik 1992 594, 597. Kritisch daher Renzikowski JZ 1999 605 ff.; ders., FS Mehle 527 ff.; [T.] Walter StraFo 2004 224 ff.; Gaede Fairness als Teilhabe 278 ff., 827 ff.; Wohlers FS Trechsel 813 ff.; vgl. ferner Ott Verdeckte Ermittlungen 85 ff., 195 ff., 207 ff., 250 ff.; [K.] Krauß V-Leute im Strafprozeß 79 ff., 155 ff.; vgl. zum Beginn des EMRK-Einflusses Joachim StV 1992 245 ff. Vgl. BVerfG NJW 2010 925 f. m.w.N. Von dieser Grundannahme geht selbstver-
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ständlich auch der EGMR Haas v. Deutschland § 78 m.w.N. aus; vgl. ferner BGHSt 46 93, 101. Vgl. zu solchen Fällen der audiovisuellen Vernehmung nach § 247a BGH NStZ 2006 648; BGH NStZ 2003 274 (zur Abwendung einer Sperrung); Sinn in: Esser et al. (Hrsg.) Die Bedeutung der EMRK 11 ff. Vgl. zur Sperrung von Zeugen BGH NStZ 2005 43. Zu den engen Grenzen der kommissarischen Vernehmung BGHSt 32 115; BGHSt 31 148; BGHSt 31 290; BGH NStZ 2006 648; BGH NStZ 2005 43 f.; BGH NStZ 2003 274; zur audiovisuellen Vernehmung im Fall
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noch keine Verletzung des gesamtverfahrensbezogenen Rechts auf ein faires Verfahren vor, wie es gelingt, diesen Mangel durch eine „äußerst sorgfältige und zurückhaltende“ Beweiswürdigung der nicht konfrontativ gewonnenen Aussage unter Hinzunahme anderer, die Aussage bestätigender Beweismittel auszugleichen.76 Gelingt auch diese flankierende Absicherung der fraglichen Zeugenaussage nicht, beruht die Verurteilung also allein oder in entscheidendem Maße auf ihr, so ist das Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 d) EMRK und damit das Fairnessrecht allgemein verletzt.77
IV. Anfechtbarkeit der Maßnahme 23
Für die Anfechtung der (laufenden oder erledigten) Maßnahme gelten dieselben Grundsätze wie zur Anfechtung einer Telekommunikationsüberwachung. Es kann daher auf die Rn. 42 ff. zu § 100b verwiesen werden. Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen bei Nichtbeachtung des § 110b und zur Revision s. die Erläuterungen zu § 110a, 72 ff.
§ 110c 1Verdeckte
Ermittler dürfen unter Verwendung ihrer Legende eine Wohnung mit dem Einverständnis des Berechtigten betreten. 2Das Einverständnis darf nicht durch ein über die Nutzung der Legende hinausgehendes Vortäuschen eines Zutrittsrechts herbeigeführt werden. 3 Im übrigen richten sich die Befugnisse des Verdeckten Ermittlers nach diesem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften. Schrifttum und Entstehungsgeschichte vgl. bei § 110a.
Übersicht Rn. A. Die Regelung I. Betreten von Wohnungen 1. Allgemeines . . . . . . 2. Nutzung der Legende . 3. Heimliches Betreten . . II. Sonstige Befugnisse 1. Repressive Maßnahmen 2. Präventive Maßnahmen
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El Motassadeq Detter StV 2006 544. Tiedemann/Sieber NJW 1984 753 ff., zu dem für die richterliche Vernehmung geltenden Verbot der anonymen Zeugenvernehmung im Bereich der sachferneren Beweissurrogate i.S.e. allgemeinen Verbots der Verwertung von Bekundungen, deren Anonymität erst im Verfahren entstanden ist. Zur Sperrerklärung und beschränkten Freigabe der V-Person Reichert-Hammer/Renzikowski JA 1990 153, 157 ff. Zur Sperrung und zum Problem des Zeugen vom Hörensagen [J.] Meyer ZStW
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Rn. B. Kritik I. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung 1. Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG ? . . . . . 2. Bedeutung der Täuschung . . . . . . . 3. Das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Schrankenvorbehalt des Art. 13 GG 5. Ungeschriebene Schranken des Art. 13 GG?
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95 (1983) 834, 846 ff. Zur Geheimhaltung der Identität des VE gem. § 110b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 96 analog Janssen StV 1995 275 ff. Vgl. EGMR Haas v Germany §§ 80 ff.; BVerfG NJW 2010 925 f.; Gaede JR 2006 292 ff.; Safferling NStZ 2006 75, 80 ff. Das BVerfG NJW 2010 925 f. m. Anm. Safferling StV 2010 337, hat diese Stufentheorie des BGH ausdrücklich gebilligt. Vgl. zuletzt BGHSt 55 70, 74 ff. m. Anm. Zöller ZJS 2010 441 ff. und Schramm HRRS 2011 156 ff.
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§ 110c
Rn. II. §§ 110b und c als „gesetzgeberische Wertentscheidung“? 1. Zur systematischen Einordnung beider Vorschriften . . . . . . . . . . .
Rn. 2. Analoge Anwendung auf andere verdeckt ermittelnde Beamte und V-Leute ? . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Die Regelung I. Betreten von Wohnungen 1. Allgemeines. § 110c gibt dem Verdeckten Ermittler eine spezialgesetzliche Ermäch- 1 tigung, fremde Wohnungen im Rahmen seines Einsatzes zu betreten. Zum Begriff der Wohnung s. § 102, 29 ff. Er hat dabei allerdings die besonderen Einsatzvoraussetzungen des § 110b Abs. 2 zu beachten. Der Vorschrift liegt zunächst zugrunde, dass es weitgehend aussichtslos wäre, einen Verdeckten Ermittler in ein kriminelles Milieu einzuschleusen, könnte er seine Zielpersonen nicht zugleich in deren Wohnungen begleiten.1 Nach dem Wortlaut des Gesetzes gestattet § 110c lediglich das Betreten der Wohnung, nicht jedoch deren Durchsuchung. Daraus wird gefolgert, dass für eine Durchsuchung uneingeschränkt die §§ 102 ff. zu beachten seien.2 Indessen dürften die Grenzen hier fließend sein. Zum einen wird der VE beim Betreten einer Wohnung regelmäßig das Ziel verfolgen, darin nach Möglichkeit Erkenntnisse zu gewinnen, die seinem Ermittlungsauftrag dienlich sind. Insoweit betritt er Wohnungen meist nicht zweckfrei, sondern will Dinge aufspüren, die der Wohnungsinhaber von sich aus nicht offenlegen würde. Damit nähert sich die Tätigkeit des Verdeckten Ermittlers einer Durchsuchung naturgemäß weitgehend an.3 Zum anderen ist der Richtervorbehalt des § 110b Abs. 2 nicht weniger streng als der des § 105 Abs. 1 StPO. Man wird daher dem VE auch nach den §§ 110b und c die Befugnis einräumen müssen, in der jeweiligen Wohnung nach für seine Ermittlungen bedeutsamen Gegenständen zu forschen. 2. Nutzung der Legende. § 110c gestattet lediglich das Betreten der Wohnung im Ein- 2 verständnis des Berechtigten. Dieses Einverständnis darf der VE dadurch herbeiführen, dass er seine Legende nutzt, d.h. sich nicht als Polizeibeamter zu erkennen gibt. Eine darüber hinausgehende Täuschung des Wohnungsinhabers verbietet Satz 2. Der VE darf insbesondere nicht vorspiegeln, er sei eine Person, der der Wohnungsinhaber auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtungen Eintritt gewähren müsse. Mithin darf er nicht als vermeintlicher Gas- oder Stromableser, Schornsteinfeger, Mitarbeiter einer Hausverwaltung oder zugangsberechtigter Behördenvertreter Einlass begehren.4 Bei einer solchen Vorspiegelung eines Zutrittsrechts besteht nach der Vorstellung des Gesetzgebers5 die Gefahr, der Wohnungsinhaber könne sich diesem vermeintlichen (hoheitlichen oder quasi-hoheitlichen) Zutrittsrecht unfreiwillig beugen, darin wird offensichtlich ein weitergehender Eingriff in seine Rechte gesehen als in der bloßen Ausnutzung einer Legende, die sich nicht auf solche Zutrittsrechte beruft und dem Wohnungsinhaber bei Gewäh-
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BTDrucks. 12 989 S. 43. KK/Nack 2. Zur Frage, ob sie eine Durchsuchung im technischen Sinne darstellt, vgl. unten Rn. 20. Hilger NStZ 1992 523, 525 Fn. 160; KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1; Krey Rechts-
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probleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler 256; Rieß NJ 1992 1 Fn. 90; krit. dazu Felsch StV 1998 285 ff. Der sich insoweit an bereits bestehenden ähnlichen Regelungen in den Polizeigesetzen – z.B. § 20 Abs. 2 PolG NRW – orientiert hat.
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rung des Zutritts jedenfalls in dem Glauben belässt, er gewähre der betreffenden Person freiwillig Eintritt.6 Die wohl h.M. geht dahin, das Verbot des Satzes 2 auch dann gelten zu lassen, wenn die an sich zulässige Legende ein Recht zum Zutritt zu fremden Wohnungen mit sich bringt. Die §§ 110a ff. würden es zunächst durchaus ermöglichen, einen VE etwa als Mitarbeiter städtischer Gaswerke zu tarnen. Doch soll es ihm nach § 110c Satz 2 verboten sein, sich diesen vermeintlichen Beruf für den Zugang zu fremden Wohnungen zunutze zu machen.7 Als Konsequenz daraus wird es sich empfehlen, auf entsprechende Legenden zu verzichten.
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3. Heimliches Betreten. Nur das offene Betreten einer Wohnung gestattet § 110c. Gewaltsam oder heimlich, d.h. ohne den (freilich ertäuschten) Willen des Wohnungsinhabers oder ohne dessen Wissen, darf der VE nicht in die Wohnung eindringen.8 Auch darin unterscheidet er sich von einem undercoveragent. Vom Einsatz des VE in der Wohnung ist der Wohnungsinhaber nach Maßgabe des § 101 Abs. 4 Nr. 9 c) zu unterrichten.
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1. Repressive Maßnahmen. Satz 3 spricht zunächst Selbstverständliches aus: Als Beamter des Polizeidienstes hat der VE die sich aus den sonstigen Bestimmungen der StPO ergebenden Befugnisse.9 Dazu zählen neben der allgemeinen Ermittlungsbefugnis der Polizei (§ 163) alle speziellen Einzel-Eingriffsermächtigungen; soweit – etwa aus den §§ 81a Abs. 2, 98 Abs. 1, 105 Abs. 1, 111 Abs. 2; 127 Abs. 2 – eine Anordnungsbefugnis auch für Polizeibeamte gegeben ist, kann der VE die entsprechende Anordnung treffen. Von diesen Befugnissen kann der VE allerdings nur offen, d.h. unter Preisgabe des Umstandes, dass er Polizeibeamter ist, Gebrauch machen.10 Damit ist der VE zum polizeilichen Einschreiten auf Grund der allgemeinen strafprozessualen Befugnisse nur bedingt tauglich. Häufig wird es sich im Interesse der Wahrung seiner Legende verbieten, zum offenen Polizeihandeln überzuwechseln. Dennoch ist der VE als Polizeibeamter grundsätzlich dem Legalitätsprinzip unter5 worfen.11 Eine Güterabwägung wird ihn – angesichts der mit einer Aufdeckung seiner Legende oft verbundenen Gefahren – aber vielfach von der Pflicht, unmittelbar einzuschreiten entbinden.12 Weitere Einschränkungen bei der Wahrnehmung allgemeiner polizeilicher Befugnisse 6 durch Verdeckte Ermittler folgen aus der Natur der Sache. So wird der VE – insbesondere auch mit Zeugen und Beschuldigten – zahlreiche Gespräche führen, die dem Zweck dienen, für seine Ermittlungen erhebliche Sachverhalte zu klären. Dass er dabei nicht verpflichtet sein kann, gesetzlich sonst vorgeschriebene Belehrungen über Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte zu erteilen, versteht sich von selbst. In der gesetzlichen Anerkennung des Ermittlungsinstruments „Verdeckter Ermittler“ liegt – da ein sinnvoller Einsatz nur bei Wahrung der Legende möglich erscheint – der stillschweigende Verzicht des Gesetzes darauf, dass der VE seine Ermittlungshandlungen mit Rechtsbelehrungen
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S. Fn. 4. Hilger aaO; KK/Nack 2; zweifelnd Rieß aaO. Meyer-Goßner 1; Krauß StV 1989 324. Vgl. dazu LR/Erb § 163, 56 ff. Hilger NStZ 1992 424 Fn. 161; Meyer-
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Goßner 3; Krey Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes verdeckter Ermittler 279; SK/Wolter 7; Zaczyk StV 1993 494. Dazu schon bei § 110b, 2. Vgl. II Ziff. 2.6 der Anlage D zu den RiStBV.
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verbindet.13 Ob in solchen Gesprächen allerdings polizeiliche Vernehmungen oder vernehmungsähnliche Gespräche zu sehen sind, ist ebenso umstritten wie die Frage, welche rechtlichen Folgerungen sich an diese Unterscheidung für die Verwertbarkeit der so gewonnenen Ermittlungsergebnisse anknüpfen.14 Dazu bei § 110a, 76. Nach Maßgabe der §§ 100f und h (vgl. wegen der Einzelheiten dort) kann der VE 7 außerhalb von Wohnungen technische Mittel zur Dokumentation der gewonnenen Erkenntnisse einsetzen. Die aus § 136a folgenden Verbote hat der VE mit der Einschränkung zu beachten, 8 dass die auf seiner Legende fußende Täuschung von Beteiligten vom Gesetz nunmehr ausdrücklich gebilligt ist.15 Eine weitergehende Lockerung des § 136a sehen die §§ 110a ff. für den VE aber nicht vor. Er darf beispielsweise nicht Gewalt anwenden, etwa „die Wahrheit“ aus einem Beschuldigten herausprügeln. Auch im Übrigen gibt § 110c ihm keine Befugnis, Straftaten zu begehen – sei es zu Ermittlungszwecken, sei es, um seine Tarnung zu festigen. Dazu schon bei § 110a, 10, 25 f.16 Eine ausdrückliche Befugnis des Verdeckten Ermittlers zur sog. Tatprovokation 9 spricht § 110c nicht aus. Inwieweit diese materiell-rechtlich und prozessual möglich ist, und welche Rechtsfolgen sich daran anschließen, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen.17 2. Präventive Maßnahmen. Neben der StPO regeln auch „andere Rechtsvorschrif- 10 ten“, vorwiegend die Polizeigesetze der Länder18 Handlungsbefugnisse für Verdeckte Ermittler. Zum Problem der repressiv-präventiven „Gemengelage“ s. § 110a, 9.
B. Kritik I. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung 1. Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG? Art. 13 Abs. 1 GG schützt nach der allgemein aner- 11 kannten Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts19 die räumliche Integrität der Wohnung als Manifestation der Privatsphäre. Das Grundrecht soll gewährleisten, dass der Bürger vor staatlichen Eingriffen in diesem Schutzraum grundsätzlich in Ruhe gelassen werden soll. Ausnahmen sind nur im Rahmen des Schrankenvorbehalts des Art. 13 GG zulässig. Der entscheidende Mangel der auf den ersten Blick klaren Regelung des § 110c Satz 1, die dem Verdeckten Ermittler das Betreten von Wohnungen gestattet, liegt darin, dass weder das Gesetz selbst klar Stellung dazu bezieht, wie sich diese dem VE eingeräumte Befugnis zum Grundrechtsschutz aus Art. 13 GG verhält, noch die Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren ausreichend erkennen lassen, ob und inwieweit der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, mit Verdeckten Ermittlungen in Wohnungen werde in das Grundrecht eingegriffen. Die Vorschrift wirft bei näherer Betrachtung zahlreiche,
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Im Ergebnis ebenso KK/Nack 16; MeyerGoßner 3; Lagodny StV 1996 172; kritisch Hilger FS Hanack 207, 213 ff. Dazu eingehend Hilger FS Hanack 207, 213 ff. Krey aaO 221 ff. Meyer-Goßner 3. Vgl. auch LR/Erb zu § 163, 67 und KK/Nack 6 m.w.N.
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Näher dazu LR/Erb § 163, 63 bis 71a. Vgl. § 110a, 8, dort auch Fn. 13. BVerfG 32 54, 75; vgl. dazu auch de Lazzer/ Rohlf JZ 1977 207 m.w.N.; Frister StV 1993 151, 152.
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insbesondere auch verfassungsrechtliche, Fragen auf. Die Rechtsprechung ist noch weit von einer Klärung dieser Fragen entfernt, wie sich insbesondere der Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 6. Februar 199720 entnehmen lässt, in der die wesentlichen Fragen angesprochen, jedoch mit Rücksicht darauf, dass ihre Beantwortung im konkreten Fall keinen Einfluss auf das Ergebnis haben konnte, offengelassen sind. Zunächst ist festzuhalten, dass der VE als Polizeibeamter staatliches Organ und damit 12 auch unmittelbarer Adressat des Verbots aus Art. 13 Abs. 1 GG ist. Wo immer Ermittlungsbeamte – seien sie VE oder schlichte Scheinaufkäufer – Einlass in Wohnungen finden, weil sie ihre wahre Identität nicht preisgeben, stellt sich die Frage, ob sie damit in die Unverletzlichkeit der Wohnung eingreifen. Die Frage ist heftig umstritten. Sie ist deshalb so brisant, weil – wie noch zu zeigen sein wird – § 110c weder den Erfordernissen des sog. Zitiergebots aus Art. 19 Abs. 1 GG noch dem Schrankenvorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 und 7 GG genügt.21 Bejaht man deshalb einen Grundrechtseingriff, so führt dies zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass die Befugnis aus § 110c Satz 1 trotz des damit gekoppelten Richtervorbehalts aus § 110b verfassungswidrig ist.22 Die Motivation, einen Grundrechtseingriff überhaupt zu verneinen, ist demgemäß groß. Wer in den Gesetzgebungsmaterialien nach Hinweisen forscht, inwieweit sich die Ver13 fasser des Gesetzentwurfs des OrgKG mit dem Problem der Verfassungsmäßigkeit der Regelung beschäftigt haben, sieht sich weitgehend enttäuscht.23 Es wird einerseits angedeutet, eine Güterabwägung mit „dem hohen Rang der (durch die verdeckten Ermittlungen zu schützenden, d. Verf.) Rechtsgüter“ lasse das Betreten von Wohnungen zu. Damit wird implizit eingeräumt, dass der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG durch die Maßnahme jedenfalls in irgendeiner Form berührt wird, denn anderenfalls wäre eine verfassungsrechtliche Güterabwägung nicht geboten. Andererseits soll es einen bedeutsamen Unterschied machen, ob der VE nur seine Zugehörigkeit zur Polizei hinter seiner Legende verbirgt oder ein sonstiges Zutrittsrecht zur Wohnung vorspiegelt. Diese nicht näher erläuterte Differenzierung legt es nahe, der Gesetzgeber habe damit die Vorstellung unterschiedlich intensiver Eingriffe verbunden und ein Betreten der Wohnung allein unter dem Schutz der Legende noch gar nicht als Grundrechtseingriff gesehen. Allerdings hat Hilger in seiner Entscheidungsanmerkung zum Urteil vom 6. Februar 13a 199724 die gesetzgeberischen Motive mit der These erläutert, das bloße Betreten fremder Wohnungen durch den VE stelle keine hoheitliche Maßnahme dar. Das kann jedoch nicht überzeugen, denn das Betreten der Wohnung(en) dient allein dem Zweck strafprozessualer Ermittlungen. Aus dem zivilen Anschein, den sich der VE notgedrungen geben muss, kann aber nicht auf einen nicht hoheitlichen Charakter seines Auftretens geschlossen werden. Das Betreten der Wohnung dient regelmäßig sowohl der Festigung der Legende, sowie auch dem Aufspüren ermittlungsrelevanter Sachverhalte, anderenfalls wären die Risiken, die ein VE bei seinem Einsatz eingeht, nicht vertretbar.
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NJW 1997 1516 = StV 1997 233 mit Anmerkungen von Felsch StV 1998 285; Frister JZ 1997 1130; Hilger NStZ 1997 449; Nitz JR 1998 211; Roxin StV 1998 43; Wollweber StV 1997 507. Dazu Frister StV 1993 151, 152; SK/Wolter 6. So Frister aaO und Wolter aaO. In BTDrucks. 12 989 S. 43 findet sich zu § 110c der lapidare Hinweis: Verfassungs-
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rechtliche Bedenken dagegen bestehen unter Berücksichtigung des hohen Rangs der zu schützenden Rechtsgüter und wegen der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beim Einsatz eines Verdeckten Ermittlers (s. § 110a Abs. 1) nicht. Ein Zutrittsrecht außerhalb der Legende darf der Verdeckte Ermittler nicht vortäuschen (Satz 2) … NStZ 1997 448, 449.
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Die These Hilgers ist deshalb nicht geeignet, die angesprochene verfassungsrechtliche Problematik zu lösen.25 2. Bedeutung der Täuschung. Dass Ermittlungen staatlicher Ermittlungsorgane in 14 Wohnungen die Annahme eines Grundrechtseingriffs zumindest nahelegen, ist unumstritten. Den einzigen Ansatz, einen verfassungsrechtlich bedeutsamen Eingriff zu verneinen, bietet der Umstand, dass verdeckt ermittelnde Polizeibeamte, wenn sie unter dem Schutz ihrer Legende Einlass finden, von den jeweiligen Wohnungsinhabern „freiwillig“ eingelassen werden, freilich nur, weil Letztere über die Person des „Besuchers“ irren.26 Es ist zwar außer Streit, dass der Grundrechtsträger des Art. 13 Abs. 1 GG auf den Wohnungsschutz gerade auch gegenüber Hoheitsträgern verzichten kann.27 Darin liegt letztlich gerade ein Stück Ausübung der ihm vom Grundgesetz eingeräumten Befugnis, seine räumliche Privatsphäre frei von staatlichem Zwang zu beherrschen. Allerdings muss danach gefragt werden, welchen Einfluss die der Legende des VE innewohnende Täuschung auf die Wirksamkeit einer solchen Einwilligung haben kann.28 Allein davon hängt ab, ob man einen Grundrechtseingriff verneinen kann. Die These, die Einwilligung des Wohnungsinhabers schließe einen Grundrechtseingriff 15 aus, wird von ihren Befürwortern meist auf einen Vergleich mit der tatbestandsausschließenden Wirkung einer solchen Einwilligung beim Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB gestützt.29 Dass darin ein unzulässiger Wechsel der Bewertungsebene liegt, ist allerdings offensichtlich, denn ob der Staat Grundrechte seiner Bürger verletzt, wenn er Beamte unter Verdeckung ihrer Identität in Wohnungen schickt, ist davon zu unterscheiden, ob sich der einzelne Beamte dabei strafbar macht.30 Der verfassungsrechtliche Schutz der Wohnung braucht sich mit dem strafrechtlichen keinesfalls zu decken und es liegt eher fern, dass das Grundgesetz sich in Art. 13 nur auf die Abwehr strafbarer Übergriffe des Staates in Wohnungen beschränkt31.32 25
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Wie hier: Felsch StV 1998 285 ff.; Frister StV 1993 151, 152; Krüger ZRP 1993 125; Nitz JR 1998 211, 212; Weil ZRP 1992 244. BGH aaO. Dazu z.B. Amelung StV 1985 257 ff. BGH aaO; Amelung aaO. U.a. Hilger NStZ 1992 525, dort Fn. 159, 160; Meyer-Goßner 1; wohl auch HK/Gercke 2; Krey Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler 226 ff. m.w.N.; zu § 123 StGB vgl. Fischer § 123, 16; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 123, 22 bis 25 StGB. BGH NJW 1997 1516. BGH NJW 1997 1516; zustimmend Felsch StV 1998 285 ff.; Frister JZ 1997 1130, 1131; Nitz JR 1998 211, 212; Roxin StV 1998 43, 44; Wollweber StV 1997 507 ff., dazu auch Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts (1981) 103 f.; ders. StV 1985 257, 263; Groth Verdeckte Ermittlungen in Strafverfahren und Gewinnabschöpfung 52; Frister aaO 152, der i.Ü. zutreffend darauf verweist, dass der Eingriff in das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 auch
nicht durch das Merkmal des „Eindringens“ in die Wohnung eingegrenzt wird, das die Tathandlung in § 123 StGB beschreibt. Tatsächlich ist die strafrechtliche Beurteilung eines solchen Vorganges – auch wegen möglicher Notwehr- und Nothilferechte – in stärkerem Maße auf ein Evidenzkriterium angewiesen als die verfassungsrechtliche. Insofern macht das Abstellen auf eine – wenn auch auf Willensmängeln beruhende – Einwilligung des Wohnungsinhabers bei § 123 StGB anderen Sinn als bei der Prüfung eines Grundrechtseingriffs. Fraglich ist, ob – wie etwa Krey (Rechtsprobleme … 252) annimmt – das Bundesverfassungsgericht im sog. Volkszählungsurteil (BVerfGE 65 1, 40), das Merkmal des „Eindringens“ im strafrechtlichen Sinne verstanden wissen wollte, als es das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung mit einen „Verbot des Eindringens in die Wohnung oder des Verweilens darin gegen den Willen des Wohnungsinhabers“ definiert hat. Gerade die zweite Variante zeigt, dass auch schon der unerwünschte Aufenthalt staatlicher Hoheits-
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Vermittelnd wird teilweise im Schrifttum die Ansicht vertreten, im Grunde schütze Art. 13 Abs. 1 GG nicht jede irrtumsfreie Willensbildung des Wohnungsinhabers, d.h. sein Irrtum über die wahre Identität eines Eingelassenen schließe im Regelfall die Annahme eines Grundrechtseingriffs aus. Anders solle es aber sein, wenn die Täuschung des Besuchers gerade darauf gerichtet ist, sich Zutritt zur Wohnung zu verschaffen.33 Diese Auffassung und auch der bei der Auslegung von § 123 StGB bestehende Streit darüber, ob eine Täuschung der zuletzt genannten Art die Einwilligung des Wohnungsinhabers unbeachtlich mache,34 leiten über zum Verständnis der in § 110c Satz 2 vorgenommenen Differenzierung möglicher Täuschungen. Möglicherweise haben die zuletzt genannte Auffassung M. Herdegens und der materiell-strafrechtliche Streit um die Bedeutung spezifischer Einlasstäuschungen für den Tatbestand des Hausfriedensbruchs bei der Fassung des Satzes 235 Pate gestanden. Allerdings ist die Meinung M. Herdegens 36 nicht näher erläutert, möglicherweise beruht sie ihrerseits auf einem Rückgriff in strafrechtliche Kategorien, deren Tauglichkeit hier bereits infragegestellt worden ist. Im Übrigen lässt sie offen, was mit einer Täuschung gemeint sein soll, die „gerade auf das Verschaffen des Wohnungszutritts gerichtet“37 ist. Roxin38 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man die Auffassung M. Herdegens ohne weiteres dahin verstehen könne, dass jede Einlasstäuschung eines verdeckt ermittelnden Polizeibeamten darauf abziele, die verfassungsrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen des Art. 13 GG zu umgehen und deshalb auch im Sinne der Meinung M. Herdegens nicht geeignet sei, eine wirksame Einwilligung des Wohnungsinhabers herbeizuführen. Ob – wie Roxin meint – der BGH M. Herdegen insoweit missverstanden hat, kann hier offenbleiben, denn der BGH39 hat allenfalls angedeutet, dass mit Hilfe der Auffassung M. Herdegens die Unwirksamkeit der Zustimmung des Wohnungsinhabers relativiert werden könnte. Beigetreten ist er dieser Auffassung nicht. Seine Entscheidung war, wie Roxin 40 zutreffend erkannt hat, vorwiegend darauf gerichtet, die Diskussion der nicht befriedigend gelösten Frage nach einem Grundrechtseingriff anzufachen. Festzuhalten bleibt, dass auch bei bloßer Benutzung der Legende, der VE beim betrof17 fenen Wohnungsinhaber eine Einwilligung zum Betreten der Wohnung erzielt, die auf
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träger in der Wohnung das Grundrecht aus Art. 13 GG verletzt. Der „Brückenschlag“ zurück von der strafrechtlichen Betrachtungsweise zum eigentlichen verfassungsrechtlichen Problem gelingt den Befürwortern einer parallelen Bewertung nicht überzeugend. Die meisten Autoren lassen es bei dem Hinweis auf die Rechtslage nach § 123 StGB bewenden (vgl. Fn. 26 KK/Nack aaO; Hilger aaO; Meyer-Goßner aaO); auch dort, wo versucht wird, beide Bewertungsebenen zueinander in Bezug zu setzen, bleibt dieser Versuch rechtlich unbefriedigend. Krey (aaO 253) führt beispielsweise aus: „Wenn das Betreten von Wohnungen durch den VE gemäß §110c StPO noch nicht einmal das Gewicht eines i.S. des Bagatelldelikts Hausfriedensbruch straftatbestandsmäßigen ,Eindringens‘ besitzt, sollte man ein solches Betreten auch nicht als Ein-
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griff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung mittels ,Eindringens‘ gewichten. Anderenfalls würde man Art. 13 GG ,zur kleinen Münze‘ herabwürdigen“. Überzeugen kann diese Verschiebung der Gewichte aus den obenstehenden Erwägungen nicht. Vgl. zum Ganzen auch Felsch StV 1998 285 ff. Bonn.Komm./Herdegen Art. 13, 45 GG. Vgl. zum Streitstand Fischer § 123, 16 f. StGB. Und auch der Fassung verschiedener landespolizeirechtlicher Ermächtigungen für VE, Wohnungen zu betreten, vgl. § 110a Fn. 13. aaO. Bonn.Komm./Herdegen Art. 13, 45 GG. StV 1998 43. NStZ 1997 448. StV 1998 43.
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einem Willensmangel (Irrtum) beruht. Dieser Irrtum rührt allein aus der Sphäre des staatlichen Ermittlungsorgans her. Der Beamte beherrscht insoweit die falschen Vorstellungen und die darauf fußende Willensbildung des Wohnungsinhabers durch die Benutzung seiner Legende. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen liegt es bei dieser Konstellation eher fern, dass sich das staatliche Organ für die Rechtfertigung oder gar den Ausschluss eines sonst gegebenen (Grund-)Rechtsverstoßes auf die Wirksamkeit der so manipulierten Einwilligung des Grundrechtsträgers berufen kann. Es kann schwerlich in Abrede gestellt werden, dass die Legende eines VE auch gerade zu dem Zweck etabliert wird, ihm sonst für Polizeibeamte verschlossene Türen zu öffnen und Zugang zu Räumen zu verschaffen, in die Polizeibeamte sonst nur unter Inanspruchnahme von Zwang Zugang erhalten würden. Insoweit lässt sich von einer „rechtsgutsbezogenen Täuschung“ sprechen.41 Demgemäß sieht eine im Schrifttum jedenfalls weit verbreitete Meinung das Betreten von Wohnungen durch VE ungeachtet der Zustimmung des Wohnungsinhabers als Grundrechtseingriff an.42 3. Das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Weder die §§ 110b und c noch 18 Art. 11 des OrgKG zitieren – obwohl sie nachkonstitutionelles Recht darstellen – Art. 13 GG als ein „durch dieses Gesetz“ eingeschränktes Grundrecht. Vielmehr ist Art. 13 GG aus Art. 11 OrgKG im Gesetzgebungsverfahren herausgestrichen worden, nachdem die im Entwurf des OrgKG zunächst vorgesehene Regelung über den sog. „kleinen Lauschangriff“ im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter verfolgt wurde.43 Da Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG das Zitat im Fall eines gesetzlichen Grundrechtseingriffs zwingend vorschreibt, wird das Fehlen des Art. 13 GG in Art. 11 OrgKG teilweise als Beleg dafür herangezogen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der §§ 110b und c davon ausgegangen ist, das Betreten von Wohnungen durch VE stelle keinen Grundrechtseingriff dar. Die Gegenmeinung, die einen Grundrechtseingriff annimmt, hält § 110c Satz 1 schon wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG für verfassungswidrig.44 4. Der Schrankenvorbehalt des Art. 13 GG. Ausgehend von der Annahme, der Auf- 19 enthalt eines VE in einer fremden Wohnung stelle einen Grundrechtseingriff dar, wäre weiter danach zu fragen, ob eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung sich im Rahmen der von Art. 13 GG für zulässig erachteten Grundrechtsschranken bewegen würde. Die Ermittlungstätigkeit des Verdeckten Ermittlers stellt primär, soweit sie nach der Strafprozessordnung erfolgt, keine Maßnahme der Gefahrenabwehr dar. Anders als die (präventiven) Polizeigesetze der Länder kann sich die strafprozessuale Ermächtigung des VE zum Betreten von Wohnungen mithin nicht auf den qualifizierten Schrankenvorbehalt zugunsten von Gefahrenabwehr aus Art. 13 Abs. 7 GG stützen. Art. 13 Abs. 2 GG gestattet Durchsuchungen von Wohnungen, sofern sie vom Richter 20 angeordnet oder – bei Gefahr im Verzug – durch die in den Gesetzen vorgesehenen ande-
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Frister StV 1993 151, 153 m.w.N. unter Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze der Einwilligungslehre. Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts (1981) 102–104; Amelung StV 1985 257, 263; Deutsch 119 f., 125 f., 266 f.; Felsch StV 1998 285 ff.; Frister StV 1993 151, 153; Frister JZ 1997 1130 ff.; Groth 54; Lammer
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Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß (1992) 106 ff., 109, 118 f.; Nitz JR 1998 211 ff.; Rogall JZ 1987 853; Rogall Informationseingriff 90, 93; Roxin StV 1998 43 ff.; Weil ZRP 1992 243; Wollweber StV 1998 507 ff.; Wolter GA 1988 129 ff. (Anm. 19). Frister StV 1993 151 und Fn. 11; BTDrucks. 12 2720 S. 46. Frister StV 1993 151.
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ren Organe in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. Die Regelung des Richtervorbehalts in § 110b Abs. 2 legt es nahe, danach zu fragen, ob sich der Einsatz eines VE in Wohnungen im Rahmen des Art. 13 Abs. 2 GG hält. Unbestreitbar wohnen dem Einsatz des VE in einer Wohnung Elemente einer Durchsuchung inne.45 Andererseits besteht in der h.M. breite Übereinstimmung darüber, dass die von Art. 13 Abs. 2 GG gemeinte Durchsuchung durch ihre offene Durchführung, ferner dadurch gekennzeichnet sei, dass die mit der Durchsuchung befassten Staatsorgane im Rahmen der Maßnahme offen Herrschaft über das Hausrecht des Betroffenen ausübten.46 Aus dieser Einschränkung des Durchsuchungsbegriffs werden unterschiedliche rechtliche Konsequenzen gezogen: Einige Autoren folgern daraus, dass die heimliche Maßnahme des VE keine „Durchsuchung“ sei und mithin verfassungsrechtlich weder dem Richtervorbehalt noch den sonstigen Voraussetzungen des Schrankenvorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG unterliege.47 Diese Auffassung macht aber im Grunde nur dann Sinn, wenn zugleich ein Grundrechtseingriff verneint wird, denn anderenfalls bleibt die Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation eines solchen Eingriffs dabei unbeantwortet. Für den Fall, dass doch ein Grundrechtseingriff durch den VE-Einsatz in Wohnungen anzunehmen sei, spricht Krey48 sich für eine analoge Anwendung der Ermächtigung aus Art. 13 Abs. 2 GG aus, will also die Schrankenvorbehalte des Art. 13 GG im Wege der Analogie erweitern. Er nähert sich damit im Ergebnis Meinungen an, die auf das Merkmal der Offenheit der Durchsuchung verzichten und deshalb die direkte Legitimation des VE-Einsatzes in Wohnungen über Art. 13 Abs. 2 GG für möglich halten.49 Die überwiegende Meinung zieht den umgekehrten Schluss: Wenn das verdeckte Betreten der Wohnung zu Durchsuchungszwecken keine Durchsuchung im verfassungsrechtlichen Sinne sei, lasse sie sich über den Schrankenvorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG auch nicht rechtfertigen, sondern sei verfassungswidrig.50 Allein durch eine Verfassungsänderung, nämlich die Erweiterung der Grundrechtsschranken in Art. 13 GG, könne die derzeitige gesetzliche Regelung auf eine tragfähige verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden.
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Zum Begriff Durchsuchung s. zunächst § 102, 1. Was verfassungsrechtlich unter einer Durchsuchung zu verstehen sei, hat zunächst die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Abgrenzung zu der beispielsweise im Gewerbe- und Lebensmittelrecht bedeutsamen „Nachschau“ (Kontrollinspektion) herausgearbeitet. Kennzeichnend für die Durchsuchung ist nach dem vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Durchsuchungsbegriff das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe in einer Wohnung, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften (BVerwG NJW 1975 130 f.). Diesen Durchsuchungsbegriff hat sich später auch des Bundesverfassungsgericht zu eigen gemacht (vgl. z.B. BVerfG NJW 1979 1539,
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wo ausdrücklich auch die gezielte Ermittlung eines Sachverhalts – also nicht nur die Suche nach Sachen – in einer Wohnung als Durchsuchung angesprochen wird). Vgl. zum Ganzen auch Bonn.Komm./Herdegen Art. 13, 50 f. GG. Krey Rechtsprobleme … 264; Krey/Haubrich JR 1992 309, 313; De Lazzer/Rohlf JZ 1977 207, 210; Frister aaO 153 und Fn. 26; Bonn.Komm./Herdegen Art. 13, 52 GG und Fn. 143; Weil ZRP 1992 243, 245; Wolter GA 1988 129, 133; ders. StV 1989 358, 364. Bonn.Komm./Herdegen Art. 13 GG; Krey Rechtsprobleme 264. aaO in einem hilfsweise – für den Fall der Bejahung eines Grundrechtseingriffs – erstellten Gutachtenteil. Rogall JZ 1987 847, 853. Frister aaO; SK/Wolter 5 f.; Weil aaO jeweils m.w.N.
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5. Ungeschriebene Schranken des Art. 13 GG? Sieht man den VE-Einsatz in Woh- 21 nungen als Grundrechtseingriff an, bliebe als einzige Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Legitimation der Maßnahme ein Rückgriff auf ungeschriebene Schranken des Art. 13 GG. Ob Grundrechten, die mit einem qualifizierten Schrankenvorbehalt versehen sind, über diesen hinaus weitere verfassungsrechtlich gebotene Grenzen innewohnen, ist in der verfassungsrechtlichen Literatur umstritten. Teilweise wird angenommen, jedes Grundrecht, auch das des Art. 13 GG finde seine Grenzen dort, wo es an ebenso starke oder stärkere Freiheitsrechte anderer Individuen stoße51 oder wo ihm höhergewichtige Belange des Gemeinwohls entgegenträten.52 Gerade mit Rücksicht darauf, dass das Bundesverfassungsgericht der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege mittlerweile Verfassungsrang zugesprochen hat,53 sehen einige Autoren beim Einsatz Verdeckter Ermittler in Wohnungen einen solchen Wertekonflikt, dessen Abwägungsergebnis die Maßnahme rechtfertige.54 Abgesehen davon, dass die Existenz ungeschriebener Grundrechtsschranken neben einem qualifizierten Grundrechtsschrankenvorbehalt ohnehin im Streit steht, weil der Parlamentarische Rat bei Schaffung des Grundgesetzes bewusst auf einen allgemeinen Schrankenvorbehalt, wie ihn die Weimarer Verfassung noch kannte, verzichtet hat,55 ist danach zu fragen, ob die Annahme immanenter Schranken nicht jedenfalls für eine konkrete Fallgruppe vorhandene qualifizierte Grundrechtsschranken konterkariert.56 Die Strafverfolgungsmaßnahme nach § 110c dient nicht der Gefahrenabwehr im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG und damit auch nicht dem Individualrechtsgüterschutz.57 Jener wird in Art. 13 Abs. 7 GG abschließend geregelt. Soweit sich die Notwendigkeit des Ermittelns in Wohnungen aus Gründen des Allgemeinwohls ergibt, ermöglicht Art. 13 Abs. 2 GG Durchsuchungen unter Einhaltung der dort genannten Verfahrensregeln. Vor dem Hintergrund dieses Systems von zulässigen Ermittlungsmöglichkeiten in Wohnungen erscheint es ausgeschlossen, daneben systematische und verdeckte Ermittlungshandlungen in Wohnungen auf Grund allgemeiner Abwägung mit dem Rechtsgut einer funktionierenden Strafrechtspflege für zulässig zu erachten. Allenfalls könnte eine solche Rechtfertigung sich aus besonderen Notstandslagen im Einzelfall ergeben. Für eine über den besonderen Einzelfall hinausreichende generelle gesetzliche Ermächtigung ist neben den qualifizierten Grundrechtsschranken des Art. 13 GG aber kein Raum. Ebensowenig kann der „kriminell bemakelten Wohnung“ der Grundrechtsschutz ver- 22 sagt werden. Eine Verwirkung der Rechte aus Art. 13 Abs. 1 GG tritt nicht einmal dann ein, wenn feststeht, dass in der Wohnung kriminelle Handlungen stattfinden. Erst recht kann der Anfangsverdacht, in der Wohnung geschähen strafrechtlich relevante Dinge, den Grundrechtsschutz nicht aufheben, zumal die hier in Rede stehenden Ermittlungshandlungen dazu dienen sollen, jenen Verdacht erst zu erhärten.
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Maunz/Dürig/Maunz Art. 13, 11 GG. Maunz/Dürig/Maunz aaO, 12; Dagtouglou JuS 1975 753, 755. BVerfGE 57 250, 283 ff. Lammer Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß (1992) 207, 210 ff.; auch SK/Wolter (Loseblattausgabe, 11. ELA 1994) Vor § 151, 112 erwägt diesen Rückgriff auf grundrechtsimmanente Schranken unter Rückgriff auf die Entscheidung BVerfGE 75 318, 328, die die Frage aber gerade offenlässt. Weil ZRP 1992 243, 247, dort Fn. 43; zur
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Entstehungsgeschichte des Art. 13 GG vgl. auch BVerfGE 51 97, 108 f. und v. Doemming-Füsslein-Matz JöR n.F. Bd. 1 (1951) 1, 140; zur Streitfrage, ob Grundrechte mit qualifiziertem Schrankenvorbehalt daneben auch immanente Schranken kennen: Jarass in Jarass/Pieroth vor Art. 1, 50 GG m.w.N.; Roxin aaO. Frister aaO S. 154; gegen die Annahme grundrechtsimmanenter Schranken insoweit auch Roxin StV 1998 43, 44. Weil aaO.
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III. §§ 110b und c als „gesetzgeberische Wertentscheidung“? 23
1. Zur systematischen Einordnung beider Vorschriften. Nach der hier vertretenen Auffassung stellt deshalb der Einsatz eines VE in einer nicht allgemein zugänglichen Wohnung einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG dar. Da der Gesetzgeber bei Schaffung beider Vorschriften weder das Zitiergebot des Art. 19 GG beachtet noch sich bemüht hat, die Befugnis des VE, fremde Wohnungen zu betreten, am Schrankenvorbehalt des Art. 13 Abs. 2 und 7 GG auszurichten, schließlich, weil die Differenzierung der Täuschungsmöglichkeiten in § 110c Satz 2 dies nahelegt, ist allerdings davon auszugehen, dass das Gesetz – trotz der oben dargestellten Bedenken – auf dem Standpunkt steht, der unter bloßer Verwendung der Legende bewirkte Zutritt in die Wohnung greife nicht – jedenfalls nicht hoheitlich – in das Grundrecht des Wohnungsinhabers aus Art. 13 Abs. 1 GG ein. Die Chance, zu einer verfassungsrechtlich klareren Regelung zu finden, hat der Gesetzgeber auch im Zusammenhang mit der wegen des „Großen Lauschangriffs“ eingeleiteten Verfassungsänderung verpasst.58 Die Notwendigkeit, eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das Betreten von Wohnungen zu schaffen, scheint daher weniger verfassungsrechtlichen Erwägungen als vielmehr strafprozessualsystematischen Erwägungen, nämlich der Wahrung des Systems der Einzeleingriffsermächtigungen,59 entsprungen zu sein. Darin soll aber jedenfalls zugleich und zumindest eine „gesetzgeberische Wertentscheidung“ 60 liegen, die es verbietet, das heimliche Ermitteln in Wohnungen allein auf die allgemeine Ermittlungsermächtigung aus §§ 161, 163 zu stützen.61 Neu an beiden Vorschriften ist aber, dass die bisherigen Einzeleingriffsermächtigungen sich dazu bekennen, jeweils in Grundrechte der Betroffenen einzugreifen, während mit den §§ 110b und c, soweit sie das Betreten von Wohnungen regeln, erstmals eine Kategorie strafprozessualer „Grundrechtsberührungen mit eingriffsähnlichem Charakter“62 geschaffen worden ist. Ob es dieser neuen Kategorie von Einzeleingriffsermächtigungen bedarf und ob sie andererseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wird die Rechtsprechung – wohl auch das Bundesverfassungsgericht – noch zu klären haben.
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2. Analoge Anwendung auf andere verdeckt ermittelnde Beamte und V-Leute. Auch wenn im Übrigen weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Vorschriften über Verdeckte Ermittler nur für diese und nicht analog für den Einsatz sonstiger verdeckt operierender Beamter oder von V-Leuten gelten sollen, zeichnet sich die Tendenz ab, jedenfalls für das verdeckte Ermitteln in Wohnungen durch beamtete Ermittler mit Blick auf die §§ 110b und c die allgemeine Ermittlungsbefugnis des § 163 nicht ausreichen zu lassen. Wie immer man die Maßnahme verfassungsrechtlich qualifizieren mag, liegt doch in der Schaffung der §§ 110b und c das strafprozessuale Bekenntnis des Gesetzgebers dazu, dass eine derart intensive Ermittlungsmaßnahme der gesetzlichen Einzelermächtigung und – in ihrem Rahmen – der Zustimmung des Richters bedarf. Für den Betroffenen ist die Maßnahme aber nicht weniger intensiv, wenn statt eines VE ein „gelegentlicher oder
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Felsch aaO. Dazu Hilger NStZ 1992 457, 458 dort auch Fn. 13. So die Stellungnahme des Generalbundesanwalts im Revisionsverfahren 1 StR 527/96. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
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die Frage, ob der Theorie der „gesetzgeberischen Wertentscheidung“ zu folgen ist, noch offengelassen, NJW 1997 1516; krit. dazu Frister JZ 1998 1130 ff. Felsch StV 1998 285.
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qualifizierter Scheinaufkäufer“ zu Ermittlungszwecken eine Wohnung betritt. Auch wenn der 1. Strafsenat des BGH im Urteil vom 6. Februar 1997 63 die Frage noch nicht abschließend entschieden hat, zeigt der Umfang der dort vorgenommenen Prüfungen, dass für ihn eine Rechtfertigung des Einsatzes eines gelegentlichen Scheinaufkäufers der Polizei in einer Wohnung allein nach § 163 eher fernlag. Nach der hier vertretenen Auffassung ist – ganz gleich, ob man den Einsatz den Regularien des seinerseits verfassungsrechtlich problematischen § 110c unterwirft oder nicht – ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG gegeben, dem bisher eine ausreichende rechtliche Grundlage fehlt. Demgegenüber wurde noch in der Vorauflage für den Einsatz von V-Leuten im 25 Grundsatz daran festgehalten, dass diese als Privatleute nicht den besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigungen der Strafprozessordnung unterliegen.64 Das ergebe sich zum einen aus den Gesetzesmaterialien, denen zufolge sich der Einsatz von V-Leuten allein nach den allgemeinen Vorschriften richten soll,65 zum anderen daraus, dass der „Einsatz“ eines V-Mannes wegen dessen im Grundsatz minderer Zeugenqualität und dessen fehlender polizeilichen Befugnisse eine weniger intensive Ermittlungsmaßnahme darstellt.66 Allerdings sind Fallkonstellationen denkbar, in denen sich auf Grund der gesamten Umstände des Einzelfalls der Einsatz eines V-Manns in einer Wohnung als gezielte Umgehung der §§ 110b und c oder des Art. 13 Abs. 1 GG darstellen kann. Ob in solchen Fällen eine analoge Anwendung der §§ 110b und c – und in ihrer Folge ein Verwertungsverbot – in Betracht kommt, hat die Rechtsprechung bisher offengelassen.67 Da Art. 13 Abs. 1 GG dem Wohnungsinhaber keinen „Schutz vor späterem Verrat“ durch einen Besucher gewährt, erscheint eine analoge Ausdehnung der §§ 110b und c auf VMann-Einsätze allenfalls in besonders gelagerten Fällen denkbar. Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen s. bei § 110a, 45 ff. 26
§ 111 (1) 1Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß eine Straftat nach § 89a des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches, eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten oder eine Straftat nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, so können auf öffentlichen Straßen und Plätzen und an anderen öffentlich zugänglichen Orten Kontrollstellen eingerichtet werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Maßnahme zur Ergreifung des Täters oder zur Sicherstellung von Beweismitteln führen kann, die der Aufklärung der Straftat dienen können. 2An einer Kontrollstelle ist jedermann verpflichtet, seine Identität feststellen und sich sowie mitgeführte Sachen durchsuchen zu lassen. (2) Die Anordnung, eine Kontrollstelle einzurichten, trifft der Richter; die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) sind hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.
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NJW 1997 1516. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem ein sonst nicht verdeckt ermittelnder Polizeibeamter die Wohnung eines Drogenhändlers als angeblicher „Freund“ eines Haschischkäufers betrat, um dort ein Scheingeschäft abzuwickeln.
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Dazu Jähnke FS Odersky 427, 430; BGH wistra 1995 268, 269. BTDrucks. 12 989 S. 41. BGH aaO. BGH wistra 1995 268, 269; BGH Urt. vom 6. Februar 1997 – 1 StR 527/96 (Fn. 19).
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(3) Für die Durchsuchung und die Feststellung der Identität nach Absatz 1 gelten § 106 Abs. 2 Satz 1, § 107 Satz 2 erster Halbsatz, die §§ 108, 109, 110 Abs. 1 und 2 sowie die §§ 163b und 163c entsprechend.
Schrifttum Achenbach Vorläufige Festnahme, Identifizierung und Kontrollstelle im Strafprozeß, JA 1981 660; ders. Zu den Anforderungen an die Konkretisierung der richterlichen Anordnung einer Kontrollstelle und zum Anfechtungsrecht des an einer Kontrollstelle Durchsuchten, NStZ 1989 82; Altvater Das 24. Strafrechtsänderungsgesetz – § 129b StGB, NStZ 2003 179; Benfer Die Errichtung von Kontrollstellen (§ 111 StPO), Die Polizei 1978 282; Dencker Das „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus“, StV 1987 117; Ehmke Das Recht der strafprozessualen Identitätsfeststellung durch Staatsanwaltschaft und Polizei, Die Polizei 1978 279; Gintzel Zur mißglückten Regelung des § 111 StPO, Deutsche Polizei 1978 7; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG – 2. Teil – NStZ 1992 523; Kauß/Werkentin Zur Praxis der Anwendung des § 111 StPO, KJ 1978 306; Kuhlmann Kontrollstellen – Probleme um § 111 StPO, DRiZ 1978 238; Kurth Identitätsfeststellung, Einrichtung von Kontrollstellen und Gebäudedurchsuchung nach neuem Recht, NJW 1979 1377; Meyer/Gintzel Rechtliche Fragen der Razzia/Kontrollstelleneinrichtung, BKA-Vortragsreihe (Band 25) 1980 147; Riegel Die neuen Grundlagen der polizeilichen Personenkontrolle und Durchsuchung von Wohnungen im Strafverfahrensrecht, BayVerwBl. 1978 589; Riegel Inhalt und Bedeutung des neuen § 111 StPO, NJW 1979 147; Rieß Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14.4.1978 und Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NStZ 1981 215; Roßnagel Verdachtlose automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen, DAR 2008 61; Sangenstedt Gesetzessystematische und verfassungsrechtliche Probleme der strafprozessualen Kontrollstellenregelung (§ 111 StPO), StV 1985 117; Schieder Die automatisierte Erkennung amtlicher Kfz-Kennzeichen als polizeiliche Maßnahme, NVwZ 2004 778; Schmid Die Einrichtung von Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen bei der Strafverfolgung, DNP 1979 5; Schnarr Gehören Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB zum Deliktsbereich von Katalogtaten?, NStZ 1990 257; Soiné Zur Neuregelung der strafprozessualen Öffentlichkeitsfahndung, ZRP 1994 392; Steinke Die Problematik des neuen § 111 StPO aus polizeilicher Sicht, NJW 1978 1962; Schwan Identitätsfeststellung, Sistierung und Razzia, JahrbÖR 102 (1977) 243; Suden/Weitemeier Auswirkungen und Effektivität der strafprozessualen Änderungen vom 14.4.1978, Die Polizei 1980 333; Vahle Das Recht des Staates zur Personalienfeststellung, DuD 1992 10.
Entstehungsgeschichte. § 111 regelte ursprünglich die Rückgabe beschlagnahmter oder sonst sichergestellter beweglicher Sachen an den Verletzten; er ist durch Art. 21 Nr. 27 EGStGB 1974 gestrichen und durch § 111k ersetzt worden. Die jetzige Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 4 StPÄG 1978 eingefügt und gilt seither weitgehend unverändert. Eine Anpassung der Vorschrift im Zusammenhang mit der durch das 6. StRG erfolgten Änderung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB – in der a.F. regelte die Nr. 1 nur das Bei-sich-Führen von Schusswaffen, heute normiert sie eine ganze Reihe teilweise heterogener Handlungsqualifikationen – unterblieb wohl versehentlich. Hier besteht also weiterhin Nachbesserungsbedarf (dazu unten Rn. 8, 19). Im Zusammenhang mit der Einfügung von § 129b in das Strafgesetzbuch durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) wurde Abs. 1 Satz 1 geändert. Seit der Vorauflage (2004) kam es durch Art. 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009 (GVVG) dann zu einer Ergänzung des Anlasstatenkataloges um § 89a StGB, den sog. „Terrorcamp-Paragraphen“, und zuvor bereits zu einer Änderung des § 152 GVG gem. Art. 12a Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (1. JuMoG), womit der Wechsel von „Hilfsbeamten“ zu „Ermittlungspersonen“ der Staatsanwaltschaft einhergegangen ist.
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Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Abschließende Regelung für das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . b) Polizeiliche Regelungen . . . . . . .
Rn. 2. 3. 4. 5.
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3 6
II. Voraussetzungen der Anordnung (Absatz 1 Satz 1) 1. Tatverdacht a) Schwere Straftaten . . . . . . . . . b) Verdacht auf Grund bestimmter Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgsaussichten; Aussicht auf Ergreifung der Täter oder Sicherstellung von Beweismitteln . . . . . . . . . . . 3. Ort der Kontrolle . . . . . . . . . . . 4. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . .
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III. Anordnung der Maßnahme (Absatz 2) 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt der richterlichen Anordnung . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Befugnisse an den Kontrollstellen (Absatz 1 Satz 2) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Identitätsfeststellung . . . . . . . . . 3. Durchsuchung . . . . . . . . . . . . 4. Datenspeicherung („Schleppnetzfahndung“) . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Rechtschutz 1. Anordnung der Kontrollstelle . . . . . 2. Art und Weise der Durchführung . . . 3. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . .
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VI. Verwertungsverbot. Revision 1. Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . 2. Revision . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines 1. Begriff. Kontrollstellen sind allgemeine Sperren, an denen jedermann, also der Ver- 1 dächtige und auch der Nichtverdächtige, anhalten, die Feststellung seiner Identität und die Durchsuchung seiner Person sowie die seiner mitgeführten Sachen dulden muss.1 Von Gewicht ist die Verweisung in § 163d auf die Vorschrift. Danach dürfen dann, wenn bestimmte Tatsachen (dazu Rn. 7) den Verdacht begründen, eine der in § 111 genannten Straftaten sei begangen worden, bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle oder bei einer Kontrollstelle nach § 111 erhobene Daten gespeichert und für Strafverfolgungszwecke verwertet werden. Dabei handelt es sich nicht nur um personenbezogene Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, sondern weit darüber hinaus um alle aufklärungsrelevanten Umstände, wie „Ort, Zeit, Anlaß und Ergebnis der Überprüfung, Begleitpersonen, Reiseziel und Reiseweg, benutzte Fahrzeuge, sonstige mitgeführte Gegenstände und andere verdachtserregende Umstände“.2 Auch wenn der Grund für die Einfügung des § 111 in der Notwendigkeit gesehen 2 wurde, den Terrorismus zu bekämpfen und die Fahndung nach terroristischen Gewalttätern zu verbessern,3 rechtfertigen doch weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift die Annahme, dass es sich um eine Sonderbestimmung handelt, die nur im Rahmen der Terrorismusbekämpfung angewandt werden dürfte. § 111 greift daher auch dann, wenn – neben den terrorismustypischen §§ 89a, 129a StGB – eine der in § 129a Abs. 1 StGB aufgezählten und insofern unverfänglichen Straftaten oder ein Raub unter Führung von Schusswaffen von Tätern begangen worden ist, die nicht zu einer terroristischen Vereinigung gehören.4 1
2 3
AK/Achenbach 3; KK/Nack 2, 14; vgl. Sangenstedt StV 1985 117; Benfer Die Polizei 1978 283. LR/Erb § 163d, 26 ff. BTDrucks. 8 1482 S. 2.
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AK/Achenbach 11; Meyer-Goßner 2; Händel Neue Polizei 1978 84; Kurth NJW 1979 1381 Fn. 85; Steinke Polizei 1979 41; Neue Polizei 1979 47; a.A. Benfer Polizei 1978 282; 1979 196.
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2. Anwendungsbereich
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a) Abschließende Regelung für das Strafverfahren. Kontrollstellen nach § 111 dienen der Verfolgung von Straftaten nach Absatz 1 Satz 1; es handelt sich also um strafprozessuale und nicht um polizeirechtliche Maßnahmen.5 Sie sind auch im Vollstreckungsverfahren zulässig, soweit die Voraussetzungen des § 457 Abs. 3 vorliegen, denn diese Vorschrift wollte den Vollstreckungsbehörden grundsätzlich die gleichen Befugnisse einräumen, die im Erkenntnisverfahren den Strafverfolgungsbehörden zustehen.6 Im Übrigen enthält die Vorschrift für das Strafverfahrensrecht eine abschließende Regelung.7 Das bedeutet indes nicht, dass neben § 111 andere Kontrollen zur Strafverfolgung 4 ausgeschlossen sind. Zulässig bleiben organisierte Personenfeststellungen im Rahmen des § 163b und Durchsuchungen unter den Voraussetzungen der §§ 102 ff.8 Dazu darf aber nicht jedermann angehalten werden, sondern Unverdächtige – abgesehen von den Fällen des § 103 – nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 163b Abs. 2 vorliegen, wenn und soweit also die Identitätsfeststellung zur Aufklärung einer Straftat geboten ist. Ein Anhalten zur Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 163b gegeben sind, ist dagegen nicht gestattet,9 ebensowenig eine Datenspeicherung nach § 163d. Für die sogenannte „Ringfahndung“ gelten keine Besonderheiten. Sie wird in der 5 Regel der Strafverfolgung dienen und muss deshalb durch das Strafverfahrensrecht gedeckt sein. Dabei kann es sich um mehrere Kontrollstellen im Sinne des § 11110 oder um mehrere einfache Kontrollen im beschriebenen Umfang handeln, bei denen Maßnahmen nach §§ 163b, 102 ff. gestattet sind oder um eine Mischung verschiedener Maßnahmen handeln.
6
b) Polizeirechtliche Regelungen. Soweit in anderen Gesetzen Kontrollstellen mit Anhalteverpflichtungen geregelt sind, dienen sie nicht der Strafverfolgung, sondern sind im Kern polizeirechtlicher Natur.11 So erlaubt § 36 Abs. 5 StVO nur eine straßenverkehrsrechtliche Überprüfung,12 § 23 des Gesetzes über die Bundespolizei nur eine solche im Rahmen der dort genannten Voraussetzungen und § 12 Abs. 1 GüKG der Durchführung der Überwachungsaufgaben der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr. Daneben sind polizeiliche Kontrollen mit dem Ziel der Personenfeststellung in einzelnen Polizeigesetzen ausdrücklich gestattet (vgl. z.B. § 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG v. 24.8.1978, GVBl. 561) oder – wo eine ausdrückliche Regelung fehlt – auf Grund der polizeilichen Generalklausel zulässig.13 Dabei handelt es sich aber um allgemeine polizeiliche Maßnahmen zum Zweck der Gefahrenabwehr und der allgemeinen ereignisunabhängigen, vorbeugenden Fahndung. Soweit § 26 Abs. 1 Nr. 4, 5 und 6 PolG für Baden-Württemberg allgemeine Kontrollstellen zulässt, handelt es sich trotz des auch auf Strafverfolgung hindeutenden Wortlauts um reines Polizeirecht.14
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6 7
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So aber Steinke NJW 1978 1962: „reines Polizeirecht“; Kriminalistik 1978 415; dagegen zutreffend KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1; Kurth NJW 1979 1381 Fn. 79; Riegel NJW 1979 147; Kriminalistik 1979 127; Drews/ Wacke/Vogel/Martens 9. Aufl. (1986) 136. Hilger NStZ 1992 523, 526. AK/Achenbach 5; KK/Nack 2; Meyer-Goßner 1; SK/Wolter 1; Meyer BKA Reihe 1980 (Bd. 25) 147; Sangenstedt StV 1985 117, 123. Meyer BKA Reihe 1980 (Bd. 25) 147; a.A.
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Roxin/Schünemann § 35 Rn. 22, der in §§ 127 und 163b keine Rechtsgrundlage für einfache Kontrollen sieht. Achenbach JA 1981 660. KK/Nack 9. Vgl. zu Einzelheiten Vahle DuD 1992 10. OLG Hamm VRS 51 (1976) 226; Kurth NJW 1979 1381; Riegel BayVerwBl. 1978 594. Vgl. Meyer-Goßner 1. Wöhrle/Belz § 20, 9 Polizeigesetz für Baden-Württemberg (1985); im Übrigen
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Gerichtliche Entscheidungen zu Kontrollstellen im Sinne des § 111 sind nur aus dem 7 Zuständigkeitsbereich des Generalbundesanwalts bekanntgeworden.15 Dies legt den Verdacht nahe, dass die polizeiliche Praxis § 111 umgeht und unzulässigerweise sich auch zur Strafverfolgung präventiv-polizeilicher Maßnahmen bedient.16
II. Voraussetzungen der Anordnung (Absatz 1 Satz 1) 1. Tatverdacht a) Nur schwere Straftaten, die im Katalog des Absatz 1 aufgeführt sind, rechtfertigen 8 die Einrichtung einer Kontrollstelle. Dabei handelt es sich um solche nach § 89a StGB, § 129a StGB, § 129b StGB, um die in § 129a Abs. 1 StGB bezeichneten Straftaten (hauptsächlich Mord, Totschlag, Völkermord, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme und bestimmte gemeingefährliche Straftaten) sowie nach ausdrücklicher Erwähnung in Absatz 1 auch Raub unter Führung von Schusswaffen. Der Versuch dieser Straftaten genügt.17 Ob § 30 StGB ausreicht, ist bestritten, aber entgegen verbreiteter Meinung zu bejahen.18 Obwohl das Gesetz anders als beispielsweise bei §§ 100a und 102 nicht das Begriffspaar „Täter oder Teilnehmer“ verwendet, sondern nur vom Begehen der Straftat durch den Täter spricht, besteht doch Übereinstimmung, dass die Kontrollstelle auch zur Fahndung nach Gehilfen oder (selten) Anstiftern, also nicht nur nach Tätern i.S. des § 25 StGB eingerichtet werden darf.19 Die Verweisung auf eine „Straftat nach 250 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches“ bezieht sich auf die vor Inkrafttreten des 6. StRG geltende Fassung, die den Fall erfasste, dass „der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Schusswaffe bei sich führt.“ § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB der geltenden Fassung enthält aber auch weniger gefährliche Begehungsweisen. Eine Anpassung des § 111 unterblieb freilich. Es sollte aber keinem Zweifel unterliegen, dass durch die Änderung des Strafgesetzbuchs eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 111 nicht beabsichtigt war.20 Auch wenn § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB heute das Beisichführen von gefährlichen Werkzeugen und sonstigen Mitteln wie auch die gesundheitsschädliche Begehungsweise erfasst, rechtfertigt der Verdacht dieser Tatmodalitäten keine Kontrollstelle nach § 111. Dem Schusswaffenraub kann sodann, was freilich streitig ist, die im Gesetz nicht ausdrücklich genannte räuberische Erpressung unter Führung von Schusswaffen keinesfalls gleichgestellt werden.21 Nur weil der Täter der räuberischen Erpressung nach § 255 StGB gleich einem Räuber zu bestrafen ist und weil eine verlässliche Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung (nahm der Täter etwas weg oder erzwang er eine Weggabe?) in diesem frühen Stadium der Ermittlungen regelmäßig nicht möglich ist, kann eine strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage nicht erweiternd ausgelegt werden.22 Es obliegt vielmehr allein der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und nicht derjenigen des Rechtsanwenders, für welche Anlasstaten er der Polizei die Möglich-
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stünden auch Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 1 GG einer landesrechtlichen Regelung im Bereich der Strafverfolgung entgegen. Vgl. etwa BGHSt 35 363; BGHSt 36 30; BGHSt 36 242; BGH NJW 1989 2636; BGH NJW 1989 1170. Vgl. auch AK/Achenbach 5. KK/Nack 4; Meyer-Goßner 3. Eingehend zum Problem Schnarr NStZ 1990
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257, 259; a.A. freilich die ganz h.M: vgl. nur AK/Achenbach 10; Meyer-Goßner 3. Vgl. Schnarr NStZ 1990 257, 259. KK/Nack 4. A.A. die Voraufl. AK/Achenbach 8; SK/Wolter 4; Gintzel Die Polizei 1979 2; Kurth NJW 1979 1382; a.A. KK/Nack 4; Meyer-Goßner 3.
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keit einer Kontrollstellenfahndung eröffnen will. So wie bei den heimlichen Maßnahmen der §§ 100a und 100c ist es der Gesetzgeber, der überprüfen muss, ob die Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung der konkret im Gesetz zu benennenden Straftaten geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Mittel sind. Alles andere verwischt nicht nur die klaren Grenzen der Gewaltenteilung, sondern sorgt für große Rechtsunsicherheit, die sich das Strafprozessrecht schon allgemein und bei Grundrechtseingriffen erst recht nicht leisten kann. Sollte der Gesetzgeber der Ansicht sein, dass § 255 StGB dem § 249 StGB hinsichtlich seiner Rechtsfolge nicht nur im materiellen Recht, sondern auch zur Auslösung des § 111 gleichgestellt ist, so muss er entsprechend handeln. Der Katalog des Absatz 1 wurde wiederholt kritisiert.23 Es sei „wenig einleuch9 tend“.24 Einerseits erfasst er auch weniger gefährliche Taten aus dem Randbereich des § 129a StGB,25 andererseits fehlen gewichtige Delikte, zu deren Verfolgung eine derartige Maßnahme sinnvoll sein kann. Doch selbst wenn man – was hier nicht vertreten wird – im Wege der Auslegung (Rn. 8) die Einrichtung einer Kontrollstelle auch bei räuberischer Erpressung mit Waffen zuließe, dürften die wesentlichen Mängel insoweit kaum behoben sein. Bei weniger gefährlichen Delikten bedarf es ohnehin besonderer Prüfung, ob die insgesamt sehr gravierende Maßnahme verhältnismäßig ist (Rn. 15).
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b) Ein Verdacht auf Grund bestimmter Tatsachen, dass eine der in Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Straftaten begangen worden ist, muss vorliegen. Der Begriff „Verdacht auf Grund bestimmter Tatsachen“ ist wie in § 100a Abs. 1 Satz 1, § 112 Abs. 1, § 112a Abs. 1 Satz 1 zu verstehen (vgl. im Einzelnen § 112, 23; ferner § 100a, 50). Dringender Tatverdacht ist nicht erforderlich. Andererseits genügen bloße Vermutungen auch nicht. Der Verdacht muss durch schlüssiges Tatsachenmaterial, „äußerlich wahrnehmbare Ereignisse“ (LR/Hilger § 112, 23), ein gewisses Maß an Konkretisierung erlangt haben.26 Auf Rechtswidrigkeit und Schuld braucht er sich – hier wie auch sonst – nicht zu erstrecken.
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2. Erfolgsaussichten; Aussicht auf Ergreifung der Täter oder Sicherstellung von Beweismitteln. Nur wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Aussicht auf einen solchen Fahndungserfolg am konkreten Ort und zur konkreten Zeit27 besteht, darf eine Kontrollstelle eingerichtet werden. Die Vorschrift rechtfertigt also niemals eine allgemeine Polizeikontrolle.28 Wenn die Sicherstellung von Beweismitteln der einzige Fahndungszweck ist, kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu.29 Es muss sich dann um Beweismittel handeln, die besonders wichtig sind.30 „Bestimmte“ Tatsachen – andere gibt es nicht, § 112, 23 – müssen auch hier vorliegen. Hilfstatsachen reichen aus, nicht aber bloße Vermutungen. Es genügt, dass tatsächliche Anhaltspunkte irgendwelcher Art vorhanden sind, aus denen sich eine Erfolgsaussicht ergibt. Die Tatsachen müssen auf die Aussicht, den „Täter“31 zu ergreifen oder Beweismittel sicherzustellen nicht zwingend hinweisen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit, insbesondere die nach kriminalistischer Erfahrung bestehende Wahrscheinlichkeit typischer Geschehens-
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KK/Nack5 4; Dencker StV 1987 119; Kurth NJW 1979 1377, 1382; Achenbach JA 1981 665; Riegel BayVerwBl. 1978 595; Benfer Grundrechtseingriffe 693. Kurth NJW 1979 1377, 1382. Vgl. KK/Nack 4. Vgl. BTDrucks. V 1880 S. 11; s. auch KK/Nack 6.
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Vogel NJW 1978 1227; vgl. auch Kurth NJW 1979 1382. Benfer Grundrechtseingriffe 271 Rn. 16 ff. KK/Nack 5. Kurth NJW 1979 1382. Zur verunglückten Wortwahl s. Schroeder NJW 2000 2483; siehe aber auch LR/Erb § 163d, 16.
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abläufe nach der Begehung bestimmter Straftaten, reicht aus.32 Die Ergreifung des Täters bedeutet seine Festnahme nach § 127 (vgl. § 127, 28 ff.). Beweismittel, die der Aufklärung der Straftat dienen können, sind auch solche, die zur Feststellung des Aufenthalts des Täters dienen. Denn erst durch dessen Festnahme wird die Tat voll aufgeklärt. Im Allgemeinen besteht Aussicht auf Ergreifung der Täter oder Erlangung von Be- 12 weismitteln nur an Kontrollstellen, die in räumlicher Nähe des Tatorts eingerichtet werden. Jedoch können im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Ergreifung der Täter weitab vom Tatort möglich ist, etwa wenn Hinweise darauf vorliegen, dass sie die Grenze zum Ausland überschreiten wollen.33 Auch bei der Fahndung nach steckbrieflich gesuchten Gewaltverbrechern, etwa auf Grund von Hinweisen aus der Bevölkerung, kommt es auf die räumliche Nähe zum Tatort nicht an.34 Auch zeitlich muss die Einrichtung der Kontrollstellen grundsätzlich im Zusammen- 13 hang mit der Straftat stehen, die aufgeklärt werden soll. Allerdings geht es nicht an, die Einrichtung von Kontrollstellen nur während des Verlaufs der Tat oder unmittelbar danach zuzulassen.35 Denn auch später können noch tatsächliche Hinweise darauf vorliegen, dass durch diese Maßnahme teilnahmeverdächtige Personen, die sich vielleicht nach der Tat erst einige Tage in einer Wohnung versteckt gehalten haben, ergriffen oder dass Beweismittel erlangt werden können. 3. Ort der Kontrolle. „Öffentliche Straßen und Plätze“ müssen dem öffentlichen Ver- 14 kehr gewidmet oder wenigstens tatsächlich öffentlich sein, weil sie jedermann oder wenigstens allgemein bestimmten Gruppen von Benutzern, wenn auch nur vorübergehend und gegen Gebühr, zur Verfügung stehen.36 Öffentlich zugängliche Orte sind solche, die jedermann oder wenigstens allgemein bestimmten Gruppen zur Verfügung stehen. Hierher gehören etwa Fußballstadien, Flugplätze,37 Bahnhöfe,38 Einkaufshallen (Markthallen mit vielen Ständen) oder überdachte „Ladenstraßen“. Gaststätten, Hotels, Kaufhäuser, Eisenbahnzüge oder Flugzeuge gehören dagegen nicht hierzu.39 4. Verhältnismäßigkeit. Dem verfassungskräftigen Grundsatz der Verhältnismäßig- 15 keit trägt bereits das Gesetz Rechnung, indem es Kontrollstellen nur bei besonders schweren Straftaten und nur bei qualifizierter Erfolgsaussicht gestattet. Gleichwohl ist darüber hinaus die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall noch zu prüfen, denn die Kontrollstelle enthält durch die Anhalteverpflichtung für jedermann eine für strafprozessuale Zwangsmaßnahmen untypische Breitenwirkung.40 Die Maßnahme muss zunächst geeignetes, d.h. zwecktaugliches Mittel, und sie muss erforderlich sein, ist also nur zulässig, wenn andere Kontrollmaßnahmen (z.B. nach § 163b, vgl. Rn. 4) nicht ausreichen.41 Sie wäre deshalb unzulässig, wenn nach einem Straftäter gefahndet wird, dessen Aussehen bekannt ist.42 Die Maßnahme muss auch in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Erfolg stehen. Dabei ist das Gewicht des Eingriffs gegenüber Nichtverdächtigen 32
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KK/Nack 6; Meyer-Goßner 5; Achenbach JA 1981 664; Sangenstedt StV 1985 117; Kuhlmann DRiZ 1978 239; Kurth NJW 1979 1382. Vgl. Kublmann DRiZ 1978 239; KK/Nack 8. Vgl. Kurth NJW 1979 1382, der allerdings einen räumlichen Zusammenhang allgemein nicht für erforderlich hält. Steinke Polizei 1979 42/43; a.A. Benfer Polizei 1978 283.
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Vgl. Fischer § 315b, 3. KK/Nack 7; Meyer-Goßner 8. KK/Nack 7; Meyer-Goßner 8. Ähnlich im Ergebnis KK/Nack 7; MeyerGoßner 8. Sangenstedt StV 1985 123. KK/Nack 10; Sangenstedt StV 1985 123. KK/Nack 10.
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gegen die Bedeutung der konkreten Straftat (liegt ein Fall aus dem Randbereich zu § 129a StGB vor?) und dem erwarteten Fahndungserfolg abzuwägen. Insbesondere wird in der Regel eine Kontrollstelle zur Sicherstellung von Beweismitteln nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.43 Angesichts der Vorwertung des Gesetzes wird Unverhältnismäßigkeit freilich nur im Bereich der Extremfälle vorliegen.44 Auch ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung zu berücksichtigen, dass auch die Durchführung der Kontrollstelle dem Verhältnismäßigkeitsgebot unterliegt und dass insoweit Einschränkungen mit der Anordnung verbunden werden können.
III. Anordnung der Maßnahme (Absatz 2) 16
1. Zuständigkeit. Wegen des Gewichts des Eingriffs ist grundsätzlich der Richter zuständig, der im Ermittlungsverfahren (eine Anordnung nach Erhebung der öffentlichen Klage, zu der der Richter auch ohne Antrag befugt wäre, kommt praktisch nicht in Betracht45) nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig wird (§ 162 Abs. 1 Satz 1). Fälle des § 165 sind hier kaum denkbar. Sachlich zuständig ist der Ermittlungsrichter (§§ 162, 169). Wegen der örtlichen Zuständigkeit vgl. § 162 Abs. 1. Bei Gefahr im Verzug (zum Begriff vgl. § 105, 83 ff.) dürfen auch die Staatsanwalt17 schaft und deren Ermittlungspersonen (vormals „Hilfsbeamte“) (vgl. § 152 GVG) die Anordnung treffen. Da die leitenden Polizeibeamten, sofern sie nicht dem Bundeskriminalamt angehören, nicht Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, müssen sie mit der Anordnung ihre Untergebenen beauftragen. obwohl es an sich ihre Sache wäre, eine so weitreichende Maßnahme selbst anzuordnen.46 Die Ermittlungspersonen sind bei Gefahr im Verzug zu der Anordnung nicht berechtigt, wenn sie einen Beamten der Staatsanwaltschaft erreichen und diesem die Entscheidung überlassen könnten47 (vgl. § 98, 34). Wegen der besonderen Tragweite der Entscheidung nach § 111 wird es sich empfehlen, dass die Staatsanwaltschaften durch Anordnungen nach § 152 Abs. 1 GVG sicherstellen, dass sie in solchen Fällen von der Polizei nicht übergangen werden.48 Die gesetzliche Zuständigkeitsregelung hat namentlich insoweit Kritik gefunden, als 18 die Anordnungskompetenz grundsätzlich dem Richter vorbehalten bleibt. In teilweise grotesker Verkennung der Rechte der Polizei im Ermittlungsverfahren wurde dieser Regelung jeder Sinn49 oder aber die praktische Bedeutung50 abgesprochen. Dem kann nicht gefolgt werden. Sicher werden gerade bei Kontrollstellen in vielen Fällen Sofortmaßnahmen ergriffen werden müssen. Wichtig ist aber zunächst die Wertentscheidung des Gesetzgebers für den Richtervorbehalt. Im Übrigen wird es Sache der Staatsanwaltschaft sein, darüber zu wachen, dass die gesetzliche Kompetenzverteilung eingehalten wird. Nach dem Bericht der Bundesregierung vom 14.4.1978 (BTDrucks. 8 3564) dürfte dies nicht der Fall sein: Danach stehen bis 1.10.1979 18 richterlichen Anordnungen 163 Anordnungen der Polizei gegenüber, während die Staatsanwaltschaft nie tätig wurde. 43 44 45 46
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KK/Nack 5; Kurth NJW 1979 1382. Weitergehend Sangenstedt StV 1985 124. Ebenso Kurth NJW 1979 1383. Kritisch hierzu Benfer Polizei 1978 285; Gintzel Polizei 1979 3; Kuhlmann DRiZ 1978 239 f.; Schnupp Polizei 1978 347. Zustimmend AK/Amelung 30; a.A. MeyerGoßner 15.
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Vgl. Kuhlmann DRiZ 1978 240; hiergegen polemisch Gintzel Polizei 1979 3, der das Verhältnis Staatsanwaltschaft/Polizei im Ermittlungsverfahren außer Betracht lässt. Gintzel Deutsche Polizei 1978 8; Gintzel Die Polizei 1979 2; Benfer Die Polizei 1979 285: „in die Hand der Polizei“. Ehardt/Kunze StV 1981 65: „Scheinrolle“.
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§ 111
Eine richterliche Bestätigung der bei Gefahr im Verzug getroffenen Anordnungen 19 sieht § 111 nicht vor. Auch wenn Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft die Einrichtung von Kontrollstellen angeordnet haben, darf der Richter daher die Rechtmäßigkeit der Anordnung trotz ihres mitunter mehrere Tage fortdauernden Vollzugs nur auf Antrag eines Betroffenen prüfen. Da jedoch in § 98 Abs. 2 Satz 1, § 111e Abs. 2 die Einholung der richterlichen Bestätigung bei Eingriffen von geringerer Bedeutung vorgeschrieben ist, erscheint diese Einschränkung der richterlichen Kontrollbefugnisse in § 111 unverständlich.51 Gleichwohl kommt eine analoge Anwendung der §§ 100 Abs. 2, 100b Abs. 1 Nr. 3 deswegen nicht in Betracht, weil von einer planwidrigen Regelungslücke hier schlechterdings nicht gesprochen werden kann.52 Auch diesbezüglich ist also der Gesetzgeber in die Pflicht zu nehmen (vgl. oben 8). 2. Inhalt der richterlichen Anordnung. Die Art und Weise, in der die Kontrollstellen 20 eingerichtet werden sollen, wird in der Anordnung nicht vorgeschrieben. Immerhin werden Lage und Dauer der Kontrollstellen zu präzisieren sein.53 Zum notwendigen Inhalt der Anordnung gehört aber nicht die Anzahl der Kontrollstellen und der genaue Ort, an dem sie einzurichten sind. Die Anordnung kann sich darauf beschränken, dass innerhalb eines bestimmten Bezirks Kontrollstellen einzurichten sind. Dabei müssen aber die örtlichen Grenzen dieses Bezirks (etwa das Gebiet einer bestimmten Stadt oder die Verbindungsstraßen von einem bestimmten Ort zum anderen) bezeichnet werden.54 An welchen Einzelpunkten innerhalb des so abgesteckten Bezirks Kontrollstellen eingerichtet werden, kann der Polizei überlassen werden.55 Der Richter kann vielfach bei Erlass der Anordnung nicht beurteilen, welches die günstigsten Punkte für die Einrichtung von Kontrollstellen sind.56 Auch kann im Verlauf der Aktion ein Wechsel der Anhaltestellen erforderlich sein. Eine starre Anweisung, dass nur an ganz bestimmten Punkten Kontrollstellen eingerichtet werden dürfen, wäre daher unpraktisch und würde die mit § 111 verfolgten Zwecke nur beeinträchtigen. Ob die Polizei auf Grund ihrer Befugnis, bei Gefahr im Verzug selbst über die Einrichtung von Kontrollstellen zu entscheiden, von der Anordnung des Richters oder Staatsanwalts abweichen und andere oder weitere Kontrollstellen einrichten kann, erscheint zweifelhaft. Wird die Frage verneint, so spricht alles dafür, die richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung so dehnbar zu halten, dass die Erfolgsaussichten nicht durch die unaufschiebbare Notwendigkeit, von ihr abzuweichen, zunichte gemacht werden können. Wird sie bejaht, so erscheint es umso einleuchtender, dass der Polizei nicht im Einzelnen vorgeschrieben wird, an welchen Punkten sie Kontrollstellen einrichten darf. Das alles schließt aber nicht aus, dass die Anordnung sich auf die Einrichtung einer einzigen oder mehrerer genau bestimmter Kontrollstellen beschränkt, etwa nur die Absperrung der einzigen Verbindungsstraße anordnet, die vom Tatort wegführt. Der Umstand, dass der Richter über die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Anordnung nicht zu entscheiden hat (vgl. Erl. zu § 162), steht einer solchen
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53 54 55
So mit Recht Benfer Polizei 1978 285/86. Im Ergebnis ebenso KK/Nack 17; MeyerGoßner 15; a.A. AK/Amelung 31 SK/Wolter 18; Sangenstedt StV 1985 126. Achenbach NStZ 1989 83. S. auch BGHSt 35 363 mit Anm. Achenbach NStZ 1989 83. Meyer-Goßner 16; Kurth NJW 1979 1383;
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Riegel ZRP 1978 16; H. Schmid Neue Polizei 1979 6; a.A. wohl Kühne 541 f.; KK/Nack 13; stark einschränkend, aber praxisfremd Sangenstedt StV 1985 125; vgl. auch Kuhlmann DRiZ 1978 239. Gintzel Polizei 1979 3 hält den Richter allgemein für unfähig, Einzelheiten zu bestimmen.
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Beschränkung nicht entgegen; denn jedenfalls hat er im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auch die Aussicht auf Eintritt des Fahndungserfolges zu prüfen.57 Eine zeitliche Beschränkung enthält die Anordnung regelmäßig nicht.58 Meist lässt 21 sich bei der Entscheidung noch gar nicht voraussehen, wie lange mit der Einrichtung und Aufrechterhaltung von Kontrollstellen die Aussicht besteht, die Täter zu ergreifen oder Beweismittel zu erlangen. Jedoch kann es im Einzelfall geboten sein, die Kontrollen von vornherein auf wenige Stunden oder Tage zu beschränken.59 Auch die Einschränkung, dass nur zu bestimmten Tageszeiten kontrolliert werden darf, ist zulässig.60
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3. Form. Die richterliche Anordnung ergeht durch Beschluss, der nach § 34 zu begründen ist. In diesem Beschluss müssen die Straftaten, derentwegen die Anordnung getroffen wird, die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der Verdacht ergibt, dass die aufzuklärenden Taten begangen worden sind, die Tatsachen, welche die Erfolgsaussichten begründen, sowie die Bezeichnung des Ortes (oben Rn. 20), an dem die Kontrollstelle einzurichten ist,61 bezeichnet werden. Der Beschluss wird der Staatsanwaltschaft zugeleitet (§ 36 Abs. 2 Satz 1). In Eilfällen, um die es sich oft handeln wird, gibt das Gericht der Polizei die Anordnung unmittelbar fernmündlich bekannt. Staatsanwaltschaftliche Anordnungen können mündlich, auch fernmündlich, getroffen werden. Dann ist ihr Inhalt aber in einem Aktenvermerk niederzulegen.
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4. Der Vollzug der Anordnung ist Sache der Polizei. Sie richtet, wenn die Anordnung insoweit keine Beschränkungen enthält, Kontrollstellen innerhalb des in der Anordnung bezeichneten Bezirks an allen Punkten ein, an denen nach den tatsächlichen Anhaltspunkten und der kriminalistischen Erfahrung die Täter am ehesten zu ergreifen oder die Beweismittel zu erlangen sind. Die Polizei stellt die für die Kontrollstellen erforderlichen Beamten und die sachlichen Hilfsmittel (Absperrungen, Kraftfahrzeuge). Die Kontrollen nimmt sie nach eigenem Ermessen innerhalb der Befugnisse vor, die ihr Absatz 1 Satz 2 dazu gibt.
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5. Aufhebung. Die Anordnung ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des Absatz 1 nicht mehr vorliegen, wenn sich also entweder der Verdacht, dass eine der dort bezeichneten Straftaten begangen worden ist, als unbegründet erweist oder wenn keine Aussicht mehr besteht, die Täter zu ergreifen oder Beweismittel zu erlangen. Der Richter oder Staatsanwalt, der die Anordnung getroffen hat, muss das weitere Vorliegen dieser Voraussetzungen ständig überwachen. Zu diesem Zweck hat er, wenn die Anordnung nicht von vornherein nur für eine bestimmte Zeit getroffen war, die Polizei (der Richter über die Staatsanwaltschaft) zu veranlassen, ihn in regelmäßigen Abständen, die er nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, davon zu unterrichten, aus welchen Gründen trotz des bisherigen Fehlerfolgs die weitere Aussicht besteht, die Täter zu ergreifen oder Beweismittel sicherzustellen. Die Polizei ist verpflichtet, den Vollzug der Anordnung sofort zu beendigen, die Kontrollstelle also aufzulösen, wenn die Voraussetzungen des Absatz 1 nicht mehr vorliegen.62 Hiervon muss sie den Richter oder Staatsanwalt, der die Anordnung getroffen hat, unverzüglich benachrichtigen, damit dieser die Anordnung förmlich aufhebt. Hat die Polizei die Anordnung getroffen, so hebt sie sie selbst auf. Nach ihrer Aufhebung darf die Anordnung nicht mehr vollzogen werden. Eine neue Anordnung ist aber jederzeit zulässig, wenn die Voraussetzungen des Absatz 1 erneut vorliegen.
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Kurth NJW 1979 1383. Kurth NJW 1979 1383. Meyer-Goßner 16.
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Kurth NJW 1979 1383 Fn. 109. Vgl. das Beispiel KG StV 1981 63. Kurth NJW 1979 1382.
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IV. Befugnisse an den Kontrollstellen (Absatz 1 Satz 2) 1. Allgemeines. An einer Kontrollstelle ist jedermann verpflichtet, seine Identität fest- 25 stellen und sich sowie mitgeführte Sachen durchsuchen zu lassen. Die Pflicht trifft Unverdächtige in gleichem Maß wie tatverdächtige Personen. Der Grundsatz, dass der Verdächtige Durchsuchungen zur Auffindung von Beweismitteln in weiterem Umfang dulden muss als der Unverdächtige (vgl. §§ 102, 103), ist für den Bereich des § 111 aufgegeben worden, weil eine solche Unterscheidung dem mit der Einrichtung der Kontrollstellen verfolgten Zweck widersprechen würde. Der Gesetzgeber nimmt bewusst in Kauf, dass die nicht unbeträchtlichen Eingriffe in die Freiheitsrechte des Staatsbürgers, die § 111 vorsieht, fast ausschließlich Nichtverdächtige und Unschuldige treffen,63 wobei aber nicht übersehen werden darf, dass auch bei jeder einzelnen Maßnahme der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden muss. Die Kontrollstelle gestattet es der Polizei nicht, allgemein nach Straftätern oder nach Beweismitteln für strafbare Handlungen zu fahnden. Eine besondere Anordnung der Identitätsfeststellung oder der Durchsuchung ist an 26 den Kontrollstellen nicht erforderlich. Die Befugnisse der Polizei ergeben sich unmittelbar aus § 111 Abs. 1 Satz 2.64 Die Polizei darf aber ihre Rechte nicht ohne weitere Erklärung gegenüber den Betroffenen wahrnehmen. Vielmehr muss jeder, der an der Kontrollstelle angehalten und den in Absatz 1 Satz 2 vorgesehenen Maßnahmen unterzogen wird, auf den Grund dieser Maßnahmen hingewiesen werden. Das ergibt sich daraus, dass § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 die entsprechende Anwendung der § 69 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 1 bei der Identitätsfeststellung vorschreibt (vgl. LR/Erb § 163b, 17) und dass Absatz 3 seinerseits die entsprechende Anwendung des § 163b bestimmt. Für die Durchsuchung folgt die Hinweispflicht aus dem nach Absatz 3 entsprechend anzuwendenden § 106 Abs. 2 Satz 1. Der Hinweis kann allgemein durch Lautsprecherdurchsagen, Stelltafeln, Plakatanschläge, aber auch als Einzelhinweis gegenüber der zu kontrollierenden Person erfolgen. 2. Identitätsfeststellung. Alle Personen, die an der Kontrollstelle angehalten werden, 27 müssen nach Absatz 1 Satz 2 ihre Identität feststellen lassen. § 163b gilt entsprechend (§ 111 Abs. 3). Danach sind die Angehaltenen zwar nicht verpflichtet, anders als durch die Angabe der in § 111 OWiG bezeichneten Personalien an ihrer Identifizierung mitzuwirken (vgl. LR/Erb § 163b, 20). Personalausweise, Reisepässe und andere Ausweispapiere müssen sie, wenn sie dazu nicht nach anderen Vorschriften verpflichtet sind, nicht freiwillig vorzeigen. Unterlassen sie das oder bestehen Zweifel an der Echtheit der Urkunden, sollen nach Absatz 3 „die §§ 163b, 163c entsprechend“ gelten. Die Bedeutung dieser Verweisung ist außerordentlich streitig. Während nämlich 28 Absatz 1 Satz 2 „jedermann verpflichtet, seine Identität festzustellen“ zu lassen, differenziert der in Bezug genommene § 163b zwischen Verdächtigen und Nichtverdächtigen. Bei Letzteren ist die Identitätsfeststellung nach dieser Vorschrift überhaupt nur zulässig, „wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist“, zur Identifizierung festgehalten werden darf der Nichtverdächtige nur, wenn dies nicht unverhältnismäßig ist und eine Durchsuchung und erkennungsdienstliche Behandlung zur Identitätsfeststellung des Nichtverdächtigen ist gegen dessen Willen nicht zulässig. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Absatz 1 Satz 2 (keine Unterscheidung zwischen Verdächtigen
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Vgl. Kuhlmann DRiZ 1978 239.
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Vgl. BTDrucks. 8 1482 S. 10.
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und Nichtverdächtigen) und § 163b (Unterscheidung zwischen beiden) lässt sich angesichts des klaren Wortlauts nicht auflösen. Folgerichtig wird teils Absatz 1 Satz 2,65 teils § 163b der Vorzug gegeben,66 teilweise wird eine differenzierende Lösung gesucht.67 Nach der hier vertretenen Auffassung muss zwischen Verdächtigem und Nichtver29 dächtigem unterschieden werden, weil sonst die Verweisung in Absatz 3 sinnlos wäre. Dem Anliegen von Absatz 1 Satz 2, dass sich jedermann der Kontrolle zu stellen hat, wird dadurch Rechnung getragen, dass an der Kontrollstelle jedermann anhalten muss.68 Danach ist zu differenzieren zwischen Verdächtigen und Nichtverdächtigen, wobei die Erforderlichkeit der Identitätsfeststellung im Sinne von § 163b Abs. 2 Satz 1 bei einer Maßnahme nach § 111 regelmäßig ebenso zu bejahen sein wird wie die Verhältnismäßigkeit des Festhaltens im Sinne von § 163c Abs. 2 Satz 2. Eine Durchsuchung und erkennungsdienstliche Behandlung des Nichtverdächtigen gegen seinen Willen ist stets unzulässig.
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3. Durchsuchung. Gemeint ist die Durchsuchung zum Zweck der Auffindung von beschlagnahmefähigen Beweismitteln; denn das Recht zur Durchsuchung zum Zweck der Identifizierung besteht nur im Rahmen des nach Absatz 3 entsprechend anwendbaren § 163b (vgl. oben Rn. 28). Rechtsgrundlage für die Durchsuchung zum Zweck der Auffindung von Beweismitteln ist allein Absatz 1 Satz 2. Die §§ 102 ff. sind nicht anzuwenden. Daher wird bei Durchsuchungen gegenüber Nichtverdächtigen nicht vorausgesetzt, dass im Einzelfall bestimmte Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen werde.69 Durchsucht werden dürfen, wenn ein Zusammenhang mit den gesuchten Tätern nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint,70 alle Personen, die an der Kontrollstelle angehalten werden, und alle Sachen, die sie mitführen. Dazu gehören auch die Transportmittel. Zulässig ist daher die Durchsuchung der Kraftfahrzeuge einschließlich der Kofferräume. Werden sie nicht freiwillig geöffnet, so darf die Polizei Zwang anwenden, insbesondere sich mit körperlicher Gewalt in den Besitz der Autoschlüssel setzen oder, wenn das nicht möglich ist, den Kofferraum mit Gewalt aufbrechen. Allgemein wird der Umfang der zulässigen Durchsuchungsmaßnahmen durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das konkrete Fahndungsziel bestimmt.71 Werden bei der Durchsuchung Beweismittel gefunden, so müssen sie nach §§ 94, 98 beschlagnahmt werden, wenn der Betroffene sie nicht freiwillig herausgibt (vgl. § 94, 39). Nach Absatz 3 sind entsprechend anzuwenden die Vorschriften über die Pflicht des 31 Durchsuchungsbeamten, dem Inhaber der zu durchsuchenden Sachen den Zweck der Durchsuchung bekanntzugeben (§ 106 Abs. 2 Satz 1; vgl. oben Rn. 26), dem von der
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Meyer-Goßner 11; Schlüchter 338; Suden/ Weitemeier Die Polizei 1980 338; Riegel NJW 1979 148; ders., BayVerwBl. 1978 595. KK/Nack 14; Achenbach JA 1981 665; Kurth NJW 1979 1382; Vogel NJW 1978 1227; Kuhlmann DRiZ 1978 239; Benfer Die Polizei 1978 284. LR/Meyer 23 EB 15, der grundsätzlich zwischen § 163b Abs. 1 und 2 unterscheidet, aber die Wirkung der Unterscheidung dadurch wieder aufhebt, dass er bei § 163b Abs. 2 Satz 2 den Verhältnismäßigkeits-
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grundsatz ausschaltet und Satz 3 nicht anwenden will, weil zwischen Verdächtigen und Nichtverdächtigen an einer Kontrollstelle nicht unterschieden werden könne. Sangenstedt StV 1985 123. KK/Nack 5 14; Meyer-Goßner 12; Benfer Polizei 1978 284; Kurth NJW 1979 1383. Vgl. Riegel BayVerwBl. 1978 596, der die Maßnahme dann mit Recht für unverhältnismäßig hält. Kurth NJW 1979 1383.
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Durchsuchung Betroffenen nach deren Beendigung auf Verlangen ein Verzeichnis der in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände zu geben (§ 107 Satz 2 Halbsatz 1), Zufallsfunde einstweilen in Beschlag zu nehmen und der Staatsanwaltschaft hiervon Kenntnis zu geben (§ 108), die in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände genau zu verzeichnen und kenntlich zu machen (§ 109) und Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen von Polizeibeamten nur mit dessen Genehmigung durchzusehen, sie aber, wenn die Genehmigung nicht erteilt wird, in einem versiegelten Umschlag an die Staatsanwaltschaft abzuliefern (§ 110 Abs. 1 und 2). Bei der Durchsuchung von Frauen ist § 81d zu beachten. 4. Datenspeicherung (sog. „Schleppnetzfahndung“). § 163d gestattet die Speicherung 32 der bei einer Personenkontrolle nach § 111 anfallenden Daten über die Identität der kontrollierten Personen sowie über Umstände, die für die Aufklärung der Straftat oder für die Ergreifung des Täters von Bedeutung sein können, wie z.B. Typ und Kennzeichen eines benutzten Kraftfahrzeugs. Wegen der Einzelheiten der Vorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit bezweifelt wird, s. die Erl. zu § 163d.
V. Rechtsschutz 1. Anordnung der Kontrollstelle. Die bloße Anordnung, eine Kontrollstelle einzurich- 33 ten, begründet noch keine zur Anfechtung berechtigende Beschwer. Denn diese Anordnung greift noch nicht in Rechte des Einzelnen ein, sondern bildet lediglich die Grundlage dafür, dass die Polizei Personen anhalten, Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen vornehmen darf.72 Wer freilich an einer Kontrollstelle sich einer solchen Maßnahme unterziehen muss, kann die Anordnung der Kontrollstelle und, soweit er auch dadurch sich beschwert sieht, die Maßnahme selbst angreifen. War die Kontrollstelle durch richterliche Entscheidung angeordnet worden, ist gegen die Anordnungsentscheidung die Beschwerde zulässig,73 war sie im Wege der Eilkompetenz ergangen, kann gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 die Entscheidung des für eine Anordnung an sich zuständigen Richters (Rn. 16) über die Rechtmäßigkeit der Anordnung beantragt werden. Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte (§ 304 Abs. 5) und Entscheidungen der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug (§ 304 Abs. 4 Satz 2), sind nicht beschwerdefähig, da die Einrichtung der Kontrollstelle noch nicht die Beschlagnahme oder Durchsuchung betrifft, diese der Polizei vielmehr erst gestattet.74 Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine die Einrichtung einer Kontrollstelle ablehnende oder gegen die eine Kontrollstelle aufhebende Entscheidung ist – abgesehen von den Fällen des § 304 Abs. 4 Satz 2 und des § 304 Abs. 5 – stets zulässig. 2. Art und Weise der Durchführung. Will sich der Betroffene gegen eine an der 34 Kontrollstelle erfolgte Maßnahme wehren, kann nach den allgemeinen Regeln (vgl. § 98, 72 ff.; 105; 130 ff., 133 ff.; Erl. zu § 163b und 163d) der für die Anordnung der Kontrollstelle zuständige Richter nach § 98 Abs. 2 Satz 2 angerufen werden,75 der im
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BGHSt 35 363; NJW 1989 1170; SK/Wolter 27; KK/Nack5 19; Meyer-Goßner 20; Achenbach NStZ 1989 83; Nelles Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozeßordnung (1980) 70.
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BGH NJW 1989 1170; BGHSt 35 363 mit Anm. Achenbach NStZ 1989 83. A.A. KK/Nack 20. BGHSt 35 363; SK/Wolter 30; MeyerGoßner 20.
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Zusammenhang damit auch die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Kontrollstelle überprüft. Zu der Besonderheit, dass in Fällen dieser Art gegen die richterliche Anordnung oder Gestattung der Kontrollstelle die Beschwerde, gegen die in den Verantwortungsbereich der Polizei fallende Durchsuchung, Beschlagnahme oder Identitätsfeststellung der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 zulässig ist, und zu den damit zusammenhängenden Rechtswegfragen s. § 105, 130 ff.
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3. Rechtsschutzbedürfnis. Nach Aufhebung einer Kontrollstelle besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der getroffenen Maßnahmen jedenfalls für den, der an einer Kontrollstelle angehalten wurde, dessen Person oder Sachen durchsucht wurden oder dessen Daten gespeichert wurden.76 Die Durchsuchung einer Person und ihrer Sachen auf offener Straße stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar (s. § 105, 20). Entsprechendes gilt für die Speicherung persönlicher Daten jeder Art (s. dazu oben Rn. 1 und 32). Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Kontrollstelle erstreckt sich auf sämtliche gesetzliche Voraussetzungen, insbesondere auch auf das Vorliegen von Gefahr im Verzug in den Fällen angenommener Eilkompetenz. Nachräglicher Rechtsschutz gem. § 101 Abs. 7 Satz 2 kommt hingegen nicht in Betracht, weil § 111 von dieser Sondervorschrift nicht erfasst ist.77
VI. Verwertungsverbot. Revision 36
1. Verwertungsverbot. Fehler bei der Anordnung der Kontrollstelle, die so schwer wiegen, dass sie für dabei erlangte Erkenntnisse ein Verwertungsverbot zur Folge haben könnten, sind kaum vorstellbar. Auch bei lediglich fehlerhafter Annahme von Gefahr im Verzug wird es bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Kontrollstelle sein Bewenden haben müssen. Allerdings führt die bewusste, rechtsmissbräuchliche Umgehung des Richtervorbehalts durch die Polizei nach der hier vertretenen normativen Fehlerfolgenlehre zu einem Beweisverwertungsverbot.78
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2. Revision. Auf Fehler bei der Anordnung der Kontrollstelle kann die Revision nicht gestützt werden,79 allenfalls darauf, dass ein kaum vorstellbares Verwertungsverbot missachtet worden ist.
§ 111a (1) 1 Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 69 des Strafgesetzbuches), so kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluß die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen. 2Von der vorläufigen Entziehung können bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausgenommen werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßnahme dadurch nicht gefährdet wird.
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BGH NJW 1989 2636 und Amelung FS II BGH 911, 930. Ebenso SK/Wolter 30.
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(2) Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufzuheben, wenn ihr Grund weggefallen ist oder wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht. (3) 1 Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins. 2Dies gilt auch, wenn der Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden ist, sofern der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. (4) Ist ein Führerschein beschlagnahmt, weil er nach § 69 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches eingezogen werden kann, und bedarf es einer richterlichen Entscheidung über die Beschlagnahme, so tritt an deren Stelle die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. (5) 1Ein Führerschein, der in Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt ist, weil er nach § 69 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches eingezogen werden kann, ist dem Beschuldigten zurückzugeben, wenn der Richter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Fehlens der in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen ablehnt, wenn er sie aufhebt oder wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht. 2Wird jedoch im Urteil ein Fahrverbot nach § 44 des Strafgesetzbuches verhängt, so kann die Rückgabe des Führerscheins aufgeschoben werden, wenn der Beschuldigte nicht widerspricht. (6) 1In anderen als in Absatz 3 Satz 2 genannten ausländischen Führerscheinen ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermerken. 2Bis zur Eintragung dieses Vermerkes kann der Führerschein beschlagnahmt werden (§ 94 Abs. 3, § 98).
Schrifttum v. d. Aa/Pöppelmann Empfiehlt es sich, die Entziehung der Fahrerlaubnis und/oder das Fahrverbot als Hauptstrafe in das StGB aufzunehmen? Jura 1999 462; Angerbauer Nochmals: Ausnahmen für bestimmte Fahrzeugarten bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO, NJW 1966, 2003; Bouska/Laeverenz Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. (2004); von Bubnoff Der vorläufige Fahrerlaubnisentzug und die Möglichkeit von Ausnahmen für bestimmte Kraftfahrzeugarten, JZ 1968 318; Burchardt Zur Frage der Beschlagnahme des Führerscheins durch die Polizei ohne richterliche Anordnung, Polizei 1964 233; Cierniak Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und Revision, NZV 1999 324; Cloppenburg Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung bei Abgeordneten? MDR 1961 826; Dahs Unzulässige Einbehaltung des Führerscheins durch die Polizei, NJW 1968 632; Duttge JZ 2006 102; Ferner Eignungsmangel und Verhältnismäßigkeit, PVR 2001 86; Freyschmidt Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 9. Aufl. (2009); Geppert Totale und teilweise Entziehung der Fahrerlaubnis, NJW 1971 2154; Geppert Neuere Rechtsprechung des BGH zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nicht-Katalogtaten – Zugleich Besprechung von BGH, Beschluss vom 5.11.2002 – 4 StR 406/02, NStZ 2003, 288; Gollner Verschlechterungsverbot bei vorläufiger und endgültiger Entziehung der Fahrerlaubnis, GA 1975 129; Greiner Zur Führerscheinbeschlagnahme aus polizeirechtlichem Grund, Polizei 1971 362; Grohmann § 111a StPO in der Revision – ungelöste Probleme, DRiZ 1989 138; Gübner/Krumm Verteidigungsstrategien bei drohender Fahrerlaubnisentziehung, NJW 2007 2801; Habetha Zur Anfechtbarkeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verurteilung durch die Strafkammer, NZV 2008 605; Hartung Das zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs, NJW 1965 86; Hentschel Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, DAR 1980 168; ders. Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Absatz 2 StPO, DAR 1976 9; ders. Fortbestand der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung trotz Ablaufs der Führerscheinsperre in der Revisionsinstanz? MDR 1978 185; ders. Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis – Zurückverweisung an den iudex a quo wegen nicht ausreichender Begründung? DAR 1975 265; ders. Aus-
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nahme von der Fahrerlaubnissperre für Lkw und Busse? NZV 2004 285; ders. Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahre 2005, NJW 2006 477; ders. Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006); Herlan/SchmidtLeichner Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot durch Strafrichter und Verwaltungsbehörden (1972); Himmelreich/Halm Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und -bußgeldsachen – Überblick 1.4.2003–31.3.2004, NStZ 2004 317; dies. Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und -bußgeldsachen – Überblick 1.4.2006–31.3.2007, NStZ 2007 389; dies. Handbuch des Fachanwalts für Verkehrsrecht (2006); Holly Zur Frage der Beschlagnahme eines Führerscheins durch Polizei und Staatsanwaltschaft, MDR 1972 747; Holzinger Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, ein verkannter Rechtsbehelf! StRR 2008 208; Kaiser Ablauf der Sperrfrist nach § 42n Abs. 5 Satz 2 StGB vor Rechtskraft des Urteils – und was dann? NJW 1973 493; Kropp Zur Dauer der Ungeeignetheit im Rahmen des § 111a Strafprozeßordnung, NStZ 1997 471; Kropp Die Entziehung der Fahrerlaubnis, JA 1999 802; Krumm Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis und vom Fahrverbot, ZRP 2010, 11; ders. Die (Regel-) Beschränkung der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung auf „anlasstatbezogene“ Kraftfahrzeugarten, NZV 2006 234; ders. Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung bei langer Verfahrensdauer, NJW 2004 1627; ders. Keine wirkliche Ausnahme – Das Ausnehmen von Kraftfahrzeugen von der Sperre gem. § 69a, I, II StGB, DAR 2004 56; Lenhart Der „bedeutende Schaden“ als Regelbeispielsvoraussetzung einer Entziehung der Fahrerlaubnis, NJW 2004 191; Ludovisky Zur Zulässigkeit der Beschlagnahme eines ausländischen Führerscheins, DAR 1997 80; Luther Entziehung der Fahrerlaubnis und Beschlagnahme des Führerscheins, NJ 1992 164; Meier Zur Frage der Beschlagnahme des Führerscheins durch die Polizei ohne richterliche Anordnung, Polizei 1964 234; Metzger Fahrverbot nach 2 Jahren – Zur Frage des Fahrverbots nach langer Verfahrensdauer, NZV 2005 178; Meyer Beschlagnahme ausländischer Führerscheine, MDR 1992 442; ders. Ist das Gericht an einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gebunden? DAR 1986 47; Michel Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Sicherstellung des Führerscheins? DAR 1997 393; Mittelbach Die Entziehung der Fahrerlaubnis (1966); Mohr Fahrerlaubnisentziehung auch künftig Sicherungsmaßregel? DAR 1960 280; Molketin Zeitliche Grenzen für eine Eilentscheidung nach StPO § 111a, NZV 1994 334; Mollenkott Relative Fahruntüchtigkeit, vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und der Grundsatz „in dubio pro reo“, DAR 1978 68; ders. Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis und vom Fahrverbot, DAR 1982 217; ders. Die Ausnahmegenehmigung nach § 69a Abs. 2 StGB – Hoffnung oder Wirklichkeit? DAR 1992 120; Nau Beschlagnahme des Führerscheins und Blutentnahme bei Abgeordneten, NJW 1958 1668; Orlich Ausnahmen von der Sperrfrist zur Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis, NJW 1977 1179; Rößler Zur Problematik der vorläufigen Führerscheinentziehung, NJW 1953 1820; Schmid Zur Kollision der sog. „111a-Beschwerde“ mit Berufung und Revision, Blutalkohol 1996 357; Schmidt-Leichner Alkohol und Kraftfahrer, insbesondere die Entziehung der Fahrerlaubnis, NJW 1953 1849; Schwarzer Zur Zulässigkeit der Beschwerde wegen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß StGB § 69 während des laufenden Revisionsverfahrens, NZV 1995 239; Tepperwien Beschleunigung über alles? – Das Beschleunigungsgebot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, NStZ 2009 1; Trupp Widersprüchliches Verhalten zur Führerscheinbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten, NZV 2004 389; Vogel Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach freiwilliger Herausgabe des Führerscheins? NJW 1954 1921; Weihrauch Die Ausnahmen bei der Entziehung der Fahrerlaubnis, NJW 1971 829; Wittschier Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Ermittlungsverfahren, NJW 1985 1324; Wolffgramm Beschlagnahme des Führerscheins durch die Polizei, AnwBl. BE 1995 269; Wölfl Aus der Praxis – Der vorläufige Entzug der Fahrerlaubnis, JuS 2001 795; Zabel Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis Blutalkohol, 1980 95; ders. Langjährige, unbeanstandete Fahrpraxis in ihrer rechtlichen Auswirkung bei Trunkenheitsdelikten und Verkehrsordnungswidrigkeiten, Blutalkohol 1998 241; Zabel/Seim Ausnahmen vom Fahrerlaubnisentzug bei alkoholauffälligen Kraftfahrern im Erkenntnisverfahren und beim vorläufigen Entzug, Blutalkohol 1992 109; Zopfs, Fahrerlaubnisentzug (§ 69 StGB) auch bei Mitfahrern, Kfz-Haltern oder Tatbeteiligten? NZV 2010 179.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
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Entstehungsgeschichte.1 Die Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) eingefügt und durch Art. 2 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) neu gefasst. Durch Art. 2 Nr. 5 EGOWiG wurde dem Absatz 1 der Satz 2 angefügt. Art. 21 Nr. 28 EGStGB 1974 passte in den Absätzen 1, 4 und 5 die Verweisungen auf Vorschriften des Strafgesetzbuchs dem ab 1.1.1975 geltenden Recht an und fasste Absatz 6 Satz 2 (bisher: „Zu diesem Zweck kann der Fahrausweis beschlagnahmt werden“) neu. Das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer Gesetze vom 24.4.1998 (BGBl. I S. 747) diente der Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG des Rats vom 29.7.1991 über den Führerschein (Zweite EU-Führerscheinrichtlinie) und brachte durch Änderungen in Abs. 3 und 6 die Gleichstellung von EU- und EWG-Führerscheinen mit solchen, die von einer deutschen Behörde ausgestellt sind, wenn der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. Übersicht Rn. I. Überblick 1. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . 2. Keine förmliche Anrechnung auf die Sperrfrist nach §§ 69 f. StGB . . . . 3. Wirkung der Maßnahme . . . . . . . 4. Mitteilungspflichten; Verkehrszentralregister . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entschädigung . . . . . . . . . . . . II. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (Absatz 1) 1. Voraussetzungen a) Überblick . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen nach § 69 StGB . aa) Anlasstat . . . . . . . . . . . bb) Begehung beim oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz bzw. unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers . . . . . . . . . . cc) Die aus der Tat sprechende Ungeeignetheit zum Führen eines Kfz . . . . . . . . . . . c) Dringende Gründe . . . . . . . . d) Kein Ermessen . . . . . . . . . . e) In jeder Lage des Verfahrens . . . f) Keine Verwirkung . . . . . . . . g) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . 2. Ausnahmen für bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen (Absatz 1 Satz 2) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Zulässige Ausnahmen . . . . . . c) Folgen . . . . . . . . . . . . . . III. Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . .
1
Rn. 2. Wegfall des Grundes a) Allgemeine Gründe . . . . . . . . b) Zeitablauf während des Berufungsverfahrens . . . . . . . . . . . . c) Zeitablauf während des Revisionsverfahrens . . . . . . . . . . . . 3. Nichtentziehung im Urteil . . . . . .
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IV. Verfahren bei Anordnung und Aufhebung der Maßnahme 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . a) Im Vorverfahren . . . . . . . . . b) Nach Anklageerhebung . . . . . . c) Das Berufungsgericht . . . . . . . d) Nach Einlegung der Revision . . . 2. Antrag, Form und Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründung . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . 5. Wirkung der Maßnahme . . . . . . 6. Bekanntmachung und Vollstreckung . V. Sicherstellung des Führerscheins 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnung der Beschlagnahme (Absatz 3) . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherstellung des Führerscheins nach § 94 Abs. 3 vor der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Keine richterliche Beschlagnahme c) Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . d) Richterliche Entscheidung über die Beschlagnahme (Absätze 3 und 4) 4. Beschlagnahme zur unmittelbaren Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . .
34 39 40 43
44 45 46 47 48 49 53 54 59 61 62 63
64 66 67 69 72
Zur Entstehungsgeschichte ausführlich SK/Rogall 7 ff.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
VI. Rückgabe des Führerscheins (Absatz 5) 1. Sichergestellte Führerscheine . . . . 2. Rückgabepflicht a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Ablehnung der vorläufigen Entziehung . . . . . . . . . . . . . . c) Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . d) Nichtentziehung der Fahrerlaubnis im Urteil . . . . . . . . . . . . . 3. Aufschiebung wegen eines Fahrverbots nach § 44 StGB (Absatz 5 Satz 2) . . 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . VII. Inhaber ausländischer Führerscheine (Absatz 3 und 6) 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 2. Sicherung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . 3. Aufhebung der vorläufigen Entziehung
73 75 76 77 78 79 80
81 82 85
Rn. VIII. Rechtsmittel 1. Entscheidungen zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis . . . a) Weitere Beschwerde . . . . . . b) Beschwerdeberechtigte . . . . . c) keine aufschiebende Wirkung . d) Beschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst . . . . . . . . . e) Zuständigkeitswechsel . . . . . f) Gewährung rechtlichen Gehörs . g) Bindungswirkung . . . . . . . . 2. Beschlagnahme des Führerscheins .
. . . .
86 88 89 90
. . . . .
91 94 95 96 97
IX. Abgeordnete 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Festnahme auf frischer Tat . . . . . . 100 3. Allgemeine Genehmigung . . . . . . 101 X. Kosten, Auslagen, Entschädigung . . . . 102
Alphabetische Übersicht Abgeordnete 99 Ablauf der Sperrfrist 39 Anfrageverfahren zur Auslegung von § 69 StGB 10 Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins 59 Anordnung und Aufhebung der Maßnahme 44 Anrechnung auf die Sperrfrist 4 Aufhebung der vorläufigen Entziehung 33, 85 Aufschiebende Wirkung der Beschwerde 90 Aufschiebung der Rückgabe des Führerscheins wegen eines Fahrverbots nach § 44 StGB 79 Auslagen 101 Ausländische Führerscheine 10 Ausländische Führerscheine 81 Ausnahmen für bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen 25 Begründung der gerichtlichen Entscheidung 53 Bekanntmachung der Entscheidung 61 Berufungsurteil 20 Berufungsverfahren 19 Beschleunigungsgebot 14 Beschwerdeberechtigte 89 Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins 59 Dringende Gründe 13 Eigene Ermittlungen des Ermittlungsrichters 52 Entschädigung 7, 101 Entscheidungsgrundlage des Ermittlungsrichters 51 Ermessen 15 Existenzgrundlage 12 Folgen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 37 Form der gerichtlichen Entscheidung 49 Gefahr im Verzug 67 Gefahrenabwehr 72 Grobe Verfahrensverzögerung 33 In jeder Lage des Verfahrens 16 Inhaftierung und Anordnung 15
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Kann-Bestimmung 15 Kosten 101 Krankheit und Anordnung 15 Mitteilungspflichten bezüglich der Anordnung 6 Neue Tatsachen oder Beweismittel 19 Nichtentziehung im Urteil 43, 78 Präventive Gesichtspunkte 3 Rechtliches Gehör 54 Rechtsmittel 86 Rückgabe des Führerscheins 73 Sicherstellung des Führerscheins 2, 62 Sicherung der Allgemeinheit 3 Sicherungsverfahren 1 Sperrwirkung von Abs. 2 18 Spezifischer Zusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit 10 Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen 11 Unschuldsvermutung 3 Verfahrensbeendende Beschlüsse 43 Verfahrensverzögerung, grobe 33 Verfassungsrechtliche Bedenken 3 Verhältnismäßigkeit 14, 24 Verjährung 5 Verkehrszentralregister 6 Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage 12 Versicherungsschutz 5 Vertrauensschutz 14, 23 Verurteilungswahrscheinlichkeit 13 Verwirkung 23 Vollstreckung der Entscheidung 61 Voraussetzungen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 8 Voraussetzungen nach § 69 StGB 9 Wegfall des Grundes 33 Weitere Beschwerde 88 Wirkung der Maßnahme 5, 59
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel Wirtschaftliche Interessen 12 Zeitablauf während des Berufungsverfahrens 39 Zeitablauf während des Revisionsverfahrens 40 Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs 10
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Zusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit 10 Zuständigkeit für gerichtliche Entscheidungen 44 Zweck der Vorschrift 1
I. Überblick 1. Zweck der Vorschrift. § 111a erlaubt im Vorgriff auf ein Urteil, in dem nach § 69 1 StGB (oder nach § 71 Abs. 2 StGB im Sicherungsverfahren, §§ 413 ff.) die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet und der Führerschein eingezogen wird, dem Beschuldigten diese Rechte vorläufig zu entziehen. Für die Anwendung des § 111a ist entscheidend, dass die Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 61 Nr. 5 StGB) eine Maßregel der Besserung und Sicherung ist, die ungeeignete Kraftfahrer für die Dauer ihrer Ungeeignetheit vom Verkehr ausschließt, und damit keine Strafe oder Nebenstrafe2 und schon erst recht keine „Lebensführungsstrafe“.3 Dementsprechend bezweckt § 111a, dass der mit dieser Maßregel erstrebte Schutz der 2 Allgemeinheit vor einem ungeeigneten und daher gefährlichen Kraftfahrer durch eine vorläufige Anordnung alsbald nach der Tat herbeigeführt werden kann, ohne dass auf das Urteil oder gar auf seine Rechtskraft gewartet werden muss.4 Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ähnelt in diesen Fällen der einstweiligen Unterbringung nach § 126a und dem vorläufigen Berufsverbot nach § 132a.5 Die Effektivität der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis wird durch die Sicherstellung des Führerscheins nach § 94 Abs. 3 gewährleistet. Ihr kann eine Beschlagnahme oder eine freiwillige Herausgabe des Führerscheins zugrunde liegen. Während die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis dem Richter vorbehalten ist (§ 111a Abs. 1), kann die Sicherstellung des Führerscheins auch durch die Polizei im Vorgriff auf die richterliche Entscheidung nach § 111a erfolgen (§§ 94 Abs. 3, 98; vgl. Rn. 64). Die sofortige Sicherstellung des Führerscheins und die vorläufige Entziehung der Fahr- 3 erlaubnis haben große kriminalpolitische Bedeutung; sie gelten wegen ihrer Wirkung auf den Täter und auf Dritte als für das Verkehrsstrafrecht unverzichtbar.6 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 111a wegen des Gewichts des Eingriffs bestehen angesichts der besonderen Gefahren, die durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr drohen, nicht.7 Insbesondere können im Strafverfahren auch präventive Gesichtspunkte wie der Schutz der Allgemeinheit Anlass für vorläufige Maßnahmen sein,8 vgl. LR/Hilger § 112a, 10 ff. Nachteile für den Beschuldigten in beruflicher oder privater Hinsicht müssen hingenommen werden.9 Die Unschuldsvermutung wäre nur dann tan2
3 4
BGHSt 7 165, 168; BGH VRS 11 (1956) 425; LK/Geppert 1; Schönke/Schröder/Stree/ Kinzig 2; Fischer 2; Lackner/Kühl 1 jeweils zu § 69 StGB; a.A. OLG Stuttgart NJW 1968 1792; OLG Frankfurt NJW 1968 1793 (nebenstrafartig); LR/Meyer23 1 (Nebenstrafe); Cramer NJW 1968 1764 (Strafe: „Etikettenschwindel“). Herzog StV 2004 151, 153. BGHSt 22 385; OLG München NJW 1980 860; dies bezweifelt Loos JR 1990 438, der die Auffassung vertritt, dem Sicherungszweck
5 6 7
8 9
trage auch eine Vollstreckung nach Rechtskraft Genüge. Meyer-Goßner 1; Eb. Schmidt JR 1970 206; KK/Nack 1; vgl. auch LR/Gleß § 132a, 3. Kritisch dazu Loos JR 1990 438. BVerfG – Kammer – DAR 1998 466; – Vorprüfungsausschuss – NStZ 1982 78; a.A. Seebode ZRP 1969 25. Vgl. BVerfGE 35 185, 191. BVerfG – Kammer – DAR 1998 466; – Vorprüfungsausschuss – NStZ 1982 78.
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giert, wenn die Maßnahme im Vorgriff auf eine Strafe oder Nebenstrafe erfolgen würde.10 Die gesetzliche Wertung der Maßnahme nach § 69 StGB als Maßregel hält sich aber sicher im Rahmen des Ermessens des Gesetzgebers. Da es sich bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis um eine Eilmaßnahme zur Sicherung der Allgemeinheit handelt11 und wegen des Gewichts des Eingriffs12 ist eine beschleunigte Durchführung sowohl des vorläufigen Verfahrens als auch des Erkenntnisverfahrens geboten. Dies betonen die Gerichte ständig; welche Konsequenzen sich aus einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ergeben, wird aber unterschiedlich beurteilt. S. dazu Rn. 14. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht § 111a Abs. 1 Satz 2.13
4
2. Keine förmliche Anrechnung auf die Sperrfrist nach § 69a StGB. Die Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist für die Dauer der Sperre nach § 69a Abs. 1 StGB von Bedeutung. Eine förmliche Anrechnung findet aber nur statt, soweit die Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verkündung des letzten tatrichterlichen Urteils bis zur Rechtskraft verstrichen ist (§ 69a Abs. 5 Satz 2 StGB). Im Übrigen wird die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bei der Bemessung der Sperrfrist zu berücksichtigen sein, da auch von der vorläufigen Maßnahme bessernde Wirkung auf den Beschuldigten ausgeht. Allerdings lässt das Gesetz eine Berücksichtigung nur insoweit zu, als das sonst (ohne vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis) vorgesehene Mindestmaß der Sperrfrist von 6 Monaten auf 3 Monate verkürzt werden kann (§ 69a Abs. 4 StGB). Da maßgeblicher Zeitpunkt für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB derjenige der tatrichterlichen Entscheidung ist,14 kann die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch die Wirkung gehabt haben, dass ein zur Tatzeit ungeeigneter Kraftfahrer durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, insbesondere bei langer Dauer, bis zum Zeitpunkt des Urteils nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Dies gilt auch für die Regelfälle des § 69 Abs. 2 StGB.
5
3. Wirkung der Maßnahme. Wem die Fahrerlaubnis nach § 111a vorläufig entzogen oder wessen Führerschein nach § 94 Abs. 3 – ob durch Beschlagnahme oder nach freiwilliger Herausgabe – sichergestellt ist, darf keine Kraftfahrzeuge führen. Fährt er dennoch, macht er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 oder nach § 21 Abs. 2 StVG strafbar, sein Fahrzeug kann nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG eingezogen werden und er verliert – seit der Neufassung von § 21 Abs. 2 StVG auch bei bloßer Sicherstellung des Führerscheins – den Versicherungsschutz nach § 2b Abs. 1c) AKB.15 Da die Entscheidung nach § 111a gleichzeitig als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde erteilten Führerscheins wirkt (§ 111a Abs. 3), unterbricht sie nach § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB die Verjährung.16 Da es sich bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nur um eine vorläufige Maßnahme handelt, die in ihrer Wirkung mit der endgültigen Entziehung nicht vergleichbar ist, steht sie der endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde nach § 3 Abs. 1 StVG (wegen derselben Tat) nicht entgegen.17
10 11 12
Vgl. v. d. Aa/Pöppelmann Jura 1999 462. BezirksG Meiningen ZfSch 1992 392. OLG Düsseldorf StV 1994 233; KreisG Saalfeld StV 1994 238; OLG Köln StV 1991 248; OLG Köln ZfSch 1992 427; Meyer-Goßner § 111a, 1.
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13 14 15 16 17
BVerfG NStZ 1982 78. LK/Geppert § 69, 58 StGB. BGH VRS 62 (1982) 114. Auch wegen einer Ordnungswidrigkeit, OLG Stuttgart NJW 1976 2223. OVG Lüneburg ZfSch 1996 198.
