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German Pages 1390 [1392] Year 2012
Großkommentare der Praxis
Löwe-Rosenberg
Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Großkommentar 26., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von
Volker Erb, Robert Esser, Ulrich Franke, Kirsten Graalmann-Scheerer, Hans Hilger, Alexander Ignor
Elfter Band EMRK; IPBPR Bearbeiter: Robert Esser Sachregister: Susanne Bettendorf, Melanie Langbauer, Josephine Scharnberg
De Gruyter
Stand der Bearbeitung: November 2011
ISBN 978-3-89949-490-7 e-ISBN 978-3-89949-865-3
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Die Bearbeiter der 26. Auflage Jörg-Peter Becker, Vors. Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Obernburg Camilla Bertheau, Rechtsanwältin in Berlin Dr. Werner Beulke, Professor an der Universität Passau Dr. Reinhard Böttcher, Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg a.D., Honorarprofessor an der Ludwig Maximilians-Universität München Ottmar Breidling, Vors. Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Gabriele Cirener, Richterin am Landgericht Berlin Dr. Volker Erb, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Robert Esser, Professor an der Universität Passau Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Hemdingen Dr. Dirk Gittermann, Richter am Oberlandesgericht Celle Dr. Sabine Gleß, Professorin an der Universität Basel Dr. Dr. h.c. Karl Heinz Gössel, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a.D., München Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer, Generalstaatsanwältin in Bremen, Honorarprofessorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen Dr. Pierre Hauck, Privatdozent an der Universität Gießen Dr. Hans Hilger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz a.D., Bad Honnef Dr. Dr. Alexander Ignor, Rechtsanwalt in Berlin, Apl. Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Christian Jäger, Professor an der Universität Bayreuth Dr. Matthias Jahn, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Richter am Oberlandesgericht Nürnberg Dr. Björn Jesse, Richter, Landgericht Berlin Dr. Daniel M. Krause, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Dr. h.c. Hans-Heiner Kühne, Professor an der Universität Trier Dr. Klaus Lüderssen, Professor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Dr. Holger Matt, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Anja Menges, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Andreas Mosbacher, Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin Dr. Günther M. Sander, Richter am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Gerhard Schäfer, Vors. Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe und Stuttgart Dr. Wolfgang Siolek, Vors. Richter am Oberlandesgericht Celle Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg, Professor an der Universität des Saarlandes Saarbrücken Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt in Köln Thomas Wickern, Leitender Oberstaatsanwalt beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf
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Inhaltsübersicht . . . . . . .
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S. . V . IX . XI . XLVII . LXIX . LXXI . LXXIII
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 1 bis 18 EMRK und die einschlägigen Artikel des IPBPR Zusatzprotokolle zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . Fundstellen der Erläuterungen des IPBPR . . . . Liste der Länderabkürzungen . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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TEIL I ERLÄUTERUNGEN 1 73 77 961
TEIL II VERFAHREN DES INTERNATIONALEN MENSCHENRECHTSSCHUTZES A. Verfahren des europäischen Menschenrechtsschutzes (EGMR) . . . . B. Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen – Human Rights Committee (HRC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Sonstige Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes . . . . D. Internationale Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1012 1108 1112 1120
Teil III Anhang – VERTRAGSTEXTE Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (EMRK) mit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20.3.1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.9.1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vom 28.4.1983 . . . . . . . .
1123 1142 1144 1147
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Inhaltsübersicht
– Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe vom 3.5.2002 . . European Court of Human Rights (Rules of Court) vom 1. Februar 2012 . . . . . Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 . . . Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15.12.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 . . . . . . . . . . . . Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe . Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1150 1153 1199 1223 1229 1233 1249 1265 1273
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg 1. Inhalt der Kommentierung Der Löwe-Rosenberg kommentiert die StPO, das EGStPO, das GVG, das EGGVG und die GVGVO mit Ausnahme der nur den Zivilprozess betreffenden Teile, sowie – mit dem Schwerpunkt auf den strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Regelungen – die EMRK und den IPBPR. Wenig bekannte oder schwer auffindbare strafverfahrensrechtliche Nebengesetze, deren Wortlaut für die Kommentierung erforderlich ist, werden bei den einschlägigen Erläuterungen im Kleindruck wiedergegeben. 2. Erscheinungsweise und Stand der Bearbeitung Die 26. Auflage des Löwe-Rosenberg erscheint erstmals in Bänden, deren Erscheinungs-Reihenfolge von der des Gesetzes abweichen kann. Die Bände werden aber in der vom Gesetz vorgegebenen Reihenfolge durchnumeriert. Der Stand der Bearbeitung ist dem Vorwort jedes Bandes zu entnehmen. Die Autoren sind bemüht, besonders wichtige Änderungen und Entwicklungen auch noch nach diesem Stichtag bis zur Drucklegung des Bandes zu berücksichtigen. 3. Bearbeiter Jeder Bearbeiter (in der Fußzeile angegeben) trägt für seinen Teil die alleinige inhaltliche Verantwortung. Die Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die an mehreren Stellen des Kommentars behandelt werden, können daher voneinander abweichen. Auf solche Abweichungen wird nach Möglichkeit hingewiesen. 4. Aufbau der Kommentierung Neben der umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk sind den Untereinheiten der kommentierten Gesetze (Bücher, Abschnitte, Titel), soweit erforderlich, Vorbemerkungen vorangestellt, die das für die jeweilige Untereinheit Gemeinsame erläutern. Der den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften erforderlichenfalls vorangestellte Abschnitt Geltungsbereich enthält Hinweise auf zeitliche und örtliche Besonderheiten. Der Abschnitt Entstehungsgeschichte gibt, abgesehen von ganz unwesentlichen Änderungen, die Entwicklung der geltenden Fassung der Vorschrift vom Erlass des jeweiligen Gesetzes an wieder. Fehlt er, so kann davon ausgegangen werden, dass die Vorschrift unverändert ist. Der Hinweis auf geplante Änderungen verzeichnet Änderungsvorschläge, die sich beim Abschlusszeitpunkt der Lieferung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befinden. Die Erläuterungen sind nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, die durch Überschriften oder Stichworte hervorgehoben sind. In der Regel ist den Erläuterungen eine systematische Übersicht vorangestellt. Soweit angebracht wird sie bei besonders umfangrei-
IX
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg
chen Erläuterungen durch eine alphabetische Übersicht ergänzt. Bei den Erläuterungen selbst werden für jede Vorschrift (zur Erleichterung des Zitierens) durchlaufende Randnummern verwendet. 5. Schrifttum Der Kommentar enthält am Anfang jedes Bandes ein allgemeines Literaturverzeichnis, das nur die häufiger verwendete oder allgemeine Literatur enthält. Den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften sind Schrifttumsverzeichnisse vorangestellt, die einen Überblick über das wesentliche Schrifttum zu dem jeweils behandelten Thema geben. 6. Zitierweise Literatur, die in diesen Schrifttumsverzeichnissen enthalten ist, wird im laufenden Text im allgemeinen nur mit dem Namen des Verfassers (ggfs. mit einer unterscheidenden Kurzbezeichnung) oder der sonstigen im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Kurzbezeichnung zitiert, doch wird bei Veröffentlichungen in Zeitschriften vielfach auch die genaue Fundstelle nachgewiesen. Sonst sind selbständige Werke mit (gelegentlich verkürztem) Titel und Jahreszahl, unselbständige Veröffentlichungen (auch Beiträge in Festschriften u.ä.) mit der Fundstelle angegeben. Auflagen sind durch hochgestellte Zahlen gekennzeichnet; fehlt eine solche Angabe, so wird aus der Auflage zitiert, die im allgemeinen Schrifttumsverzeichnis angegeben ist. Hat ein Werk Randnummern, so wird nach diesen, sonst nach Seitenzahl oder Gliederungspunkten zitiert. Befindet sich beim Zitat anderer Kommentare die in Bezug genommene Stelle im gleichen Paragraphen, so wird nur die Randnummer oder (bei deren Fehlen) der Gliederungspunkt angegeben; wird auf die Erläuterungen bei einem anderen Paragraphen Bezug genommen, so wird dieser genannt. Entsprechend wird auch im Löwe-Rosenberg selbst verwiesen. Bei diesem wird, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die gegenwärtige 26. Auflage verwiesen. Ist der Band mit den Erläuterungen, auf die verwiesen werden soll, noch nicht erschienen, so ist, soweit dies sachdienlich erschien, in Klammern ergänzend die genaue Fundstelle in der 25. Auflage angegeben. Zeitschriften werden regelmäßig mit dem Jahrgang zitiert. Ausnahmen (Bandangabe) bilden namentlich ZStW, GA (bis 1933) und VRS; hier ist regelmäßig die Jahreszahl zusätzlich angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle eines amtlichen Verkündungsblattes wird die Jahreszahl nur angegeben, wenn sie von der Jahreszahl der Rechtsvorschrift abweicht. Entscheidungen werden im allgemeinen nur mit einer Fundstelle angegeben. Dabei hat die amtliche Sammlung eines obersten Bundesgerichtes den Vorrang, sonst die Fundstelle, die die Entscheidung mit Anmerkung oder am ausführlichsten wiedergibt. 7. Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen, namentlich von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften usw. sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen.
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Abkürzungsverzeichnis AA a.A. aaO Abg. AbgG
abl. ABl. ABlEG
ABlEU
ABMG Abs. Abschn. abw. AChRMV AcP AdoptG AdVermiG a.E. ÄndG ÄndVO a.F. AfkKR AfP AG AGIS
AGGewVerbrG
AGGVG AGS AGStPO AHK AIDP
Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Orte Abgeordneter Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz – AbgG) vom 18.2.1977 i.d.F. der Bek. vom 21.2.1996 (BGBl. I S. 327) ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEG Nr. L … /(Seite) vom …) Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEU Nr. L …/(Seite) vom …) Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge vom 5.4.2002 (BGBl. I S. 1234) Absatz Abschnitt abweichend Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker vom 26.6.1981, deutsche Übersetzung EuGRZ 1990 348 Archiv für die civilistische Praxis Adoptionsgesetz vom 2.7.1976 (BGBl. I S. 1749) Adoptionsvermittlungsgesetz vom 27.11.1989 (BGBl. I S. 2014) i.d.F. der Bek. vom 22.12.2001 (BGBl. 2002 I S. 354) am Ende Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Archiv für katholisches Kirchenrecht Archiv für Presserecht, Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22.7.2002 über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen – AGIS (ABlEG Nr. C 203/5 vom 1.8.2002) Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 1000) Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Landesrecht) Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht und Anwaltsmanagement Ausführungsgesetz zur Strafprozessordnung (Landesrecht) Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal
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Abkürzungsverzeichnis AJIL AktG AktO
allg. M. Alsb.E Alt. a.M. AMRK amtl. amtl. Begr. Anh. AnhRügG
Anl. Anm. AnwBl. AöR AO AOStrÄndG ArbGG ArchKrim. ArchPF ArchVR arg. Art. ASIL AsylVfG
AtomG
AufenthG
aufg. Aufl. AUILR AuR ausf. AuslG
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American Journal of International Law Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1089) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung), abgedruckt bei Piller/Hermann, 1 allgemeine Meinung Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich (1927), 3 Bände Alternative anderer Meinung Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22.11.1969 (Pact of San José), deutsche Übersetzung EuGRZ 1980 435 amtlich amtliche Begründung Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004 (BGBl. I S. 3220) Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Abgabenordnung vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 613) i.d.F. der Bek. vom 1.10.2002 (BGBl. I S. 3866) Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10.8.1967 (BGBl. I S. 877) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9.1953 i.d.F. der Bek. vom 2.7.1979 (BGBl. I S. 853) Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv des Völkerrechts argumentum Artikel The American Society of International Law Gesetz über das Asylverfahren i.d.F. der Bek. vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 31.10.1976 (BGBl. I S. 3053) i.d.F. der Bek. vom 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG), neugefasst durch Bek. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) aufgehoben Auflage American University International Law Review Arbeit und Recht (Zeitschrift) ausführlich Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354)
Abkürzungsverzeichnis AusnVO
AV AVR AWG Az AZR-Gesetz
BAG BÄO
BAK BAnz. BaWü. Bay. BayAGGVG
BayBS BayObLG BayObLGSt BayRS BayStVollzG BayVerf. BayVerfGH BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH BayVGHE
BayZ BB BBG Bbg. BbgVerfG Bd. BDG BDH
Ausnahme-(Not-)Verordnung (1) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1.12.1930 (RGBl. I S. 517) (2) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537, 563) (3) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 743) (4) VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.6.1932 (RGBl. I S. 285) Allgemeine Verfügung Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz vom 28.4.1961 (BGBl. I S. 481) Aktenzeichen Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom 2.9.1994 (BGBl. I S. 2265) i.d.F. der Bek. vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848) Bundesarbeitsgericht Bundesärzteordnung, neugefasst durch Bek. vom 16.4.1987 (BGBl. I S. 1218); zuletzt geändert durch Artikel 29 des Gesetzes v. 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Blutalkoholkonzentration Bundesanzeiger Baden-Württemberg Bayern, bayerisch Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes vom 23.6.1981 (BayGVBl. S. 188) Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802 bis 1956) Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Rechtssammlung (ab 1.1.1983) Bayerisches Strafvollzugsgesetz Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.12.1946 (BayBS. I 3) Bayerischer Verfassungsgerichtshof s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–34) Der Betriebsberater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz vom 14.7.1953 (BGBl. I S. 551) i.d.F. der Bek. vom 31.3.1999 (BGBl. I S. 675) Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsgericht Band Bundesdisziplinargesetz vom 9.7.2001 (BGBl. I S. 1510) Bundesdisziplinarhof (jetzt Bundesverwaltungsgericht)
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Abkürzungsverzeichnis BDSG BeamtStG
Begr. BegrenzungsVO
BEG-SchlußG Bek. Bek. 1924 Bek. 1950 Bek. 1965 Bek. 1975 Bek. 1987 ber. BerathG BerlVerfGH BerRehaG
Beschl. Bespr. BeurkG BewHi. BezG Bf. BFH BfJG
BGB
BGBl. I, II, III BGer BGH BGH-DAT BGHE Strafs. BGHGrS BGHR BGHRZ BGHSt BGHZ BGSG
XIV
Bundesdatenschutzgesetz i.d.F. der Bek. vom 14.1.2003 (BGBl. I S. 66) Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) vom 17.6.2008 (BGBl. I S. 1010) Begründung Verordnung über die Begrenzung der Geschäfte des Rechtspflegers bei der Vollstreckung in Straf- und Bußgeldsachen vom 26.6.1970 (BGBl. I S. 992) i.d.F. der Bek. v. 16.2.1982 (BGBl. I S. 188) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 14.9.1965 (BGBl. I S. 1315) Bekanntmachung Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 22.3.1924 (RGBl. I S. 299, 322) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. S. 629) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 17.9.1965 (BGBl. I S. 1373) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7.1.1975 (BGBl. I S. 129) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 18.6.1980 (BGBl. I S. 689) Berliner Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz – BerRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1314) Beschluss Besprechung Beurkundungsgesetz vom 28.8.1969 (BGBl. I S. 1513) Bewährungshilfe (Zeitschrift) Bezirksgericht Beschwerdeführer Bundesfinanzhof Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz vom 17.12.2006 (BGBl. I S. 3171) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195) i.d.F. der Bek. vom 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. I 2003 S. 738). Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Datenbank der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf CD-ROM, herausgegeben von Werner Theune Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf CD-ROM, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichts Bundesgerichtshof, Großer Senat (hier in Strafsachen) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (Loseblattsammlung) BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen (Loseblattsammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz – BGSG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978)
Abkürzungsverzeichnis BGSNeuRegG
BinnSchiffG
BinSchiffVfG BJM BKA BKAG
Bln. Bln.GVBl.Sb. Blutalkohol BMI BMinG
BMJ BNDG Bonn.Komm. BORA BPolBG BR BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BranntWMonG BRAO
BRat BRDrucks. BReg. Brem. BRProt. BS BSG Bsp. BT BTDrucks. BtG
Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz – BGSNeuRegG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) vom 15.6.1895 i.d.F. der Bek. vom 15.6.1898 (RGBl. S. 868) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen vom 27.9.1952 (BGBl. I S. 641) Basler Juristische Mitteilungen Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) vom 7.7.1997 (BGBl. I S. 1650) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806 bis 1945) und II (1945 bis 1967) Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(-ium) des Innern Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) vom 17.6.1953 (BGBl. I S. 407) i.d.F. der Bek. vom 27.7.1971 (BGBl. I S. 1166) Bundesminister(-ium) der Justiz Gesetz über den Bundesnachrichtendienst vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2979) i.d.F. der Bek. vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361 ff.) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblattausgabe) Berufsordnung für Rechtsanwälte i.d.F. der Bek. vom 1.11.2001 Bundespolizeibeamtengesetz i.d.F. der Bek. vom 3.6.1976 (BGBl. I S. 1357) s. BRat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 907); ersetzt durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz vom 8.4.1922 (RGBl. I S. 405; BGBl. III 612-7) Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 (BGBl. I S. 565); zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundesregierung Bremen Protokolle des Bundesrates Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundessozialgericht Beispiel Bundestag Drucksachen des Bundestags Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12.9.1990 (BGBl. I S. 2002)
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Abkürzungsverzeichnis BtMG
BTProt. BTRAussch. BTVerh. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfGK BVerfSchG
BVerwG BVerwGE BW bzgl. BZRG
2. BZRÄndG bzw. CAT CCBE CCC CD
CDE CERD CETS ChE
ChemG CJ CJEL CPP CCPR CMLRev CPS CPT
Crim.L.R. CR
XVI
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) vom 28.7.1981 (BGBl. I S. 681) i.d.F. der Bek. vom 1.3.1994 (BGBl. I S. 358) s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.3.1951 i.d.F. der Bek. vom 11.8.1993 (BGBl. I S. 1473) Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2954) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg bezüglich Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz), neugefasst durch Bek. vom 21.9.1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I 195); zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15.12.2011 (BGBl. I S. 2714) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17.7.1984 (BGBl. I S. 990) beziehungsweise siehe UN-CAT Council of the Bars and Law Societies of the European Union Constitutio Criminalis Carolina Collection of Decisions Bd. 1 bis 46 (1960 bis 1974), Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeit von Beschwerden Cahiers de droit européen (Zeitschrift) Internationales Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7.3.1966 (vgl. CTS) Chiemsee-Entwurf (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der Westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23.8.1948) (1948) Chemikaliengesetz i.d.F. der Bek. vom 20.6.2002 (BGBl. I S. 2090) Corpus Juris Columbia Journal of European Law Code Procédure Penal siehe HRC Common Market Law Review Crown Prosecution Service Committee for the Prevention of Torture – Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Europarat) Criminal Law Review Computer und Recht (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis CRC. CWÜAG
DA DAG DAJV-Newsletter DAR DAV DB DDevR DDR ders. DERechtsmittelG
DG Die Justiz Die Polizei dies. Diss. DiszO DJ DJT DJZ DNA-AnalyseG DNA-IFG DNP DNutzG DÖD DÖV DOGE DPA DR
DRechtsw. DRiG
DRiZ DRpfl. DRsp. Drucks.
Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122) Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen vom 2.8.1994 (BGBl. I S. 1954) Dienstanweisung Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23.12.1929 (BGBl. I. S. 239), aufgehoben durch IRG vom 23.12.1982 (BGBl. I S. 2071) Zeitschrift der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung e.V. Deutsches Autorecht (Zeitschrift) DeutscherAnwaltVerein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Devisen-Rundschau (1951–59) Deutsche Demokratische Republik derselbe Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen, im Auftrag der JMK vorgelegt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform (1975) Disziplinargesetz (der Länder) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) dieselbe Dissertation Disziplinarordnung (der Länder) Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (1933–45) Deutscher Juristentag (s. auch VerhDJT) Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse v. 12.8.2005 (BGBl. I S. 2360) DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7.9.1998 (BGBl. I S. 2646; 1999 I S. 1242) Die Neue Polizei Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften vom 10.9.2004 (BGBl. I S. 2318) Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Patentamt Deutsches Recht (1931 bis 1945) Decisions and Reports (ab 1975): Entscheidungen über die Zulässigkeit von Beschwerden; Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte; Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates Deutsche Rechtswissenschaft (1936–43) Deutsches Richtergesetz, neugefasst durch Bek. vom 19.4.1972 (BGBl. I S. 713); zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Deutsche Rechtsprechung, herausgegeben von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache
XVII
Abkürzungsverzeichnis DRZ DSteuerR DStR DStrZ DStZ dt. DtBR DtZ DuD DuR DVBl. DVO DVollzO DVOVereinf.VO
DVOZust.VO
DVR DWiR E E. & P. ebda. EA EAG EAGV
EB EBAO ECBA ECOSOC ECPT
ECRI EDS/EDU EDV EEA EFG EG
EGBGB
XVIII
Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946 bis 1950) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Strafrecht (1934 bis 1944) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914 bis 1922) Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Das Deutsche Bundesrecht, Gesetzessammlung mit Erläuterungen (Loseblattausgabe) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Verordnung zur Durchführung der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 8.9.1939 (RGBl. I S. 1703) Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sonderstrafgerichte sowie sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 13.3.1940 (RGBl. I S. 489) Datenverarbeitung im Recht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf International Journal of Evidence & Proof Ebenda Vertrag über Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft i.d.F. nach dem 1.5.1999 Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957, Ges. vom 27.7.1957 (BGBl. II S. 753), Bek. vom 27.12. 1957 (BGBl. 1958 II S. 1) Ergänzungsband Einforderungs- und Beitreibungsanordnung i.d.F. der Bek. vom 1.4.2001 European Criminal Bar Association Wirtschafts- und Sozialrat (UN) Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 (ETS 126; BGBl. 1989 II S. 946) European Commission against Racism and Intolerance/Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz Europäische Drogeneinheit (Vorläufer von Europol)/European Drug Unit Elektronische Datenverarbeitung Einheitliche Europäische Akte Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. nach dem 1.5.1999 (vor dem 1.5.1999: EGV); Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 604) i.d.F. der Bek. vom 21.9.1994 (BGBl. I S. 2494)
Abkürzungsverzeichnis EGFaxÜbk
EGFinSchÜbk
EGFinSchG
EGG
EGGVG EGH EGInsO EGKS EGKSV EGMR EGMR (GK) EGMR (K) EGMR Serie A/B; Reports
EGMRVerfO
EG-ne bis in idem-Übk
EGOWiG EGStGB 1870 EGStGB 1974 EGStPO EGV EGVollstrÜbk
EGZPO EhrenGHE EHRLR EhrRiVG
Einf.
Abkommen vom 26.5.1989 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen (BGBl. 1995 II S. 969) Übereinkommen vom 26.7.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Übereinkommen; ABlEG Nr. C 316/49 v. 27.11.1995) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EGFinanzschutzgesetz – EGFinSchG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2322) Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3721) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 (RGBl. S. 77) Ehrengerichtshof in Anwaltssachen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2911) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der EGKS vom 18.4.1951 (BGBl. II S. 447) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Kammer) Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Sammlung in deutscher Übersetzung, Band, Seite; ab 1996: Reports of Judgments and Decisions) Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Rules of Court) i.d.F. der Bek. vom 1.4.2011 (www.echr. coe.int) Übereinkommen vom 25.5.1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung – EG-ne bis in idem-Übk (BGBl. 1998 II S. 2227) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.5.1968 (BGBl. I S. 503) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 31.5.1870 (RGBl. S. 195) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. vor dem 1.5.1999 (nach dem 1.5.1999: EG) Übereinkommen vom 13.11.1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 244) Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) European Human Rights Law Review Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 21.12.2004 (BGBl. I S. 3599) Einführung
XIX
Abkürzungsverzeichnis EinigungsV
EinigungsVG
Einl. EIS EJB
EJF EJG
EJN EKMR EKMRVerfO EL ELJ ELRev EmmingerVO EMRK
ENeuOG EntlG Entsch. entspr. Entw. Entw. 1908
XX
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) Gesetz zu dem Vertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18.9.1990 vom 23.9.1990 (BGBl. II S. 885) Einleitung Europol-Informationssystem Beschluss des Rates (2002/187/JI) vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABlEG Nr. L 63/1 v. 6.3.2002) Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz – EJG) vom 12.5.2004 (BGBl. I S. 902) Europäisches Justitielles Netz Europäische Kommission für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.d.F. der Bek. vom 29.5.1991 (BGBl. II S. 838) Ergänzungslieferung European Law Journal European Law Review Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.1924 (RGBl. I S. 23) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II S. 685, 953) i.d.F. der Bek. vom 22.10.2010 (BGBl. II S. 1198) 1. ZP-EMRK vom 20.3.1952 (BGBl. 1956 II S. 1880) 2. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1112) 3. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1116) 4. ZP-EMRK vom 16.9.1963 (BGBl. 1968II S. 423) 5. P-EMRK vom 20.1.1966 (BGBl. 1968 II S. 1120) 6. ZP-EMRK vom 28.4.1983 (BGBl. 1988 II S. 662) 7. ZP-EMRK vom 22.11.1984 8. P-EMRK vom 19.3.1985 (BGBl. 1989 II S. 547) 9. P-EMRK vom 6.11.1990 (BGBl. 1994 II S. 490) 10. P-EMRK vom 25.3.1992 (BGBl. 1994 II S. 490) 11. P-EMRK vom 11.5.1994 (BGBl. 1995 II S. 578) 12. ZP-EMRK vom 4.11.2000 13. ZP-EMRK vom 3.5.2002 (BGBl. 2004 II S. 982) 14. P-EMRK vom 13.5.2004 (BGBl. 2006 II S. 138) 14bis P-EMRK vom 27.5.2009 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378) Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3.1921 (RGBl. S. 229) Entscheidung entsprechend Entwurf Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung (1908), E 1908, MatStrR-Ref. Bd. 11
Abkürzungsverzeichnis Entw. 1909
Entw. 1919/1920
Entw. 1930
Entw. 1939 EP EPA EPZ ERA ERA-Forum erg. Erg. ErgBd. Erl. EStG ETS EU EuAbgG EuAlÜbk
EUAlÜbk
EuArch EuBa EUBestG
EUC EuCLR eucrim EuDrogenÜbk
Entwürfe 1. eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. der Strafprozeßordnung (1909), E 1909 RT-Verhandl. Bd. 254 Drucks. Nr. 1310 = MatStrRRef Bd. 12; Bericht der 7. Kommission des Reichstags 1909 bis 1911 zur Vorbereitung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. einer Strafprozeßordnung, 3. eines zu beiden Gesetzen gehörenden Einführungsgesetzes = MatStrRRef. Bd. 13 Entwürfe 1. eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1919), 2. eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920), E 1919/1920, MatStrRRef. Bd. 14 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz 1930, EGStGB-Entw. 1930, RT-Drucks. Nr. 2070 = MatStrRRef. Bd. 7 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsmannsordnung (1939), StPO-Entw. 1939, Nachdruck 1954 Europäisches Parlament Europäisches Patentamt Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Rechtsakademie (Trier) ERA-Forum (Zeitschrift) ergänzend Ergänzung; Ergebnis Ergänzungsband Erlass; Erläuterung(en) Einkommensteuergesetz European Treaty Series; Übereinkommen des Europarates (fortlaufend nummeriert; www.coe.int) Vertrag über die Europäische Union i.d.F. nach dem 1.5.1999 (vor dem 1.5.1999: EUV); Europäische Union Europaabgeordnetengesetz vom 6.4.1979 (BGBl. I S. 413) Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 (ETS 024; BGBl. 1964 II S. 1369); 2. ZP EuAlÜbk v. 17.3.1978 (ETS 098; BGBl. 1990 II S. 118; 1991 II S. 874) Übereinkommen vom 27.9.1996 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 313/11 vom 23.10.1996; BGBl. 1998 II S. 2253) Europa-Archiv Europäische Beweisanordnung Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) Charta der Grundrechte der Europäischen Union European Criminal Law Review (Zeitschrift) Journal for the Protection of the Financial Interests of the European Communities Übereinkommen vom 31.1.1995 über den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchführung des Art. 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (ETS 156; BGBl. 2000 II S. 1313)
XXI
Abkürzungsverzeichnis EuG EuGeldwÜbk
EuGH EuGH Slg. EuGHG
EuGRAG
EuGRZ EuHb EuHbG
EuJCCCJ EuKonv EUMC EuOEÜbk EuR EuRAG EuRhÜbk
EURhÜbk
EurJCrimeCrLJ Eurojust Europol EuropolÜbk
EuropolG EuStA EuTerrÜbk EUV
XXII
Europäisches Gericht erster Instanz (Luxemburg) Übereinkommen vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (ETS 141; BGBl. 1998 II S. 519) Gerichtshof der Europäischen Union Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) – Amtliche Sammlung Gesetz vom 6.8.1998 betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages – EuGHG (BGBl. 1998 I S. 2035; 1999 II S. 728) Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1453) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäischer Haftbefehl Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21.7.2004 (BGBl. I S. 1748) und vom 20.7.2006 (BGBl. I S. 1721) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice (Zeitschrift) Europäischer Konvent siehe ECRI Europäisches Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (ETS 116; BGBl. 2000 II S. 1209) Europarecht (Zeitschrift) Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (BGBl. I S. 182) Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 (ETS 30; BGBl. 1964 II S. 1369; 1976 II S. 1799); ZP EuRhÜbk vom 17.3.1978 (ETS 99; BGBl. 1990 II S. 124; 1991 II S. 909); 2. ZP EuRHÜbk v. 8.11.2001 (ETS 182) Rechtshilfeübereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000, ABlEG Nr. C 197/1 vom 12.7.2000; ZP EURHÜbk v. 16.10.2001 (ABlEG Nr. C 326/1 vom 21.11.2001) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice Europäische Justitielle Clearing- und Dokumentationsstelle (Den Haag) Europäisches Polizeiamt (Den Haag) Übereinkommen vom 26.7.1995 auf Grund von Artikel K.3 des EUV über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes, ABlEG Nr. C 316/1 v. 27.11.1995. Europolgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. II S. 2150) Europäische Staatsanwaltschaft (geplant) Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.1.1977 (ETS 90; BGBl. 1978 II S. 321, 907) Vertrag über die Europäische Union vor dem 1.5.1999 (nach dem 1.5.1999: EU)
Abkürzungsverzeichnis EUVEntw
EUVereinfAlÜbk
EuVKonv
EuZW evt. EWG EWGV EWiR EWR-Abk. EYHR EzSt
f., ff. FamFG
FAG FamPLG FamRZ FAO FG FGG FGO
FinB FinVerwG FlRG
Fn. FN A FN B
Entwurf einer Europäischen Verfassung i.d.F des am 18.6.2004 zwischen den Staats- und Regierungschefs erzielten Konsenses (Dokument der Regierungskonferenz CIG 86/04 v. 25.6.2004) Übereinkommen vom 10.3.1995 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 78/1 vom 30.3.1995; BGBl. 1998 II S. 2229) Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa – vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13.6. und 10.7.2003 – dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreicht am 18.7.2003 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 (BGBl. II S. 766) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Gesetz zu dem Abkommen vom 2.5.1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum European Yearbook on Human Rights Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1983 bis 1990 (Loseblattausgabe) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), Artikel 1 G. vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586 (Nr. 61), 2587, 2009 I S. 1102); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 6.4.1892 i.d.F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1455); ersetzt durch das TKG Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung i.d.F. der Bek. vom 22.3.1999, zuletzt geändert durch BRAK-Beschluss vom 6.12.2010 Finanzgericht/Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.5.1898 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 771) Finanzgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 28.3.2001 (BGBl. I S. 442, 2262, 2002 I 679); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) Finanzbehörde Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6.9.1950 (BGBl. S. 448) i.d.F. der Bek. vom 30.8.1971 (BGBl. I S. 1426) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) vom 8.2.1951 i.d.F. der Bek. vom 29.10.1994 (BGBl. I S. 3140) Fußnote Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR
XXIII
Abkürzungsverzeichnis FO FP-IPBPR 2. FP-IPBPR
FRA FS FS (Name) FuR G 10
GA
GASP GBA GBl. GBl./DDR I, II GedS gem. GemDatG
GemProt. GenG
GenStA GerS Ges. GeschlkrG GeschO GewO
GewSchG
GewVerbrG GG ggf.
XXIV
Fernmeldeordnung i.d.F. der Bek. vom 5.5.1971 (BGBl. I S. 541) (1.) Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. II 1992 S. 1247) 2. Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12. 1989 (BGBl. II 1992 S. 390) Agentur der Europäischen Union für Grundrechte Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (früher ZfStrV) Festschrift, auch Festgabe usw. (angefügt Name des Geehrten) Familie und Recht Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1254), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 7.12.2011 (BGBl. I S. 2576), (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zitiert nach Jahr und Seite; (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafpolitik, zitiert nach Band und Seite) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generalbundesanwalt Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I und II (1949 bis 1990) Gedächtnisschrift (angefügt Name des Geehrten) gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12. 2006 (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) (BGBl. I 3409) Gemeinsames Protokoll Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1.5.1889, neugefasst durch Bek. vom 16.10.2006 (BGBl. I S. 2230); zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25.5.2009 (BGBl. I S. 1102) Generalstaatsanwaltschaft Der Gerichtssaal (1849–1942) Gesetz Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23.7.1953 (BGBl. I S. 700) Geschäftsordnung Gewerbeordnung vom 21.6.1869, neugefasst durch Bek. vom 22.2.1999 (BGBl. I S. 202); zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 15.12.2011 (BGBl. I S. 2714) Gesetz vom 11.12.2001 zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Gewaltschutzgesetz – GewSchG; BGBl. I S. 3513) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. S. 1) gegebenenfalls
Abkürzungsverzeichnis GKG GKI GKÖD GLY GmbH GmbHG
GMBl. GmS-OGB GnO GoJIL GoltdA grds. GRETA GREVIO GrSSt Gruchot GRUR GRURInt GS GSNW GSSchlH GStA GÜG
GÜV GV GVBl. GVBl. II GVG GVGA GVGÄG 1971 GVGÄG 1974 GVG/DDR
GVO
Gerichtskostengesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718); zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) Gemeinsame Kontrollinstanz (jeweils eingerichtet bei Europol und Eurojust) Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht German Law Journal (Internet-Zeitschrift; www.germanlawjournal.de) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20.4.1892 (RGBl. S. 477); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gnadenordnung Göttingen Journal of International Law (Online-Zeitschrift) s. GA grundsätzlich Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings Expertengruppe zur Überwachung des Übereinkommens zum Schutz von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt (CETS 210) Großer Senat in Strafsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International (Zeitschrift) Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–56) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde. (1963) Generalstaatsanwalt Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz – GÜG) vom 7.10.1994 (BGBl. I S. 2835) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 i.d.F. der Bek. vom 9.5.1975 (BGBl. S. 1077) Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 8.9.1971 (BGBl. I S. 1513) Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25.3.1974 (BGBl. I S. 761) Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik – Gerichtsverfassungsgesetz – vom 27.9.1974 (GBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 595) Gerichtsvollzieherordnung
XXV
Abkürzungsverzeichnis GVVO
GWB GwG GWR GYIL Haager Abk.
Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.1935 (RGBl. I S. 403) in der im BGBl. III Gliederungsnummer 300-5 veröffentlichten bereinigten Fassung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.7.1957 i.d.F. der Bek. vom 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546) Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 25.10.1993 (BGBl. I S. 1770) Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) German Yearbook of International Law (Zeitschrift)
HRLJ Hs. HStVollzG HUDOC HuV-I HV
Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17.7.1905 (RGBl. 1909 S. 409) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) vom 22.10.1987 (BGBl. I S. 2294) Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1880 bis 1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879 bis 1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiff-Fahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918 bis 1927) Handbuch zum Strafverfahren, hrsg. von Heghmanns/Scheffler Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von StierSomlo und Elster (1926 bis 1937) Hessen Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. S. 219) herrschende Meinung Hamburgisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Committee – UN-Menschenrechtsausschuss Human Rights Law Review Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928 bis 1942) Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (www.hrr-strafrecht.de) Entscheidungen zum Strafrecht, Strafverfahrensrecht und zu den Nebengebieten (Höchstrichterliche Rechtsprechung) (ab 1996) Human Rights Law Journal Halbsatz Hessisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Documentation des Europarates Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften Hauptverhandlung
IAGMR ICC
Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte siehe IStGH
HalbleiterschutzG
Hamb. HambJVBl. Hans. HansGZ HansJVBl. HansOLGSt HansRGZ HansRZ
HbStrVf/Verfasser HdR Hess. HESt
HGB h.M. HmbStVollzG HRC HRLR HRR HRRS HRSt
XXVI
Abkürzungsverzeichnis ICJ ICLQ ICLR i.d.F. i.d.R. i.e.S. IGH i.H.v. IKV ILO InfAuslR INPOL InsO IPBPR IPBPRG IPWSKR IRG
i.S. i.S.d. IStR i.S.v. IStGH IStGHG IStGHSt
ITRB i.V.m. i.w.S. JA JahrbÖR JahrbPostw. JAVollzO JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBlSaar JGG JIR JKassO
siehe IGH The International and Cooperative Law Quarterly International Criminal Law Review in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof ICJ (Den Haag) in Höhe von Internationale Kriminalistische Vereinigung International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) Informationsbrief Ausländerrecht Informationssystem der Polizei Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866); zuletzt geändert durch Artikel 19 des Gesetzes vom 20.12.2011 (BGBl. I S. 2854) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1534); Zustimmungsgesetz zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533) Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1570) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i.d.F. der Bek. vom 27.6.1994 (BGBl. I S. 1537); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI vom 18.10.2010 (BGBl. I S. 1408) im Sinne im Sinne des/der Internationales Steuerrecht – Zeitschrift für europäische und internationale Wirtschaftsberatung im Sinne von Internationaler Strafgerichtshof ICC (Den Haag) Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144) Gesetz vom 4.12.2000 zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998 – IStGH-Statutgesetz (BGBl. II S. 1393) IT-Rechts-Berater in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937 bis 1941/42) Jugendarrestvollzugsordnung vom 12.8.1966 i.d.F. der Bek. vom 30.11.1976 (BGBl. I S. 3270) Justizbeitreibungsordnung vom 11.3.1937 (RGBl. I S. 298) Justizblatt/Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jugendgerichtsgesetz vom 4.8.1953 i.d.F. der Bek. vom 11.12.1974 (BGBl. I S. 3427) Jahrbuch für internationales Recht Justizkassenordnung
XXVII
Abkürzungsverzeichnis JKomG
JKostG JMBl. JMBlNRW, JMBlNW JMK JoJZG JöR JP JR JSt JugG JugK JugSchG JugStrafgG
Jura JurBüro JurJahrb. JuS Justiz JV JVA JVBl. JVEG
JVerwA JverwB JVKostO JVollz. JVollzGB JW JZ 1. JuMoG 2. JuMoG
Kap. KAS KFZ KG KGJ
XXVIII
Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) vom 22.3.2005 (BGBl. I S. 832) Justizkostengesetz (Landesrecht) Justizministerialblatt Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Justizministerkonferenz (Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister) Journal der Juristischen Zeitgeschichte Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Person Juristische Rundschau Journal für Strafrecht Jugendgericht Jugendkammer Jugendschöffengericht Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10.4.1995 (BGBl. I S. 485) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristen-Jahrbuch Juristische Schulung (Zeitschrift) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justizverwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Justizverwaltungsakt Justizverwaltungsbehörde Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14.2.1940 (RGBl. I S. 357) Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch JAVollzO Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) vom 22.10.2006 (BGBl. I S. 3416) Kapitel Konrad-Adenauer-Stiftung Kraftfahrzeug Kammergericht/Kommanditgesellschaft Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922)
Abkürzungsverzeichnis KJ KO KOM KonsG KostÄndG KostRMoG KostMaßnG KostO KostRÄndG 1994
KostRspr. KostVfg. KrG Kriminalist Kriminalistik KrimJ KrimPäd. Krit. KritV KronzG
KronzVerlG
2. KronzVerlG
KSI KSZE KUG KUP k+v KVGKG KWKG
Kritische Justiz (Zeitschrift) Konkursordnung vom 10.2.1877 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 612) Dokument(e) der Europäischen Kommission Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 1.9.1974 (BGBl. I S. 2317) Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5.5.2004 – Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 718) Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenrechts vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 401) Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit i.d.F. der Bek. vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24.6.1994 (BGBl. I S. 1325) Kostenrechtsprechung (Loseblattsammlung) Kostenverfügung, Durchführungsbestimmungen zu den Kostengesetzen Kreisgericht Der Kriminalist (Zeitschrift) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpädagogische Praxis (Zeitschrift) Kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Gesetz zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Art. 4 des StGBÄndG 1989) vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 16.2.1993 (BGBl. I S. 238) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (2. Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 19.1. 1996 (BGBl. I S. 58) Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung (Zeitschrift) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Gesetz über das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie vom 9.1.1907 (RGBl. S. 7) Kriminologie und Praxis (Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle) Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum GKG) Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen i.d.F. der Bek. vom 22.11.1990 (BGBl. I S. 2506)
XXIX
Abkürzungsverzeichnis LegPer. Lfg. LG LJV LKA LKV LM LMBG
LMG (1936)
LPartG LPG LRE LS LuftVG LuftVO LV LVerf. LVG LZ MABl. MarkenG
Mat. MatStrRRef. MBl. MDR MedR MiStra. MittKV MMR MOG Mot. MR MRG MSchrKrim. MSchrKrimPsych.
XXX
Legislaturperiode Lieferung Landgericht Landesjustizverwaltung Landeskriminalamt Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung), hrsg. von Lindemaier/Möhring u.a. Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetz) i.d.F. der Bek. vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2297) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 5.7.1927 i.d.F. der Bek. vom 17.1.1936 (RGBl. I S. 17) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) Landespressegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz Luftverkehrsgesetz i.d.F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 550) Luftverkehrs-Ordnung i.d.F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 580) Literaturverzeichnis, Schrifttumsverzeichnis Landesverfassung Landesverwaltungsgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907 bis 1933) Ministerialamtsblatt Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG) vom 25.10.1994 (BGBl. I S. 3082, 1995 I S. 156, 1996 I S. 682); zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes v. 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) s. Hahn Materialien zur Strafrechtsreform, herausgegeben vom BMJ, Bd. 1–15 (1954–1960) (s. auch Entw.) Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen vom 15.3.1985 i.d.F. der Bek. vom 29.4.1998, bundeseinheitlich Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889 bis 1914; 1926 bis 1933) MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation vom 31.8.1972 (BGBl. I S. 1617) Begründung zur Strafprozeßordnung bei Hahn (s. dort) Medien und Recht (Österreich) Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05 bis 1936)
Abkürzungsverzeichnis MStGO Muster-Entw.
MV m.w.B . m.w.N. NachtrSichVG NATO-Truppenstatut
Nds. NdsAGGVG NdsRpfl. n.F. N.F. Nieders. GVBl. Sb. I, II NJ NJOZ NJVollzG NJW NKrimpol. NL noeP NordÖR NotVO NPA NRO NRW NRWO NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWVBl. NZA NZM NZV NZWehrr NZWiSt
OASG
Militärstrafgerichtsordnung i.d.F. der Bek. vom 29.9.1936 (RGBl. I S. 755) Muster-Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, verabschiedet von der JMK am 10./11.6.1976, geändert durch Beschluss der JMK vom 25.11.1977 Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen Gesetz zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1838) Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190), Bek. vom 16.6.1963 (BGBl. II S. 745) Niedersachsen Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 5.4.1963 (GVBl. S. 225) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Folge Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz (bis 1990 DDR) Neue Juristische Online-Zeitschrift (nur über beck-online abrufbar) Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) Newsletter Menschenrechte Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland s. Ausn. VO Neues Polizei-Archiv Nichtregierungsorganisation Nordrhein-Westfalen (österreichisches) Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992) Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift, ab 1996) Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrheinwestfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten (Opferanspruchsicherungsgesetz) vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 905)
XXXI
Abkürzungsverzeichnis OBLG OECD OEG OER OG OGH OGHSt ÖJZ OLAF OLG OLG-NL OLGR OLGSt OLGSt N. F OLGVertrÄndG OPCAT OpferRRG
2. OpferRRG OpferschutzG OrgKG
OrgStA ÖRiZ ÖRZ OStA ÖstAnwBl. öStVG OSZE ÖVerfG OVG OWG/DDR
OWiG
OWiGÄndG
XXXII
Oberstes Landesgericht Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11.5. 1976 (BGBl. I S. 1181) i.d.F. der Bek. vom 7.1.1985 (BGBl. I S. 1) Osteuropa-Recht Oberstes Gericht der DDR Österreichische Oberster Gerichtshof Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Österreichische Juristen-Zeitung Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Office Européen de Lutte Anti-Fraude) Oberlandesgericht OLG-Report Neue Länder OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (Loseblattausgabe, bis 1983) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neue Folge (Loseblattausgabe, ab 1983) Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) siehe UNCAT Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24.6.2004 (BGBl. I S. 1354) Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2280) Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302) Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Österreichische Richterzeitung Österreichische Raiffeisen-Zeitung Oberstaatsanwalt Österreichisches Anwaltsblatt Österreichisches Strafvollzugsgesetz Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (der Deutschen Demokratischen Republik) vom 12.1.1968 (GBl. I S. 101), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, neugefasst durch Bek. vom 19.2.1987 (BGBl. I S. 602); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7.7.1986 (BGBl. I S. 977)
Abkürzungsverzeichnis ParlStG PaßG PatAnwO
PatG
PAuswG PD-I PD-IM PD-JS PD-RfA PD-SEF PD-WP PflVG PJZS PKH PKHÄndG
PlenProt. POGNW PolGBW Polizei PostG PostO PostStruktG
Pr. PräsLG PräsOLG PräsVerfG
PrGS PrG Prot. ProzeßkostenhG Pro-Eurojust PrPG PrZeugnVerwG
Gesetz über die Rechtsverhältnisse der parlamentarischen Staatssekretäre vom 24.7.1974 (BGBl. I S. 1538) Paßgesetz vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Patentanwaltsordnung vom 7.9.1966 (BGBl. I S. 557); zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Patentgesetz, neugefasst durch Bek. vom 16.12.1980 (BGBl. I 1981 S. 1); zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) Gesetz über Personalausweise vom 19.12.1950 (BGBl. S. 807) i.d.F. der Bek. vom 21.4.1986 (BGBl. I S. 548) Practice Direction – Institution of Proceedings (EGMR) Practice Direction – Interim Measures (EGMR) Practice Direction – Just Satisfaction Claims (EGMR) Practice Direction – Request for Anonymity (EGMR) Practice Direction – Secured electronic filing (EGMR) Practice Direction – Written Pleadings (EGMR) Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter i.d.F. der Bek. vom 5.4.1965 (BGBl. I S. 213) Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Prozesskostenhilfe Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe (Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz – PKHÄndG) vom 10.10.1994 (BGBl. I S. 2954) Plenarprotokoll, Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages Polizeiorganisationsgesetz (des Landes NRW) i.d.F. der Bek. vom 22.10.1994 (GVNW S. 852) Polizeigesetz (des Landes BW) i.d.F. der Bek. vom 13.1.1992 (GBl. S. 1) s. Die Polizei Gesetz über das Postwesen i.d.F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1449) Postordnung vom 16.5.1963 (BGBl. I S. 341) Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz – PoststruktG) vom 8.6.1989 (BGBl. I S. 1026) Preußen Präsident des Landgerichts Präsident des Oberlandesgerichts Gesetz über die Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassungen der Gerichte vom 26.5.1972 (BGBl. I S. 841) Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Pressegesetz (Landesrecht) Protokoll Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13.6.1980 (BGBl. I S. 677) Vorgänger- und Gründungseinheit von Eurojust Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7.3.1990 (BGBl. I S. 422) Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 (BGBl. I S. 1973)
XXXIII
Abkürzungsverzeichnis PStR PTNeuOG
PUAG
PV PVG PVR RA RabelsZ RAG/DDR RAHG RANotz.PrG
RAO RAussch. RB RBEuHb
RBerG
RdErl. RDG RDH RDIDC RdJ RdK RdM RDStH RDStO RDV Recht recht RefE Reg. RegBl. RegE RegE TKÜ
RehabG
XXXIV
Praxis Steuerstrafrecht Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14.9.1994 (BGBl. I S. 2325) Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) vom 19.6.2001 (BGBl. I S. 1142) Personenvereinigung Polizeiverwaltungsgesetz Praxis Verkehrsrecht Rechtsanwalt Rabels-Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1504) s. RHG Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24.6.1992 (BGBl. I S. 1386) Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919, aufgehoben durch AO vom 16.3.1976 Rechtsausschuss Rahmenbeschluss (Art. 34 EU) Rahmenbeschluss des Rates (2002/584/JI) vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 190/1 v. 18.7.2002) Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478); aufgehoben durch Artikel 20 des Gesetzes vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) Runderlass Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) vom 12.12.2007 (BGBl. I. S. 2840) Revue des Droits de l’Homme Revue de droit international et de droit comparé Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Das Recht des Kraftfahrers (1926–43, 1949–55) Recht der Medizin Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung vom 26.1.1937 (RGBl. I S.71) Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897 bis 1944) Information des Bundesministers der Justiz Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt Regierungsentwurf Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/EG vom 18.4.2007 Rehabilitierungsgesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) von 6.9.1990 (GBl. I S. 1459), aufgehoben durch StrRehaG
Abkürzungsverzeichnis Res. RevMC Rev.trim.dr.h. RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RheinSchA RHG RHGDVO
RhPf. RichtlRA RiG/DDR RiJGG RiStBV
RiVASt. RIW RKG(E) RL RMBl. RMilGE Rn. ROW RpflAnpG
RpflAnpÄndG Rpfleger RpflEntlG RpflG RpflVereinfG Rspr. RT RTDE RTDrucks. RTVerh. RuP RVerf. RVG
Resolution Revue du Marché commun et de l’Union européenne Revue trimestrielle des droits de l’homme Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922 bis 1945 Teil I und II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879 bis 1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revidierte Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte) i.d.F. der Bek. vom 11.3.1969 (BGBl. II S. 597) Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5.1953 (BGBl. I S. 161) Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 23.12.1953 (BGBl. I S. 1569) Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO vom 21.6.1973 Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.7.1990 (GBl. I S. 637) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1.12.1970 (BAnz. Nr. 17/1971), i.d.F. der Bek. vom 1.2.1997 mit spät. Änderungen, bundeseinheitlich Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Reichskriegsgericht (Entscheidungen des RKG) Richtlinie Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Recht in Ost und West (Zeitschrift) Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz – RpflAnpG) vom 26.6.1992 (BGBl. I S. 1147) Gesetz zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes – RpflAnpG vom 7.12.1995 (BGBl. I S. 1590) Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I S. 50) Rechtspflegergesetz vom 5.11.1969 (BGBl. I S. 2065) Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2847) Rechtsprechung Reichstag Revue trimestrielle de droit européen Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik (Zeitschrift) s. WeimVerf. Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718)
XXXV
Abkürzungsverzeichnis RVO RZ r+s S. Sa. SaAnh. SaBremR SächsArch. SächsOLG SAM SchAZtg SchiedsmZ SchiedsstG SchlH SchlHA SchrR SchrRAGStrafR SchrRBRAK SchwarzArbG
SchwGBG
SchwJZ SchwZStr SDÜ
1. SED-UnberG
2. SED-UnberG
SeeAufgG
SeemG SeuffBl. SFHÄndG
XXXVI
Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 i.d.F. der Bek. vom 15.12.1924 (RGBl. I S. 779) siehe: ÖRiZ Recht und Schaden (Zeitschrift) Satz, Seite Sachsen Sachsen-Anhalt Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42) Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880 bis 1920) Steueranwaltsmagazin Schiedsamtszeitung Schiedsmannszeitung (1926 bis 1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1527) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriftenreihe Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom 23.7.2004 (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG), BGBl. I S. 1842 Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung vom 28.4.2011 (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz), BGBl. I S. 676 Schweizerische Juristenzeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Übereinkommen vom 19.6.1990 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande zur Durchführung des am 14.6.1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen; ABlEG Nr. L 239/19 vom 22.9.2000) Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes SEDUnrechtsbereinigungsgesetz – 1. SED-UnberG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SEDUnrechtsbereinigungsgesetz – 2. SED-UnBerG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt (Seeaufgabengesetz – SeeAufgG) vom 24.5.1965 i.d.F. der Bek. vom 27.9.1994 (BGBl. I S. 2802) Seemannsgesetz vom 26.7.1957 (BGBl. II S. 713) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.8.1995 (BGBl. I S. 1050)
Abkürzungsverzeichnis SFHG
SGB
SGG
SGV.NW SichVG SIRENE SIS SJIR SJZ SkAufG
s.o. SortSchG SprengG
Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfe im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Sozialgesetzbuch SGB I – Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (1. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022) SGB II – Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (2. Buch), vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954), SGB III – Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung (3. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IV – Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (4. Buch) vom 24.7.2003 (BGBl. I 1526), SGB V – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung (5. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB VI – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung (6. Buch) vom 29.4.2004 (BGBl. I S. 678), SGB VII – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (7. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3019), SGB VIII – Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IX – Sozialgesetzbuch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (9. Buch) vom 23.4.2004 (BGBl. I S. 606), SGB X – Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren (10. Buch) vom 5.4.2004 (BGBl. I S. 718), SGB XI – Sozialgesetzbuch, Soziale Pflegeversicherung (11. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB XII – Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe (12. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I 3022) Sozialgerichtsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 23.9.1975 (BGBl. I S. 2535); zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16.6.1995 (BGBl. I S. 818) Supplementary Information Request at the National Entry (nationale Kontaktstelle des SIS) Schengener Informationssystem Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Schweizerische Juristen-Zeitung / Süddeutsche Juristenzeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995 (BGBl. II S. 554) siehe oben Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) vom 20.5.1968 i.d.F. der Bek. vom 4.1.1977 (BGBl. I S. 105) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz – SprengG) vom 13.9.1976 (BGBl. I S. 2737) i.d.F. der Bek. vom 17.4. 1986 (BGBl. I S. 577)
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis SprengstG
StA StAG/DDR
StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StBerG
StenB StGB
StGB/DDR
StGBÄndG 1976
StGBÄndG 1989
StPÄG 1964 StPÄG 1972 StPÄG 1978 StPÄG 1986 StPÄG 1988 StPO StPO/DDR StraFo StrafrAbh. StraftVVG StRÄndG
XXXVIII
Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1358, ber. BGBl. 1970 I S. 224), aufgehoben durch SprengG vom 13.9.1976 Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.4.1977 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 635) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8.9.1969 (BGBl. I S. 1582) s. StRÄndG Steuerberatungsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 4.11.1975 (BGBl. I S. 2735); zuletzt geändert durch Artikel 19 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2515) Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch, neugefasst durch Bek. vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322); zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6.12.2011 (BGBl. I S. 2557) Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 14.12.1988 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 218l) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964 (BGBl. I S. 1067) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1361) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14.4.1978 (BGBl. I S. 497) Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17.5.1988 (BGBl. I S. 606) Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 i.d.F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 19.12.1974 (GBl. 1975 I S. 61) Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten v. 30.7.2009 (BGBl. I S. …) Strafrechtsänderungsgesetz 1. ~ vom 30.8.1951 (BGBl. I S. 739) 2. ~ vom 6.3.1953 (BGBl. I S. 42) 3. ~ vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735)
Abkürzungsverzeichnis 4. ~ vom 11.6.1957 (BGBl. I S. 597) 5. ~ vom 24.6.1960 (BGBl. I S. 477) 6. ~ vom 30.6.1960 (BGBl. I S. 478) 7. ~ vom 1.6.1964 (BGBl. I S. 337) 8. ~ vom 25.6.1968 (BGBl. I S. 741) 9. ~ vom 4.8.1969 (BGBl. I S. 1065) 10. ~ vom 7.4.1970 (BGBl. I S. 313) 11. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1977) 12. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1779) 13. ~ vom 13.6.1975 (BGBl. I S. 1349) 14. ~ vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056) 15. ~ vom 18.5.1976 (BGBl. I S. 1213) 16. ~ vom 16.7.1979 (BGBl. I S. 1078) 17. ~ vom 21.12.1979 (BGBl. I S. 2324) 18. ~ vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 379) – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 19. ~ vom 7.8.1981 (BGBl. I S. 808) 20. ~ vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) 21. ~ vom 13.6.1985 (BGBl. I S. 963) 22. ~ vom 18.7.1985 (BGBl. I S. 1510) 23. ~ vom 13.4.1986 (BGBl. I S. 1986) 24. ~ vom 13.1.1987 (BGBl. I S. 141) 25. ~ vom 20.8.1990 – § 201 StG – (BGBl. I S. 1764) 26. ~ vom 24.7.1992 – Menschenhandel – (BGBl. I S. 1255) 27. ~ vom 23.7.1993 – Kinderpornographie – (BGBl. I S. 1346) 28. ~ vom 13.1.1994 – Abgeordnetenbestechung – (BGBl. I S. 84) 29. ~ vom 31.5.1994 – §§ 175, 182 StGB – (BGBl. I S. 1168) 30. ~ vom 23.6.1994 – Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen – BGBl. I S. 1310) 31. ~ vom 27.6.1994 – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – (BGBl. I S. 1440) 32. ~ vom 1.6.1995 – §§ 44, 69b StGB – (BGBl. I S. 747) 33. ~ vom 1.7.1997 – §§ 177, 178 StGB (BGBl. I S. 1607) 34. ~ vom 22.8.2002 – § 129b StGB (BGBl. I S. 3390) 35. ~ vom 22.12.2003 – Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (BGBl. I S. 2838) 36. ~ vom 30.7.2004 – § 201a StGB (BGBl. I S. 2012) 37. ~ vom 18.2.2005 – § 180b, 181 StGB (BGBl. I S. 239) 40. ~ vom 22.3.2007 – Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (Anti-Stalking-Gesetz) (BGBl. I S. 354) 41. ~ vom 7.8.2007 – Bekämpfung der Computerkriminalität (BGBl. I S. 1786) 42. ~ vom 29.6.2009 – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen (BGBl. I S. 1658) 43. ~ vom 29.7.2009 – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (BGBl. I S. 2288) 44. ~ vom 1.11.2011 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (BGBl. I S. 2130) 45. ~ vom 6.12.2011 – Umsetzung der Richlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt (BGBl. I S. 2557)
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis StraßenVSichG
StREG StrEG StrFG
StRG
StRR StrRehaG
st.Rspr. StUG
StuR StuW StV StVÄG 1979 StVÄG 1987 StVÄG 1999 StVG StVO StVollstrO StVollzG
StVollzGK StVollzK 1. StVRErgG 1. StVRG
XL
1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz) vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) 2. Zweites ~ vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) vom 28.8.1975 (BGBl. I S. 2289) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (BGBl. I S. 157) Straffreiheitsgesetz – 1949 vom 31.12.1949 (BGBl. I S. 37) – 1954 vom 17.7.1954 (BGBl. I S. 203) – 1968 vom 9.7.1968 (BGBl. I S. 773) – 1970 vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 509) Gesetz zur Reform des Strafrechts 1. ~ vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) 2. ~ vom 4.7.1969 (BGBl. I S. 717) 3. ~ vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 505) 4. ~ vom 23.11.1973 (BGBl. I S. 1725) 5. ~ vom 18.6.1974 (BGBl. I S. 1297) 6. ~ vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) StrafRechtsReport – Arbeitszeitschrift für das gesamte Strafrecht Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) i.d.F. der Bek. vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2664) ständige Rechtsprechung Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 2272) Staat und Recht (Zeitschrift DDR, 1950 bis 1990) Steuern und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5.10.1978 (BGBl. I S. 1645) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27.1.1987 (BGBl. I S. 475) Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253) Straßenverkehrsgesetz vom 3.5.1909 i.d.F. der Bek. vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 837) Straßenverkehrsordnung vom 16.11.1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971, S. 38) Strafvollstreckungsordnung vom 1.4.2001 (BAnz. Nr. 87) bundeseinheitlich Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz – vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 581) Strafvollzugsgesetz-Kommissionsentwurf, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3686) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 (BGBl. I S. 3393)
Abkürzungsverzeichnis StVZO s.u. SubvG SVR SZ SZIER
TerrorismusG TerrorBekG TerrorBekErgG
ThUG
Thür. TiefseebergbauG TierschG TKG TKÜG
TKO TREVI TVöD TV/L Tz. UCLAF UdG ÜAG
ÜberlG ÜberstÜbk
Übk ÜF UHaftÄndG UN UNCAT
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13.11.1937 i.d.F. der Bek. vom 28.9.1988 (BGBl. I S. 1793) siehe unten Subventionsgesetz vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift) Süddeutsche Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2566) Gesetz vom 9.1.2002 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) (BGBl. I S. 361) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) vom 5.1.2007 (BGBl. I S. 2) Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz) vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) Thüringen Gesetz zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1457) Tierschutzgesetz vom 24.7.1972 (BGBl. I S. 1277) Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1120) Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198) Telekommunikationsordnung vom 16.7.1987 (BGBl. I S. 1761) Gruppe zur Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence Internationale (1975) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Teilziffer Unité de Coordination de la Lutte Anti-Fraude Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Gesetz vom 26.9.1991 zur Ausführung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 – Überstellungsausführungsgesetz (BGBl. 1991 I S. 1954) Gesetz zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) (Sechstes Überleitungsgesetz) vom 25.9.1990 (BGBl. I S. 2106) Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 (ETS 112; BGBl. 1991 II S. 1006; 1992 II S. 98); ZP ÜberstÜbk vom 18.12.1997 (ETS 167) Übereinkommen Übergangsfassung Gesetz zur Abänderung der Untersuchungshaft vom 27.12.1926 (RGBl. I S. 529) Vereinte Nationen Übereinkommen (der Vereinten Nationen) gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (BGBl. 1990 II S. 246)
XLI
Abkürzungsverzeichnis
UN-CAT UN-FoltKonv. UNHCR UNO-Pakt UnterbrSichG
UrhG UVollzO UZwG
VA VBlBW VDA VDB VerbrbekG
VerbringungsverbG VereinfVO
VereinhG
VereinsG VerfGH VerfO Verh. 1. VerjährungsG
XLII
OPCAT – Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Gesetz vom 26.8.2008 (BGBl. 2008 II S. 854) United Nations Committee against Torture – UN-Antifolterausschuss Siehe UNCAT United Nations High Commissioner for Refugees – Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen s. IPBPR Gesetz zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7. 2007 (BGBl. I S. 1327) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9.9.1965 (BGBl. I S. 1273) Untersuchungshaftvollzugsordnung vom 12.2.1953 i.d.F. der Bek. vom 15.12.1976, bundeseinheitlich Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10.3.1961 (BGBl. I S. 165) Vorzeitige Anwendung (internationaler Übereinkommen) Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. 1 bis 6 (1908) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. 1 bis 9 (1906) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetz (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10. 1994 (BGBl. I S. 3186) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Vereinfachungsverordnung 1. ~, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege vom 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) 2. ~, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942 (RGBl. I S. 508) 3. ~, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 342) 4. ~, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.12.1944 (RGBl. I S. 339) Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950 (BGBl. S. 455) Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5.8.1964 (BGBl. I S. 593) Verfassungsgerichtshof Verfahrensordnung (siehe EGMRVerfO) Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26.3.1993 (BGBl. I S. 392)
Abkürzungsverzeichnis 2. VerjährungsG VerkMitt. VerpflichtG VerschG VersR VerständigungsG VerwArch VG VGH vgl. Vhdlgen VIZ VO VOBl. VOR VRR VRS VRÜ VStGB VStGBG VVDStRL VVStVollzG VwGO
VwRehaG
VwVfG VwZG WDO WehrbeauftrG WeinG
Wiener Übereinkommen
WiJ 1. WiKG
Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 (BGBl. I S. 1657) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Verschollenheitsgesetz vom 15.1.1951 (BGBl. I S. 59) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I. S. 2353) Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof; Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Vermögens- und Immobilienrecht (Zeitschrift) Verordnung; s. auch AusnVO Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht VerkehrsRechtsReport Verkehrsrechts-Sammlung Verfassung und Recht in Übersee Völkerstrafgesetzbuch Gesetz vom 26.6.2002 zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (BGBl. I S. 2254) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (bundeseinheitlich) vom 1.7.1976 Verwaltungsgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 19.3.1991 (BGBl. I S. 686); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3.7.1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung vom 15.3.1957 i.d.F. der Bek. vom 9.6.1961 (BGBl. I S. 697) Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i.d.F. der Bek. vom 16.6.1982 (BGBl. I S. 673) Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (Weingesetz) vom 14.1.1971 (BGBl. I S. 893) 1. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (Zustimmungsgesetz vom 6.8.1964, BGBl. II S. 957) 2. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (Zustimmungsgesetz vom 26.8.1969, BGBl. II S. 1585) Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034)
XLIII
Abkürzungsverzeichnis 2. WiKG WiStG
WisteV wistra WLR WoÜbG
WRV WStG WM WuV WuW WÜD WÜK WVK WWSUV
WWSUVG
WZG
Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 (BGBl. I S. 721) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) vom 9.7.1954 i.d.F. der Bek. vom 3.6.1975 (BGBl. I S. 1313) Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e.V. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weekly Law Reports (Zeitschrift) Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 24.6. 2005 (BGBl. I S. 1841) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919 (RGBl. S. 1383) Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957 i.d.F. der Bek. vom 24.5.1974 (BGBl. I S. 1213) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Entscheidungssammlung der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb s. 1. Wiener Übereinkommen s. 2. Wiener Übereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.5.1969 (BGBl. 1985 II S. 926) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990 (BGBl. II S. 537) Gesetz zu dem Vertrag vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion … vom 25.6.1990 (BGBl. II S. 518) Warenzeichengesetz vom 5.5.1936 i.d.F. der Bek. vom 2.1.1968 (BGBl. I S. 29)
YEL YB
Yearbook of European Law Yearbook of the European Convention of the Human Rights, the European Commission and the European Court of Human Rights/ Annuaire de la Convention Européenne des Droits de l’Homme; Commission et Cour Européenne des Droits de l’Homme, hrsg. vom Europarat
ZahlVGJG
Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden vom 22.12.2006 = Art. 2 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes (BGBl. 2006 I S. 3416) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Corporate Governance Zentrum für europäische Rechtspolitik (Universität Bremen) Zeitschrift für Europarechtliche Studien
ZAkDR ZaöRV ZAP ZAR ZBR ZBJV ZBlJugR ZCG ZERP ZEuS
XLIV
Abkürzungsverzeichnis ZEV ZfJ ZfL ZfRV ZfS ZfStrVo ZfZ ZIP ZIS ZJJ ZJS ZKA ZLR ZOV ZÖR ZollG. ZP ZPO ZRFC ZRP ZSchG
ZSE ZSEG
ZSHG ZSR ZST ZStW ZUM ZUM-RD ZusatzAbk. Zusatzvereinb.
zust. ZustErgG
ZustG
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (jetzt: FS – Forum Strafvollzug) Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Online-Zeitschrift) Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für das Juristische Studium (Online-Zeitschrift) Zollkriminalinstitut Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für offene Vermögensfragen Zeitschrift für öffentliches Recht Zollgesetz vom 14.6.1961 i.d.F. der Bek. vom 18.5.1970 (BGBl. I S. 529) Zusatzprotokoll Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 i.d.F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Risk, Fraud & Compliance Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz vom 30.4.1998 zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes (Zeugenschutzgesetz – ZSchG) (BGBl. I S. 820) Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26.7.1957 i.d.F. der Bek. vom 1.10.1969 (BGBl. I S. 1756); abgelöst durch das JVEG vom 5.5.2004 Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz) vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3510) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Schweizer Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtssprechungsdienst Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31.8.1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 18.9.1990 (BGBl. II S. 1239) zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 407) Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6.12.1933 (RGBl. I S. 1037)
XLV
Abkürzungsverzeichnis ZustRG
ZustVO
Zuwanderungsgesetz
ZVG
ZWehrR ZWH ZwHeiratBekG
ZZP
XLVI
Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001 (BGBl. I S. 1206) Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940 (RGBl. I S. 405) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) vom 24.3.1897 i.d.F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 369, 713) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–44) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23.6.2011 (BGBl. I S. 1266) Zeitschrift für Zivilprozeß
Literaturverzeichnis Achenbach/Ransiek AE-EV
AE-EuStV AE-StuM
Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/ Kirsch/Rosenthal AK
AK-GG AK-StGB AK-StVollzG AnwK-StPO AnwK-StGB AnwK-UHaft Albrecht Albrecht (Krim.) Alsberg/Nüse/Meyer Ambos Arloth Arloth (StVollzG) Aschrott
Barton Barton (Verfahrensg.) Barton (Strafverteidigung) Baumann Baumann/Weber/Mitsch
Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2011) Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV); Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2001) Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung; hrsg. von Schünemann (2004) Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien (AE-StuM: Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2004) Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis (2008) Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, Bd. I (§§ 1 bis 93, 1988), Bd. II 1 (§§ 94 bis 212b, 1992), Bd. II 2 (§§ 213 bis 275, 1993), Bd. III (§§ 276 bis 477, 1996) Alternativkommentar zum Grundgesetz, Bd. I (Art. 1 bis 37, 1989), Bd. II (Art. 38 bis 148, 1989) Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I (§§ 1 bis 21, 1990), Bd. III (§§ 80 bis 145d, 1986) Feest/Lesting, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, AK-StVollzG), 6. Aufl. (2012) Krekeler/Löffelmann/Sommer, Anwaltkommentar zur Strafprozessordnung 2. Aufl. (2010) Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), AnwaltKommentar StGB (2011) König (Hrsg.), AnwaltKommentar Untersuchungshaft (2011) Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2000) Albrecht, Kriminologie, 3. Aufl. (2005) Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 6. Aufl. (1995) Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl. (2011) Arloth, Strafprozeßrecht (1995) Arloth, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl. (2011) Reform des Strafprozesses, kritische Besprechung der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge, hrsg. von Aschrott (1906) Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung (1994) Barton, Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis (2002) Barton, Einführung in die Strafverteidigung (2007) Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. (1979) Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 11. Aufl. (2003)
XLVII
Literaturverzeichnis Baumbach/Lauterbach Beck/Berr Beck/Bemmann Beling Bender/Nack/Treuer Benfer/Bialon Bente Berz/Burmann Beulke Birkenstock Birkmeyer Bockemühl Bohnert (Ordnungsw.) Bohnert (OWiG) Bohnert Bonn.Komm. Booß Bouska/Laeverenz Böhm/Feuerhelm Böhm (Strafvollzug) Brandstetter Brenner Breyer/Mehle/Osnabrügge/Schaefer von Briel Bringewat Brodag Brunner Brunner/Dölling Bruns/Schröder/Tappert Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle Burchardi/Klempahn/Wetterich Burhoff (Ermittlungsv.)
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Literaturverzeichnis Burhoff (Hauptv.) Burhoff/Stephan Burmann/Heß/Jahnke/Janker
Calliess/Müller-Dietz Ciolek-Krepold Corstens/Pradel Cramer Cramer/Bürgle Cramer/Cramer Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst Cullen/Jund
Dahs (Hdb.) Dahs (Rechtl. Gehör) Dahs/Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dallinger/Lackner Dallmayer/Eickmann Delmas-Marty
Delmas-Marty/Vervaele Detter Diemer/Schatz/Sonnen Dölling/Duttge/Rössner Doswald-Beck/Kolb
Eb. Schmidt
Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 6. Aufl. (2010) Burhoff/Stephan, Strafvereitelung durch Strafverteidiger (2008) Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. (2012) Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2008) Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000) Corstens/Pradel, European Criminal Law (2002) Cramer, Straßenverkehrsrecht StVO – StGB, Kommentar, 2. Aufl. (1977) Cramer/Bürgle, Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Aufl. (2004) Cramer/Cramer, Anwalts-Handbuch Strafrecht (2002) Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure (2010) Cullen/Jund, Strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union nach Tampere (2002) Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. (2005) Dahs, Rechtliches Gehör im Strafverfahren (1963) Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl. (2008) Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Kommentar, 37. Aufl. (1961) Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz und ergänzende Vorschriften, Kommentar, 2. Aufl. (1965) Dallmayer/Eickmann, Rechtspflegergesetz, Kommentar, 31. Aufl. (1996) Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (1998) Delmas-Marty/Verwaele, The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, 4 Bände (2001) Detter, Revision im Strafverfahren (2011) Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2011) Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht – Handkommentar, 2. Aufl. (2011) (zit.: HK-GS/Verfasser) Doswald-Beck/Kolb, Judicial Process and Human Rights – United Nations, European, American and African Systems – Texts and summaries of international case law, 2004 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964), Teil II: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz (1957), Teil III: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und
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Eb. Schmidt (Geschichte) Eb. Schmidt (Kolleg) Eberth/Müller/Schütrumpf Eidam Eisenberg Eisenberg (Beweismittel) Eisenberg (Beweisrecht) Eisenberg (Krim.) Endriß (BtM-Verfahren) Endriß/Malek Engländer Erbs/Kohlhaas Eser Eser/Hassemer/Burkhardt Esser
Fahl Fehn/Wamers Feisenberger Ferner Feuerich/Weyland Fezer Fischer Franke/Wienroeder Franzen/Gast/Joecks Freyschmidt Fromm Frowein/Peukert FS Achenbach FS Adamovich
L
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Literaturverzeichnis FS AG Strafrecht DAV FS Amelung FS Androulakis FS Augsburg FS Baudenbacher FS Baumann FS Baumgärtel FS BayVerfGH FS Bemmann FS Bernhardt FS BGH
FS II BGH FS Blau FS Bockelmann FS Böhm FS Böttcher FS Boujong FS BRAK FS Brauneck FS Bruns FS Burgstaller FS Carstens FS Dahs FS Damaska FS Delbrück FS Doehring
FS Dreher FS Dünnebier FS Eide
Strafverteidigung im Rechtsstaat – 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (2009) Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts – Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Recht in Europa – Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Economic law and justice in times of globalisation – Festschrift für Carl Baudenbacher (2007) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Gottfried Baumgärtel zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (1997) Festschrift für Günther Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Recht zwischen Umbruch und Bewahrung – Festschrift für Rudolf Bernhardt (1995) Festschrift aus Anlass des 50-jährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, hrsg. von Roxin/Widmaier, Bd. IV: Strafrecht (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Recht gestalten – dem Recht dienen, Festschrift für Reinhard Böttcher zum 70. Geburtstag (2007) Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (2006) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift for Mirjan Damaska (2008) Liber Amicorum Jost Delbrück (2005) Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring; Beiträge zum ausländischen Recht und Völkerrecht Bd. 98 (1989) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Human rights and criminal justice for the downtrodden; Essays in honour of Asbjørn Eide (2003)
LI
Literaturverzeichnis FS Eisenberg FS Engisch FS Ermacora
FS Eser FS Europa-Institut FS Everling FS Faller FS Fezer FS Fiedler FS Flume FS Friauf FS Friebertshäuser FS Gallas FS Geerds FS Geiger
FS Geiß FS Geppert FS Gollwitzer
FS Gössel FS Graßhoff FS Grünwald FS Grützner FS Hacker FS Hamm FS Hanack FS Hassemer FS Heinitz FS Heldrich FS Helmrich FS Henkel FS Herzberg
LII
Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Europäische Integration und Globalisierung, Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Ulrich Everling (1993) Festschrift für Hans Joachim Faller (1984) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1998) Festschrift für Karl Heinrich Friauf (1996) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht, Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmende Ordnung; Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag (1989) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011) Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, Kolloquium für Dr. Walter Gollwitzer zum 80. Geburtstag (2004) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Festschrift für Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Wandel durch Beständigkeit, Festschrift für Jens Hacker (1998) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag (2005) Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag (1994) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008)
Literaturverzeichnis FS Heusinger FS Hilger FS Hirsch FS B. Hirsch FS H. J. Hirsch FS Hubmann
FS Huber FS Ismayr FS Jakobs FS Jahrreiß FS II Jahrreiß FS Jescheck FS Jung FS JurGes. Berlin FS Kaiser
FS Arthur Kaufmann FS Kern FS Kielwein
FS Klecatsky FS Kleinknecht FS Klug FS Koch FS Kohlmann FS Kralik FS Krause FS Krauss
FS Kriele FS Krey
Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger (2003) Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch (1968) Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat, Festgabe für Burkhard Hirsch (2007) Festschrift Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung, Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag (1981) Analyse demokratischer Regierungssysteme, Festschrift für Wolfgang Ismayr zum 65. Geburtstag (2010) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 70. Geburtstag (1964) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag (1974) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag (1998) Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Jung/Müller-Dietz (Hrsg.), Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein (1989) Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Festschrift für Hans Klecatsky zum 60. Geburtstag (1980) Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Winfried Kralik zum 65. Geburtstag (1986) Festschrift für Friedrich-Wihelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Pieth/Seelmann (Hrsg.), Prozessuales Denken als Innovationsanreiz für das materielle Strafrecht, Kolloquium zum 70. Geburtstag von Detlef Krauss (2006) Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010)
LIII
Literaturverzeichnis FS Kunert FS Küper FS Lackner FS Lampe
FS Lange FS Leferenz FS Lenckner FS Lerche FS Loebenstein FS Loewenstein FS von Lübtow FS Lüderssen FS Machacek und Matscher
FS Maihofer FS Maiwald FS Mangakis FS Manoledakis FS Maurach FS Mayer FS Mehle FS Meyer-Goßner FS Mezger FS Middendorf FS Miebach FS Miklau FS Miyazawa FS Mosler
FS E. Müller FS E. Müller II FS Egon Müller
LIV
Freiheit, Gesetz und Toleranz, Symposium zum 75. Geburtstag von Karl Heinz Kunert (2006) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag (1993) Der Rechtsstaat in der Krise – Festschrift für Edwin Loebenstein zum 80. Geburtstag (1991) Festschrift für Karl Loewenstein zum 80. Geburtstag (1971) De iustitia et iure – Festschrift für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsschutz gestern – heute – morgen, Festgabe zum 80. Geburtstag für Rudolf Machacek und Franz Matscher (2008) Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Fragmentarisches Strafrecht, Für Manfred Maiwald aus Anlass seiner Emeritierung (2003) Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Ioannis Manoledakis (2005) Festschrift für Reinhard Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorf zum 70. Geburtstag (1986) NStZ-Sonderheft – Zum Eintritt in den Ruhestand für Klaus Miebach (2009) Strafprozessrecht im Wandel, Festschrift für Roland Miklau zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Koichi Miyazawa (1995) Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte; Festschrift für Hermann Mosler zum 70. Geburtstag (1983) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008)
Literaturverzeichnis FS Müller-Dietz FS Nehm FS Nishihara FS Odersky FS Oehler FS Otto FS Partsch
FS Paulus
FS Peters FS II Peters FS Pfeiffer
FS Pfenniger FS Platzgummer FS Pöttering FS Puppe FS Rebmann FS Reichsgericht
FS Reichsjustizamt
FS Remmers FS Ress FS Richter FS Rieß FS Rill
FS Rissing-van Saan FS Rittler
Grundlagen staatlichen Strafens, Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Harua Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Festgabe des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009) Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren, Festgabe für Karl Peters zum 80. Geburtstag (1984) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) Processus Criminalis Europeus, Festschrift für Hans-Gert Pöttering (2008) Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Vertrauen in den Rechtsstaat, Beiträge zur deutschen Einheit im Recht, Festschrift für Walter Remmers (1995) Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag (2005) Verstehen und Widerstehen, Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts – Festschrift für Heinz Peter Rill zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem achtzigsten Geburtstag (1957)
LV
Literaturverzeichnis FS Rolinski FS Rosenfeld FS Rowedder FS Roxin FS Roxin II FS Rudolphi
FS Rudolphi FS Rüping FS Rüter FS Salger
FS Samson FS Sarstedt FS Sauer FS G. Schäfer FS Schäfer FS Schindler FS Schmidt FS Schlochauer FS Schlüchter
FS H. Schmidt FS Schmidt-Leichner FS Schmitt-Glaeser FS Schneider
FS Schöch FS Schreiber FS Schroeder FS Schüler-Springorum FS Schultz
LVI
Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Festschrift für Heinz Rowedder zum 75. Geburtstag (1994) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Symposium zu Ehren von Hans-Joachim Rudolphi zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Recht und Macht: zur Theorie und Praxis von Strafe, Festschrift für Hinrich Rüping zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für C. F. Rüter zum 65. Geburtstag (2003) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin, Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Im Dienst an der Gemeinschaft, Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag (1989) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Staatsrecht-Völkerrecht-Europarecht, Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer (1981) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit, Kritische Studien aus vorwiegend straf(prozess-)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Kostenerstattung und Streitwert, Festschrift für Herbert Schmidt (1981) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1975) Recht im Pluralismus, Festschrift für Walter SchmittGlaeser zum 70. Geburtstag (2003) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977)
Literaturverzeichnis FS Schwind
FS Seebode FS Seidl-Hohenveldern
FS Sendler FS Spendel FS Spinellis FS StA Schleswig-Holstein
FS Steinberger FS Stock FS Stöckel FS Strauda
FS Stree/Wessels FS Szwarc FS Tepperwien FS Tiedemann FS Tondorf FS Trechsel FS Triffterer FS Tröndle FS Trusen FS Verdross FS Verdross II FS Verosta FS Volk FS von Simson
FS Wassermann
Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht; Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern zum 70. Geburtstag (1988) Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Dionysios Spinellis zum 70. Geburtstag (1999–2003) Strafverfolgung und Strafverzicht, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft SchleswigHolstein (1992) Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger (2002) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform, Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer anlässlich seiner 196. Tagung vom 13.–15.10.2006 in Münster (2006) Beiträge zur Rechtswissenschaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Vergleichende Strafrechtswissenschaft, Frankfurter Festschrift für Andrzej J. Szwarc zum 70. Geburtstag (2009) NJW-Festheft zum 65. Geburtstag von Ingeborg Tepperwien (2010) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Festschrift für Günter Tondorf zum 70. Geburstag (2004) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Festschrift für Winfried Trusen zum 70. Geburtstag (1994) Völkerrecht und zeitliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross zum 70. Geburtstag (1960) Ius humanitas, Festschrift für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag (1980) Völkerrecht und Rechtsphilosophie, Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag (1980) In dubio pro libertate, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Grundrechtsschutz im nationalen und internationalen Recht – Festschrift für Werner von Simson zum 75. Geburtstag (1983) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985)
LVII
Literaturverzeichnis FS v. Weber FS Weber FS Weißauer
FS Welp
FS Welzel FS Widmaier
FS Winkler FS Wolff FS Würtenberger FS Würzburger Juristenfakultät FS Zeidler Full/Möhl/Rüth Gaede
Gaier/Wolf/Göcken GedS Bleckmann GedS Blomeyer GedS Blumenwitz GedS Bruns GedS Eckert GedS Geck GedS A. Kaufmann GedS H. Kaufmann GedS Keller GedS Küchenhoff GedS Meurer GedS Meyer GedS Noll GedS H. Peters GedS Ryssdal
GedS Schlüchter GedS Schröder
LVIII
Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Ärztliches Handeln – Verrechtlichung eines Berufsstandes; Festschrift für Walther Weißauer zum 65. Geburtstag (1986) Strafverteidigung in Forschung und Praxis, Kriminalwissenschaftliches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von Jügen Welp (2006) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften – Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008) Beiträge zum Verfassungs- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Günther Winkler (1989) Festschrift für Ernst Amadeus Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) s. Rüth, Berr, Berz Gaede, Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksameTeilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2007) Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht (2010) Rechtssstaatliche Ordnung Europas – Gedächtnisschrift für Albert Bleckmann (2007) Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer (2004) Iustitia et Pax, Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz (2008) Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns (1980) Gedächtnisschrift für Jörn Eckert (2008) Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günter Küchenhoff (1987) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Protection des droits de l’homme: la perspective européenne/ Protecting Human Rights: The European Perspective, Gedächtnisschrift für Rolv Ryssdal (2000) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978)
Literaturverzeichnis GedS Trzaskalik GedS Vogler GedS Zipf Geerds Geiger/Khan/Kotzur Gerland Gerold/Schmidt Glaser
Göbel Göhler
Götz/Tolzmann Gössel Gössel/Dölling Goldschmidt Grabenwarter Grabitz Graf Graf/Jäger/Wittig Graf zu Dohna Greeve/Leipold Grote/Marauhn Grunau/Tiesler Grützner/Pötz/Kreß Guradze Gürtner
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf Hahn Haller/Conzen Hamm/Hassemer/Pauly Hamm Hanack-Symp.
Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik (2005) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Handbuch der Kriminalistik, begr. von H. Groß, neubearbeitet von Geerds, 10. Aufl. (Bd. I 1977, Bd. II 1978) Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Kommentar, 5. Aufl. (2010) Gerland, Der Deutsche Strafprozeß (1927) Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 20. Aufl. (2012) Glaser, Handbuch des Strafprozesses, in Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft (Bd. I 1883, Bd. II 1885) Göbel, Strafprozess, 7. Aufl. (2009) Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kurzkommentar erläutert von Erich Göhler, fortgef. von Peter König und Helmut Seitz, 16. Aufl. (2012) Götz/Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000) Gössel, Strafverfahrensrecht, Studienbuch (1977) Gössel/Dölling, Strafrecht, Besonderer Teil 1, 2. Aufl. (2004) Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925) Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. (2009) Das Recht der Europäischen Union, begr. von Grabitz, Loseblattausgabe (ab 1999) Graf, BGH-Rechtsprechung Strafrecht 2010 (2011) Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011) Graf zu Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (1929) Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts (2004) Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (2006) Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1982) Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 3. Aufl. (ab 2008) Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968 Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission, hrsg. von Gürtner (1938) Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (2003) Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz, Bd. I (1880), Bd. II (1881) Haller/Conzen, Das Strafverfahren, 6. Aufl. (2011) Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. (2007) Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. (2010) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, Beiträge eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Walter Hanack (1991)
LIX
Literaturverzeichnis Hansens Hartmann Hartung/Römermann/Schons Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/ Luxemburger/Marth HdbVerfR Hecker Heghmanns Heghmanns/Scheffler Hellebrand Hellmann Henkel Henssler/Prütting Hentschel Hentschel/König/Dauer Herrmann Heselhaus/Nowak Herzog/Mülhausen von Hippel HK HK-GS HK-OWiG Höflich/Schriever Hofmann von Holtzendorff HRRS-FG Fezer
Ignor/Rixen IK-EMRK Ipsen Isele Jacobs/White/Ovey Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge Jahn/Nack
LX
Hansens, RVG, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 9. Aufl. (2009) Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl. (2011) Hartung/Römermann, Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt (RVG), Praxiskommentar, 2. Aufl. (2006) Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/Luxemburger/Marth, Handbuch Opferschutz und Opferhilfe, 2. Aufl. (2003) Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von Benda/Maihofer/Vogel, 2. Aufl. (1994) Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Aufl. (2010) Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 4. Aufl. (2010) Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren (2008) (zit.: HbStrVf/Verfasser) Hellebrand, Die Staatsanwaltschaft (1999) Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2005) Henkel, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1968) Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, hrsg. von Henssler/Prütting, 3. Aufl. (2009) Fahrverbot – Führerscheinentzug, Band I, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. (2011) Herrmann, Untersuchungshaft (2007) Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte (2006) Herzog/Mülhausen, Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung (2006) von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Lehrbuch (1941) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, 4. Aufl. (2009) siehe Dölling/Duttge/Rössner Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. (2005) Höflich/Schriever, Grundriss Vollzugsrecht, 3. Aufl. (2003) Hofmann, IPBPR Erläuterung, in: Das Deutsche Bundesrecht I A 10c (1986) von Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozesses (1879) HRRS-Festgabe für Gerald Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Ignor/Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 2. Aufl. (2008) Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004 Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1976) Jacobs/White/Ovey, The European Convention on Human Rights, 5. Aufl. 2010 Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen (2011) Jahn/Nack (Hrsg.), Strafprozessrechtspraxis und Rechtswissenschaft, 1. Karlsruher Strafrechtsdialog (2007)
Literaturverzeichnis Jakobs Janiszewski Janiszewski/Jagow/Burmann Jansen Janssen Jarass Jarass/Pieroth Jescheck/Weigend Jessnitzer/Ulrich Joachimski/Haumer Joecks John Junker Kaiser Kaiser/Schöch Kamann Kammeier Katholnigg Kindhäuser Kindhäuser (StPO) Kinzig Kirsch Kissel/Mayer Klemke/Elbs KK KK-OWiG Klein/Orlopp Klemke/Elbs Klesczewski KMR
Koch/Scholtz König Koeniger
Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, Lehrbuch, 2. Aufl. (1991) Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. (2008) Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. (2011) Janssen, Gewinnabschöpfung im Strafverfahren (2007) Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010) Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl. (2011) Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, Handbuch für die Praxis, 12. Aufl. (2007) Strafverfahrensrecht, 5. Aufl. (2006) Joecks, Studienkommentar StPO, 3. Auflage (2011) John, Strafprozeßordnung, Kommentar, Bd. I (1884), Bd. II (1888), Bd. III Lfg. 1 (1889) Junker, Beweisantragsrecht im Strafprozess (2007) Kaiser, Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1996) Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugenstrafrecht, Strafvollzug, Lehrbuch, 7. Aufl. (2010) Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht, hrsg. von Kammeier, 3. Aufl. (2009) Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. (1999) Kindhäuser, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. (2009) Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2010) Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität (2004) Internationale Strafgerichtshöfe, hrsg. von Kirsch (2005) Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2010) Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, 2. Aufl. (2009) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. von Pfeiffer, 6. Aufl. (2008) Karlsruher Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. von Boujong, 3. Aufl. (2006) Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 11. Aufl. (2012) Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung (2007) Klesczewski, Strafprozessrecht (2007) Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, hrsg. von Heintschel-Heinegg/Stöckel, Loseblattausgabe (ab 1998) Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. (1996) König, Anwaltkommentar Untersuchungshaft (2011) Die Hauptverhandlung in Strafsachen (1966)
LXI
Literaturverzeichnis Körner/Patzak/Volkmer Kohlmann Kohlrausch Krack Kramer Krause/Nehring Krekeler Krey von Kries Kühne Kunz Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner
Lackner/Kühl Laubenthal Laubenthal/Baier/Nestler Leitner/Michalke Lemke/Mosbacher Lesch von Lilienthal Lisken/Denninger LK Löffler Löffler/Ricker/Weberling LR25
MAH MAH (WSSt) Malek Malek (Internet) Malek (BtMG) von Mangoldt/Klein/Starck
LXII
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Meyer-Goßner (Prozess) Meyer-Goßner
Meyer-Goßner/Appl
Meyer-Ladewig Mitsch Möller/Wilhelm Möthrath/Rühter Müller Müller (Beiträge) Müller/Sax Müller-Gugenberger/Bieneck von Münch/Kunig
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Peter (Opferanwalt) Peter Peters (EMRK) Peters Peters (Fehlerquellen) Pfeiffer Pfordte/Degenhard Piller/Hermann Plötz (Fürsorgepflicht)
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Literaturverzeichnis Pohlmann/Jabel/Wolf Popp Potrykus Protokolle Püschel/Bartmeier/Mertens Putzke/Scheinfeld Quedenfeld/Füllsack Quellen
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Schorn/Stanicki
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Literaturverzeichnis Verdross/Simma Villiger Vogler/Walter/Wilkitzki Volckart/Pollähne/Woynar Volk (Prozessvoraussetzungen) Volk (Strafprozessrecht) Vordermayer/v. Heintschell-Heinegg
Wabnitz/Janovsky Wagner/Kallin/Kruse Wankel Wasmeier/Möhlig Weber Weihrauch/Bosbach Weiner/Ferber Welzel Wendler/Hoffmann Werle Wieczorek/Schütze Wiesneth Wiesneth Wolf
Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal Ziegert Zipf Zöller
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Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984) Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), 2. Aufl. 1999 Vogler/Walter/Wilkitzki, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar (1983) Volckart/Pollähne/Woynar, Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, 4. Aufl. (2008) Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978) Volk, Grundkurs StPO, 7. Aufl. (2010) Handbuch für den Staatsanwalt, hrsg. von Vordermayer/ v. Heintschell-Heinegg, 4. Aufl. (2012) Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. (2007) Wagner/Kallin/Kruse, Betäubungsmittelstrafrecht, 2. Aufl. (2004) Wankel, Zuständigkeitsfragen im Haftrecht (2002) Wasmeier/Möhlig, Strafrecht der Europäischen Union, 2. Aufl. (2008) Weber, Betäubungsmittelgesetz, 3. Aufl. (2009) Weihrauch/Bosbach, Verteidigung im Ermittlungsverfahren 7. Aufl. (2011) Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens (2008) Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Wendler/Hoffmann, Technik und Befragung im Gerichtsverfahren (2009) Werle, Völkerstrafrecht, 2. Aufl. (2007) Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 3. Aufl. (ab 1995) Wiesneth, Handbuch für das ermittlungsrichterliche Verfahren (2006) Wiesneth, Untersuchungshaft (2010) Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige 6. Aufl. (1987) Strafrecht und Kriminalität in Europa, hrsg. von Zieschang/ Hilgendorf/Laubenthal (2003) Ziegert, Grundlagen der Strafverteidigung (2000) Zipf, Kriminalpolitik, 2. Aufl. (1980) Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 28. Aufl. (2011)
Fundstellen der Erläuterungen des IPBPR Bei den erläuterten Artikeln der EMRK und des ZP-EMRK wird die Reihenfolge des Vertragstextes eingehalten; da dies bei den jeweils gemeinsam damit abgehandelten Bestimmungen des IPBPR nicht möglich ist, werden nachstehend die Fundstellen aufgeführt. IPBPR
wird erläutert bei EMRK
IPBPR
wird erläutert bei EMRK
Präambel
Präambel
Präambel
Präambel
Art. 1 Art. 2 Abs. 1, 2 Art. 2 Abs. 3 Art. 3 Art. 4 Art. 5 Abs. 1 Art. 5 Abs. 2 Art. 6 Art. 7 Art. 8 Art. 9 Art. 10 Art. 11 Art. 12
nicht erläutert Art. 1 Art. 13 Art. 14 Art. 15 Art. 17 Einf. Rn. 87, 94, 174 Art. 2 Art. 3 Art. 4 Art. 5 Art. 5 Rn. 389 ff. Art. 5 Rn. 4, 44 Art. 2 und Art. 3 des 4. ZP-EMRK Art. 4 des 4. ZP-EMRK
Art. 14 Art. 15 Art. 16 Art. 17 Art. 18 Art. 19 Art. 20 Art. 21 Art. 22 Art. 23 Art. 24 Art. 25 Art. 26 Art. 27 Art. 28 bis 52 Art. 53
Art. 6 Art. 7 Art. 14 Art. 8 Art. 9 Art. 10 Art. 10 Rn. 96 Art. 11 Art. 11 Art. 8; Art. 12 Art. 8; Art. 14 Art. 3; (erstes) ZP-EMRK Art. 14 Art. 14 Teil II (Anhang) Rn. 373 Einf. Rn. 184
Art. 13
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Liste der Länderabkürzungen In den Erläuterungen der einzelnen Artikeln der EMRK und des IPBPR (Teil II) werden in den Fußnotennachweisen die Vertragsstaaten, gegen die sich die einzelne Beschwerde richtete, aus Platzgründen in der Regel abgekürzt wie folgt wiedergegeben: Albanien Andorra Armenien Aserbaidschan Belgien Bosnien-Herzegowina Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Georgien Griechenland Irland Island Italien Kroatien Lettland Liechtenstein Litauen Luxemburg Malta Mazedodien
ALB AND ARM ASE B BIH BUL DK D EST FIN F GEO GR IR ISL I KRO LET FL LIT LUX MLT MAZ
Moldau Monaco Montenegro Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Russland San Marino Schweden Schweiz Serbien Slowakische Republik Slowenien Spanien Tschechische Republik Türkei Ukraine Ungarn Vereinigtes Königreich Zypern
MOL MCO MTN NL N A PL P RUM R SM S CH SRB SLO SLW E CS TRK UKR H UK ZYP
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Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) VORWORT I. Mit der Unterzeichnung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) am 4. November 1950 wurden erstmals im Völkerrecht Grund- und Freiheitsrechte als einklagbare individuelle Rechte kodifiziert. Seit ihrem Inkrafttreten am 3. September 1953 wurde die EMRK durch vierzehn Protokolle ergänzt, darunter sechs Zusatzprotokolle, die der Konvention weitere Garantien hinzufügten. Ursprünglich sicherte ein mehrstufiges Kontrollsystem – bestehend aus Europäischer Kommission für Menschenrechte (EKMR), Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und Ministerkomitee – die von der Konvention verbürgten Rechtsgarantien. Mit dem am 1. November 1998 in Kraft getretenen 11. Protokoll wurde das Rechtsschutzsystem der EMRK tiefgreifend verändert: Die EKMR wurde aufgelöst und ein ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit hauptamtlichen Richtern geschaffen. Nachdem alle erforderlichen Ratifikationen vorlagen, konnte der neue Gerichtshof seine Arbeit Ende November 1998 aufnehmen. Seine Zuständigkeit ist nun obligatorisch und automatisch für alle Vertragsstaaten der Konvention festgelegt. Der EGMR ist heute ein ständiges Gericht, das nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs von jedermann mit der Behauptung der Verletzung eines der in der EMRK oder ihren Zusatzprotokollen garantierten Rechtes angerufen werden kann. Es war vor allem dieses Individualbeschwerderecht (Art. 34 EMRK), das die EMRK zu einem Modellsystem für andere Regionen dieser Welt werden ließ, u.a. für die Verabschiedung der Amerikanischen Menschenrechtskonvention am 22. November 1969 und die jüngsten Planungen für ein Menschenrechtsschutzsystem der ASEAN-Staaten. Heute bietet die EMRK ein Schutzsystem für rund eine Milliarde Menschen in mittlerweile 47 Staaten Europas. Aus menschenrechtlicher Sicht ist die wachsende Akzeptanz und die Verbreitung der Standards der Konvention eine höchst erfreuliche Entwicklung. Für den Gerichtshof selbst bedeutet die Flut an Beschwerden aber eine kaum mehr zu bewältigende Arbeitslast. Die durch das am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. Protokoll eingeleiteten Reformschritte haben bislang nur wenig Wirkung gezeigt. Mit der seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon rechtsverbindlichen Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat der Grundrechtsschutz in Europa einen zusätzlichen Impuls bekommen. Die Charta gilt allerdings im Gegensatz zur Konvention nur für die Organe der EU und die Mitgliedstaaten, soweit diese Unionsrecht umsetzen und anwenden. Im Juli 2010 haben offizielle Gespräche über den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK begonnen. Nach dem Beitritt der Union zur EMRK wird es
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Vorwort
erstmals möglich sein, Handlungen der EU auch durch den EGMR auf ihre Grundrechtskonformität überprüfen zu lassen. II. In der EMRK und im IPBPR hat sich auch Deutschland völkerrechtlich zur Gewährleistung wichtiger Freiheitsgarantien und Menschenrechte verpflichtet. Diese Verträge sind seit vielen Jahren innerstaatlich unmittelbar geltendes Recht. Die Beachtung der Konventionsverpflichtungen spielte aber in der innerstaatlichen Diskussion über den Grundrechtsschutz zunächst keine entscheidende Rolle. Zu spektakulären Urteilen des Gerichtshofs kam es nur in wenigen, in ihrer Auswirkung überschaubaren Einzelfällen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Zunehmend kommen die Konventionsgarantien im Rechtsalltag verstärkt zur Geltung. Immer häufiger werden innerstaatliche Maßnahmen und Urteile bis hin zum BVerfG auf ihre Vereinbarkeit mit den Konventionsverpflichtungen überprüft; auch das Schrifttum befasst sich verstärkt mit ihnen. Die innerstaatlichen Verfahren, vor allem die Strafverfahren, werden in zunehmendem Umfang von den zuständigen nationalen und internationalen Gremien daran gemessen, ob sie im konkreten Fall von der Verfahrensgestaltung und vom Ergebnis her den Anforderungen dieser Menschenrechtspakte genügen. Gerade auch in der Strafrechtspraxis stellen sich immer häufiger Fragen zu Inhalt und Tragweite bestimmter Konventionsverbürgungen. Das geltende Strafprozessrecht wird zwar in seinen Grundzügen weitgehend den Anforderungen der Konventionen gerecht; in Einzelfragen ist es aber erforderlich, auf einzelne Konventionsgarantien zur Auslegung des geltenden Rechts, zur Korrektur bestehender Rechtsmeinungen und auch zur Ausfüllung bestehender Lücken zurückzugreifen. Hierfür genügt der mitunter problematische Wortlaut der Konventionstexte nicht, denn die Tragweite, die die dort garantierten Rechte und Freiheiten haben, wird weitgehend von der Straßburger Rechtspraxis bestimmt. Bei der EMRK haben vor allem die Urteile und Entscheidungen des EGMR die einzelnen Konventionsverbürgungen bewusst fortentwickelt, um sie den geänderten Auffassungen von der Tragweite des Menschenrechtsschutzes und der Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten anzupassen. In der Praxis des Strafverfahrens kann deshalb die Feststellung von Inhalt und aktueller Tragweite der einzelnen Konventionsverbürgungen erhebliche praktische Schwierigkeiten bereiten. Um Justiz und Anwaltschaft den Gehalt von EMRK- und IPBPR-Garantien im Strafverfahren verlässlich zu erschließen, wurde 2010 an der Universität Passau die Forschungsstelle Menschenrechte im Strafverfahren – Human Rights in Criminal Proceedings (HRCP) eingerichtet (www.uni-passau.de/hrcp). III. Ziel und Zweck dieser Kommentierung ist es, Wissenschaft und Rechtspraxis zum Straf- und Strafverfahrensrecht den Zugang zu den Vertragswerken und den dazu ergangenen Urteilen und Entscheidungen zu erleichtern und zugleich durch eine fundierte Gesamtschau des internationalen Menschenrechtsschutzes zu einem besseren Verständnis der hier bestehenden Probleme und Auffassungen beizutragen. Bei den Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen der StPO und des GVG in anderen Teilen des Löwe-Rosenberg werden zwar auch einschlägige Fragen der Konventionen und die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dazu ergangenen Entscheidungen mit angesprochen.
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Vorwort
Zur Abrundung sollen die nachstehenden Erläuterungen diese Einzelhinweise durch einen Gesamtüberblick über die Konventionen und die von ihnen garantierten einzelnen Rechte und Freiheiten und deren Zusammenhang mit anderen Vertragswerken des internationalen Menschenrechtsschutzes ergänzen. Dies soll zum besseren Verständnis der Eigenart dieser Vertragswerke beitragen und ihre auch für die Auslegung bedeutsame Verknüpfung mit den menschenrechtlichen Gewährleistungen anderer völkerrechtlicher Übereinkommen aufzeigen. Dies gilt vor allem für die Rezeption der EMRK im Recht der Europäischen Union und ihre Bedeutung für das in Entwicklung begriffene europäische Verfassungsrecht. Entsprechend der bei einem Kommentar zur Strafprozessordnung begrenzten Zielsetzung liegt der Schwerpunkt der Erläuterungen der Konventionen bei den für das Strafverfahren bedeutsamen Fragen. Nach einer grundlegenden Einleitung (Teil I) in die Bedeutung des Menschenrechtsschutzes im Strafverfahren werden die für das Strafverfahren einschlägigen Konventionsgarantien behandelt (Teil II) – der Zielsetzung entsprechend ausführlicher als die anderen Konventionsverbürgungen, bei denen meist nur die für ihr Verständnis wichtigsten Grundzüge dargestellt werden und auf die Erörterung vieler Einzelheiten verzichtet werden muss. Auch die Verfahren zur internationalen Durchsetzung des Menschenrechtsschutzes (Teil III), in erster Linie das Verfahren vor dem EGMR und vor den bei den Vereinten Nationen bestehenden Kontrollausschüssen, werden nur in ihren für das Verständnis des Schutzsystems wichtigen Grundzügen dargestellt. Für diese Beschränkung sprach, dass die vorliegende Kommentierung ohnehin nur den ersten Zugang zu den Vertragswerken, zum gängigen deutschsprachigen Spezialschrifttum und zu den ergangenen Urteilen und Entscheidungen des EGMR eröffnen soll. Sie kann und soll nicht die ausführlicheren Darstellungen ersetzen, die die Menschenrechtskonventionen und einzelne Probleme ihrer Umsetzung im internationalen Spezialschrifttum erfahren haben. Wegen der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmungen bot sich an, die EMRK und den innerstaatlich gleichermaßen rechtsverbindlichen IPBPR trotz ihrer unterschiedlichen Gliederung im Verbund zu erläutern. Der EMRK und ihren Zusatzprotokollen kam dabei wegen ihrer größeren praktischen Bedeutung für die Staaten Europas die Leitfunktion bei der Reihenfolge der erläuterten Artikel zu. Dass die Gliederung des IPBPR dadurch aufgegeben werden musste, war in Kauf zu nehmen. Eine gesonderte Zusammenstellung soll das Auffinden der mitbehandelten Artikel des IPBPR in den Kommentarstellen erleichtern. Der Text der Zusatzprotokolle zur EMRK, der den Erläuterungen vorangestellt wird, gibt nur auszugsweise den für die Kommentierung wesentlichen Teil wieder. Ein vollständiger Abdruck der Zusatzprotokolle (Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt) findet sich in Teil III (mit Ausnahme des 7. ZP-EMRK, das Deutschland nicht ratifiziert hat). In den Fußnoten abgekürzte Literatur findet sich entweder im Hauptliteraturverzeichnis oder in den jeweils der Kommentierung vorangestellten Literaturangaben. Internationale Titel – insbesondere solche zum Europarecht und zur EMRK finden sich auch in den der Einführung (Teil I) vorangestellten Literaturnachweisen.
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Vorwort
IV. In der nachfolgenden Kommentierung werden die Urteile und Entscheidungen von EGMR und HRC mit Datum, Fallname (für die Länderbezeichnung siehe das gesonderte Abkürzungsverzeichnis), Fundstelle in der amtlichen Sammlung (falls vorhanden) sowie mit einer etwaigen Fundstelle einer deutschsprachigen Übersetzung angeführt. Der Verzicht auf die Angabe der Beschwerdenummer aus Platzgründen erscheint vertretbar, da der sprachlich maßgebende englische oder französische Text an Hand der angegebenen Daten mühelos über das Internet (www.echr.coe.int) abgerufen werden kann. Sämtliche Urteile und ausgewählte Entscheidungen des EGMR seit 1960 sowie zahlreiche Entscheidungen der EKMR aus den Jahren 1955 bis 1998 sind über die elektronische Suchmaske HUDOC zugänglich. Die dort eingerichtete Eingabemaske erlaubt die Suche nach einzelnen Urteilen und Entscheidungen. Der als Download bereitgestellte HUDOC MANUAL enthält Hinweise für die verschiedenen Suchfunktionen und -kriterien. Neben einer Einzeldokumentensuche enthält die Homepage des EGMR (Case Law) eine chronologische Auflistung aller seit 1960 ergangenen Urteile (List of Judgments). Mittlerweile ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs auch auf CD-ROM erhältlich. Die Verkaufsbedingungen und das Bestellformular sind auf der Homepage des EGMR zu finden. Eine Zusammenfassung der aktuellen Entwicklung der Straßburger Rechtsprechung bieten die Jahresberichte (Survey of Activities), die monatlich auf der Homepage des EGMR bereitgestellten Rechtsprechungsübersichten (Case-Law Information Notes – Search) und Presseberichte (Press Releases). Die zwischen 1960 und 1995 ergangenen Urteile des EGMR sind zudem in englischer und französischer Sprache in der amtlichen Sammlung (Publications of the European Court of Human Rights – Series A; Zitierweise – Beispiel: A 203) erschienen. In den seit 1996 von der Kanzlei herausgegebenen Sammelbänden (Reports of Judgments and Decisions – Recueil des arrets et décisions) sind ausgewählte Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs enthalten (vgl. Art. 78 EGMRVerfO; Zitierweise – Beispiel – bis 1998: Rep. 1998-V; seit 1999: ECHR 2000-V). Wichtige Urteile und Entscheidungen – insbesondere die Deutschland betreffende Judikatur – sind über die Internetseite des BMJ www.bmj.bund.de (Themen – Menschenrechte/EGMR/Wichtige Verfahren – wichtige Urteile) und über das deutsche Portal des EGMR (www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof/Dokumente_auf_Deutsch) in einer nichtamtlichen deutschen Übersetzung zugänglich. Im Engel-Verlag erscheint derzeit in Kooperation mit dem BMJ eine Sammlung ausgewählter Urteile in deutscher Sprache (EGMR-E). Ein Fundstellenverzeichnis der in deutschsprachigen Rechtszeitschriften veröffentlichten Urteile und Entscheidungen des EGMR ist unter www.egmr.org eingestellt. Zusammenfassende deutschsprachige Berichte über die Rechtsprechung des EGMR finden sich in mehreren juristischen Zeitschriften (NStZ, EuGRZ, JIR bzw. GYIL, ZaöRV). Die Entscheidungen und Empfehlungen (Views) des UN-Menschenrechtsausschusses (HRC) sind beim Office of the United Nations High Commissioner of Human Rights eingestellt (www.ohchr.org – Human Rights Committee – Treaty bodies database).
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Vorwort
V. Seit der Übernahme der Kommentierungsarbeiten von Walter Gollwitzer im Jahr 2004 haben Sammlung und Analyse der Urteile und Entscheidungen des EGMR und des HRC mehr als nur ein Lehrstuhlteam in Anspruch genommen. Allen Beteiligten, die sich im Laufe der letzten acht Jahre durch ihre Mitarbeit an diesem Werk wissenschaftlich um den Menschenrechtsschutz im Strafverfahren verdient gemacht haben, bin ich zu tiefem Dank verpflichtet. Ohne ein leistungsfähiges und engagiertes Lehrstuhlteam wäre eine vollständige Neukommentierung von EMRK und IPBPR unter erheblichem Ausbau und einer weitreichenden Umgestaltung großer Teile der bereits vorhandenen Arbeiten in dieser Zeit nicht möglich gewesen. An vorderster Stelle seien die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Annina Baumgartner, Sandra Beckert, Susanne Bettendorf, Julia Hahnen, Nils Keuten, Helmut Krickl, Melanie Langbauer, Hauke Lorenzen, Michael Nordhardt, Jennifer Pöschl, Johannes Rochner, Nadja Röhling, Josephine Scharnberg und Christina Zangl – genannt, die eine Hauptlast der Arbeit zu tragen hatten. Einen wesentlichen Anteil an der Entstehung des Gesamtwerks haben auch die Studentischen Mitarbeiter, die nicht nur mit der Recherche und Zusammenstellung aktueller Judikatur und Literatur betraut waren, sondern ebenfalls bereits wertvolle wissenschaftliche Arbeit am Text selbst geleistet haben. Auch ihnen – Lisa Baier, Justus Frank, Katharina Fürtjes, Oliver Gerson, Corinna Geuder, Katharina Langer, Felix Lubrich, Lena Mitterhuber, Sebastian Prosch, Max Schwerdtfeger, Kristina Steckermeier, Hannah Steindorfner und Marion Wirsieg – sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Einen ebenso herzlichen Dank richte ich an meine Sekretärin, Gabriele Sicklinger, die sich nicht nur wegen der Formatierung und Kontrolle der Texte Verdienste erworben hat, sondern durch ihre herzliche Art die Lehrstuhlarbeit immer wieder aufs Neue zu beleben weiß. Passau, im Januar 2012
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TEIL I ERLÄUTERUNGEN Einführung Schrifttum (Auswahl) Alber/Widmaier Die EU-Charta der Grundrechte und ihre Auswirkung auf die Rechtsprechung, EuGRZ 2000 497; Ambos Europarechtliche Vorgaben für das deutsche Strafverfahren, Teil I – Zur Rechtsprechung des EGMR von 2000–2002, NStZ 2002 628; Teil II, NStZ 2003 14; Ambos/Ruegenberg Rechtsprechung zum internationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, NStZ-RR 1999 193; Amos Human Rights Law (2007); Arai-Takahashi The Margin of Appreciation Doctrine and the Principle of Proportionality in the Jurisprudence of the ECHR (2002); von Arnauld Minderheitenschutz im Recht der Europäischen Union, AVR 42 (2004) 111; Baumann Auf dem Weg zu einem doppelten EMRK-Schutzstandard? Die Fortschreibung der Bosphorus-Rechtsprechung des EGMR im Nederlandse Kokkelvisserij, EuGRZ 2011 1; Benavides Casals Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen – Die Rechtsprechung des EGMR und IAGMR (2010); Berger Jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’homme (2004)9; ders. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1987); Berka Die Grundrechte, Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich (1999); Bernhardt Einwirkungen der Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen auf das nationale Recht, FS Doehring 23; ders. Probleme eines Beitritts der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Menschenrechtskonvention, FS Everling 103; ders. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im deutschen Rechtsraum, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen (2000), 147; ders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Spiegel der Zeit, in: Karl (Hrsg.), Internationale Gerichtshöfe und nationale Rechtsordnung (2005), 21; Blackburn/Polakiewicz Fundamental Rights in Europe: The European Convention on Human Rights and its Member States (1950–2000) (2001); Bleckmann Zur Entwicklung europäischer Grundrechte, DVBl. 1978 457; ders. Der Beurteilungsspielraum im Europa- und Völkerrecht, EuGRZ 1979 485; ders. Die Bindung der Europäischen Gemeinschaft an die Europäische Menschenrechtskonvention (1986); ders. Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention? EuGRZ 1994 149; ders. Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten aus den Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, FS Bernhardt 309; ders. Bundesverfassungsgericht versus Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuGRZ 1995 387; ders. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit in der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1996 137; Bogdandy Europäische Verfassung und europäische Identität, JZ 2004 53; Böse Der Beitritt der EG zur EMRK aus der Sicht des Strafrechts, ZRP 2001 402; Breitenmoser/Riemer/Seitz Praxis des Europarechts – Grundrechtsschutz (2006); Breuer Von Lyons zu Sejdovic: Auf dem Weg zu einer Wiederaufnahme konventionswidrig zustande gekommener nationaler Urteile? EuGRZ 2004 782; ders. Urteilsfolgen bei strukturellen Problemen – Das erste „Piloturteil“ des EGMR, EuGRZ 2004 445; Breuer Karlsruhe und die Gretchenfrage: Wie hast du’s mit Straßburg? NVwZ 2005 412; ders. Offene Fragen im Verhältnis von EGMR und EuGH. Zur Entscheidung des EGMR im Fall Emesa Sugar, EuGRZ 2005 229; ders. Die Bosphorus-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – Der Schutz der Grund- und Menschenrechte in der EU und das Verhältnis zur EMRK, EuZW 2006 71; ders. Das Recht auf Individualbeschwerde zum EGMR im Spannungsfeld zwischen Subsidiarität und Einzelfallgerechtigkeit, EuGRZ 2008 121; Britz Bedeutung der EMRK für nationale Verwaltungsgerichte und Behörden, NVwZ 2004 173; Bröhmer Das Europäische Parlament: Echtes Legislativorgan oder bloßes Hilfsorgan im politischen Prozess? ZEuS 1999 197; ders. Der Grundrechtsschutz in Europa (2002); Broß Grundrechte und Grundwerte in Europa, JZ 2003 429; Bryde Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003) 61; Buschle Ein neues „Solange“? – Die Rechtsprechung aus Karlsruhe und der
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EMRK Einf.
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Straßburger Konflikt, VBIBW 2005 293; Busse Die Geltung der EMRK für die Rechtsakte der EU, NJW 2000 1074; Callewaert Die EMRK und die EU-Grundrechte-Charta, EuGRZ 2003 198; Calliess Zwischen staatlicher Souveränität und europäischer Effektivität. Zum Beurteilungsspielraum der Vertragsstaaten im Rahmen des Art. 10 EMRK, EuGRZ 1996 293; Cassebohm Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ZERP (2008); Cassese The influence of the European Court of Human Rights on international criminal tribunals – some methodological remarks, FS Eide 19; Chryssogonos Zur Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, EuR 36 (2001) 49; Cirkel Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte (2000); Coester-Waltjen Grundgesetz und EMRK im deutschen Familienrecht, Jura 2007 914; Colvin/Cooper Human Rights in the Investigation and Prosecution of Crime (2009); Corstens/Pradel European Criminal Law (2002); Decker Grundrechtsschutz bei Handlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (2008); Delmas-Marty Procédures pénales d’Europe (1995); De Salvia Compedium de la CEDH – Jurisprudence des Strasbourg, Vol. 1: 1960 à 2002 (2003); ders. Compendium de la CEDH – Les principes directeurs de la jurisprudence relative à la Convention européenne des droits de l’homme (1998); Diehm Die Menschenrechte der EMRK und ihr Einfluss auf das deutsche Strafgesetzbuch (2006); ders. Der Einfluß der EMRK auf das deutsche Strafrecht (2002); Di Fabio Eine europäische Charta, JZ 2000 737; Doswald-Beck/Kolb Judicial Process and Human Rights-United Nations, European, American and African systems – Texts and summaries of international case law (2004); Drzemczewski The European Human Rights Convention in Domestic Law (1983); Echterhölter Die Europäische Menschenrechtskonvention im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, JZ 1955 689; Echterhölter Die Europäische Menschenrechtskonvention in der juristischen Praxis, JZ 1956 142; Ehlers Die Europäische Menschenrechtskonvention, Jura 2000 372; Ehlers/Becker Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (2009)3; Eiffler Die Auslegung unbestimmter Schrankenbegriffe der Europäischen Menschenrechtskonvention – Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs der „Ordnung“ (1999); Eiler Der Grundrechtsschutz durch BVerfG, EGMR und EuGH, JuS 1999 1068; Eisele Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für das deutsche Strafverfahren, JA 2005 390; Engel Status, Ausstattung und Personalhoheit des Inter-Amerikanischen und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Facetten und Wirkungen des institutionellen Rahmens, EuGRZ 2003 122; Eoucaides Essays on the Developing Law and Human Rights (1995); Epping Die Verfassung Europas? JZ 2003 821; Erberich Auslandseinsätze der Bundeswehr und Europäische Menschenrechtskonvention (2004); Ercman European Convention on Human Rights – Guide to Case Law / Convention européenne des Droits de l’Homme – Guide de Jurisprudence/Europäische Menschenrechtskonvention – Wegweiser der Rechtsprechung (1981); Ermacora Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963); ders. Die Menschenrechte als Grundnorm des Rechts, FS Klecatsky 151; Ermacora/Nowak/Tretter (Hrsg.), Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983); Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002); ders. Mindeststandards einer Europäischen Strafprozessordnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, StraFo 2003 335; ders. Rahmenbedingungen der Europäischen Union für das Strafverfahrensrecht in Europa, ZEuS 2004 289; ders. Strafprozessuale Verfahrensrechte in der Europäischen Union, Rahmenbeschluss versus EGMRSystem, BRAK-Mitteilungen 2007 53; Esser/Harich/Lohse/Sinn (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2005); Evrigenis L’interaction entre la dimension internationale et la dimension nationale de la Convention européenne des Droits de l’Homme, FS Mosler 193; Fassbender Die Völkerrechtssubjektivität der Europäischen Union nach dem Entwurf des Verfassungsvertrags, AVR 42 (2004) 26; Fawcett The Application of the European Convention on Human Rights (1987)2; Fitzmaurice Some Reflections on the European Convention on Human Rights – and on Human Rights, FS Mosler 203; Frenz Grundfreiheiten und Grundrechte – Verhältnis zwischen beiden, EuR 2002 603; Friesenhahn Der Internationale Schutz der Menschenrechte (1966); Fromont Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Französischen Rechtsordnung, DÖV 2005 1; Frowein Die europäische und die amerikanische Menschenrechtskonvention – Ein Vergleich, EuGRZ 1980 442; ders. Der europäische Grundrechtsschutz und die nationale Gerichtsbarkeit (1983); ders. Der europäische Menschenrechtsschutz als Beginn einer europäischen Verfassungsrechtsprechung, JuS 1986 845; ders. Das Bundesverfassungsgericht und die Europäische Men-
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Einführung
Einf. IPBPR
schenrechtskonvention, FS Zeidler 1763; ders. The Internal and External Effects of Resolutions by International Organizations, ZaöZV 49 (1989) 778; ders. Der europäische Grundrechtsschutz und die deutsche Rechtsprechung, NVwZ 2002 29; ders. Die traurigen Missverständnisse. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, FS Delbrück 279; Frowein/Ulsamer Europäische Menschenrechtskonvention und nationaler Rechtsschutz (1985); Fuchs Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das österreichische Straf- und Strafverfahrensrecht, ZStW 100 (1988) 444; Ganshof van der Meersch Die Bezugnahme auf das nationale Recht der Vertragsstaaten in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 1981 481; Gardner (Hrsg.), Aspects of incorporation of the European Convention of Human Rights into domestic law (1993); Gerards Die Europäische Menschenrechtskonvention im Konstitutionalisierungsprozess einer gemeineuropäischen Grundrechtsordnung (2007); Gerhardt Europa als Rechtsgemeinschaft: Der Beitrag des Bundesverfassungsgerichts, ZRP 2010 161; Giegerich Luxemburg, Karlsruhe, Straßburg – Dreistufiger Grundrechtsschutz in Europa, ZaöRV 50 (1990) 836; ders. Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen. Zulässigkeit, Gültigkeit und Prüfungskompetenz von Vertragsgremien, ZaöRV 55 (1995) 713; Glauben Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, DRiZ 2003 128; Gleß Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), EuZW 1999 618; Golsong Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention (1958); ders. Grundrechtsschutz im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften – Ist der Katalog der in der EMRK enthaltenen Grundrechte für die EG verwendbar? EuGRZ 1978 346; ders. Nochmals: Zur Frage des Beitritts der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1979 70; Gomien/Harris/Zwack Law and practice of the European Convention on Human Rights and the European Social Charter (1996); Grewe Vergleich zwischen den Interpretationsmethoden europäischer Verfassungsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 61 (2001) 459; Grabenwarter Europäisches und nationales Verfassungsrecht (Tagungsbericht – 4. bis 6.10.2000), VVDStRL 60 (2001) 290; ders. Auf dem Weg in die Grundrechtsgemeinschaft, EuGRZ 2004 563; ders. Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) 290; ders. Die Menschenrechtskonvention und Grundrechte-Charta in der europäischen Verfassungsentwicklung, FS Steinberger, 1129; Grabenwarter Zur Zukunft des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2003 174; Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998); Gramlich Grundfreiheiten contra Grundrechte im Gemeinschaftsrecht, DÖV 1996 801; Grote Die Inkorporierung der Europäischen Menschenrechtskonvention in das britische Recht durch den Human Rights Act 1998, ZaöRV 58 (1998) 309; Gundel Die Krombach-Entscheidung des EGMR: Europäischer Menschenrechtsschutz mit (Durchsetzungs-)Schwächen, NJW 2001 2380; ders. Neue Anforderungen des EGMR an die Ausgestaltung des nationalen Rechtsschutzsystems, DVBl. 2004 17; Günther Europol: Rechtschutzmöglichkeiten und deren Vereinbarkeit mit nationalen und internationalen Anforderungen (2006); Guradze Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen vom 16.12.1966, JIR 1971 242; ders. Die Europäische Menschenrechtskonvention (1968); Haedrich Von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur internationalen Menschenrechtsordnung, JA 1999 251; Haefliger Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz (1999)2; Hailbronner Die Einschränkung von Grundrechten in einer demokratischen Gesellschaft, FS Mosler 359; Hannum Guide to the International Human Rights Practice (1992)2; Harris/O’Boyle/Warbrick Law of the European Convention on Human Rights (2009)2; Haß Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Charakter, Bindungswirkung und Durchsetzung (2006); Hatje/Nettesheim (Hrsg.), Grundrechtsschutz im Dreieck von nationalem, europäischem und internationalem Recht, EuR Beiheft 1/2008; Heckötter Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte (2008); Heer-Reißmann Straßburg oder Luxemburg? – Der EGMR zum Grundrechtsschutz bei Verordnungen der EG in der Rechtssache Bosphorus, NJW 2006 192; dies. Die Letztentscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Europa (2008); Hefferman Human Rights, A European Perspective (1994); Herzog Das Verhältnis der Europäischen Menschenrechtskonvention zu späteren Gesetzen, DÖV 1959 44; Hilf Europäische Union und Europäische Menschenrechtskonvention, FS Bernhardt 1193; Hilpold Neue Minderheiten im Völkerrecht und im Europarecht, AVR 42 (2004) 80; Hirsch Grundrechtspluralismus in der europäischen Union, Gollwitzer-Koll. 81; Höland Rechts- und Moralbildung in Europa durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in: Renzikowski (Hrsg.), Die
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EMRK Einf.
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht. Grundlagen einer europäischen Rechtskultur (2004), 9; Hoffmann-Riem Kohärenz der Anwendung europäischer und nationaler Grundrechte, EuGRZ 2002 473; Hoffmeister Die Europäische Menschenrechtskonvention als Grundrechtsverfassung und ihre Bedeutung in Deutschland, Der Staat 40 (2002) 349; Huber Der Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention: Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV (2008); dies. Das Zusammentreffen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit den Grundrechten der Verfassungen, GedS H. Peters 375; Iglesias Zur Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention im europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Bernhardt 1269; Iliopoulos-Strangas Der Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention aus der Sicht der Mitgliedsstaaten, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Grundrechtsschutz im europäischen Raum (1993), 343; dies. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Praxis der Straßburger Organe am Beispiel des Verhältnismäßigkeitsprinzips, RabelsZ 1999 415; Imbert Die Frage der Vorbehalte und die Menschenrechtskonvention, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz (1982) 95; Jaeckel Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht (2001); Jaeger Menschenrechtsschutz im Herzen Europas. Zur Kooperation des Bundesverfassungsgerichts mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, EuGRZ 2005 193; Jaeger/Broß Die Beziehungen zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den übrigen einzelstaatlichen Rechtsprechungsorganen – einschließlich der diesbezüglichen Interferenz des Handelns der europäischen Rechtsprechungsorgane, EuGRZ 2004 1; Jelitte Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in nationales Recht in Deutschland und Spanien – Unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (2007); Jung Sanktionensysteme und Menschenrechte (1992); Kadelbach Der Status der Europäischen Menschenrechtskonvention im deutschen Recht, Jura 2005 480; Kadelbach/Petersen Europäische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ 2003 694; Karl Zur Bedeutung der Entscheidungen des EGMR in der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, ÖRiZ 2007 130; Kälin Die Europäische Menschenrechtskonvention als Faktor der europäischen Integration, FS Schindler 529; Kälin/Künzli Universeller Menschenrechtsschutz (2008); Kanitz/Steinberg Grenzenloses Gemeinschaftsrecht, EuR 2003 1013; Karl (Hrsg.), Internationale Gerichtshöfe und nationale Rechtsordnung (2005); Karl/ Czech (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor neuen Herausforderungen – Aktuelle Entwicklungen in Verfahren und Rechtsprechung (2007); Kastanas Unité et diversité notions autonomes et marge d’appreciation des Etats dans la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’homme (1996); Keller/Stone Sweet A Europe of Rights – The Impact of the ECHR on National Legal Systems (2008); Keller Reception of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (ECHR) in Poland and Switzerland, ZaöRV 65 (2005) 283; Kempees A systematic guide to the case-law of the European Court of Human Rights, Bd. I u. II (1960–1994), 1996/1998, Bd. III (1995–1996), 1998; Kieschke Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht (2003); Kleeberger Die Stellung der Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Rechtsordnung der BR Deutschland (1992); Klein Anmerkung – Zur Bindung staatlicher Organe an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, JZ 2004 1176; ders. Dogmatische und methodische Überlegungen zur Einordnung der Europäischen Menschenrechtskonvention in den Grundrechtsfundus der Europäischen Union, in: Klein (Hrsg.), Rechtsstaatliche Ordnung Europas, GedS Bleckmann 257; Klose Grundrechtsschutz in der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention, DRiZ 1997 122; Knauff Konstitutionalisierung im innerund überstaatlichen Recht – Konvergenz oder Divergenz, ZaöRV 68 (2008) 453; ders. Das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht, Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, DVBl. 2010 533; König/Nguyen Der Vertrag von Lissabon – ausbildungsrelevante Reformen im Überblick, ZJS 2008 140; Kokott Der Grundrechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, AöR 121 (1996) 599; Konstantinov Die osteuropäischen Länder und der Rechtsschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, ROW 1998 21; Krüger/Polakiewicz Vorschläge für ein kohärentes System des Menschenrechtschutzes in Europa, Europäische Menschenrechtskonvention und EU-Grundrechtscharta, EuGRZ 2001 92; Kühl Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland (Teil 1), ZStW 100 (1988) 406; (Teil 2), ZStW 100 (1988) 601; Kühne Die Rechtsprechung des EGMR als Motor für eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten
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Einführung
Einf. IPBPR
in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001 73; ders. Europäische Methodenvielfalt und nationale Umsetzung von Entscheidungen europäischer Gerichte, GA 2005 195; Lauff Der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Vereinten Nationen, NJW 1981 2611; Lenz Anmerkung zu der Gibraltar-Entscheidung des EGMR, EuZW 1999 311; Lorz Menschenrechte und Vorbehalt, Der Staat 2002 29 ff.; Lawson/De Blois (Hrsg.), The Dynamics of the Protection of Human Rights in Europe, Essays in Honour of Henry G. Schermers, Vol III (1994); Lawson/Schermers Leading cases of the European Court of Human Rights (1997); Lenz GibraltarEntscheidung des EGMR, EuZW 1999 311; Letsas A Theory of Interpretation of the European Convention on Human Rights (2009); Limbach Die Kooperation der Gerichte in der zukünftigen europäischen Grundrechtsarchitektur, EuGRZ 2000 417; Linke Die Rechtsprechung der Straßburger Instanzen aufgrund von Menschenrechtsbeschwerden im strafrechtlichen Bereich, ÖJZ 1979 309; Loucaides An Alternative View on the Jurisprudence of the European Court of Human Rights (2008); Macdonald/Matscher/Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights (1993); Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in Österreich, I (1991), II (1992), III (1997); Maier Europäischer Menschenrechtsschutz: Schranken und Wirkungen (1982); Malinverni/Wildhaber Schweizerische Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention 1977, SJIR 34 (1978) und Folgejahre, ab 1990 SZIER I (1991) ff.; Malinverni/Wildhaber Schweizerische Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, SJIR 37 (1980) 279; Masuch Zur fallübergreifenden Bindungswirkung von Urteilen des EGMR, NVwZ 2000 1266; Matscher Der Gesetzesbegriff der EMRK, FS Loebenstein 105; ders. Heilung von konventionswidrigen Mängeln unterinstanzlicher Verfahren durch Rechtsmittel – Konventionswidrige Rechtsmittelverfahren bei konventionskonformen unterinstanzlichen Verfahren, FS Adamovich 405; ders. Probleme der österreichischen Strafrechtspflege im Lichte der neueren Rechtsprechung der Straßburger Konventionsorgane, ÖRiZ 1993 154; Matscher Die Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention vor neuen Herausforderungen, ÖJZ 1993 329; ders. (Hrsg.), Erweitertes Grundrechtsverständnis – Internationale Rechtsprechung und nationale Entwicklungen – EGMR, EuGH, Österreich, Deutschland, Schweiz (2003); ders. Vertragsauslegung durch Vertragsrechtsvergleichung in der Judikatur internationaler Gerichte, vornehmlich vor den Organen der EMRK; Mayer Der Vertrag von Lissabon und die Grundrechte, EuR 2009 87; Menzel Die Einwirkung der Menschenrechtskonvention auf das deutsche Recht, DÖV 1970 509; Merrills The Development of International Law by the European Court of Human Rights (1993); Meyer-Ladewig/Petzold 50 Jahre Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 2009 3749; Minichmayr Der Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1999); Miehsler/Petzold (Hrsg.), European Convention of Human Rights, Texts and Documents – Convention européenne des Droits de l’Homme, Textes et documents – Europäische Menschenrechtskonvention, Texte und Dokumente, Bd. I und II (1982); Mikaelsen European Protection of Human Rights (1980); Molthagen Das Verhältnis der EU-Grundrechte zur EMRK (2003); Monconduit La Commission européenne des Droits de l’Homme (1965); Morrisson The Developing European Law of Human Rights (1967); Münch Zur Anwendung der Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland, JZ 1961 153; Nedjati Human Rights and the European Convention (1978); Nelles Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozessrecht für Europa?, ZStW 109 (1997) 727; Nettesheim Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002 569; Nestler Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 116 (2004) 332; Newman Natural Justice, Due Process and the new International Convention on Human Rights Prospectus, Public Law 3 (1967) 274; Nowak Einführung in das internationale Menschenrechtssystem (2002); Öhlinger Perspektiven des Grundrechtsschutzes in Europa: Das Zusammenspiel von EGMR, EuGH und VfGH im Lichte des Verfassungsentwurfs der Europäischen Union; Okresek Die EMRK und ihre Auswirkungen auf das österreichische Strafverfahrensrecht, EuGRZ 1987 497; ders. Die Umsetzung der EGMR-Urteile auf ihre Überwachung. Probleme der Vollstreckung und der Behandlung von Wiederholungsfällen, EuGRZ 2003 168; Opsahl Law and Equality – Selected Articles on Human Rights (1996); Ostermann Entwicklung und gegenwärtiger Stand der europäischen Grundrechte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Gerichts erster Instanz (2008); Ovey/White The European Convention on Human Rights (2002)3; Pache Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsordnung, EuR 2004 393; Pache/Rösch Europäischer Grundrechtsschutz nach Lissabon – die Rolle der EMRK und der Grundrechtecharta in der EU, EuZW 2008 519; Pahr Der Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention in Öster-
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
reich, EuGRZ 1975 576; Partsch Die Entstehung der EMRK, ZaöRV 15 (1954) 631; ders. Die EMRK vor den nationalen Parlamenten, ZaöRV 17 (1956/57) 93; ders. Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention (1966); ders. Vor- und Nachteile der Regionalisierung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EuGRZ 1989 1; ders. Von der Souveränität zur Solidarität. Wandelt sich das Völkerrecht? EuGRZ 1991 469; Pellonpää Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Demokratien, FS Trechsel 79; ders. Kontrolldichte des Grund- und Menschenrechtsschutzes in mehrpoligen Rechtsverhältnissen – Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2006 483; Pernice Gemeinschaftsverfassung und Grundrechtsschutz – Grundlagen, Bestand, Perspektiven, NJW 1990 2409; ders. Kompetenzabgrenzung im europäischen Verfassungsverbund, JZ 2000 866; ders. BVerfG, EGMR und die Rechtsgemeinschaft, EuZW 2004 705; Pescatore La Cour de justice des Communautés européennes et la Convention européen des Droits de l’Homme, FS Wiarda 441; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention (2003); Pettiti/Decaux/Imbert La Convention Européenne de Droits de l’Homme (2000)2; Peukert Vorschläge zur Reform des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems, EuGRZ 1993 173; Pfeffer Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht (2009); Philippi Divergenzen im Grundrechtsschutz zwischen EuGH und EGMR, ZEuS 2000 97; Pieck Der Anspruch auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren – Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention in seiner Bedeutung für das deutsche Verfahrensrecht (1966); Polakiewicz Europäischer Menschenrechtsschutz zwischen Europarat und Europäischer Union, in: Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht (2003), 37; ders. Die Verpflichtung der Staaten aus den Urteilen des EGMR (1993); ders. Verfahrensgarantien im Strafverfahren: Fortschritte und Fehltritte in der Europäischen Rechtssetzung, ZEuS 2010 1; Polakiewicz/JacobFoltzer The European Human Rights Convention in domestic law: the impact of Strasbourg caselaw on states where direct effect is given to the convention, HRLJ 12 (1991) 65, 125; Prepeluh Die Entwicklung der Margin of Appreciation-Doktrin im Hinblick auf die Pressefreiheit, ZaöRV 61 (2001) 771; Raymond La Suisse devant les organes de la Convention européenne des Droits de l’Homme, ZSR 98 (1979) 1; Reich Beitritt der EU zur EMRK – Gefahr für das Verwerfungsmonopol des EuGH? EuZW 2010 641; Reindl EGMR und EuGH – Stören Europäische Gerichte die nationale Strafjustiz? in: 32. Ottensteiner Fortbildungsseminar aus Strafrecht und Kriminologie (2005), 155; Rengeling/Szczekalla Grundrechte in der Europäischen Union (2004); Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht (2004); Ress Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, FS Zeidler 1775; ders. Die „Einzelfallbezogenheit“ in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, FS Mosler 719; ders. Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996 350; ders. Manche Länder haben Nachholbedarf bei den Menschenrechten. Urteile „aus Straßburg“ können die Verfassungspraxis ändern, ZRP 2002 367; ders. Horizontale Grundrechtskollisionen – Zur Bedeutung von Artikel 53 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Klein (Hrsg.), Rechtsstaatliche Ordnung Europas, GedS Bleckmann 313; ders. The legal relationship between the European Court of Human Rights and the Court of Justice of the European Communities according to the European Convention on Human Rights, in: Blanke/Mangiameli (Hrsg.), Governing Europe under a constitution (2006), 279; ders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als pouvoir neutre, ZaöRV 2009 289; Riedel Menschenrechte der Dritten Generation, EuGRZ 1989 9; Riz Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht Italiens, ZStW 100 (1988) 645; Robertson/Merrills Human Rights in Europe, A study of the European Convention on Human Rights (1993)3, (1977)2; Ros Die unmittelbare Anwendbarkeit der EMRK (1984); Rodriguez-Iglesias Zur Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Bernhardt 1269; Rudolf/Giese Ein EURahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren? ZRP 2007 113; Ruffert Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft, Grundrechte – Institutionen – Kompetenzen – Ratifizierung, EuR 2004 165; ders. Die künftige Rolle des EuGH im europäischen Grundrechteschutzsystem, EuGRZ 2004 466; ders. Die Europäische Menschenrechtskonvention und innerstaatliches Recht – Eine deutsche Perspektive, in: Masing u.a. (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung, Menschenrechtsschutz und Föderation (2008), 51; Rüping Der Schutz der Menschenrechte im Strafverfahren, ZStW 91 (1979) 351; Sauer Die Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur – Zur Bindung deutscher Gerichte an die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für
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Einführung
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Menschenrechte, ZaöRV 65 (2005) 35; ders. Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen – Die Entwicklung eines Modells zur Lösung von Konflikten zwischen Gerichten unterschiedlicher Ebenen in vernetzten Rechtsordnungen (2008); Satzger Die Rechtsprechung des EGMR als Motor der europäischen Strafrechtsharmonisierung, JA 2004 656; ders. Der Einfluss der EMRK auf das deutsche Straf- und Strafprozessrecht – Grundlagen und wichtige Einzelprobleme, Jura 2009 759; Schaffarzik Europäische Menschenrechte unter der Ägide des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 2005 860; Scheuing Zur Grundrechtsbindung der EU-Mitgliedstaaten, EuR 2005 162; Scheyli Konstitutioneller Anspruch des EGMR und Umgang mit nationalen Argumenten, EuGRZ 2004 404; Schilling Deutscher Grundrechtsschutz zwischen staatlicher Souveränität und menschenrechtlicher Europäisierung (2009); Schmalz Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention für die Bundesrepublik Deutschland (2006); Schmid Rang und Geltung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 3. November 1950 in den Vertragsstaaten (1984); Schneiders Die Grundrechte der EU und die EMRK: Das Verhältnis zwischen ungeschriebenen Grundrechten, Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention (2010); Schohe Das Urteil Bosphorus: Zum Unbehagen gegenüber dem Grundrechtsschutz durch die Gemeinschaft, EuZW 2006 33; Schorn Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihr Zusatzprotokoll in Einwirkung auf das deutsche Recht, Text und Kommentar (1965); Schroth Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht Großbritanniens, ZStW 100 (1988) 470; Schulte-Herbrüggen Der Grundrechtschutz in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon, ZEuS 2009 343; Seidel Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention in den Mitgliedstaaten, DVBl. 1975 747; ders. Handbuch der Grund- und Menschenrechte auf staatlicher, europäischer und universeller Ebene (1996); ders. Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, AVR 38 (2000) 23; Selbmann Restitutionsklagen aufgrund von Urteilen des EGMR?, NJ 2005 103; Shelton Subsidiarity and Human Rights Law, HRLJ 2006 4; Siess-Scherz Bestandsaufnahme: Der EGMR nach Erweiterung des Europarats, EuGRZ 2003 100; Sommermann Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, AöR 114 (1989) 391; Staebe Umsetzung der EMRK in das nationale Recht des Vereinigten Königreiches, EuGRZ 1997 401; ders. Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Bedeutung für die Rechtsordnung der Bundesrepublik, JA 1996 75; Stahn Vorbehalte zu Menschenrechtsverträgen, EuGRZ 2000 607; Steiger Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende, Der Staat 2002 331; Steiner Das Fairneßprinzip im Strafprozeß (1995); Stenger Gegebener und gebotener Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die Rechtsprechung der bundesdeutschen Strafgerichte (1991); Stern Von der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Europäischen Grundrechte-Charta – Perspektiven des Grundrechtsschutzes in Europa, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich (2005), 13; Sternberg Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG (1999); Stieglitz Allgemeine Lehren im Grundrechtsverständnis nach der EMRK und der Grundrechtsjudikatur des EuGH. Zur Nutzbarmachung konventionsrechtlicher Grundrechtsdogmatik im Bereich der Gemeinschaftsgrundrechte (2002); Stock Der Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention als Gemischtes Abkommen? (2010); Stöcker Europäische Menschenrechtskonvention, ordre-publikVorbehalt und nationales Selbstbestimmungsrecht, EuGRZ 1987 473; Strasser Grundrechtsschutz in Europa und der Beitritt der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Menschenrechtskonvention (2001); Streinz/Ohler/Herrmann Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU (2010)3; Sudre Droit international et europeen des droits de l’homme (1997)3; ders. La Convention européenne des droits de l’homme (1997)4; ders. L’interpretation de la Convention européenne des droits de l’homme (1998); Sundberg The European Convention on Human Rights and the Nordic Countries, JIR 40 (1997) 181; Tavernier (Hrsg.), Quelle Europe pour les droits de l’homme?, La Cour de Strasbourg et la realisation d’une „Union plus étroite“ (1996); Tjetje Die EMRK als Bestandteil einer transnationalen europäischen Rechtsordnung, in: Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht (2004), 179; Tomuschat Individueller Rechtsschutz: das Herzstück des „ordre public européen“ nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 2003 95; Trechsel Die Europäische Menschenrechtskonvention, ihr Schutz der persönlichen Freiheit und die schweizerischen Strafprozessrechte (1974); ders. Erste Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZBJV 115 (1979) 457; ders. Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammen-
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
arbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987 69; ders. Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Schweiz, ZStW 100 (1988) 667; ders. Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Strafrecht, ZStW 101 (1989) 819; ders. Die EMRK und die schweizerische Rechtsordnung, EuGRZ 1991 84; ders. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, StV 1992 187; Tretter Menschenrechte im abschließenden Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens, EuGRZ 1989 79; Tretter Von der KSZE zur OSZE, EuGRZ 1995 296; Uerpmann Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung (1993); Ulsamer Menschenrechtskonvention und Strafverfahren, in: Lexikon des Rechts 1989 (Band Strafverfahrensrecht), 526; van der Meersch Die Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 1981 481; van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak Theory and Practice of the European Convention on Human Rights (2006); Vasak La Convention européenne des droits de l’homme (1964); Vegleris Valeur et significance de la clause „dans une société democratique“ dans le Convention européenne des dorits de l’homme, RDH 1968 219; Velu/Ergec La Convention Européenne des Droits de l’Homme (1990); Verdross/Simma Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis (1984)3; Verlodt Naissance et signification de la Declaration universelle des Droits de l’Homme (1964); Villinger Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (1999)2; Vogler Zur Tätigkeit des Europarats auf dem Gebiet des Strafrechts, ZStW 79 (1967) 371; ders. Auslieferungsrecht und Grundgesetz (1970); Vogler Straf- und strafverfahrensrechtliche Fragen in der Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, ZStW 89 (1977) 761; Wachsmann Les Droits de l’Homme (1992); ders. Die Europäische Menschenrechtskonvention und innerstaatliches Recht – Eine französische Perspektive, in: Masing u.a. (Hrsg.) Terrorismusbekämpfung, Menschenrechtsschutz und Föderation (2008), 79; Walker The Oxford Companion to Law (1980); Walter Die Europäische Menschenrechtskonvention als Konstitutionalisierungsprozeß, ZaöRV 59 (1999) 961; ders. Grundrechtsschutz gegen Hoheitsakte internationaler Organisationen, AöR 129 (2004) 39; Warnken Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention (2002); v. Weber Die strafrechtliche Bedeutung der EMRK, ZStW 65 (1953) 334; ders. Die Grundrechte im Integrationsprozeß der Gemeinschaft in vergleichender Perspektive, JZ 1989 965; ders. Einheit und Vielheit der europäischen Grundrechtsordnungen, DVBl. 2003 220; Weidmann Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf dem Weg zu einem europäischen Verfassungsgerichtshof (1985); Weigend Die Europäische Menschenrechtskonvention als deutsches Recht – Kollisionen und ihre Lösung, StV 2000 384; Weil The European Convention on Human Rights (1963); Weiß Das Gesetz im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (1996); ders. Die neuen Mitgliedstaaten des Europarates im Spiegel der Rechtsprechung der Straßburger Organe – eine erste Bilanz (1998); Werwie-Haas Die Umsetzung der strafrechtlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland, Österreich, der Schweiz und im Vereinigten Königreich (2008); Wiebringhaus Die Rom-Konvention für Menschenrechte in der Praxis der Straßburger Menschenrechtskommission (1959); Wiethoff Das konzeptionelle Verhältnis von EuGH und EGMR (2008); Wildhaber The European Court of Human Rights 1998–2006 – History, Achievements, Reform (2006); ders. Eine verfassungsrechtliche Zukunft für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? EuGRZ 2002 569; ders. Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 98 (1979) 229; Winkler Der EGMR zum innerstaatlich und gemeinschaftsrechtlich (RL 65/65/EWG) definierten Arzneimittelbegriff beim Apothekenmonopol, EuGRZ 1999 181; ders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Europäische Parlament und der Schutz der Konventionsgrundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, EuGRZ 2001 18; Woesner Die MRK in der deutschen Strafrechtspflege, NJW 1961 1381; Zoellner Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (2009). Schrifttum zum IPBPR Carlson/Gisvold Practical Guide to the International Covenant on Civil and Political Rights (2003); Conte/Burchill Defining Civil and Political Rights – The Jurisprudence of the United Nations Human Rights Committee (2009)2; Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die »General Comments« zu den VN-Menschenrechtsverträgen (2005); Goose Der internationale Pakt über
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bürgerliche und politische Rechte, NJW 1974 1305; Guradze Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen vom 16.12.1966, JIR 1971 242; Joseph/Schultz/Castan The International Covenant on Civil and Political Rights – Cases, Materials and Commentary (2004)2; Kälin/ Riedel/Karl/Brydel/von Bar/Geimer Aktuelle Probleme des Menschenrechts-Schutzes, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 33 (1994); Kälin/Malinverni/Nowak Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte (1997)2; Klein/Breuer (Un-)Vollendete Reformschritte in den Vereinten Nationen: die Beispiele Sicherheitsrat und Menschenrechtsrat, in: Münk (Hrsg.), Die Vereinten Nationen sechs Jahrzehnte nach ihrer Gründung (2008), 75; McGoldrick The Human Rights Committee (1994); Möller/De Zayas United Nations Human Rights Committee Case Law 1977–2008 (2009); Nowak Durchsetzung der UNO-Menschenrechtskonvention in Österreich, in: Machacek/ Pahr/Stadler (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in Österreich (1991), 722; ders. Commentary on the U.N. Covenant on Civil and Political Rights (2005)2; Pappa Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Recht (1996); Schäfer Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt (2002); von der Wense Der UN-Menschenrechtsausschuss und sein Beitrag zum universellen Schutz der Menschenrechte (1999). Schrifttum zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union Kokott/Sobotta Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, EuGRZ 2010 265; Schmittmann Rechte und Grundsätze in der Grundrechtecharta (2007); Schmitz Die Grundrechtecharta als Teil der Verfassung der Europäischen Union, EuR 2004 691; Tettinger/Stern (Hrsg.) Europäische Grundrechtecharta (2006); Ziegenhorn Der Einfluss der EMRK im Recht der EU-Grundrechtecharta (2009); Zuleeg Zum Verhältnis nationaler und europäischer Grundrechte/Funktion einer EU-Charta der Grundrechte, EuGRZ 2000 511.
Übersicht Rn. A. Entstehung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . 2. Verrechtlichung des internationalen Menschenrechtsschutzes auf der Ebene der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . a) Charta der Vereinten Nationen . . . . b) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsetzung der UN-Arbeiten zum Menschenrechtsschutz in multinationale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . a) IPBPR/IPWSKR . . . . . . . . . . . b) Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Amerikanische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . d) Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker . . . . . . e) Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) . . . . . . . . . . 4. Weitere Konventionen zum Schutz von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . a) Vereinte Nationen . . . . . . . . . . b) Europäische Union . . . . . . . . . . c) Europarat . . . . . . . . . . . . . . 5. Einrichtung von Ämtern zur Überwachung der Menschenrechtslage . . . .
1
9 9 12
14 14 19 20 23 26 29 29 32 34 35
Rn. a) United Nations High Commissioner für Human Rights . . . . . . . . . . b) Menschenrechtskommissar des Europarates . . . . . . . . . . . . . 6. Internationale Ahndung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Europäische Menschenrechtskonvention 1. Konvention (Grundtext) . . . . . . . 2. Protokolle und Zusatzprotokolle . . 3. Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . 4. Berlin / Länder der ehemaligen DDR
. . . .
35 36
40
. . . .
42 46 62 66
C. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) 1. Grundkonvention . . . . . . . . . . . . 2. Fakultativprotokolle . . . . . . . . . . 3. Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . .
68 72 74
D. Bestätigung der Menschenrechtskonventionen in anderen internationalen Dokumenten 1. KSZE/OSZE . . . . . . . . . . . . . . . 2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . .
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E. Rechtsnatur der Konventionen / Innerstaatliche Geltung I. Völkerrechtliches Vertragsrecht . . . . .
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
II. Innerstaatliche Geltung . . . . . . . . . 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . 2. Umsetzung in der BR Deutschland . a) Rangwirkung . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum Verfassungsrecht . c) Verhältnis zu anderem Bundesrecht F. Geltung von EMRK und IPBPR in der Europäischen Union I. Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . . . . II. Vertrag von Lissabon / Beitritt der Europäischen Union zur EMRK . . . . III. Bindung Europäischer Polizei- und Strafverfolgungsbehörden an die EMRK 1. Europol . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . 3. OLAF . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
Rn.
84 84 85 85 86 92
I. Bedeutung der EMRK für die Arbeit der Europäischen Grundrechte Agentur (FRA) . 166
98 107 118 118 126 128
G. Verhältnis der EMRK zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union I. Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . . . . 131 II. Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . . . . 133 H. Europäischer Grundrechtsschutz durch Harmonisierung der nationalen Strafrechtsordnungen – Mindestvorschriften zur Angleichung strafprozessualer Standards im Rahmen der PJZS I. Rechtsharmonisierung auf der Grundlage des AEUV . . . . . . . . . 152 II. Initiativen zur Harmonisierung bestimmter Verfahrensrechte . . . . . . 154
J. Verhältnis zwischen EU bzw. EMRK und IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 K. Auslegungsgrundsätze I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelaspekte . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . 3. Vorrang der teleologischen Auslegung a) Gemeinsames, übernationales Ziel b) Praktische Erfordernisse eines wirksamen Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeinsame Rechtsüberzeugungen von Vertragsstaaten . . . . . . . . . 5. Dynamische Interpretation . . . . . III. Auslegung des IPBPR . . . . . . . . . IV. Individueller Menschenrechtsschutz . . V. Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum der Staaten . . . . . . . . . VI. Verschiedene Anwendungsebenen . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkung auf die innerstaatliche Rechtsanwendung . . . . . . . . . . 3. Auswirkung auf innerstaatliches Verfassungsrecht . . . . . . . . . . 4. Regelungsbereich der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Völkerrechtliche Ebene des vertraglich vereinbarten Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . .
178 183 183 187 188 188
190 191 193 197 198 199 204 204 205 207 211
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Alphabetische Übersicht Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker („Banjul Charta“) 23 ff. Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 24 Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) 166 ff. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 12 f. Atlantik Charta 8 Amerikanische Menschenrechtskonvention 20 ff. – Inter-Amerikanische Kommission zum Schutz der Menschenrechte 21 – Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 21 f. Anwendungsvorrang 97, 99, 105, 133 Arbeitssprache 185 Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) 26 Aufklärung, Zeitalter 1 Ausfüllen von Lücken 195, 205 Auslegung – autonome (zweckorientiert) 181, 186, 188 ff., 197 – der Konventionen 178 ff. – des nationalen Rechts, konventionsfreundliche 85, 95, 209
10
– Entstehungsgeschichte 187 f. – gegenwartsorientiert (evolutiv) 193 f. – „living instrument“, dynamische Weiterentwicklung 143, 182, 193 ff. – Präjudizien 194 – völkerrechtliche Grundsätze 178 – Wortlaut 183 ff. Ausweisung – von Ausländern 50, 53 – eigener Staatsangehöriger 50 Beitritt der EU zur EMRK 109 ff. Bindungswirkung (EGMR) 90 Charta der Grundrechte der Europäischen Union 80 f., 114 f., 122, 125, 130, 131–151, 166–172 Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) 5, 9 ff., 40, 197 DDR 66 f., 70 Diskriminierungsverbote 9, 31, 59 Doppelbestrafung/Strafklageverbrauch 33, 53, 148 Effektivität im Einzelfall („effet utile“) 190, 191 Ehe, Gleichberechtigung 53 Eigentum, Achtung des 4, 47
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Einführung Einschätzungsspielraum („margin of appreciation“) 199 ff. Entschädigung bei fehlerhaften Strafurteilen 20, 53 Eurojust 126 f. Europäische Menschenrechtskonvention 42 ff. – Beitritt 42 – Entstehung 42 – Rangwirkung (im nationalen Recht) 84, 85 ff. – Vorbehalte 62 ff. – (Zusatz-)Protokolle 46 ff., 99, 138, 177 Europäische Menschenrechtskommission (EKMR) 45, 58 Europäische Sozialcharta 34 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 100 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 39, 43 f., 45, 55, 58, 103 – Gutachten 48 – Richterwahl 43, 58 – Verfahrensordnung 58 Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Strafe 34 Europäische Union 32 ff., 99, 107, 109 f. – Grundfreiheiten 98, 105, 192 – Verantwortung der Mitgliedstaaten 102 Europarat 34, 43, 110 – Generalsekretär 44 – Generalversammlung 43 – Menschenrechtskommissar 35 ff. – Ministerkomitee 43, 56, 58 Europol 118 ff. Folter 23, 31, 34, 144 – OPCAT 31 – UNCAT 31 Franz. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1 Frauen, Rechte der 9, 31 Freiheitsgarantie 15, 191 Freizügigkeit 50 Fremdenrecht 4 Genfer Abkommen über den Schutz der Personen bei bewaffneten Konflikten 30 Genfer Flüchtlingskonvention 30 Gewohnheitsrecht, völkerrechtliches 13, 119 Gleichberechtigung 9, 53 Gleichheitsgrundsatz 191 Grundrechtsschutz, mittelbare Teilhabe 87 Günstigkeitsprinzip 94, 138 f., 141, 174 HRC (Human Rights Committee) 16 f., 72, 176 f., 198, 212 ILO-Übereinkommen 31 Immunität der Staaten 179 Individualbeschwerde 17, 25, 31, 38, 45, 54, 57, 61, 176 Innere Angelegenheit eines Staates („domaine reservé“) 3 f., 5, 11, 28, 78 Internationale Strafgerichtsbarkeit 40 f. – ad hoc Strafgerichtshöfe 40 – Internationaler Strafgerichtshof (ICC) 41 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR; Zivilpakt) 14 ff., 68 ff., 72 f., 74, 84, 98 ff., 173 ff., 184, 197 ff. – Fakultativprotokoll(e) 17 f., 31, 72 f., 176 f. – Rangwirkung 84, 87, 94 f., 173 ff. Internationaler Gerichtshof (IGH) 15
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Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR; Sozialpakt) 15 f., 18 Kind, Rechte des 31, 34 Konkordanzklausel 116 KSZE 75 ff. Kumulationsverbot 176 f. lex posterior-Regel 93, 97 Menschenrechtsausschuss > HRC 16 f., 72, 176 f., 198, 212 Menschenwürde 34, 76 Minderheitenschutz 34, 59 Moralvorstellungen 202 Nichteinmischung 5 Niederlassungsfreiheit 34, 105 OLAF 128 ff. Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) 20 OSZE 75 ff., 166 Pressefreiheit 203 Rasse, Diskriminierung 9, 12, 31, 59 Ratifikation 22, 26, 60, 63 f., 85 f., 119, 123, 184 Rechtsordnung, supranationale 62, 86, 91 Rechtsstaatsprinzip 89 f., 191, 202, 207 Rechtsweg, Erschöpfung 210 f. Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) 33 Schutzpflichten des Staates 102, 206 Selbstbestimmungsrecht der Völker 8, 14 Sklaverei 31, 82 Souveränitätsverständnis 3 ff. Staatenbericht 16 Staatenbeschwerde 15 f., 69 Stockholmer Programm 160 Subsidiaritätsprinzip 140, 199 Todesstrafe, Abschaffung 20, 52, 60, 73 Universalität der Menschenrechte 6 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 40 f. Vereinte Nationen 5, 8, 9 ff., 14, 29 ff., 68 – Charta 5 – Generalversammlung 12, 31, 35, 73 – Menschenrechtsausschuss > HRC 16 f., 72, 176 f., 198, 212 – Sicherheitsrat 40 – Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) 10, 197 Verfassungsbeschwerde 88 Verfassungsrecht, nationales 86 ff., 205, 207 ff., 212 Verhältnismäßigkeit 149 f., 190, 191, 202 Vertrag von Lissabon 80, 105, 107 ff., 122, 124, 127, 130, 133 ff., 172 Völkermord 31, 40 f. Völkerrecht, allgemeine Grundsätze 179 Völkerrechtliches Vertragsrecht 82 f. Völkerrechtssubjekt 3 Vorabentscheidungsverfahren 100, 211 Vorbehalte – zur EMRK 62 ff. – zum IPBPR 74 Vorlagepflicht der Gerichte 209 f. Wahlen, freie und geheime 47 Warenverkehrsfreiheit 105 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) 62, 178 f. Willkür 23, 191, 201, 207 Zwangs- und Pflichtarbeit 31 Zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Art. 24 GG 91
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A. Entstehung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1
1. Geschichtliche Entwicklung. Die Einsicht, dass die Achtung der Menschenrechte mehr ist als nur ein von der staatlichen Ordnung nach Möglichkeit zu beachtendes Postulat und dass der Einzelne seine Menschenrechte auch gegenüber seinem eigenen Staat durchsetzen kann, fand im Zeitalter der Aufklärung erstmals seinen Niederschlag, sodann in den das Gedankengut der britischen Verfassungstradition1 fortentwickelnden amerikanischen Verfassungsdokumenten2 und schließlich in der auch die Bürgerpflichten betonenden französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789. Letztere ist auch heute noch Bestandteil der französischen Verfassung. In der Folgezeit wurden die Menschenrechte in den Verfassungen vieler Staaten als Grundrechte ihrer Bürger oder als allgemeine Menschenrechte in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlichen Detailvarianten innerstaatlich garantiert,3 so auch in dem an die Weimarer Verfassung anknüpfenden Grundgesetz und in den Verfassungen der deutschen Länder. 2 Als Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung endet der Menschenrechtsschutz der nationalen Verfassungen traditionell an der Staatsgrenze. Ihm fehlt die internationale Dimension. Die innerstaatliche Beachtung wurde ursprünglich weder durch internationale Instanzen von außen gesichert, noch hatte ein Staat Anspruch darauf, dass die Menschenrechte in anderen Staaten geachtet werden. Die zwischenstaatlichen Beziehungen waren im 19. Jahrhundert von einem uneinge3 schränkten Souveränitätsverständnis geprägt. Das Völkerrecht wurde als Koordinationsrecht souveräner Staaten verstanden.4 Nur diese waren Träger der aus dem Völkerrecht sich ergebenden Rechte und Pflichten, über die sie einvernehmlich verfügen konnten. Der einzelne Mensch war nicht Subjekt des Völkerrechts, er konnte aus einer völkerrechtlichen Regelung weder gegen den eigenen Staat noch gegen einen anderen Staat unmittelbare Rechte herleiten. Selbst wenn er Objekt einer ihn begünstigenden völkerrechtlichen Regelung war, etwa eines Staatsvertrages, erwuchsen ihm unmittelbar daraus keine eigenen Rechte. Der Gedanke, dass der Einzelne gegen seinen eigenen Staat die Hilfe einer internationalen Instanz anrufen könne, wurde als lächerliche Utopie eingestuft oder gar als Hochverrat abgelehnt.5 Nach dem auch heute noch nachwirkenden Souveränitätsverständnis dieser Epoche war es allein die eigene, jeder Einmischung durch andere Staaten entzogene innere Angelegenheit jedes einzelnen Staates, ob und welche Rechte er seinen eigenen Bürgern gewähren wollte. Dem entsprach es, dass das allgemeine Völkerrecht einen gewissen internationalen 4 Mindeststandard von Rechtsgarantien nur für das „Fremdenrecht“, also für die Behandlung der Bürger eines anderen Staates entwickelt hatte, das fremden Staaten ein Eingrei-
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So etwa die Habeas Corpus Akte 1679 und die an sich die Parlamentsrechte gegen den König festlegenden Bill of Rights v. 13.2.1689 sowie etwa die Schriften von John Locke. So in der Bill of Rights von Virginia v. 12.6.1778, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung v. 4.7.1776 und den zehn Zusatzartikeln der amerikanischen Bundesverfassung von 1783. Nach Kühnhardt Die Universalität der Menschenrechte (1987), 77 enthielten schon die meisten der zwischen 1795 und 1830 in
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Europa verkündeten 70 Verfassungen Grundrechtskataloge. Zur jetzigen Weiterentwicklung des Völkerrechts von einem Koordinationsrecht souveräner Staaten zu einem kooperativen und kommunitären Völkerrecht vgl. etwa Herdegen Völkerrecht (2011)10, § 2, § 5, 17 ff.; Nettesheim JZ 2002 569; Seidl AVR 38 (2000) 23; Knauff Konstitutionalisierung im inner- und überstaatlichen Recht – Konvergenz oder Divergenz ZaöRV 68 (2008) 453 ff. Tardu FS Partsch 287 f.
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Einführung
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fen zum Schutze wichtiger Menschenrechte (Leben, Freiheit, Eigentum) ihrer eigenen Staatsangehörigen gestattete. Wie ein Staat seine eigenen Staatsbürger behandelte, blieb grundsätzlich seine alleinige Angelegenheit. Nach der damals herrschenden Auffassung gehörte dies zu den inneren Angelegenheiten eines Staates, die von jeder Ingerenz anderer Staaten ausgenommen waren. Die Existenz eines solchen jeder Einmischung durch andere Staaten entzogenen Be- 5 reiches („domaine reservé“) als Kernbereich der staatlichen Souveränität erkennt Art. 2 Abs. 7 der UN-Charta noch grundsätzlich an. Dort wird festgehalten, dass aus der Charta keine Befugnis der Vereinten Nationen hergeleitet werden kann, in Angelegenheiten einzugreifen, die „ihrem Wesen nach zu der inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“. Dieses Argument wird auch heute noch benutzt, wenn Staaten Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Staat anmahnen. Selbst Staaten, die innerstaatlich den Menschenrechten in ihrem Rechtssystem Rechnung tragen, sind mitunter wenig geneigt, sich gegen den Vorwurf einer Verletzung von Menschenrechten vor einer internationalen Instanz rechtfertigen zu müssen.6 Die Universalität der Menschenrechte, von der heute gesprochen wird,7 bedeutet 6 nicht notwendig auch Universalität der Schutzsysteme. Die Spannung zwischen dem staatlichen Souveränitätsanspruch8 einerseits und der ihn einschränkenden überstaatlichen Kontrolle des effektiven Menschenrechtsschutzes andererseits, wie er im modernen Völkerrecht anerkannt wird, liegt in der Natur der Sache. Er zeigt sich in anderer Form auch darin, wenn es um das Ausmaß geht, in dem die Organe des internationalen Menschenrechtsschutzes Wertentscheidungen des innerstaatlichen Gesetzgebers respektieren müssen. Im Übrigen verdeckt der Gedanke der Universalität der Menschenrechte mitunter zu leicht, dass nicht nur in der Realität, sondern auch vom Grundverständnis her in der heutigen Welt über Inhalt und Stellenwert einzelner Menschenrechte weiterhin sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen. Derzeit dürfte wohl nur ein Mindeststandard grundlegender Rechte, deren Umsetzung verschiedenen Lebens- und Rechtsgewohnheiten Raum lässt, dauerhaft konsensfähig sein.9 Der Gedanke, den Schutz der Menschenrechte völkerrechtlich staatsübergreifend zu 7 gewährleisten, weil ihre weltweite Beachtung eine wichtige Garantie des Friedens ist, war zwar auch früher gelegentlich erörtert worden,10 von der Politik mit Nachdruck aufge-
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So etwa auch die USA, die weitestgehend versuchen, direkte Auswirkungen von Menschenrechtspakten auf ihre Gesetzgebung und Rechtsprechung zu verhindern. Den weitestgehenden Vorbehalt dieser Art erklärten die USA 1988 in Bezug auf die Völkermordkonvention. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) wurde zwar 1977 von den USA unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert (Rn. 22). Die USA fallen damit nicht unter die Gerichtsbarkeit des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs. Den IPBPR haben die USA zwar ratifiziert, zu Art. 6 Abs. 5 und Art. 7 IPBPR aber Vorbehalte erklärt (Todesstrafe); vgl. Giegerich ZaöRV 55 (1995) 712 ff. Zur Vielschichtigkeit dieses Begriffs siehe die Beiträge in: von Hoffmann (Hrsg.), Universität der Menschenrechte (2009).
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Dieser Souveränitätsanspruch wird auch aus dem Primat der innerstaatlichen demokratischen Entscheidungen vor internationalen Bindungen hergeleitet, vgl. nur im Fall LaGrand, US-Supreme Court, Deutschland u.a./USA, 3.3.1999, No. 127, in welchem betont wird, dass die USA gegenüber dem IGH nicht auf ihre „sovereign immunity“ verzichtet haben. Vgl. etwa Calliess EuGRZ 1996 293; Klein EuGRZ 1999 109, 111. So nahm etwaf das Institute de Droit International maßgeblichen Einfluss auf die erste Friedenskonferenz in Den Haag im Jahr 1899. Eine Vorreiterrolle nimmt auch die Resolution zum Schutz der Menschenrechte von 1929 „Déclaration des droits internationaux de l’Homme“ ein (abgedruckt in:
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griffen wurde er aber erst während des Zweiten Weltkriegs. Die unter der Führerschaft der USA zusammengeschlossenen alliierten Staaten stellten als eines ihrer Kriegsziele die weltweite Garantie der Menschenrechte wegen ihrer freiheitssichernden und friedensfördernden Funktion heraus. Sie sahen darin ein Kontrastprogramm zu den die Menschenrechte missachtenden Ideologien der totalitären Staaten, das diesen auch propagandistisch wirksam entgegengesetzt werden konnte. Dies geschah in der Erklärung der Vereinten Nationen v. 1.1.194211, in der übrigens 8 erstmals dieser von Theodor Roosevelt geprägte Name verwendet wurde, und in der als Atlantik Charta bezeichneten gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Premierministers von Großbritannien v. 14.8.194112, wo u.a. gefordert wurde, dass der künftige Friede die Zusicherung erhalten solle, dass alle Menschen in allen Ländern ihr Leben in Freiheit von Angst und Not führen können. Diese Grundsätze fanden weltweit Zustimmung, zumal viele Gruppen sich von der weltweiten Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Freiheitsrechte einen wirksamen Anstoß zur Entkolonialisierung bei der sich anbahnenden politischen Neuordnung der Welt erhofften. 2. Verrechtlichung des internationalen Menschenrechtsschutzes auf der Ebene der Vereinten Nationen
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a) In der Charta der Vereinten Nationen v. 26.6.1945 wurde der Gedanke einer die Menschenrechte wahrenden internationalen Friedensordnung als Zielsetzung aufgenommen. Abgesehen von einigen Diskriminierungsverboten13 verzichtete man aber auf eine nähere Fixierung der einzelnen Menschenrechte. Die Charta beschränkt sich auf allgemeine Programmsätze, so, wenn sie in der Präambel erwähnt, dass die Völker der Vereinten Nationen fest entschlossen sind, den Glauben an die Grundrechte der Menschen, an
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Annuaire de l’Institut de Droit International, Bd. 2, 1929, 298 ff.); vgl. auch Sommermann Staatsziele und Staatszielbestimmungen (1997), 254 f. Die „Erklärung der Vereinten Nationen“ v. 1.1.1942 (Bevans Treaties and other international agreements of the United States of America 1776–1949, Vol. 3, Multilateral 1931–1945; Knipping/von Mangold/Rittberger Das System der Vereinten Nationen und seine Vorläufer, Band 1,1, 1995, Dok. 2), in der 26 am Krieg beteiligte Staaten erstmals unter Verwendung dieser Bezeichnung ihren Entschluss zur Niederwerfung der Achsenmächte bekräftigten, gab als gemeinsames Ziel u.a. an: „Leben, Freiheit, Unabhängigkeit und religiöse Freiheit zu verteidigen und sowohl in ihren eigenen wie auch in allen anderen Ländern die Menschenrechte und die Gerechtigkeit zu wahren“. In Anlehnung an die von Roosevelt in seiner Rede an den Kongress am 6.1.1941 als Grundlage der künftigen Weltordnung gefor-
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derten vier Freiheiten (freedom of speach and expression, freedom of every person to worship God in his own way, freedom of want and from fear, everywhere in the world) wurde in Nr. 6 der Atlantik-Charta gefordert, „dass der künftige Frieden die Zusicherung erhalten solle, dass alle Menschen in allen Ländern ihr Leben in Freiheit von Angst und Not führen können“ (Knipping/ v. Mangold/Rittberger aaO, Dok. 1). Der Atlantik Charta, die an sich eine gemeinsame Erklärung, aber kein völkerrechtlicher Vertrag war, traten eine Reihe von Staaten ausdrücklich bei. Die Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen wurde von den USA dann auch formal zum Gegenstand einer Reihe von Verträgen gemacht, so besonders in allen Pacht- und Leihverträgen über die Lieferung von Kriegsmaterial durch die USA an ihre Verbündeten. Diese werden als unmittelbar anwendbare Rechtssätze angesehen; vgl. das IGH-Gutachten zu Namibia, ICJ Reports, 1971, 16/57.
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Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu bekräftigen“ oder wenn sie in Art. 1 Abs. 3 unter ihren Zielen aufführt, „die Achtung von den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache und der Religion zu fördern und zu festigen“. Diese Verpflichtung wird dann in Art. 55 lit. c UN-Charta wiederholt, der die 10 Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet vorsieht. Durch Art. 56 UNCharta wird sie in die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten einbezogen, „gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen“. Nach Art. 62 Abs. 3 UN-Charta gehört es zu den Aufgaben des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC)14, durch Empfehlungen die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle zu fördern. Diese Formulierungen legen keine Einzelrechte konkret fest, wohl auch, um den für 11 die Schaffung der Vereinten Nationen notwendigen Konsens der Staaten verschiedener Gesellschaftsordnungen nicht zu gefährden. Aus ihnen wird aber vor allem von Völkerrechtlern der westlichen Welt hergeleitet, dass die Sicherung des Menschenrechtsschutzes zu den Aufgaben der Vereinten Nationen zählt und damit keine Angelegenheit mehr ist, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates i.S.d. bereits erwähnten Art. 2 Abs. 7 UN-Charta gehört.15 b) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die am 10.12.1948 von 12 der UN-Generalversammlung als „Proklamation“ mit Zustimmung von 48 der damals 56 Mitgliedstaaten verabschiedet wurde,16 brachte die in der UN-Charta fehlende Ausformulierung einzelner Menschenrechte.17 Sie beeinflusst seither die Ausformulierung der Menschenrechte in den Verfassungen einzelner Staaten und in den internationalen Konventionen, auch wenn sie als Resolution der Generalversammlung der rechtlich bindenden Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrages entbehrt.18 Die Erklärung wurde damals eher als ein menschenrechtliches Legislativprogramm verstanden, das erst in einer nächsten Stufe durch Verträge in für die einzelnen Staaten bindende Rechtsnormen umgesetzt werden sollte.19 Die AEMR enthält in 30 Artikeln die grundlegenden Rechte, die jedem Menschen „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ zustehen.
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Economic and Social Concil (ECOSOC). Ob die Achtung der Menschenrechte wegen ihrer friedenssichernden Funktion zu den „matters of international concern“ gehören und daher nicht mehr – wie früher – zu den jeder Einmischung von außen entzogenen inneren Angelegenheiten, wird unterschiedlich beurteilt, vgl. etwa Simma EuGRZ 1977 235; Kimminich BayVBl. 1990 1. Nach Bryde Der Staat 42 (2003) 61, 64 regeln die Staaten in den allgemeinen Menschenrechtsverträgen nicht mehr ihre gegenseitigen Beziehungen, sondern verpflichten sich zur Beachtung der Menschenrechte gegenüber einer Staatengemeinschaft als übergeordneter Legitimationsinstanz.
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Nicht zugestimmt hatten die damalige UdSSR und fünf weitere sozialistische Staaten sowie Saudi-Arabien und Südafrika. Vgl. die Einschränkung in Form einer Generalklausel in Art. 29 AEMR. So etwa BayVerfGH NJW 1961 1615; Jescheck NJW 1954 784; Vogler ZStW 82 (1979) 743; vgl. aber auch Bartsch NJW 1989 3066 (praktisch Status als Rechtsquelle); Nowak Einf. 2 (Mindeststandard universell anerkannter Menschenrechte), ferner allgemein zur rechtlichen Bedeutung solcher Erklärungen Frowein ZaöRV 49 (1989) 778. Klein EuGRZ 1999 109.
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Wurde die AEMR in den Anfangsjahren noch als unverbindliche Deklaration angesehen,20 so gelten weite Teile – v.a. seit der Verabschiedung der beiden Zivilrechtspakte der UN, die die wesentlichen Rechte verbindlich festschreiben – als Völkergewohnheitsrecht.21 Strittig ist heute lediglich die Reichweite ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung.22 3. Umsetzung der UN-Arbeiten zum Menschenrechtsschutz in multinationale Verträge
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a) IPBPR / IPWSKR. Alsbald nach Verkündung der AEMR begannen in den Gremien der Vereinten Nationen die Arbeiten, die die Grundsätze dieser Erklärung entsprechend den Zielen der Vereinten Nationen23 zum Gegenstand rechtlich verbindlicher multilateraler Abkommen machen sollten.24 Der darauf beruhende Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) wurde aber erst nach vielen Jahren am 19.12.1966 verabschiedet.25 Der einsetzende kalte Krieg und die mit der Entkolonialisierung verbundenen Probleme, die durch die neu hinzukommenden Staaten in den Vereinten Nationen ihren Niederschlag fanden, hatten zu verstärkten wirtschaftlichen und ideologischen Gegensätzen und zu zahlreichen Meinungsverschiedenheiten geführt. Strittig war etwa das Anliegen der Staaten der sog. dritten Welt, ob und wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker angesprochen werden sollte. Ein anderer Differenzpunkt war, ob die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (mitunter als Menschenrechte der zweiten Generation bezeichnet) im gleichen Pakt wie die bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte (Menschenrechte der ersten Generation) geregelt werden sollten.26 Für die Aufteilung auf zwei Konventionen (Zivil- und Sozialpakt) wurde angeführt, 15 dass dies die innerstaatliche Umsetzung erleichtert, denn die individuellen Freiheitsgarantien kann der Staat in der Regel schon dadurch gewährleisten, dass er Eingriffe unterlässt, während die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 19.12.1966 (IPWSKR)27 angesprochenen Aspekte der sozialen Sicherheit zu ihrer Umsetzung erfordern, dass in Staat und Wirtschaft die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Strittig waren auch die Fragen der rechtlichen Kontrolle. Ein Entwurf, der für den Zivilrechtspakt die Staatenbeschwerde zu einem neunköpfigen
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Kälin/Künzli 4, 20 f.; Tomuschat ZaöRV 45 (1985) 562 ff. Vgl. zur Bedeutung der Erklärung aus Anlass des 60. Jahrestages ihrer Verabschiedung: Jaichand/Suksi (Edt.), 60 Years of the Universal Declaration of Human Rights (2009); Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken (2009). Zur Anerkennung der AEMR als Völkergewohnheitsrecht: Verdross/Simma Universelles Völkerrecht (1984), § 822; Tomuschat in: von Hoffmann (Hrsg.), Universalität der Menschenrechte (2009), 15 ff. Sie reicht dabei von einer restriktiven Anerkennung nur einzelner Rechte (Buergenthal/ Thürer Menschenrechte (2010) 31 m.w.N.) bis zu einer vollständigen gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der AEMR (Erklärung der UN-Generalversammlung v. 18.12.2007,
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Res. 62/147, die die AEMR gemeinsam mit den Zivilpakten als Grundlage („core“) des internationalen Menschenrechtsschutzes bezeichnet). Vgl. Art. 1 Abs. 3, Art. 55 lit. c, Art. 56 UNCharta. Vgl. Klein EuGRZ 1999 109. Der IPBPR wurde am 19.12.1966 zusammen mit dem IPWSKR von der UN-Vollversammlung verabschiedet; er trat nach Ratifizierung durch 35 Staaten auch für die BR Deutschland erst am 23.3.1976 in Kraft (vgl. BGBl. 1973 II S. 1534; 1976 II S. 1068). Aus rechtsvergleichender Sicht: IliopoulosStrangas Soziale Grundrechte in Europa, Teil 1 (2009). Für die BR Deutschland in Kraft seit 3.1.1976 (BGBl. II S. 428).
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Ausschuss und bei Scheitern einer gütlichen Einigung die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vorsah, fand keine Zustimmung.28 Als obligatorische Verfahren wurden für beide Pakte nur periodische Staatenberichte 16 festgelegt (Art. 40 IPBPR, Art. 16 IPWSKR).29 Eine Staatenbeschwerde an den aus 18 Mitgliedern bestehenden Ausschuss (HRC) war nur fakultativ vorgesehen, also nur für die Fälle, in denen beide betroffene Staaten die Zuständigkeit des Ausschusses für die Entgegennahme einer solchen Beschwerde anerkannt haben (Art. 41 IPBPR).30 Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde („Mitteilung“) zum Menschenrechtsaus- 17 schuss (Human Rights Committee – HRC) beim IPBPR wurde außerhalb des Paktes in einem Fakultativprotokoll (FP-IPBPR) geregelt, dem beizutreten den Vertragsstaaten frei steht.31 Der Sozialpakt (IPWSKR) ergänzt den Zivilpakt (IPBPR) durch die Festlegung der in 18 diesem nicht aufgenommenen wirtschaftlichen und sozialen Rechte (vgl. Rn. 14). In einem am 10.12.2008 aufgelegten Fakultativprotokoll wird die Einklagbarkeit dieser Rechte (Art. 2 IPWSKR) gewährleistet.32 b) Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bezweckt, wie ihre 19 Präambel hervorhebt, die Umsetzung der AEMR in ein rechtlich bindendes Vertragswerk, das auch einen wirksamen staatenübergreifenden internationalen Schutz der Menschenrechte garantiert. Im Gegensatz zu den Vereinten Nationen konnten sich die viel homogeneren westeuropäischen Staaten relativ schnell auf das Vertragswerk einigen. Die Konvention wurde am 4.11.1950 in Rom verabschiedet (Rn. 42) und hat die Grundlagen dafür geschaffen, dass sich daraus in den folgenden Jahrzehnten in Europa das weltweit wirksamste System des internationalen Menschenrechtsschutzes entwickeln konnte.33 Andere Regionen haben für ihren Bereich später ebenfalls gesonderte Menschenrechtspakte geschlossen.34 c) Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat die Amerikanische Menschen- 20 rechtskonvention (AMRK) v. 22.11.196935 beschlossen, die am 18.7.1978 in Kraft trat. Sie enthält einen Katalog mit bürgerlichen und politischen Rechten. In einem Zusatzprotokoll, dem Protocol of San Salvador v. 17.11.1988, werden wirtschaftliche, kulturelle und soziale Menschenrechte garantiert. Die Konvention verbrieft zahlreiche strafrechtliche
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Vgl. Nowak Einl. 8. Zur Problematik des Berichtssystems als Kontrollmittel vgl. Opsahl FS Wiarda 433. Dieser hat nur die Möglichkeit, einen Bericht vorzulegen und, wenn einer der beteiligten Staaten damit nicht zufrieden ist, mit vorheriger Zustimmung der betroffenen Staaten ad hoc eine Vergleichskommission einzusetzen, die sich auf der Grundlage der Achtung des Paktes um eine gütliche Regelung bemühen soll (Art. 42 IPBPR). Dieser Ausschuss darf Mitteilungen über Menschenrechtsverletzungen nur entgegennehmen, wenn der betroffene Staat dem Fakultativprotokoll beigetreten ist. Nach Prüfung der Zulässigkeit und der Begründet-
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heit der Mitteilung teilt der Ausschuss seine Auffassung dem betroffenen Vertragsstaat und der Einzelperson mit (Art. 5 FP-IPBPR). Vgl. Teil II Rn. 361 ff. Das FP ist noch nicht in Kraft getreten (Stand: November 2011). Bislang haben 35 Staaten das FP unterzeichnet; Ecuador, die Mongolei, Spanien, Argentinien und El Salvador haben es bisher ratifiziert (Stand: November 2011). Vgl. dazu Teil II Rn. 1 ff. Zur Regionalisierung des Menschenrechtsschutzes vgl. Partsch EuGRZ 1989 1. Deutsche Übersetzung: EuGRZ 1980 435; zur Entwicklung: Buergenthal EuGRZ 1984 169; Frowein EuGRZ 1980 442.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Garantien. Staaten, welche die Todesstrafe abgeschafft haben, dürfen diese Sanktion nicht wieder einführen (Art. 4 Abs. 3 AMRK); der Verhängung einer Todesstrafe in den übrigen Staaten wird durch Art. 4 Abs. 2 AMRK Grenzen gesetzt. Außerdem werden das Recht auf menschenwürdige Behandlung (Art. 5 AMRK) und das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 7 AMRK) garantiert. Art. 8 AMRK verbürgt das Recht auf ein faires Verfahren; Art. 9 AMRK enthält das Verbot rückwirkender Strafgesetze. Gewährleistet wird auch das Recht auf Entschädigung, wenn eine Person durch eine abschließende Entscheidung fehlerhaft verurteilt wurde (Art. 10 AMRK). Überwacht wird die Einhaltung dieser Rechte durch die seit 1959 existierende Inter21 Amerikanische Kommission für Menschenrechte (Inter-American Commission on Human Rights – IACHR) mit Sitz in Washington D.C. und den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Inter-American Court of Human Rights – IAGMR), der 1979 auf der Grundlage der AMRK errichtet wurde und seinen Sitz in San José (Costa Rica) hat.36 Der IAGMR ist für die Entscheidung über die Verletzung von Rechten aus der AMRK zuständig (Art. 63 AMRK) und verfügt zudem über die Kompetenz, Gutachten zur Auslegung der AMRK und anderer Menschenrechtsverträge zu erstellen (Art. 64 AMRK). Er besteht aus sieben Richtern der Mitgliedstaaten der OAS (Art. 52 AMRK), welche von der Generalversammlung der OAS für 6 Jahre gewählt werden, wobei sie einmal wiedergewählt werden können (Art. 53 f. AMRK). Derzeit tagt der Gerichtshof planmäßig nur viermal pro Jahr.37 Nur die Vertragsstaaten und die IACHR können den IAGMR anrufen (Art. 61 22 AMRK); für individuell Betroffene besteht die Möglichkeit, sich unmittelbar an die IACHR zu wenden (Art. 44 AMRK), die dann ihrerseits den Fall dem Gerichtshof vorlegen kann. Gegen die Urteile des Gerichtshofs kann kein Rechtsmittel eingelegt werden; innerhalb von 90 Tagen kann lediglich um eine Interpretation ersucht werden (Art. 67 AMRK).38 Im Fall einer Konventionsverletzung durch einen Mitgliedstaat kann der Gerichtshof Wiedergutmachung nach Art. 63 Abs. 1 AMRK anordnen. Zwar sind seine Urteile für den betroffenen Mitgliedstaat bindend (Art. 68 AMRK), jedoch verfügt der Gerichtshof über keine eigenen Mittel, um seine Urteile zu vollstrecken, so dass die Umsetzung oft ausbleibt.39 Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Urteile z.T. in komplizierte Reformprozesse gemündet haben und sich zudem auf die innerstaatliche Gerichtspraxis der Mitgliedstaaten auswirken.40 Bislang haben 25 der 35 Mitgliedstaaten der OAS die AMRK ratifiziert. Lediglich die USA lehnen eine Ratifikation bislang – trotz Unterzeichnung des Abkommens – ab. Kanada und einige karibische Inselstaaten haben die AMRK weder unterzeichnet noch ratifiziert.41
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Eingehend zur Reform der Strukturen des inter-amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems: Seifert Das interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte und seine Reformierung (2008). Steiner/Leyers Impulsgeber für einen effektiven Grundrechtsschutz: Der amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, KAS (2010), 11. Zur Ausstattung des Gerichtshofs: Engel EuGRZ 2003 122 ff.
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Steiner/Leyers Impulsgeber für einen effektiven Grundrechtsschutz: Der amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, KAS (2010), 11, 22 f. Steiner/Leyers Impulsgeber für einen effektiven Grundrechtsschutz: Der amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, KAS (2010), S. 24 f. Stand: November 2011; aktueller Ratifikationsstand abrufbar unter www.oas.org.
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d) Die Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker (AChRMV), 23 die Banjul-Charta42, wurde am 27.6.1981 in Nairobi verabschiedet und trat am 21.10. 1986 in Kraft. Die Konvention verbrieft das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Strafen und Behandlungen sowie das Verbot der Folter (Art. 5 AChRMV). Des Weiteren wird in Art. 6 AChRMV das Recht auf Freiheit garantiert; sowohl die willkürliche Festnahme als auch das willkürliche Gefangenhalten werden verboten. Schließlich werden das Recht auf ein faires Verfahren, die Unschuldsvermutung und der Grundsatz „nulla poena sine lege“ als strafrechtliche Garantien genannt (Art. 7 AChRMV).43 1998 wurde ein Zusatzprotokoll in Ouagadougou (Burkina Faso) verabschiedet, mit 24 welchem die Errichtung eines Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (African Court on Human and Peoples’ Rights, ACHPR) beschlossen wurde.44 Das Protokoll trat am 1.1.2004 in Kraft. Der ACHPR mit Sitz in Arusha (Tansania) soll den Schutz der Menschen- und Völkerrechte in Ergänzung zur Arbeit der afrikanischen Menschenrechtskommission (African Commission on Human and Peoples’ Rights, ACommHPR)45 intensivieren (Art. 2 Prot.). Er ist als Organ der Afrikanischen Union (AU) für die streitige Gerichtsbarkeit zuständig (Art. 3 Prot.) und kann Rechtsgutachten erstellen (Art. 4 Prot.).46 Das Gericht wurde 2006 erstmals gewählt und setzt sich aus elf Richtern zusammen (Art. 11 Prot.). Diese werden von der Versammlung der Staats- und Regierungschefs der AU (Art. 14 f. Prot.) für sechs Jahre gewählt, wobei eine einmalige Wiederwahl zulässig ist. Sie sind in ihrer Funktion nur nebenberuflich tätig (Art. 15 Prot.); der Gerichtspräsident und dessen Vizepräsident, welche für zwei Jahre gewählt werden, üben ihr Amt hauptberuflich aus (Art. 21 Prot.). Das Gericht ist bei einer Beteiligung von 7 Richtern bereits beschlussfähig (Art. 23 Prot.). Das Urteil ist für die Vertragsstaaten bindend (Art. 28 Prot.). Der Gerichtshof wird seine Fälle in der Regel über die ACommHPR erhalten; Indivi- 25 dualbeschwerden sind möglich, soweit die Staaten eine entsprechende Zuständigkeit des ACHPR anerkannt haben (bislang 23 afrikanische Staaten).47 e) Die 1967 in Bangkok als lose politische Verbindung gegründete und derzeit zehn 26 südostasiatische Staaten48 umfassende Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) mit Sitz in Jakarta (Indonesien) verabschiedete im November 2007 auf dem ASEAN-Gip-
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Deutsche Übersetzung: EuGRZ 1990 348. In der Folgezeit traten das Protocol on the Rights of Women in Africa am 25.11.2005 und die Convention on the Rights of the Child (CRC; siehe Rn. 31) am 2.9.1990 in Kraft. Viljoen (Edt.), Judiciary Watch Report – The African Human Rights System (2006); Wachira (Edt.), Regional and Sub-regional Platforms for Vindicating Human Rights in Africa (2007). Die Kommission, ein Organ der AU, überwacht seit 1987 die Einhaltung der Menschenrechte auf dem afrikanischen Kontinent und hat bereits zahlreiche Menschenrechtsbeschwerden von Individuen und NGOs untersucht. Sie kann – anders als der ACHPR – keine die Staaten bindenden
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Entscheidungen treffen, sondern lediglich Empfehlungen abgeben. Dokumente und sonstiges Material zur Tätigkeit der ACommHPR: Murray The African Commission on Human and Peoples’ Rights and International Law (2005); Murray/Evans Documents of the African Commission on Human and Peoples’ Rights, Volume II: 1999–2005 (2008); Volume I: 1987–1998 (2001). Vertiefend zum afrikanischen Menschenrechtsschutzsystem: Okafor The African Human Rights Systems (2007); Ruppel VRÜ 2009 173. www.aict-ctia.org. Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
fel in Singapur nach vorangegangenen zweijährigen Beratungen eine Charta, in der sich die Mitglieder der asiatischen Regionalorganisation auf gemeinsame Prinzipien, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte verständigt haben. Die Charta ist am 15.12.2008 nach der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten in Kraft getreten. In naher Zukunft sollen genaue Zielvorgaben (terms of reference) erarbeitet werden. Bis 2015 soll auf dieser Basis eine sicherheitspolitische, wirtschaftliche und sozialkulturelle Staatengemeinschaft entstehen. Die Charta enthält keinen Menschenrechtskatalog, sondern verpflichtet die Vertrags27 staaten nur allgemein auf die Einhaltung der Menschenrechte (Art. 1 Abs. 7; Art. 2 Abs. 2 lit. i). In Art. 14 ist lediglich pauschal die Einrichtung einer Menschenrechtskommission (ASEAN Human Rights Body) vorgesehen. Weitere Details im Hinblick auf deren Aufbau und Arbeitsweise fehlen ebenso wie nähere Angaben zur Zuständigkeit der Kommission und die Vorsehung eines Sanktionsmechanismusses. Die Ausgestaltung dieser Institution wurde einem High Level Panel übertragen, welches anlässlich des ASEAN-Gipfels im April 2009 einen ersten Zwischenbericht vorlegen wollte. Durch die seinerzeit herrschenden Unruhen in Thailand haben sich die Arbeiten verzögert. Insgesamt dürfen keine all zu hohen Erwartungen an die Rechtswirklichkeit und 28 praktische Umsetzung der Charta gestellt werden, zumal die politische und wirtschaftliche Lage in den zehn Mitgliedstaaten der ASEAN sehr unterschiedlich ist. In einigen ASEAN-Staaten werden die Menschenrechte im Wesentlichen eingehalten, in anderen, wie etwa Myanmar oder Kambodscha, gibt es dagegen noch beträchtliche Defizite. Zudem sind nicht alle ASEAN-Mitglieder in gleichem Maße am Thema Menschenrechte interessiert.49 So besteht die Gefahr, dass das auch nach der Charta maßgebliche Prinzip der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten eines Landes eine Schwächung der neu eingeführten Verpflichtung aller Mitgliedsländer zu Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten mit sich bringt könnte.50 4. Weitere Konventionen zum Schutz von Menschenrechten
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a) Vereinte Nationen. Auf der Ebene der Vereinten Nationen wird der Menschenrechtsschutz durch zusätzliche Konventionen ergänzt. Von besonderer Bedeutung, auch für das Strafrecht, sind die Übereinkommen, die das 30 humanitäre Kriegsvölkerrecht fortentwickelt haben, wie etwa die Genfer Abkommen v. 12.8.1949 und ihre Zusatzprotokolle v. 8.6.1977, die den Schutz der Personen bei bewaffneten Konflikten bezwecken,51 oder humanitäre Abkommen wie das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) v. 28.7.1951.52 49 50
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Hierzu: Desierto GoJIL 2009 77. Vertiefend: Severino Framing the ASEAN Charter – An ISEAS Perspective (2005); Dürkop Die ASEAN-Charta, KAS-Länderbericht (2007); Loewen Menschenrechte im AsienEuropa-Dialog, Südostasien aktuell 2008 75; Jones International Affairs 84 (2008) 735. III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen v. 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 838), IV. Genfer Abkommen v. 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 917; ber. 1956 II S. 1586) und die Zusatzprotokolle I und II v. 8.6.1977 (BGBl. 1990 II S. 1551 bzw.
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BGBl. 1990 II S. 1637); vgl. dazu etwa Partsch EuGRZ 1991 469, 471; ferner zu dem Verhältnis der Genfer Konventionen zu den auf den gleichen sittlichen Grundanschauungen beruhenden Menschenrechtspakten das Gutachten der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) v. 13.12.2003 (EuGRZ 2004 343). BGBl. 1953 II S. 560; der Anwendungsbereich wurde durch das Protokoll v. 31.1.1967 (BGBl. 1969 II S. 1294) auf alle Flüchtlinge ausgedehnt.
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Als weitere Konventionen die – meist unter speziellen Gesichtspunkten und Lagen – 31 bestimmte Menschenrechte schützen, sind namentlich zu nennen: – das Übereinkommen betreffend die Sklaverei v. 25.9.1926 i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 7.12.1953;53 Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken v. 7.9.1956;54 – das Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit (ILO-Übereinkommen 29) v. 28.6.1930,55 geändert durch ILO-Übereinkommen 116 v. 26.6.1961;56 – die Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes v. 9.12.1948;57 – das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau v. 31.3.1953;58 – das Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangs- und Pflichtarbeit (ILO-Übereinkommen 105) v. 25.6.1957;59 – das Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form der Rassendiskriminierung v. 7.3.1966 (CERD),60 das u.a. auch die Möglichkeit der Individualbeschwerde zum Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Art. 14 CERD) vorsieht;61 – das Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form der Diskriminierung der Frau v. 18.12.1979 (CEDAW)62 mit dem Fakultativprotokoll v. 6.10.1999,63 das die Individualbeschwerde („Mitteilung“) an den Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zulässt; – das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung v. 10.12.1984 (UNCAT),64 das ebenfalls einen Ausschuss der Vertragsstaaten vorsieht, dem die Berichte der Vertragsstaaten vorzulegen sind und der auch die Beschwerden der Vertragsstaaten und Individualbeschwerden („Mitteilung“) entgegennimmt, sofern ein Vertragsstaat dieser fakultativ eröffneten Möglichkeit beigetreten ist; durch das am 18.12.2002 durch die UN-Generalversammlung angenommene Zusatzprotokoll (OPCAT) 65 wurde auf der Ebene der UN ein internationaler Präventionsmechanismus (Subcommittee on Prevention – SubCoP) geschaffen; dieser
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BGBl. 1972 II S. 1473; zu diesen Abkommen vgl. Art. 4 EMRK Rn. 1, 2, 14. BGBl. 1958 II S. 205. BGBl. 1956 II S. 641. BGBl. 1963 II S. 1136. BGBl. 1954 II S. 730. Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 49. Zur Bedeutung der Konvention für die Entwicklung des Völkerstrafrechts: Safferling/Conze (Hrsg.), The Genocide Convention – Sixty Years After Its Adoption (2010). BGBl. 1969 II S. 1929. BGBl. 1959 II S. 442. BGBl. 1969 II S. 962; 2211. Vgl. Teil II Rn. 379 f.; zur Zulässigkeit vorläufiger Anordnungen siehe: IGH-Anordnung v. 15.10.2008 (Georgien/Russland); hierzu: Thienel GoJIL 2009 143. BGBl. 1985 II S. 648. Vgl. hierzu aus strafrechtlicher Sicht die Forderungen nach einem Gesamtstraftatbestand „Häusliche Gewalt“ und die diesbezüglich ablehnende Antwort
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der Bundesregierung (BTDrucks. 16 12152; 16 12839). BGBl. 2001 II S. 1238; für Deutschland in Kraft seit 15.4.2002 (BGBl. II S. 1197), vgl. Teil II Rn. 379. Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 50; BGBl. 1990 II S. 246, für die BR Deutschland am 31.10.1990 in Kraft getreten (BGBl. 1993 II S. 715); geändert aufgrund einer Resolution der UN-Generalversammlung durch Gesetz v. 7.3.1996 (BGBl. II S. 252); vgl. Teil II Rn. 381 ff. Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 51. Am 20.6.2006 nach der 20. Ratifikation in Kraft getreten; für die BR Deutschland am 3.1.2009, BGBl. 2009 II 536; Gesetz zu dem Fakultativprotokoll v. 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe v. 26.8.2008 (BGBl. 2008 II 854). Zum Ratifikationsprozess in Deutschland: BTDrucks. 15 3507; 16 8249.
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CAT-Unterausschuss hat uneingeschränkten Zugang zu Vollzugs- und Gewahrsamseinrichtungen in den Vertragsstaaten (vgl. Art. 3 EMRK Rn. 7); das Übereinkommen über die Rechte des Kindes v. 20.11.1989 (CRC);66 ergänzt durch das Fakultativprotokoll v. 25.5.2000,67 das die Beteiligung von Jugendlichen unter 18 Jahren an bewaffneten Konflikten verhindern soll, und dem Fakultativprotokoll v. 25.5.200068 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie; das Internationale Übereinkommen v. 20.12.2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen; dazu Teil II Rn. 387;69 das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen v. 13.12. 2006 (Convention on the Rights of Persons with Disabilities); ergänzt durch das Fakultativprotokoll v. 13.12.2006;70 die Erklärung der Rechte indigener Völker v. 13.9.2007 (Declaration on the Rights of Indigenous People).71
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b) Europäische Union. Auch in Europa werden die Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle durch weitere Abkommen ergänzt.72 Auf der Ebene der Europäischen Union modifizieren bzw. erweitern eine Reihe von Abkommen einzelne Konventionsrechte.
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Convention on the Rights of the Child (CRC); Gesetz v. 17.2.1992 (BGBl. II S. 121); zur Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens vgl. BTDrucks. 16 11603 S. 3. OP to the Convention on the Rights of the Child on the Involvement of Children in Armed Conflict; Gesetz v. 16.9.2004 (BGBl. II S. 1354). OP to the Convention on the Rights of the Child on the Sale of Children, Child Prostitution and Child Pornography; Gesetz v. 31.10.2008 (BGBl. II S. 1222); am 15.8.2009 für Deutschland in Kraft getreten. Am 23.12.2010 in Kraft getreten, nach Vorliegen der erforderlichen 20 Ratifikationsurkunden. Das Übereinkommen sieht eine staatliche Strafbefugnis nach dem Weltrechtsprinzip vor (Art. 9) und verpflichtet die Vertragsstaaten, die Tatverdächtigen entweder selbst vor Gericht zu stellen oder sie an einen verfolgungswilligen Staat oder ein internationales Strafgericht auszuliefern (Art. 11); vertiefend: Hummer/Mayr-Singer Wider die Straflosigkeit – Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen UN 2007 183; Heinz Das neue internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, Deutsches Institut für Menschenrechte (2008). Deutschland hat das Übereinkommen am 24.9.2009 ratifiziert:
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Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen v. 20.12.2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen v. 30.7.2009 (BGBl. 2009 II S. 932 ff.; BTDrucks. 16 12592; BRDrucks. 187/09); vgl. ferner: Art. 7 Abs. 1 lit. i ICC-Statut (Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Gesetz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – BRK) und zum Fakultativprotokoll v. 21.12.2008 (BGBl. 2008 II S. 1419). Das Übereinkommen ist am 3.5.2008 in Kraft getreten. Beide völkerrechtlichen Verträge wurden am 26.3.2009 für Deutschland verbindlich (BGBl. 2009 II S. 812). Ziel des Übereinkommens ist es, den gleichberechtigten Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten. Der Begriff der „Teilhabe“ wird dabei für einzelne Lebensbereiche konkretisiert (vgl. BTDrucks. 16 12240); eingehend: Rothfritz Die Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen (2010). Vertiefend: Connolly (Hrsg.), Indigenous Rights (2009). Vgl. die Kritik von Broß JZ 2003 429 an der Vielzahl der Regelwerke (eher Ausdruck der Unsicherheit).
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Hierzu gehört etwa das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem), das über Art. 54 33 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) v. 19.6.199073 transnationale Geltung erhält (vgl. Art. 6 EMRK Rn. 1064). c) Europarat. Von den Übereinkommen auf der Ebene des Europarates sind insbeson- 34 dere zu erwähnen: das Europäische Niederlassungsabkommen v. 13.12.1955 (ETS 019),74 die – nur zum Teil verpflichtende – Europäische Sozialcharta v. 18.10.1961 (ETS 035),75 das Protokoll zu dem Europäischen Übereinkommen über konsularische Aufgaben betreffend den Schutz der Flüchtlinge v. 11.12.1967 (ETS 061A),76 das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Strafe v. 26.11.1987 (ETS 126),77 das Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten v. 1.2.1995 (ETS 157),78 die Europäische Sozialcharta (revidiert) v. 3.5.1996 (ETS 163),79 das Europäische Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung der Biologie und der Medizin v. 4.4.1997 (ETS 164) mit dem ZP über das Verbot des Klonens von Menschen v. 12.1.1998 (ETS 168), dem ZP über die Transplantationsmedizin v. 24.1.2002 (ETS 186) und dem ZP über die biomedizinische Forschung v. 25.1.2005 (CETS 195),80 das Europäische Übereinkommen über Maßnahmen gegen den Menschenhandel v. 16.5.2005 (CETS 197),81 das Übereinkommen des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch v. 25.10.2007 (CETS 201), die Konvention des Europarates über den Zugang zu amtlichen Dokumenten v. 18.6.2009 (CETS 205) sowie das Übereinkommen vom 11.5.2011 (CETS 210) über den Schutzes von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt. 5. Einrichtung von Ämtern zur Überwachung der Menschenrechtslage a) Durch die Resolution der UN-Generalversammlung 48/141 v. 20.12.1993 wurde 35 das Amt des United Nations High Commissioner for Human Rights geschaffen. Der High Commissioner (Hoher Kommissar für Menschenrechte) leitet das Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR), welches u.a. den UNMenschenrechtsrat und das Expertenkomitee bei der Überwachung der internationalen Menschenrechtsabkommen unterstützt. Er ist Hauptverantwortlicher für die Menschenrechtsaktivitäten der UN.82 Die United Nations Commission on Human Rights hat mit Resolution 1985/33 einen UN-Sonderberichterstatter über Folter (Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment) eingesetzt.83
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BGBl. 1993 II S. 1013. Abgedruckt (Auszüge) bei Esser Textsammlung, Nr. 7. BGBl. 1959 II S. 998. BGBl. 1964 II S. 1262; Zusatzprotokoll v. 5.5.1988 (ETS 128), von Deutschland noch nicht ratifiziert; Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden v. 9.11.1995 (ETS 158), von Deutschland nicht gezeichnet. Von der BR Deutschland am selben Tag unterzeichnet; noch nicht in Kraft getreten. BGBl. 1989 II S. 946; geändert durch Prot. Nr. 1 und Nr. 2 v. 4.11.1993 (BGBl. 1996 II S. 1115). Die Änderungen sind für Deutsch-
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land am 1.3.2002 in Kraft getreten (BGBl. II S. 1019). Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 42. BGBl. 1997 II S. 1408. Von der BR Deutschland am 29.6.2007 unterzeichnet; noch nicht ratifiziert. Jeweils nicht von der BR Deutschland unterzeichnet. Von Deutschland am 17.11.2005 unterzeichnet; noch nicht ratifiziert. Http://www.ohchr.org; Kälin/Künzli 300 f. Siehe auch http://www2.ohchr.org/english/ issues/torture/rapporteur/, insbesondere zu
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b) Auf europäischer Ebene bedarf die Arbeit des Menschenrechtskommissars des Europarates (Commissioner for Human Rights of the Council of Europe) besonderer Erwähnung.84 Das Amt wurde nach rund zweijähriger Vorbereitung am 7.5.1999 im Zuge der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Europarats durch die Resolution 99 (50) des Ministerkomitees geschaffen. Der Menschenrechtskommissar hat seinen Amtssitz in Straßburg. Der Menschenrechtskommissar wird von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aus einer vom Ministerkomitee erstellten Liste von drei Kandidaten für eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Das Aufgabenfeld des Menschenrechtskommissars ist weit gefasst. Er soll die Bildung 37 auf dem Gebiet der Menschenrechte sowie das Bewusstsein für und die Achtung der Menschenrechte fördern. Zur Umsetzung dieser Vorgaben soll er u.a. helfen, praktische und rechtliche Defizite in den Mitgliedstaaten in Fragen des Menschenrechtsschutzes zu identifizieren. Zu seinen weiteren Aufgaben zählt die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Menschenrechtsnormen des Europarats. Der Menschenrechtskommissar soll seine Tätigkeit unabhängig und unparteiisch aus38 üben. Er ist eine nichtrichterliche Institution und behandelt keine Individualbeschwerden. Wichtigstes Instrument ist die Durchführung von Besuchen in den Mitgliedstaaten des Europarats. Offizielle Besuche zur allgemeinen Einschätzung der Menschenrechtslage in den Mitgliedstaaten (assessment visits), die inzwischen in allen 47 Mitgliedstaaten des Europarats stattgefunden haben. Ein zweiter Typus sind Besuche zur Nachbereitung der offiziellen Besuche (follow-up visits); sie dienen der Einschätzung der seitdem erzielten Erfolge. Ein dritter Typus sind Kontaktbesuche, mit denen der offizielle Dialog mit den nationalen Behörden und der Zivilgesellschaft gestärkt werden soll (contact visits). Ein letzter Typus, Sonderbesuche bei spezifischen Problemlagen im besuchten Staat (special visits), gehen entweder auf eine Anregung durch das Ministerkomitee des Europarats, auf eine Einladung eines Mitgliedstaates oder auf eine Initiative des Menschenrechtskommissars selbst zurück. Die Ergebnisse der Besuche werden in einem öffentlich zugänglichen Besuchsbericht zusammengefasst, der an das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung weitergeleitet wird. Eine Pflicht der Staaten zur Stellungnahme oder Kommentierung der Berichte besteht nicht. Mit dem am 1.6.2010 in Kraft getretenen 14. Protokoll zur Europäischen Menschen39 rechtskonvention (14. P-EMRK) hat der Menschenrechtskommissar zudem das Recht erhalten, schriftliche Stellungnahmen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) abzugeben und dort an mündlichen Verhandlungen teilzunehmen (vgl. Art. 36 Abs. 3 EMRK).
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6. Internationale Ahndung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Gedanke, dass es eine Aufgabe der Völkergemeinschaft sei, diese Verbrechen staatsübergreifend zu ahnden, hat im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts durch die politischen Ereignisse im früheren Jugoslawien und in Ruanda neuen Auftrieb erhalten. Das Fehlen anwendbarer Konventionsregeln und internationaler Organe erforderte, dass der UN-Sicherheitsrat ad hoc internationale Strafgerichtshöfe für die Ahndung von Völkermord und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im früheren Jugoslawien und Ruanda85 in Anwendung von Kapitel VII der UN-Charta (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen) einsetzen musste.
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den Aufgaben des UN-Sonderberichterstatters über Folter. Vgl. auch: Brummer Der Europarat (2008), 193 ff.
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UN-Sicherheitsrat, Res. 827 v. 25.5.1993 und Res. 955 v. 8.11.1994.
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Einführung
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Das am 17.7.1998 in Rom verabschiedete Statut des Internationalen Strafgerichtshofs 41 zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen86 hat nunmehr eine internationale Strafgerichtsbarkeit (ICC – IStGH) geschaffen, die subsidiär gegenüber der Gerichtsbarkeit der einzelnen Vertragsstaaten schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ahnden kann.
B. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 1. Konvention (Grundtext). Die am 4.11.1950 in Rom unterzeichnete Europäische 42 Menschenrechtskonvention87 ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, durch den sich alsbald nach Ende des Zweiten Weltkriegs die im Europarat zusammengeschlossenen westeuropäischen Staaten88 verpflichtet haben, die darin angeführten Menschenrechte zu achten, so wie dies auch Art. 3 der Satzung des Europarates fordert. Die EMRK trat nach Ratifizierung durch 10 Staaten am 3.9.1953 in Kraft. Nur Staaten, die dem Europarat angehören, können der Konvention beitreten, während umgekehrt der Beitritt zum Europarat davon abhängig gemacht wird, dass die beitrittswilligen Staaten auch die EMRK zeichnen. Dies haben alle Staaten bei ihrem Beitritt getan.89 Das am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. P-EMRK (Rn. 61; Teil II Rn. 269) ermöglicht nun auch den Beitritt der Europäischen Union zur Konvention (Rn. 109 ff.). Die EMRK ist ein eigenständiges Vertragswerk ihrer Mitgliedstaaten. Mit dem Europa- 43 rat ist sie aber organisatorisch dadurch verflochten, dass dessen Organe auch Aufgaben im Rahmen der Konvention wahrnehmen. Die Richter des Gerichtshofs werden von der Generalversammlung des Europarates gewählt (Art. 22 EMRK).90 Das Ministerkomitee des Europarats überwacht auch nach Inkrafttreten des 14. P-EMRK die Durchführung der Urteile des Gerichtshofs (Art. 46 Abs. 2 EMRK). Neue Kompetenzen erhielt das Ministerkomitee bezüglich einer leichteren und schnelleren Umsetzung der Urteile: So kann es zum einen den Gerichtshof hinsichtlich der Auslegung eines Urteils anrufen (Art. 46 Abs. 3 EMRK), zum anderen den EGMR darauf hinweisen, dass eine Vertragspartei der Verpflichtung zur Umsetzung nicht nachzukommen scheint (Art. 46 Abs. 4 EMRK). Der Generalsekretär des Europarats ist Dienstherr der Bediensteten des organisato- 44 risch an den Europarat angebundenen Gerichtshofs, dessen Kosten der Europarat trägt (Art. 50 EMRK). Er hat außerdem das Recht, die Konventionsstaaten zu befragen, wie sie innerstaatlich die Konventionsbestimmungen wirksam durchsetzen (Art. 52 EMRK).
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EuGRZ 1998 618; dazu Ambos ZStW 111 (1999) 175; Kinkel NJW 1998 2650. Zur Entstehungsgeschichte Partsch ZaöRV 15 (1954) 631; ders. ZaöRV 17 (1956) 93; siehe auch den franktionsübergreifenden Antrag „60 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention“, BTDrucks. 17 3423 v. 27.10.2010. Die Satzung des Europarats wurde am 5.5.1949 unterzeichnet; Deutschland ist seit 2.5.1951 Vollmitglied.
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Vgl. Meyer-Ladewig Einl. 1; Bartsch NJW 1989 3061. Zu der Verknüpfung der Funktionen und deren Zweckmäßigkeit vgl. Maud de BoerBuquicchio EuGRZ 2003 561; zur Kritik an der Verknüpfung: Engel EuGRZ 2003 122 u. 388; ferner die Antwort des Generalsekretärs auf eine parlamentarische Anfrage EuGRZ 2004 113.
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In der BR Deutschland ist die durch Gesetz v. 7.8.195291 ratifizierte Konvention am 3.9.1953 in Kraft getreten.92 Bis zur Neufassung der EMRK durch das 11. P-EMRK stand es den beitretenden Staaten frei, die Befugnis der Europäischen Menschenrechtskommission (EKMR) zur Annahme von Individualbeschwerden (Art. 25 EMRK a.F.) anzuerkennen und sich der Gerichtsbarkeit des EGMR (Art. 46 EMRK a.F.) zu unterwerfen. Die BR Deutschland hat beides getan,93 desgleichen, wenn auch mit teilweise erheblicher zeitlicher Verzögerung, alle anderen Mitgliedstaaten des Europarates.94 Die Neufassung der EMRK durch das 11. P-EMRK hat diese Optionsmöglichkeit beseitigt, einen ständigen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) etabliert (1998) und dessen Gerichtsbarkeit obligatorisch gemacht.
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2. Protokolle und Zusatzprotokolle. Spätere Vereinbarungen der Konventionsstaaten (Protokolle – P-EMRK) haben den Text einiger Artikel der EMRK geändert. Die Protokolle Nr. 1, 4, 6, 7, 12 und 13 haben den Gewährleistungen der Konvention weitere Rechte und Freiheiten hinzugefügt (Zusatzprotokolle – ZP-EMRK). Die Mitgliedstaaten der Konvention sind aber nicht stets allen ZP-EMRK beigetreten. Es muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob und ggf. mit welchen Vorbehalten diese zusätzlichen Gewährleistungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten gelten.95 Das Zusatzprotokoll v. 20.3.1952 (ETS 009) garantiert die Achtung des Eigentums und das Recht auf Bildung sowie freie und geheime Wahlen. Die Bundesrepublik hat es durch Gesetz v. 20.12.1956 (BGBl. II S. 1880) ratifiziert, es ist am 13.2.1957 in Kraft getreten (BGBl. II S. 226). Das 2. Protokoll v. 6.5.1963 (ETS 044) regelte die Erstattung von Gutachten durch den EGMR. Es ist durch Gesetz v. 10.12.1968 (BGBl. II S. 1111) ratifiziert worden und am 21.9.1970 in der Bundesrepublik in Kraft getreten (BGBl. II S. 1315). Es ist durch Art. 47 bis 49 EMRK i.d.F. des 11. P-EMRK ersetzt worden. Das 3. Protokoll v. 6.5.1963 (ETS 045) änderte die Art. 29, 30 und 34 EMRK a.F. Es ist gleichzeitig mit dem 2. ZP-EMRK und dem 5. P-EMRK durch Gesetz v. 10.12.1968 ratifiziert worden und für Deutschland am 21.9.1970 in Kraft getreten. Durch die Neufassung der Verfahrensregeln der EMRK durch das 11. P-EMRK (Rn. 57) wurde das 3. P-EMRK gegenstandslos. Das 4. Zusatzprotokoll v. 16.9.1963 (ETS 046) verbietet die Freiheitsentziehung wegen Nichterfüllung vertraglicher Pflichten, die Ausweisung eigener Staatsangehöriger und die Kollektivausweisung von Ausländern. Es gewährleistet die Freizügigkeit. Das 4. ZP-EMRK ist durch Gesetz v. 9.5.1968 ratifiziert worden und am 1.6.1968 in Kraft getreten.96 Das 5. Protokoll v. 20.1.1966 (ETS 055) ändert die Art. 22 und 40 EMRK (a.F.). Es wurde durch Gesetz v. 10.12.1968 ratifiziert und trat am 20.12.1971 in Kraft.97 Die
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BGBl. II S. 685, ber. S. 953. BGBl. 1954 II S. 14. Am 17.5.2002 (BGBl. II S. 1054) und zuletzt am 22.10.2010 (BGBl. II 1198) wurde der Text der Konvention nebst ZP in einer die bisherigen Änderungen berücksichtigenden Neufassung zusammen mit einer sprachlich überarbeiteten deutschen Übersetzung neu bekannt gemacht. Die fakultative Gerichtsbarkeit des EGMR wurde von der BR Deutschland, ähnlich wie
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von mehreren anderen Mitgliedstaaten, jeweils nur zeitlich befristet für 5 Jahre anerkannt und jeweils verlängert. Vgl. Tomuschat EuGRZ 2003 95, 97. Der Stand des Beitritts und etwaige Vorbehalte sind den CETS (Council of Europe Treaty Series) zu entnehmen (www.coe.int). BGBl. 1968 II S. 422; 1968 II S. 1109. BGBl. 1972 II S. 105.
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Neufassung der Verfahrensregeln durch das 11. P-EMRK hat auch diese Änderungen aufgenommen. Das 6. Zusatzprotokoll v. 28.4.1983 (ETS 114) schafft die Todesstrafe ab.98 Es wurde mit Gesetz v. 23.7.1988 (BGBl. II S. 662) ratifiziert und ist in der Bundesrepublik seit 1.8.1989 in Kraft (BGBl. II S. 814). Das 7. Zusatzprotokoll v. 22.11.1984 (ETS 117) betrifft die Ausweisung von Ausländern, das Recht auf Rechtsmittel bei einer strafgerichtlichen Verurteilung, die Entschädigung bei fehlerhaften Strafurteilen, das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) und die Gleichberechtigung in der Ehe. Deutschland hat dieses Protokoll nicht ratifiziert.99 Soweit die dort enthaltenen Verbürgungen auch im IPBPR enthalten sind100 und dort nicht von einem Vorbehalt erfasst werden, gelten sie in dessen Fassung materiell auch in der Bundesrepublik; der EGMR kann aber insoweit nicht angerufen werden. Das 8. Protokoll v. 19.3.1985 (ETS 118) änderte zur Vereinfachung des Verfahrens bei Individualbeschwerden die Art. 20, 21, 23, 28, 29, 30, 31, 34, 40, 41 und 43 EMRK (a.F.).101 Die Bundesrepublik hat es mit Gesetz v. 30.6.1989 ratifiziert.102 Es ist für die Bundesrepublik am 1.1.1990 in Kraft getreten.103 Seine Änderungen sind mit Inkrafttreten der neuen Verfahrensvorschriften des 11. P-EMRK gegenstandslos geworden. Das 9. Protokoll v. 6.11.1990 (ETS 140), das u.a. den Beschwerdeführern nach Art. 25 EMRK a.F. das Recht zur Anrufung des Gerichtshofs und die Parteifähigkeit vor diesem einräumte, änderte die Art. 31 Abs. 2, Art. 44, Art. 45 und Art. 48 EMRK a.F. für die Staaten ab, die ihm beigetreten waren. Die Bundesrepublik ist dem Protokoll nicht beigetreten, da es durch die grundlegende Neuregelung des Verfahrens im 11. P-EMRK gegenstandslos wurde. Das 10. Protokoll v. 25.3.1992 (ETS 146) ersetzte die bisher im Ministerkomitee zur Feststellung einer Konventionsverletzung notwendige Zweidrittel-Mehrheit durch die einfache Mehrheit. Es ist durch die grundlegenden Verfahrensänderungen des 11. P-EMRK überholt worden. Das 11. Protokoll v. 11.5.1994 (ETS 155) brachte eine grundlegende Reform der Konventionsorgane und des Rechtsschutzverfahrens.104 Die Abschnitte II bis IV der EMRK (Art. 19 bis 59 EMRK a.F.) wurden durch einen neuen Abschnitt II (Art. 19 bis 51 EMRK) ersetzt.105 Das komplizierte System der ursprünglichen EMRK mit seinen fakultativen Möglichkeiten, die es jedem Mitgliedstaat freistellte, die Individualbeschwerde zur Europäischen Menschenrechtskommission (EMRK) zuzulassen und sich der Gerichtsbarkeit des EGMR zu unterwerfen, entfiel. Die Europäische Menschenrechtskommission (Art. 20 bis Art. 37 EMRK a.F.) wurde 1998 aufgelöst,106 desgleichen die Befugnis des Ministerkomitees zur Entscheidung über
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Dazu Hartig EuGRZ 1983 270 sowie die gesonderte Kommentierung des 6. und 13. ZP-EMRK. Die Möglichkeit der Ratifikation wird geprüft (BTDrucks. 16 11603 S. 5). Vgl. Art. 14 Abs. 5 bis 7; Art. 23 Abs. 4 IPBPR; Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes v. 15.11.1973. Vgl. Bartsch NJW 1986 1374; 1385. BGBl. 1989 II S. 546. BGBl. 1989 II S. 991.
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Zur Reform des 11. P-EMRK Meyer-Ladewig NJW 1995 2813; NJW 1998 512; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 1999 1165; Schlette ZaöRV 56 (1996) 903; ders. JZ 1999 219; Wittinger NJW 2001 1238. Art. 1 des 11. P-EMRK. Sie hat aufgrund einer Übergangsvorschrift (Art. 5 Abs. 3 des 11. P-EMRK) noch ein Jahr lang zulässige Beschwerden weiterbehandelt und am 28.10.1999 ihre Tätigkeit eingestellt (EuGRZ 1999 616).
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Menschenrechtsverletzungen. Die Befugnis zur Feststellung von Verletzungen der EMRK ist jetzt ausschließlich dem zu einem ständig tagenden Gericht mit Vollzeitrichtern umgewandelten Gerichtshof übertragen, dessen Gerichtsbarkeit alle Mitgliedstaaten unterworfen sind. Nicht, wie ursprünglich, allein die Vertragsstaaten, sondern jeder von einer Menschenrechtsverletzung Betroffene kann jetzt den Gerichtshof unmittelbar anrufen. Die Wahl der Richter, die Organisation des in verschiedene Spruchkörper aufgeteilten Gerichts und die Grundzüge seines Verfahrens wurden neu geregelt. Nachdem alle Mitgliedstaaten dem 11. P-EMRK zugestimmt hatten,107 trat dieses am 1.11.1998 zusammen mit der vom Plenum des Gerichtshofs am 4.11.1998 beschlossenen neuen Verfahrensordnung (Rules of Court)108 in Kraft. Das 12. Zusatzprotokoll v. 4.11.2000 (ETS 177), das den Genuss aller auf Gesetz 59 beruhenden Rechte ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen sozialen Status garantiert und jede Benachteiligung, insbesondere von einer Behörde, aus einem dieser Gesichtspunkte verbietet (allgemeines Diskriminierungsverbot), ist nach Ratifizierung durch zehn Mitgliedstaaten am 1.4.2005 in Kraft getreten. Die BR Deutschland hat es (noch) nicht ratifiziert.109 Das 13. Zusatzprotokoll (ETS 187), das die Todesstrafe unter allen Umständen 60 abschafft, wurde am 3.5.2002 verabschiedet.110 Es ist nach der Ratifikation durch zehn Mitgliedstaaten am 1.7.2003 in Kraft getreten; für die BR Deutschland am 1.2.2005.111 Die stetig steigende Zahl der beim EGMR eingehenden Beschwerden hat eine weitere 61 strukturelle und personelle Reform des Kontrollsystems erforderlich gemacht. Das am 13.5.2004 zur Zeichnung aufgelegte und (erst) am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. Protokoll über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention (CETS 194) hat zu signifikanten Änderungen im Verfahren der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) geführt (vgl. Teil II Rn. 269 ff.).
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3. Vorbehalte. Mehrere Staaten haben bei ihrem Beitritt Vorbehalte zu einzelnen Bestimmungen der Konvention abgegeben.112 Die Bundesrepublik hatte beim Beitritt zur EMRK einen Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK erklärt;113 zwei weitere Erklärungen betrafen Berlin und das Saarland.114 Die an sich bei völkerrechtlichen Verträgen nach Art. 2 Abs. 1 lit. d, Art. 19 ff. der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK)115 grundsätzlich bestehende Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, wird durch Art. 57 EMRK (Art. 64 EMRK a.F.) zulässig eingeschränkt.116 Dies entspricht ihrem Zweck, eine über die sub-
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Die BR Deutschland hat es mit Gesetz v. 24.7.1995 (BGBl. II S. 578) ratifiziert. BGBl. 2002 II S. 1080. Die Rules of Court sind seither mehrfach geändert worden. Der aktuelle Stand ist (englisch/französisch) abrufbar unter http://www.echr.coe.int/ ECHR/EN/Header/Basic+Texts. Siehe hierzu BTDrucks. 16 6314; 16 11603 S. 6; Art. 14 EMRK Rn. 45 ff. Die BR Deutschland hat es mit Gesetz v. 5.7.2004 (BGBl. II S. 982) ratifiziert. Gesetz v. 5.7.2004, BGBl. II S. 982.
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Vgl. die Auflistung bei Frowein/Peukert S. 724. Die durch die Ratifikation herbeigeführte Rechtslage ist im Übrigen in den einzelnen Signatarstaaten verschieden; vgl. Rn. 84 ff. Dieser Vorbehalt wurde zwischenzeitlich zurückgenommen, vgl. Art. 7 EMRK Rn. 6. Zum Vorbehalt Süsterhenn DVBl. 1955 753. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23.5.1969 (BGBl. 1985 II S. 926). Vgl. Art. 19 lit. b WVK. Zu den Einschränkungen Grabenwarter § 2, 7.
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Einführung
Einf. IPBPR
jektiven Vertragspflichten der einzelnen Mitgliedstaaten hinausreichende objektive europäische Rechtsordnung zu schaffen.117 Soweit nicht einzelne Bestimmungen Vorbehalte überhaupt ausschließen, wie Art. 4 63 des 6. ZP-EMRK, kann ein Staat nur bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde und nur insoweit Vorbehalte zu einzelnen, genau zu bezeichnenden Bestimmungen der Konvention oder eines ZP118 erklären, als ein zu dieser Zeit in seinem Hoheitsgebiet bereits geltendes Gesetz119 mit der jeweiligen Bestimmung der Konvention nicht übereinstimmt. Er muss dabei diese gesetzlichen Regelungen im Vorbehalt eindeutig bezeichnen,120 damit Gegenstand und Tragweite des Vorbehalts für jedermann eindeutig ersichtlich sind. Dies soll einer ausdehnenden Auslegung vorbeugen. Vorbehalte allgemeiner Art, die sich nicht deutlich auf bereits bestehende, konkrete 64 innerstaatliche Regelungen beziehen und den von der Anwendung der Konvention ausgenommenen Bereich nicht genau bezeichnen, sind nicht zulässig (Art. 57 Abs. 1 Satz 2 EMRK) und unwirksam.121 Unwirksam sind Vorbehalte, die nicht bei der Ratifikation der Konvention oder eines ZP, sondern erst später erklärt werden.122 Der EGMR prüft die Wirksamkeit eines Vorbehalts nach, denn nur soweit ein Staat einen wirksamen Vorbehalt erklärt hat, ist er innerhalb dessen Grenzen durch die EMRK nicht gebunden.123 Eine diesen Bereich betreffende Beschwerde an den Gerichtshof ist dann „ratione materiae“ unzulässig (vgl. Art. 1 EMRK Rn. 34 ff.). Gibt ein Staat eine Interpretationserklärung ab, mit der er erklärt, wie er eine be- 65 stimmte Vertragsbestimmung versteht, so muss diese ausgelegt werden. Will der Staat damit nicht nur sein Verständnis einer bestimmten Vertragsbestimmung unverbindlich aufzeigen, sondern rechtsverbindlich damit auch die Grenzen der von ihm eingegangenen Konventionsverpflichtung festlegen, so liegt darin ungeachtet der anderen Bezeichnung ein Vorbehalt, der die Vertragsverpflichtungen des erklärenden Staates einschränkt, sofern er nicht unwirksam ist, weil er die vorgenannten Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt.124
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Sog. Law-making treaty; vgl. EGMR Loizidou/TRK, 23.3.1995, A 310 = ÖJZ 1995 629. Für eine nicht ausdrücklich bezeichnete Konventionsbestimmung gilt ein zu einer anderen Bestimmung erklärter Vorbehalt auch dann nicht, wenn der sachliche Inhalt beider Vertragsbestimmungen im Wesentlichen gleich ist: EGMR Burghartz/CH, 22.2.1994, A 280-B = ÖJZ 1994 559; dazu Hausheer EuGRZ 1995 579, 581; Grabenwarter § 2, 7. Zur Absicherung von Gesetzesbestimmungen, die erst nach der Ratifikation in Kraft treten, kann kein Vorbehalt erklärt werden: EGMR Fischer/A, 26.4.1995, A 312 = ÖJZ 1995 633 = JBl 1996 241; Eisenstecken/A, 3.10.2000, ECHR 2000-X = ÖJZ 2001 194; Meyer-Ladewig Art. 57, 3. EGMR Chorherr/A, 25.8.1993, A 266-B =
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JBl 1994 104 = ÖJZ 1994 173 (Hinweis auf Fundstelle im Gesetzblatt genügt); Grabenwarter § 2, 7; Meyer-Ladewig Art. 57, 4. Vgl. etwa EGMR Belilos/CH, 29.4.1988, A 132 = EuGRZ 1989 21 (Erklärung zu unbestimmt, weil genauer Anwendungsbereich nicht erkennbar); Weber/CH, 22.5.1990, A 117 = EuGRZ 1990 265 = NJW 1991 623 = ÖJZ 1990 713; dazu Villiger 35 ff.; EGMR Gradinger/A, 23.10.1995, A 328-C = ÖJZ 1995 954; Eisenstecken/A (Fn. 119); Grabenwarter § 2, 7. Grabenwarter § 2, 7; Oeter ZaöRV 48 (1988) 521; Villiger 38. Meyer-Ladewig Art. 57, 3–4 und zu den Vorbehalten der Bundesrepublik Art. 57, 7 ff.; zu den von den übrigen Staaten erklärten Vorbehalten vgl. Villiger 33, 35 ff., 38. Vgl. Meyer-Ladewig Art. 57, 1; Grabenwarter § 2, 7.
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4. Berlin / Länder der ehemaligen DDR. Im Land Berlin wurden die EMRK und die (Zusatz-)Protokolle 1 bis 6 ebenfalls in Geltung gesetzt.125 Die Maßnahmen der Westberliner Behörden wurden daran gemessen.126 Auch soweit die britischen und französischen Sektorenkommandanten und ihre Stationierungstruppen dort eigene Staatsgewalt ausübten, unterlagen sie der EMRK. Wieweit ihre Maßnahmen mit der Menschenrechtsbeschwerde angreifbar waren, ist von der EKMR aber nicht abschließend geklärt worden.127 Bei Maßnahmen der früheren Vier-Mächte-Verwaltung, die auf älteren Übereinkommen beruhten, lehnte sie die Überprüfung ab.128 Seit dem Anschluss an die Bundesrepublik erstreckt sich der Geltungsbereich der 67 EMRK nach dem Grundsatz der beweglichen Staatsgrenzen auf ganz Berlin und die Länder im Gebiet der ehem. DDR und Berlin-Ost. Die EMRK und die von der Bundesrepublik ratifizierten (Zusatz-)Protokolle sind auch dort innerstaatlich geltendes Bundesrecht geworden.129
C. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) 68
1. Grundkonvention. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)130 v. 16.12.1966 ist im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitet worden.131 Er steht den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und aufgrund einer generellen Aufforderung praktisch auch allen anderen Staaten (vgl. Art. 48 IPBPR) zum Beitritt offen.132 Er wurde bisher von 166 Staaten133 mit zahlreichen Vorbehalten und Interpretationserklärungen ratifiziert.134 Die BR Deutschland hat den IPBPR mit Gesetz v. 15.11.1973 nach Maßgabe der dort 69 in Art. 1 festgelegten Einschränkungen135 ratifiziert. Der IPBPR ist für die Bundesrepublik (zunächst ohne Art. 41) am 23.3.1976 in Kraft getreten.136 Art. 41 IPBPR, der die Staatenbeschwerde anerkennt, trat am 28.3.1979 in Kraft.137 Der IPBPR galt auch in Berlin.
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Vgl. Berl.GVBl. 1953 1163; 1968 943; 1969 338. Zur Einbeziehung Berlins Partsch ZaöRV 17 (1956/57) 101; Pestalozza FS JurGes. Berlin 549. Geulen NJW 1985 1057; Pestalozza (Fn. 125) 549, 561 ff. mit Darstellung der Praxis der Konventionsorgane. Dazu Geulen NJW 1985 1057; Wengler ROW 1986 153. EKMR EuGRZ 1975 482 (Hess); dazu Blumenwitz EuGRZ 1975 97; Frowein FS Schlochauer 290; Frowein/Peukert Einf. 14; Wilms ZaöRV 51 (1991) 470. Art. 8, 11 Einigungsvertrag, BGBl. 1990 II S. 889. Zur Auswirkung des Anschlusses nach Art. 23 GG auf die völkerrechtlichen Verträge vgl. etwa Grabitz/v. Bogdandy NJW 1990 1076; Horn NJW 1990 2173; Mansel JR 1990 441; v. Münch NJW 1991 868; Oeter ZaöRV 51 (1991) 349; Rauschning DVBl. 1990 403.
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International Covenant on Civil and Political Rights (CCPR); abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 47. Zur Entstehungsgeschichte Nowak Einf. 7; ders. EuGRZ 1980 552. Nowak Art. 48, 5 f. Stand: Juli 2011; abrufbar unter: http://treaties.un.org. Vgl. Nowak Anh. A 4; Bartsch NJW 1989 3061. Die über 150 einzelnen Vorbehalte und Erklärungen sind unter http://treaties. un.org wiedergegeben. BGBl. 1973 II S. 1533; die Einschränkungen entsprechen dem erklärten Vorbehalt. BGBl. 1976 II S. 1068. BGBl. 1979 II S. 1218. Dieses Verfahren ist allerdings nur fakultativ; die Bundesrepublik hat das Verfahren mittlerweile unbefristet anerkannt.