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4. Mitteilungspflichten; Verkehrszentralregister. Die vorläufige Entziehung der Fahr- 6 erlaubnis, wegen der Rechtsfolgen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 StVG aber auch die Sicherstellung des Führerscheins nach freiwilliger Herausgabe, wird der nach § 68 Abs. 1 und 2 StVZO zuständigen Verwaltungsbehörde und – sofern sie die Ermittlungen nicht selbst geführt hat – der für den Wohnort des Beschuldigten zuständigen Polizeidienststelle, bei Sonderführerscheinen (Bundeswehr usw.) auch der insoweit zuständigen Dienststelle mitgeteilt (Nr. 45 MiStra i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG). Zum Inhalt der Mitteilung s. Nr. 45 Abs. 5, zur Zuständigkeit Nr. 4 MiStra. Die vorläufige Entziehung wird gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 2 StVG in das beim Kraftfahrzeugbundesamt geführte Verkehrszentralregister sowie in das dortige zentrale Fahrerlaubnisregister und in örtliche Fahrerlaubnisregister (§ 50 StVG; vgl. auch §§ 49 bis 64 FeV und § 63 Abs. 2 FeV zur Tilgung) bzw. bei Dienstfahrzeugen der Bundeswehr in das Register der zentralen Militärkraftfahrstelle (§ 62 StVG) eingetragen. 5. Entschädigung. Die Maßnahme nach § 111a und die Sicherstellung des Führer- 7 scheins schränken die Rechtsstellung des Beschuldigten erheblich ein. Wird die endgültige Fahrerlaubnisentziehung nicht angeordnet, so besteht deshalb nach vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG) und nach Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG), aber auch nach freiwilliger Herausgabe zur Abwendung einer zwangsweisen Sicherstellung18 grundsätzlich Entschädigungspflicht. Wegen der Einzelheiten s. LK/Geppert § 69, 186 ff. StGB.
II. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (Absatz 1) 1. Voraussetzungen a) Überblick. Die Maßnahme nach § 111a setzt dringende Gründe für die Annahme 8 voraus, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach § 69 oder § 71 Abs. 2 StGB entzogen wird. Das bedeutet nichts anderes als eine Wahrscheinlichkeit im Maß des dringenden Tatverdachts gem. § 112 Abs. 1 Satz 1, also eine große Wahrscheinlichkeit, dass dem Beschuldigten nach dem derzeitigen Ermittlungsstand die Fahrerlaubnis im späteren Urteil gem. § 69 StGB entzogen werden wird (unten Rn. 13). Die Erwartung, dass ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängt werde, genügt nicht. Hat der Beschuldigte keine Fahrerlaubnis, kommt auch deren vorläufige Entziehung oder eine andere vorläufige Maßnahme nicht in Betracht.19 Der Sicherung der Nichterteilung einer Fahrerlaubnis in diesen Fällen, in denen im Urteil nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB eine selbständige Sperre angeordnet wird,20 dient die Maßnahme nicht, denn die Verwaltungsbehörde wird während eines laufenden Strafverfahrens ohnehin keine Fahrerlaubnis erteilen. Dagegen steht der vorläufigen Maßnahme nicht entgegen, dass bereits in einem anderen Verfahren die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wurde.
18 19
BGHZ 65 170. KG Beschl. vom 21. Juni 1999 – 1 AR 681/99 –; OLG Hamm VRS 51 (1976) 43; Hentschel/König/Dauer § 111a, 5.
20
KG Beschl. v. 21.6.1999 – 3 Ws 315/99 –; OLG Hamm VRS 51 (1976) 43; LK/Geppert § 69, 126 StGB.
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b) Voraussetzungen nach § 69 StGB
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aa) Anlasstat. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB setzt voraus, dass jemand wegen einer (irgendeiner!) rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB – eine Ordnungswidrigkeit reicht nicht) verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wird, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist. Eine Verurteilung zu Strafe ist nicht erforderlich; deshalb steht das Absehen von Strafe nach § 60 oder z.B. nach § 320 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 StGB, die Verurteilung zu Zuchtmitteln, Erziehungsmaßregeln oder die bedingte Verurteilung nach JGG der Maßregel nicht entgegen.21 Bei Verwarnung mit Strafvorbehalt ist die Entziehung der Fahrerlaubnis ausdrücklich ausgeschlossen (§ 59 Abs. 2 Satz 2 StGB). Diese Anlasstat muss noch keine deliktische Typizität zum Straßenverkehr aufweisen (vgl. aber unten 10), sodass auch der Verdacht eines Raubes oder Mordes durchaus taugliche Anknüpfungspunkte dafür sein können, über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nachzudenken.22
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bb) Begehung beim oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz bzw. unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers. Diese Tat muss jedoch bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen worden sein (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB), wobei die Rechtsprechung den „Zusammenhang“ früher recht weit fasste.23 Dies galt seit der Änderung des § 69b StGB24 auch bei Inhabern ausländischer Führerscheine.25 In den letzten zehn Jahren hat sich diese Rechtsprechung aber gewandelt. Der für Verkehrsdelikte zuständige 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte zunächst in einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, bei dem bis dahin „in aller Regel“ Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrtzeugs angenommen worden war,26 Bedenken des 3. Senats27 folgend freilich in einer nicht tragenden Entscheidung28 Folgendes erwogen: Die Maßregel nach § 69 StGB diene nicht der allgemeinen Verbrechensbekämpfung; vielmehr setze der nach dieser Vorschrift erforderliche Zusammenhang zwischen Straftat und dem Führen eines Kraftfahrzeugs voraus, dass durch das Verhalten des Täters eine erhöhte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer eintrete.29 Ergebe die Anlasstat keinen Hinweis darauf, dass der Angeklagte auch die allgemeinen Regeln des Straßenverkehrs verletzt oder zumindest unter Inkaufnahme ihrer Verletzung die Straftat begangen habe, so entferne sich die Entziehung der Fahrerlaubnis von ihrer Rechtsnatur als Maßregel der Besserung und Sicherung und gewinne den Charakter einer Nebenstrafe, die sie jedoch gerade nicht sei.30 Mit Beschl. vom 16. September 2003 – 4 StR 85/03 –31 hatte sodann der 4. Strafsenat das Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG eingeleitet. Er beabsichtigte zu entscheiden: „Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt sich nur dann aus der Tat (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB), wenn aus dieser konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen kriminellen Inte-
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25
Wegen der Einzelheiten vgl. LK/Geppert § 69, 17 StGB und Fischer § 69, 6 StGB. Vgl. Duttge JZ 2006, 102, 103. Einzelheiten bei LK/Geppert § 69, 33 StGB; Fischer § 44, 9 StGB. Mit Wirkung zum 11. Juni 1995 durch Art. 1 des 32. StrÄndG vom 1. Juni 1995 (BGBl. I S. 747). Zur Sicherung der Maßnahme in diesen Fällen s. Rn. 78.
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26 27 28 29 30 31
Z.B. BGH NStZ 2000 26. BGHR StGB § 69 Entziehung 6. StV 2003 69. Unter Bezug auf LK/Geppert § 69, 34 StGB; ebenso Hentschel, Rn. 582. Unter Bezug auf seine Entscheidung NZV 2003 46. NJW 2004 3497 ff.; JR 2004 119 mit Anm. Kühl.
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ressen unterzuordnen“. Da nicht alle Senate dieser Auffassung folgten,32 kam es am 27. April 2005 zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen: Ihr Leitsatz formuliert: „§ 69 StGB bezweckt den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB) setzt daher voraus, daß die Anlaßtat tragfähige Rückschlüsse darauf zuläßt, daß der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen.“33 Dieser auf konkreten Anhaltspunkten beruhende straßenverkehrsspezifische Zusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit liegt dann nicht vor, wenn der Beschuldigte seinen Pkw dazu verwendet, die Geschädigte, die den Beschuldigten einvernehmlich im Fahrzeug begleitete, zu einem abgelegenen Feldweg zu verbringen, um dort gegen ihren Willen den Oralverkehr im Pkw zu erzwingen,34 auch dann nicht, wenn der Beschuldigte wie im Fall der Entscheidung des Großen Senats den Pkw nur als Fluchtfahrzeug einer Raubtat benutzt,35 sowie dann nicht, wenn ein Rauschgiftkurier Betäubungsmittel transportiert oder wenn ein Dieb die umfangreiche Beute mit seinem Auto abtransportiert,36 wohl aber dann, wenn der Pkw für die geplante Flucht vom Tatort eines Raubes oder Mordes benutzt wird und man von der lebensnahen Annahme ausgehen darf, dass eine solche Flucht nicht selten mit sicherheitsrelevanten Verkehrsverstößen einhergehen wird und sich diese Verkehrsverstöße im Einzelfall etwa durch den Nachweis riskanter Fahrweise auch tatsächlich belegen lassen.37 Bei bloßen Mitfahrern, Kfz-Haltern und sonstigen Tatbeteiligten kann es oftmals schon am Merkmal „bei oder im Zusammenhang mit dem Führens eines Kfz oder unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers“ fehlen;38 jedenfalls bedarf diese Frage eingehender Prüfung. cc) Die aus der Tat sprechende Ungeeignetheit zum Führen eines Kfz. Aus der Tat 11 muss sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben. Die mangelnde Eignung wird selten auf körperlichen oder geistigen Mängeln, häufiger auf charakterlichen Mängeln beruhen. Wie sich aus dem Regelkatalog in § 69 Abs. 2 StGB ergibt, rechtfertigen nur erhebliche Verstöße die Annahme der Ungeeignetheit. Dabei ist zu beachten, dass für die Frage der Ungeeignetheit nur das Maß des Fehlverhaltens, nicht der Erfolg entscheidend ist.39 Das ist namentlich bei fahrlässiger Tötung zu beachten. In den Fällen des § 69 Abs. 2 StGB wird die Ungeeignetheit vermutet.40 Im Übrigen bedarf sie eingehender Prüfung an Hand der Tat und der Persönlichkeit des Täters. Ein einmaliges schlichtes Versagen wird außerhalb der Regelfälle selten ausreichen, wohl aber 41 z.B. rücksichtsloses Verhalten auch ohne Erfüllung der Merkmale des § 315c StGB, Häufung von Verkehrsdelikten, Fahren ohne Fahrerlaubnis oder trotz Fahrverbots, Benutzung des Kraftfahrzeugs zu erheblichen Straftaten oder körperliche Misshandlung eines Verkehrs-
32
S. nur den letzten dahingehenden Beschl. des 1. Strafsenats vom 13.5.2004, Blutalkohol 4 2 (2005) 58 ff.: „Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung von § 69 Abs. 1 StGB fest. Danach muß für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB wegen einer Straftat aus dem Bereich der sogenannten allgemeinen Kriminalität ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Tat und der Verkehrssicherheit nicht festgestellt werden.“
33 34 35 36 37 38 39 40 41
BGHSt 50, 93. BGH NJW 2005 2933, 2934. BGHSt 50 93, 94. Vgl. BGH Blutalkohol 42 (2005) 58 ff. Vgl. Duttge JZ 2006 102, 104. Eingehend Zopfs NZV 2010 179 ff. Ähnlich LK/Geppert § 69, 73 StGB. Ausnahmen sind natürlich möglich: vgl. LG Aachen bei Janiszewski NStZ 1986 404. Vgl. den Katalog bei LK/Geppert § 69, 106 StGB m. Nachw.
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teilnehmers aus Anlass eines Verkehrsvorganges.42 Aus diesen doch stets „verkehrssicherheitsrelevanten charakterlichen Mängeln“43 wird deutlich, dass die Frage der fehlenden Eignung ebenso in einem straßenverkehrsspezifischen Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Anlasstat stehen muss wie die Gefährdung der Verkehrssicherheit (oben 10). Da § 69 StGB als Maßregel ausgestaltet ist, spielen wirtschaftliche Interessen bei der 12 Entziehung der Fahrerlaubnis und damit auch bei der vorläufigen Maßnahme nach § 111a keine Rolle, solange der Beschuldigte ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.44 Gerade bei wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen wird es allerdings Fälle geben, bei denen der durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis drohende Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage den Beschuldigten so beeindruckt, dass er allein deshalb so geläutert ist, dass von ihm eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht mehr droht. Dann ist er nicht mehr ungeeignet im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB und für eine Maßnahme nach § 111a ist insgesamt kein Raum mehr.45 Diesen Gesichtspunkt beachtet die Praxis bei Anwendung des § 111a und des § 69 StGB zu wenig.
13
c) Dringende Gründe. Für die Annahme, dass dem Beschuldigten in dem Strafverfahren die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 69 StGB entzogen wird, müssen dringende Gründe vorhanden sein. Damit stellt das Gesetz, ebenso wie bei dem für die Verhaftung erforderlichen dringenden Tatverdacht 46 oder bei dem für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen hinreichenden Tatverdacht 47 auf die Verurteilungswahrscheinlichkeit ab, die sich hier freilich nur auf die Verurteilung zu der Maßregel des § 69 StGB (auch bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit) bezieht (so schon oben 8). Voraussetzung ist danach die hohe Wahrscheinlichkeit einer späteren endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Das erfordert eine Prüfung in mehrfacher Richtung: Einmal muss der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB begangen haben und zum anderen muss die hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Täter wegen dieser Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erscheint und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Letzteres kann bei dringendem Verdacht einer Tat nach § 69 Abs. 2 StGB in der Regel ohne weiteres angenommen48 und nur ausnahmsweise verneint werden.49 Problematisch sind Fälle, in denen in grober Weise gegen das Beschleunigungsgebot 14 verstoßen wurde oder aus sonstigen Gründen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst Monate nach der Tat zur Diskussion steht. Dass durch diese Umstände der Tatverdacht unberührt bleibt, bedarf keiner Erörterung. Die Maßnahme dient der Sicherung des Straßenverkehrs und muss deshalb ergriffen werden, sobald und solange sie erforderlich ist. Aus diesen Gründen vermögen Verfahrensverzögerungen keinen Vertrauensschutz des Betroffenen zu begründen, auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der Anordnung nicht entgegen, wenn diese nicht sofort oder bald nach der Tat erfolgt.50
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OLG Karlsruhe Justiz 1980 53. Vgl. Duttge JZ 2006 102, 104 unter Verweis auf BGH NJW 2005 2933, 2934. OLG Hamm NJW 1971 1618 = VRS 41 358 (1971); OLG Stuttgart VRS 45 274 (1973); OLG Karlsruhe VRS 63 (1982) 200; LK/Geppert § 69, 63 und 72 StGB; Fischer § 69, 49, 50; differenzierend OLG Düsseldorf StV 1992 219. Ähnlich KK/Nack 7, allerdings nur für Aus-
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nahmefälle außerhalb des Regelkatalogs des § 69 Abs. 2 StGB; LK/Geppert § 69, 63 StGB. Vgl. LR/Hilger § 112, 17. LR/Stuckenberg § 203, 9. Meyer-Goßner 2; Hentschel/König/Dauer § 111a, 4; LK/Geppert § 69, 78 StGB. Eb. Schmidt Nachtrag I 5. So aber z.B. OLG Düsseldorf StV 1994 233: unverhältnismäßig; OLG Köln StV 1992
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Das durch den Druck eines Strafverfahrens beeinflusste unbeanstandete Führen eines Kraftfahrzeugs wird den sich aus der Tat ergebenden Eignungsmangel nicht ohne weiteres beseitigen.51 Hat der Täter allerdings nach der Tat viele Monate unbeanstandet am Verkehr teilgenommen, wird die Ungeeignetheit in der Regel nicht mehr zu bejahen sein.52 Auch die längere Sicherstellung des Führerscheins53 kann gegen die Annahme sprechen, dass der Beschuldigte jetzt noch ungeeignet im Sinne des § 69 StGB ist. Die Gerichte vor allem der unteren Instanzen sind bei der Beurteilung dieser Frage erfreulicherweise flexibler geworden.54 Die Verurteilungsprognose, die auf gerichtlich verwertbare Beweise gestützt sein muss,55 ist vom jeweiligen Verfahrensstand aus zu stellen. Deshalb werden Anforderungen an die Beweisdichte zu Beginn der Ermittlungen geringer sein, als in der Hauptverhandlung.56 Vgl. im Übrigen zur Entscheidungsgrundlage Rn. 49 ff. d) Kein Ermessen. Obwohl § 111a eine Kann-Bestimmung ist, wird der Richter die 15 Anordnung bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen treffen müssen. Es liefe dem Schutz- und Sicherungszweck der Vorschrift zuwider, ließe der Richter einen höchstwahrscheinlich ungeeigneten Kraftfahrer am Verkehr teilnehmen,57 zumal auch § 69 StGB dem Richter kein Ermessen einräumt. Lediglich wenn der Beschuldigte den Führerschein freiwillig herausgegeben oder bei der Beschlagnahme keinen Widerspruch erhoben und auch nicht die richterliche Entscheidung beantragt hat, kann der Richter von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis absehen, weil diese Sicherstellung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis weitgehend rechtlich gleichgestellt ist (vgl. Rn. 62) und insbesondere auch zu einem nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG mit Strafe bewehrten Fahrverbot führt.58 Krankheit, Inhaftierung oder ähnliche tatsächliche Hindernisse stehen dagegen der vor-
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248: unzulässig bei grobem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot; LG Ravensburg ZfSch 1995 314; LG Hagen ZfSch 1994 347; LG Darmstadt StV 1990 104: unzulässig. Die Praxis ist zurückhaltend: OLG Köln VRS 31 (1966) 264; OLG Karlsruhe Justiz 1979 441; Einzelheiten bei LK/Geppert § 69, 71 StGB. BGH StV 1992 64: allgemeine Legalbewährung; OLG Düsseldorf StraFo 2000 56 (der Leitsatz ist missverständlich); LG Tübingen ZfSch 1998 484; LG Darmstadt StV 1990 104; LG Trier VRS 62 (1982) 210; LG Hannover StV 1988 521: fünf Monate und hohe Kilometerleistung; Meyer-Goßner § 111a, 10; LK/Geppert § 69, 129 StGB; strenger aber z.B. OLG München NJW 1992 2776. BGH StV 1992 64; AG Köthen ZfSch 2000 268 (18 monatige Sicherstellung); AG Bitterfeld ZfSch 2000 269 (17 monatige Sicherstellung). Freilich wird häufig die Frage der Geeignetheit mit der der Verhältnismäßigkeit unzulässig vermengt: LG Tübingen ZfSch 1998 484:
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Entziehung viereinhalb Monate nach der Tat und dreieinhalb Monate unterbliebene Verfahrensförderung; LG Dresden ZfSch 1999 122; LG Ravensburg ZfSch 1995 314; AG Homburg ZfSch 1991 214; LK/Geppert § 69, 71 StGB mit Nachw.; LG Frankfurt/Main StV 2003 69: unterbliebene Verfahrensförderung. LG München StV 1999 143: „informatorisches Gespräch“ mit dem Beschuldigten ohne Belehrung nach § 136; AG Homburg StV 1994 123; Bezirksgericht Meiningen DAR 1992 392; LK/Geppert § 69, 128 StGB. Vgl. dazu LR/Hilger § 120, 6; Schäfer Rn. 508. OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Karlsruhe Justiz 1979 441; Meyer-Goßner 3; KK/Nack 4; Gollner GA 1975 134; a.A. OLG Oldenburg OLGSt § 111a, 15; OLG Karlsruhe Justiz 1980 482; VRS 68 (1985) 361. Ebenso Meyer-Goßner 3; LK/Geppert § 69, 130 StGB; SK/Rogall 18; Michel DAR 1997 393; a.A. KK/Nack 4 mit der Begründung, die Strafandrohung für diesen Fall sei geringer als nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG.
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läufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nie entgegen, weil – man denke nur an den Freigänger – hier nie mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass solche Hindernisse über Monate hinweg bleibend vorliegen werden. e) Die Maßnahme kann in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft des Urteils59 ergehen, sobald sich ergibt, dass ihre Voraussetzungen vorliegen. Dies hat das jeweils zuständige Gericht von Amts wegen zu prüfen.60 Folgt man der oben Rn. 15 vertretenen Auffassung, wonach der Richter bei Vorliegen 17 der Voraussetzungen des § 111a die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen muss und ihm insoweit kein Ermessen zusteht, dann muss die Maßnahme stets ergehen, wenn in einem Urteil die Maßregel nach § 69 StGB verhängt wird. Unterblieb in einem solchen Fall die Maßnahme bewusst oder versehentlich, muss sie jedes mit der Sache befasste Gericht sofort nachholen,61 und zwar im Berufungsverfahren das Berufungsgericht ab Vorlage der Akten nach § 321; während des Revisionsverfahrens der letzte Tatrichter, nicht aber das Revisionsgericht, vgl. Rn. 48. Dies gilt auch dann, wenn nur der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat. Sperrwirkung von Abs. 2. Hat das Gericht die Fahrerlaubnis im Urteil nicht endgültig 18 entzogen und hat nur der Angeklagte oder zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, so steht schon das Verschlechterungsverbot der §§ 331, 358 der Verhängung der endgültigen Maßregel nach § 69 StGB und damit auch der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis entgegen. Hat in einem solchen Fall die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil zuungunsten des 19 Angeklagten Rechtsmittel eingelegt, so ist Abs. 2 zu beachten. Danach ist die vorläufige Entziehung aufzuheben, wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht nach § 69 StGB entzieht. Dem Urteil steht jeder verfahrensbeendende Beschl. gleich (Rn. 39 ff.). Abs. 2 entfaltet eine Sperrwirkung dahin, dass danach eine erneute vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nur begrenzt möglich ist. Bis zum Berufungsurteil darf das Beschwerdegericht oder (ab Vorlage der Akten nach § 321) das Berufungsgericht den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt bei der Frage der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht anders würdigen als der frühere Richter im Urteil. Es darf also z.B. nicht eine vom Amtsgericht angenommene Ausnahme vom Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB verneinen und so die Ungeeignetheit nach Aktenlage im Gegensatz zum angefochtenen Urteil bejahen mit der Folge, dass die Fahrerlaubnis sofort vorläufig zu entziehen wäre.62 Insoweit räumt das Gesetz in Abs. 2 der im Urteilsverfahren gewonnenen Erkenntnis die Vermutung der größeren Richtigkeit ein.63 Anderes gilt nach h.M. nur, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel (nova) bekanntgeworden sind, aus denen sich nunmehr die Ungeeignetheit ergibt und von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie zur Verhängung der endgültigen Maßregel führen werden.64 Dieser
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OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Frankfurt NJW 1981 1680; Meyer-Goßner 3. H.M., vgl. OLG Frankfurt NJW 1981 1680. OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; VRS 67 (1984) 254; OLG Frankfurt NJW 1981 1680; OLG Koblenz VRS 65 (1983) 448; OLG Hamburg VerkMitt 1973 14; Meyer-Goßner 3; a.A. nur bei veränderter Sachlage, da bei § 111a der Tatrichter ein Ermessen habe:
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OLG Oldenburg OLGSt § 111a S. 5; OLG Karlsruhe Justiz 1980 482 = VerkMitt 1981 7. BVerfG – Kammer – NJW 1995 124; LG Zweibrücken NStZ-RR 1998 249; LK/Geppert § 69, 152 StGB. LG Zweibrücken NStZ-RR 1998 249. BVerfG – Kammer – NJW 1995 124; OLG Zweibrücken NJW 1981 775; OLG Frankfurt NJW 1981 1680; OLG Düsseldorf DAR 1971 249; OLG Köln NJW 1964 1287;
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Auffassung ist entgegen LR/Hanack25/(zu § 132a, 19; jetzt aber differenzierend LR/Gleß § 132a, 22) zuzustimmen, denn die Vermutung der besseren Erkenntnis im Urteilsverfahren kann nur bei unveränderter Sachlage gelten. Dies ist übrigens auch die einhellige Auffassung zu der sachlich gleichgelagerten Regelung in § 120 Abs. 1 zur Aufhebung des Haftbefehls bei Freispruch.65 Wird im Berufungsurteil auch bei unveränderter Tatsachenlage die Maßregel nach 20 § 69 StGB verhängt steht Abs. 2 einer (erneuten oder erstmaligen) vorläufigen Entziehung nicht entgegen,66 denn Sinn der Berufung ist die Neuaufrollung des Prozessstoffs. Die nova bleiben außer Betracht, wenn gegen das Urteil nur noch die Revision zu- 21 lässig ist, denn diese spielen im Revisionsverfahren für die entscheidende Frage, ob das Urteil Bestand haben wird, keine Rolle.67 Vgl. auch Rn. 88. Wurde das Urteil, in dem die Fahrerlaubnisentziehung abgelehnt wurde, durch das 22 Revisionsgericht aufgehoben, darf der neue Tatrichter die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, auch wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, denn der neue Tatrichter kann sich – soweit die Aufhebung reicht – in diesem Fall nicht in Widerspruch zu einem Urteil setzen.68 f) Keine Verwirkung. Die Frage, ob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis 23 lange Zeit nach der Tat noch möglich ist, wenn der Beschuldigte seither unbeanstandet gefahren ist, ist die nach der Ungeeignetheit im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung und damit eine Frage des materiellen Rechts. Einen Vertrauensschutz dahin, dass nach einem erheblichen Zeitablauf nach der Tat eine vorläufige Entziehung nicht mehr erfolge, gibt es aber in der Regel nicht.69 Von einem Teil der Rechtsprechung wird das mit Blick auf die gebotene Beschleunigung, das Vertrauen des Betroffenen und den Charakter als Eilmaßnahme70 anders gesehen und die Berechtigung des Staates zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits vier71 bzw. fünf 72 Monate nach dem jeweiligen Tatzeitraum verneint.73 Nach zutreffender Ansicht lässt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt zu.74 Nach überwiegender Auffassung 75 kann sogar erst das Berufungs-
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OLG Karlsruhe NJW 1966 2112; MeyerGoßner 13; LK/Geppert § 69, 152 StGB; a.A. Eb. Schmidt Nachtrag I 14. OLG Düsseldorf MDR 1974 686; OLG Karlsruhe NStZ 1981 192; vgl. auch LR/Hilger § 120, 35. OLG Koblenz VRS 73 (1987) 292; OLG Zweibrücken NJW 1981 775; OLG Karlsruhe VRS 68 (1985) 360 auch nach erstinstanzlichem Freispruch; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 254; KK/Nack 9; LK/Geppert § 69, 153 StGB. Vgl. zur Rechtslage in Haftsachen LR/Hilger § 120, 36 mit. Nachw. LK/Geppert § 69, 155 StGB; ebenso zu dem insoweit gleichgelagerten § 120 OLG Hamm NStZ 1981 34; OLG Karlsruhe NJW 1970 439; LR/Hilger § 120, 36 mit Nachw. Wie hier Himmelreich/Hentschel 221;
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Janiszewski NStZ 1982 mit Nachw.; a.A. LG Trier VRS 63 (1982) 210. Vgl. LG Trier VRS 63 (1982) 210. So LG Kiel StV 2003 325. Vgl. LG Darmstadt StV 1990 104; LG Hannover StV 1988 521. Ähnlich LG Hagen NZV 1994 334 m. abl. Anm. Molketin; für eine Sechs-Monats-Frist im Regelfall Kropp NStZ 1997 471. Vgl. OLG Hamm NZV 2002 380: vorläufige Entziehung nach zehn Monaten; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002 314; OLG München NJW 1992 2776: nach drei Jahren; Hentschel NJW 1995 627, 636. OLG Hamburg VRS 44 (1973) 187 189; OLG Koblenz VRS 65 (1983) 448; VRS 73 (1987) 292; OLG Frankfurt a.M. NJW 1981, 1680 1681; a.A. OLG Saarbrücken VRS 46 (1974) 137 f.
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gericht erstmals die Anordnung gem. § 111a treffen.76 Denn weil die Verwirkung von einem Zeit- und Umstandsmoment abhängig ist, kann der bloße Zeitablauf allein, auch während eines Berufungs- oder Revisionsverfahrens, kein Absehen von der Maßregel rechtfertigen.77 Je länger der Zeitraum ist, der ab dem Anlass gebenden Ereignis ohne Antrag auf Fahrerlaubnisentzug verstreicht, desto eher kann zwar die endgültige Entscheidung eines Fahrerlaubnisentzugs abgewartet werden.78 Hinzutreten müssen aber stets über den Zeitablauf hinaus besondere Umstände, die den Sinn der Maßregel, die Sicherung der Allgemeinheit vor ungeeigneten Teilnehmern im Straßenverkehr, vollständig entfallen lassen. Die in der Rspr. jüngst vorgebrachten Beispiele, etwa die besondere Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden von den Tatvorwürfen verbunden mit einem längeren Untätigsein von über einem Jahr trotz dieser Kenntnis79 oder eine entsprechende Antragstellung der StA zusammen mit der Anklage erst zwei Jahre nach der Tat, noch dazu, wenn das Gericht für die Bearbeitung dieses sehr späten Antrags auch noch fünf weitere Monate braucht,80 sind kaum geeignet, diesem Maßstab gerecht zu werden. Insbesondere lässt sich ihnen nicht entnehmen, weshalb der Betroffene darauf vertrauen durfte, dass es zu keinem vorläufigen Fahrerlaubnisentzug mehr kommen wird.
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g) Einer besonderen Prüfung der Verhältnismäßigkeit bedarf es nicht. Angesichts der Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern für die Allgemeinheit ausgehen, trägt die gesetzliche Regelung in § 111a Abs. 1 Satz 2 dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausreichend Rechnung (BVerfG NStZ 1982 78 – Vorprüfungsausschuss –; § 69 Abs. 1 Satz 2 StGB). 2. Ausnahmen für bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen (Absatz 1 Satz 2)
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a) Allgemeines. Diese Vorschrift korrespondiert mit § 69a Abs. 2 StGB. Während aber dort die Fahrerlaubnis insgesamt entzogen werden muss und lediglich für „bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen“ von einer Sperrfrist abgesehen werden kann, können hier bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen vorläufig von der Entziehung der Fahrerlaubnis ausgenommen werden. Die Vorschrift ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.81 Die Beschränkung kann von Amts wegen angeordnet werden. Jedoch wird das Ge26 richt dazu selten Anlass haben, weil ihm die hierfür sprechenden besonderen Umstände regelmäßig nicht bekannt sind. Der Beschuldigte kann den Antrag nach § 111a Abs. 1 Satz 2 jederzeit stellen.82 Er kann ihn namentlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Beschlagnahme des Führerscheins nach § 98 Abs. 2 Satz 2 verbinden oder auch später eine Abänderung der gerichtlichen Entscheidung beantragen. Ergibt sich aus einer „Beschwerde“, dass der Beschuldigte lediglich eine Ausnahme nach § 111a
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Vgl. zum Vorstehenden BVerfG NJW 2005 1767, 1768. So KG VA 2011 85; OLG Brandenburg Blutalkohol 47 (2010) 300 (2 Jahre u. 2 Mon. zwischen Tatvorwurf und Urteil); OLG Zweibrücken Blutalkohol 46 (2009) 284 = ADAJUR-Dok. Nr. 83822 = BeckRS 2009 11229 (14 Monate seit der Tat); ebenso LG Kleve (über 7 Monate) bei Himmelreich/ Halm NStZ 2012 486, 490.
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So LG Kiel StV 2010 300 = ADAJUR-Dok. Nr. 88223 = LSK 2010 250, 388. Vgl. LG Bonn NZV 2010 214. Vgl. KG NJW-aktuell 2012 183 = StraFo 2011 353 = Blutalkohol 48 (2011) 291. Zusammenfassend Zabel/Seim Blutalkohol 30 (1993) 109; vgl. auch BVerfG – Vorprüfungsausschuß – NStZ 1982 78. LG Köln NJW 1982 396.
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Abs. 1 Satz 2 anstrebt, liegt in Wirklichkeit ein Antrag auf Abänderung der gerichtlichen Entscheidung vor. b) Zulässige Ausnahmen. Bei den bestimmten Arten von Kraftfahrzeugen, die nach 27 § 111a Abs. 1 Satz 2 von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ausgenommen werden können, handelt es sich zunächst einmal um Fahrzeuge der in § 6 Abs. 1 FeV genannten Fahrerlaubnisklassen A bis E sowie M, S, T und L. Es können also von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis alle Fahrzeuge einer bestimmten Klasse (bzw. einer der in § 6 Abs. 1 FeV genannten Unterklassen A1, C1, C1E, D1 und D1E) ausgenommen werden. Kraftfahrzeugart ist aber nicht mit Fahrerlaubnisklassen gleichzusetzen.83 Es können auch Fahrzeuge ausgenommen werden, auf die nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 die Fahrerlaubnis beschränkt werden kann. Die Ausnahme kann ebenso einzelne Fahrzeugarten derselben Führerscheinklasse umfassen;84 so kann innerhalb der Führerscheinklasse B oder C1 zwischen Pkw und Lkw85 unterschieden werden.86 Die Beschränkung auf bestimmte Zeiten, wie Wochenende oder Dienststunden und 28 Orte der Benutzung, auf bestimmte individuelle Kraftfahrzeuge (der Porsche des Vaters), auf Kraftfahrzeuge eines bestimmten Halters oder Eigentümers,87 sowie auf ein Fahrzeug mit einem bestimmten amtlichen Kennzeichen ist dagegen nicht zulässig.88 Solchen Ausnahmen steht schon der Wortlaut des § 111a Abs. 1 Satz 2 („bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen“) entgegen. Viele darüber hinausgehende Beschränkungen des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift lassen sich dagegen jedenfalls nicht aus ihrem Wortlaut herleiten. So werden etwa auch Ausnahmen von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Hinblick auf bestimmte Antriebsarten,89 Fabrikate90 oder Konstruktionen (z.B. Sportwagen),91 auf bestimmte Verwendungszwecke,92 wie berufliche oder private Verwendung oder auf z.B. Feuerwehr-, Sanitätsfahrzeuge,93 Miet- und Lieferwagen94 oder die Beschränkung der Entziehung auf die Erlaubnis der Fahrgastbeförderung95 für unzulässig gehalten. Dabei ist zu beachten, dass Sinn und Zweck des § 111a Abs. 1 Satz 2 – wenn durch sie der Schutz der Allgemeinheit nicht gefährdet
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LK/Geppert § 69a, 8 StGB; Hentschel/ König/Dauer Rn. 762. OLG Braunschweig NdsRpfl. 1966 129; OLG Saarbrücken NJW 1970 1052; Hentschel/König/Dauer § 69a StGB, 6; Fischer § 69a, 29 StGB. Lastkraftwagen sind Kraftfahrzeuge, die nach Bauart und Einrichtung zur Güterbeförderung bestimmt sind, § 4 Abs. 4 Nr. 3 PBefG, BayObLGSt 1997 69 (70); OLG Düsseldorf NZV 1991 483. OLG Karlsruhe VRS 63 (1982) 200; OLG Saarbrücken NJW 1970 1052, 1054 ; Hentschel/König/Dauer § 69a StGB, 6; Mollenkott DAR 1982 217, 218. OLG Frankfurt/Main NJW 1973 815, 816; OLG Saarbrücken NJW 1970 1052, 1054; LK/Geppert § 69, 132 StGB. BayObLG NJW 1989 2959; OLG Oldenburg Blutalkohol 1981 373, 374; LK/Geppert § 69, 132 StGB; so auch Weihrauch NJW
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1971 829, 831 bzgl. Zeiten und Orte. Die Ausnahme bestimmter Fahrzeuge hält er dagegen für zulässig. OLG Saarbrücken NJW 1970 1052, 1054; LK/Geppert § 69, 132 StGB. LK/Geppert § 69a, 8 StGB. OLG Stuttgart DAR 1975 305; Himmelreich/Hentschel 163. Dagegen hält LK/Geppert § 69, 132 StGB gerade den Verwendungszweck maßgeblich für das Vorliegen einer ausnahmefähigen Kraftfahrzeugs-„Art“, allerdings nur, soweit er sich in bauartlichen Unterschieden auswirkt. OLG Frankfurt NJW 1973 815, 816. HK-Straßenverkehrsrecht – Schulz § 69a StGB 30; bzgl. Mietwagen hält auch OLG Hamm VRS 62 (1982) 124 eine Ausnahme für unzulässig. BGH bei Holtz MDR 1982 623; OLG Stuttgart DAR 1975 305 bzgl. Taxis.
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wird – eher für eine weite Auslegung sprechen. Er ist nämlich Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.96 Zudem können dadurch die Akzeptanz der einschneidenden Entziehung beim Beschuldigten erhöht und so unnötige Rechtsmittel vermieden werden, was der Beschleunigung des Verfahrens dient. Auch der späteren Resozialisierung des Täters dürfte es förderlich sein, wenn durch gewisse Ausnahmen von der Entziehung der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Überschuldung vermieden werden können. Daher werden u.a. auch folgende Ausnahmen von der Entziehung zulässig sein: 29 Abschleppwagen, Bagger,97 Baustellenfahrzeuge,98 Behindertentransporter,99 Bundeswehrfahrzeuge, Containerfahrzeuge,100 Feuerwehrfahrzeuge,101 Kanalreinigungsfahrzeuge, Kräne,102 Krankenrettungsfahrzeuge,103 Lkw,104 Leichenwagen,105 Motorsportfahrzeuge, die nur bei entsprechenden Veranstaltungen und nicht im allgemeinen Straßenverkehr eingesetzt werden,106 landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge,107 Müllfahrzeuge,108 Nutzfahrzeuge der Klasse C,109 Omnibusse,110 Panzerfahrzeuge der Bundeswehr,111 Pkw, Postfahrzeuge und Lieferfahrzeuge postähnlicher Dienste, Rad-
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LK/Geppert § 69, 131; vgl. auch BVerfG NStZ 1982 78 und Zabel Blutalkohol 1980 95; das AG Coesfeld Blutalkohol 1981 181 hält unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch Ausnahmen für Fahrzeuge eines bestimmten Eigentümers (Dienstfahrzeuge des DRK-Blutspendedienstes) für zulässig. LK/Geppert § 69a, 11 StGB. LK/Geppert § 69a, 11 StGB Fn. 67 bezüglich Lkw, die bei Fahrten im Baustellenbereich der ständigen Kontrolle des Arbeitgebers unterliegen. Vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1971 1619. LG Hamburg MDR 1987 605 = NStE Nr. 1 zu § 111a StPO; Hentschel Rn. 767, allerdings beschränkt auf Behinderten-Transportfahrzeuge, bei denen die besondere Ausrüstung einen bestimmten Verwendungszweck bedingt; a.A. AG Hamburg MDR 1987 605 unter Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift, was – wie dargelegt – nicht überzeugt. AG Homburg ZfSch 1994 185. OLG Oldenburg Blutalkohol 1981 373–374; BayObLG NZV 1991 397 = NStE Nr. 5 zu § 69a StGB: „Feuerlöschfahrzeuge der Klasse 3“; Hentschel Rn. 767: beschränkt auf Feuerwehrfahrzeuge wie Feuerlöschfahrzeuge, bei denen die besondere Ausrüstung einen bestimmten Verwendungszweck bedingt; vgl. BayObLG NZV 1991 397. LK/Geppert § 69a, 11 StGB. BayObLG NJW 1989 2959; LG Hamburg DAR 1992 191. OLG Karlsruhe VRS 63 (1982) 200: Lkw der Klasse 3; LG Kempten DAR 1983 367;
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LG Köln NZV 1991 245 = NStE Nr. 3 zu § 69 StGB: „Lkw bis 7,5t“; LG Zweibrücken ZfSch 1994 193,194: Lkw der Klasse 2; AG Emden DAR 1991 433; LK/ Geppert § 44, 47 StGB; zu weiteren Differenzierungen bei Lkw siehe die Rechtsprechungsübersicht bei Zabel/Seim Blutalkohol 1993 109, 110. AG Homburg/Saar ZfSch 1993 31. AG Alzenau DAR 1981 232: Rallye-Tourenwagen; LK/Geppert § 69a, 11; vgl. jedoch OLG Stuttgart VRS 45 (1973) 273, wo die Gefahr bestand, dass das Motorrad auch im allgemeinen Straßenverkehr benutzt wird. LG Köln DAR 1982 275; LG Göttingen NJW 1967 2320; AG Viersen DAR 1983 367: „landwirtschaftliche Zugmaschinen und Lkw mit mehr als 7,5t zulässigen Gesamtgewichts“; LK/Geppert § 69a, 11 unter Hinweis auf die geringeren Gefahren. AG Homburg/Saar ZfSch 1994 185. OLG Düsseldorf OLGSt StPO § 111a Nr. 7 betreffend einen Rauschgifthändler, bei dem die Gefahr, dass er mit Lkw oder anderen Nutzfahrzeugen der alten Führerscheinklasse 2 Betäubungsmittel aus den Niederlanden einführe, als gering eingestuft wird. OLG Hamm VRS 62 (1982) 124; OLG Celle DAR 1985 90: grundsätzlich möglich; LG Kempten DAR 1983 367. LG Detmold NZV 1989 366 = DAR 1990 34 unter Hinweis auf die umfassende Kontrolle und Aufsicht während des Dienstes bei der Bundeswehr.
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lader,112 Sanitätsfahrzeuge,113 Straßenreinigungsfahrzeuge,114 Straßenwachtfahrzeuge,115 Traktoren.116 Kriterien für die Zulässigkeit der Ausnahme sind die Vereinbarkeit mit dem Wortlaut 30 der Vorschrift („bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen“), die u.a. auf Grund der Strafbarkeitsdrohung erforderliche eindeutige und möglichst leichte Abgrenzbarkeit und die Vereinbarkeit mit dem erstrebten Schutz der Allgemeinheit. Unabhängig von der hier vertretenen weiten Auslegung wird allerdings – insbesondere bei Trunkenheitsfahrten mit über 1 ‰ BAK117 – der komplette Entzug der Fahrerlaubnis der Regelfall bleiben. Die Beschränkung auf bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ist nur zulässig, wenn 31 besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der Zweck der Maßnahme, nämlich der Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern, dadurch nicht gefährdet wird. Sie kann in Betracht kommen, wenn ein körperlich bedingter Eignungsmangel des Beschuldigten nur beim Führen bestimmter Kraftfahrzeuge besteht. Bei charakterlichen Mängeln, insbesondere wenn sie durch Trunkenheitsfahrten oder schwere Fälle von Unfallflucht offenbar geworden sind, wird der Täter regelmäßig zum Führen aller Arten von Kraftfahrzeugen ungeeignet sein. Ausnahmen sind denkbar. Jedoch ist eine besonders vorsichtige und strenge Prüfung am Platz.118 Eine Ausnahme kommt vor allem für Kraftfahrzeugarten in Betracht, von denen für die Verkehrssicherheit eine geringere Gefahr ausgeht.119 Die in der Literatur und Rechtsprechung genannten Beispiele (Landwirt neigt nur abends nach der Tagesarbeit zum Alkohol; bei einem Berufskraftfahrer tritt dessen Unzuverlässigkeit nur außerhalb des Dienstes auf) überzeugen nicht ohne weiteres. Soweit die Rechtsprechung bei privaten Verfehlungen eines Berufskraftfahrers Lkw und Omnibusse von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ausgenommen hat,120 wird jedenfalls in den Fällen charakterlicher Ungeeignetheit nach Trunkenheitsfahrten in Wirklichkeit unzulässig zwischen beruflicher und privater Sphäre differenziert. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um Fälle, in denen auch von der nichtberuf-
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Zabel/Seim Blutalkohol 1993 109, 110 m.w.N. LG Hamburg MDR 1987 605; LG Hamburg DAR 1992 191: „Rettungswagen (Krankentransportwagen) der Feuerwehr bis zu 7,5 t zulGesGew.“ LK/Geppert § 44, 48: soweit baulich besonders eingerichtet. LG Hamburg NZV 1992 422: Straßenwachtfahrzeuge (Pannenhilfefahrzeuge) des ADAC. LG Köln DAR 1982 275 (zu § 111a); LG Göttingen NJW 1967 2320 (zum Fahrverbot); Hentschel/König/Dauer § 69a, 6 StGB. Zabel/Seim Blutalkohol 1993 109, 123 ff. halten eine Ausnahme erst bei über 1,8 ‰ BAK für völlig ausgeschlossen. Vgl. LG Osnabrück ZfSch 1998 273; LG Saarbrücken ZfSch 1998 152 hält eine Ausnahme bei 1,6 ‰ für ausgeschlossen. OLG Hamm NJW 1971 1618; LG Frankenthal DAR 1999 374: Landwirtschaftliche Fahrzeuge; LG Dessau DAR 1999 133:
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Traktorist; LG Hamburg NZV 1992 422: Pannenhilfsfahrzeug des ADAC; LG Zweibrücken NZV 1992 499: besondere Umstände liegen vor, wenn Arbeitgeber vor Fahrtantritt auf Alkoholkonsum kontrolliert; LG Hamburg DAR 1992 191: Krankentransportwagen; AG Homburg ZfSch 1993 31: Leichenwagen; AG Itzehoe ZfSch 1993 176: Krankenwagen; LG Detmold DAR 1990 34: Panzerfahrer der Bundeswehr unter Aufsicht; Orlich NJW 1977 1179; Hentschel/König/Dauer § 69a, 6. Vgl. z.B. LG Hamburg DAR 1996 108; LG Zweibrücken ZfSch 1992 356; LG Zweibrücken VRS 87 (1994) 169; LG Bielefeld DAR 1990 274; LG Hanau DAR 1989 472; AG Homburg bei Janiszewski NStZ 1994 577; AG Bitterfeld ZfSch 1999 402; kritisch zur Ausnahme bei LKW zu Recht LG Osnabrück ZfSch 1998 273; ablehnend für Wiederholungstäter bei Taten im Zusammenhang mit alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit OLG Koblenz NZV 1989 268.
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lichen Verkehrsteilnahme keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit besteht, weil der Täter bereits durch das Ermittlungsverfahren und das ihm vor Auge geführte berufliche Risiko genügend beeindruckt ist, aus generalpräventiven Gründen – unvereinbar mit dem Zweck der Maßnahme – von § 111a aber nicht abgesehen werden soll.121
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c) Folgen. Die Beschränkung muss in der Anordnung nach § 111a selbst ausgesprochen werden, und zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes in der Weise, dass bestimmte, näher bezeichnete Arten von Kraftfahrzeugen von der vorläufigen Entziehung ausgenommen werden. Die Fahrerlaubnis steht dann in diesem Umfang dem Betroffenen weiterhin zur Verfügung. Jedoch ändert das nichts daran, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gleichzeitig als Beschlagnahme des Führerscheins wirkt (§ 111a Abs. 3). Der Führerschein des Betroffenen wird daher in amtliche Verwahrung genommen; die Beschränkung nach § 111a Abs. 1 Satz 2 hat nur zur Folge, dass die Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, ohne eigenes Ermessen alsbald einen Ersatzführerschein für die bestehen gebliebene Fahrerlaubnis auszustellen.122 Nach Wegfall der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung ist der Ersatzführerschein wieder einzuziehen.123 Ist in dem rechtskräftigen Urteil eine Ausnahme von der Sperre nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmt worden, die der Beschränkung nach § 111a Abs. 1 Satz 2 entspricht, so wird dem Angeklagten der Ersatzführerschein aber belassen werden können.
III. Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 33
1. Voraussetzungen. Nach § 111 Abs. 2 ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn ihr Grund weggefallen ist (dazu Rn. 34) oder wenn das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht (dazu Rn. 43). Im Übrigen erlischt die vorläufige Maßnahme ohne weiteres mit der Rechtskraft der verfahrensbeendenden Entscheidung, mag diese eine Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen oder nicht. Erfolgt im zweiten Fall eine aufhebende Entscheidung, so dient diese lediglich der Klarstellung. Eine grobe Verfahrensverzögerung allein rechtfertigt die Aufhebung der Maßnahme nicht (Rn. 14 und 23). 2. Wegfall des Grundes
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a) Allgemeine Gründe. Nach § 111a Abs. 2 ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn der Grund für diese Maßnahme weggefallen ist. Staatsanwaltschaft und Gericht prüfen daher, ohne dass dafür allerdings bestimmte Fristen vorgeschrieben sind, von Amts wegen bis zur Rechtskraft des Urteils, ob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis noch notwendig ist.124 Der Grund für die vorläufige Entziehung kann weggefallen sein, wenn nach dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen die Gründe für die vorläufige Entziehung nicht mehr dringend oder ganz entfallen sind oder wenn für die Annahme, dass der Beschuldigte von dem erkennenden Gericht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird, keine hohe Wahrscheinlichkeit (mehr) besteht.
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Typisch AG Homburg ZfSch 1994 185. Meyer-Goßner 4; Hentschel/König/Dauer § 111a, 5; von Bubnoff JZ 1968 321; Dahs NJW 1966 239. Hentschel/König/Dauer 5.
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OLG Hamm MDR 1973 73; Meyer-Goßner 10; Eb. Schmidt Nachtr. I 21. Während des Ermittlungsverfahrens ist diese Prüfung praktisch allerdings nur dem Staatsanwalt möglich.
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Insbesondere kann auch eine andere Beurteilung der Frage der Ungeeignetheit durch das Rechtsmittelgericht zu einer Aufhebung der vorläufigen Entziehung führen. Anders als beim umgekehrten Fall (vgl. Rn. 19) ist das Beschwerde- oder Berufungsgericht hier nicht an das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel gebunden, was aus Absatz 2 1. Alternative folgt. Das Beschwerde- oder Berufungsgericht darf also schon vor einem Berufungsurteil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufheben, wenn nach Aktenlage keine dringenden Gründe dafür sprechen, dass auch das Beschwerde- oder Berufungsgericht im Urteil den Beschuldigten für ungeeignet im Sinne des § 69 StGB halten wird.125 Während des Revisionsverfahrens darf allerdings die Frage der Geeignetheit nicht abweichend vom angefochtenen Urteil beurteilt werden, da andernfalls die Struktur des Revisionsverfahrens unterlaufen würde. Ob dringende Gründe i.S. des § 111a vorliegen, hängt jetzt nämlich nach Revisionsrecht davon ab, ob das Revisionsgericht die Verhängung der Maßregel nach § 69 StGB bestätigt oder nicht. „nicht mehr ungeeignet“. Zwar muss sich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Ungeeignetheit aus der Tat ergeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist aber – wie stets bei Maßregeln der Besserung und Sicherung – der des Urteils. Die Ungeeignetheit kann nach der Tat bis zum Urteil namentlich dadurch entfallen, dass die Dauer und die Folgen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis den Beschuldigten so beeindruckt haben, dass mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis in der Hauptverhandlung nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.126 Dies gilt auch für die Regelfälle nach § 69 Abs. 2 und kann unter besonderen Umständen schon vor Ablauf der in § 69a StGB genannten Mindestsperrfristen der Fall sein.127 Die Abwägung hat im Einzelfall zu erfolgen; dabei sind für die Beurteilung des Eindrucks, den die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Beschuldigten gemacht hat, auch die wirtschaftlichen Auswirkungen weiterer vorläufiger Entziehung auf das zukünftige Verhalten des Beschuldigten von Bedeutung. Die Teilnahme an einer Nachschulung wird in der Regel nur zusammen mit anderen Faktoren dazu führen können, dass ein Beschuldigter dadurch wieder geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen wird.128
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b) Zeitablauf während des Berufungsverfahrens. Diese Gründe gelten auch für das 39 Berufungsverfahren. Allerdings reicht allein der Umstand, dass die Dauer der vorläufigen Entziehung die im angefochtenen Urteil festgesetzte Sperrfrist erreicht, nicht aus, um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben.129 Der Ablauf der Sperrfrist besagt
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OLG Hamburg DAR 1963 243; vgl. auch OLG Koblenz VRS 69 (1985) 130. OLG Hamm MDR 1975 167; OLG Saarbrücken NJW 1974 206; OLG Köln DAR 1971 190; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 69, 52 StGB; Fischer §69, 46 StGB; LK/Geppert § 69, 142 StGB; Lackner/Kühl § 69, 8 StGB; Meyer-Goßner 10; Himmelreich/Hentschel 235; Hentschel DAR 1976 9; erst recht bei besonders langer Dauer: OLG Düsseldorf bei Janiszewski NStZ 1994 577: zwei Jahre!; vgl. auch KG Beschl. v. 30.10.1998 – 3 Ws 620/98 –.
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BayObLG NJW 1971 20; Himmelreich/ Hentschel 48. Fischer § 69, 36 StGB. OLG Düsseldorf NZV 1999 389; KG Beschl. v. 30.10.1998 – 3 Ws 620/98 –; OLG Düsseldorf DAR 1990 355; OLG München MDR 1979 1042; DAR 1975 132; OLG Hamburg NJW 1966 2373; OLG Koblenz VRS 64 (1983) 30; Kaiser JR 1980 101; Meyer-Goßner 11; Hentschel MDR 1978 185; DAR 1980 168.
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nicht, dass danach der Betroffene wieder geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei.130 Im tatrichterlichen Urteil wird lediglich die Frist bestimmt, ab der frühestens die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde nach erneuter Eignungsprüfung in Betracht kommt.131 Die Verwaltungsbehörde ist also keineswegs verpflichtet, dem Angeklagten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn die Sperre abgelaufen ist. Sie kann oder muss eine neue Fahrerlaubnisprüfung verlangen (§§ 11 bis 20 FeV), hat unter Umständen die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von der Beibringung des Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle abhängig zu machen (§ 11 FeV) und kann sie ablehnen, wenn der Bewerber sich nicht untersuchen lässt. Die Verwaltungsbehörde kann auch aus anderen Gründen die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verweigern (§ 11 Abs. 8 FeV). Ärztliche Gutachten können insbesondere bei Betäubungsmittel- und Alkoholdelikten gefordert werden (§§ 13 und 14 FeV). Ob der Verurteilte jemals wieder in den Besitz einer Fahrerlaubnis kommt, ist daher ungewiss. Auch geht das Gesetz selbst davon aus, dass die Wirkung der vorläufigen Entziehung derjenigen der endgültigen nicht gleichkommt. Sonst hätte es der Regelung in § 69a Abs. 4 Satz 2 StGB nicht bedurft, wonach das Mindestmaß der Sperre nach vorläufiger Entziehung drei Monate nicht unterschreiten darf. Schließlich verstößt das Berufungsgericht nicht gegen das Verschlechterungsverbot, wenn es trotz der zwischenzeitlichen vorläufigen Entziehung die gleiche Führerscheinsperre festsetzt wie das angefochtene Urteil mit der Folge, dass tatsächlich durch das Berufungsurteil eine Sperrfristverlängerung erfolgt.132 Dies alles ist freilich nicht unbedenklich, weil es dazu führt, dass eine Rechtsmitteleinlegung im Ergebnis zum Nachteil des Betroffenen ausschlagen kann. Dies wird in Kauf genommen: „Wer gegen ein Urteil, in dem eine Sicherungsmaßregel nach § 69 StGB angeordnet worden ist, Berufung einlegt, muss damit rechnen, dass die Fahrerlaubnisentziehung länger dauert, als das Amtsgericht die Sperrfrist bemessen hat“.133
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c) Zeitablauf während des Revisionsverfahrens. Ein besonderer Fall liegt vor, wenn allein zugunsten des Angeklagten, dem in dem angefochtenen Urteil die Fahrerlaubnis entzogen wurde, Revision eingelegt worden ist und die in dem tatrichterlichen Urteil bestimmte Sperrfrist noch vor der Revisionsverhandlung abgelaufen wäre, wäre dieses rechtskräftig geworden. In solchen Fällen steht der Angeklagte bei Verwerfung der Revision schlechter, als wenn er das Urteil nicht angefochten hätte. Denn er wird nur durch die noch ausstehende Entscheidung über die Revision gehindert, bei der Verwaltungsbehörde eine neue Fahrerlaubnis zu beantragen. Eine verbreitete Ansicht will deshalb in solchen Fällen § 111a Abs. 2 entsprechend anwenden und auf Antrag oder von Amts wegen134 die vorläufige Entziehung aufheben und dem Angeklagten den Führerschein
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BVerfGE 20 365 = NJW 1967 26 mit Anm. Rupp NJW 1968 147. BVerfGE 20 365 = NJW 1967 29 mit Anm. Rupp NJW 1968 147; BVerwGE 17 347 = NJW 1964 608; BVerwGE 18 239 = NJW 1964 1686 = VRS 27 (1964) 76; OVG Bremen VerkMitt. 1963 28 = DÖV 1963 620; VGH Kassel NJW 1965 125; Fischer § 69a, 23 StGB. BayObLG bei Rüth DAR 1974 169, 177; OLG Saarbrücken MDR 1972 533; OLG Hamm NJW 1973 1891; MDR 1978 332;
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OLG Karlsruhe VRS 51 (1976) 204; OLG Koblenz VRS 53 (1977) 339; Schönke/ Schröder/Stree/Kinzig § 69a, 13 StGB; Lackner/Kühl § 69, 8 StGB; Fischer § 69a StGB, 12; a.A. Gollner GA 1975 129; Eickhoff NJW 1975 1007; Mollenkott NJW 1977 425. OLG Düsseldorf DAR 1990 355; ZfSch 1988 296. OLG Karlsruhe NJW 1975 456 = JR 1975 337 mit Anm. Rüth.
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mit „Ablauf“ der Sperre zurückgeben, da über eine vorläufige Maßnahme kein größeres Eingriffsquantum gerechtfertigt sein könnte, als dies die endgültige Rechtsfolge zulasse.135 Diese Auffassung vernachlässigt „Sinn und Struktur der gesetzlichen Regelung“136 41 wie sie oben (Rn. 39) dargelegt wurde, denn der bloße Fristablauf bedeutet nicht, dass der Betroffene wieder geeignet ist. Er darf deshalb nicht, wenn auch nur vorübergehend, wieder zum Straßenverkehr zugelassen werden. Erst wenn die Revision mindestens im Maßregelausspruch erfolgreich gewesen ist, kann unter den Voraussetzungen des § 111a Abs. 2 die Aufhebung der vorläufigen Maßnahmen in Betracht kommen. Es ist dann Sache des neuen Tatrichters, darüber zu befinden, ob dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass in der neuen Hauptverhandlung die Sicherungsmaßregel des § 69 StGB abermals angeordnet wird. Dies ist jetzt die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung und auch in der Literatur,137 wobei teilweise offengelassen wird,138 ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei sehr langer Dauer des Revisionsverfahrens nicht doch eine andere Betrachtung gebietet. Die verfassungsrechtlichen Bedenken von Dencker139 und Janiszewski 140 gegen diese 42 Auffassung gehen fehl, soweit verlangt wird, einen möglicherweise immer noch ungeeigneten Beschuldigten durch den Richter vorübergehend, nämlich bis zur Rechtskraft, wieder zum Verkehr zuzulassen, ohne dass dessen Geeignetheit zu überprüfen wäre. Eine andere Frage ist es, ob die Verwaltungsbehörden in diesen Fällen Anträge auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht schon vor Rechtskraft zu bearbeiten haben, damit über die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis alsbald nach Rechtskraft entschieden werden kann und so der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.141 3. Nichtentziehung im Urteil. § 111a Abs. 2 bestimmt ausdrücklich, dass die vorläu- 43 fige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben ist, wenn das Gericht die Fahrerlaubnis in dem Urteil nicht endgültig entzieht. Dass diese Folge eintritt, wenn ein solches Urteil oder ein das Verfahren einstellender Beschluss rechtskräftig wird, ist selbstverständlich und hätte keiner gesetzlichen Regelung bedurft. In § 111a Abs. 2 ist daher der Fall gemeint, dass das Urteil, das den Angeklagten freispricht, das Verfahren einstellt oder den Angeklagten zwar
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OLG Köln ZfS 1981 188; VRS 57 (1979) 126; OLG Koblenz MDR 1978 337; OLG Zweibrücken NJW 1977 448; OLG Celle NdsRpfl. 1967 182; OLG Frankfurt DAR 1973 246 = NJW 1973 1335; OLG Karlsruhe NJW 1968 460 = VRS 34 (1968) 347; NJW 1975 456 = VRS 48 (1975) 185; OLG Saarbrücken MDR 1972 533 = VRS 42 (1972) 359; SK/Rogall § 111a, 42; Hentschel/König/Dauer § 111a, 9; Dencker NStZ 1982 461; Janiszewsti NStZ 1981 469, 471; 1982 507; 1986 540, 544; Hentschel MDR 1978 185; DAR 1980 172; NJW 1981 1081; NJW 1982 1080. Fischer § 69a, 13 StGB. BGH NZV 1998 418; OLG Naumburg DAR 1999 420; OLG Koblenz OLGSt StPO § 111a Nr. 3; OLG Stuttgart VM 1983 23; OLG Düsseldorf DAR 1983 62;
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OLG Hamburg NJW 1981 2590 = JR 1981 337 mit zustimmender Anmerkung Rüth; OLG München NJW 1980 1860; OLG Karlsruhe MDR 1977 948; KG VRS 53 (1977) 278; OLG Frankfurt VRS 58 (1981) 419; OLG Schleswig DAR 1977 193; Fischer § 69a, 13 StGB; Schönke/Schröder/Kinzig § 69a, 17a StGB; KK/Nack § 111a, 11; Meyer-Goßner 12. OLG Hamburg NJW 1981 2590; OLG München NJW 1980 1860. NStZ 1982 461. NStZ 1983 111. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. noch OLG Hamburg JR 1981 337 und dort Rüth; OLG München NJW 1980 1860 namentlich bei überlanger Dauer des Revisionsverfahrens; Kaiser JR 1980 101.
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verurteilt, eine Maßregel nach § 69 StGB aber nicht anordnet, noch nicht rechtskräftig ist. In diesem Fall ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis unverzüglich ausdrücklich aufzuheben. Das ist heute nicht mehr streitig.142 Die Einlegung eines Rechtsmittels zuungunsten des Angeklagten darf die Aufhebung der Anordnung nicht verzögern. Die Rechtslage ist nicht anders als bei Haftbefehlen (§ 120 Abs. 2) und Unterbringungsbefehlen (§ 126a Abs. 3 Satz 2). Verfahrensbeendende Beschlüsse einschließlich der vorläufigen Einstellungen nach §§ 153, 153a und 154 führen ebenfalls zur Aufhebung, da der Sanktionsverzicht bei fortbestehender Ungeeignetheit kaum vorstellbar ist, jedenfalls aber „dringende Gründe“ für eine spätere Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr vorliegen.143 Zur Frage, wann bei Rechtsmitteln zuungunsten des Angeklagten eine erneute vorläufige Entziehung in solchen Fällen zulässig ist, s. Rn. 19 ff. Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein, fällt der Grund der Maßnahme weg, weil dann die spätere Verhängung einer Maßregel nach § 69 nicht mehr zu erwarten ist, und die vorläufige Maßnahme ist deshalb auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufzuheben.
IV. Verfahren bei Anordnung und Aufhebung der Maßnahme 44
1. Zuständigkeit. Die Anordnung nach § 111a greift in die Rechtsstellung des Beschuldigten erheblich ein. Daher schreibt § 111a Abs. 1 Satz 1 vor, dass nur der Richter sie treffen darf. Die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen dürfen lediglich den Führerschein sicherstellen (vgl. Rn. 66 f.).
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a) Im Vorverfahren ist der Ermittlungsrichter (§§ 21e Abs. 1 GVG, 162, 169 StPO) zuständig, denn die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins sind Untersuchungshandlungen im Sinne des § 162144 (a.A. LR/Gleß § 132a, 9 für den gleichgelagerten Fall des vorläufigen Berufsverbots), obwohl der präventive Sicherungszweck der Maßnahme im Vordergrund steht. Für die örtliche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters gilt: Ist der Führerschein noch nicht beschlagnahmt, ist nach § 162 Abs. 1 Satz 1 das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Führerschein nach § 111a Abs. 3 beschlagnahmt werden soll.145 Entscheidend ist also der Ort, an dem der Führerscheininhaber sich aufhält. Ob es daneben eine Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften (z.B. Tatort) gibt, erscheint fraglich.146 Ist der Führerschein dagegen bereits (von Polizei oder Staatsanwaltschaft) beschlagnahmt, gilt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als Bestätigung dieser Beschlagnahme (§ 111a Abs. 3). Dafür ist nach § 98 Abs. 2 Satz 3 das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat.
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b) Nach Anklageerhebung und den ihr gleichstehenden Anträgen der Staatsanwaltschaft trifft die Entscheidung nach § 111a das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist unabhängig davon, ob der Führerschein bereits beschlagnahmt ist oder nicht.147 142
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Meyer-Goßner 13; Himmelreich/Hentschel 240; Nachweise aus der älteren Rechtsprechung bei LR/Meyer23 35. Meyer-Goßner 13. KK/Griesbaum § 162, 4; Eb. Schmidt Nachtrag I 10; a.A. LG München NJW 1963 1216. LG Zweibrücken NZV 1994 293; LG Braunschweig DAR 1975 132; LG Siegen
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NJW 1955 274; AG Gemünden NJW 1978 770; Meyer-Goßner 7; Eb. Schmidt Nachtrag I 10; Hentschel/König/Dauer 6; Himmelreich/Hentschel 220. So z.B. Meyer-Goßner 7: jedes nach § 7 ff. zuständige Amtsgericht. Eb. Schmidt Nachtrag I 12; Hentschel/ König/Dauer 6.
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c) Das Berufungsgericht ist zuständig, sobald ihm die Akten nach § 321 vorgelegt 47 worden sind. Bis zu diesem Zeitpunkt entscheidet, auch nach Einlegung der Berufung, der erste Richter.148 d) Nach Einlegung der Revision ist für die Anordnung und Aufhebung grundsätzlich 48 der letzte Tatrichter zuständig, auch wenn die Akten dem Revisionsgericht bereits vorliegen.149 § 126 Abs. 2 normiert insoweit den allgemeinen Grundsatz, dass dem Revisionsgericht eine tatrichterliche Würdigung versagt bleibt. Das Revisionsgericht ist in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 aber befugt und – zur Beschleunigung – auch verpflichtet, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn sich bei seiner Entscheidung über die Revision ohne weiteres – also ohne weitere tatsächliche Erwägungen – ergibt, dass die Voraussetzungen des § 111a nicht vorliegen.150 Das ist nur dann der Fall, wenn nach § 354 Abs. 1 in der Sache entschieden werden kann und die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Entscheidung des Revisionsgerichts endgültig in Wegfall kommt.151 Bei Ablauf der Sperrfrist während des Revisionsverfahrens ist jedenfalls nicht das Revisionsgericht, sondern der Tatrichter für die Entscheidung über die Aufhebung zuständig.152 2. Antrag, Form und Entscheidungsgrundlage. Im Ermittlungsverfahren setzt der 49 Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, denn es handelt sich um eine Untersuchungshandlung i.S.d. § 162. Ein Antragsrecht der Polizei besteht nicht. Ein Fall des § 165 ist kaum denkbar, da bei Gefahr im Verzug die Polizei den Führerschein beschlagnahmen wird (§§ 94 Abs. 3, 98 Abs. 1). Im gerichtlichen Verfahren trifft das jeweils zuständige Gericht die Maßnahme von Amts wegen. Analog § 120 Abs. 3 ist der Ermittlungsrichter verpflichtet, die Maßnahme aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt.153 Dies folgt aus der Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft für diesen Verfahrensabschnitt.154 Das Gericht entscheidet stets durch Beschluss; die Entscheidung ergeht in der Haupt- 50 verhandlung unter Mitwirkung der Schöffen, sonst in der für Entscheidungen des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung. Eine Zuständigkeit des Vorsitzenden entsprechend § 126 Abs. 2 Satz 3 besteht nicht, da Führerscheinsachen nicht so eilig sind wie Haftsachen.
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OLG Celle NdsRpfl. 1989 261; OLG Hamm NJW 1969 150; LG Zweibrücken NZV 1992 499; Meyer-Goßner 7; Eb. Schmidt Nachtrag I 12; OLG Frankfurt NJW 1981 1680; dies war früher streitig, vgl. dazu OLG Hamm VRS 21 (1961) 283 mit Nachw. BGH NJW 1978 384; OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Celle NJW 1977 160; OLG Düsseldorf DAR 1983 62; OLG Stuttgart Justiz 1960 256; BayObLG bei Rüth DAR 1980 268; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 13; Hentschel/König/Dauer 6, a.A. OLG Düsseldorf RdK 1955 143; OLG Karlsruhe NJW 1975 455; OLG Bremen DAR 1973 332.
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OLG Naumburg DAR 1999 420; OLG Koblenz bei Janiszewski NStZ 1986 540, 544; OLG Düsseldorf DAR 1983 62; BayObLG bei Rüth DAR 1980 268; KK/Nack 12; Meyer-Goßner 14; offengelassen bei BGH NJW 1978 384. BayObLG NZV 1993 239. BGH NJW 1978 384; OLG Naumburg DAR 1999 420; vgl. auch OLG Zweibrücken MDR 1986 74. LG Bückeburg NdsRpfl. 1987 200; Wittschier NJW 1983 1324; a.A. Meyer DAR 1986 47; hier 24. Aufl. BGH – Ermittlungsrichter – NJW 2000 967.
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Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung sind Entscheidungsgrundlage die – im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft vollständig vorgelegten – Akten. Eine mündliche Verhandlung findet nicht statt. Jede Art von Beweismittel ist zulässig. Insbesondere kann der Beschuldigte eidesstattliche Versicherungen von Zeugen,155 schriftliche Erklärungen und Ähnliches vorlegen. Fraglich ist, ob das Gericht im Ermittlungsverfahren zu eigenen Ermittlungen befugt 52 ist. Dies wurde für Ermittlungshandlungen zutreffend verneint.156 Die Frage wird für die die Allgemeinheit sichernde vorläufige Maßnahme nach § 111a nicht anders zu beurteilen sein. Die Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang ist aber zulässig, soweit dieses Gutachten dem Gericht lediglich die Sachkunde zur Beurteilung des Akteninhalts vermitteln soll. Hält der Ermittlungsrichter die Vernehmung von Zeugen für erforderlich, wird er dies bei der Staatsanwaltschaft anregen. Kommt die Staatsanwaltschaft seiner Anregung nicht nach, und kommt es für die Entscheidung auf die Vernehmung dieser Zeugen an, wird es an einer verlässlichen Entscheidungsgrundlage für einen so schwerwiegenden Eingriff wie den der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis fehlen und die beantragte Maßnahme wird abzulehnen sein. Obwohl die Praxis die Dreitagefrist des § 98 Abs. 2 Satz 1 ohnehin nicht einhält, was ein Ärgernis ist, wird dem Ermittlungsrichter häufig mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lediglich ein polizeilicher Kurzbericht vorgelegt, der mit wenigen Sätzen das Unfallgeschehen schildert und keine Vernehmungsprotokolle oder Ähnliches enthält. Ein solcher Kurzbericht ist grundsätzlich keine taugliche Entscheidungsgrundlage für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. Eine Ausnahme mag allenfalls dann gelten, wenn der Beschuldigte unstreitig selbst gefahren ist und der Kurzbericht den Aktenvermerk über die telefonische Mitteilung des Gutachters über den Blutalkoholgehalt enthält, sofern dieser zur Tatzeit zurückrechenbar mit Sicherheit zumindest bei 1,1 ‰ BAK 157 lag. In den übrigen Fällen muss das Gericht auf der Übersendung der vollständigen angefallenen Ermittlungsakten bestehen. Werden diese dem Gericht von der Staatsanwaltschaft nicht in angemessener Zeit vorgelegt, worunter 3 bis 4 Tage zu verstehen sind, muss die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt und damit nach § 111a Abs. 5 der Führerschein herausgegeben werden.158
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3. Begründung. Der Beschluss muss begründet werden (§ 34). Es genügt die knappe Mitteilung des Sachverhalts und seiner strafrechtlichen Würdigung sowie – wenn nicht ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB gegeben ist – der Gründe dafür, weshalb sich aus diesem Sachverhalt die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt oder nicht ergibt. Eine eingehende Beweiswürdigung wird selten erforderlich sein.159 Liegt bereits eine substantiierte Sacheinlassung des Beschuldigten vor, muss darauf eingegangen werden, da andernfalls ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vorliegt.160 Einer etwas eingehenderen Begründung bedarf die Ablehnung der Maßnahme, wenn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 StGB vorliegen oder wenn nach § 111a Abs. 1 Satz 2 bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ausgenommen werden. Stets müssen die wesentlichen Überlegungen des Richters ersichtlich sein. Erfolgt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (erstmals) in der Hauptverhandlung, ist der Beschluss wie jede in
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BGH bei Dallinger MDR 1972 924. LG Stuttgart NStZ 1983 521 mit Anm. Rieß. BGHSt 37 89.
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Vgl. für den Antrag auf Durchsuchung LG Stuttgart NStZ 1983 521. Himmelreich/Hentschel 229a. LG Berlin StV 2002 67.
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der Hauptverhandlung ergehende anfechtbare Entscheidung zu begründen. Formel und Gründe werden im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten. Auf Verlangen ist dem Betroffenen eine Abschrift (§ 35 Abs. 1 Satz 2) zu übergeben. Dies kann ein Auszug aus dem Hauptverhandlungsprotokoll oder eine gesondert angefertigte Ausfertigung sein (vgl. § 35, 11). Erfolgte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis oder deren Aufhebung im Anschluss und im Zusammenhang mit dem Urteil, wird zur Begründung regelmäßig ein Hinweis darauf genügen, dass im Urteil die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB angeordnet bzw. nicht angeordnet wurde,161 wenn mit einem baldigen Absetzen der Gründe gerechnet werden kann. 4. Rechtliches Gehör. Die Frage, ob und in welchem Umfang vor einer Entscheidung 54 nach § 111a dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt werden muss, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. Überwiegend162 wird die Auffassung vertreten, die Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung sei stets erforderlich und § 33 Abs. 4 Satz 1 gelte deshalb nicht, weil in Eilfällen zum Schutz der Allgemeinheit der Führerschein beschlagnahmt werden könne.163 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob durch eine Anhörung tatsächlich selten die Gefahr entsteht, der Betroffene werde seinen Führerschein vernichten oder beiseite schaffen und dadurch die bevorstehende Beschlagnahme unterlaufen.164 Die Praxis kennt zu viele Fälle, in denen Führerscheine, die nach Anhörung beschlagnahmt werden sollen, plötzlich „verlorengegangen“ sind. Jedenfalls würde der Zweck der Anordnung, nämlich der Schutz der Allgemeinheit, auch dann (wenn auch nur vorübergehend) gefährdet, wenn der Beschuldigte während des Anhörungsverfahrens im Besitz seines Führerscheins bliebe, am Straßenverkehr teilnehmen könnte und so eine Gefahr bilden würde. Die durch eine Eilmaßnahme zu vermeidende Gefahr besteht also hier nicht im Beweismittelverlust, sondern in der weiteren Gefährdung der Allgemeinheit. Insofern gilt hier dasselbe wie zur Auslegung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ bei der Beschlagnahme des Führerscheins als eines der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB unterliegenden Gegenstands, vgl. Rn. 67. Der Hinweis darauf, diese Gefahr könne durch Führerscheinbeschlagnahme abgewendet werden, geht fehl. Denn es handelt sich hier gerade um die Fälle, in denen Polizei oder Staatsanwaltschaft den Führerschein noch nicht beschlagnahmt haben, der Richter aber die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit des Betroffenen für erforderlich hält. Eine sofortige richterliche Beschlagnahmeanordnung ist sinnlos, da die Führerscheinbeschlagnahme nur unter den Voraussetzungen des § 111a Abs. 1 zulässig ist und der Richter in diesem Fall die Voraussetzungen dieser Vorschrift in gleicher Weise zu prüfen hätte, wie wenn er gleich die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis anordnet. Daraus folgt: der Beschuldigte ist vor der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 55 zu hören, wenn er nicht mehr im Besitz des Führerscheins ist und deshalb von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Besitzt er den Führerschein dagegen noch, kann von der Anhörung nach § 33 Abs. 4 Satz 1 abgesehen werden. Dann ist das rechtliche Gehör aber nachträglich zu gewähren. Einer Belehrung darüber bedarf es nicht,165 doch sollte die Entschei-
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Ähnlich (keine Begründung erforderlich) OLG Koblenz VRS 71 (1986) 39. Meyer-Goßner 6; Himmelreich/Hentschel 225. Anders aber LR/Graalmann-Scheerer § 33, 40, die § 111a ganz selbstverständlich zu
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den anderen Maßnahmen des § 33 Abs. 4 Satz 1 zählt. So OLG Köln NJW 1968 667; 1969 442; Burchardt Polizei 1964 233. A.A. LR/Graalmann-Scheerer § 33, 43; die Entscheidung BVerfGE 2 107 ist durch die
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dung wenigstens in den Gründen den Zusatz tragen, dass „diese Entscheidung gemäß § 33 Abs. 4 Satz 1 ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs“ erging. Folgt eine Einlassung des Beschuldigten, bedarf es einer neuen ausdrücklichen Ent56 scheidung, welche die alte Entscheidung ändert oder aufhebt oder auch dahingehen kann, dass es bei der alten Entscheidung verbleibe. Zu Einzelheiten vgl. LR/GraalmannScheerer § 33a, 19, 22 f. Die Staatsanwaltschaft ist stets zu hören (§ 33 Abs. 2), wenn sie nicht selbst einen 57 Antrag gestellt hat. Die Anhörung der Staatsanwaltschaft kann in Eilfällen auch telefonisch geschehen. Zum Umfang der Anhörung wird die Auffassung vertreten, es genüge, dass die Polizei 58 dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben habe, sich zu den Tatsachen zu äußern.166 Daran ist nur richtig, dass der Richter nicht persönlich anhören muss. Entscheidend ist aber, dass sich der Beschuldigte nicht nur zu den tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern konnte, sondern vor allem auch zum Thema der Entscheidung vgl. LR/GraalmannScheerer § 33, 33. Die polizeiliche Vernehmung nach einem Verkehrsunfall kann deshalb regelmäßig nicht die Anhörung vor einer Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzen. In der Regel ist dem Beschuldigten der begründete Antrag der Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zugänglich zu machen. Bei Trunkenheitsfahrten genügt bei Blutalkoholgehalten 1,1 ‰ zur Tatzeit die Mitteilung des Ergebnisses der Blutprobe, bei Blutalkoholgehalten unter 1,1 ‰ müssen zusätzlich die Indizien (samt Beweismittel) für die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit genannt werden.
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5. Wirkung der Maßnahme. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt zugleich als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins oder – wenn dieser bereits wegen Gefahr im Verzug beschlagnahmt ist – als Bestätigung der Beschlagnahme (§ 111a Abs. 3), ohne dass diese gesetzliche Folge in der Beschlussformel besonders hervorgehoben werden müsste. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis enthält zugleich ein durch § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbewehrtes Verbot, Kraftfahrzeuge zu führen, und bedeutet versicherungsrechtlich, dass der Betroffene keine Fahrerlaubnis im Sinne von § 2b Abs. 1c) AKB hat.167 Die Fahrerlaubnis selbst erlischt erst mit der Rechtskraft des Urteils (§ 69 Abs. 3 Satz 1 StGB). Wegen der Erteilung eines Ersatzführerscheins bei beschränkter vorläufiger Entziehung vgl. oben Rn. 32. Die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt zugleich als Auf60 hebung der Beschlagnahme des Führerscheins. Das Verbot, Kraftfahrzeuge zu führen, entfällt ohne weiteres und der Führerschein ist zurückzugeben (vgl. Rn. 77). Die Aufhebung der Anordnung nach § 111a hindert das Gericht nicht, die Fahrerlaubnis erneut vorläufig zu entziehen, wenn das auf Grund neu hervorgetretener Tatsachen oder Beweismittel gerechtfertigt ist, insbesondere wenn nunmehr die Fahrerlaubnis in einem Urteil endgültig entzogen ist (vgl. Rn. 19). Die in dem Aufhebungsbeschluss vertretene Rechtsansicht bindet das erkennende Gericht nicht.168
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6. Bekanntmachung und Vollstreckung. Da der Beschluss nach § 111a Abs. 1 dem Beschuldigten verbietet, ein Kraftfahrzeug zu führen, muss er ihm bekannt gemacht wer-
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Einfügung des § 33a überholt; BVerfGE 18 399, 406 gibt für die Frage nichts her. Meyer-Goßner 6; Koch DAR 1968 178; Himmelreich/Hentschel 225.
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BGH VRS 62 (1982) 114. OLG Hamburg VRS 47 (1974) 320.
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den; sonst kann er sich nach diesem Verbot nicht richten. Fährt er nach der Bekanntgabe weiterhin Kraftfahrzeuge, macht er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (auch bei fahrlässiger Tatbegehung) strafbar und verliert den Versicherungsschutz (§ 2b Abs. 1 c) AKB). Aus diesem Grunde ist, wenn nicht z.B. in der Hauptverhandlung eine mündliche Bekanntmachung erfolgt, die förmliche Zustellung angebracht, obwohl an sich nach § 35 Abs. 2 eine formlose (schriftliche) Mitteilung genügen würde.169 Mit der Bekanntmachung verbindet die Praxis zu Recht die Belehrung über die strafrechtlichen Folgen nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG. Enthält die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zugleich die Anordnung der Beschlagnahme, wird sie der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung übergeben (§ 36 Abs. 2), die dann auch für die Bekanntmachung sorgt. Die Staatsanwaltschaft kann in ihrem Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis das Gericht bitten, zur Beschleunigung die Entscheidung unmittelbar der Polizei zur Vollstreckung und Bekanntmachung zu übersenden. Die Polizei übergibt dann den Führerschein samt Bekanntmachungsnachweis unmittelbar der Staatsanwaltschaft.
V. Sicherstellung des Führerscheins 1. Allgemeines. Das Gesetz sieht neben der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 62 die Sicherstellung des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins vor. (Wegen der Behandlung ausländischer Führerscheine vgl. Rn. 81 ff.). Diese Sicherstellung dient der Durchsetzung des durch die vorläufige Entziehung ausgesprochenen Fahrverbots und, wie § 111a Abs. 5 Satz 1 entnommen werden kann, der Sicherung der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB. Das Gesetz regelt die Sicherstellung des Führerscheins an drei Stellen: nach § 111a Abs. 3 „wirkt“ die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des (von einer deutschen Behörde erteilten) Führerscheins und nach § 94 Abs. 3 gilt die Regelung über die Sicherstellung von Beweismitteln auch für Führerscheine, die (z.B. nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB) der Einziehung unterliegen. Ferner sieht § 111a Abs. 4 vor, dass an die Stelle der richterlichen Entscheidung über die Beschlagnahme eines Führerscheins die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis tritt, die – nach § 111a Abs. 3 – dann zugleich als Bestätigung der Beschlagnahme wirkt. Die Beschlagnahme des Führerscheins kann also der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis folgen (nachstehend 2) oder ihr vorausgehen (nachstehend 3). 2. Anordnung der Beschlagnahme durch die richterliche Entscheidung über die vor- 63 läufige Entziehung der Fahrerlaubnis (Absatz 3). Ist der Führerschein noch nicht beschlagnahmt, wirkt die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kraft Gesetzes zugleich als Beschlagnahmeanordnung, ohne dass dies in der Formel oder in den Gründen des Beschlusses ausdrücklich ausgesprochen werden müsste. Die Beschlagnahme des Führerscheins wird nach § 36 Abs. 2 Satz 1 durch die Staatsanwaltschaft vollstreckt, die sich dazu der Polizei bedient. Die Vollstreckung besteht darin, dass der Führerschein in amtlichen Gewahrsam genommen wird, da eine andere Art der Sicherstellung dem Zweck der Beschlagnahme nicht gerecht würde.170 Vgl. im Übrigen Rn. 61.
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BGH NJW 1962 2105; OLG Hamm VRS 57 (1979) 125; LG Hildesheim NdsRpfl. 1988 251 (nicht telefonisch); LK/Geppert § 69, 161 StGB.
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3. Sicherstellung des Führerscheins nach § 94 Abs. 3 vor der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis
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a) Allgemeines. Bereits vor der richterlichen Entscheidung nach § 111a kann zur Sicherung der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB der Führerschein durch Beschlagnahme sichergestellt werden (§ 94 Abs. 3). Anders als bei der Beweismittelbeschlagnahme nach § 94 Abs. 1 und 2, für die einfacher Tatverdacht ausreicht, ist die Führerscheinbeschlagnahme nach § 94 Abs. 3 aber nur zulässig, wenn auch die Voraussetzungen des § 111a Abs. 1 vorliegen, wenn also dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis endgültig entzogen wird. Dies ergibt sich aus § 111a Abs. 4, wonach die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme unter den Voraussetzungen des § 111a Abs. 1 erfolgt, und ist heute unstreitig.171 Die Sicherstellung des Führerscheins auf Grund einer Beschlagnahme oder freiwilliger Herausgabe nach § 94 Abs. 3 ist durch die Gesetzesänderung von 1964 der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nur in den Voraussetzungen gleichgestellt worden. Sie wirkt bei der Anrechnung auf das Fahrverbot (§ 51 Abs. 5 Satz 2 StGB) und bei der Verhängung der Mindestsperre unter Einrechnung der Zeit nach der Verkündung des letzten tatrichterlichen Urteils (§ 69a Abs. 6 StGB) genau wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. Sie führt auch zu einem mit Strafe bewehrten Fahrverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG). Lediglich als Voraussetzung der Einziehung nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG bedarf es der Maßnahme nach § 111a. § 94 Abs. 1 findet keine Anwendung, soweit er die Sicherstellung in anderer Weise als 65 durch Verbringen der Sache in amtlichen Gewahrsam zulässt172 (§ 94, 49). Denn das Fahrverbot mit der Straffolge des § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG erfordert zur Verdeutlichung die Wegnahme des Führerscheins; ein etwa von einer Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ausgesprochenes mündliches Fahrverbot ohne Wegnahme des Führerscheins, auf das die Sicherstellung des Führerscheins ohne Wegnahme hinauslaufen würde, sieht das Gesetz nicht vor.173
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b) Keine richterliche Beschlagnahme. Für Beschlagnahmen ist an sich in erster Linie der Richter zuständig (§ 98 Abs. 1). Es wäre aber sinnlos, wenn er, statt die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, sich auf die Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins zur Sicherung seiner Einziehung beschränkte. Denn die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt nach § 111a Abs. 3 ohnehin als Beschlagnahme des Führerscheins, und es gibt keinen vernünftigen Grund, zwar die Beschlagnahme des Führerscheins, nicht aber die von keinen strengeren Voraussetzungen abhängige vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen. Überdies zeigt die Regelung des § 111a Abs. 4, dass der Richter Sicherungsmaßnahmen gegen den Beschuldigten ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung zu prüfen hat. Eine Beschlagnahme des Führerscheins durch den Richter ist daher ausgeschlossen; sie kann nur durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden.174
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c) Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug. Nach § 98 Abs. 1 dürfen die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen Beschlagnahmen nur bei Gefahr im Verzug anordnen. Wenn man diesen Begriff so auslegt wie sonst in § 98 Abs. 1, wäre eine nichtrichterliche 171 172 173
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Beschlagnahme des Führerscheins nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde ihn in der Zeit, die bis zur Herbeiführung einer richterlichen Anordnung nach § 111a verstreichen würde, beiseite schaffen oder vernichten. Das ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, tatsächlich in vielen Fällen zu besorgen.175 Die Frage kann aber dahinstehen. Der Begriff Gefahr im Verzug muss so nicht ausgelegt werden. Im Rahmen des § 111a steht nicht die Sicherung der Einziehung des Führerscheins im Vordergrund, sondern die Herbeiführung der Wirkung, dass dem Beschuldigten vorläufig untersagt ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Damit zu warten, bis eine richterliche Entscheidung nach § 111a getroffen werden kann, würde bedeuten, dass ein ungeeigneter und daher gefährlicher Kraftfahrer zunächst weiter zum Verkehr zugelassen wird. Denn wenn der Beschuldigte eine Tat begangen hat, die ihn als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs erscheinen lässt, besteht die Ungeeignetheit sofort und nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem der Richter entscheiden kann.176 Bei der Beschlagnahme von Führerscheinen bedeutet Gefahr im Verzug daher die Gefährdung der Allgemeinheit dadurch, dass ein ungeeigneter Kraftfahrer bis zur gerichtlichen Beschlagnahme des Führerscheins (§ 111a Abs. 3) am Verkehr teilnimmt. Das entspricht der nunmehr herrschenden Ansicht177 und daran ändert auch die inzwischen strengere, restriktive Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 103 142) zu den Voraussetzungen der Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug nichts. Zu beachten ist, dass Polizeibeamte den Führerschein nur beschlagnahmen dürfen, 68 wenn die Gründe für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis entzogen wird, wirklich dringend sind. Sie dürfen insbesondere nicht etwa schon jeden positiv ausgefallen AtemAlkoholtest zum Anlass für die Führerscheinbeschlagnahme nehmen, wenn möglicherweise nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG in Betracht kommt.178 Hatte der Richter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt, ist die Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 Abs. 3 nur zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel sie nunmehr rechtfertigen. d) Richterliche Entscheidung über die Beschlagnahme (Absätze 3 und 4). Wenn die 69 Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen eine Beschlagnahme angeordnet und durchgeführt haben, sollen sie nach § 98 Abs. 2 Satz 1 binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung beantragen, sofern bei der Beschlagnahme weder der Beschuldigte noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder der Beschuldigte, im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger, gegen die Beschlagnahme ausdrücklich Widerspruch erhoben hat (Näheres dazu bei § 98, 43 ff.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so braucht eine Entscheidung des Richters nicht herbeigeführt zu werden. Das ist bei der Beschlagnahme des Führerscheins, die allerdings regelmäßig in Anwesenheit des Beschuldigten durchgeführt wird, nicht anders. Das Gesetz sieht nicht etwa vor, dass diese Beschlagnahme stets richterlich bestätigt werden muss.179 Wenn der Beschuldigte keinen 175
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OLG Köln NJW 1968 667 = VRS 34 (1968) 383; NJW 1969 442 = VRS 37 (1969) 34; Burchard Polizei 1964 233. So mit Recht Meier Polizei 1964 235. BGHSt 22 385 mit abl. Anm. Ehlers MDR 1969 1023 und abl. Anm. Hruschka NJW 1969 1634; OLG Karlsruhe Justiz 1969 255; OLG Stuttgart NJW 1969 760 mit abl. Anm. Hruschka NJW 1969 1311; MeyerGoßner 15; KK/Nack 16; Himmelreich/ Hentschel 255 mit Nachw.; Meier Polizei
178 179
1964 234; Holly MDR 1972 749, der aber eine drohende Wiederholungsgefahr fordert; a.A. OLG Köln NJW 1968 666 mit abl. Anm. Schweichel NJW 1968 1486; OLG Köln NJW 1969 441; Mittelbach 74; Burchardt Polizei 1964 233; Dahs NJW 1968 632; Fritz MDR 1967 724. Janziszewski Blutalkohol 1974 173, 316; Schmidt/Kierstein/Güntzel Polizei 1971 102. Himmelreich/Hentschel 259; Nüse JR 1965 44.
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Widerspruch gegen die Beschlagnahme erhebt, ist daher eine richterliche Anordnung nach § 111a bis zur Rechtskraft des Urteils regelmäßig nicht zu treffen, es „bedarf“ dann dieser Entscheidung nicht. In der Praxis ist dieser Fall häufig. Vgl. Rn. 15. Kommt es dagegen zu dieser richterlichen Entscheidung, z.B. weil der Beschuldigte 70 gegen die Beschlagnahme Widerspruch erhoben hat oder weil er die richterliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2 beantragt, tritt an die Stelle der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme die über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 4). Diese wirkt auch ohne besonderen Ausspruch als Bestätigung oder Aufhebung der Beschlagnahme. Im Ermittlungsverfahren ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Beschlag71 nahme stattgefunden hat (§ 98 Abs. 2 Satz 3). Vgl. im Übrigen zur Zuständigkeit Rn. 44 ff.
72
4. Beschlagnahme zur unmittelbaren Gefahrenabwehr. Die Beschlagnahme des Führerscheins zum Zweck der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr richtet sich nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder. Voraussetzung der Beschlagnahme ist dort, dass mit ihr die von dem Kraftfahrer ausgehende unmittelbare Gefahr für die Allgemeinheit abgewendet werden kann.180 Das wird nur selten möglich sein. Denn die Verschlechterung der Rechtsstellung durch den Verlust des Führerscheins und die dadurch bei dem Täter herbeigeführte „psychologische Hemmung“ (OLG Köln NJW 1969 442) wird regelmäßig, insbesondere bei einem Betrunkenen, nichts an der tatsächlichen Gefahrenlage ändern. Diese kann meist nur durch die Wegnahme des Zündschlüssels oder durch die Sicherstellung des Wagens beseitigt werden.181 Hat die Polizei den Führerschein zur Gefahrensicherung weggenommen, so muss sie ihn alsbald zurückgeben, wenn die akute Gefahr beseitigt ist.182 Führt der Beschuldigte vor der Rückgabe ein Kraftfahrzeug, dann begeht er lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 75 Nr. 4 FeV, § 24 StVG.
VI. Rückgabe des Führerscheins (Absatz 5) 73
1. Sichergestellte Führerscheine. Die Vorschrift regelt die Rückgabe der zur Durchsetzung des Fahrverbots und zur Sicherung der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB sichergestellten Führerscheine. Sie erfasst nicht Führerscheine, die als Beweismittel, etwa wegen einer Fälschung, verwahrt werden. Aus § 111a Abs. 6 ergibt sich, dass unter Führerscheinen nur die von einer deutschen Behörde ausgestellten zu verstehen sind. Die Fassung des § 111a Abs. 5 Satz 1 ist wenig gelungen. § 94 unterscheidet zwischen 74 der Sicherstellung (z.B. durch Verwahrung) in Absatz 1 und den Wegen dazu (freiwillige Herausgabe oder Beschlagnahme) in Absatz 2. Vgl. dazu § 94, 34 ff., 46 ff. § 111a Abs. 5 Satz 1 stellt hingegen den Unterfall der Sicherstellung, die Verwahrung, selbständig neben diese, was systematisch falsch und überdies hier ganz unverständlich ist, weil bei Führerscheinen, die zum Zweck der Sicherung ihrer Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB sichergestellt werden, eine andere Form der Sicherstellung als die Verwahrung ausscheidet 180
181
LG Braunschweig NJW 1956 1808 = VRS 11 (1956) 369; OLG Köln NJW 1968 666; Dahs NJW 1968 632. BGH NJW 1962 2104; BGH VersR 1956 219; Meyer-Goßner 16; Fritz MDR 1967 723; Groß DAR 1959 128; vgl. auch BGH VRS 39 (1970) 186.
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OLG Braunschweig NJW 1956 1808 = VRS 11(1956) 370; Meyer-Goßner 16; Dahs NJW 1968 633; Fritz MDR 1967 724; Groß DAR 1958 128; Guelde RdK 1953 59.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 111a
(Rn. 64). Ferner führt § 111a Abs. 5 Satz 1 noch die Beschlagnahme an, ohne das Gegenstück, die Sicherstellung auf Grund freiwilliger Herausgabe, zu erwähnen, obgleich sowohl ein freiwillig herausgegebener als auch ein beschlagnahmter Gegenstand in amtliche Verwahrung gelangen kann. Der Sinn des ersten Halbsatzes des § 111a Abs. 5 Satz 1 ist jedenfalls, dass die Vorschrift auf alle Fälle anzuwenden ist, in denen ein Führerschein der Verfügungsgewalt des Berechtigten entzogen ist, gleichgültig, ob er freiwillig herausgegeben oder beschlagnahmt worden ist. 2. Rückgabepflicht a) Allgemeines. Die Strafprozessordnung bestimmt nicht, wann eine Beschlagnahme 75 erlischt und wann und unter welchen Voraussetzungen sie aufzuheben ist (§ 98, 56 ff.). Auch § 111a sagt hierüber nichts; sein Absatz 5 regelt aber die Rückgabe des Führerscheins. Da die Beschlagnahme eines Führerscheins zum Zweck der Sicherung der Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB nur unter den Voraussetzungen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 1 zulässig ist (oben Rn. 64), macht § 111a Abs. 5 auch seine Rückgabe davon abhängig, dass die Voraussetzungen der vorläufigen Entziehung wegfallen. Den Führerschein zurückzugeben, obwohl seine Beschlagnahme fortdauert, wäre offenbar widersinnig. Daher muss angenommen werden, dass unter den in § 111a Abs. 5 bestimmten Voraussetzungen auch die Beschlagnahme erlischt. b) Ablehnung der vorläufigen Entziehung. Lehnt der Richter nach vorangegangener 76 Sicherstellung des Führerscheins (nach Beschlagnahme oder freiwilliger Herausgabe) die vorläufige Entziehung durch eine Sachentscheidung ab, ist der Führerschein dem Beschuldigten zurückzugeben. Es muss sich aber nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung um eine Sachentscheidung handeln („wegen Fehlens der in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen“). c) Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Fahrerlaubnis lebt 77 wieder auf, wenn die vorläufige Entziehung aufgehoben wird. Deshalb bestimmt § 111a Abs. 5 Satz 1, dass dann auch der sichergestellte Führerschein wieder herauszugeben ist. Dabei ist es gleichgültig, durch welchen Richter die vorläufige Entziehung aufgehoben wird. d) Nichtentziehung der Fahrerlaubnis im Urteil. Wird die Fahrerlaubnis im Urteil 78 nicht entzogen, so entfällt die vorläufige Anordnung nicht von selbst. Der Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis muss vielmehr förmlich aufgehoben werden (vgl. oben Rn. 43). Diese Entscheidung enthält die Aufhebung der Beschlagnahme auch ohne besonderen Ausspruch. Dies folgt zwingend aus der Regelung in § 111a Abs. 3, wonach umgekehrt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als Anordnung der Beschlagnahme „wirkt“. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 muss daher der beschlagnahmte Führerschein sofort herausgegeben werden, wenn die Fahrerlaubnis in dem Urteil nicht entzogen wird. Wegen eines zuungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittels darf die Rückgabe nicht verzögert werden. Eine erneute Beschlagnahme nach § 94 Abs. 3 kommt nicht in Betracht.183 Zulässig ist unter bestimmten engen Voraussetzungen lediglich die erneute Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Richter (oben Rn. 19). Gefahr im Verzug, die schon vorher die erneute Beschlagnahme des Führerscheins durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen rechtfertigen könnte, ist nicht denkbar. 183
Anders OLG Hamm DAR 1957 190.
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3. Aufschiebung wegen eines Fahrverbots nach § 44 StGB (Absatz 5 Satz 2). Wenn der Richter im Urteil zwar die Fahrerlaubnis nicht entzieht, aber ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängt, wird die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben und dem Angeklagten müsste an sich nach § 111a Abs. 5 Satz 1 der Führerschein zurückgegeben werden. Nach § 44 Abs. 3 Satz 2 StGB ist der Führerschein aber nach Rechtskraft des Urteils für die Dauer des Fahrverbots amtlich zu verwahren, und der Angeklagte kann ein Interesse daran haben, dass er bereits in amtlicher Verwahrung ist, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Denn mit der Rechtskraft wird zwar das Fahrverbot wirksam (§ 44 Abs. 3 Satz 1 StGB); die Verbotsfrist wird aber erst von dem Beginn der amtlichen Verwahrung des Führerscheins an gerechnet, wenn diese nach der Rechtskraft beginnt (§ 44 Abs. 4 Satz 1 StGB). Andererseits wird die Zeit der Verwahrung, die nach dem Urteil angedauert hat, unverkürzt auf das Fahrverbot angerechnet (§ 44 Abs. 3 StGB). Aus diesen Gründen lässt es § 111a Abs. 5 Satz 2 zu, die Rückgabe des Führerscheins aufzuschieben, wenn im Urteil die Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt, jedoch ein Fahrverbot verhängt wird. So kann verhindert werden, dass der Führerschein zunächst herausgegeben und sodann kurze Zeit später nach Rechtskraft des Urteils wieder einzuziehen ist.184 Das setzt aber voraus, dass der Beschuldigte nicht widerspricht. Er wird dies dann nicht tun, wenn er beabsichtigt, das Urteil rechtskräftig werden zu lassen. Befindet er sich in Untersuchungs- oder Strafhaft oder wird er sonst auf behördliche Anordnung verwahrt, so wäre ein Aufschub der Rückgabe des Führerscheins sinnlos, weil nach § 44 Abs. 4 Satz 2 StGB die Zeit, in der der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist, in die Verbotsfrist nicht eingerechnet wird.
80
4. Zuständigkeit. Die Rückgabe des Führerscheins obliegt im Vorverfahren der Staatsanwaltschaft. Um die Rückgabe zu beschleunigen, kann auch das Gericht den bei den Akten befindlichen Führerschein zurückgeben. Nach Erhebung der öffentlichen Klage bis zur Rechtskraft des Urteils gibt das mit der Sache jeweils befasste Gericht und nach der Rechtskraft die Vollstreckungsbehörde den Führerschein zurück. Wenn das Gericht zuständig ist, kann es, da keine Vollstreckung in Rede steht, die Staatsanwaltschaft nicht nach § 36 Abs. 2 Satz 1 in Anspruch nehmen.
VII. Inhaber ausländischer Führerscheine (Absatz 3 und 6) 81
1. Voraussetzungen. Gegenüber Personen, die auf Grund ausländischer Fahrerlaubnisse befugt sind, in der Bundesrepublik Kraftfahrzeuge zu führen, ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis mit der Wirkung zulässig, dass diesen Personen vorläufig das Recht aberkannt wird, von der Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch zu machen. Früher war die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit auch die vorläufige Entziehung in diesen Fällen nach § 69b Abs. 1 Satz 1 StGB nur möglich, wenn die Tat gegen Verkehrsvorschriften verstieß. Diese Beschränkung wurde durch Art. 1 des 32. StrÄndG vom 1.6.1995 (BGBl. I S. 747) unter entsprechender Änderung von § 69b StGB angesichts einer zunehmenden mobilen und grenzübergreifenden Kriminalität aufgegeben, so dass die materiellen Voraussetzungen bei Inhabern deutscher und ausländischer Führerscheine nunmehr gleich sind. Zu den Führerscheinen diplomatisch oder konsularisch bevorrechtigter Personen und von Mitgliedern der in Deutschland stationierten ausländischen NATO-Truppen vgl. LK/Geppert § 69, 178 StGB. 184
Himmelreich/Hentschel 244; Warda MDR 1965 2.
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2. Sicherung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Es ist zu unterscheiden 82 zwischen den in Abs. 3 Satz 2 genannten Führerscheinen, die von einer Behörde eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union185 oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum186 ausgestellt worden sind und deren Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat (vgl. § 7 FeV), und den in Abs. 6 angesprochenen „anderen als in Abs. 3 Satz 2 genannten ausländischen Führerscheinen“. Für erstere gelten im Verfahren über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis keine Besonderheiten mehr. Zum Verfahren nach Rechtskraft siehe § 69b StGB. Bei anderen ausländischen Führerscheinen, also in Fällen, in denen der Inhaber eines 83 ausländischen EU- oder EWG-Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Inland hat, oder bei Führerscheinen anderer Staaten, erfolgt die Sicherung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht durch Sicherstellung des Führerscheins, der nicht eingezogen werden darf (§ 69b Abs. 1 StGB), sondern dadurch, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im ausländischen Führerschein vermerkt wird (§ 111a Abs. 6 Satz 1). Um diese Eintragung zu ermöglichen, ist bis zur Eintragung die Beschlagnahme des Führerscheins zulässig. Die entsprechende Vorschrift in § 111a Abs. 6 Satz 2 wird jetzt in § 463b Abs. 2 wiederholt. Diese Beschlagnahme kann bei Gefahr im Verzug (vgl. dazu oben Rn. 67) durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen erfolgen (§§ 111a Abs. 6 Satz 2, 98 Abs. 1); dann ist unverzüglich die richterliche Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis herbeizuführen. Ergeht diese, muss die Formel neben der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch die Bestätigung der Beschlagnahme nach §§ 98 Abs. 2 Satz 1, 111a Abs. 6 Satz 2 zur Eintragung des Vermerks über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 6 Satz 1 enthalten. War der Führerschein nicht beschlagnahmt, muss in diesen Fällen in der richterlichen Entscheidung zusammen mit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Beschlagnahme des Führerscheines zur Vornahme der Eintragung angeordnet werden. Ist aus technischen Gründen die Anbringung eines Vermerks ohne Zerstörung oder wesentliche Beeinträchtigung der Urkunde nicht möglich, soll der Führerschein zur Vermeidung von Missbräuchen beschlagnahmt bleiben können.187 Das erscheint nicht unbedenklich, da ein ausländischer Führerschein nicht eingezogen werden kann und somit für die über Abs. 6 hinausgehende Beschlagnahme eine Rechtsgrundlage fehlt;188 auch § 463b gibt insoweit keine Handhabe. Meist wird eine Lösung dahin möglich sein, dass ein gesonderter Vermerk erstellt und dieser mittels Lochung und gesiegelter Schnur oder auf andere Weise untrennbar mit dem Fahrausweis wird (§ 56 Abs. 2 StVollstrO). Da die Eintragung des Vermerks eine Vollstreckungshandlung ist (vgl. LR/Graalmann- 84 Scheerer § 36, 21), ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Ihr ist deshalb die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zur Anbringung des Vermerks zu übergeben (§ 36 Abs. 2).
185
Mitglieder derzeit: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern.
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Außer den EU-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen (BGBl. II 1994 515; Hentschel 814). LG Bad Kreuznach Beschl. v. 24.4.1995 – 2 Qs 78/95 –; LG Ravensburg DAR 1991 272; Hinweise zu technischen Lösungen bei Meyer MDR 1992 442. Ludovisy DAR 1997 80.
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3. Aufhebung der vorläufigen Entziehung. Das Gesetz sagt nicht, was zu geschehen hat, wenn der Richter die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufhebt oder wenn das Gericht die Fahrerlaubnis im Urteil nicht entzieht. Da der Inhaber eines ausländischen Führerscheines nicht schlechter gestellt werden darf als der Inhaber eines von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins, müssen die für diesen geltenden Vorschriften (§ 111a Abs. 5) entsprechend angewendet werden. An die Stelle der Rückgabe des Führerscheins (oben Rn. 75 ff.) tritt deshalb die Tilgung des Vermerks in dem ausländischen Führerschein.189
VIII. Rechtsmittel 86
1. Entscheidungen zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Begehrt der Betroffene die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis oder auch nur die „Rückgabe des Führerscheins,“ ist sein Vorbringen zunächst darauf zu überprüfen, ob es sich um einen (grundsätzlich stets zulässigen) Antrag auf Überprüfung der erlassenen Entscheidung durch den iudex a quo oder um eine Beschwerde handelt.190 Der Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, über deren Aufhebung, sowie der Beschluss, der es ablehnt, die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen oder die vorläufige Entziehung aufzuheben, ist grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens mit der einfachen Beschwerde (§ 304 Abs. 1) anfechtbar. Auch Entscheidungen des erkennenden Gerichts können nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 305 Satz 2) angefochten werden. Nicht anfechtbar ist lediglich die Entscheidung des Strafsenats als Rechtsmittelgericht (§ 304 Abs. 4 Satz 2).191 Zur Behandlung einer ausdrücklich so bezeichneten und gewollten Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei Zuständigkeitswechsel s. Rn. 94. Dagegen sind Entscheidungen des Oberlandesgerichts als Gericht des ersten Rechts87 zugs oder des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis beschwerdefähig. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 bzw. des § 304 Abs. 5, die die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht enthalten. Da diese Maßnahme aber nach § 111a Abs. 3 stets als Anordnung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde erteilten Führerscheins wirkt, muss sie in Bezug auf das Rechtsmittel wie eine Beschlagnahme (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5) behandelt werden.192 Daraus folgt zugleich, dass dann keine Beschwerde zulässig ist, wenn das im ersten Rechtszug entscheidende Oberlandesgericht oder der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einem Täter die Fahrerlaubnis vorläufig entzieht, der einen ausländischen Führerschein besitzt, bei dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins wirkt (Rn. 82 ff.). In diesem Fall ist allein die nach § 111a Abs. 6 Satz 2 besonders angeordnete Beschlagnahme anfechtbar.193
88
a) Weitere Beschwerde ist nach § 310 ausgeschlossen. Eine unzulässige weitere Beschwerde liegt vor, wenn diese sich gegen eine Entscheidung wendet, die auf eine Beschwerde hin ergangen ist und damit über denselben Gegenstand – das ist hier die Frage, ob die Fahrerlaubnis ganz oder teilweise vorläufig entzogen werden soll – bereits zwei
189 190 191
Himmelreich/Hentschel 245. OLG Braunschweig DAR 1995 498. Beispiel: Zusammen mit der Aufhebung des Urteils hebt der Senat entsprechend § 126
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192 193
Abs. 3 die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf. Meyer-Goßner 19; KK/Nack 22. LK/Geppert § 69, 173 StGB.
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Entscheidungen verschiedener Instanzen vorliegen,194 mögen diese auch einander widersprechen oder auf verschiedenen Tatsachengrundlagen beruhen. Eine weitere Beschwerde ist also nicht deswegen zulässig, weil das Beschwerdegericht erstmalig die Fahrerlaubnis vorläufig entzieht oder die Beschwerdeentscheidung auf neue Tatsachen oder Beweismittel gestützt wird.195 b) Beschwerdeberechtigt ist stets die Staatsanwaltschaft, auch wenn die Fahrerlaubnis 89 vorläufig entzogen oder ihrem Antrag sonst entsprechend entschieden wurde,196 nie dagegen der Nebenkläger, da die vorläufige Maßnahme ebenso wie die endgültige dem Schutz der Allgemeinheit dient197 und deshalb der Nebenkläger durch eine Entscheidung zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht beschwert sein kann. Der Beschuldigte ist stets beschwert, wenn die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen oder einem Antrag auf Beschränkung nach § 111a Abs. 1 Satz 2 nicht gefolgt wurde. c) Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 307 Abs. 1). Eine Aussetzung 90 der Vollziehung (§ 307 Abs. 2) kommt wegen des Sicherungscharakters der vorläufigen Maßnahme nicht in Betracht.198 d) Das Beschwerdegericht entscheidet grundsätzlich in der Sache selbst (§ 309 91 Abs. 2); eine Aufhebung und Zurückweisung kommt im Wesentlichen nur dann in Betracht, wenn das Erstgericht unzuständig und deshalb nicht zur Entscheidung befugt war und das zuständige Gericht nicht zum Bezirk des Beschwerdegerichts gehört.199 Fehlende oder mangelhafte Begründung des Gerichtsbeschlusses führt nicht zur Zurückverweisung.200 Sehr streitig ist, ob und wenn ja, in welchem Umfang, während des Revisionsverfah- 92 rens die vorläufige Entziehung mit der Beschwerde angegriffen werden kann.201 Teilweise wird die Beschwerde neben einer eingelegten Revision für unstatthaft oder doch eine Überprüfung der Voraussetzungen der vorläufigen Entziehung im Beschwerdeverfahren für unzulässig gehalten,202 teilweise eine beschränkte Überprüfbarkeit im Beschwerdeverfahren angenommen, teilweise aber auch eine umfassende Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts bejaht.203 Eine gesetzliche Grundlage für die Unzulässigkeit ist nicht ersichtlich.204 Eine Einschränkung der Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts folgt aber daraus, dass die Frage, ob dringende Gründe i.S.d. § 111a vorliegen, ob also eine hohe Wahrscheinlichkeit der endgültigen Entziehung nach § 69 StGB besteht (Rn. 8, 13), jetzt nur noch davon abhängt, ob die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten vor der Revision Bestand 194 195
196 197 198
199 200
LR/Matt § 310, 10. H.M.; vgl. OLG Neustadt DAR 1960 211 = MDR 1960 604; Hentschel 8; Full/Möhl/ Rüth 9. Vgl. die Erläuterungen zu § 296, 304. Vgl. § 401, 4 und die Erl. zu § 304. LG Köln ZfSch 1986 124; differenzierend LK/Geppert § 69, 175; s. auch LR/Matt § 309, 5. Vgl. dazu LG Braunschweig DAR 1975 132. BGH NJW 1964 2119; Hanack JZ 1967 223; Hentschel DAR 1975 266; LK/Geppert § 69, 175; vgl. auch LR/Matt § 309, 13.
201 202
203 204
Zum Streitstand Schmid Blutalkohol 33 (1996) 357; Schwarzer NZV 1995 239. OLG Düsseldorf NZV 1995 459; VRS 80 (1991) 214; OLG Brandenburg NStZ-RR 1996 170; OLG Hamm NStZ-RR 1996 267. OLG Düsseldorf NStZ 2000 240; StV 1995 345. OLG Karlsruhe NStZ 1999 115; OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 205; OLG Schleswig StV 1995 345.
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hat.205 Neue Tatsachen und Beweismittel oder eine vom Tatgericht abweichende Tatsachenbeurteilung durch das Beschwerdegericht spielen keine Rolle. Das Beschwerdegericht ist aber nicht daran gehindert, wie in Haftfällen,206 auf der Grundlage der Feststellungen und rechtlich unbedenklichen Wertungen des Tatgerichts im angefochtenen Urteil die Aussichten der Revision zur Entziehung der Fahrerlaubnis zu prüfen.207 Ist freilich das Revisionsverfahren entscheidungsreif, hat dieses den Vorrang.208 Führt ein sachlichrechtlicher Fehler oder ein Verfahrensfehler auf die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in den Feststellungen zum Schuldspruch oder ist dies – vor Entscheidungsreife – zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, steht einer umfassenden Prüfung der Beschwerde durch das Beschwerdegericht nichts im Wege.209 Maßstab für die Prüfung dringender Gründe kann das (aufgehobene oder aufzuhebende) Urteil jetzt nicht mehr sein. Zur Entscheidungsgrundlage gilt dasselbe wie für den Erstrichter (s. Rn. 49 ff.). Wegen 93 des Zeitablaufs bis zur Beschwerdeentscheidung hat das Beschwerdegericht im Ermittlungsverfahren aber höhere Anforderungen an die Beweisdichte zu stellen. Vernehmungsprotokolle und Gutachten müssen spätestens jetzt vollständig vorliegen, wenn ein so schwerwiegender Eingriff wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten oder angeordnet werden soll.
94
e) Da der Übergang der Zuständigkeit auf ein anderes Gericht den bisherigen Instanzenzug und Verfahrensgang beendet, ist eine Beschwerde gegen eine Entscheidung zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn bis zur Entscheidung darüber ein Zuständigkeitswechsel eintritt, vom nunmehr zuständigen Gericht nicht als Beschwerde, sondern als Antrag zu behandeln, im Sinne des Beschwerdebegehrens zu entscheiden. Dies gilt insbesondere in den Fällen der Erhebung der öffentlichen Klage210 (zuständig ist jetzt das erkennende Gericht) und bei Vorlage der Akten gemäß § 321 an das Berufungsgericht. In all diesen Fällen kommt es nicht darauf an, ob die Beschwerde vor oder nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (Erhebung der öffentlichen Klage, Vorlage der Akten nach § 321) erhoben wurde. Die nunmehr ergehende Entscheidung des jetzt zuständigen (erstinstanzlich entscheidenden) Richters ist, auch wenn sie irrtümlich als Beschwerdeentscheidung gemeint ist, beschwerdefähig.211 Hingegen entscheidet das Landgericht vor der Aktenvorlegung nach § 321 auch dann als Beschwerdegericht, wenn schon Berufung eingelegt ist.212
95
f) Will das Beschwerdegericht auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ablehnende Entscheidung die Fahrerlaubnis
205
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208 209 210 211
OLG Frankfurt NStZ-RR 1999 205; OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Schleswig StV 1995 345. Vgl. LR/Hilger § 122, 25. OLG Koblenz NStZ-RR 1997 206; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 254; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996 205; OLG Schleswig NZV 1995 238. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 205; OLG Düsseldorf StV 1995 345. OLG Düsseldorf StV 1995 345. Zur Haftbeschwerde OLG Hamm StV 1997 197. Das ist jetzt h.M.: OLG Naumburg NJ
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2003 45; OLG Stuttgart Justiz 2002 248; OLG Düsseldorf NZV 1992 202; OLG Düsseldorf MDR 1987 694; OLG Hamm NJW 1969 149; VRS 49 (1975) 111; OLG Karlsruhe MDR 1974 159; OLG Düsseldorf VRS 72 (1987) 370; Himmelreich/Hentschel 219; Meyer-Goßner 19; LK/Geppert § 69, 150 StGB; a.A. OLG Stuttgart NStZ 1990 141; OLG Celle GA 1956 358 = NdsRpfl. 1956 211; Eb. Schmidt Nachtrag I 19; KK/Nack 21. OLG Hamm NJW 1969 149; MeyerGoßner 19.
Pierre Hauck
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§ 111a
vorläufig entziehen, kann es nach § 308 Abs. 1 Satz 2 ebenso wie der Erstrichter nach § 33 Abs. 4 Satz 1 von der Gewährung rechtlichen Gehörs absehen, wenn die Gefahr besteht, dass während des Anhörungsverfahrens der Betroffene am Kraftfahrzeugverkehr teilnimmt, obwohl er sehr wahrscheinlich ungeeignet ist und deshalb eine Gefahr darstellt (vgl. Rn. 54). Für diesen Fall ordnet § 311a die nachträgliche Anhörung an. Diese ist von Amts wegen durchzuführen (Erl. zu § 311a), was zweckmäßigerweise durch einen Hinweis in der Beschwerdeentscheidung darauf, dass gemäß § 308 Abs. 1 Satz 2 ohne Gewährung rechtlichen Gehörs entschieden wurde, geschieht. Zum Nachverfahren selbst vgl. Rn. 58. Die im Nachverfahren ergehende Entscheidung ist nicht beschwerdefähig, wohl aber kann die Ablehnung des Antrags, ein Nachverfahren durchzuführen, mit der Beschwerde angefochten werden, vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 33a, 26. g) Die Beschwerdeentscheidung bindet grundsätzlich den Erstrichter und macht eine 96 neue Beschwerde unzulässig. Die Bindung besteht aber nur solange, als nicht neue Tatsachen oder Beweismittel die Sachlage ändern. Dazu gehört bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch der Zeitablauf, weil eine erhebliche Dauer der vorläufigen Maßnahme den Beschuldigten so beeinflussen kann, dass er nach einiger Zeit nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist und damit die Voraussetzungen der §§ 111a und 69 StGB entfallen sind. Selbstverständlich besteht auch dann keine Bindung an eine Beschwerdeentscheidung, wenn sich im Hinblick auf eine verfahrensbeendende Entscheidung eine neue Situation ergibt.213 2. Beschlagnahme des Führerscheins. Wendet sich der Betroffene gegen die Beschlag- 97 nahme des Führerscheins, so tritt an die Stelle der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme nach § 98 Abs. 2 diejenige über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 4). Ist der Führerschein nach vorübergehender Beschlagnahme wieder freigegeben, kommt 98 nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in engen Grenzen eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme in Betracht. Vgl. dazu § 98, 72.
IX. Abgeordnete 1. Grundsatz. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme 99 des Führerscheins sind trotz ihres präventiven Charakters Strafverfolgungsmaßnahmen, die unter das Verfolgungsverbot des Art. 46 Abs. 2 GG und der entsprechenden Vorschriften der Länderverfassungen fallen.214 Ohne Genehmigung des Parlaments sind diese Maßnahmen deshalb gegen Abgeordnete nicht zulässig. Vgl. im Einzelnen LR/Beulke § 152a, 6 ff.
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Beispiel: Wird das Verfahren nach § 153a StPO vorläufig eingestellt, muss auch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben werden, da die Erwartung, das Verfahren könne nach Erfüllung der Auflagen endgültig eingestellt werden, jedenfalls die dringenden Gründe im Sinne der Vorschrift entfallen lässt. Wird umgekehrt nach einer Aufhebung der vorläufigen Entziehung die
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Fahrerlaubnis nach § 69 durch ein Urteil entzogen, liegen die Voraussetzungen des § 111a wieder vor und die vorläufige Maßnahme muss erneut getroffen werden. Meyer-Goßner 20. 20; Eb. Schmidt Nachtrag 128; Bockelmann Die Unverfolgbarkeit der Abgeordneten (1951) 43; Reh NJW 1959 86; vgl. auch Maunz/Dürig Art. 46, 51 GG.
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2. Festnahme auf frischer Tat. Wird der Bundestagsabgeordnete bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages („auf frischer Tat“, Art. 46 Abs. 2 GG) festgenommen, so ist jede weitere Strafverfolgungsmaßnahme und damit auch die Beschlagnahme des Führerscheins und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Genehmigung des Parlaments bis zu dessen Aussetzungsverlangen nach Art. 46 Abs. 4 GG zulässig.215 Fraglich ist, was unter Festnahme in Art. 46 Abs. 2 GG zu verstehen ist. Die wohl überwiegende Meinung beschränkt den Begriff Festnahme nicht auf die in der StPO ausdrücklich genannte vorläufige Festnahme (§ 127) oder auf die Untersuchungshaft (§ 112), sondern versteht hierunter jede Freiheitsbeschränkung, die im Zusammenhang mit einem Untersuchungsverfahren gegen den Abgeordneten wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erfolgt, also auch eine Sistierung zum Zweck der Blutentnahme nach § 81a.216 Noch weitergehender werden zum Teil (auch von LR/Beulke § 152a, 28) unaufschiebbare Sicherungsmaßnahmen wie eine Blutprobe oder die Wegnahme des Führerscheins bei Trunkenheitsfahrt auch ohne Festnahme stets als zulässig angesehen, wenn der Abgeordnete auf frischer Tat angetroffen wird.217 Diese Auffassungen finden im Wortlaut der Verfassung keine Stütze. Sie sind abzulehnen. Art. 46 Abs. 2 GG handelt von strafprozessualen Verfolgungsmaßnahmen. Deshalb kann der Begriff Festnahme hier nicht anders ausgelegt werden als im Strafprozessrecht sonst.218 Daraus folgt: Das Erfordernis vorheriger Genehmigung der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens nach Art. 46 Abs. 2 GG entfällt nur bei einer Festnahme nach §§ 112, 127 StPO. Da zur Entnahme einer Blutprobe und der Beschlagnahme des Führerscheins eine derartige Festnahme auch dann nicht erforderlich ist, wenn die Blutprobe mit Zwang entnommen werden soll,219 bedarf es nach Art. 46 Abs. 2 GG deshalb regelmäßig zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis der Genehmigung des Bundestags. Entsprechendes gilt für die entsprechenden Vorschriften der Länderverfassungen.
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3. Allgemeine Genehmigung. Für die Praxis kommt es indes auf die in Rn. 100 ausgeführte Streitfrage meist nicht an. Der Deutsche Bundestag und die meisten Länderparlamente willigen (jeweils für die laufende Wahlperiode) im Voraus in die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete ein, es sei denn, es handle sich um Beleidigungen politischen Charakters. Diese allgemeine Genehmigung erfasst nicht die Erhebung der öffentlichen Klage und freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren. Einzelheiten bei LR/Beulke § 152a, 30; vgl. auch Nr. 192 Abs. 1 bis 3 RiStBV. Von dieser generellen Genehmigung zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ist nach Auffassung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a mit umfasst. Der Immunitätsausschuss sieht in der Maßnahme gemäß § 111a auch keine „andere Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten“ im Sinne des Artikels 46 Abs. 3 GG. Diese Auffassung des Bundestags-
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OLG Bremen NJW 1966 743; OLG Oldenburg NJW 1966 1764; Eb. Schmidt 31; v. Mangoldt/Klein Art. 46, 34, 52 GG; Maunz/Dürig Art. 46, 60 GG; Magiera Bonn. Komm. (Drittbearbeitung) Art. 46, 84 GG; Bockelmann 58. OLG Bremen NJW 1966 743; OLG Oldenburg NJW 1966 1764; Ahrens Immunität, 12; Bockelmann 56; Magiera Bonn. Komm.
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(Drittbearbeitung) Art. 46, 99 GG; LR/Rieß 24 § 152a, 23. Magiera Bonn. Komm. (Drittbearbeitung) Art. 46 GG 101 ; von Mangoldt/Klein Art. 46, 34 GG, 34 noch weitergehend Nau NJW 1958 1668. Im Ergebnis ebenso Maunz/Dürig Art. 46, 69 GG. BayObLG MDR 1984 511.
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Vor §§ 111b ff.
ausschusses hat der Bundesminister der Justiz den Justizministern und Justizsenatoren der Länder mit Schreiben vom 17. Dezember 1974 mitgeteilt und damit die Bitte des Immunitätsausschusses verbunden, diese Stellungnahme auch den Landtagspräsidenten zur Kenntnis zu geben, „damit nach Möglichkeit eine bundeseinheitliche Handhabung des Immunitätsschutzes hinsichtlich der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht werden kann“. Einer Empfehlung der Konferenz der Präsidenten der deutschen Länderparlamente folgend genehmigen nunmehr die Länderparlamente inzwischen neben der Durchführung von Ermittlungsverfahren ausdrücklich auch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a.220
X. Kosten, Auslagen, Entschädigung 102
Zu Einzelheiten s. LK/Geppert § 69, 176 bis 227 StGB.
Vorbemerkung zu §§ 111b ff. Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
II. Regelungssystem . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . 2. Finanzermittlungen . . . 3. Zuständigkeit . . . . . .
. . . .
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Rn. III. Anwendbarkeit der §§ 111b ff. in sonstigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Statistik
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. . . . . . . . . . . . . . . . .
Alphabetische Übersicht Ausgangssituation 4 Ausland 5 Beweismittel 11 Finanzermittlungen 5 Internationale Bezüge 13 Kurzer Überblick 3 Rangordnung der verschiedenen Stellen 9 Sicherungsgegenstände 6
Sicherungszweck 4 Vermögensabschöpfung von aus Straftaten erlangten Vermögenswerten 1 Vollstreckungskompetenz 8 Werterhaltung der sichergestellten Gegenstände 12 Zentrale Funktion 2 Zuständigkeit 7 Zwangsvollstreckung 10
I. Allgemeines Die §§ 111b ff. bilden den Abschluss des 8. Abschnitts des Ersten Buches der Straf- 1 prozessordnung. Sie regeln die Vermögensabschöpfung von aus Straftaten erlangten Vermögenswerten beim Täter und werden von dem überwiegenden Teil der juristischen Literatur, insbesondere aber der juristischen Praxis, als kompliziert und wenig praxis-
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Vgl. z.B. den Beschl. des Landtags von Baden-Württemberg vom 5. Juni 1984 – Justiz 1984 349.
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tauglich empfunden.1 Gleichwohl ist ihre Bedeutung enorm, denn sie bieten den Strafverfolgungsbehörden frühzeitig die Möglichkeit, vermögenssichernde Maßnahmen gegenüber dem Täter vorzunehmen. Liegen Gründe für die Annahme vor, dass es zu einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung kommen wird, können auf Grundlage der §§ 111b ff. vorläufige Sicherungsmaßnahmen in das Vermögen des Beschuldigten oder eines Dritten ausgebracht werden. Damit soll gewährleistet werden, dass die erst mit Rechtskraft des Urteils vollstreckbaren Entscheidungen über Verfall und Einziehung sowie die Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens nicht durch zwischenzeitliche Verfügungen des Betroffenen leerlaufen, indem dieser sein Vermögen beiseite schafft.2 Außerdem soll dem aus einer Straftat Verletzten die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Täters erleichtert und er bei seinen Bemühungen um Schadloshaltung unterstützt werden. Um das Normgefüge der §§ 111b ff. verstehen zu können, muss sich der Gesetzes2 anwender zunächst mit den Vorschriften über Verfall und Einziehung nach den §§ 73 ff., 74 ff. StGB auseinandersetzen, § 111b, 2 ff. Nur so kann er feststellen, ob Gründe für die Annahme vorliegen, dass es zu einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung kommen wird. Zentrale Funktion kommt dabei § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB zu, der eine Verfallsanordnung ausschließt, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Durch diese Vorschrift scheidet in den überwiegenden Fällen der Vermögensdelinquenz eine Verfallsanordnung aus, da der Verletzte regelmäßig Schadensersatzansprüche gegen den Täter aus der Tat erlangt hat und es deshalb an „Gründen“ i.S.d. § 111b fehlt, dass es zu einer Verfallsanordnung kommen wird. Um die dadurch entstehenden Lücken zu schließen, sieht § 111b Abs. 5 die Möglichkeit vor, Vermögenswerte auch dann vorläufig zu sichern, wenn eine spätere Anordnung des Verfalls an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitert. Zusammen mit der zum 1.1.2007 neu eingefügten Vorschrift des § 111i Abs. 2 bis 7, der in diesen Fällen einen Auffangrechtserwerb des Staates vorsieht, soll so die Gefahr ausgeräumt werden, dass der Staat dem Täter sehenden Auges die aus seiner Straftat erlangten Vermögenswerte belassen muss. Mit der generalpräventiven Zielsetzung, dass sich Verbrechen nicht (finanziell) lohnen darf, wäre ein anderes Ergebnis auch nicht zu vereinbaren. Die staatlichen Bemühungen um effektive Vermögensabschöpfung sind daher zu begrüßen.
II. Regelungssystem 3
Das System der §§ 111b ff. ist in sich schlüssig und trotz erheblicher Kritik aus der Praxis3 durchaus tauglich, den Gesetzeszweck zu erfüllen. Für eine weitere grundlegende Reformierung besteht deshalb kein Anlass.4 Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Struktur der Vermögensabschöpfungsregeln gegeben werden. Dieser hat nicht den Zweck, die Vorschriften mit ihren jeweiligen Problemkreisen darzustellen, sondern einen ersten Einstieg in das System der §§ 111b ff. zu erleichtern.
1
Siehe aus der neueren Literatur dazu etwa die Kritik von Bohne/Boxleitner NStZ 2007 552 ff.; Mosbacher/Claus wistra 2008 1, 2 ff.; zu früherer Kritik bereits die Stellungnahme des Bundesrates in BTDrucks. 7 550 S. 476, der „zu einer so komplizierten Änderung“ im
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2 3 4
Rahmen eines Einführungsgesetzes keine Veranlassung sah. HK/Gercke 1; SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 2. Vgl. die Nachweise bei SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 58 ff. SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 59.
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1. Ausgangssituation. Der mit den §§ 111b ff. konfrontierte Gesetzesanwender muss 4 sich zunächst fragen, welche Art der Sicherstellung nach §§ 111b ff. vorliegt.5 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1, 111c und dem dinglichen Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d. Ob Vermögenswerte beschlagnahmt oder durch dinglichen Arrest gesichert werden, hängt einzig und alleine vom Sicherungszweck ab. Das „Warum“ der Maßnahme entscheidet folglich auch über das „Wie“. Zur Sicherung von späteren – Verfallsanordnungen – Einziehungsanordnungen
→ Beschlagnahme
Zur Sicherung von späteren – Anordnungen des Verfalls des Wertersatzes – Anordnungen der Einziehung des Wertersatzes – Geldstrafen – Kosten des Strafverfahrens → Dinglicher Arrest
2. Finanzermittlungen. Unter dem Stichwort „Finanzermittlungen“ werden alle Erhe- 5 bungen verstanden, welche der Aufklärung, Herkunft, Umwandlung und Verbleib verdächtigen Kapitals dienen.6 In diesem Bereich arbeiten Staatsanwaltschaft, Polizei und Finanzbehörden zunehmend enger zusammen, um die Geldwäschebekämpfung, Gewinnabschöpfung und den sonstigen staatlichen Zugriff auf das Vermögen von Verdächtigen effektiver zu gestalten. Beispielhaft sei auf die Arbeitsgruppe des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen hingewiesen, die seit Frühjahr 2012 über Möglichkeiten und Wege zur weiteren Verbesserung vermögensabschöpfender Maßnahmen berät.7 Vor Schwierigkeiten stehen die Strafverfolgungsbehörden, wenn sich die Vermögenswerte bereits im Ausland befinden oder anderweitig beiseite geschafft wurden. Stellt sich im Laufe des Ermittlungsverfahrens heraus, dass der ursprünglich dem Verfall unterliegende Beutegegenstand mittlerweile unauffindbar ist, steht es den Strafverfolgungsbehörden frei, von einer Beschlagnahme abzusehen und statt dessen zur Sicherung der Anordnung des Verfalls von Wertersatz einen dinglichen Arrest anzustrengen. Gleichgültig ist in diesem Zusammenhang, ob die Sicherungsmaßnahmen (auch) den 6 Interessen des Verletzten dienen und ob § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Verfallsanordnung überhaupt zulässt. Denn die Strafverfolgungsbehörden müssen sich in diesem Stadium des Verfahrens noch nicht festlegen, ob die Maßnahmen der Sicherung einer Verfallsanordnung oder der sog. Rückgewinnungshilfe dienen sollen. Als Sicherungsgegenstände kommen in Betracht: Beschlagnahmegegenstände: – bewegliche Sachen – Grundstück oder grundstückgleiches Recht – Forderungen und andere Vermögensrechte – Schiffe, Schiffsbauwerke, Luftfahrzeuge
5 6
In diesem Sinne auch AK/Lohse Vor § 111b, 13. Schlachetzki wistra 2011 41, 44; Mainzer DRiZ 2002 97, 101.
Arrestgegenstände: – bewegliches Vermögen – bewegliche Sachen – Forderungen und andere Vermögensrechte – Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte – Schiffe, Schiffsbauwerke, Luftfahrzeuge
7
Siehe hierzu die Mitteilung des nordrheinwestfälischen Justizministeriums unter http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/ schwerpunkte/vermoegensabsch/index.php
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3. Zuständigkeit. Gibt es Hinweise auf Beschlagnahme- oder Arrestgegenstände8 bestimmt § 111e, wer die Beschlagnahme oder den dinglichen Arrest anordnen darf. Grundsätzlich können dies – das Gericht – die Staatsanwaltschaft oder – die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein. Die Anordnungskompetenz beinhaltet nicht zugleich auch die Vollstreckungskompe8 tenz. Wer für die Vollstreckung einer entsprechenden Anordnung zuständig ist, regelt vielmehr § 111f.
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Vollzug der Beschlagnahme, § 111f Abs. 1 und 2: – Allgemeinkompetenz der Staatsanwaltschaft – Vollzug auch möglich durch – das Gericht – Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (bei beweglichen Sachen)
Vollzug des dinglichen Arrestes, § 111f Abs. 3: – Staatsanwaltschaft – Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft – Gerichtsvollzieher – Gerichtskasse
Die Staatsanwaltschaft kann die Vollstreckung des dinglichen Arrestes selbst durchführen. Ihr steht aber auch frei, ihre Ermittlungspersonen mit der Durchführung zu beauftragen.9 Eine Rangordnung der verschiedenen Stellen besteht nicht, die Staatsanwaltschaft kann nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden.10 Damit ist der zu beschreitende Weg skizziert, wenn Vermögenswerte zur Vermögens10 abschöpfung gesichert werden sollen. Die §§ 111g und 111h regeln daran anknüpfend, wie der Verletzte auf die gesicherten Vermögenswerte zugreifen und prioritär gegenüber sonstigen Gläubigern die Zwangsvollstreckung schon während des laufenden Strafverfahrens betreiben kann. § 111i schließt die durch § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entstandene Lücke für die Fälle, in denen Ansprüche Verletzter der Verfallsanordnung entgegenstehen, die Verletzten aber unbekannt sind oder ihre Ansprüche nicht verfolgen wollen, etwa weil es sich bei Maßenbetrugsverfahren um jeweils nur minimale Vermögensschäden handelt. In diesen Fällen erwirbt der Staat die Vermögenswerte. § 111k regelt die Herausgabe sichergestellter Sachen an den Verletzten. Sie gilt allge11 mein auch für nach §§ 94 ff. sichergestellte Beweismittel. § 111l nennt die Voraussetzungen einer Notveräußerung von sichergestellten Vermögenswerten, §§ 111m und 111n sind Sondervorschriften zur Beschlagnahme von Pressewerken. §§ 111o und 111p sind Regelungen zur Vermögensstrafe, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat,11 so dass auch §§ 111o und 111p keinen Anwendungsbereich haben.
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Der Begriff „Arrestgegenstand“ ist untechnisch zu verstehen und dient hier nur der vereinfachten Darstellung. KMR/Mayer § 111f, 8; HK/Gercke § 111f, 6; Meyer-Goßner § 111f, 8.
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SK/Rogall § 111f, 11. BVerfG NJW 2002 1779.
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Vor §§ 111b ff.
III. Anwendbarkeit der §§ 111b ff. in sonstigen Verfahren Die Maßnahmen nach §§ 111b ff. sind in allen Verfahrensarten zulässig, auch im Pri- 12 vatklageverfahren nach § 374 ff.,12 im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. und im selbständigen Einziehungsverfahren13 nach §§ 440, 442. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren finden die Vorschriften entsprechende Anwendung, § 46 OWiG.14 Die §§ 324 ff. AO können auch bei einem parallelen Vorgehen nach §§ 111b ff. angewendet werden, ebenso wie die §§ 111b ff. bei einem Vorgehen nach §§ 324 ff. AO anwendbar bleiben.15 Bei den Maßnahmen nach §§ 111b ff. handelt es sich um vorläufige Maßnahmen, so dass zum Zeitpunkt der Anordnung noch nicht feststeht, ob es am Ende des Verfahrens zu einer Einziehung, zum Verfall, zum Opferzugriff oder gar zur Aufhebung und Freigabe zugunsten des Beschuldigten kommen wird. Deshalb sind die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, für die Werterhaltung der sichergestellten Gegenstände zu sorgen und beispielsweise beschlagnahmte Gelder zur Bedienung von Darlehenszinsen und für die Betriebskosten eines arrestierten Grundstücks freizugeben.16 Auch gegen Dritte können die Maßnahmen ausgebracht werden, wenn der Täter oder Teilnehmer für diesen gehandelt und er dadurch etwas erlangt hat (§ 73 Abs. 3 StGB) oder wenn einzuziehende Gegenstände ihm gehören (§ 74a Nr. 2 StGB). Soll eine Gewinnabschöpfung nicht repressiv, sondern präventiv erfolgen, sehen die verschiedenen Landesgesetze hierfür unterschiedliche Voraussetzungen vor.17
IV. Statistik Nach dem Lagebild Organisierte Kriminalität 2011 des Bundeskriminalamtes18 wur- 13 den im Jahr 2011 bei 32,3 % aller gemeldeten Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität19 Maßnahmen zur Sicherung der Vermögensabschöpfung durchgeführt. Die Zahl stieg damit leicht um 3,6 % im Vergleich zum Vorjahr an. Dabei wurden Vermögenswerte in Höhe von rund 85 Millionen Euro vorläufig gesichert. Addiert man die bereits in den Vorjahren durchgeführten Sicherungsmaßnahem hinzu, so ergibt sich eine Gesamtsicherungssumme von rund 263 Millionen Euro. Bei über 20 % der Verfahren, in denen kein Vermögen abgeschöpft werden konnte, handelte es sich um Betäubungsmitteldelikte. 90 % der abgeschöpften Werte wurde im Inland, 10 % im Aus-
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HK/Gercke § 111b, 1; Meyer-Goßner § 111b, 1. OLG Stuttgart wistra 2007 276, 278; KK/Nack § 111b, 8; Meyer-Goßner § 111b, 1. Dittmann/Reichart JA 2011 540, 541; KK/Nack § 111b, 2; ausführlich SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 35 ff. OLG Zweibrücken StraFo 2009 462; LG Halle wistra 2009 39; Meyer-Goßner § 111b, 1 m.w.N.; a.A. Bach JR 2010 286, 290; allgemein zum Verhältnis von StPO und AO in diesen Fällen aus Sicht der Steuerverwaltung Madauß NZWiSt 2013 128 ff. OLG München StV 2003 151. Vgl. dazu Hunsicker StV 2010 212; Thiée
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StV 2009 102; mit Recht einschränkend Artkämper Die Kriminalpolizei 2013 24; HK/Gercke Vor § 111b, 10; ausführlich SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 38 ff. http://www.bka.de/nn_206018/DE/ ThemenABisZ/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/ok_node.html?_ nnn=true Vgl. zum Begriff „Organisierte Kriminalität“ die Definition der bundesweiten gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei vom Mai 1990 unter: http://www.bka.de/nn_ 231504/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/ok_node.html?_ nnn=true
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land gesichert und das obwohl in über 80 % der Verfahren internationale Bezüge festgestellt werden konnten.20 Diese Zahl deutet auf die praktischen Schwierigkeiten der Vermögensabschöpfung im Ausland hin. Nach dem Bundeslagebild 2009 Wirtschaftskriminalität des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 2009 insgesamt 101.340 Fälle der Wirtschaftskriminalität21 registriert, was einen Anstieg um 19,9 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Der Anteil der Wirtschaftsdelinquenz an dem Hellfeld der Straftaten betrug 1,6 % und verzeichnete im Vergleich zum Vorjahr damit ebenfalls einen leichten Anstieg um 0,2 %. Die Gesamtschadenssumme liegt bei rund 3,43 Milliarden Euro und damit trotz Anstiegs der Gesamtfallzahlen auf dem Niveau von 2008. Insgesamt verursacht die Wirtschaftskriminalität nahezu die Hälfte des Gesamtschadens durch kriminelles Verhalten in Höhe von rund 7,2 Milliarden Euro.22 Die Aufklärungsquote von 91,7 % lag deutlich höher als bei der Gesamtkriminalität (55,6 %). Eine noch im Lagebild Organisierte Kriminalität 2000 Bundesrepublik Deutschland des BKA vorhandene Aufschlüsselung, welche Sicherungsmaßnahmen auf welche Ermächtigungsgrundlagen gestützt wurden,23 findet sich nun nicht mehr.
§ 111b (1) 1Gegenstände können durch Beschlagnahme nach § 111c sichergestellt werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen. 2§ 94 Abs. 3 bleibt unberührt. (2) Sind Gründe für die Annahme vorhanden, daß die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen, kann zu deren Sicherung nach § 111d der dingliche Arrest angeordnet werden. (3) 1Liegen dringende Gründe nicht vor, so hebt das Gericht die Anordnung der in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 genannten Maßnahmen spätestens nach sechs Monaten auf. 2Begründen bestimmte Tatsachen den Tatverdacht und reicht die in Satz 1 bezeichnete Frist wegen der besonderen Schwierigkeit oder des besonderen Umfangs der Ermittlungen oder wegen eines anderen wichtigen Grundes nicht aus, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Maßnahmen verlängern, wenn die genannten Gründe ihre Fortdauer rechtfertigen. 3Ohne Vorliegen dringender Gründe darf die Maßnahme über zwölf Monate hinaus nicht aufrechterhalten werden. (4) Die §§ 102 bis 110 gelten entsprechend. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, soweit der Verfall nur deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches vorliegen.
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Siehe zur Vermögensabschöpfung im Ausland HK/Gercke Vor § 111b, 9; umfassend SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 30 ff. Mangels Legaldefinition bedient sich die Polizei bei der Zuordnung von Straftaten unter den Begriff der Wirtschaftskriminalität des Katalogs des § 74c Abs. 1 Nr. 1 bis 6b GVG. Zur Problematik der statistischen Erfassung von Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen
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und der immateriellen Schäden bspw. durch Wettbewerbsverzerrungen im Besonderen: Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, abrufbar über: http://www.bka.de/DE/ThemenABisZ/ Deliktsbereiche/Wirtschaftskriminalitaet/ wirtschaftskriminalitaet_node.html?_ nnn=true Siehe hierzu LR/Schäfer 25 § 111b, 2a.
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Schrifttum zu den §§ 111b bis 111l Achenbach Verfahrenssichernde und vollstreckungssichernde Beschlagnahme im Strafprozeß, NJW 1976 1068; ders. Polizeiliche Inverwahrnahme, NJW 1982 2809; ders. Vermögensrechtlicher Opferschutz im strafprozessualen Vorverfahren FS Blau 7; ders. Alte und neue Fragen zur Pressebeschlagnahme, NStZ 2000 123; ders. Obligatorische Zurückgewinnungshilfe? NStZ 2001 401; Bach Die Zulassung des durch die Straftat Verletzten bei Sicherung mittels strafprozessualen dinglichen Arrestes, JR 2004 230; ders. Beschränkung des Einsatzbereichs der Zurückgewinnungshilfe, JR 2008 230; ders. Ist eine Kahlarrestierung des Beschuldigten möglich, StraFo 2005 485; Bittmann Bedeutung des § 111g für die Rückgewinnungshilfe – Wirkung, Voraussetzung, Rang, wistra 2013 218; Borggräfe/Schütt Grundrechte und dinglicher Arrest – zugleich Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 19.1.2006 – StraFo 2006 133; v. Canstein Die öffentlich-rechtliche und die privatrechtliche Tragweite der prozessualen Beschlagnahme, Diss. Köln 1934; Dittke Zulassung gem. § 111g StPO mit Rückwirkung, wistra 1991 109; Dittmann/Reichart Die Sicherung von Arrest und Einziehung durch die §§ 111b ff. StPO im Ermittlungsverfahren, JA 2011 540; Eberbach Einziehung und Verfall beim illegalen Betäubungsmittelhandel, NStZ 1985 294; Friedrichs Einziehung und Beschlagnahme in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen, JW 1924 260; Greier Zum Spannungsverhältnis zwischen Insolvenzrecht und strafprozessualer Vermögensabschöpfung, ZInsO 2007 953; Groß Das Recht der Pressebeschlagnahme, AfP 1976 14; ders. Beschlagnahme von Druckwerken, NJW 1976 170; ders. Sicherstellung von Druckwerken, NStZ 1999 334; Hansen/ Wolff-Rojczyk Effiziente Schadenswiedergutmachung für geschädigte Unternehmen der Markenund Produktpiraterie, GRUR 2007 468; Hees Zurückgewinnungshilfe zu Gunsten der Opfer von Marken- und Produktpraterie, GRUR 2002 1037; Herzog/Hoch/Warius Die Sicherheitsleistung als Vehikel der Rückgewinnungshilfe – Rückgewinnungshilfe contra konkrete und wirkliche Strafverteidigung – StV 2007 542; Hetzer Magna Charta der Mafia? ZRP 1999 471; Hoffmann Reicht unser Beschlagnahmerecht noch aus? Probleme bei der Abschöpfung von Vermögenswerten, die aus illegalem Rauschgifthandel erlangt worden sind, MDR 1984 617; Huber Die Vermögensabschöpfung – Beschlagnahme, dinglicher Arrest und vorrangiges Befriedigungsrecht nach §§ 111g, 111h StPO – Rpfleger 2002 285; Julius Die Zuständigkeit im Verfahren nach § 111k StPO, DRiZ 1984 192; Käbisch Zum Vorgehen der Steuerfahndung gem. §§ 73 ff. StGB, § 111b StPO, wistra 1984 10; Kalf Die Beschlagnahme von Druckschriften strafbaren Inhalts, Die Polizei 1983 392; Kiethe/Groeschke/ Hohmann Die Vermögenszurückgewinnung beim Anlagebetrug im Spannungsverhältnis zur Insolvenzordnung, ZIP 2003 185; Kiethe/Groeschke/Hohmann Die Rechte des Geschädigten und deren effiziente Durchsetzung im Rahmen des Vermögenszurückgewinnung am Beispiel des Anlagebetrugs, wistra 2003 92; Lampe Ermittlungszuständigkeit von Richter und Staatsanwalt nach dem 1. StVRG, NJW 1975 197; Lohse Ermessen, Gesamtschuld und Härteklausel beim staatlichen Auffangrechtserwerb, JR 2011 242; ders. Sicherung der Gewinnabschöpfung und Vollstreckung durch den Verletzten AnwBl. 2006 603; Mainzer Gewinnabschöpfung im Strafverfahren, DRiZ 2002 97; Madauß Vermögensabschöpfung im Steuerstrafverfahren Verhältnis von StPO-Arrest und AO-Arrest, NZWiSt 2013 128; Malitz Die Berücksichtigung privater Interessen bei vorläufigen strafprozessualen Maßnahmen gemäß §§ 111b ff. StPO, NStZ 2002 337, dies. Beendigung von Zwangsmaßnahmen und Freigabe von Vermögenswerten, NStZ 2003 61; Meyer/Hetzer Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität, NJW 1998 1017; Moldenhauer/Momsen Beschlagnahme in die Insolvenzmasse? wistra 2001 456; Mosbacher/Claus Auffangrechtserwerb in Altfällen? wistra 2008 1; Mothes Die Beschlagnahme nach Wesen, Art und Durchführung (1903); Park Finanzermittlungen und vorläufiger Zugriff auf das Vermögen, StraFo 2002 73; Rieß Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren Gutachten zum 55. DJT (1984), Verh. des 55. DJT, Bd. I Teil C; Rieß/Hilger Das neue Strafverfahrensrecht, NStZ 1987 145; Rönnau Zeitliche Grenzen der Aufrechterhaltung von Maßnahmen zur Sicherung von Ansprüchen Tatgeschädigter, StV 2003 581; ders. Vermögensabschöpfung in der Praxis (2003); Rönnau/Hohn Wertverlust sichergestellter Gegenstände – Ein delikates Problem der Vermögensabschöpfung – wistra 2002 445; Schlachetzki Das Ermessen bei der Zurückgewinnungshilfe, wistra 2011 41; Schmidt/Winter Vermögensabschöpfung in Wirtschaftsstrafverfahren – Rechtsfragen und Praktische Erfahrungen – NStZ 2002 8; Schubert Strafrechtliche Rückgewinnungshilfe für Geschädigte und keiner will sie haben? ZRP 2008 55; Seetzen Vorführung und Beschlagnahme pornographischer und gewaltverherrlichender Spielfilme, NJW 1976 497; Spieker
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Verfall, Einziehung und dinglicher Arrest im Ermittlungsverfahren – Möglichkeiten der Strafverteidigung, StraFo 2002 43; Theile Art. 14 GG und der strafprozessuale dingliche Arrest, StV 2003 161; Webel Rückgewinnungshilfe in Steuerstrafsachen – unzulässig oder unverzichtbar und zwingend, wistra 2004 249; Wehnert/Mosiek Untiefen der Vermögensabschöpfung in Wirtschaftsstrafsachen aus Sicht des Strafverteidigers, StV 2005 568; weiteres Schrifttum s. bei § 111k.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB 1974 eingefügt und lautete: (1) Gegenstände und andere Vermögensvorteile können sichergestellt werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen. (2) 1Besteht der Vermögensvorteil in einem bestimmten Gegenstand oder unterliegt ein Gegenstand der Einziehung, so wird die Sicherstellung durch Beschlagnahme bewirkt (§ 111c). 2§ 94 Abs. 3 bleibt unberührt. 3Die §§ 102 bis 110 gelten entsprechend. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Vermögensvorteile, die nur deshalb nicht dem Verfall unterliegen, weil sie durch die Erfüllung eines Anspruchs beseitigt oder gemindert würden, der dem Verletzten aus der Tat erwachsen ist (§ 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches).
Durch das Gesetz zur Änderung des AWG, des StGB und anderer Gesetze vom 28.2.1992 (BGBl. I S. 372 ff.) wurde sie wie folgt neu gefasst: (1) Gegenstände können durch Beschlagnahme nach § 111c sichergestellt werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen. § 94 Abs. 3 bleibt unberührt. (2) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen, kann zu deren Sicherung nach § 111d der dingliche Arrest angeordnet werden. (3) Die §§ 102 bis 110 gelten entsprechend. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, soweit der Verfall nur deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches vorliegen.
Das Vorschriftengefüge der §§ 111b ff. wurde durch diese Änderung übersichtlicher, weil nunmehr die beiden Arten der Sicherstellung (Beschlagnahme und dinglicher Arrest) in einer Vorschrift gegenübergestellt sind. Mit der Gesetzesänderung war auch die Abwendung vom Netto- hin zum Bruttoprinzip verbunden (Rn. 3). Weitere Änderungen brachte das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 845). In den Absätzen 1 und 2 wurde jeweils das Wort „dringende“ gestrichen und damit die Verdachtsschwelle zur Ausbringung einer Sicherungsmaßnahme auf den Verdachtsgrad des einfachen Tatverdachts abgesenkt. Absatz 3 wurde neu eingefügt und die bisherigen Absätze 3 und 4 wurden die Absätze 4 und 5. In der 13. Legislaturperiode wurde von CDU/CSU, SPD und FDP ein gemeinsamer Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten eingebracht, der die materiellen (§§ 73 ff. StGB) und prozessualen (§§ 111b ff.) Voraussetzungen der Vermögensabschöpfung umfassend ändern sollte (BTDrucks. 13 9742). Dieser Entwurf verfiel aber der Diskontinuität. In der 14. Wahlperiode wurde er nicht wieder aufgegriffen, stattdessen bemühten sich die Länder um eine effektivere Anwendung des geltenden Rechts.1 In der 16. Legislaturperiode wurde mit dem Entwurf
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Schmid/Winter NStZ 2002 8; Park StraFo 2002 73.
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eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (BTDrucks. 16 700) der Versuch unternommen, die Defizite der bisherigen Regelungen durch punktuelle Änderungen oder Ergänzungen des geltenden Rechts auszugleichen. Nach der Vorstellung der damaligen Bundesregierung hatte sich das geltende Recht in der Praxis grundsätzlich bewährt und ließ weitgehend eine effektive Abschöpfung der aus einer Straftat erlangten wirtschaftlichen Vorteile zu.2 Das Gesetz trat zum 1.1.2007 in Kraft. Durch die damit einhergehenden Änderungen in Absatz 3 kann das Gericht die Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 auf Antrag der Staatsanwaltschaft nunmehr verlängern, wenn neben den bisherigen Voraussetzungen bestimmte Tatsachen den Tatverdacht begründen. Eine zeitliche Begrenzung der Verlängerungsmöglichkeit sieht Absatz 3 Satz 2 nicht mehr vor, die ursprüngliche 3-Monatsgrenze ist entfallen. Nach Absatz 3 Satz 3 darf die Maßnahme jedoch ohne das Vorliegen dringender Gründe nicht über 12 Monate hinaus aufrechterhalten werden. Der Versuch, die Defizite der ursprünglichen Regelungen zu beheben, ist gelungen. Die §§ 111b ff. geben ein alles in allem wirksames Instrument der Vermögensabschöpfung an die Hand. Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Materiell-rechtliche Ausgangslage 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Verfall, § 73 StGB . . . . . . . . . . 3. Verfall des Wertersatzes, § 73a StGB 4. Verfall bei Mittätern und sonstigen Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . 5. Schätzung, § 73b StGB . . . . . . . 6. Härteklausel, § 73c StGB . . . . . . 7. Erweiterter Verfall, § 73d StGB . . . 8. Rückgewinnungshilfe . . . . . . . . 9. Rechtsfolgen der Verfallserklärung, § 73e StGB . . . . . . . . . . . . . 10. Einziehung, § 74 StGB . . . . . . . . 11. Erweiterte Einziehung, § 74a StGB . 12. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 74b StGB . . . . . . . . . . . . . 13. Einziehung des Wertersatzes, § 74c StGB . . . . . . . . . . . . . 14. Einziehung von Schriften, § 74d StGB 15. Rechtsfolgen der Einziehung, § 74e StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Vermögensstrafe, § 43a StGB . . . . III. Voraussetzungen des § 111b 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Voraussetzungen des Abs. 1 a) Gegenstände . . . . . . b) Beschlagnahme . . . . .
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Rn.
1
c) Vorliegen von Gründen . . . . . . d) Ermessen . . . . . . . . . . . . . e) Bewirkung . . . . . . . . . . . . f) Anordnung . . . . . . . . . . . . g) Durchführung . . . . . . . . . . 3. Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Führerscheine . . . . . . . . . . . . 5. Voraussetzungen des Abs. 2 . . . . . a) Gründe . . . . . . . . . . . . . . b) Annahme von Wertersatzverfall und -einziehung . . . . . . . . . c) Ermessen . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt der Sicherung . . . . . . . 7. Ende der Maßnahme . . . . . . . .
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BTDrucks. 16 700 S. 1; zu den unterschiedlichen Auffassungen der Praxis hierzu vgl. die Stellungnahmen des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 32/2004 und 23/2005, abrufbar über www.anwaltverein.de/interessenvertretung/ stellungnahmen sowie die Stellungnahme des
IV. Grenzen von Beschlagnahme und dinglichem Arrest, Abs. 3 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . 3. Voraussetzungen des Abs. 3 . . . . 4. Fristverlängerung, Abs. 3 Satz 2 . . a) Bestimmte Tatsachen begründen den Tatverdacht . . . . . . . . b) Wichtiger Grund . . . . . . . . c) Ermessen . . . . . . . . . . . . 5. Zwölfmonatsgrenze, Abs. 3 Satz 3 6. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 7. Verfahren . . . . . . . . . . . . . 8. Form . . . . . . . . . . . . . . .
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36 37 38 40
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41 42 43 44 45 46 47
Deutschen Richterbundes vom Juli 2004, abrufbar über: http://www.gesmat. bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/ 15_wp/staerk_rueckgew/stellung_drb_juli_ 2004.pdf
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.
V. Anwendung der §§ 102 bis 110, Abs. 4 . VI. Schutz des Verletzten, „Rückgewinnungshilfe“, Abs. 5 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Verletzten . . . . . . . b) Streitstand zum Begriff „aus der Straftat entstanden“ . . . . . . . 3. Anspruch des Verletzten auf Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe . .
Rn.
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4. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 5. Zugriff des Verletzten auf sichergestellte Vermögenswerte . . . . . . .
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VII. Sicherstellung nach §§ 111b ff. und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII. Verhältnis zur Beweismittelbeschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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50 51 52 53
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IX. Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . .
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X. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Abgeordnete 59 Allgemeines 1 Annahme von Wertersatzverfall und -einziehung 32 Anordnung der Beschlagnahme 26 Anrechnung 44 Anspruch des Verletzten auf Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe 53 Aus der Tat erlangt 50 Ausgangsvorschrift 1 Begriff des Verletzten 51 Beschlagnahme 21 Beschlagnahme einer Gattung 19 Beschluss 47 Bestimmte Tatsachen begründen den Tatverdacht 41 Beweisanzeichen 41 Bewirkung 25 Beziehungsgegenstände 11 Blankettvorschrift 12 Dinglicher Arrest 31 Dringende Gründe 38, 39 Durchschnittliche Verfahren 42 Durchsuchung 48 Einfacher Tatverdacht 23 Einziehung 11 Einziehung des Wertersatzes 14 Einziehung von Schriften 15 Ende der Maßnahme 35 Ermessen 24, 33, 43 Ermessensfehlerfreie Entscheidung 54 Erweiterte Einziehung 12 Erweiterter Verfall 8 Form 47 Fortdauerentscheidung 46, 55 Fristverlängerung 40 Fristverlängerungsentscheidung 45 Führerscheine 29 Gegenstände 20 Gesamtschuldner 5 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 13 Härteklausel 7 Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände 28 Hohe Wahrscheinlichkeit 39 Insolvenz 57 Interesse des Verletzten 60 Kosten 60 Kosten des Strafverfahrens 18, 60
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Maßnahme eigener Art 3 Mittäter oder Teilnehmer 32 Obligatorisch 36 Presseinhaltsdelikte 15 Rechtsfolgen der Einziehung 16 Rechtsfolgen der Verfallserklärung 10 Rechtskraft 34 Rechtskraft des Urteils 35 Rückgabe der Sache 28 Rückgewinnungshilfe 9, 30, 49, 57 Schätzung 6, 14 Schuldfähigkeit 22 Sicherstellungsinteresse 37 Sicherungsbedürfnis 24, 40 Sicherungsmaßnahme hat zu erfolgen 53 Steuerdelikte 52 Streitstand zum Begriff „aus der Straftat entstanden“ 52 Strengbeweis 6 Surrogat 4 Tat im prozessualen Sinne 51 Tatrichterliche Überzeugung 8 Überblick 2 Unbillige Härte 7 Veräußerungsverbot 21 Verfahren 46 Verfall 3 Verfall bei Mittätern und sonstigen Beteiligten 5 Verfall des Wertersatzes 4 Verfassungswidrig 17 Verfügungsverbote 29 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 7, 13, 37 Verlängerungsanordnung 43 Verletzter 9 Vermischung 20 Vermögensstrafe 17 Vollstreckbarer Titel 56 Vorliegen von Gründen 22 Wichtiger Grund 42 Zahlungsanspruch 10 Zahlungsanspruch der Staatskasse 16 Zeitpunkt der Sicherung 34 Zugriff des Verletzten auf sichergestellte Vermögenswerte 56 Zugunsten des Verletzten 49 Zuständigkeit 45 Zwölfmonatsgrenze 44
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I. Allgemeines § 111b ist die Ausgangsvorschrift der Vermögensabschöpfungsregeln. Sie stellt die 1 grundlegenden Voraussetzungen auf, unter denen eine vorläufige Sicherung von Gegenständen möglich ist. Absatz 1 gilt ausschließlich für die Beschlagnahme von Gegenständen nach § 111c, Absatz 2 ausschließlich für den dinglichen Arrest nach § 111d. Die Einzelheiten der Bewirkung der Beschlagnahme und des dinglichen Arrests sind dann in den §§ 111c und 111d näher geregelt. Absatz 3 setzt den Maßnahmen der Absätze 1 und 2 zeitliche Grenzen und verschärft mit zunehmendem Zeitablauf die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest. Absatz 4 verweist in weitem Umfang auf die Vorschriften der Durchsuchung und bietet damit die Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zum Zwecke der Vermögenssicherung zu veranlassen. Absatz 5 ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden, vorläufige Sicherungsmaßnahmen auch für den Fall auszubringen, dass eine Verfallsanordnung an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitert (Vor § 111b, 2). Damit werden die Erstattungsansprüche des Verletzten und im Fall des § 111i der Auffangrechtserwerb des Staates vorläufig gesichert.
II. Materiell-rechtliche Ausgangslage 1. Allgemeines. Um die Vorschriften der §§ 111b ff. verstehen zu können, muss sich 2 der Rechtsanwender zunächst einen Überblick über die materiell-rechtlichen Ausgangsvoraussetzungen der §§ 73 ff., 74 ff. StGB verschafft haben.3 Das Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen dem Verfall nach §§ 73 ff. StGB und der Einziehung nach §§ 74 ff. StGB. Hat der Täter oder Teilnehmer einer Straftat für sie oder aus ihr etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Verfall an, § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB. Gegenstände, die durch die Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, können hingegen eingezogen werden, § 74 Abs. 1 Satz 1 StGB. Im Einzelnen gilt: 2. Verfall, § 73 StGB. Die heutigen Regelungen des Verfalls sind auf das 2. StRG 3 zurückzuführen. Dieses bewirkte eine Umgestaltung des Geldstrafensystems, das die Abschöpfung des aus einer Tat gezogenen Vorteils durch die Geldstrafe nicht mehr vorsah. Als Reaktion darauf wurde das Rechtsinstitut des Verfalls, einschließlich des erweiterten Verfalls (§§ 73 bis 73d StGB), als Maßnahme eigener Art geschaffen. So soll das kriminalpolitische Ziel, dem Täter das durch eine rechtswidrige Tat Erlangte abnehmen zu können, auch dann erreicht werden, wenn zivilrechtliche Ersatzansprüche fehlen.4 Die Anordnung des Verfalls setzt deshalb nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB zunächst voraus, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden ist; schuldhaft braucht der Täter nicht gehandelt zu haben.5 Ferner muss der Täter oder Teilnehmer etwas für die Tat6 oder aus der Tat – etwa Diebesbeute – erlangt haben. Der Verfall erfasst dabei die Gesamtheit des aus der Tat Erlangten ohne Abzug von Aufwendungen und Gegenleistungen, was als „Bruttoprinzip“ bezeichnet wird.7 Soweit das Erlangte in bestimmten Gegenständen
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SK/Rogall Vor §§ 111b ff., 15. BGHSt 28 269; BGH StV 1981 627. Fischer § 73, 2a. Zur Einziehung bei geheimdienstlicher Agententätigkeit BGH NStZ 2008 419.
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BGH NStZ 2009 275, 277; BGHSt 47 369; Einzelheiten bei Schönke/Schröder/Eser § 73, 17 f.
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(Sachen oder Rechten) besteht, wird der Verfall der Gegenstände und der daraus gezogenen Nutzungen angeordnet, § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB. Ferner kann nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB der Verfall der Surrogate8 angeordnet werden, die der Täter oder Teilnehmer durch die Veräußerung eines erlangten Gegenstandes oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechts erworben hat. In Betracht kommen insbesondere Gegenstände, die der Täter mit gestohlenem Geld angeschafft hat. Auf das Eigentum an dem Gegenstand kommt es nicht an, wenn derjenige, dem er gehört oder zusteht, den Vermögensvorteil für die Tat oder sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt hat, § 73 Abs. 4 StGB. Der Verfall kann auch gegen einen Dritten angeordnet werden, wenn der Täter oder Teilnehmer für den Dritten gehandelt und dieser hierdurch einen Vermögensvorteil erlangt hat, § 73 Abs. 3 StGB. Dies gilt selbst gegenüber einem gutgläubigen Dritten.9 Mit der Rechtskraft der Entscheidung geht das Eigentum an der verfallenen Sache oder das verfallene Recht auf den Staat über, § 73e StGB.
4
3. Verfall des Wertersatzes, § 73a StGB. Die Anordnung des Verfalls scheidet aus, wenn das „Erlangte“ nicht (mehr) im Vermögen des Täters vorhanden ist, auch nicht als Surrogat.10 In diesen und in den Fällen, in denen von dem Verfall eines Surrogats nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen wird, wird der Verfall eines Geldbetrags angeordnet, der dem Wert des Erlangten entspricht (Verfall des Wertersatzes, § 73a StGB). Dies hat zur Folge, dass rein tatsächlich ein der Geldstrafe vergleichbarer, staatlicher Zahlungsanspruch entsteht.11 Das Vorgesagte gilt auch, wenn das für verfallen erklärte Erlangte seit seiner Erlangung im Wert abgesunken ist. In diesem Fall ist neben seinem Verfall zusätzlich der Verfall eines Geldbetrages anzuordnen, welcher der Wertminderung entspricht, § 73a Satz 2 StGB.12 Dass sich der rechnerisch ermittelte Vorteil noch im Vermögen des Betroffenen befindet, dass dieser bei einer Verfallanordnung des Wertersatzes also noch bereichert ist, setzt das Gesetz nicht voraus. Dieses Ergebnis ergibt sich im Umkehrschluss aus § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, wonach das nicht mehr Vorhandensein des Vermögenswertes nur ein Fall der Härtevorschrift des § 73c StGB ist, den Verfall also offensichtlich nicht ausschließt.13 Es ist auch gleichgültig, aus welchen Gründen der Gegenstand oder das Recht nicht für verfallen erklärt werden können. Als Ausschlussgründe nennt das Gesetz die Beschaffenheit des Erlangten oder einen anderen Grund, § 73a Satz 1 StGB. Dabei erlangt gerade in Wirtschaftsstrafsachen das Merkmal „wegen der Beschaffenheit des Erlangten“ zunehmende Bedeutung. Sie steht der Anordnung des Verfalls nach § 73 StGB entgegen, wenn das Erlangte (nur) in einem geldwerten Vorteil besteht.14 Dieser kann sich etwa aus der Inanspruchnahme einer Dienstleistung, ersparten Aufwendungen oder Gebrauchsvorteilen, etwa durch Überlassung eines PKW, ergeben. Es kommt auch in Betracht, wenn eine Verbindung oder Verarbeitung des Erlangten erfolgt ist.15 „Aus einem anderen Grunde“ kann der Verfall undurchführbar sein, wenn sich die Sache zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr im Vermögen des Empfängers befindet, weil sie verbraucht, veräußert, zerstört, beiseite geschafft oder untergegangen
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BGHR StGB § 73 Gewinn 2; dazu gehört auch die Forderung aus dem Kontovertrag gegenüber der Bank, wenn bei dieser der Erlös einbezahlt worden war, BGH NJW 2001 693, 694; Hess GRUR 2002 1037, 1038. Vgl. hierzu LG Hildesheim wistra 2007 274.
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BGH NStZ 2010 693; Fischer § 73, 27. BGH NStZ 2012 382, 383. Fischer § 73a, 7. Vgl. dazu auch BGH NJW 2009 2755, 2756. Fischer § 73a, 4. Fischer § 73a, 4.
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ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Gegenstand einem anderen wirksam übertragen wurde, ohne dass ein Fall des § 73 Abs. 3 StGB vorliegt.16 Dass dies auf eine Vereitelungshandlung des Täters zurückzuführen ist, ist für die Anordnung des Verfalls von Wertersatz, anders als bei der Einziehung von Wertersatz (§ 74c StGB), nicht erforderlich.17 Verfall von Wertersatz muss schließlich auch dann angeordnet werden, wenn aus verfahrensökonomischen Gründen von der Anordnung des Surrogatsverfalls abgesehen wurde.18 Ob das Gericht den Surrogatsverfall anordnet oder auf den im Einzelfall möglicherweise leichter durchzuführenden Wertersatzverfall zurückgreift, bleibt ihm überlassen.19 Auf die Undurchführbarkeit des Surrogatverfalls kommt es nicht an.20 4. Verfall bei Mittätern und sonstigen Beteiligten. Eine Verfallsanordnung ist bei 5 Mittätern und sonstigen Tatbeteiligten ebenso möglich wie beim Einzeltäter. Im Gegensatz zum Einzeltäter steht das Gericht bei Feststellungen nach § 73 StGB bei Mittätern und sonstigen Tatbeteiligten aufgrund der Beuteverteilung aber häufig vor dem Problem, das jeweils erlangte Etwas bezeichnen zu können. Grundsätzlich gilt, dass bei Mittätern oder sonstigen Tatbeteiligten nicht nur die dem einzelnen Beteiligten persönlich zugeflossenen Werte erlangt sind, sondern für die Höhe der Anordnung des Verfalls auf den Wert der gesamten Beute abzustellen ist, unabhängig davon, wo sich diese körperlich befindet.21 Befindet sich die Beute nicht in den Händen des Betroffenen, gegen den die Maßnahme ausgebracht werden soll, kommt der Verfall des Wertersatzes in Betracht. Bei mehreren Tätern kann somit der Verfall (des Wertersatzes) die Höhe der beim Einzelnen sichergestellten (Teil-)Beute übersteigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang betont, dass die Anordnung von (Wertersatz-)Verfall jedoch nur dann möglich ist, wenn der Täter oder Teilnehmer hinsichtlich des Erlöses aus der Straftat zumindest zeitweise eine faktische (Mit-)Verfügungsgewalt inne gehabt hat.22 Nur dann hat er auch etwas „erlangt“.23 Schwierigkeiten können diese Feststellungen nicht nur im Falle der Mittäterschaft bereiten, sondern auch dann, wenn der Täter als Organ einer juristischen Person gehandelt hat. Es muss dann positiv festgestellt werden, dass der als Organ handelnde Täter über die faktische Verfügungsgewalt hinaus, etwas als Privatperson erlangt hat, das zu einer Änderung seiner persönlichen Vermögensbilanz geführt hat. Eine tatsächliche oder rechtliche Vermutung spricht nicht dafür.24 Die Betroffenen haften bei Vorliegen dieser Voraussetzungen als Gesamtschuldner,25 was im Urteil auch entsprechend den zivilrechtlichen Formulierungen im Urteilstenor festzustellen ist; ein diesbezüglicher Mangel ist reversibel.26 Dies gilt indes nicht bei Feststellungen nach § 111i Abs. 2, hier ist eine entsprechende Feststellung im Urteilstenor entbehrlich
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BGH NStZ-RR 1997 270, 271 bei Schenkung kommt dann Wertersatzverfall in Betracht. LK/Schmidt § 73a, 7; Schönke/Schröder/Eser § 73a, 8. LK/Schmidt § 73a, 8; Schönke/Schröder/Eser § 73a, 7. LK/Schmidt § 73a, 9; Schönke/Schröder/Eser § 73a, 7. LK/Schmidt § 73a, 9; Schönke/Schröder/Eser § 73a, 7. OLG Zweibrücken NStZ 2003 446.
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BVerfG StV 2004 410, 411. BGH wistra 2009 241, 242; wenn Mittäter die Beute unter sich aufteilen, hat nach BGH StraFo 2013 299 grundsätzlich jeder nur seinen eigenen Anteil aus der Tat erlangt. Vgl. hierzu die ausführlichen Beispiele des Bundesverfassungsgerichts in NStZ 2006 639, 640. BGH wistra 2012 264, 265. BGH NStZ 2013 401; BGH NStZ 2012 382, 383.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
(§ 111i, 20).27 In den Tenor gehört in diesen Fällen lediglich die Feststellung nach § 111i Abs. 2,28 die Ausführungen zur gesamtschuldnerischen Haftung können dann in den Gründen erfolgen.29
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5. Schätzung, § 73b StGB. Der Umfang des Erlangten und dessen Wert sowie die Höhe des Anspruchs, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer das aus der Tat Erlangte entziehen würde, können geschätzt werden, § 73b StGB. Die Regelung ermöglicht dem Richter, sich unter Befreiung des Strengbeweises mit einer vermutlichen Wertannahme zu begnügen. Allerdings müssen Beweismittel, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeit zu erlangen sind, genutzt werden.30 Auch bei der Schätzung gilt das Bruttoprinzip, so dass geschätzte Aufwendungen nicht in Abzug zu bringen sind.31
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6. Härteklausel, § 73c StGB. §§ 73, 73a StGB schreiben die Anordnung des Verfalls und den Verfalls des Wertersatzes zwingend vor. Durch diesen zwingenden Charakter der Vorschrift hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dort regelmäßig keine Bedeutung. § 73c StGB enthält für all diese Fälle jedoch eine sog. Härteklausel, die den Betroffenen vor unbilligen Härten schützen soll und damit wiederum Ausdruck des von Verfassung wegen zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist. Liegt eine unbillige Härte vor, ist der Verfall zwingend ausgeschlossen. Wann ein besonderer Härtefall gegeben ist, definiert das Gesetz selbst. So eröffnet § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB für den Fall, dass der Wert des Erlangten im Vermögen des Betroffenen ganz oder teilweise nicht mehr vorhanden ist, die Möglichkeit, insoweit nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Verfallsanordnung abzusehen.32 Da die tatbestandlichen Voraussetzungen, welche nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ein Absehen vom Verfall nach pflichtgemäßem Ermessen ermöglichen, nicht zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB bilden können, folgt aus der Systematik der Norm, dass das Nichtmehrvorhandensein des Wertes des Erlangten im Vermögen des Betroffenen jedenfalls für sich genommen keine unbillige Härte darstellt, sondern dem Anwendungsbereich des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB unterfällt.33 Für das Vorliegen einer unbilligen Härte bedarf es daher zusätzlicher Umstände, die eine außerhalb des Verfallszwecks liegende, zusätzliche Härte bedeuten würde, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann.34 Jedenfalls dann, wenn der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Die Verfallserklärung müsste dann „schlechthin ungerecht“ sein, so dass eine Verletzung des Übermaßverbots vorliegt.35 Dies ist zu bejahen, wenn die Auswirkungen des Verfalls, auf den konkreten Einzelfall bezogen, außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen.36
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BGH NStZ 2013 401; BGH wistra 2012 147; BGH NJW 2011 624, 627; Meyer-Goßner § 111i, 9. BGH NStZ 2010 344; Lohse JR 2011 242, 245. Lohse JR 2011 242, 245; Meyer-Goßner § 111i, 9. Fischer § 73b, 5. Fischer § 73b, 5.
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BGH NStZ 2013 403 f., wonach die Prüfung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB der Prüfung nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB vorgeht. BGH NStZ 2010 86; BGH NStZ 2000 589, 590; Lackner/Kühl § 73c, 3. BGH NStZ-RR 2009 234, 235. BGH NStZ 2010 86. BGH NStZ 2010 86, 87.
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 111b
7. Erweiterter Verfall, § 73d StGB. Bei bestimmten Delikten der sog. organisierten 8 Kriminalität37 ist der Nachweis, der Täter habe vorhandenes Vermögen gerade durch die den Gegenstand des Verfahrens bildende Tat erworben, kaum zu führen. Eine Verfallsanordnung scheidet in diesen Fällen aus. Es schien dem Gesetzgeber jedoch angebracht, erweiterte Zugriffsmöglichkeiten auf derartiges Vermögen zu schaffen. Dazu wurde durch das OrgKG vom 15. Juli 199238 die verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche39 Vorschrift des § 73d StGB eingefügt. Bei bestimmten, banden-40 und gewerbsmäßig begangenen Delikten, bei denen die Strafvorschrift ausdrücklich auf § 73d StGB verweist,41 kann der Verfall von Gegenständen (Rechte und Sachen, § 73e Abs. 1) auch dann angeordnet werden, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, dass diese Gegenstände für rechtswidrige (also nicht notwendig auch schuldhafte) Taten oder aus ihnen erlangt worden sind. Diese Taten sind nicht mit denen identisch, die Gegenstand des Verfahrens sind, die Gegenstände müssen auch nicht aus Taten stammen, die auf § 73d verweisen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts42 ist die Vorschrift über den erweiterten Verfall nicht verfassungswidrig, sie verfolgt präventiv-ordnende Ziele und ist daher keine dem Schuldgrundsatz unterliegende, strafähnliche Maßnahme. Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus verlangt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus rechtsstaatlichen Gründen im Wege verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift eine auf erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung beruhende, uneingeschränkte tatrichterliche Überzeugung43 von der deliktischen Herkunft der Gegenstände.44 Daher genügt es beispielsweise nicht, wenn es nach der Beweisaufnahme nahe liegt, dass das Festzinssparkonto des Angeklagten aus kriminellen Geschäften stammt.45 Die notwendige Überzeugung kann das Tatgericht jedoch wie stets aus Beweisanzeichen gewinnen. Grundsätzlich müssen die dem Verfall unterliegenden Gegenstände nach § 73d Abs. 1 Satz 1 dem Täter gehören.46 Nach § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB können jedoch auch Gegenstände für verfallen erklärt werden, die dem Täter nur deshalb nicht gehören, weil er wegen der aus § 134 BGB folgenden Nichtigkeit des dinglichen Verfügungsgeschäfts nicht Eigentümer werden konnte. Die Vorschriften über den Verfall des Wertersatzes (§ 73a StGB) gelten gemäß § 73d Abs. 2 und 4 StGB entsprechend. Wurde der erweiterte Verfall angeordnet, geht mit Rechtskraft das Eigentum an der verfallenen Sache auf den Staat über, bei Anordnung des Verfalls von Wertersatz entsteht ein Zahlungsanspruch des Staates. 8. Rückgewinnungshilfe. Sind dem Verletzten aus der Tat Ansprüche gegen den Täter 9 erwachsen, darf nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Verfall oder Verfall des Wertersatzes47 nicht angeordnet werden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, dem Verletzten das aus der Tat Erlangte, samt Surrogaten oder – in den Fällen des § 73a StGB – den Wert des Erlangten, zur Befriedigung seiner Ansprüche zu erhalten. Verletzter i.S.d. § 73 Abs. 1
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Vgl. zum Begriff „Organisierte Kriminalität“ die Definition der bundesweiten gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei vom Mai 1990 unter: http://www.bka.de/nn_ 231504/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/ok_node.html?_ nnn=true BGBl. 1992 I S. 1302. Fischer § 73d, 4 ff. Zum Begriff der Bande BGHSt 46 321. So z.B.: §§ 244 I Nr. 2, 244a, 150, 302 I StGB.
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BVerfG NJW 2004 2037. BGH StV 1995 17. BVerfG NJW 2004 2073, 2077, das die Auslegung des Bundesgerichtshofs ausdrücklich bestätigt; BGH NStZ-RR 2012, 312; BGHSt 40 371, 373 mit eingehender Auseinandersetzung mit der Literatur, in der gegen die Vorschrift gewichtige rechtsstaatliche Bedenken erhoben worden waren. BGH StV 1995 17. Fischer § 73d, 15. BGH StraFo 2013 299.
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Satz 2 StGB ist, wer durch die Tat im prozessualen Sinne geschädigt ist.48 Deshalb kommt bei der Mehrzahl der Delikte, bei denen der Täter aus seiner Tat materielle Vorteile ziehen will,49 Verfall nicht in Betracht. Ob § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Verfallsanordnung entgegensteht, hängt indes nicht von dem Schutzgut des verletzten Strafgesetzes ab, weshalb auch bei der Verletzung von Allgemeinrechtsgütern eine Verfallsanordnung ausscheiden kann.50 Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kann grundsätzlich neben jeder natürlichen Person, eine Personengemeinschaft oder eine juristische Person sein.51 Auch Rechtsnachfolger, wie etwa der Versicherer des unmittelbar Geschädigten, können Verletzte52 im Sinne der §§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, 111b ff. sein.53 Der Ausschluss der Verfallsanordnung zugunsten der Durchsetzung der Interessen des Verletzten gilt nach der gesetzlichen Regelung auch dann, wenn diese Ansprüche voraussichtlich gar nicht geltend gemacht werden oder geltend gemacht werden können, weil sich beispielsweise bei einer Diebstahlserie die Opfer nicht ermitteln lassen. Diesem unbefriedigenden Zustand hat der Gesetzgeber durch den Auffangrechtserwerb des Staates in § 111i Rechnung getragen. Zum Verfahren in diesen Fällen s. § 111i, 13 ff. Teilweise wird davon ausgegangen, das schlichte Bestehen eines Ausgleichsanspruchs des bekannten Verletzten schließe die Verfallsanordnung nicht aus, vielmehr müsse dieser Anspruch auch tatsächlich geltend gemacht werden.54 Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen,55 sondern vielmehr zutreffend klargestellt, dass eine solche Interpretation den Wortlaut der Norm überschreitet und zudem im Widerspruch zu ihrem Regelungsziel steht. Der Geschädigte darf nicht gezwungen sein, seine zivilrechtlichen Ansprüche zu einem bestimmten Zeitpunkt geltend machen zu müssen. Vielmehr soll er, wie jeder andere Gläubiger auch, den günstigsten Zeitpunkt für die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Täters frei wählen können. Aus dem Umstand, dass er zugleich Opfer einer Straftat wurde, darf ihm nicht der Nachteil erwachsen, dass ihm der Zeitpunkt der Geltendmachung seiner Forderung durch den Ablauf des Strafverfahrens vorgeschrieben wird. Ausreichend ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch, dass der Verletzte auf die Geltendmachung seiner Ansprüche explizit verzichtet56 hat oder diese verjährt sind.57 Die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs, nachdem ausdrücklich auf ihn verzichtet wurde, stellt einen Fall des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) dar und ist im Zivilpro-
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OLG Hamburg wistra 2011 279. Wie Diebstahl, Untreue, Betrug, aber auch in den Fällen der Marken- und Produktpiraterie; zutreffend weist Hess GRUR 2002 1037, 1039 in diesem Zusammenhang auf §§ 14 Abs. 4, 7 MarkenG, 97 UrhG, 139 Abs. 2 PatG und § 823 Abs. 2 i.V.m. den jeweiligen Strafvorschriften der genannten Gesetze sowie auf die Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812, 816 BGB) und auf Herausgabe (§ 985 BGB) hin. BGH NJW 2013 950, 951. Kiethe/Hohmann NStZ 2003 505, 508; zur Rückgewinnungshilfe zu Gunsten des Steuerfiskus vgl. OLG Nürnberg NStZ 2011 173; OLG Celle StV 2009 120, 121; Theile StV 2009 161, 162; Verletzter kann auch der Steuerfiskus sein: BGH NStZ 2013 403;
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BGH JR 2010 34, 35; BGH NJW 2001 693; auch schon LG Aachen NJW 1978 385. Ob sie als Verletzte zu bezeichnen sind, so Fischer § 73, 21 oder diesen nur gleichstehen, so OLG Hamm wistra 2008 38, ist im Ergebnis unerheblich. BGH NStZ 2009 145, 146; OLG Hamm wistra 2008 38; Fischer § 73, 21 jeweils m.w.N.; in diesem Sinne auch BTDrucks. 16 700 S. 16; a.A. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13. Schönke/Schröder/Eser § 73, 26; Kiethe/ Hohmann NStZ 2003 505, 510 f. BGH NStZ 2006 621, 622. BGH NStZ 2013 403. BGH NStZ 2006 621, 623, OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111, 112; Fischer § 73, 19.
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zess von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Anspruch des Geschädigten ist damit zivilrechtlich ausgeschlossen und kann dem Täter nicht mehr das aus der Tat Erlangte entziehen. Die vom BGH ausdrücklich offengelassene Frage, ob auch ein konkludenter Forderungsverzicht zur Nichtanwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB führen kann,58 wird teilweise unter dem Hinweis bejaht, dass eine konkludente Erklärung keinen minderen Erklärungswert aufweise.59 Anhand der Rechtsprechung des BGH lässt sich jedoch erkennen, dass ein konkludenter Forderungsverzicht in der Praxis nahezu ausgeschlossen ist. So geht die höchstrichterliche Rechtsprechung etwa davon aus, dass kein konkludenter Forderungsverzicht vorliegt, wenn der Geschädigte seine Forderung im (früheren) Konkursverfahren angemeldet hatte, nachdem die Forderung vom Konkursverwalter aber vorläufig bestritten wurde, keine Klage auf Feststellung erhebt.60 Die Anforderungen an eine konkludente Erklärung sind damit zu Recht ausgesprochen hoch und es wird sich kaum eine Konstellation finden lassen, in der schon ein konkludenter, aber noch kein ausdrücklicher Verzicht vorliegt. 9. Rechtsfolgen der Verfallserklärung, § 73e StGB. Mit Rechtskraft des Urteils geht 10 kraft Gesetzes nach § 73e Abs. 1 StGB das Eigentum an der Sache oder das verfallene Recht auf den Staat über, wenn es dem von der Anordnung Betroffenen zu dieser Zeit zusteht. Der Verfall des Wertersatzes hingegen führt zu einem Zahlungsanspruch der Staatskasse gegen den Schuldner, der mit Rechtskraft nach § 459g Abs. 2, § 459 i.V.m. § 1 JBeitrO, § 1 EBAO,61 § 57 StrVollstrO wie eine Geldstrafe beigetrieben wird. 10. Einziehung, § 74 StGB. Der Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB unterliegen 11 Gegenstände (Sachen und Rechte), die durch die Tat hervorgebracht (producta sceleris) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht wurden oder bestimmt gewesen sind (instrumenta sceleris).62 Gegenstände, die durch die Tat erlangt wurden, fallen nicht unter § 74 StGB. Für sie kommt nur der Verfall nach § 73 StGB in Betracht, Rn. 3 ff. Demnach kann weder die Diebesbeute, noch das gewilderte Tier, der Glücksspielerlös, das Auftragsgeld des Mörders oder der Erlös aus unerlaubtem Betäubungsmittelhandel 63 eingezogen werden. Für die Anordnung der Einziehung muss der einzuziehende Gegenstand mit dem aus der Tat hervorgebrachten oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebrauchten oder bestimmten Werkzeug identisch sein. Wie lange bei Veränderungen eines Gegenstandes Identität noch anzunehmen ist, insbesondere, ob eine Sache etwa durch Vermischung zu einer neuen Sache von anderem Wesen und Gehalt geworden ist, beurteilt sich nach der Verkehrsanschauung.64 Danach ist Identität etwa anzunehmen, wenn eine bestimmte Banknote als vertretbare Sache durch einen gleichwertigen Anspruch auf den entsprechenden Geldbetrag gegen die Staatskasse ersetzt wird.65 Liegt Identität nicht mehr vor, kommt Einziehung des Wertersatzes 66 und damit zu dessen Sicherung dinglicher Arrest nach § 111d in Betracht. Nicht unter § 74 StGB fallen sog. Beziehungsgegenstände. Diese sind Objekt der Tat und nur einziehbar, soweit eine ausdrückliche Regelung innerhalb oder außerhalb des Strafgesetzbuchs vorhanden ist.
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BGH NStZ 2006 621, 623. Fischer § 73, 19. BGH NStZ 2006 621, 623. Einforderungs- und Beitreibungsanordnung vom 1.8.2011. Einzelheiten bei Schönke/Schröder/Eser § 74, 9; Einzelheiten zu einziehungsfähigen Objekten Schönke/Schröder/Eser § 74, 5 ff.
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BGH StV 1983 416; instruktiv auch LG München NStZ 1989 285. BGH NStZ 1993 538; Fischer § 74, 20. BGH NStZ 1993 538. Fischer § 74, 20.
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11. Erweiterte Einziehung, § 74a StGB. Verweist das Gesetz auf § 74a StGB, so dürfen Gegenstände abweichend von § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch dann eingezogen werden, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören oder zustehen, entweder wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung gewesen ist (Nr. 1) oder die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat (Nr. 2). Es handelt sich dabei um eine Blankettvorschrift, die die Dritteinziehung über die Sicherungseinziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB hinaus erweitert und im Falle des Vorliegens ihrer Voraussetzungen eine Anwendung des § 74a StGB ausschließt.67
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12. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 74b StGB. Für die Einziehung der dem Täter oder Teilnehmer gehörenden oder zustehenden Gegenstände (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB) und für die Einziehung nach § 74a StGB enthält § 74b Abs. 1 StGB eine Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die auch für die Einziehung des Wertersatzes nach § 74c StGB gilt.68 Danach darf die Einziehung, sofern sie nicht zwingend vorgeschrieben ist und nicht die Gefahr besteht, dass die Einziehungsgegenstände die Allgemeinheit gefährden oder der Begehung weiterer Rechtsbrüche dienen werden, nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Tat und zu dem Vorwurf, der den von der Einziehung betroffenen Täter oder Teilnehmer trifft, außer Verhältnis steht. Für die Sicherungseinziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB gilt § 74b Absatz 1 StGB nach seinem Wortlaut nicht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aber auch hier zu beachten.69 Dabei sind namentlich der Wert des Einziehungsgegenstands, die Bedeutung der Tat und der Vorwurf gegen den Dritten abzuwägen.70 § 74b Abs. 2 StGB steht der Beschlagnahme nicht entgegen. Sie ist möglich, weil nur so die nachträgliche Anordnung nach § 74b Abs. 2 Satz 3 letzter Hs. StGB gesichert werden kann. Der Zweck des § 74b Abs. 2 StGB kann im Beschlagnahmeverfahren dadurch erreicht werden, dass nach § 111c Absatz 6 verfahren und die beschlagnahmte Sache dem Betroffenen gegen sofortige Erlegung des Wertes zurückgegeben oder ihm unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs zur vorläufigen weiteren Benutzung – auch unter Auflagen – überlassen wird, § 111c, 19 ff.
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13. Einziehung des Wertersatzes, § 74c StGB. Für den Fall, dass der Täter oder Teilnehmer den Gegenstand, auf dessen Einziehung hätte erkannt werden können (Rn. 11 ff.), vor der Entscheidung über die Einziehung verwertet, insbesondere veräußert oder verbraucht oder dass er die Einziehung des Gegenstandes sonst vereitelt hat, kann auf Einziehung eines Geldbetrages bis zu der Höhe erkannt werden, die dem Wert des Gegenstandes entspricht (§ 74c Abs. 1 StGB). Unter den in § 74c Abs. 2 StGB genannten Voraussetzungen kann die Einziehung des Wertersatzes auch neben der Einziehung eines Gegenstandes oder an deren Stelle angeordnet werden. Zu beachten ist, dass der Wert des Gegenstandes und die Belastungen des Täters nach § 74c Abs. 3 StGB geschätzt werden können.
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14. Einziehung von Schriften, § 74d StGB. Soweit es sich um Presseinhaltsdelikte handelt, also um Delikte, bei denen die Strafbarkeit auf dem Inhalt einer Druckschrift
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Fischer § 74a, 1. Schönke/Schröder/Eser § 74c, 4. Fischer § 74b 3; Schönke/Schröder/Eser § 74b, 4.
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BGH StV 1983 106; Fischer § 74b, 3.
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beruht, enthält § 74d StGB für die Einziehung von Schriften und die ihnen nach § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellten Gegenstände sowie für die zu ihrer Herstellung benötigten Mittel eine Sonderregelung, die sich in ihren Voraussetzungen von denen der Einziehung sonst unterscheidet. Liegen Presseinhaltsdelikte nicht vor, gelten die allgemeinen Einziehungsvorschriften. Siehe dazu §§ 111m, 111n passim. 15. Rechtsfolgen der Einziehung, § 74e StGB. Wird ein Gegenstand eingezogen, so 16 geht das Eigentum an der Sache oder das eingezogene Recht mit der Rechtskraft der Entscheidung auf den Staat über. Für an dem Gegenstand bestehende Rechte gilt § 74e Abs. 2 StGB. Die Einziehung des Wertersatzes führt zu einem Zahlungsanspruch der Staatskasse gegen den Schuldner, der mit Rechtskraft nach § 459g Abs. 2, § 459 i.V.m. § 1 JBeitrO, § 1 EBAO,71 § 57 StrVollstrO wie eine Geldstrafe beigetrieben wird.72 16. Vermögensstrafe, § 43a StGB. Die gesetzliche Regelung über die Vermögensstrafe 17 in § 43a StGB ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig.73 Die Vorschrift sah bei bestimmten Delikten neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren die Verurteilung zur Zahlung eines durch die Höhe des Vermögens des Verurteilten begrenzten Geldbetrages vor. Für den Fall der Uneinbringlichkeit dieses Geldbetrages wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe festgesetzt, deren Höhe mindestens einen Monat und höchstens zwei Jahre betrug.
III. Voraussetzungen des § 111b 1. Allgemeines. § 111b ist die Ausgangsnorm für Beschlagnahmen und die Anord- 18 nung des dinglichen Arrests zur Vermögensabschöpfung. Sie regelt als prozessuales Gegenstück zu den §§ 73 ff., 74 ff. StGB, wie die Durchsetzbarkeit späterer Verfalls- und Einziehungsanordnungen gesichert werden kann. Nach § 111b Abs. 1 können Gegenstände durch Beschlagnahme sichergestellt werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen. Sind Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen, kann zu deren Sicherung nach § 111d der dingliche Arrest angeordnet werden, Absatz 2. § 111d erweitert den Anwendungsbereich des dinglichen Arrests über diese Fälle hinaus, wenn damit eine Geldstrafe oder die voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens gesichert werden sollen. Die Vorschriften über die Durchsuchung, insbesondere zur Auffindung zu beschlagnahmender Gegenstände, gelten entsprechend, Absatz 4. Nach § 111b Abs. 5 besteht die Möglichkeit, Gegenstände oder Vermögenswerte, die der Täter durch die Tat erlangt hat, durch Beschlagnahme oder dinglichen Arrest zugunsten des Verletzten sicherzustellen, sog. „Rückgewinnungshilfe“. Bei dieser Sicherstellung kommt es nicht darauf an, ob wegen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB später Verfall angeordnet werden kann oder ob die Verletzten überhaupt Ansprüche erheben werden.74 Die §§ 111b ff. können in diesen Fällen vielmehr so angewendet werden, als wenn es § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht gäbe.75
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Einforderungs- und Beitreibungsanordnung vom 1.8.2011. LR/Graalmann-Scheerer § 459g, 18. BVerfG NJW 2002 1779.
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Meyer-Goßner 5. Thiele StV 2009 161, 163, zugleich Anm. zu OLG Celle StV 2009 120.
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2. Voraussetzungen des Abs. 1. Nach § 111b Abs. 1 können Gegenstände durch Beschlagnahme nach § 111c sichergestellt werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorliegen, wobei § 94 Abs. 3 unberührt bleibt. Für die Anordnung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest ist folglich erforderlich, dass (einfache) Gründe für die Annahme vorliegen, es werde am Ende des Verfahrens zu einer Verfallsanordnung, zur Einziehung bzw. des Verfalls oder der Einziehung des Wertersatzes kommen. Andere Wege der Sicherstellung, wie sie § 94 für Beweismittel kennt (§ 94, 4 ff.), werden damit ausgeschlossen. Eine allgemeine Beschlagnahme einer Gattung von Gegenständen ist möglich, wenn im Anordnungsbeschluss die Gattung so genau bezeichnet wird, dass das Vollstreckungsorgan den Umfang der Beschlagnahme nur anhand der Anordnung zweifelsfrei feststellen kann.76 Einzelheiten, insbesondere zur Art der Beschlagnahme der verschiedenen Gegenstände, sind in § 111c geregelt.
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a) Gegenstände. Der Begriff der Gegenstände umfasst Sachen und Rechte und gilt für alle Gegenstände, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen.77 Darunter fallen bewegliche Sachen, Grundstücke und andere Rechte, die den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, Forderungen und andere Vermögensrechte, die nicht den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, sowie Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge, § 111c, 1. Hat der Täter einem anderen Geld gestohlen und dieses anschließend mit seinem eigenen vermischt, kann nicht das Geld beschlagnahmt werden, sondern es muss der dingliche Arrest zur Sicherung des Wertersatzverfalls ausgebracht werden. Es kommt insoweit auf die Identität des gestohlenen mit dem vorgefundenen Gegenstand an.78
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b) Beschlagnahme. Im Gegensatz zu § 94, der die Sicherstellung eines Beweisgegenstandes aufgrund freiwilliger Herausgabe zulässt und eine förmliche Beschlagnahme nur für den Fall vorschreibt, dass die Gegenstände nicht freiwillig herausgegeben werden (§ 94, 25), darf nach Absatz 1 die Sicherstellung von Verfalls- und Einziehungsgegenständen nur durch Beschlagnahme erfolgen. Die Sicherstellung muss die Verfügungsbefugnis des Betroffenen einschränken, wenn ihm nicht Gelegenheit gegeben werden soll, den Zweck der Sicherungsmaßnahme durch rechtsgeschäftliche Verfügungen zu vereiteln. Das Gesetz sieht dafür ein Veräußerungsverbot nach § 136 BGB vor (§ 111c Abs. 5) und knüpft dieses aus Gründen der Rechtssicherheit an eine förmliche Beschlagnahme. In dem Beschlagnahmebeschluss muss nicht festgehalten werden, ob die Sicherung nach §§ 73, 74 StGB dem Verfall bzw. der Einziehung oder nach Absatz 5 der Rückgewinnungshilfe dient.79 Gleiches gilt für den dinglichen Arrest. Beide Sicherungsgründe haben dieselbe Rechtsfolge, so dass die optionale Sicherstellung den Betroffenen nicht mehr belastet, als würden die Strafverfolgungsbehörden den Sicherungsgrund unmittelbar bestimmen.
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Meyer-Goßner 12. SK/Rogall 8. KMR/Mayer 15; a.A. Meyer-Goßner 6; nicht zu verwechseln mit einem entsprechenden Anspruch auf Zahlung gegen die Staatskasse, siehe dazu § 111k, 16.
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OLG Celle wistra 2013 39, 40; OLG Hamburg NJW 2012 1601, 1607; OLG Stuttgart NJW 2008 1605, 1607; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111, 113; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 20; a.A. SK/Rogall 40, HK/Gercke 21; Marel StV 2004 414, 415.
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c) Vorliegen von Gründen. Der Begriff der „Gründe“ nach Absatz 1 orientiert sich am 22 Begriff des Anfangsverdachts aus § 152 („zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“).80 Es ist eine gewisse, auf Tatsachen gestützte Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass am Ende des Strafverfahrens Maßnahmen der §§ 73 ff. StGB ergehen81 oder diese nur unterbleiben, weil Ansprüche des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. Dabei sind schon vor Ausbringung der Sicherungsmaßnahmen die Ermessensregelungen in § 74 Abs. 1 StGB,82 aber auch jene in den die Einziehung gestattenden Sondergesetzen zu berücksichtigen. Da im Rahmen der Verfallsanordnung kein Ermessen besteht (Rn. 7), muss bei Maßnahmen zur Sicherung der späteren Verfallsanordnung zwar keine Ermessensregelung beachtet werden, äquivalent ist jedoch bereits frühzeitig § 73c StGB zu berücksichtigen.83 Die Frage des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 73c Abs. 1 StGB dürfte zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens häufig kaum zu beantworten sein.84 Ist jedoch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens davon auszugehen, dass bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung am Ende des Verfahrens von einer Anordnung nach den §§ 73 ff. StGB abgesehen wird, darf auch keine vorläufige Sicherung stattfinden. Dem Verfall stehen die Abführung des Mehrerlöses nach §§ 8 ff. WiStG, die Vernichtung nach §§ 37, 42 f. KunstUrhG85 und § 144 Abs. 4 MarkenG gleich.86 Es müssen keine Gründe für die Annahme der Schuldfähigkeit des Täters gegeben sein, denn auch im Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. dürfen Beschlagnahme und Arrest angeordnet werden (vor § 111b, 12). Da auch im selbstständigen Verfahren gem. §§ 440, 442 auf Einziehung oder Verfall des Gegenstandes oder des Wertersatzes erkannt werden kann (§ 76a StGB), kommt es ebenfalls nicht darauf an, ob Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine bestimmte Person verfolgt werden kann.87 Fehlt es aktuell an einer Verfahrensvoraussetzung, steht aber zu erwarten, dass diese noch geschaffen werden kann, ist die Sicherstellung ebenfalls zulässig.88 Auch gegen Dritte kann der Arrest ausgebracht werden, wenn der Täter oder Teilnehmer für diesen gehandelt und er dadurch einen Vermögensvorteil erlangt hat (§ 73 Abs. 3 StGB). Eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 StGB dergestalt, dass die Maßnahme vorbehalten bleibt, findet nicht statt.89 Nur weil ein Gegenstand besonderer Pflege bedarf oder zu verderben droht, hindert dies die Beschlagnahme nicht.90 Bis zur Gesetzesänderung von 1998 waren dringende Gründe für die Annahme erfor- 23 derlich, dass die Voraussetzungen für Verfall oder Einziehung von Gegenständen bzw. des jeweiligen Wertersatzes vorliegen. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 91 wurde die Eingriffsschwelle auf das Niveau des einfachen Tatverdachts abgesenkt.92 Begründet wurde dies damit, dass es den Ermittlungsbehörden gerade in der Anfangsphase eines Ermittlungsverfahrens häufig noch nicht möglich sei, genügend Beweismittel für einen dringenden Verdacht zu präsentieren.93 Erst nach Ablauf von sechs Monaten müssen nunmehr dringende Gründe für die Annahme vorliegen, dass es zu Maßnahmen nach den §§ 73 ff., 74 ff. StGB kommen
80 81 82 83 84 85 86
HK/Gercke 8. BGH NStZ 2008 419; OLG Celle NStZ-RR 2008 203, 204. BGH wistra 2007 431, 432. OLG Celle wistra 2013 39, 40; OLG Stuttgart wistra 2007 276, 278. Lohse JR 2011 242, 244. HK/Gercke 4. SK/Rogall 13.
87 88 89 90 91 92 93
Meyer-Goßner 8. HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 10; SK/Rogall 14. Meyer-Goßner 14. HK/Gercke 13; Meyer-Goßner 15. BGBl. I S. 845. Hetzer ZRP 1999 471, 476. BTDrucks. 13 8651 S. 15; OLG Celle NStZ-RR 2008 203, 204.
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wird, andernfalls hebt das Gericht die Beschlagnahme oder den dinglichen Arrest auf. In der Literatur wird in Anlehnung an die frühere Gesetzeslage vereinzelt die Rückkehr zu „dringenden Gründen“ als Anordnungsvoraussetzung gefordert.94 Dies ist im Interesse einer effektiven Vermögensabschöpfung jedoch abzulehnen. Vielmehr steigen mit der Dauer der Sicherungsmaßnahmen die Anforderungen an die Prognoseentscheidung bezüglich der Verfalls- und Einziehungsvoraussetzungen (Rn. 43).95 Von Gesetzes wegen wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darüber hinaus durch die §§ 111c Abs. 6 und 111d Abs. 1 Rechnung getragen. Danach können bewegliche Sachen dem Betroffenen gegen Erlegung des Werts oder gegen Sicherheitsleistung oder unter Auflagen überlassen werden (§ 111c Abs. 6) und zur Sicherung geringfügiger Zahlungsansprüche ergeht kein Arrest (§ 111d Abs. 1). Bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften ist damit gesichert, dass keine unverhältnismäßigen Sicherungsmaßnahmen den Betroffenen belasten, ihm aber auch gleichzeitig die Gelegenheit genommen wird, sein Vermögen beiseite zu schaffen.96
24
d) Ermessen. Die Sicherstellung wird durch § 111b Abs. 1 nicht zwingend vorgeschrieben, das Gesetz verwendet im Zusammenhang mit der Vollstreckungssicherung in Absatz 1 und 2 durchweg die „Kann-Formel“. Dies kann damit begründet werden, das aus der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, Straftaten zu verfolgen (§ 152 Abs. 2), einerseits die Pflicht folgt, dafür zu sorgen, dass ein Gegenstand, der für verfallen erklärt oder eingezogen werden kann, bei der Vollstreckung auch vorhanden ist, diese also vom Betroffenen nicht zwischenzeitlich vereitelt werden kann. Andererseits werden Maßnahmen nach §§ 111b ff. in aller Regel im Ermittlungs- oder im Hauptverfahren getroffen, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem die Unschuldsvermutung für den Betroffenen streitet. Beschlagnahme und dinglicher Arrest bewirken, dass der Betroffene schon zu diesem frühen Zeitpunkt nicht mehr frei über die gesicherten Vermögenswerte verfügen kann, ohne dass seine Schuld bewiesen ist. Durch diese Einschränkung der Nutzungsund Verfügungsmöglichkeiten liegt ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht vor.97 Um diesen widerstreitenden Interessen gerecht zu werden, sieht das Gesetz eine Ermessensentscheidung vor. Die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs steigen dabei,98 je intensiver der Staat durch die Sicherungsmaßnahme in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich des Beschuldigten eingreift. Die Ermessensentscheidung muss immer eine Abwägung der Sicherstellungsinteressen des Staates mit der Eigentumsposition des Betroffenen vornehmen.99 Eine vorläufige Sicherungsmaßnahme darf nur ergehen, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorliegt.100 Dieses ist gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass die spätere Vollstreckung eines Urteils ohne die Sicherstellung nicht möglich sein wird. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich etwa aus der Tat, dem Vorleben des Täters und dessen Nachtatverhalten (siehe auch § 111d, 20 ff.). Ist danach anzunehmen, dass die spätere Verfalls- oder Einziehungsanordnung ohne die vorläufige Sicherungsmaßnahme ins Leere läuft, können allenfalls außergewöhnliche Belange des Betroffenen oder der Strafverfolgungsbehörden eine ablehnende Ermessensentscheidung rechtfertigen. In aller
94 95 96
Theile StV 2009 161, 166 BVerfG StraFo 2005 338; OLG Hamburg StV 2009 122; HK/Gercke 8. Mit Bedenken in Bezug auf die Instrumentalisierung der Zurückgewinnungshilfe jenseits des Opferschutzes Berndt StV 2001 446.
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BVerfG StraFo 2005 338; SK/Rogall 15. BVerfG StV 2004 409, 410. BVerfG NStZ 2006 639, 640; NJW 2005 3630. LG Kiel wistra 1998 363; Meyer-Goßner 13.
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Regel wird eine Beschlagnahme geboten sein.101 Abgelehnt wurde ein derartiges Sicherstellungsbedürfnis beispielsweise in einem Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder einer Sparkasse wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Geldtransfer von Kunden ins Ausland zur Vermeidung der Zinsabschlagssteuer.102 Zur Begründung wurde ausgeführt, von einer Sparkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts könne erwartet werden, dass sie im Falle eines entsprechenden Urteils einen Betrag von 250.000 DM leisten könne. Ob diese Entscheidung nach den Entwicklungen im Bankenwesen noch gelten kann, mag bezweifelt werden. Im selbständigen Einziehungsverfahren nach §§ 440, 442 gilt der Legalitätsgrundsatz nicht.103 Er hat daher auch für die Beschlagnahme in diesem Verfahren keine Bedeutung. Zu beachten ist, dass das Sicherungsbedürfnis des Verletzten bei der vorläufigen Sicherung der späteren Verfalls- oder Einziehungsanordnung keine Rolle spielen kann. Denn wenn das Gesetz eine Verfallsanordnung ermöglicht, ist ein Verletztenanspruch schon wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausgeschlossen und die Einziehung dient ausschließlich den Allgemeininteressen. Zu den hiervon abweichenden Ermessenskriterien bei Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe Rn. 53. e) Bewirkung. Die Art und Weise, in der die Beschlagnahme von Verfalls- und Ein- 25 ziehungsgegenständen bewirkt wird, ist in § 111c im Einzelnen geregelt. f) Anordnung. Die Zuständigkeit für die Anordnung der Beschlagnahme bestimmt 26 § 111e. Die Erläuterungen zu dieser Vorschrift befassen sich deshalb auch mit den weiteren Einzelheiten der Beschlagnahmeanordnung. g) Durchführung. Sie wird durch § 111f geregelt, weshalb Einzelheiten zur Durch- 27 führung dort kommentiert sind. 3. Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände. Ist die Beschlagnahme erloschen (§ 111e, 28 25) oder die Beschlagnahmeanordnung aufgehoben worden (§ 111e, 26), so muss der beschlagnahmte Gegenstand an den Berechtigten herausgegeben werden, sofern nicht eine Anordnung nach § 111i ergeht. Während der andauernden Beschlagnahme kommt eine Rückgabe der Sache gegen Erlegung des Wertes und die Überlassung zur vorläufigen weiteren Benutzung in Betracht, § 111c Abs. 6 (§ 111c, 19 ff.). Wegen der Herausgabe der Sache nach Zulassung des Zugriffs des Verletzten auf den Beschlagnahmegegenstand trifft § 111g eine besondere Regelung, § 111g, 8. 4. Führerscheine. Führerscheine unterliegen grundsätzlich der Einziehung, §§ 69 Abs. 3 29 Satz 2, 69b Abs. 2 Satz 1 StGB. Da es bei ihnen auf die Eigentumsverhältnisse allerdings nicht ankommt104 und Verfügungsverbote deshalb keine Rolle spielen, folgt ihre Sicherstellung den Regeln über die Sicherstellung von Beweismitteln. Bei Vorliegen der Voraussetzungen müssen sie sichergestellt oder beschlagnahmt werden,105 vgl. § 94, 33. 5. Voraussetzungen des Abs. 2. Sind Gründe für die Annahme vorhanden, dass die 30 Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen, kann zu deren Sicherung nach § 111d der dingliche Arrest angeordnet werden. Da
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Meyer-Goßner 13; SK/Rogall 20. LG Kiel wistra 1998 363 mit Anm. Wulf. Meyer-Goßner § 440, 3.
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Meyer-Goßner 1. SK/Rogall 22.
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Absatz 5 die Absätze 1 bis 4 für entsprechend anwendbar erklärt, wird zugleich die frühere Zweifelsfrage entschieden, dass der dingliche Arrest auch zur Rückgewinnungshilfe eingesetzt werden darf.106 In der Sache überschneidet sich der Regelungsgehalt weitgehend mit der unverändert gebliebenen Vorschrift des § 111d. Über § 111b Abs. 2 hinausgehend gestattet § 111d auch die Verhängung des dinglichen Arrests wegen einer Geldstrafe und der voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens.
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a) Gründe. Um einen dinglichen Arrest ausbringen zu können, setzt das Gesetz Gründe für die Annahme voraus, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Der Begriff der Gründe in Absatz 2 entspricht dabei jenem in Absatz 1. Die dortigen Ausführungen gelten daher entsprechend, Rn. 22.
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b) Annahme von Wertersatzverfall und -einziehung. Absatz 2 setzt voraus, dass Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen des Wertersatzverfalls oder der Wertersatzeinziehung vorliegen. Die rechtskräftige Einziehung des Wertersatzes und der rechtskräftige Verfall des Wertersatzes führen zu einem Zahlungsanspruch der Staatskasse, wie dies auch bei der Geldstrafe der Fall ist (Rn. 4, 14).107 Die für verfallen erklärten Geldbeträge sind nach Rechtskraft des Urteils nach §§ 459, 459g Abs. 2 wie alle Geldforderungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 JBeitrO und den Vorschriften der EBAO108 beizutreiben; für die Vollstreckung gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend (§ 6 JBeitrO). Zur Sicherung der Zwangsvollstreckung dieser Zahlungsansprüche findet der Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen des Schuldners statt. Haben mehrere Betroffene als Mittäter oder Teilnehmer an einer Straftat mitgewirkt und entsprechend den Ausführungen in Rn. 5 Mitverfügungsgewalt an der Beute erlangt, kann in das Vermögen jedes Einzelnen der dingliche Arrest in der Höhe des Gesamtbetrages des Erlangten ausgebracht werden.109
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c) Ermessen. Die Ausbringung eines dinglichen Arrests steht wie die Beschlagnahme nach Absatz 1 im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Die Ausführungen in Rn. 24 gelten deshalb entsprechend.
34
6. Zeitpunkt der Sicherung. Beschlagnahme und dinglicher Arrest sind bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zulässig, sobald „Gründe“ i.S.d. Absatzes 1, 2 vorliegen.110 Die Maßnahmen kommen auch nach Urteilserlass bis zur Rechtskraft in Betracht, wenn dies zur Sicherung einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung im Urteil erforderlich ist.111 Im Wiederaufnahmeverfahren dürfen sie erneut angeordnet werden.112
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7. Ende der Maßnahmen. Beschlagnahme und dinglicher Arrest enden in jedem Fall mit deren Aufhebung durch das Gericht (§ 111e, 26 und 29). Die Beschlagnahme endet darüber hinaus ipso iure auch mit Rechtskraft einer Entscheidung, in der Einziehung, Verfall oder Einziehung oder Verfall des Wertersatzes nicht angeordnet wurden und kein
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Meyer-Goßner § 111d, 4; Achenbach NStZ 2001 401. LR/Graalmann-Scheerer § 459g, 18. Einforderungs- und Beitreibungsanordnung vom 1.8.2011.
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A.A. da Rosa NJW 2009 1702, 1704; SK/Rogall 23. BTDrucks. 13 8651 S. 15. SK/Rogall 3. SK/Rogall 3.
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Fall des § 111i vorliegt.113 Der dingliche Arrest endet hingegen nicht ohne Weiteres mit Rechtskraft des Urteils, er muss aufgehoben werden (§ 111e, 30). Liegen keine genügenden Gründe für die spätere Anordnung von Einziehung oder Verfall bzw. von Einziehung oder Verfall des Wertersatzes (mehr) vor oder ist in den Fällen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kein Geschädigter ersichtlich, der die Ansprüche geltend machen kann und liegen in diesem Fall auch die Voraussetzungen von § 111i nicht vor, sind die Voraussetzungen der Sicherungsanordnung entfallen und die Maßnahmen sind in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzuheben.114 S. zu Einzelheiten § 111d, 38 ff. und § 111e, 25 ff.
IV. Grenzen von Beschlagnahme und dinglichem Arrest, Abs. 3 1. Grundsatz. Die Maßnahmen nach Absatz 1 und 2 bedeuten für den Betroffenen in 36 aller Regel einen enormen Einschnitt in seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, weshalb entsprechende Maßnahmen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders zu beachten haben.115 So hebt das Gericht die Maßnahme jederzeit durch gerichtliche Entscheidung von Amts wegen auf, wenn sich herausstellt, dass ihre Voraussetzungen weggefallen sind oder wenn sie unverhältnismäßig geworden ist, Rn. 35. Von Gesetzes wegen sind Beschlagnahme und dinglicher Arrest darüber hinaus nach Ablauf von sechs Monaten seit der Anordnung116 aufzuheben, wenn sich nicht zwischenzeitlich der einfache zu einem dringenden Verdacht, es werde zur Einziehung, zum Verfall oder zu Einziehung oder Verfall des Wertersatzes kommen, verdichtet hat. Es handelt sich um eine obligatorische Aufhebung, so dass dem Gericht kein Ermessen zusteht. 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Selbst wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des 37 § 111b vorliegen, kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Aufhebung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest rechtfertigen, denn Beschlagnahme und dinglicher Arrest bewirken, dass der Betroffene nicht mehr frei über die gesicherten Vermögenswerte verfügen kann. Durch diese Einschränkung der Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten liegt ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht vor.117 Da Beschlagnahme und dinglicher Arrest nach § 111b aber in aller Regel bereits im Ermittlungsverfahren ergehen, ist zum Zeitpunkt der Sicherungsmaßnahmen noch nicht über die Schuld des Beschuldigten entschieden und die Unschuldsvermutung streitet für ihn. Das Bundesverfassungsgericht hat daher in einer Reihe von Entscheidungen118 immer wieder betont, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Vermögenssicherung von den Gerichten in besonderem Maße zu beachten ist. Daraus folgt, dass in allen Stadien des Verfahrens eine Abwägung zwischen dem Sicherstellungsinteresse des Staates bzw. des Verletzten mit der Eigentumsposition des Betroffenen erfolgen muss.119 Je intensiver der staatliche Zugriff erfolgt, umso strengere Anforderungen sind an ihn zu stellen. Die Eingriffsintensität kann sich dabei sowohl aus dem Zeitablauf, als auch aus dem Umfang des Eingriffs ergeben.120 Im
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Zur Beschlagnahme: OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; KK/Nack § 111e, 11 ff. OLG Stuttgart Justiz 2002 65 spricht von einer Selbstverständlichkeit. SK/Rogall 15. BGH NStZ 2008 419; OLG Celle NStZ-RR 2008 203, 204; KK/Nack 9; BTDrucks. 13 8651 S. 16.
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BVerfG StraFo 2005 338; SK/Rogall 15. BVerfG NStZ 2006 639; NJW 2005 3630; StV 2004, 409. BVerfG NStZ 2006 639, 640; NJW 2005 3630. OLG Celle StV 2009 120, 121.
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Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist daher immer festzustellen, ob ein Sicherungsbedürfnis (noch) besteht,121 da ohne Sicherungsbedürfnis keine verhältnismäßige Anordnung ergehen kann. An das Sicherungsbedürfnis sind je nach Zweck der Sicherungsmaßnahme unterschiedliche Anforderungen zu stellen. Die Maßnahmen zur Sicherung von Verfall- und Einziehungsanordnungen (Rn. 2 ff.) haben andere Voraussetzungen als jene zur Rückgewinnungshilfe (Rn. 9). Im letzteren Fall spielt insbesondere die Schutzbedürftigkeit des Verletzten eine entscheidende Rolle. In allen Fällen muss das Gericht jedoch eine umfassende Abwägung vornehmen und darf nicht ungeprüft die Ausführungen der Strafverfolgungsbehörden übernehmen.122
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3. Voraussetzungen des Abs. 3. Liegen keine dringenden Gründe für die Annahme vor, dass es zu Maßnahmen nach den §§ 73 ff., 74 ff. StGB kommen wird, muss das Gericht die Beschlagnahme und den dinglichen Arrest spätestens nach sechs Monaten aufheben, Absatz 3 Satz 1. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn bestimmte Maßnahmen den Tatverdacht begründen und die Sechsmonatsfrist wegen der besonderen Schwierigkeit oder des besonderen Umfangs der Ermittlungen oder wegen eines anderen wichtigen Grundes nicht ausreicht. In diesen Fällen kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Maßnahme verlängern, wenn die genannten Gründe ihre Fortdauer rechtfertigen. Ohne Vorliegen dringender Gründe darf die Maßnahme in keinem Fall über zwölf Monate hinaus aufrechterhalten werden. Mit der Formulierung „spätestens“ zeigt der Gesetzgeber, dass die Maßnahme nicht nur unmittelbar dann aufzuheben ist, wenn sie unverhältnismäßig wurde, sondern auch dann, wenn schon zu einem früheren Zeitraum als dem Ablauf der Sechsmonatsfrist nicht mehr damit zu rechnen ist, dass das Gericht im Urteil auf eine Maßnahme nach §§ 73 ff., 74 ff. StGB erkennen wird.123 Die Frist beginnt in allen Fällen des Absatzes 3 nicht schon mit der Sicherstellung, sondern erst mit der förmlichen Beschlagnahme bzw. der Ausbringung des dinglichen Arrests.124 Die Aufhebung der Maßnahme setzt voraus, dass keine dringenden Gründe vorliegen. 39 Das Gesetz stellt mit dieser Formulierung auf die Verurteilungswahrscheinlichkeit ab, die sich hier auf die Anordnung von Verfall oder Einziehung beschränkt. Insoweit verlangen die dringenden Gründe in § 111b denselben Wahrscheinlichkeitsgrad, wie der dringende Tatverdacht in § 112 Abs. 1 Satz 1 für die Anordnung der Untersuchungshaft. Es muss die hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass es zu einer rechtskräftigen Anordnung von Verfall oder Einziehung kommt. Das erfordert eine Doppelprüfung: Zunächst muss mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Straftat (nicht notwendig schuldhaft) begangen worden sein, des Weiteren müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen der Anordnung des Verfalls oder der Einziehung vorliegen.125 Dabei sind insbesondere die Ermessensregelungen in § 74 Abs. 1 StGB, den die Einziehung gestattenden Sondergesetzen und die Härteklauseln in §§ 73c, 74b StGB zu prüfen. Die Prognose ist vom jeweiligen Verfahrensstand aus zu stellen,126 weshalb die Anforderungen an die Beweisdichte zu Beginn der Ermittlungen geringer sein werden, als in der Hauptverhandlung.127 Wurde 121
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A.A. SK/Rogall 16, der vom Sicherungsbedürfnis als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal spricht. BVerfG StraFo 2005 338; StV 2004 409, 410; NJW 2005 3630, 3631. SK/Rogall 26; zur „Verschärfung“ der Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Voraussetzungen des § 111b auch OLG Hamburg StV 2009 122.
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BGH NStZ 2008 419; BGH wistra 2007 431; OLG Celle NStZ-RR 2008 203, 204; KK/Nack 9; HK/Gercke 9. HK/Gercke 9; KK/Nack 9. OLG Hamburg StV 2009 122, 124. OLG Hamburg StV 2009 122, 124.
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der Angeklagte in erster Instanz freigesprochen128 oder wurde Verfall oder Einziehung nicht angeordnet, ist das Vorliegen dringender Gründe nicht per se ausgeschlossen. Im Regelfall dürften sie jedoch zu verneinen sein.129 4. Fristverlängerung, Abs. 3 Satz 2. Ein Sicherungsbedürfnis kann auch über die Sechs- 40 monatsgrenze hinweg bestehen. Es ist denkbar, dass nach sechs Monaten (noch) keine dringenden, sondern weiterhin nur einfache Gründe für die Annahme vorliegen, dass es zu Maßnahmen nach den §§ 73 ff. StGB kommen wird. In diesen Fällen kann die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag auf Verlängerung der Maßnahmen beim Gericht stellen. Voraussetzung für den Erfolg des Antrags ist, dass bestimmte Tatsachen den Tatverdacht begründen, die Frist nach Satz 1 wegen eines wichtigen Grundes nicht ausreicht und die genannten Gründe die Fortdauer rechtfertigen.130 Die Anordnung der Verlängerung steht im Ermessen des Gerichts. a) Bestimmte Tatsachen begründen den Tatverdacht. Das Merkmal der „bestimmten 41 Tatsachen“ entspricht dem des § 100a.131 Es reicht ein einfacher Tatverdacht, der auf bestimmten Tatsachen beruht.132 Der Tatverdacht muss weder hinreichend noch gar dringend sein.133 An Tatsachen fehlt es, wenn sich der Verdacht nur auf vage Anhaltspunkte, bloße Vermutungen, Gerüchte oder Gerede begründet.134 Erforderlich ist, dass aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung, fallbezogen, aus sachlichen Beweisanzeichen auf den Tatverdacht geschlossen werden kann.135 Teilweise wird darüber hinaus verlangt, dass sich im Laufe der zwölf Monate seit der Anordnung der Maßnahme ein Tatverdacht entwickelt haben muss, der erwarten lässt, dass nach Ablauf von 12 Monaten die Voraussetzungen eines dringenden Tatverdachts erfüllt sind.136 Nach 10 Monaten seien daher „solche gehobenen Ansprüche zu stellen, die dem Erfordernis des dringenden Grundes nahezu entsprechen.“137 Dem ist in dieser Pauschalität zu widersprechen. Der Gesetzgeber hat in Absatz 3 sehr genau differenziert, wann er einen dringenden Tatverdacht verlangt und unter welchen Voraussetzungen diese Form des Verdachts entbehrlich ist, da dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch andere Umständen Genüge getan wird. b) Wichtiger Grund. Wenn nach Ablauf von sechs Monaten dringende Gründe für 42 die Annahme einer späteren Anordnung des Verfalls oder der Einziehung nicht vorliegen, kann die Maßnahme gleichwohl wegen eines wichtigen Grundes aufrechterhalten werden. Das Gesetz nennt als wichtige Gründe exemplarisch die besondere Schwierigkeit oder den besonderen Umfang der Ermittlungen. Der Begriff des wichtigen Grundes entspricht jenem des § 121 Abs. 1, weshalb die zu jener Vorschrift ergangene Rechtsprechung als Auslegungshilfe herangezogen werden kann. Danach wird die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen im Vergleich mit durch-
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Rönnau StV 2003 581, 583 unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe vom 3.7.2001 – 3 Ws 134/01 –. Rönnau StV 2003 581, 583 Fn. 15 mit Hinweis auf OLG Karlsruhe vom 3.7.2001 – Az.: 3 Ws 134/01 –. OLG-Celle NStZ-RR 2008 203, 204. BTDrucks. 16 700 S. 11; KK/Nack 9; Meyer-Goßner 8.
132 133 134 135 136 137
KK/Nack § 100a, 34; Meyer-Goßner § 100a, 9. BGH NStZ 2010 711. BVerfG NJW 2007 2752 f. BVerfG aaO. OLG Rostock wistra 2013 76, 77. OLG Rostock wistra 2013 76,77; siehe zur „Verdichtung des Tatverdachts“ auch Alvermann/Talaska wistra 2008 239.
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schnittlichen Verfahren138 jeglicher Art zu messen sein,139 auf einen Vergleich mit Verfahren, in denen Sicherstellungsmaßnahmen angeordnet wurden, kommt es nicht an. Es ist nicht ausreichend, dass die Ermittlungen schwierig sind oder einen größeren Umfang haben.140 Die Ermittlungen müssen sich vom Durchschnitt anderer Ermittlungen deutlich abheben und deshalb die Strafverfolgungsorgane davon abhalten, den Sachverhalt (schneller) aufzuklären.141 Wesentliche Kriterien werden Zahl, Art und Umfang der aufzuklärenden Straftaten und das Ausmaß der notwendigen Ermittlungen, die Zahl der Beschuldigten und Zeugen und deren Erreichbarkeit sein. Andere wichtige Gründe müssen in ihrer Bedeutung mit den genannten Gründen strukturell vergleichbar sein. In Betracht kommen missbräuchliche Verfahrensverzögerungen des Beschuldigten sowie Umstände, denen die Strafverfolgungsbehörden nicht durch geeignete Maßnahmen haben entgegenwirken können.142
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c) Ermessen. Die Aufrechterhaltung der Maßnahme nach Absatz 3 Satz 2 steht im Ermessen des Gerichts. Voraussetzung für eine Verlängerungsanordnung ist, dass die angeführten Gründe (Rn. 40 ff.) die Fortdauer der Maßnahme rechtfertigen. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist entsprechend Rechnung zu tragen.143 Rechtfertigen die genannten Gründe keine Verlängerung um sechs Monate, ist auch eine kürzere Verlängerung möglich.144 Mehrere kürzere Verlängerungen sind bis zur Höchstdauer von insgesamt zwölf Monaten denkbar.145 Die Maßnahmen können auch aufrechterhalten, auf eine Beschwerde hin aber ausgesetzt werden.146
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5. Zwölfsmonatsgrenze, Abs. 3 Satz 3. Die Aufrechterhaltung einer Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 ist über zwölf Monate hinaus nur möglich, wenn dringende Gründe für die Annahme vorliegen, es werde zu einer Anordnung nach §§ 73 ff. oder 74 ff. StGB kommen bzw. die Voraussetzungen des Absatz 5 vorliegen. Liegen diese Gründe vor, kann die Maßnahme theoretisch unbefristet lange aufrechterhalten werden,147 es steigen lediglich die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung.148 Waren bereits Sicherungsmaßnahmen ausgebracht, die zwischenzeitlich wieder aufgehoben und dann neu angeordnet wurden, muss eine Anrechnung des vorherigen Zeitraums erfolgen.149 Wie sich aus Absatz 3 Satz 2 und 3 eindeutig ergibt, reicht ein dringender Grund nach Satz 2 nach Ablauf von zwölf Monaten nicht aus, um die Aufrechterhaltung der Maßnahme zu begründen.
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6. Zuständigkeit. Zuständig für die Entscheidung, eine Sicherungsmaßnahme aufrechtzuerhalten, ist das Gericht, das nach § 111e für die Anordnung der Maßnahme im Zeitpunkt der Entscheidung zuständig wäre. Die Fristverlängerungsentscheidung trifft daher im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter nach § 162 Abs. 1, nach Erhebung der öffentlichen Klage das mit der Sache befasste Gericht, § 162 Abs. 3. Niemals zuständig ist das Revisionsgericht (§ 111e, 2). Die Entscheidung über die Anordnung oder Ablehnung der Fortdauer der Maßnahme ist auch bei Entscheidungen des Ermittlungs-
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Meyer-Goßner § 121, 17. HK/Gercke 9. OLG Rostock wistra 2013 76, 78. OLG Rostock wistra 2013 76. Meyer-Goßner § 121, 21. SK/Rogall 33.
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Meyer-Goßner 8. Meyer-Goßner 8. BGH NStZ 2010 343. Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 25. Alvermann/Talaska wistra 2008 239. OLG Jena StV 2005 90, 92.
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richters des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug (§ 304 Abs. 4 und 5) mit der Beschwerde anfechtbar, da § 304 Abs. 4 mit „Beschlagnahme“ auch den dinglichen Arrest erfassen will.150 7. Verfahren. Können spätestens nach sechs Monaten dringende Gründe (Rn. 39) 46 nicht bejaht werden, hebt das Gericht die Beschlagnahme oder den Arrest von Amts wegen oder auf Antrag eines Betroffenen oder der Staatsanwaltschaft auf. Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 3 Satz 2 vor, kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Frist um bis zu weitere 6 Monate verlängern. Fristüberschreitungen sind grundsätzlich unschädlich, da das Gesetz die Aufhebung der Maßnahme durch das Gericht verlangt und nicht bestimmt, dass diese bei Fristablauf unwirksam wird, wie dies etwa bei der Sonderregelung des § 111n Abs. 1 Satz 3 der Fall ist. Eine Fortdauerentscheidung ist vom Wortlaut der Vorschrift nicht vorgesehen, wenn bereits bei der Anordnung der Maßnahme dringende Gründe vorlagen. Dies ergibt sich aus Absatz 3 Satz 1, der nur für den Fall des Nichtvorliegens dringender Gründe eine Aufhebung vorschreibt.151 Nach Ablauf der zwölf Monate sieht das Gesetz keine weitere Prüfung der Aufrechterhaltung der Maßnahme vor. Der Betroffene kann eine Überprüfung oder Abänderung der Maßnahme jederzeit verlangen,152 das Gericht sollte spätestens nach 6 Monaten von Amts wegen eine Überprüfung vornehmen. 8. Form. Die Entscheidungen über die Fristverlängerung und die Fortdauer der Maß- 47 nahme ergehen als Beschluss nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten und auf der Grundlage der Akten. Diese sind im Ermittlungsverfahren vollständig vorzulegen (§ 111a, 51).
V. Anwendung der §§ 102 bis 110, Abs. 4 Nach Absatz 4 gelten die Vorschriften über die Durchsuchung nach §§ 102 bis 110 48 im Rahmen der Vermögensabschöpfung entsprechend. Die Regelung in Absatz 4 hat sehr weitreichende Bedeutung. Sie führt dazu, dass bei dem Verdacht auf das Vorliegen von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung einschließlich des jeweiligen Wertersatzes unterliegen, nach diesen gesucht werden kann.153 Voraussetzung ist eine entsprechende Anordnung nach § 105 StPO. Die Verweisungsnorm des Absatzes 4 bezieht sich auf sämtliche Arten der Sicherstellung nach Absatz 1 bis 3 und Absatz 5 nimmt ausdrücklich auch Absatz 4 in Bezug. Die Maßnahme ist daher auch dann zulässig, wenn die Sicherstellung im Wege des dinglichen Arrests erfolgen soll und wenn sie „lediglich“ der Rückgewinnungshilfe154 (Rn. 9) dient. Die Vorschrift ermöglicht auch die Suche nach Unterlagen, aus denen sich das Vorhandensein von solchen Vermögensgegenständen ergibt.155 Eine Beschlagnahme- oder Arrestanordnung nach § 111e muss noch nicht vorliegen. Die Beschlagnahmeverbote des § 97 gelten für dem Verfall oder der Einziehung unterliegende Gegenstände nicht.156 Entsprechend beschlagnahmte Gegenstände dürfen dann aber nicht als Beweismittel verwertet werden.157
150 151 152 153 154
BGHSt 29 13, 14; BGH NJW 2002 765. SK/Rogall 34. SK/Rogall 34. OLG Zweibrücken NStZ 2003 446; KK/Nack 15. KK/Nack 15; OLG Zweibrücken NStZ
155 156 157
2003 446; offengelassen OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111. OLG Zweibrücken NStZ 2003 446. HK/Gercke 1. SK/Rogall 35.
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VI. Schutz des Verletzten, „Rückgewinnungshilfe“, Abs. 5 49
1. Allgemeines. Sind dem Verletzten aus der Tat Ansprüche gegen den Täter erwachsen, schließt das materielle Recht eine Verfallsanordnung gegenüber dem Beschuldigten aus, soweit deren Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer das aus der Tat Erlangte entziehen würde, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB. Der Ausschluss gilt für den Verfall, den Verfall von Wertersatz und den erweiterten Verfall. Er gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Sicherstellung Verletzte noch nicht namentlich bekannt sind und sich noch nicht absehen lässt, ob diese Ansprüche überhaupt geltend machen werden.158 Es kommt diesbezüglich nur auf die rechtliche Existenz des Anspruchs an.159 Durch diesen materiell-rechtlichen Ausschluss des Verfalls können Lücken in der vorläufigen Sicherstellung der Vermögenswerte entstehen. Den Strafverfolgungsbehörden wird deshalb durch Absatz 5 die vorläufige Sicherstellung nach Absatz 1 und 2 zugunsten des Verletzten ermöglicht, obwohl die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegen. Die Absätze 1 und 2 dürfen dadurch so angewendet werden, als ob es § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht gäbe und deshalb der Verfall angeordnet werden könnte.160 Ist unklar, ob Verletzte Ansprüche in diesem Sinne haben, kann die Sicherstellung auf Absatz 1 oder 2 und auf Absatz 5 gestützt werden.161 Die Ermittlungsbehörden müssen zu diesem Zeitpunkt noch nicht prüfen, ob § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB im konkreten Fall anwendbar ist.162 Die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten zugunsten des Verletzten entbindet diesen jedoch nicht davon, selbst aktiv die Durchsetzung seiner Ansprüche zu betreiben.163 Vielmehr muss auch er sich einen (vorläufig) vollstreckbaren Titel erstreiten (Urteil, dinglicher Arrest, Vollstreckungsbescheid) und sich um die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel in das sichergestellte Vermögen bemühen. Vgl. hierzu ausführlich § 111g.
50
2. Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB. Dem Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB muss ein Anspruch aus der Tat erwachsen sein, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer das aus der Tat Erlangte entziehen würde.
51
a) Begriff des Verletzten. Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist, wer durch die Tat im prozessualen Sinne geschädigt ist.164 Auf das Schutzgut des verletzten Strafgesetzes kommt es nicht an.165 Verletzter kann grundsätzlich neben jeder natürlichen Person, eine Personengemeinschaft oder eine juristische Person sein.166 Auch der Staat kann Verletzter einer Straftat sein.167 Der Anspruch kann in Gestalt eines Herausgabe-, Bereicherungs- oder Ersatzanspruchs bestehen. Siehe im Übrigen Rn. 9.
158 159 160 161
162 163 164
BGH NStZ-RR 2007 110; BGH NStZ 2006 621. Statt vieler: Fischer § 73, 18 m.w.N. Theile StV 2009 161, 163, Meyer-Goßner 5. OLG Hamburg NJW 2012 1601, 1607; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111, 113; LG Hildesheim StraFo 2008 200, 202; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 20; a.A. Marel StV 2004 414, 415; SK/Rogall 40. Meyer-Goßner 5. SK/Rogall vor §§ 111b ff., 3. OLG Hamburg wistra 2011 279.
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165 166 167
BGH NJW 2013 950, 951. Kiethe/Hohmann NStZ 2003 505, 508. BGH NStZ 2001 155, 156; Rönnau/Hohn JR 2002 298, 299; so z.B. auch der Steuerfiskus BGH JR 2010 34, 35; BGH NJW 2001 693; auch schon LG Aachen NJW 1978 385; zu den Voraussetzungen der Anordnung der Rückgewinnungshilfe zu Gunsten des Steuerfikus vgl. Theile StV 2009 161, 162, allgemein Madauß NZWiSt 2013 128 ff.
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b) Streitstand zum Begriff „aus der Straftat entstanden“. Der Anspruch des Verletz- 52 ten muss „aus der Straftat“ entstanden sein. Das Merkmal ist umstritten.168 Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung169 zur Steuerhinterziehung drei Fallgruppen gebildet und versucht, die mannigfaltigen Möglichkeiten dieses Tatbestandsmerkmals zu kategorisieren. Zu einer ersten Gruppe sollen danach diejenigen Ansprüche gehören, die erst aufgrund des der Straftat zugrunde liegenden Geschehens zur Entstehung gelangt sind. Hiervon seien insbesondere Schadensersatz- und Herausgabeansprüche erfasst, mit denen „durch die Straftat verlorene Vermögenswerte zurückzuholen“ sind. Eine zweite Gruppe bilden nach dem BGH die Ansprüche des durch eine Straftat Geschädigten, die zwar bereits vor der Straftat bestanden haben, die aber Gegenstand der Straftat sind. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Steuerdelikte. Eine dritte Gruppe umfasse alle sonstigen Ansprüche eines Dritten, deren Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde, ohne dass ein engerer Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Anspruch bestehe. Der BGH vertritt seither die Auffassung, dass Ansprüche der ersten und zweiten Gruppe „aus der Straftat entstanden“ seien, während dieses Tatbestandsmerkmal bei der dritten Gruppe nicht erfüllt sei. Dem kann nur insoweit gefolgt werden, als Ansprüche der ersten Gruppe zweifelsfrei „aus der Tat“ erlangt sind, während Ansprüche der dritten Gruppe nach zutreffender Ansicht nicht „aus der Tat“ entstanden sind.170 Bei der zweiten Gruppe ist die Einordnung indes schwieriger. Der Wortlaut schließt die Lesart des BGH schlicht aus, denn Steueransprüche entstehen mit Eintritt der Voraussetzungen des jeweiligen Abgabetatbestandes. Erst die Nichterfüllung dieser Ansprüche begründet die Strafbarkeit, die Ansprüche entstehen damit lange vor der Straftat ihrer Hinterziehung, weshalb entsprechende Steuerzahlungsansprüche nicht „aus der Straftat entstanden“ sein können. Ansprüche der zweiten Gruppe i.S.d. höchstrichterlichen Rechtsprechung sind folglich Gegenstand der Tat171 und nicht „aus“ ihr entstanden. Das vom BGH gefundene Ergebnis überzeugt jedoch. Denn die Annahme, bei einer Steuerhinterziehung stünde § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Anordnung von Verfall entgegen, entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung, den Beschuldigten nicht doppelter Inanspruchnahme durch das Strafverfahren und den Verletzten auszusetzen. Die Steuer muss nachträglich abgeführt werden und der Täter ist durch sie nicht bereichert. Erreicht werden kann dieses Ergebnis aufgrund der Wortlautgrenze aber nur über eine analoge Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB. Diese Analogie begegnet verfassungsrechtlich keinen Bedenken, da es sich um eine Analogie zugunsten des Täters handelt.172 Sie ist daher im Ergebnis verfassungskonform.173 Um den Normzweck zu erreichen, sollte jedoch eine Lösung über § 73c StGB gesucht werden,174 da es hierbei nicht auf das Vorliegen der Analogievoraussetzungen ankommt. 3. Anspruch des Verletzten auf Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe. Ausgehend 53 vom Wortlaut der Norm gilt über die Verweisung in Absatz 5 auf Absatz 1 und 2 die „Kann-Formel“ auch für die Rückgewinnungshilfe. Eine Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, zugunsten des Verletzten eine Sicherstellung vorzunehmen, lässt sich – anders als bei den Sicherstellungen nach Absatz 1 und 2 – nicht auf das Legalitätsprinzip stützen. Es wird deshalb überwiegend die Auffassung vertreten, Beschlagnahme oder dinglicher Arrest, die der Rückgewinnungshilfe des Verletzten dienen, stünden im Ermes168 169 170 171
Ausführliche Darstellung bei Rönnau/Hohn JR 2002 298, 299. BGH NJW 2001 693, 694. Ausführlich Rönnau/Hohn JR 2002 298. Rönnau/Hohn JR 2002 298, 300; a.A.
172 173 174
BGH wistra 2010 406, wonach hinterzogene Steuern aus der Tat erlangt seien. Rönnau/Hohn JR 2002 298, 301. A.A. LR/Schäfer 25 49a. Fischer § 73c, 4a m.w.N.
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sen der Beschlagnahmebehörde.175 In der Literatur wird jedoch seit geraumer Zeit auch dargelegt, dass sich die Bedeutung des Opferschutzes in der Legislatur gewandelt176 und in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.177 Dieser zu begrüßenden Entwicklung muss bei der Ermessensausübung hinreichend Rechnung getragen werden. Hieraus ergibt sich zum einen, dass aus der gesetzlichen Formulierung als Ermessensformel nicht der irrige Schluss gezogen werden darf, Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe stünden im freien Belieben der Strafverfolgungsorgane.178 Mit dem Gesetzeswortlaut ebenso unvereinbar ist die disparate Annahme, eine Sicherungsmaßnahme sei in aller Regel zwingend zu beantragen.179 Die Frage ist vielmehr differenziert mit Hilfe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden.180 Vor jeder Sicherungsmaßnahme ist zunächst festzustellen, ob überhaupt ein Sicherungsbedürfnis181 des Verletzten besteht. Dabei dürfen nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden, denn auch für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zugunsten des Verletzten sind einfache Gründe ausreichend. Zu berücksichtigen ist etwa, dass der Steuerfiskus über die §§ 324 ff. AO eine adäquate Sicherung von Vermögenswerten in eigener Hand hat182 oder dass ein Verletzter sich mehrere Monate oder gar Jahre nicht um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.183 Dies sind Aspekte, die das Sicherungsbedürfnis des Verletzten schwächen können. Ein Sicherungsbedürfnis darf andererseits nicht grundsätzlich deshalb verneint werden, weil es sich bei dem Verletzten um ein Unternehmen handelt, das über eine eigene Rechtsabteilung verfügt.184 Das Gesetz kennt keine Differenzierung von Opfern nach deren rechtlicher oder wirtschaftlicher Potenz.185 Konnte ein Sicherungsbedürfnis des Verletzten festgestellt werden, hat eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen an freier Verfügungsbefugnis über seine Vermögenswerte und diesem Sicherstellungsbedürfnis186 des Verletzten zu erfolgen.187 Kriterien dieser Abwägung sind der Umfang des Eingriffs in die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen,188 sonstige außergewöhnlichen Belange des Betroffenen und die Möglichkeiten des Verletzten, seine Ansprüche ohne die staatliche Unterstützung gleich effektiv durchsetzen zu können.189 Überwiegen die Interessen des Betroffenen diejenigen des Verletzten nicht wesentlich, hat die Sicherungsmaßnahme zu erfolgen. In den übrigen Fällen kann, muss sie aber nicht unterbleiben. Diese Bindung der Strafverfolgungsbehörden wird vom gesetzgeberischen Willen getragen, der sich aus der Schaffung des § 111i Abs. 2 bis 7 ergibt. Unterbleiben nämlich Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe, kann sich auch 175
176 177
178 179 180 181
OLG Celle StV 2009 120, 121; Schlachetzki wistra 2011 41, 44; Bach JR 2008 230; Meyer-Goßner 6; KK/Nack 18; Park StraFo 2002 73, 77; Malitz NStZ 2002 337, 339; Wehnert/Mosiek StV 2005 568, 571; kritisch Mainzer DRiZ 2002 97, 102. Achenbach NStZ 2001 401, 402 mit Nachweisen zur Entwicklung in der Legislatur. Bach JR 2004 230; siehe beispielshalber das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2280. Achenbach NStZ 2001 401, 402. Webel wistra 2004 249, 253. BVerfG StraFo 2005 338, 339. Hierzu OLG Nürnberg NStZ 2011 173; KK/Nack 13.
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183 184
185 186 187 188 189
OLG Celle StV 2009 120; Meyer-Goßner § 111d, 4, der von einem „deutlich reduzierten Sicherungsbedürfnis“ ausgeht; zu dem Verhältnis der Sicherungsmöglichkeiten aus Sicht der steuerrechtlichen Praxis Madauß NZWiSt 2013 128 ff. BVerfG StraFo 2005 338, 339. OLG Celle wistra 2013 39, 40; LG Hildesheim StraFo 2008 200; so aber Park StraFo 2002 73, 77. OLG Celle wistra 2013 39, 40. BGH NStZ 1991 437, 438. In diesem Sinne auch Schlachetzki wistra 2011 41, 45. OLG Celle StV 2009 120, 122. Umfassend dazu Schlachetzki wistra 2011 41, 44 f.
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kein Auffangrechtserwerb des Staates vollziehen. Der Auffangrechtserwerb stellt indes eine Grundentscheidung des Gesetzgebers dar,190 der in größtmöglichem Umfange Geltung zu verschaffen ist. Darüber hinaus wird so der gestiegenen Bedeutung des Opferschutzes in angemessenem Umfange Rechnung getragen, ohne die Rechte des Beschuldigten aus den Augen zu lassen. Das immer wieder anzutreffende Argument, das Strafverfahren diene nicht der Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen,191 ist in diesem Kontext inadäquat.192 Die Unterstützung des Geschädigten bei seinen Bemühungen um Schadloshaltung ist von der stellvertretenden Wahrnehmung seiner Interessen scharf zu trennen.193 Eine stellvertretende Interessenwahrnehmung ist schon von Gesetzes wegen nicht möglich, wie die §§ 111g, 111h und 111i zeigen. Einer veränderten Sachlage kann jederzeit durch eine (teilweise) Aufhebung der Maßnahmen Rechnung getragen werden. Selbst bei geringem Schaden und hohem Aufwand für die Sicherstellung194 kann die Sicherungsmaßnahme von Seiten der Strafverfolgungsbehörden nicht einfach abgelehnt werden, da sich eine strenge Wertgrenze ohnehin nicht pauschal bestimmen lässt.195 Es muss vielmehr auch dann nach den hier beschriebenen Kriterien eine Abwägung mit dem Sicherstellungsbedürfnis stattzufinden. Nach alledem ist festzuhalten, dass der Verletzte keinen Anspruch auf die Durchfüh- 54 rung der Rückgewinnungshilfe hat.196 Allerdings hat er als Verletzter aus einer Straftat einen Anspruch gegen die Strafverfolgungsbehörden auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Stimmt er mit der Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts nicht überein, kann er nach der Auffassung der Rechtsprechung hiergegen bisher im Beschwerdewege nicht vorgehen und die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden nicht auf Ermessensfehler überprüfen lassen.197 Da zu befürchten ist, dass sich andere Gerichte dieser Entscheidung anschließen werden, sollte der Gesetzgeber dem Verletzten ausdrücklich einen entsprechenden Rechtsbehelf an die Hand geben, durch die er die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, etwa im Beschwerdewege, überprüfen lassen kann. Nur mit entsprechenden Rechtsmitteln kann der Opferschutz in der juristischen Praxis auch durchgesetzt werden. 4. Verfahren. Da Absatz 5 die Absätze 1 bis 4 für entsprechend anwendbar erklärt, 55 unterscheidet sich das Sicherstellungsverfahren zugunsten des Verletzten nicht von dem zur Sicherung von Verfall und Einziehung oder des jeweiligen Wertersatzes. Es ist für den Bestand der Sicherstellung auch unerheblich, ob die Maßnahme auf Absatz 1, 2 oder 5 gestützt ist. Es gelten insbesondere dieselben Tatverdachtsschwellen198 und es besteht kein Erfordernis einer Fortdauerentscheidung über sechs Monate hinaus, Rn. 46. 5. Zugriff des Verletzten auf sichergestellte Vermögenswerte.199 Will der Verletzte in 56 nach § 111c beschlagnahmte Gegenstände die Zwangsvollstreckung oder in nach § 111d gesicherte Vermögenswerte den Arrest vollziehen, bedarf er neben einem (vorläufig) vollstreckbaren Titel der Zulassung durch das Gericht nach §§ 111g, 111h. Nur so kann er 190 191
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Lohse JR 2011 242, 243. LG Frankfurt als Vorinstanz zu OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 111; HK/Gercke 19; KK/Nack 6; zustimmend Marel StV 2004 414, 415; in diesem Sinne auch Malitz NStZ 2002 337, 344. In diesem Sinne auch Bittmann wistra 2013 218. Malitz NStZ 2002 337, 339.
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Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13. Bach JR 2008 230, 233 stellt die Wertgrenzen dar, die in der Literatur vorgeschlagen werden. OLG Celle wistra 2013 39. OLG Celle wistra 2013 39. Achenbach NStZ 2001 401. Gute Übersicht bei Hess GRUR 2002 1037, 1038.
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die Vorteile der Beschlagnahme, insbesondere das durch die Beschlagnahme eingetretene Veräußerungsverbot, zu seinen Gunsten nutzen. Will er aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Titels im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung auf ein nach § 111d arrestiertes Grundstück zugreifen, so kann er nach § 111h verlangen, dass die durch den Vollzug des Arrestes nach § 111d begründete Sicherungshypothek hinter seinem Recht im Rang zurücktritt. Einzelheiten bei § 111g, 111h.
VII. Sicherstellung nach §§ 111b ff. und Insolvenz200 57
Die Auswirkungen von Sicherstellungen nach §§ 111b ff. auf ein Insolvenzverfahren sind seit jeher umstritten. Klar geregelt ist, dass während der Dauer eines Insolvenzverfahrens keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, § 89 Abs. 1 InsO. Es dürfen daher weder Beschlagnahme noch dinglicher Arrest, auch nicht zur Rückgewinnungshilfe, angeordnet werden.201
VIII. Verhältnis zur Beweismittelbeschlagnahme 58
Beweismittelbeschlagnahme und Beschlagnahme zur Sicherstellung haben unterschiedliche Voraussetzungen und Wirkungen. Beide Institute laufen deshalb parallel.202
IX. Abgeordnete 59
Die Erläuterungen zu § 98, 80 ff. gelten entsprechend.
X. Kosten 60
Die Kosten der Sicherstellung sind Kosten des Verfahrens,203 für entstehende Gebühren und Gerichtskosten hat zunächst der Justizfiskus aufzukommen. Dies gilt insbesondere auch für die im Zwangsvollstreckungsverfahren entstehenden Kosten und auch dann, wenn die Maßnahmen nur im Interesse des Verletzten ausgebracht wurden.204 Nach § 788 ZPO hat die Kosten der Zwangsvollstreckung an sich der Schuldner zu tragen. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Maßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist jedoch nicht angemessen.205 Über die endgültige Tragung der Kosten entscheidet die verfahrensbeendende Entscheidung (§ 464).206
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201
Übersicht über die Probleme im Zusammenhang mit der Insolvenz des Beschuldigten bei OLG Nürnberg WM 2013 1238 ff.; OLG Frankfurt ZIP 2009 1582; KG NJW 2005 3735; OLG Köln ZIP 2004 2013; Bittmann wistra 2013 218, 220 f.; v. Gleichenstein ZIP 2008 1151; Greier ZInsO 2007 953; Malitz NStZ 2003 61, 66; Kiethe/Groeschke/Hohmann ZIP 2003 185; Malitz NStZ 2002 337, 340. LG Saarbrücken NStZ-RR 2004 274;
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Meyer-Goßner 6; vgl. ansonsten zum Verhältnis der §§ 111b ff. zur Insolvenz: SK/Rogall vor §§ 111b ff., 44. HK/Gercke 1; SK/Rogall vor §§ 111b ff., 2 und 27 ff. KK/Nack 21. OLG Düsseldorf StV 2003 550, 551; HK/Gercke 22; Meyer-Goßner 16. OLG Düsseldorf StV 2003 550, 551. Zum Gegenstandswert beim dinglichen Arrest OLG Hamm wistra 2008 160.