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Die DDR war dem IPBPR mit Wirkung v. 23.3.1976138 beigetreten. Durch ihren Bei- 70 tritt zur Bundesrepublik hat sich nur insoweit etwas geändert, als der Zivilpakt jetzt, sofern nicht entsprechend Art. 12 Einigungsvertrag etwas anderes vereinbart wurde, auch im Gebiet der ehemaligen DDR mit den von der Bundesrepublik erklärten Vorbehalten gilt. Im Vertrag zwischen der BR Deutschland und der Union der sozialistischen Sowjet- 71 republiken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland v. 12.10.1990139 wurden bei den Regelungen über die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Art. 18 die einschlägigen Rechte des IPBPR ausdrücklich für anwendbar erklärt. 2. Fakultativprotokolle. Das (erste) Fakultativprotokoll v. 19.12.1966140 eröffnet 72 jedem Betroffenen die Möglichkeit, bei Verletzung eines im IPBPR verbürgten Rechts durch Maßnahmen eines Staates, der diesem FP beigetreten ist, den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen (Human Rights Committee – HRC) anzurufen („Mitteilung“).141 Die Bundesrepublik ist, ebenso wie andere Mitgliedstaaten der EMRK dem FP-IPBPR zunächst nicht beigetreten. Der vertraglich festgelegte Vorrang des Rechtsschutzsystems der EMRK und die Letztentscheidungskompetenz ihrer Organe sollte nicht beeinträchtigt werden.142 Erst mit Gesetz v. 21.12.1992143 trat Deutschland dann doch dem FP mit mehreren Vorbehalten bei, die u.a. die Anrufung des HRC bei den Sachen ausschließen, die in einem anderen internationalen Streitschlichtungsverfahren geprüft wurden. Das FP-IPBPR ist seit 25.11.1993 auch für die Bundesrepublik in Kraft.144 Das 2. Fakultativprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe wurde von der UN- 73 Generalversammlung am 15.12.1989 angenommen.145 Die Bundesrepublik ist ihm mit Gesetz v. 2.6.1992146 beigetreten. Das 2. FP-IPBPR trat für Deutschland am 18.11.1992 in Kraft.147 3. Vorbehalte. Da im IPBPR eine ausdrückliche Regelung über die Zulässigkeit von 74 Vorbehalten fehlt, ist nach Art. 19 lit. c WVK davon auszugehen, dass Vorbehalte zulässig sind, sofern sie nicht mit Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind.148 Die anderen Vertragsstaaten können einem Vorbehalt nach Art. 20 Abs. 5 WVK widerspre-
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GBl. DDR 1976 II S. 1068. BGBl. 1991 II S. 256. BGBl. 1992 II S. 1247; ÖBGBl. 1988 S. 105. Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 47a. Hierzu Teil II Rn. 361 ff. sowie Esser in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), Internationales Strafrecht, 114 ff. Vgl. Art. 62 EMRK a.F. (jetzt Art. 55 EMRK). Der Ministerrat des Europarates hatte in einer Resolution v. 17.5.1970 den Mitgliedstaaten empfohlen, das FP-IPBPR wegen dessen Art. 5 Abs. 2 lit. a nur mit Vorbehalten zu unterzeichnen; dazu Nowak Art. 5, 15 FP-IPBPR.
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BGBl. 1992 II S. 1246. BGBl. 1994 II S. 311, in der die Vorbehalte der Bundesrepublik mitgeteilt werden. Vgl. Teil II Rn. 357. Abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 47b. BGBl. 1992 II S. 390. BGBl. 1993 II S. 880. Nowak Einführung 22 ff.; vgl. etwa HRC Kennedy/Trinidad u. Tobago, 2.11.1999, 845/1998, EuGRZ 2000 615 (Vorbehalt, der bei Todesstrafe jede Beschwerde ausschließt, wegen Verstoßes gegen das Ziel des FPIPBPR unzulässig); dazu Stahn EuGRZ 2000 607.
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chen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass dann insoweit keine Vertragsbindung des erklärenden Staates entstanden ist. Von der Möglichkeit, einen Vorbehalt zu erklären, haben zahlreiche Vertragsstaaten des IPBPR Gebrauch gemacht.149
D. Bestätigung der Menschenrechtskonventionen in anderen internationalen Dokumenten 75
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1. KSZE / OSZE. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hatte schon in der Schlussakte von Helsinki v. 1.8.1975150 und dann in den Folgetreffen das Prinzip der Achtung der Menschenrechte unter Verweis auf die bestehenden Verpflichtungen als leitendes Prinzip der Staatengemeinschaft anerkannt und auf den inneren Zusammenhang hingewiesen, der zwischen diesem Prinzip und der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit besteht.151 Im Abschlussdokument des Wiener KSZE-Folgetreffens v. 15.1.1989152 bekräftigten die Teilnehmerstaaten, dass sie die Menschenrechte und Grundfreiheiten achten und garantieren und dass sie – soweit nicht geschehen – den Beitritt zum IPBPR und zum FP-IPBPR in Erwägung ziehen. Das Kopenhagener Abschlussdokument v. 29.6.1990 wiederholte dies.153 Die wichtigsten Menschenrechte, die meist mit dem Wortlaut der EMRK oder des IPBPR in den Text dieses Dokumentes aufgenommen worden sind, werden als wesentlicher Ausdruck der Menschenwürde und der für alle gleichen, unveräußerlichen Rechte anerkannt. In der Charta von Paris für ein neues Europa v. 21.11.1990154 bekräftigten die Regierungschefs der KSZE-Mitgliedstaaten erneut die Menschenrechte als Grundlage einer auf den Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit aufgebauten, auf gegenseitige Achtung, Frieden und Zusammenarbeit ausgerichteten europäischen Ordnung, wobei die wichtigsten Garantien gegen Menschenrechtsverletzungen einschließlich des Rechts des Einzelnen auf wirksame nationale und internationale Rechtsbehelfe besonders angesprochen werden. In der Konferenz von Moskau über die Menschliche Dimension der KSZE v. 3.10. 1991 wurde u.a. hervorgehoben, dass die Achtung der Menschenrechte ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten sei und nicht ausschließlich eine innere Angelegenheit des betroffenen Staates. Diese menschenrechtliche Dimension wird auch im Dokument über das Budapester KSZE-Folgetreffen im Jahre 1994 angesprochen, in dem die KSZE mit Wirkung v. 1.1.1995 in OSZE umbenannt wurde.155 Die Bedeutung solcher internationalen Erklärungen liegt darin, dass die Regierungen der jeweiligen Unterzeichnerstaaten ihre Bindungen an die von ihnen übernommenen Konventionspflichten und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen bekräftigen. Gleiches 149 150
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Vgl. die unter http://treaties.un.org wiedergegebenen Erklärungen. Textauszug bei Simma/Fastenrath Nr. 42. Zur Rechtsnatur der Schlussakte (kein völkerrechtlicher Vertrag mit bindenden Verpflichtungen, sondern außerrechtliche – politische – Verständigung über Grundsätze künftigen Verhaltens) vgl. Schweisfurth ZaöRV 36 (1976) 681; ferner Scheuner FS Verosta 171; Verdross/Simma § 545 und zu
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dem Bestreben nach Verrechtlichung Breitenmoser/Richter EuGRZ 1991 141. Vgl. Liedermann FS Verosta 427; Scheuner FS Verosta 177. EuGRZ 1989 85. EuGRZ 1990 239 mit Einführung Tretter EuGRZ 1990 235. EuGRZ 1990 17; dazu Hilf EuR 1991 19. Vgl. Tretter EuGRZ 1995 296.
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gilt auch sonst für Verlautbarungen multinationaler Gremien zu einzelnen Konventionspflichten. Solche gemeinsamen Erklärungen werden auch bei der Auslegung einzelner Konventionsbestimmungen zur Bekräftigung eines bestimmten Verständnisses herangezogen.156 2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Mit dem Inkrafttreten des Ver- 80 trags von Lissabon wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUC)157 für die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts verbindlich (Art. 51 Abs. 1 EUC).158 Art. 52 Abs. 2 EUC stellt klar, dass die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte im Rahmen der in den Verträgen (EUV / AEUV) festgelegten Bedingungen und Grenzen erfolgt, d.h. diejenigen Rechte, die bereits von den Verträgen garantiert werden, sollen auch nur unter den dort vorgegebenen Bedingungen eingeschränkt werden können. Soweit die in der EUC garantierten Rechte denen in der EMRK entsprechen, haben 81 sie die gleiche Tragweite und Bedeutung wie die jeweiligen Konventionsrechte (Art. 52 Abs. 3 EUC). Damit wird zugleich erreicht, dass die Erfüllung der von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU eingegangenen Konventionspflichten insoweit gesichert bleibt, als diese Hoheitsbefugnisse auf die Union übertragen haben.159 Siehe Rn. 116.
E. Rechtsnatur der Konventionen / Innerstaatliche Geltung I. Völkerrechtliches Vertragsrecht Als völkerrechtliches Vertragsrecht, das die internationale Anerkennung und die kol- 82 lektive Garantie eines gemeinsamen Standards bestimmter Menschenrechte in einem vertraglich festgelegten Umfang erst herbeiführen soll, können die Umschreibungen dieser Rechte und ihrer Grenzen im normativen Teil der Konventionen nicht mit einer Kodifikation bereits bestehender allgemeiner Regeln des Völkerrechts gleichgesetzt werden (h.M.), die nach Art. 25 GG den einfachen Gesetzen vorgehen würden.160 Dies zeigen auch die zahlreichen Vorbehalte der einzelnen Staaten. Soweit die Konventionen Rechtsgrundsätze mit umfassen, die – mit meist weniger scharf umrissenem Inhalt und in weniger detaillierter Form – nach heutiger Auffassung bereits zu allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts erstarkt sind,161 wie etwa das Verbot der Sklave-
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Vgl. die zur Bekräftigung der Auslegung angeführte Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über den Schutz des Privatlebens in EGMR v. Hannover/D, 24.6.2004, NJW 2004 2647. ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389. Vgl. dazu Hirsch Gollwitzer-Koll. 81, 84. Vgl. Art. 1 EMRK Rn. 38. Maunz/Dürig/Herdegen Art. 25, 22 GG; BeckOK-GG/von Heinegg Art. 25, 20 GG; v. Münch/Kunig/Rojahn Art. 25, 14 GG; Dreier/Pernice Art. 25, 21 GG; so bereits: Morvay ZaöRV 21 (1961) 89, 93; Echterhölter JZ 1955 689; Frowein FS Zeidler 1763, 1770; Herzog DÖV 1959 44; ders. DÖV
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1960 775; Hesse EuGRZ 1978 428; Partsch 29; Ress FS Zeidler 1775, 1794; Silagi EuGRZ 1980 632; OVG Münster NJW 1956 1375 m.w.N.; a.A. Guradze Einl. § 5 II-V (allgemeine Regeln); KK-EMRKGG/Giegerich Kap. 2, 50 ff. Zur Problematik ferner Frowein FS Zeidler 1763, 1768; Ress FS Zeidler 1775, 1789. BVerfGE 46 342, 362 geht (obiter dictum) vom Bestehen allgemeiner Regeln des Völkerrechts im Bereich des menschenrechtlichen Mindeststandards aus; ebenso Herzog EuGRZ 1990 486; Haefliger EuGRZ 1990 481 (Menschenrechte, die nicht nach Art. 15 Abs. 2 EMRK außer Kraft gesetzt werden
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rei,162 gelten diese nach Art. 25 GG unmittelbar und unabhängig von jeder Ratifizierung der Konventionen in der BR Deutschland.163 Im Verhältnis zu den Vertragsstaaten und für die Anrufung der Konventionsorgane 83 bei Konventionsverletzungen ist aber auch dann grundsätzlich von dem im Vertragstext festgelegten Inhalt der dort garantierten Rechte und Freiheiten auszugehen.164 Dieser enthält meist weitergehende und genauer umrissene Verbürgungen. Der Vertragstext würde im Übrigen zwischen den Vertragsteilen selbst allgemeinen Regeln des Völkerrechts vorgehen, soweit diese nicht zu den zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens)165 zählen.
II. Innerstaatliche Geltung 84
1. Allgemeine Grundsätze. Die EMRK und die ZP sowie der IPBPR haben durch Ratifizierung und Transformierung in das innerstaatliche Recht ihre Rechtsnatur als völkerrechtliche Verträge nicht verloren.166 Ob und mit welchem Rang sie in den einzelnen Mitgliedstaaten innerstaatlich gelten, kann nicht allgemein beantwortet werden, da das Verhältnis zwischen dem nationalen Recht und dem Völkervertragsrecht in den einzelnen Staaten unterschiedlich beurteilt wird.167 Bei der EMRK reicht die Bandbreite von der Verneinung jeder innerstaatlichen Geltung des Vertragstextes,168 der Geltung als einfaches Gesetz oder als den einfachen Gesetzen vorgehendes Recht im Range unterhalb der Verfassung169 bis zur ausdrücklichen Verleihung des Verfassungsrangs (Österreich) oder der Zuerkennung eines Überverfassungsrangs.170
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können, rechnen zum völkerrechtlichen ius cogens). Vgl. Silagi EuGRZ 1980 632, 644; Weigend StV 2000 384, 386; ferner Geck DVBl. 1956 525, der dies offenlässt. Vgl. BVerfGE 59 280, 283; 63 332; Doehring ZaöRV 36 (1976) 88; Silagi EuGRZ 1980 632, 647; Strebel ZaöRV 36 (1976) 177; vgl. ferner Art. 4 EMRK Rn. 1 ff. Vgl. etwa Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 306; Walter ZaöRV 59 (1999) 961, 972. So EKMR EuGRZ 1975 483 (Hess). Zur Definition vgl. Art. 53 WVK; Verdross/ Simma § 525. Scheuner FS Schlochauer 899, 904; Walter ZaöRV 59 (1999) 961 ff.; BVerfG NJW 2011 1931, Tz. 164. Zur Rechtslage in Spanien: Jelitte Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in nationales Recht in Deutschland und Spanien (2007). So nach den relativ spät ergangenen Inkorporationsgesetzen der nordischen Staaten (vgl. Sundberg JIR 40 (1997) 181) wohl nur
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noch in Irland und vor dem Erlass des Human Rights Act 1998 auch Großbritannien; dazu und zu den Besonderheiten des am 2.10.2000 in Kraft getretenen Human Rights Act, der zwar die Art. 2 bis 18 EMRK (ohne Art. 13 und 15) wortgetreu übernimmt, ihre direkte Anwendbarkeit aber einschränkt: Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 300 ff.; ders. § 3, 3 ff., 9; Kühne StV 2001 73, 77; Peters § 1 II; ferner etwa: Fröhlich Von der Parlamentssouveränität zu Verfassungssouveränität (2009); Young Parliamentary Sovereignty and the Human Rights Act (2008); Wadham/Mountfield/Edmundson/Gallagher (Edt.), Blackstone’s Guide to The Human Rights Act 1998 (2007); Baum EuGRZ 2000 281; Grote ZaöRV 58 (1998) 309. Mehrere Staaten, darunter auch Frankreich, vgl. Grabenwarter § 3, 3; Peters § 1 II. Vgl. Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 300 ff.; ders. § 3, 2 (Niederlande); ferner etwa Bleckmann EuGRZ 1994 150; Villiger 53.
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2. Umsetzung in der BR Deutschland a) Rangwirkung. In Deutschland gelten die EMRK und die ZP, die nach Art. 59 85 Abs. 2 GG in der Form eines einfachen Bundesgesetzes ratifiziert worden sind, nach h.M. als einfaches Bundesrecht.171 Innerstaatlich sind alle Gerichte und Behörden zu ihrer Beachtung verpflichtet. Die Konventionen begründen innerstaatlich unmittelbare Rechte und Verpflichtungen für den Einzelnen, soweit diese bei der gebotenen völkerrechtsfreundlichen Auslegung der jeweiligen Konventionsgarantie entnommen werden können. Auf die in den Konventionen verbürgten Rechte und die dort getroffenen Wertentscheidungen kann sich jedermann vor den innerstaatlichen Gerichten und Behörden berufen, ohne dass es dazu neben dem Ratifikationsgesetz noch eines besonderen Ausführungsgesetzes bedarf.172 Der Wortlaut der Konventionen wird von der Rechtsprechung und der vorherrschenden Meinung bei Übernahme ins innerstaatliche Recht als self-executing angesehen.173 b) Verhältnis zum Verfassungsrecht. Durch die mit einfachem Bundesgesetz durchge- 86 führte Ratifikation (Art. 59 Abs. 2 GG) konnten die EMRK und die in ihr garantierten Rechte nicht den Rang von formellem Verfassungsrecht erhalten. Die Vertragsstaaten haben für den Text der Konventionen aber auch völkervertraglich keinen innerstaatlichen Verfassungsrang gefordert. Noch weniger wollten sie der Konvention den Überverfassungsrang einer supranationalen Rechtsordnung verleihen.174 Dies zeigt sich schon
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So etwa BVerfGE 74 358, 370; 82 102, 120; und grundlegend auch BVerfGE 111 307 = NJW 2004 3407; BVerfG NJW 2011 1931 = NStZ 2011 450 = StV 2011 470, Tz. 87; beiläufig schon BVerfGE 6 296; 440; 4 110 ließ dies noch offen; OVG Münster NJW 1956 1375: BGH NJW 1957 1480; 2001 309; BVerwG DVBl. 1977 57; NJW 1958 35; BayVerfGH NJW 1961 1619; Bernhardt EuGRZ 1996 339; Britz NVwZ 2004 173; Golsong DVBl. 1956 525; Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 305; ders. § 3, 6; Herzog AöR 86 (1961) 194, 237; ders. EuGRZ 1990 486; Maur NJW 2000 338; Sommermann AöR 114 (1989) 391, 410; Weigend StV 2000 384, 386; ferner etwa Dörr 88; wegen weiterer Nachweise zum Streitstand Kühl ZStW 100 (1988) 406, 408; Morvay ZaöRV 21 (1961) 78; Staebe JA 1996 79. Zum IPBPR etwa BVerwGE 65 188; Hofmann Einf. 22. Zur Rechtslage in der Schweiz: Schweizer ZSR 112 (1993) 577, 628 f. („Verfassungsrang“); Nay ZSR 124 (2005) 97, 100 ff. („Quasi-Verfassungsrang“); BGE 117 Ib 367, 370 f. (soweit die EMRK Grundrechte verbürgt, habe sie ihrer Natur nach verfassungsrechtlichen Inhalt); BGE 125 II 417 („Im Konfliktfall geht das Völkerrecht prinzipiell dem Landesrecht vor, insbesondere wenn die völkerrechtliche
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Norm dem Schutz der Menschenrechte dient.“); vgl. dazu auch Grabenwarter § 3, 3; zu früheren Einschränkungen bei der Überprüfbarkeit von Bundesgesetzen: Grabenwarter VVDStRL 60 (2000) 290, 301; Villiger 57 ff.; ders. EuGRZ 1991 81. So schon der Bundestag bei der Ratifizierung, BTDrucks. 1 3338; vgl. auch Huber GedS H. Peters 375 ff.; Villiger 60 ff. Für die Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes wegen der Unbestimmtheit der Garantien Jescheck NJW 1954 783; Henrichs MDR 1955 40; ders. NJW 1959 1529; vgl. auch Mattil JR 1965 167 („wünschenswert“). Str. bei der Formulierung einzelner Artikel, vgl. Scheuner FS Jahrreiß 375. Die USA sehen den IPBPR als non-self-executing an; vgl. etwa Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 406. Weitgehend h.M., für die EMRK: BVerfGE 74 358, 378, BGHSt 45 321, 329, je m.w.N.; Eisele JR 2004 12; 13; Weigend StV 2000 384, 386; Meyer-Ladewig Einl. 33; v. Münch/Kunig/Rojahn: Art. 59, 38e EMRK ist bei der Aulegung des GG in Betracht zu ziehen; vgl. auch BVerfGE 111 307. Verfassungsrang der EMRK nehmen an: Echterhölter JZ 1955 689 (Ableitung aus Art. 1 Abs. 2 GG; dazu etwa Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290 ff.; Guradze Einl. § 5 I;
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darin, dass die getroffenen Übereinkommen nach h.M. die Staaten nicht einmal verpflichten, den Konventionstext ins nationale Recht zu transformieren.175 Es stand ihnen außerdem jahrzehntelang frei, ob sie sich den Durchsetzungsmechanismen der Konvention unterwerfen wollten.176 Formal sind die Gewährleistungen der Konventionen als solche aber auch dort kein materielles Verfassungsrecht, wo sie inhaltlich mit innerstaatlichen Verfassungsnormen, vor allem mit Grundrechten des GG, übereinstimmen177 oder dessen Auslegung sogar mitbestimmt haben.178 Die Konventionen verdrängen die innerstaatlichen Gewährleistungen der Menschen87 rechte und Grundfreiheiten nicht, sondern setzen deren Fortbestand voraus, wie Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR belegen.179 Als Parallelausformung allgemein anerkannter Menschenrechte nimmt der Inhalt eines Großteils ihrer Verbürgungen allerdings – zumindest was ihren Kernbereich angeht180 – in der Bundesrepublik mittelbar am Grundrechtsschutz teil, den das GG und die Länderverfassungen nach Maßgabe der in ihnen getroffenen jeweiligen Festlegungen gewährleisten. Die Verfassungsbeschwerde kann aber nach der vorherrschenden Meinung auch in 88 diesen Fällen nur auf die Verletzung des GG bzw. der jeweiligen Landesverfassung und nicht unmittelbar allein auf die Verletzung eines Konventionsrechts gestützt werden. Durch das Bekenntnis zu den Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG wird der Wortlaut der einzelnen Verbürgungen der internationalen Menschenrechtspakte nicht unmittelbarer in das GG inkorporiert.181 Die Beachtung dieser Rechte wird aber insoweit überprüft, als in Verbindung mit dem einschlägigen Grundrecht ein Verstoß gegen die Auslegung eines Konventionsrechts durch den EGMR behauptet wird. Wo innerstaatlich Auslegungs- und Abwägungsspielräume bestehen, kommt der Aus89 legung des EGMR auch innerstaatlich der Vorrang zu, sofern nicht die durch GG und
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ders. DÖV 1961 12); v. Stackelberg NJW 1960 1265; vgl. auch: Klug GedS H. Peters 434, der Überverfassungsrang annimmt. Zur unterschiedlichen Praxis der Vertragsstaaten beim IPBPR: Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391 ff., die (409 ff.) auch darauf hinweist, dass nach Ansicht des HRC der Pakt Vorrang vor dem nationalen Recht verlangt. Dies ist bei einigen Mitgliedstaaten auch nicht geschehen, so wurden im Vereinigten Königreich die Konventionen zunächst kein Bestandteil des innerstaatlichen Rechts: vgl. etwa House of Lords EuGRZ 1991 102; Schroth ZStW 100 (1988) 470; erst durch den Human Rights Act (1998) sind wesentliche Teile der Konvention im UK auch innerstaatlich begrenzt anwendbar geworden; zur komplexen Rechtslage vgl. Baum EuGRZ 2000 281, Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 303; ders. § 3, 9; Rivers JZ 2001 127; Chryssogonos EuR 2001 4. Zur unterschiedlichen Umsetzung der IPBPR: Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391 ff. Erst die Reform des Verfahrens der EMRK
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durch das 11. P-EMRK machte die Gerichtsbarkeit zwingend. Vgl. etwa Jaeger/Broß EuGRZ 2004, 1 13 ff., sowie die dort (16 ff.; 42 ff.; 54 ff.) wiedergegebenen Landesberichte zur Rechtslage in Österreich, Schweiz und Liechtenstein. Als Auslegungshilfe ist die EMRK in ihrer konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des EGMR vorrangig heranzuziehen, vgl. BVerfGE 74 258, 370; 111 307 = NJW 2004 3407, Tz. 61, 62; Pache EuR 2004 293, 401; ferner Grabenwarter § 3, 6. Vgl. Meyer-Ladewig 2; Frowein/Peukert Art. 60 EMRK a.F. Zu der vor allem in Randbereichen zu findenden Einbuße an Allgemeingültigkeit, die in jeder von nationalgeschichtlichen Traditionen mitbestimmten Wortfassung (Positivierung) der Grundsätze liegt, vgl. Huber GedS H. Peters 38 ff. Vgl. BVerfG NJW 2011 1931, Tz. 87; Staebe JA 1996 79; Weigend StV 2000 384, 386; Gerhardt ZRP 2010 161.
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Grundrechte Dritter gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten werden;182 im letzteren Fall ist das Verfassungsrecht den für die Bundesrepublik im Außenverhältnis nach der EMRK obliegenden Verpflichtungen – im Wege einer Auslegung durch das BVerfG oder durch den die Verfassung ändernden Gesetzgeber – anzupassen. Ist ein Recht aus den Menschenrechtspakten verletzt, das nicht bereits in einem entsprechenden speziellen Grundrecht des GG mit enthalten ist, sondern innerstaatlich nur als einfaches Recht gilt, wäre denkbar, dies unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen das „Auffanggrundrecht“ des Art. 2 Abs. 1 GG auch verfassungsgerichtlich zu rügen, da dann ein auch innerstaatlich gesetzlich nicht gedeckter und damit gesetzwidriger Eingriff in dessen umfassenden Schutzbereich vorliegt.183 Näher liegt indes die Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip. Schließlich gilt die EMRK innerstaatlich im Rang eines einfachen Gesetzes und ist von der Judikative zu beachten.184 Bei der Auslegung des Grundgesetzes, vor allem bei Bestimmung von Inhalt und 90 Reichweite der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips, wird auch der jeweilige Inhalt und Entwicklungsstand der Menschenrechtskonventionen und die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe in Betracht gezogen.185 Dies gilt grundsätzlich auch, soweit sich der Inhalt der Konventionsverbürgungen dadurch fortentwickelt.186 Eine formale Bindung des BVerfG an die Auslegung der EMRK durch den EGMR besteht aber nicht.187 Wo im Einzelfall der Grundrechtsschutz über die Konventionen hinausreicht, gilt er ohnehin unbeeinträchtigt weiter (vgl. Art. 53 EMRK).188 Die weitergehenden Auffassungen, die der EMRK Übergesetzesrang oder Verfas- 91 sungsrang zuerkennen,189 weil an ihren Regeln auch die innerstaatliche Gesetzgebung gemessen wird, oder sie trotz des Fehlens einer unmittelbaren eigenen Hoheitsgewalt des EGMR als eine der Verfassung vorgehende Rechtsordnung einer supranationalen Einrichtung i.S.d. Art. 24 GG einstufen wollen, haben sich in der Praxis nicht durchgesetzt.190 Der EGMR als Organ der EMRK wird als Einrichtung der Vertragsstaaten
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Vgl. BVerfGE 111 307 = NJW 2004 3407 (Görgülü), § 61; BVerfG NJW 2007 499; Payandeh DÖV 2011 382, 386. Vgl. Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 306; Grabenwarter § 3, 8; Frowein ZaöRV 46 (1986) 286; Frowein FS Zeidler 1763, 1770; Uerpmann 106; Limbach EuGRZ 2000 418; Dreier Art. 2, 41 GG. Das BVerfG favorisiert eine Rüge des „einschlägigen Grundrechts“, welches jedoch in einem „engen Zusammenhang“ mit dem Rechtsstaatsprinzip stehe, vgl. BVerfGE 111 307, 329 f. = NJW 2004 3407, 3411 (Görgülü). Für die EMRK vor allem: BVerfG NVwZ 2008 780, 785 (Berlin-Schönefeld); BVerfGE 111 307, 317 (Görgülü); 70 370; BVerfG NJW 1990 2741; zur Entwicklung der Rechtsprechung bei der Auslegung des GG vgl. etwa Bernhardt EuGRZ 1996 339; Frowein FS Zeidler 1763; Maunz-Dürig/ Schmidt-Aßmann Art. 103 Abs. 1, 24 GG;
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ferner Bryde Der Staat 42 (2003) 61, 65 ff.; Kühl ZStW 100 (1988) 406, 410; Ress FS Zeidler 1775, 1795 ff.; Weigend StV 2000 384, 387; Gerhardt ZRP 2010 161. Zum evolutiven Charakter und dessen Grenzen vgl. Ress FS Zeidler 1775 ff.. Vgl. BVerfGE 111 307, 317 = NJW 2004 3407, 3408 (Rechtswirkung unterhalb des Verfassungsrechts); ferner Jaeger/Broß EuGRZ 2004 1, 13. Zur Problematik Grabenwarter DVBl. 2001 1, 19. Etwa Bleckmann EuGRZ 1994 152. Eisele JR 2004 12, 13; Sommermann AöR 114 (1989) 408; Staebe JA 1996 80; Weigend StV 2000 384, 386. Zum Meinungsstand vgl. etwa die Nachweise bei Klug GedS H. Peters 434; für Verfassungsrang (Art. 1 Abs. 2, 25 GG, „ordre public international“): Bleckmann EuGRZ 1994 152; Frowein FS Zeidler 1763, 1770; Sternberg Der Rang von Menschenrechtsverträgen
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angesehen. Ihm wurde keine eigene Hoheitsgewalt übertragen, die er auch in den Vertragsstaaten unmittelbar ausüben könnte. Deshalb lehnt die vorherrschende Meinung es ab, den EGMR als zwischenstaatliche Einrichtung anzusehen, der in Bezug auf die Mitgliedstaaten eigene Hoheitsrechte i.S.d. Art. 24 GG eingeräumt wurden. Den Konventionsverbürgungen der EMRK wird unter diesem Gesichtspunkt deshalb kein Rang über den nationalen Gesetzen zugebilligt.191
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c) Verhältnis zu anderem Bundesrecht. Bei der Beurteilung des Verhältnisses zu anderem Bundesrecht ist zu beachten, dass die Konventionen durch die Transformierung ins innerstaatliche Recht nach Art. 59 Abs. 2 GG ihren Charakter als völkerrechtliche Verträge behalten haben, die den Fortbestand des nationalen Rechts voraussetzen und dieses mit ihren Garantien nur überlagern, nicht aber ersetzen sollen. Als einfaches Bundesrecht im Gesetzesrang geht der Inhalt der Konventionen den Ver93 ordnungen des Bundes und allem Landesrecht vor. Ihren Gewährleistungen widersprechende ältere Bundesgesetze wurden mit ihrem Inkrafttreten in der Bundesrepublik schon durch ihre Änderungskraft als späteres Gesetz (lex posterior) abgeändert oder aufgehoben, soweit sie nicht durch eine vertretbare Auslegung mit ihr in Einklang gebracht werden können.192 Soweit das Bundesrecht keine Aussagen enthielt, haben die Konventionen es ergänzt. 94 Übereinstimmendes Bundes- und Landesrecht ist bestehen geblieben. Es hat durch sie nur zusätzliche, übernationale Rechtsschutzgarantien erhalten. Innerstaatliches Recht, das in den Freiheitsgewährleistungen über die Forderungen der Konventionen hinausreicht, wird durch sie nicht eingeschränkt (Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR). Später erlassenes Bundesrecht ist im Lichte der völkerrechtlichen Verpflichtungen der 95 Bundesrepublik durch die Konventionen so auszulegen, dass es mit ihnen in Einklang gebracht werden kann.193 Es ist ohne eine ausdrückliche Aussage des Bundesgesetzgebers nicht anzunehmen, dass sich dieser mit neuem Recht über die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik hinwegsetzen wollte. Nur wenn eindeutig feststünde, dass der Gesetzgeber in einem späteren Bundesgesetz bewusst von der EMRK oder dem IPBPR abweichen wollte194 oder wenn er eine mit den
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(1999); ferner auch Ress FS Zeidler 1775, 1790 ff.; ders. EuGRZ 1996 353; Walter ZaöRV 59 (1999) 961, 972 ff. (Vorrang über Art. 24 GG). Vgl. Grabenwarter § 3, 7. Zur Tendenz, der EMRK über eine „Staatengemeinschaft Menschenrechtskonvention“ als zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Art. 24 GG Übergesetzesrang zu verleihen vgl. Ress FS Zeidler 1775, 1779, 1789 ff.; Walter ZaöRV 59 (1999) 961, 974. Für die EMRK etwa OLG Bremen NJW 1960 1265; OLG Düsseldorf NStZ 1985 370; NStZ 1985 731; Echterhölter JZ 1955 689; Kühne NJW 1971 224; v. Münch JZ 1961 153; Woesner NJW 1961 1383. A.A. v. Weber MDR 1955 386. Vgl. BVerfGE 74 370; Bernhardt EuGRZ 1996 339; Echterhölter JZ 1955 689; Fro-
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wein FS Zeidler 1763; ders. DÖV 1998 809. Das Harmonisierungsgebot wird aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes hergeleitet, vgl. Bleckmann DÖV 1979 309; Ress/Schreuer 36 ff.; Weigend StV 2000 384, 387; Villiger 58; Payandeh DÖV 2011 382, 386 f. Die damit erreichte weitgehende „Gesetzesfestigkeit“ kommt im Ergebnis den Meinungen im Schrifttum nahe, die zur Einschränkung der lex-posterior-Regel einen Übergesetzesrang bzw. den Vorrang der Konventionsgarantien als lex specialis oder Kraft antizipierten Änderungsverzichts annehmen; vgl. etwa Ress FS Zeidler 1775, 1790; ders. in: I. Maier 274 m.w.N.; ferner den Überblick bei Kühl ZStW 100 (1988) 406, 408 m.w.N.
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Konventionen bei jeder Auslegung schlechthin unvereinbare Regelung erließe und wenn diese dann nicht ihrerseits gegen eine im Lichte der Konventionen auszulegende Verbürgung des GG195 verstieße, ginge diese einer Konventionsregelung innerstaatlich vor – auch wenn dadurch im Außenverhältnis eine völkervertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik verletzt werden sollte.196 Gleiches gilt, soweit spätere völkerrechtliche Verträge mit anderen Staaten innerstaat- 96 lich Bundesrecht geworden sind.197 In dem vom Vertragsgegenstand sachlich begrenzten Rechtsraum der EU nehmen 97 allerdings die materiellen Verbürgungen der EMRK ebenso wie die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV) auch innerstaatlich an dessen Anwendungsvorrang teil. In seinem Anwendungsbereich, also auch bei der innerstaatlichen Durchführung des Unionsrechts, gehen sie deshalb allem innerstaatlichen Recht vor. Insoweit greift der Vorrang späterer (nationaler) Gesetze nach der lex-posterior-Regel dann ohnehin nicht.
F. Geltung von EMRK und IPBPR in der Europäischen Union I. Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Bereits recht früh hatten die Europäischen Gemeinschaften die Bindung der Staatsge- 98 walt durch Grundrechte als gemeinsame europäische Rechtstradition zum Ausdruck gebracht, so etwa in der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission v. 5.4.1977198 sowie durch die Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten, die das Europäische Parlament unter Berufung hierauf am 12.4. 1989 verabschiedete und die wesentliche Verbürgungen der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle mit einschloss.199 Solche Texte, die keine rechtliche Verpflichtung begründen, konnten als Bekräftigung einer gemeinsamen Überzeugung 200 auch für die Auslegung der in die gleiche Richtung zielenden rechtsverbindlichen Texte der Konventionen und auch für deren Fortentwicklung mit herangezogen werden. Die normativen Grundrechtsverbürgungen der EMRK wurden schon auf der Grund- 99 lage des Vertragswerks von Nizza als eine allgemeine Quelle des Gemeinschaftsrechts angesehen. In Art. 6 Abs. 2 EUV a.F.201 wurde im Anschluss an die Feststellung, dass die Europäische Union auf die allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht, ausdrücklich angesprochen, dass die Union die Grundrechte
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Herzog DÖV 1959 49; Villiger 58. Vgl. ÖVerfGH EuGRZ 1990 186; auch BVerfGE 74 370; Weigend StV 2000 384, 387; zum gleichen Ergebnis kommt Villiger EuGRZ 1991 81 für die Schweiz. Vgl. auch Art. 30 WVK. EuGRZ 1977 157; zur rechtlichen Bedeutung Hill EuGRZ 1977 158; Bothe FS Schlochauer 761, 766. Deutscher Text EuGRZ 1989 204; dazu Beutler EuGRZ 1989 185. Bothe FS Schlochauer 761; zur ähnlichen
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Bedeutung der Erklärungen der UN-Vollversammlung vgl. Frowein ZaöRV 36 (1976) 149; Tomuschat ZaöRV 36 (1976) 467 ff.; ferner differenzierend Frowein ZaöRV 49 (1989) 778; Ehricke NJW 1989 1906; zu der wenig glücklichen Bezeichnung als völkerrechtliches soft law Verdross/Simma § 654 ff. Art. 6 Abs. 2 EUV i.d.F. des Vertrags von Amsterdam hatte bereits wortgleich Art. F Abs. 2 des Vertrags von Maastricht übernommen.
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achtete, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergaben. Die Organe der Gemeinschaften wurden dadurch ausdrücklich auch an die in der EMRK festgelegten Grundsätze gebunden,202 die als rudimentäres Verfassungsrecht die Auslegung der in den Gemeinschaftsverträgen verankerten Grundfreiheiten mitbestimmten.203 Soweit die Mitgliedstaaten der EU Gemeinschaftsrecht innerstaatlich unmittelbar umsetzten, nahmen die Grundrechte der EMRK auch innerstaatlich am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil. Wieweit dazu auch die Rechte aus den nicht von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Zusatzprotokollen gehörten, erschien vor einem Beitritt der Union zur EMRK fraglich.204 Als Beleg für eine gemeinsame europäische Rechtstradition konnten sie aber wohl bei allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaften herangezogen werden.205 Die Rechtsprechung des EuGH ging bereits früh davon aus, dass die normativen Ver100 bürgungen der EMRK zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die der Gerichtshof zu wahren hat „in Einklang mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und den völkerrechtlichen Verträgen, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind“.206 Verstieß das Gemeinschaftsrecht einschließlich des darauf beruhenden nationalen Rechts gegen sie, konnte dies schon vor einem (heute in Planung befindlichen) Beitritt der Europäischen Union zur EMRK gegenüber den Organen der Gemeinschaften, vor allem auch vor den Gerichten der Gemeinschaften, geltend gemacht werden. Eine solche Entscheidung konnte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 234 EGV, nunmehr Art. 267 AEUV) von den Gerichten der Mitgliedstaaten herbeigeführt werden. Soweit dagegen ein Bezug zum Gemeinschaftsrecht fehlt, lehnte es der EuGH ab, Rechtsvorschriften, die in den Regelungsbereich des nationalen Gesetzgebers der Mitgliedstaaten fielen, auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK zu überprüfen.207
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Vgl. Schilling EuGRZ 2000 2, 11 f., 25 ff. m.w.N. Ob man den Garantien deshalb schon auf der Grundlage des alten Vertragswerks einen Vorrang vor den Grundfreiheiten der Gemeinschaftsverträge zuerkennen musste oder ob sie diesen wegen des gleichen Rangs ihrer vertraglichen Rechtsgrundlage erst mit ihrer Inkorporation in den Vertrag von Lissabon erhielten, ist fraglich, vgl. dazu Frenz EuR 2002 603. Vgl. Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 328 ff., der auf den unterschiedlichen gegenwärtigen Ratifikationsstand der ZP hinweist; ferner Grabenwarter § 4, 3 (Indizwirkung für Bestehen als gemeinsamer Wert). Dies galt besonders, wenn die Staaten, die ein ZP nicht ratifiziert hatten, inhaltsgleiche Rechte im IPBPR verbindlich anerkannt hatten; ferner, wenn Rechte aus den ZP auch in der seinerzeit noch nicht rechtsverbindlichen Charta der Grundrechte aufgenommen worden waren.
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Etwa EuGH EuGRZ 1974 3; 1987 378; 1989 395; 1991 283; zur Entwicklung Bleckmann EuGRZ 1981 257; Pernice NJW 1990 2414; Pescatore EuR 1979 1; Scheuner FS Schlochauer 899, 915; Schiffauer EuGRZ 1981 193; Weber JZ 1989 969; vgl. auch BVerfGE 73 339, 381 (Solange II) m.N. der Rspr. des EuGH; ferner allgemein Bleckmann Die Bindung der Europäischen Gemeinschaft an die Europäische Menschenrechtskonvention (1986); Giegerich ZaöRV 50 (1990) 836. EuGH Rs. 60/84, Cinéthèque, Slg. 1985, 2605 = GRURInt 1986 114; Rs. C-260/89, staatl. Rundfunkmonopol, Slg. 1991-I, 2925 = NJW 1992 2621 = EuGRZ 1991 283 = JZ 1992 682; Rs. C-94/00, Roquette Frères, Slg. 2002-I, 9011 = NJW 2003 35 = EuGRZ 2002 604, 606; ferner etwa Hilf/Ciesla EuGRZ 1990 367; Pernice NJW 1990 2416.
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Hielt sich der EuGH dagegen für zuständig, orientierte er sich bei seinen Entscheidun- 101 gen über die Vereinbarkeit des Gemeinschaftshandelns mit der gemeinsamen Rechtsüberzeugung und der Verfassungstradition der Mitgliedstaaten auch an der Rechtsprechung des EGMR.208 Der EGMR selbst konnte aber gegen die Entscheidungen des EuGH nicht angerufen werden,209 so dass unterschiedliche Auffassungen über die Tragweite einzelner in der EMRK verbürgter Rechte möglich waren und sich auch tatsächlich in Einzelfällen realisiert haben.210 Konventionsverstöße durch Gemeinschaftsrecht oder durch andere Maßnahmen der Organe der Gemeinschaften konnten grundsätzlich nur bei den Gemeinschaftsorganen, vor allem bei den Gerichten der Gemeinschaften (EuG, EuGH), geltend gemacht werden,211 nicht hingegen vor den EGMR.212 Wieweit ein Handeln der Unionsorgane auch die eigene Verantwortung der einzelnen 102 Mitgliedstaaten für die Einhaltung der EMRK durch diese begründen kann, scheint bis heute nicht endgültig geklärt.213 Fest steht jedoch der Grundsatz, dass die Vertragsparteien der EMRK sich ihrer auf Art. 1 EMRK begründeten Schutzpflicht214 nicht durch die Übertragung von Kompetenzen auf internationale Organisationen entziehen können. Insbesondere waren schon vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ergangene nationale Ausführungsakte, die inhaltlich durch Gemeinschaftsrecht determiniert waren, ohne weiteres vom EGMR überprüfbar: Die Umsetzung in innerstaatliches Recht war und ist stets dem Mitgliedstaat selber zuzurechnen und nicht lediglich der Union.215 Eine unbeschränkte Verpflichtung der einzelnen Staaten, die Beachtung der Verfahrensrechte des Art. 6 EMRK durch die Europäischen Gerichte (EuG, EuGH) zu kontrollieren, wurde allerdings verneint.216 Der EGMR hat allerdings eine Vermutung für das Bestehen eines adäquaten Recht- 103 schutzes auf Unions- bzw. Gemeinschaftsebene aufgestellt.217 Der Gerichtshof wich
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Vgl. Rodriguez Iglesias NJW 1999 1, 8. Vgl. Krüger/Polakiewicz EuGRZ 2001 92, 94; Kokott AöR 121 (1996) 599; Lenz EuGRZ 1993 584; Pernice NJW 1990 2409. Vgl. Rn. 108 und die Beispiele bei Böse ZRP 2001 402, 403 f. Zu den ähnlichen Problemen des unabhängigen Nebeneinanders zwischen BVerfG und EuGH vgl. BVerfGE 37 271 (Solange I); 73 339 (Solange II); 89 155 (Maastricht); 102 147 (Bananenmarkt-Ordnung); 123 267 (Vertrag von Lissabon); 126 286 (Mangold); dazu auch Sauer EuZW 2011 94. Ferner auch unter dem Blickwinkel einer die Charta der Grundrechte inkorporierenden Verfassung der Europäischen Union Hirsch Gollwitzer-Koll. 81, 84 ff. Zu den hier bestehenden Lücken im Rechtsschutz Krüger/Polakiewicz EuGRZ 2001 92, 95. Vgl. nur EGMR Matthews/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3107 = EuGRZ 1999 200 = ÖJZ 2000 34. Frowein FS Schlochauer 292. Zur Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 1 EMRK als dogmatischer Anknüpfungspunkt
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der Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten vgl. Walter AöR 129 (2004) 39, 68 ff. So EGMR Matthews/UK (Fn. 212); Waite u. Kennedy/D, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1173 = EuGRZ 1999 207 = ÖJZ 1999 776; Beer u. Regan/D, 18.2.1999; Cantoni/F, 15.11.1996, Rep. 1996-V = EuGRZ 1999 193 = ÖJZ 1997 579; Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 329; ders. § 4, 5 f.; Pietsch ZRP 2003 4; Villiger 21, 106; Walter AöR 129 (2004) 39, 54 ff.; Weber DVBl 2003 220, 225; Winkler EuGRZ 2001 23. EGMR Cooperatieve Producentenorganisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij/NL (E), 20.1.2009, EuGRZ 2011 11 = NJOZ 2010 1914 = ÖJZ 2009 829; vgl. auch Frowein/Peukert 10. EGMR Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi/IR, 30.6.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2006 197 = EuGRZ 2007 662 m. Anm. Heer-Reißmann NJW 2006 192; Lavranos EuR 2006 78; Dörr JuS 2006 442; seither ständige Rspr., vgl. nur EGMR Cooperatieve Producentenorganisa-
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schon im Jahr 2005 von seiner bisherigen Rechtsprechung zu Rechtsakten der Mitgliedstaaten, die durch Unionsrecht inhaltlich determiniert werden, insoweit ab, als er – ähnlich des Solange-II-Beschlusses des BVerfG218 – eine widerlegbare Vermutung der Vereinbarkeit von Rechtsakten der Mitgliedstaaten der EMRK mit der Konvention aufstellte.219 Diese Vermutung soll dann gelten, wenn die internationale Organisation, durch deren Normen der nationale Rechtsakt inhaltlich bestimmt worden ist, über einen mit dem Schutzniveau des Mitgliedstaates qualitativ vergleichbaren Grundrechtsschutz verfügt.220 Gemeinschaftsverfassungsrang hatten die materiellen Verbürgungen der EMRK als 104 Teil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nach Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Für diesen sachlich eingegrenzten Bereich waren die Grundrechte der EMRK neben den unmittelbar durch die Gemeinschaftsverträge selbst garantierten Grundfreiheiten für alle Organe der Gemeinschaft und auch für die Mitgliedstaaten innerstaatlich bei Ausführung des Gemeinschaftsrechts verbindlich;221 sie nahmen insoweit auch an dessen Anwendungsvorrang teil. Verstießen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegen die EMRK, verletzten sie auch vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon auch Gemeinschaftsrecht, so dass insoweit der Rechtsweg zu den Gerichten der Gemeinschaft neben der Möglichkeit, Beschwerde zum EGMR einzulegen, gegeben war.222 Das frühere Vertragswerk verpflichtete die Mitgliedstaaten darüber hinaus, die Grund105 freiheiten des Gemeinschaftsrechts, wie etwa die Niederlassungsfreiheit oder die Warenverkehrsfreiheit, auch innerstaatlich zu gewährleisten. Für deren Tragweite und auch für deren Schranken konnten und können auch weiterhin Rechte maßgebend sein, die in den europäischen Grundrechten, vor allem also in der EMRK wurzeln.223 Da diese Grundfreiheiten in ihrem Anwendungsbereich auch die jeweils einschlägigen Freiheitsverbürgungen der Konvention mit umfassen, stellte sich die Frage, ob diese dann mit Anwendungsvorrang in das nationale Recht auch insoweit hineinwirken, als dieses im Anwendungsbereich der Gemeinschaftsfreiheiten eigene Regelungen trifft. Dies hätte zur Folge, dass im weiten Geltungsraum dieser binnenmarktbezogenen Freiheiten der EuGH das einschlägige nationale Recht auch daraufhin überprüfen kann, ob es mit den Gewährleistungen der EMRK vereinbar war. Der EuGH vertrat in einigen Entscheidun-
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tie van de Nederlandse Kokkelvisserij/NL (E) (Fn. 216). BVerfGE 73 339 = NJW 1987 577 = EuGRZ 1987 10. EGMR Bosphorus /IR (Fn. 217). Vgl. Bröhmer EuZW 2006 71, 73; Baumann EuGRZ 2011 1 ff. Vgl. EuGH Rs. C-50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002-I, 6677 = NJW 2002 2935 = EuGRZ 2002 420 = EuZW 2002 529 (Anspruch auf effektiven Rechtsschutz); Rs. C-60/00, Carpenter, EuGRZ 2002 332 = EuR 2002 852 = JZ 2002 202; Rs. C-482/01 u. C-493/01, Slg. 2004-I, 5295 = EuGRZ 2004 422 = EuZW 2004 402 (beide zu Art. 8 EMRK); ferner etwa EuGH Rs. C-224/02, Slg. 2004-I,
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5774 = EuGRZ 2004 416 (Auswirkung der Freizügigkeit auf innerstaatliche Pfändungsfreigrenzen); weitere Nachweise bei Suerbaum EuR 2003 390, 400; vgl. ferner Britz NVwZ 2004 173, 174; Bleckmann EuGRZ 1994 149; Magiera DÖV 2000 1016; Pache EuR 2001 475; zur Problematik ferner Ruffert EuGRZ 1995 518, 527 und Rn. 49. Zur Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 2 EGV Britz NVwZ 2004 173, 174. Wegen der verschiedenen Lösungsansätze vgl. Kadelbach/Petersen EuGRZ 2003 694 zu EuGH Rs. C-112/00, Brenner-Blockade, Slg. I-2003, 5659 = NJW 2003 3185 = EuGRZ 2003 492. Vgl. ferner EuGH Rs. C-60/00, Carpenter (Fn. 221).
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gen diese Ansicht,224 die im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auch die Beachtung der Rechte aus der EMRK im nationalen Recht einer zusätzlichen Kontrolle durch den EuGH unterwarf. Für andere Sachgebiete galt dies ebenfalls, so für die mit dem Schutzbereich des Art. 8 EMRK korrespondierende Datenschutzrichtlinie225 und auch für die Ausdehnung der Rechte aus der Unionsbürgschaft in Verbindung mit den Gleichheitsgrundrechten.226 Gegen diese Kompetenzausweitung werden im Schrifttum Bedenken erhoben.227 Die Problematik stellt sich in dieser Form nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nicht mehr: Die Bestimmungen der EMRK sind nach dem (geplanten) Beitritt der Union zur Konvention für die Mitgliedstaaten und die Organe der Union gleichermaßen verbindlich (dazu Rn. 109 ff.). Eine Überschneidung trat auch dort ein, wo Rechtssätze des Gemeinschaftsrechts als 106 Teil der im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Rechtsordnung zu den „gesetzlich vorgesehenen“ Maßnahmen gehören konnten, welche die Tragweite228 eines Konventionsrechts bestimmen. Die Zulässigkeit und Angemessenheit solcher Ausübungsschranken ist grundsätzlich im gleichen Umfang wie beim rein nationalen Recht der Prüfung des EGMR unterstellt.
II. Vertrag von Lissabon / Beitritt der Europäischen Union zur EMRK Die Europäischen Gemeinschaften und ihre Fortentwicklung als Europäische Union 107 waren bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon keine Vertragsparteien der EMRK. Die vom Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung bestimmten Gemeinschaftsverträge in ihrer bis dahin geltenden Fassung verliehen der Gemeinschaft keine allgemeine Befugnis, Vorschriften auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu erlassen oder völkerrechtliche Verträge auf diesem Gebiet zu schließen. Der wiederholt geforderte Beitritt zur EMRK229 setzte eine Änderung der Gemeinschaftsverträge 230 und
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EuGH Rs. C-370/90, NJW 1993 2093 = NVwZ 1993 261; Rs. C-60/00, Carpenter (Fn. 221; Art. 8 EMRK Prüfungsmaßstab), dazu Mager JZ 2003 204; Puth EuR 2002 860, 867 (auch zu den Unterschieden der einzelnen Entscheidungen); ferner Rs. C-459/99, Slg. 2002-I, 6591 = NJW 2003 195 = EuGRZ 2002 519 = EuZW 2002 595 (Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger). Vgl. EuGH Rs. C-60/00, Carpenter (Fn. 221); dazu Ruffert EuGRZ 2004 466. EuGH Rs. C-274/96, Bickel u. Franz, Slg. 1998-I, 7637 = EuGRZ 1998 591 = EuR 1999 87 (Gerichtssprache im Strafverfahren), dazu Gleß NStZ 1999 315; EuGH Rs. C-184/99, Slg. 2001-I, 6193 = EuGRZ 2001 492 = EuR 2001 872; dazu Kanitz/ Steinberg EuR 2003 113 (insbes. auch zum Gleichheitsgebot des Art. 12 EGV); Rossi JZ 2002 351; ferner Hailbronner NJW 2004 2185; auch die Diskriminierungsverbote des Art. 13 EGV führten zu weit in das natio-
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nale Recht hineinwirkenden Gleichstellungsrichtlinien der EU. Britz NVwZ 2004 173, 177; Mager JZ 2003 204; Ruffert EuGRZ 2004 466. Grabenwarter § 18, 26 verweist auf den Ausländerbegriff, des Art. 16 EMRK, der dahin zu verstehen ist, dass die Rechte von Unionsbürgern in einem Mitgliedstaat der Union nicht beschnitten werden dürfen. Vgl. etwa Golsong EuGRZ 1978 346; EuGRZ 1979 70; Vogel EuGRZ 1979 50; Rodriguez Iglesias EuGRZ 2002 206. Gutachten des EuGH EuGRZ 1996 197 ff. Vgl. ferner Memorandum der EG-Kommission zum Beitritt EuGRZ 1979 330 mit Anm. Bieber und die Entschließung des EP v. 29.10.1982 (EuGRZ 1982 485); vgl. den Antrag Finnlands zur Kompetenzerweiterung EuGRZ 2000 572; sowie etwa Callewaert EuGRZ 2003 198; Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 325 ff. Zu den verschiedenartigen Problemen eines Beitritts
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auch eine Änderung der EMRK voraus, deren Vertragsparteien vor dem Inkrafttreten des 14. P-EMRK nur Staaten sein konnten, die Mitglieder des Europarats waren (Art. 59 Abs. 1 Satz 1 EMRK).231 Vor dem Beitritt der Europäischen Union zur EMRK bestanden unmittelbare Ver108 tragsrechte oder Vertragspflichten aus der EMRK für die Gemeinschaft nicht. Rechtsakte der Gemeinschaft konnte der EGMR nicht nachprüfen (vgl. Rn. 101).232 Auch soweit die materiellen Verbürgungen der EMRK als allgemeine Quelle des Gemeinschaftsrechts nach Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. für das Handeln der Organe der Gemeinschaft verbindlich waren, entschied über deren Tragweite der EuGH (vgl. Art. 46 lit. d EUV), so dass die Gefahr von formal nicht zu bereinigenden Rechtsprechungsdivergenzen zwischen beiden unabhängig nebeneinander judizierenden Gerichten bestand,233 die sich in Einzelfällen auch realisiert hat.234 Der Vertrag von Lissabon sieht vor, dass die Europäische Union der EMRK als Ver109 tragspartei beitreten soll (Art. 6 Abs. 2 EUV n.F.).235 Der Beitritt der Union zur EMRK muss einstimmig beschlossen werden (Art. 218 Abs. 8 Satz 3 AEUV); das Übereinkommen kann erst in Kraft treten, nachdem alle Mitgliedstaaten es gemäß ihrer nationalen Vorschriften ratifiziert haben (Art. 218 Abs. 8 Satz 3 a.E. AEUV). Nachdem der Rat der Justiz- und Innenminister der Europäischen Kommission am 4.6.2010 das Mandat für die Verhandlungen über den EU-Beitritt zur EMRK erteilt hatte, haben die offiziellen Beitrittsgespräche mit dem Europarat am 7.7.2010 begonnen.236 Durch den zu erwartenden Beitritt als 48. Vertragspartei wird die Achtung der Grundrechte in der EU damit auch einer zusätzlichen gerichtlichen Kontrolle durch den EGMR unterworfen. Der Beitritt der Union zur Konvention ändert nichts an den durch den Unionsvertrag festgelegten Kompetenzen der Union. Dies wird in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 EUV ausdrücklich festgestellt.
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etwa Engel EuGRZ 2003 388; Frowein/Peukert Einl. 13; Rengelin EuR 1979 124; Rengelin DÖV 1977 409; Weber DVBl. 2003 220, 225. Schon der Entwurf für einen Verfassungsvertrag (2003) sah einen Beitritt der Union vor; dazu etwa Callewaert EuGRZ 2003 198; Grabenwarter EuGRZ 2004 563, 569; Pache EuR 2004 393, 413; Ruffert EuGRZ 2004 466, 471 ff. Grabenwarter § 4, 14; Krüger/Polakiewicz EuGRZ 2001 92, 102; Pache EuR 2004 413 sowie u. Rn. 110. EGMR Matthews/UK (Fn. 212); Böse ZRP 2001 403. Vgl. Grabenwarter DVBl. 2001 3 ff.; Krüger/Polakiewicz EuGRZ 2001 92, 98 ff. So in der unterschiedlichen Beurteilung des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK: EuGH Rs. 46/87 u. 227/88, Hoechst, Slg. 1989, 2859 = NJW 1989 3080 = EuGRZ 1989 395 und EGMR Niemietz/D, 16.12.1992, A 251-B = NJW 1993 718 = EuGRZ 1993 65 = JBl 1993 451 = ÖJZ 1993 389; zum nemo tenetur-Grundsatz aus Art. 6 EMRK: EuGH Rs. 374/87, Orkem, Slg. 1989, 3283
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und EGMR Funke/F, 25.2.1993, A 256-A = ÖJZ 1993 532; Murray/UK, 8.2.1996, Rep. 1996-I = EuGRZ 1996 587 = ÖJZ 1996 627; Condron/UK, 2.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 610; siehe ferner abweichende Stellungnahmen zu Art. 10 EMRK: EuGH Rs. C-159/90, Society for the Protection of Unborn Children/Grogan, Slg. 1991I, 4685 = NJW 1993 776 = EuGRZ 1992 491 und EGMR Open Door and Public Well Woman/IR, 29.10.1992, A 246-A = NJW 1993 773 = EuGRZ 1992 484 = ÖJZ 1993 280. EuGH und EGMR waren jedoch grundsätzlich bemüht, Differenzen zu vermeiden; vgl. Knauff DVBl. 2010 533, 539. Art. 6 Abs. 2 EUV eingefügt durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007 (ABlEU Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 1). Das EP hat am 19.5.2010 eine Entschließung zu „Institutionellen Aspekten des Beitritts der EU zur EMRK“ verabschiedet (EuGRZ 2010 362). Der EuGH hat sich in einem Reflexionspapier v. 5.5.2010 zu den Aspekten eines Beitritts geäußert (EuGRZ 2010 366).
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Die EMRK musste für den Beitritt der Europäischen Union ebenfalls geändert werden. Bis 2010 erlaubte es Art. 59 Abs. 1 Satz 1 EMRK lediglich Mitgliedern des Europarats, der Konvention beizutreten. Da die Mitgliedschaft beim Europarat allein Staaten vorbehalten ist,237 die Union aber nach allgemeinem staatsrechtlichen Verständnis kein Staat ist,238 konnte die Europäische Union der Konvention nicht beitreten. Das am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. P-EMRK fügt daher einen neuen Absatz 2 in Art. 59 EMRK ein: „Die Europäische Union kann dieser Konvention beitreten.“239 Weiterhin sind Änderungen im Konventionstext erforderlich, die lediglich technischer Natur sind.240 Nach dem Beitritt der Europäischen Union zur Konvention können Rechtsakte der Union vor den EGMR gebracht und dort überprüft werden. Durch den Beitritt der EU werden die Bestimmungen der EMRK gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV für die Mitgliedstaaten und die Organe der Union verbindlich.241 Einigkeit herrscht diesbezüglich über die Frage, ob die Mitgliedstaaten auch im Außenverhältnis zu anderen Vertragspartnern der EU an die Konvention gebunden sind: Da völkerrechtliche Verträge gem. Art. 34 WVRK keine Pflichten oder Rechte für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung begründen, kann der Beitritt der Union für die Mitgliedstaaten in Verhältnissen zu Dritten keine Auswirkungen haben.242 Schon bisher waren die normativen Grundrechtsverbürgungen der EMRK eine allgemeine Quelle des Gemeinschaftsrechts und somit für die Organe der Gemeinschaft primärrechtlich verbindlich.243 Die sich aus der gemeinsamen Verfassungsüberlieferung ergebenden Grundrechte sind unverändert als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts und für die Organe der Europäischen Union verbindlich (Art. 6 Abs. 3 EUV). Die Beibehaltung des bisherigen Art. 6 Abs. 2 EUV n.F. ist nicht unumstritten.244 Zur Begründung der Übernahme der Bestimmung wird hauptsächlich auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH verwiesen, die auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und der damit verbundenen Rechtswirksamkeit der Charta der Grundrechte (Rn. 131) Gültigkeit behalten soll.245 Des Weiteren wird geltend gemacht, nur unter Beibehaltung des bisherigen Art. 6 Abs. 2 EUV könnten künftige Entwicklungen der EMRK und der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zu den Menschenrechten Eingang in die Rechtsprechung des EuGH finden.246
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Art. 4 der Satzung des Europarats (BGBl. 1950 I S. 263; 2003 II S. 703). Sie ist eine durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten gegründete internationale Organisation, vgl. Grabitz/ Hilf/Hilf/Pache Das Recht der Europäischen Union, 40. EL 2009, Vorbem. 1 ff. Art. 17 Abs. 1 des 14. P-EMRK. Das Protokoll trat am 1.6.2010 in Kraft, nachdem als letzter Vertragsstaat die Russische Föderation das Protokoll ratifiziert hatte. Zur Vorgeschichte dieser Ratifikation vgl. Schmidt EuGRZ 2007 507 sowie Engel EuGRZ 2007 241. Vgl. den Explanatory Report zum 14. P-EMRK, Rn. 101 f.; Grabenwarter § 4, 14; Krüger/Polakiewicz EuGRZ 2001 92, 101 ff.; Grabenwarter FS Steinberger 1129,
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1149 ff.; Ress in: Blanke/Mangiameli 279, 289 ff. Vgl. noch zum Verfassungsentwurf des Konvents bzw. Art. 300 Abs. 7 EGV a.F.; KK-EMRK-GG/Giegerich Kap. 2, 33 f. Vgl. noch zu Art. 300 Abs. 7 EGV a.F.: Callies/Ruffert/Schmalenbach EUV/EGV3, Art. 300, 56 EGV. Vgl. Suerbaum EuR 2003 390, 400; Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 325; weiter Kokott AöR 121 (1996) 599 (zu Art. F Abs. 2 EUV i.d.F. des Vertrags von Maastricht). Zustimmend König/Nguyen ZJS 2008 140, 142; a.A. Schmitz EuR 2004 691, 697 f. Vgl. König/Nguyen ZJS 2008 140, 142. Vgl. den Schlussbericht der Gruppe II v. 22.10.2002 (CONV 354/02), S. 9 f.
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Diese Argumente für die Beibehaltung der bisherigen Bestimmung vermögen nur bedingt zu überzeugen: Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten soll durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben werden.247 Es besteht also an sich kein Bedarf, durch Beibehaltung einer überkommenen Bestimmung im EUV diese Tatsache noch zu bekräftigen. Auch im Rahmen der Rechtsfortbildung wird der Verweis auf die EMRK als Rechts116 erkenntnisquelle nicht benötigt: Die Konkordanzklausel des Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUC stellt sicher, dass die in der EUC gewährten Grundrechte sich an den in der EMRK gewährten und durch die Rechtsprechung des EGMR ausgeformten Grundrechten orientieren: Der EuGH kann also gar nicht anders, als Weiterentwicklungen der EMRK in seine Rechtsprechung aufzunehmen. Die Bedenken der Kritiker vermögen höchstens im Hinblick auf die Weiterentwick117 lung der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten zu verfangen. Jedoch würde auch der Wegfall des Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. den EuGH nicht daran hindern, die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquelle zu nutzen.248 Angesichts der Vorbehalte Polens, Tschechiens und des Vereinigten Königsreich hinsichtlich der Entstehung neuer einklagbarer Rechte aus der EUC (Rn. 132) mag die Beibehaltung des Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. zur Sicherung des bisherigen Grundrechtsschutzniveaus eine Berechtigung haben.249
III. Bindung Europäischer Polizei- und Strafverfolgungsbehörden an die EMRK 1. Europol. Durch ein auf Art. 30 EUV a.F.250 gestütztes Abkommen251 wurde 1998 das Europäische Polizeiamt (Europol) geschaffen. Bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon handelte es sich bei Europol um eine eigenständige internationale Organisation, die gemäß Art. 26 Abs. 1 Europol-Übk mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet war.252 Die Bindung von Europol an die EMRK traf also auf ähnliche Problemstellungen wie die Bindung der Europäischen Union an die Konvention (Rn. 98 ff.). Da die Konvention nur Mitgliedern des Europarats zur Ratifizierung offen stand 253 und die Mitgliedschaft wiederum lediglich Staaten vorbehalten war,254 konnte Europol als internationale Organisation der Konvention nicht beitreten.255 119 Der Annahme, die EMRK binde als Völkergewohnheitsrecht auch Institutionen wie Europol, stehen gewichtige Bedenken entgegen: Insbesondere die unterschiedliche Art und Weise der Umsetzung der Konvention in den einzelnen Unterzeichnerstaaten und der unterschiedliche Ratifikationsstand der Protokolle lässt zumindest am Vorliegen des für
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Vgl. die Erläuterung zu Art. 51 Abs. 1 EUC. Vgl. Epping JZ 2003 821, 826 f. Vgl. König/Nguyen ZJS 2008 140, 142. Nunmehr Art. 87 AEUV. Übereinkommen auf der Grundlage von Art. 31 des Vertrages über die Europäische Union über die Einrichtung eines Europäischen Polizeiamts v. 26.7.1995 (BGBl. 1997 II S. 2150; zuletzt geändert durch Protokoll v. 27.11.2003, BGBl. 2006 II S. 252).
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Vgl. zur Rechtsnatur von Europol Günther Europol, Rechtsschutzmöglichkeiten und deren Vereinbarkeit mit nationalen und internationalen Anforderungen (2006), 40 ff.; Grabitz/Hilf/Röben 40. EL 2009, Art. 30 Rn. 11 EUV. Art. 59 Abs. 1 EMRK. Art. 4 Abs. 1 Satzung des Europarats. Vgl. zum Problem des Beitritts der EU oben Rn. 108.
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die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht notwendigen Elements der „allgemeinen Übung“256 zweifeln (vgl. Rn. 131). Eine Geltung der Konvention als gemeinsame Erkenntnisquelle des Rechts, wie dies Art. 6 Abs. 3 EUV n.F. jetzt für die Europäische Union normiert, konnte für Europol nicht angenommen werden, da eine vergleichbare Verweisung gerade fehlte.257 Eine Bindung von Europol an die Konvention über die direkte Anwendung von Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. schied ebenfalls aus, da dieser sich nur an die Union richtete, nicht jedoch an aus ihr hervorgegangene selbstständige internationale Organisationen. Die Nennung des EUV in der Präambel des Europol-Übereinkommens sollte ebenfalls keine Bindung an die Konvention begründen.258 Unbestritten ist indes, dass Europol indirekt über die vertraglichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten des Europol-Übk an die Konvention gebunden war: Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung wiederholt festgestellt, dass sich die Vertragsstaaten nicht durch ihr internationales Handeln ihrer Pflichten zur Gewährung der in der EMRK garantierten Rechte entledigen können.259 Diese Verpflichtung zur Gewährung der in der Konvention garantierten Rechte in der Form ihrer konkreten Auslegung durch den EGMR richtete sich allerdings nicht direkt an Europol; eine gerichtliche Kontrolle von Rechtsakten von Europol durch den EGMR konnte nicht stattfinden. Die bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch nicht rechtsverbindliche Charta der Grundrechte der Europäischen Union soll(te) alle „Einrichtungen der Union“ binden (Art. 51 Abs. 1 EUC). Unter diesen weit auszulegenden Begriff fallen auch im Rahmen der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit (frühere „Dritte Säule“) gegründete eigenständige Stellen wie Europol.260 Mit dem Europol-Beschluss v. 6.4.2009 261 wurde Europol schließlich auch formal in die sog. „Dritte Säule“ integriert. Dies sollte in erster Linie eine Vereinfachung des Änderungsprozesses der Strukturen von Europol bewirken, der bislang zeitaufwendig mittels einer Änderung des Europol-Übk und der damit einhergehenden Ratifikationsprozesse in den Vertragsstaaten zu geschehen hatte. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 ist Europol gem. Art. 88 AEUV zu einer Agentur der Europäischen Union geworden und wird nach dem (zu erwartenden) Beitritt der Union zur EMRK als Einrichtung der Union unmittelbar an die EMRK gebunden sein. Auch an die – nunmehr rechtsverbindliche – Charta der Grundrechte (vgl. Rn. 131) ist Europol als Einrichtung der Europäischen Union gebunden. Europol unterliegt damit hinsichtlich der EMRK und der EUC der doppelten Kontrolle durch EuGH und EGMR.262
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2. Eurojust. Durch einen Beschluss des Rates v. 28.2.2002263 wurde auf Grundlage 126 von Art. 31 EUV a.F. die Europäische Stelle für justizielle Zusammenarbeit in Den Haag
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Vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut (BGBl. 1973 II S. 505); zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht im Einzelnen Ipsen § 16 II. Ebenso Günther (Fn. 252), S. 193. Vgl. ausführlich zum Ganzen Günther (Fn. 252), 194 f. Siehe insbesondere: EGMR Matthews/UK (Fn. 212).
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Meyer/Borowsky Art. 51, 19 GrCH. ABlEU Nr. L 121 v. 15.5.2009, S. 37; abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 36. Zum Rechtsschutz gegen das Handeln der Europäischen Agenturen vgl. Saurer EuR 2010 51. Beschluss 2002/187/JI v. 28.2.2002, ABlEU Nr. L 63 v. 6.3.2002, S. 1.
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(Eurojust) eingerichtet.264 Aufgabe von Eurojust sollte (neben der ursprünglich vorgesehenen, aber nie umgesetzten justiziellen Kontrolle von Europol) die sachgerechte Koordinierung nationaler Rechtshilfeersuchen und sonstiger justizieller Anliegen sein, insbesondere auf dem Gebiet der Bekämpfung organisierter Kriminalität.265 Eurojust wurde als eigenständige Einrichtung der Europäischen Union geschaffen.266 127 Die Bindung an EMRK und EUC unterscheidet sich insoweit nicht von der Bindung anderer Einrichtungen der EU. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurden die Kompetenzen von Eurojust erweitert (vgl. Art. 85 AEUV).267 Die Rechtsnatur der Stelle bleibt hingegen unverändert. An der Bindung an EMRK und EUC ändert sich folglich nichts.
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3. OLAF. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF – Office européen de lutte anti-fraude) wurde durch einen Errichtungsbeschluss der Kommission v. 28.4. 1999268 als neue, fachlich unabhängige Dienststelle der Kommission eingerichtet.269 Mit dem Errichtungsbeschluss wurden gleichzeitig Befugnisse der Kommission auf OLAF übertragen.270 Obschon OLAF fachlich nicht weisungsgebunden ist,271 untersteht die Stelle organisatorisch der Kommission und ist somit ein Organ der Europäischen Union. Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon war OLAF (Rn. 100) wie alle Organe der 129 Gemeinschaften und der Union nach der Rechtsprechung des EuGH an die EMRK gebunden; gleiches gilt für die vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch nicht verbindliche EUC.272 Sekundärrechtlich ist die Bindung von OLAF an die Grundrechte bisher lediglich in Erwägungsgrund Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1073/99 273 näher ausgeführt; die weitere Konkretisierung hat also durch die Rechtsprechung zu erfolgen.274 Das EuG hat hierzu festgestellt, dass bei Missachtung der Unschuldsvermutung durch öffentliche Äußerungen von Beamten von OLAF bzw. der Kommission sowie des Anhörungsrechts der Betroffenen ein Schadensersatzanspruch gegen die (frühere) Ge264
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In Deutschland umgesetzt durch das Eurojust-Gesetz (EJG) v. 12.5.2004 (BGBl. 2004 I S. 902), dazu Esser/Herbold NJW 2004 2421; siehe auch die Verordnung über die Rechtspersönlichkeit von Eurojust sowie die Vorrechte und Immunitäten der Bediensteten (EurojustV) v. 7.7.2003 (BGBl. 2003 I S. 1271) sowie die Verordnung über die Benennung und Einrichtung der nationalen Eurojust-Anlaufstelle für TerrorismusFragen (EJTAnV) v. 17.12.2004 (BGBl. 2004 I S. 3520) geändert durch VO v. 7.7.2006 (BGBl. 2006 I S. 1450). Vgl. Erklärung Nr. 2 zur Schlussakte zum Vertrag von Nizza v. 26.2.2001 (ABlEG Nr. C 80 v. 10.3.2001, S. 70). Eurojust besitzt eine eigenständige Rechtspersönlichkeit, vgl. § 1 EurojustV (s.o. Fn. 264). Im Einzelnen Streinz/Ohler/Herrmann § 21 IV. Beschluss 1999/352/EG, EGKS, EURATOM v. 28.4.1999, ABlEG Nr. L 136 v. 31.5.1999, S. 20.
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Es untersteht dem für den Haushalt zuständigen Kommissionsmitglied, vgl. zur Entstehungsgeschichte Kuhl/Spitzer EuR 2000 671, 672 ff.; Grabitz/Hilf/Magiera 40. EL 2009, Art. 280 EGV Rn. 44 f. 270 Vgl. zum Entstehungsprozess im Einzelnen Decker Grundrechtsschutz bei Handlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (2008), 19 ff.; Gleß EuZW 1999 618; Hallmann-Häbler/Stiegel DRiZ 2003 241. 271 Vgl. Art. 3 des Errichtungsbeschlusses (Fn. 268). 272 Vgl. Art. 51 Abs. 1 EUC. 273 ABlEG Nr. L 136 v. 25.5.1999, S. 1; abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 34. 274 Vgl. zur Kritik an diesem Umstand und zu Reformbestrebungen Brüner/Spitzer EuR 2008 859; Niestedt/Boeckmann EuZW 2009 70.
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meinschaft gemäß Art. 288 Abs. 2 EGV bestand.275 Weitere durch die Rechtsprechung festgestellte Grundrechtsverletzungen betrafen das Gebot der Unparteilichkeit,276 Verletzungen des Datenschutzes277 sowie wiederum das Anhörungsrecht des Betroffenen.278 Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und dem Beitritt der Union zur 130 EMRK wird OLAF als Einrichtung der Europäischen Union direkt an die Konvention gebunden. Ebenfalls bindend für OLAF bleibt die nunmehr rechtsverbindliche Charta der Grundrechte.
G. Verhältnis der EMRK zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union I. Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Die am 7.12.2000 in Nizza „feierlich proklamierte“ Charta der Grundrechte der 131 Europäischen Union,279 die aufgrund des Beschlusses des Europäischen Rates v. 4.6. 1999 erarbeitet wurde, war keine in Ausübung einer Rechtsetzungsbefugnis erlassene und deshalb nach innen und außen rechtlich verbindliche Festlegung der in ihr gewährleisteten Grundrechte.280 Die Organe der Union281 wie auch die Mitgliedstaaten hatten sich durch die Charta an deren normative Grundrechtsverbürgungen gebunden. Ihrer unverbindlichen Rechtsnatur zufolge konnte sich kein Bürger direkt auf die EUC berufen. Ihm blieb nur der „schmale“ Rekurs auf die EMRK (dazu Rn. 101). Nichtsdestotrotz wurde die Charta in den Schlussanträgen der Generalanwälte 282 bei 132 EuGH und EuG sowie in deren Rechtsprechung 283 berücksichtigt.284 Auch der EGMR bezog die Charta schon vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in seine Rechtsprechung mit ein.285
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EuG Rs. T-48/05, Franchet u. Byk/Kommission; dazu Niestedt/Boeckmann EuZW 2009 70. EuG Rs. T-309/03, Camós Grau/Kommission, Slg. 2006-II, 1173. EuG Rs. T-259/03, Nikolaou/Kommission, Slg. 2007-II, 99; Rs. T-391/03 u. T-70/04, Franchet u. Byk/Kommission, Slg. 2006-II, 2023. EuG Rs. T-259/03, Nikolaou/Kommission, Slg. 2007-II, 99. ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1 = EuGRZ 2000 554. Dazu etwa Alber/Widmaier EuGRZ 2000 497; Busse EuGRZ 2002 559 ff., Magiera DÖV 2000 1017; Weber NJW 2000 537; Zuleeg EuGRZ 2000 511 je m.w.N. Zum Verständnis des Begriffes Meyer/ Borowsky Art. 51, 17 ff. GrCh. Rs. C-466/00, Kaba, Slg. 2003-I, 2219;
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verbundene Rs. C-387/02, C-391/02, C-403/02, Berlusconi, Slg. 2005-I, 3565. Für den EuGH zum ersten Mal in der Rs. C-540/03, EP/Rat, Slg. 2006-I, 5769 = NJW 2006 3266 = EuGRZ 2006 417; seither ständig: vgl. nur EuGH Rs. C-303/05, Advocaaten voor de Wereld, Slg. 2007-I, 3633 = NJW 2007 2237 = StV 2007 362 L = EuGRZ 2007 273; Rs. C-432/05, Unibet/Justitiekansler, Slg. 2007-I, 2271 = NJW 2007 3555 = EuGRZ 2007 439; für das EuG zum ersten Mal in der Rs. T-54/99, max.mobi, Slg. 2002-II, 313 = EuGRZ 2002 266 = EuZW 2002 186. Vgl. im Einzelnen Meyer/Borowsky Vor Art. 51 ff., 3 ff. GrCh. Vgl. EGMR (GK) Goodwin/UK, 11.7.2002, ECHR 2002-VI = NJW-RR 2004 289; Bosphorus/IR (Fn. 217).
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II. Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon 133
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in ihrer am 12.12.2007 modifizierten Form gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV rechtsverbindlich.286 Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben die Charta in Straßburg „feierlich proklamiert“.287 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV bekräftigt ausdrücklich, dass die Charta den gleichen Rang wie die Verträge einnimmt. Dies bedeutet, dass die Charta Anwendungsvorrang vor nationalem Recht genießt, falls und insoweit Unionsrecht betroffen ist. 134 Durch die Charta werden die in den Verträgen geregelten Kompetenzen nicht erweitert (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV; Art. 51 Abs. 2 EUC).288 135 Polen und das Vereinigte Königreich haben Erklärungen zur Geltung der Charta für ihre nationalen Gerichte abgegeben.289 Es stellte sich die Frage nach Inhalt und Rechtsfolgen des Protokolls Nr. 30 über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich. Es wird teilweise als opt-out verstanden zum Teil als Beschränkung der Gerichtsbarkeit des EuGH. Generell können Protokolle Vertragsbedingungen abbedingen. Sie gehen den Vertragbedingungen als leges speciales vor. Das Protokoll Nr. 30 begründet dem Wortlaut nach aber keine Ausnahme von der Bindung aus Art. 6 Abs. 1 EUV. Ein solcher Wille hätte durch eine eindeutige Erklärung der Nichtanwendung manifestiert werden müssen. Dies wird auch durch die politischen Stellungnahmen der Regierungsverantwortlichen belegt. Vielmehr wird – wie auch der Titel nahe legt – die Anwendungsregel des Art. 51 EUC präzisiert. bzw. geändert, das Protokoll dient also lediglich als Interpretationshilfe. Dies ergibt sich auch aus dem 8. und 9. Erwägungsgrund, die in der Präambel niedergelegt sind.290 Art. 1 Abs. 1 des Protokolls soll sicherstellen, dass nicht nationales Recht aufgrund von Verstößen gegen Unionsgrundrechte verworfen werden kann. Dabei beschränkt sich die Regelung auf die Absage an eine Ausweitung der Befugnisse des Gerichtshofs bzw. nationaler Gerichte. Bereits bestehende Befugnisse sollen dagegen nicht berührt sein. Die Norm trägt der Befürchtung Rechnung, dass die sog. „ERT“-Rechtsprechung 291 des EuGH auf die Grundrechte der Charta angewendet wird und damit alle grundrechtsrelevanten Gebiete zum „Anwendungsbereich des Unionsrechts“ gehören. Dies würde zu einer massiven Ausweitung der Jurisdiktionsbefugnisse des EuGH in Bezug auf das nationale Recht führen, da es kaum staatliche Regelungen geben wird, die nicht grundrechtsrelevante Bereiche betreffen. Polen und das Vereinigte Königreich wollen vielmehr sicher-
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ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1; zur Entstehungsgeschichte vgl. Streinz/Ohler/ Herrmann § 14 II; zu den Auswirkungen des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon vgl. Kokott/Sobotta EuGRZ 2010 265. Text der Proklamation EuGRZ 2007 747; Billigung des EP: EuGRZ 2007 751; Veröffentlichung der amtlichen deutschen Fassung: BGBl. 2008 II 1165. So schon zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon: EuGH Rs. C-249/96, Grant/Southwest Trains Ltd., Slg. 1998-I, 621 = NJW 1998 969 = EuGRZ 1998 140 = JZ 1998 724.
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Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich, Protokoll Nr. 30 zum EUV (ABlEU Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 154); zu den sich daraus ergebenden Problemen Mayer EuR 2009 Beiheft 1, 87. Siehe Näheres bei Schulte-Herbrüggen ZEuS 2009 343, 364 ff. EuGH Rs. C-260/89 (ERT), Slg. 1991, I-2925.
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stellen, dass es bei dem anerkannten Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte – nämlich der Durchführung von Unionsrecht – bleibt.292 Nach Art. 1 Abs. 2 des Protokolls Nr. 30 sollen durch die Charta keine neuen einklagbaren Rechte begründet werden, soweit diese nicht im nationalen Recht ohnehin vorgesehen sind. Es soll damit verhindert werden, dass bloße Zielbestimmungen zu subjektiven Rechten uminterpretiert werden. Diese Befürchtung geht insbesondere darauf zurück, dass die im Titel IV des AEUV aufgeführten Zielbestimmungen in ihrer Formulierung von Grundrechten nicht zu unterscheiden sind.293 In der Praxis wird aus diesem Grunde der Verweisung auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die EMRK in Art. 6 Abs. 3 EUV n.F. eine gewisse Bedeutung zukommen: Der EuGH kann auf Grundlage der Verweisung das Grundrechtsschutzniveau auch in Polen und im Vereinigten Königreich vergleichbar mit dem in den übrigen Mitgliedstaaten gestalten.294 Beim EU-Gipfel am 29./30.11.2009 konnte die Tschechische Republik zudem erreichen, dass das Protokoll Nr. 30 auch für Tschechien anwendbar ist.295 Hintergrund war die Sorge, dass durch die Charta die sog. Benesˇ-Dekrete ausgehebelt werden könnten und es somit zu Regressforderungen der nach dem Zweiten Weltkrieg in der damaligen Tschechoslowakei enteigneten Sudetendeutschen und Ungarn kommen könnte. Soweit in der Charta Rechte enthalten sind, die den in der EMRK garantierten Rechten entsprechen, kommt diesen nach der ausdrücklichen Bestimmung in Art. 52 Abs. 3 EUC stets die gleiche Tragweite und Bedeutung zu, die sie nach der EMRK haben.296 Durch diese (dynamische) Verweisung werden alle der EMRK entsprechenden Grundrechte der Charta inhaltlich an die jeweilige Auslegung dieser Rechte in der EMRK gebunden, sowohl hinsichtlich der Weiterentwicklung ihrer Tragweite als auch hinsichtlich der dort vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten (vgl. etwa die Absätze 2 der Art. 8 bis 11 EMRK). Einer eigenständigen Auslegung offen sind nur die Rechte aus der EUC, die in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen nicht enthalten sind. Die EMRK bildet allerdings gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 2 EUC auch für inhaltsgleiche Grundrechte in der EUC lediglich einen Mindeststandard. In der EUC verbürgte Grundrechte können daher ein höheres Schutzniveau gewährleisten als die inhaltsgleichen Rechte in der EMRK.297 Art. 53 EUC enthält außerdem eine „Niveauschutzklausel“: Die in der EUC normierten Rechte sollen keine Menschenrechte aus dem Recht der Union, dem Völkerrecht oder aus von den Mitgliedstaaten eingegangenen internationalen Übereinkünften einschränken. Dies bedeutet jedoch nicht etwa, dass die in der Charta gewährten Rechte automatisch das Schutzniveau des jeweils stärksten in Art. 53 EUC erwähnten Rechts bieten sollen.298 Vielmehr soll vermieden werden, dass statt schutzintensiverer, schon vor
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Vgl. Schulte-Herbrüggen ZEuS 2009 343, 369 ff. Vgl. Schulte-Herbrüggen ZEuS 2009 343, 373 ff. Vgl. oben Rn. 115. Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf die Tschechische Republik – beschlossen auf dem Europäischen Rat v. 29./30.10.2009. Zur Harmonisierung der EMRK mit der EUC Callewaert EuGRZ 2003 198; Pache EuR 2004 393.
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Tettinger/Stern/v. Danwitz Art. 52, 58 EUC. Ob dies auch durch Auslegung der Rechte der EUC durch den EuGH geschehen kann, ist umstritten: dafür Jarass Art. 52, 62 EUC; a.A. Meyer/Borowsky, Art. 52, 39 GrCH. Gegen diese „quasi-automatische Hochzonung“ ebenfalls Meyer/Borowsky Art. 53, 9 GrCH; dies gilt gerade nicht für die EMRK, vgl. Art. 52 Abs. 3 EUC sowie vorangehende Ausführungen.
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Inkrafttreten der EUC bestehender Rechte nunmehr die Charta angewandt wird und das Schutzniveau effektiv sinkt. Art. 53 EUC hat insofern die Funktion einer Kollisionsnorm.299 Das vor Bestehen der Charta vorhandene Grundrechtsschutzniveau bleibt also umfassend erhalten. Dazu gehört, dass die bisherige Judikatur von EGMR und EuGH weiterhin Beachtung finden soll.300 Der sachliche Anwendungsbereich der Charta wird in Art. 51 Abs. 1 EUC ausdrücklich auf die Organe und Einrichtungen der Union beschränkt, wobei auf die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips besonders hingewiesen wird. Für die Mitgliedstaaten soll die Charta nur gelten, soweit sie ausschließlich das Recht der Union durchführen.301 Die Charta hebelt also wegen ihrer Beschränkung auf die Organe der Union und die Ausführung des Unionsrechts weder die nationalen Grundrechtsverbürgungen in den einzelnen Mitgliedstaaten noch deren zusätzliche völkervertragliche Festlegung durch die Menschenrechtskonvention und die anderen Menschenrechtspakte aus. Nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts gelten die EMRK und die Charta nebeneinander; das Konkurrenzverhältnis wird aber dadurch entschärft, dass die Charta insoweit die in ihr mit anderen Worten und meist vereinfacht formulierten Grundrechte in Art. 52 Abs. 3 EUC an die (jeweilige) Auslegung der EMRK und damit auch an deren Fortentwicklung durch den EGMR bindet;302 der mögliche Konflikt mehrerer Günstigkeitsprinzipien wird dadurch zu Gunsten des Vorrangs der EMRK gelöst (vgl. Rn. 135). Die nicht in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen enthaltenen sonstigen Verbürgungen der Charta können ohnehin in ihrer Geltung von dieser nicht beeinflusst werden, der EGMR ist in seiner Prüfungskompetenz ausschließlich auf die EMRK und deren ZP beschränkt (vgl. Art. 53 EMRK). Im Gegensatz zur EMRK hat die Charta in der deutschen Rechtsordnung nicht den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, genießt aber vor nationalen Strafgerichten und Strafverfolgungsbehörden als Teil des Unionsrechts (sogar) einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Strafrecht, dies allerdings nur in Verfahren mit „europarechtlichem Bezug“, wenn also in dem strafrechtlich relevanten Strafverfahren Unionsrecht aus- bzw. durchgeführt oder umgesetzt wird.303 Die der Charta beigefügten Erläuterungen304 wurden als Anleitung für die Auslegung der EUC verfasst und dienen als Interpretationshilfe dazu, die einzelnen Bestimmungen inhaltlich zu konkretisieren. Die Erläuterungen haben als solche keinen rechtlichen Status,305 sind aber von den Gerichten der Union und denen der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen (Art. 52 Abs. 7 EUC). Diese interpretatorischen Erläuterungen werden den EuGH vermutlich nicht daran hindern, auch in Zukunft in seiner Rechtsprechung die in der Charta garantierten Rechte dynamisch fortzuentwickeln.
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300 301
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So auch Ruffert EuR 2004 165, 174; zum Streitstand Tettinger/Stern/von Danwitz Art. 53, 8 ff. GrCH mit zahlreichen Nachweisen des Schrifttums. Ebenso Scheuing EuR 2005 162, 188 f. Vgl. Hirsch Gollwitzer-Koll. 81, 84; ferner Grabenwarter EuGRZ 2004 563, 564 zur unterschiedlich weiten Auslegung dieser Wendung; diese hat vor allem dafür Bedeutung, wieweit eine die Dienstleistungsfreiheit beschränkende innerstaatliche Maßnahme am Gemeinschaftsrecht zu messen ist. Zum Verhältnis der EU-Grundfreiheiten zu den
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Grundrechten vgl. Grabenwarter EuGRZ 2004 563, 567; Kingreen EuGRZ 2004 570, 572 ff.; Ruffert EuGRZ 2004 467. Vgl. Grabenwarter § 4, 12; ders. EuGRZ 2004 563, 566. Vgl. Erklärung Nr. 53 der Tschechischen Republik zur Charta der Grundrechte (ABlEU Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 267). ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 17. Vgl. insoweit die Einleitung der Erläuterungen, ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 17.
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Einführung
Einf. IPBPR
Der strafrechtliche Gehalt der Charta ist begrenzt. Im Gegensatz zur EMRK normiert die Charta ausdrücklich die Unantastbarkeit der menschlichen Würde (Art. 1 EUC) als „Fundament der Grundrechte“.306 Sie verbürgt darüber hinaus das Recht auf Leben (Art. 2 EUC), das Recht auf Unversehrtheit (Art. 3 EUC), das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 4 EUC), die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 EUC) sowie den Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 EUC). An diesen zentralen Bestimmungen müssen sich strafprozessuale Eingriffe im europäischen Kontext messen lassen.307 Als Maßstab für freiheitsbeschränkende Maßnahmen jeglicher Art statuiert Art. 6 EUC – in Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 EMRK – ein Recht auf Freiheit und Sicherheit; spezielle Haftrechte des Beschuldigten (vgl. Art. 5 Abs. 2-4 EMRK) sucht man im Text der Charta indes vergeblich. Über Art. 52 Abs. 3 EUC und den Hinweis in den Erläuterungen ergibt sich auch hier, dass die Eingriffsvoraussetzungen der EMRK nicht unterschritten, wohl aber verschärft werden dürfen (vgl. Rn. 137 f.).308 Besondere Beachtung verdienen die im Titel VI genannten Justiziellen Rechte,309 nicht zuletzt wegen der in Art. 86 AEUV angelegten Einrichtung einer EuStA. Sollte sich der Rat entschließen, in der Verordnung, die rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der EuStA (Art. 86 Abs. 1 AEUV) sein könnte, keine Beschuldigtenrechte explizit auszuweisen,310 wird ein Rückgriff auf die in der Charta garantierten Rechte unumgänglich sein. Ein besonderes Konfliktpotential besteht, falls die EuStA weder als objektive Wächterin der Gesetze noch als justizielles Kontrollorgan konzipiert wird.311 Der Beistand eines Verteidigers ist in zwei Bestimmungen verbürgt. Während Art. 47 Abs. 2 Satz 2 EUC allgemein jedem Menschen das Recht garantiert, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, wird in Art. 48 Abs. 2 EUC – pauschalierend – die Achtung der Verteidigungsrechte des Angeklagten312 eingefordert.313 Als weitere prozessuale Beschuldigtenrechte sind in der Charta explizit genannt (in Anlehnung an Art. 6 EMRK): der Anspruch auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht (Art. 47 Abs. 2 EUC) sowie der Anspruch auf eine faire, öffentliche Verhandlung innerhalb angemessener Frist (Art. 47 Abs. 2 Satz 1 EUC), die Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 EUC) sowie der Strafklageverbrauch auf Unions-Ebene, d.h. auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten (Art. 50 EUC).314
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Vgl. die Erläuterungen zu Art. 1 EUC (ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 17). Hinzu kommen weitere in der Charta verbürgte Grundrechte, die im Einzelfall ebenfalls strafprozessual relevant werden können: Art. 10 EUC (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit), Art. 11 EUC (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit), Art. 15 EUC (Berufsfreiheit), Art. 17 EUC (Eigentumsrecht), Art. 24 EUC (Rechte des Kindes), Art. 25 EUC (Rechte älterer Menschen). Vgl. dazu die vorstehenden Ausführungen. Hierzu: Abetz Justizgrundrechte (2005) 108 ff. Die als Grundelement einer kohärenten
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„Europäischen Strafprozess(Ver-)ordnung“ (Art. 86 Abs. 1 AEUV) dringend notwendige Vorsehung von Beschuldigtenrechten gegenüber der EuStA ließe sich in der Form von „Verfahrensvorschriften“ (vgl. Art. 86 Abs. 3 AEUV) realisieren. Hierzu: Radtke GA 2004 1, 12. Die deutsche Fassung der Charta übernimmt den aus Art. 6 EMRK stammenden Begriff. der angeklagten Person (vgl. Art. 6 EMRK Rn. 24 ff.). Zur Notwendigkeit von Verteidigungsrechten auf europäischer Ebene: Bendler StV 2003 133; Vogel/Matt StV 2007 206 ff. Vgl. Art. 54-58 SDÜ; Art. 7 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen
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Als materiellrechtliche Elemente des Strafrechts enthält Art. 49 EUC den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Straftaten und Strafen (nulla poena, nullum crimen sine lege).315 Explizit genannt sind das Rückwirkungsverbot für Straftaten (Abs. 1 Satz 1) und Strafen (Abs. 1 Satz 2) – mit einer völkerstrafrechtlichen Einschränkung (Abs. 2) – die Regel der Rückwirkung von milderen Strafrechtsvorschriften (Abs. 1 Satz 3: lex mitior)316 – sowie die Verhältnismäßigkeit des Strafmaßes (Abs. 3). Eingriffe in die von der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten müssen eine ge150 setzliche Grundlage haben, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – notwendig sein sowie den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Art. 52 Abs. 1 EUC).317 Die in der Charta enthaltenen Beschuldigtenrechte liefern als „Wertemodell“ – nicht 151 zuletzt über die bereits vorliegende „konkretisierende“ Rechtsprechung des EuGH – für den Verteidiger ein wichtiges Argumentationspotential (unabhängig davon, ob der konkrete Fall den für die Geltung der EUC erforderlichen Unionsbezug aufweist). Ihr Schutzgehalt geht aber zumeist nicht über den der EMRK hinaus.
H. Europäischer Grundrechtsschutz durch Harmonisierung der nationalen Strafrechtsordnungen – Mindestvorschriften zur Angleichung strafprozessualer Standards im Rahmen der PJZS I. Rechtsharmonisierung auf der Grundlage des AEUV 152
Zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Art. 82 AEUV) zählt auch die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das EP und der Rat können – unter Berücksichtigung der zwischen den Rechtsordnungen und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede – mit Hilfe von Richtlinien (Art. 288 UA 3 AEUV) sog. Mindestvorschriften festlegen, die auch grundrechtliche Aspekte des Strafverfahrens berühren können. Der Begriff „Mindestvorschriften“ impliziert, dass die Mitgliedstaaten nicht gehindert sind, auf nationaler Ebene ein im Verhältnis zu den Bestimmungen der Richtlinie höheres Schutzniveau vorzusehen (Art. 82 Abs. 2 UA 3 AEUV). Als Regelungsmaterie nennt Art. 82 Abs. 2 UA 2 AEUV: die Zulässigkeit von Beweis153 mitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten (lit. a), die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren (lit. b) sowie die Rechte der Opfer von Straftaten (lit. c). Weitere „spezifische Aspekte des Strafverfahrens“ können durch einen (einstimmigen) Beschluss des Rates zum Gegenstand von Mindestvorschriften gemacht werden (lit. d).
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Interessen der Europäischen Gemeinschaften v. 26.7.1995, ABlEG Nr. C 316 v. 27.11.1995, S. 49. Siehe: Meyer/Eser Art. 49, 9 ff. GrCh.
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Vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 3 IPBPR; § 2 Abs. 3 StGB. Ausführlich hierzu: Eisner Schrankenregelung der Grundrechtecharta (2005).
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Einführung
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II. Initiativen zur Harmonisierung bestimmter Verfahrensrechte Eine erste Bestandsaufnahme grundlegender strafprozessualer Standards in Europa hatte die Kommission bereits im Jahre 2002 durch das Konsultationspapier – Verfahrensgarantien für Verdächtige und Beklagte in Strafverfahren in Gang gebracht. Dieses Papier und die eingegangenen Stellungnahmen waren Grundlage des von der Kommission am 19.2.2003 vorgelegten Grünbuchs Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union318. Am 28.4.2004 hatte die Kommission sodann – basierend auf dem alten EU-Vertragswerk – den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union unterbreitet,319 der allerdings nicht mehr als ein Rudiment strafprozessualer Standards verbriefte und aufgrund dessen nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch bei Strafverteidigern auf Kritik stieß.320 Der RB-Vorschlag ging auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zurück. Ziel war nicht die Etablierung neuer strafprozessualer Verfahrensgarantien, sondern die Visualisierung als wesentlich eingestufter Verfahrensgarantien: die Vertretung durch einen Rechtsbeistand (sowohl im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren), die Inanspruchnahme eines Dolmetschers, die Information des Beschuldigten über seine Rechte (Letter of Rights), die Gewährleistung eines angemessenen Schutzes für besonders schutzbedürftige Beschuldigte sowie das Recht festgenommener bzw. inhaftierter Beschuldigter auf konsularischen Beistand. In ihrer Gesamtheit betrachtet waren die geplanten Regelungen nicht kompensatorisch für die auf EU-Ebene systematisch ausgebauten Befugnisse der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden. Da sich der geplante Rahmenbeschluss auf gerade einmal fünf Verfahrensgarantien beschränkte, war er zwangsläufig fragmentarisch und in seinem Regelungsgehalt wenig homogen. Zentraler Streitpunkt, an dem die Verabschiedung des Rahmenbeschlusses scheiterte, war und ist die Kompetenz der Union zur Regelung strafprozessualer Verfahrensrechte. Die zentrale Kompetenznorm, die der Union eine Harmonisierung prozessualer strafrechtlicher Bestimmungen erlaubt hätte, fand sich in ex-Art. 31 Abs. 1 lit. c EUV, der als einen Teilaspekt des gemeinsamen Vorgehens im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen „die Gewährleistung der Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander“ als Zielvorgabe nannte, allerdings nur „soweit dies zur Verbesserung dieser Zusammenarbeit erforderlich“ war. Eine weite Interpretation dieses Kompetenztitels hätte praktisch jede strafverfahrensrechtliche Problematik erfasst, da man niemals ausschließen kann, dass ein prozessuales Problem „grenzüberschreitend“ („cross-border“) relevant wird.321 Aber auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben war der RB-Vorschlag – angesichts seiner beschränkten Regelungsmaterie – von ex-Art. 31 Abs. 1 lit. c EUV gedeckt. Erst recht gilt dies für die
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KOM (2003) 75 endg. KOM (2004) 328 endg. Ahlbrecht JR 2005 400, 402; ders. StraFo 2003 185; ders. ZRP 2004 1, 3; Braum StV 2003 576, 578; vgl. auch die im Bereich der Verteidigungsrechte deutlich weitergehenden
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Vorschläge von: Ahlbrecht/Lagodny StraFo 2003 329 ff.; Vogel/Matt StV 2007 206. Aus Sicht der Kommission: Morgan ERAForum 2003 91, 97.
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neue Richtlinienkompetenz der Union zur Festlegung von Mindestvorschriften betreffend „die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren“ (Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. b AEUV).322 Nach mehrfacher Überarbeitung des ursprünglichen RB-Vorschlags323 wurde das Vorhaben inzwischen zugunsten eines abschnittsweisen Vorgehens endgültig aufgegeben.324 Der Rat hat Ende 2009 das Stockholmer Programm verabschiedet, das eine Normierung einzelner Beschuldigtenrechte im Strafverfahren in separaten Rechtsetzungsakten vorsieht.325 Im Einzelnen geht es dabei – in dieser Reihenfolge – um (A) Übersetzungen und Dolmetschleistungen, (B) die Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung, (C) Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, (D) Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden, (E) besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder Beschuldigte sowie (F) um ein Grünbuch zur Untersuchungshaft. Neben der am 7.10.2010 vom Rat der Europäischen Union bereits angenommenen Richtlinie über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren326 erging am 20.7.2010 im Rahmen des Aktionsplans des Stockholmer Programms ein Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über das Recht auf Belehrung in Strafverfahren327, der derzeit vom Europäischen Parlament bearbeitet wird. Ein weiterer Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2011 betrifft den Rechtsbeistand im Strafverfahren.328 In den nächsten Jahren sind Legislativvorschläge betreffend die Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden (2012) und bzgl. besonderer Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder Beschuldigte (2013) zu erwarten. Ein Grünbuch zum Bedarf an zusätzlichen Mindestverfahrensrechten für Beschuldigte und Verdächtige wird das Programm auf diesem Gebiet im Jahr 2014 abrunden.329 Mit einer die Rechtsinstrumente vorbereitenden Untersuchung der in den Mitgliedstaaten der Union geltenden Verfahrensrechte in Strafverfahren hat die Europäische Kommission eine Forschergruppe der Universitäten Maastricht und Gent (Leiterin des Projektes: Prof. Dr. Taru Spronken) beauftragt, die am 9.11.2009 ihren Bericht zu vier grundlegenden strafprozessualen Verfahrensrechten vorgelegt hat (Recht auf Information; Recht auf juristische Beratung; Recht auf einen kostenfreien Rechtsbeistand; Recht auf mündliche und schriftliche Übersetzung).330
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Insoweit kann auch das BVerfG keine Bedenken hegen; vgl. BVerfGE 123 267 = NJW 2009 2267, Rn. 360. Zuletzt unter der schwedischen Ratspräsidentschaft; zur letzten Version des Vorschlags Vogel/Matt StV 2007 206, 207. Vgl. Entschließung des Rates v. 30.11.2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, ABlEU Nr. C 295 v. 4.12.2009, S. 1. Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union v. 11.12.2009, Dok-Nr. EUCO 6/09, Ziff. 25 ff., insbes. 28; Aktionsplan zur Umsetzung, KOM (2010) 171 endg. v. 20.4.2010; siehe auch JimenoBulnes eucrim 2009 157; Spronken StRR 2010 138; ausführlich zum Scheitern des
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Rahmenbeschlusses und zum Stockholmer Programm: Polakiewicz EuGRZ 2010 16. ABlEU Nr. L 280 v. 26.10.2010, S. 1 ff. KOM (2010) 392 endg. v. 20.7.2010. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des EP und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme: KOM (2011) 326 endg. v. 8.6.2011. Vgl. Aktionsplan (Fn. 324), S. 15 f. Der Bericht basiert auf einer Analyse von Fragebögen, die an die Mitgliedstaaten versendet worden waren. Der Bericht ist im Internet abrufbar unter http://arno.unimaas. nl/show.cgi?fid=16315 [Stand: 11/2011]; siehe auch: Spronken StRR 2010 138.
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I. Bedeutung der EMRK für die Arbeit der Europäischen Grundrechte Agentur (FRA) Mit der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates v. 15.2.2007 wurde die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ins Leben gerufen.331 Die FRA (mit Sitz in Wien) ist eine Einrichtung mit eigenem Rechtsstatus; sie ersetzt die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC). Die Agentur handelt im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung unabhängig und soll mit den nationalen und internationalen Organisationen (u.a. OSZE, Europarat) kooperieren. Formal gesehen konkurriert die Einrichtung der Agentur nicht mit der Arbeit des Europarates, da dieser Monitoring betreibt und Standards setzt, wohingegen die Agentur beratend tätig ist, Berichte verfasst und sich mit der Lage der Grundrechte in der EU und ihren 27 Mitgliedstaaten beschäftigt.332 Die Agentur besteht aus einem Verwaltungsrat, einem Exekutivausschuss, einem wissenschaftlichen Ausschuss, sowie einem Direktor. Ihre thematischen Tätigkeitsbereiche werden in einem Mehrjahresrahmen festgelegt; dazu gehören vor allem die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehender Intoleranz. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Arbeit der Agentur sind der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre der Bürger. Die Aufgaben der FRA bestehen in der Sammlung, Analyse und Verbreitung vergleichbarerer Informationen und Daten. Des Weiteren ist die Agentur mit der Entwicklung von Standards und Methoden betraut, die eine bessere Qualität und Vergleichbarkeit von Daten ermöglichen sollen. Die FRA führt wissenschaftliche Forschungsarbeiten und Erhebungen durch. Ebenfalls zu ihren Aufgaben gehört die Förderung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft, sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Bezug auf Grundrechtsfragen. Die FRA wird für die Organe der EU und deren Mitgliedstaaten auch beratend tätig, indem sie Schlussfolgerungen und Gutachten im Zusammenhang mit der Durchführung des Unionsrechts erarbeitet und veröffentlicht. Dabei gehört die Agentur weder der Exekutive noch der Legislative an. Die FRA gibt jährlich einen Bericht über Grundrechtsfragen in der EU und themenspezifische Berichte heraus. Zur Untersuchung individueller Beschwerden, zur Ausübung regulatorischer Entscheidungsbefugnisse, sowie zur Überwachung von Grundrechten in den EU-Ländern für die Zwecke von Art. 7 EUV fehlt der FRA allerdings die erforderliche Ermächtigung. Wichtigster Bündnispartner bei der Umsetzung der Menschenrechte sind, nach Auffassung der Agentur, die nationalen Parlamente. Die FRA bezieht ihr Mandat aus den in Art. 6 Abs. 2 EUV genannten Grundrechten, die in der Charta der Grundrechte Ausdruck finden.333 Die Agentur nimmt daher auf die Rechtsprechung des EuGH und des EGMR Bezug. Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon übte sie ihre Aufgaben im Rahmen des Gemeinschaftsrechts (Erste Säule) aus. Zur Ausübung von Tätigkeiten, welche die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Dritte Säule) betreffen, war die FRA generell nicht ermächtigt. Hier 331 332
Eingehend zu den Aufgaben der FRA: Härtel EuR 2008 489. Sie ist darüber hinaus auf Beschluss des Assoziationsrates auch offen für Bewerberländer. Zudem kann der Rat die Länder, die
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ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen haben, zur Beteiligung an der FRA einladen. Zum Verhältnis der EMRK und der Charta der Grundrechte siehe Rn. 131 f.
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konnte sie lediglich auf Ersuchen des Europäischen Parlaments, des Rates oder der Kommission tätig werden. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der damit einhergehenden 172 Rechtsverbindlichkeit der Bestimmungen der Charta der Grundrechte hat die Agentur an Bedeutung gewonnen.334 Durch die Aufnahme der früheren Dritten Säule in den AEUV hat sie nunmehr auch die Möglichkeit, andere grundrechtssensible Bereiche zu kontrollieren.335
J. Verhältnis zwischen EU bzw. EMRK und IPBPR 173
Für das Verhältnis zwischen dem IPBPR und der Europäischen Union gelten weitgehend ähnliche Grundsätze. Die Union als solche ist keine Vertragspartei dieses Paktes. Soweit die materiellen Verbürgungen des IPBPR mit denen der EMRK inhaltlich übereinstimmen, ist deren Beachtung mittelbar über Art. 6 Abs. 3 EUV abgesichert. Im Übrigen bleiben für die Erfüllung der sich aus diesem Pakt ergebenden Verpflichtungen die Mitgliedstaaten auch in den Bereichen verantwortlich, in denen sie den Unionsorganen Regelungsbefugnisse übertragen haben.336 Die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die den Vertragsstaaten aus EMRK und IPBPR 174 erwachsen, sind auch dort miteinander vereinbar, wo die Vertragstexte in ihrem materiellen Menschenrechtsteil unterschiedlich weitgehende Verpflichtungen begründen. Beide Verträge sehen im Interesse des bestmöglichen Menschenrechtsschutzes vor, dass sie jeweils weitergehende Gewährleistungen des nationalen oder internationalen Rechts in ihrer Wirksamkeit unberührt lassen (Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR). Wo die Konventionsverpflichtungen unmittelbar innerstaatliches Recht geworden sind, können die Rechtsunterworfenen innerstaatlich beanspruchen, jeweils nach der für sie günstigsten Norm behandelt zu werden.337 Diese wird dadurch aber nicht zugleich Bestandteil des Vertragssystems, das sie nicht garantiert. Der EGMR kann zum Beispiel nicht angerufen werden, wenn ein Recht missachtet wurde, das nicht in der EMRK, sondern nur im nationalen Recht oder nur im IPBPR garantiert wird. Gleiches gilt für die Organe des IPBPR. Soweit die gleichen Menschenrechte im nationalen Recht und in den beiden Pakten garantiert sind, gelten die Garantien nebeneinander. Für den Rechtsschutz räumt Art. 55 EMRK den Rechtsbehelfen der EMRK insoweit 175 den Vorrang ein, als sich die Mitgliedstaaten verpflichten, keinen Gebrauch von zwischen ihnen geltenden Verträgen zu machen, um von sich aus einen Streit um die Auslegung oder Anwendung der EMRK einem anderen als dem in der Konvention vorgesehenen Verfahren zu unterwerfen. Das Kumulationsverbot des Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK schließt die Behandlung einer 176 Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK durch den EGMR aus, wenn deren wesentlicher Inhalt bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Ausgleichsinstanz
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Hierzu umfassend von Bogdandy/ von Bernstorff EuR 2010 141. Vgl. von Bogdandy/von Bernstorff EuR 2010 141, 151. Es bestehen hier die gleichen Probleme wie bei der EMRK, vgl. Rn. 102. Eissen ZaöRV 30 (1970) 14; Nowak Art. 5
IPBPR, 14; vgl. Art. 53 EMRK; wenn diese Regel nicht im Verhältnis zum Staat, sondern zwischen einander gleichstehenden Rechtsträgern angewendet werden soll, versagt sie, vgl. Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290.
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unterbreitet worden ist und keine neuen Tatsachen vorgetragen werden.338 Dieselbe Sache liegt aber nur vor, wenn sie denselben Anspruch bezüglich derselben Einzelperson betrifft.339 Nach Art. 5 Abs. 2 lit. a FP-IPBPR wird dagegen die Behandlung der Individualbeschwerde nur solange aufgeschoben, als dieselbe Sache vor einer anderen internationalen Instanz geprüft wird; nach Abschluss dieser Prüfung kann sich das HRC damit befassen. Dies gilt auch für die vom EGMR behandelten Sachen, die damit einer doppelten 177 internationalen Überprüfung unterliegen könnten. Um dies zu vermeiden und um den Vorrang des einen effektiveren Rechtsschutz gewährenden gerichtlichen Verfahrens der EMRK (Art. 55 EMRK) nicht zu gefährden, sind entsprechend der Resolution (70) 17 des Ministerkomitees des Europarates v. 15.5.1970 340 mehrere Mitgliedstaaten der EMRK dem FP-IPBPR zunächst überhaupt nicht beigetreten oder haben entsprechende Vorbehalte erklärt,341 wie auch die Bundesrepublik bei ihrem Beitritt. Soweit allerdings Staaten Zusatzprotokolle zur EMRK, die Rechte aus dem IPBPR wiederholen, nicht ratifiziert haben, wie etwa Deutschland das 7. ZP-EMRK, steht das Kumulationsverbot des Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK der Anrufung des HRC nach dem FP-IPBPR nicht entgegen.
K. Auslegungsgrundsätze I. Allgemeines Die Auslegung der Konventionen hat davon auszugehen, dass diese – ungeachtet ihrer 178 Transformation ins innerstaatliche Recht – völkerrechtliche Verträge geblieben sind. Primär finden daher die Grundsätze der völkerrechtlichen Vertragsauslegung, also auch die Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK), Anwendung.342 Nach Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK sind dabei auch die maßgeblichen völkerrechtlichen Regelungen, die zwischen den beteiligten Staaten anwendbar sind, in Betracht zu ziehen.343 Die Konventionen, die selbst Völkerrecht sind, müssen in Einklang mit den anderen 179 Grundsätzen des Völkerrechts ausgelegt werden,344 einschließlich denjenigen über die
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342
Vgl. allgemein zum Kumulationsverbot Ermacora FS Verosta 187 und Teil II Rn. 195. Etwa HRC EuGRZ 1983 407 zu Art. 5 Abs. 2 lit. a FP-IPBPR. Vgl. Teil II Rn. 365. Deutsche Übersetzung bei Simma/Fastenrath Nr. 38. Nowak Art. 5, 15 ff. FP-IPBPR; Nowak EuGRZ 1981 514; und zum Vorbehalt Norwegens HRC EuGRZ 1986 4. H.M., etwa EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = EuGRZ 1979 457 = NJW 1979 2449 = FamRZ 1979 903; und instruktiv EGMR Deumeland/D, 29.5.1986, A 100 = EuGRZ 1988 20 Sondervoten; Loizidou/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = EuGRZ 1997 555 = ÖJZ 1997 793; Mamatkulov u. Abdurasulovic/TRK, 6.2.2003, ECHR 2003-II = EuGRZ 2003 704 = NJW 2003 2221 =
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ÖJZ 2004 775 = BRAK-Mitt. 2003 70; Nowak Einf. 17; Scheuner FS Schlochauer 899, 904; v. Weber ZStW 65 (1953) 335. Zu den Auslegungsregeln der WVK: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the law of Treaties (2011). EGMR Golder/UK, 21.2.1975, A 18 = EuGRZ 1975 93; Johnston/IR, 18.12.1986, A 112 = EuGRZ 1986 313; Loizidou/TRK (Fn. 342); Kalogeropoulos/GR/D, 12.12.2002, ECHR 2002-X = NJW 2004 273. EGMR Al-Adsani/UK, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 403; Fogarty/UK, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 411; McElhinney/IR, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 416; zu allen: Maierhöfer EuGRZ 2002 391; ferner etwa
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Immunität der Staaten und ihrer Vertreter. Wie bei anderen multilateralen, zum Beitritt offenen, rechtsetzenden Konventionen, die nicht wechselseitige Interessen zwischen zwei oder mehreren Staaten regeln, sondern einen gemeinsamen übernationalen Schutzzweck verfolgen, ist diese gemeinsame Zielsetzung zugleich Richtmaß für die Auslegung der Konventionsbestimmungen.345 Deren Bedeutung ist unter Berücksichtigung ihres üblichen Wortsinnes der maßgebenden Vertragssprachen und des Gesamtzusammenhangs des Vertragstextes im Lichte ihres Gegenstandes und Zweckes zu ermitteln (vgl. Art. 31 WVK).346 Bei Zweifeln hinsichtlich des Umfangs der eingegangenen Vertragspflichten sind diese aber grundsätzlich nicht wie bei zweiseitigen Staatsverträgen, die Interessen der beteiligten Staaten regeln, auf das Minimum des mit Sicherheit von allen Vertragsschließenden Gewollten zu reduzieren.347 Die Notwendigkeit eines vernünftigen, nicht am Wortsinn oder an nationalen Rechtsbegriffen gefesselten zweckbezogenen Verständnisses der Konventionsverpflichtungen hat auch Vorrang vor dem Grundsatz völkerrechtlicher Vertragsauslegung, wonach im Zweifel diejenige Auslegung zu wählen ist, die die Handlungsfreiheit der vertragsschließenden Staaten am wenigsten einschränkt. Dies widerspräche dem Verständnis der Konventionen als rechtsetzende objektive Regelwerke zum internationalen Grundrechtsschutz und auch ihrem Integrationsziel.348 Abzulehnen ist die Auffassung, die Konventionen seien, wenn irgend möglich, so aus180 zulegen, dass ihre Gewährleistungen mit den bestehenden nationalen Vorschriften übereinstimmen.349 Trotz weitgehend einheitlicher Grundanschauungen weisen die in den Mitgliedstaaten historisch gewachsenen Rechtsinstitute in den Einzelheiten oft erhebliche Unterschiede auf.350 Bei der Vielzahl der Mitgliedstaaten wäre eine solche Auslegung weder praktikabel noch würde sie der Zielsetzung der Konvention und der mit ihr erstrebten Kollektivgarantie eines einheitlichen Mindeststandards an Menschenrechten gerecht. Die am Schutzziel orientierte autonome Auslegung der Begriffe der Konventionen ist 181 auch deswegen unerlässlich, weil die Konventionen kein einheitliches Recht in den Mitgliedstaaten fordern, sondern davon ausgehen, dass den Mitgliedstaaten zur Verwirklichung ihrer Garantien verschiedene Lösungsmöglichkeiten offen stehen. Maßgebend für
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EGMR Kalogeropoulos/GR u. D (Fn. 343); Mamatkulov u. Abdurasulovic/TRK (Fn. 342). Bryde Der Staat 42 (2003) 61, 64. Echterhölter JZ 1956 142 stellt für die Auslegung folgende Rangfolge auf: Gesamtinhalt und Zweck der Konvention unter Berücksichtigung der anderen Menschenrechtsverbürgungen, Auslegungsregeln des Völkerrechts, allen Vertragsstaaten gemeinsame Auslegungsregeln, wenn eine Vorschrift offensichtlich einem bestimmten Rechtskreis entnommen ist, dessen Verständnis, und dann erst der Wortlaut. Gegen eine starre Rangfolge zu Recht Guradze Einl. § 11 II m.w.N. Vgl. etwa EGMR Golder/UK (Fn. 343); Johnston/IR (Fn. 343); Grabenwarter § 5, 4; Nowak Einf. 18; ferner unten Rn. 183 ff. Der These, dass die Auslegung die Linie des Einverständnisses der Staaten nicht überschreiten dürfe, sind die Straßburger Organe
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nicht gefolgt, vgl. Scheuner FS Schlochauer 899, 902; gegen die Anwendung der „in dubio mitius Regel“ bei der EMRK auch Breuer EuGRZ 2003 449 (Anm. zu EGMR Öcalan/TRK, 12.3.2003); vgl. andererseits aber EuGH Rs. 29/69, Stauder, Slg. 1969, 419 = EuR 1970 39. Guradze Einl. § 11 II 4; Herzog AöR 86 (1961) 194, 200. Zur Integrationsfunktion der EMRK und ihrem Ziel, einen Mindeststandard unabhängig vom nationalen Recht kollektiv zu garantieren, schon Partsch 86. So Bockelmann FS Engisch 464; MeyerGoßner Vorbem. 5; D. Meyer NJW 1974 1175; v. Weber ZStW 65 (1954) 344; Mattil JR 1965 167; dagegen etwa Guradze Einl. § 11; Herzog AöR 86 (1961) 194, 198. Die von der Kommission und vom Gerichtshof behandelten Fälle zeigen diese Unterschiede sehr deutlich; vgl. auch Bleckmann DVBl. 1978 457.
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die Auslegung ist vielmehr der mit den Konventionen gemeinsam verfolgte Zweck, die in ihnen anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten in allen Vertragsstaaten voll zur Entfaltung zu bringen. Bei Ermittlung des objektiven Inhalts der einzelnen Rechte und Grundfreiheiten ist deshalb neben ihrem historischen Gehalt vor allem ihr Zusammenhang mit der allgemeinen Fortentwicklung dieser Rechte in den Vertragsstaaten und allgemein in der Völkergemeinschaft in Betracht zu ziehen. Die Praxis der Konventionsorgane (EKMR / EGMR) verstand die Konvention schon 182 sehr früh als lebendes Instrument („living instrument“), das sich fortentwickelt und nicht unabhängig von den jeweiligen Zeitumständen interpretiert werden darf.351 Die Urteile und Entscheidungen des EGMR waren und sind grundsätzlich einzelfallbezogen, sie sollen aber auch dazu dienen, an Hand der entschiedenen Fälle die Bestimmungen der Konventionen zu verdeutlichen und fortzuentwickeln.352
II. Einzelaspekte 1. Wortlaut. Der im Bundesgesetzblatt veröffentlichte deutsche Wortlaut ist nur eine 183 Übersetzung der fremdsprachigen Vertragstexte, die für die Auslegung allein maßgebend sind (vgl. Art. 33 WVK). Bei der EMRK wurde die alte deutsche Übersetzung von 1952, die dem Sinn einzelner Bestimmungen nicht immer voll gerecht wurde,353 in einer mit den anderen deutschsprachigen Ländern abgestimmten sprachlichen Überarbeitung unter dem 17.5.2002 neu bekannt gemacht.354 Nach Inkrafttreten des 14. Protokolls erfolgte eine Bekanntmachung der Neufassung der EMRK im BGBl. am 22.10.2010.355 Maßgebend sind aber gleichrangig bei der EMRK nur der englische und französische 184 Wortlaut (Art. 66 EMRK), beim IPBPR der chinesische, englische, französische, russische und spanische Wortlaut (Art. 53 Abs. 1 IPBPR).356 Die internationalen Organe und die Staaten als Parteien der Verträge gehen daher vom Wortlaut der Vertragssprachen aus,357 wobei nach Art. 33 Abs. 3 WVK vermutet wird, dass die Begriffe in allen authentischen Texten die gleiche Bedeutung haben.358 Auch die innerstaatlichen Organe müssen in Zweifelsfällen auf den fremdsprachigen Wortlaut der Vertragstexte zurückgreifen. Selbst wenn der Bundesgesetzgeber durch die Ratifikationsgesetze die ihm mit vorliegende deutsche Übersetzung gebilligt haben sollte,359 transformiert ins nationale Recht wurde
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EGMR (GK) Zolothukin/R, 10.2.2009, § 80; (GK) Vo/F, 8.7.2004, ECHR 2004-VIII = NJW 2005 727 = EuGRZ 2005 568; (GK) Goodwin/UK (Fn. 285), § 75; Tyrer/UK, 25.4.1978, A 26 = EuGRZ 1979 162 = NJW 1979 1089; Artico/I, 13.5.1980, A 37 = EuGRZ 1980 662; Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = EuGRZ 1989 314 = NJW 1990 2183; vgl. Frowein/Peukert Einf. 8. EGMR IRL/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149 mit Anm. Bleckmann EuGRZ 1979 188. Zur EMRK Partsch 84; Ulsamer FS Zeidler 1799, 1812 f.; Beispiele etwa Bockelmann FS Engisch 456 ff.. BGBl. 2002 II S. 1054. BGBl. 2010 II S. 1198.
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Zum IPBPR: Nowak Einf. 17. Vgl. Matscher EuGRZ 1982 489; Partsch 84 (mit Hinweis auf eine Entscheidung der EKMR); Grabenwarter § 5, 2. Grabenwarter § 5, 3; Nowak Einf. 18. Guradze Einl. § 11; Bockelmann FS Engisch 456, 464; Echterhölter JZ 1956 143; Herzog JZ 1966 657; Meyer-Goßner MRK Vorbem. 5; Lenckner GA 1968 6; Partsch 83; Ulsamer FS Zeidler 1799, 1813; a.A. Krüger NJW 1970 1485; Woesner NJW 1961 1383; ob auch BGHZ 45 68 sich selbst der dort wiedergegebenen Meinung anschließen wollte, mag offen bleiben, da der BGH auf den Wortlaut kein entscheidendes Gewicht legte.
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bei den Konventionen jeweils der völkerrechtliche Vertrag einschließlich der jeweiligen Schlussklausel, durch die auch innerstaatlich der mitverkündete fremdsprachige Wortlaut für maßgeblich erklärt wurde.360 Etwas anderes wäre schon deswegen nicht sinnvoll gewesen, weil der Bundesgesetzgeber sonst seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Konvention mitunter nicht voll entsprochen hätte. Bei Differenzen des Wortlauts der Vertragssprachen ist nicht der weniger verpflichten185 de zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung der Zielsetzungen der Konventionen ist die Bedeutung zu ermitteln, die die verschiedensprachigen Texte am besten miteinander in Einklang bringt (harmonisierende Auslegung).361 Führt dies zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die Auslegung zu wählen, die mit Ziel und Zweck des Vertrages am besten vereinbar ist.362 Im Allgemeinen wird bei Verträgen versucht, den Sinngehalt aus der bei der Abfassung der Entwürfe verwendeten Arbeitssprache zu ermitteln. Bei der EMRK führt dies mitunter nicht weiter, da Englisch und Französisch gleichermaßen als Arbeitssprache dienten.363 Im Übrigen kann auch der maßgebende Wortlaut nur erste Anhaltspunkte für die 186 Auslegung geben. Gleiches gilt für die nationalen Rechtsbegriffe und -systeme. Auch soweit diese die Ausarbeitung der Vertragstexte mit beeinflusst haben, müssen die Konventionsrechte inhaltlich nicht notwendig den gleichen Sinn wie im jeweiligen nationalen Recht haben. Da eine international einheitliche Rechtssprache fehlt,364 muss die Tragweite jeder einzelnen Konventionsverbürgung aus sich selbst heraus ermittelt werden. Aus diesen Gründen greift eine von den Vorstellungen der nationalen Rechte gelöste autonome Auslegung der in den Konventionen verwendeten Begriffe Platz.365 Anders lässt sich das Ziel der Konventionen, in allen Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Rechtssystemen einen einheitlichen Mindeststandard zu garantieren, gar nicht erreichen. Auch wo der Wortlaut der Übersetzung Begriffe aus der deutschen Rechtssprache verwendet, darf dies nicht vergessen lassen, dass es sich um transformiertes Völkervertragsrecht handelt und es irreführend sein kann, sie mit gleichlautenden innerdeutschen Begriffen gleichzusetzen oder gar aus der innerdeutschen Dogmatik hergeleitete Schlussfolgerungen daran zu knüpfen.366
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2. Entstehungsgeschichte. Die Entstehungsgeschichte kann gelegentlich erhellen, was die am Entwurf der Konvention beteiligten Staaten damals mit der Regelung bezweckt haben367 und wie sie eine Bestimmung verstanden wissen wollten. Als zusätzliches Auslegungsmittel hat sie aber entsprechend Art. 32 WVK nur dann Gewicht, wenn sie das
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Grabenwarter § 5, 2; Guradze Einl. § 11, I; Partsch 84. Der Ansicht, dort sei nur der Gleichrang zwischen den Vertragssprachen geregelt worden (Krüger NJW 1970 1483), kann nicht gefolgt werden. Etwa Grabenwarter § 5, 4. Art. 33 Abs. 4 WVK; Nowak Einf. 17. Vgl. etwa EGMR Wemhoff/D, 27.6.1989, JR 1968 463; Belg. Sprachenfall, 9.2.1967, A 5 = EuGRZ 1975 298; Grabenwarter § 5, 4 („Auffangregel“). Partsch 83. Meyer-Goßner Vorbem. 5; Mattil JR 1965 167; D. Meyer NJW 1974 1175; v. Weber ZStW 65 (1953) 344.
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Vgl. etwa Ganshof van der Meersch EuGRZ 1981 488; Ulsamer FS Zeidler 1799, 1813; die Rechtsprechung der Organe der EMRK ist bei den einzelnen Begriffen nachgewiesen. Vgl. Ulsamer FS Zeidler 1799, 1812. Bei EMRK vgl. etwa die Auslegung des Art. 1 EMRK; ferner EGMR Johnston u.a./IR (Fn. 343) (kein Recht auf Scheidung); ferner Partsch 87 ff. (Bedeutung für Aufhellung logischer Widersprüche des Wortlauts). Beim IPBPR vgl. zur Heranziehung der travaux préparatoires Hofmann Einf. 23; Nowak Einf. 19.
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Auslegungsergebnis nach Art. 31 WVK bestätigt oder wenn die Auslegung nach Wortlaut, Ziel und Zweck zu keinem eindeutigen oder zu einem unvernünftigen Ergebnis führen würde. Bei einem genügend klaren Text hat der EGMR den Rückgriff auf die Materialien abgelehnt.368 Bei einer Konvention, die als ein sich fortentwickelndes, lebendiges Regelsystem zur effektiven Gewährleistung der Menschenrechte verstanden wird, treten außerdem die aus der Entstehungsgeschichte ersichtlichen Vorstellungen bei dem viele Jahre zurückliegenden Vertragsschluss hinter diese objektive Zielsetzung369 und die ständige Praxis bei der Anwendung in den Vertragsstaaten und in der Spruchpraxis der internationalen Vertragsorgane und Gerichte zurück.370 Die später den Konventionen beitretenden Staaten haben deren Verbürgungen ohnehin mit dem Inhalt übernommen, den dieser durch die Spruchpraxis ihrer Organe erhalten hat. Demgegenüber sind für sie die Details der Entstehung, an der sie nicht beteiligt waren und die ihnen beim Beitritt möglicherweise nur begrenzt zugänglich waren, ungeachtet ihrer grundsätzlichen Verbindlichkeit371 von nachrangiger Bedeutung.372 Obwohl die Vertragsparteien der EMRK weit über die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinausreichen, können selbst Entwicklungen des Unionsrechts der EU die Auslegung der EMRK faktisch mit beeinflussen.373 3. Vorrang der teleologischen Auslegung a) Das gemeinsame, übernationale Ziel, die Menschenrechte in den Vertragsstaaten 188 wirksam zu schützen und ihre Verwirklichung zu fördern, bestimmt entsprechend dem Charakter dieser Verträge als rechtssetzende Konventionen maßgeblich deren Auslegung. Die Konventionen setzen die Tradition der Kodifizierung der Menschenrechte fort. Der Sinngehalt, den diese Freiheitsrechte in ihrer Jahrhunderte alten, wenn auch von nationalen Besonderheiten der einzelnen Staaten mitbestimmten Entwicklung374 erhalten haben, hat das Vorverständnis geprägt, das Gegenstand und Inhalt der Kodifizierungen war und oft auch die Wortwahl bei der Abfassung der einzelnen Garantien bestimmte. Zweck der Kodifikationen ist die staatenübergreifende bessere Verwirklichung und 189 praktische Durchsetzung der in ihnen umrissenen Menschenrechte und damit auch ihre Weiterentwicklung. Dies heben die Präambeln hervor, deren Aussagen und Zielvorstellungen nach Art. 31 WVK als Vertragsbestandteil zur Auslegung heranziehbar sind.375 Zusammen mit Sinn und Schutzzweck der jeweiligen Garantie führt dies zu einer Auslegung, die sich weniger an dem oft unscharfen und unvollständigen Vertragswortlaut und den dort nicht notwendig stets mit gleichem Inhalt verwendeten Rechtsbegriffen376 orientiert als an dem von der allgemeinen Zielsetzung her meist eindeutigen Zweck der 368 369 370
371 372 373
Etwa EGMR Lawless/IR, 1.7.1961, A 3; dazu Partsch 87. Vgl. etwa Khol ZaöRV 30 (1970) 280. Auch wenn es keine Institution zur Sicherung der Einheit der Rechtsprechung ähnlich Art. 267 AEUV gibt, vgl. Scheuner FS Schlochauer 904. Etwa Grabenwarter § 5, 5. Vgl. Partsch 87; Verdross/Simma § 779 Fn. 8. Vgl. die Beispiele bei Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 336; insbes. EGMR Pellegrin/F, 8.12.1999, ECHR 1999-VIII =
374
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NVwZ 2000 661 = ÖJZ 2000 695 – funktionelle Abgrenzung des öffentlichen Dienstes bei Auslegung der zivilrechtlichen Streitigkeiten nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Huber GedS H. Peters 375, 378 ff.; vgl. Grabenwarter VVDStRL 60 (2001) 290, 344 (Interpretationsansatz wie bei nationalen Verfassungen statt völkerrechtlicher Vertragsauslegung). Vgl. Präambel Rn. 4 ff. Ulsamer FS Zeidler 1799, 1813; zum unterschiedlichen Begriff „Gericht“ vgl. Art. 5 EMRK Rn. 322 ff.; Art. 6 EMRK Rn. 127 ff.
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jeweiligen Menschenrechtsverbürgung. Die Garantien der Konventionen sind so auszulegen, dass der erstrebte Menschenrechtsschutz in dem zu entscheidenden Einzelfall unter den zur Zeit der Anwendung gegebenen örtlichen und personellen Umständen („present day conditions“) nicht leerläuft, sondern im größtmöglichen Umfang praktische Wirklichkeit erlangt. Dies erfordert auch, dass dabei auch den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen und Anschauungen Rechnung getragen wird.377
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b) Die praktischen Erfordernisse eines wirksamen Menschenrechtsschutzes verlangen eine Auslegung, die den Konventionsverbürgungen unter den gegenwärtigen Bedingungen größtmögliche Wirksamkeit verleiht („effet utile“), denn garantiert werden konkrete und effektive Rechte, nicht theoretische und illusorische.378 Die wirksame und vernünftige Durchsetzung eines Konventionsrechts in dem zur Entscheidung anstehenden Einzelfall hat dabei stärkeres Gewicht als begriffsjuristisch scharf trennende, systematische, theoretische und dogmatische Überlegungen,379 die gelegentlich vom EGMR ausdrücklich dahingestellt werden.380 Bei dem mitunter wenig bestimmten und sichere juristische Konturen vermissen lassenden Wortlaut der Konventionen führen abstrakte rechtstheoretische Überlegungen ohnehin kaum weiter. Eine am nationalen Recht entwickelte Dogmatik wäre bei der Vielzahl der von den Konventionen umfassten unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen zur Erarbeitung allgemeingültiger Lösungen ungeeignet. Eine vernünftige und praktikable381 Interpretation der Garantien, die deren Reichweite im Hinblick auf die konkreten Gegenwartserfordernisse des von den Konventionen erstrebten effektiven Menschenrechtsschutzes bestimmt, kann im Übrigen auf die durch die historische Entwicklung tradierte grundsätzliche Zielsetzung dieser Rechte und Freiheiten zurückgreifen und damit zumindest für deren Kernbereich auch ihre gegenwartsbezogenen Inhalte hinreichend deutlich festlegen. Als maßgebende Kriterien für die dafür erforderliche Wertung werden vielfach auch die Üblichkeit und Vereinbarkeit einer Maßnahme mit der allerdings nur von der EMRK vorausgesetzten freien demokratischen Staatsordnung angeführt,382 ferner der eng damit verbundene Grundsatz in dubio pro libertate383 und vor allem der alles staatliche Handeln im Menschenrechtsbereich begrenzende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 377 378
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Vgl. Grabenwarter § 5, 12 ff.; Grewe ZaöRV 61 (2001) 459, 467 je m.w.N. Zu der Auslegung nach dem „effet utile“ und deren Zusammenhang mit der teleologischen Auslegung vgl. grundlegend etwa EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 362); Luedicke u.a./D, 28.11.1978, A 29 = EuGRZ 1979 34 = NJW 1979 1091; Marckx/B (Fn. 342); Airey/IR, 9.10.1979, A 32 = EuGRZ 1979 626; Artico/I (Fn. 351); EKMR 1991 259: Ganshof van der Meersch EuGRZ 1978 42 m.N. der Rspr. des EGMR; Grabenwarter § 5, 14; Meyer-Ladewig Einl. 44; Trechsel EuGRZ 1987 71; ferner auch Guradze Einl. § 11 II 1 („vernünftiges Ergebnis, das Vertragszweck effektiv macht“); Partsch 86; Villiger 155; vgl. auch Rn. 195. Etwa EGMR Artico/I (Fn. 351); Ganshof van der Meersch EuGRZ 1978 42 m.w.N.; Trechsel EuGRZ 1987 71. Zum praktischen
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Vorrang der kasuistischen Rechtsprechung bei der Umsetzung eines unscharfen Wortlauts, wobei erst später als zweiter Schritt eine Systematisierung folgen kann, vgl. Bleckmann EuGRZ 1981 257. So beispielsweise der Gerichtsbegriff; Art. 6 EMRK Rn. 127 ff. Zu dem vor allem im angelsächsischen Rechtsbereich entwickelten Grundsatz der „vernünftigen Auslegung“ („rule of reason“) vgl. etwa Echterhölter JZ 1956 142; Guradze Einl. § 11, II 1; Khol ZaöRV 30 (1970) 282 („reasonableness and practicability“). Vgl. etwa die ausdrückliche Forderung der Demokratieüblichkeit in den Absätzen 2 der Art. 8 bis 11 EMRK. Callies EuGRZ 1996 291, 297 unter Hinweis auf EGMR Sunday Times/UK, 26.4.1979, A 30 = EuGRZ 1979 386,
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4. Gemeinsame Rechtsüberzeugungen der Vertragsstaaten. Zurückgegriffen wird bei 191 der Auslegung auch auf die gemeinsamen Rechtsüberzeugungen aller Vertragsstaaten: Bei der EMRK sind dies die als Bestandteil des gemeinsamen europäischen Erbes angesehenen, allgemeinen Rechtsgrundsätze der westeuropäischen Demokratien.384 Das sind vor allem der Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip (rule of law),385 das vom Ausschluss jeder Willkür und dem Grundgedanken bestimmt wird, dass alle staatlichen Eingriffe in den Bereich des Einzelnen der Rechtsbindung unterliegen, für den Einzelnen vorhersehbar sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren müssen. Die Notwendigkeit von Eingriffen wird oft an der Erforderlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft386 gemessen, dabei wird auch mit in Betracht gezogen, wieweit vergleichbare Regelungen in anderen europäischen Staaten bestehen. Neben der Praktikabilität und Vernünftigkeit der Regelung wird auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der effektiven Verwirklichung der Freiheitsgarantien und den Erfordernissen einer funktionierenden Staats- und Rechtsordnung Wert gelegt. Die Konventionsgarantien sind so auszulegen, dass ein gerechter Ausgleich („fair balance“) zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Interessen des Einzelnen gewahrt wird.387 Ein weiteres Ziel ist die Förderung des Friedens und der Einheit Europas durch 192 Gewährleistung eines einheitlichen Grundstandards von Menschenrechten und Grundfreiheiten in allen Vertragsstaaten.388 5. Dynamische Interpretation. Diese zweckorientierte Auslegung schließt eine ge- 193 wisse dynamische Weiterentwicklung der garantierten Rechte und Freiheiten389 mit ein, wobei auch deren Ausformungen in völkerrechtlich nicht bindenden Erklärungen internationaler Organe mit in Betracht gezogen werden, da diese die Erklärenden politisch festlegen und mitunter auch deklaratorisch für ihre Rechtsauffassung sind.390 Vor allem die Auslegung der EMRK wird von den europäischen Einigungstendenzen mitbestimmt, von der Bereitschaft, den Rechtsstandard der jeweiligen Mitgliedsländer und deren Weiterentwicklung in der allgemeinen Auffassung an die europaweit anerkannten Erfordernisse eines effektiven Schutzes der Menschenrechte anzupassen und diesen auch in seiner Weiterentwicklung als Grundlage einer inneren Gemeinschaftsordnung kollektiv zu garantieren.391
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wonach die Ausnahmen und nicht die Grundsätze eng zu interpretieren sind, sowie auf EGMR Soering/UK (Fn. 351). Die später beigetretenen Staaten des ehem. Ostblocks dürften diese Grundsätze ebenfalls weitgehend übernommen haben, wie ihre neuen Verfassungen zeigen. Zur grundsätzlichen Übereinstimmung vgl. MacCormick JZ 1984 65. Zur Bedeutung dieses aus Art. 29 Abs. 2 AEMR stammenden Begriffes Partsch 88; vertiefend: Hailbronner FS Mosler 359. Vgl. etwa EGMR Lithgow u.a./UK, 8.7.1986, A 102 = EuGRZ 1988 350; Cossey/UK, 27.9.1990, A 184 = ÖJZ 1991 173; Moustaquim/B, 18.2.1991, A 193 = EuGRZ 1993 552 = ÖJZ 1991 452.
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Die Erklärung des Europäischen Parlaments über Grundrechte und Grundfreiheiten v. 12.4.1989 (EuGRZ 1989 204) betont die Bedeutung der Anerkennung der Grundrechte für das Zusammenwachsen Europas. Vgl. etwa EGMR Tyrer/UK (Fn. 351); Selmouni/F, 28.7.1999, ECHR 1999-V = NJW 2001 56: Folterbegriff; Scheuner FS Schlochauer 899, 902 („EMRK zweckvoll zur Entfaltung bringen“); Verdroß/ Simma § 782. Vgl. Frowein ZaöRV 49 (1989) 788; Karl JZ 1991 594; Verdross/Simma § 654 (auch zur Bezeichnung „soft law“). So schon Partsch 86; vgl. etwa die Erklärung des EP v. 12.4.1989 (Fn. 388).
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Wegen dieses evolutiven Charakters wird es abgelehnt, die einzelnen Rechte und Grundfreiheiten nur auf der Grundlage des bei ihrer Abfassung bestehenden Vorverständnisses oder in Bindung an frühere Entscheidungen der Konventionsorgane auszulegen statt gegenwartsorientiert („in the light of present day conditions“)392 unter Berücksichtigung der Änderungen der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der ethischen Auffassungen in den Mitgliedstaaten.393 Trotz der großen Bedeutung, die eine auf Präjudizien gestützte konstante Rechtsprechung für die Rechtssicherheit und die Gleichheit aller vor den Gesetzen hat, kann ein Abweichen davon gerechtfertigt sein, wenn sich die Verhältnisse und Auffassungen im belangten Staat und auch in den anderen Mitgliedstaaten geändert haben. Nach Ansicht des EGMR ist es von zentraler Bedeutung, dass die Konventionsgaran195 tien so ausgelegt werden, dass sie sich unter den jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten voll entfalten können. Ohne einen solchen dynamischen und evolutiven Ansatz würde die Gefahr einer Sperre von Reformen oder von Verbesserungen im Menschenrechtsschutz bestehen.394 Es kommt darauf an, dass der grundlegende Schutzgedanke ihrer Garantien unter den im Zeitpunkt der Entscheidungen gegebenen Verhältnissen wirksam zum Tragen kommt.395 Die ungeschriebenen (immanenten) Grenzen der jeweiligen Verbürgungen sind deshalb fließend. Sie bestimmen sich nach dem, was nach Ansicht des Gerichtshofs unter Berücksichtigung der Ziele der Konvention und des zu ihrer Verwirklichung angestrebten gemeinsamen demokratischen Rechtsstandards396 unter den jeweils gegebenen Umständen vernünftigerweise als gerecht anzusehen ist. Gleiches gilt für das Ausfüllen von Lücken. Eine Grenze ergibt sich aber daraus, dass ein in der Konvention nicht enthaltenes 196 Recht auch im Wege der evolutiven Auslegung nicht in sie hineininterpretiert werden kann. Dies gilt erst recht, wenn es bewusst nicht aufgenommen wurde.397
III. Auslegung des IPBPR 197
Der IPBPR ist ebenfalls in der Tradition der Menschenrechte und ihrer Fortentwicklung durch die Staatenpraxis und die internationalen Organe eingebunden.398 Als Instrument der Vereinten Nationen ist er deren Zielsetzungen, vor allem der Achtung, Förde-
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Etwa EGMR Tyrer/UK (Fn. 351); Marckx/B (Fn. 342); Airey/IR (Fn. 351); Cossey/UK (Fn. 387); Loizidou/TRK (Fn. 342); Mamatkulov u. Abdurasulovic/TRK (Fn. 342); Grabenwarter § 5, 13–14; Meyer-Ladewig 37. So EGMR (GK) Goodwin/UK (Fn. 285): Recht Transsexueller nach Geschlechtsumwandlung auf Ehe in Abkehr von früheren Entscheidungen; etwa EGMR Sheffield, Horsham/UK, 30.7.1998, Rep. 1998-V = ÖJZ 1999 577; vgl. etwa Art. 8 EMRK Rn. 134. EGMR Stafford/UK, 28.5.2002, ECHR 2002-IV. Etwa EGMR Golder/UK (Fn. 343); Tyrer/ UK (Fn. 351); Marckx/B (Fn. 342); Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = EuGRZ
396 397 398
1983 488 = NJW 1984 541; Pretty/UK, 29.4.2002, ECHR 2002-III = EuGRZ 2002 234 = NJW 2002 2851 = ÖJZ 2003 311; ferner EGMR Deumeland/D (Fn. 342), siehe auch Minderheitenvotum; ferner Frowein EuGRZ 1980 235 („keine historische Versteinerung“); Ganshof van der Meersch EuGRZ 1978 42 (evolutive Auslegung); Khol ZaöRV 30 (1970) 281; Peukert EuGRZ 1980 235; vgl. auch Verdross/ Simma § 782. Vgl. EGMR Marckx/B (Fn. 342): mit europäischem Standard unvereinbar. EGMR Johnston/IR (Fn. 343). Vgl. Hofmann Einf. 22; Nowak Einf. 20 ff. unter Hinweis auf die Spruchpraxis des HRC; Wolfrum FS Partsch 67 ff.
Robert Esser
Einführung
Einf. IPBPR
rung und Festigung der Menschenrechte (Art. 1 Abs. 3, Art. 55, 56 UN-Charta) verpflichtet, zu deren Förderung der Wirtschafts- und Sozialrat nach Art. 62 Abs. 2 UNCharta Empfehlungen abgeben kann. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzungen gebührt auch bei ihm einer zweckorientierten Auslegung, die den garantierten Menschenrechten unter den jeweiligen Verhältnissen die größtmögliche Wirksamkeit sichert, der Vorrang. Auch hier wird die Auffassung vertreten, dass die Rechte und Grundfreiheiten dieses Paktes nicht statisch, sondern im Lichte der auf ihre Förderung und Festigung gerichteten Zielsetzung der UN-Charta und der gesellschaftlich relevanten Entwicklungen in den Vertragsstaaten zu interpretieren sind.399
IV. Individueller Menschenrechtsschutz Die Verwirklichung der Garantien im Einzelfall steht im Vordergrund. Wie die bis- 198 herigen Entscheidungen zeigen, sieht der EGMR die Aufgabe des internationalen Menschenrechtsschutzes nicht darin, das nationale Recht der Mitgliedstaaten als solches abstrakt zu kontrollieren.400 Die zu entscheidenden Fälle wurden in der Regel betont einzelfallbezogen pragmatisch und nicht dogmatisch gelöst. Diese Praxis hat – im Großen und Ganzen – auch der 1998 zum ständigen Gerichtshof gewordene EGMR beibehalten. Auch er begnügt sich vielfach damit, zu entscheiden, ob aufgrund einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts und aller Argumente im jeweiligen Fall ein Konventionsrecht gewahrt oder verletzt wird. Dabei wird der Grund des Verstoßes nicht immer begrifflich eindeutig fixiert, so etwa, wenn die Verfahrensverstöße nach den einzelnen Tatbeständen des Art. 6 Abs. 3 EMRK zusammen mit dem Gebot eines fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK erörtert und dann festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer insgesamt ein oder aber auch kein faires Verfahren hatte.401 Ähnlich verfahren auch andere mit dem Menschenrechtsschutz befasste internationale Organe, wie etwa das HRC, das aber in letzter Zeit von den Mitgliedstaaten verstärkt fordert, dass sie die uneingeschränkte Anwendung des IPBPR innerhalb der nationalen Rechtsordnungen auch formal sicherstellen.402
V. Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum der Staaten Das Schutzsystem der Konventionen zur Durchsetzung ihrer Rechte und Freiheiten ist 199 gegenüber staatlichen Systemen des Grundrechtsschutzes subsidiär. Die Konventionen schreiben den Vertragsstaaten nicht vor, wie sie die Konvention in ihrer Rechtsordnung wirksam umsetzen müssen, sondern räumen dem nationalen Recht für die Umsetzung der Konventionsgarantien vielfach einen gewissen Gestaltungsspielraum ein. Sie gehen davon aus, dass sein Erlass, Auslegung und Anwendung primär Sache der nationalen Stellen ist, die auch wegen ihrer Sach- und Ortsnähe die jeweiligen innerstaatlichen Verhältnisse und die Erforderlichkeit einer Regelung meist besser beurteilen können.403
399
400 401
Nowak Einl. 20. Zur Auslegung durch den UN-Menschenrechtsausschuss (HRC) vgl. Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 401 ff. Vgl. etwa Frowein EuGRZ 1980 234. Vgl. bei Art. 6 EMRK Rn. 168, 178 ff.
402 403
Vgl. dazu und zu den Umsetzungsproblemen Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391, 400 ff. EGMR (GK) Sisojeva u.a./LET, 15.1.2007, ECHR 2007-II, § 90 = NVwZ 2008 979; Dudgeon/UK (Fn. 395).
Robert Esser
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EMRK Einf.
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
200
Die richtige Anwendung des nationalen Rechts durch die innerstaatlichen Organe wird grundsätzlich vom EGMR nicht im Einzelnen überprüft, sofern dadurch Konventionsrechte nicht unmittelbar betroffen sind.404 Soweit diese berührt werden, behält er sich insoweit aber die endgültige Kontrolle vor, bei der er den Sachverhalt im Lichte des Gesamtzusammenhangs unabhängig von der Einschätzung durch die nationalen Instanzen auf seine Vereinbarkeit mit den Konventionsgarantien beurteilt.405 Bindet eine Konventionsbestimmung die Zulässigkeit eines Eingriffs an die (richtige) 201 Anwendung des nationalen Rechts, prüft der Gerichtshof nach, ob das jeweilige nationale Recht den Eingriff rechtfertigt. Die Intensität dieser Prüfung ist unterschiedlich; mitunter begnügt er sich auch hier mit der Feststellung, dass im nationalen Recht eine ausreichende Rechtsgrundlage besteht und dieses nicht willkürlich angewandt worden ist. Soweit keine eindeutige Überschreitung des nationalen Rechts vorliegt, sieht er es nicht als seine Aufgabe an, dessen Einhaltung in allen Einzelheiten selbst nachzuprüfen.406 Bei der Entscheidung über einen nach den Konventionen unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Eingriff in Konventionsrechte wird dem Staat sowohl bei der Rechtsetzung als auch bei der Anwendung des nationalen Rechts im Einzelfall ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“ / „marge d’apprécation“) zuerkannt, der sowohl die zu ergreifenden Maßnahmen als auch die Feststellung ihrer tatbestandsmäßigen Voraussetzungen umfasst.407 Dieser wird je nach dem Gewicht der betroffenen öffentlichen Interessen und der Art und Wirkung des jeweiligen Eingriffs selbst bei der gleichen Konventionsverbürgung unterschiedlich weit bemessen,408 wobei mitunter auch nationale Wertungsunterschiede mitberücksichtigt werden.409 Vor allem in Bereichen, die einem starken gesellschaftlichen Wandel unterliegen oder 202 in denen die Individualinteressen oder der Schutz wichtiger staatlicher Belange Vorrang haben oder wo keine einheitlichen Auffassungen in den Mitgliedstaaten bestehen,410 wie
404
405
406
68
Etwa EGMR (GK) Garcia Ruiz/E, 21.1.1999, ECHR 1999-I = EuGRZ 1999 10 = NJW 1999 2429. Etwa EGMR Fressoz, Roire/F, 21.1.1999, ECHR 1999-I = EuGRZ 1999 5 = NJW 1999 1315 = ÖJZ 1999 774 = AfP 1999 251; Bladet Tromso u. Stensas/N, 20.5.1999, ECHR 1999-III = EuGRZ 1999 453 = NJW 2000 1015 = ÖJZ 2000 232; Vgl. auch EGMR Sunday Times/UK (Fn. 383); Dudgeon/UK (Fn. 395); Ganshof van der Meersch EuGRZ 1981 488 ff. Etwa EGMR Barthold/D, 25.3.1985, A 90 = EuGRZ 1985 170 = NJW 1985 2885 = AfP 1986 33 = GRURInt 1985 468; Kruslin u.a./F, 24.4.1990, A 176-A = ÖJZ 1990 546; Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = NJW 1996 375 = EuGRZ 1995 590 = ÖJZ 1996 75 = NJ 1996 248 = ZBR 1996 174; die Nachprüfung bejahend EGMR Winterwerp/NL, 24.10.1979, A 33 = EuGRZ 1979 650; Piersack/B, 1.10.1982, A 53 = EuGRZ 1985 301; vgl. insbes. Art. 8 EMRK Rn. 29, 45, 52; Art. 10 EMRK Rn. 22, 27, 49.
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410
Vgl. etwa Ganshof van der Meersch EuGRZ 1981 486; Kelly in I. Maier 182; Callies EuGRZ 1996 293, 298; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771 ff. Etwa EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Lingens/A, 8.7.1986, A 103 = EuGRZ 1986 424 = NJW 1987 2143; Jacubowski/D, 23.6.1994, A 291-A = EuGRZ 1996 306 = NJW 1995 857 = ÖJZ 1995 151; vgl. Callies EuGRZ 1996 293; Frowein/Peukert Vor Art. 8–11, 12 f.; Peters 24; Villiger 173, 553. So etwa beim örtlich und zeitlich unterschiedlichen Moralbegriff: EGMR Handyside/UK (Fn. 408); dazu Ermacora EuGRZ 1977 363; EGMR Müller/CH, 24.5.1988, A 133 = EuGRZ 1988 543 = NJW 1989 379 = ÖJZ 1989 182; Otto-Premminger-Institut/A, 20.9.1994, A 295-A = ÖJZ 1995 154 = JBl 1995 304; Wingrove/UK, 25.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 714; Peukert EuGRZ 1980 237. Etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 408); Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 772 ff.
Robert Esser
Einführung
Einf. IPBPR
etwa bei Moralvorstellungen,411 wird der Handlungsspielraum weit gezogen. Das „Ob“ und – abgesehen von gewissen inhaltlichen Mindestvorgaben, wie das Vorliegen eines vernünftigen Grundes („reasonable ground“) oder die Beachtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit412 – auch das „Wie“ der Regelung wird den Mitgliedstaaten oft weitgehend freigestellt. Grenzen ergeben sich auch hier aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.413 Bei der Grenzziehung berücksichtigt der EGMR mitunter auch, ob in den meisten 203 anderen Konventionsstaaten vergleichbare Regelungen bestehen, was für einen Konsens über die Üblichkeit in demokratischen Gesellschaften sprechen kann, während bei einer in den anderen Staaten nicht zu findenden Regelung näher zu prüfen ist, ob besondere Umstände vorliegen, die im konkreten Fall für deren Erforderlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft sprechen.414 Ergibt der Vergleich, dass die einzelnen Konventionsstaaten die Materie sehr unterschiedlich geregelt haben, spricht dies dafür, jedem Staat einen weiten Ermessensraum zuzuerkennen.415 Sind allerdings Konventionsrechte betroffen, die eine Grundvoraussetzung jeder demokratischen Gesellschaft sind, wie etwa die Pressefreiheit416 oder das Recht auf freie Meinungsäußerung, haben die Staaten nur einen sehr geringen Spielraum für einschränkende Regelungen.417
VI. Verschiedene Anwendungsebenen 1. Grundsätzlich muss bei jeder Beurteilung des Zusammenspiels zwischen Konven- 204 tionsrecht, Recht der Europäischen Union und nationalem Recht beachtet werden, dass ungeachtet der wechselseitigen Durchdringung bei der unmittelbaren Heranziehung der einzelnen Rechtsordnungen stets von der jeweiligen Anwendungsebene auszugehen ist. Diese bedingt die Reihenfolge der Ansatzpunkte für die Prüfung der nebeneinander geltenden Vorschriften. Die Konventionen, deren materiellrechtliche Verbürgungen partiell auch als Unionsrecht beachtlich sind (vgl. Rn. 98 ff.), verdrängen das (unterschiedliche) nationale Recht nicht. Sie gehen, wie Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR belegen, von der Existenz, Beachtlichkeit und Verschiedenheit des nationalen Rechts auch im Umsetzungsbereich der Menschenrechte aus. Sie lassen für die Verwirklichung der Konventionsgarantien im jeweiligen Rechtssystem der einzelnen Staaten mehrere Lösungsmöglichkeiten offen.418 Vielfach räumen sie dem nationalen Gesetzgeber dafür einen weiten Gestaltungsspielraum ein (vgl. Rn. 201). Mitunter begnügen sie sich auch mit der Forderung, dass das nationale Recht für einen bestimmten Eingriffszweck eine ausreichende Regelung enthält.
411
412
413 414 415
Etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 408); Müller/CH (Fn. 405), dazu Art. 8 EMRK Rn. 52. Etwa EGMR Malone/UK, 2.8.1984, A 82 = EuGRZ 1985 17; James u.a./UK, 21.2.1986, A 98 = EuGRZ 1988 341. Vgl. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771; Peters 24; ferner etwa bei Art. 8 EMRK Rn. 54. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 778. EGMR Casado Coca/E, 24.2.1994, A 285-A = ÖJZ 1994 636.
416
417 418
Etwa EGMR Lingens/A (Fn. 408); Thorgeir Thorgeirson/ISL, 25.6.1992, A 239 = ÖJZ 1992 810; Jersild/DK, 23.9.1994, A 298 = ÖJZ 1995 227 = NStZ 1995 237; Prager u. Oberschlick/A, 26.4.1995, A 313 = ÖJZ 1995 675; vgl. Art. 10 EMRK Rn. 19 ff., 68 ff. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 772 ff. Scheuner FS Schlochauer 899, 922.
Robert Esser
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EMRK Einf.
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
205
2. Die innerstaatliche Rechtsanwendung muss daher grundsätzlich vom einfachen nationalen Recht ausgehen, das allerdings im Lichte der nationalen Verfassungsgarantien und der Menschenrechtsgarantien der Konventionen zu interpretieren ist. Nur zur Ausfüllung von Lücken bedarf es des unmittelbaren Rückgriffs auf Verfassungsgarantien und Konventionsgewährleistungen. Wo die Konventionen ins innerstaatliche Recht transformiert worden sind, ergänzen sie es, da ihre Vorgaben durch Übernahme in das nationale Recht auch innerstaatlich rechtsverbindlich geworden sind.419 Verbotsnormen der Konventionen sind insoweit auch innerstaatlich unmittelbar wirksam. Wo die Konventionen zur Verwirklichung eines verbürgten Rechts über den abwehr206 rechtlichen Inhalt hinaus Schutzpflichten des Staates begründen,420 kann aus ihnen unmittelbar auch innerstaatlich eine Pflicht zu einem aktiven Tätigwerden des Staates hergeleitet werden. Daraus folgt aber nicht, dass dieser sein Recht verliert, selbst zu entscheiden, welche von mehreren in Frage kommenden Lösungen er wählen will.
207
3. Auf der Ebene des innerstaatlichen Verfassungsrechts zählen die Konventionen nach der vorherrschenden Meinung in Deutschland zum einfachen Gesetzesrecht (Rn. 85). Sie sind also auch dort, wo sie mit Verfassungsgewährleistungen inhaltlich übereinstimmen, nicht unmittelbarer Prüfungsmaßstab für die Verfassungsgerichte.421 Mittelbar sind sie als Auslegungshilfe bei der Ermittlung des Inhalts des Rechtsstaatsgrundsatzes und der Tragweite der Grundrechte zu berücksichtigen.422 Wo sie Kraft ihrer unmittelbaren Geltung als innerstaatliches Recht dem Einzelnen eine Rechtsposition verschaffen, kann deren Gewährleistung zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören und ist dann insoweit durch einfaches Recht nicht oder nur begrenzt einschränkbar. Ihre Verletzung ist in solchen Fällen mittelbar auch unter dem Blickwinkel eines Grundrechtseingriffs, vor allem eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG423 und ggf. auch gegen das Willkürverbot424 zu prüfen. Zu berücksichtigen ist, dass die innerstaatlichen Verfassungsgarantien und die Kon208 ventionsgewährleistungen selbst dann einen unterschiedlichen Regelungsumfang haben können, wenn sie im Kernbereich übereinstimmen.425 Die Konventionen schließen weitergehende Gewährleistungen des innerstaatlichen Rechts, des Unionsrechts und auch durch andere völkerrechtliche Abkommen nicht aus.426 Sie garantieren diese aber nicht selbst, so dass sich bei Auslegung der Konventionen die völlige Gleichsetzung mit einem innerstaatlichen Verfassungsgrundsatz gleicher Zielrichtung vor allem in den Randbereichen verbieten kann. Umgekehrt können trotz der Berücksichtigung bei der Verfassungsauslegung Konventionsgarantien über das innerstaatliche Verfassungsrecht hinausreichen.
419
420 421 422 423
70
Zur Geltung als einfaches Bundesrecht vgl. Rn. 85. Zum Verhältnis zwischen nationalem Recht und Völkerrecht allgemein vgl. Strebel ZaöRV 36 (1976) 168; Ress/Schreuer Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge. Für den IPBPR Seibert-For ZaöRV 62 (2002) 404 ff. Vgl. BVerfGE 10 274; 34 395; 41 149; 64 157. BVerfGE 74 370; BVerfG NJW 1990 2741. Vgl. Frowein FS Zeidler 1763, 1768 ff. (auch soweit man keine allgemeinen Regeln i.S.d.
424 425 426
Art. 25 GG annimmt); Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann Art. 103 Abs. 1, 24 GG; vgl. auch Ress FS Zeidler 1775, 1794 ff. und zur Konstruktion der subjektiven Verfahrensgarantien Dörr 143. Vgl. BVerfGE 64 157; Frowein FS Zeidler 1763, 1767 m.w.N. Etwa Dörr 92; Kühl ZStW 100 (1988) 406, 413. Art. 53 EMRK (Art. 60 EMRK a.F.), Art. 5 Abs. 2 IPBPR setzen dies voraus; vgl. Frowein/Peukert Art. 53, 1; Meyer-Ladewig Art. 53, 2.
Robert Esser
Einführung
Einf. IPBPR
Während die Gerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des BVerfG her- 209 beiführen müssen, wenn sie eine Norm des Bundesrechts als unvereinbar mit dem Grundgesetz ansehen, besteht keine Vorlagepflicht, wenn sie eine innerstaatliche gesetzliche Regelung ohne einen verfassungsrechtlichen Bezug als unvereinbar mit der EMRK oder dem IPBPR ansehen. Das Gericht muss dann selbst entscheiden, wie der Konflikt zwischen einer in das nationale Recht übernommenen Konventionsverbürgung und dem gleichrangigen Bundesrecht zu lösen ist, vor allem, ob die völkerrechtlich gebotene Achtung der Konventionen schon durch eine konventionsfreundliche Auslegung des einfachen Rechts erreicht werden kann (vgl. Rn. 95). Da Art. 100 Abs. 2 GG nur bei allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 210 GG (dazu Rn. 82) eingreift, können nur Zweifel hinsichtlich Existenz oder Tragweite einer solchen unabhängig von den Konventionen bestehenden Regel die Vorlage beim BVerfG rechtfertigen.427 Im Übrigen kann eine Überprüfung der richtigen Anwendung der Konventionen erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs, zu dem auch die Anrufung des BVerfG gehört, durch den EGMR erreicht werden. 4. Im sachlich begrenzten Regelungsbereich der Europäischen Union sind die in der 211 EMRK gewährleisteten Grundrechte als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts anerkannt (Art. 6 Abs. 3 EUV). In dessen Anwendungsbereich nehmen sie auch innerstaatlich am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teil. Die Kompetenz zur Prüfung der Beachtung dieser Grundsätze im Unionsrecht hat derzeit aber nicht der EGMR in Straßburg, sondern der Europäische Gerichtshof der Union (EuGH) in Luxemburg, der durch eine Richtervorlage nach Art. 267 AEUV schon vor der Erschöpfung des Rechtswegs zur Vorabentscheidung über diese Frage angegangen werden kann. Nach Beitritt der Union zur EMRK wäre auch der EGMR – nach Erschöpfung des Rechtswegs – für diese Fragen zuständig. 5. Auf der völkerrechtlichen Ebene des vertraglich vereinbarten Menschenrechts- 212 schutzes und damit auch im Verhältnis der Konventionsstaaten zueinander und im Verfahren vor den Konventionsorganen (EGMR, HRC) wird dagegen die Anwendung des gesamten nationalen Rechts einschließlich des Verfassungsrechts daran gemessen, ob die Rechtsanwendung im zu entscheidenden Einzelfall den Anforderungen der EMRK und des IPBPR entsprach. Eine abstrakte Normenkontrolle ist nicht vorgesehen. Bei Prüfung des konkreten Einzelfalls ist die jeweilige Konvention der alleinige Prü- 213 fungsmaßstab für das vertragsgemäße Verhalten des Staates. Dies gilt auch für die Frage, wie groß der Regelungs- bzw. Gestaltungsspielraum ist, den die einzelnen Konventionsgarantien jeweils dem nationalen Recht einräumen.428 Auch dort, wo der EGMR den Mitgliedstaaten weite Spielräume zuerkennt, behält er sich die abschließende Gesamtwertung des Einzelfalls unter dem Blickwinkel der effektiven Verwirklichung der einschlägigen Konventionsgarantien vor (Rn. 190). Fehlt in solchen Fällen eine ausreichende Regelung im nationalen Recht, kann der dadurch nicht oder nicht konventionsgemäß gerechtfertigte Eingriff in ein garantiertes Recht – unabhängig von seiner Zulässigkeit nach nationalem Recht – eine Konventionsverletzung bedeuten.
427 428
Vgl. LR/Gollwitzer 25 § 262, 51 ff. StPO. Vgl. Ganshof van der Meersch EuGRZ 1981 488 ff.
Robert Esser
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Präambel EMRK Die Unterzeichnerregierungen, Mitglieder des Europarats – in Anbetracht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet worden ist; in der Erwägung, dass diese Erklärung bezweckt, die universelle und wirksame Anerkennung und die in ihr aufgeführten Rechte zu gewährleisten; in der Erwägung, dass es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen, und dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles die Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist; in Bekräftigung ihres tiefen Glaubens an diese Grundfreiheiten, welche die Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden und die am besten durch eine wahrhaft demokratische politische Ordnung sowie durch ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Achtung der diesen Grundfreiheiten zugrunde liegenden Menschenrechte gesichert werden; entschlossen, als Regierungen europäischer Staaten, die vom gleichen Geiste beseelt sind und ein gemeinsames Erbe an politischen Überlieferungen, Idealen, Achtung der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit besitzen, die ersten Schritte auf dem Wege zu einer kollektiven Garantie bestimmter in der Allgemeinen Erklärung aufgeführter Rechte zu unternehmen – haben Folgendes vereinbart:
IPBPR DIE VERTRAGSSTAATEN DIESES PAKTES, IN DER ERWÄGUNG, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, IN DER ERKENNTNIS, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten, IN DER ERKENNTNIS, daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann, IN DER ERWÄGUNG, daß die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern,
Robert Esser
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EMRK Präambel
Menschenrechtskonvention, Erläuterungen
IM HINBLICK DARAUF, daß der einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten, VEREINBAREN folgende Artikel:
1. Inhalt 1
a) Allgemein. Wie bei völkerrechtlichen Verträgen üblich werden den beiden Konventionen in einer Präambel die Erwägungen vorangestellt, die die vertragsschließenden Staaten zum Abschluss bewogen haben. Ferner werden die Ziele aufgezeigt, die mit dem Übereinkommen verfolgt werden sollen. EMRK und IPBPR knüpfen ausdrücklich an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 an, deren Gedanken zum Teil wörtlich im Text der Präambeln wiederkehren. Als Vertragszweck werden die Anerkennung der (naturrechtlich vorgegebenen) Menschenrechte und die Gewährleistung der sich daraus ergebenden Grundfreiheiten1 herausgestellt. In Übereinstimmung mit den Zielen der Charta der Vereinten Nationen (Art. 1 Abs. 3, Art. 55 lit. c, Art. 56 UN-Charta) wird betont, dass die Anerkennung der Menschenrechte die Grundlage für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt bildet, ein Gedanke, der vielfach auch in anderen internationalen Dokumenten wiederkehrt.2
2
b) Die Präambel der EMRK hebt darüber hinaus hervor, dass die Aufrechterhaltung der Grundfreiheiten am besten durch eine effektive demokratische Regierungsform gewahrt werden kann, die auf einer gemeinsamen Auffassung von den Menschenrechten und auf deren Achtung beruht. Sie beruft sich auf das gemeinsame geistige und politische Erbe Europas und seine freiheitliche und rechtsstaatliche Tradition, in der die Menschenrechte und Grundfreiheiten ungeachtet aller nationalgeschichtlich gewachsener Eigentümlichkeiten wurzeln.3 In der Wahrung und Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten wird ein Mittel gesehen, die vom Europarat erstrebte größere Einigkeit unter seinen Mitgliedern zu erreichen. Als ein erster Schritt dazu werden deshalb einige Menschenrechte (nicht alle, wie die späteren Zusatzprotokolle zeigen) zum Gegenstand einer kollektiven völkerrechtlichen Garantie gemacht. In den Zusatzprotokollen werden dann weitere Rechte in die kollektive Garantie mit einbezogen und die Gewährleistungen der EMRK dem inhaltlich umfassenderen Katalog des IPBPR angeglichen.
3
c) Der weltumfassend gedachte und deshalb zur Erreichung eines allgemeinen Konsenses auch in der Präambel vorsichtiger formulierende IPBPR spricht die Bedeutung der effektiven Demokratie für den Menschenrechtsschutz nicht an. Er knüpft im ersten Absatz an die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen an 4 und hebt im vierten Absatz die aus dieser Charta sich ergebende Pflicht der Staaten hervor, die allge-
1 2
Zum Verhältnis zwischen beiden Herzog DÖV 1959 46; Schorn 17. So etwa in Korb 1 Art. VII der KSZE Schlussakte von Helsinki und in anderen regionalen Menschenrechtspakten, wie etwa in der Präambel der AMRK (EuGRZ 1980 435). Zur friedensstiftenden Wirkung der Menschenrechte Kimminich BayVBl. 1990 6.
74
3 4
Huber GedS H. Peters 380; Schorn 2. „Principles“ in Absatz 1 bezieht sich nicht nur auf die Grundsätze des Art. 2 sondern auch auf die Ziele des Art. 1 der UN-Charta; vgl. Nowak 3.
Robert Esser
Präambel IPBPR
Präambel
meine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern (Art. 55 lit. c, Art. 56 UN-Charta). Der zweite und dritte Absatz der Präambel stellen die Würde des Menschen, seine Gleichheit und die Unveräußerlichkeit der aus der Menschenwürde abgeleiteten Freiheitsrechte heraus.5 In Verknüpfung der bürgerlichen Freiheitsrechte (Menschenrechte der ersten Generation) mit den sozialen und kulturellen Rechten (Menschenrechte der zweiten Generation) betont sie, dass das Ideal des freien Menschen,6 der frei von Furcht und Not 7 lebt, nur zu verwirklichen ist, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder die bürgerlichen und politischen Freiheiten ebenso genießen kann wie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Absatz 5 hebt die Gemeinschaftsbindung des Individuums hervor und damit den für jedes Zusammenleben unerlässlichen Zusammenhang zwischen Grundrechten und Grundpflichten gegenüber den Mitmenschen und der Gemeinschaft.8 Von letzteren erwähnt sie dann noch besonders die Pflicht, für die Förderung und Achtung der in der Konvention verkörperten Rechte einzutreten. 2. Bedeutung. Die Präambeln der Konventionen dienen dem besseren Verständnis 4 ihres ideengeschichtlichen Zusammenhangs. Sie erhellen die Motive der vertragsschließenden Staaten und zeigen die mit den Konventionen verfolgten Zwecke auf. Sie sind als Bestandteil der Verträge nach Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention bei der dem Zusammenhang Rechnung tragenden, sinnorientierten Auslegung der einzelnen Bestimmungen des Vertragstextes mit heranzuziehen.9 Beim IPBPR ist dies vor allem die Anbindung an die Ziele und Grundsätze der Ver- 5 einten Nationen, die klarstellt, dass dieser Pakt eine Konkretisierung der von deren Mitgliedstaaten vereinbarten Pflicht zur Förderung der Menschenrechte bedeutet. Nichtmitgliedstaaten der Vereinten Nationen werden dadurch aber nicht an deren Ziele gebunden.10 Bei der EMRK werden als Leitlinien einige Grundsätze angesprochen, die das ganze 6 Konventionssystem und auch die Ausformung der einzelnen Gewährleistungen mitbestimmt haben. Dies gilt vor allem für das Bekenntnis zum Rechtsstaatsprinzip („rule of law“) und zu einer funktionierenden Demokratie als Grundvoraussetzung der Freiheitsrechte.11 Diese werden als begrenzender Maßstab für die Notwendigkeit an sich zulässiger staatlicher Eingriffe herangezogen; ihr Schutz kann andererseits aber auch ungeschriebene Schranken für die Gewährleistung des Konventionsrechtes rechtfertigen. Die Einzelheiten sind bei den jeweiligen Artikeln erörtert. Ein weiteres Ziel ist, die Einheit Europas durch die Einheitlichkeit des Verständnisses und der Durchsetzung der garantierten Menschenrechte zu fördern und durch deren Fortentwicklung zu stärken; die garantierten Menschenrechte werden als Grundlage des europäischen „ordre public“ ver5 6
7
Auffassung vom naturrechtlichen Ursprung der Menschenrechte, vgl. etwa Nowak 4. Der Ausdruck „ideal of free human beings“ wurde bewusst wegen der Gleichberechtigung von Mann und Frau gewählt, Nowak 5. Die Betonung der Freiheit von Furcht und Not (freedom of fear and want) geht auf die von Roosevelt am 6.1.1941 vor dem Kongress als politisches Ziel verkündeten vier Freiheiten zurück, die dann in internationale Dokumente Eingang fanden, so in Nr. 6 der Atlantik Charta v. 14.8.1941
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9
10 11
oder die Präambel der AMRK. Vgl. Teil I Rn. 8, 20 ff. Zur Beschränkung der allgemeinen Aussage auf die Präambel sowie zur Konkretisierung in einzelnen Artikeln vgl. Nowak 7. Etwa EGMR Golder/UK, 21.2.1975, A 18 = EuGRZ 1975 91; Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314; Frowein/Peukert 6; Nowak 1. Vgl. Teil I Rn. 189. Nowak 6. Frowein/Peukert 6; vgl. Teil I Rn. 191.
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EMRK Präambel
Menschenrechtskonvention, Erläuterungen
standen.12 Daraus wird hergeleitet, dass die Bestimmungen der EMRK nicht statisch entsprechend ihrer Bedeutung beim Vertragsschluss auszulegen, sondern dynamisch in Übereinstimmung mit den jeweiligen Verhältnissen fortzuentwickeln sind, um das Ziel eines den jeweiligen Verhältnissen Rechnung tragenden wirksamen Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu erreichen13. Mit der Erklärung, die Rechte und Grundfreiheiten zum Gegenstand einer kollektiven 7 Garantie zu machen, spricht die Präambel der EMRK ein Hauptanliegen der Menschenrechtspakte ausdrücklich an, das aber auch für den IPBPR gilt. Die Beachtung der Menschenrechte in jedem Vertragsstaat wird zu einer völkerrechtlichen Verpflichtung gegenüber allen anderen Vertragsstaaten. Sie wird damit aus dem nach überkommenen allgemeinen Völkerrecht von allen anderen Staaten durch Nichteinmischung zu respektierenden Bereich der inneren Angelegenheiten herausgenommen. Es ist damit nicht mehr allein Sache des einzelnen Staates, ob und wieweit er die Menschenrechte seiner eigenen Bürger achten will. Jeder Vertragsstaat kann dies ohne den Vorwurf einer unzulässigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten vertraglich fordern; er kann, ebenso wie die Konventionsorgane, auf den in den Konventionen vorgezeichneten Wegen auf die Wahrung der Menschenrechte in den anderen Vertragsstaaten hinwirken. Das Ziel einer Kollektivgarantie verdeutlicht, dass die Konventionen nicht nur wie die üblichen völkerrechtlichen Verträge in deren eigenem Interesse eingegangene Verpflichtungen zwischen den Vertragsstaaten begründen, sondern dass sie darüber hinaus eine objektive Rechtsordnung schaffen („law-making treaty“), die im Interesse der Menschen kollektiv garantiert werden soll.14 Hierin liegt der wesentliche Fortschritt des durch beide Konventionen internationalisierten Menschenrechtsschutzes gegenüber den Verbürgungen dieser Rechte in den Verfassungen der einzelnen Staaten.15
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Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1991 256 („gemeinsame öffentliche Ordnung der freien Demokratien Europas“). Zu den für die Auslegung daraus zu ziehenden Folgerungen, insbes. zur dynamischen Interpretation vgl. Teil I Rn. 193 ff. Vgl. etwa EGMR Irland/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 159); EKMR EuGRZ 1991 256. Allgemein zur Fortentwicklung des Völkerrechts etwa Herdegen Völkerrecht
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15
(2011)10, § 5 Rn. 20 ff.; Graf Vitzthum/Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, S. 48 f.; Kimminich BayVBl 1990 1; ferner Nettesheim JZ 2004 569 (wonach die besonders hohe Integrationsdichte der EMRK nicht als Ausdruck der allgemeinen Entwicklung des Völkerrechts angesehen werden kann). Vgl. Teil I Rn. 82 ff.
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Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
Art. 2 IPBPR
Art. 1 EMRK (Art. 2 IPBPR) EMRK Artikel 1 Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte Die Hohen Vertragsparteien sichern allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten zu.
IPBPR Artikel 2 (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. (2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind. (3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben; b) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen; c) dafür Sorge zu tragen, dass die zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde, Geltung verschaffen.
Schrifttum (Auswahl) Bettendorf Die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention bei militärischen Auslandseinsätzen (2010); Bodeau-Livinec/Buzzini/Villalpando Agim Behrami & Bekir Behrami v. France; Ruzhdi Saramati v. France, Germany and Norway, American Society of International Law (ASIL) 12 (2008) 323; Bothe Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in bewaffneten Konflikten – eine Überforderung? ZaöRV 65 (2005) 615; Drzemczewski European Human Rights Convention in Domestic Law (1983); Erberich Auslandseinsätze der Bundeswehr und Europäische Menschenrechtskonvention (2004); Fleck Extraterritorial Implementation of Human Rights Obligations: A Challenge for Peacekeepers, Sending States and International Organisations, GedS Blumenwitz (2008) 365; ders. Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, NZWehrr 2008 164; Heintze Las Palmeras v. Bacama-Velasquez und Bankovic v. Loizidou?, Widersprüchliche Entscheidungen zum Menschenrechtsschutz in bewaffneten Konflikten, HuV-I 2005 177; Jankowska-Gilberg Extra-
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EMRK Art. 1
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
territorialität der Menschenrechte – Das Konzept der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK (2008); Kirchner The Jurisdiction of the European Court of Human Rights and Armed Conflicts, Recent Developments, International Law Working Paper (2003); Krieger A Credibility Gap: The Behrami and Saramati Decision of the European Court of Human Rights, Journal of International Peacekeeping 13 (2009) 159; dies. Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, ZaöRV 62 (2002) 669; Lorenz Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte (2005); Matscher Bemerkungen zur extraterritorialen oder indirekten Wirkung der EMRK, FS Trechsel 25; Milanovic/Papic As bad as it gets: The European Court of Human Rights’s Behrami and Saramati Decision and general international law, ICLQ 2009 267; Payandeh Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte ZaöRV 66 (2006) 41; Ress Supranationaler Menschenrechtsschutz und der Wandel der Staatlichkeit, ZaöRV 64 (2004) 621; Rowe Control over armed forces exercised by the European Court of Human Rights, Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Working Paper Series – No. 56 (2002); Sari Jurisdiction and International Responsibility in Peace Support Operations: The Behrami and Saramati Cases, HRLR 2008 151; Schäfer Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt (2004); ders. Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht (2006); Schmitz-Elvenich Targeted Killing (2008); Stoltenberg Auslandseinsätze der Bundeswehr im menschenrechtlichen Niemandsland?, ZRP 2008 111; Thallinger Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte – Auslandseinsätze des Bundesheeres und Europäische Menschenrechtskonvention (2008); Wagner Zu Grenzen des Menschenrechtsschutzes bei Auslandsfriedenseinsätzen deutscher Streitkräfte, NZWehrr 2007 1; Weingärtner Streitkräfte und Menschenrechte (2008); Wiefelspütz Auslandseinsatz der Streitkräfte und Grundrechte, NZWehrr 2008 89; Wiesbrock Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private (1999); Yousif Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland (2007); Zimmermann Extraterritoriale Staatenpflichten, Anhörung des BT-Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe am 17.12.2008.
Übersicht Rn. A. Geltungsbereich; Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . II. Art. 2 IPBPR . . . . . . . . . . . . . B. Geltung der EMRK . . . . . . . . . . . . I. Zeitlicher Schutzbereich (ratione temporis) . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Schutzbereich (ratione personae) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktivlegitimation a) Natürliche Personen . . . . . . . b) Juristische Personen und Personengruppen . . . . . . . . . . . . . 2. Passivlegitimation . . . . . . . . . a) Zurechenbarkeit staatlicher Handlungen . . . . . . . . . . . b) Maßnahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen und internationaler Organisationen . . . . . . (1) Europäische Union . . . . . (2) UNO . . . . . . . . . . . . III. Räumlicher Schutzbereich (ratione loci) 1. Begriff der Hoheitsgewalt . . . . .
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Rn. 2. Völkerrechtliche Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprechung des EGMR . . . . 4. Abweichungen innerhalb der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . IV. Beschwerdegegenstand aus dem Anwendungsbereich der Konvention (ratione materiae) . . . . . . . . . .
44
C. Formen staatlichen Handelns I. Eingriff (aktiv) . . . . . . . . . . . . II. Unterlassen / Schutzpflicht . . . . . . III. Gewährung diplomatischen Schutzes .
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D. Handeln von Privatpersonen I. Unmittelbare Drittwirkung . . . . . II. Mittelbare Drittwirkung . . . . . . III. Staatliche Steuerung . . . . . . . . IV. Berücksichtigung bei der Auslegung
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E. Einwilligung, Verzicht
. . . .
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F. Geltung des IPBPR . . . . . . . . . . . . .
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Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
Art. 2 IPBPR
Alphabetische Übersicht Actual authority and control – Test 39 Besetzung eines anderen Staates (Zurechnung) 35, 39 Durchsetzbarkeit Rechte – EGMR – – Innerstaatlich 4 ff. – – Beschwerde EGMR 7 – IPBPR – – Innerstaatlich 9 – – Völkerrechtlich 10 effective control 39, 63 EU 25 extraterritoriales Handeln Mitgliedsstaaten 37, 39 Flugzeuge (Hoheitsgewalt) 34
Geschäftsfähigkeit 17 Geschäftsunfähige 17 Handlungen privater Personen 49, 55 ff. Hoheitsgewalt/Jurisdiction 2, 16, 19, 21 ff., 63 Kinder 17 Privatpersonen 49, 55 ff. Ratione loci 29 ff. Ratione materiae 44 Ratione personae 13 ff. Ratione temporis 12 Schiffe (Hoheitsgewalt) 34, 40 Terrorismus 40 UN-Einsätze 26 ff.
A. Geltungsbereich; Bedeutung für den Rechtsschutz Als völkerrechtliche Verträge verpflichten die Konventionen ihre Mitgliedstaaten als 1 solche zur Beachtung der in ihnen garantierten Rechte. Die Staaten müssen international dafür einstehen, dass alle ihre Organe – Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung – die Konventionsrechte des Einzelnen achten. Intern ist es ihnen überlassen, in welcher Form und durch welche innerstaatlichen Einrichtungen sie dafür sorgen, dass diese Verpflichtungen erfüllt werden.1
I. Art. 1 EMRK Art. 1 EMRK grenzt – in Form einer Rechtsanwendungsregelung2 – den zeitlichen, 2 sachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereich der Konventionsrechte der EMRK („ratione temporis, ratione materiae, ratione loci, ratione personae“) ab.3 Er bestätigt den bindenden Charakter der Konvention, indem er allen Personen, die der Hoheitsgewalt 4 („jurisdiction“, „juridiction“) der Vertragsstaaten unterliegen, die im 1. Abschnitt (Art. 2–18 EMRK) festgelegten Rechte zusichert. Diese Zusicherung erstreckt sich auch auf die Rechte aus den (sechs) Zusatzprotokollen (siehe Teil I Rn. 46 ff.), soweit die Staaten sie ratifiziert haben. Dies stellt jedes ZP ausdrücklich fest.5 Art. 1 EMRK begründet aber selbst keine eigenen materiellen Rechte, sondern kann erst im Zusammenspiel mit den anderen materiellen Garantien der EMRK geltend gemacht werden.6 Anders als bei den meisten (früheren) völkerrechtlichen Verträgen ist die Gewähr- 3 leistung der Menschenrechte im Rahmen der EMRK nicht nur eine bloße völkerrecht-
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4
Grabenwarter § 17, 6 ff. SK/Paeffgen Art. 1, 4. Vgl. etwa EGMR Irland/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; (GK) Streletz u.a./D, 22.3.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 3035 = EuGRZ 2001 210 = NJ 2001 261 = ÖJZ 2002 274; Meyer-Ladewig 1. Früher auch mit Herrschaftsgewalt übersetzt; zur Entstehungsgeschichte dieses Begriffes:
5 6
EGMR (GK) Bankovic/B u. 16 andere NATOStaaten (E), 12.12.2001, ECHR 2001-XII = NJW 2003 413 = EuGRZ 2002 133 (Bombenangriffe auf Sendeeinrichtung in Belgrad); sowie zur Auslegung: Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 671. Näher siehe Rn. 29 ff. Siehe z.B. Art. 5 des 1. ZP-EMRK. Meyer-Ladewig 2.
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EMRK Art. 1
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
liche Verpflichtung zwischen den Vertragsstaaten, aus der zwar diese, nicht aber deren Bürger unmittelbare Rechte herleiten können.7 Die EMRK garantiert jedem Einzelnen bestimmte Rechte und Grundfreiheiten, auf die dieser sich auch berufen kann. Dafür steht dem Betroffenen ein zweifacher Weg der Durchsetzung zur Verfügung. Innerstaatlich muss der in seinen Rechten Betroffene zumindest nach Art. 13 EMRK die Möglichkeit haben, die Verletzung bei einer nationalen Stelle zu rügen, sofern ihm nicht für bestimmte Fälle darüber hinaus ein mit bestimmten Verfahrensgarantien verbundener Anspruch auf Nachprüfung durch ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Stelle zugesichert ist, wie etwa in Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4, Art. 6 Abs. 1 EMRK.8 Die Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe wird weitgehend dem nationalen Gesetzgeber überlassen.9 In Deutschland ist die EMRK gemäß Art. 59 Abs. 2 GG in innerstaatliches Recht übernommen worden und gilt im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Damit kann jeder seine Rechte aus der Konvention unter unmittelbarer Berufung auf diese auch innerstaatlich gegenüber allen Staatsorganen geltend machen; er kann sie auch gerichtlich durchsetzen, da ihm Art. 19 Abs. 4 GG den Weg zu den Gerichten bei jeder Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt garantiert (vgl. auch Teil I Rn. 85).10 Bei der Verfassungsbeschwerde ist allerdings die Besonderheit zu beachten, dass die EMRK direkt nicht zum Prüfungsumfang des BVerfG gehört, sondern lediglich mittelbar über das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie über Art. 1 GG geprüft wird. Auch die Rechtsprechung des EGMR findet über Art. 20 Abs. 3 GG Anwendung. Das BVerfG hat allerdings mit seiner diffusen Begriffswahl, wonach die konkreten Regelungen der EMRK sowie die Rechtsprechung des EGMR von deutschen Gerichten nur „berücksichtigt“ werden müssen, letztlich nicht verbindlich geklärt, unter welchen Bedingungen eine Abweichung von Konventionsrechten zur Wahrung der Identität des GG möglich ist und ob es ausreicht, wenn nur die Auseinandersetzung mit den Garantien der Menschenrechtskonvention erfolgt (ausführlich in Teil I Rn. 88 ff. und Teil II Rn. 257 ff.).11 Auch die meisten anderen Vertragsstaaten haben die EMRK zum Bestandteil ihres innerstaatlichen Rechts gemacht.12 Die Vertragsstaaten sind jedoch aus der Konvention nicht verpflichtet, deren Text selbst ins nationale Recht zu transformieren;13 sie können ihren Verpflichtungen aus der EMRK auch durch eine entsprechende Ausgestaltung ihres eigenen nationalen Rechts erfüllen. In solchen Fällen ist den Bürgern innerstaatlich die unmittelbare Berufung auf die EMRK versperrt (vgl. Teil I Rn. 82 ff.; 86; 199). Nach der ursprünglichen Konzeption der EMRK war dem Betroffenen die Individualbeschwerde zum Gerichtshof versperrt. Er hatte nur die Möglichkeit, die Europäische Menschenrechtskommission (EKMR)14 anzurufen (Art. 25 EMRK a.F.), sofern der Staat,
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Dies belegt die Entstehungsgeschichte. Der Entwurf sah zunächst nur eine Staatenverpflichtung vor („undertake to secure“ / „s’engagent a reconnaître“); vgl. Frowein/ Peukert 2; Kälin/Künzli 17. Zum Verhältnis des Art. 13 EMRK zu den weitergehenden Garantien vgl. Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315 ff., ferner Art. 6 EMRK Rn. 4; Art. 13 EMRK Rn. 14. Vgl. Art. 13 EMRK Rn. 25. Meyer-Ladewig 4; Grabenwarter § 3, 5 ff. BVerfGE 111 307, 323; Grabenwarter § 3, 6 ff.; strenger: Esser StV 2005 348 ff.
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14
Vgl. Einf. Rn. 84; Drzemczewski 59 ff. EGMR Irland/UK (Fn. 3); Silver u.a./UK, 25.3.1983, A 61 = EuGRZ 1984 147; Frowein/Peukert 2; Scheuner FS Jahrreiß 371; a.A. Golsong DVBl. 1958 809 unter Berufung auf Art. 13 EMRK. Diese wurde durch das 11. P-EMRK aufgelöst und stellte nach einer Übergangsfrist von einem Jahr (Art. 5 Abs. 3 des 11. P-EMRK) mit ihrer letzten Sitzung am 28.10.1999 ihre Tätigkeit ein (vgl. EuGRZ 1999 616).
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Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
Art. 2 IPBPR
dem die Verletzung zuzurechnen war, sich dieser fakultativen Regelung unterworfen hatte, wie dies nach anfänglichem Zögern zeitversetzt und meist nur befristet alle Mitgliedstaaten getan haben.15 Seit Inkrafttreten des 11. Protokolls am 1.11.1998 besteht nun auf internationaler Ebene eine (zweite, d.h. zusätzlich zur innerstaatlichen Geltendmachung bestehende) obligatorische Durchsetzungsmöglichkeit bei Verletzung von Menschenrechten aus der EMRK. Jeder einzelne kann gemäß Art. 34 EMRK den nun ständigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anrufen.16
II. Art. 2 IPBPR Der von den Vereinten Nationen ausgearbeitete und 1966 zur Zeichnung aufgelegte 8 Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) ist im Jahr 1976 von Deutschland ratifiziert worden17 und enthält überwiegend klassische Freiheitsrechte. In einigen Garantien geht er über die Gewährleistungen der EMRK hinaus. Der UN-Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee – HRC, vgl. Art. 28 ff. IPBPR) stellt in seiner Spruchpraxis auch formale Anforderungen an die Umsetzung des Paktes in den Mitgliedsstaaten.18 Mittlerweile sind etwa Zweidrittel aller Staaten beigetreten.19 Art. 2 IPBPR begründet keine eigenen, über die Garantien des Zivilpakts hinausreichenden materiellen Rechte. Er verpflichtet die Paktstaaten, die in ihm gewährleisteten Rechte ohne Diskriminierung 20 gegenüber jedermann zu achten und zu gewährleisten.21 Strittig ist, ob aus Art. 2 IPBPR für das Individuum unmittelbare Rechte abgeleitet werden können, die nicht nur im Rahmen einer Individualbeschwerde nach dem FP-IPBPR, sondern auch vor nationalen Gerichten direkt geltend gemacht werden können.22 Für eine unmittelbare nationale Anwendbarkeit sprechen jedenfalls Art. 2 Abs. 1 und Abs. 3 IPBPR. Eine in der Literatur vertretene Ansicht weist jedoch darauf hin, dass Art. 2 Abs. 2 IPBPR ausdrücklich Umsetzungsmaßnahmen voraussetze. Zwar etabliere der Pakt eine eigenständige Rechtsordnung zum Schutz der Menschenrechte; es sei allerdings davon auszugehen, dass die Mitgliedsstaaten weiterhin die Wahl bezüglich der Mittel der Umsetzung (auch im Hinblick auf die Einfügung in nationales Recht) behalten wollten und somit eine unmittelbare nationale Geltung abzulehnen ist.23 Innerstaatlich kann sich jedermann gegenüber den Behörden und vor Gericht unmit- 9 telbar auf die Rechte des IPBPR berufen, wenn der betreffende Staat (so auch Deutschland) den IPBPR ins nationale Recht transformiert hat.24 Auch dann ist allerdings zu beachten, dass eine Berufung allein auf den IPBPR vor dem BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nicht möglich ist. Dies kann nur in Verbindung mit den Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des GG geschehen. Eine Verpflichtung zur 15 16
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Zum Teil mit Vorbehalten, vgl. Bartsch NJW 1989 3061. Zu den näheren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualbeschwerde vgl. Teil II Rn. 107 ff. BGBl. 1976 II S. 1068. Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391 ff. 167 Staaten (Stand Juli 2011); vgl: http:// treaties.un.org, Chapter IV, Human Rights. Vgl. auch das akzessorische Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK. Zur Entstehungsgeschichte und zum akzesso-
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24
rischen Charakter des Art. 2 IPBPR: Nowak 5–12, 13 ff.; ferner: Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391, 393. Partsch EuGRZ 1989 1; Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391 ff.; zur ähnlichen Rechtslage bei Art. 2 AEMRK: Buergenthal EuGRZ 1984 170. Hofmann 25; Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391, 404; UN. Docs. E/CN.4/AC.1/SR.33, 4 (1948); E/CN.4/AC.1/SR.43, 2 (1948); vgl. Art. 13 EMRK Rn. 25. Hofmann 25; Nowak 48 ff.
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EMRK Art. 1
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
unmittelbaren Umsetzung des IPBPR besteht für die Vertragsstaaten nicht.25 Sie müssen, wie Art. 2 Abs. 2 IPBPR zeigt, nur sicherstellen, dass die gewährleisteten Rechte, wenn sie schon nicht formal gelten, dann wenigstens im vollen Umfang materiell innerstaatlich wirksam sind 26 und dass der Betroffene bei einer Verletzung effektive innerstaatliche Rechtsschutzmöglichkeiten hat.27 Völkerrechtlich kann sich der Einzelne nach Erschöpfen des innerstaatlichen Rechts10 wegs mit der Behauptung der Verletzung eines im IPBPR gewährleisteten Rechts nur dann unmittelbar an das HRC wenden, wenn der betreffende Vertragsstaat das Fakultativprotokoll vom 19.12.1968 ratifiziert hat (Art. 1 FP-IPBPR; Art. 96 lit. a, b; Art. 84 Abs. 3 VerfO).28 Allerdings ist auch dabei zu beachten, dass den Auffassungen des HRC keine unmittelbare und kassatorische Wirkung zukommt.29 Deutschland ist dem FP-IPBPR mit Vorbehalten beigetreten, die eine Anrufung des HRC ausschließen, wenn die Sache vor Ratifizierung des FP-IPBPR stattgefunden hat 30 oder die Sache bereits in einem anderen internationalen Streitschlichtungsverfahren geprüft worden ist.31
B. Geltung der EMRK 11
Die EMRK entfaltet nur auf diejenigen Sachverhalte Wirksamkeit, die alle Voraussetzungen des Art. 1 EMRK erfüllen. Da die EMRK nicht statisch interpretiert wird, sondern durch die stetige Rechtsprechung des EGMR ständig weiterentwickelt wird („living instrument“), sind auch die genauen Ausgestaltungen der Zulässigkeitsvoraussetzungen einem Wandel unterworfen.
I. Zeitlicher Schutzbereich (ratione temporis) 12
Der Schutzbereich der EMRK in zeitlicher Hinsicht ist erst dann eröffnet, wenn der Sachverhalt einen Zeitraum nach der Ratifizierung der Konvention bzw. eines ZP betrifft.32 Die BR Deutschland hat die Konvention mit Wirkung vom 3.9.1953 ratifiziert, womit die EMRK seit diesem Datum als einfachgesetzliches, innerstaatliches Recht Geltung erlangt hat und auf spätere Sachverhalte anwendbar ist.33 Diese Zuständigkeit ist vom Gerichtshof von Amts wegen und in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen.34
25 26
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Nowak 50. Zur Tendenz des HRC, zunehmend höhere Anforderungen an die formale innerstaatliche Umsetzung des IPBPR zu stellen vgl. Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391, 393. Nowak 58 ff.; Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 391, 404. Beitritt der BR Deutschland am 25.11.1993 mit Wirkung vom 30.12.1993 (BGBl. 1994 II S. 311). Zu den drei möglichen Formen der internationalen Durchsetzung des IPBPR vgl. Nowak EuGRZ 1981 514; Schäfer Individualbeschwerde 17 ff.; ferner Teil II Rn. 357.
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32 33 34
Schäfer Individualbeschwerde 22. Schäfer Individualbeschwerde 76 f., der auch die Möglichkeit der fortdauernden Verletzung beschreibt. BGBl. 1994 II S. 311; Schäfer Individualbeschwerde 87 ff. m.w.N. sowie ferner Teil II Rn. 107 ff. Vgl. Teil II Rn. 108 bezüglich der Möglichkeit der fortdauernden Verletzung. Vgl. Meyer-Ladewig 1, 3, 30; Lorenz 7 f. EGMR (GK) Blecic/KRO, 8.3.2006, ECHR 2006-III = NJW 2007 347, § 67.
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Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
Art. 2 IPBPR
II. Persönlicher Schutzbereich (ratione personae) Die Zuständigkeit ratione personae wird vom EGMR weit verstanden: Innerhalb der 13 Zulässigkeit ratione personae wird nicht nur geprüft, ob der Beschwerdeführer aktiv und der Beschwerdegegner passiv legitimiert ist,35 sondern auch, ob die in Rede stehende Konventionsverletzung durch einen Vertragsstaat begangen worden ist oder ihm zumindest zugerechnet werden kann.36 1. Aktivlegitimation. Im Hinblick auf die Aktivlegitimation ergeben sich Probleme 14 hinsichtlich der Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers (ausführlich hierzu Teil II Rn. 123 ff.). Nach Art. 34 EMRK kann jede natürliche Person, sowie jede nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe den Gerichtshof befassen. Allerdings müssen diese Parteien zumindest hypothetisch Träger der geltend gemachten Konventionsrechte sein.37 a) Natürliche Personen. In der EMRK werden die Rechte und Grundfreiheiten grundsätzlich allen Menschen gleichermaßen und ohne jede Unterscheidung nach Nationalität, Geschlecht, Herkommen, Rasse, oder irgendeinem sonstigen generellen, mit den Diskriminierungsverboten nicht zu vereinbarenden Gesichtspunkt gewährleistet.38 Unerheblich ist, ob sie Staatsbürger eines Vertragsstaates sind oder dort ihren Wohnsitz haben.39 Von Bedeutung ist nur, dass sie eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedsstaates zurechenbare Maßnahme erleiden.40 Ausnahmen bestehen bei einigen Rechten, die nur Staatsbürger betreffen, wie das Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger nach Art. 3 des 4. ZP-EMRK, oder wenn umgekehrt Regelungen nur Ausländer betreffen, wie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK oder das Verbot der Kollektivausweisung von Ausländern (Art. 4 des 4. ZP-EMRK) oder die Möglichkeit, die politische Betätigung von Ausländern zu beschränken (Art. 16 EMRK). Unerheblich für die Partei- und Prozessfähigkeit von natürlichen Personen ist ihre Geschäftsfähigkeit. Auch Kinder 41 oder Geschäftsunfähige unterfallen dem Schutz, sie werden verfahrensrechtlich vor dem EGMR in der Regel von der sorge- oder vertretungsberechtigten Person repräsentiert.42 Zu den Schutzpflichten am Anfang und Ende des Lebens eines Menschen (vgl. Art. 2 EMRK Rn. 7 ff.). Der persönliche Schutzbereich endet mit dem Tod einer Person, so dass es keine Möglichkeit der postmortalen Geltendmachung von Menschenrechten gibt.43 Davon zu unterscheiden ist die Verfahrenskonstellation, dass Angehörige des verstorbenen Be-
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37 38 39
MacLean European Community Law & Human Rights (1992)4 198; Reid A Practitioner’s Guide to the European Convention on Human Rights 36 f. Vgl. Practical Guide on admissibility criteria, abrufbar unter: www.echr.coe.int, S. 38, Nr. 147. Grabenwarter § 13, 3. Vgl. die Diskriminierungsverbote in Art. 14 EMRK / Art. 1 Abs. 1 IPBPR. Grabenwarter § 17, 2; Hofmann 25; MeyerLadewig 16.
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Vertiefend: Weissbrodt The Human Rights of Non-citizens (2008). Die Klärung der Frage der Unterstellung unter die Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates erlangt größere Bedeutung unter dem Prüfungspunkt der Zulässigkeit ratione loci (Rn. 19 ff.). Dazu Buquicchio/de Boer FS Wiarda 73. Grabenwarter § 13, 4; EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31, § 1 = NJW 1979 2449 = EuGRZ 1979 454 = FamRZ 1979 903 = StAZ 1981 23. SK/Paeffgen 25; Grabenwarter § 13, 5.
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schwerdeführers ein bereits anhängiges Individualbeschwerdeverfahren im Namen des Beschwerdeführers fortführen.44 Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn die Erben oder nahen Verwandten ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung haben oder wenn die Beschwerde von allgemeiner Bedeutung ist (vgl. Teil II Rn. 133 f.).45
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b) Juristische Personen und Personengruppen können sich bei der EMRK ebenfalls unmittelbar auf ein dort oder in einem ZP gewährleistetes Recht berufen, sofern dieses seiner Natur nach nicht notwendig nur natürlichen Personen zustehen kann.46 Dies zeigt Art. 34 EMRK, der grundsätzlich nichtstaatlichen Organisationen und Personengruppen das Beschwerderecht zuerkennt. Nicht entscheidend ist dabei, ob sie als juristische Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts organisiert sind; nur wenn sie selbst Träger der Staatsgewalt sind, etwa weil sie Hoheitsgewalt für den Staat ausüben oder wenn sie (und sei es in einer privatrechtlichen Organisationsform) vollständig unter dem Einfluss des Staates stehen, fallen sie aus dem Schutz der Konvention heraus.47 Gemischtwirtschaftlichen Unternehmen können Konventionsrechte zustehen, ebenso bei genügender Staatsferne auch öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Stiftungen, Universitäten, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder Religionsgemeinschaften (hierzu auch Teil II Rn. 125 ff.).48
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2. Passivlegitimation. Im Rahmen der Passivlegitimation überprüft der Gerichtshof nicht nur, ob der betreffende Staat Mitglied der Konvention ist, sondern auch, ob das den Gegenstand der Beschwerde bildende Handeln oder Unterlassen dem Staat generell zugerechnet werden kann.49
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a) Zurechenbarkeit staatlicher Handlungen. Die Verantwortlichkeit jedes Staates ist auf die Maßnahmen begrenzt, die seiner eigenen Hoheitsgewalt50 zuzurechnen sind. Die Konventionen begründen keine Verpflichtung ihrer Mitgliedsstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechte und Freiheiten auch den Menschen unter der Jurisdiktion eines fremden Staates gewährleistet werden. Die Missachtung eines Konventionsrechts in einem anderen Staat fällt einem Vertragsstaat nicht zur Last, es sei denn, dass er in seinem eigenen Herrschaftsbereich durch sein eigenes Verhalten unter Verletzung einer ihm obliegenden Schutzpflicht einen Menschenrechtsverstoß in einem fremden Staat ermöglicht hat, etwa durch Auslieferung oder Abschiebung.51
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Vgl. etwa in letzter Zeit: EGMR Bankovic/B u.a. (Fn. 4). Grabenwarter § 13, 5 m.w.N. Wie etwa das Recht auf Leben oder auf Freiheit oder auf Familienleben oder Heirat; vgl. etwa Frowein/Peukert 3; Grabenwarter § 17, 5; Meyer-Goßner 2; Meyer-Ladewig 16; vertiefend aus völkerrechtlicher Sicht: Jones (Edt.), Group Rights (2009). Grabenwarter § 17, 5. Vgl. etwa Art. 9 EMRK Rn. 14; Art. 11 EMRK Rn. 18, 21, 24; Grabenwarter § 17, 5. Der Gerichtshof selbst betont dabei aber, dass als Unzulässigkeitskriterium bei einer fehlenden Zuständigkeit des Staates „normalerweise“ ratione materiae angeführt wird,
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führt aber gleichzeitig aus, dass diese Fragen auch ohne expliziten Verweis auf ratione materiae behandelt und entschieden wurden, vgl. Practical Guide on Admissibility Criteria, Nr. 152. Der Begriff der Hoheitsgewalt („jurisdiction“) wird genauer unter dem Zulässigkeitskriterium „ratione loci“ behandelt, siehe Rn. 28 ff. EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314; Cruz Varas u.a./S, 20.3.1991, A 201 = NJW 1991 3079 = EuGRZ 1991 203 = InfAuslR 1991 217 = ÖJZ 1991 519; Meyer-Ladewig 8; auch OLG Rostock, NStZ-RR 2010 340 bzgl. der Verantwortung des Vollstreckungsstaates
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Ein Staat muss sich grundsätzlich keine Handlungen zurechnen lassen, die von einem 22 anderen (Vertrags-)Staat aufgrund eines ausgeschriebenen Haftbefehls vorgenommen werden; widrige Haftbedingungen bei der Auslieferungshaft begründen daher in diesem Zusammenhang keine Verantwortlichkeit des ersuchenden Staates.52 Für die auf seinem Territorium begangenen Handlungen der Organe eines fremden 23 Staates hat der Mitgliedsstaat grundsätzlich nicht einzustehen.53 Allerdings bestehen für den betroffenen Staat bestimmte Schutzpflichten, solange und soweit er diese noch erfüllen kann bzw. könnte.54 b) Maßnahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen und internationaler Organisatio- 24 nen. Gerade bei Handlungen im Rahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen wie der Europäischen Union oder internationaler Organisationen wie der UNO oder NATO ist die Zurechenbarkeit von Handlungen zu den Konventionsstaaten problematisch. (1) Europäische Union. Die Staaten der Europäischen Union haben der EU durch 25 völkerrechtliche Verträge gewisse Hoheitsrechte übertragen. Trotzdem hat jeder Staat grundsätzlich dafür zu sorgen, dass auch bei einer Übertragung von Rechten auf einen anderen Staat oder eine zwischenstaatliche Einrichtung die Wahrnehmung der Konventionsrechte nicht notwendig in der gleichen Form, wohl aber der Substanz nach möglich bleibt.55 Zumindest eine mittelbare Verantwortung jedes Mitgliedstaates für die von Organen der zwischenstaatlichen Einrichtungen ergriffenen Maßnahmen wird heute weitgehend angenommen.56 Allerdings überprüft der EGMR Maßnahmen der EU dann nicht, wenn die Grundrechte durch die EU geschützt sind und dieser Schutz wenigstens gleichwertig ist. Der Menschenrechtsschutz muss dabei lediglich vergleichbar, nicht aber identisch mit dem der EMRK sein. Somit wird grundsätzlich die Menschenrechtskonformität bei bestimmten Institutionen vermutet, ohne dass dies im Einzelfall zu widerlegen wäre. Eine Kontrolle durch den EGMR kommt nur und erst dann in Betracht, wenn der Schutz von Konventionsrechten offensichtlich unzureichend ist (zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vgl. auch Teil I Rn. 98 ff.).57
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bei Verfahrensverzögerungen im Urteilsstaat; vgl. Vogler GedS Meyer 488; ferner Art. 3 EMRK Rn. 30 ff. EGMR Collmann/D (E), 3.4.2007, vgl. auch zur Nicht-Anrechnung von Auslieferungshaft nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK: EGMR Elsner/A, 24.5.2011, § 137. EKMR X und Y/CH (E), 14.7.1977, EuGRZ 1977 497. Vgl. EGMR (GK) Ilas¸cu u.a./MD u. R, 8.7.2004, ECHR 2004-VII, §§ 300, 313 = NJW 2005 1849; (GK) Z u.a./UK, 10.5.2001, ECHR 2001-V, § 73 = ZfJ 2005 154. Vgl. EGMR (GK) Waite u. Kennedy/D, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1173 = EuGRZ 1999 207 = ÖJZ 1999 776; Matthews/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3107 = EuGRZ 1999 200 = JBl 1999 590 = ÖJZ 2000 24; (GK) Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim
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S¸irketi/IRL, 30.6.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2006 197 = EuGRZ 2007 662 (ministeriell angeordnete Beschlagnahme auf der Grundlage einer EG-Verordnung, die ihrerseits aufgrund einer Resolution des UN-Sicherheitsrates erlassen wurde); Cooperatieve Producentenorganisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij/NL (E), 20.1.2009, EuGRZ 2011 11 = NJOZ 2010 1914 = ÖJZ 2009 829; Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 190; ders. § 17, 9; Walter AöR 129 (2004) 39, 67 ff. („Schutzpflichtverletzung“); Meyer-Ladewig 13. Vgl. etwa Tomuschat EuR 1990 340, 356. EGMR (GK) Bosphorus (Fn. 55); Grabenwarter § 4, 5 ff.; jetzt auch für die NATO EGMR Gasparini/I u. B (E), 12.5.2009; offen gelassen für Eurocontrol von EGMR Boivin/34 Mitgliedsstaaten des Europarats (E), 9.9.2008.
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(2) UNO. Im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen wird eine Zurechenbarkeit von Handlungen der Konventionsstaaten vor allem bei militärischen Auslandseinsätzen relevant. In Zeiten der Globalisierung werden Einsätze weltweit meist innerhalb von Verteidigungsbündnissen wie der NATO oder Sicherheitsbündnissen wie der UN durchgeführt. Militärische Aktionen der UN nach Art. 42 UN-Charta sind jeweils ultima ratio und nur anwendbar, wenn Maßnahmen nach Art. 41 UN-Charta nicht ausreichen oder nicht ausreichen werden.58 Es war zwar zunächst vorgesehen, dass die UN (Art. 42 i.V.m. Art. 43 UN-Charta) eigene Truppen zur Durchsetzung der Zwangsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Diese Truppenstellungsabkommen wurden allerdings bis heute nicht abgeschlossen, so dass die Mitgliedsstaaten der UN ad hoc nationale Truppenteile zur Verfügung stellen.59 Als Zurechnungsobjekte kommen jeweils der Aufnahmestaat, die Entsendestaaten oder die internationale Organisation selbst in Betracht, wobei auch eine Verantwortlichkeit mehrerer Völkerrechtssubjekte möglich ist.60 Die Aufnahmestaaten vereinbaren zum einen bei militärischen Auslandseinsätzen, 27 dass die internationalen Truppen vor ihren nationalen Gerichten weder straf- noch zivilrechtlich verfolgt werden können (Status of Forces-Agreements), zum anderen üben die Aufnahmestaaten keinerlei Kontrolle über die Truppen anderer Staaten aus. Sie scheiden somit als Zurechnungsobjekte aus.61 Nach Ansicht des EGMR kommen auch die Entsendestaaten nicht als Zurechnungsobjekte in Betracht, da sie im Rahmen von UN-Missionen weder Weisungs- noch Kontrollbefugnisse über ihre nationalen Truppen ausüben.62 Einzig mögliches Zurechnungsobjekt könnten demnach die UN sein, die durch die Mandatierung (Art. 42 UN-Charta) die Weisungs- und Kontrollbefugnisse über die nationalen Truppen ausüben. Die Kontrolle nach Erlass der Resolution ergebe sich durch die Berichtspflichten des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat. Allein die UN hätten damit die Gesamtverantwortlichkeit und übten die effektive Gesamtkontrolle aus. Sind die UN allerdings alleiniges Zurechnungsobjekt, so seien die Handlungen der Mitgliedsstaaten im Rahmen von UN-Missionen durch den EGMR nicht überprüfbar, da das Ziel der UN der Weltfrieden sei; Zwangsmaßnahmen dürften daher nicht überprüfbar sein, um dieses wichtige Ziel nicht zu gefährden. Das gelte sogar, wenn die Staaten unabhängig von der UNO-Befehlsstruktur freiwillig Aktionen durchführen, solange sie der Friedenssicherung dienen.63 Für Einsätze unter Inanspruchnahme der NATO als militärische Organisationsstruktur würde der EGMR ebenfalls eine Zurechnung zu den UN im Falle einer entsprechenden Mandatierung vornehmen. Mithin wäre aber auch diese Zurechnung im Hinblick auf die tatsächliche Befehls- und Kommandogewalt sowie auf die Verpflichtung der Konventionsstaaten zum Menschenrechtsschutz zu kritisieren.64
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Frowein in: Simma Charta der Vereinten Nationen (1991), Art. 42, 10. Bothe in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007)4 659 f.; Herdegen § 41, 6; Hobe 133. Bodeau-Livinec/Buzzini/Villalpando, ASIL 2008 329; Yousif 54. UN Doc. A 45/594, 9.10.1990, abgedruckt in: Siekmann National Contingents (1991), 200 ff.; Beck Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte (2008), 46 f., 129 f. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 686 ff. weist zu Recht darauf hin, dass die Verantwortlichkeit unter den Konventionen bei den Ent-
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sendestaaten insoweit verbleibt, als sie die Disziplinar- oder Strafgewalt haben und daher auch für deren Ausüben oder Unterlassen einstehen müssen, vgl. zur konkreten Befehls- und Kommandogewalt Bettendorf 35 f. EGMR (GK) Behrami u. Behrami/F, Saramati/F, D u. N (E), 2.5.2007, EuGRZ 2007 522 = NVwZ 2008 645. Lorenz 275; Rowe The impact of Human Rights Law on Armed Forces (2006), 237.
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Kritik. Diese Rechtsprechung des EGMR (Behrami/Saramati sowie Nachfolgeent- 28 scheidungen65) ist zu Recht kritisiert worden. Der Staat kann sich seiner Verantwortung für die Beachtung des von ihm vertraglich zugesicherten Menschenrechtsschutzes nicht dadurch entziehen, dass er Herrschaftsbefugnisse auf multinationale Organe überträgt, die selbst keine Mitglieder der Konventionen sind. Der formale Ansatz des EGMR verkennt, dass Handlungen nationaler Kontingente bei UN-Missionen letztlich den Entsendestaaten zuzurechnen sind, da aufgrund der Befehls- und Kommandostrukturen nur die nationalen Kommandeure kraft nationaler Kommandogewalt Befehle an die einzelnen Soldaten richten dürfen.66 Daher wird tatsächlich nationale Hoheitsgewalt ausgeübt, die der EGMR überprüfen muss.67 Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es sich bei den UN um ein Haftungsobjekt mit Immunität handelt und sich die Staaten sonst durch die bloße Eingliederung in internationale Organisationen von ihrer menschenrechtlichen Verantwortung freizeichnen könnten.68 Zudem differenziert der EGMR nicht genügend: Im Rahmen des Peacekeeping (Art. 29 UN-Charta) handeln die Truppenteile als Hilfs- bzw. Nebenorgan der UN; in diesem Fall kann von einer Kontrolle der UN ausgegangen werden. Maßnahmen im Rahmen von Zwangsmaßnahmen (Art. 42 UN-Charta; Peaceenforcement, Peacebuilding) werden allerdings nicht durch Hilfsorgane ausgeführt, sondern die nationalen Truppen bleiben autonom.69
III. Räumlicher Schutzbereich (ratione loci) 1. Begriff der Hoheitsgewalt. Der Schutzgehalt der EMRK als regionaler Menschen- 29 rechtsvertrag ist durch Art. 1 EMRK auch räumlich auf diejenigen Beschwerdeführer beschränkt, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedsstaates unterstehen. Der Begriff der Hoheitsgewalt („jurisdiction“ / „juridiction“) setzt sich aus einem räumlichen Element (Gebietshoheit) und einer persönlichen Komponente (Personalhoheit) zusammen. Im 65
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Vgl. EGMR Kasumaj/GR (E), 5.7.2007; Gajic/D (E), 28.8.2007; Beric u.a./BIH (E), 16.10.2007; Galic/NL (E), 9.6.2009 (Anwendung der Behrami/Saramati-Entscheidung nicht nur auf militärische Aktionen, sondern Ausdehnung auch auf Handlungen des ICTY, den der EGMR als Hilfsorgan der UN gemäß Art. 29 UN-Charta ansieht, wobei der Sitz des Gerichtes keine Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates nach der Konvention begründet); Blagojevic/NL, 9.6.2009, § 35, 46. Auf diese Urteile nimmt Bezug: EuGH 3.9.2008, C-402/05 P u. C-415/05 P, §§ 310–312, DVBl. 2009 175, 177 (EG-Verordnung zur Einfrierung von Finanzmitteln terroristischer Organisationen). Es wird lediglich „operational control“ bzw. „operational command“ an die zwischenstaatlichen Einrichtungen übertragen. Gemäß Art. 65a GG bleibt die Letztentscheidung auch bei Einsätzen im Rahmen internationaler Organisationen beim Bundesminister der Verteidigung, vgl. Zimmermann 18. Stoltenberg ZRP 2008 111; Zimmermann 15ff.
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EGMR (GK) Behrami u. Behrami/F, Saramati/F, D u. N (Fn. 63); ferner werden den UN bei militärischen Einsätzen durch die Status of Forces Agreements (SoFAs) zivilund strafrechtliche Immunität vertraglich zugesichert. Auch bei nicht-militärischen Handlungen können die UN selber nicht gerichtlich belangt werden, da sowohl der EGMR als auch der IGH und das HRC jegliche Kompetenz zur Überprüfung von UN-Beschlüssen ablehnen. Lediglich der EuGH führte eine mittelbare Kontrolle bei der Umsetzung einer UN-Resolution in EU-Recht durch, vgl. EuGH 3.9.2008, C-402/05 P und C-415/05 P, §§ 310–312, DVBl. 2009 175, 177 (EG-Verordnung zur Einfrierung von Finanzmitteln terroristischer Organisationen); Yousuf 55 ff.; BTDrucks. 16 75, 32. Bettendorf 34 ff. m.w.N.; so auch im Fall einer nachträglichen Modernisierung des Einsatzes durch die UN: EGMR (GK) Al-Jedda/UK, 7.7.2011, § 80 (hier EMRK anwendbar; Gefangennahmen im Irak).
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weitesten Sinne ist Jurisdiktion als jedes dem Staat völkerrechtlich zurechenbare Handeln seiner Organe und der für sie tätigen Personen zu verstehen.70 Der Eingriff muss im Zeitpunkt seiner Ausübung der Herrschaftsgewalt des betreffenden Staates zuzurechnen sein. Es kommt nicht darauf an, ob die staatlichen Organe diese Gewalt umfassend und längerfristig oder nur zeitlich begrenzt oder nur für einen bestimmten Bereich oder Zweck ausüben.71 Gleichgültig ist es ferner, ob der Staat und die für ihn handelnden Organe völkerrechtlich oder national legitimiert sind, wie etwa durch eine diplomatische Vertretung oder ein Konsulat72 oder aufgrund eines Staatsvertrags,73 der etwa Polizeibefugnisse oder die Stationierung von Truppen regelt, oder im Rahmen der völkerrechtlichen Befugnisse einer Besatzungsmacht74 oder aufgrund einer formlos getroffenen Vereinbarung für den Einzelfall.75 Die Verantwortung besteht auch dann, wenn für die tatsächlich ausgeübte Hoheitsgewalt keine völkerrechtliche Befugnis verliehen worden ist oder wenn sie überschritten wird, wie etwa bei Ausschreitungen im Ausland operierender Truppen76 oder illegalen Entführungen (male captus).77 Personalhoheit. Bezüglich der von Art. 1 EMRK erfassten Personen ist allgemein 30 anerkannt, dass es nicht auf zusätzliche Kriterien wie etwa die Staatsangehörigkeit, sondern nur auf die Unterwerfung unter die Hoheitsgewalt des Staates ankommt.78 Die EMRK entfaltet demnach sowohl gegenüber Angehörigen des Konventionsstaates als auch gegenüber Ausländern Wirkung.79 Gebietshoheit. Die räumliche Komponente der Hoheitsgewalt wird unter Berufung 31 auf das allgemeine Völkerrecht primär nach dem Territorialitätsprinzip bestimmt: Die Jurisdiktion eines Staates endet an den Grenzen seines Territoriums.80 Grundsätzlich gilt die Vermutung, dass ein Staat seine Hoheitsgewalt im gesamten Staatsgebiet ausübt. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn anhand objektiver Umstände zu belegen ist, dass keine wirksame Ausübung der Staatsgewalt möglich ist. Das kann der Fall sein, wenn aufgrund separatistischer Bewegungen keine umfassende Kontrolle bewerkstelligt werden kann oder wenn ein anderer Staat das Gebiet kontrolliert. Ein Staat kann allerdings nicht aktiv gewisse Gebiete vom Anwendungsbereich der EMRK ausschließen, indem er einen territorialen Vorbehalt oder Bundesstaatsklauseln erlässt.81
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Erberich 6 f.; Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 671; Herdegen § 23, 2; § 25, 1 ff.; Yousif 92. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 671. Nowak EuGRZ 1984 424; Yousif 212. Vgl. etwa EKMR X u. Y/CH, 14.7.1977 = EuGRZ 1977 497 (schweizerische Befugnisse in Liechtenstein); dazu Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 675; Frowein/Peukert 7; anders bei bloßer Organleihe, vgl. Yousif 51 ff. EKMR Hess/UK, 28.5.1975, EuGRZ 1975 483; dazu Blumenwitz EuGRZ 1975 497; EKMR Chrysostomos u.a./TRK, 4.3.1991, EuGRZ 1991 254; dazu Rumpf EuGRZ 1991 199; Frowein/Peukert 4; 5 m.w.N. zur Praxis der früheren EKMR. Vgl. EGMR (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005, ECHR 2005-IV, §§ 162 ff. = EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267; vgl. KammerUrteil, 12.3.2003, §§ 189 ff. = EuGRZ 2003 473.
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Frowein/Peukert 4; Frowein FS Schlochauer 289, 297. HRC Delia Saldias de Lopez/Uruguay, 29.7.1981, 52/1979, EuGRZ 1981 520 mit Anm. Tomuschat; Nowak 28 m.w.N. Zur Problematik male captus vgl. Art. 5 EMRK Rn. 112. Meyer-Ladewig 16; Erberich 8; Lorenz 103. OK-StPO/Valerius 9; Gomien Short guide to the European Convention on Human Rights (2005)3 13. Herdegen § 26, 1. Auch der EGMR geht davon aus, dass die territoriale Auslegung von Art. 1 EMRK vorrangig ist, vgl. u.a. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010, § 206; Bankovic/B u.a. (Fn. 4). EGMR (GK) Assanidze/GEO, 8.4.2004, ECHR 2004-II, §§ 140 f. = NJW 2005 2207 = EuGRZ 2004 268; Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54), §§ 324 ff.
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Die territoriale Bestimmung der Hoheitsgewalt schließt grundsätzlich auch Handlungen in autonomen Gebieten mit ein. Dort muss der Staat nicht nur für die Ausübung eigener Hoheitsgewalt einstehen. Vielmehr ist er auch für das Verhalten der lokalen Behörden verantwortlich; ihn trifft daher die Verpflichtung, diese Behörden derart zu organisieren, dass Menschenrechtsverstöße ausgeschlossen werden. Ohne Rücksicht auf die sonstige interne Kompetenzaufteilung muss er durch entsprechende Regelungen dafür sorgen, dass die Einhaltung der Konvention im Gebiet des Gesamtstaats für jedermann sichergestellt ist.82 Zur Gewährleistung eines effektiven Menschenrechtsschutzes gibt es allerdings auch 32 Ausnahmen vom strikten Territorialitätsprinzip, die sich entweder direkt aus dem Völkerrecht ergeben oder die in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 1 EMRK entwickelt worden sind. 2. Völkerrechtliche Ausnahmetatbestände. Das Völkerrecht legt den Begriff des Territoriums weit aus. Eine Ausübung eigener Hoheitsgewalt eines Staates wird auch dann angenommen, wenn ein Verhalten auf eigenem Staatsgebiet Auswirkungen auf fremdem Territorium hervorruft.83 Eine weitere Ausnahme ergibt sich durch das Personalitätsprinzip, wonach ein Staat in bestimmten Fällen auch im Ausland eine gewisse Wirkungsgewalt über seine Staatsangehörigen behält. So sind Personen, die auf fremdem Territorium Immunität genießen (z.B. ausländische Staatsoberhäupter oder Diplomaten), trotz ihres Aufenthalts im Ausland nur der Hoheitsgewalt ihres Entsendestaates unterworfen.84 Strafbare Handlungen, die Personen im Ausland gegen die Interessen des Staates oder seiner Staatsangehörigen begehen, ebenso solche auf Schiffen unter der Flagge des betroffenen Staates oder auf Flugzeugen oder Raumschiffen, die in dem Staat registriert sind, sowie besonders schwerwiegende Straftaten (nicht zwingend) im internationalen Kontext (Weltrechtsprinzip), unterliegen der Strafgewalt des betroffenen Staates nach den Grundsätzen des Internationalen Strafrechts (§§ 3 ff. StGB). Ferner wird die Ausübung von Hoheitsgewalt durch den Fremdstaat bejaht, wenn der „besetzte“ Staat nicht mehr die Kontrolle über einen bestimmten Teil seines Territoriums ausübt, z.B. bei einer militärischen Besetzung oder bei separatistischen Bestrebungen.85 Überdies kann ein Staat auch der Ausübung fremder Hoheitsgewalt in seinem Staatsgebiet zustimmen, insoweit also auch wirksam auf die Ausübung eigener Hoheitsgewalt verzichten. Er muss es dulden, dass ein anderer Staat über seine im Gebiet des ersten Staates mit dessen Zustimmung stationierten Truppen Kommandogewalt ausübt.86
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3. Rechtsprechung des EGMR. Seit den 1960er Jahren haben sich die Staaten des 37 Europarates zunehmend in Nicht-Konventionsstaaten (zumeist militärisch) engagiert und stellten den EGMR damit vor das Problem, ob diese Fälle ebenfalls unter den Schutzbereich der Konvention fallen. Zunächst knüpfte der Gerichtshof – ebenso wie die völ82
EGMR (GK) Assanidze/GEO (Fn. 81), mit dem Hinweis, dass in der EMRK eine Bundesstaatsklausel ähnlich Art. 28 AMRK fehlt, dass aber auch diese den Zentralstaat nicht von der Verpflichtung entbinden würde, durch entsprechende Regelungen dafür zu sorgen, dass in seinen Gliedstaaten die Konvention eingehalten wird.
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Peters AVR 48 (2010) 7. Herdegen § 26, 4 ff.; § 37, 3, § 38, 1 f. EGMR (GK) Assanidze/GEO (Fn. 81), § 137; (GK) Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54; „Transnistrische Moldau“); Meyer-Ladewig 5. Erberich 6 ff.
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kerrechtlichen Ausnahmetatbestände – an die Personalhoheit an. Ein Staatsbürger, der sich im Ausland befindet, steht weiterhin, zumindest wenn Hoheitsakte ihm gegenüber von diplomatischen oder konsularischen Vertretungen seines eigenen Staates vorgenommen oder ihm bewusst vorenthalten werden, in einem gewissen Umfang unter der Hoheitsgewalt seines Staates.87 Dieser hat gegenüber seinen Staatsangehörigen auch im Ausland bestimmte Schutzpflichten zu erfüllen.88 Ebenfalls in Anknüpfung an völkerrechtliche Ausnahmetatbestände greift Art. 1 EMRK auch dann ein, wenn Akte, die aufgrund eigener Kompetenzen und auf eigenem Territorium wahrgenommen werden, Wirkung im Ausland entfalten.89 Neben diesen völkerrechtlichen Anknüpfungspunkten hat der EGMR eigene Kriterien für die Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt entwickelt. Festnahmen. Ein Vertragsstaat kann ausnahmsweise 90 für Handlungen außerhalb sei38 nes Territoriums verantwortlich sein, wenn er dort eigene Hoheitsgewalt – und sei es in einem möglicherweise zeitlich, räumlich oder gegenständlich eng limitierten Umfang – durch seine Organe ausübt, d.h. er muss dafür einstehen, dass seine Organe und die in seinem Auftrag oder mit seiner Duldung handelnden Personen in den Bereichen, in denen sie rechtlich oder faktisch für ihn Vollzugsgewalt ausüben, die Konventionsrechte der davon betroffenen Personen achten,91 wie etwa bei der Festnahme einer Person auf dem Gebiet eines anderen (Nichtkonventions-)Staates.92 Militärische Besetzung und Kontrolle. Neben punktuellem, staatlichem Handeln im 39 Ausland können im Rahmen von militärischen Besetzungen oder Festnahmen (unabhängig von deren Rechtmäßigkeit) auch länger andauernde Sachverhalte die Frage nach der extraterritorialen Ausübung von Hoheitsgewalt aufwerfen.93 Neben den vorherrschenden integrationistischen und komplementaristischen Theorien zur kumulativen Anwendbarkeit von EMRK und humanitärem Völkerrecht zeigt auch Art. 15 EMRK, dass die EMRK auch im Falle eines (internationalen) bewaffneten Konfliktes neben dem humanitären Völkerrecht anwendbar wäre.94 Somit sind Handlungen von Amtsträgern der Mitgliedsstaaten auch bei bewaffneten Konflikten grundsätzlich der Kontrolle des EGMR zugänglich,95 im Kollisionsfall ist allerdings das humanitäre Völkerrecht lex specialis.96 Indiz für eine militärische Kontrolle ist der Aufenthalt von Soldaten, wobei eine
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EKMR X/D (E), 25.9.1965, A 8; Erberich 10; Lorenz 103. Lorenz 103. EKMR X u. Y/CH (E), 14.7.1977, EuGRZ 1977 497 (schweizerische Befugnisse in Liechtenstein). Zuletzt ausdrücklich: EGMR Al-Saadoon, Mufdhi/UK (E), 30.6.2009, § 85. Vgl. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 675 ff., auch zu den Unterschieden bei den Auslandseinsätzen von Streitkräften im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens oder in Afghanistan. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 75); Al-Saadoon, Mufdhi/UK, 2.3.2010, §§ 126 ff.; bei der vorgeschalteten Zulässigkeitsentscheidung stellte der Gerichtshof v.a. auch auf die de facto-Kontrolle der Briten über die irakischen Gefangenen ab, vgl.
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EGMR Al-Saadoon, Mufdhi/UK (E) (Fn. 90), §§ 87 ff. EGMR (GK) Loizidou/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = EuGRZ 1997 555 = ÖJZ 1997 793; vertiefend: Rowe The Impact of Human Rights Law on Armed Forces (2006). Pictet Die Grundsätze des humanitären Völkerrechts (1969), 7 ff.; Robertson/Merrils Human rights in the world (1989)3 174 ff.; Schäfer Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht 35 ff.; Zimmermann 13. Zu den Problemen ratione personae bei militärischen Aktionen im Rahmen von UN und NATO vgl. Rn. 24 ff. IGH Advisory Opinion, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, No. 96/23; IGH Summary of the Advisory Opinion, Legal Consequences of the
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faktische Betrachtungsweise (Anzahl der Soldaten, Art und Umfang der militärischen Infrastruktur) anzustellen ist.97 Ob und inwieweit eine derartige Hoheitsgewalt ausgeübt wird, muss von betroffenen Personen substantiiert dargelegt werden, insbesondere ob und inwieweit der Vertragsstaat auf die militärischen Kommandostrukturen einwirken kann.98 Zunächst versuchte der EGMR diese Problematik mittels des actual authority and control-Tests zu lösen. Demnach ist die Anwendbarkeit von Art. 1 EMRK nicht nur territorial zu verstehen, sondern es kommt darauf an, ob sich der Betroffene unter der tatsächlichen Autorität und Kontrolle eines Konventionsstaates befindet. Demzufolge genügt es, wenn die betroffene Person – gleich wo und aus welchem Anlass – tatsächlich in irgendeiner Beziehung der Hoheitsgewalt untersteht.99 1995 prägte der EGMR im Zusammenhang mit dem Nordzypernkonflikt eine neue Argumentation für die Begründung der Anwendbarkeit des Art. 1 EMRK bei der Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt. Der Gerichtshof berief sich nicht mehr auf eine tatsächliche Autorität und Kontrolle, sondern auf eine effektive Kontrolle (effective control) des Konventionsstaates. Dabei sei es unerheblich, ob die Kontrolle direkt durch militärische Kräfte oder indirekt durch eine untergeordnete, lokale Verwaltung ausgeübt werde.100 Eine klare Abgrenzung zwischen beiden Begriffen ist allerdings in der Spruchpraxis des EGMR nicht feststellbar: Von „actual authority and control“ sprach der Gerichtshof sowohl bei der Bezugnahme auf ein Territorium101 als auch bei der Ausübung staatlicher Gewalt über Personen oder Dinge.102 Dieselbe doppelte Anwendung gilt für den Begriff der „effective control“, wobei hier aber meistens ein territorialer Bezug103 bestand. Die Beispiele lassen den Schluss zu, dass der EGMR inzwischen beide Begriffe synonym verwendet.104 Militäreinsätze auf Hoher See / Terrorismusbekämpfung. Die vorstehenden Grund- 40 sätze zur Ausübung militärischer Kontrolle gelten ebenfalls für Einsätze auf Hoher See, etwa zur Bekämpfung des Drogenhandelns oder der Piraterie.105 Eine von Soldaten zu fordernde ausgeübte „effektive Kontrolle“ über Verdächtige ist schon in der Abgabe von Warnschüssen106 sowie im Betreten eines anderes Schiffes (idR unter Vorhalt von Waffen),107 spätestens aber im Verbringen der Verdächtigen auf ein Militärschiff zu
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Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, 2004/2, S. 9; Coard et al. v. United States, Case 10.951, Rep. Nr. 109/99; HRC General Comment No. 31 (80), CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 2004, Anm. 11. EGMR Issa u.a./TRK, 16.11.2004. EGMR Hussein/21 Staaten (E), 14.3.2006, NJW 2006 2971 = EuGRZ 2006 247. Vgl. Breuer EuGRZ 2003 449; Grabenwarter § 17, 11; Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, je m.w.N.; umfassend: JankowskaGilberg; Schmitz-Elvenich. EGMR (GK) Loizidou/TRK (Fn. 93); OK/Valerius 6; Grabenwarter § 6, § 8; Weiß Menschenrechtsbindung bei Auslandseinsätzen (2006), 13. EKMR Zypern/TRK, 10.7.1978, D.R. 13, 93. EKMR Zypern/TRK, 26.5.1975, D.R. 2, 137.