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§ 111c (1) Die Beschlagnahme einer beweglichen Sache wird in den Fällen des § 111b dadurch bewirkt, daß die Sache in Gewahrsam genommen oder die Beschlagnahme durch Siegel oder in anderer Weise kenntlich gemacht wird. (2) 1Die Beschlagnahme eines Grundstückes oder eines Rechtes, das den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegt, wird dadurch bewirkt, daß ein Vermerk über die Beschlagnahme in das Grundbuch eingetragen wird. 2Die Vorschriften des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung über den Umfang der Beschlagnahme bei der Zwangsversteigerung gelten entsprechend. (3) 1Die Beschlagnahme einer Forderung oder eines anderen Vermögensrechtes, das nicht den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegt, wird durch Pfändung bewirkt. 2Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte sind insoweit sinngemäß anzuwenden. 3Mit der Beschlagnahme ist die Aufforderung zur Abgabe der in § 840 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Erklärungen zu verbinden. (4) 1Die Beschlagnahme von Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen wird nach Absatz 1 bewirkt. 2Bei solchen Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen, die im Schiffsregister, Schiffsbauregister oder Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind, ist die Beschlagnahme im Register einzutragen. 3Nicht eingetragene, aber eintragungsfähige Schiffsbauwerke oder Luftfahrzeuge können zu diesem Zweck zur Eintragung angemeldet werden; die Vorschriften, die bei der Anmeldung durch eine Person, die auf Grund eines vollstreckbaren Titels eine Eintragung in das Register verlangen kann, anzuwenden sind, gelten hierbei entsprechend. (5) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach den Absätzen 1 bis 4 hat die Wirkung eines Veräußerungsverbotes im Sinne des § 136 des Bürgerlichen Gesetzbuches; das Verbot umfaßt auch andere Verfügungen als Veräußerungen. (6) 1Eine beschlagnahmte bewegliche Sache kann dem Betroffenen 1. gegen sofortige Erlegung des Wertes zurückgegeben oder 2. unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs zur vorläufigen weiteren Benutzung bis zum Abschluß des Verfahrens überlassen werden. 2Der nach Satz 1 Nr. 1 erlegte Betrag tritt an die Stelle der Sache. 3Die Maßnahme nach Satz 1 Nr. 2 kann davon abhängig gemacht werden, daß der Betroffene Sicherheit leistet oder bestimmte Auflagen erfüllt. Schrifttum siehe bei § 111b.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB 1974 eingefügt. Sie blieb seither unverändert. Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
II. Bewirkung der Beschlagnahme 1. Bewegliche Sachen, Abs. 1 . . . . . . . a) Inverwahrungnahme . . . . . . . . b) Kenntlichmachung durch Siegel oder in anderer Weise . . . . . . . . . .
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Rn. 2. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . 3. Forderungen und andere Vermögensrechte, Abs. 3 a) Pfändung . . . . . . . . . . . . . . b) Aufforderung zur Drittschuldnererklärung . . . . . . . . . . . . . .
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Übersicht Rn. 4. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge, Abs. 4 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Nicht Eingetragene . . . . . . . . . c) Im Register Eingetragene . . . . . . III. Veräußerungsverbot, Abs. 5
. . . . . . .
Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückgabe gegen Erlegung des Wertes . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überlassung zur vorläufigen weiteren Benutzung . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Rechtsmittel
. . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Rückgabe beschlagnahmter beweglicher Sachen an den Betroffenen, Abs. 6
Alphabetische Übersicht Absolutes Veräußerungsverbot 18 Ansprüche eines Verletzten 2 Anwendbare Vorschriften 10 Aufforderung zur Drittschuldnererklärung 11 Ausgangsnorm 1 Beschlagnahme 15 Bestimmte Gegenstände 3 Bewegliche Sachen 3 Drittschuldnererklärung 11 Eintragungsfähig 14 Ersuchen um Eintragung 7 Forderungen und andere Vermögensrechte 8 Gegenstand zunächst als Beweismittel 17 Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte 6 Insolvenzverfahren 17 Interesse des Betroffenen 5 Leistung einer Sicherheit 22 Ohne Eintragung wirksam 13 Pfändung 8
Rechtsmittel 24 Rückgabe gegen Erlegung des Wertes 20 Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge 13 Sinngemäßen Anwendung 8, 9 Staatsanwaltschaft 12 Tatsächliche Gewalt 4 Überlassen unter Auflagen 23 Überlassung zur vorläufigen weiteren Benutzung 21 Umfang der Beschlagnahme 6 Veräußerungsverbot 16 Vereinbarung zwischen der Beschlagnahmebehörde und dem Betroffenen 20 Vermerk über die Beschlagnahme in das Grundbuch 6 Verwahrung der Beschlagnahmegegenstände 19 Vorbehalt des Widerrufs 21 Vorschriften der Zivilprozessordnung 8 Wechsel der Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme 17 Wirkung eines Veräußerungsverbots 16
I. Allgemeines 1
§ 111b Abs. 1 bestimmt als Ausgangsnorm der Vermögensabschöpfungsregeln, dass Gegenstände durch Beschlagnahme nach § 111c sichergestellt werden können. Der Begriff der Gegenstände ist jedoch multipel. Er umfasst sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen und Rechte.1 Für die verschiedenen Arten von Gegenständen beschreibt deshalb § 111c in den Abs. 1 bis 4 die Art und Weise, in der die Beschlagnahme im Einzelnen bewirkt wird. Danach können etwa bewegliche Sachen in Gewahrsam genommen und Grundstücke durch einen Vermerk im Grundbuch beschlagnahmt werden. Der Begriff der Sicherstellung nach § 111b darf nicht mit jenem in § 94 verwechselt werden. Während es zur Begründung einer Sicherstellung nach § 94 ausreicht, wenn die Sache in Gewahrsam genommen wird (§ 94, 34 ff.) sind an die Sicherstellung nach §§ 111b Abs. 1, 111c besondere Anforderungen gestellt.2 Eine Beschlagnahme nach § 111c kann zwar durch Sicherstellung erfolgen, nicht jede Sicherstellung bewirkt jedoch auch eine Beschlagnahme im Sinne des § 111c.3 Durch die wirksame Beschlagnahme entsteht ein 1 2
Meyer-Goßner § 111b, 4. LG Flensburg StV 2004 644.
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LG Flensburg StV 2004 644.
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relatives Veräußerungsverbot zu Gunsten des Staates (Rn. 16), Abs. 5. Kommt ein Gegenstand sowohl als Beweismittel als auch als Verfalls- oder Einziehungsgegenstand in Betracht, müssen zur Herbeiführung der Wirkungen des Abs. 5 die Anordnungsvoraussetzungen des § 111e erfüllt sein, eine einfache Sicherstellung nach § 94 genügt auch dann nicht4. Für den Vollzug der Beschlagnahme gilt § 111f. In Abs. 6 finden sich schließlich Möglichkeiten, beschlagnahmte bewegliche Sachen an den Betroffenen zurückzugeben bzw. sie ihm zur vorläufigen weiteren Benutzung zu überlassen. Absatz 6 ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und korrespondiert mit § 74b Absatz 2 StGB. In § 111c ist nicht geregelt, wie die Beschlagnahme erlischt oder aufgehoben wird. Regelungen dazu finden sich vielmehr ebenfalls in § 111e. Siehe deshalb zum Erlöschen und zur Aufhebung der Beschlagnahme § 111e, 25 ff. Die §§ 111b ff. enthalten keine eigene Kostenregelung. Es muss daher auf allgemeine Grundsätze zurückgegriffen werden. Im Zwangsvollstreckungsverfahren entstehende Kosten hat nach § 788 ZPO an sich der Schuldner zu tragen. Indessen dürfte eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Maßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht angemessen sein. Die Kosten der Sicherstellung sind Kosten des Verfahrens,5 für entstehende Gebühren und Gerichtskosten hat deshalb zunächst der Justizfiskus aufzukommen. Über die endgültige Tragung der Kosten entscheidet die verfahrensbeendende Entscheidung (§ 464). Die Beschlagnahme kann auch zur Sicherung von Ansprüchen eines Verletzten an- 2 geordnet werden. Dies gilt selbst dann, wenn zu sichernde Ansprüche des Staates wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht in Betracht kommen und die Anordnung der Beschlagnahme alleine dazu dient, im Wege der „Rückgewinnungshilfe“ die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen der Geschädigten zu erleichtern oder zu gewährleisten. Zum Zugriff des Verletzten auf nach § 111c beschlagnahmte Gegenstände siehe § 111g und § 111h passim.
II. Bewirkung der Beschlagnahme 1. Bewegliche Sachen, Abs. 1. Bewegliche Sachen werden durch Inverwahrnahme oder 3 durch Kenntlichmachung beschlagnahmt. Der Begriff der beweglichen Sachen stimmt mit dem der körperlichen Sachen im Sinne des § 808 Abs. 1 ZPO überein.6 Er umfasst die beweglichen Sachen im Sinne des BGB,7 einschließlich der Wertpapiere, Wechsel und anderer indossablen Papiere.8 Nicht erfasst werden hingegen Rechte (Rn. 8 ff.), die nicht durch Besitzergreifung gepfändet werden sowie das unbewegliche Vermögen9 (Rn. 5). Es können nur bestimmte Gegenstände beschlagnahmt werden. Die pauschale Beschlagnahme „des vorhandenen Vermögens bis zu einer Höhe von … EUR“ ist anders als bei einem auf einen Geldbetrag gerichteten dinglichen Arrest unzulässig.10 Diese unterschiedliche Handhabung rechtfertigt sich dadurch, dass ein dinglicher Arrest einen später möglicherweise auszuurteilenden Zahlungsanspruch auf Wertersatz sichert, während es bei der Beschlagnahme um die Sicherung einer Einziehungs- oder Verfallsanordnung für einen bestimmten Gegenstand geht.11 Sollen EDV-Daten beschlagnahmt werden, ist zwischen den Daten und ihrem Speichermedium zu differenzieren. Das Speichermedium und
4 5 6 7
SK/Rogall 1; Meyer-Goßner 1. OLG Düsseldorf StV 2003 550, 551; KK/Nack § 111b, 21. HK/Gercke 2; SK/Rogall 4. S. dazu die Kommentare zum BGB bei § 90.
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Zöller/Stöber § 803, 1. Thomas/Putzo § 808, 1. LG Dresden StV 2004 531. LG Dresden StV 2004 531 mit weiteren Argumenten.
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die darauf gespeicherten Daten können nach allgemeinen Regeln als bewegliche Sache beschlagnahmt werden.12 Bei Daten, die sich nur im Arbeitsspeicher des Computers befinden, müssen diese zunächst auf einem Speichermedium gesichert und dann dieses beschlagnahmt werden.13 Befindet sich die Sache im Gewahrsam eines Dritten, ist zu unterscheiden, ob dieser herausgabebereit ist oder die Herausgabe verweigert. Im Falle der Herausgabebereitschaft richtet sich die Beschlagnahme nach § 809 ZPO. Beim nicht zur Herausgabe bereiten Dritten, kann die Sache nicht beschlagnahmt werden; es bleibt nur, den Herausgabeanspruch zu pfänden.14 Bei Ehegatten findet die Vermutung des § 739 ZPO in Verbindung mit § 1362 BGB Anwendung.15 Ist die Sache schon im Besitz der Staatsanwaltschaft, wird nicht entsprechend § 847 ZPO der Herausgabeanspruch, sondern der Gegenstand selbst gepfändet.16 Durch die Beschlagnahme entsteht ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis,17 durch das der Staat auf Zeit zum Besitz aus eigenem Recht berechtigt wird.18 Die Rückgabe der Sache kann an dem Ort erfolgen, an welchem die Gegenstände aufbewahrt wurden. Zur Verpflichtung der Justizbehörden, die Sache dem Berechtigten an dessen Wohnort zu bringen,19 § 111k, 16 ff.
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a) Inverwahrungnahme. Bewegliche Sachen werden grundsätzlich in der Weise beschlagnahmt, dass sie von der beschlagnahmenden Behörde (§ 111f) in Gewahrsam genommen werden.20 Die bloße Erklärung, die Sache sei beschlagnahmt, genügt nicht. Die Behörde muss sich die tatsächliche Gewalt über die Sache verschaffen. Die Art der Aufbewahrung ist Frage des Einzelfalles. Die Sachen können zu den Akten genommen, mit ihnen verbunden oder als Asservate verwahrt werden.21 Zulässig und in vielen Fällen auch zweckmäßig ist es, die Sachen durch Dritte entgeltlich verwahren zu lassen, wobei als Dritter auch andere Behörden in Betracht kommen. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Sache als beschlagnahmt gekennzeichnet wird 22 und dass die Sache nur an die Beschlagnahmebehörde wieder herausgegeben werden darf.23
5
b) Kenntlichmachung durch Siegel oder in anderer Weise. Diese Arten der Beschlagnahme treten neben die Inverwahrungnahme, ohne dass das Gesetz dafür besondere Voraussetzungen vorsehen würde. Die Kenntlichmachung durch Siegel oder in anderer Weise stellt eine symbolische Besitzergreifung dar.24 Kenntlichmachung wird vor allem in Betracht kommen, wenn eine Inverwahrungnahme wegen der Art oder Größe der Sache nicht möglich ist oder wenn die amtliche Verwahrung der Sache besonders schwierig oder kostspielig erscheint.25 Dem Interesse des Betroffenen an dem weiteren Besitz der Sache ist nicht durch eine besondere Art der Beschlagnahme, sondern durch eine Maßnahme nach Absatz 6 Rechnung zu tragen. Entsprechend der Vorschrift des § 808 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird man die Belassung von Geld, Kostbarkeiten und Wertpapieren im Besitz des Betroffenen für unzulässig halten müssen.26 Belässt der Gerichtsvollzieher andere Sachen im Gewahrsam des Schuldners, setzt die Beschlagnahme voraus, dass sie durch Siegel oder in anderer Weise kenntlich gemacht wird. Absatz 1 lehnt sich insoweit an 12 13 14 15 16 17 18 19
BVerfG NJW 2005 1917. BVerfG NJW 2009 2431, 2434; KK/Nack 2. KMR/Mayer 9; SK/Rogall 4. KMR/Mayer 9; Spieker StraFo 2002 43, 44. OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 144. BGH NJW 2005 988; BGH NStZ 2005 391, 392. HK/Gercke 2. Zum Ganzen: BGH NJW 2005 988.
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Meyer-Goßner 4. Meyer-Goßner 4; HK/Gercke 4. Meyer-Goßner 4. KK/Nack 2. HK/Gercke 5; Meyer-Goßner 5. Meyer-Goßner 5. Spieker StraFo 2002 43, 44; Meyer-Goßner 5; KMR/Mayer 11.
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§ 808 Abs. 2 Satz 2 ZPO an, die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze finden Anwendung.27 Ohne die vorgeschriebene Kenntlichmachung ist die Beschlagnahme unwirksam. Ebenso wie nach § 808 Abs. 2 ZPO der Gerichtsvollzieher28 hat nach § 111c Abs. 1 der Vollziehungsbeamte nur dann das Dienstsiegel zu verwenden, wenn die Anbringung von Siegelmarken oder anderen Pfandzeichen unmöglich oder unzweckmäßig ist.29 Das Anlegen des Siegels erfolgt im Allgemeinen durch Aufkleben der Siegelmarke auf den Beschlagnahmegegenstand30 oder durch eine mit Siegel versehene Plombe31.32 Es gilt der Grundsatz der Individual-, nicht der Raumpfändung.33 Die Versiegelung eines Raumes genügt daher nicht zur Beschlagnahme der in ihm befindlichen Sachen.34 Scheidet die Anbringung eines Siegels aus, so kommt insbesondere die Anbringung einer schriftlichen Pfandanzeige in der Nähe der Beschlagnahmegegenstände in Betracht.35 Sie ist so vorzunehmen, dass die Anzeige vom Betrachter bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt bemerkt werden kann.36 Die Beschlagnahme muss so gekennzeichnet werden, dass sie für jedermann deutlich und mühelos bemerkbar ist. Die Pfandanzeige darf auch keinen Zweifel daran lassen, welche Gegenstände beschlagnahmt sind. Die Gegenstände sind genau zu bezeichnen und die Pfandanzeige mit der Unterschrift des Vollziehungsbeamten zu versehen.37 Die Möglichkeiten der Beschlagnahme nach Abs. 1 können auch kombiniert werden.38 Ein Warenlager muss durch Erfassung der einzelnen Gegenstände beschlagnahmt werden. Möglich ist ebenfalls, dass Gegenstände durch Inverwahrungnahme und das Anbringen eines Siegels beschlagnahmt werden, etwa bei komplizierten Maschinen oder Anlagen.39 Wird die Pfändung ohne Wissen und Wollen des vollstreckenden Beamten (§ 111f Abs. 1) unkenntlich, besteht sie gleichwohl fort.40 Der Vollziehungsbeamte hat die Pfandzeichen unverzüglich zu erneuern.41 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Kommentare zu § 808 ZPO verwiesen. 2. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, Abs. 2. Die Beschlagnahme von 6 Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten wird dadurch bewirkt, dass ein Vermerk über die Beschlagnahme in das Grundbuch eingetragen wird. Zu den grundstücksgleichen Rechten gehören nach § 864 Abs. 1 ZPO außer den Grundstücken mit ihren Bestandteilen42 und ihrem Zubehör 43 die Berechtigungen, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten. Das sind etwa das Erbbaurecht, das Wohnungseigentum, das Bergwerkseigentum, landesrechtliche Jagd- und Fischereigerechtigkeiten sowie Kohlenabbaugerechtigkeiten.44 Um einen Vermerk über die Beschlagnahme in das Grundbuch zu erhalten, müssen Erklärungen und Ersuchen der Vollzugsbehörde auf Eintragung in das Grundbuch unterschrieben und mit Siegel oder Stempel versehen werden, § 29 Abs. 3, 38 GBO. Für die Reihenfolge und den Rang der Eintragung gilt § 45 GBO. Da es sich bei der Beschlagnahme um eine vorläufige Sicherungsmaßnahme handelt, ist die Beschlagnahmebehörde verpflichtet, das Grundstück oder grundstücksgleiche Recht 27 28 29 30 31 32 33 34
Spieker StraFo 2002 43, 44; Siehe hierzu ausführlich Zöller/Stöber § 808, 18 f. Vgl. RGSt 36 165; RGZ 126 346; Thomas/ Putzo § 808, 12. Zöller/Stöber § 808, 19. Meyer-Goßner 5. Frankfurt MDR 1973 1033. HK/Gercke 5. Siehe aber zur Versiegelung von Räumen Zöller/Stöber § 808 Rn. 19. KK/Nack 2.
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Zöller/Stöber § 808, 20. Zöller/Stöber § 808, 19. Zöller/Stöber § 808, 20 zur Pfändung durch den Gerichtsvollzieher. Meyer-Goßner 6; HK/Gercke 5. Meyer-Goßner 6. Thomas/Putzo § 808, 14. Thomas/Putzo § 808, 14. Zöller/Stöber § 864, 1. Thomas/Putzo § 865, 2. Zöller/Stöber § 864, 2.
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im Wert zu erhalten.45 Der hierzu ergangenen Entscheidung des OLG München lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem die Behörden sowohl eine Eigentumswohnung als auch Bankkonten des Betroffenen beschlagnahmt hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte dann Geldbeträge freizugeben, um so den Erhalt der Eigentumswohnung zu gewährleisten. Ob diese Erhaltungspflicht auch dann besteht, wenn der Betroffene nur über ein Grundstück oder grundstückgleiches Recht verfügt und die Behörden daher mit eigenen Mittel für die Erhaltung sorgen müssten, erscheint zweifelhaft. Richtigerweise wird die Behörde nur dazu verpflichtet sein, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln des Betroffenen angemessen zu haushalten und im Falle der Notwendigkeit zum Erhalt des Vermögens Mittel freizugeben. Sie kann nicht verpflichtet werden, auf Kosten der Allgemeinheit Vermögenswerte des Beschuldigten oder eines Dritten zu erhalten. Für den Umfang der Beschlagnahme verweist Absatz 2 Satz 2 auf die Vorschriften des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung. Wichtig sind § 20 Abs. 2 und § 21 ZVG.46 Diese Vorschriften lauten: § 20 Abs. 2 ZVG Die Beschlagnahme umfaßt auch diejenigen Gegenstände, auf welche sich bei einem Grundstück die Hypothek erstreckt. § 21 ZVG (1) Die Beschlagnahme umfaßt land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse des Grundstücks sowie die Forderung aus einer Versicherung solcher Erzeugnisse nur, soweit die Erzeugnisse noch mit dem Boden verbunden oder soweit sie Zubehör des Grundstücks sind. (2) Die Beschlagnahme umfaßt nicht die Miet- und Pachtforderungen sowie die Ansprüche aus einem mit dem Eigentum an dem Grundstück verbundenen Rechte auf wiederkehrende Leistungen. (3) Das Recht eines Pächters auf den Fruchtgenuß wird von der Beschlagnahme nicht berührt.
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Das Ersuchen um Eintragung stellt nach § 111f Abs. 2 Satz 1 die Staatsanwaltschaft oder, wenn dies zur Beschleunigung angezeigt ist, das Gericht, welches die Beschlagnahme angeordnet hat. 3. Forderungen und andere Vermögensrechte, Abs. 3
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a) Pfändung. Die Beschlagnahme von Forderungen und anderen Vermögensrechten, die nicht den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, wird durch Pfändung bewirkt. Bei dieser sind nach Absatz 3 Satz 2 die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte sinngemäß anzuwenden. In Betracht kommt vor allem die Anwendung des § 829 ZPO, der die Pfändung einer Geldforderung regelt. Die Vorschrift lautet: § 829 ZPO Pfändung einer Geldforderung (1) 1Soll eine Geldforderung gepfändet werden, so hat das Gericht dem Drittschuldner zu verbieten, an den Schuldner zu zahlen. 2Zugleich hat das Gericht an den Schuldner das Gebot zu erlassen, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. 3Die Pfändung mehrerer Geldforderungen gegen verschiedene Drittschuldner soll auf Antrag des Gläubigers durch einheitlichen Beschluss ausgesprochen werden, soweit dies für Zwecke der Vollstreckung geboten erscheint und kein Grund zu der Annahme besteht, dass schutzwürdige Interessen der Drittschuldner entgegenstehen.
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OLG München StV 2003 151, 152.
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Dazu Spieker StraFo 2002 43, 45.
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(2) 1Der Gläubiger hat den Beschluss dem Drittschuldner zustellen zu lassen. 2Der Gerichtsvollzieher hat den Beschluss mit einer Abschrift der Zustellungsurkunde dem Schuldner sofort zuzustellen, sofern nicht eine öffentliche Zustellung erforderlich wird. 3An Stelle einer an den Schuldner im Ausland zu bewirkenden Zustellung erfolgt die Zustellung durch Aufgabe zur Post. (3) Mit der Zustellung des Beschlusses an den Drittschuldner ist die Pfändung als bewirkt anzusehen. (4) – Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung –
Bei der sinngemäßen Anwendung der Vorschrift ist Folgendes zu beachten: Der Ver- 9 weis in die ZPO bezieht sich nur auf den Vorgang der Pfändung als solchen, nicht auf die Rechtsfolge.47 Für das Verfahren der Pfändung gelten daher die Vorschriften der ZPO nach §§ 828 ff. entsprechend. Die Rechtsfolge ist kein Pfändungspfandrecht, sondern ein relatives Veräußerungsverbot.48 Hintergrund der nur sinngemäßen Anwendung der Vorschriften der ZPO ist, dass es bei §§ 111b ff. nur um Sicherungs- und nicht um Verwertungsmaßnahmen geht.49 Anstelle des Gerichtsvollziehers handelt die Staatsanwaltschaft.50 Unabhängig davon, ob das Gericht oder ob bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft (§ 111e Abs. 1 Satz 1) die Beschlagnahme anordnet, sind das Zahlungsverbot und das Verfügungsverbot nach § 829 Abs. 1 in den Beschluss oder in die staatsanwaltschaftliche Pfändungsanordnung aufzunehmen.51 Es erfolgt jedoch keine Überweisung nach § 835 ZPO,52 da es zunächst nur um die Sicherung des Vermögensrechtes geht.53 Die Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung kann, muss aber nicht im Pfändungsbeschluss enthalten sein (Rn. 11). Die Durchführung der Pfändung obliegt in jedem Fall der Staatsanwaltschaft (§ 111f Abs. 1). Diese tritt an die Stelle des Gläubigers in § 829 Abs. 2 Satz 1 ZPO und hat den Gerichtsbeschluss dem Drittschuldner zuzustellen. Die Mitwirkung des Gerichtsvollzieher, die § 829 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorsieht, entfällt. Die Zustellungen veranlasst die Staatsanwaltschaft (siehe hierzu § 111f, 11). Die Geschäfte der Staatsanwaltschaft bei der Durchführung der Beschlagnahme sind dem Rechtspfleger übertragen (§ 31 Abs. 1 RPflG). Weitere anwendbare Vorschriften sind § 830 ZPO (Hypothekenforderungen), § 830a 10 ZPO (Schiffshypotheken), § 831 ZPO (Forderungen aus Wechseln und anderen indossablen Papieren), §§ 846 ff. ZPO (Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung körperlicher Sachen), § 857 ZPO (Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind), § 858 ZPO (Schiffspart) und § 859 ZPO (Gesellschaftsanteile bürgerlichen Rechts).54 Zur umstrittenen Frage, ob § 853 ZPO ebenfalls anwendbar ist und bejahendenfalls eine Analogie notwendig ist, siehe § 111g, 23. Nicht anwendbar ist § 845 ZPO, da es sich bei der Beschlagnahmeanordnung nicht um einen vollstreckbaren Schuldtitel wegen einer Geldforderung handelt und deshalb eine Vorpfändung nicht in Betracht kommt.55 b) Aufforderung zur Drittschuldnererklärung. Nach § 111c Abs. 3 Satz 3 ist mit der 11 Beschlagnahme die Aufforderung zur Abgabe der in § 840 Abs. 1 ZPO bezeichneten Erklärung zu verbinden. Die Vorschrift lautet: 47 48
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BGH NJW 2007 3350, 3352; KMR/Mayer 14. BGH aaO, die vorherige Rechtssprechung BGHZ 144 185, 188 wird ausdrücklich aufgegeben. SK/Rogall 8. Meyer-Goßner 8.
51 52 53 54 55
Schmidt/Winter NStZ 2002 8, 9; HK/Gercke 7. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 447. HK/Gercke 7; KK/Nack 5. Meyer-Goßner 8. KMR/Mayer 14.
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§ 840 Abs. 1 ZPO Erklärungspflicht des Drittschuldners (1) Auf Verlangen des Gläubigers hat der Drittschuldner binnen zwei Wochen, von der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an gerechnet, dem Gläubiger zu erklären: 1. ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkenne und Zahlung zu leisten bereit sei; 2. ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung machen; 3. ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet sei. 4. ob innerhalb der letzten zwölf Monate im Hinblick auf das Konto, dessen Guthaben gepfändet worden ist, nach § 850l die Unpfändbarkeit des Guthabens angeordnet worden ist, und 5. ob es sich bei dem Konto, dessen Guthaben gepfändet worden ist, um ein Pfändungsschutzkonto im Sinne von § 850k Abs. 7 handelt.
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Enthält der Pfändungsbeschluss nicht bereits die Aufforderung zur Drittschuldnererklärung,56 erlässt diese die Staatsanwaltschaft, der nach § 111f Abs. 1 die Durchführung der Beschlagnahme obliegt (§ 111f Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 RPflG). 4. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge, Abs. 4
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a) Allgemeines. Die Beschlagnahme von Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen wird nach Abs. 1 bewirkt. Bei Schiffen ist zwischen Seeschiffen (§ 3 Abs. 2 SchRegO) und Binnenschiffen (§ 3 Abs. 3 SchRegO) zu unterscheiden. Für beide Arten von Schiffen werden unterschiedliche Register am Amtsgericht des Heimathafens oder seines Heimatortes geführt (§§ 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 SchRegO). Ob ein Schiff eintragungsfähig ist, richtet sich nach den §§ 3 und 10 SchRegO. Zu beachten ist das Eintragungsverbot des § 14 SchRegO. Für Schiffsbauwerke gelten die §§ 65 ff. SchRegO. Im Unterschied zum Schiffsregister ist das Schiffsbauregister nicht öffentlich, zur Einsicht muss ein berechtigtes Interesse dargelegt werden (§§ 65 Abs. 2 S. 1, 8 Abs. 1 SchRegO). Das Luftfahrzeugregister wird beim Bundesamt für Luftfahrt und bei den Beauftragten nach § 31c LuftVG geführt, § 64 Abs. 1 LuftVG. Luftfahrzeugregister sind die Luftfahrzeugrolle und das Luftsportgeräteverzeichnis, § 64 Abs. 1 S. 1. Die Eintragung von Pfandrechten richtet sich nach dem Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen, der Beschlagnahmevermerk wird in der ersten Abteilung des Luftfahrzeugpfandrechtsregisters eingetragen, § 3 Abs. 1 Nr. 4d LuftRegV.57 Die Beschlagnahme wird jeweils auch ohne Eintragung wirksam, die Vornahme der entsprechenden Eintragung ist jedoch zum Ausschluss des öffentlichen Glaubens geboten.58
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b) Nicht Eingetragene. Die Beschlagnahme wird nach § 111c Abs. 4 Satz 1 wie bei einer beweglichen Sache dadurch bewirkt, dass der Gegenstand in Gewahrsam genommen oder die Beschlagnahme durch Siegel oder in anderer Weise kenntlich gemacht wird (oben Rn. 2 ff.). Sind Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge im Schiffsbauregister und im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen nicht eingetragen aber eintragungsfähig, so können sie zum Zweck der Eintragung der Beschlagnahme in das Register zur Eintragung angemeldet werden (Absatz 4 Satz 3 Hs. 1). Eintragungsfähig ist ein Schiffsbauwerk nach § 66 SchRegO59 an sich nur, wenn zugleich eine Schiffshypothek an dem Schiffs56
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Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 JBeitrO ist diese Aufforderung in den Pfändungsbeschluss aufzunehmen. Weiter ausgeführt von Huber Rpfleger 2002 285, 287.
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KMR/Mayer 19; SK/Rogall 12. Neugefasst durch Bekanntmachung vom 26.5.1994 BGBl I S. 1133.
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bauwerk eingetragen wird oder wenn die Zwangsversteigerung des Schiffsbauwerks beantragt ist. Die Vorschrift wird deshalb durch Absatz 4 Satz 3 Hs. 1 dahin erweitert, dass die Eintragung auch zu dem Zweck erfolgen darf, den Beschlagnahmevermerk einzutragen. Luftfahrzeuge können nach § 1 LuftFzgG60 mit einem Registerpfandrecht durch dessen Eintragung in dem Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen belastet werden. Nach Absatz 4 Satz 3 kann dort auch die Beschlagnahme eingetragen werden. Das Ersuchen um Anmeldung und Eintragung stellt nach § 111f Abs. 2 die Staatsanwaltschaft oder, wenn das zur Beschleunigung angezeigt ist, das Gericht, welches die Beschlagnahme angeordnet hat. c) Im Register Eingetragene. Bei Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen, die 15 im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind, ist die Beschlagnahme, die wie bei beweglichen Sachen bewirkt wird (oben Rn. 3 ff.), nach Absatz 4 Satz 2 im Register einzutragen. Das Ersuchen bei dem Registergericht stellt das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, die die Beschlagnahme angeordnet hat (§ 111f Abs. 3).
III. Veräußerungsverbot, Abs. 5 Absatz 5 bestimmt ausdrücklich, dass die Beschlagnahme nach den Absätzen 1 bis 4 16 die Wirkung eines Veräußerungsverbots nach § 136 BGB hat. Dieselbe Wirkung hat ein Urteil, in dem auf Verfall oder Einziehung des Gegenstandes erkannt wird, bis zu seiner Rechtskraft (§§ 73e Abs. 2, 74e Abs. 3 StGB). Es handelt sich um ein relatives Veräußerungsverbot.61 Damit sind Verfügungen dem Staat gegenüber unwirksam, wenn sie den Rechtsübergang des beschlagnahmten Verfalls- oder Einziehungsgegenstandes nach § 73e Abs. 1, § 74e Abs. 1 StGB vereiteln würden.62 Dasselbe gilt für Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung (§ 135 Abs. 1 Satz 2 BGB). Materiellrechtlich wird das Veräußerungsverbot durch § 136 StGB geschützt. Es kann bei beweglichen Sachen durch guten Glauben des Erwerbers überwunden werden, §§ 135 Abs. 2, 932 Abs. 2 BGB. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn der gesicherte Gegenstand beim Betroffenen verblieben ist. Da der Betroffene im Falle der Verwahrung nicht mittelbarer Besitz nach § 868 BGB ist,63 scheidet ein gutgläubiger Erwerb nach § 934 Alt. 1 BGB aus. Bei unbeweglichen Sachen ist nach der Eintragung der öffentliche Glaube zerstört, ein gutgläubiger Erwerb scheidet aus. Zu Einzelheiten vgl. die Kommentare zu §§ 135, 136, 892, 935 BGB.64 Nach Absatz 5 Hs. 2 umfasst das Veräußerungsverbot auch alle Verfügungen, die zu einer Wertminderung des beschlagnahmten Gegenstandes führen könnten,65 insbesondere unentgeltliche Verfügungen und die Belastung mit ding-
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Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen vom 26.2.1959 (BGBl. I S. 57), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.8.1998 BGBl. I S. 2432, 2435. BVerfG vom 17.11.2007 – 2 BvR 2231/07 –; BGH NJW 2007 3350, 3351; OLG Frankfurt ZIP 2009 1582, 1583; KMR/Mayer 20; Meyer-Goßner 10; BTDrucks. 16 700 S. 17; a.A. Kiethe/Groeschke/Hohmann ZIP 2003 185, 190.
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OLG Düsseldorf NJW 1995 2239 mit zust. Anm. Danwitz NStZ 1999 262; MeyerGoßner 10. OLG München NJW 1982 2330, 2331. Zum gutgläubigen Erwerb s. Palandt/Ellenberger § 136, 9. Meyer-Goßner 10.
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lichen Rechten. Das Veräußerungsverbot gilt nur zugunsten des Staates (§ 136 i.V.m. § 135 Abs. 1 BGB). § 111g Abs. 3 erweitert es vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an zugunsten von Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung betreiben oder einen dinglichen Arrest vollziehen (§ 111g, 25 ff.). Das Veräußerungsverbot nach Absatz 5 beginnt mit dem Vollzug der Beschlagnahme, nicht mit der formlosen Inverwahrungnahme.66 Das ist die Ingewahrsamnahme/Kenntlichmachung der Beschlagnahme in den Fällen des Abs. 1 und 4, die Eintragung im Grundbuch in den Fällen des Abs. 2 und die Zustellung der Pfändungsanordnung mit den Verboten des § 829 Abs. 1 ZPO in den Fällen des Abs. 3. Die Eintragungen nach Absatz 4 sind für das Entstehen des Verfügungsverbots nicht erforderlich.67 Das Verfügungsverbot endet mit der Aufhebung durch das Gericht oder mit umfassender Rechtskraft eines Urteils, das von Verfall oder Einziehung absieht.68 Bei Teilrechtskraft endet das Verfügungsverbot erst mit Aufhebung der Maßnahme.69 Ohne Aufhebung oder Rechtskraft bleibt die Sicherungsmaßnahme bis zur förmlichen Aufhebung aufrechterhalten, auch wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Das Veräußerungsverbot wird durch einen Wechsel der Rechtsgrundlage für die Be17 schlagnahme eines Gegenstands nicht unterbrochen. Dies ist beispielsweise in Konstellationen denkbar, in denen ein Gegenstand zunächst zur Sicherung des Verfalls beschlagnahmt war, nunmehr jedoch nur noch Wertersatzmaßnahmen in Betracht kommen. Tritt nun an die Stelle dieser Beschlagnahme ein Arrestvollzug, wird das bereits durch die erste Beschlagnahme bewirkte Veräußerungsverbot trotz Aufhebung einer Entscheidung und Ersetzung durch eine andere nicht unterbrochen. Zwischenverfügungen bleiben unwirksam,70 wenn Aufhebung und Ersetzung uno actu erfolgten. Anders liegt der Fall dann, wenn der Gegenstand zunächst als Beweismittel beschlagnahmt wurde und später die Sicherstellung nach §§ 111b, 111c folgte. Da die Beweismittelbeschlagnahme nicht zu einem Veräußerungsverbot führt, wirkt dieses in derartigen Fällen erst ab der Beschlagnahme nach §§ 111b, 111c. Bei der dinglichen Surrogation ist in den gesetzlich normierten Fällen (111c Abs. 6 S. 2, 111l Abs. 1 S. 2) keine erneute Beschlagnahme notwendig. Geht aber die in behördlicher Verwahrung befindliche Sache unter, ist der Ersatzanspruch des Betroffenen nicht per se von der Beschlagnahme erfasst.71 Zur Frage einer „weiteren“ Beschwerde, wenn die Umstellung der Rechtsgrundlage durch das Beschwerdegericht erfolgte s. § 111e, 34. Zu den Wirkungen eines Insolvenzverfahrens s. § 111b, 57. Wird ein Gegenstand beschlagnahmt, weil er die Sicherheit der Allgemeinheit gefähr18 det und daher der Einziehung unterliegt, so besteht mangels Verkehrsfähigkeit der Sache ein absolutes Veräußerungsverbot nach § 134 BGB.72 Zwar erwähnt Absatz 5 diesen Fall nicht besonders, die Unzulässigkeit der Veräußerung ergibt sich jedoch unmittelbar aus § 134 BGB.
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KK/Nack 6. Meyer-Goßner 11. OLG Düsseldorf NJW 1995 2239 mit Anm. Danwitz NStZ 1999 262; KMR/Mayer 4. OLG Düsseldorf aaO. Sehr weitgehend OLG Karlsruhe Justiz 1981
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71 72
483: auch bei Wechsel des Zwecks der Sicherung. KMR/Mayer 6. OLG Bremen NJW 1951 675; MeyerGoßner 12; HK/Gercke 12.
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IV. Rückgabe beschlagnahmter beweglicher Sachen an den Betroffenen, Abs. 6 1. Allgemeines. Absatz 6 ermöglicht es, beschlagnahmte Sachen an den Betroffenen 19 zurückzugeben. Dies gilt auch für den Betroffenen, der Beschuldigter ist.73 Sie dient vorwiegend dem Interesse des Betroffenen, der über die zurückgegebene Sache frei verfügen (Absatz 6 Satz 1 Nr. 1) oder sie jedenfalls vorläufig weiter benutzen kann74 (Absatz 6 Satz 1 Nr. 2) und ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das kann insbesondere Bedeutung gewinnen, wenn die beschlagnahmten Sachen verderblich sind oder – wie bei Fahrzeugen – ihr Wert während der Dauer der Verwahrung stark sinkt. Die Bestimmung gibt dann dem Betroffenen Gelegenheit, die mit der Notveräußerung nach § 111l verbundenen wirtschaftlichen Nachteile durch Erlegung des Wertes der Sache abzuwenden (vgl. § 111l, 2). Die Rückgabe beschlagnahmter Sachen entlastet aber auch die Beschlagnahmebehörden, denen die Verwahrung der Beschlagnahmegegenstände zuweilen erhebliche Schwierigkeiten bereitet.75 Wird eine Sache zugleich als Beweismittel benötigt, so kommt eine Rückgabe zur freien Verfügung nach Absatz 6 Satz 1 Nr. 1 nicht in Betracht,76 ein Überlassen gegen Sicherheit oder unter Auflagen (Absatz 6 Satz 1 Nr. 2) nur dann, wenn der Beweis trotzdem erhalten werden kann.77 Besteht für die Sache ein absolutes Veräußerungsverbot, ist Absatz 6 unanwendbar.78 2. Rückgabe gegen Erlegung des Wertes. Die Rückgabe einer beschlagnahmten Sache 20 an den Betroffenen nach Absatz 6 Satz 1 Nr. 1 kommt vor allem in Frage, wenn der Gegenstand dem Verfall nach § 73 StGB unterliegt. Ist mit der Sicherungseinziehung zu rechnen, so scheidet die Rückgabe von vornherein aus.79 Sie ist in jedem Fall davon abhängig, dass der Betroffene den Wert der Sache sofort erlegt. Das setzt voraus, dass der Wert feststeht oder aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Beschlagnahmebehörde und dem Betroffenen festgestellt wird. Kommt es hierüber zu keiner Einigung, so entfällt die Möglichkeit der Rückgabe. Ferner muss der Wert Zug um Zug gegen die Herausgabe der Sache erlegt werden.80 Weder Ratenzahlungen noch Stundungen sind zulässig. Die Erlegung des Wertes muss in Geld oder geldwerten Papieren erfolgen; Absatz 6 Satz 2 spricht ausdrücklich von dem erlegten „Betrag“. Die bloße Beibringung von Sicherheiten genügt daher nicht.81 Der erlegte Betrag wird bei der Gerichtskasse hinterlegt. Wird die Sache an den Betroffenen zurückgegeben, so tritt dieser Betrag an die Stelle der Sache (Absatz 6 Satz 2), es handelt sich um eine dingliche Surrogation.82 Mit der Rückgabe erlischt die Beschlagnahme und damit auch das Veräußerungsverbot nach Abs. 5. Interessant ist diese Art der Freigabe daher für verderbliche Gegenstände, die der Beschuldigte weiterveräußern und so die Notveräußerung nach § 111l verhindern kann.83 Wie im Fall des § 111l Abs. 1 Satz 2 ist in dem Urteil auf Verfall oder Einziehung des erlegten Betrages zu erkennen, wenn die Voraussetzungen für die Verfalls- oder Ein-
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Meyer-Goßner 14; SK/Rogall 20. SK/Rogall 20. Zur Gefahr der Haftung der Behörde wegen Wertverlustes sichergestellter Gegenstände vgl. sehr ausführlich Rönnau/Hohn wistra 2002 445. Meyer-Goßner 16. KMR/Mayer 24, Meyer-Goßner 16; HK/Gercke 17; nach KK/Nack 7 ist eine
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Rückgabe nach Abs. 6 bei Beweisgegenständen völlig ausgeschlossen, wenn sie nach § 94 beschlagnahmt sind. KK/Nack 7. KMR/Mayer 24. Meyer-Goßner 14. HK/Gercke 15. KMR/Mayer 6. KK/Nack 7; Meyer-Goßner 14.
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ziehungsanordnung vorliegen. Wird von der Anordnung des Verfalls oder der Einziehung abgesehen, so ist der Gegenwert des erlegten Betrages (nicht die erlegten Geldscheine oder Münzen) dem Betroffenen herauszugeben (vgl. § 111l, 10). Der bei der Gerichtskasse hinterlegt gewesene Betrag ist dann nach den Vorschriften der jeweiligen Hinterlegungsgesetze zu verzinsen.
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3. Überlassen zur vorläufigen weiteren Benutzung. Absatz 6 Satz 1 Nr. 2 schafft die Möglichkeit, dem Betroffenen den beschlagnahmten Gegenstand unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs zur vorläufigen weiteren Benutzung bis zum Abschluss des Verfahrens zu überlassen. Die Sache bleibt dann beschlagnahmt, auch das Veräußerungsverbot nach Absatz 5 bleibt bestehen.84 Das Überlassen der Sache unter Vorbehalt des Widerrufs kann nach Absatz 6 Satz 3 davon abhängig gemacht werden, dass der Betroffene Sicherheit leistet oder bestimmte Auflagen erfüllt und wird vor allem in Betracht kommen, wenn es eine besondere Härte wäre, dem Betroffenen den Gegenstand sofort zu entziehen. Wird das Überlassen von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht, so muss die 22 Sicherheit vor der Herausgabe der Sache hinterlegt oder beigebracht werden. Die Art der Sicherheit (Bargeld, Bürgschaften, Wertpapiere) und die Höhe bestimmt die Beschlagnahmebehörde. Die Höhe der Sicherheit muss dem Wert der Sache nicht unbedingt entsprechen.85 Ist absehbar, dass der Gegenstand in Zukunft an Wert zulegen wird, darf die Sicherheitsleistung den aktuellen Wert der Sache auch übersteigen. Schafft der Betroffene den Gegenstand beiseite, so ist im Urteil der Verfall oder die Einziehung von Wertersatz nach § 73a oder § 74c StGB anzuordnen und in die hinterlegte Sicherheit zu vollstrecken. Kommt es zu einer solchen Anordnung nicht, dann ist die Sicherheit in dem Zeitpunkt zurückzugeben, in dem die Beschlagnahmeanordnung aufgehoben werden muss. Ein Überlassen unter Auflagen wird insbesondere zu erwägen sein, wenn nicht auszu23 schließen ist, dass das erkennende Gericht nach § 74b Abs. 2 StGB von der Einziehung absehen und weniger einschneidende Maßnahmen treffen wird. Als Auflagen kommen daher auch in erster Hinsicht die in § 74b Abs. 2 Satz 2 StGB erwähnten (Unbrauchbarmachung des Gegenstandes; Beseitigung bestimmter Einrichtungen oder Kennzeichen; Verfügungsverbote) in Frage. Der Betroffene muss innerhalb einer von der Beschlagnahmebehörde zu bestimmenden Frist nachweisen, dass er die Auflage erfüllt hat; führt er den Nachweis nicht, so ist die Rückgabe zu widerrufen und die Beschlagnahme wieder zu vollziehen. Dem Betroffenen kann der Gegenstand zur weiteren Benutzung auch unter der Voraussetzung überlassen werden, dass er sowohl Sicherheit leistet, als auch Auflagen erfüllt. Das kommt vor allem in Betracht, wenn die Sicherheit dem Wert der Sache nicht entspricht, der Betroffene aber nicht in der Lage ist, eine höhere Sicherheit zu leisten.
V. Rechtsmittel 24
Zu den Rechtsmitteln gegen die Anordnung der Maßnahmen siehe die Erl. zu § 111e, zu denen gegen deren Durchführung die Erl. zu § 111f.
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KMR/Mayer 23; Meyer-Goßner 15.
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§ 111d (1) 1Wegen des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz, wegen einer Geldstrafe oder der voraussichtlich entstehenden Kosten des Strafverfahrens kann der dingliche Arrest angeordnet werden. 2Wegen einer Geldstrafe und der voraussichtlich entstehenden Kosten darf der Arrest erst angeordnet werden, wenn gegen den Beschuldigten ein auf Strafe lautendes Urteil ergangen ist. 3Zur Sicherung der Vollstreckungskosten sowie geringfügiger Beiträge ergeht kein Arrest. (2) Die §§ 917 und 920 Abs. 1 sowie die §§ 923, 928, 930 bis 932 und 934 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung gelten sinngemäß. (3) Ist der Arrest wegen einer Geldstrafe oder der voraussichtlich entstehenden Kosten angeordnet worden, so ist eine Vollziehungsmaßnahme auf Antrag des Beschuldigten aufzuheben, soweit der Beschuldigte den Pfandgegenstand zur Aufbringung der Kosten seiner Verteidigung, seines Unterhalts oder des Unterhalts seiner Familie benötigt. Schrifttum siehe bei § 111b.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB 1974 eingefügt. Sie blieb inhaltlich seither unverändert und wurde nur sprachlich angepasst. Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Arrestansprüche, Abs. 1 Satz 1 und 2 1. Verfall des Wertersatzes . . . . . 2. Einziehung des Wertersatzes . . . 3. Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrenskosten, § 464a Abs. 1 . 5. Ausnahme für geringfügige Beträge, Abs. 1 Satz 3 . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. .
III. Voraussetzungen des dinglichen Arrests, Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arrestgrund, Abs. 2 . . . . . . . . 2. Arrestgesuch, Abs. 2 a) Antragsbefugnis . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 3. Arrestanordnung, Abs. 2 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit . . . . . . . . . . d) Form und Inhalt . . . . . . . . . e) Bekanntmachung . . . . . . . .
Rn.
1 6 7 10 11 13 16
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4. Arrestvollziehung, Abs. 2 a) Allgemeines . . . . . . . . b) Bewegliches Vermögen . . . c) Schiffe und Schiffsbauwerke d) Grundstücke . . . . . . . IV. Aufhebung der Arrestanordnung
. . . .
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. . . .
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V. Aufhebung der Arrestvollziehung 1. Hinterlegung des Geldbetrages . 2. Notlage des Beschuldigten, Abs. 3 a) Kosten der Verteidigung . . . b) Kosten des Unterhalts . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . 3. Aufhebung aus anderen Gründen 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . .
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. . . .
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VI. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel . . . . .
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Alphabetische Übersicht Ansprüche der Staatskasse 1 Antrag des Beschuldigte 42 Antragsbefugnis 23 Antragsrecht des Nebenklägers 23 Arrestanordnung 24
Arrestansprüche 6 Arrestbefehl 43 Arrestgesuch 19 Arrestgrund 18 Arrestvollziehung 33
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Arrestvollzug 38 Aufhebung aus anderen Gründen 44 Aufhebung der Arrestanordnung 37 Aufhebung der Arrestvollziehung 38 Auslagen 15 Ausnahme für geringfügige Beträge 16 Bekanntmachung 32 Einzelfallprüfung 20 Einziehung des Wertersatzes 10 Entschädigung 46 Entschädigungspflicht der Staatskasse 46 Formel des Arrestbefehls 31 Geldforderungen des Staates 6 Geldstrafe 1, 11 Gesamtes Vermögen 20 Geschädigte 5 Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 16 Höchstgebühren des RVG 40 Inhalt des Arrestgesuchs 24 Juristische Person 7 Justizbeitreibungsordnung 11 Konkrete Anhaltspunkte 20, 25 Kosten 1 Lösungssumme 31 Notlage des Beschuldigten 39 Notwendige Kosten 41 Objektive Maßstäbe 19
Pfändungspfandrecht 34 Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 47 Rechtschutzmöglichkeiten gegen die Arrestanordnung 47 Rechtskraft 10 Rechtsmittelgericht 45 Rückgewinnungshilfe des Verletzten 9 Schlechte Vermögensverhältnisse 21 Sicherung der Geldstrafe und der Verfahrenskosten 28 Sicherung von Ansprüchen eines Verletzten 2 Staatsanwaltschaft 23 Staatskasse 4 Urteil 12, 14 Urteil im Ausland vollstreckt 22 Verfahrenskosten 1 Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz 27 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 26 Verletzten 8 Vollstreckbarer Titel 37 Vollziehungsmaßnahme 39, 44 Voraussichtlich entstehenden Kosten 13 Vorliegen eines Arrestgrundes 18 Vorschriften über die Zwangsvollstreckung 33 Zahlung von Geldbeträgen 1 Zahlungsansprüche gegen Dritte 3 Zuständigkeit 17
I. Allgemeines 1
Mit der Rechtskraft des Strafurteils können Ansprüche der Staatskasse gegen den Verurteilten auf Zahlung von Geldbeträgen entstehen. Dabei kann es sich um eine Geldstrafe (§§ 40 ff. StGB), um die Verfahrenskosten (§§ 465 ff.), um Verfall des Wertersatzes (§ 73a StGB) oder Einziehung des Wertersatzes (§ 74c StGB) handeln. Nach § 111d kann die zukünftige Verpflichtung des Beschuldigten, diese Zahlungen zu leisten, schon während des Verfahrens durch die Ausbringung eines dinglichen Arrestes gesichert werden. Es gelten dann nach Abs. 2 die einschlägigen Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Hinsichtlich des dinglichen Arrests wegen des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz knüpft § 111d an die Vorschrift des § 111b Abs. 2 an. Dinglicher Arrest kommt folglich immer – aber nicht nur –1 dann in Betracht, wenn ein bestimmter Gegenstand fehlt, der zum Zwecke der Sicherstellung hätte beschlagnahmt werden können.2 Darüber hinaus ermöglicht § 111d die Verhängung des dinglichen Arrests wegen der voraussichtlich zu verhängenden Geldstrafe und voraussichtlich entstehender Verfahrenskosten und tritt insofern an die Stelle des durch Art. 119 Nr. 5 EGStGB aufgehobenen § 10 der Justizbeitreibungsordnung vom 11.3.1937 (RGBl. I S. 298).3 Nach § 46 OWiG gilt die Vorschrift auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Sicherung der Einziehung
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KK/Nack 4 mit der Formulierung, dinglicher Arrest komme in Betracht, wenn kein Gegenstand nach § 111b beschlagnahmt werden könnte darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Institute einander ausschließen, sie kommen vielmehr auch
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nebeneinander in Betracht, siehe auch KK/Nack 2. Zur Bestimmtheit des Gegenstandes § 111c, 3. HK/Gercke 1. BGH NStZ-RR 2005 144, 145.
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des Wertersatzes (§ 25 OWiG), des Verfalls von Wertersatz (§ 29a OWiG), von Geldbuße und Verfahrenskosten entsprechend. Dabei ist die Besonderheit des § 29a OWiG zu beachten, die darin liegt, dass der Betroffene gerade nicht zu einer Geldbuße verurteilt worden sein darf. Die Verfallsanordnung tritt vielmehr an die Stelle der Geldbuße.4 In § 111d nicht geregelt ist, wie der dingliche Arrest erlischt oder aufgehoben wird. Regelungen dazu finden sich vielmehr in § 111e. Siehe deshalb zum Erlöschen und zur Aufhebung des dinglichen Arrestes § 111e, 29 f. Die §§ 111b ff. enthalten auch keine eigene Kostenregelung. Es muss daher auf allgemeine Grundsätze zurückgegriffen werden. Im Zwangsvollstreckungsverfahren entstehende Kosten hat nach § 788 ZPO an sich der Schuldner zu tragen. Indessen dürfte eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Maßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht angemessen sein. Die Kosten der Sicherstellung sind Kosten des Verfahrens,5 für entstehende Gebühren und Gerichtskosten hat zunächst der Justizfiskus aufzukommen. Über die endgültige Tragung der Kosten entscheidet dann die verfahrensbeendende Entscheidung (§ 464). Der dingliche Arrest kann auch zur Sicherung von Ansprüchen eines Verletzten angeordnet werden (Rn. 5). Dies gilt selbst dann, wenn zu sichernde Ansprüche des Staates wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht in Betracht kommen und die Anordnung des dinglichen Arrests allein dazu dient, im Wege der „Rückgewinnungshilfe“ die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen der Geschädigten zu erleichtern oder zu gewährleisten. Zum Zugriff des Verletzten auf nach § 111d arrestiertes Vermögen siehe § 111g und § 111h. Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn der Staat Zahlungsansprüche gegen Dritte hat 6 oder sich die Zurückgewinnungshilfe gegen Dritte im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB richtet.7 Zur Abgrenzung zwischen einer Anordnung nach § 73 Abs. 1 und 3 siehe § 111b, 3. Die Anordnung ist auch gegenüber einem gutgläubigen Dritten zulässig. Es ist zwischen Vertretungs-, Verschiebungs- und Erfüllungsfällen zu unterscheiden.8 Wegen der Einzelheiten muss auf die entsprechende Kommentierung verwiesen werden.9 § 111d regelt die Sicherung von Zahlungsansprüchen der Staatskasse gegen den Beschuldigten abschließend.10 Wegen anderer als der in der Vorschrift bezeichneten Geldforderungen ist ein Arrestverfahren nicht zulässig, auch nicht nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 916 ff. ZPO.11 Soweit § 111d den dinglichen Arrest vorsieht, hat der Justizfiskus ebenfalls nicht die Möglichkeit, in dem allgemeinen Arrestverfahren nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung vorzugehen, wenn ihm das günstiger erscheint. Insbesondere ist der persönliche Sicherheitsarrest (§ 918 ZPO) ausgeschlossen. Der Geschädigte kann jedoch neben Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe zivilrechtlich nach §§ 916 ff. ZPO gegen den Beschuldigten vorgehen, denn er selbst hat nahezu keinen Einfluss darauf, ob ein strafprozessualer Arrestbefehl aufrechterhalten wird.12 Die strafprozessuale Sicherung durch einen dinglichen Arrest lässt das Siche-
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Vgl. hierzu sehr ausführlich KK-OWiG/Mitsch § 29a, 21 ff. OLG Düsseldorf StV 2003 550, 551; KK/Nack § 111b, 21. BGH NStZ-RR 2006, 266, 267; siehe hierzu umfassend da Rosa NJW 2009 1702, 1703 f. BVerfG NJW 2005 3630, 3631; OLG Karlsruhe NJW 2008 162, 163; LG Hildesheim wistra 2007 274.
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BGHSt 45 235, 245 ff. Siehe Fischer § 73, 32 ff. KMR/Mayer 5; Meyer-Goßner 1 Meyer-Goßner 1; HK/Gercke 6. KG NStZ-RR 2010 179, 180; OLG Bamberg NStZ 2010 348.
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rungsbedürfnis des Geschädigten im Zivilrechtsstreit nicht entfallen.13 Anders liegt die Sache nur dann, wenn der Geschädigte durch Maßnahmen nach § 111i Abs. 2 und 3 bereits hinreichend gesichert ist. Siehe hierzu § 111i, 13 ff.
II. Arrestansprüche, Abs. 1 Satz 1 und 2 6
Arrestansprüche sind zunächst die in Abs. 1 genannten Geldforderungen des Staates, namentlich Verfall des Wertersatzes, Einziehung des Wertersatzes, Geldstrafe und die Verfahrenskosten. Der Arrest kann aber auch zur Sicherung der Ansprüche des Verletzten ausgebracht werden, § 111b Abs. 5.
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1. Verfall des Wertersatzes. Die materiellen Voraussetzungen des Wertersatzverfalls sind bei § 111b, 4 kommentiert. Der dingliche Arrest zur Sicherung der erfolgreichen Vollstreckung der Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zulässig und kommt bis zur Rechtskraft der Entscheidung in Betracht. Nach Rechtskraft ist eine entsprechende Anordnung zulässig, wenn Gründe für die Annahme vorliegen, dass es zu Maßnahmen nach § 76 StGB kommen wird.14 Ein qualifizierter Verdacht ist zunächst nicht erforderlich. Für die Anordnung genügt es, dass Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz vorliegen (§ 111b Abs. 2; dazu die Erl. dort Rn. 4). Sie ist deshalb erst recht zulässig, wenn in einem Urteil Verfall des Wertersatzes verhängt wurde, mag dieses Urteil auch angefochten sein. Spätestens nach sechs Monaten müssen aber die in § 111b Abs. 3 genannten und dort Rn. 36 ff. beschriebenen Voraussetzungen vorliegen. Der Arrest kann auch gegen Dritte verhängt werden, wenn der Täter oder Teilnehmer für diesen gehandelt hat und der Dritte dadurch etwas erlangt hat (§ 73 Abs. 3 StGB). Dies gilt selbst gutgläubigen Dritten gegenüber.15 Dritter kann auch eine juristische Person sein,16 für die der Täter nach § 14 StGB oder sonst als offener oder verdeckter Stellvertreter oder doch wenigstens in ihrem Interesse gehandelt hat.17 Da der Verfall von Wertersatz ein Unterfall des Verfalls nach § 73 StGB ist (vgl. 8 § 111b, 4), gilt auch § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB. Der Wertersatzverfall darf daher nicht angeordnet werden, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung den aus der Tat erlangten Vermögensvorteil beseitigen oder mindern würde. Gleichwohl kann aber auch in solchen Fällen zu Gunsten des Verletzten der dingliche Arrest ausgebracht werden (Rn. 2). Diese hier schon immer vertretene Auffassung war früher nicht unbestritten. Der Gesetzgeber hat die Rechtslage nunmehr dadurch klargestellt, dass er in § 111b Abs. 1 und 2 Beschlagnahme und Arrest als Sicherstellungsmaßnahmen nennt und in Abs. 5 beide Vorschriften für die Rückgewinnungshilfe für anwendbar erklärt. Der dingliche Arrest ist daher auch zur Sicherung des Anspruchs des Verletzten zulässig, ohne dass bei der Arrestanordnung entschieden zu werden braucht, ob solche Ansprüche oder die des Staates zu sichern sind.18 Ein Tatbeteiligter wird nicht dadurch zum „Verletzten“, dass er in Erfüllung seiner gesamtschuldnerischen
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OLG Bamberg NStZ 2010 348. Meyer-Goßner 3. LG Hildesheim wistra 2007 274; Karlsruhe NJW 2008 162, 163. Fischer § 73, 29 ff.
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Lackner/Kühl § 73, 9. OLG Hamburg NJW 2012 1601, 1607; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111, 113; Meyer-Goßner 7; KK/Nack 20; a.A. Marel StV 2004 414, 415.
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Haftung den durch die Tat Verletzten entschädigt.19 Dieses Ergebnis rechtfertigt sich schon aus der Auslegung des Begriffs „Verletzter“. Dies kann nur sein, wer durch die – ihm fremde – Tat geschädigt wurde.20 Ob Anlass besteht, Ansprüche des Verletzten durch Arrest zu sichern, ist eine Frage des Einzelfalls (§ 111b, 53). Die früher auch hier vertretene Auffassung, die Anordnung einer Sicherstellung, die 9 ausschließlich der Rückgewinnungshilfe des Verletzten dient, stehe im freien Ermessen der zuständigen Behörde, wird entsprechend den Ausführungen bei § 111b, 53 f. anzupassen sein. Unabhängig von der Reichweite, die der Beschlagnahmebehörde bei der Ermessensentscheidung eingeräumt wird, wird es jedenfalls angezeigt sein, die bei einer Durchsuchung gefundenen Geldmittel, auf deren Wert ein Dritter mit Sicherheit einen Anspruch hat, zu sichern. Es wäre schwer verständlich, wenn der Täter unter den Augen der Verfolgungsbehörden den Tatopfern den Zugriff auf das Geld entziehen könnte.21 2. Einziehung des Wertersatzes. Die materiellen Voraussetzungen der Wertersatzein- 10 ziehung sind bei § 111b, 14 kommentiert. Der dingliche Arrest zur Sicherung der erfolgreichen Vollstreckung der Wertersatzeinziehung ist schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zulässig und kommt bis Rechtskraft der Entscheidung in Betracht. Ein qualifizierter Verdacht ist zunächst nicht erforderlich. Für die Anordnung genügt es, dass Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Sie ist deshalb erst recht zulässig, wenn in einem Urteil auf Einziehung des Wertersatzes erkannt wurde, mag dieses Urteil auch angefochten sein. 3. Geldstrafe. Wenn gegen den Angeklagten auf Geldstrafe (§§ 40 ff. StGB) erkannt 11 worden ist, entsteht mit der Rechtskraft des Urteils ein Zahlungsanspruch des Staates. Dieser wird nach § 459 durch Beitreibung der Forderung nach den Vorschriften der Justizbeitreibungsordnung verwirklicht. Diesen Anspruch für den Fall zu sichern, dass der Angeklagte während des Verfahrens Vermögensgegenstände veräußert oder beiseite schafft, um die Zwangsvollstreckung zu vereiteln, kann kriminalpolitisch durchaus erforderlich sein, obwohl das Gesetz für nicht vollstreckbare Geldstrafen in § 43 StGB die Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht. Zu denken ist an Fälle, bei denen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe etwa aus gesundheitlichen Gründen unsicher sein mag oder bei denen der Verdacht nahe liegt, der Angeklagte könne sich durch die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe gleichsam „freikaufen“. Anders als bei der Sicherung des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz ist der 12 dingliche Arrest zur Sicherung der Geldstrafe nach Absatz 1 Satz 2 erst zulässig, wenn gegen den Beschuldigten ein auf Strafe lautendes Urteil ergangen ist (unten Rn. 28). Ein Strafbefehl genügt nicht, da er einem Urteil nur gleichsteht.22 Auch ein Bußgeldbescheid ist nicht ausreichend.23 In der Regel wird die Sicherung der Geldstrafe in der Höhe der Strafe erfolgen, auf die bereits erkannt worden ist. Die nach § 464a Abs. 1 Satz 2 ebenfalls zu den Verfahrenskosten gehörenden Kosten der Vollstreckung einer Rechtsfolge der Tat nimmt Absatz 1 Satz 3 von der vorläufigen Sicherungsmöglichkeit ausdrücklich aus. 4. Verfahrenskosten, § 464a Abs. 1. Auch die Verfahrenskosten, die der Beschuldigte 13 der Staatskasse aufgrund der Kostenentscheidung des Urteils voraussichtlich zu erstatten 19
OLG Karlsruhe NJW 2005 1815 mit überzeugender Argumentation zu dieser Fragestellung; Lohse JR 2011 242, 246; a.A. da Rosa NJW 2009 1702, 1706.
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OLG Karlsruhe aaO. Meurer NStZ 1991 438, 439. KK/Nack 5, Meyer-Goßner 5. KK/Nack 5.
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hat, können durch dinglichen Arrest gesichert werden. Auf andere Prozessbeteiligte, die zur Kostentragung verurteilt werden können (Privatkläger, Nebenkläger, gesetzliche Vertreter) findet § 111d keine Anwendung und die Kosten dieser Beteiligten24 können auch nicht durch dinglichen Arrest gesichert werden. Soweit ersichtlich ist bisher unbesprochen, ob dies auch für Verfalls- und Einziehungsbeteiligte gilt. Zu denken ist hier etwa an Fälle, in denen sich der Drittbeteiligte mit der Revision gegen die Verfallsanordnung wendet.25 Warum eine Sicherung der dadurch entstehenden Verfahrenskosten durch dinglichen Arrest gegenüber dem Drittbeteiligten nicht möglich sein soll,26 erschließt sich bei genauer Betrachtung nicht. Der Wortlaut schließt eine solche Anordnung jedenfalls nicht aus, Gleiches gilt für den Sinn und Zweck der Vorschrift. Ein dinglicher Arrest zur Sicherung der Verfahrenskosten ist daher auch zu Lasten eines Verfallsbeteiligten zulässig. Mit den „voraussichtlich entstehenden Kosten“ sind die Gebühren und Auslagen der Staatskasse gemeint. Sie umfassen neben den durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten nach § 464a Abs. 1 Satz 1 und 2 auch die – zu schätzenden – voraussichtlich noch entstehenden Kosten (Einzelheiten bei LR/Hilger § 464a, 1 ff.). Die nach § 464a Abs. 1 Satz 2 ebenfalls zu den Verfahrenskosten gehörenden Kosten der Vollstreckung einer Rechtsfolge der Tat nimmt Absatz 1 Satz 3 als Arrestansprüche ausdrücklich aus. Die Anordnung des Arrests wegen der zu erwartenden Verfahrenskosten setzt voraus, 14 dass bereits ein auf Strafe lautendes Urteil ergangen ist (Rn. 28), dass dem Angeklagten die Verfahrenskosten mindestens teilweise auferlegt.27 Wegen der Höhe der Gerichtsgebühren, die sich nach der verhängten Strafe richtet (Anlage 1 Teil 3 zu § 3 Abs. 2 GKG), ist in erster Hinsicht dieses Urteil maßgebend. Wurde bereits ein Rechtsmittel eingelegt oder ist ein Rechtsmittel zu erwarten, können auch die voraussichtlich für die Rechtsmittelzüge entstehenden Gerichtsgebühren durch Arrest gesichert werden.28 Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass über Berufung und Revision in jeweils einer Hauptverhandlung entschieden wird, so dass die entsprechenden Gebühren erhoben werden. Hat die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel eingelegt, das voraussichtlich zur Verhängung einer höheren Strafe führen wird, dann dürfen auch die hierdurch entstehenden höheren Kosten durch Arrest gesichert werden.29 Die Höhe der voraussichtlich verhängten Strafe darf geschätzt werden.30 Die Kosten des Arrestverfahrens können ebenfalls berücksichtigt und durch Arrest gesichert werden.31 Als Auslagen der Staatskasse (Anlage 1 Teil 9 und 3 zu § 3 Abs. 2 GKG) sind zu15 nächst alle Auslagen anzusetzen, die bereits bis zum Erlass des Urteils entstanden sind. Auslagen für das Rechtsmittelverfahren sind zu berücksichtigen und dem Arrest in der voraussichtlich entstehenden Höhe zugrunde zu legen. Die dadurch entstehenden Auslagen, insbesondere die an Zeugen und Sachverständige zu zahlenden Entschädigungen, sind zu schätzen. Ihre Höhe richtet sich danach, mit welchen Beweiserhebungen im Rechtsmittelzug zu rechnen ist.
16
5. Ausnahme für geringfügige Beträge, Abs. 1 Satz 3. Zur Sicherung geringfügiger Beträge darf der dingliche Arrest nach Absatz 1 Satz 3 nicht angeordnet werden. Wann ein Betrag geringfügig ist, sagt das Gesetz nicht. Bei seiner Auslegung ist zu berücksichti24 25 26 27
KMR/Mayer 15. BGHSt 47 369. Hier, 25. Auflage. OLG Frankfurt StV 2005 541; MeyerGoßner 6.
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28 29 30 31
AG Hanau NJW 1974 1662, 1663; MeyerGoßner 6. A.A. KMR/Mayer 14. Meyer-Goßner 6. OLG Oldenburg StV 2006 29.
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gen, dass die Vorschrift Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist, sie aber nicht dem Schutz des Beschuldigten dient, weshalb es auf seine Vermögensverhältnisse nicht ankommen kann.32 Es soll lediglich verhindert werden, dass durch die Anordnung und Vollziehung des Arrests ein Verwaltungsaufwand entsteht, der in keinem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.33 Geringfügigkeit wird daher im Allgemeinen anzunehmen sein, wenn die zu sichernde Geldforderung 100 bis 150 € nicht übersteigt.34 Die Grenze sollte nicht zu hoch gezogen werden,35 da namentlich bei der Betäubungsmittelkriminalität der Zugriff auf mitgeführte Erlöse aus kriminellen Geschäften nur durch Verfall des Wertersatzes und damit dessen Sicherung nur durch dinglichen Arrest möglich ist.36
III. Voraussetzungen des dinglichen Arrests, Abs. 2 Während § 111d Abs. 1 die möglichen Arrestansprüche nennt, verweist Absatz 2 für 17 die Anordnung des dinglichen Arrests in großem Umfang auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung. Für die Anordnung eines dinglichen Arrests sind danach ein Arrestgrund (§ 917 ZPO) sowie ein Arrestgesuch (§ 920 ZPO) erforderlich. Der Betroffene kann die Arrestanordnung durch Hinterlegung abwenden (§ 923 ZPO). Für die Vollziehung des Arrests gelten §§ 928, 930 bis 932 ZPO entsprechend, für die Aufhebung des vollzogenen Arrests § 934 ZPO. Die Vorschriften der ZPO sind sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet insbesondere, dass sich die Zuständigkeit nicht nach den Vorschriften der ZPO, sondern jenen der StPO richtet.37 Wenn die Anordnungsbehörde erkennt, dass Ausschlussgründe nach Absatz 3 vorliegen, so darf der Arrest erst gar nicht angeordnet werden.38 1. Arrestgrund, Abs. 2. Neben dem Arrestanspruch nach Absatz 1 verlangt Absatz 2 18 das Vorliegen eines Arrestgrundes. Hierfür bestimmt Absatz 2 die sinngemäße Anwendung des § 917 ZPO. Die Vorschrift lautet: § 917 ZPO (1) Der dingliche Arrest findet statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. (2) Als ein zureichender Arrestgrund ist es anzusehen, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.
Der dingliche Arrest setzt demnach voraus, dass nach objektiven Maßstäben eine 19 Vereitelung oder die wesentliche Erschwerung der Vollstreckung des Urteils zu besorgen ist,39 ohne dass sich diese Prognose auf eine bestimmte Vereitelungshandlung beziehen müsste.40 Ob die Vereitelungshandlung wegen des Verhaltens des Beschuldigten oder eines Dritten oder aus anderen Gründen zu befürchten ist, spielt keine Rolle.41 Insbeson-
32 33 34 35 36 37
Meyer-Goßner 7. KK/Nack 5; Meyer-Goßner 7. Vgl. zu den in der Literatur vorgeschlagenen Werten: Bach JR 2008 230, 233. Etwa SK/Rogall 10 für eine Wertgrenze von 1.000 EUR. Vgl. BGHSt 28 369; BGH wistra 1985 190. BGH wistra 2005 35.
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Meyer-Goßner 18. LG Halle/Saale wistra 2009 39, 40; Thomas/ Putzo § 917, 1: „Maßgebend ist das objektive Urteil eines verständigen, gewissenhaft prüfenden Menschen“; Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250; Meyer-Goßner 8. Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250. RG JW 1890 109, 113.
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dere kommt es auf die Vereitelungsabsicht des Beschuldigten nicht an; böswilliges oder auch nur rechtswidriges Verhalten ist nicht erforderlich.42 Es reicht daher als Arrestgrund aus, wenn der Betroffene seine Vermögenswerte verschleudert.43 Die Besorgnis der Vollstreckungsvereitelung oder -erschwerung wird aber regelmäßig vorliegen, wenn der Beschuldigte fluchtverdächtig ist, insbesondere wenn bereits ein Haftbefehl erlassen ist oder wenn er seine Vermögensverhältnisse verschleiert, Vermögenswerte im Inland versteckt oder ins Ausland verbringt 44 oder doch Vorbereitungen dafür trifft. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Arrestgrunds verlangt die Rechtsprechung 20 konkrete Anhaltspunkte.45 Eine nicht auf Tatsachen gestützte Befürchtung genügt folglich nicht.46 Ob allein der Umstand, dass der Schuldner eine gegen fremdes Vermögen gerichtete strafbare Handlung begangen hat, für die Annahme eines Arrestgrundes genügt, ist umstritten. Teilweise wird diese Frage bejaht,47 teilweise verneint,48 während eine vermittelnde Ansicht die Frage im Regelfall bejaht.49 Entgegen der hier früher vertretenen Auffassung50 wird man richtigerweise davon auszugehen haben, dass eine differenzierte Betrachtungsweise im Sinne der letztgenannten Ansicht erforderlich ist. Mit dem Gesetzeswortlaut und der Verweisung des § 111d Abs. 2 auf § 917 ZPO unvereinbar ist die Annahme, allein die gegen fremdes Vermögen gerichtete Straftat begründe einen Arrestgrund.51 Aus zivilprozessualer Sicht kann allein die Begehung einer Straftat möglicherweise einen Arrestgrund bedeuten, da § 917 ZPO nicht nur für solche Sachverhalte gilt, die auf einer Straftat beruhen. Die Begehung einer Straftat ist zivilprozessual neben der Verschwendungssucht oder der beabsichtigten Veräußerung des Vermögens52 nur einer von vielen Arrestgründen nach § 917.53 Strafprozessual über die Verweisung in § 111d Abs. 2 liegt dem dinglichen Arrest indes immer ein strafbares Verhalten zu Grunde, so dass die Annahme, ein Tatverdacht begründe einen Arrestgrund, ein Zirkelschluss54 ist. Der Hinweis, zivilrechtlich reiche die Begehung einer Straftat als Arrestgrund aus, kann daher nicht entscheidend sein, da die Begehung einer Straftat zivilprozessual ein Sonderfall ist, aus dem die o.g. konkreten Anhaltspunkte gezogen werden können. Hätte der Gesetzgeber von dem Verdacht einer Straftat auf die Besorgnis der Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung schließen wollen, hätte es keines Verweises auf § 917 ZPO bedurft, da der Arrestgrund wegen der Voraussetzungen des § 111b Abs. 2 S. 1 denklogisch schon vorgelegen hätte.55 Neben dem Wortlaut darf nicht
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46 47
Hellerbrand wistra 2003 201, 203; Zöller/ Vollkommer § 917, 5. Meyer-Goßner 8. Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 252. OLG Hamm NJW-RR 2007 388; OLG Oldenburg StV 2008 241; OLG Köln NJW-RR 2000 69; OLG Düsseldorf NJW-RR 1999 1592; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999 143, 144; LG Halle/Saale wistra 2009 39, 40; LG Berlin wistra 2012 40, 41. Nicht ganz eindeutig: Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250. KG wistra 2010 116, 117 im Falle von Vermögensdelikten; OLG Stuttgart wistra 2007 276, 279; OLG Stuttgart NJW 2008 1605 1607 Straftat und Verbrauch des Erlangten; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111;
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LG Halle/Saale wistra 2009 39, 40; OLG Braunschweig vom 11.05.2007 – Ws 54/07 –; Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250. OLG Hamm NJW-RR 2007 388; OLG Frankfurt OLGR 2001 71; OLG Köln NJW-RR 2000 69; LG Berlin wistra 2012 40, 41; Wehnert StV 2005 568 570. OLG Köln NStZ 2011 174 m.w.N. OLG Düsseldorf NJW-RR 1999 1592. Hier 25. Auflage Rn. 17 LG Berlin wistra 2012 41, 42. Thomas/Putzo § 917, 1. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 452. Tsambikakis/Kretschmer Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis VII. Rn. 119. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 452.
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außer Acht gelassen werden, dass die Aufdeckung der Tat regelmäßig eine Zäsur für den Täter darstellt, bei der nicht generell davon ausgegangen werden kann, er werde hiervon unbeeindruckt unlauter weiterhandeln und sein gesamtes Vermögen derart beiseite schaffen, dass ein Zugriff hierauf nicht mehr möglich ist.56 Auch der Gegenauffassung, die Begehung einer gegen fremdes Vermögen gerichteten Straftat begründe nicht die Vermutung, der Täter werde versuchen, die erlangten Vermögenswerte vor der Entziehung zu sichern, kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zwar gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wer einmal unredlich gewesen ist, werde dies auch in Zukunft sein,57 vernünftiger Weise kann jedoch nicht bestritten werden, dass aus Sicht eines objektiven Dritten in der Situation der Strafverfolgungsbehörden nach kriminalistischer Erfahrung ex ante die Vermutung besteht, der Täter werde die Vermögenswerte für sich behalten und dem Zugriff Dritter entziehen wollen. Der Betroffene hat durch sein Verhalten doch gerade gezeigt, dass er eine rechtswidrige Bereicherung anstrebt.58 Da es eines böswilligen oder gar rechtswidrigen Verhaltens des Betroffenen für die Annahme eines Arrestgrundes nicht bedarf, ist deshalb im Grundsatz zu vermuten, dass der Täter versuchen wird, sein Vermögen im status quo zu erhalten und die Vollstreckung mindestens zu erschweren. Diese Vermutung kann jedoch durch Ermittlungsergebnisse oder das Verhalten des Beschuldigten widerlegt werden.59 Andererseits kann sich die Vermutung durch die Art und Ausführung60 der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat 61 auch verstärken. Es bedarf daher einer Einzelfallprüfung, an deren Anfang ein Arrestgrund angenommen werden darf, wenn der entsprechende Tatverdacht besteht. Wird die Vermutung durch das Ermittlungsergebnis oder den Beschuldigten nicht widerlegt oder durch die Art der Tatbegehung oder das Nachtatverhalten gar noch verstärkt, besteht ein Arrestgrund. Damit kann auch dem Gesetzeszweck der frühzeitigen Sicherung von Vermögenswerten ausreichend Rechnung getragen werden. Den Interessen des Betroffenen kann man durch eine frühzeitige Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen gerecht werden. Stellt sich nämlich nach der Sicherung heraus, dass keine Verschiebung von Vermögenswerten zu fürchten ist, entfällt der Arrestgrund und die Maßnahmen sind aufzuheben. Liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vor und soll der Arrest deshalb der Zurückgewinnungshilfe dienen, ist ein Arrestgrund zu verneinen, wenn mit der Geltendmachung von Ansprüchen durch über das Verfahren unterrichtete Geschädigte nicht mehr zu rechnen ist.62 Dass sich der Schuldner in schlechten Vermögensverhältnissen befindet, genügt als 21 alleiniger Umstand ebenso wenig für die Annahme eines Arrestgrundes,63 wie die Gefahr, dass andere Gläubiger auf das Vermögen zugreifen. Literatur und Rechtsprechung haben seit jeher drohende Konkurrenz anderer Gläubiger nicht für einen Arrestgrund gehalten.64 Deshalb darf der Arrest die Staatskasse nicht besserstellen, als sie bei einer sofortigen Vollstreckung stehen würde. Der Arrest soll keinen Vorrang der Staatskasse
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OLG Köln NStZ-RR 2011 174. BGH WM 1975 641, 643; OLG Hamm NJW-RR 2007 388. In diesem Sinne auch Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250. In diesem Sinne auch OLG Köln NStZ 2011 174; Bittmann/Kühn wistra 2002 248, 250. OLG Köln NJW-RR 2000 69; siehe hierzu beispielhaft OLG Nürnberg NStZ 2011 173, 174.
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OLG Hamburg StV 2009 122, 124; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999 143, 144: Schädigung auf „listige Art“. OLG Düsseldorf StV 2003 547; Rönnau StV 2003 581. BGHZ 131 95, 105; OLG Hamburg WM 1998 522, 523; LG Kiel wistra 2001 319; Thomas/Putzo § 917, 2. BGHZ 131 95, 105 mit umfassenden Nachw.
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vor anderen Gläubigern sichern. Ausreichend dürfte indes eine unklare Vermögenslage beim Betroffenen sein.65 Ein Arrestgrund kann ausgeschlossen sein, wenn der Betroffene seine Vermögensverhältnisse offenlegt und sie einem von der Staatsanwaltschaft zu benennenden Sachwalter übergibt.66 Zureichender Arrestgrund ist nach § 917 Abs. 2 ZPO auch, wenn das Urteil im Aus22 land vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.67 Deutschland und zahlreiche europäische Staaten sind dem EuGeldwäscheÜbk68 beigetreten. Dieses Abkommen verfolgt das Ziel, Erträge aus Straftaten transnational abzuschöpfen und zwar hinsichtlich Straftaten aller Art. Der Begriff „Einziehung“ umfasst bezogen auf das deutsche Recht auch den Verfall nach §§ 73 ff. StGB.69 Ungeachtet dieses Abkommens dürfte angesichts der bekannten Schwierigkeiten im Rechtshilfeverkehr in solchen Fällen der Arrestgrund ohne weiteres gegeben sein, zumal es fraglich ist, inwieweit sich auf diese Weise Rückgewinnungshilfe durchsetzen lässt, da bei einer Vollstreckung wegen Verfalls das Eigentum auf den ausländischen Staat übergeht. 2. Arrestgesuch, Abs. 2
23
a) Antragsbefugnis. Die Verweisung des Absatz 2 auf § 920 Abs. 1 ZPO, der den Inhalt des Arrestgesuchs bestimmt, bedeutet nicht, dass ein solches stets erforderlich ist, das Gericht den Arrest nach Erhebung der öffentlichen Klage70 also nicht auch von Amts wegen anordnen darf. Vielmehr gelten insoweit dieselben Grundsätze wie bei der Beschlagnahme (§ 98, 14). Regelmäßig wird das Gericht aber nur auf Antrag tätig werden. Wer den Antrag stellen darf, ist in den §§ 111b ff. nicht bestimmt. Dem System unseres Strafverfahrens entspricht es, dass im Ermittlungsverfahren nur die Staatsanwaltschaft zuständig ist, den Antrag zu stellen. Ordnet sie bei Gefahr im Verzug den Arrest selbst an (§ 111e Abs. 1 Satz 1), so entfällt die Notwendigkeit eines Arrestgesuchs. An seine Stelle tritt ein Aktenvermerk, der die Notwendigkeit der Anordnung darlegt. Bedenkenswert dürfte nach Anklageerhebung auch ein Antragsrecht des Nebenklägers sein. In der Praxis wird sich die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen einer entsprechenden Anregung der Nebenklage durch eigenen Antrag anschließen oder das Gericht ihn von Amts wegen anordnen. Sollte dies jedoch einmal nicht geschehen, dürfte der Antrag des Nebenklägers zulässig sein, denn er ist befugt Anträge zustellen, die auf einen sachgerechten Verfahrensablauf 71 gerichtet sind. Dies gilt umso mehr, wenn Ansprüche nach §§ 111b Abs. 2 und 5, 111d Abs. 1 im Raum stehen.
24
b) Inhalt. Über den Inhalt des Arrestgesuchs bestimmt der nach Absatz 2 sinngemäß anzuwendende § 920 Abs. 1 ZPO: Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.
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OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 111. LG Lübeck wistra 2004 400. Siehe hierzu Zöller/Vollkommer § 917 Rn. 15 ff. Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 8. November 1990 (EuGeldwäscheÜbk BGBl. 1998
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70 71
Teil II S. 519, 520, 1999 Teil II S. 200 f., 210, 491). BGH NStZ 2000 483; siehe insgesamt zur Rechtshilfe in Strafsachen: Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Meyer-Goßner 9. Rieß/Hilger NStZ 1987 145, 154.
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In dem Arrestgesuch muss daher angegeben werden, ob der Arrest wegen des Verfalls 25 oder der Einziehung von Wertersatz, wegen einer Geldstrafe oder wegen der voraussichtlich entstehenden Verfahrenskosten beantragt wird. Der Geldbetrag muss genau beziffert werden, da über die Arrestsumme hinaus ein Pfändungspfandrecht nicht begründet werden kann. Bei den Verfahrenskosten sind die Schätzungsgrundlagen anzugeben. Ferner muss dargetan werden, aus welchen Gründen zu besorgen ist, dass ohne die Anordnung des dinglichen Arrests die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Eine Glaubhaftmachung dieser Gründe ist nicht erforderlich, reine Behauptungen oder Vermutungen genügen jedoch nicht, so dass der Antragssteller konkrete Anhaltspunkte für den Arrestanspruch und den Arrestgrund darlegen muss.72 § 920 Abs. 2 ZPO, der die Glaubhaftmachung für das Zivilverfahren bestimmt, ist nach Absatz 2 nicht entsprechend anzuwenden.73 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen des dinglichen Arrests schon wegen seiner einschneidenden Wirkungen auf wirtschaftende Betriebe sorgfältig prüft. Es genügt immer der Antrag, den Arrest in das Vermögen des Beschuldigten anzuordnen; eine Beschränkung auf bestimmte Gegenstände ist zulässig. Dann können auch unangemessene Übersicherungen74 vermieden werden, die den Schuldner namentlich dann hart treffen können, wenn er einen Betrieb weiterführen will. Als Beispiel sei nur auf das Umweltstrafrecht verwiesen, wo durch die Tat Erlangtes und Gewinn weit auseinanderfallen können.75 3. Arrestanordnung, Abs. 2 a) Allgemeines. Mit der Anordnung des dinglichen Arrests geht ein Eingriff in das 26 Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG einher.76 Die Arrestanordnung unterliegt daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.77 Je intensiver der Staat mit der vorläufigen Sicherungsmaßnahme in den Vermögensbereich des Betroffenen eingreift, umso höher sind die Voraussetzungen an die Rechtfertigung.78 Dies gilt insbesondere, wenn der Staat mit den vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nahezu das gesamte Vermögen durch dinglichen Arrest sichert.79 Schematisch vorgenommene Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen sind mit diesem Grundsatz nicht in Einklang zu bringen.80 Die Arrestanordnung hat damit immer auf den Einzelfall Bezug zu nehmen und die Rechte des Betroffenen umfassend zu würdigen. Vor der Anordnung muss der Betroffene in aller Regel nicht angehört werden, im sich ggf. anschließenden Beschwerdeverfahren schon, da dann eine Vereitelung der Sicherung durch die Anhörung nicht mehr denkbar ist.81 b) Zeitpunkt. Wegen des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz kann der ding- 27 liche Arrest sogleich nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens beantragt und angeordnet werden. Er ist in allen Verfahrensabschnitten bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig.
72 73
74 75
76
Hellerbrand wistra 2003 201, 202; MeyerGoßner 10. A.A. Theile StV 2009 161, 166 der analog § 920 Abs. 2 eine Glaubhaftmachung durch den Steuerfiskus verlangt, wenn dieser durch den Arrest gesichert werden soll. Solche beklagt Park StraFo 2002 73, 76. Eingehend zu Fragen des Verfalls im Hinblick auf Umweltstraftatbestände Michalke Umweltstrafsachen 2. Aufl. Rn. 431 ff. BVerfG NStZ 2006 639, 640.
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BVerfG StV 2004 409, 410; OLG Stuttgart wistra 2007 276, 279; OLG Köln NStZ 2005 400, 401; LG Berlin wistra 2012 41, 42. BVerfG NStZ 2006 639, 640; LG Halle/Saale wistra 2009 39, 40. BVerfG NStZ 2006 639, 640. BVerfG NStZ 2006 639, 640. BVerfG NJW 2006 1048, 1049; KK/Nack 10.
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Nach Rechtskraft kommt ein dinglicher Arrest in zwei Konstellationen in Betracht, nämlich einmal zur Sicherung der Verfahrenskosten82 und der Geldstrafe sowie, wenn nachträglich nach § 76 StGB der Verfall oder die Einziehung von Wertersatz angeordnet werden soll.83 Zur Sicherung der Geldstrafe und der Verfahrenskosten ist die Anordnung des ding28 lichen Arrests nach Absatz 1 Satz 2 erst zulässig, wenn gegen den Beschuldigten ein auf Strafe lautendes Urteil ergangen ist. Diese Beschränkung lässt die Vorschrift weitgehend leer laufen, da sie in vielen Fällen schlicht zu spät kommt. Absatz 1 Satz 2 ist im Übrigen wörtlich zu nehmen: die Festsetzung einer Geldstrafe durch Strafbefehl nach §§ 407 ff. steht einem Urteil nur gleich, ist selbst aber kein solches (§ 410 Abs. 3). Eine Arrestanordnung kommt daher im Strafbefehlsverfahren nicht in Betracht.84 Die Bestimmung kann nicht gegen ihren Wortlaut ausgelegt werden, auch wenn heute im Strafbefehlsverfahren gelegentlich hohe Geldstrafen verhängt werden und hohe Verfahrenskosten entstehen können. Auf Strafe lautende Urteile sind solche, die nach § 465 Abs. 1 eine Kostenentscheidung zu Lasten des Angeklagten enthalten. Es kann sich folglich auch um Urteile handeln, in denen auf Freispruch erkannt, daneben aber Maßregeln der Besserung und Sicherung nach §§ 63 ff. StGB angeordnet worden sind. Auch Urteile im Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff., im selbständigen Einziehungsverfahren nach den §§ 440 ff. und im Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen nach § 444 sind erfasst. Der Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten (BTDrucks. 13 9742)85 sah eine Änderung der Vorschrift dahin vor, dass sowohl die zeitliche Beschränkung bei Geldstrafe und Kosten als auch die sachliche auf Urteile entfallen sollte. Da dieser Gedanke bei der Gesetzesreform zum 1.1.2007 nicht mehr aufgegriffen wurde, kann man davon ausgehen, dass der Gesetzgeber die o.g. Probleme in Kauf nehmen wollte.
29
c) Zuständigkeit. Wer für die Anordnung des Arrests zuständig ist, bestimmt § 111e Abs. 1 Satz 1 abweichend von der Zivilprozessordnung.86 Es gelten die strafprozessualen Zuständigkeitsregeln.87 Zuständig ist im Ermittlungsverfahren somit der Ermittlungsrichter des zuständigen Amtsgerichts,88 nicht das nach den §§ 764, 919 ZPO zuständige Zivilgericht. Bei Gefahr im Verzug ist auch die Staatsanwaltschaft zuständig. Näheres bei § 111e, 2. Nach Erhebung der öffentlichen Klage kann das Gericht den Arrest von Amts wegen anordnen.89
30
d) Form und Inhalt. Das Gericht entscheidet über den Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss nach § 34; die Staatsanwaltschaft erlässt eine schriftliche Verfügung. Auch die Entscheidung des Gerichts ergeht ohne mündliche Verhandlung. Eine vorherige Anhörung des Beschuldigten ist der Natur der Sache nach untunlich und daher nach § 33 Abs. 4 Satz 1 nicht erforderlich, sie kann und muss vielmehr im Beschwerdeverfahren gewährt werden90 Der Beschluss ist mit Gründen zu versehen. Er muss die in § 920 Abs. 1 ZPO bezeichneten Angaben (oben Rn. 21) enthalten und ferner der Vorschrift des § 923 ZPO entsprechen, die nach Absatz 2 sinngemäß anzuwenden ist. Sie lautet:
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OLG Stuttgart NStZ 2005 401, 402. KMR/Mayer 9. KK/Nack 5; Meyer-Goßner 5; SK/Rogall 8. Siehe hierzu § 111b Entstehungsgeschichte. BGH NStZ-RR 2005 146.
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BGH wistra 2005 35. BGH wistra 2005 35. Meyer-Goßner 9. BVerfG NJW 2006 1048.
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§ 923 ZPO In dem Arrestbefehl ist ein Geldbetrag festzustellen, durch dessen Hinterlegung die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Schuldner zu dem Antrag auf Aufhebung des vollzogenen Arrestes berechtigt wird.
Die Formel des Arrestbefehls besteht danach in der einfachen Anordnung des ding- 31 lichen Arrests über das Vermögen des Betroffenen, der Bezeichnung des zu sichernden Anspruchs, seiner Höhe und der Höhe der Lösungssumme. Die Anordnung kann unter Umständen auf bestimmte Gegenstände des Betroffenen beschränkt werden. Die Darlegung des Arrestgrunds kann den Gründen der Entscheidung vorbehalten bleiben. Die Lösungssumme richtet sich nach der Höhe der Geldforderungen, die in dem Arrestgesuch genannt sind. Durch Hinterlegung oder Sicherstellung kann der Schuldner die Hemmung und die Aufhebung der Arrestvollziehung erreichen, nicht aber der Arrestanordnung (§ 923 i.V.m. § 934 ZPO).91 Fehlt die Angabe der Lösungssumme in dem Arrestbefehl, so berührt das seine Wirksamkeit nicht; er kann insoweit ergänzt werden.92 Entgegen dem Wortlaut des § 923 ZPO sind auch andere Sicherheiten als die Hinterlegung von Geld zugelassen, denn § 108 ZPO gilt entsprechend.93 Danach ist insbesondere die Hinterlegung von Wertpapieren94 und die Beibringung einer Bürgschaft,95 auch die Bürgschaft einer Bank,96 möglich. Ob der Beschuldigte oder ein Dritter die Sicherheit leistet, ist gleichgültig. Mit der Hinterlegung erlangt die Staatskasse ein Pfandrecht (§ 233 BGB).97 Die Vollziehung des Arrests wird durch die Hinterlegung gehemmt. e) Bekanntmachung. Sie richtet sich nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessord- 32 nung, sondern nach § 111e Abs. 3 und 4, siehe § 111e, 16 ff. 4. Arrestvollziehung, Abs. 2 a) Allgemeines. Absatz 2 bestimmt die sinngemäße Anwendung des § 928 ZPO, wo- 33 nach auf die Vollziehung des Arrests die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechend anzuwenden sind. Diese Vorschrift hat für die Vollziehung des Arrests nach § 111d geringe Bedeutung, da § 111f Abs. 3 die Zuständigkeiten für das Strafverfahren abweichend von der Zivilprozessordnung regelt 98 und auch die Rechtsbehelfe und Rechtsmittel der Zivilprozessordnung nicht stattfinden (vgl. § 111f, 12). Der Verweis gilt daher vor allem für die §§ 930–932 ZPO. Diese betreffen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (§ 930 ZPO), in Schiffe und Schiffsbauwerke (§ 931 ZPO) und in Grundstücke (§ 932 ZPO). b) Bewegliches Vermögen. Nach Absatz 2 gilt § 930 ZPO für die Vollziehung des 34 Arrests in bewegliche Sachen und Forderungen entsprechend. In Betracht kommt aber nur die Anwendung des Absatzes 1 Satz 1 und 2 und des Absatzes 2. Die Vorschrift lautet insoweit:
91 92
93 94
Thomas/Putzo § 934, 1. OLG Hamburg NJW 1958 1145 mit Anm. Lent; Meyer-Goßner 10; Thomas/Putzo § 923, 1. Thomas/Putzo § 923, 1. Dazu Thomas/Putzo § 108, 6; MeyerGoßner 17.
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Thomas/Putzo § 108, 7. KK/Nack 9; Meyer-Goßner 17; Thomas/ Putzo § 108, 7. Thomas/Putzo § 108, 13. BGH wistra 2005 35.
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§ 111d
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§ 930 ZPO (1) 1Die Vollziehung des Arrestes in bewegliches Vermögen wird durch Pfändung bewirkt. 2Die Pfändung erfolgt nach denselben Grundsätzen wie jede andere Pfändung und begründet ein Pfandrecht mit den im § 804 bestimmten Wirkungen. 3Für die Pfändung einer Forderung ist das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht zuständig. (2) Gepfändetes Geld und ein im Verteilungsverfahren auf den Gläubiger fallender Betrag des Erlöses werden hinterlegt. (3) … (betrifft Notveräußerung)
Durch die Pfändung entsteht somit ein Pfändungspfandrecht zu Gunsten des Staates. Zum Schutz des Schuldners sind die Vollstreckungsbeschränkungen der §§ 811, 850 ff. ZPO zu beachten.99 Hat die Staatsanwaltschaft den Besitz über die Sache bereits vor der Sicherung erlangt, so wird nicht in entsprechender Anwendung von § 847 Abs. 1 ZPO der dem Beschuldigten zustehende Herausgabeanspruch, sondern die Sache selbst gepfändet.100 Der Anspruch auf Herausgabe einer freigewordenen Sicherheit unterliegt der Pfändung, auch schon vor der tatsächlichen Freigabe.101 Gepfändet wird dann die zukünftige Rückzahlungsforderung. Die Regelung über die Zuständigkeit für die Forderungspfändung in § 930 Abs. 1 Satz 3 ZPO wird durch § 111f Abs. 3 Satz 3 ersetzt. Anstelle des § 930 Abs. 3 (Notveräußerung) gilt § 111l.
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c) Schiffe und Schiffsbauwerke. Der nach Absatz 2 sinngemäß anzuwendende § 931 ZPO hat folgenden Wortlaut: § 931 ZPO (1) Die Vollziehung des Arrestes in ein eingetragenes Schiff oder Schiffsbauwerk wird durch Pfändung nach den Vorschriften über die Pfändung beweglicher Sachen mit folgenden Abweichungen bewirkt. (2) Die Pfändung begründet ein Pfandrecht an dem gepfändeten Schiff oder Schiffsbauwerk; das Pfandrecht gewährt dem Gläubiger im Verhältnis zu anderen Rechten dieselben Rechte wie eine Schiffshypothek. (3) Die Pfändung wird auf Antrag des Gläubigers vom Arrestgericht als Vollstreckungsgericht angeordnet; das Gericht hat zugleich das Registergericht um die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Arrestpfandrechts in das Schiffsregister oder Schiffsbauregister zu ersuchen; die Vormerkung erlischt, wenn die Vollziehung des Arrestes unstatthaft wird. (4) Der Gerichtsvollzieher hat bei der Vornahme der Pfändung das Schiff oder Schiffsbauwerk in Bewachung und Verwahrung zu nehmen. (5) Ist zur Zeit der Arrestvollziehung die Zwangsversteigerung des Schiffes oder Schiffsbauwerks eingeleitet, so gilt die in diesem Verfahren erfolgte Beschlagnahme des Schiffes oder Schiffsbauwerks als erste Pfändung im Sinne des § 826; die Abschrift des Pfändungsprotokolls ist dem Vollstreckungsgericht einzureichen. (6) 1Das Arrestpfandrecht wird auf Antrag des Gläubigers in das Schiffsregister oder Schiffsbauregister eingetragen; der nach § 923 festgestellte Geldbetrag ist als der Höchstbetrag zu bezeichnen, für den das Schiff oder Schiffsbauwerk haftet. 2Im Übrigen gelten der § 867 Abs. 1 und 2 und der § 870a Abs. 3 entsprechend, soweit nicht vorstehend etwas anderes bestimmt ist.
Anstelle des § 931 ZPO Abs. 3 Hs. 1 gilt § 111f Abs. 3 Satz 3.
99 100
Meyer-Goßner 12a; KMR/Mayer 19. OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 144; Meyer-Goßner 12a.
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OLG Frankfurt NJW 2005 1727, 1729 mit Besprechung von Herzog/Hoch/Warius StV 2007 542, 547.
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§ 111d
d) Grundstücke. Für die Arrestvollziehung in Grundstücke gilt nach Absatz 2 der 36 § 932 ZPO entsprechend. Die Vorschrift lautet: § 932 ZPO (1) Die Vollziehung des Arrests in ein Grundstück oder in eine Berechtigung, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten, erfolgt durch Eintragung einer Sicherungshypothek für die Forderung; der nach § 923 festgestellte Geldbetrag ist als der Höchstbetrag zu bezeichnen, für den das Grundstück oder die Berechtigung haftet. Ein Anspruch aus § 1179a oder § 1179b des Bürgerlichen Gesetzbuchs steht dem Gläubiger oder im Grundbuch eingetragenen Gläubiger der Sicherungshypothek nicht zu. (2) Im Übrigen gelten die Vorschriften des § 866 Abs. 3 Satz 1 und des § 867 Abs. 1 und 2 und des § 868. (3) Der Antrag auf Eintragung der Hypothek gilt im Sinne des § 929 Abs. 2, 3 als Vollziehung des Arrestbefehls.
IV. Aufhebung der Arrestanordnung Der Arrestbefehl und alle Vollziehungsmaßnahmen sind grundsätzlich bis zur Rechts- 37 kraft des Urteils wirksam und müssen eigens aufgehoben werden, siehe hierzu § 111e, 29. Aufzuheben sind sie, wenn keine Gründe mehr für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für den Verfall oder die Einziehung des Wertersatzes vorliegen oder wenn nicht mehr wahrscheinlich ist, dass ein rechtskräftiges Urteil ergeht, in dem der Beschuldigte zu Geldstrafe oder zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt wird. Die Aufhebung hat ferner zu erfolgen, wenn der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel erlangt hat, aus dem er unmittelbar die Zwangsvollstreckung betreiben kann,102 weil dann kein Arrestgrund mehr vorliegt. Der zum Zwecke der Zurückgewinnungshilfe erlassene dingliche Arrest ist aufzuheben, wenn der mutmaßliche Geschädigte keine erkennbaren zivilrechtlichen Schritte gegen den Angeklagten zur Geltendmachung möglicher Ansprüche eingeleitet hat, ein hinreichender Arrestgrund im Sinne des § 917 ZPO ist damit nicht mehr ersichtlich.103 Ein Austausch des Arrestgrundes (Verfall von Wertersatz statt Zurückgewinnungshilfe) dürfte an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitern.104 Die Arrestanordnung ist ebenfalls dann aufzuheben, wenn die Aufrechtrechterhaltung unverhältnismäßig geworden ist.105 Bei Hinterlegung nach § 934 ZPO vgl. Rn. 38. Vgl. zur Aufhebung des Arrestes im Übrigen § 111e, 29 ff.
V. Aufhebung der Arrestvollziehung 1. Hinterlegung des Geldbetrages. Der nach Absatz 2 sinngemäß anzuwendende 38 § 934 Abs. 1 ZPO lautet: § 934 Abs. 1 ZPO Wird der in dem Arrestbefehl festgestellte Geldbetrag hinterlegt, so wird der vollzogene Arrest von dem Vollstreckungsgericht aufgehoben.
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103
OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 255 für den nach Rechtskraft erfolgten Kostenansatz. OLG Oldenburg StV 2008 241; LG Düsseldorf StV 2001 446 mit Anm. Berndt;
104 105
OLG Düsseldorf StV 2003 547 mit Anm. Rönnau; Pananis NStZ 2008 579, 580. OLG Düsseldorf StV 2003 547, 548 mit Anm. Rönnau. Siehe § 111b, 37; Meyer-Goßner 15 m.w.N.
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§ 111d
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Die Vorschrift betrifft nur die Aufhebung des Arrestvollzugs, nicht die der Arrestanordnung (§ 923 i.V.m. § 934 ZPO). Mit Hinterlegung der geleisteten Sicherheit wird die Vollziehung des Arrestes nicht mehr erforderlich, ist daher unverhältnismäßig und muss aufgehoben werden.106 Die Aufhebung muss auch erfolgen, wenn auf andere Weise (Rn. 31) Sicherheit geleistet worden ist und der Beschuldigte den Aufhebungsantrag stellt. Teilweise wird trotz fehlender Verweisung auf § 929 Abs. 2 ZPO eine Vollziehungsfrist von 6 Monaten in Anlehnung an Beschlagnahme- und Durchsuchungsbeschlüsse vorgeschlagen.107 Der Antrag kann bis zum Erlass des Aufhebungsbeschlusses zurückgenommen werden.
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2. Notlage des Beschuldigten, Abs. 3. Ist der Arrest nur wegen einer Geldstrafe oder wegen der voraussichtlich entstehenden Verfahrenskosten angeordnet worden, so muss nach Absatz 3 eine Vollziehungsmaßnahme, also nicht der Arrestbefehl selbst,108 aufgehoben werden, wenn der Beschuldigte den Pfandgegenstand benötigt, um die Kosten seiner Verteidigung, seines Unterhalts oder des Unterhalts seiner Familie aufzubringen. Sind mehrere Vollziehungsmaßnahmen getroffen worden, so bestimmt das Gericht, welche von ihnen aufgehoben oder beschränkt wird.109
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a) Kosten der Verteidigung. Kosten der Verteidigung sind in erster Hinsicht die Gebühren und Auslagen des Verteidigers. Auf die Höchstgebühren des RVG110 sind sie nicht beschränkt; der Verteidiger darf eine höhere Gebühr vereinbaren (§ 3a RVG). Die Höhe der notwendigen Auslagen und damit der gesetzlichen Gebühren ist nicht entscheidend,111 denn Absatz 3 spricht von den Kosten der Verteidigung, nicht von den „notwendigen“ Kosten.112 Auch mehrere Verteidiger können von dem Beschuldigten beauftragt werden. Bei der Aufhebung der Arrestvollziehung zu dem Zweck, dem Beschuldigten die Mittel für die Verteidigung zur Verfügung zu stellen, darf nicht kleinlich verfahren werden. Es ist nicht der Sinn des § 111d, den Beschuldigten in seinen Verteidigungsmöglichkeiten zu beschränken. Nur übermäßige hohe Verteidigungskosten sind nicht anzuerkennen.113 Anhaltspunkte für die Angemessenheit der Verteidigerkosten sind der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu entnehmen.114 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die üblichen Stundensätze gerade in Umfangsverfahren im Wirtschaftsstrafrecht deutlich höher sind, als etwa in anderen Bereichen des Straf- und Zivilrechts. Kosten der Verteidigung können auch Aufwendungen für Reisen zu dem Verteidiger oder zum Gericht sein.115
41
b) Kosten des Unterhalts. Die Kosten des Unterhalts des Beschuldigten und seiner Familie sind notwendige Kosten. Dem Beschuldigten ist alles zu belassen, was er auch bei einer Vollstreckung des rechtskräftigen Urteils nicht herausgeben müsste, insbesondere die pfändungsfreien Beträge nach den im Fall der Vollstreckung des Urteils anzuwenden-
106 107 108 109 110 111 112
OLG Stuttgart wistra 2007 276, 279. SK/Rogall 28. HK/Gercke 21; Meyer-Goßner 18. Meyer-Goßner 18. Vgl. zu den Gebühren: § 2 Abs. 2 Anlage 1 Teil 4 RVG. KK/Nack 12; Meyer-Goßner 19; a.A. AG Hanau NJW 1974 1662, 1663. Deshalb sah BTDrucks. 13 9742 in einem
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114 115
§ 111c eine Beschränkung auf die nach § 464a Abs. 2 erstattungsfähigen Kosten ausdrücklich vor. KK/Nack 13; Meyer-Goßner 19; zur Frage Wahl- oder Pflichtverteidigerkosten: Bach StraFo 2005 485, 486. Vgl. BGH NJW 2005 2142. HK/Gercke 22.
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den §§ 850 ff. ZPO.116 Ist der Beschuldigte inhaftiert, ist ihm entsprechend § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO Eigengeld zur Deckung seiner persönlichen Bedürfnisse zu belassen.117 c) Verfahren. Wenn die Voraussetzungen des Absatzes 3 vorliegen, ist die Aufhebung 42 der Vollziehungsmaßnahmen zwingend vorgeschrieben. Sie erfolgt aber nach ausdrücklicher Regelung nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Beschuldigten.118 Er muss darlegen und glaubhaft machen, dass er bei Vollziehung des Arrests nicht in der Lage wäre, die notwendigen Kosten für seine Verteidigung oder den Unterhalt aufzubringen. Die Vermögensverhältnisse müssen offengelegt werden. Fehlen diese Angaben und werden sie auch auf Ersuchen des Gerichts nicht nachgeholt oder glaubhaft gemacht,119 so ist der Antrag zu verwerfen. Eine förmliche Beweisaufnahme findet jedenfalls nicht statt.120 Vor der Entscheidung ist die Staatsanwaltschaft zu hören (§ 33 Abs. 2). Ist von vornherein abzusehen, dass die Voraussetzungen des Absatzes 3 vorliegen, so 43 darf der Arrest nicht angeordnet werden.121 Denn in aller Regel ergeht der Arrestbefehl nur wegen eines einzigen Vollziehungsgegenstandes, so dass auch nur einzelne Vollziehungsmaßnahmen in Betracht kommen. 3. Aufhebung aus anderen Gründen. Liegen die Voraussetzungen vor, unter denen 44 der Arrestbefehl aufgehoben werden muss (oben Rn. 37), so sind auch alle Vollziehungsmaßnahmen aufzuheben. Hierfür bedarf es keines Antrags des Beschuldigten. Wegen der Notveräußerung von Gegenständen, die aufgrund eines Arrests gepfändet worden sind, vgl. § 111l, 3, 9. 4. Zuständigkeit. Für die Aufhebung der Arrestvollziehung ist das Gericht zuständig, 45 das den Arrest angeordnet, nach § 111e Abs. 2 Satz 1 richterlich zu bestätigen oder bereits bestätigt hat.122 Befindet sich die Strafsache inzwischen in einem höheren Rechtszug, so wird mit der Vorlegung der Akten (§ 321) das Rechtsmittelgericht zuständig;123 statt des Revisionsgerichts entscheidet stets das letzte Tatgericht. Es gelten die Grundsätze über die Aufhebung der Beschlagnahme (§ 98, 61). Die Anordnung der Aufhebung gehört zu den Geschäften, die dem Rechtspfleger übertragen sind (§ 22 Nr. 2, § 20 Nr. 15 RpflG).
VI. Entschädigung Im Zivilverfahren ist der Gläubiger dem Arrestschuldner nach § 945 ZPO zum 46 Schadenersatz verpflichtet, wenn die Anordnung des Arrests ungerechtfertigt war. Im Strafverfahren besteht diese Möglichkeit nicht.124 Es bleibt nur die Entschädigungspflicht der Staatskasse nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG. Subsidiär kommen Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht.125 Zu den Ansprüchen des Betroffenen gegen einen die Zwangsvollstreckung betreibenden Verletzten, § 111g, 29.
116 117 118 119 120 121
Meyer-Goßner 20; HK/Gercke 22; KMR/ Mayer 16. OLG Karlsruhe StraFo 2002 84, 85; KMR/ Mayer 16. HK/Gercke 23; Meyer-Goßner 21. HK/Gercke 23. OLG Karlsruhe StraFo 2002 84. Meyer-Goßner 18.
122 123 124
125
Meyer-Goßner 22. HK/Gercke 25. Meyer-Goßner 15; SK/Rogall 26; a.A. Borggräfe/Schütt StraFo 2006 133, 139 für eine analoge Anwendung des § 945 ZPO. HK/Gercke 26; vgl. hierzu auch Borggräfe/ Schütt StraFo 2006 133, 137 f.
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VII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel 47
Welche Rechtschutzmöglichkeiten gegen die Arrestanordnung bestehen wird bei § 111e, 33 ff., welche gegen die Arrestvollziehung bestehen bei § 111f, 12 ff. besprochen.
§ 111e (1) 1Zu der Anordnung der Beschlagnahme (§ 111c) und des Arrestes (§ 111d) ist nur das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft befugt. 2Zur Anordnung der Beschlagnahme einer beweglichen Sache (§ 111c Abs. 1) sind bei Gefahr im Verzuge auch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) befugt. (2) 1Hat die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme oder den Arrest angeordnet, so beantragt sie innerhalb einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Anordnung. 2Dies gilt nicht, wenn die Beschlagnahme einer beweglichen Sache angeordnet ist. 3Der Betroffene kann in allen Fällen jederzeit die Entscheidung des Gerichts beantragen. (3) Der Vollzug der Beschlagnahme und des Arrestes ist dem durch die Tat Verletzten, soweit er bekannt ist oder im Verlauf des Verfahrens bekannt wird, unverzüglich durch die Staatsanwaltschaft mitzuteilen. (4) 1Die Mitteilung kann durch einmalige Bekanntmachung im Bundesanzeiger erfolgen, wenn eine Mitteilung gegenüber jedem einzelnen Verletzten mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre oder wenn zu vermuten ist, dass noch unbekannten Verletzten aus der Tat Ansprüche erwachsen sind. 2Zusätzlich kann die Mitteilung auch in anderer geeigneter Weise veröffentlicht werden. 3Personendaten dürfen nur veröffentlicht werden, soweit ihre Angabe unerlässlich ist, um den Verletzten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche den Zugriff auf die gesicherten Vermögenswerte zu ermöglichen. 4Nach Beendigung der Sicherungsmaßnahmen veranlasst die Staatsanwaltschaft die Löschung der im Bundesanzeiger vorgenommenen Veröffentlichung. Schrifttum siehe bei § 111b.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 (BGBl. I 2006 S. 2350) wurde die Norm zunächst redaktionell verändert. Die Zuständigkeit des Richters wurde durch die Zuständigkeit des Gerichts ersetzt, um eine geschlechtsneutrale Formulierung herbeizuführen. Der Begriff des Hilfsbeamten wurde an die neue Terminologie der Ermittlungsperson (§ 152 GVG) angepasst. Inhaltliche Änderung erfuhr Absatz 3. Nunmehr muss nicht mehr schon die Anordnung der Beschlagnahme und des Arrestes dem durch die Tat Verletzten durch die Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden, sondern erst deren Vollzug. Damit soll der Erfolg der Maßnahme besser als bisher gewährleistet werden und der Geschädigte soll nicht zu früh angehalten sein, sich einen Titel zu verschaffen, der sich später möglicherweise nicht realisieren lässt. Absatz 4 wurde wesentlich verändert, um den Verwaltungsaufwand zu minimieren und den Geschädigten eine kostensparende und verlässliche Informationsquelle vorzuhalten. Absatz 4 Satz 3 und 4 sind außerdem Ausdruck
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der Rücksichtnahme auf datenschutzrechtliche Belange des Betroffenen in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Nach der Intention des Gesetzgebers sollen die Absätze 3 und 4 sowohl dem Opferschutz als auch dem Gebot des effektiven Einsatzes staatlicher Ressourcen in ausgewogener Weise Rechnung tragen.
Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschlagnahmeanordnung 1. Zuständigkeit, Abs. 1 a) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatsanwaltschaft und Ermittlungspersonen . . . . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arrestanordnung 1. Zuständigkeit, Abs. 1 . . . . . . . . . 2. Form und Inhalt der Arrestanordnung IV. Bestätigung nichtrichterlicher Anordnungen, Abs. 2 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Antragspflicht, Abs. 2 Satz 1 . . . 3. Antragsfrist . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 5. Gegenstand der Prüfung . . . . . 6. Änderung der Rechtsgrundlage . . 7. Entscheidung . . . . . . . . . . . V. Bekanntmachung, Abs. 3 und 4 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Bekanntmachung an den bekannten Verletzten, Abs. 3 . . . . . . . . . 3. Öffentliche Bekanntmachung, Abs. 4 Satz 1 . . . . . . . . . . . a) Unverhältnismäßiger Aufwand der Mitteilung . . . . . . . . . b) Unbekannte Verletzte . . . . .
. . . . . . .
Rn.
1
4. Bekanntmachung in anderer Weise, Abs. 4 Satz 2 . . . . . . . . . . . . 5. Datenschutzrechtliche Sonderbestimmungen, Abs. 4 Satz 3 . . . . . . . 6. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . 7. Löschungspflicht der Staatsanwaltschaft, Abs. 4 Satz 4 . . . . . . . .
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VII. Aufhebung des Arrests 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Beendigung der Beschlagnahme 1. Erlöschen . . . . . . . . . . 2. Aufhebung a) Allgemeines . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . .
VIII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel bei Anordnung von Beschlagnahme und Arrest 1. Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Abs. 2 Satz 3 . . . . . . . . . . . . . 2. Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Beschwerde, § 310 Abs. 1 Nr. 3 4. Rechtsmittel gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Beschlagnahme oder des Arrests . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen zur Vollstreckung . . . . . . . . . . .
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36 37
Alphabetische Übersicht Allgemeines 1, 8, 16, 26, 29 Änderung der Rechtsgrundlage 14 Anordnung der Staatsanwaltschaft 4 Anordnungen von Beschlagnahme und Arrest in sonstigen Fällen 8 Antrag auf gerichtliche Entscheidung 33 Antragsfrist 10 Arten von Beschlagnahmen 12 Bekannter Verletzter 17 Bekanntmachung in anderer Weise 21 Beschluss 32 Beweis- oder Vollstreckungssicherung 5 Datenschutzrechtliche Sonderbestimmungen 22 Deklaratorische Aufhebung 25 Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG 13 Entscheidung 15
Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 3, 6 Form und Inhalt der Arrestanordnung 7 Form, Verfahren und Inhalt der Bestätigungsentscheidung 15 Förmliche Aufhebung 26 Frage des Einzelfalls 19 Führerscheine 1 Gefahr im Verzug 3 Gegenstand der Prüfung 13 Gegenstand zunächst als Beweismittel beschlagnahmt 34 Gericht 2 Gerichtliche Bestätigung 9 Gerichtliche Entscheidung 11 Geringerer Verwaltungsaufwand 18 Jederzeit 33
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Löschungspflicht der Staatsanwaltschaft 24 Öffentliche Bekanntmachung 18 Recht auf Akteneinsicht 16 Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen zur Vollstreckung 37 Rechtskraft des Urteils 25, 30 Rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens 29 Rechtsmittel gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Beschlagnahme oder des Arrests 36 Spezifischer Sicherungszweck 5 Überschaubare Zahl von bekannten Verletzten 23
Überschreitung der Frist 10 Umstände des Einzelfalls 3 Unbekannte Verletzte 20 Unterbliebene Arrestanordnung 30 Unverzüglich 24 Vollziehung der Aufhebungsanordnung 28 Vollzug der Maßnahme 17 Weitere Beschwerde 35 Zuständigkeit 27 Zuständigkeit für die Anordnung 1 Zuständigkeit für die Vollstreckung 1
I. Allgemeines 1
Die Vorschrift regelt in den Absätzen 1 und 2 die Zuständigkeit für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 111b Abs. 1, § 111c) und des dinglichen Arrests (§ 111b Abs. 2, § 111d). Die Zuständigkeit für die Vollstreckung der nach § 111e ergangenen Anordnungen findet sich wiederum in § 111f. Zuständig für die Anordnung von Beschlagnahme oder Arrest ist das Strafgericht.1 Im Vorverfahren entscheidet der zuständige Ermittlungsrichter, § 162, ansonsten das in der Hauptsache zuständige Gericht.2 Ist das Verfahren bereits im Revisionsrechtszug anhängig, so bleibt das Gericht der letzten Tatsacheninstanz zuständig.3 Bei Gefahr im Verzug besteht eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind bei Gefahr im Verzug nur zur Anordnung der Beschlagnahme beweglicher Sachen befugt. Die Regelung stimmt weitgehend mit der in § 98 für die Anordnung der Beschlagnahme von Beweisgegenständen und Führerscheinen überein. Lediglich beim Erfordernis richterlicher Bestätigung nichtrichterlich angeordneter Maßnahmen besteht ein Unterschied: Haben die Staatsanwaltschaft oder eine ihrer Ermittlungspersonen die Beschlagnahme einer beweglichen Sache angeordnet, muss keine Bestätigung dieser Anordnung eingeholt werden. Die Staatsanwaltschaft kann sie jedoch herbeiführen, wenn sie dies für erforderlich hält.4 Der Betroffene selbst kann jederzeit um gerichtliche Entscheidung nachsuchen, Abs. 2 Satz 3. Soweit eine gerichtliche Bestätigung erforderlich ist, muss die Staatsanwaltschaft diese innerhalb einer Woche beantragen. Im Vergleich zu § 98 Abs. 2 Satz 1 ist die Frist somit verlängert; sie beginnt mit der Anordnung.5 Vgl. zu Einzelheiten § 98, 42 ff. Schließlich bestimmen Absätze 3 und 4 die Mitteilungspflichten gegenüber dem Verletzten. Für die Pressebeschlagnahme enthält § 111n Abs. 1 eine ausschließliche Zuständigkeitsregelung,6 insoweit ist § 111e nicht anwendbar.7
II. Beschlagnahmeanordnung 1. Zuständigkeit, Abs. 1
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a) Gericht. Die Beschlagnahme von Verfalls- und Einziehungsgegenständen ist grundsätzlich dem Gericht vorbehalten. Soweit es erforderlich sein sollte, zur Durchführung der Beschlagnahme eine Durchsuchung vorzunehmen, gelten nach § 111b Abs. 4 die Vor1 2 3 4
KK/Nack 1; KMR/Mayer 2. KMR/Mayer 2; SK/Rogall 6. OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 144, 145. BGH NStZ 1985 262; KK/Nack 4; SK/Rogall 15.
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KMR/Mayer 2; Meyer-Goßner 6. KK/Nack 2; HK/Gercke 2; SK/Rogall 7. Meyer-Goßner 3.
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schriften der §§ 102 bis 110 entsprechend. Auch dort ist grundsätzlich der Richter8 für die Anordnung zuständig. Im Vorverfahren entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, § 162 Abs. 1 Satz 1. Handelt eine Zweigstelle der Staatsanwaltschaft, so gilt der Sitz der Zweigstelle. Entgegen der früher geltenden Regelung sind die entsprechenden Anträge somit nicht mehr bei dem Amtsgericht zu stellen, in dessen Bezirk die Ermittlungsmaßnahme vorgenommen werden sollte. Damit wird eine erhebliche Vereinfachung herbeigeführt und die zur früheren Rechtslage bestehenden Schwierigkeiten sind ausgeräumt.9 In Sachen, die nach § 120 GVG zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug gehören („Staatsschutzsachen“), sind auch die Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte zuständig, § 169. Nach Anklageerhebung entscheidet das Gericht, das nunmehr mit der Sache befasst ist, in der für Beschlüsse außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung (Näheres bei § 98, 8 ff.) Im Berufungsverfahren ist das Berufungsgericht zuständig, sobald ihm die Akten nach § 321 vorgelegt worden sind; vorher entscheidet das Amtsgericht. Im Revisionsverfahren ist das Gericht zuständig, dessen Urteil angefochten ist, niemals das Revisionsgericht (§ 98, 12).10 b) Staatsanwaltschaft und Ermittlungspersonen. Die Staatsanwaltschaft ist zur An- 3 ordnung der Beschlagnahme befugt, wenn Gefahr im Verzug gegeben ist (Absatz 1 Satz 1). Diese liegt vor, wenn die vorherige Einholung eines richterlichen Beschlusses den Erfolg der Maßnahme gefährden würde.11 Eine Sonderregelung für die Beschlagnahme periodischer Druckwerke findet sich in § 111n Abs. 1, hier ist die Staatsanwaltschaft auch bei Gefahr im Verzug nicht zuständig. Wegen der Zuständigkeit vgl. im Einzelnen bei § 98, 8 ff., wegen des Begriffs der Gefahr im Verzug bei § 98, 34 f. Die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG)12 dürfen die Beschlagnahme von Verfalls- und Einziehungsgegenständen bei Gefahr im Verzug nur anordnen, wenn es sich um bewegliche Sachen handelt (Absatz 1 Satz 2) und wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist. Die Frage der Wirksamkeit von Anordnungen, bei denen zu Unrecht Gefahr im Verzug angenommen wurde, hat in den letzten Jahren durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 201013 neue Brisanz erhalten. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz von Maßnahmen nach §§ 111b ff. wird man diese Grundsätze auch auf Sicherstellungsanordnungen übertragen müssen.14 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Anordnung durch den Staatsanwalt oder eine Ermittlungsperson grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot 15 führt, auch wenn Gefahr im Verzug rechtsfehlerhaft angenommen oder diese Annahme in den Akten nicht ausreichend dokumentiert wurde. Das Bundesverfassungsgericht ist in der Annahme eines Verwertungsverbotes sehr zurückhaltend.16 Das Beweisverwertungsverbot ist danach eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist.17 Anders liegt der Fall bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtliche Sicherung planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden ist.18 Ob eine Anordnung nach
8 9 10 11 12 13
Nach BTDrucks. 16 700 S. 11 nunmehr geschlechtsneutral formuliert: Das Gericht. Meyer-Goßner § 162, 8. OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 144, 145. BVerfG NJW 2001 1121, 1123. Siehe hierzu Meyer-Goßner § 152 GVG, 1 ff. BVerfG NJW 2010 2864.
14 15 16 17 18
SK/Rogall 9 geht davon aus, dass man sie nur übertragen kann. SK/Rogall 5. BVerfG NStZ 2011 103, 104 mit Anm. Wohlers JZ 2011 252. BGH NStZ 2012 104, 105. BVerfG NStZ 2011 103, 105.
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§ 111e unwirksam ist, wird immer durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden sein. Der Grundrechtsrelevanz wird im Rahmen der Abwägung entsprechend Rechnung getragen werden müssen. Etwa bei Geldforderungen ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass diese sehr leicht veräußerlich sind, so dass an die Annahme von Gefahr im Verzug in diesen Fällen keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind.19 Siehe zu den Folgen einer rechtswidrigen Anordnung Rn. 13. Ist eine Durchsuchung erforderlich, gelten die dort entwickelten, strengen Grundsätze (§ 105, 83 ff.).