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EGMR (GK) Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54); (GK) Loizidou/TRK (Fn. 93). EGMR Hussein/21 Staaten (Fn. 98); (GK) Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54); Issa u.a./TRK (Fn. 97); Mowbray Cases and Materials on the European Convention on Human Rights (2007)2, 59 ff.; Bettendorf 17 f. EGMR Medvedyev/F (K), 10.7.2008, § 50; (GK), 29.3.2010, §§ 62 ff. = NJOZ 2011 231 (Aufbringen eines zum Drogenhandel eingesetzten Schiffes durch französische Militäreinheiten; Freiheitsentziehungen); zur Pirateriebekämpfung: Esser/Fischer JR 2010 513, 515. EGMR (GK) Medvedyev/F (Fn. 105), § 66. In diesem Sinne: EGMR (GK) Medvedyev/F (Fn. 105), § 66; siehe auch das Kammerurteil (Fn. 105), § 50: die Verdächtigen waren auf ihrem Schiff unter Aufsicht verblieben; der Grad an Kontrolle bei einem
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sehen.108 Die Notwendigkeit einer Bekämpfung des (internationalen) Terrorismus oder Drogenhandels kann Einschränkungen hinsichtlich der grundsätzlichen Verantwortlichkeit für ein staatliches Handeln im Ausland nach den allgemeinen Grundsätzen rechtfertigen.109 Die notstandsfesten Rechte (Art. 15 Abs. 3 EMRK) dürfen aber auch mit einer solchen Begründung nicht außer Kraft gesetzt werden. Internationale Rechtsstreitigkeiten. Wenn ein Staat als Partei in einem anderen Land 41 an einem Rechtsstreit teilnimmt, übt er insoweit keine exterritoriale Hoheitsgewalt gegenüber seinem Prozessgegner aus.110 Dagegen unterliegt eine Rechtssache, welche eigentlich aus einem Nicht-Konventionsstaat stammt, aber in einem Konventionsstaat anhängig gemacht wird, der EMRK, d.h. es besteht von diesem Augenblick an über den Begriff der Hoheitsgewalt eine Verknüpfung zwischen dem Kläger und dem beteiligten Staat.111
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4. Abweichungen innerhalb der Rechtsprechung des EGMR. Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass jeder Staat für die Achtung der Konventionsrechte in allen seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Gebieten einzustehen hat, findet sich in Art. 56 EMRK, der die Einbeziehung abhängiger Gebiete in den Schutzbereich der Konvention zur Disposition des für die internationalen Beziehungen verantwortlichen Mitgliedsstaates stellt.112 Die Vorschrift ändert nichts an der weiten – nicht nur territorialen – Auslegung von Art. 1 EMRK, sondern hat vielmehr die Achtung der Selbstverwaltung von Gebieten, die einem Schutzstaat unterstehen, zum Ziel. Wenn der Schutzstaat Mitglied der EMRK sei, so solle sich die Verpflichtung zur Achtung der Konvention nicht automatisch auf das untergeordnete Gebiet erstrecken. Der übergeordnete Staat müsse dafür erst eine gesonderte Erklärung nach Art. 56 EMRK abgeben, womit das Recht auf Selbstbestimmung des Protektorats zum Ausdruck käme.113 Die Zurechnung einer Verantwortlichkeit ist auch zu verneinen, wenn ein Konventionsstaat nur das Recht hat, in einem anderen Staat bestimmte Organe für diesen zu ernennen, wie etwa die Bestellung der Richter in Andorra durch Spanien und Frankreich. Die Rechtsprechung eines solchen Gerichts, das als Organ des fremden Staates tätig wird, ist nicht der Hoheitsgewalt des die Richter ernennenden Staates zuzurechnen.114 Die Anwendbarkeit der EMRK kann auch bei bloßen militärischen Kampfhand43 lungen abzulehnen sein, etwa dann, wenn Personen außerhalb des Bereichs einer zumin-
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Verbringen auf ein Marineschiff dürfte höher zu bewerten sein; vgl. bejahend auch Fleck NZWehrr 2008 164, 165 (bei Festnahmen). Siehe auch: Guilfoyle, ICLQ 59 (2010) 141, 155. Vgl. Art. 5 EMRK Rn. 231; EGMR Medvedyev/F (Fn. 105) § 49: „However, legitimate as it may be, the end does not justify the use of no matter what means: the States must secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in the Convention and the additional Protocols they have ratified, in all circumstances and with only those restrictions provided for in those same texts.“; bestätigt durch die GK (Fn. 105),
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§ 121; kritisch zum Menschenrechtsschutz bei der Bekämpfung des Terrorismus: Marx KJ 2006 151. EGMR (GK) McElhinney/IR, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 415; dazu Maierhöfer EuGRZ 2002 391; Kalogeropoulou/GR u. D, 12.12.2002, ECHR 2002-X = NJW 2004 273. EGMR(GK) Markovic u.a./I, 14.12.2006, ECHR 2006-XIV = NJOZ 2008 1086. Frowein/Peukert 7. EGMR Drozd u.a./F, E, 26.6.1992, A 240 = EuGRZ 1992 192; Erberich 19 ff.; Lorenz 77. EGMR Drozd u.a./F (Fn. 113); vgl. EGMR Bankovic/B u.a. (Fn. 4).
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dest de facto und partiell von einem Mitgliedstaat ausgeübten territorialen Herrschaft Opfer von Kriegshandlungen eines Konventionsstaates werden. Für sich allein eröffnen Kampfhandlungen der Streitkräfte eines Staates für die davon Betroffenen noch nicht den Schutz der EMRK,115 sondern es müsse auch eine ausreichende hoheitliche Beziehung („jurisdictional link“) zwischen den Betroffenen und den staatlichen Truppen bestehen.116 Im Fall Bankovic prüfte der EGMR in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung zum ersten Mal zusätzlich eine Rechtfertigung der Ausübung der Hoheitsgewalt nach allgemeinen Völkerrechtsgrundsätzen, während er früher die tatsächliche Kontrolle durch einen Konventionsstaat als ausreichend ansah, und betonte zudem die Bedeutung der EMRK als rein regionaler Menschenrechtsvertrag.117 Diese Entscheidung im Fall der NATO-Luftangriffe auf Ziele im früheren Jugoslawien muss aber als Einzelfallentscheidung angesehen werden, da der Gerichtshof in späteren Entscheidungen wieder auf den actual-authority and control-Test bzw. auf den effective-control-Test zurückgegriffen hat.118 d) Beschwerdegegenstand aus dem Anwendungsbereich der Konvention (ratione 44 materiae). Bei der Zuständigkeit ratione materiae wird überprüft, ob das geltend gemachte Recht im konkreten Einzelfall von der Konvention gewährleistet wird.119
C. Formen staatlichen Handelns I. Eingriff (aktiv) Nach dem Wortlaut des Art. 1 EMRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Kon- 45 ventionsrechte und -freiheiten zu sichern. Welche Einrichtungen aber den Vertragsstaaten zugerechnet werden, ist nicht im Vertragstext selber geregelt, sondern ergibt sich aus allgemeinem Völkerrecht.120 Dabei kann vor allem der – nicht rechtsverbindliche – Entwurf der UN zur Staatenverantwortlichkeit als Kodifikation des Völkergewohnheitsrechtes in diesem Bereich angesehen werden.121 Demnach hat jeder Staat für die Ausübung von Hoheitsbefugnissen durch alle ihm in seiner Gesamtheit zuzurechnenden Institutionen/Organe – ungeachtet aller Unterschiede der nationalen innerstaatlichen Organisationsformen – völkerrechtlich einzustehen, gleich, ob sie der Legislative, der Exekutive oder der Judikative zuzurechnen sind, ob die Staatsgewalt von Zentralorganen oder dezentral von weitgehend selbständigen örtlichen Stellen ausgeübt wird und ob diese in der Lage oder willens sind, die Konventionspflichten zu erfüllen.122 Ein Gesamtstaat, der
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Der Anwendungsbereich des humanitären Kriegsvölkerrechts ist sachlich auf bewaffnete Konflikte, nicht auf die Ausübung territorialer Herrschaftsgewalt beschränkt, vgl. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 690 ff. EGMR Bankovic/B u.a. (Fn. 4). Lorenz 80 f., 120, 122; Rensmann in: Weingärtner (Hrsg.), Einsatz der Bundeswehr im Ausland (2008), 57. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 75); Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54); Lorenz 34; Zimmermann 4; a.A. Peters AVR 48 (2010) 13.
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Grabenwarter § 13, 41 f.; Näheres siehe unter Teil II Rn. 116. Kälin/Künzli 91. Kälin/Künzli 91; ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit, Yearbook of the International Law Commission Vol. 2 (2001). EGMR Irland/UK (Fn. 3); Loizidou/TRK, 23.3.1995, A 310, ÖJZ 1995 629 (Vorfragen); (GK) Loizidou/TRK (Fn. 93); (GK) Öcalan/TRK (Fn. 75); dazu Breuer EuGRZ 2003 449; Frowein/Peukert 9; Meyer-Ladewig 6.
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sich aus mehreren Gliedstaaten, autonomen Provinzen oder sonstigen dezentralen Gebietskörperschaften zusammensetzt, bleibt völkerrechtlich dafür verantwortlich, dass die von ihm abgeschlossene Konvention in seinem gesamten Staatsgebiet beachtet wird.123 Die Verantwortlichkeit des Staates umfasst alle Formen, in denen seine Organe 46 Staatsgewalt gegen Personen oder Sachen ausüben. Sie gilt für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gleichermaßen und setzt kein Verschulden voraus. Die Pflicht für Konventionsverletzungen einzustehen, entfällt nicht dadurch, dass das Verhalten untergeordneter Stellen nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig war oder dass diese ihren Instruktionen zuwider gehandelt hatten.124 Es ist auch unerheblich, ob die Regierung oder höhere Staatsorgane die Konventionsverletzungen ihrer untergeordneten Stellen hätten verhindern können.125 Die Grenze der Verantwortlichkeit der Konventionsstaaten ist allerdings dort erreicht, wo sich lokal autonome Regierungen bilden, die nicht mehr kontrolliert werden können.126 Untersagt ist jeder mit den Konventionspflichten nicht zu vereinbarende Eingriff in 47 die gewährleisteten Menschenrechte und Freiheiten. Die Konventionsverletzung setzt in der Regel einen (positiven) Eingriff des Staates durch seine Organe in diese Rechte voraus. Der Gerichtshof ist bei der Annahme eines Eingriffes relativ großzügig.127 Es muss nicht etwa ein völliger Entzug eines Rechts vorliegen, sondern schon jede nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung des Einzelnen in einem seiner Rechte ist eine Konventionsverletzung, sofern nicht eine der Voraussetzungen vorliegt, unter denen die Konvention den Eingriff gestattet.
II. Unterlassen/Schutzpflicht 48
Neben der Verpflichtung, nicht aktiv gegen ein in der EMRK niedergelegtes Recht zu verstoßen, können einen Vertragsstaat auch positive Handlungspflichten treffen. Er muss geeignete Maßnahmen treffen, um die Achtung der Menschenrechte im gesamten Staatsgebiet sicherzustellen.128 Die zurechenbaren Konventionsverletzungen können daher auch in einem Unterlassen liegen, wenn die Gewährleistungen der Konvention ohne ein positives Handeln des Staates leerlaufen würden. Dies gilt vor allem dann, wenn ein Staat eine ihm aufgrund einer Konventionsverbürgung obliegende Schutzpflicht nicht erfüllt, weil er deren Beachtung durch staatliche Stellen nicht ausreichend sichergestellt hat.129 Scheitert der Schutz an Versäumnissen der Gesetzgebung oder des Vollzugs, hat der jeweilige Staat auch dies zu verantworten. Dies gilt auch für ein Gebiet, in dem der Staat de facto die Ausübung von Vollzugsgewalt 130 für seine Organe beansprucht und 123 124
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Kälin/Künzli 91. Vgl. EKMR Zypern/TRK (E), 26.5.1975, D.R. 2, 137 = EuGRZ 1976 33; Entschließung Ministerkomitee, Zypern/TRK, 20.1.1979, EuGRZ 1979 86; Frowein EuGRZ 1980 232. EGMR Irland/UK (Fn. 3); Tyrer/UK, 25.4.1978, A 26 = NJW 1979 1089 = EuGRZ 1979 162. Kälin/Künzli 91 f. Grabenwarter § 18, 6. EGMR Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54); SK/Paeffgen 10.
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IAGMR Velasquez Rodriguez, 29.7.1988, C, No. 4 (1988), §§ 149 ff. = EuGRZ 1989 157 (Verantwortung für Verschwindenlassen); Grabenwarter § 18, 5 f. Nach Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 672 ist ebenso wie bei dem humanitären Kriegsvölkerrecht nach den vier Genfer Abkommen v. 12.8.1949 die „Vollzugsgewalt“ (jurisdiction to enforce) entscheidend dafür, ob ein Staat in der Lage ist, die Beachtung der Konventionsrechte zu gewährleisten.
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deshalb in der Lage und kraft seiner ihm daraus erwachsenden Verantwortung auch verpflichtet ist, die Verletzung des Konventionsrechts durch Dritte zu verhindern. Schutzpflichten entstehen allerdings nur insoweit, als der Staat von der Beeinträchtigung weiß oder hätte wissen können sowie die Möglichkeit hatte, die Verletzung abzuwehren.131 Auch die ausdrückliche oder stillschweigende Billigung von Handlungen privater Personen, welche die Konventionsrechte anderer in der Hoheitsgewalt des Staates verletzen, können eine Verantwortung des Staates begründen. Diese positive Handlungspflicht zur Abwendung einer durch Private drohenden Beeinträchtigung in einem Konventionsrecht besteht auch, wenn die Staatsgewalt in einem Teil des Landes beschränkt ist.132 Welche positiven Maßnahmen der Staat vor allem in Gesetzgebung und Verwaltung zur angemessenen Gewährleistung dieser Rechte zu treffen hat, richtet sich nach dem Schutzgut des jeweiligen Rechts133 sowie nach Art und Intensität der Gefährdungen, die von den jeweiligen tatsächlichen Umständen ausgehen. Bei der Einschätzung aller Umstände und der für erforderlich gehaltenen Maßnahmen ist dem Staat ein angemessener Beurteilungsspielraum zuzubilligen.134 Dessen Grenze ist dort überschritten, wo das nationale Recht keine oder nur unzureichende Rechtsinstitute, Sanktionen oder Verfahrensgarantien zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht vorsieht.135 In besonders gelagerten Fällen (z.B. bei Art. 2 EMRK) 136 kann durch das Fehlen ausreichender Strafvorschriften eine Verantwortung des Staates für eine dadurch ungestraft mögliche Konventionsverletzung begründet sein.137 Es genügt jedenfalls nicht, dass der Staat lediglich ein Rechtssystem schafft, durch das in der einen oder anderen Form, durch Eingriffsermächtigungen für die staatlichen Organe oder auch durch Rechtsbehelfe für den unmittelbar Betroffenen dessen Konventionsrechte geschützt werden können: er muss darüber hinaus dafür sorgen, dass diese Garantien im Rechtsalltag tatsächlich wirksam werden.138 Die Schutzpflicht kann auch verletzt sein, wenn staatliche Stellen erforderliche Belehrungen oder Kontrollen unterlassen, oder wenn sie nicht eingreifen, um ein konventionsgemäß gewährleistetes Recht im Einzelfall zum Tragen zu bringen, etwa, wenn sie erkennen, dass im Strafverfahren der beigeordnete Verteidiger (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK) untätig bleibt.139 Durch Auslegung der jeweiligen Einzelregelung ist zu ermitteln, ob die einzelnen Bestimmungen der Konvention über das negative Unterlassungsgebot hinausreichende positive Schutzpflichten für den Staat begründen und welche Tragweite diese jeweils haben. Solche Schutzpflichten werden etwa für den Schutz des Lebens (vgl. Art. 2 EMRK
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Meyer-Ladewig 6,9; Kälin/Künzli 111. EGMR (GK) Ilas¸cu u.a./MD u. R (Fn. 54); Wos/PL, 8.6.2006, ECHR 2006-VII = NJOZ 2007 2326; Meyer-Ladewig 6, 9 f. Vgl. etwa EGMR Marckx/B (Fn. 42); grundsätzlich betrifft die Gewährleistungspflicht alle Rechte, vgl. Nowak 19. Grabenwarter § 19, 7. Nach Nowak 19 bestimmt der Grundsatz der Relativität, was die Staaten innerhalb ihres großen Gestaltungsraums bei Berücksichtigung ihrer finanziellen und sozioökonomischen Leistungskraft tun müssen. Vgl. auch IAGMR Velasquez Rodriguez
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138 139
(Fn. 129); ferner Nowak 21 mit Beispielen aus der Praxis des HRC; ferner zum „Untermaßverbot“ auch BVerfGE 88 203, 254; BVerfG NJW 1995 2343. Grabenwarter § 19, 8. EGMR X u. Y/NL, 26.3.1985, A 91 = NJW 1985 2075 = EuGRZ 1985 297 (Schutz der sexuellen Integrität verwahrter Geisteskranker); zur Pönalisierungspflicht vgl. etwa Kühl ZStW 100 (1988) 406, 412; Suerbaum EuR 2003 391, 404. Kälin/Künzli 127. EGMR Artico/I, 13.5.1980, A 37 = EuGRZ 1980 662; vgl. Art. 6 Rn. 747 ff.
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Rn. 9 ff.)140 oder hinsichtlich des Verbots der Folter (vgl. Art. 3 EMRK Rn. 20) angenommen, zu deren Beachtung ein Staat auch dann selbst verpflichtet bleibt, wenn er durch eine Abschiebung oder Auslieferung die Voraussetzungen für die Verletzung dieser Rechte in einem anderen Staat schafft.141
III. Gewährung diplomatischen Schutzes 54
Eine Pflicht zur Gewährung diplomatischen Schutzes bei Konventionsverletzungen durch fremde Hoheitsträger im Ausland kann aus Art. 1 EMRK nicht hergeleitet werden.142
D. Handeln von Privatpersonen I. Unmittelbare Drittwirkung 55
Privatpersonen werden durch die Gewährleistungen der Konventionen, die die Ausübung der Staatsgewalt begrenzen sollen, grundsätzlich nicht verpflichtet. Das Rechtsverhältnis zwischen Privatpersonen wird von den Konventionen nicht berührt. Selbst bei wörtlicher Inkorporierung in das nationale Recht können deren Bestimmungen nicht so ausgelegt werden, dass sie in Abänderung der nationalen bürgerlichen Rechtsordnung auch private Eingriffe in die gewährleisteten Rechte umfassen (unmittelbare Drittwirkung).143
II. Mittelbare Drittwirkung 56
Wieweit dem Staat aus den Konventionen die Pflicht erwächst, seine Rechtsordnung so zu gestalten, dass die Ausübung der Konventionsrechte auch vor Störungen durch Private geschützt wird (mittelbare Drittwirkung, „Rundumwirkung“, „Horizontalwirkung“ 144) ist im Einzelnen strittig. Eine staatliche Schutzpflicht wird allenfalls insoweit zu bejahen sein, als der Private den Verstoß gegen eine Konventionsverbürgung in einem der staatlichen Verantwortung unterstehenden Bereich begeht,145 oder wenn andernfalls die Zusicherung einzelner Konventionsverbürgungen durch den Staat, und damit seine Zusicherung in Art. 1 EMRK, leerlaufen würde. In solchen Fällen hat der Staat das Dulden eines allgemein konventionswidrigen Zustands als Schutzpflichtverletzung zu ver-
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Vgl. Kühl ZStW 100 (1988) 406, 412. EGMR Kaplan/D (E), 15.12.2009, EuGRZ 2010 285 (Abschiebung in die Türkei trotz möglicher Defizite bzgl. der Fairness des dortigen Strafprozesses). Zu Art. 2 IPBPR Hofmann 25 unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte. Frowein/Peukert 12; Herzog JZ 1966 658; Grabenwarter § 19, 14; Meyer-Goßner 4; Meyer-Ladewig 10; Kühl ZStW 100 (1988) 406, 411; Morvay ZaöRV 21 (1961) 316,
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319; Ulsamer FS Zeidler 1799, 1802; ferner Fuchs ZStW 100 (1988) 446 (für Österreich); Schorn 38; Trechsel ZStW 100 (1988) 671 (Schweiz); a.A. etwa Guradze Einl. 22; vgl. auch Frister GA 1985 554. Vgl. Nowak 20; Frowein/Peukert 12; Wiesbrock 84 ff. EGMR Costello-Roberts/UK, 25.3.1993, A 247-C = ÖJZ 1993 707 (körperliche Züchtigung eines Schülers in einer Privatschule); Grabenwarter § 19, 14 f.
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antworten.146 Ob, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang eine Schutzpflicht des Staates besteht und durch welche Maßnahmen der Staat sie erfüllen kann, hängt aber stets von den Umständen des Einzelfalls ab, bei deren Würdigung der Staat einen Beurteilungsspielraum hat.147 Maßgebend für die Beurteilung sind auch hier Sinn und Tragweite des jeweils garantierten einzelnen Freiheitsrechts sowie die allgemeinen Auswirkungen staatlicher Schutzmaßnahmen, die auch hier den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jeder Richtung wahren müssen.148 Eine Ansicht im Schrifttum nimmt sogar an, dass der Staat für alle Rechte, die durch Private verletzt werden können, schutzpflichtig sei.149
III. Staatliche Steuerung Verletzen Private ein in der Konvention gewährleistetes Recht eines anderen, kann 57 dies grundsätzlich dem Staat nur angelastet werden, wenn er sich ihrer an Stelle eigener Organe zur Erfüllung einer staatlichen Aufgabe bedient hat, so dass in Wirklichkeit ein verdecktes staatliches Handeln vorliegt.150 Abgesehen von diesem Sonderfall trifft den Staat nur dann eine eigene Verantwortung, wenn er durch die Duldung der Verletzung oder Duldung eines sie ermöglichenden Zustandes eine ihm aus einem Artikel der Konvention erwachsende Schutzpflicht verletzt. Eine weitergehende Wirkung wird man der EMRK nicht beimessen können.151 Privatpersonen werden durch die Konventionen untereinander nicht verpflichtet.152
IV. Berücksichtigung bei Auslegung Die Ablehnung einer Drittwirkung schließt nicht aus, dass in Auslegungsfragen die 58 Gewährleistungen der Konventionen – ebenso wie andere freiheitsschützende Normen – als Wertfestlegungen mit herangezogen werden.153 Als Bestandteil der Rechtsordnung sind sie bei der Auslegung der Rechte Privater mit in Betracht zu ziehen, etwa zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe oder im Rahmen von Generalklauseln als Wertungselemente. Nach anderer Auffassung stellt die EMRK noch keine objektive Werteordnung dar, so dass eine Ausstrahlung mittels unbestimmter Rechtsbegriffe abzulehnen sei.154
E. Einwilligung, Verzicht Die Konventionen garantieren subjektive Rechte des Einzelnen. Es liegt in der Ziel- 59 setzung dieser Garantien, dass niemand auf sie dem Staat gegenüber im Voraus generell und für alle Zeit wirksam verzichten kann.155 Bei vielen der garantierten Freiheits-, 146
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Frowein/Peukert 11 ff.; Meyer-Ladewig 6, 9; Grabenwarter § 19, 7 ff., 11 ff.; Kühl ZStW 100 (1988) 406, 411; Ulsamer FS Zeidler 1799, 1802; Kälin/Künzli 96; verneinend: Morvay ZaöRV 21 (1961) 316, 321; vgl. ferner die Erläuterungen bei den einzelnen Artikeln. Grabenwarter § 19, 12. Vgl. Suerbaum EuR 2003 390, 404; vertiefend: Wiesbrock 84 ff.
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Wiesbrock 88 ff. Kälin/Künzli 95. Frowein/Peukert 12. Meyer-Ladewig 10. Meyer-Goßner 4; Wiesbrock 59 ff. Wiesbrock 59 ff. Kein Totalverzicht, vgl. Grabenwarter § 18, 29.
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Abwehr- und Teilhaberechte steht es aber dem Einzelnen frei, ob und wieweit er sich dem Staat gegenüber aus konkretem Anlass darauf berufen will. Ob und wieweit ein verbürgtes Konventionsrecht insoweit zur Disposition des einzelnen Rechtsträgers steht, ist – ähnlich wie im innerstaatlichen Verfassungsrecht156 – an Hand vom Art- und Schutzzweck der einzelnen Gewährleistung durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist nicht allein entscheidend, ob der Konventionstext ausdrücklich auf die Einwilligung abstellt, wie etwa Art. 7 Satz 2 IPBPR, oder ob der Schutzzweck der jeweiligen Verbürgung ergibt, dass sie nur staatliche Maßnahmen erfasst, die gegen oder ohne den Willen des Betroffenen durchgeführt werden, so dass bei dessen Einverständnis ein konventionswidriger Eingriff von vornherein ausscheidet. Die Fragen sind für die einzelnen Konventionsverbürgungen noch wenig geklärt und strittig.157 Während einige Konventionsverbürgungen wegen des hohen, übersubjektiven Ranges ihres Schutzgutes nicht zur Disposition des Betroffenen stehen und deshalb auch mit seiner Einwilligung nicht außer acht gelassen werden dürfen, wird bei anderen ein freiwilliger, ex nunc frei widerruflicher „Verzicht“158 für wirksam gehalten, wobei an die Freiwilligkeit strenge Anforderungen gestellt werden.159
F. Geltung des IPBPR Auch der IPBPR dient dem Schutz der Menschenrechte des Individuums.160 Bezüglich seiner Anwendbarkeit sollen folgend nur die Abweichungen im Gegensatz zur EMRK dargestellt werden. Beschwerdebefugt ist grundsätzlich nur der Betroffene selber. Ausnahmsweise kann 61 die Beschwerde aber auch im Namen des angeblichen Opfers eingereicht werden, wenn die betreffende Person anscheinend nicht in der Lage ist, die Beschwerde selbst einzureichen (Art. 96 lit. b VerfO). In diesem Fall ist aber der Nachweis zu erbringen, dass der Betroffene die Beschwerde aus plausiblen Gründen nicht selbst einreichen kann und dass eine hinreichende Verbindung zwischen dem Bf. und dem Opfer besteht.161 Stirbt das Opfer nach Einreichung der Beschwerde, so können die nahen Angehörigen die Beschwerde auf Antrag fortführen.162 Ob juristische Personen auch dem unmittelbaren Schutz des IPBPR unterfallen, ist 62 strittig:163 Hiergegen lässt sich anführen, dass der IPBPR bewusst nur von Individuen („individuals“) spricht und dass auch die Vorarbeiten gegen eine Ausdehnung des
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Etwa Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes (1981); Dürig AöR 81 (1956) 152; Sturm FS Geiger (1974) 173 je m.w.N. zu den strittigen Fragen. Dörr 85 ff.; Echterhölter JZ 1956 145; Frister 94, IK-EMRK/Kühne Art. 6, 371 ff.; Meyer-Goßner 3; ferner etwa Art. 3 EMRK Rn. 68; Art. 5 EMRK Rn. 30; BGer EuGRZ 1991 226. Die Terminologie ist nicht einheitlich, da Verzicht vielfach als Oberbegriff gebraucht wird. EGMR Oberschlick/A, 23.5.1991, A 204 = NJW 1992 613 = EuGRZ 1991 216 = MR
160 161 162
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1991 171 = ÖJZ 1991 641; Grabenwarter § 18, 29 ff. (Abwägung des öffentlichen und privaten Interesses); vgl. auch Meyer-Ladewig Art. 6 Abs. 3, 240, 245. Zur Entstehungsgeschichte Hofmann 25. Schäfer Individualbeschwerde 65 ff. Vgl. HRC Croes/NL, 7.11.1988, CCPR/C/OP/3 (2002) 14, § 1; Schäfer Individualbeschwerde 67 f. Verneinend: HRC A Newspaper Publishing Company/Trinidad and Tobago, 14.7.1989, A/44/40 (1989), CCPR/C/OP/3 (2002) 57; Hofmann 25; Schäfer Individualbeschwerde 62; a.A. (zumindest für das Selbstbestimmungsrecht): Nowak 24 ff.
Robert Esser
Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte
Art. 2 IPBPR
Schutzes tendieren.164 Die meisten dort garantierten Rechte sind allerdings ihrer Natur nach ohnehin auf natürliche Personen beschränkt oder betreffen sie unmittelbar mit, wenn sie einem Kollektiv versagt werden, wie dies etwa bei einem Verbot einer Religionsgemeinschaft, einer Partei oder einer Gewerkschaft der Fall ist.165 Gegen Eingriffe in die kollektive Ausübung gewährleisteter Rechte können sich demnach die betroffenen Mitglieder selbst wenden. Bezüglich der Ausübung von Hoheitsgewalt spricht Art. 2 Abs. 1 IPBPR von Perso- 63 nen, die sich auf dem Staatsgebiet eines Mitgliedsstaates befinden166 sowie dessen Herrschaftsgewalt unterstehen.167 Während Israel und die USA sich unter Berufung auf diesen Wortlaut nur im Hinblick auf ihr eigenes Staatsgebiet an den Pakt gebunden sahen, traten der IGH und das HRC dieser Auslegung entschieden entgegen. Der Pakt ist demnach auf jede Person anwendbar, die sich „within the power or effective control“ eines Mitgliedsstaates befindet.168 Im Gegensatz zum EGMR scheint das HRC davon auszugehen, dass militärische 64 Handlungen nationaler Truppenkontingente jeweils den truppenstellenden Staaten zuzurechnen sind. So fordert der Ausschuss regelmäßig in den Staatenberichtsverfahren von den Paktstaaten Informationen zu Auslandseinsätzen, selbst wenn diese im Rahmen internationaler Organisationen erfolgen.169 Art. 2 IPBPR etabliert ebenfalls eine duale Struktur des Menschenrechtsschutzes: Er 65 verpflichtet die Vertragsstaaten nicht nur, die in ihm gewährleisteten Rechte ohne Diskriminierung170 gegenüber jedermann zu achten und Verletzungen zu sanktionieren, sondern begründet auch Gewährleistungspflichten für den Staat („to respect and to ensure“).171
164 165
166 167
168
Nowak 22 ff.; vgl. Teil II Rn. 361. Vgl. HRC J.R.T. u. W.G.Party/Kanada, 6.4.1983, CCPR/C/OP/2(1990)25, § 8a; Mahuika u.a./Neuseeland, 27.10.2000, CCPR/C/70/D/547/1993; Hofmann 25; Nowak 24. Aber nur als Unterworfene der Territorialgewalt des Staates, Hofmann 25; Nowak 27. Vgl. HRC Cox/Kanada, 31.10.1994, CCPR/C/52/D/539/19930 (1994); Nowak 26 ff.; zur Problematik Nowak EuGRZ 1980 526; Tomuschat EuGRZ 1981 520. IGH Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, 9.7.2004, ICJ Rep. 2004 136; HRC General Comment No. 31, Nature of the General Legal Obligation Imposed on State Parties to the Covenant, 26.5.2004, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 10; Zimmermann 5; Meron AJIL (89) 1995 78 ff.
169
170 171
Zimmermann 16, der allerdings betont, dass das HRC noch keine Entscheidung in einem der Behrami/Saramati-Entscheidung vergleichbaren Fall treffen musste; BTDrucks. 16 75 S. 11; Schäfer Individualbeschwerde 80. Vgl. auch das akzessorische Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK. Zur Entstehungsgeschichte und zum akzessorischen Charakter des Art. 2 IPBPR: Nowak 5–12; 13 ff.; ferner Seibert-Fohr ZaöRV 62 (2002) 393; Herdegen § 48, 5; General Comment Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13; Zur Formulierung des IPBPR, die dahin zu interpretieren ist, dass sie auf die völkerrechtliche Verantwortlichkeit abstellt, im Einzelnen Nowak 27.
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EMRK Art. 2
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 2 EMRK (Art. 6 IPBPR) EMRK Artikel 2 Recht auf Leben (1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist. (2) Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen; b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern; c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen. Ergänzend dazu: Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vom 28.4.1983 (ETS 114; abgedruckt in Teil III). Durch das 6. ZP-EMRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, niemanden zur Todesstrafe zu verurteilen oder hinzurichten, mit Ausnahme für Taten, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen wurden. Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen vom 3.5.2002 (ETS 187; abgedruckt in Teil III). Art. 1 des 13. ZP-EMRK stellt ohne jede Ausnahme fest, dass die Todesstrafe abgeschafft ist und niemand zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden darf. Nach Art. 2 des 13. ZP-EMRK darf auch im Notstandsfalle (Art. 15 EMRK) nicht von diesem Verbot abgewichen werden.
IPBPR Artikel 6 (1) Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden. (2) In Staaten, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen auf Grund von Gesetzen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung der Tat in Kraft waren und die den Bestimmungen dieses Paktes und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht widersprechen. Diese Strafe darf nur auf Grund eines von einem zuständigen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt werden. (3) Erfüllt die Tötung den Tatbestand des Völkermordes, so ermächtigt dieser Artikel die Vertragsstaaten nicht, sich in irgendeiner Weise einer Verpflichtung zu entziehen, die sie nach den Bestimmungen der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes übernommen haben. (4) Jeder zum Tode Verurteilte hat das Recht, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten. Amnestie, Begnadigung oder Umwandlung der Todesstrafe kann in allen Fällen gewährt werden.
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Recht auf Leben
Art. 6 IPBPR
(5) Die Todesstrafe darf für strafbare Handlungen, die von Jugendlichen unter 18 Jahren begangen worden sind, nicht verhängt und an schwangeren Frauen nicht vollstreckt werden. (6) Keine Bestimmung dieses Artikels darf herangezogen werden, um die Abschaffung der Todesstrafe durch einen Vertragsstaat zu verzögern oder zu verhindern. Ergänzend dazu: Zweites Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12.1989 (Teil III)
Schrifttum (Auswahl) Albert Das Grundrecht auf Leben als Schranke für aufenthaltsbeendende Maßnahmen (1990); Altermann Ermittlungspflichten der Staaten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (2006); Anderheiden „Leben“ im Grundgesetz, KritV 2001 353; Arzt Europäische Menschenrechtskonvention und polizeilicher Todesschuss, DÖV 2007 235; Arzt Gezielter Todesschuss – Zulässigkeit und Voraussetzungen nach der EMRK, Die Polizei 2009 52; Ballhausen Todesstrafe durch Alliierte – ein Verstoß gegen das Grundgesetz, NJW 1988 2656; Bergmann Das Menschenbild der Europäischen Menschenrechtskonvention (1995); Bernsmann Überlegungen zur tödlichen Notwehr bei nicht lebensbedrohlichen Angriffen, ZStW 104 (1992) 290; Blau Neuere Entwicklungen in der Schutzpflichtdogmatik des EGMR am Beispiel des Falles „Vo/Frankreich“, ZEuS 2005 397; Bleckmann Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten aus den Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, FS Bernhardt (1995) 309; Bockelmann Menschenrechtskonvention und Notwehrrecht, FS Engisch 456; Broda Europas Kampf gegen die Todesstrafe, ZfRV 1986 1; Broda Europäische Menschenrechtskonvention und Todesstrafe, FS Klecatsky (1980) 75; Calliess Die Abschaffung der Todesstrafe – Zusatzprotokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, NJW 1989 1019; Doehring Zum „Recht auf Leben“ aus nationaler und internationaler Sicht, FS Mosler (1983) 145; Fassbender Lebensschutz am Lebensende und Europäische Menschenrechtskonvention, Jura 2004 115; Frankenberg Die Ausweisung und Abschiebung trotz drohender Todesstrafe, JZ 1986 414; Frister Die Einschränkung des Notwehrrechts durch Art. 2 EMRK, GA 1985 553; Gintzel Gezielter Todesschuss – Zulässigkeit und Voraussetzungen nach der EMRK, Die Polizei 2009 114; Gintzel Gezielter Todesschuss ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage? Die Polizei 2008 333; Gusy Auslieferung bei drohender Todesstrafe? GA 1983 73; Hale A Pretty Pass: when is there a right to die? Clinical Medicine 2003 142; Hartig Abschaffung der Todesstrafe in Europa – Das 6. Zusatzprotokoll zur EMRK, EuGRZ 1983 270; Heymann Die Europäische Menschenrechtskonvention und das Recht auf aktive Sterbehilfe – EGMR, NJW 2002, 2851, JuS 2002 957; Irmscher Menschenrechtsverletzungen und bewaffneter Konflikt: die ersten Tschetschenien-Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2006 11; Klugmann Europäische Menschenrechtskonvention und antiterroristische Maßnahmen (2002); Kneihs Recht auf Leben und Terrorismusbekämpfung – Anmerkungen zur jüngsten Judikatur des EGMR in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 21; Kreppel Verfassungsrechtliche Grenzen der Auslieferung und Ausweisung (1965); Krüger Die Bedeutung der Menschenrechtskonvention für das deutsche Notwehrrecht, NJW 1970 1483; Kutscha Gezielter Todesschuss – Zulässigkeit und Voraussetzungen nach der EMRK, Die Polizei 2009 114; Kutscha Gezielter Todesschuss ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage? Die Polizei 2008 289; Kühn Schutz vor Todesstrafe im Ausland, ZRP 2001 542; Mahler Besteht ein Anspruch auf den Tod nach der Europäischen Menschenrechtskonvention? – Der Fall Pretty, ZfL 2003 17; Machacek Das Recht auf Leben in Österreich, EuGRZ 1983 553; Mathieu The right to life (2006); Meyer-Ladewig Menschenwürde und Europäische Menschenrechtskonvention, NJW 2004 981; Mowbray The Development of Positive Obligations under the European Convention on Human Rights by the European Court of Human Rights (2004); Pedain The Human Rights Dimension of the Diane Pretty Case, CLJ 2003 181 Peters Die Mißbilligung der Todesstrafe durch die Völkerrechtsgemeinschaft, EuGRZ 1999 650; Peukert Human Rights in International Law and the Protecting of Unborn Human Beings, FS Wiarda 511;
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EMRK Art. 2
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Reis Die Europäische Kommission für Menschenrechte zur rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, JZ 1981 738; Schmitz-Elvenich Targeted Killing – Die völkerrechtliche Zulässigkeit der gezielten Tötung von Terroristen im Ausland (2008); Schüssler Todesstrafe und Grundgesetz im Auslieferungsverfahren, NJW 1965 1896; Verrel Selbstbestimmungsrecht contra Lebensschutz, JZ 1996 224; Vogler Auslieferung bei drohender Todesstrafe und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – Der Fall Soering vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), GedS Meyer 477; Vogler Auslieferung bei drohender Todesstrafe – ein Dauerthema, NJW 1994 1433; Zieschang Tödliche Notwehr zur Verteidigung von Sachen und Art. 2 II a EMRK, GA 2006 415; Neubacher/Bachmann/Goeck Konvergenz oder Divergenz? – Einstellungen zur Todesstrafe weltweit, ZIS 2011 517.
Übersicht Rn. 1. Recht auf Leben – Allgemeines a) Art. 2 Abs. 1 EMRK / Art. 6 Abs. 1 IPBPR b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . c) Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Völkermord-Konvention / ICC-Statut . . e) Zusatzprotokolle . . . . . . . . . . . .
Rn. c) Handeln aller Staatsorgane . . . . . . d) Effektive Aufklärung der Ursachen einer Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gesteigerte Verantwortung für Personen im staatlichen Gewahrsam . . . . . . . f) Entschädigung . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4 5
. 28 . 33 . 37 . 41
5. Verhältnis zwischen Privatpersonen . . . . . 42
2. Inhalt des Konventionsschutzes a) Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . 6 b) Reichweite des Schutzes . . . . . . . . . 9 c) Andere Rechtsgüter . . . . . . . . . . . 14
6. Ausnahmen vom Schutz des Lebens a) Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . b) Sicherstellung der Verteidigung eines Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ordnungsgemäße Festnahme, Verhindern des Entkommens . . . . . . . . . . . . . d) Unterdrückung eines Aufstandes . . . . .
3. Grundsätzliches Tötungsverbot . . . . . . . 15 4. Schutzpflichten des Staates a) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 b) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . 25
43 48 55 59
1. Recht auf Leben – Allgemeines 1
a) Das jedermann garantierte Recht auf Leben wird in Art. 2 Abs. 1 EMRK / Art. 6 Abs. 1 IPBPR – im Gegensatz zur Menschenwürde1 – in den Vertragstexten ausdrücklich als eigenständiges Menschenrecht anerkannt2 und generell in den Schutz der Gesetze gestellt. Der IPBPR betont die vorgegebene naturrechtliche Grundlage dieses elementaren Grundrechtes dadurch besonders, dass er das Recht auf Leben, das Voraussetzung für den Genuss aller übrigen Grundrechte und Grundfreiheiten ist, als vorgegebenes („inherent“, „inhérent“) Recht bezeichnet.3 Der Schutz der Konventionen deckt sich mit dem Schutz der Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.4
1
2
Vgl. aber Art. 10 IPBPR, der bei Freiheitsentziehungen eine mit der Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde verlangt. Die Regelung wird als deklaratorisch verstanden, da das Recht auf Leben als ius cogens des allgemeinen Völkerrechts angesehen wird; so etwa: Nowak 2; Hofmann 28. Vgl. auch Art. 3 AEMR vom 10.12.1948.
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3
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Die Bedenken von Goose NJW 1974 1305 gegen die frühere Übersetzung „angeborenes Recht“ richten sich vor allem gegen den daraus gezogenen Schluss, der Lebensschutz beginne mit der Geburt. BVerfGE 6 389, 441; Morvay ZaöRV 21 (1961) 317.
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Recht auf Leben
Art. 6 IPBPR
Die Achtung der Menschenwürde zählt – obwohl im Gegensatz zu Art. 1 EUC nicht ausdrücklich in der Konvention erwähnt – neben der Freiheit des Menschen zum wesentlichen Gehalt der Konvention.5 Ein eigenständiges Menschenwürdekonzept auf der Basis der EMRK ist allerdings nach wie vor erst in der Entwicklung.6 b) Die Ausnahmen (dazu Rn. 43 ff.), in denen der Lebensschutz gegenüber hoheit- 2 lichen Maßnahmen zurücktreten muss, werden in Art. 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EMRK aufgezählt,7 wobei der Katalog dann noch um die in Art. 2 EMRK nicht erwähnte, nach Art. 15 EMRK aber zulässige Tötung im Rahmen rechtmäßiger Kriegshandlungen zu ergänzen ist.8 Abgesehen von dieser Ausnahme wird Art. 2 EMRK durch Art. 15 EMRK notstandsfest gewährleistet. Art. 6 Abs. 2 IPBPR stellt nur die Voraussetzungen fest, unter denen die Todesstrafe zulässig ist. Im Übrigen begnügt Art. 6 Abs. 2 IPBPR sich damit, generell die willkürliche Tötung zu verbieten.9 Auf einen die Gefahr von Lücken in sich tragenden10 Ausnahmekatalog wird verzichtet. c) Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union stellt in Art. 2 heraus, dass 3 jede Person das Recht auf Leben hat und niemand zur Todesstrafe verurteilt und hingerichtet werden darf. Im Übrigen hat das in der Charta angesprochene Recht auf Leben die gleiche Tragweite wie jenes in Art. 2 EMRK; dies legt Art. 52 Abs. 3 EUC ausdrücklich fest. d) Die Konventionspflichten über den Lebensschutz werden ergänzt durch zusätzliche 4 völkerrechtliche Verpflichtungen, so vor allem durch die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9.12.194811 und durch Art. 89 ff. des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC-Statut),12 in welchen sich die jeweiligen Mitgliedsstaaten u.a. zur Bestrafung oder Auslieferung der für Verbrechen gegen das Leben verantwortlichen Personen verpflichten. Solche besonderen Verpflichtungen werden, wie Art. 6 Abs. 2, 3 IPBPR hervorhebt, von Art. 6 IPBPR nicht eingeschränkt. e) Zusatzprotokolle. Der Lebensschutz des Art. 2 EMRK wird dadurch verstärkt, 5 dass die von den Konventionen ursprünglich noch zugelassene Todesstrafe durch das 6. ZP-EMRK vom 28.4.198313 grundsätzlich abgeschafft wurde, ebenso auch durch das von der UN-Generalversammlung am 15.12.1989 angenommene 2. Fakultativprotokoll zum IPBPR.14 Durch die Ratifizierung des am 1.7.2003 in Kraft getretenen 13. ZPEMRK haben fast alle Mitgliedsstaaten die Todesstrafe, die nach Art. 2 des 6. ZP-EMRK noch für Kriegszeiten zugelassen war, vollständig abgeschafft.15
5
6 7
8 9 10 11
Vgl. EGMR Pretty/UK, 29.4.2002, ECHR 2002-III = NJW 2002 2851 = EuGRZ 2002 234 = ÖJZ 2003 311. Hierzu kritisch: Ekardt/Kornack ZEuS 2010 111, 130 ff. Zur Entstehungsgeschichte des auf unterschiedlichen Quellen beruhenden Art. 2 EMRK: Partsch 100. Partsch 105; Guradze 13. Zur Entstehungsgeschichte Nowak 12 ff. Nowak 12; Frowein/Peukert 10. BGBl. 1954 II S. 730; siehe auch: Art. 6 Abs. 3 IPBPR.
12 13
14 15
BGBl. 2002 II S. 1393. BGBl. 1988 II S. 663. Das 6. ZP-EMRK wurde mittlerweile – mit Ausnahme Russlands – von sämtlichen Mitgliedstaaten der EMRK ratifiziert. Deutschland ist diesem Protokoll beigetreten (BGBl. 1992 II S. 391; 1993 II S. 880). Aktueller Ratifikationsstand abrufbar unter: http://www.conventions.coe.int (Stand November 2011): keine Ratifikation durch Armenien, Lettland, Polen; Russland und Aserbaidschan haben das ZP nicht gezeichnet.
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EMRK Art. 2
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
2. Inhalt des Konventionsschutzes 6
a) Schutzgut ist das menschliche Leben. Jeder Einzelne, auch der Behinderte, Geisteskranke oder unheilbar Kranke,16 hat dem Staat gegenüber ein Recht auf Schutz seines Lebens bis zum Tode.17 Art. 2 EMRK / Art. 6 Abs. 1 IPBPR gewähren weder ein Recht, das Leben zu beenden noch ein Recht auf Sterbehilfe durch Mithilfe eines Dritten oder durch die Hilfe des Staates – aufgrund der restriktiven Formulierung von Art. 2 EMRK, der keine solche Interpretation zulässt, sowie seines Schrankenvorbehalts.18 Auch geht aus Art. 2 EMRK keine Ermächtigung hervor, sich für den Tod anstelle des Lebens zu entscheiden.19 Vielmehr ist Art. 2 EMRK als Verurteilung jeder Art des Tötens zu verstehen.20 Art. 2 EMRK verpflichtet schließlich den Staat zum Schutz des Lebens des Einzelnen (dazu Rn. 9 f.).21 Daraus folgt aber nicht notwendig, dass der Staat dadurch umgekehrt auch verpflichtet wird, jemanden gegen seinen eigenen Willen unter Einsatz aller Mittel zum Weiterleben zu zwingen.22 Wer sein Leben beenden will, kann aus den Konventionsgarantien aber nicht herleiten, dass der Staat die Beihilfehandlungen zum Selbstmord straffrei stellen23 oder sie sogar fördern müsse.24 7 Bezüglich der Schutzpflichten am Anfang und Ende des Lebens eines Menschen äußerst sich der Vertragstext der Konventionen nicht. Ob und wieweit bereits das werdende Leben in den Schutzbereich des Art. 2 EMRK fällt, ist nicht abschließend geklärt. Anders als Art. 4 Abs. 1 AMRK, der das Recht auf Leben „im allgemeinen vom Zeitpunkt der Empfängnis an“ schützt, ist in der EMRK nicht festgelegt, von welchem Zeitpunkt an der Schutz des Lebens beginnt.25 Die EKMR hatte dies ausdrücklich offen
16
17
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19
IK-EMRK/Lagodny 47; vgl. HRC Tornel/E, 24.4.2009, 1473/2006, § 7.2 (keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 IPBPR, wenn der Antrag auf Entlassung aus der Haft eines unheilbar Kranken abgelehnt wird. Zwischen dem Tod und der andauernden Inhaftierung bestehe keine kausale Verbindung). Vgl. Grabenwarter § 20, 2. Der Todesbegriff wird dabei nicht definiert, entsprechend der derzeitigen Auffassung dürfte vom Hirntod (dauerhafter Funktionsausfall des gesamten Gehirns) auszugehen sein: IK-EMRK/ Lagodny 49; vgl. auch: Heissl/Eberhard Handbuch Menschenrechte (2009), 4/4; Auch in Deutschland wird unter dem Begriff des Todes der Gesamthirntod verstanden: Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 22 GG. EGMR Haas/CH, 20.1. 2011; Grabenwarter § 20, 3; Mahler 18; Heymann JuS 2002 957 sieht im Urteil Pretty keine Absage an das Recht auf einen selbstbestimmten Tod aus der EMRK oder gar ein Grundsatzurteil zur aktiven Sterbehilfe, da die Bf. hier nur geltend gemacht habe, dass die Regelung dadurch, dass sie keine Beihilfe zu einem Suizid erlaubte, gegen Art. 2 EMRK verstieß. EGMR Pretty/UK (Fn. 5); Haas/CH (Fn. 18);
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24 25
Das Recht, über den Zeitpunkt des eigenen Todes zu entscheiden, ordnet der EGMR als einen von Art. 8 Abs. 1 EMRK umfassten Aspekt ein. EGMR Pretty/UK (Fn. 5); Mahler 17; Kneihs EuGRZ 2002 242. EGMR Pretty/UK (Fn. 5). IK-EMRK/Lagodny 55, Nowak 37; zum Recht auf Selbstmord vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser Art. 8, 270 ff., zur Sterbehilfe: High Court, Family Division, London, 12.7.2000, EuGRZ 2000 458; ferner etwa Nowak 37; Kutzer NStZ 1994 310; Schreiber NStZ 1986 338; Verrel JZ 1996 225. EGMR Pretty/UK (Fn. 5), vorher schon High Court, Queen’s Bench Divisional Court, London, 18.10.2001, EuGRZ 2002 55; dazu Grabenwarter § 20, 4; Meyer-Ladewig 1; Peters 40 ff. IK-EMRK/Lagodny 56, 57 unter Hinweis auf die EKMR. Grabenwarter § 17, 3; § 20, 4; Meyer-Ladewig 3; KK-EMRK-GG/Alleweldt 11; vgl. auch EKMR EuGRZ 1978 199 (deutsche Abtreibungsregelung kein Verstoß); Frowein/ Peukert 3 (Schutzpflicht aus Art. 2 EMRK bei Lebensfähigkeit des Fötus).
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Recht auf Leben
Art. 6 IPBPR
gelassen;26 der EGMR spricht den Vertragsstaaten diesbezüglich einen Beurteilungsspielraum zu.27 Der Schutz des ungeborenen Lebens ist mit anderen von der Entscheidung betroffenen Rechten (z.B. bei Schwangerschaftsabbrüchen mit dem Recht auf Selbstbestimmung der schwangeren Frau) abzuwägen.28 Somit ist der Nasciturus nicht per se aus dem Schutzbereich der Konvention ausgenommen.29 Bei Art. 6 IPBPR wird aus der Entstehungsgeschichte geschlossen, dass der Lebensschutz nicht schon mit der Empfängnis beginnen sollte.30 Da absolute Abtreibungsverbote große Risiken für das Leben der Frauen mit sich bringen, denen illegale Schwangerschaftsabbrüche zugänglich sind, werden derartige Verbote vom HRC kritisiert.31 Ein Gesetz, das in bestimmten Fällen die Vernichtung von durch In-vitro-Fertilisation 8 gezeugten, konservierten Embryonen vorsieht, überschreitet diesen Ermessensspielraum nicht.32 Dafür, dass der eigentliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 EMRK erst mit der selbständigen Lebensfähigkeit beginnt, lässt sich anführen, dass die Ausnahmen des Absatzes 2 davor liegende Eingriffe nicht regeln, andernfalls würde das Fehlen jeglicher
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EKMR EuGRZ 1978 199 (Brüggemann); 1981 20 (Paton, med. Indikation); auch EGMR Open Door and Dublin Well Woman/IR, 29.10.1992, A 246-A = NJW 1993 773 = EuGRZ 1992 484 = ÖJZ 1993 280; (GK) Vo/F, 8.7.2004, ECHR 2004-VIII, §§ 82 ff. = NJW 2005 727 = EuGRZ 2005 568 lässt dies offen. Der ÖVerfGH EuGRZ 1975 74 hat das ungeborene Leben unter Hinweis auf die das ungeborene Leben nicht erfassenden Ausnahmen des Absatzes 2 nicht in den Schutz des Art. 2 EMRK mit einbezogen; dazu Folz FS Verosta 202; Stadler EuGRZ 1975 74; vgl. ferner Frowein/Peukert 3 (Schutzpflicht bei Lebensfähigkeit des Fötus); Meyer-Ladewig 3; Partsch 103; Villiger 268. Auch das BVerfG bejaht menschliches Leben jedenfalls vom Zeitpunkt der Nidation an, es geht aber – mit unterschiedlichen Ableitungen – von einer verringerten staatlichen Schutzpflicht aus (vgl. BVerfGE 39 1, 45; 88 203, 275, 321), vgl. hierzu auch KK-EMRKGG/Alleweldt 14 ff.; Peukert FS Wiarda 511, 518. Aus rechtsvergleichender Perspektive: Köck ÖJZ 2011 546. Zum Beginn des Lebens unter dem Blickwinkel der Fortpflanzungstechnologie: Fahrenhorst EuGRZ 1988 125 sowie IK-EMRK/Lagodny 24 ff.; ferner zu den Stufungen des vorgeburtlichen Lebensschutzes: Dreier ZRP 2002 377; zur Menschenwürde als das mit der Befruchtung einsetzende normative Schutzprinzip Böckenförde JZ 2003 809. EGMR (GK) Vo/F (Fn. 26), §§ 82 ff.: Beendigung einer Schwangerschaft gegen den Willen der Mutter aufgrund Fahrlässigkeit
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des Arztes (Personenverwechslung), die nach französischem Recht nicht strafbar war. Die Frage, ob ein Fötus vom Schutzbereich des Art. 2 EMRK erfasst wird, hat der EGMR offen gelassen. Vgl. auch Groh/Lange-Bertahlot NJW 2005 713; Blau ZEuS 2005 397; Mathieu The Right to Life 2006 37 ff.; Jung FS Schroeder 809; Lux-Wesener EuGRZ 2005 558. EGMR (GK) Vo (Fn. 26); (GK) Evans/UK, 10.4.2007, ECHR 2007-I = NJW 2008 2013; Meyer-Ladewig 3. Vgl. auch: Kälin/Künzli 328 f.; BGH NJW 1981 1141 f.; kritisch zu dieser offenen Frage unter dem Aspekt des Menschenwürdegehaltes der EMRK: Ekhardt/Kornack ZEuS 2010 111, 130 ff. Nowak 35. Vgl. HRC General Comment 28, 29.3.2000; Kälin/Künzli 329; vgl. auch BTDrucks. 16 13244. EGMR (GK) Evans (Fn. 28; Widerruf der Zustimmung zur Konservierung von durch In-vitro-Fertilisation gezeugten Embryonen nach dem Scheitern der Lebensgemeinschaft). Zum Schutz von in vitro gezeugten Embryonen vgl. auch: Council of Europe/Steering Committee on Bioethics (CDBI), The Protection of the Human Embryo in vitro, CDBI-CO-GT3 (2003) 13. Zur Präimplantationsdiagnostik (PID) und Art. 2 EMRK: Voß in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004), 207.
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diesbezüglicher Ausnahme bedeuten, dass selbst in den medizinisch begründeten Fällen der Schwangerschaftsabbruch per se konventionswidrig wäre.33 Bezüglich des Endes des Lebens stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe. Da die Ermöglichung einer solch zielgerichteten Tötung nicht vom Recht auf Leben umfasst ist, gilt ein Verbot der aktiven Sterbehilfe als konventionskonform.34
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b) Reichweite des Schutzes. Der Schutz des Lebens soll nach den Konventionen in zweifacher Weise erreicht werden: Zum einem wird dem Staat verboten, bei Ausübung seiner Staatsgewalt durch seine Organe einer Person das Leben zu nehmen, sofern nicht eine der Ausnahmesituationen des Absatzes 2 vorliegt, in der die Konvention es ausnahmsweise zulässt, dass der Einsatz der Gewalt zu einem dieser Zwecke den Tod des Betroffenen – absichtlich oder unbeabsichtigt – verursacht.35 Zum anderen werden die Mitgliedstaaten zur Schaffung einer Staatsordnung ver10 pflichtet, die das Leben aller Personen unter einen angemessenen Schutz des Staates stellt. Dazu gehört, dass der Staat die entsprechenden Gesetze, insbesondere auch genügend abschreckende Strafvorschriften erlässt, und dass er auch tatsächlich dafür sorgt, dass alle gewaltsamen Tötungen in seinem Hoheitsbereich unverzüglich und von Amts wegen von seinen Organen effektiv verfolgt und bestraft werden, ganz gleich, wer sie begangen hat.36 Die staatliche Pflicht zum Lebensschutz besteht bereits bei staatlichen Maßnahmen, 11 die das Leben anderer erheblich gefährden. Solche Maßnahmen dürfen nur in die Wege geleitet werden, wenn sie nach den Umständen unbedingt erforderlich37 sind. Sie müssen strikt verhältnismäßig zu den in Absatz 2 angeführten Zielen sein. Bei Vorbereitung und Durchführung eines solchen Einsatzes sind alle nach der Sachlage möglichen Schutzvorkehrungen zu treffen;38 dem gezielten Schusswaffengebrauch soll nach Möglichkeit ein Warnschuss vorhergehen.39 Wieweit bereits im Vorfeld eines möglichen Eingriffs das Leben geschützt wird, der 12 Staat also seine Pflicht zum Lebensschutz auch dann verletzen kann, wenn niemand getötet wird, staatliche Zwangsmaßnahmen aber eine unmittelbare Lebensgefährdung bestimmter Personen herbeiführen40 oder wenn eine akute Lebensgefahr durch die staatliche Duldung eines unmittelbar gefahrdrohenden Zustandes tatenlos hingenommen wird, ist noch wenig geklärt.41 Der EGMR bejaht ausnahmsweise einen Verstoß gegen 33 34
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Grabenwarter § 20, 3; IK-EMRK/Lagodny 46. EGMR Pretty/UK (Fn. 5); Haas/CH (Fn. 18): die Ablehnung „sei mit den Vorstellungen der meisten Konventionsstaaten vereinbar“ Kälin/Künzli 329; KK/Schädler 3; KK-EMRK-GG/Alleweldt 30 ff. EGMR (GK) Ogur/TRK, 20.5.1999, ECHR 1999-III = NJW 2001 1991; (GK) Salman/ TRK, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = NJW 2001 2001; Meyer-Ladewig 1, 9. Näher dazu Rn. 48 ff. Etwa EGMR (GK) Streletz, Keßler u. Krenz/D, 22.3.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 3035 = EuGRZ 2001 210 = NJ 2001 261 = ÖJZ 2002 274; Esser 105 ff.; MeyerLadewig 9; Villiger 264 je m.w.N. zur Rspr. des EGMR; ferner auch HRC Baumgarten/D,
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31.7.2003, 960/2000, EuGRZ 2004 143 (Schießbefehl an der Berliner Mauer). Unbedingt erforderlich ist enger als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK, Art. 10 Abs. 2 EMRK. Vgl. EGMR (GK) McCann u.a./UK, 27.9.1995, A 324 = ÖJZ 1996 233; dazu Grabenwarter § 20, 14; ferner EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35). EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35). EGMR Yasa/TRK, 2.9.1998, Rep. 1998-VI; Meyer-Ladewig 5. Die EKMR hatte den Anspruch eines von Terroristen Bedrohten auf eine Leibwache verneint; der EGMR hat inzwischen aber Beurteilungskriterien aufgestellt, die bei der Frage nach der Fortführung von Strafverfol-
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Art. 2 EMRK, wenn ein Angriff wegen Anwendung tödlicher Gewalt einem Tötungsversuch gleichkommt.42 Auch wenn Staatsorgane ohne Tötungsvorsatz handeln und nicht töten, kann Art. 2 EMRK anwendbar sein.43 Noch nicht vollständig beantwortet ist in der Straßburger Judikatur ferner die Frage, 13 ab wann die zuständigen staatlichen Stellen bei konkreten Hinweisen auf eine akute und ernsthafte Gefährdung des Lebens eines anderen tätig werden und alle nach der Sachlage gebotenen und ihnen möglichen Schutzvorkehrungen treffen müssen.44 Bei einer die Vertragspflichten nicht erweiternden Auslegung lässt sich ein Verstoß des Staates gegen Art. 2 EMRK nur in besonderen Ausnahmefällen bejahen, wenn der Staat seine Pflicht zum Lebensschutz dadurch verletzt, dass seine zuständigen Stellen die nach den besonderen Umständen gebotenen und ihnen nach der Sachlage auch möglichen Vorkehrungen zum Lebensschutz nicht getroffen haben, obwohl sie wussten oder nach den ihnen bekannten Umständen hätten erkennen können, dass eine konkrete Gefährdung des Lebens einer bestimmten Person mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.45 Ausreichend hierfür sei nicht, dass eine Person Opfer von Menschenhandel geworden ist. Notwendig für einen Verstoß gegen Art. 2 EMRK sei vielmehr auch in diesem Fall eine konkrete, unmittelbare und für die Polizei vorhersehbare Lebensgefahr, wobei das Merkmal der „Vorhersehbarkeit“ sehr restriktiv ausgelegt wird.46 Die Kommission hatte offen gelassen, ob bereits die potentielle Gefährdung menschlichen Lebens von Art. 2 EMRK erfasst wird.47 In der Regel wird dies zu verneinen sein. Die Grenze zwischen dem Lebensschutz des Art. 2 EMRK und dem Schutz vor anderen Gewalttaten, die nicht zum Tode geführt haben und die insbesondere von Art. 3 EMRK erfasst werden, sollte nicht verwischt werden.48 c) Andere, für ein menschenwürdiges Leben notwendige Rechtsgüter sichert die Ver- 14 pflichtung des Staates aus Art. 2 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 1 IPBPR nicht.49 Geschützt wird nur das Leben als solches. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wird dort nicht
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gungsmaßnahmen berücksichtigt werden können. Allgemein sind die Schwere des drohenden Deliktes sowie das Risiko weiterer Tätlichkeiten maßgeblich, vgl. EGMR Opuz/TRK, 9.6.2009, ECHR 2009. Frowein/Peukert 7; andererseits aber IAGMR EuGRZ 1990 523. EGMR Isayeva/R, 24.2.2005, EuGRZ 2006 41. EGMR (GK) Makaratzis/GR, 20.12.2004, ECHR 2004-XI = NJW 2005 3405. Vgl. Schutzpflicht im konkreten Fall verneinend: EGMR (GK) Osman/UK, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII; Grabenwarter § 20, 15; Meyer-Ladewig 4; Peters 36; ferner EGMR L.C.B./UK, 9.6.1998, Rep. 1998-III = ÖJZ 1999 353. Vgl. EGMR Koku/TRK, 31.5.2005; Osmanog˘lu/TRK, 24.1.2008 (Untätigkeit der Behörden trotz Kenntnis von Entführung); Dink/TRK, 14.9.2010, ECHR 2010 = NJOZ 2011 1067 (kein Einschreiten der Sicher-
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heitsbehörden zum Schutz des Lebens eines Journalisten trotz Kenntnis von dem sicheren Plan, ihn umzubringen); siehe auch Grabenwarter § 20, 15, Meyer-Ladewig 9. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010, ECHR 2010 = NJW 2010 3003, 3006. Vgl. Partsch 104 (Atomversuche, Abschussrampen für Atomraketen); EGMR Soering/ UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314, lässt aber bereits die potentielle Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK genügen. Meyer-Ladewig 5. Hofmann 28. Zur Tendenz, nicht nur den Schutz vor willkürlicher Tötung sondern auch andere Bedrohungen des menschlichen Lebens, wie Unterernährung, lebensgefährliche Krankheiten und kriegerische Auseinandersetzungen in den Schutzumfang mit einzubeziehen: Nowak 5 ff.
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gewährleistet 50, ebenso nicht menschenwürdige Lebensbedingungen, bessere medizinische Behandlungsmöglichkeiten51 oder die körperliche Unversehrtheit, deren Verletzung jedoch gegen die Verbote des Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR verstoßen kann.
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3. Grundsätzliches Tötungsverbot. Dem Staat wird durch Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK verboten, jemanden in Ausübung seiner Staatsgewalt „absichtlich“ zu töten, sofern nicht die Voraussetzungen vorliegen, unter denen dies ausnahmsweise zulässig ist. Die Ausnahmen des Absatzes 2 zeigen aber, dass die Verantwortlichkeit des Staates für den Lebensschutz sich nicht nur auf die Verhinderung einer absichtlichen Tötung beschränkt.52 Staatliches Handeln ist auch dann an der Pflicht zur Achtung des Lebens zu messen, wenn es unbeabsichtigt zum Tod eines Menschen geführt hat. Entsprechend dem Schutzzweck des Absatzes 1 Satz 1 sind die Ausnahmefälle des Absatzes 2 auch als Maßstab dafür heranzuziehen, ob eine von den Staatsorganen bei der Anwendung von Gewalt nicht beabsichtigte Tötung gegen die Verpflichtung des Staates zum Lebensschutz verstößt.53 Diese Pflicht ist verletzt, wenn die handelnden Staatsorgane nicht alle nach der Sach16 lage erdenklich möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer Tötung getroffen haben,54 diese also zur Durchsetzung der dort genannten Zwecke nicht unbedingt erforderlich gewesen wären.55 Die handelnden Staatsorgane müssen bei der Wahl der Mittel und Methoden des Einsatzes alle ihnen nach der Lage möglichen Vorkehrungen treffen, um das Risiko eines Verlustes von Menschenleben auszuschließen oder zumindest möglichst gering zu halten. Dabei sind die Gefährdung unbeteiligter Dritter56 und die von dem Täter selbst ausgehenden Gefahren zu berücksichtigen.57 Andererseits verletzt aber nicht jede Verursachung des Todes eines Menschen die 17 staatliche Fürsorgepflicht ,58 vor allem nicht eine unbeabsichtigte und nach den Umständen auch nicht vorhersehbare und vermeidbare Tötung. Für die Abgrenzung sind immer nur die Verhältnisse des Einzelfalls maßgebend, so wie sie von den staatlichen Organen im Zeitpunkt des Einsatzes aus guten Gründen angenommen werden durften,59
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BVerfGE 6 441; Meyer-Goßner 1; Morvay ZaöRV 21 (1961) 317. EGMR S.C.C./S (E), 15.2.2000, ÖJZ 2000 911 = InfAuslR 2000 421 (Ausweisung eines Aids-Kranken nach Sambia). Zur missglückten Formulierung und zum Zusammenhang des Verbots der absichtlichen Tötung mit der Todesstrafe vgl. Frowein/Peukert 10. Esser 103; vgl. Frister GA 1985 560, auch zum nicht auf die Absicht beschränkten Begriff „intention“ im englischen Recht. Für die Auslegung ist der durch die Ausnahmen des Absatzes 2 verdeutlichte Schutzzweck heranzuziehen und nicht etwa Abgrenzungen der innerdeutschen Strafrechtsdogmatik. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); (GK) Salman/TRK (Fn. 35); Esser 103; Frowein/Peukert 1; IK-EMRK/Lagodny 13; Meyer-Ladewig 9. Vgl. etwa EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35), dazu auch Frowein/
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Peukert 5 in Kritik an einer auf die Absicht abstellenden Entscheidung der EKMR. Vgl. EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35). EGMR Ergi/TRK, 28.7.1998, Rep. 1998-IV; (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); Esser 103. Vgl. auch EGMR Huohvanainen/FIN, 13.3.2007 (unbeabsichtigte Tötung eines Mannes, der trotz mehrfacher Warnung den Beschuss von Polizeibeamten fortsetzte; kein Verstoß); dagegen: EGMR Juozaitiene u. Bikulcius/LIT, 24.4.2008 (Tötung der Insassen eines unkontrolliert fahrenden Autos; keine konkrete Gefährdung anderer Personen; Verstoß). Vgl. EGMR Andronicou u. Constantinou/ ZYP, 9.10.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 674; Frowein/Peukert 5, 7. Maßgebend ist die Beurteilung ex ante; den Einsatzkräften wird insoweit eine durch die Augenblickssituation bedingte Einschätzungsprärogative zuerkannt, vgl. etwa EGMR Bubbins/UK, 17.3.2005, ECHR 2005-II, §§ 138 ff.; Esser 103 ff.
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auch wenn sie sich dann später als unzutreffend herausstellten. Im Übrigen muss differenziert werden: Unter dem Blickwinkel des positiven (direkten) Handelns der Staatsorgane liegt kein Konventionsverstoß vor, wenn der durch ein Staatsorgan verursachte Tod eines Menschen weder absichtlich herbeigeführt oder als mögliche Folge des Einsatzes von Gewalt, also des Gebrauchs staatlicher Zwangsmittel, insbesondere von Schusswaffen, in Kauf genommen wurde oder sonst auf einem die Verpflichtung zum Lebensschutz bewusst hintansetzenden staatlichen Handeln beruht.60 Unter dem Blickwinkel der ungenügenden Schutzvorkehrungen des Staates aber kommt es darauf an, ob eine bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vermeidbare Fehlbeurteilung der staatlichen Organe oder ungenügende Planung oder Durchführung des staatlichen Eingriffs für die Tötung mitverantwortlich war, nicht so sehr auf die Tötungsabsicht des unmittelbar Handelnden. Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen von Friedens- und Militäreinsätzen,61 bei 18 denen stets auf das Leben von Zivilisten Rücksicht zu nehmen ist. Tötungshandlungen von Soldaten an Zivilisten sind zu vermeiden, sonstigen drohenden Menschenrechtsverletzungen ist – in den Grenzen der staatlichen Schutzpflicht (vgl. Rn. 21 ff.) – entgegenzuwirken.62 Art. 6 Abs. 1 Satz 3 IPBPR beschränkt sich – anders als Art. 2 EMRK – darauf, jede 19 „willkürliche“, also nicht mit dem jeweiligen Recht in Einklang stehende,63 unberechenbare und sachlich unangemessene (unverhältnismäßige) Tötung zu verbieten.64 Die Tötung muss nicht notwendig absichtlich sein, auch eine nur bedingt vorsätzliche oder fahrlässige Herbeiführung des Todes durch die Träger der Staatsgewalt kann unter Umständen „willkürlich“ sein,65 vor allem, wenn eine mögliche vorherige Aufklärung der Lage unterblieben ist oder wenn sie auf einer inneren Einstellung beruht, die das Lebensrecht anderer gering achtet. Ob Willkür vorliegt, bleibt aber immer der Bewertung des Einzelfalls überlassen.66 Ein Ausnahmekatalog, der ähnlich wie bei Art. 2 EMRK die Fälle aufzählt, in denen eine zur Erreichung der dort angeführten Zwecke unbedingt erforderliche Tötung mit der Konvention vereinbar ist, wurde in Art. 6 IPBPR bewusst nicht aufgenommen. Jedoch dürfte in den Fällen, in denen Art. 2 EMRK eine Tötung nicht als konventionswidrig ansieht, in der Regel auch Willkür i.S.d. Art. 6 IPBPR zu verneinen sein.67 Beide Konventionsartikel betreffen trotz ihres allgemein gehaltenen Wortlauts nur 20 Handlungen des Staates und seiner Organe,68 wie der Zusammenhang mit der Todesstrafe und der auf die Ausübung staatlicher Gewalt abstellende Ausnahmekatalog des Art. 2 60 61 62
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Vgl. Partsch 103 unter Hinweis auf die missverständliche (frühere) deutsche Übersetzung. Vertiefend: Wills Protecting Civilians – The Obligation of Peacekeepers (2009). EGMR Isayeva/R (Fn. 42); Khashiyev u. Akayeva/R, 24.2.2005, EuGRZ 2006 47 (Tschetschenien-Konflikt); hierzu: Irmscher EuGRZ 2006 11; siehe ferner Art. 51 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I). Der Mangel an scharfen Konturen wirft vor allem bei unterschiedlichen Wertmaßstäben in den einzelnen Staaten und bei zu groß-
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zügigen nationalen Regelungen Probleme auf; vgl. Nowak 15; ferner zur Lösung über die Schutzpflicht Rn. 21 ff. Zur Entstehungsgeschichte und Auslegung des Begriffs Willkür in einzelnen Fällen Nowak 12 ff. Nowak 12 Fn. 35. Vgl. HRC Suárez de Guerrero/Kolumbien, 31.3.1982, 11/45, EuGRZ 1982 340; HRC EuGRZ 1985 563 (Tötung muss ultima ratio des staatlichen Handelns sein). Hofmann 29; Nowak 14. Partsch 102; Guradze 1; Frowein/Peukert 2; Nowak 12.
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Abs. 2 EMRK zeigen.69 Auch durch Maßnahmen der Gesetzgebung kann der Staat gegen das Tötungsverbot verstoßen, wenn dort die Tötung von Menschen in einem mit den Konventionen nicht zu vereinbarenden Fall vorgesehen ist oder wenn die staatlichen Gesetze das Leben der Bürger nur unzureichend schützen, erst recht, wenn die Tötung durch staatliche Organe bei bestimmten, der Verbrechensbekämpfung dienenden Maßnahmen im voraus durch ein Dekret generell für gerechtfertigt erklärt wird.70
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a) Umfang. Der Staat wird über das grundsätzliche Tötungsverbot hinaus durch Art. 1 Abs. 1 EMRK / Art. 6 Abs. 1 IPBPR verpflichtet, in seinem Hoheitsbereich das Leben aller Menschen durch angemessene Maßnahmen zu schützen.71 Die Schutzpflicht erfasst grundsätzlich den gesamten Bereich des öffentlichen Lebens. Wenn die staatlichen Organe eine echte und unmittelbare Gefährdung des Lebens einer im staatlichen Hoheitsbereich befindlichen Person erkennen oder hätten erkennen müssen, sind sie gehalten, zu deren Schutz alle ihnen möglichen und nach der Sachlage vernünftigerweise vertretbaren Schutzvorkehrungen zu treffen,72 wobei an die staatlichen Organe keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen.73 Die Schutzpflicht erfordert ein Eingreifen staatlicher Exekutivorgane, wenn das Leben eines Menschen durch einen anderen unmittelbar ernsthaft bedroht ist, und setzt voraus, dass allgemeine und adäquate gesetzliche Regelungen einschließlich solcher der Strafverfolgung und Strafvollstreckung das Leben aller Personen ausreichend und effektiv schützen.74 Die Schutzpflicht des Staates kann auch erfordern, dass er bei einer erkannten ernsthaften Gefahr die Betroffenen ausreichend informiert oder warnt.75 Im Rahmen von Friedens- und Militäreinsätzen ist das Leben von Zivilisten auch vor 22 privaten Übergriffen zu schützen;76 dies gilt schon für das Stadium der Planung solcher Einsätze.77 69
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Wohl auch die Entstehungsgeschichte, vgl. Partsch 102, strittig, a.A. etwa Frister GA 1985 553. HRC Suárez de Guerrero/Kolumbien (Fn. 66); dazu Nowak 15. EGMR (GK) Mastromatteo/I, 24.10.2002, ECHR 2002-VIII = NJW 2003 3259, m.w.N.; ferner etwa (GK) Osman/UK (Fn. 44); Esser 108 ff.; Frowein/Peukert 2; IK-EMRK/Lagodny 9; Meyer-Ladewig 9. Vgl. zur Schutzpflichtdogmatik Grabenwarter § 19, 11–13. Z.B. EGMR Maiorano u.a./I, 15.12.2009 (keine Aufhebung des offenen Vollzugs, obwohl gesicherte Kontaktaufnahme des Strafgefangenen mit ehemaliger krimineller Szene); Pas¸a u. Erkan Erol/TRK, 12.12.2006 (unzureichende Sicherheitsvorkehrungen um ein vermintes Gebiet, das Dorfbewohnern als Weideland diente); Kontrová/SLO, 31.5.2007 (ungenügende Maßnahmen der Polizei zum Schutz der Kinder der Bf., die schließlich von ihrem Vater getötet wurden).
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EGMR (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71); (GK) Osman/UK (Fn. 44); Akkoc/TRK, 10.10. 2000, ECHR 2000-X; Meyer-Ladewig 9. Vgl. Grabenwarter § 20, 13. Vgl. EGMR L.C.B./UK (Fn. 44; verneinend für erkrankte Tochter eines Armeeangehörigen im Zusammenhang mit Nukleartests, abweisend, weil innerstaatliche Erkundigungspflicht nicht beachtet); vgl. auch EGMR McGinley u. Egan/UK, 9.6.1998, Rep. 1998-III = ÖJZ 1999 335. Vgl. allgemein: EGMR Isayeva/R (Fn. 42); Khashiyev u. Akayeva/R (Fn. 62); zu diesen den Tschetschenien-Konflikt betreffenden Entscheidungen: Irmscher EuGRZ 2006 11; siehe ferner Art. 51 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I). EGMR Abuyeva u.a./R, 2.12.2010 (russische Militäraktion gegen tschetschenische Rebellen; Tötung unbeteiligter Zivilisten während Bombardements).
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Im öffentlichen und privaten Gesundheitswesen ist der Staat verpflichtet, durch ent- 23 sprechende Vorschriften dafür zu sorgen, dass insbesondere die Krankenhäuser angemessene Maßnahmen zum Schutz des Lebens ihrer Patienten treffen78 und Todesursachen – ggf. von einer unabhängigen Stelle – gründlich und effektiv ermittelt werden.79 Selbst wenn der durch ärztliche Fehler betroffene Patient überlebt, muss der Staat bei lebensgefährlichen Situationen wie bei einer HIV-Infizierung schnell und effektiv die Ursachen ermitteln und einen angemessenen Schadensersatz zusprechen. Unterlässt der Staat dies und dauert vor allem das Verfahren zu lange, kann darin ein Verstoß gegen Art. 2 EMRK liegen.80 Für ärztliche Kunstfehler oder mangelnde Koordination zwischen den Ärzten ist der Staat allerdings nicht verantwortlich, wenn er durch allgemeine Regelungen die ausreichende Sachkunde der Ärzte sichergestellt hat.81 Ein Recht auf kostenlose Versorgung mit Medikamenten82 oder auf Ersatz der Schäden einer ordnungsgemäß durchgeführten Impfung83 gewährleisten die Konventionen nicht, ebenso wenig einen lückenlosen und unbegrenzten rechtlichen Schutz des Lebens vor jeder Gefahrenlage.84 Der Staat kann auch verpflichtet sein, Schutzmaßnahmen vor lebensgefährdenden 24 Umweltschäden zu ergreifen.85 Zu den erforderlichen Maßnahmen kann die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der einen wirksamen Schutz der Öffentlichkeit gewährleistet und dessen Einhaltung überwacht wird, ebenso wie die ausreichende Information der Bürger zählen. Das Justizwesen muss so beschaffen sein, dass die Durchführung einer unabhängigen und unparteilichen Untersuchung, die bestimmte Mindeststandards erfüllt und die die Ahndung von Verstößen ermöglicht, sichergestellt ist. b) Ein Mindestmaß allgemeiner gesetzlicher Regelungen, die das Leben des Einzelnen 25 wirksam vor allen Eingriffen Dritter schützen, ist unerlässlich.86 Wegen der Bedeutung des Schutzguts sind vorrangig formelle Gesetze erforderlich,87 von der jeweiligen Rechts-
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EGMR (GK) Calvelli u. Ciglio/I, 17.1.2002, ECHR 2002-I = ÖJZ 2003 307; Oyal/TRK, 23.3.2010 (Schadensersatzpflicht des Staates bei Infektion eines Neugeborenen mit HIV durch Bluttranfusion im staatlichen Krankenhaus); Meyer-Ladewig 15. EGMR (GK) Vo/F (Fn. 26); vgl. Meyer-Ladewig 15. EGMR Oyal/TRK (Fn. 78) (Infizierung eines Säuglings bei Bluttransfusion mit HI-Virus; Verfahrensdauer 9,5 Jahre; Verstoß gegen Art. 2 EMRK; weiterer Verstoß darin, dass das Gericht nicht lebenslange medizinische Versorgung zugesprochen hatte). EGMR Powell/UK (E), 4.5.2000, ECHR 2000-V; Meyer-Ladewig 8. Die EKMR hat dies zunächst offen gelassen, später aber verneint (vgl. IK-EMRK/Lagodny 15, 16); KK-EMRK-GG/Alleweldt 104. EKMR nach Frowein/Peukert 6; MeyerLadewig 7. Vgl. Frowein/Peukert 7; IK-EMRK/Lagodny 15. Zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG vgl. etwa BVerfGE 46 164; 53 57; 56 73; 121 317, 356.
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EGMR (GK) Öneryildiz/TRK, 30.11.2004, ECHR 2004-XII (Methangasexplosion auf einer Mülldeponie; Tötung von Bewohnern einer Siedlung in der Nähe der Deponie; Untätigkeit der Behörden in Kenntnis, dass die Mülldeponie nicht den Sicherheitsvorschriften entsprach); siehe auch: EGMR Budayeva u.a./R, 20.3.2008 (keine Schutzmaßnahmen und keine Warnung der Bevölkerung vor akuter Erdrutschgefahr); siehe auch Meyer-Ladewig 13; KK-EMRK-GG/ Alleweldt 100. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); L.C.B./UK (Fn. 44); Esser 108; Nowak 4; vgl. Frowein/Peukert 2; Grabenwarter § 19, 11 (zur Schutzpflichtdogmatik); a.A. Guradze 1 (Art. 2 EMRK erzwinge überhaupt keine staatliche Gesetzgebung außer derjenigen, die die staatlichen Eingriffe in das Leben beschränkt). So wohl Nowak 4; zum Gesetzesbegriff der Konventionen Nowak Art. 12, 25 bis 27.
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ordnung allgemein anerkannte und bekannte Sätze des Gewohnheitsrechts (wie im Geltungsbereich des common law) können jedoch ebenfalls genügen, wenn sie einen effektiven Schutz des Lebens gewährleisten. Grundsätzlich bleibt es dem weitgespannten Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen, welche gesetzlichen Bestimmungen sie unter den jeweils gegebenen Umständen zu diesem Zweck für erforderlich halten. Abgesehen vom ausdrücklichen Verbot einer willkürlichen Tötung in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 IPBPR88 und von den festgelegten Ausnahmen, in denen die Konventionen zulässige staatliche Eingriffe in das Recht auf Leben hinnehmen, enthalten diese keine besonderen materiellen Vorgaben für Ausmaß und Inhalt der erforderlichen staatlichen Regelungen. Notwendig sind Strafvorschriften, welche die absichtliche Tötung mit einer der 26 Schwere des Eingriffs angemessenen Strafe bedrohen und andererseits aber auch dem Betroffenen selbst die Abwehr eines lebensbedrohenden Angriffs gestatten. Der EGMR verlangt einen wirksamen Schutz durch die Strafgerichte und durch abschreckend wirkende Strafen allerdings nur bei vorsätzlichen Verletzungen des Rechts auf Leben.89 Bei nicht vorsätzlichen Verletzungen kann der Staat seiner Schutzpflicht schon dadurch genügen, dass er den Weg zu den Zivil- oder Verwaltungsgerichten eröffnet, wenn also gegen sonstige Gefährdungen des Lebens und der persönlichen Integrität zumindest ziviloder verwaltungsgerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann.90 Eine strafrechtliche Ahndung ist dann nicht erforderlich.91 Grundsätzlich hängt es von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles und der konkreten Gefahrenlage im jeweiligen Land ab, ob und welche Rechtsvorschriften ein Staat erlassen muss, um jenseits eines weiten Ermessensfreiraums seine Pflicht zum Lebensschutz in dem dafür unerlässlichen Mindestumfang zu erfüllen.92 Eine Amnestie, die auch Mordtaten mit einschließt, ist nur dann mit Art. 2 EMRK 27 vereinbar, sofern sie auf besonderen Gründen beruht und nicht etwa das Ziel hat, die Bestrafung solcher Taten allgemein zu verhindern.93
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c) Das Handeln aller Staatsorgane wird von der Pflicht zum Lebensschutz umfasst. Der Staat darf sich nicht damit begnügen, dass seine Rechtsordnung das Leben entsprechend den Anforderungen der Konventionen schützt und dass jede Gewaltanwendung auf das unbedingt Erforderliche beschränkt bleibt. Er hat dafür einzustehen, dass alle seine Organe sich so verhalten, dass diese Gewährleistungen jederzeit für jedermann auch tatsächlich verwirklicht werden.94 Zu konventionswidrigen Verletzungen des Lebens darf
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Die EMRK lässt ebenfalls keine willkürliche Tötung zu, auch wenn sie dies nicht besonders ausspricht. EGMR (GK) Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 36); (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71); Meyer-Ladewig 9; Nowak 4; vgl. Esser 108 ff., der darauf hinweist, dass Maßnahmen des Staates zum strafprozessualen Lebensschutz in den durch die von den Konventionen ebenfalls garantierten Beschuldigtenrechten eine Schranke finden können. EGMR (GK) Calvelli u. Ciglio/I (Fn. 78); (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71, je m.w.N.); Grabenwarter § 20, 16; Meyer-Ladewig 9. EGMR (GK) Vo/F (Fn. 26; Straflosigkeit eines Arztes, der fahrlässig einen Embryo
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getötet hatte; keine Verletzung von Art. 2 EMRK). Nowak 4. EGMR Ali u. Ayse Duran/TRK, 8.4.2008 (Suspendierung einer Gefängnisstrafe wegen Körperverletzung im Amt als Verstoß gegen Art. 2 EMRK); Frowein/Peukert 7 (zur früheren EKMR); vgl. zur Vereinbarkeit von Amnestien mit menschenrechtlichen Schutzpflichten die Studie von Mallinder Amnesty, Human Rights and Political Transitions (2008) – mit umfangreicher Datendokumentation. EGMR Mansuroglu/TRK, 26.2.2008; Evrim Öktem/TRK, 4.11.2008.
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von Staats wegen weder direkt noch indirekt aufgefordert werden; der Staat darf solche Verletzungen auch nicht sanktionslos dulden. Er muss seinen Regierungsapparat und alle Institutionen und Personen, durch die öffentliche Gewalt ausgeübt wird, so organisieren, dass das Recht auf Leben unterschiedslos für alle Menschen gesichert wird. Staatliche Eingriffe in das Leben sind an so enge konventionsgemäße Voraussetzungen zu binden, dass sie strikt auf Ausnahmesituationen begrenzt bleiben.95 Ihre strikte Einhaltung muss so kontrollierbar sein, dass jeder Willkür staatlicher Organe entgegengewirkt und jede direkte oder indirekte Beteiligung staatlicher Stellen aufgeklärt werden kann.96 Dies gilt auch für den Einsatz von Freiwilligen in polizeiähnlicher Funktion.97 Der Staat muss ferner angemessen dafür sorgen, dass die Menschen in seinem Herrschaftsbereich auch vor Angriffen Dritter auf ihr Leben geschützt sind und Angriffe auf das Leben von Amts wegen mit Nachdruck verfolgt werden. Dazu gehört auch ein unabhängiges und effektives Gerichtssystem, dessen Schutz bei Angriffen auf das Leben von jedermann angerufen werden kann und vor dem auch Verstöße staatlicher Stellen gegen ihre Pflicht zum Lebensschutz verfolgt und gegebenenfalls durch angemessene Maßnahmen geahndet werden können.98 Die Schutzpflicht des Staates kann auch präventive Maßnahmen zum Lebensschutz für eine bestimmte Person umfassen,99 so etwa, wenn die Behörden erkennen oder erkennen müssten, dass das Leben eines Menschen unmittelbar und ernsthaft bedroht ist.100 Die Konventionen geben aber weder ein Recht auf individuellen Schutz vor Terrorakten101 noch auf zeitlich unbegrenzten Polizeischutz nach einem Attentat.102 In der Auslieferung oder Abschiebung einer Person in einen Staat, in dem erkennbar das Leben des Ausgelieferten schwerwiegend und ernsthaft gefährdet ist, kann je nach den konkreten Umständen auch eine Verletzung der dem Staat nach Art. 2 EMRK obliegenden Schutzpflicht liegen.103 Die Auslieferung ist unzulässig, wenn der ersuchende Staat nicht in der Lage ist, in seinem Hoheitsgebiet die betroffene Person vor zu befürchtenden Anschlägen auf ihr Leben einer gewaltbereiten, bandenmäßig vorgehenden, kriminellen Tätergruppe zu schützen.104
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EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); (GK) Salman/TRK (Fn. 35). Das HRC fordert „strikte Eingrenzung“, vgl. HRC Suárez de Guerrero/Kolumbien (Fn. 66); Baboeram-Adhin/Surinam, 4.4.1985, 146/1983, EuGRZ 1985 563. Eine zu weit gefasste gesetzliche Ermächtigung, die den Eingriff in das Leben dem Ermessen staatlicher Exekutivorgane überlässt, kann die staatliche Schutzpflicht verletzen; vgl. Nowak 15. EGMR Acar u.a./TRK, 24.5.2005, § 84 (Tötung durch sog. „Dorfwachen“). EGMR (GK) Calvelli & Ciglio/I (Fn. 78); (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71, m.w.N.); vertiefend: Seibert-Fohr Prosecuting Serious Human Rights Violations (2009). Esser 108; Grabenwarter § 20, 15; MeyerLadewig 11. Vgl. EGMR Akkoc/TRK (Fn. 73); Koku/ TRK (Fn. 45); Osmanog˘lu/TRK (Fn. 45);
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siehe auch: EGMR Gongadze/UKR, 8.11.2005, ECHR 2005-XI = NJW 2007 895 (Unterlassen staatlicher Schutzmaßnahmen für einen Regimekritiker, der den Generalprokurator auf seine bedrohliche Lage hingewiesen hatte). Vgl. auch MeyerLadewig 9. EGMR (GK) Osman/UK (Fn. 44); Frowein/ Peukert 7; IK-EMRK/Lagodny 15 (EKMR für Nordirland). Frowein/Peukert 7; IK-EMRK/Lagodny 15. Der EGMR prüft diese Fragen meist gemeinsam mit Art. 3 EMRK, vgl. EGMR D./UK, 2.5.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 354 = NVwZ 1998 161; S.C.C./S (E) (Fn. 51). Vgl. Art. 3 EMRK Rn. 35. OLG Düsseldorf NStZ 2006 692 = StV 2007 143 (in einem deutschen Zeugenschutzprogramm befindlicher Verfolgter; Art. 3 EMRK anstelle von Art. 2 EMRK angeführt).
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d) Die schnelle und effektive Aufklärung der Ursachen einer Tötung durch Gewalteinwirkung gehört zu den Schutzpflichten des Staates. Sobald seine zuständigen Organe von einer Tötung Kenntnis erhalten, müssen sie deren nähere Umstände und die daran beteiligten Personen von Amts wegen und unverzüglich erforschen,105 unabhängig davon, ob Privatpersonen deswegen eine Anzeige erstattet haben.106 Der Staat verletzt seine Schutzpflicht, wenn er nicht mit dem erforderlichen Nachdruck versucht, eine Tötung durch eine mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattete unabhängige107 öffentliche Stelle108 aufzuklären, um ggf. – auch im Interesse der Generalprävention – die Verantwortlichen zu bestrafen;109 die alleinige Untersuchung durch eine private Stelle genügt diesen Anforderungen nicht, auch wenn sich die staatlichen Stellen später deren Ergebnisse zu eigen machen sollten.110 Diese Aufklärungspflicht besteht auch bei einer versuchten Tötung, zumindest, wenn sie zu erheblichen Verletzungen geführt hat, und vor allem auch dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass staatliche Organe daran beteiligt waren.111 Dieser Aufklärungspflicht wird nicht Genüge getan, wenn Polizeibeamte derselben Abteilung an der Untersuchung beteiligt sind, zu der auch der Polizeibeamte
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EGMR Hugh Jordan/UK, 4.5.2001, ECHR 2001-III; Ceyhan Demir u.a./TRK, 13.1.2005; Byrzykowski/PL, 27.6.2006; Rantsev/ZYP u. R (Fn. 46) (Zusammenarbeit zweier Staaten bei der Aufklärung einer Todesursache; eine Verletzung des Art. 2 EMRK wurde nur bei Zypern angenommen, in dessen Zuständigkeitsbereich die Todesaufklärung einer russischen Staatsbürgerin fiel, nicht jedoch bei Russland, das mit Zypern zusammengearbeitet hatte und mehrfach weitergehende Maßnahmen von Zypern gefordert hatte); Meyer-Ladewig 7, 25; KK-EMRK-GG/Alleweldt 105 ff.; zur richterlichen Aufklärungspflicht in Todesfällen vgl. BGH NStZ 2010 407 („Ouri Jallow“). Siehe auch HRC Eshonov/Usbekistan, 18.8.2010, 1225/2003 (Zur Klärung der Todesursache muss Leichnam notfalls exhumiert werden, um eine Autopsie durchführen zu können. Angehörige des Gestorbenen müssen über die Ermittlungen und Erkenntnisse informiert werden). Vgl. Esser 105 m.w.N. EGMR Finucane/UK, 1.7.2003, ECHR 2003-VIII, §§ 68 f.; (GK) Ramsahai u.a./NL, 15.5.2007, ECHR 2007-II, §§ 333 ff.; Brecknell/UK, 27.11.2007. EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); ferner etwa Esser 105 mit Hinweisen auf EGMR Gülec/TRK, 27.7.1998, Rep. 1998-IV; Kaya/TRK, 19.2.1998, Rep. 1998-I. Vgl. etwa EGMR Yasa/TRK (Fn. 40); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); (GK) ZYP/TRK, 10.5.2001, ECHR 2001-IV; Feyzi Yildirim/
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TRK, 19.7.2007, ECHR 2007-IX, §§ 74 ff.; Goncharuk/R, 4.10.2007; Dzieciak/PL, 9.12.2008; siehe auch: EGMR (GK) Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 36); und HRC Baumgarten/D (Fn. 36); Meyer-Ladewig 20. Vgl. hierzu auch BVerfG Beschl. v. 4.2.2010, 2 BvR 2307/06 (Klageerzwingungsverfahren zur Wiederaufnahme eingestellter Ermittlungen; Bf. machte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR geltend, dass sich aus der aufgrund Art. 2 Abs. 2 GG bestehenden Schutzpflicht für das Leben eine staatliche Ermittlungspflicht bei ungeklärten Todesfällen ergebe. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wurde abgelehnt; bereits durchgeführte Ermittlungen genügten der staatlichen Schutzpflicht). Anders EGMR Agache u.a./RUM, 20.10.2009 (Verletzung des Art. 2 EMRK; zu lange Verfahrensdauer; ungenügende Ermittlung; Ermittlungsverfahren ruhte 2 Jahre 6 Monate, es wurden zu wenige Zeugen vernommen, Beweise nicht adäquat gesichert); HRC Pestano/Philippinen, 11.5.2010, 1619/2007 (Behauptung, Staat sei nicht direkt an der der Verletzung von Art. 6 IPBPR beteiligt, nicht ausreichend). Esser 105; Grabenwarter § 20, 15 mit Hinweis auf die fehlenden Zwangsbefugnisse und auf EGMR Edwards/UK 14.3.2002, ECHR 2002-II. EGMR Ergi/TRK (Fn. 57); Luluyev u.a./R, 9.11.2006, ECHR 2006-XIII, § 90; Esser 106; Meyer-Ladewig 20.
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Recht auf Leben
Art. 6 IPBPR
gehört, der einer Straftat verdächtig ist oder der gar schon als Beschuldigter gilt, da in diesem Fall die Unabhängigkeit und Effektivität der Aufklärung gefährdet erscheint.112 Die Untersuchung muss über die Aufklärung des Tathergangs hinaus um die Feststel- 34 lung aller für die Tötung Verantwortlichen ernsthaft bemüht sein, so dass diese ermittelt und dann entsprechend ihrem Verschulden verurteilt und ggf. bestraft werden können.113 Die zuständige Stelle muss – ungehindert durch andere staatliche Einrichtungen – die Tat und deren genauen Hergang alsbald und gründlich erforschen und dabei alle erreichbaren Zeugen ungehindert befragen und alle sonstigen Ermittlungsmöglichkeiten ausschöpfen können. Geboten ist in der Regel eine Autopsie des Getöteten durch forensische Spezialisten mit einer genauen Dokumentation der Befunde.114 Bei der Tötung im Rahmen eines Polizei- oder Militäreinsatzes muss sich die Unter- 35 suchung auch auf Örtlichkeit und Planung dieses Einsatzes erstrecken.115 Dies muss nicht zwingend in einem Strafverfahren geschehen, auch eine andere offizielle staatliche Untersuchung kann dafür genügen (z.B. parlamentarische Untersuchungsausschüsse oder Militäreinrichtungen), sofern die damit befasste Stelle die gebotenen Untersuchungen mit der unerlässlichen Unabhängigkeit von den für den Einsatz verantwortlichen Stellen und ungehindert durch diese oder andere Stellen durchführen kann.116 Die Untersuchung ist in einem angemessenen Zeitrahmen zu beenden. Zumindest die 36 Ergebnisse der Untersuchung müssen der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.117 Die nahen Angehörigen des Getöteten – bei einer versuchten Tötung auch das Opfer selbst – haben ein Recht, über die Ermittlungsergebnisse ausreichend unterrichtet zu werden.118 Sie müssen am Verfahren beteiligt werden und ausreichenden Zugang zu den Verfahrensakten haben.119 Dies ist auch eine Voraussetzung für ihr Recht, wegen einer dem Staat zuzurechnenden Tötung oder wegen der Verletzung seiner Pflicht zum Lebensschutz eine wirksame Beschwerde i.S.d. Art. 13 EMRK erheben zu können.120 e) Eine gesteigerte Verantwortung für das Leben trifft den Staat bei Personen im 37 staatlichen Gewahrsam, vor allem gegenüber Straf- und Untersuchungsgefangenen und vorläufig festgenommenen Personen,121 sowie gegenüber Soldaten.122 Der Staat muss 112
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EGMR Mizigarova/SLO, 14.12.2010 (zum Tode führende Schussverletzung während eines polizeilichen Verhörs). EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35), m.w.N.; Grabenwarter § 20, 15; Meyer-Ladewig 21. EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); (GK) Salman/TRK (Fn. 35); vgl. auch EGMR Eugenia Lazár/RUM, 16.2.2010 (keine effektive Aufklärung der Todesursache von Patienten in medizinischen Einrichtungen). EGMR Ergi/TRK (Fn. 57); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); Esser 106. Insbesondere in den zahlreichen Verfahren von Opfern russischer Militäreinsätze in Tschetschenien vor dem EGMR kommt der Verletzung der staatlichen Pflicht zu einer schnellen und effektiven Aufklärung besondere Bedeutung zu, vgl. zuletzt EGMR Betayev u. Betayeva/R, 29.5.2008; Gekhayeva u.a./R, 29.5.2008; Ibragimov u.a./R, 29.5.2008; Sangariyeva
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den Schutz des Lebens dieser Personen durch eine angemessene Gestaltung ihrer Lebensbedingungen einschließlich einer ausreichenden ärztlichen Versorgung sicherstellen, dazu gehören auch Vorkehrungen gegen eine erkennbare Gefährdung durch andere Gefangene oder gegen Selbstmord.123 So muss auch die Einnahme verschriebener Medikamente beaufsichtigt werden, damit der Gefangene nicht die Möglichkeit hat, durch eine Überdosis Selbstmord zu begehen.124 Allerdings ist der Staat nicht für fehlende Schutzmaßnahmen verantwortlich, wenn kein Anhaltspunkt für eine Suizidgefahr des Inhaftierten vorliegt.125 An einer Geistesstörung leidende Häftlinge dürfen in der Regel nicht in einem normalen Gefängnis untergebracht werden, sondern müssen in eine psychiatrische Anstalt oder eine speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Einrichtung eingewiesen werden.126 Darüber hinaus muss auch die Effektivität der psychiatrischen Behandlung sichergestellt werden.127 Beim Tod eines Inhaftierten trägt der Staat darüber hinaus die Beweislast dafür, dass 38 er alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens getroffen hat.128 Die Pflicht des Staates, durch zureichende Vorschriften und Kontrollen für diesen Schutz zu sorgen und allen ihm bekannt werdenden Verstößen unverzüglich nachzugehen, sie aufzuklären und ggf. angemessen zu bestrafen, gilt uneingeschränkt auch hier.129 Andererseits erwächst aus Art. 2 EMRK aber auch eine Schutzpflicht des Staates 39 gegenüber der Gesellschaft, wenn wegen Gewalttaten inhaftierte Straftäter zum Zwecke ihrer Resozialisierung in den offenen Strafvollzug übernommen, beurlaubt oder vorzeitig entlassen werden. Die für die Lockerung der Strafvollzugsmaßnahmen verantwortlichen Stellen müssen mit der gebotenen Sorgfalt aufgrund aller ihnen bekannten und der für sie erkennbaren Umstände prüfen, ob durch die beabsichtigten Maßnahmen das Leben anderer Personen unmittelbar gefährdet werden kann, bevor sie eine solche Maßnahme bewilligen.130 Zur Erfüllung seiner Schutzpflicht aus Art. 2 EMRK / Art. 6 IPBPR gegenüber Festge40 nommenen und Inhaftierten muss ein Staat angemessene Maßnahmen treffen, um ein
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EGMR Renolde/F, 16.10.2008, § 83 (Überwachung der täglichen Medikamentenration); Keenan/UK, 3.4.2001, ECHR 2001-III; Tanribilir/TRK, 6.11.2000; Dzieciak/P (Fn. 109); Lütfi Demirci u.a./ TRK, 2.3.2010 (Selbstmord eines Soldaten mit bekannten psychischen Problemen während seines Militärdienstes); IK-EMRK/ Lagodny 15, BVerfG Beschl. v. 9.3.2010 – 2 BvR 3012/09 (Gebot, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, erreicht seine Grenze, wenn der Gesundheitszustand des Verurteilten ernsthaft befürchten lässt, dass dieser die Durchführung der Strafvollstreckung nicht überleben wird); Grabenwarter § 20, 15; Meyer-Ladewig 18. Ebenso bei Angehörigen der Streitkräfte: EGMR Kilinc u.a./TRK, 7.6.2005; Abdullah Yilmaz/TRK (Fn. 122); Jasinskis/LIT, 21.12.2010, ECHR 2010. EGMR Jasinska/PL, 1.6.2010 (Selbstmord durch Medikamenteneinnahme).
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EGMR Yigit u.a./TRK, 9.11.2010 (Selbstmord eines türkischen Militärdienstleistenden, der angegeben hatte, physisch und psychisch gesund zu sein, tatsächlich aber unter schweren Depressionen litt). EGMR Renolde/F (Fn. 123), §§ 95–97; Rivière/F, 11.7.2006, §§ 71–72. EGMR Branko Tomasic u.a./KRO, 15.1.2009. EGMR Anguelova/BUL, 13.6.2002, ECHR 2002-IV; vgl. auch HRC Telitsina/R, 29.4.2004, 888/1999; siehe Kälin/Künzli 327. EGMR Akdeniz u.a./TRK, 31.5.2001; (GK) Salman/TRK (Fn. 35); Taïs/F, 1.6.2006; Bazorkina/R, 27.7.2006. Vgl. Nowak EuGRZ 1983 15; IAGMR EuGRZ 1989 157. EGMR (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71, Verletzung der Sorgfaltspflicht verneinend).
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Recht auf Leben
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Verschwinden(lassen) von Personen zu verhindern und sich um effektive Ermittlungen zur Feststellung der dafür Verantwortlichen bemühen.131 Er ist zu Nachforschungen verpflichtet, wenn jemand plausibel („arguable claim“) geltend macht, dass jemand, der zuletzt im Gewahrsam staatlicher Organe gesehen wurde, unauffindbar verschwunden ist, insbesondere wenn es sich dabei um einen nahen Angehörigen handelt.132 Welche Maßnahmen, Kontrollen und sonstige Vorkehrungen die staatlichen Organe im Übrigen zur Erfüllung ihrer Schutzpflicht zu treffen haben, bestimmt sich nach Lage des Einzelfalls.133 f) Entschädigung. Bei einer dem Staat zuzurechnenden schuldhaften Rechtsverletzung 41 sind die Betroffenen (innerstaatlich)134 zu entschädigen.135 Eine verschuldensunabhängige Haftung des Staates folgt daraus aber nicht.136 Die Möglichkeit der Betroffenen, innerstaatlich eine Entschädigung zu erlangen, ersetzt nicht die Verpflichtung des Staates, in Erfüllung seiner Schutzpflicht die für die Tötung Verantwortlichen festzustellen und ggf. zu bestrafen (vgl. Rn. 33).137 5. Verhältnis zwischen Privatpersonen. Das in den nationalen Rechtsordnungen ge- 42 regelte Rechtsverhältnis zwischen Privatpersonen wird durch die Konventionen, die das Leben des Einzelnen im Verhältnis zum Staat schützen sollen, nicht unmittelbar betroffen. Art. 2 EMRK / Art. 6 IPBPR gelten dementsprechend nicht direkt zwischen Privatpersonen138 und entfalten somit im Verhältnis der Bürger untereinander auch keine das Notwehrrecht beschränkende Wirkung.139 Die Pflicht des Staates, das Leben auch im 131
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IAGMR EuGRZ 1987 157; 1989 157; HRC Herreraerrera/Kolumbien, 2.11.1987, 161/1983, EuGRZ 1990 16; EGMR (GK) Varnava u.a./TRK, 18.9.2009, §§ 180 ff. = NJOZ 2011 516 = NVwZ-RR 2011 251 (bestehende Verpflichtung, nach den Vermissten zu suchen und Rechenschaft darüber abzulegen, was mit den Verschwundenen geschehen ist); Dodov/BUL, 17.1.2008, NJW-RR 2009 1394; Osmanog˘lu/TRK (Fn. 45); Medova/R, 15.1.2009. EGMR Merzhuyeva u.a./R, 7.10.2010, §§ 192 ff.; (GK) ZYP/TRK (Fn. 109); Tanis u.a./TRK, 2.8.2005, ECHR 2005-VIII; Ikincisoy/TRK, 27.7.2004; Meyer-Ladewig 20, 34 m.w.N. Vgl. etwa IAGMR EuGRZ 1990 523. Meyer-Ladewig 29 hat Bedenken, wenn in allen Fällen einer ungenügenden staatlichen Ermittlung bereits ein Verstoß gegen Art. 2 EMRK angenommen wird; er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Anforderungen des EGMR an die Nachforschungspflichten innerstaatlich unzureichend untersuchte Fälle betrafen, mit deren eigener Aufklärung der EGMR überfordert gewesen wäre; zur Subsidiarität der Ermittlungen des EGMR vgl. auch MeyerLadewig 30 ff.
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Speziell zu Entschädigungsleistungen des EGMR (Art. 41 EMRK) bei Verurteilungen aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben): Bruckmann Was kostet ein Menschenleben? (2009). EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); Grams/D (E), 5.10.1999, ECHR 1999-VII, NJW 2001 1989; (GK) Salman/TRK (Fn. 35); (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71); IAGMR EuGRZ 1987 157; 1990 523. EGMR (GK) Mastromatteo/I (Fn. 71). EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35) m.w.N. Frowein/Peukert 2; IK-EMRK/Lagodny 84; Krey JZ 1979 707; a.A. Frister GA 1985 553; wegen weiterer Nachweise zum Streitstand vgl. die Kommentare zu §§ 32, 33 StGB; vgl. dazu auch EGMR Colak u. Tsakiridis/D, 5.3.2009, NJW 2010 1865 = EuGRZ 2009 203 (Schadensersatzpflicht des Arztes, der die Klägerin nicht über die AIDS-Infektion ihres Partners informiert hatte; keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 EMRK). Eisele JA 2000 428; ders. JA 2005 902; Lackner/Kühl § 32, 11 StGB; zurückhaltender: Perron FS Eser 1024 f.; Kühl FS Jung 440.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Verhältnis der Privaten untereinander angemessen zu schützen, erfordert aber, dass der Staat als Ausnahme von seinem Gewaltmonopol das Notwehrrecht des Einzelnen regelt (dazu Rn. 53).
6. Ausnahmen vom Schutz des Lebens 43
a) Todesstrafe. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK / Art. 6 Abs. 2 bis 6 IPBPR gehen noch von der Zulässigkeit der nach allgemeinem Völkerrecht bisher nicht vollständig geächteten140 Todesstrafe aus, wobei sie die Verbrechen (Art. 6 Abs. 2 IPBPR: „schwerste Verbrechen“), bei denen sie verhängt werden kann, materiell nicht näher festlegen. Art. 6 Abs. 2 IPBPR fordert als zusätzliches materielles Bewertungskriterium lediglich, dass diese Gesetze nicht seinen sonstigen Bestimmungen sowie der Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermords widersprechen dürfen.141 Der gesetzliche Tatbestand, für den die Todesstrafe angedroht wird, muss also auch aus der Sicht der Werteordnung des IPBPR und bei Berücksichtigung der dort dem Einzelnen garantierten Rechte und Freiheiten als „schwerstes Verbrechen“ einzustufen sein und er darf andererseits nicht ein Ziel verfolgen, das gegen die Konvention gegen den Völkermord verstößt, weil sie Ausdruck einer gegen bestimmte Personengruppen gerichteten Ausrottungspolitik ist. Im Übrigen überlassen die Konventionen die Festlegung der mit Todesstrafe bewehrten Tatbestände dem jeweiligen Staat und stellen nur einige zusätzliche generelle Anforderungen, wie die vorherige gesetzliche Androhung dieser Strafe, auf. Der HRC betont, dass die Verhängung der Todesstrafe aufgrund eines Prozesses, der die Grundsätze des fairen Verfahrens nicht berücksichtigt hat, gegen Art. 6 IPBPR verstößt.142 Wenn allerdings eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lange Freiheitsstrafe stattgefunden hat, liegt kein solcher Verstoß vor.143 Hierbei ist allerdings noch zu differenzieren: Zwar ist eine Freiheitsstrafe im Vergleich zur Vollstreckung eines Todesurteils das geringere Übel. Zum Teil wird die Todesstrafe durch eine lebenslange, zum Teil durch zeitige Freiheitsstrafe ersetzt. Unterschiedlich handhaben die Länder auch die Zeit, die der Täter abzusitzen hat, bevor eine vorzeitige Entlassung erwogen wird. Sie schwankt im internationalen Vergleich zwischen der Hälfte und drei Vierteln der ursprünglich verhängten Strafe. Ein weniger zu befürwortender Trend zeichnet sich dagegen zunehmend in den USA ab. Zwar wurde die Verhängung des Todesurteils prozentual vermindert. Die stattdessen verhängten lebenslangen Freiheitsstrafen hingegen wurden vermehrt von der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung ausgenommen. Solche Tendenzen sind kritisch zu würdigen. Auch lebenslang Einsitzende können sich auf
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Möhrenschlager FS Dünnebier 611; Platz ZaöRV 41 (1981) 345; zur (weitgehenden) Ächtung auf regionaler Ebene in Europa vgl. Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 8, 15 IRG. Vgl. auch die unverbindliche Erklärung in Nr. 17.1 des Kopenhagener Abschlussdokuments über die menschliche Dimension der KSZE vom 29.6.1990, EuGRZ 1990 239. Siehe auch Rosenau ZIS 2006 338, sowie Eisele JA 2005 902 zum Fall Öcalan. Nicht unter den Art. 6 Abs. 2 IPBPR fallen z.B. Drogendelikte, siehe hierzu und zur dennoch praktizierten Todesstrafe: Neu-
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bacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 520 f. HRC Idieva/Tajikistan, 23.4.2009, 1276/ 2004, § 9.7; Siragev/Uzbekistan, 1.11.2005, 907/2000, § 6.4; Isaeva/Uzbekistan, 22.4.2009, 1163/2003, § 9.3; Dunaev/ Tajikistan, 22.4.2009, 1195/2003, § 7.4; Khuseynova u.a./Tajikistan, 30.10.2008, 1264/2004, § 8.6. HRC Sattorova/Tajikistan, 22.4.2009, 1200/2003, § 8.7; Gougnina/Uzbekistan, 13.12.2002, 1141/2002, § 5.6.
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Recht auf Leben
Art. 6 IPBPR
Art. 10 Abs. 3 IPBPR stützen, der neben der Sanktion auch die Resozialisierung der Strafgefangenen postuliert. Weitergehender geregelt ist diese Prämisse nach „Nichtisolation“ auch in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (European Prison Rules) aus dem Jahre 2006. Hier widmet sich ein ganzer Abschnitt (Regeln 107.1 bis 107.5) der allmählichen Wiedereingliederung der langjährigen Gefangenen zurück in ihr Leben in Freiheit.144 Die sonstigen Voraussetzungen und Ausnahmen, die der IPBPR vorsieht (nicht bei Jugendlichen unter 18 Jahren, keine Vollstreckung bei schwangeren Frauen),145 brauchen hier nicht näher erörtert zu werden, da – ebenso wie nach Art. 102 GG – die Todesstrafe durch das 6. ZP-EMRK zur EMRK vom 28.4.1983 in den Staaten, abgeschafft ist, die dem Protokoll beigetreten sind.146 Auch die früher bestehende Ausnahme für Kriegszeiten oder unmittelbare Kriegsgefahr wurde durch das 13. ZP-EMRK vom 3.5.2002, das am 1.7.2003 in Kraft getreten ist, in fast allen Mitgliedstaaten des Europarates beseitigt.147 Der EGMR hat angedeutet, dass mit der Ratifikation des 6. ZP-EMRK durch fast alle Vertragsstaaten die Todesstrafe als unzulässige Form der Strafe anzusehen ist, die nicht mehr mit Art. 2 EMRK vereinbar ist.148 Das 2. FP-IPBPR149 verpflichtet die ihm beigetretenen Staaten ebenfalls, keine ihrer Hoheitsgewalt unterstehende Person hinzurichten und die erforderlichen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe zu ergreifen. Es lässt einen Vorbehalt zu, der bei Verurteilungen wegen schwerer militärischer Verbrechen in Kriegszeiten die Todesstrafe gestattet. Die Auslieferung in ein Land, das wegen der dem Auszuliefernden zur Last gelegten Taten noch die Todesstrafe wegen des Verbrechens des Auszuliefernden vorsieht, wird durch Art. 2 EMRK/Art. 6 IPBPR an sich nicht untersagt.150 Jedoch können u.U. wegen besonderer Belastungen, denen ein zum Tode Verurteilter im ersuchenden Staat ausgesetzt ist, Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR der Auslieferung im Einzelfall entgegenstehen.151 Eine Verletzung von Art. 2 EMRK ist durchaus denkbar,152 insbesondere,
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Zum Ganzen Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 522 f. m.w.N. Dazu näher Hofmann 29; Nowak 18 ff.; Kälin/Künzli 312 f.; Neubacher/Bachmann/ Goeck ZIS 2011 517 ff. Das 6. ZP-EMRK ersetzt insoweit nicht Art. 2 EMRK sondern ergänzt die Vorschrift für die Staaten, die dem Protokoll beigetreten sind (mittlerweile alle mit Ausnahme Russlands). Aktueller Ratifikationsstand abrufbar unter: http://www.conventions.coe.int (Stand November 2011): 42 Staaten; keine Ratifikation durch Armenien, Lettland, Polen; Russland und Aserbaidschan haben das ZP nicht gezeichnet; für Deutschland ist das 13. ZP-EMRK am 1.2.2005 in Kraft getreten. EGMR (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005, ECHR 2005-IV = EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267. Ungeachtet der noch fehlenden Ratifikationen, die nur als „letzter
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Schritt zur völligen Abschaffung der Todesstrafe“ gewertet werden, spricht der EGMR in dem Urteil von einer „todesstrafenfreien Zone“ in den Mitgliedstaaten des Europarates. Das 2. FP-IPBPR v. 15.12.1989 zur Abschaffung der Todesstrafe ist am 11.7.1991 in Kraft getreten; Ratifizierung durch Gesetz v. 2.6.1992 (BGBl. 1992 II S. 390); Kühn ZRP 2001 542 f. EGMR Soering/UK (Fn. 47); vgl. auch BVerfGE 60 345 (offen); BVerfGE 18 118 (Auslieferung kein Verstoß); OLG Karlsruhe NStZ 1991 138 mit Anm. Lagodny; Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 8, 5 IRG. EGMR Soering/UK (Fn. 47) (Todeszellensyndrom); dazu Vogler GedS Meyer 477; Trechsel EuGZR 1987 72; vgl. Art. 3 EMRK Rn. 30. EGMR S.R./S (E), 23.4.2002; Ismaili/D (E), 15.3.2001.
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wenn die reale Gefahr einer Hinrichtung nach einem die Grundsätze des fairen Verfahrens völlig verachtenden Verfahren besteht.153 Seit 2003 sind die Staaten, welche die Todesstrafe auf nationaler Ebene abgeschafft haben, unabhängig von der Ratifizierung des 2. FP-IPBPR, nach der Spruchpraxis des HRC verpflichtet, keine Auslieferung bei drohender Todesstrafe vorzunehmen.154 § 8 IRG legt fest, dass die Auslieferung generell von der Zusicherung abhängig gemacht wird, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt wird.155 Der Gewährung sonstiger Rechtshilfe, wie etwa die Herausgabe von Beweismitteln, für ein ausländisches Verfahren, an dessen Ende die Todesstrafe droht,156 stehen Art. 2 EMRK / Art. 6 IPBPR nicht entgegen.
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b) Zur Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung lässt es Art. 2 Abs. 2 lit. a EMRK zu, dass staatliche Organe (bzw. sonstige dem Staat zurechenbare Personen) einen Angreifer absichtlich oder unbeabsichtigt töten, sofern dies unbedingt erforderlich ist, um einen Bedrohten vor Gewaltanwendung zu schützen.157 Unter „Gewalt“ ist dabei nicht notwendig körperliche Krafteinwirkung auf den Körper des Opfers zu verstehen, vielmehr genügt insoweit eine Freiheitsberaubung oder andere Formen der Ausübung starken seelischen Drucks (z.B. auch durch Scheinwaffen).158 Die Erforderlichkeit i.S.d. Art. 2 Abs. 2 EMRK wird eng ausgelegt,159 maßgebend ist die Einschätzung der Lage ex ante. Bei Planung der Gewaltanwendung, ihrer Anordnung und ihrer Durchführung dürfen den handelnden Behörden keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, durch die sich die Bedrohung in gleicher Weise beseitigen lässt.160 Die Gewaltanwendung muss außerdem die Verhältnismäßigkeit zu dem rechtfertigenden Schutzzweck wahren.161 Obwohl der EGMR darauf hinweist, dass Art. 2 Abs. 2 EMRK nicht zur Tötung, sondern allein zur Zwangsanwendung ermächtige, die unbeabsichtigt auch den Tod zur Folge haben kann,162 ist der sog. finale Rettungsschuss, den die Polizeigesetze einiger Länder 163 zur Rettung von Personen ausdrücklich vorsehen, bei Anlegung eines strengen Maßstabs mit dieser Bestimmung vereinbar.164 Menschenrechtlich besteht 153 154 155
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EGMR Bader u. Kanbor/S, 8.11.2005, ECHR 2005-XI. HRC Judge/Kanada, 20.10.2003, 829/1998; vgl. Kälin/Künzli 316. IK-EMRK/Lagodny Anh. zu Art. 2, 6; Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 8, 5 IRG. Zum Verhältnis von § 8 IRG und etwaig davon abweichenden Verpflichtungen der Bundesrepublik durch Auslieferungsverträge vgl. Schomburg/Lagodny/Hackner/Gleß § 8, 10 ff. IRG; ferner § 11 EuAuslÜbk. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1991 138 mit Anm. Lagodny. EGMR (GK) Salman/TRK (Fn. 35). Zur Vereinbarkeit der gezielten Tötung von Terroristen mit Art. 2 EMRK und Art. 6 IPBPR: Schmitz-Elvenich 248 ff. Auch für Polizeibeamte ist zur Selbstverteidigung als letzte Möglichkeit ein Todesschuss zulässig, vgl. EGMR (GK) Giuliani u. Gaggio/I, 24.3.2011 (Keine Verurteilung Italiens wegen Todesschusses auf einen Demonstranten beim G8-Gipfeltreffen in Genua 2011. Der Polizist war bei Abgabe des Schusses
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davon überzeugt, sein eigenes Leben sowie das seiner Kollegen sei ernsthaft in Gefahr.). SK/Paeffgen 59; Frister GA 1985 553, 563. Schmitz-Elvenich 250. Vgl. EGMR (GK) McCann u.a./UK (Fn. 38): Festnahme der getöteten Terroristen wäre bei der Einreise möglich gewesen; (GK) Ogur/TRK (Fn. 35). Vgl. dazu EGMR Isaak/TRK, 24.6.2008 (Anwendung tödlicher Gewalt gegen unbewaffneten Demonstranten); Meyer-Ladewig 43. EGMR Dölek/TRK, 2.10.2007. § 54 II BWPolG, Art. 66 II BayPAG, § 66 II 2 BbgPolG, § 46 II 2 BremPolG, § 25 II HmbSOG, § 66 II 2 HSOG, § 76 II 2 NdsSOG, § 63 II 2 RPfPOG, § 34 II SächsPolG, § 57 I 2 SaarlPolG, § 65 II 2 LSASOG, § 64 II 2 ThürPAG. Vgl. EGMR (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); Andronicou u. Constantinou/ZYP (Fn. 58); Frowein/Peukert 11 ff.; Grabenwarter § 20, 10; Meyer-Ladewig 41; Peters 39; Villiger 269.
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sogar eine Forderung, dass eine eindeutige gesetzliche Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eines (un-)beabsichtigt letalen Schusswaffengebrauchs durch Polizeibeamte im Rahmen einer dienstlichen Handlung vorhanden sein muss.165 Zu beachten ist dabei, dass ein striktes Erforderlichkeitsprinzip im Sinne einer „strengen 49 Verhältnismäßigkeitsprüfung“ eingehalten werden muss, wobei die gesamte Planung, Durchführung und Organisation polizeilicher Maßnahmen auf dem Prüfstand stehen.166 In den Bundesländern, die keine solche Regelung vorsehen,167 den sog. gezielten Todesschuss aber für die eingesetzten Polizeibeamten „freigegeben“ haben und schließlich auf die Zulässigkeit der Maßnahme im Sinne der strafrechtlichen Notrechte verweisen, ist der gezielte Todesschuss angesichts der Entscheidung des EGMR im Fall Makaratzis168 nicht mit Art. 2 EMRK vereinbar.169 Dass eine allgemeine Bestimmung zum Schusswaffengebrauch der Polizei den finalen Todesschuss ebenso abdeckt, ohne diesen ausdrücklich zu regeln, ist zu verneinen.170 Die Frage, ob ein (gezielter) polizeilicher Todesschuss auch dann nicht gegen Art. 2 50 EMRK verstößt, wenn dieser zum Schutz anderer als höchstpersönlicher Rechtsgüter ausgeführt wird, vor allem zum Schutz von Sachgütern, ist angesichts des bindenden171 englischen und französischen Textes des Art. 2 Abs. 2 lit. a EMRK 172 zu verneinen. Die Vorschrift enthält ein Tötungsverbot hinsichtlich des Schutzes von anderen als höchstpersönlichen Rechten.173 Zum Schutz von Sachgütern oder immateriellen Gütern gestattet lit. a den staatlichen 51 Eingriff in das Leben nicht.174 Zwar wird teilweise175 vorgeschlagen, auch die Verteidigung von Sachwerten als „Verteidigung eines Menschen (nämlich des betroffenen Rechtsgutsträgers) gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung“ i.S.v. Art. 2 EMRK auszulegen. Diese Interpretation überstrapaziert jedoch den Wortlaut der Norm.176 Eine Ermächtigungsgrundlage (Eingriffsnorm), die staatlichen Stellen auch die Tötung zur Abwehr einer ausschließlich gegen Sachen gerichteten Straftat zulässt, ist mit Art. 2 EMRK nicht vereinbar (zum Todesschuss insofern bereits Rn. 48).177 165
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Arzt DÖV 2007 230; ders. Die Polizei 2009 52; Kälin/Künzli 310; vgl. auch HRC General Comment Nr. 6 (1982). Vgl. EGMR Andronicou u. Constantinou/ ZYP (Fn. 58); Arzt DÖV 2007 230. Derzeit Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, NRW sowie Schleswig-Holstein. EGMR (GK) Makaratzis/GR (Fn. 43). Vgl. insbesondere auch zur Problematik der sog. „Unberührtheitsklauseln“: Arzt DÖV 2007 230; ders. Die Polizei 2009 52; zustimmend auch Kutscha Die Polizei 2008 289; a.A. Gintzel Die Polizei 2008 333; ders. Die Polizei 2009 114. Gintzel sieht die diesbezüglichen Regelungen der Bundesländer nicht als Ermächtigungsgrundlage, sondern vielmehr als Definition des Begriffs „angriffsunfähig“, womit diese Bundesländer der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG entsprechen. Er charakterisiert den finalen Rettungsschuss als Anwendung unmittelbaren Zwangs, dessen Rechtsgrundlagen einheitlich geregelt sind. Er hält diesen daher bei
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verfassungsgemäßer Abwägung in allen Bundesländern für zulässig; eine Kollision mit der EMRK schließt er aus. Vgl. Kutscha Die Polizei 2008 289; dagegen: Sundermann Schusswaffengebrauch im Polizeirecht (1984), 105; Gusy Polizeirecht, 8. Aufl. (2011) 450. Vgl. Schlussformel der EMRK. Im Englischen: „in defence of any person“; im Französischen: „pour assurer la défense de toute personne“. Vgl. Jakobs DVBl. 2006 83; a.A. Lange MDR 1974 357. Guradze 9; Meyer-Goßner 3; IK-EMRK/ Lagodny 83, 88; Schorn 2. LK/Spendel 11 § 32, 260 f. StGB; Doehring FS Mosler 146; Laber Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 142. MüKo-StGB/Erb § 32, 20 StGB; MeyerGoßner 3; Krey JZ 1979 702. Frowein/Peukert 11; IK-EMRK/Lagodny 89; Meyer-Goßner 3; Krey JZ 1979 702.
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In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es hierbei nicht um die Frage geht, ob die EMRK unmittelbar unter Privaten gilt („Sachgüternotwehr“), sondern dass die EMRK sowohl im Verhältnis Staat-Angreifer wie auch im Verhältnis Staat-Angegriffener jeweils in ihrer Abwehr- und Schutzfunktion wirksam wird.178 Wird den Anforderungen an den staatlichen Schutz des Lebens in diesem Bereich nicht Genüge getan, weil das nationale Recht insoweit keinen oder nur einen offensichtlich unzureichenden Schutz gegen staatliche Eingriffe gewährt, kann darin eine Verletzung des Art. 2 EMRK liegen.179 Ob man Art. 2 Abs. 2 lit. a EMRK entnehmen kann, dass der Staat kraft seiner 53 Schutzpflicht gehalten ist, auch das Notwehr- und Nothilferecht im Verhältnis der Privatpersonen untereinander in gleicher Weise zu beschränken180 wie bei Eingriffen der Staatsorgane, ist umstritten. Beim Notwehrrecht des angegriffenen Bürgers und beim Nothilferecht eines ihm Beistehenden (§§ 32 StGB, § 15 OWiG) legt die h.M. Art. 2 EMRK aus dem Gesamtzusammenhang heraus aus und versteht auch lit. a nur als Schranke für die Ausübung staatlicher Gewalt.181 Erlaubt ist demzufolge unter bestimmten Voraussetzungen (im deutschen Recht: Erforderlichkeit, Gebotenheit der Notwehrhandlung) auch die Tötung des Angreifers zum Schutz von Sachgütern – bis zur Grenze eines sog. „krassen Missverhältnisses“. Zur Bestimmung des schutzrechtlichen Gehalts ist darauf abzustellen, inwieweit ein Schutzbedürfnis des Rechtsträgers besteht und welcher Wert dem Schutzgut zukommt. Von Seiten des Staates besteht eine Verpflichtung dahingehend, dem schutzbedürftigen Rechtsträger den Schutz zu gewähren, der bezüglich der Bedeutung des Schutzgutes angemessen ist. Dem Leben als Schutzgut kommt freilich ein hoher Wert zu, der Angreifer bedarf aber keines Schutzes.182 Nach anderer Ansicht 183 (international: h.M.) darf der zum Lebensschutz verpflich54 tete Staat die vorsätzliche Tötung des Angreifers zur Abwehr eines erkennbar ausschließlich gegen ein Sachgut gerichteten Angriffs nicht zulassen.184 Das staatliche Recht, das dem Einzelnen die Notwehr gegenüber einem rechtswidrigen Angriff gestattet (vgl. § 32 StGB), habe auch im Verhältnis zwischen Angreifer und Angegriffenem die durch Art. 2 EMRK zum Ausdruck gebrachte Rangstellung des Lebens zu beachten; zwar müsse der Staat die Notwehr nicht an die gleichen strengen Voraussetzungen binden, die er seinen Organen bei der Gewaltanwendung auferlegt (Abs. 2 lit. a). Er dürfe daher im Rahmen seines Regelungsermessens185 im Interesse des Angegriffenen die Grenze für die rechtfertigende Notwehr bis zu einem gewissen Grade anders setzen, ohne seine Schutzpflicht aus Art. 2 EMRK zu verletzen. Eine Schutzpflichtverletzung des Staates allein durch die Zulassung der Tötung eines Angreifers in Notwehr scheidet aus.186 Die staatliche Akzeptanz einer gezielten „Sachgüternotwehr“ unter Privaten sei hiervon allerdings nicht mehr
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IK-EMRK/Lagodny 90. Vgl. IK-EMRK/Lagodny 83 ff. Nowak 3 misst der Gewährleistung eine „Rundumwirkung“ bei. So Frowein/Peukert 11. Vgl. die Kommentare zu § 32 StGB mit zahlreichen Nachweisen zum Streitstand. Vgl. Engländer Grund und Grenzen der Nothilfe (2009), 352. SK/Paeffgen 61; vgl. auch: Zieschang GA 2006 415, der aus Art. 2 EMRK nur ein Verbot der absichtlich oder wissentlich durchgeführten Tötung zur Verteidigung
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einer Sache herleitet, hingegen eine mit dolus eventualis oder fahrlässige Tötung nicht vom Anwendungsbereich des Art. 2 EMRK erfasst sieht. Zu den Einwänden gegen diese Auffassung siehe: Engländer Grund und Grenzen der Nothilfe (2009), 352. Vgl. Rn. 51. Vgl. Rn. 25. Vgl. EGMR Diaz Ruano/E, 26.4.1994, A 285-B = EuGRZ 1994 277; Frowein/Peukert 11; IK-EMRK/Lagodny 11.
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gedeckt und stelle eine Schutzpflichtverletzung dar.187 Gleiches gelte auch bei den Notstandsregelungen der §§ 34, 35 StGB, § 16 OWiG, wo aber ohnehin das Prinzip der Güterabwägung den Vorrang des Lebensschutzes vor dem Sachgüterschutz sichert.188 c) Ordnungsgemäße Festnahme – Verhindern des Entkommens. Art. 2 Absatz 2 lit. b EMRK rechtfertigt die Anwendung von unmittelbarem Zwang bei der Festnahme einer Person oder bei der Vereitelung der Flucht eines Festgenommenen. Die Zwangsanwendung braucht also nicht etwa deshalb zu unterbleiben, weil, wie vor allem bei Gebrauch von Schusswaffen, eine Lebensgefahr für den Flüchtenden nicht auszuschließen ist. Auch in diesen Fällen kommt die Tötung nur als Folge, nicht aber als Zweck der Anwendung der Zwangsmittel in Betracht.189 Im Übrigen müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Festnahme bzw. für ein Festhalten im behördlichen Gewahrsam vorliegen, die Zwangsanwendung muss nach dem anzuwendenden nationalen Recht, also etwa nach dem UZwG des Bundes, nach §§ 95 ff. StVollzG bzw. nach den entsprechenden Vorschriften in den Strafvollzugsgesetzen der Länder oder dem Polizeirecht der Länder zulässig sein; dazu gehört, dass sie im konkreten Einzelfall sowohl hinsichtlich des Anlasses als auch hinsichtlich der Wahl der Mittel geboten und dass sie nicht unverhältnismäßig ist.190 Die Gewaltanwendung durch die Staatsorgane muss zur Ermöglichung der Festnahme bzw. zur Aufrechterhaltung des behördlichen Gewahrsams unerlässlich sein.191 Ob und in welchem Umfang sie notwendig ist und ob sie in Extremfällen sogar die gezielte Tötung als unerlässlich rechtfertigen kann,192 ist aus der Sicht und dem Kenntnisstand der handelnden Beamten im Zeitpunkt ihres Eingreifens (ex ante) zu beurteilen; unerheblich ist, wenn sich nachträglich die Lage anders darstellen sollte.193 In Fällen, in denen mit dem Einsatz von Schusswaffen zu rechnen ist, erfordert die staatliche Schutzpflicht, dass eine geplante Festnahmeaktion auch unter dem Blickwinkel einer möglichen Vermeidung der Tötung mit der erforderlichen Sorgfalt vorbereitet wird und die mit ihrer Durchführung beauftragten Personen entsprechend unterrichtet werden.194 Der Waffengebrauch zur Verhinderung eines Verbrechens, das sich ausschließlich gegen Sachen oder immaterielle Rechtsgüter, nicht aber gegen eine Person im Sinne von lit. a richtet, wird von lit. b nicht unmittelbar erfasst. Er kann unter diese Alternative fallen, wenn er zugleich bezweckt, den Täter zu identifizieren und ihn festzunehmen.195 Gleiches gilt in Bezug auf die in lit. b nicht genannten Personen, die einen Gefangenen befreien wollen.196 Unter lit. b fällt ferner jede dem nationalen Recht entsprechende Festnahme einer Person durch staatliche Organe, auch wenn sie anderen Zwecken als der Sicherung der
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Vgl. IK-EMRK/Lagodny 89; SK/Paeffgen 61; Grabenwarter § 20, 10. Vgl. Frowein/Peukert 11. Frowein/Peukert 12; Meyer-Goßner 4. IK-EMRK/Lagodny 95 ff.; zur der vom EGMR geforderten strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Zweck der Festnahme – Einsatz der Zwangsmittel): MeyerLadewig 44. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); (GK) Ogur/TRK (Fn. 35); (GK) Nachova u.a./BUL, 6.7.2005, ECHR 2005-VII =
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EuGRZ 2005 693; Akkum u.a./TRK, 24.3.2005, ECHR 2005-II; vgl. ÖVerfGH bei Folz FS Verosta 207. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38): um das befürchtete Auslösen einer Bombe zu verhüten; vgl. Esser 254. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38); Celikbilek/TRK, 31.5.2005; Esser 254. Vgl. EGMR (GK) McCann/UK (Fn. 38). Dazu Frowein/Peukert 12, 13. Frowein/Peukert 13.
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Strafverfolgung oder Strafvollstreckung dient. Als Rechtsgrundlage kommen hier vor allem die Festnahmegründe im Polizeirecht der Länder, in den Unterbringungsgesetzen oder in sonstigen Gesetzen in Betracht, die die Anordnung oder den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen regeln. Neben den jeweiligen gesetzlichen Einschränkungen ist der bei jedem Eingriff zu wahrende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit197 zu beachten, welcher der Anwendung unmittelbaren Zwangs und vor allem dem Waffengebrauch entgegenstehen kann. Die Festnahme durch private Personen nach § 127 Abs. 1 StPO wird nicht von lit. b erfasst.198
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d) Unterdrückung eines Aufstands (Art. 2 Abs. 2 lit. c EMRK). Eine Tötung ist ferner nicht konventionswidrig, wenn sie durch eine sich im Rahmen der nationalen Gesetze haltende Gewaltanwendung zur Unterdrückung eines Aufruhrs oder eines Aufstandes („riot or insurrection“ / „emeute ou insurrection“) erfolgt. Unter Aufruhr ist jede ungesetzliche Zusammenrottung einer Menschenmenge zu verstehen, aus der heraus Gewalttaten begangen werden oder drohen,199 während Aufstand als offener und aktiver bewaffneter Widerstand einer größeren Personenzahl gegen die Staatsgewalt zu verstehen ist.200 Da beide nebeneinander gestellt sind, spielt es keine Rolle, dass hier die Übergänge mitunter fließend sein können. In der Bedrohung der Polizei durch eine verschiedenartige Wurfgeschosse schleudernde Menschenmenge hat die EKMR einen den Einsatz von Plastikgeschossen rechtfertigenden Fall gesehen.201 Die Anwendung der staatlichen Zwangsmittel, die zur Tötung führen können, muss 60 sich in beiden Fällen rechtmäßig, d.h. im Rahmen der Gesetze halten. Es müssen alle Voraussetzungen vorliegen, an die das nationale Recht im jeweiligen Fall die Anwendung unmittelbaren Zwangs bindet, ebenso wie die dafür bestehenden besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, wie sie vor allem im UZwG und in den Polizeigesetzen der Länder enthalten sind. Für den Einsatz von Schusswaffen muss der Staat verbindliche Regelungen schaffen, die sich an internationalen Standards orientieren.202 Wie Art. 2 EMRK herausstellt, muss die Zwangsanwendung und der Einsatz des jeweiligen Mittels im konkreten Fall unbedingt notwendig sein, um die öffentliche Ordnung durch Unterdrückung des Aufruhrs oder Aufstandes wiederherzustellen; sie darf auch nicht unverhältnismäßig gegenüber dem verfolgten Zweck sein.203 Zusätzlich ist der Staat verpflichtet, seine Bediensteten in den gesetzlichen Bedingungen für den Gebrauch von Zwangsmitteln besonders zu schulen.204
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Villiger 270: vgl. zur Schussabgabe an der früheren innerdeutschen Grenze: EGMR (GK) Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 36); (GK) K.-H.W./D, 22.3.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 3042 = EuGRZ 2001 219 = NJ 2001 268; dazu Werle NJW 2001 3001; Rau NJW 2001 3008; IK-EMRK/ Lagodny 98; HRC Baumgarten/D (Fn. 36); Kadelbach Jura 2002 329. Meyer-Goßner 4; a.A. Schorn 19, 20. Frowein/Peukert 14; Schorn 21 (Interpretation i.S.d § 115 StGB a.F.). Schorn 23. Zur Bedeutung der Begriffe im Englischen: Guradze 12. EKMR nach Frowein/Peukert 15; vgl. aber
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auch EGMR Gülec/TRK (Fn. 108; im konkreten Fall unverhältnismäßig); dazu IK-EMRK/Lagodny 100. EGMR S¸ims¸ek u.a./TRK, 26.7.2005, § 105, mit Hinweis auf die „UN Force and Firearms Principles“. Frowein/Peukert 15; IK-EMRK/Lagodny 101; Meyer-Ladewig 44. EGMR S¸ims¸ek u.a./TRK (Fn. 202), § 109; Kakoulli/TRK, 22.11.2005, § 114; die Schulungsverpflichtung betrifft insbesondere die Einschätzung der unbedingten Erforderlichkeit des Schusswaffengebrauchs, vgl. EGMR (GK) Nachova u.a./BUL (Fn. 191).
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Art. 3 EMRK (Art. 7 IPBPR) EMRK Artikel 3 Verbot der Folter Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. IPBPR Artikel 7 Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden. Ergänzend hierzu: Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 (CTS 126)1 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Antifolterkonvention) vom 10.12.19842 Schrifttum (Auswahl) Abresch A Human Rights Law of Internal Conflict: The European Court of Human Rights in Chechnya, EJIL 2005 741; Adam Gefahrabwendungsfolter und Menschenwürde im Lichte des Unabwägbarkeitsdogmas des Art. 1 Abs. 1 GG (2008); Alleweldt Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (1996); Alleweldt Auf dem Weg zur wirksamen Folterprävention in der Türkei? EuGRZ 2000 193; Alleweldt/Reiserer Allgemeine Empfehlungen für die Prävention von Folter und Mißhandlungen: der Corpus of Standards des CPT, EuGRZ 2000 247; Ambos Völkerrechtliche Bestrafungspflichten bei schweren Menschenrechtsverletzungen, AVR 37 (1999) 318; Ambos Die transnationale Verwertung von Folterbeweisen, StV 2009 153; Bank Schutz gegen Abschiebung nach Deutschland unter der EMRK bei nicht-staatlicher Gefährdung im Heimatland? NVwZ 2002 430; Bank Die internationale Bekämpfung von Folter und unmenschlicher Behandlung auf den Ebenen der Vereinten Nationen und des Europarats (1996); Bausback Die stigmatisierende Wirkung des Rechtsbruchs als wichtiger Durchsetzungsmechanismus – aufgezeigt am völkerrechtlichen Folterverbot, GedS Blumenwitz 343;
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BGBl. 1989 II S. 946; abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 42; geändert und ergänzt durch die Protokolle Nr. 1 (ETS 151) u. Nr. 2 v. 4.11.1993 (ETS 152); Gesetz v. 17.7.1996, BGBl. II S. 1114. Die Protokolle sind am 1.3.2002 für die BR Deutschland in Kraft getreten (BGBl. 2002 II S. 1019). BGBl. 1990 II S. 246; in der Bundesrepublik in Kraft seit 31.10.1990 (BGBl. II S. 715); geändert durch die UN-Resolution v. 8.9.1992; Gesetz vom 7.3.1996 […] zu der
Resolution vom 8.9.1992 zur Änderung des Übereinkommens v. 10.12.1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. II S. 282). Die Änderung ist noch nicht in Kraft getreten (Stand November 2011). Dafür bedarf es einer innerstaatlichen Annahme der Änderung durch zwei Drittel der Vertragstaaten des Übereinkommens (vgl. Art. 29 Abs. 2 UNCAT); abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 50.
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Beestermöller/Brunkhorst (Hrsg.), Rückkehr der Folter (2006); Beutler Strafbarkeit der Folter zu Vernehmungszwecken (2006); Boulesbaa The U.N. Convention on Torture and the Prospects for Enforcement (1999); Breuer Zum Öcalan-Urteil der Großen Kammer des EGMR, EuGRZ 2005 471; Brugger Vom unbedingten Verbot der Folter zum bedingten Recht auf Folter? JZ 2000 165; Bruha/Steiger Das Folterverbot im Völkerrecht (2006); Clucas/Johnstone/Ward (Hrsg.), Torture: Moral Absolutes and Ambiguities (2009); Craig/Scott Torture as Tort – Comparative Perspectives on the Development of Transnational Human Rights Litigation (2001); Demko Zur „Einzelfallprüfung“ und „geltungszeitlichen Interpretation“ im Rahmen des Art. 3 EMRK, HRRS 2005 94; Dörig Der Abschiebungsschutz für Ausländer nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, ThürVBl 2006 217; Dünkel Strafvollzug und Menschenrechte, in: Koop/Kappenberg, Wohin fährt der Justiz-Vollzug? (2009), 33; Esser Die menschenrechtliche Konzeption des Folterverbotes im deutschen Strafverfahren in: Gehl (Hrsg.), Folter – zulässiges Instrument im Strafrecht? (2005), 143; Esser EGMR in Sachen Gäfgen v. Deutschland (22978/05), Urt. v. 30.6.2008, NStZ 2008 657; Follmar-Otto/Cremer Das neue Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter, KJ 2004 154; Frowein Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe nach der Europäischen Menschenrechtskonvention in: Matscher (Hrsg.), Folterverbot sowie Religions- und Gewissensfreiheit im Rechtsvergleich (1990), 96; Frowein/Kühner Drohende Folterung als Asylgrund und Grenze für Auslieferung und Ausweisung, ZaöRV 43 (1983) 537; Gaede Die Fragilität des Folterverbots – Präventiv begründete Ausnahmen vom absoluten Folterverbot zur Herstellung absoluter Sicherheit? in: Camprubi (Hrsg.), Angst und Streben nach Sicherheit in Gesetzgebung und Praxis (2004), 155; Gebauer Zur Grundlage des absoluten Folterverbots, NVwZ 2004 1405; Gehl (Hrsg.) Folter – zulässiges Instrument im Strafrecht? (2005); Ginbar Why Not Torture Terrorists? Moral, practical and legal aspects of the ‘ticking bomb’ justification for torture (2008); Goerlich (Hrsg.), Staatliche Folter – Heiligt der Zweck die Mittel? (2007); Gornig Das „non-refoulement“-Prinzip, ein Menschenrecht „in statu nascendi“ – Auch ein Beitrag zu Art. 3 Folterkonvention, EuGRZ 1986 521; Grabenwarter Androhung von Folter und faires Strafverfahren – Das (vorläufig) letzte Wort aus Straßburg, NJW 2010 3128; Gusy Zur Bedeutung von Art. 3 EMRK im Ausländerrecht, ZAR 1993 63; Hailbronner Refoulement-Verbote und Drittstaatenregelung (Art. 33 GK und Art. 3 EMRK), FS Bernhardt 365; Hailbronner Art. 3 EMRK – Ein neues europäisches Konzept der Schutzgewährung? DÖV 1999 617; Hailbronner/Randelzhofer Zur Zeichnung der UN Folterkonvention durch die Bundesrepublik, EuGRZ 1986 641; Hamm Schluss der Debatte über Ausnahmen vom Folterverbot! NJW 2003 946; Herzog/Roggan Zu einer Reform der Strafbarkeit wegen Aussageerpressung – § 343 StGB, GA 2008 142; Hilgendorf Folter im Rechtsstaat? JZ 2004 331; Hruschka/Lindner Der internationale Schutz nach Art. 15 b) und c) Qualifikationsrichtlinie im Lichte der Maßstäbe von Art. 3 EMRK und § 60 VII AufenthG, NVwZ 2007 645; Jerouschel/Kölbel Folter von Staats wegen? JZ 2003 613; Isfen Foltern, um Leben zu retten – gerechtfertigt?, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004), 21; Kaiser Die Europäische Antifolterkonvention als Bestandteil internationalen Strafverfahrensund Strafvollzugsrechts, SchwZStr 1991 213; Kicker The Council of Europe Committee for the Prevention of Torture (CPT), EYHR 2009 199; Krammer Menschenwürde und Art. 3 EMRK (2010); Kretschmer Die menschen(un)würdige Unterbringung von Strafgefangenen, NJW 2009 2406; Krieger A Conflict of Norms: The Relationship Between Humanitarian Law and Human Rights Law in the ICRC Customary Law Study, JCSL 2006 265; Lorz/Sauer Wann genau steht Art. 3 EMRK einer Auslieferung oder Ausweisung entgegen? EuGRZ 2010 389; Lüthke Die Europäische Konvention über den Schutz inhaftierter Personen vor Folter, ZRP 1988 54; Marx Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, ZRP 1986 81; Marx Abschiebungsschutz bei fehlendem staatlichen Schutz: Die neuere Rechtsprechung des EGMR, NVwZ 1998 153; Matscher (Hrsg.) Folterverbot sowie Religions- und Gewissensfreiheit im Rechtsvergleich (1990); Meyer-Ladewig Menschenwürde und Europäische Menschenrechtskonvention, NJW 2004 981; Möhlenbeck Das absolute Folterverbot (2008); Morgan/Malcolm Bekämpfung der Folter in Europa. Tätigkeit und Standards des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter (2003); Morgan/Evans Combating torture in Europe: the work and standards of the European Committee for the Prevention of Torture (CPT) (2001); Murdoch The treatment of prisoners – European Standards (2004); Nitschke (Hrsg.) Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat? Eine Verortung (2005); Noll Seeking Asylum at Embassies: A Right to Entry
126
Robert Esser
Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
under International Law? International Journal of Refugee Law 2005 542; Nowak Die UNO-Konvention gegen die Folter vom 10.12.1984, EuGRZ 1985 109; Nowak Die Durchführungsfunktion des UN-Folterkomitees, FS Ermacora (1988) 493; Nowak/McArthur The United Nations Convention Against Torture (2008); Ohlin/Fletcher (Hrsg.) The Law of Cruelty: Torture as an International Crime – Special Issue, JICJ 2008 157; Perron Folter in Notwehr?, FS Weber 143; Pitea Rape as a Human Rights Violation and a Criminal Offence: The European Court’s Judgment in M.C. v. Bulgaria, JICJ 2005 447; Pollähne/Kemper Unmenschliche und erniedrigende Drogenkontrollpolitik, Brechmitteleinsätze gegen das Folterverbot – zur Entscheidung des EGMR, KrimJ 2007 185; Polzin Strafrechtliche Rechtfertigung der Rettungsfolter? (2008); Puhl Europäisches Anti-Folter-Abkommen, NJW 1990 3057; Raess Der Schutz vor Folter im Völkerrecht (1989); Reemtsma Folter im Rechtsstaat? (2005); Rodley The Treatment of Prisoners under International Law (2009); Rottmann, in: Goerlich (Hrsg.), Staatliche Folter (2007) 75 ; Rudolf Beweisprobleme in Verfahren wegen Verletzung von Art. 3 EMRK, EuGRZ 1996 497; Safferling Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln: Die StPO auf dem menschenrechtlichen Prüfstand, Jura 2008 100; Saliger Absolutes im Strafprozess? Über das Folterverbot, seine Verletzung und die Folgen seiner Verletzung, ZStW 116 (2004) 35; Schuhr Brechmitteleinsatz als unmenschliche und erniedrigende Behandlung, NJW 2006 3538; Schumann Brechmitteleinsatz ist Folter? Die Rechtsprechung des EGMR zum Brechmitteleinsatz im Strafverfahren, StV 2006 661; Stavropoulus Das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe im gegenwärtigen Völkerrecht; insbesondere nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1976); Stein Auslieferung und Europäische Menschenrechtskonvention, ZaöRV 41 (1981) 285; Thienel The Admissibility of Evidence Obtained by Torture under International Law, EJIL 2006 349; Thurin Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung: Das Prinzip des Non-Refoulement nach Artikel 3 EMRK (2009); Villinger Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 3 EMRK (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung und Strafe sowie der Folter), in: Thürer (Hrsg.), EMRK: Neuere Entwicklungen (2005), 61; Thurin Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung (2009); van Zyl Smit/Snacken Principles of European Prison Law and Policy – Penology and Human Rights (2009); Vogler Auslieferung bei drohender Todesstrafe und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – Der Fall Soering vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), GedS Meyer 477; Wagner The Justification of Torture, ZaöRV 63 (2003) 817; Weigend Deutschland als Folterstaat?, in: Buruma u.a. (Hrsg.), Op het rechte pad, Liber amicorum P. Tak (2008), 321; Weilert Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen (2009); Welsch Die Wiederkehr der Folter als letztes Verteidigungsmittel des Rechtsstaats?, BayVerwBl. 2003 481; Wolff Die verfassungsrechtlichen Auslieferungsverbote, StV 2004 154; Zimmermann Erste praktische Erfahrungen mit dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter, NStZ 1992 318.
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Entwicklung des Völkervertragsrechts a) Internationale Menschenrechtspakte b) UN-Antifolterkonvention vom 10.12.1984 (UNCAT) . . . . . . . . c) Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 (OPCAT) . . . . . . . . . . . . . . d) Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter vom 26.11.1987 . . . . . . . . . . . . . e) Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . f) Andere multinationale Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ius cogens des allgemeinen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn. 2. Notstandsfestigkeit des Folterverbots . 3. Innerstaatliches Verfassungsrecht . . .
14 15
1 3 7
8 10 11 13
II. Regelungsgehalt und Reichweite des Verbots 1. Unterlassungspflicht des Staates . . . 2. Gewährleistungspflicht des Staates a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Aufklärung und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . c) Darlegungs- und Erklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . d) Präventionsmaßnahmen . . . . . . 3. Schutz vor Misshandlung und Bestrafung durch Privatpersonen . . . . . . 4. Behandlung oder Bestrafung . . . . .
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen Rn.
5. Auslieferung, Ausweisung und Abschiebung a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Ebene . . . . c) Abschiebungs- / Auslieferungsverbot aus Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . d) Relevante Gefahren . . . . . . . . . e) Prüfungsdichte / Gefahrengrad . . . f) Entscheidungsgrundlage / Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen . 6. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . . . .
47
III. Schutzgehalt der Verbote im Einzelnen 1. Allgemeines zur Abgrenzung . . . . . . 2. Folter . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 56
Rn. 3. Grausame, unmenschliche Behandlung 4. Erniedrigende Behandlung . . . . . . . 5. Unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Gefangenen und Untergebrachten – Haftbedingungen a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . b) Gewaltverbot / Behandlungsgrundsätze / Disziplinarmaßnahmen . . . c) Medizinische Versorgung und Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftraumgröße und -ausstattung . . e) Verhältnis von Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR zu Art. 10 IPBPR / Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unmenschliche und erniedrigende Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . .
30 31 35 38 40 45
64 71
78 80 85 86
91 92
Alphabetische Übersicht Abschiebung 30 ff., 45 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1 Aufklärungs- und Dokumentationspflicht 21 f. Auslieferung 30 ff., 35 ff., 45 Ausweisung 30 ff., 35 ff., 45 Behandlung 28 Bestrafung 29 Beweisverwertungsverbot 47 ff. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 10 CPT 8 Darlegungs- und Erklärungspflicht 23 Erniedrigende Behandlung 71 ff. EuGrCh 10 Folter 56 ff. Folterandrohung 58 Folterzweck 59 Gefahrengrad 40 ff. Gewährleistungspflicht 20 ff. Haftraumausstattung 86 f., 90 f. Haftraumgröße 88 Ius cogens 13, 35
Kopenhagener Abschlussdokument (KSZE) 3, 14, 69 Lebenslange Freiheitsstrafe 34, 93 Mitwirkungsobliegenheit 46 Multinationale Übereinkommen 11 Notstandsfestigkeit 14 OPCAT 7 Präventivmaßnahmen 25, 50 Privatpersonen 27 Prüfungsdichte 40 ff. Relevante Gefahren 38 f. Rettungsfolter 60 Strafgefangene / Untergebrachte 78 ff. Todesstrafe 10, 65 f., 95 UN-Antifolterkonvention (UNCAT) 3 ff., 13 f., 19 ff., 25, 27, 35, 48 ff., 53 ff. Unmenschliche Behandlung 64 f. Unterlassungspflicht 17 ff. Versorgung 85 Versuch (wissenschaftlich/medizinisch) 67 Zustimmung 68
I. Allgemeines 1. Entwicklung des Völkervertragsrechts
1
a) Internationale Menschenrechtspakte. In dem Verbot der Folter, das auf dem Gedankengut der Aufklärung beruht,3 wird heute ein in der Achtung der Menschenwürde 4 wurzelnder unantastbarer Grundwert demokratischer Gesellschaften gesehen.5 Es ist –
3 4
Zur Geschichte der Folter vgl. etwa Hilgendorf JZ 2004 331, 332. Anders als etwa die Präambel und Art. 1 AEMR vom 10.12.1948 und andere internationale Übereinkommen spricht die EMRK die Menschenwürde nicht ausdrücklich an;
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5
ihr Schutz ist aber Ziel ihrer Verbürgungen, vor allem auch der Art. 3 und Art. 8 EMRK. vgl. Meyer-Ladewig NJW 2004 981. Etwa EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = EuGRZ 1989 314 = NJW 1990 2184; H.L.R./F, 29.4.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
ergänzt durch das Verbot der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung oder Strafe – Gegenstand einer Reihe internationaler Vereinbarungen und Erklärungen.6 Es findet sich schon in Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948, deren Wortlaut („Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“) zum Vorbild für entsprechende Regelungen in den internationalen Menschenrechtspakten wurde.7 Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR haben den Wortlaut des Art. 5 AEMR übernommen; 2 in Art. 3 EMRK wurde lediglich das Wort „grausam“ weggelassen,8 während dem Art. 7 IPBPR noch ein Satz 2 angefügt wurde, der die zwangsweise Heranziehung zu medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen als Beispiel einer unmenschlichen Behandlung besonders untersagt.9 In Ergänzung des Verbots des Art. 7 IPBPR schreibt Art. 10 Abs. 1 IPBPR ausdrücklich vor, dass jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde zu behandeln ist.10 b) Art. 7 IPBPR wird durch das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, 3 unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (UN-Antifolterkonvention – UNCAT) ergänzt.11 Die Verpflichtung, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung zu verbieten, wurde in Nr. 16.1 des Kopenhagener Abschlussdokuments über die menschliche Dimension der KSZE vom 29.6.199012 nochmals bekräftigt. Die Teilnehmerstaaten hatten sich zugleich u.a. zu Belehrungs- und Überwachungsmaßnahmen und zur vordringlichen Prüfung des Beitritts zur UN-Antifolterkonvention (1984) und zur Anerkennung der Befugnisse des in dieser Konvention vorgesehenen Kontrollausschusses (CAT) verpflichtet. Art. 1 UNCAT definiert den Begriff der Folter (Rn. 61) – unmittelbar nur für die 4 Zwecke dieses Übereinkommens. Der EGMR hat jedoch in seiner Judikatur den Folterbegriff des Art. 1 UNCAT bereits als Erkenntnisquelle genutzt. Das UNCAT soll der internationalen Beachtung des Folterverbots größere Wirksamkeit dadurch verleihen, dass es die Staaten zu wirksamen Maßnahmen zur Verhinderung der Folter im engeren Sinn verpflichtet, die Abschiebung und Auslieferung bei Gefahr der Folter untersagt,13 Vorkehrungen für die weltweite Bestrafung der Folterer 14 und innerstaatliche Belehrungs- und Überwachungsmaßnahmen vorsieht sowie die Vertragsstaaten verpflichtet, wirksame innerstaatliche Rechtsbehelfe für eine unparteiische Prüfung der Behauptung einer Folterung sowie einen einklagbaren Anspruch auf Schadensersatz zu schaffen.15
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8 9 10 11
1998 309 = NVwZ 1998 163 = InfAuslR 1997 333; T.I./UK (E), 7.3.2000, ECHR 2000-III = NVwZ 2001 301 = InfAuslR 2000 321. Nachweise schon bei Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 540; Nowak EuGRZ 1985 110. Zum Folterverbot in Art. 5 AMRK: Frowein EuGRZ 1980 442; vgl. ferner Art. 5 AChRMV. Zur Entstehungsgeschichte Partsch 106. Zur Entstehungsgeschichte Nowak 3. Vgl. Art. 5 EMRK Rn. 389 ff. (Art. 10 IPBPR). BGBl. 1990 II S. 247; vgl. EuGRZ 1985 131 (Übersetzung der UN); zur Entstehung Nowak EuGRZ 1985 109.
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EuGRZ 1990 239. Zum sog. „non refoulment“-Grundsatz: Gornig EuGRZ 1986 521; Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641, 643; Kimminich FS Ermacora 383 (allenfalls allgemeines Völkerrecht in status nascendi). Präambel der UNCAT; Weltrechtsprinzip („aut dedere, aut iudicare“), vgl. Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641; Marx ZRP 1986 81; Nowak EuGRZ 1985 113; Wolfrum FS Partsch 76. Zu der staatlichen Entschädigungspflicht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 UNCAT und den Fragen der Staatenimmunität bei Zivilklagen gegen einen dafür verantwortlichen fremden Staat: Cremer AVR 41 (2003) 137, 163, auch
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 15 UNCAT normiert ein Beweisverwertungsverbot für durch Folter herbeigeführte Aussagen (Rn. 48). Die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch staatliche Organe muss der 5 Staat zwar nach dieser Konvention auch dann verhindern, wenn sie keiner Folter i.S.d. Art. 1 UNCAT gleichkommt, jedoch trifft ihn insoweit nur ein Teil der Verpflichtungen dieser Konvention (vgl. Art. 16 UNCAT).16 Völkerrechtlich ist die UNCAT am 26.6.1987 nach Ratifikation durch 20 Staaten in 6 Kraft getreten.17 Deutschland hat sie mit Gesetz vom 6.4.1990 18 ratifiziert.19 Zwischenzeitlich erfolgte die Ratifikation in 149 Staaten.20 Die aufgrund der Resolution der UN-Generalversammlung vom 8.9.1992 hinsichtlich der Vergütung der Ausschussmitglieder beschlossene Änderung ist noch nicht in Kraft getreten.21 Nach Art. 1 Abs. 2 UNCAT bleiben weitergehende internationale Rechtsvorschriften und weitergehende Übereinkommen unberührt.
7
c) Am 18.12.2002 hat die UN-Generalversammlung das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) angenommen, das am 22.6.2006 in Kraft getreten ist.22 Als Ergänzung der UNCAT dient das OPCAT der Etablierung eines Systems zur Inspektion von Haftanstalten und sonstigen Einrichtungen durch internationale und nationale Organe. Auf der Ebene der UN ist ein internationaler Präventionsmechanismus in Form eines CAT-Unterausschusses (Subcommittee on Prevention – SubCoP) geschaffen worden. Der Ausschuss hat uneingeschränkten Zugang zu Vollzugs- und Gewahrsamseinrichtungen in den Vertragsstaaten. Zu seinen wichtigsten Rechten gehört die Möglichkeit, sich vertraulich, d.h. in Abwesenheit von Zeugen, mit Gefangenen zu unterhalten. Die Vertragsstaaten werden darüber hinaus verpflichtet, einen oder mehrere nationale Mechanismen zur Verhütung von Folter (nationale Präventionsmechanismen / National Preventive Mechanism – NPM) zu unterhalten. Diese nationalen Mechanismen haben dieselben Rechte wie das SubCoP und sollen als unabhängige Kontrollstellen fungieren. Ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, die Vollzugs- und Gewahrsamseinrichtungen zu überprüfen, Mängel zu beanstanden und Verbesserungen anzuregen.
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zu EGMR Al-Adsani/UK, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 403; dazu ferner: Maierhöfer EuGRZ 2002 391. Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641, 642; Marx ZRP 1986 82; Nowak EuGRZ 1985 113. Bartsch NJW 1989 3068; Nowak 2, Fn. 3. BGBl. II S. 246. BGBl. II S. 715. Seit 31.10.1990 ist sie hier in Kraft. Stand November 2011 (http://treaties.un.org). Vgl. Fn. 2. Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmensch-
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liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe v. 26.8.2008 (BGBl. II S. 854); hierzu: Buchinger The Optional Protocol to the United Nations Convention against Torture (2009); Follmar-Otto/ Cremer KJ 2004 154. Zum Ratifikationsprozess: BTDrucks. 15 3507; Gesetzentwurf der Bundesregierung: BTDrucks. 16 8249. Bislang haben 61 Staaten das OPCAT ratifiziert (Stand November 2011; http://treaties.un.org). Das Protokoll ist am 3.1.2009 auch für Deutschland in Kraft getreten (BGBl. 2009 II S. 536).
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Deutschland hat sich für die Einrichtung einer Kommission zur Verhütung von Folter 23 auf Länderebene und einer Bundesstelle zur Verhütung von Folter 24 für den Zuständigkeitsbereich des Bundes (Bundeswehr, Bundespolizei) entschieden, die als Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zusammenarbeiten sollen.25 Das Sekretariat der beiden Einrichtungen wurde bei der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden eingerichtet. Die Bundesstelle hat ihre Tätigkeit am 1.5.2009 begonnen und inzwischen ihren ersten Jahresbericht vorgelegt.26 Aufgrund ihrer geringen Personalausstattung konnte sie ihre Aufgaben nach eigener Aussage „nur ansatzweise erfüllen“.27 Innerhalb des ersten Jahres ihrer Tätigkeit fanden insgesamt lediglich sechs Inspektionsbesuche bei Bundespolizei und Bundeswehr statt, die zudem 24 bis 48 Stunden vorher angekündigt wurden.28 Dabei hat die Bundesstelle zwar keine gravierenden Mängel festgestellt, aber dennoch zahlreiche Empfehlungen zur Verbesserung der Unterbringungsbedingungen ausgesprochen, die größtenteils auch umgesetzt wurden.29 Die Länderkommission wurde schließlich am 24.9.2010 eingerichtet. Die United Nations Commission on Human Rights hat in ihrer Resolution 1985/33 entschieden, einen Experten, den UN-Sonderberichterstatter über Folter (Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment), einzusetzen, der Fragen in Bezug auf die Folter untersuchen soll.30 Ferner existiert auf UN-Ebene der 1982 geschaffene Freiwillige Fond der Vereinten Nationen für Opfer der Folter, der Organisationen unterstützt, die Folteropfern und ihren Angehörigen beistehen.31 d) Das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher 8 oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 (European Convention for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment – ECPT) 32 will in Ergänzung des Art. 3 EMRK den Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung in den Vertragsstaaten schon präventiv durch Kontrollbesuche verbessern. 23
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25
26
Durch Staatsvertrag der Länder erfolgt die Einrichtung eines nationalen Mechanismusses nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls vom 18.12.2002. Dieser Staatsvertrag vom 25.6.2009 ist am 1.9.2010 in Kraft getreten. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Kommission wurden durch Beschluss der 81. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (Juni 2010) benannt, abgedruckt in BTDrucks. 17 3134 S. 40. Eingerichtet durch Organisationserlass des BMJ vom 20.11.2008 (BAnz Nr. 182 S. 4277). Vgl. Verwaltungsvereinbarung über die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter nach dem Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, abgedruckt in BTDrucks. 17 3134 S. 37 ff. Jahresbericht 2009/2010 der Bundesstelle zur Verhütung von Folter, BTDrucks. 17 3134.
27 28 29 30
31 32
Vgl. Jahresbericht 2009/2010 (Fn. 26), S. 5, 8 f. Vgl. Jahresbericht 2009/2010 (Fn. 26), S. 10 f. Vgl. Jahresbericht 2009/2010 (Fn. 26), S. 12 ff. Siehe auch http://www2.ohchr.org/english/ issues/torture/rapporteur/, insbesondere zu den Aufgaben des UN-Sonderberichterstatters über Folter. Siehe http://www.un.org/events/torture/ fund.htm. ETS 126; abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 42. Völkerrechtlich ist die ECPT am 1.2.1989 in Kraft getreten, von der Bundesrepublik mit Gesetz vom 29.11.1989 (BGBl. II S. 946) ratifiziert worden und am 1.6.1990 für Deutschland in Kraft getreten. Zur Konvention vgl. Lüthke ZRP 1988 54; Nowak EuGRZ 1988 537; Puhl NJW 1990 3057. Geändert und ergänzt wurde das Übereinkommen durch die Protokolle Nr. 1 (ETS 151 – Beitritt von Nichtmitgliedstaaten)
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Die Mitglieder eines unabhängigen internationalen Komitees (CPT) 33 sollen in den Vertragsstaaten ungehindert die Haftanstalten und sonstigen Einrichtungen besuchen, in denen Personen auf behördliche Anordnung festgehalten werden, diese Personen ohne Zeugen sprechen, etwaige Missstände feststellen und nach Konsultation des betreffenden Vertragsstaates etwaige Verbesserungsvorschläge unterbreiten und auf ihre Behebung hinwirken können.34 Über jeden Besuch wird ein Bericht erstellt, der die Äußerungen des jeweils betroffenen Vertragsstaates und das Ergebnis etwaiger Konsultationen berücksichtigt und Empfehlungen enthalten kann. Das Verfahren ist vertraulich, nur auf Wunsch des betroffenen Staates oder wenn 9 dieser die Zusammenarbeit verweigert oder vorgeschlagene Verbesserungen ablehnt, kann der Ausschuss eine öffentliche Erklärung beschließen (vgl. Art. 10 Abs. 2; 11 Abs. 2 ECPT), bei der jedoch auch dann personenbezogene Daten nur mit Zustimmung der jeweils Betroffenen veröffentlicht werden dürfen (Art. 11 Abs. 3 ECPT). Die Berichte des Ausschusses werden mit Zustimmung der von der Kontrolle betroffenen Regierung inzwischen fast durchweg veröffentlicht.35 Das Übereinkommen lässt den weitergehenden Schutz inhaftierter Personen durch das innerstaatliche Recht oder durch andere Konventionen unberührt (Art. 17 Abs. 1 ECPT). Die Prüfung durch den Ausschuss ist, wie schon die Präambel zeigt, nicht als Ersatz für das Verfahren vor der EMRK oder anderen Konventionen gedacht; sie schließt die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK nicht aus (vgl. Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK). Art. 17 Abs. 2 ECPT stellt ausdrücklich klar, dass keine Bestimmung so auszulegen ist, dass die Befugnisse der Organe der EMRK oder die von den Vertragsparteien nach jener Konvention eingegangenen Verpflichtungen eingeschränkt oder aufgehoben werden.
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e) Die am 1.12.2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union 36 wiederholt in Art. 4 das Verbot der Folter, während die Freiwilligkeit der Heranziehung zu medizinischen und biologischen Versuchen in Art. 3 Abs. 2 lit. a EUC im Zusammenhang mit dem Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit angesprochen wird. Art. 19 Abs. 2 EUC verbietet die Abschiebung, Ausweisung oder Auslieferung in ein Land, in dem für den Betroffenen das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.37
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und Nr. 2 (ETS 152 – Wiederwahl der Ausschussmitglieder) vom 4.11.1993 (BGBl. II S. 1114), in der Bundesrepublik in Kraft seit 1.3.2002 (BGBl. II S. 1019). Committee for the Prevention of Torture or Degrading Treatment or Punishment – Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe; Nowak 2, Fn. 4. Zu den Aufgaben und zur Arbeitsweise des CPT: Kicker EYHR 2009 199; Brummer Der Europarat (2008), 205 ff.; Lettau ZfStrVo 2002 195; Puhl NJW 1990 3057; Council of Europe (Hrsg.), Bekämpfung der Folter in Europa, Die Tätigkeit und Standards des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter (2003).
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Vgl. EuGRZ 1991 549; 1993 329; 1998 301, 306; 2007 150; RuP 2010 38; Alleweldt EuGRZ 1998 345; 2000 193; Zimmermann NStZ 1992 318; ferner die „Allgemeinen Empfehlungen für die Prävention von Folter und Misshandlung; Corps of Standards des CPT“ bei Alleweldt/Reiserer EuGRZ 2000 247 ff., sowie die bei Doswald-Beck/Kolb 396 ff. auszugsweise wiedergegebenen Berichte und Erklärungen des CPT über seine Feststellungen in mehreren Staaten. ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389. Zur Umsetzung dieser Vorgabe im nationalen Recht bezogen auf § 60 Abs. 2 AufenthG: BVerwG NVwZ 2011 51, 53, Tz. 17.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Die Europäische Union verwendet im Übrigen auch finanzielle Mittel auf die Bekämpfung und Verhütung von Folter. So ist die Europäische Union mit dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) die international wichtigste Finanzierungsquelle für Projekte von zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Rehabilitierung von Folteropfern und zum weltweiten Kampf gegen Folter.38 f) Auch in anderen multinationalen Übereinkommen findet sich das Verbot der Fol- 11 ter bzw. das Verbot einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung sowie die Verpflichtung der Staaten, Zuwiderhandlungen zu bestrafen. Vor allem ist dies ein Anliegen des humanitären Völkerrechts39 (vgl. Art. 32, 146, 147 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten vom 12.8.1949;40 Art. 75 Abs. 2 lit. a, b; Art. 85 des Zusatzprotokolls I vom 8.6.1977; 41 Art. 4 Abs. 2 lit. a, e des Zusatzprotokolls II vom 8.6.1977 42). Das Römische Statut über den Internationalen Strafgerichtshof – ICC-Statut 43 spricht 12 bei den Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen, die Folter als besondere Begehungsweise der Verbrechen gegen die Menschlichkeit 44 an.45 Auch bei den Tatbeständen der Kriegsverbrechen46 wird sie in verschiedenen Formen besonders erfasst (Art. 8 Abs. 2 lit. a, ii, iii; lit. b, x, xxi; lit. e, xi). Vgl. auch Section 7 der EastTimor Reg. 2000/15.47 g) Vielfach wird die Ansicht vertreten, dass – ungeachtet der erschreckenden gegen- 13 teiligen Praxis in vielen Staaten – das Verbot der Folter durch die allgemeine verbale Akzeptanz und die völkervertragliche Ächtung zu einem ius cogens des allgemeinen Völkerrechts erstarkt sei, das allgemein und unabhängig von den Konventionen gelte.48
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So die Erklärung der Hohen Vertreterin Catherine Ashton im Namen der Europäischen Union anlässlich des Internationalen Tages der Vereinten Nationen zur Unterstützung von Folteropfern am 26.6.2011; zu den Zielen des EIDHR und den geförderten Maßnahmen siehe auch die Zusammenstellung unter http://ec.europa.eu/europeaid/ how/finance/eidhr_en.htm. Zum Verhältnis des humanitären Völkerrechts zu den Menschenrechten vgl. Abresch EJIL 2005 741; Krieger JCSL 2006 265. BGBl. 1954 II S. 917; ber. 1956 II S. 1586; dazu etwa BGHSt 46 303; zur Frage, wieweit die Vorschriften des für Konfliktfälle geltenden „humanitären Völkerrechts“ als lex specialis den Menschenrechtsverbürgungen vorgehen, vgl. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 691 ff. BGBl. 1990 II S. 1551. BGBl. 1990 II S. 1637. BGBl. 2002 II S. 1393. Siehe Art. 7 Abs. 1 lit. f i.V.m. einer besonderen Folterdefinition in Abs. 2 lit. e ICC-Statut, die unter Verzicht auf jede Bindung an bestimmte Zwecke nur auf die
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vorsätzliche Zufügung großer körperlicher oder seelischer Schmerzen abstellt. Hierzu: BGHSt 46 292. Art. 8 Abs. 2 lit. a, ii, iii, lit. b, x, xxi lit. e, xi ICC-Statut. Regulation No. 2000/15 on the Establishment of Panels with Exclusive Jurisdiction over Serious Criminal Offences, UNTAET/ REG/2000/15, abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 57. Bejahend: EGMR Al-Adsani/UK (Fn. 15); House of Lords 24.3.1999, WLR 1999 827 ff. (Pinochet) mit Anm. Dolzer NJW 2000 1700 ff.; Herdegen § 17, 14; Ipsen § 15, 59 der das Gebot der Achtung elementarer Menschenrechte als ius cogens anführt, was das Verbot der Folter, als Missachtung fundamentaler Rechte, mit einschließen dürfte; Schweitzer Staatsrecht III, § 3 B I 102c zum Gewaltverbot: Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537; Hofmann 30; Hofmann FS Zeidler 1890; Nowak 1; Nowak EuGRZ 1985 110; Vogler GedS Meyer 489; BGer EuGRZ 1983 255; vgl. auch CAT EuGRZ 1990 61; BVerwGE 67 194 lässt dies offen.
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Folgt man dieser Auffassung, dann ist das Folterverbot eine mit Vorrang geltende allgemeine Regel des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 GG. Der nicht näher bestimmte Rechtsbegriff der Folter ist dann aber eng auszulegen, da er durch das allgemein anerkannte Minimum begrenzt wird.49 Auch im Übrigen gehen die Bindungen durch eine solche Regel nicht über das hinaus, was die Vertragsstaaten in den Konventionen vereinbart haben, so dass es im Verhältnis zwischen ihnen immer auf die im Einzelnen meist weiterreichenden Verpflichtungen durch die Konventionstexte ankommt.
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2. Notstandsfestigkeit des Folterverbots. Die Verbote der Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR werden notstandsfest garantiert und können selbst durch das Recht auf Leben anderer Personen nicht eingeschränkt werden. Auch eine analoge Anwendung von Art. 2 Abs. 2 lit. a EMRK scheidet aus.50 Selbst im Falle eines Krieges51 oder eines sonstigen öffentlichen Notstandes 52 können sie nicht von den Vertragsparteien außer Kraft gesetzt werden (Art. 15 Abs. 2 EMRK / Art. 4 Abs. 2 IPBPR).53 Art. 2 Abs. 2 UNCAT schließt ebenfalls die Rechtfertigung von Folter durch Krieg, Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder einen sonstigen öffentlichen Notstand aus. Die Uneinschränkbarkeit des Folterverbots folgt innerstaatlich bereits aus der durch keine Abwägung zu relativierenden Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG).54
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3. Innerstaatliches Verfassungsrecht. Das Verbot der Folter und der grausamen und menschenunwürdigen Behandlung ergibt sich bereits aus der Verpflichtung aller Staatsorgane, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie aus der Gewährleistung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Vor allem die Achtung der Menschenwürde verbietet es, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen und ihn zu welchen Zwecken auch immer einer Behandlung auszusetzen, die seinen sozialen Wert und Achtungsanspruch negiert. Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG konkretisiert diesen Verfassungsgrundsatz nochmals durch das Verbot, festgehaltene Personen seelisch oder körperlich zu misshandeln.55 Ferner folgt aus dem Gebot der Ach-
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Vgl. etwa die Definition der Folter in Art. 1 Res. 3452 (XXX) der UN-Generalversammlung v. 9.12.1975 und die daran anknüpfende, teils weitere, teils aber auch engere in Art. 1 UNCAT. Vgl. Adam 133 f. Zur drohenden Aufweichung des Folterverbotes in kriegerischen Auseinandersetzungen am Beispiel des Afghanistan- und des Irak-Konflikts: Bahar Folter im 21. Jahrhundert (2009). Vgl. etwa EGMR Irland/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 153; Tyrer/UK, 25.4.1978, A 26 = EuGRZ 1979 162 = NJW 1979 1089; Abdulaziz u.a./UK, 28.5.1985, A 94 = EuGRZ 1985 567 = NJW 1986 3007; Vilvarajah u.a./UK, 30.10.1991, A 215 = ÖJZ 1992 309 = NVwZ 1992 869; Tomasi/F, 27.8.1992, A 241-A = EuGRZ 1994 101 = ÖJZ 1993 137; Chahal/UK, 15.11.1996, Rep. 1996-V = NVwZ 1997 1043 = ÖJZ 1997 632 = InfAuslR 1997 97;
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(GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005, ECHR 2005 IV = EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267; siehe auch das Kammer-Urteil v. 12.3.2003, EuGRZ 2003 472; Grabenwarter § 20, 35; Meyer-Ladewig 1; Esser 374 m.w.N. Nr. 16.3 des Kopenhagener Abschlussdokuments über die menschliche Dimension der KSZE (EuGRZ 1990 239) v. 29.6.1990 bekräftigt dies. Zur Problematik bei extremen Notstandssituationen vgl. Brugger JZ 2000 165; ferner Hamm NJW 2003 946; Hilgendorf JZ 2004 331; Jerouschek/Köbel JZ 2003 613; Merten JR 2003 404; Miehe NJW 2003 1219; H. Ch. Schäfer NJW 2003 947 (Androhung zur Abwehr einer akuten Lebensgefahr); Wagner ZaöRV 63 (2003) 817. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen eines absoluten Folterverbots: Jerouschek/ Kölbel JZ 2003 613; Merten JR 2003 404; siehe auch Rottmann 75 ff.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
tung der Menschenwürde, der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit (Art. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und aus dem auch im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Verfassung grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen verbietet. Sie verbietet darüber hinaus auch nach Art und Maß schlechthin unangemessene Strafen, die in keinem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und der Schuld des Täters stehen.56 Auch die Auslieferung oder Ausweisung in einen anderen Staat ist verfassungswidrig, wenn das Verfahren oder die Haftbedingungen, die den Betroffenen dort erwarten, dem völkerrechtlichen Mindeststandard und den elementaren rechtsstaatlichen Anforderungen an den Schutz seiner Menschenwürde nicht entsprechen. Es dürfen keine begründeten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Betroffenen dort Folter oder sonst eine menschenrechtswidrige Behandlung drohen (vgl. Rn. 35 ff.).57 Einfachrechtlich ist das Verbot der Folter durch Straftatbestände, etwa §§ 223 ff., 16 240 ff., 340, 343 StGB und § 7 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Nr. 3, 8, 9 VStGB, verfahrensrechtlich durch § 114b StPO sowie vor allem durch die Verbote in §§ 136a, 69 Abs. 3, 163a Abs. 3 bis 4 StPO geschützt, wobei § 136a Abs. 3 StPO ausschließt, die durch solche Maßnahmen verbotswidrig gewonnenen Aussagen im Strafverfahren zu verwerten.58 Zahlreiche Länderpolizeigesetze sehen ein Verbot unmittelbaren Zwangs zur Abgabe einer Erklärung vor (vgl. bspw. Art. 58 Abs. 2 BayPAG).
II. Regelungsgehalt und Reichweite des Verbots 1. Unterlassungspflicht des Staates. Für die Tathandlung der Folter oder der un- 17 menschlichen Behandlung als solche kommt es nicht darauf an, ob der Täter in amtlicher Eigenschaft diese menschenrechtswidrigen Handlungen begeht.59 Dies gilt auch, soweit nationale oder internationale Straftatbestände auf die Folter als Tatbestandsmerkmal abstellen. Die Verpflichtungen der Konventionen betreffen dagegen das Verhältnis des Staates zu dem betroffenen Einzelnen. Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR verlangen vom Staat, dass er jedes Verhalten unterlässt, das gegen die sich daraus ergebenden Verpflichtungen verstoßen würde. Er hat dafür einzustehen, dass sich alle seine Institutionen konventionsgemäß verhalten.60 Die Gesetzgebung darf auf allen Stufen der Normsetzung keine unmenschliche oder 18 erniedrigende Behandlung oder Bestrafung von Personen vorschreiben, vor allem nicht bei bestimmten Personengruppen61 oder Personen in bestimmter Lage.62 Das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung bindet auch die Rechtsprechung im Einzelfall; es dürfen keine solchen Strafen verhängt und keine mit
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Vgl. etwa: BVerfGE 6 439; 45 228; 50 133; 72 116; 75 16. BVerfGE 63 332, 337 = NJW 1983 1726; 75 1, 16 ff. = NJW 1987 2155; 108 129 = NVwZ 2003 1499; BVerfG StV 2004 440; NVwZ 2008 71; vgl. Rn. 36 f. Vgl. LR/Gleß § 136a, 69 ff. StPO. Zur Problematik der Folter durch nichtstaatliche Gruppen: Ambos/Tiwenning NStZ-RR 2002 289 (bzgl. Rechtsprechung des ICTY). EGMR Z u.a./UK, 10.5.2001, ECHR 2001-V = ZfJ 2005 154; Meyer-Ladewig 7.
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Insoweit spielen auch die Diskriminierungsverbote der Konventionen eine Rolle. Zur Prügelstrafe: EGMR Tyrer/UK (Fn. 52); vgl. aber auch: EGMR Costello-Roberts/UK, 25.3.1993, A 247-C = ÖJZ 1993 767 (Körperstrafe in Privatschule); EKMR EuGRZ 1982 153; 1983 430; Esser 383. Zu einer als demütigend angesehenen, aber nicht erniedrigenden gesetzlichen Regelung im Bereich des Familienrechts: EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = EuGRZ 1979 454 = NJW 1979 2449 = FamRZ 1979 903; Frowein/Peukert 11.
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diesem Verbot unvereinbaren Maßnahmen angeordnet werden. Vor allem aber gelten die Verbote für alle Maßnahmen der Exekutive, nicht zuletzt auch für die Behandlung aller auf behördliche Anordnung in Gewahrsam genommenen und in Gefängnissen, Heimen oder Krankenhäusern usw. untergebrachten Personen. Die staatliche Verantwortung erstreckt sich auch auf das Verhalten der Personen, die 19 im Auftrag amtlicher Stellen oder mit deren stillschweigendem Einverständnis oder Duldung tätig werden.63 Andere Einzelhandlungen privater Personen sind dem Staat nicht zuzurechnen; er hat seine Verpflichtungen aus den Konventionen erfüllt, wenn er solche Taten unter eine angemessene Strafe stellt und sich nach besten Kräften um deren Verhütung, Aufklärung und Ahndung bemüht (vgl. Rn. 27). 2. Gewährleistungspflicht des Staates
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a) Allgemeines. Die Pflicht, in seinem Herrschaftsbereich sicherzustellen, dass das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von allen seinen Organen beachtet wird,64 löst für den Staat auch positive Schutzpflichten65 aus. Neben der Schaffung entsprechender Regelungen und einer ausreichenden Strafbewehrung derartiger Handlungen66 sind die laufende Kontrolle staatlicher Organe ,67 eine präventive Aufklärung und Schulung von Exekutivorganen 68 sowie ein unverzügliches Einschreiten erforderlich, sobald Verstöße bekannt werden.69 Bei erkennbaren konkreten Gefährdungen, gleich von wem sie ausgehen, muss er präventiv eingreifen, um ernsthafte Gefährdungen und Verletzungen zu verhindern.70 Dagegen ist der Staat nicht verpflichtet, einem Betroffenen durchsetzbare Rechtsbehelfe gegen einen anderen Staat wegen einer dort erlittenen Verletzung einzuräumen.71
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So ausdrücklich Art. 1 Abs. 1 UNCAT und Art. 1 Abs. 1 der Resolution 3452 (XXX) der UN-Generalversammlung. Die Verpflichtung des Staates, Folterungen in allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten durch gesetzgeberische, verwaltungsmäßige, gerichtliche und sonstige Maßnahmen zu verhindern und alle Folterhandlungen als Straftaten angemessen zu bestrafen, wird ausdrücklich auch in Art. 2 und 4 UNCAT festgelegt. Für die Bundesrepublik folgt dies bereits aus der Pflicht, die Menschenwürde zu achten (Art. 1 GG). Vgl. Grabenwarter § 20, 36; Meyer-Ladewig 10 ff. Die Suspendierung einer Gefängnisstrafe wegen Folter bzw. Körperverletzung im Amt aufgrund eines entsprechenden Gesetzes genügt diesem Erfordernis nicht und verstößt gegen Art. 3 EMRK: EGMR Ali u. Ayse Duran/TRK, 8.4.2008. Hierzu trägt auch das Gebot des Art. 5 Abs. 3 EMRK bei, jeden Festgenommenen unverzüglich einem Richter vorzuführen, vgl. Art. 5 EMRK Rn. 200. Das HRC,
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General Comment Nr. 20 (1992), hat eine Reihe von Vorkehrungen aufgeführt, durch die die Staaten der Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder grausamen Behandlung inhaftierter Personen vorbeugen sollen. Diese reichen von ausreichenden nationalen Strafvorschriften und der Aufklärung und Bestrafung von Folter, der Unterrichtung der Bevölkerung über das Folterverbot, der Unverwertbarkeit durch Folter erlangter Aussagen bis zu einer zugänglichen Dokumentation über jede Inhaftierung (wiedergegeben bei DoswaldBeck/Kolb 338 ff.). Zur Behandlung des Folterverbotes im Lebenskundlichen Unterricht für Bundeswehrsoldaten durch Angehörige der katholischen Militärseelsorge siehe kritisch BT-Drucks. 17 4640 u. 4396. Vgl. auch zu Art. 7 IPBPR: HRC Agabekov/ Usbekistan, 3.5.2007, 1071/2002, § 7.2; HRC General Comment Nr. 20 (1992), § 14. Vgl. Grabenwarter § 20, 36 m.w.N. EGMR Al-Adsani/UK (Fn. 15); Meyer-Ladewig 7.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
b) Pflicht zur Aufklärung und Dokumentation. Eines der größten Probleme bei der 21 Prävention und Aufklärung von Foltervorfällen war lange Zeit das Fehlen allgemeingültiger Richtlinien zur Dokumentation entsprechender Untersuchungen. Nach der Veröffentlichung solcher Standards („Istanbul-Protokoll“) im Jahr 1999, wurde diese als Dokument ein Jahr später von den UN offiziell angenommen.72 Unabhängig von diesen Vorgaben auf UN-Ebene hat der EGMR Aufklärungs- und Dokumentationsstandards entwickelt. Die zuständigen staatlichen Stellen müssen unverzüglich eine umfassende und wirksame Untersuchung von Amts wegen73 einleiten, wenn substantiierte Anhaltspunkte einen Verstoß als möglich erscheinen lassen, unabhängig davon, ob seitens des Opfers Anzeige erstattet worden ist.74 Eine Missachtung dieser aus Art. 3 EMRK abzuleitenden prozessualen Aufklärungspflicht wird vor allem konventionsrechtlich relevant, wenn es dem EGMR nicht möglich ist, festzustellen, ob eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung tatsächlich stattgefunden hat.75 Zu den Mindestanforderungen, die der Gerichtshof an die Effektivität der Unter- 22 suchungen stellt, gehört, dass diese von den zuständigen Behörden unabhängig76 und objektiv, unverzüglich sowie mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden.77 Die Ermittlungen müssen zum Ziel haben und dazu geeignet sein, die Verantwortlichen festzustellen
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Anlage zu der Resolution 55/89 vom 4.12.2000 (vgl. http://daccess-dds-ny.un.org/ doc/UNDOC/GEN/N00/564/73/PDF/ N0056473.pdf?OpenElement – S. 5 ff.); Frewer/Furtmayr/Krása/Wenzel (Hrsg.), Istanbul-Protokoll, Untersuchung und Dokumentation von Folter und Menschenrechtsverletzungen (2009). Zu den Anforderungen des EGMR an die unverzügliche Aufklärung: EGMR Caloc/F, 20.7.2000, ECHR 2000-IX; sofortige Einvernahme der Zeugen: EGMR Assenov/BUL, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII; Besichtigung des mutmaßlichen Tatorts: EGMR Aydin/TRK, 25.9.1997, Rep. 1997-VI, § 93; Notwendigkeit einer forensischen und medizinischen Untersuchung zur Feststellung von in Haft erlittenen Verletzungen: EGMR Chitayev u. Chitayev/R, 18.1.2007, §§ 163 ff.; vgl. Esser 387; Meyer-Ladewig 14 ff. m.w.N; zu Art. 7 IPBPR vgl. HRC Avadanov/ASE, 2.11.2010, 1633/2007 (Pflicht zur Aufklärung von Vorwürfen betreffend Folter/unmenschliche Behandlung). So auch Art. 12 UNCAT; Esser 387, 388 m.w.N. (auch zur Frage der Mitwirkungspflicht des Opfers). EGMR Maslova u. Nalbandov/R, 24.1.2008; Mikheyev/R, 26.1.2006, § 121 (Verstoß festgestellt, Einwand der fehlenden Rechtswegerschöpfung zurückgewiesen); Khashiyev u.a./R, 24.2.2005, § 178, EuGRZ 2006 47; Martinez Sala u.a./E, 2.11.2004, § 160 (Polizeihaft).
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Z.B. nicht gewährleistet, wenn die Ermittlungen von Mitgliedern der Division oder Abteilung („division or detachment“) durchgeführt werden, der auch die mutmaßlichen Täter angehören: EGMR Güleç /TRK, 27.7.1998, Rep. 1998-IV (Entscheidung erging zu Art. 2 EMRK). Vgl. EGMR Menesheva/R (Fn. 32), § 67; (GK) Gäfgen/D, 1.6.2010, § 117, NJW 2010 3145 = EuGRZ 2010 417 m. Anm. Weigend StV 2011 325; Sauer JZ 2011 23; Grabenwarter NJW 2010 3128. Vgl. auch HRC Isaeva/Uzbekistan, 22.4.2009, 1163/2003, § 9.2; HRC Sattorova/Tajikistan, 22.4.2009, 1200/2003, § 8.4; HRC Dunaev/Tajikistan, 22.4.2009, 1195/2003, § 7.3: Sobald ein Verstoß gegen Art. 7 IPBPR plausibel behauptet wird, muss der Staat umgehend und unparteiisch Untersuchungen anstellen („promptly and impartially“). Die Beweislast hinsichtlich des Verstoßes kann dabei nicht allein beim Bf. liegen, vielmehr müssen die ungleichen Zugangsmöglichkeiten von Staat und Verfasser zu den Beweismitteln berücksichtigt werden. Vgl. zu Art. 7 IPBPR auch HRC Eshonov/Usbekistan, 18.8.2010, 1225/2003: Bei einem Gefangenen besteht eine besondere staatliche Aufsichtspflicht zur Vermeidung von Folter. Staatliche Stellen müssen einer behaupteten Folter sofort und unparteilich nachgehen und gewährleisten, dass die Verantwortlichen angeklagt werden.
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und zu verurteilen, ggf. auch zu bestrafen.78 Auch darf keine Unverhältnismäßigkeit zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und der auferlegten Bestrafung andererseits bestehen, denn andernfalls würde die Pflicht des Staates, ein nachhaltiges Ermittlungsverfahren durchzuführen, viel an Bedeutung verlieren.79 Zudem darf auch die abschreckende Wirkung und verhütende Funktion des Justizwesens nicht unterlaufen werden.80 Die Behörden müssen sämtliche zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Beweise (z.B. Aussagen der Augenzeugen; forensische Beweise) für den fraglichen Vorfall zu sichern.81 Außerdem muss ihre Kontrolle durch die Öffentlichkeit möglich sein.82 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so resultiert aus dem Fehlen eines tatsächlichen Ermittlungserfolges allein kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.83 Der Betroffene ist ebenfalls angemessen zu den Ermittlungen hinzuzuziehen.84 Damit er auch selbst seine Interessen vertreten und auf eine Bestrafung hinwirken kann, sind ihm die Ergebnisse der Untersuchung zugänglich zu machen;85 er muss auch effektive Rechtsbehelfe haben,86 deren Vorliegen bei einer überlangen Verfahrensdauer ausgeschlossen ist.87 Diese Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK beschränken sich nicht auf das Ermittlungsverfahren, sondern gelten gleichermaßen für das gesamte Verfahren einschließlich des (straf-) gerichtlichen Verfahrens, welches überdies nicht verjähren darf. Unter keinen Umständen dürfen die Gerichte ermächtigt sein, Straffreiheit (z.B. durch Begnadigung 88) für erhebliche Angriffe auf die physische und psychische Unversehrtheit eines anderen zu gewähren.89 78
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EGMR (GK) Labita, 6.4.2000, ECHR 2000IV, § 131; Camdereli/TRK, 17.7.2008; Stoica/ RUM, 4.3.2008; vgl. auch HRC General Comment Nr. 31 (2004), § 18. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), §§ 123–124 zur Klassifizierung eines Verhaltens als unmenschliche Behandlung einerseits und der Auferlegung einer Geldstrafe von 60 bzw. 90 Tagessätzen à 60 bzw. 120 Euro (unter Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB) andererseits; kritisch zur Überprüfung der Strafbemessung durch den EGMR Grabenwarter NJW 2010 3128, 3129 f.; Weigend StV 2011 325, 327; Sauer JZ 2011 23, 27. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), § 121; zur generalpräventiven Funktion staatlicher Untersuchungen auch Grabenwarter NJW 2010 3128, 3129. EGMR Zelilof/GR, 24.5.2007, § 56. EGMR Menesheva/R, 9.3.2006, ECHR 2006-III, § 67. EGMR Mikheyev/R (Fn. 75), §§ 107 f. EGMR Bekos u. Koutropoulos/GR, 13.12.2005, ECHR 2005-XIII, §§ 53 ff. (Fehlen einer effektiven Untersuchung begründet für sich einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK); vgl. auch EGMR M.C./BG, 4.12.2003, ECHR 2003-XII, §§ 169 ff.; dazu Pitea JICJ 2005 447; HRC McCallum/Südafrika, 2.11.2010, 1818/2008 (Verletzung von Art. 7 IPBPR, wenn der Staat auf die detail-
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lierten Aussagen, Beschreibungen und Auskünfte des Folteropfers nicht eingeht und sie nicht in die Ermittlungen mit einbezieht). Allerdings betont das HRC nicht nur ein Mitwirkungsrecht, sondern auch eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen. So wurde in HRC Lyashkevich/Usbekistan, 11.5.2010, 1552/2007, eine Verletzung von Art. 7 IPBPR abgelehnt, weil nie ein Versuch unternommen wurde, die behauptete Verletzung vor Gericht geltend zu machen. EGMR Aksoy/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI, §§ 97–99; Aydin/TRK (Fn. 73), § 103; Tekin/TRK, Rep. 1998-V; Cakici/ TRK, ECHR 1999-IV; Esser 287. EGMR Macovei u.a./RUM, 21.6.2007 (Rechtsbehelf gegen die Weigerung der StA, Anklage gegen die Täter zu erheben); Tas¸tan/TRK, 4.3.2008; Dedovskiy u.a./R, 15.5.2008; (GK) Gäfgen/D (Fn. 77). Zur Frage der Anwendbarkeit des Art. 13 EMRK: Meyer-Ladewig 14. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), § 127. EGMR Okkali/TRK, 17.10.2006, ECHR 2006-XII = ÖJZ 2008 293, §§ 65, 76 („criminal proceedings and sentencing must not be time-barred“). Vgl. u.a. EGMR Wiktorko/PL, 31.3.2009, § 58; HRC Uteeva/Usbekistan, 13.11.2007, 1150/2003, § 7.2; HRC General Comment 20 (1992), § 14.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
c) Darlegungs- und Erklärungspflichten. Bei einer Person, die sich im Gewahrsam 23 staatlicher Organe befand (einschließlich Vernehmungssituationen), obliegt es dem Staat nachzuweisen, wie er seinen Verpflichtungen nachgekommen ist (Darlegungs- und Beweislast). Der Staat ist gehalten, eine auf gründliche Untersuchungen gestützte plausible, überzeugende Erklärung dafür zu geben, warum eine Person bei der Entlassung Verletzungen aufweist, die sie noch nicht hatte, als sie in Gewahrsam genommen worden war.90 Anderenfalls kann der Gerichtshof aus den Behauptungen des Bf., ebenso aus der sonstigen Verdachts- und Beweislage Schlüsse zu Lasten des Staates ziehen.91 Dabei geht er auch davon aus, dass in dieser Situation im Prinzip jede Anwendung körperlicher Gewalt eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt, sofern sie nicht aufgrund des Verhaltens des Betroffenen zwingend erforderlich war (vgl. Rn. 81).92 Der Freispruch einer für die Verletzungen verantwortlich gemachten Person durch ein an die Unschuldsvermutung und die damit zusammenhängende Beweislast gebundenes innerstaatliches Gericht schließt diese Erklärungspflicht gegenüber den Konventionsorganen und die Verantwortung des Staates für nicht aufgeklärte Verletzungen nicht aus.93 Der Gerichtshof sieht sich zwar nicht an die Feststellung von Tatsachen durch die nationalen Instanzen gebunden, vermeidet es aber im Allgemeinen, seine eigene Würdigung der Tatsachen an die Stelle der innerstaatlichen Gerichte zu setzen. Bei Beschwerden im Rahmen von Art. 3 EMRK nimmt der EGMR aber stets eine besonders strenge Prüfung der auf nationaler Ebene ermittelten Tatsachen vor.94 d) Präventionsmaßnahmen. Die Vertragsstaaten müssen gewährleisten, dass die Aus- 24 bildung des Gefängnispersonals auch darauf ausgerichtet wird, dass das Aufsichtspersonal mit schwierigen Häftlingen ohne Anwendung übermäßiger physischer Gewalt umzugehen weiß.95 Kommt es im Rahmen staatlich zurechenbarer Aktivitäten im Ausland (u.a. Militärund Polizeieinsätze) zur Festnahme einer Person, so darf der Betroffene nur dann an die örtliche Polizei überstellt werden, wenn gründlich geprüft wurde, dass er dort weder Folter noch Misshandlungen ausgesetzt sein wird. Wichtig sind auch Präventivmaßnahmen, die den Anreiz zur Folter mindern, wie ein 25 Beweisverbot, das alle durch Folter erlangten Aussagen unverwertbar macht,96 die alsbaldige Vorführung eines Festgenommenen vor den Richter 97 oder das Verbot der völligen Isolierung eines Gefangenen. Art. 2, 4, 10, 11, 15 UNCAT schreiben solche Präven-
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EGMR Ribitsch/A, 4.12.1995, A 336 = EuGRZ 1996 504 = ÖJZ 1996 148; Selmouni/F, 28.7.1999, ECHR 1999-V = NJW 2001 56; Salman/TRK, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = NJW 2001 2001. Vgl. auch EGMR Tomasi/F (Fn. 52); Doganay/TRK, 21.2.2006, § 30; Mammadov (Jalaloglu)/ ASE, 11.1.2007, §§ 60 ff.; Chitayev u. Chitayev/R (Fn. 73), §§ 148 ff.; Koçak/TRK, 3.5.2007; Haci Özen/TRK, 12.4.2007; Colibaba/MOL, 23.10.2007, § 43; Tas¸ tan/TRK (Fn. 86); Mansurog˘lu/TRK, 26.2.2008; Palushi/A, 22.12.2009, ÖJZ 2010 426; Azur/TRK, 15.12.2009; Esser 386 m.w.N.; HRC Sirageva/Usbekistan,
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18.11.2005, 907/2000, § 6.2; HRC Sathasivam, Saraswathi/Sri Lanka, 31.7.2008, 1436/2005, § 6.2 f. Vgl. EGMR Mikheyev/R (Fn. 75), § 102; HRC Komarovski/Turkmenistan, 5.8.2008, 1450/2006, § 7.6. EGMR Protopapa/TRK, 24.2.2009, § 43. Vgl. die Entscheidungen in den vorstehenden Fn.; ferner Esser 390. EGMR Palushi/A (Fn. 90), § 55; Romanov/R, 24.7.2008, § 59; Matko/SLO, 2.11.2006, § 100. EGMR Palushi/A (Fn. 90), § 63. HRC bei Nowak EuGRZ 1982 12. Vgl. Art. 5 EMRK Rn. 200.
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
tivmaßnahmen ausdrücklich vor. Im Übrigen begründet diese Konvention über Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR hinausreichende detaillierte Verpflichtungen des Staates, wie etwa jene zur innerstaatlichen Bestrafung oder Auslieferung von Personen (Art. 4, 6, 8 UNCAT), die verdächtig sind, im Ausland Folterhandlungen begangen zu haben, ferner die Verpflichtung, im innerstaatlichen Recht einen wirksamen Rechtsbehelf und einen Anspruch auf Entschädigung vorzusehen (Art. 13, 14 UNCAT) .98 Erweiterung des Kreises der Betroffenen auf Angehörige von Opfern. Auch für nahe 26 Angehörige von getöteten, gefolterten oder verschwundenen Personen kann die Sorge um den Verbleib des Opfers schweres psychisches Leid mit sich bringen und damit dem Art. 3 EMRK unterfallen (Opfereigenschaft des Angehörigen).99 Es müssen allerdings besondere Umstände vorliegen, die über das Leid hinausgehen, das Angehörige von Opfern einer schweren Menschenrechtsverletzung ohnehin empfinden.100 Es kommt dabei insbesondere auf die Nähe und die Umstände der Familienbeziehung an sowie darauf, ob der betreffende Angehörige versucht hat, Informationen über den Verbleib des Opfers zu erhalten, sowie auf das Verhalten und die Reaktionsweise der Behörden.101
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3. Schutz vor Misshandlung und Bestrafung durch Privatpersonen. Die UNCAT erfasst nur die dem Staat zurechenbaren Maßnahmen. Wieweit der Staat aufgrund der Konventionen auch jede Art von Folter und unmenschlicher Behandlung durch Privatpersonen in seinem eigenen Hoheitsbereich zu verantworten hat, kann daher im Einzelnen zweifelhaft sein.102 Eine Zurechnung ist zu bejahen, soweit Einzelhandlungen Privater wegen der besonderen Verhältnisse auch vom Staat zu verantworten sind, weil sie von ihm initiiert oder geduldet wurden oder weil seine Organe sie hätten rechtzeitig erkennen und verhindern können.103 Dies gilt vor allem, wenn die Organe im staatlichen Hoheits-
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Diese Entschädigungspflicht würde konterkariert, wenn der Staat gegen die aus Anlass einer Folter gewährte Entschädigung (z.B. Schmerzensgeld) mit eigenen Ansprüchen gegen den Verletzten (etwa einem Anspruch auf Übernahme der Prozesskosten) aufrechnen könnte. Vgl. hierzu den Fall Gäfgen (Fn. 77) – Androhung von Folter als unmenschliche und erniedrigende Behandlung; Zusprechung von Schmerzensgeld i.H.v. 3.000 € (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 4.8.2011, Az. 2-04 O 521/05 – nicht rechtskräftig), die allerdings nach Mitteilung der StA Frankfurt nicht an den Verurteilten ausgezahlt wurden, da dieser noch Teile der Prozesskosten zu tragen hatte. Ein Verstoß gegen Art. 16 UNCAT (Verbot der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung liegt im konkreten Fall nicht vor, da die Vorschrift nicht auf die Entschädigungspflicht aus Art. 14 UNCAT verweist. Vgl. SK/Paeffgen 46 m.w.N.; EGMR Tanis u.a./TRK, 24.1.2006, ECHR 2005-VIII, § 221; Bazorkina/R, 27.7.2006, §§ 139 ff.; Akhmadova u. Sadulayeva/R, 10.5.2007;
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Mubilanzila Mayeka u. Kaniki Mitunga/B, 12.10.2006, ECHR 2006-XI = NVwZ-RR 2008 573 (Sorge einer Mutter um ihr 5-jähriges Kind, das in einem Transit-Zentrum festgehalten und anschließend abgeschoben wurde); Akpinar u. Altun/TRK, 27.2.2007, §§ 84 ff. (durch die Verstümmelung der Leiche eines nahen Angehörigen verursachtes psychisches Leid). EGMR Khadzhialiyev u.a./R, 6.11.2008 (Unmöglichkeit der angemessenen Beerdigung von verstümmelten und enthaupteten Opfern, da die fehlenden Körperteile nicht gefunden wurden). EGMR Kurt/TRK, 25.5.1998, Rep. 1998-III; Togcu/TRK, 31.5.2005, § 127; Luluyev u.a./R, 9.11.2006, ECHR 2006-XIII, §§ 116 ff.; (GK) Varnava u.a./TRK, 18.9.2009, §§ 200 ff. = NJOZ 2011 529 f. (zu der Reaktion und dem Verhalten der Behörden). Bejahend etwa Nowak 41; siehe auch: EGMR O/TRK, 9.6.2009. Vgl. Grabenwarter § 20, 36.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
bereich unter Missachtung der staatlichen Schutzpflicht Übergriffe privater Gruppen bewusst ermöglichen oder zumindest dulden oder unbestraft lassen, obwohl sie an sich zum Eingreifen verpflichtet und auch in der Lage gewesen wären.104 Dies gilt namentlich bei Kindern und anderen schutzbedürftigen Personen; hier obliegen dem Staat besondere Schutzpflichten, denen er durch angemessene Maßnahmen nachkommen muss.105 Grundsätzlich genügt der Staat seiner Schutzpflicht, wenn er Verletzungshandlungen durch Privatpersonen, die als Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu werten sind, nach innerstaatlichem Recht als Straftaten mit dem gebotenen Nachdruck (effektiv) verfolgt und angemessen ahndet. Hinsichtlich der jeweils erforderlichen Maßnahmen hat der Staat einen Ermessenspielraum. Der Staat muss jedoch alle zumutbaren Maßnahmen treffen, um eine angemessene Untersuchung von Straftaten zu gewährleisten. Werden keine effektiven Schritte unternommen, einen Menschen vor permanenten Übergriffen anderer Privatpersonen zu schützen, kann darin eine Verletzung von Art. 3 EMRK liegen.106 Jede staatliche Maßnahme zum Schutz vor Straftaten durch Private muss jedoch selbst im Einklang mit der Konvention stehen. Eine staatliche Schutzpflicht (Opferschutz) findet daher stets ihre Grenze bei unabdingbaren Elementen anderer Konventionsgarantien, namentlich der Art. 5 und 7 EMRK.107 4. Behandlung oder Bestrafung. Behandlung setzt ein Tun oder Unterlassen bestimm- 28 ter Personen in Bezug auf den Betroffenen voraus, das aber nur bei der Folter von der Absicht einer zweckgerichteten, die Menschenwürde bewusst missachtenden Leidenszuführung bestimmt sein muss.108 Bestrafung ist ein Sonderfall der Behandlung; sie umfasst jede von staatlichen Orga- 29 nen als Sanktion für ein Fehlverhalten angeordnete Zufügung von Leiden, Beschränkungen oder Nachteilen. Darunter fallen nicht nur die echten Kriminalstrafen und alle Rechtsfolgen mit strafrechtlichem Sanktionscharakter einschließlich der Maßnahmen der Besserung und Sicherung und der sonstigen Nebenfolgen, sondern auch Disziplinarmaßnahmen, Schulstrafen, Maßnahmen zur Durchsetzung der Anstaltsordnung in Erziehungsheimen und psychiatrischen Krankenhäusern sowie andere Sanktionen, wobei deren Qualifizierung im nationalen Recht oder die Bezeichnung durch die Behörden nicht entscheidend ist. Ob eine Bestrafung vorliegt, entscheidet der Gerichtshof im Zweifel anhand der Umstände des Einzelfalls.109 Die Grenze zur Behandlung ist fließend, vor allem
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EGMR Secic/KRO, 31.5.2007, §§ 50 ff. (unzureichende Ermittlungen nach einem rassistisch motivierten Angriff); Members of the Gldani Congregation of Jehova’s Witnesses/GEO, 3.5.2007, §§ 98 ff. (Weigerung der Polizei, gegen einen Angriff vorzugehen). Vgl. EGMR Osman/UK, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII; Z u.a./UK (Fn. 60); Grabenwarter § 20, 36; Meyer-Ladewig 10 ff. EGMR Milanovic/SRB, 14.12.2010 (unzureichende Untersuchung und Fahndung nach Tätern, die immer wiederkehrende Angriffe auf einen Hare-Krishna-Anhänger ausführen). EGMR Jendrowiak/D, 14.4.2011, §§ 36–37, 48: Schutzpflicht des Staates vor gefähr-
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lichen (zur Entlassung anstehenden) Straftätern, die im Verdacht stehen, erneut Straftaten zu begehen, kann die nachträgliche Verlängerung einer präventiven Unterbringung (Sicherungsverwahrung) über einen ursprünglich gesetzlich festgelegten Höchstzeitraum von 10 Jahren nicht rechtfertigen, da die Verlängerung ihrerseits unter keinem Gesichtspunkt der Art. 5 und 7 EMRK zu rechtfertigen war. Nowak 6 unter Hinweis auf einen im Vorarlberger Gemeindekotter vergessenen Gefangenen. EGMR Dedovskiy u.a./R (Fn. 36, Bestrafung der Gefangen durch Schläge mit Gummiknüppeln, die offiziell andere Ziele erreichen sollte, hierfür nach Ansicht des
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
bei Maßnahmen, die auch Präventivcharakter haben. Wegen der Gleichstellung beider ist dies aber ohne größere praktische Auswirkung. 5. Auslieferung, Ausweisung und Abschiebung
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a) Allgemeine Grundsätze. Auslieferung, Ausweisung und Abschiebung werden ebenfalls vom Begriff Behandlung umfasst. Sie werden durch Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR grundsätzlich nicht ausgeschlossen,110 da aus diesen weder ein Aufenthalts- oder Asylrecht hergeleitet werden kann,111 noch ein Verbot der Abschiebung oder Auslieferung.112 Den Staaten steht es frei, wie sie Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Fremden im Rahmen des Völkerrechts und ihrer vertraglichen Verpflichtungen selbst regeln wollen.113 Die Konventionen gehen von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung aus (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK). Dies gilt im Verhältnis zu allen Staaten, nicht nur zu den Konventionsstaaten. In der Auslieferung oder Abschiebung als solcher liegt in der Regel auch keine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung.114 Selbst die Abschiebung oder Auslieferung in ein Land, in welchem dem Betroffenen Folter droht, wird von Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR nicht ausdrücklich verboten. Da das Folterverbot aber im Hinblick darauf, dass es eine der Grundwerte der demokratischen Gesellschaften darstellt, absolut115 gilt, wird aus Sinn und Zweck des Art. 3 EMRK in Verbindung mit der aus der Präambel sich ergebenden Zielsetzung der Konvention hergeleitet,116 dass ein Staat auch nicht dadurch mittelbar zu einem Verstoß gegen das Folterverbot beitragen darf, dass er Personen in ein Land ausliefert, ausweist oder abschiebt, wenn begründete Tatsachen ergeben, dass ihnen dort konkret durch Träger der staatlichen Herrschaftsgewalt oder durch von diesen geduldete oder mangels
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Gerichtshofs jedoch nicht geeignet und unverhältnismäßig waren). EKMR EuGRZ 1984 324; Frowein/Kühne ZaöRV 43 (1983) 555; Morvay ZaöRV 21 (1961) 323 ff. Etwa EGMR Vilvarajah/UK (Fn. 52); Ahmed/A, 17.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1997 231 = NVwZ 1997 1078 = InfAuslR 1997 279; Chahal/UK (Fn. 52); vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 416; BVerfG NVwZ 1990 452 (Folter nur asylerheblich, wenn wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder verschärft angewendet); vgl. auch Noll IJRL 2005 542; Meyer-Ladewig 60. Etwa EGMR Soering/UK (Fn. 5); Bensaid/UK, 6.2.2001, ECHR 2001-I = NVwZ 2002 453 = InfAuslR 2001 364; EKMR EuGRZ 1984 324; BVerwGE 67 184, 195; BVerfG JZ 2004 141 (Auslieferung nach Indien) mit krit. Anm. Vogel; Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 555; Kimminich EuGRZ 1986 317; Trechsel EuGRZ 1987 70 ff.; Vogler ZStW 89 (1977) 765. § 60 Abs. 5 AufenthG verbietet ausdrücklich die Abschiebung, soweit sich ihre
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Unzulässigkeit aus der EMRK ergibt. Siehe Art. 15 lit. b RiL 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. „Qualifikationsrichtlinie“), ABlEU Nr. L 304 v. 30.9.2004, S. 12; dazu Hruschka/Lindner NVwZ 2007 645. EGMR Aronica/D (E), 18.4.2002, EuGRZ 2002 514 = ÖJZ 2003 309. Dagegen zur Frage der Wandelbarkeit der Begrifflichkeiten: Demko HRRS 2005 94. Vgl. EGMR Soering/UK (Fn. 5); Cruz Varas/S, 20.3.1991, A 201 = EuGRZ 1991 203 = NJW 1991 3079 = ÖJZ 1991 519 = InfAuslR 1991 217; Vilvarajah u.a./UK (Fn. 52); Chahall/UK (Fn. 52); (GK) Mamatkulov u. Abdurasulovic/TRK, 6.2.2003, EuGRZ 2003 704; EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 416; vgl. andererseits EKMR bei Trechsel EuGRZ 1987 72 (Kirkwood).
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Durchsetzungsfähigkeit nicht verhinderte Gruppierungen (territorial dominante Banden, Bürgerkriegsparteien und anderen Gruppen) Folter oder eine unmenschliche Behandlung oder Bestrafung drohen.117 b) Verfassungsrechtliche Ebene. In Deutschland steht einer Auslieferung bei der 31 ernsthaften Gefahr der Folter oder sonst einer gravierenden unmenschlichen Behandlung oder Strafe auch § 73 IRG entgegen.118 Desgleichen wird aus der Schutzpflicht des Staates nach Art. 1 Abs. 1 GG ein solches Verbot hergeleitet,119 sofern die Gefahr nicht durch eine verlässliche Zusicherung des Empfängerstaates abgewendet werden kann. Auf verfassungsrechtlicher Ebene ist umstritten, ob die im Ausland zu erwartende 32 Behandlung im vollen Umfang an den deutschen Grundrechten gemessen werden kann bzw. sogar muss. Überwiegend wird ein solcher Ansatz abgelehnt, da es sich bei der Behandlung des Betroffenen im ersuchenden Staat um eine Maßnahme fremder Staatsgewalt handele und eine vollständige Grundrechtsprüfung auf eine Art Bevormundung des ausländischen Staates hinausliefe.120 Eine im Vordringen befindliche Ansicht mahnt dagegen eine vollständige Überprüfung deutscher Grundrechtsstandards auch im Auslieferungsverfahren an.121 Das BVerfG nimmt – unter Hinweis auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des GG, die 33 außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung und die Achtung der Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen gerade im zwischenstaatlichen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr – lediglich eine auf den „Schutz eines rechtsstaatlichen, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten Kernbereichs“ beschränkte Kontrolle vor.122 Daher sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten (lediglich) zu prüfen, ob die Auslieferung
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EGMR Chahal/UK (Fn. 52); Ahmed/A (Fn. 111) mit Anm. Alleweldt; Aronica/D (E) (Fn. 114); Nsona/NL, 28.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 712 = InfAuslR 1998 97 (Abschiebung nicht unmenschlich oder erniedrigend); D. u.a./TRK, 22.6.2006, EHRLR 2006 (5) 586 (Abschiebung bei drohender Leibesstrafe als Verstoß gegen Art. 3 EMRK, selbst wenn die Strafe im Heimatstaat aus zwei „symbolischen“ Peitschenhieben anstatt aus 100 Peitschenhieben besteht). Erst Recht darf ein Staat nicht einen Menschen in seinem Territorium entführen und unter illegalen Bedingungen in einen anderen Staat befördern, vgl. EGMR Iskandarov/R, 23.9.2010 (russische Polizisten entführten in Moskau tajikistanischen Oppositionellen, und flogen ihn nach Tajikistan, wobei schon die Art der Behandlung während der Gefangenschaft gegen Art. 3 EMRK verstieß); Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 555 ff.; zur innerstaatlichen Rechtsprechung etwa Geburtig ZaöRV 59 (1999) 295 ff.; Meyer-Ladewig 77; vgl. zur Verletzung von Art. 7 IPBPR durch Abschiebung nach Pakistan wegen
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dort drohender Folter, HRC Dastgir/ Kanada, 20.11.2008, 1578/2007, § 3.1. BVerfG StV 2004 440 (Haftbedingungen Weißrussland); OLG Karlsruhe StV 2004 442 (Türkei; Zweifel an Eindämmung der Folterpraxis); Grützner/Pötz/Vogel § 73, 8 ff. IRG; Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 561 ff. (verfassungskonforme Auslegung); KG StraFo 2010 191 (lebenslange, nicht gesamtstrafenfähige Freiheitsstrafe im Ausland). BVerwGE 67 194; 3 235; ferner BVerfG EuGRZ 1990 114 (vor Abschiebung muss sichergestellt sein, dass der Ausgewiesene weder Folter noch einer unmenschlichen Behandlung unterworfen wird); Frowein/ Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 563. Grützner/Pötz/Vogel § 8, 12 IRG; Isensee VVDStRL 32 49, 63. Vgl. Lagodny Die Rechtsstellung des Ausliefernden in der Bundesrepublik Deutschland (1987), 129 ff., 161 ff.; Gusy GA 1983 73 ff. Vgl. BVerfGE 75 1, 16 f.; 108 129, 137; 113 154, 162 f.; BVerfG StraFo 2010 63, 64.
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und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit den nach Art. 25 GG in der BR Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards (internationaler ordre public)123 und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung (nationaler ordre public)124 vereinbar sind; zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zählt sowohl die (menschenwürdige) Behandlung des Betroffenen im ersuchenden Staat125 als auch – wegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG – dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der BR Deutschland dürfen an der Auslieferung eines Verfolgten nicht mitwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu befürchten oder zu verbüßen hat.126 Die unabdingbaren Grundsätze sind allerdings noch nicht verletzt, wenn die zu voll34 streckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung stellt als solche keine unerträglich harte oder unmenschliche Strafe dar, die einer Auslieferung entgegensteht.127 Im Rechtssystem des ersuchenden Staates muss aber eine konkrete und praktisch realisierbare Chance auf Wiedererlangung der Freiheit bestehen.128 Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen diese praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland verstärkt und gesichert wird, müssen dafür nicht erfüllt werden. Eine Freiheitsstrafe ist allerdings dann grausam und erniedrigend, wenn sie ohne hinreichende praktische Aussicht – sei es in einem den Gerichten anvertrauten oder in einem grundsätzlich erfolgversprechenden Gnadenverfahren – auf Wiedererlangung der Freiheit regelmäßig bis zum Tod vollstreckt wird. Der Verurteilte muss eine Perspektive behalten, zu Lebzeiten den Strafvollzug verlassen zu können.129 Die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze können daher verletzt sein, wenn nur bei schweren Gebrechen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Häftlings von der weiteren Voll-
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Hierzu zählen im Bereich der Auslieferung der Grundsatz der Spezialität (BVerfGE 57 9, 28) und der Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz im ersuchenden Staat (vgl. BVerfGE 69 253, 303). Für das (im ersuchenden Staat) zu erwartende Strafverfahren wäre insb. der Anspruch auf rechtliches Gehör (BVerfGE 63 332, 338) maßgeblich; unabdingbar sind ferner die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.V.m. dem Schuldprinzip bei der konkreten Straffestsetzung sowie der Grundsatz, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf (BVerfGE 75 1, 16). Siehe nur BVerfGE 59 280, 283; 63 332, 337; 83 130, 143; BVerfG StV 2004 440, 441 m.w.N.; StraFo 2010 63, 64; siehe auch: Graßhof/Backhaus EuGRZ 1996 445. Vgl. BVerfGE 75 1, 16 f.; 108 129, 136 f.; 113 154, 162.
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BVerfG StraFo 2010 63, 65 (Fn. 122; Verfahrenspraxis der regelmäßigen Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach fünfzehn Jahren verbüßter Strafe, § 57a StGB, nicht maßgeblich; vgl. auch: BVerfGE 113 154, 163 f. – Auslieferung an die USA bei dort drohender Verurteilung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe („imprisonment in the state prison for life without the possibility of parole“). Vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2011 145 (Forderung nach eine regelmäßigen Überprüfung der Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt in einem ordnungsgemäßen gerichtlichen Verfahren zu bestimmten Fristen; Maßstab hier: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit / faires Verfahren, Art. 6 EMRK). KG StraFo 2010 191.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
streckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bis zum Tod abgesehen werden kann. Dies gilt jedenfalls, wenn auch bei Vorliegen dieser Umstände die Wiedererlangung der Freiheit ungewiss bleibt, weil der Häftling nur auf den Gnadenweg hoffen kann.130 In Auslieferungsverfahren, die einen deutschen Staatsbürger betreffen, ist dessen Rechten gegenüber ausländischen Verfolgungsinteressen besonderes Gewicht beizumessen. Es besteht eine Pflicht staatlicher Stellen zum möglichst schonenden Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Dies wirkt sich insbesondere bei der Auslegung des § 73 IRG aus.131 c) Abschiebungs-/Auslieferungsverbot aus Art. 3 EMRK.132 Schutzgehalt/Anwen- 35 dungsbereich. Der Staat verstößt gegen seine Schutzpflicht aus Art. 3 EMRK, wenn er durch Auslieferung oder Abschiebung zu einer Konventionsverletzung im Ausland beiträgt.133 Art. 3 UNCAT verbietet dies ausdrücklich.134 Ob ein solches Verbot bereits dem allgemeinen Völkerrecht entnommen werden könnte, ist dagegen fraglich.135 Diese staatliche Schutzpflicht steht einer Auslieferung oder Abschiebung entgegen, 36 wenn diese zu einer Folter oder unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung des Betroffenen führen würde, weil dieser im Ausland konkret (dazu Rn. 38) einer ernsthaften und unabwendbaren Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt würde – sei es durch Personengewalt oder Haftbedingungen.136 Dies gilt auch (und gerade) dann, wenn der
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BVerfG StraFo 2010 63, 65 (Fn. 122; Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung an die Republik Türkei wegen Staatsschutzdelikten bei drohender Verurteilung zu einer sog. erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe); vgl. auch BVerfGE 113 154, 165. KG StraFo 2010 191 (nicht gesamtstrafenfähige lebenslange Freiheitsstrafe bei drohender Auslandsverurteilung; Verweis auf Gnadenweg nicht mit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar). Vertiefend: Lorz/Sauer EuGRZ 2010 389. So bereits: EKMR EuGRZ 1986 324; OVG Münster DÖV 1956 143; BVerwGE 67 194; vgl. auch EKMR EuGRZ 1976 424 (Brückmann), dazu Rogge EuGRZ 1976 451; BGer EuGRZ 1983 253; Frowein/Peukert 20 ff.; Gornig EuGRZ 1986 524; Hofmann 31; Kimminich EuGRZ 1986 318; Meyer-Goßner 4; Marx ZRP 1986 83; Morvay ZaöRV 21 (1961) 33; Vogler ZStW 89 (1977) 765; vgl. auch HRC Kaur/Kanada, 18.11.2008, 1455/2006, § 7.2 (Staaten dürfen Menschen durch Auslieferung nicht der Gefahr von Folter oder Misshandlung aussetzen). Das Auslieferungsverbot des Art. 3 Abs. 1 UNCAT gilt nur bei drohender Folter, nicht bei anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen, vgl. Art. 16 UNCAT. Vgl. dazu Vogler GedS Meyer 477 ff. (keine Auslieferung, weil dadurch im Einzelfall
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völkerrechtliches ius cogens verletzt würde); ferner Hofmann FS Zeidler 1897; Frowein/ Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 551 ff. (zu dem über Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus geltenden Prinzip des „non refoulement“ als Auslieferungsschranke); Gornig EuGRZ 1986 521; Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641, 643. Zur Ausdehnung der Schutzpflicht auf solche Fälle vgl. EGMR D/UK, 2.5.1997, Rep. 1997-III = NVwZ 1998 16 = ÖJZ 1998 354 = InfAuslR 1997 381; S.C.C./S, 16.2. 2000, ÖJZ 2000 911 = InfAuslR 2000 421 (Aids); TI/UK, 7.3.2000, ECHR 2000-III = NVwZ 2001 301 (Lebensgefahr); Bensaid/UK (Fn. 112, verneinend für Abschiebung eines Geisteskranken); Soldatenko/UKR, 23.10.2008 (Ausweisung nach Turkmenistan); R.C./S, 9.3.2010 (Ausweisung in den Iran). Zur strittigen engeren Auffassung des BVerwG (nur staatliche und quasistaatliche Stellen): BVerwGE 99 331; 104 254. Vgl. auch bzgl. Auslieferung nach Russland, § 73 IRG i.V.m. Art. 3 EMRK: OLG Karlsruhe StraFo 2009 167 (tschetschenische Volkszugehörigkeit; drohende Misshandlung durch Aufseher und Häftlinge); OLG Köln StraFo 2005 254 (Haftbedingungen); Buß DÖV 1998 323; Frowein DÖV 1998 809; Grabenwarter
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EMRK Art. 3
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ersuchende Staat nicht zu den Vertragsstaaten der EMRK gehört, da maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Beachtung von Art. 3 EMRK über Art. 1 EMRK allein der handelnde (ersuchte) Staat ist, der die konventionswidrige Behandlung des Betroffenen zu verhindern hat.137 Aber auch die Auslieferung bzw. Abschiebung in einen (Durchgangs-)Konventionsstaat beseitigt nicht die Verantwortung des ausliefernden/abschiebenden Staates sicherzustellen, dass der Betroffene keiner Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird.138 Die indirekte Rückführung eines Asylbewerbers über einen Durchreisestaat, der als Mitgliedstaat EMRK ebenfalls zur Beachtung der Verbote des Art. 3 EMRK verpflichtet ist, entbindet den ihn dorthin abschiebenden Staat nicht von der eigenen Verpflichtung, sich selbst zu vergewissern, dass der Abgeschobene auch dort seinen Anspruch auf Schutz vor Folter geltend machen kann.139 Von der Verpflichtung, niemanden wissentlich in ein Land auszuliefern oder abzu37 schieben, in dem ihm ein nach den konkreten Umständen ernstzunehmendes Risiko der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht, wird ein Staat nicht dadurch entbunden, dass ein bestehender Auslieferungsvertrag solche Fälle nicht von der Auslieferung ausnimmt. Wegen des Vorrangs des Folterverbots als zwingendes Völkerrecht ist ein Staat auch dann weder zur Auslieferung verpflichtet noch könnte ein solcher Vertrag sie rechtfertigen.140 Die Auslieferung hat zu unterbleiben, wenn im konkreten Fall wesentliche Gründe dafür vorgebracht werden oder bekannt sind, dass dem Betreffenden im ersuchenden Staat die ernstzunehmende „echte“ Gefahr („real risk“) der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung droht.141 Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen internationaler Friedens- und Militäreinsätze bei der Überstellung bzw. Übergabe festgenommener Personen (an Nichtvertragsstaaten zum Zwecke der Strafverfolgung), insbesondere für „formlose Überstellungen“, wenn etwa aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder solchen auf der EU-Ebene eine Übergabe von Tatverdächtigen (außerhalb eines förmlichen Auslieferungsverfahrens) an einen Drittstaat erfolgen soll – etwa im Zuge der Pirateriebekämpfung.142 Die staatliche
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§ 20, 28; vgl. aber auch Hailbronner DÖV 1999 619 (Gefahr einer Generalklausel für allgemeinen Flüchtlingsschutz). Vgl. OLG Frankfurt NStZ 2008 166 (Zusicherung im Auslieferungsverfahren – Südafrika) mit Anm. Schneider/Schultehinrichs/Fehn/Lagodny. EGMR T.I./UK (E) (Fn. 5). EGMR TI/UK (Fn. 136, Abschiebung eines in Deutschland bereits abgelehnten Asylbewerbers aufgrund des Dubliner Abkommens von Großbritannien nach Deutschland); K.R.S./UK (E), 2.12.2008, NVWZ 2009 965 (Ausweisung eines iranischen Asylbewerbers nach Griechenland – Dubliner Abkommen – trotz einer Kritik des UNHCR an dem griechischen Aufnahmeverfahren). EGMR Soering/UK (Fn. 5); vgl. Rn. 30; EGMR Nivette/F, 3.7.2001, ECHR 2001-VII (lebenslange Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung); Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 557 ff.; Vogler FS Wiarda 663,
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669, jeweils unter Hinweis auf Art. 53, 64 WVK; vgl. auch Graßhof/Backhaus EuGRZ 1996 445. EGMR Cruz Varas/S (Fn. 116); Vilvarajah/ UK (Fn. 52), Chahal/UK (Fn. 52); dazu Alleweldt NVwZ 1997 1078; Jabari/TRK, 11.7.2000, ECHR 2000-VIII = ÖJZ 2002 37 = InfAuslR 2001 57; Frowein/Peukert 20; Villiger 297, 298. Das HRC General Comment Nr. 20 (1992) § 9, hat sich ebenfalls gegen die Abschiebung oder Auslieferung in ein Land ausgesprochen, in dem die Gefahr von Folter droht (Vgl. Doswald-Beck/Kolb 339, 340). Vgl. Art. 12 Abs. 2 der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates vom 10.11.2008 über die Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias (ABlEU. Nr. L 301 v. 12.11.2008, S. 33, 36; Nr. 2 lit. c, 3 lit. a der Anlage
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Verbot der Folter
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Schutzpflicht aus Art. 3 EMRK gebietet es, bereits in den entsprechenden Vereinbarungen eine Einhaltung der durch die EMRK gebotenen Standards als Verpflichtung des Aufnahmestaates niederzulegen. Dies entbindet jedoch nicht von der in jedem Einzelfall anzustellenden Prüfung der konkreten Umstände.143 d) Relevante Gefahren. Es müssen begründete Anhaltspunkte im konkreten Fall 38 bestehen, dass einer Person im Falle einer Ausweisung (bzw. Abschiebung) oder Auslieferung in dem Staat, in den sie überstellt bzw. verbracht werden soll, oder auf dem Weg dorthin (z.B. Durchlieferung) Folter oder eine unmenschliche/erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dass den Betroffenen im ersuchenden Staat oder in einem Durchgangsstaat ein Strafverfahren, Untersuchungshaft oder Strafhaft erwartet, stellt selbst keine relevante Gefahr dar, sofern die Haftbedingungen (Rn. 78 ff.) nicht selbst gegen Art. 3 EMRK verstoßen.144 Ist es anhand konkreter Einzelnachweise, welche die persönliche Situation des Betroffenen tangieren, sehr wahrscheinlich, dass dieser nach der Ausweisung/Auslieferung (erneut) in seinem Heimatland gefoltert wird, stellt eine solche Ausweisung allerdings eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar.145 Dass jemand medizinische, soziale oder sonstige Unterstützungen durch den Aufnahmestaat verliert, weil er zur Beendigung seines illegalen Aufenthalts gezwungen wird, in sein soziale Absicherungen entbehrendes Heimatland zurückzukehren, ist keine unmenschliche Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK.146 Allein die Verringerung der Lebenserwartung kann für sich kei-
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zum Briefwechsel der Europäischen Union und der Regierung Kenias über die Bedingungen und Modalitäten für die Übergabe von Personen, die seeräuberischer Handlungen verdächtigt werden und von den EU-geführten Streitkräften (EUNAVFOR) in Haft genommen werden, … und für ihre Behandlung nach einer solchen Übergabe (ABlEU Nr. L 79 v. 25.3.2009, S. 49, 52). Hierzu: Esser/Fischer ZIS 2009 771; dies. JR 2010 513. Vgl. etwa: Beschluss 2009/293/GASP des Rates vom 26.2.2009, ABlEU Nr. L 79 v. 25.3.2009, S. 47; Briefwechsel vom 6.3. 2009 zwischen der Europäischen Union und der Regierung Kenias über die Bedingungen und Modalitäten für die Übergabe von Personen, die seeräuberischer Handlungen verdächtigt werden und von den EU-geführten Seestreitkräften (EUNAVFOR) in Haft genommen wurden, und von im Besitz der EUNAVFOR befindlichen beschlagnahmten Gütern durch die EUNAVFOR an Kenia und für ihre Behandlung nach einer solchen Übergabe, ABlEU Nr. L 79 v. 25.3.2009, S. 49 – Anlage (Nr. 2, 3). EKMR EuGRZ 1983 416; Villiger 301. Der EGMR hat in seinem Urteil M.S.S./B u. GR, 21.1.2011 entschieden, dass die Haft- und Lebensbedingungen Asylsuchender sowie die Mängel des Asylverfahrens in Griechen-
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land Menschenrechtsverletzungen darstellen. Einen Konventionsverstoß (Belgiens) stelle es auch dar, ohne wirksamen Rechtsbehelf Asylsuchende im Rahmen von EUVerteilungsregelungen in ein solches Land zu überstellen. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln in angeblich sichere Drittstaaten verletze die EMRK. Aufgrunddessen und angesichts der Tatsache, dass das BVerfG schon 2009 (2 BvQ 56/09) die Überprüfungspflicht bzgl. der Urteile zur Änderung des Grundrechts auf Asyl (2 BvR 1983/93 und 2315/93) mit Blick auf die Situation in Griechenland feststellte, wandte sich die LINKE (BT-Drucks. 17 4635) am 3.2.2011 an die Bundesregierung mit der Frage, ob diese dem Urteil zugrunde liegenden Grundsätze auch für bundesdeutsches Recht verbindlich sind. So bei EGMR RC/S, 9.3.2010 (drohende Folterungen bzw. unmenschliche Behandlungen bei Rückkehr in Iran); ähnlich auch EGMR ZNS/TRK, 19.1.2010 (keine Ausweisung einer zum Christentum konvertierten Iranerin). EGMR Bensaid/UK (Fn. 112); Dragan/D, 7.10.2006 = NVwZ 2005 1043; Aoulmi/F, 17.1.2006, ECHR 2006-I, § 57 (lediglich erschwerter Zugang zu medizinischer Versorgung im Heimatstaat eines Hepatitis C-Kranken); Villiger 297 ff.
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nen Verstoß begründen.147 Auch Selbstmordgefahr schließt eine Abschiebung nicht aus, wenn die Behörden des abschiebenden Staates die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen.148 Nur in besonderen Ausnahmefällen können zwingende humanitäre Gründe dem Vollzug der Ausweisung entgegenstehen,149 etwa, wenn der abrupte Abbruch einer medizinischen Behandlung zu einer schwerwiegenden konkreten und unmittelbaren Lebensgefahr führen würde, der im Herkunftsland nicht abgeholfen werden kann.150 In solchen besonders gelagerten Ausnahmefällen kann im Vollzug der Ausweisung eine mit den Art. 2 und 3 EMRK unvereinbare lebensbedrohende (unmenschliche) Behandlung liegen.151 Eine menschenunwürdige Lage, die eine Folge der allgemeinen Lebensbedingungen und der sozioökonomischen Verhältnisse des Aufnahmestaates ist, fällt nicht unter den Begriff der Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK.152 Ebenso wenig ist Art. 3 EMRK betroffen, wenn es dem Betroffenen freisteht, nach seiner Abschiebung einen Aufenthalt im Transit-Zentrum eines Flughafens unter möglicherweise menschenunwürdigen Bedingungen durch Einreise in sein Herkunftsland zu vermeiden.153 Der EGMR hat eine Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen, wenn einer afghanische Frau, die sich von ihrem Ehemann getrennt hat und eine neue Beziehung eingegangen ist, der Asylantrag verwehrt wird, sie nach Afghanistan zurückkehren und dort mit sozialer Isolation und Strafverfolgung rechnen muss. Trotz mangelnder konkreter Gefahr reichen Erfahrungsberichte und Statistiken aus, um schon vor der Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu bejahen.154 Eine relevante Gefahr muss nicht notwendig von staatlichen Stellen ausgehen (vgl. 39 Rn. 27). Es kann genügen, wenn eine solche gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung durch private Gruppen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und nicht nur hypothetisch zu befürchten ist, weil diese faktisch ungehindert von den Staatsorganen Gewalt gegen ihnen missliebige Personen ausüben können155 oder weil die Behörden des Empfangsstaats nicht in der Lage sind, den Betroffenen vor der ihm drohenden Gefahr einer Folterung durch eine dortige Personengruppe (territorial dominante Banden, Bürgerkriegsparteien u.a. Gruppen) zu schützen.156 147
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EGMR (GK) N./UK, 27.5.2008, NVwZ 2008 1334 (HIV-Patientin, die noch nicht schwerkrank war, so dass noch keine besonders außergewöhnlichen Umstände vorlagen). EGMR Dragan/D (Fn. 146). Vgl. Meyer-Ladewig 73 zum Abschiebungsschutz bei Gefährdung von Leib, Leben und Freiheit nach § 60 Abs. 7 AufenthG, der unabhängig davon gilt, von wem die Gefahr ausgeht, und der bei extremer Gefahrenlage durch einen Bürgerkrieg ebenso greift wie bei der zu befürchtenden Verschlimmerung einer schweren Krankheit. EGMR Ahmed/A (Fn. 111); D/UK (Fn. 136). Da beide Aspekte oftmals nicht auseinandergehalten werden können, prüft der EGMR beide Artikel gemeinsam; vgl. EGMR S.C.C./S (Fn. 136): Ausweisung nach Somalia trotz Aids zulässig; Villiger 264, 297, 298 mit weit. Beispielen, ferner auch Art. 2 EMRK Rn. 47.
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Nowak 3; Schorn 10 (unwürdige Unterkunft). EGMR Ghiban/D (E), 16.9.2004, NVwZ 2005 1046 (Abschiebung eines Staatenlosen, der für den Fall der Abschiebung menschenunwürdige Bedingungen im Transit-Zentrum des Flughafens Bukarest-Otopeni geltend machte); Mogos/RUM, 13.10.2005 (Nachweis menschenunwürdiger Lebensbedingungen in eben diesem Transit-Zentrum nicht erbracht). EGMR N./S., 20.7.2010. EGMR Ahmed/A (Fn. 111); Bensaid/UK (Fn. 112); vgl. auch: OLG Düsseldorf NStZ 2006 692 = StV 2007 143 (in einem deutschen Zeugenschutzprogramm befindlicher Verfolgter). Etwa EGMR H.L.R./F (Fn. 5); im konkreten Fall Gefahr verneinend; T.I./UK (Fn. 5); Grabenwarter § 20, 26; Frowein/Peukert 22; Meyer-Ladewig 72.
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e) Prüfungsdichte / Gefahrengrad. Gibt es stichhaltige Gründe dafür, dass der Betrof- 40 fene im Fall seiner Auslieferung bzw. Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, ergibt sich unmittelbar aus dieser Konventionsgarantie die Pflicht, die entsprechende Maßnahme zu unterlassen.157 Die Prüfung, ob eine solche Gefahr tatsächlich besteht, muss gründlich sein; die 41 Behauptung des Betroffenen muss umfassend geprüft werden.158 Der EGMR kommt dabei nach st.Rspr. dem Bf., der die Menschenrechtsverletzung grds. beweisen muss und dabei prognostische Schwierigkeiten ausgesetzt ist, insoweit entgegen, als Beweiserleichterungen dann gewährt werden, wenn die Menschenrechtslage im ersuchenden Staat generell besorgniserrregend ist.159 Dabei muss der Betroffene aber weiterhin ein begründetes, individuelles, in seiner Person liegendes Risiko vortragen.160 Dies gilt auch für das Verfahren bei der Antragstellung auf Asyl sowie für Rechtsbehelfsverfahren gegen negative erstinstanzliche Entscheidungen. Eine automatische und schematische Anwendung dieser Prüfungsanforderungen auf das Verfahren steht nicht mit dem von Art. 3 EMRK geforderten Schutz in Einklang.161 Das Vorkommen vereinzelter Verstöße genügt für sich allein für die Annahme einer 42 solchen Gefahr ebenso wenig162 wie der bloße Umstand, dass eine solche Behandlung theoretisch möglich erscheint. Dass in dem Staat, in den der Betroffene verbracht werden soll, nur allgemein eine relevante Gefahr besteht, ohne Nachweis einer konkreten Gefährdung des Auszuliefernden, steht einer Auslieferung grundsätzlich nicht entgegen.163 Andererseits vermag das Fehlen einer permanenten allgemeinen Gefahr in einem Land die persönliche und aktuelle Gefährdung des Einzelnen dort nicht von vornherein auszuschließen.164 Für den Nachweis einer konkreten Gefährdung des Betroffenen durch eine nichtstaatliche Gruppierung werden höhere Anforderungen gestellt als bei der Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch staatliche Organe.165 157 158 159
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EGMR K.R.S./UK (E) (Fn. 139). EGMR K.R.S./UK (E) (Fn. 139); Jabari/TRK (Fn. 141). EGMR Saadi/I, 28.2.2008 (GK) Tahsin Acar/TRK, 6.5.2003, ECHR 2003-VI = NJW 2004 2357. EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/T, 4.2.2005, ECHR 2005-I; Saadi/I, 28.2.2008. Dabei sind grds. zwei Fälle denkbar: einerseits kommt ein gruppenspezifisches Verfolgungsrisiko in Betracht (bestätigt jüngst in EGMR Khodzhayev/R, 12.5.2010), andererseits kommt eine Beweiserleichterung bei bereichsspezifischem Verfolgungsrisiko in Betracht, was der EGMR in Kaboulov/UKR, 19.11.2009, fortsetzte. Dabei stellte der EGMR nunmehr mit den Fällen Klein/R, 1.4.2010 und Khodzhayev/R, 12.5.2010 eine dritte Fallgruppe von Beweiserleichterungen auf, die dann gilt, wenn der Aufenthaltsstaat es versäumt, sorgfältig die vorhersehbaren Folgen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu prüfen. Damit ginge dann eine erhöhte Kontrolldichte des Gerichtshofs
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einher; vgl. hierzu ferner: Lorz ÖJZ 2010 1055 ff. EGMR K.R.S./UK (E) (Fn. 139). Vgl. BVerfGE 15 255; v. Bubnoff 69; Zöbeley NJW 1983 1705. EGMR Vilvarayah u.a./UK (Fn. 116); H.L.R./F (Fn. 5); Venkadajalasarma/NL, 17.2.2004, § 66; Thampibillai/NL, 17.2.2004, § 64; Y./R, 4.12.2008 (Ausweisung eines vom UNHCR-Büro anerkannten Flüchtlings); vgl. auch BVerfG JZ 2004 141 mit abl. Anm. Vogel; OLG Karlsruhe StV 2004 442 (Zweifel zugunsten des Verfolgten); Meyer-Ladewig 66; siehe dagegen die strengen Vorgaben von BVerwG NVwZ 2011 48, 50, Tz. 15: „hoher Wahrscheinlichkeitsgrad“; Realisierung der Gefahr „alsbald nach der Rückkehr“). Vgl. auch CAT Dadar/Canada, 5.12.2005, §§ 8.3 f. EGMR Bensaid/UK (Fn. 112); Meyer-Ladewig 73; ferner Meyer-Ladewig 76 zur engeren Auffassung des BVerwG (NVwZ 2000 1266), das fordert, dass den Staat mindestens mittelbar durch bewusste Duldung
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Wegen der absoluten Geltung166 des durch Art. 3 EMRK normierten Folterverbotes darf keine Abwägung der Gefahren für den Ausgewiesenen und derjenigen, die von ihm ausgehen, erfolgen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betroffene in besonders schwerer Weise straffällig geworden ist 167 und uneingeschränkt auch in den Fällen, in denen der Betroffene möglicherweise eine Gefahr für die Gesellschaft des Aufenthaltsstaates darstellt.168 Ihm darf auch in diesem Fall keine erhöhte Beweislast in Bezug auf die Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung auferlegt werden.169 Die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR entfällt nicht schon 44 deshalb, weil der Grundsatz der Spezialität die Befugnis zur Aburteilung auf die Tat beschränkt, wegen der die Auslieferung begehrt wird.170 Sie kann aber unter Umständen durch eine Vereinbarung mit dem Empfängerstaat ausgeschlossen werden, sofern zu erwarten ist, dass sich dessen Organe im konkreten Einzelfall daran halten.171 Gleiches gilt, wenn der ersuchende Staat eine korrekte und konventionsgemäße Behandlung des Betroffenen zusichert172 und eventuell auch deren Kontrolle ermöglicht.173 Nicht ausreichend ist eine solche diplomatische Zusicherung, wenn Zweifel an der Ernsthaftigkeit und tatsächlichen Befolgung solcher Versprechen bestehen und im Widerspruch zu Berichten über tatsächliche Folterungen stehen.174 Die Zusage muss daher inhaltlich hinreichend175 bestimmt sein, im Außenverhältnis verbindlich abgegeben176 und einer objektiven Überprüfung zugänglich sein, was die Existenz einer effektiven Folterprävention voraussetzt.177 Ebenfalls kann Art. 3 EMRK bei einer Ausweisung verletzt sein, obwohl der Empfangsstaat internationale Menschenrechtspakte abgeschlossen hat oder durch eigene Gesetze Folter verbietet, in der Praxis aber gegenteilig gehandelt wird.178
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solcher Gruppen oder Versagung eines ihm möglichen Schutzes gegen sie eine eigene Verantwortung trifft. Hierzu Gebauer NVwZ 2004 1405. EGMR Ahmed/A (Fn. 111). EGMR Dbouba/TRK, 13.7.2010: So darf auch ein Al-Qaida-Mitglied nicht ausgeliefert werden, wenn ihm in seinem Heimatland massive Folterungen drohen. EGMR (GK) Saadi/I, 28.2.2008, NVwZ 2008 1330 (Terrorismus). Vogler FS Wiarda 663, 669: Der Grundsatz schützt das Recht des ausliefernden Staates; der Ausgelieferte hat nur Reflexrechte. Vgl. EGMR Soering/UK (Fn. 5), wo dies nicht gesichert erschien; ferner etwa Frowein/Kühner ZaöRV 43 (1983) 537, 563; Trechsel EuGRZ 1987 74 (auch zur Praxis der Schweiz, Auslieferung an Bedingungen zu knüpfen); EGMR Olaechea Cahuas/S, 10.8.2006, ECHR 2006-X, §§ 37 ff. (Garantie der peruanischen Regierung); Al-Moayad/D (E), 20.2.2007, NVwZ 2008 761 (verlässliche Zusicherung der US-Behörden, den Bf. nicht in einer Haft-
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anstalt außerhalb der USA zu inhaftieren, um die dortigen Verhörmethoden auszuschließen). 172 EGMR Einhorn/F, 16.10.2001, ECHR 2001-XI = ÖJZ 2002 34: Auslieferung in die USA, Zusicherung, keine Todesstrafe. Vgl. zur innerdeutschen Rechtslage BVerfG EuGRZ 1995 172; Meyer-Ladewig 61. 173 EGMR Soldatenko/UKR (Fn. 136, weder Zuständigkeit der turkmenischen Behörden für die staatliche Zusicherung noch effektive Kontrollmöglichkeiten gesichert); Ryabikin/R, 19.6.2008 (verschiedene Berichte legten systematische Ablehnung internationaler Beobachter durch turkmenische Behörden nahe). 174 EGMR Khodzahyev/R, 12.5.2010. 175 EGMR Olaechea Cahuas/E, 10.8.2006, ECHR 2006-X. 176 EGMR Baysakov/UKR, 18.2.2010. 177 EGMR Baysakov/UKR (Fn. 176); Klein/R, 1.4.2010; vgl. auch Lorz ÖJZ 2010 2055, 2057. 178 EGMR A./NL, 20.7.2010.
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Verbot der Folter
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angemessen zu berücksichtigen und ggf. weitere Informationen einzuholen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so kann er seine Schutzpflicht aus Art. 3 EMRK verletzen; jedenfalls aber wird er nicht von ihr befreit, wenn die Behörden es (bewusst) versäumen, ihrer Informationspflicht nachzukommen.179 Die von den staatlichen Stellen anzustellende Prüfung und Entscheidung hat im Wege einer Gesamtschau von allgemeinen und individuellen Risikofaktoren zu erfolgen, um auch deren wechselseitige Auswirkungen berücksichtigen zu können.180 Dabei kommt es auf die Informationen an, die dem Staat im Zeitpunkt der Abschiebung bekannt waren oder bekannt sein mussten.181 Jedoch kann der EGMR im späteren Verfahren der Individualbeschwerde auch Informationen berücksichtigen, die sich erst nach der Abschiebung oder Auslieferung herausgestellt haben.182 Es obliegt dem Betroffenen, (soweit möglich) Material und Informationen beizubrin- 46 gen, die die Beurteilung des bei einer Abschiebung oder Auslieferung drohenden Risikos erlauben.183 Je größer das Ausmaß allgemeiner willkürlicher Gewalt ist, desto weniger müssen Flüchtlinge eine persönliche Bedrohung darlegen.184 Der EGMR prüft die Indizien für die konkrete Gefährdung wegen der Bedeutung des Art. 3 EMRK eingehend auf der Grundlage des gesamten ihm zur Verfügung stehenden Materials185 und berücksichtigt dabei auch Berichte anderer Institutionen, z.B. des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und des CPT.186 6. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK. Aus Art. 3 EMRK leitet der 47 EGMR kein unmittelbares Verwertungsverbot für Beweise ab, die zum Zwecke der Strafverfolgung u.ä. unter Verstoß gegen das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von den Behörden erlangt wurden.187 Vielmehr prüft er im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Wege einer Gesamtbetrachtung, ob die Verwendung dieser Beweise das Verfahren im Ganzen als unfair erscheinen lassen. Jedenfalls bei der Verwendung von Geständnissen und sonstigen Beweisen, die direkt aus der Anwendung von Folter resultieren, ist die Annahme einer Unfairness des Verfahrens (d.h. der Beweisverwertung) – anders als bei einer („nur“) unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung – wegen der grundlegenden Bedeutung und Absolutheit des Folterverbots zwingend.188
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Vgl. EGMR Garabayev/R, 7.6.2007, §§ 79 f. EGMR N.A./UK, 17.7.2008 (Ausweisung eines tamilischen Asylsuchenden nach Sri Lanka). EGMR Said/NL, 5.7.2005, ECHR 2005-VI, § 48. EGMR (GK) Mamatkulov u. Abdurasulovic/TRK (Fn. 116), § 69; Salah Sheekh/ NL, 11.1.2007, § 136 (Beurteilung ex nunc). EGMR Said/NL (Fn. 181), § 49. EuGH C-465/07, 17.2.2009 (subsidiärer Schutz der EMRK auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Genfer Flüchtlingskonvention). Sowohl Material, das ihm von den Parteien zur Verfügung gestellt wird als auch solches, das er von Amts wegen einholt, insbesondere weil der Bf. oder ein Dritter i.S.d. Art. 36 EMRK begründete Zweifel an den
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Informationen der Regierung vortragen: vgl. EGMR Salah Sheekh/NL (Fn. 182) § 136. EGMR Ismoilov u.a./R, 24.4.2008; Jabari/TRK (Fn. 141). Kritisch Esser NStZ 2008 657, auch unter Hinweis auf die Rechtslage bei außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK durch Folter gewonnenen Beweisen; Weigend StV 2011 325, 329; für ein Beweisverwertungsverbot aber EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), Joint Partly Dissenting Opinion of Judges Rozakis, Tulkens, Jebens, Ziemele, Bianku u. Power; siehe auch: EGMR Harutyunyan/ ARM, 28.6.2007, ECHR 2007-VIII (fehlende Prüfungskompetenz ratione temporis bzgl. Art. 3 EMRK, aber Berücksichtigung im Rahmen des Art. 6 EMRK). Vgl. ausführlich Art. 6 EMRK Rn. 268 ff.; Ambos StV 2009 151, 157; EGMR Jalloh/D,
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Hingegen normiert Art. 15 UNCAT auf völkerrechtlicher Ebene, dass jeder Vertragsstaat dafür Sorge trägt, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde. Aus der Spruchpraxis des CAT ergibt sich, dass Art. 15 UNCAT unmittelbar vor nationalen Behörden und Gerichten Anwendung findet.189 Das Übereinkommen entfaltet sogar eine darüber hinausgehende Wirkung, indem es auf die Auslegung des nationalen Rechts der einzelnen Vertragsstaaten Einfluss nimmt. Der Sinn und Zweck des Art. 15 UNCAT besteht sowohl in der Sicherung von Ver49 fahrensfairness, indem eine durch Folter erzwungene Aussage als nicht gerichtsverwertbar eingestuft wird, als auch in der Unterdrückung von Folter, indem einem Anreiz der Folter – die anschließende gerichtliche Verwertung der Beweise – die Grundlage entzogen wird.190 Nach ihrem Wortlaut unterscheidet die Vorschrift nicht zwischen der Herkunft der Beweise, sondern erstreckt sich auf jeden Folterbeweis unabhängig von dessen Herkunft einschließlich der darauf beruhenden, mittelbar gewonnen, Beweise als sog. „Früchte des verbotenen Baumes“191; die Vorschrift beansprucht damit eine absolute Geltung.192 Ihrem Sinn und Zweck wird auch nur dieser weit gefasste Schutzbereich hinreichend gerecht, denn die Herkunft des Beweises ändert nichts an dessen menschenrechtswidriger Erhebung. Die Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf Aussagen, die nachweislich durch Folter 50 herbeigeführt worden sind, und deshalb nicht als Beweis in einem (repressiven) Verfahren verwendet werden dürfen.193 Hingegen verbietet sie ihrem Wortlaut nach zumindest nicht ausdrücklich die präventive Verwendung von Folterbeweisen zur Gefahrenabwehr. Im Zuge einer zunehmenden Vernetzung von Polizei- und Geheimdiensten erscheint es denkbar, dass deutsche Sicherheitsdienste in den Besitz von Informationen ausländischer Dienste gelangen, bei denen sie annehmen müssen, dass sie durch Folter erlangt worden sind. Jedoch erscheint angesichts der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 EMRK (dort Rn. 21 ff.) und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG und des Wortlautes des Art. 15 UNCAT, insbesondere in seiner englischen Fassung „any proceedings“, der sich lediglich auf die Einführung von Beweisen vor einer gerichtlichen oder administrativen Stelle bezieht, eine Ausweitung der Vorschrift auf den Bereich Gefahrenabwehr nicht sinngemäß.194 Sollen
189
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11.7.2006, ECHR 2006-IX („Brechmitteleinsatz“) = EuGRZ 2007 150 = NJW 2006 3117 = StV 2006 617; (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), §§ 166–167; Nechiporuk u. Yonkalo/UKR, 21.4.2011, § 259. CAT Halimi-Nedyibi/A, 8/1991; Blanco Abad/E, 59/1996; P.E./F, 193/2001; G.K./CH, 219/2002. Einzelne Vertragsstaaten bringen gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit vor, dass sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur an „jeden Vertragsstaat“ richte; hierzu: Thienel EJIL 2006 349, 353. Für eine unmittelbare Anwendbarkeit: BVerfG NJW 1994 2883; OLG Hamburg NJW 2005 2326. Nowak/McArthur 2, 75. Vgl. Esser NStZ 2008 657, 659; Nowak/ McArthur 2, 88; Griesbaum NJW-Spezial 2008 666; LR/Gleß § 136a, 79 StPO.
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Ambos StV 2009 151, 155. Nicht unter Folter geschieht eine Aussage, die nach erfolgten Schlägen gemacht wurde, wenn der Angeklagte in einem Betreuungsgespräch mit einem Konsularbeamten Angaben zu der ihm vorgeworfenen Tat macht. Die erlittenen Misshandlungen hatten keine Auswirkungen auf die Angaben gegenüber dem Konsularbeamten, weshalb auch die so gewonnenen Beweise im Strafprozess voll verwertet werden durften, der Konsularbeamte also als Zeuge vernommen werden konnte (BGH NJW Spezial 2011 25). Zust. Nowak/McArthur 77–80 (auch zur Grenzziehung zwischen Verfahren und Gefahrenabwehr); Griesbaum NJW-Spezial 2008 666 unter Hinweis auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
mutmaßlich durch Folter entstandene Erkenntnisse zur Abwehr von Gefahren verwendet werden, so wird man dies – angesichts der herausragenden Stellung des Folterverbotes im Gefüge menschenrechtlicher Garantien – allerdings nur unter strenger Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur zur Abwehr von Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter (Leben; schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit) akzeptieren dürfen – der gezielte Einsatz von Folter zum Schutz dieser Güter ist unter keinen Umständen akzeptabel. In einem inquisitorischen Verfahren, für das dem Gericht die Aufklärungspflicht 51 obliegt (§ 244 Abs. 2 StPO), verlagert sich das Risiko eines nicht klärbaren Sachverhalts auf den Angeklagten,195 dem jedoch der Beweis der Folter, insbesondere wenn diese durch ausländische Ermittlungsbeamte in einem ausländischen Staat erfolgt ist, nur selten gelingen wird. Entscheidend ist demnach die Reichweite des Beweismaßstabs: Reicht bereits der Hinweis auf die Folter sowie die Anführung plausibler Gründe aus oder muss die Folter jenseits vernünftiger Zweifel bewiesen werden. Das OLG Hamburg entschied im Verfahren El Motassdeq, dass stets der volle Nachweis der das Beweisverbot begründenden Umstände – auch bei schwieriger Beweislage – erbracht werden muss.196 Eine mögliche Beeinträchtigung der freien Willensentscheidung von Zeugen könne bei nicht erwiesener Anwendung unzulässiger Vernehmungsmethoden lediglich auf der Ebene der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Dies erscheint jedoch angesichts des Umstandes, dass ein Staat, der Folter ausübt, kein unmittelbares Interesse daran haben wird, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, zumindest fragwürdig.197 Vielmehr sollte gerade im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens bei Zweifeln an der Entstehung der Aussage zugunsten des Angeklagten entschieden werden, wenn dieser durch die Anführung plausibler Gründe die Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit des staatlichen Verfahrens ernsthaft erschüttert hat.198 Dies bestätigt auch das CAT, wenn es trotz seiner restriktiven Handhabung des 52 Art. 15 UNCAT der Auffassung ist, dass der Angeklagte, um die Beweislast auf den Staat übergehen zu lassen, seine Behauptung lediglich plausibel begründen muss.199 In einem anderen Verfahren sah es der BGH aufgrund pauschaler und widersprüchlicher Angaben des Angeklagten nicht als erwiesen an, dass dessen vorherige Angaben durch verbotene Vernehmungsmethoden in Pakistan gewonnen worden waren.200 Im Verfahren A and Others v. Secretary of State for the Home Departement entschied das House of Lords (4:3), dass, bezogen auf das adversatorische Verfahren, im Zuge des Vortrags, dass die Aussage unter Folter herbeigeführt worden sei, eine Beweislastverschiebung auf die Partei eintritt, welche den mutmaßlichen Folterbeweis verwerten wolle. Jedoch müsse diese dann lediglich beweisen, dass kein reales Risiko besteht, dass die Aussage unter Folter erzwungen wurde.201 Aus § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO ergibt sich ein (zusätzliches) Beweisverwertungsverbot 53 im deutschen Recht, das sich – entsprechend seiner Rechtsnatur als Vorschrift des Strafverfahrensrechts – an die mit der Strafverfolgung beauftragten Organe des deutschen
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BGHSt 16 164, 167; Meyer-Goßner § 136a, 32 StPO. OLG Hamburg NStZ-RR 2005 380. Zust. Ambos StV 2009 151, 161 m.w.N. So auch LR/Gleß § 136a, 72, 79 StPO. Nowak/McArthur 82 m.w.N. BGH NStZ 2008 643; Vgl. hierzu auch BVerfG NJW 2004 1858, wo jedoch die
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Feststellung, ob die belastenden Aussagen unter Anwendung oder Androhung von Folter zustande kommen sind, abschließend erst im spanischen Strafverfahren erfolgen kann. Nowak/McArthur 67 ff., 72; Ambos StV 2009 151, 160.
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Staates richtet.202 Allerdings wird die Norm zu Recht auf (private) Dritte entsprechend angewandt, wenn diese den Beweis unter besonders krassem Verstoß gegen die Menschenwürde zutage gefördert haben.203 Dazu zählen insbesondere die dem Art. 15 UNCAT unterfallenden Foltermaßnahmen, womit auch im Rahmen von § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO die Frage des Beweismaßstabs bei der Anwendung des Art. 15 UNCAT von entscheidender Bedeutung ist (Rn. 51 f.). Im Vergleich dazu setzt § 166 Abs. 1 öStPO die Vorgaben aus Art. 15 UNCAT fast 54 wortwörtlich um, indem er eine Aussage des Beschuldigten, eines Zeugen oder eines Mitbeschuldigten, die unter Folter zustande gekommen ist, als nichtig einstuft; sie darf zum Nachteil des Beschuldigten – außer gegen eine Person, die im Zusammenhang mit einer Vernehmung einer Rechtsverletzung beschuldigt ist – nicht verwendet werden. Damit ist sie in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich weiter gefasst als § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, indem sie sich auch auf die Aussage eines Zeugen oder eines Mitbeschuldigten bezieht.
III. Schutzgehalt der Verbote im Einzelnen 55
1. Allgemeines zur Abgrenzung. Folter und unmenschliche oder erniedrigende (oder grausame: nur Art. 7 IPBPR) Strafe oder Behandlung werden in den Konventionen nebeneinander genannt. Die Übergänge zwischen den einzelnen Formen der gegen die Menschenwürde verstoßenden Behandlung und Bestrafung sind dabei graduell 204 und fließend. Folter ist immer auch eine vorsätzlich begangene, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung; eine unmenschliche Behandlung ist in aller Regel auch erniedrigend.205 Eine erniedrigende Behandlung kann aber auch vorliegen, wenn die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Qualen nicht beabsichtigt ist oder wenn dem Opfer keine körperlichen Schmerzen zugefügt werden.206 Anders als bei der UNCAT, deren wichtigste Verpflichtungen nur für die Folter im engeren Sinn gelten (Rn. 61), ist für den Konventionsverstoß nach Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR eine nähere Einordnung nur insoweit von Bedeutung, als die Schwere des Vorwurfs entsprechend der Abstufung von der Folter bis zur erniedrigenden Behandlung und Bestrafung abnimmt.207 Aber auch die erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR setzt immer einen gewissen Grad von Intensität und Schwere der Beeinträchtigung voraus,208 die auch darin liegen kann, dass jemand erniedrigende Maßnahmen längere Zeit erdulden muss. Ist bei der stets erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls das bei allen Eingriffen i.S.d. Art. 3 EMRK vorausgesetzte Mindestmaß an Schwere nicht erreicht, ist der Eingriff an Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR zu messen, die auch die persönliche Integrität schützen.209 Bei Personen, denen die Freiheit entzogen ist, greifen ferner das aus Art. 3 EMRK abzuleitende allgemeine Misshandlungsverbot (dort
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BGHSt 17 14, 19; Meyer-Goßner § 136a, 2 StPO. Ambos StV 2009 151, 158 m.w.N.; MeyerGoßner § 136a, 3 StPO; OLG Hamburg NStZ-RR 2005 380, 382. Zu den fließenden Übergängen Jerouschek/ Kölbel JZ 2003 613. EKMR (Griechenland) bei Frowein/ Peukert 2.
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Vgl. BGHSt 46 292, 303; Esser 382. Nowak 5. Esser 382. Vgl. EGMR Schmidt/D (E), 5.1.2006 (Blut- und Speichelprobe; § 81a StPO); Raninen/FIN, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII; Esser 376.
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Art. 7 IPBPR
Rn. 81) sowie das über Art. 7 IPBPR hinausreichende allgemeine Gebot der menschlichen und die Menschenwürde achtenden Behandlung, Art. 10 Abs. 1 IPBPR, ein. 2. Folter. Begriff. Folter ist innerhalb der Behandlungsverbote des Art. 3 EMRK der 56 schwerste Vorwurf. Der EGMR versteht darunter eine „vorbedachte unmenschliche Behandlung, die sehr ernste und grausame Leiden hervorrufen“ soll.210 Spätere Entscheidungen greifen auf die Begriffsbestimmung von Art. 1 UNCAT zurück (dazu Rn. 61).211 Folter umfasst beabsichtigte schwere physische oder psychische Misshandlungen einer Person,212 durch die diese in einen länger währenden Zustand körperlicher oder seelischer Schmerzen und Angst versetzt werden soll. Das dafür erforderliche Mindestmaß an Schwere beurteilt der EGMR relativ nach Art 57 und Dauer der Misshandlungen, aber auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes, des Alters und des Geschlechts des Opfers. Aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse und des zunehmend höheren Menschenrechtsstandards ist es möglich, dass früher (nur) als unmenschlich oder erniedrigend eingestufte Behandlungen mittlerweile als Folter angesehen werden.213 Maßgebend dafür, ob eine absichtliche physische oder psychische Misshandlung den Grad der Folter erreicht, ist immer die Gesamtwürdigung aller Umstände.214 Unter deren Berücksichtigung wurden das Abschneiden eines Ohres durch einen Polizeibeamten (in einem permanenten Zustand von Angst und Schmerzen)215 ebenso wie eine Vergewaltigung in der Haft durch Polizei oder Sicherheitskräfte vom EGMR als Folter eingestuft.216 Psychotechniken, die die äußere körperliche Integrität unberührt lassen, aber zu schweren seelischen Leiden und geistigen Störungen führen, wie Sinnberaubungs- und Desorientierungsmethoden, können bei entsprechender Schwere und Dauer der Beeinträchtigung ebenfalls als Folter anzusehen sein.217 Die Androhung von Folter zu dem Zweck, eine Information zu erlangen, um auf diese 58 Weise eine Gefahr für Leib und Leben einer Person abwenden zu können, stellt nach Ansicht des EGMR regelmäßig „nur“ eine unmenschliche Behandlung dar – es sei denn, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls (insb. Beweggründe der staatlichen Organe; Dauer der Einwirkung) einen der Folter vergleichbaren Schweregrad aufweisen.218 Um
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EGMR Irland/UK (Fn. 52); vgl. Bleckmann EuGRZ 1976 189; bei Strasser EuGRZ 1990 86. EGMR Selmouni/F (Fn. 90); BGHSt 46 292, 303; hierzu: Esser 377; Safferling Jura 2008 100; Polzin 25 ff. EGMR Aksoy/TRK (Fn. 85), § 63; Kemal Kahraman/TRK, 22.7.2008, § 33; vgl. BGHSt 46 292, 303; Frowein/Peukert 6 unter Hinweis auf EKMR; Meyer-Ladewig 20. EGMR Selmouni/F (Fn. 90); Salman/TRK (Fn. 90); Esser 380; Grabenwarter § 20, 22; Meyer-Ladewig 21. Dabei können physische und psychische Misshandlungen in ihrer Gesamtheit als Folter gewertet werden, EGMR Selmouni/F (Fn. 90), § 105; ebenso EGMR Bati u.a./ TRK, 3.6.2004, ECHR 2004-IV. EGMR Sadykov/R, 7.10.2010, §§ 226–238.
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EGMR Aydin/TRK (Fn. 73); Maslova u. Nalbandov/R (Fn. 75); Esser 379 ff. Frowein/Peukert 6; die EKMR stützte diese Auslegung auch auf Art. 17 Abs. 4 des Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen, die „physical or mental torture“ ihnen gegenüber verbietet. Auch EGMR Soering/UK (Fn. 5), bewertet psychische Belastungen unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK; Vgl. auch BGHSt 46 292, 303; ferner BVerwGE 67 192 und zum Begriff der Quälerei LR/Gleß § 136a, 37 StPO. Eine Mindermeinung beschränkt den Folterbegriff auf die Zufügung körperlicher Qualen, so Guradze 2. Im Fall Gäfgen (Fn. 77) hatte sich der Bf. geweigert, den Aufenthaltsort eines von ihm entführten 11-jährigen Jungen preiszugeben. Die Polizei hatte ihm daraufhin die Zufü-
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die Schwelle der Folter zu erreichen, muss es sich bei der Androhung, ebenso wie nach Art. 1 Abs. 1 UNCAT, stets um eine vorbedachte und gewollte und nicht nur um eine grob fahrlässige 219 Zufügung schwerster körperlicher oder seelischer Qualen handeln.220 Hierunter kann auch die „psychische Folter“ mittels Androhung von Folter gefasst werden, so dass jedenfalls prinzipiell auch die ausgebliebene Umsetzung dieser Drohung keine Rechtfertigung für eine Herabstufung der Drohung zu einer unmenschlichen Behandlung darstellen kann.221 Die Täter wird mit einer Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen meist 59 einen bestimmten Zweck verbinden, wie die Erzwingung eines Geständnisses oder die Erlangung einer Information.222 Auch andere Zwecke, wie etwa die Zufügung schwerster Leiden zum Zwecke der Einschüchterung anderer oder zur Diskriminierung einer Person als Angehöriger einer bestimmten Gruppe fällt hierunter,223 desgleichen Quälereien, die als Bestrafung vorgenommen werden.224 Praktisch kann dann jede zweckbezogene Quälerei als Folter erfasst werden.225 Die strittige Frage, ob eine sadistische Behandlung ohne jeden sonstigen Zweck oder aus persönlicher Rachsucht als Folter oder als grau-
gung erheblicher Schmerzen angedroht, woraufhin G. gestand. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Gegen den die Ausführung der Drohung anordnenden Polizeibeamten wurde eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ausgesprochen, der Entführer wurde zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Vgl. zu diesem Fall auch: LG Frankfurt/M StV 2003 325 mit Anm. Weigend StV 2003 436; BVerfG NJW 2005 656; LG Frankfurt/M NJW 2005 692; Roxin FS Eser 461; Götz NJW 2005 953; Gebauer NVwZ 2004 1405; Welsch BayVBl 2003 481; Esser in: Gehl (Hrsg.), 143; Herzog/Roggan GA 2008 142; Isfen 21; Anders in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004), 1. Die Beschwerde (zur Zulässigkeit: EGMR Gäfgen/D, 10.4.2007, NJW 2007 2461 = EuGRZ 2007 508) hatte im Ergebnis Erfolg: Androhung als unmenschliche und erniedrigende Behandlung; kein Wegfall der Opfereigenschaft, da Bestrafung des Verantwortlichen unverhältnismäßig niedrig ausgefallen sei (vgl. Rn. 22) und die vom Bf. angestrengten Entschädigungsklagen vor den Zivilgerichten immer noch anhängig waren; dazu Grabenwarter NJW 2010 3128. Anders noch das Kammer-Urteil (6:1): Wegfall der Opfereigenschaft. Dem Bf. sei Genugtuung widerfahren, da die deutschen Gerichte einen Konventionsverstoß anerkannt hätten, die Verantwortlichen verurteilt worden waren und das unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewonnene Geständnis nicht verwertet worden war: EGMR Gäf-
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225
gen/D, 30.6.2008, NStZ 2008 699 mit Anm. Esser NStZ 2008 657 = ÖJZ 2009 571 = EuGRZ 2008 466. EGMR Irland/UK (Fn. 52); Selmouni/F (Fn. 90); Nowak EuGRZ 1985 112. Vgl. Art. 1 Abs. 2 Res. 3452 (XXX) der UN-Generalversammlung: „verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“. Vgl. ausführlich Esser NStZ 2008 657; in diese Richtung auch (bezogen auf die Situation im staatlichen Gewahrsam): Joerden Staatswesen und rechtsstaatlicher Anspruch (2008), 160 f., 166 (These 4). So Guradze 3; Meyer-Goßner 1; vgl. Jerousek/Kölbel JZ 2003 613, wonach sich der Folterzweck zur präventiven Informationsgewinnung verschoben hat; dazu auch Hilgendorf JZ 2004 331; vgl. HRC Iskiyaev/ Uzbekistan, 22.4.2009, 1418/2005, § 9.2; und HRC l.G./Uzbekistan, 18.11.2008, 1018/2001, § 5.5 zur Anwendung von Folter während der Haft zur Erzwingung eines Geständnisses. BGHSt 46 292, 303; Nowak 6; so ausdrücklich jetzt Art. 1 Abs. 1 UNCAT, vgl. Nowak EuGRZ 1985 112. EGMR Vladimir Romanov/R, 24.7.2008 (Schläge mit einem Gummiknüppel, nachdem der Häftling der Aufforderung, seine Zelle zu verlassen, bereits gefolgt war und am Boden lag); Dedovskiy u.a./R (Fn. 36). Nach der Folterdefinition in BVerwGE 67 184, 192 kommt jeder beliebige Zweck in Betracht (wohl obiter dictum).
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Art. 7 IPBPR
same und unmenschliche Behandlung einzustufen ist,226 hat bei beiden Konventionen kaum praktische Bedeutung. Bei dem vom Schutzzweck bestimmten, weiten, ohnehin schon fast alle Motive umfassenden jetzigen Folterbegriff spricht einiges dafür, bei EMRK und IPBPR in Abkehr vom engeren, rechtshistorischen Folterbegriff nur noch auf Dauer und Schwere der absichtlich zugefügten Qualen abzustellen und nicht zusätzlich noch auf das Motiv des Folterers oder des die Folter anordnenden oder zulassenden Staatsorgans.227 Die Einordnung einer bestimmten Behandlung als Folter hängt demzufolge nicht 60 davon ab, ob sie zum Zwecke der Gefahrenabwehr eingesetzt wird. Ein Verhalten, das aufgrund der objektiven Schwere des Eingriffs und des Vorsatzes des Täters als Folter einzustufen ist, behält dieses Stigma auch dann, wenn die Maßnahme zur Abwehr terroristischer Gefahren oder zur Rettung eines Menschenlebens eingesetzt wird (sog. „Rettungsfolter“).228 Art. 1 Abs. 1 UNCAT versteht unter Folter „jede Handlung, durch die einer Person 61 vorsätzlich starke körperliche und geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel in der Absicht, von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeine Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden“. Sadistische Quälereien, mit denen kein anderer Zweck verfolgt wird, werden vom 62 Wortlaut nicht erfasst.229 Diese engere Definition der Folter in Art. 1 UNCAT ist an sich weder für die Auslegung von Art. 7 IPBPR noch für die von Art. 3 EMRK verbindlich. Man wird sie aber trotzdem auch über die Vertragsparteien der UNCAT hinaus insoweit für die Auslegung des Folterbegriffs dieser beiden Konventionen heranziehen können,230 als auch ihr (engerer) Folterbegriff erfüllt ist. Dies gilt vor allem, soweit sie die seelischgeistigen Qualen mit einbezieht – so dass im Einzelfall auch die Androhung von Folter als „seelisches Leiden“ und damit als Folter i.S.v. Art. 1 UNCAT eingestuft werden231 – und soweit sie im Gegensatz zur grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung neben der Schwere der Qualen darauf abstellt, dass diese Handlungen bei der Folter vorsätzlich begangen sein müssen, während bei den von Art. 16 Abs. 1 der UNCAT erfassten Formen der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ein hierauf gerichteter Vorsatz nicht erforderlich ist.232
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Bejahend Bleckmann EuGRZ 1976 191; 1979 191; auch wohl BVerwGE 67 192, 193; verneinend Nowak 6 m.w.N.; Nowak EuGRZ 1985 112 unter Hinweis auf die Zweckbezogenheit des Folterbegriffs in Art. 1 UNCAT und in Art. 1 der Resolution 3452 (XXX). So Art. 7 Abs. 2 lit. e ICC-Statut; vgl. dazu BGHSt 46 292, 304; Ambos NJW 2001 405. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), § 107; siehe auch das Kammer-Urteil v. 30.6.2008
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231 232
(Fn. 218), § 69; vgl. auch: EGMR Tomasi/F (Fn. 52), § 115. Zur strittigen Frage bei den Konventionen vgl. Rn. 59. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), § 108; Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641, 642; Hofmann 30; Nowak 6; Esser NStZ 2008 657 f. In diesem Sinne auch: Polzin 41 ff. Nowak 6.
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Die Einschränkung des Folterbegriffs durch Art. 1 Abs. 2 Satz 2 UNCAT zu übernehmen, wonach unter den Begriff Folter nicht „Schmerzen und Leiden [fallen], die sich ausschließlich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, diesen anhaften oder als deren Nebenwirkungen auftreten“, erscheint dagegen problematisch. Durch diese Einschränkung, die sich auch im ICC-Statut 233 findet, wird einerseits klargestellt, dass die mit jedem Strafvollzug verbundenen, in den einzelnen Staaten entsprechend ihrer Rechtstradition nach Art und Intensität unterschiedlichen Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens und ihre Nebenwirkungen keine Folter im Sinne dieser Konventionen sind, wenn sie sich in den üblichen, unabdingbaren Grenzen halten.234 Es werden andererseits auch die in anderen Rechtskreisen, etwa im islamischen Recht, vorgesehenen (schweren) Leibesstrafen, selbst die verstümmelnden, aus dem Folterbegriff herausgenommen.235 Diese als Rückschritt 236 empfundene Einschränkung kann im Verhältnis zwischen den Signatarstaaten der UNCAT als Voraussetzung für die dort festgelegten Rechte und Pflichten eine Rolle spielen, denn der Vorwurf der Folter oder eines Verstoßes gegen die sonstigen an die Folter anknüpfenden Verpflichtungen aus der UNCAT kann kaum mit Erfolg erhoben werden, wenn ein Staat entsprechend seiner Rechtsordnung solche Strafen verhängt. Gleiches gilt auch, wenn ein anderer Staat deswegen keine der in dieser Konvention vorgesehenen Maßnahmen ergreift oder wenn er eine Person trotz der Gefahr einer solchen Bestrafung dorthin abschiebt oder ausliefert. Ob diese Einschränkung darüber hinaus auch auf die internationale Auslegung des Art. 7 IPBPR insoweit zurückwirkt, dass solche Strafen allgemein aus dessen Folterbegriff herausfallen, scheint fraglich, bleibt aber abzuwarten. Für die Auslegung von Art. 3 EMRK, der diese Einschränkung nicht enthält, spielt die Frage kaum eine Rolle, da Strafen, die nach Art und Schwere des Eingriffs zumindest als unmenschliche Behandlung anzusehen wären, wohl in keinem der Signatarstaaten der EMRK gesetzlich vorgesehen sind.237 Solche Strafen unterfallen uneingeschränkt dem Verbot des Art. 3 EMRK, das jedenfalls die weitergehende Verbürgung i.S.d. Art. 1 Abs. 2 UNCAT ist.238
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3. Grausame, unmenschliche Behandlung. Unterschiedlicher Wortlaut von Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR. Beide Vorschriften verbieten jede unmenschliche Behandlung und Bestrafung, Art. 7 IPBPR außerdem noch die „grausame“ Behandlung und Bestrafung. Wenn Art. 3 EMRK darauf verzichtet hat, diese besonders zu erwähnen, so liegt darin keine Einschränkung, denn sie fällt, sofern sie nicht ohnehin als Folter zu betrachten ist, unter das Verbot der unmenschlichen Behandlung oder Bestrafung. Gleiches gilt
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Begriffsbestimmung der Folter bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 7 Abs. 2 lit. e des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BGBl. 2002 II S. 1393). Art. 1 Abs. 1 Satz 2 der Resolution 3452 (XX) der UN-Generalversammlung verdeutlicht dies besser, wenn nur solche Beeinträchtigungen durch den Strafvollzug ausgenommen werden, die das mit den Mindestbestimmungen über die Behandlung von Strafgefangenen zu vereinbarende Maß nicht überschreiten.
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Dazu Nowak EuGRZ 1985 109, 112. Marx ZRP 1986 81, 84. Die gesetzlich zugelassene Prügelstrafe auf der Isle of Man wurde von der EKMR (EuGRZ 1977 486) und vom EGMR Tyrer/UK (Fn. 52), nicht als Folter, sondern als erniedrigende Behandlung qualifiziert, NJW 1978 475; verneint wurde diese für Schläge mit einem Turnschuh als Schulstrafe: EGMR Costello-Roberts/UK (Fn. 62). Hailbronner/Randelzhofer EuGRZ 1986 641, 642.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
im Regelfall für die nur von Art. 7 IPBPR ausdrücklich angesprochene Heranziehung zu medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen.239 Eine unmenschliche Behandlung liegt vor, wenn dem Betroffenen in einer seine Men- 65 schenwürde missachtenden Art und Weise 240 schwere und nach den Umständen mit den allgemeinen Geboten der Menschlichkeit schlechthin unvereinbare körperliche oder seelische Qualen oder Leiden zugefügt werden.241 Maßgebend für diese Beurteilung sind die gesamten Umstände des Einzelfalls, wie Art, Dauer und Schwere der zugefügten Leiden sowie Verhalten und Motive des Täters, vor allem auch seine – allerdings nicht zwingend erforderliche – Absicht, das Opfer zu demütigen und zu erniedrigen.242 In der Verhängung der Todesstrafe nach einem die Gebote der Fairness (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verletzenden Verfahren kann eine unmenschliche Behandlung zu sehen sein.243 Bei der Gesamtwürdigung ist neben den Verhältnissen und Anschauungen des jeweiligen Landes 244 aber auch der allgemeine Standard zu berücksichtigen, zu dem sich die internationale Staatengemeinschaft bekennt. Bei Art. 3 EMRK wird darüber hinaus auf den durch die gemeinsamen Anschauungen der europäischen Staaten begründeten Standard an Wertvorstellungen zurückgegriffen, der aus ihrem gemeinsamen Erbe an geistigen Gütern und politischen Überlieferungen erwachsen ist.245 Da die Konvention nicht rein statisch, sondern als lebendes Übereinkommen verstanden wird, kann sie sich entsprechend den gemeinsamen Anschauungen und dem gestiegenen Menschenrechtsstandard fortentwickeln.246 Auch örtliche Notwendigkeiten i.S.d. Art. 56 Abs. 3 EMRK können daher heute in Europa eine nach allgemeiner Auffassung erniedrigende Behandlung oder
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Art. 8 Abs. 2 lit. a, ii; lit. b x; lit. e, xi ICC-Statut sieht darin bei Vorliegen der jeweiligen sonstigen Voraussetzungen Kriegsverbrechen; auch § 8 Abs. 1 Nr. 8 VStGB führt dies als Kriegsverbrechen besonders an, so auch schon Art. 32, 146, 147 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 917; ber. 1956 II S. 1586). Vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1964 225. Vgl. etwa EGMR Soering/UK (Fn. 5), § 100: Leiden von außergewöhnlicher Intensität und Dauer; Cobzaru/RUM, 26.7.2007, § 61; EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 86; BGHSt 46 292, 306. Etwa EGMR Raninen/FIN (Fn. 209); (GK) Kudla/PL, 26.10.2000, ECHR 2000-XI = EuGRZ 2004 484 = ÖJZ 2001 904 = NJW 2001 2694; dazu Meyer-Ladewig NJW 2001 2679; EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 188); vgl. Schuhr NJW 2006 3538; Safferling Jura 2008 100 (aufgrund der sonstigen Umstände des Einzelfalls unmenschliche Behandlung durch erzwungenen Brechmitteleinsatz auch ohne Misshandlungsabsicht). Vgl. allerdings abweichende Voten
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und Schumann StV 2006 661. Dazu auch Gaede HRRS 2006 241. Der EGMR bewertet den Brechmitteleinsatz jedoch nicht per se als konventionswidrig. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 52); siehe auch das Kammer-Urteil (Fn. 52): Forderung des „höchsten Stands an Fairness“; dazu Breuer EuGRZ 2003 44; Kühne JZ 2003 670; siehe auch: EGMR Ilas¸ cu u.a./MOL u. R, 8.7.2004, ECHR 2004-VII = NJW 2005 1849, §§ 429 ff.; HRC Larranaga/Philippinen, 14.9.2006, 1421/2005, § 7.11 (in Bezug auf Art. 14, 7 IPBPR). Vgl. etwa EGMR Albert, Le Compte/B, 10.2.1983, A 58 = EuGRZ 1983 190. Bei den Unterschieden in den einzelnen Staaten können die landesüblichen Verhältnisse bei der Beurteilung der Schwere eines Eingriffs aber nicht völlig außer Betracht bleiben. Vgl. EGMR Soering/UK (Fn. 5). EGMR Irland/UK (Fn. 52); Soering/UK (Fn. 5); Frowein/Peukert 1; und hinsichtlich der Abgrenzung zur Folter, die sich wegen des höheren Menschenrechtsstandards verschieben kann: EGMR Selmouni/F (Fn. 90); Meyer-Ladewig 21.
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EMRK Art. 3
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Bestrafung nicht mehr rechtfertigen,247 noch weniger die Einstellung der Bevölkerung zu einer bestimmten Behandlung oder Bestrafung.248 Die Grenze zur Folter ist bei vorsätzlicher Zufügung von Leiden fließend.249 Zur 66 Abgrenzung wurde vor allem auf die Dauer und die Intensität der Leidenszufügung und die Verursachung bleibender schwerer gesundheitlicher Schäden abgestellt.250 Die EKMR hat als unmenschlich eine Behandlung bezeichnet, die absichtlich schwere geistige oder körperliche Leiden verursacht und die in der besonderen Situation nicht zu rechtfertigen ist.251 Sie hatte später unter Hinweis auf Art. 15 EMRK und auf den jeweiligen Art. 3 aller Genfer Abkommen klargestellt, dass der Hinweis auf die besondere Situation nicht bedeutet, dass eine unmenschliche Behandlung durch besondere Ausnahmefälle gerechtfertigt werden könne.252 Die Lage des jeweiligen Einzelfalls spielt jedoch insoweit eine Rolle, als das Mindestmaß an Schwere des Eingriffs, das notwendig ist, um eine Behandlung als unmenschlich zu bewerten, von den jeweiligen Umständen, vor allem von Art und Dauer der Einwirkung und mitunter auch von Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand des Betroffenen abhängen kann.253 Als unmenschliche Behandlung wurde angesehen: die Fesselung mit in den Händen einschneidenden Draht während die Füße lange Zeit im kalten Wasser standen,254 die Fesselung mithilfe eines Rückhaltegurtes („restraining belt“);255 die sog. fünf Techniken britischer Verhörorgane256 in ihrer Gesamtheit;257 die Androhung von Schmerzen, zu dem Zweck, mittels einer so erhaltenen Information das Leben einer Person zu retten;258 Schläge, die zu erheblichen Verletzungen führen;259 die Zerstörung eines Wohnhauses und seines Mobiliars durch Sicherheitskräfte (wegen der konkreten Begleitumstände);260 die jahrelange Vernachlässigung und körperliche und geistige Misshandlung von Kindern;261 Mitteilung des Aufschubs der Vollstreckung der Todesstrafe erst 45 Minuten vor dem angesetzten Hinrichtungstermin.262 Die in den USA von der Bush-Regierung in der Zeit zwischen 2002 und 2005
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Vgl. EGMR Tyrer/UK (Fn. 52: Prügelstrafe); vgl. aber andererseits EGMR CostelloRoberts/UK (Fn. 62); Soering/UK (Fn. 5); Esser 375. EGMR Campell u. Cosans/UK, 25.2.1982, A 48 = EuGRZ 1982 153; Esser 383. Meyer-Ladewig 20 (Abgrenzung graduell). Vgl. die bei Frowein/Peukert 6 f.; Nowak 11 geschilderten Verhörpraktiken, die von EGMR Irland/UK (Fn. 52) lediglich als unmenschliche Behandlung, nicht aber als Folter eingestuft wurden. EKMR NJW 1978 475; Frowein/Peukert 2. EKMR Irland/UK; Frowein/Peukert 2. EGMR Irland/UK (Fn. 52); Lorsé u.a./NL, 4.2.2003, § 59; EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 86; EKMR Hurtado/CH, EuGRZ 1994 271; Esser 376; Frowein/ Peukert 3. Meyer-Ladewig 23. EGMR Wiktorko/PL (Fn. 89). Darunter fielen: „Wall-standing“ (Zwang, sich lange Zeit in angespannter Körperhaltung an der Wand abzustützen, wobei
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das Körpergewicht hauptsächlich auf den Fingern lastet), „Hooding“ (Überstülpen von Kapuzen zwischen den Vernehmungsphasen), „Subjecting to noise“ (Verursachung stetigen Lärms); „Deprivation of sleep“ (Entzug von angemessenem Schlaf), „Deprivation of food and drink“ (Entzug von Nahrung und Flüssigkeit). EGMR Irland/UK (Fn. 52); vgl. Esser 385; Frowein/Peukert 17; Grabenwarter § 20, 19. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 77), §§ 101–108; siehe auch das Kammer-Urteil (Fn. 218), §§ 63–70. EGMR Denizci u.a./ZYP, 23.5.2001, ECHR 2001-V (Schläge mit Knüppeln und Schlagstöcken vornehmlich auf den Rücken, die Schultern und das Schlüsselbein; Blut im Urin). EGMR Bilgin/TRK, 16.11.2000; Dulas/ TRK, 30.1.2001, vgl. Meyer-Ladewig 23. EGMR Z u.a./UK (Fn. 60); Meyer-Ladewig 23. HRC nach Nowak EuGRZ 1989 435.
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
gebilligten „harten Verhörmethoden“ 263 – u.a. „Water-Boarding“ 264 und „Walling“ 265 – erfüllen ebenfalls die vom EGMR aufgestellten Anforderungen an die Unmenschlichkeit einer Behandlung und sind darüber hinaus auch als erniedrigend einzustufen. Vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen (Rn. 56 ff.) kann bei ihrer Anwendung auch die Schwelle der Folter erreicht sein.266 Die zwangsweise Heranziehung zu wissenschaftlichen, vor allem medizinischen Ver- 67 suchen wird in Art. 7 Satz 2 IPBPR als Beispiel einer unmenschlichen Behandlung besonders erwähnt.267 Daraus wird gefolgert, dass das Verbot nur eingreift, wenn der im Versuch liegende Eingriff in die persönliche Integrität das Ausmaß einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung erreicht.268 Solche Versuche sind auch nach Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung verboten, wenn sie die dafür erforderliche Erheblichkeit der Beeinträchtigung erreichen.269 Das Verbot betrifft nicht Maßnahmen zur Heilbehandlung, wenn diese zur Behandlung einer Krankheit des Betroffenen ärztlich geboten sind und nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt werden.270 Auch Maßnahmen, die im Interesse der Gesundheit anderer Personen erzwungen werden, wie etwa die Impfung gegen ansteckende Krankheiten oder die zwangsweise ärztliche Behandlung einer ansteckenden Krankheit, sind keine verbotenen Versuche i.S.d. Art. 7 Satz 2 IPBPR.271 Nur mit der freiwilligen Zustimmung des Betroffenen dürfen Experimente, die einen 68 solchen Eingriff bedeuten, durchgeführt werden. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie alle relevanten Umstände des Versuchs einschließlich der damit verbundenen Folgen und Risiken umfasst; sie setzt also eine entsprechende Aufklärung voraus. Sie muss freiwillig, d.h. ohne jeden Zwang und ohne unzulässigen Druck von außen erklärt worden sein. Die Einwilligung kann wegen der höchstpersönlichen Natur des Rechts auf persönliche Integrität nur vom Betroffenen selbst, nicht aber von seinem gesetzlichen Vertreter erteilt werden.272 Der Betroffene kann die Einwilligung auch jederzeit zurücknehmen.273 Experimente, die nach Art und Ausmaß der zugefügten Leiden als Folter einzustufen sind, können auch durch eine Einwilligung nicht gedeckt sein.274
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Vgl. Memorandum des US-Justizministeriums v. 16.4.2009. Bei dieser Art des simulierten Ertrinkens wird wiederholt Wasser aus einer bestimmten Höhe auf Nase und Mund des Betroffenen geschüttet, dessen Gesicht mit mehreren Handtüchern bedeckt ist. Der Betroffene wird in einer Position fixiert, in der der Kopf niedriger als der Rest des Körpers gelagert ist. Auf diese Weise soll das tatsächliche Ertrinken durch versehentliches Eindringen von Wasser in die Lunge verhindert werden. Beim Einatmen saugen sich die nassen Handtücher am Gesicht fest und verursachen einen starken Würgereiz, der den Eindruck des drohenden Ertrinkens auslöst. Da in der Regel eine geringe Menge Luft eingeatmet werden kann, ist der Erstickungstod bei kurzer Anwendung unwahrscheinlich – aber nicht ausgeschlossen. Dabei zieht die Verhörsperson den Betroffenen zunächst zu sich heran und stößt ihn
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dann schnell und mit voller Wucht gegen eine Wand, die mitunter zur Schockwirkung so präpariert ist, dass der Aufprall mit einem lauten Geräusch verbunden ist. Zur „Ineffektivität“ solcher Verhörmethoden aus neurobiologischer Sicht: O’Mara Trends Cognitive Science (online) 2009 497. Zur Entstehung Nowak 51 ff. Nowak 58 f. Partsch 107. EGMR Kucheruk/UKR, 6.9.2007; Bogumil/F, 7.10.2008 (Entfernung von verschluckten Drogenpäckchen aus dem Magentrakt); BGer EuGRZ 1993 396; 2001 634; Nowak 56 f. Nowak 57. Vgl. Nowak 57 (fraglich). Nowak 57. Vgl. Nowak 57 (Wortlaut und travaux préparatoires lassen eher Verstoß verneinen).
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Die sachlich nicht gebotene zwangsweise Verabreichung einer Injektion zur Ruhigstellung eines Festgenommenen kann andererseits gegen Art. 3 EMRK verstoßen.275 Der ÖVerfGH hat in der zwangsweisen Verabreichung einer Beruhigungsspritze nach der Festnahme durch die Polizei hingegen eine erniedrigende Behandlung gesehen.276 Bei medizinisch als notwendig erachteten Zwangsmaßnahmen gegenüber einer untergebrachten, geistig abnormalen Person (Sicherheitsbett, Fesselung, Zwangsernährung 277) hat der EGMR einen Konventionsverstoß verneint.278 Die medizinische Notwendigkeit und die Durchführbarkeit der Maßnahme muss aber hinreichend begründet und von qualifizierten Personen festgestellt werden, insbesondere dann, wenn das geplante Vorgehen vom Normalfall abweicht.279 Gleichzeitig bedarf es im Hinblick auf die Entscheidung zu einer solchen Zwangsmaßnahme verfahrensrechtlicher Garantien.280 Eine medizinisch nicht gebotene zwangsweise Überstellung in die psychiatrische Behandlung kann als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung einzustufen sein.281 Auch ohne therapeutische Notwendigkeit verstoßen medizinische Eingriffe, die zur 70 Beweisgewinnung in Bezug auf eine Straftat gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden, nicht per se gegen Art. 3 EMRK, sofern unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls weder der ausgeübte Zwang noch der Eingriff selbst das erforderliche Mindestmaß an Schwere erreichen.282 Für die Entnahme von Blut- und Speichelproben hat der EGMR dieses Mindestmaß grundsätzlich verneint.283 Je schwerer der Eingriff jedoch wiegt, desto strenger hat die Abwägung der Gesamtumstände zu seiner Rechtfertigung auszufallen und umso stärker muss die Wahl alternativer Methoden der Beweisgewinnung in Betracht gezogen werden. Wichtige Abwägungskriterien sind der Grad der Notwendigkeit des zwangsweise vorgenommenen medizinischen Eingriffs zur Beweissicherung,284 die gesundheitlichen Risiken für den Verdächtigen, die Art und Weise der Durchführung des Eingriffs und die hervorgerufenen physischen Schmerzen und psychischen Leiden, die Gewährleistung der ärztlichen Aufsicht sowie die Auswirkungen auf die Gesundheit des Verdächtigen. Ein Risiko dauerhafter Gesundheitsschädigung darf nicht bestehen.285 Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Gewinnung im Magen befindlicher Drogentütchen stellt i.d.R. eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar.286 Die Alternative des Wartens auf das natürliche Aus-
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ÖVerfGH EuGRZ 1984 503. ÖVerfGH EuGRZ 1984 503; weitere Fälle Nowak 60. Wenn keine medizinische Notwendigkeit für eine Zwangsernährung besteht, so kann die Art der Durchführung gegen Art. 3 EMRK verstoßen: EGMR Nevmerzhitsky/UKR, 5.4.2005, ECHR 2005-II, §§ 93 ff.; Ciorap/MOL, 19.6.2007, §§ 76 ff. EGMR Bogumil/F, 7.10.2008; Herczegfalvy/A, 24.9.1992, A 244 = EuGRZ 1992 535; Villiger 290. EGMR Gennadi Naumenko/UKR (E), 10.2.2004, § 112; Kucheruk/UKR (Fn. 270; Anordnung von Handschellen durch das Gefängnispersonal allein aufgrund der Einschätzung eines Sanitäters und eines Arztes ohne psychiatrische Qualifikation; Fesselung während der Unterbringung in einer Diszi-
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plinarzelle rund um die Uhr an sieben von neun Tagen). EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 242), § 69. Vgl. Nr. 16.1 des Kopenhagener Abschlussdokuments über die menschliche Dimension der KSZE EuGRZ 1990 289. EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 242), §§ 70, 72, 76. Vgl. EGMR Schmidt/D (E) (Fn. 209). Kritisch, sofern die Schwere des begangenen Delikts relevant sein sollte: Sondervotum Bratza; Schuhr NJW 2006 3538. EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 242), §§ 71, 73, 76. Siehe auch die Sondervoten Zupancic (Folter im engeren Sinn); abweichende Voten Wildhaber u. Calfisch (Art. 3 EMRK ablehnend; kein typischer Anlass zur Gewaltanwendung, Verhalten des Betroffenen
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Art. 7 IPBPR
scheiden der Betäubungsmittel ist als geringerer Eingriff in die physische und psychische Unversehrtheit des Betroffenen noch mit Art. 3 EMRK vereinbar.287 4. Erniedrigende Behandlung. Eine erniedrigende Behandlung, die in der Folter und 71 der menschenunwürdigen Behandlung mit enthalten ist, liegt vor, wenn der Betroffene vor sich selbst 288 oder vor anderen in einer seine Menschenwürde beeinträchtigenden, ihn als Person gröblich missachtenden Weise erheblich herabgesetzt oder gedemütigt wird,289 so, wenn er gezwungen wird, gegen seinen eigenen Willen oder sein Gewissen zu handeln 290 oder wenn er bewusst in eine nach den ganzen Umständen mit seinem sozialen Achtungsanspruch nicht zu vereinbarende menschenunwürdige Lage gebracht wird, um in ihm Gefühle der Angst oder der Unterlegenheit zu wecken und um seinen körperlichen oder moralischen Widerstand zu brechen.291 Die Absicht zur Herabwürdigung stellt keine notwendige Voraussetzung für eine Herabwürdigung dar, ist aber ein wichtiger Faktor im Rahmen der Gesamtwürdigung.292 Notwendig ist auch hier die Erheblichkeit der Beeinträchtigung,293 nicht aber, dass sie (anders bei der Folter) mit der Zufügung intensiver körperlicher Schmerzen oder seelischer Leiden verbunden ist.294 Ist die Maßnahme im Übrigen mit der Konvention vereinbar, bedarf es zur Annahme eines Verstoßes besonderer Umstände, die eine Beeinträchtigung über das mit der Maßnahme unvermeidliche Maß hinaus begründen.295 Zur Abgrenzung von den leichteren Formen der Verletzung des persönlichen Ach- 72 tungsanspruchs, wie der Missachtung des auch dem Inhaftierten zustehenden Rechts auf Achtung seiner Integrität und Menschenwürde (Art. 8 EMRK Art. 10 Abs. 1 IPBPR) oder einer bloßen Ehrverletzung (vgl. Art. 17 IPBPR), wird eine auch objektiv erhebliche Negierung der Menschenwürde des Betroffenen gefordert.296 Ob eine solche, die Men-
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ursächlich; krit. bzgl. Argumenten der abw. Meinung: Ashworth Crim.L.R. 2007 717). Zu dieser Entscheidung auch: Gaede HRRS 2006 241: Grundsatzurteil, das den erzwungenen Brechmitteleinsatz praktisch ausschließt; dagegen die „Einzelfallgefangenheit“ und ihre Risiken kritisierend: Schuhr NJW 2006 3538; vertiefend: N. Schlothauer Strafbarkeit ärztlicher Brechmittelvergabe (2010). Vgl. auch zu den Sorgfaltsanforderungen eines Arztes beim Brechmitteleinsatz: BGH Urt. v. 29.4.2010 – 5 StR 18/10 (§ 222 StGB) mit Anm. Barton StRR 2010 350. Die demütigende Wirkung eines durchsichtigen „Drogenklos“ hervorhebend: Pollähne/ Kemper KrimJ 2007 185 (Drohung mit Brechmitteleinsatz nun Verstoß gegen § 136a StPO). Krit. auch Schuhr NJW 2006 3538, der die Degradierung des Betroffenen zum Objekt des Verfahrens hervorhebt, wenn den Behörden die Wahl zwischen den Eingriffsarten überlassen wird. EGMR Smith u. Grady/UK, 27.9.1999, ECHR 1999-VI = NJW 2000 2089; MeyerLadewig 22.
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ÖVerfGH EuGRZ 1984 503; 1988 366; Folz FS Verosta 208; Grabenwarter § 20, 25; Meyer-Ladewig 22; Nowak 12. EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 86; Meyer-Goßner 2. Vgl. Meyer-Ladewig 22. EGMR Raninen/FIN (Fn. 209), §§ 55, 58; Price/UK, 10.7.2001, ECHR 2001-VII, § 24; Cobzaru/RUM (Fn. 241). EKMR und EGMR Irland/UK (Fn. 52: Behandlung in Internierungslagern); EGMR Cruz Varas u.a./S (Fn. 116); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 87 (E/N); Esser 381 ff.; Frowein/Peukert 8 f. m.w.N. Vgl. EGMR Raninen/FIN (Fn. 209), § 58; Grabenwarter § 20, 25. EGMR D. u.a./UK, 12.2.2008 (E) (Maßnahme zum Schutz des Kindes vor Misshandlungen und Stigmatisierung der Eltern, weil die sog. Glasknochenkrankheit des Kindes zunächst nicht erkannt wurde). Der EGMR fordert auch für die erniedrigende Behandlung einen schwerwiegenden Verstoß: EGMR IR/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; vgl. Frowein/Peukert 8 f. m.w.N.
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schenwürde in Frage stellende erniedrigende Behandlung von Gewicht vorliegt, hängt von der Lage des Einzelfalls ab und ist in weit stärkerem Umfang als bei der unmenschlichen Behandlung situationsbedingt. Dies richtet sich nach der Zielrichtung der jeweiligen Maßnahme,297 aber auch nach dem sozialen Umfeld, den jeweiligen örtlichen Verhältnissen und Anschauungen.298 Darüber hinaus können auch die Dauer, die physischen und psychischen Auswirkungen 299 und ggf. das Geschlecht, das Alter 300 und der Gesundheitszustand 301 des Betroffenen von Bedeutung für die Beurteilung einer Maßnahme sein.302 In der körperlichen Durchsuchung von Besuchern in einer Haftanstalt mit endemischem Drogenproblem sah der EGMR mangels Erheblichkeit der Beeinträchtigung keine erniedrigende Behandlung.303 Auch die diskriminierende Behandlung einer ganzen Bevölkerungsgruppe kann eine erniedrigende Behandlung des Einzelnen darstellen.304 Es hängt aber neben Art und Anlass der jeweiligen Behandlung und den sonstigen 73 Umständen des Einzelfalls immer auch davon ab, wie die Behandlung nach der konkreten Situation zu bewerten ist, nicht zuletzt auch, ob mit ihr ein legitimer Zweck verfolgt wird oder ob sie – was ausreicht – schon objektiv außer jedem Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht oder ob sie ohne einen solchen als bloßes Mittel der Demütigung oder Lächerlichmachung bewusst gewollt ist.305 So wurde eine erniedrigende Behandlung darin gesehen, dass einem Festgenommenen mehrere Tage verwehrt wurde, seine durch den eigenen Kot verschmutzte Bekleidung zu wechseln und sich zu waschen306 oder dass ein Inhaftierter gezwungen wurde, sich in Gegenwart einer weiblichen Aufsichtsperson für eine Leibesvisitation auszuziehen.307 Bei Leibesvisitationen kann Art. 3 EMRK darüber hinaus betroffen sein, wenn mit dieser Maßnahme kein legitimer Zweck verfolgt wird und die Möglichkeit besteht, dass sie nur zur Herabwürdigung des Betroffenen durchgeführt wird. Der EGMR zieht diesen Ansatz aber auch für andere Fälle heran, in denen eine Person aufgefordert wird, sich auszuziehen.308 Als erniedrigend
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Vgl. etwa BonnK/Zippelius Art. 1 , 62 GG; BVerfGE 30 194. 298 Das Abstellen auf die überkommene örtliche Übung und auf die Einstellung der Bevölkerung kann aber problematisch sein, vgl. Esser 383 (zu bestimmten Formen der Bestrafung). 299 HRC Eshonov/Usbekistan, 18.8.2010, 1225/2003 hat eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung von Art. 7 IPBPR auch in dem Fall angenommen, dass ein Vater permanentem seelischem Stress ausgesetzt war, weil er nicht wusste, in welcher Verfassung der Leichnam seines Sohnes sein würde, der mutmaßlich an den Folgen von Folter im Gefängnis gestorben war. Ähnlich HRC Benaziza/Algerien, 16.9.2010, 1588/2007 (Verletzung von Art. 7 IPBPR, weil die Familienangehörigen nie erfahren haben, wohin die Mutter nach staatlicher Festnahme verschwand und was mit ihr passierte). 300 EGMR Tas ¸ tan/TRK (Fn. 86; Pflicht eines 71-Jährigen zur uneingeschränkten Ableistung seines Wehrdienstes).
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EGMR Chember/R, 3.7.2008 (Bestrafung eines Wehrdienstleistenden mit exzessiven Kniebeugen trotz bekannter Kniebeschwerden und offizieller Befreiung von Leibesund Mannschaftsübungen [„physical exercise and squad drill“]; dadurch irreparable Schädigung). EGMR Farbtuhs/LET, 2.12.2004, §§ 56 ff.; Cobzaru/RUM (Fn. 241), § 61. EGMR Wainwright/UK, 26.9.2006, ECHR 2006-X (über eine gewisse Schlampigkeit bei der Durchführung der Leibesvisitation hinaus insbesondere keine verbale Herabwürdigung). EGMR ZYP/GR, 20.5.2001, ECHR 2001-IV. Grabenwarter § 20, 25; vgl. BonnK/Zippelius Art. 1, 93 GG. EKMR Hurtado, EuGRZ 1994 271. EGMR Valasinas/LIT, 24.7.2001, ECHR 2002-VIII; Meyer-Ladewig NJW 2004 981, 982; ders. 12c m.w.N. EGMR Wiktorko/PL (Fn. 89; gewaltsame Entkleidung einer weiblichen Gefangenen durch zwei männliche Vollzugsbeamte).
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anzusehen ist daher auch die für eine Durchsuchung auf Waffen nicht notwendige Entkleidung des mit Handschellen gefesselten Betroffenen durch Polizeibeamte anlässlich seiner Festnahme309 sowie routinemäßige Leibesvisitationen von in Hochsicherheitsgefängnissen Inhaftierten ohne konkreten Verdacht.310 Nach Ansicht des EGMR ist es auch als unmenschliche und erniedrigende Behandlung einzustufen, wenn ein Häftling während längerer Zeit in einem besonders gesicherten Haftraum ohne Kleidung belassen wird, sofern keine ausreichenden Gründe dargelegt werden, die eine solche Behandlung rechtfertigen können.311 Eine erniedrigende Behandlung sah der EGMR in der grundlosen Einsperrung eines Angeklagten in einen Metallkäfig für die gesamte Dauer seines Prozesses, bei welchem seine Ehefrau, seine Kinder und Freunde anwesend waren.312 Der ÖVerfGH hat in grundlosen Schlägen mit Gummiknüppel und Faust gegen einen unbeteiligten Journalisten eine erniedrigende Behandlung gesehen.313 Sofern Sachgründe dies rechtfertigen, ist die zwangsweise Veränderung der Haar- und 74 Barttracht eines U-Gefangenen zum Zwecke der Gegenüberstellung mit einem Augenzeugen keine erniedrigende Behandlung,314 desgleichen nicht die Extraktion einiger Haare zum Nachweis eines Drogenkonsums315 oder das Anlegen von Handschellen bei einer Festnahme,316 einem Gefangenentransport,317 während der Hauptverhandlung318
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EGMR Wieser/A, 22.2.2007, ÖJZ 2007 792, §§ 40 ff. EGMR Van der Ven/NL, 4.2.2003, ECHR 2003-II, §§ 52 ff. (unmenschlich oder erniedrigend); Lorsé u.a./NL (Fn. 253), §§ 64 ff. (unmenschlich oder erniedrigend); Baybasin/NL, 6.7.2006; Frérot/F, 12.6.2007, §§ 35 ff.; Yankov/BUL, 11.12.2003, ECHR 2003-XII, §§ 112 ff. (Rasieren der Kopfbehaarung ohne zwingenden Grund). EGMR Hellig/D, 7.7.2011, §§ 56 f. (Zustand ohne Kleidung könne Gefühle von Angst, Qual und Minderwertigkeit hervorrufen, was zur Demütigung und Erniedrigung führen könne. Im vorliegenden Fall sei – als mögliche Rechtfertigung – keine ernsthafte Gefahr von Selbstverletzungen oder Suizid dargelegt worden. Weniger einschneidende Mittel [reißfeste Kleidung; so eine Empfehlung des European Committee for the Prevention of Torture] seien nicht erwogen worden; Entschädigung: 10.000 Euro). EGMR Ashot Harutyunyan/ARM, 15.6.2010; ähnlich Khodorkovskiy/R, 31.5.2011, wo der EGMR auch darauf abstellt, dass keine Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft des Angeklagten vorlagen, er insbesondere nicht wegen Gewaltdelikten angeklagt oder vorbestraft war. ÖVerfGH EuGRZ 1988 366; ob hier allerdings schon die von Art. 3 EMRK geforderte Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde, erscheint fraglich; zur besonderen Verfassungslage in Österreich, wo die
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EMRK auch bei der Verwaltungskontrolle einschließlich der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns herangezogen wird, vgl. Fuchs ZStW 100 (1988) 459 mit weiteren Beispielen; ferner Folz FS Verosta 208. Vgl. auch BVerwGE 26 161 (grundloses Schlagen eines Unbeteiligten verletzt Menschenwürde). BVerfGE 47 247; BGer EuGRZ 1986 695 (Identifizierung nach Bankraub); LR/Krause § 81a, 47 StPO; vgl. auch BVerwGE 43 355; 46 1; MDR 1995 231 (Haartracht bei Bundeswehr); ferner Art. 8 EMRK Rn. 58. BGer EuGRZ 1996 470. Sofern dies nicht mit Gewaltanwendung und öffentlicher Zurschaustellung einhergeht: EGMR Erdogan Yagiz/TRK, 6.3.2007, § 42; Kucheruk/UKR (Fn. 270) § 139. EGMR Raninen/FIN (Fn. 209); (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005 (Fn. 52), § 182; Gennadi Naumenko/UKR, 10.2.2004, § 117; Esser 398; wohl aber eine länger dauernde Fesselung mit Draht: Meyer-Ladewig 39; EGMR Tarariyeva/R, 14.12.2006, ECHR 2006-XV (Verletzung durch Anlegen von Handschellen nach einer schweren Operation und während des anschließenden Transports). EGMR Gorodnichev/R, 24.5.2007 (Tragen der Handschellen in der öffentlichen Verhandlung unverhältnismäßig und erniedrigend, da keine Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr, die Gefährdung der Zuhörer oder die Behinderung der Justiz).
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oder in einem psychiatrischen Krankenhaus.319 Erfolgt das Anlegen von Handschellen allerdings ohne sachlichen Grund (etwa am Arbeitsplatz; im Stadtviertel, in Gegenwart von Angehörigen), stellt es eine erniedrigende Behandlung dar, wenn die mit dem Tragen der Handschellen verbundene Demütigung durch die Öffentlichkeit vertieft wird und bei dem Betroffenen erhebliche psychische Beschwerden auslöst.320 Soll der Betroffene ruhig gestellt oder sonst bewegungsunfähig gemacht werden, ist 75 auch bei Rechtfertigung der Maßnahme als solcher stets darauf zu achten, dass sein Wohlbefinden in regelmäßigen Abständen überprüft wird; so z.B. bei Verwendung eines Sicherungsgürtels („restraining belt“) wegen aggressiven Verhaltens während einer Intoxikationspsychose.321 Das Verbinden der Augen während des Transports zur Haftanstalt verstößt als Sicher76 heitsmaßnahme nicht notwendig gegen Art. 3 EMRK.322 Maßgebend ist immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. So liegt ein Verstoß vor, wenn diese Maßnahme nur dazu dienen soll, einen starken psychologischen oder physischen Druck gegen den Betroffenen zu verstärken, etwa in Verbindung mit sonstigen Misshandlungen. In der Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Feststellung der strafrecht77 lichen Verantwortlichkeit323 oder zum Schutz des Eingewiesenen oder wichtiger Interessen der Allgemeinheit ist keine erniedrigende Behandlung zu sehen. Ebenso wenig findet Art. 3 EMRK Anwendung, wenn nach dem Tod eines nahen Angehörigen keine gründlichen Ermittlungen angestellt worden sind, wenn nicht besondere Umstände vorliegen.324 5. Unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Gefangenen und Untergebrachten – Haftbedingungen
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a) Allgemeine Grundsätze. Beim Vollzug von Freiheitsstrafen 325 oder sonstiger freiheitsentziehender Maßnahmen sowie beim Vollzug der Untersuchungshaft stellt sich immer wieder die Frage, ob in bestimmten Modalitäten des Vollzugs eine unzulässige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung liegt. Da eine exakte Unterscheidung zwischen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Haftfällen nicht immer leicht fällt und auch vom EGMR mitunter nur pauschal „ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK“ ohne weitere Spezifizierung festgestellt wird, erfolgt die Darstellung dieser spe-
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EGMR Herczegfalvi/A, 24.9.1992, A 244 = EuGRZ 1992 535 = ÖJZ 1993 96 (therapeutisch veranlasste Fesselung eines Geisteskranken); vgl. EGMR Kucheruk/UKR (Fn. 345; Beurteilung der Notwendigkeit durch qualifiziertes Personal). EGMR Erdogan Yagiz/TRK (Fn. 316); Meyer-Ladewig 39. Als erniedrigend ist daher auch die in den USA praktizierte Chain Gang (Kettenbande) zu sehen, bei der mehrere aneinander gekettete Gefangene Ordnungsdienste in der Öffentlichkeit verrichten müssen. Gleiches gilt für die Zurschaustellung von Prostituierten bzw. mutmaßlicher oder verurteilter Kriminellen („Schamparaden“) in China.
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EGMR Wiktorko/PL (Fn. 89). EGMR (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005 (Fn. 52), § 183. Guradze 10; Schorn 31; Zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit LR/Krause § 81, 34 StPO. EGMR Tahsin Acar/TRK, 8.4.2004, ECHR 2004-III, § 239; Güngör/TRK, 2.3.2005, §§ 106 f. Vgl. allgemein zur Beachtung der Menschenrechte im Strafvollzug: Dünkel FS Jung 99; Schlüter in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004), 89.
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ziellen Thematik im Rahmen von Art. 3 EMRK im Verbund. Individualbeschwerden sollten gleichwohl stets um eine differenzierte Betrachtungsweise bemüht sein und den spezifischen Charakter der „Unmenschlichkeit“ bzw. „Erniedrigung“ einer Behandlung herauszuarbeiten versuchen. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung liegt nicht schon dann vor, wenn 79 die landesüblichen Haftbedingungen im Vergleich zu den in Westeuropa üblichen Bedingungen als primitiv oder hart erscheinen.326 Wichtige Anhaltspunkte dafür, welche Maßnahmen beim Vollzug einer Freiheitsentziehung europäischen Wertvorstellungen entsprechen, liefern die vom Europarat aufgestellten Grundsätze, so etwa die vom Ministerkomitee des Europarates im Jahr 2006 neu gefassten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules – EPR) ,327 die auch die U-Haft 328 und andere Freiheitsentziehungen umfassen, und die Berichte des aufgrund der ECPT eingesetzten Ausschusses (CPT).329 Diese Empfehlungen wenden sich an die Regierungen und begründen keine subjektiven Rechte und Pflichten des Einzelnen; sie sind jedoch als Ausdruck einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung bei der Auslegung mit heranzuziehen.330 Vergleichbare Vorgaben enthalten die auf UN-Ebene erarbeiteten Mindestregeln für die Behandlung der Gefangenen.331 Strenge Haftbedingungen im Allgemeinen (z.B. hartes Lager; Reduzierung des Essens)332 verstoßen vorbehaltlich der ärztlichen Unbedenklichkeit nicht per se,333 sondern nur dann gegen die Konvention, wenn sie nach den Umständen eine unmenschliche oder erniedrigende Komponente aufweisen, so zum Beispiel wenn einem Gefangenen weniger als vier Quadratmeter in einer Mehrpersonenzelle zur Verfügung stehen334 oder wenn ein Gefangener, der an den Folgen einer Operationswunde leidet, auf dem Fußboden einer kleinen Zelle schlafen muss.335 b) Gewaltverbot / Behandlungsgrundsätze / Disziplinarmaßnahmen. Für die Verlet- 80 zung des Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR ist immer eine gewisse Dauer und Erheblichkeit der Einwirkungen erforderlich, die deutlich über die Beeinträchtigungen und Leiden hinausgeht, die mit dem Vollzug einer Strafe oder einer Unterbringung notwendigerweise verbunden bzw. zur Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Anstalt notwendig sind.336
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Vgl. v. Bubnoff 39 ff., 41. Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates – Rec(2006)2 (European Prison Rules) v. 11.1.2006; deutsche Übersetzung: BMJ u.a. (Hrsg.) Freiheitsentzug – Die Empfehlung des Europarates – Europäische Strafvollzugsgrundsätze – 2006 (2007), Rn. 60.3; vgl. auch die früheren Empfehlungen: R (87) 3 v. 12.2.1987; Entschließung 73/3 v. 19.1.1973; vgl. BMJ (Hrsg.) – Die Empfehlungen des Europarates zum Justizvollzug 1962–2003. Hierzu speziell: Rec(2006)13 betreffend die Anwendung von Untersuchungshaft, die Bedingungen, unter denen sie vollzogen wird, und Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch v. 27.9.2006. Berichte des Europäischen Ausschusses zur Verhütung der Folter (CPT) über die bei seinen Besuchen getroffenen Feststellungen;
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diese zieht auch der EGMR als Erkenntnisquelle heran, vgl. etwa EGMR Dougoz/GR, 6.3.2001, ECHR 2001-II; Peers/GR, 19.4.2001, ECHR 2001-III; Modarca/MOL, 10.5.2007; Grabenwarter § 20, 34. Vgl. BGer EuGRZ 1981 531; VerfGH Berlin Beschl. v. 3.11.2009 – VerfGH 184/07. Siehe: Höynck/Neubacher/Schüler-Springorum Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminalrecht – Dokumente der Vereinten Nationen und des Europarates (2001), 142 ff. Etwa VGH Bremen DÖV 1956 703; Frowein/Peukert 17; Esser 395 je m.w.N. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 92. EGMR Khodorkovskiy/R, 31.5.2011. EGMR Ciorap/MOL, 20.7.2010. EGMR (GK) Kudla/PL (Fn. 242); MeyerLadewig 28.
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Für körperliche Misshandlungen (durch staatliche Stellen) in Gewahrsam oder Haft formuliert der Gerichtshof mittlerweile eine ebenso unmissverständliche wie strenge Leitlinie: Grundsätzlich stellt jede Gewaltanwendung gegen Personen, denen die Freiheit entzogen ist, unabhängig vom Grad ihrer Schwere und Häufigkeit 337 einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar (allgemeines Gewaltverbot) 338 – es sei denn, der Einsatz von Gewalt ist dringend erforderlich („strictly necessary“).339 Schläge und Misshandlungen340 verstoßen ebenso wie eine Vergewaltigung während der Haft 341 offensichtlich gegen die Konvention. Eine verhältnismäßige Anwendung physischer Gewalt zur Verhinderung eines Ausbruchs bzw. zur Wiederherstellung der Ordnung in einem Gefängnis ist dagegen regelmäßig nicht zu beanstanden.342 Diese ursprünglich (nur) für staatlich „kontrollierte“ Personen aufgestellten Grundsätze (Haft, Unterbringung, Gewahrsam) hat der EGMR mittlerweile allgemein auf den Kontakt mit staatlichen Vollzugsorgangen ausgeweitet (ob nur in oder generell auch außerhalb räumlicher staatlicher Sphäre, bleibt abzuwarten).343 Auch zur Beruhigung bzw. Kontrolle von aufgebrachten Personen (z.B. auf einer Polizeistation) ist die Anwendung physischer Gewalt nur im erforderlichen Umfang erlaubt. Den staatlichen Stellen ist auch in einer angespannten Situation stets ein gewisses Maß an Selbstkontrolle abzuverlangen, das zur Auswahl nicht nur der im jeweiligen Einzelfall erforderlicher sondern auch der jeweiligen Situation angemessenen Maßnahmen zwingt.344 Förmliche Disziplinarmaßnahmen einschließlich der Anwendung unmittelbaren Zwangs sind nicht konventionswidrig, wenn sie durch das Verhalten des Inhaftierten initiiert sind und sich als notwendig zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Disziplin in der Anstalt erweisen.345 Unterhalb der Schwelle körperlicher Gewalt beurteilt der EGMR das Vorliegen einer 82 unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR anhand der Gesamtheit der Haftumstände sowie deren kumulative Auswirkungen im Einzelfall.346 Auch hier verstoßen Beschränkungen und Demütigungen, die mit der Natur einer jeweils erforderlichen Maßnahme unvermeidlich verbunden sind, nicht gegen die Konventionen.347 Nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar ist eine grundlose körperliche
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So noch differenzierend: EGMR Tomasi/F (Fn. 52); vgl. auch EGMR Irland/UK (Fn. 52). 338 Esser 391 ff. unter Hinweis auf EGMR Ribitsch/A (Fn. 90). 339 EGMR Ribitsch/A (Fn. 90), § 38; Selmouni/F (Fn. 90), § 99; Palushi/A (Fn. 90), § 62; Hellig/D, 7.7.2011, § 33. 340 Vgl. EGMR Tomasi/F (Fn. 52); Ribitsch/A (Fn. 90), dazu: Rudolf EuGRZ 1996 497; Esser 388 ff.; vgl. auch HRC Gunaratna/ Sri Lanka, 23.4.2009, 1432/2005, § 8.2. 341 EGMR Aydin/TRK (Fn. 73); Esser 379. 342 Frowein/Peukert 16 m.w.N.; allerdings berücksichtigt der EGMR bei Gewaltanwendung, ob diese wirklich notwendig war oder von den Behörden provoziert wurde: EGMR Shamayev u.a./GEO u. R, 12.4.2005, ECHR 2005-III, § 102.
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EGMR Fahriye Çalis¸kan/TRK, 2.10.2007, § 38 („lorsqu’un individu se trouve privé de sa liberté ou, plus généralement, se trouve confronté à des agents des forces de l’ordre“; hier: Polizeirevier). EGMR Fahriye Çalis¸kan/TRK (Fn. 343), §§ 42–44. Vgl. EGMR Kucheruk/UKR (Fn. 270), § 131; Esser 389; Meyer-Ladewig 26; vertiefend Rodley The Treatment of Prisoners under International Law (2009). EGMR Dobrev/BUL, 10.8.2006, § 138; ebenso für die Haftraumgröße und -ausstattung: VerfGH Berlin Beschl. v. 3.11.2009 – VerfGH 184/07, StraFo 2010 65 („Gesamtschau“). EGMR Tyrer/UK (Fn. 52); (GK) Kudla/PL (Fn. 242); (GK) Paladi/MOL, 10.3.2009.
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Durchsuchung mit herabsetzenden Bemerkungen,348 das Tragen einer Sturmhaube außerhalb der Zelle,349 der Zwang, unter Drohungen tagelang bewegungslos auf einer Matratze zu sitzen, ständig verdunkelte oder unter Wasser stehende ungeheizte Zellen, zum Teil ohne Licht und mit Fesseln,350 sowie eine diskriminierende Sonderbehandlung. Aus wichtigen sachlichen Gründen (z.B. Sicherung der Ermittlungen; Sicherheit der 83 Anstalt oder der Disziplin; Fürsorge gegenüber Mitgefangenen) kann ein Gefangener von den anderen Gefängnisinsassen oder von Kontakten mit Außenstehenden isoliert in Einzelhaft untergebracht werden.351 In der Judikatur des EGMR schwanken die diesbezüglichen Bewertungen; stets kommt es aber auch hier auf die Gesamtumstände des Einzelfalls, vor allem auf Dauer, Ausgestaltung, Ausmaß und Art der Isolierung352 und auch auf die persönliche Lage und Situation des Gefangenen, und die ihm verbleibenden Kontakte mit anderen Personen an.353 Konventionswidrig sind jedenfalls der persönlichkeitszerstörende, langfristige völlige Ausschluss aller Kontakte354 sowie ein regelrechtes „Verschwindenlassen“ („Incommunicado“).355 Besonders strengen Anforderungen unterliegt die Anordnung von Arrest bzw. Unterbringung in einem Einzelhaftraum bei psychisch auffälligen Gefangenen.356 Zum Schutz der Gesundheit und des Wohlergehens des Gefangenen gehört auch der 84 Schutz vor Übergriffen durch Mithäftlinge,357 insbesondere auch solcher unterschiedlicher ethnischer Gruppen.358
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EGMR Ivanczuk/PL, 15.11.2001; Ciupercescu/RUM, 15.6.2010; Meyer-Ladewig 33. EGMR Petro Petkov/BUL, 19.4.2010. Nowak 12, 13 m.w.N. EKMR Mahler/D, EuGRZ 1974 107; Baader, Meinhof, Grundmann/D, EuGRZ 1975 455; Jansen/D, EuGRZ 1976 22; Ensslin, Baader, Raspe/D, EuGRZ 1978 314; E/N, EuGRZ 1990 86 bei Strasser; Frowein/Peukert 12 ff.; Villiger 281; Meyer-Ladewig 36. EGMR Lorse u.a./NL 4.2.2003, § 68; Mathew/NL, 29.9.2005, ECHR 2005-IX, § 197 (konventionswidrige Einzelhaft auf Aruba unter Haftbedingungen, die nur unzureichend Schutz vor Niederschlag und extremen Temperaturen boten); Gorodnichev/R, 24.5.2007 (Überschreitung der gesetzlichen Höchstdauer bei einem kranken und unterernährten Häftling); Palushi/A (Fn. 90), § 68 (mangelhafte medizinische Betreuung; Hungerstreik); vgl auch HRC Charles Gurmurkh Sobhraj/Nepal, 27.7.2010, 1870/2009, § 7.7. Vgl. HRC McCallum/Südafrika, 2.11.2010, 1818/2002: Verletzung von Art. 7 IPBPR bei totaler Isolation ohne Kontakt zu Ärzten, Anwälten und Familie für die Dauer eines Monats. Keine Verletzung von Art. 3 EMRK bei Einzelhaft mit Zugang zu Fernsehen und
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Zeitungen, Sprachkurs, medizinischer Behandlung, Kontakt zum Gefängnisseelsorger und zum Anwalt sowie regelmäßigem Besuch durch die Familie: EGMR Rohde/DK, 21.7.2005, § 97; (GK) Ramirez Sanchez/F, 4.7.2006, ECHR 2006-IX = EuGRZ 2007 141, § 134 („Carlos“), dazu Irmscher EuGRZ 2007 135. EGMR Yurttas/TRK, 27.5.2004, § 47; vgl. auch: EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 91. IAGMR EuGRZ 1989 157; und die Fälle des HRC bei Nowak 24 ff.; aber auch Kühne JZ 2003 670, 672 zu EGMR Öcalan/TRK (Fn. 52), wo ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK darin gesehen wurde, dass der Beschuldigte 7 Tage „incomunicado“ gehalten wurde. EGMR Renolde/F, 16.10.2008, §§ 120 ff. (45-tägige Isolation in einer Disziplinierungszelle). Vgl. HRC Sirageva/Usbekistan, 18.11.2005, 907/2000, § 6.2. EGMR Rodic´ u.a./BIH, 27.5.2008 (Verurteilung wegen Kriegsverbrechen gegen bosnische Zivilisten und Unterbringung in einem Gefängnis mit ca. 90 % bosnischen Häftlingen; keine Rechtfertigung unterlassener Schutzmaßnahmen mit Personalkürzungen).
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c) Medizinische Versorgung und Betreuung. Spezielle Grundsätze gelten für die medizinische Versorgung von Personen, denen die Freiheit entzogen worden ist.359 Aus Art. 3 EMRK folgt nicht grundsätzlich die Verpflichtung, einen erkrankten Gefangenen aus der Haft zu entlassen oder in einem zivilen Krankenhaus unterzubringen.360 Der Staat ist jedoch verpflichtet, die Gesundheit des Gefangenen unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft sicherzustellen, u.a. durch eine erforderliche und angemessene medizinische Behandlung im Rahmen wirtschaftlich angemessener Mittel.361 So verstößt es beispielsweise gegen Art. 3 EMRK, wenn einem mittellosen Gefangenen kein Zahnersatz besorgt wird 362 oder es fünf Monate dauert, bis ein unter starker Sehschwäche leidender Gefangener seine zerbrochene Brille zurückerhält, und er weitere zwei Monate auf eine neue Brille warten muss.363 Nur in außergewöhnlichen Fällen, in denen der Gesundheitszustand des Betroffenen schlechthin unvereinbar ist mit den Bedingungen seiner Freiheitsentziehung, kann sich aus Art. 3 EMRK ein Anspruch auf Freilassung ergeben.364 Eine angemessene medizinische Behandlung muss auch gewährt werden, wenn sich eine Person in Polizeigewahrsam befindet und unter offensichtlichen Schmerzen leidet. Das gilt auch dann, wenn die festgehaltene Person nicht selber für die Arztkosten aufkommen kann.365 Die Vereinbarkeit des Gesundheitszustandes des Betroffenen mit seinem Verbleiben in Haft hängt insbesondere von drei Kriterien ab: den Haftbedingungen, der Qualität der Pflege/Versorgung („la qualité des soins“) und der Zweckmäßigkeit („l’opportunité“) der Aufrechterhaltung der Haft.366 Unterbleibt die erforderliche medizinische Behandlung oder wird sie nur völlig unzureichend gewährt, kann dies gegen Art. 3 EMRK verstoßen;367 ebenso Haftbedingungen, die zu einer dauerhaften wesentlichen Beein-
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quately secured“; chronische Hepatitis); (GK) Kudla/PL (Fn. 242), § 94; Kotsaftis/ GR, 12.6.2008 (Hepatitis B); (GK) Paladi/ MOL (Fn. 347); so bereits: EKMR Hurtado/CH, 8.7.1993, EuGRZ 1994 271; siehe aber auch: EGMR Aleksanyan/R, 22.12.2008 (keine uneingeschränkte Pflicht zur Gabe teurer antiretroviraler Medikamente bei HIV-Erkrankung). EGMR VD/RUM, 16.2.2010. EGMR Slyusarev/R, 20.4.2010. EGMR Testa/KRO (Fn. 360), § 45; Papon/F (Nr. 1) (E), 7.6.2001, ECHR-2001-VI, EuGRZ 2001 382; Priebke/I (E), 5.4.2001, EuGRZ 2001 387. EGMR Karatepe/TRK, 12.10.2010 (Ärzte in der Neurologie verweigerten die Behandlung eines sich in Gewahrsam Befindenden, der von einem Polizisten geschlagen wurde und ein Schädeltrauma erlitt). EGMR Hüseyin Yildirim/TRK, 3.5.2007, § 75. EGMR Aronica/D (E) (Fn. 114); Yakovenko/UKR 25.10.2007; V.D./RUM, 16.2.2010; Frowein/Peukert 15; HRC Rouse/ Philippinen, 5.8.2005, 1089/2002, § 7.8.
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trächtigung der Gesundheit führen.368 Gleiches gilt für die auf ein medizinisch bedenkliches Niveau fallende Versorgung mit Essen369 und Trinken. Tritt der Gefangene in einen Hungerstreik, so bedarf es seiner (jedenfalls bei Einzelhaft) ärztlichen Untersuchung und seiner Beaufsichtigung durch ein solide medizinisch ausgebildetes Personal (in regelmäßigen Abständen).370 Zwar stellt hiernach die Inhaftierung einer HIV-kranken Person mit einer kurzen bis mittleren Lebenserwartung grundsätzlich keine Verletzung des Art. 3 EMRK dar,371 es kann sich aber aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Häftlings die Verpflichtung ergeben, diesen in eine Spezialklinik zur Behandlung von AIDS zu verlegen.372 Einem Gefangenen muss bei entsprechendem Verdacht ein HIV-Test zugebilligt werden.373 Die erneute Inhaftierung nach erfolgreicher Behandlung eines Krebsleidens verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK.374 Bei psychisch kranken Häftlingen sind deren besondere Verletzlichkeit sowie die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass sie ggf. nicht imstande sind, ihren Beschwerden über eine bestimmte Behandlung hinreichend Ausdruck zu verleihen.375 Eine erniedrigende Behandlung liegt vor, wenn psychisch kranke Personen, die selbstmordgefährdet sind, nicht genügend überwacht und psychologisch betreut werden.376 Angenommen wurde dies insbesondere in Fällen, in denen der Betroffene zu lange in einer Zelle untergebracht war, die normalerweise nur für den kurzfristigen Aufenthalt vorgesehen war.377 In einem Bericht des CPT (Rn. 8) des Europarats aus dem Jahr 2009 wird die sofortige Einstellung der in Tschechien vorgenommenen chirurgischen Kastration von inhaftierten Sexualstraftätern gefordert („The CPT reiterates its view that surgical castration of detained sex offenders amounts to degrading treatment.“).378 Die Ausführungen des
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EGMR Kalashnikov/R, 15.7.2002, ECHR 2002-VI = NVwZ 2005 303; Florea/RUM, 14.9.2010 (Verletzung von Art. 3 EMRK, wenn ein kranker Gefangener entgegen den Ratschlägen eines Arztes mit Rauchern in einer Zelle untergebracht ist); Palushi/A (Fn. 90), §§ 68–71 (Hungerstreik); Grabenwarter § 20, 32. 369 EGMR Stepuleac/MOL, 6.11.2007, §§ 55, 65 (eine volle Mahlzeit am Tag; Erlaubnis, einmal pro Woche Essen von der Ehefrau zu erhalten). 370 EGMR Palushi/A (Fn. 90), § 72. 371 EGMR Gelfmann/F, 14.12.2004, §§ 54 ff. 372 EGMR Aleksanyan/R, 22.12.2008 (unmenschliche und erniedrigende Behandlung aufgrund der ohne besondere medizinische Behandlung über das Unvermeidliche hinausgehenden Leiden). 373 HRC McCallum/Südafrika 2.11.2010, 1818/2002: Verletzung von Art. 7 IPBPR, weil einem Gefangenen nach erfolgter Misshandlung kein HIV-Test zugestanden wurde, obwohl eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass er sich aufgrund der Misshandlung durch das Gefängnispersonal infiziert haben könnte.
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EGMR Saydam/TRK, 7.3.2006, ECHR 2006-III. EGMR Kucheruk/UKR (Fn. 345), § 148. EGMR Renolde/F (Fn. 356), §§ 120 ff. (unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung); Keenan/UK, 3.4.2001, ECHR 2001-III; Grabenwarter § 20, 32; Meyer-Ladewig 42. EGMR Moiseyev/R, 9.10.2008 (bei insgesamt über 150 Aufenthalten in der Gerichtszelle häufig stundenlang ohne Lüftung, Essen, Trinken und Zugang zur Toilette; Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der Zusammenschau mit den sonstigen Haftund Transportbedingungen); Shchebet/R, 12.6.2008 (34 Tage, weniger als 7 m2, dunkel, schmutzig, unsichere Versorgung mit Essen und Trinken etc. – Bericht des CPT: Eignung für Aufenthalt von maximal drei Stunden); Riad u. Idiab/B, 24.1.2008 (Unterbringung in der Transitzone des Flughafens für ca. einen Monat statt maximal 10 Tage; keine interne Verpflegungseinrichtung, keine Bewegungsmöglichkeiten an der frischen Luft, kein Radio/TV). Report to the Czech Government on the visit to the Czech Republic carried out by
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
CPT werden wohl auch auf die Anwendung und Bewertung dieser Behandlungsmethode in Deutschland wie auch in anderen Staaten, welche diese Behandlung vorsehen, Auswirkungen haben.379
86
d) Haftraumgröße und -ausstattung. Schlechte Haftbedingungen können das Ausmaß einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung erreichen.380 Nr. 18.1 EPR sieht vor, dass alle für Gefangene, insbesondere für deren nächtliche Unterbringung, vorgesehenen Räume den Grundsätzen der Menschenwürde entsprechen, die Privatsphäre so weit wie möglich schützen müssen und den Erfordernissen der Gesundheit und der Hygiene zu entsprechen haben; dabei sind die klimatischen Verhältnisse und insbesondere die Bodenfläche, Luftmenge sowie die Beleuchtung, Heizung und Belüftung zu berücksichtigen. Gefangene müssen jederzeit Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, die hygienisch sind und die Intimsphäre schützen (Nr. 19.3 EPR). Eine längere Haft in einer zu kleinen oder überfüllten Zelle kann gegen Art. 3 EMRK 87 verstoßen.381 Es kommt insoweit auf eine Gesamtwürdigung an,382 wobei auch das Alter und der Gesundheitszustand des Betroffenen eine Rolle spielen können.383 Allein aufgrund der Haftraumgröße (Bodenfläche) – d.h. ohne das Hinzutreten son88 stiger menschenunwürdiger Umstände – ist eine unmenschliche und/oder erniedrigende Behandlung in der Regel bei einem zur Verfügung stehenden Raum von weniger als 4 m 2 pro Gefangenen anzunehmen; der Zeitraum des Tages, den der Gefangene auf der Zelle verbringen muss (Einschlusszeit) ist dabei zu berücksichtigen.384 Neben der jedem Gefangenen zur Verfügung stehenden Bodenfläche ist vor allem die 89 Situation der sanitären Anlagen (Abtrennung und Belüftung der Toilette) im Haftraum ein Umstand, der zu einer menschenunwürdigen Haftsituation führen kann.385 In diesem
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the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 to 23 October 2009, S. 10. Pfäfflin R&P 2010 180; allgemein zur Zulässigkeit der chemischen und chirurgischen Kastration in Deutschland: Koller R&P 2008 187–199; zur unfreiwilligen Sterilisation, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK, aber auch von Art. 8 EMRK darstellen könnte: IK-EMRK/Wildhaber Art. 8 EMRK Rn. 250; zur Zulässigkeit der chemischen Kastration: Report to the Government of the Slovak Republic on the visit to the Slovak Republic carried out by the European Committee for the Prevention of Torture an Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), 2.3.–2.4.2009, S. 54 ff. Meyer-Ladewig 29; Meyer-Ladewig NJW 2004 981, 982. Vgl. dazu Art. 5 EMRK Rn. 389 ff. (Art. 10 IPBPR). Vgl. EGMR Novoselov/R, 2.6.2005, §§ 38 ff. (Überbelegung); Kadikis/LET, 4.5.2006, § 56 (überbelegte Zelle, Nahrungs- und Wassermangel); Yakovenko/ UKR (Fn. 367; 1,5 m2 pro Häftling,
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unzureichende Belüftung); Shchebet/R (Fn. 377; 34 Tage in einer Zelle für kurzzeitige Unterbringungen; CPT-Bericht: Eignung für Aufenthalt von nicht mehr als 3 Stunden). Vgl. EGMR Modarca/MOL, 10.5.2007 (Zusammentreffen von Haftbedingungen und -dauer; überfüllte Zelle, unzureichende Versorgung mit Frischluft, Essen, Elektrizität und Wasser für fast 9 Monate). EGMR Mouisel/F, 14.11.2002, ECHR 2002-IX, § 45; Tekin Yildiz/TRK, 10.11.2005, §§ 70 ff.; Rivière/F, 11.7.2006, NJOZ 2007 2934, §§ 73 ff.; Dybeku/ALB, 18.12.2007 (chronische paranoide Schizophrenie); Muskhadzhiyeva u.a./B, 19.1.2010. EGMR Testa/KRO (Fn. 360), §§ 56–58 m.w.N.; Sulejmanovic/I, 6.11.2009; vgl. zur Verkürzung der Einschlusszeiten als die Haftsituation abmildernder Faktor auch: BVerfG Beschl. v. 22.2.2011 – 1 BvR 409/09, StraFo 2011 142; BGH NJW 2006 3572. VerfGH Berlin Beschl. v. 3.11.2009 – VerfGH 184/07 (3 Monate Unterbringung Einzelhaftraum von 5,25 m2 mit räumlich
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Fall liegt jedenfalls bei Haftraumgrößen mit einer Mindestfläche von weniger als 6 m2 pro Gefangenen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vor, was in der Rechtsprechung deutscher Gerichte auch weitgehend umgesetzt ist.386 Das in der Rechtsprechung gelegentlich bemühte „argumentative Zusammenspiel“ von Haftraumgröße und Sanitärsituation darf freilich nicht zu dem Schluss verleiten, dass mit Erhöhung der Haftraumgröße (oder der Verringerung der Belegungsstärke) bei für sich betrachtet inakzeptablen sanitären Zuständen (mangelnde Abtrennung oder Belüftung) das Verdikt der menschenunwürdigen Haftsituation vermieden werden kann: Das Mindestmaß an Schwere des Eingriffs ist erreicht, wenn ein Gefangener – ohne ein konkretes und ernstes Sicherheitsrisiko oder einen sonstigen zwingenden Grund – auf seiner Zelle in Gegenwart anderer die Toilette benutzen muss.387 Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK lag vor bei der Unterbringung einer auf den Roll- 90 stuhl angewiesenen Gefangenen in einer schlecht geheizten Zelle, in der sie nur mit Hilfe des männlichen Gefängnispersonals ins Bett oder auf die Toilette gehen konnte.388 Zu einer menschenunwürdigen Haftsituation können auch regelmäßige Leibesvisitationen ohne Anlass389 oder ein Schlafentzug infolge permanenter Beleuchtung der Zelle und Bettenmangel führen.390 Eine Videoüberwachung erreicht in der Regel nicht den für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderlichen Schweregrad.391 Gleiches gilt für den Zwang zu körperlichen Übungen oder die Unterbringung in einem Hochsicherheitstrakt,
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nicht abgetrennter Toilette; zeitweise zwischen 15 und fast 21 Stunden unter Verschluss; Verstoß gegen die Menschenwürde); siehe auch: BVerfG NJW 2011 137 (Gebot effektiven fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die kurzzeitige Unterbringung eines Strafgefangenen in einem mit gewaltverherrlichenden rassistischen Schmierereien versehenen Haftraum des Transporthauses einer JVA). Zur Umsetzung dieser Rechtsprechung nebst – auf der Rechtsfolgenseite (streng zu trennen von der Fragen der Menschenunwürdigkeit der Unterbringung – Begründung bzw. Ablehnung einer Entschädigungspflicht im Falle menschenunwürdiger Unterbringung: BVerfG Beschl. v. 22.2.2011 – 1 BvR 409/09; BVerfG NJW 2006 1580; BGH Urt. v. 11.3.2010 – III ZR 124/09, FS 2010 235 zum Anspruch auf Schadensersatz wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen in der JVA und der Frage der Kausalität zwischen dieser und der Nichteinlegung eines Rechtsmittels); BGH NJW 2006 306; NJW 2006 3572; OLG Frankfurt NStZ 1985 572 (überbelegte Zelle); NJW 2003 2843; OLG Celle NJW 2004 2766; OLG Naumburg NJW 2005 514; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005 155; OLG Hamm Beschl. v. 20.1.2005 – 1 Vollz (Ws) 147/04; OLG Hamburg OLGR 2005 306; OLG Hamm NStZ-RR 2009 326 = StRR 2009
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36 = FS 2009 206 mit krit. Anm. Krä; dagegen: OLG Celle NStZ-RR 2003 316; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005 224; OLG Köln FS 2010 108 (Erheblichkeitskritierium für Geldentschädigung; Vorrang des Primärrechtsschutzes) m. krit. Anm. Neubacher/ Eichinger. Zum Antrag nach § 109 StVollzG als zu erschöpfender Rechtsbehelf bei menschenunwürdiger Unterbringung (Art. 1 GG; Art. 3 EMRK) siehe: BGH Urt. v. 11.3.2010 – III ZR 124/09, StraFo 2011 157 = FS 2010 235 (hier bezogen auf § 839 Abs. 3 BGB – Amtshaftung) mit Anm. Artkämper StRR 2010 275. Zur Unlässigkeit der Pfändung eines Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen: BGH Beschl. v. 5.5.2011 – VII ZB 17/10. EGMR Kehayov/BUL, 18.1.2005, §§ 71 ff. (hier auch auf fehlende Bewegungsfreiheit abgestellt); Sulejmanovic/I, 6.11.2009. EGMR Price/UK, 10.7.2001, ECHR 2001-VII; Grabenwarter § 20, 25. EGMR Lorsé/NL (Fn. 253), § 74; vgl. auch: EGMR Iwanczuk/PL, 15.11.2001 (während der Leibesvisitation verbale Schmähung und Verhöhnung). EGMR Yakovenko/UKR (Fn. 381), §§ 85, 89 (Insassen schliefen abwechselnd). EGMR Van der Graaf/NL (E), 1.6.2004 (hier: 4,5 Monate).
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wenn dies die Informationsmöglichkeiten und Kontakte mit anderen Menschen nicht ausschließt.392
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e) Verhältnis von Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR zu Art. 10 IPBPR / Art. 8 EMRK. Erreichen Haftbedingungen nicht den für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR erforderlichen Schweregrad einer Einzeleinwirkung,393 kann im konkreten Einzelfall gleichwohl ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 IPBPR vorliegen.394 Umgekehrt ist Art. 3 EMRK nicht immer dann verletzt, wenn gegen das Gebot des Art. 10 Abs. 1 IPBPR verstoßen wird, dass ein Gefangener menschlich und mit Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde zu behandeln ist.395
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6. Unmenschliche und erniedrigende Bestrafung. Unmenschliche und erniedrigende Strafen werden ebenfalls vom Verbot des Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR erfasst, das sich sowohl an den Gesetzgeber wie auch an den Richter bei der Strafzumessung richtet 396 und das auch für den Vollzug von Straf- und U-Haft und Maßregeln der Besserung und Sicherung gilt. Strafen sind dann unmenschlich, wenn sie außer jedem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und der Schuld des Täters stehen.397 Sie sind dann erniedrigend, wenn die unnötig verursachten Leiden oder Erniedrigungen über die mit jeder rechtmäßigen Bestrafung verbundenen Leiden und Demütigungen deutlich hinausgehen und einen durch die Erfordernisse des Strafvollzugs nicht zu rechtfertigenden (zusätzlichen) Leidensdruck von einer gewissen Schwere erzeugen.398 Sie fallen aber nicht schon deshalb unter das Verbot, weil sie aufgrund einer öffentlichen Verhandlung ausgesprochen wurden oder weil sie, was in der Natur der Sache liegt, eine Missbilligung des Betroffenen öffentlich ausdrücken,399 eine demütigende Wirkung haben und ihm als Sühne oder zur Prävention Leiden und Nachteile auferlegen.400 Vorausgesetzt wird allerdings, dass sie sich nach Art und Maß in einem Rahmen halten, der in Anbetracht der jeweiligen Verfehlung nicht völlig unangemessen ist. Die Verhängung und Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe verstößt nicht 93 gegen Art. 3 EMRK, wenn für den Verurteilten stets die Möglichkeit einer regelmäßigen Überprüfung („possibility of review“) der lebenslangen Freiheitsstrafe im Hinblick auf ihre Umwandlung, Ermäßigung, Beendigung und dem Ziel einer vorzeitigen Entlassung besteht.401 Dies gilt auch bei einer voraussichtlichen Vollstreckungsdauer von mehr als 20 Jahren.402
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396 397
EKMR EuGRZ 1978 314 (RAF-Terroristen in Stammheim); Meyer-Ladewig 24. Vgl. EGMR Guzzardi/I, 6.11.1980, A 39 = EuGRZ 1983 633 = NJW 1984 544; Assenov/BUL, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII; Esser 394 ff. Vgl. Nowak Art. 10, 14; ferner Art. 5 EMRK Rn. 392 (Art. 10 IPBPR). Zu der auf die Intensität und die Bezogenheit auf die Einzelperson abstellenden Abgrenzung der Verletzungen des Art. 7 IPBPR von denen der Art. 10 Abs. 1 IPBPR vgl. Nowak Art. 10 IPBPR, 9 ff. Meyer-Goßner 3; Woesner NJW 1961 1384. BayVerfGHE 5 145; Echterhölter JZ 1956 144.
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Vgl. Esser 382. EKMR EuGRZE 1988 380 (Veröffentlichung des Urteils ist keine erniedrigende Strafe). Vgl. etwa EGMR Albert u. Le Compte/B, 10.2.1983, EuGRZ 1983 190 (Streichung in der Ärzteliste); EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 416 (Rückzahlung des Gehalts). EGMR (GK) Kafkaris/ZYP, 12.2.2008, §§ 97–98 (auch ohne Mindeststrafe trotz der damit verbundenen Unsicherheit kein Verstoß; jedenfalls kein schützenswertes Vertrauen in die Ankündigung der vorzeitigen Entlassung durch die Gefängnisleitung, wenn das Schwurgericht zuvor ausdrücklich
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Verbot der Folter
Art. 7 IPBPR
Mit dem allgemein akzeptierten Standard der Mitgliedstaaten nicht mehr zu ver- 94 einbarende Straftatbestände und Strafarten können gegen dieses Gebot verstoßen. Bei der Beurteilung, welches Verhalten strafwürdig ist, sowie bei der Ausgestaltung der Straftatbestände im Einzelnen ist dem nationalen Gesetzgeber allerdings ein weiter Spielraum zuzubilligen. Die Verurteilung zu einer der Höhe nach unbestimmten Freiheitsstrafe wurde auch bei einem elfjährigen Kind nicht als erniedrigend oder unmenschlich angesehen.403 Dagegen werden Strafarten, die nach der jetzigen allgemeinen europäischen Rechtsauffassung404 als unmenschlich oder erniedrigend angesehen werden, vom Verbot erfasst, wie etwa schwere Leibesstrafen.405 Dies gilt auch für die Prügelstrafe, die selbst in einer relativ gemäßigten Form als eine erniedrigende Behandlung angesehen wurde.406 Auch die achtmalige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung wurde vom EGMR als erniedrigend gewertet.407 Nicht entscheidend ist, ob die Strafart im jeweiligen Rechtskreis seit je üblich ist. Auch herkömmliche Strafen können nach der inzwischen geltenden Auffassung erniedrigend sein. Außergewöhnliche Strafen sind nicht schon deshalb konventionswidrig, weil es sich um neuartige und neu eingeführte Sanktionen handelt.408 Die Todesstrafe verstößt – jedenfalls seit dem Inkrafttreten des 13. ZP-EMRK am 95 1.7.2003 – trotz der Vorbehalte in Art. 2 EMRK bzw. Art. 6 IPBPR gegen Art. 3 EMRK; 409 ausdrücklich entschieden hat der EGMR dies allerdings noch nicht. In Al Saadoon und Mufdhi 410 hat der EGMR lediglich festgestellt, dass „die Todesstrafe, welche das bewusste und vorsätzlich geplante Zerstören eines menschlichen Seins vonseiten der staatlichen Autorität beinhaltet, als Folge des Wissens um den baldigen Tod physische Schmerzen und starke psychische Leiden hervorruft und deswegen als unmenschlich und erniedrigend angesehen werden könnte.“ Ein solcher Verstoß gegen Art. 3 EMRK war zuvor nur bei Vorliegen besonderer Umstände anerkannt, etwa bei einer extrem langen Zeitspanne, die ein Verurteilter in der Todeszelle unter besonderen Haftbedingungen ver-
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die Dauer einer lebenslangen Strafe konkretisiert hat); Garagin/I (E), 29.4.2008 (Verkürzung de jure und de facto möglich; überdies gemilderte Haftbedingungen); (GK) A u.a./UK, 19.2.2009, ECHR 2009; Meixner/D (E), 3.11.2009, EuGRZ 2010 283 (Ablehnung eines Antrags nach § 57a StGB; Vollzugsdauer 25 Jahre); für die Entscheidung über eine Auslieferung siehe Rn. 34. EGMR Streicher/D (E), 10.2.2009; Meixner/D (E) (Fn. 401). EGMR V/UK, 16.12.1999, ECHR 1999-IX; Meyer-Ladewig 24 m.w.N. Vgl. die Ausnahme in Art. 1 Abs. 1 UNCAT, dazu Rn. 61. Nowak 14. Zur Prügelstrafe auf der Isle of Man EKMR NJW 1978 475; EGMR Tyrer/UK (Fn. 52); dazu Riedel EuGRZ 1977 484; zu Stockschlägen in Schule: EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 47; EGMR Costello-Roberts/ UK (Fn. 62; drei Schläge mit Gymnastik-
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schuh, Art. 3 EMRK nicht verletzt); A/UK, 23.9.1998, Rep. 1998-VI = ÖJZ 1999 616 (staatliche Schutzpflicht verletzt, weil Recht nicht geändert); vgl. Frowein/Peukert 10; Grabenwarter § 20, 25; Guradze 11 (insbes. zum Züchtigungsrecht in Schulen); Nowak 16; Esser 383. EGMR Ülke/TRK, 24.1.2006, §§ 62 f. Nowak 16 unter Hinweis auf die travaux préparatoires. So bereits: Trechsel EuGRZ 1987 83 unter Hinweis auf die Änderung durch das 6. ZP-EMRK; vgl. dagegen: EGMR Soering/UK (Fn. 5, mit Anm. Blumenwitz); dazu Vogler GedS Meyer 477. EGMR Al Saadoon u. Mufdhi/UK, 2.3.2010 (Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Vereinigte Königreich, das einer Auslieferung eines Irakers an die irakischen Behörden stattgegeben hat, obwohl mit einer Verurteilung zur Todesstrafe zu rechnen war).
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bringen musste 411 oder wegen einer besonders grausamen Form ihrer Vollstreckung, die sogar den Tatbestand der Folter erfüllen kann.412 Auch die (zulässige) Verhängung der Todesstrafe kann eine unmenschliche Behandlung sein, wenn der Verurteilte nicht das wegen der Strafe erforderliche Höchstmaß an einem fairen Verfahren hatte,413 auch wenn die Todesstrafe später aufgrund einer Gesetzesänderung in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Droht dem Verfolgten nach der Auslieferung oder Abschiebung (hierzu Rn. 30 ff.) die (Verurteilung zur bzw. die Vollstreckung einer bereits verhängten) Todesstrafe, steht die mit den Zusatzprotokollen zu den Menschenrechtspakten414 übereinstimmende Wertentscheidung des Grundgesetzes gegen die Todesstrafe (Art. 102 GG) nach § 8 IRG auch einer Auslieferung entgegen, sofern nicht der ersuchende Staat (etwa nach Art. 11 EuAlÜbk) verbindlich zusichert, dass sie nicht vollstreckt wird.415 Zahlreiche Auslieferungsverträge mit Drittstaaten, in denen die Todesstrafe als Sanktionsform vorgesehen ist, sehen daher vor, dass eine Pflicht zur Auslieferung und Überstellung nicht besteht, wenn der betroffene Drittstaat keine derartige Zusicherung abgibt.416 Strafen können aber auch wegen ihrer im Einzelfall mit dem Gerechtigkeitsgebot 96 unvereinbaren Höhe als unmenschlich oder grausam eingestuft werden. Die Strafe oder sonstige Maßregel muss dann allerdings nicht nur hart, sondern so schwer und in so einem Ausmaß exzessiv sein, dass sie unter keinem Blickwinkel mehr als gerechte und vernünftige staatliche Reaktion auf das Verhalten des Betroffenen verstanden werden kann, etwa, wenn sie offensichtlich gegen das auch von Verfassungs wegen zu beachtende Übermaßverbot verstößt, weil sie völlig außer Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Tat steht,417 oder wenn sie nur dazu dient, am Täter ohne Rücksicht auf persönliche Schuld und das Tatunrecht um einer öffentlichen Zielsetzung (Abschreckung) willen ein Exempel zu statuieren.418 Das Verbleiben in Haft nach der zur Buße erforderlichen Zeit kann jedoch durch Erwägungen des Risikos und der Gefährlichkeit einer Freilassung begründet sein.419 Die Grenzen dürften nach den Konventionen zumindest nicht enger sein als
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EGMR Soering/UK (Fn. 5, wo aber auf den Einzelfall abgestellt wurde); so auch HRC Mwamba/Sambia, 30.4.2010, 1520/2006 (Verletzung von Art. 7 IPBPR, weil der zum Tode Verurteilte über acht Jahre in der Todeszelle saß und auf die Verhandlung in der nächsthöheren Instanz warten musste); Privy Council EuGRZ 1996 162; vgl. aber auch EKMR (Kirkwood) bei Trechsel EuGRZ 1987 72; Villiger 288, 289; ferner Kühne JZ 2003 670 zu EGMR Öcalan/TRK (Fn. 52); reales Risiko der Vollstreckung der Todesstrafe. Nowak 16. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 52) und Kammer-Urteil (Fn. 52); dazu Breuer EuGRZ 2003 449; Kühne JZ 2003 670; EGMR Iorgov/BUL, 11.3.2004, § 72. 6. und 13. ZP-EMRK; 2. FP-IPBPR; Art. 2 EMRK Rn. 47. Vgl. Meyer-Ladewig 62; Vogler NJW 1994 1433; Meyer-Goßner 4; weitergehend
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OLG Düsseldorf StV 1994 34 allgemeines völkerrechtliches Verbot; siehe auch: EGMR Al-Saadoon u. Mufdhi/UK, 2.3.2010. Vgl. Art. 13 des am 1.2.2010 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen (vgl. Beschluss des Rates v. 6.6.2003, ABlEU Nr. L 181 v. 19.7.2003, S. 25) gemäß des Beschlusses v. 23.10.2009 (ABlEU Nr. L 325 v. 11.12.2009, S. 4). OLG Stuttgart NJW 2002 3188 (Freiheitsstrafe von 1 Monat bei Diebstahl einer Milchschnitte im Wert von 0,26 EUR); vgl. auch Böse in der Anm. zu OLG Wien NStZ 2002 669 (Verurteilung zu 845 Jahren Freiheitsstrafe wegen Vermögensdelikten in Florida verstößt gegen Art. 3 EMRK). Woesner NJW 1961 1384. EMRK Léger/F, 11.4.2006, §§ 90 f.
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diejenigen, die Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. dem Übermaßverbot innerstaatlich den Strafen gesetzt hat.420 Das Verbot gilt für alle Arten von staatlichen Sanktionen, so auch bei Disziplinarmaßnahmen gegen Gefangene.421 Der Umstand allein, dass eine Freiheitsstrafe auch noch gegen hochbetagte Straftäter 97 vollstreckt wird, verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK.422 Allerdings ist dabei auch der Gesundheitszustand des Inhaftierten und die medizinische Versorgung in der Haft zu berücksichtigen.423
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BVerfGE 6 389, 439; 45 187, 228; 50 125, 133; 72 105, 116; Meyer-Goßner 3. VGH Bremen DÖV 1956 703; MeyerGoßner 3. EGMR Priebke/I (E) (Fn. 364); Sawoniuk/
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UK, 29.5.2001, Rep. 2001-VI; Papon/F (Nr. 1) (E) (Fn. 364); Meyer-Ladewig 41. EGMR Renolde/F (Fn. 356), §§ 120 ff.; Farbtuhs/LET (Fn. 302), §§ 56 ff.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 4 EMRK (Art. 8 IPBPR) EMRK Artikel 4 Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit (1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. (2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. (3) Nicht als „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ im Sinne dieses Artikels gilt: a) eine Arbeit, die üblicherweise von einer Person verlangt wird, der unter den Voraussetzungen des Artikels 5 die Freiheit entzogen oder die bedingt entlassen worden ist; b) eine Dienstleistung militärischer Art oder eine Dienstleistung, die an die Stelle des im Rahmen der Wehrpflicht zu leistenden Dienstes tritt in Ländern, wo die Dienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt ist; c) eine Dienstleistung, die verlangt wird, wenn Notstände oder Katastrophen das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen; d) eine Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürgerpflichten gehört.
IPBPR Artikel 8 (1) Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten. (2) Niemand darf in Leibeigenschaft gehalten werden. (3) a) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten; b) Buchstabe a ist nicht so auszulegen, daß er in Staaten, in denen bestimmte Straftaten mit einem mit Zwangsarbeit verbundenen Freiheitsentzug geahndet werden können, die Leistung von Zwangsarbeit auf Grund einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht ausschließt; c) als „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ im Sinne dieses Absatzes gilt nicht i) jede nicht unter Buchstabe b genannte Arbeit oder Dienstleistung, die normalerweise von einer Person verlangt wird, der auf Grund einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung die Freiheit entzogen oder die aus einem solchen Freiheitsentzug bedingt entlassen worden ist; ii) jede Dienstleistung militärischer Art sowie in Staaten, in denen die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt wird, jede für Wehrdienstverweigerer gesetzlich vorgeschriebene nationale Dienstleistung; iii) jede Dienstleistung im Falle von Notständen oder Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen; iv) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört. Schrifttum (Auswahl) Bleckmann Bundesverfassungsgericht versus Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EuGRZ 1995 387; Fahrenhorst Bedeutung der „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ (Art. 4 Abs. 2 und 3 EMRK) – Anmerkung zum Fall Van der Mussele, EuGRZ 1984 485; Mertens Die Zulässigkeit von
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
Arbeitszwang und Zwangsarbeit nach dem Grundgesetz und der Europäischen Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten (1964); Pati Der Schutz der EMRK gegen Menschenhandel NJW 2011 128; Post Kampf gegen Menschenhandel im Kontext des europäischen Menschenrechtsschutzes (2008); Tretter Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung der Internationalen Sklavereiverbote, FS Ermacora 527; Vasˇek Verpflichtender Sozialdienst und MRK, ÖJZ 2011 158.
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Völkerrechtliche Entwicklung a) Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit c) Zwingende Regeln des allgemeinen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . 2. Notstandsfestigkeit . . . . . . . . . . 3. Innerstaatliches Verfassungsrecht . . .
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II. Adressat der Verpflichtungen . . . . . . .
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III. Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft 1. Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. 2. Leibeigenschaft . . . . . . . . . . . . 3. Tragweite des Verbots . . . . . . . . . IV. Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit 1. Begriff der Zwangs- und Pflichtarbeit . 2. Tatbestandliche Ausgrenzungen . . . . a) Zwangsarbeit als eigenständige Strafe b) Arbeitspflicht während einer Freiheitsentziehung . . . . . . . . . . . c) Militärdienst / Zivildienst . . . . . . d) Dienstleistungen im Fall von Notständen und Katastrophen . . . . . e) Normale Bürgerpflichten . . . . . .
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I. Allgemeines 1. Völkerrechtliche Entwicklung a) Das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft findet sich nicht nur in der 1 EMRK und im IPBPR, sondern auch schon in Art. 4 AEMR und in Art. 6 AMRK. Die Ächtung der Sklaverei hat im internationalen Menschenrechtsschutz eine lange Tradition, die auf die völkerrechtlichen Verträge zur Bekämpfung des Sklavenhandels im 19. Jahrhundert zurückgeht.1 Detaillierte Regelungen enthält das Übereinkommen betreffend die Sklaverei vom 25.9.1926 (Slavery Convention – SC) 2. Die Bundesrepublik ist dem Abkommen beigetreten,3 ebenso dem Zusatzübereinkommen (ZÜ) über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und der sklavereiähnlichen Einrichtungen vom 7.9.1956.4 Dieses Abkommen enthält auch das Verbot der Leibeigenschaft und anderer Ersatzformen der Sklaverei. Dem Schutz vor sklavereiähnlichen Lagen dienen auch das Internationale Überein- 2 kommen zur Gewährung wirksamen Schutzes gegen das unter dem Namen «Mädchenhandel» bekannte verbrecherische Treiben vom 18.5.1904 und das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4.5.1910 5, ferner das Internationale Übereinkommen zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom
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Zur Entwicklung vgl. Doehring ZaöRV 36 (1976) 77; Strebel ZaöRV 36 (1976) 177; Tretter FS Ermacora 527 ff.; ferner Nowak 9 ff.; Verdross/Simma § 1261. RGBl. 1929 II S. 64; i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 7.12.1953 (BGBl. 1972 II S. 1473). BGBl. 1972 II S. 1069; Neubekanntmachung des Abkommens in der geänderten Fassung
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BGBl. 1972 II S. 1473. Das Abkommen galt auch in der DDR (GBl. 1974 II S. 136). BGBl. 1958 II S. 203. Auch die DDR war beigetreten (GBl. 1974 II S. 1250). BGBl. 1972 II S. 1074. Die beiden Übereinkommen sind in der geänderten Fassung neu bekannt gemacht worden (BGBl. 1972 II S. 1479, 1482). Sie galten auch für die DDR (GBl. 1976 II S. 1254, 1255).
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EMRK Art. 4
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
30.9.1921, das Übereinkommen zur Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11.10.1933 – beide durch das Protokoll vom 12.11.1947 6 geändert – sowie die Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution Anderer vom 2.12.1949 7. Art. 6 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.19798 verpflichtet die Vertragsstaaten ebenfalls, alle geeigneten Maßnahmen zur Abschaffung jeder Form des Frauenhandels und der Ausbeutung der Prostitution der Frauen zu treffen.9 Als jüngste internationale Vertragswerke10 zur Bekämpfung des Menschenhandels sind das Zusatzprotokoll zur Konvention der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität betreffend die Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, vom 15.11.2000 (Palermo-Protokoll)11 und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie vom 25.5.2000 12 zu nennen. Die vom Europarat zur Unterzeichung aufgelegte Konvention gegen Menschenhandel 3 vom 16.5.2005 (CETS 197) 13 zielt auf den Schutz von Opfern allen Formen des Menschenhandels und der Sicherung ihrer Rechte ab; sie ergänzt das auf UN-Ebene aufgelegte Palermo-Protokoll (Rn. 2). Das Übereinkommen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch vom 25.10.2007 (CETS 201) 14 ist das erste Rechtsinstrument, das die zahlreichen Formen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu Straftaten erklärt (u.a. sexuelle Handlungen mit einem Kind; Kinderprostitution; Kinder-
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BGBl. 1972 II S. 1074 ff. Deutschland trat dem Änderungsprotokoll am 9.9.1972 bei, allerdings unter dem Vorbehalt, „dass sich die Zustimmung nicht auf die Änderung des Übereinkommens vom 11.10.1933 erstreckt“ (BGBl. 1972 II S. 1074). Diese Konvention wurde zunächst am 2.12.1949 als Resolution der Generalversammlung der UN verabschiedet, vgl. A/Res/ 317 (IV), bevor sie am 21.3.1950 als Konvention zur Unterzeichnung ausgelegt wurde. In der durch das Protokoll v. 4.5.1949 geänderten Fassung; BGBl. 1985 II S. 648. Aktuelle Studie zur „Nachfrage“ von Prostitution in Verbindung mit Menschenhandel: Di Nicola/Lombardi/Ruspini (Hrsg.), Prostitution and Human Trafficking (2009). Vertiefend: Zimmermann Die Strafbarkeit des Menschenhandels im Lichte internationaler und europarechtlicher Rechtsakte (2010); Hempel Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (2011); Farthofer Mitwirkung an kriminellen Organisationen und beim Menschenhandel in Italien und Österreich (2011). UN Doc. A/55/383, am 29.9.2003 in Kraft getreten, durch die Bundesrepublik am 14.6.2006 ratifiziert. Ergänzt und fortentwickelt durch das Übereinkommen des
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Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels vom 16.5.2005 (CETS 197). Gesetz v. 31.10.2008 (BGBl. II S. 1222); am 15.8.2009 für Deutschland in Kraft getreten. Die Konvention ist am 1.2.2008 in Kraft getreten. Deutschland hat die Konvention gezeichnet, aber bislang (Stand November 2011) nicht ratifiziert. Die Konvention bezieht sich auf Frauen, Männer und Kinder gleichermaßen, unabhängig von der Art des Delikts (sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit oder -dienste etc.) und kann auch von Staaten, die nicht zum Europarat gehören, gezeichnet werden. Die Durchführung des Übereinkommens wird überwacht von der GRETA (Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings). Die Konvention ist am 1.7.2010 in Kraft getreten. Deutschland hat die Konvention gezeichnet, aber bislang (Stand November 2011) nicht ratifiziert. Neben Präventivmaßnahmen (Screening, Rekrutierung und das Training von Personen, die mit Kindern arbeiten; Aufklärung von Kindern; Überwachungsmaßnahmen im Hinblick auf – potenzielle – Straftäter) sieht das Übereinkommen Programme zur Unterstützung von Opfern vor.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
pornografie). Mit einem weiteren Übereinkommen vom 11.5.2011 (CETS 210) hat sich der Europarat nun auch des Schutzes von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt angenommen zur Ratifizierung freigegeben.15 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union 16 bekräftigt in Art. 5 das Ver- 4 bot der Sklaverei und des besonders erwähnten Menschenhandels (Abs. 3) sowie der Zwangs- und Pflichtarbeit, wobei für Bedeutung und Tragweite dieser Verbote die Abgrenzungen und Einschränkungen der EMRK maßgeblich sind (Art. 52 Abs. 3 EUC). Zur Bekämpfung des Menschenhandels wurde auf der Ebene der Europäischen Union der Rahmenbeschluss vom 19.7.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (2002/ 629/JI) erlassen.17 Dieser Rahmenbeschluss soll bis zum 6.4.2013 durch die Richtlinie 2011/36/EU vom 5.4.2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer18 ersetzt werden, die ihrerseits die Prävention und die Strafverfolgung im Bereich des Menschenhandels verstärken will. Stärker auf den Opferschutz fokussiert (auch im Bereich des Menschenhandels) ist der Vorschlag für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe (2011).19 b) Das Verbot der Zwangsarbeit und der Pflichtarbeit in Art. 4 Abs. 2 EMRK / Art. 8 5 Abs. 3 IPBPR hat eine über die Verbote der Sklaverei und der Leibeigenschaft hinausgehende eigenständige Bedeutung. Es setzt der Heranziehung von Menschen zur Zwangsarbeit Schranken; zur Abgrenzung werden zulässige Formen unfreiwilliger Arbeit aufgezählt. In Art. 4 AEMR wird dieses Verbot nicht erwähnt. Das Verbot und seine Eingrenzungen haben aber Vorbilder in den ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangsund Pflichtarbeit vom 28.6.1930 (ILO-29) 20 und Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit vom 25.6.1957 (ILO-105).21
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Die Convention on preventing and combating violence against women and domestic violence sieht einen umfassenden Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt vor, wobei als Gewalt nicht nur Tätlichkeiten verstanden werden, sondern jegliche Diskriminierungen – auch in Form von Lohndifferenzierungen aufgrund des Geschlechts. Die Einhaltung des Übereinkommens soll durch eine vom Europarat gewählte Expertengruppe aus max. 15 Personen (GREVIO) sichergestellt werden. ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389. ABlEG Nr. L 203 v. 1.8.2002, S. 1; siehe auch den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, KOM (2010) 95 endg. v. 29.3.2010.
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ABlEU Nr. L 101 v. 15.4.2011, S. 1. Als Menschenhandel werden in dieser Richtlinie auch Betteltätigkeiten, Organentnahmen, Adoption oder Zwangsheirat erfasst. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Unterstützung des Opfers sowohl in rechtlicher (Rechtsberatung und Beistand im Verfahren, Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer) als auch in sozialer Hinsicht (keine sekundäre Viktimisierung, nationale Entschädigung) gelegt. Die wirksame Umsetzung der Richtlinie soll durch einen zentralen Koordinator sichergestellt werden, der Bericht bzgl. Umsetzungsmaßnahmen sowie statistische Daten von national zu bestimmenden Berichterstattern erhalten soll. KOM (2011) 275 endg. v. 18.5.2011. BGBl. 1956 II S. 640; mit Änderung BGBl. 1963 II S. 1135; zur Vorbildfunktion: EGMR Van der Mussele/B, A 70, 23.11.1983, EuGRZ 1985 477; Frowein/Peukert 6. BGBl. 1959 II S. 441.
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c) Als zwingende Regel (ius cogens) des Allgemeinen Völkerrechts werden heute nur das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels angesehen,22 für das Verbot der Leibeigenschaft und der Zwangsarbeit gilt dies nicht.23 Nur soweit es sich um allgemeine Regeln des Völkerrechts handelt, gelten diese nach Art. 25 GG unabhängig vom Inhalt der Konventionen unmittelbar als Bundesrecht mit Vorrang vor den Gesetzen.
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2. Im Falle eines Krieges oder anderen öffentlichen Notstands kann das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK / Art. 8 Abs. 1, 2 IPBPR) nicht außer Kraft gesetzt werden (Art. 15 Abs. 2 EMRK / Art. 4 Abs. 2 IPBPR). Das Verbot der Zwangsarbeit wird dagegen nicht „notstandsfest“ gewährleistet.
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3. Das innerstaatliche Verfassungsrecht geht zum Teil über Art. 4 EMRK / Art. 8 IPBPR hinaus. Sklaverei und Leibeigenschaft, einschließlich sklavereiähnlicher Zwangsbindungen sind mit der unantastbaren Menschenwürde (Art. 1 GG), dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und mit den Freiheitsgarantien der Grundrechte, vor allem mit Art. 2 und 12 GG schlechthin unvereinbar. Der Staat darf sie in seiner Rechtsordnung weder vorsehen noch darf er sie unter Verletzung seiner Schutzpflicht dulden. Das Verbot der Zwangsarbeit und seiner Ausnahmen entspricht den Art. 12, 12a GG. Die weitergehenden Garantien des Art. 12 GG, der auch die „negative Berufsfreiheit“ mitumfasst 24 und der darüber hinaus eine positive Gewährleistung der Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung enthält, haben in den beiden Konventionen keine Entsprechung.25 Ein Ansatz dazu findet sich aber in Art. 6 Abs. 1 IPWSKR,26 der beim Recht auf Arbeit vorsieht, dass der Einzelne die Möglichkeit haben muss, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen.
II. Adressat der Verpflichtungen 9
Art. 4 EMRK / Art. 8 IPBPR wenden sich an den Staat und begründen für diesen nicht nur Unterlassungspflichten, sondern auch positive Schutzpflichten.27 Während aber das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit primär staatsgerichtet ist, gilt das Verbot der Sklaverei auch im Verhältnis zwischen Privaten, so dass sich zumindest in den Staaten, in denen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und die Konventionen unmittelbar Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung sind, jedermann darauf berufen kann. Die EMRK etabliert auch in dieser Frage ähnlich wie die Grundrechte des GG eine objektive Wertordnung, aus der sich mittelbare Drittwirkung ableitet. Die Vertragsstaaten sind zudem verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um menschenrechtswidrige Zustände durch Private zu unterbinden.28 22
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Nowak 8; Ipsen § 15, 59; Herdegen § 16, 14; Tretter FS Ermacora 527, 570 ff.; Verdross/ Simma § 1261 je m.w.N.; siehe auch schon: Partsch 30; Strupp/Schlochauer Wörterbuch des Völkerrechts (1962), „Sklavenhandel“. Siehe auch schon: Partsch 30; Strupp/ Schlochauer Wörterbuch des Völkerrechts (1962), „Zwangsarbeit“. Vgl. etwa BVerfGE 58 358; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 12, 10 GG; Maunz/Dürig Art. 12, 8 GG; zur engen Auslegung des Begriffs Zwangsarbeit in Anleh-
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nung an Art. 4 EMRK vgl. Zöbeley FS Faller 349. Frowein/Peukert 1; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 5. BGBl. 1973 II S. 1570. Ähnlich Europäische Sozialcharta v. 18.10.1961 (ETS 35; BGBl. 1964 II S. 1262). Nowak 11, 18; Tretter FS Ermacora 527, 569. Vgl. allgemein: Satzger § 11, 25; Grabenwarter § 19, 14; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, § 2 IV, S. 15 f.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
Die Verpflichtung des Staates gilt für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung 10 gleichermaßen. Der Gesetzgeber darf keine konventionswidrigen Rechtsinstitute vorsehen und muss für ausreichende Möglichkeiten zum Eingreifen, vor allem für einen effektiven Strafrechtsschutz sorgen. Erforderlich sind eindeutige Verbotstatbestände mit angemessenen strafrechtlichen Sanktionen sowie eine flächendeckende Verfolgung zur Gewährleistung der Abschreckungswirkung des Art. 4 EMRK. Tatbestände im Ordnungswidrigkeitenrecht sind dagegen grundsätzlich nicht ausreichend.29 Staatliche Organe müssen gegen verbotene Zustände effektiv einschreiten können und 11 auch tatsächlich einschreiten. Zur positiven Schutzpflicht des Staates gehört, dass er bei der als solche kaum mehr vorkommenden Sklaverei und bei sklavereiähnlichen Zuständen neben dem Strafrechtsschutz ein ausreichendes bürgerlich-rechtliches Instrumentarium zur Verfügung stellt,30 das dem Betroffenen ermöglicht, sich auch im Verhältnis zwischen den Bürgern unmittelbar dagegen zur Wehr zu setzen und den Schutz der Gerichte anzurufen.
III. Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft 1. Sklaverei. Nach Art. 4 Abs. 1 EMRK / Art. 8 Abs. 1 Satz 1 IPBPR darf niemand 12 in Sklaverei gehalten werden. In Übereinstimmung mit dem Text des Art. 4 AEMR fügt Art. 8 Abs. 1 IPBPR noch in einem zweiten Satz hinzu, dass Sklaverei und Sklavenhandel in all ihren Formen verboten sind. Eine Erweiterung des Verbots gegenüber Art. 4 EMRK liegt in dieser Klarstellung nicht. Auch wenn man ihn im weiten Sinne der Begriffsbestimmung des Art. 1 Nr. 2 SC1926 versteht, die neben allen Formen des Erwerbs und der Veräußerung auch die Festnahme und die Beförderung von Sklaven umfasst ,31 setzt Sklavenhandel stets voraus, dass eine Person verbotswidrig in Sklaverei gebracht oder gehalten wird. Auch der Hinweis auf Sklaverei in allen Formen bringt keine Ausdehnung des Verbots über Satz 1 hinaus. Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 8 Abs. 1 IPBPR ergibt sich, dass dieser nur die Sklaverei und den Sklavenhandel im eigentlichen („klassischen“) Sinn erfassen sollte und nicht andere sklavereiähnliche Formen,32 wie die Abkommen über den Frauenhandel (Rn. 2) zeigen. Ob diese Einengung aus heutiger Sicht noch zeitgemäß ist, mag bei den mit Ausbeu- 13 tung verbundenen Formen eines Gewaltverhältnisses über die Betroffenen, wie etwa bei bestimmten Formen des Frauenhandels 33 oder des Kinderhandels zweifelhaft sein.34 Einige dieser Formen fallen jedenfalls unter das Verbot der Leibeigenschaft (vgl. Rn. 15).
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EGMR Siliadin/F, 26.7.2005, ECHR 2005-VII = NJW 2007 41 m. Anm. Frenz NZA 2007 743 („Verleihung“ einer 15-jährigen Tongolesin an Eheleute für Haushaltsarbeit zur „Abarbeitung“ eines ihr überlassenen Flugtickets; Fehlen eines eindeutigen Sanktionstatbestands zum wirksamen Schutz Minderjähriger und mangelhafte strafrechtliche Verfolgung). Vgl. Art. 4 ZÜ1956, wonach ein Sklave rechtlich frei ist, wenn er sich an Bord eines Schiffes oder auf einem Territorium der Vertragsstaaten befindet.
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BGBl. 1972 II S. 1474; ebenso Art. 7 lit. b ZÜ1956 (BGBl. 1958 II S. 205). Nowak 9, 10; Guradze 3; vgl. auch Tretter FS Ermacora 527, 562. Siehe auch: Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften v. 23.6.2011 (BGBl. I S. 1266; BTDrucks. 17 4401); hierzu: Sering NJW 2011 2161. Tretter FS Ermacora 527, 559.
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Eine eigene Definition der Sklaverei enthalten EMRK und IPBPR nicht. Unter Rückgriff auf die Definition in Art. 1 Abs. 1 SC1926 (Übereinkommen über die Sklaverei vom 25.9.1926) wird darunter die Rechtsstellung oder Lage einer Person verstanden, an der einzelne oder alle mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt werden,35 also ein Zustand, in dem eine Person unter Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und ihres Rechts auf Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit (Art. 16 IPBPR) wie eine Sache behandelt wird.36 Der ICTY verwendet eine weite Begriffsbestimmung des Verbots der Sklaverei und rechnet dazu die Ausübung der Macht, die sich aus dem Besitzrecht an einer Person ergibt, wie die Kontrolle ihrer Fortbewegungsfreiheit, fluchtverhindernde Maßnahmen, physische und psychische Unterjochung, aber auch Anwendung oder Androhung von Zwang und Gewalt, grausame Behandlung und Missbrauch zur Sklaverei, wobei der Verkauf einer Person als ein Indiz gewertet wurde.37 Während der ICTY sich noch mit der Frage auseinander setzte, ob Menschenhandel unter den Begriff der Sklaverei zu fassen ist,38 hält der EGMR eine solche Prüfung angesichts des Grundsatzes, wonach die Konvention im Lichte der heutigen Verhältnisse auszulegen sei, für nicht mehr erforderlich. Jedenfalls falle Menschenhandel in den Anwendungsbereich des Art. 4 EMRK und sei den explizit aufgeführten Begriffen „hinzuzufügen“.39 Der Begriff des Menschenhandels ist im Palermo-Protokoll definiert und setzt sich danach zusammen aus einer Tathandlung in Form der „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen“, einem Tatmittel in Form der „Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung […], Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder […] Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat“ und dem ausbeuterischen Zweck der Handlung. Die sklavereiähnlichen Formen der Abhängigkeit, wie sie in Art. 1 ZÜ1956 aufgezählt werden, rechnet man dem Begriff der Leibeigenschaft zu.
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2. Leibeigenschaft. Leibeigenschaft ist eine zu enge Übersetzung des maßgebenden Begriffs „servitude“, der in Art. 4 Abs. 1 EMRK / Art. 8 Abs. 2 IPBPR aber nicht definiert wird.40 Nach h.M. umfasst das Verbot zumindest bei einer am Schutzzweck orientierten Weiterentwicklung des Konventionsrechts 41 auch sklavereiähnliche Verhältnisse, wie sie in der Begriffsbestimmung des Art. 1 ZÜ1956 (Rn. 1) aufgezählt werden.42 Dazu gehört nicht nur die Leibeigenschaft im engeren Sinn, die dort als die Rechtsstellung eines Pächters definiert wird, der verpflichtet ist, auf einem Grundstück zu leben und zu arbeiten und bestimmte entgeltliche oder unentgeltliche Dienste zu leisten, ohne seine
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EGMR Siliadin/F (Fn. 29); Frowein/ Peukert 2; Grabenwarter § 20, 38; Nowak 10; Partsch 112. Art. 7 lit. a ZÜ1956 hat diese Definition ebenfalls übernommen; vgl. auch BGH MDR 1993 889 (zu § 234 StGB). Hofmann 31; Tretter FS Ermacora 527, 562 (Zerstörung der Rechtspersönlichkeit). ICTY Prosecutor v. Dragoljub Kunarec et. al., Case No. IT-96-23-T und IT-96-23/ 1-T, 22.2.2001; vgl. auch: Ambos/Wenning NStZ-RR 2002 290. ICTY Prosecutor v. Dragoljub Kunarec
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et. al., Case No. IT-96-23-T und IT-96-23/ 1-T, 22.2.2001. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010 = NJW 2010 3003. Guradze 4; Frowein/Peukert 2; Nowak 12; Tretter FS Ermacora 527, 545. Vgl. EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20); dazu Fahrenhorst EuGRZ 1985 485. Bei der Auslegung ist die Besonderheit der EMRK als lebendes Vertragswerk nicht außer Acht zu lassen. Nowak 13; Tretter FS Ermacora 527, 564.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
Rechtsstellung selbständig ändern zu können,43 sondern auch die Schuldknechtschaft („debt“, „bondage“) 44 und die verschiedenen Formen des Frauen- und Kinderhandels sowie Verfügungen über Frauen, die ihre Selbstbestimmung negieren,45 etwa dadurch, dass diese ohne Weigerungsrecht gegen Geld zwangsweise verheiratet oder abgetreten oder bei Tod ihres Mannes zwangsläufig vererbt werden;46 ferner der Handel mit Kindern, so auch die entgeltliche Übergabe eines Kindes an einen anderen, damit das Kind oder seine Arbeitskraft ausgenutzt 47 oder das Kind sexuell missbraucht werden kann.48 Zwangsarbeit kann beim Hinzutreten weiterer Merkmale eine Leibeigenschaft be- 16 gründen; so etwa wenn die Person vollkommen von ihrem Arbeitgeber abhängig ist, sie durch Angst daran gehindert wird, ihren Zustand zu verändern und keinerlei Bewegungsfreiheit und Freizeit hat.49 Über diese Aufzählung hinaus erfasst das Verbot aber auch andere ähnliche Prak- 17 tiken, durch die ein Mensch in ein ihm aufgezwungenes, für ihn faktisch unlösbares, seine Menschenwürde und seine freie Selbstbestimmung negierendes Abhängigkeitsverhältnis gebracht oder darin gehalten wird, wie dies auch bei schweren Formen der Ausbeutung illegaler Arbeiter oder Drogensüchtiger der Fall sein kann.50 Die EKMR hat in einer mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten eingegangenen, unkündbaren Verpflichtung Minderjähriger zu einem langjährigen Dienst in den Streitkräften keine „servitude“ gesehen;51 desgleichen wurde dies verneint, wenn ein Rückfalltäter der Verfügungsmacht der Regierung („mise à la disposition du gouvernement“52) überantwortet wurde.53
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Frowein/Peukert 2; vgl. Art. 1 lit. b ZÜ1956; BGH MDR 1993 889. Art. 1 lit. a ZÜ1956 versteht darunter die Verpfändung einer Person zu persönlichen Dienstleistungen als Sicherheit für eine Schuld, wenn diese nach Art oder Dauer unbestimmt sind oder nicht mit einem angemessenen Wert die Schuld tilgen. Schuldknechtschaft, Frauenhandel u. Kinderarbeit sind auch mit der Begründung erfasst, dass die EMRK in der englischen Originalfassung den Begriff „servitude“ anstelle von „serfdom“ – wie noch 1956 gebraucht – verwendet; vgl. auch: SK/Paeffgen 4; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap.12, 13; Frowein/Peukert 2. Vgl. Nowak 13; Tretter FS Ermacora 527, 549. Grabenwarter § 20, 38; KK/Schädler 3; SK/Paeffgen 4 (Teppichknüpferei von Kindern aus Bangladesch, Indien u. Pakistan). Art. 1 lit. c, d ZÜ1956; vgl. Nowak 13; Tretter FS Ermacora 527, 552 ff. EGMR Siliadin/F (Fn. 29): keine Androhung von Strafe, jedoch subjektiv ähnlich bedrohliche Lage / psychische Abhängigkeit: Minderjährigkeit; illegaler Aufenthalt in
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Frankreich; Angst vor Festnahme; Hoffnung auf Aufenthaltsgenehmigung und Einschulung. Nowak 3, 4, 13; Tretter FS Ermacora 527, 554 ff. EKMR W. u.a./UK, 19.7.1968 („Sailors Boy Case“: freiwillige Verpflichtung von 15- u. 16jährigen Angehörigen der britischen Streitkräfte zum mehrjährigen Marine-/Militärdienst: keine Sklaverei, da Zustimmung der Eltern vorlag und Verpflichtung aus freiem Willen; Leibeigenschaft i.S. einer „sklavenähnlichen Lage“ verneint: Militärund Marinedienste seien einer Freiheitsentziehung und einer Entziehung der Persönlichkeitsrechte nicht gleichzusetzen; keine Zwangs-/Pflichtarbeit wegen Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK); Frowein/Peukert 3; Grabenwarter § 20, 38; Nowak 13. Eine besondere Form der bedingten Entlassung und der Sicherungsaufsicht, vgl. Art. 5 EMRK Fn. 205. EGMR Van Droogenbroeck/B, 24.6.1982, A 50 = EuGRZ 1984 4; Frowein/Peukert 3; SK/Paeffgen betont die geringe Eingriffsintensität in die Fortbewegungs- und Handlungsfreiheit.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
3. Tragweite des Verbots. Verboten ist jedes Halten einer Person in Sklaverei oder einem sklavereiähnlichen Abhängigkeitsverhältnis (Art. 4 Abs. 1 EMRK / Art. 8 Abs. 1, 2 IPBPR). Das Verbot wendet sich primär an die Vertragsstaaten, die in ihrer Rechtsordnung keine derartigen Rechtsformen zulassen dürfen und die darüber hinaus positiv zu gewährleisten haben, dass das Verbot eingehalten wird.54 Dies umfasst nicht zuletzt die Verpflichtung zum Erlass ausreichender Strafvorschriften mit fühlbaren, der Schwere der Menschenrechtsverletzung angemessenen Strafdrohungen (vgl. etwa §§ 232–234, 237, 180, 180a StGB) und eine effektive Strafverfolgung.55 Darüber hinaus sind die Vertragsstaaten zum (aktiven) Schutz vor Menschenhandel und zur Aufklärung verpflichtet.56 Durch welche Maßnahmen die Staaten in ihrer Gesetzgebung und im Bereich der Exekutive ihre Vertragspflicht erfüllen, wird von den Konventionen nicht vorgeschrieben; es ist im Einzelnen weitgehend ihrem Ermessen überlassen. Sie haben insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum, sofern nur die Summe ihrer Maßnahmen den von den Konventionen erstrebten Schutz gewährt. Die weitergehenden Verpflichtungen in Bezug auf internationale Zusammenarbeit und Gewährung von Rechtshilfe bei der Bekämpfung von Sklaverei und den sklavereiähnlichen Praktiken, die sich aus den in Rn. 2, 8 ff. angeführten Übereinkommen ergeben, bestehen neben Art. 4 Abs. 1 EMRK / Art. 8 Abs. 1, 2 IPBPR fort. Der EGMR leitete nun in einer bahnbrechenden Entscheidung aus Art. 4 EMRK konkrete Handlungspflichten des Staates ab,57 die über die Verpflichtung hinausgehen, Menschenhandel unter Strafe zu stellen und auch tatsächlich strafrechtlich zu verfolgen.58 Neben der Verfolgung und Bestrafung des Täters wird nun verstärkt auf die Prävention des Menschenhandels sowie den Schutz der Opfer abgestellt. Es sei die Pflicht des Staates, das ihm Mögliche zum Schutz (potentieller) Opfer zu leisten. Der Staat habe umgehend von Amts wegen Ermittlungen aufzunehmen, müsse das Opfer befreien und ihm die Möglichkeit gewähren, im weiteren Verfahrensverlauf seine rechtlichen Interessen wahrzunehmen.59
IV. Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit 19
1. Der Begriff der Zwangs- oder Pflichtarbeit wird in Art. 4 Abs. 2 EMRK / Art. 8 Abs. 3 IPBPR nicht näher definiert, nur die als Auslegungshilfe heranziehbaren Ausnahmen in Absatz 3 geben den Begriffen einige Konturen.60 Sie decken sich weitgehend mit denen des ILO-29 (Rn. 5). Im Einklang mit der historischen Entstehung dieses Menschenrechts wird an den dort entwickelten Begriff der Zwangsarbeit angeknüpft.61 Nach Art. 2 Abs. 1 ILO-29 ist Zwangsarbeit „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung stellt“. Die ILO-105 (Rn. 5) hat die ILO-29 dahin ergänzt, dass die Staaten Zwangs- oder Pflichtarbeit nicht als Mittel des politischen Zwangs, der Er-
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Nowak 11. Nowak 11; 14; Hofmann 32; aus der Sicht der Praxis: Kepura Kriminalistik 2007 256. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010 (20jährige Russin mit „Artisten-Visa“; Handel zur sexuellen Ausbeutung von Ost- nach Zentraleuropa; ungeklärter Tod in Zypern). EGMR Rantsev/ZYP u. R, 10.1.2010, NJW 2010 3003.
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So noch EGMR Siliadin/F (Fn. 29). Vgl. dazu Pati NJW 2011 128, 131; Pati in: The Diversity of International Law: Essays in Honour of Professor Kalliopi K. Koufa (2009) 319. Villiger 310. Frowein/Peukert 6; Grabenwarter § 20, 40; Meyer-Ladewig 12; Nowak 15; Partsch 113.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
ziehung oder als Bestrafung für politische Anschauungen, als Methode der wirtschaftlichen Entwicklung, als Mittel zur Erhaltung der Arbeitsdisziplin, als Bestrafung für die Teilnahme an Streiks oder als Mittel der rassischen, sozialen, nationalen oder religiösen Diskriminierung verwenden dürfen. Neben natürlichen Personen können im Rahmen des Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 auch juristische Personen grundrechtsberechtigt sein.62 Für die Auslegung stellt sich die Frage, wieweit sich bei Berücksichtigung der ge- 20 schichtlichen Entwicklung und der Zielsetzungen dieser Abkommen und der Wertvorstellungen, die den Abgrenzungen in Art. 4 Abs. 3 EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. b u. c IPBPR zugrunde liegen (Schutz der Menschenwürde vor Herabwürdigung durch bestimmte Methoden des Arbeitseinsatzes 63), Einschränkungen des Begriffs der Zwangs- und Pflichtarbeit ergeben. Zwangsarbeit wurde vom EGMR als eine durch körperlichen oder moralischen 21 Zwang veranlasste höchstpersönliche Arbeit angesehen, während Pflichtarbeit eine unfreiwillige Arbeit ist, die vom Betroffenen unter Androhung irgendeiner Art von Strafe oder einer sonstigen Sanktion verlangt wird.64 Große praktische Bedeutung hat diese Unterscheidung nicht. Unstreitig ist, dass es sich in beiden Fällen um keine freiwillige, etwa aufgrund eines frei abgeschlossenen Vertrages,65 übernommene Verpflichtung handeln darf, die nicht als sklavereiähnliche Praktik den weitergehenden Verboten nach Art. 4 Abs. 1, 2 EMRK / Art. 8 Abs. 1, 2 IPBPR unterfällt.66 Die persönliche Dienstleistung, die in körperlicher oder geistiger Arbeit bestehen kann,67 muss dem Betroffenen von einem Träger der öffentlichen Gewalt gegen seinen Willen abverlangt werden, entweder durch Anwendung unmittelbarer Gewalt oder unter Androhung einer fühlbaren Sanktion. Als solche kommen nicht nur Kriminalstrafen in Betracht; auch andere fühlbare Nachteile, wie die Nichtzulassung zum Anwaltsberuf,68 können die Freiwilligkeit einer geforderten Arbeit entfallen lassen. Im Wegfall der Arbeitslosenunterstützung bei Verweigerung einer zumutbaren Arbeit hat die EKMR keine Zwangsarbeit gesehen.69 Strittig ist eine zusätzliche Eingrenzung. Die EKMR nahm den Begriff der Zwangs- 22 oder Pflichtarbeit nicht wortwörtlich. Bestimmt durch das tradierte Vorverständnis dieses Begriffes schränkte sie ihn dadurch ein, dass es nicht ausreichen sollte, wenn die angesonnene Arbeit die Folge nicht frei vereinbarter oder akzeptierter Arbeitsbedingungen war; zur Unfreiwilligkeit und der Androhung einer Sanktion musste als weitere (ungeschriebene) Voraussetzung hinzukommen, dass die verlangte Arbeit unbillig („unjust“), unterdrückend („oppressive“) oder zwangsläufig mit Härten verbunden war.70 Dabei sollte zu berücksichtigen sein, ob die Belastungen durch die angesonnene Arbeit durch spätere berufliche Vorteile angemessen ausgeglichen wurden.71 Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder sah keine Zwangsarbeit in einer zeitlich begrenzten Verpflich-
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EKMR DR 7, 148 (Four companies); KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 24. Zur ähnlichen Einschränkung bei Art. 12 Abs. 2, 3 GG vgl. BVerfGE 74 119; BVerfG NJW 1991 1043; NJW 1998 3339. EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20); Villiger 308. Vgl. EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20). Nowak 15. EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20). EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20; Verpflich-
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tung des Anwaltsanwärters zur kostenlosen Übernahme von Pflichtverteidigungen: kein Verstoß). Frowein/Peukert 12. Vgl. Grabenwarter § 20, 40; gegen diese Einschränkung: Nowak 17; EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20). EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20); vgl. Grabenwarter § 20, 40 (Gewichtung der Zwangswirkung bereits auf der Tatbestandsseite des absoluten Verbots).
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EMRK Art. 4
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
tung zu einer nicht diskriminierenden Arbeit im eigenen Beruf (Verpflichtung, gegen ein vorteilhaftes Entgelt zwei Jahre in einem sonst nicht versorgten Gebiet als Zahnarzt zu arbeiten72) oder zur unentgeltlichen Vertretung von Berufskollegen (Richter73) oder in der Bestellung als unentgeltlicher Pflichtverteidiger74 oder in der Bestellung als Anwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe.75 Auch die Verpflichtung eines Berufsfußballspielers, weiterhin bei seinem alten Club zu spielen, weil die vereinbarte Ablösungssumme vom neuen Club nicht gezahlt wurde, wurde nicht als Zwangsarbeit angesehen.76 Dies trifft laut EGMR auch nicht zu, wenn ein Augenarzt verpflichtet ist, Notdienst zu leisten, obwohl er kein Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung ist und dafür entlohnt wird.77 Der EGMR gründet demgegenüber seine einschränkende Auslegung des Begriffs der 23 Zwangs- oder Pflichtarbeit auf das geschichtliche Vorverständnis dieses Begriffs, das durch die in Art. 4 Abs. 3 EMRK aufgeführten Fälle verdeutlicht wird. Diese sind als klarstellende Teile der Begriffsbestimmung des Absatzes 2 und nicht etwa als Ausnahmen von einem umfassenden Begriff der Zwangsarbeit zu verstehen.78 Sie bestätigen den Grundgedanken, dass normal-übliche Arbeiten und Dienstleistungen, vor allem auch solche, die aus einer vom Leitgedanken des Allgemeininteresses und der gesellschaftlichen Solidarität bestimmten Einbindung des Einzelnen in ein soziales System erwachsen oder die zu den Berufspflichten eines selbst gewählten Berufes gehören, keine Zwangsarbeit im Sinne des Konventionsverbotes sind. Der EGMR hat deshalb in der durch die Nichtzulassung zur Anwaltschaft sanktionierten Verpflichtung, eine Strafverteidigung auch ohne Entgelt zu übernehmen, keinen Verstoß gegen Art. 4 EMRK gesehen;79 desgleichen nicht im Wegfall der Arbeitslosenunterstützung wegen der Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen.80 Gleiches gilt wohl auch für die aus erzieherischen Gründen angeordnete Verpflichtung eines noch nicht Volljährigen zu bestimmten (zumutbaren) Arbeiten.81
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2. Tatbestandliche Ausgrenzungen in Art. 4 Abs. 3 EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. b, c IPBPR. Art. 4 Abs. 2 EMRK enthält ein absolutes Verbot, so dass jeder Eingriff zugleich eine Konventionsverletzung darstellt. Jedoch legt Absatz 3, der in Verbindung mit Absatz 2 zu lesen ist, per Definition (tatbestandliche) Ausnahmen fest und beschränkt damit den sachlichen Schutzbereich. Er findet seine Entsprechung in Art. 12 Abs. 2 und 3 GG.
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EKMR Iversen/N, EuGRZ 1975 51 (Pflichten im Rahmen eines selbst gewählten Berufes vor der endgültigen Zulassung üblich; zudem nur untergeordnete Bedeutung); dazu Frowein/Peukert 8; Grabenwarter § 20, 41; Nowak 17; Partsch 113. EKMR ÖJZ 1995 116 (Vertretungspflicht der öster. Arbeits- und Sozialrichter). EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20); Frowein/Peukert 9 f.; zur Bestellung eines deutschen Anwalts nach dem früheren Armenrecht EKMR (EuGRZ 1975 47) und zur Pflichtverteidigerbestellung ohne oder mit Entschädigung; ferner Villiger 308, 309; SK/Paeffgen mit Verweis auf EKMR Gussenbauer/A, 2.4.1973.
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Vgl. EKMR EuGRZ 1975 47; Meyer-Ladewig 12. EKMR nach Frowein/Peukert 12. EGMR Steidel/D (E), 14.9.2010. Vgl. EGMR Schmidt/D, 18.7.1994, A 291-B = EuGRZ 1995 392 = NVwZ 1995 365 = ÖJZ 1995 148 = VBlBW 1994 402: Absatz 2 als Einheit mit Absatz 3 zu verstehen, der zeigt, was Absatz 2 nicht umfasst. EGMR Van der Mussele/B (Fn. 20); Grabenwarter § 20, 41; vgl. auch BVerfGE 47 285, 319 (ermäßigte Gebührensätze bei Notaren keine Zwangsarbeit i.S.v. Art. 12 Abs. 2 GG). Frowein/Peukert 12; Nowak 19. Vgl. Rn. 8; zu Art. 12 GG: Zöbeley FS Faller 348.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
a) Zwangsarbeit, die als eigenständige Strafart („hard labor“ / „travail forcé“) bei 25 einem Verbrechen von einem Gericht verhängt wird, fällt nach Art. 8 Abs. 3 lit. b IPBPR nicht unter das Verbot der Zwangsarbeit in Art. 8 Abs. 3 lit. a IPBPR. Diese Klausel wurde auf Wunsch einiger Staaten in Art. 8 Abs. 3 lit. b IPBPR aufgenommen, deren Sanktionssysteme Zwangsarbeit als besondere Strafart vorsahen, die aber an sich nur eine verschärfte Form der beim Vollzug einer Freiheitsentziehung nach Absatz 3 lit. c ohnehin zulässigen Arbeitspflicht bedeutet und daher auch von der Ausnahme des Absatzes 3 lit. c (Rn. 26) gedeckt gewesen wäre. Der deutsche Wortlaut dieser Klarstellung ist ungenau. Nach ihrem Sinn lässt sie ausdrücklich zu, dass bei schweren Straftaten der nationale Gesetzgeber als besondere Strafart einen mit schwerer Arbeit verbundenen Freiheitsentzug (Einweisung in ein Arbeitslager) androhen kann, die dann, wenn sie aufgrund eines gerichtlichen Urteils vollstreckt wird, nicht gegen Art. 8 IPBPR verstößt. Bei der Bestimmung der in Betracht kommenden schweren Straftaten hat der nationale Gesetzgeber einen gewissen Regelungsspielraum; nur bei nach allgemeiner Anschauung als geringfügig angesehenen Verfehlungen gestattet Art. 8 Abs. 3 lit. b IPBPR die Verurteilung zur Zwangsarbeit nicht. Ebenso wenig deckt er die Einweisung in ein Arbeitshaus durch eine Verwaltungsbehörde.82 b) Arbeitspflicht während einer Freiheitsentziehung ist nach Art. 4 Abs. 3 lit. a 26 EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, i IPBPR zulässig, sofern die Arbeit üblicher- bzw. normalerweise von einer Person verlangt wird, der „unter den Voraussetzungen des Art. 5 EMRK vorgesehenen Bedingungen“ (EMRK) bzw. „auf Grund einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung die Freiheit entzogen ist“ (IPBPR).83 Es muss sich also um eine rechtmäßige, gerichtlich angeordnete oder bestätigte Freiheitsentziehung handeln. Bei der EMRK genügt auch, dass sie von einer Stelle mit richterlicher Funktion bestätigt ist (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK);84 nicht notwendig ist dagegen, dass alle formellen Verfahrensbestimmungen für die Haftprüfung eingehalten sind.85 Bei allen Arten von Freiheitsentziehung kommt die Arbeitspflicht in Betracht, so- 27 fern eine ausreichende Rechtsgrundlage im nationalen Recht besteht. Die Arbeitspflicht für Strafgefangene oder Sicherungsverwahrte (vgl. §§ 37, 41, 130 StVollzG; Art. 43 BayStVollzG; Art. 38 NJVollzG) ist der Hauptfall.86 Art. 4 EMRK / Art. 8 IPBPR schließen es ihrem Wortlaut nach nicht aus, eine solche Arbeitspflicht auch für erwachsene U-Gefangene ebenso vorzusehen87 wie für jugendliche U-Gefangene.88 82 83
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Nowak 22, 23. Vertiefend aus internationaler Perspektive: Dahmen Die Verpflichtung zur Arbeit im Strafvollzug (2011). Nowak 25 Fn. 49 nimmt deshalb an, dass Art. 8 Abs. 3 lit. c, i IPBPR enger ist als die EMRK, die für alle in Art. 5 erfassten Haftfälle den Arbeitszwang zulässt. In der Bundesrepublik ist die Frage wegen der Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung nach Art. 104 GG ohne praktische Bedeutung. EGMR Van Droogenbroeck/B (Fn. 53): „Verletzung des Art. 5 Abs. 4 EMRK zieht nicht automatisch die des Art. 4 EMRK mit sich“. Meyer-Goßner 5; vgl. auch Frowein/Peukert 13. Villiger 311. Grenzen ergeben sich allerdings
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aus der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR) und deren Konkretisierung durch Art. 10 Abs. 2 lit. a IPBPR. KK/Schädler 5; vgl. auch EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 93 (Erziehungsgedanke); a.A. Grabenwarter § 20, 43 (bzgl. Zwangsarbeit und U-Haft; wegen Zweck der U-Haft unzulässig); KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 19 (Schwere des Eingriffs; begrenzter Zweck der U-Haft). Zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Arbeitspflicht für jugendliche U-Gefangene (unzureichende Ermächtigungsgrundlage, Art. 12 GG, Unschuldsvermutung) siehe Böhm FS Dünnebier 687; Seebode JA 1979 611; MeyerGoßner 5.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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Arbeitspflicht ist nach Art. 4 EMRK / Art. 8 IPBPR ferner zulässig für Personen, die entsprechend dem nationalen Recht zu Arbeitshaus verurteilt 89 oder die in einem psychiatrischen Krankenhaus oder sonst einer Einrichtung aufgrund richterlicher Anordnung zwangsweise untergebracht sind.90 Nur die „normalerweise bzw. üblicherweise verlangten Arbeiten“ dürfen den Ge29 fangenen zugewiesen werden, also Arbeiten, die bei der Art der jeweiligen Freiheitsentziehung allgemein vorgesehen und damit üblich sind.91 Dabei wird vorausgesetzt, dass sie sich im Rahmen der allgemeinen Anforderungen halten, die die anderen Bestimmungen der Konventionen an die Behandlung Gefangener stellen, wie etwa das Verbot einer erniedrigenden Behandlung92 und nicht zuletzt auch die Sonderregelung des Art. 10 Abs. 1, 3 IPBPR. Umgekehrt zeigt aber auch diese Regelung, dass die Arbeitspflicht der Gefangenen als solche keine erniedrigende Behandlung i.S. der Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR ist. Was im Einzelnen üblich ist, beurteilt sich nach den für die verschiedenen Arten der 30 Freiheitsentziehung geltenden nationalen Regelungen. Zur Kontrolle, dass diese nicht völlig aus dem Rahmen fallen, wird aber auch der allgemeine europäische Standard mit herangezogen.93 Zu den normalerweise verlangten Arbeiten rechnen etwa die in der Anstalt anfallenden Routinearbeiten (vgl. § 41 Abs. 1 StVollzG) oder die Arbeiten, die im Rahmen der jeweiligen Arbeitsbetriebe in den Anstalten von allen dazu geeigneten Gefangenen zu leisten sind. Die Beschränkung der Arbeitspflicht auf die normalen Arbeiten soll der Auferlegung extrem schwerer 94 oder gefährlicher Arbeiten ebenso vorbeugen wie der willkürlichen Heranziehung einzelner Gefangener zu Sonderarbeiten,95 die diskriminieren sollen oder die das Maß der allgemeinen Arbeitspflicht erheblich übersteigen oder die bei der betreffenden Art von Freiheitsentziehung von der maßgebenden nationalen Rechtsordnung überhaupt nicht vorgesehen sind. Eine Entlohnung der Arbeit wird von den Konventionen nicht vorausgesetzt,96 ist 31 aber unter Angleichungsgesichtspunkten anzustreben. Die Konvention verbietet auch nicht, dass Gefangene für eine private Firma arbeiten, ohne selbst den vollen Lohn dafür zu erhalten.97 Die Einschränkung des Art. 2 Abs. 2 lit. c ILO-29 (Rn. 5), wonach die Arbeit unter Überwachung einer öffentlichen Behörde ausgeführt werden muss und der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften verdingt werden darf, ist nicht in die Konventionen übernommen worden.98 Das Fortbestehen weitergehender völkervertraglicher Verpflichtungen für die Vertragsstaaten der jeweiligen Übereinkommen wird aber nicht dadurch berührt, dass diese in den Konventionen fehlen und mit deren Instrumentarien nicht durchgesetzt werden können. 89
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EKMR bei Frowein/Peuker 13, vgl. auch EGMR De Wilde, Ooms u. Versyp/B, 18.6.1971, A 12 (belg. Landstreicherfälle): Auch Landstreicher, die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK interniert sind, können laut EGMR zur Arbeit verpflichtet werden. Zur Problematik der Einweisung Arbeitsscheuer im Verwaltungswege vgl. Guradze 10, 11. Guradze 8–10; Nowak 25. EGMR Van Droogenbroeck/B (Fn. 53). Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR; vgl. dort Rn. 71. EGMR Van Droogenbroeck/B (Fn. 53). Vgl. auch Rec(2006)2 des Ministerkom-
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mittees an die Mitgliedstaaten betreffend die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules) v. 11.1.2006. Nowak 16; SK/Paeffgen 15 (zur Schwerstarbeit in den Staaten des ehemaligen „Ostblocks“; KK/Schädler 5. Frowein/Peukert 13; Grabenwarter § 20, 43; Nowak 26; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 11. Grabenwarter § 20, 43; Meyer-Ladewig 11; Nowak 26 unter Hinweis auf einen nicht angenommenen Vorschlag; KK/Schädler 5. EKMR nach Frowein/Peukert 13. EKMR nach Frowein/Peukert 13; Nowak 26.
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Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Art. 8 IPBPR
Arbeitsauflagen oder die Verpflichtung zu bestimmten Dienstleistungen, die vom 32 Strafvollzug bedingt verschonten Personen auferlegt werden, sind ebenfalls keine unzulässige Zwangs- oder Pflichtarbeit.99 Dies gilt nach dem Sinn dieser nicht gesetzestechnisch nach den Begriffsbestimmungen einer einzelnen nationalen Rechtsordnung auszulegenden Bestimmung für alle inhaltlich eingegrenzten und zumutbaren Dienstleistungsverpflichtungen, die einem strafrechtlich Verurteilten zur Vermeidung oder zur Abwendung eines weiteren Freiheitsentzuges auferlegt werden oder die dazu dienen sollen, ihm die Verurteilung zu einem solchen zu ersparen. So fallen beispielsweise Auflagen und Weisungen bei der Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56b, 56c StGB, § 23 JGG) oder bei Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59, 59a StGB) ebenso darunter wie die Auflagen und Weisungen bei der bedingten Aussetzung eines Strafrestes (§§ 57, 57a StGB; §§ 88, 89 JGG) 100 und auch Auflagen bei Absehen von der Verfolgung (Diversion) nach § 153a StPO, §§ 45, 47 JGG.101 Auch die als Erziehungsmaßregel ergehende Weisung an einen Jugendlichen oder Heranwachsenden, bestimmte Arbeitsleistungen zu erbringen (§ 10 Abs. 1 Nr. 4, § 105 JGG), ist mit dem Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit der Konventionen vereinbar, ganz gleich, ob man diese Auslegung auf den über den Wortlaut hinausreichenden Sinn der Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, i IPBPR stützt (Minus gegenüber der Freiheitsstrafe)102 oder ob man einer Gesamtwürdigung des Schutzzweckes entnimmt, dass solche Erziehungsmaßnahmen mit dem in eine ganz andere Richtung zielenden Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit nicht gemeint sein können.103 c) Die im Militärdienst und einem an seine Stelle tretenden Zivildienst begründeten 33 Arbeits- und Dienstleistungspflichten rechnen nach Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, ii IPBPR ebenfalls nicht zu der verbotenen Zwangs- oder Pflichtarbeit.104 Dies gilt für alle dazugehörenden Dienstleistungen einschließlich der Nebenpflichten und nicht nur für die Wehrpflichtigen, sondern auch für Soldaten, die sich freiwillig verpflichtet haben.105 Eine Verpflichtung der Konventionsstaaten, die Wehrdienstverweigerung anzuerkennen, kann aus dieser Regelung nicht hergeleitet werden.106 d) Dienstleistungen im Fall von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder 34 das Wohl der Gemeinschaft bedrohen, sind nach Art. 4 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, iii IPBPR keine Zwangs- oder Pflichtarbeit. Die Notstände, die hier in Betracht kommen, wie etwa Brände, Überschwemmungen, Erdbeben oder von Menschen
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Villiger 311; Meyer-Goßner 5; vgl. BVerfGE 74 102, 119 ff.; BVerfG NJW 1991 1043 (Auferlegung gemeinnütziger Arbeiten keine Zwangsarbeit i.S.v. Art. 12 Abs. 2, 3 GG). Meyer-Goßner 5. KK/Schädler 6 sieht dagegen im Wortlaut des Abs. 3 lit. a („during conditional release … detention“) eine Beschränkung auf Arbeitsauflagen und -weisungen bei Verurteilten, bei denen gem. § 57 StGB bzw. § 88 JGG ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde. Meyer-Goßner 5; Herzog 214. Vgl. BVerfGE 74 116; BVerfG NJW 1991 1043; Villiger 312.
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EGMR Achilovich/R, 4.12.2008; BGer EuGRZ 1994 68 (Zivilschutzdienst Schweiz); Grabenwarter § 20, 44; Villiger 312. Zum Modell eines Pflichtwehrdienstes mit Belastungsausgleich: Bausback/Schall BayVBl. 2011 33, 38. EKMR nach Frowein/Peukert 14; Guradze 13, 14; Nowak 28. Auf die engeren Grenzen aus Art. 12 GG ist hier nicht einzugehen; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 21. EKMR nach Frowein/Peukert 14; MeyerLadewig 12; Nowak 29.
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ausgelöste Katastrophen, werden anders als in Art. 2 Abs. 2 lit. d ILO-29 (Rn. 5) nicht einzeln aufgezählt. Es kommt jede bedrohliche Lage in Betracht, von der erhebliche Gefahren für das Leben oder die Gemeinschaft ausgehen, wobei hier auch örtliche Katastrophen oder Notstände gemeint sind und nicht nur ein öffentlicher Notstand, der wesentliche Interessen der ganzen Nation bedroht, wie dies bei Art. 15 EMRK / Art. 4 IPBPR vorausgesetzt wird.107 Auch die Verpflichtung zur Mitwirkung bei Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung oder Krankheitsverhütung kann unter diese Ausnahme fallen.108 Auch vorübergehende Dienstleistungen im Falle eines schwerwiegenden Versorgungsnotstands der Bevölkerung eines bestimmten Gebietes wird man hierzu rechnen müssen.109
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e) Die normalen Bürgerpflichten können auch Arbeits- und Dienstleistungspflichten mit umfassen. Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, iv IPBPR stellen klar, dass diese Pflichten nicht zu der verbotenen Zwangs- und Pflichtarbeit rechnen. Es muss sich um normale Arbeits- oder Dienstleistungspflichten handeln, also um solche, die ein demokratisches Gemeinwesen allgemein und ohne Diskriminierung seinen Bürgern abverlangt, wie etwa Straßenreinigungs-, Streu- und Räumpflichten,110 aber auch Handund Spanndienste111 und ähnliche allgemeine Dienstleistungen im Interesse der Gemeinschaft. Die Verpflichtung zum Dienst in der Feuerwehr112 oder beim Deichschutz113 dürfte ebenfalls hierher rechnen; als vorbeugende Maßnahme zur Bekämpfung eines Notstands kann sie aber wohl auch mit Art. 4 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c, iii IPBPR gerechtfertigt werden.114 Auch die sonstigen Mitwirkungspflichten, die den Bürgern im Interesse der staat36 lichen Gemeinschaft auferlegt werden, wie etwa bestimmte Pflichten im Rahmen ihres Berufes oder die Pflicht zur Berechnung, Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuern und Sozialabgaben ihrer Arbeitnehmer werden als durch diese Bestimmung gerechtfertigt angesehen,115 obwohl sie mit Zwangs- oder Pflichtarbeit im eigentlichen Sinne wenig zu tun haben.116
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Frowein/Peukert 15; Grabenwarter § 20, 45; Nowak 30; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 12, 23. EKMR bei Frowein/Peukert 15 (Verpflichtung der Jagdpächter zur Mitwirkung bei Maßnahmen zur Tollwutverhütung). Vgl. Meyer-Goßner 7 unter Hinweis auf die engeren Pflichten aus § 323c StGB; im Falle Iversen (EuGRZ 1975 51) begründeten damit zwei Mitglieder der EKMR die Dienstverpflichtung zur Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung. Guradze 16; Meyer-Goßner 8; Schorn 5; KK/Schädler 8. Frowein/Peukert 16; Grabenwarter § 21, 46.
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Die nur bei Männern erhobene Feuerwehrabgabe verstößt gegen Art. 14 EMRK; unter den heutigen Verhältnissen kann dies nicht mehr mit dem Ausgleich der Dienstpflicht gerechtfertigt werden; vgl. EGMR Schmidt/D (Fn. 78), BVerfG 24.11.1995 EuGRZ 1995 411; dazu Bleckmann EuGRZ 1995 387; Villiger 312. Meyer-Ladewig 14; SK/Paeffgen 20. So Nowak 32. EKMR nach Frowein/Peukert 16; Grabenwarter § 21, 46; Nowak 32; ÖVerfGH bei Folz FS Verosta 209. Guradze 16.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Art. 5 EMRK (Art. 9, 10, 11 IPBPR) EMRK Artikel 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht; b) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung wegen Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung; c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; d) rechtmäßige Freiheitsentziehung bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde; e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern; f) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist. (2) Jeder festgenommenen Person muss innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache mitgeteilt werden, welches die Gründe für ihre Festnahme sind und welche Beschuldigungen gegen sie erhoben werden. (3) Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Die Entlassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden. (4) Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist. (5) Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.
4. ZP-EMRK Artikel 1 Verbot der Freiheitsentziehung wegen Schulden Niemandem darf die Freiheit allein deshalb entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
IPBPR Artikel 9 (1) Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens. (2) Jeder Festgenommene ist bei seiner Festnahme über die Gründe der Festnahme zu unterrichten und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sind ihm unverzüglich mitzuteilen. (3) Jeder der unter dem Vorwurf einer strafbaren Handlung festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, muß unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft. Es darf nicht die allgemeine Regel sein, daß Personen die eine gerichtliche Aburteilung erwarten, in Haft gehalten werden, doch kann die Freilassung davon abhängig gemacht werden, daß für das Erscheinen zur Hauptverhandlung oder zu jeder anderen Verfahrenshandlung und gegebenenfalls zur Vollstreckung des Urteils Sicherheit geleistet wird. (4) Jeder dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen ist, hat das Recht, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen, damit dieses unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und seine Entlassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist. (5) Jeder, der unrechtmäßig festgenommen oder in Haft gehalten worden ist, hat einen Anspruch auf Entschädigung.
Artikel 10 (1) Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muß menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden. (2) a) Beschuldigte sind, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, von Verurteilten getrennt unterzubringen und so zu behandeln, wie es ihrer Stellung als Nichtverurteilte entspricht; b) jugendliche Beschuldigte sind von Erwachsenen zu trennen, und es hat so schnell wie möglich ein Urteil zu ergehen. (3) Der Strafvollzug schließt eine Behandlung der Gefangenen ein, die vornehmlich auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt. Jugendliche Straffällige sind von Erwachsenen zu trennen und ihrem Alter und ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln.
Artikel 11 Niemand darf nur deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Schrifttum (Auswahl) Baker/Röber To Abduct or to Extradite. Does a Treaty Beg the Question? ZaöRV 53 (1993) 657; Diehm Die begrenzten Kompetenzen des „nächsten Richters“ – partiell eine Verletzung der EMRK, StraFo 2007 231; Esser/Fischer Festnahme von Piraterieverdächtigen auf Hoher See, ZIS 2009 771; Esser/Fischer Menschenrechtliche Implikationen der Festnahme von Piraterieverdächtigen – Die EUOperation Atalanta im Spiegel von EMRK, IPBPR und GG, JR 2010 513; Esser Europäische Initiativen zur Begrenzung der Untersuchungshaft, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen (2007) 233; Esser Sicherungsverwahrung, JA 2011 727; Forster Freiheitsbeschränkungen für mutmaßliche Terroristen (2010); Freund Die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Flucht und Fluchtgefahr gegen EU-Ausländer – unter besonderer Berücksichtigung des Europäischen Haftbefehls (2010); Herdegen Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Staatsgewalt, ZaöRV 47 (1987) 221; Herzog Das Grundrecht auf Freiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention, AöR 86 (1961) 194; Herzog Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, JZ 1966 657; Hilger Der Begriff „derselben Tat“ in § 121 Abs. 1 StPO im Lichte der Rechtsprechung des EGHMR zu Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK, Gollwitzer-Kolloqium (2004) 65; Hillgruber Der Schutz des Menschen vor sich selbst (1992); Knauer Untersuchungshaft und Beschleunigungsgrundsatz, StraFo 2007 309; Kokott Zur Rechtsstellung von Asylbewerbern in Transitzonen. Anm. zum Urteil des EGMR im Fall Amuur gegen Frankreich, EuGRZ 1996 569; Koschnitz Die kurzfristige polizeiliche Freiheitsentziehung (1969); Kramer Die Europäische Menschenrechtskonvention und die angemessene Dauer von Strafverfahren und Untersuchungshaft (1973); Kriebaum Freiheitsbeschränkungen im Transitbereich in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 71 ff.; Kühne/Esser Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Untersuchungshaft, StV 2002 383; Matscher Der Rechtsmittelbegriff der EMRK, FS Kralik (1986) 257; Möller Treatment of persons deprived of liberty: analysis of the Human Rights Committee’s case law under Article 10 of the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), in: Bergsmo (Hrsg.), Human Rights and Criminal Justice for the Downtrodden, FS Asbjørn Eide (2003) 665; Morgenstern Die Stärkung prozessualer Garantien im Recht der Untersuchungshaft in Deutschland und Polen, ZIS 2011 240; Murdoch Safeguarding the Liberty of the Person: Recent Strasbourg Jurisprudence, ICLQ 42 (1993) 511; Rau Rechtliches Gehör aufgrund von Akteneinsicht in strafprozessualen Beschwerdeverfahren, StraFo 2008 9; Paeffgen Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des U-Haft-Rechts (1986); Pauly Anmerkung zum Urteil des EGMR Cevizovic v. Deutschland, StV 2005 137; Paeffgen Anmerkung zum Urteil des EGMR Dzelili v. Deutschland, StV 2006 474; Reindl Untersuchungshaft und Menschenrechtskonvention (1997); Reindl Probleme der Untersuchungshaft in der jüngeren Rechtsprechung der Straßburger Organe, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998) 45 ff.; Renzikowski Die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die Europäische Menschenrechtskonvention, JR 2004 271; Renzikowski Habeas Corpus – Probleme der Umsetzung von Art. 5 EMRK in Polen und Deutschland, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen (2007) 311; Renzikowski Der schwere Weg zum Rechtsstaat – die Umsetzung von Art. 5 EMRK in Bulgarien, in: Petrova (Hrsg.), Processus Criminalis Europeus, Perspektiven des europäischen Strafrechts, FS Pöttering 124; Renzikowski Das Elend mit der rückwirkend verlängerten und der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung, ZIS 2011 531; Riedl Die Habeas Corpus-Akte. 300 Jahre Tradition und Praxis einer britischen Freiheitsgarantie, EuGRZ 1980 192; Rill Die Art. 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Praxis der Straßburger Organe und des Verfassungsgerichtshofes, FS Winkler 16; Rissing-van Saan Neuere Aspekte der Sicherungsverwahrung im Kontext der Rechtsprechung des EGMR, FS Roxin II 1173; Ruedin Aliens’ and Asylum Seekers’ Detention under Article 5(1)(f) ECHR, SZIER 2010 483; Schlimm Der Strafprozeß gegen eine im Ausland entführte Person, ZRP 1993 262; Schöch Sicherungsverwahrung und Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, FS Roxin II 1193; Schubarth Die Art. 5 und 6 der Konvention, insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Strafprozessrecht, ZST 94 (1975) 465; Steckermeier Die nachträgliche Sicherungsverwahrung von zur Entlassung anstehenden Straftätern (§ 66b StGB) und Art. 5 Abs. 1 EMRK (2010); Stevens PreTrial Detention: The Presumption of Innocence and Article 5 of the European Convention on
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Human Rights Cannot and Does Not Limit its Increasing Use, EuJCCCJ 2009 165; Trechsel Zwangsmaßnahmen im Ausländerrecht (Art. 5 Abs. 1 f), AJP 1994 43; Trechsel Liberty and Security of Person, in: Macdonald/Matscher/Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights (1993) 328; Trechsel Die Garantie der persönlichen Freiheit (Art. 5 MRK) in der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980 514; Thürer/Weber/Zach Aktuelle Fragen zur Europäischen Menschenrechtskonvention (1994); Unfried Die Freiheits- und Sicherheitsrechte nach Art. 5 EMRK (2006); Vogler Strafprozessuale Wirkungen völkerrechtswidriger Entführungen von Straftätern aus dem Ausland, FS Oehler 379; Vogler Straf- und strafverfahrensrechtliche Fragen in der Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZStW 89 (1977) 761; Wilske Strafverfahren gegen völkerrechtswidrig Entführte: Der Abschied von „male captus, bene detentus“? ZStW 107 (1995) 48; Wilske Die völkerrechtswidrige Entführung und ihre Rechtsfolgen (2000); Windoffer Die Maßregel der Sicherungsverwahrung im Spannungsfeld von Europäischer Menschenrechtskonvention und Grundgesetz, DÖV 2011 590; Wolf Das Urteil des BVerfG vom 4.5.2011 zur Sicherungsverwahrung – Konsequenzen für die Strafvollstreckung, Rpfleger 2011 413; Zellick/Sharpe The Law of Habeas Corpus (2008).
Schrifttum zum Aktenzugangsrecht (Art. 5 Abs. 4 EMRK) Ambos Europarechtliche Vorgaben für das deutsche Strafverfahren – Teil II – Zur Rechtsprechung des EGMR von 2000–2002, NStZ 2003 14; Beulke/Witzigmann Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers in Fällen der Untersuchungshaft, NStZ 2011 254; Bohnert Untersuchungshaft, Akteneinsicht und Verfassungsrecht, GA 1995 468; Borggräfe/Schütt Grundrechte und dinglicher Arrest – zugleich Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 19.1.2006, StraFo 2006 133; Börner Akteneinsicht nach Durchsuchung und Beschlagnahme, NStZ 2007 680; Bosch Akteneinsicht, Aussageverweigerung und U-Haft – ein in der Strafprozessordnung nicht vorgesehenes Theater? StV 1999 333; Böse (K)ein Akteneinsichtsrecht für den Beschuldigten? – Die Entscheidungen des EGMR und des LG Mainz, StraFo 1999 293; Burhoff Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers nach § 147 StPO, HRRS 2003 182; Dedy Die Neuregelung des Akteneinsichtsrechts durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (Strafverfahrensänderungsgesetz 1999) – Fortschritt oder Stillstand, StraFo 2000 149; Gatzweiler Folgen des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 (StVÄG 1999) – Änderung des Akteneinsichtsrechts, StraFo 2001 1; Gröger Das Akteneinsichtsrecht im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (2009); Groh Zum Recht des Strafverteidigers auf Einsichtnahme in staatsanwaltliche Ermittlungsakten, DRiZ 1985 52; Kempf Anmerkung zu den EGMR-Urteilen Garcia Alva, Lietzow und Schöps v. Deutschland, StV 2001 206; Kempf Die Rechtsprechung des EGMR zum Akteneinsichtsrecht und §§ 114, 115 Abs. 3, 115a Abs. 3 StPO, FS Rieß 217; Kempf Zur verfassungsgerichtlichen Entwicklung des Akteneinsichtsrechts, StraFo 2004 299; Kieschke/Osterwald Art. 5 IV EMRK contra § 147 II StPO, NJW 2002 2003; Lange Vollständige oder teilweise Akteneinsicht für inhaftierte Beschuldigte in den Fällen des § 147 II StPO? Falsche und richtige Folgerungen aus den Urteilen des EGMR vom 13.2.2001 gegen Deutschland, NStZ 2003 348; Marberth/Kubicki Die Akteneinsicht in der Praxis, StraFo 2003 366; Park Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Rechtschutzverfahren gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, StV 2009 276; Pfeiffer Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers, FS Odersky 453; Rau Rechtliches Gehör aufgrund von Akteneinsicht in strafprozessualen Beschwerdeverfahren, StraFo 2008 9; Schlegel Das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten, HRRS 2004 411; Schlothauer Zum Rechtschutz des Beschuldigten nach dem StVÄG 1999 bei Verweigerung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft, StV 2001 192; Schmitz Das Recht auf Akteneinsicht bei Anordnung von Untersuchungshaft, wistra 1993 319; Walischewski Probleme des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung im Ermittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1998); Walischewski Das Recht auf Akteneinsicht bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren, StV 2001 243; Welp Probleme des Akteneinsichtsrechts, FS Peters 309; Zieger Akteneinsichtsrecht des Verteidigers bei Untersuchungshaft, StV 1993 320.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Übersicht Rn. A. Schutzgut / Verhältnis zu anderen Vorschriften I. Allgemeines 1. Freiheit der Person als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede zwischen EMRK und IPBPR . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu anderen Bestimmungen der Konventionen . . . . . . . . . . 4. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . II. Schutz der körperlichen Freiheit und Sicherheit 1. Körperliche Freiheit . . . . . . . . . 2. Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . 3. Berechtigte . . . . . . . . . . . . . 4. Verpflichtung des Staates . . . . . . 5. Außerkraftsetzung bei Staatsnotstand III. Freiheitsentziehung versus Freiheitsbeschränkung 1. Umfassende (allseitige) Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit . 2. Freiheitsentziehung / Freiheitsbeschränkung . . . . . . . . . . . . 3. Einwilligung des Betroffenen . . . . 4. Freiheitsbeschränkung a) Beschränkung in Einzelfällen . . . b) Kurzfristige Beschränkungen . . . 5. Personen in einem besonderen Pflichtenverhältnis . . . . . . . . . . B. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Freiheitsentziehung I. Gesetzmäßigkeit 1. Verbot der willkürlichen Festnahme . 2. Materielle Rechtmäßigkeit a) Gesetz im materiellen Sinn . . . . b) Gebot hinreichender Bestimmtheit 3. Gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspruch auf unverzügliche Freilassung bzw. Entlassung aus der Haft . II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . a) Abschließende Aufzählung der Haftgründe . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum nationalen Recht . c) Auslegung . . . . . . . . . . . . 2. Rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch das zuständige Gericht (lit. a) a) Gerichtliche Entscheidung als formelle Voraussetzung . . . . . . . b) Verurteilung („conviction“) . . . c) Verhältnis zum Haftgrund der Geisteskrankheit (lit. e) . . . . . . d) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung . . . . . . . . . . . . . . e) Kausalzusammenhang („causal link“) . . . . . . . . . .
Rn.
1 2 3 7
8 11 16 18 22
3.
24 25 30 31 32 35
4.
36 39 42 46 50
52 52 53 54
5.
57 60 66 69 74
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6.
f) Nachträglicher Wegfall bzw. Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . g) Sonderfall: Sicherungsverwahrung (§§ 66–66b StGB) als schuldunabhängige Präventivunterbringung von Straftätern aus Gründen der Gefährlichkeit . . . . . . . . . . aa) Anordnung einer Sicherungsverwahrung im Urteil . . . . bb) Nachträgliche Verlängerung einer im Urteil angeordneten Sicherungsverwahrung . . . . cc) Vorbehaltene und nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung . . . . . . Nichtbefolgen einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung / Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung (lit. b) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung (lit. b, erste Alternative) . . . . . c) Erzwingung der Erfüllung einer durch Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (lit. b, zweite Alternative) . . . . . . . . . . . . . . Festnahme und Freiheitsentziehung bei Verfolgung oder Verhütung strafbarer Handlungen (lit. c) . . . . . . a) Zweck der Regelung . . . . . . . b) Legitimer Zweck: Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung . . . . . . . . . . . . d) Haft zur Sicherung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . aa) Straftat . . . . . . . . . . . . bb) Hinreichender Tatverdacht . . cc) Fluchtgefahr . . . . . . . . . dd) Alternativmaßnahmen (Subsidiarität der Untersuchungshaft) . . . . . . . . . . . . . e) Haft zur Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . Haft Minderjähriger aus erzieherischen Gründen (lit. d) a) Minderjährige . . . . . . . . . . b) Zum Zwecke überwachter Erziehung (erste Alternative) . . . c) Zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Behörde (zweite Alternative) . . . . . . . . . . . . Haft bei Seuchenträgern, psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen, Landstreichern (lit. e) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Ansteckende Krankheiten . . . .
79
80 80
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101 103
105 110 114 115 118 124
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen Rn.
c) Psychisch Kranke, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtige und Landstreicher aa) Zweck . . . . . . . . . . . bb) Psychische Erkrankung . . . cc) Alkohol- und Rauschgiftsüchtige . . . . . . . . . . dd) Landstreicher . . . . . . . 7. Haft zum Zwecke der Ausweisung oder Auslieferung (lit. f) . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . b) Verhinderung der unerlaubten Einreise (Alt. 1) . . . . . . . . . c) Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist (Alt. 2) aa) Haft zur Sicherung der Ausweisung . . . . . . . . . . bb) Haft zur Sicherung der Auslieferung . . . . . . . . . . cc) Rechtmäßigkeit der Haft . .
. 146 . 147 . 157 . 158 . 159 . 159 . 164
. 165 . 166 . 168
C. Verfahrensgarantien bei Freiheitsentziehungen I. Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme und die erhobenen Beschuldigungen (Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR) 1. Schutzgehalt / Anwendungsbereich . 2. Zeitpunkt der Mitteilung / Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form der Mitteilung / Unterrichtung 4. Verwendung einer verständlichen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . 5. Inhalt der Mitteilung / Unterrichtung a) Gründe der Festnahme . . . . . . b) Erhobene Beschuldigung . . . . . 6. Wiederholung der Unterrichtung . . 7. Kompensation . . . . . . . . . . . . II. Vorführung und richterliche Haftprüfung von Amts wegen nach Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK / Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPBPR) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . a) Vorführungspflicht . . . . . . . . b) Beschleunigungsgrundsatz . . . . c) Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . 2. Recht auf Vorführung vor einen Richter oder eine andere gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigte Person (Art. 5 Abs. 3 EMRK / Art. 9 Abs. 3 IPBPR) a) Zweck der Vorführung . . . . . . b) Richter / andere ermächtigte Person . . . . . . . . . . . . . . c) Vorführung . . . . . . . . . . . . d) Unverzüglich . . . . . . . . . . . e) Keine Pflicht zur Vorführung . . . f) Terroristische Straftaten . . . . .
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172 177 186 192 195 196 197 198
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206 206 208 210 216 229 231
Rn. III. Recht auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist oder Haftentlassung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK) / Art. 9 Abs. 3 IPBPR 1. Zweck der Regelung – Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . 234 2. Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK . . 239 3. Beginn und Ende der Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft a) Keine Höchstfristen . . . . . . . 248 b) Zwei-Stufen-Prüfung . . . . . . . 249 (1) Relevante und ausreichende Haftgründe (1. Stufe) . . . . . 252 (a) Allgemeine Grundsätze (b) Schwere der Tat / Schuld . 266 (c) Flucht / Fluchtgefahr . . . 267 (d) Verdunklungs- / Kollusionsgefahr . . . . . . . . . . . 275 (e) Wiederholungsgefahr . . . 277 (f) Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung . . . 280 (2) Verfahrensführung / Beschleunigungsgebot (2. Stufe) (a) Allgemeine Grundsätze . . 281 (b) Gerichtsorganisation . . . 286 (c) Verhalten des Beschuldigten 289 (d) Komplexität des Falles . . 296 c) Gesamtbetrachtung der Haft(fort)dauer . . . . . . . . . . . . 301 d) Initiativen der Europäischen Union zur Begrenzung von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . 302 IV. Recht auf Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 306 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . 307 V. Gerichtliche Haftkontrolle (Art. 5 Abs. 4 EMRK / Art. 9 Abs. 4 IPBPR) 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . 316 2. Haftgründe des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK . . . . . . . . . . . . 317 3. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 3 EMRK . 318 4. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 EMRK . 319 5. Verhältnis zu Art. 6 EMRK . . . . . 321 6. Gericht i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK . 322 7. Verfahren i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . 329 8. Verfahren i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK bei Freiheitsentziehungen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK (vorläufige Festnahme / Untersuchungshaft) . . . 335 9. Zugang zur Verfahrensakte . . . . . 340 a) Leitlinien des BVerfG . . . . . . . 340 b) Anforderungen des EGMR . . . . 343 c) Umfang des Aktenzugangsrechts . 344
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
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Rn. d) Ausnahmen . . . . . . . . . . e) Berechtigter . . . . . . . . . . f) Nicht verteidigter Beschuldigter g) Art und Weise des Zugangs . . h) Prozessuales . . . . . . . . . . 10. Antragsrecht und Überprüfungsintervalle . . . . . . . . . . . . . 11. Dauer des Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
348 350 351 352 357
. 362 . 369
D. Anspruch auf Entschädigung (Art. 5 Abs. 5 EMRK / Art. 9 Abs. 5 IPBPR) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelfragen 1. Voraussetzung . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsgegner . . . . . . . . . . 3. Schadensersatz / Immaterieller Schaden . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verjährung . . . . . . . . . . . . . 5. Innerstaatlicher Rechtsweg . . . . . 6. Anrufung des EGMR . . . . . . . .
375 376 379 381 384 385 386
Rn. E. Grundsätze für die Behandlung inhaftierter Personen (Art. 10 IPBPR) I. Bedeutung 1. Grundsätze für die Behandlung inhaftierter Personen . . . . . . . 2. Verhältnis zu anderen Konventionsgarantien . . . . . . . . . . . . . 3. Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen . . . . . . . 4. Innerstaatliches Verfassungsrecht . II. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . III. Schutz der Menschenwürde (Art. 10 Abs. 1 IPBPR) 1. Verpflichtung des Staates . . . . . 2. Alle Fälle des Freiheitsentzuges . . IV. Rechte eines Nichtverurteilten / Beschuldigten (Art. 10 Abs. 2 IPBPR) 1. Rechtsstellung nicht verurteilter Personen allgemein . . . . . . . . 2. Jugendliche Beschuldigte . . . . . V. Strafgefangene (Art. 10 Abs. 3 IPBPR)
. 389 . 391 . 393 . 394 . 395
. 397 . 399
. 400 . 402 . 405
Alphabetische Übersicht Abschiebung 163, 168 ff., 317, 399 Aburteilung in angemessener Frist 404 Akteneinsicht 340 ff. Alkoholkranke 142 ff., 157 Amtshaftung 375 Anfangsverdacht 101 ff., 121 Angehörige – Benachrichtigung 43, 142, 398, 405 Anhörung – persönliche 102 ff., 109, 121 Anstaltsunterbringung 12, 75 ff., 126 Ansteckende Krankheiten 75, 77 Anwesenheitspflicht 123, 127, 254, 333 Arbeit, geregelte 158 Arrest 35, 61, 342 Asyl 5, 164 Aufenthaltsbestimmung 138 Aufenthaltsverbot 27, 31, 303 Aufopferungsanspruch 375, 381 Auskunftspflicht 19 Auslegung – autonome 198 – maßgebend: Schutz vor Willkür 7, 42 – enge Auslegung der Haftgründe 57 f. Auslieferung 112, 159 ff. – eigene Staatsangehörige 160 Auslieferungshaft 176, 242 Ausweisung 5, 161 f. Beistand 17, 219, 393 Beschleunigungsgebot 170, 234 ff., 281 ff., 372 Beugehaft 62, 91, 98, 205 Beurteilungsspielraum 148, 300 Bewegungsfreiheit, Einschränkungen 8, 24 ff., 31 ff. Blutprobe 32 Bürgerpflichten 99
common law 41 Diskriminierungsverbot 16 Disziplinarmaßnahmen 35 Drogensucht 142 Effektiver Zugang zu Gericht 328 Eidesstattliche Versicherung 98, 308 Einreise, unbefugte 164 Einstweilige Unterbringung 140, 143 ff. Einverständnis des Betroffenen 28 f. Elektronische Fußfessel 27 Entschädigung für Freiheitsentziehung 375 ff. Ersatzfreiheitsstrafe 4, 61, 78 Erschöpfung des Rechtswegs 293, 386 Erziehung, überwachte 141 Erziehungsberechtigte 138 Erzwingung einer gesetzlichen Verpflichtung 89 ff. Europäischer Haftbefehl 242 Faires Verfahren 194, 330, 341 Familienverhältnisse, asoziale 141 Festnahme 1, 8, 25, 36 ff. – Mitteilung der Gründe 172 ff. – völkerrechtswidrige im Ausland („male captus“) 112 – vorläufige 335 ff. Fluchtgefahr 124 ff., 267 ff. Flughafen 28, 163 ff. Formalkontrolle der Haft 325 Freiheitseingriffe durch Private 15 Freiheitsentziehung – Abgrenzung zur Freiheitsbeschränkung 24 ff. – abschließende Aufzählung der Gründe 2, 44, 52 – ansteckende Krankheiten 144 ff. – Bindung an nationales Recht 46 ff., 65, 293 – Dauer 28, 32, 49 ff. – Geistes-/Suchtkranke 142 ff., 147 ff.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
– Höchstfristen 140, 248 – Vollzug 3, 9 – Willkürverbot (Art. 9 Abs. 1 IPBPR) 1 Freispruch 68 Freizügigkeit 5, 24, 31 Geisteskranke 142 ff., 147 Geldstrafe 78, 313 – Umwandlung in Freiheitsstrafe 77 Gericht – des eigenen Staates 38, 48 – kein einheitlicher Gerichtsbegriff 107, 322 ff. – Zuständigkeit 47, 55, 57 ff., 103 ff. Gerichtsbehörde 103 ff. Gerichtssprache 193 Gesamtfreiheitsstrafe 78 Gesetzesvorbehalt 2, 13, 32, 41 Gesetzliche Pflichten 97 Gnadenentscheidung 76 Grundgesetz (Art. 104 GG) 25, 92 Gutachten, ärztliches 143, 148 f., 157 Haft – allgemein 8, 25, 46 – Dauer 50 f. – Minderjähriger 136 ff. – zum Zwecke der Auslieferung oder Ausweisung 159 ff. – zur Sicherung der Strafverfolgung 166 ff. Haftbefehl 47, 56 ff., 111, 206, 341 Haftfortdauer 108, 133, 254, 265 Haftgründe – abschließende Aufzählung, Art. 5 Abs. 1 EMRK 2, 23, 38, 52 ff. – mehrere 56 – Nachprüfung 15, 38, 217, 317, 323 ff., 368 ff. – Unterrichtung über Haftgründe 172 ff. – Wegfall 109, 366 Haftkontrolle durch unabhängige Stelle 7, 61 ff., 89, 102 ff. Haftkontrolle, gerichtliche 106 ff., 120 ff. Haftprüfung – allgemein 199 ff., 316 ff. – Antrag auf 316, 362 – bei Straftaten 199 – innerhalb kurzer Frist (Abs. 4) 369 ff. – kontradiktorische Verhandlung 335 ff. – mehrere Haftgründe 56 – mündliche Verhandlung 323, 333, 335 – nach Widerruf der probeweisen Entlassung 10 – periodische 366 – persönliche Anhörung 200, 211 – Prüfungsumfang je nach Haftgrund 317 ff., 326 f. – schriftliche Entscheidung 214, 333 – unverzügliche (insbes. Abs. 3) 201, 206, 216 ff. – von Amts wegen 210, 362 – Verteidigungsmöglichkeiten 336, 339 – wiederholte 200, 337 – zweite Instanz 338 Handlungsfreiheit 5 Hausarrest 28, 254, 307, 315 Heimerziehung 140 Identitätsfeststellung 29 Infektionsschutzgesetz 145
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Insolvenzordnung 98 Internierung auf Insel 28 Jugendarrest 61 Jugendliche 17, 130, 219, 402 ff. Kausalzusammenhang Entscheidung-Freiheitsentziehung 74 ff. Kaution 124, 201, 212, 268, 306 ff. Kinder 17 Kollegialgericht 333 Kontaktpersonen 144 Kontradiktorisches Verfahren 335 Konventionswidrige Strafnorm 34, 38, 70 Körperliche Unversehrtheit 5 Krankenbehandlung 156 Laienrichter 57 Landstreicher 142 f., 158 „male captus“ 112 Maßregeln der Besserung und Sicherung 61, 116 Meldepflicht 31 Militärgericht 322 Minderjährige 17 Missbrauch 11, 23, 148, 169, 388 Mündliche Verhandlung 335 ff. Nachprüfung durch EGMR 38, 317, 324 f., 368 Nachträgliche Änderung der Sanktionsart 76 Nachträgliche Gesamtstrafenbildung 78 Nichtbefolgen einer Gerichtsentscheidung 78, 87 ff. Offenlegungspflicht 98 Öffentliche Sicherheit und Ordnung 42, 97 Opfereigenschaft 376 Ordnungshaft 62, 91, 92, 205 Personalienfeststellung 32 Personen im besonderen Pflichtverhältnis 35 Persönlichkeitsrecht 382 Piraterie 221 Platzverweis 31 Polizei 32, 142, 178, 200, 365, 370 Polizeihaft 100 Polizeirecht 32 Präambel 11, 16, 36, 43 Präsenzpflicht 32 Private 15 Psychiatrische Begutachtung im Krankenhaus 244 Recht auf Gehör 340 ff. Rechtsmittel 368 Rechtsschutzsystem in seiner Gesamtheit 332 Richter – Abgrenzung zu funktionsgleichen Personen 200, 208 ff. – Begriffsbestimmung 208, 322 – Schutz vor Willkür 1, 57 Richtervorbehalt 1, 103, 105, 322 Sachverständiger, Gutachten 367, 371, 373 Schadensersatz 1, 363, 381 ff. Schmerzensgeld 382 Schriftliches Verfahren 333 Schulden 44, 88 Schutz laufender Ermittlungen 348 Schutzniveau der Konventionsverbürgungen 317 Schutzpflichten des Staates 7 Selbstgefährdung 146 Selbstmord 52
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Recht auf Freiheit und Sicherheit Seuchenträger 142 ff. Sicherheit 42, 97 – vgl. öffentliche Sicherheit und Ordnung Sicherheitskontrollen 232 Sicherheitsleistung 201, 212, 268, 306 ff. Sicherstellung einer Präsenz und Wartepflicht 32 Sicherung der Strafverfolgung 114 ff. Sicherungshaftbefehl 78 Sicherungsverwahrung 61, 80 ff., 96, 153 ff. Sklaverei 24 Soldat 35, 97 Staatenlose 160 Staatsnotstand 22 f. Störer 100, 133 Strafbefehl 63 Straferwartung 272 Strafkompanie 28 Straftat 115 ff., 204 – terroristische 231 ff. StrEG 375 Tatverdacht, hinreichender 118 f. Terrorismus 231 ff., 316 Transitbereich Flughafen 28, 163, 168 Transportunfähigkeit 220 Übereinkommen über die Rechte des Kindes 393 Übernahme der Strafvollstreckung 58 Übersetzung des Haftbefehls / Haftgründe 187, 193 ff. – Anspruch auf Übersetzung 194 Unabhängigkeit, richterliche 200, 209, 322 f. Ungehorsamsstrafen 62 Unionsbürger 165 Unschuldsvermutung 3, 103, 120, 301, 395 Unterbindungsgewahrsam 133 Unterbringung, einstweilige 140, 143 ff. Unterbringung psychiatrisches Krankenhaus 68, 76, 150, 399 Unterrichtung über Gründe der Festnahme 172 ff. – alsbald / unverzüglich 177, 180 – Form 186 f. – Inhalt 177 f., 185, 195 ff. – Unterrichtung eines Vertreters 191 – verständliche Sprache 192 f. – Wiederholung 197 Untersuchungshaft – allgemein 64, 122, 125, 235, 243, 335 ff. – angemessene Dauer 248 ff.
Art. 9, 10, 11 IPBPR
– EU 302 ff. – Minderjährige 237 – Subsidiarität 130, 202 f., 234 Urteil – ausländisches 58, 166 – innerhalb angemessener Frist 113 ff., 201, 234 ff. Verdacht einer Straftat 101, 103, 114, 142, 199 ff. Verdunkelungsgefahr 124 Verfahrensfehler 47, 70 Verfahrensgarantien 2, 8, 32, 49, 172 ff., 321, 338 Verfahrenskosten 313 Verfolgung strafbarer Handlungen 115 Verhältnismäßigkeit 13, 43, 45, 133, 234 Verhinderung von Straftaten 131 ff. Vermögensschaden 313 Versicherung an Eides statt 98 Verteidigungsrechte 14, 58 Verurteilung durch Gericht 57 ff. – Anordnung Sicherungsverwahrung 80 ff. – maßgebend Urteil der ersten Instanz 63 – nachträgliche Änderung der Sanktion 76 ff. – nachträglicher Wegfall 71, 79 – zeitlich vor Freiheitsentziehung 74 Verwahrlosung 141, 158 Verwaltungsanordnung 75 Verwahrung 146 f., 157, 205, 364 ff. Völkerrecht 39, 166, 375, 380, 393 Vollstreckung – ausländischer Urteile 58, 166, 303 f. – rechtmäßige 65, 69 Vorführung – Fristen 98, 200 f., 216 ff. – vor Richter 64, 103 ff., 206 ff. – vor zuständige Stelle 141, 206 ff. Vorläufige Einweisung 141, 149 Vorläufige Festnahme 335 ff. Wehrdienst 35, 97 Wiederaufnahmeverfahren 79 Wiedergutmachung 313, 376, 384 Wiederholungsgefahr 124, 131, 277 ff. Willkür 1, 7 ff., 39, 47 Wohnsitz, fester 158 Zeugniszwangsverfahren 91 Zivilklage 385 Zuweisung eines Aufenthaltsortes 27 Zwangsarbeit 24
A. Schutzgut / Verhältnis zu anderen Vorschriften I. Allgemeines 1. Freiheit der Person als Menschenrecht. Die Allgemeine Erklärung der Menschen- 1 rechte vom 10.12.1948, an die beide Konventionen anknüpfen, bekräftigt in Art. 3 nur allgemein das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, während ihr Art. 9 u.a. verbietet, dass eine Person willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten wird. Sowohl die EMRK als auch der IPBPR erstreben den Schutz vor unrechtmäßiger und willkürlicher Freiheitsentziehung dadurch, dass sie die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung an einen doppelten Vorbehalt binden: Das nationale Recht, dessen Ausgestaltung
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
den Mitgliedstaaten überlassen ist, muss zum Schutz vor Willkür die Festnahme- und Haftvoraussetzungen materiellrechtlich festlegen und es muss sie mit verfahrensrechtlichen Regelungen verknüpfen, die die Eingriffe nachprüfbar machen. Dem Schutz vor Willkür dient vor allem das Recht des Einzelnen auf ein richterliches Haftprüfungsverfahren (Rn. 206 ff., 316 ff.). Außerdem soll ein Schadensersatzanspruch bei unrechtmäßiger Inhaftierung eine angemessene Kompensation ermöglichen (Rn. 375 ff.).1 Die Konventionen schaffen damit Vorgaben für das nationale Recht, das dort, wo es Freiheitsentziehungen vorsieht, ihren Anforderungen genügen muss.2
2
2. Unterschiede zwischen EMRK und IPBPR. Während Art. 9 Abs. 1 IPBPR neben formellen Verfahrensgarantien mit einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt nur die gesetzliche Verankerung der Gründe für eine Freiheitsentziehung fordert, erweitert Art. 5 EMRK den Schutz dadurch, dass er die Gründe, aus denen das nationale Recht eine Freiheitsentziehung vorsehen darf, in einem Katalog abschließend aufzählt und damit die Befugnis des nationalen Gesetzgebers auch in der Sache beschränkt. Trotz der häufigen Befassung von EKMR und EGMR mit Art. 5 EMRK3 war dessen Tragweite lange umstritten.4 Der Gerichtshof hat sich jedoch in den letzten Jahren in einer Reihe von Einzelfragen auf bestimmte Standards festgelegt.
3
3. Verhältnis zu anderen Bestimmungen der Konventionen. Die Behandlung eines Gefangenen während einer Freiheitsentziehung, die Modalitäten des (Untersuchungs-) Haftvollzugs, werden in Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR nicht geregelt,5 wohl aber in Art. 10 IPBPR (Rn. 389 ff.). Für einzelne Fragen sind neben den Verboten der Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR und der als Leitprinzip für die Behandlung der U-Gefangenen herangezogenen Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR)6 für den Haftvollzug auch die Garantien der Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR einschlägig.7 Das Verbot, jemanden nur deshalb in Haft zu nehmen, weil er eine vertragliche Ver4 pflichtung nicht erfüllen kann (Art. 11 IPBPR) fehlt in der EMRK. Es wurde erst später in Art. 1 des 4. ZP-EMRK in das System des europäischen Menschenrechtsschutzes übernommen. Praktische Bedeutung hat dieses historisch bedingte Verbot („Schuldturm“) kaum, da es nur bei Haft wegen der bloßen Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen greifen würde, nicht aber bei der Verletzung gesetzlicher, insbesondere öffentlich-rechtlicher Pflichten.8 Auf die gerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsentziehung ist es nicht anwendbar; es erfasst auch nicht Ersatzfreiheitsstrafen.9 Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR vermitteln keinen Anspruch auf Asyl, auf Einreise oder 5 Nicht-Ausweisung.10 Sonstige Freiheitsverbürgungen, wie die allgemeine Handlungsfrei-
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Die Vorschriften sind vor allem durch die rein deskriptive Katalogisierung unübersichtlich geworden. Vgl. zu Art. 5 EMRK Herzog AöR 86 (1961) 194, 195; zu Art. 9 IPBPR Nowak 10 ff. Vgl. etwa EGMR Winterwerp/NL, 24.10. 1979, A 33, §§ 45 f. = EuGRZ 1979 650; Herz/D, 12.6.2003, § 43, NJW 2004 2209. Vgl. Trechsel EuGRZ 1980 514. Vgl. Herzog AöR 86 (1961) 194 ff.; Trechsel EuGRZ 1980 514. Eine mit dem Haftgrund unvereinbare Unter-
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bringung kann allerdings die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung in Frage stellen; siehe Rn. 150. Vgl. Kühne/Esser StV 2002 383. Vgl. dort Rn. 16, 71; ferner Kühne/Esser StV 2002 383. Dazu Nowak 5 ff., Frowein/Peukert Art. 1 des 4. ZP-EMRK; vgl. auch Rn. 94 ff. Vgl. Frowein/Peukert Art. 1 des 4. ZPEMRK; Meyer-Ladewig Art. 1 des 4. ZPEMRK. Meyer-Ladewig 3; SK/Paeffgen 7.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
heit,11 die die Freiheit von staatlichem Zwang einschließt oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder einzelne besondere Freiheitsrechte, wie die Gewissensfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Freiheit von Furcht oder die Freizügigkeit 12 unterfallen ebenso wenig wie sonstige Grundrechte, etwa die körperliche Unversehrtheit, dem Schutz durch Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR.13 Art. 6 Abs. 1 EMRK ist auf die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 5 EMRK 6 nicht anwendbar. Das in Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK vorgesehene Vorführungsbzw. Haftprüfungsverfahren dient nicht der Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer erhobenen strafrechtlichen Anklage oder einer Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK.14 Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Art. 9 und Art. 14 IPBPR. 4. Auslegungsgrundsätze. Auslegung, Sinn und Tragweite von Art. 9 IPBPR und vor 7 allem des schlecht gefassten und in seiner Struktur komplizierten Art. 5 EMRK können nicht allein aus dem Wortlaut erschlossen werden. Die bei der Abfassung des Ausnahmekatalogs verwendeten Begriffe15 dürfen denen des jeweiligen nationalen Rechts nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Die Versuche einer logisch systematischen und in sich stimmigen Wortinterpretation brachten weder überzeugende Ergebnisse noch haben sie, soweit ersichtlich, die Rechtsprechung des EGMR beeinflusst, der die anstehenden Fragen oft unter bewusstem Verzicht auf dogmatische Begriffsbestimmungen vorrangig unter dem Blickwinkel einer praktisch effektiven Verwirklichung des Menschenrechtsschutzes behandelt und entscheidet. Ihr eindeutiges Ziel, den Einzelnen vor willkürlicher Freiheitsentziehung zu schützen, ist für die Auslegung richtungsgebend.16 Die Zielsetzungen anderer Bestimmungen des Grundrechtsteils der Konventionen sind dabei mit zu berücksichtigen, vor allem auch Schutzpflichten, wie etwa für das Leben,17 die den Staat aufgrund anderer Bestimmungen der Konventionen treffen.
II. Schutz der körperlichen Freiheit und Sicherheit 1. Körperliche Freiheit. Art. 5 EMRK und Art. 9 IPBPR schützen die Freiheit des 8 Einzelnen nur in ihrer klassischen Ausprägung als körperliche (Fort-)Bewegungsfreiheit, also die Freiheit, den Aufenthaltsort ungehindert von Zwang selbst wählen und verändern zu können.18 Der Schutz bezieht sich dabei nur auf den vollen Entzug, nicht aber
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Grabenwarter § 21, 2; Herzog AöR 86 (1961) 194, 201. EGMR Ashingdane/UK, 28.5.1985, A 93 = NJW 1986 2173 = EuGRZ 1986 8; Grabenwarter § 21, 3. Vgl. Art. 12 IPBPR; Art. 2 des 4. ZP-EMRK. Frowein/Peukert 9; Nowak 3. EGMR Neumeister/A, 27.6.1968, A 8 = EuGRZ 1975 393; EKMR EuGRZ 1988 507. Zur sog. Definitionsmethode vgl. Koschwitz Die kurzfristige polizeiliche Freiheitsentziehung (1969) 172; ferner etwa Herzog AöR 86 (1961) 194, 198 Fn. 13, 222; BayVerwBl. 1959 45; Partsch ZaöRV 15 (1954) 647.
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EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Guzzardi/I, 6.11.1980, A 39 = NJW 1984 544 = EuGRZ 1983 633; Ashingdane/UK (Fn. 12); Bozano/F, 18.12.1986, A 111 = NJW 1987 3066 = EuGRZ 1987 101. Vgl. Art. 2 EMRK, 11 ff. EGMR Engel/NL, 8.6.1976, A 22 = EuGRZ 1976 221; Guzzardi/I (Fn. 16); EKMR EuGRZ 1979 421; ferner etwa Herzog AöR 86 (1961) 194, 202; Frowein/Peukert 1 f.; Nowak 3; Trechsel EuGRZ 1980 514, 515 („liberté d’aller et de venir“); zu Art. 9 IPBPR vgl. Nowak 17 ff.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
auf partielle Einschränkungen, so dass eine gewisse Intensität der Maßnahme erreicht werden muss. Der vollständige Freiheitsentzug als staatliche Zwangsmaßnahme wird dadurch nicht generell ausgeschlossen; die Konventionsverbürgungen sollen aber verhindern, dass jemand aufgrund einer staatlichen oder dem Staat zuzurechnenden Maßnahme gesetzwidrig oder willkürlich festgenommen und in Haft gehalten wird. Ihr Ziel ist, dass keiner seine Freiheit verlieren darf, wenn nicht ein anerkannter, hinreichend bestimmter und in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellter Tatbestand des nationalen Rechts dies im konkreten Fall rechtfertigt.19 Festnahme und Haft werden in den einzelnen Absätzen dieser Artikel nicht in einem engen, rechtstechnisch auf bestimmte Maßnahmen beschränkten Sinn verstanden, sondern entsprechend dem Schutzzweck allgemein als „Entzug der persönlichen Freiheit“ bzw. als „Zustand des Freiheitsentzugs“. Bei einer engeren, nicht alle Fälle des Freiheitsentzugs umfassenden Auslegung wären die nur an diese Begriffe anknüpfenden Verfahrensgarantien dieser Artikel nicht lückenlos gewährt.20 Art. 5 EMRK erfasst prinzipiell nur die Frage, ob eine Freiheitsentziehung oder ihre 9 Fortdauer zulässig ist, nicht die Form und Umstände des Vollzugs („Wie“).21 Soweit allerdings die Art der Unterbringung (Anstaltstyp) unmittelbar mit einem der Inhaftierungsgründe nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK zusammenhängt, zählt sie zum „Ob“ der Freiheitsentziehung (vgl. Rn. 150). Personen, denen (bereits) die Freiheit entzogen ist (z.B. Straf- oder U-Haft), können 10 sich nicht auf Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR berufen, wenn der ihnen verbliebene Raum durch eine behördliche Maßnahme weiter eingeschränkt wird, z.B. durch eine Disziplinarmaßnahme;22 etwas anderes gilt, soweit diese Einschränkung einen spezifischen, über die bereits vorliegende Inhaftierung hinausgehenden, separaten freiheitsbeschränkenden Charakter hat.23 In dem als Sanktion für ein Fehlverhalten angeordneten Verlust bzw. Widerruf einer (angekündigten) vorzeitigen Haftentlassung („loss of remission“) als solchem ist keine zusätzliche, spezifische Freiheitsentziehung zu sehen (anders aber, wenn die Freiheit bereits wieder erlangt war),24 ebenso wenig in einer lediglich vorgemerkten, aber noch nicht vollzogenen Haft, auch wenn diese Vormerkung sich negativ auf Maßnahmen im Rahmen der derzeit vollstreckten Haft auswirken sollte (kein Urlaub, keine vorzeitige Entlassung).25
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2. Sicherheit. Die Sicherheit wird in Art. 5 Abs. 1 EMRK / Art. 9 Abs. 1 IPBPR neben der persönlichen Freiheit besonders erwähnt,26 ihr kommt jedoch keine eigenständige materiellrechtliche, sondern nur eine verfahrensrechtliche Bedeutung zu.27 Gemeint ist damit nur die Sicherheit des Einzelnen vor einem willkürlichen Entzug seiner persönlichen physischen Freiheit.28 Entsprechend dem Bekenntnis der Präambel der EMRK zur
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Nowak 2. Nowak 17 ff., insbes. 21 (extensiv zu interpretieren). KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 31. Frowein/Peukert 18; Trechsel EuGRZ 1980 514, 517; a.A. unter Berufung auf die EKMR: SK/Paeffgen 13. Vgl. EGMR Gulub Atanasov/BUL, 6.11.2008 (Einweisung in Psychiatrie bei bereits bestehendem Hausarrest). Zu weit daher EKMR nach Trechsel EuGRZ
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1980 514, 517, der gegen diese Entscheidung zu Recht Bedenken anmeldet; ferner Frowein/Peukert 19. Vgl. Trechsel EuGRZ 1980 514, 522. Zur Entstehung Nowak 7 ff.; siehe ebenfalls Art. 6 EUC. EGMR Altun/TRK, 1.6.2004. EGMR Hajduova/SLO, 30.11.2010; Thienel ÖJZ 2011 256. So bereits: Guradze 2; Partsch 124; Trechsel EuGRZ 1980 514, 518.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Rechtsstaatlichkeit wird für diesen besonders sensiblen Bereich die allgemeine Forderung nach Rechtssicherheit verdeutlicht. Staatliche Eingriffe in die Freiheit der Person sind nur zulässig, wenn sie auf hinreichend bestimmten und damit für den Einzelnen vorhersehbaren Vorschriften des nationalen Rechts beruhen und wenn durch eine Haftkontrolle durch unabhängige Stellen, vor allem durch Gerichte, ausgeschlossen wird, dass dieses Recht von den Staatsorganen willkürlich ausgelegt oder missachtet wird. Staatliche Organe dürfen eine freiheitsentziehende Maßnahme nicht dazu missbrauchen, dass sie mit ihr einen anderen als den zu ihrer Rechtfertigung vorgegebenen Zweck verfolgen,29 etwa, um in verschleierter Form ein nach der nationalen Rechtsordnung nicht zulässiges Ziel herbeizuführen, wie die Umgehung einer für unzulässig erklärten Auslieferung durch zwangsweises Überstellen in ein zur Auslieferung an den Verfolgerstaat bereites Drittland.30 Ebenfalls vom Begriff der Sicherheit erfasst sind Verhaftungen durch Behörden eines Konventionsstaates auf dem Gebiet eines ausländischen Staates ohne dessen Einwilligung, d.h. unter einem Eingriff in die Territorialgewalt des jeweiligen Staates.31 Allerdings macht eine Zusammenarbeit zwischen Staaten zum Zwecke der Übergabe eines Geflüchteten eine Festnahme allein nicht rechtswidrig.32 Eine Ausdehnung der Garantien auf ein anderes Schutzgut liegt in der Garantie von 12 Sicherheit aber nicht.33 Es wird kein neues Rechtsgut angesprochen, vor allem keine allgemeine Schutzpflicht des Staates begründet. Ein allgemeines Recht des Einzelnen auf staatlichen Schutz vor anderen Gefährdungen, wie etwa ein Schutz vor Ausweisung oder auf Sicherheit vor Kriminalität, kann aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK ebenfalls nicht hergeleitet werden.34 Die Forderung nach Sicherheit und Ausschluss jeder Willkür bei Eingriffen in die 13 Freiheit gilt für den gesamten staatlichen Bereich. Neben Verwaltung und Rechtsprechung ist auch das einen Freiheitsentzug vorsehende Recht daran zu messen.35 Unbestimmte, unberechenbare gesetzliche Haftgründe, welche die Entscheidung über die Freiheitsentziehung weitgehend dem Belieben ausführender Organe überlassen, gewähren dem Einzelnen keine Sicherheit; sie genügen deshalb nicht den Anforderungen, die der Gesetzesvorbehalt der Konventionen an eine den Freiheitsentzug rechtfertigende nationale Regelung stellt. Nationale Gesetze müssen einen bestimmten Qualitätsstandard
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Vgl. Art. 18 EMRK Rn. 2. EGMR Bozano/F (Fn. 16); vgl. dazu und zur Figur male captus bene detentus siehe Rn. 112. Grabenwarter § 21, 3; EGMR (GK) Öcalan/ TRK, 12.5.2005, ECHR 2005-IV, EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267. Erfolgt eine Festnahme durch einen Staat auf dem Territorium eines anderen Staates, begründet dies keinen Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebene Weise, wenn die Souveränität des Staates, auf dessen Gebiet die Festnahme stattfindet, nicht beeinträchtigt wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn die nationalen Behörden den Festzunehmenden direkt den Behörden des festnehmenden Staates übergeben oder eine solche Übergabe erleichtern wollen, vgl. EGMR (GK) Öcalan/ TRK (Fn. 31).
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Zu Art. 5 EMRK: Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 1; Partsch 124; Trechsel EuGRZ 1980 514, 518 Fn. 37; abweichend Frowein/Peukert 6 f., die eine weite Auslegung des Begriffes „Sicherheit“ befürworten und darunter auch die Rechtssicherheit fassen. Zu Art. 9 IPBPR vgl. Nowak 7 ff. (auch Anspruch auf staatlichen Schutz der Freiheit). Vgl. EGMR Amuur/F, 25.6.1996, Rep. 1996-III = EuGRZ 1996 577 = NVwZ 1997 1102 = ÖJZ 1996 956; Kokott EuGRZ 1996 569; Grabenwarter § 21, 3; Meyer-Ladewig 2 f., 5. Trechsel EuGRZ 1980 514, 518; dies gilt auch im Bereich des Common Law, vgl. EGMR Sunday Times/UK (Nr. 1), 26.4.1979, § 47 (Urteil zu Art. 10 EMRK).