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2. Form. Gerichtliche Anordnungsentscheidungen ergehen grundsätzlich schriftlich durch Beschluss. Dieser ist zu begründen, da er mit der Beschwerde (Rn. 34) anfechtbar ist, § 34. Wird der Erfolg der Maßnahme durch eine Anhörung des Betroffenen gefährdet, darf ohne seine Anhörung entschieden werden. Ist die Maßnahme eilbedürftig, kann das Gericht sie auch (fern-)mündlich20 anordnen und alsdann schriftlich zu den Akten reichen.21 Die Übergabe der Anordnung zur Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft nach § 36 Abs. 2 Satz 1 kann immer mündlich erfolgen.22 Die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann in besonderen Fällen ebenfalls mündlich ergehen, der Vorgang muss aber dann alsbald aktenkundig gemacht werden. Wenn die Ermittlungsbeamten bewegliche Sachen beschlagnahmen, genügt es regelmäßig, den Gegenstand in Verwahrung zu nehmen, wenn der spezifische Sicherungszweck (dazu Rn. 5) offen liegt. Darin liegt dann konkludent die Anordnung der Beschlagnahme, Formerfordernisse sind nicht zu beachten.23 Fälle, in denen der spezifische Sicherungszweck bei Beschlagnahme von Gegenständen nicht offen liegt, werden äußerst selten sein. Liegt der Sicherungszweck einmal nicht offen und wird der Gegenstand gleichwohl von den Beamten in Verwahrung genommen, wird lediglich das Veräußerungsverbot nicht wirksam,24 § 111c, 1. Um das Veräußerungsverbot entstehen zu lassen, kann die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Bestätigung der Maßnahme herbeiführen, vgl. Rn. 1.
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3. Inhalt. Die Beschlagnahmeanordnung muss neben dem zu beschlagnahmenden Gegenstand auch den spezifischen Sicherungszweck zweifelsfrei klarstellen.25 Dafür ist erforderlich, dass der Betroffene erkennen kann, ob es sich um eine Beweis- oder Vollstreckungssicherung handelt,26 da nur bei einer Sicherung der späteren Vollstreckung auch das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 wirksam werden kann. Einer ausdrücklichen Mitteilung des Beschlagnahmezwecks bedarf es nicht, wenn dieser auf der Hand liegt.27 Werden in einem Verfahren wegen eines Vermögensdelikts Gegenstände beschlagnahmt, die mutmaßlich aus der Beute stammen oder aus Beutemitteln erworben worden sind, so liegt es nahe, dass diese Maßnahme wenigstens auch der Rückgewinnungshilfe dienen sollte, selbst wenn fehlerhaft nur von einer „Beschlagnahme gem. § 94 StPO“ gesprochen wurde.28 Dies gilt auch für Anordnungen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen (Rn. 4). Eine Belehrung über das Verfügungsverbot nach § 111c Abs. 5 StPO sieht das Gesetz nicht vor.29 Es ist gleichwohl angebracht, den
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So auch KMR/Mayer 2. Zur mündlichen Anordnung bei § 81a BVerfG NJW 2010 2864, 2865. HK/Gercke 3; KK/Nack 4. SK/Rogall 12. LG Frankfurt NJW 1982 897. In diesem Sinne wohl auch LG Frankfurt NJW 1982 897.
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BGH NStZ 1985 262; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301, 302; KK/Nack 3; Achenbach NJW 1982 2809. Achenbach NJW 1982 2809; noch weitergehend LG Frankfurt NJW 1982 897. BGH NStZ 1985 262. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301, 302. HK/Gercke 3; Meyer-Goßner 4.
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Betroffenen auf diese Rechtsfolgen hinzuweisen.30 Unterbleibt die Belehrung, macht das die Anordnung jedoch nicht unwirksam, das Verfügungsverbot entsteht dennoch. Bei mündlicher Beschlagnahmeanordnung ist über den Inhalt der Anordnung zu Beweiszwecken ein Aktenvermerk zu fertigen.
III. Arrestanordnung 1. Zuständigkeit, Abs. 1. Der dingliche Arrest wird abweichend von §§ 764, 919 6 ZPO nicht durch den Zivilrichter, sondern durch den Strafrichter31 angeordnet. Damit soll eine Vereinfachung des Verfahrens erreicht werden. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Strafrichters ist die gleiche wie bei der Beschlagnahme von Verfalls- und Einziehungsgegenständen (Rn. 2). Bei Gefahr im Verzug (zum Begriff vgl. § 98, 83 ff.) ist auch die Staatsanwaltschaft zur Arrestanordnung zuständig. Im Gegensatz zur Beschlagnahme einer beweglichen Sache dürfen die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft einen Arrest nicht anordnen, auch nicht bei Gefahr im Verzug. 2. Form und Inhalt der Arrestanordnung entsprechen der Beschlagnahmeanordnung, 7 vgl. oben Rn. 4 und 5, sowie die Erl. bei § 111d, 30. Ergeht ein dinglicher Arrest, ist die Anordnung mit „Arrestbefehl“ zu bezeichnen.32
IV. Bestätigung nichtrichterlicher Anordnungen, Abs. 2 1. Allgemeines. Die Bestätigung der nichtrichterlichen Beschlagnahme- oder Arrest- 8 anordnung ist in Absatz 2 geregelt. Dabei wird zwischen der Beschlagnahme von beweglichen Sachen und den Anordnungen von Beschlagnahme und Arrest in sonstigen Fällen unterschieden. Eine Überprüfung durch das Gericht ist nur in den sonstigen Fällen, nicht bei der Beschlagnahme von beweglichen Sachen, erforderlich. Zu den Möglichkeiten für den Betroffenen, eine gerichtliche Anordnung überprüfen zu lassen, siehe Rn. 34. 2. Antragspflicht, Abs. 2 Satz 1. Hat die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme oder 9 den Arrest angeordnet, so hat sie von Gesetzes wegen innerhalb einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Anordnung einzuholen. Anders als bei § 98 Abs. 2 Satz 1 bedarf die Anordnung nach Absatz 1 somit grundsätzlich der gerichtlichen Bestätigung, ein Widerspruch des Betroffenen ist nicht erforderlich. Eine Ausnahme gilt aber für den Fall, dass die Beschlagnahme beweglicher Sachen angeordnet worden ist. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft ist dann nicht notwendig, auch dann nicht, wenn der Betroffene Widerspruch gegen die Anordnung eingelegt hat, Absatz 2 Satz 2. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beschlagnahme von der Staatsanwaltschaft oder nach Absatz 1 Satz 2 von ihren Ermittlungspersonen angeordnet worden ist. Da die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft andere als bewegliche Sachen nicht beschlagnahmen dürfen, findet eine richterliche Bestätigung ihrer Anordnung somit niemals statt. 3. Antragsfrist. Die Staatsanwaltschaft muss den Antrag auf gerichtliche Bestätigung 10 innerhalb einer Woche nach Erlass der Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrestes
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Meyer-Goßner 4; HK/Gercke 3; Achenbach NJW 1982 2809.
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BGH wistra 2005 35. SK/Rogall 12.
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stellen. Absatz 2 Satz 1 ist insoweit trotz der von § 98 Abs. 2 Satz 1 abweichenden Formulierung eine Sollvorschrift. Eine Überschreitung der Frist ist daher auf die Wirksamkeit der Beschlagnahme oder des Arrestes ohne Einfluss.33 Die Frist beginnt an dem Tag, an dem die Anordnung verfügt worden ist.34 Sie wird nach § 43 berechnet. Die Frist gilt nur für den Bestätigungsantrag; die richterliche Entscheidung muss nicht innerhalb der Frist ergehen. Ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Anordnung noch nicht vollzogen, so kommt nicht die Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen, sondern nur noch der Erlass einer gerichtlichen Beschlagnahmeanordnung in Betracht, da keine Eilbedürftigkeit mehr vorliegt. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung herbeiführen, Absatz 2 11 Satz 3. Jederzeit ist wörtlich zu begreifen, eine gerichtliche Entscheidung kann er daher auch verlangen, wenn eine solche bereits vorliegt, sich die Sachlage aus seiner Sicht aber derart verändert hat, dass die Voraussetzungen der Anordnung entfallen sind.35 Der Betroffene ist über dieses Recht in analoger Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 5 zu belehren.36 Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Belehrung bei Beschlagnahmen von Verfalls- und Einziehungsgegenständen zu unterlassen. Dass diese Belehrung in den §§ 111b ff. nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, steht nicht entgegen; die Ausführungen zu § 98, 40 gelten entsprechend. Eine unterbliebene Belehrung hat mangels gesetzlicher Verankerung jedoch keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Anordnung. Wenn der Betroffene sich gegen die nichtrichterliche Anordnung beschwert, ist dies als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu behandeln.37 Eine Belehrung des Verletzten über seine Rechte nach §§ 111g, 111h ist hingegen nicht erforderlich.
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4. Zuständigkeit. Für die Zuständigkeit der gerichtlichen Bestätigung einer Anordnung nach Absatz 1 gelten die Ausführungen zur Beschlagnahmeanordnung (Rn. 2) entsprechend. Insbesondere ist § 98 Abs. 2 Satz 3 anzuwenden, wonach das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat, zuständig ist, solange die Anklage noch nicht erhoben ist. Diese Vorschrift enthält für alle Arten von Beschlagnahmen eine allgemeine Zuständigkeitsregelung.38 Für die Bestätigung der Beschlagnahme- oder Arrestanordnung ist daher das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die das Ermittlungsverfahren betreibende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat.
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5. Gegenstand der Prüfung. Das Gericht hat die Anordnung der Staatsanwaltschaft umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Prüfungsgegenstand ist demnach nicht nur die Frage, ob die Annahme einer Eilkompetenz angezeigt war, sondern auch, ob zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Anordnungsvoraussetzungen noch vorliegen.39 Es ist insbesondere zu prüfen, ob Gründe im Sinne von § 111b Abs. 1 oder Abs. 2 dafür vorliegen, dass die beschlagnahmten Gegenstände für verfallen erklärt, eingezogen werden, dass auf Verfall oder Einziehung des Wertersatzes erkannt wird oder dass die Maßnahme im Interesse des Verletzten zur Sicherung seiner Ansprüche erforderlich ist. Beschlagnahme und Arrest greifen in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG ein. Die nachträgliche gerichtliche Kontrolle muss infolgedessen effektiv und auf den
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KK/Nack 6; Meyer-Goßner 7; SK/Rogall 16. Hellerbrand wistra 2003 201, 204; MeyerGoßner 7; HK/Gercke 6; KK/Nack 4. KK/Nack 4. Meyer-Goßner 8; KK/Nack 9; KMR/ Mayer 8; Achenbach NJW 1982 2809.
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Meyer-Goßner 8, HK/Gercke 7. Vgl. BTDrucks. 7 1261 S. 25. HK/Gercke 8.
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Einzelfall bezogen sein. Das Gericht hat sich dabei eine eigene Überzeugungsgrundlage zu bilden, die unabhängig von den Feststellungen und Wertungen der Exekutive zu beurteilen ist.40 Insbesondere hat das Gericht Feststellungen zur Angemessenheit der Anordnung mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen zu treffen.41 Das Gericht kann die zu überprüfende Entscheidung ändern oder mit anderen Gründen versehen. Soweit die angegriffene Entscheidung fehlerhaft war, wird ihre Rechtswidrigkeit festgestellt. War der festgestellte Fehler nicht so schwerwiegend, dass die Entscheidung nichtig ist, bleibt die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrests ungeachtet der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens aufrechterhalten,42 wenn die Voraussetzungen der Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrests im Übrigen jetzt noch vorliegen.43 Andernfalls wird die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrests aufgehoben, weil sie entweder nicht hätte ergehen dürfen oder weil nunmehr die rechtfertigenden Gründe entfallen sind. Ist die Anordnung bereits vollzogen worden, sind die Gegenstände freizugeben. Das Gericht kann auch Modifikationen der Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrests anordnen. Die Prüfung des Gerichts erfolgt nach Aktenlage. 6. Änderung der Rechtsgrundlage. Stellt sich bei der Prüfung heraus, dass an Stelle 14 des als Rechtsgrundlage angenommenen Verfalls usw. eine andere Rechtsgrundlage, etwa Einziehung oder Verfall des Wertersatzes in Betracht kommt, kann das Gericht die Entscheidung entsprechend ändern. Dabei ist aber zu beachten, dass die Bewirkungshandlungen sehr unterschiedlich sind und dass dafür auch ganz unterschiedliche Zuständigkeiten bestehen. Beim Übergang von Beschlagnahme zu dinglichem Arrest kann das Gericht allenfalls den Arrest anordnen, seine Vollstreckung ist dem Vollzugsbeamten, Gerichtsvollzieher oder dem Rechtspfleger übertragen, § 111f, 6 ff. Wurde also beispielsweise bei einem Rauschgifthändler Geld als aus der Straftat „Erlangtes“ beschlagnahmt und steht auch fest, dass der Täter Geld in der Höhe des beschlagnahmten Betrags erlöst hat, kann aber nicht festgestellt werden, dass das beschlagnahmte Geld aus dem Erlös der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Tat stammt, kommt nicht der Verfall dieses Geldes, sondern Verfall des Wertersatzes in Betracht. Letzterer wird aber durch dinglichen Arrest gesichert. Die Beschlagnahme des Geldes als bewegliche Sache erfolgte durch Inverwahrungnahme (§ 111c Abs. 1), der Zugriff auf bewegliche Sachen in Vollziehung des Arrests erfolgt dagegen durch Pfändung nach § 930 ZPO i.V.m. § 111d Abs. 2. Im Beispielsfall muss also das Gericht, das die Beschlagnahme aufhebt und an seiner Stelle den dinglichen Arrest anordnet, dessen Vollzug in das sichergestellte Geld entweder selbst vornehmen, indem es selbst pfändet 44 oder die Pfändung veranlassen. Durch die Änderung der Rechtsgrundlage tritt keine Rangänderung ein, da es sich um denselben Verfahrensgegenstand handelt. 7. Entscheidung. Für Form, Verfahren und Inhalt der Bestätigungsentscheidung 15 gelten die Ausführungen zur richterlichen Beschlagnahmeanordnung (§ 98, 15) entsprechend. Der Betroffene ist vor der Entscheidung zu hören, da durch diese Anhörung der Erfolg der Maßnahme nicht gefährdet werden kann. Die Entscheidung ist dem Betroffenen und den Prozessbeteiligten bekannt zu geben. Die Bestätigung der Anordnung der
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BVerfG NJW 2005 3630, 3631. Meyer-Goßner 10. BGH NStZ 1985 262. A.A. SK/Rogall 17: der Richter trifft die Anordnung neu.
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Vgl. dazu Bassenge/Roth FamFG/RPflG 12. Aufl. § 22, 5.
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Beschlagnahme oder des Arrests löst die nichtrichterliche Beschlagnahmeanordnung ab. Dies gilt, auch wenn die Maßnahme nur in modifizierter Form aufrechterhalten wird, für das gesamte weitere Verfahren, insbesondere in Bezug auf die Anfechtung, siehe hierzu Rn. 33 ff.
V. Bekanntmachung, Abs. 3 und 4 16
1. Allgemeines. Die Voraussetzungen der Bekanntmachung von Beschlagnahme- und Arrestvollzug sind identisch. Sie hat sowohl gegenüber den Betroffenen als auch gegenüber den Verletzten zu erfolgen, wobei sich die Absätze 3 und 4 auf Regelungen über die Bekanntmachung gegenüber dem Verletzten beschränken. Für die Bekanntmachung gegenüber dem Betroffenen gilt, dass die Vollstreckungsbehörde ihm die Anordnung spätestens nach Vollziehung der Maßnahme bekannt zu machen hat.45 Betroffener kann neben dem Beschuldigten auch ein Dritter sein, etwa im Falle des § 73 Abs. 3 StGB. Eine Belehrung über das Antragsrecht nach § 111d Abs. 3 ist nicht erforderlich. Der Verletzte ist von der Staatsanwaltschaft – auch nach Erhebung der öffentlichen Klage –46 formlos47 und unverzüglich über die Vollzugsmaßnahme zu informieren. Die Bekanntmachungspflicht steht dem Recht auf Akteneinsicht eines Verletzten nicht entgegen. Dieser kann vielmehr auch schon dann Akteneinsicht verlangen, wenn die Staatsanwaltschaft noch nicht alle Verletzten informiert hat. Das Gesetz legt nahe, dass der einzelne Verletzte so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden soll, seine Ansprüche gegenüber den Beschuldigten geltend machen zu können.48 Nicht mitzuteilen ist der Vollzug von Arrestanordnungen lediglich zur Sicherung von Geldstrafen und Verfahrenskosten, da diese die Interessen des Verletzten nicht berühren.49
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2. Bekanntmachung an den bekannten Verletzten, Abs. 3. Der Vollzug der Beschlagnahme und des Arrestes ist dem durch die Straftat Verletzten50 unverzüglich durch die Staatsanwaltschaft mitzuteilen, wenn er bekannt ist oder im Laufe des Verfahrens bekannt wird. Er soll hierdurch Gelegenheit erhalten, seine Ansprüche auf den beschlagnahmten Gegenstand geltend zu machen und die ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten zur Sicherung oder Befriedigung seiner aus der Tat erwachsenen Ansprüche nutzen zu können. Die Mitteilung kann formlos erfolgen.51 Um den Bekanntmachungszweck zu erfüllen, kann es sich empfehlen, in der Mitteilung den Betroffenen, die Tat,52 die einzelnen Vermögenswerte und deren Aufenthaltsort zu bezeichnen53 und auf die Möglichkeiten nach §§ 111g und 111h hinzuweisen.54 Auf die Wirksamkeit der Mitteilung hat der unterlassene Hinweis allerdings keine Auswirkungen.55 Um den Verletzten davor zu
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KK/Nack 9. Meyer-Goßner 13; SK/Rogall 23. Meyer-Goßner 11. LG Düsseldorf wistra 2003 239, 240; Kiethe/Groeschke/Hohmann wistra 2003 92, 94. HK/Gercke 9; Meyer-Goßner 11; SK/Rogall 23. In diesem Sinne auch KMR/Mayer 9; a.A. HK-GS/Hartmann 5. Zum Begriff des Verletzten siehe § 111b, 9. HK/Gercke 9; Meyer-Goßner 11; Bach JR 2008 230, 232.
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SK/Rogall 24. HK/Gercke 9; KMR/Mayer 9 geht sogar davon aus, dass die Mitteilungspflicht nur dann erfüllt ist, wenn auf den der Zwangsvollstreckung unterliegenden Gegenstand hingewiesen wird; zu Einzelheiten des Inhalts der Mitteilung siehe: Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13 f. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13. Meyer-Goßner 11.
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schützen, sich einen nicht realisierbaren Titel zu verschaffen, entsteht die Mitteilungspflicht erst mit dem Vollzug der Maßnahme.56 Für den Verletzten kann es sich empfehlen, zunächst die eingehenden Drittschuldnerklärungen abzuwarten,57 ehe er sich um einen zivilrechtlichen Titel bemüht. Um das Risiko der Realisierbarkeit der Forderung abschätzen zu können, besteht die Benachrichtigungspflicht beim dinglichen Arrest auch dann, wenn zunächst keine Vermögensgegenstände gesichert werden konnten. Hierdurch erfährt der Verletzte auch über fruchtlose Vollstreckungsmaßnahmen.58 Es kann sich empfehlen, die Benachrichtigung mit einer Mitteilung über den Stand des Zulassungsverfahrens nach § 111g zu verbinden.59 Dann kann der Verletzte selbst entscheiden, ob er sich noch um einen zivilrechtlichen Titel bemühen möchte. Die Mitteilung jedoch zu unterlassen, wenn der Wert des Gegenstandes in Folge vorrangiger Zwangsvollstreckung bereits erschöpft ist,60 ist mit der gesetzlichen Regelung in Absatz 3 nicht vereinbar. Der Staatsanwaltschaft steht insoweit kein Ermessen zu. Der Verletzte soll vielmehr selbst entscheiden können, ob und wie er in diesem Fall vorgeht, die Entscheidung darf ihm nicht von der Staatsanwaltschaft abgenommen werden, indem sie ihm erst gar keine Mitteilung zukommen lässt.61 Ist der Verletzte nicht bekannt, so brauchen keine Ermittlungen geführt werden, um die Bekanntmachung nach Absatz 3 zu ermöglichen; es verbleibt dann bei der Mitteilung nach Absatz 4. Die Bekanntmachung obliegt stets der Staatsanwaltschaft,62 welcher der richterliche Beschluss zur Vollstreckung zu übergeben ist und die dann nach § 36 Abs. 2 das Weitere veranlasst. Die Benachrichtigungspflicht kann die Strafverfolgungsbehörden in Großverfahren mit vielen Hunderten oder Tausenden von Verletzten Belastungen aussetzen, die nicht ohne Einbußen bei der eigentlichen Ermittlungstätigkeit bewältigt werden können. Unter anderem in diesen Fällen sieht das Gesetz in Absatz 4 Satz 1 die Möglichkeit vor, die Mitteilung durch einmalige Bekanntmachung im Bundesanzeiger zu ersetzen, siehe hierzu Rn. 18. Verstöße gegen die Mitteilungspflicht haben zwar keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahme selbst, können aber unter Umständen Amtshaftungsansprüche auslösen.63 3. Öffentliche Bekanntmachung, Abs. 4 Satz 1. Das Gesetz sieht in Absatz 4 die 18 Möglichkeit vor, den Vollzug der Beschlagnahme und des Arrests öffentlich bekannt zu machen. Dies ist vorgesehen, wenn eine Mitteilung gegenüber jedem einzelnen Verletzten mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre oder wenn zu vermuten ist, dass noch unbekannten Verletzten aus der Tat Ansprüche erwachsen sind. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger dient nicht nur den Strafverfolgungsbehörden, die sich einem wesentlich geringeren Verwaltungsaufwand ausgesetzt sehen. Sie gibt auch den Verletzten die Möglichkeit, eine kostensparende, einfache und verlässliche Informationsmöglichkeit zu erhalten.64 Der elektronische Bundesanzeiger kann im Internet unter www.bundesanzeiger.de eingesehen werden. Die Vorschrift dient nach der Intention des Gesetzgebers auch als Korrelat zu der in Absatz 3 bestimmten Benachrichtigungspflicht. Gerade bei einer großen Anzahl von Geschädigten soll verhindert werden, dass versehentlich einzelne Benachrichtigungen fehlerhaft erfolgen oder gar unterbleiben.65
56 57 58 59 60
BTDrucks. 16 700 S. 11. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13. Meyer-Goßner 11; KK/Nack 10; SK/Rogall 24. KK/Nack 10. So KMR/Mayer 10.
61 62 63 64 65
Im Ergebnis ebenso: SK/Rogall 25. Meyer-Goßner 13. OLG Celle NStZ-RR 2011 343, 344; MeyerGoßner 12. BTDrucks. 16 700 S. 12. BTDrucks. 16 700 S. 12.
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a) Unverhältnismäßiger Aufwand der Mitteilung. Eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger kommt in Betracht, wenn die Mitteilung gegenüber jedem einzelnen Verletzten mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden wäre. Der Gesetzgeber wollte hiermit eine Entlastung der Strafverfolgungsbehörden herbeiführen und eine möglichst schleunige und sichere Benachrichtigung der Verletzten ermöglichen.66 Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist dabei wie immer Frage des Einzelfalls. Man wird hier nicht zu strenge Maßstäbe anzulegen haben. Kriterien dürften sein, wie viele Verletzte bekannt sind, mit welcher Zahl von Verletzten (zusätzlich) zu rechnen ist, ob die Benachrichtigung gegenüber den Verletzten individualisiert erfolgen muss oder aber ob ein identisches Anschreiben an alle Verletzten ausreicht und der Verwaltungsaufwand dementsprechend geringer ist. Auch dass der Bundesanzeiger von der Bevölkerung in aller Regel nicht verfolgt wird,67 sollte bei der Entscheidung berücksichtigt werden und dann jedenfalls zusätzlich von den Möglichkeiten nach Absatz 4 Satz 2 Gebrauch gemacht werden.
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b) Unbekannte Verletzte. Wenn zu vermuten ist, dass weiteren Verletzten Ansprüche aus der Tat erwachsen sind, soll durch die öffentliche Bekanntmachung versucht werden, diese zu unterrichten. Die Staatsanwaltschaft ist über das Legalitätsprinzip hinaus jedoch nicht verpflichtet, zum Zwecke der Zurückgewinnungshilfe nach weiteren Verletzten zu suchen.68 Die auch hier früher vertretene Auffassung, dass eine öffentliche Bekanntmachung nicht für den Fall vorgesehen ist, dass überhaupt noch kein Verletzter bekannt ist,69 wird nicht aufrecht zu erhalten sein. Hinweise darauf, dass eine Mitteilung in diesen Fällen ausscheiden soll, finden sich weder in der Gesetzesbegründung noch im Wortlaut der Vorschrift. Es ist auch nicht einzusehen, warum diejenigen Verletzten benachteiligt werden sollen, bei denen ein Täter derart geschickt vorgegangen ist, dass (zunächst) kein Verletzter namentlich bekannt ist. Die Zuständigkeit für die öffentliche Bekanntmachung ist die Gleiche wie bei der Bekanntmachung an den bereits bekannten Verletzten (Rn. 17). Die Bekanntmachung erfolgt durch einmaliges Einrücken der Mitteilung in den Bundesanzeiger.
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4. Bekanntmachung in anderer Weise, Abs. 4 Satz 2. Da die durch Straftaten Verletzten selten den Bundesanzeiger zu lesen pflegen, sollte zusätzlich zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger immer noch von der Möglichkeit des Absatz 4 Satz 2 Gebrauch gemacht werden. Danach kann die Mitteilung neben der Bekanntmachung im Bundesanzeiger auch in anderer geeigneter Weise veröffentlich werden. Die Bekanntmachung in anderer Weise ist nicht alternativ, sondern nur kumulativ zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger möglich. Neben einer Anzeige in einer örtlichen Tageszeitung70 kann die Staatsanwaltschaft auch in Pressemitteilungen auf die vollzogenen Sicherungsmaßnahmen hinweisen.71 Auch die Bekanntmachung auf andere Weise (Aushang, Plakate) ist zulässig.72
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5. Datenschutzrechtliche Sonderbestimmungen, Abs. 4 Satz 3. Personendaten dürfen durch die Staatsanwaltschaft nur veröffentlicht werden, soweit ihre Angaben unerlässlich sind, um den Verletzten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche den Zugriff auf die gesicherten Vermögenswerte zu ermöglichen. Personendaten sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BZRG
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BTDrucks. 16 700 S. 9. Vgl. KK/Nack § 111i, 3. KMR/Mayer 11. LR/Schäfer 25 8 m.w.N.
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Bach JR 2008 230, 233. BTDrucks. 16 700 S. 12. Meyer-Goßner 16.
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neben dem Vor- und Familiennamen auch ein davon abweichender Geburtsname, das Geschlecht, das Geburtsdatum, der Geburtsort, die Staatsangehörigkeit sowie eine Anschrift. Die Regelung trägt damit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen Rechnung. Der Begriff der Unerlässlichkeit wird in der Strafprozessordnung mehrfach verwendet.73 Eine Maßnahme ist unerlässlich, wenn der Verletzte ohne sie keine Möglichkeit hätte, zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf die gesicherten Vermögenswerte zuzugreifen. Unerlässlich meint damit soviel wie „unverzichtbar“74/„unabweisbar“75. Dem Merkmal kann auch dadurch Geltung verschafft werden, dass nur ein Teil der Personendaten veröffentlicht wird, so dass jedenfalls den Verletzten eine Individualisierung des Betroffenen und ihrer Ansprüche möglich ist. 6. Ermessen. Die Entscheidung, ob eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger erfolgt, 23 steht im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Bei der Ausübung dieses Ermessens wird die Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen haben, dass Interessen der Verletzten nicht gefährdet werden dürfen. Deshalb wird jedenfalls gegenüber einer überschaubaren Zahl von bekannten Verletzten die Mitteilung nach Absatz 4 nur ausnahmsweise in Betracht kommen.76 Weitere Ermessenskriterien werden die Höhe des verursachten Schadens, die Kosten der Veröffentlichung, die Wertigkeit des gesicherten Gutes, die Erfolgsaussichten der Zwangsvollstreckung und die Wahrscheinlichkeit sein, mit der Veröffentlichung die Verletzten tatsächlich zu erreichen. Im Rahmen der Ermessensausübung hat auch eine Abwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Interessen der Verletzten an einer Information über die Möglichkeit der Schadloshaltung durch zu ihren Lasten begangenen Straftaten zu erfolgen; es gilt analog das Prinzip der praktischen Konkordanz.77 7. Löschungspflicht der Staatsanwaltschaft, Abs. 4 Satz 4. Nach Absatz 4 Satz 4 24 muss die Staatsanwaltschaft nach Beendigung der Sicherungsmaßnahme die Löschung der im Bundesanzeiger vorgenommenen Veröffentlichung veranlassen. Wann die Sicherungsmaßnahme beendet ist, hängt von der Art der Maßnahme ab, siehe hierzu Rn. 25. Anders als bei Absatz 3 hat die Löschungsveranlassung nicht unverzüglich zu erfolgen. Im Interesse des Betroffenen wird aber eine zeitnahe Löschung auch hier angezeigt sein. Von einer Pflicht zur Löschung bei teilweiser Aufhebung der Anordnung hat der Gesetzgeber unter anderem aus Kostengründen ausdrücklich abgesehen.78
VI. Beendigung der Beschlagnahme 1. Erlöschen. Die Beschlagnahme endet in jedem Fall mit der Rechtskraft des Urteils. 25 Dies gilt, wenn der beschlagnahmte Gegenstand für verfallen erklärt oder eingezogen worden ist, als auch, wenn eine solche Maßnahme nicht angeordnet wurde.79 Wurde im Urteil der beschlagnahmte Gegenstand für verfallen erklärt oder eingezogen, geht mit der
73 74 75 76 77
Vgl. u.a. §§ 68a Abs. 1, 81c Abs. 2 Satz 1, 110a Abs. 3, 163c Abs. 1 Satz 1. Meyer-Goßner § 163c, 1. KMR/Mayer 12; Meyer-Goßner 17. BTDrucks. 16 700 S. 12; SK/Rogall 28. Vgl. zum Begriff BVerfG NVwZ 2005 1055, 1056.
78 79
BTDrucks. 16 700 S. 12 mit weiteren Gründen. OLG Düsseldorf NJW 1995 2239 mit Anm. Danwitz NStZ 1999 262; NStZ 1997 301; Malitz NStZ 2003 61, 62; Meyer-Goßner 18.
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Rechtskraft das Eigentum oder Recht an dem beschlagnahmten Gegenstand ohne Weiteres auf den Staat über, § 73e Abs. 1, § 74e Abs. 1 StGB. Sieht das Urteil weder den Verfall noch die Einziehung des Gegenstandes vor, so wird die Beschlagnahme mit der Rechtskraft ohne Weiteres gegenstandslos,80 es sei denn, vor Rechtskraft ist ein Beschluss nach § 111i ergangen; in diesen Fällen endet die Beschlagnahme mit erfolglosem Ablauf der dort gesetzten Frist. Eine deklaratorische Aufhebung81 ist möglich, aber nicht nötig. Die Staatsanwaltschaft hat die beschlagnahmten beweglichen Sachen an den Berechtigten (vgl. dazu § 111k) herauszugeben und dafür zu sorgen, dass andere Beschlagnahmemaßnahmen (§ 111c Abs. 2 bis 4) aufgehoben werden. Nach Rechtskraft einer entsprechenden Anordnung sind Rechtsmittel gegen die Sicherstellung nicht mehr statthaft.82 2. Aufhebung
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a) Allgemeines. Die Beschlagnahmeanordnung muss jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung oder Fortdauer der Maßnahme entfallen sind. Es kann sich Art und Maß des Tatverdachts oder die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die beschlagnahmten Gegenstände im Urteil nach § 73 StGB für verfallen erklärt oder nach den §§ 74 ff. StGB eingezogen werden, geändert haben. Da sowohl die Beschlagnahme als auch die Arrestanordnung nicht formlos ergehen, sondern einer ausdrücklichen Anordnung bedürfen (§ 111b, 21), muss die Aufhebung ebenfalls förmlich erfolgen.83 Wird der Angeklagte freigesprochen oder wird er zwar verurteilt, die genannten Rechtsfolgen aber nicht angeordnet, muss die Beschlagnahmeanordnung nicht automatisch aufgehoben werden, solange das Urteil mit einem Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten angefochten werden kann.84 § 111a Abs. 2 Hs. 2 gilt nicht entsprechend. Es wird aber schwerlich vorstellbar sein, dass nach Erlass eines solchen Urteils noch die Voraussetzungen des § 111b Abs. 3 erfüllt sein können. Hat nur der Angeklagte gegen ein solches Urteil Rechtsmittel eingelegt, steht das Verschlechterungsverbot einer Anordnung von Einziehung oder Verfall entgegen,85 die Beschlagnahme ist grundsätzlich aufzuheben.86 Sie wird indes nicht gegenstandslos und kann aufrecht erhalten werden, wenn eine nachträgliche Anordnung zu Lasten eines Beteiligten in Betracht kommt.87 Das hat zur Folge, dass das Veräußerungsverbot bis zur Aufhebung weiter wirkt. Hebt die erste Instanz die Anordnung auf, kann das Berufungsgericht nach Vorlage der Akten die Maßnahmen wieder anordnen.88 Die Beschlagnahmeanordnung ist ferner aufzuheben, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass die Anordnung des Verfalls für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre (§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB) oder dass die Einziehung nach § 74b Abs. 1 StGB außer Verhältnis zu Tat und Schuldvorwurf stünde. Wenn in dem Urteil nur deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche des Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen, wird nicht die Maßnahme aufgehoben, sondern ihre Begründung ge80
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OLG Düsseldorf NStZ 1997 301; a.A. für eine deklaratorische Aufhebung KK/Nack 12; HK/Gercke 11; für eine förmliche Aufhebung SK/Rogall 20. KK/Nack 12; HK/Gercke 11. OLG München StraFo 2004 353. v. Danwitz NStZ 1999 262; Malitz NStZ 2003 61, 62. OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; a.A. Meyer-Goßner 19; KK/Nack 16.
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OLG Hamm wistra 2008 38, 40; OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; Meyer-Goßner § 331, 21; LR/Gössel § 331, 106 ff. OLG Düsseldorf NJW 1995 2239; BGH NStZ 1991 122. Siehe auch KMR/Brunner § 331, 38; LR/Gössel § 331, 106 ff. KK/Nack 3.
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ändert.89 Dies gilt auch, wenn sich schon im Ermittlungsverfahren herausstellt, dass der Verfall an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitern wird.90 Wird das Verfahren nach §§ 430, 442 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt, kann ebenso wie im Falle des § 111b Abs. 5 nach § 111i vorgegangen werden. Umgekehrt ist die zum Zwecke der Zurückgewinnungshilfe erlassene Maßnahme aufzuheben, wenn der mutmaßliche Geschädigte keine erkennbaren zivilrechtlichen Schritte gegen den Beschuldigten zur Geltendmachung möglicher Ansprüche eingeleitet hat (§ 111d, 37). In diesem Fall dürfte ein Austausch des Sicherungsgrundes (Verfall statt Zurückgewinnungshilfe) an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitern.91 Zur Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung wegen der Zulassung der Zwangsvollstreckung des Verletzten in den Beschlagnahmegegenstand vgl. § 111g, 25. Wird die Rechtskraft nachträglich durchbrochen, lebt die Maßnahme nach § 47 Abs. 3 Satz 1 wieder auf.92 b) Zuständigkeit. Die Grundsätze zu § 98 gelten entsprechend (vgl. daher dort 27 Rn. 60). c) Verfahren.93 Das Gericht ordnet die Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung 28 durch Beschluss an, die Staatsanwaltschaft durch Verfügung. Bei beweglichen Sachen sind die auszuliefernden Gegenstände und die Person des Empfangsberechtigten genau zu bezeichnen. Sind Forderungen, Rechte, Grundstücke, Schiffe, Schiffsbauwerke oder Luftfahrzeuge beschlagnahmt worden, so erfordert die Vollziehung der Aufhebungsanordnung, dass die Beschlagnahmemaßnahmen rückgängig gemacht werden. Die Pfändung einer Forderung oder eines anderen Vermögensrechts muss aufgehoben, die Registereintragung nach § 111c Abs. 4 gelöscht werden. Die Aufhebung muss dem letzten Gewahrsamsinhaber mitgeteilt werden, den Prozessbeteiligten, wenn sie von der Beschlagnahme Kenntnis erhalten hatten und das Verfahren noch nicht beendet ist.
VII. Aufhebung des Arrests 1. Allgemeines. Der dingliche Arrest ist grundsätzlich bis zum rechtskräftigen Ab- 29 schluss des Verfahrens, in dem er ergeht, wirksam.94 Wie die Beschlagnahme ist die Arrestanordnung jedoch in jeder Lage des Verfahrens aufzuheben, sobald die „Gründe“ i.S. der §§ 111b Abs. 2, 111d Abs. 2 nicht mehr vorliegen, vgl. dazu Rn. 26. Dies ist etwa der Fall, wenn die Maßnahme ausschließlich der Zurückgewinnungshilfe dient und die Geschädigten keine Anstalten gemacht haben, ihre Rechte zu verfolgen.95 Das Sicherungsbedürfnis entfällt und der dingliche Arrest ist aufzuheben.96 Zur Frage der Arrest-
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KK/Nack 16; Meyer-Goßner 19. HK/Gercke 12. OLG Düsseldorf StV 2003 547 mit Anm. Rönnau. Meyer-Goßner § 47, 3; SK/Rogall 20; LR/Graalmann-Scheerer Nachtrag § 47, 12. Allgemein zur Rückgabe von nach §§ 111b ff. gesicherten Vermögenswerten: Malitz NStZ 2003 61. BGHSt 29 13, 15; Meyer-Goßner § 111d, 15. BVerfG StraFo 2005 338, 340; OLG Düssel-
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dorf StV 2003 547 mit Anm. Rönnau; LG Landshut wistra 2003 199 in einem Fall, in dem der geschädigte Steuerfiskus nach Ausbringung eines dinglichen Arrests in Höhe von 84 Millionen DM anderthalb Jahre untätig geblieben war wurde die Fortdauer des dinglichen Arrests als unverhältnismäßig angesehen. OLG Düsseldorf StV 2003 547, 548; Rönnau StV 2003 581, 585.
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aufhebung nach Eröffnung des Insolvenzerfahrens über das Vermögen des Betroffenen, § 111b, 57. Während die Beschlagnahme von Gegenständen mit dem rechtskräftigen Abschluss 30 des Verfahrens von selbst erlischt,97 wenn sie nicht nach § 111i verlängert wird, endet der dingliche Arrest nicht ohne Weiteres mit Rechtskraft des Urteils.98 Der Unterschied zur Beschlagnahme liegt darin, dass die beschlagnahmten Gegenstände entweder gemäß §§ 73e, 74e StGB auf den Staat übergehen oder – bei unterbliebener Verfalls oder Einziehungsanordnung – ein Sicherungsbedürfnis nicht mehr besteht. Beim dinglichen Arrest tritt nach allgemeinem Zwangsvollstreckungsrecht mit Rechtskraft der Entscheidung zur Sicherungsfunktion der Arrestpfändung die Verwertungsfunktion der Zwangsvollstreckung hinzu, anders ausgedrückt, wandelt sich das Arrest- in ein Vollstreckungspfandrecht,99 sobald der Gläubiger über einen rechtskräftigen oder ohne Sicherheitsleistung vollstreckbaren Titel in der Hauptsache verfügt.100 Die Arrestpfändung gilt sodann als eine im Zuge der Zwangsvollstreckung erfolgte Pfändung.101 Der Gläubiger muss keine erneute Pfändung veranlassen, der Rang des Pfandrechts bleibt erhalten. Es gibt keinen vernünftigen Grund, den strafprozessualen Arrest insoweit anders zu behandeln als den zivilprozessualen. Die Arrestanordnung kann nach der Rechtskraft des Urteils folglich aufgehoben werden, ohne dass das Vollstreckungspfandrecht dadurch beeinträchtigt wird. Daraus folgt für den dinglichen Arrest nach § 111b Abs. 2: Verfall und Einziehung des Wertersatzes sowie die Geldstrafe werden mit Rechtskraft vollstreckbar. Es bedarf vor der Aufhebung des dinglichen Arrestes weder der Einleitung,102 noch der Beendigung der Zwangsvollstreckung aus dem Arrest. Das Urteil ist mit Rechtskraft der vollstreckbare Titel im Sinne des Zwangsvollstreckungsrechts, mit der Folge, dass der Staat als Gläubiger in die durch das Arrestpfandrecht geschaffene Rechtsposition einrückt. Bei den Verfahrenskosten gilt Entsprechendes, sobald der nach § 19 GKG vollstreckbare Kostenansatz vorliegt. Aus dieser Rechtslage folgt, dass der Arrest aufzuheben ist, sobald bezüglich der gesicherten Forderungen ein vollstreckbarer Titel (rechtskräftiges Urteil oder Kostenansatz) vorliegt.103 Fraglich ist jedoch, ob der Arrest vom Gericht auch bei unterbliebener Arrestanordnung aufzuheben ist.104 Es kann dabei keinen Unterschied machen, ob der Arrest nur zur Sicherung der staatlichen Zahlungsansprüche oder (auch) zugunsten des Verletzten angeordnet wurde. Die Aufhebung ist vielmehr zwingend, da keine „Gründe“ im Sinne des § 111b Abs. 2, Abs. 5 mehr vorliegen, dass in einem Urteil auf eine entsprechende Arrestanordnung erkannt wird.105 Es fehlt im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung, die von einem Arrestausspruch absieht, sowohl am Arrestanspruch als auch am Arrestgrund. Es gibt keine Arrestansprüche (mehr) zu sichern und es kann folglich auch nicht befürchtet werden, dass der Verurteilte deren Vollstreckung vereiteln wird.
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Vgl. etwa OLG Düsseldorf NJW 1995 2239. BGH NJW 2013 950, 952; a.A. OLG Stuttgart NStZ 2005 401, 402. HK/Gercke § 111d, 18; Leugner wistra 2006 238, 239; Meyer-Goßner § 111d, 15; a.A. OLG München wistra 2004 479, 480; KMR/Mayer § 111d, 8; KK/Nack 14. Zöller/Vollkommer § 929, 5. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 255, 256; Thomas/Putzo § 930, 3.
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So aber OLG München wistra 2004 479, 480; KK/Nack 14; KMR/Mayer § 111d, 8. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 255, 256; OLG Stuttgart NStZ 2005 401, 402. Dagegen: BGH NJW 2013 950, 952, jedenfalls dann, wenn der Arrest (auch) zugunsten des Verletzten angeordnet wurde. Im Ergebnis wohl ebenso: Meyer-Goßner 18.
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2. Zuständigkeit. Die Grundsätze zu § 98 gelten entsprechend (vgl. daher dort 31 Rn. 57 ff.). 3. Verfahren.106 Das Gericht ordnet die Aufhebung der Arrestanordnung durch Be- 32 schluss an, die Staatsanwaltschaft durch Verfügung.
VIII. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel bei Anordnung von Beschlagnahme und Arrest 1. Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Abs. 2 Satz 3. Unabhängig davon, ob gemäß 33 Absatz 2 Satz 1 die gerichtliche Entscheidung von der Staatsanwaltschaft beantragt oder ob diese sogar bereits ergangen ist,107 kann der Betroffene gegen die von der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen angeordnete Beschlagnahme und gegen die Arrestanordnung der Staatsanwaltschaft jederzeit – das heißt auch nach richterlicher Bestätigung der nichtrichterlichen Anordnung, wenn z.B. neue Tatsachen vorliegen –108 die Entscheidung des für die Anordnung an sich zuständigen Gerichts109 (Rn. 2, 12) beantragen. Das Anfechtungsrecht ist jedoch nicht unbegrenzt. Bestätigt das Landgericht die Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft, die zuvor vom Amtsgericht aufgehoben wurde, steht dem Betroffenen hiergegen kein Antragsrecht mehr zu.110 Betroffener ist jeder, in dessen Gewahrsam oder Rechte durch die Anordnung eingegriffen wird. Das kann auch der Beschuldigte, der Eigentümer111 und jeder andere sein, der zum Besitz der Sache oder zur Ausübung des beschlagnahmten Rechts befugt ist.112 Gleiches gilt für einen Mitangeklagten, der den Verfall oder die Einziehung mit einem Rechtsmittel angreifen könnte.113 Zum Prüfungsumfang und zur Entscheidung, insbesondere zum Austausch der Rechtsgrundlagen, gelten die Ausführungen zur Bestätigung nichtrichterlicher Anordnungen entsprechend (Rn. 12 bis 15). Nach rechtskräftiger Verfallsanordnung etc. sind die vorangegangenen Sicherstellungsmaßnahmen nicht mehr anfechtbar.114 Im Übrigen gelten die für § 98 entwickelten Grundsätze entsprechend, auch zu der Frage des Rechtsbehelfs gegen erledigte Maßnahmen, § 98, 50. 2. Beschwerde. Gegen die richterliche Entscheidung ist die Beschwerde nach allge- 34 meinen Grundsätzen zulässig. War der Gegenstand zunächst als Beweismittel beschlagnahmt, wurde diese vom Beschwerdegericht aufgehoben und gleichzeitig die Sicherstellung nach §§ 111b, 111c angeordnet, liegt an sich eine auf eine Beschwerde hin ergangene Entscheidung vor, die nach § 310 Abs. 2 nicht mit der Beschwerde angegriffen werden kann. Die Sicherstellung als Beweismittel und die Sicherstellung zur Sicherung des dinglichen Arrests unterscheiden sich aber in Voraussetzungen und Wirkungen derart (vgl. § 94, 7 f.), dass es sich der Sache nach um eine erstinstanzliche Entscheidung handelt, für die das Beschwerdegericht nicht zuständig ist. Entscheidet es gleichwohl, was aus praktischen Gründen vertretbar erscheint, muss aber gegen seine Entscheidung die Beschwerde zulässig sein. Die Beschwerde gegen die richterliche Beschlagnahme- und
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Allgemein zur Rückgabe von nach §§ 111b ff. gesicherten Vermögenswerten: Malitz NStZ 2003 61. HK/Gercke 13. SK/Rogall 31. KK/Nack 16.
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SK/Rogall 31 m.w.N. KMR/Mayer § 111c, 25. HK/Gercke 13. KK/Nack 20. OLG München NStZ-RR 2004 303.
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Arrestanordnung ist auch bei Entscheidungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug zulässig (§ 304 Abs. 4 und Abs. 5), da § 304 Abs. 4 mit „Beschlagnahme“ auch den dinglichen Arrest erfassen will.115 Wird vor Anklageerhebung Beschwerde gegen die gerichtliche Arrestanordnung eingelegt, über diese aber erst nach Anklageerhebung entschieden, ist die Beschwerde in einen Antrag auf Aufhebung der beschwerenden Maßnahme umzudeuten und zu bescheiden. Hiergegen ist dann die Beschwerde möglich.116 Zum Prüfungsumfang und zur Entscheidung, insbesondere zum Austausch der Rechtsgrundlagen, gelten die Ausführungen zur Bestätigung nichtrichterlicher Anordnungen entsprechend (Rn. 12 bis 15).
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3. Weitere Beschwerde, § 310 Abs. 1 Nr. 3. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten117 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, gegen die Anordnung – nicht den Vollzug –118 des dinglichen Arrests über einen Betrag von mehr als 20.000 EUR119 weitere Beschwerde einlegen zu können. Einigkeit besteht insoweit, als dieses Rechtsmittel jedenfalls dem Betroffenen zusteht. Auch die Staatsanwaltschaft könnte – jedenfalls theoretisch – zu Gunsten des Betroffenen weitere Beschwerde einlegen. In Literatur und Rechtsprechung ist jedoch umstritten, ob die Staatsanwaltschaft auch gegen die Nichtanordnung oder die Aufhebung des dinglichen Arrests mit der weiteren Beschwerde vorgehen kann.120 Diese Frage ist zu bejahen, da nur so dem Sinn und Zweck der §§ 111b ff. umfassend Rechnung getragen werden kann. Zunächst ist festzustellen, dass der Wortlaut der Vorschrift unergiebig ist. Der Gesetzgeber verwendet in den §§ 111b ff. durchweg die Formulierung „Anordnung des dinglichen Arrests“, und meint damit sowohl die erlassende als auch die ablehnende Entscheidung. Der Begriff „Arrestierung“ für eine den dinglichen Arrest anordnende Entscheidung ist dem Gesetz fremd, so dass eine solche Formulierung auch in § 310 nicht zu erwarten war.121 Bei der Auslegung muss weiter berücksichtigt werden, dass sich der Gesetzgeber über die Frage der weiteren Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft erkennbar122 keinerlei Gedanken gemacht hat. Daher kann das Recht der Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte jedenfalls nicht verneint werden. Hätte der Gesetzgeber eine weitere Beschwerde zu Lasten des Betroffenen ausschließen wollen, hätte er dies simpel formulieren können.123 Mangels gesetzlichen Ausschlusses und unter Beachtung der Neutralität der Staatsanwaltschaft, die insbesondere vom Bundesverfassungsgericht zuletzt hervorgehoben wurde,124 muss die weitere 115
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BGHSt 29 13, 14, BGH NJW 2002 765: keine analoge Anwendung, Arrestanordnung ist Unterfall der Beschlagnahme; Meyer-Goßner § 304, 13; im Ergebnis ebenso KK/Nack 19, HK/Gercke 14, die die Anordnung des Arrestes der Beschlagnahme gleichstellen wollen. OLG Jena wistra 2010 80. BGBl. I 2006 S. 2350, 2352. BTDrucks. 16 2021 S. 6; KMR/Mayer § 111d, 33. In Anlehnung an § 26 Nr. 8 EGZPO vgl. BTDrucks. 16 2021 S. 6. Bejahend: KG NStZ 2011 175; OLG Jena wistra 2011 399; OLG Celle StV 2009 120, OLG Braunschweig Beschl. vom 11.5.2007 – Ws 54/07 (der die Zulässigkeit
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nicht einmal problematisiert); dagegen: Oldenburg StV 2011 613; Köln NStZ-RR 2011 279; OLG Hamburg NStZ 2009 232 im Fall eines Drittbetroffenen; OLG München NJW 2008 389, 390; Pfordte StV 2008 241, 243, Theile StV 2009 161, 162; HK/Gercke 15; KK/Nack 20; Meyer-Goßner § 310, 9. A.A. Theile StV 2009 161, 162. BTDrucks. 16 700 und 16 2021. „Beschlüsse … können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie … eine Anordnung des dinglichen Arrestes … zu Lasten des Betroffenen betreffen.“ BVerfG NJW 2013 1058.
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Beschwerde auch zu Lasten des Betroffenen eröffnet sein, um einen (sach-)gerechten Verfahrensablauf zu gewährleisten. Stehen Ansprüche Verletzter im Raum, kommt noch ein weiteres Argument hinzu: Es war gerade das Ziel des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten, die Opferrechte zu stärken.125 Die Versagung der weiteren Beschwerde der Staatsanwaltschaft würde vor allem eine Schwächung des Instituts der Rückgewinnungshilfe bedeuten und zu Lasten der Verletzten gehen. Denn die Verletzten, die zu diesem Verfahrensstand – häufig mangels Kenntnis126– keine Möglichkeit haben, eine Verschleuderung der Vermögenswerte durch den Betroffenen auf zivilrechtlichem Wege zu verhindern, sind auf die Sicherungsmaßnahmen durch die Staatsanwaltschaft angewiesen. Der von den §§ 111b ff. angestrebte Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Verletzten und jenem des Beschuldigten wird durch die Gegenansicht einseitig und grundlos zu Gunsten des Beschuldigten verschoben. Dies führt zu einer Schwächung der Restitutionsmöglichkeiten des Verletzten, die sich weder aus dem Wortlaut, noch der Systematik oder gar dem Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigt. 4. Rechtsmittel gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Beschlagnahme oder des 36 Arrests. Die Erläuterungen zu § 98, 70 ff. gelten auch für die Zeit nach Erhebung der öffentlichen Klage entsprechend. Jedoch ist im Bereich der Sicherung von Verfall, Einziehung, Geldstrafe und Verfahrenskosten anders als bei der Sicherstellung von Beweismitteln eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft auch nach Erhebung der öffentlichen Klage zulässig. Der Verletzte soll die Aufhebung der Arrestanordnung nicht anfechten können, da er nicht am Verfahren beteiligt sei.127
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5. Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen zur Vollstreckung. § 111f, 12 ff.
§ 111f (1) 1Die Durchführung der Beschlagnahme (§ 111c) obliegt der Staatsanwaltschaft, bei beweglichen Sachen (§ 111c Abs. 1) auch deren Ermittlungspersonen. 2§ 98 Abs. 4 gilt entsprechend. (2) 1Die erforderlichen Eintragungen in das Grundbuch sowie in die in § 111c Abs. 4 genannten Register werden auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts bewirkt, welches die Beschlagnahme angeordnet hat. 2Entsprechendes gilt für die in § 111c Abs. 4 erwähnten Anmeldungen. (3) 1Soweit ein Arrest nach den Vorschriften über die Pfändung in bewegliche Sachen zu vollziehen ist, kann dies durch die in § 2 der Justizbeitreibungsordnung bezeichnete Behörde, den Gerichtsvollzieher, die Staatsanwaltschaft oder durch deren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) bewirkt werden. 2Absatz 2 gilt entsprechend. 3Für die Anordnung der Pfändung eines eingetragenen Schiffes oder Schiffsbauwerkes sowie für die Pfändung einer Forderung aufgrund des Arrestes gemäß § 111d ist die Staatsanwaltschaft oder auf deren Antrag das Gericht, das den Arrest angeordnet hat, zuständig.
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KG NStZ 2011 175, 176. Beispielhaft: OLG Hamm NStZ 1999 583, 584.
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OLG Oldenburg StraFo 2011 224; MeyerGoßner § 111d, 15.
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(4) Für die Zustellung gilt § 37 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass auch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) mit der Ausführung beauftragt werden können. (5) Gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, kann der Betroffene jederzeit die Entscheidung des Gerichts beantragen. Schrifttum siehe bei § 111b. Ferner: Brettschneider Der Staatsanwalt als Gerichtsvollzieher? NStZ 2000 180; ders. Zur Zuständigkeit der Vollstreckung dinglichen Arrestes in bewegliche Sachen nach der StPO, wistra 2001 120; Burhoff Abrechnung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gem. § 111f Abs. 5 StPO, RVGreport 2010 441; Kessel Unzuständigkeit des Gerichtsvollziehers für Pfändungsmaßnahmen zur Vermögensabschöpfung in Strafverfahren, DGVZ 2001 10; Müller Zuständigkeit für den Arrestvollzug nach § 111d StPO, DGVZ 2000 81.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt. Absatz 3 Satz wurde durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 6.8.2002 (BGBl. I S. 3018) mit Wirkung vom 14.8.2002 geändert. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 wurde Absatz 3 um die Vollzugskompetenz des Gerichtsvollziehers erweitert und der Satz 3 neu gefasst. Die Absätze 4 und 5 wurden hinzugefügt.
Übersicht Rn. I. Allgemeines
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II. Durchführung der Beschlagnahme, Abs. 1 und Abs. 2 1. Bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . 2. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forderungen und andere Vermögensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vollziehung des Arrests, Abs. 3 1. Bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . 2. Forderungen und andere Vermögensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
1
3. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . 5. Schiffe und Schiffsbauwerke . . . . . .
2
IV. Zustellung, Abs. 4 3 4 5
. . . . . . . . . . . .
V. Rechtsmittel, Abs. 5 1. Allgemeines . . . . . . . . . 2. Nichtgerichtliche Maßnahmen 3. Maßnahmen des Gerichts . . 4. Beschwerde . . . . . . . . . 5. Folgen . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Amtshaftungsansprüche 7 Angegriffene Vollzugsmaßnahme 13 Beschwerde 14, 15 Bewegliche Sachen 2, 6 Eilfälle 5 Eingetragenes Schiff 5, 10 Einheitliche Vollstreckungskompetenz 1 Einwendungen gegen Maßnahmen 12 Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof 15 Gerichtskasse 6
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Luftfahrzeuge 5, 9 Nicht eingetragenes Schiff 5, 10 Oberlandesgericht 15 Rechtspfleger 2, 9 Richterliche Bestätigung 3 Sicherungshypothek 8 Staatsanwaltschaft 4 Steuerfahnder 11 Zuständigkeit für die Vollstreckung 1 Zuständigkeit nach Rechtskraft des Urteils 13
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I. Allgemeines Während die Zuständigkeit für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 111b Abs. 1) 1 und des dinglichen Arrests (§ 111b Abs. 2) in § 111e geregelt ist, bestimmt § 111f die Zuständigkeit für die Vollstreckung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest. Die Absätze 1 und 2 betreffen den Vollzug der Beschlagnahme, Absatz 3 den des dinglichen Arrest. Absatz 4 ermächtigt zur Übertragung der Zustellungsverantwortlichkeit auf die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Absatz 5 stellt klar, dass für alle Maßnahmen der Vollziehung einer Beschlagnahme oder des dinglichen Arrestes der strafprozessuale Rechtsweg gegeben ist und die zivilprozessualen Regelungen keine Anwendung finden. Die Vorschriften werden durch §§ 22 Nr. 1, 31 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ergänzt. Seit der Novellierung der Vorschriften durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 besitzt die Staatsanwaltschaft eine einheitliche Vollstreckungskompetenz zur Durchführung der Beschlagnahme und der Vollziehung des Arrests.1 Damit soll das Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden.2 Dem Richtervorbehalt wird durch § 111e Abs. 1 und 2 Rechnung getragen, indem die Zuständigkeit für die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen in seinen Händen verbleibt. Im Rahmen der Vollziehung nach § 111f besteht außerdem jederzeit die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung herbei zu führen, Absatz 5.3 Damit ist eine umfassende gerichtliche Kontrolle gewährleistet. Gerichtliche Anordnungen können nach § 160 GVG, staatsanwaltschaftliche nach § 143 GVG in jedem deutschen Bundesland vollstreckt werden, während Beschlagnahmeanordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nur im jeweils örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beamten vollstreckbar sind.4
II. Durchführung der Beschlagnahme, Abs. 1 und 2 1. Bewegliche Sachen. Die Durchführung der Beschlagnahme beweglicher Sachen 2 obliegt der Staatsanwaltschaft. Dies gilt für Beschlagnahmeanordnungen des Gerichts genauso wie für von der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug selbst getroffener Anordnungen. Das die Beschlagnahme anordnende Gericht übergibt den Vorgang zum Vollzug der Anordnung an die Staatsanwaltschaft, § 36 Abs. 2 Satz 1.5 Die beschlagnahmten Sachen werden auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft nach § 111c Abs. 1 in Gewahrsam genommen oder die Beschlagnahme durch Siegel oder in anderer Weise kenntlich gemacht. Sie bedient sich zum Vollzug der Anordnung ihrer Ermittlungspersonen (§ 152 GVG), kann aber auch andere Polizeibeamte 6 oder Justizwachtmeister7 heranziehen. Die Geschäfte der Staatsanwaltschaft bei der Durchführung der Beschlagnahme nach Absatz 1 sind nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 RpflG dem Rechtspfleger übertragen. Haben Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nach § 111e Abs. 1 Satz 2 die Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug angeordnet, so sind sie auch zur Vollstreckung berechtigt.8 In der Vollziehung kann die stillschweigende Anordnung liegen, § 111e, 4. Wenn eine Beschlagnahme in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich wird, gelten nach Absatz 1 Satz 2 die Vorschriften des § 98 Abs. 4 entsprechend. Näheres dazu bei § 98, 25 ff.
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BTDrucks. 16 700 S. 12. BTDrucks. 16 700 S. 12. BTDrucks. 16 700 S. 9, 12. SK/Rogall 2 m.w.N.
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KK/Nack 2; SK/Rogall 6. Meyer-Goßner 2. KMR/Mayer 3. KMR/Mayer 3.
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2. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte. Der Vollzug der Beschlagnahme von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten erfolgt durch Eintragung in das jeweilige Register. Die erforderlichen Eintragungen in das Grundbuch und die in § 111c Abs. 4 genannten Register werden auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts bewirkt, welches die Beschlagnahme angeordnet hat. Die Eintragung kann auch schon vor Ergehen einer richterlichen Bestätigung beantragt werden.9 Aus Absatz 1 ergibt sich, dass grundsätzlich die Staatsanwaltschaft zuständig ist. In Eilfällen kann auch das Gericht, das die Anordnung getroffen oder die Anordnung der Staatsanwaltschaft bestätigt hat, den Vollzug anordnen.10 Die bei der Durchführung der Beschlagnahme zu erledigenden Geschäfte sind dem Rechtspfleger des Gerichts (§ 22 Nr. 1 RpflG) und der Staatsanwaltschaft (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 RpflG) übertragen.
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3. Forderungen und andere Vermögensrechte. Nach Absatz 1 obliegt die Durchführung der Beschlagnahme der Staatsanwaltschaft. Ihre Aufgabe ist es daher, in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der ZPO, auch die Pfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten zu bewirken. Die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind zur Beschlagnahme nicht befugt. Sind das Zahlungsverbot sowie die Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO nicht schon in der Pfändungsanordnung enthalten, hat die Staatsanwaltschaft diese entsprechend § 829 Abs. 1 ZPO gegenüber dem Drittschuldner zu erklären. Gegenüber dem Schuldner hat sie das Verfügungsverbot zu erlassen. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, ist die Pfändung unwirksam.11 Vor der Pfändung muss der Schuldner nicht gehört werden (§ 834 ZPO).12 Die Geschäfte sind nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 RpflG dem Rechtspfleger übertragen.
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4. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge. Die Durchführung der Beschlagnahme wird nach Absatz 1, die Registereintragungen und -anmeldungen nach Absatz 2 bewirkt.13 Die Beschlagnahme nach Absatz 1 erfolgt wie bei beweglichen Sachen (Rn. 2), § 111c, 3. Um die Eintragung der Beschlagnahme nach Absatz 2 im Schiffsregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen (§ 111c Abs. 4 Satz 2) ersucht die Staatsanwaltschaft. In Eilfällen kann auch das Gericht, das die Beschlagnahme angeordnet oder bestätigt hat 14, um Eintragung ersuchen. Das Gleiche gilt für die Anmeldung eintragungsfähiger, aber nicht eingetragener Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge nach § 111c Abs. 4 Satz 3. Die gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Geschäfte bei der Durchführung der Beschlagnahme sind dem Rechtspfleger übertragen (§ 22 Nr. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 1 RpflG).
III. Vollziehung des Arrests, Abs. 3 6
1. Bewegliche Sachen. Die Zuständigkeit für den Vollzug des Arrests durch Pfändung in bewegliche Sachen ist schon seit der Gesetzesänderung des Jahres 2002 klar geregelt.15 Neben der in § 2 JBeitrO bezeichneten Behörde sind auch der Gerichtsvollzieher, die
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Meyer-Goßner 3. KK/Nack 2; Meyer-Goßner 3. OLG Frankfurt vom 27.4.2000 – 26 W 169/99 –, wonach die polizeiliche Benachrichtigung des Drittschuldners von der Anordnung der Beschlagnahme nicht genügt und keine Pfändung bewirken kann.
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Missverständlich Spieker StraFo 2002 43, 45. Meyer-Goßner 5. KMR/Mayer 4. Zur früheren Rechtslage siehe Brettschneider NStZ 2000 180; SK/Rogall 3.
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Staatsanwaltschaft sowie ihre Ermittlungspersonen im Sinne des § 152 GVG vollzugsberechtigt. Damit soll insbesondere die große Sachkenntnis der Gerichtsvollzieher nutzbar gemacht werden.16 Behörde im Sinne des § 2 JBeitrO ist diejenige Behörde, die für die Vollstreckung in den gesicherten Anspruch im Falle seines rechtskräftigen Ausspruchs zuständig wäre.17 Im Falle der Sicherung der Verfahrenskosten ist dies die Gerichtskasse gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 2 Abs. 1 S. 1 JBeitrO, ansonsten die Staatsanwaltschaft gem. §§ 451 Abs. 1, 459, 459g Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 S. 1 JBeitrO.18 Dient die Sicherung durch dinglichen Arrest nicht nur zur Sicherung der Verfahrenskosten, obliegt die gesamte Vollstreckung der Staatsanwaltschaft, wie sich aus § 1 Abs. 4 JBeitrO ergibt.19 Die Staatsanwaltschaft kann die Vollstreckung auch selbst anordnen oder durchführen. Ihr steht auch frei, ihre Ermittlungspersonen mit der Durchführung zu beauftragen.20 Eine Rangordnung der verschiedenen Stellen besteht nicht, die Staatsanwaltschaft kann vielmehr nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden.21 Bei der Staatsanwaltschaft ist der Rechtspfleger zuständig, § 31 Abs. 1 Nr. 2 RPflG. Er kann auch dem Gerichtsvollzieher den Pfändungsauftrag erteilen.22 Der Gerichtsvollzieher hat die Pfändung für die Staatsanwaltschaft ohne Erhebung von Kosten durchzuführen, § 2 Abs. 1 GVKostG.23 Eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ist zur Beauftragung des Gerichtsvollziehers nicht befugt.24 2. Forderungen und andere Vermögensrechte. Für die Vollziehung des Arrests in For- 7 derungen ist nach Absatz 3 Satz 3 die Staatsanwaltschaft zuständig. Stellt sie einen entsprechenden Antrag, ist auch das Gericht zur Vollstreckung zuständig, das den Arrest angeordnet oder bestätigt 25 hat. Ein solcher Antrag wurde vom Gesetzgeber für sinnvoll erachtet, wenn Amtshaftungsansprüche zu besorgen sind.26 Sowohl die richterlichen als auch die staatsanwaltschaftlichen Geschäfte sind nach § 22 Nr. 2, § 31 Abs. 1 Nr. 2 RpflG dem Rechtspfleger übertragen. 3. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte. Für die Vollziehung des Arrests in 8 Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte gilt nach Absatz 3 Satz 2 Absatz 2 entsprechend. Das Ersuchen an das Grundbuchamt um Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 111d, 26) stellt daher die Staatsanwaltschaft auch schon vor Ergehen der richterlichen Bestätigung nach § 111e Abs. 2 oder das Gericht nach Absatz 2 Satz 1, wenn dieses den Arrest angeordnet oder den von der Staatsanwaltschaft angeordneten Arrest bestätigt hat. Eine Anordnung durch das Gericht kommt besonders in Eilfällen in Betracht.27 Die entsprechende Anwendung des Absatz 2 führt auch dazu, dass die richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Geschäfte dem Rechtspfleger übertragen sind (§ 22 Nr. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 1 RpflG).28 4. Luftfahrzeuge. Für die Arrestvollziehung in Luftfahrzeuge besteht dieselbe Zustän- 9 digkeit wie bei beweglichen Sachen (oben Rn. 6). Die nach § 111c Abs. 4 Satz 3 und 4 erforderlichen Anmeldungen und Eintragungsersuchen nimmt die Staatsanwaltschaft 16 17 18 19 20 21 22
BTDrucks. 16 700 S. 12. KMR/Mayer 7; HK/Gercke 6. Meyer-Goßner 8 f. HK/Gercke 6. KMR/Mayer 8; HK/Gercke 6; MeyerGoßner 8. SK/Rogall 11. HK/Gercke 6; KMR/Mayer 8.
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SK/Rogall 13. HK/Gercke 6, KMR/Mayer 8. Meyer-Goßner 13. BTDrucks. 16 700 S. 12. KK/Nack 4. Meyer-Goßner 10, HK/Gercke 7; KK/Nack 4; a.A. KMR/Mayer 14; Huber RPfleger 2002 285, 289.
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vor; das Gericht ist ebenfalls zuständig, wenn es den Arrest angeordnet oder bestätigt hat. Die Geschäfte sind dem Rechtspfleger übertragen (§ 22 Nr. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 1 RpflG).
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5. Schiffe und Schiffsbauwerke. Für die Anordnung der Pfändung eines eingetragenen Schiffs oder Schiffsbauwerks ist die Staatsanwaltschaft zuständig, Absatz 3 Satz 3. Sie kann die Entscheidung des Gerichts herbeiführen, das den Arrest erlassen oder bestätigt hat.29 Dann stellt anstelle der Staatsanwaltschaft das Gericht auch das Eintragungsersuchen nach § 931 Abs. 3 Hs. 2, Abs. 6 Satz 1 ZPO. Die Staatsanwaltschaft sollte grundsätzlich von ihrer Vollstreckungskompetenz Gebrauch machen, um eine schnelle Sicherung zu erreichen.30 Der Arrest in Schiffe und Schiffsbauwerke, die nicht im Register eingetragen sind, wird wie bei beweglichen Sachen (oben Rn. 6) vollzogen. Die nach § 111c Abs. 4 Satz 3 etwa erforderlichen Eintragungsersuchen stellt die Staatsanwaltschaft; das Gericht 31 ist hierfür ebenfalls zuständig, wenn es den Arrest angeordnet oder bestätigt hat. Die Geschäfte sind dem Rechtspfleger übertragen (§ 20 Nr. 16, § 22 Nr. 2, § 31 Abs. 1 Nr. 2 RpflG).
IV. Zustellung, Abs. 4 11
Für die Zustellung der Vollzugsanordnung gilt § 37 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass auch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft mit der Ausführung beauftragt werden können. Vor der Einfügung des Absatz 4 durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 war die Staatsanwaltschaft durch die Verweisung des § 111d Abs. 2 bei der Zustellung auf das Verfahren im Amtsbetrieb nach §§ 166 ff. ZPO angewiesen.32 Absatz 4 regelt nunmehr in Abweichung dieser Verweisung, dass die Zustellung sowohl im Partei- als auch im Amtsbetrieb sowie durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft erfolgen kann, §§ 37 StPO, 166 ff., 191 ff. ZPO.33 Dabei ist zu beachten, dass § 168 Abs. 2 ZPO nicht gilt.34 Sinn und Zweck dieser Regelung ist, Zustellungen ohne die Gefahr eines schädlichen Zeitverlustes ausführen zu können.35 Von einer Erweiterung des Personenkreises, an den nach § 174 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden darf, hat der Gesetzgeber abgesehen, um die Einheitlichkeit des Zustellungsrechts zu erhalten.36 Über den Verweis in § 404 Satz 1 AO können auch Steuerfahnder mit der Zustellung beauftragt werden, was insbesondere sinnvoll erscheint, wenn zugleich mit Vermögensabschöpfungsmaßnahmen begonnen werden soll.37
V. Rechtsmittel, Abs. 5 12
1. Allgemeines. Gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, kann der Betroffene jederzeit die Entscheidung des Gerichts beantragen.38 Mit der Einführung des Absatz 5 stellte der Gesetzgeber klar, dass hin29 30 31 32 33 34
Meyer-Goßner 11; HK/Gercke 8. Meyer-Goßner 11. Kritisch hierzu KMR/Mayer 9. BTDrucks. 16 700 S. 12. BTDrucks. 16 700 S. 12 f. KK/Nack 6; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 14.
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BTDrucks. 16 700 S. 13. BTDrucks. 16 700 S. 13. SK/Rogall 19. Zur Abrechnung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vgl. Burhoff RVGreport 2010 441, online abrufbar bei www.burhoff.de.
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sichtlich aller Einwendungen gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, der strafprozessuale Rechtsweg gegeben ist.39 Die Zuständigkeit der Strafgerichte bleibt auch dann bestehen, wenn es sich der Sache nach um zwangsvollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe handelt 40 oder der Gerichtsvollzieher die Maßnahmen vorgenommen hat.41 So kann bspw. die Eintragung einer Sicherungshypothek nicht mit der Grundbuchbeschwerde nach § 71 GBO angegriffen werden,42 auch die Drittwiderspruchsklage ist nicht statthaft.43 Mit der Zuständigkeit der Strafgerichte einher geht die Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes und des Freibeweisverfahrens.44 Die Frage, ob Absatz 5 über seine klarstellende Funktion hinaus einen eigenen Rechtsbehelf gegen gerichtliche Vollziehungsakte darstellt, wird teilweise bejaht.45 Er soll bei Einwänden gegen Maßnahmen des Gerichts zulässig sein, die die Art und Weise der Vollziehung betreffen.46 Als Argumente werden der Wortlaut und die Gesetzesbegründung angeführt.47 Man wird aber nicht verneinen können, dass die Strafprozessordnung mit Ausnahme von § 346 Absatz 2 eine gerichtliche Entscheidung gegen eine gerichtliche Entscheidung nicht kennt.48 Ein solcher Rechtsbehelf wäre auch überflüssig, da grundsätzlich die Beschwerdemöglichkeit nach § 304 besteht.49 Absatz 5 kommt neben der Klarstellung der Rechtswegeröffnung nur eigenständige Bedeutung zu, wenn die Maßnahme nicht durch das Gericht vollzogen wurde,50 ansonsten verbleibt es bei der Beschwerdemöglichkeit nach § 304. Dass der Gesetzgeber mit Absatz 5 eine über die Klarstellung der Zuständigkeit der Strafgerichte hinausgehende Intention verfolgt hat, das Rechtsbehelfssystem der Strafprozessordnung zu erweitern, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. 2. Nichtgerichtliche Maßnahmen. Zuständig für Einwendungen gegen Maßnahmen 13 des Gerichtsvollziehers und staatsanwaltschaftlicher Vollzugsbeamter ist der Richter, der im Zeitpunkt der Entscheidung für die Maßnahme zuständig wäre. Im Vorfahren ist folglich der Ermittlungsrichter zuständig, § 162.51 Wurde Anklage bereits erhoben, ist das mit der Hauptsache befasste Gericht zuständig,52 während des Revisionsverfahrens verbleibt es bei der Zuständigkeit des Gerichts, dessen Urteil angefochten wird.53 Die Frage der Zuständigkeit nach Rechtskraft des Urteils wird unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird davon ausgegangen, es sei das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig,54 andere gehen von einer Zuständigkeit der Zivilgerichte aus.55 Durch die Gesetzesänderung in § 16256 dürften diese Auffassungen jedoch nicht (mehr) dem Willen des Gesetz-
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BTDrucks. 16 700 S. 13. Bspw. §§ 766, 771 bis 776 ZPO, vgl. BTDrucks. 16 700 S. 13; OLG Düsseldorf wistra 2009 207. Zu den Motiven des Gesetzgebers, die Zuständigkeit in die Strafgerichtsbarkeit zu verlagern: BTDrucks. 16 700 S. 13. OLG Jena NJW 2012 692. Obsolet daher BGH NStZ 2006 235; OLG Düsseldorf wistra 2009 207. OLG Düsseldorf wistra 2009 207; Hamburg StraFo 2008 426; Meyer-Goßner 15. Meyer-Goßner 15. SK/Rogall 22. Meyer-Goßner 15. OLG Düsseldorf wistra 2009 207.
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OLG Hamm NStZ 2008 586. OLG Düsseldorf wistra 2009 207; OLG Hamm NStZ 2008 586; a.A. MeyerGoßner 15, der auf OLG Celle NStZ 2011 175 verweist, obwohl dort gerade die Polizei die Maßnahme vollzogen hatte. Meyer-Goßner 15. KK/Nack 7. Meyer-Goßner 15; KK/Nack 7. OLG Celle NStZ-RR 2011 175; so auch der Wille des Gesetzgebers, siehe BTDrucks. 16 700 S. 13. OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 379; OLG Düsseldorf wistra 2009 207; Nürnberg StV 2011 148. BTDrucks. 16 11644 S. 35.
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gebers entsprechen, der in der Gesetzesbegründung ausgeführt hat, dass nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters wieder aufleben solle. Damit hat der Gesetzgeber seine vorherige Ansicht erkennbar geändert, was bei der Auslegung von § 111f zu berücksichtigen ist, weshalb nach Rechtskraft gemäß § 162 Abs. 3 Satz 3 die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters gegeben ist.57 Ob über Einwendungen gegen Maßnahmen des Rechtspflegers der Staatsanwalt, an dessen Stelle der Rechtspfleger tätig geworden ist58 oder das Gericht59 entscheidet, wird ebenfalls unterschiedlich beantwortet. Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 32 RpflG, gilt die Vorschrift des § 11 RpflG für die dem Rechtspfleger nach § 31 RpflG übertragenen Aufgaben des Staatsanwalts nicht. Man wird gleichwohl aufgrund der Spezialregelung in § 31 Abs. 6 Satz 1 RpflG davon ausgehen müssen, dass für die Überprüfung der Maßnahme des Rechtspflegers das Gericht unmittelbar zuständig ist.60 Eine vorgeschaltete Überprüfung durch den Staatsanwalt scheidet aus.61 Das gilt ebenso, wenn es um die Anfechtung von Maßnahmen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtsvollziehers geht, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft erfolgten.62 Gegen eine Maßnahme des Staatsanwalts kann jederzeit der nach § 111e für die Anordnung der Maßnahme zuständige Richter angerufen werden.63 Die Anrufung des Gerichts ist an keine Frist gebunden. Die Überprüfung beschränkt sich nach dem Grundsatz „ne ultra petita“ auf die angegriffene Vollzugsmaßnahme und erstreckt sich nicht auch auf die ihr zugrundeliegende Anordnung der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrests. Ist die Maßnahme erledigt, besteht nur bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff (§ 98, 50), der in der Vollstreckung und nicht in der Anordnung der Maßnahme liegen muss, ein Rechtsschutzbedürfnis.
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3. Maßnahmen des Gerichts. Für die Anfechtbarkeit der Maßnahmen des Rechtspflegers gilt § 11 Abs. 1 RpflG. Danach ist das Rechtsmittel gegeben, das nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften zulässig ist. Dies ist die einfache, nicht fristgebundene Beschwerde. Zuständig ist das Beschwerdegericht, das zuständig wäre, hätte der Richter entschieden, für den der Rechtspfleger tätig wurde. Die Überprüfung beschränkt sich nach dem Grundsatze „ne ultra petita“ auf die angegriffene Vollzugsmaßnahme und erstreckt sich nicht auch auf die ihr zugrunde liegende Anordnung der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrests. Ist die angegriffene Maßnahme erledigt, besteht nur bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff (§ 98, 50), der in der Vollstreckung und nicht in der Anordnung der Maßnahme liegen muss, ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Zivilgerichte sind nicht zuständig, da das Verfahren insgesamt den Strafgerichten zugewiesen ist.64
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4. Beschwerde. Gegen die richterlichen Entscheidungen nach Rn. 13 ist grundsätzlich Beschwerde zulässig. Dies gilt nicht, wenn es sich um Entscheidungen des Oberlandesgerichts als Gericht des ersten Rechtszugs oder des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof handelt. Da die Entscheidungen nach § 111f nur die Durchführung der Be-
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BTDrucks. 16 11644 S. 35; OLG Hamburg NStZ 2012 51, 52; Meyer-Goßner 15. KK/Nack 7. Meyer-Goßner 15; HK/Gercke 11. BTDrucks. 16 700 S. 13; Bassenge/Roth FamFG RPflG 12. Aufl. § 31, 15; MeyerGoßner 15; KMR/Mayer § 111d 31.
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HK-GS/Hartmann 6; SK/Rogall 21; a.A. KK/Nack 7. SK/Rogall 21. KK/Nack 7. BTDrucks. 16 700 S. 13; OLG Düsseldorf wistra 2009 207.
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schlagnahme und des Arrests betreffen, nicht aber diese selbst, fallen sie nicht unter § 304 Abs. 4 Satz 2 und § 304 Absatz 5. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, wie sich aus § 307 Abs. 1 ergibt. Die weitere Beschwerde nach § 310 ist ausgeschlossen, da es nicht um die Anordnung, sondern den Vollzug eines dinglichen Arrestes geht.65 Die Überprüfung des Beschwerdegerichts beschränkt sich nach dem Grundsatz „ne ultra petita“ auf die angegriffene Vollzugsmaßnahme und nicht auch auf die ihr zugrunde liegende Anordnung der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrests. Ist die angegriffene Maßnahme erledigt, besteht nur bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff (§ 98, 50), der in der Vollstreckung und nicht in der Anordnung der Maßnahme liegen muss, ein Rechtsschutzbedürfnis auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.66 Erforderlich ist, dass die Belastung auf einen Zeitraum beschränkt war, in dem der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen konnte.67 5. Folgen. Wird die Vollzugsmaßnahme für unzulässig erklärt, bewirkt dies gem. 16 §§ 775 Nr. 1, 776 Satz 1 ZPO, dass die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben und die Zwangsvollstreckung einzustellen ist.68
§ 111g (1) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c und die Vollziehung des Arrestes nach § 111d wirken nicht gegen eine Verfügung des Verletzten, die auf Grund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt. (2) 1Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch das Gericht, das für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 111c) oder des Arrestes (§ 111d) zuständig ist. 2Die Entscheidung ergeht durch Beschluß, der von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verletzten mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann. 3Die Zulassung ist zu versagen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft macht, daß der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist. 4§ 294 der Zivilprozeßordnung ist anzuwenden. (3) 1Das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 gilt vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung betreiben oder den Arrest vollziehen. 2Die Eintragung des Veräußerungsverbotes im Grundbuch zugunsten des Staates gilt für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch als Eintragung zugunsten solcher Verletzter, die während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot in das Grundbuch eingetragen werden. 3Der Nachweis, daß der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden. 4Die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen. 5Die Wirksamkeit des Veräußerungsverbotes zugunsten des Verletzten wird durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht
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OLG Hamburg NStZ 2009 232; OLG Köln NStZ-RR 2011 279. SK/Rogall 23.
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HK/Gercke 12. HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 15; SK/Rogall 22.
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berührt. 6Die Sätze 1 und 5 gelten entsprechend für die Wirkung des Pfandrechts, das durch die Vollziehung eines Arrestes (§ 111d) in das bewegliche Vermögen entstanden ist. (4) Unterliegt der Gegenstand, der beschlagnahmt oder aufgrund des Arrestes gepfändet worden ist, aus anderen als den in § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches bezeichneten Gründen nicht dem Verfall oder ist die Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen dadurch entsteht, daß das Veräußerungsverbot nach Absatz 3 zu seinen Gunsten gilt. (5) 1Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, wenn der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, die Anordnung aber noch nicht rechtskräftig ist. 2Sie gelten nicht, wenn der Gegenstand der Einziehung unterliegt. Schrifttum Siehe zunächst bei § 111b; speziell zu § 111g: Breuer Beschlagnahme- und Ausschüttungskonkurrenzen bei parallellaufenden Straf- und Konkursverfahren, KTS 1995 1; Dittke Zulassung gem. § 111g StPO mit Rückwirkung, wistra 1991 209; Frohn Die Beschlagnahme von Forderungen zugunsten des Verletzten im Strafverfahren und der Vollstreckungszugriff, Rpfleger 2001 10; Hees/Albeck Der Zulassungsbeschluß nach § 111g Abs. 2 StPO, ZIP 2000 871; Hess Stichwort „FlowTex“ – Heiße Luft gekauft, Banken und Leasing-Unternehmen als Opfer von Leasing-Betrügereien, FLF 2000 145; Locher Recht des Drittschuldners auf Hinterlegung bei einer Kontenpfändung im Rahmen der Zurückgewinnungshilfe, WuB VII C § 111g StPO § 1.92; Schmidt Arrestpfändung des durch Straftat Verletzten in beschlagnahmten Vermögensgegenstand des Täters, JuS 2000 1024; Willsch Die Zulassung der privilegierten Zwangsvollstreckung gemäß 111g StPO, wistra 2013 9.
Entstehungsgeschichte.1 Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 (BGBl. I 2006 S. 2350) wurden die Absätze eins bis drei ergänzt. Der Wortlaut umfasst nunmehr auch den dinglichen Arrest in bewegliches Vermögen. Als notwendige Folgeänderung zur Neuregelung in den Absätzen 1 bis 3 wurde auch Absatz 4 erweitert. Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsgehalt des § 111g . . . . . 3. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . 4. Sachlicher Anwendungsbereich . . . II. Zugriff des Verletzten auf den Beschlagnahme- oder Arrestgegenstand, Abs. 1 und 2 1. Voraussetzungen des Abs. 1 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Beschlagnahme oder Arrestvollziehung . . . . . . . . . . . . . . c) Verletzter . . . . . . . . . . . . . d) Verfügung des Verletzten . . . . . e) Aus der Tat erwachsen . . . . . . f) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . .
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Rn. 2. Zulassungsverfahren, Abs. 2 a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Ausschluss des Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen des Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . d) Glaubhaftmachung . . . . . . . e) Zulassung durch das Gericht . . f) Entscheidung . . . . . . . . . . g) Anfechtung . . . . . . . . . . . h) Sonstiges . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Fallkonstellationen . . . . a) Andere Gläubiger . . . . . . . . b) Mehrere Verletzte . . . . . . . . c) Drittbetroffener . . . . . . . . . d) Hinterlegung . . . . . . . . . . e) Einstellung nach §§ 154, 154a .
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Rn. III. Wirkungen der Zulassung, Abs. 3 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Grundstücke . . . . . . . . . . . . 3. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . 4. Wirkungen des vollzogenen Arrestes, Abs. 3 Satz 6 . . . . . . . . . . . .
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Rn. IV. Schadensersatzpflicht des Verletzten, Abs. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Weitere Anwendungsfälle, Abs. 5 . . . . .
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VI. Potentielle Analogie des § 111g VII. Kosten des Rechtsanwalts
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Alphabetische Übersicht Adhäsionsentscheidung 8 Anfechtung 18 Anordnung des dinglichen Arrests 28 Anspruch aus der Straftat erwachsen 15 Anwendungsbereich 1 Auslegung 6 Beweismittel 4, 17 Die Beschlagnahme/der dingliche Arrest 20 Drittbetroffener 22 Einschränkung des Gutglaubensschutzes 27 Entscheidung 17 Entstehende Kosten 32 (Einstellungs-)Verfügung 24 Gegenstand des Verfahrens 7 Gesetzliche Grundlage 31 Glaubhaftmachung 15 Gründe nachgeschoben 19 Grundstücke 26 Hinterlegung 23 Höhe des Anspruchs 14 Keine zusätzliche Zwangsvollstreckungsvoraussetzung 11 Kosten des Rechtsanwalts 32 Mehrere Verletzte 21 Nicht sichergestellte Vermögenswerte 13
Planwidrige Regelungslücke 22 Potentielle Analogie des § 111g 31 Prioritätsgrundsatz 21 Privilegierter Zugriff 2 Rangrücktritt 10 Rechtskraft 3 Relatives Veräußerungsverbot 30 Rückgewähr des Erlangten 9 Sachlicher Anwendungsbereich 4 Schadensersatzpflicht des Verletzten 29 Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge 27 Sofortige Beschwerde 18 Staatsanwaltschaft 16 Systematik 1 Tat im prozessualen Sinne 9 Verfügung des Verletzten 8 Verletzter 7 Verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch 29 Vollstreckungstitel 12 Widerspruch zu § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB 26 Zeitlicher Anwendungsbereich 3 Zivilrechtliche Vollstreckung 5 Zivilrechtsweg 29 Zulassung nicht gegenstandslos 25 Zustimmung des Gerichts 23
I. Allgemeines 1. Systematik. Die §§ 111g bis 111k schützen die Rechte des Verletzten, dem aus 1 einer Straftat ein Anspruch gegen den Täter erwachsen ist. Dabei regeln §§ 111g und 111h zunächst die Zulassung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Verletzten in vorläufig gesicherte Vermögenswerte. Sie bilden eine Einheit,2 deren Anwendungsbereich sich nur danach unterscheidet, in welchen Vermögenswert der Arrest vollzogen werden soll. § 111g erfasst dabei jene Fälle, in denen dem Verfall unterliegende bewegliche Gegenstände nach § 111b Abs. 1, § 111c beschlagnahmt oder nach §§ 111b Abs. 2, 111d bewegliches Vermögen durch dinglichen Arrest gesichert wurde. § 111h gilt, wenn die Beschlagnahme oder der dingliche Arrest nach §§ 111b Abs. 1, 2, 111d in unbewegliches Vermögen sowie in eingetragene Schiffe, Schiffsbauwerke oder Luftfahrzeuge angeordnet wurde.3 Eine gesetzliche Regelung für die Fälle, in denen der Arrest in andere Gegen-
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stände als Grundstücke ausgebracht worden war, fehlte bis zum 1.1.2007. Der Gesetzgeber hat nunmehr in den Absätzen 1 bis 3 klargestellt, dass das Zulassungsverfahren auch auf Sicherungsmaßnahmen des dinglichen Arrests in bewegliches Vermögen anwendbar ist.4 Die mit der früheren Rechtslage verbundenen Ungewissheiten sind dadurch obsolet.5 Die Möglichkeiten einer Schadloshaltung des Verletzten werden durch § 111k ergänzt, der die Herausgabe sichergestellter Sachen an den Verletzten regelt. § 111l sieht schließlich die Notveräußerung von beschlagnahmten oder durch dinglichen Arrest gesicherten Vermögenswerten vor.
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2. Regelungsgehalt des § 111g. § 111g beruht auf dem Grundgedanken des § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB.6 Danach soll dem aus einer Straftat verletzten Gläubiger die Befriedigung seiner Ansprüche vorrangig vor den staatlichen Interessen ermöglicht werden.7 § 111g gewährt dem Verletzten deshalb einen gegenüber dem Staat und sonstigen Gläubigern privilegierten Zugriff auf das gesamte, auch legal erworbene Vermögen des Täters,8 indem das durch die vorläufige Sicherungsmaßnahme entstandene Veräußerungsverbot bzw. das Pfändungspfandrecht des Staates zugunsten des Verletzten eingeschränkt oder sogar völlig aufgehoben wird.9 Voraussetzung dafür ist die Zulassung der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung des Verletzten im Zulassungsverfahren nach Absatz 2 durch das Gericht. Dieses Verfahren soll gewährleisten, dass nur dem Verletzten ein privilegierter Zugriff auf das Vermögen des Täters ermöglicht wird. In dem Verfahren wird daher geprüft, ob der Antragssteller Verletzter der Straftat ist, derentwegen die Sicherungsmaßnahme ausgebracht wurde. Nur in diesen Fällen lässt das Gericht die Zwangsvollstreckung zu. Dabei ist nicht erforderlich, dass die vorläufige Sicherung auf § 111b Abs. 5 gestützt wurde,10 sie ist auch dann möglich, wenn die Maßnahme irrtümlich zur Sicherung des Verfalls ausgebracht worden war.
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3. Zeitlicher Anwendungsbereich. Zum zeitlichen Anwendungsbereich ist zu bemerken, dass § 111g von der ersten Sicherungsmaßnahme, bis zur Rechtskraft des Urteils gilt.11 Ist in dem Urteil auf Verfall erkannt worden, geht das Eigentum an der beschlagnahmten Sache oder das verfallene Recht von Gesetzes wegen auf den Staat über (§ 73e Abs. 1 StGB); wurde hingegen von einer Verfallserklärung abgesehen, endet die Beschlagnahme mit Rechtskraft des Urteils (§ 111e, 25).12 In beiden Fällen ist somit kein vorläufig gesicherter Vermögenswert mehr vorhanden, in den die Vollstreckung zugelassen werden könnte. Anderes gilt, wenn ein Beschluss nach § 111i ergangen ist.13 In diesen Fällen kann auch nach Rechtskraft bis zum Ablauf der im Beschluss bestimmten Frist die Zwangsvollstreckung nach § 111g zugelassen werden. Gestellte Zulassungsanträge, die erst nach Aufhebung der Sicherungsmaßnahme beschieden wurden, können nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Sicherung sei nunmehr aufgehoben und dem Antrag fehle daher das Rechtschutzbedürfnis.14 Dies ergibt sich schon daraus, dass der Verletzte 4 5
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BTDrucks. 16 700 S. 13. Vgl. zu früheren Meinungsständen zu § 111g KMR/Mayer 1 m.w.N. sowie die äußerst kritische Stellungnahme des DAV in DAVStellungnahme 23 2005 S. 22 ff. OLG Stuttgart NStZ-RR 1999 383; KK/Nack 1. HK-GS/Hartmann 1; SK/Rogall 1; MeyerGoßner 1. BTDrucks. 16 700 S. 13.
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Meyer-Goßner 1; SK/Rogall 1. KK/Nack 4. OLG Düsseldorf NStZ 1997 301; AnwKStPO/Lohse 2; SK/Rogall 2. OLG Düsseldorf NStZ 1997 301; BGH NJW 2007 3352, 3354. KG NStZ-RR 2010 180. OLG Hamm wistra 2002 398, 399; offengelassen KG NStZ-RR 2010 180; HK-GS/ Hartmann 2.
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auch erst die Zwangsvollstreckung betreiben und sich anschließend um die Zulassung bemühen kann (Rn. 11). Er hat in diesen Fällen bereits auf den gesicherten Vermögenswert zugegriffen, so dass die Zulassung nicht „ins Leere“ geht, sondern bewirkt, dass die relative Unwirksamkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegenüber dem Staat entfällt. Sind in diesen Fällen die Voraussetzungen des § 111g erfüllt, ist die Zwangsvollstreckung daher zuzulassen, da andernfalls der Erfolg der Zulassung nicht vom rechtzeitigen Tätigwerden des Verletzten, sondern von der Zufälligkeit abhinge, ob über den Antrag rechtzeitig entschieden wird.15 Anders liegt es, wenn der Verletzte zuvor keine Zwangsvollstreckung durchgeführt hat. In diesen Fällen kann er mit der Zulassung sein Rechtschutzziel nicht mehr erreichen, in den Genuss der Wirkungen des relativen Veräußerungsverbots zugunsten des Staates zu kommen, da dieses nicht mehr besteht. 4. Sachlicher Anwendungsbereich. Vom sachlichen Anwendungsbereich der Norm 4 sind Gegenstände, die der Einziehung unterliegen, nicht erfasst, Absatz 5 Satz 2, da die Einziehung nicht den Interessen des Geschädigten, sondern der Sicherheit der Allgemeinheit dient.16 Bei § 111h ist dies jedoch umstritten (§ 111h, 2). Dass der Gegenstand zugleich Beweismittel ist, steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen. Auf ausschließlich als Beweismittel beschlagnahmte Gegenstände findet § 111g hingegen keine Anwendung.17 Nicht dem Anwendungsbereich der §§ 111g und 111h unterfallen außerdem jene Vollstreckungsmaßnahmen, die ein Gläubiger in nicht vorläufig gesicherte Vermögenswerte betreibt, unabhängig davon, ob er Verletzter ist oder nicht. Der Anspruch des Verletzten muss auf eine Geldforderung gerichtet sein, da bei Herausgabe der Sache selbst § 111k vorrangig ist.18
II. Zugriff des Verletzten auf den Beschlagnahme- oder Arrestgegenstand, Abs. 1 und 2 1. Voraussetzungen des Abs. 1 a) Allgemeines. Absatz 1 kodifiziert, dass die Beschlagnahme eines Gegenstandes 5 nach § 111c und die Vollziehung eines Arrests nach § 111d nicht gegen eine Verfügung des Verletzten wirken, die aufgrund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt. Der Regelung kommt zunächst einmal klärende Funktion zu, dass die strafprozessuale Sicherung und das dadurch entstandene relative19 Veräußerungsverbot bzw. Pfändungspfandrecht die Rechte des Verletzten nicht gefährdet 20 oder gar ausschließt 21. Voraussetzung ist jedoch, dass der Verletzte aufgrund eines mindestens vorläufig vollstreckbaren Titels 22 einen ihm aus der Straftat erwachsenen Anspruch durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung durchsetzen will.23 Daraus ergibt sich bereits, dass die strafprozessuale Beschlagnahme
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OLG Hamm wistra 2002 398, 399. SK/Rogall 1. OLG Düsseldorf wistra 2000 160; KK/Nack 1; HK/Gercke 2; SK/Rogall 6. HK/Gercke 4. BGH NJW 2007 3350. OLG Hamburg wistra 2012 279. Malitz NStZ 2002 337, 340.
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OLG Frankfurt Beschluss vom 20.3.2012 – 8 W 14/12 –; OLG Hamm wistra 2008 38, 39; BGH NJW 2000 2027; als solcher ist auch der Kostenfestsetzungsbeschluss anzusehen: OLG Düsseldorf MDR 1992 986; a.A. Hansen/Wolff-Rojczyk GRUR 2007 468, 473. OLG Hamburg wistra 2011 279.
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nicht etwa die Notwendigkeit einer zivilrechtlichen Vollstreckung des Verletzten ersetzt, sondern ihm nur hilft, seine zivilrechtlich titulierten Ansprüche auch fruchtbar durchsetzen zu können.
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b) Beschlagnahme oder Arrestvollziehung. Um die Vollstreckung betreiben zu können, muss ein Gegenstand oder Recht nach § 111c förmlich24 beschlagnahmt oder durch dinglichen Arrest nach § 111d gesichert worden sein. Nach § 111c Abs. 1 bis 4 bezieht sich die Beschlagnahme auf bewegliche Sachen, Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte, Forderungen, andere Vermögenswerte, Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge. In dieselben Vermögenswerte kann der dingliche Arrest ausgebracht werden. Beide Sicherungsmaßnahmen führen zum relativen Veräußerungsverbot bzw. zu Arrestpfandrechten zugunsten des Staates.25 Eine Beschlagnahme nach § 94 allein zur Sicherstellung eines Gegenstandes als Beweismittel oder zur Sicherung der späteren Einziehung genügt nicht.26 Die Beschlagnahmeanordnung kann jedoch ausgelegt werden. Eine ersichtlich falsche Bezeichnung des Beschlagnahmezwecks oder der Rechtsgrundlage steht der Anwendung des Zulassungsverfahrens nicht entgegen, siehe hierzu ausführlich § 111e, 4 f.27
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c) Verletzter. Der die Zwangsvollstreckung in die vorläufig gesicherten Vermögenswerte betreibende Gläubiger muss Verletzter der Straftat sein, die Gegenstand des Verfahrens ist. Der Terminus des Verletzten entspricht dem des § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB.28 Verletzter ist, wessen Anspruch unmittelbar aus der Straftat des Beschuldigten entstanden ist.29 In Betracht kommen aber auch Rechtsnachfolger,30 vgl. ausführlich § 111b, 9; § 111k, 12 f.
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d) Verfügung des Verletzten. Dem Verletzten ist der Zugriff auf die sichergestellten Vermögenswerte nur gestattet, wenn er im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt. Der Verletzte muss daher gegen den Täter einen zivilrechtlichen, mindestens vorläufig vollstreckbaren Titel31 oder einen dinglichen Arrest erwirkt haben. Wegen der Gleichstellung einer Adhäsionsentscheidung mit einem zivilrechtlichen Urteil nach § 406 Abs. 3 Satz 1 kann ein solcher Titel auch eine Verurteilung im Adhäsionsverfahren sein.32 Ausreichend ist auch ein Anwaltsvergleich nach § 796a ZPO, der etwa im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs entstanden sein kann.33 Ein privatschriftlich abgeschlossener Vergleich oder eine nachträgliche Absprache34 genügen nicht.
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e) Aus der Tat erwachsen. Der Anspruch des Verletzten muss aus der Straftat erwachsen sein, wegen der die Beschlagnahme oder der dingliche Arrest erfolgten. Das Gesetz stellt hier, wie in der wörtlich übereinstimmenden Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, auf die „Tat im prozessualen Sinne“ ab.35 Geprüft wird lediglich, ob der titulierte Anspruch des Verletzten seinen Rechtsgrund in derjenigen Tat im prozessualen Sinne hat, 24 25 26 27 28 29 30 31
OLG Düsseldorf wistra 2000 160. SK/Rogall 7 f. Vgl. OLG Düsseldorf wistra 2000 160. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301, 302. KK/Nack 2; KMR/Mayer 4. Meyer-Goßner 2. OLG Stuttgart NStZ-RR 1999 383; SK/Rogall 10; a.A. KMR/Mayer 4. OLG Hamm wistra 2008 38, 39; BGH NJW 2000 2027; OLG Düsseldorf MDR 1992
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986: auch der Kostenfestsetzungsbeschluss ist ein solcher. KMR/Mayer 6. AnwK-StPO/Lohse 5. OLG Hamburg wistra 2011 197, 198; MeyerGoßner 2; Schönke/Schröder/Eser § 73, 25. OLG Hamburg wistra 2011 279, 280; OLG Hamm Beschluss vom 6.7.2010 – III-4 Ws 158 und 167/10 –; OLG Hamm NStZ 1999 583, 584; SK/Rogall 10.
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die Anlass für die Anordnung und den Vollzug von Beschlagnahme oder Arrest gewesen ist.36 Dies kann bei Serientätern zu Schwierigkeiten führen, wenn die Abgrenzung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit problematisch ist.37 Liegt eine Tat im Rechtssinne vor, kann jeder Verletzte auf jeden aus der Tat hervorgegangenen und beschlagnahmten Vorteil zugreifen und es kommt nicht darauf an, ob gerade der Gegenstand, in den vollstreckt werden soll, etwas mit dem Schaden des Verletzten zu tun hat.38 Art und Umfang des Schadensersatzanspruchs sind ausschließlich unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.39 Auf verjährte Taten finden daher weder § 111g Abs. 2 noch § 111h Abs. 2 Anwendung.40 Umfasst werden insbesondere Ansprüche auf Herausgabe nach § 985 BGB, auf Schadenersatz in Geld 41 oder Naturalrestitution nach §§ 823, 249 BGB sowie auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung 42 nach §§ 812 ff. BGB.43 Auch die Kosten eines Schadensersatzprozesses gegen den Täter sind aus der Tat erwachsen,44 ebenso wie Zinsen aus einer notwendig gewordenen Kreditaufnahme.45 Von § 111g ist folglich nicht nur der Anspruch auf „Rückgewähr des Erlangten“ erfasst.46 Es ist kein Grund ersichtlich, den Wortlaut „aus der Tat erwachsen“ derart einengend auszulegen. Der Gesetzgeber wollte dem Verletzten ausdrücklich das gesamte Vermögen des Täters zur Schadloshaltung zur Verfügung stellen.47 Er kann daher auch auf eine beschlagnahmte Belohnung zugreifen, die der Täter für eine Sachbeschädigung erhalten hat.48 Im Zulassungsverfahren wird nicht geprüft, ob der behauptete Anspruch überhaupt entstanden ist.49 Die Prüfung zielt einzig darauf ab, festzustellen, ob der Antragssteller Verletzter im Sinne der Vorschrift ist.50 Auch mittelbar erworbene Ansprüche des Rechtsnachfolgers gehören zu den aus der Tat erwachsenen Ansprüchen. Zu den Ansprüchen des Steuerfiskus im Falle der Steuerhinterziehung § 111b, 52. f) Rechtsfolge. Die Rechtsfolge von Absatz 1 bedeutet der Sache nach einen Rang- 10 rücktritt der Strafverfolgungsbehörden zugunsten des durch die Straftat Verletzten, wenn der Zugriff des Verletzten auf die gesicherten Vermögenswerte nach Absatz 2 zugelassen wird. Ob § 111g ein mit der Zwangsvollstreckung verbundenes Vorzugsrecht nach §§ 412, 401 Abs. 2 BGB ist, ist umstritten.51
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BVerfG Beschluss vom 17.11.2007 – 2 BvR 2231/07 –; OLG Hamburg vom 10.2.2011 – 2 Ws 13/11 –; Meyer-Goßner 3. BGH wistra 2011 279, 280; BGH StV 1996 604. OLG Hamm NStZ 1999 583; KMR/ Mayer 5. OLG Hamburg wistra 2011 279; wistra 2011 197. OLG Stuttgart NStZ 2010 349; zur Anwendung auf Verfahren, die vor dem 1.1.2007 schwebend waren: OLG Hamm wistra 2008 38, 39. Hansen/Wolff-Rojczyk GRUR 2007 468, 472; Hees GRUR 2002 1037, 1039 mit Hinweis auf die Fälle der Marken- und Produktpiraterie. Vgl. dazu Fischer § 73, 20; Schönke/ Schröder/Eser § 73, 25.
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OLG Hamburg wistra 2011 279; Hees/ Albeck ZIP 2000 871, 872. OLG Düsseldorf wistra 1992 319. Sehr ausführlich auch OLG Hamm Beschluss vom 6.7.2010 – III-4 Ws 158 und 167/10 –; OLG Hamburg wistra 2011 279. A.A. KMR/Mayer 5; HK/Gercke 4; Fischer § 73, 20; dem widersprechend: OLG Hamm Beschluss vom 6.7.2010 – III-4 Ws 158 und 167/10 –. BTDrucks. 16 700 S. 13. A.A. KMR/Mayer 5. OLG Hamburg wistra 2011 197, 198. OLG Hamburg wistra 2011 197, 198. Ablehnend HK/Gercke 3; KMR/Mayer 4; Schmid/Winter NStZ 2002 8, 13; bejahend OLG Hamm wistra 2008 38, 39; OLG Schleswig NStZ 1994 99.
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2. Zulassungsverfahren, Abs. 2
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a) Allgemeines. Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch das Gericht, das für die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrestes zuständig ist. Der Sinn und Regelungsgehalt des Absatz 2 erschließt sich aufgrund des Wortlauts auch nach der Gesetzesänderung zum 1.1.200752 nur schwer. In der Vergangenheit führte die Formulierung daher bereits zu ganz unterschiedlichen Auslegungen. Teilweise wurde rechtsirrig davon ausgegangen, ein Arrest sei nicht im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen, wenn nicht innerhalb der dort vorgesehenen Monatsfrist der Zulassungsbeschluss nach Absatz 2 ergangen oder ein entsprechender Antrag gestellt worden sei.53 Nach anderer Auffassung sollten bereits erfolgte Pfändungen in ein beschlagnahmtes Konto ohne vorherige Zulassung unwirksam sein, da der Zulassungsbeschluss nach Absatz 2 nur für die Zukunft wirke.54 Diese Auslegungen verkannten jedoch den Zweck der Regelung.55 § 111g will den Verletztenschutz nicht einschränken, sondern erweitern.56 Er hat deshalb keinen Einfluss auf die zivilprozessuale Vollstreckung und deren Wirksamkeit und ist auch keine zusätzliche Zwangsvollstreckungsvoraussetzung. Bedeutung erlangt er lediglich für die Rechtsfolge einer zivilrechtlichen Vollstreckung: Der Zulassungsbeschluss nach Absatz 2 verhindert die relative Unwirksamkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Verletzten gegenüber dem Staat,57 die sich aus §§ 111c Abs. 5, 111d Abs. 2 ergibt. Der Beschluss stellt deshalb auch (lediglich) fest, dass der titulierte Anspruch aus der Tat herrührt58 und der Vollstreckungsgläubiger daher als Verletzter zu dem privilegierten Gläubigerkreis zählt.59 Der Verletzte kann jederzeit – auch ohne Zulassung nach § 111g Abs. 2 – gegen den Schädiger nach allgemeinen Grundsätzen die Zwangsvollstreckung betreiben,60 ohne eine strafprozessuale Zulassung zu erwirken. Er kann auch erst die Zwangsvollstreckung betreiben und dann das Zulassungsverfahren anstrengen.61 Die bei diesen Vorgehen bestehende relative Unwirksamkeit der Vollstreckungsmaßnahme gegenüber dem Staat entfällt rückwirkend durch die Zulassung nach § 111g oder die Aufhebung der zugunsten des Staates erfolgten Beschlagnahme oder des Arrestes. Wird er indes nicht zugelassen, sind seine Vollstreckungsbemühungen dem Staat gegenüber relativ unwirksam und er muss das Erlangte möglicherweise an den Staat herausgeben. Das Zulassungsverfahren nach Absatz 2 ist folglich nur dann erforderlich, wenn der 12 Geschädigte nach vorangegangener Pfändung durch die Strafvollstreckungsbehörden erreichen will, dass er mit seinen Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber nicht privilegierten Gläubigern (zum Verhältnis der privilegierten Gläubiger untereinander Rn. 21) in den Rang der Strafvollstreckungsbehörden einrückt,62 dass seine Vollstreckungsversuche der Strafverfolgungsbehörde gegenüber nicht unwirksam sind oder dass Vollstreckungsmaßnahmen nicht privilegierter Gläubiger auch ihm gegenüber relativ unwirksam werden.63 Der Bedarf eines solchen Zulassungsverfahrens ergibt sich daraus, dass dem Vollstreckungstitel, den der Verletzte gegen den Täter erwirkt hat, häufig nichts darüber zu
52 53 54 55 56 57 58
BGBl. 2006 I S. 2350. Zu recht ablehnend: BGH NJW 2000 2027. AG Düsseldorf WM 1992 38; ablehnend Dittke wistra 1991 209. Nach wie vor instruktiv: Hees/Albeck ZIP 2000 871. Bittmann wistra 2013 218, 219. BGH NJW 2000 2027, 2028. OLG Hamburg wistra 2011 279.
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59 60 61 62 63
BVerfG Beschluss vom 17.11.2007 – 2 BvR 2231/07 –. OLG Frankfurt ZIP 2009 1582; KMR/ Mayer 6. OLG Frankfurt ZIP 2009 1582; Schmid/ Winter NStZ 2002 8, 10. BGH NJW 2000 2027. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10.
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entnehmen ist, welche Forderung ihm zugrunde liegt. Das ist insbesondere bei einstweiligen Verfügungen, Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen der Fall. b) Ausschluss des Zulassungsverfahrens. Eine Zulassung scheidet in den Fällen aus, 13 in denen der Verletzte in nicht sichergestellte Vermögenswerte des Betroffenen vollstreckt, da diese Maßnahme dem Staat gegenüber nicht unwirksam sein kann. c) Voraussetzungen des Zulassungsverfahrens. Das Zulassungsverfahren setzt einen 14 Antrag des Verletzten voraus, auch wenn die Beschlagnahme oder der dingliche Arrest nach § 111b Abs. 5 in seinem Interesse angeordnet worden war. Das Gericht hat lediglich zu prüfen, ob der titulierte Anspruch dem Verletzten tatsächlich aus derjenigen Straftat des Beschuldigten erwachsen ist, derentwegen der Gegenstand, in den vollstreckt werden soll, beschlagnahmt wurde.64 Die Zulassungsentscheidung hat die Höhe des Anspruchs grundsätzlich nicht zu prüfen.65 Mit dem Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens ist es nicht vereinbar, wenn das Strafgericht etwa die zivilrechtlichen Feststellungen zur Höhe eines Schmerzensgeldanspruchs oder des Wertes einer entwendeten Sache erneut überprüft. Art und Umfang des Anspruchs richten sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen,66 der von den Zivilgerichten festzustellen ist. Stellt sich jedoch im Laufe der Zulassungsprüfung heraus, dass die titulierten Ansprüche nur teilweise auf einer Straftat beruhen, etwa weil die in einem Versäumnisurteil titulierten Ansprüche im Wege der Klagehäufung nach § 260 ZPO auf verschiedene Sachverhalte gestützt wurden und wird dies vom Betroffenen gerügt, muss der Verletzte seine Ansprüche nach allgemeinen Regeln glaubhaft machen. Dazu gehört dann auch, die Höhe des Anspruchs glaubhaft zu machen, der aus der Straftat erwachsen ist. Aufgrund der Geständnisfiktion des Versäumnisurteils gelingt dies etwa durch Vorlage der Klageschrift. Wird der entsprechende Nachweis nicht geführt, kann die Zwangsvollstreckung (insoweit) nicht zugelassen werden. d) Glaubhaftmachung. Das Gericht hat nicht von Amts wegen zu ermitteln, ob die 15 Voraussetzungen für die Zulassung vorliegen. In Abweichung zur Amtsaufklärungspflicht hat der Verletzte nach § 111g Abs. 2 Satz 3 glaubhaft zu machen, dass der der Vollstreckung zugrunde liegende Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, die Anlass für die Beschlagnahme oder den dinglichen Arrest war.67 Am einfachsten gelingt dem Verletzten dies, wenn es sich bereits aus dem Titel selbst ergibt.68 Keine Probleme bestehen, wenn die Pfändungs- oder Arrestanordnung der Strafvollstreckungsbehörden bereits den Anspruch des Verletzten nennen oder diesen wenigstens als Geschädigten ausweisen. Missverständlich ist die Formulierung, es müsse glaubhaft gemacht werden, dass die Anordnung des Verfalls an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB scheitern wird.69 Dies ergibt sich zwangsläufig aus der Glaubhaftmachung der Verletzteneigenschaft. Andererseits kann ein nicht Verletzter die Zulassung seiner Zwangsvollstreckung gerade nicht damit erreichen, dass er nachweist, dass dem Verfall § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB wegen (unbekannter) Verletzter entgegensteht. Dass der Beschuldigte die Straftat wirklich begangen hat, ist im
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BVerfG Beschluss vom 17.11.2007 – 2 BvR 2231/07 –; OLG Celle NJW 2007 3795, 3796; Meyer-Goßner 3. AnwK-StPO/Lohse 6. OLG Hamburg wistra 2011 279.
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Bittmann wistra 2013 218, 221. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301; MeyerGoßner 3; KK/Nack 4. So KK/Nack 4; KMR/Mayer 15.
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Zulassungsverfahren vom Verletzten nicht glaubhaft zu machen.70 Glaubhaftmachung bedeutet auch nicht, dass das tatsächliche Vorbringen zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden müsste; es genügt ein für die richterliche Entscheidung hinreichendes Maß an Wahrscheinlichkeit (vgl. § 45, 16). Die Glaubhaftmachung selbst erfolgt nach § 294 ZPO, Absatz 2 Satz 4. Danach kann sich der Verletzte aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides Statt zugelassen werden.71 Aus § 294 Abs. 2 ZPO folgt auch, dass eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, unstatthaft ist. Mittel der Glaubhaftmachung sind deshalb praktisch vor allem Urkunden und eidesstattliche Versicherungen, die aber im Original oder in beglaubigter Abschrift vorgelegt werden müssen.72 Das Gericht kann auch den Verletzten oder Zeugen hören, wenn diese präsent sind.
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e) Zulassung durch das Gericht. Zuständig für die Zulassung der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung ist nach Absatz 2 Satz 1 nur das Gericht, das im Zeitpunkt der Zulassung für die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrests zuständig wäre (vgl. dazu § 111e, 2).73 Die Staatsanwaltschaft ist hingegen niemals zuständig. Dies gilt selbst dann, wenn sie die Beschlagnahme oder den Arrest wegen Gefahr im Verzug selbst angeordnet hat. Für eine Zulassung nach Rechtskraft ist der Ermittlungsrichter zuständig.74 Eine solche Zulassung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn eine Anordnung nach § 111i getroffen wurde, da andernfalls mit Rechtskraft die in § 111e, 25 und 29 beschriebenen Wirkungen eintreten.
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f) Entscheidung. Nach Absatz 2 Satz 2 entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, der wegen § 34 zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung nach § 35a zu versehen ist.75 Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft, der Verletzte und der Beschuldigte zu hören.76 Teilweise wird vertreten, auch der Drittbetroffene sei zu hören.77 Da ihm ohnehin kein Rechtsmittel gegen die Zulassung zusteht (Rn. 22),78 wird man aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung hierauf verzichten können. Für ihn bleibt es bei den Möglichkeiten nach Absatz 4. Der Beschluss lautet dahin, dass die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in den beschlagnahmten Gegenstand zugelassen oder dass die Zulassung versagt wird. Die Versagung wird ausgesprochen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft gemacht hat, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, Absatz 2 Satz 3. Ist der Gegenstand zugleich als Beweismittel sichergestellt und wird er als solches noch benötigt, wird die Zwangsvollstreckung mit der Einschränkung zugelassen, dass der Gegenstand im Gewahrsam des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft verbleibt, bis er nicht mehr als Beweismittel benötigt und deshalb die Sicherstellung aufgehoben wird.79 Der Beschluss wird den Beschwerdeberechtigten durch Zustellung bekanntgemacht, § 35 Abs. 2. Dies gilt immer für die Staatsanwalt-
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OLG Hamburg wistra 2011 197; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301; Bittmann wistra 2013 218, 220. Meyer-Goßner 3. OLG Düsseldorf StV 1994 284; KK/Nack 4. BGH NJW 2003 2546, 2547; Bittmann wistra 2013 218, 219; Meyer-Goßner 3. KMR/Mayer 14; zur Zuständigkeit nach Rechtskraft im Falle der sofortigen Beschwerde: OLG Hamburg NStZ 2012 51, 53.
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SK/Rogall 20. BGH NJW 2000 2027, 2028. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10. KMR/Mayer 16; a.A. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; KK/Nack 6; OLG Celle NJW 2007 3795; OLG Jena wistra 2005 77. Vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 301, 302; KK/Nack 7; Meyer-Goßner 5.
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schaft, weil sie durch jede Entscheidung beschwert sein kann (Rn. 18).80 Eine förmliche Zustellung des Beschlusses an den Antragsteller ist nur erforderlich, wenn seinem Antrag nicht oder nicht in vollem Umfang stattgegeben worden ist. An den Beschuldigten wird förmlich zugestellt, wenn dem Antrag mindestens teilweise stattgegeben wird. In allen anderen Fällen reicht die formlose Mitteilung. Der Drittbetroffene ist allenfalls formlos zu informieren, da ihm das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht zusteht, §§ 111g Abs. 2 S. 2 i.V.m. 35 Abs. 2 (siehe Rn. 22).81 g) Anfechtung. Nach Absatz 2 Satz 2 können die Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte 18 und der Verletzte die Entscheidung des Gerichts mit der sofortigen Beschwerde anfechten. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels setzt eine Beschwer voraus. Der Beschuldigte hat daher keine Beschwerdemöglichkeit, wenn die Zulassung versagt, der Verletzte ist nicht zur Anfechtung berechtigt, wenn seinem Zulassungsantrag in vollem Umfang stattgegeben worden ist. Nur die Staatsanwaltschaft kann das Rechtsmittel ohne Rücksicht darauf einlegen, ob die Entscheidung ihren Anträgen entspricht (siehe Rn. 17).82 h) Sonstiges. Werden im Beschwerdeverfahren Gründe nachgeschoben, die die Zulas- 19 sung rechtfertigen, soll davon abgesehen werden können, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers aufzuerlegen.83 Dieses durch analoge Anwendung von § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 gefundene Ergebnis der wohl herrschenden Auffassung wird zu recht bezweifelt, siehe hierzu LR/Hilger § 473, 15. Anfechtbar sind nach § 305 Satz 2 auch die Entscheidungen des erkennenden Gerichts, bei der gebotenen engen Auslegung des § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und des § 304 Abs. 5,84 aber nicht die Entscheidungen der Oberlandesgerichte als Gerichte des ersten Rechtszuges und des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs,85 da die Zulassungsentscheiung nicht die „Beschlagnahme“ betrifft. Die sofortige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 307 Abs. 1). Die weitere Beschwerde nach § 310 ist ausgeschlossen. 3. Sonstige Fallkonstellationen a) Andere Gläubiger. Das Zulassungsverfahren gemäß § 111g hat zunächst für das 20 Rangverhältnis zwischen dem Staat und dem Verletzten Bedeutung, der Rechte aus einer Beschlagnahme oder einem dinglichen Arrest herleitet. Es ist aber auch gegenüber solchen Gläubigern von Bedeutung, die vor dem Verletzten aber nach der Beschlagnahme / dem dinglichen Arrest des Staates gepfändet haben und nicht zu den Verletzten gehören.86 Die Rechte des Verletzten gehen den Rechten dieser Gläubiger vor, sobald die Entscheidung nach Absatz 2 zu seinen Gunsten ergangen ist. Dies folgt aus Absatz 3 Satz 1 und 6, wonach das Veräußerungsverbot und das Pfändungspfandrecht vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von Verletzten gilt, die während der Dauer
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KMR/Mayer 16; OLG Hamburg wistra 2011 279 zur sofortigen Beschwerde der StA; a.A. KK/Nack 6; Meyer-Goßner 4. A.A. OLG Celle NJW 2007 3795; OLG Jena wistra 2005 77 mit zustimmender Anm. Scharf/Kropp; Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; KK/Nack 6; HK/Gercke 6. A.A. OLG Nürnberg vom 15.3.2013 – 2 Ws 561/12, 2 Ws 590/12 – WM 2013 1238
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wobei die Ausführungen zur Beschwer der Staatsanwaltschaft nicht abgedruckt wurden; KK/Nack 6; Meyer-Goßner 4. OLG Düsseldorf MDR 1994 629; MeyerGoßner § 473, 2 m.w.N. Vgl. BGHSt 25 120, 121. Meyer-Goßner 4; KK/Nack 6. Instruktiv OLG Hamm NJW-RR 2000 1008.
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der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung betreiben oder den Arrest vollziehen und aus Absatz 1, wonach die Beschlagnahme und die Vollziehung des Arrestes nicht gegen die Verfügung eines Verletzten wirken.
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b) Mehrere Verletzte. Wurde zugunsten mehrerer Verletzter jeweils die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung zugelassen, stellt sich die Frage, wie sich unter diesen das Rangverhältnis gestaltet. § 111g enthält dazu keine Regelung. Denkbar wäre, alle Verletzten gleichrangig so zu behandeln, als ob ihre Maßnahmen gleichzeitig zum Zeitpunkt der staatlichen Sicherstellung erfolgt wären. Dies würde indes dem sonst im Zwangsvollstreckungsrecht geltenden Prioritätsgrundsatz87 widersprechen.88 Dass der Gesetzgeber durch seine Maßnahmen zur Verbesserung des Verletztenschutzes so weit in das Zwangsvollstreckungsrecht eingreifen wollte, ist nicht anzunehmen.89 Insbesondere würde durch eine solche Gleichbehandlung der Schutz desjenigen Verletzten verschlechter – und nicht verbessert –, der aufgrund des Prioritätsprinzips gegenüber anderen Verletzten den Vorrang genießt, weil er sich zeitnah um die Durchsetzung seiner Forderung bemüht hat.90 Das Prioritätsprinzip muss daher auch im Rahmen des § 111g gelten.91 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Rangfolge kann dann nur der des Entstehens des Pfändungspfandrechts oder der der Zulassungsentscheidung nach Absatz 2 sein. Bedenkt man, dass der Schuldner es durch sein Verhalten im Anhörungsverfahren in der Hand haben kann, den Zulassungsbeschluss zeitlich zu manipulieren, kann sinnvollerweise nur auf den Zeitpunkt der Entstehung des Pfändungspfandrechts abgestellt werden.92 Dessen Entstehen hat der Verletzte selbst in der Hand, weil er jederzeit die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung – auch ohne Zulassungsbeschluss – betreiben kann (Rn. 11). Früher wurde teilweise vertreten, der Rechtsanwalt habe nach dem Grundsatz des sog. „sichersten Weges“ auch den Zeitpunkt der Erwirkung des Zulassungsbeschlusses93 bei seinem Vorgehen zu berücksichtigen, da ansonsten eine Pflichtverletzung aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Folge von Schadensersatzansprüchen in Betracht kommen kann.94 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die ganz herrschende Meinung stellt auf den Zeitpunkt der Entstehung des Pfändungspfandrechts ab und es ist nicht Aufgabe des Rechtsanwalts, jeder, auch zwischenzeitlich obsoleten oder aufgegebenen 95 (Minder-) Meinung zu entsprechen.
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c) Drittbetroffener. Umstritten ist, ob auch der Drittbetroffene zur Anfechtung nach Absatz 2 Satz 2 berechtigt ist. Die Frage ist schlicht zu verneinen, da das Gesetz den Drittbetroffenen nicht zu den Anfechtungsberechtigten zählt. Gleichwohl geht die herr-
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S. dazu BGH NJW 2000 2027, 2028 mit Nachweisen; OLG Hamm NJW-RR 2000 1008. Die Ersetzung des Prioritätsprinzips im Falle der Verteilung von sichergestellten Taterlösen schlägt Bach JR 2008 230, 234 vor. Gegen die Anwendung des Prioritätsprinzips in diesem Falle Frohn Rpfleger 2001 12, der in Fn. 17 seine Ausführungen aber relativiert. BGH NJW 2000 2027, 2028. BGH ZIP 2007 1338, 1340. OLG Stuttgart ZIP 2001 484; OLG Hamm NJW-RR 2000 1008, 1013; Hansen/WolfRojczyk GRUR 2007 468 474; Malitz NStZ
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2002 337, 340; Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; bei BGH NJW 2000 2027, 2028 offengelassen aber als „naheliegend“ bezeichnet; a.A.: Hees/Albeck ZIP 2000 871, 875: es kommt auf Eingang der Zulassungsanträge an; Bittmann wistra 2013 218, 222 will auf den Zeitpunkt abstellen, zudem Pfändungspfandrecht und Zulassung vorliegen. So noch Hees/Albeck ZIP 2000 871, 875. So jedenfalls das OLG Hamm NJW-RR 2000 1008, 1010; ähnlich HK/Gercke 9. Siehe dazu den Nachweis bei Hansen/WolffRojczyk GRUR 2007 468, 474 Fn. 55.