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
(„quality of law“) aufweisen, d.h. ausreichend zugänglich, präzise und vorhersehbar sein36 sowie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen.37 Für das Merkmal der Vorhersehbarkeit ist auf das geltende Recht und den Kontext zum Zeitpunkt einer Freiheitsentziehung abzustellen – spätere Änderungen der Rechtslage werden nicht berücksichtigt.38 Nationale Regelungen, die durch keinen vernünftigen sachlichen Grund gerechtfertigt sind oder ersichtlich nur einzelne Bevölkerungsgruppen diskriminieren sollen, verstoßen gegen das auch für den Gesetzgeber geltende Willkürverbot.39 Willkürliche Freiheitsentziehungen sind niemals durch die Konventionen gerechtfertigt.40 Zur Sicherheit gehört insbesondere der verfahrensrechtliche Schutz der Freiheit. Vor 14 einer willkürlichen Freiheitsentziehung ist der Einzelne nur dann effektiv geschützt, wenn für ihn ersichtlich ist, unter welchen Voraussetzungen er in Haft genommen und gehalten werden darf, und er außerdem bei Inhaftierung die Möglichkeit hat, die strikte Beachtung des Rechts in einem geregelten, seine Verteidigungsrechte wahrenden gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen (Rn. 316 ff.) Dies setzt nicht notwendig die Anordnung, wohl aber die effektive Nachprüfung der Haftgründe durch eine unabhängige Stelle voraus. Der Einzelne erhält durch das Recht auf Sicherheit ein Abwehrrecht gegen jeden vom 15 Staat zu vertretenden, willkürlichen oder sonst unzulässigen Freiheitsentzug. Zur Gewährleistung der Sicherheit des Einzelnen vor Eingriffen in seine Freiheit gehört ferner, dass staatliche Organe in diese nicht indirekt dadurch eingreifen, dass sie vom Recht nicht vorgesehene Freiheitsentziehungen durch private Dritte veranlassen oder billigen (vgl. Rn. 20 f.).
16
3. Berechtigte. Als Menschenrecht wird der Schutz vor ungerechtfertigten Eingriffen in die persönliche Freiheit und Sicherheit jedem Menschen im Hoheitsbereich des jeweiligen Vertragsstaates garantiert, nicht nur dessen Angehörigen. Dies ergibt der Wortlaut von Art. 5 EMRK und Art. 9 IPBPR. Außerdem legen dies Art. 1 und 14 EMRK ausdrücklich fest. Für den IPBPR folgt dies aus der Präambel, aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 26 IPBPR. Auch Kinder und Jugendliche (Minderjährige) fallen, wie auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 17 lit. d EMRK zeigt (Rn. 136 ff.), in den Schutzbereich dieser Artikel,41 ferner Personen, deren Geschäftsfähigkeit beschränkt oder aufgehoben ist. Mit dem Freiheitsentzug bei Minderjährigen befasst sich auch Art. 37 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (CRC),42 der in lit. b neben der Gesetzesbindung der Haft vor36
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EGMR Stephens/MLT (Nr. 1), 21.4.2009; Nolan u. K./R, 12.2.2009; Paladi/MOL, 10.3.2009; Varbanov/BUL, 5.10.2000, ECHR 2000-X. EGMR Enhorn/S, 25.1.2005, ECHR 2005-I = NJW 2006 2313; Hilda Hafsteinsdóttir/ ISL, 8.6.2004; Witwold Litwa/PL, 4.4.2000, ECHR 2000-III (Prüfungsmaßstab des EGMR beschränkt sich hierbei – dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend – darauf, ob mildere Mittel tatsächlich erwogen, jedoch als unzureichend empfunden wurden). EGMR M./D, 17.12.2009, §§ 90, 99 = NJW 2010 2495 = NStZ 2010 263 = StV 2010 181 = EuGRZ 2010 22 = JR 2010 218. Frowein/Peukert 4; Nowak 29 ff.
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Etwa EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); X/UK, 5.11.1981, A 46 = EuGRZ 1982 101. Grabenwarter § 21, 4; vgl. EGMR Nielsen/ DK, 28.11.1988, A 144 = ÖJZ 1988 666. Während das ursprüngliche Übereinkommen, welches am 5.4.1992 in Kraft getreten ist, von der BR Deutschland noch mit Vorbehalten angenommen wurde (BGBl. 1992 II S. 121) und nicht unmittelbar anwendbar war (BGBl. 1992 II S. 990), hat Deutschland inzwischen das Fakultativprotokoll vom 31.10.2008 und damit auch das ursprüngliche Protokoll anerkannt. Es trat am 15.8.2009 für Deutschland in Kraft (BGBl. 2009 II S. 1222).
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
schreibt, dass die Freiheitsentziehung bei Kindern i.S.d. CRC 43 nur als letztes Mittel und für die kürzeste Zeit angewendet werden soll (vgl. Rn. 130)44 und der in lit. d das Recht auf einen geeigneten Beistand, auf Überprüfung durch ein Gericht oder sonst eine unabhängige und unparteiische Stelle und auf alsbaldige Entscheidung wiederholt. 4. Verpflichtung des Staates. Art. 5 EMRK und Art. 9 IPBPR verpflichten den Staat, dafür zu sorgen, dass seine Organe nur in den gesetzlich vorher bestimmten und nach den Konventionen zulässigen Fällen in die körperliche Freiheit einer Person eingreifen und dass das nationale Recht ein Verfahren vorsieht, das jedem Betroffenen ermöglicht, seine Rechte bei einem Freiheitsentzug effektiv zu wahren (Kontroll- und Aufsichtspflicht). Zusätzlich trifft den Staat eine Nachweis- und Auskunftspflicht zum Verbleib festgenommener bzw. inhaftierter Personen. Hält der Staat eine Freiheitsentziehung geheim oder leugnet er eine solche, liegt darin eine Negierung der Rechte aus Art. 5 EMRK. Ein solches Verhalten stellt einen besonders schweren Verstoß gegen die EMRK dar.45 Aufgrund der Verantwortung für die in seinem Gewahrsam befindlichen Personen ist der Staat dazu verpflichtet, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um das Risiko eines Verschwindens zu minimieren.46 Dazu gehören die Dokumentierung der Inhaftierungen und die Anfertigung von Aufzeichnungen bezüglich des anschließenden Verbleibs der Betroffenen.47 Ein Staat hat umgehende und sorgfältige Untersuchungen einzuleiten, um den Verbleib einer vermissten Person aufzuklären, wenn der Person zum Zeitpunkt ihres Verschwindens die Freiheit staatlicherseits entzogen war.48 In seiner jüngsten Rechtsprechung macht der EGMR deutlich, dass der Staat die Pflicht hat, seine Bürger, insbesondere verwundbare Personen, vor Eingriffen in ihre Freiheit zu schützen (Schutzpflicht). Eine andere Sichtweise würde zu einer erheblichen Lücke im Schutz vor willkürlicher Freiheitsentziehung führen. Diese Pflicht trifft den Staat bei Eingriffen durch Privatpersonen, jedenfalls dann, wenn staatliche Stellen an der Freiheitsentziehung beteiligt waren.49 Eine darüber hinausreichende positive Schutzpflicht, vor allem eine Pflicht des Staates, Eingriffen in die körperliche Freiheit durch ihm nicht zuzurechenbare Handlungen Dritter entgegenzuwirken, kann aus Art. 5 Abs. 1 EMRK allenfalls dann hergeleitet werden, wenn es sich um eine Beschränkung erheblicher Art handelt, deren Bevorstehen den staatlichen Stellen bekannt ist oder sich zumindest aufdrängen musste.50 43
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Unter Kind versteht Art. 1 CRC Jugendliche bis zu 18 Jahren, sofern nach dem anwendbaren nationalen Recht die Volljährigkeit nicht bereits früher eintritt. Vgl. auch: Recommendation CM/Rec(2008) 11 of the Committee of Ministers to member states on the European Rules for juvenile offenders subject to sanctions or measures, Nr. 10 (Empfehlung des Europarates über die europäischen Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäter und Straftäterinnen), in deutscher Übersetzung herausgegeben vom BMJ, Freiheitsentzug – Die Empfehlungen des Europarats (2009). EGMR Tanis¸ u.a./TRK, 2.8.2005, ECHR
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2005-VIII; Bazorkina/R, 27.6.2006; Luluyev u.a./R, 9.11.2006, ECHR 2006-XIII; Mutsayeva/R, 23.7.2009; vgl. Meyer-Ladewig 2. EGMR Luluyev u.a./R (Fn. 45). EGMR Bazorkina/R (Fn. 45); Mutsayeva/R (Fn. 45). EGMR Varnava u.a./TRK, 10.1.2008; Bazorkina/R (Fn. 45); vertiefend: Cornelius Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtungspflicht bei Festnahmen (2006). Vgl. für den Fall der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt: EGMR Storck/D, 16.6.2005, ECHR 2005-V = NJW-RR 2006 308 = EuGRZ 2008 582 = R&P 2005 186. Vgl. Rn. 15 sowie Art. 2 EMRK, 31 ff.; Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 1
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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5. Außerkraftsetzung bei Staatsnotstand. Im Falle eines Staatsnotstandes kann Art. 5 EMRK nach Maßgabe des Art. 15 EMRK,51 Art. 9 IBPBR nach Maßgabe des Art. 4 IPBPR außer Kraft gesetzt werden. Dagegen kann Art. 17 EMRK keine Einschränkung der Rechte aus Art. 5 EMRK 23 rechtfertigen. Bei Art. 5 EMRK handelt es sich (vorrangig) um ein reines Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, dessen Ausübung nicht zur Abschaffung oder Einschränkung der von den Konventionen gewährleisteten positiven Freiheiten und Rechte missbraucht werden kann.52 Dies gilt auch für die gleiche Regelung in Art. 9 Abs. 1 IPBPR. Der Gedanke, aus dem Grundgedanken des Art. 17 EMRK eine staatliche Pflicht zum Schutz der garantierten Rechte und Freiheiten herzuleiten, die eine erweiternde Auslegung des Katalogs der zulässigen Haftgründe in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK zulässt,53 ist abzulehnen.
III. Freiheitsentziehung versus Freiheitsbeschränkung 24
1. Umfassende (allseitige) Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit. Nur vor der umfassenden (allseitigen) Entziehung seiner körperlichen Bewegungsfreiheit schützen Art. 5 EMRK und Art. 9 IPBPR den Einzelnen. Freiheitsbeschränkungen, also Eingriffe von geringerer Intensität, durch die die Freiheit nicht entzogen, sondern nur in einer gewissen Richtung eingeschränkt wird, werden von diesen beiden Vorschriften nicht erfasst.54 Die Grenzen sind aber fließend. Im konkreten Fall können solche Beschränkungen nach Art, Dauer und Auswirkungen die Schwelle zur Freiheitsentziehung überschreiten.55 Ist dies nicht der Fall, können andere Konventionsbestimmungen einschlägig sein. So wird die Freizügigkeit durch Art. 2 des 4. ZP-EMRK und Art. 12 IPBPR geschützt; das Verbot der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der Zwangsarbeit folgt aus Art. 4 EMRK und Art. 8 IPBPR. Bezüglich der Modalitäten der Unterbringung56 sowie der Behandlung während einer Freiheitsentziehung57 finden sich einschlägige Vorschriften in den Verboten der Art. 3, 4 Abs. 3 EMRK/Art. 7, 8 Abs. 3 IPBPR und in der Spezialvorschrift des Art. 10 IPBPR (Rn. 389 ff.).58 Grundsätzlich sind auch die anderen Konventionsgarantien mit den durch die Haft gerechtfertigten Einschränkungen auf Gefangene anwendbar. Die Abgrenzung von Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung, die wegen der fließenden Übergänge mitunter schwierig sein kann, ist – soweit der Haftgrund des
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(kein Rechtsanspruch auf Schutz). Nach Nowak 9 ist der Begriff Sicherheit dahin zu verstehen, dass er dem Einzelnen auch einen Rechtsanspruch darauf gibt, dass seine persönliche Integrität nicht durch Private beeinträchtigt wird. Zur Zulässigkeit der Außerkraftsetzung von Art. 5 Abs. 2 bis 4 EMRK wegen des Terrorismus in Nordirland vgl. EGMR Lawless/IR (Nr. 3), 1.7.1961, A 3; dazu Huber ZaöRV 21 (1961) 649; ferner EGMR IR/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; Frowein/Peukert 2. EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51), Guradze 1; Frowein/Peukert 3; Koschwitz
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53 54 55 56
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179 ff.; insoweit auch Herzog AöR 86 (1961) 194, 204 ff. So Herzog BayVBl. 1959 45; ders. AöR 86 (1961) 194, 205. EGMR Engel/NL (Fn. 18); Esser 200 ff.; Frowein/Peukert 11; Meyer-Goßner 1. Vgl. etwa EGMR Guzzardi/I (Fn. 16); Nielsen/DK (Fn. 41); Amuur/F (Fn. 34). Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 115; Herzog AöR 86 (1961) 194, 204 („kleine Freiheiten des Haftvollzugs“). EGMR EuGRZ 1979 655; Ashingdane/UK (Fn. 12). Frowein/Peukert 6, 9; Herzog AöR 86 (1961) 194, 204.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK greift – im Hinblick auf die besonderen Garantien des Art. 5 Abs. 3 EMRK von grundlegender Bedeutung. 2. Freiheitsentziehung / Freiheitsbeschränkung. Der Begriff der Freiheitsentziehung 25 ist durch den EGMR nicht positiv definiert worden. In Art. 5 EMRK werden Festnahme und Haft als Beispiele angeführt. Das spricht dafür, dass der Begriff der Freiheitsentziehung sinn- und zweckorientiert auszulegen ist und Maßnahmen umfasst, deren Hauptzweck eine, wenn auch nur kurzfristige,59 Entziehung der persönlichen Freiheit ist.60 Ähnlich wie bei Art. 104 GG muss es sich um eine staatlichen Stellen zurechenbare Maßnahme handeln, die bezweckt, eine Person ohne oder gegen ihren Willen an einem bestimmten, eng begrenzten Ort für eine nicht nur unbeträchtliche Dauer festzuhalten.61 Ein Entzug der Freiheit kann auch in der Auferlegung haftähnlicher Bedingungen liegen, wenn durch sie die wesentlichen Voraussetzungen der körperlichen Freiheit, vor allem die Möglichkeit, den Aufenthaltsort nach Belieben zu wechseln und sich unkontrolliert bewegen zu können, umfassend entzogen und nicht nur in einzelner Hinsicht begrenzt werden.62 In jedem Fall ist eine Freiheitsentziehung anzunehmen, wenn eine Person verschwindet, während sie sich in staatlicher Obhut befindet.63 Ob eine Freiheitsentziehung oder nur eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, ist nicht 26 nach der Bezeichnung im nationalen Recht, der dogmatischen Einordnung oder der Rechtsnatur des jeweiligen Eingriffs zu beurteilen. Auch eine rein begriffliche Grenzziehung, die allein auf Zweck oder Dauer der Maßnahme abstellt,64 würde dem Schutzzweck nicht gerecht. Um den Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen und den vielfältigen Erscheinungsformen der Eingriffe in die Freiheit Rechnung tragen zu können, ist eine am Schutzzweck orientierte Abgrenzung vorzugswürdig, die auf Zweck, Intensität und konkrete Auswirkungen der jeweiligen Maßnahme aus Sicht des Betroffenen65 im Einzelfall abstellt.66 Der EGMR (ebenso früher die EKMR) geht davon aus, dass die Abgrenzung der Frei- 27 heitsentziehung von leichteren Formen der Freiheitsbeschränkung nur gradueller Art ist, nicht aber ein grundsätzlicher Unterschied nach Art und Wesen. Er stellt deshalb auf die Intensität der jeweiligen Maßnahme ab, die in einer Gesamtwürdigung der konkreten Lage geprüft wird. Dabei wird das Zusammenwirken aller dem Betroffenen auferlegten Einschränkungen in Betracht gezogen, ihr Zweck, ihre Auswirkungen und ihre Dauer,67 ferner auch Art und Umfang aller auferlegten Beschränkungen der persönlichen Lebensgestaltung. Entscheidendes Kriterium ist insoweit, inwieweit eine enge räumliche Begrenzung vorliegt.68 Da aber auch dieses Merkmal durchaus flexibel sein kann, muss in
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Vgl. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010, § 317 (erzwungener Aufenthalt auf einer Polizeistation und anschließend in einem Apartment einer Privatperson von ca. 2 Stunden); Gillian u. Quinton/UK, 12.1.2010, § 57 (halbstündige Durchsuchung, wenn dem Betroffenen jede Fortbewegungsfreiheit genommen wird bzw. ihm mit weiteren Maßnahmen wie Untersuchungshaft gedroht wird). Frowein/Peukert 10 ff.; Nowak 2; MeyerGoßner 1; Vogler ZStW 82 (1970) 754; 89 (1977) 761, 767; a.A. Herzog AöR 86 (1961) 194, 203.
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68
Vgl. Maunz/Dürig/Dürig Art. 104, 6 ff. GG. Vgl. Esser 200 ff.; Frowein/Peukert 12 f.; Nowak 3. EGMR Bazorkina/R (Fn. 45); vgl. Rn. 19 Vgl. Koschwitz 36, 42; Maunz/Dürig/Dürig Art. 104, 6 GG (entscheidend Erfolg, nicht Zweck oder Motiv). Grabenwarter § 21, 5. EGMR Engel/NL (Fn. 18). EGMR Engel/NL (Fn. 18); Guzzardi/I (Fn. 16); Ashingdane/UK (Fn. 12); HL/UK, 5.10.2004, ECHR 2004-IX, § 89. KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 122.
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manchen Fällen auch auf die sonstigen Umstände abgestellt werden,69 wie etwa eine dauernde Überwachung70 oder eine erhebliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit, wie etwa in der Zuweisung eines eng begrenzten Aufenthaltsortes oder bei einer elektronisch überwachten Aufenthaltspflicht.71 Bezweckt eine staatliche Maßnahme primär, eine Person unter einer Haft gleichzuachtenden Bedingungen nicht nur eine völlig unbeträchtliche Dauer festzuhalten, liegt ein Entzug der Freiheit – auch wenn diese tatsächlich nicht lange dauert. Der gelockerte Vollzug einer Freiheitsstrafe ist ebenso als Freiheitsentziehung anzu28 sehen wie ein mit erheblichen Kommunikationseinschränkungen verbundener Hausarrest,72 die disziplinarische Überweisung in eine Strafkompanie73 oder die mit Überwachungsmaßnahmen und Einschränkungen verbundene Internierung auf einer Insel.74 Die Verpflichtung eines Einreisewilligen, sich im Transitbereich eines Flughafens aufzuhalten, ist an sich nur eine Freiheitsbeschränkung,75 sie kann aber bei längerer Dauer den Grad einer Freiheitsentziehung erreichen.76 Die bloße Androhung von Zwangshaft in einem Urteil ist hingegen keine Freiheitsentziehung in diesem Sinne.77 § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO erlaubt – (lediglich) zur Identitätsfeststellung – das „Fest29 halten“ einer verdächtigen Person. Die Dauer eines solchen „Festhaltens“ steht unter
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Vgl. EGMR Guzzardi/I (Fn. 16). Frowein/Peukert 12. Dies gilt auch für die modernen Formen elektronischer Überwachung („elektrische Fußfessel“; ca. 150–200 Gramm schweres Gerät in der Größe eines Mobiltelefons; getragen am Knöchel; teilweise mit Satellitenortung/ GPS), wenn mit ihrer Hilfe der Aufenthalt in einem bestimmten Raum kontrolliert werden soll (vgl. Meyer-Ladewig 7, der von „Hausarrest“ spricht); anders, wenn das Gerät nur der reinen Ortung der Person dient (bloße Freiheitsbeschränkung). Vgl. hierzu LG Frankfurt NJW 2001 697; Esser 235. Nach dem Modellversuch in Hessen zur elektronischen Fußfessel (vgl. Volp FS 2010 335) hat Baden-Württemberg Mitte 2009 diese neue Form der Überwachung nun in Gesetzesform verankert (vgl. Ratzel/Wulf FS 2010 336; NJW-Spezial 2009 554). Die elektronische Fußfessel bzw. „elektronische Aufenthaltsüberwachung“ wurde im Rahmen der Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Führungsaufsicht als Mittel zur Kontrolle freizulassender Sicherungsverwahrter eingeführt (vgl. § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB). Auch international wenden viele Staaten die elektronische Fußfessel als Alternative zum Strafvollzug an, die USA bereits seit den 1980er Jahren. Anfang 2010 wurde auch in Russland die Möglichkeit des Hausarrests eingeführt (kontrolliert durch Videoüberwachung und
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elektronische Fußfessel). Die Regelung sieht erhebliche Aufenthaltsbeschränkungen (Umzug, Arbeitswechsel; Verlassen des Hauses; Aufenthaltsverbot bzgl. bestimmter Orte; Besuchsverbot bzgl. bestimmter Personen) vor. Zur elektronischen Überwachung aus internationaler Perspektive: Ratzel FS 2009 257 (Tagungsbericht). EGMR Dacosta Silva/E, 2.11.2006, ECHR 2006-XIII; Frowein/Peukert 12, 20. EGMR Engel/NL (Fn. 18). Vgl. etwa EGMR Ashingdane/UK (Fn. 12); Guzzardi/I (Fn. 16); ferner die Beispiele bei Frowein/Peukert 11 ff. m.w.N. EGMR Mahdid u. Haddar/A, 8.12.2005, ECHR 2005-XIII = ÖJZ 2006 613 (lediglich Freiheitsbeschränkung, da Bf. 20 Tage freiwillig im Transitbereich verblieben, obwohl ihr Asylantrag nach drei Tagen abgelehnt wurde, sich dort selbst überlassen wurden und somit frei waren, ihr tägliches Leben selber zu organisieren sowie in Kontakt mit anderen Personen und Organisationen zu treten; vgl. demgegenüber aber: EGMR Riad u. Idiab/B, 24.1.2008 (Flughafenbereich kein angemessener Platz für eine Unterbringung, auch wenn Person sich frei bewegen kann). EGMR Gebremedhin/F, 26.4.2007, ECHR 2007-V; Amuur/F (Fn. 34); anders die EKMR in der gleichen Sache); ebenso: Grabenwarter § 21, 5; Meyer-Ladewig 7. EGMR Lipkowsky, McCormack/D (E), 18.1.2011.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
dem Gebot der „Unerlässlichkeit“ (§ 163c Abs. 1 Satz 1 StPO), abgesichert durch die Pflicht zur unverzüglichen richterlichen Vorführung der „festgehaltenen“ Person zum Zweck der Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der „Freiheitsentziehung“ (§ 163c Abs. 1 Satz 2 StPO). Wortlaut und Systematik des § 163c Abs. 1 StPO lassen keinen Zweifel, dass es sich bei einem „Festhalten“ des Tatverdächtigen zum Zwecke der Identitätsfeststellung zwar (noch) nicht um eine „Festnahme“ i.S.v. § 127 Abs. 1 StPO handeln muss, wohl aber (schon) um eine Freiheitsentziehung – und nicht lediglich um eine Freiheitsbeschränkung.78 Hierfür spricht auch, dass seit dem 1.1.2010 die §§ 114a– 114c StPO nicht nur für vorläufige Festnahmen (§ 127 Abs. 4 StPO), sondern auch für ein „Festhalten“ i.S.v. §§ 163b, 163c Abs. 1 Satz 1 StPO entsprechend gelten (§ 163c Abs. 1 Satz 3 StPO).79 3. Einwilligung des Betroffenen. Der EGMR bezeichnet Art. 5 EMRK als „unver- 30 äußerliches Recht“ mit der Konsequenz, dass eine Einwilligung des Betroffenen bezüglich einer freiheitsentziehenden Maßnahme zwar für ihre Beurteilung nach innerstaatlichem Recht von Bedeutung sein kann. Aufgrund der überragenden Bedeutung des Rechts auf Freiheit schließt ein solches Einverständnis aber nicht aus, eine behördliche Unterbringung als Freiheitsentziehung an den Standards des Art. 5 EMRK zu überprüfen.80 Ob sich diese Ansätze uneingeschränkt aufrechterhalten lassen, ist insofern fraglich geworden, als der EGMR zunehmend betont, dass sich der Begriff der Freiheitsentziehung nicht nur objektiv bestimmen lasse, sondern dass auch ein subjektives Element hinzukommen müsse: die fehlende Einwilligung des Betroffenen. Eine Freiheitsentziehung könne somit nur dann vorliegen, wenn die Maßnahme gegen den (natürlichen) Willen des Betroffenen stattfindet oder dieser die Freiheitsentziehung nicht jederzeit durch eine eigene Willensentschließung beenden kann.81 Stimmt der Betroffene einer freiheitsentziehenden Maßnahme allerdings nur deshalb zu, weil er sich in einer Notsituation befindet oder erfolgt die Zustimmung in einem staatlichen Zwangssystem, verliert er seinen Schutz aus Art. 5 EMRK nicht.82 4. Freiheitsbeschränkung a) Beschränkung in Einzelfällen. In der Regel keine Freiheitsentziehung stellen Maß- 31 nahmen dar, die nach dem objektiv erkennbaren Willen der Staatsorgane die Freizügigkeit oder Bewegungsfreiheit des von ihnen Betroffenen nur in einer bestimmten Hinsicht einschränken, wie etwa ein Platzverweis, ein Verbot, sich an bestimmten Orten aufzuhalten oder sonst eine Aufenthaltsbeschränkung,83 die Auferlegung bestimmter, der Über-
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So auch: Meyer-Goßner § 163b, 7 StPO; im speziellen Fall der Pirateriebekämpfung – auch zu den Anforderungen des Art. 104 GG: Esser/Fischer JR 2010 513, 522. Vgl. BTDrucks. 16 11644 v. 21.1.2009, S. 14: „… jedoch kann für die Freiheitsentziehung [!] zur Identitätsfeststellung nach § 163b, 163c StPO nicht anderes gelten, auch wenn die Strafprozessordnung insoweit nicht von „Festnahme“, sondern nur von „Festhalten“ spricht. […].“; siehe auch S. 18. EGMR De Wilde u.a./B, 18.6.1971, A 12; Esser 202; Villiger 319; SK/Paeffgen 4.
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EGMR Storck/D (Fn. 49), § 74 (keine Einwilligung, da Bf. mehrere Fluchtversuche unternommen hatte und immer wieder von Polizisten in die Klinik zurückgebracht wurde); KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 121. Vgl. EGMR Storck/D (Fn. 49). Vgl. Frowein/Peukert 13 (Ausgehverbot für die Nacht verbunden mit Verbot, sich außerhalb des bebauten Gebiets einer Ortschaft zu bewegen); vgl. Grabenwarter § 21, 6 (Beschränkung der Bewegungsfreiheit bei Ausländern aufgrund ihres aufenthaltrechtlichen Status); Esser 200.
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wachung dienender Pflichten, wie die Anweisung, sich in einer bestimmten Gemeinde aufzuhalten (Aufenthaltsgebot84; wenn im Übrigen die für Haftverhältnisse charakteristischen Merkmale wie weitgehende Beschränkung der persönlichen Lebensgestaltung und dauernde Überwachung fehlen85), eine tägliche Meldepflicht oder ein Ausgang nur in Begleitung.86 Keine Freiheitsentziehungen sind auch die aufgrund des Art. 2 Abs. 3, 4 des 4. ZP-EMRK bei Vorliegen der dort aufgeführten Gründe zulässigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Wohnsitzwahl.87
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b) Kurzfristige Beschränkungen. Bei kurzfristigen Eingriffen in die Freiheit, wie sie vor allem im Polizeirecht vorkommen, kann die Abgrenzung zweifelhaft sein. Bei Art. 9 IPBPR spielt die Eingrenzung der Freiheitsentziehung keine große Rolle; wegen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts kommt es nicht auf die Intensität des Freiheitsentzuges an; entspricht ein Eingriff dem nationalen Recht, wird er durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt gerechtfertigt. Bei Art. 5 EMRK ist dagegen zweifelhaft und strittig, ob und wieweit solche vorübergehenden Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von den Fallgruppen des Ausnahmekatalogs gedeckt werden, wenn man sie als Freiheitsentziehung ansieht.88 Eine Ansicht will solche kurzfristigen Maßnahmen überhaupt nicht in den durch „Festnahme und Haft“ charakterisierten Schutzbereich des Art. 5 EMRK fallen lassen.89 Der Schutzzweck von Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR lasse es an sich vertretbar erscheinen, Maßnahmen, deren von vornherein erkennbare andere Zielsetzung die Bewegungsfreiheit des Betroffenen nur als Mittel für einen anderen Zweck kurzfristig aufhebt, aus dem Schutzbereich auszugrenzen,90 so etwa bei einer Sicherheitskontrolle91 oder beim Festhalten oder der Mitnahme zur Polizeidienststelle zum Zwecke der Personalienfeststellung (etwa § 163b StPO, vgl. Rn. 29)92 oder der Entnahme einer Blutprobe oder zu einer Einvernahme.93 Der Eingriff in die Freiheit sei in solchen Fällen weder Zweck noch Schwerpunkt der jeweiligen Maßnahme, sondern nur die unvermeidliche Folge einer anderen Maßnahme, die auch für den Betroffenen von Anfang an erkennbar seine volle Bewegungsfreiheit nur für eine kurze Zeit zur Sicherung der Erfüllung einer ihn als Bürger treffenden Pflicht als deren unvermeidbare Nebenfolge aufhebe.94 Solche relativ kurzfris-
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Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 12 (für Internierung und Konfinierung nach österr. Recht). Vgl. EKMR nach Trechsel EuGRZ 1980 514, 515; Frowein/Peukert 13; Meyer-Ladewig 7. Frowein/Peukert 12 ff. Grabenwarter § 21, 6. Grabenwarter § 21, 5, vgl. auch Frowein/ Peukert 14 ff., Koschwitz 185 ff.; Stein EuGRZ 1976 285. Koschwitz 249; Hodler NJW 1953 531; a.A. Maaß NVwZ 1985 155; Franz NJW 1966 240 lässt dies offen. Grabenwarter § 21, 5. ÖVerfGH EuGRZ 1974 5; Trechsel EuGRZ 1980 514, 517, vgl. auch Frowein/Peukert 14 f. Der Eingriff in die Freiheit kann in solchen Fällen vielfach auch mit der zweiten Alternative von Absatz 1 lit. b (Erfüllung
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einer gesetzlichen Pflicht) gerechtfertigt werden. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 540; Frowein/Peukert 15; ferner Grabenwarter § 21, 5 (auch wenn keine ausdrückliche gesetzliche Pflicht besteht). Dazu kann auch die Anordnung nach § 231 Abs. 1 StPO gerechnet werden, mit der der Vorsitzende verhindert, dass sich ein zur Anwesenheit verpflichteter Angeklagter unbefugt aus einer nur wenige Stunden dauernden Hauptverhandlung entfernt, ferner auch die verschiedenen Fälle der zwangsweisen Vorführung (etwa § 51 Abs. 2, §§ 134, 161a, 163a Abs. 2, §§ 230 Abs. 2; 236 StPO oder 380 Abs. 2 ZPO), sofern die Bewegungsfreiheit von Anfang an erkennbar nur kurzfristig eingeschränkt werden soll; zur Möglichkeit, solche Eingriffe auch mit Absatz 1 lit. b zu rechtfertigen, vgl. Rn. 97.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
tigen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sollen automatisch enden, wenn der Zweck dieser Maßnahme erreicht ist. Eingriffe, die ausschließlich sichern sollen, dass der Betroffene sich nicht der Erfüllung einer Auskunfts-, Präsenz- oder Wartepflicht entzieht,95 dürften aber keinen weiteren Zweck verfolgen und sie dürfen nur solange andauern, als für die Erfüllung der jeweiligen Pflicht unerlässlich.96 Dauerten sie länger, liege darin eine – in der Regel unzulässige – Freiheitsentziehung. Für diese Ausgrenzung lässt sich zwar anführen, dass bei solchen Maßnahmen die von den Konventionen in Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR vorgesehenen Verfahrensgarantien der Absätze 2 bis 4 in der Regel nicht passen97 oder leerlaufen, da der Betroffene bereits wieder in Freiheit ist, bevor sie greifen könnten.98 Eine Anknüpfung an die Zweckbestimmung der Maßnahme durch staatliche Stellen birgt aber andererseits ein erhebliches Unsicherheitspotential und ist mit dem Willkürschutz, der von Art. 5 Abs. 1 EMRK ausgehen soll, nicht in Einklang zu bringen. In jedem Fall ist die von dieser Ansicht vertretene Ausgrenzung kurzfristiger freiheitsentziehender Maßnahmen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 EMRK keine qualitative, sondern nur eine quantitative Einschränkung, so dass bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls, wie Art, Umstände und Auswirkungen der Beschränkung und ihrer Dauer in einem nur die mit der Durchführung einer anderen Maßnahme bezweckenden Festhalten eine von den Konventionen erfasste Freiheitsentziehung liegen kann.99 Vor allem bei einer längeren Dauer werden die Grenzen zu einer Freiheitsentziehung überschritten sein. Eine solche liegt immer vor, wenn eine Person noch festgehalten wird, obwohl der Zweck der jeweiligen Maßnahme bereits erreicht oder wenn die gesetzlich festgelegte Höchstdauer der Festhaltung überschritten wird.100 Im Schrifttum wird auch der umgekehrte Weg beschritten: die auf kurze Dauer 33 gerichteten freiheitsentziehenden Maßnahmen werden zwar in den Begriff der Freiheitsentziehung mit einbezogen,101 ihre Zulässigkeit wird dann aber in weiter Auslegung der im Ausnahmekatalog enthaltenen Eingriffsvorbehalte oder in einer dessen Sinn Rechnung tragenden Analogie erreicht.102 Die allgemeine Tendenz geht zu Recht dahin, auch solche kurzfristigen Eingriffe in 34 die Freiheit in den Schutzbereich des Art. 5 EMRK mit einzubeziehen,103 und so alle
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Vgl. EGMR Amuur/F (Fn. 34). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 540; Grabenwarter § 21, 5; Trechsel EuGRZ 1980 514, 517 (unter Hinweis auf die Problematik bei längerer Dauer); Vogler ZStW 82 (1970) 754; ZStW 89 (1977) 761, 767; Koschwitz 42 hält den Zweck an sich für ein ungeeignetes Abgrenzungskriterium. Sie fallen in den Schutzbereich des Art. 2 des 4. ZP-EMRK. Vgl. Koschwitz 26; auch Trechsel EuGRZ 1980 514, 517 hält es für fraglich, ob eine Haft, die kürzer dauert als die Zeit, die für die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung erforderlich ist, noch in den Schutzbereich des Art. 5 EMRK fällt, vgl. auch Trechsel StV 1992 89 (zu Art. 5 Abs. 4 EMRK). EGMR Amuur/F (Fn. 34); Guzzardi/I (Fn. 16): Verbannung auf Insel; andererseits
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EGMR Nielsen/DK (Fn. 41): Unterbringung eines Kindes keine Freiheitsentziehung; Esser 200; vgl. auch Peters 92 (Unterschied nur graduell); Gusy NJW 1992 457 (keine materielle Abgrenzung nach Dauer und Intensität, sondern formell nach Zweck); ferner Rn. 27. Vgl. EGMR K.F./D, 27.11.1997, Rep. 1997VII = NJW 1999 775 = StraFo 1998 266 = EuGRZ 1998 129. So Trechsel EuGRZ 1980 514, 517; auch EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 120 (kurzfristige Festnahme zum Zweck der Blutentnahme); Frowein/Peukert 15; MeyerLadewig 8. Dazu Koschwitz 248. Etwa EGMR K.F./D (Fn. 100); Esser 200 ff.; 208; Frowein/Peukert 14 ff.; Maaß NVwZ 1985 151, 155; Trechsel EuGRZ 1980 185.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Unsicherheiten einer quantitativen Abgrenzung zu vermeiden. Dass die Schutzmechanismen der Art. 5 Abs. 3–4 EMRK bei solchen kurzfristigen Eingriffen vielfach nicht zum Tragen kommen können, ist hinzunehmen: die Garantien aus Absatz 1 (Gesetz- und Rechtmäßigkeit) und Absatz 2 des Art. 5 EMRK dürfen aber dadurch nicht in Frage gestellt werden. Zum einen werden auch diese Eingriffe in die Freiheit meist durch den Ausnahmekatalog des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK (insbes. lit. b)104 gedeckt, zum anderen bleibt die nachträgliche Feststellung ihrer Konventionswidrigkeit möglich.
35
5. Personen in einem besonderen Pflichtenverhältnis. Bei Personen, die in einem besonderen Pflichtenverhältnis stehen (z.B. Wehrdienst), beurteilt es sich nach der konkreten Sachlage, ob eine im Zusammenhang damit angeordnete Beschränkung der Freiheit nur die allgemeine Folge des nicht von Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR erfassten Pflichtenverhältnisses oder ein darüber hinausreichender zusätzlicher individueller Eingriff in die Bewegungsfreiheit ist. Bei Disziplinarmaßnahmen gegen Angehörige der Streitkräfte wird eine unter Art. 5 EMRK fallende Freiheitsentziehung nur dann angenommen, wenn diese zusätzliche erhebliche Beschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit beinhaltet, so dass ein einschneidender Unterschied zu den üblichen Lebensbedingungen Truppenangehöriger besteht. Dies kann bei einem als Disziplinarmaßnahme verhängten strengen Arrest der Fall sein, bei dem – anders als beim leichten Arrest – der betroffene Soldat nicht am allgemeinen Dienst teilnimmt, sondern eingesperrt bleibt.105 Zu freiheitsentziehenden Maßnahmen gegenüber Straf-/U-Gefangenen Rn. 10.
B. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Freiheitsentziehung I. Gesetzmäßigkeit 36
1. Verbot der willkürlichen Festnahme. Eine willkürliche Freiheitsentziehung kann in einer demokratischen Gesellschaft niemals als rechtmäßig angesehen werden.106 Art. 9 Abs. 1 Satz 2 IPBPR verbietet daher ausdrücklich jede willkürliche Festnahme.107 In Art. 5 EMRK wird das Willkürverbot nicht explizit erwähnt. Es gilt aber auch hier. Dies folgt aus der Garantie der Sicherheit (Rn. 11 ff.), wie auch aus dem Rechtsstaatsprinzip der Präambel und der Bindung an das innerstaatliche Recht.
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Vgl. Rn. 94 ff. Vgl. EGMR Engel/NL (Fn. 18), der unter Verneinung für den entschiedenen Fall die einzelnen Arrestformen des niederländischen Militärdisziplinarrechts prüfte, und – anders als die EKMR – eine Freiheitsentziehung nur beim strengen Arrest, nicht aber bei verschärftem Arrest bejahte; dazu Frowein/ Peukert 22; vgl. ferner EGMR Minelli/CH, 25.3.1983, A 62 = EuGRZ 1976 287; Stein EuGRZ 1977 285; Trechsel EuGRZ 1980 514, 516; Triffterer EuGRZ 1976 363; Villiger 136; Vogler ZStW 89 (1977) 761, 768. EGMR Kemmache/F (Nr. 3), 24.11.1994, A 296-C = ÖJZ 1995 394; K.F./D (Fn. 100).
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107
Siehe etwa HRC Madoui/Algerien 1.12. 2008, 1495/2006, § 7.6 (inadäquate Erklärungen des Staates zur Behauptung, dass Festnahme und darauffolgende Isolationshaft willkürlich und illegal gewesen seien; Verletzung von Art. 9 IPBPR); vgl. auch HRC Komarovski/Turkmenistan, 5.8.2008, 1450/2006, § 7.2 (willkürliche Festnahme und Haft, Verletzung von Art. 9 Abs. 1 IPBPR); Tarlue/Kanada, 28.4.2009, 1551/ 2007, § 7.6 (Verletzung von Artikel 9 IPBPR ungenügend begründet).
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Zum Schutz vor Willkür müssen alle Eingriffe in die Freiheit, wie der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 EMRK verdeutlicht, rechtmäßig („lawful“) und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise („in accordance with a procedure prescribed by law“) vorgenommen werden. Eine Freiheitsentziehung kann auch dann willkürlich sein, wenn keine Aufzeichnun- 37 gen oder Beweisstücke bezüglich Datum, Dauer und Grund der Inhaftierung sowie zum Namen des Inhaftierten angefertigt wurden.108 Willkürlich mutet eine Freiheitsentziehung auch an, wenn sie offensichtlich geeignet ist oder gar mit ihr der Zweck verfolgt wird, dem Betroffenen einen (höheren) verfahrensrechtlichen (Beschuldigten-)Status einschließlich der damit verbundenen Rechte vorzuenthalten.109 Gleiches gilt, wenn eine Inhaftierung für eine unbestimmte Zeit angeordnet wird110 oder eine Haftentscheidung rückwirkend zur Anwendung kommt.111 Anders als in Art. 9 IPBPR und Art. 6 EUC werden in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK die 38 Gründe, aus denen eine Freiheitsentziehung im nationalen Recht angeordnet werden darf, abschließend aufgezählt.112 Die Haftgründe des Art. 5 EMRK unterliegen dabei einer mehrfachen Bindung. Zum einen ist diese abschließende Liste zulässiger Haftgründe eng auszulegen.113 Zum anderen müssen die Haftgründe im nationalen Recht eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage haben, sie müssen zu einer der sechs Gruppen gehören, bei denen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK die Freiheitsentziehung gestattet114 und ihr Vorliegen sowie die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung muss unter Einhaltung der nationalen Verfahrensregeln festgestellt sein. Wegen dieser direkten Bezugnahme auf das nationale Recht erstreckt der Gerichtshof seine Nachprüfung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung ausnahmsweise auch auf die Einhaltung des nationalen Rechts,115 dessen Ausgestaltung den genauen Vorgaben des Art. 5 EMRK entsprechen und insbesondere die Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung klar und für jedermann einsichtig umreißen muss.116 Die Logik und die Subsidiarität des Schutzsystems setzen allerdings dem Umfang der Nachprüfung insoweit Grenzen, als die Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts in erster Linie Sache der dazu qualifizierten nationalen Gerichte ist.117 Fehlt es aber im nationalen Recht bereits an einer ausreichend konkreten Rechtsgrundlage für die Freiheitsentziehung oder ist diese eindeutig überschritten
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EGMR Idalov/R, 5.2.2009, §§ 128 ff.; Gelayevy/R, 15.6.2010, § 154; Menesheva/R, 9.3.2006, ECHR 2006-III; Shchebet/R, 12.6.2008. EGMR Doronin/UKR, 19.2.2009, §§ 55–56 (verwaltungsgerichtliche Sanktion gegen Beschuldigten); auch der umgekehrte Fall, dass eine „administrative offence“ vorlag, der Betroffene aber wie ein Festgenommener nach einer schweren Straftat behandelt wurde, wurde vom EGMR als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK gewertet: EGMR Nechiporuk, Yonkalo/UKR, 21.4.2011. EGMR Yeloyev/UKR, 6.11.2008, §§ 52–55; Doronin/UKR (Fn. 109), § 59. EGMR Karalevicius/LIT, 7.4.2005, §§ 51– 52; Doronin/UKR (Fn. 109), § 59.
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EGMR Brand/NL, 11.5.2004, § 58. EGMR Lukanov/BUL, 20.3.1997, Rep. 1997-II, § 41; Kandzhov/BUL, 6.11.2008, § 55. EGMR Quinn/F, 22.3.1995, A 311 = ÖJZ 1995 593; Grabenwarter § 21, 7; MeyerLadewig 12, 20. Zur Systematik des Art. 5 EMRK vgl. Trechsel EuGRZ 1980 514, 518. EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Bozano/F (Fn. 16); Bouamar/B, 29.2.1988, A 129; Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106); K.F./D (Fn. 100); Douiyeb/NL, 4.8.1999, NJW 2000 2888; Grabenwarter § 21, 9. EGMR (GK) Paladi/MOL (Fn. 36); Grabenwarter § 21, 8 f.; Meyer-Ladewig 20. Etwa EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Bozano/F (Fn. 16); Bouamar/B (Fn. 115); Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106).
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
oder wird sie nicht oder willkürlich angewandt, ist eine Freiheitsentziehung auch im Sinne der Konventionen nicht rechtmäßig und schon deshalb konventionswidrig.118 2. Materielle Rechtmäßigkeit
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a) Gesetz im materiellen Sinn. Zum Schutz vor Willkür muss die Freiheitsentziehung durch einen gültigen (nationalen) Rechtssatz generell abstrakt festgelegt sein. Auch ihre Anordnung selbst muss dem nationalen Recht entsprechen. Zum nationalen Recht rechnen auch innerstaatlich als rechtens angesehene Übungen,119 ferner die innerstaatlich unmittelbar geltenden Regeln des Völkerrechts und unmittelbar verbindliche Rechtsnormen der Europäischen Union.120 Erforderlich ist ein Gesetz im materiellen Sinn; ein formelles Gesetz (Parlamentsgesetz) ist nicht zwingend notwendig. Soweit im Schrifttum ein Gesetz im formellen Sinn gefordert wird,121 ergibt sich dieses Erfordernis für die Bundesrepublik bereits aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.122 Für Art. 5 Abs. 1 EMRK genügen auch andere, der nationalen Rechtsordnung entsprechende Rechtsnormen,123 wie etwa im Vereinigten Königreich das common law. Unerlässlich ist, dass das einschlägige Recht für jedermann deutlich erkennbar und 40 ausreichend zugänglich ist.124 Jeder Betroffene muss, erforderlichenfalls mit rechtskundiger Hilfe, in einem Maß, das für die jeweiligen Umstände angemessen ist, feststellen können, unter welchen Voraussetzungen die nationale Rechtsordnung eine Freiheitsentziehung androht, so dass er sein Verhalten darauf einstellen kann.125 Nicht ausreichend sind verwaltungsinterne Dienstanweisungen sowie (für sich) eine Verwaltungspraxis, weil ihnen die erforderliche Publizität nach außen126 und die gesetzliche Verankerung fehlt.127 Art. 9 Abs. 1 Satz 3 IPBPR legt den Legalitätsgrundsatz in der Form eines generellen 41 Gesetzesvorbehalts ausdrücklich fest, wobei auch hier Gesetz als eine generell-abstrakte Norm des innerstaatlichen Gesetzgebers oder als eine allen Rechtsunterworfenen zugängliche Norm des ungeschriebenen Gewohnheitsrechts (common law) verstanden wird.128
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Frowein/Peukert 25; Meyer-Ladewig 12, 20. EGMR van Droogenbroeck/B, 24.6.1982, A 50 = EuGRZ 1984 6 (traditionelle Zuständigkeit des Justizministers); Esser 204; nicht ausreichend sind Beschlüsse eines Gerichts, in denen angeordnet wird, ein bestimmtes Verfahren anzuwenden: EGMR Soldatenko/UKR, 23.10.2008. Vgl. EGMR H.L./UK, 5.10.2004, ECHR 2004-IX; EKMR EuGRZ 1979 74 (Caprino); Trechsel EuGRZ 1980 514, 520. Guradze 6; Herzog AöR 86 (1961) 194, 211 (für Kontinentaleuropa); Trechsel EuGRZ 1980 514, 519 (Zweifel, ob Verzicht auf jedes Formerfordernis, sogar auf Schriftform, auf Kontinentaleuropa übertragbar); ebenso Frowein/Peukert 26. Vgl. BVerfG Beschl. v. 4.9.2009 – 2 BvR 2520/07 (Analogieverbot); zum Gebot der strengen Auslegung im Rahmen des Art. 104
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Abs. 1 Satz 1 GG auch: Esser/Fischer ZIS 2009 771, 775; dies. JR 2010 513, 523 ff. EGMR Sunday Times/UK (Nr. 1) (Fn. 35); Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 6; Frowein/Peukert 26. EGMR Gusinskiy/R, 19.5.2004, ECHR 2004-IV; (GK) Medvedyev/F, 29.3.2010, § 80 („sufficiently accessible and precise, in order to avoid all risk of arbitrariness“). Vgl. oben Rn. 13; Frowein/Peukert 7; FunkGimpel/Hinteregger EuGRZ 1985 6; Grabenwarter § 21, 8; Meyer-Ladewig 20; Trechsel EuGRZ 1980 514, 519; EGMR Shamsa/PL, 27.11.2003; Hafsteinsdóttir/ISL (Fn. 37). KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 134. EGMR Svipsta/LET, 9.3.2006, ECHR 2006-III. Nowak 27.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
b) Gebot hinreichender Bestimmtheit. Zu unbestimmte Gesetze, die die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung nicht abgrenzbar festlegen und eine dementsprechend weite Auslegung zulassen, gewähren nicht die von den Konventionen geforderte Sicherheit vor Willkür, da sie Eingriffe in die Freiheit praktisch dem Belieben staatlicher Organe anheimstellen würden.129 Gesetzliche Generalklauseln, die eine Ingewahrsamnahme einer Person allgemein und undifferenziert zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulassen, genügen dem Erfordernis der rechtssatzmäßigen Bestimmtheit der Haftgründe ebenfalls nicht. Lässt sich bei einer Norm ein Mangel an gesetzlicher Bestimmtheit feststellen, ist es jedoch vertretbar, gefestigte Rechtsprechung zur Auslegung der in Frage stehenden Norm heranzuziehen.130 Allein die Berufung auf eine Verwaltungspraxis kann den Mangel an Bestimmtheit allerdings nicht überwinden.131 Entsprechend rechtsstaatlichen Anforderungen müssen die Gründe für die Freiheitsentziehung im nationalen Recht ausreichend deutlich festgelegt sein, damit Willkür ausgeschlossen und die von Art. 5 Abs. 1 EMRK geforderte (Rechts-)Sicherheit gewährleistet ist.132 Des Weiteren bedarf es einer gesetzlichen Regelung der Haftbedingungen („conditions of deprivation of liberty“), zur Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger bzw. einem Angehörigen sowie zur justiziellen Kontrolle der Freiheitsentziehung.133 Wie konkret diese Regelungen im Einzelfall sein müssen, ist aber nicht generell abstrakt, sondern in Würdigung des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Eine Abgrenzung, die aufgrund der Gesamtumstände Art, Zweck und Dauer der jeweiligen Freiheitsentziehung berücksichtigt, ist trotz der damit verbundenen Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtssysteme der Konventionsstaaten vertretbar. Grenzen ergeben sich aus anderen Prinzipien, wie dem Willkürverbot, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips sowie im Rahmen der EMRK aus den allgemeinen demokratischen Standards der europäischen Staaten und beim IPBPR aus dem in der Präambel und den dort angeführten Dokumenten geforderten internationalen Mindeststandards. Der materiellen Festlegung der Gründe, die allein eine Freiheitsentziehung rechtfertigen können, treten ergänzend weitere Verbote zur Seite. Art. 1 des 4. ZP-EMRK sowie Art. 11 IPBPR verbieten, jemandem allein deswegen die Freiheit zu entziehen, weil er einer vertraglichen Verpflichtung nicht nachkommen kann. Darüber hinaus muss die Freiheitsentziehung stets materiell dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. erforderlich sein. Mildere Mittel müssen von den zuständigen staatlichen Stellen in Betracht gezogen und als unzureichend verworfen worden sein.134 Für Tatverdächtigte formuliert Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR, dass ein Festhalten in Untersuchungshaft nur ultima ratio ist und stattdessen als milderes Mittel die Freilassung ohne oder gegen Sicherheitsleistung vorrangig ist.
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3. Gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren. Zur Eindämmung von Willkür und zur 46 Erhöhung der Sicherheit gehört die Kontrolle der Legalität der Haftgründe durch ein ordnungsgemäßes Verfahren. Deshalb fordern sowohl Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK als
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EGMR Svipsta/LET (Fn. 127); Nasrulloyev/R, 11.10.2007; Nowak 28. EGMR Laumont/F, 8.11.2001, ECHR 2001XI, Grabenwarter § 12, 8. EGMR Hafsteinsdóttir/ISL (Fn. 37), § 56.
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Vgl. Rn. 13. EGMR (GK) Medvedyev/F (Fn. 124), § 41. Vgl. oben Rn. 38; EGMR Hafsteinsdóttir/ ISL (Fn. 37), § 51; Ambruszkiewicz/PL, 4.5.2006; Meyer-Ladewig 19.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
auch Art. 9 Abs. 1 Satz 3 IPBPR, dass die Haft in gesetzlich vorgeschriebener Weise („in accordance with a procedure prescribed by law“) bzw. unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens („lawfully“) angeordnet werden muss. Die Freiheitsentziehung muss daher innerstaatlich auch das Ergebnis eines insgesamt rechtmäßigen Verfahrens sein. Das nationale Recht selbst muss die jeweiligen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung und Überprüfung der in Frage kommenden Freiheitsentziehung hinreichend genau regeln. Das dabei zu beachtende Verfahren muss von den beteiligten Gerichten und Behörden auch tatsächlich eingehalten werden und zwar auch dort, wo es strengere Anforderungen stellt als die Konventionen. Für Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, hat schon das BVerfG (abgeleitet aus Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG) ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung gefordert und als unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens eine zureichende richterliche Sachaufklärung angemahnt.135 Einzelne Verfahrensfehler oder ein Verstoß gegen bestimmte Formvorschriften be47 gründen regelmäßig noch keinen Konventionsverstoß.136 Das gilt etwa für den Fall, dass ein unzuständiges Gericht (gutgläubig) die Entscheidung über eine Freiheitsentziehung getroffen hat137 oder eine Prüfungsfrist überschritten wurde. Sofern nicht Willkür oder ein sonstiger schwerwiegender Verstoß der nationalen Stellen vorliegt, stellt die fehlerhafte Rechtsanwendung grundsätzlich keine Konventionsverletzung dar. Insbesondere bei Haftbefehlen ist zwischen einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit und einer bloßen Rechtswidrigkeit zu differenzieren.138 Der Gerichtshof sieht es nicht als seine Aufgabe an, insoweit die Anwendung des na48 tionalen Rechts im Einzelnen nachzuprüfen und die dort auftretenden Streitfragen zu entscheiden.139 Dies ist Aufgabe der nationalen Gerichte. Soweit allerdings die Konvention inhaltlich – insbesondere bei den Haftgründen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK – so eng an das nationale Recht anknüpft, dass dessen Verletzung einen Konventionsverstoß nahelegt, überprüft der EGMR bis zu einem gewissen Grad auch die Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften (vgl. Rn. 55).140 Wo der EGMR die Grenzen dieser Kontrollbefugnis zieht, ist schwer vorherzusagen, 49 da hier die Umstände des Einzelfalls stark ins Gewicht fallen. Mitunter wird nur darauf abgestellt, ob die nationalen Entscheidungen Amtsmissbrauch, Unredlichkeit oder Will-
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BVerfG Beschl. v. 28.9.2010 – 2 BvR 1081/10 – Bewährungswiderruf nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB – Verstoß gegen Auflagen. EGMR Douiyeb/NL (Fn. 115); Frowein/Peukert 28 f.; vgl. auch: BGH NVwZ 2006 960; OLG München FGPrax 2006 280 (Auslieferungshaft); strenger: OGH ÖJZ 2009 866 sowie OGH ÖJZ 2010 1007 (fehlende Begründung für die Fortsetzung einer Haft). EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Sunday Times (Fn. 35); Frowein/Peukert 29; Trechsel EuGRZ 1980 514, 520. EGMR (GK) Mooren/D, 9.7.2009, § 75 (zu § 114 Abs. 2 StPO) = EuGRZ 2009 566 = StV 2010 490 m. Anm. Pauly.
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Etwa EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); X/UK (Fn. 40); Bozano/F (Fn. 16); EKMR EuGRZ 1987 80 (Barbie); Esser 205; Frowein EuGRZ 1980 236; ferner Frowein/ Peukert 30 ff. (Erörterung einzelner Entscheidungen); zur Beschränkung der Prüfungskompetenz unter dem Blickwinkel der Aufgabe vgl. Herzog AöR 86 (1961) 194, 212. EGMR Nakach/NL, 30.6.2005, so auch ein Verstoß im aserbeidschanischen Recht, den Festgenommenen innerhalb der 48-StundenFrist dem Richter vorzuführen: EGMR Salayev/ASE, 9.11.2010; Farhad Aliyev/ASE, 9.11.2010.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
kür erkennen lassen.141 Wenn allerdings nationale Stellen das nationale Recht bewusst missachtet haben, was auch durch eine als Willkür zu wertende bewusste (bösgläubige) Fehlinterpretation geschehen kann142 oder wenn zwingende nationale Verfahrensregeln zweifelsfrei und unstreitig verletzt worden sind, wird eine Konventionsverletzung tendenziell bejaht.143 Desgleichen wertet der EGMR die Überschreitung einer im nationalen Recht bindend festgesetzten Höchstdauer für eine Freiheitsentziehung als Konventionsverstoß.144 Werden Verfahrensgarantien der Konventionen selbst nicht beachtet (Art. 5 Abs. 2–4 EMRK), so liegt darin auch bei Einhaltung des nationalen Rechts ein Konventionsverstoß sui generis, der aber nicht notwendig die Freiheitsentziehung selbst i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK konventionswidrig machen muss.145 4. Anspruch auf unverzügliche Freilassung bzw. Entlassung aus der Haft. Der Betrof- 50 fene hat das Recht, unverzüglich freigelassen bzw. aus der Haft entlassen zu werden, sobald der Festnahme- bzw. Haftgrund (etwa durch Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung oder durch Zeitablauf) weggefallen ist. Eine wesentliche Verzögerung, die nicht mehr von dem ursprünglichen Haftgrund gedeckt ist, stellt somit eine rechtswidrige Freiheitsentziehung dar.146 Etwas anderes gilt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auf einem Organisationsverschulden der Behörden beruht.147 Eine fortdauernde Inhaftierung kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass 51 aufgrund der Gefährlichkeit des Inhaftierten besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen, die eine längere Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen. Der Staat kann sich nicht dadurch exkulpieren, dass er sich auf Kommunikationsschwierigkeiten zwischen verschiedenen an der Entlassung beteiligten Behörden beruft, welche das Entlassungsverfahren verlängern.148
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Vgl. EGMR Benham/UK, 10.6.1996, Rep. 1996-III = ÖJZ 1996 915; Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106); Esser 205 ff. m.w.N. Frowein/Peukert 29, 39; Villiger 326. EGMR van der Leer/NL, 21.2.1990, A 170-A (Unterlassen der Anhörung vor der Unterbringungsanordnung) und EGMR Wassink/NL, 27.9.1990, A 185-A (keine Mitwirkung des Urkundsbeamten); Villiger 323; vgl. auch Esser 206 ff. und die bei Frowein/Peukert 30 ff. mitgeteilten, unterschiedlich beurteilten weiteren Fälle. Siehe hierzu auch: OGH ÖJZ 2010 823 (verzögerte Stellungnahme der StA zu Enthaftungsantrag verletzt Beschleunigungsgebot). EGMR K.F./D (Fn. 100, Überschreitung der Zwölf-Stunden-Frist nach § 163c StPO um 45 Minuten); dazu Eiffler NJW 1999 762; EGMR Ignatenco/MOL, 8.2.2011 (Überschreitung einer 72-Stunden-Frist um
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30 Minuten); Esser 208; Meyer-Goßner § 163c, 15 StPO. Zur Missachtung der im aserbeidschanischen Recht vorgesehenen Frist, den Festgenommenen innerhalb von 48-Stunden einem Richter vorzuführen: EGMR Salayev/ASE (Fn. 140); Farhad Aliyev/ASE (Fn. 140). EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Vogler ZStW 89 (1977) 761, 774. Vgl. EGMR Herz/D (Fn. 2, Abs. 4 verletzt, wenn Gericht nach Entlassung ablehnt, noch über die Rechtmäßigkeit der vorl. Unterbringung zu entscheiden). EGMR Giulia Manzoni/I, 1.7.1997, Rep. 1997-IV; Labita/I, 6.4.2000, ECHR 2000-IV; Meyer-Ladewig 24, 34. EGMR Bojinov/BUL, 28.10.2004. EGMR Kucheruk/UKR, 6.9.2007, ECHR 2007-X.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK 1. Allgemeine Grundsätze
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a) Abschließende Aufzählung der Haftgründe. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK enthält eine abschließende Aufzählung zulässiger Haftgründe. Anders als Art. 9 IPBPR lässt er die Freiheitsentziehung nur zu, wenn sie unter eine dieser Gruppen fällt.149 Das nationale Recht der Vertragsstaaten darf daher keine Freiheitsentziehung aus anderen Gründen vorsehen. Die Liste abschließender Haftgründe ist über Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUC auch für die Auslegung von Art. 6 EUC relevant, der weder einen Katalog zulässiger Haftgründe noch einen speziellen Schrankenvorbehalt besitzt. Nicht akzeptabel ist es daher, zum Schutz von Leib und Leben die Ingewahrsamnahme eines Selbstmordgefährdeten im Hinblick auf die von Art. 2 EMRK anerkannte Schutzpflicht des Staates zugunsten eines höherwertigen Rechtsguts auch dann für zulässig zu halten, wenn sie von keiner der Fallgruppen des Art. 5 Abs. 1 EMRK erfasst wird (vgl. Rn. 146).150
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b) Verhältnis zum nationalen Recht. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK setzen notwendig eine ihnen entsprechende, ausreichende Regelung im nationalen Recht voraus. Sie ersetzen das nationale Recht nicht, binden es aber an ihre Schranken. Aus anderen Bestimmungen der Konventionen allein kann keine die Haft rechtfertigende Eingriffsermächtigung hergeleitet werden. Es bleibt dem nationalen Gesetzgeber überlassen, ob er aus einem der Gründe des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK die Möglichkeit einer Freiheitsentziehung vorsehen will. Die Voraussetzungen der einzelnen Fallgruppen überschneiden sich zum Teil (Rn. 56).
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c) Auslegung. Die sprachlich schlecht gefassten,151 nicht zuletzt wegen Überschneidungen und Wiederholungen systematisch unklaren Haftgründe des Katalogs in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK werden im Hinblick auf die Zielsetzung der EMRK, die Eingriffe in die Freiheit einzudämmen, eng ausgelegt.152 Der EGMR hat es abgelehnt, durch eine erweiternde Auslegung der Haftgründe im Einzelfall kriminalpolitische Erfordernisse einzelner Staaten zu berücksichtigen.153 Im Schrifttum wurde dagegen eine am Grundgedanken orientierte, dem Zweck der Regelung Rechnung tragende ausdehnende Interpreta-
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EGMR Engel/NL (Fn. 18); Winterwerp/NL (Fn. 2); Guzzardi/I (Fn. 16); Ciulla/I, 22.2. 1989, A 148; Quinn/F (Fn. 114); Brand/NL (Fn. 112), § 58; Grabenwarter § 21, 11; Meyer-Ladewig 23; a.A. früher Jescheck NJW 1954 785 (nur Beispiele). Maunz/Dürig/Herdegen Art. 1 Abs. 2, 63 GG; a.A. Hodler NJW 1953 532; nach Partsch 129 lässt sie sich nur bei einer Untersuchung auf den Geisteszustand nach lit. e (Rn. 144 ff.) rechtfertigen. Zur Wahl der sog. Definitionsmethode wegen des angelsächsischen Rechts: vgl. Koschwitz 178; ferner Herzog AöR 86 (1961) 194, 198, 222. Etwa EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Guzzardi/I (Fn. 16); Ciulla/I (Fn. 149); Quinn/F (Fn. 114); Lukanov/BUL (Fn. 113); M./D
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(Fn. 38), § 90; Grabenwarter § 21, 11; Meyer-Ladewig 1, 23; vgl. Frowein/Peukert 35 und zur Prüfungskompetenz 27 ff.; gegen die Betrachtung als eine unter allen Umständen eng auszulegende Maßnahme: Echterhölter JZ 1956 142; Herzog AöR 86 (1961) 194, 200. Etwa EGMR Engel/NL (Fn. 18); IR/UK (Fn. 51); Guzzardi/I (Fn. 16); Bouamar/B (Fn. 115); Ciulla/I (Fn. 149); K.F./D (Fn. 100); Esser 209 m.w.N.; dies zeigt nicht zuletzt auch das Urteil M./D (Fn. 38), das der ständigen Erweiterung der Sicherungsverwahrung zum Schutz eines „überragenden Gemeinwohlinteresses“ (vgl. BTDrucks. 15 2887 S. 10, 12 f.) eine klare Absage erteilt.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
tion des Wortlauts, etwa durch argumentum a fortiori, für zulässig gehalten.154 Der das Schutzsystem der Konventionen beherrschende Grundgedanke, dass zwischen der Verteidigung der demokratischen Institutionen im Allgemeininteresse und dem Schutz der Individualrechte ein angemessener Ausgleich bestehen muss, bestimmt aber auch hier die Auslegung.155 Bei der Auslegung ist zu beachten, dass die einzelnen Gruppen zum Teil nur formelle 55 Erfordernisse aufstellen, wie etwa bei lit. a nur die Verurteilung, d.h. weder die rechtmäßige noch die rechtskräftige Verurteilung durch das (erste) zuständige Gericht,156 während andere auch materielle Vorgaben enthalten, wie etwa der begründete Anlass für eine Festnahme nach lit. c oder e. Zum Teil genügt es schon, dass die staatlichen Organe in einer bestimmten Absicht handeln (vgl. lit. f). Der Unterschied ist für den Umfang der Prüfungskompetenz des EGMR von Bedeutung. Im erstgenannten Fall prüft der Gerichtshof nur, ob die geforderten formellen Voraussetzungen vorliegen,157 während im anderen Fall das tatsächliche Bestehen der materiellen Voraussetzungen einschließlich der Bewertung der dazu gehörenden Tatsachen durch die nationalen Instanzen in die Überprüfung einbezogen wird.158 Soweit etwa die Haftgründe des Katalogs genügen lassen, dass die nationalen Organe damit ein bestimmtes Ziel verfolgen, wie beispielsweise „zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Behörde“ (vgl. lit. d), ist allein maßgeblich, ob die nationalen Organe tatsächlich den von der Konvention gebilligten Zweck verfolgt haben.159 Wegen der Überschneidungen der Fallgruppen kann eine Freiheitsentziehung durch 56 mehrere Haftgründe gerechtfertigt sein.160 An sich genügt es, wenn ein Haftgrund einschlägig ist; der EGMR lässt aber, ohne scharf zu trennen, die Berufung auf mehrere Haftgründe zu,161 wobei der am meisten einschlägige Grund maßgebend sein soll.162 Man wird fordern müssen, dass die besonderen Anforderungen, die Art. 5 Abs. 2 bis 4 EMRK nur für eine der Gruppen aufstellt, dadurch nicht umgangen werden dürfen. Wenn unter dem Blickwinkel des Schutzzwecks ein Fall einer Gruppe schwerpunktmäßig zuzuordnen ist, muss die Haft den dafür geltenden besonderen Anforderungen genügen, auch wenn sie sich noch durch eine andere Gruppe rechtfertigen ließe. So ist etwa Absatz 3 nach dem Sinn dieser Sonderregelung bei Haft wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung immer anzuwenden, auch wenn eine vorläufige Freiheitsentziehung nicht nur unter Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK zu subsumieren sein sollte (vgl. Rn. 142). Wegen der pragmatischen Verfahrensweise des EGMR sind diese Fragen nicht abschließend geklärt. Auch der in einigen Staaten zulässige gleichzeitige Vollzug mehrerer, auf verschiedene Gründe gestützter Haftbefehle nebeneinander wird vom EGMR nicht beanstandet.163 154
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Herzog AöR 86 (1961) 194, 200; Echterhölter JZ 1956 142; v. Weber ZStW 65 (1953) 347. EGMR Brogan u.a./UK, 29.11.1988, A 145-B; Trechsel StV 1992 188; vgl. Einf. Rn. 191. Frowein/Peukert 38. Vgl. aber EGMR Weeks/UK, 2.3.1987, A 114, wonach die Beschränkung nur für die ursprüngliche Entscheidung gilt, nicht aber für die nachfolgenden, die inhaltlich voll überprüfbar sind. Vgl. Frowein/Peukert 27 ff.; Trechsel EuGRZ 1980 514, 521.
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Frowein/Peukert 36; Trechsel EuGRZ 1980 514, 521; vgl. auch Art. 18 EMRK. Etwa EGMR Brand/NL (Fn. 112), § 58 f.; Kucheruk/UKR (Fn. 148); X/UK (Fn. 40); EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 431 (McVeigh); bei Strasser EuGRZ 1990 48, Esser 210. Vgl. Grabenwarter § 21, 11. EGMR Ringeisen/A, 16.7.1971, A 13 = EuGRZ 1976 234; Eriksen/N, 27.5.1997, Rep. 1997-III; Johnson/UK, 24.10.1997, Rep. 1997-VII. Vgl. Esser 210.
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2. Rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch das zuständige Gericht (lit. a) a) Gerichtliche Entscheidung als formelle Voraussetzung. Da die EMRK keinen einheitlichen Gerichtsbegriff kennt, ist Gericht i.S.v. lit. a weit zu verstehen. Es muss nicht das Urteil eines Strafgerichts sein. Auch Entscheidungen der Gerichte anderer Gerichtszweige fallen hierunter, wenn sie freiheitsentziehende Sanktionen verhängen. Es muss sich nicht notwendig um eine der klassischen Justiz zugeordnete Stelle handeln. Es genügt, wenn die nach nationalem Recht zur Entscheidung über die Freiheitsentziehung berufene, zuständige Institution insofern gerichtlichen Charakter hat, als ihre Organträger aufgrund eines geregelten Verfahrens entscheiden und bei der Ausübung dieser Funktion auch der Organisation nach personell und sachlich unabhängig von anderen Behörden und Parteien sind, so dass auch ihre unparteiische Haltung nicht in Frage gestellt ist.164 Dies schließt ein, dass für eine bestimmte Zeitspanne eine gewisse Stabilität gewährleistet sein muss. Nicht notwendig ist, dass die Richter auf Lebenszeit ernannt sind165 oder dass es sich bei ihnen um Berufsrichter handelt. Auch Laienrichter (Schöffen) genügen den Anforderungen, die der EGMR im Rahmen des Art. 5 EMRK an den Begriff des Gerichts („court“ / „tribunal“) stellt. Diese richten sich nach dem nationalen Gesamtsystem, wobei auch die Art und Schwere der Freiheitsentziehung, die jeweils verhängt werden darf, eine Rolle spielen kann.166 Auf der Entscheidung eines (eigenen) nationalen Gerichts muss die in einem Vertrags58 staat vollzogene Freiheitsentziehung beruhen. Diese Entscheidung muss aber nicht notwendig die alleinige Grundlage für die Anordnung der Freiheitsentziehung bilden. Soweit Urteile eines ausländischen (auch Nichtkonventions-)Staates kraft völkerrechtlicher Vereinbarung im Inland anerkannt und vollstreckt werden können, ist auch der Entscheidung, durch die ein ausländisches Urteil für vollstreckbar erklärt wird (Exequaturentscheidung) die Kraft zur Legitimierung der Freiheitsentziehung zuzuerkennen. Gleiches gilt für eine Haftentscheidung nach § 58 IRG (Haft zur Sicherung der Vollstreckung eines ausländischen Urteils).167 Vollstreckt ein Vertragsstaat aufgrund einer internationalen Vereinbarung (Übernahme der Strafvollstreckung) das Strafurteil eines anderen Staates, muss grundsätzlich das Verfahren des anderen Staates, das zum Urteil geführt hat, nicht überprüft werden. Ist allerdings offensichtlich, dass das zu vollstreckende ausländische Urteil nur unter flagranter Verweigerung wesentlicher Verteidigungsrechte
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Zum Gerichtsbegriff vgl. EGMR Engel/NL (Fn. 18); Frowein/Peukert 42 ff.; Grabenwarter § 21, 12; Vogler ZStW 89 (1977) 761, 768; enger wohl Herzog AöR 86 (1961) 194, 212 (Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK); siehe auch: EGMR Dacosta Silva/E (Fn. 72): Unabhängigkeit eines Generals der Guadia Civil zu verneinen, wenn dieser sofort vollziehbare Disziplinarstrafen (z.B. Hausarrest) verhängen kann, obwohl er von der internen Hierarchie her bzw. von anderen Behörden nicht unabhängig ist. EGMR Weeks/UK (Fn. 157). Zum Begriff des Gerichts vgl. EGMR
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Weeks/UK (Fn. 157); Frowein/Peukert 42 ff.; Vogler ZStW 89 (1977) 761, 769. Meyer-Goßner 2. Gleiches muss auch bei der Vollstreckung von Urteilen aus anderen Mitgliedsstaaten der EU aufgrund Art. 8 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABlEU Nr. L 327 v. 5.12.2008, S. 27) gelten.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
zustande gekommen ist, muss der ersuchte Staat die Übernahme der Vollstreckung ablehnen (vgl. Rn. 59).168 Zum Teil wird vertreten, dass die Entscheidungsfindung auf der Grundlage eines 59 rechtsstaatlichen Verfahrens bereits zum Wesen des Gerichts i.S.d. Art. 5 Abs. 1 EMRK gehört.169 Im Ergebnis muss ein ordnungsgemäß ablaufendes Verfahren mit angemessenen Garantien schon zum Ausschluss von Willkür immer vorliegen.170 Art. 5 EMRK legt im Übrigen keine bestimmte Verfahrensart fest. Das jeweilige Verfahren kann im nationalen Recht bei den verschiedenartigen Fällen der Freiheitsentziehung, die der Katalog des Absatzes 1 Satz 2 beschreibt, unterschiedlich ausgestaltet sein. Es muss aber hinsichtlich der Rechtsgarantien für den Betroffenen einem gewissen, in den europäischen Demokratien üblichen Mindeststandard entsprechen.171 b) Verurteilung („conviction“). Der EGMR legt den Begriff Verurteilung („condem- 60 nation“ / „conviction“) autonom und ohne Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht aus. Er versteht darunter die gerichtliche Feststellung eines schuldhaften Verstoßes gegen einen straf- oder disziplinarrechtlichen Tatbestand.172 Der Begriff der Verurteilung ist weit zu verstehen und geht über die deutsche Bezeichnung „Verurteilung“ hinaus.173 Erfasst ist jedes richterliche Erkenntnis, das in Ausübung staatlicher Strafgewalt im weiten Sinne eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet. Freiheitsentziehung nach Verurteilung umfasst daher neben den echten Freiheitsstra- 61 fen und den Ersatzfreiheitsstrafen u.a. auch die Jugendstrafe, den Jugendarrest, Disziplinarstrafen174 sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere die (anfängliche) Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB; zu den speziellen Formen der vorbehaltenen und nachträglichen Sicherungsverwahrung, §§ 66a, 66b StGB; siehe Rn. 80 ff.).175 Unter lit. a fallen auch die von Gerichten als Sanktion verhängten freiheitsentziehen- 62 den Ungehorsamsstrafen, die das Verfahrensrecht bei allen Verfahrensarten vorsieht, etwa die Ordnungshaft anordnenden Beschlüsse nach § 51 StPO, §§ 390, 888, 890 ZPO oder §§ 177, 178 GVG. Dagegen kann die mit einer anderen Zielsetzung vom Gericht angeordnete Beugehaft nicht mehr zu dieser Gruppe gerechnet werden.176
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Vgl. EGMR Drozd u. Janousek/F (E), 26.6.1992, A 240; Frowein/Peukert 40 f., 44; ferner Grabenwarter § 21, 12; vgl. auch BVerfGE 37 57 (zur früheren innerdeutschen Rechtshilfe). Die EKMR hatte dies zunächst verneint, später aber bejaht, ähnlich EGMR Neumeister/A (Fn. 14), andererseits De Wilde u.a./B (Fn. 80); vgl. Vogler ZStW 89 (1977) 761, 769; Frowein/Peukert 42. Vgl. Rn. 8. Vogler ZStW 89 (1977) 761, 769. EGMR B./A, 28.3.1990, A 175 = NJW 1990 3066 (L) = ÖJZ 1990 482; Grabenwarter § 21, 12; Meyer-Ladewig 25; Trechsel EuGRZ 1980 514, 523; Villiger 330. Herzog AöR 86 (1961) 194, 213; Partsch 124; a.A. Trechsel EuGRZ 1980 514, 523.
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EGMR Engel/NL (Fn. 18, Überstellung in Strafkompanie). Explizit zu § 66 StGB: EGMR Grosskopf/D, 21.10.2010, §§ 46 ff.; EKMR Dax/D, 7.7.1992, 19969/92; EKMR X./D, 4.2.1981, 4324/69; vgl. auch EGMR van Droogenbroeck/B (Fn. 119); SK/Paeffgen 21; MeyerLadewig 25; Villiger 332; Frowein/Peukert 45; Herzog AöR 86 (1961) 194, 214; Meyer-Goßner 2; Pieroth JZ 2002 922, 927; Renzikowski JR 2004 271, 272; zum Strafvollzug in Deutschland: Dünkel/Geng/ Morgenstern FS 2010 22. Nach Schorn 7b beruht sie auf einer Verurteilung i.S.d. lit. a, unterfällt aber der spezielleren Regelung in lit. b. Vgl. Rn. 94.
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Auf die Art und nationale Bezeichnung des richterlichen Erkenntnisses kommt es nicht an. Auch eine gerichtliche Entscheidung im schriftlichen Verfahren (Strafbefehl)177 erfüllt diese Voraussetzungen, zumindest, wenn der Verurteilte die Möglichkeit hatte, ein ordnungsgemäßes gerichtliches Verfahren herbeizuführen.178 Die geforderte (vorherige) Verurteilung muss nicht rechtskräftig sein.179 Der EGMR 64 sieht wegen des Zusammenhangs mit Absatz 3 und der dort vorgesehenen Beschränkung der Haft auf die angemessene Frist auch die Untersuchungshaft,180 die nach der ersten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe181 vollzogen wird, als durch lit. a gedeckt an, da die weitere Haft nicht mehr der Vorführung vor den Richter (Absatz 3) dient. Dies trägt der Praxis mehrerer Konventionsstaaten Rechnung, in denen der Betroffene bereits nach der (und sei es auch nicht rechtskräftigen) Verurteilung zur Freiheitsstrafe durch das erkennende Gericht formal in Strafhaft genommen wird,182 während nach deutschem Recht bei einem noch nicht rechtskräftigen Strafurteil die Anordnung der weiteren Untersuchungshaft nicht schon die notwendige Folge der Verurteilung ist, sondern auf einem gesonderten Beschluss beruht, der sie nach § 268b StPO anordnet oder aufrechterhält.183 Es genügt für eine Verurteilung nach lit. a daher, wenn das nach nationalem Recht 65 zur Entscheidung berufene, zuständige Gericht (Rn. 57) die Freiheitsentziehung angeordnet hat und diese dann aufgrund dieser Entscheidung 184 rechtmäßig, d.h. in Übereinstimmung mit den Vorschriften des nationalen Rechts, vollstreckt wird.185 Dies ist auch der Fall, wenn die gerichtliche Entscheidung selbst unter Verstoß gegen nationales Recht oder gegen eine Konventionsgarantie zustande gekommen sein sollte, da diese Verstöße die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung des in seinem Bestand dadurch nicht gefährdeten Urteils unberührt lassen.186
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c) Verhältnis zum Haftgrund der Geisteskrankheit (lit. e). Da sich die Haftgründe nach lit. a und e nicht gegenseitig ausschließen, werden sie vom EGMR im Einzelfall auch gemeinsam herangezogen, wenn eine – im Sinne von lit. e geisteskranke (Rn. 146),
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Guradze 8; Herzog AöR 86 (1961) 194, 213. Frowein/Peukert 39. EGMR Wemhoff/D, 27.6.1968, A 7 = JR 1968 463; Meyer-Goßner 2; Meyer-Ladewig 25; zur Frage der innerstaatlichen Vollstreckbarkeit: Herzog AöR 86 (1961) 194, 215; Trechsel EuGRZ 1980 514, 523. Zur Entwicklung und Zahl der Untersuchungshäftlinge vgl. Dünkel/Geng/Morgenstern FS 2010 23. Maßgebender Zeitpunkt ist nicht der Beginn der Verhandlung, wie ursprünglich die EKMR annahm, sondern die Verkündung des Urteils; die schriftliche Niederlegung der Urteilsgründe ist unerheblich, Esser 287 unter Hinweis auf EGMR Mitap u. Müftüoglu/TRK, 25.3.1996, Rep. 1996-II; Villiger 361. Zu diesen Fragen vgl. auch Frowein/Peukert 113. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 431; ferner BGer EuGRZ 1991 226 (Verzicht).
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EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); dagegen mit beachtlichen Gründen Trechsel EuGRZ 1980 514, 523; vgl. Herzog AöR 86 (1961) 194, 215; Trechsel JR 1981 137. Der Gerichtshof hat auch gegenüber dieser Kritik seine Auffassung erneut bekräftigt: EGMR B./A (Fn. 172); vgl. Frowein/Peukert 38; inzwischen wohl herrschende Rspr., Kühne/ Esser StV 2002 383, 388; ferner Esser 287 ff. (Vorteil: exakt abgrenzbare Anwendungsbereiche von Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Entscheidung muss für Anordnung und Dauer der Haft kausal sein, vgl. EGMR Bozano/F (Fn. 16); Weeks/UK (Fn. 157); Monnel u. Moris/UK, 2.3.1987, A 115. Frowein/Peukert 37 ff.; vgl. Grabenwarter § 21, 11 f. EGMR Weeks/UK (Fn. 157); Frowein/Peukert 38 f.; Grabenwarter § 21, 12 (vgl. zum Haftbefehl, Rn. 47).
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aber strafrechtlich noch verantwortliche, d.h. schuldfähige Person – eine Tat schuldhaft begangen hat.187 Dagegen ist der Haftgrund nach lit. e der alleinige Anknüpfungspunkt, wenn für die 67 Unterbringung einer Person deren geistiger Zustand maßgeblich ist, und das ihr angelastete Verhalten insoweit nur indizielle Bedeutung hat, so dass insoweit auch keine Verurteilung im weiten Sinn vorliegt.188 Ob die von einem Strafgericht wegen einer Geisteserkrankung angeordnete Unter- 68 bringung in einer psychiatrischen Einrichtung, Entziehungsanstalt usw. (auch) unter lit. a fällt, ist vor allem dann problematisch, wenn eine solche Unterbringung nicht zusätzlich zur Strafe, sondern statt dieser – mangels Schuldfähigkeit des Täters – angeordnet wird. Vereinzelt wird vertreten, den mit dem Begriff der Verurteilung verknüpften „Schuldspruch“ schon in der richterlichen Feststellung eines objektiv vorliegenden und normalerweise vorwerfbaren Unrechtstatbestandes zu erblicken, sofern dieser zur Folge habe, dass deswegen in Ausübung staatlicher Strafgewalt eine im nationalen Strafrecht vorgesehene Rechtsfolge verhängt wurde.189 Vom Schutzzweck her erscheine weder die Feststellung einer persönlichen Schuld zwingend erforderlich, noch dass die wegen des im Urteil festgestellten Unrechtstatbestandes verhängte Sanktion im nationalen Recht dogmatisch als Strafe zu qualifizieren sei.190 Der EGMR geht aber insoweit von einem engeren Begriff der „Verurteilung“ aus und verlangt für eine conviction i.S.v. lit. a bei einer aus Präventivgründen angeordneten Freiheitsentziehung stets einen Schuldspruch.191 Jedenfalls bei einem ausdrücklichen Freispruch kann daher nicht lit. a, sondern nur lit. e die (wegen Gefährlichkeit des Betroffenen) angeordnete Freiheitsentziehung (z.B. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) rechtfertigen.192 d) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung. Die von lit. a geforderte Rechtmäßigkeit 69 betrifft nur die Vollstreckung, nicht den Inhalt und das Zustandekommen des Urteils. Es genügt, dass die Freiheitsentziehung auf einem innerstaatlich wirksamen richterlichen Urteil oder einer diesem gleichzuachtenden Entscheidung beruht und rechtmäßig, also in Übereinstimmung mit den Vorschriften des nationalen Rechts, vollstreckt wird. Welchen Inhalt das angewandte materielle nationale Recht hat und ob die gerichtliche 70 Entscheidung selbst inhaltlich diesem Recht entspricht und ohne Verfahrensfehler zu-
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EGMR E./N, 29.8.1990, A 181-A = StV 1994 272 (mit Anm. Trechsel) zog beide heran; vgl. auch Esser 214. Die frühere Praxis von EGMR und EKMR subsumierte diese Maßnahme meist unter lit. e: EGMR X/UK (Fn. 40). Vgl. EGMR Thynne u.a./ UK, 25.10.1990, A 190-A = ÖJZ 1991 388, wonach der Zweck der Haft und nicht die Zuordnung zu einer der Kategorien des Art. 5 Abs. 1 EMRK maßgebend ist; ferner Rn. 146 ff. Esser 215. Schorn Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a Nr. 1 EMRK; Herzog AöR 86 (1961) 194, 214 (lit. a fordert strafrichterliches Erkenntnis, aber keinen Bestrafungszweck); wohl ebenso Meyer-Goßner 2; vgl. hierzu auch EGMR
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Frank/D (E), 28.9.2010 (Freispruch infolge Schuldunfähigkeit schließe Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK aus). Partsch 124. EGMR Guzzardi/I (Fn. 16); vgl. ferner EKMR EuGRZ 1988 507; ebenso: Trechsel EuGRZ 1980 514, 523 (eng auszulegen im Sinne einer Schuldigsprechung, die eine sozialethische Missbilligung enthält und Strafe nach sich zieht). Vgl. EGMR Johnson/UK (Fn. 162, bei Einweisung in Krankenhaus lit. e Vorrang); Esser 215 m.w.N.; vgl. ferner EGMR Luberti/I, 23.2.1984, A 75 = NJW 1986 765 = EuGRZ 1985 642; Trechsel EuGRZ 1980 514, 523.
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stande gekommen ist, wird im Rahmen des Art. 5 EMRK nicht geprüft,193 auch nicht, ob die Entscheidung auf einer konventionswidrigen Strafnorm beruht194 oder in einem der Konvention widersprechenden Verfahren ergangen ist (Grenze: rechtsstaatliche Mindeststandards; vgl. Rn. 59).195 Es ist jedoch möglich, dass eine Inhaftierung ursprünglich durch lit. a gerechtfertigt 71 war, die Rechtfertigung aber ab einem bestimmten Zeitpunkt entfällt, wenn während der Vollstreckung der Freiheitsstrafe erheblich gegen andere Verfahrensgarantien verstoßen wird.196 Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe kann somit zum Zeitpunkt ihrer Anordnung rechtmäßig sein, sich während ihres Verlaufs aber als rechtswidrig erweisen. Die Vollstreckung der gerichtlich angeordneten freiheitsentziehenden Maßnahme darf 72 aufgrund des Schutzzwecks des Art. 5 EMRK nicht willkürlich sein. Wird ein Häftling abgeschoben und muss er die Reststrafe in seinem Heimatland verbüßen, kann die Möglichkeit einer längeren Haftstrafe zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK wegen Willkür führen. Das ist aber nur dann der Fall, wenn die zu verbüßende Haftstrafe im Heimatland zeitlich über die verhängte Freiheitsstrafe des abschiebenden Landes hinausgeht oder substantiiert dargelegt werden kann, dass die zu verbüßende Haftstrafe im Heimatland verglichen mit der zu verbüßenden Zeit im abschiebenden Land offensichtlich unverhältnismäßig ist.197 Stellt ein zu lebenslanger Haft Verurteilter einen Antrag auf Aussetzung des Straf73 restes zur Bewährung (§ 57a StGB) und wird dieser abgelehnt, ist dies solange nicht als willkürlich anzusehen, als die Ablehnung auf sachlichen, nachvollziehbaren Gründen beruht, wie z.B. einer schlechten Rückfallprognose oder der Verweigerung einer psychiatrischen Behandlung. Welche Kriterien die nationalen Behörden in die Beurteilung einer möglichen Entlassung einbeziehen, ist Sache der Interpretation der nationalen Vorschriften und kann daher alleine nicht zu einem Verstoß gegen nationales Recht führen.198
74
e) Kausalzusammenhang („causal link“). Die Freiheitsentziehung muss zeitlich „nach“ der Verurteilung liegen und deren Folge sein. Zwischen der Verurteilung und der Freiheitsentziehung muss ein Kausalzusammenhang bestehen, der die spätere, in die Freiheit eingreifende Maßnahme noch als eine vom Gesetz vorgesehene Folge der Verurteilung ausweist.199 Der Kausalzusammenhang ist auch dann noch zu bejahen, wenn die Haft zwar schon außergewöhnlich lang andauert, der ursprüngliche Zweck der Bestrafung aber noch fortbesteht.200 Allerdings wird mit zunehmender Haftdauer der Begründungsaufwand der staatlichen Stellen für die Fortdauer der Freiheitsentziehung größer. 193
194
195 196 197
Vgl. etwa BGHZ 57 33, 43; wieweit Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR verletzt sind, ist eine andere Frage. A.A. Herzog AöR 86 (1961) 194, 211 (materiell Verstoß gegen EMRK), aber keine Prüfungskompetenz des EGMR im Verfahren nach Art. 5 EMRK. Guradze 10; Frowein/Peukert 27 ff., 38 ff.; Herzog AöR 86 (1961) 194, 215. EGMR Stoichkov/BUL, 24.3.2005 (Verstoß gegen Garantien aus Art. 6 EMRK). EGMR Veermäe/FIN, 15.3.2005, ECHR 2005-VII; Szabó/S (E), 27.6.2006, ECHR 2006-VIII (keine Unverhältnismäßigkeit bei einer Verlängerung der Haftzeit um 20 %).
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198 199
200
EGMR Léger/F, 11.4.2006, ECHR 2006-III. EGMR Kafkaris/ZYP, 12.2.2008, NJOZ 2010 1599; Weeks/UK (Fn. 157), Widerruf der bedingten Entlassung eines zu einer unbestimmten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Jugendlichen durch Verwaltungsanordnung; Monnel u. Morris/UK (Fn. 184); Bozano/F (Fn. 16); Frowein/ Peukert 37; Trechsel EuGRZ 1980 514, 522. EGMR Léger/F (Fn. 198, Mord an einem Kind; lebenslange Haft; Verbüßungsdauer über 40 Jahre; Bf. 2008 gestorben; vor GK anhängige Beschwerde wurde gestrichen).
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Eine kausale Verknüpfung zur ursprünglichen Verurteilung ist vorhanden bei der erneuten Inhaftierung infolge eines Widerrufs einer zunächst zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe oder einer bedingten Haftentlassung,201 ebenso wenn die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach einer Ausweisung in einem anderen Land fortgesetzt wird.202 Das gilt zunächst für alle Konstellationen, in denen der Widerruf durch eine neue richterliche Entscheidung erfolgt. Auch bei anderen, dem deutschen Recht fremden Formen einer bereits im Strafurteil zugelassenen Sicherungsmaßnahme, die nach einer bedingten Haftentlassung eine erneute Inhaftierung durch Verwaltungsanordnung ermöglicht, wurde angenommen, dass die Kausalität der früheren Verurteilung für die Freiheitsentziehung fortbestand.203 Gleiches gilt bei einer nachträglichen Änderung der Sanktionsart, wie etwa der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anstelle eines Vollzugs der Freiheitsstrafe oder beim Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe, in die ein Todesurteil durch eine Gnadenentscheidung umgewandelt worden war.204 Bei einer nachträglichen (also nicht bereits im Urteil vorgesehenen) Umwandlung einer Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe durch eine Verwaltungsbehörde ist der Kausalzusammenhang allerdings zu verneinen.205 Hat die nachträgliche Anordnung einer Freiheitsstrafe den Charakter einer Sanktion für das Nichtbefolgen einer Anordnung des Gerichts, beruht diese Anordnung nicht mehr auf dem früheren Urteil, sondern auf dem späteren Verhalten des Verurteilten.206 Der Erlass eines Sicherungshaftbefehls nach § 453c StPO ist durch die neue Entscheidung in Verbindung mit dem ursprünglichen Urteil von lit. a gedeckt.207
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f) Nachträglicher Wegfall bzw. Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Der An- 79 wendungsbereich des Haftgrundes aus lit. a entfällt (für die Zukunft), sobald das Urteil durch ein höheres Gericht aufgehoben wird;208 eine sich daran anschließende (aufrechterhaltene) Freiheitsentziehung kann aber (erneut) unter lit. c (Rn. 101 ff.) oder (weiterhin – auch – unter) lit. e (Rn. 142 ff.) fallen. Die Rechtmäßigkeit einer auf lit. a gestützten Freiheitsentziehung wird allerdings nicht rückwirkend dadurch in Frage gestellt, dass die Entscheidung, auf der sie beruht, später im Instanzenzug oder im Wiederaufnahmeverfahren209 aufgehoben wird. g) Sonderfall: Sicherungsverwahrung (§§ 66–66b StGB) als schuldunabhängige Präventivunterbringung von Straftätern aus Gründen der Gefährlichkeit aa) Anordnung einer Sicherungsverwahrung im Urteil. Eine im Urteil (anfänglich) 80 zusätzlich zur Kriminalstrafe verhängte und im Anschluss an deren Verbüßung vollstreckte Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) als präventive Form der Unterbringung stellt eine kausal auf die Verurteilung zurückzuführende Freiheitsentziehung dar, die nach all201 202 203
204 205
Vgl. aber HCR Manuel/NZ, 18.10.2007, 1385/2005, §§ 7.2 f. zu Art. 9 Abs. 1 IPBPR. EGMR Veermäe/FIN (Fn. 197). EGMR van Droogenbroeck/B (Fn. 119, mise à la disposition du gouvernement); Frowein/ Peukert 46; Trechsel EuGRZ 1980 514, 523; Esser 213. Vgl. EGMR X/UK (Fn. 40); Frowein/Peukert 47. So aber ÖVerfGH ÖJZ 1962 499.
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EGMR Steel u.a./UK, 23.9.1998, Rep. 1998-VII; Esser 213. Meyer-Goßner 2. EGMR Assanidzé/GEO, 8.4.2004, ECHR 2004-II = NJW 2005 2207 = EuGRZ 2004 268. EGMR Weeks/UK (Fn. 157); Frowein/Peukert 39; Grabenwarter § 21, 12; MeyerLadewig 26; vgl. auch BGHZ 57 33.
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gemeinen Grundsätzen (Rn. 60–61, 74 ff.) von lit. a gedeckt ist.210 Auch das HRC ist der Ansicht, dass eine Präventivunterbringung (als Strafe) nicht per se einer Verletzung des IPBPR gleichkommt, sofern sie durch nachprüfbare zwingende Gründe gerechtfertigt ist.211
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bb) Nachträgliche Verlängerung einer im Urteil angeordneten Sicherungsverwahrung. Im Urteil M./D v. 17.12.2009 hatte der EGMR zu überprüfen, ob der Vollzug einer verlängerten („anfänglichen“, d.h. im Urteil angeordneten, § 66 StGB) Sicherungsverwahrung, die noch aufgrund des § 67d StGB a.F. ergangen war, über die damals, zum Zeitpunkt der Anordnung (bis 1998) geltende 10-Jahres-Höchstgrenze hinaus, rechtmäßig und vom Begriff der Verurteilung inklusive des damit erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen Urteil und Freiheitsentziehung gedeckt war. Zwar war in der ursprünglichen Verurteilung des Bf. mit anschließender Sicherungsverwahrung keine bestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung angegeben, jedoch stellt der Gerichtshof klar, dass diese Verurteilung im Lichte des zum Zeitpunkt der Anordnung geltenden Rechts ausgelegt werden muss („read in the light of the law applicable at the relevant time“). Dem damaligen Recht zufolge konnte nur eine (erstmalige) Sicherungsverwahrung von maximal 10 Jahren angeordnet werden – diese erfüllte auch die Voraussetzungen der „conviction“ gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK. Bei der Verlängerung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Gesetzesänderung von 1998 über die 10-Jahres-Grenze hinaus fehlt es allerdings an dem von lit. a geforderten Kausalzusammenhang zwischen Verurteilung und Freiheitsentziehung, da ohne die Änderung der Gesetzeslage das Überschreiten der 10-Jahres-Grenze nicht möglich gewesen wäre.212 Der EGMR bekundete ferner große Zweifel („serious doubts“), ob für den Bf. eine nachträgliche Verlängerung zur Zeit der ursprünglichen Verurteilung vorhersehbar war; da die Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die 10-Jahres-Grenze hinaus Art. 5 EMRK widersprach, konnte der EGMR diese Frage aber offenlassen.213 Im Urteil Jendrowiak 214 stellte der EGMR erstmals klar, dass auch die Verpflichtung aus Art. 3 EMRK, die es dem Staat auferlegt, vor Misshandlungen und Bestrafungen durch Privatpersonen zu schützen,215 eine Freiheitsentziehung über den Zeitraum von 10 Jahren hinaus nicht legitimieren kann: zur Erfüllung dieser positiven Schutzpflicht aus Art. 3 EMRK dürfen nur Maßnahmen ergriffen werden, die ihrerseits mit der Konvention zu vereinbaren sind; die Verlängerung der Höchstfristen ist jedoch unter keinem Gesichtspunkt durch Art. 5 EMRK zu rechtfertigen.216
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213 214 215
EGMR Grosskopf/D (Fn. 175), §§ 46 ff.; Schmitz/D, 9.6.2011; Mork/D, 9.6.2011. HRC Dean/Neuseeland, 29.3.2009, 1512/ 2006, § 7.4. EGMR M./D (Fn. 38), § 100; zudem lehnte der EGMR auch die Eingriffstatbestände der lit. c und lit. e ab. Ebenso in den Parallelfällen EGMR Kallweit/D, 13.1.2011, § 51, EuGRZ 2011 255; Mautes/D, 13.1.2011, § 44; Schummer/D, 13.1.2011, § 55. EGMR M./D (Fn. 38), § 104; zur Vorhersehbarkeit vgl. oben Rn. 13. EGMR Jendrowiak/D, 14.4.2011. Eine Zurechnung von Handlungen Privater an den Staat findet dann statt, wenn diese
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wegen der besonderen Verhältnisse auch vom Staat zu (bzw. mitzu-)verantworten sind, weil sie von ihm geduldet wurden oder weil seine Organe sie hätten rechtzeitig erkennen und verhindern können; vgl. Grabenwarter § 20, 36. Da auch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht durch Art. 5 EMRK gerechtfertigt ist (im Einzelnen vgl. insbes. Rn. 85), greift dieses Argument auch bei dieser Form der Sicherungsverwahrung nicht. Eine ähnliche Konstellation lag der Entscheidung des HRC Fardon/Australien, 10.5.2010, CCPR/C/98/D/1629/2007, zugrunde, bei der der Beschwerdeführer
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
Durch ein Urteil des BVerfG vom 4.5.2011, mit dem das höchste deutsche Gericht die 82 Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung weitgehend anerkennt, sind die Auswirkungen des Urteils M. bzgl. der Entlassung von weiteren Betroffenen (vgl. zur Bindungswirkung von Urteilen des EGMR: Teil II Rn. 237 ff.) sowie auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB; Rn. 83 ff.) weitgehend geklärt.217 Über die unmittelbar vom EGMR entschiedene Fallkonstellation hinaus gilt: wenn schon die nachträgliche, auf der geänderten Rechtslage (Wegfall der 10-Jahres-Grenze) beruhende, aber auf dieselben Motive wie im Urteil gestützte Verlängerung einer Sicherungsverwahrung zur Durchbrechung des Kausalzusammenhangs nach lit. a führt – weil nicht auszuschließen ist, dass das Gericht die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hätte, wenn es gewusst hätte, dass die Maßnahme mehr als 10 Jahre in Kraft bleiben konnte – dann kann die nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung erst recht keinen hinreichenden Kausalzusammenhang zum Ausgangsurteil (und damit zum Schuldspruch) begründen, da dieses gerade ausdrücklich nicht die Möglichkeit einer anschließenden Freiheitsentziehung aufgrund etwaiger Gefährlichkeit vorsieht.218 Auch der erforderliche prognoserelevante symptomatische Zusammenhang mit der Anlassverurteilung 219 und die damit einhergehende Indizwirkung vermögen daran nichts zu ändern (vgl. Rn. 86). cc) Vorbehaltene und nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Art. 5 83 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK rechtfertigt Freiheitsentziehungen, für deren Verhängung ein strafrechtlicher Anlass erforderlich ist, die aber konstitutiv erst in einem zweiten gerichtlichen Verfahren angeordnet werden, nur dann, wenn es auch in diesem zweiten Verfahren zu einer (erneuten) Verurteilung (Rn. 60) durch ein Gericht (Rn. 57) kommt. Die im Falle der vorbehaltenen (§ 66a StGB) wie auch der nachträglichen Sicherungs- 84 verwahrung (§ 66b StGB) 220 erforderliche (zweite) gerichtliche Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer, mit der die Maßregel angeordnet wird, erfüllt nicht die Anforderungen an eine Verurteilung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK, da es in diesem Verfahren nicht zu der gerichtlichen Feststellung einer (neuerlichen) strafrechtlichen Zuwiderhandlung kommt.221 Grund für die gerichtliche Anordnung der Freiheits-
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wegen eines kurz vor Entlassung in Kraft getretenen Gesetzes betreffend gefährliche Täter (DPSOA) weiterhin präventiv festgehalten wurde. Das HRC sah darin eine Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem, weil die Verwahrung nicht auf die Anlassverurteilung zurückzuführen war und die Unterbringung der Inhaftierung entsprach. BVerfG NJW 2011 1931; zu diesem Urteil vgl. unten insbes. Rn. 86 a.E., 153 a.E. und Art. 7 EMRK Rn. 36; der EGMR hat dieses Einschwenken des BVerfG auf seine Interpretation ausdrücklich begrüßt, vgl. EGMR Schmitz/D (Fn. 210), § 41, und Mork/D (Fn. 210), § 54. Hierzu auch Esser JA 2011 721. Ebenso die Literatur im Vorfeld der Entscheidung des BVerfG: Kinzig StV 2010 233, 239; Pollähne KJ 2010 255, 264; vgl. zur Vereinbarkeit des § 66b StGB mit Art. 5
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Abs. 1 EMRK u.a.: Gazeas StraFo 2005 9, 14; Renzikowski JR 2004 271, 275; Finger Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung (2008) 220; zur Vereinbarkeit einer „Präventionshaft“ mit Art. 5 Abs. 1 EMRK: Möllers ZRP 2010 153, 155; zum schützenswerten Vertrauen auf Unterbleiben der nachträglichen Anordnung einer Sicherungsverwahrung, die aufgrund der damaligen Rechtslage ursprünglich nicht angeordnet werden konnte, vgl. BVerfG NJW 2011 2711. Vgl. BGHSt 50 275; 51 191. §§ 66a und 66b StGB sind mit dem Grundgesetz unvereinbar und gelten noch längstens bis zum 31.5.2013, BVerfG NJW 2011 1931, 1933. So nun auch deutlich der EGMR in einem Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung: EGMR Haidn/D, 13.1.2011, § 84.
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entziehung ist in beiden Fällen allein die vermutete Gefährlichkeit der Person für die Gesellschaft.222 Ob ein für Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK erforderliches Beruhen der in einer (zwei85 ten gerichtlichen) Entscheidung angeordneten Freiheitsentziehung auf der (ersten) Verurteilung angenommen werden kann, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Hat das Gericht in seiner Entscheidung, in der auch die strafrechtliche Verurteilung ausgesprochen wird, die spätere Anordnung einer Freiheitsentziehung zum Schutz der Bevölkerung bereits vorbehalten, d.h. die spätere Entscheidung sozusagen schon „angelegt“ (Vorbehalt; vgl. § 66a StGB), so wird man den von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK geforderten Kausalzusammenhang annehmen können, wenn das Gericht bei seiner zweiten Entscheidung an die bereits festgestellte rechtliche Beurteilung der Tat gebunden ist und diese – neben der Gefährlichkeitsprognose und dem Verhalten des Betroffenen im Vollzug – bei der Gesamtwürdigung als „Grund“ der Anordnung weiterhin eine Rolle spielt.223 Ein Vorbehalt „ins Blaue hinein“ oder „Regelvorbehalte“ bei bestimmten Delikten vermögen den Kausalzusammenhang jedoch nicht anzulegen. Problematisch im Hinblick darauf ist daher das am 1.1.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 (BGBl. 2010 I S. 2300). Es baut die vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) als Reaktion auf das EGMR-Urteil in bedenklicher Hinsicht224 aus, indem gemäß § 66a Abs. 1 StGB nunmehr bereits die „Wahrscheinlichkeit“ eines Hanges und der daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ausreicht – nach Absatz 2 zudem schon eine schwere Katalogtat. Absatz 3 erfordert keine neuen Tatsachen („Nova“) mehr und kann auch nach vorausgehender Reststrafenanordnung ergehen. Vor allem wurde der für die Entscheidung über die endgültige (Nicht-)Anordnung maßgebliche Zeitpunkt gemäß § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB erheblich ausgedehnt, indem diese nunmehr bis zum Ablauf der vollständigen Vollstreckung möglich ist.225 Mit der Neuregelung ging damit die Gefahr einher, dass es zu einer Vielzahl von „vorsorglichen“ Vorbehalten kommt und die „ultima ratio“ damit in ihr Gegenteil verkehrt würde.226 Da kurz danach die meisten Normen für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurden,227 wird die gesetzgeberische Neuregelung (bis spätestens 31.5.2013) diese Bedenken zu berücksichtigen haben.
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EGMR M./D (Fn. 38), §§ 100 ff.; siehe auch: Renzikowski JR 2004 271, 272; reine Präventiv- oder Sicherungsmaßnahmen gegenüber „allgemein“ gefährlichen Personen fallen damit nicht unter lit. a: EGMR Jecius/LIT, 31.7.2000, ECHR 2000-IX; Ciulla/I (Fn. 149); Guzzardi/I (Fn. 16); Maierhöfer EuGRZ 2005 460, 462. Kinzig NJW 2002 3204, 3207; Pieroth JZ 2002 922, 927; Renzikowski JR 2004 271, 273; MüKo-StGB/Ullenbruch § 66a, 18 StGB; Finger (Fn. 218), 215, 216 („zeitlich versetzte Folge des ersten Urteils“); für generelle Unvereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK aber Pollähne KJ 2010 255, 264 f. Vgl. auch Kinzig NJW 2011 177, 178 ff.
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Für eine ausführliche Darstellung der Neuregelungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB n.F. sowie der vorläufigen und nachträglichen Sicherungsverwahrung §§ 66a, 66b StGB n.F., vgl. Rissing-van Saan FS Roxin II 1180 ff. Vgl. auch schon Kinzig NJW 2011 177, 180. Anders jedoch Kreuzer StV 2011 122, 129, der diese Bedenken für nicht realistisch hält und dies v.a. mit der kritisch wie v.a. restriktiven Anordnung dieser Maßregel begründet, die in Zukunft auch „wohl anhalten“ wird. So schon Hörnle FS Rissing-van Saan 257, die diese Bedenken für den sich damals schon abzeichnenden Fall des Ausbaus der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung äußerte. BVerfG NJW 2011 1931, 1933.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
Bei der Anordnung einer Freiheitsentziehung allein aufgrund einer im Strafvollzug 86 entstandenen Gefährlichkeitsprognose ist der von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK geforderte Kausalzusammenhang dagegen abzulehnen, selbst dann, wenn die abschließende gerichtliche Entscheidung vom Vorliegen einer – im ersten Urteil festgestellten – strafrechtlichen Anlasstat abhängt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach dem früheren § 66b StGB a.F. genügt dem von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK geforderten Kausalzusammenhang daher nicht: sie kann nicht mehr als eine vom Gesetz vorgesehene Folge der Verurteilung angesehen werden.228 Durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung entfiel § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB a.F.229 Dagegen wurde der Absatz 3 des § 66b StGB a.F. beibehalten und ausgeweitet (jetzt: einziger Absatz von § 66b StGB), also die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Personen, deren Unterbringung sich nach § 67d Abs. 6 StGB erledigt hat (das Gericht stellt nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen bzw. dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig ist). Dabei gehen BGH und vor dem EGMR-Urteil M./D insbesondere auch das BVerfG davon aus, es gehe damit nicht um die erstmalige Anordnung einer zeitlich unbegrenzten freiheitsentziehenden Maßnahme, sondern im Kern „nur“ um die Überweisung von einer Maßnahme in die andere,230 so dass hier der nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK geforderte Kausalzusammenhang zur ursprünglichen Tat als gegeben angesehen wurde. Bereits dieser Begründung war der Vorwurf eines erneuten „Etikettenschwindels“ zu machen;231 ob der EGMR sie akzeptiert hätte, erscheint mehr als fraglich:232 Bei Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB a.F. bzw. § 66b StGB n.F. war die erste Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gerade für erledigt erklärt worden, die nachträgliche Sicherungsverwahrung als zweite Maßregel dagegen weder im Urteil vorgesehen noch vorbehalten worden und so – vom Urteil losgelöst – als weitere Sanktion im Kleide einer „bloßen Überführung“ ausgestaltet worden.233 Dass das BVerfG diese Norm nun, im Nachgang an 228
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EGMR Haidn/D (Fn. 221), § 88; Diehm Die Menschenrechte der EMRK und ihr Einfluss auf das deutsche Strafgesetzbuch (2006), 502 ff.; Römer JR 2006 5, 6; Gazeas StraFo 2005 9, 14; Rzepka R&P 2003 191, 208; Kinzig NJW 2002 3204, 3207; Renzikowski JR 2004 271, 272 f.; Baier Jura 2004 552, 557; MüKo-StGB/Ullenbruch § 66b, 53 StGB; Finger (Fn. 218), 216 f.; a.A. Rosenau/Peters JZ 2007 582, 586 unter Hinweis auf eine Vergleichbarkeit mit der „Three-Strikes“-Gesetzgebung, die jedoch gerade an eine erneute Straftat anknüpft; vgl. hierzu: Müller StV 2010 210 f.; LK/Rissing-van Saan/Peglau § 66b, 59 ff. StGB; Goll/Wulf ZRP 2001 284, 285; Pieroth JZ 2002 922, 927; Wollmann NK 2007 152 ff.; Hörnle StV 2006 383, 387. Die im Schrifttum vorherrschende Meinung, auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung verstoße gegen die EMRK, wurde dabei jedoch von der Bundesregierung ohne Begründung abgelehnt, vgl. BT-Drucks. 17
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3403 S. 2; mit Unvereinbarerklärung von § 66b Abs. 1 und 2 StGB a.F. hat das BVerfG nun aber im Sinne der Literaturmeinungen und gegen die Bundesregierung entschieden, BVerfG NJW 2011 1931, 1933. BGHSt 52 379 = NJW 2009 1010, sowie BVerfG NJW 2010 1514; vgl. auch BT-Drucks. 17 3403 S. 55; so auch Rissingvan Saan FS Roxin II 1184; anders nunmehr bereits der 4. Strafsenat des BGH NStZ 2010 567 f. Kreuzer spricht in StV 2011 122, 125 insoweit von einer „Gefährlichkeitshaft ohne Straftat“, bei der Unterbringung nur dann möglich ist, wenn der psychische Defekt nicht mehr besteht. Kinzig sieht keinen Grund dafür, warum § 66b StGB n.F. mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK vereinbar sein sollte: NJW 2011 177, 180. So schon Kinzig und Kreuzer in der Expertenanhörung im BMJ am 2.9.2010 zum Diskussionsentwurf.
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das EGMR-Urteil M./D, für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält,234 kommt daher nicht überraschend. Problematisch ist bei Anwendung von § 66b StGB n.F. (bzw. § 66b Abs. 3 StGB a.F.) auch das Vorliegen der Voraussetzung einer „Freiheitsentziehung nach einer gerichtlichen Verurteilung“, da eine „Verurteilung“ i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK eine Schuldfeststellung erfordert (vgl. Rn. 68). Selbst für den Fall, dass der EGMR den „Kunstgriff“ der Begründung des Kausalzusammenhangs zur ursprünglichen Tat durch den Verweis auf eine ledigliche Überführung in eine andere Maßregel akzeptiert hätte, so wäre dies noch nicht für die Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK ausreichend gewesen. Das Erfordernis der Schuldfeststellung bei der Anlassverurteilung führt dazu, dass eine Rückanknüpfung lediglich für Fälle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund einer Tat im Zustand nur verminderter Schuldfähigkeit möglich ist;235 bei Schuldunfähigen fehlt eine für Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK erforderliche „Verurteilung“ evident. Da § 66b Satz 2 StGB n.F. davon ausgeht, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch dann gilt, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 StGB noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist, erfasst im Umkehrschluss dazu Satz 1 eben auch Fälle, in denen keine Freiheitsstrafe angeordnet wurde, weil Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB festgestellt worden war. Damit kann die Anwendung von § 66b Satz 1 StGB n.F. auf diese Fälle der Schuldunfähigen keinesfalls von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK gedeckt sein;236 mit der Unvereinbarerklärung in seinem Urteil vom 4.5.2011, der restriktiven Auslegung für die verbleibende Zeit der Wirksamkeit der Normen und der Anmahnung einer verfassungskonformen (und de facto konventionskonformen) Neuregelung 237 kam das BVerfG den praktisch unausweichlichen weiteren Verurteilungen durch den EGMR zuvor. Abschließend sei nochmals festgehalten, dass das BVerfG die Interpretation des EGMR praktisch vollständig akzeptiert, was bedeutet, dass die Sicherungsverwahrung auf der Verurteilung beruhen muss (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK) oder aber durch das Vorliegen einer psychischen Störung gerechtfertigt sein kann (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK 238). Wenn das BVerfG sagt, dass die Heranziehung der EMRK (und zwar in ihrer Interpretation durch den EGMR) keine „schematische Parallelisierung“ 239 der Auslegung von GG und EMRK zur Folge habe, so ist dies angesichts der so gut wie vollständigen Übernahme der Rechtsprechung des EGMR durch das BVerfG 240 letztlich Augenwischerei; Konflikte mit der EGMR-Rechtsprechung hinsichtlich der Sicherungs-
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BVerfG NJW 2011 1931, 1933. Steckermeier 16 zum § 66 Abs. 3 StGB a.F.: in diesem Fall kann § 66b StGB (§ 66b Abs. 3 StGB a.F.) die Anforderung an eine Verurteilung zwar nicht erfüllen; jedoch fehlt auch dann gerade die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK geforderte „innere Verbindung“ zum Urteil, weil die Erledigung der Unterbringung nur möglich ist, wenn der psychische Defekt nicht mehr besteht. Ein (auf Schuldunfähigkeit beruhender) Freispruch begründet keine Verurteilung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK, vgl. EGMR Frank/D (Fn. 189).
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BVerfG NJW 2011 1931, 1933. Zu lit. e vgl. unten Rn. 152 f.; lit. c scheidet praktisch als Rechtfertigung für die Sicherungsverwahrung aus, vgl. unten Rn. 134 f. BVerfG NJW 2011 1931, 1935, Tz. 86, 1936, Tz. 91. Zur mittlerweile kaum bedeutsamen verworrenen deutschen Rechts(sprechungs-) lage zwischen dem EGMR-Urteil M./D vom Dezember 2009 und dem BVerfGUrteil vom Mai 2011 vgl. Art. 7 EMRK Rn. 39–41.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
verwahrung sind bei getreuer Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber nur noch im Einzelfall denkbar.241 3. Nichtbefolgen einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung / Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung (lit. b) a) Allgemeines. Beide Alternativen des lit. b setzen voraus, dass der Betroffene recht- 87 mäßig, d.h. in Übereinstimmung mit einer für den betreffenden Fall einschlägigen Bestimmung des nationalen Rechts, die Freiheit entzogen wird, weil er einer ihm auferlegten konkreten Verpflichtung nicht nachgekommen ist. Unterschiedlich sind dagegen Rechtsgrund und Zweck der Freiheitsentziehung. Während nach Alt. 1 die Missachtung einer durch eine rechtmäßige richterliche Entscheidung konkretisierten Pflicht die Freiheitsentziehung als Sanktion für den Ungehorsam gegen die richterliche Anordnung gestattet ist, lässt Alt. 2 die Inhaftierung zu, wenn sie erforderlich ist, um die Erfüllung einer bestimmten, wenn auch nur abstrakt festgelegten und nicht durch vorangegangene Gerichtsentscheidung konkretisierten gesetzlichen Pflicht zu erzwingen.242 Sie ist weiter als Alt. 1, da sie keine gerichtliche Individualisierung der Pflicht voraussetzt, sie ist enger, da sie die Haft nur als Mittel zur Erzwingung einer schon gesetzlich festgelegten Pflicht, nicht aber als Sanktion für deren Missachtung zulässt. Die Verpflichtung zur Bezahlung von Schulden aus einem Vertragsverhältnis ist keine 88 von lit. b erfasste Verpflichtung, wie Art. 1 des 4. ZP-EMRK zeigt.243 b) Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung (lit. b, erste Alter- 89 native). Die Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung liegt vor, wenn der Betroffene einer Pflicht nicht nachgekommen ist, die ihm in einer gerichtlichen Entscheidung auferlegt wurde. Gericht ist hier ebenso zu verstehen wie bei lit. a (Rn. 57).244 Mit Anordnung ist im weitesten Sinn jede an den Bürger gerichtete richterliche Entscheidung gemeint,245 die eine bestimmte Pflicht konkretisiert, wie etwa die Ladung zu einem Termin. Auf die konkrete Bezeichnung kommt es nicht an. Die Freiheitsentziehung setzt voraus, dass der Betroffene die gerichtliche Anordnung nicht befolgt hat.
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Im Falle der hochgradigen Gefahr bestimmter schwerster Straftaten hat zwar das Vertrauen der Betroffenen auf ein Unterbleiben der Sicherungsverwahrung ausnahmsweise zurückzustehen, hier ist also eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung noch möglich, aber auch hier muss Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK (gewissermaßen als Ersatz für lit. a) gegeben sein, BVerfG NJW 2011 1931, Tz. 132, 156; vgl. Rn. 153. Dass das BVerfG von den Vorgaben des EGMR geringfügig abweicht, wird nur für kurze Zeit eine Rolle spielen: Die betroffenen Sicherungsverwahrten brauchen trotz festgestellten Verstoßes gegen die EMRK nicht sofort entlassen zu werden, sondern dürfen bis längstens zum 31.12.2011 in Haft behalten werden, um zu prüfen, ob die strengen Vorgaben des BVerfG für die weitere
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Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im Einzelfall erfüllt sind, BVerfG NJW 2011 1931, 1933 f.; vgl. Wolf Rpfleger 2011 414. BVerfG Beschl. v. 15.9.2011– 2 BvR 1516/11 – stellt klar (Tz. 27 ff.), dass der konkrete Termin der Freilassung nicht nach Ermessen zu bestimmen ist, sondern dass unverzüglich, auch schon vor dem 31.12.2011, freizulassen ist (bzw. war), wenn feststeht, dass die (strengen) Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung nicht vorliegen, und dass ein Hinausschieben, etwa zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen, nicht erlaubt ist. Frowein/Peukert 51, 55 ff. EGMR Gatt/MLT, 27.7.2010, § 39; vgl. Grabenwarter § 21, 13. Grabenwarter § 21, 12 f. Herzog AöR 86 (1961) 194, 216.
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Rechtmäßig ist die Anordnung nur, wenn bereits das nationale Recht mit genügender Bestimmtheit vorsieht, dass und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Verpflichtete bei Nichtbefolgen der gerichtlichen Anordnung in Haft genommen werden kann. Auch die gerichtliche Entscheidung muss die mit Freiheitsentziehung sanktionierte Verpflichtung eindeutig festlegen und auf die Folgen ihrer Missachtung hingewiesen haben. Der Betroffene muss die Folgen seines Verhaltens vorher erkennen können.246 Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung können Verpflichtungen aller Art sein, 91 also sowohl bürgerlich- als auch öffentlich-rechtliche Pflichten.247 Ein richterliches Herausgabe-248 oder Unterlassungsgebot fällt ebenso darunter wie andere Maßnahmen, etwa die Fälle der Ordnungshaft nach den Verfahrensgesetzen (z.B. §§ 51, 70, 161a StPO, § 380 ZPO).249 Eine nicht als Sanktion für vorangegangenes Unrecht oder Ungehorsam, sondern nur als Zwangsmittel angeordnete Haft, d.h. zur Erzwingung einer durch eine vorhergehende richterliche Anordnung konkretisierten prozessualen Pflicht (z.B. Zeugniszwang, § 70 Abs. 2 StPO) oder die Beuge-/Erzwingungshaft 250 (etwa bei Nichtbezahlung einer gerichtlich festgelegten Geldbuße, § 96 OWiG) fällt unter die zweite Alternative von lit. b (Rn. 97). Die Festnahme bzw. Freiheitsentziehung muss die durch Rechtssatz angedrohte Folge 92 der Nichterfüllung der gerichtlichen Anordnung sein; lit. b fordert aber im Unterschied zu lit. a keine Anordnung der Freiheitsentziehung durch das Gericht. Anders als nach Art. 104 GG ist auch eine von einer Verwaltungsbehörde wegen des Ungehorsams gegen den Gerichtsbeschluss angeordnete Freiheitsentziehung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. b Alt. 1 EMRK vereinbar.251 Wird die Freiheitsentziehung in solchen Fällen entsprechend Art. 104 Abs. 2 GG durch eine erneute richterliche Entscheidung angeordnet, ist sie auch durch Abs. 1 Satz 2 lit. a gedeckt, sofern ihre gerichtliche Verhängung eine Verurteilung („conviction“) bedeutet, wie bei der Ordnungshaft (Rn. 62). Neben der gerichtlichen Anordnung (siehe Rn. 89) muss auch die Freiheitsentziehung 93 selbst rechtmäßig sein (vgl. Rn. 90). Zwischen der Notwendigkeit, die Befolgung gerichtlicher Anordnungen sicherzustellen, und dem Freiheitsrecht muss ein faires Gleichgewicht bestehen.252 Die Dauer der Freiheitsentziehung muss gegenüber der Missachtung bzw. Nichtbefolgung der gerichtlichen Anordnung verhältnismäßig sein.253 Im Regelfall kann lit. b 1. Alt. nur einen Freiheitsentzug von überschaubarer Dauer rechtfertigen.254 246 247
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EGMR Steel u.a./UK (Fn. 206); Esser 216. EKMR Freda/I, DR 21 (Verstoß gegen Auflagen betreffend den Aufenthalt); X/A, DR 18 (Verweigerung einer gerichtlich angeordneten medizinischen Untersuchung). EGMR Paradis/D (E), 4.9.2007 (Anordnung zur Herausgabe eines Kindes). Guradze 11; Frowein/Peukert 55 f.; Herzog AöR 86 (1961) 194, 216; Meyer-Goßner 3. Str., aber wegen des Eingreifens der 2. Alt. indes ohne praktische Auswirkung; Koschwitz 171 schließt aus dem maßgebenden engl. und franz. Wortlaut, dass die 1. Alt. nur die als Sanktion gedachten Ordnungsstrafen betrifft, während die echten Beugemaßnahmen unter die 2. Alt. fallen; ebenso Herzog AöR 86 (1961) 194, 216. Frowein/Peukert 54; Herzog AöR 86 (1961) 194, 216; Partsch 125.
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So muss bei einer zwangsweisen Vorführung insbesondere dargestellt werden, dass Alternativmaßnahmen, wie z.B. das Abwarten nicht ausreichend wären; der Grund, warum ein unverzügliches Erscheinen notwendig ist, muss dem Betroffenen offen gelegt werden: EGMR Khodorkovskiy/R, 31.5.2011. EGMR Gatt/MLT (Fn. 243), §§ 40–41 (Verstoß gegen eine „Bail“-Auflage – Aufenthaltsgebot – nach 5 Jahren; gerichtliche Anordnung der Zahlung einer für diesen Fall zugesagten Sicherheit i.H.v. 23.300 €; wegen fehlender finanzieller Mittel „Umwandlung“ in Freiheitsentzug), dazu auch Thienel ÖJZ 2011 257. EGMR Gatt/MLT (Fn. 243), §§ 42–43 (hier: 5 Jahre 6 Monate für Nichtzahlung von 23.300 €).
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c) Erzwingung der Erfüllung einer durch Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (lit. b, zweite Alternative). Die Freiheitsentziehung zur Erzwingung einer gesetzlichen Verpflichtung deckt vor allem Beugemaßnahmen, mit deren Hilfe die Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht durchgesetzt werden soll, nicht aber Maßnahmen, die nur als (punitive) Sanktion für ein zurückliegendes Verhalten verhängt werden,255 selbst wenn sie möglicherweise spezialpräventiv auch auf künftiges Wohlverhalten hinwirken sollen.256 Die Verpflichtung muss weder durch eine vorherige richterliche Anordnung individualisiert sein, noch bedürfen Festnahme und Freiheitsentziehung zu ihrer Erzwingung einer richterlichen Anordnung. Da eine extensive Auslegung des lit. b Willkür Tür und Tor öffnen würde, ist diese Alternative so eng auszulegen, dass sie die Festnahme einer Person nur zulässt, wenn ein nationales Gesetz dies vorsieht, um die sonst gefährdete Erfüllung einer besonderen gesetzlichen Pflicht zu sichern.257 Allgemein gehaltene gesetzliche Verpflichtungen genügen wegen ihrer Unbestimmtheit nicht. Die allgemeine Verpflichtung, keine weiteren (einschlägigen) Straftaten zu begehen, ist daher nicht konkret genug.258 Gesetzlich normiert ist die Verpflichtung, wenn sie sich aus einem Rechtssatz, nicht notwendig aus einem formellen Gesetz, ergibt. Der Rechtssatz muss inhaltlich genügend bestimmt nach Inhalt und Umfang eine konkrete und spezifische Pflicht des Betroffenen begründen und von ihm – zeitlich vor dem Ausspruch der Freiheitsentziehung – ein bestimmtes Verhalten (Tun oder Unterlassen) fordern.259 Der Betroffene muss ersehen können, welche Pflicht ihn trifft, was er in ihrer Erfüllung konkret zu tun oder zu unterlassen hat und dass ihre Befolgung notfalls durch einen Eingriff in seine Freiheit erzwungen werden kann. Ein gesetzlich zwar vorgesehener, in Wirklichkeit aber nur vorgeschobener Grund führt nicht dazu, dass die Freiheitsentziehung rechtmäßig ist.260 Eine allgemeine Generalklausel, die es gestatten würde, jeden durch eine behördliche Anordnung präventiv in Haft zu nehmen, um zu sichern, dass er nicht gegen das allgemeine Gebot des Rechtsgehorsams verstößt oder die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht missachtet, kann in dieser Regelung daher nicht gesehen werden. Dies wäre unvereinbar mit dem die Konvention bestimmenden Grundgedanken von der Vorherrschaft des Rechts, der strengen Gesetzesbindung aller Eingriffe in die Freiheit zur Garantie der Sicherheit und zum Ausschluss jeder Willkür. Es würde auch dem Zweck des numerus clausus der zulässigen Freiheitsentziehungsgründe in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK widersprechen.261 Die EKMR hatte deshalb eine gesetzliche Pflicht, nicht „notorisch und gewohnheitsmäßig ungesetzlichen Tätigkeiten“ nachzugehen oder sich nicht „der öffentlichen Moral und den guten Sitten entgegenstehenden Tätigkeiten zu widmen“ als nicht genügend präzise und konkret angesehen.262 Die Pflicht, Wehrdienst
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EGMR Gatt/MLT (Fn. 243); siehe bereits: EKMR EuGRZ 1980 308 (Eggs); Frowein/ Peukert 51. EGMR Engel/NL (Fn. 18); Frowein/Peukert 55. EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51); dazu schon: Partsch 126 ff.; EKMR EuGRZ 1980 308 (Eggs); bei Bleckmann EuGRZ 1983 430 (McVeigh). Vgl. Renzikowski JR 2004 271, 274. Frowein/Peukert 55 ff. EGMR Khodorkovskiy/R (Fn. 252), § 142
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(Festnahme des Betroffenen, weil er einer Ladung als Zeuge nicht nachgekommen war, wobei aus den Umständen hervorgeht, dass der Betroffene in Wirklichkeit als Beschuldigter festgenommen wurde). EGMR Engel/NL (Fn. 18); Grabenwarter § 21, 13; Partsch 126. EKMR EuGRZ 1979 421 (Guzzardi); ebenso EGMR Guzzardi/I (Fn. 16); vgl. auch EGMR Engel/NL (Fn. 18); Ciulla/I (Fn. 149, Verpflichtung eines der Zugehörigkeit zur Mafia Verdächtigen, sein Verhalten zu
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zu leisten oder die Pflicht, sich bis zur Feststellung der eigenen Personalien festhalten zu lassen263 oder die Verpflichtung, sich zur Duldung bestimmter Vollstreckungsmaßnahmen auszuweisen, wurden dagegen als ausreichend konkret eingestuft,264 nicht aber eine präventiv-polizeiliche Freiheitsentziehung zu dem Zweck, den Betroffenen an der Begehung künftiger Straftaten zu hindern.265 Die bis Ende 2010 geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB a.F.) konnte daher nicht auf diesen Haftgrund gestützt werden.266 Ergeht, obwohl nach lit. b nicht erforderlich (Rn. 94), eine richterliche Anordnung, 98 die die Verpflichtung konkretisiert, ist dies unschädlich. Die Haftgründe des Art. 5 Abs. 1 EMRK wollen Mindestanforderungen an das nationale Recht stellen, sie hindern den nationalen Gesetzgeber aber nicht, zugunsten des Betroffenen die Haft von zusätzlichen Sicherungen abhängig zu machen. Daher deckt lit. b Alt. 2 auch Beugemaßnahmen, die nach deutschem Recht durch einen gerichtlichen Beschluss angeordnet werden (Beugehaft, §§ 390, 888, 890 ZPO, § 98 Abs. 2 InsO,267 § 96 OWiG;268 Erzwingungshaft, §§ 51, 70 Abs. 2, 95 Abs. 2, 161a StPO; § 380 ZPO,269 so auch zur Erfüllung einer Offenlegungspflicht und deren Bekräftigung durch eine eidesstattliche Versicherung, §§ 888, 901 ff. ZPO; § 98 Abs. 3 InsO). Gedeckt ist die Haft ungeachtet der Frage, ob in solchen Fällen auch lit. a und die erste Alternative des lit. b gegeben wären.270 Gleiches gilt für alle Fälle einer vom Gericht angeordneten zwangsweisen Vorführung oder Festhaltung zur Erfüllung einer prozessualen Pflicht, sofern man darin überhaupt oder nur bei längerer Dauer eine Freiheitsentziehung sieht.271 Abzulehnen mangels Stütze im Wortlaut 272 ist die Ansicht, dass ebenso wie bei der 99 Alt. 1 nur Bürgerpflichten im Zusammenhang mit der Rechtspflege gemeint sind, nicht aber auch andere, vor allem sicherheits- und polizeirechtliche Pflichten.273 Diese enge Auslegung würde zwar Festnahmen zur Unterbindung der Störung einer Amtshandlung nach § 164 StPO oder § 177 GVG decken, nicht aber die Festnahme bei Störungen von Amtshandlungen nichtprozessualer Art. Unabhängig von der Problematik des in lit. c angesprochenen Sonderfalls der Verhü100 tung von Straftaten (Rn. 131) und den Fällen von Absatz 1 lit. d bis f erlaubt lit. b die polizeirechtliche Festnahme und Freiheitsentziehung zur Sicherung im Gesetz festgelegter Pflichten und zur Verhinderung konkreter Gefahren und Gefährdungslagen. Unter den vorgenannten Voraussetzungen (Rn. 94 ff.) kann ein Störer daher begrenzte Zeit in
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ändern); Frowein/Peukert 55; Grabenwarter § 21, 13; Partsch 126. EKMR nach Frowein/Peukert 56; Grabenwarter § 21, 13. Vgl. SächsVerGH EuGRZ 1996 437; Frowein/Peukert 56 je m.w.N. EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51); Guzzardi/I (Fn. 16); Ciulla/I (Fn. 149). Sprung Nachträgliche Sicherungsverwahrung – verfassungsgemäß? (2009), 261; Richter ZfStrVo 2003 201, 204; Finger (Fn. 218) 217; Renzikowski JR 2004 271, 274; Rzepka R&P 2003 191, 208; a.A. Würtenberger/Sydow NVwZ 2001 1201, 1204 Fn. 35 mit Verweis auf den Normzweck; Maaß NVwZ 1985 151, 155; KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 161.
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Guradze 12; Partsch 125; str. Partsch 125; hierzu: Fürmann DRiZ 2009 365. Vgl. etwa Guradze 12; Meyer-Goßner 3. Frowein/Peukert 56. Vgl. Rn. 31 ff. Guradze 12 m.w.N. SächsVerfG EuGRZ 1996 437, 440 (keine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Strafrechtspflege). Eine einschränkende Auslegung nimmt dies dagegen unter Berufung auf die Systematik des Katalogs an: Herzog AöR 86 (1961) 194, 217 ff.; Koschwitz 171 ff.
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Gewahrsam genommen werden.274 Die Haft gegen einen Nichtstörer lässt sich, sofern nach nationalem Recht überhaupt zulässig, mit lit. b Alt. 2 nicht rechtfertigen.275 4. Festnahme und Freiheitsentziehung bei Verfolgung oder zur Verhütung strafbarer 101 Handlungen (lit. c). Voraussetzung für die Festnahme ist der auf konkrete Tatsachen gestützte Verdacht, dass der Betreffende eine solche Straftat begangen hat oder sie zu begehen beabsichtigt. Art. 9 Abs. 3 IPBPR, der sich auf Personen bezieht, die „unter dem Vorwurf einer 102 strafbaren Handlung“ in Haft genommen oder gehalten werden, meint das Gleiche. Die Vorschrift ist nach einer auf die Entstehungsgeschichte abstellenden Auslegung276 in dem Sinne zu verstehen, dass er die Verwahrungshaft wegen einer nur beabsichtigten Straftat mit umfasst. a) Zweck der Regelung. Lit. c will die Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde 103 („competent legal authority“ / „autorité judiciaire compétente“) nach einer Festnahme aus einem der in ihr angeführten Gründe sichern, vor allem also, wenn Personen festgenommen werden, die einer Straftat (im weitesten Sinn) verdächtig sind.277 Darüber, ob Festnahme und Haft zu diesem Zweck nach dem dafür weiterhin maßgebenden nationalen Recht 278 zulässig und den Umständen nach auch erforderlich sind, soll alsbald eine in richterlicher Unabhängigkeit entscheidende Stelle befinden. Dieser Entscheidungsvorbehalt 279 soll zugleich verhindern, dass eine Person allein aufgrund einer Verwaltungsentscheidung oder der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft in Haft gehalten werden kann.280 Die Gerichtsbehörde muss nach innerstaatlichem Recht verbindlich über die Haft entscheiden können (Rn. 209). Dies ist auch der Fall, wenn an sich geschäftsordnungsmäßig eine andere Stelle zuständig gewesen wäre.281 Die auf den Verdacht einer strafbaren Handlung abstellende Regelung bestätigt, dass derartige Maßnahmen mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR vereinbar sind.282 274
Guradze 13 IV; Hoder NJW 1953 531; Meyer-Goßner 3; Maaß NVwZ 1985 151, 155; Maunz/Dürig/Herdegen Art. 1 Abs. 2, 63 GG; je m.w.N.; ferner Partsch 127 ff. (krit.: zu weiter Spielraum für den nationalen Gesetzgeber und ein zu enger für die administrative Haft). Die EKMR hatte die Polizeihaft zur Durchsetzung einer erweiterten Sicherheitskontrolle bei der Einreise aus Irland aufgrund der nordirischen Antiterrorgesetze unter Hinweis auf die besonderen Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung für vereinbar mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. b EMRK gehalten, vorausgesetzt, dass die Haft durch gewisse Verdachtsmomente gerechtfertigt war; vgl. EKMR und EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51); dazu Koschwitz 175 ff.; Partsch 126; EGMR Engel/NL (Fn. 18); EKMR EuGRZ 1976 227 und EGMR Guzzardi/I (Fn. 16), dazu Frowein/ Peukert 56 f.; Trechsel EuGRZ 1980 514, 524; ferner EKMR bei Bleckmann EuGRZ
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1983 430 (McVeigh/UK); Grabenwarter § 21, 14. Echterhölter JZ 1956 144; Guradze 13 IV; Hodler NJW 1953 532; Maunz/Dürig/ Di Fabio Art. 2 Abs. 2 GG; 63 GG; vgl. dazu auch Koschwitz 169. Nowak 37. Vgl. Esser 218; ders. StraFo 2003 335, 338; Kühne/Esser StV 2002 383, 385 (Zweck der Haft: Verfahrenssicherung). Vgl. Rn. 48; ferner etwa Esser StraFo 2003 335, 337. Kühne/Esser StV 2002 383, 385. EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51); Baranowski/PL, 28.3.2000, ECHR 2000-III; Goedecke JIR 46 (2003) 613; Kühne/Esser StV 2002 383, 385 je m.w.N. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 416. Vgl. etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 417; Art. 6 EMRK Rn. 449, 475 ff.
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Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK enthält nur die Minimalvoraussetzungen, welche die EMRK an eine rechtmäßige Freiheitsentziehung stellt.283 Enthalten die nationalen Regelungen weitergehende Voraussetzungen, ist deren Einhaltung auch für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 EMRK erforderlich (vgl. Rn. 46 a.E.).
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b) Legitimer Zweck: Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde. Einen grundsätzlichen Richtervorbehalt für die Anordnung der Festnahme bzw. Haft enthält lit. c nicht.284 Das nationale Recht kann diese Befugnis beliebigen Organen verleihen, sofern nur das von den Konventionen vorgeschriebene richterliche oder quasi-richterliche Vorführ- und Überprüfungsverfahren durch eine sachlich unabhängige Stelle (Rn. 206 ff.) stattfindet.285 Neben dem Vollzug eines nach §§ 112 ff. StPO erlassenen Haftbefehls wird also auch die vorläufige Festnahme nach § 127 StPO erfasst. Ob mit der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde das erkennende Gericht 106 gemeint ist, das über die Stichhaltigkeit der erhobenen Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK, d.h. in der Sache, zu entscheiden hat, oder aber das Gericht oder die ermächtigte Person (Rn. 209), das bzw. die nach Art. 5 Abs. 3 EMRK über die Fortdauer der Freiheitsentziehung entscheidet, oder aber, ob eine von beiden Möglichkeiten ausreicht, ist durchaus zweifelhaft.286 Es würde aber dem Sinn der Regelung nicht gerecht, lit. c dahin auszulegen, dass er nur Festnahme und Freiheitsentziehung bis zur ersten Vorführung vor den Richter abdecken soll, während dann die von diesem angeordnete weitere Haft nach den anderen Bestimmungen des Katalogs des Absatzes 1 zu rechtfertigen wäre. An sich läge es näher, lit. c auf das endgültig entscheidende Gericht zu beziehen, dessen Verfahren durch die Haft gesichert werden soll. Die Bezeichnung „Gerichtsbehörde“ („legal authority“ / „autorité judiciaire“) hätte man aber kaum verwendet, wenn nur das zur Sachentscheidung berufene Gericht gemeint gewesen wäre. Dagegen spricht auch die unterschiedliche Ausdrucksweise in den beiden Sätzen des Absatzes 3 (Rn. 208).287 Der EGMR, der Absatz 1 lit. c und Absatz 3 als eine Einheit versteht,288 lässt die 107 Vorführung vor eine Stelle genügen, die nach Absatz 3 über die Fortdauer der Haft in richterlicher Unabhängigkeit entscheiden kann (Rn. 208 ff.).289 Zuständige Gerichtsbehörde kann daher sowohl das Gericht sein, das nach nationalem Recht über die Straftat selbst urteilt oder aber ein anderes Gericht, ein Richter oder sonst eine Stelle, die mit richterlichen Befugnissen ausgestattet in sachlicher Unabhängigkeit und verbindlich über die Rechtmäßigkeit der Anordnung und Fortdauer der Haft entscheiden kann (Rn. 209).290 In welcher Weise dies im nationalen Recht geregelt ist, ist für die Konven-
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SK/Paeffgen 27. Vgl. Esser StraFo 2003 335, 338 (auch zu der vom EGMR geforderten Dokumentationspflicht der die Festnahme durchführenden staatlichen Organe), ferner Frowein/ Peukert 67; Guradze 15. Etwa Esser StraFo 2003 335, 338; Grabenwarter § 21, 15. Vgl. Frowein/Peukert 72; Trechsel EuGRZ 1980 514, 524; Villiger 345. Vgl. Koschwitz 195; anders Guradze 16. EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51); Wemhoff/D (Fn. 179); Schiesser/CH, 4.12.1979, A 34 = EuGRZ 1980 202; so zuletzt auch: EGMR Tinner/CH, 26.4.2011, § 35.
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EGMR Lawless/IR (Fn. 51); IR/UK (Fn. 51), Schiesser/CH (Fn. 288). EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51; „klarer und natürlicher Sinn von Art. 5 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 EMRK“); Frowein/Peukert 71 f.; Koschwitz 195 ff.; a.A. Herzog AöR 86 (1961) 194, 220, der Vorführung auf das zur Aburteilung berufene Gericht bezieht und deshalb im Interesse eines vertretbaren Ergebnisses lit. c so auslegt, dass das Erfordernis der Vorführung nur die erste und dritte Alternative und nicht die Präventivhaft betrifft; Morgenstern ZIS 2011 244.
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tionsgarantie nicht entscheidend.291 Nicht ausreichend ist, dass die Entscheidung über die Haftfortdauer von einem Staatsanwalt getroffen und durch ein Gericht lediglich überprüft werden soll.292 Ordnet ein Gericht neben der Untersuchungshaft an, dass der Verhaftete für weitere 108 Befragungen der Polizei übergeben wird; liegt damit eine Situation vor, die dem Polizeigewahrsam ähnlich ist („a situation equivalent to police custody“) und demnach in ihrer Rechtmäßigkeitskontrolle dem Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK unterliegt.293 Die staatlichen Stellen müssen bei der Festnahme und während der andauernden Haft 109 die Vorführung vor eine solche Stelle beabsichtigen; unschädlich ist, wenn die Vorführung tatsächlich unterbleibt, weil der Festgenommene wegen Wegfalls der Haftgründe oder fehlender Beweise schon vorher aus der Haft entlassen wurde (vgl. Rn. 209).294 Fehlt die Absicht einer Vorführung allerdings von Anfang an, ist die Haft nicht durch lit. c gedeckt,295 ebenso, wenn die Festnahme missbräuchlich („not in good faith“) ist und mit ihr nicht die Aufklärung eines Tatverdachtes oder die Verhütung einer konkreten Straftat, sondern ein anderer Zweck verfolgt wird (vgl. auch Art. 18 EMRK).296 c) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK deckt in 110 allen drei angeführten Fällen nur die rechtmäßige Haft, also eine im nationalen Recht generell vorgesehene und diesem auch im Einzelfall entsprechende Festnahme und Freiheitsentziehung, wie Absatz 1 hervorhebt. Das nationale Recht muss dabei den Anforderungen der der EMRK zugrunde liegenden Rechtsprinzipien entsprechen, um jede Art von Willkür ausschließen zu können, wobei insbesondere die Zugänglichkeit und die Bestimmtheit der Gesetze von Bedeutung sind (vgl. Rn. 42).297 Ist nach nationalem Recht die Ausstellung eines Haftbefehls erforderlich, so ist eine 111 Inhaftierung ohne bzw. nach abgelaufenem Haftbefehl rechtswidrig.298 Ein Haftbefehl kann trotz dessen Rechtswidrigkeit eine rechtmäßige Grundlage für eine Freiheitsentziehung sein, wenn die Rechtswidrigkeit nur auf formellen Fehlern beruht, der Haftbefehl bis zu seiner Ersetzung aber ansonsten eine tragfähige Grundlage für eine Freiheitsentziehung darstellt, weil die notwendigen materiellen Anforderungen eingehalten wurden (Rn. 47).299 Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK erfasst auch die Festnahme zum Zwecke der Aus- 112 lieferung durch den im Wege der Rechtshilfe ersuchten Staat. Auch wenn der strafverfolgende, ersuchende Staat für das Umgehen des Auslieferungsverfahrens 300 oder eine even-
291 292 293
294 295
EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155); Murray/ UK, 28.10.1994, A 300-A; Esser 219. EGMR Nevmerzhitsky/UKR, 5.4.2005, ECHR 2005-II. EGMR Emrullah Karagöz/TRK, 8.11.2005, ECHR 2005-X, §§ 56–59 (nationale Vorschrift 2002 abgeschafft, jedoch hat die Entscheidung grundlegende Bedeutung im Hinblick auf das Ausmaß, in dem ein Festgenommener nach Vorführung vor den Richter von der Polizei befragt werden kann). EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 557; Esser 219. EGMR Engel/NL (Fn. 18).
296
297 298 299 300
EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155); Giorgi Nikolaishvili/GEO, 13.1.2009, ECHR 2009-I; Esser 219. EGMR (GK) Medvedyev/F (Fn. 124). EGMR Boicenco/MOL, 11.7.2006. EGMR (GK) Mooren/D (Fn. 138), § 75; (K) 13.12.2007, StV 2008 475. Zur Problematik der Umgehung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines solchen Verfahrens, wenn die Behörden des ausländischen Staates mit der Festnahme auf ihrem Territorium und der Verbringung in den Verfolgerstaat formlos einverstanden sind Breuer EuGRZ 2003 449, 451 f. unter Hinweis auf EGMR Bozano/F (Fn. 16).
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tuell völkerrechtswidrige Festnahme einer Person im Ausland mitverantwortlich ist, soll sich die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung nur nach seinem eigenen, innerstaatlichen Recht beurteilen und nicht danach, ob Festnahme und anschließende Haft durch eine Verletzung des Völkerrechts oder durch Umgehung eines vertraglich geregelten Auslieferungsverfahrens ermöglicht wurden.301 Der Auslieferungshaft und der Auslieferung steht es nicht entgegen, dass der Auszuliefernde mit List, aber ohne Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit, von Dritten in den ersuchten Staat gelockt worden ist (male captus bene detentus).302 Eine Freiheitsentziehung ist als unrechtmäßig anzusehen, wenn Maßnahmen unter113 nommen werden, die darauf abzielen, eine ordnungsgemäße gerichtliche Überprüfung ihrer Fortdauer durch den Betroffenen zu verhindern.303
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d) Haft zur Sicherung der Strafverfolgung. Die erste und dritte Variante des lit. c setzen voraus, dass der Festgenommene der Begehung einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Dabei kommt es auf eine Beurteilung ex ante, d.h. zum Zeitpunkt der Haftentscheidung, an.
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aa) Straftat. Der Begriff Straftat ist ebenso wie die strafrechtliche Anklage bei Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR autonom auszulegen,304 d.h. losgelöst von den Kategorien des jeweiligen nationalen Rechts – allerdings nicht inhaltsgleich. Es muss sich auch hier jeweils um eine konkrete und spezifische Tat handeln („concrete and specific offence“). Der Begriff erfasst alle im nationalen Recht mit Strafe bedrohte Handlungen, wobei als Strafe unabhängig von der jeweils nationalen Bezeichnung und Einordnung nicht nur echte Kriminalstrafen, sondern auch andere im Gesetz angedrohte Sanktionen mit strafähnlichen Rechtsfolgen verstanden werden,305 wenn diese Maßnahmen in die
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Vgl. auch EGMR (K) Öcalan/TRK, 12.3. 2003 = EuGRZ 2003 472 (Festnahme aufgrund türkischen Haftbefehls in Kenia im Einvernehmen mit den dortigen Stellen rechtmäßig); dagegen Breuer EuGRZ 2003 449, 451. Zum Problem male captus ferner: EKMR EuGRZ 1987 80 (Barbie, unter Hinweis, dass in der Konvention Bestimmungen über Auslieferung fehlen); EKMR EuGRZ 1985 681 (Bozano); bei Strasser EuGRZ 1988 479 (Stocké); OLG Wien EuGRZ 1996 214 (keine Auslieferung eines in seinem Heimatland Entführten); US Supreme Court EuGRZ 1993 3; dazu Kunert EuGRZ 1993 1; Baker/Röber ZaöRV 53 (1993) 657; Frowein/Peukert 67 ff. m.w.N.; ferner etwa BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NStZ 1986 178; BVerfG NStZ 1986 468; dazu Herdegen EuGRZ 1986 3; ders. ZaöRV 47 (1987) 221; BGH NStZ 1984 536; OLG Düsseldorf NJW 1984 2050; OLG Hamburg NStZ 1995 552 mit Anm. Wilske; Mann NJW 1986 2167; ZaöRV 47 (1987) 496; I. Roxin 92; 273 ff.; Schlimm ZRP 1993 262; Trechsel EuGRZ 1987 75; Vogler FS Oehler 391;
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Wilske ZStW 107 (1995) 48 ff.; ders. Die völkerrechtswidrige Entführung und ihre Rechtsfolgen (2000); Oehmichen Male Captus – Bene Detentus in: Kühne/Esser/Gerding (Hrsg.) Völkerstrafrecht (2007) 237 ff. BVerfG JZ 2004 410 mit Anm. Vogel JZ 2004 412 = StV 2004 432 mit abl. Anm. Dickersbach. EGMR Karagöz/TRK (Fn. 293; U-Häftling über 40 Tage zur Befragung an die Polizeistation überstellt). Vgl. Esser 221 unter Hinweis, dass hier die gleiche Problematik wie bei Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegt. Meyer-Ladewig 31 (keine genaue Auseinandersetzung mit dem Begriff der Straftat bzw. der strafbaren Handlung; entscheidend sei, dass es sich um eine Freiheitsentziehung im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens handelt, womit wohl Ordnungswidrigkeiten keine strafbaren Handlungen darstellen); Herzog AöR 86 (1961) 194, 221 (alle Kriminal- und Ordnungsstraftatbestände); zu den österr. Verwaltungsübertretungen vgl. Funk/Gimpel-Hinteregger
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Freiheit eingreifen oder zumindest in eine in die Freiheit eingreifende Maßnahme umgewandelt werden können.306 Handlungen, die nur mit einer Geldbuße geahndet werden können, stellen keine Straftat i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK dar.307 Dass der Begriff Straftat folglich in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK enger als in Art. 6 und 7 EMRK ausgelegt wird, erklärt sich durch die unterschiedliche Schutzrichtung dieser Garantien. Da § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Unterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme für unzulässig erklärt, bleibt die strittige Frage im deutschen Recht praktisch ohne Auswirkung. Bei einer nach nationalem Recht nicht strafmündigen Person (Kind) kommt lit. c als Grund für eine Freiheitsentziehung nicht in Betracht, da hier die Begehung einer Straftat von vornherein nicht in Betracht kommt. Die mutmaßliche strafbare Handlung muss rechtswidrig, nicht aber schuldhaft began- 116 gen worden sein, da auch trotz Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes u.U. Sicherungsmaßnahmen noch (Maßregeln der Besserung und Sicherung) angewandt werden können.308 Eine Freiheitsentziehung kann auch dann nicht gerechtfertigt werden, wenn zwar eine 117 strafbare Handlung vorliegt, die eine vorläufige Festnahme bzw. den Erlass eines Haftbefehls gestatten würde, die Freiheitsentziehung aber schon von vornherein aus anderen Gründen erfolgt.309 Erfolgt die Festnahme aufgrund eines Haftbefehls (Verhaftung), darf die Haft nur der Sicherung der Verfolgung der im Haftbefehl bezeichneten Taten dienen (vgl. Art. 18 EMRK); zur Erleichterung der Aufklärung anderer Taten darf sie nicht aufrechterhalten werden.310 In zeitlicher Hinsicht wird die Zeit von der vorläufigen Festnahme einschließlich der gerichtlich angeordneten Untersuchungshaft umfasst, welche sich – anders als im deutschen Recht – von ihrer Anordnung (nur) bis zum Urteil erster Instanz erstreckt (vgl. Rn. 64).311 bb) Hinreichender Tatverdacht. Ein hinreichender Tatverdacht ist nicht nur bei der 118 ersten Variante des lit. c erforderlich, wo er als einzige Haftvoraussetzung angeführt wird, sondern zumindest auch bei der dritten, die als Haftgrund nur die Verhinderung der Flucht nach Begehung einer Straftat besonders anspricht.312 Hinreichender Tatverdacht darf nicht mit dem für die Anklageerhebung erforderlichen Verdachtsgrad nach § 203 StPO 313 gleichgesetzt werden. Er ist auch geringer als der von §§ 112 ff. StPO geforderte dringende Tatverdacht.314 Er liegt vor, wenn die den Verfolgungsbehörden bekannten Tatsachen und Umstände vernünftigerweise und nachvollziehbar (plausibel) unter Berücksichtigung des jeweiligen Verfahrensstandes einen solchen Verdacht rechtfertigen können. Sie müssen ausreichen, um einen objektiven Beobachter zu überzeugen,
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307
EuGRZ 1985 5. Gegen die Einbeziehung der Ordnungswidrigkeiten Frowein/Peukert 59. Frowein/Peukert 59; Villiger 346; vgl. auch vorstehende Fn.; ferner auf Festnahmebefugnis der Polizei und Art der Sanktion abstellend EGMR Steel u.a./UK (Fn. 206): „breach of the peace“, keine Straftat, aber bei Weigerung Freiheitsentziehung; dazu Esser 221. EGMR R.L. u. M.-J. D./F, 19.5.2004; Herzog AöR 86 (1961) 194, 221; Frowein/Peukert 59.
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313 314
SK/Paeffgen 30. EGMR R.L. u. M.-J.D./F (Fn. 307). BVerfG NJW 1992 1749; StV 2001 694. Grabenwarter § 21, 15. Frowein/Peukert 63 ff.; Kühne/Esser StV 2002 383, 386 (nicht enumerativ, sondern wichtigster Beispielsfall); Trechsel EuGRZ 1980 514, 524; vgl. EGMR B./A (Fn. 172); ferner auch Herzog AöR 86 (1961) 194, 224; Guradze 19. Vgl. LR/Stuckenberg § 203, 6 StPO. Meyer-Goßner 4.
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dass gerade der Festgenommene die strafbare Handlung begangen haben könnte.315 Es ist nicht notwendig, dass dies bereits erwiesen ist und bereits ausreichendes Beweismaterial vorliegt.316 Es ist daher unschädlich, wenn sich aufgrund der weiteren Ermittlungen der fortbestehende Verdacht oder eine Verurteilung auf andere als die ursprünglich angenommenen Tatsachen stützen.317 Der bloße, nicht auf konkrete Tatsachen beruhende (rein subjektive) Verdacht eines 119 Strafverfolgungsorgans („good faith“) genügt diesen Anforderungen dagegen nicht,318 ebenso wenig das bloße Stützen des Verdachts auf eine gesetzliche Vermutung.319 Wird ein Tatverdacht allein durch die Strafanzeige eines potentiellen Opfers begründet, ist eine darauf gestützte Haft erst zulässig, wenn die Strafverfolgungsbehörden ordnungsgemäß nachgeprüft haben, ob tatsächlich Anhaltspunkte für die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung bestehen oder zusätzliche Beweise beibringen können, die den Tatverdacht erhärten und auf den Betroffenen als Täter hinweisen.320 Fehlen solche konkreten Verdachtsmomente, darf eine Festnahme oder Freiheitsentziehung niemals zu dem Zweck vorgenommen werden, den Betroffenen zu einem Geständnis, zu einer (einen Dritten) belastenden Aussage oder zur Mitteilung von Tatsachen oder Informationen zu verleiten, die dann zur Begründung eines hinreichenden Tatverdachtes herangezogen werden.321 Die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR) steht zwar 120 dem nur auf Verdacht gegründeten Eingriff nicht entgegen, der die Aufklärung des Sachverhalts und damit ggf. ihre Widerlegung durch eine gerichtliche Entscheidung vorbereiten soll.322 Andererseits wird sie durch den bloßen Verdacht einer Straftat (i.S.d. Art. 6 EMRK) auch nicht widerlegt, so dass sie im Umgang mit dem Untersuchungsgefangenen von allen Staatsorganen zu beachten ist.323 Bei der Überprüfung, ob ein hinreichender Verdacht zu Recht angenommen wurde, 121 lässt es der EGMR in der Regel genügen, dass die von den zuständigen nationalen Stellen angeführten Umstände prima facie geeignet waren, einen solchen Verdacht zu begründen,324 die Verhaftung sich auf die Haftgründe des nationalen Rechts stützen konnte und dass die Freiheitsentziehung insgesamt nicht willkürlich war.325 Auch bei einer fehlerhaften Würdigung des Sachverhalts und bei einer (vertretbar) rechtlich fehlerhaften Subsumtion liegt nicht automatisch Willkür vor. Anders liegt es aber, wenn der Tatvorwurf
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316
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EGMR Fox, Campbell u.a./UK, 30.8.1990, A 182, § 32; I˙pek u.a./TRK, 3.2.2009, ECHR 2004-II, § 29; Frowein/Peukert 64; Grabenwarter § 21, 17; Herzog AöR 86 (1961) 194, 223. EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155); Murray/UK (Fn. 291); Erdagöz/TRK, 22.10.1997; I˙ pek u.a./TRK (Fn. 315); Esser 224; insbesondere bei der Aufklärung terroristischer Aktivitäten lässt der EGMR den Verfolgungsbehörden einen weiten Freiraum: ausreichend ist hier das Vorbringen „gewisser, von den Gerichten nachprüfbarer Tatsachen oder Auskünfte“, vgl. SK/Paeffgen 30. Esser 224. EGMR I˙pek u.a./TRK (Fn. 315); Shimovolos/R, 21.6.2011, §§ 50 ff.
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Grabenwarter § 21, 18. EGMR Stepuleac/MOL, 6.11.2007. EGMR Cebotari/MOL, 13.11.2007, § 48; I˙pek u.a./TRK (Fn. 315), § 29. Vgl. Art. 6 EMRK Rn. 449, 475 ff. EGMR Iwanczuk/PL, 15.11.2001, vgl. Kühne/Esser StV 2002 383. EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); Murray/UK (Fn. 291); Frowein/Peukert 63; Trechsel EuGRZ 1980 514, 525. Etwa EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); Wassink/NL (Fn. 143); Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106), unter Hinweis auf EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2), wonach Willkür Rechtmäßigkeit ausschließt; Grabenwarter § 21, 18.
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schlicht unhaltbar ist oder die Tatsachen grob fehlerhaft bewertet oder nachlässig ausgewertet werden.326 Ob die Voraussetzungen insoweit vorliegen, haben in erster Linie die nationalen Behörden und Gerichte zu überprüfen.327 Es finden sich allerdings auch Urteile des EGMR, die auf eine erhöhte Darlegungslast der Vertragsstaaten hinauslaufen.328 Soweit nationale Gerichte über die Haftfragen entschieden haben, beschränkt sich der Gerichtshof meist auf eine Art Plausibilitätskontrolle.329 Er prüft die Anwendung des nationalen Rechts jedoch genauer, wenn es dort zu keiner gerichtlichen Entscheidung gekommen ist.330 Geprüft wird ferner, ob der Tatverdacht bis zur Beendigung der Untersuchungshaft bestanden hat,331 wobei die Anforderungen, die an die Tatsachengrundlage des Verdachtes und an die Notwendigkeit der weiteren Haft zu stellen sind, mit der Dauer der Haft zunehmen.332 Entfällt der Verdacht erst nachträglich oder wird der Festgenommene später freigesprochen, lässt dies die Rechtmäßigkeit der Festnahme und der Haft unberührt, sofern der hinreichende Verdacht zunächst aus einsichtigen Gründen bejaht werden durfte.333 Zusätzliche Haftgründe neben dem hinreichenden Tatverdacht und der Vorführungs- 122 absicht fordert der Wortlaut von lit. c nicht.334 Er bleibt damit hinter den Anforderungen des nationalen Rechts (vgl. §§ 112 ff. StPO) deutlich zurück.335 Dessen Haftgründe und sonstige Anforderungen, so die höhere Schwelle für die Anordnung der Haft, das Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes nach § 112 StPO, müssen aber stets erfüllt sein, damit die Untersuchungshaft als rechtmäßig i.S.d. Konvention anzusehen ist (vgl. auch den Gedanken des Art. 53 EMRK).336 Zur Sicherung der Strafverfolgung sind nach Maßgabe des jeweiligen nationalen 123 Rechts auch Eingriffe in die Freiheit des Angeklagten von lit. c gedeckt, mit denen das Gericht die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung sicherstellen will,337 wie etwa nach §§ 230 Abs. 2, 231 Abs. 1 Satz 2 StPO. cc) Fluchtgefahr. Die Fluchtgefahr wird in der dritten Variante des lit. c als Haft- 124 grund noch besonders angeführt. Dies kann weder bedeuten, dass hier der hinreichende Tatverdacht fehlen darf,338 noch, dass zusätzlich zu ihm immer auch Fluchtverdacht hin-
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Frowein/Peukert 65; enger wohl Herzog AöR 86 (1961) 194, 223. Grabenwarter § 21, 18. EGMR I˙ pek u.a./TRK (Fn. 315), § 31 („in the absence of any information or documents demonstrating the contrary“); Wloch/PL, 19.10.2000, §§ 108 f. Vgl. Frowein/Peukert 65 (Missbrauchskontrolle); ähnlich Villiger 347 (meist nur Willkürkontrolle). Esser 223. Frowein/Peukert 63, 65 f.; Grabenwarter § 21, 18. Vgl. etwa EGMR ÖJZ 1989 483. EGMR Murray/UK (Fn. 291); Frowein/Peukert 66. Trechsel EuGRZ 1980 514, 524. A.A. Grabenwarter, § 21, 19 m.w.N., der die Ansicht vertritt, dass ein Hinzutreten zusätz-
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licher Haftgründe bei einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über einen längeren Zeitraum hinweg zwingende Voraussetzung ist; er leitet dies, obwohl nicht im Wortlaut verankert, aus einer Art Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. Frowein/Peukert 62; Meyer-Ladewig 37; Villiger 346, 362; vgl. auch Esser StraFo 2003 335, 338; Rn. 38. Der unterschiedliche englische und französische Wortlaut (eine Entsprechung für „lawful“ fehlt im französischen Text) ändert daran nichts, vgl. EGMR Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106). Vgl. Frowein/Peukert 61 unter Hinweis auf EKMR. Kühne/Esser StV 2002 383, 386; Esser 233; vgl. Rn. 118.
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zukommen müsste, um die Haft zu rechtfertigen, denn die Konvention lässt bei hinreichendem Tatverdacht auch andere Haftgründe des nationalen Rechts, wie Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr oder die Schwere der Straftat zu.339 Sofern man nicht der Ansicht folgt, dass mit der dritten Variante schon das bloße Festhalten auch ohne die Absicht einer späteren Vorführung vor Gericht zugelassen werden sollte,340 wird man mit der h.M. in der Erwähnung der Fluchtgefahr lediglich die Herausstellung eines besonders wichtigen Haftgrundes zu sehen haben, der in der mehr von praktischen als von logischen Gesichtspunkten bestimmten Kasuistik des lit. c besonders angesprochen wurde, weil vor allem bei ihm die Haftverschonung gegen Kaution in Betracht zu ziehen ist (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK; Rn. 306 ff.).341 Eigenständige Bedeutung für die Legitimation einer Untersuchungshaft gewinnt die 125 Fluchtgefahr bei der Prüfung der Angemessenheit der Haftdauer (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK) dann, wenn sich die nationalen gerichtlichen Stellen in ihren Haftentscheidungen explizit auf diese als Grund für die Aufrechterhaltung der Inhaftierung berufen (gemäß § 112 StPO als neben dem dringenden Tatverdacht zusätzlich erforderlicher Haftgrund); vgl. Rn. 267. Die Annahme der Fluchtgefahr muss sich, ebenso wie der hinreichende Tatverdacht, 126 auf konkrete tatsächliche Anhaltspunkte stützen. Sofern nicht konkrete Tatsachen die Fluchtabsicht unmittelbar belegen, erfordert die Annahme der Fluchtgefahr eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Beschuldigten, seiner persönlichen, sozialen und finanziellen Verhältnisse und aller sonstigen Umstände.342 Fluchtgefahr bei Ausländern bedarf nicht pauschal aufgrund möglicher sozialer 127 Anknüpfungspunkte im Ausland angenommen werden, sondern muss sich ebenfalls auf konkrete Umstände stützen. Andernfalls läge in der Festnahme- bzw. Haftentscheidung eine unzulässige Diskriminierung (Art. 14 EMRK; Art. 21 EUC).343 Innerhalb der EU ist die Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung in der Regel über das Instrument des Europäischen Haftbefehls hinreichend gesichert; eine länderspezifische Ausführungspraxis ist allerdings zu berücksichtigen. Ein Fluchtanreiz darf nicht pauschal darin gesehen werden, dass der betroffene Staat die Überstellung regelmäßig von einer Rücküberstellung zur Strafvollstreckung abhängig macht – einhergehend mit einer Umwandlung (Reduzierung) der verhängten Strafe.344
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Vgl. etwa EGMR Letellier/F, 26.6.1991, A 207 = ÖJZ 1991 789 (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung); Frowein/Peukert 62; Villiger 362; a.A. Grabenwarter § 21, 19 m.w.N., der die Ansicht vertritt, dass ein Hinzutreten zusätzlicher Haftgründe bei einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über einen längeren Zeitraum hinweg zwingende Voraussetzung ist; er leitet dies, obwohl nicht im Wortlaut verankert, aus einer Art Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. So Herzog AöR 86 (1961) 194, 221, 224. Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1983 417; Kühne/ Esser StV 2002 383, 386; Esser 233. Vgl. EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); Neumeister/A (Fn. 14); Stögmüller/A, 10.11.1969, A 9; Matznetter/A, 10.11.1969, A 10; Mamedova/R, 1.6.2006; Esser 233.
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Vgl. hierzu (ablehnend): OLG Oldenburg NStZ-RR 2010 177; LG Aurich NStZ-RR 2011 219. Vertiefend Freund Die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Flucht und Fluchtgefahr gegen EU-Ausländer (2010). Vgl. Grünbuch der Europäischen Kommission, KOM (2011) 327, 4.1.; der Unschuldsvermutung müsse gerade im Hinblick auf die Untersuchungshaft und ihren Ausnahmecharakter in den Mitgliedsstaaten durch eine verhältnismäßigere Anwendung größere Bedeutung zugemessen werden. Besonders prekär sei dabei die Lage in den Mitgliedsstaaten, die keine gesetzlich festgelegte Höchstdauer für die Untersuchungshaft vorsehen. A.A. OLG Oldenburg NStZ-RR 2010 177 (Ls.).
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Die Höhe der zu erwartenden Strafe ist ein für die Prüfung einer Fluchtgefahr mitzu- 128 berücksichtigender Umstand, ausschlaggebend ist sie aber nicht.345 Der Erlass eines Haftbefehls in der irrigen Annahme, der Beschuldigte werde sich der 129 Strafverfolgung entziehen, ist willkürlich, wenn er sich dem Verfahren bloß deshalb nicht gestellt hat, weil ihm die Ladungen (z.B. aufgrund eines Umzugs) nicht zugestellt werden konnten.346 dd) Alternativmaßnahmen (Subsidiarität der Untersuchungshaft). Ebenfalls zu be- 130 rücksichtigen und in die Abwägung einzustellen sind mögliche Alternativmaßnahmen, mit denen eine Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung ebenfalls sichergestellt werden könnte.347 Dies gebieten schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rn. 45) und der Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft (Rn. 202 f., 237). Vor allem bei Minderjährigen (Jugendlichen) ist darauf zu achten, dass alle denkbaren Maßnahmen ermittelt werden, durch die schon die Anordnung einer Haft vermieden werden kann und ständig überprüft wird, ob die Fortdauer der Haft noch zwingend ist (zeitliche Komponente; Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK; vgl. Rn. 17).348 e) Haft zur Verhinderung von Straftaten. Eine Festnahme oder Freiheitsentziehung 131 zur Verhinderung von Straftaten349 lässt der Wortlaut von lit. c zweite Variante zu.350 Ob diese Variante entgegen dem Wortlaut dahin auszulegen ist, dass sie nur den Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Verdacht einer bereits begangenen Straftat zusätzlich abdeckt, oder ob sie darüber hinaus die Haft zur Verhinderung bevorstehender Straftaten gestattet,351 ist strittig. Nach einer Ansicht (früher h.M.) umfasst dieser Haftgrund auch die präventiv-poli- 132 zeiliche Festnahme zur Unterbindung352 und Verhinderung einer konkret bevorstehenden, mit Strafe bedrohten, also objektiv rechtswidrigen, nicht notwendig schuldhaften Handlung.353 Die Festnahme muss zur Verhinderung einer bestimmten Straftat erforderlich sein, weil konkrete Tatsachen plausibel den Verdacht begründen, dass der Betroffene diese Straftat alsbald begehen will 354 und dies nicht anderweitig sicher verhindert werden kann. Die allgemeine Vermutung, der Betroffene werde sich auch künftig kriminell verhalten, reicht auch nach dieser Auffassung für die Anordnung der Haft nicht aus, ebenso wenig der Umstand, dass von einer Person andere Gefährdungen der öffentlichen
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Esser 234. EGMR Ladent/PL, 18.3.2008, ECHR 2008-III. EGMR Mamedova/R (Fn. 342); Ambruszkiewicz/PL (Fn. 134); Doronin/UKR (Fn. 109), § 63. OLG Köln Beschl. v. 6.11.2008 – 2 Ws 552/08 mit Anm. Artkämper StRR 2009 155. Strafbare Handlung ist auch hier i.S.e. mit Strafe bedrohten Handlung zu verstehen (vgl. Rn. 115 f.); Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 9 (Verwaltungsübertretungen nach österreichischem Recht). EGMR Lawless/IR (Nr. 3) (Fn. 51). Vgl. Grabenwarter § 21, 20 (Ausführungsgefahr genügt).
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Herzog AöR 86 (1961) 194, 224 (Verhindern schließt Unterbinden mit ein). SächsVerfGH EuGRZ 1996 437, 439; Frowein/Peukert 81 unter Hinweis auf EGMR Guzzardi/I (Fn. 16), wonach nur Maßnahmen zur Verhinderung bevorstehender konkreter Straftaten durch lit. c gedeckt werden; und nicht eine vorbeugende generalpräventive Haft, ebenso Grabenwarter § 21, 20; Meyer-Ladewig 31, 39; Villiger 348; vgl. auch Maaß NVwZ 1985 155; Partsch 128. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 417; Esser 230; Frowein/Peukert 70.
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Ordnung zu erwarten sind.355 Im Urteil Jecius 356 hat der EGMR jedoch klargestellt, dass auch bei diesem Haftgrund der hinreichende Verdacht einer begangenen Straftat vorliegen muss.357 Nach ihr ist der begründete Verdacht der Begehung einer künftigen Straftat nur einer der Gründe, die, ebenso wie die Fluchtgefahr, die Anordnung der Haft und vor allem ihre Fortdauer über eine bestimmte Zeit hinaus rechtfertigen können.358 Fraglich ist, ob diese die Variante stark einengende Auslegung durch den EGMR, die 133 vom Blickwinkel der Einschränkung auf die Strafverfolgung begangener Taten bestimmt wird, die Tragweite dieses zwischen den anderen Haftgründen eingeschobenen Haftgrundes erschöpft. Folgt man ihr, würde auch Var. 2 letztlich nur die Sicherung der Verfolgung begangener Straftaten 359 zum Ziel haben. Sie könnte einen (nach innerstaatlichem Recht zulässigen) kurzfristigen präventiv-polizeilichen Unterbindungsgewahrsam nicht rechtfertigen, sofern der Betroffene nicht auch einer bereits begangenen Straftat verdächtig ist. Eine solche Präventivhaft lässt das innerstaatliche Recht zu, wenn sie unter Wahrung des hier besonders bedeutsamen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zeitlich eng begrenzt verhindern soll, dass der Betroffene alsbald von ihm beabsichtigte Straftaten begehen wird.360 Nach der früher herrschenden Auslegung von lit. c war eine Präventivhaft zulässig, wenn konkrete Tatsachen die Absicht der alsbaldigen Begehung einer bestimmten Straftat belegten (Rn. 132), wie dies etwa bei Störern mancher Veranstaltungen schon vor Begehung der Straftaten erkennbar ist.361 Dass auch die Festnahme aufgrund von Var. 2 die Pflicht zur Vorführung vor den Richter nach Absatz 3 auslöst, würde nicht unbedingt zu dem Schluss zwingen, dass dieses nur den Sinn haben muss, dass er bei Vorliegen des Verdachts einer begangenen Straftat über die Haftfortdauer entscheiden kann.362 Auch eine Vorführung, die sichern soll, dass der Richter zur Verhinderung einer Straftat endgültig eine zeitlich befristete Präventivhaft anordnen kann, wäre vom Zweck des lit. c gedeckt, der mit der vorläufigen Haft die richterliche Entscheidung über die Anordnung einer kurzfristigen Freiheitsentziehung zur Verhinderung einer künftigen Straftat ermöglichen soll.363 Eine Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB), speziell deren Verlängerung (über eine bis 134 1998 geltende Höchstgrenze von 10 Jahren), § 67d StGB a.F., kann nicht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c Var. 2 EMRK gestützt werden: Die potentiell zu befürchtenden weiteren, neuen Straftaten sind hierfür in der Regel nicht hinreichend konkret und spezifisch, vor allem in Bezug auf Ort und Zeit der Begehung sowie auch ihrer Opfer.364 Außerdem soll dieser Haftgrund seiner Formulierung nach („zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde“) nur die Vorführung vor den Richter bzw. eine alsbaldige Entschei355 356
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359 360 361
EGMR Guzzardi/I (Fn. 16). EGMR Je˙cius/LIT (Fn. 222), §§ 50–51; dazu Kühne/Esser StV 2002 383, 386; so früher schon: Koschwitz 190 ff. (mit Hinweisen auf die Eingriffsbefugnisse des englischen Rechts). A.A. Ausführungsgefahr ausreichend: Grabenwarter § 21, 20; SK/Paeffgen 33. Vgl. EGMR Traska/PL, 11.7.2000; dazu Kühne/Esser StV 2002 383, 386; Renzikowski JR 2004 271. Im weit verstandenen Sinn, vgl. Rn. 115 f. Vgl. OLG München BayVerwBl. 2008 219. Vgl. Maaß NVwZ 1985 155; Meyer-Goßner 4.
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Vgl. aber Renzikowski JR 2004 271, 277. Ob diese Anordnung dann als die Haft rechtfertigende Verurteilung („conviction“) im Sinne des lit. a angesehen werden kann, ist wegen der strafrechtsbezogenen Auslegung dieses Begriffes fraglich, vgl. Rn. 60. EGMR M./D (Fn. 38), § 102; ebenso in den Parallelfällen EGMR Kallweit/D (Fn. 212), § 52; Mautes/D (Fn. 212), § 45; Schummer/D (Fn. 212), § 56; krit. hierzu GrosseBöhmer/Klein ZRP 2010 172, 173; Windoffer DÖV 2011 592 f. beruft sich in seiner Kritik an BVerfG und EGMR zwar auf Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung, greift aber auch nicht auf lit. c zurück.
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dung sichern, was im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung nicht der Fall ist (zu lit. a Rn. 80 ff.). Dies bestätigte im Mai 2011 auch das BVerfG, indem es feststellte, dass die Voraussetzung der Verhütung einer konkreten und spezifischen Straftat bei der Sicherungsverwahrung nur ganz ausnahmsweise vorliegen dürften und auch die formellen Voraussetzungen (Freiheitsentzug zur Vorführung vor ein Gericht) jedenfalls unter normalen Umständen nicht vorliegen.365 Zudem weist es darauf hin, dass die Existenz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK auf der Wertungsebene zeige, dass die EMRK eine präventive Freiheitsentziehung (nur dann) zulasse, wenn die Gefahr konkret und spezifisch genug, u.a. in Bezug auf Tat und Opfer ist. Welche Fälle damit gemeint sein sollen, bleibt unklar, so dass sich die Frage aufdrängt, ob sich das BVerfG lediglich eine Hintertür offenhalten will. Nichts anderes kann für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung366 gelten, da auch 135 hier etwaige künftige Straftaten meist nicht hinreichend konkret genug sind.367 Hinzu kommt, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c Var. 2 EMRK seiner Zielsetzung nach nur die vorläufige Haft bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Freiheitsentziehung sichern will.368 § 66b StGB a.F. zielte weder darauf ab, den Betroffenen vor das zuständige Gericht zu stellen, noch wurde eine Verurteilung i.S.v. lit. a wegen bereits begangener Straftaten bezweckt. 5. Haft Minderjähriger aus erzieherischen Gründen (lit. d) a) Minderjährige. Diese Fallgruppe betrifft als einzige des Katalogs nur Minderjäh- 136 rige. Bis zu welcher Altersgrenze die Minderjährigkeit geht, richtet sich nach dem nationalen Recht, dem die EMRK einen gewissen Spielraum, zumindest innerhalb der in den Vertragsstaaten allgemein üblichen Grenzen, einräumt.369 Art. 1 CRC370 hat die Obergrenze mit 18 Jahren festgesetzt. Dauert eine freiheitsentziehende Maßnahme länger an als bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, kann diese nicht mehr auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. d EMRK gestützt werden. Für den anschließenden Teil der Inhaftierung muss ein anderer Grund im Katalog von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK einschlägig sein.371
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BVerfG NJW 2011 1931, 1943, Tz. 150. Mit Gesetz vom 22.12.2010 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung nun auch folgerichtig weitgehend abgeschafft (§ 66b Abs. 1 und 2 StGB a.F. wurden aufgehoben) und danach für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, und zwar sowohl die alte (vor dem Gesetz vom 22.12.2010) als auch die neue Regelung, BVerfG NJW 2011 1931). Siehe hierzu (bzgl. § 7 Abs. 2 JGG) den Nichteröffnungsbeschluss des LG Zweibrücken Beschl. v. 15.4.2011 – 4029 Js 3517/02-2 Ks jug. Ausdrücklich EGMR Haidn/D (Fn. 221), § 90, auch hier wurden zudem potentielle Straftaten als nicht konkret und spezifisch genug erachtet. Vgl. auch Pieroth JZ 2002 922, 927; Richter ZfStrVo 2003 201, 204 f.;
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MüKo-StGB/Ullenbruch § 66b, 53 StGB; Renzikowski JR 2004 271, 273 ff.; Baier Jura 2004 552, 558; Römer JR 2006 5, 6; Finger (Fn. 218), 218; Grabenwarter § 21, 15, 20; Meyer-Ladewig 31; a.A. Peglau NJW 2001 2436, 2438; Würtenberger/ Sydow NvWZ 2001 1201, 1204 gehen von der Regelung zweier Gestattungstatbestände aus [wobei die nachträgliche Sicherungsverwahrung von der zweiten Gruppe (der Festnahme zur Verhinderung weiterer Straftaten) erfasst werde]. Funk/Gimpel-Hinteregger EuGRZ 1985 9; Guradze 22; Herzog AöR 86 (1961) 194, 228; a.A. SK/Paeffgen 12 (Altersgrenze autonom auszulegen). Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122). SK/Paeffgen 12.
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Eine rechtmäßige Freiheitsentziehung fordern beide Alternativen, also eine Freiheitsentziehung, die die Behörden im Einklang mit den Bestimmungen des nationalen Rechts angeordnet haben. Die Haft kann aber trotz einer Übereinstimmung mit nationalen Regeln rechtswidrig sein, wenn sie in Bezug auf die extrem verletzliche Situation des Minderjährigen untauglich ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Gesetz keine speziellen Regelungen bezüglich Minderjähriger enthält und der Minderjährige an einem Ort festgehalten wird, der eigentlich für das Festhalten Erwachsener bestimmt ist.372 Eine nach nationalem Recht aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht des Erziehungs138 berechtigten oder einer anderen befugten Privatperson resultierende Unterbringung eines Minderjährigen ist dem Staat jedenfalls dann zuzurechnen, wenn die Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung erfolgt.373 In diesem Fall ist der Staat für den anschließenden Vollzug der Unterbringung verantwortlich. Die Festnahme wird nicht besonders erwähnt, doch schließt die Befugnis, einem Min139 derjährigen die Freiheit zu entziehen, auch das Recht zur (vorläufigen) Festnahme mit ein, wie auch die zweite Alternative zeigt, die die Haft zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Behörde zulässt.374 Bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten muss die Festnahme aber immer auch auf lit. c gestützt werden, da ansonsten die Verfahrensgarantien des Art. 5 Abs. 3 EMRK umgangen werden könnten. Dass Freiheitsentziehung durch einen Richter angeordnet wird, schreiben beide Alternativen nicht vor. Nach ihnen wäre prinzipiell, anders als im Bereich des Art. 104 Abs. 2 GG, auch eine Freiheitsentziehung auf Anordnung einer Verwaltungsbehörde zulässig.
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b) Zum Zwecke überwachter Erziehung (erste Alternative). Zum Zwecke überwachter Erziehung kann der nationale Gesetzgeber mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahmen vorsehen, wie etwa die Heimerziehung (§ 34 SGB-VIII) nach § 9 Nr. 3 JGG. Durch lit. d gedeckt werden nur solche Maßnahmen, die fürsorgend der Erziehung des Minderjährigen dienen und nach den Umständen im konkreten Fall erforderlich sind. Unerheblich ist, in welchem Verfahren sie angeordnet werden. Maßnahme kann auch eine in einem Jugendstrafverfahren verhängte Erziehungsmaßregel sein.375 Dieser Zweck schließt als provisorische Maßnahme bis zur Überführung in ein geeignetes Heim die vorübergehende kurzfristige Unterbringung in einem Untersuchungsgefängnis oder einer für Erziehungszwecke nicht geeigneten Haftanstalt nicht aus, sie kann aber eine längere oder wiederholte Unterbringung in einer für Erziehung nicht eingerichteten Anstalt nicht rechtfertigen.376
141
c) Zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Behörde (zweite Alternative). Zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Behörde darf Minderjährigen ebenfalls die Freiheit entzogen werden. Gemeint ist damit aber nicht jede beliebige Behörde, sondern nur eine solche, die für die mit der Erziehung zusammenhängenden Angelegenheiten des Minderjährigen zuständig ist. Dies kann, muss aber nicht der Jugendrichter sein. Aus dem Zweck der Regelung, die Verwahrlosung der Jugend zu bekämpfen und sie schädlichen Einflüssen zu entziehen, wird im Zusammenhang mit der ersten Alternative geschlossen, dass die Anordnung auch nicht gegen jeden Minderjährigen zulässig ist,
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EGMR Mayeka u. Mitunga/B, 12.10.2006, ECHR 2006-XI = NVwZ-RR 2008 573. Zurückhaltender: EGMR Nielsen/DK (Fn. 41). Vgl. auch EKMR EuGRZ 1987 444 (Brogan); Grabenwarter § 21, 22.
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Dazu Frowein/Peukert 74 ff. Frowein/Peukert 74. EGMR Bouamar/B (Fn. 115); Esser 801; Frowein/Peukert 74; Meyer-Ladewig 40; Villiger 335.
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sondern nur bei solchen, bei denen eine überwachte Erziehung in Betracht kommen kann.377 Unerheblich ist insoweit, ob ein Minderjähriger selbst durch sein Verhalten dazu Anlass gegeben hat oder ob er schädlichen Einflüssen seiner Umwelt, insbesondere sozial angespannten Familienverhältnissen, entzogen werden soll.378 Zweck der Vorführung und eventuell einer vorläufigen Einweisung kann auch die Prüfung sein, ob eine solche Maßnahme anzuordnen ist.379 Die Vorführung vor Gericht nach § 33 Abs. 2 FGG war ebenfalls hierzu zu rechnen.380 6. Haft bei Seuchenträgern, psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen, Landstreichern (lit. e) a) Allgemeines. In dieser Gruppe wird die Freiheitsentziehung wegen bestimmter, in 142 der jeweiligen Person liegender Umstände zugelassen, wie etwa ansteckende Krankheiten, Alkohol- oder Drogensucht, sowohl zum Schutze dieser Personen selbst, d.h. in deren eigenem Interesse,381 als auch zum Schutz vorrangiger Interessen der Allgemeinheit, wobei es genügt, wenn eine dieser beiden Voraussetzungen vorliegt.382 Lit. e erwähnt zwar die Festnahme nicht explizit, die dadurch eingeleitete Freiheitsentziehung wird aber von lit. e mitumfasst, selbst wenn sie vor der eigentlichen Anordnung der Unterbringung durch die zuständigen Stellen in die Wege geleitet wurde.383 Eigene Anforderungen für die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung stellt lit. e nicht auf, es genügt, wenn sie nach dem jeweiligen nationalen Recht rechtmäßig ist. Es müssen also die dort festgelegten materiellen Voraussetzungen vorliegen. Das dort vorgeschriebene Verfahren muss ebenfalls eingehalten worden sein, einschließlich vorgeschriebener Formen und Fristen, selbst wenn diese über die Anforderung der Konventionen hinausgehen. Anders als Art. 104 Abs. 2 GG und die ihm Rechnung tragenden Gesetze behält lit. e die Entscheidung nicht dem Richter vor. Ein Gerichtsbeschluss für die Freiheitsentziehung wird nicht gefordert. Es genügt auch die Anordnung der Unterbringung durch die Polizei oder eine Verwaltungsbehörde.384 Die besonderen Verfahrensgarantien des Art. 5 Abs. 3 EMRK gelten für die Fälle des lit. e nicht.385 Deshalb ist dort, wo der Verdacht einer Straftat Gegenstand der Festnahme und der anschließenden Unterbringung eines möglicherweise psychisch kranken Straftäters ist, dessen vorläufige Festnahme und Unterbringung zur Untersuchung seiner Zurechnungsfähigkeit bis zur erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung (auch) nach lit. c zu behandeln.386 Während in den Fällen des lit. a schon die formelle richterliche Verurteilung die Freiheitsentziehung rechtfertigt, und zwar auch
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381 382
Frowein/Peukert 75; Herzog AöR 86 (1961) 194, 229; Koschwitz 212. Frowein/Peukert 75. Frowein/Peukert 75; Grabenwarter § 21, 22; Meyer-Ladewig 40; Villiger 335. Vertiefend Czerner Vorläufige Freiheitsentziehung bei delinquenten Jugendlichen zwischen Repression und Prävention (2008). § 33 Abs. 2 FGG seit 1.9.2009 ersetzt durch §§ 88 ff. FamFG, die ebenfalls die zwangsweise Vorführung vor Gericht unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft (§ 89 Abs. 1 Satz 1 FamFG) vorsehen. EGMR Guzzardi/I (Fn. 16). Frowein/Peukert 76.
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Vgl. die nachfolgenden Erläuterungen zu der vom EGMR gebilligten vorläufigen Unterbringung, ferner etwa Herzog AöR 86 (1961) 194, 230; a.A. Koschwitz 211, der aus der Nichterwähnung bei lit. e schließt, dass dieser die kurzfristige Festnahme zur Feststellung seiner Voraussetzungen nicht umfasst. Frowein/Peukert 76; Meyer-Ladewig 41. Zur Gefahr eines Ausweichens der Behörden auf lit. e als Haftgrund vgl. Esser 236 ff. unter Hinweis auf EGMR Guzzardi/I (Fn. 16). Esser 239.
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dann, wenn der zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte drogensüchtig ist und die Strafe nicht in einer dafür besonders eingerichteten Anstalt vollstreckt wird,387 muss in den Fällen einer Unterbringung nach lit. e die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung stets sachlich überprüft werden.388 Sie muss dem nationalen Recht und den geschriebenen und ungeschriebenen Anforderungen des lit. e entsprechen. Der EGMR prüft diese Voraussetzungen nach, wobei den nationalen Behörden bei 143 der Würdigung der für ihre Anordnung und für die Aufrechterhaltung maßgeblichen Tatsachen ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden wird,389 der in Eilfällen auch die vorläufige Unterbringung ohne Einholung eines ausreichenden Sachverständigengutachtens gestattet.390 Im Übrigen muss das Vorliegen der jeweiligen materiellen Voraussetzungen für die Unterbringung in der Person des Verwahrten ausreichend nachgewiesen sein, beim Verdacht einer Krankheit in der Regel durch eine ärztliche Begutachtung.391 Nach dieser muss die Unterbringung des Betroffenen in einer dafür geeigneten Einrichtung392 zwingend erforderlich sein. Die Aufrechterhaltung der Unterbringung ist nur solange zulässig, wie die Verwahrungsvoraussetzungen fortbestehen.393 Die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wird von lit. e ausdrücklich nur bei der Unterbringung zur Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten gefordert; ihre Zulässigkeit hängt aber auch in den anderen Fällen von der Beachtung der jeweils einschlägigen materiellen und verfahrensrechtlichen Regelungen des nationalen Rechts ab. Die EMRK legt insoweit nur gewisse Mindestgarantien fest (vgl. Rn. 148). Die Auslegung des nationalen Rechts durch die innerstaatlichen Stellen wird dagegen weitgehend hingenommen.
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b) Ansteckende Krankheiten. Zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten können Personen in Gewahrsam genommen werden, die als mögliche Quelle für deren Ausbreitung eine Gefahr für andere bilden. Das sind in der Regel nicht nur die bereits Erkrankten, sondern auch krankheitsverdächtige Personen und Kontaktpersonen,394 wenn und solange dies zum Schutze anderer Personen vor einer Ansteckung unerlässlich ist. Umfasst wird auch das Festhalten für eine zwangsweise Untersuchung, die klären soll, ob eine solche Gefahr besteht.395 Ob der Betroffene tatsächlich an einer ansteckenden Krankheit leidet, ist (zeitnah) durch ein ärztliches Attest festzustellen.396 Auch die Ingewahrsamnahme eines HIV-Erkrankten ist theoretisch möglich. Voraus145 setzung ist allerdings, dass die Behörden aufgrund nationaler Regelungen zu einem solchen Eingriff befugt sind (in Deutschland kommt hierfür das IfSG 397 in Betracht), im
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EGMR Bizzotto/GR, 15.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 583 (Bestrafung Hauptgrund der Haft). Zur Frage der Konkurrenz von lit. a und e vgl. Rn. 66; ferner auch EKMR EuGRZ 1983 432. EGMR Luberti/I (Fn. 192); Herz/D (Fn. 2); Frowein/Peukert 76. Vgl. EGMR Herz/D (Fn. 2). Villiger 336. Diese muss ihrer Art nach dem jeweiligen Unterbringungsgrund Rechnung tragen; vgl. EGMR Ashingdane/UK (Fn. 12). Diese Minimalbedingungen fordern etwa EGMR X/UK (Fn. 40); Luberti/I (Fn. 192); Ashingdane/UK (Fn. 12).
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Guradze 25 I; Frowein/Peukert 77; Herzog AöR 86 (1961) 194, 230. Somit war auch die 2009 in China erfolgte Anordnung einer Quarantäne von 300 Hotelgästen aus Anlass des Verdachts der sog. Schweinegrippe bei einem Hotelgast nach lit. e grundsätzlich gerechtfertigt. Der Zeitfaktor (Dauer der Quarantäne) spielt hier die entscheidende Rolle. Herzog AöR 86 (1961) 194, 230. SK/Paeffgen 40. Infektionsschutzgesetz (IfSG) v. 20.6.2000 (BGBl. I S. 1045).
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konkreten Fall eine Ausbreitung der mit dem HIV-Virus verbundenen Krankheit (AIDS) als Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder Sicherheit droht und die Maßnahme im konkreten Einzelfall erforderlich ist, d.h. es dürfen zur Abwehr der von der erkrankten Person ausgehenden Gefahren keine weniger einschneidenden Maßnahmen in Betracht kommen (Aufklärung der Kontaktpersonen; Warnung). Es reicht also nicht aus, dass die Freiheitsentziehung dem nationalen Recht entspricht, sondern sie muss unter den gegebenen Umständen auch notwendig und angemessen sein.398 c) Psychisch Kranke, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtige und Landstreicher aa) Zweck. Die genannten Personen können aus sozialpolitischen Gründen zum 146 Schutz der Allgemeinheit, aber auch in Bezug auf eine ärztliche Behandlung zu ihrem eigenen Schutz, zwangsweise in einer dafür geeigneten Einrichtung untergebracht werden. Die Unterbringung ist nicht nur zulässig, wenn die Verhütung von Gefahren für andere Personen oder für die öffentliche Sicherheit dies erfordern, sondern auch, wenn dies allein im Interesse des Untergebrachten selbst liegt, etwa um ihn vor einer Selbstgefährdung zu schützen.399 Unter lit. e werden alle Verfahren des nationalen Rechts gerechnet, die die behördliche Verwahrung des genannten Personenkreises ermöglichen, vor allem auch behördlich angeordnete Freiheitsentziehungen aus Gründen der Fürsorge.400 Die konkrete Ausgestaltung und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung überlässt die EMRK weitgehend dem nationalen Gesetzgeber.401 bb) Psychische Erkrankung. Geisteskrankheit wird in der EMRK nicht definiert. Ent- 147 sprechend der allgemeinen Auffassung ist darunter jede die Einsichts- oder Handlungsfähigkeit erheblich beeinträchtigende, länger dauernde, schwere Störung der Verstandestätigkeit, des Willens oder des Gefühl- und Trieblebens ohne Rücksicht auf die genaue medizinische Diagnose zu verstehen.402 Vor allem Personen, die aufgrund einer Persönlichkeitsstörung strafrechtlich nicht verantwortlich sind und als Rechtsbrecher in Erscheinung treten, können darunter fallen,403 nicht aber Personen, die mit ihren Ansichten oder ihrem Benehmen von den in der Gesellschaft überwiegend akzeptierten Normen abweichen.404 Der EGMR hat es wegen der Entwicklung in der Medizin und den sich ändernden Anschauungen in der Gesellschaft abgelehnt, den Begriff verbindlich festzuschreiben.405 In aller Regel werden die rechtlichen Umschreibungen dieses Begriffes im nationalen Recht, vor allem in den jeweils einschlägigen Unterbringungsgesetzen der Länder, den vom Schutzzweck her bestimmten Anforderungen der Konventionen genügen.406 Die Unterbringung eines psychisch Kranken nach lit. e ist nur dann rechtmäßig, wenn 148 drei (Mindest-)Voraussetzungen erfüllt sind:
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Vgl. EGMR Enhorn/S (Fn. 37). Frowein/Peukert 78. Vgl. etwa BGer EuGRZ 1988 606. SK/Paeffgen 41. Vgl. BGer EuGRZ 1981 16; Schorn 1. Frowein/Peukert 79; Herzog AöR 86 (1961) 194, 230 (nur chronische Zustände). EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); EKMR
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EuGRZ 1987 444 (Brogan); Frowein/ Peukert 79; Grabenwarter § 21, 24; Villiger 337. EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Ashingdane/UK (Fn. 12); Frowein/Peukert 79; Trechsel EuGRZ 1980 514, 526; vgl. auch Villiger 337. So etwa für niederländisches Recht: EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Villiger 337.
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Das nationale Recht muss sicherstellen, dass die geistige Erkrankung des Betroffenen durch objektive ärztliche Gutachten407 zuverlässig nachgewiesen ist.408 Der EGMR verlangt, dass dieses Sachverständigengutachten bereits vor der Unterbringung angefertigt wird – lediglich in Ausnahmefällen darf das Gutachten unverzüglich (immediately) nachgeholt werden (vgl. Rn. 149).409 Die Erkrankung muss einen solchen Grad erreichen, dass eine zwangsweise Unterbringung notwendig ist. Den staatlichen Organen, die über die Einweisung entscheiden, wird dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt,410 der in dringenden Fällen, in denen die sofortige Einweisung der Verhütung von Gefahren dient (vgl. Rn. 149), zunächst größer ist als bei den notwendigen späteren Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Unterbringung.411 Schließlich muss die Erkrankung während der gesamten Zeit der Unterbringung fortbestehen und durch entsprechende, jeweils zeitnah zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung eingeholte ärztliche Gutachten nachgewiesen sein.412 Einweisung und die fortdauernde Unterbringung müssen stets durch medizinische Gründe gerechtfertigt sein; ein solcher ist nicht gegeben, wenn eine Entlassung nur deshalb nicht vorgenommen wird, weil der Arzt nicht die Befugnis für eine entsprechende Anordnung hat.413 Auch bei den sich im Rahmen des nationalen Rechts haltenden späteren Entscheidungen wird den staatlichen Stellen ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt, so dass – abgesehen von Fällen eines klaren Missbrauchs 414 – die Zweifel, die bei den in der Medizin vielfach strittigen Fragen oftmals bestehen bleiben, sich häufig zugunsten der staatlichen Stellen auswirken werden.415 (Nur) in dringenden Fällen ist es ausreichend, wenn die ärztlichen Gutachten erst 149 nach Beginn des Vollzugs der Unterbringung erstellt werden.416 Die vorläufige Einweisung zur psychiatrischen Untersuchung des Geisteszustands wird durch lit. e miterfasst.417 Der zuverlässige Nachweis, d.h. die erforderlichen fachspezifischen Gutachten, muss also in diesen Fällen zunächst noch nicht vorliegen.418 Wird dagegen eine endgültige (gar unbefristete) Unterbringung angeordnet, bevor ein medizinisches Gutachten vorliegt, kann die Einweisung nicht rechtmäßig sein, da der Betroffene zu diesem Zeitpunkt noch nicht als psychisch krank angesehen werden kann.419
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EGMR Varbanov/BUL (Fn. 36); Kühne/Esser StV 2002 383, 386; MeyerLadewig 43 f. Verweigert die untergebrachte Person die Mitwirkung an der Exploration, kann ein Gutachten aufgrund der Fallakten genügen, Kühne/Esser StV 2002 383, 386. EGMR C.B./RUM, 20.4.2010. EGMR X/UK (Fn. 40); Ashingdane/UK (Fn. 12); Trechsel unter Hinweis auf EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38. Zur Notwendigkeit der periodischen Überprüfung, ob die Erkrankung die Unterbringung noch erfordert, vgl. Rn. 367. EGMR Enhorn/S (Fn. 37); zwar können auch externe Gutachten eingeholt werden, jedoch bleibt die Letztentscheidung stets
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413 414
415 416 417 418 419
beim Gericht, das alle Umstände würdigt und v.a. dann abweichen kann, wenn zusätzlich noch andere ärztliche Stellungnahmen eingeholt wurden, so in EGMR Frank/D (Fn. 189). EGMR R.L. u. M.-J. D./F (Fn. 307). Vor allem Willkür, vgl. EGMR Herczegfalvy/A, 24.9.1992, A 244 = EuGRZ 1992 535 = ÖJZ 1993 96; Johnson/UK (Fn. 162); Esser 241. Trechsel EuGRZ 1980 514, 527. EGMR Ashingdane/UK (Fn. 12); Frowein/ Peukert 80; Meyer-Ladewig 44. EGMR Herczegfalvy/A (Fn. 414); Esser 243; Frowein/Peukert 80. EGMR X/UK (Fn. 40). EGMR Filip/RUM, 14.12.2006.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
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Die Unterbringung eines Menschen wegen einer psychischen Erkrankung ist nur dann rechtmäßig, wenn sie in einer geeigneten Einrichtung, d.h. in einem Krankenhaus, einer Klinik oder einer anderen auf die Bedürfnisse psychisch Kranker zugeschnittenen Einrichtung erfolgt. Die Unterbringung wird aber nicht automatisch deshalb rechtswidrig, weil der Betreffende übergangsweise für kurze Zeit in einer herkömmlichen Haftanstalt untergebracht wird oder eine gewisse Zeit in einer Einrichtung mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen verbleibt, obwohl der Grund dafür nicht mehr besteht.420 Dem Staat muss eine angemessene Zeit eingeräumt werden, eine passende Einrichtung für den Betroffenen zu suchen. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Unterbringung sind daher zwei Interessen abzuwägen: das Interesse des Staates, eine möglichst passende Einrichtung zu finden und das Interesse des Betroffenen auf Freiheit, welchem stets besonders große Bedeutung bei der Entscheidungsfindung beizumessen ist.421 Auch ein nach nationalem Recht trotz seiner psychischen Erkrankung (vermindert) schuldfähiger Straftäter (§ 21 StGB) kann nach lit. e untergebracht werden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen (Rn. 148) vorliegen.422 Damit fällt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB auch in ihrer zweiten Alternative unter den Haftgrund des lit. e. Im Urteil M./D deutet der EGMR an, dass Fälle der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) denkbar sind, die durch lit. e gerechtfertigt werden können. Für das deutsche Recht ist allerdings zu beachten, dass § 63 StGB vorrangig und grundsätzlich auch allein einschlägig ist, wenn der für § 66 StGB erforderliche Hang zugleich auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit zurückgeht.423 Der EGMR benutzt diese Unterscheidung als Argument dafür, dass eine psychische Krankheit i.S.d. lit. e. nicht vorliegen konnte, wenn ein Straftäter in der Sicherungsverwahrung statt in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde.424 Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung 425 (§ 66b StGB a.F.426; § 7 Abs. 2 JGG 427) fällt in der Regel nicht unter lit. e, da ihre Anordnung meist nicht wegen eines psychi-
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EGMR Ashingdane/UK (Fn. 12). EGMR Morsink/NL, 11.5.2004; Mocarska/PL, 6.11.2007 (Verzögerung von 8 Monaten konventionswidrig). Zu § 21 StGB vgl.: EGMR Puttrus/D, 24.3.2009 (Verurteilung wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit sexueller Nötigung sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit einer Körperverletzung und im dritten Fall in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung – jeweils im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, § 21 StGB); so schon: EKMR H.S./D, 30.11.1994; vgl. hierzu auch EGMR Brand/NL (Fn. 112; Verurteilung zu einer 15-monatigen Gefängnisstrafe neben der Anordnung einer Unterbringung in einem Krankenhaus; letzteres sah der EGMR sowohl vom Haftgrund des lit. a als auch des lit. e umfasst); ebenso: EGMR Morsink/NL (Fn. 421); Morley/UK, 13.5.2003; Hutchison Reid/UK, 20.2.2003, ECHR 2003-IV.
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Vgl. etwa BGH NStZ 2003 310; § 66 StGB ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, bleibt aber bis zum Inkrafttreten der Neuregelung, längstens bis zum 31.5.2013, weiter anwendbar, BVerfG NJW 2011 1931, 1933, 1934, Tz. 84, 1945, Tz. 167 ff. EGMR Kallweit/D (Fn. 212), § 57; Haidn/D (Fn. 221), § 92. Mit Gesetz v. 22.12.2010 (BGBl. I 2010, S. 2300) bereits weitgehend für zukünftige Fälle abgeschafft, ferner sind die Vorgaben des BVerfG in NJW 2011 1931 zu beachten. Zum 1.1.2011 sind die § 66b Abs. 1 u. 2 StGB a.F. außer Kraft getreten; der frühere Abs. 3 wurde beibehalten und ausgebaut, § 66b StGB n.F. wie auch alle Absätze (1 bis 3) des § 66b StGB a.F. wurden für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, BVerfG NJW 2011 1931. Das JGG wurde nur prozedural in § 81a JGG angepasst; dies scheint besonders problematisch, da die nachträgliche Sicherungs-
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schen Defekts erfolgt. Zwar können (bzw. konnten) psychiatrische Befunde neue Tatsachen („nova“) i.S.v. § 66b StGB darstellen428 und in Kumulation mit weiteren maßgeblichen Kriterien die Voraussetzungen des § 66b StGB erfüllen, so dass dadurch der grundlegende Anwendungsbereich der Vorschrift um Fälle des psychiatrischen Maßregelvollzugs erweitert wird bzw. wurde.429 Jedoch verlangt eine rechtmäßige Unterbringung eines psychisch Kranken dessen Einweisung in ein Krankenhaus oder eine entsprechende andere geeignete Einrichtung (vgl. Rn. 150).430 Dieser Anforderung wird der bislang praktizierte Vollzug der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Justizvollzugsanstalten evident nicht gerecht; gerade deshalb hat das BVerfG hier auch Nachbesserungen gefordert („Abstandsgebot“).431 Das am 1.1.2011 in Kraft getretene Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) betrifft die Personen, die in Sicherungsverwahrung untergebracht wären, wenn dies nicht infolge eines Verbots rückwirkender Verschärfungen unmöglich wäre (vgl. Rn. 81 ff.), und setzt in seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 für diese Personengruppe insbesondere eine psychische Störung voraus; das Gesetz dürfte so – theoretisch – den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK – gerade mit Blick auf die Andeutungen im Urteil M. – gerecht werden. Geht es jedoch um bisher in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte, so liegt die Missbrauchsgefahr nicht fern, ihnen nun (nachträglich) eine psychische Krankheit zu „attestieren“.432
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verwahrung bei Jugendlichen genauso wenig von Art. 5 EMRK erfasst wird. Insbesondere ermöglicht Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. d EMRK, der die Freiheitsentziehung Minderjähriger zum Zwecke der überwachten Erziehung oder der Vorführung vor die zuständige Behörde betrifft, nur eine vorübergehende Freiheitsentziehung bis zur Einweisung in ein Heim oder bis zur Entscheidung der zuständigen Behörde, die gerade nicht Ziel des § 7 JGG ist. Dabei ließ das BMJ jedoch die Vorschriften des JGG bewusst außen vor mit der Begründung, eine Einbeziehung „sei erst sinnvoll, wenn die Diskussion zum allgemeinen Strafrecht abgeschlossen ist“ (Pressemitteilung des BMJ v. 23.7.2003); vgl. hierzu Steckermeier 32 f. Die gänzliche Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen fordert auch der Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 17 4593. § 7 Abs. 2 JGG wurde für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, BVerfG NJW 2011 1931, 1933, 1941 (Tz. 131 ff.), 1944 (Tz. 156 ff.). BGH NStZ 2007 520; NJW 2006 384, 385; Schneider StV 2006 99, 100. Vgl. Bender Die nachträgliche Sicherungsverwahrung (2007), 69. So zur nachträglichen Sicherungsverwahrung EGMR Haidn/D (Fn. 221), § 92; Vgl.
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auch EGMR Enhorn/S (Fn. 37); Brand/NL (Fn. 112); Hutchison Reid/UK (Fn. 422); Ashingdane/UK (Fn. 12). BVerfG NJW 2011 1931, 1937, Tz. 100 ff. So auch Kinzig NJW 2011 177, 181; vgl. auch Rissing-van Saan FS Roxin II 1177 f.; Kreuzer StV 2011 127 f.; Schöch FS Roxin II 1208 f., betont trotz der vielen Bedenken bzgl. der Sicherungsstrategie jedoch den realistischen Anwendungsbereich: Zwar räumt er ein, dass eine psychische Störung grds. weitergehe als eine psychische Krankheit i.S.d. landesrechtlichen Unterbringungsgesetze, jedoch sei der Begriff des „unsound mind“ in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK noch nicht präzisiert worden (um jedoch EGMR Kallweit/D. Fn. 212), so dass nach seiner Einschätzung zumindest eine Diagnose nach ICD 10 oder DSM IV ausreiche; darunter fallen damit auch dissoziale oder narzisstische Persönlichkeitsstörungen, die fast nie einen Zustand des § 20 StGB und selten nur den des § 21 StGB begründen können, so dass eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB gerade nicht möglich ist. Unter den langzeitinhaftierten Gewalt- und Sexualstraftätern dürfte der Anteil psychisch Gestörter nach dem oben Dargestellten dann aber bei über 50 Prozent liegen. Zur unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK gerechtfertigten Siche-
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Auch das BVerfG433 hat die Möglichkeit bestätigt, die nachträglich angeordnete oder verlängerte Sicherungsverwahrung auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK zu stützen.434 Es müsse allerdings eine psychische Störung nachgewiesen werden, die den Anforderungen dieser Bestimmung gerecht werde. Zwar weist das BVerfG ausdrücklich darauf hin, dass das ThUG keiner verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen wurde, stellt aber auch fest, dass der Gesetzgeber mit ihm eine weitere Kategorie psychisch gestörter Personen schaffen wollte. Auf diese Vorschriften soll anlässlich der Übergangsregelungen – wenn möglich – zurückgegriffen werden.435 Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung untersucht der 154 EGMR vor allem, ob zuverlässig nachgewiesen ist, dass Grad und Art der Geistesstörung die Unterbringung bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit436 zwingend erfordern und dass diese nicht länger andauert als aufgrund der krankhaften Störung notwendig ist (siehe Rn. 148).437 Es muss geprüft und ausgeschlossen werden, dass der Schutzzweck der zwangsweisen Unterbringung auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann. Da die Gründe, die die Unterbringung ursprünglich gerechtfertigt haben, nachträglich weggefallen sein können, besteht ein Anspruch des Untergebrachten auf eine Überprüfung der Verwahrung in angemessenen Zeitabständen nach Absatz 4 (Rn. 362 ff.).438
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rungsverwahrung in „Altfällen“ bei dissozialer Persönlichkeitsstörung, die weder § 20 noch § 21 StGB erfüllt vgl. BGH NJW 2011 2744, wo der BGH unter Berufung auf das BVerfG NJW 2011 1931, 1946, Tz. 173, außerdem feststellt, dass die psychische Störung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG den Freiheitsentziehungsgrund des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 lit. e EMRK präzisiere und „gerade nicht zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB führen“ müsse; beides wurde später vom BVerfG (in einem anderen Fall) nochmals bekräftigt (BVerfG Beschl. v. 15.9.2011 – 2 BvR 1516/11, Tz. 35 ff.). Ob das hingegen vom EGMR gebilligt werden wird und das letzte Wort in dieser Sache schon gesprochen ist, wird sich noch herausstellen müssen; so könnte die Feststellung in EGMR Kallweit/D (Fn. 212), § 44, wonach eine „tatsächliche psychische Störung“ („a true mental disorder“) vorliegen muss, auch so zu sehen sein, dass zumindest die Schwelle des § 21 StGB erreicht sein muss. BVerfG NJW 2011 1931, 1942, Tz. 143 f., 1943, Tz. 151 ff. Faktisch ist lit. e sogar die einzige Möglichkeit, die Verhängung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung zu rechtfertigen (so auch deutlich das BVerfG NJW 2011 1931, 1942, Tz. 143, 1943, Tz. 151), da die übrigen Rechtfertigungsgründe für die Freiheitsentziehung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2
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EMRK nicht passen: lit. a nicht, weil der Kausalzusammenhang zwischen Schuldfeststellung und Freiheitsentziehung fehlt (Rn. 74 ff.), lit. c nicht, weil die zu befürchtenden neuen Straftaten nicht hinreichend konkret und spezifisch sind (Rn. 134); vgl. auch Art. 7 EMRK Rn. 46. BVerfG NJW 2011 1931, 1946, Tz. 173. Stark kritisiert wird diese Ansicht von Renzikowski ZIS 2011 531, 538: nur eine krankhafte psychische Persönlichkeitsstörung, die zumindest unter § 21 StGB falle und zur Unterbringung nach § 63 StGB führe, lasse sich auf lit. e stützen. Nicht erfasst sei damit die dissoziale Persönlichkeit, was sich auch daraus ergebe, dass der EGMR nur in den Fällen eingeschränkter Schuldfähigkeit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a und e EMRK in Erwägung ziehe, nie jedoch bei uneingeschränkter Schuldfähigkeit. Das ThUG käme demzufolge nur in extremen Ausnahmefällen zum Zuge. Trechsel EuGRZ 1980 514, 527; für das innerstaatliche Recht vgl. BVerfGE 70 297, dazu Trechsel EuGRZ 1986 543. EGMR Luberti/I (Fn. 192); Ashingdane/UK (Fn. 12). Etwa EGMR X/UK (Fn. 40); Megyeri/D, 12.5.1992, A 237-A = NJW 1992 2945 = NStZ 1993 148 = EuGRZ 1992 347 = ÖJZ 1992 808 = StV 1993 88 mit Anm. Bernsmann; Musial/PL, 25.3.1999, Rep. 1999-II = NJW 2000 2727 = EuGRZ 1999 322; BGer
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Kommt ein Gericht bei der Überprüfung zu dem Ergebnis, dass eine weniger einschneidende Maßnahme, wie etwa eine bedingte Entlassung unter Auflagen, zum Schutz der Allgemeinheit ausreichend ist, muss die Unterbringung unverzüglich beendet werden. Dies kann allerdings dann nicht gelten, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden können, etwa weil sich kein Arzt findet, der den Patienten betreut. Die Behörden soll in diesem Fall auch keine uneingeschränkte Pflicht treffen, die Umsetzung der Auflagen zu gewährleisten.439 Der Untergebrachte hat in diesem Fall keinen Anspruch auf sofortige Entlassung. Allerdings droht bei Überschreitung einer bestimmten Zeitgrenze ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK.440 Ein Recht auf Krankenbehandlung kann der Untergebrachte unmittelbar aus Art. 5 156 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK nicht herleiten, desgleichen kann er darauf keine Beanstandungen wegen der Form seiner Unterbringung stützen.441 Allerdings kann der Staat zur Gewährleistung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung verpflichtet sein, eine angemessene Anzahl von Behandlungsplätzen anzubieten.442
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cc) Alkohol- und Rauschgiftsüchtige. Alkohol- und Rauschgiftsüchtige werden nicht nur im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs (chronisch Alkohol- oder Rauschgiftkranke) verstanden.443 Entsprechend dem Schutzzweck unterfallen der Regelung auch sonstige Personen, von deren Verhalten unter Alkohol- oder Rauschgifteinfluss eine Bedrohung oder Gefahr für die öffentliche Ordnung oder für sie selbst ausgeht. Für diese weite Auslegung spricht, dass die Zulässigkeit der Verwahrung bei dieser Personengruppe nicht so sehr von der Zuordnung zu den sehr dehnbaren Begriffen abhängt, sondern vor allem davon, ob im konkreten Fall die Unterbringung eines süchtigen Betroffenen nach Art und Ausmaß des Persönlichkeitsabbaus und den sonstigen Umständen in seinem eigenen Interesse oder zum Schutz der Allgemeinheit notwendig ist, etwa, um ein gefährliches Verhalten nach Alkoholgenuss zu verhindern.444 Für den Nachweis dieser Voraussetzungen, zu dem regelmäßig das Einholen eines aussagekräftigen Gutachtens gehören wird, gelten im Wesentlichen die gleichen strengen Grundsätze wie bei der Verwahrung psychisch Kranker. Eine Freiheitsentziehung ist nur dann möglich, wenn bezogen auf den konkreten Fall weniger einschneidende Maßnahmen erwogen und als unzureichend anzusehen sind, den Betroffenen oder die Öffentlichkeit, in deren Interesse die Unterbringung erfolgt sein mag, zu schützen.445
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dd) Landstreicher. Der Begriff Landstreicher wird von lit. e ebenfalls nicht definiert. Der EGMR hat die Definition des belgischen Rechts, wonach Personen ohne festen Wohnsitz, Mittel zum Unterhalt und regelmäßiger Berufstätigkeit gemeint sind, als mit Art. 5 EMRK vereinbar angesehen.446 Gleiches dürfte für ähnliche Definitionen in ande-
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EuGRZ 1991 526; Frowein/Peukert 84; Meyer-Ladewig 45 f., 94. EGMR Kolanis/UK, 21.6.2005, ECHR 2005-V. SK/Paeffgen 10; EGMR Johnson/UK (Fn. 162, Verzögerung der Entlassung 3,5 Jahre). EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Ashingdane/UK (Fn. 12); Frowein/Peukert 81; EKMR EuGRZ 1978 399 (Winterwerp) hat zusätzlich ausgeführt, dass unter besonderen Umständen in der Verweigerung einer The-
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rapie ein Verstoß gegen Art. 5 i.V.m. Art. 18 und Art. 3 EMRK liegen könne. EGMR Brand/NL (Fn. 112), §§ 63 ff. So Herzog AöR 86 (1961) 194, 230. EGMR Litwa/PL (Fn. 37); H.D./PL, 7.6.2001; Grabenwarter § 21, 24; Meyer-Ladewig 50; gegen diese weite Auslegung: SK/Paeffgen 43. Vgl. EGMR Enhorn/S (Fn. 37). EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Guzzardi/I (Fn. 16); auch EKMR EuGRZ 1979 421 (Guzzardi); Frowein/Peukert 95; Trechsel EuGRZ 1980 514, 526.
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ren nationalen Rechtsordnungen gelten.447 Ob schon bloße Verwahrlosung ausreicht, blieb unentschieden.448 Herzog schließt aus dem über den deutschen und französischen Sprachgebrauch hinausreichenden englischen Begriff „vagrant“, dass das Merkmal der Unstetigkeit des Lebenswandels nicht notwendig vorliegen muss und dass deshalb entsprechend der Zielsetzung, ein Vorgehen gegen sozialschädliche Entwicklungen zu ermöglichen, auch Personen darunter fallen, die einen festen Wohnsitz haben, die aber arbeitsunwillig und aus diesem Grund nicht in der Lage sind, sich und ihren Angehörigen den nötigen Lebensunterhalt zu verschaffen.449 Eine ausdehnende Auslegung auf andere Personen, die zwar über die nötigen Mittel zur Lebensführung verfügen, aber keiner geregelten Arbeit nachgehen und bei denen der Verdacht besteht, dass sie ihren Lebensunterhalt durch kriminelle Handlungen bestreiten, wurde unter dem Hinweis abgelehnt, dass die Unterbringung auch bei den Landstreichern als Maßnahme in deren Interesse aufzufassen ist und nicht als Mittel zur Verhütung weiterer Straftaten herhalten kann.450 Für die Anordnung der Unterbringung gemäß dem jeweiligen nationalen Recht, für die Notwendigkeit der Überprüfung ihrer Voraussetzungen und ihrer Fortdauer und für die Nachprüfung dieser Erfordernisse gilt das zur psychischen Erkrankung (Rn. 154) Ausgeführte entsprechend. 7. Haft zum Zwecke der Ausweisung oder Auslieferung (lit. f) a) Allgemeine Grundsätze. Ein Recht, sich in einem fremden Land aufzuhalten, 159 garantieren EMRK und IPBPR nicht. Die Vertragsstaaten haben daher das Recht, die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern selbstständig zu regeln. Nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 EMRK erfasst sind Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Ausländern aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status.451 Die EMRK regelt weder die Voraussetzungen noch den konkreten Ablauf einer Aus- 160 lieferung oder Ausweisung.452 Sie verbietet, anders als Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG (im Grundsatz), auch nicht die Auslieferung eigener Staatsangehöriger. Soweit die Bundesrepublik jetzt nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ausnahmsweise (vgl. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) auch eigene Staatsangehörige aufgrund eines Gesetzes 453 an Mitgliedstaaten der Europäischen Union454 oder an einen internationalen Gerichtshof 455 ausliefern darf –
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Vgl. für früheres Recht BGHSt 4 54 (wer aus eingewurzeltem Hang zum Umhertreiben ziel- und zwecklos mit wechselndem Nachtquartier von Ort zu Ort umherzieht und mit seinem Lebensunterhalt überwiegend anderen zur Last fällt). Vgl. EuGRZ 1981 126 (gütliche Einigung). Herzog AöR 86 (1961) 194, 230; a.A. Guradze 27; Schorn 2. EKMR EuGRZ 1979 421 und EGMR Guzzardi/I (Fn. 16); Esser 237; Frowein/Peukert 83; Villiger 338. SK/Paeffgen 13. Zu den Schranken für Ausweisung und Auslieferung aus Art. 3 EMRK, dort Rn. 30 ff.; vgl. auch Herzog AöR 86 (1961) 194, 234. § 3 i.V.m. § 81 IRG; siehe auch: Gesetz über den Europäischen Haftbefehl v. 20.7.2006
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(BGBl. I S. 1721 ff.); § 40 ff. des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem ICC v. 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144 ff.), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198); § 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem ICTY v. 10.4.1995 (BGBl I S. 485), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144); § 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem ICTR v. 4.5.1998 (BGBl. I S. 843), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144). Hierzu: Böhm NJW 2006 2592; Uhle NJW 2001 1889; Klink/Proelß DÖV 2006 469. Zur Auslieferung an den ICC: Globke Die Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof (2009).
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soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind –, ist Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK in diesen Fällen ebenfalls anwendbar; im Übrigen betrifft er nur Ausländer oder Staatenlose. Eigene Staatsangehörige genießen nach Art. 11 GG, Art. 3 Abs. 2 des 4. ZP-EMRK 161 und Art. 12 Abs. 4 IPBPR das unentziehbare Recht zur Einreise in den eigenen Staat. Art. 3 Abs. 1 des 4. ZP-EMRK untersagt sowohl die Kollektiv- und Einzelausweisung eigener Staatsangehöriger; im IPBPR fehlt eine entsprechende Regelung. Art. 4 des 4. ZP-EMRK erklärt die Kollektivausweisung von Ausländern für unzu162 lässig. Diese Bestimmung fehlt im IPBPR, der andererseits für die Ausweisung der sich rechtmäßig im Inland aufhaltenden Ausländer bestimmte Verfahrensgarantien fordert (Art. 13 IPBPR). Eine Freiheitsentziehung im Rahmen einer Einreise oder einer Abschiebung liegt in 163 der Regel bei einem länger andauernden Festhalten im Transitbereich eines Flughafens vor.456 Ob dies auch auf den eigentlichen Abschiebevorgang zutrifft, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Die deutsche Rechtsprechung sieht darin regelmäßig keine Freiheitsentziehung.457
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b) Verhinderung der unerlaubten Einreise (Alt. 1). Die rechtmäßige Festnahme und Freiheitsentziehung gestattet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK bei jedem Ausländer, der unberechtigt auf das Staatsgebiet gelangen will oder in diesem von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Unter der Verhinderung der unerlaubten Einreise ist vor allem der Fall zu verstehen, dass jemand unmittelbar an der Grenze oder auf einem Flughafen458 aufgegriffen und bis zu seiner alsbaldigen Rücküberstellung festgehalten wird.459 Aber auch ein illegal eingereister Ausländer, der sich bereits weiter im Inland befindet, kann noch darunter fallen, wenn er dort nach seinem Grenzübertritt aufgegriffen wird.460 Ob diese Alternative des lit. f auch noch einen Ausländer erfasst, der erst später nach einem Inlandsaufenthalt von längerer Dauer als unbefugter Eindringling erkannt wird461 und wie das Eindringen vom unbefugten Aufenthalt räumlich und zeitlich abzugrenzen wäre, kann meist offen bleiben, da hier jede Festnahme aus solchem Anlass grundsätzlich auch eine in Betracht zu ziehende Ausweisung sichert, so dass die Freiheitsentziehung durch die zweite Alternative (Rn. 165) gerechtfertigt ist. Eine Einreise wird nicht dadurch rechtmäßig, dass der Ausländer sich sofort bei der Einreise an die Einwanderungsbehörde wendet und einen Asylantrag stellt. Vielmehr ist die Einreise erst dann nicht mehr unerlaubt, wenn ihm eine Aufenthaltsgenehmigung oder Asyl gewährt wurde. Nach lit. f ist für eine rechtmäßige Festnahme nicht erforderlich, dass der Ausländer versucht, Einwanderungsbestimmungen zu umgehen.462 Voraussetzung für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung in diesem Falle ist jedoch, dass die Festnahme eine Prüfung der Aufenthaltsgenehmigung oder des Asylrechts erleichtert und mit den allgemeinen Zielen von Art. 5 EMRK vereinbar ist. Sie darf insbesondere nicht willkürlich sein. Um dem Vorwurf der Willkürlichkeit zu entgehen, müssen vier Voraussetzungen
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Vgl. oben Rn. 28. Siehe BTDrucks. 16 10711, vgl. dort weitere Rechtsprechung BVerfGE 105 239, 250; BVerfG Beschl. v. 15.3.2002 – 2 BvR 2292/00; BVerwGE 62 325. Zur Abschiebungshaft aus verfassungsrechtlicher Sicht: Kühn Abschiebungsanordnung und Abschiebungshaft (2009).
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Vgl. EGMR Amuur/F (Fn. 34); Kokott EuGRZ 1996 569. Villiger 339. BGer EuGRZ 1994 174. So unter Berufung auf den Sinn der Regelung: BGer EuGRZ 1984 295. EGMR (GK) Saadi/UK, 29.1.2008, ECHR 2008-I = NVwZ 2009 375.
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kumulativ vorliegen: die Festnahme erfolgt in gutem Glauben und nicht in Täuschungsabsicht; Anordnung und Vollzug der Freiheitsentziehung sind eng verknüpft mit den Zweck, eine unerlaubte Einreise zu verhindern; Ort und Bedingungen der Unterbringung sind im Hinblick darauf, dass der Einreisende möglicherweise in Todesangst sein Land verlassen hat, angebracht; die Länge der Haft überschreitet nicht wesentlich das Maß, welches zur Erreichung des Zwecks erforderlich ist.463 Eine Festnahme kann unter diesen Voraussetzungen auch dann noch erfolgen, wenn die Person sich schon ein paar Tage auf freiem Fuß befunden hat.464 Im Zusammenhang mit Kindern ist zudem zu beachten, dass diese in einer für die Unterbringung von Kindern geeigneten Anstalt untergebracht werden müssen, da ansonsten ein Konventionsverstoß vorliegt.465 c) Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist (Alt. 2) aa) Haft zur Sicherung der Ausweisung. Die Haft zur Sicherung der Ausweisung setzt 165 ein gleichzeitig eingeleitetes oder bereits schwebendes Verfahren voraus, in dem nach innerstaatlichem Recht über die Frage der Ausweisung einer Person entschieden werden soll.466 Ein Verfahren, das nur einen Asylantrag zum Gegenstand hat, reicht dafür nicht.467 Nicht notwendig ist, dass die Ausweisung selbst bereits angeordnet wurde.468 Es bedarf keiner weiteren Haftgründe, wie etwa Fluchtgefahr oder Gefahr der Begehung einer strafbaren Handlung.469 Haft zur Sicherung der Ausweisung ist nicht deswegen unzulässig, weil die Ausweisung aufgrund einer einstweiligen Anordnung derzeit nicht vollzogen werden kann, wenn und soweit das Ausweisungsverfahren weiterhin betrieben wird.470 Das Ausweisungsverfahren muss stets den materiellen und formellen Anforderungen des innerstaatlichen Rechts entsprechen, es darf weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sein471 und muss mit der gebührenden Sorgfalt und Zügigkeit 472 betrieben werden. Die Ausweisung kann nach Maßgabe der ausländerrechtlichen Bestim463 464
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Vgl. EGMR (GK) Saadi/UK (Fn. 462). EGMR (K) Saadi/UK, 11.7.2006, §§ 40 ff. = NVwZ 2007 913; zum Urteil der GK siehe Fn. 462. EGMR Muskhadzhiyeva u.a./B, 19.1.2010, wobei die Kinder in einer Anstalt für Erwachsene untergebracht waren, die nicht geeignet für ihre Situation, d.h. für ihre „extreme vulnerability“ war. EGMR Chahal/UK, 15.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 632 = NVwZ 1997 1093 = InfAuslR 1997 97; Meyer-Ladewig 54. Vgl. ÖVerfGH EuGRZ 1994 176. EGMR Chahal/UK (Fn. 466). Siehe aber auch: BGH Beschl. v. 17.6.2010 – V ZB 93/10 (Anordnung der Haft eines Ausländers, gegen den ein Straf- oder Ermittlungsverfahren anhängig ist, zur Sicherung der Abschiebung scheidet aus, solange die Staatsanwaltschaft der von der Ausländerbehörde beabsichtigten Abschiebung nicht zugestimmt hat). EGMR Chahal/UK (Fn. 466); EKMR ÖJZ 1993 465.
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EGMR S.P./B, 14.6.2011 (E); Haft zur Sicherung der Ausweisung während der Zeit der Wirksamkeit einer aufgrund Art. 39 EGMRVerfO ergangenen vorläufigen Maßnahme des EGMR; zu Art. 39 EGMRVerfO vgl. Teil II Rn. 102 ff. EGMR Sanchez-Reisse/CH, 21.10.1986, A 107 = NJW 1989 2179 = EuGRZ 1988 523; Meyer-Ladewig 54. Desweiteren ist bei einem gescheiterten Abschiebeversuch zu beachten, dass der ursprüngliche Haftgrund für die Sicherungshaft nicht einfach wiederauflebe, sondern das Gericht muss von Neuem die Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG prüfen. Zudem hat das Gericht zu überprüfen, wer für das Scheitern des Abschiebeversuches verantwortlich ist und dies bei seiner Entscheidung über die weitere Anordnung der Haft zu berücksichtigen, BVerfG NVwZ 2011 38 ff. EGMR (GK) Saadi/UK (Fn. 462).
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mungen im Übrigen auch bei Ausländern zulässig sein, die sich zunächst rechtmäßig im Staatsgebiet aufgehalten haben, deren Aufenthaltsrecht aber abgelaufen ist oder denen es entzogen wird. Bei Unionsbürgern sind insoweit deren Sonderrechte aufgrund des Unionsrechts zu beachten.473
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bb) Haft zur Sicherung der Auslieferung. Zur Sicherung der Auslieferung dient die Haft, wenn sie auf der Grundlage des IRG oder einer völkerrechtlichen Vereinbarung im Hinblick auf das Auslieferungsersuchen eines anderen Staates angeordnet wurde.474 Dies kann wegen eines Strafverfahrens erfolgen, das in dem ersuchenden Staat gegen den Auszuliefernden eingeleitet worden ist. Die Auslieferung kann aber auch zur Vollstreckung eines dort gegen den Beschuldigten bereits ergangenen Strafurteils begehrt werden, das jetzt im ersuchenden Staat vollstreckt werden soll. Wenn dagegen ein ausländisches Urteil im Inland vollstreckt werden soll, ist lit. f nicht anwendbar (keine zu sichernde Auslieferung). Die Haft zur Sicherung der Vollstreckung im Inland ist dann nach lit. a zulässig.475 Ist das Auslieferungsbegehren des ersuchenden Staates innerstaatlich abgelehnt worden, darf die Haft aus diesem Grund nicht länger aufrecht erhalten werden.476 Die Haft zur Sicherung einer Durchlieferung wird entsprechend dem Sinn der Regelung von der Alt. 2 des lit. f ebenfalls gedeckt.477 Mutmaßliche Terroristen, die eine Gefahr für den Staat darstellen, aber nicht aus167 geliefert werden können, können nicht nach lit. f festgehalten werden, wenn in Wahrheit kein Auslieferungsverfahren anhängig ist.478 Dies käme einer konventionswidrigen Präventivhaft gleich.
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cc) Rechtmäßigkeit der Haft. Als rein formale Garantie fordert lit. f (nur) die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung. Es genügt daher für die Alt. 2, wenn die Haft zur Sicherung eines laufenden Abschiebungs- oder Auslieferungsverfahrens entsprechend den materiellen und formellen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts bzw. internationaler Vereinbarungen479 von der dafür zuständigen Stelle unter Ausschluss jeglicher Willkür 480 angeordnet worden ist.481 Lit. f verlangt nicht, dass die Abschiebungshaft erforderlich, also das mildeste Mittel ist, um den Betroffenen an einer Flucht oder Begehung einer Straftat zu hindern. Ist die Erforderlichkeit aber Tatbestandsmerkmal der nationa473
474
475 476
Vgl. EuGH (Royer), 8.4.1976 = EuGRZ 1976 276 zur RiL 64/221/EWG; zu den Sonderrechten der Unionsbürger: BVerwG NVwZ 2001 1288; EuGH Rs. C-441/02 (Kommission/Deutschland), 27.4.2006. Nach EGMR Adamov/CH, 21.6.2011, soll die Auslieferungshaft auch dann rechtmäßig sein, wenn der Bf. ursprünglich aufgrund des Auslieferungsersuchens eines Staates in Haft genommen worden war, dann aber einem späteren Auslieferungsersuchen eines anderen Staates Vorrang gegeben wurde; erst Auslieferungshaft wegen eines Ersuchens der USA, schließlich Auslieferung an Russland). Esser 246. Die für unzulässig erklärte Auslieferung darf auch nicht im Wege der Abschiebung in ein zur Auslieferung bereites Drittland
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477 478 479 480
481
herbeigeführt werden EGMR Bozano/F (Fn. 16), Esser 346 ff.; Frowein/Peukert 88; Villiger 340. Meyer-Goßner 7. EGMR (GK) A. u.a./UK, 19.2.2009, ECHR 2009-I §§ 153 ff. = NJOZ 2010 1903. EGMR Shchebet/R (Fn. 108); Al-Moayad/D (E), 20.2.2007, NVwZ 2008 761. EGMR Al-Moayad/D (E) (Fn. 479 gelingt es einem Land durch List, eine Person in ein anderes abschiebebereites Land zu locken, und nimmt dieses Land die Abschiebung dann vor, liegt darin grundsätzlich kein Verstoß gegen das Willkürverbot, wenn keine Gewalt angewandt wurde). EGMR Chahal/UK (Fn. 466); EKMR ÖJZ 1993 465 (Nachprüfung beschränkt auf – formale – Rechtmäßigkeit einschließlich des Fehlens von Willkür).