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schende Ansicht96 von einer Rechtsmittelbefugnis aus. Dabei wird wohl von materiellen Eingriffsvoraussetzungen auf eine formelle Beschwer 97 geschlossen. Der Hinweis, ein vergleichbares Anfechtungsrecht des Drittbeteiligten ergebe sich aus § 442 Abs. 2, es müsse daher auch beim Zulassungsverfahren nach Absatz 2 Satz 2 eine Beschwerdebefugnis für den Drittbeteiligten bestehen,98 geht fehl. Bei § 442 Abs. 2 ist die Beteiligung des „Anderen“ gerade ausdrücklich vorgesehen. Auch zeigt § 111l Abs. 4, der die Anhörung des Drittbetroffenen ausdrücklich regelt, dass der Gesetzgeber die Rechte des Drittbetroffenen – sofern sie bestehen – expressiv verbis geregelt hat. Hinzu kommt, dass nach der Gesetzesreform im Jahr 2007 99 das Argument, es liege eine planwidrige Regelungslücke vor,100 nicht überzeugen kann. Vergleicht man die Situation eines nicht zu den Verletzten zählenden Gläubigers des Täters mit jener des Drittbetroffenen, so ist kein hinreichender Grund ersichtlich, nur den Gläubiger auf ein Vorgehen nach Absatz 4 zu verweisen und dem Drittbetroffenen in analoger Anwendung von Absatz 2 Satz 2 ein Anfechtungsrecht zuzusprechen. Diese Situation mag für den Drittbetroffenen unbefriedigend sein, kann aber überzeugend nur durch den Gesetzgeber und eine Aufnahme des Drittbetroffenen in den Kreis der nach Absatz 2 Satz 2 Anfechtungsberechtigten aufgelöst werden. Dann stellt sich aber wiederum die Frage, ob aus Gründen der Gleichbehandlung nicht auch den übrigen Gläubigern ein Beschwerderecht eingeräumt werden müsste. d) Hinterlegung. Nach § 853 ZPO ist der Drittschuldner einer von mehreren Gläubi- 23 gern gepfändeten Geldforderung berechtigt, unter Beachtung weiterer Verfahrensregelungen, den Schuldbetrag bei dem zuständigen Amtsgericht zu hinterlegen. Umstritten ist, ob § 853 ZPO direkt oder analog im Verfahren nach § 111b ff. gilt und ob der Drittschuldner zur Hinterlegung eine Zustimmung des Gerichts analog § 111g Abs. 2 anstrengen muss.101 Da § 111g nur insoweit in das Zwangsvollstreckungsrecht eingreift, als die Rangfolge mehrerer Gläubiger zugunsten des Verletzten geregelt wird, besteht kein Anlass, § 853 ZPO nicht unmittelbar anzuwenden. Dann bedarf es aber auch keiner weiteren Entscheidung entsprechend § 111g über die Zulässigkeit der Hinterlegung. Im Verteilungsverfahren nach §§ 872 ff. ZPO102 kann der Verletzte den ihm nach § 111g Abs. 1 zustehenden Rang allerdings nur geltend machen, wenn er einen Zulassungsbeschluss nach § 111g Abs. 2 Satz 1 erwirkt hat.103 Die Verteilung selbst erfolgt vor den Zivilgerichten nach allgemeinen Regeln.104 e) Einstellung nach §§ 154, 154a. Wurde das Verfahren gegen den Betroffenen nach 24 §§ 154 oder 154a StPO eingestellt, ist die Behandlung eines Zulassungsantrags des Verletzten strittig.105 Hat der Verletzte einen zulässigen Zulassungsantrag vor der Einstellung des Verfahrens gestellt, so ist die Vollstreckung auch nach der Einstellung noch 96
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OLG Celle NJW 2007 3795; OLG Jena wistra 2005 77 mit zustimmender Anm. Scharf/Kropp; Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; KK/Nack 6; nicht eindeutig aber wohl ebenfalls bejahend KMR/Mayer 12, der vom „Betroffenen“ spricht. So Scharf/Kropp wistra 2005 77, 78. OLG Celle NJW 2007 3795. BGBl. I 2006 S. 2350. So zur alten Rechtslage OLG Jena wistra 2005 77.
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Verneinend Locher WuB VII § 111g StPO § 1.92 S. 778 gegen OLG Düsseldorf NStZ 1992 203. LG Berlin wistra 2004 280. AnwK-StPO/Lohse 12. LG Berlin wistra 2004 280; Meyer-Goßner § 111i, 4. Zum Meinungsstand Bach JR 2008 230, 231 m.w.N.
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zuzulassen, denn es vermag sich nicht zu Lasten des Verletzten auswirken, dass das Gericht nicht zeitnah über seinen Antrag entschieden hat (Rn. 2).106 Wurde der Zulassungsantrag erst nach der Einstellung gestellt, wird man richtigerweise zwischen den verschiedenen Einstellungsformen differenzieren müssen.107 Wurde das Verfahren nach § 154 eingestellt, fehlt es an einer Anknüpfungstat,108 die den Fortbestand der Sicherungsmaßnahme rechtfertigt. Mit der Einstellungsverfügung oder dem Beschluss des Gerichts scheidet die Tat aus der Verfolgung aus. Der Antrag kann dann nur zugelassen werden, wenn die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Durchführung des selbstständigen Einziehungsverfahrens nach § 440 Abs. 1 stellt.109 Wurde das Verfahren hingegen nur teilweise nach § 154a eingestellt, bleibt die gesamte Tat im prozessualen Sinne rechtshängig110 eine Anknüpfungstat liegt vor und die Zwangsvollstreckung kann zugelassen werden.
III. Wirkungen der Zulassung, Abs. 3 25
1. Allgemeines. Die Beschlagnahme eines Verfallsgegenstandes und die Vollziehung eines dinglichen Arrests bewirken ein Veräußerungsverbot. Dieses Verbot gilt zugunsten des Staates und umfasst auch andere Verfügungen als Veräußerungen, insbesondere Maßnahmen anderer Gläubiger, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung auf das gesicherte Vermögen zugreifen wollen. Mit der Zulassungsentscheidung nach Absatz 2 gilt dieser Schutz des Staates rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vollzuges der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrests auch zugunsten des zugelassenen Verletzten, Absatz 3 Satz 1 und 6.111 Die Schutzposition des Staates, die dieser durch die Beschlagnahme oder den dinglichen Arrest erlangt hat, wird an den Verletzten abgetreten.112 Bei Forderungen bedeutet dies, dass der Staat, der aufgrund seiner Beschlagnahme vorrangiger Pfändungspfandgläubiger ist, mit seinem Pfandrecht im Umfang der titulierten Forderung des Verletzten hinter dessen Pfandrecht zurücktritt.113 Der Verletzte kann die relative Unwirksamkeit dieser Verfügungen wegen §§ 771, 772 ZPO den nicht zugelassenen Gläubiger gegenüber geltend machen.114 Der Zeitpunkt der Zulassung des Verletzten ist unerheblich, diese kann unter Umständen auch noch nach Rechtskraft (Rn. 3) erfolgen. Wird die Zulassung versagt, bleibt die Maßnahme dem Staat und eventuell zugelassenen Gläubigern gegenüber unwirksam. Die Zulassung nach Absatz 2 hat keinen Einfluss auf den Bestand der Beschlagnahmeanordnung115 oder des dinglichen Arrests. Diese werden insbesondere durch die Zulassung nicht gegenstandslos, da die Zulassung nichts darüber sagt, ob der Verletzte von ihr auch Gebrauch macht. Die Aufhebung der Beschlagnahme lässt die Wirksamkeit des Veräußerungsverbots zugunsten des Verletzten unberührt, Absatz 3 Satz 5. Aus welchen Gründen die Aufhebung erfolgt und ob sie berechtigt oder erforderlich war, spielt keine Rolle.116 Wegen der Schadensersatzpflicht des Verletzten vgl. Rn. 29.
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OLG Hamm wistra 2002 398, 400; offengelassen, in der Tendenz aber ablehnend: KG NStZ-RR 2010 180. Siehe hierzu ausführlich Willsch wistra 2013 9, 13. BGH NStZ 2003 422, 423; Willsch wistra 2013 9, 13; Bittmann wistra 2013 218, 220. A.A. Meyer-Goßner 2.
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BGHSt 29 315, 316. KK/Nack 8; Meyer-Goßner 6. BGH NJW 2000 2027, 2028. BGH NJW 2000 2027, 2028; MeyerGoßner 1. SK/Rogall 27. OLG Düsseldorf NStZ 1992 203 f. Meyer-Goßner 7.
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2. Grundstücke. Die Beschlagnahme eines Grundstücks wird nach § 111c Abs. 2 26 Satz 1 dadurch bewirkt, dass ein Vermerk über die Beschlagnahme in das Grundbuch eingetragen wird. Das aus der Beschlagnahme folgende Verfügungsverbot wirkt nach Absatz 3 Satz 1 auch zugunsten des die Zwangsvollstreckung oder den Arrest vollziehenden Verletzten und zwar auf den Zeitpunkt zurück, zu dem die Beschlagnahme zugunsten des Staates stattgefunden hat. Damit steht die Norm im Widerspruch zu § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB, die den Erwerber eines Grundstücks vor Verfügungsbeschränkungen, die ihm weder aus dem Grundbuch ersichtlich noch sonst bekannt sind, schützt. Den Widerstreit zwischen diesen beiden Vorschriften beseitigt Absatz 3 Satz 2 dadurch, dass er die Eintragung des Veräußerungsverbots im Grundbuch zugunsten des Staates von dem Zeitpunkt der Eintragung an für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB auch als Eintragung zugunsten solcher Verletzter gelten lässt, die erst während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot in das Grundbuch tatsächlich eingetragen werden. Damit soll eine wirksame Verfügung des Eigentümers in der Zeit zwischen der Beschlagnahme zugunsten des Staates und der Zwangsvollstreckung durch den Verletzten zu dessen Lasten verhindert werden. Ein gutgläubiger Erwerb von Rechten ist Verletzten gegenüber daher unmöglich. Ihre Eintragung als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot setzt jedoch einen mindestens vorläufig vollstreckbaren Titel gegen den im Grundbuch eingetragenen Berechtigten voraus. Dem Grundbuchamt gegenüber muss nachgewiesen werden, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, derentwegen das Grundstück beschlagnahmt worden ist. Ergibt sich das nicht aus dem Titel, so genügt es, wenn der nach Absatz 2 ergangene richterliche Beschluss über die Zulassung der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in das Grundstück vorgelegt wird, Absatz 3 Satz 3. Die zur Eintragung in das Grundbuch erforderliche Bewilligung des Eigentümers nach § 19 GBO wird durch den Zulassungsbeschluss ersetzt. Da aber auch der Fiskus in dem zu seinen Gunsten ergangenen Veräußerungsverbot betroffen ist, kann der Verletzte vom Fiskus gestützt auf § 111g die Bewilligung in Form des § 29 Abs. 3 GBO verlangen.117 3. Schiffe, Schiffsbauwerke, Luftfahrzeuge. Nach Absatz 2 Satz 4 gelten die Vor- 27 schriften über die Einschränkung des Gutglaubensschutzes des § 892 Abs. 2 Satz 1 BGB (Rn. 26) für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen entsprechend. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, muss dem Registergericht gegenüber geführt werden. 4. Wirkungen des vollzogenen Arrestes, Abs. 3 Satz 6. Die Pfändung zur Vollziehung 28 des Arrestes in das bewegliche Vermögen bewirkt ein Pfändungspfandrecht, mit der Folge eines relativen Veräußerungsverbots.118 Bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2007 war umstritten, ob ein Zulassungsverfahren auch aufgrund eines dinglichen Arrestes in bewegliches Vermögen zulässig ist,119 sodass das relative Veräußerungsverbot vom Zeitpunkt der Zulassung des Verletzten an auch zu dessen Gunsten gilt.120 Mit Absatz 3 Satz 6 bejaht der Gesetzgeber diese Frage. Alle nach dem Zeitpunkt der Arrestvollziehung – nicht lediglich der Anordnung des dinglichen Arrests –121 erfolgenden Verfügungen anderer Gläubiger, insbesondere solche aus Zwangsvollstreckung oder Arrest-
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Zum Ganzen KMR/Mayer 12. OLG Frankfurt ZIP 2009 1582, 1583. Vgl. zum Streitstand BTDrucks. 16 700 S. 13; KMR/Mayer 1.
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vollziehung, sind gegenüber dem nach Absatz 2 zugelassenen Verletzten relativ unwirksam.122 Wird der Arrest nachträglich aufgehoben, ändert dies nichts an der Wirksamkeit des relativen Veräußerungsverbots zugunsten des Verletzten, Absatz 3 Satz 6 und 5.
IV. Schadensersatzpflicht des Verletzten, Abs. 4 29
Nach Absatz 3 Satz 5 wird die Wirksamkeit des Veräußerungsverbots zugunsten des Verletzten durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht berührt. Es beeinflusst die Rechtsstellung des Verletzten daher nicht, dass die Beschlagnahme aus irgendeinem Grunde aufgehoben wird, sei es, dass sich nachträglich die Unzulässigkeit herausstellt, sei es, dass die Gründe des § 111b Abs. 1 und 3 im Laufe des Verfahrens entfallen. Die ungerechtfertigte Erweiterung des Veräußerungsverbots zugunsten des Verletzten kann dazu führen, dass Dritte einen Schaden erleiden. Wie § 945 ZPO dem Gegner, räumt Absatz 4 dann dem Dritten einen verschuldensunabhängigen123 Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verletzten ein. Das Gleiche gilt nach Absatz 4 für den Fall, dass die Zulassung zu Unrecht erfolgt ist, weil etwa der Anspruch des Verletzten nicht aus der Straftat erwachsen ist. Anders als § 111h (§ 111h, 8) unterscheidet § 111g Abs. 4 zwischen der Beschlagnahme- bzw. Arrestanordnung und der Zulassung der Vollstreckung. Für die Bemessung des Schadens gelten die allgemeinen Grundsätze des Schadensersatzrechts,124 §§ 249 ff. BGB.125 Wer einen entsprechenden Schaden erlitten hat, muss ihn dem Verletzten gegenüber auf dem Zivilrechtsweg geltend machen.126 In diesem Verfahren kann der Drittgläubiger etwa vortragen, dass die Zulassung auf unzutreffende Tatsachen gestützt wurde.127 Der Verletzte kann sich beispielsweise damit verteidigen, dass er auch ohne die Zulassung erfolgreich in nicht gesicherte Vermögenswerte hätte vollstrecken können oder dass er aufgrund seines Ranges ohnehin vorrangig vor dem Drittgläubiger hätte Befriedigung erlangen können.128 Der Staat kann nicht Dritter im Sinne des Absatz 4 sein,129 ihm steht daher kein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verletzten zu.
V. Weitere Anwendungsfälle, Abs. 5 30
Nach Absatz 5 Satz 1 wird der Anwendungsbereich der Norm auf nicht rechtskräftige Verfallsanordnungen erweitert. Praktische Bedeutung hat die Erweiterung, wenn keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen stattgefunden haben und deshalb bis zum Urteil (noch) kein Veräußerungsverbot besteht. Wird nun im Urteil der Verfall ausgesprochen, hat gem. § 73e Abs. 2 StGB die nicht rechtskräftige Verfallsanordnungen bis zu ihrer Rechtskraft ebenfalls die Wirkung eines relativen Veräußerungsverbotes. Wird im weiteren Verfahren festgestellt, dass Ansprüche Verletzter der Verfallsanordnung entgegenstehen und die vorläufige Sicherung daher wegen § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB aufgehoben werden muss,130 bleibt das Veräußerungsverbot über den Verweis in § 111g 122 123 124 125 126
BTDrucks. 16 700 S. 13; OLG Bamberg NStZ 2010 348, 349. KK/Nack 12; SK/Rogall 33. KMR/Mayer 17. Vgl. Thomas/Putzo § 945, 15. HK-GS/Hartmann 6; HK/Gercke 12; Meyer-Goßner 10.
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KMR/Mayer 18. AnwK-StPO/Lohse 13; KMR/Mayer 17. KMR/Mayer § 111h, 8. KMR/Mayer 2.
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Abs. 5 Satz 1 gleichwohl bestehen und der Verletzte kann sich um Zulassung seiner Vollstreckungsmaßnahmen bemühen. Satz 2 schließt den Anwendungsbereich der Norm für Einziehungsgegenstände aus, da § 111g der sachlich-rechtlichen Vorgabe in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entspricht, wonach die Interessen des Verletzten an einer Schadloshaltung den Interessen des Staates vorgehen. Die Einziehung hingegen dient nicht der Schadloshaltung des Verletzten, sondern der Sicherheit der Allgemeinheit,131 so dass der Ausschluss nur konsequent ist.
VI. Potentielle Analogie des § 111g Teilweise wird eine analoge Anwendung des Absatz 5 Satz 1 in Betracht gezogen, 31 wenn das Strafgericht gegenüber einem Bankinstitut eine Auszahlung eines nach § 111c Abs. 3 beschlagnahmten Guthabens an den Verletzten anordnet.132 Mit dieser „verfallähnlichen Anordnung“ der Strafkammer soll die Beschlagnahme entsprechend § 111g Abs. 5 bis zur Auszahlung des Guthabens an den Berechtigten fortdauern.133 Für diese Anordnung fehlt es unstreitig an einer gesetzlichen Grundlage, eine gleichwohl ergangene Anordnung sei jedoch nicht unwirksam.134 Abgelehnt wird hingegen eine analoge Anwendung des Absatzes 2 auf Vermögenswerte, die der Beschuldigte freiwillig bereitgestellt hat und die nicht durch Hoheitsakt in die Verfügungsgewalt des Staates gelangt sind.135
VII. Kosten des Rechtsanwalts Mit der wachsenden Bedeutung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen stellt sich für 32 die Anwaltschaft die Frage, wie die durch einen entsprechenden Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung entstehenden Kosten abgerechnet werden können. Das Zulassungsverfahren nach § 111g Abs. 2 ist ein strafprozessuales Verfahren, die Kostenerstattung richtet sich daher nur nach Teil 4 VV RVG, nicht nach Teil 3 VV RVG.136 Dies ist insoweit problematisch, als es mit wenigen Ausnahmen (Nr. 4142 ff. VV RVG) in diesem Bereich des RVG keine Wertgebühren gibt und selbst diese Wertgebühren keine adäquate Vergütungsregelung im Verhältnis zum Haftungsrisiko bereithalten.137 Der Gesetzgeber sollte schnellstmöglich für Klarheit sorgen und eine am Gegenstandswert orientierte Vergütung festschreiben, da nur so ein angemessenes Verhältnis von Haftungsrisiko und Honoraranspruch hergestellt werden kann. Bis dahin sollte unter Erläuterung der Problematik gegenüber dem Mandaten eine Honorarvereinbarung getroffen werden, da nicht auszuschließen ist, dass die Oberlandesgerichte weiterhin von ihrer restriktiven Rechtsprechung Gebrauch machen und der Bevollmächtigte dann lediglich eine Rahmengebühr nach VV 4302 RVG in Höhe von maximal 250 EUR erhält.138
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HK/Gercke 2. BGH NJW 2007 3352, 3354; MeyerGoßner 1. BGH NJW 2007 3352, 3354, wobei zu beachten ist, dass in der abgedruckten Entscheidung in der NJW von „§ 111g StPO“ gesprochen wird, während die Originalentscheidung explizit von § 111g Abs. 5 spricht.
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BGH NJW 2007 3352. OLG Oldenburg NStZ-RR 2008 116. Zur BRAGO ebenso OLG Stuttgart NStZ-RR 1999 383. Siehe zur selben Problematik im Rahmen des § 111f Burhoff RVGreport 2010 441. So in konsequenter Fortsetzung von OLG Stuttgart NStZ-RR 1999 383; siehe auch Burhoff RVGreport 2010 441.
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§ 111h (1) 1Betreibt der Verletzte wegen eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches die Zwangsvollstreckung oder vollzieht er einen Arrest in ein Grundstück, in welches ein Arrest nach § 111d vollzogen ist, so kann er verlangen, daß die durch den Vollzug dieses Arrestes begründete Sicherungshypothek hinter seinem Recht im Rang zurücktritt. 2Der dem vortretenden Recht eingeräumte Rang geht nicht dadurch verloren, daß der Arrest aufgehoben wird. 3Die Zustimmung des Eigentümers zur Rangänderung ist nicht erforderlich. 4Im Übrigen ist § 880 des Bürgerlichen Gesetzbuches sinngemäß anzuwenden. (2) 1Die Rangänderung bedarf der Zulassung durch den Richter, der für den Arrest (§ 111d) zuständig ist. 2§ 111g Abs. 2 Satz 2 bis 4 und Abs. 3 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. (3) Ist die Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen durch die Rangänderung entsteht. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn der Arrest nach § 111d in ein Schiff, Schiffsbauwerk oder Luftfahrzeug im Sinne des § 111c Abs. 4 Satz 2 vollzogen ist. Schrifttum siehe bei § 111k.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 (BGBl. I 2006 S. 2350) wurde Absatz 2 sprachlich minimal verändert und Absatz 4 neu hinzugefügt. Ihm kommt vor allem klarstellende Bedeutung zu.
Übersicht Rn. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . .
1 2
II. Zugriff des Verletzten auf Arrestgrundstücke 1. Rangänderung, Abs. 1 . . . . . . . . . a) Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung . . . . . . . . . . . . .
3
Rn. b) Eintragung . . . . . . . . . . . . . c) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulassung, Abs. 2 . . . . . . . . . . . III. Schadensersatzpflicht des Verletzten
4
. . .
8
IV. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Anspruch des Verletzten 5 Anwendungsbereich 2 Arrestanordnung 8 Eintragung 5 Frist 6 Grundpfandrechte 9 Nachfolgender Rang 1 Nicht eingetragene Rechte 7 Rangänderung 3
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5 6 7
Rangrücktritt 3 Rechtskraft 6 Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge 9 Sicherungshypothek für die Forderung 4 Zulassung 7 Zwangsversteigerung 2 Zwangsverwaltung 2 Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung 4
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§ 111h
I. Allgemeines § 111h ist eine Ergänzung des § 111g.1 Genau wie § 111g beruht auch § 111h auf der 1 Intention des Gesetzgebers, dem Verletzten eine vorrangige Befriedigung seiner aus der Tat erwachsenen Ansprüche gegenüber dem Staat zu ermöglichen.2 § 111h bestimmt, wie der Verletzte wegen seines aus der Straftat erwachsenen Anspruchs gegen den Täter die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte,3 Schiffe, Schiffsbauwerke oder Luftfahrzeuge betreiben kann, die mit einer Sicherungshypothek zugunsten des Staates vorbelastet sind.4 Die Anwendung auf grundstücksgleiche Rechte ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift, rechtfertigt sich aber dadurch, dass die Arrestvollziehung auch bei diesen Rechten durch Eintragung einer Sicherungshypothek erfolgt,5 §§ 111d Abs. 2 i.V.m. § 932 Abs. 1 Satz 1 ZPO.6 Betreibt der Verletzte die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in einen der vorgenannten vorläufig gesicherten Vermögenswerte, so kann er durch seine Vollstreckung wegen § 879 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich nur einen der Sicherungshypothek des Staates nachfolgenden Rang erwerben. Für diese Fälle sieht Absatz 2 ein Zulassungsverfahren vor, an dessen Ende der Staat zugunsten des Verletzten von seinem Rang zurücktritt und seinen Rang mit jenem des Verletzten tauscht, den dieser durch die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung erlangt hat. 1. Anwendungsbereich. Während § 111g eine ausdrücklich Einschränkung seines An- 2 wendungsbereichs für Gegenstände enthält, die der Einziehung unterliegen, § 111g Abs. 5 Satz 2, fehlt bei § 111h eine vergleichbare Regelung.7 Umstritten ist daher, ob § 111h zugunsten des Verletzten auch anzuwenden ist, wenn der Arrestbefehl des Staates zur Sicherung der Einziehung von Wertersatz, der Vollstreckung der Geldstrafe oder der Verfahrenskosten ergangen ist.8 Teilweise wird davon ausgegangen, in einem solchen Fall könne der Verletzte keine Rangänderung verlangen. Der Wortlaut sei keine überzeugende Begründung für die unterschiedliche Behandlung von §§ 111g und 111h.9 Da § 111h nach allgemeiner Meinung als Ergänzung zu § 111g zu verstehen ist,10 sei die Norm auch entsprechend auszulegen und trotz Fehlens einer § 111g Abs. 5 Satz 2 vergleichbaren Regelung in den genannten Fällen nicht anzuwenden.11 Andernfalls falle der Staat nach dem Rangtausch mit diesen Ansprüchen sogar hinter Drittgläubiger zurück (siehe dazu Rn. 4).12 Diese Argumente überzeugen nicht. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten13 umfassend mit §§ 111g und 111h befasst und war sich der hierzu bestehenden Meinungsverschiedenheiten durchaus bewusst.14 Die aktuelle Regelung stärkt außerdem die Interessen der Verletzten, ein wesentlicher Zielpunkt der Gesetzesänderung. Die Verletzten sollen sich, auch zu Lasten des Staates, schadlos halten können. Es hat daher bei der gegenüber § 111g erweiterten gesetzlichen Regelung des § 111h zu verbleiben. Auch wenn
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4 5 6
HK/Gercke 1; Meyer-Goßner 1. AnwK-StPO/Lohse 1; HK-GS/Hartmann 1; SK/Rogall 1. KK/Nack 1; HK/Gercke 1; Meyer-Goßner 1; KMR/Mayer 1; Bach JR 2004 230, 232, der § 111h analog anwenden will. KMR/Mayer 1. Meyer-Goßner § 111d, 13. SK/Rogall 7.
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KK/Nack 1. Ablehnend KMR/Mayer 1; HK/Gercke 2; bejahend KK/Nack 1; SK/Rogall 2. KMR/Mayer 1. Siehe etwa: KK/Nack 1; Meyer-Goßner 1. HK/Gercke 2. KMR/Mayer 1. BGBl. I 2006 S. 2350. Siehe hierzu etwa BTDrucks. 16 700 S. 13 f.
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diese unterschiedliche Behandlung in der Tat nicht überzeugt, scheint sie wohl Wille des Gesetzgebers zu sein. Der Verletzte kann folglich auch dann den Rangrücktritt des Staates verlangen, wenn dieser Ansprüche auf Wertersatz, Geldstrafe oder Verfahrenskosten durch den dinglichen Arrest sichern wollte. Betreibt der Verletzte die Zwangsverwaltung oder die Zwangsversteigerung, soll § 111h entsprechend anwendbar sein.15
II. Zugriff des Verletzten auf Arrestgrundstücke 3
1. Rangänderung, Abs. 1. Betreibt der Verletzte wegen eines aus der Straftat erwachsenen Anspruchs die Zwangsvollstreckung oder vollzieht er einen Arrest in ein Grundstück, in welches ein Arrest nach § 111d vollzogen ist, so kann er den Rangrücktritt der aufgrund von § 111d begründeten Sicherungshypothek verlangen. Die Voraussetzungen der Rangänderung nach Absatz 1 entsprechen im Wesentlichen den Voraussetzungen des § 111g Abs. 1.
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a) Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung. Sollen Zahlungsansprüche der Staatskasse nach § 111d gesichert werden, wird der dingliche Arrest in Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte nach §§ 111d Abs. 2, 932 Abs. 1 ZPO durch Eintragung einer Sicherungshypothek für die Forderung vollzogen (§ 111d, 36). Damit wird das Grundstück oder grundstücksgleiche Recht zugunsten des Staates belastet. Der Verletzte, der später wegen eines aus der Straftat erwachsenen Anspruchs ebenfalls die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in das Grundstück betreibt, kann somit nach § 879 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich nur eine nachrangige Sicherungshypothek erlangen. Um ihm gleichwohl den Zugriff auf das Grundstück ohne Rücksicht auf die Vollziehung des Arrests zugunsten des Staates zu ermöglichen, kann der Verletzte nach Absatz 1 Satz 1 verlangen, dass ihm ein Rang verschafft wird, der dem der Sicherungshypothek des Staates entspricht. Ist das Begehren erfolgreich, hat ein Rangrücktritt des Staates nach § 880 BGB zu erfolgen.
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b) Eintragung. Begehrt der Verletzte die Rangänderung, wird durch Absatz 1 Satz 3 nur die an sich nach § 880 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderliche Zustimmung des Eigentümers zur Rangänderung ersetzt.16 Die zur Eintragung im Rang des Staates zusätzlich erforderliche Bewilligung hat die nach §§ 19, 29 Abs. 3 GBO zur Vertretung des Fiskus zuständige Behörde auf Verlangen des Verletzten abzugeben.17 Die Zulassungsentscheidung ersetzt diese Bewilligung nicht, denn bei der Zulassung wird lediglich geprüft, ob der Antragssteller als Verletzten anzusehen ist.18 § 111h begründet einen entsprechenden zivilrechtlichen Anspruch des Verletzten auf Rangrücktritt gegen den Staat, den dieser auf dem Zivilrechtsweg durchsetzen kann.19 Im Übrigen bestimmt Absatz 1 Satz 4 die sinngemäße Anwendung des § 880 BGB. Nach § 880 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf es einer Einigung des zurücktretenden und des vortretenden Berechtigten und muss die Änderung in das Grundbuch eingetragen werden. Rechte, die den Rang zwischen dem zurücktretenden und dem vortretenden Recht haben, werden durch die Rangänderung nicht berührt (§ 880 Abs. 5 BGB). Nach dem Rangtausch zugunsten des Verletzten tritt die Sicherungshypothek des Staates folglich auch hinter diese Rechte zurück. § 880 Abs. 4
15 16 17
KMR/Mayer 2. OLG München Rpfleger 2012 135, 136. KMR/Mayer 4.
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SK/Rogall 10. Huber Rpfleger 2002 285, 292 f; SK/Rogall 5.
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BGB wird durch Absatz 1 Satz 2 ersetzt, wonach der dem vortretenden Recht eingeräumte Rang nicht dadurch verloren geht, dass der Arrest aufgehoben wird. Aus welchen Gründen er aufgehoben wird, ist dabei ohne Belang. Wesentlicher Aufhebungsgrund wird sein, dass es nach der Eintragung zugunsten des Verletzten an einem Arrestgrund mangelt, denn Verfall des Wertersatzes kommt wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht in Betracht und die Rechte des Verletzten sind durch seine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und die Rangänderung nunmehr hinreichend gesichert. Die Eintragungsbewilligung muss dem Grundbuchamt vorgelegt werden, zuvor erfolgt keine Eintragung des Rangrücktritts.20 c) Frist. Der Antrag auf Rangänderung kann nur solange gestellt werden, wie die 6 staatliche Maßnahme noch andauert.21 Das Urteil darf bei Antragsstellung daher noch nicht in Rechtskraft erwachsen bzw. die Frist nach § 111i darf noch nicht abgelaufen sein.22 Ansonsten ist der Antrag bereits unzulässig.23 Für die Fristwahrung reicht es aus, dass der Antrag gestellt ist, wenn bereits die Zwangsvollstreckung betrieben wurde. Auf eine Entscheidung innerhalb der Frist kommt es nicht an,24 § 111g, 3. 2. Zulassung, Abs. 2. Die Rangänderung nach Absatz 1 bedarf nach Absatz 2 Satz 1 7 der Zulassung durch den – nunmehr – für den Arrest zuständigen (§ 111e, 6) Richter.25 Insoweit gelten nach Absatz 2 Satz 2 dieselben Grundsätze wie bei der Zulassung der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in bewegliche Sachen (§ 111g, 11 ff.); insbesondere ist auch hier nach Rechtskraft der Ermittlungsrichter zuständig.26 Die Zulassung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern setzt einen Antrag des Verletzten voraus. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden, Absatz 2 Satz 2, § 111g Abs. 3 Satz 3. Der Beschluss lautet bei Grundstücken auf Zulassung der Rangänderung. Besteht die Sicherungshypothek des Staates nicht mehr, weil die Arrestanordnung aufgehoben und die Sicherungshypothek gelöscht wurde, kommt auch keine Zulassung mehr in Betracht. Der Staat hat dann keinen Rang mehr, den er mit dem Verletzten tauschen könnte,27 die Sicherungshypothek ist zur Eigentümergrundschuld geworden.28 Überschreitet die Forderung des Verletzten der Höhe nach die Forderung des Staates, die durch die Hypothek gesichert ist, tritt der Staat seinen Rang bis zur Höhe seiner Forderung ab. Die restliche Forderung des Verletzten kann nur hinter den Zwischenrechten Dritter aber vor der rücktretenden Forderung des Staates eingetragen werden.29 Hat der Staat eine höhere Forderung gegen den Betroffenen als der Verletzte, nimmt der Staat dessen nachrangige Stelle nur in dessen Höhe ein, für den Rest bleibt es hinter dem Recht des Verletzten aber vor den Zwischenrechten bestehen.30 Begehrt anschließend ein weiterer Verletzter die Zwangsvollstreckung, kann er nur einen Tausch mit dem nunmehr dem Staat zustehenden Range verlangen. Die Zulassung ersetzt weder die erforderliche dingliche Rangrücktrittsvereinbarung noch die erforderliche Eintra-
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SK/Rogall 22. HK/Gercke 1; SK/Rogall 9. OLG Köln NJW 2003 2546, 2549; HK-GS/Hartmann 3; Meyer-Goßner 1. KMR/Mayer 7. OLG Köln NJW 2003 2546, 2549; HK-GS/Hartmann 3. AnwK-StPO/Lohse 2; HK-GS/Hartmann 3.
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Zur Zuständigkeit nach Rechtskraft im Falle der sofortigen Beschwerde: OLG Hamburg NStZ 2012 51, 53. KMR/Mayer 5. SK/Rogall 9. MüKo-BGB/Kohler § 880, 21; SK/Rogall 14. MüKo-BGB/Kohler § 880, 21 m.w.N.
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gungsbewilligung nach §§ 19, 29 GBO.31 Kommt bei nicht eingetragenen Rechten eine Rangänderung nicht in Betracht, wird der Arrest aufgehoben, wenn der Verletzte mit den Mitteln des § 294 ZPO den Vorrang seiner Rechte glaubhaft gemacht hat.32 Rechtsmittel gegen die Zulassung ist auch hier die sofortige Beschwerde, §§ 111h Abs. 2 Satz 2, 111g Abs. 2 Satz 2. Zum Verhältnis der Verletzten untereinander gelten die Ausführungen bei § 111g, 21.
III. Schadensersatzpflicht des Verletzten 8
Nach Absatz 3 ist der Verletzte für den Fall, dass die Zulassung der Rangänderung zu Unrecht erfolgt ist, Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen durch die Rangänderung oder die Aufhebung des Arrests33 entsteht. § 111h erfasst von seinem Wortlaut nicht den Fall, dass die Arrestanordnung zu Unrecht ergangen ist, sondern nur deren unrechtmäßigen Vollzug, während § 111g beide Fälle explizit nennt. Gleichwohl soll auch die zu Unrecht erfolgte Arrestanordnung Ansprüche nach Absatz 3 begründen.34 Dies kann jedenfalls dann nicht gelten, wenn die Sicherungshypothek zu Zwecken der Sicherung der Wertersatzeinziehung, der Geldstrafe oder der Verfahrenskosten ergangen ist. Auch ist es schwer vorstellbar, dass die Arrestanordnung zugunsten des Verletzten ergeht, die Zulassung nicht erfolgt und dem Dritten dennoch ein Schaden entsteht. Denn in dieser Situation findet kein Rangtausch statt und die staatliche Vorrangposition wird mit Ende der Sicherungsmaßnahme aufgehoben. Jedenfalls kann der Dritte sich in diesen Fällen nicht an den Verletzten halten, der auf die Sicherungsmaßnahme durch den Staat kaum Einfluss nehmen kann. Wie bei § 111g kann auch bei § 111h der Staat nicht Dritter im Sinne des Absatz 3 sein.35
IV. Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge 9
Absatz 4 stellt klar, dass auch bei Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen ein Rangtausch mit dinglicher Wirkung möglich ist.36 Obgleich der dingliche Arrest bei eingetragenen Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen nach den Vorschriften über die Pfändung beweglicher Sachen vollzogen wird,37 richtet sich die Rangänderung der durch die Arrestvollziehung erlangten Pfandrechte nur nach § 111h und nicht nach § 111g.38 Denn § 26 SchiffsRG und § 26 LuftFzgG lassen ausnahmsweise eine bei Pfandrechten an beweglichen Sachen sonst grundsätzlich ausgeschlossene Rangänderung mit dinglicher Wirkung zu und schaffen so eine den Grundpfandrechten angenäherte Rechtslage.39 Zur Wahrung des Gleichklangs mit dem Zivilrecht sollte auch durch die Neuregelung der §§ 111b ff. hieran nichts verändert werden. Die vorherigen Ausführungen gelten für Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge entsprechend.
31 32 33 34 35
SK/Rogall 19. KK/Nack 3. KK/Nack 5. KMR/Mayer 8. KMR/Mayer 8; SK/Rogall 23.
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BTDrucks. 16 700 S. 14. BTDrucks. 16 700 S. 14. BTDrucks. 16 700 S. 14 mit Nachweisen zu dieser schon bisher herrschenden Meinung. BTDrucks. 16 700 S. 14; SK/Rogall 4.
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§ 111i
§ 111i (1) Das Gericht kann anordnen, dass die Beschlagnahme nach § 111c oder der Arrest nach § 111d für die Dauer von drei Monaten aufrechterhalten wird, soweit das Verfahren nach den §§ 430 und 442 Abs. 1 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt worden ist und die sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre. (2) 1Hat das Gericht lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuchs entgegenstehen, kann es dies im Urteil feststellen. 2In diesem Fall hat es das Erlangte zu bezeichnen. 3Liegen insoweit die Voraussetzungen des § 73a des Strafgesetzbuchs vor, stellt es im Urteil den Geldbetrag fest, der dem Wert des Erlangten entspricht. 4Soweit 1. der Verletzte bereits im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung verfügt hat, 2. der Verletzte nachweislich aus Vermögen befriedigt wurde, das nicht beschlagnahmt oder im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden ist, oder 3. dem Verletzten die erlangte Sache nach § 111k herausgegeben worden ist, ist dies im Rahmen der nach den Sätzen 2 und 3 zu treffenden Feststellungen in Abzug zu bringen. (3) 1Soweit das Gericht nach Absatz 2 verfährt, hält es die Beschlagnahme (§ 111c) des im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 und 4 Erlangten sowie den dinglichen Arrest (§ 111d) bis zur Höhe des nach Absatz 2 Satz 3 und 4 festgestellten Betrages durch Beschluss für drei Jahre aufrecht. 2Die Frist beginnt mit Rechtskraft des Urteils. 3Sichergestellte Vermögenswerte soll es bezeichnen. 4§ 917 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. 5Soweit der Verletzte innerhalb der Frist nachweislich aus dem Vermögen befriedigt wird, das nicht beschlagnahmt oder im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden ist, hebt das Gericht die Beschlagnahme (§ 111c) oder den dinglichen Arrest (§ 111d) auf Antrag des Betroffenen auf. (4) 1Die Anordnung nach Absatz 3 sowie der Eintritt der Rechtskraft sind dem durch die Tat Verletzten unverzüglich durch das Gericht mitzuteilen. 2Die Mitteilung ist zu verbinden mit dem Hinweis auf die in Absatz 5 genannten Folgen und auf die Möglichkeit, Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung durchzusetzen. § 111e Abs. 4 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend. (5) 1Mit Ablauf der in Absatz 3 genannten Frist erwirbt der Staat die nach Absatz 2 bezeichneten Vermögenswerte entsprechend § 73e Abs. 1 des Strafgesetzbuchs sowie einen Zahlungsanspruch in Höhe des nach Absatz 2 festgestellten Betrages, soweit nicht 1. der Verletzte zwischenzeitlich wegen seiner Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung verfügt hat, 2. der Verletzte nachweislich aus dem Vermögen befriedigt worden ist, das nicht beschlagnahmt oder im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden war, 3. zwischenzeitlich Sachen nach § 111k an den Verletzten herausgegeben oder hinterlegt worden sind oder 4. Sachen nach § 111k an den Verletzten herauszugeben gewesen wären und dieser die Herausgabe vor Ablauf der in Absatz 3 genannten Frist beantragt hat. 2Zugleich kann der Staat das durch die Vollziehung des dinglichen Arrestes begründete Pfandrecht nach den Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung verwerten. 3Der Erlös sowie hinterlegtes Geld fallen dem Staat zu. 4Mit der Verwertung erlischt der nach Satz 1 entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs zurückbleibt.
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(6) 1Das Gericht des ersten Rechtszugs stellt den Eintritt und den Umfang des staatlichen Rechtserwerbs nach Absatz 5 Satz 1 durch Beschluss fest. 2§ 111l Abs. 4 gilt entsprechend. 3Der Beschluss kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. 4Nach Rechtskraft des Beschlusses veranlasst das Gericht die Löschung der im Bundesanzeiger nach Absatz 4 vorgenommenen Veröffentlichungen. (7) 1Soweit der Verurteilte oder der von der Beschlagnahme oder dem dinglichen Arrest Betroffene die hierdurch gesicherten Ansprüche des Verletzten nach Ablauf der in Absatz 3 genannten Frist befriedigt, kann er bis zur Höhe des dem Staat zugeflossenen Verwertungserlöses Ausgleich verlangen. 2Der Ausgleich ist ausgeschlossen, 1. soweit der Zahlungsanspruch des Staates nach Absatz 5 Satz 1 unter Anrechnung des vom Staat vereinnahmten Erlöses entgegensteht oder 2. wenn seit dem Ablauf der in Absatz 3 genannten Frist drei Jahre verstrichen sind. (8) In den Fällen des § 76a Abs. 1 oder 3 des Strafgesetzbuchs sind die Absätze 2 bis 7 auf das Verfahren nach den §§ 440 und 441 in Verbindung mit § 442 Abs. 1 entsprechend anzuwenden. Schrifttum siehe bei § 111b.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt. Sie lautete seither: Soweit im Urteil lediglich deshalb nicht auf Verfall oder Verfall des Wertersatzes erkannt wird, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches entgegenstehen oder weil das Verfahren nach den §§ 430, 442 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt wird, kann die Beschlagnahme nach § 111c für die Dauer von höchstens drei Monaten aufrechterhalten werden, sofern die sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre.
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.20071 wurde die Norm umfassend erweitert. Beschränkte sich § 111i a.F. noch auf einen Satz mit zwei unterschiedlichen Anwendungsfällen, umfasst die Norm nun 3 Anwendungsfälle und acht Absätze. § 111i stellt damit in seiner neuen Fassung die größte und umfangreichste Änderung durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten dar. In den Absätzen 2 bis 7 ist der Auffangrechtserwerb des Staates geregelt. Er ist möglich, wenn wegen Ansprüchen Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB eine eigentlich angezeigte Verfallsanordnung ausscheidet. Außerdem wird durch die Gesetzesänderung klargestellt, dass die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen auch für die Fälle des dinglichen Arrestes gilt.2 Mit der Einbeziehung von §§ 73d und 76a StGB in Absatz 8 ist eine lückenlose Anwendung des Auffangrechtserwerbes garantiert. Im Interesse des Opferschutzes wurde die Möglichkeit der Rückgewinnungshilfe auf drei Jahre nach dem Urteil erweitert und die Position des Verletzten somit gestärkt.
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BTDrucks. 16 700 S. 15.
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Übersicht Rn. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . B. Beschränkung des Verfahrens nach den §§ 430 und 442 Abs. 1, Abs. 1 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelfragen 1. Beschränkung des Verfahrens, §§ 430, 442 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . 2. Sofortige Aufhebung dem Verletzten gegenüber unbillig . . . . . . . . . . 3. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 6. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . 8. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verhältnis zu Abs. 2 bis 7 . . . . . . . C. Staatlicher Auffangrechtserwerb, Abs. 2 bis 7 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Feststellungen des Gerichts, Abs. 2 . . 1. Entgegenstehende Ansprüche des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . 2. Feststellungen im Urteil . . . . . . . 3. Ermessen des Gerichts . . . . . . . 4. Bezeichnung des Erlangten, Abs. 2 Satz 2 und 3 . . . . . . . . . . . . a) Gesamtschuldnerhaftung . . . . . b) Feststellungen in Urteilsformel und Urteilsgründen . . . . . . . . . . 5. Abzüge nach Abs. 2 Satz 4 . . . . . a) Satz 4 Nr. 1 . . . . . . . . . . . b) Satz 4 Nr. 2 . . . . . . . . . . . c) Satz 4 Nr. 3 . . . . . . . . . . . 6. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . III. Aufrechterhaltung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest, Abs. 3 . . . . . 1. Aufrechterhaltung durch Beschluss, Abs. 3 Satz 1 . . . . . . . . . . . . 2. Beginn der Frist, Abs. 3 Satz 2 . . . 3. Bezeichnung der sichergestellten Vermögenswerte, Abs. 3 Satz 3 . . . 4. Kein Arrestgrund erforderlich, Abs. 3 Satz 4 . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Freigabe von Vermögenswerten auf Antrag des Betroffenen, Abs. 3 Satz 5 6. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . .
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Rn. IV. Mitteilungspflichten gegenüber dem Verletzten, Abs. 4 . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Unverzügliche Mitteilung, Abs. 4 Satz 1 3. Sonstige Hinweise, Abs. 4 Satz 2 . . . 4. Art der Mitteilung, Abs. 4 Satz 3 . . . 5. Folgen einer fehlerhaften Mitteilung . V. Auffangrechtserwerb des Staates, Abs. 5 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Auffangrechtserwerb, Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschlusstatbestände, Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwertungsrecht des Staates, Abs. 5 Satz 2 bis 4 . . . . . . . . . . . . . . 5. Zuständigkeit zur Verwertung und zum Erlösgehalt . . . . . . . . . . . . . . VI. Feststellungen des Rechtserwerbs durch Beschluss, Abs. 6 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfragen a) Beschluss, Abs. 6 Satz 1 und 2 . . . b) Sofortige Beschwerde, Abs. 6 Satz 3 c) Folgen der Rechtskraft des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . aa) Vollstreckung . . . . . . . . . bb) Löschungspflichten im Bundesanzeiger, Satz 4 . . . . . . . . d) Form . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausgleichsanspruch des Betroffenen, Abs. 7 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen des Abs. 7 Satz 1 . . 3. Ausschluss des Ausgleichsanspruchs, Abs. 7 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . VIII. Anwendung auf das objektive Verfallsverfahren, Abs. 8 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektives Verfallsverfahren, § 76a Abs. 1 oder 3 . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . D. Sonstiges I. Strafbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslagen der Staatskasse . . . . . . . .
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Alphabetische Übersicht Abwägung der Interessen des Verletzten und des Betroffenen 6 Anspruch übergangsfähig 51 Art der Mitteilung 36 Auffangrechtserwerb 13, 56 Auslagen der Staatskasse 57 Ausschluss des Ausgleichsanspruchs 52 Ausschlusstatbestand 38 Befriedigung des Verletzten 40
Beginn der Frist 28 Beschluss nachholen 9 Beschränkung des Verfahrens 4 Beschwerde 32 Bezeichnung der sichergestellten Vermögenswerte 29 Bezeichnung des Erlangten 18 Deklaratorischer Beschluss 2 Deklaratorische Natur 43
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Eintritt des Rechtserwerbs 50 Entgegenstehende Ansprüche des Verletzten 15 Ermessen der Staatsanwaltschaft 7 Ermessen des Gerichts 17 Erweiterter Verfall 35 Feststellungen im Urteil 16 Feststellungen in der Urteilsformel 44 Feststellungen in Urteilsformel und Urteilsgründen 20 Forderungsübergang 31 Form 33 Freigabe von Vermögenswerten 31 Frist 6 Fundvorschriften 1 Gegenstand der Beschwerde 45 Gesamtschuldnerhaftung 19 Gesetzgeberisches Ziel einer Norm 17 Gesetzliches Verwertungsrecht 47 Herausgabeberechtigte 10 Information der Verletzten 29 Justizfiskus 42 Kein Arrestgrund erforderlich 30 Kompensation 14 Kompensation von Opferansprüchen 21 Kosten der Vollstreckung 57 Lager 23 Löschung 36 Löschungspflichten 46 Löschungspflichten im Bundesanzeiger 48 Mittäter 15 Mündliche Verhandlung 55 Nebenkläger 25 Notfrist 28 Objektives Verfallsverfahren 54 Obligatorische Entscheidung 26
Opferinteressen 19 Opferschutz 3 Pflichtgemäßes Ermessen 12 Planwidrige Regelungslücke 11 Rechtskraft des Urteils 27 Rechtsmittel 25 Schadenskompensation 24 Schuldhaftes Zögern 34 Sofortige Aufhebung dem Verletzten gegenüber unbillig 5 Sofortige Beschwerde 45 Strafbefehl 56 Teilweise Aufrechterhaltung 48 Unschuldsvermutung 53 Unverzügliche Mitteilung 34 Urteilsformel 18 Urteilstenor 20 Verbleibender Zahlungsanspruch 49 Vereitelungsgefahr 30 Verfahren 55 Verfahrensökonomie 4 Verfahrensverzögerung 8 Verletzten 39 Verwertung 52 Verwertungsrecht des Staates 41 Vollständig unterlassene Mitteilung 37 Vollstreckung 47 Von Strafe absieht 54 Zivilrechtlicher Titel 5 Zugunsten des Staates 16 Zuständigkeit 7 Zuständigkeit zur Verwertung und zum Erlösgehalt 42 Zwangsvollstreckung 22, 41
A. Allgemeines 1
Die Änderungen in § 111i bilden das Kernelement der Reformierung der Vermögensabschöpfungsmaßnahmen nach den §§ 111b ff. Die wesentliche Schwäche der früheren Regelung lag darin, dass vorläufig gesicherte Vermögenswerte an den Täter zurückgegeben werden mussten, wenn eine Verfallsanordnung wegen Ansprüchen von Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausschied.3 Machten Verletzte ihre Ansprüche nicht geltend, konnte der Täter den Tatgewinn behalten. Durch die Neuregelung kann dies nun verhindert werden, indem es zu einem Auffangrechtserwerb des Staates kommt. Eine entsprechende Anwendung der Fundvorschriften, mit der sich die Praxis bisweilen zu helfen versuchte,4 wird damit entbehrlich.5 Die Reformierung des § 111i führte dazu, dass Absatz 1 nunmehr auf die Fälle begrenzt ist, in denen das Verfahren nach den §§ 430 und 442 Abs. 1 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt worden ist und eine sofortige Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen dem Verletzten gegenüber unbillig wäre. Die Regelung entspricht dem § 111i Alt. 2 a.F. Der Gesetzgeber hielt es dabei für angemessen, die Dreimonatsfrist in Absatz 1 unangetastet zu lassen und im Übrigen klarzustellen,
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BTDrucks. 16 700 S. 14. Siehe etwa BGH NStZ 1984 409, 410.
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dass die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen auch für die Fälle des dinglichen Arrestes6 gelten soll.7 § 111i Alt. 1 a.F. ist nun ausführlich in den Absätzen 2 bis 7 geregelt und kommt in den Fällen des Absatzes 1 nicht zur Anwendung.8 Absatz 8 erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift auf die Fälle des objektiven Verfahrens nach § 76a Abs. 1 oder 3 StGB. Im Bußgeldverfahren sind die Absätze 2 bis 7 nicht anwendbar, da es im Ordnungswidrigkeitenrecht an einer § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entsprechenden Regelung fehlt.9 Der Auffangrechtserwerb des Staates vollzieht sich dergestalt, dass zunächst das 2 Gericht im Urteil feststellt, dass es lediglich deshalb nicht auf Verfall nach §§ 73 ff. StGB erkannt hat, weil Ansprüche Verletzter nach § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB entgegenstanden. Im Folgenden benennt es, was der Täter durch die Tat erlangt hat, Absatz 2. Damit skizziert das Gericht bereits den potentiellen Umfang des Rechtserwerbs des Staates nach Ablauf der Dreijahresfrist. Nach Absatz 3 werden Beschlagnahme oder dinglicher Arrest alsdann für den Zeitraum von drei Jahren aufrechterhalten. Vollstrecken Verletzte in dieser Zeit nicht in die Gegenstände und werden sie auch sonst nicht durch den Täter befriedigt, fallen diese Gegenstände dem Staat anheim.10 Der Verletzte ist nach Absatz 4 über diese Aufrechterhaltung zu informieren. Liegt kein Ausnahmetatbestand vor, erwirbt der Staat mit Ablauf der Dreijahresfrist die gesicherten Vermögenswerte, Absatz 5. Der Rechtserwerb wird durch deklaratorischen Beschluss11 nach Absatz 6 festgestellt, der mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist. Absatz 7 konstatiert einen Ausgleichsanspruch des Täters gegenüber dem Staat, sofern er den Verletzten nach Ablauf der Dreijahresfrist und damit nach dem Rechtserwerb durch den Staat befriedigt hat. Wollte man die Norm zeitlich strukturieren, ließe sich feststellen, dass die Absätze 2 bis 4 für den Zeitraum von der Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen im Urteil bis zum Ablauf der Dreijahresfrist gelten, die Absätze 5 bis 7 für die Zeit danach.
B. Beschränkung des Verfahrens nach den §§ 430 und 442 Abs. 1, Abs. 1 I. Allgemeines Nach § 111i Abs. 1 kann das Gericht Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111c und 111d 3 für die Dauer von höchstens drei Monaten aufrechterhalten, soweit das Verfahren nach §§ 430 und 442 Abs. 1 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt worden ist und die sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre. Hintergrund dieser Regelung ist der Opferschutz. Wird nämlich das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt, mit anderen Worten von einer Entscheidung über Verfall und Einziehung abgesehen, fehlt es an „Gründen“ i.S.d. § 111b Abs. 1, 2 und 5, dass es am Ende des Verfahrens zu Maßnahmen nach den §§ 73 ff., 74 ff. StGB oder der Rückgewinnungshilfe kommen wird. Damit müsste die Beschlagnahme oder der dingliche Arrest an sich umgehend aufgehoben werden, da ihre Voraussetzungen entfallen sind (vgl. § 111b, 36).12 Der Verletzte würde dadurch um die Möglichkeit gebracht, prioritär gegenüber nicht aus der Straftat verletzten Gläubigern in die zuvor gesicherten Vermögensgegenstände vollstrecken zu können. Das mit dem objektiven Verfahren verfolgte Ziel der Verfahrensbe-
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KK/Nack 1. BTDrucks. 16 700 S. 15. BTDrucks. 16 700 S. 15. KK/Nack 2.
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BTDrucks. 16 700 S. 9. KK/Nack 2. KMR/Mayer 2; SK/Rogall 2.
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schleunigung würde sich somit einseitig zu Lasten des Verletzten auswirken. Um einen angemessenen Ausgleich zwischen Verfahrensbeschleunigung und den Interessen des Verletzten erreichen zu können, erlaubt Absatz 1 zum Schutz des Verletzten die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen trotz fehlender Anordnungsvoraussetzungen für die Dauer von maximal drei Monaten und stellt damit eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass eine Sicherungsmaßnahme umgehend aufzuheben ist, wenn ihre Anordnungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen.13 Im selbstständigen Verfahren nach §§ 440, 442 Abs. 1 ist eine Beschränkung des Verfahrens auf die anderen Rechtsfolgen denklogisch ausgeschlossen, weshalb Absatz 1 auch vom Verweis in Absatz 8 ausgenommen ist.14 Wurde das Verfahren nach §§ 154 oder 154a eingestellt, gelten die bei § 111g, 24 dargestellten Grundsätze.
II. Einzelfragen 4
1. Beschränkung des Verfahrens, §§ 430, 442 Abs. 1. § 430 Abs. 1 ist die Ausgangsnorm des beschränkten Verfahrens. Sie gilt von ihrem Wortlaut allerdings nur für die Einziehung und wird deshalb durch § 442 Abs. 1 auf die Fälle des Verfalls, der Vernichtung, der Unbrauchbarmachung und der Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes erweitert. Verfall und Einziehung umfassen dabei sämtliche Maßnahmen nach den §§ 73 ff., 74 ff. StGB,15 so etwa auch Verfall oder Einziehung des Wertersatzes. Das objektive Verfahren ermöglicht dem Gericht, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens von einer Entscheidung über Einziehung oder Verfall abzusehen und das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen zu beschränken. Damit kann das Verfahren vereinfacht, beschleunigt und sogar einem Rechtsmittel der Boden entzogen werden.16 Ähnlich wie das Verfahren der §§ 154, 154a dient das objektive Verfahren damit der Verfahrensökonomie.17 Unerheblich ist daher auch, ob die materiellen Verfallsvoraussetzungen vorliegen, das muss nicht geprüft werden.18 Das Verfahren setzt nur voraus, dass Einziehung oder Verfall neben der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht ins Gewicht fallen, Einziehung oder Verfall das Strafverfahren mit einem unangemessenen Aufwand belasten oder die Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschwert wird. Das Verfahren kann unabhängig davon beschränkt werden, ob das Strafgesetzbuch die Anordnung der Maßnahme nach materiellem Recht in das Ermessen des Gerichts stellt oder es sich um eine zwingende Anordnung handelt.19 Allerdings muss festgestellt werden, dass eine Verfallsanordnung an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB gescheitert wäre,20 da andernfalls die sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten schon nicht unbillig sein kann. Hierbei muss jedoch nur festgestellt werden, dass Ansprüche Verletzter der Verfallsanordnung grundsätzlich entgegenstehen. Ausführungen zur Höhe des Erlangten sind schon aufgrund des Beschleunigungszwecks des objektiven Verfahrens nicht erforderlich.21 Ob das Verfahren beschränkt wird, entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Gerichts.22 Sie hat ihre Entscheidung aktenkundig zu machen, § 430 Abs. 2. Das Gericht
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OLG Stuttgart Justiz 2002 65 f. SK/Rogall 9. Meyer-Goßner 3. Meyer-Goßner § 430, 1. KK/Nack 7. SK/Rogall 8; KK/Nack 3.
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Meyer-Goßner § 430, 1. KMR/Mayer 3; SK/Rogall 10. SK/Rogall 10; wohl auch KK/Nack 3. LR/Gössel § 430, 12 ff.; Meyer-Goßner § 430, 7.
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kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens wieder aufheben und hat einem darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen, § 430 Abs. 3 Satz 1 und 2. Der Angeklagte ist entsprechend § 265 hinzuweisen, § 430 Abs. 3 Satz 3. Ist das Urteil mit der Revision angefochten worden, kann das Revisionsgericht eine Verfahrensbeschränkung sowohl bezüglich der Höhe, als auch des Umfangs des Verfalls anordnen.23 Hebt das Revisionsgericht nur die Verfallsanordnung auf, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen, kann es sachgerecht sein, die Sache zur Entscheidung über eine Fristverlängerung nach Absatz 1 zurückzuverweisen.24 Den Verfahrensbeteiligten steht gegen eine gerichtliche Beschränkung oder Wiedereinbeziehung der Beschwerdeweg nicht offen.25 Nach Erhebung der Anklage ist das (Revisions-)Gericht für die Entscheidung über die Beschränkung zuständig, bedarf jedoch der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, § 430 Abs. 1.26 Gegen die Anordnung ohne die Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder die unterbliebene Wiedereinbeziehung trotz eines entsprechenden Antrags kann sich die Staatsanwaltschaft nicht beschweren.27 Zu den Möglichkeiten des Privat- und Nebenklägers siehe § 430, 20. 2. Sofortige Aufhebung dem Verletzten gegenüber unbillig. Die Sicherungsmaßnahmen 5 dürfen nur dann bis zu drei Monaten aufrechterhalten werden, wenn eine sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre. Der Begriff der Billigkeit entspricht dem lateinischen Rechtsbegriff des „bonum et aequum“. Unbillig ist danach, was dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspricht.28 Kann der Verletzte ohnehin nicht zur Zwangsvollstreckung in die gesicherten Vermögenswerte nach §§ 111g und 111h zugelassen werden, weil es an einem aus der Straftat erwachsenen Anspruch mangelt, benachteiligt ihn die Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen nicht unbillig.29 Unbillig wäre es jedoch, eine Maßnahme aufzuheben, obwohl der Verletzte in der Vergangenheit alles Mögliche und Zumutbare getan hat, um sich einen zumindest vorläufig vollstreckbaren, zivilrechtlichen Titel zu verschaffen,30 ihm dies aber nicht gelungen ist.31 An den Begriff der Billigkeit dürfen im Rahmen des § 111i nicht zu strenge Maßstäbe angelegt werden,32 da Ziel der Reformierung der Norm gerade die Stärkung der Opferrechte war. Nur weil der Verletzte (noch) unbekannt ist, muss die Maßnahme nicht aufgehoben werden.33 Ist jedoch erkennbar nicht mehr mit der Erlangung eines Titels34 oder einer Vollstreckung in die gesicherten Vermögenswerte innerhalb der 3 Monatsfrist zu rechnen, scheidet eine Aufrechterhaltung sowohl bei bekannten35 als auch bei unbekannten Verletzten36 aus. Denkbar ist dies etwa dann, wenn sich der Verletzte ausdrück-
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KK/Nack 9. BGH NStZ 2006 621. KK/Schmidt § 430, 9; Meyer-Goßner § 430, 9. LR/Gössel § 430, 14; Meyer-Goßner § 430, 7. KK/Schmidt § 430, 9; Meyer-Goßner § 430, 9. BGH NJW 1973 749, NJW 1980 1462 jeweils zur Auslegung im Rahmen des § 1381 BGB. KMR/Mayer 3; SK/Rogall 10. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 49; HK/Gercke 3; HK-GS/Hartmann 3.
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Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; KMR/Mayer 5. AnwK-StPO/Lohse 7. BGH NStZ 1984 409, 410; HK-GS/Hartmann 3; KK/Nack 8; KMR/Mayer 4; SK/Rogall 7; Meyer-Goßner 3, wonach bei unbekannten Verletzten sogar in der Regel Unbilligkeit vorliegt; a.A. LR/Schäfer 25 3; HK/Gercke 3; AnwK-StPO/ Lohse 8, „nur bei bekannten Verletzten sinnvoll“. SK/Rogall 11. KMR/Mayer 4. KMR/Mayer 4; Meyer-Goßner 3.
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lich oder konkludent 37 nicht um eine Vollstreckung bemüht 38 oder auf seine Ansprüche verzichtet hat.39 Ausreichend ist hingegen, dass der Verletzte seine Ansprüche gegenüber dem Beschuldigten angemeldet und bisher aufgrund von Vergleichsverhandlungen von einer zivilrechtlichen Geltendmachung abgesehen hat.40 Eine Aufrechterhaltung soll auch ausscheiden, wenn die Durchsetzung der Ansprüche ohnehin aussichtslos ist.41
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3. Frist. Die Beschlagnahme oder der dingliche Arrest dürfen höchstens für die Dauer von drei Monaten aufrechterhalten werden.42 Die Verlängerungsanordnung wirkt sowohl gegenüber dem Beschuldigten, als auch gegenüber Drittbetroffenen.43 Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, indem erstmals eine Entscheidung nach § 430 ergeht. Wie dargestellt (Rn. 4) kann auch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nach § 430 Abs. 2 vorgehen und Verfall oder Einziehungsmaßnahmen von der Verfolgung ausschließen. Denkbar ist dies auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft bereits Vermögensgegenstände sichergestellt hatte. Die Sicherungsmaßnahme müsste dann alsbald aufgehoben werden, da die nach § 111b Abs. 1, 2 oder 5 erforderlichen „Gründe“ nicht (mehr) vorliegen, dass es zu einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung kommt. Auch in dieser speziellen Konstellation muss es dem Gericht möglich sein, auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Maßnahme bis zu drei Monate aufrechterhalten.44 Ansonsten stünden die Verletzten bei einer Beschränkung der Rechtsfolgen im Ermittlungsverfahren schlechter als bei einer solchen im Hauptsacheverfahren. Im Ermittlungsverfahren ist der Verletzte unter Umständen sogar noch mehr auf die Hilfestellung der Strafverfolgungsbehörden angewiesen, da er hier einen wesentlich kürzeren Zeitraum zur Verfügung hat, um sich einen zivilrechtlichen Titel zu verschaffen und auf die gesicherten Vermögenswerte zuzugreifen, als wenn bereits seit mehreren Monaten oder Jahren ein Verfahren gegen den Beschuldigten geführt wird und erst in der Hauptverhandlung nach § 430 vorgegangen wird. Zuständig ist auch in diesen Fällen der Ermittlungsrichter. Verfährt erst das Gericht im Hauptverfahren nach § 430 Abs. 1, ist die erste tatrichterliche Entscheidung, die nicht auf Verfall oder Wertersatz erkennt, als für den Fristbeginn maßgeblich anzusehen.45 Das kann ein mit dem Urteil gemeinsam ergehender Beschluss sein, muss es aber nicht.46 Denkbar ist auch, dass das Gericht bereits vor Urteilsverkündung durch einen Beschränkungungsbeschluss agiert, dann beginnt die Dreimonatsfrist mit dem Beschlusserlass.47 Auch auf die Rechtskraft des Urteils kommt es für die Fristberechnung niemals an.48 Die Aufrechterhaltung darf nicht im Urteilstenor vorgenommen werden, sondern bedarf eines eigenständigen Beschlusses. Die Verlängerungsentscheidung muss nicht unmittelbar eine Verlängerung von drei Monaten vorsehen, möglich ist auch eine wiederholte kürze Anordnung bis zu einem Maximalzeitraum49 von 3 Monaten.50 Ob und in welcher Höhe die Frist verlängert wird, entscheidet sich nach einer Abwägung der Inte-
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Siehe hierzu § 111b, 8. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10. BGH NStZ 2006 621. AnwK-StPO/Lohse 7. Die Durchsetzung von Forderungen in der Schweiz sei „nicht von vornherein aussichtslos, weil die Schweiz Vertragspartner des sog. Lugano-Übereinkommens … ist“, BGH NStZ 2006 621; Meyer-Goßner 3. Das KG hat schon im Jahr 2004 eine Verlängerung dieser Frist durch die Rechtsanwender ausgeschlossen, KG StV 2004 529.
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Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10. In diesem Sinne auch SK/Rogall 14. KMR/Mayer 6; HK-Gercke 4. KK/Nack 10 hält eine parallele Entscheidung für „zweckmäßig“. KK/Nack 10; a.A. Meyer-Goßner 4; SK/Rogall 12 Fn. 32. Schmid/Winter NStZ 2002 8, 10; AnwKStPO/Lohse 11; KK/Nack 10; KMR/Mayer 6. OLG Stuttgart Justiz 2002 65, 66. KK/Nack 10; KMR/Mayer 6; Meyer-Goßner 4; SK/Rogall 13.
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ressen des Verletzten und des Betroffenen.51 Maßgeblich hierfür ist, wie schwer die Verlängerung der Maßnahme den Betroffenen wirtschaftlich belastet,52 welche Möglichkeiten der Verletzte in der Vergangenheit hatte, sich einen zivilrechtlichen Titel zu verschaffen und die Zwangsvollstreckung zu betreiben, sowie sein Entschädigungsinteresse.53 Die Frist wird nach § 43 berechnet. Mit Ablauf der Frist werden Beschlagnahme und dinglicher Arrest gegenstandslos. Die Beschlagnahme endet ohne Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, der dingliche Arrest ist aufzuheben (§ 111e, 25 ff.).54 Trotz Kritik aus der Praxis55 hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Maximalfrist von drei Monaten nach Absatz 1 beizubehalten. Dies kann insbesondere in Umfangsverfahren der Wirtschaftskriminalität zu erheblichen Problemen für die Geschädigten führen, so dass eine Fristverlängerung auf bis zu 6 Monate wünschenswert gewesen wäre.56 Die Interessen des Betroffenen hätten dabei durch eine schrittweise Verlängerung permanent berücksichtigt werden können. 4. Zuständigkeit. Für die Verlängerungsanordnung ist grundsätzlich das Gericht zu- 7 ständig, das die Anordnungen nach §§ 111c und 111d im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung zu treffen hätte.57 Hat die Staatsanwaltschaft die Entscheidung nach § 430 Abs. 2 getroffen, ist für die Verlängerung der Frist nach Absatz 1 nach dem Wortlaut des § 111i an sich der Ermittlungsrichter, § 162, zuständig.58 Dieses Ergebnis verwundert unter dem Aspekt, dass es im Ermessen der Staatsanwaltschaft steht, ob und vor allem wann sie nach § 430 Abs. 2 vorgeht. Verfahrensökonomisch und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechend wäre daher, der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen auch die Zuständigkeit für die Verlängerungsanordnung zuzuschreiben, da sie faktisch ohnehin eine Verlängerung dadurch erreichen kann, dass sie die Maßnahme erst aufhebt, wenn sie es für richtig hält. Nimmt das Revisionsgericht die Verfahrensbeschränkung vor, sollte es aus Gründen der Verfahrensökonomie und des dem § 430 Abs. 1 zugrunde liegenden Beschleunigungsgrundsatzes ebenfalls für die Anordnung der Fristverlängerung zuständig sein.59 Die Entscheidung über die Fristverlängerung muss gemeinsam mit der Entscheidung nach § 430 ergehen, da ansonsten mit der Entscheidung nach § 430 die Sicherungsmaßnahmen aufzuheben wären,60 da keine „Gründe“ nach § 111b Abs. 1, 2 oder 5 mehr vorlägen, Rn. 2. 5. Verfahren. Die Aufrechterhaltung der Maßnahme kann das Gericht von Amts 8 wegen veranlassen, es bedarf keines Antrags des Verletzten.61 Der Verletzte wird aber regelmäßig darlegen müssen, dass die Aufhebung der Maßnahme ihm gegenüber unbillig wäre, da das Gericht in aller Regel von den zivilrechtlichen Bemühungen des Verletzten um die Verschaffung eines Titels keine Kenntnis haben wird. Hierzu kann er sich den Mitteln der Glaubhaftmachung62 bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zuge-
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OLG Stuttgart Justiz 2002 65, 66; HK/ Gercke 4; KMR/Mayer 6; Meyer-Goßner 4. OLG Stuttgart Justiz 2002 65, 66; KMR/ Mayer 6. Meyer-Goßner 4. OLG Hamm wistra 2008 38, 40. So schon Schmid/Winter NStZ 2002 8, 14; KK/Nack 11. Ausführlich dazu Schmid/Winter NStZ 2002 8, 14.
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KK/Nack 9; KMR/Mayer 8; Meyer-Goßner 5. SK/Rogall 14. KK/Nack 9. KMR/Mayer 7. HK/Gercke 5; KK/Nack 7; Meyer-Goßner 5. KK/Nack 8.
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lassen werden (siehe hierzu § 111g, 15). Beabsichtigt das Gericht, die Frist nach Absatz 1 in der Hauptverhandlung aufrechtzuerhalten, hat es die Staatsanwaltschaft und den Angeklagten zu hören, § 33 Abs. 1.63 Auch der Drittbetroffene kann gehört werden, sofern dies ohne Verfahrensverzögerung möglich ist.64 Soll die Maßnahme ohne Fristverlängerung aufgehoben werden, sollte jedenfalls der bekannte Verletzte gehört werden, sofern er ohne nennenswerte Verzögerung erreichbar und damit zu rechnen ist, dass er durch die Aufhebung unbillig belastet wird.65 Verlängert das Gericht die Maßnahme im Ermittlungsverfahren (Rn. 6) hat es ebenfalls den Beschuldigten zu hören. Eine Entscheidung nach Absatz 1 ist bis zur Rechtskraft zulässig. Da der dingliche Arrest nach Rechtskraft aber aufgehoben werden muss66 und nicht von selbst erlischt, kann eine Entscheidung nach Absatz 1 beim dinglichen Arrest auch noch nach Rechtskraft getroffen werden, sofern seither noch keine 3 Monate verstrichen sind.67
9
6. Form. Das Gericht entscheidet durch Beschluss,68 der zu begründen ist, § 34. In dem Beschluss muss der Zeitraum genannt werden, in dem die Sicherungsmaßnahme aufrechterhalten wird.69 Er muss bei Fristverlängerung darlegen, warum das Interesse des Verletzten jenes des Betroffenen überwiegt, bei Ablehnung der Aufrechterhaltung, warum die Interessen des Verletzten nicht überwiegen. Fehlen Angaben darüber, warum die sofortige Aufhebung dem Verletzten gegenüber unbillig ist und ergibt sich dies auch nicht aus dem Akteninhalt, ist der Beschluss aufzuheben.70 Ist der Beschluss unterblieben, etwa weil er neben dem Urteil vergessen wurde, kann er nachgeholt werden, soweit es um die Aufrechterhaltung des dinglichen Arrestes geht. Die Beschlagnahme endet hingegen mit der Rechtskraft des Urteils, Rn. 6. Die Dreimonatsfrist beginnt in diesem Fall jedoch nicht erst mit dem Erlass des (nachgeholten) Beschlusses, sondern schon mit der Entscheidung nach § 430 Abs. 1 selbst.71 Wurde die bisherige Anordnung nicht auf die Rückgewinnungshilfe nach § 111b Abs. 5, sondern auf Absatz 1 oder Absatz 2 gestützt, ist die Anordnung zusammen mit dem Aufrechterhaltungsbeschluss zu ändern.72 Eine unterbliebene Änderung macht die Aufrechterhaltung nicht unwirksam, da sie den Betroffenen nicht beschweren kann. Sie ist aber anfechtbar. Der Beschluss ist nach § 35 bekanntzumachen.73
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7. Rechtsbehelfe. Gegen die Verlängerungsentscheidung steht dem Angeklagten ebenso die Beschwerde zu, wie dem Verletzten74 gegen die Nichtverlängerung. Letzterer kann sich auch gegen eine aus seiner Sicht zu kurze Frist beschweren.75 Die Staatsanwaltschaft kann grundsätzlich immer Beschwerde einlegen, wenn sie von einer rechtsfehlerhaften Entscheidung des Gerichts ausgeht.76 Gegen eine Fristverlängerung soll auch der Herausgabeberechtigte beschwerdebefugt sein.77 Verlängert das Oberlandesgericht in erstinstanzlicher Entscheidung die Frist nach § 111i Abs. 1, ist gemäß § 304 Abs. 5 auch
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KK/Nack 12; KMR/Mayer 8; Meyer-Goßner 5. KK/Nack 12. KK/Nack 12. Dies bezweifelnd BGH NJW 2013 950, 952. KMR/Mayer 7; SK/Rogall 14. SK/Rogall 15; Meyer-Goßner 5. HK/Gercke 5. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 49. KMR/Mayer 7.
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KG Berlin StV 2004 529; SK/Rogall 10. Meyer-Goßner 5. Meyer-Goßner 22. KMR/Mayer 8. KMR/Mayer 8; KK/Nack 13; SK/Rogall 17. KK/Nack 13; Meyer-Goßner 22, wobei die in Bezug genommene Entscheidung des OLG Düsseldorf wistra 2009 207 gerade nicht den Fall des Absatz 1 betrifft.
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diese Entscheidung anfechtbar.78 § 304 Abs. 5 kann zwar nicht analog angewendet werden,79 die Verlängerungsanordnung nach Absatz 1 ist jedoch vom Begriff der Beschlagnahme (noch) umfasst. 8. Folgen. Beschließt das Gericht die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen, 11 kann der Verletzte auch nach dem Entfall der Anordnungsvoraussetzungen von Beschlagnahme oder dinglichem Arrest mit einem zivilrechtlichen Titel zur Zwangsvollstreckung in die gesicherten Vermögenswerte nach §§ 111g, 111h zugelassen werden.80 Die beweglichen Gegenstände bleiben im Besitz der Staatsanwaltschaft, es muss keine Herausgabe erfolgen. Erst mit Ablauf der (Dreimonats-)Frist sind die sichergestellten Vermögenswerte freizugeben.81 Hat der Verletzte bis dahin keine Maßnahmen der Zwangsvollstreckung veranlasst oder ist er unbekannt, steht aber fest, dass die Gegenstände aus der Tat herrühren, sollte nach wie vor der Weg über § 983 BGB analog zulässig sein.82 Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 111i n.F. davon aus, dass ein solcher Rückgriff entbehrlich würde, hat ihn aber nicht per se ausgeschlossen.83 Es ist deshalb davon auszugehen, dass er die vorgenannte Fallkonstellation schlicht nicht bedacht hat und deshalb nach wie vor eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Daran ändert auch nichts, dass die Beschränkung nach § 430 Abs. 1 in diesen Fällen nach § 430 Abs. 3 wieder aufgehoben und dann nach § 111i Abs. 2 bis 7 vorgegangen84 werden kann.85 Die Verfahrensverzögerungen, die mit diesem Vorgehen einhergehen, werden durch eine analoge Anwendung von § 983 BGB vermieden. Warum das Gericht nach Ablauf der Frist des Absatz 1 nicht nach Absatz 2 vorgeht, unterliegt nicht der Prüfung des Beschwerdegerichts.86 Nach Ablauf der Dreimonatsfrist sind die Sicherungsmaßnahmen auch dann aufzuheben, wenn über entsprechende Anträge nach §§ 111g, 111h noch nicht entschieden wurde.87 Dies belastet den Verletzten auch nicht unangemessen, denn er kann seine Rechte schon vor Zulassung der Zwangsvollstreckung sichern, indem er die Zwangsvollstreckung in die gesicherten Vermögenswerte betreibt und sich erst anschließend um eine entsprechende Zulassung bemüht, § 111g, 11. Die Zulassung wirkt – bei rechtzeitigem Antrag nach § 111g oder § 111h – im Verhältnis zu anderen Gläubigern auch noch nach der Aufhebung fort.88 Vgl. zum Ganzen § 111g, 20 ff. 9. Verhältnis zu Abs. 2 bis 7. Ob nach Absatz 1 oder Absatz 2 vorgegangen wird, 12 steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.89 Entsprechend den Ausführungen bei § 111b, 53 wird das Gericht dabei der gestiegenen Bedeutung des Opferschutzes gerecht werden müssen, hat aber gleichzeitig zu Gunsten des Beschuldigten den Beschleunigungsgrundsatz90 zu beachten. Der Vorgehensweise nach Absatz 2 bis 7 wird bei bekannten Verletzten regelmäßig der Vorrang einzuräumen sein,91 um dem gesetzgeberischen Willen einer umfassenden Wahrung der Opferrechte92 größtmögliche Geltung zu verschaffen.
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KK/Nack 13; SK/Rogall 16. BGHSt 29 13, 14. HK/Gercke 6. OLG Hamm wistra 2008 38, 40; LG Berlin wistra 2004 280. AnwK-StPO/Lohse 3; KK/Nack 11; MeyerGoßner 4. BTDrucks. 16 700 S. 14. OLG Hamm wistra 2008 38, 40. BTDrucks. 16 700 S. 15; KK/Nack 11. OLG Hamm wistra 2008 38, 40.
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90 91
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SK/Rogall 12; Meyer-Goßner 4. LG Berlin wistra 2004 280. KK/Nack 3; Lohse JR 2011 242, 244 hält ein Vorgehen nach Absatz 1 nur ausnahmsweise für angezeigt. KK/Nack 3. AnwK-StPO/Lohse 1; KK/Nack 3 insbesondere für den Fall, dass die Verletzten bekannt sind. AnwK-StPO/Lohse 5.
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§ 111i
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Sind Verletzte unbekannt und auch nicht zu ermitteln, sollte ebenfalls nach Absätzen 2 bis 7 vorgegangen werden,93 um den grundsätzlich vom Gesetzgeber in diesen Fällen vorgesehenen Auffangrechtserwerb des Staates zu ermöglichen, auch wenn dies gerade in Umfangsverfahren sehr viel Arbeit und Zeit in Anspruch nehmen kann,94 da die Absätze 2 bis 7 die Feststellung voraussetzen, dass die materiellen Verfallsvoraussetzungen vorliegen.95 Wurde zunächst nach Absatz 1 vorgegangen, kann die Verfahrensbeschränkung gem. § 430 Abs. 3 jederzeit wieder aufgehoben und nach den Absätzen 2 bis 7 vorgegangen werden.96
C. Staatlicher Auffangrechtserwerb, Abs. 2 bis 7 I. Allgemeines 13
Mit der Einführung der Absätze 2 bis 7 hat der Gesetzgeber versucht, die bis dahin vorhandenen Lücken der Vermögensabschöpfungsregeln zu schließen. Als Kernelement der Reform der §§ 111b ff. zielen die Absätze 2 bis 7 darauf ab, einen staatlichen Rechtserwerb von aus Straftaten erlangtem Vermögen zu ermöglichen.97 Die Neuregelungen sollen verhindern, dass sich der Täter einer Straftat durch die Tat gezielt und dauerhaft bereichern kann, sich die Vornahme einer deliktischen Handlung für ihn also finanziell lohnt.98 Voraussetzung für die Vorgehensweise nach den Absätzen 2 bis 7 ist, dass der Verfall nur deshalb nicht angeordnet werden kann, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Verfallsanordnung entgegenstehen. In diesen Fällen hat das Gericht die Möglichkeit, das aus der Tat „Erlangte“ genau zu bezeichnen, die vorläufige Vermögenssicherung für weitere drei Jahre aufrechtzuerhalten und dem Staat mit Ablauf der Dreijahresfrist einen Auffangrechtserwerb der sichergestellten Vermögenswerte zu ermöglichen. Wurde das Verfahren nach § 430 auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt, das heißt von einer Verfalls- oder Einziehungsentscheidung abgesehen (Rn. 4), scheidet ein Vorgehen nach Absätzen 2 bis 7 aus.99 Für den Verletzten bewirkt die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahme, dass der Zeitraum, in dem er sich einen zivilrechtlichen Titel verschaffen und aus diesem prioritär in die gesicherten Vermögenswerte vollstrecken kann,100 erheblich verlängert wird. Die Vorschriften können als strafprozessuales101 Korrelat zu § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verstanden werden, das die durch diese Regelung gerissenen Lücken zu schließen versucht. Auf nach §§ 154, 154a eingestellte Taten sind die Absätze 2 bis 7 nicht anwendbar,102 ebenso wenig auf vor dem 1.1.2007 beendete Taten.103
93
94 95 96 97 98
A.A. KK/Nack 3, wonach der Beschleunigungsgrundsatz ein Vorgehen nach Absatz 1 gebiete. KK/Nack 3. BTDrucks. 16 700 S. 15. KK/Nack 11. KMR/Mayer 9. Sehr kritisch zu § 111i, Bohne/Boxleitner NStZ 2007 552; ebenfalls skeptisch Mosbacher/Claus wistra 2008 1 ff.; gegen diese Bedenken zu Recht kritisch AnwK-StPO/ Lohse 2.
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99 100 101
102 103
BTDrucks. 16 700 S. 16; KMR/Mayer 9. Meyer-Goßner 1. Gleichwohl handelt es sich auch um Regelungen mit materiell-rechtlichen Elementen, vgl. BGH NJW 2008 1093, 1094. BGH NStZ-RR 2012 81, 82; MeyerGoßner 7. BGH NStZ-RR 2012 254; BGH NStZ 2009 275, 279; BGH NJW 2008 1093; Pananis NStZ 2008 579; Meyer-Goßner 20 m.w.N.; instruktiv KMR/Mayer 22.
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§ 111i
II. Feststellungen des Gerichts, Abs. 2 Hat das Gericht lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt, weil Ansprüche Verletzter 14 im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen, so kann es dies im Urteil feststellen und das vom Täter Erlangte bezeichnen. Hiervon hat es die Summe abzuziehen, in deren Höhe der Verletzte bereits befriedigt wurde, der Täter folglich schon Kompensation geleistet hat. Die Feststellungen enthalten faktisch eine aufschiebend bedingte Verfallsanordnung zugunsten des Staates.104 1. Entgegenstehende Ansprüche des Verletzten. Das Gericht darf lediglich deshalb nicht 15 zu einer Verfallsanordnung gelangt sein, weil § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dieser Anordnung entgegensteht. Zur den Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 siehe § 111b, 9. Aufgrund des Wortes „lediglich“ muss eine Feststellung nach Absatz 2 Satz 2 auch dann unterbleiben, wenn die Verfallsvoraussetzungen an sich vorliegen, zu Gunsten des Betroffenen aber beispielsweise die Härtefallklausel des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB greift.105 In einem solchen Fall wäre es widersinnig, materiell-rechtlich von einer Verfallsanordnung abzusehen und gleichzeitig einen Auffangrechtserwerb des Staates vorzubereiten. Das Gericht hat die Voraussetzungen des § 73c StGB für jeden Betroffenen einzeln zu prüfen,106 sofern die Sachlage Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bietet.107 Das kann dazu führen, dass bei Mittätern die Feststellungen nach Absatz 2 Satz 1 unterschiedlich hoch ausfallen.108 Scheidet die Anordnung des Verfalls aus einem anderen als dem in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Grund aus, ist kein Platz für eine Anordnung nach Absatz 2. Ein solcher Grund kann etwa sein, dass der Täter einen Vermögenswert nicht „aus“, sondern „für“ die Tat erlangt hat.109 „Für die Tat“ ist etwa die Belohnung für die Unterstützungshandlung eines Gehilfen erlangt, sie unterliegt in vollem Umfang dem Verfall, ohne dass Ansprüche Verletzter entgegenstünden. Maßnahmen nach Absatz 2 bis 7 kommen deshalb nicht in Betracht.110 2. Feststellungen im Urteil. Das Gericht hat die entsprechenden Feststellungen nach 16 Rn. 14 im Urteil zu treffen. Der Gesetzgeber wollte damit verdeutlichen, dass sich durch den Urteilsausspruch an sich noch kein Rechtserwerb des Staates vollzieht,111 sondern mit den Feststellungen nur der Umfang festgelegt wird, in dem sich ein staatlicher Auffangrechtserwerb überhaupt vollziehen kann. Mit den Feststellungen bestimmt das Gericht folglich den Maximalrahmen eines potentiellen Rechtserwerbs. Die nach drei Jahren gemäß Absatz 5 Satz 1 zu treffenden Feststellungen des Gerichts können nicht über jene des Absatz 2 Satz 1 hinausgehen, bleiben aber unter Umständen dahinter zurück, Rn. 40. Deshalb ist es wichtig, dass das Gericht die Feststellungen nach Absatz 2 Satz 1 umfassend und genau trifft, da dortige Feststellungsfehler in Bezug auf die betroffenen Gegenstände zugunsten des Staates nach Ablauf der Dreijahresfrist nicht mehr korrigiert werden können.
104 105
BGH NJW 2008 1093, 1094; Pananis NStZ 2008 579; HK/Gercke 10. BGH wistra 2012 264; BGH NStZ-RR 2011 342, 343; BGH wistra 2011 431; BGH NJW 2011 624, 625; in diesem Sinne auch Lohse JR 2011 242, 243; a.A. KMR/Mayer 10, da ansonsten den Verletzten die Möglichkeit genommen würde, auf die vorhandenen Vermögenswerte zuzugreifen.
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BGH wistra 2009 241, 242; MeyerGoßner 8. BGH vom 15.11.2012 – 2 StR 190/12 –; BGH wistra 2011 431; BGH NJW 2011 2529, 2530. BGH NJW 2011 624; HK-GS/Hartmann 4. BGH NStZ-RR 2012 81; Meyer-Goßner 7. BGH NStZ 2011 229; Meyer-Goßner 7. BTDrucks. 16 700 S. 16.
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3. Ermessen des Gerichts. Ob das Gericht von den Möglichkeiten des Absatz 2 Satz 1 Gebrauch macht, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen.112 Damit hat der Gesetzgeber den Gerichten einen Entscheidungsspielraum gewährt,113 in dessen Rahmen sie Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls nehmen können. Feststellungen nach Absatz 2 Satz 1 werden jedoch in aller Regel notwendig sein.114 Von entsprechenden Feststellungen kann das Gericht ausnahmsweise absehen,115 wenn dies im Hinblick auf den Resozialisierungsgedanken angezeigt ist und die Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung etwa auf die Ebene der Bewährung verlagert wird.116 Eine Nichtanordnung soll auch dann möglich sein, wenn der Täter bereits von den Verletzten zivilrechtlich in Anspruch genommen wurde und deshalb davon auszugehen ist, dass keine Tatgewinne bei ihm verbleiben werden.117 Argumentiert wird, im Rahmen des Absatz 2 sollten Aspekte der Verfahrensökonomie ebenfalls eine Rolle spielen,118 bei erheblichem justiziellem Aufwand soll daher ein Absehen von Feststellungen nach Absatz 2 als ermessensfehlerfrei hinzunehmen sein.119 Diese Argumente stehen jedoch in erkennbarem Widerspruch zur gesetzgeberischen Intention, von einer Entscheidung nach Absatz 2 nur in besonderen Ausnahmefällen120 abzusehen.121 Mit der vorgenannten Argumentation könnte in Umfangsverfahren letztlich immer von Feststellungen nach Absatz 2 abgesehen werden, da diese aufgrund der Gesetzessystematik per se zeitaufwändig122 sind und auch immer mit parallel laufenden Zivilprozessen gerechnet werden kann. Der Gesetzgeber hat sich jedoch grundlegend für eine zwar aufwändige, aber auch transparente Vorgehensweise im Rahmen des § 111i entschieden. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die richterliche Rechtsfindung in keinem Fall das gesetzgeberische Ziel einer Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen darf.123 Schon deshalb ist diese Auffassung bedenklich. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, dass bei einer verneinenden Ermessensentscheidung aus der Tat erlangte Vermögenswerte beim Täter verbleiben, etwa weil Verletzte nach dem Strafurteil von der (weiteren) Geltendmachung ihrer Forderungen absehen, sich einen aufwendigen Zivilprozess nicht (mehr) leisten können oder diesen aus anderen Gründen nicht durchhalten. Ein Absehen von Feststellungen nach Absatz 2 kommt deshalb nach wie vor nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Im Ermessen des Gerichts steht im Übrigen nur die Frage, ob es die entsprechenden Feststellungen trifft, indes nicht, in welcher Höhe124 und ob es die Feststellungen nur auf einen Teil der erlangten Vermögenswerte beschränkt.125 Andernfalls würden die Interessen der Verletzten in unange-
112 113 114
115 116 117
BGH NStZ 2010 693, 694; BGH wistra 2009 241, 242. BTDrucks. 16 700 S. 16. BGH vom 17.6.2009 – 2 StR 195/09 –: „… für Ausnahmefälle eingeräumte Ermessen …“; Hansen/Wolff-Rojczyk GRUR 2007 468, 475 „… regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sein.“, ebenso Lohse JR 2011 242, 244; KMR/Mayer 10 „kein freies Ermessen“; a.A. Mosbacher/Claus wistra 2008 1, 2. BGH NJW 2013 950, 951 f.; HK-GS/Hartmann 4; KMR/Mayer 10. BTDrucks. 16 700 S. 16; a.A. Mosbacher/ Claus wistra 2008 1, 2. BGH NJW 2013 950, 952.
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121 122 123 124 125
BGH NJW 2013 950, 952; HK/Gercke 8; KK/Nack 3; Mosbacher/Claus wistra 2008 1, 2; a.A. AnwK-StPO/Lohse 13. BGH NJW 2013 950, 952. Lohse JR 2011 242, 244, „Nur bei schwerwiegenden Umständen ist es statthaft, von dem gesetzlichen Regelfall des staatlichen Auffangrechtserwerbs abzuweichen.“ BTDrucks. 16 700 S. 16; kritisch auch AnwK-StPO/Lohse 13. Siehe zur Kritik daran Bohne/Boxleitner NStZ 2007 552, 553. BVerfG NJW 2013 1058, 1062. BTDrucks. 16 700 S. 16; Lohse JR 2011 242, 245; KMR/Mayer 10. Meyer-Goßner 8.
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messener Weise benachteiligt.126 Sind mehrere Personen von der Entscheidung betroffen, muss das Gericht für jeden Betroffenen individuelle Feststellungen nach Absatz 2 treffen,127 etwa wenn Mittäter unterschiedliche Vermögenswerte erlangt haben. Hier ist immer zu beachten, was der einzelne Täter tatsächlich selbst,128 zur eigenen Verfügung erlangt hat. Eine pauschale Bezugnahme auf die vorläufig gesicherten Vermögenswerte scheidet aus.129 Wenn das Gericht ausnahmsweise keine Feststellungen zu dem vom Täter Erlangten trifft, hat es jedenfalls zu prüfen, ob nicht eine Anwendung der §§ 430 Abs. 1, 442 nach Absatz 1 angezeigt ist.130 Das Gericht muss seine Entscheidung näher begründen und darf nicht lediglich pauschal darauf verweisen, diese folge aus § 111i.131 Das Revisionsgericht kann eine eigene Entscheidung, ob Feststellungen nach Absatz 2 getroffen werden, nicht treffen.132 4. Bezeichnung des Erlangten, Abs. 2 Satz 2 und 3. Liegen die Voraussetzungen des 18 Satz 1 vor, hat das Gericht das Erlangte133 zu bezeichnen. Der Begriff des „Erlangten“ ist dabei in demselben Sinn zu verstehen wie in §§ 73, 73a StGB.134 Die Feststellungen gehören in das Urteil, genauer in die Urteilsformel, nicht in einen gesonderten (Feststellungs-)Beschluss.135 Im Beschlusswege wird nur über die weitere Aufrechterhaltung der Beschlagnahme und des dinglichen Arrestes entschieden, Absatz 3 Satz 1 (Rn. 27). Anders als die Entscheidung, ob Feststellungen nach Satz 1 getroffen werden, ist Satz 2 als „Muss-Vorschrift“ ausgestaltet. Das Gericht hat dabei die Unterscheidung zwischen Satz 2 und 3 zu beachten und bei Vorliegen beider Voraussetzungen jeweils kumulative Feststellungen zu treffen.136 Einzelne, dem Verfall unterliegende und sichergestellte Gegenstände,137 hat es genau zu bezeichnen. Eine schlichte Bezugnahme auf die Anklageschrift138 oder den Akteninhalt, ist unzulässig. Daneben hat es im Falle, etwa des dinglichen Arrestes zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz, in der Urteilsformel festzustellen, „dass gegen den Angeklagten139 … wegen eines Geldbetrages in Höhe von … lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen“.140 Hat das Gericht (nur) Teile der Beute als Bargeld beschlagnahmt, hat es ebenfalls entsprechende Feststellungen nach Absatz 2 Satz 2 und kumulativ nach Satz 3 zu treffen. Der Wert des sichergestellten Teils der Beute darf nicht in die Feststellungen zum Wertersatzverfall nach Absatz 2 Satz 3 mit eingerechnet werden.141 Mit dem in Absatz 2 Satz 3 verwendeten Begriff „insoweit“ verdeutlicht der Gesetzgeber, dass sich die Voraussetzungen des § 73a StGB auf das Erlangte im Sinne der Sätze 1 und 2 beziehen müssen.142 Im Rahmen der Feststellungen hat das Gericht bereits zu berücksichtigen, ob das vom Täter „Erlangte“ geschmälert wurde, etwa durch Verfügungen nach Absatz 2
126 127 128 129 130 131 132 133
134
BTDrucks. 16 700 S. 16; BGH NJW 2011 624, 626. BGH NJW 2011 624. BGH NStZ 2010 390. Lohse JR 2011 242, 245. BTDrucks. 16 700 S. 16. BGH wistra 2009 241, 242. BGH wistra 2009 241, 242. Zu Begriff des Erlangten: Sanktionierung eines formellen Verstoßes gegen einen Genehmigungsvorbehalt BGH NJW 2012 1159 f. BGH wistra 2011 113.
135 136 137 138 139 140
141 142
BGH NStZ 2010 344, 345. BGH wistra 2009 241, 242; KMR/ Mayer 11. BTDrucks. 16 700 S. 16. AnwK-StPO/Lohse 15. Bei mehreren Angeklagten; ansonsten ist dieser Satzteil entbehrlich. BGH NJW 2011 624, 627; andere Formulierungsbeispiele mit Nennung der einzelnen Verletzten bei BGH vom 20.10.2009 – 4 StR 340/09 –. BGH wistra 2009 241, 242. BTDrucks. 16 700 S. 16.
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Satz 4.143 Ist dies der Fall, müssen alleine diese Gegenstände / dieser (verringerte) Betrag, in der Urteilsformel bezeichnet werden.144 Die tatsächlich abgeführte Umsatzsteuer muss ebenfalls berücksichtigt werden,145 nicht jedoch Körperschafts- oder Einkommenssteuer.146 Andere Verluste wie besondere Aufwendungen des Täters, werden nicht berücksichtigt.147 Die Feststellungen sind auch im Strafbefehlsverfahren entsprechend zu treffen, § 409 Abs. 1 S. 3.148
19
a) Gesamtschuldnerhaftung. Umstritten ist die Frage, ob bei mehreren Tätern oder Teilnehmern von einer gesamtschuldnerischen Haftung149 der Beteiligten auszugehen und dies auch im Urteil festzustellen ist. Dagegen wird angeführt, die Anwendung des (zivilrechtlichen) Rechtsinstituts der gesamtschuldnerischen Haftung begegne sowohl bei § 73 Abs. 1 StGB als auch bei § 111i grundsätzlichen rechtlichen Bedenken.150 Es fehle bereits eine rechtliche Grundlage für die Anordnung, zum Ausfüllen dieser Lücke sei auch nicht auf das Zivilrecht zurückzugreifen.151 Die Gesamtschuld sei ein Fremdkörper im Strafrecht, denn anders als bei der gesamtschuldnerischen Haftung gehe es beim Verfall nicht etwa um die Verlagerung des Risikos der Haftungsverteilung in das Verhältnis der Schädiger untereinander, sondern um eine Beseitigung des unrechtmäßigen Vermögenszuwachses.152 Diese Argumente können jedoch nicht überzeugen.153 Bereits der Gesetzgeber ging von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beteiligten aus.154 Die gesamtschuldnerische Haftung ergibt sich problemlos aus der Anwendung der allgemeinen Verfallsregeln. Hat der Täter über die Beute verfügen können, ist es nur angemessen, ihm diese auch in voller Höhe abzuschöpfen. Er wird dabei wirtschaftlich nicht stärker belastet, als er auch zuvor wirtschaftliche Vorteile durch seine (Mit-)Verfügungsgewalt hatte.155 Der Verfall (insbesondere des Wertersatzes) weist den Tätern das wirtschaftliche Verlustrisiko ihres Handelns zu und gewährleistet, dass der Staat den Gesamtanspruch nur einmal erhält.156 Die gesamtschuldnerische Haftung dient des Weiteren den Opferinteressen und hat auch präventive Wirkung.157 Die Tatbegehung soll für den Täter wirtschaftlich nicht risikolos sein, wie dies etwa noch zu Zeiten der Geltung des Nettoprinzips der Fall war.158 Lehnte man eine gesamtschuldnerische Haftung ab, könnten Täter eine Verfallsanordnung gegen sich schon dadurch abwenden, dass sie Angaben über die Verteilung der Beute verweigern. Das Gericht hat keinen Einblick in diese Vor-
143 144 145 146 147 148 149
150 151 152 153
BGH NStZ 2010 693, 694. BGH NJW 2011 624, 625. Meyer-Goßner 9b. BGH NJW 2012 92, 93. BGH NJW 2011 624 f. BTDrucks. 16 700 S. 20; SK/Rogall 18. Vgl. zur Gesamtschuldnerhaftung bei der Vermögensabschöpfung eingehend da Rosa NJW 2009 1702. Spillecke NStZ 2010 569. Spillecke NStZ 2010 569; zweifelnd auch BGH NJW 2012 92 (5. Senat). Rönnau JZ 2009 1125, 1127. Für eine gesamtschuldnerische Haftung ebenso: BGH wistra 2012 147; BGH wistra 2011 113; BGH NStZ-RR 2011 343; HK/Gercke 9; Meyer-Goßner 9a; offengelassen: BGH NStZ 2012 267, 268.
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154 155
156 157
158
BGH NJW 2011 624, 625 (4. Senat) mit Nachweisen. BVerfG wistra 2004 378, 382 „Ausreichend ist, dass die Vermögenswerte zu irgendeinem Zeitpunkt, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum, zugeflossen sind.“; BGH NJW 2011 624 (4. Senat); Lohse JR 2011 242, 243; da Rosa NJW 2009 1702, 1703; Meyer-Goßner 9a. BGH NJW 2011 624, 626 (4. Senat). BGH NJW 2011 624, 626 (4. Senat); i.E. ebenso Meyer-Goßner 9a; zu den Präventivwirkungen des Verfalls instruktiv BGH NStZ 2007 74, 75. BGH NStZ 2007 74, 75.
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gänge und müsste von einer Verfallsanordnung absehen, obwohl die Täter möglicherweise nachweisbar Vermögenswerte als Gruppe erhalten haben.159 Genauso wenig überzeugt, dass derjenige, der als „Kommissionär“ Betäubungsmittel verkauft und den Verkaufserlös ohne Abzug seiner Kommission an den Lieferanten weitergibt, in voller Höhe des Verkaufserlös mit einer Verfallsanordnung belastet160 und damit schlechter gestellt wird als diejenigen, die gemeinsam Betäubungsmittel verkaufen und sich in der Hauptverhandlung dahingehend einlassen, der jeweils andere habe die Verfügungsmacht über den Verkaufserlös innegehabt.161 Bei der Gegenansicht führt Mittäterschaft bei geschickter Einlassung zum Verfallsausschluss. Gelingt der Nachweis einer (Mit-)Verfügungsgewalt über den Beuteanteil, bleibt dem Gericht die Bejahung eines Härtefalls nach § 73c Abs. 1 StGB unbenommen.162 Dies führt dazu, dass eine Feststellung nach Absatz 2 ausscheidet oder zu reduzieren ist (Rn. 15).163 Für die Annahme einer Verfallsanordnung ist nicht ausreichend, dass die Mittäter Mitverfügungsgewalt lediglich in ihrem Tatplan vorgesehen haben, es hierzu aber letztlich nicht gekommen ist.164 Die Gründe für das Scheitern sind unerheblich. Dies kann sowohl daraus resultieren, dass keiner der Mittäter eine geplante Vermögensposition erlangt hat oder aber, dass in Abweichung des Tatplans ein Täter die Verfügungsmacht ausschließlich begründet hat, denn § 111i verlangt, dass der Betroffene tatsächlich etwas erlangt hat. Ein lediglich entsprechender Tatplan begründet eine solche Verfügungsposition nicht.165 Andernfalls würden im Vorfeld der Tatbegehung getroffene Absprachen, die sich anschließend nicht umsetzen lassen, einem tatsächlichen Vermögenszuwachs gleichgestellt, obwohl das ledigliche „Erhalten wollen“ von geringerer Qualität ist, als die tatsächliche Verfügungsmacht.166 Ein „Versuchsverfall“ ist dem Gesetz fremd. Fließen die Vermögenswerte den Tätern getrennt zu und haben die einzelnen Beteiligten keine Verfügungsgewalt über die von anderen Beteiligten erlangten Vermögenswerte, können Feststellungen nach Absatz 2 nur in dem Umfang erfolgen, in dem der einzelne Beteiligte Verfügungsgewalt über die Beute selbst erlangt hat.167 b) Feststellungen in Urteilsformel und Urteilsgründen. Den Anforderungen des 20 § 111i Abs. 2 genügt die Urteilsformel, wenn sie die dem Verfall unterliegenden Gegenstände bezeichnet, im Falle der §§ 73a, 73d Abs. 2 StGB den (End-)Betrag168 nennt, der dem Wert des Erlangten entspricht und ausführt, dass lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen (Rn. 15).169 Diese Ausführungen sind obligatorisch in den Urteilstenor aufzunehmen,170 sonstige Ausführungen sind fakultativ. Der Urteilstenor dient dazu, die begangene Tat zu beschreiben und die getrof-
159
160 161 162 163
164
BGH NJW 2011 624, 626 (4. Senat); siehe schon BGH NJW 1957 1078, 1079; da Rosa NJW 2009 1702, 1703. BGH NStZ 2007 74, 75. So auch Lohse JR 2011 242, 243. BGH NStZ 2007 74, 75; HK/Gercke 9; a.A. KMR/Mayer 10. BGH NJW 2011 624, 626; da Rosa NJW 2009 1702, 1703; Lohse JR 2011 242, 245; Meyer-Goßner 9a; a.A. Rönnau JZ 2009 1125, 1128, der ein solches Vorgehen für „systematisch deplatziert“ hält. Lohse JR 2011 242, 243 f.; offengelassen: BGH NJW 2011 624, 625 f.
165 166 167 168 169
170
Meyer-Goßner 7. Lohse JR 2011 242, 244. da Rosa NJW 2009 1702, 1703; Borggräfe/ Schütt StraFo 2006 133, 134. Lohse JR 2011 242, 245. BGH NJW 2011 624; BGH wistra 2011 430, „eine Aufzählung der Geschädigten im Einzelnen hat zu unterbleiben“. A.A. KK/Nack 14, wonach die Bezeichnung der sichergestellten Gegenstände auch in den Urteilsgründen erfolgen kann.
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fene Rechtsfolge zu dokumentieren.171 Er sollte grundsätzlich von allem freigehalten werden, was nicht unmittelbar der Erfüllung dieser Aufgaben dient.172 Die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung kann daher genauso in die Urteilsgründe verlagert werden173 wie die Nennung der Verletzten174 und die Ausführungen, warum Ansprüche des Verletzten entgegenstehen.175 Anders ist dies bei der Anordnung von Wertersatzverfall nach § 73a StGB. Hier hat das Gericht die gesamtschuldnerische Haftung schon im Tenor festzustellen, § 111b, 5. Ausführungen zu durchgeführten oder aufrechterhaltenen Sicherungsmaßnahmen sind auch in den Urteilsgründen entbehrlich.176 Ebenfalls entbehrlich ist, Vermögensgegenstände zu bezeichnen, in die Verletzte die Zwangsvollstreckung betreiben können.177
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5. Abzüge nach Abs. 2 Satz 4. Hat der Verletzte bereits im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung verfügt oder ist er nachweislich aus Vermögen befriedigt worden, das nicht beschlagnahmt oder im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden ist oder ist ihm die erlangte Sache nach § 111k herausgegeben worden, ist dies im Rahmen der Feststellungen nach Satz 2 und 3 von Amts wegen in Abzug zu bringen. Satz 4 stellt damit sicher, dass die Kompensation von Opferansprüchen berücksichtigt und der Täter nicht doppelt belastet wird. Das Gericht kann sich nach allgemeinen Grundsätzen dem Freibeweisverfahren bedienen, um an die notwendigen Informationen zu gelangen.178 Die Feststellungen nach Satz 4 dienen jedoch nicht dazu, verbindlich zu klären, ob und in welchem Umfang Ansprüche Verletzter ausgeglichen wurden.179 Diese Funktion erfüllt vielmehr Absatz 6 (Rn. 43 ff.). Besondere Ermittlungen brauchen daher für die Feststellungen nach Absatz 2 Satz 4 nicht durchgeführt zu werden.180
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a) Satz 4 Nr. 1. Es steht dem Verletzten jederzeit offen, seine aus der Tat gegen den Täter erlangten zivilrechtlichen Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung durchzusetzen. Fraglich ist jedoch, ob dies für jede Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gilt. So könnte etwa der aus der Straftat Verletzte die Zwangsvollstreckung betrieben haben, ohne sich um einen Zulassungsbeschluss nach § 111g bemüht zu haben. Die Zwangsvollstreckung wäre danach dem Staat gegenüber relativ unwirksam, müsste aber nach dem Wortlaut von Absatz 2 Satz 4 Nr. 1 gleichwohl berücksichtigt werden. Der Staat wiederum hätte einen Ersatzanspruch gegen den Verletzten aus der – ihm gegenüber – unwirksamen Zwangsvollstreckung. Mit Ablauf der Dreijahresfrist wäre die relative Unwirksamkeit nicht mehr zu beheben und der Staat könnte sich durch die Geltendmachung der relativen Unwirksamkeit faktisch durch die Straftat eines anderen zu Lasten des Verletzten bereichern, während der Verletzte auf dem aus der Straftat entstandenen Schaden zurück bleibt, weil er es versäumt hat, einen Zulassungsbeschluss zu erwirken. Diesem Problem kann auch nicht dadurch begegnet 171 172 173
174
Meyer-Goßner § 260, 20. BGH NJW 2011 624, 627; LR/Stuckenberg § 260, 31. BGH NJW 2011 624, 627; BGH wistra 2011 431; Meyer-Goßner 9a; Lohse JR 2011 242, 245, der auf die Gefahr hinweist, dass diese Feststellung dann vergessen wird. BGH wistra 2011 430; BGH NJW 2011 624; KMR/Mayer 11; anders BGH vom 20.10.2009 – 4 StR 340/09 –, die die Verletzten nennt.
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175 176 177 178 179 180
KK/Nack 14. BGH NJW 2011 624, 627. BGH NStZ 2010, 390, 391. OLG Düsseldorf wistra 2009 207, 208; SK/Rogall 23. BGH wistra 2011 430, 431. BGH wistra 2011 430, 431; KMR/Mayer 11.
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werden, dass nur wirksame Vollstreckungsmaßnahmen im Rahmen der Feststellungen nach Absatz 2 Satz 4 Nr. 1 berücksichtigt werden, denn dies würde auch zu Lasten des Verletzten und zusätzlich sogar des Betroffenen gehen. Dieser Situation kann nur dadurch begegnet werden, dass der Staat in solchen Fällen auf die Geltendmachung der Ansprüche aus der ihm gegenüber unwirksamen Zwangsvollstreckung verzichtet, denn die von den Vermögensabschöpfungsregeln erstrebte Situation ist gleichwohl eingetreten: Der Verletzte hat seinen Schaden ersetzt bekommen und der Täter ist nicht mehr bereichert. Im Rahmen der Feststellungen nach Absatz 2 Satz 4 Nr. 1 kommt es folglich auf die Wirksamkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme nicht an. b) Satz 4 Nr. 2. Der Verletzte kann auch jederzeit aus nicht sichergestelltem Ver- 23 mögen befriedigt werden. Dies ist etwa denkbar, wenn die Sicherungsmaßnahmen nur einen Teil des Gesamtvermögens des Täters betreffen. Eine Schadenskompensation kann jedoch auch von Dritten vorgenommen werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Leistenden im „Lager“ des Verletzten oder auf Seiten des Täters steht.181 Ist die Kompensationszahlung dem „Lager“ des Täters zuzurechnen – etwa durch Familienmitglieder – ist dies bei den Feststellungen zu berücksichtigen. Keine Berücksichtigung findet hingegen die Schadenskompensation des Versicherers des Verletzten an den Verletzten.182 Dieser kann vielmehr nun seinerseits nach § 86 VVG gegen den Täter vorgehen, so dass der Opferanspruch nicht entfällt.183 Auch ein Dritter aus dem „Lager“ des Verletzten, der nicht Versicherer ist, kann die Schadenskompensation vornehmen, § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB. Es hängt dann vom Kausalgeschäft ab, ob der Dritte Anspruchsinhaber der Forderung aus der schädigenden Handlung wird, ein gesetzlicher Forderungsübergang findet nicht statt.184 Wird der Dritte Anspruchsinhaber, ist kein Grund ersichtlich, ihn anders zu behandeln, als den Versicherer des Verletzten. Fehlt es an einem Forderungsübergang,185 sind die Zahlungen des Dritten bei den Feststellungen nach Absatz 2 Satz 2 zu berücksichtigen.186 Der Dritte hat sich ausschließlich zivilrechtlich187 – etwa nach den Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag – an den Schädiger zu halten. Auch kann er sich etwaige Herausgabeansprüche des Verletzten abtreten lassen.188 c) Satz 4 Nr. 3. Die erlangte Sache kann von der Staatsanwaltschaft und nach An- 24 klageerhebung vom Gericht jederzeit nach § 111k an den Verletzten herausgegeben werden (§ 111k, 12 f.). In diesem Fall hat das Gericht die Schadenskompensation zu berücksichtigen und die Feststellungen des Erlangten um die herausgegebenen Sachen zu reduzieren. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten der Herausgabe nach § 111k fortlaufend bestehen.189 6. Rechtsmittel. Die Feststellungen nach Absatz 2 sind grundsätzlich nur mit der 25 Berufung oder der Revision anfechtbar. Wie bei jedem Rechtsmittel ist Voraussetzung dafür eine Beschwer des Rechtsmittelführers. Die Feststellungen nach Absatz 2 können den Betroffenen beschweren, denn sie begründen einen aufschiebend bedingten Zah-
181
182 183 184 185
A.A. BGH NStZ 2010 693, 694: „Ob der Geschädigte … durch eine Versicherung entschädigt worden ist, bleibt … außer Betracht.“ BTDrucks. 16 700 S. 16; KK/Nack 15. Meyer-Goßner 9b; KK/Nack 15. Palandt/Grüneberg § 267, 7. KMR/Mayer 11; was nach HK/Gercke 9;
186
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KK/Nack 15; SK/Rogall 25, in der Regel der Fall sein wird. BTDrucks. 16 700 S. 16; Meyer-Goßner 9b; KK/Nack 15 bei Leistungen Dritter werden die „Opferansprüche i.d.R. erlöschen.“ BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16.
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lungsanspruch des Staates gegen ihn.190 Er ist ebenso beschwert, wenn das Gericht statt Feststellungen nach Absatz 2 zu treffen, auf Verfall entscheidet.191 Denn durch die Verfallsanordnung fällt das Eigentum an sichergestellten Gegenständen nach § 73e StGB unmittelbar an den Staat, ohne dass sich der Schadensersatzanspruch des Verletzten gegenüber dem Täter verringert. Trifft das Gericht indes Feststellungen nach Absatz 2, kann sich der Verletzte aus den gesicherten Vermögenswerten weiterhin befriedigen und für den Täter besteht dadurch jedenfalls die Chance, in Höhe dieser Vollstreckung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten befreit zu werden.192 Die Staatsanwaltschaft kann das Urteil jederzeit anfechten, wenn sie davon ausgeht, dass Feststellungen nach Absatz 2 fehlerhaft vorgenommen oder unterlassen193 wurden.194 Der Drittbetroffene ist nach Maßgabe der §§ 431 ff. zu beteiligen. Der Verletzte, der nicht zugleich Nebenkläger ist, kann kein Rechtsmittel einlegen. Dem nebenklagenden Verletzten – etwa aus § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO, 239a StGB – stehen Berufung und Revision hingegen nach § 400 offen. Die Feststellung nach Absatz 2 ist keine „andere Rechtsfolge der Tat“ nach § 400 Abs. 1 Alt. 1, sondern eine Nebenentscheidung.195 Ob das Gericht von seinem nach Absatz 2 eingeräumten Ermessen Gebrauch macht, kann vom Revisionsgericht nur begrenzt überprüft werden. Dem Gericht steht ein weites Ermessen zu.196 Das Ergebnis dieser Ermessensentscheidung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung schon aus Gründen der Ressourcenschonung vom Revisionsgericht bis zur äußersten Grenze der Vertretbarkeit hinzunehmen.197 Die Entscheidung kann nach allgemeinen Regeln auch nur teilweise angefochten werden.198 Zulässig ist dabei, nicht den Rechtsfolgenausspruch im Ganzen, sondern nur die (Nicht-)Feststellung nach Absatz 2 anzugreifen.199 Zur Beanstandung fehlender Feststellungen nach Absatz 2 bedarf es einer innerhalb der Revisionsbegründungsfrist spezifiziert ausgeführten Verfahrensrüge, wenn lediglich eine partiell unterbliebene Feststellung zum Revisionsgegenstand gemacht wird.200 Wendet sich der Revisionsführer gegen das Nichtvorliegen der Verfallsvoraussetzungen und damit die Anordnung nach Absatz 2, sind diese mit der Sachrüge anzugreifen.201 Hat das Landgericht die Feststellungen nach Absatz 2 fehlerhaft statt im Urteil durch Beschluss getroffen, ist hiergegen die Revision das statthafte Rechtsmittel, nicht die Beschwerde.202 Die Revision ist dann jedoch nicht alleine schon deshalb begründet, weil das Gericht die falsche Bezeichnung gewählt und statt im Urteil durch Beschluss entschieden hat.203 Trotz Feststellungen nach Absatz 2 kann der Eigentum behauptende Drittbetroffene sich im Rahmen der Vollstreckung des Urteils nach dessen Rechtskraft über §§ 459g, 459 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrO mit der Drittwiderspruchsklage vor den Zivilgerichten wehren.204
190 191 192 193 194
195 196
BGH NStZ 2010 390, 391. BGH NStZ 2010 693, 694. BGH NStZ 2010 693, 694. BGH vom 17.6.2009 – 2 StR 195/09 –; BGH vom 15.11.2012 – 2 StR 190/12 –. A.A. Meyer-Goßner 22, „Staatsanwaltschaft kann allein das Fehlen der Feststellungen angreifen“, wobei der Verweis auf BGH 2 StR 195/09 vom 17.06.2009 diese Auffassung nicht stützt. BGH NStZ 2010 344, 345. KK/Nack 17.
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197 198 199 200 201 202 203 204
BGH NJW 2012 92. HK-GS/Hartmann 10; Meyer-Goßner 22; KMR/Mayer 11; SK/Rogall 27. BGH vom 17.6.2009 Az.: 2 StR 195/09. BGH NJW 2013 950, 951. BGH NStZ-RR 2012 81; BGH NStZ 2011 229; KK/Nack 17. BGH NStZ 2010 344, 345. BGH NStZ 2010 344, 345; Meyer-Goßner 22. OLG Düsseldorf wistra 2009 207, 208.
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III. Aufrechterhaltung von Beschlagnahme und dinglichem Arrest, Abs. 3 Nach Absatz 3 hat das Gericht, soweit es nach Absatz 2 verfährt, die Beschlagnahme 26 oder den dinglichen Arrest durch Beschluss für drei Jahre aufrechtzuerhalten. Absatz 3 ist eine obligatorische Entscheidung, die nicht im Ermessen des Gerichts steht, sondern von der Ermessensausübung im Rahmen des Absatzes 2 abhängt.205 Es ist nicht denkbar, dass das Gericht Feststellungen nach Absatz 2 trifft, ohne die Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 3 aufrechtzuhalten.206 Damit soll gesichert werden, dass der Täter auch nach Urteilserlass die Befriedigung der Ansprüche der Verletzten nicht beeinträchtigen kann.207 1. Aufrechterhaltung durch Beschluss, Abs. 3 Satz 1. Das Gericht hält die Beschlag- 27 nahme oder den dinglichen Arrest durch Beschluss im nach Absatz 2 festgestellten Umfang des Erlangten (Rn. 16) für 3 Jahre aufrecht, soweit es nach Absatz 2 verfährt. Andere Maßnahmen, die nicht zur Sicherung dieser Ansprüche dienen, sind nach allgemeinen Grundsätzen aufzuheben oder enden, ohne dass eine ausdrückliche Aufhebung notwendig wäre. Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs neigt dazu, dass der (auch) zugunsten des Verletzten erlassene dingliche Arrest weder automatisch endet,208 noch eine Pflicht zur Aufhebung allein wegen des Unterbleibens einer entsprechenden Anordnung im Urteil besteht.209 Dies ist jedoch rechtsirrig, siehe dazu § 111e, 30. Der zu verkündende Beschluss ergeht regelmäßig zusammen mit dem Urteil.210 Der Gesetzgeber sah darin eine flexible und anpassungsfähige Entscheidungsform, bei der Berichtigungen erleichtert vorgenommen werden können.211 Denkbar ist, dass die Feststellungen nach Absatz 2 in der Summe über den Betrag hinausgehen, der vorläufig gesichert wurde. Dies mag der Fall sein, wenn bisher keine Sicherungsmaßnahmen in die nach Absatz 2 Satz 2 bezeichneten Gegenstände ausgebracht waren,212 die gesicherten Vermögenswerte an Wert verloren haben oder der Täter zwischenzeitlich weitere Vermögenswerte erlangt hat.213 In diesem Fall können bis zur Rechtskraft des Urteils weitere Sicherungsmaßnahmen ausgebracht werden.214 Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Täter in der Zeit zwischen Urteilserlass und Rechtskraft anders zu behandeln sein sollte, als vor Urteilserlass. Widersinnig wäre es vielmehr, könnte der Staat auf etwa im Laufe eines langjährigen Rechtsmittelverfahrens erworbene Vermögenswerte des Angeklagten nicht mehr zugreifen und müsste ihm diese sehenden Auges überlassen. Nach Rechtskraft des Urteils scheiden Sicherungsmaßnahmen aus, da dann ein vollstreckbarer staatlicher Anspruch besteht.215 Übersteigt die Feststellung nach Absatz 2 die Summe der sichergestellten Vermögenswerte nicht, sind die Sicherungsmaßnahmen auf das erforderliche Maß zu kürzen und die Lösungssumme216 entsprechend anzupassen. Dies kann etwa dann eintreten, wenn der Angeklagte den Verletzten zwischenzeitlich aus nicht beschlagnahmten Vermögen befriedigt hat, ohne dass daraufhin Sicherungsmaßnahmen reduziert wurden. Der Beschluss kann angefochten werden (Rn. 32), weshalb er auch zu begründen ist, § 34.217
205 206 207 208 209 210 211 212
BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16; Meyer-Goßner 10. So etwa OLG Stuttgart NStZ 2005 401, 402. BGH NJW 2013 950, 952. BTDrucks. 16 700 S. 16; KK/Nack 16. BTDrucks. 16 700 S. 16. Meyer-Goßner 10.
213 214
215 216 217
BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16; OLG Hamburg NStZ-RR 2011 345; HK/Gercke 10; MeyerGoßner 10; SK/Rogall 29; Lohse JR 2011 242, 246; a.A. KMR/Mayer 12. Lohse JR 2011 242, 246 Fn. 36. HK/Gercke 10; KMR/Mayer 12; MeyerGoßner 10. A.A. KK/Nack 16.
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2. Beginn der Frist, Abs. 3 Satz 2. Die Dreijahresfrist beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. Sie ist eine Notfrist, kann daher weder verlängert noch verkürzt218 werden.219 Die Frist orientiert sich an § 981 BGB.220
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3. Bezeichnung der sichergestellten Vermögenswerte, Abs. 3 Satz 3. Das Gericht soll die sichergestellten Vermögenswerte im Beschluss bezeichnen. Die nach § 111c beschlagnahmten Gegenstände sind ohnehin schon nach Absatz 2 Satz 2 im Urteil genau zu bezeichnen, so dass die Regelung vor allem für den dinglichen Arrest nach § 111d Bedeutung erlangt. Die Bezeichnung erfüllt dabei multiple Funktionen. Zum einen dient sie dazu, dem Betroffenen zu verdeutlichen, hinsichtlich welcher Vermögenswerte ein Rechtsverlust droht. Dies kann insbesondere bei einer Vielzahl von Sicherungsmaßnahmen nach § 111d angezeigt sein,221 bei denen der Betroffene schnell den Überblick verlieren kann. Des Weiteren dient die Klarstellung auch der Information der Verletzten. Der Beschluss ist ihnen nach Absatz 4 zuzustellen, sie erhalten so einen Überblick über die ihnen zur Verfügung stehenden Vollstreckungsgegenstände, in die sie gezielt ihre Schadenskompensation betreiben können.222 Die Feststellungen entlasten darüber hinaus das mit dem Auffangrechtserwerb nach Absatz 5 befasste Gericht, dem es eine Aufstellung der betroffenen Vermögenswerte liefert, die anschließend nur noch mit Vollstreckungshandlungen des Verletzten und Kompensationshandlungen des Täters abzugleichen ist.223
30
4. Kein Arrestgrund erforderlich, Abs. 3 Satz 4. Die Sicherungsmaßnahmen zur Verwirklichung des Auffangrechtserwerbs des Staates sollen auch ohne Vorliegen eines Arrestgrundes aufrechterhalten werden können.224 Deshalb schließt Absatz 3 Satz 4 die Anwendung von § 917 ZPO aus. Der Gesetzgeber hat damit bewirkt, dass es innerhalb der Dreijahresfrist keines Nachweises einer Vereitelungsgefahr für den Auffangrechtserwerb durch den Täter bedarf. Dieser wäre etwa im Falle einer Verurteilung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch kaum zu führen gewesen.225
31
5. Freigabe von Vermögenswerten auf Antrag des Betroffenen, Abs. 3 Satz 5. Soweit der Verletzte innerhalb der Dreijahresfrist nachweislich aus Vermögen befriedigt wird, das nicht sichergestellt wurde, hebt das Gericht auf Antrag des Betroffenen die Sicherungsmaßnahmen insoweit auf. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Befriedigung durch den Täter oder einen Dritten vorgenommen wurde, soweit kein Forderungsübergang stattfindet.226 Die Befriedigung durch den Versicherer des Verletzten führt daher nicht zur Freigabe; siehe hierzu insgesamt die Ausführungen bei Rn. 23. Die Freigabeentscheidung durch das Gericht setzt den Nachweis der Befriedigung des Verletzten dem Grunde und der Höhe nach voraus. Hierzu kann der Betroffene insbesondere eine Erklärung des Verletzten zu den Akten reichen; auf die Abgabe einer entsprechenden Erklärung hat der Täter nach § 368 BGB einen Anspruch. Offen steht ihm auch, entsprechende Zeugen zu benennen. Zur Versicherung an Eides statt kann er nicht zugelassen werden. Die Dreijahresfrist beginnt erst mit der Rechtskraft der Entscheidung, da sie andernfalls ablaufen könnte, ehe das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.227 Den Antrag kann der Ver-
218 219 220 221 222
AnwK-StPO/Lohse 17. KMR/Mayer 12; SK/Rogall 30. BTDrucks. 16 700 S. 17. BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16.
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223 224 225 226 227
BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16. BTDrucks. 16 700 S. 16. HK-GS/Hartmann 5; Meyer-Goßner 12. BTDrucks. 16 700 S. 17.
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letzte allerdings schon vor Rechtskraft bis zum Ablauf der Dreijahresfrist stellen, also auch schon im Rahmen eines laufenden Berufungs- oder Revisionsverfahrens, auch nach Zurückweisung durch das Revisionsgericht. 6. Rechtsbehelfe. Der Beschluss nach Absatz 3 ist obligatorisch und muss zwingend 32 den Ausspruch der Dreijahresfrist enthalten.228 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass der Täter bei Fehlern des Gerichts eine Korrektur dieses Beschlusses im Wege der Beschwerde herbeiführen kann.229 Es ist gleichwohl umstritten, ob der Betroffene einen Beschluss nach Absatz 3 tatsächlich mit der Beschwerde anfechten kann. Teilweise wird vertreten, der Aufrechterhaltungsbeschluss sei nur mit den Rechtsmitteln nach Absatz 2, d.h. Berufung oder Revision, angreifbar.230 Dies gelte auch für den Drittbetroffenen, der seine Einwendungen ebenfalls nur als Revisionsführer geltend machen könne.231 Dem ist nur dann zuzustimmen, wenn der Beschluss keine anderen Feststellungen enthält, als das Urteil. Dies sollte von Gesetzes wegen der Regelfall sein, Differenzen sind aber denkbar, wenn das Gericht bewusst oder unbewusst von den Vorgaben nach Absatz 2 abweicht 232 und trotz Feststellungen nach Absatz 2 keine oder nur eine unzulängliche Verlängerungsanordnung nach Absatz 3 trifft.233 In diesen Fällen steht dem Betroffenen der Beschwerdeweg isoliert zu.234 Die Beschwerde ist hingegen nicht statthaft, wenn sich der Beschwerdeführer gegen die Ermessensentscheidung nach Absatz 2 wendet.235 Hierfür stehen ihm nur Berufung oder Revision offen. Diese gehen weiter als die Beschwerde gegen den Beschluss. Der Rechtsmittelführer muss in jedem Fall nach allgemeinen Grundsätzen beschwerdebefugt sein, d.h. die Entscheidung muss ihn beschweren.236 Beschwerdebefugt sind neben dem Beschuldigten auch die Staatsanwaltschaft 237 und der Verletzte238.