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len Gesetze, was häufig der Fall sein dürfte, so stellt eine Nichtbeachtung einen Verstoß gegen die Rechtmäßigkeit der Haft dar.482 Bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit ist zu beachten, dass die einschlägigen Gesetze hinreichend bestimmt und die Rechtsfolgen vorhersehbar sein müssen.483 Erlässt ein Gericht die Anordnung, einen Ausländer, der im Transitbereich eines Flughafens festgehalten wird, freizulassen, ist eine anschließende Unterbringung in einer Anstalt für illegale Ausländer eine Missachtung der gerichtlichen Anordnung und somit nicht rechtmäßig i.S.v. lit. f.484 Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung oder Abschiebung selbst, die mit dieser Haft gesichert werden soll, spielt bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Freiheitsentziehung keine Rolle. Dass der Abschiebung oder Auslieferung anderweitige Rechte des Verhafteten entgegenstanden, insbesondere, dass diese Maßnahmen mit dessen Rechten aus Art. 3 und 8 EMRK unvereinbar sind,485 muss bei der Entscheidung über die Abschiebung oder Auslieferung geprüft werden. Die Haft als solche wird durch die Behauptung solcher Rechte nicht konventionswidrig.486 Lässt das innerstaatliche Recht die Verhaftung zu diesen Zwecken zu, genügt es, dass die zuständige Behörde ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren einleitet, um den Betroffenen am Eindringen in das Staatsgebiet zu hindern bzw. in der Absicht, seine Ausweisung oder Auslieferung sicherzustellen.487 Die Freiheitsentziehung wird deshalb auch dann von lit. f gedeckt, wenn sich im innerstaatlichen Verfahren488 später ergibt, dass die Ausweisung oder Auslieferung im konkreten Fall nicht zulässig ist.489 Etwas anderes kann gelten, wenn der Antrag auf Ausweisung oder auf Auslieferung prima facie unzulässig oder unbegründet ist490 oder wenn die Haft entgegen dem Willkürverbot dazu missbraucht wird, eine bereits rechtskräftig abgelehnte Auslieferung verschleiert auf dem Umweg der Abschiebung in einen Drittstaat herbeizuführen.491 Das Verfahren zur Abschiebung oder Auslieferung muss mit der gebührenden Sorgfalt 169 und ohne vermeidbare Verzögerungen betrieben werden.492 Ist dies nicht der Fall und wird die Dauer des Verfahrens exzessiv,493 rechtfertigt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK die Fortdauer der Haft nicht mehr.494 Ist nach nationalem Recht eine Höchstdauer für eine Haft zum Zwecke der Abschiebung vorgesehen, kann diese nicht dadurch umgangen werden, dass der Betroffene aus der Haft entlassen wird und kurze Zeit später aufgrund eines neuen Haftbefehls wieder festgenommen wird.495 482
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EGMR Abdolkhani u. Karimnia/TRK, 22.9.2009 = InfAuslR 2010 47; Rusu/A, 2.10.2008 = ÖJZ 2009 426 = NL 2008 276 (Schubhaft). Kritisch zur derzeitigen Situation in Deutschland: Fahlbusch AnwBl. 2011 203. EGMR Nasrulloyev/R (Fn.129). EGMR Riad u. Idiba/B (Fn. 75). Vgl. EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314; Chahal/UK (Fn. 466); dazu Art. 3 EMRK; Frowein/Peukert 85. EGMR Chahal/UK (Fn. 466). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 534 (Caprino); Frowein/Peukert 87 ff.; Trechsel EuGRZ 1980 514, 527. Zum Recht auf ein solches Verfahren vgl. Art. 13 IPBPR. Frowein/Peukert 87 ff.; Trechsel EuGRZ 1987 71.
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EGMR Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471); Frowein/Peukert 87. EKMR (EuGRZ 1985 681) und EGMR Bozano/F (Fn. 16); dazu Frowein/Peukert 88; Herdegen EuGRZ 1986 3; Trechsel EuGRZ 1987 76. EGMR (GK) A. u.a./UK (Fn. 478); Abdolkhani u. Karimnia/TRK (Fn. 482). Zur maximalen Dauer von Abschiebungshaft bei Asylbewerbern im Bereich der EU (Richtlinie 2008/115/EG): EuGH 30.11.2009, Rs. C-357/09 PPU (Kadzoev), NVwZ 2010 693. EGMR Kolompar/B, 24.9.1992, A 235-C = EuGRZ 1993 118 = ÖJZ 1993 177; Quinn/F (Fn. 114); Chahal/UK (Fn. 466); Meyer-Ladewig 52. EGMR John/GR, 10.5.2007: eine andere Beurteilung ist nur dann möglich, wenn das nationale Gericht substantiiert dar-
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Zur Rechtmäßigkeit der Haft gehört die von Absatz 4 vorgesehene Überprüfung, ob sie notwendig ist und ob ihre Dauer nicht außer jedem Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.496 So kann eine vom Betroffenen nicht durch eigenes Verhalten verschuldete übermäßig lange Dauer des Abschiebungs- oder Auslieferungsverfahrens die Haft rechtswidrig werden lassen,497 auch wenn das spezielle Beschleunigungsgebot des Art. 5 Abs. 3 EMRK nur für die Fälle von lit. c, nicht aber für die zum Zwecke der Strafverfolgung durch einen anderen Staat angeordnete Auslieferungshaft gilt (Rn. 234).498 Besteht die Haft aber nur deswegen fort, weil der Betroffene sich der Abschiebung widersetzt und eine solche deshalb trotz mehrfacher Versuche nicht durchgeführt werden kann, ist auch eine länger andauernde Freiheitsentziehung rechtmäßig.499 Der Staat muss lediglich dafür Sorge tragen, dass ausreichende und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausweisung zu gewährleisten. Die Überprüfung der Einhaltung der nationalen Regeln obliegt grundsätzlich den 171 staatlichen Behörden und Gerichten. Allerdings nimmt der EGMR für sich in Anspruch, die Einhaltung des nationalen Rechts in gewissem Umfang zu überprüfen, um eventuelle Verstöße gegen die EMRK festzustellen.500
C. Verfahrensgarantien bei Freiheitsentziehungen I. Recht auf Unterrichtung über die Gründe der Festnahme und die erhobenen Beschuldigungen (Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR) 172
1. Schutzgehalt / Anwendungsbereich. Art. 5 Abs. 2 EMRK normiert eine zentrale Garantie des den gesamten Art. 5 EMRK prägenden Schutzsystems.501 Zweck der Regelung ist, dem Festgenommenen (zum Begriff Rn. 25, 175) durch die Eröffnung der Gründe für seine Festnahme jede Ungewissheit über deren Anlass zu nehmen und ihn in die Lage zu versetzen, ihre Rechtmäßigkeit selbst zu beurteilen und sich mit den im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfen sachgerecht dagegen wehren zu können,502 nicht zuletzt dadurch, dass er eine dem Art. 5 Abs. 4 EMRK / Art. 9 Abs. 4 IPBPR entsprechende Kontrolle der Freiheitsentziehung beantragt. Die Unterrichtungspflicht hat also einen anderen Zweck als die nach Art. 104 Abs. 4 GG / § 114c StPO bestehende innerstaatliche Pflicht, dass ein Angehöriger oder eine Person seines Vertrauens von der Verhaftung unterrichtet wird.
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legen kann, dass der erneute Haftbefehl tatsächlich auf neuen Tatsachen beruht und nicht lediglich eine Wiederholung der Gründe ist, die zu dem ersten Haftbefehl geführt haben. EGMR Rahimi/GR, 5.4.2011, §§ 108 ff., wonach auch eine Haftdauer von zwei Tagen als Konventionsverstoß gewertet werden kann, wenn der Haftbefehl sich als „automatische“ Anwendung des geltenden Rechtes darstellt und die Behörden offensichtlich keine Alternativmaßnahmen erwogen haben und sich die Haft somit nicht als ultima ratio darstellt; EKMR EuGRZ 1982 534 (Caprino); Frowein/Peukert 89.
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EGMR (GK) A. u.a./UK (Fn. 478); Kolompar/B (Fn. 494); Quinn/F (Fn. 114); Chahal/UK (Fn. 466); Frowein/Peukert 89; Villiger 340. EGMR Kolompar/B (Fn. 494); EKMR bei Frowein/Peukert 89. EGMR Ntumba Kabongo/B, 2.6.2005; hier betrug die Abschiebehaft insgesamt zehn Monate. EGMR Al-Moayad/D (E) (Fn. 479). EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); Bordovskiy/R, 8.2.2005, § 55. EGMR van der Leer/NL (Fn. 143); Frowein/ Peukert 91; Meyer-Ladewig 59; Nowak 36; Trechsel EuGRZ 1980 514, 528.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
Eine weitere Pflicht zur Unterrichtung des Beschuldigten ergibt sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR. An sich sind beide Unterrichtungspflichten schon wegen ihres unterschiedlichen Zwecks (Ermöglichung von Einwänden gegen die Haft / Ermöglichung einer effektiven Verteidigung gegen den erhobenen Vorwurf) selbst dort, wo sie nebeneinander stehen, also bei Verfahren wegen einer strafrechtlichen Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK und einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK, nicht notwendig identisch.503 Bei den anderen die Freiheitsentziehung rechtfertigenden Gründen werden hinsichtlich ihrer Mitteilung nach Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR geringere inhaltliche Anforderungen gestellt.504 Die Informationspflicht aus Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR besteht ihrerseits aus zwei unterschiedlichen Pflichten: die Unterrichtung über die Gründe der Festnahme und die Mitteilung der erhobenen Beschuldigungen. Die Pflicht zur Unterrichtung über die Gründe der Festnahme gilt bei allen Freiheitsentziehungen nach Absatz 1.505 Sie besteht dem Zweck der Norm entsprechend unabhängig davon, ob die Freiheitsentziehung rechtmäßig ist 506 und aus welchen Gründen sie angeordnet wurde. Sie greift in allen Fällen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a bis f EMRK Platz,507 auch wenn einige die Festnahme nicht erwähnen. Der Begriff Festnahme ist daher im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 EMRK weit (i.S.v. Freiheitsentziehung) zu verstehen und erfasst nicht nur die (vorläufige) Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat (§ 127 StPO) im engen strafprozessrechtlichen Sinne.508 Die Pflicht zur Mitteilung der erhobenen Beschuldigungen kann nur zum Tragen kommen, wenn auch der Verdacht einer Straftat der bzw. ein Grund für die Festnahme war. Sie besteht vor allem bei der vorläufigen strafprozessualen Festnahme bzw. Untersuchungshaft nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK. Sie kann jedoch auch bei den anderen Fällen des Absatzes 1 wirksam werden, deren Haftgründe an eine Beschuldigung und nicht an eine vollstreckbare Verurteilung wie bei lit. a anknüpfen, so etwa bei der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO (sofern man sie dem lit. e zuordnet). Auch wenn eine Person nach lit. f in Abschiebungs- bzw. Auslieferungshaft genommen wird, wird man ihr neben der formalen Haftanordnung auch die Gründe mitteilen müssen, auf die sich die Freiheitsentziehung stützt. Dazu gehört bei der Auslieferungshaft auch der Vorwurf, auf den sich das Auslieferungsbegehren gründet.509 Da das Recht auf ausrei-
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Vgl. IK/Renzikowski 224. So auch Grabenwarter § 21, 27; KK-EMRKGG/Dörr Kap. 13, 37. EGMR Shamayev/GEO u. R, 12.4.2005, ECHR 2005-III; Abdolkhani u. Karimnia/ TRK (Fn. 482), § 136. Vgl. EGMR IR/UK (Fn. 51). Für den Art. 9 Abs. 2 IPBPR Nowak 35; ebenso für Art. 5 Abs. 2 EMRK: EGMR van der Leer/NL (Fn. 143); Frowein/Peukert 91; Grabenwarter § 21, 27; Meyer-Ladewig 59; Trechsel EuGRZ 1980 514, 528. EGMR X/UK (Fn. 40), EuGRZ 1982 101, hatte zunächst offengelassen, ob Art. 5 Abs. 2 EMRK nur bei Verhaftung wegen des Verdachts einer Straftat gilt; die Pflicht, den aus anderen Gründen Verwahrten über die dafür maßgebenden Gründe zu unterrichten,
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wurde aus dessen Rechtsschutzanspruch nach Art. 5 Abs. 4 EMRK hergeleitet. Konsequent daher und menschenrechtlich geboten die Ausdehnung der Festnahmeinformationspflichten aus § 114b StPO auch auf das Festhalten zur Identitätsfeststellung (§§ 163b, 163c Abs. 1 Satz 1 StPO). Frowein/Peukert 91, 98 (auch für die Gründe der Auslieferung, da auch diese im weiteren Sinn die für den Freiheitsentzug maßgebenden Beschuldigungen seien); IK-EMRK/Renzikowski 227 (Umfang entsprechend demjenigen der Haftprüfung); weniger streng dagegen: EGMR Bordovskiy/R (Fn. 501), §§ 56 ff. (Mitteilung des Umstandes, dass der Betroffene in dem anderen Staat gesucht wird, ausreichend); Grabenwarter § 21, 27; Trechsel EuGRZ
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chende alsbaldige Unterrichtung über alle für die Verhaftung maßgebenden Gründe auch aus Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 9 Abs. 4 IPBPR folgt, hat insoweit die Frage der Tragweite des Absatzes 2 keine große praktische Bedeutung.
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2. Zeitpunkt der Mitteilung / Unterrichtung. Nach Art. 5 Abs. 2 EMRK müssen jeder festgenommenen Person innerhalb möglichst kurzer Frist („promptly“ / „dans le plus court délai“) – nach der Festnahme – deren Gründe und die erhobenen Beschuldigungen mitgeteilt werden. Ob die Mitteilung zeitlich und inhaltlich diesen Anforderungen entspricht, ist jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.510 Art. 9 Abs. 2 IPBPR differenziert in diesem Punkt: schon bei der Festnahme („at the time of arrest“ / „au moment de son arrestation“) sind Festgenommenen deren Gründe („reasons for his arrest“ / „raisons de cette arrestation“) mitzuteilen, während die Unterrichtung über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen („any charges against him“; „toute accusation portée contre lui“) unverzüglich („promptly“ / „dans le plus court délai“) vorzunehmen ist, also auch zu einem späteren Zeitpunkt, etwa bei der ersten Vernehmung oder bei einer sonstigen Anhörung erfolgen kann.511 Die Gründe der Festnahme werden dem festnehmenden Organ (i.d.R. ein Polizei178 beamter) zumindest in groben Umrissen bekannt sein. Ihre Bekanntgabe bei der Festnahme ist daher möglich und dann auch geboten. Die Mitteilung muss aber nicht in vollem Umfang unmittelbar bei der Festnahme erfolgen.512 Erfolgt die Freiheitsentziehung zum Zwecke der Auslieferung, so kann – abhängig vom Einzelfall – auch ein geringerer Umfang an Informationen genügen.513 Die Bekanntgabe der Festnahmegründe darf nur dann kurzfristig aufgeschoben wer179 den, um sie an einem dafür geeigneten Ort vornehmen zu können, wenn eine sofortige Eröffnung wegen der besonderen äußeren Umstände undurchführbar (z.B. schlechtes Wetter auf Hoher See 514) oder unangebracht ist, etwa bei der Festnahme aus einer erregten Menschenmenge heraus, unter sonstigen, längere Erklärungen verbietenden Umständen. Auch in der Person des Festgenommenen können solche Gründe liegen, etwa, wenn er wegen seiner besonderen Situation bei der Festnahme nicht in der Lage ist, die Mitteilung aufzunehmen (körperlicher/psychischer Zustand). Wird diese sobald als möglich nachgeholt, ist ihr Aufschub nach Art. 5 Abs. 2 EMRK zulässig.515 Die Gründe sind dann auch i.S.v. Art. 9 Abs. 2 IPBPR noch „bei der Festnahme“ erteilt. Die Mitteilung nach Art. 5 Abs. 2 EMRK muss alsbald geschehen und sollte in der 180 Regel 24 Stunden nicht überschreiten.516 Der Gerichtshof hat aber auch noch eine Unter-
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1980 514, 528 (wegen des rein formellen Vorbehalts von lit. f kein Recht auf Information über die Auslieferungsgründe). Die Unterrichtungspflicht sichert Rechtsbehelfe nach nationalem Recht, für sie kann es nicht darauf ankommen, dass die EMRK die Grenzen anders zieht. EGMR Rusu/A (Fn. 482), § 36; Bordovskiy/R (Fn. 501), § 55. Vgl. hierzu: HRC Griffin/E, 4.4.1995, 493/1992, § 9.2.; Hill/E, 2.4.1997, 526/ 1993, § 11.2; Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.3. U.a. EGMR Bordovskiy/R (Fn. 501), § 55; Kaboulov/UKR, 19.11.2009, § 143.
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EGMR Bordovskiy/R (Fn. 501), § 56; Kaboulov/UKR (Fn. 512), § 144. Allgemein zu den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 EMRK bei der Pirateriebekämpfung auf Hoher See: Esser/Fischer JR 2010 513. EGMR Khodorkovskiy/R (E), 7.5.2009 (Beschwerde war insoweit aufgrund der Kürze der Verzögerung offensichtlich unbegründet). Vgl. EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315, 7 Stunden); (GK) Murray/UK (Fn. 291, 3 Std.); Egmez/ZYP, 21.12.2000, ECHR 2000-XII, § 85 (Abend der Festnahme); Kaboulov/ UKR (Fn. 512), § 147 (40 Minuten; i.E.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
richtung zwei Tage nach der Festnahme hingenommen,517 eine erst nach 76 Stunden,518 3519 oder 4520 bzw. 10 Tagen521 durchgeführte Mitteilung nicht mehr akzeptiert. Eine Verzögerung der Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 IPBPR im Bereich von Stunden wird auch vom HRC als konventionskonform angesehen. Ein Zuwarten bis zur Ankunft des Dolmetschers von drei Stunden stellte jedenfalls noch keinen Verstoß dar.522 Die kürzeste Verspätung, die je zu der Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 2 IPBPR geführt hat, bewegte sich im Bereich von Tagen.523 Nicht mehr rechtzeitig war die Unterrichtung nach 3,524 7,525 9,526 13527 Tagen sowie nach 2 Monaten.528 Wie eine Unterrichtung 48 Stunden nach der Festnahme zu beurteilen ist, hat das HRC nicht ausdrücklich erklärt. Im Fall Ilombe u. Shandwe begründete es die Verletzung des Art. 9 Abs. 2 IPBPR stattdessen damit, dass der erteilte Hinweis unzureichend war.529 Ob das HRC damit konkludent zum Ausdruck gebracht hat, 2 Tage seien noch angemessen oder ob es seine Entscheidung lediglich auf den eindeutigsten Fehler stützen wollte, ist unklar. Die Mitteilung der erhobenen Beschuldigung(en), die ohnehin nicht in allen Festnahmefällen in Betracht kommt (vgl. Rn. 176), muss innerhalb „möglichst“ kurzer Frist (Art. 5 Abs. 2 EMRK) bzw. unverzüglich (Art. 9 Abs. 2 IPBPR) nach der Festnahme geschehen. Sobald sie – vollständig oder auch nur in Teilen – nach den Umständen durchführbar ist, darf sie nicht länger aufgeschoben werden. Unmittelbar im Zusammenhang mit der Festnahme dürfte dies nicht immer möglich sein, denn die Beschuldigung wird dem die Festnahme durchführenden Amtsträger mitunter nicht mit der erforderlichen Genauigkeit bekannt sein. In solchen Fällen darf die Unterrichtung aufgeschoben werden bis sie ordnungsgemäß, d.h. vollständig durchgeführt werden kann. Hat der Festnehmende einen schriftlichen Haftbefehl zur Hand, in dem die Beschuldigung angeführt ist (vgl. § 114 StPO), so ist in der Regel auch die sofortige Bekanntgabe der darin erhobenen Beschuldigung bei der Verhaftung möglich (vgl. § 114a StPO) und dann auch nach den Konventionen geboten. Bei unverzüglicher Vorführung des Verhafteten vor einen Richter nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK / Art. 9 Abs. 3 IPBPR bzw. §§ 115 f., 128 StPO kann es im Einzelfall genügen, dass dieser die Mitteilung der Beschuldigung im Rahmen der dort vorgesehenen Anhörung vornimmt.
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aber Verstoß bejaht wg. Verzögerung von fast 3 Wochen). EGMR Grauzinis/LIT, 10.10.2000, § 25; vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 386 m.w.N. EGMR (GK) Saadi/UK (Fn. 462) unter Hinweis auf das Kammer-Urteil (Fn. 368), NVwZ 2007 913 (Zustellung Haftbefehl und Anklageschrift nach 85 Tagen Haft). EGMR Leva/MOL, 15.12.2009, §§ 62 f. (indirekte Kenntnisnahme nach 3 Tagen Haft). EGMR Shamayev/GEO u. R (Fn. 505; Auslieferungshaft; falsche Rechtsgrundlage und ungenaue Angabe zu den zugrunde liegenden Tatsachen). EGMR Rusu/A (Fn. 482); van der Leer/NL (Fn. 143). HRC Hill/E (Fn. 511), § 12.2.; vgl. auch: Joseph/Schultz/Castan 11.28.
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Vgl. Joseph/Schultz/Castan 11.28 (7 Tage). Vgl. auch HRC Kennedy/Trinidad u. Tobago, 26.3.2002, 845/1998, Rep. 2002, Annex IX.T, § 7.6: „… delays should not exceed a few days.“ HRC Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.3 (Gründe der Festnahme und Beschuldigung erst nach dreitägiger Haft mitgeteilt). HRC Grant/Jamaika, 22.5.1996, 597/1994, Rep. 1996-II, Annex VIII.Z, § 8.1. HRC Morrison/Jamaica, 3.11.1998, 663/1995, Rep. 1999-II, Annex XI.R, § 8.2. HRC Kirpo/Tadschikistan, 27.10.2009, 1401/2005, § 6.4. HRC Ndong u.a./Äquatorialguinea, 31.10. 2005, 1152 u. 1190/2003, Rep. 2006-II, Annex V.AA, § 6.2. HRC Ilombe u. Shandwe/Kongo, 17.3.2006, 1177/2003, Rep. 2006 Vol. II, Annex V.HH (breach of state security), §§ 2.1, 6.2.
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Fehlen bei der Festnahme die für eine ausreichende Unterrichtung über die Beschuldigung erforderlichen Informationen, so sind sie sofort anzufordern, damit die Unterrichtung ohne jede vermeidbare Verzögerung durchgeführt werden kann. Welche Maßnahmen von Amts wegen zu treffen sind, um das Gebot der baldmöglichsten Unterrichtung einzuhalten, und welche Stelle dafür verantwortlich ist, hängt von der Art des jeweiligen Verfahrens ab. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen, dass die erforderlichen Eröffnungen ohne jede vermeidbare Verzögerung gemacht werden können. Die erforderlichen Unterlagen sind mit der gebotenen Eile beizubringen.
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3. Form der Mitteilung / Unterrichtung. Keine bestimmte Form der Mitteilungen schreiben Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR vor. Durch wen und in welcher Form die Mitteilung bzw. Unterrichtung vorzunehmen ist, überlassen sie dem nationalen Recht. Vor allem behalten sie die Eröffnung nicht dem Richter oder einem Beamten mit richterlichen Befugnissen vor. Die Konventionen fordern nicht, dass die Haftgründe und gegebenenfalls auch die 187 Beschuldigung bei der Verhaftung schriftlich fixiert sein müssen.530 Aus ihnen kann auch kein Recht auf eine Abschrift der Festnahmeanordnung531 oder auf Übersetzung des Haftbefehls532 hergeleitet werden. Es genügt, wenn der Betroffene auf eine ihm verständliche Weise unterrichtet wird. Die Eröffnung kann in der Regel mündlich geschehen.533 Dabei sollen einfache, untechnische und dem Betroffenen leicht verständliche Ausdrücke verwendet werden.534 Die Unterrichtung kann aber auch durch Aushändigung einer Schrift, etwa eines Haftbefehls, vorgenommen werden, sofern diese alle erforderlichen, auf den konkreten Fall der festgenommenen Person bezogenen 535 Angaben enthält und der Festgenommene in der Lage ist, sie zu lesen und zu verstehen.536 Eine etwaige bereits geführte Ermittlungsakte muss dem Betroffenen – zum Zeitpunkt der Festnahme – nicht vollständig zugänglich gemacht werden. Gleichwohl ist stets darauf zu achten, dass der Beschuldigte ausreichend Informationen erhält, um von der Möglichkeit einer Haftprüfung (Absatz 4) Gebrauch machen zu können (Rn. 316 ff.).537 Allgemeine Erklärungen wie z.B. parlamentarische Bekanntmachungen, sind nicht 188 ausreichend und können somit die individuelle Mitteilung nicht ersetzen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EMRK.538 Eine Mitteilung unter Drohungen oder unter Anwendung einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung kann, auch wenn dabei die gegen den Betroffenen erhobenen Beschuldigungen zur Sprache kommen, schon wegen der Begleitumstände und der dadurch bedingten besonderen psychischen Lage des Betroffenen nicht als ausreichende objektive Unterrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EMRK angesehen werden.539
530 531 532 533 534
535
Frowein/Peukert 93; Nowak 37. Vogler ZStW 82 (1970) 757. EGMR H.B./CH, 5.4.2001; Meyer-Ladewig 60. Frowein/Peukert 93; Nowak 37; Vogler ZStW 89 (1977) 761. EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); H.B./CH (Fn. 532), § 47; Frowein/Peukert 93; MeyerLadewig 59 f.: Villiger 350. EGMR (GK) Saadi/UK (Fn. 462) unter Hinweis auf das Kammer-Urteil (Fn. 464), NVwZ 2007 913.
266
536
537 538 539
EGMR Lamy/B, 30.3.1989, A 151 = ÖJZ 1989 763A 151 = StV 1993 283 m. Anm. Zieger 320. EGMR Shamayev/GEO u. R (Fn. 505). EGMR (GK) Saadi/UK (Fn. 462). So aber EGMR Dikme/TRK, 11.7.2000, ECHR 2000-VIII; vgl. auch EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); ablehnend Kühne/Esser StV 2002 383, 386.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Aus dem Zweck der Regelung folgt, dass es Aufgabe der staatlichen Organe ist, die 189 sichere und ausreichende Unterrichtung des Festgenommenen in angemessener, objektiver Form sicherzustellen. Sie müssen die Erfüllung dieser Pflicht ggf. auch belegen. Dass sich aus dem späteren Verteidigungsverhalten des Beschuldigten, insbesondere seinen Rechtsbehelfsbegründungen ergibt,540 dass dieser (inzwischen) sichere Kenntnis der für seine Freiheitsentziehung maßgebenden Umstände erlangt hat, beseitigt nicht den Verstoß gegen den eine alsbaldige Unterrichtung fordernden Absatz 2, sondern allenfalls dessen Fortwirken auf das spätere Verfahren. Im Einzelfall – je nach Art und Ort der Festnahme, Form und Ausgestaltung der Ver- 190 nehmung – kann es ausreichen, wenn die Festnahmegründe dem Betroffenen bekannt sind oder ihm die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen aus den Umständen seiner Festnahme oder aufgrund seiner ersten Vernehmung mit hinreichender Sicherheit ersichtlich sind, die Information mithin nicht ausdrücklich erfolgt.541 Dass im Einzelfall die Umstände einer Festnahme auch „für sich selbst sprechen können“ – mit der Folge, dass der Betroffene einen unterbliebenen Hinweis nicht als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 9 Abs. 2 IPBPR rügen kann542 – entbindet die mit der Festnahme befassten staatlichen Stellen selbstredend nicht von der Pflicht zur Mitteilung. Bei festgenommenen Personen, die nicht nur vorübergehend außerstande sind, die 191 Unterrichtung zu verstehen und sachgerecht darauf zu reagieren (u.U. bei psychisch Kranken), darf die geforderte Unterrichtung entfallen, so, wenn die Person wegen ihres Zustandes die Mitteilung nicht verstehen kann oder wenn dies gefährliche oder für die Person schädliche Reaktionen auslösen würde. Bei einer Besserung des Zustands ist die Unterrichtung nachzuholen. Die Mitteilung kann auch anderen Personen, etwa einem behandelnden Arzt, übertragen werden.543 Ist eine unverzügliche Unterrichtung des Betroffenen selbst nicht möglich, muss sie rechtzeitig einer zu seiner Vertretung berechtigten Person erteilt werden.544 Für solche Fälle wird man dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum für angemessene Regelungen zuzuerkennen haben, die aber immer gewährleisten müssen, dass die Rechte des Untergebrachten, sich gegen die Freiheitsentziehung zu wehren, hinreichend gewahrt sind. Die jeweils einschlägige nationale Verfahrensordnung kann in solchen Fällen auch vorsehen, dass ein gesetzlicher oder auch ein bestellter Vertreter des Festgenommenen oder ein Verteidiger von den Gründen der Freiheitsentziehung zu unterrichten ist. 4. Verwendung einer verständlichen Sprache. Art. 5 Abs. 2 EMRK fordert ausdrück- 192 lich, dass Festnahmegründe und Beschuldigung dem Betroffenen in einer ihm verständlichen Sprache zu eröffnen sind. Im Gegensatz dazu muss die Mitteilung nach Art. 9 Abs. 2 IPBPR zunächst nicht in einer für den Festgenommenen verständlichen Sprache erfolgen, es ist nur erforderlich, dass zur Zeit der Festnahme die Information überhaupt erfolgt; erst spätere Informationen müssen dann in konkreter Art und Weise – auch unter Angabe der Festnahmegründe – erfolgen und zwar dergestalt, dass der Betroffene angemessen auf die Vorwürfe
540 541
EGMR H.B./CH (Fn. 532). EGMR Mkhitaryan/ARM, 2.12.2008 (offensichtliche Kenntnis); Fox u.a./UK (Fn. 315); Murray/UK (Fn. 291); Lamy/B (Fn. 536); Kühne/Esser StV 2002 383, 386 m.w.N.; Esser 258; Villiger 350.
542
543 544
Vgl. EGMR Dikme/TRK (Fn. 539); HRC Stephens/Jamaika, 25.10.1995, 373/1989, § 9.5; Grant/Jamaika (Fn. 523), § 8.1. Frowein/Peukert 95. Trechsel EuGRZ 1980 514, 529.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
reagieren kann, demzufolge ist eine Information in einer verständlichen Sprache erst zu diesem Zeitpunkt nötig.545 In den Vertragsstaaten der EMRK gelten die strengeren Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 EMRK (vgl. Art. 5 Abs. 2 IPBPR).546 Jede Mitteilung muss dem Betroffenen in geeigneter Form verständlich gemacht werden. Dies gilt schon für die Mitteilung der Festnahme und ihrer Gründe. Vor allem die Bekanntgabe der Beschuldigung bei einem Festgenommenen, der die Sprache nicht versteht, wird kaum ohne Verwendung einer für ihn verständlichen Sprache möglich sein. Es braucht sich allerdings nicht um seine Muttersprache zu handeln.547 Eine Verpflichtung, einem in der Gerichtssprache abzufassenden Haftbefehl eine 193 schriftliche Übersetzung beizufügen, kann zwar nicht unmittelbar auf Art. 5 Abs. 2 EMRK gestützt werden.548 Aber schon bislang wurde in Deutschland von der h.L. aus Art. 5 Abs. 2 EMRK i.V.m. § 114a Abs. 2 StPO a.F. (Nr. 181 Abs. 2 RiStBV) ein Anspruch auf Aushändigung einer schriftlichen Übersetzung des Haftbefehls abgeleitet.549 Zum 1.1.2010 ist dies durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009550 in § 114a Satz 1 StPO nunmehr ausdrücklich normiert. Außerdem hat Art. 5 Abs. 2 EMRK (mündliche Unterrichtung) für den Fall, dass die Aushändigung einer Abschrift und einer etwaigen Übersetzung nicht möglich ist, Eingang in § 114a Satz 2 StPO gefunden. Zu Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK vgl. Art. 6 EMRK Rn. 534 ff. Teilweise wird gefordert, die Grundsätze zur unentgeltlichen Unterstützung durch 194 einen Dolmetscher im Strafverfahren (Art. 6 EMRK Rn. 828) allgemein auf den Fall der Freiheitsentziehung zu übertragen.551 Ein Recht auf unentgeltliche Dolmetscherunterstützung lässt sich aus Art. 5 Abs. 2 EMRK zwar nicht ableiten,552 ein solches Recht wird aber bereits im Ermittlungsverfahren 553 von Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK gewährleistet.554 Einer Straftat angeklagt i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. e i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist eine Person nicht erst, wenn gegen sie die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist
545 546
547
Nowak 36 ff.; zu diesem „späteren“ Zeitpunkt („promptly“) vgl. insbes. 39. Zu den Vorgaben auf EU-Ebene betreffend Dolmetscherunterstützung vgl. Art. 6 EMRK Rn. 563 ff., 869 ff. (Anspruch auf Dolmetscherunterstützung ab dem Moment, in dem der betroffenen Person mitgeteilt wird, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, und schriftliche Übersetzung des Haftbefehls). Anders der RiL-Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie, KOM(2010) 82 endg. v. 9.3.2010, vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, 5 RiL-KomE. Die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren wurde am 20.10.2010 beschlossen; vgl. zum Erfordernis einer Übersetzung in die Muttersprache des Betroffenen Nr. 22 der Gründe, ABlEU Nr. L 280 v. 26.10.2010, S. 1 ff.
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549 550 551 552
553
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Vgl. EGMR H.B./CH (Fn. 532), § 47; LR/Hilger § 114a, 7 StPO; Meyer-Ladewig 60. Staudinger StV 2002 327, 329 m.w.N. BGBl. I S. 2274. So etwa OLG Celle StV 2005 452 (Abschiebehaft); LG Lübeck StraFo 2004 130. KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 36; Trechsel 460 f. (Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK auf die Fälle des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK ausdrücklich nicht erörtert; Auswirkungen auf die Rechtsausübung in den anderen Fälle unter Bezugnahme auf EGMR Luedicke u.a./D, 28.11.1978, A 29, § 42 = NJW 1979 1091 ausgeschlossen); IK-EMRK/Renzikowski 581. Vgl. Art. 6 EMRK Rn. 839; BVerfG NJW 2004 50 (auch unter Berufung auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG); Meyer-Ladewig Art. 6, 231. EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 552), § 49.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
(vgl. § 157 StPO).555 Im Wege einer autonomen Auslegung sieht der EGMR bereits in der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bzw. in der offiziellen amtlichen Unterrichtung des Betroffenen darüber, dass ihm eine Straftat angelastet werde, eine Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK.556 In deren Folge hat eine Übersetzung sämtlicher Schriftstücke und mündlicher Erklärungen zu erfolgen, soweit der Betroffene auf deren Verständnis angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben.557 Hierzu gehört auch die Übersetzung der Erklärungen des Betroffenen zur Wahrnehmung seiner Rechte (z.B. Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Festnahme).558 Liegt der Freiheitsentziehung indes keine strafrechtliche Anklage zugrunde (z.B. im Falle der drohenden Abschiebung wegen Wegfalls des Aufenthaltstitels aus sonstigem Grund), so muss eine Pflicht zur Dolmetscherunterstützung in dem für das Verfahren angemessenen Umfang unmittelbar aus Art. 5 Abs. 2 EMRK hergeleitet werden. 5. Inhalt der Mitteilung / Unterrichtung a) Gründe der Festnahme. Was dem Festgenommenen als Gründe der Festnahme 195 jeweils mitzuteilen ist, richtet sich nach den Erfordernissen, an die das nationale Recht die Freiheitsentziehung knüpft.559 Unerlässlich ist ein Mindestmaß an sachlicher Information.560 Der bloße Hinweis auf die abstrakte Rechtsgrundlage allein genügt nicht. Zusätzlich sind die konkreten Tatsachen, die die rechtlichen Erfordernisse der Freiheitsentziehung belegen, dem Betroffenen bekannt zu geben.561 Soweit eine förmliche behördliche oder gerichtliche Anordnung vorliegt, ist ihm diese zu eröffnen. Grundsätzlich genügt es, wenn sich die maßgebenden Tatsachen und Rechtsgründe entsprechend dem Verfahrensstand auf das Wesentliche beschränken. Eine detaillierte Offenlegung aller den Ermittlungsbehörden bekannten oder von ihnen vermuteten Tatsachen und eine eingehende juristische Begründung kann aus Anlass einer Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat nicht gefordert werden und wäre im Zeitpunkt der Festnahme vielfach auch noch gar nicht möglich. b) Erhobene Beschuldigung. Die Mitteilung der erhobenen Beschuldigung(en) muss 196 ebenfalls die konkreten Tatsachen umfassen, auf die sich der Vorwurf gründet. Sie muss sich aber noch nicht auf jedes Detail bzw. jeden rechtlichen Gesichtspunkt erstrecken.562 Auch wenn nicht in jedem Fall eine vollständige Liste sämtlicher Beschuldigungen mitzuteilen ist,563 hat die Unterrichtung sich jedenfalls dann auf alle Beschuldigungen zu beziehen, wenn diese sich in der Sache und/oder hinsichtlich der gesammelten Beweise hin-
555
556 557 558 559
560
EGMR Deweer/B, 27.2.1980, A 35, § 42 = EuGRZ 1980 667; Neumeister/A (Fn. 14; Beginn der angemessenen Frist in Art. 6 Abs. 1 EMRK mit der Festnahme). EGMR Deweer/B (Fn. 555), §§ 24, 44. EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 552). BGHSt 46 178, 184 = NJW 2001 309. Vgl. Frowein/Peukert 93, 97, wonach Verdachtsgründe, die nach der gesetzlichen Regelung keine Voraussetzung für eine Festnahme zu Kontrollzwecken sind, nicht mitgeteilt werden müssen. Vgl. Trechsel EuGRZ 1980 514, 528; auch ein erst in der Hauptverhandlung erlassener
561
562 563
Haftbefehl ist zu begründen: LG Zweibrücken NJW 2009 1828. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 430 (McVeigh); Nowak 38; HRC Drescher/ Uruguay, 21.7.1983, 43/1979, § 13.2: „… it was not sufficient to inform Adolfo Drescher Caldas that he was being arrested under the prompt security measures without any indication of the substance of the complaint against him“; HRC Ilombe u. Shandwe/Kongo (Fn. 529), § 6.2. Vogler ZStW 89 (1977) 761, 772. Vgl. EGMR Kaboulov/UKR (Fn. 512), § 144.
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reichend unterscheiden, so dass sie z.B. Gegenstand separater Ermittlungen sind.564 Zur Erfüllung der Informationspflicht nach Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR genügen in der Regel weniger umfassende Mitteilungen als sie Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR zur Vorbereitung der Verteidigung erfordern (vgl. Art. 6 EMRK Rn. 548 ff.).
197
6. Wiederholung der Unterrichtung. Ist der Pflicht zur Mitteilung bzw. Unterrichtung zu Beginn der Haft entsprochen worden, muss die Unterrichtung während der Dauer der Freiheitsentziehung nicht wiederholt werden. Die Rechte im Haftprüfungsverfahren und die damit verbundenen Informationspflichten richten sich nach Art. 5 Abs. 4 EMRK / Art. 9 Abs. 4 IPBPR. Wird allerdings die Haft später auf einen anderen Grund gestützt, ist dieser dem Inhaftierten entsprechend dem Zweck der Regelung nach Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR zu eröffnen, da dieser ein neues Verteidigungsvorbringen erfordern kann.565 Eine erneute Unterrichtung ist auch dann geboten, wenn eine Person nach der Entlassung aus der Haft erneut festgenommen wird.566
198
7. Kompensation. Als angemessene Abhilfe/Kompensation für eine Verletzung u.a. der Unterrichtungspflicht aus Art. 9 Abs. 2 IPBPR hat der ICTR eine Strafmilderung, nicht aber eine Verwirkung des Strafverfolgungsrechts, angesehen.567
II. Vorführung und richterliche Haftprüfung von Amts wegen nach Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK / Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPBPR) 199
1. Allgemeines. Weitgehend übereinstimmend sehen Art. 5 Abs. 3 EMRK und Art. 9 Abs. 3 IPBPR besondere Verfahrensgarantien und damit Sonderregelungen zum Schutz von Personen gegen rechtswidrige Freiheitsentziehungen568 wegen des Verdachts einer Straftat (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK) vor:
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a) Vorführungspflicht. Eine festgenommene Person muss von Amts wegen unverzüglich einem Richter oder einem funktionsmäßig gleichgestellten Amtsträger vorgeführt werden („brought promptly before a judge“), der sie persönlich anhört und in richterlicher Unabhängigkeit über das Gewicht der vorgetragenen Tatsachen und die Rechtmäßigkeit der Haft verbindlich entscheidet (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK / Art. 9 Abs. 3 564 565
566
EGMR Leva/MOL (Fn. 519), § 60. Allerdings hat das HRC Leehong/Jamaica, 13.7.1999, 613/1995, Rep. 1999, Vol. II, Annex XI.G, § 9.4 einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 IPBPR (nicht aber einen gegen Art. 9 Abs. 3 IPBPR) abgelehnt, obwohl der Betroffene wegen des Verdachts einer Straftat ohne eine entsprechende Unterrichtung weiter in Haft gehalten wurde, nachdem der ursprünglich gegen ihn erhobene Vorwurf einer anderen Straftat bereits fallen gelassen worden war. EGMR X/UK (Fn. 40); Frowein/Peukert 92; Trechsel EuGRZ 1980 514, 528.
270
567 568
ICTR-Rechtsmittelkammer (Juvénal Kajelijeli), 23.5.2005, NJW 2005 2934. Daneben legen zahlreiche Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates – über die Maßstäbe der EMRK z.T. deutlich hinausgehende – Mindeststandards für Anordnung und Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft fest, vgl. zuletzt Rec (2006)13 vom 27.9.2006 über die Anordnung von Untersuchungshaft, der Bedingungen ihres Vollzugs und über die Einrichtung von Sicherheiten gegen ihre missbräuchliche Verwendung; siehe hierzu auch: Esser Begrenzung der Untersuchungshaft 241.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
Satz 1 IPBPR).569 Die unverzügliche Vorführung zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Freiheitsentziehung soll rechtswidrige oder gar missbräuchliche Festnahmen und Verhaftungen frühzeitig beenden und durch die baldige richterliche persönliche Anhörung Misshandlungen des in Haft Genommenen durch die Polizei vorbeugen.570 Ein Anspruch auf wiederholte Vorführung erwächst dem Beschuldigten aus Absatz 3 nicht; er kann dies nach Absatz 4 beantragen (Rn. 316, 318).571 b) Beschleunigungsgrundsatz. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz EMRK und Art. 9 201 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz IPBPR gewähren einen Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft. Intendiert ist also die zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft („length of pre-trial detention“). Die Haftentlassung darf dabei von einer Sicherheitsleistung (Kaution) abhängig gemacht werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK / Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR; Rn. 306 ff.). c) Ausnahmecharakter von Untersuchungshaft. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR spricht außerdem den Grundsatz aus, dass es nicht die Regel sein darf, dass Personen, die eine Aburteilung erwarten, in Haft gehalten werden.572 Dieser Grundsatz gilt auch für Art. 5 EMRK (vgl. Rn. 130, 254). Die vorgenannten Garantien finden auf unterschiedliche Zeitabschnitte nach der Festnahme bzw. Verhaftung Anwendung. Sie bestehen daher ohne logische oder zeitliche Verknüpfung nebeneinander.573 Während die Vorführungspflicht die Phase unmittelbar nach der Festnahme betrifft, gelten das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und der Grundsatz vom Ausnahmecharakter und einer daraus resultierenden Rechtfertigungsbedürftigkeit von Untersuchungshaft im konkreten Einzelfall für den gesamten Zeitraum von der Festnahme bis zum (ersten) gerichtlichen Urteil. Die Garantien des Art. 5 Abs. 3 EMRK gelten für alle Fälle des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK.574 Straftat i.S.v. Art. 5 Abs. 3 EMRK ist hier – wie auch bei Absatz 1 – in einem weiten Sinn zu verstehen, so dass auch strafähnliche Sanktionen, wie freiheitsentziehende Disziplinarstrafen, darunter fallen. Für Art. 5 Abs. 3 EMRK ergibt sich dies auch aus der Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK sowie aus dem Zusammenhang beider Vorschriften.575 Für Freiheitsentziehungen, die nur nach anderen Haftgründen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK normierten Katalogs gerechtfertigt werden können, gilt Absatz 3 nicht,576 569
570 571 572
Siehe etwa HRC Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.4, wo der Beschuldigte nie einem Richter oder einem funktionsmäßig gleichgestellten Amtsträger vorgeführt worden war. Das HRC wiederholt, dass die Haftdauer ohne richterliche Bewilligung wenige Tage nicht überschreiten sollte. EGMR (GK) Aquilina/MLT, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 2001 51 m.w.N. Kühne/Esser StV 2002 383, 387. Vgl. etwa HRC Smantser/Weißrussland, 17.11.2008, 1178/2003, § 10.3: Untersuchungshaft muss Ausnahme sein; bloße Annahme, dass der Beschuldigte die Ermittlungen beeinträchtigen oder fliehen würde, wenn er auf Kaution entlassen wird, recht-
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574
575 576
fertigt keine Ausnahme; vgl. auch HRC Casanovas/Frankreich, 28.10.2008, 1514/2006, § 11.4. EGMR Ladent/PL (Fn. 346), § 71 mit Verweis auf EGMR (GK) T.W./MLT, 29.4.1999, § 49. EGMR Lawless/IR (Fn. 51); vgl. zur strittig gewordenen Frage, ob Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK eine reine Präventivhaft zur Verhinderung einer konkreten Straftat erlaubt oder ob er nur ein zusätzlicher Haftgrund bei Verdacht einer bereits begangenen Tat ist Rn. 132 ff. Vgl. Rn. 115 ff. EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80, Landstreicher).
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
so auch nicht für die Ordnungshaft, die Beugehaft oder für die Verwahrung bzw. Auslieferungshaft nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK.577 Allerdings hat der EGMR für diese Arten bzw. Formen der Freiheitsentziehung dem Art. 5 Abs. 3 EMRK vergleichbare Standards über das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK entwickelt (vgl. Rn. 62 ff.; 169 f.). 2. Recht auf Vorführung vor einen Richter oder eine andere gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigte Person (Art. 5 Abs. 3 EMRK / Art. 9 Abs. 3 IPBPR)
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a) Zweck der Vorführung. Zweck der Vorführung ist die unverzügliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung.578 Eine Freiheitsentziehung aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (Verhaftung) lässt die Pflicht zur unverzüglichen Vorführung des Verhafteten daher nicht entfallen.579 Die Vorführung vor das zur Entscheidung in der Sache berufene Gericht genügt 207 nur dann, wenn dieses auch zur Entscheidung über die Haftfrage berufen ist.580 Das gilt auch dann, wenn dieses Gericht den Angeklagten in einem beschleunigten Verfahren sofort aburteilt – und dabei auch über die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung entscheidet.581 b) Richter / andere ermächtigte Person. Ein Richter im klassischen Sinn582 oder eine andere gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigte Person muss die Freiheitsentziehung überprüfen. Diese Regelung, die dem nationalen Recht mit ihren beiden Alternativen einen weiten Gestaltungsraum lässt, will zur Sicherung der persönlichen Freiheit und zur Ausschaltung von Willkür erreichen, dass über die Haft schnell und in einem Verfahren entschieden wird, das sich an den Konstitutionsprinzipien des richterlichen Verfahrens orientiert,583 ohne aber mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Verhältnisse in den Konventionsstaaten die Einschaltung eines Gerichts im engeren Sinne zwingend vorzuschreiben. Einer (anderen) Person i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK müssen die richterlichen 209 Funktionen für diese Aufgabe kraft Gesetzes übertragen sein. Ihre Ausgestaltung kann
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Trechsel EuGRZ 1987 69, 71. Vgl. etwa HRC Sharma/Nepal, 6.11.2008, 1469/2006, § 7.3, wo der Beschuldigte nie einem Richter vorgeführt worden war und die Rechtmäßigkeit seiner Freiheitsentziehung nicht überprüfen lassen konnte. EGMR Harkmann/EST, 11.7.2006, §§ 37 f.; Nowak 38; Renzikowski Habeas Corpus 311, 320; vgl. demgegenüber zum früheren Meinungsstreit: EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Frowein/Peukert 101 (Kontrolle der durch die Polizei oder andere Exekutivorgane nach lit. c angeordneten Haft). EGMR De Jong u.a./NL, 22.5.1984, A 77 = EuGRZ 1985 700; Duinhof u.a./NL, 22.5.1984, A 79 = EuGRZ 1985 708; van der Sluijs/NL, 22.5.1984, A 78 = EuGRZ 1985 708; Frowein/Peukert 101.
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Dass dabei die Grundsätze eines fairen Verfahrens, insbesondere die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK möglicherweise unzureichend beachtet werden, ist streng von der Frage zu trennen, ob das Gericht eine zur Vorführung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK taugliche Stelle ist. Vgl. dazu Rn. 57 (Art. 5 Abs. 1 EMRK) und Rn. 322 ff. (Art. 5 Abs. 4 EMRK); ferner zu den Anforderungen an ein Gericht auch Art. 6 EMRK Rn. 127 ff. und zu der unterschiedlichen Ausdrucksweise: EGMR Schiesser/CH (Fn. 288). EGMR Schiesser/CH (Fn. 288); De Jong u.a./NL(Fn. 580; nationaler auditeur-militair hatte nicht die Befugnis, die Freilassung zu verlassen).
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im nationalen Recht variieren; notwendig ist jedoch immer, dass die Person in sachlicher Unabhängigkeit über die Haftfrage bzw. Freilassung selbst verbindlich entscheiden kann und dass sie zumindest insoweit auch ihrer Stellung nach unabhängig von der Exekutive und den Parteien ist.584 Die Abhängigkeit von einer weisungsbefugten anderen Stelle schadet nur dann nicht, wenn diese ihrerseits insoweit volle sachliche Unabhängigkeit genießt.585 Sind der über die Haft in sachlicher Unabhängigkeit entscheidenden Person für die gleiche Sache auch Funktionen der Verfolgungsbehörde übertragen, so widerspricht die Verbindung mit dieser Parteifunktion nicht nur den Anforderungen an ein echtes Gericht, sondern auch den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EMRK.586 Das unerlässliche Vertrauen in die Unvoreingenommenheit der in richterlicher Unabhängigkeit zu treffenden Entscheidung über die Haft darf schon durch den äußeren Anschein einer Funktionsvermischung nicht beeinträchtigt werden. Eine solche läge etwa vor, wenn die mit der Haftprüfung betraute Person später die Rolle eines Verfahrensbeteiligten innehat, etwa indem sie über die Anklageerhebung zu befinden hat oder gar die Vertretung der Anklage übernimmt.587 Dies gilt selbst dann, wenn die Person (retrospektiv betrachtet) im konkreten Fall in der verfolgenden Funktion nicht tätig geworden ist.588 Maßgebend ist die Perspektive des Beschuldigten im Zeitpunkt der Vorführung und Haftentscheidung.589 c) Vorführung. Die Vorführung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK und Art. 9 Abs. 3 210 IPBPR hat stets von Amts wegen zu erfolgen; sie darf nicht von einem Antrag des Festgenommenen bzw. Verhafteten abhängig gemacht werden.590
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EGMR Moulin/F, 23.11.2010, §§ 57 ff.; Vachev/BUL, 8.7.2004, ECHR 2004-VIII (Ermittlungsbeamter, der Hausarrest anordnet, keine unabhängige Stelle); vgl. auch HRC Smantser/Weißrussland (Fn. 572), § 10.2 – Staatsanwalt hat nicht die Objektivität und Unparteilichkeit, um als gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigte Amtsperson gemäß Art. 9 Abs. 3 IPBPR angesehen werden zu können; vgl. auch HRC Kaldarov/Kirgisistan, 18.3.2010, 1338/2005, § 8.2. EGMR Schiesser/CH (Fn. 288); dazu Pieth EuGRZ 1980 208; Trechsel JZ 1981 135; De Jong u.a./NL (Fn. 580); Frowein/Peukert 106 ff. Vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 387; sowie die Urteile zum polnischen Staatsanwalt (Vertreter der Anklage, prosecutor), der vor der Reform im Jahre 1995 für die Anordnung einer auf höchstens drei Monate befristeten Untersuchungshaft zuständig war; dieser war keine unabhängige Person i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK, vgl. exemplarisch: EGMR Jansínski/PL, 20.12.2005; hierzu auch Renzikowski Habeas Corpus, 311 ff.
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EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580); Duinhof u.a./NL (Fn. 580); Huber/CH, 23.10.1990, A 188 = EuGRZ 1990 502 = NJW 1991 1403 = ÖJZ 1991 325; Hood/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = EuGRZ 1999 117 = NVwZ 2001 304 = ÖJZ 1999 816 (militärischer Vorgesetzter, der auch über Anklage entscheiden kann); vgl. auch EGMR Piersack/B, 1.10.1982, A 53, EuGRZ 1985 301; BGer EuGRZ 1995 163. Für den Bezirksanwalt im schweizerischen Kanton Zürich: EGMR Huber/CH (Fn. 587); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 90 (Huber); anders noch: EGMR Schiesser/ CH (Fn. 288), wo nur darauf abgestellt wurde, dass der Bezirksanwalt im konkreten Fall nicht als Anklagebehörde tätig geworden war; vgl. auch BGer EuGRZ 1989 181; Trechsel EuGRZ 1980 514, 530. EGMR Hood/UK (Fn. 587); Jordan/UK, 14.3.2000; Niedbala/PL, 4.7.2000, ECHR 2000-VII; Meyer-Ladewig 31, 32. Vgl. EGMR (GK) Medvedyev u.a./F (Fn. 124), § 122; Samoila u. Cionca/RUM, 4.3.2008; De Jong u.a./NL (Fn. 580); (GK) Aquilina/MLT (Fn. 570); Meyer-Ladewig 64; Kühne/Esser StV 2002 383, 387.
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Die Vorführung schließt die persönliche Anhörung des Festgenommenen zu allen für die Anordnung der Haft maßgebenden Umständen durch den Richter oder die eine richterliche Funktion ausübende Person ein („procedural requirement“),591 so wie dies §§ 115 Abs. 2 u. 3, 128 Abs. 1 Satz 2 StPO vorsehen. Für das Verfahren ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich; eine gefestigte Praxis ist 212 nicht ausreichend.592 Der Richter, dem der Festgenommene vorgeführt wird, muss die Gründe der Freiheitsentziehung zumindest in ihren wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere auch das Vorliegen eines durch Tatsachen hinreichend belegten Tatverdachts selbst nachprüfen („substantive requirement“).593 Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Festgenommenen muss er über die Haftfrage in Abwägung der für und gegen die Haft sprechenden Umstände alsbald selbst und in eigener Verantwortung entscheiden.594 An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Richter die vorangegangene Festnahme bzw. Verhaftung nur eng begrenzt auf die Zuständigkeit der anordnenden Behörde und auf einen Ermessensmissbrauch hin überprüfen darf 595 oder wenn er rechtlich nur zu einer Stellungnahme zur Haftfrage befugt ist, ohne selbst die Freilassung verfügen zu können.596 Kann das angerufene Gericht die Haftentlassung nur für den Fall anordnen, dass keine Haftgründe vorliegen, nicht aber auch über die Freilassung gegen Kaution entscheiden (wegen der Zuständigkeit eines anderen Gerichtes in dieser Frage), so ist – wenn für den Betroffenen keine maßgebliche Verzögerung entsteht – Art. 5 Abs. 3 EMRK nicht verletzt.597 Den gegen die eingeschränkte Entscheidungskompetenz und mangelnde Aktenkennt213 nis des nächsten Richters i.S.v. § 115a StPO a.F. zu Recht vorgebrachten Bedenken598 trägt die am 1.1.2010 in Kraft getretene Neuregelung599 des § 115a StPO dadurch Rechnung, dass sich der festgenommene Beschuldigte nun auch gegenüber dem nächsten Richter umfassend gegen die Vorraussetzungen der U-Haft (dringender Tatverdacht; Haftgrund) zur Wehr setzen kann – ohne dass das Gesetz diesem eine erweiterte Ent-
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Siehe EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580); Frowein/Peukert 106; Nowak 39. Meyer-Ladewig 69; IK-EMRK/Renzikowski 345 mit Verweis auf EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580) und EGMR Hood/UK (Fn. 587). Kühne/Esser StV 2002 383, 387; MeyerLadewig 68 f. EGMR Schiesser/CH (Fn. 288); De Jong u.a./NL (Fn. 580); (GK) Aquilina/MLT (Fn. 570); Frowein/Peukert 106; Trechsel EuGRZ 1980 514, 531. Wie etwa im „Habeas Corpus Verfahren“; vgl. auch die Fälle bei Art. 5 Abs. 4 EMRK, Rn. 324 ff. Siehe hierzu auch: BVerfG Beschl. v. 16.9.2010 – 2 BvR 1608/07 m. Anm. Pauly StRR 2011 146 (Amtsgerichtliche Überprüfung der Auslieferungshaft nach § 22 IRG; mindestens summarische Prüfung der Haftvoraussetzungen der §§ 15, 16 IRG in „Evidenzfällen“ erforderlich). EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580); Nowak 39.
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EGMR McKay/UK, 3.10.2006, ECHR 2006-X = NJW 2007 3699; anders noch: EGMR (GK) Aquilina/MLT (Fn. 570), §§ 42, 54. Renzikowski Habeas Corpus, 318 f., 323, hielt die Vorführung vor den nächsten Richter gem. § 115a StPO a.F. wegen dessen beschränkter Entscheidungskompetenz (§ 115a Abs. 2 Satz 3 StPO a.F.) für nicht konventionskonform; vgl. hierzu auch SK/Paeffgen § 115a, 5 ff. StPO m.w.N. Gesetz zur Überarbeitung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009 (BGBl. 2009 I S. 2274); vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 16 13097 S. 18; zur Neufassung des § 115a StPO: Deckers StraFo 2009 441, 443 mit. krit. Anm. zur Frage der Akteneinsicht des Beschuldigten in der Konstellation des § 115a StPO.
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scheidungskompetenz einräumt. Die Neufassung des § 115a StPO sieht neben einer unverzüglich und auf dem nach den Umständen angezeigten schnellsten Weg zu erfolgenden Benachrichtigung des zuständigen Gerichts und der zuständigen Staatsanwaltschaft (§ 115a Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz StPO) eine unverzügliche Prüfung und Entscheidung des zuständigen Gerichts vor, ob der Haftbefehl aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen ist, § 115a Abs. 2 Satz 4 2. Hs. StPO.600 Für die Entscheidung des Richters schreiben die Konventionen keine besondere Form 214 vor. Ihre schriftliche Abfassung und Begründung unter konkreter Angabe der für sie wesentlichen Tatsachen ist jedoch auch von Konventions wegen angezeigt, da andernfalls die Gefahr besteht, dass das Vorliegen einer ordnungsgemäßen, die Haft rechtfertigenden Entscheidung im Verfahren vor dem EGMR nicht belegt werden kann.601 Im Übrigen werden für das Verfahren keine besonderen förmlichen Anforderungen 215 aufgestellt. Aus dem Recht auf effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK) leitet der EGMR allerdings einen Anspruch des Beschuldigten auf Zugang zum einem Verteidiger und auf dessen Beistand schon bei der ersten (polizeilichen) Vernehmung ab, der nur (ausnahmsweise) aus guten Gründen eingeschränkt werden darf (ausführlich dazu Art. 6 EMRK Rn. 580).602 Dieses Recht muss der Beschuldigte aber auch dann haben, wenn es während einer Vorführung nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK zu einer Vernehmungssituation durch den Richter bzw. durch die andere ermächtigte Person kommt. Gerade in dieser Situation ist zu befürchten, dass der Beschuldigte sich ohne anwaltlichen Beistand selbst belastet.603 Dabei scheint der EGMR dem Beschuldigten sogar ein Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers bei der Vernehmung zubilligen zu wollen (ausführlich dazu Art. 6 EMRK Rn. 605).604 Wird dem Beschuldigten vor bzw. während einer Vorführung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK der Zugang zu einem Verteidiger vorenthalten, so dürfte derzeit nur Art. 6 EMRK und nicht zusätzlich auch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK verletzt sein – solange der Gerichtshof sich nicht dazu bekennt, dem Zugangsrecht zum Verteidiger auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK originäre Bedeutung beizumessen. Das deutsche Recht schreibt seit dem 1.1.2010 eine Verteidigerbestellung im Vorverfahren zwingend erst „unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung“ der Untersuchungshaft (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO) vor. Im Falle der vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO) ist damit der Termin der richterlichen Vorführung nach § 128 StPO noch nicht erfasst.605 Liegt der Freiheitsentziehung allerdings eine richterliche Anordnung (sog. Haftbefehl, § 114 StPO) bereits zugrunde (Verhaftung), so spricht aus beschuldigtenfreundlicher Perspektive viel dafür, die „Vollstreckung“ (i.S.v. § 141 Abs. 3 Satz 4) der durch den Haftbefehl „angeordneten“ Untersuchungshaft (§ 114 Abs. 1 StPO) bereits mit dem Zugriff, jedenfalls aber im Vorführtermin nach §§ 115, 115a StPO „beginnen“ zu lassen; für diesen Termin sollte dem Beschuldigten also ein Verteidiger zu bestellen sein.606 Die unterschiedliche Behandlung von vorläufiger Festnahme und Ver-
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Wiesneth DRiZ 2010 49. Vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 389. EGMR (GK) Salduz/TRK, 27.11.2008, §§ 52, 55. Zum Zusammenhang zwischen dem Recht auf Verteidigerkonsultation und dem nemotenetur-Prinzip EGMR (GK) Salduz/TRK (Fn. 602), § 54. EGMR Panovits/ZYP, 11.12.2008, § 66; Pishchalnikov/R, 24.9.2009, § 79; zu dieser
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Frage Beijer EurJCrimeCrLJ 2010 311, 332 ff. Ebenso Schlothauer/Weider 282; Bittmann NStZ 2010 13, 15. So auch: Deckers StraFo 2009 441, 443; Kazele NJ 2010 1, 4; Schlothauer/Weider 352; a.A. aber: Wohlers StV 2010 151, 152 („Vollstreckung“ erst im Anschluss an die Entscheidung des Richters).
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haftung in Bezug auf den erforderlichen Verteidigerbeistand im Vorführtermin mutet allerdings willkürlich an, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betroffene im Falle einer vorläufigen Festnahme – ohne vorangegangene richterliche Kontrolle der Gründe der Freiheitsentziehung – sogar schutzbedürftiger erscheint.607 Dieser Exkurs ins nationale Recht verdeutlich, dass die Frage des Verteidigerbeistands vor bzw. bei der Vorführung vor einen Richter, der über die Aufrechterhaltung einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK entscheidet, zu den drängendsten menschenrechtlichen Fragestellungen des Rechts auf Freiheit aus Art. 5 EMRK gehört.
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d) Unverzüglich. Unverzüglich („promptly“, „aussitôt“ bzw. „dans le plus court délai“) nach der Festnahme ist der Festgenommene dem Richter vorzuführen. Eine bestimmte (Maximal-)Frist ist in Absatz 3 nicht festgelegt. Ob der Zeitraum bis zur richterlichen Anhörung den Anforderungen an eine unverzügliche Vorführung i.S.d. Absatzes 3 (noch) genügt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.608 Der abstrakten Beurteilung bestimmter Zeiträume vorrangig ist das Gebot der Unver217 züglichkeit einer richterlichen Prüfung der Freiheitsentziehung.609 Die von den Konventionen als zulässig angesehene Frist wird stets überschritten, wenn die Zeit bis zur Vorführung ohne vernünftigen Grund länger als nötig ausgedehnt wird, die Verzögerung also nicht mehr mit den Besonderheiten des Einzelfalls gerechtfertigt werden kann. Dies gilt vor allem, wenn eine an sich alsbald durchführbare Vorführung aus Nachlässigkeit, bürokratischer Umständlichkeit oder aber aus Willkür verzögert wird.610 Die besondere Bedeutung des Gebots der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Haftentscheidung hat auch das BVerfG für Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG herausgestellt.611 Fristen bis zu zwei Tagen zwischen Festnahme und Vorführung sind konventionskon218 form;612 eine Frist von 4 Tagen 6 Stunden ist dagegen nicht mehr als unverzüglich anzusehen.613 Der EGMR befürwortet mittlerweile eine tendenziell strenge Auslegung der Norm614 und mahnt möglichst kurze Fristen nachdrücklich an.615 Als Höchstfrist sieht der Gerichtshof einen Zeitraum von 4 Tagen an.616 Verstreicht zwischen der Festnahme 607
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Für eine Gleichbehandlung von vorläufiger Festnahme und Verhaftung auch Deckers StraFo 2009 441, 444. EGMR (GK) Aquilina/MLT (Fn. 570), § 48; Toma/RUM, 24.2.2009. EGMR Koster/NL, 28.11.1991, A 221 = ÖJZ 1992 458. Vgl. etwa EGMR Kandzhov/BUL (Fn. 113), § 66. BVerfG Beschl. v. 4.9.2009 – 2 BvR 2520/07. EGMR (GK) Aquilina/MLT (Fn. 570); Grauzinis/LIT (Fn. 517; 2 Tage); Villiger 358 mit Hinweisen auf von der EKMR nicht akzeptierte erheblich längere Fristen. EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155); vgl. ferner Fälle, in denen längere Fristüberschreitungen nicht hingenommen wurden: EGMR Moulin/F (Fn. 584); Oleksiy Mykhaolovych Zakharkin/UKR, 24.6.2010; Yoldas/TRK, 23.2.2010; De Jong u.a./NL (Fn. 580; 7 Tage); Van der Sluijs u.a./NL (Fn. 580);
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Koster/NL (Fn. 609; 5 Tage); McGoff/S, 26.10.1984, A 83 = EuGRZ 1985 671 = NJW 1986 1413 (15 Tage); (K) Öcalan/ TRK, 12.3.2003 (Fn. 301; 7 Tage); vgl. Esser 275 ff.; Frowein/Peukert 111 ff.; Kühne/Esser StV 2002 383, 387 je m.w.N. aus der Rspr. des EGMR. EGMR I˙pek u.a./TRK (Fn. 315), § 34 („leaves little flexibility in interpretation“). Ebenso: Frowein/Peukert 111; Trechsel EuGRZ 1980 514, 530 m.w.N.; Esser 275 ff.; Nowak 38; Grabenwarter § 21, 29 (im allgemeinen 24 bis 48 Stunden). EGMR I˙pek u.a./TRK (Fn. 315), § 35 („the strict time constraint imposed for detention without judicial control is a maximum of four days“); McKay/UK (Fn. 597); missverständlich dagegen EGMR Tas/TRK, 14.11.2000, § 86 (Andeutung, dass in Ausnahmefällen eine Frist von über 4 Tagen zulässig sein kann.)
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und der Vorführung eine unerklärlich bzw. unnötig lange Zeit, so kann eine Freiheitsentziehung auch schon vor dem Erreichen dieser zeitlichen Grenze gegen das Gebot der Unverzüglichkeit der Vorführung verstoßen (siehe Rn. 217 f.).617 Eine besondere Beschleunigung der Vorführung ist bei jugendlichen Tatverdächtigen 219 geboten (auch beim Verdacht terroristischer Straftaten).618 Die Schutzlosigkeit des Inhaftierten (kein Verteidigerbeistand) und die Intensität der Ermittlungen im Anschluss an die Festnahme sind bei der Beurteilung der Unverzüglichkeit zu berücksichtigen.619 Ein Zeitraum von mehr als vier Tagen zwischen Festnahme und Vorführung ist mit 220 der Konvention nur bei besonderen Schwierigkeiten („special difficulties“) 620 oder unter ganz außergewöhnlichen Umständen („wholly exceptional circumstances“) 621 vereinbar, die eine (rechtzeitige) Vorführung aus technischen oder faktischen Gründen praktisch unmöglich machen,622 etwa, weil der Vorzuführende ernsthaft erkrankt und transportunfähig ist. Erfolgt die Festnahme auf Hoher See (etwa im Rahmen eines internationalen Einsat- 221 zes gegen die Piraterie), so sind auch Verdächtige, die auf einem Schiff festgehalten werden, unverzüglich einem Richter vorzuführen; bei der Bemessung der Frist sind jedoch die Besonderheiten der Lage auf See zu berücksichtigen, die Verzögerungen – soweit im Einzelfall erforderlich – rechtfertigen können. Die Freiheitsentziehung sollte in diesem Fall von einer (unabhängigen) justiziellen Stelle angeordnet werden oder wenigstens deren Überwachung unterliegen;623 ein zwingendes Erfordernis ist dies allerdings nicht.624
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So etwa EGMR Kandzhov/BUL (Fn. 113), § 66 (3 Tage 23 Sunden); zum Gebot der Unverzüglichkeit der Vorführung (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG) i.S. einer Nachholung der richterlichen Entscheidung „ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt“ und dem daraus resultierenden Gebot der Nichtausschöpfung gesetzlicher Höchstfristen auch: BVerfG Beschl. v. 4.9.2009 – 2 BvR 2520/07; BVerfGE 105 239, 249. EGMR I˙pek u.a./TRK (Fn. 315), § 36 (3 Tage 9 Sunden). EGMR I˙pek u.a./TRK (Fn. 315), § 36. EGMR Kandzhov/BUL (Fn. 113), § 66; vgl. auch BVerfG Beschl. v. 4.9.2009 (Fn. 122) zu Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG: „Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind.“ EGMR Rigopoulos/E (E), 12.1.1999, ECHR 1999-II (Festnahme auf Hoher See; 16 Tage bis zur Vorführung, davon 1 Tag Überführung per Flugzeug nach Verbringung an Land); Medvedyev u.a./F, 10.7.2008, § 65
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(13 Tage auf Hoher See u. 2/3 Tage Polizeihaft). EGMR Rigopoulos/E (Fn. 621; „materially impossible to bring the applicant physically before the investigating judge any sooner“); andererseits: EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 301, § 109, schlechtes Wetter rechtfertigt auch bei Haft auf Insel Verzögerung nicht) – im späteren Urteil der GK (Fn. 31) offen gelassen; Esser 276. EGMR Rigopoulos/E (Fn. 621, unter Hinweis auf die im konkreten Fall vorhandene richterliche Anordnung und Kontrolle der Maßnahme sowie die Einhaltung der nationalen Verfahrensvorschriften sowie eines „Mitverschuldens“ in Form einer Beschädigung des aufgebrachten Schiffes bei der Festnahme); anders aber: EGMR (GK) Medvedyev u.a./F (Fn. 124), § 68 („detention … not under the supervision of a ,competent legal authority‘ within the meaning of Article 5“; hier: Staatsanwalt). Dieser von der Kammer im Urteil EGMR Medvedyev u.a./F (Fn. 621) angeführte Aspekt wird von der GK (Fn. 124), §§ 131 f., nicht mehr aufgegriffen; vertiefend hierzu – auch zum Konflikt mit Art. 104 GG: Esser/ Fischer JR 2010 513, 522.
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Bei einer Festnahme zum Zwecke der Auslieferung hat der EGMR bislang für die Frage der Unverzüglichkeit der Vorführung des Festgenommenen nur auf die Zeit abgestellt, die im ersuchenden Staat von der Einlieferung bis zur Vorführung verstreicht (15 Tage).625 Im Falle eines institutionalisierten Übergabeverfahrens – wie es dem Modell des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt 626 – ist ein solcher Ansatz allerdings nicht überzeugend. Hier muss bereits im ersuchten Staat eine den allgemeinen zeitlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK entsprechende Vorführung sichergestellt werden.627 Ein Mitverschulden des Festgenommenen an der Verzögerung (etwa wegen später Beantragung einer Haftprüfung) mit zu berücksichtigen,628 widerspricht dem Grundsatz, dass die unverzügliche Vorführung von Amts wegen – d.h. gerade ohne einen Antrag des Festgenommenen – erfolgen muss. Dem nationalen Recht lässt Art. 5 Abs. 3 EMRK (begrenzt) Raum für die Festsetzung eigener bei der Vorführung zu beachtender Höchstfristen. Etwaige Fristen im nationalen Recht sind grundsätzlich einzuhalten. Eine gegenüber den Vorgaben der Konventionen (Rn. 218–220) längere Frist im nationalen Recht kann eine konventionswidrig verzögerte Vorführung allerdings nicht rechtfertigen. Bei der Würdigung, ob nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls eine Vorführung noch als unverzüglich im Sinne der Konventionen anzusehen ist, fällt auch ins Gewicht, wenn das nationale Recht in Kenntnis der örtlichen Verhältnisse kürzere Fristen vorschreibt. Zwar soll deren Missachtung – anders als bei der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK (Rn. 49, 228) – für sich allein nicht notwendig schon einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK nach sich ziehen. Einleuchtender scheint es, dass die Vertragsstaaten sich an selbst auferlegten, strengeren Vorgaben stets messen lassen müssen. Zu beachten ist in jedem Fall, ob die konventionseigenen Anforderungen an die Unverzüglichkeit der Vorführung gewahrt sind.629 Im Regelfall ist die von den Konventionen geforderte Vorführung innerhalb dieser kürzeren nationalen Fristen auszuführen, sofern nicht ausnahmsweise ein die Verzögerung rechtfertigender Grund vorliegt. Praktisch bedeutsam wird dies für Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG i.Vm. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG und § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach eine vorläufig festgenommene Person unverzüglich (spätestens aber am Tag nach der Festnahme) dem Richter vorgeführt werden muss. Dies stellt die Gerichte insbesondere an Wochenenden und Feiertagen nicht selten vor organisatorische Probleme. Bei dieser Frist handelt es sich um eine äußerste Grenze, die nicht zur Regel gemacht werden darf und das Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG 630 und aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK unberührt lässt.
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EGMR McGoff/S (Fn. 613, 15 Tage; nicht mehr unverzüglich). Vgl. Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABlEG Nr. L 190 v. 18.7.2002, S. 1 (abgedruckt bei Esser Textsammlung, Nr. 10). Findet eine Vorführung erst nach Übergabe des Festgenommenen an den ersuchenden Staat statt, so muss die Haft im ersuchten
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Staat bei der Fristberechnung i.S. von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK mit berücksichtigt werden. In diese Richtung: EGMR Salov/UKR, 6.9.2005, ECHR 2005-VIII (trotz späten Ergreifens eines Rechtsmittels war die Haftdauer von weiteren 7 Tage zu lang). Vogler ZStW 89 (1977) 761, 773; Esser 281. LG Hamburg Beschl. v. 9.3.2009 – 604 Qs 3/09; BVerfG Beschl. v. 4.9.2009 (Fn. 122).
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Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters kann schon nach der Rechtsprechung des 227 BVerfG nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für eine unverzügliche Vorführung angesehen werden. Der Staat ist verpflichtet, die Erreichbarkeit eines für die Überprüfung der Freiheitsentziehung zuständigen Richters zu gewährleisten.631 Menschenrechtlich geboten ist die Sicherstellung einer durchgehenden Erreichbarkeit eines Richters, d.h. auch nachts, am Wochenende und an Feiertagen. Unabhängig von der Wahrung der Frist des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK und nur nach 228 nationalem Recht zu beurteilen ist die Frage, ob bei Überschreitung einer kürzeren Vorführungsfrist des nationalen Rechts die weitere Haft rechtswidrig wird; nur in diesem Fall würde durch die Fristverletzung auch die Rechtmäßigkeit der Haft i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK entfallen (vgl. Rn. 49, 225). e) Keine Pflicht zur Vorführung. Die Pflicht zur Vorführung entfällt, wenn der Festge- 229 nommene (vor Erreichen der „Unverzüglichkeitsgrenze“) aus der Haft entlassen wird.632 Bei einer Haftentlassung ohne (vorherige) unverzügliche Vorführung bleibt der bereits eingetretene Konventionsverstoß auch dann bestehen, wenn später eine Anhörung stattfindet (keine Heilung).633 Der (freiwillige) Verzicht des Festgenommenen auf eine mündliche Anhörung vor dem 230 für die Haftprüfung zuständigen Richter ist möglich, nicht aber auf die Vorführung als solche. Dass in diesem Fall eine Anhörung des Betroffenen unterbleibt, stellt für sich genommen keinen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK dar. Die übrigen Anforderungen an die Vorführung – unverzügliche Verbringung vor den Richter – bleiben davon aber unberührt, weil die entsprechenden Pflichten von Amts wegen bestehen.634 f) Terroristische Straftaten. Die Mitgliedsstaaten des Europarates wurden bereits vor 231 den Anschlägen des 11.9.2001 mit terroristischen Straftaten einzelner Gruppen (z.B. RAF in Deutschland; IRA im Vereinigten Königreich) konfrontiert und erließen daraufhin spezielle Anti-Terror-Gesetze.635 Die Bereitschaft, Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus einzuschränken, erlangte allerdings erst nach den Anschlägen vom 11.9.2001 in den USA einen traurigen Höhepunkt 636 und hat mittlerweile zu grundlegenden Entscheidungen des EGMR geführt.637 Schon vor „9/11“ hatte der Gerichtshof klargestellt, dass
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Vgl. BVerfG NJW 2002 3161; NJW 2001 1121; NJW 2004 1442; OLG Hamm = NZV 2009 514 (Forderung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes auch für die Nachtzeit jedenfalls dann, wenn innerhalb der Nachtstunden nicht nur ausnahmsweise Ermittlungsmaßnahmen mit Richtervorbehalt anfallen; Durchsuchung). EGMR Ikincisoy/TRK, 27.7.2004, § 103; De Jong u.a./NL (Fn. 580); Vogler ZStW 89 (1977) 761, 773. EGMR Harkmann/EST (Fn. 579). EGMR Harkmann/EST (Fn. 579; Konventionsverstoß – 15 Tage bis zur Anhörung/Entlassung); vgl. hierzu auch IK-EMRK/Renzikowski 239: „Andernfalls muss der Festgenommene von Amts wegen vorgeführt
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werden, denn die richterliche Überprüfung … hängt nicht von einem Antrag ab. Also kann der Betroffene auch nicht auf die Entscheidung des Richters oder des … sonst zuständigen … oder auf die Einhaltung der Vorführungsfrist verzichten“. Vgl. nur den Erlass der Notstandsgesetzgebung v. 24.6.1968, BGBl. I S. 705. V.a. im Vereinigten Königreich: Terrorism Act (2000); Anti-Terrorism, Crime and Security Act (2001); Criminal Justice Act (2003); Prevention of Terrorism Act (2005); Counter-Terrorism Act (2008). Oehmichen Terrorism and Anti-TerrorLegislation: The Terrorised Legislator? (2009), 3, 21, 23; EGMR O’Hara/UK, 16.10.2001, ECHR 2001-X.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
es vor allem hinsichtlich drohender Terrorakte darauf ankomme, eine Abwägung zwischen den Rechten des Einzelnen und dem Schutz der Demokratie zu treffen.638 Dass Art. 5 EMRK als grundlegender Ausdruck eines demokratischen Systems den Einzelnen vor Willkür durch den Staat schützen soll,639 muss bei dieser Abwägung berücksichtigt werden.640 Im Vordergrund stehen dabei jeweils Fälle, in denen die Inhaftierung über einen längeren Zeitraum ohne Vorführung vor einen Richter aufrecht erhalten wurde. Die genaue Ausgestaltung der unverzüglichen Vorführung vor den Richter hängt zwar von den Umständen des Einzelfalles ab641 und der EGMR erkennt durchaus sehr wohl an, dass ein Vorgehen gegen (mögliche) Terroristen als ein solcher spezieller Einzelfall zu berücksichtigen ist – allerdings lässt der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EMRK („promptly“, „aussitôt“) nur wenig Raum für eine flexible Auslegung.642 In Anlehnung an das Urteil Brogan ist eine Zeitspanne von 4 Tagen und 6 Stunden ohne Vorführung auch bei Terroristen als zu lang anzusehen.643 Ausnahmen dazu ergeben sich auch bei der Festnahme von Terrorverdächtigen nur dann, wenn es sich um Festnahmen auf Hoher See handelt und ein Richter oder eine gleich gestellte Person rein faktisch nicht erreichbar ist – solange das Erreichen des Festlandes nicht vorsätzlich verlängert wird.644 Auch eine Derogation der Rechte der Konvention aus Art. 15 EMRK aufgrund der 232 Terroranschläge vom 11.9.2001 erachtete der Gerichtshof für konventionswidrig.645 Die Berufung auf einen möglichen terroristischen Hintergrund stellt danach die Konventionsstaaten nicht von ihren allgemeinen Pflichten frei.646 Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 EMRK erlaubt der EGMR den Verfolgungsbehörden lediglich, zur Aufklärung terroristischer Straftaten im Hinblick auf Verdachtsmomente großzügiger zu verfahren; ggf. kommen auch erweiterte Sicherheitskontrollen in Betracht (im Rahmen der Verhältnismäßigkeit).647 Bei der Aufklärung terroristischer Straftaten kann die Komplexität des Verfahrens 233 (vgl. Rn. 296 ff.) ein signifikanter Faktor bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Haftdauer bis zum Abschluss des Verfahrens sein.
III. Recht auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist oder Haftentlassung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK) / Art. 9 Abs. 3 IPBPR 234
1. Zweck der Regelung – Beschleunigungsgebot. Zur Einschränkung der Dauer der Untersuchungshaft und im Interesse einer über die allgemeinen Anforderungen (vgl. Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR) hinausgehenden Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen begründen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK und Art. 9 Abs. 3 IPBPR einen Anspruch des nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK festgenommenen Beschuldigten auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft (Beschleuni-
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EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155), § 48. EGMR Klass u.a./D, 6.9.1978, A 28 § 59 = EuGRZ 1979 278 = NJW 1979 1755; Brogan u.a./UK (Fn. 155); (GK) Medvedyev/F (Fn. 124), § 76; De Wilde u.a./B (Fn. 80), § 65; Winterwerp/NL (Fn. 2). EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155), § 58. Vgl. Rn. 216 ff. EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155), § 62; Ikincisoy/TRK (Fn. 632), § 101; (GK) Medvedyev/F (Fn. 124), § 121.
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EGMR Yoldas/TRK (Fn. 613); Brogan u.a./UK (Fn. 155), § 62. EGMR (GK) Medvedyev/F (Fn. 124), §§ 130 ff.; Rigopoulos/E (Fn. 621). Vgl. Art. 15 EMRK Rn. 6. EGMR Ikincisoy/TRK (Fn. 632), § 102; (GK) Medvedyev/F (Fn. 124), § 126; Grabenwarter § 21, 29. Vgl. Art. 15 EMRK Rn. 14.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
gungsgebot).648 Die Formulierung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK gibt weder dem Beschuldigten noch den staatlichen Stellen ein Wahlrecht in dem Sinn, dass bei Haftentlassung der Anspruch auf Verfahrenserledigung in angemessener Frist entfallen würde.649 Sie verdeutlicht vielmehr, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Freiheitsentziehung nicht über eine angemessene Grenze hinaus aufrecht erhalten werden darf.650 Die Untersuchungshaft, deren Verhängung im Strafverfahren ohnehin nicht die Regel sein darf (vgl. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR und Rn. 45, 202 ff.), soll auch bei Erhärtung des Tatverdachts durch die Ermittlungen nicht länger dauern, als nach der Sachlage unvermeidlich und dem Beschuldigten unter Berücksichtigung des Tatverdachts und seiner persönlichen Umstände zumutbar ist. Die nach den Konventionen bei Vorliegen der Haftgründe (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK) an sich zulässige Freiheitsentziehung wird daher zeitlich auf die angemessene Dauer begrenzt.651 Bei Überschreitung dieser Grenze ist die weitere Haft i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK konventionswidrig, die Zulässigkeit des Strafverfahrens als solches bleibt davon aber ebenso unberührt652 wie das Vorliegen der gesetzlichen Grundlage für die Freiheitsentziehung und deren Rechtmäßigkeit i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK, desgleichen die Verpflichtung des Inhaftierten, gegen eine unzulässig lange Dauer der Haft zunächst den innerstaatlichen Rechtsweg zu erschöpfen (Art. 35 Abs. 1 EMRK).653 Bei minderjährigen Tatverdächtigen – hier darf Untersuchungshaft ohnehin nur Ausnahmecharakter haben (Rn. 17, 130) – darf die Inhaftierung nur für einen möglichst kurzen Zeitraum angeordnet werden; das Gebot der Verfahrensbeschleunigung erfährt hier nochmals gesteigerte Beachtung.654 Das aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK abzuleitende Beschleunigungsgebot gilt auch, wenn ein Haftbefehl nicht vollzogen wird, z.B. weil sich der Beschuldigte bereits in anderer Sache in Strafhaft befindet und daher für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist.655
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2. Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK. Der An- 239 spruch aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK besteht unabhängig von jenem auf Erledigung des (gesamten) Strafverfahrens in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR).656 Da die Untersuchungshaft strengeren Beschleunigungs- und Begrün-
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Zur Herleitung dieses Gebotes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK: BVerfG StV 1992 121, 122; KG NStZ-RR 2009 188. EGMR (GK) Bykov/R, 10.3.2009, § 61, JR 2009 514 = NJW 2010 213; Garycki/PL, 6.2.2007; Wemhoff/D (Fn. 179); Neumeister/A (Fn. 14); Vogler ZStW 82 (1970) 758; 89 (1977) 773. Etwa EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); dazu Schultz JR 1968 441. Vgl. hierzu auch die jüngere Rechtsprechung des BVerfG StV 2005 220; NJW 2005 3485; NJW 2006 672; StRR 2009 358; Leipold NJW-Spezial 2005 567. Meyer-Goßner 12.
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EGMR Civet/F, 28.9.1999, ECHR 1999-VI = NJW 2001 54. EGMR Nart/TRK, 6.5.2008 (48 Tage in einer Einrichtung mit erwachsenen Häftlingen); vgl. auch EGMR Güvec/TRK, 20.1.2009 (PKK-Mitgliedschaft; 5 Jahre im Erwachsenengefängnis; psychische Probleme; Selbstmordversuche). Vgl. allgemein zu dieser Fragestellung: BVerfG StV 2006 251, 253; KG NStZ-RR 2009 188; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003 285; OLG Karlsruhe StV 2002 317; KG StV 2002 554; OLG Bremen StV 2000 35; Meyer-Goßner § 120, 5 StPO. Missverständlich daher: KG NStZ-RR 2009 180.
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dungsanforderungen als die Gesamtverfahrensdauer unterliegt, ist die Angemessenheit der Untersuchungshaft regelmäßig kürzer zu bemessen als die Zeitspanne (Art. 6 Abs. 1 EMRK spricht ebenfalls von „Frist“), binnen derer das gesamte Strafverfahren seinen Abschluss finden muss.657 Daraus folgt, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK auch verletzt sein kann, wenn das Ver240 fahren selbst innerhalb angemessener Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK erledigt wurde.658 Umgekehrt folgt nicht aus jedem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK eo ipso ein Verstoß gegen das Gebot angemessener Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.
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3. Beginn und Ende der Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK. Die Frist i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK beginnt mit dem Eintritt der Freiheitsentziehung, in der Regel also mit der Festnahme bzw. Verhaftung. Ob eine Auslieferungshaft im Ausland dem ersuchenden Staat für die Fristberechnung 242 nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK zugerechnet wird, war lange Zeit unklar. Die EKMR rechnete diese Auslieferungshaft nicht mit ein und ließ die für Absatz 3 Satz 2 maßgebliche Frist erst mit der inländischen Untersuchungshaft nach der Überstellung beginnen;659 für die Dauer der Auslieferungshaft war folglich nur der ersuchte Staat nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK verantwortlich. Der EGMR scheint dagegen die Auslieferungshaft als maßgeblichen Zeitpunkt für den Fristbeginn einer anschließenden Untersuchungshaft im ersuchten Staat anzusehen.660 Damit liegt er menschenrechtlich im Trend neuartiger Überstellungsmodelle (Europäischer Haftbefehl), die das herkömmliche Auslieferungsrecht ablösen (sollen) und bei denen die Aufspaltung der Freiheitsentziehung in einen Abschnitt „Auslieferungshaft“ im ersuchten Staat (Ausland) und in einen Abschnitt „Untersuchungshaft“ im ersuchenden Staat (Inland) willkürlich anmutet. Die aus den 1950er Jahren stammende Ausgestaltung und Interpretation der Haftgründe aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c und lit. f EMRK stoßen bei diesen Modellen zunehmend an ihre Grenzen. Die Favorisierung einer Einbeziehung von Haftzeiten im Ausland ändert aber nichts an der Tatsache, dass der um die Auslieferung bzw. Ausweisung ersuchende Staat nur für die auf seinem Territorium stattfindenden staatlichen Maßnahmen i.S.v. Art. 1 EMRK verantwortlich ist; eine im Ausland aufgrund eines Auslieferungsersuchens erfolgte Freiheitsentziehung ist dem ersuchenden Staat daher nicht nach Art. 1 EMRK zurechenbar; dem Betroffenen ist daher zu raten, eine Individualbeschwerde gegen alle an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten Staaten zu richten.661 Bei mehrfacher (sukzessiver) Inhaftierung auf der Grundlage mehrerer Haftbefehle 243 beginnt die Frist mit der ersten Inhaftierung, die Zeiten werden zusammengerechnet.662 Die Auswirkungen auf den Inhaftierten sind anhand der Gesamtdauer der Untersuchungshaft zu ermitteln. Dies gilt auch, wenn sich die Haft dadurch in die Länge zieht, dass sie sukzessive wegen des Verdachts verschiedener Straftaten aufrechterhalten wird.
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Vgl. BGH StraFo 2009 147, 148. EGMR Matznetter/A (Fn. 342); Frowein/ Peukert 109; Vogler ZStW 86 (1977) 773. EKMR K/I, D, 14.12.1972; IK-EMRK/Renzikowski 255; Frowein/Peukert 112 m.w.N. Vgl. EGMR Cesky/CS, 6.6.2000, § 71; siehe dagegen OLG Rostock NStZ-RR 2010 340
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(betreffend Verfahrensverzögerung; keine Anrechnung ausländischer Verzögerung). Vgl. EGMR Elsner/A, 24.5.2011, § 137 („since the application is only directed against Austria“). Frowein/Peukert 112.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Selbst wenn die Haftbefehle aus mehreren getrennt geführten Ermittlungsverfahren nacheinander vollstreckt werden, ist die gesamte Zeit, in der sich der Betroffene in Untersuchungshaft befindet, bei der Überprüfung zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob die Dauer der Haft die nach der gesamten Sachlage angemessene Zeit übersteigt.663 Ob in die Haftdauer eine Zeit eingerechnet werden muss, in der der Beschuldigte 244 (nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK) zur psychiatrischen Begutachtung in einem Krankenhaus untergebracht war, wird uneinheitlich beantwortet.664 Bei einer Unterbringung im Rahmen eines Strafverfahrens erschiene eine Herausrechnung dieser Zeitspanne formalistisch und aus der Sicht des Regelungszwecks nicht überzeugend, da die Freiheitsentziehung in den meisten Fällen alternativ auch auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK gestützt werden könnte (Rn. 142).665 Das für die Beurteilung der angemessenen Dauer der Haft maßgebende Ende der Frist 245 ist die Entlassung aus der Untersuchungshaft während des Verfahrens bzw. aus Anlass der Entscheidung des erkennenden Gerichts. Dauert die Freiheitsentziehung über den Zeitpunkt der ersten gerichtlichen Entscheidung 666 zur Begründetheit der Anklage, also den Erlass667 des verurteilenden Erkenntnisses erster Instanz,668 hinaus fort, so fällt die anschließende Freiheitsentziehung nicht mehr unter Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK (Rn. 64). Die Freiheitsentziehung beruht ab jetzt – unabhängig von der Konstruktion des nationalen Rechts – auf der Verurteilung (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK) und dient nicht mehr der Vorführung vor den Richter (lit. c).669 Anders als im deutschen Recht kommt es für das Ende der Untersuchungshaft und die Beurteilung der Angemessenheit ihrer Dauer also nicht auf den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens an. Problematisch ist dies insofern, als sich eine (nach deutschem Verständnis) Untersuchungshaft auch und gerade im Stadium des Rechtsmittelverfahrens unangemessen verlängern kann. Verzögert sich die endgültige Aburteilung, sprich das Rechtsmittelverfahren, unange- 246 messen, so hat der Beschuldigte ebenfalls einen Anspruch auf Entlassung aus der Haft. Unzumutbare Längen in diesem Verfahrensabschnitt lassen sich allerdings nur über die
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Zur verfahrensübergreifenden Gesamtbetrachtung der Haftzeiten und zur Auslegung des § 121 Abs. 1 StPO vgl. Hilger Gollwitzer-Kolloquium 65, 77. Ablehnend: Frowein/Peukert 112 unter Hinweis auf die Spruchpraxis der EKMR. Ohne Differenzierung bzgl. der in einem psychiatrischen Krankenhaus verbrachten Zeit: EGMR Güvec/TRK (Fn. 654), §§ 33, 102. Bei Art. 9 Abs. 3 IPBPR ist dagegen wegen des unterschiedlichen Wortlauts der englischen und französischen Fassung zweifelhaft, ob die Frist schon mit Beginn der Hauptverhandlung oder erst mit dem Urteil endet; dazu Nowak 41. Zur Geltung des Beschleunigungsgebotes auch für den Zeitraum zwischen Urteilsverkündung und der Absetzung der Urteilsgründe, § 275 StPO: Keller/Meyer-Mews StraFo 2005 353, 357.
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EGMR Wemhoff/D (Fn. 179) mit Anm. Schultz JR 1968 441; (GK) Kudla/PL, 26.10.2000, ECHR 2000-XI = NJW 2001 2694 = EuGRZ 2004 484 = ÖJZ 2001 904; Solmaz/TRK, 16.1.2007, ECHR 2007-II, §§ 24–26; Kaemena u. Thöneböhn/D, 22.1.2009, § 90, StV 2009 561 = JR 2009 172; Frowein/Peukert 113 m.w.N., auch zu den wechselnden Auffassungen der EKMR; Meyer-Goßner 11; Vogler ZStW 82 (1970) 758; Kühne/Esser StV 2002 383, 388; Meyer/Ladewig 35; a.A. Trechsel EuGRZ 1980 514, 523 (Vollstreckbarkeit). EGMR B./A (Fn. 172), unter Bekräftigung der früheren Auffassung auch gegen den Einwand, dass nach verschiedenen nationalen Rechtsordnungen die Untersuchungshaft fortbesteht, dies wird in späteren Entscheidungen durch Bezugnahme wiederholt, so EGMR (GK) Kudla/PL (Fn. 668).
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Rechtmäßigkeit der Inhaftierung rügen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK), da Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK auf den für dieses Stadium einschlägigen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK keine Anwendung findet. Wird das erstinstanzliche Urteil vom Rechtsmittelgericht aufgehoben und verbleibt 247 der Beschuldigte in Haft, beginnt die Frist i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK erneut zu laufen.670 Zu beachten ist, dass auch in dieser Konstellation für die Frage der Angemessenheit stets auf die Gesamtdauer der Haft abzustellen ist, für den Beginn der 6-MonatsFrist des Art. 35 Abs. 1 EMRK (Zulässigkeitskriterium der Individualbeschwerde) aber derjenige (letztinstanzliche) Rechtsbehelf maßgeblich ist, der sich auf den letzten Abschnitt der Haft bezieht.671 4. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft
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a) Keine Höchstfristen. Die Angemessenheit der Dauer, die ein Beschuldigter zur Sicherstellung einer geordneten Durchführung des Strafverfahrens in Haft gehalten werden darf, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Maßgebend ist stets die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aus einer ex-ante-Perspektive.672 Ein Maximalwert für die Zulässigkeit der Dauer der Inhaftierung existiert nicht. Es ist stets im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob an der Aufrechterhaltung der Haft ein besonderes öffentliches Interesse673 besteht, welches den Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten rechtfertigen und damit auch kompensieren kann.674
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b) Zwei-Stufen-Prüfung. Der EGMR hat im Laufe der Jahre eine Zwei-Stufen-Prüfung 675 entwickelt. Neben dem hinreichenden Tatverdacht i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK, dessen Fortbestehen eine conditio sine qua non für die Rechtmäßigkeit der weiteren Inhaftierung ist,676 müssen nach Ablauf einer bestimmten Zeit weitere Gründe für die Inhaftierung vorliegen, welche die Justizbehörden zur Aufrechterhaltung der Inhaftierung veranlassen können. Diese Gründe müssen keine Haftgründe i.S.v. Art. 5 Abs. 1
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EGMR Chodecki/PL, 26.4.2005; Cesky/CS (Fn. 660); vgl. auch zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitraums EGMR Labita/I (Fn. 146), § 147; Vaccaro/I, 16.11.2000, §§ 31–33; Szeloch/PL, 22.2.2001, §§ 78–80; Olstowski/PL, 15.11.2001, § 67. EGMR Solmaz/TRK (Fn. 668). Meyer-Goßner 11; Morvay ZaöRV 21 (1961) 331; Vogler ZStW 82 (1970) 759; a.A. Maunz/Dürig Art. 1, 71 GG. Verhältnismäßigkeit zwischen den öffentlichen Belangen und dem Freiheitsentzug, vgl. EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 501 (Woukam Moudefo); vgl. BGer EuGRZ 1982 112; EuGRZ 1988 69; EuGRZ 1991 25, aber auch Vogel ZStW 86 (1977) 774 (Schwere der Tat rechtfertigt allein die Haft nicht). EGMR Tinner/CH (Fn. 288) (in diesem Fall hielt der Gerichtshof eine Untersuchungshaftdauer von knapp 3 Jahren für angemes-
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sen); Wemhoff/D (Fn. 179), § 10; Stögmüller/A (Fn. 342), § 4; W/CH, 26.1.1993, A 254-A, § 30 = EuGRZ 1993 384 = ÖJZ 1993 562; van der Tang/E, 13.7.1995, A 321, § 55; Scott/E, 18.12.1996, Rep. 1996-VI, § 74; Contrada/I, 24.8.1998, Rep. 1998-V, § 54. EGMR Labita/I (Fn. 146), §§ 152–153; vgl. auch EGMR Trzaska/PL, 11.7.2000, § 63; Jecius/LIT (Fn. 222), § 93; P.B./F, 1.8.2000, § 29; vgl. ebenso: EGMR (GK) Kudla/PL (Fn. 668), §§ 110–111; Barfuss/CS, 31.7.2000, §§ 65–66; Vaccaro/I (Fn. 670), § 36; Gombert u. Gochgarian/F, 13.2.2001, § 43; Bouchet/F, 20.3.2001, §§ 39–40; Kreps/PL, 26.7.2001, §§ 41–42; Zannouti/F, 31.7.2001, §§ 42–43. EGMR Karagoz/TRK, 20.10.2005, ECHR 2005-X; B./A (Fn. 172); (GK) Kudla/PL (Fn. 668); Vogler ZStW 86 (1977) 773.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
Satz 2 EMRK darstellen, wohl aber relevant und ausreichend („relevant and sufficient“) für die Inhaftierung sein und während der Inhaftierung fortbestehen. Liegen diese Gründe schon bei der Anordnung der Haft nicht vor oder fallen sie nachträglich weg, ist die Haft schon allein deswegen nicht angemessen (1. Stufe).677 Sodann wendet sich der EGMR der Verfahrensführung im engeren Sinne zu (2. Stufe). 250 Hier geht es um die Frage, ob Gerichte678 und Strafverfolgungsbehörden das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt haben. Hält eine Untersuchungshaft über ihren gesamten Zeitraum den strengen Anforde- 251 rungen der Zwei-Stufen-Prüfung stand, so beurteilt der EGMR – quasi auf einer „dritten Stufe“ – abschließend die Angemessenheit der Freiheitsentziehung in einer Art Gesamtschau – ähnlich wie die Verfahrensdauer i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. dort Rn. 313 ff.).679 (1) Relevante und ausreichende Haftgründe (1. Stufe) (a) Allgemeine Grundsätze. Es obliegt primär den nationalen Stellen sicherzustellen, 252 dass – bezogen auf den konkreten Einzelfall – die Untersuchungshaft eine angemessene Zeitspanne nicht überschreitet; dies gilt auch im Falle kurzzeitiger Inhaftierungen.680 Geprüft werden müssen alle Tatsachen und Umstände, die für und gegen ein ernstliches öffentliches Interesse an der Freiheitsentziehung sprechen. Die Prüfung hat gewissenhaft zu erfolgen, insbesondere hinsichtlich Behauptungen staatlicher Stellen. Ggf. sind weitere Nachforschungen erforderlich.681 Die Gründe für die Freiheitsentziehung müssen in den Haftentscheidungen mitgeteilt werden. Spätere Haftentscheidungen müssen erkennen lassen, dass sich das Gericht mit dem zwischenzeitlichen Stand der Ermittlungen und den dadurch ggf. eingetretenen Änderungen bei den für die ursprünglich angeführten Haftgründe sprechenden Umständen auseinandergesetzt hat.682 So reicht es nicht aus, dass die Verlängerung der Untersuchungshaft mit „stereotypen“ Argumenten begründet wird; vielmehr ist eine konkrete Prüfung im Einzelfall erforderlich.683 Als „grundsätzlich akzeptable Gründe“ („basic acceptable reasons“) für die Ableh- 253 nung einer Kaution und damit für die Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft hat der Gerichtshof anerkannt: Fluchtgefahr („risk that the accused with fail to appear for trial“), Verdunklungsgefahr („risk that the accused would take action to prejudice the administration of justice“), Wiederholungsgefahr („commit further offences“) sowie die Entstehung (erheblicher) öffentlicher Unruhe („cause public order“).684 Hiermit ist keine abschließende Liste abschließender Gründe für eine Haftfortdauer aufgestellt; im Einzel-
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Vgl. EGMR Yagci u. Sargin/TRK, 8.6.1995, A 319-A = ÖJZ 1995 832, § 50; Jamrozy/ PL, 9.12.2008; Kauczor/P, 3.2.2009 (Mord; 7 Jahre 10 Monate). EGMR Cevizovic/D, 29.7.2004, §§ 51 ff., NJW 2005 3125 = StV 2005 136 = EuGRZ 2004 634 (vier Verhandlungstermine pro Monat bei 2 Jahre U-Haft nicht ausreichend). Zu den Beurteilungskriterien der EKMR und zu den davon abweichenden Kriterien des EGMR vgl. Frowein/Peukert 114 ff. m.w.N.; ferner etwa EKMR EuGRZ 1974 109 (Berberich); bei Bleckmann EuGRZ
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1982 535 (Ventura); EuGRZ 1983 431; EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); Ringeisen/A (Fn. 162); Neumeister/A (Fn. 14); Guradze NJW 1968 2161. EGMR Belchev/BUL, 8.4.2004, §§ 81 f. (Haftdauer 4 Monate); siehe auch: EGMR Annual Report 2004, S. 65 f. EGMR Makarov/R, 12.3.2009 (Vertrauen auf Informationen des russischen Geheimdienstes). EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 649), § 65. Farhad Aliyev/ASE (Fn. 140). Zusammenfassend: EGMR Khudobin/R, 26.10.2006, § 104.
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fall können auch andere Erwägungen die Aufrechterhaltung einer Freiheitsentziehung rechtfertigen, wenn sie denn von den zuständigen Stellen entsprechend in den Haftentscheidungen angeführt werden. Für Haftzeiten über vier Jahre Dauer verlangt der Gerichtshof besonders tragfähige Gründe in den Haftentscheidungen („particularly strong reasons“).685 Die mit der Überprüfung der Haftfortdauer befassten Stellen müssen in regelmäßigen Abständen, insbesondere in Haftprüfungsverfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK, über eine Alternative zur Untersuchungshaft nachdenken und prüfen, ob die Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung auch durch weniger einschneidende Maßnahmen (Hausarrest; Meldeauflagen) erwirkt werden kann.686 Dies gilt auch in Fällen, in denen der Druck der Öffentlichkeit auf die Strafverfolgung emotional hoch ist.687 Ist die Vollstreckung haftvermeidender Maßnahmen grenzüberschreitend gesichert,688 können diese auch dann eine Alternative zur U-Haft darstellen, wenn der Beschuldigte einen Wohnsitz im Ausland hat. Das Gebot der Vermeidung von Untersuchungshaft findet auch in der Rechtsprechung des BVerfG Ausdruck, wonach ein Wegfall der Haftverschonung bei einem außer Vollzug gesetzten Haftbefehl nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO zulässig ist. „Neu hervorgetretene Umstände“ i.S.d. Vorschrift sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Außervollzugssetzungsbeschlusses bekannt gewordene tatsächliche Umstände nur dann, wenn sie die Gründe des Beschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn diese Umstände bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären.689 Beurteilungsgrundlage für den EGMR sind die in den nationalen Haft(prüfungs)entscheidungen aufgeführten Gründe und die unbestrittenen Tatsachen, die der Beschuldigte in seinen Haftprüfungsanträgen vorträgt. Daraus folgen konkrete Darlegungs- und Dokumentationspflichten der nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte hinsichtlich der für die Aufrechterhaltung der Haft sprechenden Gründe. Ein „Nachschieben“ von Gründen (im Verfahren vor dem EGMR) oder eine spätere Substantiierung von Haftentscheidungen (im Laufe des Verfahrens) ist mit dem Freiheitsrecht des Beschuldigten (Ermöglichung einer effektiven Haftprüfung) nicht in Einklang zu bringen.690 Daneben werden auch die vom Beschuldigten vorgetragenen Argumente als gleichwertige Quellen für die vom EGMR zu treffende Entscheidung herangezogen, so dass ein echter Begründungszwang nur für die staatlichen Stellen besteht, wohingegen auf Seiten des Beschuldigten lediglich von einer Obliegenheit auszugehen ist. Setzt sich der Beschul-
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EGMR Vaccaro/I (Fn. 670), § 37; Gombert u. Gochgarian/F (Fn. 675), § 48; siehe auch: EGMR Moiseyev/R, 9.10.2008. EGMR Mamedova/R (Fn. 342); Makarov/R (Fn. 681). EGMR Lelievre/B, 8.11.2007 (7 Jahre 10 Monate; Kindesentführung; Druck der Öffentlichkeit). Vgl. hierzu: RB 2009/829/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsanordnungen als Alternative zur Untersuchungshaft, ABlEU Nr. L 249 v. 11.11.2009, S. 20.
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Vgl. BVerfG StV 2006 26; StV 2006 139; StV 2007 254; StV 2008 25; siehe auch: OLG Stuttgart StraFo 2009 104 (Beschwerde gegen Aufhebung einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls, § 116 Abs. 4 StPO) mit krit. Anm. Schlothauer; OLG Dresden NStZ-RR 2009 292 (Neuerlass eines Haftbefehls nach Aufhebung). EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 649), § 66; Panchenko/R, 8.2.2005, §§ 99, 105; Gombert u. Gochgarian/F (Fn. 675), § 45; Ilowiecki/PL, 4.10.2001, § 61; Ilijkov/BUL, 26.7.2001, § 86.
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digte nicht mit dem Vortrag und den Argumenten der staatlichen Stellen auseinander, läuft er Gefahr, dass der Gerichtshof die in den Haftentscheidungen angeführten Gründe als relevant und ausreichend bewertet. Bei der Prüfung der Relevanz der Haftgründe wird vom EGMR auch berücksichtigt, inwieweit der Beschuldigte diese Gründe angegriffen und zu entkräften versucht hat.691 Ein Verzicht des Beschuldigten auf die Überprüfung seiner Inhaftierung entbindet die 258 staatlichen Stellen nicht von der Pflicht zur Begründung ihrer Haftentscheidungen. Andernfalls würde aus dem von Art. 5 Abs. 4 EMRK verbürgten Recht des Beschuldigten auf Haftprüfung faktisch eine Verpflichtung, entsprechende Anträge zu stellen. Der EGMR verlangt von den nationalen Stellen bei der Heranziehung bestimmter Haftgründe eine inhaltlich strenge Sorgfalt.692 Für die nationalen Behörden und Gerichte bedeutet dies eine weitreichende Darlegungs- und Substantiierungslast.693 Art. 5 Abs. 3 EMRK kann schon deswegen verletzt sein, weil sich die nationalen Stellen in ihren Haftentscheidungen gar nicht oder ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr auf bestimmte Haftgründe berufen,694 oder nur bestimmte Haftgründe sprunghaft anführen, anstatt diese kontinuierlich hervorzuheben. Eine Verletzung kann auch vorliegen, wenn die Erkenntnisse, die den Haftgrund begründen, illegal erlangt wurden.695 Einen schwerwiegenden Konventionsverstoß stellt es auch dar, wenn der Beschuldigte nicht über den Haftgrund aufgeklärt wird, seine Inhaftierung nicht schriftlich festgehalten wird und so die Verfolgung seines Verbleibs nicht lückenlos möglich ist.696 Das Vorliegen eines Haftgrundes beurteilt sich nach sämtlichen Haftentscheidungen, 259 unabhängig davon, ob diese von Amts wegen, z.B. anlässlich einer im nationalen Recht vorgesehenen obligatorischen Haftprüfung, oder auf Antrag des inhaftierten Beschuldigten ergehen.697 Liegen mehrere Haftentscheidungen vor, so prüft der EGMR diese separat, so dass 260 erst dann ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK vorliegt, wenn keiner der von den
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EGMR B./A (Fn. 172), §§ 19-23, 44; siehe auch: EGMR Wemhoff/D (Fn. 179), § 12. EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 61. EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 649), § 65; Svipsta/LET (Fn. 127, stereotype Haftgründe); Khudobin/R (Fn. 684), § 108; Mamedova/R (Fn. 342, Verhalten des Mitbeschuldigten; Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine Fluchtgefahr sprechen; Alternativmaßnahmen zur Anordnung von Untersuchungshaft – „preventive measures“; keine Kooperationspflicht des Beschuldigten). EGMR Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106), § 56; Tomasi/F, 27.8.1992, A 241-A = EuGRZ 1994 101 = ÖJZ 1993 137, § 98. EGMR Khodorkovskiy/R (Fn. 252): Illegale Durchsuchung der Verteidigerin und Beschlagnahme von Notizen, die sie sich im Gespräch mit dem inhaftierten Mandanten gemacht hatte, und aus denen angeblich hervorging, dass der Inhaftierte Zeugen beeinflussen wollte, was als Argument
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für die Fortdauer der Untersuchungshaft diente. EGMR Idalov/R (Fn. 108), §§ 128 ff. EGMR Letellier/F (Fn. 339), § 52; Clooth/B, 12.12.1991, A 225 = ÖJZ 1992 420, §§ 37– 48; Tomasi/F (Fn. 694), §§ 85–99; Herczegfalvy/A (Fn. 414), § 71; W/CH (Fn. 674), §§ 31–38; Scott/E (Fn. 674), §§ 76–79; Muller/F, 17.3.1997, Rep. 1997-II, § 36; Contrada/I (Fn. 674), §§ 55–62. Im Urteil Neumeister/A (Fn. 14) hatte der EGMR offensichtlich nur die Entscheidungen im Sinn, die im Rahmen eines Haftprüfungsverfahrens ergehen. Dies würde die Entscheidung der Festnahme und die im Anschluss an die Vorführung des Beschuldigten ergehende Haftentscheidung nicht mit einschließen. Diesen engen Ansatz hat der Gerichtshof jedoch in späteren Entscheidungen nicht mehr aufgegriffen, so dass letztlich jede staatliche Haftentscheidung bei der Suche nach einem relevanten und ausreichenden Haftgrund zu berücksichtigen ist.
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nationalen Stellen genannten Gründe während des gesamten Zeitraums objektiv relevant und ausreichend vorgetragen ist.698 Dies stellt die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte vor ein Dilemma. Werden möglichst viele Gründe in den Haftentscheidungen aufgeführt, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens einer von ihnen die Inhaftierung des Beschuldigten über den gesamten Zeitraum trägt. Andererseits kann bei einem solchen Vorgehen schnell der Eindruck entstehen, dass die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft in unzulässiger Weise zementiert werden soll. Entscheidungen, in denen die Fortdauer der Inhaftierung angeordnet wird, dürfen nicht den Eindruck einer gewissen „Endgültigkeit“ der Inhaftierung vermitteln; ggf. sind Überprüfungsfristen vorzusehen, vor allem wenn dies auch in früheren Haftentscheidungen der Fall war.699 Die Problematik wird noch dadurch verschärft, dass der EGMR einer kumulativen Heranziehung mehrerer Haftgründe durchaus offen gegenübersteht (vgl. die Formulierung, dass ein bestimmter Grund nicht allein oder dass die angegebenen Gründe weder für sich genommen noch zusammen ausreichen, um die Aufrechterhaltung der Haft zu rechtfertigen).700 Eine besondere Darlegungslast besteht für die staatlichen Stellen, wenn ein Gericht im Laufe des Strafverfahrens die Freilassung des Beschuldigten aus der Haft anordnet. Bleibt der Beschuldigte in Haft, etwa weil die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeweg angefochten und aufgehoben wird, so sind die nationalen Gerichte gezwungen, in ihren nachfolgenden Haftentscheidungen in einer klaren, spezifischen und keinesfalls stereotypen Art und Weise darzulegen, warum sie die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung weiterhin für notwendig halten.701 Das die Haft anordnende Gericht darf die Entscheidung über die spätere Verlängerung der Haft nicht vorwegnehmen. Schon gar nicht darf eine solche Entscheidung von der Staatsanwaltschaft getroffen werden: Daher ist eine nationale Regelung, wonach die Untersuchungshaft (generell) bis zu einer bestimmten Dauer zulässig ist, mit Art. 5 Abs. 3 EMRK unvereinbar. Ferner muss das nationale Recht festlegen, unter welchen Bedingungen von der Regeldauer abgewichen werden kann.702 Der bloße Hinweis auf das Datum der Festnahme kann eine Haftfortdauer nicht rechtfertigen, da die Gesamtdauer einer Inhaftierung ohne einen von der Konvention anerkannten relevanten Grund nie durch sich selbst gerechtfertigt sein kann.703 (b) Schwere der Tat / Schuld. Die Existenz und Dauerhaftigkeit erheblicher Anzeichen für die Schuld einer Person stellen relevante Gesichtspunkte für die Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft dar.704 Für die Schwere einer Tat kann es etwa sprechen, dass die Staatsanwaltschaft in ihren Schlussanträgen eine mehrjährige Freiheitsstrafe fordert.705 Aber selbst wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegten Verbrechen von 698 699 700
Siehe z.B. EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 62. EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 649), § 65. EGMR Kemmache/F (Nr. 3) (Fn. 106), § 50 (3 Jahre 2 Monate); Tomasi/F (Fn. 694), § 89 (2 Jahre 9 Monate); van der Tang/E (Fn. 674), § 63 (5 Jahre 7 Monate); siehe auch: EGMR Scott/E (Fn. 674), § 78; Mansur/TRK, 8.6.1995, A 319-B, § 56; Yagci u. Sargin/TRK (Fn. 677), § 53.
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EGMR Letellier/F (Fn. 339), A 207, § 52; Szeloch/PL (Fn. 670), § 91. EGMR Krejcir/CS, 26.3.2009. EGMR Yagci u. Sargin/TRK (Fn. 677), § 54. EGMR Kemmache/F (Nr. 1/2), 27.11.1991, A 218, § 50; Tomasi/F (Fn. 694), § 89. EGMR Scott/E (Fn. 674), § 78.
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schwerer Natur und die ihn belastenden Beweise schlüssig sind, können Anzeichen für seine Schuld oder ein dringender Tatverdacht – obwohl an sich relevante Faktoren – für sich allein nicht die Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft über einen längeren Zeitraum rechtfertigen.706 (c) Flucht / Fluchtgefahr. Häufig führen nationale Haftentscheidungen eine in der Person des Beschuldigten bestehende Fluchtgefahr an.707 Die zum Haftgrund des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK dargestellten Voraussetzungen für das Vorliegen einer Fluchtgefahr (Rn. 124 ff.) müssen auch im Falle der Haftfortdauer erfüllt sein. Das Risiko einer Flucht des Beschuldigten muss real-konkret bestehen.708 Mit fortschreitender Zeit verliert dieser Aspekt allerdings objektiv an Gewicht.709 Daraus resultieren erhöhte inhaltliche Anforderungen an die nationalen Haftentscheidungen: Sie müssen die für die Fluchtgefahr sprechenden besonderen tatsächlichen Umstände darlegen710 und ausreichende Gründe enthalten, die erklären, warum trotz der gegenteiligen, vom Beschuldigten in seinen Haftprüfungsanträgen vorgebrachten Argumente eine Fluchtgefahr im konkreten Fall vorliegen soll und ihr mit anderen Mitteln (z.B. Kaution; gerichtliche Überwachung) nicht begegnet werden kann.711 Unzureichend ist es, wenn ein Gericht in nahezu jeder seiner Haftentscheidungen eine identische, stereotype Wortwahl trifft und auf die Art des Vergehens und die Beweislage abstellt, ohne zu erklären, warum gerade in der Person des Beschuldigten eine Fluchtgefahr vorliegen soll, oder gar überhaupt keine Gründe für die Aufrechterhaltung der Haft angibt.712 Wird ein Verfahren gegen mehrere Beschuldigte geführt, so müssen die Haftentscheidungen erkennen lassen, dass das Gericht die Voraussetzungen der einschlägigen Haftgründe (namentlich Fluchtgefahr) individuell, d.h. für jede einzelne Person, anhand der konkreten Umstände der Tat geprüft und begründet hat.713 Jedoch finden sich in der Judikatur des EGMR auch Entscheidungen, in denen bei offensichtlicher und signifikanter Fluchtgefahr 714 an die Prüfung und Darlegung derselben in den nationalen Haftentscheidungen keine allzu hohen Anforderungen gestellt wurden.715 Zu kritisieren ist diese Rechtsprechung insofern, als der EGMR nicht gewillt
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EGMR Khudobin/R (Fn. 684), § 107; Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704), § 50; Tomasi/F (Fn. 694), § 89; van der Tang/E (Fn. 674), § 63; siehe auch: EGMR Scott/E (Fn. 674), § 78; Mansur/TRK (Fn. 700), § 56; Yagci u. Sargin/TRK (Fn. 677), § 53; Kauczor/P (Fn. 677; Mord; 7 Jahre 10 Monate); Makarov/R (Fn. 681); Kulikowski/PL, 19.5.2009, mit Verweis auf EGMR Michta/PL, 4.5.2006; Petkov/BUL, 7.1.2010 (SäureAnschlag; 1 Jahr 5 Monate – Verstoß). Zur überproportionalen Annahme von Fluchtgefahr bei ausländischen Beschuldigten vgl. Esser Europäische Initiativen, 233, 235. EGMR Clooth/B (Fn. 697), § 48; Muller/F (Fn. 697), § 43. Ständige Rechtsprechung, vgl. EGMR Kozik/PL, 18.7.2006, §§ 36–38 (4 Jahre nicht angemessen).
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EGMR Tomasi/F (Fn. 694), § 98. EGMR Letellier/F (Fn. 339), § 43; Tomasi/F (Fn. 694), § 98 („decisions … contained scarcely any reason capable of explaining why, notwithstanding the arguments advanced by the applicant in his applications for release, they considered the risk of his absconding to be decisive and why they did not seek to counter it by …“). EGMR Mansur/TRK (Fn. 700), § 55; Yagci u. Sargin/TRK (Fn. 677), § 52; Makarov/R (Fn. 681). EGMR Vasilkoski u.a./MAZ, 28.10.2010. EGMR van der Tang/E (Fn. 674): fehlende Darstellung der relevanten Umstände allein begründet bei einer bestehenden offensichtlichen und signifikanten Fluchtgefahr aus sich heraus keinen Konventionsverstoß. EGMR Scott/E (Fn. 674; offen gelassen, welche Umstände für die Annahme einer
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zu sein scheint, allein aus „formalen“ Gründen einen Konventionsverstoß anzunehmen, wenn eine Fluchtgefahr evident vorhanden ist.716 Auf eine Fluchtbereitschaft des Beschuldigten darf nicht allein aufgrund der Höhe der zu erwartenden Strafe geschlossen werden. Es müssen zahlreiche andere Faktoren geprüft und gewürdigt werden,717 wie z.B. der Charakter des Beschuldigten, sein Vermögen, seine Verwurzelung in dem Staat, in welchem die Strafverfolgung stattfindet, sowie seine internationalen Kontakte.718 Nach Ablauf einer bestimmten Zeit kann eine drohende Strafe die Länge einer Inhaftierung nicht mehr rechtfertigen.719 Anderes gilt, wenn während eines Ermittlungsverfahrens ständig neue Straftaten zum Vorschein kommen, welche die Verhängung einer noch schwereren Strafe erwarten lassen. Bloße Restrisiken sind dagegen nicht geeignet, eine Fluchtgefahr zu begründen.720 Vor diesem Hintergrund muss eine gerichtliche Praxis, im Haftbefehl mehr oder weniger ausschließlich auf eine hohe Straferwartung als Indiz für eine Fluchtgefahr zu rekurrieren, als konventionswidrig eingestuft werden. Das betrifft allerdings weniger die Anordnung der Inhaftierung – für Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK reicht ein hinreichender Tatverdacht – sondern die Angemessenheit der Haftdauer i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK, wo der EGMR das Vorliegen ausreichend begründeter Haftentscheidungen prüft.721 Der Verstoß gegen eine gerichtliche Auflage oder das Nichterscheinen zu einem Gerichtstermin – nach zwischenzeitlicher Entlassung aus der Haft – kann die Aufrechterhaltung einer Haft nur rechtfertigen, wenn sich die zuständigen Stellen darauf berufen, der Beschuldigte wolle sich dem Verfahren entziehen.722 Wann Fluchtgefahr bei einem Beschuldigten vorliegt, der nach Freilassung aus einer mehrjährigen Untersuchungshaft ins Ausland geflohen ist, hat der EGMR offen gelassen.723 Problematisch ist stets eine retrospektive Betrachtung: Dass ein Beschuldigter nach seiner Verurteilung aus jedem Hafturlaub zurückgekehrt ist, kann eine von den natio-
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Fluchtgefahr sprechen, worauf nur in einer von vielen Haftprüfungsentscheidungen verwiesen worden war). Hierzu kritisch Esser 296 f.; läuft die vom EGMR statuierte Darlegungslast damit in Fällen leer, in denen den Gerichten eine substantiierte Begründung gerade wegen Evidenz zumutbar ist. Ferner ist die Anknüpfung eines Verfahrenserfordernisses an ein Verhalten des Beschuldigten problematisch. EGMR Letellier/F (Fn. 339), § 43; Tomasi/F (Fn. 694), § 98; W/CH (Fn. 674), § 33; Mansur/TRK (Fn. 700), § 55; Yagci u. Sargin/TRK (Fn. 677), § 52; Muller/F (Fn. 697), § 43. EGMR W/CH (Fn. 674), § 33 (Fluchtgefahr, gestützt auf die besondere Situation des Beschuldigten: häufiger Aufenthalt in anderen Staaten nach Verlegung des Wohnsitzes und Anhaltspunkte für die Existenz beträchtlicher Geldmittel im Ausland sowie für die erleichterte Möglichkeit des Bf.,
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unterzutauchen; Besitz verschiedener Pässe); Borgmann/D (E), 10.7.2007 (1 Jahr 4 Monate; Anwesen in Frankreich). Deshalb sah EGMR Clooth/B (Fn. 697), §§ 25–26, 47– 48, die erstmalige Behauptung einer Fluchtgefahr 31 Monate nach der Festnahme des Beschuldigten als „immaterial“ an; siehe auch: EGMR Wemhoff/D (Fn. 179), § 14; B./A (Fn. 172), § 44; zum Freiheitsanspruch des Beschuldigten als Korrektiv zum Strafverfolgungsinteresse bei zunehmender Dauer der U-Haft: BVerfGE 19 342, 347; 36 264, 270; NJW 2000 1401. EGMR W/CH (Fn. 674), §§ 33, 38 („investigation constantly brought to light further offences“). Kritisch hierzu: Beulke 212; OLG Hamm StV 2001 115; OLG Karlsruhe StV 1999 323. EGMR Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704), §§ 27–28, 56. EGMR van der Tang/E (Fn. 674), §§ 64–67.
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nalen Gerichten im Rahmen eines Haftprüfungsverfahrens angenommene Fluchtgefahr nicht rückwirkend entkräften.724 (d) Verdunklungs-/Kollusionsgefahr. Das Risiko einer durch den Beschuldigten dro- 275 henden Unterdrückung von Beweismaterial stellt prinzipiell einen relevanten Grund für die Aufrechterhaltung einer Inhaftierung dar. Hierbei dürfen auch der Anklagevorwurf und die Komplexität des Verfahrens berücksichtigt werden.725 Allein die Bezugnahme auf die zwischenzeitlich erfolgte Freilassung eines Mitbeschuldigten726 oder auf die drohende Freiheitsstrafe727 genügt für die Annahme einer Kollusionsgefahr allerdings nicht. Mit fortschreitender Dauer der Ermittlungen kann sich die anfangs bestehende Ge- 276 fahr einer Beeinflussung von Zeugen oder Mitbeschuldigten als Haftgrund relativieren,728 z.B. wenn bereits mehrere Zeugen polizeilich oder richterlich vernommen sind 729 oder der vernommene Beschuldigte über mehrere Monate keinerlei Anstalten gemacht hat, Zeugen zu beeinflussen.730 Das Risiko einer Absprache zwischen mehreren Tatbeteiligten vermag nach Abschluss einer gerichtlichen Voruntersuchung und Anklageerhebung die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft in der Regel nicht mehr zu rechtfertigen;731 Besonderheiten können sich in Verfahren betreffend Straftaten der organisierten Kriminalität ergeben.732 Nur ausnahmsweise und stets bezogen auf den konkreten Einzelfall darf vom Vorliegen einer Verdunklungsgefahr bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen werden.733 (e) Wiederholungsgefahr. Eine behauptete Wiederholungsgefahr, für welche die 277 Schwere einer Beschuldigung Anlass bieten kann, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, der Lebensgeschichte sowie des Charakters des Beschuldigten plausibel dargelegt werden. Aus früheren Verurteilungen darf nicht auf das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr geschlossen werden, wenn die Straftaten weder ihrer Art noch ihrem Schweregrad nach mit den Delikten vergleichbar sind, die dem Beschuldigten in dem nun gegen ihn geführten Strafverfahren zur Last gelegt werden.734
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EGMR W/CH (Fn. 674), § 33 („cannot retrospectively invalidate the view taken by the courts“). EGMR Wemhoff/D (Fn. 179), § 14. EGMR Trzaska/PL (Fn. 675), § 65. EGMR Szeloch/PL (Fn. 670), § 90. EGMR Imre/H, 2.12.2003. EGMR Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704), § 54; Tomasi/F (Fn. 694), § 95; Letellier/F (Fn. 339), § 39; siehe auch: EGMR Debboub/F, 9.11.1999. EGMR Ringeisen/A (Fn. 162), § 106 (5 Monate). EGMR Muller/F (Fn. 697), §§ 13–14, 40. Inhaftierung eines Beschuldigten erforderlich, der bei seiner Festnahme Mitglied eines Geheimdienstes ist und früher Leiter einer Polizeieinheit war, wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung. Der Beschuldigte hatte wichtige beruf-
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liche Pflichten in staatlichen Organisationen erfüllt und hatte bereits einen Polizeibeamten angewiesen, bei Durchsuchungen der Wohnungen von Mafiamitgliedern „nicht so streng“ zu sein. Aussagen ehemaliger Mitglieder der Mafia sowie weitere im Rahmen der Ermittlungen zusammengetragene belastende Beweise legten den Verdacht nahe, dass der Beschuldigte im Falle seiner Freilassung Druck auf Zeugen ausüben und andere Beweise verfälschen wird: EGMR (E) Contrada/I, 14.1.1997 (nur in Entscheidung Sachverhaltsschilderung; mehr als 3 Jahre; Schutz weiblicher Zeugen vor Druck seitens des Inhaftierten allein nicht ausreichend). EGMR W/CH (Fn. 674), i.E. Kollusionsgefahr während der gesamten Haftzeit, hierzu detailliert: Esser 298 f. EGMR Clooth/B (Fn. 697), mangels Vergleichbarkeit der Vorstrafen (versuchter
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Auch ein Hinweis auf das Vorleben des Beschuldigten kann eine weitere Inhaftierung nicht rechtfertigen. Selbst einschlägige Vorstrafen sprechen nicht zwingend für die Annahme einer Wiederholungsgefahr.735 Ausreichend ist eine reale Gefahr, dass der Beschuldigte von einem Netzwerk aus Kontakten Gebrauch macht.736 Wollen die nationalen Gerichte eine Wiederholungsgefahr annehmen, obwohl beson279 dere Umstände (z.B. schwere Erkrankung) diese vernünftigerweise ausschließen, obliegt es dem Beschuldigten, den Gerichten solche Tatsachen offen zu legen („Obliegenheit“ des Beschuldigten; siehe Rn. 257).737
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(f) Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Straftaten, die aufgrund ihrer Schwere und durch die auf ihre Begehung folgende öffentliche Reaktion Anlass zu sozialen Unruhen bieten, können im Falle außergewöhnlicher Umstände sowie bei ausreichenden Verdachtsmomenten für eine gewisse Zeit die Inhaftierung des Beschuldigten rechtfertigen. Auch das Ziel der Zerschlagung mafiöser Strukturen kann ein Grund für die Aufrechterhaltung einer Inhaftierung sein.738 Nationale Rechtsordnungen können die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als Haftgrund vorsehen. Dieser muss jedoch auf Tatsachen basieren – und nicht nur auf rein abstrakten Anschauungen (wie der Schwere der Tat und ihren gesellschaftlichen Folgen)739 –, aus denen sich ergibt, dass die Freilassung des Beschuldigten die öffentliche Ordnung tatsächlich beeinträchtigen würde.740 In jedem Fall darf die Inhaftierung nur aufrechterhalten bleiben, solange die öffentliche Ordnung tatsächlich bedroht ist. Eine etwaige Freiheitsstrafe darf durch die Haft nicht vorweggenommen werden. (2) Verfahrensführung / Beschleunigungsgebot (2. Stufe)
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(a) Allgemeine Grundsätze. An zweiter Stelle innerhalb der Zwei-Stufen-Prüfung (Rn. 249) wendet sich der EGMR der Verfahrensführung im engeren Sinne zu. Konkret geht es um die Frage, ob Gerichte741 und Strafverfolgungsbehörden das Verfahren in An-
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schwerer Diebstahl und Fahnenflucht) kein Haftgrund der Wiederholungsgefahr (Tatverdacht bzgl. Beteiligung am Mord und Brandstiftung) und keine Rechtfertigung einer Wiederholungsgefahr allein aufgrund eines während der Untersuchungshaft erstellten psychiatrischen Gutachtens, welches die fehlende Kontrollfähigkeit und die Gefährlichkeit des Bf. zutage förderte. EGMR Clooth/B (Fn. 697), § 40; Muller/F (Fn. 697), § 44 (keine Wiederholungsgefahr trotz Geständnis des Bf. bzgl. der Beteiligung an sechs Banküberfällen und Verweis der nationalen Strafverfolgungsbehörden auf ähnliche Vorstrafen). EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 58 (Kontakte während seiner Tätigkeit in der Polizei aufgebaut, um Führern der Mafia Unterstützung zu gewähren). EGMR Matznetter/A (Fn. 342), § 11, kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK, da der Beschuldigte den Umstand der Erkrankung zwar gegenüber den Behörden, nicht aber in
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seinen Rechtsbehelfen in ausreichendem Maße erwähnt habe und mit diesem Einwand lediglich eine Fluchtgefahr, nicht aber die behauptete Wiederholungsgefahr habe ausräumen wollen. EGMR Pantano/I, 6.11.2003, §§ 69 f. EGMR Letellier/F (Fn. 339), §§ 29, 51; Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704), § 52; Tomasi/F (Fn. 694), § 91 (Sprengstoffanschlag). EGMR Letellier/F (Fn. 339; Angehörige des Tatopfers hatten den Anträgen auf Freilassung – im Gegensatz zu denen eines Mitangeklagten – nicht widersprochen); Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704; bloßes Abstellen auf die Tatfolgen eines Geldfälschungsdeliktes – Vertrauen, welches Privatpersonen, Geschäftsleute, Banker und andere Personen in das Geld haben müssen – nicht ausreichend). EGMR Cevizovic/D (Fn. 678), §§ 51 ff. (vier V-Termine pro Monat bei 2 Jahre U-Haft nicht ausreichend).
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betracht sämtlicher Umstände (u.a. Komplexität; Schwere der Tat; Anzahl der Beschuldigten; Auslandsbezug; Verhalten des Beschuldigten) mit der gebotenen Beschleunigung geführt haben.742 Dies ist abzulehnen, wenn eine den staatlichen Stellen zurechenbare, vermeidbare Verzögerung zu einer Haftverlängerung geführt hat.743 Ein Recht inhaftierter Beschuldigter auf eine besonders zügige Verfahrensführung besteht neben, letztlich aber über dem allgemeinen Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Sein Verfahren muss mit einer über den Standard des Art. 6 Abs. 1 EMRK hinausgehenden besonderen Sorgfalt („special diligence“) geführt werden.744 Dies bezieht sich vorrangig auf die Effizienz und Zügigkeit der Verfahrensgestaltung. Dabei kommt es in der Regel auf Zurechnungs- und Verschuldensfaktoren an.745 Art und Umfang von Ermittlungsmaßnahmen, namentlich die Komplexität des Falles (Rn. 296 ff.), können die Dauer einer Untersuchungshaft beeinflussen und letztlich auch rechtfertigen. Ermittlungsmaßnahmen müssen stets erforderlich sein und dürfen keine wesentlichen Verzögerungen aufweisen. Auch das Verhalten des Beschuldigten kann den Umfang der Ermittlungen beeinflussen.746 Die Inhaftierung eines Verdächtigen am Beginn einer Untersuchung wird vom EGMR toleriert, wenn andernfalls eine Einflussnahme oder Störung durch ihn zu erwarten ist. Das gilt vor allem in komplizierten Verfahren, wo zahlreiche schwierige Untersuchungen erforderlich sind. Auf die Dauer können noch ausstehende Untersuchungen die Inhaftierung jedoch nicht rechtfertigen, weil sich das entsprechende Risiko wegen der zwischenzeitlich erfolgten Beweissicherungen reduziert (Rn. 275 f.). Auch hinsichtlich der Notwendigkeit einzelner Ermittlungsmaßnahmen obliegt den Justizbehörden eine gewisse Darlegungslast. Die Bezugnahme auf die Erfordernisse der Ermittlungen in einer allgemeinen und abstrakten Art und Weise genügt ebenso wenig den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EMRK wie die wiederholte Verwendung einer stereotypen Formel.747 Die Prüfungsdichte des EGMR ist allerdings nicht immer einheitlich. Mitunter beschränkt sich der Gerichtshof auf die Feststellung, die Dauer einer Inhaftierung sei nicht übermäßig gewesen.748 Der Beschleunigungsgrundsatz darf sich allerdings nicht zulasten einer ordentlichen Verfahrensführung auswirken.749 Das Gericht muss seine Aufgabe mit der notwendigen Sorgfalt wahrnehmen und den Sachverhalt vollständig ermitteln. Staatsanwaltschaft und 742
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Zu den Gründen, die in der Praxis für Verzögerungen in Haftsachen verantwortlich sind vgl. den KrimZ-Forschungsbericht von Dessecker HRRS 2007 112. Vgl. etwa EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); Frowein/Peukert 114 f.; zur Problematik der Unterbrechung der Hauptverhandlung und sog. „Schiebetermine“ sowie der Vereinbarkeit des § 229 StPO mit Art. 5 Abs. 3 EMRK vgl. Keller/Meyer-News StraFo 2005 353, 355. EGMR Tomasi/F (Fn. 694), § 102; Herczegfalvy/A (Fn. 414), § 71; W/CH (Fn. 674), §§ 30, 39; van der Tang/E (Fn. 674), § 67; Scott/E (Fn. 674), §§ 80–83; Malkov/EST, 4.2.2010 (Mord; 4 Jahre). EGMR Quinn/F (Fn. 114), § 53; van der Tang/E (Fn. 674), § 76.
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Vgl. EGMR Clooth/B (Fn. 697), Behinderung und Verzögerung der Ermittlungen durch häufiges Ändern des Tatsachenvortrags, was Anlass zur Vornahme immer neuer Ermittlungsmaßnahmen gegeben hatte. EGMR Clooth/B (Fn. 697), §§ 43, 45; W/CH (Fn. 674), § 35; Muller/F (Fn. 697), § 37; vgl. zur Unzulässigkeit der Bezugnahme auf frühere Haftprüfungsentscheidungen: BVerfG StV 1999 40; NJW 2000 1401. EGMR Quinn /F (Fn. 114), § 56. Kritisch hierzu Esser 302. EGMR Wemhoff/D (Fn. 179); Neumeister/A (Fn. 14).
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Verteidigung muss Gelegenheit gegeben werden, ihre Beweise zum gesamten Fall vorzutragen. Das Gericht darf sein Urteil erst nach sorgfältiger Prüfung der Anklage und Auswahl der zu verhängenden Strafe aussprechen.750
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(b) Gerichtsorganisation. Verzögerungen im Verfahren dürfen nicht auf einem Personalmangel in der Justiz oder auf dem Fehlen von Sachmitteln beruhen.751 Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beantwortung internationaler Rechtshilfeersuchen sind den staatlichen Stellen zuzurechnen und können eine mehrjährige Untersuchungshaft regelmäßig nicht rechtfertigen.752 Eine übermäßige Arbeitslast der Gerichte ist hingegen nicht zu berücksichtigen.753 Als Bemühen der Justizbehörden, Verzögerungen zu vermeiden, ist es zu werten, wenn einzelne Tatvorwürfe abgetrennt werden und der die Untersuchung leitende Richter beim Eingang neuer Verfahren in seinem Geschäftsbereich entlastet wird.754 Die Verbindung mehrerer Verfahren stellt trotz der hieraus ggf. resultierenden Verlän287 gerung der Haft grundsätzlich keinen Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt bei der Verfahrensführung dar, soweit und solange die Verbindung der Verfahren im Interesse einer ordentlichen Prozessführung erfolgt und als notwendig oder jedenfalls nicht als unvernünftig anzusehen ist.755 Eine Trennung verbundener Verfahren ist nicht schon deshalb geboten, weil der Tatvorwurf selbstständige, abtrennbare Vorgänge betrifft; die besondere Verfahrenskonstellation oder Beweislage kann auch in diesem Fall eine Verbindung der Verfahren rechtfertigen. Bei einer in diesem Sinne zulässigen Verbindung mehrer Verfahren beurteilt sich die 288 Sorgfalt der Verfahrensführung nicht mehr nach dem ursprünglich separat gegen den Beschuldigten geführten Verfahren, sondern nach dem Verfahren innerhalb des Großverfahrens.756
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(c) Verhalten des Beschuldigten. Für den Beschuldigten besteht keine Pflicht zur Mitwirkung am Verfahren; sein Verhalten kann nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen zur Rechtfertigung einer Verfahrensverzögerung herangezogen werden. Ein – sei es vor dem Hintergrund der Menschenrechte (Art. 6, 10 EMRK) oder auch nur nach nationalem Recht – zulässiges Verteidigungsverhalten darf unter keinen Umständen als den Staat bei der Verfahrensdauer entlastender Umstand herangezogen werden. Ein das Verfahren verzögerndes Verhalten seines Verteidigers muss sich der Beschul290 digte u.U. zurechnen lassen. Auch hier gelten allerdings strenge Maßstäbe (vgl. Rn. 289). Gegen einen Sorgfaltsverstoß des Gerichts bei der Verfahrensführung kann es sprechen,
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EGMR Wemhoff/D (Fn. 179), § 17; Matznetter/A (Fn. 342), § 12; B./A (Fn. 172), § 45; Tomasi/F (Fn. 694), § 102; W/CH (Fn. 674), § 42; van der Tang/E (Fn. 674), § 72; Contrada/I (Fn. 674), § 67. EGMR W/CH (Fn. 674), § 42. EGMR Scott/E (Fn. 674), §§ 11, 25, 83 (4 Jahre 16 Tage). EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 67. EGMR Matznetter/A (Fn. 342), § 12. EGMR van der Tang/E (Fn. 674), §§ 15, 74; Muller/F (Fn. 697), §§ 37, 48; vgl. zum
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Gebot der Verfahrenstrennung aber auch: KG StraFo 2009 514. EGMR van der Tang/E (Fn. 674): wegen der besonderen Probleme bei Verfahren im Bereich des groß angelegten Drogenhandels krimineller Vereinigungen war die Verfahrensverbindung nicht unvernünftig und eine Trennung nicht erforderlich; trotz dreijähriger Haftzeit keine Nachlässigkeit der Verfahrensführung, so dass Art. 5 Abs. 3 EMRK nicht verletzt war; eingehend dazu Esser 303 f.; EGMR van der Tang/E (Fn. 674), §§ 7–22, 58, 68–76.
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wenn die Verteidigung der vom Gericht zur Beschleunigung des Verfahrens vorgeschlagenen Erhöhung der Zahl der Verhandlungstage widerspricht.757 Die Einlegung innerstaatlicher Rechtsbehelfe stellt regelmäßig kein dem Beschuldigten anzulastendes Element der Verfahrenverzögerung dar.758 Gerade umgekehrt kann das Versäumen einer Einlegung innerstaatlicher Rechtsbehelfe bzw. das Verstreichenlassen eines gewissen Zeitraums zwischen einzelnen Haftbeschwerden als ein das Verfahren verzögernder Umstand auf Seiten des Beschuldigten zu werten sein.759 Grundsätzlich sind aber die Justizbehörden auch dann zu einer beschleunigten Verfahrensgestaltung verpflichtet, wenn der Beschuldigte es versäumt, einen (ihm zeitlich und faktisch möglichen) Antrag auf Haftprüfung/Freilassung zu stellen.760 Das Verhalten des Beschuldigten kann im Einzelfall auch eine besondere Beschleunigung der Verfahrensführung erfordern, so z.B. wenn der Beschuldigten die ihm zur Last gelegten Taten bereits am Anfang der Untersuchungen gesteht und keinerlei verfahrensverzögernde Anträge stellt.761 Vorzugswürdig ist es, die Grundsätze zum Recht auf Haftprüfung (Art. 5 Abs. 4 EMRK) zur Erschöpfung des nationales Rechtsschutzes als Zulässigkeitskriterium der Individualbeschwerde (Art. 35 Abs. 1 EMRK) als Maßstab für die Berücksichtigung des Beschuldigtenverhaltens im Rahmen der Angemessenheit der Haftdauer heranzuziehen. Ein danach zulässiges oder gar gefordertes Verhalten des Beschuldigten darf im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 EMRK nicht zu seinen Lasten Berücksichtigung finden. Eine Verfahrensverzögerung, die durch eine (mehrmalige) Änderung des Tatsachenvortrags des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und dadurch erforderliche immer neue Ermittlungsmaßnahmen, kann dem Beschuldigten zuzurechnen sein.762 Kriterien und Maßstäbe für die Verfahrensführung im Rahmen einer Auslieferungshaft (Rn. 169) können nicht ohne weiteres auf das Strafverfahren übertragen werden.763
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(d) Komplexität des Falles. Die Komplexität des Falles spielt – neben ihrer Bedeutung 296 als Haftgrund (vgl. Rn. 283) – für den EGMR im Rahmen der Verfahrensführung eine wichtige Rolle.764 Sie kann im Ausnahmefall auch eine mehrjährige Haft rechtferti757 758
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EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 67. Siehe EGMR Stögmüller/A (Fn. 342), § 16 (Einlegung von Rechtsbehelfen; Ablehnung des Richters; im Ergebnis offen gelassen). Kritisch zum Verhalten des Beschuldigten als Maßstab für die Angemessenheit der Haftdauer: Bartsch JuS 1970 445, 450. EGMR Matznetter/A (Fn. 342) § 10 (mehr als 7 Monate zwischen zwei Haftbeschwerden nicht zu beanstanden). EGMR B./A (Fn. 172), § 45. EGMR Muller/F (Fn. 697), §§ 6–19, 36–48 (fast 4 Jahre nicht mehr angemessen). EGMR Clooth/B (Fn. 697), §§ 12–13, 43 – bedenklich im Hinblick auf eine mittelbar erzeugte Pflicht zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden; so bereits Esser 305. Zuzurechnen war auch die Verzögerung, die durch einen vom Bf. provozierten Zwischenfall (Spucken ins Gesicht des Vor-
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sitzenden Richters) entstanden war. Siehe auch: EGMR Herczegfalvy/A (Fn. 414), § 72. Vgl. EGMR Kolompar/B (Fn. 494), §§ 40–43. EGMR Clooth/B (Fn. 697), § 43; Tomasi/F (Fn. 694), § 102; W/CH (Fn. 674), §§ 41– 42; Scott/E (Fn. 674), § 83; Muller/F (Fn. 697), § 37; Contrada/I (Fn. 674), §§ 66–67. Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK entweder mangels Haftgrund oder nicht sorgfältiger Verfahrensführung wurde u.a. angenommen: EGMR Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704), §§ 48–57 (2 Jahre 9 Monate mangelhafte Haftgründe); Clooth/B (Fn. 697), §§ 35– 49 (3 Jahre 2 Monate 4 Tage; mangelhafte Haftgründe); Tomasi/F (Fn. 694), §§ 83–103 (5 Jahre 7 Monate; mangelhafte Verfahrensführung); Scott/E (Fn. 674), §§ 7–31, 79, 83–84
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gen.765 Dies gilt selbst dann, wenn die Hauptverhandlung zur Vornahme weiterer, insbesondere vom Beschuldigten beantragter Ermittlungsmaßnahmen für längere Zeit unterbrochen werden muss.766 Die besondere Komplexität kann es rechtfertigen, dass zwischen mehreren Vernehmungen eines inhaftierten Beschuldigten mehrere Monate liegen und dieser erst über ein Jahr nach seiner Festnahme im Kern zu den ihm vorgeworfenen Handlungen gehört wird.767 Aber auch ein komplexes Verfahren mit erheblichen Schwierigkeiten vermag eine Haft nicht mehr zu rechtfertigen, wenn objektiv erkennbar ist, dass sie jede angemessene Zeitspanne übersteigt768 und den Inhaftierten dadurch unverhältnismäßig belastet.769 Ein flexiblerer Maßstab gilt bei der Aufklärung von Delikten der Organisierten Kriminalität bzw. mafiösen Strukturen, da hier selbst gewöhnliche strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen zu Verzögerungen der nicht selten komplex angelegten Ermittlungen führen können.770 Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Haftdauer spielen oft auch der Umfang der zu würdigenden Beweise bzw. Schwierigkeiten bei der Beibringung von Beweismitteln (insb. Zeugen) eine Rolle.771 Grundsätzlich kommt den staatlichen Stellen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Beweisaufnahme ein Beurteilungsspielraum bzw. eine Einschät-
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(4 Jahre 16 Tage, mangelhafte Verfahrensführung); Muller/F (Fn. 697), §§ 6–19, 36–48 (fast 4 Jahre, mangelhafte Haftgründe). Kein Verstoß wurde angenommen: EGMR Herczegfalvy/A (Fn. 414), §§ 13–21, 60, 62, 72 (7 Monate 15 Tage bzw. 6 Monate 6 Tage); W/CH (Fn. 674), §§ 38, 42–43 (4 Jahre 3 Tage); Quinn/F (Fn. 114), § 56 (mehr als 1 Jahr); Contrada/I (Fn. 674), §§ 6–33, 53, 62 (2 Jahre 7 Monate 7 Tage); vgl. zum Urteil EGMR W/CH (Fn. 674) – speziell zur Entscheidungsdivergenz zwischen Gerichtshof und EKMR in diesem Fall: Peukert EuGRZ 1993 173, 177. EGMR Wemhoff/D (Fn. 179, anfangs Ermittlungen gegen 13 Personen, 40-maliges Verhör des Bf., umfangreiche Zeugenvernehmung und Einholung von insgesamt 15 SVGutachten, 855 Seiten umfassende Anklageschrift (3 Jahre 5 Monate angemessen); W/CH (Fn. 674; mehr als 4 Jahre U-Haft). EGMR B./A (Fn. 172), § 46 (2 Jahre 4 Monate 15 Tage wegen der Komplexität des Verfahrens und der dem Beschuldigten zur Last gelegten Vermögensdelikte nicht unangemessen). EGMR Matznetter/A (Fn. 342), § 12 (25 Monate 23 Tage nicht beanstandet). Vgl. etwa EGMR Erdem/D, 5.7.2001, ECHR 2001-VII = EuGRZ 2001 391 = NJW 2003
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1439 (5 Jahre 11 Monate); Chraidi/D, 26.10.2006, ECHR 2006-XII = EuGRZ 2006 648 legt im Bereich des internationalen Terrorismus andere Maßstäbe an und sieht bei einer Haftdauer von 5 Jahren 6 Monaten keinen Konventionsverstoß, unter Hinweis auf ein kompliziertes langwieriges Verfahren sowie auf die fortbestehende Fluchtgefahr des Festgehaltenen, der dem Gerichtsstaat zum Zwecke des Strafverfahrens von seinem Heimatstaat überstellt worden war; vergleichbare Argumentation im Bereich der Organisierten Kriminalität: EGMR Laszkiewicz/PL, 15.1.2008; anders die frühere Rechtsprechung: vgl. EGMR Adamiak/PL, 19.12.2006 (OK; 5 Jahre konventionswidrig). Vgl. BGH StV 1994 329; so auch EGMR Nevmerzhitsky/UKR (Fn. 292; Haftdauer von 2 Jahren 5 Monaten im Hinblick auf die körperliche Verfassung des Inhaftierten unverhältnismäßig); vgl. EGMR Mamedova/R (Fn. 342; Schwierigkeit der Ermittlungen begründet keine Mitwirkungspflicht des Inhaftierten; Inanspruchnahme des Schweigerechts kann unter diesem Aspekt nicht zur Unangemessenheit der Haftdauer führen). EGMR Contrada/I (Fn. 674), §§ 66–67. EGMR Malkov/EST (Fn. 744; Mord, 4 Jahre; Verstoß).
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zungsprärogative zu.772 Eine fehlende Sorgfalt bei der Verfahrensführung liegt nicht schon vor, wenn lediglich eine von mehreren Ermittlungsmaßnahmen schneller hätte durchgeführt werden können.773 Tauchen nach Beginn der Haft neue, den Beschuldigten belastende Beweise auf, die weitere Ermittlungshandlungen erforderlich machen, ist dies ebenfalls bei der Beurteilung der Komplexität zu berücksichtigen.774 c) Gesamtbetrachtung der Haft(fort)dauer. Bei Vorliegen zulässiger und ausreichen- 301 der Haftgründe (Stufe 1) und einer den Vorgaben des EGMR entsprechenden Verfahrensführung (Stufe 2) ist abschließend eine Art Gesamtbetrachtung der Haftdauer vorzunehmen. Dabei sind sämtliche im konkreten Fall zuvor als relevant eingestufte Kriterien und Umstände dem individuellen Freiheitsinteresse des Betroffenen gegenüberzustellen. Bei der geforderten Abwägung ist vor allem auch die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR) zu berücksichtigen,775 ebenso die Kriterien und Bedingungen der für die Untersuchungshaft einschlägigen Empfehlung des Europarates – Rec (2006) 13 des Ministerrates.776 d) Initiativen der Europäischen Union zur Begrenzung von Untersuchungshaft. Am 302 23.10.2009 verabschiedete der Rat den Rahmenbeschluss 2009/829/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsanordnungen als Alternative zur Untersuchungshaft.777 Die rechtliche Grundlage bildeten Art. 29 Abs. 2, 31 Abs. 1 lit. c, 34 Abs. 2 Satz 2 lit. b EUV a.F. Maßnahmen mit dem Ziel, die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber Beschuldigten, die keinen Wohnsitz im Verfolgerstaat haben, zu vermeiden, betreffen die Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander (Art. 31 Abs. 1 lit. c EUV a.F.).778 Zentraler Bestandteil des dem RB zugrundeliegenden Konzeptes war ursprünglich 303 eine Europäische Überwachungsanordnung (European Supervision Order) mit dem Ziel, die Strafverfolgung gegen im Ausland lebende Beschuldigte so weit wie möglich durch nicht-freiheitsentziehende gerichtlich angeordnete Überwachungsmaßnahmen im Heimatstaat zu gewährleisten.779 Im RB ist dagegen nur noch von einer Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen (Art. 4 Abs. 1 lit. a) die Rede. Die Justizbehörden des Anordnungsstaates780 (Art. 4 Abs. 1 lit. c) erhalten dadurch die Möglichkeit, während des Ermittlungsverfahrens als Alternative zur Untersuchungshaft sog. Überwachungsmaßnahmen (Art. 4 Abs. 1 lit. b: Weisungen und Auflagen ohne Freiheitsentzug) auf 772
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EGMR Scott/E (Fn. 674), § 83; Eriksen/N (Fn. 162), § 92 (Einholung von Sachverständigengutachten). EGMR Contrada/I (Fn. 674), § 67 (Analyse von Handy-Daten). EGMR Contrada/I (Fn. 674), §§ 66–67. EGMR Wemhoff/D (Fn. 179), § 9; Kauczor/P (Fn. 677; fehlendes Geständnis; daraus Vermutung, Beschuldigter werde Beweismittel beeinträchtigen; Art. 5 Abs. 3 EMRK verletzt); Frowein/Peukert 114 ff. m.w.N. Vgl. Fn. 568. ABlEU Nr. L 249 v. 11.11.2009, S. 20. Vgl. zur Auslegung des Art. 31 Abs. 1 lit. c EUV a.F.: Callies/Ruffert/Suhr EUV/EGV,
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Art. 31, 20 EUV; Streinz/Satzger EUV/EGV, 2003, Art. 31, 10 EUV. KOM (2006) 468 endg.; Ratsdok. 12367/06; im Folgenden: RB-EuÜA; vgl. auch die Unterrichtung des Bundesrates durch die Bundesregierung (BRDrucks. 654/06). Als Diskussionsgrundlage für den RB-Vorschlag hatte die Kommission am 17.8.2004 ein Grünbuch über die gegenseitige Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug im Ermittlungsverfahren, KOM (2004) 562 endg., vorgelegt. In der Regel handelt es sich dabei um den Staat, in dem die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat begangen wurde und verfolgt wird.
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einen anderen Staat (Vollstreckungsstaat781) zu übertragen, der diese Maßnahmen überwacht (Art. 4 Abs. 1 lit. d).782 Gegenstand der Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen können insbesondere Meldeauflagen, Aufenthaltsgebote und -verbote sowie Betretungs- und Kontaktverbote sein (Art. 8 Abs. 1). Jeder Mitgliedstaat kann darüber hinaus seine Bereitschaft mitteilen, weitere Maßnahmen dem im RB vorgesehenen Überwachungsmodell zu unterwerfen (z.B. Fahr- und Berufsverbote, Hinterlegung von Geldbeträgen sowie Unterziehung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur, Art. 8 Abs. 2). Die Behörden des Vollstreckungsstaates sind prinzipiell verpflichtet, die vom Anord304 nungsstaat in einer standardisierten „Bescheinigung“ (Anlage zum RB) festgelegten Überwachungsmaßnahmen anzuerkennen und zu vollstrecken – mit Ausnahme einiger weniger fakultativer Ablehnungsgründe (Art. 15).783 Auf der Grundlage einer solchen Entscheidung (s.o.) kann der Beschuldigte bis zum Beginn der Hauptverhandlung im Anordnungs-/Verfolgungsstaat in seinen Wohnsitzmitgliedstaat zurückkehren und ist dort in seiner vertrauten Umgebung unter Aufsicht gestellt.784 Der RB 2009/829/JI ist bis zum 1.12.2012 umzusetzen (Art. 27). Eine über seinen 305 Regelungsgehalt hinausgehende Kompetenz zur Harmonisierung grundlegender Fragestellungen der Untersuchungshaft (z.B. Anordnung, Haftdauer, Haftprüfung, Haftvollzug) hat die Union nur, soweit diesen Fragestellungen ein staatenübergreifender Charakter zugeschrieben werden kann; vgl. Art. 82 Abs. 2 Satz 1 AEUV: „grenzüberschreitende Dimension“. Die Kommission betont in ihrem Grünbuch zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens im europäischen Rechtsraum, dass die Instrumente des Europäischen Haftbefehls oder der Europäischen Überwachungsanordnung noch zu wenig genutzt werden. Dies liege vor allem darin begründet, dass sich nicht alle Mitgliedsstaaten das gleiche Vertrauen hinsichtlich der Umsetzung europäischer Rahmenbeschlüsse und Richtlinien entgegenbringen. Die Kommission bemüht sich daher durch Workshops zur RB-Umsetzung vor Ort sowie durch eine mögliche Aufstellung von EU-Mindestvorschriften für die regelmäßige Überprüfung der Haftgründe, das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbessern.785
IV. Recht auf Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK) 306
1. Allgemeines. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK / Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR stellen klar, dass der Anspruch auf Haftentlassung aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK bzw. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPBPR von der Leistung einer Sicherheit 786 abhängig gemacht werden
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Dies wird meist der Staat sein, in dem der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vgl. Art. 9. Auf die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit wird im Falle eines in Art. 14 Abs. 1 genannten Deliktes verzichtet – soweit die betroffenen Staaten keine verfassungsrechtlichen Vorbehalte äußern (Art. 14 Abs. 1 und 4). Etwa „ne bis in idem“ (Art. 15 Abs. 1 lit. c); fehlende Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat (Art. 15 Abs. 1 lit. d); Verjährung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates (Art. 15
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Abs. 1 lit. e); Immunität (Art. 15 Abs. 1 lit. f); fehlende Strafmündigkeit im Vollstreckungsstaat (Art. 15 Abs. 1 lit. g); Ablehnungsgrund nach dem RB über den Europäischen Haftbefehl (Art. 15 Abs. 1 lit. h). Ausführlich hierzu: Esser in: Joerden/ Szwarc (Hrsg.), 233, 244 ff. Vgl. Grünbuch zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens im europäischen Rechtsraum, KOM (2011) 327, 3.4 ff. Zur Rechtsnatur der Sicherheit vgl. BVerfG NJW 1991 1043 (keine strafähnliche Sanktion).
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
kann.787 Dabei führt Art. 9 Abs. 3 Satz 2 IPBPR detailliert an, dass die Sicherheit alle Stadien des Verfahrens abdecken kann, also sowohl das Erscheinen zur Hauptverhandlung als auch zu jeder anderen Verfahrenshandlung als auch zur Vollstreckung des Urteils.788 Hingegen spricht Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK nur von dem Erscheinen vor Gericht. 2. Voraussetzungen. Art und Weise der Entlassung („release“) i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK hängen von der Art der zu leistenden Sicherheit ab. Als Entlassung gilt auch die Verbringung in einen Hausarrest, obwohl diese Art der Inhaftierung ebenfalls unter Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK fallen kann (Rn. 25).789 In jedem Fall muss der Beschuldigte nach Sinn und Zweck der Vorschrift die Haftanstalt selbst verlassen. Die Leistung einer Sicherheit („conditioned by guarantees“) muss nicht notwendig finanzieller Art (Kaution) sein, auch andere Maßnahmen, die geeignet sind, das mit ihr verfolgte Ziel zu gewährleisten, sind denkbar,790 so etwa Meldeauflagen, die Anordnung polizeilicher Überwachung,791 die Einschränkung der Bewegungsfreiheit,792 die Abgabe einer Versicherung oder die Anordnung eines Hausarrestes793 (vgl. auch § 116 StPO). Handelt es sich um Vermögens- und Insolvenzdelikte („financial cases“), so kommt als Sicherheitsleistung regelmäßig nur die Stellung einer Kaution oder einer anderen Sicherheit in Form einer höheren Geldsumme in Betracht.794 Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK legt nicht fest, wie die Garantien dieser Vorschrift in den Mitgliedsstaaten zu gewähren sind und unter welchen Voraussetzungen die Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung widerrufen werden darf.795 Dies liegt im Ermessen der Vertragsstaaten. Eine Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung ist dem Wortlaut nach nur zum Erscheinen vor Gericht („appear for trial“) zulässig (vgl. Rn. 306). Dies legt es nahe, dass nur die Haftgründe der Flucht bzw. Fluchtgefahr von Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK erfasst sind. Anderen Haftgründen kann jedoch ebenfalls eine Bedeutung bei der Entscheidung über die Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung zukommen.796 Auch wenn die Hauptverhandlung kurz bevorsteht, darf das Gericht nicht von einer Entlassung gegen Sicherheitsleistung absehen.797 Die Entscheidung über eine Entlassung aus der Haft gegen Sicherheitsleistung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts („may“), die sich an den allgemeinen Grundsätzen zur Notwendigkeit einer Freiheitsentziehung zu orientieren hat. Die Möglichkeit, während des Strafverfahrens aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, kann nicht
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Vgl. hierzu auch Rahmenbeschluss 2009/ 829/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsanordnungen als Alternative zur Untersuchungshaft, ABlEU Nr. L 249 v. 11.11.2009, S. 20; hierzu: Esser Begrenzung der Untersuchungshaft 247 ff. Nowak 42 unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte. EGMR Mancini/I, 2.8.2001, ECHR 2001IX, §§ 17, 23–26; hierzu auch Kühne/Esser StV 2002 383, 388. Nowak 42.
791 792 793 794 795 796
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Kühne/Esser StV 2002 383, 388. KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 71; EGMR Bergmann/EST, 29.5.2008. EGMR Mancini/I (Fn. 789), § 17. Esser 308; EGMR Wemhoff/D (Fn. 179). EGMR Bergmann/EST (Fn. 792), § 45. So z.B. wenn sich der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr aufgrund von Zeitablauf minimiert (EGMR Hristov/BUL, 31.7.2003; Grabenwarter § 21, 32); vgl. für Wiederholungsgefahr: EGMR Gosselin/F, 13.9.2005; Dumont-Maliverg/F, 31.5.2005. EGMR Gault/UK, 20.11.2007, § 20; a.A. noch LR/Gollwitzer 25 118 m.w.N.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
generell per Gesetz oder pauschal für bestimmte Straftaten ausgeschlossen werden.798 Es verstößt daher gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK, wenn im nationalen Recht für bestimmte Fälle die Entlassung aus der Haft gegen Sicherheitsleistung generell ausgeschlossen799 oder die Untersuchungshaft zwingend vorgeschrieben wird.800 Es erscheint insoweit fraglich, ob die durch die nationale Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung bei bestimmten Delikten (§§ 94, 99, 129, 129a StGB801) unter diesen Umständen konventionskonform ist. Die strikte Betonung der Unschuldsvermutung802 durch den EGMR spricht für eine Konventionswidrigkeit. Ein unbedingtes Recht auf Haftentlassung gegen Sicherheitsleistung folgt aus Art. 5 312 Abs. 3 Satz 2 EMRK nicht,803 wohl aber eine Pflicht der Behörden, gegebenenfalls darzulegen, warum die Fluchtgefahr durch die angebotenen Sicherheiten nicht ausgeräumt werden kann („Darlegungslast“).804 Lässt dagegen die Sicherheitsleistung die Fluchtgefahr als alleinigen Haftgrund entfallen, ist die Haftentlassung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen, die Entscheidung steht dann insoweit nicht mehr im Ermessen der Behörden.805 Art und Höhe der Sicherheit richten sich allein nach dem konkreten Sicherungszweck. 313 Die Sicherheit soll erreichen, dass sich der Angeklagte dem Verfahren nicht entzieht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, von denen abhängt, ob der Beschuldigte sich dem Verfahren stellt. Soll die Sicherheit in Form eines Geldbetrags geleistet werden, spielen alle Besonderheiten des Einzelfalls eine Rolle, wie etwa eigene Mittel des Beschuldigten,806 seine familiären Bindungen oder auch sein Verhältnis zu einer für ihn bürgenden Person.807 Die Sicherheitsleistung dient nicht der Sicherung der Wiedergutmachung des verursachten Schadens sondern bestimmt sich nach dem Sicherungszweck: zu erreichen, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren stellt.808 Die Höhe eines durch die Tat entstandenen (Vermögens-)Schadens darf bei der Bemessung der Höhe einer Sicherheitsleistung mitberücksichtigt werden,809 desgleichen die zu erwartenden Verfahrenskosten oder eine zu erwartende Geldstrafe.810 798 799
800 801
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EGMR Boicenco/MOL (Fn. 298), §§ 134– 138; vgl. auch S.B.C./UK, 19.6.2001, § 22. EGMR Caballero/UK, 8.2.2000; S.B.C./UK (Fn. 798); Boicenco/MOL (Fn. 298); vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 388; MeyerLadewig 80. EGMR Ilijkov/BUL (Fn. 690); Kühne/Esser StV 2002 383, 388. BGH bei Schmidt MDR 1994 240; MDR 1993 508; MDR 1992 548; MDR 1990 106; ansonsten wird aber inzwischen angenommen, dass eine Aussetzung bei jeder Straftat möglich ist, vgl. LR/Hilger § 116, Fn. 2 StPO. Z.B. EGMR McKay/UK (Fn. 597), § 41. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 115, vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 388. Esser 308; vgl. auch EGMR McKay/UK (Fn. 597), § 44; siehe auch: L’Elièvre/B, 8.11.2007 (Verletzung von Art. 5 EMRK, weil die Behörden nicht ausreichend geprüft hatten, inwiefern Alternativen zur „preventive detention“ bestehen). EGMR Wemhoff/D (Fn. 179; dazu Schultz JR 1968 441); Letellier/F (Fn. 339); vgl.
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810
auch EGMR Matznetter/A (Fn. 342); Frowein/Peukert 121; Grabenwarter § 21, 32 (Ermessen auf Null reduziert); Villiger 365. Vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 388 unter Hinweis auf EGMR Iwanczuk/PL (Fn. 323, hier: Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht des Beschuldigten; problematisch in Bezug auf nemo-tenetur). EGMR Neumeister/A (Fn. 14). Esser 308; Frowein/Peukert 122. EGMR Mancini/I (Fn. 789); (GK) Mangouras/E, 28.9.2010 (Öltanker „Prestige“; Umweltstraftaten; 83 Tage Haft; Rechtfertigung einer Kaution i.H.v. 3 Mio. Euro bei einer durch 70.000 t Öl ausgelösten Meeresverschmutzung; berücksichtigt, dass Kaution durch finanziell starke Dritte gestellt wurde); siehe aber auch die abweichenden Voten, die gegen eine Orientierung am verursachten Schaden argumentieren und dafür Tat und Person stärker in den Vordergrund rücken. Vgl. EGMR Neumeister/A (Fn. 14); Kemmache/F (Nr. 1/2) (Fn. 704); Frowein/ Peukert 122.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Das Verfahren kann entweder auf Betreiben des Beschuldigten oder nach Initiative 314 des Gerichts in Gang gesetzt werden. Allerdings verstößt es gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 3 EMRK, wenn der zuständige Richter es versäumt, die Möglichkeit einer Haftentlassung gegen Sicherheit in Erwägung zu ziehen.811 Der Richter, welcher die Rechtmäßigkeit der Haft prüft, muss nicht derjenige sein, der auch befugt ist, die Entlassung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen, weil die erste Entscheidung „unverzüglich“, die zweite nur „schnell“ getroffen werden muss.812 Jedenfalls muss eine Anfechtung der Entscheidung über die Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung möglich sein, ansonsten liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK vor.813 Auch im Verfahren über die Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung gilt der Be- 315 schleunigungsgrundsatz.814 Fällt die Entscheidung des Gerichts zugunsten des Beschuldigten aus, so ist sie sofort umzusetzen.815 Wird der Beschuldigte erst 23 Stunden, nachdem der Nachweis über die Hinterlegung der Kaution geführt wurde, freigelassen, so verstößt dies ebenso gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK816 wie eine 6 bzw. 3 Tage nach der Gerichtsentscheidung vollstreckte Vollbringung in den Hausarrest.817
V. Gerichtliche Haftkontrolle (Art. 5 Abs. 4 EMRK / Art. 9 Abs. 4 IPBPR) 1. Allgemeine Grundsätze. Für alle Fälle der Freiheitsentziehung (Art. 5 Abs. 1 316 EMRK) garantieren die inhaltlich übereinstimmenden Art. 5 Abs. 4 EMRK / Art. 9 Abs. 4 IPBPR das Recht des Festgenommenen, die alsbaldige gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haft zu beantragen.818 Die angelsächsische Habeas Corpus-Doktrin, die als Garant der persönlichen Freiheit jedem Inhaftierten das Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft gibt, spiegelt sich hier wider.819 Dieses Recht soll den Festgenommenen und später Inhaftierten vor willkürlichen Eingriffen in seine Freiheit schützen und gilt daher ohne Ausnahmen, auch wenn die nationale Sicherheit und die Terroris-
811 812 813 814 815 816 817 818
EGMR Golek/PL, 25.7.2006, Ceglowski/PL, 8.11.2006. EGMR McKay/UK (Fn. 597), §§ 45–50, NJW 2007 3699, 3701 f. EGMR Staykov/BUL, 12.1.2007. KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 71; EGMR Iwanczuk/PL (Fn. 323). EGMR Mancini/I (Fn. 789), § 25; Rashid/BUL, 18.1.2007. EGMR Rashid/BUL (Fn. 815). EGMR Mancini/I (Fn. 789). Vgl. etwa HRC Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.4, wo der Beschuldigte daran gehindert wurde, die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haft zu beantragen; im Fall HRC Dean/Neuseeland (Fn. 211), § 7.4 wird zunächst betont, dass eine Präventivunterbringung (hier als Strafe) nicht per se einer Verletzung der Konvention gleichkommt, sofern sie durch nachprüfbare zwingende Gründe gerechtfertigt ist; die nicht vorhandene Möglichkeit, die Existenz
819
einer stichhaltigen Begründung für die Freiheitsentziehung aus präventiven Gründen während dieser Zeit (drei Jahre Präventivunterbringung bis zur ersten Bewährungsanhörung) gerichtlich überprüfen lassen zu können, stelle aber eine Verletzung von Art. 9 Abs. 4 IPBPR dar (ablehnende Meinung Thelin im Anhang); Aboussedra/ Libyen (1751/2008), 25.10.2008, § 7.6. Vgl. Art. I § 9 Cl. 2 der US-Verfassung; 28 U.S.C. – Judiciary and Judicial Procedure VI/153, §§ 2241 ff.; Frowein/Peukert 124; Villiger 366; zum Recht auf Haftprüfung im US-Gefangenenlager Guantanamo (Kuba): US Supreme Court, Rasul v. Bush, 542 U.S. 466 (2004); Hamdi v. Rumsfeld, 542 U.S. 507 (2004); Hamdan v. Rumsfeld, 548 U.S. 557 (2006); Boumediene v. Bush, 553 U.S. (2008). Vertiefend zum Habeas CorpusGedanken: Farbey/Sharpe The Law of Habeas Corpus (2010).
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musbekämpfung betroffen sind.820 Rechtmäßigkeit ist hier im gleichen Sinne wie bei Absatz 1 zu verstehen (Rn. 39 ff.).821 Wegen der unterschiedlichen Arten der Freiheitsentziehung stellen sich auch für die Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit unterschiedliche Anforderungen.822
317
2. Haftgründe des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK. Entsprechend dem unterschiedlichen Schutzniveau der jeweiligen Konventionsverbürgung ist auch das Maß bzw. die Dichte der gerichtlichen Nachprüfung unterschiedlich. So unterliegen etwa bei der Abschiebungshaft (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK) die behördlichen Ermessensentscheidungen, die zur Einleitung eines Abschiebungsverfahrens geführt haben, nicht der gerichtlichen Überprüfung (Rn. 168).823 Gleichwohl muss aber ein Verfahren zur Überprüfung der Freiheitsentziehung zur Verfügung gestellt werden, das unabhängig von der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung besteht.824
318
3. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 3 EMRK. Absatz 4 gilt auch für die von Absatz 3 erfassten Fälle der U-Haft wegen des Verdachts einer Straftat, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK. Absatz 3 und Absatz 4 des Art. 5 EMRK sind nebeneinander anwendbar.825 Im Verhältnis zu der Rechtsschutzgarantie des Art. 13 EMRK (Art. 2 Abs. 2 IPBPR) ist Art. 5 Abs. 4 EMRK im Bereich der freiheitsentziehenden Maßnahmen wegen seiner weiter reichenden Garantien lex specialis.826
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4. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 EMRK. Das Recht auf Haftkontrolle nach Absatz 4 wird selbständig und unabhängig von den anderen Verbürgungen der Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR gewährleistet. Ein Verstoß gegen Absatz 4 kann auch vorliegen, wenn die Haft als solche nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK / Art. 9 Abs. 1 IPBPR rechtmäßig ist und die Verfahrensgarantien den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EMRK entsprechen.827 Ist die Haft rechtswidrig, so gewährt Art. 5 Abs. 4 EMRK selbst keinen Anspruch auf 320 Haftentlassung. Dieser folgt unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK, wonach der Staat verpflichtet ist, den Beschuldigten unverzüglich freizulassen (Rn. 50).828 Allein die nicht rechtzeitige oder fehlerhafte Überprüfung (Art. 5 Abs. 4 EMRK) einer Freiheitsentziehung macht diese allerdings noch nicht rechtswidrig i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK.829 Sind die Rechte des Inhaftierten in einem Verfahren nach Absatz 4 gewahrt, ist es – für die Einhaltung dieser Garantie – unerheblich, ob bei der Haftprüfung andere
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Etwa EGMR Al-Nashif/BUL, 20.6.2002, ÖJZ 2003 344; Chahal/UK (Fn. 466). EGMR X/UK (Fn. 40); Ashingdane/UK (Fn. 12). Etwa EGMR Bouamar/B (Fn. 115); Chahal/UK (Fn. 466); Meyer-Ladewig 89, 93. Vgl. EGMR Chahal/UK (Fn. 466). EGMR S.D./GR, 11.6.2009 mit weiteren Hinweisen zur „unklaren“ Rechtslage in Griechenland. EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580); MeyerLadewig 85. EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580); Bouamar/B (Fn. 115); Brogan u.a./UK (Fn. 155);
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Brannigan u.a./UK, 26.5.1993 = ÖJZ 1994 65; Murray/UK (Fn. 291); Chahal/UK (Fn. 466); Hood/UK (Fn. 587); (GK) Nikolova/BUL, 25.3.1999, ECHR 1999-II = NJW 2000 2883 = EuGRZ 1999 320 = ÖJZ 1999 812; Esser 328; Meyer-Ladewig 99. EGMR Luberti/I (Fn. 192); Kolompar/B (Fn. 494); Douiyeb/NL (Fn. 115); BGer EuGRZ 1990 155; so schon: Vogler ZStW 89 (1977) 761, 774. EGMR (GK) Assanidze/GEO (Fn. 208). Vgl. BGer EuGRZ 1989 180.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Formvorschriften des nationalen Rechts (Anwesenheit eines Urkundsbeamten, Aufnahme eines Protokolls) verletzt wurden.830 5. Verhältnis zu Art. 6 EMRK. Obwohl das Recht auf Freiheit ein „civil right“ i.S.v. 321 Art. 6 Abs. 1 EMRK ist 831 und die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK damit prinzipiell auch für das Verfahren zur Überprüfung der Freiheitsentziehung eröffnet sind, hat der EGMR in einer späteren Entscheidung klargestellt, dass Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 6 EMRK unterschiedliche Zwecke verfolgen. Zwar bestehe zwischen beiden Verfahrensgarantien ein enges Verhältnis, so dass für Art. 6 EMRK auch im Bereich des Haftprüfungsverfahrens ein gewisser Anwendungsbereich verbleibt, jedoch rechtfertigt dies nicht, das Verfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 6 EMRK identischen Anforderungen zu unterwerfen. Eine Anhörung im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens nach Art. 5 Abs. 4 EMRK muss daher nicht öffentlich erfolgen.832 6. Gericht i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK. Nur ein Gericht – nicht wie in Absatz 3 auch 322 eine Person mit richterlichen Befugnissen (Rn. 209) – darf die Kontrolle der von einer anderen Stelle angeordneten Freiheitsentziehung ausüben. Es muss sich dabei nicht notwendig um ein „Gericht klassischer Art“ handeln, also eine in die Justizorganisation integrierte Instanz, wohl aber um eine Stelle, die die allgemeinen wesentlichen Merkmale besitzt, die ein Gericht auszeichnen (vgl. Art. 6 EMRK Rn. 127 ff.). Sie muss hinreichende persönliche und sachliche Unabhängigkeit von den Verfahrensbeteiligten und auch eine organisatorische Selbstständigkeit von Anklagebehörde und Exekutive833 aufweisen. Auch andere Entscheidungsgremien, wie Militärgerichte834 oder Spezialgremien, wie etwa eine aus einem Richter, einem Arzt und einem Anwalt bestehenden Kommission, können diesen Erfordernissen genügen,835 nicht aber eine Stelle, die nicht selbst die Haftentlassung verbindlich verfügen, sondern nur eine für die entscheidende Behörde rechtlich nicht bindende Empfehlung abgeben kann.836 Die Möglichkeit, eine Entscheidung des Justizministers 837 oder der Staatsanwaltschaft 323 über die Freiheitsentziehung herbeizuführen, ist keine Entscheidung i.S.d. Absatzes 4.838 Die gerichtliche Stelle muss selbst in voller Unabhängigkeit und Verantwortung entscheiden – in einem rechtsstaatlichen Verfahren, das ausreichende Garantien gegen Willkür bietet,839 830
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EGMR Wassink/NL (Fn. 143; Verstoß gegen zwingende Formvorschriften des nationalen Rechts machte Entscheidung rechtswidrig); Esser 351. Vgl. EGMR Aerts/B, 30.7.1998, Rep. 1998-V („the right to liberty, which was thus at stake, is a civil right“). Vgl. EGMR Homann/D, 9.5.2007, NJW 2008 2320; Reinprecht/A, 15.11.2005, ECHR 2005-XII = ÖJZ 2006 51. EGMR Neumeister/A (Fn. 14); X/UK (Fn. 40); Bezicheri/I, 25.10.1989, A 164; bejahend für Untersuchungsrichter in Italien; vgl. auch EGMR D.N./CH, 29.3.2001, ECHR 2001-III = ÖJZ 2002 516; Esser 329; Frowein/Peukert 133 f.; MeyerLadewig 87. EGMR De Jong u.a./NL (Fn. 580; Militärgericht).
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EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 507 (Merkier); Frowein/Peukert 134. EGMR X/UK (Fn. 40); van Droogenbroeck/B (Fn. 119); Weeks/UK (Fn. 157); Thynne u.a./UK (Fn. 187); Hussain/UK u. Singh/UK, 21.2.1996, Rep. 1996-I; Esser 329; Frowein/Peukert 134. EGMR (GK) Stafford/UK, 28.5.2002, ECHR 2002-IV; Hill/UK, 27.4.2004. EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Keus/NL, 25.10.1990, A 185-C; Kühne/Esser StV 2002 383, 390; Frowein/Peukert 134; Meyer-Ladewig 87. EGMR X/UK (Fn. 40); Campell u. Fell/UK, 28.6.1984, A 80 = EuGRZ 1985 534; De Jong u.a./NL (Fn. 580); Weeks/UK (Fn. 157); BGer EuGRZ 1989 410, 441; Nowak 44.
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in dem der Betroffene (grundsätzlich) selbst gehört wird 840 und das eine hinreichende Nachprüfung der sachlichen Voraussetzungen und der Rechtmäßigkeit der Haft und ihrer Fortdauer ermöglicht. Zu den weiteren Anforderungen an das Verfahren siehe Rn. 329 ff. Die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz des Gerichts muss die wesentlichen (nicht alle) Aspekte der Rechtmäßigkeit der Haft nach nationalem Recht und ihre Vereinbarkeit (umfassend) mit den Konventionen umfassen. In Strafsachen muss das Gericht nicht nur kontrollieren, ob die innerstaatlichen Verfahrenserfordernisse erfüllt sind, sondern auch, ob ein die Festnahme rechtfertigender hinreichender Tatverdacht (Rn. 118 ff.) besteht und ob das mit Festnahme und Haft verfolgte Ziel rechtmäßig i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK ist.841 Auch bei anderen Freiheitsentziehungen genügt eine bloße Formalkontrolle dem Zweck des Absatzes 4 nicht,842 desgleichen nicht eine richterliche Kontrolle, die sich darauf beschränkt, dass die Haft von einer zuständigen Stelle ohne ersichtlichen Ermessensmissbrauch angeordnet worden ist, ohne jedoch die dafür maßgebenden Tatsachen und die Ermessensentscheidung der Behörde selbst überprüfen zu können.843 Die Einzelheiten der Verfahrensregelung sind dem nationalen Recht überlassen, das nach der Art der Freiheitsentziehung auch den Prüfungsumfang und die Kontrolldichte unterschiedlich regeln kann.844 Eine unbeschränkte Kontrolle aller die Haft betreffenden Fragen einschließlich ihrer Zweckmäßigkeit wird nicht gefordert, wohl aber die Nachprüfung aller Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit und Konventionsgemäßheit der Haft abhängt,845 so u.U. auch spezifische Haftbedingungen, wenn diese zur Rechtmäßigkeit der Haft gehören (z.B. die Unterbringung psychisch Kranker in einer Klinik oder einem Krankenhaus; vgl. Rn. 150). Fehlt es daran, weil die innerstaatlichen Rechtsbehelfe dies nicht in ausreichendem Umfang ermöglichen, ist Art. 5 Abs. 4 EMRK verletzt.846 Welche (nationale) Prüfungsdichte unerlässlich ist, hängt auch vom Stand des Verfahrens ab; beim ersten Zugriff in Eilfällen wird das Gericht den festnehmenden Stellen einen weiteren Beurteilungsspielraum zubilligen können als bei einer bereits längere Zeit andauernden Haft. Die richterliche Prüfungsbefugnis muss jedenfalls weit genug sein, um
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Vgl. EGMR Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471). Der EGMR geht allerdings davon aus, dass die Anwesenheit des Betroffenen nicht unbedingt erforderlich ist und durch die Teilnahme seines Verteidigers kompensiert werden kann, vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 390. EGMR Lietzow/D, 13.2.2001, ECHR 2001-I = NJW 2002 2013 = StV 2001 201 m. Anm. Kempf; Schöps/D, 13.2.2001, ECHR 2001-I = NJW 2002 2015 = StV 2001 203; Garcia Alva/D, 13.2.2001, ECHR 2001-VI = NJW 2002 2018 = StV 2001 205. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 534. EGMR X/UK (Fn. 40); EKMR EuGRZ 1979 74 (Caprino); 1983 432; vgl. aber auch bei Bleckmann EuGRZ 1983 431; Frowein/Peukert 136, 141. Zur zu eng
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begrenzten Nachprüfung des brit. Habeas Corpus-Verfahrens Riedel EuGRZ 1980 192, und zu dem ähnlichen Verfahren nach norw. Recht EKMR EuGRZ 1990 88; das Habeas Corpus-Verfahren nach nordirischem Recht wurde von EGMR Brogan u.a./ UK (Fn. 155), als ausreichend angesehen. Vgl. etwa BGer EuGRZ 1989 410. EGMR X/UK (Fn. 40); van Droogenbroeck/B (Fn. 119); Ashingdane/UK (Fn. 12); Thynne u.a./UK (Fn. 187); Chahal/UK (Fn. 466); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 89. Vgl. EGMR Chahal/UK (Fn. 466): unzureichende gerichtliche Garantien und Überprüfungskompetenz einer Kommission („Panel“), die nur eine nicht bindende Empfehlung abgeben konnte.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
neben der richtigen Anwendung des nationalen Rechts die nach den Konventionen wesentlichen Bedingungen der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Art und Weise der Freiheitsentziehung zu erfassen. Das für die Haftprüfung zuständige Gericht (Rn. 322) bestimmt das nationale Recht. 328 Der Vertragsstaat kann ein besonderes Gremium einrichten, er kann diese Aufgabe aber auch dem in der Hauptsache zuständigen Gericht übertragen. Die von der Freiheitsentziehung betroffenen Personen müssen in jedem Fall eine der jeweiligen Situation angemessene Garantie für einen effektiven Zugang zum Gericht haben. Dieser kann bei zu kurzen Antragsfristen nicht gewährleistet sein, etwa dann, wenn der Betroffene nicht auf die kurze Frist hingewiesen wurde oder wenn für ihn die Zeit nicht ausreicht, um die Sachlage zu prüfen und wirksame Anträge zu stellen.847 Zugänglichkeit und Effektivität des nationalen Rechtsschutzes setzen ferner voraus, dass ein nationales Haftprüfungsverfahren praktisch und effektiv mit der erforderlichen Sicherheit – im Falle eines Strafverfahrens auch während des laufenden Hauptverfahrens 848 – zur Verfügung steht und nicht nur als eine in der Staatspraxis kaum genutzte und der Bevölkerung unbekannte theoretische Möglichkeit besteht. Ein Rechtsbehelf ist dem Betroffenen nur zugänglich, wenn er seine Antragsbefugnis kennt. Ist dies nicht der Fall und wird der Betroffene nicht ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen, ist ihm kein den Anforderungen der Konventionen genügender effektiver Rechtsbehelf zugänglich.849 Erst recht verstößt eine nationale Regelung gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK, die zwar eine Haftprüfung auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder einer vergleichbaren Behörde vorsieht, jedoch dem Inhaftierten kein Antragsrecht einräumt.850 7. Verfahren i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK. Die Konventionen stellen auf die Effektivität 329 des nationalen Rechtsschutzsystems in seiner Gesamtheit ab.851 Sie eröffnen für dessen Ausgestaltung einen weiten Spielraum. Auf die Zügigkeit des Verfahrens legen sie größeres Gewicht als auf die vollständige Übernahme aller verfahrensrechtlichen Garantien, die Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR für ein Strafverfahren fordern (vgl. Rn. 321).852 Das im nationalen Recht vorgesehene Verfahren muss nicht für alle Fälle der Freiheitsentziehung gleich ausgestaltet sein,853 wohl aber hinreichende Rechtsschutzgarantien vorsehen, die der Art der Freiheitsentziehung, deren Überprüfung dem Verfahren zugrunde liegt, angepasst sind.854 Art. 5 Abs. 4 EMRK garantiert kein öffentliches Verfahren.855 Der Betroffene muss 330 jedoch stets in den Genuss eines faires Verfahrens kommen, in dem seine Rechte von ihm selbst oder, wenn er dazu nicht in der Lage ist, von einem Verfahrensbevollmächtigten bzw. Verteidiger gewahrt werden können.856 Das Recht auf rechtlichen Beistand gilt 847
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849 850 851 852 853
EGMR Farmakopoulos/B, 27.3.1992, A 235-A (Einlegungsfrist 24 Std.); Esser 343; Frowein/Peukert 135. EGMR Svipsta/LET (Fn. 127), rügt das Fehlen eines Rechtsbehelfs im Prozessstadium („trial stage“). Vgl. aber EGMR E./N (Fn. 187). EGMR Nasrulloyev/R (Fn. 129). Vgl. etwa EGMR X/UK (Fn. 40). Vgl. EGMR Neumeister/A (Fn. 14); BGer EuGRZ 1991 526. EGMR Neumeister/A (Fn. 14); vgl. BGer EuGRZ 1988 606; Frowein/Peukert 136.
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Etwa EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Winterwerp/NL (Fn. 2); Megyeri/D (Fn. 438); Frowein/Peukert 136. Vgl. EGMR Reinprecht/A (Fn. 832), § 34, auch zum Verhältnis zwischen Art. 5 Abs. 4 EMRK und den Garantien des Art. 6 EMRK. Vgl. EGMR Megyeri/D (Fn. 438), § 22; Woukam Moudefo/F, 11.10.1988, A 141-B = EuGRZ 1988 487; vgl. auch EGMR Prehn/D (E), 24.8.2010 (zu § 142 Abs. 1 a.F. StPO): Frowein/Peukert 137 f.
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auch im Verfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK; hier zieht der EGMR die Grundsätze zu Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK entsprechend heran.857 Erforderlich ist, dass jeder Betroffene über die Gründe seiner Freiheitsentziehung ausreichend informiert ist und dass er im Verfahren alle Gesichtspunkte vortragen kann, die gegen die Freiheitsentziehung und deren Fortdauer sprechen.858 Für die Bundesrepublik folgt dies bereits aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Es ist grundsätzlich dem nationalen Recht überlassen, in welchen Fällen es ein schriftliches Verfahren genügen lässt, ob zwingend oder nur auf (fristgebundenen) Antrag des Inhaftierten mündlich verhandelt werden muss, sowie, ob und in welchen Fällen dessen Anwesenheit dabei notwendig ist oder ob, je nach der Sachlage, auch die alleinige Teilnahme eines Verteidigers genügt.859 Bei der Zuständigkeit eines Kollegialgerichts ist es allerdings bedenklich, wenn die Befragung des Untergebrachten allein einem Mitglied des Kollegialgerichts überlassen wird.860 Unerlässlich ist aber in allen Fällen, dass der Inhaftierte im vollen Umfang rechtliches Gehör erhält und etwaigen Ausführungen der Staatsanwaltschaft oder seines sonstigen Verfahrensgegners ohne Informationsdefizit entgegentreten kann, noch bevor das Gericht über die Haft entscheidet.861 Hierzu gehört auch, dass ihm zur Kenntnis gelangt, dass Schriftsätze eingereicht worden sind. In Verfahren, die nur eine schriftliche Anhörung des Betroffenen vorsehen, muss der Betroffene die Möglichkeit haben, sich mit allen schriftlichen Stellungnahmen der anderen Verfahrensbeteiligten auseinanderzusetzen.862 Eine Verletzung kann darin liegen, 857
EGMR Prehn/D (E), 24.8.2010 (Fn. 856 „The right to receive legal assistance, if necessary, is indeed implicit in the very notion of an adversarial procedure“; „… the national courts must certainly have regard to the defendant’s wishes but these can be overriden when there are relevant and sufficient grounds for holding that this is necessary in the interests of justice. Similarly, Article 6 § 3 (c) cannot be interpreted as securing a right to have public defence counsel replaced.“ Nach Ansicht des Gerichtshofs können diese Prinzipien auf das Recht, einen Rechtsbeistand in Verfahren im Sinne von Art. 5 Abs. 4 EMRK zu erhalten, übertragen werden. Der EGMR akzeptiert, dass die Nähe des Verteidigers zum inhaftierten Mandanten und zum Gericht nicht nur zusätzliche Kosten vermeiden würde, sondern auch eine gute Verteidigung und Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandanten, sowie zwischen Verteidiger und Gericht ermögliche. Außerdem hätte das nationale Gericht beachtet, dass der Inhaftierte in Ausnahmefällen, namentlich bei einem bestehenden Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandanten, einen außerhalb des Gerichtsbezirks zugelassenen Rechtsanwalt aus-
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wählen können müsse. Ein solches Vertrauensverhältnis hätte hier jedoch nicht bestanden. Somit seien ausreichend Gründe vorhanden gewesen, einen anderen als den vom Beschuldigten genannten Verteidiger auszuwählen. EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Winterwerp/NL (Fn. 2); Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471); Khodorkovskiy/R (Fn. 252). Vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 390. Eine effektive Haftprüfung ist nicht garantiert, wenn dem Inhaftierten versagt wird, am Verfahren persönlich teilzunehmen, und in einem Treffen der übrigen Verfahrensbeteiligten Gründe erörtert werden, die den Charakter des Inhaftierten sowie die näheren persönlichen Haftumstände betreffen: EGMR Mamedova/R (Fn. 342); siehe auch: EGMR Lebedev/R, 25.10.2007, § 113. Vgl. BGer EuGRZ 1989 410. EGMR Toth/A, 12.12.1991, A 224 = ÖJZ 1992 242; Vgl. Esser 346 ff.; Frowein/ Peukert 138 f. Vgl. EGMR Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471; schriftliche Verhandlung in einem Auslieferungsverfahren); Wloch/PL (Fn. 328); Esser 347, 350.
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dass dem Betroffenen bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten zwar der gesamte Akteninhalt zur Verfügung gestellt wird (Rn. 340 ff.), daraus aber nicht ersichtlich ist, auf welche Gründe die Aufrechterhaltung der U-Haft gestützt werden wird, insbesondere, wenn diese von einer Vorinstanz nur äußerst vage begründet wurde,863 oder wenn ein umfangreiches Dokument (300 Seiten), mit dem der Antrag auf Fortdauer der Haft begründet wird, dem Inhaftierten und dessen Verteidiger erst sehr spät zur Kenntnis gebracht wird.864 8. Verfahren i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK bei Freiheitsentziehungen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK (vorläufige Festnahme / Untersuchungshaft). In ständiger Rechtsprechung verlangt der EGMR für die Überprüfung einer Freiheitsentziehung aus Anlass des Verdachts einer strafbaren Handlung (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK) ein kontradiktorisches Verfahren,865 das stets Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten – Staatsanwalt und Beschuldigtem – gewährleistet. Dem Betroffenen muss ausreichend Gelegenheit gegeben werden, seine Argumente vorzutragen und zu den Gegenargumenten Stellung zu nehmen. Dies sichert am besten eine mündliche Verhandlung, in der dem Betroffenen ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten eingeräumt werden.866 Es genügt nicht, dass zuerst Beschuldigter und Verteidiger dem Gericht ihre Argumente vortragen und dann die Staatsanwaltschaft in deren Abwesenheit dazu Stellung nehmen kann.867 Der Beschuldigte muss auf die Argumente der Staatsanwaltschaft entgegnen können. Zu einer effektiven Verteidigung gehört auch, dass er eine Beweisaufnahme im Haftprüfungstermin anregen kann.868 Das Erfordernis einer kontradiktorischen Verhandlung gilt jedenfalls für die erste Haftprüfung.869 Ob auch jede spätere Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der U-Haft in der gleichen Instanz eine mündliche Verhandlung erfordert, ist offen.870 Bei unveränderter Sachlage dürfte dies bei späteren Haftprüfungen regelmäßig notwendig sein. Eröffnet das nationale Recht für die Haftkontrolle einen vollen Rechtszug zu einer zweiten Instanz,871 so muss der Staat dem Inhaftierten dort die gleichen Verfahrensgarantien einräumen wie in der ersten Instanz.872 Es muss dort also erneut kontradiktorisch verhandelt werden. Unerlässlich ist, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, vor
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EGMR Krejcir/CS (Fn. 702). EGMR Khodorkovskiy/R (Fn. 252). EGMR Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471); Lamy/B (Fn. 536); (GK) Nikolova/BUL (Fn. 826); Frommelt/FL, 24.6.2004, §§ 30, 36; Fodale/I, 1.6.2006, ECHR 2006-VII; Falk/D (E), 11.3.2008, NStZ 2009 164 m. Anm. Strafner; siehe auch: BGer EuGRZ 1988 528; 1989 410; vgl. Esser 346. Vgl. EGMR Lamy/B (Fn. 536); Assenov/ BUL, 28.10.1998, Rep-1998-VIII; (GK) Nikolova/BUL (Fn. 826); Lietzow/D (Fn. 841); Mamedova/R (Fn. 342, Haftprüfung: Anwesenheit des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung); Ramishvili u. Kokhreidze/GEO, 27.1.2009 (Waffengleichheit nicht gewahrt); Allen/UK, 30.3.2010, §§ 38 f.; Esser 345; ders. StraFo 2003 335,
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339; Kühne/Esser StV 2002 383, 393; Meyer-Ladewig 89. EGMR Wloch/PL (Fn. 328); Kühne/Esser StV 2002 383, 390. Zur Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme im Haftprüfungstermin: OLG Köln Beschl. v. 22.8.2008 – 2 Ws 411/08 (bezogen auf §§ 118a Abs. 3, 166 StPO). Kühne/Esser StV 2002 383, 390 m.w.N. Esser 345. Eine Pflicht dazu besteht nicht; Art. 14 Abs. 5 IPBPR bezieht sich, ebenso wie Art. 2 des 7. ZP-EMRK, nur auf das Verfahren in der Hauptsache: Kühne/Esser StV 2002 383, 393. EGMR Allen/UK (Fn. 866), § 39; Toth/A (Fn. 861); Lanz/A, 31.1.2002, ÖJZ 2002 433.
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Erlass einer gerichtlichen Entscheidung alle für die Rechtmäßigkeit der Haft (neu) vorgebrachten Tatsachen und Argumente der Staatsanwaltschaft und die ihnen zu Grunde liegenden Beweismittel selbst zu prüfen und zu ihnen mündlich oder schriftlich Stellung zu nehmen.873 Ein Verstoß gegen die Waffengleichheit soll nicht vorliegen, wenn nur dem Staat ein Rechtsmittel gegen die Haftprüfungsentscheidung zur Verfügung steht und dem Inhaftierten dafür aber die Möglichkeit eingeräumt wird, erneut Haftprüfung zu beantragen.874 Hier wird es auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung im Einzelfall ankommen. Zu den Anforderungen an das Verfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK gehört – als Ele339 ment der effektiven Verteidigung – die Garantie der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Verteidiger und Inhaftiertem. Diese ist nicht erst dann verletzt, wenn sicher feststeht, dass die Verständigung zwischen Verteidiger und Mandanten ab- oder mitgehört wird, sondern es genügen bereits vernünftige Zweifel an der Vertraulichkeit des Wortes („could reasonably have had grounds to believe …“ bzw. „genuine fear“).875 9. Zugang zur Verfahrensakte
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a) Leitlinien des BVerfG. Der Zugang zur Verfahrensakte ist ein elementarer Bestandteil einer effektiven Verteidigung gegen eine Inhaftierung vor Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. Dem Beschuldigten, in erster Linie seinem Verteidiger, darf es daher durch die Verweigerung eines Zugangs zur Akte nicht unmöglich gemacht werden, die für die Aufrechterhaltung der Haft vorgetragenen Gründe sachlich in Frage zu stellen.876 Für das Haftrecht der StPO und die sonstigen dem Art. 104 Abs. 2 GG unterliegenden Verfahren maß man dieser Frage lange Zeit keine entscheidende Bedeutung bei, da das Gericht in eigener Verantwortung alle für und gegen eine Haftfortdauer sprechenden Umstände von sich aus prüfen und den Festgenommenen bzw. Verhafteten zu allen dafür wesentlichen Tatsachen vor seiner Entscheidung hören muss.877 Man sah den Beschuldigten schon durch sein Recht auf Gehör ausreichend vor dem Umstand geschützt, dass 873
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EGMR Toth/A (Fn. 861); Bulut/A, 22.2.1996, ÖJZ 1996 430; Lanz/A (Fn. 872); Esser 345, 348; Kühne/Esser StV 2002 383, 390. EGMR Neumeister/A (Fn. 14) hat es demgegenüber als ausreichend angesehen, dass das Gericht zwar den schriftlichen Haftprüfungsantrag des Betroffenen berücksichtigte, die Staatsanwaltschaft dann aber in seiner Abwesenheit und in Abwesenheit seines Verteidigers anhörte; a.A. BGer EuGRZ 1988 528 (Recht auf Replik). EGMR Stephens/MLT (Fn. 36), § 97. EGMR Castravet/MOL, 13.3.2007; Istratii u.a./MOL, 27.3.2007 (Vertraulichkeit ist nicht gewährleistet, wenn Verteidiger und Mandant durch eine Glasscheibe ohne Öffnung voneinander getrennt werden und Gründe für die Annahme bestehen, dass die Konversation abgehört wird; Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK); dagegen: EGMR Sarban/MOL, 4.10.2005: dieselbe Proble-
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matik unter Art. 8 EMRK geprüft und dort eine Verletzung verneint. Das bloße Bestehen einer Glasscheibe zwischen Verteidiger und Mandant ohne Öffnung, aber auch ohne die Gefahr des Abhörens, begründete auch in EGMR Kröcher u. Möller/CH (E), 9.7.1981, keinen Verstoß. Die Vertraulichkeit des Wortes bleibe weiterhin bestehen (Prüfung allerdings unter Art. 6 EMRK „Waffengleichheit“). Eine Begründung dergestalt, dass die Inhaftierten gewalttätiger Taten verdächtig wurden, findet sich nicht in der Originalentscheidung, sondern nur als Auslegung in EGMR Istratii/MOL (Fn. 875), § 98. EGMR Lamy/B (Fn. 536); (GK) Nikolova/ BUL (Fn. 826); Svipsta/LET (Fn. 127). Zur umfassenden Prüfungspflicht vgl. BVerfGE 83 24 = NJW 1991 1281 = EuGRZ 1991 41; BVerfG NJW 1994 3219 = NStZ 1994 551 = StV 1994 465 m. Anm. Bohnert GA 1995 468.
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die Entscheidung über die Anordnung bzw. Fortdauer der Haft auf Tatsachen gestützt wird, zu denen er vorher nicht hat Stellung nehmen können. Ein uneingeschränktes Recht des Beschuldigten auf Zugang zur Akte wurde deshalb lange Zeit nicht anerkannt.878 Mitte der 90er Jahre stellte das BVerfG klar, dass dem Beschuldigten im Hinblick auf 341 seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren879 (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG)880 die zu seiner effektiven Verteidigung notwendigen Angaben über die Umstände, die zur Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft herangezogen werden, zumindest mündlich bekannt gegeben werden müssen.881 Kann dies wegen der zu besorgenden „Sicherung gefährdeter Interessen“882 nicht erfolgen, so durften jene Tatsachen nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden.883 Bei bereits vollzogenem Haftbefehl 884 – d.h. nach der Festnahme – besteht somit schon verfassungsrechtlich ein Recht des Beschuldigten auf jedenfalls teilweisen Aktenzugang. Schließlich hat der Inhaftierte durch den in der Freiheitsentziehung liegenden Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dem auch im Verfahrensrecht freiheitssichernde Bedeutung zukommt,885 ein nicht aufschiebbares Interesse an Aktenkenntnis.886 Ein Recht auf uneingeschränkten Aktenzugang besteht dagegen regelmäßig nicht.887 Diese Rspr. ist vom BVerfG später auf Fälle des dinglichen Arrests erweitert worden.888 Rechtsfolge der rechtswidrigen Verweigerung der Akteneinsicht soll ein unmittelbar 342 aus der Verfassung abzuleitendes temporäres Beweisverwertungsverbot sein, welches mit Gewährung der Akteneinsicht wieder erlischt.889 Beruht der Haftgrund auf Tatsachen, die dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger nicht vorliegen, so muss ein bereits erlassener und vollzogener890 Haftbefehl i.d.R. aufgehoben werden.891
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Esser 353 unter Hinweis auf EGMR Foucher/F, 17.2.1997, NStZ 1998 429 mit Anm. Deumeland; vgl. auch BVerfG NJW 1994 3219 (partielles Akteneinsichtsrecht der Verteidigung). BVerfG NJW 1994 3219. BVerfGE 57 250 = NJW 1981 1719. BVerfG NJW 1994 3219; NJW 1994 573 = StV 1994 1 m. Anm. Lammer; vgl. grundsätzlich zum Recht auf Akteneinsicht als Ausprägung des Rechts auf rechtliches Gehör BVerfGE 18 399 = NJW 1965 1171; Maunz/Dürig/Schmid-Aßmann Art. 103 Abs. 1, 74 GG. BVerfGE 9 89. BVerfG NJW 1994 3219. Nicht hingegen bei noch nicht vollzogenem Haftbefehl: BVerfG NStZ-RR 1998 108; siehe auch: OLG München NStZ 2009 109; OLG Hamm NStZ-RR 2001 254; a.A. bei unmittelbar bevorstehender Inhaftierung AG Halberstadt StV 2004 549; vgl. dazu Hermann 134 ff., vgl. Beulke/Witzigmann NStZ 2011 254, 257 f.; vgl. auch OLG Köln StV 1998 269 Ls. 2: Akteneinsicht muss im Ausland ansässigen Beschuldigten auch vor
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Inhaftierung gewährt werden; dazu Münchhalffen/Gatzweiler 73 f.; vgl. zu dieser Frage auch HRC Salikh/Usbekistan, 30.3.2009, 1328/2005. BVerfGE 57 250 = NJW 1981 1719. BVerfG NJW 1994 3219. BVerfG NJW 1994 3219; insoweit zustimmend die Kommentar-Literatur: MeyerGoßner § 147, 25 StPO; KK/Laufhütte § 147, 16 StPO; Pfeiffer § 147, 2 StPO. BVerfGK 3 197 = NJW 2004 2443 = StV 2004 411; BVerfGK 7 205 = NJW 2006 1048 = NStZ 2006 459. BVerfG NJW 1994 3219; BVerfGK 10 7 = NStZ 2007 274; OLG Hamm NStZ 2003 386 = StV 2002 318; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997 107; LR/Lüderssen/Jahn § 147, 160a StPO; vgl. auch Park StV 2009 276; Rau StraFo 2008 9. Bei nicht vollzogenem Haftbefehl ist dies regelmäßig nicht der Fall, vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998 19; NStZ-RR 2001 254; Beschl. v. 29.9.2005 – 2 Ws 233/05. OLG Hamm NStZ 2003 386 = StV 2002 318; LG Leipzig StV 2008 514 = StRR 2008 387; LG Magdeburg StV 2004 327 = StraFo
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b) Anforderungen des EGMR. Drei Verurteilungen der BR Deutschland durch den EGMR aus dem Jahr 2001892 haben deutlich gemacht, dass die damalige Fassung des § 147 StPO und die auf dieser Vorschrift beruhende Rechtspraxis, die im Grundsatz die mündliche Mitteilung der Haftgründe für ausreichend hielt,893 hinter menschenrechtlichen Standards zurückblieben.894 Der EGMR stellte klar, dass entgegen der vorherrschenden Praxis vorrangig Zugang zur Akte gewährt werden müsse. Die mündliche Bekanntgabe der Haftgründe trete subsidiär dahinter zurück.895
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c) Umfang des Aktenzugangsrechts. Ein genereller Ausschluss des Aktenzugangsrechts oder eine Beschränkung des Zugangsrechts auf die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft entscheidungserheblichen Aktenteile ist mit dem in Art. 5 Abs. 4 EMRK zum Ausdruck kommenden Gebot eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren. Strittig war allerdings lange Zeit, ob die Einsicht auf die Teile der Akte beschränkt werden kann, die dem Gericht von der Staatsanwaltschaft vorlegt werden bzw. nach Ansicht des Gerichts für die jeweilige Haftentscheidung bedeutsam sein können.896 Mittlerweile ist es gefestigte Rechtsprechung des EGMR, dass die Waffengleichheit im 345 Haftprüfungsverfahren in Strafsachen nur dann gewährleistet ist, wenn der Beschuldigte Zugang zu denjenigen Schriftstücken in der Ermittlungsakte erhält, die für die wirksame Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlich 897 sind.898
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2004 167; AG Halberstadt StV 2004 549; vgl. auch: EGMR Mooren/D (K), 13.12.2007, StV 2008 475 m. Anm. Hagmann 483, Pauly 484. EGMR Lietzow/D (Fn. 841); Schöps/D (Fn. 841); Garcia Alva/D (Fn. 841); dazu Kieschke/Osterwald NJW 2002 2003; vgl. auch EGMR Kunkel/D (E), 2.6.2009, EuGRZ 2009 472 = HRRS 2009 Nr. 1090. Vgl. BGH NJW 1996 734 = NStZ 1996 146; NJW 2000 84 = NStZ 2000 46 = StV 2000 537; OLG Köln NStZ 2002 659; KG wistra 1994 38; OLG Saarbrücken NJW 1995 1440 unter Verweis auf EGMR Lamy/B (Fn. 536). Vgl. dazu auch IK-EMRK/Renzikowski 295, der darauf hinweist, dass das BVerfG zuvor in allen drei Fällen die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen hatte. EGMR Schöps/D (Fn. 841), § 50; vgl. auch EGMR (GK) Mooren/D (Fn. 138), §§ 121, 124 f.; Erkan Inan/TRK, 23.2.2010, § 31; Lexa/SLO (Nr. 2), 5.1.2010, § 69; Krejcir/CS (Fn. 702), § 116; (GK) A. u.a./ UK (Fn. 478), § 204; vgl. neuerdings BVerfGK 3 197 = NJW 2004 2443 = StV 2004 411; BVerfGK 7 205 = NJW 2006 1048 = NStZ 2006 459; vgl. auch Püschel StraFo 2009 134, der darauf hinweist, dass
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durch die zu gewährende Akteneinsicht die Zahl der U-Häftlinge zurückgegangen ist. Lange NStZ 2003 348. EGMR Georgiev/BUL, 26.7.2007, § 89 (Bf. muss vortragen, welche Dokumente in der Ermittlungsakte für ihn notwendig gewesen seien, um die U-Haft wirkungsvoll angreifen zu können; pauschale Behauptung, ihm sei die Akte vorenthalten worden, genügt nicht). EGMR Lietzow/D (Fn. 841); Schöps/D (Fn. 841); Garcia Alva/D (Fn. 841); vgl. dazu Kühne/Esser StV 2002 383, 391; Kieschke/Osterwald NJW 2002 2003; EGMR Shishkov/BUL, 9.1.2003, ECHR 2003-I = HRRS 2003 Nr. 1000; Lanz/A (Fn. 872; jeder Schriftsatz der Behörde muss dem Inhaftierten mitgeteilt werden, unabhängig davon, ob er nach Ansicht des Gerichts neue Aspekte enthält); siehe auch: EGMR Chamaiev u.a./R, 12.4.2005 (Inhaftiertem muss mitgeteilt werden, dass er sich in Auslieferungshaft befindet; Verteidiger muss Einsicht in die Auslieferungsunterlagen gewährt werden); zur Darstellung der Folgen der Entscheidungen gegen Deutschland und der daraus folgenden Überarbeitung von § 147 Abs. 2 sowie § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vgl. Morgenstern ZIS 2011 242.
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Damit umfasst der Zugang zur Verfahrensakte jedenfalls alle dem Gericht für seine 346 Haftentscheidung übermittelten Akten(teile),899 darüber hinaus aber auch solche Akten (bestandteile), die sich (nur) im Besitz der Staatsanwaltschaft oder einer Verwaltungsbehörde 900 befinden (dem Gericht also bei der Haftprüfung nicht vorgelegt werden), aber für die Verteidigung des Beschuldigten wesentlich sein können (sei es zur Entlastung oder zur Prüfung belastender Umstände).901 Das Gericht darf sich demzufolge bei seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit 347 der Freiheitsentziehung nicht auf für die Verteidigung wesentliche Aktenteile stützen, die der Verteidigung nicht vorliegen. Die Rspr. sieht dies anders, wenn die Verteidigung keinen Rechtsbehelf nach § 147 Abs. 5 StPO gegen die Versagung der Akteneinsicht einlegt.902 d) Ausnahmen. Das anerkennenswerte Ziel, Informationen zum Schutz der laufen- 348 den Ermittlungen geheim zu halten, darf nicht auf Kosten erheblicher Beschränkungen der Rechte der Verteidigung verfolgt werden. Der Schutz noch laufender Ermittlungen kann daher (nur) ausnahmsweise gegen die Offenlegung von Aktenteilen sprechen. Der Gerichtshof erkennt an, dass strafrechtliche Ermittlungen effektiv geführt werden müssen.903 Dies kann bedeuten, dass ein Teil der im Zuge der Ermittlungen zusammen getragenen Informationen geheim zu halten ist, um zu verhindern, dass Tatverdächtige Beweismaterial manipulieren und den Gang der Rechtspflege untergraben. Andererseits spricht auch in diesem Fall für ein Zugangsrechts des Beschuldigten, dass er den Verfahrensstoff daraufhin überprüfen können muss, ob sich daraus nicht Argumente gegen die Fortdauer der Haft herleiten lassen, die bisher vom Gericht nicht gesehen wurden.904 Informationen, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung 349 wesentlich sind (vgl. Rn. 345), sind dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger, s.o.) daher immer zugänglich zu machen.905 Ein über die (im oben beschriebenen Sinne) wesentlichen Aktenbestandteile hinausgehendes, unbeschränktes Aktenzugangsrecht (und sei es über den Verteidiger) gewährt die EMRK grundsätzlich nicht. Wie allerdings in der Praxis eine dem Gebot der Waffengleichheit entsprechende Trennung wesentlicher und unwesentlicher Aktenteile erfolgen soll, ist schwer vorstellbar.906 Eine partielle Beschrän-
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So auch BVerfGK 7 205 = NJW 2006 1048 = NStZ 2006 459; BVerfGK 12 111 = NStZ-RR 2008 16. Vgl. hierzu allgemein, d.h. ohne Bezug zur Haftprüfung: AG Cottbus StRR 2009 146 (OWi – Zugang zum Messfilm); AG Bad Kissingen ZfS 2006 706; AG Kleve VRR 2008 357 (Bedienungsanleitung Messgerät). IK-EMRK/Kühne 517. OLG Hamm (3. Senat) wistra 2008 195; a.A. OLG Hamm (2. Senat) NStZ 2003 386. Vgl. etwa EGMR Lietzow/D (Fn. 841), § 47; Mooren/D (K) (Fn. 891), § 92 m.w.N. Vgl. EGMR (GK) A. u.a./UK (Fn. 478); Lietzow/D (Fn. 841); Schöps/D (Fn. 841); Garcia Alva/D (Fn. 841); dazu Kempf StV 2001 201, 205; ders. FS Rieß 217; Kieschke/
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Osterwald NJW 2002 2003; Ignor/Matt StV 2002 102; Lange NStZ 2003 348; Hilger GA 2006 294 (Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf die Auslegung des § 147 Abs. 2 StPO); Rau StraFo 2008 9; vgl. ferner Zieger StV 1993 320; je m.w.N.; kritisch zur Umsetzung der Vorgaben des EGMR in Österreich: Venier ÖJZ 2009 591, 595 f. EGMR (GK) Mooren/D (Fn. 138); vgl. auch das Kammerurteil (Fn. 891), §§ 91–92; Falk/D (E) (Fn. 865); siehe auch BVerfGK 7 205 = NJW 2006 1048 = NStZ 2006 459. Vgl. Burhoff Ermittlungsv. 67, der darauf hinweist, dass sich zum Zeitpunkt der Akteneinsicht häufig gar nicht ermitteln lässt, welche Dokumente wesentlich sind; vgl. insoweit auch den fallrelevanten Sachverhalt bei: EGMR Falk/D (Fn. 865).
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kung des Aktenzugangs dürfte allenfalls noch bei nicht unmittelbar hafterheblichen Verfahrensvorgängen menschenrechtlichen Bestand haben,907 und auch dies nur dann, wenn schwerwiegende Gründe des öffentlichen Wohls sie vorübergehend als unumgänglich erscheinen lassen und die erforderliche Information des Verteidigers anderweitig gesichert ist.
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e) Berechtigter. Das Recht auf Zugang zur Verfahrensakte ist im Kern ein Beschuldigtenrecht. Gleichwohl kann die Ausübung dieses Rechts grundsätzlich auf die Person des Verteidigers beschränkt werden.908 Allerdings muss der Beschuldigte neben seinem Verteidiger unmittelbaren Zugang zur Verfahrensakte (in dem oben beschriebenen Umfang) erhalten, wenn – z.B. aufgrund der Komplexität der Materie – nur auf diese Weise eine effektive Verteidigung gewährleistet ist.909
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f) Nicht verteidigter Beschuldigter. Auch der nicht verteidigte (inhaftierte) Beschuldigte kann aus Art. 5 Abs. 4 EMRK ein Recht auf Zugang zur Verfahrensakte ableiten, wenn ein solcher Zugang für die Vorbereitung seiner Verteidigung notwendig ist.910 Als Reaktion auf das Urteil Foucher aus dem Jahr 1998 hat der Gesetzgeber durch das StVÄG 1999911 für den nicht-verteidigten Beschuldigten die in § 147 Abs. 7 StPO enthaltene Regelung eingeführt. Danach können dem nicht-verteidigten Beschuldigten Auskünfte und Abschriften aus der Akte erteilt werden – im Umfang begrenzt durch die Gefährdung des Untersuchungszwecks sowie überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter.912 Die Vorschrift gewährt damit (auch dem inhaftierten nicht-verteidigten Beschuldigten) lediglich einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung der nach § 147 Abs. 5 StPO zuständigen Stelle und nicht etwa – wie dem Verteidiger nach § 147 Abs. 1 StPO – einen Anspruch auf Akteneinsicht.913 Das vom EGMR geforderte Recht auf Aktenzugang ist durch die Vorschrift somit nicht hinreichend gewährt.914 Zur Rechtslage nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.7. 2009 915 siehe Rn. 358.
352
g) Art und Weise des Zugangs. Der Zugang zur Verfahrensakte muss dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) in geeigneter Weise ermöglicht werden; Maßstab ist auch hier die Effektivität der Verteidigung. Der Zugang zur Originalakte ist grundsätzlich nicht erforderlich; für eine effektive 353 Verteidigung im Haftprüfungsverfahren ist es in der Regel ausreichend, wenn dem Verteidiger (bzw. dem Beschuldigten) eine Kopie der Akte (und sei es in elektronischer Form)
907
908 909
So auch Renzikowski Habeas Corpus (Fn. 579) 330 f., z.B. Aktenteile mit Ermittlungsansätzen gegen weitere Tatverdächtige. EGMR Kamasinski/A, 19.12.1989, A 168, ÖJZ 1990 412. EGMR (GK) Mooren/D (Fn. 138), §§ 121, 124 f. (Steuerstrafverfahren); vgl. auch das Kammerurteil (Fn. 891), §§ 93 ff.; grundlegend („leading case“) zu dieser Frage – allerdings bezogen auf Art. 6 EMRK: EGMR (GK) Öcalan/TRK 12.5.2005 (Fn. 31; Organisierte Kriminalität/Terrorismus).
312
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Grundlegend – allerdings bezogen auf Art. 6 EMRK: EGMR Foucher/F (Fn. 878); Kühne JZ 2003 670, 672. BGBl. 2000 I S. 1253. So schon vor Einführung des § 147 Abs. 7 StPO: LG Ravensburg NStZ 1996 100. LG Ravensburg NStZ 1996 100; OLG Hamm Beschl. v. 4.10.2001 – 4 Ws 195/01. Vgl. Deumeland r+s 2005 365 unter Hinweis auf LG Berlin Beschl. v. 27.4.1999 – Az. 526 Qs 119/99. BGBl. I S. 2274.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
zur Verfügung gestellt wird. Jedoch muss der Verteidiger die Vollständigkeit der Originalakte bzw. des ihm zur Verfügung gestellten Duplikats überprüfen können. Ein unmittelbarer Zugang zur Originalakte darf dem nicht verteidigten Beschuldigten 354 mit Rücksicht auf die drohende Manipulationsgefahr grundsätzlich versagt werden. Abschriften bzw. Kopien müssen ihm jedoch stets in dem von Art. 5 Abs. 4 EMRK geforderten Umfang (vgl. Rn. 346) zur Verfügung gestellt werden.916 Entsprechend gilt dies für die Kopie von Bild- und Tondokumenten.917 Verlangt der nichtverteidigte Beschuldigte einen Zugang zur Originalakte, um die Vollständigkeit der Kopien/Abschriften kontrollieren zu können, so ist ihm diese Kontrolle entweder durch die Bestellung des Verteidigers oder dadurch zu gewährleisten, dass die Originalakte unter Aufsicht zugänglich gemacht wird. Zu einer „effektiven Verteidigung“ im Haftprüfungsverfahren gehört, dass dem Ver- 355 teidiger bzw. dem Beschuldigten die erforderlichen Unterlagen so rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, dass dieser sich effektiv auf den Haftprüfungstermin vorbereiten kann.918 Der Zugang zur Akte im Herrschaftsbereich der Justiz (Geschäftsstelle; Verteidiger- 356 zimmer im Gerichtsgebäude) kann für eine effektive Verteidigung ausreichend sein, wenn dem Verteidiger Gelegenheit gegeben wird, sich ungestört und im zeitlich angemessenen Rahmen mit dem Inhalt der Akte vertraut zu machen. Bei komplexeren Verfahren wird jedoch eine Überlassung 919 der Akte (ggf. Kopie; CD-ROM, s.o.) für einen bestimmten Zeitraum920 in die Räumlichkeiten des Verteidigers oder auch den Haftraum erforderlich sein.921 Der Zugang zur Verfahrensakte in dem oben beschriebenen Umfang muss grundsätzlich unentgeltlich ermöglicht werden. Lediglich für die Fertigung von Kopien oder die Versendung der Akte (durch die Justiz) darf ein dem Verwaltungsaufwand angemessenes Entgelt 922 verlangt werden923 – nicht aber beim mittellosen Beschuldigten. h) Prozessuales. Auf das Recht auf Aktenzugang kann der Beschuldigte explizit ver- 357 zichten.924 Denkbar sind etwa Fallkonstellationen, in denen das Gericht die Aufhebung der U-Haft signalisiert und der Betroffene eine rasche Entscheidung herbeiführen möchte. Allerdings bleibt sein Recht auf Aktenzugang auch bei einer positiven Entscheidung des
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EGMR Foucher/F (Fn. 878). OLG Schleswig JZ 1979 816 = NJW 1980 352. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 31). Ein Anspruch auf Versendung der Akte besteht hingegen grundsätzlich nicht, vgl. BGH NStZ-RR 2008 48; KG VRS 102 (2002) 205; OLG Brandenburg Beschl. v. 2.7.2008 – 1 Ws 107/08; vgl. für die Akteneinsicht nach § 78 FGO BFH/NV 2009 194. BGH wistra 2006 25 m. Anm. Gaede HRRS 2005 377: Fristbemessung insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs der Akten. Dies kann etwa der Fall sein, wenn dem Verteidiger die Inaugenscheinnahme eines Ton-Bild-Dokuments zeitlich nicht in den Räumen der StA oder der Polizei zugemutet
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werden kann: BayObLGSt 1990 128 = NJW 1991 1070 = NStZ 1991 190 = StV 1991 200; OLG Frankfurt StV 2001 611; LG Bonn StV 1995 632 = StraFo 1996 26. Als problematisch ist die in Österreich seit 1.7.2009 zu entrichtende Gebühr für Aktenkopien (Gerichtsgebührengesetz) zu sehen (betrifft alle gerichtlichen Verfahren). Für jede angefangene Seite (!) einer Kopie sind 1,00 € bei Anfertigung durch Kanzleibedienstete des Gerichts bzw. 0,50 € bei Selbstfertigung der Kopie zu entrichten (vor dem 1.7.2009 waren es generell 0,40 €). So kann die Übersendung einer Kopie eines Ton-Bild-Dokuments von der vorhergehenden Übersendung einer Leerkassette durch den Verteidiger abhängig gemacht werden: OLG Koblenz NStZ-RR 2000 311. EGMR Schöps/D (Fn. 841).
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Gerichts bestehen.925 Der Beschuldigte (bzw. sein Verteidiger) muss die Akteneinsicht gemäß dem innerstaatlichen Recht beantragen;926 der Antrag stellt einen zu erschöpfenden (i.d.R. effektiven) Rechtsbehelf i.S.v. Art. 35 Abs. 3 EMRK dar (Teil II Rn. 149 ff.).927 Zum Umfang des zu stellenden Antrags vgl. Art. 6 EMRK Rn. 651). Ein gestellter Antrag umfasst zwar grundsätzlich auch später eingegangene Aktenteile; eine Pflicht der Justizbehörden, den Beschuldigten/Verteidiger über den Eingang neuer Aktenteile zu informieren, wird man daraus im Regelfall aber nicht ableiten können. Art, Umfang und ggf. die Verweigerung eines Aktenzugangs muss der Beschuldigte durch eine unabhängige Instanz überprüfen lassen können (Art. 13 EMRK). Bei inhaftierten Beschuldigten wird die Entscheidung der StA hinsichtlich des Vorliegens einer Gefährdung des Untersuchungszwecks auch auf Ermessenfehler hin kontrolliert.928 Das am 1.1.2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaft358 rechts929 versucht die Vorgaben des EGMR umzusetzen.930 Für den Fall, dass sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet oder diese im Fall der vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO) beantragt ist, soll nunmehr – zur Vorbereitung der Haftprüfung – der Vorrang des Aktenzugangs vor bloßer mündlicher Unterrichtung des Beschuldigten klargestellt sein.931 Die „für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen“ (dies entspricht im Kern den Vorgaben des EGMR) sind dem Verteidiger allerdings nur „in geeigneter Weise“ zugänglich zu machen (§ 147 Abs. 2 Satz 2 1. Hs. StPO n.F.). Die in § 147 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 StPO n.F. gewählte Formulierung sieht die Akteneinsicht dabei nur als „Regel“932 und nicht als einzigen Weg der Informationsverschaffung für den nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten vor. Ein absoluter Vorrang des Zugangs zur Akte gegenüber der bloß mündlichen Information des festgenommenen bzw. inhaftierten Beschuldigten besteht also nicht, obwohl mittlerweile auch die Judikatur des EGMR klargestellt hat, dass diese gerade keine effektive Überprüfung der mitgeteilten Informationen ermöglicht.933 Die Neuregelung bleibt also insoweit hinter den Vorgaben des EGMR934 zurück.935 Schwierigkeiten in der Praxis dürften des Weiteren im Rahmen der Umsetzung des § 147 Abs. 2 StPO n.F. bei der Vorführung des festgenommenen Beschuldigten vor den „nächsten Richter“ und im sich daran anschließenden, ebenfalls neu geregelten Verfahren nach § 115a Abs. 2 StPO bestehen.936 Obwohl dem Beschuldigten seit dem 1.1.2010 „unverzüglich nach Beginn der Voll359 streckung“ der gegen ihn angeordneten Untersuchungshaft (§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO
925
926 927 928 929 930 931 932
Vgl. die missverständliche Formulierung bei BVerfGK 3 197 = NJW 2004 2443 = StV 2004 411; Rau StraFo 2008 9. EGMR Kampanis/GR, 13.7.1995, A 318-B = ÖJZ 1995 953; Schöps/D (Fn. 841). EGMR (K) Mooren/D (Fn. 891), §§ 82 ff. LR/Lüderssen/Jahn § 147, 160 ff. StPO. Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.7.2009 (BGBl. I S. 2274). Vgl. BTDrucks. 16 11644 S. 14, 48 f. Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BTDrucks. 16 13097 S. 28. Dieses gilt allerdings nur für den verteidigten Beschuldigten; vgl. § 147 Abs. 7 Satz 2 StPO n.F., der lediglich auf § 146 Abs. 2 Satz 2 1. Hs. StPO verweist.
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Siehe auch die Stellungnahme (Nr. 38/2008) des Strafrechtsausschusses der BRAK zum RefE zum U-HaftRÄG vom September 2008; Beulke/Witzigmann NStZ 2011 254, 257. Vgl. nur EGMR Schöps/D (Fn. 841); Lietzow/D (Fn. 841); Garcia Alva/D (Fn. 841). Vgl. Pauly StV 2010 492, 493; vgl. auch die Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV zum Referentenentwurf des U-HaftRÄG, S. 13, Münchhalffen/Gatzweiler (Fn. 884) 77; kritisch zur Neuregelung auch: Deckers StraFo 2009 441, 444. Hierzu: Deckers StraFo 2009 441, 443.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
i.V.m. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO) ein Verteidiger bestellt werden muss,937 wird sich die Problematik des Aktenzugangs des nicht-verteidigten Beschuldigten in Haftfällen auch in Zukunft stellen, da zum „Beginn der Vollstreckung“ jedenfalls noch nicht der Vorführtermin nach § 128 StPO gehören soll (vgl. hierzu Rn. 215). Übertragung der Grundsätze auf andere Zwangsmaßnahmen. Ob die von EGMR und 360 BVerfG entwickelten Grundsätze zur Akteneinsicht bei Rechtsbehelfen gegen die Anordnung von Untersuchungshaft auch auf andere strafprozessuale Zwangsmaßnahmen erweitert werden können, ist umstritten. Das BVerfG hat die vom EGMR im Urteil Lamy938 entwickelten Grundsätze auf gerichtliche Beschwerdeverfahren in Fällen des dinglichen Arrestes939 erweitert. Die untergerichtliche Rspr. zur Erweiterung der o.g. Grundsätze auf die Durchsuchung war lange Zeit ablehnend.940 Das BVerfG hat 2006 die grundsätzliche Anwendung der zur U-Haft entwickelten Leitlinien auf Fälle der Durchsuchung bejaht.941 Inzwischen sind diesem Votum erste Untergerichte gefolgt.942 Insgesamt sollten bei allen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, die einen schweren Grundrechtseingriff darstellen, dieselben strengen Grundsätze bzgl. des Rechts auf Aktenzugang wie bei der U-Haft gelten.943 Zum Recht auf Zugang zur Verfahrensakte als Verteidigungsrecht und Ausdruck der 361 Verfahrensfairness i.S.v. Art. 6 EMRK vgl. dort Rn. 635 ff. 10. Antragsrecht und Überpüfungsintervalle. Die gerichtliche Haftkontrolle ist ein 362 Recht zum Schutz des Inhaftierten. Sie muss nach den Konventionen nur auf Antrag während der Haft durchgeführt werden.944 Das nationale Recht kann zusätzlich aber auch die Haftprüfung von Amts wegen vorsehen. Geschieht dies innerhalb der von Absatz 4 geforderten Frist, wird dem Betroffenen nicht zur Last gelegt werden können (Art. 35 Abs. 1 EMRK), dass er seine Anträge auf Haftentlassung nur innerhalb eines solchen ex officio betriebenen Verfahrens, d.h. nicht gesondert gestellt hat. Mit der endgültigen, d.h. nicht widerruflichen Entlassung aus der Haft erlischt der Anspruch auf eine Haftprüfung nach Absatz 4.945 Im Einzelfall kann jedoch auch nach Beendigung einer (vorläufigen) Unterbringung noch ein Anspruch des Betroffenen bestehen, dass über ihre Rechtmäßigkeit gerichtlich entschieden wird.946 Eine nachträgliche richterliche Kontrolle, die erst nach Beendigung der Haft einsetzt, 363 etwa im Wege einer Schadensersatzklage, genügt den Anforderungen des Absatzes 4 nicht.947 Die Rechtsprechung, dass es einer richterlichen Entscheidung nach Absatz 4 nicht bedarf, wenn von Anfang an ersichtlich ist, dass die Haftdauer kürzer ist als der Zeitraum, der für die Herbeiführung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich wäre,948 937 938 939
940 941 942 943
§ 141 Abs. 3 StPO n.F. (in Kraft seit 1.1.2010). EGMR Lamy/B (Fn. 536). BVerfG NJW 1994 3219 = NStZ 1994 551 = StV 1994 465 m. Anm. Bohnert GA 1995 468; BVerfGK 3 197 = NJW 2004 2443 = StV 2004 411; BVerfGK 7 205 = NJW 2006 1048 = NStZ 2006 459. LG Berlin NStZ 2006 472; LG Saarbrücken NStZ-RR 2006 80. BVerfGK 10 7 = NStZ 2007 274. LG Neubrandenburg NStZ 2008 655. Vgl. zum Ganzen Börner NStZ 2007 680; Park StV 2009 276; Rau StraFo 2008 9.
944 945
946 947 948
Etwa EGMR Musial/PL (Fn. 438). EKMR bei Trechsel StV 1992 191: eine nur vorläufige Entlassung unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls hat diese Wirkung nicht. EGMR Herz/D (Fn. 2, auch bei Flucht aus der Unterbringung). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 534 (Caprino). EGMR Fox u.a./UK (Fn. 315); EKMR ÖJZ 1993 465.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
wurde mittlerweile aufgegeben, so dass jetzt auch bei kurzen Freiheitsentziehungen die Garantien des Art. 5 Abs. 4 EMRK bestehen.949 Solange ein Beschuldigter/Untergebrachter flüchtig ist, besteht keine Notwendigkeit, 364 die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung nach Absatz 4 durchzuführen, wohl aber vom Zeitpunkt seiner Wiederergreifung an.950 Die Überprüfung muss erneut stattfinden, wenn nach dem Widerruf einer probeweisen Entlassung die Haft bzw. Unterbringung wieder vollzogen wird,951 wobei es auf die Rechtsnatur der vorangegangenen Entlassung (etwa nur Vergünstigung ohne Rechtsanspruch) nicht entscheidend ankommt.952 Wird die Freiheitsentziehung gerichtlich angeordnet, so kann darin bereits die von 365 Art. 5 Abs. 4 EMRK geforderte (erste) richterliche Entscheidung zu sehen sein.953 Dies gilt jedoch nicht, wenn die gerichtliche Kontrolle in einem standardisierten Verfahren, etwa unter Verwendung eines vorgefertigten, nur geringfügig angepassten Formblattes erfolgt.954 Ein erstinstanzliches, erst später rechtskräftig werdendes Urteil stellt keine konventionsgemäße Überprüfung der Freiheitsentziehung dar, wenn darin nicht auch über einen Haftentlassungsantrag entschieden wird.955 Es hängt von der Art und dem Zweck der Freiheitsentziehung und den sonstigen nach 366 nationalem Recht für ihre Dauer bestimmenden Umständen ab, ob die gerichtliche Anordnung und damit einhergehende (einmalige) Kontrolle genügt oder ob in bestimmten Abständen weitere Überprüfungen der Freiheitsentziehung erforderlich sind.956 Gründe, die eine Freiheitsentziehung ursprünglich gerechtfertigt haben, können später wegfallen sein, so dass die Freiheitsentziehung von diesem Zeitpunkt an rechtswidrig wird. Während deshalb etwa bei der Untersuchungshaft 957 die periodische Überprüfung erforderlich ist, ob deren Voraussetzungen noch fortbestehen, bedarf es nach einer Verurteilung zu einer nach der Schwere der Tat und dem Blickwinkel der Vergeltung und Abschreckung bemessenen bestimmten Freiheitsstrafe in der Regel keiner weiteren Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haft mehr.958 Dies kann allerdings erst nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils gelten, da der Haftgrund als solcher erst ab diesem Zeitpunkt verbindlich feststeht und nicht vorzeitig wegfallen kann.959 Da die Freiheitsentziehung im System des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK ab dem ersten verurteilenden Erkenntnis durch lit. a gerechtfertigt wird, auch wenn dieses nicht rechtskräftig ist (Rn. 64), wäre sonst – anders als im deutschen Recht – bis zum Eintritt der Rechtskraft keine weitere Haftprüfung mehr erforderlich, was dem Schutzzweck des Art. 5 EMRK evident widerspräche. Ist die Dauer der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in das Ermessen einer Verwaltungsbehörde gestellt oder wird nach einer bedingten Entlassung (Strafaussetzung) die
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EGMR Al-Nashif/BUL (Fn. 820), § 92. EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 50 (Keus). EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 88 (E/N). Vgl. EGMR Weeks/UK (Fn. 157); EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 558 (Thynne u.a.). EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Engel/NL (Fn. 18); Herz/D (Fn. 2); Nowak 43; Vogler ZStW 89 (1977) 761, 774; Kühne/Esser StV 2002 383, 390; a.A. noch Trechsel EuGRZ 1980 514, 529 (auch dann Nachprüfung, ob Vollstreckung rechtmäßig).
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954 955 956 957
958
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EGMR Svipsta/LET (Fn. 127). EGMR König/SLO, 20.1.2004, §§ 19 f. EGMR Kurt/TRK, 25.5.1998, Rep. 1998-III, § 123; Varbanov/BUL (Fn. 36). Vgl. etwa EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 501 (Woukam Moudefo); 1988 505 (Bezicheri). EGMR De Wilde u.a./B (Fn. 80); Engel/NL (Fn. 18); BGer EuGRZ 1996 211; Vogler ZStW 89 (1977) 761, 774. EKMR EuGRZ 1982 534.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
Rückversetzung in den Strafvollzug im Verwaltungswege angeordnet, so ist ebenfalls eine weitere gerichtliche Kontrolle der Freiheitsentziehung erforderlich.960 Bei Freiheitsentziehungen, deren Zweck nicht die Bestrafung des Täters, sondern der Schutz der Öffentlichkeit ist,961 muss in angemessenen, regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob die Gründe, die die Unterbringung zunächst gerechtfertigt haben, noch fortbestehen (vgl. Rn. 142 ff.). Die Möglichkeit einer Begnadigung unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 5 Abs. 4 EMRK.962 Bei der Unterbringung psychisch Kranker ist in regelmäßigen Abständen, die wegen 367 des möglichen Wegfalls der Unterbringungsgründe nicht zu lang bemessen sein dürfen,963 vom Gericht zu überprüfen, ob eine weitere Unterbringung notwendig, die Freiheitsentziehung also weiterhin rechtmäßig ist. Auch die gerichtliche Entscheidung muss, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, innerhalb möglichst kurzer Zeit ergehen (vgl. Rn. 368 ff.).964 Dass ein Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig erstellt wird, rechtfertigt das Hinausschieben der Entscheidung in der Regel nicht.965 Ein Verfahren, in dem ohne eine (mögliche) Beteiligung des Untergebrachten über die weitere Freiheitsentziehung entschieden wird, genügt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 4 EMRK nicht.966 Der Untergebrachte ist zu hören und von den Ergebnissen möglicherweise unterbringungserheblicher weiterer Ermittlungen so rechtzeitig vorher zu unterrichten, dass er dazu Stellung nehmen und sie auch selbst für Argumente nutzen kann. Kann er wegen der Art seiner Geisteskrankheit oder aus anderen Gründen seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen, ist ihm ein Verfahrensbevollmächtigter zu bestellen. Zumindest dieser muss dann gehört werden.967 Nicht notwendig ist, dass der Untergebrachte selbst die Initiative für eine Haftprüfung ergreift,968 aber er muss grundsätzlich ein eigenes Antragsrecht haben.969 Art. 5 Abs. 4 EMRK gewährleistet nur eine gerichtliche Instanz für die Nachprüfung 368 der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung.970 Bietet deren Verfahren ausreichende Rechtsgarantien, braucht das nationale Recht kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung vorsehen. Gleiches gilt auch bei Art. 9 Abs. 4 IPBPR, da die Garantie einer zweiten Instanz durch Art. 14 Abs. 5 IPBPR nur für Verurteilungen wegen einer Straftat gilt.
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Vgl. etwa EGMR van Droogenbroeck/B (Fn. 119); Weeks/UK (Fn. 157); EKMR EuGRZ 1989 558; BGer EuGRZ 1996 211; Frowein/Peukert 144. Etwa EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Thynne u.a./UK (Fn. 187); EKMR EuGRZ 1989 558; EuGRZ 1990 49. Meyer-Ladewig 84. Vgl. EGMR Herczegfalvy/A (Fn. 414): mehr als ein Jahr zu lang; Oldham/UK, 26.9. 2000, ECHR 2000-X; Meyer-Ladewig 93 f.; Kolanis/UK (Fn. 439; bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist ein Zeitraum von 12 Monaten bis zur Haftüberprüfung nicht mehr angemessen). EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2); Luberti/I (Fn. 192); Megyeri/D (Fn. 438); Musial/PL (Fn. 438).
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Meyer-Ladewig 94. Vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 50 (Keus). Vgl. EGMR Wassink/NL (Fn. 143); Megyeri/D (Fn. 438) mit Anm. Bernsmann, der auf § 140 Abs. 2 StPO hinweist; OLG Düsseldorf StV 1996 221; Esser 351; MeyerLadewig 95. Vgl. EGMR Winterwerp/NL (Fn. 2). EGMR Musial/PL (Fn. 438); Rakevich/R, 28.10.2003, § 45; Gorshkov/UKR, 8.11.2005, § 44. EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 505 (Bezicheri); Vogler ZStW 89 (1977) 761, 775.
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Sieht das nationale Recht aber einen Instanzenzug vor, gelten die Garantien des Absatzes 4 auch für das Verfahren der Rechtsmittelgerichte.971
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11. Dauer des Überprüfungsverfahrens. Innerhalb kurzer Frist („speedily“ / „à bref délai“; IPBPR: „without delay“ / „sans délai“) ist die beantragte (erste) gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung durchzuführen. Diese Frist, die länger ist als die Frist für die Vorführung nach Absatz 3,972 beginnt mit der Antragstellung, in der Regel durch den Betroffenen,973 wobei der Antrag aber auch in einem von der zuständigen Behörde von Amts wegen betriebenen Verfahren über die Aufrechterhaltung/Fortdauer der Freiheitsentziehung gestellt werden kann. Der Zeitraum („Frist“) i.S.v. Art. 5 Abs. 4 EMRK endet nicht schon, wenn das zuständige Gericht mit der Sache befasst wird (Anhängigkeit) oder der Beschuldigte unter Aufrechterhaltung des freiheitsentziehenden Befehls (Außervollzugsetzung) bedingt entlassen wird,974 sondern erst dann, wenn das Gericht über die Rechtmäßigkeit der Haft sachlich entschieden hat.975 Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 9 Abs. 4 IPBPR verzichten bewusst auf eine abstrakte 370 Bestimmung des für die gerichtliche Kontrolle angemessenen Zeitraums. Welche Frist dem Anspruch auf „raschestmögliche Entscheidung“ 976 angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, also danach, wann die Entscheidung ohne vermeidbare Verzögerungen möglich ist. Ein Indiz dafür kann ein Vergleich mit der Zeitspanne liefern, die das Gericht beansprucht, um über Anträge der Staatsanwaltschaft bezüglich der Anordnung oder Verlängerung der Haft zu entscheiden.977 Grundsätzlich sind für die Bemessung der zulässigen Frist im Einzelfall Art und Anlass der Haft 978 und die Komplexität des jeweiligen Verfahrens,979 so etwa die Notwendigkeit, im Rahmen der Überprüfung einer Unterbringung einen (psychiatrischen) Sachverständigen zu hören, heranzuziehen (siehe aber auch Rn. 373). Überprüfungsfristen von 17 Tagen 980, 23 Tagen981, 1 Monat und 9 Tagen 982, 5 Monaten983 hat der EGMR nicht mehr als angemessen angesehen, wohingegen bei der Prüfung einer Auslieferungshaft ein Zeitraum von 25 Tagen984 noch als akzeptabel angesehen wurde. Setzt sich ein Mitgliedsstaat in seinem nationalen Recht selbst eine von seinen Stellen im Haftprüfungsverfahren einzuhaltende Frist, binnen derer ein Haftprüfungstermin (vgl. § 118 Abs. 5 StPO) stattfinden oder aber
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EGMR Herz/D (Fn. 2); Bagriyanik/TRK, 5.6.2007, § 47; Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 590). Vgl. Frowein/Peukert 145; Meyer-Ladewig 91 behauptet zwar, dass „die Regelung strenger als in Abs. 3“ sei, allerdings scheint er hierbei auf die unterschiedlichen Formulierungen Bezug zu nehmen. Etwa EGMR Musial/PL (Fn. 438). EGMR van der Leer/NL (Fn. 143); Frowein/Peukert 144. EKMR EuGRZ 1990 49 (Koedjbiharie). Villiger 373; zum Gebot einer raschen Überprüfung auch: BVerfG StV 2009 479 m. Anm. Haagmann 592. EGMR Ilowiecki/PL (Fn. 690). Vgl. zur Einlieferung psychisch Kranker: EGMR van Glabke/F, 7.3.2006 (Untätigkeit des Gerichts bis 19 Tage nach Antrag-
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stellung als Verletzung; Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus); allgemein: EGMR Moiseyev/R (Fn. 685) 71, 63, 50 Tage – Verstoß); (GK) Mooren/D (Fn. 138), § 106; S.T.S./NL, 7.6.2011, §§ 43 ff. (63 Tage bis Entscheidung des Appellationsgerichts bei komplizierter Verfahrenslage – kein Verstoß; 294 Tage bis zur Entscheidung des Höchstgerichts (der „Hoge Raad“ der Niederlande) – Verstoß). EGMR Sanchez-Reisse/CH (Fn. 471); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 504 (Ruga); ferner etwa BGer EuGRZ 1989 181. EGMR Kadem/MLT, 9.1.2003, § 43. EGMR Rehbock/SLW, 28.11.2000, § 85. EGMR Khodorkovskiy/R (Fn. 252), § 248. EGMR Baranowski/PL (Fn. 280). EGMR Samy/NL (E), 4.12.2001.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
das Haftprüfungsverfahren abgeschlossen sein muss, so ist diese Frist auch vor dem Hintergrund des Art. 5 EMRK zwingend einzuhalten. Obwohl Art. 5 Abs. 4 EMRK – anders als Art. 5 Abs. 1 EMRK (Rn. 38, 46, 52 f.) keine direkte Anknüpfung an das nationale Recht enthält, führt die Nichteinhaltung einer national zwingend vorgeschriebenen Frist unter dem Gesichtspunkt staatlicher Selbstbindung (Aspekt der Vorhersehbarkeit des Verfahrens) zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK.985 Davon unberührt bleibt aber die Frage der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung als solche (Art. 5 Abs. 1 EMRK), ebenso die Frage, ob die Dauer der Freiheitsentziehung noch angemessen i.S.v. Art. 5 Abs. 3 EMRK ist. Beruht die (vorläufige) Freiheitsentziehung auf einer polizeilichen oder verwaltungs- 371 behördlichen Anordnung, ist die gerichtliche Überprüfung unverzüglich, also binnen weniger Tage nach der Festnahme durchzuführen.986 Etwaige im nationalen Recht vorgesehene Zeiträume/Fristen, innerhalb derer die gerichtliche Kontrolle stattzufinden hat, müssen eingehalten werden.987 Eine Überschreitung des für die gerichtliche Kontrolle angemessenen Zeitraums allein begründet allerdings nicht automatisch einen Anspruch auf sofortige Freilassung.988 Verzögerungen während des gerichtlichen Prüfungsverfahrens können zu einer Frist- 372 verletzung und damit zu einem Verstoß gegen die Garantie aus Art. 5 Abs. 4 EMRK führen. Werden in einem Haftprüfungsverfahren mehrere Instanzen mit der Sache befasst, kommt es nicht auf die erste,989 sondern auf die abschließende, endgültige gerichtliche Entscheidung990 an. Dabei ist nicht maßgeblich, dass die Entscheidung in jeder einzelnen Instanz ohne Verzögerung gefällt wird, sondern dass der Instanzenweg als Ganzes in angemessener Zeit durchlaufen wird. Die im deutschen Verfahrensrecht bekannte Praxis der Zurückverweisung nach § 309 Abs. 2 StPO hält der EGMR nicht prinzipiell für unvereinbar mit Art. 5 EMRK, bei einer Dauer von 2 Monaten und 22 Tagen bis zum Erlass eines neuen, fehlerfreien Haftbefehls aber für unvereinbar mit dem speziellen Beschleunigungsgebot des Art. 5 Abs. 4 EMRK.991 Verzögerungen des Verfahrens durch die (schleppende) Tätigkeit eines Sachverständi- 373 gen hat der Staat in der Regel zu vertreten. Art. 5 Abs. 4 EMRK ist auch verletzt, wenn das Gericht nach Erstellung eines Sachverständigengutachtens die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung unangemessen lange zurückstellt.992 Bei der Be-
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Argumentativ in die gleiche Richtung, aber das Ergebnis letztlich offenlassend: Kühne StV 2009 655. Zu den Entscheidungen der EKMR bei Fristüberschreitung vgl. Frowein/Peukert 146; ferner etwa EGMR Luberti/I (Fn. 192); De Jong u.a./NL (Fn. 580); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 505 (Bezicheri); EuGRZ 1990 88 (E/N). EGMR Mayzit/R, 20.1.2005 (nach nationalem Recht) musste eine Entscheidung 5 Tage nach Antragsstellung erfolgen; 4 Monate 15 Tage daher Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK); siehe auch EGMR Shishkov/BUL (Fn. 898). Vgl. BGer EuGRZ 1989 180. So aber im EKMR Navarra/F, nicht gebilligt von EGMR 23.11.1993, A 273-B; zur
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Problematik des Abstellens auf das Ende des mehrstufigen Haftverfahrens Esser 371. EGMR Lamy/B (Fn. 536); dazu Ziegler StV 1993 320; Letellier/F (Fn. 339); vgl. ferner etwa Luberti/I (Fn. 192); Toth/A (Fn. 861); Megyeri/D (Fn. 438); Esser 370; Villiger 372. EGMR (GK) Mooren/D (Fn. 138), §§ 106 f.; so schon EGMR Mooren/D (K) (Fn. 891), §§ 72 f. EGMR Musial/PL (Fn. 438; 9 Monate). Stützt das Gericht seine Entscheidung trotz des zeitlichen Abstandes auf das Gutachten, kann dies auch dem Schutz vor Willkür zuwiderlaufen, da das Gutachten nicht notwendig den Zustand des Betroffenen im Zeitpunkt der Entscheidung wiedergibt.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
fassung mehrerer Instanzen mit der Kontrolle der Freiheitsentziehung gehen alle unnötigen, d.h. vermeidbaren Verzögerungen zu Lasten des Staates.993 Der Betroffene muss sich lediglich die durch sein eigenes, vorwerfbares Prozessverhalten eingetretenen Verzögerungen zurechnen lassen.994 Gleiches gilt, wenn er – trotz einer relevanten Veränderung der äußeren, tatsächlichen Umstände seiner Freiheitsentziehung – die ihm während eines laufenden Überprüfungsverfahrens offen stehende Möglichkeit ungenutzt lässt, durch neue Anträge auf Freilassung eine neue Entscheidung über seine Haft herbeizuführen.995 Zu seinen Lasten geht auch, wenn er nur formale, pauschale Anträge auf Freilassung ohne sachliche Begründung stellt, da ein solches Vorgehen als Nichtausschöpfen des nationalen Rechtsschutzes gewertet werden kann.996 Die Angemessenheit der Fristen für die späteren, periodischen Überprüfungen einer 374 Freiheitsentziehung hängen vom konkreten Grund der Inhaftierung, Verwahrung bzw. Unterbringung ab. Während etwa bei der strafprozessualen Untersuchungshaft die Wiederholung einer gerichtlichen Kontrolle in relativ kurzen Abständen zu erfolgen hat, können bei anderen Formen der Freiheitsentziehung auch größere Abstände genügen. Allgemein bedarf es einer Überprüfung der Freiheitsentziehung in Zeitabständen, die den jeweiligen Umständen angemessen sind.997 Das gilt für die Unterbringung Geisteskranker998 ebenso wie bei einer aus Sicherheitsgründen vollzogenen Haft von unbeschränkter Dauer999 oder bei den in den nationalen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich ausgestalteten Formen der Präventivunterbringung (u.a. Sicherungsverwahrung).1000 Ob bereits der erste Antrag des Inhaftierten auch die Pflicht zu den nachfolgenden periodischen Überprüfungen auslöst oder ob die spätere Überprüfung stets einen neuen Antrag des Betroffenen erfordert (dafür spricht der Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 EMRK), kann für diejenigen Staaten offen bleiben, in denen spätere periodische Überprüfungen schon von Amts wegen durchgeführt werden müssen.
D. Anspruch auf Entschädigung (Art. 5 Abs. 5 EMRK / Art. 9 Abs. 5 IPBPR) I. Allgemeines 375
Art. 5 Abs. 5 EMRK / Art. 9 Abs. 5 IPBPR gewähren jedem, der in seinen von den Konventionen garantierten Freiheitsrechten rechtswidrig durch die öffentliche Gewalt beeinträchtigt worden ist, einen selbstständigen und unmittelbaren Anspruch auf Ent993
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EGMR Toma/RUM, 24.2.2009 (Nichtweiterleitung einer Beschwerde durch den Staatsanwalt an das zuständige Gericht über einen Zeitraum von 6 Tagen). Vgl. EGMR Navarra/F, 23.11.1993, A 273-B; Esser 372. Vgl. EGMR Letellier/F (Fn. 339); Esser 371; Frowein/Peukert 146. EGMR Yahiaoui/F, 20.1.2000; vgl. Villiger 366 in unterlassener Antragstellung kann Verzicht gesehen werden. Vgl. EGMR X/UK (Fn. 40, „vernünftige Zeitabstände“); Megyeri/D (Fn. 438). Nach den Umständen des Einzelfalls kann schon eine Sperrfrist von 2 Monaten für das Einreichen neuer Haftentlassungsgesuche
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unangemessen sein, vgl. BGer EuGRZ 1997 159. 998 EGMR X/UK (Fn. 40); Luberti/I (Fn. 192); Megyeri/D (Fn. 438); EKMR EuGRZ 1983 432; 1988 507; EGMR Kolanis/UK (Fn. 439; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – Zeitraum von 12 Monaten bis zur Überprüfung nicht mehr angemessen). 999 EGMR Weeks/UK (Fn. 157); Frowein/ Peukert 132. 1000 EGMR Homann/D (Fn. 832); van Droogenbroeck/B (Fn. 119); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 49 (Koendjbiharie); EuGRZ 1990 50 (Kees); EuGRZ 1990 88 (E/N); Frowein/Peukert 130 f.
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schädigung, der auch innerstaatlich unmittelbar geltend gemacht werden kann.1001 Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Entschädigung zu garantieren.1002 Der Anspruch hat seine Grundlage im völkerrechtlichen Vertragsrecht. Sofern er aber mit den Konventionen ins innerstaatliche Recht transformiert wurde, besteht er unabhängig neben den sonstigen Ansprüchen, die das nationale Recht bei rechtswidrigen Freiheitsentziehungen gewährt. Es ist nicht an die Voraussetzungen und Grenzen gebunden, von denen die daneben bestehenden Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB, die (engeren) besonderen Ansprüche nach dem StrEG1003 oder der allgemeine Aufopferungsanspruch abhängen.1004 Absatz 5 begründet die Haftung des Staates für jede konventionswidrige Freiheitsentziehung durch hoheitlich handelnde Stellen,1005 einschließlich der rechtsprechenden Gewalt. Der Entschädigungsanspruch setzt kein Verschulden voraus.1006 Wenn das angerufene Gericht nicht über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und zur Begründung anführt, der Antragsteller sei mittlerweile wieder in Freiheit und habe kein rechtlich geschütztes Interesse mehr, ist Art. 5 Abs. 4 EMRK verletzt, u.a. weil die Feststellung der Unrechtmäßigkeit zu einem Entschädigungsanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK führen kann.1007
II. Einzelfragen 1. Voraussetzung. Voraussetzung des Anspruchs nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ist ein 376 Verstoß gegen Art. 5 EMRK („unter Verletzung dieses Artikels“), also insbesondere eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, die nicht von den Gründen des Absatzes 1 Satz 2 EMRK gedeckt ist. Wegen der von der Konvention in Art. 5 Abs. 1 EMRK geforderten Bindung an das nationale Recht („gesetzlich vorgeschriebene Weise“) hat eine Freiheitsentziehung, die gegen nationale Bestimmungen verstößt, in der Regel auch einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK zur Folge.1008 Rechtswidrig i.S.v. Art. 5 Abs. 5 EMRK ist eine Freiheitsentziehung auch dann, wenn sie mit dem innerstaatlichen Recht im Einklang steht, aber gegen die Garantien des Art. 5 EMRK verstößt,1009 so etwa im
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Siehe BGHZ 45 30, 46; Herzog AöR 86 (1961) 194, 235; Meyer-Goßner 14; SK/Paeffgen 70; für Österreich: OGH ÖJZ 1990 210. Vgl. EGMR Zeciri/I, 4.8.2005, § 50. KK/Schädler 27; D. Meyer Einl. 55 u. Art. 5, 2 f. (detaillierter Vergleich mit Voraussetzungen der Ansprüche nach dem StrEG); BGHSt 32 221, 226; Meyer-Goßner 14. Zum Ausschluss des subsidiären allgemeinen Aufopferungsanspruchs vgl. etwa BGHZ 45 58; BGH NJW 1990 397; Herzog JZ 1966 60; D. Meyer Einl. 58 ff.; Kunz Einl. 73. Vgl. BGHZ 45 58 (Gefährdungshaftung mit deliktsähnlichem Einschlag); MeyerGoßner 14; a.A. (gesetzlich konkretisierter Aufopferungsanspruch): Brückler DRiZ 1965 253; Echterhölter JZ 1956 145; Herzog AöR 86 (1961) 194, 238; ders. JZ 1966 650.
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EGMR Wassink/NL (Fn. 143); BGH NJW 1993 2927; KG StV 1992 584; BGer EuGRZ 1993 409; Meyer-Goßner 14; Kunz Einl. 72; KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 104; Nowak 80. EGMR S.T.S./NL (Fn. 978), § 61. BGHZ 45 58; 57 41; BGH NJW 1990 397; Frowein/Peukert 147; SK/Paeffgen 69; KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 104 (selbst wenn nationales Recht insoweit über Konvention hinausgeht); Herzog AöR 86 (1961) 194, 237 („rechtswidrig-konventionswidriger Freiheitsentzug“); MeyerGoßner 14. EGMR Harkmann/EST (Fn. 579), § 50; vgl. Herzog AöR 86 (1961) 194, 237 (innerstaatliche Abweichung von der Konvention durch ein lex posterior); Kunz Einl. 72.
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Falle einer strafprozessualen Untersuchungshaft, die eine nach Art. 5 Abs. 3 EMRK angemessene Frist überschreitet.1010 Allein der Umstand, dass eine Person für eine Inhaftierung entschädigt wurde, lässt keinen zwingenden Schluss auf die Unrechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zu.1011 Auch eine Verletzung der Verfahrensrechte des Art. 5 Abs. 2 bis 4 EMRK kann einen Entschädigungsanspruch des Betroffenen begründen, jedoch nur, wenn sich die Missachtung der Verfahrensvorschriften auf die Anordnung bzw. die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung ausgewirkt hat.1012 Ob innerstaatlich eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK bzw. Art. 9 Abs. 5 377 IPBPR beantragt wurde, ist grundsätzlich von der Frage zu trennen, ob wegen einer vor dem EGMR gerügten Konventionsverletzung nach Art. 5 Abs. 1 bis 4 alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft wurden (Art. 35 Abs. 1 EMRK) und ob der Betroffene als Opfer einer Konventionsverletzung nach Art. 5 Abs. 1 bis 4 EMRK im Verfahren der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) einen Anspruch auf eine gerechte Entschädigung nach Art. 41 EMRK geltend machen kann.1013 Eine innerstaatliche Entschädigung wegen einer konventionswidrig erlittenen Freiheitsentziehung lässt die Opfereigenschaft eines Beschwerdeführers nur dann entfallen, wenn der Staat die Konventionsverletzung ausdrücklich anerkannt und eine ausreichende Wiedergutmachung geleistet hat.1014 Auch Art. 9 Abs. 5 IPBPR gewährt jedem unrechtmäßig Festgenommenen oder in 378 Haft Gehaltenen einen Anspruch auf Entschädigung. Anders als Art. 5 Abs. 5 EMRK nimmt er nicht auf die ihm vorhergehenden Absätze Bezug; es genügt also allein die Rechtswidrigkeit der Haft nach innerstaatlichem Recht. Wegen der in Art. 9 Abs. 1 Satz 3 IPBPR verankerten Bindung an das nationale Recht („Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens“) bedeutet dies aber in aller Regel zugleich auch eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 IPBPR. Der Anspruch umfasst ebenfalls die Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften der Absätze 2 bis 4. Kein Anspruch nach Art. 9 Absatz 5 IPBPR besteht, wenn die Freiheitsentziehung als solche innerstaatlich formal rechtmäßig und auch konventionskonform gewesen ist, aber die Entscheidung, die der rechtmäßigen Freiheitsentziehung zugrunde lag, mit Fehlern behaftet war oder wegen einer anderen Würdigung des Sachverhalts aufgehoben wurde. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Beschuldigter, der sich in Untersuchungshaft befand, später vom erkennenden Gericht freigesprochen wird.1015
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2. Anspruchsgegner. Der Anspruch richtet sich gegen den Vertragsstaat. Soweit der Anspruch innerstaatlich geltend gemacht wird, hat der Hoheitsträger (Bund, Land oder sonstige Gebietskörperschaft), dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung oder der Verletzung des Verfahrensrechts ausgeübt wurde, für die Rechtsverlet-
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Vgl. BGHZ 45 36; BGH StV 1994 329; KG StV 1992 584; vgl. Paeffgen NStZ 1993 532; IK-EMRK/Renzikowski 318. Kälin/Künzli 505; HRC W.B.E./NL, 1.12.1992, 432/1990, § 6.5. EGMR Brogan u.a./UK (Fn. 155); Hood/UK (Fn. 587); EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 558 (Thynne); 1990 50 (Keus); OGH EuGRZ 1981 572 (Schutz der Freiheitssphäre schon verletzt, wenn verfassungsmäßig vorgeschriebener Weg für Freiheitsentziehung nicht eingehalten);
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einschränkend Herzog AöR 86 (1981) 194, 236; Schorn 1 (wenn Verletzung der Formvorschriften für rechtswidrige Haft kausal). Vgl. Teil II Rn. 178, 219 ff. EGMR Labita/I (Fn. 146); vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 384; EGMR Crabtree/CZ, 25.2.2010, §§ 20 ff.; Kälin/Künzli 505. BGHZ 57 43; vgl. OLG Hamm NJW 1989 1547; Kunz Einl. 72; vgl. auch Haas MDR 1964 10; Pilmacek ÖJZ 2001 546, 556; IK-EMRK/Renzikowski 319.
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zung einzustehen.1016 Dies gilt auch, wenn Organe des Staates die Verletzung im Ausland begangen haben.1017 Völkerrechtlich bleibt der Bund als Gesamtstaat gegenüber den anderen Vertragsstaa- 380 ten und den Konventionsorganen verpflichtet.1018 Er hat dafür einzustehen, dass der Betroffene seinen Anspruch aus Absatz 5 innerstaatlich durchsetzen kann, ganz gleich, welche Gebietskörperschaft die rechtswidrige Verletzung innerstaatlich zu verantworten hat und welchen Organen diese zuzurechnen ist. 3. Schadensersatz / Immaterieller Schaden. Nach Art. 5 Abs. 5 EMRK / Art. 9 Abs. 5 381 IPBPR kann voller Schadensersatz für die Rechtsverletzung verlangt werden,1019 nicht nur – wie etwa nach Art. 41 EMRK oder beim allgemeinen Aufopferungsanspruch – eine gerechte bzw. angemessene Entschädigung.1020 Zu ersetzen ist auch ein immaterieller Schaden, einschließlich Schmerzensgeld.1021 382 Schon durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des vom Konventionsverstoß Betroffenen1022 kann ein Schadensersatzanspruch ausgelöst werden, so auch durch die Belastungen einer rechtswidrigen Haft.1023 Der Bemessung des immateriellen Schadens sind die Grundsätze des Art. 41 EMRK zugrunde zu legen, wobei den innerstaatlichen Behörden ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht.1024 Art. 5 Abs. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich nicht auf die Haftmodalitäten. Führen diese jedoch ausnahmsweise zur Rechtswidrigkeit der Haft, so ergibt sich mittelbar ein Entschädigungsanspruch gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK.1025 Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln des nationalen Schadensersatzrechtes.1026 383 Dies gilt vor allem für den Nachweis, dass die rechtswidrige Freiheitsentziehung oder die
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BGHZ 45 36; 54 (keine Haftung des Bundes für Freiheitsentzug in der früheren DDR); Brückler DRiZ 1965 257; Herzog AöR 86 (1961) 194, 240; Meyer-Goßner 14; KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 106; IK-EMRK/Renzikowski 322. Vogler ZStW 89 (1977) 761; IK-EMRK/ Renzikowski 323. IK-EMRK/Renzikowski 322. BGHZ 45 58, 68; BGH NJW 1990 397; Guradze 41; Herzog AöR 86 (1961) 194, 239; ders. JZ 1966 657; Meyer-Goßner 14; Vogler ZStW 82 (1970) 761; Zörb NJW 1970 2146. Zum Unterschied BGHZ 45 58, 68; ferner etwa Herzog AöR 86 (1961) 194, 239; Herzog JZ 1966 657, 659; Frowein/Peukert 151; KK-EMRK-GG/Dörr Kap. 13, 103; IK-EMRK/Renzikowski 323; Villiger 374bis hält wegen des großen Ermessensbereichs der innerstaatlichen Behörden die Grundsätze des Art. 41 EMRK „zweckmäßigerweise“ für anwendbar. OLG Celle NJW 2003 2463; BGH NJW 1993 2927; KG StV 1992 584; Frowein/ Peukert 151; IK-EMRK/Renzikowski 324; Herzog AöR 86 (1961) 194, 239; Meyer-
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Goßner 14; Schorn 5; Strafner StV 2010 275, 276; vgl. auch OGH EuGRZ 1981 571; ÖJZ 1990 210; BGer EuGRZ 1993 406; a.A. Brückler DRiZ 1965 257. Vgl. Guradze 41; vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 50 (Keus), wonach das Recht auf Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht vom Vorliegen eines (gemeint wohl materiellen) Schadens abhängt. BGH NJW 1993 2927; OGH ÖJZ 1990 210. SK/Paeffgen 71; KK/Schädler 27; Grabenwarter § 21, 37. Vgl. OLG Celle StV 2004 84 85, BGHZ 122 268, 278 f.; KK/Schädler 27. Zur Heranziehung des § 7 StrEG für die Bemessung der Höhe, vgl. D. Meyer 5; OLG Schleswig SchlHA 2002 113; OLG Celle Beschl. v. 3.11.2006 – 16 W 102/06. Die gem. § 7 Abs. 3 StrEG vorgesehene Entschädigung für den immateriellen Schaden aufgrund strafgerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung i.H.v. 11 € pro Tag (bis 1987: 10 DM; Anhebung auf 20 DM durch das Gesetz vom 24.5.1998, BGBl. I S. 638; Anhebung auf 11 € durch das Gesetz zur Einführung des Euro vom
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rechtswidrige Beeinträchtigung in den von den Konventionen garantierten Verfahrensbehelfen für den zu ersetzenden Schaden ursächlich war.1027 Auch im Wege der Naturalrestitution kann ein Schaden behoben werden, etwa durch Anrechnung einer rechtswidrig erlittenen Freiheitsentziehung auf die Strafhaft.1028 In Fällen, in denen eine Konventionsverletzung nach den Absätzen 1 bis 4 keine bleibenden Folgen für den Betroffenen hervorgerufen hat, kann im Einzelfall schon die ausdrückliche Feststellung der Konventionsverletzung ausreichen, um einen erlittenen immateriellen Schaden auszugleichen.1029
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4. Verjährung. Der Anspruch, den der BGH als eine Art der Gefährdungshaftung qualifiziert hat,1030 verjährt in rechtsähnlicher Anwendung des jetzt auch bei unerlaubten Handlungen geltenden § 195 BGB in drei Jahren.1031 Er kann bereits erhoben werden, wenn das Strafverfahren, in dem es zu der konventionswidrigen Freiheitsentziehung kam, noch nicht beendet ist, so etwa bezüglich der Frage einer angemessenen Dauer der Untersuchungshaft.1032 Jedoch kann eine Entschädigung nach Art. 41 EMRK nur verlangt werden, sofern das innerstaatliche Recht keine ausreichende Wiedergutmachung vorsieht. An dieser Voraussetzung wird es im Hinblick auf die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe regelmäßig fehlen.1033
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5. Innerstaatlicher Rechtsweg. Der Anspruch ist nach den Regeln des nationalen Gerichtsverfassungsrechts, in der Bundesrepublik vor den ordentlichen Gerichten im Wege der Zivilklage geltend zu machen.1034
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6. Anrufung des EGMR. Anders als die Zuerkennung einer gerechten Entschädigung nach Art. 41 EMRK 1035 als Folge einer vor dem EGMR gerügten Verletzung einer (anderen) Konventionsgarantie kann ein Anspruch wegen Verletzung des Art. 5 Abs. 5 EMRK nur in Ausnahmefällen vor dem EGMR geltend gemacht werden. Nur dort, wo diese
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13.12.2001, BGBl. I S. 3574) ist durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen v. 30.7.2009 (BGBl. I S. 2478) auf 25 € erhöht worden (vgl. BTDrucks. 16 12321 v. 18.3.2009). Noch weiter (50 €) ging der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks. 16 11434); vgl. auch Empfehlung des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen (Umsetzungsgesetz Rahmenbeschluss Einziehung), BRDrucks. 67/1/09 v. 23.2.2009. EGMR Wassink/NL (Fn. 143); vgl. ferner OGH EuGRZ 1981 571; ÖJZ 1990 210 (keine besondere Nachweispflicht bei immateriellem Schaden); Herzog AöR 86 (1961) 194, 236. BGH NStZ 2010 229; Herzog AöR 86 (1961) 194, 239.
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Vgl. etwa EGMR Hood/UK (Fn. 587); Villiger 374bis. BGHZ 45 58; a.A. gesetzlich normierter Fall des allgemeinen Aufopferungsanspruchs, vgl. D. Meyer 1 m.w.N.; Kunz Einl. 73. Zum früheren § 852 Abs. 1 BGB: BGHZ 45 58, 66; BVerfG NJW 2005 1567; Meyer-Goßner 14; D. Meyer 7; a.A. Herzog AöR 86 (1961) 194, 241 Fn. 157 (Aufopferungsanspruch: 30 Jahre). D. Meyer Einl. 53; Kunz Einl. 75; vgl. auch Trechsel EuGRZ 1980 514. Kunz Einl. 75. OLG München NStZ-RR 1996 125; Guradze 43; Herzog AöR 86 (1961) 194, 241; Meyer-Goßner 14. Die gerechte Entschädigung kann der EGMR auf Antrag wegen jeder von ihm festgestellten Konventionsverletzung nach Art. 41 EMRK selbst zusprechen, vgl. Teil II Rn. 220 ff., ferner Frowein/Peukert 147; sowie zum Unterschied der Ansprüche nach Art. 5 Abs. 5 und Art. 41 EMRK: Villiger 374ter.
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Vorschrift im nationalen Recht weder unmittelbar gilt noch in einer vergleichbaren Entschädigungsregelung eine Entsprechung hat, kann die Unmöglichkeit, innerstaatlich eine Entschädigung zu erlangen, als Verletzung des Art. 5 Abs. 5 EMRK unmittelbar gerügt werden.1036 Soweit dagegen Absatz 5 auch innerstaatlich anwendbar ist, setzt jede Anrufung des EGMR eine Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe voraus (Art. 35 Abs. 1 EMRK).1037 Entgegen einer früheren Praxis der EKMR ist es nicht erforderlich, dass eine Verlet- 387 zung des Art. 5 Abs. 1 EMRK zuvor vom EGMR festgestellt wird und dass der Betroffene dann wegen des Entschädigungsanspruchs die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft.1038 Es genügt, dass wegen der Verweigerung einer Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK der Rechtsweg erschöpft ist. Andererseits muss die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 bis 4 EMRK auch nicht – wie früher gefordert – zwingend vom nationalen Gericht festgestellt werden; dies kann auch durch den EGMR geschehen.1039 Dann steht fest, dass der Staat durch die Verweigerung der Entschädigung gegen Art. 5 Abs. 5 EMRK verstoßen hat. Ob eine innerstaatlich gewährte Entschädigung ausreichend ist, wird vom EGMR nur 388 auf Missbrauch nachgeprüft.1040
E. Grundsätze für die Behandlung inhaftierter Personen (Art. 10 IPBPR) I. Bedeutung 1. Grundsätze für die Behandlung inhaftierter Personen. Art. 10 IPBPR legt einige 389 Grundsätze für die Behandlung inhaftierter Personen fest. Die allgemeine Verpflichtung des Staates zu einem humanen und die Menschenwürde des Gefangenen achtenden Vollzug aller freiheitsentziehenden Maßnahmen durch Art. 10 Abs. 1 IPBPR trägt der gesteigerten Schutzbedürftigkeit der Personen Rechnung, die der staatlichen Gewalt besonders
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Exemplarisch EGMR Stoichkov/BUL (Fn. 196); vgl. auch EGMR (GK) A. u.a./ UK (Fn. 478), wonach die Feststellung einer Konventionsverletzung durch das nationale Gericht (sog. „declaration of incompatibility with the Convention“) keine ausreichende Entschädigung ist; siehe auch EGMR Beet u.a./UK, 1.3.2005; Svetlorusov/UKR, 12.3.2009, § 69. H.M.; EGMR Crabtree/CZ (Fn. 1014), §§ 25 ff.; Strafner StV 2010 275; IK-EMRK/ Renzikowski 317; KK/Schädler 27; SK/Paeffgen 69. Zur Problematik der Individualbeschwerde gegen eine rechtskräftige innerstaatliche Entscheidung über den Anspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK vgl. Herzog AöR 86 (1981) 194, 243. Vgl. Frowein/Peukert 148; Trechsel EuGRZ 1980 514, 531. EGMR Dubovik/UKR, 15.10.2009, § 71;
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Fedotov/R, 25.10.2005 (§ 83 „The right to compensation … presupposes that a violation of one of the preceding paragraphs of Art. 5 has been established either by a domestic authority or by the Court“; mit Verweis auf EGMR (GK) N.C./I , 18.12.2002, ECHR 2002-X, § 49; Pantea/RUM, 3.6.2003, § 262); siehe auch: EGMR Fedotov/R (E), 23.11.2004, § 3; Wynne/UK, 16.10.2003 (§ 31: „The Court has found above a violation of Article 5 § 4 … No possibility of obtaining compensation existed at the relevant time in domestic law … The applicability of Article 5 § 5 is not dependent on a domestic finding of unlawfulness or proof that but for the breach the person would have been released“); Grabenwarter § 21, 37. IK-EMRK/Renzikowski 317; KK-EMRKGG/Dörr Kap. 13, 105.
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EMRK Art. 5
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
ausgesetzt sind. Er verpflichtet den Staat zu einer humanen Behandlung aller Gefangenen und eröffnet zugleich dem Einzelnen ein Abwehrrecht gegen unzumutbare Haftbedingungen. Die Freiheitsgarantie des Art. 9 IPBPR (Art. 5 EMRK), die im Kern nur den Entzug der Freiheit, nicht aber die Behandlung während des Freiheitsentzuges betrifft, wird durch Art. 10 IPBPR ergänzt. Dieser füllt die Lücke zum Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR), das auch das Verbot der unfreiwilligen Heranziehung zu medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen (Art. 7 Satz 2 IPBPR) mit umfasst. Da all dies in der Regel während einer Freiheitsentziehung geschieht, decken sich beide Garantien in der Praxis weitgehend. Bei einer gegen Art. 7 IPBPR verstoßenden Behandlung eines Inhaftierten ist in aller Regel auch Art. 10 Abs. 1 IPBPR verletzt.1041 Art. 10 Abs. 2 und 3 IPBPR legen einige Grundsätze für den Haftvollzug bei Unter390 suchungs- und Strafgefangenen fest. Beide Bestimmungen können isoliert oder aber auch neben Art. 10 Abs. 1 und Art. 7 IPBPR verletzt sein. Für die Behandlung von Personen, die wegen ihrer Beteiligung an einem internationalen bewaffneten Konflikt von einem Staat in Gewahrsam gehalten werden, enthalten die Genfer Konventionen1042 Spezialvorschriften über die Behandlung der Kriegsgefangenen und der Kombattanten ohne Kriegsgefangenenstatus, die jedoch die Anwendbarkeit des Art. 10 IPBPR nicht ausschließen.1043
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2. Verhältnis zu anderen Konventionsgarantien. Der Grundsatz des Art. 10 Abs. 1 IPBPR ist für eine systemimmanente Auslegung anderer Konventionsgarantien des IPBPR von Bedeutung. Er begrenzt die nur unter einem formellen Regelungsvorbehalt stehenden Möglichkeiten zu Einschränkungen der in den Art. 17 ff. IPBPR gewährleisteten Rechte bei Gefangenen inhaltlich durch sachliche Vorgaben. Er wirkt so den besonderen Gefährdungen dieser Rechte beim Freiheitsentzug entgegen.1044 Aus den Ausnahmen bei Art. 8 Abs. 3 lit. c, i IPBPR / Art. 4 Abs. 3 lit. a EMRK ergibt sich umgekehrt, dass die Arbeitspflicht von Strafgefangenen mit den Konventionen vereinbar ist.1045 In der EMRK fehlt eine dem Art. 10 IPBPR entsprechende Regelung. Dies wird zum 392 Teil dadurch ausgeglichen, dass die menschenunwürdige Behandlung Gefangener zumindest ab einer gewissen Erheblichkeit als Verstoß gegen das Verbot der erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) angesehen wird. Im Übrigen enthalten – anders als beim IPBPR – die Eingriffsvorbehalte bei den Art. 8 ff. EMRK materielle Vorgaben; diese binden auch bei Gefangenen die Zulässigkeit von gesetzlichen Einschränkungen der grundsätzlich auch ihnen garantierten Rechte an besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen und an das in einer demokratischen Gesellschaft Notwendige. Anhaltspunkte dafür geben die von internationalen Gremien aufgestellten Strafvollzugsgrundsätze.
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3. Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen. Die UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen1046 sind zwar ebenso völkerrechtlich unver-
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Nowak 9; vgl auch Aboussedra/Libyen (1751/2008), 25.10.2008, §§ 7.4, 7.7 (keine Kommunikation mit der Familie und der Außenwelt, Folter). Vgl. Teil I Rn. 30. So das auf Ersuchen des Menschenrechtsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarats erstattete Gut-
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achten der Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) v. 13.12.2003, EuGRZ 2004 343, 350 ff., 353. Vgl. Nowak 2. Vgl. Art. 4 EMRK Rn. 24 ff. Vom 30.8.1955, gebilligt durch Res. 663 C (XXIV) des Wirtschafts- und Sozialrats
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
bindlich wie die entsprechenden Grundsätze des Ministerkomitees des Europarates („Europäische Strafvollzugsgrundsätze“1047), sie können aber, ebenso wie andere Resolutionen von internationalen Organisationen, als Ausdruck gemeinsamer Anschauungen bei der Auslegung des Art. 10 IPBPR mit berücksichtigt werden.1048 Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (CRC)1049 enthält in seinem Art. 37 ebenfalls Regelungen für die Behandlung Jugendlicher1050 während eines Freiheitsentzuges (so etwa menschliche und altersgerechte Behandlung, Trennung von Erwachsenen, Aufrechterhaltung des Verkehrs mit der eigenen Familie, Recht auf einen Beistand). 4. Innerstaatliches Verfassungsrecht. Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht ist die 394 Staatsgewalt in all ihren Formen verpflichtet, die Menschenwürde zu achten. Dies ist ein konstituierendes Grundprinzip (Art. 1 Abs. 1 GG). Es gilt auch für Personen, denen die Freiheit entzogen worden ist, vor allem im Strafvollzug.1051 Weder die wegen schwerster Verbrechen Verurteilten noch die psychisch Kranken dürfen während der Freiheitsentziehung in Negierung ihres Menschseins zu einem bloßen Objekt des staatlichen Handelns herabgewürdigt werden.1052
II. Geltungsbereich Art. 10 Abs. 1 IPBPR legt mit dem Gebot, jeden, dem die Freiheit entzogen ist, 395 menschlich und mit Achtung seiner Menschenwürde zu behandeln, einen allgemeinen Grundsatz fest, der für alle Personen gilt, denen – aus welchem Grund auch immer – die Freiheit durch eine staatliche Maßnahme entzogen worden ist. Dagegen betrifft Absatz 2 nur solche Personen, die sich wegen einer noch nicht rechtskräftig festgestellten Beschuldigung in Untersuchungshaft befinden und deshalb entsprechend der für sie geltenden Unschuldsvermutung wie Unschuldige behandelt werden müssen,1053 während Absatz 3 nur die Gefangenen im Strafvollzug anspricht.1054 Da Art. 10 IPBPR explizit nur die Rechte der Inhaftierten/Gefangenen schützt, kön- 396 nen andere Personen aus der Vorschrift keine eigenen Rechte, etwa auf Verkehr mit einem Gefangenen, herleiten.
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v. 31.7.1957 und die Res. 2076 (LXII) v. 13.5.1977; ferner Res. 43/173 der Generalversammlung v. 9.12.1988; vgl. auch Nowak 6. Vgl. Rec(2006)2 des Ministerkommittee an die Mitgliedstaaten betreffend die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules) v. 11.1.2006; siehe auch die früheren Empfehlungen R(87)3 v. 12.2.1987; E 73/3 v. 19.1.1973. Zur Unverbindlichkeit einer solchen Empfehlung, die keine unmittelbaren Rechte der Gefangenen begründet: BGer EuGRZ 1981 531. Nowak 1, 6.
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BGBl. 1992 II S. 121; für die Bundesrepublik am 5.2.1992 in Kraft getreten, die unmittelbare innerstaatliche Anwendung wurde jedoch bei der Ratifizierung ausgeschlossen (BGBl. 1992 II S. 990). „Kind“ i.S.d. Art. 1 CRC ist jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sofern nach dem auf das Kind anzuwendenden nationalen Recht die Volljährigkeit nicht früher eintritt. Vgl. etwa BVerfGE 35 235; 45 239. BVerfGE 45 229. Vgl. LR/Hilger § 119, 16 StPO. Vgl. HRC General Comment 9/16 (Haftbedingungen).
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III. Schutz der Menschenwürde (Art. 10 Abs. 1 IPBPR) 397
1. Verpflichtung des Staates. Das Gebot einer menschlichen und die Menschenwürde achtenden Behandlung1055 verpflichtet den Staat, dafür zu sorgen, dass allen Personen, denen die Freiheit durch eine in seinen Verantwortungsbereich fallende Handlung entzogen worden ist, menschlich und entsprechend der ihnen zukommenden Menschenwürde behandelt werden.1056 Dies bedeutet nicht nur, dass alle damit unvereinbaren Eingriffe in die persönliche Integrität des Gefangenen im Einzelfall unterbleiben müssen. Vor allem dürfen Maßnahmen, die einen schwerwiegenden Eingriff in den Persönlichkeitsbereich bedeuten, nicht routinemäßig durchgeführt werden; sie müssen auf die unbedingt erforderlichen Einzelfälle beschränkt bleiben.1057 Außerdem muss jeder Staat ungeachtet seiner wirtschaftlichen Lage und etwaiger sonstiger Schwierigkeiten generell für einen Mindeststandard menschenwürdiger Haftbedingungen sorgen, der die Grundbedürfnisse der Gefangenen hinsichtlich Unterbringung,1058 sanitärer Verhältnisse, Kleidung, Ernährung und medizinischer Betreuung sicherstellt.1059 Auch die Überbelegung eines Haftraums kann das Mindestmaß menschenwürdiger Haftbedingungen unterschreiten.1060 Bei den zu stellenden Anforderungen werden zwar die lokalen Gegebenheiten und die Möglichkeiten des jeweiligen Staates, ferner aber auch unterschiedliche Anschauungen der jeweiligen Bevölkerung mit zu berücksichtigen sein.1061 Jedoch rechtfertigen auch wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht die Unterschreitung des unerlässlichen Mindeststandards.1062 398 Menschenunwürdige Haftbedingungen können ferner in der Behinderung der Kommunikation des Gefangenen mit anderen Personen liegen, wenn diese Beschränkung ungerechtfertigt ist, weil sie durch keine legitimen Ziele i.S.d. Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR gedeckt wird1063 oder in der Form unzumutbar ist. Eine längerfristige Unterbindung des Verkehrs des Gefangenen mit seinen Angehörigen und sonstigen Personen der Außenwelt, insbesondere wenn sie mit einem „Verschwindenlassen“ bewusst praktiziert wird, kann gegen Art. 10 Abs. 1 IPBPR verstoßen.1064 Mitunter kann darin auch ein Ein-
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Zur Entstehung der Formulierung vgl. Nowak 7. HRC Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.5 (Verletzung von Art. 10 Abs. 1 IPBPR). BVerfG NJW 2004 1728 (routinemäßige körperliche Durchsuchung mit Entkleidung); vgl. auch EGMR Lorsé u.a./NL, 4.2.2003; van der Ven/NL, 4.2.2003, Goedecke JIR 46 (2003) 606, 611. Vgl. für Deutschland etwa OLG Frankfurt NStZ 1985 572 (überbelegte Zelle); NJW 2003 2843 (Mehrfachunterbringung in Einzelzelle); OLG Hamm NJW 1967 2024 (unabgetrennte Toilette in Gemeinschaftszelle); LG Gießen NStZ 2003 624; von Hinüber StV 1994 212; Theile StV 2002 670; Ullenbruch NStZ 1999 430. Umfassend etwa Nowak 11 ff. Weitere Beispiele bei Conte/Burchill 126 ff.
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Vgl. etwa OLG Frankfurt NStZ 1985 572 (überbelegte Zelle); NJW 2003 2843 (Mehrfachunterbringung in Einzelzelle). Vgl. von Hinüber StV 1994 212, wonach Einzel- oder Gemeinschaftsunterbringung je nach Kulturkreis unterschiedlich bewertet werden. HRC General Comment 9/16 Nr. 1 zu Art. 10 IPBPR; Nowak 9; ferner HRC General Comment 21/44 zu Art. 10 IPBPR. Vgl. Art. 8 EMRK Rn. 45 ff. HRC Kang/Republik Korea, 15.7.2003, 878/1999, § 7.3; weitere Nachweise bei Nowak 10 ff.; vgl. zum Verschwindenlassen auch HRC Sharma/Nepal (Fn. 578), § 7.4 und HRC Madoui/Algerien (Fn. 107), § 7.2; HRC El Abani/Libyan Arab Jamahiriya, 14.9.2010, 1640/2007.
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Recht auf Freiheit und Sicherheit
Art. 9, 10, 11 IPBPR
griff in das Familienleben (Art. 17 IPBPR / Art. 8 EMRK) liegen, der nur bei Vorliegen besonderer Gründe (vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK) gerechtfertigt ist.1065 Auch eine Verletzung von Art. 19 oder Art. 6 IPBPR kann in Betracht kommen.1066 Im Einzelfall kann die Isolierung so schwerwiegend sein, dass auch Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR verletzt sind.1067 In Extremfällen werden sogar die Sorgen und Ängste naher Angehöriger, die jahrelang keine Auskunft über den Verbleib des Verschwundenen erhalten, als Verstoß gegen Art. 7 IPBPR gewertet.1068 Die Übergänge zu diesen schwereren Formen der Verletzung der Menschenwürde sind fließend. Es kommt immer auf eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls an, bei der es auch eine Rolle spielen kann, ob es sich um allgemein herrschende Missstände oder um eine bewusst gegen einzelne Gefangene gerichtete Maßnahme handelt. Ferner können das subjektive Empfinden der Betroffenen und das Motiv des für die Beeinträchtigung Verantwortlichen eine Rolle spielen, da es mitunter von diesem abhängt, ob ein Eingriff den Achtungsanspruch des Gefangenen verletzt.1069 Da in der EMRK eine dem Art. 10 IPBPR entsprechende Sondervorschrift fehlt, werden erniedrigende oder unmenschliche Haftbedingungen dort unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK behandelt.1070 2. Alle Fälle des Freiheitsentzuges. Sämtliche Arten und Formen der Freiheitsent- 399 ziehung im weiten Sinn der Art. 5 Abs. 1 EMRK / Art. 9 Abs. 1 IPBPR (vgl. Rn. 25 ff.) werden von Art. 10 Abs. 1 IPBPR erfasst, also nicht nur die Straf- oder Untersuchungshaft, sondern auch die präventiv-polizeiliche Verwahrung, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft oder eine sonstige Freiheitsentziehung durch staatliche oder dem Verantwortungsbereich des Staates zuzurechnende Stellen.1071 Auf Anlass und Zweck der Ingewahrsamnahme kommt es dabei ebenso wenig an wie auf deren Rechtmäßigkeit.1072 Der Staat ist für die Einhaltung dieser Anforderungen auch in privat betriebenen Gefängniseinrichtungen verantwortlich.1073
IV. Rechte eines Nichtverurteilten / Beschuldigten (Art. 10 Abs. 2 IPBPR) 1. Rechtsstellung nicht verurteilter Personen allgemein. Absatz 2 lit. a betrifft all- 400 gemein die Rechtsstellung nicht verurteilter Personen, d.h. inhaftierter Beschuldigter („accused persons“ / „prévenus“). Erfasst werden damit vor allem vorläufig Festgenommene, Untersuchungsgefangene und sonstige Personen, denen wegen des Verdachts einer Straftat im weiten Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR (dort Rn. 68 ff.) die Freiheit entzogen ist. Dazu zählen auch die zur Untersuchung ihres geistigen Zustandes vorläufig Untergebrachten. Als Nichtverurteilte wird diesen Personen der Anspruch auf eine Sonderstellung zuerkannt, die – ungeachtet des als Haftgrund notwen-
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Vgl. Art. 8 EMRK Rn. 98 ff. HRC El Abani/Libyan Arab Jamahiriya (Fn. 1064). Vgl. Art. 3 EMRK Rn. 83; HRC El Abani/Libyan Arab Jamahiriya (Fn. 1064). HRC El Abani/Libyan Arab Jamahiriya (Fn. 1064). Zur Auslegung des gleichartigen Begriffs
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erniedrigende Behandlung vgl. Art. 3 EMRK Rn. 71 ff. Vgl. Art. 3 EMRK Rn. 78 ff. Vgl. Art. 1 EMRK. Nowak 8. HRC Cabal u. Pasini/Australien, 19.9.2003, 1020/2001, §§ 7.2, 8.3; vgl. auch Nowak 15.
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digen Tatverdachts – aus der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 EMRK) folgt.1074 Im Grundsatz wird die getrennte Unterbringung von Nichtverurteilten (Untersuchungs401 gefangene bzw. vorläufig Untergebrachte) und Verurteilten gefordert.1075 Nur das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände rechtfertigt eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen. Diese Ausnahme vom Grundsatz der strikten Trennung ist bewusst eng auf besonders gelagerte Ausnahmefälle begrenzt worden.1076 Der Grundsatz der Trennung fordert keine Unterbringung in verschiedenen Anstalten oder verschiedenen Gebäuden, wohl aber in getrennten Schlaf- und Aufenthaltsräumen, so dass ein längeres Zusammensein mit Strafgefangenen vermieden wird.1077 Dass Verurteilte bei Reinigungsarbeiten und als Essensträger mit den U-Gefangenen zusammenkommen, ist mit Art. 10 Abs. 2 lit. a IPBPR vereinbar, vorausgesetzt, dass die Kontakte auf das für die Aufgabenerfüllung unerlässliche Minimum beschränkt sind.1078
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2. Jugendliche Beschuldigte. Jugendliche Beschuldigte sind nach Absatz 2 lit. b getrennt von Erwachsenen unterzubringen, und zwar sowohl von Untersuchungs- als von Strafgefangenen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nicht vorgesehen;1079 hinsichtlich der Stringenz der Absonderung sind noch schärfere Anforderungen an die Modalitäten der Verwahrung zu stellen als bei der Trennung der erwachsenen Untersuchungsgefangenen von den Strafgefangenen. Wie das Gebot der strikten Trennung durchzuführen ist, hängt auch hier von den tatsächlichen Verhältnissen, den räumlichen Gegebenheiten und der Praxis der Verwahrungsorgane ab und nicht so sehr davon, ob die Gebäude getrennt sind. Wer als Jugendlicher anzusehen ist, bestimmt sich, da keine Altersgrenze festgelegt ist, 403 ebenso wie bei Art. 14 Abs. 4 IPBPR, nach nationalem Recht. Dieses kann die Altersgrenze allerdings nur innerhalb der Bandbreite des im jeweiligen Kulturkreis Üblichen festlegen. Die Obergrenze muss aber nicht, wie in Art. 6 Abs. 5 IPBPR, notwendig bei 18 Jahren liegen. Dies bestätigt Art. 1 CRC,1080 wonach als Kind jeder Mensch anzusehen ist, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sofern nach dem auf ihn anwendbaren nationalen Recht die Volljährigkeit nicht bereits früher eintritt. So schnell wie möglich muss die Sache der in Haft befindlichen Jugendlichen entschie404 den werden („brought as speedily as possible for adjudication“ / „il est décidé de leur cas
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HRC General Comment 9/16 Nr. 2, 4. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Nowak 15 ff. vgl. ferner BGH JR 2004 292 mit Anm. Deiters; LR/Hilger § 119, 192 StPO. Siehe hierzu auch § 41 Abs. 3 BPolG (Behandlung festgehaltener Personen): „Die festgehaltene Person soll gesondert, insbesondere ohne ihre Einwilligung nicht in demselben Raum mit Straf- oder Untersuchungsgefangenen untergebracht werden.“; HRC Komarovski/Turkmenistan (Fn. 107), § 7.5 (Verletzung von Art. 10 Abs. 2 lit. a IPBPR). Vgl. Nowak 19. Vgl. Nowak 19 („gesonderte Abteilungen“).
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HRC Pinkney/Kanada, 29.10.1981, 27/1978 § 30. HRC General Comment 9/16 Nr. 2; General Comment 21/44 Nr. 15. Zur Kritik an der strikten Fassung und den Vorbehalten verschiedener Staaten vgl. Nowak 22; Tomuschat ZaöRV 44 (1984) 564. Art. 37 lit. c CRC lässt Ausnahmen von der getrennten Verwahrung zu, wenn dies für das Wohl des Kindes als dienlich erachtet wird. Vgl. aber auch Art. 17 lit. a CRC, der für Straftaten, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres begangen wurden, die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung ausschließt.
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Art. 9, 10, 11 IPBPR
aussi rapidement que possible“). An den Grad der Beschleunigung werden höhere Anforderungen gestellt als in Art. 9 Abs. 3 bzw. Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK), die eine Aburteilung in angemessener Frist bzw. ohne unangemessene Verzögerung fordern. Der Zweck dieses besonderen Beschleunigungsgebotes, das dem § 72 Abs. 5 JGG entspricht, liegt darin, dass die Untersuchungshaft bei Jugendlichen so kurz wie möglich gehalten werden soll. Auch Art. 37 lit. d CRC fordert, dass über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung alsbald durch ein Gericht oder eine andere unparteiische und unabhängige Stelle entschieden wird. Wird der Jugendliche aus der Haft entlassen, entfällt der Anspruch auf besonders beschleunigte Erledigung.1081 Es richtet sich nach dem nationalen Recht, von wem und in welcher Form das Verfahren gegen den beschuldigten Jugendlichen abgeschlossen wird. Dies muss nicht notwendig ein Urteil sein, auch andere Entscheidungen genügen, auch solche durch nichtrichterliche Organe.1082
V. Strafgefangene (Art. 10 Abs. 3 IPBPR) Die Resozialisierung der Strafgefangenen wird in Absatz 3 als einer der Strafzwecke 405 festgeschrieben. Dass die Strafhaft „vornehmlich“ diesem Zwecke dienen soll, zeigt seine Bedeutung.1083 Es bestätigt aber zugleich, dass dieser Zweck nicht das alleinige Strafziel sein muss, so dass mit der Haft auch noch andere Zwecke verfolgt werden dürfen.1084 Durch welche konkreten Maßnahmen das Ziel der Besserung und sozialen Wiedereingliederung gefördert werden soll, wird nicht näher festgelegt. Abgesehen von den Vorgaben durch andere Zielsetzungen des Art. 10 IPBPR, die wie die Achtung der Menschenwürde, die getrennte Verwahrung und der jugendgerechte Strafvollzug auch der Resozialisierung dienlich sind, haben die Staaten einen großen autonomen Gestaltungsraum. Innerhalb dessen können sie den Strafvollzug so gestalten, wie es ihnen in Berücksichtigung der Besonderheiten ihrer Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialordnung und sonstiger Erkenntnisse zweckdienlich erscheint, um in den Gefangenen die Fähigkeit und den Willen zur verantwortlichen und rechtstreuen Lebensführung in der Gemeinschaft zu erwecken oder zu festigen. Hierzu zählt etwa ein sinnvoller Arbeitseinsatz, die Förderung der Allgemeinbildung und der beruflichen Aus- und Weiterbildung und die Pflege des Kontaktes mit Angehörigen.1085 Völlig untätig im Sinne eines Bemühens um Resozialisierung dürfen die Staaten aber nicht bleiben.1086 Die Trennung der jugendlichen Straftäter von den Erwachsenen, die Absatz 3 Satz 2 406 für den Strafvollzug vorschreibt, soll ebenfalls der Förderung der Resozialisierung der Jugendlichen dienen.1087 Diese Zielsetzung ist auch für die von Absatz 3 Satz 2 geforderte jugendgerechte Ausgestaltung des Strafvollzugs vorgegeben.1088 Auch hier hat das
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Nowak 24. Nowak 24. Vgl. auch BVerfGE 35 235 („herausragendes Ziel“); 45 239. Nowak 25. Hofmann 34; Nowak 25. Vgl. HRC General Comment 9/16 Nr. 3 (engl. Text Nowak 882); General Comment 21/44 (engl. Text DoswaldBeck/Kolb S. 352).
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Art. 37 lit. c CRC lässt Ausnahmen vom Gebot der getrennten Verwahrung zu, wenn dies für das Wohl des Kindes als dienlich erachtet wird. Art. 40 Abs. 4 CRC stellt die Dienlichkeit für das Wohl des Kindes als Leitlinie der verschiedenen staatlichen Maßnahmen heraus.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
nationale Recht hinsichtlich der besonderen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs einen großen Gestaltungsraum, innerhalb einer gewissen Bandbreite kann es auch die Altersgrenzen des Personenkreises festlegen, der von dieser Sonderform des Strafvollzugs erfasst werden soll. Die Rec(2006)2 des Ministerkommitees des Europarates (Rn. 397) stellt Richtlinien für den Strafvollzug auf (European Prison Rules) und sieht insbesondere die Trennung des Strafvollzugs für Häftlinge unter 18 Jahren vom Erwachsenenstrafvollzug vor.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) EMRK Artikel 6 Recht auf ein faires Verfahren (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. (2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. (3) Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in alle Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; d) Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; e) unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. IPBPR Artikel 14 (1) Alle Menschen sind vor Gericht gleich. Jedermann hat Anspruch darauf, dass über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird. Aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung (ordre public) oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft oder wenn es im Interesse des Privatlebens der Parteien erforderlich ist oder – soweit dies nach Auffassung des Gerichts unbedingt erforderlich ist – unter besonderen Umständen, in denen die Öffentlichkeit des Verfahrens die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, können Presse und Öffentlichkeit während der ganzen oder eines Teils der Verhandlung ausgeschlossen werden; jedes Urteil in einer Straf- oder Zivilsache ist jedoch öffentlich zu verkünden, sofern nicht die Interessen Jugendlicher dem entgegenstehen oder das Verfahren Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über Kinder betrifft. (2) Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat Anspruch darauf, bis zu dem im gesetzlichen Verfahren erbrachten Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten.
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(3) Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auf folgende Mindestgarantien: a) Er ist unverzüglich und im einzelnen in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Anklage zu unterrichten; b) er muss hinreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung und zum Verkehr mit einem Verteidiger seiner Wahl haben; c) es muss ohne unangemessene Verzögerung ein Urteil gegen ihn ergehen; d) er hat das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen; falls er keinen Verteidiger hat, ist er über das Recht, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten; fehlen ihm die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers, so ist ihm ein Verteidiger unentgeltlich zu bestellen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; e) er darf Fragen an die Belastungszeugen stellen oder stellen lassen und das Erscheinen und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter den für die Belastungszeugen geltenden Bedingungen erwirken; f) er kann die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht; g) er darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. (4) Gegen Jugendliche ist das Verfahren in einer Weise zu führen, die ihrem Alter entspricht und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fördert. (5) Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil entsprechend dem Gesetz durch ein höheres Gericht nachprüfen zu lassen. (6) Ist jemand wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben oder der Verurteilte begnadigt worden, weil eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag, so ist derjenige, der auf Grund eines solchen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend dem Gesetz zu entschädigen, sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihm zuzuschreiben ist. (7) Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden. Das Ratifizierungsgesetz vom 15.11.1973 (BGBl. I 1533) schränkt aufgrund eines Vorbehalts der Bundesrepublik bei der Ratifikation die Anwendbarkeit des Art. 14 IPBPR wie folgt ein: Artikel 1 Dem … Pakt … wird mit folgender Maßgabe zugestimmt: (1) … 2. Artikel 14 Abs. 3 lit. d des Paktes wird derart angewandt, dass die persönliche Anwesenheit eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten zur Revisionshauptverhandlung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. 3. Artikel 14 Abs. 5 des Paktes wird derart angewandt, dass a) ein weiteres Rechtsmittel nicht in allen Fällen allein deshalb eröffnet werden muss, weil der Beschuldigte in der Rechtsmittelinstanz erstmals verurteilt worden ist und b) bei Straftaten von geringer Schwere die Überprüfung eines nicht auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils durch ein Gericht höherer Instanz nicht in allen Fällen ermöglicht werden muss.
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Schrifttum (Auswahl) Allgemein Ambos Europarechtliche Vorgaben für das deutsche Strafverfahren, Teil I, NStZ 2002 628; Teil II, NStZ 2003 14; Böing/Martin/Rüping Der Schutz der Menschenrechte im Strafverfahren – Beiträge zum XII. Internationalen Strafrechtskongreß, ZStW 91 (1971) 351; Cape/Hodgson/Prakken/Spronken Suspects in Europe – Procedural Rights at the Investigative Stage of the Criminal Process in the European Union (2007); Cremer Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationalen Zivilgerichten, AVR 41 (2003) 137; DoswaldBeck/Kolb Judicial Process and Human Rights, Text and summaries of international case-law (2004); Eisele Die Berücksichtigung der Beschuldigtenrechte der EMRK im deutschen Strafprozess aus dem Blickwinkel des Revisionsrechts, JR 2004 12; ders. Die einzelnen Beschuldigtenrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention, JA 2005 901; Ernst Die Haltung Deutschlands und Frankreichs zur EMRK unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung des Art. 6 III in den beiden Staaten (1994); Esser Mindeststandards einer Europäischen Strafprozessordnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, StraFo 2003 335; Hahn Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und das steuerliche Verfahrensrecht, DStZ 2001 453; 501; Heine Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Rahmen der Europäisierung des Strafverfahrens (2009); Herzog Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege (1995); Hörtnagl-Seidner Abgabensachen und verfahrensrechtliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK, ÖStZ 2009 81; Hussner Die Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 EMRK in der neuen Strafprozessordnung Russlands (2008); Jacobs/White/Ovey The European Convention on Human Rights (2010); Jung Die EMRK und das deutsche Strafrecht – eine Fallstudie am Beispiel des Begriffs der „strafrechtlichen Anklage“ i.S.d. Art. 6, EuGRZ 1996 370; ders. „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ contra „schützende Formen“ – ein prozessualer Klassiker im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, GA 2003 191; Kieschke Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht (2003); Kirsch Schluss mit lustig! Verfahrensrechte im Europäischen Strafrecht, StraFo 2008 449; Kruis Der Einfluß der MRK auf den deutschen Strafprozess, StraFo 2003 34; Kühl Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 100 (1988) 406; 601; Kühne Die Rechtsprechung des EGMR als Motor für eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001 73; ders. Nachholbedarf im österreichischen Strafverfahrensrecht? ÖJZ 2002 741; Matscher Art. 6 EMRK und verfassungsgerichtliche Verfahren, EuGRZ 1993 449; Mattil Zur Anwendung des Abschnittes I der Europäischen Menschenrechtskonvention, JR 1965 167; May/Wierda International Criminal Evidence (2002); Meyer-Goßner Die Verteidigung vor dem Bundesgerichtshof und dem Instanzgericht, FS II BGH 615; Nack Deutsches Strafverfahrensrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, FS G. Schäfer 46; Oswald Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention (2010); Perron Auf dem Weg zu einem Europäischen Ermittlungsverfahren? ZStW 112 (2000) 202; Pieck Der Anspruch auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren: Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention in seiner Bedeutung für das deutsche Verfahrensrecht (1966); Poncet La protection de l’accusé par la convention européenne de droits de l’homme (1977); Ratz Grundrechte in der Strafjudikatur des OGH, ÖJZ 2006 318; ders. Zur Bedeutung der Entscheidungen des EGMR in der Praxis des OGH, ÖRiZ 2007 166; Rill Die Art. 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Praxis der Straßburger Organe und des Verfassungsgerichtshofes, FS Winkler 16; Roth Der Anspruch auf öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK im verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittelverfahren, EuGRZ 1998 495; ders. Zivilrechtsbegriff der Menschenrechtskonvention, ÖJZ 1965 511; Rudolf/Giese Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren? ZRP 2007 113; Rüping Der Schutz der Menschenrechte im Strafverfahren, ZStW 91 (1979) 351; Safferling Towards an International Criminal Procedure (2001); ders. Die EMRK und das Völkerstrafprozessrecht in: Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht (2004) 137; Satlanis Die Subjektstellung des Beschuldigten im griechischen Strafverfahren unter den strafprozessualen Garantien des Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1988); Satzger Der Einfluss der EMRK auf das deutsche Straf- und Strafprozessrecht – Grundlagen und wichtige Einzelprobleme,
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Jura 2009 759; Schäffler Zivilrechtsbegriff der Menschenrechtskonvention, ÖJZ 1965 511; Scheffler Die Mindeststandards des Europarates vs. die Mindeststandards des Rates der Europäischen Union, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen (2007) 97; Schirinsky Die Umsetzung der Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung (2006); Schmidt-Aßmann Neue Entwicklungen zu Art. 6 EMRK und ihr Einfluß auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, FS Schmitt-Glaeser 317; Schmoller Verlesung früherer Aussagen trotz berechtigter Zeugnisentschlagung? ÖRZ 1987 192; Schroth Europäische Menschenrechtskonvention und Ordnungswidrigkeitenrecht, EuGRZ 1985 557; Schubarth Die Art. 5 und 6 der Konvention, insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Strafprozessrecht, ZST 94 (1975) 465; Schuska Die Rechtsfolge von Verstößen gegen Art. 6 EMRK und ihre revisionsrechtliche Geltendmachung (2006); Simon Die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK (1998); Sommer Neue Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, StraFo 1999 402; Streinz Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihre Auswirkungen auf das deutsche Recht, in: Matscher (Hrsg.), Erweitertes Grundrechtsverständnis (2003) 139; Tiedemann Die Reformbewegungen im Strafverfahren und der Schutz der Menschenrechte, ZStW 104 (1992) 712; Tiedemann 13 Thesen zu einem modernen, menschenrechtsorientierten Strafprozeß, ZRP 1992 107; Trechsel Straßburger Rechtsprechung zum Strafverfahren, JR 1981 133; ders. Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Schweiz, ZStW 100 (1988) 667; ders. Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Strafrecht, ZStW 101 (1989) 819; ders. Die EKMR und die schweizer Rechtsordnung, EuGRZ 1991 84; ders. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, StV 1992 187; Trifterer/Binner Zur Einschränkbarkeit der Menschenrechte und zur Anwendbarkeit strafprozessualer Verfahrensgarantien, EuGRZ 1977 136; Uerpmann Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung (1993); Ulsamer Art. 6 Menschenrechtskonvention und deutsche Strafverfolgungspraxis, FS Zeidler 1799; Velu Jacques Le problème d’application aux juridictions administratives des regles de la relatives à la publicité des audiences et des jugements, RDIDC 1960-1961 129; Vogel/Matt Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007 206; Vogler Die Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Bedeutung für das deutsche Straf- und Strafverfahrensrecht, ZStW 82 (1970) 743; ders. Straf- und strafverfahrensrechtliche Fragen in der Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZStW 89 (1977) 761; Wächtler Verfahrensrechte in Strafsachen in Europa, StV 2007 220; Weh Der Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK: Das Ende des „cautious approach“ und seine Auswirkungen in den Konventionsstaaten, EuGRZ 1988 433; ders. Für und Wider den „cautious appoach“ / civil rights und strafrechtliche Anklage (Art. 6 MRK) in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, EuGRZ 1985 469; Weiss Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1954); Woesner Die MRK in der deutschen Strafrechtspflege, NJW 1961 1381; Wolter Menschenwürde und Freiheit im Strafprozess, GedS Meyer 493. Zugang zu einem unabhängigen und unparteilichen Gericht – Verfahrensgrundsätze Bucherer Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (2005); Espenhain Strafrechtliche Anklage und Recht auf ein Gericht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, EuGRZ 1981 15; Herbst Die Bedeutung des Öffentlichkeitsgebotes des Art. 6 Abs. 1 EMRK für Verhandlungen im österreichischen Verwaltungsverfahren, JBl. 1990 289; Kloth Immunities and the Right of Access to Court under Article 6 (1) of the European Convention on Human Rights (2008); Kühne Ausschluß der Öffentlichkeit im Strafverfahren, NJW 1971 224; Lienbacher Der Öffentlichkeitsgrundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im österreichischen Verfassungsrecht, ÖJZ 1990 425; 515; Lippold Der Richter auf Probe im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention, NJW 1991 2383; Malsch Democracy in the Courts – Lay Participation in European Criminal Justice Systems (2009); Matscher Der Gerichtsbegriff der EMRK, FS Baumgärtel 363; Müßig Der gesetzliche Richter im historischen Vergleich von der Kanonistik bis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, unter beson-
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derer Berücksichtigung der Rechtsentwicklung in Deutschland, England und Frankreich (2009); dies. The Common Legal Tradition of a Court Established by Law: Historical Foundations of Art. 6 para. 1 European Convention on Human Rights, American Journal of Legal History 2005 161; Roth Der Anspruch auf öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK im verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittelverfahren, EuGRZ 1998 495; Steinfatt Die Unparteilichkeit des Richters in Europa im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Diss. Saarbrücken 2011; Trechsel Gericht und Richter nach der EMRK, GedS Noll 385; van Dijk The applicability in administrative procedures of the right of access to court under Article 6 and the right to an effective remedy under Article 13 of the European Convention on Human Rights: The Case of Bulgaria, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Rule of Law Program South East Europe (2008); Wallner Die Ausgeschlossenheit von Richtern im österreichischen Strafprozess unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse des Art. 6 EMRK (2000); Wyss Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren und Fernsehöffentlichkeit, EuGRZ 1996 1. Fairnessgrundsatz / Waffengleichheit (Allgemein) Bottke Fairness im Strafverfahren gegen Bekannt, FS Roxin 1243; Brause Faires Verfahren und Effektivität im Strafprozeß, NJW 1992 2865; Brooks (Hrsg.), The Right to a Fair Trial (2009); Dörr Faires Verfahren (1984); Gaede Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2008); Geppert Zum „fair-trial-Prinzip“ nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Jura 1992 597; Haase Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene (2007); Hamm Die Entdeckung des „fair trial“, FS Salger 273; Heubel Der „fair trial“ – ein Grundsatz des Strafverfahrens (1981); Hollaender Die „Fairness“ des Strafverfahrens“ und das „richtige Verfahrensergebnis“, AnwBl. 2005 275; Hübner Allgemeine Verfahrensgrundsätze, Fürsorgepflicht oder fair trial? (1983); Johnigk Das faire Verfahren nach Art. 6 EMRK, in: DACH, Europäische Anwaltsvereinigung e.V., Tagung in Bregenz vom 15.–17. Mai 2003 (2005); Kamardi Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips (2009); Kohlmann Waffengleichheit im Strafprozeß? FS Peters 311; Oswald Der verfassungsrechtliche Anspruch auf ein faires Verfahren, JZ 1979 99; Pache Das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozess, NVwZ 2001 1342; ders. Der Grundsatz des fairen gerichtlichen Verfahrens auf europäischer Ebene, EuGRZ 2000 601; Peukert Die Garantie des „fair trial“ in der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980 247; Rzepka Zur Fairness im deutschen Strafverfahren (2000); Samson The Right to a Fair Criminal Trial in German Criminal Proceedings Law, in: Weissbrodt/Wolfrum (Hrsg.), The Right to a Fair Trial (1998) 513; Sandermann Waffengleichheit im Strafprozeß (1975); H.-C. Schaefer Das Fairneßgebot für den Staatsanwalt, FS Rieß 491; Schappei Grundsätze des „fair trial“ innerhalb nichtstaatlicher Strafgerichtsbarkeit (1980); Schroeder Der Geltungsbereich der Menschenrechte in den Stadien des Strafverfahrens, in: 140 Jahre Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (1993) 205; ders. Die Gesamtprüfung der Verfahrensfairness durch den EGMR, GA 2003 293; Steiner Das Fairneßprinzip im Strafprozeß (1995); Schwaighofer Fairness und Gerechtigkeit im Strafverfahren, FS Miklau 511; Summers The European Criminal Procedural Tradition and the European Court of Human Rights (2007); Tettinger Fairneß und Waffengleichheit (1984); Walther Zum Anspruch des Deliktsopfers auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren, GA 2007 615; Weissbrodt/Wolfrum (Hrsg.), The Right to a fair trial (1998); Yenisey Der Begriff des „fair trial“ im türkischen Recht unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, FS Schroeder 2006. Tatprovokation Conen Die neuere Rechtsprechung des EGMR zur unzulässigen Tatprovokation – Neue Chancen zur Verteidigung in entsprechenden Konstellationen? StRR 2009 84; Dann Staatliche Tatprovokation im deutschen, englischen und schottischen Recht (2006); Esser Lockspitzel und V-Leute in der Rechtsprechung des EGMR – Strafrechtliche Ermittlungen jenseits der StPO – außerhalb des Gesetzes? in: Schriftenreihe Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), 35. Strafverteidigertag Berlin (2011); Gaede/Buermeyer Beweisverwertungsverbote und „Beweislastumkehr“ bei unzulässigen Tatprovokationen nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR, HRRS 2008 279; Ott Verdeckte
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Ermittlungen im Strafverfahren (2008); Maluga Tatprovokation Unverdächtiger durch V-Leute (2006); van Gemmeren Tatprovokation, FS G. Schäfer 28. Beweiserhebung und Beweisverwertung Ahlbrecht Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisanordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006 70; Esser Auswirkungen der Europäischen Beweisanordnung auf das deutsche Strafverfahren, FS Roxin II 1497; ders. Mindestanforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention an den strafprozessualen Beweis, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts (2007) 39; ders. Anforderungen der EMRK an den strafprozessualen Sachverständigenbeweis, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004) 35; Gazeas Die Europäische Beweisanordnung – Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung? ZRP 2005 18; Gleß Die Verkehrsfähigkeit von Beweisen im Strafverfahren, ZStW 115 (2003) 131; dies. Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung (2006); dies. Beweisverbote in Fällen mit Auslandsbezug, JR 2008 317; Jung Faires Verfahren und menschenrechtswidrige Beweiserhebung, GA 2009 651; Krüßmann Grenzüberschreitender Beweistransfer durch Europäische Beweisanordnung? StraFo 2008 458; Lubig/Sprenger Beweisverwertungsverbote aus dem Fairnessgebot des Art. 6 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR, ZIS 2008 433; Marauhn Bausteine eines europäischen Beweisrechts (2007); Warnking Strafprozessuale Beweisverbote in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Recht (2009). Angemessene Verfahrensdauer Bien/Guillaumont Innerstaatlicher Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer, EuGRZ 2004 451; Brett Verfahrensdauer bei Verfassungsbeschwerdeverfahren im Horizont der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK (2009); Britz/Pfeifer Rechtsbehelf gegen unangemessene Verfahrensdauer im Verwaltungsprozeß, DÖV 2004 245; Kier Das Beschleunigungsgebot in der jüngsten Rechtsprechung des OGH in Strafsachen, ÖJZ 2006 887; Kraatz Die neue „Vollstreckungslösung“ und ihre Auswirkungen, JR 2008 189; Kramer Die Europäische Menschenrechtskonvention und die angemessene Dauer von Strafverfahren und Untersuchungshaft (1973); Krehl/Eidam Die überlange Dauer von Strafverfahren, NStZ 2006 1; Krumm Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung bei langer Verfahrensdauer, NJW 2004 1627; Kühne Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Verfahrensdauer in Strafsachen (Fallauswertung für das Jahr 2000/2001), StV 2001 529; Küng-Hofer Die Beschleunigung des Strafverfahrens unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit (1984); Lansnicker/Schwirtzek Rechtsverhinderung durch überlange Verfahrensdauer, NJW 2001 1669; Meyer-Ladewig Rechtsbehelfe gegen Verzögerungen im gerichtlichen Verfahren – Zum Urteil des EGMR Kudla/Polen, NJW 2001 2679; Peukert Die überlange Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EKMR) in der Rechtsprechung der Straßburger Instanzen, EuGRZ 1979 261; Priebe Die Dauer von Gerichtsverfahren im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes, FS v. Simson 287; Proff Hauser Die Bedeutung des Beschleunigungsgebots im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK für das zürcherische Strafverfahren (1998); Ramos Tapia Effective Remedies for the Violation of the Right to Trial within a Reasonable Time in Criminal Proceedings, eucrim 2010 168; Ress Probleme überlanger Strafverfahren im Lichte der EMRK, FS Müller-Dietz 627; Roller Der Gesetzentwurf eines Untätigkeitsbeschwerdegesetzes, DRiZ 2007 82; Scheffler Die überlange Dauer von Strafverfahren (1991); Schlette Der Anspruch auf Rechtsschutz innerhalb angemessener Frist – Ein neues Prozeßgrundrecht auf EG-Ebene, EuGRZ 1999 364; Schmitt Die überlange Verfahrensdauer und das Beschleunigungsgebot in Strafsachen, StraFo 2008 313; Steger Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten (2008); Steinbeiß-Winkelmann Überlange Gerichtsverfahren – der Ruf nach dem Gesetzgeber, ZRP 2007 177; Tiwisina Rechtsfragen überlanger Verfahrensdauer nach nationalem Recht und der Europäischen Menschenrechtskonvention (2010); Thienel Die angemessene Verfahrensdauer. Art. 6 Abs. 1 MRK in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, ÖJZ 1993 473; Ulsamer Art. 6 Menschenrechtskonvention und die Dauer von Strafverfahren, FS Faller 373; Ulsenheimer Zur Problematik der überlangen Verfahrensdauer und richterlichen Aufklärungspflicht im Strafprozess sowie zur Frage der Steuerhinterziehung durch
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Steuerumgehung, wistra 1983 12; Vorwerk Kudla gegen Polen – Was kommt danach? JZ 2004 553; Waßmer Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen im Strafverfahren als Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen, ZStW 118 (2006) 159; Wittling-Vogel/Ulick Kriterien für die Bewertung der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK, DRiZ 2008 87; Wohlers Rechtsfolgen prozeßordnungswidriger Untätigkeit von Strafverfolgungsorganen, JR 1994 138. Unschuldsvermutung Blumenstein Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen der Begehung einer neuen Straftat nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (1995); Demko Zur Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK bei Einstellung des Strafverfahrens und damit verknüpften Nebenfolgen, HRRS 2007 286; Frister Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts (1988); ders. Zur Bedeutung der Unschuldsvermutung und zum Problem gerichtskundiger Tatsachen, Jura 1988 356; Frowein Bedeutung der Unschuldsvermutung in Art. 6 (2) EMRK, FS Huber 553; Geppert Grundlegendes und Aktuelles zur Unschuldsvermutung der Europ. Menschenrechtskonvention, Jura 1993 160; Gropp Zum verfahrenslimitierenden Wirkungsgehalt der Unschuldsvermutung, JZ 1991 804; Guradze Schweigerecht und Unschuldsvermutung im englisch-amerikanischen und bundesdeutschen Strafprozeß, FS Loewenstein 151; Haberstroh Unschuldsvermutung und Rechtsfolgenausspruch, NStZ 1984 289; Hacker/Hoffmann Zur Frage der strafschärfenden Berücksichtigung eines Freispruchs aus einem früheren Strafverfahren, JR 2007 452; Heger Der Tod des Beschuldigten vor Rechtskraft des Urteils und die Unschuldsvermutung, GA 2009 45; Hruschka Die Unschuldsvermutung in der Rechtsphilosophie der Aufklärung, ZStW 112 (2000) 285; Humborg Der Ausschluß der Öffentlichkeit bei der Vorstrafenerörterung, NJW 1966 1015; Isfen Feststellungen im Strafurteil über gesondert Verfolgte und Unschuldsvermutung, StV 2009 611; Jebens The Scope of the Presumption of Innocence in Article 6 § 2 of the Convention – Especially on its Reputation-Related Aspect, Liber Amicorum Wildhaber (2007) 207; Köster Die Rechtsvermutung der Unschuld (1979); Kraus Der Bewährungswiderruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB und die Unschuldsvermutung: das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Böhmer und seine Auswirkungen (2007); Krauß Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik (1971) 153; Krumm Bewährungswiderruf trotz Unschuldsvermutung? NJW 2005 1832; Kühl Zur Beurteilung der Unschuldsvermutung bei Einstellungen und Kostenentscheidungen, JR 1978 94; ders. Haftentschädigung und Unschuldsvermutung, NJW 1980 806; ders. Unschuldsvermutung, Freispruch und Einstellung (1983); ders. Unschuldsvermutung und Einstellung des Strafverfahrens, NJW 1984 1264; ders. Rückschlag für die Unschuldsvermutung in Straßburg, NJW 1988 3232; ders. Persönlichkeitsschutz des Tatverdächtigen durch die Unschuldsvermutung, FS Hubmann 241; Liemersdorf/Miebach Strafprozessuale Kostenentscheidung im Widerspruch zur Unschuldsvermutung, NJW 1980 371; Lilie Unschuldsvermutung und „Beweislastumkehr“, FS Schroeder 829; Lindner Der Verfassungsrechtssatz von der Unschuldsvermutung, AöR 133 (2008) 235; Karlheinz Meyer Die Grenzen der Unschuldsvermutung, FS Tröndle 61; Mrozynski Die Wirkung der Unschuldsvermutung auf spezialpräventive Zwecke des Strafrechts, JZ 1978 255; Neubacher Der Bewährungswiderruf wegen einer neuen Straftat und die Unschuldsvermutung. Zugleich Besprechung von EGMR, Urteil vom 3.10. 2002, GA 2004 402; Nierwetberg Keine Kostenbelastung des Beschuldigten bei Einstellung nach § 383 II StPO vor Schuldspruchreife, NJW 1989 1978; Ostendorf Unschuldsvermutung und Bewährungswiderruf, StV 1990 230; Peglau Unschuldsvermutung und Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, ZRP 2003 242; ders. Bewährungswiderruf und Unschuldsvermutung, NStZ 2004 248; Reiß Auswirkungen der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der EMRK im Steuerrecht, GedS Trzaskalik 473; Schubarth Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (1978); Seher Bewährungswiderruf wegen Begehung einer neuen Straftat, ZStW 118 (2006) 101; Seifert § 56f I 1 Nr. 1 StGB – Der Bewährungswiderruf infolge einer neuerlichen Straftat in der Praxis, Jura 2008 684; Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998); dazu Besprechungsaufsatz Schulz GA 2001 226 und Erwiderung Stuckenberg GA 2001 583; ders. Die normative Aussage der Unschuldsvermutung, ZStW 111 (1999) 422; ders. Strafschärfende Verwertung früherer Einstellungen und Freisprüche – doch ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung? StV 2007 655; Teske Die Bedeutung der Unschuldsvermutung bei Einstellung gemäß §§ 153,
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153a StPO im Steuerstrafverfahren, wistra 1989 131; Trechsel Struktur und Funktion der Vermutung der Schuldlosigkeit. Ein Beitrag zur Auslegung von Art. 6 Ziff. 2 EMRK, SchwJZ 1981 317; Verrel Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren (2001); Vogler Die strafschärfende Verwertung strafbarer Vor- und Nachtaten bei der Strafzumessung und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK), FS Kleinknecht 429; ders. Zum Aussetzungswiderruf wegen einer neuen Straftat (§ 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB), FS Tröndle 423; Walter Die Beweislast im Strafprozeß, JZ 2006 340; Weiß Haben juristische Personen ein Aussageverweigerungsrecht? JZ 1998 289; Westerdiek Die Straßburger Rechtsprechung zur Unschuldsvermutung bei der Einstellung von Strafverfahren, EuGRZ 1987 393; Wita Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung vor Aburteilung der Anschlusstat (2006). Recht auf effektive Verteidigung / Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung Ambos Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Verfahrensrechte, ZStW 115 (2003) 583; Beijer False Confessions during Police Interrogations and Measures to Prevent Them, EurJCrimeCrLJ 2010 311; Degener Das Fragerecht des Strafverteidigers gem. § 240 Abs. 2 StPO, StV 2002 618; Demko Die gerichtliche Fürsorgepflicht zu Wahrung einer „tatsächlichen und wirksamen“ Verteidigung im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, HRRS 2006 250; ders. Das Recht des Angeklagten auf unentgeltlichen Beistand eines staatlich bestellten Verteidigers und das Erfordernis der »interests of justice«, HRRS-FG Fezer 1; Fahrenhorst Art. 6 EMRK und die Verhandlung gegen Abwesende, EuGRZ 1985 629; Fleischer Das Schweigerecht des Beschuldigten, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004) 77; Frister Der Anspruch des Beschuldigten auf Mitteilung der Beschuldigung aus Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK, StV 1998 159; Fromm Die Verteidigung in Auslieferungsverfahren nach IRG, StRR 2011 208; Gaede Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2008); ders. Menschenrechtliche Fragezeichen hinter der Zurückhaltung von Beweismitteln im deutschen Strafverfahren, HRRS 2004 44; ders. Die besonders vorsichtige Beweiswürdigung bei der exekutiven Sperrung von Beweismaterial im Konflikt mit dem Offenlegungsanspruch des Art. 6 I 1 EMRK, StraFo 2004 195; ders. Ungehobene Schätze in der Rechtsprechung des EGMR für die Verteidigung? HRRS-FG Fezer 21; Hussner Die Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 EMRK in der neuen Strafprozessordnung Russlands (2008); Kolz Neue Wege zur Einführung des Wissens anonymer Gewährsleute in das Strafverfahren, FS G. Schäfer 35; Kortz Die Notwendigkeit der Verteidigung im Strafverfahren (2009); Kratzsch Notwendige Verteidigung – ein aufgedrängtes Menschenrecht? in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004) 65; Krauß V-Leute im Strafprozess und die Europäische Menschenrechtskonvention (1999); Kühne Anwaltlicher Beistand und das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren, EuGRZ 1996 571; Meyer-Mews Die Völkerrechts- und Konventionswidrigkeit des Verwerfungsurteils gem. § 329 I 1 StPO, NJW 2002 1928; Niemöller Die Hinweispflicht des Tatrichters bei Abweichungen vom Tatbild der Anklage (1988); Paul Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem (2007); Spaniol Das Recht auf Verteidigerbeistand im Grundgesetz und in der europäischen Menschenrechtskonvention (1990); Trechsel Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, SchwZStR 96 (1979) 337; Warnking Die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung – Menschenrecht oder verfahrensrechtliche Obliegenheit, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004) 55; Wessing Zeugnisverweigerungsrechte ausländischer Strafverteidiger, wistra 2007 171; Wohlers Notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren – die Bedeutung des Rechts auf konkrete und wirksame Verteidigung i.S.d. Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK als Maßstab für die Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO, FS Rudolphi 713; Wohlers Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers: zur Umsetzung des Anspruchs auf Verteidigung in den Fällen erbetener Verteidigung, StV 2007 376. Recht auf Zugang zur Verfahrensakte Börner Akteneinsicht nach Durchsuchung und Beschlagnahme, NStZ 2007 680; ders. Grenzfragen der Akteneinsicht nach Zwangsmaßnahmen, NStZ 2010 417; Burhoff Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers nach § 147 StPO, HRRS 2003 182; Deumeland Schadenersatzanspruch bei Verweigerung des persönlichen Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten in Strafverfahren, r+s
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2005 365; Gaede Menschenrechtliche Fragezeichen hinter der Zurückhaltung von Beweismitteln im deutschen Strafverfahren, HRRS 2004 44; Gröger Das Akteneinsichtsrecht im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (2008); Marberth/ Kubicki Die Akteneinsicht in der Praxis, StraFo 2003 366; Schäfer Die Einsicht in Strafakten durch Verfahrensbeteiligte und Dritte, NStZ 1985 198; Walischewski Probleme des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung im Ermittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1998); ders. Das Recht auf Akteneinsicht bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren, StV 2001 243; Wohlers/Schlegel Zum Umfang des Rechts auf Akteneinsicht der Verteidigung gemäß § 147 Abs. 1 StPO, NStZ 2010 486. Verdeckte Ermittlungen – Konfrontationsrecht Ackermann/Caroni/Vetterli Anonyme Zeugenaussagen: Bundesgericht contra EGMR, AJP 2007 1071; Beulke Konfrontation und Strafprozessreform – Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK und ein partizipatorisches Vorverfahren anstelle einer Hauptverhandlung in ihrer bisherigen kontradiktorischen Struktur, FS Rieß 3; Choo Hearsay and Confrontation in Criminal Trials (1996); Cornelius Konfrontationsrecht und Unmittelbarkeitsgrundsatz, NStZ 2008 244; Dehne-Niemann „Nie sollst du mich befragen“ – Zur Behandlung des Rechts zur Konfrontation mitbeschuldigter Belastungszeugen (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) durch den BGH, HRRS 2010 189; Demko Das Fragerecht des Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der schweizerischen sowie der deutschen Rechtsprechung, ZStR 2004 416; Endriß Vom Fragerecht des Beschuldigten im Vorverfahren, FS Rieß 65; Eschelbach Rechtsfragen zum Einsatz von V-Leuten, StV 2000 390; Esser Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 3.12.2004 – 156/04, JR 2005 247; Fuchs Verdeckte Ermittler – anonyme Zeugen, ÖJZ 2001 495; Gleß Sachverhaltsaufklärung durch Auslandszeugen, FS Eisenberg 499; Günther Der Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen im Lichte des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK, FS Widmaier 253; Holdgaard The Right to CrossExamine Witnesses, Nordic Journal 2002 71; Joachim Anonyme Zeugen im Strafverfahren – Neue Tendenzen in der Rechtsprechung, StV 1992 245; Jung Neues zum Konfrontationsrecht? Zugleich Besprechung von EGMR, Urteil vom 20.1.2009, GA 2009 235; Kirchbacher/Schroll Zur Rechtsprechung des OGH betreffend das SMR und die Einbringung der Ergebnisse verdeckter Ermittlungen in die Hauptverhandlung, ÖRiZ 2005 116; 140; 170; Kodek Das Fragerecht des Angeklagten (Art. 6 MRK) und die Verlesung von Zeugenaussagen, JBl. 1988 551; Krausbeck Konfrontative Zeugenbefragung – Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK für das deutsche Strafverfahren (2010); Krauß V-Leute im Strafprozeß und die Europäische Menschenrechtskonvention (1999); Lagodny Zur Einführung der Aussage eines verdeckten Ermittlers in die Hauptverhandlung nach österreichischem Recht, NStZ 2005 347; Maffei The European Right to Confrontation in Criminal Proceedings (2006); D. Meyer Nochmals: Auslegung des Art. 6 lit. c, e MRK, NJW 1974 1175; Meyer-Lohkamp Anmerkung zu AG Hamburg, Urt. v. 2.10.2003 – 141b-395/01, StV 2004 13; Nothelfer Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang – Verfassungsrechtliche Grundlagen und einfachgesetzliche Ausformungen (1989); Ott Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren (2008); Renzikowski Das Konfrontationsrecht im Fokus des Anspruchs auf ein faires Verfahren, FS Mehle 529; ders. Fair trial und anonymer Zeuge, Die Drei-Stufen-Theorie des Zeugenschutzes im Lichte der Rechtsprechung des EuGHMR, JZ 1999 605; Rosbaud Aufgedeckt! Muss der verdeckte Ermittler in der Hauptverhandlung aussagen? HRRS 2005 131; Safferling Verdeckte Ermittler im Strafverfahren – deutsche und europäische Rechtsprechung im Konflikt? NStZ 2006 75; Schaden Das Fragerecht des Angeklagten, FS Rill 213; Schädler Das Konfrontationsrecht des Angeklagten mit dem Zeugen nach der EMRK und die Grenzen des Personalbeweises, StraFo 2008 229; Schleiminger Konfrontation im Strafprozess (2001); Schlothauer Die Flucht aus der Justizförmigkeit durch die europäische Hintertür, StV 2001 127; Schmenger Die verfremdete Videovernehmung: die optisch-akustisch veränderte Vernehmung von verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen im Rahmen der Videovernehmung gemäß § 247a StPO (2007); Schwenn Was wird aus dem Fragerecht? StraFo 2008 225; Sinn Videovernehmung im Strafverfahren und Chancengleichheit im Lichte der EMRK, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK in der nationalen Rechtsordnung (2004) 11; Sommer Das Fragerecht der Verteidigung, seine Verletzung und die Konsequenzen, NJW 2005 1240; Spencer Hearsay Evidence in
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Criminal Proceedings (2008); Walter Vermummte Gesichter, verzerrte Stimmen – audiovisuell verfremdete Aussagen von V-Leuten? Deutsches Recht und EMRK, StraFo 2004 224; Walther Zur Frage des Rechts des Beschuldigten auf „Konfrontation von Belastungszeugen“, GA 2003 204; ders. Strafprozessuales Konfrontationsrecht – ade? JZ 2004 1107; ders. Zu den Folgen der Verletzung von Art. 6 lit. d EMRK durch unterbliebene Verteidigerbestellung: Beweiswürdigungslösung oder Verwertungsverbot? FS G. Schäfer 76; Widmaier Zum Befragungsrecht nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK, FS Nehm 357; Wohlers Aktuelle Fragen des Zeugenschutzes – zur Vereinbarkeit der im Strafprozessrecht des Kantons Zürich anwendbaren Zeugenschutznormen mit Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, ZStR 123 (2005) 144; ders. Art. 6 Abs. 3 lit. d) EMRK als Grenze der Einführung des Wissens anonym bleibender Zeugen, FS Trechsel 813. Dolmetscherunterstützung (Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK) Basdorf Strafverfahren gegen die deutsche Sprache nicht mächtige Beschuldigte, GedS Meyer 19; Braitsch Gerichtssprache für Sprachunkundige im Lichte des „fair trial“ (1991); Cras/de Matteis The Directive on the Right to Interpretation and Translation in Criminal Proceedings: Genesis and Description, eucrim 2010 153; Kühne Die Kosten für den Dolmetscher im Strafverfahren, FS Schmidt 36; ders. Anwaltlicher Beistand und das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren, EuGRZ 1996 571; Meyer „Die Gerichtssprache ist deutsch“ – auch für Ausländer?, ZStW 93 (1981) 514; ders. Nochmals: Auslegung des Art. 6 lit. c, e MRK, NJW 1974 1175; Sagel-Grande Die Sprache im Strafverfahren und im Strafvollzug, FS 2010 100; Staudinger Dolmetscherzuziehung und/oder Verteidigerbeiordnung bei ausländischen Beschuldigten, StV 2002 327; Vogler Das Recht auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers (Art. 6 Abs. 3e EMRK), EuGRZ 1979 640. Schweigerecht und Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) Von Arnim Die Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel in Fällen der Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accusare“) nach deutschem Recht und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, GedS Blumenwitz 265; Arzt Schutz juristischer Personen gegen Selbstbelastung, JZ 2003 456; Berger Self-incrimination and the European Court of Human Rights: Procedural issues in the enforcement of the right to silence, EHRLR 2007 514; Bosch Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht (1997); Dahs/Langkeit Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als verdächtiger Zeuge, NStZ 1993 213; Eisenhardt Das nemo tenetur-Prinzip: Grenze körperlicher Untersuchungen beim Beschuldigten (2006); Engländer Das nemo-tenetur-Prinzip als Schranke verdeckter Ermittlungen – Eine Besprechung von BGH 3 StR 104/07, ZIS 2008 163; Eschelbach Rechtsfragen zum Einsatz von V-Leuten, StV 2000 390; Esser Grenzen für verdeckte Ermittlungen gegen inhaftierte Beschuldigte aus dem europäischen nemo-tenetur-Grundsatz, JR 2004 98; Gaede Deutscher Brechmitteleinsatz menschenrechtswidrig: Begründungsgang und Konsequenzen der Grundsatzentscheidung des EGMR im Fall Jalloh, HRRS 2006 241; ders. Selbstbelastungsfreiheit im europäischen und deutschen Strafrecht, JR 2005 426; Guder Die repressive Hörfalle im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention (2007); Günther Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen im Straf- und Bußgeldverfahren aus verfassungsrechtlicher Sicht, GA 1978 193; Hamm Der Einsatz heimlicher Ermittlungsmethoden und der Anspruch auf ein faires Verfahren, StV 2001 81; Hinz Vorgaben der EMRK für die Vernehmung des Beschuldigten durch Polizei und Staatsanwaltschaft im Vorverfahren, in: Esser u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004) 45; Keiser Die Anwendung des nemo tenetur Grundsatzes auf das Prozessverhalten des Angeklagten, StV 2000 633; Matt Nemo tenetur se ipsum accusare – Europäische Perspektiven, GA 2006 323; Müller Neue Ermittlungsmethoden und das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung, EuGRZ 2001 546; Nowak/McArthur The United Nations Convention Against Torture (2008); Queck Die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes zugunsten von Unternehmen (2005); Ransiek Belehrung über Aussagefreiheit und Recht der Verteidigerkonsultation: Folgerungen für die Beschuldigtenvernehmung, StV 1994 343; Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); Roxin Zur verdeckten Befragung des Beschuldigten, FS Miebach 41; Safferling/Hartwig Das Recht zu schweigen und seine Konsequenzen, ZIS 2009 784; Salditt Bruchstellen eines Menschenrechts:
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Recht auf ein faires Verfahren
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Schweigen gefährdet, FS Hamm 595; Schaefer Selbstbelastungsschutz außerhalb des Strafverfahrens, NJW-Spezial 2010 120; Schlauri Das Verbot des Selbstbelastungszwangs im Strafverfahren – Konkretisierung eines Grundrechts durch Rechtsvergleichung (2002); Schubert Legal privilege und Nemo tenetur im reformierten europäischen Kartellermittlungsverfahren der VO 1/2003 (2009); Summers The European Criminal Procedural Tradition and the European Court of Human Rights (2007); Trechsel Human Rights in Criminal Proceedings (2005); Ufer Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln (2007); Verrel Nemo tenetur. Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997 361; 415; ders. Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren (2001); Volk Das Strafrecht des scheinheiligen Reiches deutscher Nation, NJW Spezial 2009 423; Wohlers Nemo tenetur se ipsum accusare – „an obstruction to the administration of justice“? FS Küper 691; Weiß Zulässigkeit der Verwendung des offengelegten Jahresabschlusses einer GmbH im Strafverfahren gegen ihre Geschäftsführer? DB 2010 1744; Wulf Steuererklärungspflichten und „nemo tenetur“ – zur Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Einkünften aus illegalem Verhalten, wistra 2006 89. Behandlung von Kindern und Jugendlichen Ackermann Die Altersgrenzen der Strafbarkeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz (2009); BMJ (Österreich) (Hrsg.), Jugendliche im Gefängnis? – Modelle im Umgang mit straffälligen Jugendlichen (2009); BMJ (Hrsg.), Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminalrecht – Dokumente der Vereinten Nationen und des Europarates (2001); Bochmann Entwicklung eines europäischen Jugendstrafrechts (2009); Bung Internationale und innerstaatliche Perspektiven für ein rationales und humanes Jugendkriminalrecht, StV 2011 625; Cipriani Children’s Rights and the Minimum Age of Criminal Responsibility (2009); Dünkel Young People’s Rights: The Role of the Council of Europe, in: Junger-Tas/Dünkel (Hrsg.), Reforming Juvenile Justice (2009) 33; ders. Diversion: A Meaningful and Successful Alternative to Punishment in European Juvenile Justice Systems, in: Junger-Tas/Dünkel (Hrsg.), Reforming Juvenile Justice (2009) 147; ders. Die Europäische Empfehlung für inhaftierte und ambulant sanktionierte jugendliche Straftäter („European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions and Measures“, ERJOSSM) und ihre Bedeutung für die deutsche Gesetzgebung, RdJ 57 (2008) 376; ders. Die Europäischen Grundsätze für die von Sanktionen oder Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäter und Straftäterinnen („European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions or Measures“, ERJOSSM), ZJJ 2011 140; ders. Europäische Mindeststandards und Empfehlungen für jugendliche Straftäter als Orientierungspunkte für die Gesetzgebung und Praxis: Die „European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions and Measures“, in: DVJJ (Hrsg.), Fördern Fordern Fallenlassen (2008) 55; ders. Jugendstrafrecht im europäischen Vergleich im Licht aktueller Empfehlungen des Europarats, Neue Kriminalpolitik 2008 102; Giostra/Patanè/Pavisic (Hrsg.), European Juvenile Justice Systems, Vol. 1 (2007); Höynck/Neubacher/Schüler-Springorum (Hrsg.), Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminalrecht (2001); Junger-Tas/Dünkel Reforming Juvenile Justice: European Perspectives, in: Junger-Tas/Dünkel (Hrsg.), Reforming Juvenile Justice (2009) 215; Keiser Jugendliche Täter als strafrechtlich Erwachsene? Das Phänomen der „Adulteration“ im Lichte internationaler Menschenrechte, ZStW 120 (2008) 26; Kilkelly The Child and the European Convention on Human Rights (1999); von Kühlewein Der Vorrang des Kindeswohls im deutschen Jugendstrafrecht, ZJJ 2011 134; Kuhn Verfahrensfairneß im Jugendstrafrecht: das deutsche Recht und das Recht der USA im Vergleich (1996); Maywald Zwischen Geringschätzung und Idealisierung, Wandlungen im gesellschaftlichen Bild vom Kind, ZKJ 2011 159; Patanè (Hrsg.) European Juvenile Justice Systems (2007); Pruin Die Implementierung internationaler Jugendstrafrechtsstandards in die Rechtssysteme Europas, ZJJ 2011 127; Radtke Europäisches Jugendstrafrecht? Zum unionsrechtlichen Rahmen für die Gestaltung des Jugendstrafrechts in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, ZJJ 2011 120; Rau Zur Arbeit des Europarats im Bereich der Jugendkriminalpolitik, in: Dünkel, Kalmthout, Schüler-Springorum (Hrsg.) Entwicklungstendenzen und Reformstrategien im Jugendstrafrecht im europäischen Vergleich (1997) 519; Schüler-Springorum Die „Instrumente“ der Vereinten Nationen zur Jugendgerichtsbarkeit in: BMJ (Hrsg.), Dokumente (2001) 19; Steindorff-Classen Europäischer Kinderrechtsschutz nach dem EU-Reformvertrag von Lissabon, EuR 2011 19.
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Strafklageverbrauch – Doppelbestrafungsverbot (Ne bis in idem) Ackermann/Ebensperger Der EMRK-Grundsatz „ne bis in idem“ – Identität der Tat oder Identität der Strafnorm, AJP 1999 823; Andreou Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union (2008); Böse Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003 754; Bubnoff Der Europäischer Haftbefehl (2005); Burchard/Brodowski Art. 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das europäische ne bis in idem nach dem Vertrag von Lissabon, StraFo 2010 179; Cording Der Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelikten (1993); Dannecker Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Europa, FS Kohlmann 593; Degenhard Das Europäische Doppelverfolgungsverbot – eine Aufgabenstellung für die Strafverteidigung auf dem Gebiet des europäischen Strafrechts, StraFo 2005 65; Ebensperger Strafrechtliches „ne bis in idem“ in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen, ÖJZ 1999 171; Franz Zum Verbot der Doppelbestrafung im internationalen anwaltlichen Berufsrecht, FS Rieß 875; Giese Das Grundrecht des „ne bis in idem“, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998) 97; Hackner Das teileuropäische Doppelverfolgungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euopäischen Union, NStZ 2011 425; Hein Zuständigkeitskonflikte im internationalen Strafrecht: ein europäisches Lösungsmodell (2002); Hußung Der Tatbegriff im Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (2011); Jagla Auf dem Weg zu einem zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ im Rahmen der Europäischen Union. Zugleich ein Beitrag zur Auslegung der Artikel 54 ff. Schengener Durchführungsübereinkommen (2007); Jung Kehrtwende zum Tatbegriff. Zugleich Besprechung von EGMR, Urteil vom 10.2.2009, GA 2010 472; Karakosta Das Prinzip des Ne bis in idem (gemäß Artikel 4 der Protokolls No 7 zur EMRK), KritV 2008 73; Kniebühler Transnationales „ne bis in idem“ (2005); Kruck Der Grundsatz ne bis in idem im Europäischen Kartellverfahrensrecht (2009); Lagodny Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz (2001); ders. Viele Strafgewalten und nur ein transnationales ne-bis-in-idem? FS Trechsel 253; Liebau „Ne bis in idem“ in Europa (2005); Mansdörfer Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht (2004); Mayer Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen (1992); Petropoulos Das europäische „ne bis in idem“ und die Aufwertung des Opportunitätsprinzips auf Unionsebene, FS Schöch 856; Plöckinger Diversion und europäisches Ne bis in idem, ÖJZ 2003 98; Radtke Der Begriff der „Tat“ im prozessualen Sinne in Europa, FS Seebode 297; Radtke/Mahler Regelungsmodelle zur Vermeidung von Mehrfachverfolgung derselben Tat innerhalb der Europäischen Union, FS Rüping 49; Radtke/Busch Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003 281; Satzger Auf dem Weg zu einer „europäischen Rechtskraft“? FS Roxin II 1516; Schnabl Grenzüberschneidende Ahndung von Verkehrsverstößen im europäischen Ausland (2008); Schomburg Die Europäisierung des Verbots doppelter Strafverfolgung – Ein Zwischenbericht, NJW 2000 1883; Schroeder Die Rechtsnatur des Grundsatzes „ne bis in idem“, JuS 1997 227; Specht Die zwischenstaatliche Geltung des ne bis in idem (1999); Stein Ein Meilenstein für das europäische „ne bis in idem“, NJW 2003 1162; ders. Grenzüberschreitendes ne bis in idem. Ein Regelungsvorschlag für die Europäische Union, ZStW 115 (2003) 983; Streinz „Ne bis in idem“ bei Sanktionen nach deutschem und europäischem Kartellrecht, Jura 2009 412; Swoboda Das Recht der Wiederaufnahme in Europa, HRRS 2009 188; Thomas Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung (2001); Vogel Internationales und europäisches ne bis in idem, FS Schroeder 877; Thomas Europäisches „ne bis in idem“ – Alte und neue Fragen nach dem Vertrag von Lissabon, StRR 2011 135; Vogel/Norouzi Europäisches ne bis in idem, JuS 2003 1059; Wohlers Legalität und Opportunität im teilharmonisierten europäischen Strafverfahren und der Grundsatz ne bis in idem, FS Eisenberg 807; Zöller Die transnationale Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, FS Krey 501.
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Übersicht Rn. I. Einführung 1. Verfahrensrechte als selbstständige Menschenrechte . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zwischen Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR . . . . . . . . . . . . 3. Innerstaatliches Verfassungsrecht . . .
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II. Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich 1. Persönlicher Geltungsbereich a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 20 b) Strafrechtliche Anklage . . . . . . 24 c) Zivilrechtliche Streitigkeiten . . . 27 2. Sachlicher Geltungsbereich a) Eingrenzung auf die in Absatz 1 genannten Sachbereiche . . . . . . 28 b) Autonome Auslegung . . . . . . . 29 c) Internationale Gerichte . . . . . . 30 d) Formelle Bindung des Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . 32 3. Meinungsverschiedenheiten des privaten Lebensbereichs: Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen a) Autonome Auslegung . . . . . . . 38 b) Meinungsverschiedenheit . . . . . 40 c) Zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne . . . . . . . . . . . 44 d) Streitigkeiten im öffentlich-rechtlichen Kontext . . . . . . . . . . 47 e) Streitigkeiten im Öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . 57 f) Zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . 61 4. Strafrechtliche Anklage a) Autonome Auslegung . . . . . . . 68 b) Zuordnung zum Strafrecht . . . . 71 c) Art des Vergehens . . . . . . . . . 73 d) Art und Schwere der angedrohten Sanktion . . . . . . . . . . . . . 78 e) Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . 79 f) Verfallserklärung . . . . . . . . . 80 g) Disziplinarverfahren . . . . . . . 81 h) Verfahren vor einem Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . 82 i) Auslieferungsverfahren . . . . . . 87 j) Exequaturverfahren . . . . . . . . 89 k) Sonstige Verfahren im Rahmen der Strafverfolgung . . . . . . . . . . 90 l) Administrative Maßnahmen . . . 91 5. Beginn der strafrechtlichen Anklage . 92 6. Ende eines Verfahrens über eine strafrechtliche Anklage . . . . . . . . . . 100 III. Recht auf Entscheidung durch ein Gericht 1. Recht auf Zugang zu einem Gericht . a) Schutzgehalt . . . . . . . . . . . b) Einschränkungen . . . . . . . . . c) Sonderfall Immunität . . . . . . . 2. Anspruch auf einen gerichtlichen Instanzenzug . . . . . . . . . . . . .
Rn. 3. Anforderungen an ein Gericht i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . b) Eigene Entscheidungskompetenz . c) Gesetzliche Grundlage . . . . . . d) Unabhängigkeit . . . . . . . . . e) Unabhängigkeit trotz Möglichkeit der Wiederwahl? . . . . . . . . . f) Unparteilichkeit . . . . . . . . . g) Heilung von Verstößen gegen die vorgenannten Vorgaben . . . . .
104 110 118 123
IV. Gleichheit vor Gericht / Fairness des Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR) 1. Zweck und Zielsetzung . . . . . . . . 2. Gleichheit vor Gericht . . . . . . . . 3. Anspruch auf ein faires Verfahren als Kernstück menschenrechtlicher Verfahrensgarantien a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . d) Prozessmaxime / Verhältnis zum einfachen Verfahrensrecht . . . . . e) Anwendungsbereich . . . . . . . . f) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . g) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . 4. Prinzip der Waffengleichheit („Equality of Arms“) . . . . . . . . . 5. Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren („Right to adversarial trial / proceedings“) a) Recht auf rechtliches Gehör . . . . b) Recht auf Zugang zum Beweismaterial . . . . . . . . . . . . . . 6. Pflicht zur Begründung einer Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtliche Fürsorge als Aspekt der Verfahrensfairness . . . . . . . . . . 8. Enttäuschung berechtigten Vertrauens 9. Verfahrensrechte des Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 bis 7 IPBPR) . . . . . . . . . . . . . V. Tatprovokation als Grenze der Verfahrensfairness . . . . . . . . . . . . 1. Staatliche Zurechenbarkeit . . . . . 2. Voraussetzungen einer Tatprovokation . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge der Tatprovokation . . 4. Verfahrensrechtliche Besonderheiten („Zwei-Stufen-Modell“) . . . . . . 5. Kompensationsmodelle . . . . . . .
127 130 133 140 147 156 166
167 173
177 181 183 188 191 195 200 202
219 222 231 239 241
244
. 249 . 252 . 254 . 258 . 261 . 262
VI. Grundsätze der Beweiserhebung und Beweisverwertung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 268 2. Beweisgewinnung . . . . . . . . . . 272
Robert Esser
345
EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen Rn.
3. Beweiswürdigung (im engeren Sinne) 4. Beweisverbote . . . . . . . . . . . a) Beweiserhebungsverbote . . . . b) Beweisverwertungsverbote . . . 5. Angleichung der nationalen Regeln zur Beweiserhebung und -verwertung auf der Ebene der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. 301
VII. Anspruch auf Entscheidung in angemessener Frist 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . b) Komplexität des Verfahrens . . . . c) Verfahrensgang und Justizorganisation . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung des Verfahrens für Betroffene . . . . . . . . . . . . . . e) Verhalten der Verfahrensbeteiligten / Aspekte außerhalb des staatlichen Verantwortungsbereiches . . 3. Zeitraum des zu berücksichtigenden Verfahrens a) Beginn . . . . . . . . . . . . . . b) Ende . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen einer unangemessenen Verfahrensdauer a) Vorrang der Fachgerichtsbarkeit . b) Rügeobliegenheiten der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . c) Kompensationsmöglichkeiten auf nationaler Ebene . . . . . . . . . 5. Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Öffentlichkeit der Verhandlung und Entscheidungsverkündung 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . 2. Mündlichkeit der Verhandlung . . 3. Verzicht . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen vom Recht auf Durchführung einer Verhandlung . . . . 5. Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . 6. Heilung von Verfahrensmängeln . 7. Verkündung der gerichtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . 8. Ausnahmen vom Gebot der Öffentlichkeit der Verhandlung . . . . .
2.
307 3. 313 319 320 4.
330
331
335 338
5. 6.
343 345 348
368
. . 377 . . 387 . . 391 7. . . 397 . . 407 . . 416 . . 418 . . 427
IX. Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR) 1. Allgemeines a) Konstituierendes Prinzip rechtsstaatlicher Strafrechtspflege . . . b) Konventionsgarantien . . . . . . c) Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . d) Innerstaatliches Recht . . . . . .
346
Rn.
280 286 287 293
. 445 . 446 . 447 . 448
e) Verhältnis zwischen der Garantie der Konventionen und der Verfassungsgewährleistung . . . . . . . f) Keine unmittelbare Drittwirkung . g) Allgemeine Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . h) Verzichtbarkeit . . . . . . . . . . Tragweite der Unschuldsvermutung der Konventionen a) Allgemeines Verhaltensprinzip . . b) Tragweite der Konventionsgarantien . . . . . . . . . . . . . Verfahren aufgrund einer strafrechtlichen Anklage a) Strafrechtliche Anklage . . . . . . b) Bemessung der Rechtsfolgen . . . c) An Tatverdacht anknüpfende Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . Zeitlicher Anwendungsbereich im Strafverfahren a) Grundregel für dessen ganze Dauer b) Abschließende Entscheidung der Schuldfrage . . . . . . . . . . . . c) Abschluss des Erkenntnisverfahrens . . . . . . . . . . . . . Amtliche Verlautbarungen über das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . Einzelfragen des Strafverfahrens a) Verhaltensregel für das Gericht . . b) Schuldzuweisung durch verfahrensbeteiligte Dritte . . . . . . . . . . c) Entscheidungsregel im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . d) Schuldnachweis . . . . . . . . . . e) Schuldvermutungen . . . . . . . . f) Durchführung eines dem Recht entsprechenden Verfahrens . . . . g) Einstellung . . . . . . . . . . . . h) Kosten und Auslagen . . . . . . . i) Mitberücksichtigung nicht verfahrensgegenständlicher Straftaten . . j) Widerruf einer Strafaussetzung . . k) Prognosebeurteilungen . . . . . . Anwendbarkeit außerhalb eines Strafverfahrens a) Verfahren, die nicht tendenziell auf Feststellung und Ahndung strafrechtlicher Schuld gerichtet sind . b) Allgemeiner Schutz vor Zuweisung unbewiesener strafrechtlicher Schuld . . . . . . . . . . . . . . . c) Exklusivität der strafgerichtlichen Schuldfeststellung? . . . . . . . .
X. Unterrichtung über die erhobene Beschuldigung (Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR) . . . . . . . 1. Zweck der Unterrichtung . . . . . . . 2. Anlass der Unterrichtung . . . . . . . 3. Zeitpunkt der Unterrichtung . . . . . 4. Gegenstand der Unterrichtung . . . . 5. Form und Adressat der Unterrichtung
Robert Esser
454 456 460 461
464 465
469 473 475
478 481 484 485 489 492 493 495 497 503 505 510 516 518 519
520
525 526
534 535 538 539 548 554
Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Rn. 6. Sprache der Unterrichtung . . . . . . 7. Initiativen auf EU-Ebene a) Richtlinie über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren . . . . . . . . . b) Vorschlag für eine Richtlinie über das Recht auf Belehrung . . . . . c) Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . 8. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . XI. Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR) 1. Zweck der Regelung . . . . . . . . . 2. Ausreichende Gelegenheit für die Vorbereitung der Verteidigung . . . . . . 3. Zugang zum Verteidiger im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . 4. Recht des Beschuldigten auf Anwesenheit seines Verteidigers bei der polizeilichen Vernehmung . . . . . . . . . . 5. Ausreichende „Gelegenheit“ zur Vorbereitung der Verteidigung a) Auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter . . . . . . . . . . . . b) Vorläufig festgenommener oder inhaftierter Beschuldigter . . . . . 6. Pflicht zur Benachrichtigung der konsularischen Vertretung (Art. 36 WÜK) 7. Ausreichende Zeit . . . . . . . . . . XII. Recht auf Zugang zur Verfahrensakte 1. Umfang des Aktenzugangsrechts . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . 3. Verweigerung des Aktenzugangs . . . 4. Aktenzugang in Haftfällen . . . . . . 5. Berechtigter . . . . . . . . . . . . . 6. Art und Weise des Aktenzugangs . . . 7. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . 8. Aktenzugangsrecht vor den Gerichten der EU . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
559
3. Recht auf eine effektive Verteidigung . a) Recht, sich selbst zu verteidigen . . b) Notwendige („effektive“) Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers a) Einordnung in den Gesamtkontext effektive Verteidigung . . . . . . . b) Verzicht . . . . . . . . . . . . . . c) Mittellosigkeit . . . . . . . . . . d) Interesse der Rechtspflege . . . . . e) Rechtsmittelinstanzen . . . . . . . f) Verantwortungsbereich des Gerichts g) Auswahl des Verteidigers . . . . . h) Überwachungspflicht . . . . . . . i) Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . j) Inhaltliche Garantien . . . . . . . k) Zeitpunkt der Bestellung . . . . . 6. Belehrung über das Recht auf einen Verteidiger . . . . . . . . . . . . . .
563 566 567 568
570 572 580
605
608 612 618 626 635 639 641 642 643 645 651 653
XIII. Anwesenheit bei der Verhandlung, Verteidigung in eigener Person oder durch Wahloder Pflichtverteidiger (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR) 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . 655 2. Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung a) Schutzgehalt . . . . . . . . . . . 657 b) Verzicht des Beschuldigten . . . . 665 c) Kein Recht auf Anwesenheit in jedem Stadium der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . 676 d) Echte Abwesenheitsverfahren . . . 680 e) Abwesenheitsverfahren und Europäischer Haftbefehl . . . . . . . . 695 f) Recht auf Verteidigung bei Abwesenheit in der Hauptverhandlung . 702 g) Recht auf Anwesenheit im Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . 712
XIV. Befragung von Zeugen, Ladung von Entlastungszeugen (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR) 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . 2. Begriff des Zeugen i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK . . . . . . . . . . 3. Frage- und Konfrontationsrecht – Inhalt und Bedeutung für die Verfahrensfairness . . . . . . . . . . . . . . 4. Einschränkbarkeit des Konfrontationsrechts („Drei-Stufen-Theorie“) a) Inhaltliche Grenzen . . . . . . . . b) Faktische Beschränkungen im Verfahren („Drei-Stufen-Prüfung“) . . (1) 1. Stufe: Suche nach anerkanntem Grund . . . . . . . . . . (2) 2. Stufe: Ausgleich des Verteidigungsmangels . . . . . . . . . (3) 3. Stufe: Anforderungen an die Beweiswürdigung . . . . . . . (4) Kritik an der Drei-Stufen-Prüfung . . . . . . . . . . . . . . 5. Recht, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen zu erwirken . XV. Sachverständigenbeweis 1. Abgrenzung des Sachverständigen vom Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswahl des Sachverständigen . . . . 3. Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . a) Erforderlichkeit zur Sachaufklärung b) Pflicht zur aussagepsychologischen Begutachtung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen . . . . . . . . . . . c) Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen d) Pflicht zur Bestellung eines weiteren Sachverständigen . . . . . . . . .
Robert Esser
719 720 723 724
733 736 737 738 742 743 744 747 752 753 754 755
758 764
773
788 789 790 792 799 800 801
807 811 813 814
815 817 818
347
EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen Rn.
4. Behandlung des Sachverständigen als Belastungszeugen . . . . . . . . . . 5. Rechte des Beschuldigten . . . . . . a) Anwesenheits- / Auskunftsrecht . b) Recht auf (effektive) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . c) Unschuldsvermutung . . . . . .
819 824 825 827
XVI. Dolmetscherunterstützung (Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR) 1. Zweck und Schutzgehalt der Garantie 828 2. Voraussetzung des Anspruchs . . . 833 3. Zeitlicher und sachlicher Umfang der geforderten Unterstützung . . . . . 836 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 860 5. Kostenfreistellung . . . . . . . . . 865 6. EU-Richtlinie zur Dolmetscherunterstützung . . . . . . . . . . . . 869 XVII. Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Strafverfahren als Fixpunkt des sachlich-persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbot unangemessenen Zwangs . . 4. „Vorwirkung“ des Selbstbelastungsprivilegs . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerrechtliche Aspekte . . . . . . 6. Arbeitsrechtliche Auskunftspflichten 7. Pflicht zur Achtung des Schweigerechts . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Pflicht zur Belehrung . . . . . . . . 9. Herausgabe von Beweismaterial / Gewinnung von körperlichem Material . . . . . . . . . . . . . . 10. Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen – Schutz vor Täuschung . . . . . . . 11. Kartellrechtliche Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 12. Straßenverkehrsrechtliche Halterverantwortlichkeit . . . . . . . . . 13. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den nemo tenetur-Grundsatz . . . . 14. Folgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK für die Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Verfahren gegen Jugendliche (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 4 IPBPR / CRC) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Strafmündigkeit . . . . . . . . . 3. EMRK und sonstiges Recht des Europarates . . . . . . . . . . . 4. IPBPR . . . . . . . . . . . . . . 5. Recht der Europäischen Union . . 6. UN-Konvention über die Rechte des Kindes (CRC) . . . . . . . . . 7. Sonstige Maßnahmen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . .
348
Rn. 8. Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens nach der EMRK und dem IPBPR . . . . . . . . . . . . .
879
889 892 903 906 909 912 919
923 928 941 942 948
952
. 959 . 960 . 961 . 969 . 971 . 974
980
XIX. Recht auf eine gerichtliche Überprüfung der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung (Art. 2 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 5 IPBPR) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 991 2. Verfahren vor der Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . 1000 XX. Entschädigung bei Fehlurteil (Art. 3 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 6 IPBPR) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 1002 2. Voraussetzungen der Entschädigungspflicht . . . . . . . . . . . . 1005 3. Gesetzliche Regelung . . . . . . . . 1009 XXI. Verbot der Doppelbestrafung / „ne bis in idem“ (Art. 4 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 7 IPBPR) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . a) Art. 103 Abs. 3 GG . . . . . . . b) Art. 4 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 7 IPBPR . . . . . . . . . . c) Internationale Ebene . . . . . . 2. Inhalt und Regelungsbereich von Art. 4 des 7. ZP-EMRK . . . . . . a) Strafverfolgungshindernis . . . b) Rechtskräftige Verurteilung . . . c) Begriff der (strafrechtlichen) Tat d) Doppelbestrafung . . . . . . . e) Identität der Tat (idem) . . . . . 3. Wiederaufnahme des Strafverfahrens 4. Transnationales Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Rechtsgrundsatz . . b) EMRK . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Völkerrechtliche Übereinkommen und Verträge . . . . . 5. Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . b) Idem . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckungsklausel . . . . . . d) Vorbehalte . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolge eines Verstoßes . . . 6. Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUC) . . . . . . . 7. Weitere Initiativen auf EU-Ebene a) Kompetenzkonflikte . . . . . . b) EU-Rahmenbeschluss zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten . . . . . . . . . . . 8. Ne bis in idem als Auslieferungshindernis a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Europäischer Haftbefehl . . . .
. 976
Robert Esser
1010 1011 1021 1023
1026 1029 1035 1042 1043 1051 1053 1054 1055 1057 1064 1065 1079 1081 1085 1086 1087 1103
1104
1107 1111
Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Alphabetische Übersicht Absprache („Deal“) 242 Aburteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 Abwesenheitsurteil, -verfahren 667, 672, 680 f., 700 ff. – Auslieferungsverfahren 694 – Europäischer Haftbefehl 695 ff. – Recht auf ein 708 f. agent provocateur > Tatprovokation Akten, Einsichtsrecht – Abschluss der Ermittlungen 637 – Abschriften 645 – Antrag 651 – Art und Weise 645 ff. – Ausnahmen 639 ff. – Berechtigter 643 f. – Beschuldigter, nichtverteidigter 644, 646 – Beschuldigter, verteidigter 643 – Charta der Grundrechte 654 – Effektivität der Verteidigung 647 – erneuter Zugang 650 – Haftfälle 642 – Handakten 640 – Jugendliche, in Verfahren gegen 987 – Kopien 645 – Kosten 649 – laufende Ermittlungen 639 – Originalakte 646, 648 – Rechtsmittel 652 – Umfang 636 f. – Unionsgerichte 653 – Verfahren 651 f. – Verweigerung 639, 641 – Wesentlichkeitsvorbehalt 638 – Zeitpunkt 637, 642, 647 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 5 Amnestie 507, 1007, 1083 Amtsermittlungsgrundsatz 277 Amtssprache 390, 857 Anfangsverdacht 94 Angeklagter – Anwesenheitsrecht > Anwesenheit – Belehrungen 919 ff. – Schweigerecht > Selbstbelastungsfreiheit – Recht auf (Wahl-)Verteidiger > – Recht sich selbst zu verteidigen > Selbstverteidigungsrecht Angemessene Verfahrensdauer – Abbruch des Strafverfahrens 366 – Folgen der unangemessenen Dauer 343 ff. – Freiheitsentziehung 313 – Fristberechnung 335 ff. – innerstaatliche Rügepflicht 345 ff. – Jugendliche 979, 983 – Kompensation der Verzögerungen 348 ff., 370 – – Strafzumessungslösung 354 – – Vollstreckungslösung 355 ff., 374 ff., 622 – Kriterien 313 ff. – – Bedeutung des Verfahrens 330 ff. – – Justizorganisation 322 ff. – – Komplexität des Verfahrens 319
– – Verfahrensgang 321, 324 ff. – – Verhalten der Verfahrensbeteiligten 331 ff. – Rechtsmittelinstanz 339 – Rechtsschutz 368 ff. – Verfassungsgericht 311, 340 – Zurechenbarkeit, Staat 316 Anklage – Amtsenthebung 83 ff. – Beginn 92 ff. – Betroffener 69 – Definition 68 – Disziplinarstrafen 81 – Ende 100 ff. – Engel-Kriterien 70 ff. – Kartellverfahren 76 f. – Maßregeln der Besserung und Sicherung 79 – Mitteilungspflichten 534 ff. – Ordnungswidrigkeiten 74 – Übersetzung 559 ff., 847 – verfassungsrechtliche Streitigkeiten 82 ff. – wahldeutige 549 Anonyme Gewährsleute/Zeugen 781, 797 f. Anspruch auf Strafverfolgung Dritter 104 ff. Ansprüche und Verpflichtungen aus dem Zivilbereich > zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen Anwaltszwang 116 Anwesenheit – Anwesenheitspflicht 665 – Auslieferungsverfahren 694 f. – Benachrichtigung 671 – Beschränkungen > Anwesenheitsrecht, Beschränkungen – Effektive Teilnahme an der Verhandlung – > Effektive Teilnahme, Recht auf – Fürsorgepflicht 666 f., 661 – Hauptverhandlung 657 – konkludenter Verzicht > Verzicht, Anwesenheitsrecht > konkludent – Minderjährige 662, 985 – persönliche 664 – Rechtsmittelinstanz 658, 712 ff. – Schutzmaßnahmen 661, 666 f. – Selbstverteidigungsrecht > – unentschuldigt 704 ff. – Verhandlungsfähigkeit 660 f. – Verteidiger 664, 682 f. – Verzicht 665 ff. – Videoübertragung 663 – Wahlverteidiger 702 ff. – zeitweilige Entfernung aus Hauptverhandlung 678 Anwesenheitsrecht, Beschränkungen 676 ff. – Abwesenheitsverfahren 680 – Heilung 685 – Pflichtverteidiger 683, 690 – Rechtfertigung durch übergeordnete Gesichtpunkte 686 – Überprüfungsmöglichkeit 688 ff. – Verhältnismäßigkeit 684 – Verzicht, Anwesenheitsrecht >
Robert Esser
349
EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
– Wahlverteidiger 682, 688 f. – zeitweilige Entfernung aus Hauptverhandlung 678 – Zeugenschutz 678 Anzeigenerstatter 69 Arbeitsgerichtliche Verfahren 523 f. Augenscheinsobjekte 216, 285 Auskunft, unrichtige 240 Auskunftspflichten 891, 909 ff. Ausländer 12, 54, 110, 835 Auslandszeuge 785, 805 Auslieferung 87 f., 694 Ausnahmegerichte 980 Aussageverweigerungsrecht > Selbstbelastungsfreiheit > Zeugnisverweigerungsrecht Ausweisung 89 Bagatellsachen, Beiordnung eines Pflichtverteidigers in 741 Beijing-Grundsätze 976 Beiordnung eines Verteidigers – Antrag 743 – Bagatellsachen 741 – Dolmetscherbestellung, neben 740 – Effektivität der Verteidigung 739 f., 745 ff. – Heilung von Verstößen gegen Unterrichtungspflicht 547 – Interesse der Rechtspflege 726, 738 ff. – Mittellosigkeit 737 – Privatklageverfahren 730 – Rechtsmittelverfahren 742 – Sachkunde 745 – Überwachungspflicht 747 ff. – Unentgeltlichkeit 726, 733 ff., 752 – Verzicht 736 – Wahlverteiger, neben einem 727, 744 – Zeitpunkt 754 Belehrung – Jugendlicher 986 – Recht auf Verteidiger 755 ff. – – Inhalt 755 – – Pflicht aus der EMRK 757 – – Zeitpunkt 756 – Verkehr mit konsularischer Vertretung (WÜK) 618 ff. Berufsgerichtliche Verfahren 165 Berufsverbot 78, 81 Berufung > Rechtsmittel Beschlagnahme 294, 336, 543, 568, 610 Beschleunigtes Verfahren 561, 634 Beschleunigungsgebot > Angemessene Verfahrensdauer > Beiordnung eines Verteidigers Besteuerung 56 Beweiserhebung – Beurteilungsspielraum 269, 801 – Gestaltungsspielraum 272 ff. – Notwendigkeit 801 – Ladung von Zeugen 802 f. Beweismittel, Sicherstellung 543 Beweisrecht – Beweisgewinnung 272 ff. – Beweislast 283
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– Beweismaterial – – Geheimhaltung 223 ff. – – Offenlegung 240, 548 Beweisverbote – Allgemeines 286 – Beweiserhebungsverbot 287 ff. – Beweisverwertung, allgemein 268 – Beweisverwertungsverbot 293 ff. – – Selbständige 294 – – Unselbständige 295 ff. – Harmonisierung nationaler Regeln 301 ff. – Kompensation 289 Beweissicherungsverfahren 42 Beweiswürdigung, freie 179, 280 ff. – Selbstladungsrecht des Angeklagten 804 f. – Überwachungskompetenz des EGMR 270 f. Bild-Ton-Aufzeichnungen 769 Bußgeldverfahren – Dolmetscherkosten 841 – Unschuldsvermutung 527 Civil rights > zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen Convention on the Rights of the Child (CRC) > Kinder, Konvention zum Schutz von Deal > Absprache Disziplinarverfahren – Anwendbarkeit Art. 6 EMRK 81 – Ne bis in idem 1014, 1035, 1039, 1042, 1096 – Unschuldsvermutung 471, 520 Dolmetscher – Auslieferungsverfahren 844 – Auswahl 855 – Bußgeldverfahren 841 – EU-Richtlinie 869 ff. – Form 860 ff. – Kosten 865 ff. – Übersetzung > – Stumme und Taube 831 – Umfang 836 ff. – Verkehr mit Verteidiger 850 ff. – Vollstreckungsverfahren 842 – Voraussetzungen 833 ff. – Vorverfahren 839 – weiterer Dolmetscher 840 Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) – Aburteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 – ausländisches Gericht 1018 ff. – Auslieferungshindernis 1107 ff. – Charta der Grundrechte 1087 ff. – Disziplinarrecht 1014, 1035, 1039, 1042, 1096 – Durchführung von Unionsrecht 1090 ff. – Engel-Kriterien 1035 ff. – idem 1043 ff., 1079 f. – Identität der Tat 1043 ff., 1079 f. – internationale Gerichtshöfe 1023 ff., 1055 ff. – Kartellrecht 1019, 1041 – Kompetenzkonflikte 1103 ff. – Mangel an Beweisen 1069 – mehrmalige Bestrafung 1012, 1042 – Mittäter 1065 – Nebenstrafe 1042 – Nebenstrafrecht 1014
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Recht auf ein faires Verfahren – Ordnungswidrigkeitenrecht 1014, 1039, 1074, 1096 – rechtskräftige Ab-/Verurteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 – Schengener Durchführungsübereinkommen 1064 ff. – Staatsanwalt, Verfügungen des 1016, 1032, 1071 ff. – Strafbefehl 1030, 1068 – Strafgesetz 1014 – Tat 1013, 1035 ff. – Tat, dieselbe 1043 ff., 1079 f. – transnationales 1053 ff. – Verfahrenshindernis 1011, 1027, 1086 – Verjährung 1069, 1073 – Verfall 1077 – Verfolgung 1026 ff., 1011, 1025 – Verfolgungsverbot 1011, 1027, 1086 – Verurteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 – Verwaltungssanktionenrecht 1039 ff. – Vollstreckungsklausel 1081 ff., 1098 ff. – Wiederaufnahme 1012, 1022, 1051 ff., 1070, 1101 – Zwischenstaatliche Übereinkommen 1063 Durchsuchung 56, 93 Effektive Teilnahme, Recht auf 659 ff. – Minderjährige 662, 986 – Schutzmaßnahmen, aktive 661 – Verhandlungsfähigkeit 660 f. – Videoübertragung 663 Ehre 49, 457, 460 Eigentum 47, 64 Einsichtsrecht > Akten, Einsichtsrecht Einstellung des Verfahrens 338, 360, 362, 366, 393, 482, 505 ff., 1015 f., 1028, 1031 f., 1069, 1072 ff., 1086, 1107, 1112 f. Einziehung 64, 80, 509 Engel-Kriterien 70 ff. Entschädigung – bei Fehlurteil 1005 ff. – bei Strafverfolgungsmaßnahmen 66 Equality of Arms > Waffengleichheit 202 ff. – Bußgeldverfahren > – Kartellverfahren > – Zugang zum Verteidiger 580 ff. Europarecht – Rechte der EMRK als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts 181 f. Europäischer Gerichtshof (EuGH) 10, 31, 42, 125, 155, 653, 702, 858, 941, 971, 1019, 1032, 1067, 1069, 1071, 1079 f., 1086, 1088, 1090 f., 1100, 1114 Europäischer Haftbefehl 695 ff., 1111 ff. Europäische Union – Charta der Grundrechte 9 f., 181, 447, 654, 971 ff., 1087 ff. Exequaturverfahren 89 Fahndungsmaßnahmen 488 Faires Verfahren, allgemein – ausreichende Information 534 ff. – ausreichende Zeit zur Vorbereitung 186, 626 ff. – Begründung der Entscheidungen 632 – Beweiserhebung 268 ff. – Beweisgewinnung 273 ff. – Chancengleichheit > Waffengleichheit – Fragerecht, ausreichendes 758 ff.
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– Fürsorgepflicht des Gerichts > – Gesamtwürdigung 179, 190, 199 – Jugendliche, in Verfahren gegen 961 ff. – Waffengleichheit > Fehlurteil, Entschädigung 1002 ff. Fragerecht > Konfrontationsrecht Freiheitsentziehung – Anwendbarkeit Art. 6 EMRK 90 – Zugang zur Verfahrensakte 642, s.a. Art. 5 EMRK Freispruch – Ne bis in idem 945 – Unschuldsvermutung 482, 509 ff. Fürsorgepflicht des Gerichts 197, 239 ff. – Beiordnung eines Verteidigers > – Effektivität der Verteidigung 576, 661, 743 ff. – Mängel der Verteidigung 749 ff. – Überwachung des Pflichtverteidigers 747 – Verzicht auf Anwesenheitsrecht 667, 671 Gegenüberstellung > Konfrontation Geheimhaltung von Informanten 443 Geisteskranke 112 Geltungsbereich (Art. 6 EMRK) – juristische Personen 23 – öffentlich-rechtlicher Kontext 57 ff. – Personenvereinigungen 23 – Persönlich 20 ff. – Sachlich 28 ff. Gericht – Begriff 127 ff. – Bindung an Entscheidung einer Vorfrage 132 – Eigene Entscheidungskompetenz 130 ff. – Gesetzliche Grundlage 133 ff. – Instanzenzug > Rechtsmittel – Kosten 115 f. – Militärgericht 138, 144, 163 – mündliche Verhandlung 124, 387 ff., 398 ff. – Schiedsgericht 129 – Spezialspruchkörper 138, 980 – Unabhängigkeit – – Amtszeit der Richter 140, 143 – – Militärrichter 138, 144 – – Weisungsrecht 143 – – Wiederwahl 147 ff. – Unparteilichkeit – – Heilung von Verstößen 166 – – Verfahren zur Überprüfung 156 f. – – Vorherige Beteiligung am Ermittlungsverfahren 160 – – Zwischenverfahren 161 – Vorlagepflicht 125 – Zusammensetzung 134, 139 Gericht, Zugang – Einschränkungen 110 ff. – Immunität 118 ff. – Physischer Zugang 108 – Prozesskostenhilfe 116 – Umfang 107 ff. Gerichtssprache > Dolmetscher > – Übersetzer Gesamtstrafenbildung 339, 354 f., 1012 Gesetzlichkeitsprinzip 275
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Geständnis 87, 257, 264, 461 ff., 495, 506, 518, 594, 625, 731, 894, 931, 940, 953 ff., 989 Gleichbehandlungsgebot > Waffengleichheit Gnadenverfahren 101 Haftprüfung 404, 548, 638, 642, 646, 845 Havanna-Grundsätze 977 Heilung von Konventionsverstößen – durch Kompensation 190, 262 ff., 285, 289, 348 ff., 370, 372, 459, 574, 622 f., 792 ff., 920 – im Verlauf des Verfahrens 604 – in der nächsten Instanz 126, 166, 208, 416 ff., 692 Hinweispflichten > Belehrung Humanitäres Völkerrecht 8 idem 1043 ff., 1079 f. Identität der Tat 1043 ff., 1079 f. Immunität 84, 118 ff., 900 – Internationale Organisationen 119 – parlamentarische 98, 176 – völkerrechtliche 119 In dubio pro reo 469 Informationsrechte > Unterrichtung > Fürsorgepflicht Interesse der Rechtspflege 440, 442, 590, 723, 726, 732 f., 738 ff., 755 Internationale Gerichte 30 – ICC-IStGH 32 f., 1023 – ICTR 32 f., 1023 ff. – ICTY 32 ff., 1023 ff. – IGH 618, 620, 622 Jugendliche – Europaratsempfehlungen zum Strafverfahren gegen 962 ff. – Geständnis 989 – Kontaktrecht zu Bezugspersonen 972, 974, 988 – Konvention zum Schutz von Kindern (CRC) 974 f. – Recht auf Gehör 974, 984 – Recht auf gesetzlichen Richter 980 – Rechtsmittel 990 – Schlechterstellungsverbot 959 – Schutz des Privatlebens 961 – Trennungsgebot 969 – Verbot der Todesstrafe 969 – Verfahren gegen 959 ff., 432 ff. Juristische Personen 23 Jury 218 Kartellverfahren 76 f., 941 Kinder > Jugendliche, Konvention zum Schutz von -n (CRC) 974 f. Kommunikation mit Verteidiger 725, 753 – Pflichtverteiger 753 – Überwachung 725 – Wahlverteiger 725 Kompensation > Heilung von Konventionsverstößen Kompetenzkonflikte 1103 ff. Konfrontationsrecht 758 ff. – Adressaten des Fragerechts 768 f., 772 – anonyme Gewährsleute/Zeugen 781, 797 f. – Anwesenheitsrecht bei Einvernahme eines Zeugen 778 – Belastungszeuge 764, 767, 770 – Belastungszeuge, Abwesenheit in Hauptverhandlung 784 f. – Berechtigte 774 ff.
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Beweisverwertungsverbot 298, 791, 796 f. Beweiswürdigung 284 f. ergänzende Fragen 779 Disponibilität 780 Drei-Stufen-Theorie 788 ff. Einschränkungen 788 ff. Entlastungszeuge 772, 806 Form 786 f. Gesamtwürdigung 762 kommissarische Vernehmung 785 Kompensation 792 ff. Ladung, Recht auf 801 ff. Missbrauch 788 Mitangeklagter 639, 771 Personalbeweis 763 ff. Protokollverlesung 782 f. Sachverständige 771 schriftlicher Fragenkatalog 781 Selbstladungsrecht des Angeklagten 804 Umfang 773 ff. unmittelbare Konfrontation 776 f. Urkundsbeweis 763 Verdeckter Ermittler (V-Person)/Verdeckte Ermittlungen 253, 256, 769, 928 ff., 936 – Verschulden des Staates 795 ff. – Verteidiger, durch 775 – Verzicht 780 – Waffengleichheit 758, 760, 763, 801, 806 – Zeitpunkt 776 f., 781 – Zeuge > – Zeugen im Ausland 805 – Zeuge vom Hörensagen 770 Konsularische Vertretung 618 ff. Kontradiktorisches Verfahren 219 ff., 228, 604, 721 Kontaktsperre 617 KSZE 7 Ladungsfrist 626 Laienrichter/Schöffen 136, 158, 239 Lockspitzel > Tatprovokation Maßregeln der Besserung und Sicherung 79, 362, 1005 Mehrfachverteidigung, Verbot der 732 Menschenwürde 13, 177, 448, 462, 720, 886 Militärgerichte > Gericht Minderjährige > Jugendliche Mitangeklagter 639, 771 Mithäftling 929 f., 937 Mündlichkeit der Verhandlung 19, 188, 387 ff. Nationale Sicherheit 187, 430 Nebenbeteiligte 24, 69, 80, 771 Nebenkläger 25, 69, 182, 510, 771, 867 Ne bis in idem > Doppelbestrafungsverbot nemo tenetur > Selbstbelastungsfreiheit Notizen während Vernehmung oder Beweisaufnahme 573 Offenlegungsanspruch > Beweisrecht Öffentlichkeit 377 ff. – Ausnahmen 397 ff., 427 ff. – Ausschluss bei Verkündung des Urteils 419, 439 – Ausschluss der Öffentlichkeit bei Verhandlung 427 ff. – Ausschluss von Störern 381 – Geheimhaltung von Ermittlungsmethoden 443 – Gericht 444
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Recht auf ein faires Verfahren – – – – – –
Heilung 416 ff. Jugendliche 432 ff., 982 Kontrolle der Besucher 381 Medienöffentlichkeit 383 mündliche Verhandlung 387 Privatbereich der Verhandlungsteilnehmer 396, 421, 426, 432 ff., 436 – Rechtsmittelverfahren 407 ff. – schriftliches Verfahren 389 – Ton- und Filmaufnahmen 383 – Urteilsverkündung 418 ff. – Verzicht 391 ff., 413 – Volksöffentlichkeit 380 – Zeugen 399, 434 f., 437, 441 – Zweck der Öffentlichkeit 377 f., 393 Opfer 62, 69, 436, 685, 771 Opferschutz 117, 208, 435 Opferstellung, Verlust 360 ff., 604, 685 Ordnungsmittel 75, 381 Ordnungswidrigkeiten 1014, 1039, 1074, 1096 Originalakte, Zugang zur > Akten Personenvereinigungen 23 Persönlichkeitsrecht 448 ff., 457 f., 886 Pflichtverteidiger > Beiordnung eines Verteidigers Presse 239, 294, 383, 450 ff., 485 ff. – Anonymisierung des Täters 421 – Berichterstattung 54, 383, 456 ff. – Mitteilungen an Presse über Strafverfahren 383, 457, 485 ff. Privatbeklagter 510, 867 Privatklage 63, 510, 730 Privatleben, Schutz 396, 427 ff., 491, 886, 961 Protokollierung der Verhandlung 117, 376 Prozesskostenhilfe 116, 332, 730 Recht auf Gehör 14, 192, 197, 722, 984 f. Recht auf (Wahl-)Verteidiger – Abwesenheit 725, 728 f., 732 – Beiordnung > Beiordnung eines Verteidigers – Belehrung > Belehrung über Recht auf Verteidiger – Beschränkbarkeit 724, 731 f. – Ermittlungsverfahren 724 – juristischer Abschluss 724 – Kommunikation mit Verteidiger > – Mehrfachverteidigung, Verbot der 732 – Privatklageverfahren 730 – unentgeltliche Beiordnung > Beiordnung eines Verteidigers – Verhinderung des Wahlverteidigers 728, 731 rechtskräftige Ab-/Verurteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 Rechtsmittel in Strafsachen – Berufung 165, 700, 849, 1034 – Neubeurteilung der Straftat 550 – Recht auf zweite Instanz 991 ff. – Rechtsmittelbegründungsfrist 633 – Rechtsmittelbelehrung 847 – Rechtsmittelfristen 631 – Rechtsmittelverfahren 100, 232, 329, 407 ff., 550, 703, 712 ff., 993 ff. – Rücknahme eines Rechtsmittels infolge Täuschung 632 – Verwerfung bei Ausbleiben 705 ff.
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Revision > Rechtsmittel Richter > Gericht Richtlinie – Recht auf Belehrung 566 f., 603 – Europäische Ermittlungsanordnung 306 – Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen 563 ff., 869 ff. – Recht auf Rechtsbeistand 567, 603 Riyadh-Guidelines 978 Rügeverkümmerung 117 ff., 994 Sachverständiger – Abgrenzung vom Zeugen 807 ff. – Auswahl 811 f. – Behandlung als Belastungszeuge 819 ff. – Pflicht zur Einholung eines Gutachtens 813 ff. – Rechte des Beschuldigten 824 ff. – Unschuldsvermutung 827 Schengener Durchführungsübereinkommen 1064 ff. Schiedsgericht 129 Schöffen > Laienrichter Schuldgrundsatz – > Unschuldsvermutung Schweigen des Angeklagten > Selbstbelastungsfreiheit Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur“) – arbeitsrechtliche Auskunftspflichten 909 ff. – Äußerungen gegenüber Privatleuten 928 ff. – Auskunftspflichten außerhalb des Strafverfahrens 909 ff. – Belehrung 919 ff. – Beweisverwertungsverbote 948 ff. – Beweiswürdigung des Schweigens 914 ff. – Duldungspflichten 924 ff. – Herausgabe von Beweismaterial 923 ff. – innerstaatlicher Verfassungsgrundsatz 886 – Juristische Personen 887 – kartellrechtliche Ermittlungsverfahren 941 – Kernbereich des fairen Verfahrens 880 f. – Konventionsgarantien 880 f. – steuerrechtliche Aspekte 906 ff. – straßenverkehrsrechtliche Halterverantwortlichkeit 942 ff. – Teilschweigen 914 – Unterlaufen des Schweigerechts 910 f., 929 ff. Selbstleseverfahren 388, 863 Selbstverteidigungsrecht – Beschränkung 721 ff. – notwendige Verteidigung 723 – Recht auf (Wahl-)Verteidiger > – Umfang 720 – Verhältnis zur Verteidigung durch einen Rechtsbeistand 721 ff., 726 – Verteidigerbefugnisse 721 Steuern 56, 906 ff. Strafantrag 25, 93, 96 Strafanzeige 25, 94, 531 Strafbefehl 105, 474, 557, 847, 1030, 1068 Strafklageverbrauch > Doppelbestrafungsverbot Strafmündigkeit 960 Strafrechtliche Anklage im Sinn der – Konventionen > Anklage Strafvollstreckung 101, 853
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Tatbegriff 1013, 1035 ff. Tatprovokation 249 ff. – Kompensation 262 ff. – Rechtsfolge 258 ff. – Voraussetzungen 254 ff. – Zurechenbarkeit der Provokation 249 ff. – Zwei-Stufen-Prüfung des EGMR 261 Tokyo-Rules 977 Überlanges Verfahren > Angemessene Verfahrensdauer Übersetzung – Akteninhalt 562, 564, 848, 860, 874 – Anschuldigung, Anklageschrift 559 ff., 847 – Haftbefehl 847 – Kosten 865 ff., 877 – mündliche Sprachübertragung 860 ff., 875 – Urteil 562, 849 – wichtige Schriftstücke 564, 860, 874 Unionsrecht, Durchführung von 1090 ff. Unmittelbarkeitsgrundsatz 777 Unschuldsvermutung – Allgemeines 445 ff. – amtliche Verlautbarungen über Strafverfahren 485 ff. – Anklage, strafrechtliche 469 – Anwendbarkeit außerhalb des Strafverfahrens 520 ff. – Arbeitsrecht > Verdachtskündigung – Auslieferungsverfahren 472 – berufsgerichtliche Verfahren 471 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union 447 – Disziplinarverfahren 471 – Einstellung des Verfahrens 505 ff. – ergebnisoffene Verfahrensführung 461 – Ermittlungsverfahren 479 f. – Exklusivität der strafgerichtlichen Schuldfeststellung 451, 526 ff. – Freispruch 509 – Geständnis 463 – Grenzen der Unschuldsvermutung 452 f. – grundrechtlicher Persönlichkeitsschutz 457 – Halterhaftung 498 – innerstaatlicher Verfassungsgrundsatz 448 ff. – Kostenentscheidungen 510 ff. – Medienberichterstattung 458 – Mitberücksichtigung nichtverfahrensgegenständlicher Schuld 525, 533 – Straftaten 516 f. – Nebenentscheidungen 482 f. – Ordnungswidrigkeitenverfahren 470 – Prognosen 501, 513, 519 – „Schuldspruchreife“ 481 – Schutzpflicht des Staates 460 – Subjektives Konventionsrecht des Angeklagten 462 – Tragweite der Konventionsgarantien 464 ff. – unmittelbare Drittwirkung? 456 – Verdachtskündigung 523 f. – Verfahrensunbeteiligte Dritte 491 – Verzicht 461 – Widerruf der Strafaussetzung 518 f. – Wiederaufnahme 484 – Zeitlicher Anwendungsbereich 478 ff. Unterrichtung des Beschuldigten 534 ff. – alsbaldige 537, 539 ff. – Anlass der 538
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– Anschuldigung 534 ff. – bei Änderung der Sach- oder Rechtslage 541, 550 – Beschuldigung 534 ff. – EU-Ebene 563 ff., 566 f. – Form 553, 556, 560 – Gebotenheit 543 – Gefährdung des Untersuchungserfolgs 542 – Gegenstand 548 f. – Geheimhaltung von Informationen 548 – Heilung von Unterrichtungsmängeln 546 f. – Kinder als Beschuldigte 555, 974 – Nachprüfung durch EGMR 534, 558 – Rechtsbehelfe 568 – Rechtsmittelverfahren 550 – Rüge in Hauptverhandlung 569 – Sprache (für ihn verständlich) 559 ff. – über Inhalt einer Zeugenaussage 862 – über Rechtsbehelfe > Rechtsmittelverfahren – Zeitpunkt 539 ff., 550 Unterrichtung des Verteidigers 556 Untersuchungsausschuss 53, 98 Untersuchungsgrundsatz 277 Untersuchungshaft 205, 313, 475, 642, 983 – Vorbereitung der Verteidigung 577 Urkunde 560, 763, 863, 907 Urteil – Begründungspflicht 231 ff., 282, 632 – Ermessensentscheidungen 131, 237, 510, 515 – Rechtsmittelentscheidungen 238 – Übersetzung 562, 849 Urteilsverkündung 418 ff., 437, 439, 691, 982 Verbrechensopfer > Opfer Verdachtskündigung 523 f. Verdeckte Ermittler 251, 256, 258, 769, 934, 936 Verfahrenserledigung in angemessener Frist > Angemessene Verfahrensdauer Verfahrenshindernis 263, 265 ff., 349, 366, 505, 510, 515, 570, 1011, 1028 Verfallserklärung 1077 Verhandlung, mündliche > Gericht > Mündlichkeit Vermutungen, gesetzliche 497 ff., 558 Vernehmung, audiovisuelle 794 Versprechung 939 Verteidiger – Belehrung über Recht auf Verteidiger 755 ff. – Bestellung > Beiordnung eines Verteidigers – Kontaktsperre 617 – Kosten > Beiordnung eines Verteidigers > Unentgeltlichkeit – Pflichtverteidiger 655 f., 723, 731, 733 ff., 850 – Recht auf (Wahl-)Verteidiger 655 f., 704, 711, 724 ff., 850 – Überwachung der Kommunikation 614, 725, 753 – Verkehr mit Angeklagtem 614 ff., 725, 753 – Wechsel 630 – „Zwangsverteidiger“ > Beiordnung eines Verteidigers Verteidigung – ausreichende Vorbereitungszeit 535, 546, 570 ff., 626 ff. – Gesamtwürdigung 719, 721 – Mindestrechte > Verteidigungsrechte
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Recht auf ein faires Verfahren – Teilnahme an Beweiserhebung 573 – Teilnahme an Vernehmung 605 ff. Verteidigungsrechte – Gesamtbetrachtung 719, 721 – Konfrontationsrecht > – Recht auf (Wahl-Verteidiger) > – Selbstverteidigungsrecht > – Waffengleichheit > Verteidigungsunterlagen, Beschlagnahme 616 Vertrauen 241, 1071 Verurteilung 1015 f., 1029 ff., 1066 ff., 1095 Verwaltungssanktionenrecht 1039 ff. Verzicht, Anwesenheitsrecht 665 ff. – Abwesenheitsurteil > Abwesenheitsurteil, -verfahren – Ausbleiben 671 – ausdrücklich 668 – Auslieferungsverfahren 694 – Beweislast 670, 673 – Eindeutigkeit 667 – Europäischer Haftbefehl 695 ff. – konkludent 669 ff. – mehrdeutiges Verhalten 693 – Möglichkeit 671 – öffentliche Interessen 675 – Ordnungsvorschriften, Verstoß gegen 674 – Pflichtverteidiger 682, 690 – Rechtsmittelverfahren 714 f. – Schutzmaßnahmen 666 f. – Überprüfungsmöglichkeit 688 – Verteidigungsrecht, Verzicht auf das 686 f. – Wahlverteidiger, erschienener 682, 688, 702 ff. Vollstreckungsklausel 1081 ff., 1098 ff. Vollstreckungslösung 348 ff., 374 ff., 622 Vollstreckungsverfahren 109, 842 Vorlageverfahren 125, 217 V-Person 256, 769, 963 Waffengleichheit („Equality of Arms“) 179, 197, 202 ff., 220, 279, 378, 573 f., 607, 636, 645, 717, 720, 730, 738, 758, 760, 763, 801, 806, 808, 810, 819, 836, 987 – Gesamtwürdigung 762 – Konfrontationsrecht > – Ladung von Zeugen 804 ff. Wiederaufnahme des Strafverfahrens 1012, 1022, 1051 ff., 1070, 1101 Wiedereinsetzung (Frist) 103, 113, 240 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen 618 ff.
Art. 14 IPBPR
Willkürkontrolle durch den EGMR 125, 217 Zellspitzel 300 Zeugen – anonyme 781, 797 f. – autonomer Begriff 765 – Belastungszeugen 764, 767, 770 – Einvernahme im Ausland 785, 805 – Entlastungszeugen 764 – gesperrte Zeugen 793 f., 799, 801, 804 – Mitangeklagter als Zeuge 771 – mittelbare Zeugen 766 f. – Sachverständiger 771 – Selbstladungsrecht des Angeklagten 804 – Schutz des Zeugen 790 – unerreichbare Zeugen 783, 796 – Zeuge vom Hörensagen 770 Zeugnisverweigerungsrecht 790 Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen 38 ff. – Allgemein 27, 38 ff. – Achtung der Ehre 49 – Adhäsionsverfahren 25, 61 – Akademische Grade 54 – Berufsbezeichnung 54 – Dienstpflichten aus Beamtenverhältnis 57 ff. – Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen 66 – öffentlicher Dienst 57 ff. – öffentlich-rechtlicher Kontext 47 ff. – Schadensersatzansprüche 48 – Soldatenverhältnis 57 ff. – Sozialleistungen 50 – Umweltrechtliche Abwehransprüche 52 – vermögenswerte Rechte 38 f., 64 – Vorverfahren 107 – zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren 61 ff. – zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne 44 ff. – Zollrecht 56 – Zuordnung wegen Vermögensrelevanz 38, 47 – Zwangsversteigerungsverfahren 43 Zugang zur Verfahrensakte (siehe Akten, Einsichtsrecht) – Art und Weise 645 ff. – erneuter 650 – Originalakte 646, 648 – Zeitpunkt 647 Zusagen > Versprechen Zwischenverfahren > Gericht, Unparteilichkeit > Zwischenverfahren
I. Einführung 1. Verfahrensrechte als selbstständige Menschenrechte. Als selbstständige Menschen- 1 rechte werden das Recht auf ein gerichtliches Verfahren und wichtige Verfahrensgrundsätze durch Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR besonders garantiert, allerdings nicht umfassend, sondern selektiv für zwei für die Rechte des Einzelnen besonders wichtige Sachbereiche: für den Streit um seine Ansprüche, die seinen weit verstandenen zivilrechtlichen Bereich berühren (Rn. 44 ff.) und bei der Anklage wegen des Verdachts einer Straftat (Rn. 68 ff.).
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EMRK Art. 6 2
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Die Verfahrensgarantien tragen der Erkenntnis Rechnung, dass der Menschenrechtsschutz unvollkommen ist, wenn die Verbürgung materieller Rechte nicht durch die Gewährung des Zugangs zu Gericht und von Verfahrensrechten abgesichert wird, die ermöglichen, dass über diese Rechte unparteiisch in einem fairen Verfahren entschieden wird. Jede Garantie der Menschenrechte wird praktisch wertlos, wenn ihre Durchsetzung an den Mängeln des bereitgestellten Verfahrens scheitert, sei es, dass keine Möglichkeit besteht, bei ihrer Verletzung die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts herbeizuführen, sei es, dass der Betroffene seine Rechte wegen inadäquater oder ihn benachteiligender Verfahrensregeln nicht oder nur unzulänglich vor Gericht vertreten kann.1 Neben den allgemein geltenden Verfahrensgrundsätzen in Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR stellen Art. 6 Abs. 2, 3 EMRK / Art. 14 Abs. 2, 3 IPBPR für das Verfahren über die Stichhaltigkeit strafrechtlicher Anklagen noch Einzelforderungen auf, die in Art. 14 Abs. 4 bis 7 IPBPR durch zusätzliche Bestimmungen ergänzt werden. Weitere Verfahrensgarantien enthalten die Art. 5, 7 EMRK / Art. 9, 10, 15 IPBPR, ferner Art. 13 EMRK, dessen Beschwerderecht jedoch verdrängt wird, soweit Art. 6 Abs. 1 EMRK für die dort genannten Sachbereiche weitergehende Spezialgarantien (wie Zugang zu Gericht) enthält.2 Schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 werden auch Verfahrensrechte als Menschenrechte gewährleistet. Nach Art. 10 AEMR hat jedermann Anspruch darauf, dass in voller Gleichberechtigung über seine Ansprüche und Verpflichtungen und über eine strafrechtliche Anklage durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht in billiger Weise öffentlich verhandelt wird. Für das Strafverfahren fordert Art. 11 Abs. 1 AEMR dieser Erklärung außerdem, dass jeder, der wegen einer strafbaren Handlung angeklagt wird, als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien hatte, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist. Dieselben Grundgedanken werden – mitunter abgewandelt – in verschiedenen anderen Erklärungen bekräftigt. So werden in der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments vom 12.4.19893 in Art. 19 der wirksame Zugang zu Gericht bei Verletzung der Rechte und Freiheiten sowie allgemein das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gefordert. Das Kopenhagener Abschlussdokument über die menschlichen Dimensionen der KSZE vom 29.6.1990 hat die wesentlichen Verbürgungen von Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR meist mit deren Wortlaut wiederholt.4 In abgewandelter Form finden sie sich auch in Art. 40 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (vgl. Teil I Rn. 31), sowie in sonstigen Übereinkommen, vor allem auch in den Übereinkommen des humanitären Völkerrechts.5
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Vgl. Partsch 141. Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 336; zur teilweise geänderten Beurteilung der Konkurrenzfragen vgl. Art. 13 EMRK Rn. 14. EuGRZ 1989 204. Deutscher Wortlaut EuGRZ 1990 239 (dort Nr. 5.14 bis 5.19); vgl. Teil I Rn. 76. So etwa Art. 105, 106 des III. Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefange-
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nen vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 838), Art. 72–74 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten v. 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 917; ber. 1956 II S. 1586), Art. 75 Abs. 3, 4 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte v. 8.6.1977 (BGBl. 1990 II S. 1551) und in Art. 6 des Zusatzprotokolls II über
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union6 führt bei Titel VI allgemeine 9 und damit – anders als bei den Konventionsgarantien – für jede Art von Verfahren geltende „Justizielle Rechte“ auf. Art. 46 EUC zählt unter Verzicht auf Details im Wesentlichen gleichartige Rechte auf wie Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR, so insbesondere das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht und auf ein öffentliches, faires Verfahren. Nach Art. 47 EUC gilt jede angeklagte Person bis zum rechtsförmlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Die Achtung ihrer Verteidigungsrechte wird gewährleistet. Soweit diese Rechte den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite (Art. 52 Abs. 3 EUC). Für die Mitgliedstaaten – und damit im nationalen Strafverfahren – gelten sie allerdings nur bei der „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 EUC; siehe hierzu Rn. 9, 447, 1087 und Teil I Rn. 131 ff.). Der EuGH sah bereits vor dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte in der 10 Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 13 EMRK) und eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) einen allgemeinen Grundsatz des (früheren) Gemeinschaftsrechts, der sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten und der Menschenrechtskonvention ergab und der nach Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. im Anwendungsbereich des (früheren) Gemeinschaftsrechts Gemeinschaftsverfassungsrang hatte.7 Die Versagung eines aus dem Gemeinschaftsrecht abzuleitenden Rechts musste bereits innerstaatlich angefochten werden können.8 Diese Grundsätze gelten für das heutige Unionsrecht entsprechend. 2. Verhältnis zwischen Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR. Die Regelungen in Art. 6 11 EMRK decken sich inhaltlich im Wesentlichen mit Art. 14 Abs. 1 bis 3 IPBPR. Die Art. 14 Abs. 4 bis 7 IPBPR enthalten weitergehende Gewährleistungen, die abgesehen von Art. 14 Abs. 4 IPBPR, später in den Art. 2 bis 4 des 7. ZP-EMRK vom 22.11.1984 übernommen worden sind, dem die Bundesrepublik aber nicht beigetreten ist. Als Bundesrecht gilt daher nur Art. 14 Abs. 4 bis 7 IPBPR nach Maßgabe der dazu erklärten Vorbehalte.9 3. Innerstaatliches Verfassungsrecht. Das Hauptanliegen der Art. 6 EMRK / Art. 14 12 Abs. 1 bis 3 IPBPR, den Zugang zu einem unabhängigen Gericht und ein „faires“, rechtsstaatliches Verfahren zu sichern, deckt sich weitgehend mit den Verbürgungen des innerstaatlichen Verfassungsrechts. Dieses gewährleistet jedermann, Inländern und Ausländern gleichermaßen,10 einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, der, weiter als die Konventionen, für alle Verfahren und Verfahrensbeteiligten (im weiten Sinne) gilt, also auch für Zeugen und Sachverständige.11 Dieses Verfahrensgrundrecht wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), 13 aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), aus der Gewährleistung der allgemeinen Freiheitsrechte und der Achtung der Menschenwürde hergeleitet.12 Es
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den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte v. 8.6.1977 (BGBl. 1990 II S. 1637). ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389; zu deren Verbindlichkeit vgl. Teil I Rn. 131 f. Etwa EuGH Rs. C-7/98 (Krombach), 28.3.2000, Slg. 2000 I-1935 = NJW 2000 1853 = JZ 2000 723 m. Anm. v. Bar; Pache NVwZ 2001 1343.
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EuGH Rs. 222/86 (Unectef), 15.10.1987, Slg. 1987, 4097. Vgl. Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes v. 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533). BVerfGE 40 98; Kruis StraFo 2003 36. Vgl. BVerfGE 38 112 (Recht auf Anwalt als Zeugenbeistand). Etwa BVerfGE 54 277, 292; 78 88, 99; 89 347, 356; BVerfG NJW 2010 592; BVerfG
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
verlangt ein justizförmiges Verfahren, das sich an den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit orientiert und das die Verfahrensbeteiligten nicht als Objekte der Rechtsprechung behandelt, sondern ihnen ermöglicht, in einem geordneten und in den gegenseitigen Rechten ausgewogenen Verfahren den eigenen Standpunkt wirksam zu vertreten und in gleichem Umfang wie die anderen Prozessparteien aktiv mit eigenen Befugnissen auf Gang und Ergebnis Einfluss zu nehmen.13 Ein wichtiger Teilaspekt des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, das Recht auf Ge14 hör, wird durch Art. 101 Abs. 1 GG für alle Verfahren noch besonders gewährleistet.14 Im Strafverfahren gehört zu diesen Rechten vor allem die Befugnis des Beschuldigten, sich als eigenverantwortliches Prozesssubjekt mit eigenen Verfahrensrechten in einem fairen Verfahren wirksam gegen die erhobene Beschuldigung zu verteidigen und sich gegen Eingriffe des Staates wehren zu können.15 Dies schließt das Recht auf einen Dolmetscher ein, sofern dies notwendig ist, damit ein der deutschen Sprache nicht hinreichend Kundiger die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich dem Gericht verständlich machen kann.16 Die Unschuldsvermutung, die mit unterschiedlichen Formulierungen in einigen Län15 derverfassungen ausdrücklich aufgenommen ist, wird im Grundgesetz nicht angesprochen; sie wird aber auch in diesem mit Verfassungsrang gewährleistet.17 Sie ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und des Schutzes der Grundrechte; in diese darf der Staat durch eine strafrechtliche Verurteilung erst eingreifen, wenn die Eingriffsvoraussetzung, d.h. das Vorliegen einer Straftat, voll nachgewiesen ist.18 Das Recht auf Zugang zu den Gerichten wird von Art. 19 Abs. 4 GG zwar nur bei 16 allen Rechtsverletzungen durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ausdrücklich garantiert. Aus dem Rechtsstaatsprinzip, der Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 GG, dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt jedoch auch im Übrigen, dass der Einzelne grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, eine Entscheidung der unabhängigen Gerichte in einer ihn betreffenden Sache herbeizuführen,19 wobei allerdings der Zugang nicht lückenlos gewährleistet sein muss.20 Spezielle Garantien für die Einschaltung des Gerichts enthalten einzelne Artikel des Grundgesetzes (z.B. Art. 13 Abs. 2–5; Art. 14 Abs. 3; Art. 104 Abs. 2, 3 GG), die eine Entscheidung über bestimmte Eingriffe dem Richter vorbehalten.
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NJW 2010 287; BVerfG StraFo 2010 243; vgl. Kruis StraFo 2003 36. BVerfGE 24 401; 25 361; 26 71; 37 148; 38 111; 39 238; 40 99; 41 249; 46 210; 57 274; 64 145; 70 297; 78 126; ferner etwa Dörr 144 ff.; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 397; Rüping JZ 1983 663. Der grundrechtlich gesicherte Anspruch auf ein faires Verfahren ist weiter als das Recht auf Gehör, aus dem nicht alle Befugnisse auf aktive Teilhabe am Verfahren abgeleitet werden können (BVerfGE 64 143 ff. = JZ 1983 659 mit Anm. Rüping); Dörr 98. Vgl. ferner LR/Kühne Einl. I 75 ff. BVerfGE 57 275; 63 60; 337; NStZ 1991 294; LR/Kühne Einl. I 103 ff. m.w.N.; ferner etwa SK/Rogall Vor § 133, 103 f. StPO.
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BVerfGE 64 146 = JZ 1983 659 mit Anm. Rüping; BVerfG EuGRZ 1986 439. BVerfGE 82 106, 114, 119; BVerfG NJW 2002 3231; Stuckenberg 48 ff., 544; LR/Kühne Einl. J 74. Vgl. BVerfGE 19 347; 22 265; 25 331; 35 320; 71 216; 74 370; BVerfG NJW 1990 2741; ferner etwa IK-EMRK/Kühne 413 ff.; Kühl Unschuldsvermutung 10; ders. NJW 1988 3233; Meyer FS Tröndle 61; Niemöller/ Schuppert AöR 107 (1982) 470; Stuckenberg 48 ff. m.w.N.; SK/Rogall Vor § 133, 74 StPO. BK/Schenke Art. 19, 77 GG; Klöpfer JZ 1979 210 (verfassungsrechtliche Funktionsgarantie zugunsten der Rechtsprechung). BK/Schenke Art. 19, 76 GG.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Das Rechtsstaatsprinzip fordert auch, dass die gerichtlichen Verfahren in angemesse- 17 ner Zeit entschieden werden. Vor allem Strafverfahren sind beschleunigt und ohne jede vermeidbare Verzögerung zu erledigen. Der Beschuldigte muss die Belastungen und Beeinträchtigungen durch das schwebende Verfahren im Interesse einer effektiven Strafrechtspflege nur solange hinnehmen, als dies von der Sache her unvermeidlich ist; dies rechtfertigt nicht erhebliche Verzögerungen, die im Verantwortungsbereich des Staates liegen und die nach den konkreten Umständen objektiv nicht erforderlich sind oder für die überhaupt jeder einsichtige Grund fehlt.21 Eine danach ungerechtfertigt lange Verfahrensdauer verletzt den Betroffenen in seinen durch Art. 2 Abs. 1 / Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechten.22 Die Unabhängigkeit der Richter ist durch Art. 97 GG gewährleistet, das Verbot der 18 Doppelaburteilung folgt (bezogen auf die nationale Perspektive) aus Art. 103 Abs. 3 GG. Dagegen sind die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen 19 Verfahrens keine vom Grundgesetz mit Verfassungsrang vorgeschriebenen Verfahrensgrundsätze.23
II. Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich 1. Persönlicher Geltungsbereich a) Der Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung und die Verfahrensrechte vor Gericht werden von Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR nicht für alle Arten von Ansprüchen und für alle gerichtlichen Verfahren gewährt. Auf die in diesen Bestimmungen genannten Garantien können sich nur Personen berufen, deren (zivilrechtliche) Ansprüche und Verpflichtungen streitig sind (Rn. 38 ff.) sowie Personen, gegen die eine strafrechtliche Anklage erhoben worden ist (Rn. 68 ff.). Jedermann, bei dem die durch Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR inhaltlich vorgegebenen Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich auf die in diesen Vorschriften niedergelegten Rechte berufen, ganz gleich, ob er im Inland oder Ausland wohnt und welche Staatsangehörigkeit er hat. Auch ein besonderes Statusverhältnis (z.B. Militärdienst, Strafgefangener, Beamter) schließt die Anwendbarkeit der Garantien nicht aus, kann allerdings inhaltliche Anpassungen erforderlich machen. Die Ansprüche aus dem Statusverhältnis selbst gehören allerdings in der Regel nicht zu den beiden Anwendungsbereichen.24 Die Garantien des Art. 6 EMRK stehen auch Personenvereinigungen und juristischen Personen zu,25 soweit sie im jeweiligen Verfahren parteifähig oder angeklagt (vgl. § 444 StPO) sind, nicht aber dem Staat bei Ausübung hoheitlicher Gewalt und auch nicht als Fiskus.26 Bei Art. 14 IPBPR ist dagegen strittig, ob seine nur den einzelnen Individuen
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BVerfG NJW 1984 967 (Vorprüfungsausschuss); ferner etwa Hanack JZ 1971 711; Hillenkamp JR 1975 135; Klöpfer JZ 1979 214; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 467; I. Roxin 158 ff.; Schroth NJW 1990 29. BVerfGE 63 45, 69; BVerfG NJW 1984 967; Lansnicker/Schwitzeck NJW 2001 1969 m.w.N.
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Vgl. BVerfGE 4 94; 15 307; Odersky FS Pfeiffer 325; dagegen verbürgt Art. 90 BayVerf grundsätzlich die Öffentlichkeit aller gerichtlicher Verfahren. IK-EMRK/Miehlser 150 ff. m.w.N.; vgl. auch Frowein/Peukert 4. Frowein/Peukert 4; siehe Art. 1 Rn. 19 und Teil II Rn. 125. Frowein/Peukert 4; Guradze 9; a.A. Schorn 3.
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(„individuals“ / „les individus“) durch Art. 2 Abs. 1 IPBPR garantierten Rechte auch juristischen Personen und Personenvereinigungen als solchen oder nur ihren Mitgliedern zustehen.27
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b) Unter dem Blickwinkel des Betroffenseins von einer strafrechtlichen Anklage fällt nur der unter den Schutz, gegen den sich die (sachlich weit verstandene) Anklage richtet, also (im Ermittlungsverfahren; dazu Rn. 94 f.) der Beschuldigte und ggf. spätere Angeschuldigte bzw. Angeklagte, nicht aber Nebenbeteiligte, auch wenn sie hinsichtlich ihrer sachlichen Betroffenheit durch die Anklage und ihrer Verfahrensbefugnisse im nationalen Recht dem Beschuldigten/Angeklagten gleichgestellt sein sollten.28 Personen, die keine Verfahrensparteien sind oder gegen die sich das Strafverfahren 25 nicht richtet, wie etwa Verletzte29, Zeugen30 oder Sachverständige31, aber auch ein Privatoder Nebenkläger können – soweit nicht zivilrechtliche Ansprüche zugleich oder separat berührt sind (z.B. beim Adhäsionskläger, §§ 403 ff. StPO) – keine (strafprozessualen) Rechte aus Art. 6 EMRK herleiten.32 Das gilt auch für denjenigen, der einen Strafantrag stellt (Verletzter) oder eine Strafanzeige erstattet. Auch ein Recht auf Strafverfolgung, d.h. dass gegen eine bestimmte Person oder (zu26 nächst) gegen Unbekannt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet bzw. ein späteres gerichtliches Verfahren geführt wird, räumen Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR nicht ein.33 Ein solches Recht kann sich allerdings im Einzelfall aus Art. 2 EMRK (dort Rn. 28 ff.) bzw. aus Art. 3 EMRK (dort Rn. 20 ff.) ergeben.
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c) Hinsichtlich zivilrechtlicher Streitigkeiten kann sich jede Person auf Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 IPBPR berufen, deren eigene Rechte oder Verpflichtungen betroffen sind, ebenso derjenige, der nach nationalem Recht befugt ist, ein fremdes Recht oder eine fremde Verpflichtung im eigenen Namen geltend zu machen. Fehlt allerdings im nationalen Recht jede Rechtsgrundlage für einen behaupteten Anspruch, scheidet eine Berufung auf Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR aus.34 Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bestehen eines Anspruchs erwiesen sein muss; der Betroffene muss nur plausibel argumentieren können, dass sich für ihn aus dem nationalen Recht generell ein Anspruch dieser Art herleiten lässt (siehe dazu auch Rn. 40).35
27 28 29 30
Vgl. Nowak Art. 2, 22 ff.; siehe Art. 1 EMRK Rn. 62. Vgl. für das deutsche Recht die Regelung des § 433 Abs. 1 StPO sowie ausführlich Rn. 69. A.A. Walther GA 2007 615, 620, 624 ff. mit Vorschlägen de lege ferenda. Wenn der Zeuge allerdings selbst bereits angeklagt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist, kann er sich deswegen auf seine Beschuldigtenrechte aus Art. 6 EMRK berufen (dazu Rn. 69, 97), insbesondere auf das Schweigerecht und das Selbstbelastungsprivileg; vgl. hierzu auch: Esser 681 ff.; Weiß JZ 1998 289, 290.
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Frowein/Peukert 4; Guradze 4. Siehe auch: SK/Paeffgen 12. EGMR Grams/D (E), 5.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 1989 (RAF-Festnahmeaktion Bad Kleinen). EGMR Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Frowein/Peukert 7. EGMR Boden/S, 27.10.1987, A 125-B = NJW 1989 1423 = EuGRZ 1988 452; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
2. Sachlicher Geltungsbereich a) Eingrenzung auf die in Absatz 1 genannten Sachbereiche. Nur für die in Art. 6 Abs. 1 28 EMRK bzw. Art. 14 Abs. 1 IPBPR genannten Sachbereiche werden der Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung und die Grundsätze für ein (gerichtliches) Verfahren garantiert. Sie gelten nicht für alle Verfahren schlechthin; insbesondere gewährleisten Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR (anders als Art. 19 Abs. 4 GG) weder eine umfassende gerichtliche Kontrolle jedes staatlichen Eingriffs in Rechte noch eine innerstaatliche gerichtliche Überprüfung des nationalen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht.36 b) Für die Abgrenzung der geschützten Sachbereiche ist nicht maßgebend, wie das 29 jeweilige nationale Recht die einzelne Frage zuordnet. Die Zuordnung einzelner Rechtsinstitute ist in den einzelnen Konventionsstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Die in den Konventionen verwendeten Begriffe sind daher im Interesse eines europa- bzw. weltweit einheitlichen Rechtsschutzes autonom nach Sinn und Zweck der jeweiligen Konvention auszulegen.37 Die vorherrschenden Auffassungen in den Rechtssystemen der Vertragsstaaten sind dabei mit zu berücksichtigen;38 sie dienen aber nur als erste Orientierung und sind nicht allein entscheidend. In den Randbereichen ist nicht endgültig geklärt, welche Verfahren von Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR erfasst werden.39 Da sich beide dort angeführten Sachgebiete nicht gegenseitig ausschließen40 und sich als Folge der durch den Schutzzweck gebotenen weiten Auslegung überschneiden, ergibt sich mitunter die Anwendbarkeit der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR aus mehreren Gesichtspunkten. Der EGMR lässt es dann meist genügen, wenn die Anwendbarkeit aus einem Grund (sicher) bejaht werden kann.41 Die nur für strafrechtliche Anklagen aufgestellten besonderen Verfahrensrechte des Art. 6 Abs. 3 EMRK (Rn. 534 ff.) werden ggf. aus dem für beide Sachbereiche geltenden Recht auf ein faires Verfahren (Rn. 177 ff.) hergeleitet. c) Nur die nationalen Gerichte der Vertragsstaaten werden von den Verfahrenspflich- 30 ten der Konventionen erfasst, nicht aber internationale Gerichte, deren Verfahrensordnung von den (einzelnen) Vertragsstaaten nicht beeinflusst werden kann.42 Soweit jedoch die Vertragsstaaten Entscheidungen über Angelegenheiten, die unter Art. 6 Abs. 1
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EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 34); James/UK, 21.2.1986, A 98 = EuGRZ 1988 341; vgl. Art. 13 EMRK Rn. 16. EGMR Kennedy/UK, 18.5.2010, § 179 („The concept of ‘civil rights and obligations’ cannot be interpreted solely by reference to the domestic law of the respondent State. […] This concept is ‘autonomous’, within the meaning of Article 6 § 1 of the Convention.“); (GK) Ferrazzini/I, 12.7.2001, ECHR 2001-VII, § 24 = NJW 2002 3453; (GK) Roche/UK, 19.10.2005, ECHR 2005-X, § 119 = NJOZ 2007 865. EGMR König/D, 28.6.1978, A 27 = NJW 1979 477 = EuGRZ 1978 406; Deweer/B, 27.2.1980, A 35 = EuGRZ 1980 667; Frowein/Peukert 5; Nowak 10; Ulsamer FS Zeidler 1813; Weh EuGRZ 1985 469; ders. EuGRZ 1988 433.
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Vgl. die Übersicht über die Spruchpraxis bei Frowein/Peukert 17 f., 27 ff. IK-EMRK/Vogler 188; siehe hierzu schon die frühere Rechtsprechung des EGMR: Engel u.a./NL, 23.11.1976, A 22 = EuGRZ 1976 221; König/D (Fn. 38); Le Compte u.a./B, 23.6.1981, A 43 = NJW 1982 2714 = EuGRZ 1981 551; Albert u. Le Compte/B, 10.2.1983, A 58 = EuGRZ 1983 190; Minelli/CH, 25.3.1983, A 62 = EuGRZ 1983 475. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); Campbell u. Fell/UK, 28.6.1984, A 80 = EuGRZ 1985 534; Matyjek/PL (E), 30.5.2006, ECHR 2006-VII; Uzukauskas/LIT, 6.7.2010. Vgl. Frowein/Peukert 5, Fn. 23 (Oberstes Rückerstattungsgericht – später aufgehoben und auf BGH übergeleitet; Gesetz v. 17.12.1990, BGBl. I S. 2862).
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR fallen, gemeinsamen oder internationalen Gerichten übertragen haben, müssen sie dafür sorgen, dass die Verfahrensgarantien dieser Artikel auch dort nicht verkürzt werden.43 Die Gerichte der Europäischen Union haben die Verfahrensrechte des Art. 6 EMRK 31 schon vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon insofern beachtet, als sie zu den allgemeinen Grundsätzen des (früheren) Gemeinschaftsrechts gehörten und vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle für den Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene anerkannt wurden (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV a.F.).44 Auch die Gerichte der EU haben daher in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK) zu entscheiden.45 Mit dem im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Beitritt der Union zur Konvention46 (Art. 6 Abs. 2 EUV) werden die Bestimmungen der EMRK für alle Organe und damit auch für die Gerichte der Europäischen Union unmittelbar verbindlich (Art. 216 Abs. 2 AEUV).47 Der EGMR hat die Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (jetzt Art. 267 AEUV) bislang offen gelassen.48
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d) Eine formelle Bindung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH – ICC) bzw. des Jugoslawien- (ICTY) und Ruanda-Tribunals (ICTR) an die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR würde die Mitgliedschaft dieser Gerichte im Europarat voraussetzen (Art. 59 Abs. 1 EMRK). Diese ist (mit Ausnahme der EU) ausschließlich europäischen Staaten vorbehalten (vgl. Art. 4 der Satzung des Europarates), so dass eine unmittelbare Bindung von vornherein ausscheidet.49 Da eine Individualbeschwerde vor dem EGMR nur gegen Vertragsstaaten zulässig ist, kann ein vor dem ICC oder einem der Tribunale Angeklagter nicht die Verletzung des Art. 6 EMRK rügen.50 Genau dies wurde vor dem ICTY im Verfahren Naletilic v. Kroatien51 geltend gemacht; dabei richtete sich die Beschwerde allerdings gegen die Auslieferung an den ICTY durch Kroatien und somit gegen eine Handlung eines Vertragsstaates des Europarates.52 Eine direkte Anwendung der EMRK für den ICTY und den ICTR scheidet zudem schon aufgrund deren Statuten aus, vgl. die Präambeln. In beiden heißt es: Aufgabenwahrnehmung „nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Statuts“.53 Den ICC trifft allerdings gemäß Art. 21 Abs. 3 des ICCStatuts die Verpflichtung, bei der Auslegung des nach Art. 21 Abs. 1 ICC-Statut anwendbaren Rechts die international anerkannten Menschenrechte – und somit auch die EMRK und den IPBPR – zu berücksichtigen.54
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Zur Verbindlichkeit der normativen Grundrechtsverbürgungen im Bereich der EU vgl. Teil I (Einf.) Rn. 113. Siehe hierzu: Esser in: Sieber u.a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht (2011), § 53, 23 ff.; SK/Paeffgen 14 m.w.N.; Streinz 754, 761; vgl. ausführlich Teil I (Einl.) Rn. 46 ff. Vgl. EuGH Rs. C-185/95 P (Baustahlgewerbe GmbH), 17.12.1998, Slg. 1998, I-8417 = EuZW 1999 115. Zu den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon vgl. ausführlich Teil I Rn. 51 ff. EU-Kommentar/Schwarze Einl. 32. Vgl. noch zum Verfassungsentwurf des Konvents bzw. Art. 300 Abs. 7 EGV a.F. KK-GG-EMRK/ Giegerich Kap. 2, 33 f.; zur früheren Rechtslage EGMR Cooperatieve Producentenorga-
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nisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij u.a./NL (E), 20.1.2009, EuGRZ 2011 11 = NJOZ 2010 1914 = ÖJZ 2009 829. EGMR Cooperatieve Producentenorganisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij u.a./NL (E) (Fn. 47). Cryer, Friman, Robinson, Wilmshurst 354; bzgl. des ICTY: Oswald 128; bzgl. des ICC: Safferling in Renzikowski (Hrsg.) 137, 157. Oswald 128. ICTY Mladen Naletilic vs. Croatia, 3.5.2006, IT-98-34-A, EuGRZ 2002 143. Siehe Oswald 128 f.; Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 158. Vgl. Oswald 129. Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 160.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
In Betracht kommt sowohl für die Tätigkeit des ICC als auch für die Verfahren vor 33 dem ICTY und dem ICTR allenfalls eine gewisse „Vorbildwirkung“ der EMRK.55 Zu beachten ist, dass auch die Tribunale in ihren Statuten das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren kodifiziert haben, vgl. Art. 20 Abs. 1 ICTY-Statut / Art. 19 Abs. 1 ICTR-Statut / Art. 64 Abs. 2 ICC-Statut. Mangels eigener Rechtsprechungspraxis wird bei der Auslegung dieser Normen immer wieder auf die zur EMRK entwickelten Grundsätze und die Rechtsprechung des EGMR zurückgegriffen,56 der über eine gefestigte und bewährte Spruchpraxis verfügt.57 Dies bietet zudem den Vorteil einer homogenen Auslegung der entsprechenden Normen, die sowohl zur Rechtssicherheit als auch zu einer besseren Akzeptanz der Entscheidungen der Tribunale innerhalb der Bevölkerung beiträgt.58 Ein Rückgriff der Tribunale auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR mag 34 zunächst verwundern. Bei der EMRK handelt es sich schließlich um einen Katalog von Menschenrechten, der einer regionalen Begrenzung unterliegt. Die Konvention dient der Durchsetzung der normierten Rechte gegenüber den Vertragsstaaten. Demgegenüber gehört die Arbeit der Gerichtshöfe zu dem universell geltenden Völkerstrafrecht. Sie dient der Verfolgung Einzelner wegen Verstößen gegen das materielle Strafrecht.59 Dennoch bestehen Überschneidungen der beiden Rechtsmaterien. Grundgedanke des Völkerstrafrechts ist der Schutz der elementaren Menschenrechte, die den eigentlichen materiellen Gehalt des internationalen Strafrechts darstellen. Ihre Verletzung ist die Grundlage der verfolgbaren Tatbestände, so dass das Völkerstrafrecht auch der Durchsetzung der Menschenrechte dient,60 freilich gegenüber Einzeltätern und nicht gegenüber den Vertragsstaaten, wie es bei der EMRK der Fall ist. Zudem können sich auch die verdächtigen, angeklagten und verurteilten Personen ihrerseits auf die Menschenrechte berufen.61 Somit ist trotz konträrer Rechtsmaterien ein Rückgriff der Tribunale auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR möglich.62 Dieser Erwägungen gelten entsprechend für die Bestimmungen des IPBPR und die Spruchpraxis des HRC. In der Entscheidung Prosecutor v. Dusko Tadic 63 (u.a. Verletzung des Grundsatzes des 35 fairen Verfahrens) verweist der ICTY bei der Frage, ob Art. 20 Abs. 1 ICTY-Statut auch das Prinzip der Waffengleichheit enthalte, u.a. auf verschiedene Urteile des EGMR. „The Appeals Chamber finds that there is no reason to distinguish the notion of fair trial under Article 20(1) of the Statute from its equivalent in the ECHR and ICCPR, as interpreted by the relevant judicial and supervisory treaty bodies under those instruments.“64 Zur Auslegung und Bestimmung der Reichweite des im Statut festgeschriebenen fair-trial-Grundsatzes wird hier somit explizit auf die Rechtsprechung des EGMR zurückgegriffen.65 55 56
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Oswald 125 f. Oswald 125, 159 ff., 173; Cryer, Friman, Robinson, Wilmshurst 354; Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 163. Oswald 168; vgl. auch: Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 160. Oswald 169 f., 173. Oswald 126 f. Möller Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof (2003) 419 f. („ultima ratio“ des internationalen Menschenrechtsschutzes“). Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 154, 156; Oswald 129 ff.
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Oswald 165 f., 169. ICTY-Appeals Chamber, Judgement, 15.7.1999, Case No. IT-94-1-A. ICTY-Appeals Chamber, Judgement, 15.7.1999, Case No. IT-94-1-A, § 44. Der ICTY kommt allerdings dennoch zu einem eingeschränkten Umfang der Waffengleichheit vor dem ICTY, §§ 51 ff. Eine ausführliche Darstellung dieser Entscheidung findet sich bei: Oswald 144 ff.; Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 163 ff.
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In dem Verfahren Prosecutor v. Anto Furundzija66 rügte der Angeklagte eine Verletzung seines Rechts auf ein unparteiisches Gericht. Der ICTY bezog sich auch in diesem Urteil ausdrücklich auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und verwies hinsichtlich des Umfanges des Rechts auf die Spruchpraxis des EGMR.67 Zu berücksichtigen ist hinsichtlich der Geltung menschenrechtlicher Standards nach 37 Ansicht des ICTY allerdings der besondere Charakter der Tribunale. Ein gravierender Unterschied zur EMRK soll die Tatsache darstellen, dass die Tribunale während eines noch andauernden Konfliktes errichtet wurden. Sie gleichen damit einem Militärtribunal, vor welchem die prozessualen Rechte des Angeklagten begrenzt seien. Eine Auslegung des Statuts müsse somit in seinem eigenen rechtlichen Kontext erfolgen. Dabei sei die Rechtsprechung des EGMR zwar zur Ermittlung relevanter Aspekte heranzuziehen, die Abwägung selbst müsse dann aber den Besonderheiten des Tribunals Rechnung tragen.68 Ein solcher Ansatz ist kritisch zu sehen. Menschenrechtlichen Standards ist in strafgerichtlichen Verfahren stets vollumfänglich zur Geltung zu verhelfen.
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3. Meinungsverschiedenheiten des privaten Lebensbereichs: Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen
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a) Der Begriff der Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen69 (Art. 6 Abs. 1 EMRK: „in the determination of his civil rights and obligations“ / „contestations sur ses droits et obligations de caractère civil“; Art. 14 Abs. 1 IPBPR: „his rights and obligations in a suit of law“ / „des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil“) ist in den Grenzbereichen weiterhin nicht abschließend geklärt.70 Der EGMR lehnt es ab, die Abgrenzungen des jeweiligen nationalen Rechts uni sono zu übernehmen71 oder selbst eine abstrakte Definition dieses Begriffes zu geben.72 Er favorisiert stattdessen eine autonome Auslegung dieses Begriffs, die sich an Sinn und Zweck dieser Konventionsgarantie orientiert.73 Er neigt deshalb einer weiten Auslegung zu, die ohne Rücksicht auf die innerstaatliche Zuordnung nicht nur die herkömmlich im bürgerlichen Recht wurzelnden Ansprüche umfasst, sondern darüber hinaus auch andere Ansprüche, wenn sie vermögenswerte Rechte des Einzelnen betreffen
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ICTY-Appeals Chamber, Judgement, 21.7.2000, Case No. IT-95-17/1-A. Vgl. die Darstellung bei: Oswald 153 ff.; Safferling in: Renzikowski (Hrsg.), 137, 165 f. ICTY Dusko Tadic, Decision on the Prosecutor’s Motion Requesting Protective Measures for Victims and Witnesses, 10.8.1995, §§ 27 ff.; dazu: Kamardi 143 f.; vgl. auch: Oswald 120 f., 171; Cryer, Friman, Robinson, Wilmshurst 354. Die letztlich für die Auslegung nicht maßgebende deutsche Übersetzung darf nicht zu einer engen Auslegung verleiten, vgl. auch IK-EMRK/Miehsler 56 ff.; MeyerLadewig 4 ff. Guradze 2; IK-EMRK/Miehsler 33 ff.; Nowak 1 ff.; Partsch 141, ferner EGMR
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Deumeland/D, 29.5.1986, A 100 = NJW 1989 652 = EuGRZ 1988 31 (Minderheitenvotum). Zur Auslegung Buergenthal/Geweint AVR 13 (1967) 393. Etwa EGMR König/D (Fn. 38); Feldbrugge/ NL, 29.5.1986, A 99 = EuGRZ 1988 14; Leela Förderkreis e.V. u.a./D, 6.11.2008. EGMR Feldbrugge/NL (Fn. 71); Benthem/ NL, 23.10.1985, A 97 = NJW 1987 2141 = EuGRZ 1986 299; X/F, 31.3.1991, A 234-C = ÖJZ 1992 772; vgl. auch EGMR König/D (Fn. 38); Le Compte u.a./B (Fn. 40); Frowein/Peukert 15 (keine abstrakte Definition, sondern Versuch einer evolutiven Auslegung). EGMR König/D (Fn. 38); Ferrazzini/I (Fn. 37, m.w.N.); Leela Förderkreis e.V. u.a./D (Fn. 71).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
oder sich unmittelbar auf sie auswirken,74 so, wenn der behauptete Anspruch das Bestehen oder die Tragweite eines Rechts betrifft, das den Bereich der privaten Lebensgestaltung unmittelbar mitbestimmt.75 Sieht man den Schutzzweck darin, in Ergänzung der materiellen Freiheitsgarantien 39 den individuellen Rechtsraum der privaten Lebensführung zu sichern und dem Einzelnen die effektive Durchsetzung der Rechte seines Privatbereichs ebenso zu garantieren wie die Verteidigung gegen alle diesen Lebensbereich betreffenden Ansprüche, dann kommt es darauf an, ob ein Streit bei einer Gesamtbetrachtung seiner Auswirkungen nach der generellen Struktur der nationalen Rechtsordnung vermögenswerte Rechte oder sonst eine Rechtsposition des Privatbereichs unmittelbar betrifft.76 Entscheidend ist, ob das Ergebnis, das mit dem strittigen Anspruch erreicht werden soll, für den Privatbereich des Betroffenen, insbesondere seine Vermögenslage, unmittelbar relevant ist.77 Bei der Gesamtwürdigung des geltend gemachten Anspruchs muss den privatrechtlichen Wesenszügen stärkeres Gewicht zukommen als dem öffentlichen Recht.78 Nicht ausschlaggebend ist, ob die jeweilige nationale Rechtsordnung den konkreten Anspruch dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht zuordnet,79 ob sich auf beiden Seiten Privatpersonen gegenüberstehen80 und auf welchem Rechtsweg nach nationalem Recht die Streitigkeit zu entscheiden ist81 oder ob ein Weg zu den Gerichten überhaupt fehlt. 74
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Grabenwarter § 24, 8 ff. unterscheidet drei Gruppen: a) Auswirkung auf Eigentum und vertragliche Rechtsbeziehungen vor allem im Schutzbereich der Berufs- und Erwerbsfreiheit und in der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs b) Abwägungsjudikatur vor allem im Sozialbereich, wenn die privatrechtlichen Elemente die öffentlich-rechtlichen überwiegen und c) Verfahren mit vermögenswertem Gegenstand oder behaupteter Verletzung vermögenswerter Rechte; dazu SK/Paeffgen 16; vgl. auch Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001 1969, 1971 f. IK-EMRK/Miehsler 50, 55; vgl. die Beispiele aus der keinesfalls konsistenten Rechtsprechung bei Peukert EuGRZ 1979 266; Frowein/Peukert 11; Grabenwarter § 24, 9 ff.; Meyer-Ladewig 9, 14; SK/Paeffgen 15, 16 je m.w.N. Etwa EGMR Procola/LUX, 28.9.1995, A 326 = ÖJZ 1996 193 (Festlegung von Milchquoten); ferner EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 94; vgl. aber Buergenthal/ Kewenig AVR 13 (1967) 393. Etwa EGMR Editions Périscope/F, 26.3. 1992, A 234-B = ÖJZ 1992 77; van de Hurk/NL, 19.4.1994, A 288 = ÖJZ 1994 819; Ortenberg/A, 25.11.1994, A 295-B = ÖJZ 1995 225 (Bebauungsplan, Baubewilligung); Procola/LUX (Fn. 76; Festlegung von Milchquoten); Klein/D, 27.7.2000, NJW 2001 213 (Entgelt für Stromlieferung); Gast u. Popp/D, 25.2.2000, ECHR 2000-II =
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NJW 2001 211; Voggenreiter/D, 8.1.2004, ECHR 2004-I = NJW 2005 41 = EuGRZ 2004 151; Revel u. Mora/F (E), 15.11.2005 (Klage gegen Ernennung eines Konkurrenten); Pokis/LET (E), 5.10.2006; Frowein/Peukert 15 ff.; Meyer-Ladewig 10. EGMR Schouten u. Meldrum/NL, 9.12.1994, A 304 = ÖJZ 1995 396 (Sozialversicherungsbeiträge); zu den Sonderproblemen der beamtenrechtlichen Streitigkeiten vgl. Rn. 57. EGMR Deumeland/D (Fn. 70); Pudas/S, 27.10.1987, A 125-A = EuGRZ 1988 448; Procola/LUX (Fn. 76); (GK) Micallef/MLT, 15.10.2009; Grabenwarter § 24, 8; IK-EMRK/ Miehsler 36. Gegen eine institutionelle Abgrenzung nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts etwa Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1967) 393 unter Hinweis auf die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen; ferner zur Auslegung Dijk FS Wiarda 131 ff.; Schwarze EuGRZ 1993 377 (funktionale Abgrenzung); Frowein/Peukert 15 ff. Zur fehlenden Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht im angelsächsischen Recht: IK-EMRK/Miehsler 32. Etwa EGMR König/D (Fn. 38); Ringeisen/A, 16.7.1971, A 13 = EuGRZ 1976 236; Baraona/P, 8.7.1987, A 122; Georgiadis/GR, 29.5.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 197; EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 532 (Kaplan). Etwa EGMR Deumeland/D (Fn. 70); Baraona/P (Fn. 80); Editions Périscope/F
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b) Es muss eine Meinungsverschiedenheit vorliegen, die unmittelbar das Bestehen eines dem Privatbereich zuzurechnenden Rechts oder einen sich daraus herzuleitenden Anspruch betrifft. Dessen Existenz, Inhalt, Umfang oder Art der Ausübung82 muss vom Ergebnis einer nicht notwendig formal, wohl aber inhaltlich bestehenden, ernsthaften Streitigkeit („contestation“) abhängen, die Bestand oder Tragweite oder Auslegung des beanspruchten Rechts83 in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung betrifft. Der Streit muss der Entscheidung nach Rechtsnormen zugänglich sein, wobei es unerheblich ist, ob der Streit sich auf Sach- oder Rechtsfragen bezieht.84 Für die Anwendbarkeit der Konventionsgarantien genügt es, wenn er mit vertretbaren Argumenten („arguable claim“) aus der nationalen Rechtsordnung hergeleitet wird.85 Es gibt aber keinen notwendigen Zusammenhang zwischen dem Bestehen von Ansprüchen nach Art. 1 ZP-EMRK und der Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK.86 Ein nur hypothetischer Zusammenhang des behaupteten Anspruchs des Beschwerdeführers mit einem solchen Recht genügt nicht.87 Der Kerngehalt des Streites muss für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen des Betroffenen entscheidend sein,88 etwa, weil der Streit Vermögensrechte betrifft oder eine Leistung oder ein Verhalten erstrebt wird, die bzw. das im Normalfall Gegenstand eines
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(Fn. 77); Beaumartin/F, 24.11.1994, A 296-B = ÖJZ 1995 351; Procola/LUX (Fn. 76; Rechtsausschuss des Conseil d’Etat); Georgiadis/GR (Fn. 80); (GK) Micallef/MLT (Fn. 79); ferner IK-EMRK/Miehsler 63; Meyer-Ladewig 4, 14; vgl. zur Praxis des HRC: Nowak 12. Vgl. EGMR Benthem/NL (Fn. 72), § 32. EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 34); van Marle/NL, 26.6.1986, A 101 = EuGRZ 1988 35; Pudas/S (Fn. 79); Boden/S (Fn. 35; Enteignungsverfahren); Pauger/A, 28.5.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1997 836; Taskin u.a./ TRK, 10.11.2004, ECHR 2004-X, § 133; Sdruzeni Jihoceske Matky/CZ (E), 10.7.2006; (GK) Vilho Eskelinen u.a./FIN, 19.4.2007, ECHR 2007-IV = NJOZ 2008 1188 = ÖJZ 2008 35; (GK) Gorou/GR (Nr. 2), 20.3.2009; (GK) Enea/I, 17.9.2009; Uzukauskas/LIT (Fn. 41); Frowein/Peukert 11; vgl. auch EKMR bei Strasser EuGRZ 1991 193. Frowein/Peukert 11. St. Rspr., etwa EGMR H./B, 30.11.1987, A 127-B = ÖJZ 1988 220; Editions Périscope/F (Fn. 77); Ruiz-Mateos/E, 23.6.1993, A 262 = EuGRZ 1993 453 mit abw. Meinung Matscher = ÖJZ 1994 105; Zander/S, 25.11.1993, A 279-B = EuGRZ 1995 535; Kerojärvi/FIN, 19.7.1995, A 322 = ÖJZ 1996 37; Masson u. van Zon/NL, 28.9.1995, A 327-A = ÖJZ 1996 191; Georgiadis/GR (Fn. 80); Wos/PL (E), 1.3.2005, ECHR 2005-IV; siehe auch
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Wos/PL, 8.6.2006, ECHR 2006-VI = NJOZ 2007 2326 (Entschädigung für Zwangsarbeit); anders im Ergebnis: EGMR Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia dall’Internamento e dalla Guerra di Liberazione u. 275 a./D (E), 4.9.2007, NJW 2009 492 (kein vertretbarer Anspruch auf Entschädigung nach Stiftungsgesetz, da die Bf. im Gegensatz zum Fall Wos die Voraussetzungen des Gesetzes nicht erfüllten); Skorobogatykh/R (E), 8.6.2006; Frowein/ Peukert 7 ff.; Meyer-Ladewig 6 f.; SK/Paeffgen 17. EGMR Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia dall’Internamento e dalla Guerra di Liberazione u. 275 a./D (E) (Fn. 85). EGMR W./UK, 8.7.1987, A 121 = NJW 1991 2199 = EuGRZ 1990 533; Balmer-Schafroth/ CH, 26.8.1997, Rep. 1997-IV = EuGRZ 1999 183 (Verlängerung der Betriebsgenehmigung für Kernkraftwerk); dazu Kley EuGRZ 1999 177; EGMR L’Erabliere A.S.B.L./B, 24.2.2009; Matscher FS Wiarda 395; Villiger 377. Zu diesen nicht eindeutigen und immer wieder Zweifel aufwerfenden Abgrenzungskriterien vgl. Frowein/Peukert 16; MeyerLadewig 14; Villiger 380 ff.; vgl. auch den vom EGMR herausgegebenen Practical Guide on Admissibility Criteria, Nr. 214 f., abrufbar unter www.echr.coe.int (Case-law – Case-law Information – Admissibility Guide).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
nach Rechtsnormen zu entscheidenden Rechtsstreits zwischen gleichgeordneten Parteien sein kann. Eine Popularklage ist dagegen nicht erfasst.89 Es reicht auch nicht aus, dass sich eine Streitigkeit nur mittelbar, rein faktisch oder 41 zufällig auch auf Vermögensansprüche des Betroffenen auswirken kann90 oder dass ein im nationalen Recht nicht vorgesehener Anspruch ohne argumentierbare Gründe unter bloßer Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz behauptet wird.91 Die Konventionen schaffen mit dieser Verfahrensgarantie keine neuen Rechte, sondern schützen nur die Durchsetzung der in der nationalen Rechtsordnung bereits begründeten Rechte, wobei diese nicht notwendig selbst unter den Schutz der Konvention fallen müssen.92 Aus der Verfahrensgarantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK allein kann ein materieller Anspruch nicht hergeleitet werden.93 Entscheidungen in Zwischenverfahren, in denen noch keine (auch nicht teilweise oder 42 dem Grunde nach) Entscheidung in der Sache selbst ergeht, sondern nur einzelne im Gesetz vorgesehene Anordnungen getroffen werden, stellen noch keine Entscheidung über den Anspruch bzw. die Verpflichtung dar.94 Auch ein Beweissicherungsverfahren ist in der Sache selbst noch keine Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK;95 eine konventionsrechtliche Beanstandung (Art. 34 EMRK) ist demzufolge unzulässig ratione materiae.96 Dieser restriktive Ansatz galt lange Zeit auch für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, sofern diese nicht die Entscheidung in der Hauptsache bereits vorwegnehmen.97 Der EGMR hat jedoch im Fall Micallef 98 einen neuen Ansatz entwickelt, da es eine weit verbreitete Einigkeit unter den Vertragsstaaten und beim EuGH gebe, dass Art. 6 EMRK auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Anwendung findet. Der Gerichtshof verlangt nun lediglich, dass das fragliche Recht sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes „civil“ i.S.d. EMRK ist und dass die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes getroffene Maßnahme, z.B. eine einstweilige Anordnung, das betroffene Recht tatsächlich „festlegt“ („can be considered effectively to determine the civil right or obligation“). Nur in Ausnahmefällen sollen nicht alle Garantien des Art. 6 EMRK anwendbar sein. 89 90
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Vgl. EGMR (GK) Perez/F, 12.2.2004, ECHR 2004-I; L’Erabliere A.S.B.L./B (Fn. 87). EGMR Le Compte u.a. (Fn. 40); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); Allan Jacobsson/S, 25.10.1989, A 163 = ÖJZ 1990 246; Masson u. van Zon/NL (Fn. 85); Anne-Marie Andersson/S, 27.8.1997, Rep. 1997-IV = ÖJZ 1998 585; Athanassoglou/CH, 6.4.2000, ECHR 2000-IV = ÖJZ 2001 317; EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 532 (Kaplan); Frowein/Peukert 16. EGMR L.B./A (E), 18.4.2002, ÖJZ 2002 696, vgl. die Beispiele einer fehlenden Anspruchsgrundlage im nationalen Recht bei Frowein/Peukert 10. EGMR Editions Périscope/F (Fn. 77); H./B (Fn. 85); Fayed/UK, 21.9.1994, A 294-B, § 65 = ÖJZ 1995 436; Voggenreiter/D (Fn. 77); Alatulkkila u.a./FIN, 28.7.2005; (GK) Roche/UK (Fn. 37); I.T.C. LTD/MLT (E), 11.12.2007.
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EGMR Lithgow u.a./UK, 8.7.1986, A 102 = EuGRZ 1988 350; W./UK (Fn. 87); Frowein/ Peukert 7; Villiger 379. Vgl. etwa EGMR Dogmoch/D (E), 18.9.2006, EuGRZ 2007 170 m.w.N. Etwa EGMR Lamprecht/A, 25.3.2004 = ÖJZ 2004 818 m.w.N.; vgl. auch EGMR Beer/A, 6.2.2001 = ÖJZ 2001 516. EGMR Verlagsgruppe News GmbH/A (E), 16.1.2003, ÖJZ 2003 618 (Veröffentlichung über eingeleitete Verfahren nach öster. Mediengesetz), unter Hinweis auf Entscheidungen der EKMR: Beschwerde unzulässig ratione materiae, Art. 35 Abs. 3, 4 EMRK. Vgl. EGMR Markass Car Hire Ltd./ZYP, 23.10.2001; vgl. Peters 109; Meyer-Ladewig 13. EGMR (GK) Micallef/MLT (Fn. 79), §§ 83 ff.
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EMRK Art. 6 43
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Im Zwangsversteigerungsverfahren erfolgt keine Entscheidung über einen zivilrechtlichen Anspruch i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK (mehr), wenn durch die zu treffende Entscheidung Umfang und Bestand des Rechts nicht mehr tangiert werden.99 Anders liegt dies jedoch, wenn eine neue Entscheidung über das Recht oder seine Durchsetzbarkeit möglich ist100 oder die Durchsetzbarkeit des erstrittenen Rechts in Frage gestellt wird, so dass andernfalls die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK im Ergebnis leer laufen.101 In der neueren Rechtsprechung des EGMR wird darauf abgestellt, ob auch bzw. erst die Zwangsvollstreckung dem behaupteten Recht zur Wirksamkeit verhilft.102 Dies gilt auch in einem Exequatur-Verfahren betreffend die Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts, vorausgesetzt, die fragliche Entscheidung betrifft ein zivilrechtliches Recht oder eine zivilrechtliche Verpflichtung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK.103
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c) Zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne. Zu den Ansprüchen und Verpflichtungen im privaten Lebensbereich zählen in erster Linie (aber nicht nur) die Ansprüche, die in Deutschland traditionell zum Privatrecht gehören und die im Wege des Zivilprozesses vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden können, also Streitigkeiten zwischen Privaten.104 Es genügt aber nicht allein der Nachweis, dass die Streitigkeit pekuniärer Natur ist.105 Nach dem Schutzzweck der Konventionen können Rechte und Verpflichtungen auch 45 dann dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sein, wenn sie nach der nationalen Rechtsordnung im arbeitsgerichtlichen Verfahren,106 vor den Sozialgerichten107 oder im Verwaltungsrechtsweg108 zu verfolgen sind. Es kommt darauf an, ob durch eine Streitigkeit nach ihrem materiellen Gehalt und 46 den Rechtsfolgen, die die nationale Rechtsordnung daran knüpft, im Ergebnis über Ansprüche und Verpflichtungen entschieden wird, die für die private Lebensführung oder -gestaltung unmittelbar bedeutsam sind.
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d) Streitigkeiten im öffentlich-rechtlichen Kontext. Deswegen gelten nicht nur zivilrechtliche Positionen, wie etwa das Eigentum und die sich daraus ergebenden Befugnisse,109 sondern auch solche Rechte, die im nationalen Recht in öffentlich-recht-
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EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 615. Villiger 390 unter Hinweis auf EKMR. Vgl. EGMR Hornsby/GR, 19.3.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 236, § 40; Kalogeropoulou u.a./GR u. D, 12.12.2002, ECHR 2002-X = NJW 2004 273. EGMR Pérez de Rada Cavanilles/E, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII, § 39; Estima Jorge/P, 21.4.1998, Rep. 1998-II, § 37; SK/Paeffgen 18; Villiger 390. Mit strafrechtlichem Bezug (Vermögensbeschlagnahme – Geldwäsche): EGMR Saccoccia/A, 18.12.2008, ECHR 2007-VIII = ÖJZ 2009 619; Saccoccia/A (E), 5.7.2007 (Vollstreckung der Einziehungsentscheidung eines ausländischen Gerichts – amerikanische final forfeiture); siehe auch: EGMR Sylvester/A (E), 9.10.2003 (Ehescheidung); McDonald/F (E), 29.4.2008 (Ehescheidung).
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Vgl. EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 224. EGMR (GK) Ferrazzini/I (Fn. 37), § 25. Vgl. EGMR Buchholz/D, 6.5.1981, A 42 = EuGRZ 1981 491; Obermeier/A, 28.6.1990, A 179 = EuGRZ 1990 209 = ÖJZ 1991 22. EGMR Deumeland/D (Fn. 70; Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung) mit ablehnenden Sondervoten EuGRZ 1988 31; Schuler-Zgraggen/CH, 24.6.1993, A 263 = EuGRZ 1996 604; Frowein/Peukert 8, 16, 18; Villiger 389; Weh EuGRZ 1985 477. Vgl. etwa Frowein/Peukert 16; IK-EMRK/ Miehsler; 66 Meyer-Ladewig 14; jeweils m.w.N. Vgl. für Enteignung EGMR Boden/S (Fn. 35); ferner EGMR Ringeisen/A (Fn. 80); Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 34); Lithgow u.a./UK (Fn. 93); Sramek/A,
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
lichen Streitigkeiten geltend zu machen sind, als zivilrechtliche Streitigkeiten i.S.d. Konventionen, wenn diese Streitigkeiten Einfluss auf die Rechte und Pflichten, insbesondere in monetärer Hinsicht haben. Das gilt etwa für das Recht, ein Grundstück zu bebauen,110 wegen seiner Auswirkungen auf das Vermögen, ebenso für sonstige private Rechte, wenn die für eine Zuordnung zum privaten Lebensbereich111 sprechenden Gesichtspunkte überwiegen.112 So wurde etwa ein Streit mit dem Vermessungsamt über die Vereinigung zweier Grundstücke, der die Eigentumsverhältnisse des Betroffenen unberührt ließ und auch sonst nicht in dessen Rechte eingriff, nicht als Streitigkeit über „civil rights“ angesehen.113 Art. 6 EMRK ist auch bei öffentlich-rechtlichen Konflikten anwendbar, wenn nicht 48 vordergründig das Vermögen betroffen ist. Zum Schutzbereich gehören etwa das Recht auf angemessenen Schutz der physischen Integrität vor konkreten (direkten) Beeinträchtigungen114 sowie Schadensersatzansprüche gegen den Staat oder öffentlich-rechtliche Körperschaften.115 Gleiches gilt für vertragliche Rechte oder Honoraransprüche116 oder Rechte, die, wie Familienrechte, die persönlichen Verhältnisse einer Person berühren.117 Hierher gehören auch Rechtspositionen, die sich aus der individuellen Betätigung im Zusammenhang mit der Zulassung zu rechtmäßigen Erwerbstätigkeiten oder deren Ausübung (Gewerbe, Beruf) ergeben oder sich unmittelbar darauf auswirken,118 so auch,
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22.10.1984, A 84 = EuGRZ 1985 336; Allan Jacobsson/S (Fn. 34); Oerlemans/NL, 27.11.1991, A 219 = ÖJZ 1992 386; Ruiz-Mateos/E (Fn. 85); Emsenhuber/A (E), 11.9.2003 = ÖJZ 2004 396 (Nachbarrecht bei Baubewilligung); Buj/KRO, 1.6.2006 (Eintragung im Grundbuch); Uzukauskas/ LIT (Fn. 41; Waffenbesitz); EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1988 94 (Bauverbot); bei Strasser EuGRZ 1988 615 (Grunderwerbsgenehmigung); EuGRZ 1991 192 (acht schwed. Verwaltungsrechtsfälle); EKMR ÖJZ 1995 114 (Bewilligung zum Auffüllen einer Lehmgrube); Frowein/ Peukert 15, 17 f.; Villiger 384. Etwa EGMR Ortenberg/A (Fn. 77); Haider/A, 29.1.2004 = ÖJZ 2004 574 (Umwidmung von Bauland in Grünland). Etwa Grundverkehrsgenehmigungen, Bauverbot, Enteignungsverfahren, öffentlichrechtliche Beschränkung der Nutzung des Eigentums; vgl. Frowein/Peukert 15 ff.; Grabenwarter § 24, 9 je m.N. der Rspr. Vgl. etwa die Abwägung bei EGMR Feldbrugge/NL (Fn. 71; Anspruch auf Krankengeld gegen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger); ferner zur Abwägung mit gegenteiligem Ergebnis EGMR (GK) Ferrazzini/I (Fn. 37; Steueransprüche); Frowein/Peukert 15 ff.; Hofmann 38 (Rechtspositionen grundsätzlich zivilrechtlicher Natur); IK-EMRK/Vogler 66; Nowak 11.
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EGMR Kienast/A, 23.1.2003, ÖJZ 2003 695. EGMR Zander/S (Fn. 85); Balmer-Schafroth/CH (Fn. 87); Athanassoglou/CH (Fn. 90); Taskin u.a./TRK (Fn. 83); Okyay u.a./TRK, 12.7.2005, ECHR 2005-VII; vgl. Villiger 378. EGMR H./F, 24.10.1989, A 162-A = EuGRZ 1987 319; Editions Périscope/F (Fn. 77); ÖVerfGH ÖJZ 1993 566 (Schadensersatzansprüche wegen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes); Villiger 385; vgl. auch EGMR Neves e Silva/P, 27.4.1989, A 153-A. Vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 263; 1991 298 (Honoraranspruch als Ingenieur). Vgl. etwa EGMR W./UK (Fn. 87; Verkehr der Eltern mit Kind in behördlicher Obhut); Gülmez/TRK, 20.5.2008 (Besuchsrecht im Strafvollzug); (GK) Enea/I (Fn. 83; Einschränkungen im Strafvollzug); EKMR bei Strasser EuGRZ 1985 511, 521 (Elternrechte bei Adoption; Ehelichkeitsanfechtung), Frowein/Peukert 8. Vgl. EGMR De Moor/B, 23.6.1994, A 292-A = ÖJZ 1995 43 (Zulassung als Anwalt); H./B (Fn. 85; Wiederzulassung zur Anwaltschaft); Jurisic u. Collegium Mehrerau/A, 27.7.2006; Coorplan-Jenni GmbH u. Hascic/A, 27.7.2006 (Erteilung einer Arbeitserlaubnis; in beiden Fällen konnten sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeit-
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
wenn die Befugnis zur Berufsausübung Gegenstand einer auf ihren Entzug gerichteten standes-/berufsrechtlichen Disziplinarmaßnahme ist.119 Die Achtung der Ehre und des guten Rufes gehört ebenfalls zu den „civil rights“;120 49 im Anspruch des Privatklägers auf Entschädigung für eine Ehrverletzung ist ein solches Recht zu sehen. Der Eingriff in die Freiheit, der etwa in der Anordnung einer präventiven Unterbringung (z.B. Sicherungsverwahrung) liegt, betrifft seiner Natur nach selbst keine Rechtsposition des Privatbereichs;121 dieser wird aber berührt, wenn zugleich das Recht des Betroffenen, Rechtsgeschäfte abzuschließen oder sein Vermögen zu verwalten, eingeschränkt wird.122 Zu den zivilrechtlichen Ansprüchen werden aber auch Ansprüche gezählt, bei denen 50 die finanzielle Bedeutung für den privaten Bereich des Betroffenen die öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkte überwiegt,123 wie bei den Ansprüchen aus einer Krankenversicherung oder auf Sozialleistungen.124 An dieser Zuordnung ändert sich auch nichts, wenn die Tätigkeit verwaltungsrechtlichen Erlaubnissen und Kontrollen unterliegt oder auf einer staatlichen Konzession beruht125 oder zur Erfüllung einer sozialrechtlichen Leistungspflicht gefordert wird.126 Auch ein möglicher Anspruch auf Entschädigung für im Zweiten Weltkrieg geleistete Zwangsarbeit gegen die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung ist wegen der Vergleichbarkeit mit Sozialleistungen ein „civil right“.127 Ein Verfahren, dass die Eintragung von Vereinen128 oder die Anerkennung von Reli51 gionsgemeinschaften129 betrifft, die am Ende des Verfahrens Rechtspersönlichkeit erlangen, fällt unter Art. 6 Abs. 1 EMRK; gleiches gilt für ein Verfahren, das den Lizenzentzug und die nachfolgende Liquidation einer Bank betrifft.130 Ein Verfahren, in dem über
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nehmer auf Art. 6 Abs. 1 EMRK berufen); Kök/TRK, 19.10.2006 (Anerkennung der Facharztausbildung); vgl. auch Frowein/ Peukert 8; Meyer-Ladewig 17; Villiger 387. Etwa Entzug des Rechts auf Berufsausübung: EGMR Baccichetti/F, 18.2.2010; Le Compte u.a./B (Fn. 40); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); EKMR bei Strasser EuGRZ 1985 319; 320; ferner zum Entzug des Rechts auf Ausübung des Anwaltberufs im berufsrechtlichen Disziplinarverfahren: EGMR W.R./A, 21.12.1999, ÖJZ 2000 728; Malek/A, 12.6.2003, ÖJZ 2003 855; vgl. ferner EGMR Diennet/F, 26.9.1995, A 325-A = ÖJZ 1995 115 (Berufsausübung als Arzt); Philis/GR (Nr. 2), 27.6.1997, Rep. 1997-IV; vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 225 m.w.N. EGMR Helmers/S, 29.10.1991, A 212-A = NJW 1992 1813 = EuGRZ 1991 415 = ÖJZ 1992 304; Tolstoy Miloslavsky/UK, 13.7.1995, A 316-B = ÖJZ 1995 949; Brudnicka u.a./PL, 3.3.2005, ECHR 2005-II; Leela Förderkreis e.V. u.a./D (Fn. 71); vgl. auch EGMR (GK) Gorou/GR (Nr. 2) (Fn. 83); Uzukauskas/LIT (Fn. 41).
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EGMR Neumeister/A, 27.6.1968, A 8 = EuGRZ 1975 393; (GK) Enea/I (Fn. 83); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 50. EGMR Winterwerp/NL, 24.10.1979, A 33 = EuGRZ 1979 658. Grabenwarter § 24, 10 f. spricht von Abwägungsjudikatur. EGMR Feldbrugge/NL (Fn. 71); Salesi/I, 26.2.1993, A 257-E = ÖJZ 1993 669; Schuler-Zgraggen/CH (Fn. 107); vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 228 m.w.N. EGMR König/D (Fn. 38); Pudas/S (Fn. 79; Entzug einer Konzession); EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 263, 264 (Baurecht); verneinend (aber für EMRK als innerstaatliches Verfassungsrecht) ÖVerfGH EuGRZ 1990 186. Vgl. EGMR Schouten u. Meldrum/NL (Fn. 78; Sozialversicherungsbeiträge); Grabenwarter § 24, 10; Meyer-Ladewig 17. EGMR Wos/PL (Fn. 85), § 76. EGMR Apeh Üldözötteinek Szövetsége u.a./H, 5.10.2000, §§ 32–36. EGMR Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas/A, 31.7.2008, § 107, ÖJZ 2008 865. EGMR Capital Bank AD/BUL, 24.11.2005.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
die Zulassung zu einer Universität entschieden wird, fällt ebenfalls in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK.131 Umweltrechtliche Abwehransprüche können Ansprüche aus dem Zivilrechtsbereich sein, wenn sie den Schutz eines in der Konvention gewährleisteten Rechts im weitverstandenen Privatbereich bezwecken, wie etwa das Eigentum i.S.d. Art. 1 des 1. ZP-EMRK oder auch das Recht auf Achtung der Wohnung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK.132 Keine „civil rights“ sind die Bürgerrechte, die die Teilhabe am Staat betreffen, wie etwa das aktive und passive Wahlrecht,133 aber auch ein aus dem nationalen Wahlrecht folgender Anspruch auf Rückzahlung überhöhter Wahlausgaben gegen einen Wahlbewerber.134 Auch Pensionsansprüche eines ehemaligen Parlamentsmitglieds sind als Folge des früheren politischen Amtes politischer und damit nicht zivilrechtlicher Natur.135 Die Pflicht, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu erscheinen und wahrheitsgemäß auszusagen, gehört ebenfalls zu den staatsbürgerlichen Pflichten und damit nicht zu den „civil rights“.136 Keine „civil rights“ sind Fragen der Wehrpflicht,137 der Staatsangehörigkeit,138 des Ausländerrechts („entry, stay and deportation of aliens“)139 oder des Passwesens140 sowie das Recht der Medien gegenüber dem Staat auf Berichterstattung.141 Gleiches gilt für Streitigkeiten um die Zuerkennung des Rechts, den Beruf unter einer bestimmten Berufsbezeichnung auszuüben,142 oder um eine Habilitation143 oder um die Eintragung eines ausländischen akademischen Grads in die Personalpapiere.144 Streitigkeiten, die in den Bereich der kirchlichen Selbstverwaltung fallen, wie z.B. die Versetzung eines Priesters in eine andere Gemeinde, sind ebenfalls keine „civil rights“.145 Auch bei den sich aus der Heranziehung zur Besteuerung oder zu sonstigen Abgaben ergebenden finanziellen Verpflichtungen der einzelnen Bürger hat der EGMR wegen der Zugehörigkeit des Steuerrechts zum Kernbereich der staatlichen Hoheitsrechte die zivil-
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EGMR Emine Arac/TRK, 23.9.2008, ÖJZ 2009 93. Vgl. Art. 1 des 1. ZP-EMRK Rn. 11 ff. und Art. 8 EMRK Rn. 138; vgl. auch den Fall EGMR Taskin u.a./TRK (Fn. 83; Verwendung giftiger Substanzen in einer Goldmine), in dem eine Verletzung von Art. 8 EMRK bejaht wurde. Vgl. EGMR (GK) Ferrazzini/I (Fn. 37); Guliyev/ASE (E), 27.5.2004; vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 236 m.w.N. EGMR Pierre-Bloch/F, 21.10.1997, Rep. 1997-VI= ÖJZ 1998 590. EGMR Papon/F (E), 11.10.2005, ECHR 2005-XI. EGMR van Vondel/NL (E), 23.3.2006, ECHR 2006-IV. EGMR Kunkova u. Kunkov/R (E), 12.10.2006. EGMR Sergey Smirnov/R (E), 6.7.2006; EKMR ÖJZ 1993 142; Merten/Papier/ Gundel HbStR, Band VII, § 146, 38.
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EGMR (GK) Maaouia/F, 5.10.2000, ECHR 2000-X; Panjeheighalehei/DK (E), 13.10.2009 (Schadensersatz wegen abgelehnten Asylgesuchs); Dalea/F (E), 2.2.2010 (Überprüfung der Eintragung im Schengener Informationssystem – SIS); zum Ausschluss von ausländerrechtlichen Streitigkeiten ausführlich Merten/Papier/Gundel HbStR, Band VII, § 146, 40 ff. Ausnahmen sollen gelten, wenn schwerwiegende Auswirkungen auf das Recht auf Familienleben oder die berufliche Tätigkeit zu erwarten sind, vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 234 m.w.N. EGMR Sergey Smirnov/R (E) (Fn. 138). EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 613. EGMR van Marle u.a./NL (Fn. 83). EKMR ÖJZ 1994 709. EKMR ÖJZ 1993 214 (Ehrendoktor). EGMR Dudova u. Duda/CS (E), 30.1.2001; Ahtinen/FIN, 23.9.2008, NVwZ 2009 897.
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rechtliche Natur verneint.146 Ein Streit über den Umfang von Bürgschaften zweier Privatunternehmen für die Zollschulden eines anderen Unternehmens fällt aber in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn diese Unternehmen gerade nicht als Steuerschuldner, sondern aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden.147 Auch ein Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit von Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch die Steuerbehörden überprüft werden soll, betrifft ein „civil right“, da es dabei im Kern um die Unverletzlichkeit der Wohnung geht.148 Steuerzuschläge, die als Sanktion für unvollständige oder unrichtige Steuererklärungen auferlegt werden, fallen dagegen in den strafrechtlichen Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Rn. 74).