IV. Mitteilungspflichten gegenüber dem Verletzten, Abs. 4. 1. Allgemeines. Die umfangreichsten Opferrechte und Regressansprüche vermögen 33 das gesetzliche Ziel der Schadloshaltung von Verletzten nicht herbeizuführen, wenn diese keine Kenntnis von ihren Vollstreckungsmöglichkeiten haben. Der Gesetzgeber hat die Justiz deshalb mit qualifizierten Benachrichtigungspflichten gegenüber den Geschädigten belegt. Die Mitteilungspflichten sind Ausfluss aus Artikel 14 GG, dem Opferschutzgedanken und entsprechen dem Rechtsgedanken des § 980 BGB.239 Das Gericht hat danach die Anordnung nach Absatz 3 sowie den Eintritt der Rechtskraft dem Verletzten unverzüglich mitzuteilen und ihn auf die Möglichkeiten einer Schadloshaltung hinzuweisen. Über den Verweis auf § 111e Abs. 4 Satz 1 bis 3 wird eine Absenkung des Verwaltungsaufwands herbeigeführt und gleichzeitig den datenschutzrechtlichen Belangen der Betroffenen Rechnung getragen (§ 111e, 22). Die Form der Benachrichtigung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.240 In Betracht kommt daher neben einer schriftlichen
228 229 230
231 232 233
KK/Nack 18. BTDrucks. 16 700 S. 16. KK/Nack 18; a.A. AnwK-StPO/Lohse 20; KMR/Mayer 12; Meyer-Goßner 22; differenzierend: SK/Rogall 32. KK/Nack 18. SK/Rogall 32. OLG Bamberg NStZ 2010 348, 349.
234 235 236 237 238 239 240
Meyer-Goßner 11; SK/Rogall 32. OLG Bamberg NStZ 2010 348, 349. SK/Rogall 32. AnwK-StPO/Lohse 20. A.A. KK/Nack 18. BTDrucks. 16 700 S. 17. SK/Rogall 37.
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Benachrichtigung auch eine formlose Mitteilung etwa per E-Mail oder Telefon. Zu Beweiszwecken ist dann ein entsprechender Aktenvermerk zu fertigen.
34
2. Unverzügliche Mitteilung, Abs. 4 Satz 1. Das Gericht hat entsprechend dem Wortlaut des Absatz 4 Satz 1 dem Verletzten zweierlei Tatsachen kundzutun: Den Aufrechterhaltungsbeschluss nach Absatz 3 und den Eintritt der Rechtskraft. Zuständig ist das Gericht, das den Beschluss nach Absatz 3 erlassen hat. Auf die Zuständigkeit für die Anordnung nach § 111e kommt es nicht an. Haben die Berechtigten auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet, kann die Mitteilung unproblematisch den Hinweis auf die Aufrechterhaltungsmaßnahmen nach Absatz 3 und den Eintritt der Rechtskraft gemeinsam enthalten.241 Fraglich ist jedoch, wann das Gericht die Mitteilung in den übrigen Fällen vornehmen muss. Teilweise wird davon ausgegangen, es seien keine zwei Mitteilungen erforderlich, das Gericht könne vielmehr zunächst den Eintritt der Rechtskraft abwarten und erst dann eine beide Tatsachen enthaltende Mitteilungen vornehmen.242 Dem ist zu widersprechen, denn der Wortlaut lässt ein Zuwarten bis zum Rechtskrafteintritt nicht zu. Unverzüglich handelt nur, wer die gebotene Handlung ohne schuldhaftes Zögern vornimmt, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ob eine Erklärung unverzüglich abgegeben wurde, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und einer anhand des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist.243 Dass der Aufrechterhaltungsbeschluss ergangen ist, bedarf indes weder einer Prüfung, noch einer sonstigen Überlegung oder gar dem Abwarten des Eintritts der Rechtskraft. Daher wird schon ein Abwarten des Verstreichens der Wochenfrist zur Rechtsmitteleinlegung vom Begriff der Unverzüglichkeit in aller Regel nicht gedeckt sein. Gleichwohl wurde eine unverzügliche Mitteilung in einem Fall bejaht, in dem das Urteil am Tage seiner Verkündung rechtskräftig wurde, am selben Tag der Beschluss nach Absatz 3 gefasst wurde und die Mitteilung nach Absatz 4 erst zwei Wochen später erfolgte.244 Auch das ist – bei Beachtung des Begriffs der Unverzüglichkeit – kritisch zu sehen, aufgrund der eingetretenen Rechtskraft aber ohne Folgen für die Verletzten. Diese vom Wortlaut abweichende Auslegung des Absatzes 4 ist erkennbar von dem Gedanken getragen, eine (Über-)Belastung der Gerichte zu vermeiden. Um den Belangen von Gerichten und Verletzten angemessen Rechnung zu tragen, bietet es sich an, den Aufrechterhaltungsbeschluss unmittelbar im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Kumulativ ist immer angeraten, die Verletzten formlos telefonisch, postalisch oder per E-Mail zu informieren, Rn. 33. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist sollte das Ergehen des Beschlusses nach Absatz 3, die Einlegung des Rechtsmittels und der gesetzlich vorgesehenen Beginn des Fristlaufs den Verletzten, individuell mitgeteilt werden.245 Wurde kein Rechtsmittel eingelegt, wird dies ebenfalls mitgeteilt und auf die Dreijahresfrist hingewiesen. Ob der Eintritt der Rechtskraft anschließend nur noch im Bundesanzeiger veröffentlicht246 oder eine weitere individuelle Benachrichtigung erfolgt, ist eine Frage des Einzelfalls. Wird die Veröffentlichung im Bundesanzeiger präferiert, sollte darauf bereits in der individuellen Mitteilung nach Ablauf der Wochenfrist hingewiesen werden.247 Bei einer überschaubaren Zahl von Verletzten und dementsprechend geringem Mitteilungsaufwand sollte jedoch schon deshalb eine weitere individuelle Benachrichtigung erfolgen, weil der Verlauf des Rechtsmittelverfahrens und damit der Eintritt der Rechtskraft nicht vorhersehbar ist. Dadurch ist
241 242 243
OLG Celle NStZ-RR 2011 343 f. SK/Rogall 37 Fn. 102; a.A. KK/Nack 19; wohl auch Meyer-Goßner 13. Palandt/Ellenberger § 121, 3.
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OLG Celle NStZ-RR 2011 343, 344. AnwK-StPO/Lohse 21. So AnwK-StPO/Lohse 21. AnwK-StPO/Lohse 21.
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eine zeitnahe Benachrichtigung des Betroffenen ebenso garantiert, wie eine möglichst geringe Belastung der Justiz. 3. Sonstige Hinweise, Abs. 4 Satz 2. Die Mitteilung nach Absatz 4 Satz 1 ist mit dem 35 Hinweis auf den staatlichen Auffangrechtserwerb im Sinne des Absatz 5 (Rn. 38 ff.) und auf die Möglichkeit, Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung durchzusetzen, zu verbinden. Dabei ist es zweckmäßig, wenn das Gericht den Verletzten die der Verurteilung zugrunde liegende Tat darlegt,248 die den Verletzten betreffenden sichergestellten Vermögenswerte 249 nennt und auf die Möglichkeiten nach §§ 111g und 111h hinweist. Hat das Gericht von den Möglichkeiten des erweiterten Verfalls Gebrauch gemacht, sollten auch die dieser Anordnung zugrunde liegenden Umstände dargestellt werden.250 Nur so können die Verletzten von der Mitteilung profitieren und feststellen, ob sie zum privilegierten Gläubigerkreis gehören. Die Mitteilung dieser Umstände ist daher vom Gesetzeszweck umfasst. Den datenschutzrechtlichen Belangen des Betroffenen im Falle einer namentlichen Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist durch eine Darstellung zu genügen, die alle notwendigen, aber keine darüber hinausgehenden Informationen enthält. Anhand der notwendigen Informationen muss der Verletzte erkennen können,251 dass er realistisch als Verletzter in Betracht kommt. Die übrigen Informationen kann er sich dann durch eine Akteneinsicht nach § 406e 252 verschaffen.253 Das Gericht sollte außerdem darauf hinweisen, dass die Dreijahresfrist mit der Rechtskraft des Urteils beginnt, Absatz 3 Satz 2.254 4. Art der Mitteilung, Abs. 4 Satz 3. Das Gericht kann sich zur Mitteilung nach Ab- 36 satz 4 Satz 1 den erleichterten Möglichkeiten des § 111e Abs. 4 Satz 1 bis 3 bedienen. Hierbei ergeben sich keine Besonderheiten zu den dortigen Ausführungen, auf die deshalb umfassend verwiesen werden kann, § 111e, 16 ff. Die Löschung bemisst sich nach Absatz 6 Satz 4, siehe Rn. 48. 5. Folgen einer fehlerhaften Mitteilung. Hat das Gericht bei der Mitteilung nach Ab- 37 satz 3 Fehler gemacht, hindert dies den Eintritt des staatlichen Rechtserwerbs weder dem Grunde noch der Höhe nach.255 Dies gilt sowohl bei fehlerhafter als auch vollständig unterlassener 256 Mitteilung. In Betracht kommen allenfalls Amtshaftungsansprüche.257
V. Auffangrechtserwerb des Staates, Abs. 5 1. Allgemeines. Mit Ablauf der Dreijahresfrist nach Rechtskraft des Urteils erwirbt 38 der Staat ipso iure entsprechend § 73e Abs. 1 StGB das Eigentum an den beschlagnahmten Gegenständen sowie einen Zahlungsanspruch in Höhe des nach Absatz 2 festgestellten Betrages, sofern kein Ausschlusstatbestand nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4 greift. Die Regelung stellt das Herzstück des § 111i dar und ermöglicht, dass aus einer Straftat
248 249 250 251 252
HK-GS/Hartmann 5; KK/Nack 19; MeyerGoßner 13; a.A. SK/Rogall 36. KK/Nack 19. KK/Nack 19. HK-GS/Hartmann 5. Siehe zur Akteneinsicht bei strittiger Verletzteneigenschaft BVerfG NStZ 2003 210.
253 254 255 256 257
KK/Nack 19. KK/Nack 19. OLG Celle NStZ-RR 2011 343, 344; MeyerGoßner 13. KMR/Mayer 14. OLG Celle NStZ-RR 2011 343, 344.
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erlangte Vermögenswerte nicht an den Täter zurückgegeben werden müssen. Die Ansprüche des Verletzten gegenüber dem Täter bleiben unabhängig von einem Rechtserwerb durch den Staat bestehen258 und können nach wie vor im Zivilrechtsweg verfolgt werden.259
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2. Auffangrechtserwerb, Abs. 5 Satz 1 Hs. 1. Das Gesetz unterscheidet auch beim Auffangrechtserwerb zwischen beschlagnahmten und durch dinglichen Arrest gesicherten Vermögenswerten. Sind Gegenstände (Sachen und Rechte) nach § 111c vorläufig beschlagnahmt worden, vollzieht sich der Rechtserwerb entsprechend § 73e Abs. 1 StGB. Nach § 73e Abs. 1 StGB geht das Eigentum an einer Sache oder das verfallene Recht mit Rechtskraft der Entscheidung kraft Gesetzes auf den Staat über, wenn es dem von der Anordnung Betroffenen zu dieser Zeit zusteht. Der Staat kann die Gegenstände folglich für sich verwerten.260 Mit der Einfügung des Wortes „entsprechend“ hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es sich bei dem von der Anordnung Betroffenen im Sinne des § 73e Abs. 1 StGB regelmäßig um den Verletzten handeln wird.261 Etwa der Täter eines Diebstahls wird durch die Tat niemals Eigentümer der sichergestellten Beute geworden sein. Mit dem Auffangrechtserwerb gehen daher nicht etwa Gegenstände des Täters, sondern solche des Verletzten auf den Staat über. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Täter ausnahmsweise Eigentümer der Sache oder Rechtsinhaber geworden ist.262 Von der Verweisung auf § 73e Abs. 1 StGB ist auch der dortige Satz 2 umfasst. Danach bleiben Rechte Dritter an dem Gegenstand trotz Eigentumserwerbs des Staates bestehen. Wegen des relativen Veräußerungsverbots nach § 111c Abs. 5 (§ 111c, 16) gilt das allerdings nur für diejenigen Rechte, die bereits vor der Beschlagnahme bestanden haben.263 Nach der Beschlagnahme entstandene Rechte entfallen, soweit sie den Rechtserwerb des Staates verhindern würden.264 War zur Sicherung der Ansprüche des Verletzten ein dinglicher Arrest ausgebracht, erwirbt der Staat einen Zahlungsanspruch gegen den Betroffenen in Höhe des nach Absatz 2 festgestellten Betrages (Rn. 16).265 Dieser ist entsprechend den Vorschriften über die Vollstreckung einer Geldstrafe nach §§ 459g Abs. 2, 459 i.V.m. § 1 JBeitrO, § 1 EBAO und § 57 StrVollstrO wie eine Geldstrafe beizutreiben und um die nach Urteilsverkündung erfolgte Befriedigung zu kürzen.
40
3. Ausschlusstatbestände, Abs. 5 Satz 1 Hs. 2. Der Auffangrechtserwerb des Staates vollzieht sich nur insoweit, als nicht zwischenzeitlich Schadenskompensation zu Gunsten des Verletzten betrieben wurde. Die Ausschlusstatbestände nach Nr. 1 und 2 entsprechen dabei im Wesentlichen jenen des Absatz 2 Satz 4 Nr. 1 und 2, siehe Rn. 22 f. Der Unterschied zwischen Absatz 2 und 5 liegt nur in dem Zeitpunkt der Befriedigung des Verletzten. Wird der Verletzte schon während des laufenden Strafverfahrens befriedigt, ist dies im Rahmen des Absatz 2 zu berücksichtigen. Findet die Befriedigung indes erst nach Urteilsverkündung statt, gilt Absatz 5. Sind bei den Feststellungen nach Absatz 2 fehlerhaft Wiedergutmachungszahlungen vor Urteilserlass nicht berücksichtigt worden, hat das Gericht dies bei den Feststellungen nach Absatz 5 nachzuholen.266 Allerdings kann das Gericht im Rahmen des Absatz 5 keine Feststellungen zu erlangten Vermögenswerten
258 259 260 261 262
HK-GS/Hartmann 6; HK/Gercke 13; KK/Nack 22. KMR/Mayer 14; SK/Rogall 46. KMR/Mayer 16. BTDrucks. 16 700 S. 17. BTDrucks. 16 700 S. 17; Meyer-Goßner 14.
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263 264 265 266
BTDrucks. 16 700 S. 17; KMR/Mayer 16; KK/Nack 20. Meyer-Goßner 14. KMR/Mayer 17. KMR/Mayer 15.
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treffen, die zuvor nicht schon nach Absatz 2 getroffen wurden, da der Beschluss nach Absatz 5 rein deklaratorisch ist. Mit der Gleichsetzung der Arrestvollziehung und der Zwangsvollstreckung bei Nr. 1 verfolgt der Gesetzgeber erneut das Ziel, die Ansprüche des Verletzten umfassend zu sichern. Hat dieser innerhalb der Dreijahresfrist keinen vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel in der Hauptsache erlangen können, liegen bei drohendem Fristablauf regelmäßig die Voraussetzungen für den Erlass eines zivilprozessualen Arrestes vor.267 Der Arrestanspruch wird mithilfe des Strafurteils glaubhaft zu machen sein, der Arrestgrund ergibt sich aus dem Ablauf der Dreijahresfrist und dem daraus drohenden Verlust der privilegierten Vollstreckungsmöglichkeit.268 Gemäß Nr. 2 scheidet der Auffangrechtserwerb bei Befriedigung des Verletzten durch Vermögen aus, das nicht beschlagnahmt oder im Wege der Arrestvollziehung gepfändet war. Nach Nr. 3 ist der Auffangrechtserwerb des Staates ausgeschlossen, wenn Sachen nach der Urteilsverkündung und vor Ablauf der Dreijahresfrist nach § 111k an den Verletzten herausgegeben oder hinterlegt worden sind. Streiten sich mindestens zwei Gläubiger um die Rechte an dieser Sache, ist eine Hinterlegung denkbar. Das Gericht soll flexibel reagieren und ohne Vorwegnahme einer zivilrechtlichen Entscheidung hinterlegen können.269 Vgl. dazu aber ausführlich § 111k, 27 ff. Für eine Hinterlegung ist jedenfalls erforderlich, dass sich das Gericht vor Ablauf der Dreijahresfrist über den aktuellen Streitstand informiert, um so noch genügend Zeit für die Hinterlegung zu haben.270 Durch die fortlaufende Anwendbarkeit des § 111k wird auch eine erleichterte Möglichkeit der Herausgabe beweglicher Sachen an den Verletzten erhalten und ein Wertungswiderspruch zwischen den Regeln des § 111i und des § 111k vermieden.271 Dies dient ebenso wie Nr. 4 auch den Opferbelangen.272 Danach scheidet ein Auffangrechtserwerb auch dann aus, wenn Sachen nach § 111k an den Verletzten herauszugeben gewesen wären und er einen entsprechenden Antrag auf Herausgabe vor Ablauf der Dreijahresfrist gestellt hat. Die Regelung verfolgt damit den Zweck, das Schicksal der sichergestellten beweglichen Sachen nicht davon abhängig zu machen, ob über den rechtzeitig gestellten Antrag des Verletzten auf Herausgabe fristgerecht entschieden wurde, denn hierauf hat der Verletzte keinen Einfluss. Außerdem wird verhindert, dass sich der Staat sehenden Auges Vermögensbestandteile bekannter Verletzter aneignet, die rechtzeitig entsprechende Herausgabebegehren gestellt haben.273 Die Voraussetzungen der Herausgabe nach § 111k müssen zu irgendeinem Zeitpunkt der Dreijahresfrist vorgelegen haben, ebenso wie ein tatsächlich gestellter Antrag des Verletzten. 4. Verwertungsrecht des Staates, Abs. 5 Satz 2 bis 4. Der Staat kann das durch Voll- 41 ziehung der Anordnung des dinglichen Arrestes nach § 111d entstandene Pfandrecht nach den Vorschriften der Zwangsvollstreckung der ZPO verwerten, Satz 2. Mit Ablauf der Dreijahresfrist tritt zu der Sicherungsfunktion des Arrestpfandrechts die Verwertungsfunktion des Zwangsvollstreckungsrechts.274 Der Auffangrechtserwerb des Staates führt in aller Regel nicht zu einem Rechtsverlust des Täters, sondern zu einem Rechtsverlust des Geschädigten,275 vgl. Rn. 39. Die Verwertung zugunsten des Staates befreit den Täter
267
268 269 270
BTDrucks. 16 700 S. 17; zu den Folgen der zwischenzeitlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens v. Gleichenstein ZIP 2008 1159. BTDrucks. 16 700 S. 17. BTDrucks. 16 700 S. 17. AnwK-StPO/Lohse 23; SK/Rogall 44 Fn. 113.
271 272 273 274 275
BTDrucks. 16 700 S. 17. BTDrucks. 16 700 S. 17. BTDrucks. 16 700 S. 17. Zöller/Vollkommer § 929, 5. Meyer-Goßner 14.
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deshalb nicht von Ansprüchen der Geschädigten, die diese auf dem Zivilrechtsweg weiter verfolgen können.276 Vor einer doppelten Inanspruchnahme wird der Täter durch Absatz 7 Satz 2 bewahrt. Für die Verwertung nach den Vorschriften der ZPO gelten vor allem §§ 814 ff. ZPO für bewegliche, §§ 867 f. ZPO bei unbeweglichen Sachen und §§ 835 ff., 857 ZPO für Forderungen und andere Rechte. Der Erlös sowie hinterlegtes Geld fallen dem Staat zu, Satz 3. Mit der Verwertung erlischt der nach Satz 1 entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs zurückbleibt, Satz 4. Ob der Staat das Pfandrecht verwertet, liegt in seinem Ermessen. So kann er bei der Verwertung etwa die aktuelle Marktlage berücksichtigen. Sind danach die zu erwartenden Erlöse niedrig und mit einer Steigerung derselben zu rechnen, so kann die Verwertung auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
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5. Zuständigkeit zur Verwertung und zum Erlösgehalt. Das Gesetz spricht in Absatz 5 durchweg vom „Staat“, der Nutznießer des Auffangrechtserwerbs wird. Wer damit gemeint sein soll, wird allerdings nicht erklärt. In § 60 StVollstrO findet sich eine Regelung zum Rechtserwerb bei Verfall und Einziehung. Danach geht das Eigentum an den verfallenen oder eingezogenen Sachen auf das Land (Justizfiskus) über, dessen Gericht im ersten Rechtszug entschieden hat. Dies gilt auch dann, wenn im ersten Rechtszug in Ausübung der Gerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist, § 60 Satz 2 StVollstrO. Der Ertrag von Geldstrafen und strafrechtlich verfallenem Vermögen steht damit grundsätzlich dem Justizfiskus des Landes und nicht dem Bund zu.277 Der Begriff Fiskus ist synonym zum Begriff der „öffentlichen Hand“,278 so dass sämtliche Erlöse wirtschaftlich dem Etat des Justizministeriums zufallen.
VI. Feststellungen des Rechtserwerbs durch Beschluss, Abs. 6 43
1. Allgemeines. Nach Ablauf der Dreijahresfrist des Absatz 5 stellt das Gericht des ersten Rechtszugs den Eintritt und den Umfang des staatlichen Rechtserwerbs nach Absatz 6 Satz 1 durch Beschluss fest. Bereits der Wortlaut zeigt, dass der Beschluss rein deklaratorischer Natur ist, der Rechtserwerb vollzieht sich bereits mit dem Ablauf der Dreijahresfrist ipso iure.279 Der Beschluss erfüllt damit vor allem Bedürfnisse nach Rechtssicherheit und dient als Grundlage der nachfolgenden Verwertung.280 2. Einzelfragen
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a) Beschluss, Abs. 6 Satz 1 und 2. Die Zuständigkeit für die Feststellung des staatlichen Auffangrechtserwerbs liegt beim Gericht des ersten Rechtszuges. Dieses kann als Arbeitsgrundlage auf die Feststellungen in der Urteilsformel nach Absatz 2 und die im Beschluss nach Absatz 3 bezeichneten Gegenstände zurückgreifen und entsprechend Bezug nehmen.281 Festzustellen hat es „lediglich“,282 ob nach Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 bis 4 Abzüge vorzunehmen sind. In den drei Jahren, die zwischen den Beschlüssen nach Absatz 3 und 6 vergangen sind, können erhebliche Kompensationshandlungen im Sinne des
276 277 278 279
BTDrucks. 16 700 S. 18. BVerwG NVwZ 2013 70, 73. BGH NStZ 1991 437, 439. BTDrucks. 16 700 S. 18; BGH NJW 2008 1093, 1094; KK/Nack 23.
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280 281 282
BTDrucks. 16 700 S. 18. HK/Gercke 15. Siehe zur im Kern dieselben Punkte treffende Kritik zu Absatz 2 Bohne/Boxleitner NStZ 2007 552, 553.
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Absatz 5 Satz 1 Hs. 2 vorgenommen worden sein. Aufgrund des Verweises auf § 111l Abs. 4 ist das Gericht veranlasst, den Verurteilten, den Eigentümer – in aller Regel ist das der Verletzte – und andere, denen Rechte an dem betroffenen Gegenstand zustehen, vor Erlass des Beschlusses anzuhören, Absatz 6 Satz 2. Als Drittbetroffene kommen insbesondere Personen in Betracht, die durch eine Anordnung nach § 73 Abs. 3 StGB belastet wurden.283 Der Verweis bezieht sich nur „entsprechend“ auf § 111l Abs. 4 und dabei nur auf Satz 1.284 b) Sofortige Beschwerde, Abs. 6 Satz 3. Der deklaratorische Beschluss nach Absatz 5 45 Satz 1 kann durch die Berechtigten mit der sofortigen Beschwerde nach § 311 angefochten werden. Sinn und Zweck des Verweises auf § 311 ist, rechtsstaatliche Garantien zu sichern.285 Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen, die Frist beginnt mit der Bekanntmachung der Entscheidung nach § 35. Wer genau zur Einlegung der sofortigen Beschwerde berechtigt ist, findet sich weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien.286 Neben denjenigen, die nach Absatz 6 Satz 2 anzuhören sind (Rn. 44),287 hat auch die Staatsanwaltschaft 288 das Recht zur sofortigen Beschwerde, denn sie hat in jeder Lage des Verfahrens auf eine sachgerechte Erledigung hinzuwirken. Ob sie von der Befugnis Gebrauch macht, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Auch der Insolvenzverwalter ist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde mit dem Einwand nach § 91 Abs. 1 InsO befugt.289 Weiter sind die Besonderheiten der sofortigen Beschwerde zu beachten: Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner angefochtenen Entscheidung nicht befugt, § 311 Abs. 3 Satz 1. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Raum steht, § 311 Abs. 3 Satz 2. Der Beschluss nimmt Bezug auf die Feststellungen nach Absatz 2 und 5 und berücksichtigt lediglich Schadenskompensationen nach Absatz 5 Satz 1 anspruchsmindernd. Gegenstand der Beschwerde kann daher und aufgrund der nur deklaratorischen Natur des Beschlusses nur eine fehlerhafte Berücksichtigung der nach Absatz 5 Satz 1 erbrachten Leistungen und damit die Feststellung zum Umfang des staatlichen Rechtserwerbs sein.290 c) Folgen der Rechtskraft des Beschlusses. Wird der Beschluss nach Absatz 6 Satz 1 46 rechtskräftig, führt das neben der Vollstreckungsmöglichkeit (Rn. 41) auch zu Löschungspflichten im Bundesanzeiger, Absatz 6 Satz 4 (Rn. 46). aa) Vollstreckung. Wie dargestellt (Rn. 41) hat der Beschluss nach Absatz 6 Satz 1 47 rein deklaratorischen Charakter und dient vor allem der Rechtssicherheit der Beteiligten. Der Rechtserwerb des Staates vollzieht sich bereits mit Ablauf der Dreijahresfrist des Absatz 5 Satz 1 von Gesetzes wegen, ohne Mitwirkung des Gerichts. Gleichwohl wird teilweise davon ausgegangen, der Staat könne erst nach Rechtskraft des Beschlusses von seinen nach Absatz 5 erworbenen Rechten Gebrauch machen, da der Beschluss als Vollstreckungstitel diene 291 und die vom Auffangrechtserwerb beschwerten Personen zunächst anzuhören seien.292 Zuzustimmen ist dem insoweit, als der Beschluss zwar als
283 284 285 286 287 288
KK/Nack 23. KMR/Mayer 18; Meyer-Goßner 17. BTDrucks. 16 700 S. 18. KK/Nack 24. HK-GS/Hartmann 7; KK/Nack 24. HK-GS/Hartmann 7; HK/Gercke 16; MeyerGoßner 17; SK/Rogall 50.
289 290 291 292
SK/Rogall 50. KK/Nack 24; Meyer-Goßner 17; SK/Rogall 50, „in der Regel“. HK/Gercke 16. KMR/Mayer 18.
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Vollstreckungstitel dient,293 der Gesetzgeber jedoch nicht bedacht hat, dass nicht in allen Fällen der Verwertung vorläufig gesicherter Vermögenswerte ein solcher Vollstreckungstitel überhaupt erforderlich ist. Eines Vollstreckungstitels bedarf der Staat nämlich nur in den Fällen, in denen er einen Zahlungsanspruch erhält, der sich nicht auf ein bestehendes Arrestpfandrecht bezieht.294 In den übrigen Konstellationen vorläufiger Sicherungsmaßnahmen braucht der Staat keinen Vollstreckungstitel, er hat vielmehr ein gesetzliches Verwertungsrecht aus Absatz 5 Satz 2295 an dem durch dinglichen Arrest begründeten Pfandrecht. Der Erlös sowie hinterlegtes Geld fallen ihm mit Ablauf der Dreijahresfrist ohnehin zu. Entsprechendes gilt für die Fälle der Beschlagnahme, bei denen der Staat ipso iure Eigentümer der beschlagnahmten Gegenstände wird.
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bb) Löschungspflichten im Bundesanzeiger, Satz 4. Nach Rechtskraft des Beschlusses nach Absatz 6 Satz 1 veranlasst das Gericht die Löschung der im Bundesanzeiger nach Absatz 4 vorgenommenen Veröffentlichungen der Anordnung nach Absatz 3. Dem Gericht steht hierbei kein Ermessen zu, da die datenschutzrechtlichen Belange des Betroffenen durch die Verwendung des elektronischen Bundesanzeigers betroffen sind und eine Löschung gebieten.296 Aufgrund der Verweisung in Absatz 4 Satz 3 auf § 111e Abs. 4 Satz 1 bis 3 sind die dort genannten Grundsätze entsprechend anwendbar. Insbesondere besteht auch im Rahmen des Absatz 6 Satz 4 keine Verpflichtung des Gerichts, eine Berichtigung der Eintragung im Bundesanzeiger bei nur teilweiser Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen.297 Soweit teilweise die Ansicht vertreten wird, die Löschung der Veröffentlichung im Bundesanzeiger habe auch zu erfolgen, wenn Verletzte über die sichergestellten Vermögenswerte vollständig im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung verfügt haben,298 so kann dem nicht zugestimmt werden. Der Gesetzgeber hat § 111e Abs. 4 Satz 4 explizit von der Verweisung in § 111i Abs. 4 Satz 3 ausgenommen. Verfügt etwa ein nur nachrangig berechtigter Verletzter vollständig über die gesicherten Vermögenswerte, ist diese Verfügung den bevorrechtigten Verletzten gegenüber relativ unwirksam, § 111c, 16. Würde nun die Eintragung bereits zu diesem Zeitpunkt gelöscht, würde das Ziel der Veröffentlichung, alle Verletzten zu benachrichtigen, verfehlt werden.
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d) Form. Das Gericht kann sich hinsichtlich der Feststellungen des Umfangs des staatlichen Rechtserwerbs auf die nach Absatz 3 bezeichneten Gegenstände beziehen.299 Der Beschluss hat die nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4 zu berücksichtigenden Gegenstände oder Geldwerte genau zu bezeichnen.300 Außerdem muss der verbleibende Zahlungsanspruch 301 der Höhe nach genau bezeichnet werden, da er andernfalls mangels Bestimmtheit seine Funktion als Vollstreckungstitel nicht erfüllen kann.
293 294
295
BTDrucks. 16 700 S. 18; Meyer-Goßner 17. Meyer-Goßner 17; a.A. wohl HK/Gercke 16 und KMR/Mayer 18, wonach der Staat erst nach Rechtskraft des Beschlusses von seinen nach Abs. 5 erworbenen Rechten Gebrauch machen darf. Meyer-Goßner 17.
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296 297 298 299 300 301
BTDrucks. 16 700 S. 18. Meyer-Goßner 17. KMR/Mayer 14. BTDrucks. 16 700 S. 18. SK/Rogall 47. BTDrucks. 16 700 S. 18.
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VII. Ausgleichsanspruch des Betroffenen, Abs. 7 1. Allgemeines. Mit der Einführung des Absatz 7 hat der Gesetzgeber einen Aus- 50 gleichsanspruch für den von der Sicherungsmaßnahme Betroffenen geschaffen, der ihm gegenüber dem Staat zusteht. Soweit der Verurteilte oder der von der Beschlagnahme oder dem dinglichen Arrest Betroffene die hierdurch gesicherten Ansprüche des Verletzten nach Ablauf der Dreijahresfrist befriedigt, kann er bis zur Höhe des dem Staat zugeflossenen Verwertungserlöses von diesem Ausgleich verlangen, soweit kein Ausschlusstatbestand nach Absatz 7 Satz 2 vorliegt. Absatz 7 bezieht sich zeitlich auf Kompensationshandlungen, nachdem sich der Auffangrechtserwerb des Staates vollzogen hat. Hat der Betroffene vor dem Eintritt des Rechtserwerbs des Staates die Ansprüche des Verletzten befriedigt, mindert dies nach Absatz 5 Satz 1 bereits den Rechtserwerb des Staates, siehe Rn. 40. Betroffener kann neben dem Verurteilten auch ein Dritter sein. Einen direkten Ausgleichsanspruch des Verletzten gegen den Staat sieht das Gesetz nicht vor,302 obwohl sich der Rechtserwerb des Staates in aller Regel zu Lasten des Verletzten und gerade nicht zu Lasten des Betroffenen auswirkt, Rn. 39. Die gesetzliche Regelung ist jedoch richtig, denn einerseits wird der Verletzte umfassend informiert und hat so Gelegenheit, seine Ansprüche geltend zu machen,303 andererseits bleibt sein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen den Täter unberührt. Absatz 7 verhindert, dass der Betroffene doppelt in Anspruch genommen wird und die Sicherstellung in Verbindung mit dem staatlichen Auffangrechtserwerb einen Strafcharakter erhält.304 Möchte der Betroffene seinen Ausgleichsanspruch geltend machen, muss er dies beim Zivilgericht, nicht bei Strafgerichten antragen.305 Ein Ausgleichsanspruch des Betroffenen scheidet derweil aus, wenn die Voraussetzungen des Absatz 7 Satz 2 vorliegen. Auch der Höhe nach ist der Ausgleichsanspruch begrenzt. Wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt, braucht der Staat niemals mehr an den Betroffenen zu leisten, als er selbst erworben hat (Rn. 51 f.).306 2. Voraussetzungen des Abs. 7 Satz 1. Der Verurteilte oder der sonst von der Sicher- 51 stellungsmaßnahme Betroffene muss die Ansprüche des Verletzten befriedigt haben. Dies ist unproblematisch festzustellen, wenn der Verurteilte oder sonst Betroffene den Schaden eigenhändig kompensiert. Leistet hingegen ein Dritter, der selbst nicht von der Anordnung betroffen ist, entsprechende Kompensation, gelten auch diesbezüglich die oben (Rn. 23) genannten Grundsätze. Versicherungsleistungen an den Verletzten führen nicht zu einem Anspruch des Versicherers gegen den Staat, da dieser in die Position des Verletzten einrückt und vom Betroffenen selbst unmittelbar Ausgleich verlangen kann. Leistet ein Dritter auf Seiten des Betroffenen an den Verletzten, kommt es auf das Innenverhältnis der Beteiligten und die Frage an, ob der Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich von Gesetz wegen oder durch Abtretung auf den Leistenden übergangen ist. Der Anspruch ist jedenfalls übergangsfähig. Die Schadenskompensation muss sich auf die „hierdurch“ gesicherten Ansprüche des Verletzten beziehen. Dies sind die aus der Tat im prozessualen Sinne entstandenen Ansprüche des Verletzten gegen den Betroffenen. Hat der Verletzte über diese in einem Zivilrechtsstreit mit dem Betroffenen einen Vergleich geschlossen, der in der Summe hinter den gesicherten Vermögenswerten zurückbleibt, kann er nur soweit Ausgleich vom Staat verlangen, als der Vergleich reicht.307 Der Über-
302 303 304 305
KK/Nack 25. SK/Rogall 52. BTDrucks. 16 700 S. 18. KMR/Mayer 19; SK/Rogall 51.
306 307
AnwK-StPO/Lohse 25; HK-GS/Hartmann 8. Im Ergebnis ebenso: BTDrucks. 16 700 S. 18.
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schuss verbleibt beim Staat. Dies mag die Vergleichsbereitschaft des Betroffenen vor den Zivilgerichten mindern, ist aber logische Konsequenz aus dem Gesetzesziel, dem Täter nichts überlassen zu müssen, was er aus der Straftat erlangt hat. Andernfalls könnte sich eine geschickte Prozesstaktik für ihn doch noch auszahlen. Hat er sich andererseits vor den Zivilgerichten zu seinen Lasten verglichen und mehr an den Verletzten gezahlt, als der Staat an Vermögenswerten erworben hat, so kann er Ausgleich nur bis zur Höhe des dem Staat zugeflossenen Verwertungserlöses verlangen.308 Teilweise wird davon ausgegangen, bei der Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs sei nicht auf den tatsächlichen Erlös abzustellen, den der Staat erlangt hat, sondern auf den Wert der übergegangenen Vermögenswerte.309 Soweit dies so gemeint ist, dass bei einer Verwertung über dem objektiven Wert der Sache, die Differenz zwischen Wert und erzieltem Erlös nicht an den Betroffenen auszukehren ist, ist dem zuzustimmen, denn nur so kann Ziel und Zweck der gesetzlichen Regelung erreicht werden. Bei der Vornahme der Kompensationshandlung muss die Dreijahresfrist des Absatz 3 abgelaufen sein, anderenfalls mindert sich der staatliche Auffangrechtserwerb schon nach Absatz 5. Zur Fristberechnung siehe Rn. 28. Der Staat ist nicht verpflichtet, sich etwa von Amts wegen um einen Ausgleich mit dem Täter zu bemühen. Es obliegt vielmehr diesem selbst, seine Ansprüche geltend zu machen, was in der Gesetzesformulierung mit dem Wort „kann“ ausgedrückt wird.
52
3. Ausschluss des Ausgleichsanspruchs, Abs. 7 Satz 2. Der Ausgleichsanspruch des Betroffenen ist ausgeschlossen, soweit der Zahlungsanspruch des Staates nach Absatz 5 Satz 1 unter Anrechnung des vom Staat vereinnahmten Erlöses entgegensteht (Nr. 1) oder wenn seit dem Ablauf der Dreijahresfrist weitere drei Jahre verstrichen sind, (Nr. 2). Mit der etwas sperrigen Formulierung in Nr. 1 wollte der Gesetzgeber ausdrücken, dass ein Ausgleichsanspruch des Betroffenen ausgeschlossen ist, wenn er mehr an den Verletzten gezahlt hat, als der Staat durch die Verwertung der gesicherten Vermögenswerte erhalten hat.310 Damit kann der Staat zwar nicht die Differenz aus einer wirtschaftlich schlechten Verwertung und dem Wert der Sache vom Täter verlangen, er kann ihm dies aber als Einwendung gegen seinen eigenen Ausgleichsanspruch entgegenhalten.311 Die Dreijahresfrist der Nr. 2 orientiert sich an der zivilrechtlichen, regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB und will eine unangemessene Privilegierung des Betroffenen gegenüber anderen Gläubigern verhindern, die ebenfalls an die regelmäßige Verjährungsfrist gebunden sind.312 Außerdem soll Missbrauch und etwaigen Problemen bei einer langjährigen Aufbewahrung der Akten entgegengewirkt werden.313 Der Betroffene hat nach Rechtskraft des Urteils folglich sechs Jahre Zeit, seine Ansprüche gegen den Staat zu verfolgen. Problematisch ist, dass sich der Verletzte einen zivilrechtlichen Titel gegen den Betroffenen verschaffen kann, der 30 Jahre lang vollstreckbar ist, aus dem er aber erst nach Ablauf der Sechsjahresfrist vollstreckt.314 In diesen Fällen droht dem Betroffenen eine doppelte Inanspruchnahme, die Absatz 7 gerade zu verhindern suchte. Dies ist jedenfalls dann nicht hinnehmbar, wenn der Betroffene für die erst nach Ablauf von sechs Jahren erfolgte Befriedigung des Verletzten nicht verantwortlich ist. Solche Konstellationen werden aber selten sein: Der Verletzte unterliegt in Bezug auf seinen Ausgleichsanspruch der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Er hat folglich ab Be-
308 309 310 311
BTDrucks. 16 700 S. 18. So wohl Meyer-Goßner 18; a.A. HK/ Gercke 17. KMR/Mayer 19; Meyer-Goßner 18. SK/Rogall 54.
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312 313 314
BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. Siehe hierzu Bohne/Boxleitner NStZ 2007 552, 555, die für diese Fälle einen analogen Ausgleichsanspruch des Täters anregen.
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gehung der Tat und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Person des Schuldners, § 199 BGB, drei Jahre Zeit, sich einen Titel zu verschaffen. Dass dieser Titel erst 6 Jahre nach Rechtskraft des Strafurteils entsteht, ist trotz enormer Arbeitsbelastung der Justiz kaum vorstellbar. Mit der Existenz des Titels ist der Betroffene berechtigt und verpflichtet, die Ansprüche des Verletzten zu befriedigen. Eine vorherige Befriedigung steht ihm immer frei, er muss weder die Titulierung noch die Zwangsvollstreckung abwarten. Es wird ihm daher rechtlich möglich sein, innerhalb von sechs Jahren nach Rechtskraft seiner Verurteilung den Verletzten zu befriedigen und sich so die Ansprüche gegen den Staat zu sichern. Der Fristablauf der Nr. 2 wird im Rahmen des zivilrechtlichen vorläufigen Rechtsschutzes als Arrestgrund für den Betroffenen gegen den Staat angesehen werden können. In den wenigen denkbaren übrigen Fällen wird eine Analogie jedenfalls nicht per se ausgeschlossen sein,315 denn der Gesetzgeber hat diese Fälle offensichtlich nicht bedacht.
VIII. Anwendung auf das objektive Verfallsverfahren, Abs. 8 1. Allgemeines. Nach Absatz 8 können in den Fällen des § 76a Abs. 1 oder 3 StGB 53 die Absätze 2 bis 7 auf das Verfahren nach §§ 440, 441, 442 Abs. 1 entsprechend angewendet werden. Die materiell-rechtliche Ausgangsnorm ist § 76a StGB. Danach kann, wenn aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann oder das Verfahren eingestellt wurde, selbstständig auf Verfall etc. erkannt werden, sofern wiederum dessen Voraussetzungen vorliegen. Liegen Ansprüche von Verletzten vor, scheidet ein solches Vorgehen aufgrund von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aus. Ohne Absatz 8 wäre ein Vorgehen nach Absatz 2 bis 7 nicht möglich, weil dies ein subjektives Verfahren gegen den Beschuldigten voraussetzt.316 Damit müssten die Vermögenswerte an den unerreichbaren Täter freigegeben werden. Dieser stünde besser als derjenige, der sich dem Verfahren zur Verfügung hält, ohne dass diese Differenzierung plausibel zu begründen wäre.317 Absatz 8 dient nun dem Zweck, zugunsten des Opferschutzes und der Gleichbehandlung ein lückenloses Eingreifen des Auffangrechtserwerbs auch in diesen Fällen zu ermöglichen.318 Prozessual wird dies durch das selbstständige Einziehungsverfahren nach §§ 440, 442 verwirklicht. Die Rechte des Betroffenen werden durch Absatz 8 nicht stärker tangiert, als durch § 76a StGB.319 Insbesondere verletzt der Auffangrechtserwerb des Staates im objektiven Verfahren nicht die Unschuldsvermutung,320 da der Verfall keine Strafe oder strafähnliche Maßnahme darstellt.321 Genau wie bei § 73d StGB322 handelt es sich bei den §§ 73 und 73a StGB um präventiv-ordnende und nicht um repressive Maßnahmen.323 Ein Vorgehen nach Absatz 8 kommt immer dann in Betracht, wenn ein subjektives Verfahren nicht möglich ist, also etwa wenn sich der Beschuldigte dem Verfahren entzogen hat,324 er mithin unerreichbar ist325 oder aber das Ermittlungsverfahren nach Opportunitätsgrundsätzen eingestellt wurde.326 Denkbar ist
315 316 317 318 319 320
A.A. Meyer-Goßner 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18; BbgVerfG NStZ 1997 93 zur selbstständigen Einziehung im objektiven Verfahren; Meyer-Goßner 19.
321 322 323 324 325 326
BGH NJW 2002 3339, 3340. BVerfG NJW 2004 2073. Siehe zur weiteren Argumentation: BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 18. KK/Nack 26. Meyer-Goßner 19.
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es aber auch, wenn erwiesen ist, dass eine Straftat vorliegt, diese aber gerade dem Angeklagten nicht nachweisbar ist (siehe hierzu auch § 111k, 9 f.).327
54
2. Objektives Verfallsverfahren, § 76a Abs. 1 oder 3. Um nach Absatz 8 vorgehen zu können, müssen die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 oder 3 StGB erfüllt sein.328 Das objektive Verfallsverfahren setzt nach § 76a Abs. 1 StGB voraus, dass aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person wegen einer Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann, die Voraussetzungen von Verfall oder Einziehung des Gegenstandes oder des Wertersatzes oder der Unbrauchbarmachung aber vorliegen. Demnach darf dem Verfall auch nicht § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. Nach § 76a Abs. 3 gilt dies auch, wenn das Gericht von Strafe absieht oder wenn das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt wird, die dies nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts oder im Einvernehmen beider zulässt. § 76a StGB unterscheidet grundsätzlich in zwei Fallgruppen nach Maßnahmen mit strafähnlichem Charakter (§§ 74 Abs. 2 Nr. 1, 74a) und Maßnahmen mit sicherndem Charakter (§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, 74d).329 Bei Maßnahmen mit strafähnlichem Charakter muss eine rechtswidrige und schuldhafte Tatbegehung festgestellt werden und die Anordnung ist ausgeschlossen, wenn rechtliche Gründe – etwa dauernde Verhandlungsunfähigkeit –330 der Strafverfolgung entgegenstehen.331 Bei sichernden Maßnahmen in den Fällen von § 74 Abs. 3 StGB und § 74d StGB ist nur eine rechtswidrige, nicht aber schuldhafte Tatbegehung vorausgesetzt.332 Wegen der Einzelheiten muss hier auf die entsprechende Kommentarliteratur verwiesen werden.
55
3. Verfahren. Liegen die Voraussetzungen des objektiven Verfallsverfahrens nach § 76a StGB nur deshalb nicht vor, weil Ansprüche Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen, kann die Staatsanwaltschaft durch die Verweisung in Absatz 8 nach §§ 440, 442 antragen. Ihr Antrag ist darauf gerichtet, ein unmittelbar auf den staatlichen Rechtserwerb zielendes Verfahren in Gang zu setzen.333 Sie beantragt daher die Durchführung des selbstständigen Einziehungsverfahrens nach §§ 440 Abs. 1, 442 Abs. 1 sowie die Feststellung, dass das Gericht lediglich deshalb nicht auf selbständigen Verfall erkannt hat, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Nach § 441 Abs. 2 entscheidet das Gericht grundsätzlich durch Beschluss, wobei eine mündliche Verhandlung nach Absatz 3 jederzeit möglich ist. Wird keine mündliche Verhandlung durchgeführt, tritt der Beschluss nach § 441 Abs. 2 an die Stelle des Urteils.334 Ob Beschluss oder Urteil, die Entscheidung des Gerichts muss die Feststellungen nach Absatz 2 enthalten, um den Auffangrechtserwerb des Staates zu ermöglichen.
D. Sonstiges I. Strafbefehl 56
Nach § 409 Abs. 2 Satz 3 können Feststellungen nach § 111i Abs. 2 auch im Strafbefehl getroffen werden. Sie bilden dann die Grundlage für den sich anschließenden Auffangrechtserwerb des Staates und das weitere Vorgehen nach den Absätzen 3 bis 7.335
327 328 329 330 331
AnwK-StPO/Lohse 5. Fischer § 76a, 2. Fischer § 76a, 6 f. OLG Celle NStZ-RR 1996 209. Fischer § 76a, 6.
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332 333 334 335
Fischer § 76a, 7. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 18. BTDrucks. 16 700 S. 20.
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§ 111k
II. Auslagen der Staatskasse Durch den Verlängerungsbeschluss können Auslagen der Staatskasse entstehen. Das 57 Verfahren gegen den Beschuldigten endet jedoch mit Rechtskraft des Urteils, so dass diese Auslagen nur bis zur Rechtskraft zu den Kosten des Verfahrens zählen.336 Die Kosten zur Aufrechterhaltung der Maßnahme sind keine Kosten der Vollstreckung nach § 464a Abs. 1 Satz 2.337 Für Fälle der Freigabe von Vermögenswerte an den Verletzten wird teilweise vorgeschlagen, die entstandenen Kosten vor Auskehr an die Verletzten in Abzug zu bringen.338 Da bei § 111i aber keine Vermögenswerte an den Verletzten zurückgegeben werden, scheidet ein solches Vorgehen aus. Die Kosten hat letztlich die Staatskasse zu tragen.
§ 111k 1Wird
eine bewegliche Sache, die nach § 94 beschlagnahmt oder sonst sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 beschlagnahmt worden ist, für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt, so soll sie dem Verletzten, dem sie durch die Straftat entzogen worden ist, herausgegeben werden, wenn er bekannt ist und Ansprüche Dritter nicht entgegenstehen. 2§ 111f Abs. 5 ist anzuwenden. 3Die Staatsanwaltschaft kann die Entscheidung des Gerichts herbeiführen, wenn das Recht des Verletzten nicht offenkundig ist. Schrifttum S. zunächst bei § 111b. Speziell zu § 111k: Bohmeyer Die Rückgabe von Überführungsstücken, GA 74 (1930) 191, 342; Damrau Der Ort der Rückgabe beschlagnahmter Sachen – Der nicht mehr analog anwendbare § 697 BGB bei beschlagnahmten oder formlos für Zwecke des Strafverfolgung sichergestellten Sachen – NStZ 2003 408; Gropp Zur Rückgabe sichergestellter Gegenstände an den Beschuldigten, NStZ 1984 568; ders. Zur Zuständigkeit für die Entscheidung über die Herausgabe von Sachen einer GmbH, die in einem – inzwischen eingestellten – Strafverfahren gegen den Konkursverwalter der GmbH beschlagnahmt waren, NStZ 1989 337; Hohendorf Die Zuständigkeit für Entscheidungen nach § 111k im Ermittlungsverfahren, NStZ 1986 498; Hoffmann/Knieriem Rückgabe von im Strafverfahren sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen, NStZ 2000 461; Kemper Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände – Bringschuld oder Holschuld? NJW 2005 3679; Löffler Die Herausgabe von beschlagnahmten oder sichergestellten Sachen im Strafverfahren, NJW 1991 1705; Malitz Beendigung von Zwangsmaßnahmen und Freigabe von Vermögenswerten, NStZ 2003 61; H. Schäfer Die Rückgabe beschlagnahmter Beweismittel nach Rechtskraft des Urteils, wistra 1984 136.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB eingefügt; sie ist an die Stelle des durch Art. 21 Nr. 27 EGStGB 1974 aufgehobenen § 111 getreten.1 Diese Vorschrift lautete: (1) Gegenstände, die durch die strafbare Handlung dem Verletzten entzogen wurden, sind, falls nicht Ansprüche Dritter entgegenstehen, nach Beendigung der Untersuchung und geeig-
336 337 338
HK/Gercke 20; Meyer-Goßner 21. Meyer-Goßner 21; SK/Rogall 58. Schubert ZRP 2008 55, 57.
1
Siehe zur Entstehungsgeschichte SK/Rogall 3 m.w.N.
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netenfalls schon vorher von Amts wegen dem Verletzten zurückzugeben, ohne daß es eines Urteils hierüber bedarf. (2) Dem Beteiligten bleibt vorbehalten, seine Rechte im Zivilverfahren geltend zu machen.
Zum 1.1.2007 wurde die Norm durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (BGBl. 2006 I S. 2350) in Satz 1 redaktionell geändert und es wurden die Sätze 2 und 3 hinzugefügt. Satz 2 stellt klar, dass gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Herausgabe von Gegenständen an den Verletzten der strafprozessuale Rechtsweg eröffnet ist.2 Satz 3 dient ebenfalls der Klarstellung der Rechtslage und bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft bei Zweifeln über das Bestehen von Rechten des Verletzten eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen kann, unabhängig davon, wer die Beschlagnahme angeordnet hat.3 Übersicht Rn. I. Allgemeines
. . . . . . . . . . . . . . .
II. Voraussetzungen des § 111k Satz 1 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Bewegliche Sachen . . . . . . . . . . 3. Beschlagnahmt oder sonst sichergestellt 4. Durch die Straftat entzogen . . . . . a) Straftat . . . . . . . . . . . . . . b) Die Straftat . . . . . . . . . . . . c) Entziehung . . . . . . . . . . . . 5. Bekannter Verletzter . . . . . . . . . 6. Unbekannter Verletzter . . . . . . . . 7. Entbehrlichkeit für Zwecke des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 8. Keine Drittansprüche . . . . . . . . . 9. Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . 10. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . .
Rn.
1 4 5 6 8 9 10 11 12 13
11. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 12. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Soll-Vorschrift . . . . . . . . . . . .
21 22 23
III. Andere Fallgruppen . . . . . . . . . . . 1. Täter war letzter Gewahrsamsinhaber 2. Unbekannter Verletzter . . . . . . . . 3. Ansprüche Dritter . . . . . . . . . .
24 25 26 27
IV. Rechtsmittel 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Entscheidung, Satz 2 . . 3. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Entscheidung nach Antrag der Staatsanwaltschaft, Satz 3 . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . .
14 15 16 19
V. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . .
Alphabetische Übersicht Akzessorische Verknüpfung 10 Amtlicher Gewahrsam 16 Andere Weise sichergestellt 7 Ansprüche Dritter 27, 35 Ansprüche eines Dritten offensichtlich begründet 27 Antrag der Staatsanwaltschaft 36 Anwendungsbereich 4 Aufwendungen des Beschuldigten 18 Bekannter Verletzter 12 Berufungsverfahren 20 Beschlagnahmt oder sonst sichergestellt 6 Beschwerde 32 Besitzrecht des Verletzten 15 Besondere Gründe liegen vor 23 Bewegliche Sache 5 Die Straftat 10 Durch die Straftat entzogen 8 Eine strafbare Handlung 25 Entbehrlichkeit für Zwecke des Strafverfahrens 14
Entnommene Blutproben 5 Entschädigung 37 Entziehung 11 Form 22 Formlose Mitteilung 22 Fristenlösung 31 Gerichtliche Entscheidung 33 Gerichtliche Entscheidung nach Antrag der Staatsanwaltschaft 35 Herausgabe 16 Hinterlegung 30 Hol- oder Bringschuld 17 Keine Drittansprüche 15 Letzter Gewahrsamsinhaber 6 Nicht offensichtlich begründeten Ansprüche Dritter und des Verletzten 29 Parallelverfahren 8 Privat- und Nebenklägern 34 Recht zum Besitz 2
2
3
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32 33 34 35 36 37
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§ 111k
Unbekannter Verletzter 13, 26 Unmittelbar entzogen 12 Verfahren 21 Verfahrenshindernis 9 Verletzten noch unbekannt 26 Vernichtung 13 Von Amts wegen 21 Vorläufige Besitzstandsregelung 3 Zuständigkeit 19
I. Allgemeines Die Rückgabe beschlagnahmter oder sonst sichergestellter beweglicher Sachen ist in 1 der juristischen Praxis von immenser Bedeutung. Der Betroffene hat häufig ein erhebliches (wirtschaftliches) Interesse daran, die ihm entzogenen Sachen zurückzuerlangen. Andererseits sehen sich die Strafverfolgungsbehörden aber auch der umgekehrten Situation ausgesetzt, dass die von ihnen sichergestellten Sachen von niemandem zurückverlangt werden, was diese wiederum vor erhebliche Schwierigkeiten stellt. Trotz der unbestrittenen Praxisrelevanz finden sich zu Fragen der Rückgabe beweglicher Sachen kaum Regelungen in der Strafprozessordnung. Auch § 111k deckt als Sondervorschrift nur einen Teil dieser Fälle ab. Erfasst werden ausschließlich jene Konstellationen, in denen bewegliche Sachen einem Verletzten durch eine Straftat entzogen wurden, diese Gegenstände für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt werden, der Verletzte bekannt ist und Ansprüche Dritter nicht entgegenstehen. Für diese Ausgangssituation enthält Satz 1 trotz seiner systematischen Stellung im Bereich der Vermögensabschöpfungsvorschriften eine allgemeine Regelung.4 Als „allgemein“ ist sie deshalb zu verstehen, weil es gerade nicht darauf ankommt, ob die Sache als Beweismittel5 zur Sicherung einer späteren Verfalls- oder Einziehungsanordnung oder zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe in den Gewahrsam der Strafverfolgungsbehörden gelangt ist.6 Aus dem Umkehrschluss des Wortlautes der Norm ergibt sich, dass § 111k nicht 2 greift, wenn es um die Rückgabe aller übrigen Gegenstände geht, die nicht einem Verletzten aus einer Straftat entzogen wurden. Für diese Fälle fehlt es zwar bis heute an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, sie ist mittlerweile aber auch entbehrlich. Die einhellige Meinung geht zu Recht davon aus, dass die Sache in solchen Fällen grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber zurückzugegeben ist (§ 98, 66 ff.).7 Gewissermaßen als „actus contrarius“8 zur Beschlagnahme soll im Wege der „Rückabwicklung“ 9 der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der Beschlagnahme bestand. Diese „Rückabwicklung“ entspricht einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane, deren Grundlage zum Teil in Art. 14 GG erblickt wird.10 War letzter Gewahrsamsinhaber 4 5 6 7
HK/Gercke 1; KK/Nack 1. KK/Nack 1; HK/Gercke 1. KK/Nack 1. BGH vom 2.10.2007 – 4 StR 306/07 –; BGH NJW 2000 3218; BGH NJW 1979 425, 426; OLG Hamm NStZ-RR 2009 376; OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; OLG Celle vom 21.12.2001 – 2 Ws 282/01 –; OLG Stuttgart NStZ 1989 39; OLG Düsseldorf NStZ 1990 202; NStZ 1984 567 mit Anm. Gropp; LG Mainz MDR 1983 954; AnwK-StPO/
Lohse 1: HK/Gercke 1; Meyer-Goßner 1; KK/Nack 1; SK/Rogall 1; Eb. Schmidt § 111, 1; Löffler NJW 1991 1705, 1706; Malitz NStZ 2003 61, 63; H. Schäfer wistra 1984 136; Bohmeyer GA 74 (1930) 191, 193 f.; KMR/Mayer 1. 8 OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; Gropp NStZ 1984 568, NStZ 1989 337. 9 BGH NJW 1979 425, 426. 10 Eb. Schmidt § 111, 3; vgl. auch BGH NJW 1979 425, 426.
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der Täter oder Teilnehmer einer Straftat, so würde sich der Staat durch die Rückgabe an diesen allerdings an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes beteiligen11 und dem Rechtsbrecher so die Früchte seiner Tat überlassen.12 Vom ungeschriebenen Grundsatz der Rückgabe sichergestellter Gegenstände an den letzten Gewahrsamsinhaber ist in diesen Fällen deshalb eine Ausnahme angezeigt. Die Rückgabe hat in solchen Konstellationen regelmäßig an den letzten Gewahrsamsinhaber zu erfolgen, der ein Recht zum Besitz an der Sache hat.13 Denn steht fest, dass der letzte Gewahrsamsinhaber rechtswidrig in den Besitz der Sache gelangt ist, besteht keinerlei Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, diesen Besitzzustand als „actus contrarius“ wiederherzustellen.14 Eine Herausgabe nach § 111k Satz 1 an den Verletzten führt keine endgültige Ent3 scheidung über den Verbleib der Sachen herbei. Es handelt sich vielmehr um eine vorläufige Besitzstandsregelung,15 die jederzeit im Zivilrechtsweg angegriffen werden kann.16 Dies war in § 111 Abs. 2 a.F. (s. Entstehungsgeschichte) ausdrücklich angeordnet. In dem an seine Stelle getretenen § 111k ist das nicht erwähnt, weil es letztlich selbstverständlich ist. § 111k gilt auch im Zeitraum der Aufrechterhaltung der Beschlagnahme nach § 111i Abs. 1 und 3.17 Keine Anwendung findet die Norm, wenn andere als der Verletzte Ansprüche auf die Sache anmelden18 oder wenn niemand die Sache herausverlangt, sie aber vom Täter zweifelsfrei durch eine Straftat erlangt wurde. Besteht unter den Beteiligten Einigkeit, an wen die Sache herauszugeben ist, dann kommt es auf die Regelung des § 111k ebenfalls nicht an.19 Die Sache kann dann formlos von demjenigen Strafverfolgungsorgan an den Berechtigten herausgegeben werden, das sie in Besitz hat.20 Häufig wird die systematische Stellung der Norm kritisiert.21 Diese Kritik ist jedoch nur bedingt berechtigt. Regelungsgehalt ist die Rückgabe von beweglichen Sachen, die dem Verletzten durch die Straftat entzogen wurden. Damit regelt sie eine Folgefrage der Vermögensabschöpfung und ist Teil der Zurückgewinnungshilfe.22 Die Regelung im Bereich der Vermögensabschöpfung ist daher naheliegend.
II. Voraussetzungen des § 111k Satz 1 4
1. Allgemeines. § 111k Satz 1 setzt voraus, dass eine bewegliche Sache (Rn. 3), die nach § 94 sichergestellt oder nach §§ 94 oder 111c Abs. 1 beschlagnahmt wurde (Rn. 4), dem Verletzten (Rn. 10) durch die Straftat (Rn. 6 ff.) entzogen (Rn. 9) wurde, für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird (Rn. 12), der Verletzte bekannt ist und Ansprüche Dritter nicht entgegenstehen (Rn. 13). Vom Anwendungsbereich des § 111k Satz 1 sind diejenigen Konstellationen ausgeschlossen, in denen der letzte Gewahrsamsinhaber damit einverstanden ist, dass die Sache nicht ihm, sondern dem Verletzten 11
12 13 14 15
OLG Schleswig NStZ 1994 99, 100; OLG Hamm NStZ 1986 376; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567; KG JR 1988 390; LG Hildesheim NStZ 1989 336; Löffler NJW 1991 1705, 1706; HK/Gercke 1. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. So zutreffend SK/Rogall 1. KK/Nack 5. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177; BGH NJW 2007 3352, 3354; Malitz NStZ 2003 61, 67; AnwK-StPO/Lohse 1; MeyerGoßner 1; SK/Rogall 1.
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16 17 18 19 20 21 22
HK-GS/Hartmann 1; KMR/Mayer 18. AnwK-StPO/Lohse 2; Meyer-Goßner 3. LG Hildesheim NStZ 1989 336 mit Anm. Gropp. AnwK-StPO/Lohse 1; HK-GS/Hartmann 1. SK/Rogall 36. Etwa LR/Schäfer 25 1; AnwK-StPO/Lohse 1; KK/Nack 1. KMR/Mayer 2.
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zurückgegeben wird.23 Der Beschuldigte ist häufig in der Hauptverhandlung bereit, eine derartige Erklärung abzugeben. Solche Erklärungen können wichtige Verteidigungstaktik und auch Gegenstand einer Verständigung24 sein. § 111k ist nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar, wenn die Sachen nicht durch eine Straftat entzogen worden sind.25 Es bleibt dann bei den allgemeinen Rückgabegrundsätzen, Rn. 2. 2. Bewegliche Sache. Der Begriff der beweglichen Sache definiert sich nach zivilrecht- 5 lichen Grundsätzen und umfasst alle körperlichen Gegenstände, die nicht Grundstücke, den Grundstücken gleichgestellt oder Grundstücksbestandteile sind.26 Erfasst werden auch die nach § 95 BGB nur vorübergehend mit dem Boden verbundenen Sachen, ebenso wie Schiffe und Luftfahrzeuge.27 Forderungen sind keine beweglichen Sachen,28 sie können daher nicht nach § 111k an den Verletzten herausgegeben werden.29 Auch einer analogen Anwendung von § 111k hat sich der Bundesgerichtshof mangels Regelungslücke verschlossen.30 Für entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen finden sich Sondervorschriften in den §§ 81a Abs. 3 Hs. 2, 81c Abs. 5 Satz 2, 81g Abs. 2 Satz 1 Hs. 2, 81h Abs. 3 Satz 1, die bestimmen, dass die Körperzellen unverzüglich zu vernichten sind. Eine Rückgabe findet nicht statt.31 3. Beschlagnahmt oder sonst sichergestellt. Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs 6 des Satzes 1 ist unerheblich, ob die Sache richterlich oder nichtrichterlich beschlagnahmt oder sichergestellt wurde und ob diese Maßnahme rechtmäßig oder unrechtmäßig war; erfasst wird vielmehr jede, auch formlose oder freiwillige Sicherstellung auf strafprozessualer Grundlage.32 Ausreichend, aber ebenso erforderlich ist damit eine Sicherstellung nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung, während eine Sicherstellung nach Gefahrenabwehrrecht, etwa zur polizeilichen Eigentumssicherung, nicht genügt.33 Unerheblich ist der Zweck der Beschlagnahme oder der Sicherstellung, ob diese beispielsweise dem Verfall oder der Beweissicherung diente, Rn. 1. Die Sache wird regelmäßig beim Beschuldigten oder einem nachfolgenden Straftäter, auf den der Gewahrsam durch eine weitere Straftat (Hehlerei, Begünstigung, einen weiteren Diebstahl oder Unterschlagung) übergegangen ist, beschlagnahmt worden sein. Notwendig ist dies jedoch nicht, es kommt nicht darauf an, wer letzter Gewahrsamsinhaber der Sache war.34 Dies kann sowohl der Täter, ein Teilnehmer der Straftat, ein nachfolgender Straftäter35 oder auch ein Unbeteiligter sein.36 Weder der Wortlaut, noch der Sinn und Zweck der Norm gebieten eine Aus-
23 24
25 26
27 28 29 30 31
Gropp NStZ 1989 337; vgl. Nr. 75 Abs. 2 RiStBV. Zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Verständigung im Allgemeinen BVerfG NJW 2013 1058. SK/Rogall 2. RG Z 55 281, 284; 87, 43, 51 insbesondere zur Abgrenzung von Bestandteilen und Zubehör eines Grundstückes. Palandt/Ellenberger Überblick Vor § 90, 3. Vgl. zu Erklärungsansätzen zur Intention des § 111k Malitz NStZ 2003 61, 63. BGH NJW 2007 3352; AnwK-StPO/Lohse 2; Meyer-Goßner 5. BGH NJW 2007 3352. SK/Rogall 2.
32 33 34 35
36
KMR/Mayer 4. KMR/Mayer 4. OLG Celle vom 21.12.2001 – 2 Ws 282/01 –; AnwK-StPO/Lohse 2; KK/Nack 4. OLG Hamm NStZ-RR 2009 376, selbst wenn das Verfahren nach § 154 Abs. 2 eingestellt wurde; AK/Achenbach 3; MeyerGoßner 3. OLG Celle vom 21.12.2001 – 2 Ws 282/01 –; OLG Stuttgart NStZ 1989 39; KK/Nack 4; SK/Rogall 9; Bohmeyer GA 1930 191, 198; a.A. RGSt 19 98; OLG Frankfurt GA 1972 212; OK-StPO/Huber 3; KMR/Mayer 6; Malitz NStZ 2003 61, 63 Fn. 30; MeyerGoßner 3; Eb. Schmidt § 111 6; Bethke DStrZ 1916 386.
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legung, dass ein unbeteiligter Dritter nicht letzter Gewahrsamsinhaber der Sache gewesen sein dürfte. Nicht nur weil eine Sache bei einem Unbeteiligten sichergestellt wurde, sind Komplikationen der Rechtslage zu vermuten, in die die Behörde nicht zugunsten des Verletzten eingreifen soll.37 Man denke nur an Diebesgut, an dem selbst ein gutgläubiger Dritter kein Besitzrecht erworben haben kann. Außerdem spricht schon der Gedanke des umfassenden Opferschutzes gegen eine solch einschränkende Auslegung.38 Als systematisches Argument kommt hinzu, dass sich der gesamte Achte Abschnitt der Strafprozessordnung auch auf Sachen im Besitz von unbeteiligten Dritten bezieht.39 Entscheidend für die Frage, ob eine Sache an den Verletzten herausgegeben wird, ist daher einzig, ob der Herausgabe Ansprüche Dritter entgegenstehen (Rn. 15) und nicht, wer letzter Gewahrsamsinhaber war.40 Zu den Folgen für die Herausgabe, wenn der unbeteiligte Dritte Besitzansprüche behauptet, Rn. 27 ff. Damit die Sache herausgegeben werden kann, muss sie sich denklogisch noch im Gewahrsam der Justiz befinden. Dies ist auch nach der Aufrechterhaltung einer Beschlagnahme nach § 111i der Fall.41 Ist sie hingegen zu Unrecht bereits herausgegeben oder wegen Ungewissheit über den Berechtigten hinterlegt worden,42 scheidet ein Vorgehen nach Satz 1 aus.43 Hat der Angeklagte bewegliche Sachen freiwillig zur Entschädigung der Opfer bereit gestellt, kommt eine Herausgabe an ihn nicht mehr in Betracht.44 Eine Herausgabe an den Verletzten ohne ein Verfahren nach § 111k ist auch dann möglich, wenn der Täter letzter Gewahrsamsinhaber war, auf eine Herausgabe verzichtet und kein Dritter Rechte oder Herausgabe an sich geltend macht.45 Dies gilt umgekehrt auch, wenn kein Verletzter vorhanden ist und ein Dritter die Herausgabe begehrt.46 Umstritten ist, ob Satz 1 auch dann anwendbar ist, wenn die Sache nach § 94 in 7 „anderer Weise sichergestellt“ worden ist.47 Eine Sicherstellung in anderer Weise ist notwendig, wenn Gegenstände nicht in Verwahrung genommen werden können oder der Zweck der Sicherstellung auch ohne Inverwahrnahme erreicht werden kann.48 Sie erfolgt bei Grundstücken und Räumen etwa durch Absperrung, die Versiegelung oder das Verbot, sie zu betreten.49 Bei beweglichen Sachen erfolgt die Sicherstellung in anderer Weise durch Ge- oder Verbote50 wie beispielsweise das Verbot an den unmittelbaren Besitzer einer Sache, sie an einen anderen als den behördlich ausgewiesenen Empfänger herauszugeben.51 Vgl. insgesamt zur anderweitigen Sicherstellung § 94, 49. Teilweise wird davon ausgegangen, Satz 1 sei in diesen Fällen nicht,52 auch nicht entsprechend,53 anwendbar. Eine Erklärung für diese Rechtsauffassungen wird nicht gegeben. Warum § 111k in diesen Fällen der anderweitigen Sicherstellung nicht anwendbar sein soll, erschließt sich nicht. Satz 1 erfasst von seinem Wortlaut auch die nach § 94 sonst sichergestellten Sachen. Der Gesetzeszweck der Rückgabe an den Verletzten kann auch in diesen Fällen erreicht werden.
37 38 39 40 41 42 43 44 45
So aber Eb. Schmidt § 111, 6. OLG Stuttgart NStZ 1989 39: § 111k als Vorläufer des Opferschutzgedankens. OLG Celle vom 21.12.2001 – 2 Ws 282/01 –. OLG Stuttgart NStZ 1989 39; SK/Rogall 9. AnwK-StPO/Lohse 2; Meyer-Goßner 3. OLG Stuttgart NStZ 1987 243. KMR/Mayer 5; Meyer-Goßner 3. OLG Oldenburg NStZ-RR 2008 116. AnwK-StPO/Lohse 2; KMR/Mayer 7.
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46 47 48 49 50 51 52 53
KMR/Mayer 7. Vgl. hierzu LR/Menges § 94, 49; MeyerGoßner § 94, 16. Meyer-Goßner § 94, 16. Meyer-Goßner § 94, 16. BGHSt 15 149, 150. LR/Menges § 94, 49. HK/Gercke 1; Meyer-Goßner 3; a.A. HK-GS/Hartmann 2. OK-StPO/Huber 3; a.A. KMR/Mayer 5.
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4. Durch die Straftat entzogen. Die bewegliche Sache muss dem Verletzten (Rn. 12 f.) 8 durch die Straftat entzogen worden sein, die Gegenstand des Strafverfahrens ist.54 Wird die Sache in einem anderen Strafverfahren noch benötigt, darf die Herausgabe nicht aus diesem Grund verweigert werden. Die Staatsanwaltschaft muss vielmehr in dem Parallelverfahren erneut auf die (zuvor zurückgegebenen) Gegenstände zugreifen.55 a) Straftat. Die Sache darf nach § 111k nur herausgegeben werden, wenn erwiesen 9 ist, dass sie dem Verletzten durch eine Straftat entzogen worden ist.56 Eine Straftat im Sinne des § 111k ist eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verletzt (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Es genügt die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes, die Tat muss nicht schuldhaft begangen worden sein.57 Auch bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB und wegen Tatbestands- oder Verbotsirrtums (§§ 16, 17 StGB),58 sowie bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses,59 ist § 111k anwendbar. Es muss jedoch – etwa bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses – feststehen, dass eine Straftat vorliegt.60 Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Grundsätzlich gelten die Urteilsfeststellungen.61 Liegt noch kein Urteil vor, ergeht die Entscheidung nach Aktenlage.62 Dann kann ein glaubhaftes Geständnis ausreichend sein.63 Ermittlungen und Beweiserhebungen mit dem Ziel, festzustellen, ob eine Straftat vorliegt, finden grundsätzlich nicht statt.64 b) Die Straftat. Umstritten ist, wie das Tatbestandsmerkmal „die Straftat“ auszulegen 10 ist. Einerseits wird vertreten, die bewegliche Sache müsse aufgrund der Straftat beschlagnahmt worden sein, die Gegenstand des Verfahrens ist.65 Die Herausgabe wäre dann akzessorisch zur Anknüpfungstat.66 Nach anderer Ansicht reicht es aus, dass die Sache aus irgendeiner Straftat stammt, diese muss nicht Gegenstand der Untersuchung und kann sogar bisher völlig unbekannt sein.67 Einigkeit besteht insoweit, dass auch die strengere, erstgenannte Auffassung davon ausgeht, dass es nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte letztlich auch wegen dieser Straftat verurteilt wurde.68 So soll es ausreichen, dass das Verfahren eingestellt 69 oder nach §§ 154, 154a beschränkt wurde.70 Notwendig sei dann lediglich die Überzeugung des Gerichts, dass die Sachen aus der Anknüpfungstat
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Meyer-Goßner 6. SK/Rogall 10. OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; LG Mainz MDR 1983 954; AnwK-StPO/ Lohse 4; Meyer-Goßner 6; KMR/Mayer 8. Meyer-Goßner 6; KK/Nack 4; Pfeiffer 3. Meyer-Goßner 6. Fraeb ZStW 31 (1911) 899, 900. OLG Nürnberg HESt 2 84, 85; LG Mainz MDR 1983 954; Eb. Schmidt § 111, 8; KMR/Mayer 8. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177; HK/Gercke 5; KK/Nack 4; HK-GS/Hartmann 5; KMR/Mayer 8; vgl. zur Reichweite von Feststellungen in vorherigen Urteilen auch BGH NJW 1997 2828. OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; KG JR 1988 390; AK/Achenbach 6; KK/Nack 4; Meyer-Goßner 6.
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AnwK-StPO/Lohse 4. OLG Nürnberg HESt 2 84, 85; KK/Nack 4; SK/Rogall 14. AK/Achenbach 6; HK/Gercke 4; MeyerGoßner 6; SK/Rogall 13; Löffler NJW 1991 1705, 1708 f.; Gropp NStZ 1984 568. Gropp NStZ 1984 568, 569. OLG Celle vom 21.12.2001 – 2 Ws 282/01 –; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567, zum selben Verfahren MDR 1984 424; AnwK-StPO/ Lohse 4; KMR/Mayer 8; KK/Nack 5; in der Tendenz auch KG BeckRS 2000 15734. KG JR 1988 390; KMR/Mayer 8; SK/Rogall 13; Meyer-Goßner 6. Dreyfus ZStW 36 (1916) 60, 64; a.A. bei Einstellung nach § 170 Abs. 2 SK/Rogall 13. KG JR 1988 390; AK/Achenbach 6; HK-GS/Hartmann 5.
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des Verfahrens stammen. Eine Streitentscheidung wird daher oft entbehrlich sein. In den übrigen Fällen ist davon auszugehen, dass der Wortlaut keine akzessorische Verknüpfung der Herausgabe mit der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Tat gebietet.71 So spricht das Gesetz nicht davon, dass die bewegliche Sache „… dem Verletzten, dem sie durch die das Verfahren veranlassende Straftat entzogen worden ist“, zurückzugeben ist. Für eine solche Auslegung spricht allenfalls, dass der § 111k als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Für die enge Auslegung der Vorschrift werden teilweise noch der Vorbehalt des Gesetzes und die Unschuldsvermutung angeführt.72 Diese Bedenken schlagen jedoch nicht durch. Es besteht keine Verpflichtung des Staates, jemandem Sachen zurückzugeben, die dieser zur Überzeugung eines Gerichts durch eine rechtswidrige Handlung erlangt hat, nur weil die Opfer unbekannt sind oder kein entsprechendes Verfahren anhängig ist.73 Andernfalls müssten die Sachen selbst dann herausgegeben werden, wenn der Beschuldigte eingeräumt hat, diese rechtswidrig erlangt zu haben.74 Der Unschuldsvermutung wird dadurch Rechnung zu tragen sein, dass eine Herausgabe nur dann vorgenommen wird, wenn das Gericht ohne jeden vernünftigen Zweifel von der deliktischen Herkunft der Sache ausgeht. In diesen Fällen hat das Gericht nach § 111i Abs. 875 zu verfahren, ausnahmsweise kommt auch eine Handhabung nach § 983 BGB in Betracht.76 Dem Betroffenen bleibt in diesen Fällen ein zivilrechtliches Vorgehen vorbehalten, Rn. 3.
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c) Entziehung. Entzogen sind die Gegenstände dem Verletzten nur, wenn sie unmittelbar durch die Straftat in den Besitz des Täters gelangt sind.77 Dies ist nicht nur dann zu bejahen, wenn der Täter die Sachen weggenommen hat (§§ 242, 249 StGB), sondern auch, wenn er die ihm anvertrauten Gegenstände unterschlagen (§ 246 StGB), veruntreut (§ 266 StGB) oder wenn er den Verletzten nach §§ 253, 263 StGB rechtswidrig veranlasst hat, sie ihm zu geben.78 Nicht erforderlich ist, dass der Täter den unmittelbaren Besitz erlangt hat.79 Da § 111k den vorläufigen Besitzstand regeln,80 nicht aber Schadensersatz gewähren will, fallen Surrogate nicht unter § 111k.81 Dies gilt sowohl für das nach der Entwendung umgewechselte Geld,82 das mit einem gestohlenen Scheck abgehobene Geld,83 den Erlös für veräußertes Diebesgut84 und die Sachen, die mit gestohlenem Geld gekauft worden sind.85 Hat der Täter dem Opfer Geld geraubt und dieses anschließend mit seinem eigenen vermischt, muss in Konsequenz der vorgenannten Grundsätze auch hier eine Herausgabe an den Verletzten ausscheiden.86 Für durch einen Betrug
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A.A. SK/Rogall 13 Fn. 68. Gropp NStZ 1984 568, 569; AK/Achenbach 6. KK/Nack 5; i.E. ebenso AnwK-StPO/ Lohse 4. KG JR 1988 390. A.A. AnwK-StPO/Lohse 4, wonach das Verfahren nach § 111i Abs. 2 bis 7 einschlägig sein soll; siehe aber auch AnwK-StPO/Lohse § 111i, 5. AnwK-StPO/Lohse 4; KK/Nack 5. OLG Hamm NStZ-RR 2009 376; OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; AnwK-StPO/ Lohse 4; KMR/Mayer 8. KK/Nack 4; Meyer-Goßner 7; Eb. Schmidt § 111, 9; KMR/Mayer 8. OLG Hamm NStZ-RR 2009 376.
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LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. AK/Achenbach 5; HK/Gercke 4; KMR/ Mayer 3; Meyer-Goßner 7; SK/Rogall 15; Eb. Schmidt § 111, 11; a.A. OLG Schleswig NStZ 1994 99; KK/Nack 4, wonach § 111k dann entsprechend angewendet werden soll. Behr DStrZ 1917 199, 200. Behr DStrZ 1917 199, 201. RGSt 1 144, 145; Behr DStrZ 1917 199, 200; Bethke DStrZ 1916 386 für den Erlös unterschlagener Gegenstände; Dreyfus ZStW 36 (1915) 61, 67. Eb. Schmidt § 111, 11; Behr DStrZ 1917 199, 200; Dreyfus ZStW 36 (1915) 61, 67. LG Mainz MDR 1983 954; Meyer-Goßner 7; SK/Rogall 15; a.A. LR/Schäfer 25 11; HK-GS/Hartmann 6.
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erlangtes Bargeld kann bei Vermischung nichts anderes gelten,87 denn die entzogene Sache muss mit der sichergestellten identisch sein. Eine lediglich wertmäßige Entsprechung reicht nicht aus,88 da es nicht Sinn und Zweck des § 111k ist, Schadensersatzansprüche auszugleichen.89 Der Verletzte hat in all diesen Fällen keinen dinglichen oder besitzrechtlichen Herausgabeanspruch, sondern (nur) einen Übereignungsanspruch.90 Durch die Rückgabe an den Verletzten wird jedoch nicht die dingliche Rechtslage gestaltet, sondern eine vorläufige Besitzstandregelung getroffen. Ein Pfandschein hingegen verbriefe die Sache so eindeutig, dass er an deren Stelle treten soll, etwa wenn die gestohlene Sache anschließend verpfändet wurde.91 Gleiches soll für sonstige Legitimationspapiere wie Reparaturscheine gelten.92 Ob dies den vorgenannten Grundsätzen entspricht, darf bezweifelt werden. Zweifelsfrei von § 111k ist der Erlös aus einer Notveräußerung nach § 111l Abs. 1 Satz 2 erfasst, er kann somit herausgegeben werden.93 Entzogen im Sinne des § 111k ist auch das durch Ein- oder Umschmelzen aus dem entwendeten Metall gewonnene Erzeugnis,94 denn es kommt nicht auf den aktuellen Zustand des Gegenstandes, sondern dessen (materielle) Identität an. 5. Bekannter Verletzter. Die Sache darf nur an den bekannten Verletzten herausge- 12 geben werden. Verletzter ist, wem der Besitz an der Sache durch die Straftat unmittelbar entzogen wurde.95 Sind Eigentümer und unmittelbarer Besitzer personenverschieden, ist Verletzter zwar grundsätzlich nur der unmittelbare Besitzer.96 Die unmittelbare Besitzentziehung ist jedoch nicht mit der Entziehung des unmittelbaren Besitzes zu verwechseln. Verletzter kann in besonderen Konstellationen – etwa im Falle eines durch Betrug erlangten Leasingobjekts – daher auch sein, wem der mittelbare Besitz unmittelbar entzogen wurde.97 Der Verletzte im Sinne des § 111k ist nicht zwingend auch Verletzter nach § 111b Abs. 5 (§ 111b, 9). Gleichwohl wird von der Rechtsprechung auch der Versicherer als Verletzter nach § 111k angesehen, auf den die Rechte nach § 86 VVG übergegangen sind.98 Bekannt ist der Verletzte, wenn seine Person identifiziert ist und seine Personalien feststehen. Ist der Verletzte noch nicht identifiziert, aber identifizierbar, verlangt das Legalitätsprinzip die Aufklärung. Dies gilt etwa dann, wenn anhand von Lichtbildern oder Fingerabdrücken die Behauptung einer Person, sie sei der Verletzte der Straftat, nachvollzogen werden kann. Hierfür spricht auch die Ausgestaltung des § 111k als „SollVorschrift“. Fehlt es an einer Identifizierbarkeit, ist der Verletzte unbekannt. Der Erbe des Verletzten steht diesem gleich.99 Hatten mehrere Verletzte vor der Entziehung des Besitzes Mitgewahrsam, muss die Sache an alle gemeinsam herausgegeben werden.100
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OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; AnwK-StPO/Lohse 4; HK/Gercke 4; SK/Rogall 16; a.A. HK-GS/Hartmann 6. HK/Gercke 4; KMR/Mayer 8. Zur Entschädigungspflicht, wenn fehlerhaft an den Verletzten herausgegeben wurde OLG Jena NStZ-RR 2005 125. SK/Rogall 16; KMR/Mayer 3. Bohmeyer GA 74 (1930) 191, 196; AK/ Achenbach 5; Meyer-Goßner 7; SK/Rogall 16. SK/Rogall 16. AK/Achenbach 5; Meyer-Goßner 7; AnwKStPO/Lohse 2; SK/Rogall 16. Fraeb ZStW 31 (1911) 899, 908; HK-GS/
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Hartmann 6; a.A. Meyer-Goßner 7; HK/Gercke 4. KMR/Mayer 8; Meyer-Goßner 5; SK/Rogall 12. LG Berlin vom 27.4.2007 – 511 Qs 24/07 –; KMR/Mayer 8; Meyer-Goßner 5; SK/Rogall 12; a.A. Dreyfus ZStW 36 (1916) 60, 71, Rückgabe an den Eigentümer. Ausführlich dazu OLG Hamm NStZ-RR 2009 376; a.A. Malitz NStZ 2003 61, 63 Fn. 30; HK-GS/Hartmann 4. OLG Schleswig NStZ 1994 99; HK-GS/ Hartmann 4. KMR/Mayer 8; Meyer-Goßner 5. SK/Rogall 12.
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6. Unbekannter Verletzter. Ist der Verletzte weder identifiziert noch identifizierbar (Rn. 12), ist er unbekannt. Es ist nicht erforderlich, den unbekannten Verletzten zu ermitteln.101 In derartigen Fällen kommt nur die Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber in Betracht, es sei denn, dieser ist zu Unrecht in den Besitz der Sache gelangt.102 Für das weitere Vorgehen in diesen Fällen ist zu beachten, dass eine Verfallsanordnung auch beim unbekannten Verletzten wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht in Betracht kommt, § 111b, 9. Eine Entscheidung, dass die Sache dem Verletzten herauszugeben ist, sobald er bekannt wird, ergeht nicht. Bei werthaltigen Gegenständen wird in aller Regel nach § 111i Abs. 8 vorgegangen werden,103 ansonsten bleibt es bei der Möglichkeit, die Sache zu verwahren oder zu hinterlegen und sogar eine Vernichtung soll möglich sein.104 Bei einer Vernichtung sollte jedoch Zurückhaltung geübt werden, da die strafrechtlichen Folgen bisher nicht geklärt sind. Möglich bleibt auch ein Vorgehen nach § 983 BGB,105 wenn die Voraussetzungen des § 111k sicher vorliegen.106
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7. Entbehrlichkeit für Zwecke des Strafverfahrens. Eine Herausgabe beweglicher Sachen an den Verletzten kommt nur dann in Betracht, wenn die Sache für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird. Dass eine Sache nicht herauszugeben ist, solange sie für das Verfahren benötigt wird, ist selbstverständlich. Dem Tatbestandsmerkmal kommt daher vor allem klarstellende Funktion zu, dass mit der Herausgabe nicht bis zum Verfahrensabschluss gewartet werden darf, wenn die Sache bereits zuvor entbehrlich wurde. Entbehrlich sind Sachen, die weder für Maßnahmen nach §§ 111b ff.,107 noch als Beweismittel benötigt werden.108 Entbehrlichkeit liegt auch vor, wenn die Sachen durch Surrogate ersetzt werden können. Als Beispiel hierfür lassen sich Urkunden anführen, an deren Stelle Fotokopien platziert werden können.109 Die Grundsätze zur Aufhebung der Beschlagnahme sind entsprechend anwendbar, § 98, 57 ff. Ein Beweismittel, dessen Verderb droht, muss schon vor Beendigung des Verfahrens herausgegeben werden,110 die Herausgabe geht einer Notveräußerung vor.111 Ob die Sache für Zwecke des Strafverfahrens noch benötigt wird, entscheidet bis zur Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft, anschließend bis zur Rechtskraft das Gericht.112
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8. Keine Drittansprüche. Der Herausgabe an den Verletzten dürfen keine Ansprüche Dritter entgegenstehen. Zum Vorgehen bei Drittansprüchen Rn. 27 ff. Es ist nicht erforderlich, dass die Ansprüche von Dritten ausdrücklich geltend gemacht wurden. Möglicherweise etwa anhand der Aktenlage113 bestehende Ansprüche sind vielmehr von Amts wegen zu berücksichtigen.114 Für die Bejahung von Drittansprüchen ist bereits eine zwei-
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HK-GS/Hartmann 5; Meyer-Goßner 5. AnwK-StPO/Lohse 4. AnwK-StPO/Lohse § 111i, 5; a.A. jedoch AnwK-StPO/Lohse 4, wonach das Verfahren nach § 111i Abs. 2 bis 7 einschlägig sein soll. Cremers wistra 2000 130, 133; MeyerGoßner 5; vgl. zur Problematik im Umgang mit beschlagnahmten Unterlagen bei fehlender Rückgabemöglichkeit: Dörr wistra 1999 175. HK-GS/Hartmann 4; HK/Gercke 9. Meyer-Goßner 5.
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felhafte Rechtslage ausreichend.115 In diesem Fall erfolgt die Herausgabe grundsätzlich an den letzten, rechtmäßigen Gewahrsamsinhaber,116 Rn. 2. Fehlen entsprechende Anhaltspunkte für bestehende Drittansprüche, findet keine Beweiserhebung statt.117 Da nur eine vorläufige Regelung des Besitzstandes118 zu treffen ist, sind nur solche Drittansprüche relevant, die das Besitzrecht des Verletzten in Frage stellen. Es kann sich dabei um dingliche Rechte handeln, erforderlich ist das aber nicht; es reicht jede Rechtsbeziehung aus einem Schuldverhältnis aus, die einen anderen als den durch die Straftat Verletzten zum Besitz der Sache berechtigt.119 Nicht ausreichend ist der schuldrechtliche Anspruch auf Verschaffung von Eigentum, etwa nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB.120 Das Eigentum eines Dritten an der Sache steht andererseits der Herausgabe nach § 111k nicht entgegen, wenn der Verletzte zum Besitz der Sache berechtigt ist. Auch die Anfechtbarkeit der Eigentumsübertragung an den Täter nach § 123 BGB soll die Rückgabe an den Verletzten ermöglichen.121 Dritter im Sinne dieser Vorschrift kann auch der Beschuldigte selbst sein, wenn er etwa behauptet, unabhängig von der Tat einen Anspruch auf die Sache zu haben, z.B. aus nachträglicher Übereignung.122 9. Herausgabe. Die sichergestellten Sachen sind dem Verletzten so herauszugeben, 16 wie sie verwahrt worden sind. Anstelle von Wertpapieren oder Kostbarkeiten darf nicht etwa der Nennwert in Geld herausgegeben werden.123 Wurde beschlagnahmtes Geld mit anderem Geld vermischt, ist der Nennwert des Geldes auszuzahlen.124 Befand sich die Sache zur Zeit der Entscheidung nach § 111k nicht im amtlichen Gewahrsam, sondern war sie in anderer Weise sichergestellt (Rn. 7), gilt § 111k entsprechend; an die Stelle der Herausgabe treten dann die erforderlichen Weisungen an den Gewahrsamsinhaber (Rn. 7). Seit jeher ist umstritten, ob die Strafverfolgungsbehörden bei der Rückgabe beschlag- 17 nahmter Sachen einer Hol- oder Bringschuld unterliegen.125 Die Beantwortung dieser Frage hängt auch davon ab, wie man das Verhältnis der Behörde zu dem beschlagnahmten Gegenstand charakterisiert. Eine Auffassung geht von einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis analog der §§ 688 ff. BGB aus,126 mit der Folge, dass die Sache an dem Ort zurückzugeben ist, an dem sie aufbewahrt wurde.127 Diese Analogie wird partiell abgelehnt und stattdessen die Rückgabepflicht an dem Ort postuliert, an dem die Sache beschlagnahmt oder sonst sichergestellt wurde.128 Den Auffassungen ist gemein, dass sie nicht zwischen den von der Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellungen Betroffenen differenzieren.129 Sie behandeln vielmehr Beschuldigte genauso wie Dritte, den 115
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OLG Hamm NStZ-RR 2009 376, 377; OLG Koblenz MDR 1984 774; Bohmeyer GA 74 (1930) 191, 197; Meyer-Goßner 8. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 17; Eb. Schmidt § 111, 17. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177; BGH NJW 2007 3352, 3354; Malitz NStZ 2003 61, 67; AnwK-StPO/Lohse 1; MeyerGoßner 1; SK/Rogall 1. Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 17; KMR/ Mayer 10. HK/Gercke 7; KMR/Mayer 10. KMR/Mayer 2. Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 17; Hohendorf NStZ 1986 498, 499; a.A. Bohmeyer GA 74 (1930) 191, 198.
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RG LZ 1923 496; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 3. OLG Düsseldorf NJW 1990 723, 724. Umfassend hierzu Kemper NJW 2005 3679. BGH NJW 2005 988; die Analogie bejahend aber in der Folge einschränkend Kemper NJW 2005 3679, 3680. AnwK-StPO/Lohse 1; KK/Nack 1; KMR/Mayer 1; SK/Rogall 11, einschränkend bei Beschlagnahme bei unverdächtigen Dritten. LR/Menges § 98, 64; Damrau NStZ 2003 408, 410; Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 462 f. Kemper NJW 2005 3679, 3681.
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freigesprochenen Angeklagten genauso wie den Verurteilten. Die Rechtsnatur des Besitzverhältnisses richtet sich zwar nicht danach, welcher der vorgenannten Personen von der Beschlagnahme betroffen wurde.130 Allerdings darf der im Strafverfahren generell geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht außer Acht gelassen werden. So mag zwar grundsätzlich ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis vorliegen,131 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann jedoch eine Rückgabeverpflichtung abweichend von den zivilrechtlichen Grundsätzen erfordern.132 Bei der erforderlichen Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Maßgeblich sollte darauf abgestellt werden, ob und wenn ja, in welchem Maße der Betroffene zu der Beschlagnahme oder Sicherstellung Anlass gegeben hat und wie groß der Aufwand der Strafverfolgungsbehörden wäre, die Sache zurückzubringen, im Vergleich zu dem Aufwand, den der Betroffene zur Abholung betreiben müsste. Darüber hinaus muss zwischen dem Beschuldigten und unbeteiligten Dritten differenziert werden.133 Denn nach der Strafprozessordnung hat der Beschuldigte grundsätzlich mehr zu dulden als ein unverdächtiger Dritter.134 Ebenso kann im Rahmen der Rückgabeentscheidung Berücksichtigung finden, ob die Beschlagnahme rechtmäßig oder rechtswidrig war.135 Danach gilt grundsätzlich, dass der verurteilte Straftäter die Sachen abzuholen hat. Das Gericht ist zur Überzeugung seiner Schuld gelangt, so dass er die Beschlagnahme durch sein Verhalten veranlasst hat. Alle übrigen Konstellationen sind stark einzelfallbezogen. Es verbietet sich daher, Regeln für die Handhabe bei Freispruch oder Einstellung des Ermittlungsverfahrens aufzustellen. Hat der Betroffene keinen Anlass zur Beschlagnahme gegeben, sollten die Strafverfolgungsbehörden die Sachen grundsätzlich zurückbringen oder auf ihre Kosten verschicken. Die von Staatsanwaltschaften allzu häufig vertretene Auffassung, der Betroffene müsse seine Sachen immer bei ihnen abholen, ist rechtsfehlerhaft. Geht man trotz der besseren Argumente für eine einzelfallabhängige Betrachtung 18 davon aus, dass prinzipiell eine Holschuld der Strafverfolgungsbehörden besteht, stellt sich die Frage, ob der Betroffene die dadurch entstehenden Kosten erfolgreich in Form von Schadensersatzansprüchen gegen den Staat geltend machen kann. Dabei ist wiederum zwischen der rechtmäßigen und unrechtmäßigen Beschlagnahme zu unterscheiden. War die Beschlagnahme rechtmäßig, scheiden Amtshaftungsansprüche per se aus.136 Ob entsprechende Aufwendungen des Beschuldigten jedoch nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG ersatzfähige Schadenspositionen sind, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Hierzu ist zu beachten, dass ein Schaden per Definition nur eine unfreiwillige Vermögenseinbuße sein kann. Lässt sich der Betroffene die beschlagnahmten Gegenstände auf seine Kosten an seinen Wohnort schicken oder holt er sie ab, liegt folglich kein Schaden, sondern eine Aufwendung vor. Hierfür dürfte es an einer Anspruchsgrundlage fehlen, auch wenn es sich um eine Aufwendung handelt, zu der sich der Beschuldigte herausgefordert fühlen durfte. Eine gesetzliche Klarstellung ist deshalb wünschenswert. Eine analoge Anwendung des Haftungsprivilegs des § 690 BGB scheidet hingegen nach einhelliger Auffassung aus, da die Interessenlagen bei einer unentgeltliche Verwahrung und bei hoheitlicher Beschlagnahme nicht vergleichbar sind.137 130 131
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Flore/Schwedtmann PStR 2000 28, 30. Argumente pro und contra finden sich hierzu bei BGH NStZ 2005 988, 989; Damrau NStZ 2003 408, 409. Umfassend hierzu Kemper NJW 2005 3679, 3681. SK/Rogall 11.
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Kemper NJW 2005 3679, 3681; MeyerGoßner § 103, 1. In der Tendenz wohl ebenso BGH NJW 2005 988, 989; a.A. wohl Kemper NJW 2005 3679, 3681. BGH NJW 2005 988, 989. BGHZ 4 192, 194; Schäfer wistra 1984 136, 137; SK/Rogall 11.
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10. Zuständigkeit. Die Frage, wer für die Anordnung der Rückgabe sichergestellter 19 beweglicher Sachen zuständig ist, ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Gleichwohl fehlt auch hier seit jeher eine ausdrückliche, entsprechende Regelung. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Rückgabe von Gegenständen an den letzten Gewahrsamsinhaber und der hiesigen Ausnahmeregelung des § 111k Satz 1. In Bezug auf die Rückgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber besteht Einigkeit, dass diese grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft vorgenommen wird.138 Die Zuständigkeit für die Rückgabe beschlagnahmter Sachen an den Verletzten war139 indes umstritten. Daran hat sich auch durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 nur wenig geändert,140 da der Gesetzgeber hier keine entsprechende positiv-rechtliche Regelung getroffen hat. Der Streitstand dürfte sich jedoch bei genauer Betrachtung durchaus erledigt haben, da sich aus der Gesetzesbegründung und der Einfügung der Sätze 2 und 3 die strittigen Fragen beantworten lassen.141 Es gilt: Die Staatsanwaltschaft ist für eine Rückgabeentscheidung bis zur Erhebung der öffentlichen Klage zuständig, anschließend entscheidet bis zur Rechtskraft das Gericht.142 Nach Rechtskraft fällt die Entscheidung wieder in den Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft.143 Früher wurde teilweise vertreten, dass die Herausgabe an den Verletzten nur durch den Richter veranlasst werden dürfe, da die Entscheidung in die Rechtssphäre des letzten Gewahrsamsinhabers eingreife.144 Diese Auffassung ist jedoch nicht zutreffend. Die Rückgabe nach § 111k steht nicht unter Richtervorbehalt145 und ein solcher ist auch nicht notwendig.146 Für die Kompetenz zur Rückgabeentscheidung kommt es einzig auf die aktuelle Verfahrensherrschaft an.147 Dies gewährleistet eine nachvollziehbare und sachnahe Kompetenzverteilung. Zudem wird durch die Rückgabe nach § 111k nur eine vorläufige Besitzstandsregelung getroffen,148 dem letzten Gewahrsamsinhaber und jedem anderen, der Rechte an der Sache behauptet, steht die richterliche Überprüfung im Zivilrechtsweg offen.149 Darüber hinaus hat er über den Verweis in § 111k Satz 2 kumulativ jederzeit die Möglichkeit, die (straf-)gerichtliche Entscheidung zu beantragen.150 Aus § 111k Satz 3 folgt außerdem, dass die Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Gerichts herbeiführen kann, wenn das Recht des Verletzten nicht offenkundig ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Staatsanwaltschaft originär zuständig ist, wenn Ansprüche Dritter nicht ersichtlich sind. Denn wenn Ansprüche des Verletzten offenkundig sind, können denklogisch Ansprüche des Dritten nicht gegeben sein.151
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LR/Menges § 98, 65; Meyer-Goßner § 98, 30 m.w.N.; so auch schon Bohmeyer GA 74 (1930) 191, 194. Vgl. ausführlich dazu Löffler NJW 1991 1705, 1709; LR/Schäfer 25 21 ff.; SK/Rogall 20 ff. Siehe etwa KMR/Mayer 13 f.; KK/Nack 8. A.A. KMR/Mayer 13. BTDrucks. 16 700 S. 19; BGH vom 2.10.2007 – 4 StR 306/07 –; KK/Nack 8; AnwK-StPO/Lohse 6; HK/Gercke 10; HK/GS-Hartmann 8; Meyer-Goßner 10; SK/Rogall 24; a.A. KMR/Mayer 13, Staatsanwaltschaft ist nur bei einvernehmlicher Entscheidung zuständig. OLG Stuttgart NStZ-RR 2002 111, HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 10; a.A.
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KK/Nack 8: letzter Tatrichter; LR/Schäfer 25 21: Gericht 1. Instanz. Ausführlich Malitz NStZ 2003 61, 62 m.w.N; LR/Schäfer 25 21; Löffler NJW 1991 1705, 1710. AnwK-StPO/Lohse 6. OLG Stuttgart NStZ-RR 2002 111; SK/Rogall 23; a.A. Löffler NJW 1991 1705, 1710. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 462; AnwK-StPO/Lohse 6. BGH NJW 2007 3352, 3354; Meyer-Goßner 1; Eb. Schmidt § 111, 16. OLG Nürnberg HESt 2 84; MeyerGoßner 1. Meyer-Goßner 13. SK/Rogall 33.
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Für Rückgabeentscheidungen im laufenden Berufungsverfahren ist nach Vorlage der Akten gem. § 321 das Berufungsgericht, auch bei Teilanfechtung der Entscheidung, zuständig, denn ihm obliegt die Verfahrensherrschaft. Während des Revisionsverfahrens ist das Gericht zuständig, dessen Entscheidung angefochten ist,152 nach Zurückweisung durch die Revisionsinstanz das Gericht, an das verwiesen wurde.153 Nach Rechtskraft ist wiederum die Staatsanwaltschaft zuständig.154
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11. Verfahren. Die Entscheidung über die Herausgabe an den Verletzten ergeht von Amts wegen.155 In der Regel werden aber der Verletzte oder die Staatsanwaltschaft entsprechende Anträge stellen. Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und die Beteiligten, namentlich der letzte Gewahrsamsinhaber und Personen, die Rechte an dem Gegenstand geltend machen, zu hören (§ 33). Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ergeht durch Verfügung. Die Entscheidung des Gerichts ergeht ohne Beweisaufnahme nach Aktenlage156 als Beschluss.157 Dieser ist anfechtbar und deshalb zu begründen (§ 34). Zweckmäßigerweise in der Formel sind die auszuliefernden Gegenstände und der Empfangsberechtigte genau zu bezeichnen.
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12. Form. Das Gericht macht die Entscheidung, da kein befristetes Rechtsmittel gegeben ist, durch formlose Mitteilung (§ 35 Abs. 2 Satz 2) bekannt; jedoch kann es auch die Form der Zustellung (§ 37) wählen, wenn, etwa wegen des großen Wertes der herauszugebenden Sachen, die formlose Mitteilung nicht genügt. Da die Herausgabe der Sachen Vollstreckung im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 ist, ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich zuständig. In der Regel wird sie die Sachen in Verwahrung haben und kann sie dann herausgeben. Die Herausgabe der Sache an den Empfänger ist ein Realakt.158 Im gerichtlichen Gewahrsam befindliche Sachen kann das Gericht auch selbst herausgeben.159 Die Herausgabe an den Verletzten erfolgt unverzüglich nach Wegfall der Bedeutung der Sache für das Strafverfahren.160 Vor der Herausgabe an den Verletzten tritt im Verhältnis Täter – Opfer keine Erfüllung etwaiger Regressansprüche ein.161 Zu den genauen Voraussetzungen einer Herausgabe an den Empfangsberechtigten oder Bevollmächtigten siehe Nr. 75 Abs. 5 RiStBV.
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13. „Soll-Vorschrift“. Im Gegensatz zu § 111 a.F. (s. Entstehungsgeschichte), der die Rückgabe der Sache an den Verletzten zwingend vorgeschrieben hatte, ist § 111k eine Sollvorschrift. Die Herausgabe der beweglichen Sache an den Verletzten steht somit nicht im freien Ermessen der Staatsanwaltschaft. Vielmehr muss vor dem Hintergrund der gestiegenen Bedeutung des Opferschutzes (§ 111b, 53) nach der Vorschrift verfahren werden, wenn nicht besondere Gründe vorliegen, die eine Herausgabe an den Verletzten verbieten. Die Herausgabe an den Verletzten kommt etwa dann nicht in Betracht, wenn auch er die Sache nicht ohne die erforderliche Genehmigung besitzen darf,162 wie z.B.
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SK/Rogall 24; Meyer-Goßner 10. SK/Rogall 24. OLG Stuttgart NStZ-RR 2002 111; AnwKStPO/Lohse 6; Meyer-Goßner 10; a.A. KMR/Mayer 13: Tatgericht 1. Instanz; KK/Nack 8: letztes Tatgericht. SK/Rogall 26; KMR/Mayer 15. AK/Achenbach 14; Meyer-Goßner 12; KK/Nack 9.
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KMR/Mayer 15; a.A. SK/Rogall 26, der eine richterliche Verfügung annimmt und sich dabei auf den Willen des Gesetzgebers beruft. SK/Rogall 27. Meyer-Goßner 12. SK/Rogall 11. BGH vom 2.10.2007 – 4 StR 306/07 –. HK-GS/Hartmann 1; KMR/Mayer 12.
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Waffen, Sprengstoff oder Betäubungsmittel.163 In diesen Fällen hat eine Herausgabe auch ohne Verzichtserklärung an die zuständige Verwaltungsbehörde zu erfolgen.164 Für die Rücksendung gefährlicher Gegenstände an eine gefangene oder untergebrachte Person gilt Nr. 75 Abs. 3 Satz 2 RiStBV.165 Sind die Rechte des Verletzten nicht offenkundig, kann die Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Gerichts herbeiführen. Aus dieser „Kann-Bestimmung“ folgt im Umkehrschluss, dass sie auch bei nicht offensichtlichen Rechten des Verletzten grundsätzlich berechtigt ist, die Sache an diesen herauszugeben.166 Zu Amtshaftungsansprüchen in diesen Fällen Rn. 37.
III. Andere Fallgruppen Wie dargestellt, regelt § 111k Satz 1 den Sonderfall, dass beschlagnahmte bewegliche 24 Sachen an den Verletzten und nicht an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben werden (Rn. 1). Liegen die Voraussetzungen des § 111k Satz 1 nicht vor, fehlt es an einer entsprechenden Regelung, wie mit den beschlagnahmten beweglichen Sachen umzugehen ist. Als „actus contrarius“167 zur Beschlagnahme kommt primär eine Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber in Betracht (Rn. 2). Es kann jedoch Konstellationen geben, in denen sich diese Herausgabe verbietet. Hierzu gilt im Einzelnen: 1. Täter war letzter Gewahrsamsinhaber. Steht fest, dass der Täter einen sicherge- 25 stellten Gegenstand durch eine strafbare Handlung erlangt hat, kommt eine Rückgabe an ihn nicht in Betracht.168 Zum Vorgehen in diesen Fällen siehe Rn. 2. Können entsprechende Feststellungen über die deliktische Herkunft der sichergestellten Gegenstände jedoch nicht getroffen werden, steht § 111k der Rückgabe an den Täter nicht entgegen.169 Liegen die Voraussetzungen des § 111k vor, kommt eine Hinterlegung nicht in Betracht.170 2. Unbekannter Verletzter. Die Rückgabe an den Verletzten kann aus dem einfachen 26 Grund scheitern, dass dieser (noch) nicht bekannt ist. Die Sache wird dann nicht an den Beschuldigten herausgegeben.171 In solchen Fällen hält das Gericht vielmehr die Beschlagnahme nach § 111i aufrecht, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen. Werden Verletzte auch innerhalb der Dreijahresfrist des § 111i Abs. 3 nicht bekannt, vollzieht sich der Auffangrechtserwerb des Staates, § 111i, 38 ff. Es ergeht keine Entscheidung, die Sache an den Verletzten heraus zu geben, wenn dieser bekannt wird. Stammen die bei einem Beschuldigten beschlagnahmten Gegenstände unzweifelhaft aus einer deliktischen Handlung, scheidet eine Rückgabe an ihn auch dann aus, wenn die Tat weder in das Verfahren einbezogen oder sie selbst und die Verletzten noch unbekannt sind, Rn. 10.172 Liegen die Voraussetzungen von § 111i nicht vor, so wird nach §§ 983, 979 ff. verfahren, Rn. 30. 3. Ansprüche Dritter. Machen Dritte Ansprüche geltend oder sind solche anhand des 27 Ermittlungsstandes ersichtlich, scheidet nach dem Wortlaut des Gesetzes die Rückgabe
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Meyer-Goßner 2. KMR/Mayer 12; SK/Rogall 10. SK/Rogall 10. SK/Rogall 18; a.A. KMR/Mayer 10. OLG Köln NStZ-RR 2005 239, 240; Gropp NStZ 1984 568, NStZ 1989 337.
168 169 170 171 172
OLG Düsseldorf NStZ 1984 567. LG Mannheim NStZ-RR 1998 113. OLG Stuttgart NStZ 1987 243. KG JR 1988 390; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567, 568. OLG Düsseldorf MDR 1984 424.
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an den Verletzten nach § 111k Satz 1 aus. Wie dann zu verfahren ist, regelt das Gesetz wiederum nicht ausdrücklich. Es ist dabei unerheblich, ob ein Dritter oder mehrere Dritte Ansprüche an der Sache anmelden. Nach den dargelegten Grundsätzen (Rn. 1) hat die Rückgabe bei Nichtgreifen der Ausnahmevorschrift des § 111k Satz 1 grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber zu erfolgen,173 der nicht rechtswidrig den Besitz der Sache erlangt hat. Dieser Rückgabe stehen Ansprüche Dritter, die der letzte Gewahrsamsinhaber nicht anerkannt und über die gerichtlich noch nicht entschieden wurde, nicht entgegen.174 Umstritten ist jedoch, ob das auch dann gilt, wenn die Ansprüche eines Dritten offensichtlich begründet sind.175 Eine diesbezügliche Regelung findet sich in Nr. 75 Abs. 3 S. 1 RiStBV, wonach Sachen an den Dritten herausgegeben werden, wenn dessen Ansprüche offensichtlich begründet sind. Die RiStBV sind jedoch nur von den Justizverwaltungen der Länder einheitlich erlassene Verwaltungsvorschriften.176 Mangels Gesetzescharakter wird diese Bestimmung daher teilweise nicht als eigenständige Ermächtigungsgrundlage,177 teilweise sogar für rechtswidrig und damit unanwendbar gehalten.178 Andere gehen davon aus, dass die RiStBV mittlerweile zu Gewohnheitsrecht geworden sind,179 worin eine ausreichende Rechtsgrundlage gesehen werden könnte. Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass § 111k im Falle der Herausgabe an den Dritten eine ausreichende Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Rechte sonstiger Beteiligter darstelle.180 All diesen Auffassungen ist gemein, dass sie davon ausgehen, für die Herausgabe an 28 den Dritten bei offensichtlicher Begründetheit seines Anspruchs sei überhaupt eine Rechtsgrundlage erforderlich. Dem ist jedoch schon zu widersprechen. Hat der Dritte offensichtlich begründete Ansprüche auf eine Sache, so stellt die Herausgabe an diesen gerade keinen Eingriff in Rechte des Verletzten oder des letzten Gewahrsamsinhabers dar.181 Vielmehr führt die Rückgabe an den Dritten dazu, dass die nach der Rechtslage opportunen Besitzverhältnisse hergestellt werden. Hierfür spricht auch, dass selbst bei zweifelhafter Rechtslage die Staatsanwaltschaft die Sache an den Verletzten herausgeben kann, Rn. 35. Die damit einhergehende Privilegierung des Verletzten – Rückgabe auch bei zweifelhafter Rechtslage – gegenüber unbeteiligten Dritten, rechtfertigt sich aus seiner Rolle als Opfer einer Straftat. Es wäre jedoch unverständlich, die Sache selbst bei zweifelhafter Rechtslage an den Verletzten herausgeben zu können, bei offenkundigen Ansprüchen Dritter der Staatsanwaltschaft aber zu versagen, die Sachen an diesen herauszugeben. Man stelle sich nur die Situation vor, in der die Strafverfolgungsbehörden dem Dritten erklären müssten, dass sie von seiner Berechtigung überzeugt seien, sie ihm die Sache aber gleichwohl nicht herausgeben könnten. Soweit eingewandt wird, das Strafverfahren habe nicht die Aufgabe und das Instrumentarium, den Besitz an Sachen zu
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BGH NJW 2000 3218; BGH NJW 1979 425, 426; OLG Düsseldorf NStZ 1984 567; NStZ 1990 202; LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177; Meyer-Goßner 1. OLG Düsseldorf NJW 1990 723. Bejahend: OLG Düsseldorf NJW 1990 723; AK/Achenbach 11, KMR/Mayer 11; Pfeiffer 4. verneinend: Löffler NJW 1991 1705, 1706 f.; Gropp NStZ 1989 337; KK/Nack 6; SK/Rogall 17; wohl auch AnwK-StPO/Lohse 5 Fn. 26. BVerfG NJW 1959 871; Hohendorf NStZ 1986 498, 500.
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Malitz NStZ 2003 61, 63. OLG Düsseldorf NJW 1990 723, 724; AK/Achenbach 11; LR/Schäfer 25 18; offengelassen: BGH NJW 2000 3218. H. Schäfer NStZ 1985 198 202; auch wenn es dort hauptsächlich um die Regeln zur Akteneinsicht geht, dürften die Ausführungen auf § 111k übertragbar sein. Löffler NJW 1991 1705, 1707; a.A. Malitz NStZ 2003 61, 64. Im Erg. ebenso: SK/Rogall 17.
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regeln, die für Zwecke des Verfahrens vorübergehend in amtlichen Gewahrsam gebracht worden sind,182 ist dem ebenfalls zu widersprechen. Es ist vielmehr gerade Aufgabe des Strafverfahrens, Rechtsfrieden herzustellen. Durch die Herausgabemöglichkeit an den Dritten hat die Staatsanwaltschaft auch die entsprechenden Befriedungsmöglichkeiten. Bei offensichtlicher Anspruchsberechtigung ist die Sache deshalb demjenigen herauszugeben, der Anspruch auf sie hat,183 unerheblich davon, wer Ansprüche an der Sache erhebt. Den übrigen Betroffenen bleibt der Zivilrechtsweg. Ansprüche Dritter sind offensichtlich begründet, wenn der der Anspruchsentstehung vorausgehende Sachverhalt feststeht, der Dritte hieraus einen Besitzanspruch geltend machen kann und dem keine Einwendung oder Einreden des letzten Gewahrsamsinhabers entgegenstehen, die die Berechtigung des Dritten vernünftigerweise bezweifeln lassen.184 Hierbei muss auch berücksichtigt werden, dass sich ein Sachverhalt am Ende der Ermittlungen völlig anders darstellen kann, als zunächst erwartet.185 Bei der Annahme offensichtlicher Ansprüche ist deshalb immer eine gewisse Vorsicht geboten. Andererseits darf auch die Möglichkeit vorgeschobener Rechte von Personen aus dem Umfeld des Beschuldigten nicht außer Acht gelassen werden.186 In der Praxis die weitaus größeren Schwierigkeiten bereiten jedoch jene Fallkonstella- 29 tionen der nicht offensichtlich begründeten Ansprüche Dritter und des Verletzten. Wurden Sachen dem Verletzten durch Betrug oder Untreue entzogen und erheben Dritte Ansprüche auf Herausgabe aufgrund gutgläubigen Eigentumserwerbs, greifen die vorgenannten Argumente (Rn. 28) nicht. Auch vom Anwendungsbereich des § 111k sind diese Konstellationen nicht umfasst. Um auch hier Rechtsfrieden bereits im Strafverfahren herbeizuführen, soll nach der herrschenden Meinung dem Dritten unter Fristsetzung Gelegenheit gegeben werden, seine Ansprüche zu begründen und etwa im Wege einer einstweiligen Verfügung zivilrechtlich geltend zu machen.187 Sofern früher teilweise vertreten wurde, die Fristsetzung habe gegenüber dem Verletzten zu erfolgen,188 ist diese Auffassung wohl überholt.189 Teilweise wird auch vertreten, die Sache sei, sofern möglich, zu hinterlegen190 und nur wenn eine Hinterlegung ausscheide, solle dem Dritten eine Frist zum Nachweis seiner Berechtigung durch zivilrechtlichen Titel gesetzt werden.191 Betrachtet man sich die Konsequenzen der dargestellten Auffassungen genauer, wird alsbald deutlich, dass die Lösung nicht im zivilrechtlichen, sondern ausschließlich im strafrechtlichen Verfahren zu finden ist.192 Sofern als Argument für eine entsprechende Fristsetzung auf Nr. 75 Abs. 3 Satz 2 RiStBV verwiesen wird, geht dieser Hinweis schon deshalb fehl, weil dort keine Rede davon ist, dass der Nachweis der Berechtigung im
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OLG Düsseldorf NStZ 1990 202; LR/Schäfer 25 18. Hoffmann/Knierim NStZ 2000 461, 463; AnwK-StPO/Lohse 5 Fn. 26; KK/Nack 6; SK/Rogall 17; a.A. wohl BTDrucks. 16 700 S. 19, wonach die Sache bei entgegenstehenden Ansprüchen Dritter zu hinterlegen ist. Siehe hierzu auch die Definitionen bei SK/Rogall 17 Fn. 109; Gropp NStZ 1989 337. Malitz NStZ 2003 61, 63. BTDrucks. 16 700 S. 13; AnwK-StPO/ Lohse 5. OLG Stuttgart NStZ 1989 39; LG Berlin
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NStZ 1999 636; AnwK-StPO/Lohse 5; AK/Achenbach 4; KK/Nack 6; KMR/Mayer 11; Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 17; kritisch HK-GS/Hartmann 3; a.A. OLG Koblenz MDR 1984 774: nur Zivilgerichte sind zuständig; HK-GS/Hartmann 7: Fristsetzung gegenüber allen Interessenten; ebenso Malitz NStZ 2003 61, 64. Nach wie vor AnwK-StPO/Lohse 2 LR/Schäfer 25 19 m.w.N. BTDrucks. 16 700 S. 19. HK/Gercke 8. Sehr instruktiv LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177.
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zivilrechtlichen Verfahren zu führen ist.193 Der zivilrechtliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist in den Fällen nicht offensichtlich begründeter Drittansprüche vielmehr sogar bereits mangels Rechtschutzbedürfnis unzulässig.194 Denn das zivilrechtliche Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes führt nur zu einer vorläufigen Entscheidung, die das Hauptsacheverfahren nicht vorwegnehmen darf und deshalb ebenfalls nur eine vorläufige Besitzstandregelung treffen kann. Genau zu diesem Ergebnis führt aber auch der Antrag im Beschwerdeverfahren nach Satz 2.195 Der zivilrechtliche einstweilige Rechtschutz bietet daher keinen Vorteil gegenüber einem strafrechtlichen Verfahren. Die strafprozessualen Regelungen sind vielmehr spezieller und gehen damit den §§ 935, 940 BGB vor.196 Gegen eine Fristsetzung zur Erlangung einer einstweiligen Verfügung spricht außerdem, dass die einstweilige Verfügung nur zwischen den Parteien wirkt, die Staatsanwaltschaft nicht am Verfahren beteiligt werden kann und deshalb durch die Entscheidung ohnehin nicht gebunden wird.197 In den Fällen, in denen der Gegenstand nicht bereits im Ermittlungsverfahren herausgegeben werden soll, stellt sich des Weiteren das Problem, dass das Zivilgericht die inhaltliche Richtigkeit des Strafurteils nicht unterstellen, sondern dieses nur als Urkundenbeweis einführen kann. Daraus resultiert die Gefahr divergierender Entscheidungen von Zivil- und Strafgericht,198 da unstreitig auch bei Erlangung einer einstweiligen Verfügung auf dem Zivilrechtsweg gegen die Herausgabe die Beschwerdemöglichkeit vor den Strafgerichten besteht. Richtigerweise hat deshalb im Falle nicht offensichtlich begründeter Drittansprüche eine Herausgabe an den letzten rechtmäßigen Gewahrsamsinhaber zu erfolgen. Dieses Vorgehen hat die Staatsanwaltschaft allen Beteiligten mitzuteilen, die dann von ihren Anfechtungsrechten nach Satz 2 Gebrauch machen können. Letztlich entscheidet dann das Strafgericht über die Herausgabe und die Unterliegenden können ihre Rechte im Hauptsacheverfahren vor den Zivilgerichten geltend machen. Soweit man gleichwohl mit der herrschenden Auffassung eine Fristsetzung für das 30 richtige Vorgehen hält, kommt statt dieser auch Hinterlegung nach § 372 Satz 2 BGB in Betracht.199 Die Hinterlegung reicht weiter als die Fristsetzung zum Nachweis der Berechtigung, da eine Freigabe erst erfolgt, wenn der Berechtigungsnachweis geführt ist. Ihr sollte deshalb der Vorzug gegeben werden,200 sofern keine Lösung auf strafprozessualem Wege (Rn. 29) herbeigeführt werden soll. Dies gilt unabhängig davon, dass der Verletzte bei einer Hinterlegung gezwungen wird, zivilrechtliche Schritte einzuleiten.201 Diese Gefahr besteht nämlich auch bei einer Fristsetzung nach der herrschenden Meinung, ohne dass der Verletzte die Sache – anders als nach Freigabe durch die Hinterlegungsstelle – auch tatsächlich behalten darf. Außerdem entspricht die Hinterlegung in diesen Fällen dem Willen des Gesetzgebers.202 Handelt es sich nicht um in § 372 Satz 1 BGB genannte Sachen, werden sie nicht selbst, sondern ihr Versteigerungserlös hinterlegt, § 383 BGB.203 Wurde die Sache hinterlegt, ist für ein Verfahren nach § 111k kein Raum mehr.204 Weder das Strafgericht noch die Staatsanwaltschaft dürfen in diesen Fällen die
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LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. Zu alledem LG Frankfurt O. NStZ-RR 2012 176, 177. OLG Stuttgart NStZ 1987 243; KMR/ Mayer 11.
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200 201 202 203 204
Für eine Hinterlegung statt einer Fristsetzung auch Malitz NStZ 2003 61, 64. Malitz NStZ 2003 61, 64. BTDrucks. 16 700 S. 19. KMR/Mayer 11. OLG Stuttgart NStZ 1987 243.
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Hinterlegungsstelle anweisen, an wen die Sache herauszugeben ist.205 Die Entscheidung des Strafgerichts ist kein tauglicher Nachweis nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 HintGHessen206.207 Die von der herrschenden Meinung bevorzugte Fristenlösung führt auch zu ganz 31 unterschiedlichen Ergebnissen, wenn die gesetzte Frist ungenutzt verstreicht bzw. danach nach wie vor Zweifel an der Rechtsposition des Dritten bestehen. So soll wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Drittansprüche die Herausgabe an den Verletzten erfolgen,208 nach anderer Ansicht die Sache (dann) hinterlegt,209 nach wiederum anderer Ansicht nach § 111k verfahren werden.210 Schon aufgrund dieser Ungewissheiten sollte eine Lösung ausschließlich im strafprozessualen Wege bevorzugt werden.
IV. Rechtsmittel 1. Allgemeines. § 111k enthält seit der Neuregelung durch das Gesetz zur Stärkung 32 der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 (BGBl. I 2006 S. 2350) zwei Rechtsbehelfe. Nach Satz 2 kann jede Herausgabeentscheidung – unabhängig davon, ob sie durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft erging – angefochten werden. Auf die nach Satz 2 ergehende Entscheidung kann die Beschwerde erhoben werden. Satz 3 gewährt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, wenn das Recht des Verletzten nicht offenkundig ist. Gegen die Entscheidung des Gerichts steht dem Betroffenen nach allgemeinen Regeln die Beschwerde zu (Rn. 34). Eine umfassende gerichtliche Kontrolle ist damit gewährleistet. 2. Gerichtliche Entscheidung, Satz 2. Gegen die nach § 111k Satz 1 getroffenen 33 Entscheidungen kann der Betroffene jederzeit die Entscheidung des Gerichts beantragen, §§ 111k Satz 2, 111f Abs. 5. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Herausgabe von Gegenständen an den Verletzten (nur) der strafprozessuale Rechtsweg eröffnet ist.211 Frühere Streitigkeiten über eine potentielle Zuständigkeit der Zivil- oder Finanzgerichtsbarkeit,212 sind damit überholt. Eine Entscheidung nach § 111k Satz 1 ist sowohl die Herausgabeverfügung,213 die Versagung der Herausgabe trotz Antrags des Betroffenen, die Entscheidung über den Empfangsberechtigten214 und die Art und Weise der Herausgabe. Betroffener ist jeder, dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt sein können.215 Als Betroffener kommen neben dem Verletzten und dem letzten Gewahrsamsinhaber auch Dritte in Betracht, die Ansprüche an der Sache geltend machen.216 Die gerichtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Verfahrensabschnitt, in dem die Entscheidung herbeigeführt werden soll.217 Im Vorverfahren ist der Ermittlungsrichter,218 im Zwischen- und Hauptverfahren das zur Entscheidung berufene Gericht und nach Rechtskraft erneut der Ermittlungsrichter 219 zuständig. Im Revisionsverfahren entscheidet das letzte Tatgericht. Dabei 205 206 207 208 209 210 211 212
OLG Stuttgart NStZ 1987 243. Vergleichbare Regelungen finden sich in den HinterG der übrigen Länder. Noch zum alten Recht OLG Stuttgart NStZ 1987 243, 244. AnwK-StPO/Lohse 5. KK/Nack 6. KMR/Mayer 11. BTDrucks. 16 700 S. 19. SK/Rogall 28 m.w.N.
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SK/Rogall 29. SK/Rogall 28. KK/Nack 10. KMR/Mayer 15; SK/Rogall 29. A.A. SK/Rogall 30: Es kommt auf den Verfahrensabschnitt an, in welchem die Staatsanwaltschaft ihre Verfügung getroffen hat. HK/Gercke 11; SK/Rogall 30. A.A. HK-GS/Hartmann 8, HK/Gercke 11: Das Gericht des ersten Rechtszugs.
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kommt es für die Frage der Zuständigkeit immer auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsbehelfs an. Hat etwa die Staatsanwaltschaft mit dem Abschluss der Ermittlungen auch die Freigabe nach Satz 1 verfügt, ist nicht mehr der Ermittlungsrichter, sondern das Gericht der Hauptsache zuständig, wenn sich der Betroffene anschließend gegen die Entscheidung beschwert. Vgl. zur Zuständigkeit Rn. 9 f.
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3. Rechtsmittel. Gegen die Entscheidungen des Gerichts nach Satz 2 kann der Betroffene die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 einlegen. Betroffen ist jeder, dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt sein können.220 Dies trifft sowohl auf den Beschuldigten, den Verletzten, sowie jeden anderen zu, der Ansprüche an der Sache geltend gemacht hat, ohne dass das Gericht diese berücksichtigt hat.221 Die Staatsanwaltschaft ist ebenfalls immer beschwerdebefugt.222 Bei Privat- und Nebenklägern ist genau zu differenzieren, ob sie beschwert sind. Dies ist etwa der Fall, wenn sie wegen der Herausgabe eine Verschlechterung der Beweislage fürchten,223 aber auch, wenn sie eigene Rechte an der Sache geltend machen. Sie sind hingegen nicht beschwert, wenn sie die Auswahl des Berechtigten Dritten für rechtsfehlerhaft halten. Anfechtbar sind neben dem Beschluss des erkennenden Gerichts, § 305 Satz 2, auch Entscheidungen des in erster Instanz zuständigen Oberlandesgerichts sowie des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs, § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5. Die Herausgabeentscheidung betrifft eine Beschlagnahme im Sinne der zitierten Vorschriften.224 Die Fristsetzung zum Nachweis von Drittansprüchen ist durch den Verletzten anfechtbar, da sie die Herausgabe an ihn verzögert.225 Wurde die Sache bereits herausgegeben, ist die Beschwerde unzulässig226 und der Verletzte muss den Zivilrechtsweg beschreiten.
35
4. Gerichtliche Entscheidung nach Antrag der Staatsanwaltschaft, Satz 3. Die Staatsanwaltschaft kann die Entscheidung des Gerichts herbeiführen, wenn das Recht des Verletzten nicht offenkundig ist. Mit der Einführung des Satz 3 verfolgte der Gesetzgeber das Ziel der Klarstellung, dass die Staatsanwaltschaft bei Zweifeln über das Bestehen von Rechten des Verletzten das Gericht anrufen kann, unabhängig davon, wer die Beschlagnahme angeordnet hat.227 Gleichzeitig begrenzt der Wortlaut den Anwendungsbereich auf jene Fälle, in denen die Rechte des Verletzten nicht offenkundig sind. Nicht anwendbar ist Satz 3, wenn Zweifel über die Begehung der Straftat als solche und schon gar nicht, wenn Zweifel über Ansprüche eines Dritten bestehen.228 Die Anrufung des Gerichts steht im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft.229 Sie entscheidet somit, ob für sie das Recht des Verletzten offenkundig ist.230 Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Anrufung des Gerichts ist der gerichtlichen Überprüfung entzogen, das Gericht kann sich nicht weigern, eine entsprechende Entscheidung zu treffen.231 Ein Antrag nach Satz 3 kommt für die Staatsanwaltschaft vor allem in Betracht, wenn die Freigabeentscheidung zu Amtshaftungsansprüchen führen könnte.232 Das Gericht entscheidet nach Aktenlage durch Beschluss.233 Vgl. zur Zuständigkeit Rn. 19 f.
220 221 222 223 224 225 226
KK/Nack 10. KK/Nack 10. HK-GS/Hartmann 9; KMR/Mayer 15; Meyer-Goßner 13. SK/Rogall 31. Meyer-Goßner 13; KK/Nack 10; KMR/Mayer 15; SK/Rogall 31. A.A. LR/Schäfer 25 25; SK/Rogall 31. KMR/Mayer 15.
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227 228 229 230 231 232 233
BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19; HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 11; SK/Rogall 33 Fn. 158. LG Berlin vom 27.4.2007 – 511 Qs 24/07 –. SK/Rogall 33. LG Berlin vom 27.4.2007 – 511 Qs 24/07 –. SK/Rogall 33. HK-GS/Hartmann 8; HK/Gercke 12; KMR/Mayer 15.
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§ 111l
5. Rechtsmittel. Die gerichtliche Entscheidung nach einem entsprechenden Antrag 36 der Staatsanwaltschaft ist mit denselben Rechtsmitteln angreifbar, wie die Entscheidung nach Satz 2. Auf die Ausführungen in Rn. 34 kann deshalb an dieser Stelle verwiesen werden.
V. Entschädigung Die Herausgabe der Sache an einen Nichtberechtigten kann nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 37 StrEG Entschädigungspflicht234 oder Schadensersatzpflicht nach § 839 BGB auslösen.
§ 111l (1) 1Vermögenswerte, die nach § 111c beschlagnahmt oder aufgrund eines Arrestes (§ 111d) gepfändet worden sind, dürfen vor der Rechtskraft des Urteils veräußert werden, wenn ihr Verderb oder eine wesentliche Minderung ihres Wertes droht oder ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßigen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist. 2In den Fällen des § 111i Abs. 2 können Vermögenswerte, die aufgrund eines Arrestes (111d) gepfändet worden sind, nach Rechtskraft des Urteils veräußert werden, wenn dies zweckmäßig erscheint. 3Der Erlös tritt an deren Stelle. (2) 1Im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft des Urteils wird die Notveräußerung durch die Staatsanwaltschaft angeordnet. 2Ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) steht diese Befugnis zu, wenn der Gegenstand zu verderben droht, bevor die Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeigeführt werden kann. (3) 1Nach Erhebung der öffentlichen Klage trifft die Anordnung das mit der Hauptsache befaßte Gericht. 2Der Staatsanwaltschaft steht diese Befugnis zu, wenn der Gegenstand zu verderben droht, bevor die Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden kann; Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) 1Der Beschuldigte, der Eigentümer und andere, denen Rechte an der Sache zustehen, sollen vor der Anordnung gehört werden. 2Die Anordnung sowie Zeit und Ort der Veräußerung sind ihnen, soweit dies ausführbar erscheint, mitzuteilen. (5) 1Die Notveräußerung wird nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Verwertung einer gepfändeten Sache durchgeführt. 2An die Stelle des Vollstreckungsgerichts (§ 764 der Zivilprozeßordnung) tritt in den Fällen der Absätze 2 und 3 Satz 2 die Staatsanwaltschaft, in den Fällen des Absatzes 3 Satz 1 das mit der Hauptsache befasste Gericht. 3Die nach § 825 der Zivilprozessordnung zulässige Verwertung kann von Amts wegen oder auf Antrag der in Absatz 4 genannten Personen, im Falle des Absatzes 3 Satz 1 auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft, gleichzeitig mit der Notveräußerung oder nachträglich angeordnet werden. 4Wenn dies zweckmäßig erscheint, kann die Notveräußerung auf andere Weise und durch eine andere Person als den Gerichtsvollzieher erfolgen.
234
Instruktiv BGH NJW 1979 425 sowie OLG Jena NStZ 2005 125; KK/Nack 1; HK-GS/Hartmann 10.
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(6) 1Gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlunspersonen kann der Betroffene gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragen. 2Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. 3Das Gericht, in dringenden Fällen der Vorsitzende, kann die Aussetzung der Veräußerung anordnen. Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 21 Nr. 29 EGStGB 1974 eingefügt. Sie ist an die Stelle des durch Art. 21 Nr. 20 EGStGB aufgehobenen § 101a getreten. Schon vor seinem Inkrafttreten wurde § 111l durch Art. 1 Nr. 28 des 1. StVRG neu gefasst, dabei wurden die Absätze 2 und 6 eingefügt. In der Rechtsprechung ist die Zulässigkeit der Notveräußerung von Sachen, die zur Sicherung des Einziehungsanspruchs beschlagnahmt worden sind und denen der Verderb droht, seit jeher auch ohne gesetzliche Regelung anerkannt worden.1 Eine solche findet sich erstmals in Art. II Nr. 1 der Bekanntmachung des Bundesrats (Einziehungsverordnung) vom 22.3.1917 (RGBl. 255). Spätere Bewirtschaftungsbestimmungen nahmen hierauf Bezug, so Art. II der Verordnung vom 12.2.1920 (RGBl. 230) und § 2 des Gesetzes vom 6.2.1921 (RGBl. 139). Gesetzliche Regelungen wurden ferner in § 433 Abs. 2 AO a.F., § 10 Abs. 3 der Verbrauchsregelungs-Strafverordnung vom 6.4.1940 (RGBl. I 610), § 65 WiStG 1949 und § 43 OWiG 1952 getroffen. In der Strafprozessordnung wurde die Notveräußerung von Einziehungsgegenständen erst 1953 in dem durch Art. 4 Nr. 13 des 3. StRÄndG eingefügten § 101a geregelt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007 (BGBl. I 2006 S. 2350) wurde Absatz 1 sprachlich neu gefasst. Der Begriff der Gegenstände wurde durch jenen der Vermögenswerte ersetzt, um den Anwendungsbereich der Norm zu erweitern. Die Voraussetzungen für eine Notveräußerung von Vermögenswerten, die aufgrund eines dinglichen Arrestes gesichert sind, wurden gelockert. In Absatz 2 finden sich Ergänzungen, die einer Klarstellung der Zuständigkeitsregelung dienen. Absatz 5 Satz 4 ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden nun, den freihändigen Verkauf durch gewerbliche Verwerter anzuordnen. Die Änderungen in Absatz 6 dienen wiederum der Klarstellung der Rechtswegzuweisung gegen die nach Absatz 2 nach Rechtskraft getroffenen Anordnungen. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) mit Wirkung zum 1.10.2009 (BGBl. I S. 2280) wurde Absatz 6 modifiziert und die Möglichkeit eingeräumt, auch die Entscheidung des Ermittlungsrichters mit der Beschwerde anzufechten. Übersicht A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . B. Voraussetzungen der Notveräußerung I. Allgemeine Voraussetzungen, Abs. 1 Satz 1 1. Gegenstand der Notveräußerung . . . . 2. Gründe der Notveräußerung . . . . . . a) Drohender Verderb und wesentlicher Wertverlust . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Gründe . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt der Notveräußerung . . . . . 4. Ermessensentscheidung . . . . . . . . . II. Sonderfall der Notveräußerung, Abs. 1 Satz 2
1
Rn.
Rn.
1
III. Rechtsfolgen der Notveräußerung, Abs. 1 Satz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 IV. Handlungsalternativen . . . . . . . . . . 11 V. Haftungsrechtliche Fragen . . . . . . . . 12
2 3 4 5 6 7 8 9
C. Zuständigkeitsregelungen I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Anordnung vor Erhebung der öffentlichen Klage und nach Rechtskraft, Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 III. Anordnung nach Erhebung der öffentlichen Klage, Abs. 3 . . . . . . . . . . . . 16
RGSt 51 319, 323; 66 85.
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Rn. D. Anhörung der Betroffenen, Abs. 4 . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Anhörung, Abs. 4 Satz 1 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen Anhörungsgebot . . III. Benachrichtigungspflicht, Abs. 4 Satz 2 IV. Form der Benachrichtigung . . . . . E. Rechtsbehelf gegen die Anordnung der Notveräußerung . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Abs. 6 Satz 1 und 2 . . . . . . . . . 1. Antragsberechtigung . . . . . . . . 2. Zuständigkeit bei Maßnahmen im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft der Entscheidung . . .
. . . .
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. . . . . . .
18 19 20 21
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25
Rn. 3. Zuständigkeit bei Maßnahmen nach Erhebung der öffentlichen Klage . . . . 4. Verfahren, Form und Frist der Anträge, Abs. 6 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . F. Durchführung der Notveräußerung, Abs. 5 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Problem der Forderungsversteigerung . III. Zuständigkeit, Abs. 5 Satz 2 . . . . . . IV. Sonstige Formen der Verwertung, Abs. 5 Satz 3 und 4 . . . . . . . . . . . . . .
26 27
. . .
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.
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G. Rechtsbehelfe gegen die Durchführung der Notveräußerung I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Aussetzung der Veräußerung . . . . . . .
32 33
Alphabetische Übersicht Allgemeine Grundsätze 21 Allgemeiner Rechtsgedanke 15 Anhörung der Betroffenen 17 Anordnung der Notveräußerung 32 Antrag auf gerichtliche Entscheidung 23 Aussetzung der Veräußerung 33 Benachrichtigungspflicht 20 Beschwer 24 Beteiligte 18 Beweismittel 3 Bußgeldverfahren 2 Dinglicher Arrest 9 Durchführung der Notveräußerung 28 Eilentscheidung 17 Forderungen und Grundstücke 29 Forderungsversteigerung 29 Fristen 27 Gegenstand der Notveräußerung 3 Gründe der Notveräußerung 4 Haftungsrechtliche Fragen 12 Herausgabe 1 Mieter 18 Pflichtgemäßes Ermessen 8, 19
Rechtsbehelfe gegen die Durchführung der Notveräußerung 32 Rechtsfolgen der Notveräußerung 10 Rechtskraft 7, 13 Rechtspfleger 16 Revisionsverfahren 26 Sonderfall der Notveräußerung 9 Staatsanwaltschaft 14 Surrogation 10 Übrige Beteiligte 20 Veräußerungsanordnung 22 Veräußerungsgrund 4 Verhältnismäßigkeit 11 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 8 Vollstreckungsgericht 30 Wesentlicher Wertverlust 5 Wiederaufnahmeverfahren 25 Wirtschaftlich denkender Eigentümer 6 Zeitpunkt der Notveräußerung 5 Zivilrechtliche Grundsätze der Versteigerung 28 Zuständig 31 Zuständigkeitsregelungen 13
A. Allgemeines § 111l regelt die Notveräußerung von Vermögenswerten, die nach § 111c beschlag- 1 nahmt oder aufgrund eines nach § 111d ausgebrachten dinglichen Arrests gepfändet sind. In dieser Zeit der vorläufigen Sicherung können die Vermögenswerte durch diverse Einflüsse an Wert verlieren. Deshalb bestehen während der Dauer der Sicherungsmaßnahmen besondere Schutzpflichten der Behörde, diesen Wertverlust zu verhindern. Werden diese Fürsorgepflichten nicht beachtet oder verletzt, kann dies zu Amtshaftungsansprüchen führen.2 Um ihre Schutzpflichten entsprechend wahrnehmen zu können, hat 2
SK/Rogall 1.
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der Gesetzgeber der Justiz mit § 111l ein wirksames Mittel zur Verfügung gestellt, um auf (drohenden) Wertverlust der Vermögenswerte durch eine Notveräußerung reagieren zu können. Durch sie kann zumindest der wirtschaftliche Wert der Sache für die Zwecke des Strafverfahrens erhalten werden. Da die Sicherungsmaßnahmen in erster Linie der späteren Realisierbarkeit einer rechtskräftigen Verfalls- oder Einziehungsanordnung, bzw. im Falle des § 111i dem staatlichen Auffangrechtserwerb dienen, nützt die Möglichkeit der Notveräußerung sowohl den Interessen des Staates, als auch jenen des Betroffenen (Rn. 8).3 Der Staat kann aber auch ein Interesse daran haben, durch die Notveräußerung eine spätere Entschädigungspflicht gegenüber dem Betroffenen zu vermeiden, wenn es im Urteil nicht zu einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung kommt.4 Je nachdem, ob die Vermögenswerte durch Beschlagnahme oder durch dinglichen Arrest gesichert wurden, unterscheiden Absatz 1 Satz 1 und 2 zwischen den Anforderungen, unter denen eine Notveräußerung erfolgen darf. Absatz 2 und 3 wiederum enthalten Regelungen für die Zuständigkeit der Anordnung der Notveräußerung, Absatz 4 regelt die Anhörung der Betroffenen vor Ergehen einer entsprechenden Anordnung. Für den Vollzug der Notveräußerungsanordnung gelten nach Absatz 5 die Vorschriften der ZPO über die Verwertung einer gepfändeten Sache. Absatz 6 hält schließlich Rechtsbehelfe für die Betroffenen bereit. Liegen die Voraussetzungen des § 111k vor, geht die Herausgabe vor und eine Notveräußerung scheidet aus,5 denn mit der Rückgabe erlöschen Pfändung und Beschlagnahme.
B. Voraussetzungen der Notveräußerung I. Allgemeine Voraussetzungen, Abs. 1 Satz 1 2
Der Gesetzgeber nennt in Absatz 1 die Voraussetzungen einer Notveräußerung. Es gilt, dass nach §§ 111c oder 111d sichergestellte Vermögenswerte vor Rechtskraft des Urteils veräußert werden dürfen, wenn ihr Verderb oder eine wesentliche Minderung ihres Wertes droht oder ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßigen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist. Die Änderungen in Satz 1 durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007,6 die Notveräußerung über körperliche Gegenstände hinaus auch auf sonstige Vermögenswerte zu erstrecken, sind Resultat von Forderungen aus der Praxis.7 Damit wird eine schnelle Veräußerungsmöglichkeit auch bei solchen Vermögenswerten wie Aktiendepots gewährleistet,8 die vorher nicht von § 111l umfasst waren. Dieser erweiterte Anwendungsbereich ist zu begrüßen. Satz 1 unterscheidet anders als Satz 2 nicht zwischen der Beschlagnahme und dem dinglichen Arrest. Die Rechtsfolge der Veräußerung nach Satz 1 ist in Satz 3 geregelt. Danach tritt der Erlös an die Stelle des Vermögenswertes. Eine Notveräußerung kommt über § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren in Betracht,9 wobei zu beachten ist, dass § 62 OWiG lex specialis zu § 111l Abs. 6 Satz 1 ist.10
3 4 5
Zu Haftungsfragen in diesem Zusammenhang BGH WM 1997 1755. SK/Rogall 1 ausführlich zu den Interessen der Beteiligten. SK/Rogall 13.
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6 7 8 9 10
BGBl. I 2006 S. 2350. BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19. KK/Nack 1. SK/Rogall 4.
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1. Gegenstand der Notveräußerung. Der Notveräußerung unterliegen gesicherte Ver- 3 mögenswerte jeder Art.11 Der Begriff der Vermögenswerte ist weitergehend als der ursprünglich verwendete Begriff der Gegenstände. Er umfasst neben beweglichen auch unbewegliche Sachen, grundstücksgleiche Rechte und Forderungen,12 Rechte, Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge.13 Zu den problematischen Fragen der Durchführung der Notveräußerung von Forderungen und unbeweglichen Sachen siehe Rn. 29. Wo der Vermögenswert aufbewahrt wird, ist unerheblich,14 siehe aber Rn. 11. War der Vermögenswert nach § 111c Abs. 6 Nr. 2 unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zur vorläufigen weiteren Benutzung dem Betroffenen überlassen worden, muss diese Überlassung zunächst widerrufen werden, ehe die Notveräußerung angeordnet werden kann.15 Vom Begriff der Vermögenswerte nicht umfasst sind jene Gegenstände, die aus rechtlichen Gründen einer Veräußerung per se entzogen16 und deshalb unbrauchbar zu machen, zu vernichten oder aus dem Verkehr zu ziehen sind.17 Dazu zählen etwa Betäubungsmittel und Gegenstände, die der Einziehung unterliegen,18 aber auch verdorbene Lebensmittel.19 Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 im Übrigen vor, können diese Gegenstände vernichtet werden.20 Auch Tatwaffen dürfen nicht an autorisierte Waffenhändler verkauft werden, da ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, diese Gegenstände nicht erneut einem potentiellen Täterkreis zugänglich zu machen.21 Vom Anwendungsbereich des § 111l sind nur solche Vermögenswerte umfasst, die nach §§ 111c, 111d in staatliche Obhut gelangt sind. Wurden Vermögenswerte ausschließlich als Beweismittel nach § 94 beschlagnahmt, findet § 111k keine Anwendung.22 Beweismittel dienen dem Verfahren nicht wegen ihres wirtschaftlichen Wertes, sondern wegen ihres Beweisgehalts. Auf ihren wirtschaftlichen Wert kommt es nicht an. Allerdings sind Beweismittel, deren Verderb zu befürchten ist oder deren weitere Verwahrung aus anderen Gründen nicht mehr angängig erscheint, durch Fotographien, richterlichen Augenschein, Besichtigung durch Zeugen oder Sachverständige oder auf andere Weise so auszuwerten, dass das Ergebnis im weiteren Verfahren verwertet werden kann;23 alsdann sind sie freizugeben;24 grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber, der sie rechtmäßig in seinem Besitz hatte, § 111k, 2. Sind Vermögenswerte sowohl als Beweismittel nach § 94, als auch nach §§ 111c und 111d beschlagnahmt oder durch dinglichen Arrest gesichert worden, ist eine Notveräußerung möglich.25 In diesen, wie in den Fällen, in denen einem nach § 94 beschlagnahmten Vermögenswert der Verderb droht, ist jedoch zunächst ihr Beweiswert zu sichern.26 2. Gründe der Notveräußerung. Das Gesetz nennt eine ganze Reihe von Gründen, bei 4 denen eine Notveräußerung bzw. Vernichtung von Vermögenswerten (Rn. 3) in Betracht
11 12 13 14 15 16 17 18 19
HK-GS/Hartmann 1. Meyer-Goßner 1. AnwK-StPO/Lohse 1. HK-GS/Hartmann 1; HK/Gercke 2; SK/Rogall 12. HK-GS/Hartmann 2; HK/Gercke 2; MeyerGoßner 1; SK/Rogall 13. KK/Nack 3. HK/Gercke 2; SK/Rogall 12; MeyerGoßner 1. SK/Rogall 12; HK-GS/Hartmann 2. AnwK-StPO/Lohse 1; HK/Gercke 2; KK/Nack 3
20 21 22 23 24 25 26
AnwK-StPO/Lohse 1; HK/Gercke 3; KK/Nack 3. HK/Gercke 3. HK-GS/Hartmann 2; HK/Gercke 2; KK/Nack 1; Meyer-Goßner 1. HK/Gercke 2. Lampe NJW 1975 195, 197; KK/Nack 1; Meyer-Goßner 1. HK/Gercke 2; KK/Nack 1; SK/Rogall 3; Meyer-Goßner 1. HK/Gercke 2; KK/Nack 1; Lampe NJW 1975 195, 197.
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kommt. Veräußerungsgrund kann neben dem drohenden Verderb und dem drohenden wesentlichen Wertverlust auch sein, dass die Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung des Vermögenswertes mit unverhältnismäßigen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist.
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a) Drohender Verderb und wesentlicher Wertverlust. Unter dem Begriff des Verderbens ist die Veränderung der Sachsubstanz zu verstehen, die mit einer vollständigen Aufhebung ihres Wertes verbunden ist.27 Der Verderb droht, wenn bei ungehindertem Fortgang mit einem zeitnahen Eintritt des Verderbs zu rechnen ist. Aus welchen Gründen der Verderb droht, ist unerheblich. Dies kann biologische, technische oder marktwirtschaftliche28 Gründe haben. Drohender Verderb kann etwa bei Lebensmitteln schon dann vorliegen, wenn diese anschließend als solche unbrauchbar sind, auch, wenn sie in anderer Funktion, etwa als Kompost in der Landwirtschaft, einsetzbar bleiben und auch diesbezüglich einen Wert aufweisen. Gleiches gilt für das Kfz, das schon dann zu verderben droht, wenn es seine Fähigkeiten als Fortbewegungsmittel zu verlieren droht, unabhängig davon, ob es in der Folge als Ersatzteillager dienen kann. Bei der Bewertung eines wesentlichen Wertverlustes29 dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Die Notveräußerung dient nicht nur den Interessen des Staates, sondern auch jenen des Betroffenen und potentiellen Verletzten. Im Interesse all jener Beteiligten sollte daher auch versucht werden, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen. Zu berücksichtigen ist immer, dass durch die Notveräußerung möglicherweise nicht der Realwert erzielt werden kann. Zum Vorgehen in diesen Fällen Rn. 11. Stehen entsprechende Veräußerungsverluste nicht zu befürchten, kann eine Notveräußerung schon bei einem drohenden Wertverlust von zehn Prozent in Betracht kommen. Eine starre Grenze verbietet sich zwar, bei einem drohenden Verlust von dreißig Prozent des Wertes dürfte aber der Kern der Sache betroffen und damit das Merkmal der Wesentlichkeit bejaht werden können.
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b) Sonstige Gründe. Sind Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung des Vermögenswertes mit unverhältnismäßigen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden, kann der Vermögenswert ebenfalls notveräußert werden. Die Frage nach der Unverhältnismäßigkeit wird je nach Blickwinkel der Beteiligten zu erheblich unterschiedlichen Einschätzungen führen können. Das die Notveräußerung anordnende Organ hat diese Frage deshalb am Maßstab eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers zu entscheiden.30 Abzuwägen sind die entstehenden Aufwendungen mit dem Verkehrswert der Sache.31 Würde danach ein wirtschaftlich denkender Eigentümer die Sache verwerten, kommt eine Notveräußerung in Betracht.32 Entscheidender Faktor bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nicht der personelle Aufwand, der für Pflege oder Erhaltung notwendig ist, sondern der Kostenaufwand, der bei einem Auftrag zur Aufbewahrung oder Pflege an einen gewerblichen Fachmann entstehen würde.33 Auch Kosten zur Anmietung von Lagerräumen oder Stellplätzen können berücksichtigt werden.
7
3. Zeitpunkt der Notveräußerung. Die Vermögenswerte dürfen nach Absatz 1 Satz 1 vor Rechtskraft des Urteils veräußert werden. Diese Kodifizierung dient vor allem der
27 28 29
Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 15; KMR/ Mayer 4. KMR/Mayer 4; Meyer-Goßner 1; SK/Rogall 15. Umfassend zur Problematik Rönnau/Hohn wistra 2002 445.
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30 31 32 33
OLG Hamburg NStZ-RR 2011 345, 346; AnwK-StPO/Lohse 5; KK/Nack 4. Meyer-Goßner 2. OLG Hamburg NStZ-RR 2011 345, 346; SK/Rogall 16. HK-GS/Hartmann 3; Meyer-Goßner 2.
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Klarstellung, ihr kommt kein eigenständiger Regelungsgehalt zu. Denn dass Vermögenswerte nach Rechtskraft des Urteils veräußert werden dürfen, ergibt sich schon aus den Regelungen des materiellen Rechts der §§ 73e und 74e StGB, wonach das Eigentum an der Sache oder das Recht mit Rechtskraft von Verfall oder Einziehung auf den Staat übergehen. Wird eine Verfalls- oder Einziehungsentscheidung hingegen rechtskräftig abgelehnt, sind die Vermögenswerte freizugeben und eine Notveräußerung kommt ebenfalls nicht mehr in Betracht. Gleiches gilt, wenn im Rechtsmittelverfahren das Verschlechterungsverbot der Anordnung von Verfall oder Einziehung entgegensteht, vgl. § 111e, 26. Wurde die Beschlagnahme nach § 111i Abs. 3 aufrechterhalten, kann eine Notveräußerung ebenfalls nach Rechtskraft erfolgen, sofern die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen.34 Für eine Notveräußerung von Vermögenswerten, die durch dinglichen Arrest gesichert wurden, gelten dabei allerdings weniger strenge Anforderungen, siehe Rn. 9. 4. Ermessensentscheidung. Ob es zu einer Notveräußerungsanordnung durch die 8 nach Absatz 2 und 3 Zuständigen kommt, entscheiden diese nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Befugnis der Veräußerung wird durch das Wort „dürfen“ deutlich gemacht, wobei dies nicht dahingehend missverstanden werden darf, dass die Vornahme oder das Unterlassen der Notveräußerung im Belieben der Behörden steht und nicht nachprüfbar ist.35 Die Entscheidung ist vielmehr davon abhängig zu machen, ob sie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich ist. Wie dargestellt (Rn. 1) dient die Notveräußerung in der Regel allen Beteiligten, das wirtschaftliche Risiko einer Notveräußerung trägt aber letztlich der Beschuldigte.36 Denn nur weil eine Notveräußerung unterblieben ist und damit die Haftungsmaße an Wert verloren hat, verringert dies nicht die Ansprüche, die der Staat oder der Verletzte gegen den Beschuldigten haben.37 Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist deshalb immer eine Abwägung erforderlich,38 die auch die alternativen Handlungsmöglichkeiten nach Rn. 11 mit einzubeziehen hat. Sie muss jedenfalls auf eine wirtschaftlich möglichst erfolgreiche Veräußerung gerichtet sein.39 Unterbleibt die Notveräußerung oder wird sie rechtswidrig nicht vorgenommen, obwohl bei fehlerfreier Ermessensausübung ein entsprechendes Handeln angezeigt gewesen wäre, liegt nicht nur eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 GKG vor, sondern dadurch können auch Schadensersatzansprüche begründen werden.40
II. Sonderfall der Notveräußerung, Abs. 1 Satz 2 Unter den besonderen Voraussetzungen des Absatz 1 Satz 2 können Vermögenswerte 9 auch noch nach Rechtskraft veräußert werden und zwar ohne Vorliegen der Gründe der Notveräußerung nach Satz 1 (Rn. 4 ff.). Das Gesetz verlangt dafür, dass das Gericht eine Anordnung nach § 111i Abs. 2 getroffen und damit die Pfändung von Vermögenswerten durch dinglichen Arrest aufrechterhalten hat. In diesen Fällen kann eine Notveräußerung alleine deshalb erfolgen, weil es zweckmäßig erscheint. Legitimiert wird diese Erleichterung dadurch, dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung und des Beschlusses nach Absatz 2 feststeht, dass diese Vermögenswerte der Sicherung der Verletztenansprüche dienen und unter den Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 dem Staat
34 35 36
AnwK-StPO/Lohse 3; Meyer-Goßner 3. SK/Rogall 10. AnwK-StPO/Lohse 5; Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 452.
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Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 452. HK/Gercke 15. HK-GS/Hartmann 1. SK/Rogall 10.
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anheim fallen werden.41 Damit soll eine Erleichterung für die Praxis herbeigeführt werden, die als Korrelat zu dem erhöhten Verwaltungsaufwand im Verfahren nach § 111i anzusehen ist.42 Die Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe nach Eintritt der Rechtskraft je nach Form der Sicherung begründet sich dadurch, dass im Falle der Beschlagnahme der aus der Tat erlangte Vermögenswert gesichert werden konnte, während es beim dinglichen Arrest nicht mehr um Rückführung des eigentlichen Gegenstandes, sondern um Geldforderungen geht. Im Falle der Beschlagnahme hat der Verletzte daher in aller Regel ein Interesse an der Herausgabe der Sache in ihrer ursprünglichen Form, während es ihm beim dinglichen Arrest ohnehin nur auf die Erlangung des Wertes der ursprünglichen Sache ankommt, da diese selbst nicht mehr verfügbar ist.43 Die Rechte des Verurteilten sind dadurch maximal peripher tangiert, außerdem ist er in diesem Zeitpunkt des Verfahrens weniger schutzwürdig.44 Sollten die Interessen des Verletzten einer Notveräußerung ausnahmsweise zuwiderlaufen, kann dies im Rahmen der Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigt werden.45 Eine Entscheidung nach Absatz 1 Satz 2 hat mit dem Ziel einer wirtschaftlich effektiven Verwertung46 nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen.47
III. Rechtsfolgen der Notveräußerung, Abs. 1 Satz 3 10
Wird ein Vermögenswert nach § 111k Abs. 1 Satz 1 oder 2 veräußert, so geht das Eigentum oder das Recht auf den Erwerber über.48 Der Erlös tritt an dessen Stelle. Das bedeutet, dass in dem Urteil auf Verfall oder Einziehung des Erlöses zu erkennen ist,49 wenn die Voraussetzungen für die Verfalls- oder Einziehungsanordnung vorliegen.50 Das Gesetz sieht als Rechtsfolge der Veräußerung folglich eine Surrogation vor. Trifft das Gericht nach der Notveräußerung Feststellungen nach § 111i Abs. 2, so ist der Erlös zu bezeichnen. Wird nach der Notveräußerung im Urteil nicht auf Verfall oder Einziehung erkannt, so hat der Betroffene einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auszahlung51 und Übereignung des Erlöses, wenn die Sicherstellungsvoraussetzungen entfallen sind. Durch Satz 3 wird er nicht ipso iure Eigentümer des Erlöses.52 Die bei der Gerichtskasse zu hinterlegende Verkaufssumme ist nach den Vorschriften des jeweiligen Hinterlegungsgesetzes zu verzinsen.
IV. Handlungsalternativen 11
Droht eine Sache zu verderben oder wesentlich an Wert zu verlieren, stellt § 111l Abs. 1 nur eine von diversen Möglichkeiten dar, wie die Strafverfolgungsorgane auf diese Entwicklung reagieren können. So kann der Betroffene etwa unter Hinweis auf die ansonsten erfolgende Notveräußerung zur Hinterlegung der im Arrestbefehl genannten Lösungssumme aufgefordert werden, §§ 111d Abs. 2 i.V.m. §§ 923, 934 ZPO.53 Dies
41 42 43 44 45 46 47 48
BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19. BTDrucks. 16 700 S. 19. AnwK-StPO/Lohse 2; HK/Gercke 6; MeyerGoßner 3. BTDrucks. 16 700 S. 19. AnwK-StPO/Lohse 8.
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49 50 51 52 53
BGHSt 8 46, 53; Meyer-Goßner 4; SK/Rogall 20; HK/Gercke 6. BGHSt 8 46, 53; RGSt 54 137, 138; AnwKStPO/Lohse 8; KK/Nack 10; Meyer-Goßner 4. RGSt 56 322, 323; AnwK-StPO/Lohse 8; KK/Nack 10; SK/Rogall 20. HK-GS/Hartmann 4; HK/Gercke 7; KK/Nack 10; SK/Rogall 20. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 449.
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wird ihm zwar nur möglich sein, wenn er über weitere Vermögenswerte verfügt, eine entsprechende Aufforderung ist aber grundsätzlich immer denkbar. Erfolgte die Sicherung der Vermögenswerte nicht durch dinglichen Arrest, sondern durch eine Beschlagnahme, gehen die Möglichkeiten nach § 111c Abs. 6 der Notveräußerung ebenfalls vor.54 § 111c Abs. 6 Nr. 1 entspricht dabei im Wesentlichen der Hinterlegung einer durch Arrestbefehl bezeichneten Lösungssumme. Wird der Wert der Sache erlegt, so erhält der Betroffene sie zurück und kann frei über sie verfügen. Eine Notveräußerung findet nicht statt.55 Der Betroffene muss auf diese Möglichkeiten hingewiesen werden, sie wahrzunehmen ist er nicht verpflichtet. Kann der Eintritt der Notveräußerungsgründe nach Absatz 1 Satz 1 durch eine Maßnahme nach § 111c Abs. 6 Nr. 2 verhindert werden, geht dies einer Notveräußerung schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vor. Denkbar ist auch, dass ein trotz oder gerade durch Notveräußerung eintretender Wertverlust im Rahmen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB Berücksichtigung finden kann.56 Da sich auch für den Verletzten eine Notveräußerung nachteilig auswirken kann, sollte er vor einer entsprechenden Anordnung befragt werden, ob er sich zum Erhalt der Sache auch eine Kostenbeteiligung vorstellen kann.57
V. Haftungsrechtliche Fragen Durch die Notveräußerung kann ein Wertverlust eintreten. Dieser kann etwa dadurch 12 entstehen, dass eine Notveräußerung nicht, zu spät oder überhaupt vorgenommen wird. Dies kann grundsätzlich Amtshaftungsansprüche begründen,58 wenn der jeweilige Beamte pflichtwidrig gehandelt hat. Ob dies der Fall war, ist eine Frage des Einzelfalls, siehe auch Rn. 23 ff.
C. Zuständigkeitsregelungen I. Allgemeines Bei Fragen der Zuständigkeit für die Notveräußerung ist zunächst zwischen der 13 Zuständigkeit für die Anordnung (Absätze 2 und 3) und den Vollzug (Absatz 5) der Notveräußerung zu unterscheiden. Im Rahmen der Anordnungszuständigkeit muss wiederrum zwischen der Anordnung vor (Absatz 2) und nach (Absatz 3) Erhebung der öffentlichen Klage sowie nach Rechtskraft (Absatz 2) differenziert werden.
II. Anordnung vor Erhebung der öffentlichen Klage und nach Rechtskraft, Abs. 2 Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensab- 14 schöpfung bei Straftaten vom 1.1.2007, verfolgte der Gesetzgeber mit den Änderungen in Absatz 2 das Ziel einer klaren Zuständigkeitsregelung.59 Dieses Ziel wurde erreicht.60
54 55 56 57
Meyer-Goßner 1; SK/Rogall 13. HK-GS/Hartmann 2; HK/Gercke 2. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 452. AnwK-StPO/Lohse 5.
58 59 60
A.A. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 450. BTDrucks. 16 700 S. 20. SK/Rogall 21.
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Im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft des Urteils wird die Notveräußerung durch die Staatsanwaltschaft angeordnet. Die Zuständigkeit für die Entscheidung liegt gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2 RPflG beim Rechtspfleger. Nimmt der Staatsanwalt die Anordnung selbst vor, wird sie dadurch nicht unwirksam.61 Er muss die Anordnung sogar vornehmen, wenn ein Rechtspfleger nicht rechtzeitig entscheiden kann.62 Droht der Gegenstand zu verderben, bevor die Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeigeführt werden kann, steht die Anordnung auch den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu. Die Ermittlungspersonen müssen sich dabei zunächst um eine Entscheidung des Rechtspflegers bemühen,63 ist dieser nicht zu erreichen, um eine solche des Staatsanwalts. Dem drohenden Verderb soll der Fall gleichstehen, dass ohne eine Anordnung der Ermittlungspersonen eine wesentliche Wertminderung unabwendbar erscheint.64 Absatz 2 Satz 2 enthält als einzige Vorschrift in der StPO eine ausdrückliche Rang15 folge zwischen der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen. Obwohl § 111l keine Ermittlungshandlungen regelt, kann dieser Vorschrift ein allgemeiner Rechtsgedanke dahin entnommen werden, dass der Staatsanwaltschaft grundsätzlich der Vorrang vor ihren Ermittlungspersonen zukommt und dass diese nur zuständig sind, wenn ein Staatsanwalt nicht zu erreichen ist. In Steuersachen hat das Finanzamt die Rechte der Staatsanwaltschaft (§ 386 AO), im Bußgeldverfahren nach § 46 Abs. 2 OWiG die Verwaltungsbehörde. Die Beamten der Hauptzollämter und der Zollfahndungsämter haben die Rechte von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 37 Abs. 1 und 2 AWG, § 37 Abs. 3 und 4 AWG.
III. Anordnung nach Erhebung der öffentlichen Klage, Abs. 3 16
Nach Erhebung der öffentlichen Klage und den ihr gleichstehenden Anträgen der Staatsanwaltschaft – etwa die Nachtragsanklage, der Erlass eines Strafbefehls oder das selbstständige Einziehungsverfahren, siehe umfassend § 98, 10 – trifft das mit der Hauptsache befasste Gericht die Anordnung der Notveräußerung, Absatz 3 Satz 1. Die Zuständigkeit für die Entscheidung liegt nach § 22 Nr. 2 RPflG beim Rechtspfleger. Nimmt das Gericht die Anordnung selbst vor, wird sie dadurch nicht unwirksam, § 8 Abs. 1 RPflG. Im Berufungsverfahren entscheidet ab Vorlage der Akten nach § 321 das Berufungsgericht.65 Im Revisionsverfahren ist das Gericht zuständig, dessen Urteil angefochten ist, § 126 Abs. 2 Satz 2 analog.66 Droht der Gegenstand zu verderben, bevor eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden kann, steht die Anordnungskompetenz auch der Staatsanwaltschaft zu, Absatz 3 Satz 2 Hs. 1. Ist auch diese nicht rechtzeitig vor drohendem Verderb für eine Entscheidung erreichbar, steht den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft eine Eilkompetenz zu, Absatz 3 Satz 2 Hs. 2. Entsprechend den vorherigen Ausführungen (Rn. 14) muss bei einer Eilkompetenzentscheidung zunächst versucht werden, eine Entscheidung des zuständigen Rechtspflegers herbeizuführen. Ist dies nicht gelungen, entscheidet das Gericht. Ist auch von diesem keine Entscheidung herbeizu-
61 62 63 64
KK/Nack 5; Meyer-Goßner 6. HK/Gercke 8; Meyer-Goßner 6; SK/Rogall 22. KK/Nack 5. AnwK-StPO/Lohse 6; HK/Gercke 8; Meyer-
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65 66
Goßner 6; a.A. KK/Nack 5 „nur“ bei drohendem Verderb. HK/Gercke 9; KK/Nack 5. AnwK-StPO/Lohse 6; HK/Gercke 9; KK/Nack 5.
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führen, entscheidet die Staatsanwaltschaft. Will man den Fall der drohenden wesentlichen Wertminderung jenem des drohenden Verderbs gleichstellen (Rn. 14),67 muss dies auch im Rahmen des Absatz 3 gelten.
D. Anhörung der Betroffenen, Abs. 4 I. Allgemeines Der Beschuldigte, der Eigentümer und andere, denen Rechte an der Sache zustehen, 17 sollen vor der Anordnung der Notveräußerung gehört werden, Absatz 4 Satz 1. Die Anordnung sowie Zeit und Ort der Veräußerung sind ihnen, soweit möglich, mitzuteilen, Absatz 4 Satz 2. Absatz 4 gilt für alle Anordnungen nach Absatz 2 und 3, unabhängig davon, wer die Anordnung treffen soll.68 Gleichwohl wird es in Fällen der Eilentscheidung häufig nicht möglich sein, die Beteiligten anzuhören. Absatz 4 ist daher als Sollvorschrift ausgestaltet, die Anhörung kann unterbleiben, wenn die Notveräußerung so eilbedürftig ist, dass ihr Zweck bei vorheriger Anhörung nicht verwirklicht werden könnte.69 Durch die Anhörung soll den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, Bedenken gegen die Notveräußerung vorzubringen und Vorschläge zu deren Abwendung zu machen.70 Die in Rn. 11 aufgezeigten Handlungsalternativen der Hinterlegung einer Lösungssumme bzw. nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, sollen erörtert werden, weil sie sich als milderes Mittel gegenüber der Notveräußerung darstellen.71
II. Anhörung, Abs. 4 Satz 1 1. Beteiligte. Als Beteiligte bezeichnet Absatz 4 den Beschuldigten, den Eigentümer 18 und andere Personen, denen (dingliche) Rechte an der Sache zustehen.72 Jedoch können Gericht oder Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch Personen anhören, die nur schuldrechtliche Ansprüche auf die Sache haben.73 Dies gilt etwa für Mieter schon wegen § 577 BGB, aber auch für Pächter oder Leasingnehmer. Auch der letzte Gewahrsamsinhaber sollte gehört werden.74 Sind die Beteiligten unbekannt, so müssen sie ermittelt werden, sofern das rechtzeitigen Erfolg verspricht. Lässt sich die Anhörung nicht ohne Verzögerung durchführen oder wird sie erheblich erschwert, kann auf sie verzichtet werden.75 Dies gilt ganz besonders in Fällen der Anordnung aufgrund einer Eilkompetenz. Hier wird in aller Regel keine Zeit sein, die Betroffenen anzuhören, da ansonsten auch regelmäßig die Voraussetzungen der Eilzuständigkeit nicht vorliegen dürften. 2. Verstoß gegen Anhörungsgebot. Die Anhörung der Beteiligten steht nicht im pflicht- 19 gemäßen Ermessen von Gericht oder Strafverfolgungsbehörden, sondern „soll“ erfol-
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So AnwK-StPO/Lohse 6; HK/Gercke 8; Meyer-Goßner 6; a.A. KK/Nack 5 „nur“ bei drohendem Verderb. Meyer-Goßner 8. KMR/Mayer 11; HK/Gercke 10; KK/Nack 5. AnwK-StPO/Lohse 7; HK-GS/Hartmann 6; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 26.
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AnwK-StPO/Lohse 7; HK-GS/Hartmann 6; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 27. SK/Rogall 26. SK/Rogall 26. AnwK-StPO/Lohse 7. SK/Rogall 26.
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gen. Der Anhörung ist daher grundsätzlich nachzukommen.76 Unterbleibt die Anhörung nach Absatz 4, ist das jedoch ohne Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Notveräußerung.77
III. Benachrichtigungspflicht, Abs. 4 Satz 2 20
Die Anordnung der Notveräußerung sowie deren Zeit und Ort sind den Beteiligten mitzuteilen, soweit dies ausführbar erscheint. Die Bekanntmachung der Anordnung an den Beschuldigten ist schon in § 35 Abs. 2 vorgeschrieben, Absatz 4 Satz 2 erweitert die Bekanntmachungspflicht somit vor allem gegenüber den übrigen Beteiligten i.S.d. Rn. 17.78 Die Bekanntmachung von Zeit und Ort der Veräußerung soll dem Betroffenen, dem Eigentümer und dem Drittberechtigten die Möglichkeit geben, die Sache selbst zu erwerben oder geeignete Käufer auf die Notveräußerung aufmerksam zu machen.79 Sie wird regelmäßig mit der Anhörung nach Absatz 4 Satz 1 verbunden werden können.80 Die Bekanntmachung darf unterbleiben, wenn sie etwa wegen der Dringlichkeit der Veräußerung nicht rechtzeitig ausgeführt werden kann81 oder wenn sie deshalb nicht möglich ist, weil die Bekanntmachungsempfänger nicht oder nicht rechtzeitig ermittelt werden konnten.
IV. Form der Benachrichtigung 21
Die Form der Benachrichtigung nach Absatz 4 ist im Gesetz nicht ausdrücklich festgeschrieben, so dass von den allgemeinen Grundsätzen auszugehen ist.82 Das Gericht entscheidet durch Beschluss, die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen durch Verfügung.83 Dies gilt auch, wenn der Rechtspfleger entschieden hat.84
E. Rechtsbehelf gegen die Anordnung der Notveräußerung I. Allgemeines 22
Gegen die Anordnung der Notveräußerung nach Absatz 2 und 3 kann sich der Betroffene jederzeit zur Wehr setzen. Nach Absatz 6 Satz 1 kann er gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragen.85 Für die Anfechtung von Entscheidungen des Gerichts finden sich in Absatz 6 keine Regelungen. Es bleibt daher bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften:86 Gegen Entscheidungen des Gerichts, die nach Absatz 3 Satz 1 nur nach Erhebung der öffentlichen Klage in Betracht kommen, steht ihm der Beschwerdeweg nach § 304 offen.87 Damit werden dem Betroffenen unmit-
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78 79 80
SK/Rogall 26. HK-GS/Hartmann 6; KMR/Mayer 11; HK/Gercke 10; Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 26. Meyer-Goßner 9. HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 9; SK/Rogall 28. SK/Rogall 28.
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81 82 83 84 85 86 87
HK-GS/Hartmann 6. SK/Rogall 25. SK/Rogall 25 SK/Rogall 25. Meyer-Goßner 11. SK/Rogall 33. BTDrucks. 16 12098 S. 18 f.; AnwK-StPO/ Lohse 9.
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telbare Rechtsbehelfe gegen die Veräußerungsanordnung zur Verfügung gestellt, er muss nicht erst deren Vollzug abwarten. Von Absatz 6 sind auch solche Entscheidungen erfasst, durch die eine Notveräußerung abgelehnt wird,88 Rn. 24.
II. Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Abs. 6 Satz 1 und 2 Beschwert sich der Betroffene gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft oder ihrer 23 Ermittlungspersonen mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht, gelten für dieses Verfahren nach Satz 2 die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a entsprechend. 1. Antragsberechtigung. Zu einem Antrag nach Absatz 6 Satz 1 sind der Eigen- 24 tümer,89 der Beschuldigte90 sowie jedermann berechtigt, dem ein Recht an der Sache zusteht 91 und dem durch die Notveräußerung ein Rechtsverlust droht. Als antragsberechtigt ist somit auch der letzte Gewahrsamsinhaber anzusehen.92 Wie jedes Rechtsmittel setzt auch der Antrag nach Absatz 6 Satz 1 eine Beschwer voraus. Diese liegt jedenfalls immer vor, wenn die Notveräußerung gegen den Willen des Betroffenen angeordnet wurde.93 Möchte der Betroffene eine Notveräußerung herbeiführen, kann er dieses Begehren nicht nur auf einen drohenden Verderb oder Wertverlust stützen, sondern, sofern er Beschuldigter ist, auch darauf, dass die Aufbewahrung, Pflege oder Unterhaltung des Vermögenswertes mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist.94 Denn auch in diesen Fällen bewirkt die nicht erfolgende Notveräußerung eine Belastung des Beschuldigten. Er trägt letztlich das Risiko der Verwertbarkeit der Sache (Rn. 8) und muss daher auch eine unvernünftige Aufbewahrung, Pflege oder Unterhaltung des Vermögenswertes angreifen können.95 In allen Fällen hat die Beschwerde allerdings nur dann Erfolg, wenn die Strafverfolgungsbehörde eine offensichtlich notwendige Veräußerung nicht durchführt, denn nur in diesen Fällen ist das Ermessen auf Null reduziert.96 2. Zuständigkeit bei Maßnahmen im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft 25 der Entscheidung. Im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft der Entscheidung ist gegen Maßnahmen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft oder der Staatsanwaltschaft selbst der Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht zulässig. Es hat folglich der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts zu entscheiden, indem die Staatsanwaltschaft bzw. ihre Zweigstelle ihren Sitz hat. Gegen seine Entscheidung steht dem Betroffenen die Beschwerde offen.97 Ist das jeweilige Oberlandesgericht in erster Instanz zuständig, wird dessen Ermittlungsrichter angerufen, § 169 Abs. 1 Satz 1, gegen Anordnungen des Generalbundesanwalts entscheidet der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, § 169 Abs. 1 Satz 2.98 Maßnahmen seiner
88 89 90 91 92 93 94
A.A. Rönnau/Hohn wistra 2002 445, 450. KK/Nack 8; Meyer-Goßner 12. KK/Nack 8; SK/Rogall 35. AnwK-StPO/Lohse 9; KK/Nack 8; MeyerGoßner 12; SK/Rogall 35. HK/Gercke 14; HK-GS/Hartmann 8; MeyerGoßner 12. SK/Rogall 36. A.A. SK/Rogall 36.
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A.A. SK/Rogall 36, der die Fälle von Absatz 1 Satz 1 Alt. 2 als alleine im Interesse der Justizverwaltung erfolgende Veräußerungsgründe ansieht. A.A. SK/Rogall 36. BTDrucks. 16 12098 S. 18; HK-GS/ Hartmann 8; AnwK-StPO/Lohse 9; HK/Gercke 18. SK/Rogall 38.
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Ermittlungspersonen überprüft zunächst der Staatsanwalt.99 Er kann sie aufheben oder abändern. Hilft er der geltend gemachten Beschwer nicht ab, legt er die Sache dem Gericht vor. In den Fällen prozessualer Überholung gilt Rn. 27. Hatte der Rechtspfleger eine Maßnahme angeordnet oder durchgeführt, entscheidet über Einwendungen gegen Maßnahmen bei Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger unmittelbar das Gericht, eine vorherige Vorlage an den Staatsanwalt findet nicht statt,100 argumentum e contrario § 31 Abs. 6 Satz 1 RpflG.101 Wegen § 31 Abs. 6 Satz 3, 4 RPflG i.V.m. §§ 145, 146 GVG ist der Rechtspfleger jedoch an Weisungen des Staatsanwalts und des Behördenleiters gebunden. Im Wiederaufnahmeverfahren entscheidet nach § 162 Abs. 3 Satz 4 das Gericht, das für die Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren zuständig ist. Dies richtet sich nach §§ 367 Abs. 1 Satz 1, 140a GVG.
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3. Zuständigkeit bei Maßnahmen nach Erhebung der öffentlichen Klage. Nach Erhebung der öffentlichen Klage und der ihr gleichstehenden Anträge (§ 98, 10) entscheidet das mit der Hauptsache befasste Gericht über eine Veräußerungsanordnung. Gegen seine Entscheidung ist nicht die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG, sondern die Beschwerde nach § 304 zu erheben.102 Zwar handelt es sich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung, wegen § 305 Satz 2 ist sie der Beschwerde aber nicht entzogen.103 Wird eine entsprechende Veräußerungsanordnung im Revisionsverfahren getroffen, entscheidet das zuletzt mit der Sache befasste Gericht, Rn. 16.104
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4. Verfahren, Form und Frist der Anträge, Abs. 6 Satz 2. Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung vor Erhebung der öffentlichen Klage und nach Rechtskraft sind bei der Staatsanwaltschaft anzubringen, in den übrigen Fällen bei dem entscheidenden Gericht. Sie sind nicht an Fristen gebunden. Die Staatsanwaltschaft entscheidet durch Verfügung, das Gericht durch Beschluss. Für die gerichtliche Entscheidung des nach § 162 zuständigen Gerichts gelten die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a entsprechend. Es kann dem Antrag abhelfen,105 der Staatsanwalt kann Maßnahmen seiner Ermittlungspersonen aufheben und abändern (Rn. 25). Andernfalls legt er den Antrag dem Gericht zur Entscheidung vor. Der Vollzug der Maßnahme wird durch den Überprüfungsantrag nicht gehemmt, § 307. Auch § 307 Abs. 2 gilt in entsprechender Anwendung über Absatz 6 Satz 2 für die Staatsanwaltschaft. Über den Antrag entscheidet, wenn nicht in einer Staatsschutzsache das Oberlandesgericht zuständig ist, das Landgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Dieses, in Eilfällen auch der Vorsitzende allein, kann die Aussetzung der Veräußerung anordnen, Absatz 6 Satz 3. Die Vollziehung anderer Maßnahmen kann in sinngemäßer Anwendung des § 307 Abs. 2 ausgesetzt werden. Ist die angegriffene Maßnahme erledigt, besteht nur bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, der in der Anordnung oder Vollstreckung der Maßnahme liegen kann, ein Rechtsschutzbedürfnis.106 Dies ist sicher dann der Fall, wenn der Betroffene bleibende wirtschaftliche Nachteile durch die Notveräußerung geltend machen kann und vor der
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AnwK-StPO/Lohse 9; HK/Gercke 13; KK/Nack 7; Meyer-Goßner 11. SK/Rogall 41; a.A. KMR/Mayer 15. Meyer-Goßner 11; a.A. KK/Nack 6; HK/Gercke 13. OLG Hamburg NStZ-RR 2011 345, 346; HK/Gercke 18; Meyer-Goßner 16; SK/Rogall 48, auch zum nunmehr über-
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holten Streit über die Zulässigkeit der Beschwerde. SK/Rogall 46. HK/Gercke 15; KK/Nack 7; SK/Rogall 39; Meyer-Goßner 16. HK-GS/Hartmann 8. KMR/Mayer 15; SK/Rogall 45; a.A. AnwKStPO/Lohse 9.
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Anordnung der Maßnahme nicht angehört werden konnte. Wegen der Kosten des erfolglosen Antrags gilt die Vorschrift des § 473a entsprechend. Über die Kosten ist daher ausdrücklich zu befinden. Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht der Hauptsache angerufen wird.107 Hat der Antrag Erfolg, so fallen die Kosten der Staatskasse zur Last. Auch eine Kostenquotelung ist denkbar, etwa bei Teilerfolg der Beschwerde.108 Die Entscheidung nach § 473a Satz 1 ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, §§ 473a Satz 1, 464 Abs. 3 Satz 1, 304 Abs. 3, sofern der Beschwerdegegenstand 200 EUR übersteigt.
F. Durchführung der Notveräußerung, Abs. 5 I. Allgemeines Die Durchführung der Notveräußerung erfolgt nach Absatz 5 Satz 1 grundsätzlich 28 nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Verwertung einer gepfändeten Sache. Maßgeblich sind danach die §§ 814 ff. ZPO. Die Versteigerung darf nicht vor Ablauf einer Woche seit der Anordnung der Notveräußerung erfolgen, es sei denn, dass die Gefahr einer beträchtlichen Wertminderung der Sache abzuwenden oder unverhältnismäßige Kosten einer langen Aufbewahrung vermieden werden müssen, § 816 Abs. 1 ZPO. Die Versteigerung findet in der Gemeinde statt, in der die Pfändung erfolgte, § 816 Abs. 2. Über Versteigerungszeit und -art können abweichende Vereinbarungen zwischen Staatsanwaltschaft oder Gericht und den Beteiligten getroffen werden, § 816 Abs. 1 und 2 ZPO. Zeit und Ort der Versteigerung sind öffentlich bekanntzumachen, § 816 Abs. 3 ZPO. Die bei der Versteigerung zugeschlagenen Sachen dürfen nur gegen Barzahlung abgeliefert werden, § 817 Abs. 2 ZPO. Die Sätze 2 bis 4 modifizieren die zivilrechtlichen Grundsätze der Versteigerung,109 mit dem Ziel der Anpassung an die strafrechtlichen Bedürfnisse. Für die Verwertung von Wertpapieren gelten die §§ 821 ff. ZPO.
II. Problem der Forderungsversteigerung Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöp- 29 fung bei Straftaten vom 1.1.2007 hat der Gesetzgeber die Notveräußerung über körperliche Sachen hinaus auf sonstige Vermögenswerte erweitert. Diese Erweiterung folgte einer Forderung der Praxis, etwa auch bei drohendem Wertverlust sichergestellter Aktiendepots effektiv reagieren zu können.110 Dies ist nunmehr möglich, da Wertpapiere nach § 821 ZPO wie bewegliche Sachen versteigert werden, wenn sie keinen Tagespreis haben. Gleichwohl ist die Neuerung auf einige Kritik gestoßen. Insbesondere wird beanstandet, dass die Erweiterung mangelhaft umgesetzt wurde und keinen sinnvollen Anwendungsbereich habe.111 Für die Pfändung von Forderungen und sonstigen Rechtstiteln mit vermögensrechtlichem Einschlag fehle es weiterhin an dem erforderlichen vollstreckungsrechtlichen Unterbau, da die Vollstreckung nach wie vor über die zivilprozessualen Vorschriften der Sachpfändung durchzuführen sei.112 Forderungen und Grundstücke unterlägen daher nicht der Notveräußerung.113 Diese Kritik ist berechtigt. Der Gesetzgeber
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KK/Nack 11; Meyer-Goßner 15. BTDrucks. 16 12098 S. 40. SK/Rogall 29. BTDrucks. 16 700 S. 19.
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sollte hier klarstellen, wie er sich eine Notveräußerung dieser Vermögenswerte vorgestellt hat. Teilweise wird für Forderungen und Grundstücke eine analoge Anwendung von § 111l vorgeschlagen, sofern eine wesentliche Wertminderung droht.114 Ob die bestehenden Probleme damit gelöst werden können, ist allerdings fraglich. Zuzugeben ist, dass eine entsprechende Notveräußerung in der Praxis nur selten vorkommen wird.115 Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, steht es den Verfahrensbeteiligten frei, eine individuelle Vereinbarung zu treffen. So ist denkbar, die vorläufige Sicherung des Vermögenswertes aufzugeben, um etwa das Grundstück im Einvernehmen mit dem Betroffenen von einem Makler verkaufen zu lassen. Der Erlös kann dann unmittelbar beschlagnahmt werden.
III. Zuständigkeit, Abs. 5 Satz 2 30
Abweichend von den zivilrechtlichen Zuständigkeiten gelten für die Zuständigkeit der Durchführung der Notveräußerung die strafprozessualen Regelungen von Absatz 5 Satz 2. Anstelle des Vollstreckungsgerichts nach § 764 ZPO entscheidet vor Erhebung der öffentlichen Klage und nach Rechtskraft der Entscheidung die Staatsanwaltschaft, nach Erhebung der öffentlichen Klage das mit der Hauptsache befasste Gericht.116 Die Durchführung der Veräußerung ist wie die Anordnung dem jeweiligen Rechtspfleger übertragen, §§ 22 Nr. 2; 31 Abs. 1 Nr. 2 RPflG.117
IV. Sonstige Formen der Verwertung, Abs. 5 Satz 3 und 4 31
Die Verwertung einer gepfändeten Sache erfolgt im Regelfall nach § 814 ZPO. Danach sind die gepfändeten Sachen vom Gerichtsvollzieher öffentlich zu versteigern. Jedoch kann nach § 825 Abs. 1 ZPO die Verwertung in anderer Weise als durch öffentliche Versteigerung durch den Gerichtsvollzieher erfolgen und nach § 825 Abs. 2 ZPO kann die Versteigerung einer gepfändeten Sache durch eine andere Person als den Gerichtsvollzieher geschehen. Um auf die Bedürfnisse einer strafprozessualen Notveräußerung adäquat reagieren zu können, ist § 825 ZPO nach Absatz 5 Satz 4 auch im Falle der Notveräußerung anwendbar. Dadurch wird etwa ein freihändiger Verkauf der Sache möglich.118 Dieses Vorgehen kann zusammen mit oder nachträglich zur Notveräußerung angeordnet werden. Die Anordnung der Verwertung des Vermögenswertes auf andere Weise als durch öffentliche Versteigerung kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen. Die Verwertung nach § 825 ZPO kann von Amts wegen, auf Antrag der in Absatz 4 genannten Personen (Rn. 24) und im Falle einer Notveräußerung durch das Gericht auch durch die Staatsanwaltschaft beantragt werden. Nach Absatz 5 Satz 4 kann die Notveräußerung auf andere Weise und durch eine andere Person als den Gerichtsvollzieher antragsunabhängig und damit über §§ 825 ZPO, 111l Abs. 5 Satz 3 hinausgehend119 auch schon dann angeordnet werden, wenn dies zweckmäßig erscheint. In diesen Fällen kann die Veräußerung nach pflichtgemäßem Ermessen auch durch freihändigen Verkauf durch gewerbliche Verwerter vorgenommen werden, wenn sachliche
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KK/Nack 2. KK/Nack 2. KK/Nack 9. KK/Nack 9; Meyer/Goßner 10; SK/Rogall 30.
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Gründe dies zweckmäßig erscheinen lassen.120 Der Ertrag der Notveräußerung ist bei Gericht zu hinterlegen und nach dem jeweiligen Hinterlegungsgesetz zu verzinsen.121 Zuständig für die Durchführung der Notveräußerung ist der Rechtspfleger des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft, §§ 22 Nr. 2, 31 Abs. 1 Nr. 2 RPflG. Auch hier gilt wiederum, dass die Vornahme des Geschäfts durch den Richter oder den Staatsanwalt die Handlung nicht unwirksam macht, Rn. 14 und 16.
G. Rechtsbehelfe gegen die Durchführung der Notveräußerung I. Allgemeines Der Gesetzgeber unterscheidet bei den Rechtsbehelfen gegen die Durchführung der 32 Notveräußerung nicht zu jenen Rechtsbehelfen gegen die Anordnung der Notveräußerung. Die Ausführungen zu Rechtschutzmöglichkeiten gegen die Anordnung der Notveräußerung (Rn. 22 ff.) gelten bei deren Durchführung daher entsprechend.
II. Aussetzung der Veräußerung Nach Absatz 6 Satz 3 kann das Gericht, in dringenden Fällen der Vorsitzende, die 33 Aussetzung der Veräußerung anordnen. Die Norm entspricht im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des § 307.
§ 111m (1) Die Beschlagnahme eines Druckwerks, einer sonstigen Schrift oder eines Gegenstandes im Sinne des § 74d des Strafgesetzbuches darf nach § 111b Abs. 1 nicht angeordnet werden, wenn ihre nachteiligen Folgen, insbesondere die Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung offenbar außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. (2) 1Ausscheidbare Teile der Schrift, die nichts Strafbares enthalten, sind von der Beschlagnahme auszuschließen. 2Die Beschlagnahme kann in der Anordnung weiter beschränkt werden. (3) In der Anordnung der Beschlagnahme sind die Stellen der Schrift, die zur Beschlagnahme Anlaß geben, zu bezeichnen. (4) Die Beschlagnahme kann dadurch abgewendet werden, daß der Betroffene den Teil der Schrift, der zur Beschlagnahme Anlaß gibt, von der Vervielfältigung oder der Verbreitung ausschließt. Schrifttum zu den §§ 111m, 111n Achenbach Alte und neue Fragen zur Pressebeschlagnahme, NStZ 2000 123; Groß Das Recht der Pressebeschlagnahme, AfP 1976 14; Groß Beschlagnahme von Druckwerken, NJW 1976 170; ders. Sicherstellung von Druckwerken, NStZ 1999 334; ders. Pressebeschlagnahme VR 2009 411; ders. Zur Schriftenbeschlagnahme, DVP 2000 19; ders. Pressebeschlagnahme und Strafprozessrecht,
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BTDrucks. 16 700 S. 20.
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VR 2010 293; I. Hassemer Grenzen der Beschlagnahme im Bereich der Informationstechnologie, ITRB 2008 107; Lersch Das Recht zur Pressebeschlagnahme, Diss. Köln 1967; Löffler Die Beschlagnahme von Zeitungen und Zeitschriften, NJW 1952 997; ders. Lücken und Mängel im neuen Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmerecht von Presse und Rundfunk, NJW 1978 913; Mitsch Strafverfahrensrechtliche Aspekte bei Urheberrechtsverletzungen mittels Presserzeugnissen, AfP 2011 544; Rehmann/Ott/Storz Das baden-württembergische Gesetz über die Presse (1964); Reh/ Gross Hessisches Pressegesetz (1963); Scheer Deutsches Presserecht (1966); Seetzen Vorführung und Beschlagnahme pornographischer und gewaltverherrlichender Spielfilme, NJW 1976 497; Wagner Beschlagnahme und Einziehung staatsgefährdender Massenschriften, MDR 1961 93; Wilhelm Allgemeine Beschlagnahme bei Pressedelikten Urteilsanmerkung, NStZ 1996 204.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 (BGBl. 1975 I S. 1973) eingefügt. Sie blieb seither unverändert. Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Zweck der Vorschriften der §§ 111m und 111n . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 4. Verfassungsmäßigkeit der §§ 111m und 111n . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis zu anderen Vorschriften . . 6. Rechtsfolgen der Pressebeschlagnahme II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Voraussetzungen des Abs. 1 . . . . . a) Materiell-rechtliche Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . b) Druckwerke und sonstige Schriften aa) Druckwerke . . . . . . . . . . bb) Sonstige Schriften . . . . . . . cc) Gegenstand . . . . . . . . . . c) Bestimmung zur Verbreitung . . . d) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung . . . . . . . . . .
Rn. cc) Andere nachteilige Folgen . . . dd) Bedeutung der Sache . . . . . ee) Abwägung . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen des Abs. 2 . . . . . a) Ausscheidbare Teile der Schrift, Abs. 2 Satz 1 . . . . . . . . . . . b) Beschränkung nach pflichtgemäßem Ermessen, Abs. 2 Satz 2 . . . . . .
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III. Beschlagnahmeanordnung, Abs. 3 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Anlass zur Beschlagnahme . . . . . . . 3. Folgen bei Nichtbeachtung von Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abwendung der Beschlagnahme, Abs. 4 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Betroffener . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beschlagnahme . . . . . . . . . 4. Ausschluss von Vervielfältigung oder Verbreitung . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
Alphabetische Übersicht Abwägung 18 Andere nachteilige Folgen 16 Anlass zur Beschlagnahme 26 Antrag 32 Anwendungsbereich 3 Ausscheidbare Teile der Schrift 23 Ausschluss von Vervielfältigung oder Verbreitung 31 Bedeutung der Sache 17, 20 Beschlagnahme 7, 30 Beschlagnahmebeschränkungen 21 Beschränkungen nach pflichtgemäßem Ermessen 24 Besitz des Letztverbrauchers 13 Besitzverlust 29 Bestimmte Person 8
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Bestimmung zur Verbreitung 13 Betroffener 29 Das Erforderliche 22 Daten oder Internetseiten 31 Digitalisierte Daten 11 Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung 14 Druckwerke 10 Druckwerke und sonstige Schriften 9 Einzuziehenden Gegenstände 9 Folgen bei Nichtbeachtung von Abs. 3 27 Freiheitlich-demokratische Grundordnung 2, 15 Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung 15 Genaue Bezeichnung 25
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Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel Gewicht der jeweiligen Straftat 17 Kompetenzbereich des Bundes 4 Missverhältnis nach der Lebenserfahrung 18 Nach der Anordnung der Beschlagnahme 28 Periodisch erscheinende Informationen 10 Rechtsfolgen der Pressebeschlagnahme 6 Regelungsgehalt 2 Schadloshaltung des Verletzten 5 Sicherungseinziehung 19 Sonstige Schriften 11 Teil der Auflage 24 Verfahren 32
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Verfahrensrechtlichen Folgen 27 Verfall 3 Verfassungsmäßigkeit der § 111m und 111n 4 Verhältnis zu anderen Vorschriften 5 Vertriebs- und Wiederabdruckverbot 6 Vorrichtungen 12 Wirtschaftliche Nachteile 16 Wörtlich 26 Zeitungsbeilagen 23 Zusätzliche Eingriffsvoraussetzungen 1 Zweck der Vorschriften der §§ 111m und 111n 1
I. Allgemeines 1. Zweck der Vorschriften der §§ 111m und 111n. Die §§ 111m und 111n erfassen 1 sog. Presseinhaltsdelikte. Dabei handelt es sich um Tatbestände, bei denen die strafbare Handlung gerade durch den geistigen Inhalt eines Druckwerks verwirklicht wird.1 Als Beispiel kann § 184 Abs. 1 Nr. 5 StGB angeführt werden.2 §§ 111m und 111n verfolgen das Ziel, die spätere Einziehung und Unbrauchbarmachung dieser Schriften bereits frühzeitig, vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an, sichern zu können. Sie stellen über die Voraussetzungen der §§ 111b ff. zusätzliche Eingriffsvoraussetzungen auf, um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Pressefreiheit zu verhindern.3 Liegen Presseinhaltsdelikte nicht vor oder handelt es sich nicht um zur Verbreitung bestimmte Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB, gelten die allgemeinen Einziehungsvorschriften und damit die allgemeinen Vorschriften der §§ 111b ff., ohne dass es auf die Regelungen der §§ 111m und 111n ankäme. 2. Regelungsgehalt. § 111m bestimmt, dass die Beschlagnahme eines Druckwerks, 2 einer sonstigen Schrift oder eines Gegenstandes nach § 74d StGB nicht angeordnet werden darf, wenn ihre nachteiligen Folgen offenbar außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. § 74d StGB wiederum ist eine materiell-rechtliche Sondervorschrift für die Einziehung von zur Verbreitung bestimmten Schriften und den ihnen nach § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellten Gegenständen, sowie für die Unbrauchbarmachung der zu ihrer Herstellung benötigten Mittel. Die §§ 111m und 111n regeln die Sicherstellung somit abweichend von den allgemeinen Vorschriften dahingehend, dass gegenüber §§ 111b und 111c weitergehende Beschränkungen gelten, wenn Druckwerke, Schriften oder sonstige Gegenstände nach § 74d StGB beschlagnahmt werden sollen.4 Damit soll der Bedeutung der Presse für die freiheitlich-demokratische Grundordnung Rechnung getragen werden (vgl. § 94, 71), die hier ebenso belastet wird, wie das Eigentumsrecht der Betroffenen aus Art. 14 GG.5 3. Anwendungsbereich. Die Vorschriften der §§ 111m und 111n sollen die potentielle 3 Einziehung und Unbrauchbarmachung in einem späteren Strafurteil frühzeitig sicherstellen. Sie erfassen die Sicherung des Verfalls nach § 73 StGB deshalb nicht direkt. Eine
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Löffler/Kühl Vor §§ 20 ff., 6 m.w.N. Fischer § 184, 16; vgl. zu weiteren Presseinhaltsdelikten der §§ 184 ff. StGB Fischer § 184, 45.
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Pressebeschlagnahme zur Sicherung des Verfalls ist praktisch kaum vorstellbar, eine analoge Anwendung der §§ 111m und 111n aber nicht per se ausgeschlossen.6 Da §§ 111m und 111n die allgemeinen Vorschriften der §§ 111b ff. lediglich ergänzen, bleiben diese anwendbar, soweit eine Sonderregelung fehlt.7 Deshalb gelten für die Beschlagnahme von Schriften dieselben Voraussetzungen, wie sie § 111b für die Beschlagnahme und den dinglichen Arrest sonstiger Vermögenswerte vorsieht. Es müssen etwa Gründe für die Annahme vorliegen, dass auf Einziehung oder Unbrauchbarmachung der Schrift erkannt wird.8 Ebenso wie im Rahmen des § 111b sind dringende Gründe hierfür auch bei § 111m nicht mehr erforderlich.9 Das Gewicht des Grundrechts der Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet jedoch eine sorgfältige Verdachtsprüfung. Hinzu kommen die Konkretisierungen des Übermaßverbots in § 111n Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 sowie in § 74d Abs. 5 StGB.10 Es sind deshalb bereits bei der Prüfung der Annahme von Gründen i.S.d. § 111b Abs. 1 die in § 74b Abs. 2 und 3 normierten Einschränkungen der Einziehung zu berücksichtigen.11 Ob sich die Gründe auf die Einziehung im subjektiven oder im objektiven Verfahren beziehen, ist gleichgültig.12
4
4. Verfassungsmäßigkeit der § 111m und 111n. Das Verhältnis der strafprozessualen Sonderregelungen der §§ 111m und 111n zu den jeweiligen Landespressegesetzen war lange Zeit strittig, da unterschiedliche Auffassungen über die Gesetzgebungskompetenz der Länder in diesem Bereich vorherrschten.13 Infolge des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 (BGBl. 1975 I S. 1973) haben mehrere Bundesländer die Beschlagnahmevorschriften ihrer Landespressegesetze aufgehoben. Noch bestehende landesrechtliche Vorschriften über die Beschlagnahme von Presseerzeugnissen zur Beweissicherung, aber auch zur Sicherung der Einziehung oder der Unbrauchbarmachung nach § 74d StGB sind nichtig, da diese Regelungen in den Kompetenzbereich des Bundes nach Art. 74 Nr. 1 GG fallen.14 Daraus folgt, dass die §§ 111m und 111n für die Beschlagnahme eines in den Anwendungsbereich der Landespressegesetze fallenden Presseerzeugnisses eine abschließende Regelung enthalten, die entgegenstehendes Landesrecht verdrängt und neben der auch polizeirechtliche Maßnahmen unzulässig sind.15
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5. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Die Beschlagnahme der von § 111m erfassten Gegenstände zu Beweiszwecken richtet sich ausschließlich nach den §§ 94 ff. und unterliegt nicht den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 111m und 111n.16 Dies ergibt sich bereits daraus, dass zu Beweiszwecken in aller Regel die Beschlagnahme eines einzigen Exemplars ausreicht, so dass die Eingriffsintensität deutlich hinter jener der Beschlag-
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AnwK-StPO/Lohse 1; Meyer-Goßner 1; HK/Gercke 1; KMR/Mayer 3; KK/Nack 3; OK-StPO/Huber 1; HK-GS/Hartmann 1; SK/Rogall 3. HK/Gercke 1. HK/Gercke 1. Achenbach NStZ 2000 123, 127 schlägt eine Rückkehr zu dringenden Gründen vor. Vgl. Achenbach NStZ 2000 123, 127. SK/Rogall 2. KK/Nack 4. Vgl. dazu umfassend Achenbach NStZ 2000 123, 125; LR/Schäfer 25 2.
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Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 4; HK/Gercke 2 hält sie für unwirksam; a.A. etwa Löffler/ Bullinger Einl. 74, der aber darauf hinweist, dass sich diese Mindermeinung nicht durchsetzen konnte; Groß NStZ 1999 334. Vgl. OVG Brandenburg NJW 1997 1387, 1388. HK-GS/Hartmann 1; HK/Gercke 1; SK/Rogall 3; Meyer-Goßner 1.
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§ 111m
nahme zur Einziehung zurückbleibt.17 Jedoch ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Gewicht der Pressefreiheit und den daraus resultierenden Bedürfnissen der Medien besonders Rechnung zu tragen (§ 94, 69 ff.). Für Beschlagnahmen zu Beweiszwecken auf dem Postwege gelten ausschließlich die §§ 99, 100.18 Eine Postbeschlagnahme zur Sicherung der Einziehung und Unbrauchbarmachung ist nicht zulässig (§ 99, 10). Die Beschlagnahme von Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB und der Herstellungsgeräte zur Sicherung der Schadloshaltung des Verletzten (§ 111b Abs. 5), z.B. die Beschlagnahme gestohlener Druckstöcke, unterliegt nicht den zusätzlichen Voraussetzungen des § 111m.19 6. Rechtsfolgen der Pressebeschlagnahme. Die Beschlagnahme von Schriften und 6 Herstellungsgeräten i.S.d. § 74d StGB wird nach § 111c Abs. 1 bewirkt. Sie führt zu keinen anderen Rechtsfolgen als die Beschlagnahmen sonstiger Gegenstände, nach § 111c Abs. 5 tritt ein relatives Veräußerungsverbot20 im Sinne des § 136 BGB ein. In den Landespressegesetzen enthaltene Regelungen über ein strafbewehrtes Vertriebs- und Wiederabdruckverbot wurden in die Strafprozessordnung nicht aufgenommen. Der Bundesgesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Verbreitung eines beschlagnahmten Druckwerks ohnehin regelmäßig gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, so dass ein besonderes, die Beschlagnahme schützendes Verbot nur in den Fällen von Bedeutung sein könnte, in denen sich nachträglich herausstellt, dass das Druckwerk nicht der Einziehung unterliegt und die Beschlagnahme daher wieder aufzuheben ist. In diesen Fällen wäre es aber nicht nur überflüssig, sondern sogar bedenklich, die vorher unter Verletzung der Beschlagnahme erfolgte Verbreitung des Druckwerks unter Strafe zu stellen.21 Mit dem Bundesgesetzgeber hält die ganz überwiegende Meinung zutreffend auch für das Vertriebs- und Wiederabdruckverbot die Kompetenz des Bundes für gegeben,22 so dass dahingehendes Landesrecht nichtig ist. Eine Bestrafung erfolgt aufgrund der Bestimmungen, aufgrund derer die Beschlagnahme angeordnet wurde.23 Die Gegenmeinung hält diese Verbote dagegen für genuines Presserecht, das nicht dem Beschlagnahmerecht zugeordnet werden könne.24 Die Strafprozessordnung enthält keine Regelung über die Entschädigung bei unrechtmäßiger Beschlagnahme von Druckerzeugnissen. Auch diese Regelung fällt in den Bereich der Bundeskompetenz, insoweit gilt daher die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG.25 Wegen der Wirkung der Beschlagnahmeanordnung vgl. im Übrigen § 111n, 16.
II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Voraussetzungen des Abs. 1. § 111m Abs. 1 kodifiziert, dass die Beschlagnahme 7 eines Druckwerks, einer sonstigen Schrift oder eines Gegenstandes im Sinne des § 74d StGB nach § 111b nicht angeordnet werden darf, wenn ihre nachteiligen Folgen außer
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KMR/Mayer 3. HK/Gercke 1; Meyer-Goßner 1; SK/Rogall 3. HK/Gercke 1; KK/Nack 1; Meyer-Goßner 1; KMR/Mayer 3; SK/Rogall 3. BGH NJW 2007 3350, 3352. BTDrucks. 7 2539 S. 13. KG JR 1984 249, 250; HK-GS/Hartmann 1; HK/Gercke 2; Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 4.
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Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 4. Löffler/Achenbach Vor §§ 13 ff., 28; Achenbach NStZ 2000 123; 126; Groß NStZ 1999 334, 336. Löffler/Achenbach vor §§ 13 ff., 29.
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Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. Der Begriff der Beschlagnahme entspricht jenem in §§ 111b Abs. 1, 111c, so dass zunächst alle dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen.
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a) Materiell-rechtliche Ausgangssituation. § 74d StGB ist eine Sonderregelung zu § 74 StGB, die für Schriften, Ton- und Bildträger sowie Abbildungen, Darstellungen und Datenspeicher gilt.26 Nach § 74d StGB ist die Einziehung von Schriften vorgeschrieben, die einen solchen Inhalt haben, dass jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde und wenn mindestens ein Stück durch eine rechtswidrige, nicht notwendig schuldhaft begangene Tat, verbreitet oder zur Verbreitung bestimmt worden ist. Zugleich muss die Unbrauchbarmachung der zur Herstellung der Schriften gebrauchten oder bestimmten Gegenstände angeordnet werden, § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB. Die Beschlagnahme erfasst nach § 74d Abs. 2 StGB nur die Stücke, die sich im Besitz der bei ihrer Verbreitung oder deren Vorbereitung mitwirkenden Personen befinden, öffentlich ausgelegt sind oder beim Verbreiten durch Versenden noch nicht dem Empfänger ausgehändigt wurden.27 Einziehung und Unbrauchbarmachung können auch angeordnet werden, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt werden kann (§ 76a StGB). Für das Verfahren gelten dann die §§ 440 ff. Die Einziehung von Schriften pp. hat ausschließlich Sicherungscharakter und keinen Einfluss auf die Eigentumsverhältnisse.28
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b) Druckwerke und sonstige Schriften. Die Begriffe „Druckwerke“ und „sonstige Schriften“ erfassen nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung und dem ausdrücklichen Hinweis in Absatz 1 auf „§ 74d des Strafgesetzbuches“ die nach § 74d StGB einzuziehenden Gegenstände, d.h. alle „Schriften“ im Sinne des § 74d Absatz 1 i.V.m. § 11 Absatz 3 StGB.
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aa) Druckwerke. Der Begriff des Druckwerks ist ein Spezialfall der Schrift.29 Er lehnt sich an die Landespressegesetze an.30 Druckwerke sind danach alle Druckerzeugnisse sowie alle anderen zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften, besprochenen Tonträgern und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift und von Musikalien mit oder ohne Text oder Erläuterungen, wie der Begriff etwa in § 4 HPressG definiert wird. Damit reicht der Schutz der Pressefreiheit auch bei § 111m weit über den Pressebegriff des Sprachgebrauchs hinaus. Um periodisch erscheinende Informationen braucht es sich nicht zu handeln. Erfasst werden deshalb auch (Taschen-)Bücher, Plakate, Flugblätter und dergleichen.31 Die Häufigkeit des Erscheinens ist erst für die Anordnungskompetenz der Beschlagnahme nach § 111n Abs. 1 von Bedeutung.
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bb) Sonstige Schriften. Sonstige Schriften sind alle sinnlich wahrnehmbaren Zusammenstellungen von verkörperten Gedankenerklärungen, die geeignet und dazu bestimmt sind, die Vorstellungen eines Sinnzusammenhangs zu vermitteln.32 Nach § 11 Abs. 3 StGB stehen ihnen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich. Erfasst werden etwa Schallplatten, Filme und Fotografien, Videobänder, CDs, DVDs, MP3- und MP4-Dateien sowie die sonstigen, mit kontemporären
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KK/Nack 1. SK/Rogall 7. SK/Rogall 7. RG 47 223, 224; BGHSt 13 375, 376.
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Techniken gespeicherten Informationen.33 So sind etwa auch auf einem Computer oder Server digitalisierte Daten Datenspeicher i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB und damit Schriften nach § 111m.34 Erfasst werden auch Plastiken.35 Für die strafrechtliche Relevanz digitaler Informationen sind die §§ 7 ff. TMG zu beachten, die die Verantwortlichkeit für solche Inhalte bestimmen.36 cc) Gegenstand. Der Begriff des Gegenstandes erfasst die zur Herstellung gerade der 12 einzuziehenden Schriften gebrauchten oder bestimmten Vorrichtungen wie Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative.37 Nicht erfasst werden aber die allgemeinen zur Vervielfältigung erforderlichen und benutzten Maschinen wie Druckmaschinen oder Computer, § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB.38 c) Bestimmung zur Verbreitung. Wie nach § 74d Abs. 2 StGB die Einziehung, darf 13 sich auch die Beschlagnahme von Druckschriften nur auf Stücke beziehen, die sich im Besitz der bei ihrer Verbreitung oder deren Vorbereitung mitwirkenden Personen befinden, die öffentlich ausgelegt oder beim Verbreiten durch Versenden noch nicht dem Empfänger ausgehändigt worden sind. Die bereits in den Besitz des Letztverbrauchers gelangten Schriften unterliegen nicht der Einziehung und daher auch nicht der Beschlagnahme. Handelt es sich um eine Schrift, die einen solchen Inhalt hat, dass die vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts nur beim Hinzutreten weiterer Umstände den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht (z.B. dem Anbieten einer indizierten Schrift an einen Jugendlichen), so schränkt § 74d Abs. 3 StGB die Einziehung noch weiter ein. Entsprechendes gilt dann auch für die Beschlagnahme. Wegen der Einzelheiten muss an dieser Stelle auf die Kommentare zu § 74d StGB verwiesen werden. d) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aa) Allgemeines. Auch ohne besondere gesetzliche Bestimmung sind bei allen straf- 14 prozessualen Zwangseingriffen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot zu beachten. Sie gelten daher auch bei Beschlagnahmen jeder Art (Vor § 94, 78 ff.). Bei Pressebeschlagnahmen kommt ihnen sogar eine besondere Bedeutung zu, weil diese Maßnahmen zu den schwersten Eingriffen in das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht auf Pressefreiheit gehören. Das Übermaßverbot schließt darüber hinaus die Möglichkeit der Beschlagnahme schlechthin aus, wenn seine Voraussetzungen erfüllt sind. Das gilt selbst dann, wenn die Straftat erwiesen ist und alle sonstigen Voraussetzungen der Beschlagnahme vorliegen. Das Gesetz hebt daher in § 111m Abs. 1 die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hervor, indem es eine Beschlagnahme ausschließt, wenn ihre nachteiligen Folgen offenbar außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. Als nachteilige Folgen, die nur bei Vorliegen der Verhältnismäßigkeit vertretbar sind, nennt § 111m Abs. 1 die Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung des Druckwerks. Damit bedarf es im Ergebnis einer doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zunächst kommt es bei der Frage, ob Gründe im Sinne von
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Ausführlich Fischer § 11, 33 ff. Siehe umfassend BGHSt 47 55, 58 f.; BGH NStZ 2007 216, 217, wonach ein in das Internet gestellter Text nach § 11 Abs. 3 StGB den Schriften i.S.d. § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB gleichsteht.
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SK/Rogall 8. KK/Nack 1. SK/Rogall 9. Einzelheiten bei Löffler/Achenbach § 14, 40.
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§ 111b vorliegen, auf die Verhältnismäßigkeit der Einziehung selbst (§ 74b StGB) und dann noch einmal auf die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsmaßnahme an.
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bb) Gefährdung des öffentlichen Interesses an unverzögerter Verbreitung. Die Pressefreiheit ist, wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit, schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung.39 Die Presse erfüllt mithin eine öffentliche Aufgabe, wie dies etwa durch § 1 HPresseG hervorgehoben wird.40 Eine ihrer wichtigsten Funktionen ist die Versorgung der Öffentlichkeit mit Nachrichten und Informationen. Der Anspruch des Bürgers auf Information und das Recht der Presse, die Öffentlichkeit schnell und zuverlässig über Vorkommnisse aller Art zu unterrichten, darf nicht durch eine Beschlagnahme gefährdet werden, die in keinem angemessenen Verhältnis zu der Bedeutung der Strafsache steht. Das Gewicht des geschützten Informationsinteresses bemisst sich nach dem Inhalt der Schrift.41 Dieses erstreckt sich dabei auf den gesamten Inhalt des Druckwerks, nicht nur auf den Teil, der die Beschlagnahme veranlasst.42 Ob sich die Öffentlichkeit im Fall der Beschlagnahme des Druckwerks alternativ aus anderen Quellen (andere Zeitungen, Internet, Rundfunk, Fernsehen) unterrichten kann, spielt keine Rolle.43 Ebensowenig ist von Bedeutung, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit „legitim“ ist oder etwa (nur) auf Neugierde beruht,44 denn jedes Interesse an Information wird im Grunde durch Neugierde veranlasst. Dient ein Druckwerk nur der Erbauung oder Unterhaltung, so besteht ebenfalls ein öffentliches Interesse an seiner unverzögerten Verbreitung.45 Enthält das Druckwerk hingegen keinerlei aktuelle Informationen, weil es sich ausschließlich (kunst-)historischen oder religiösen Fragen widmet, wird ein öffentliches Interesse an unverzögerter Verbreitung kaum bejaht werden können.46 Gleiches gilt für Fälle, in denen sich der Inhalt der Schrift in strafbaren Äußerungen erschöpft, denn die Verwirklichung eines Presseinhaltdelikts ist unter keinen Umständen schutzwürdig.47
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cc) Andere nachteilige Folgen. Unter den Begriff der „anderen nachteiligen Folgen“ fallen in erster Hinsicht die wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Pressebeschlagnahme eintreten können.48 Solche Nachteile können vor allem den Herausgeber und den Verleger treffen, deren wirtschaftliche Existenz mitunter durch die Beschlagnahme einer einzigen Ausgabe einer periodischen Druckschrift gefährdet wird.49 Nachteile können aber auch dem mittelbar durch die Beschlagnahme betroffenen Drucker, den Händlern, den Inserenten, Abonnenten und anderen Beteiligten drohen. Auch solche Nachteile können der Beschlagnahme entgegenstehen.50 Nachteilige Folgen können auch darin bestehen, dass beim Bekanntwerden der Beschlagnahme das Ansehen des betroffenen Verlages beeinträchtigt wird.51
39 40 41 42 43 44
BTDrucks. 14 5166 S. 6; BVerfGE 77 65, 74. S. dazu auch BVerfGE 64 108, 114; 36 193, 204; 20 162, 186; 10 118, 121. SK/Rogall 10. Löffler/Achenbach § 13, 98; Meyer-Goßner 5; HK/Gercke 4. Löffler/Achenbach § 13, 100; HK/Gercke 4; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 5; SK/Rogall 11. Löffler/Achenbach § 13, 101; Meyer-Goßner 5; SK/Rogall 11.
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45 46 47 48 49 50 51
Löffler/Achenbach § 13, 99. Meyer-Goßner 5; KK/Nack 5; SK/Rogall 11. SK/Rogall 10. SK/Rogall 11. Meyer-Goßner 5; Löffler/Achenbach § 13, 104. Löffler/Achenbach § 13, 104; HK/Gercke 4. Löffler/Achenbach § 13, 105; SK/Rogall 11.
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§ 111m
dd) Bedeutung der Sache. Das Merkmal der „Bedeutung der Sache“ stellt auf das 17 Gewicht der jeweiligen Straftat ab,52 die Anlass für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens war und die bei Unterbleiben der Beschlagnahme fortgesetzt werden würde.53 Abzuwägen sind daher das mit der Beschlagnahme verfolgte, präventive Interesse, die Begehung oder Fortsetzung der Straftat zu vermeiden und die durch die Beschlagnahme resultierenden Nachteile,54 siehe ausführlich Rn. 16. ee) Abwägung. Die nachteiligen Folgen der Beschlagnahme müssen nach Absatz 1 18 mit der Bedeutung der Sache abgewogen werden. Fallen beide Gesichtspunkte etwa gleich schwer ins Gewicht, so ist die Beschlagnahme zulässig. Sie ist nur dann unstatthaft, wenn die nachteiligen Folgen zu der Beschlagnahme offenbar außer Verhältnis stehen. Das ist nicht gerade präzise formuliert55 und kann dadurch zu Rechtsunsicherheit führen. Maßgebend ist, ob das Missverhältnis nach der Lebenserfahrung für jeden Sachkundigen erkennbar und ohne Ermittlungen offensichtlich ist.56 Ein krasses, ungewöhnliches Missverhältnis braucht nicht vorzuliegen.57 Im Zweifel ist die Beschlagnahme zulässig.58 Das Abwägungsgebot bei Schriften gilt bei den Gegenständen nach § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB entsprechend. Es muss daher auch bei diesen Gegenständen eine Abwägung stattfinden und es ist zu prüfen, ob nicht durch Maßnahmen nach Absatz 2 eine Beschlagnahme verhindert werden kann.59 Bei der Abwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass Einziehung und Unbrauchbar- 19 machung nach § 74d StGB keine Nebenstrafen, sondern vorbeugend sichernde Maßnahmen sind60 und dass die Beschlagnahme der Sicherung der späteren Sicherungseinziehung dienen soll. Ob die nachteiligen Folgen der Beschlagnahme für den Betroffenen und für die Öffentlichkeit hierzu außer Verhältnis stehen, hängt in erster Hinsicht von dem notwendigen Umfang der Beschlagnahme und dem Gewicht der Straftat ab, auf die sich das Ermittlungsverfahren bezieht. Bei Taten, die das öffentliche Interesse wesentlich berühren (Hoch- und Landesverrat, Straftaten gegen die Landesverteidigung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten), wird die Beschlagnahme regelmäßig auch dann zulässig sein, wenn sie schwerwiegende nachteilige Folgen hat.61 Straftaten, die sich wie eine Beleidigung nur gegen Einzelpersonen richten, rechtfertigen im Allgemeinen empfindliche nachteilige Folgen der Beschlagnahme der gesamten Auflage einer Zeitung oder Zeitschrift nicht.62 Es gibt aber auch Fälle, bei denen der Schutz der persönlichen Ehre höher als das öffentliche Interesse an der Verbreitung des Druckwerks oder andere Nachteile zu bewerten ist. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn durch die Verbreitung der Schrift der drohende Ruin eines Unternehmens oder die nicht wiedergutzumachende Diffamierung einer Person zu befürchten ist.63 Anders als nach den Landespressegesetzen kommt es nach Absatz 1 nur auf das Ver- 20 hältnis der nachteiligen Folgen zu der Bedeutung der Sache an. Unerheblich ist deshalb, ob der mit der Beschlagnahme „verfolgte und erreichbare“ Rechtsschutz geringer wiegt
52 53 54 55 56 57 58
HK-GS/Hartmann 3; HK/Gercke 5. Meyer-Goßner 6; SK/Rogall 12. SK/Rogall 12. KK/Nack 5. HK/Gercke 6; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 4; SK/Rogall 10. Löffler/Achenbach § 13, 112; KK/Nack 5; Meyer-Goßner 4; SK/Rogall 10. Meyer-Goßner 4.
59 60 61 62 63
KK/Nack 7. Fischer § 74d, 1. HK/Gercke 5; Meyer-Goßner 6; SK/Rogall 12 Löffler/Achenbach § 13, 107; MeyerGoßner 6; SK/Rogall 12. Löffler/Achenbach § 13, 107; KMR/ Mayer 12.
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als das öffentliche Interesse an der Verbreitung des Druckwerks. Bei der Abwägung nach Absatz 1 ist es daher ohne Bedeutung, ob durch die Verbreitung eines Teils der Schrift deren strafbarer Inhalt bereits bekanntgeworden ist. Die Beschlagnahme ist auch dann zulässig, wenn ein erheblicher Teil der Auflage bereits verbreitet worden ist; vorausgesetzt wird nur, dass die Beschlagnahme nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache steht. Bei der Abwägung ist außerdem zu prüfen, ob nachteilige Folgen weitgehend durch die 21 Beschlagnahmebeschränkungen nach Absatz 2 abgewendet werden können, Rn. 22 ff.
22
2. Voraussetzungen des Abs. 2. Nach Absatz 2 Satz 1 müssen ausscheidbare Teile der Schrift, die nichts Strafbares enthalten, von der Beschlagnahme ausgenommen werden. Außerdem kann die Beschlagnahme in der Anordnung weiter beschränkt werden, Satz 2. Die Regelung ist ebenfalls Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wonach (Eingriffs-)Maßnahmen zu Lasten des Bürgers nur im Rahmen des Erforderlichen durchgeführt werden dürfen. Es gebietet sich daher, von der Beschlagnahme einer Schrift diejenigen Teile auszuschließen, die nichts Strafbares enthalten. Die Beschlagnahmeanordnung ist dann auf den strafbaren Teil der Schrift zu beschränken. Dies ist an sich selbstverständlich und wurde doch vom Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt. Der Gesetzgeber betont damit noch einmal die wesentliche Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
23
a) Ausscheidbare Teile der Schrift, Abs. 2 Satz 1. Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des Absatz 2 Satz 1 ist, dass eine entsprechende Maßnahme ohne Mitwirkung des Beschuldigten64 technisch durchführbar ist.65 Diese Möglichkeit besteht am ehesten bei Loseblattsammlungen.66 Bei Zeitungsbeilagen ist dies ebenfalls denkbar, allerdings kann diese Trennung bei großen Auflagen auch schon zu einem materiell kaum beherrschbaren Aufwand führen. Bei Daten sind die beanstandeten Teile der Daten zu löschen oder jedenfalls dem Zugriff der Öffentlichkeit zu entziehen.67 Ob besondere technische Werkzeuge zur Trennung benötigt werden, ist unerheblich.68 Es kommt auch nicht darauf an, ob der verbleibende Teil noch ein in sich geschlossenes, selbstständiges Druckwerk darstellt.69 Ausgeschlossen ist ein Vorgehen nach Absatz 2 Satz 1 jedoch, wenn es zu wirtschaftlichen Unzuträglichkeiten führt, technisch nicht machbar ist oder die Entwertung der ganzen Publikation70 zur Folge hat. Derartige Folgen sind bei der Prüfung der Frage, ob überhaupt eine Beschlagnahme in Betracht kommt, in die Abwägung mit einzubeziehen. Die von der Beschlagnahme ausgeschlossenen Teile müssen in der Beschlagnahmeanordnung genau bezeichnet werden.71
24
b) Beschränkungen nach pflichtgemäßem Ermessen, Abs. 2 Satz 2. Die Vorschrift ermächtigt und verpflichtet den Richter, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einzelfall sinnvoll zur Anwendung zu bringen. Sie hat vor allem dann Bedeutung, wenn zwar eine Abwägung nach § 111m Abs. 1 ein Absehen von der Beschlagnahme nicht gebietet, jedoch eine nicht schon nach § 111m Abs. 2 Satz 1 zulässige Beschlagnahmebeschränkung möglich erscheint, die den mit der Maßnahme verfolgten Zweck unter größtmög-
64 65 66 67 68
KK/Nack 6; SK/Rogall 14. Meyer-Goßner 7. KK/Nack 6; Meyer-Goßner 7. SK/Rogall 14; KK/Nack 6. HK/Gercke 7; KK/Nack 6.
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69 70 71
HK/Gercke 7, Meyer-Goßner 7. KK/Nack 6; Meyer-Goßner 7; SK/Rogall 14. Meyer-Goßner 7; Löffler/Achenbach § 14, 33.
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licher Schonung des Betroffenen zulässt.72 So kann etwa bei einer Tageszeitung die Beschlagnahme auf einen Teil der Auflage beschränkt und die Verbreitung der übrigen Teilauflage in einem anderen Gebiet zugelassen werden, in dem die Straftat (etwa die Beleidigung einer nur örtlich bekannten Persönlichkeit) keine besondere Beachtung finden wird.73 Zulässig ist auch die Beschränkung der Beschlagnahme auf bestimmte Formen der Verbreitung, etwa auf die öffentlich angebotenen Druckwerke.74 Ferner gestattet § 111m Abs. 2 Satz 2 von der Beschlagnahme eines Druckwerks bei bestimmten Personen ganz oder teilweise abzusehen, etwa dem Verleger oder Herausgeber einige Exemplare zu Archivzwecken zu belassen.75 Darüber hinaus können hier Maßnahmen des Betroffenen selbst berücksichtigt werden, wie etwa das Schwärzen von beanstandeten Passagen, so dass die Notwendigkeit der Beschlagnahme (komplett) entfallen kann.76
III. Beschlagnahmeanordnung, Abs. 3 1. Allgemeines. Absatz 3 bestimmt, dass die Stellen der Schrift, die zu der Beschlag- 25 nahme Anlass geben, in der Beschlagnahmeanordnung zu bezeichnen sind. Die Vorschrift ergänzt damit den § 111e. Der Richter soll hierdurch zu einer sorgfältigen Prüfung der Maßnahme angehalten und dem Betroffenen die Möglichkeit der Beschwerde erleichtert werden.77 Die genaue Bezeichnung der die Beschlagnahme veranlassenden Stellen ist insbesondere auch deshalb erforderlich, weil der Betroffene sonst nicht von der Abwendungsmöglichkeit nach Absatz 4 Gebrauch machen kann.78 2. Anlass zur Beschlagnahme. Die zu der Beschlagnahme Anlass gebenden Stellen 26 der Schrift müssen in der Beschlagnahmeanordnung möglichst wörtlich wiedergegeben werden.79 Es genügt nicht der allgemeine Hinweis, dass sich in der Schrift Stellen mit einem bestimmten Inhalt befinden.80 Ferner muss die Fundstelle nach Band, Heft, Seite, Spalte usw. genau bezeichnet werden.81 Es darf nicht der mindeste Zweifel bestehen, wo die Stelle zu finden ist und wie sie lautet.82 Entsprechendes gilt bei Bildträgern wie Filmen und Videobändern für Titel und Laufzeit.83 Dass in der Beschlagnahmeanordnung die durch den Inhalt des Druckwerks verletzten Strafgesetze zu bezeichnen sind, schreibt Absatz 3 nicht ausdrücklich vor. Sie gehören aber zu den Gründen der Entscheidung (§ 34). Gleiches gilt für jene Vorschriften, auf denen die Beschlagnahmeanordnung oder ihr Vollzug beruhen.84 3. Folgen bei Nichtbeachtung von Abs. 3. Ein Verstoß gegen Absatz 3 hat grundsätz- 27 lich keine verfahrensrechtlichen Folgen.85 Das Beschwerdegericht kann die nach Absatz 3 vorgeschriebenen Angaben vielmehr nachholen.86 Dies gilt jedoch nicht, wenn nur eine
72 73 74 75 76 77 78 79
Meyer-Goßner 8; Löffler/Achenbach § 14, 29. Löffler/Achenbach § 14, 29; HK/Gercke 8. HK/Gercke 8; Meyer-Goßner 8. Löffler/Achenbach § 14, 29; KK/Nack 6; Meyer-Goßner 8; SK/Rogall 15. KK/Nack 6. SK/Rogall 16. HK/Gercke 10; Löffler/Achenbach § 14, 44. Löffler/Achenbach § 14, 45 verlangt nur eine Bezeichnung, die jeden Zweifel ausschließt, welche Stelle der Richter als strafrechtlich
80 81 82 83 84 85 86
relevant ansieht und hält eine wörtliche Wiedergabe dieser Stelle nur bei kurzen Texten für angebracht. KK/Nack 8. Meyer-Goßner 9; Löffler/Achenbach § 14, 45. SK/Rogall 16. HK/Gercke 10; KMR/Mayer 15. Meyer-Goßner 9; KK/Nack 8. HK-GS/Hartmann 5; Meyer-Goßner 9. KK/Nack 8; SK/Rogall 16.
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pauschale Bezeichnung der sicherzustellenden Objekte erfolgt ist, so dass die Auswahl der zu beschlagnahmenden Objekte letztlich im Ermessen des Vollzugsbeamten steht. Ein solcher Ausspruch erfüllt die Voraussetzungen des Absatz 3 nicht und macht die Anordnung unwirksam.87
IV. Abwendung der Beschlagnahme, Abs. 4 28
1. Allgemeines. Der Betroffene kann die Beschlagnahme dadurch abwenden, dass er den Teil der Schrift, der zu der Beschlagnahme Anlass gibt, von der Vervielfältigung oder der Verbreitung ausschließt. Absatz 4 betrifft dabei jene Maßnahmen, die der Betroffene nach der Anordnung der Beschlagnahme trifft.88 Steht die Beschlagnahmeanordnung noch bevor, so kann er durch den Ausschluss der beanstandeten Teile von der Vervielfältigung oder Verbreitung verhindern, dass diese überhaupt erlassen wird. Er ist auf diese Möglichkeit hinzuweisen.89 Die Vorschrift erfasst über ihren Wortlaut hinaus auch die in § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Gegenstände.90 Die Beschlagnahme kann bei diesen Gegenständen dadurch abgewendet werden, dass Maßnahmen getroffen werden, die verhindern, dass diese Gegenstände bei der Herstellung von Schriften mit strafrechtlich relevantem Inhalt Verwendung finden.91
29
2. Betroffener. Betroffener im Sinne des § 111m Abs. 4 ist jeder, der Eigentum oder Besitz an den beanstandeten Schriften hat und durch die Beschlagnahme einen Besitzverlust erlitten hat oder befürchten muss.92
30
3. Die Beschlagnahme. Das Gesetz spricht in Absatz 4 nur von der Beschlagnahme, ohne zwischen der Anordnung und dem Vollzug zu differenzieren. Abwendbar ist daher sowohl die Beschlagnahmeanordnung, als auch ihr Vollzug.93
31
4. Ausschluss von Vervielfältigung oder Verbreitung. Der Betroffene kann den in seinem Besitz befindlichen Exemplaren der Schriften den anstößigen Teil entfernen und so verhindern, dass die Beschlagnahmeanordnung vollzogen wird. Auf welche Weise er das tut, ist seine Sache. Er kann sie insbesondere herausschneiden, schwärzen oder durch Überkleben unkenntlich machen.94 Auch andere Maßnahmen sind denkbar. So wurde etwa bei einem Katalog das Anbringen eines Aufklebers mit einer Warnung vor missbräuchlicher Verwendung von Kennzeichen im Sinne des § 86 StGB für ausreichend gehalten.95 Bei Daten oder Internetseiten kann der Betroffene die strafrechtlich relevanten Angaben löschen oder den Zugriff Dritter darauf sperren.96
32
5. Verfahren. Die Abwendung der Beschlagnahme setzt nicht voraus, dass der Betroffene sie durch einen entsprechenden Antrag geltend macht.97 Es entscheidet das Gericht, 87 88 89 90 91 92 93
Löffler/Achenbach § 13, 31. KK/Nack 8. SK/Rogall 17. KK/Nack 9; SK/Rogall 18. KK/Nack 9; SK/Rogall 18. Meyer-Goßner 10; Löffler/Achenbach § 14, 35. Meyer-Goßner 10; Löffler/Achenbach § 14, 37; KK/Nack 9.
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HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 10; SK/Rogall 17; Löffler/Achenbach § 14, 34. LG München CR 1997 748. KK/Nack 9. Löffler/Achenbach § 14, 38; a.A. MeyerGoßner 10; HK/Gercke 11; SK/Rogall 17.
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das die Beschlagnahme anordnet oder angeordnet hat oder für ihre Anordnung zuständig ist. Stammt die Anordnung von der Staatsanwaltschaft und hat das Gericht sie noch nicht nach § 111e Abs. 2 Satz 1 bestätigt, so entscheidet die Staatsanwaltschaft.98 Die Abwendungsbefugnis besteht nicht nur, wenn sie unverzüglich beantragt wird. Auch wenn der Betroffene einige Zeit nach Erlass der Beschlagnahmeanordnung den Teil des Druckwerks von der Verbreitung ausschließt, der zu der Beschlagnahme Anlass gegeben hat, ist kein Grund mehr vorhanden, die Beschlagnahme weiterhin aufrechtzuerhalten.99 Über den Antrag entscheidet das Gericht oder die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Wenn die von dem Betroffenen geltend gemachte Abwendung die Beschlagnahmeanordnung oder ihre Vollziehung entbehrlich macht, ist die Beschlagnahmeanordnung aufzuheben.100 Dem Antrag muss stattgegeben werden, nachdem der Betroffene die Maßnahmen nachgewiesen hat.101 Die Kosten für die Abwendung der Beschlagnahme trägt stets der Betroffene selbst.
§ 111n (1) 1Die Beschlagnahme eines periodischen Druckwerks oder eines ihm gleichstehenden Gegenstandes im Sinne des § 74d des Strafgesetzbuches darf nur durch den Richter angeordnet werden. 2Die Beschlagnahme eines anderen Druckwerks oder eines sonstigen Gegenstandes im Sinne des § 74d des Strafgesetzbuches kann bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. 3Die Anordnung der Staatsanwaltschaft tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird. (2) 1Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn nicht binnen zwei Monaten die öffentliche Klage erhoben oder die selbständige Einziehung beantragt ist. 2Reicht die in Satz 1 bezeichnete Frist wegen des besonderen Umfanges der Ermittlungen nicht aus, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Frist um weitere zwei Monate verlängern. 3Der Antrag kann einmal wiederholt werden. (3) Solange weder die öffentliche Klage erhoben noch die selbständige Einziehung beantragt worden ist, ist die Beschlagnahme aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt. Schrifttum siehe bei § 111m.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 (BGBl. 1975 I S. 1973) eingefügt. Sie blieb seither unverändert.
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KK/Nack 9. Meyer-Goßner 10. HK-GS/Hartmann 7; HK/Gercke 11; Meyer-Goßner 10.
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Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . 2. Hintergrund der Vorschrift . . . . . . II. Zuständigkeit für die Beschlagnahmeanordnung, Abs. 1 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Periodische Druckwerke oder ihnen gleichstehende Gegenstände, Abs. 1 Satz 1 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Druckwerke . . . . . . . . . . . . c) Gleichstehende Gegenstände . . . d) Zuständiges Gericht . . . . . . . 3. Nichtperiodische Druckwerke oder ihnen gleichstehende Gegenstände, Abs. 1 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . a) Nichtperiodische Druckwerke und gleichstehende Gegenstände . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 4. Richterliche Bestätigung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Dreitagesfrist . . . . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . .
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III. Inhalt und Wirkung der Beschlagnahmeanordnung 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . .
15 16
Rn. IV. Vollziehung der Beschlagnahmeanordnung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . a) Effektive Vollziehung . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Durchsuchung von Ladengeschäften . . . . . . . .
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V. Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung, Abs. 2 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablauf der Frist für die Anklageerhebung, Abs. 2 Satz 1 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliche Klage und Einziehungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . e) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 3. Fristverlängerung, Abs. 2 Satz 2 . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 4. Erneute Fristverlängerung, Abs. 2 Satz 3
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VI. Aufhebungsantrag der Staatsanwaltschaft, Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Anfechtung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfragen a) Staatsanwaltschaftliche Anordnungen b) Anordnungen des Gerichts . . . . .
Alphabetische Übersicht Anhörung des Betroffenen 14 Anschlusszeitungen 16 Art und Weise des Vollzugs 32 Aufhebung der Anordnung 12 Beschwerde 34 Bezeichnete Stelle 22 Bundesweit 18 Charakterisierung als periodisches Druckwerk 5 Dreitagesfrist 13 Druckwerke 5 Durchsuchung 17 Effektive Vollziehung 18 Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 11 Ermittlungsrichter 31 Erneute Beschlagnahme 25 Erneute Fristverlängerung 29 Fristablauf 26 Fristbeginn 23 Fristverlängerung 26 Ganz oder teilweise vollzogen 23 Gebrauchte oder bestimmten Vorrichtungen 7 Gefahr im Verzug 1, 10 Gerichtliche Bestätigung 33 Gleichstehende Gegenstände 7 Hintergrund der Vorschrift 2
17 18
Informationsbedürfnis der Allgemeinheit 2 Mündlich bekannt machen 15 Nicht periodische Druckwerke und gleichstehende Gegenstände 10 Nicht von selbst erlöschen 24 Öffentliche Klage und Einziehungsantrag 22 Prozessbeschleunigung 21 Rechtsfolge 24 Regelungsgehalt 1 Selbständiges Verfahren 30 Sonstige Schriften 1 Strenge Maßstäbe 29 Subsidiäre Anordnungskompetenz 3 Tatverdacht 20 Telefonisch 13 Umfang der Ermittlungen 27 Unabsehbare Zeit 6 Verbreitung von Informationen 4 Verfahren 14 Vertriebs- oder Werbeverbote 19 Voraussetzungen der Durchsuchung von Ladengeschäften 19 Vorverfahren 8 Zuständiges Gericht 8 Zuständigkeit 11, 25, 28
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I. Allgemeines 1. Regelungsgehalt. § 111n regelt die Zuständigkeit für die Anordnung der Presse- 1 beschlagnahme nach § 111m. Sie weicht von den allgemeinen Zuständigkeitsregeln des § 111e ab. § 111n unterscheidet zwischen der Beschlagnahme von periodischen Druckwerken, den zu ihrer Herstellung benötigten Gegenständen im Sinne des § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB sowie den nicht periodisch erscheinenden Druckwerken und den zu ihrer Herstellung benötigten Gegenständen im Sinne des § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB. Zu den Begriffen siehe § 111m, 9 ff. Die Beschlagnahme periodisch erscheinender Druckwerke darf nur durch den Richter angeordnet werden, Absatz 1 Satz 1. Bei nicht periodisch erscheinenden Druckwerken kann bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme anordnen. Die Vorschrift gilt ebenso wie § 111m nicht für solche Gegenstände, die ausschließlich zu Beweiszwecken beschlagnahmt werden.1 Die Zuständigkeit für die Beschlagnahme richtet sich in diesen Fällen ausschließlich nach § 98.2 § 111n nennt die in § 111m Abs. 1 angeführten sonstigen Schriften (dazu § 111m, 11) nicht. Für sie gelten daher keine Sonderregelungen für die Zuständigkeit der Beschlagnahmeanordnung, § 111n ist nicht anwendbar, es gilt ausschließlich §111e.3 2. Hintergrund der Vorschrift. § 111n ist Ausdruck der besonderen Bedeutung der 2 Pressefreiheit. Zu den Hauptanliegen im Kampf um die Pressefreiheit gehörte es seit jeher, die Anordnung der Auflagenbeschlagnahme dem Richter vorzubehalten, da diese häufig irreparablen Eingriffe schwere Folgen für das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit und die wirtschaftliche Lage der Betroffenen zur Folge haben.4 Bereits § 23 RPresseG beschränkte daher die Befugnis der Staatsanwaltschaft und der Polizei, Pressebeschlagnahmen anzuordnen. § 24 RPresseG bestimmte überdies, dass die Staatsanwaltschaft bei nicht richterlicher Anordnung binnen 24 Stunden nach der Anordnung die richterliche Entscheidung beantragen und diese innerhalb von 24 Stunden nach dem Eingang des Antrags von dem zuständigen Gericht bestätigt werden musste. Die nach 1945 erlassenen Landespressegesetze schafften das Beschlagnahmerecht der Staatsanwaltschaft und der Polizei zunächst ganz überwiegend ab, wobei sich im Laufe der Jahre wieder eine Rückkehr zur nicht richterlichen vorläufigen Sicherstellung, etwa in Baden-Württemberg, vollzog.5 § 111n lehnt sich grundsätzlich an diese gesetzlichen Regelungen an, sieht aber keine vorläufige Sicherstellung durch die Staatsanwaltschaft vor. Die Staatsanwaltschaft wird bei Gefahr im Verzug vielmehr lediglich ermächtigt, Beschlagnahmen anderer als periodischer Druckwerke oder ihnen gleichstehender Gegenstände anzuordnen. Nach dem Vorbild des § 100 Abs. 2 wird die Aufrechterhaltung der Beschlagnahmeanordnung davon abhängig gemacht, dass sie binnen drei Tagen richterlich bestätigt wird.
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HK-GS/Hartmann 1; HK/Gercke 1; KK/Nack 1. SK/Rogall 1. Löffler/Achenbach § 13, 16; § 18, 16 nimmt diese Schriften zutreffend vom Richtermonopol aus, ordnet sie aber dem Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft nach
4 5
Absatz 1 Satz 2 zu, was sich aus dem Gesetz nicht begründen lässt. Vgl. die eingehende Darstellung bei Löffler/ Achenbach Vor §§ 13 ff., 13 ff. Ausführlich Löffler/Achenbach vor §§ 13 ff., 14 ff.
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II. Zuständigkeit für die Beschlagnahmeanordnung, Abs. 1 3
1. Allgemeines. Absatz 1 unterscheidet bei der Zuständigkeit für die Beschlagnahmeanordnung zwischen den jeweiligen Druckwerken und den zu ihrer Herstellung benötigten Gegenständen. In allen Fällen ist der Richter zuständig, eine subsidiäre Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft besteht nur bei nicht periodisch erscheinenden Druckwerken und ihnen gleichstehenden Gegenständen nach § 74d StGB. Für die gerichtlichen Zuständigkeiten bestehen keine Besonderheiten. Zu beachten ist jedoch, dass die Terminologie des Gesetzes ungenau ist. So spricht Absatz 1 Satz 1 von einem periodischen Druckwerk oder einem ihm gleichstehenden Gegenstand im Sinne des § 74d StGB und Absatz 1 Satz 2 von einem anderen Druckwerk und einem sonstigen Gegenstand im Sinne des § 74d StGB. Deutlich wird dadurch, dass das Gesetz für periodisch und nicht periodisch erscheinende Druckschriften eine unterschiedliche Zuständigkeitsregelung treffen will. Soweit es einmal von einem dem Druckwerk gleichstehenden Gegenstand und einmal von einem sonstigen Gegenstand spricht, sind jeweils die in § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB bezeichneten Gegenstände gemeint.6 Dies folgt schon daraus, dass in beiden Fällen § 74d StGB in Bezug genommen wird. Trotz unterschiedlicher Begrifflichkeiten meint der Gesetzgeber deshalb dieselben Gegenstände, andernfalls hätte die gesetzliche Regelung auch keinen Sinn. 2. Periodische Druckwerke oder ihnen gleichstehende Gegenstände, Abs. 1 Satz 1
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a) Allgemeines. Nach § 111n Abs. 1 Satz 1 darf die Beschlagnahme eines periodischen Druckwerks oder eines ihm gleichstehenden Gegenstandes im Sinne des § 74d StGB zur Sicherung der Einziehung nur durch den Richter angeordnet werden. Damit wird der besonderen Bedeutung Rechnung getragen, die den Zeitungen und Zeitschriften bei der Verbreitung von Informationen zukommt.
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b) Druckwerke. Der Begriff des Druckwerks stimmt mit dem des § 111m überein. Er lehnt sich an die Landespressegesetze7 an und erfasst alle Druckerzeugnisse sowie alle anderen, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften, besprochenen Tonträgern und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift und von Musikalien mit oder ohne Text oder Erläuterungen, wie es etwa § 4 HPressG definiert. Periodisch ist ein Druckwerk, wenn es in ständiger, wenn auch unregelmäßiger Folge und im Abstand von nicht mehr als sechs Monaten erscheint.8 Im Einzelfall kann die Charakterisierung als periodisches Druckwerk schwierig sein. Nach allgemeiner Ansicht fallen darunter auch regelmäßig erscheinende Plakate,9 nicht jedoch Druckwerke, die zwar regelmäßig erscheinen, deren einzelnen Exemplaren aber Abgeschlossenheit10 und Selbständigkeit fehlen, wie z.B. Fortsetzungslieferungen von Loseblattausgaben, Konversationslexika und Entscheidungssammlungen.11 Auch Druckwerke, die zwar regelmäßig erscheinen, denen aber die Gleichartigkeit fehlt, wie z.B. Taschenbuchreihen, gehören nicht zu den periodischen Druckwerken.12 Bei allen periodisch erscheinenden Druckwerken sind Auflagenhöhe, Aktualität, Mannigfaltigkeit des Inhalts und öffentliches Erscheinen ohne
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KK/Nack 2; Meyer-Goßner 2. SK/Rogall 7. HK/Gercke 3; Meyer-Goßner 2. Meyer-Goßner 2; Löffler/Achenbach § 7, 76.
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HK/Gercke 3; SK/Rogall 9. Meyer-Goßner 2; Löffler/Achenbach § 7, 79. HK/Gercke 3; Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 9; Löffler/Achenbach § 7, 80.
Pascal Johann
Achter Abschnitt. Fernmeldeverkehr, Rasterfahndung, Einsatz techn. Mittel
§ 111n
Bedeutung. Auch Familien- und Vereinszeitungen, Kurszettel, Preisverzeichnisse, Wetterberichte und ähnliche periodische Verzeichnisse werden erfasst.13 Zum Wesen eines periodischen Druckwerks gehört nicht, dass sein Erscheinen auf 6 unabsehbare Zeit geplant ist, dass also die Absicht „ewiger Wiederkehr“ besteht.14 Es genügt, dass die Erscheinungsdauer nicht von vornherein begrenzt ist.15 Zeitschriften, die nur für eine begrenzte Dauer, wenn auch wiederkehrend, erscheinen sollen (Messe- oder Wahlkampfzeitungen), sind periodische Druckwerke, wenn ihr Erscheinen wenigstens für 1 bis 2 Monate geplant ist. Regelmäßige Abstände zwischen der öffentlichen Verbreitung der einzelnen Druckwerke sind nicht erforderlich, sofern jedenfalls das wiederkehrende Erscheinen beabsichtigt ist.16 Gelegentliche Überschreitungen der Sechsmonatsfrist aus technischen oder anderen Gründen sind unschädlich, wenn sich aus den Ankündigungen in dem Druckwerk oder aus den bisherigen Gepflogenheiten der Wille des Herausgebers ergibt, das Druckwerk mindestens in Abständen von sechs Monaten erscheinen zu lassen.17 c) Gleichstehende Gegenstände. Dem Druckwerk gleichstehende Gegenstände sind 7 die in § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB genannten, der Herstellung der zu beschlagnahmenden Schrift dienenden Gegenstände,18 die denselben Schutz genießen, wie die Schrift selbst.19 Hierunter fallen die zur Herstellung gerade der einzuziehenden Schriften gebrauchten oder bestimmten Vorrichtungen, wie Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative oder Matrizen. Nicht erfasst sind die allgemein zur Herstellung erforderlichen Handlungsmittel wie Druckmaschinen oder Computer, § 74d Abs. 1 Satz 2 StGB.20 Siehe auch § 111m, 12 und die Kommentare zu § 74d StGB. d) Zuständiges Gericht. Im Vorverfahren ist das Amtsgericht nach § 162, in Staats- 8 schutzsachen auch der Ermittlungsrichter nach § 169 sachlich zuständig. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die die Beschlagnahme anordnende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, § 162 Abs. 1 Satz 1. Aufgrund der in einem Gerichtsbezirk erlassenen Beschlagnahmeanordnung ist nach § 160 GVG die Vollziehung der Beschlagnahme im gesamten Bundesgebiet zulässig. Es bedarf insbesondere keines Amtshilfeersuchens.21 Nach Anklageerhebung ist das jeweils mit der Sache befasste Gericht zuständig, § 162 Abs. 3. Es kann die Beschlagnahme von Amts wegen anordnen, hat aber zuvor die Staatsanwaltschaft zu hören, § 33 Abs. 2. Vgl. im Einzelnen § 98, 9.
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3. Nicht periodische Druckwerke oder ihnen gleichstehende Gegenstände, Abs. 1 Satz 2
a) Nicht periodische Druckwerke und gleichstehende Gegenstände. Nicht periodische 10 Druckwerke sind Druckwerke (§ 111m, 10), welche die Voraussetzungen periodischen Erscheinens (Rn. 5) nicht erfüllen. Mit den gleichstehende Gegenständen im Sinne des § 74d StGB sind die dort in Absatz 1 Satz 2 genannten, der Herstellung der zu beschlagnahmenden Schrift dienenden Gegenstände gemeint (§ 111m, 12). Zu den nur in § 111m Abs. 1 erwähnten sonstigen Schriften s. Rn. 3.
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Löffler/Achenbach § 7, 82. Meyer-Goßner 2. HK/Gercke 3; Meyer-Goßner 2; SK/Rogall 9; einschränkend Löffler/Achenbach § 7, 80. HK/Gercke 3; Löffler/Achenbach § 7, 78.
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Löffler/Achenbach § 7, 78. SK/Rogall 9. KK/Nack 2. Einzelheiten bei Löffler/Achenbach § 14, 40. Löffler/Achenbach § 13, 29.
Pascal Johann
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§ 111n 11
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
b) Zuständigkeit. In erster Linie ist auch hier der Richter für die Anordnung der Beschlagnahme zuständig. Nur bei Gefahr im Verzug ist die Staatsanwaltschaft einschließlich der Amtsanwaltschaft (§ 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG) zuständig. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind niemals zur Beschlagnahme nicht periodischer Schriften und der zugehörigen Herstellungsgegenstände befugt. Halten sie die Beschlagnahme für notwendig, wenden sie sich an die zuständige Staatsanwaltschaft,22 im äußersten Notfall unmittelbar an das Gericht, § 163 Abs. 2 Satz 2.23 Gefahr im Verzug liegt vor, wenn der Beschlagnahmeerfolg vereitelt oder wesentlich gefährdet würde, sofern mit der Beschlagnahme gewartet werden müsste, bis der zuständige Richter erreichbar ist (§ 98, 34 ff.). Angesichts der Bedeutung der Pressefreiheit ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass der grundsätzlich bestehende Richtervorbehalt gewahrt bleibt. 4. Richterliche Bestätigung, Abs. 1 Satz 3.
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a) Allgemeines. Die Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft hat nur vorläufigen Charakter. Sie tritt nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in Absatz 1 Satz 3 ohne weiteres außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem zuständigen Richter bestätigt wird. Einer gerichtlichen Aufhebung der Anordnung bedarf