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e) Streitigkeiten im Öffentlichen Dienst. Bis zum Jahr 2007 vertrat der EGMR die Auffassung, dass Streitigkeiten in Angelegenheiten von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes („civil servants“), also zum Beispiel über Beginn, Laufbahn und Ende eines Beamtenverhältnisses149 oder über die sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Dienstpflichten grundsätzlich keine „civil rights“ sind. Dies galt vor allem für Tätigkeiten der Polizei oder die sich aus dem Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis ergebenden Amtspflichten.150 Parlamentsmitglieder sind nach Ansicht des EGMR keine „civil servants“.151 Der EGMR grenzte bis dahin funktional ab („functional test“): Maßgebend war, ob 58 die von dem jeweiligen Bediensteten ausgeübte Funktion die Wahrnehmung der Allgemeininteressen zum Gegenstand hatte oder als Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt anzusehen war und daher ein besonderes Verhältnis zum Staat begründete („special bond of trust and loyalty“).152 Im Falle einer solchen „staatlichen Bindung“ war die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK ausgeschlossen; als einzige Ausnahme hatte der EGMR Streitigkeiten über die Altersversorgung als zivilrechtlich anerkannt, da dort die besondere Bindung gerade nicht mehr besteht.153 Wo eine solche Bindung nicht bestand, wurden auch Ansprüche gegen den Staat aus einem öffentlichen Dienstverhältnis dem Schutz der „civil rights“ in Art. 6 Abs. 1 EMRK unterstellt.154 146
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EKMR ÖJZ 1993 140 (Ausgleichstaxe); EGMR (GK) Ferrazzini/I (Fn. 37) mit zust. Votum Ress und abw. Meinung Lorenzen u.a.; Emesa Sugar N.V./NL (E), 13.1.2005, EuGRZ 2005 234; (GK) Jussila/FIN, 23.11.2006, ECHR 2006-XIV; Meyer-Ladewig 15, 18; Villiger 391; a.A. Frowein/Peukert 23 (alle klagbaren Ansprüche); kritisch auch Hörtnagl-Seidner ÖStZ 2009 81, 84 f.; vgl. zum Problemkreis ferner Hahn DStZ 2001 453, 501. EGMR O.B. Heller A.S. u. Ceskoslovenska Obchodni Banka A.S./CS (E), 9.11.2004. EGMR Ravon u.a./F, 21.2.2008. EGMR Neigel/F, 17.3.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 195; Pellegrin/F, 8.12.1999, ECHR 1999-VIII = NVwZ 2000 661; Mickovski/MAZ (E), 10.11.2005; vgl. auch EGMR Massa/I, 24.8.1993, A 265 – B = ÖJZ 1994 214; Meyer-Ladewig 19; Villiger 388. Etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 94 (allgemeine Wehrpflicht); vgl. Frowein/
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Peukert 19, 22; Meyer-Ladewig 19; Nowak 12; zur Rspr. des EGMR und zum Übergang auf eine funktionale Abgrenzung vgl. Chojnacka ÖJZ 2002 201; BGer EuGRZ 2004 70 unter Hinweis auf die Praxis des EuGH. EGMR Papon/F (E) (Fn. 135). Vgl. etwa EGMR Pellegrin/F (Fn. 149), §§ 64–71; Mickovski/MAZ (E) (Fn. 149); (GK) Martinie/F, 12.4.2006, ECHR 2004-II; Kanayev/R, 27.7.2006; Stojakovic/A, 9.11.2006; zur früheren Rechtsprechung: EGMR Lombardo/I, 26.11.1992, A 249-B; Massa/I (Fn. 149); Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = EuGRZ 1995 590; HRC BIH Lugonjic´ /Bosnien-Herzegowina, 02/10476, 10.9.2004. EGMR Pellegrin/F (Fn. 149), § 67; Volkmer/D (E), 22.11.2001, NJW 2002 3087 = NJ 2003 51 = ÖJZ 2003 273. EGMR Pellegrin/F (Fn. 149); Frydlender/F, 27.6.2000, ECHR 2000-VII.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Im wegweisenden Urteil Vilho Eskelinen aus dem Jahr 2007 hat die Große Kammer 59 des Gerichtshofs dann erkannt, dass die Anwendung des funktionalen Kriteriums mitunter zu abnormen Ergebnissen führt und die Frage, ob Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Streitigkeiten im Öffentlichen Dienst anwendbar ist, nicht vereinfacht hat.155 Sie hat deshalb einen völlig neuen Lösungsansatz in Bezug auf Angehörige des Staatsdienstes entwickelt.156 Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Garantien der Konvention auch auf Angehörige des Öffentlichen Dienstes anwendbar sind, soll eine Vermutung für die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK bestehen. Nur unter zwei Voraussetzungen soll der Bedienstete nicht den Schutz von Art. 6 EMRK genießen: Zunächst muss der jeweilige Vertragsstaat den Zugang zu einem Gericht für die fragliche Dienstposition in seinem nationalen Recht ausdrücklich ausgeschlossen haben.157 Zudem muss dieser Ausschluss durch objektive Gründe („objective grounds“) im Interesse des Staates gerechtfertigt sein. Die Beweislast liegt insoweit bei dem jeweiligen Vertragsstaat, wobei der Staat auch beweisen muss, dass die Streitigkeit im Zusammenhang mit der Ausübung von öffentlicher Gewalt steht oder die besondere Bindung zwischen Staat und Staatsdienern in Frage stellt.158 Nach Ansicht des Gerichtshofs kann es also bei bloßen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten („labour disputes“) praktisch keine Rechtfertigung für den Ausschluss der durch Art. 6 EMRK gewährleisteten Rechte geben.159 Der EGMR hat jedoch gleichzeitig klargestellt, dass dieser neue Lösungsansatz nur in Fällen des Öffentlichen Dienstes gilt und nicht auch auf andere Abgrenzungsfragen übertragen werden kann. Auf weitere Einzelheiten, vor allem auf die strittigen Fragen, welche Ansprüche und 60 Verpflichtungen des Bürgers im Bereich der öffentlichen Verwaltung wegen ihrer unmittelbaren vermögensrechtlichen Auswirkung ebenfalls den „civil rights“ i.S.v. Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR zugeordnet werden, soll in dieser Kommentierung nicht näher eingegangen werden.160 f) Zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren. Auch im Bereich des Strafverfahrens 61 bestehen „civil rights“, so etwa die im Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) verfolgten vermögensrechtlichen Ansprüche („civil-party proceedings“).161 Der durch Art. 6 EMRK /
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EGMR (GK) Vilho Eskelinen u.a./FIN (Fn. 83; Gehaltszulage für Angehörige des Öffentlichen Dienstes) mit ausführlicher Zusammenfassung der vorangegangenen Rechtsprechung; vgl. auch: EGMR Bayer/D, 16.7.2009, § 37. Bestätigt in EGMR Zisis/GR, 19.7.2007 (Gehaltszulage für Unteroffizier im Postdienst der Armee); Suküt/TRK (E), 11.9.2007 (Entlassung aus der Armee); Olujic/KRO, 5.2.2009 (Disziplinarverfahren gegen Richter); Savino u.a./I, 28.4.2009 (Angestellte des Parlaments); vgl. auch EGMR (GK) Cudak/ LIT, 23.3.2010 (Mitarbeiterin einer ausländischen Botschaft in Litauen); Kübler/D, 13.1.2011, NJW 2011 3703; zustimmend Merten/Papier/Gundel HbStR, Band VII, § 146, 33; ablehnend Grabenwarter § 24, 11. Ein Ausschluss allein des Zugangs zu den ordentlichen Gerichten genügt nicht, der
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Begriff „Gericht“ ist im weiten Sinne der Konvention zu verstehen, vgl. EGMR Olujic/KRO (Fn. 156); Savino u.a./I (Fn. 156; interne Rechtsprechungsorgane des Parlaments). Bejaht im Fall EGMR Suküt/TRK (E) (Fn. 156; Entlassung aus der Armee). EGMR Mishgjoni/ALB, 7.12.2010; vgl. auch (GK) Cudak/LIT (Fn. 156); Olujic/KRO (Fn. 156); Savino u.a./I (Fn. 156); vgl. aber auch EGMR Apay/TRK (E), 11.12.2007; Suküt/TRK (Fn. 156). Vgl. dazu etwa Guradze 7; Frowein/Peukert 12 ff.; Hofmann 38; Nowak 11, 12; MeyerGoßner 1; IK-EMRK/Miehsler 149 ff.; Partsch 142 ff., Villiger 377 ff. m.w.N.; ferner etwa ÖVerfGH EuGRZ 1991 171. EGMR (GK) Perez/F (Fn. 89; zum französischen Recht); (GK) Gorou/GR (Nr. 2) (Fn. 83); Mihova/I (E), 30.3.2010 (An-
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Art. 14 IPBPR garantierte Zugang zu Gericht wird nicht verletzt, wenn das Gericht nach § 406 (§ 405 a.F.) StPO von der Entscheidung absieht, da der Anspruch dann im Zivilrechtsweg verfolgt werden kann.162 Erhebt das Opfer aber parallel zum Strafverfahren eine (getrennte) Zivilklage, dann hat die Beteiligung im Strafverfahren (etwa im Wege der Nebenklage) nur noch einen rein bestrafenden Charakter, so dass im Strafverfahren keine „civil rights“ mehr verfolgt werden.163 Für die Erhebung einer auf die Bestrafung einer Person gerichteten Privatklage wird der zivilrechtliche Kontext des Art. 6 Abs. 1 EMRK ebenfalls verneint,164 denn das Recht auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK erstreckt sich nicht auf die Strafverfolgung Dritter.165 Wenn das nationale Recht dem Betroffenen aber eine solche Klagemöglichkeit einräumt, ist Art. 6 Abs. 1 EMRK auf dieses Verfahren anwendbar.166 Soweit eine Nebenbeteiligung die vermögenswerten Ansprüche einer Person (Einziehung, Verfall usw.) betrifft, ist Art. 6 Abs. 1 EMRK unter dem Aspekt der „civil rights“ anwendbar, weil insoweit ein vermögenswerter Anspruch Gegenstand des Verfahrens ist. Insbesondere die vom Verlust bedrohten Eigentumsrechte des Einziehungsbeteiligten (siehe auch Rn. 47) gehören daher in den „zivilrechtlichen“ Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Auch durch das Strafverfahren betroffene Rechte des Beschuldigten (zum Begriff der strafrechtlichen Anklage, Rn. 68) können zu den „civil rights“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK gehören, so etwa die Verfügungsbeschränkung, die den Beschuldigten bei einer Vermögensbeschlagnahme trifft (§ 292 StPO). Gleiches gilt für das Verfahren, in dem über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen,167 etwa Ansprüche gegen die Staatsanwaltschaft auf Schadensersatz und öffentliche Entschuldigung wegen unrechtmäßiger Haft168 entschieden wird. Sofern es um die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs an sich geht, ist Art. 5 Abs. 4 EMRK aufgrund seiner besonderen prozessualen Garantien „lex specialis“ zu Art. 6 EMRK.169 Nicht beantwortet hat der EGMR bislang die Frage, ob eine – nicht zum Zweck der Strafverfolgung – durchgeführte staatliche Überwachung (etwa durch den Verfassungsschutz o.ä.) den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK in zivilrechtlicher Hinsicht eröffnet, wenn der Betroffene die Maßnahme auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen lässt.170
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wendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Ermittlungsverfahren verneint); IK-EMRK/ Vogler 202; Merten/Papier/Gundel HbStR, Band VII, § 146, 20. IK-EMRK/Miehsler 129. EGMR Garimpo/P (E), 10.6.2004, vgl. auch EGMR (GK) Perez/F (Fn. 89); Sigalas/GR, 22.9.2005, sowie Mihova/I (E) (Fn. 161). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 115; IK-EMRK/Miehsler 137. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 419. EGMR Kusmierek/PL, 21.9.2004; Irena Pieniazek/PL, 28.9.2004. EGMR Georgiades/GR, 29.5.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1997 197; Werner/A, 24.11.1997, Rep. 1997-VII = ÖJZ 1998 233; Lamanna/A, 10.7.2001, ÖJZ 2001 910; vgl. aber auch EGMR Masson u. van Zon/NL
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(Fn. 85; kein Anspruch nach niederländischem Recht auf Entschädigung für rechtmäßige Freiheitsentziehung). Vgl. EGMR Gra˘dinar/MOL, 8.4.2008 (eigene zivilrechtliche Ansprüche der Ehefrau des verstorbenen Angeklagten). EGMR Reinprecht/A, 15.11.2005, ECHR 2005-XII = ÖJZ 2006 511. EGMR Kennedy/UK (Fn. 37; hier nicht entschieden: „However, in the present case, it is unnecessary to reach a conclusion as to whether Article 6 § 1 applies to proceedings of this nature as, for the reasons outlined below, assuming that Article 6 § 1 applies to the proceedings, the Court considers that the IPT’s rules of procedure complied with the requirements of Article 6 § 1.“).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Greifen die Maßnahmen in die Privatsphäre des Betroffenen ein, dürfte die Frage im Regelfall zu bejahen sein. 4. Strafrechtliche Anklage a) Der Begriff strafrechtliche Anklage (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR: 68 „criminal charge against him“ / „accusation en matière penale … dirigeé contre elle“) ist ebenfalls autonom171 auszulegen, wobei wegen des hohen Ranges des Rechts auf ein faires Verfahren eine restriktive Auslegung abgelehnt wird.172 Anklage wird dabei definiert als „official notification given to an individual by the competent authority of an allegation that he has committed a criminal offence“.173 Für die Annahme einer strafrechtlichen Anklage genügt es bereits, wenn die Situation des Betroffenen erheblich beeinträchtigt wird (siehe dazu unter Rn. 92). Dieser Konventionsgarantie unterfallen allerdings nur die Personen, gegen die sich die 69 strafrechtliche Anklage richtet („erhoben“), nicht aber die anderen am Verfahren möglicherweise beteiligten Personen, wie Opfer,174 Anzeigenerstatter, Nebenkläger, Zeugen175 oder Sachverständige.176 Auch Nebenbeteiligte unterfallen nicht schon deshalb den Garantien des Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 EMRK, weil sie nach § 433 Abs. 1 StPO Befugnisse eines Angeklagten haben.177 Allein die Tatsache, dass sie in ihren prozessualen Befugnissen dem Beschuldigten bzw. Angeklagten gleich gestellt werden, ändert nichts daran, dass gegen sie keine strafrechtliche Anklage erhoben ist, wie es der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangt („criminal charge against him“). Soweit die Nebenbeteiligung vermögenswerte Ansprüche betrifft, ist i.d.R. Art. 6 Abs. 1 EMRK unter dem Aspekt der „civil rights“ anwendbar (Rn. 64). Die Anwendbarkeit des strafrechtlichen Aspekts von Art. 6 Abs. 1 EMRK wird vom 70 EGMR in ständiger Rechtsprechung anhand von drei Kriterien überprüft, die er im grundlegenden Fall Engel 178 aufgestellt hat und die deshalb auch häufig selbst „Engel-
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Vgl. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Neumeister/A (Fn. 121); Öztürk/D, 21.2.1984, A 73 = NJW 1985 1273 = NStZ 1984 269 = EuGRZ 1985 62; Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); (GK) Ezeh u. Connors/UK, 9.10.2003, ECHR 2003-X; Salov/UKR, 6.9.2005, ECHR 2005-VIII; Matyjek/PL, 24.4.2007; Hamer/B, 27.11.2007; Mikolajová/SLO, 18.1.2011, § 40; Meyer-Ladewig 21, 23; Schroth EuGRZ 1985 558; Frowein/Peukert 25, 41 f. EGMR Delcourt/B, 17.1.1970, A 11; Mikolajová/SLO (Fn. 171), § 41 („In particular, the applicant’s situation under the domestic legal rules in force has to be examined in the light of the object and purpose of Article 6, namely the protection of the rights of the defence.)“; IK-EMRK/Vogler 190; vgl. Vogler ZStW 82 (1970) 762; 89 (1977) 776. EGMR Deweer/B (Fn. 38), § 46; vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 242.
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A.A. Walther GA 2007 615, 620, 624 ff. mit Vorschlägen de lege ferenda. Ausnahmsweise kann sich ein Zeuge auf Art. 6 Abs. 1 EMRK berufen, wenn gegen ihn selbst bereits eine strafrechtliche Anklage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK erhoben worden ist; insbesondere kann er sein Schweigerecht sowie das Selbstbelastungsprivileg geltend machen, vgl. dazu: Esser 681 ff.; Weiß JZ 1998 289, 290. Zu beachten ist ferner, dass jemand trotz seiner formalen Stellung als Zeuge nach nationalem Recht bereits Beschuldigter i.S.d. Konvention sein kann, vgl. EGMR Brusco/F, 14.10.2010, §§ 46 ff. Villiger 392. So auch EGMR AGOSI/UK, 24.10.1986, A 108 = EuGRZ 1988 513 mit krit. Anm. Peukert EuGRZ 1988 509. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40).
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Kriterien“ genannt werden.179 Maßgeblich sind danach die rechtliche Einordnung des fraglichen Vergehens im nationalen Recht (wobei diesem nur Bedeutung als Ausgangspunkt („starting point“) der Prüfung zukommt),180 die Art der Zuwiderhandlung sowie Art und Schwere der angedrohten Sanktion.181 Die beiden letztgenannten Kriterien müssen nach Ansicht des EGMR grundsätzlich nur alternativ und nicht notwendig kumulativ vorliegen; eine kumulative Herangehensweise kann aber erforderlich sein, wenn die jeweils isolierte Betrachtung der Kriterien nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt.182
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b) Erstes Kriterium: Die Zuordnung einer Materie zum Strafrecht im nationalen Recht hat nur begrenzte Bedeutung für die Beurteilung, ob ein erhobener Vorwurf „strafrechtlichen“ Charakter hat. Soweit nicht im Einzelfall eine völkerrechtliche Pflicht zur Pönalisierung eines bestimmten Verhaltens besteht (Kriminalisierungsgebot),183 steht es dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er ein bestimmtes Verhalten mit einer Kriminalstrafe bedrohen will oder nicht. Soweit er dies getan hat, greifen die Verfahrensgarantien der Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR stets ein,184 auch wenn das Verhalten in anderen Staaten nicht als kriminelles Unrecht geahndet wird; umgekehrt kann jedes nationale Recht ohne Rücksicht auf andere Staaten auf strafrechtliche Sanktionen verzichten. Das nationale Recht kann aber nicht ein Verhalten, für das es gegen jedermann Sank72 tionen androht, die vergeltenden oder abschreckenden Charakter haben und die nach Zielsetzung (allgemeiner Adressatenkreis, abschreckende Wirkung), Art der angedrohten Sanktion und nach ihren sonstigen Auswirkungen einer Strafe gleichkommen,185 dadurch aus dem Schutzbereich des Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR herausnehmen, dass es sie abweichend bezeichnet und in einem außer-strafrechtlichen Verfahren verfolgt.186 Der EGMR prüft dann nach, ob die Zuordnung im nationalen Recht nach Maßgabe des
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Ebenso Meyer-Ladewig 23; KK/Schädler 8; Grabenwarter § 24, 17. EGMR Mikolajová/SLO (Fn. 171), § 41 („The legislation of the State concerned is certainly relevant, but it provides no more than a starting point in ascertaining whether at any time there was a ‘criminal charge’ against the applicant.“). Siehe EGMR (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171); Matyjek/PL (Fn. 171); (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); Young/UK, 16.1.2007; Zaicevs/LET, 31.7.2007; ÖVerfGH EuGRZ 1988 173; Moullet/F (E), 13.9.2007, ECHR 2007-X; Hamer/B (Fn. 171). St. Rspr., vgl. nur EGMR (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171) mit zahlreichen Nachweisen; Matyjek/PL (Fn. 171); (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); Young/UK (Fn. 181); Zaicevs/LET (Fn. 181); vgl. auch MeyerLadewig 28; Merten/Papier/Gundel HbStR, Band VII, § 146, 52. Vgl. etwa zur Folter: Art. 3 EMRK Rn. 1 ff. Vgl. EGMR Adolf/A, 26.3.1982, A 49 =
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EuGRZ 1982 297; ähnlich Meyer-Ladewig 23 („in der Regel“). Vgl. EGMR Putz/A, 22.2.1996, Rep. 1996-I = ÖJZ 1996 434; Verlagsgruppe News GmbH/A (E) (Fn. 96). Vgl. EGMR Öztürk/D (Fn. 171); (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171; Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug); Matyjek/PL (Fn. 171; Lustrationsverfahren); Mikolajová/SLO (Fn. 171), § 41 („The prominent place held in a democratic society by the right to a fair trial favours a ‘substantive’, rather than a ‘formal’, conception of the ‘charge’ referred to by Article 6; it impels the Court to look behind the appearances and examine the realities of the procedure in question in order to determine whether there has been a ‘charge’ within the meaning of Article 6“); ÖVerfGH EuGRZ 1990 158 (Gurtanlegepflicht); IK-EMRK/Vogler 195 (nicht das „Was“, sondern das „Wie“ der Ahndung maßgebend); SK/Paeffgen 33; Meyer-Ladewig 23.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Art. 6 EMRK unbeachtlich ist, weil nach der Natur des Vergehens (Rn. 73 ff.) und der angedrohten Sanktion (Rn. 78 ff.) die Tat dem Art. 6 EMRK unterfällt.187 c) Zweites Kriterium: Für bzw. gegen die Zuordnung einer Materie zum Strafrecht 73 kann die Art des Vergehens sprechen, etwa dass nicht die Allgemeinheit, sondern nur ein bestimmter Personenkreis von einer gesetzlichen Bestimmung erfasst wird.188 Von Bedeutung für die Zuordnung kann auch sein, ob die Verhängung einer Sanktion von der Feststellung einer persönlichen Schuld abhängt.189 Neben der Verfolgung der eigentlichen Kriminalstraftaten im Strafverfahren ist – un- 74 geachtet der damit vom nationalen Gesetzgeber erstrebten Entkriminalisierung – auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wegen der Art der zu sanktionierenden Zuwiderhandlung als strafrechtliche Anklage anzusehen;190 desgleichen die Verhängung einer Haft wegen der Nichtzahlung einer Gemeindesteuer.191 Geklärt ist inzwischen auch, dass die Auferlegung von Steuerzuschlägen („tax surcharges“) als Sanktion für unrichtige oder unvollständige Steuererklärungen in den strafrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt.192 Dabei spielt die Höhe des Steuerzuschlages für die Einordnung als strafrechtliche Sanktion keine Rolle.193 Bei reinen Steuerfestsetzungsverfahren ist Art. 6 EMRK dagegen nicht anwendbar. 194 187
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Vgl. etwa EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Weber/CH, 22.5.1990, A 177 = EuGRZ 1990 265; Demicoli/MLT, 27.8.1991, A 210 = EuGRZ 1991 475; Ravnsborg/S, 23.3.1994, A 283-B = ÖJZ 1994 706; T./A, 14.11.2000, ECHR 2000-XI = ÖJZ 2001 389; vgl. Grabenwarter § 24, 18 ff.; SK/Paeffgen 32 ff.; Frowein/Peukert 26 ff.; Villiger 396 (für Disziplinarstrafe spricht, wenn nur bestimmter Personenkreis erfasst wird). Villiger 396; Meyer-Ladewig 24; vgl. auch EGMR Matyjek/PL (Fn. 171), § 53; Zaicevs/LET (Fn. 181). EGMR (GK) Benham/UK, 10.6.1996, Rep. 1996-III, § 56 = ÖJZ 1996 915; für weitere Anhaltspunkte siehe EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 246. EGMR Öztürk/D (Fn. 171) mit Anm. Schroth EuGRZ 1985 557; vgl. auch EGMR Adolf/A (Fn. 184); Gradinger/A, 23.10.1995, A 328-C = ÖJZ 1995 954 = JBl 1997 577 = ZVR 1996 12; J.B./CH, 3.5.2001, ECHR 2001-III = NJW 2002 499 = ÖJZ 2002 518 (Geldbuße wegen Steuerhinterziehung); dazu Schohe NJW 2002 492 u. Ambos NStZ 2002 633; EGMR Baischer/A, 20.12.2001, ÖJZ 2002 12; Zaicevs/LET (Fn. 181; „contempt of court“); ÖVerfGH EuGRZ 1990 158 (Verwaltungsstraftatbestand); Frowein/ Peukert 29; Meyer-Ladewig 23; Nowak 13;
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Schroth EuGRZ 1985 558; Weh EuGRZ 1985 469; a.A. OLG Celle NJW 1960 880; NStZ 1985 64; IK-EMRK/Vogler 233 ff., vgl. auch Villiger 407 ff. EGMR (GK) Benham/UK (Fn. 189); Frowein/Peukert 35; Villiger 399 (bei punitivem Zuschlag, nicht bei Nachzahlung zusätzlicher Zinsen). So zusammenfassend EGMR (GK) Jussila/ FIN (Fn. 146); Klarstellung, dass im Fall Bendenoun zwar nicht ausdrücklich, aber doch der Sache nach die Engel-Kriterien angewandt wurden und somit keine Abweichung von der bisherigen Rspr. vorlag); Bendenoun/F, 24.2.1994, A 284 = ÖJZ 1994 634; Janosevic/S, 23.7.2002, ECHR 2002-VII; Västberga Taxi Aktiebolag u. Vulic/S, 23.7.2002; Barsom u. Varli/S (E), 4.1.2008; vgl. auch EGMR J.B./CH (Fn. 190); dazu Schohe NJW 2002 492; Frowein/Peukert 34; SK/Paeffgen 37 (auch zur Ausklammerung der Steuersachen in früheren Entscheidungen des EGMR); vgl. zum deutschen Recht Pflaum wistra 2010 368, 370 (Haftung nach § 71 AO habe keinen Straf- und Abschreckungs-, sondern lediglich Schadensersatzcharakter). EGMR (GK) Jussila/FIN (Fn. 146), § 38, in ausdrücklicher Abweichung von EGMR Morel/F (E), 3.6.2003, ECHR 2003-IX (Steuerzuschlag in Höhe von 10 %). EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 261.
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Bei Ordnungsmitteln wegen der Verletzung prozessualer Pflichten (Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft; vgl. § 51 StPO) wird der strafrechtliche Kontext dagegen im Regelfall verneint;195 so auch für eine gerichtliche Anordnung, deren Missachtung mittels Geldbuße durchgesetzt werden kann;196 anders aber bei einer „Mutwillensstrafe“, die trotz ihres disziplinären Charakters ohne mündliche Verhandlung in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann.197 Der EGMR hat den Strafcharakter bei einer potentiell gegen jedermann angedrohten Geldbuße wegen Verletzung der Vertraulichkeit einer strafrechtlichen Voruntersuchung bejaht;198 desgleichen bei der Verhängung einer Geldbuße wegen Verweigerung der Auskunft in einem zollrechtlichen Ermittlungsverfahren,199 nicht aber bei der Auferlegung von wahlrechtlichen Sanktionen und einer Zahlungspflicht bei überhöhten Wahlaufwendungen nach dem nationalen Wahlrecht.200 Auch bzgl. eines Lustrationsverfahrens, in dem falsche Angaben mit einem langjährigen Verbot, bestimmte juristische Berufe auszuüben bzw. öffentliche Ämter zu bekleiden, sanktioniert werden können, hält der EGMR die strafrechtliche Schiene des Art. 6 Abs. 1 EMRK für anwendbar.201 Noch nicht vom EGMR entschieden ist die Frage, ob auch Geldbußen, die die 76 Europäische Kommission gegen Unternehmen wegen Kartellverstößen verhängt, unter den Begriff der „criminal charge“ fallen.202 Rechtsgrundlage für diese Geldbußen ist Art. 23 der Verordnung 1/2003/EG.203 In Hinblick auf das erste Engel-Kriterium, die Einordnung im nationalen Recht, ist hier Art. 23 Abs. 5 VO insofern von Bedeutung, als die von der Kommission getroffenen Bußgeldentscheidungen „keinen strafrechtlichen Charakter“ haben sollen.204 Jedoch hat dieses Kriterium nur begrenzte Bedeutung; ausschlaggebend sind für den EGMR die Natur des Vergehens sowie die Art und Schwere der angedrohten Sanktion (Rn. 70). Im Hinblick auf das zweite Kriterium spricht für die
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Vgl. EGMR Ravnsborg/S (Fn. 187); Putz/A (Fn. 185); OGH EuGRZ 1982 159; Frowein/Peukert 31; vgl. auch EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 255. EGMR Verlagsgruppe News GmbH/A (E) (Fn. 96). EGMR T./A (Fn. 187); vgl. auch EGMR Kyprianou/ZYP, 27.1.2004 („contempt of court“); Zaicevs/LET (Fn. 181); Villiger 400. EGMR Weber/CH (Fn. 187); die EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 297 hatte dies im gleichen Fall verneint. EGMR Funke/F, 25.2.1993, A 256-A = ÖJZ 1993 534; Frowein/Peukert 36. EGMR Pierre-Bloch/F (Fn. 134). EGMR Matyjek/PL (Fn. 171). Dass sich auch juristische Personen und Personenvereinigungen auf Art. 6 Abs. 1 EMRK berufen können, ist anerkannt, s.o. Rn. 23 und Teil II Rn. 25; zur Bindung der Organe der Europäischen Union an die EMRK siehe Teil I Rn. 98 ff. Die EKMR hatte die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Kartellverfahren bei Vollzug durch deutsche Behörden bejaht, vgl.
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EKMR M. u. Co/D, 9.2.1990. Zu Kartellverfahren nach russischem Recht EGMR OOO Neste St. Petersburg u.a./R (E), 6.6.2004. Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABlEU Nr. L 1 v. 4.1.2003, S. 1; kritisch zu Art. 23 der Verordnung Schwarze EuR 2009 171. Diese Einordnung hat vor allem kompetenzrechtliche Gründe und wird teilweise heftig kritisiert, vgl. etwa Schwarze EuR 2009 171, 180 f. („zumindest strafrechtsähnliche Entscheidungen“); Hensmann Die Ermittlungsrechte der Kommission im europäischen Kartellverfahren (2009), 112 ff., 116 m.w.N. („Strafen im weiteren Sinn“); ebenso Vocke Die Ermittlungsbefugnisse der EG-Kommission im kartellrechtlichen Voruntersuchungsverfahren (2006), 102 ff. Den strafrechtlichen Charakter hat auch Generalanwalt am EuGH Colomer in seinen Schlussanträgen in der Rs. C-217/00 P (Buzzi Unicem), Rn. 29 bejaht.
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Art. 14 IPBPR
Annahme einer strafrechtlichen Sanktion, dass sich die Androhung der Kartellgeldbuße gegen jedermann (i.e. gegen jedes Unternehmen) richtet und diese – auch nach Ansicht des EuGH 205 – sowohl präventive als auch repressive Funktion hat. Insofern lässt sich das Kartellverfahren mit dem deutschen Ordnungswidrigkeitenverfahren vergleichen, das der EGMR bereits als „criminal charge“ eingeordnet hat (Rn. 74).206 Auch Art und Schwere der angedrohten Sanktion stützen diese Auffassung. Die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des Jahresumsatzes (Art. 23 Abs. 2 VO)207 hat einen – wie vom EGMR gefordert – hinreichend strafenden und abschreckenden Charakter. Insofern sind die von der Kommission verhängten Kartellgeldbußen als strafrechtliche Sanktion i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen.208 Sobald die EU der EMRK beigetreten ist, sind Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK sowie die 77 speziellen Beschuldigtenrechte aus Art. 6 Abs. 3 EMRK auf das von der Kommission betriebene Kartellverfahren, das mit der Einleitung des Voruntersuchungsverfahrens beginnt, unmittelbar anwendbar. Sofern die nationalen Wettbewerbsbehörden auf Ersuchen der Kommission Nachprüfungen nach Art. 20 VO vornehmen, richten sich ihre Befugnisse nach innerstaatlichem Recht (vgl. Art. 22 Abs. 2 VO). Da aber auf nationaler Ebene für bestimmte Zwangsmaßnahmen ein Richtervorbehalt zu fordern ist,209 sind die Garantien des Art. 6 EMRK insofern schon heute unmittelbar verbindlich. Vgl. zu den speziellen Fragestellungen nemo tenetur Rn. 897 ff. und ne bis in idem Rn. 1010 ff. d) Drittes Kriterium: Die Zuordnung kann auch durch Art und Schwere der jeweils 78 im Gesetz angedrohten Sanktion bestimmt werden, wobei grundsätzlich die mögliche Höchststrafe und nicht etwa die tatsächlich verhängte Strafe für das Verteidigungsrecht und damit auch für die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK maßgebend ist.210 Mitunter wird aber auch auf die tatsächlich verhängte Sanktion abgestellt, die jedoch nach Ansicht des EGMR die Bedeutung der drohenden Strafe nicht abschwächen kann.211 Bei einem als Mittel der Vergeltung oder Abschreckung angedrohten Freiheitsentzug besteht eine Vermutung für eine dem Strafrecht zuzurechnende Sanktion, die nur schwer widerlegt werden kann.212 Eine dem Strafrecht zuzurechnende Sanktion muss aber nicht zwingend
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EuGH Rs. 41/69 (ACF Chemiefarma), 15.10.1970, Slg. 1970, 661 = EuR 1971 41 m. Anm. Markert, Tz. 172 ff.; Rs. 44/69 (Buchler & Co.), 15.7.1970, Slg. 1970, 733, Tz. 49; Rs. 45/69 (Boehringer Mannheim GmbH), 15.7.1970, Slg. 1970, 769, Tz. 53; verb. Rs. 100 bis 103/80 (SA Musique Diffusion française), 7.6.1983, Slg. 1983, 1825, Tz. 106 ff.; Rs. C-289/04 P (Showa Denko), 29.6.2006, Slg. 2006, I-5859, Tz. 16. Vgl. König Das Europäische Verwaltungssanktionsrecht und die Anwendung strafrechtlicher Rechtsgrundsätze (2009), 64 f.; Schwarze EuR 2009 171, 183. Inzwischen werden Bußgelder in Milliardenhöhe verhängt, vgl. MEMO/09/438 der Kommission v. 7.10.2009. So auch Hensmann (Fn. 204) 124 m.w.N.; Vocke (Fn. 204) 125 ff.; König (Fn. 206) 62 ff.; Schwarze EuR 2009 171, 183.
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Ausführlich hierzu Hecheltjen Der Richtervorbehalt im kartellrechtlichen Nachprüfungsverfahren der Europäischen Kommission (2007), 174 ff. IK-EMRK/Vogler 200; Meyer-Ladewig 25; vgl. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171) m.w.N. aus der Rspr.; zuletzt Young/UK (Fn. 181); Zaicevs/LET (Fn. 181). Etwa EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Bendenoun/F (Fn. 192); (GK) Benham/UK (Fn. 189); (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171) m.w.N.; zuletzt Young/UK (Fn. 181); vgl. aber Grabenwarter § 24, 20 (Widerlegung der durch die Strafdrohung begründeten Vermutung durch tatsächlich verhängte geringe Strafe). EGMR (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171; „presumption which could be rebutted entirely exceptionally, and only if those
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aus einem Freiheitsentzug oder einer Geldbuße bestehen; so hat beispielsweise auch das Verbot, bestimmte juristische oder politische Berufe auszuüben (Berufsverbot), hinreichenden strafenden und abschreckenden Charakter („punitive and deterrent character“).213 Ergibt sich die Zuordnung zum Strafrecht bereits aus der Natur der Zuwiderhandlung selbst, so schließt auch die Geringfügigkeit der Sanktion die Annahme einer strafrechtlichen Anklage nicht aus.214
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e) Die Möglichkeit der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder sonstigen Präventivmaßnahme eröffnet den strafrechtlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn das betreffende Verfahren im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Straftat im weit verstandenen Sinne der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR steht. Dass der Betroffene in diesem Verfahren vom eigentlichen strafrechtlichen Vorwurf (mangels Schuld) freigesprochen werden kann und vom Gericht wegen der dann (nur) rechtswidrigen Tat gleichwohl eine Unterbringung (z.B. in einem psychiatrischen Krankenhaus) als Maßregel oder Präventivmaßnahme angeordnet werden kann, ändert an der strafrechtlichen Verortung der Maßregel bzw. Sicherungsmaßnahme nichts. Die Anwendung der speziellen Verfahrensgarantien für ein Verfahren, das eine strafrechtliche Anklage zum Gegenstand hat, hängt davon ab, was dem Betroffenen möglicherweise als Sanktion droht; sie kann nicht erst ex post vom Verfahrensergebnis her bestimmt werden.215 Wird die Anordnung einer Maßregel oder Sicherungsmaßnahme dagegen in einem vom strafrechtlichen Vorwurf abgetrennten Verfahren beantragt (vgl. etwa das Sicherungsverfahren, § 413 StPO), so hat dieses Verfahren nicht die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage zum Gegenstand; Vorschriften, die den Übergang dieses Verfahrens in ein Strafverfahren ermöglichen, sind allerdings in ihrer Auslegung an den Prinzipien des Art. 6 EMRK zu orientieren (vgl. §§ 414 Abs. 1, 416 StPO).216 Auch ist es dem Staat untersagt, ein solches vom strafrechtlichen Vorwurf abgetrenntes Verfahren zu betreiben, um dem Betroffenen die speziellen strafrechtlichen Verfahrensgarantien vorzuenthalten (Umgehungsverbot). Eine unmittelbare Anwendung der Verfahrensprinzipien aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kann sich ggf. über den zivilrechtlichen Schutzbereich der Norm ergeben (siehe dazu Rn. 49).
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f) Eine Verfallserklärung in einem gegen eine andere Person als Beschuldigten geführten Verfahren ist kein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage gegen den Eigentümer der betroffenen Gegenstände, wenn dieser im Strafverfahren selbst nur als Zeuge gehört wurde.217 Dies ist auch nicht anders zu beurteilen, wenn er als Nebenbeteiligter wegen
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deprivations of liberty could not be considered ,appreciably detrimental‘ given their nature, duration or manner of execution“); ebenso EGMR Young/UK (Fn. 181); vgl. auch EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 297 mit Hinweis, dass nicht notwendig jede Freiheits- oder Geldstrafe strafrechtlicher Natur sein müsse. Ferner Schroth EuGRZ 1985 558; Meyer-Ladewig 26. EGMR Matyjek/PL (Fn. 171); vgl. auch EGMR Hamer/B (Fn. 171; Abrissverfügung). Vgl. EGMR (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); Meyer-Ladewig 25.
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Für die spätere Entscheidung über den Antrag des Eingewiesenen auf Aufhebung der Maßnahme hat EKMR EuGRZ 1988 507 die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK verneint (weder Entscheidung über criminal charge noch über civil right). Art. 5 Abs. 4 EMRK (siehe dort) eröffnet insoweit die speziellere Verfahrensgarantie. Guradze 9; IK-EMRK/Vogler 245. EGMR AGOSI/UK (Fn. 177; Schmuggler; Eigentümer nur als Zeuge vernommen; ob „civil rights“ betroffen waren, wurde nicht geprüft).
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einer auch ihn treffenden Einziehung oder Verfallserklärung mit weitreichenden (denen eines Angeklagten entsprechenden) Befugnissen förmlich am Strafverfahren beteiligt wird (vgl. §§ 431 ff. StPO). Eröffnet ist allerdings der zivilrechtliche Schutzbereich (Rn. 64). g) Disziplinarverfahren sind in der Regel nicht dem strafrechtlichen Sachbereich zu- 81 zurechnen,218 es sei denn, dass das innerstaatliche Recht sie explizit dem Strafrecht zuordnet. Unabhängig davon kann je nach nationaler Rechtslage wegen der Art und Höhe der Sanktion oder aber wegen der strafrechtlichen Natur des sanktionierten Fehlverhaltens Art. 6 EMRK im strafrechtlichen Kontext anwendbar sein. Auch für diese Fallgruppe werden zur Abgrenzung die Engel-Kriterien herangezogen.219 So hielt der EGMR eine strafrechtliche Anklage und damit die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK für gegeben, wenn ein normalerweise strafrechtlich zu verfolgendes Vergehen nach (zulässigem) nationalem Recht durch eine nach Art und Ausmaß schwerwiegende Sanktion im Disziplinarweg geahndet wird oder aber wenn eine schwerwiegende Sanktion mit Strafcharakter verhängt wird, was vor allem dann der Fall sein kann, wenn eine nicht nur geringfügige Freiheitsentziehung droht 220 oder die verhängte Sanktion ohne erneute mündliche Verhandlung in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann.221 Für die berufs- oder anwaltsgerichtliche Ahndung beruflicher Verfehlungen gelten die gleichen Grundsätze.222 Verfahren, die zu einem Berufsverbot führen können, beinhalten aber meist auch eine Entscheidung über ein „civil right“ (Rn. 48).223 h) Der Umstand, dass ein Verfahren vor einem Verfassungsgericht stattfindet, schließt 82 einen strafrechtlichen Kontext i.S.v. Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR nicht per se aus.224 Einem Amtsenthebungsverfahren gegen einen Staatspräsidenten liegt nach Ansicht 83 des EGMR aber keine strafrechtliche Anklage zugrunde, wenn lediglich originäres Verfassungsrecht tangiert ist.225 Die deutsche Rechtslage dürfte diesem Ansatz entsprechen.
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EKMR ÖJZ 1990 126; BVerwG NJW 1983 531; NVwZ 1990 373; Frowein/Peukert 27 f., 44; Guradze 10; Nowak 13; Vogler ZStW 89 (1977) 776; BGer EuGRZ 1984 323 (Ausschluss eines Studenten für ein Semester); ohne nähere Begründung EGMR Gülmez/TRK (Fn. 117). So ausdrücklich in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug: EGMR (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171), § 85 mit Hinweis auf EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); vgl. Frowein/Peukert 26 ff., 44; IK-EMRK/Vogler 230; siehe Näheres bei: EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 88), Nr. 250 ff. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40; Androhung von 14 Tagen strengen Arrests, nicht bei 2 Tagen); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41; Verwirkung von 570 Tagen des Reststrafenerlasses); (GK) Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171; Disziplinarmaßnahme im Strafvollzug; Androhung von 42 Tagen Freiheitsentzug); ebenso EGMR Young/UK (Fn. 181).
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EGMR Weber/CH (Fn. 187); vgl. auch T./A (Fn. 187; Mutwillensstrafe, die ohne mündl. Verhandlung in Freiheitsstrafe umgewandelt werden konnte); IK-EMRK/Vogler 230. Guradze 10; IK-EMRK/Vogler 231; Partsch 146, der den Ausschluss dieser für den Betroffenen schwerwiegenden Verfahren von den Verfahrensgarantien für schwer verständlich hält. Vgl. auch ÖVerfGH EuGRZ 1988 173 (Disziplinarverfahren nach Apothekenkammergesetz); dazu Merei ZaöRV 48 (1988) 251; BGer EuGRZ 2003 612. BGer EuGRZ 2003 612; vielfach hält es der EGMR für ausreichend, wenn der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund einer der beiden Gruppen sicher feststeht; vgl. etwa EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Diennet/F (Fn. 119); vgl. auch Grabenwarter § 24, 23 (Schwere der Sanktion bejaht); IK-EMRK/Vogler 232. EGMR (GK) Paksas/LIT, 6.1.2011, § 65. EGMR (GK) Paksas/LIT (Fn. 224), § 66.
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Art. 61 Abs. 1 GG sieht vor, dass der Bundespräsident wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem BVerfG angeklagt werden kann. Das Verfahren ist gemäß §§ 49 ff. BVerfGG kein Strafverfahren, sondern ein völlig eigenes verfassungsrechtliches Verfahren, das jedoch dem Strafprozess nachgebildet ist und zu diesem unübersehbare Parallelen aufweist.226 Wird nun der Bundespräsident (lediglich) wegen Verletzung des Grundgesetzes angeklagt, so liegt zweifelsfrei kein strafrechtliches Verfahren vor. Findet aber eine Anklage vor dem BVerfG wegen Verletzung eines Strafgesetzes statt, so erscheint es bedenklich, dem Bundespräsidenten nicht alle Rechte eines Beschuldigten zuzuerkennen, insbesondere ein Recht, die Aussage zu verweigern (nemo tenetur; Rn. 897 ff.) und das gegen ihn ergangene Urteil revisionsrechtlich überprüfen zu lassen (dazu Rn. 123, 991 ff.).227 Dagegen könnte die Tatsache sprechen, dass das Urteil des BVerfG gemäß Art. 61 84 Abs. 2 GG, § 56 Abs. 1 BVerfGG lediglich ein Feststellungsurteil ist. Das BVerfG spricht zwar ggf. aus, dass der Bundespräsident einer vorsätzlichen Gesetzesverletzung schuldig ist, es verurteilt ihn jedoch nicht zu einer Strafe nach den §§ 38 ff. StGB. Die einzige Folge des Urteils ist der Amtsverlust (§ 56 Abs. 2 BVerfGG) – eine Sanktion, die nach den Engel-Kriterien (Rn. 70 ff.) nicht als strafrechtlich einzustufen ist. Sollte der Bundespräsident tatsächlich eine Straftat begangen haben, würde gegen ihn auch auf dem ordentlichen Rechtsweg Anklage erhoben werden, entweder nach Verlust seines Amtes oder schon vorher nach Aufhebung seiner Immunität (Art. 60 Abs. 4; Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG). Die strafprozessrechtlichen Parallelen einer sog. Präsidentenanklage treten noch deut85 licher bei den Ministeranklagen der einzelnen Bundesländer hervor. Diese werden vor den jeweiligen Länderverfassungsgerichten erhoben. Die Länderverfassungsgerichtsgesetze verweisen in den Fällen der Ministeranklage auf die Vorschriften der StPO (vgl. § 20 Abs. 1 StGHG BW; Art. 42 BayVerfGHG; § 13 Abs. 1 VGHG NRW). Allerdings ist auch hier wieder zu bedenken, dass in einem solchen Verfahren kein Strafurteil ergeht. Dies ist explizit in Art. 131 Abs. 4 der rheinland-pfälzischen Verfassung normiert („Eine Strafverfolgung nach den allgemeinen Strafgesetzen wird durch dieses Verfahren nicht gehindert“). Damit finden, sollte der Bundespräsident oder aber ein Landesminister tatsächlich 86 eine Straftat begehen, zwei unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlicher Rechtsfolge statt. Zwar ist das Verfahren vor dem BVerfG bzw. vor dem Landesverfassungsgericht dem Strafprozess nachgebildet und die Verfassungsrichter entscheiden ggf. auch über die Verletzung eines Straftatbestandes, doch erfolgt dort keine Verurteilung mit der Folge einer strafrechtlichen Sanktion i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK. Eine solche Verurteilung findet ausschließlich vor einem Strafgericht statt. Dieser Befund steht der Forderung nach einer Ausdehnung der Beschuldigtenrechte aus Art. 6 EMRK auf das nicht-strafrechtliche, dem Strafprozess „vorgelagerte“ Amtsenthebungsverfahren aber nicht entgegen – im Gegen-
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So wird die Anklage durch die Einreichung einer Anklageschrift beim BVerfG erhoben (§ 49 BVerfGG), es kann eine Voruntersuchung nach § 54 BVerfGG angeordnet werden und es wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 55 Abs. 1 BVerfGG). Dazu ist der Bundespräsident zu laden. Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Vortrag der Anklageschrift, daraufhin erhält der Bundespräsident Gelegen-
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heit sich zu verteidigen; es folgt die Beweiserhebung. Die mündliche Verhandlung endet mit den Schlussplädoyers; der Bundespräsident hat das letzte Wort (§ 54 Abs. 6 BVerfGG). Da eine Revision gegen ein verfassungsgerichtliches Urteil jedoch nicht möglich ist, erscheint dies, vor allem mangels eines dahingehenden deutschen Vorbehalts, als ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 5 IPBPR.
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Art. 14 IPBPR
teil. Hierfür sprechen die Identität des Anklagevorwurfs (wenn es um den Verstoß gegen ein Strafgesetz geht) und die Überlegung, dass Aussagen und Beweise aus dem früheren Verfahren im späteren Strafprozess verwertet werden können. i) Das Auslieferungsverfahren betrifft als solches nicht die Entscheidung über zivil- 87 rechtliche Ansprüche oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage;228 über Letztere wird in dem Verfahren entschieden bzw. ist in dem Verfahren entschieden worden, für das (zur Verfolgung) bzw. als dessen Folge (zur Vollstreckung) ausgeliefert wird. Dieser restriktive Ansatz im Rahmen des Art. 6 EMRK führt dazu, dass Beschuldigtenrechte in diesem Stadium des Strafverfahrens nicht auf diese zentrale Bestimmung der Konvention gestützt werden können, was insbesondere für die Problematik der „notwendigen“ Bestellung eines Beistands nach § 40 IRG eine missliche Konsequenz ist.229 Allerdings hat der EGMR im Fall Buijen 230 wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Verfahren betreffend die Überstellung des Verurteilten in sein Heimatland bejaht, da das Geständnis des Angeklagten – und damit der Ausgang des Strafverfahrens – auf der (nicht eingehaltenen) Zusicherung der Staatsanwaltschaft beruhte, ihn nach Art. 11 des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen v. 21.3.1983 (ETS 112) zur Strafvollstreckung in sein Heimatland zu überstellen. Abgesehen von dieser besonderen Konstellation müssen bei einer Auslieferung zur Strafverfolgung zentrale Beschuldigtengarantien über den Aspekt „Rechtmäßigkeit“ der Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f. EMRK eingefordert werden (siehe Art. 5 EMRK Rn. 159 ff.). Auch dort ist die Straßburger Judikatur allerdings in vielen Fragen noch recht rudimentär. Mittelfristig muss sich – gerade bei Überstellungsverfahren, die auf einen Europäischen Haftbefehl zurückgehen – die Erkenntnis durchsetzen, dass das Auslieferungsverfahren als eine Art „Prolog“ des eigentlichen Strafverfahrens über die strafrechtliche Anklage anzusehen ist und daher den strafrechtlichen Schutzbereich des Art. 6 EMRK eröffnet. Vgl. hierzu auch die Tendenzen in der Straßburger Judikatur zur Unschuldsvermutung Rn. 472. Ein im ausländischen Strafverfahren eingetretener oder drohender Verstoß gegen die 88 Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EMRK kann jedoch zu einem Auslieferungsverbot führen. Die Prüfung, ob ein solches Auslieferungshindernis (§ 73 IRG) vorliegt, hat nicht nur anhand der Elementargarantien und des wesentlichen Kerns der Rechtsstaatlichkeit zu geschehen, sondern hat auch menschenrechtliche Verfahrensgrundsätze des Art. 6 Abs. 1 EMRK, insbesondere die Fairness des Verfahrens, mit einzubeziehen.231 Der EGMR ist
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EGMR (GK) Maaouia/F (Fn. 139); Aronica/D (E), 18.4.2002, EuGRZ 2002 514 = ÖJZ 2003 309; Penafiel Salgado/E (E), 16.4.2002; Sardinas Albo/I (E), 8.1.2004, ECHR 2004-I; (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK, 4.2.2005, ECHR 2005-I = EuGRZ 2005 357; Al-Moayad/D (E), 20.2.2007, NVwZ 2008 761; Ismoilov u.a./R, 24.4.2008 (dort allerdings Art. 6 Abs. 2 EMRK anwendbar); Monedero Angora/E (E), 7.10.2008 (Europäischer Haftbefehl); IK-EMRK/Vogler 247; ders. GA 1996 569, 572; SK/Paeffgen 38; Vogler ZStW 82 (1970) 743; a.A. Rohlff Der
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europäische Haftbefehl (2003) 65; Tinkl Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (2008) 41. Hierzu etwa: OLG Dresden StRR 2011 150 m. Anm. Köberer. Kritisch zur Beiordnungspraxis: Fromm StRR 2011 208, 211. EGMR Buijen/D, 1.4.2010, NStZ-RR 2011 113 = StV 2011 430; siehe auch EGMR Smith/D, 1.4.2010, StRR 2011 58 L. BGH NStZ 2002 166; OLG Bamberg NStZ 2008 640, 641 (türkischer Militärrichter); OLG Zweibrücken (LS) NStZ 2008 641.
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insoweit jedoch zurückhaltend und hält Art. 6 EMRK nur ausnahmsweise für verletzt, wenn in dem Land, in das ausgeliefert wird, eine schwerwiegende Rechtsverweigerung („flagrant denial of justice“) droht; bloße Zweifel an einem fairen Verfahren genügen nicht.232
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j) Ein Exequaturverfahren oder sonstiges Verfahren, in dem über die inländische Vollstreckung der in einem anderen Staat rechtskräftig festgesetzten Strafe entschieden wird, gehört zwar dem Strafrecht an, wirft also keine Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche auf. Das Verfahren betrifft aber auch nicht die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage als solche,233 denn über diese ist bereits rechtskräftig entschieden. Das Verfahren nach dem ehem. RHG entschied zwar konstitutiv über die Vollstreckung, es erging aber keine Entscheidung über die bereits rechtskräftig abgeurteilte Anklage als solche, sondern nur über die für die innerstaatliche Anerkennung und Vollstreckung notwendige Nachprüfung ihrer Rechtsstaatlichkeit.234 Gleiches gilt im umgekehrten Fall der Entscheidung über die Ausweisung eines Verurteilten zur Verbüßung der restlichen Haftstrafe in seinem Heimatstaat: sie betrifft weder zivilrechtliche Ansprüche noch die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage; auch wenn der Betroffene in seinem Heimatstaat möglicherweise erst später auf Bewährung entlassen wird als im ausweisenden Staat, so ist dies für ihn keine zusätzliche, neue Sanktion.235
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k) Verfahren im Rahmen der Strafverfolgung, die nicht die Entscheidung über die Anklage selbst zum Gegenstand haben, wie etwa das Beschwerdeverfahren gegen prozessleitende Anordnungen,236 die Beschlagnahme von Gegenständen237 oder die unter Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR fallenden Verfahren zur Prüfung einer Freiheitsentziehung,238 werden nicht von Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR erfasst.
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l) Ein Verfahren betrifft nicht mehr die strafrechtliche Anklage, wenn Rechte, die durch die strafrichterliche Entscheidung selbst nicht entzogen worden sind, erst in einer durch sie ausgelösten administrativen Maßnahme entzogen werden.239 Ob das dortige Verfahren in den zivilrechtlichen Schutzbereich des Art. 6 EMRK fällt, beurteilt sich nach den allgemeinen Kriterien.
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5. Beginn der strafrechtlichen Anklage. In welchem staatlichen Akt die strafrechtliche Anklage zu sehen ist und wann damit der strafrechtliche Schutz(!)bereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 IPBPR beginnt, wird ebenfalls autonom vom Schutzzweck dieser Konventionsgarantie her ausgelegt. Anklage i.S.d. Vorschriften ist daher nicht formal (erst)
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EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK (Fn. 228); Al-Moayad/D (E) (Fn. 228); ähnlich schon EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314 („flagrant denial of a fair trial“); ebenso EGMR Ismoilov u.a./R (Fn. 228). IK-EMRK/Vogler 255, 256. Dazu Vasak ROW 1961 107; verneinend ferner IK-EMRK/Vogler 253; Partsch 148, Fn. 468; Vogler ZStW 82 (1970) 765; bejahend Guradze 11; je m.w.N. vgl. LR/ K. Schäfer 23 Vor § 1, 7 ff. RHG.
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EGMR Szabó/S (E), 27.6.2006; Csoszanski/S (E), 27.6.2006; Veermae/FIN (E), 15.3.2005. IK-EMRK/Vogler 217. EGMR Dogmoch/D (E) (Fn. 94). EGMR Neumeister/A (Fn. 121); Matznetter/A, 10.11.1969, A 10; Reinprecht/A (Fn. 169); vgl. auch EGMR Guliyev/ASE (E) (Fn. 133); Grabenwarter § 24, 26; IKEMRK/Miehsler/Vogler 183, 202, 210; vgl. Art. 5 EMRK Rn. 335; a.A. SK/Paeffgen 44. ÖVerfGH EuGRZ 1990 186.
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im Sinne der förmlichen Anklageerhebung nach dem jeweiligen nationalen Recht zu verstehen.240 Der Zweck, eine effektive Verteidigung im gesamten Strafverfahren zu gewährleisten, erfordert eine materielle Auslegung,241 die den Schutzbereich dieser Bestimmung – die zentralen Verfahrensgarantien der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR – auch schon vor der förmlichen Anklage bei einem Gericht eingreifen lässt, (spätestens) wenn der Betroffene durch einen staatlichen Akt die Kenntnis erhält, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird. Welcher Akt dafür ausreicht, orientiert sich an den konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Verfahrens und der Auswirkung auf die Lage des Betroffenen.242 Von dem auf diese Weise zu bestimmenden Zeitpunkt an greifen die Verfahrensgarantien zu seinen Gunsten ein; vor allem besteht von diesem Zeitpunkt an der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist (vgl. Rn. 307 ff.).243 Anklage in diesem Sinn ist zunächst jede offizielle Mitteilung der zuständigen Behörde, 93 aus der der Betroffene ersehen kann, dass gegen ihn eine Anschuldigung vorliegt und dass die Behörde wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung gegen ihn ermittelt.244 Das ist evident bei einer Einvernahme als Beschuldigter. Unter Umständen können auch andere behördliche Maßnahmen genügen, aus denen der Betroffene dies ersehen kann, sofern diese Maßnahmen ihn in seiner Rechtsstellung ebenso beeinträchtigen wie eine offizielle Mitteilung;245 dies gilt vor allem für die Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat246 oder für eine Durchsuchung. Unerheblich ist dabei, ob es sich um ein Delikt handelt, dessen Verfolgung von einem Strafantrag abhängt,247 oder ob später die formelle Anklageerhebung letztlich wegen Geringfügigkeit oder aus anderen Gründen unterbleibt.248
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EGMR Mikolajová/SLO (Fn. 171; „That concept is ‘autonomous’; it has to be understood within the meaning of the Convention and not solely within its meaning in domestic law.“). EGMR Bruso/F, 14.10.2010, § 47 („L’argument selon lequel le requérant n’a été entendu que comme témoin est inopérant, comme étant purement formel, dès lors que les autorités judiciaires et policières disposaient d’éléments de nature à le suspecter d’avoir participé à l’infraction.“). EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Deweer/B (Fn. 38); Adolf/A (Fn. 184); Öztürk/D (Fn. 171); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Corigliano/I, 10.12.1982, A 57 = EuGRZ 1985 585; Brozicek/I, 19.12.1989, A 167; Aleksandr Zaichenko/R, 18.2.2010 („situation … substantially effected“); ÖVerfGH EuGRZ 1990 158; IK-EMRK/Vogler 191. Vgl. etwa EGMR Neumeister/A (Fn. 121); Vera Fernandez-Huidobro/E, 6.1.2010 (Unparteilichkeit des Untersuchungsrichters; nicht endgültig); Vogler ZStW 89 (1977) 775. EGMR Deweer/B (Fn. 38); Foti u.a./I, 10.12. 1982, A 56 = NJW 1986 647 = EuGRZ 1985 578; Salov/UKR (Fn. 171); Matyjek/PL
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(Fn. 171); Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242); Sommer/I (E), 23.3.2010; Mikolajová/SLO (Fn. 171), § 40; Frowein/Peukert 41 f.; IK-EMRK/Vogler 204; Meyer-Ladewig 22; Nowak 14; Peukert EuGRZ 1979 270; SK/Paeffgen 39; Schroth EuGRZ 1985 558; Ulsamer FS Zeidler 1813. EGMR Öztürk/D (Fn. 171); Eckle/D, 15.7.1982, A 51 = EuGRZ 1983 371 mit Anm. Kühne; Mikolajová/SLO (Fn. 171), § 40 („A ‘charge’ may in some instances take the form of other measures which carry the implication of such an allegation and which likewise substantially affect the situation of the suspect.“). Siehe auch: EGMR Foti u.a./I (Fn. 244), § 52; Meyer-Ladewig 22; Frowein/Peukert 42; Grabenwarter § 24, 25; je m.w.N. Vgl. zum Meinungsstand auch SK/Paeffgen 40, 41. IK-EMRK/Vogler 204; Meyer-Ladewig 22; vgl. EGMR Wemhoff/D, 27.6.1968, A 7 = JR 1968 463; Neumeister/A (Fn. 121); Ringeisen/A (Fn. 80); Peukert EuGRZ 1979 270. EGMR Minelli/CH (Fn. 40); Frowein/ Peukert 42. EGMR Deweer/B (Fn. 38); Adolf/A (Fn. 184); Minelli/CH (Fn. 40); Frowein/ Peukert 42; IK-EMRK/Vogler 207.
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Der Eingang einer Strafanzeige ist noch keine Anklage; auch Ermittlungen zur Klärung des Anfangsverdachtes haben in der Regel noch nicht das erforderliche Gewicht. In der Rückverweisung eines Falles für weitergehende Ermittlungen sieht der EGMR eine Voraussetzung für eine neue Anklage, so dass auch auf eine solche Entscheidung Art. 6 Abs. 1 EMRK anwendbar ist.249 Eine zentrale Frage des Beschuldigtenschutzes ist in diesem Zusammenhang, ab welchem Zeitpunkt für die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht besteht, dem Betroffenen mitzuteilen, dass gegen ihn wegen einer Straftat ermittelt wird. Mit dem EGMR ist auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem die Lage des Betroffenen wesentlich beeinträchtigt ist („substantially affected“; siehe Rn. 92), also sobald ein Verdacht i.S. einer strafrechtlichen Anklage im materiellen Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK gegen ihn vorliegt. Ab diesem Zeitpunkt darf dem Betroffenen der Beschuldigtenstatus nicht länger (willkürlich) vorenthalten werden. In diese Richtung tendiert nun auch der EGMR, der eine Pflicht zur Belehrung des Betroffenen in Bezug auf sein Schweigerecht und seine Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur, dazu Rn. 897 ff.) bereits in einem solch frühen Verfahrensstadium annimmt.250 Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgt insofern eine Pflicht zur Begründung des Beschuldigtenstatus. Das gilt etwa dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden eine Person als Zeugen vernehmen, obwohl sie an sich allen Grund haben, sie (bereits) als Beschuldigten zu behandeln.251 An einer wesentlichen Beeinträchtigung i.S.e. strafrechtlichen Anklage kann es dagegen fehlen, wenn lediglich ein behördeninterner Abschlussbericht feststellt, dass eine Person eine Straftat begangen habe, ohne dass es jemals zu Ermittlungsmaßnahmen gekommen ist (etwa weil das Opfer als Verletzter keinen Strafantrag gestellt hat). Wird die betroffene Person später durch Dritte von dieser behördeninternen Feststellung in Kenntnis gesetzt, reicht das nicht aus, um eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne einer strafrechtlichen Anklage annehmen zu können.252 Bedeutung erlangt diese Frage auch bei dem Sonderproblem, ob eine Person, die formell als Zeuge geladen wird, bereits angeklagt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist.253 Dies erscheint naheliegend, wenn der Zeuge zu dem Verfahren, in dem er aussagen soll, eine gewisse Beziehung hat, z.B. als möglicher Mittäter. In der bloßen Ladung oder Vernehmung des Zeugen kann allerdings noch keine Anklage gesehen werden, da von dieser Verfahrensgestaltung gerade nicht eindeutig auf eine Ermittlung gegen den Zeugen geschlossen werden kann. Anders kann es zu beurteilen sein, wenn an den Zeugen spezielle tatbezogene Fragen gestellt werden oder er sich im Hinblick auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft. Der EGMR stellt bei der Beurteilung nicht auf den Status des Zeugen im nationalen Verfahrens- oder Prozessrecht, sondern auf den objektiven Stand des Verfahrens ab, in dem gegen den Zeugen ermittelt wird 254 und hat für diesen Fall konkludent ein Aussageverweigerungsrecht des Zeugen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannt.255 Keine strafrechtlichen Anklagen stellen dar: die Einleitung eines Verfahrens zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität für Zwecke der Strafverfolgung sowie die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Frage einer Anklage-
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EGMR Salov/UKR (Fn. 171). EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), §§ 42 f., 52. EGMR Brusco/F (Fn. 175), §§ 46 ff. EGMR Mikolajová/SLO (Fn. 171), §§ 42 f.
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Vgl. hierzu ausführlich Esser 83, 681 ff. EGMR Serves/F, 20.10.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 629. EGMR K./A, 2.6.1993, A 255-B.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
erhebung prüfen soll.256 Begehrt dagegen ein Abgeordneter selbst die Aufhebung seiner Immunität, damit ein gegen ihn anhängiges, aber ruhendes Strafverfahren wieder aufgenommen werden kann, so ist Art. 6 Abs. 1 EMRK anwendbar, da insoweit das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Strafverfahrens innerhalb angemessener Zeit betroffen ist.257 Keine strafrechtliche Anklage liegt in Verwaltungsentscheidungen, die einer Person im 99 Hinblick auf eine von ihr begangene Straftat Beschränkungen auferlegen, wie etwa Beschränkungen der Berufsausübung258 oder Beschränkungen, die der Verhütung künftiger Straftaten dienen.259 Auch auf eine polizeiliche Verwarnung ist Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen des überwiegend präventiven Charakters nicht anwendbar.260 6. Ende eines Verfahrens über eine strafrechtliche Anklage. Bis zu seinem vollständi- 100 gen rechtskräftigen Abschluss hat ein Strafverfahren die Stichhaltigkeit der Anklage zum Gegenstand, nicht etwa nur bis zur Rechtskraft des Schuldspruchs. Die Garantien des Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR schließen die rechtskräftige Festsetzung der Rechtsfolgen mit ein. Sie gelten auch in einem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittelverfahren261 – auch für das Revisionsverfahren262 – und für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (im Beschlusswege).263 Entscheidungen, die erst nach Rechtskraft der Verurteilung ergehen, betreffen dagegen 101 nicht mehr die Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Anklage. Dies gilt etwa für Verfahren, die den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung264 oder die Strafvollstreckung265 oder die Kostenfestsetzung266 zum Gegenstand haben oder die im Gnadenverfahren ergehen.267 Verfahren, die die erneute Durchführung eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafver- 102 fahrens betreffen, wie etwa das Verfahren zur Prüfung der Begründetheit eines Wiederaufnahmeantrags, fallen nicht in den strafrechtlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK,268 wohl aber das Verfahren, in dem nach der Wiederaufnahme erneut über die Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Anklage entschieden wird.269
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IK-EMRK/Vogler 208; vgl. auch EGMR van Vondel/NL (E) (Fn. 136). EGMR (GK) Kart/TRK, 3.12.2009, NJOZ 2011 619. Vgl. etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 532 (Kaplan: Verbot, Versicherungsverträge abzuschließen). Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 95 (Eintragung von Eltern in ein besonderes Überwachungsregister zur Verhütung von Kindesmisshandlungen). EGMR R./UK (E), 4.1.2007. Vogler ZStW 89 (1977) 776; Meyer-Ladewig 29. IK-EMRK/Vogler 214. EGMR Eckle/D (Fn. 245); Frowein/Peukert 43; IK-EMRK/Vogler 226 ff.; Meyer-Ladewig 29; SK/Paeffgen 45. Zur Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK in diesem Kontext vgl. ausführlich Rn. 445 ff. EGMR Szabó/S (E) (Fn. 235); Beier/D (E),
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22.1.2008 (gerichtliches Verfahren nach § 109 StVollzG); (GK) Enea/I (Fn. 83); Buijen/D (Fn. 230); IK-EMRK/Miehsler/ Vogler 182, 218, 219; SK/Paeffgen 42; Meyer-Ladewig 27, 30; vgl. auch EGMR Saccoccia/A (E) (Fn. 103; Vollstreckung der Einziehungsentscheidung eines ausländischen Gerichts). IK-EMRK/Kühne 481. Wenn die Entscheidung über die Kostenfestsetzung eine Schuldfeststellung („declaration of guilt“) enthält, wird Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt, vgl. Rn. 510. Guradze 11; SK/Paeffgen 42; Vogler ZStW 82 (1970) 764. EGMR Fischer/A (E), 6.6.2003, ÖJZ 2003 815 m.w.N.; Öcalan/TRK (E), 6.7.2010 (Wiederaufnahme nach Urteil des EGMR). Zum nicht garantierten Recht auf Wiederaufnahme vgl. Art. 13 EMRK Rn. 13. EGMR Melis/GR, 22.7.2010; h.M., siehe etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Auch eine Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrifft unmittelbar das Recht auf Entscheidung durch ein Gericht und unterfällt daher dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK.270
III. Recht auf Entscheidung durch ein Gericht 1. Recht auf Zugang zu einem Gericht
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a) Schutzgehalt. Das Recht auf gerichtliche Entscheidung, also der Zugang zu einem Gericht (Tribunal), wird durch Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR jedem garantiert, dessen zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen streitig sind271 oder gegen den eine strafrechtliche Anklage erhoben ist.272 In diesen Fällen muss jeder Betroffene die Möglichkeit haben, die Entscheidung eines unabhängigen und unparteilichen Gerichts herbeizuführen,273 das über die ihn betreffende Sache nach den Grundsätzen des Rechts in einem mit den menschenrechtlich geforderten Rechtsgarantien ausgestatteten Verfahren (Rn. 167 ff.) in eigener Verantwortung entscheidet. Art. 6 EMRK normiert allerdings keinen Anspruch auf Strafverfolgung eines Dritten (vgl. Rn. 63).274 Dabei ist nicht notwendig, dass das nationale Recht eine gerichtliche Entscheidung in 105 jedem Fall zwingend vorsieht; der Betroffene muss aber die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte nach seiner eigenen freien Willensentscheidung eine solche gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, die auf der Grundlage eines Verfahrens ergeht, in dem er seine ihm durch die Konventionen verbürgten Verfahrensrechte ausüben kann,275 wie etwa durch Einspruch gegen einen Strafbefehl276 oder gegen eine ordnungsbehördliche Entscheidung (z.B. gegen einen Bußgeldbescheid).277
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95; ÖJZ 1990 216; Guradze 11; IK-EMRK/ Vogler 221; SK/Paeffgen 45; Vogler ZStW 89 (1977) 777. Vgl. EGMR Motion Pictures Guarantors Ltd./SRB, 8.6.2010; dem Verfahren lag eine zivilrechtliche Streitigkeit zu Grunde: Der Anwalt des Klägers war wegen einer Autopanne verspätet zum Verhandlungstermin erschienen. In Einklang mit dem serbischen Recht wurde die Klagerücknahme fingiert. Der dagegen gerichtete Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde ohne mündliche Verhandlung abgelehnt. Da die Entschiedung über den Antrag wesentlichen Einfluss darauf hat, ob der Kläger Zugang zu einem Gericht hatte, ist Art. 6 EMRK auch auf das Verfahren der Wiedereinsetzung anwendbar. Diese Rechtsprechung ist auf entsprechende strafprozessuale Instrumente übertragbar, etwa die Wiedereinsetzung nach § 44 StPO. EGMR Golder/UK, 21.2.1975, A 18 = EuGRZ 1975 91; Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 34); (GK) Waite u. Kennedy/D, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1173 = EuGRZ 1999 207 = ÖJZ 1999 776;
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ferner etwa EKMR K./D, 21.1.1988 = NJW 1989 579; Frowein/Peukert 45; siehe Näheres bei Meyer-Ladewig 6 ff.; zur Entwicklung: IK-EMRK/Miehsler/Vogler 257, 266 ff. Vgl. Grabenwarter § 24, 27 („Organisationsgarantie“); Frowein/Peukert 86. Zur Entwicklung des Zugangsrechts: SK/Paeffgen 65; EGMR Khamidov/R, 15.11.2007, ECHR 2007-XII (zur zeitweiligen Suspendierung von Gerichten in Tschetschenien im Zuge einer Militäroperation zur Terrorismusbekämpfung). EGMR Grams/D (E) (Fn. 33). EGMR Buijen/D (Fn. 230) u. Smith/D (Fn. 230): gerichtlicher Rechtsschutz; Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, ETS 112. EGMR Hennings/D, 16.12.1992, A 251-A = NJW 1993 717 = EuGRZ 1993 68 = ÖJZ 1993 388; EKMR ÖJZ 1992 421 (Strafverfügung); Esser 610; Frowein/Peukert 89; IK-EMRK/Vogler 241 ff. Vgl. EGMR Deweer/B (Fn. 38); Frowein/ Peukert 29, 30, 89; Vogler ZStW 82 (1970) 743, 767.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Der Zugang zu Gericht stellt kein absolutes Recht dar. Wenn die jeweilige nationale Verfahrensordnung es zulässt, kann eine Person auch auf ihr Recht auf „Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens ganz oder teilweise verzichten.278 „The Contracting States enjoy considerable freedom in the choice of the means calculated to ensure that their judicial systems are in compliance with the requirements of Article 6.“ 279 Die Ausgestaltung des Zugangs zu Gericht ist dem nationalen Recht überlassen. Es ist grundsätzlich Sache des jeweiligen Vertragsstaates, welche Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes er vorsehen und in welcher Form er den effektiven Zugang zum Gericht für jedermann gewährleisten will.280 Die Konventionen fordern nur, dass die Gesamtschau aller Regelungen ergibt, dass das Recht auf Schutz der eigenen Rechte durch ein Gericht in den oben genannten Bereichen auch tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann.281 Alle nationalen (rechtlichen) Zugangsvoraussetzungen müssen daher im Rahmen dessen liegen, was dem vom jeweiligen Verfahrensgegenstand betroffenen Personenkreis möglich und zumutbar ist. Der Zugang zu Gericht darf den Betroffenen weder im Einzelfall durch Maßnahmen staatlicher Behörden verwehrt282 noch generell durch Regelungen erschwert werden, etwa durch formelle oder materielle Anforderungen, die keinen legitimen Zweck verfolgen oder außerhalb eines vernünftigen Verhältnisses zu dem mit ihnen verfolgten Verfahrenszweck stehen (siehe dazu Rn. 110 ff.).283 Der nationale Gesetzgeber ist nicht gehindert, der Anrufung eines Gerichts ein bestimmtes (separates) Verfahren vorzuschalten, etwa ein solches vor einer Verwaltungsbehörde.284 Er darf dabei aber nicht die Entscheidung über die Einleitung und den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens an das Ermessen einer anderen Stelle binden.285 Der physische Zugang zu einem Gerichtsgebäude muss zumindest im Hinblick auf zivilrechtliche Klagen nicht notwendigerweise sichergestellt werden; die Möglichkeit der schriftlichen Klageerhebung oder der Vertretung durch einen Anwalt genügt grundsätzlich den Anforderungen des Art. 6 EMRK.286 Die Garantie eines von Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderten effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes umfasst auch das Vollstreckungsverfahren zur Durchsetzung einer vom Betroffenen erzielten günstigen gerichtlichen Entscheidung.287 In den Schutzbereich des Art. 6 EMRK fällt dabei auch die Vollstreckung eines ausländischen Urteils im Wege der Rechtshilfe.288 Die Verweigerung oder Verzögerung der Durch- bzw. Umsetzung einer gerichtlichen Entscheidung über die nach der Sachlage erforderliche Zeit hinaus verletzt das Recht auf 278 279 280
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EGMR Deweer/B (Fn. 38); IK-EMRK/ Miehsler/Vogler 280. EGMR (GK) Taxquet/B, 16.11.2010, § 83. EGMR Beneficio Cappella Paolini/SM, 13.7.2004, ECHR 2004-VIII; (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 83. IK-EMRK/Miehsler/Vogler 273 ff. EGMR Golder/UK (Fn. 271). Vgl. EGMR Airey/IR, 9.10.1979, A 32 = EuGRZ 1979 626; Tinnelly & Sons Ltd. u.a. u. McElduff u.a./UK, 10.7.1998, Rep. 1998-IV; Waite u. Kennedy/D (Fn. 271); Kreuz/PL, 19.6.2001, ECHR 2001-VI = ÖJZ 2002 693; Polskiego/PL, 21.9.2004, ECHR 2004-IX; Frowein/Peukert 64; siehe auch HRC Casanovas/Frankreich, 28.10.2008, 1514/2006, § 11.3
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(Sicherheitsleistung in Höhe der in der ersten Instanz verhängten Geldstrafe). EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Öztürk/D (Fn. 171); Ashingdane/UK, 28.5.1985, A 93 = NJW 1986 2173 = EuGRZ 1986 8; Weh u. Weh/A (E), 4.7.2002, ÖJZ 2002 736; SK/Paeffgen 65. EKMR EuGRZ 1991 298. EGMR Farcas/RUM (E), 14.9.2010, §§ 48 ff. (kein barrierefreier Zugang zum Gerichtsgebäude). EGMR Kalogeropoulou u.a./D u. GR (Fn. 101); Prodan/MOL, 18.5.2004, ECHR 2004-III; (GK) Immobiliare Saffi/I, 28.7.1999, ECHR 1999-V. EGMR Roman´ czyk/F, 18.11.2010, §§ 60 ff.
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effektiven gerichtlichen Schutz.289 Auch wenn eine einstweilige Anordnung nicht befolgt wird, ist dieses Recht verletzt, wenn die einstweilige Anordnung für das betroffene Staatsorgan bindend ist und sich ihre Nichtbefolgung unmittelbar auf die Hauptsache auswirkt.290 Ebenso führt die Nichtvollstreckung eines Urteils aufgrund eines von den Behörden behaupteten Engpasses an öffentlichen Geldern zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.291 Die Vollstreckung rechtskräftiger Urteile kann nur ausnahmsweise, unter Berücksichtigung eines gewissen sozialpolitischen Gestaltungsspielraums der Vertragsstaaten eingeschränkt werden.292 Die Möglichkeit, ein rechtskräftig abgeschlossenes gerichtliches Verfahren (auch ohne Vorliegen neuer Umstände) durch eine Anfechtungserklärung eines staatlichen Organs wieder aufzurollen, ist mit den aus Art. 6 EMRK ableitbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit ebenfalls nicht zu vereinbaren.293 Ebenso ist es mit dem Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht vereinbar, wenn gesetzgeberische Maßnahmen zum Ziel haben, die gerichtliche Entscheidung eines Rechtsstreites rückwirkend zu Gunsten einer Partei (insbesondere des u.U. beteiligten Staates) zu beeinflussen;294 anderes kann allenfalls dann gelten, wenn sie zum Ziel haben, Fragen von Allgemeininteresse rückwirkend umfassend zu lösen.295
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b) Einschränkungen. Schranken für die Ausübung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht sind zulässig, sofern sie eine sachliche Rechtfertigung besitzen, etwa dem legitimen Ziel der Ordnung der Rechtspflege dienen, in einem vernünftigen Verhältnis zu dem mit ihnen angestrebten Ziel stehen und nicht die eigentliche Substanz des Rechts (dessen Wesengehalt) in Frage stellen.296 Im Übrigen dürfen alle Einschränkungen des nationalen Rechts nicht unter Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit vor Gericht 297 diskri289
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EGMR Hornsby/GR (Fn. 101); Burdov/R 7.5.2002, ECHR 2002-III; Kalogeropoulou u.a./D u. GR (Fn. 101); Derkach u. Palek/ UKR, 21.12.2004; Matheus/F, 31.3.2005; Karanovic/BIH, 20.11.2007; Meyer-Ladewig 51; vgl. auch EGMR Emsenhuber/A (E) (Fn. 109), wo ein Verstoß verneint wurde, da der Bf. mehrere Möglichkeiten zur Realisierung der durch die Entscheidung – Verweigerung der Baugenehmigung für Nachbarn – erlangten Rechtsposition hatte. EGMR Kübler/D, 13.1.2011, NJW 2011 3703, §§ 61 f. EGMR Tregubenko/UKR, 2.11.2004; Poznakhirina/R, 24.2.2005; Plotnikovy/R, 24.2.2005; Sukhobokov/R, 13.4.2006; Apostol/GEO, 28.11.2006, ECHR 2006-XIV. EGMR Société Cofinfo/F (E), 12.10.2010 (Vollstreckung einer Räumungsklage, die zur Obdachlosigkeit einer Großfamilie führt). EGMR Ryabykh/R, 24.7.2003, ECHR 2003-IX (zum – früheren – sog. „NadzorSystem“ im russischen Recht, das ein Recht zur „Überprüfung“ endgültiger gerichtlicher Entscheidungen vorsah); hierzu: Nußberger Ende des Rechtsstaats in Russland? (2007) 55; EGMR Tregubenko/UKR (Fn. 291).
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EGMR Stran Griechische Raffinerien u.a./ GR, 9.12.1994, A 301-B = ÖJZ 1995 432. EGMR Forrer-Niedenthal/D, 20.3.2003, NJW 2004 927 = VIZ 2004 170 = ZOV 2004 68. Grabenwarter § 24, 49 ff.; vgl. etwa EGMR Golder/UK (Fn. 271; unzulässige Beschränkung durch Gefängnisverwaltung); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Silver u.a./UK, 25.3.1983, A 61 = EuGRZ 1984 147; Ashingdane/UK (Fn. 284); Philis/GR, 27.8.1991, A 209 = EuGRZ 1991 355 = ÖJZ 1991 859 (Bindung der Honorarklage an Berufsverband / Verneinung einer bisher stets anerkannten Klagebefugnis); Katholische Kirche von Chania/GR, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII = ÖJZ 1998 750; Kreuz/PL (Fn. 283); unangemessen hohe Gebühren); (GK) Enea/I (Fn. 83); (GK) Kart/TRK (Fn. 257); Eyüp Akdeniz/TK, 2.2.2010; siehe auch: EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 415, 419; Frowein/Peukert 64 ff.; Meyer-Ladewig 37. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR, vgl. Rn. 173 ff. Ferner Art. 14 EMRK Rn. 5, 20.
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minierend gegen einzelne Personengruppen (Ausländer, Ehefrauen298 usw.) vorgesehen werden. Aus Gründen der Staatssicherheit299 können verhältnismäßige Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu Gericht zulässig sein; der Zweck der Rechtsweggarantie muss dann aber durch andere geeignete Maßnahmen gewahrt werden.300 Der Anspruch auf Zugang zu einem Gericht kann in seinem Wesensgehalt verletzt sein, wenn das nationale Recht den Zugang – ohne legitimen Grund (Rn. 110) – versagt oder unverhältnismäßig erschwert, so etwa, wenn einer religiösen Gruppierung plötzlich die bisher stets anerkannte Befugnis, zur Wahrung ihrer Rechte ein Gericht anzurufen, unter Hinweis auf ihre mangelnde Rechtspersönlichkeit versagt wird,301 wenn einem Inhaftierten nicht gestattet wird, Rechtsmittel gegen seinen Gefangenenstatus einzulegen302 bzw. wenn ein Häftling nicht über ein ihn betreffendes Urteil informiert wird und er deswegen die Rechtsmittelfrist verpasst303 oder wenn Minderheitsaktionäre sich nicht gegen Beschlüsse der Mehrheit zur Wehr setzen können.304 Für Minderjährige oder Geisteskranke305 kann im Interesse einer geordneten Rechtspflege der unmittelbare Zugang zum Gericht beschränkt werden; ein Zugang muss dann aber durch andere Maßnahmen (z.B. die Zulassung von einer Vertretung) ermöglicht werden. Die Staaten sind nicht gehindert, die Verjährung306 (eines Anspruchs) zu regeln oder den Zugang zu einem Gericht an bestimmte Formen und Fristen307 zu binden (zur Möglichkeit eines Vorverfahrens siehe bereits Rn. 107). Werden zulässigerweise Fristen für die Anrufung des Gerichts vorgeschrieben,308 muss bei Fristversäumung aufgrund von ungewöhnlichen und vom Betroffenen nicht zu vertretenden Umständen die Wiedereinsetzung oder ein anderer auf das gleiche Ziel gerichteter Rechtsbehelf den Zugang zum Gericht eröffnen.309 Sonstige prozessuale Bedingungen und Voraussetzungen sind zulässig, wenn sie dem Interesse einer geordneten Rechtspflege dienen, wie etwa die Pflicht zur Bündelung mehrerer Klagen310 oder die Angabe einer Zustelladresse, die Leistung einer (Prozesskosten-) Sicherheit311 oder auch die Vorsehung einer maßvollen Missbrauchsgebühr.312 298
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Vgl. HRC Graciela Ato del Avellanal/Peru, 28.10.1988, 202/1986, EuGRZ 1989 124 m. Anm. Tomuschat = HRLJ 1988 262 (Klage nur mit Zustimmung des Ehemannes). EGMR Klass u.a./D, 6.9.1978, A 28 = NJW 1979 1755 = EuGRZ 1979 278; Frowein/ Peukert 79; IK-EMRK/Miehsler 104. IK-EMRK/Miehsler 104. EGMR Katholische Kirche von Chania/GR (Fn. 296). EGMR Musumeci/I, 11.1.2005. EGMR Davran/TRK, 3.11.2009. EGMR Kohlhofer u. Minarik/CZ, 15.10.2009; siehe dazu auch EGMR Suda/CZ, 28.10.2010. Vgl. EGMR Golder/UK (Fn. 271); Winterwerp/NL (Fn. 122); EKMR EuGRZ 1994 392; Frowein/Peukert 64. EGMR Stubbings u.a./UK, 22.10.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1997 436. Esser 611 ff.; Meyer-Ladewig 38 f.; EGMR Kaufmann/I, 19.5.2005 (keine Zurechnung
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eines verspäteten Handelns eines staatlichen Organs, wenn Kläger vor dem Ablauf der Frist alle in seiner Macht stehenden Prozessvoraussetzungen erfüllt). Vgl. hierzu auch BVerfG NJW 2005 3346. EGMR Kulikowski/PL, 19.5.2009 und Antonicelli/PL, 19.5.2009 (beide zur nicht ordnungsgemäßen Belehrung über Fristen). Vgl. Meyer-Ladewig 39 unter Hinweis auf: EGMR Tsironis/GR, 6.12.2001; siehe auch: EGMR Leoni/I, 26.10.2000; Melnyk/UKR, 28.3.2006; vgl. jüngst EGMR Melis/GR (Fn. 269). Vgl. EGMR Lithgow u.a./UK (Fn. 93). Vgl. EGMR Tolstoy Miloslavsky/UK (Fn. 120); Frowein/Peukert 82. EGMR Matterne/D (E), 13.10.2009 (Missbrauchsgebühr BVerfG i.H.v. 250 € nach vorherigem Hinweis, den Vortrag zu substantiieren); Toyaksi u.a./TRK (E), 20.10.2010; Frowein/Peukert 74.
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Zulässig ist grundsätzlich auch, dass der Zugang zu Gericht von der vorherigen Entrichtung von Gerichtskosten oder einer Verfahrensgebühr abhängig gemacht wird;313 jedoch darf dadurch der Zugang zu Gericht weder faktisch verhindert noch unverhältnismäßig erschwert werden.314 Eine generelle Pflicht zur Vorsehung bestimmter Formen von Zugangshilfen begründen die Konventionen bei „civil rights“ nicht. Nur für die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage stellen Art. 6 Abs. 3 lit. c, e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d, f IPBPR insoweit Mindestanforderungen auf.315 Das nationale Recht muss aber durch geeignete Maßnahmen, wie etwa die Bewilli116 gung einer Stundung oder Prozesskostenhilfe dafür sorgen, dass jeder wegen der Beeinträchtigung seiner Rechte die Gerichte unabhängig von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit anrufen kann.316 Dies schließt allerdings die Befugnis zur Ablehnung finanzieller Unterstützung (legal aid) in aussichtslosen Fällen bzw. die Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen nicht aus,317 solange das Gerichtssystem substantielle Sicherheiten gegen eine willkürliche Behandlung dieser Frage bietet.318 Dies gilt auch, wenn der Zugang zu den Höchstgerichten an spezielle Anforderungen, wie die Einschaltung spezieller Anwälte, gebunden wird.319 Besteht nach nationalem Recht für ein bestimmtes Verfahren Anwaltszwang oder ist ein komplexes Verfahren vorgesehen, das den Einzelnen zu überfordern droht, so müssen die Schwierigkeiten durch staatliche Hilfe kompensiert werden, etwa dadurch, dass durch Gewährung von Prozesskostenhilfe einer mittellosen Partei die Inanspruchnahme eines Anwalts ermöglicht wird.320 Das BVerfG hat die Rechtsprechung des BGH 321 zur sog. Rügeverkümmerung als ver117 fassungskonform eingestuft.322 Demnach soll es unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein, einer bereits eingelegten Revision durch eine nachträgliche Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls die Beweisgrundlage zu entziehen (vgl. hierzu § 274 StPO). Nach Ansicht des BVerfG werde hierdurch weder das Grundrecht auf ein faires Verfahren noch das Gebot effektiven Rechtsschutzes, die beide Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sind, verletzt. Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen 313
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EGMR Z. u.a./UK, 10.5.2001, ECHR 2001-V = ZfJ 2005 154; Reuther/D (E), 5.6.2003, ECHR 2003-IX = AGS 2004 241 mit krit. Anm. Deumeland; vgl. auch: Meyer-Ladewig 40. EGMR Weissman/RUM, 24.5.2006, ECHR 2006-VII; Kreuz/PL (Fn. 283); Kuczera/PL, 14.9.2010 (Gerichtsgebühr darf proportional zum Streitwert ansteigen); MeyerLadewig 40, 43 ff.; ferner etwa: BVerfGE 85 337 = NJW 1992 1673 (Verhältnismäßigkeit einer Gebühr). EGMR Airey/IR (Fn. 283); vgl. Frowein/ Peukert 54; IK-EMRK/Miehsler/Vogler 274; Meyer-Ladewig 44. Vgl. EGMR Tolstoy Miloslavsky/UK (Fn. 120); Kreuz/PL (Fn. 283); Bakan/TRK, 12.6.2007; Ciorap/MOL, 19.6.2007; Stankov/BUL, 12.7.2007, ECHR 2007-VIII; Mehmet u. Suna Yigit/TRK, 17.7.2007; Frowein/Peukert 54. EGMR Gnahoré/F, 19.9.2000, ECHR 2000IX; Del Sol/F, 26.2.2002, ECHR 2002-II.
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EGMR Del Sol/F (Fn. 317), §§ 23–26; Steel u. Morris/UK, 15.2.2005, ECHR 2005-II, § 62; Gnahoré/F (Fn. 317), § 41; Herma/D (E), 8.12.2009, NJW 2010 3207; zur Begründungspflicht bei ablehnenden Entscheidungen siehe EGMR Bobrowski/PL, 17.6.2008; Nieruchomos´ci Sp. z o.o./PL, 2.2.2010. EGMR (GK) Meftah u.a./F, 26.7.2002, ECHR 2002-VII = ÖJZ 2003 732 (Cour de Cassation; unter Hinweis auf Europarecht). EGMR Airey/IR (Fn. 283); Staroszczyk/PL, 22.3.2007, NJW 2008 2317 (dort auch zur Weigerung eines Anwalts, ein Rechtsmittel einzulegen); Sialkowska/PL, 22.3.2007; Smyk/PL, 28.7.2009; Meyer-Ladewig 43, 48. BGHSt (GrS) 51 298 = NJW 2007 2419 = NStZ 2007 661 = StV 2007 403. BVerfGE 122 248 = NJW 2009 1469 = JZ 2009 675 = StV 2010 497 = EuGRZ 2009 143 (drei Sondervoten); kritisch NJWSpezial 2009 217.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Strafrechtspflege dienen, verletzten den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren nicht schon dann, wenn sich die verfahrensrechtliche Position des Angeklagten zu Gunsten einer wirksameren Strafrechtspflege verschlechtere, sondern (erst dann) wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergebe, dass rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Das Rechtsstaatsgebot verbiete es den Gerichten, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist. Zwar entwerte die Möglichkeit einer nachträglichen Protokollberichtigung aus Sicht des Angeklagten die Revision insoweit, als er damit rechnen muss, dass seiner Verfahrensrüge die Beweisgrundlage im Protokoll entzogen wird. Die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, des Beschleunigungsgebots und des Opferschutzes rechtfertigten jedoch diese nur punktuelle und geringfügige Beschränkung des Zugangs zu einem Rechtsmittelgericht. Zudem sei der Angeklagte gegen unberechtigte Protokollberichtigungen zu seinen Lasten hinreichend geschützt.323 Wie der EGMR diesen faktischen „Rechtsmittelentzug“ bewerten wird, bleibt abzuwarten. In der nachträglichen „Verschärfung“ einer für die Einlegung des Rechtsmittels erforderlichen Beschwer hat er zwar keinen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu einem Gericht gesehen;324 die nachträgliche Änderung der Beweisgrundlage geht aber darüber hinaus. c) Sonderfall Immunität. Besteht im nationalen Recht eine sog. Immunitätsregelung, 118 die zur Folge hat, das ein gerichtlicher Rechtsschutz gegen eine Institution oder eine bestimmte Person gar nicht oder nur mit Zustimmung einer staatlichen Institution erreicht werden kann, so prüft der EGMR, ob ein legitimer Zweck mit der Immunitätsregelung verbunden ist. Insbesondere können hoheitliche Interessen, etwa Sicherheitsinteressen eines Staates, eine Immunitätsregelung rechtfertigen,325 ebenso kann das Ziel der Effektivität der Polizeiarbeit eine solche Regelung legitimieren.326 Ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Immunitätsregelung ist stets die Frage, ob dem Betroffenen eine „reasonable alternative“ zum Schutz seiner Konventionsrechte zur Verfügung steht.327 Beschränkungen der Anrufung des Gerichts, wie sie sich etwa traditionell aus dem 119 Völkerrecht oder dem Staatsrecht ergeben, sind mit den Konventionsgarantien vereinbar, da durch die Konventionen nicht die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts geändert werden sollten.328 Die völkerrechtliche Immunität eines Staates für hoheits-
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BVerfGE 122 248, Tz. 69 ff. EGMR Brualla Gómez de la Torre/E, 19.12.1997, Rep. 1997-VIII (keine Beanstandung, dass bereits eingelegtes Rechtsmittel durch eine nachträgliche Gesetzesänderung unzulässig wird); vgl. auch Esser 775 f. EGMR (GK) Cudak/LIT (Fn. 156) (Rechtfertigung der Immunität abgelehnt, da die Bf. nicht mit Funktionen betraut war, die staatliche Sicherheitsinteressen berühren konnten; unter Hinweis auf die UN-Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property v. 2.12.2004); Anagnostou-Dedouli/GR, 16.9.2010 (Mög-
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lichkeit einer Amtshaftungsklage ausreichender Ausgleich dafür, dass gegen Minister nicht geklagt werden kann). EGMR (GK) Osman/UK, 28.10.1998, Rep. 1998-VIII, §§ 149 ff. (im konkreten Fall abgelehnt, da die Immunitätsregel automatisch angewendet wurde, ohne dass öffentliche Interessen dies erforderlich machen). EGMR Waite u. Kennedy/D (Fn. 271); hierzu: Spitzer ÖJZ 2008 871, 875. Dies zeigen Art. 51 EMRK, der für die Richter des EGMR ebensolche Vorrechte und Immunitäten vorsieht (Verweis auf
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
rechtliches Handeln (acta iure imperii)329 oder auch vor sonstigen Klagen in einem anderen Staat 330 ist demnach mit der Konvention vereinbar, nicht aber, dass die Vollstreckung in das im eigenen Staat belegene Vermögen eines anderen Staates von der Zustimmung einer nationalen Stelle abhängig gemacht und von dieser verweigert wird.331 Unangetastet bleibt grundsätzlich auch die Immunität, die internationalen Organisationen332 oder im Ausland operierenden Truppenteilen und ihren Angehörigen völkervertraglich eingeräumt worden ist. Desgleichen wird durch Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR diplomatische Immunität nicht ausgeschlossen, die bestimmten Personen, wie Angehörigen des diplomatischen oder konsularischen Korps oder Staatsoberhäuptern mit unterschiedlichem Inhalt 333 zuerkannt wird.334 Der Ausschluss von Klagen in Deutschland gegen im Ausland als Folge des Zweiten 120 Weltkriegs durchgeführte Enteignungsmaßnahmen aufgrund des Überleitungsvertrages wurde vom EGMR als mit der EMRK vereinbar angesehen.335 Unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EMRK ist jedoch, dass Ansprüche wegen terroristischer Taten „bis zum Erlass neuer Gesetze“ jahrelang ausgesetzt werden.336 Eine Immunität vor zivilrechtlichen Klagen und der Schutz vor strafgerichtlicher Ver121 folgung, die in vielen Staaten den Abgeordneten für ihre Äußerungen im Parlament gewährt wird (Indemnität), dient dem legitimen Ziel des Schutzes der freien Rede im Parla-
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Art. 40 der Satzung des Europarates), sowie das Europäische Übereinkommen über die am Verfahren vor dem EGMR teilnehmenden Personen v. 5.3.1996 (ETS Nr. 161), BGBl. 2001 II S. 358. EGMR McElhinney/IR, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 415 (keine Überschreitung des Einschätzungsermessens durch Anerkennung der Staatenimmunität). Dazu Anm. Maierhöfer EuGRZ 2002 391; vgl. Frowein/Peukert 73; Grabenwarter § 24, 56. EGMR (GK) Fogarty/UK, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 411; (GK) Al Adsani/UK, 21.11.2001, ECHR 2001-XI = EuGRZ 2002 403 (Klage eines kuwaitschen Staatsangehörigen gegen Kuwait vor britischen Gerichten wegen Folterungen durch kuwaitische Sicherheitskräfte); Treska/ALB u. I, 29.6.2006, ECHR 2006-XI (Klage auf Rückübereignung eines in Albanien befindlichen und dem italienischen Staat gehörenden Grundstücks); Mitchell u. Holloway/UK, 17.12.2002; Cudak/LIT (Fn. 156; Klage wegen unfairer Entlassung von Botschaftspersonal); vgl. zur Berufung auf Staatenimmunität auch bei Verstoß gegen völkerrechtliches ius cogens (str.): Cremer AVR 41 (2003) 137, 158; Dörr AVR 41 (2003) 201; Tams AVR 40 (2002) 331; grundlegend: Fox The Law of State Immunity (2008).
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EGMR Kalogeropoulou u.a./D u. GR (Fn. 101). In der Verweigerung der kraft Gesetzes erforderlichen Zustimmung des griechischen Justizministers zur Zwangsvollstreckung eines Urteils gegen die BR Deutschland auf Zahlung von Schadensersatz in Vermögen der BR Deutschland in Griechenland sah der Gerichtshof keinen unverhältnismäßigen Eingriff, weil er den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts über die Staatenimmunität entsprochen habe; EGMR Grosz/F (E), 16.6.2009. EGMR Waite u. Kennedy/D (Fn. 271; arbeitsrechtl. Ansprüche gegen ESA); McElhinney/IR (Fn. 329); Grabenwarter § 24, 55; Meyer-Ladewig 55; Frowein/ Peukert 72. Vgl. LR/Böttcher §§ 18 bis 20 GVG. Vgl. IK-EMRK/Miehsler 104; IK-EMRK/ Miehsler/Vogler 279; Meyer-Ladewig 55. EGMR Fürst Hans-Adam II von Liechtenstein/D, 12.7.2001, ECHR 2001-VIII = NJW 2003 649 = EuGRZ 2001 466 = ÖJZ 2002 347 mit zustimmenden Sondervoten; dazu kritisch Fassbender EuGRZ 2001 459; Blumenwitz AVR 40 (2002) 215. Meyer-Ladewig 37 unter Hinweis auf EGMR Kutic/KRO, 1.3.2002, ECHR 2002-II.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
ment und der Aufrechterhaltung der Gewaltentrennung zwischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit und verstößt daher nicht gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.337 Besteht kein Zusammenhang zu der parlamentarischen Tätigkeit, wird die Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung allerdings besonders streng geprüft (siehe auch Rn. 176).338 Innerstaatliche Regelungen, die aus sachlich mit der Konvention in Einklang stehen- 122 den Gründen (Rn. 110) die Wahrnehmung bestimmter Kontrollaufgaben ihrerseits von einer gerichtlichen Kontrolle freistellen, sind grundsätzlich mit Art. 6 EMRK vereinbar, unterliegen aber einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung.339 2. Anspruch auf einen gerichtlichen Instanzenzug. Einen Instanzenzug garantiert 123 Art. 6 EMRK nicht,340 während Art. 14 Abs. 5 IPBPR dies jedem zusichert, der wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist.341 Soweit Rechtsmittelgerichte eingerichtet sind, gelten die Vorgaben der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR auch für sie – wobei im Detail allerdings Abweichungen (regelmäßig Einschränkungen) von dem für die erste Instanz geforderten Verfahren gerechtfertigt sein können. Es besteht dementsprechend das Recht auf (effektiven) Zugang zu der höheren gerichtlichen Instanz und vor dieser ist ein insgesamt faires Verfahren zu gewährleisten.342 Räumt das nationale Recht Rechtsmittel ein, kann es die Anrufung des Rechtsmittel- 124 gerichts an besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen knüpfen und auch seine Prüfungskompetenz beschränken, etwa auf Rechtsfragen (wie etwa bei der Revision) oder bei einem Kassationsgericht.343 Eine mündliche Verhandlung ist in einer gerichtlichen Kontrollinstanz nicht unbedingt erforderlich, wenn eine solche Verhandlung in der Vorinstanz stattgefunden hat und vom Rechtsmittelgericht nur noch über Rechtsfragen entschieden wird (vgl. Rn. 407 ff.).344 Der Zugang zum Rechtsmittelgericht darf in jedem Fall nicht in einer Weise beschränkt werden, die mit dem Wesensgehalt des Überprüfungsrechtes unvereinbar ist oder es unverhältnismäßig antastet, so etwa, wenn über ein
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EGMR Cordova/I (Nr. 2), 30.1.2003, ECHR 2003-I; A./UK, 17.12.2002, ECHR 2002-X = ÖJZ 2004 353; C.G.I.L. u. Cofferati/I (Nr. 1), 24.2.2009, §§ 69 ff.; Grabenwarter § 24, 54; Matscher ÖZöRV 31 (1980) 1; SK/Paeffgen 66; Meyer-Ladewig 57; siehe auch EGMR (GK) Kart/TRK (Fn. 257; Anspruch auf Aufhebung der Immunität auf Wunsch des Abgeordneten verneint; kein Anspruch auf Anklage gegen sich selbst). Zum fehlenden Zusammenhang mit der Abgeordnetentätigkeit: EGMR Cordova/I (Nr. 1), 30.1.2003, ECHR 2003-I, § 55; A./UK (Fn. 337), §§ 84 f.; Karhuvaara u. Iltalehti/FIN, 16.11.2004, ECHR 2004-X = NJW 2006 591, §§ 50 ff. in Bezug auf Art. 10 EMRK; Syngelidis/GR, 11.2.2010, §§ 46 ff. (es besteht dann ein erhöhtes Begründungserfordernis); C.G.I.L. u. Cofferati/I (Nr. 2), 6.4.2010. Vgl. EGMR Fayed/UK (Fn. 92) (Bericht vom Staat eingesetzter unabhängiger Kon-
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trolleure über bestimmte Wirtschaftstätigkeiten); Grabenwarter § 24, 53. Grabenwarter § 24, 57. Ebenso Art. 2 des 7. ZP-EMRK (von Deutschland nicht ratifiziert); vgl. unten Rn. 991 ff. Vgl. auch SK/Paeffgen 69, der die Argumentation, ein einzügiges Verfahren entspreche den Anforderungen der EMRK, für fragwürdig hält. Eine zusätzliche Rechtskontrolle bestehe immerhin auch beim EGMR durch das Verfahren nach Art. 43 EMRK. Eine zweite Instanz sei zudem nicht durch andere institutionelle Mittel zu ersetzen. EGMR Chatellier/F, 31.3.2011; SK/Paeffgen 68. EGMR Eliazer/NL, 16.10.2001, ECHR 2001-X = ÖJZ 2003 197; (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319); Meyer-Ladewig 61 ff. Vgl. EGMR Pham Hoang/F, 25.9.1992, A 243 = EuGRZ 1992 472 = ÖJZ 1993 180; (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319).
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Rechtsmittel nur verhandelt wird, wenn der Angeklagte persönlich erscheint (und sich in Haft nehmen lässt; hierzu Rn. 702 ff.).345 Auch die menschenrechtlichen Verfahrensgarantien müssen gewährleistet sein, vor allem das Gebot eines fairen, die Verteidigungsrechte wahrenden Verfahrens.346 Soweit ein Gericht zur Vorlage einer Rechtsfrage an ein anderes Gericht verpflichtet 125 ist,347 garantiert der Zugang zu einem Gericht auch den Anspruch auf Befassung dieses anzurufenden Gerichts mit der Vorlegungsfrage; er sichert grundsätzlich den Zugang zu allen nach der nationalen oder internationalen Rechtsordnung zur Entscheidung berufenen Gerichten gegen eine willkürliche Verweigerung. Von dieser Garantie soll jedoch nach Ansicht des EGMR die Pflicht zur Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH zum Zwecke der Auslegung gemäß Art. 267 AEUV (Vorabentscheidungsverfahren) nicht erfasst sein. Dass nur die willkürliche Ablehnung einer diesbezüglichen Anfrage durch das zur Entscheidung berufene nationale Gericht die Fairness des Verfahrens beeinträchtigen können soll,348 ist nicht überzeugend. Auch die Pflicht nationaler Gerichte zur (abstrakten) Klärung entscheidungserheblicher europarechtlicher Rechtsfragen durch den EuGH sollte von der (harten) Garantie eines effektiven Zugangs zu einem Gericht i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK und nicht lediglich über die (weiche) Verfahrensfairness abgesichert sein. Letztere kann für die Wahrnehmung von Vorlagerechten der nationalen Gerichte der richtige Maßstab sein. Wird eine Sache vor einer Institution verhandelt, die kein Gericht i.S.v. Art. 6 Abs. 1 126 EMRK darstellt (dazu Rn. 127 ff.), so liegt nach Ansicht des EGMR darin kein Verstoß gegen die Konvention, wenn in einer weiteren Instanz, die ihrerseits den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK an ein Gericht entspricht, die Entscheidung der ersten Institution vollumfänglich überprüft werden kann.349
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Etwa EGMR Poitrimol/F, 23.11.1993, A 277-A = ÖJZ 1994 467; van Geyseghem/B, 21.1.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 2353 = EuGRZ 1999 9 = ÖJZ 1999 737; Krombach/F, 13.2.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 2387, je m.w.N.; Eliazer/NL (Fn. 343; gegen Abwesenheitsurteil nur Widerspruch, d.h. keine Kassationsbeschwerde zulässig – konventionskonform). EGMR van Geyseghem/B (Fn. 345); Krombach/F (Fn. 345); EKMR K./D (Fn. 271); Frowein/Peukert 95 (für Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche); 106 ff. (für Strafverfolgung); EGMR Lipkowsky u. McCormack/D (E), 18.1.2011 (Art. 6 EMRK nicht verletzt, wenn in der Berufungsinstanz ein Richter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist, darauf in der Entscheidung hingewiesen wurde, er sich bei den anderen Richtern informiert hat und die Entscheidung nicht auf den Um-
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ständen beruhte, die der abwesende Richter nicht mündlich gehört hatte). Vgl. hierzu die Rechtsprechung des BVerfG zum Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGE 82 159 = NVwZ 1991 53 = EuGRZ 1990 377, Tz. 192 f.; siehe auch BVerfG NJW 2011 288 = EuGRZ 2010 641. EGMR Desmonts/F, 23.3.1999; Dotta/I, 7.9.1999; Moosbrugger/A, 25.1.2000; Canela Santiago/E, 4.10.2001; Bakker/A (E), 13.6.2002; Herma/D (E) (Fn. 318; Konventionsverletzung abgelehnt – unabhängig von der Frage, ob der Antragende ein „Recht auf Vorlage“ [durch das Gericht] hat; Gericht habe sich ausführlich mit den Argumenten des Antragenden auseinandergesetzt und eine detaillierte Begründung abgegeben). vgl. hierzu auch: Breuer JZ 2003 433, 439. EGMR Albert u. Le Compte/B (Fn. 40), § 29; Crompton/UK, 27.10.2009, § 70; Boulois/LUX, 14.12.2010, § 76.
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Recht auf ein faires Verfahren
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3. Anforderungen an ein Gericht i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK a) Begriff. Die Konventionen verwenden keinen einheitlichen Begriff des Gerichts. 127 Die Begriffe Gericht und Tribunal (Art. 6 EMRK: „tribunal“ / Art. 14 IPBPR: „courts and tribunals“ / „tribunaux et les cours de justice“)350 werden nicht näher definiert,351 sondern vom EGMR – losgelöst von den Bezeichnungen und Strukturen des jeweiligen nationalen Rechts – autonom und funktional von der jeweiligen Aufgabenstellung her definiert.352 Welche nationalen Stellen und Entscheidungsorgane den Vorgaben genügen, die für ein Gericht nach den Konventionen unerlässlich sind, richtet sich nach – am Schutzzweck orientierten – materiellen Kriterien. Der Spruchkörper muss nicht notwendig im Bereich der klassischen ordentlichen 128 Gerichtsbarkeit errichtet und in deren Organisation eingebunden sein.353 Auch andere auf Gesetz beruhende (siehe dazu Rn. 133) Stellen können den Anforderungen genügen, selbst wenn sie neben der Rechtsprechung noch andere Aufgaben wahrnehmen. Diese zusätzlichen Aufgaben dürfen aber nicht die gleiche Angelegenheit betreffen, auf die sich die richterliche Tätigkeit bezieht, da sonst die strukturelle Unparteilichkeit der zur Entscheidung berufenen Personen anzweifelbar wird (dazu Rn. 156 ff.).354 Prinzipiell können gerichtliche Spruchkörper i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK daher auch im Verwaltungsbereich angesiedelt sein355 und dort zusätzliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen,356 sie können bei Standesvertretungen auch mit Berufsangehörigen als Richter gebildet werden.357 Ein Gericht ist ein bestimmter Spruchkörper aber immer nur dann, wenn er (neben den strukturellen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, Rn. 140 ff., 156 ff.) in einem geregelten Verfahren die Beteiligten hören,358 ihre Argumente prüfen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt feststellen359 und darüber nach Rechtsgrundsätzen entscheiden kann (zur Erforderlichkeit einer eigenen Prüfungs- und Entscheidungskompetenz Rn. 130 ff.).360 Da die in Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR garantierten Verfahrensrechte disponibel sind, 129 können sich die Parteien eines Streites über zivilrechtliche Ansprüche auch einem Schiedsgericht unterwerfen, das den konventionsrechtlichen Anforderungen an ein Gericht nicht
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Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR. Zu den Begriffen Esser 535 ff.; IK-EMRK/ Kühne 282 ff. Etwa EGMR De Wilde, Ooms u. Versyp/B, 18.6.1971, A 12; Belilos/CH, 29.4.1988, A 132 = EuGRZ 1989 21; Grabenwarter § 24, 27 f.; SK/Paeffgen 51; IK-EMRK/ Kühne 285. Müßig 403 m.w.N.; SK/Paeffgen 51. Vgl. etwa EGMR Procola/LUX (Fn. 76; Conseil d’Etat sollte über Rechtmäßigkeit einer Verordnung entscheiden, die mehrere Mitglieder vorher in beratender Funktion geprüft hatten). Vgl. etwa EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41; Überwachungsausschuss); Ettl u.a./A, 23.4.1987, A 117 = ÖJZ 1988 22 (Agrarsenate und Oberster Agrarsenat); siehe andererseits aber: EGMR Sramek/A (Fn. 109; Landesbehörde).
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EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Esser 536. Vgl. etwa EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); De Moor/B (Fn. 118; Rat der Standesvertretung der Rechtsanwälte). EGMR Boulois/LUX (Fn. 349), § 75 (verneint für gefängnisinterne Kommission zur Gewährung von Hafturlaub). Es ist dem nationalen Recht überlassen, wie es Notwendigkeit, Form und Art der Beweiserhebung und Beweiswürdigung regeln will, vgl. etwa: EGMR van de Hurk/NL (Fn. 77); Sidiropoulos u.a./GR, 10.7.1998, Rep. 1998-IV = ÖJZ 1999 477; (GK) García Ruiz/E, 21.1.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 2429 = EuGRZ 1999 10; Wierzbicki/PL, 18.6.2002, ÖJZ 2003 656. Vgl. EGMR Benthem/NL (Fn. 72; verneinend für einen als Verwaltungsakt gewerteten königlichen Erlass).
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
entspricht.361 Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit tendiert allerdings immer mehr zu einer Annäherung an die EMRK. Zwar sind die Schiedsgerichte, wie alle Gerichte, nicht selbst unmittelbar an die Konventionen gebunden, da diese nur Staaten verpflichten. Die Maßstäbe für ein ordnungsgemäßes Verfahren können aber übernommen werden.362
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b) Eigene Entscheidungskompetenz. Eine hinreichende eigene Entscheidungskompetenz ist unerlässlich für jedes Gericht. Gremien, die lediglich eine dahingehende Empfehlung abgeben können, wie eine andere Stelle entscheiden soll, sind kein Gericht, selbst wenn ihre Mitglieder dabei in voller sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit tätig werden.363 Dem Schutzzweck der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR genügt nur eine Stelle oder Einrichtung, die über die wesentlichen Sach- und Rechtsfragen nach Gesetz und Recht selbst entscheidet.364 Eine bloße rechtliche Nachprüfung der von einer anderen Stelle bindend festgestellten Tatsachen ist kein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz i.S.d. Konventionen.365 Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen kann es genügen, wenn ein Ge131 richt über die tatsächlichen Grundlagen und die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Anordnung einschließlich der Einhaltung der Grenzen des eingeräumten Ermessens und seiner missbrauchsfreien Ausübung selbst entscheidet, während die Zweckmäßigkeit der Ausübung des eingeräumten Ermessens seiner Nachprüfung entzogen ist.366 Es muss aber immer eine ausreichende eigene substantielle Überprüfung der vorgängigen (behördlichen) Entscheidung unter dem Blickwinkel der konventionserheblichen Gesichtspunkte möglich sein. Einem Gericht, das nur nachprüfen kann, ob die Behörde „ungesetzlich, unvernünftig oder unfair“ gehandelt hat367 oder das ein nicht an genaue materielle gesetzliche Vorgaben gebundenes behördliches Ermessen hinnehmen muss, fehlt die von Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR geforderte umfassende Prüfungskompetenz.368 Unschädlich ist die Bindung an die anderweitige Entscheidung einer Vorfrage, deren 132 Gegenstand vom Schutzbereich der Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR umfasst wird, wenn das vorangegangene Verfahren seinerseits den in diesen Artikeln niedergelegten Garantien genügt hat.369 Der Betroffene muss also in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren selbst ausreichende Verfahrensrechte gehabt haben, die den Anforderungen der Konventionen entsprechen. An die Ergebnisse eines Verfahrens, zu dem er selbst keinen Zugang hatte, darf er nicht gebunden sein. Gegen eine bindend gewordene Entscheidung einer Vorfrage durch eine Verwaltungsbehörde muss ihm der 361 362 363 364
365
EMRK nach Peukert EuGRZ 1980 247, 269. Zuberbühler SchiedsVZ 2006 42. EGMR Benthem/NL (Fn. 72); Frowein/ Peukert 56; SK/Paeffgen 51. EGMR Ringeisen/A (Fn. 80); Sramek/A (Fn. 109); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Sâmbata Bihor Greek Catholic Parish/RUM, 12.1.2010; Esser 544 f. EGMR Ettl u.a./A (Fn. 355); EKMR ÖJZ 1995 115; Frowein/Peukert 58; vgl. etwa auch ÖVerfGH EuGRZ 1988 173; 187 (für Kernbereich); 1990 158.
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EKMR Kaplan/UK, EuGRZ 1982 533; Frowein/Peukert 59. EGMR W./UK (Fn. 87). EGMR Obermeier/A (Fn. 106). EKMR X/D, 15.10.1981; EGMR Obermeier/A (Fn. 106); British-American Tobacco Company Ltd/NL, 20.11.1995, A 331 = ÖJZ 1996 273; vgl. Spitzer ÖJZ 2003 48, 55, nicht bei Vorfragen aus nicht von Art. 6 EMRK erfassten Bereichen (Kritik an EGMR Terra Woningen B.V./NL, 17.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 69); SK/Paeffgen 51; Frowein/Peukert 66, 206; Grabenwarter § 24, 38.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Rechtsweg zu einem unabhängigen Gericht mit einer umfassenden, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 IPBPR genügenden, eigenen Prüfungskompetenz offenstehen.370 c) Gesetzliche Grundlage. Von beiden Konventionen wird ein unabhängiges, unparteiisches und auf einem Gesetz beruhendes Gericht gefordert. Erstere Aspekte werden wegen ihres engen Zusammenhangs häufig gemeinsam geprüft (siehe Rn. 140 ff.). Auf Gesetz beruhend bedeutet, dass die Grundlagen für die Errichtung und die Organisation des jeweiligen Spruchkörpers, also auch seine Zusammensetzung, und seine Zuständigkeiten durch Gesetz abstrakt-generell vorbestimmt sein müssen; nur so werden die Zugangsmöglichkeiten berechenbar und der Willkür entzogen. Dies entspricht dem Grundgedanken der Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nicht zulässig ist es daher, wenn Rechtstreitigkeiten ohne erkennbaren sachlichen Grund oder transparente Parameter dem eigentlich („gesetzlich“) zuständigen Spruchkörper entzogen und einem anderen zugewiesen werden.371 Art. 14 Abs. 1 IPBPR verlangt darüber hinaus, dass es sich um ein zuständiges Gericht handeln muss. Ein grundlegender Unterschied zur EMRK besteht darin nicht, da die Hervorhebung der Zuständigkeit lediglich eine konkretere Ausformung der von beiden Konventionen geforderten gesetzlichen Festlegung ist, die gewährleisten soll, dass die Gerichte ihre Aufgaben aufgrund generell-abstrakter Regelungen und damit losgelöst von einer Zuweisung im konkreten Einzelfall erfüllen.372 Sieht das nationale Recht die Beteiligung von Laienrichtern vor (Juroren/Schöffen), was in Hinblick auf die Offenheit der EMRK in Bezug auf das nationale Justizsystem für sich betrachtet keine konventionsrechtlichen Probleme aufwirft,373 so bedürfen auch sie für die Ausübung ihrer Rechtsprechungsfunktion einer gesetzlichen Grundlage, wenn sie die Rechte eines Berufsrichters genießen.374 Die Errichtung eines Gerichts durch eine administrative Anordnung allein genügt in der Regel nicht für die Annahme einer gesetzlichen Regelung,375 desgleichen nicht ein nur für den Einzelfall ad hoc eingesetztes Ausnahmegericht.376 Die Einrichtung von Spezialgerichten für besondere Sachgebiete durch Gesetz ist zulässig, wenn auch insoweit die sachlichen Voraussetzungen für ein Gericht und die Verfahrensgarantien gewahrt werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Militärgerichte, sofern nicht ihre Rechtsprechungsgewalt auf Nicht-Militärs ausgeweitet wird.377
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EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Obermeier/A (Fn. 106); Terra Woningen B.V./NL (Fn. 369); ÖVerfGH EuGRZ 1988 187. EGMR DMD Group, a.s./SLW, 5.10.2010. Nowak 15; siehe auch EGMR Jorgic/D, 12.7.2007, ECHR 2007-IX, §§ 66 ff. = NJOZ 2008 3605 (zum Weltrechtsprinzip). EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 83 („the institution of the lay jury cannot be called into question in this context. The Contracting States enjoy considerable freedom in the choice of the means calculated to ensure that their judicial systems are in compliance with the requirements of Article 6.“).
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EGMR Posokhov/R, 4.3.2003, ECHR 2003-IV; Fedotova/R, 13.4.2006. Rechtsvergleichend zur Laienbeteiligung an Strafverfahren in Europa: Lieber Schöffengericht und Trial by Jury (2010). Peukert EuGRZ 1980 247, 269; Spitzer ÖJZ 2003 48, 55. IK-EMRK/Kühne 290; Grabenwarter § 24, 30; Müßig 409; vgl. – auch zur Rechtslage in Deutschland – SK/Paeffgen 64. Zur (fehlenden) Unabhängigkeit der Militärrichter (Rn. 144): EGMR Findlay/UK, 25.2.1997, Rep. 1997-I; Morris/UK, 26.2.2002, ECHR 2002-I (unter der Befehlsgewalt eines auch das Verfahren
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Die Forderung einer gesetzlichen Grundlage schließt aber nicht aus, dass innerhalb des gesetzlichen Rahmens auch untergesetzliche Normen die erforderlichen zusätzlichen Festlegungen im Detail treffen.378 Wieweit die gesetzliche Rechtsgrundlage außer der Errichtung des Gerichts auch dessen Organisation, Arbeitsweise etc. im Einzelfall abdecken muss, ist nur ansatzweise geklärt.379 Die Zusammensetzung des Spruchkörpers im konkreten Fall muss jedenfalls (abstrakt) vorhersehbar, d.h. bestimmbar sein. Die unrichtige Zusammensetzung des Spruchkörpers stellt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK dar, sofern keine gesetzlichen Regeln in Bezug auf die Zusammensetzung bestehen oder gegen diese verstoßen wurde.380 Hier ist auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Wahl der Richter relevant.381
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d) Unabhängigkeit. Im Rahmen der Beurteilung der Unabhängigkeit des Gerichts sind insbesondere die Handhabung der Ernennung der Richter und ihre Amtszeit von Bedeutung, ferner ob Vorkehrungen gegen eine Einflussnahme von außen auf die Entscheidungsfindung bestehen. Zweifel an der Unabhängigkeit des Gerichts dürfen nicht einmal dem Anschein nach entstehen.382 Die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Spruchkörpers in der Entscheidungsfindung hat letztlich aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Stellung im staatlichen System zu erfolgen.383 Die Überprüfung einer etwaigen Beeinträchtigung der gerichtlichen Unabhängigkeit 141 nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ist schon allein wegen des Ansehens der Rechtsprechung und der Akzeptanz der zu treffenden Entscheidung (Urteil) erforderlich. Die Unabhängigkeit einer Stelle, die Aufgaben eines Gerichts i.S.v. Art. 6 EMRK / 142 Art. 14 IPBPR übernehmen soll, muss sowohl in ihrem Verhältnis gegenüber der Exekutive und Legislative als auch im Verhältnis zu den Betroffenen des Rechtsstreites bzw. Beteiligten des Strafverfahrens gewährleistet sein.384 Ein Gericht muss frei von jeglicher äußerer Einflussnahme entscheiden können.385 Dies schließt jedoch seine Bindung an die Rechtsprechung übergeordneter Gerichte nicht aus.386 Hingegen verstoßen Strafmaßrichtlinien gegen die Grundsätze für ein unabhängiges Gericht, wenn sie gesetzlich verbindlich vorgeschrieben sind.387
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dominierenden Offiziers), vgl. EGMR (K) Öcalan/TRK, 12.3.2003, EuGRZ 2003 472 (Mitwirkung als Militärrichter in einem zivilen Spruchkörper); Grabenwarter § 24, 31, 36; ferner SK/Paeffgen 64. Zur Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums bei der Prüfung der Entschuldigung der Geschworenen: EKMR ÖJZ 1991 319, 321. IK-EMRK/Kühne 294; Grabenwarter § 24, 31 beide mit Verweis auf EGMR Posokhov/R (Fn. 374). EGMR Fatullayev/ASE, 22.4.2010, § 144; vgl. auch IK-EMRK/Kühne 294 f. EGMR Fedotova/R (Fn. 374), §§ 38 ff.; Posokhov/R (Fn. 374), §§ 38 ff. EGMR Findlay/UK (Fn. 377), § 73; Incal/TRK, 9.6.1998, Rep. 1998-IV, §§ 65 ff.; Padovani/I, 26.2.1993, A 257-B = ÖJZ 1993 667; SK/Paeffgen 52.
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Zur Rechtsstellung der Richter in Deutschland: von Bargen DRiZ 2010 100. Zur Bedeutung der Unabhängigkeit der Justiz im europäischen Kontext: Albrecht/ Thomas (Hrsg.), Strengthen the Judiciary’s Independence in Europe! (2009). EGMR Elezi/D, 12.6.2008, NJW 2009 2871 = EuGRZ 2009 12 (Unparteilichkeit von Schöffen bei Kenntnis der Anklageschrift); hierzu: Ellbogen DRiZ 2010 136. EGMR Pretto u.a./I, 8.12.1983, A 71 = NJW 1986 2177 = EuGRZ 1985 548. Vgl. für das US-amerikanische Strafrecht: US Supreme Court, US v. Booker, 543 U.S. 220 (2005): Verstoß gegen den 6. Zusatzartikel zur US-Verfassung („impartial jury“); zur aktuellen Entwicklung in dieser Frage: Brugger JZ 2009 609, 618.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Die Mitglieder eines gerichtlichen Spruchkörpers dürfen weder an Weisungen gebun- 143 den noch verpflichtet sein, über ihre Entscheidungen einer anderen Stelle Rechenschaft abzulegen; sie dürfen weder personell und organisatorisch von einer anderen Stelle abhängig sein.388 Dazu gehört auch die rechtliche oder zumindest faktische Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit während ihrer Amtsperiode,389 die zudem eine gewisse Mindestdauer haben muss.390 Innerhalb der Amtszeit dürfen Richter nur aufgrund besonderer und genau festgelegter Umstände abgesetzt werden können. Es genügen zu lassen, dass ihre faktische Unabsetzbarkeit in der Staatspraxis im Regelfall anerkannt wird,391 vermag allerdings nicht zu überzeugen. Zu fordern ist insoweit eine Absicherung dieser Garantie in der gesetzlichen Grundlage des Gerichts (vgl. Rn. 139). Bedenken gegenüber der Unabhängigkeit bestehen insbesondere dann, wenn Amtsträger 144 der Exekutive mit richterlichen Aufgaben betraut werden.392 Allein die Beteiligung von Militärrichtern an einem strafrechtlichen Spruchkörper kann die Besorgnis fehlender Unabhängigkeit des Gerichts begründen;393 ebenso die Bestellung eines Berichterstatters, der Bediensteter einer Prozesspartei ist,394 oder die Mitwirkung eines Offiziers in einer dem Gericht übergeordneten Stellung in einem militärgerichtlichen Verfahren.395 Damit
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So früher bestimmte Organisationsformen der Militärgerichte in einigen Staaten, vgl. EGMR Findlay/UK (Fn. 377); Schiesser/CH, 4.12.1979, A 34 = EuGRZ 1980 202; Sramek/A (Fn. 109); (GK) Cable u.a./UK, 18.2.1999, EuGRZ 1999 116; Hood/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = EuGRZ 1999 117 = NVwZ 2001 304 = ÖJZ 1999 816; (K) Öcalan/TRK (Fn. 377); Miroshnik/ UKR, 27.11.2008; Wersel/PL (E), 1.6.2010; H. u. R. Urban/PL, 30.11.2010 (eingeschränkte Unabhängigkeit polnischer Assessoren); SK/Paeffgen 52; Meyer-Ladewig 68; Nowak 17; Peukert EuGRZ 1980 247, 269; Esser 543 f.; krit. bzgl. dienstlicher Beurteilungen: Haberland DRiZ 2009 242; vgl. für den Problemkreis zentraler IT-Infrastruktur der Gerichte Scholz DRiZ 2011 78, 81; zu den Grenzen der Pflicht zur Bereitstellung der Arbeitsgrundlagen des Richters vgl. BGH MDR 2011 140 = DRiZ 2011 66 m. Anm. Haberland 102. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Sramek/A (Fn. 109); H. u. R. Urban/PL (Fn. 388; Unabhängigkeit polnischer Assessoren verneint, da sie auch während ihrer Amtszeit jederzeit vom Minister abberufen werden konnten); SK/Paeffgen 52. EGMR Sramek/A (Fn. 109; drei Jahre ausreichend); Grabenwarter § 24, 34 regelmäßig Amtsdauer von 5-6 Jahren erforderlich, bei unentgeltlicher Tätigkeit auch kurze Amtsperioden nachvollziehbar zu begründen); vgl. Frowein/Peukert 209; zur Richter-
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wahl in der Schweiz vgl. Tagungsbericht von Pöder ÖJZ 2004 380 (Amtsdauer 4 bzw. 6 Jahre). Grabenwarter § 24, 34; vgl. dazu die Bedenken bzgl. Richtern auf Probe: Lippold NJW 1991 2383. EGMR Sramek/A (Fn. 109); Belilos/CH (Fn. 352); Borgers/B, 30.10.1991, A 214-B = EuGRZ 1991 519 = ÖJZ 1992 339; Mitap u. Müftüog˘ lu/TRK, 25.3.1996, Rep. 1996-II; vgl. Esser 563 f. Dies wurde verneint, wenn Militärrichter in einem staatlichen Gericht mitwirkten, so etwa bzgl. der früheren Staatssicherheitsgerichte in der Türkei: EGMR (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005, ECHR 2005-IV = EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267 – siehe auch das Kammer-Urteil: EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377) mit Anm. Breuer EuGRZ 2003 449; Karakurt/TRK, 20.9.2005; Yilmaz u. Barim/TRK, 22.6.2006; vgl. Grabenwarter § 24, 36; Meyer-Ladewig 72; zur Unzulässigkeit (§ 73 IRG) der Auslieferung zur Strafvollstreckung aus diesem Grund: OLG Frankfurt StV 2007 142; OLG Stuttgart NStZ-RR 2007 273; OLG Hamburg InfAuslR 2006 468; OLG Celle NStZ 2008 638; keine Bedenken bei Auslieferung zur Strafverfolgung, wenn Haftbefehl (noch) unter Mitwirkung eines Militärrichters erlassen worden ist: OLG Celle a.a.O. EGMR Sramek/A (Fn. 109). EGMR Findlay/UK (Fn. 377); Grabenwarter § 24, 36.
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die Unabhängigkeit des Gerichts vom Betroffenen überprüft werden kann, muss dieser in der Lage sein, die Mitglieder des Spruchkörpers zu identifizieren.396 Nicht erforderlich ist, dass die Richter Berufsrichter oder auf Lebenszeit ernannt sind 397 145 oder dass sie keine anderen Aufgaben neben ihrem Richteramt ausüben.398 Eine Nebentätigkeit darf jedoch nie solcher Art sein, dass sie die persönliche oder sachliche Unabhängigkeit des Gerichts tatsächlich oder aber auch nur dem – für das Vertrauen in die Rechtspflege wichtigen – äußeren Erscheinungsbild nach399 in Frage stellen kann. Ist die Unabhängigkeit in dieser Hinsicht genügend gesichert, ist es unschädlich, wenn 146 die Ernennung der Richter durch die Exekutive erfolgt.400 Ein Mitentscheidungsrecht der Exekutive bei der Besetzung eines gerichtlichen Spruchkörpers darf aber nur unter Wahrung sachlicher Maßstäbe und Kriterien ausgeübt werden, die mit dem Bild der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar sind.401 Die Parlamentarische Versammlung des Europarates mahnt allerdings die Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz an und fordert eine unabhängige Einrichtung zur Einstellung, Beförderung und Disziplinierung von Mitgliedern der Justiz (sog. Justizräte).402
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e) Unabhängigkeit trotz Möglichkeit der Wiederwahl? Die Frage der Unabhängigkeit eines gerichtlichen Spruchkörpers ist offensichtlich berührt, wenn Richter ihr Amt nur auf Zeit ausüben und die Möglichkeit einer Wiederwahl besteht. Die Möglichkeit (aber eben auch das Erfordernis) einer Wiederwahl kann Richter in die Versuchung bringen, sich bei der Urteilsfindung nicht nur von Recht und Gesetz leiten lassen, sondern auch von den Vorstellungen, die ihres Erachtens denjenigen gefallen werden, die für ihre erneute Ernennung zuständig sind. Jedenfalls kann der (böse) Anschein einer solchen Beeinflussung entstehen. Eklatant ist eine solche Gefahr bei Verfassungsrichtern. Verfassungsgerichte entschei148 den vielfach über die verfassungsrechtlichen Aspekte politischer Streitfragen, das Interesse der politischen Entscheidungsträger an der Besetzung der Gerichte ist offensichtlich. So ist es mit der richterlichen Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren, wenn Verfassungsrichter, gewissermaßen nach getaner Arbeit, von politischen Gremien, deren Handeln sie auf Verfassungsmäßigkeit überprüft haben, bewertet werden, indem diese Gremien über ihre erneute Ernennung entscheiden. Gemäß Art. 23 Abs. 1 EMRK sind, seit Inkrafttreten des 14. P-EMRK am 1.6.2010, 149 die Richter des EGMR – anders als bisher – nicht mehr wiederwählbar. Bereits seit dem
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EGMR Vernes/F, 20.1.2011, § 42. Esser 543. Vgl. EGMR Piersack/B, 1.10.1982, A 53 = EuGRZ 1985 301; Frowein/Peukert 209; Peukert EuGRZ 1980 247, 269. EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Sramek/A (Fn. 109); Belilos/CH (Fn. 352; zeitweilige Übertragung richterlicher Aufgaben an einen Juristen im Polizeidienst); Incal/ TRK (Fn. 382); (K) Öcalan/TRK (Fn. 377; Mitwirkung eines Militärrichters); vgl. auch Villiger 417: Es genügt dem Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn Militärrichter sachlich unabhängig von Weisungen ihrer Vorgesetzten entscheiden.
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EGMR Sramek/A (Fn. 109); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Frowein/Peukert 208. Vgl. hierzu: Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur Änderung der WDO (BTDrucks. 17 572) betreffend das VetoRecht des Verteidigungsministers bei Besetzung der Wehrdienstsenate am BVerwG. Res. 1685 (2009) v. 30.9.2009 „Allegations of politically motivated abuses of the criminal justice system in Council of Europe member states“, § 5.4.; hierzu: Schneiderhan DRiZ 2010 251; Berichte zum 150 jährigen Bestehen des DJT e.V. Berlin (2010).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
25.12.1970 403 können die Richter des BVerfG nicht wiedergewählt und folglich nur für eine Amtszeit berufen werden (§ 4 Abs. 2 BVerfGG). Soweit ersichtlich, wird dies für den Fall des BVerfG in der rechts- oder politikwissenschaftlichen Literatur an keiner Stelle kritisiert, vielmehr wird, sofern dazu Stellung genommen wird, der Ausschluss der Wiederwahl der Richter nahezu einhellig begrüßt und für vorteilhaft gehalten,404 auch wenn nicht explizit der Schluss gezogen wird, dass die momentane einfachgesetzliche Rechtslage verfassungsrechtlich vorgegeben sei, was ja im Umkehrschluss bedeuten würde, dass die Wahl der Bundesverfassungsrichter bis zum 25.12.1970 auf einer teilweise verfassungswidrigen Grundlage erfolgte. Unterschiedlich ist die Problematik der Wiederwählbarkeit in den 16 Verfassungs- 150 gerichten der deutschen Bundesländer405 geregelt, wobei die Möglichkeit der Wiederwahl durch das Parlament überwiegt. Auch wenn die Literatur, die, wie geschildert, den Ausschluss der Wiederwahlmöglichkeit der Richter am BVerfG weit überwiegend und in klaren Worten begrüßt, auf die häufig abweichende Rechtslage im Parallelproblem der Landesverfassungsgerichte gar nicht eingeht oder das Problem allenfalls sehr kurz behandelt,406 sie stattdessen weitgehend ignoriert, ist die Wiederwählbarkeit vieler Landesver-
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Inkrafttreten des Vierten Änderungsgesetzes des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) vom 21.12.1970 (BGBl. I S. 1765). So etwa Stadler Die richterliche Neutralität in den Verfahren nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (1977), 8, 11 („psychologische Abhängigkeit“ von den Wählenden seien zu bedenken, wenn die Richter wieder wählbar sind); von Steinsdorff FS Ismayr 491 (bei fehlender Möglichkeit der Wiederwahl keine Rücksichtnahme auf potentielle Mehrheitsmeinungen erforderlich); Benda/ Maihofer/Vogel/Simon HdbVerfR § 34, 40 (es bestehen „alle realen Voraussetzungen für die innere Unabhängigkeit der Richter“ des BVerfG, u.a. weil ihre Wiederwahl ausgeschlossen sei); Isensee/Kirchhof/Kischel HdStR, Band III, § 69, 58 (Ausschluss der Wiederwahl „verhindert schon den Anschein, ein Richter könne sich (von den) Chancen der eigenen Wiederwahl leiten lassen, und stärkt so die Unabhängigkeit“; Richter wäre sonst „vom Wohlwollen derjenigen Organe abhängig, deren Handeln er zu überprüfen hätte“); Sodan Staat und Verfassungsgerichtsbarkeit (2010), 30 f.; Arndt DRiZ 1971 37 berichtet über die Rechtslage vor der Änderung, die zum Ausschluss der Wiederwahl geführt hat, es seien mindestens zwei Richter „strafweise“ nicht wiedergewählt worden; die Möglichkeit der Wiederwahl sei also potentiell gefährlich für die Unabhängigkeit der Richter und schon der äußere Anschein einer solchen Möglich-
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keit der Beeinflussung sei für die gesamte Verfassungsgerichtsbarkeit gefährlich. Seit dem 1.5.2008 hat auch Schleswig-Holstein als letztes der 16 deutschen Länder ein eigenes Landesverfassungsgericht, nachdem bis dahin das BVerfG für die schleswig-holsteinische Landesverfassungsgerichtsbarkeit zuständig war; vgl. Art. 44 SchlHVerf a.F., Art. 59c SchlHVerf, Art. 99 GG und § 13 Nr. 10 BVerfGG. Vgl. etwa Knöpfle in Starck/Stern (Hrsg.), „Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Teilband I – Geschichte, Organisation, Rechtsvergleichung“ (1983), 262, der lediglich davon spricht, es gäbe „von verschiedener Seite grundsätzliche Bedenken“, die angegebene Literatur bezieht sich auf das BVerfG; Haack NWVBl. 2010 217 schreibt zu den Landesverfassungsgerichten, das „teilweise vorgesehene Verbot der Wiederwahl“ (trage) „dazu bei, die Unabhängigkeit (…) zu sichern“; Maurer in Bretzinger (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für BadenWürttemberg (1991), Rn. 112 f., S. 61 f., stellt nur die Zusammensetzung des Gerichts dar, ohne die Wiederwahlmöglichkeit überhaupt zu erwähnen; Lindner/Möstl/ Wolff Verfassung des Freistaates Bayern (2009), Art. 68, 23 („verfassungsrechtlich nicht unzulässig, eine Wiederwahl der Verfassungsrichter vorzusehen“; ohne Argument oder Literaturbeleg anzuführen); Harms-Ziegler in Macke (Hrsg.), Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene (1998) 199, stellt fest, dass der
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fassungsrichter mit Erstaunen zur Kenntnis zu nehmen und im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit zu kritisieren. Die großen Bedenken werden durch das häufig bestehende Erfordernis einer 2/3-Mehrheit verringert, da dann in der Regel ein Teil der parlamentarischen Opposition zustimmen muss, die Richter also bei mutmaßlichen „Gefälligkeitsentscheidungen“ nicht nur der Regierungsmehrheit, sondern auch wenigstens einem Teil der Opposition „gefallen“ müssten. Angesichts der Einhelligkeit, mit der der Ausschluss der Wiederwahlmöglichkeit der 151 Bundesverfassungsrichter begrüßt wird, überrascht die Rechtslage in der großen Mehrheit der Länder; ausgeschlossen ist die Wiederwahl lediglich in drei Ländern; in drei Ländern ist diese Wiederwahl sogar mit einfacher (Regierungs-)Mehrheit möglich, in einem davon (Hamburg) nur einmal, in den beiden anderen (Baden-Württemberg, Bayern) sogar unbegrenzt.407
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Gesetzgeber in den Ländern ohne Wiederwahlmöglichkeit die „Gefahr“ sah, dass „der Verfassungsrichter nicht mehr gemäß seiner persönlichen Überzeugung, sondern im – mutmaßlichen – Sinne des Kreationsorgans entscheide, von dessen Unterstützung seine Wiederwahl abhänge“, während die Gesetzgeber der anderen Länder diese Gefahr „nicht als gegeben“ ansahen. Die Richter des BVerfG sind, wie geschildert, nicht wiederwählbar (§ 4 Abs. 2 BVerfGG) und werden außerdem mit 2/ -Mehrheit vom Bundesrat bzw. vom pro3 portional besetzten Bundestagsausschuss gewählt (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG, § 6 Abs. 2 und 5, § 7 BVerfGG). Ebenfalls keine Wiederwahl ist vorgesehen in Berlin (2/3-Mehrheit, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 BerlVerf, keine Wiederwahl, § 2 Abs. 1 Satz 2 BerlVerfGHG), Brandenburg (2/3-Mehrheit der Mitglieder des Landtages, Art. 112 Abs. 4 Satz 5 BbgVerf, keine Wiederwahl, Art. 112 Abs. 4 Satz 3 BbgVerf) und Mecklenburg-Vorpommern (2/3-Mehrheit, Art. 52 Abs. 3 M-VVerf, keine Wiederwahl, § 5 Abs. 1 Satz 3 LVerfGG). Folgende vier Länder verlangen qualifizierte Mehrheiten und lassen die Wiederwahl einmal zu: Niedersachsen (2/3-Mehrheit, die zugleich mindestens die Hälfte der Mitglieder des Landtags ausmachen muss, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 NdsVerf; einmalige Wiederwahl, Art. 55 Abs. 1 Satz 2 NdsVerf), RheinlandPfalz (2/3-Mehrheit, Art. 134 Abs. 3 Satz 1 RhPfVerf; einmalige Wiederwahl, Art. 134 Abs. 3 Satz 2 RhPfVerf), Sachsen-Anhalt (2/3-Mehrheit, die mindestens die Hälfte der Mitglieder des Landtags ausmachen muss, Art. 74 Abs. 3 VerfLSA; einmalige Wieder-
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wahl, § 3 Abs. 1 Satz 4 LVerfGG), Schleswig-Holstein (2/3-Mehrheit der Mitglieder des Landtages; einmalige Wiederwahl, Art. 44 Abs. 3 Satz 2 SchlHVerf). Folgende sechs Länder sehen eine qualifizierte Mehrheit oder ähnliches vor und erlauben unbegrenzte Wiederwahl: Bremen (zwar einfache Mehrheit, aber die Stärke der Fraktionen „soll“ berücksichtigt werden, Art. 139 Abs. 2 Satz 3 BremVerf und § 2 Abs. 2 Satz 4 BremStaatsghG; Wiederwahl, Art. 139 II Satz 5 BremVerf), Hessen (2/3-Mehrheit in einem Wahlausschuss, in dem die Landtagsfraktionen anteilig repräsentiert sind, § 5, insbes. § 5 Abs. 7 Satz 2 HessStGHG; Wiederwahl, Art. 130 Abs. 3 HessVerf), Nordrhein-Westfalen (2/3-Mehrheit, oder es werden zwei Mitglieder auf einmal gewählt, wobei jeder Abgeordnete eine Stimme hat; dadurch kann die Opposition bzw. die größte Oppositionsfraktion in der Regel einen Kandidaten durchsetzen, Art. 76 Abs. 1 NRWVerf und § 4 Abs. 2 VGHG; Wiederwahl, § 4 Abs. 4 VGHG), Saarland (2/3-Mehrheit der Mitglieder des Landtages, Art. 96 Abs. 1 Satz 2 SaarlVerf; Wiederwahl, § 3 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG), Sachsen (2/3-Mehrheit der Mitglieder des Landtages, Art. 81 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf; Wiederwahl, § 3 Abs. 3 Satz 4 SächsVerfGHG), Thüringen (2/3-Mehrheit der Mitglieder des Landtages, Art. 79 Abs. 3 Satz 3 ThürVerf; Wiederwahl, § 3 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfGHG). Hamburg wählt als einziges Land die Verfassungsrichter mit einfacher Mehrheit (keine besonderen Mehrheitserfordernisse in Art. 65 HbgVerf, § 4 HbgVerfGG) und kennt die Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl, Art. 65 Abs. 2
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Die größten Bedenken bestehen also gegenüber der Rechtslage in Baden-Württemberg und Bayern. So genügt in BW die einfache Mehrheit des Landtags, § 2 Abs. 2 Satz 2 BWStGHG i.V.m. Art. 68 Abs. 3 BaWüVerf, und die Wiederwahl ist nicht explizit ausgeschlossen und daher zulässig. Der europaweite Verfassungsgerichtsvergleich ergibt, dass nur in sehr wenigen Staaten eine Wiederwahl der Richter möglich ist; dieser weitgehende Ausschluss der Wiederwahlmöglichkeit wird von der Literatur einhellig begrüßt oder allenfalls neutral berichtet, keinesfalls jedoch in Frage gestellt.408 Als kurzer Vergleich mit den USA als einer außereuropäischen Rechtsordnung sei darauf hingewiesen, dass im Obersten Bundesgericht der USA (Federal Supreme Court) die Wiederwahl nicht erforderlich ist, da dort die Richter auf Lebenszeit (wobei sie natürlich zurücktreten dürfen) ernannt bzw. gewählt sind.409 Die Unabhängigkeit der Richter ist dadurch im besonderen Maße gewahrt. Im Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) sowie im Gericht der Europäischen Union (EuG)410 hingegen ist die Möglichkeit der Wiederwahl der Richter vorgesehen, Art. 253 Abs. 4, Art. 254 Abs. 2 Satz 4 AEUV, Art. 19 Abs. 2 UAbs. 3 Satz 3 EUV; insbesondere und gerade zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter ist bereits vorgeschlagen worden, dass sie nicht wiedergewählt werden können, was jedoch nicht – auch nicht anlässlich des Reformvertrages von Lissabon – umgesetzt wurde.411 Auch hier ist nicht von der Hand zu weisen, dass der böse Anschein entstehen kann, bestimmte Entscheidungen seien im Hinblick auf den Wunsch einzelner Richter gefallen, nach Ablauf der Amtszeit erneut ernannt zu werden.412 Allenfalls entschärft, nicht aber entkräftet werden die Bedenken dadurch, dass die Mitgliedstaaten die Ernennung der Richter „im gegenseitigen Einvernehmen“ (Art. 253 Abs. 1 Halbsatz 2, 254 Abs. 2 Satz 2 AEUV) vornehmen;413 dass alle Mitgliedstaaten mit einer allfälligen Wiederernennung einver-
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Satz 2 HbgVerf). In Baden-Württemberg und Bayern schließlich genügt ebenfalls die einfache Mehrheit im Landtag, wobei die Wiederwahl unbeschränkt zulässig ist, vgl. nachfolgend im Text. Beispielhaft mit im Detail bei der Aufzählung der einzelnen, die Wiederwahl erlaubenden Staaten gelegentlich abweichenden Angaben: Weber Europäische Verfassungsvergleichung (2010), Kap. 12, 41; Hönnige Verfassungsgericht, Regierung und Opposition (2007), 55, 121; ders. Verfassungsgerichte: neutrale Verfassungshüter oder Vetospieler?, in: Grotz/Müller-Rommel (Hrsg.), Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa (2011), 273; Kneip in: Kropp (Hrsg.), Die EU-Staaten im Vergleich (2008) 641; Einzelangaben in schematischer Übersicht zu insgesamt 28 europäischen Verfassungsgerichten bei Haase/Struger Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa (2009) 273. Art. 3 Sektion 1 Satz 2 der US-Bundesverfassung regelt: „The Judges (…) shall hold their Offices during good Behavior (…)“, wobei aus dem „good Behavior“ allgemein
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geschlossen wird, dass Richter ihr Amt auf Lebenszeit ausüben, sie allerdings natürlich zurücktreten dürfen, was insbesondere aus Altersgründen vorkommen wird. Vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon: Gericht erster Instanz. Näher dazu Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2009), Art. 223, 2 EGV. Dabei wird man auf Vermutungen angewiesen sein, sofern keine Indiskretionen geschehen sind, da die Beratungen einschließlich der Abstimmungen geheim sind, Art. 35, 53 EuGH-Satzung. Näher zum Verfahren der Ernennung Epping Der Staat 1997 361; durch den Vertrag von Lissabon hat sich die Rechtsbzw. Vertragslage nur dahingehend geändert, dass der in Art. 255 AEUV genannte, neu eingerichtete Ausschuss eine Stellungnahme abgibt. Zu den Gründen, warum es jedoch gerade beim EuGH besonders schwierig ist, durch Nominierung bzw. Nichtnominierung die Rechtsprechung zu lenken, vgl. Alter Establishing the Supremacy of European Law (2001) 199 ff.
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standen sein müssen, bedeutet nicht nur, dass evtl. „Gefälligkeitsentscheidungen“ gleich allen Staaten gefallen müssten, sondern auch, dass einzelne Staaten die Wiederernennung verhindern können, wenn gerade ihnen bestimmte Richter nicht gefallen. Um dies nochmals zu betonen: Bereits der Anschein, dass dem so sein könnte, lässt Zweifel an der nötigen Unabhängigkeit der Richter aufkommen.
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f) Unparteilichkeit. Die Unparteilichkeit betrifft die subjektive Einstellung des Richters, der ohne Ansehen der Verfahrensbeteiligten sachgemäß urteilen muss. An der Unparteilichkeit eines Richters fehlt es zum einen, wenn sich bei ihm eine bestimmte Überzeugung bzw. Voreingenommenheit in der zu beurteilenden Sache feststellen lässt (subjektiver Test),414 wobei die Unparteilichkeit bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird.415 Zum anderen ist die Unparteilichkeit zu verneinen, wenn berechtigte Zweifel an der 157 Unparteilichkeit eines Mitglieds des gerichtlichen Spruchkörpers nicht ausgeräumt werden können (objektiver Test).416 Diese Zweifel können sich auch aus äußeren Umständen ergeben, wenn diese unabhängig vom Verhalten des Richters geeignet sind, diesen für einen objektiven Betrachter als nicht mehr unbefangen erscheinen zu lassen.417 Die Unparteilichkeit darf schon dem äußeren Anschein nach für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten418 nicht anzweifelbar sein („strukturelle Unparteilichkeit“).419 Dies erfordert der Schutz des Vertrauens in die Rechtspflege und die Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidungen. Unter dem Gesichtspunkt der Berechtigung der Zweifel spielt auch die interne Gerichtsorganisation eine Rolle. Es müssen hinreichende verfahrensrechtliche Absicherungen zu Verfügung stehen, wie etwa die Möglichkeit, einen Richter wegen Befangenheit ablehnen zu können.420 Jedes Gericht ist verpflichtet, jederzeit (von Amts wegen) zu prüfen, ob es den Anfor158 derungen der Unparteilichkeit gerecht wird. Dies gilt auch für die an der Entscheidung
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EGMR Incal/TRK (Fn. 382), § 65; (GK) Micallef/MLT (Fn. 79), § 93. EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Piersack/B (Fn. 398); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); De Cubber/B, 26.10.1984, A 86 = EuGRZ 1985 407; Kalogeropoulou u.a./D u. GR (Fn. 101); (GK) Micallef/MLT (Fn. 79), § 94; Cardona Serrat/E, 26.10.2010; Frowein/Peukert 213; Grabenwarter § 24, 43; Meyer-Ladewig 76; SK/Paeffgen 60; vertiefend: Steinfatt Die Unparteilichkeit des Richters in Europa im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Diss. Saarbrücken 2011. EGMR Incal/TRK (Fn. 382), § 65; (GK) Micallef/MLT (Fn. 79), § 93. Zwischen der von der Einschätzung anderer bestimmten (objektiven) Unparteilichkeit und der sachlichen Unabhängigkeit besteht ein enger Zusammenhang, zumal Letztere nur die Unparteilichkeit sichern soll; vgl. Grabenwarter § 24, 27; vgl. auch EGMR Langborger/S, 22.6.1989, A 155. Etwa EGMR Piersack/B (Fn. 398); Nor-
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tier/NL, 24.8.1993, A 267 = ÖJZ 1994 213; Holm/S, 25.11.1993, A 279-A = ÖJZ 1994 522; Tiemann/D, 27.4.2000, ECHR 2000-IV = NJW 2001 2319; Grabenwarter § 24, 45; Meyer-Ladewig 78 f. Vgl. EGMR Delcourt/B (Fn. 172): „Justice must not only be done, it must also be seen to be done“; Villiger 415; vgl. auch Grabenwarter § 24, 31: Für das Vertrauen der Öffentlichkeit in Gerichte ist bereits der äußere Anschein wichtig; siehe auch EGMR Piersack/B (Fn. 398); De Cubber/B (Fn. 415); Belilos/CH (Fn. 352); Padovani/I (Fn. 382); Saraiva de Carvalho/P, 22.4.1994, A 286-B = ÖJZ 1995 36; Hauschildt/DK, 24.5.1989, A 154 = EuGRZ 1993 122 = ÖJZ 1990 188; Fey/A, 24.2.1993, A 255-A = ÖJZ 1993 394 = JBl. 1993 508; Pullar/UK, 10.6.1996, Rep. 1996-III = ÖJZ 1996 874; Ferrantelli u. Santangelo/I, 7.8.1996, Rep. 1996-III = ÖJZ 1997 151; SK/Paeffgen 58 („objektive Unparteilichkeit“). EGMR (GK) Micallef/MLT (Fn. 79), § 99.
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mitwirkenden Laienrichter.421 Werden konkrete Tatsachen behauptet, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit eines Mitglieds des Spruchkörpers zu wecken, muss das Gericht sie überprüfen und ggf. auch über sie entscheiden;422 ebenso bei auf Voreingenommenheit hindeutenden Bemerkungen eines (ehrenamtlichen) Richters.423 Es kann allerdings ausreichen, wenn das Gericht die ihm intern mitgeteilten Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters (Geschworenen) dadurch beseitigt, dass es die Verhandlung/Beratung unterbricht und den betreffenden Richter darauf hinweist (belehrt), dass er sein Urteil nur nach der Beweislage und ohne jede Voreingenommenheit abzugeben hat.424 Grundsätzlich steht es der Unparteilichkeit eines Richters nicht entgegen, wenn dieser 159 bereits in einem früheren Verfahren oder in einem früheren Stadium desselben Verfahrens Entscheidungen zum Verfahrensgegenstand oder bezüglich einer Partei getroffen hat (vgl. aber Rn. 160). Ein mehrfunktionales Auftreten eines Richters in einem Verfahren (auch in verschiedenen Stadien) erscheint erst dann problematisch im Hinblick auf seine Unparteilichkeit, wenn durch sein mehrfaches Auftreten oder die Wahrnehmung verschiedener Funktionen objektive Zweifel an seiner Neutralität entstehen. Das ist der Fall, wenn er in einem früheren (separaten) Verfahren oder in einem früheren Abschnitt desselben Verfahrens im Wesentlichen über dieselben Fragen zu entscheiden hatte, wie im späteren Verfahren.425 Problematisch kann in dieser Hinsicht sein, dass ein Mitglied des Gerichts in der 160 Sache vorher als Untersuchungsrichter oder im Rahmen der Strafverfolgung (z.B. als Polizeibeamter oder Staatsanwalt) tätig war; zur bloßen personellen Identität müssen allerdings zusätzliche Anhaltspunkte hinzutreten.426 Dass ein Richter des erkennenden Gerichts im Ermittlungsverfahren als Ermittlungs-/Untersuchungsrichter eine (notwendige) richterliche Entscheidung ohne eigene Ermittlungstätigkeit getroffen,427 die Unter421
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EGMR Holm/S (Fn. 418); Pullar/UK (Fn. 419); SK/Paeffgen 58; Langborger/S (Fn. 417; Laienrichter, die der Interessengemeinschaft der Mieter- und Hauseigentümervereinigung angehörten und über Änderung im Mietvertrag des Bf. zu entscheiden hatten); EKMR Stallarholmens Plåtslageri o Ventilation Handelsbolag u.a./S (E), 7.9.1990 (Laienrichter an schwedischen Arbeitsgerichten, die Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerorganisationen angehörten). Zur Rolle von Laienrichtern in historisch-rechtvergleichender Betrachtung: Kühne FS Amelung 657; Grube Richter ohne Robe (2005); Linkenheil Laienbeteiligung an der Strafjustiz (2003). Vgl. EGMR (GK) D.N./CH, 29.3.2001, ECHR 2001-III = ÖJZ 2002 516; Remli/F, 23.4.1996, Rep. 1996-II = ÖJZ 1996 831 (mögliche Befangenheit eines Richters nicht überprüft); Grabenwarter § 24, 30. Vgl. EGMR Gregory/UK, 25.2.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1998 194; Sander/UK, 9.8.2000, ECHR 2000-V; (GK) Kyprianou/ ZYP, 15.12.2005, ECHR 2005-VIII = NJW 2006 2091; Meyer-Ladewig 85.
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EGMR Gregory/UK (Fn. 423). Z.B. EGMR Stechauner/A, 28.1.2010, §§ 49 ff.; Fatullayev/ASE (Fn. 380), §§ 135 ff. EGMR De Cubber/B (Fn. 415); Vera Fernández-Huidobro/E (Fn. 243) (Gebot der Unparteilichkeit des Untersuchungsrichters abgeleitet aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens); Adamkiewicz/PL, 2.3.2010 (Unterbringung durch Familienrichter, der Strafverfahren aufgrund der Erkenntnisse selbst eingeleitet und später den Vorsitz des Jugendgerichtes geführt hatte); Frowein/Peukert 224; vgl. auch EGMR Belilos/CH (Fn. 352; Beamter der Polizeidirektion). Vgl. EGMR Nortier/NL (Fn. 418); Saraiva de Carvalho/P (Fn. 419); Kalogeropoulou u.a./D u. GR (Fn. 101; Mitwirkung am Schadensersatzprozess u. Vollstreckungsverfahren); ferner auch: EGMR Hauschildt/DK (Fn. 419; die Mehrheit hat „besondere Umstände“ in einer über die summarische Prüfung des Tatverdachts hinausgehenden Vorentscheidung über die besondere Bestätigung des „Tatverdachtes“ gesehen); EKMR
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suchungshaft angeordnet oder (nach Anklageerhebung) über die Fortdauer der Untersuchungshaft 428 entschieden hat (vgl. etwa § 120 StPO), soll seiner (objektiven) Unparteilichkeit grundsätzlich nicht entgegenstehen, weil (formal) der Prüfungsmaßstab der getroffenen (Haft-)Entscheidungen insoweit nicht mit der Schuldfrage im engeren Sinne identisch sei, sondern nur das Vorliegen eines (dringenden) Tatverdachtes betreffe. Berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit sollen sich auch hier nur aus zusätzlichen Umständen 429 ergeben können. Insbesondere darf die Verdachtsprüfung keiner Schuldfeststellung „nahe kommen“.430 Ein solch formaler Ansatz („Verdacht vs. Schuld“) vermag aus objektiver Perspektive jedenfalls bei Haftfragen nicht zu überzeugen, weil die Prüfung und Annahme eines (nach deutschem Recht erforderlichen) dringenden Tatverdachtes (§ 112 StPO) materiell so nah mit der später anzustellenden Schuldfeststellung verbunden ist, dass unter dem Gesichtspunkt einer „Unparteilichkeit schon nach äußeren Schein“ mit Haftfragen befasste Richter von vornherein nicht mehr Mitglied des später in der Sache erkennenden Spruchkörpers sein sollten. Bedenklich in Hinblick auf die Unparteilichkeit des im Hauptverfahren zur Entschei161 dung über die Schuld des Angeklagten berufenen Spruchkörpers mutet auch die im deutschen Recht für das Zwischenverfahren (§§ 199 Abs. 1, 203, 207 StPO) getroffene Regelung an, wonach dort dieselben Richter über das Vorliegen des von der Staatsanwaltschaft angenommenen hinreichenden Tatverdachtes zu entscheiden haben (vgl. § 170 Abs. 1 StPO). Die Gefahr der Bildung eine „Vor-Urteils“ ist in diesem Fall höher als bei der Vorbefassung eines Ermittlungsrichters.431 Zweifel an der Neutralität eines Richters bestehen, wenn dieser bei der Staatsanwalt162 schaft die Aufsicht über den in der gleichen Sache ermittelnden Staatsanwalt ausgeübt hat,432 ebenso wenn das betroffene Mitglied kollidierende Verwaltungsfunktionen wahrgenommen hat.433 Schon die Beteiligung von Militärrichtern an einem strafrechtlichen Spruchkörper kann die Besorgnis fehlender Unparteilichkeit des Gerichts begründen.434
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ÖJZ 1991 319, 321 verneint die objektive Befangenheit bei auf die Verdachtsprüfung beschränkten Entscheidungen im Vorverfahren. Vgl. EGMR Saraiva de Carvalho/P (Fn. 419); EKMR bei Strasser EuGRZ 1992 42; Frowein/Peukert 227; Meyer-Ladewig 67, 82; ferner Grabenwarter § 24, 46 a.E., siehe auch a.A. SK/Paeffgen 58, der bei jeder Mitwirkung an der Haftprüfung Befangenheit annimmt. EGMR Chesne/F, 22.4.2010 (Richter des Hauptverfahrens hatten im Ermittlungsverfahren die U-Haft mit der die Schuld des Bf. bestätigenden Beweisen begründet); siehe auch EGMR Cardona Serrat/E (Fn. 415; zwei der an der Verurteilung beteiligten Richter hatten auch die U-Haft des Bf. angeordnet, wobei die Anordnung mit der Gefahr der Zeugenbeeinflussung gerechtfertigt wurde). EGMR Hauschildt/DK (Fn. 419). Kritisch hierzu auch: SK/Paeffgen Vor § 198, 12 ff.; IK-EMRK/Kühne 312; Ernst Das
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gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung (1986). EGMR Piersack/B (Fn. 398); Frowein/Peukert 223; Esser 564. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 415, 418 (Sramek). Zur Teilnahme von Militärrichtern bei den früheren Staatssicherheitsgerichten der Türkei: EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393) – siehe auch das Kammer-Urteil: EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377) mit Anm. Breuer EuGRZ 2003 449; Karakurt/TRK (Fn. 393); Yilmaz u. Barim/TRK (Fn. 393); vgl. Grabenwarter § 24, 36; a.A. MeyerLadewig 72; zur Unzulässigkeit (§ 73 IRG) der Auslieferung zur Strafvollstreckung aus diesem Grund: OLG Frankfurt StV 2007 142; OLG Stuttgart NStZ-RR 2007 273; OLG Hamburg InfAuslR 2006 468; OLG Celle NStZ 2008 638; keine Bedenken bei Auslieferung zur Strafverfolgung, wenn Haftbefehl (noch) unter Mitwirkung eines Militärrichters erlassen worden ist: OLG Celle a.a.O.
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Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters können gerechtfertigt sein, wenn dieser 163 über die Rechtmäßigkeit eines von ihm selbst erlassenen Urteils entscheidet.435 Mit dem Anschein der äußeren Unparteilichkeit des Gerichts ist es nicht vereinbar, wenn der Vertreter der Anklagebehörde (Generalanwalt) an den Beratungen des Gerichts (und sei es ohne Stimmrecht) beratend teilnimmt;436 ebenso wenn ein Berichterstatter bestellt wird, der Bediensteter einer Prozesspartei ist,437 oder wenn an einem militärgerichtlichen Verfahren ein Offizier in einer dem Gericht übergeordneten Stellung mitwirkt438 oder wenn die vom Gericht herangezogenen Gutachter Angestellte des Beklagten sind.439 Wird eine Vorschrift des nationalen Rechts zum Ausschluss eines Richters vom Ver- 164 fahren, die jedem Zweifel an seiner Unparteilichkeit vorbeugen soll (vgl. etwa §§ 22 f. StPO), nicht beachtet, so indiziert dies die Verletzung des Rechts auf ein unparteiisches Gericht.440 Dagegen ist noch keine objektive Gefährdung des äußeren Anscheins der Unpartei- 165 lichkeit darin zu sehen, wenn ein Richter des erkennenden Gerichts mit einem Zeugen persönlich bekannt ist.441 Als unproblematisch wurde es auch erachtet, dass ein Polizeibeamter bei der Beratung der Geschworenen anwesend war, um dort das Videovorführgerät zu bedienen.442 Desgleichen ist keine Gefährdung des äußeren Anscheins der Unparteilichkeit darin zu sehen, dass ein Richter (eines Spezialspruchkörpers) noch eine andere Funktion (Verwaltungsbeamter, Politiker) ausübt,443 dass bei einem Berufsgericht ein Teil der Richter zum gleichen Berufsstand wie der Angeklagte gehören muss,444 dass
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EGMR San Leonard Band Club/MLT, 29.7.2004, ECHR 2004-IX; Samadi/D (E), 7.10.2008; vgl. auch EGMR Mancel u. Branquart/F, 24.6.2010 (Zurückweisung einer Revision des Angeklagten gegen Verurteilung durch Rechtsmittelgericht, nachdem 7 von 9 beteiligten Richtern auch über das vorangegangene Rechtsmittel gegen den zunächst erfolgten Freispruch zu entscheiden hatten; inwiefern das Gericht dabei die Stellungnahme des Gerichts in der ersten Revision zu den Tatsachen als entscheidend für die Feststellung der Verletzung betrachtete, war nicht eindeutig festzustellen); vgl. auch HRC Babkin/Russland, 3.4.2008, 1310/2004, § 13.3 (Richter am Kassationshof hatte bei Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten mitgewirkt und jetzt über Rechtsmittel gegen Verurteilung zu entscheiden – kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 IPBPR). EGMR Delcourt/B (Fn. 172; zunächst für vereinbar gehalten); später jedoch verneinend in Anlehnung an die Auffassung der EKMR: EGMR Borgers/B (Fn. 392; „Unvereinbar mit Waffengleichheit“). Vgl. ferner EGMR van Orshoven/B, 25.6.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 314; Frowein/Peukert 212; Villiger 483; Müßig 407. Zur Teilnahme eines Regierungskom-
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missars an den Beratungen: EGMR (GK) Kress/F, 7.6.2001, ECHR 2001-VI; SlimaneKaïd/F (Nr. 2), 27.11.2003; zum Problem insgesamt: Esser 550 f. EGMR Sramek/A (Fn. 109). EGMR Findlay/UK (Fn. 377); Grabenwarter § 24, 36. EGMR Sara Lind Eggertsdóttir/ISL, 5.7.2007. EGMR Oberschlick/A, 23.5.1991, A 204 = NJW 1992 613 = EuGRZ 1991 216 = ÖJZ 1991 641 = MR 1991 171; Pfeifer u. Plankl/A, 25.2.1992, A 227 = NJW 1992 1873 = EuGRZ 1992 99 = ÖJZ 1992 455. EGMR Pullar/UK (Fn. 419); Esser 568. EGMR Szypusz/UK, 21.9.2010, §§ 82 ff. (Beamter hatte sich auf die Bedienung des Geräts beschränkt; Anwälte hatten seiner Anwesenheit zugestimmt). EGMR Sramek/A (Fn. 109); Ettl u.a./A (Fn. 355); Stallinger u. Kuso/A, 23.4.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1997 755 (fachkundige Beamte als Mitglieder der Agrarsenate); Pabla Ky/FIN, 22.6.2004, ECHR 2004-V; EKMR ÖJZ 1991 103; ÖVerfGH EuGRZ 1994 181. EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40; ärztliches Standesgericht); Debled/B, 22.9.1994, A 292-B = ÖJZ 1995 198; Frowein/Peukert 216.
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dieselben Richter über sachlich verschiedene Berufungen desselben Klägers urteilen445 oder dass dieselben Richter erneut mit derselben Sache befasst werden, wenn das Rechtsmittelgericht die Sache an das gleiche Gericht zurückverweist, das bereits die aufgehobene Entscheidung erlassen hatte.446 Ebenfalls wurde es vom EGMR für unproblematisch erachtet, dass der Vorsitzende Richter einer Strafkammer bereits über den Hauptbelastungszeugen geurteilt hatte und dieses Verfahren Anstoß für die Ermittlungen gegen den Bf. gab.447 Grundsätzlich wird die Unparteilichkeit des Gerichts durch das Angebot einer Verständigung (§ 257c StPO) nicht in Zweifel gezogen,448 soweit die nach nationalem Recht vorgesehen Sicherheiten gegen Willkür eingehalten werden. Keine Gefährdung der Unabhängigkeit wurde ebenso in Fällen gesehen, in denen ein Richter vor der Hauptverhandlung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden hatte; schließlich prüfe der Richter im PKH-Verfahren nur summarisch die Erfolgsaussichten der Hauptsache.449
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g) Heilung von Verstößen. Eine Heilung von Verstößen gegen die Unparteilichkeit soll nach Ansicht des EGMR450 dann möglich sein, wenn in der Rechtsmittelinstanz die Sach- und Rechtslage unter Beachtung aller Garantien des Art. 6 EMRK erneut geprüft wird; den Rechtsgarantien sei schon dann genügt, wenn sie in einer Instanz gewährleistet werden.451 Die Sache muss aber in der zweiten Instanz nochmals in vollem Umfang verhandelt und entschieden werden. Ist die neue Verhandlung auf Teilaspekte beschränkt, kann für die nicht neu verhandelten Teile die Befangenheit nicht geheilt werden. In Strafsachen sind allerdings strengere Maßstäbe anzulegen. Ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK kann nicht immer durch eine den Anforderungen dieses Artikels entsprechende Verhandlung in der nächst höheren Instanz geheilt werden. Andernfalls würde der Zweck der Errichtung mehrerer gerichtlicher Instanzen, den Schutz des Rechtsunterworfenen zu stärken, konterkariert. Der Angeklagte hat einen Anspruch auf eine konventionsgemäße Verhandlung in erster Instanz.452 Dies gilt insbesondere für die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit des Gerichts. Bei einem Verstoß gegen das faire Verfahren nimmt der EGMR hingegen meist eine Heilung an, sofern in der darauf folgenden Instanz ein konventionsgemäßes Verfahren unter Wiederholung des in Frage stehenden Verfahrensteils erfolgt.453
445 446
447 448 449 450
451
EGMR D.P./F, 10.2.2004, ECHR 2004-I. EGMR Ringeisen/A (Fn. 80); Thomann/CH, 10.6.1996, Rep. 1996-III = ÖJZ 1996 874; Frowein/Peukert 220; Grabenwarter § 24, 47. EGMR Kriegisch/D (E), 23.11.2010. EGMR Kriegisch/D (Fn. 447). EGMR Binder/D (E), 20.9.2011. Etwa EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); De Haan/NL, 26.8.1997, Rep. 1997-IV; British-American Tobacco Company Ltd./NL (Fn. 369); Meyer-Ladewig 88 unter Hinweis auf EGMR (GK) Kyprianou/ZYP (Fn. 423). EGMR Lesˇník/SLO, 11.3.2003, ECHR 2003-IV; Chmelir/CS, 7.6.2005, ECHR
410
452
453
2005-IV; (GK) Kyprianou/ZYP (Fn. 423); ob dieses Argument auch dort noch greift, wo die Konventionen dem wegen einer Straftat Verurteilten das Recht auf eine zweite Instanz einräumen (Art. 2 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 5 IPBPR), erscheint fraglich. EGMR De Cubber/B (Fn. 415); Findlay/UK (Fn. 377); Esser 591 f.; Meyer-Ladewig 88, 98 geht davon aus, dass der EGMR diese Auffassung aufgegeben hat; kritisch auch: SK/Paeffgen 62. EGMR Riepan/A, 14.11.2000, ECHR 2000-XII = ÖJZ 2001 357; Meyer-Ladewig 88, 98.
Robert Esser
Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
IV. Gleichheit vor Gericht / Fairness des Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR) 1. Zweck und Zielsetzung. Mit der Gewährleistung bestimmter Verfahrensprinzipien 167 sollen Mindestvoraussetzungen für ein gerechtes, justizförmiges Verfahren festgelegt werden, die jeder Willkür vorbeugen und den Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, ihre Verfahrensinteressen in einem rechtsstaatlichen Verfahren wirksam zu vertreten: „[…] The rule of law and the avoidance of arbitrary power are principles underlying the Convention.454 In the judicial sphere, those principles serve to foster public confidence in an objective and transparent justice system, one of the foundations of a democratic society.“ 455
Die in Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 IPBPR festgelegten Grundsätze sind, 168 wie alle Verfahrensprinzipien, aus ihrer Zielsetzung heraus auszulegen. Dabei kommt es vordergründig nicht auf die maximale Durchsetzung der isoliert gesehenen einzelnen Prinzipien an, sondern darauf, dass ein Strafverfahren, das nach nationalem Recht unterschiedlich ausgestaltet sein kann,456 insgesamt den sich aus der Zusammenschau der Prinzipien ergebenden Anforderungen entspricht, insbesondere dem Gebot der Verfahrensfairness. Die Konventionen gehen davon aus, dass die Festlegung von Struktur und Einzel- 169 heiten des Verfahrens eine Aufgabe und Angelegenheit des nationalen Gesetzgebers ist, der auch Form und Voraussetzungen der Beweiserhebung in den jeweiligen Verfahrensarten sowie die bei der Beweiswürdigung von den Gerichten zu beachtenden Grundsätze festlegen kann (Rn. 268 ff.).457 Dieser hat dabei allerdings die von den Konventionen vorgegebenen allgemeinen Leit- 170 linien für ein gerechtes, unparteiisches und damit insgesamt faires Verfahren zu beachten: „A State’s choice of a particular criminal justice system is in principle outside the scope of the supervision carried out by the Court at European level, provided that the system chosen does not contravene the principles set forth in the Convention.“ 458
Für die Verfahren über strafrechtliche Anklagen im weiten Sinn der Konventionen 171 (Rn. 68 ff.) werden in Art. 6 Abs. 3 EMRK und Art. 14 Abs. 3 bis 7 IPBPR besondere Anforderungen herausgestellt. Auch sie lassen aber dem nationalen Gesetzgeber Raum für eine unterschiedliche Ausgestaltung des Verfahrens. In einer Gesamtbetrachtung werden diese Regelungen letztlich wieder an ihren Auswirkungen auf das einzelne Verfahren und den dafür in den Konventionen vorgegebenen allgemeinen Grundsätzen, insbesondere dem Gebot der Verfahrensfairness, gemessen (dazu Rn. 177 ff.). Die Einzelanforderungen der Konventionen können deshalb nicht im Sinne eines 172 absoluten Vorrangs jedes dort aufgestellten einzelnen Gebotes verstanden werden. Ihr Ziel ist, in ihrer Gesamtheit ein faires Verfahren zu sichern. Soweit sich aus ihnen einander widerstreitende Einzelforderungen ergeben, sind diese, ähnlich wie im Verfassungs-
454 455 456
EGMR (GK) Roche/UK (Fn. 37). EGMR Suominen/FIN, 1.7.2003, § 37; Tatishvili/R, 22.2.2007, ECHR 2007-I, § 58. Vgl. zu den unterschiedlichen Verfahrenssystemen in Europa: Eser ZStW 108 (1996) 86; Weigend ZStW 96 (1984) 624; Gleß ZStW 115 (2003) 131, 143.
457
458
Vgl. etwa EGMR Sidiropoulos/GR (Fn. 359); Wierzbicki/PL (Fn. 359) (keine Garantie, dass in einem Zivilprozess benannte Zeugen oder andere Beweismittel zugelassen werden). EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 83.
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
recht, im Wege der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen, dass das Grundanliegen jedes Rechtes möglichst umfassend verwirklicht werden kann.
173
2. Gleichheit vor Gericht. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR stellt – im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 EMRK – ausdrücklich klar, dass alle Menschen vor Gericht gleich sind („equal before the courts and tribunals“ / „égaux devant les tribunaux et les cours de justice“).459 Dieser Grundsatz ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 26 IPBPR) sowie der allgemeinen Anerkennung der Rechtsfähigkeit (Art. 16 IPBPR) und der Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR, wonach die in diesem Pakt anerkannten Rechte allen Menschen ohne Diskriminierung zu gewährleisten sind (vgl. hierzu auch Art. 14 EMRK und das 12. ZP-EMRK).460 Der Grundsatz umfasst den gleichen Zugang zu Gericht 461 und die Gleichheit bei Anwendung der garantierten Verfahrensgrundsätze des Art. 14 IPBPR, darüber hinaus aber auch allgemein die Gleichheit aller Personen bei der Anwendung der Gesetze durch die Gerichte.462 Wenn der verbindliche Text von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR – anders als die nur von 174 Gerichten sprechende deutsche Übersetzung – Gerichte und Tribunale nebeneinander erwähnt, so wird man den Grund für diese in den folgenden Sätzen nur zum Teil beibehaltene Unterscheidung darin sehen können, dass Tribunale auch die funktionell in gerichtsähnlicher Unabhängigkeit entscheidenden Spruchkörper außerhalb der institutionellen Gerichtsbarkeit einschließen (z.B. Ausschüsse in der Verwaltung), die im jeweiligen nationalen Recht nicht als Gerichte im institutionellen Sinn angesehen werden.463 Art. 6 Abs. 1 EMRK erwähnt das Gebot der Gleichbehandlung nicht explizit, es er175 gibt sich hier jedoch schon daraus, dass der Zugang zum Gericht und die aufgeführten Verfahrensgrundsätze ohne Ansehen der Person (vgl. Art. 14 EMRK) jedermann garantiert werden.464 Im Übrigen ist die Gleichbehandlung vor Gericht ein grundlegendes Erfordernis des fairen Verfahrens. Ein Sonderstatus (wie etwa diplomatische Privilegien oder eine parlamentarische 176 Immunität),465 der dazu führt, dass über eine gegen die betreffende Person erhobene strafrechtliche Anklage ohne die Zustimmung eines Dritten (z.B. Parlament) nicht verhandelt werden kann, ist mit dem Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich vereinbar. Allerdings hat der EGMR klargestellt, dass die Immunität eines Parlamentariers nicht dazu führen darf, dass er sein Recht aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Zugang zu einem Gericht gänzlich verliert. Zwar muss die Immunität eines Parlamentariers prinzipiell hingenommen werden, damit die Funktionsfähigkeit des Parlaments gewährleistet ist. Die Einschränkung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht durch die Immunität muss aber verhältnismäßig sein. Dabei räumt der Gerichtshof den Konventionsstaaten einerseits einen großen Spielraum bei der gesetzlichen Ausgestaltung ein.466 Jedoch sollten die Staaten andererseits darauf achten, klare gesetzliche Vorgaben zu machen (vgl. Rn. 133 ff.), unter welchen 459 460 461 462 463 464
465 466
Näher Nowak 5 ff. Vgl. Art. 14 EMRK Rn. 5, 20. Vgl. BVerfGE 52 143 (gleiche Anrufungschancen). Nowak 6. Nowak 14; vgl. auch Rn. 128. Vgl. BVerfGE 40 98 (aus Begriff der prozessualen Grundrechte selbst folgt, dass sie für jedermann gelten). Nowak 6; vgl. Rn. 121. EGMR (GK) Kart/TRK (Fn. 257; erster
412
Fall vor EGMR, in dem Begünstigter der parlamentarischen Immunität sich darüber beschwert, dass gerichtlich nicht gegen ihn vorgegangen werden kann, § 66; andere Fälle betrafen hingegen das Recht, gerichtlich gegen Abgeordnete vorzugehen – Streitfrage war Immunität der Abgeordneten von der Gerichtsbarkeit ihres Landes, die es nicht ermöglichte, gerichtlich zivilrechtliche Ansprüche gegen diese geltend zu machen, § 64).
Robert Esser
Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Umständen die Immunität aufgehoben werden muss. Beim Vollzug dieser Vorgaben durch die parlamentarischen Gremien sollte eine Entscheidung zudem nicht ungebührlich verzögert werden, schon um den Prozess, der wegen der Immunität ausgesetzt werden muss, nicht durch einen möglichen Beweisverlust zu erschweren. 3. Anspruch auf ein faires Verfahren als Kernstück menschenrechtlicher Verfahrensgarantien a) Allgemeines. Das Recht auf ein faires Verfahren („fair hearing“ / „entendue équi- 177 tablement“) ist das Kernstück der Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR. In einem demokratisch verfassten Gemeinwesen obliegt die Rechtsprechung unabhängigen Gerichten, die diese Aufgabe unparteiisch und in einer die Verfahrensrechte der Beteiligten wahrenden Form ausüben müssen. Der betroffene Bürger darf nicht zum bloßen Objekt der Entscheidungsfindung herabgewürdigt werden. Es entspricht seiner Menschenwürde, dass er ausreichend informiert auf Gang und Ergebnis eines ihn betreffenden Verfahrens mit eigenen Rechten einwirken kann.467 Um dies zu sichern, wird durch die Garantie eines fairen Verfahrens ein allgemeines Prinzip für eine die Interessen der Parteien wahrende Verfahrensgestaltung festgelegt.468 Die Leitgedanken und Wertvorgaben, die in dieser die gesamte Verfahrensgestaltung umfassenden Bezeichnung zusammengefasst sind, gelten allgemein, auch wenn sie entsprechend dem Einzelfall und den Vorgaben der unterschiedlichen nationalen Verfahrensrechte inhaltlich variierende Konkretisierungen erfahren können. Einheitlich ist aber immer, dass dieses Prinzip als Wertungsmaßstab dafür dient, ob die effektive Rechtswahrung im Prozess allen Prozessparteien gleichermaßen gesichert ist.469 Das gerichtliche Verfahren, in dem über eine strafrechtliche Anklage entschieden wird, 178 muss zumindest im Kern kontradiktorisch ausgestaltet sein, d.h. allen Verfahrensbeteiligten eine effektive Möglichkeit der Einflussnahme garantieren.470 Deshalb kommt der Sicherung des Rechts auf eine effektive Teilhabe am Verfahren 471 und allgemein der Beachtung der Verfahrensgerechtigkeit bei der Durchführung des Verfahrens aus der Sicht der Konventionsverbürgungen ein überragender Wert zu. Ablauf und Gestaltung müssen insgesamt und auch hinsichtlich der einzelnen Verfahrensvorgänge „fair“ sein. Der englische Terminus „fair hearing“ drückt, ebenso wie die frühere deutsche Übersetzung „in billiger Weise“ die Tragweite dieses Rechtsbegriffs nur unvollständig aus.472 Das Gebot eines fairen Verfahrens gilt nicht nur für die (spätere) Verhandlung vor Gericht, sondern nach heutiger Auffassung für das ganze Verfahren i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK,473
467 468
469
BVerfGE 63 332 (Auslieferungsverfahren aufgrund eines Abwesenheitsurteils). Zum Ersatz der als schützende Formen wirkenden, streng positiven Einzelgrundsätze der ehem. StPO durch das allgemeine Wertungsprinzip des fairen Verfahrens als Regulativ der zulässigen Verfahrensgestaltung vgl. Hamm StV 2001 81. Die Gleichbehandlung der Prozessparteien bzw. Verfahrensbeteiligten, die Waffengleichheit bei den Verfahrensbefugnissen, ist ein wesentlicher Bestandteil des Fairnessprinzips vgl. Grabenwarter § 24, 61; siehe oben Rn. 173 ff.
470 471
472 473
EGMR in ständiger Rechtsprechung vgl. Rn. 219 ff. Hierzu vertiefend: Gaede Fairness als Teilhabe – Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2009); zum Recht auf Anwesenheit vgl. Rn. 657 ff. Er wurde deshalb in der neuen Übersetzung durch „faires Verfahren“ ersetzt. Vgl. SK/Paeffgen 70; Meyer-Ladewig 95; Trechsel 84–86.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
einschließlich des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Auch die Staatsanwaltschaft und alle sonstigen Stellen müssen es beachten, wenn sie im Rahmen der Strafverfolgung tätig werden.474 Ob jemandem das ihm von der EMRK garantierte faire Verfahren gewährt worden ist, 179 beurteilt der EGMR unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in der Regel aufgrund einer Gesamtwürdigung des Verfahrens,475 die auch die Beweisgewinnung (vgl. Rn. 268 ff.) und das Ermittlungsverfahren umfasst.476 Die Konventionen gehen dabei grundsätzlich vom Bestand unterschiedlicher nationaler Verfahrensrechte aus. Sie überlassen es dem nationalen Recht, welche Beweismittel es zulassen, wie es Beweiskraft und Beweislast regeln und welche Folgerungen es an die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise knüpfen will.477 Der EGMR sieht seine Aufgabe nicht darin, die Aufnahme und Würdigung der Beweise durch die nationalen Gerichte oder die Anwendung des nationalen Rechts generell auf Fehlerfreiheit zu kontrollieren, sondern prüft nur unter dem Blickwinkel einer etwaigen Konventionsverletzung nach, ob das Verfahren einschließlich Beweisgewinnung und Beweiswürdigung den Anforderungen der Konvention hinsichtlich Waffengleichheit und kontradiktorischer Verhandlung entsprochen und die legitimen Verfahrensinteressen der Beteiligten auch im Übrigen gewahrt hat,478 es also insgesamt bei einer Gesamtbetrachtung fair war (dazu noch Rn. 268 ff.).479 Dazu gehört auch, dass das nationale Gericht seiner Pflicht zur Prüfung der Argumente und Beweisanträge der Parteien sorgfältig nachkommt 480 und dass die Verfahrensbeteiligten alle ihnen zustehenden Teilhabe- und Abwehrrechte ausüben können. Als Grundlage einer übergreifenden Gesamtwürdigung ist das Recht auf ein faires Ver180 fahren in der Rechtsprechung des EGMR zu einem umfassenden Rechtsprinzip erstarkt, das die Auslegung aller in den Konventionen garantierten Verfahrensrechte bestimmt481 und das darüber hinaus auch sonst einen verbindlichen Wertungsmaßstab für die gesamte Verfahrensgestaltung setzt.482
181
b) Verhältnis zum Recht der Europäischen Union. In der Europäischen Union gehört das Recht auf ein faires Verfahren zu den für die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich
474
475
476
477
478
H.M.; etwa Frister StV 1998 159; Nack FS G. Schäfer 46, 52; H. Ch. Schaefer FS Rieß 491; Wagner ZStW 109 (1997) 547. Etwa Nack FS Rieß 361, 371; ders. FS G. Schäfer 46, 50; Pache NVwZ 2001 1342. EGMR (GK) García Ruiz/E (Fn. 359); Unterguggenberger/A (E), 25.9.2001, ÖJZ 2002 272; BGHSt 46 93, 95 m.w.N. EGMR (GK) García Ruiz/E (Fn. 359); Khan/UK, 12.5.2000, ECHR 2000-V = JZ 2000 993 m. Anm. Kühne/Nash = ÖJZ 2001 654; P.G. u. H.J./UK, 25.9.2001, ECHR 2001-IX = ÖJZ 2002 911; Alge/A (E), 10.4.2003, ÖJZ 2003 816. Etwa EGMR Schenk/CH, 12.7.1988, A 140 = NJW 1989 654 = EuGRZ 1988 390 = ÖJZ 1989 27; Teixeira de Castro/P, 9.6.1998, Rep. 1998-IV = NStZ 1999 47 = StV 1999 127 mit Anm. Sommer = EuGRZ
414
479
480 481 482
1999 660 = ÖJZ 1999 434; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477); Allan/UK, 5.11.2002, ECHR 2002-IX = JR 2004 127 m. Anm. Esser JR 2004 98 = StV 2003 257 m. Anm. Gaede = StraFo 2003 162 = ÖJZ 2004 196. Etwa EGMR Vidal/B, 22.4.1992, A 235-B = EuGRZ 1992 440 = ÖJZ 1992 801; Elsholz/D, 13.7.2000, ECHR 2000-VIII = NJW 2001 2315 = EuGRZ 2001 595 = FamRZ 2001 341 = ZfJ 2001 106 = ÖJZ 2002 71; (GK) Perna/I, 6.5.2003, ECHR 2003-V = NJW 2004 2653; van Kück/D, 12.6.2003, ECHR 2003-VII = NJW 2004 2505. Etwa EGMR van de Hurk/NL (Fn. 77). Esser 401. Zur Konkretisierung strafprozessualer Fairness: Bottke FS Meyer-Goßner 73; zur Beachtung des Fairnessgebots durch den Staatsanwalt: H. Ch. Schäfer FS Rieß 491.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
des Unionsrechts verbindlichen allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die jetzt in Art. 6 Abs. 3 EUV auch ausdrücklich genannt sind.483 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet innerhalb ihres Anwendungsbereichs (vgl. Art. 51 Abs. 1 EUC) – neben Verfahrensgarantien ähnlich denen des Art. 6 Abs. 1 EMRK – in Art. 47 Abs. 2 EUC jeder Person das Recht auf ein faires Verfahren.484 Die Konventionsgarantien sind demgegenüber enger. Sie gewähren das faire Verfah- 182 ren in Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 14 Abs. 1 IPBPR nur bei den dort ausdrücklich genannten Verfahrensarten und nur den Personen, die in den persönlichen Anwendungsbereich der Garantien fallen, also aus strafrechtlicher Perspektive in erster Linie dem Beschuldigten als „strafrechtlich Angeklagtem“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK (siehe Rn. 68 ff.), nicht aber sonstigen Verfahrensteilnehmern – soweit nicht im Einzelfall auch für ihren Status der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Dies gilt insbesondere bei der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren (vgl. §§ 403 ff. StPO), nicht aber für den Privat- (§§ 374 ff. StPO) oder Nebenkläger (§§ 395 ff. StPO) und auch nicht für den Zeugen,485 solange dieser nicht als Beschuldigter und damit als „angeklagt“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist. c) Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht. Innerstaatlich hat das Gebot eines 183 fairen Verfahrens in Deutschland als Teil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, dem Recht auf Gleichbehandlung und dem Recht auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG 486 Verfassungsrang.487 Als allgemeine Umschreibung für die Garantie eines rechtsstaatlichen, justizförmigen und am Leitgedanken der Billigkeit und Gerechtigkeit orientierten Verfahrens488 hat es umfassende Bedeutung und gilt für alle Verfahren. Als übergeordnetes Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit bestimmt es das Verhältnis zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht ebenso
483
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485
Vgl. EuGH Rs. C-222/84 (Johnston), 15.5.1986, Slg. 1986, 1163 = DVBl 1987 227, Rn. 18; Rs. C-222/86 (Unectef), 15.10.1987, Slg. 1987, 4097, Rn. 14; ferner etwa Schlette EuGRZ 1999 373; Pache EuGRZ 2000 601, vgl. Teil I Rn. 97. Zum Recht auf Fairness aus unionsrechtlicher Perspektive: EuGH Rs. C-276/01 (Steffensen), 10.4.2003, Slg. 2003, I-3735, Tz. 72 = EuZW 2003 666 m. Anm. Esser StV 2004 221 zum Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK; EuGH Rs. C-385/07 P (Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH), 16.7.2009, Slg. 2009, I-6155 ff., Tz. 5, wonach dieses Recht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK im Übrigen auch in Art. 47 EUC bekräftigt wurde; Meyer/Eser 20 ff.; Tettinger/Stern/Alber 53 ff. mit Hinweisen auf weitere EuGHRechtsprechung; zur Entwicklung: Pache NVwZ 2001 1342; Schwarze NVwZ 2000 244. Weitergehend Walther GA 2007 615. Innerstaatlich gilt dagegen das aus Rechtsstaatsprinzip und Grundrechtsschutz abgeleitete
486
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Fairnessgebot auch gegenüber den Zeugen, vgl. zu dem innerstaatlich aus dem Fairnessgebot abgeleiteten Recht auf einen Zeugenbeistand: BVerfGE 38 105; OLG Stuttgart StV 1992 262; LG Verden StV 1992 268. BVerfG NJW 2001 3695, 3697 sieht im Recht auf Gehör eine Konkretisierung einer Anforderung des fairen Verfahrens; auch SK/Rogall Vor § 133, 104 StPO weist auf die hier bestehenden Verbindungslinien hin. Etwa BVerfGE 26 66, 71; 38 105, 111; 40 95, 99; 65 171, 174; 66 313, 318; 77 65, 76; 86 288, 317; BVerfG NJW 2010 592; BVerfG NJW 2010 287; BVerfG StraFo 2010 243; zu den Ableitungen und Überschneidungen mit den Verfahrensgarantien des GG vgl. Sachs/Degenhart Art. 103, 42 ff. GG. Auch die frühere Kritik am fair trialGrundsatz verkennt dies nicht, sie hielt ihn aber innerstaatlich für überflüssig, weil er nur etwas besagt, was ohnehin bei der Grundrechtsauslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Heubel 140 ff.). BGHSt 24 131. So schon Eb. Schmidt.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
wie das Verhältnis zwischen den an Verfahren mit gegenläufigen Interessen teilnehmenden Personen.489 Diese müssen in allen Verfahren ausgewogene Befugnisse (vgl. zur Waffengleichheit auch Rn. 202 ff.) zur Wahrung ihrer Verfahrensinteressen haben. Im Geltungsbereich des GG gilt das Gebot eines fairen Verfahrens als Verfahrensgrundrecht (vgl. Rn. 177) für alle Verfahrensarten, so dass sich die Eingrenzungen des Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR auf bestimmte Verfahrensgegenstände innerstaatlich nicht auswirken. Dazu gehört insbesondere, dass jeder Verfahrensbeteiligte bzw. jede Prozesspartei in Ausübung ihres Rechts auf Gehör zu allen auftauchenden Gesichtspunkten Stellung nehmen und effektiv auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen und sich insbesondere auch mit dem verwendeten Beweismaterial auseinandersetzen kann.490 Dies wiederum setzt die volle Information aller Beteiligten über das ganze als entscheidungserheblich in Betracht zu ziehende Beweismaterial voraus, zu der auch die Ermöglichung der Akteneinsicht beitragen kann (vgl. Rn. 635 ff.).491 Erforderlich ist ferner die Gewährung ausreichender Zeit, um sich bei schwierigen Fragen über Bedeutung und Beweiswert bestimmter Beweismittel informieren zu können.492 Eine ausreichende Zeit zur Vorbereitung kann namentlich durch Unterbrechung der Verhandlung gewährt werden oder aber auch schon durch eine vorherige Unterrichtung über die beabsichtigte Verwendung derartiger Beweismittel. In Verfahren, die gegen einen Beschuldigten zum Zwecke seiner Bestrafung (im weitesten Sinne) geführt werden, ist seine ausreichende Information maßgebend für die Beurteilung der Fairness des gesamten Verfahrens. Danach beurteilt sich, ob er insgesamt eine ausreichende, effektive Möglichkeit der Verteidigung gegen die erhobene Beschuldigung hatte. Auch die effektive Ausübung des Rechts auf Gehör setzt voraus, dass der Betroffene sich über alle entscheidungserheblichen Tatsachen ausreichend informieren und dazu Stellung nehmen kann. Dazu gehört grundsätzlich, dass die Staatsanwaltschaft ihr ganzes, für und gegen den Angeklagten sprechende Beweismaterial spätestens vor Gericht offen legt,493 sofern nicht ausnahmsweise höherrangige Interessen (Schutz der nationalen Sicherheit; Zeugenschutz) seiner Verwendung im gerichtlichen Verfahren entgegenstehen (vgl. Rn. 222 ff.).494
489 490
491
Vgl. auch LR/Kühne Einl. I 103 ff. m.w.N.; ferner etwa Neumann ZStW 101 (1989) 52. Siehe etwa EGMR Brandstetter/A, 28.9.1991, A 211 = NJW 1992 3085 = EuGRZ 1992 190 = ÖJZ 1992 97; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477). Vgl. auch BVerfGE 63 332, 337; 64 135, 143 = JZ 1983 569 mit Anm. Rüping; BVerfGE 65 171, 174; BVerfG StV 2002 578 = EuGRZ 2002 546; ferner zum Recht auf Gehör als Element des fairen Verfahrens: SK/Paeffgen 72; Grabenwarter § 24, 64; Meyer-Ladewig 94. Zum funktionalen Zusammenhang zwischen Recht auf Gehör, Recht auf Information und Rechtsschutzgarantie vgl. etwa BVerfGE 81 123, 129; BVerfGK 3 197 = NJW 2004 2443.
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Meyer-Ladewig 38 unter Hinweis auf EGMR Krcmar/CS, 3.3.2000. EGMR Edwards/UK, 16.12.1992, A 247-B = ÖJZ 1993 391; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477); Vgl. auch BVerfG NJW 1994 3219 = StV 1994 465 (Haftprüfungsverfahren). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 477), das dort geschilderte Verfahren, in dem der Verhandlungsrichter „in camera“ von dem geheim gehaltenen Material unterrichtet wurde und dann auch über die Notwendigkeit der Offenlegung entscheiden konnte, passt nur für den englischen Schwurgerichtsprozess, in dem allein die Geschworenen aufgrund der ihnen in der Hauptverhandlung unterbreiteten Beweismittel über den Schuldspruch entscheiden.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
d) Prozessmaxime / Verhältnis zum einfachen Verfahrensrecht. Als innerstaatlich un- 188 mittelbar geltendes Recht hat das auch aus dem GG mit Verfassungsrang abzuleitende Gebot einer fairen Verfahrensgestaltung die Bedeutung einer Prozessmaxime.495 Es ist ein allgemeines, übergeordnetes Wertungsprinzip für das Verfahren in seiner Gesamtheit,496 unterscheidet sich aber grundsätzlich von Prozessmaximen, die für die Verfahrensgestaltung einen bestimmten Sachgrundsatz vorgeben, wie etwa die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung oder der Mündlichkeit der Verhandlung. Das Gebot einer fairen Verfahrensgestaltung verlangt die Bewertung des Verfahrens 189 als Ganzes. Abgesehen von einigen Mindestvorgaben für das Strafverfahren (Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBPR) schreibt das Fairnessgebot keine bestimmten Einzelrechte oder gar einen bestimmten Verfahrenstyp vor.497 Seine für Gesetzgebung und Rechtsanwendung gleichermaßen verbindlichen Wertvorstellungen können, wie die unterschiedlichen Formen der Strafverfahren in Europa zeigen,498 durch verschiedene Verfahrenstypen und die verschiedenartigsten Formen der Verfahrensgestaltung erfüllt werden. Die Konventionen überlassen es dem nationalen Gesetzgeber, wie er das Verfahren gestalten, welche Beweismittel er zulassen und wie er die Beweiserhebung und Beweiswürdigung regeln und die kollidierenden Verfahrensinteressen ausgleichen will (dazu Rn. 268 ff.). Bei einem Verfahren nach einer strafrechtlichen Anklage sieht der EGMR auch die 190 Einzelrechte des Art. 6 Abs. 3 EMRK nur als Einzelaspekte des fairen Verfahrens an. Er entscheidet insoweit in einer Gesamtschau aller Vorgänge,499 ob das Verfahren ungeachtet einzelner Fehler insgesamt fair war. Dies schließt die Möglichkeit der innerstaatlichen Kompensation einzelner Verfahrensdefizite mit ein.500 e) Anwendungsbereich. Für Gesetzgebung und Rechtsanwendung ist das Fairness- 191 gebot der Konventionen, das dem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit hergeleiteten gleichnamigen Verfahrensgrundrecht des Grundgesetzes501 entspricht, als grundlegender Bewertungsmaßstab für das Verfahren
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Vorherrschende Meinung, vgl. LR/Kühne Einl. I 103 ff.; Meyer-Goßner Einl. 19 („Leitlinie“); SK/Rogall Vor § 133, 103 StPO; a.A. Heubel 30 ff.; IK-EMRK/Kühne 358 lässt dies offen. Niemöller StraFo 2000 361, 363. Vgl. SK/Rogall Vor § 133, 101 StPO (einerseits allgemeines prozessuales Recht mit Auffangcharakter, andererseits Garantie rechtsstaatlicher Mindeststandards). Zur Tendenz des EGMR, durch diese Gesamtbetrachtung den sehr unterschiedlichen Beweisregeln der nationalen Vorschriften Rechnung zu tragen, vgl. etwa Gleß ZStW 115 (2003) 131, 148 ff.; Nack FS G. Schäfer 46, 50; siehe auch die kritische Würdigung in SK/Paeffgen 72 (Topos wolkig, deshalb Charme als vielfältig einsetzbarer Begriff, realer Sinn lediglich als Direktive).
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Vgl. Eser ZStW 108 (1996) 86 ff.; Weigend ZStW 96 (1984) 624 ff.; Gleß ZStW 115 (2003) 131 f. Etwa EGMR Bricmont/B, 7.7.1989, A 158; Windisch/A, 27.9.1990, A 186 = ÖJZ 1991 25; Asch/A, 26.4.1991, A 203 = EuGRZ 1992 474 = ÖJZ 1991 517; Vidal/B (Fn. 479). Vgl. dazu etwa Kühne/Nash JZ 2000 997; Kühne StV 2001 77. Vgl. Schroeder GA 2003 293 versteht diese Gesamtschau als eine Art Beruhensprüfung, aufgrund der der Gerichtshof beurteilt, ob ein festgestellter Einzelfehler das ganze Verfahren fehlerhaft gemacht hat. Vgl. BVerfGE 38 105; 57 275; 78 123; 203. Ferner etwa Niemöller StraFo 2000 361, 363 (relativ große Abstraktionshöhe; durch einfache Gesetzgebung konkretisierungsbedürftig).
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verbindlich. Verfassungsgerichte502 und Revisionsgerichte 503 prüfen bei entsprechender Rüge, ob das Verfahren im Einzelfall fair war. Aber weder der verfassungsrechtlich vorgegebene Grundsatz noch die völkerrechtliche Verpflichtung ändern etwas daran, dass grundsätzlich die Einzelregelungen des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts für die Einzelausgestaltung des Verfahrens und die Tragweite einzelner Verfahrensbefugnisse vorrangig anzuwenden sind. Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, in konventionskonformer Auslegung des nationalen Rechts – dazu zählen auch die speziellen Beschuldigenrechte der Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 bis 7 IPBPR (jeweils im Range eines Bundesgesetzes) – jedes Verfahren so zu gestalten, dass es den als solche nicht zur Disposition stehenden Erfordernissen eines fairen Verfahrens entspricht. Ein unmittelbarer Rückgriff 504 auf Verfassungsrecht und das Fairnessgebot in Art. 6 192 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR kommt bei der innerstaatlichen Rechtsanwendung in Betracht, wenn dies zur Ausfüllung einer Lücke oder auch zu einer darüber hinausreichenden einzelfallbezogenen Korrektur der Verfahrensgestaltung unvermeidlich ist, so etwa um Prozessrechte voll zur Geltung zu bringen oder Beeinträchtigungen abzuwehren.505
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Etwa BVerfG NJW 2010 593 = JR 2011 354 m. Anm. Knauer, wonach eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren erst dann gegeben ist, wenn eine Gesamtschau, im Rahmen derer auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen sind, ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde; BVerfG NJW 2010 287, wonach der Schutz des Angehörigenverhältnisses in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens gehört; BVerfG StraFo 2010 243 (Zeugenbeistand); siehe auch BVerfG NJW 2001 2245. Etwa BGHSt 46 93 = NJW 2000 3505; 160; 47 44 = NJW 2001 2981; 52 11 = NStZ 2007 714 (vernehmungsähnliche Befragung durch VE während Hafturlaub – Beweisverwertungsverbot, Tz. 17); BGHSt 53 294 = NStZ 2009 519 (Besuchsraum U-Haft – Beweisverwertungsverbot; Tz. 14); BGHSt 55 139 = NStZ 2010 527 („Bandidos“; Verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung – Beweisverwertungsverbot; Tz. 21); siehe aber auch (ohne ausdrücklichen Rückgriff auf den Fairness-Gedanken und stärker am nemotenetur-Prinzip orientiert): BGH NStZ 2009 343 (Fall „Pascal“ – Selbstbelastende Angaben gegenüber einem VE nach Ausübung des Schweigerechts unter Ausnutzung eines
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geschaffenen Vertrauensverhältnisses – Beweisverwertungsverbot); OLG Zweibrücken NStZ 2011 113 (Verbot verdeckter Ermittlungen nach der sog. Cold-CaseTechnik, d.h. mittels Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zum Verdächtigten durch seine Einbeziehung in eine ihm vorgetäuschte verbrecherische Organisation, wobei er gegen Entgelt zur Begehung vermeintlicher Straftaten veranlasst wird. Siehe auch: Nack FS Rieß 361, 373; zum Unterschied zur revisionsgerichtlichen Überprüfung, die als Ansatzpunkt einen Verfahrensfehler voraussetzt: Nack FS G. Schäfer 46, 50. Die Tendenz, bei Anwendung des nationalen Rechts nicht primär dessen Einzelregelungen zu prüfen und verfassungs- und konventionskonform auszulegen, sondern statt dessen gleich auf den Fair trial-Grundsatz als übergeordnetes Prinzip zurückzugreifen, wie etwa auch in BGHSt 32 44, ist kritisiert worden, vgl. etwa Herdegen NStZ 1984 343; Meyer JZ 1984 173; Meyer-Goßner Einl. 19; SK/Rogall Vor § 133, 102 StPO m.w.N.; ferner etwa Dörr 146; Heubel 30 ff. Vgl. SK/Rogall Vor § 133, 104 StPO: „Teilhabe- und Abwehrrecht“. Nach BVerfG JZ 2003 791, dazu Rimmelspacher JZ 2002 797) verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Recht auf Gehör und damit auch gegen das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn eine Verfahrensordnung für den Fall einer Verletzung des Rechts auf Gehör keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsieht.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Eine Verfahrensvoraussetzung nach innerstaatlichem Recht ist das Gebot eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens ebenso wenig wie die Einhaltung anderer von der Verfassung verbürgter Verfahrensgarantien, wie etwa das Recht auf Gehör oder auf den gesetzlichen Richter.506 Bei den sich überlagernden Regelungen führen die unterschiedlichen Anwendungsebenen zu unterschiedlichen Sichtweisen (vgl. Teil I Rn. 82 ff.): Aus der Sicht des Völkervertragsrechts und damit auch der Konventionsorgane ist in der Rückschau das als Einheit zu sehende nationale Recht einschließlich des nationalen Verfassungsrechts und seine Anwendung im konkreten Einzelfall an Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR zu messen. Verfassungsrechtlich wird das einfache Gesetzesrecht und seine Anwendung einschließlich der innerstaatlich als einfaches Gesetzesrecht geltenden Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR nach den aus Rechtsstaatsprinzip und Grundrechtsverbürgungen abgeleiteten Verfassungsgrundsätzen beurteilt, aus denen auch das Recht auf ein faires Verfahren folgt. Der in der einzelnen Rechtssache entscheidende Richter ist gehalten, primär die ein- 193 schlägigen einfachgesetzlichen Verfahrensregeln auf den konkreten Fall anzuwenden. Er muss sie rechtsstaatskonform so auslegen, dass sie den Anforderungen eines fairen Verfahrens genügen, so wie es die Verfassung und die sich damit weitgehend deckenden Verpflichtungen aus den Konventionen verlangen.507 Dass alle Verfahrensbeteiligte ein faires Verfahren haben, in dem sie mit ihren Auffassungen Gehör finden und in dem sie ihre sonstigen Verfahrensrechte ausgewogen wahrnehmen können, ist primär Sache einer sinnvollen Anwendung und Auslegung der Regeln des einfachen Verfahrensrechts (einschließlich der speziellen Beschuldigtenrechte aus Art. 6 Abs. 3 / Art. 14 Abs. 3 bis 7 IPBPR), die nicht vorschnell durch einen unmittelbaren Rückgriff auf das Gebot eines fairen Verfahrens übergangen werden darf.508 Im Verfahren der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) kann die Rüge eines speziel- 194 len Verfahrensmangels daher nicht durch den pauschalen Hinweis auf „Art. 6 EMRK“ erhoben werden.509 Das gilt insbesondere für eine geltend gemachte Verfahrensverzögerung (siehe hierzu auch Rn. 343).510 Schon auf nationaler Ebene ist der Beschuldigte gehalten, den von ihm behaupteten Verfahrensmangel hinreichend zu substantiieren, um dem Gebot der Rechtswegerschöpfung zu entsprechen (vgl. Teil II Rn. 149 ff.). f) Inhalt. Als allgemeines Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit lassen sich die Anforde- 195 rungen des auf das Verfahren in seiner Gesamtheit abstellenden Gebots eines fairen Verfahrens meist nicht durch die isolierte Würdigung eines einzelnen Verfahrensvorgangs und auch nicht losgelöst vom Einzelfall und dem jeweiligen Regelungssystem des nationalen Rechts bestimmen.511 Es hängt immer von der Gesamtwürdigung des konkreten 506
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Rieß JR 1985 48; Meyer-Goßner Einl. 148; SK/Rogall Vor § 133, 105 StPO, je m.w.N.; a.A. LK/Kühne Einl. I 116. Hält er eine anzuwendende Norm für verfassungswidrig, muss er die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 GG herbeiführen; zur konkreten Normenkontrolle im Strafverfahren: Esser in: Sieber/Brüner/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg § 56, 49 ff. Die Kritik an dem Fair-Trial-Prinzip ist zum Teil auch durch dessen unstrukturierte Anwendung veranlasst worden, so etwa Heubel 40 ff., vgl. auch SK/Paeffgen 71.
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Vgl. EGMR Zervakis/GR (E), 17.10.2002; Allan/UK (Fn. 478). EGMR Houfová/CS, 15.6.2004, § 31; Adam u.a./D (E), 1.9.2005; Eule/D (E), 10.3.2009. Die ergangenen Entscheidungen zu Einzelfällen verdeutlichen die Tendenz dieses Grundsatzes, der einen umfassenden Schutz vor jeder Art von verfahrensrechtlichen Unbilligkeiten und Benachteiligungen erstrebt; abgesehen von eklatanten Benachteiligungen eignen sie sich aber vor allem in den Randbereichen nur bedingt für eine Verallgemeinerung.
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Verfahrensverlaufs und nicht schon von einem einzelnen Verstoß gegen das nationale Verfahrensrecht ab,512 ob eine Partei oder ein Angeklagter vor Gericht das ihm garantierte faire Verfahren erhalten hat. Selbst bei den in Art. 6 Abs. 3 EMRK ausformulierten Mindestrechten beurteilt der EGMR vielfach nur aus der Sicht des gesamten Verfahrens, ob ein Verstoß das Konventionsgebot der Verfahrensfairness im Zusammenhang mit anderen Konventionsbestimmungen verletzt.513 Nur in Einzelfällen wird schon wegen der eklatanten Missachtung eines garantierten Einzelrechts verneint, dass der Betroffene ein faires Verfahren hatte (siehe auch Rn. 198).514 Für die Verfahren über „civil rights“, die nur unter Art. 6 Abs. 1 EMRK / 196 Art. 14 Abs. 1 IPBPR fallen, weil die Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBR lediglich für die Verfahren in Strafsachen im weiten Sinn der Konventionen (Rn. 68 ff.) gelten, werden vielfach gleichartige inhaltliche Anforderungen unmittelbar aus dem Gebot eines fairen Verfahrens abgeleitet.515 Die jeweilige Verfahrensart muss allerdings eine solche Entsprechung zulassen. Im Übrigen wird den Vertragsstaaten in den nicht unmittelbar von Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBPR erfassten Fällen ein größerer Spielraum für die Umsetzung der darin aufgezeigten Grundsätze zuerkannt.516 Will man die aus dem Fairness-Gebot abzuleitenden Forderungen und Garantien in 197 (sich inhaltlich überschneidende) Gruppen einteilen, dann gehört dazu die Wahrung eines Gleichgewichts der Verfahrensbefugnisse („Waffengleichheit“) zwischen den in gegenseitigen Rollen teilnehmenden Verfahrensbeteiligten517 und die Gewährleistung aller mit dem Recht auf Gehör verbundenen verfahrensrechtlichen Informationsrechte und Aktivbefugnisse.518 Diese schließen in der Regel die Befugnis zur Anwesenheit in der Verhandlung und das Recht zur mündlichen oder schriftlichen Äußerung gegenüber dem Gericht und auf eine effektive Verteidigung mit ein519 und setzen die Möglichkeit einer rechtzeitigen und ausreichenden Information über alle verfahrenserheblichen Tatsachen, Äußerungen und Vorgänge und damit grundsätzlich auch den Zugang zur Verfahrensakte voraus (vgl. dazu Rn. 635 ff.).520 Ferner gehören dazu die Belehrungs- und Fürsorgepflichten, 512
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EGMR Oberschlick/A (Fn. 440); vgl. auch BVerfGE 64 135 = JR 1983 659 mit Anm. Rüping. Zur Gesamtbetrachtung des EGMR im Unterschied zu der auf die erhobene einzelne Verfahrensrüge beschränkten Prüfungskompetenz des BGH vgl. Eisele JR 2004 12, 15; Nack FS Rieß 361, 371. Gegen die Gesamtbetrachtung werden im Schrifttum Bedenken erhoben, da durch die Beurteilung des Verfahrens in seiner Gesamtheit einzelne Verfahrensverstöße relativiert werden können; vgl. die Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR bei Schroeder GA 2003 293, 294, der die Gesamtbewertung als eine Art Beruhensprüfung versteht; ferner Walther (GA 2003 204 ff.), die der relativierenden Gesamtwürdigung durch die Abtrennung des dem Recht auf Gehör zuzuordnenden „fair hearing“ vom „fair trial“ Gebot entgegenwirken will. Vgl. Frowein/Peukert 113; IK-EMRK/Kühne 361.
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Frowein/Peukert 112. Etwa Dombo Beheer B.V./NL, 27.10.1993, A 274 = NJW 1995 1413 = ÖJZ 1994 464; Alge/A (Fn. 477). Dies folgt auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, vgl. dazu Rn. 173 ff.; ferner Walther GA 2003 204; LR/Kühne Einl. I 117 ff. Vgl. LR/Kühne Einl. I 75 ff. Zu den Einzelausprägungen des Rechts auf ein faires Verfahren vgl. SK/Rogall Vor § 133, 106 ff. StPO; zum Recht auf Teilnahme an der gerichtlichen Verhandlung vgl. Rn. 657 ff. Das Recht auf Gehör setzt ausreichende Informationsmöglichkeiten voraus; in beidem wird von der wohl vorherrschenden Meinung auch ein Erfordernis eines fairen Verfahrens gesehen, vgl. etwa BVerfG NJW 2001 3695, 3697; Sachs/Degenhart Art. 103 11, 16 ff. GG; Walther GA 2003 204, 219 unterscheidet dagegen zwischen „fair trial“ zur Gewährleistung der Waffengleichheit
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die dem Gericht gegenüber den Prozessparteien und insbesondere gegenüber dem Beschuldigten aus besonderen Verfahrenslagen erwachsen können (vgl. Rn. 239 ff.). Für die Verfahren, in denen über eine strafrechtliche Anklage entschieden wird, ent- 198 halten Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 EMRK sowie Art. 14 Abs. 2 und Abs. 3 IPBPR bestimmte konkrete inhaltliche Mindestanforderungen für eine faire, die Verteidigungsrechte des Beschuldigten wahrende Verfahrensgestaltung. Die Aufzählung dieser unten erläuterten Grundsätze umschreibt jedoch den Inhalt des fairen Verfahrens nicht erschöpfend,521 so dass sich aus Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR im konkreten Fall zusätzliche Anforderungen ergeben können. Da das Gebot eines fairen Verfahrens als übergeordneter Grundsatz verstanden wird, unterbleibt bei der Gesamtwürdigung oft eine klare Aussage zur Tragweite der Einzelverbürgungen in den Absätzen 3 beider Konventionen. Der EGMR sieht in Art. 6 Abs. 3 EMRK nur unselbständige Einzelausprägungen des 199 „fair-trial-Grundsatzes“. Dessen Wahrung ist Zweck der Einzelregelungen und daher nach Ansicht des Gerichtshofs für die Frage entscheidend, ob die Konvention verletzt ist oder ob die Gesamtschau des Verfahrens ergibt, dass der Betroffene ungeachtet einzelner Verstöße unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen und etwaigen Kompensationen insgesamt doch ein faires Verfahren hatte.522 Umgekehrt kann die Gesamtschau aber auch dazu führen, dass mehrere Verfahrensvorgänge, die jeder für sich betrachtet noch nicht unfair sind, in ihrer Gesamtheit das Verfahren unfair machen können.523 g) Fallgruppen. Soweit die konkrete Festlegung einzelner verfahrensrechtlicher Befug- 200 nisse wie etwa in Art. 6 Abs. 3 EMRK fehlt, ist jede über die kaum weiterführende Generalisierung hinausreichende Umschreibung der Tragweite des Gebots eines fairen Verfahrens auf Fallgruppen angewiesen. Vor allem erhellen die von der Rechtsprechung beurteilten Verstöße, wie verschiedenartig die Fälle sein können, durch die im Einzelfall die Prozessführung bzw. Verteidigung erheblich behindert oder gegenüber dem Prozessgegner benachteiligt werden kann.524 Das Gebot eines fairen Verfahrens fordert vom Gericht, dass es die vor ihm Recht 201 suchenden Personen nicht als bloße Objekte seiner Rechtsfindung behandelt, ihrer Stellung als eigenverantwortliche Subjekte des Verfahrens Rechnung trägt, sie und ihr Vorbringen ernst nimmt und dafür sorgt, dass sie ihre legitimen Verfahrensrechte unge-
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und dem „fair hearing“, zur Sicherung des Rechts auf Gehör, um so auszuschließen, dass die ungenügenden Einzelbefugnisse des Angeklagten bei der Beweiserhebung in einer Gesamtwürdigung des Verfahrens als fair unberücksichtigt bleiben. Etwa EGMR Colozza/I, 12.2.1985, A 89 = EuGRZ 1985 634; Unterpertinger/A, 24.11.1986, A 110 = NJW 1987 3068 = EuGRZ 1987 147 = ÖJZ 1988 22; (GK) Meftah/F (Fn. 319); Frowein/Peukert 2. Zur Gesamtschau etwa EGMR Artico/I, 13.5.1980, A 37 = EuGRZ 1980 662; Bönisch/A, 6.5.1985, A 92 = EuGRZ 1986 127; Bricmont/B (Fn. 499); Windisch/A (Fn. 499); Asch/A (Fn. 499); Vidal/B (Fn. 479); Atlan/UK, 19.6.2001, StraFo 2002 52 = ÖJZ 2002 698; (GK) Meftah/F
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(Fn. 319); ferner Frowein/Peukert 2; IKEMRK/Kühne 361; Ambos ZStW 115 (2003) 583, 613; Kühne/Nash JZ 2000 997; Kühne StV 2001 77; Weigend StV 2000 385. Nack FS Rieß 361, 373; ders. FS G. Schäfer 46, 51 spricht von „weichen Voraussetzungen“, die vielfach eine flexible Lösung im Rahmen der Strafzumessung ermöglichen; Schroeder GA 2003 293 versteht diese Gesamtschau als eine Art Beruhensprüfung, aufgrund der beurteilt wird, ob der festgestellte Fehler des nationalen Rechts das Urteil beeinflusst hat; vgl. dazu Eisele JR 2004 12, 19. Eisele JR 2004 12, 15; Nack FS G. Schäfer 46, 52. Zur Vielzahl der Einzelaspekte vgl. auch Meyer-Ladewig 35 ff.
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schmälert wahrnehmen können. Es muss den Verfahrensbeteiligten ausreichenden Raum für die Vertretung ihrer Verfahrensbefugnisse einräumen, etwaige Schwierigkeiten, die der Vertretung dieser Rechte aus einer (legitimen) Einschränkung ihrer Befugnisse erwachsen, muss es anderweitig hinreichend ausgleichen, vor allem, um dem Beschuldigten und ggf. späteren Angeklagten ein insgesamt faires Verfahren zu sichern.525 Aus dem Gebot einer fairen Verfahrensgestaltung folgt vor allem ein Recht auf Anwesenheit bei der mündlichen Verhandlung (vgl. Rn. 657 ff.). Die Verfahrensbeteiligten müssen in der Lage sein, alle Vorgänge in der Verhandlung optisch und akustisch wahrzunehmen. Sind sie dazu für das Gericht erkennbar nicht in der Lage, muss es für geeignete Abhilfe (Anweisung eines anderen Platzes, Zuziehung eines Dolmetschers) sorgen.526
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4. Prinzip der Waffengleichheit („Equality of Arms“). Die Verfahrensgerechtigkeit fordert, dass „Prozessgegner“, also die Personen, die sich vor Gericht in einem Verfahren mit kontradiktorischer Komponente gegenüberstehen, gleiche oder zumindest in der Effektivität gleichwertige Befugnisse bei der Wahrnehmung ihrer gegenläufigen Interessen vor Gericht haben (Prinzip der „Waffengleichheit“, besser: „Chancengleichheit“).527 Diese meist aus dem Gleichheitssatz hergeleitete Forderung gilt für alle Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte, mit denen am Verfahren aktiv mitgewirkt, die eigene Sicht der Sache zur Sprache gebracht, die dafür vorhandenen Beweise angeboten528 und den Auffassungen anderer entgegengetreten werden kann.529 203 Die Befugnisse müssen allen zur Wahrnehmung offen stehen; ob sie dann auch tatsächlich genutzt wurden, ist unerheblich.530 Als Strukturprinzip begründet das Gebot der Waffengleichheit selbst keine originären Verfahrensbefugnisse; es hat aber Bedeutung
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Vgl. etwa EGMR Doorson/NL, 26.3.1996, Rep. 1996-II = ÖJZ 1996 715; P.S./D, 20.12.2001, NJW 2001 2893 = StV 2002 289 mit Anm. Pauly = StraFo 2002 123 = EuGRZ 2002 37 = ÖJZ 2003 235; ferner Geburtig ZaöRV 59 (1999) 295, 302 (Pflicht, bei Einvernahme eines für die eine Partei tätigen Zeugen über ein Vier-AugenGespräch auch die nicht beweispflichtige Gegenpartei zum Gesprächsinhalt zu hören). Vgl. EGMR Stanford/UK, 23.2.1994, A 282-A = ÖJZ 1994 600 (Verstoß verneinend, da Akustik im Gerichtssaal ausreichend und Verteidiger das Gericht auf Hörschwierigkeiten des Angeklagten nicht hingewiesen hatte). Zum Erfordernis der Beiziehung eines Dolmetschers vgl. Rn. 828 ff. EGMR Klimentyev/R, 16.11.2006, §§ 95, 108; ähnlich: EGMR Laska u. Lika/ALB, 20.4.2010, § 60 („the principle of equality of arms requires ,a fair balance between the parties‘, each party must be given a reasonable opportunity to present his case under conditions that do not place him at a substantial disadvantage vis-à-vis his opponent“); siehe ferner EGMR Foucher/F,
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18.3.1997, Rep. 1997-II, § 34 = NStZ 1998 429 mit Anm. Deumeland; Bulut/A, 22.2.1996, Rep. 1996-II, § 47 = ÖJZ 1996 430; Salov/UKR (Fn. 171), § 87; Borisova/ BUL, 21.6.2006, § 38; Matyjek/PL (Fn. 171), § 55; Corcuff/F, 4.10.2007, § 31; Luboch/PL, 15.1.2008, § 60, NJOZ 2009 3205; Gacon/F, 22.5.2008, § 31; Moiseyev/R, 9.10.2008, § 203; Batsanina/R, 26.5.2009, § 22; Antoine Versini/F, 11.5.2010, § 62; Zhuk/UKR, 21.10.2010, § 25; ferner KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 99. Vertiefend für den Bereich des Völkerstrafrechts: Temminck Tuinstra Defence Counsel in International Criminal Law (2009) 153 ff. Etwa EGMR Dombo Beheer B.V./NL (Fn. 516); Grabenwarter § 24, 61. Meyer-Ladewig 38; zu den Fällen, in denen der Angeklagte zur Äußerung der Staatsanwaltschaft gegenüber einem Rechtsmittelgericht nicht mehr gehört wurde vgl. Pache NVwZ 2001 1342, 1345; Frowein/Peukert 151; IK-EMRK/Kühne 375; ferner etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 430. Vgl. EGMR Borgers/B (Fn. 392).
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Recht auf ein faires Verfahren
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für die Auslegung des Umfangs bestehender Befugnisse und für die Frage, ob insgesamt ein faires Verfahren gewahrt wurde. Die Gleichheit ist gewahrt, wenn die in einer Gegnerstellung auftretenden Personen (Parteien des Zivilprozesses; Verteidigung und Anklagevertretung in der gerichtlichen Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungsverfahren; darüber hinaus auch die Mitangeklagten untereinander 531) ungeachtet aller Unterschiede ihrer Aufgaben und der daraus resultierenden verschiedenartigen Verfahrensstellung, rechtlich so gestellt sind, dass sie gleichwertige Möglichkeiten der Einwirkung auf die Entscheidungsfindung bzw. bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung haben („fair balance“).532 Der EGMR hat einen Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit schon wegen des nach außen hervortretenden Abhängigkeitsverhältnisses etwa darin gesehen, dass der Verteidiger den in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten nur mit einer für den jeweiligen Einzelfall ausgestellten Besuchserlaubnis aufsuchen durfte, die Anklagevertretung (die zur gleichen Behörde gehörte, die auch das Untersuchungsgefängnis leitete) aber jederzeit uneingeschränkt Zugang zum Beschuldigten hatte.533 Auch die routinemäßige Kontrolle der Verteidigerpost ohne einen konkreten Verdacht auf Missbrauch stellte nach Ansicht des EGMR einen Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit dar.534 Selbst der Umstand, dass die Übersetzung eines Schriftstücks der Verteidigung nicht zugänglich gemacht wird bzw. dass die Übersetzung schlecht ist, kann gegen das Prinzip der Waffengleichheit verstoßen.535 Ferner verstößt es nach Ansicht des EGMR gegen das Prinzip der Waffengleichheit, wenn der Staatsanwaltschaft eine längere Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels zusteht als dem Angeklagten (siehe hierzu auch Rn. 244 ff.).536 Findet in der Rechtsmittelinstanz – unter bestimmten Voraussetzungen an sich EMRK-konform (Rn. 712 ff.) – eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, muss das Prinzip der Waffengleichheit gewahrt bleiben. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft darf dann ebenfalls nicht an der Sitzung teilnehmen.537 Die Verfahrensbeteiligten müssen zur Vertretung ihrer Verfahrensbelange im gleichen Ausmaß Zugang zum gesamten Verfahrensstoff haben,538 damit sie ihn auswerten und ihre Auffassungen dazu und die von ihnen für wichtig erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit gleicher Effektivität dem Gericht zur Vorbereitung der Entscheidung zur Kenntnis bringen können.539 Wo es um die Einwirkungsmöglichkeiten
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LG Köln StRR 2009 322. EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 87. EGMR Moiseyev/R (Fn. 527), §§ 203–207. EGMR Moiseyev/R (Fn. 527), §§ 208–212. EGMR Klimentyev/R (Fn. 527), §§ 108 f. (Verstoß gegen die Konvention allerdings im konkreten Fall verneint). EGMR Ben Naceur/F, 3.10.2006, § 40 („Il s’ensuit que le fait que le parquet bénéficie d’une prolongation du délai d’appel, conjugué à l’impossibilité pour le requérant d’interjeter un appel incident, a mis ce dernier dans une position de net désavantage par rapport au ministère public, contrairement au principe de l’égalité des armes.“); Gacon/F (Fn. 527), §§ 33 ff.
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EGMR Zhuk/UKR (Fn. 527), §§ 33 f. Zum sog. Offenlegungsanspruch als ein aus dem rechtlichen Gehör und der Waffengleichheit hergeleiteten Gebot eines fairen Verfahrens vgl. etwa Gaede StraFo 2004 195. Vgl. zur Ableitung dieses Prinzips aus dem Grundsatz audiatur et altera pars: IK-EMRK/Kühne 372; vgl. ferner für den Zivilprozess BVerfGE 52 143; für den Strafprozess LR/Kühne Einl. I 75 ff.; LR/Becker Vor § 226, 16 StPO; Rieß FS Schäfer 174; Vogler ZStW 82 (1970) 743; 89 (1977) 778 je m.w.N.
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auf die Wahrheitserforschung und die Überzeugungsbildung des Gerichts geht, darf keiner der sich gegenüberstehenden „Gegner“ im Verhältnis zu den anderen im Endergebnis begünstigt oder benachteiligt sein, was ihre prozessualen Befugnisse angeht. Jede „Partei“ muss Gelegenheit haben, ihre Sache dem Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die mit derjenigen ihres Gegners gleichgewichtig sind; dazu gehört auch, dass sie im gleichen Umfang wie ihr Gegner unterrichtet wird (siehe auch Rn. 215, 222).540 Das Prinzip der Waffengleichheit schließt Beschränkungen der Beweiserhebung nicht 208 aus, wenn diese durch andere Bestimmungen der Konventionen, vor allem Art. 8 EMRK, zum Schutz von Zeugen und Opfern geboten sind. Daraus entstehende Nachteile der Verteidigung müssen dann aber im Laufe des Verfahrens ausreichend anderweitig ausgeglichen werden.541 Nicht notwendig sind identische Rechte im gesamten Verfahren, wohl aber, dass im Verlauf des als Gesamtheit zu würdigenden Verfahrens ein Gleichgewicht in den Möglichkeiten zur Vertretung der Verfahrensinteressen vor Gericht besteht.542 Retrospektiv kann es zur Beseitigung eines Konventionsverstoßes ausreichen, wenn dies erst in der Rechtsmittelinstanz geschehen ist.543 Sachlich begründete Differenzierungen sind mit diesem Prinzip vereinbar, wenn sie 209 durch die wesensmäßigen Verschiedenheiten der Aufgaben und der Verfahrensstellung bedingt sind, wie dies etwa bei Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagtem der Fall ist.544 Maßgebend ist immer die Verfahrenskonstruktion des jeweiligen Verfahrens. Bei den Verfahren, die nicht in der Form eines Parteiprozesses geführt werden, sondern als Offizialverfahren dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegen, wie beim kontinentaleuropäischen Strafprozess, bei dem von den Ermittlungsbehörden objektiv alle Umstände erforscht werden müssen, kann nicht in allen Verfahrensabschnitten eine Befugnisgleichheit bestehen.545 Im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wäre dies mit der Aufgabe der 210 Staatsanwaltschaft unvereinbar.546 Erst wenn die Verfahrensherrschaft auf das Gericht übergegangen ist und die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht mehr selbst alleinverantwortlich betreibt, sondern in der Hauptverhandlung mit Angeklagtem und Verteidiger in der Einwirkung auf die Entscheidungsfindung des Gerichts konkurriert, ist die [vollumfängliche] Gleichwertigkeit der Befugnisse zu fordern. Vorher genügt es, wenn wesentliche Verteidigungsbefugnisse die Voraussetzungen für ein faires Verfahren [effektiv] sichern, zumal, wenn das Übergewicht der Staatsanwaltschaft in dieser Phase des Verfah540
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Etwa EGMR Borgers/B (Fn. 392); Dombo Beheer B.V./NL (Fn. 516); Bulut/A (Fn. 527); Ankerl/CH, 23.9.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1996 475; van Orshoven/B (Fn. 436); Werner/A (Fn. 167); (GK) Kress/F (Fn. 436); Meyer-Ladewig 44. EGMR Doorson/NL (Fn. 535); van Mechelen/NL, 24.4.1997, Rep. 1997-III = StV 1997 617 mit Anm. Wattenberg/Violet = StraFo 1997 239 = ÖJZ 1998 274; dazu auch Renzikowski JZ 1999 605; Oyston/UK (E), 22.1.2002, ÖJZ 2003 236; ferner einen angemessenen Ausgleich verneinend EGMR P.S./D (Fn. 525). EGMR Delcourt (Fn. 172); Müller NJW 1976 1063; Kohlmann FS Peters I 311 ff.; Meyer-Goßner Einl. 88; Rogall Der Be-
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schuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977) 112; Tettinger 20; allgemein Bötticher Gleichbehandlung und Waffengleichheit (1971). Vgl. etwa EGMR Edwards/UK (Fn. 493); Oyston/UK (E) (Fn. 541); anders, wenn der Mangel dort nicht mehr geheilt werden kann, wie bei EGMR Condron/UK, 2.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 610. BVerfGE 63 45, 67; LR/Kühne Einl. I 117 m.w.N.; ferner etwa Dörr 74 ff.; Kohlmann FS Peters I 314. BGer EuGRZ 1979 296. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 421 (offen, ob Waffengleichheit im Ermittlungsverfahren gilt); BVerfG NStZ 1984 228; Meyer-Goßner Einl. 88.
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rens dadurch gemildert wird, dass sie auch die zugunsten des Beschuldigten sprechenden Umstände aufklären muss.547 Welche Einzelbefugnisse die Verfahrensbeteiligten in den jeweiligen Verfahren haben müssen, lässt sich aus dem Recht auf Gleichbehandlung ebenso wenig herleiten wie aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot eines fairen Verfahrens,548 wohl aber, dass bei allen Befugnissen, die die jeweilige Verfahrensordnung zur Vertretung der Verfahrensinteressen vor dem erkennenden Gericht eröffnet, die Vertreter gegenläufiger Interessen die gleichen Chancen für deren wirksame Geltendmachung haben müssen. Für das Recht, Zeugen laden zu lassen und sie zu befragen, wird dies durch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR ausdrücklich vorgeschrieben (dazu Rn. 758 ff.). Das Gebot der Gleichbehandlung gilt darüber hinaus grundsätzlich für alle Befugnisse, so auch für das Informationsrecht. Die Herstellung der „Parität des Wissens“ erfordert gleichwertige Möglichkeiten des Zugangs zum gesamten, dem Gericht vorliegenden verfahrensbezogenen Material, zur Einsicht in die Akten (vgl. Rn. 635 ff.) 549 sowie das Recht, von den Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter und dem von diesen beigebrachten Beweismaterial rechtzeitig Kenntnis zu erhalten.550 Das Gebot der Gleichbehandlung gilt ferner für alle Äußerungsrechte, mit denen die eigene Sicht der Sache zur Sprache gebracht und den Auffassungen anderer entgegengetreten werden kann,551 ferner für alle Befugnisse zur aktiven Einwirkung durch Fragen, Erklärungen und Anträge bei allen für die Meinungsbildung und Urteilsfindung des Gerichts maßgebenden Verfahrensvorgängen. Auch im Übrigen dürfen die Möglichkeiten der Verfahrensteilhabe nicht ungleich verteilt sein, vor allem nicht zugunsten einer Seite willkürlich verschoben werden. Dies kann bei einer Vermengung oder Verschiebung der Prozessrollen der Fall sein552, so durch Bestellung des Anzeigenerstatters zum Sachverständigen bei gleichzeitiger Verweisung des Gegengutachters in die Rolle eines sachverständigen Zeugen (näher zum Sachverständigenbeweis Rn. 807 ff.).553 In der Regel ist die Verletzung der formellen Chancengleichheit meist nur ein Teilaspekt der eine umfassendere Gesamtwürdigung erfordernden Beurteilung, ob gegen die Erfordernisse eines fairen Verfahrens verstoßen wurde. Ob eine wesentliche Ungleichbehandlung vorliegt, hängt davon ab, welche Auswirkung die Unterschiedlichkeit der Behandlung auf die Möglichkeiten einer wirksamen Wahrnehmung der Verfahrensinteressen vor Gericht und auf dessen Entscheidungsfindung hatte. Dies ist nur anzunehmen, wenn bei Würdigung des gesamten Verfahrensver-
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EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 435. Vgl. BVerfGE 52 143 ff. Zur Bedeutung der Akteneinsicht für die Verteidigung im Strafverfahren vgl. Rn. 635 ff. Ob dazu auch die Handakten der Staatsanwaltschaft gehören, erscheint selbst bei Vorliegen besonderer Umstände zweifelhaft; so aber EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 437; vgl. auch BGH NJW 1990 584; ferner LR/Lüderssen/Jahn § 147, 31 StPO; LR/Stuckenberg § 199, 24 StPO m.w.N. Etwa EGMR Brandstetter/A (Fn. 490); Bulut/A (Fn. 527); (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319; keine Mitteilung der Stellung-
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nahme des Generalanwalts beim franz. Kassationsgerichtshof); (GK) Kress/F (Fn. 436); Meyer-Ladewig 38; zur grundsätzlichen Pflicht der Strafverfolgungs-/Anklagebehörde, der Verteidigung das gesamte in ihrem Besitz befindliche Material offenzulegen vgl. EGMR Edwards/UK (Fn. 493); P.G. u. J.H./UK (Fn. 477). Meyer-Ladewig 44; siehe auch: Frowein/ Peukert 151; IK-EMRK/Kühne 375. SK/Rogall Vor § 133, 105 StPO. EGMR Bönisch/A (Fn. 522); dazu Frowein/Peukert 149; vgl. ferner EGMR Brandstetter/A (Fn. 490).
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laufes tatsächlich eine ins Gewicht fallende Benachteiligung in den potentiellen Möglichkeiten der Verfahrensteilhabe eingetreten ist. Die Gleichstellung der Vertreter gegenläufiger Prozessinteressen hinsichtlich ihrer Ein215 wirkungsmöglichkeiten auf das Verfahren, die aus dem Gleichheitsgebot folgende grundsätzliche Chancen- und Waffengleichheit (vgl. Rn. 202 ff.), ist ein wesentliches Element eines gerechten und fairen Verfahrens. Für den besonders wichtigen Bereich der Beweiserhebung in den Verfahren wegen einer strafrechtlichen Anklage wird dies in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR ausdrücklich angesprochen (Rn. 758 ff.). Auch sonst muss das Gericht bei besonderen Verfahrenslagen ins Gewicht fallende Ungleichheiten, die die Chancengleichheit de facto beseitigen, durch geeignete Maßnahmen weitestgehend ausgleichen,554 wie etwa durch die Mitteilung verfahrensrelevanter Informationen oder eine entsprechende Verfahrensgestaltung (Belehrung, Unterbrechung, Aussetzung) oder auch durch die Anhörung der Partei, etwa zum Inhalt eines nur vom Zeugen der Gegenpartei bekundeten Inhalts eines Vier-Augengesprächs555 oder durch Maßnahmen, die die sachgerechte Wahrnehmung der Verteidigungsrechte ermöglichen, wie die Bestellung eines Verteidigers oder die (kostenlose) Beiordnung eines Dolmetschers. Dies gilt unabhängig davon, ob das nationale Verfahrensrecht solche Maßnahmen ausdrücklich vorsieht. Erforderlichenfalls muss das Gericht auch durch den Hinweis auf Umstände, die nur einer Partei unbekannt sind, die chancengleiche Vertretung der Belange ermöglichen.556 Zu einem fairen Verfahren – als Ausprägung des Prinzips der Waffengleichheit – 216 gehört grundsätzlich, dass vor Gericht 557 die Anklagebehörde ihr ganzes Material gegenüber der Verteidigung offenlegt, gleich, ob es nun für oder gegen den Angeklagten spricht.558 Ist dies ausnahmsweise nicht erreichbar, weil dem schwerer wiegende öffentliche Interessen oder der unbedingt erforderliche Schutz anderer Personen entgegenstehen, muss das Gericht ein faires Verfahren dadurch sicherstellen, dass es die dadurch bestehenden Schwierigkeiten für die Verteidigung durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung ausgleicht.559 Das Gebot eines fairen Verfahrens kann auch verletzt sein, wenn bei der Anklagebehörde vorhandenes verfahrenserhebliches Beweismaterial dem Angeklagten oder sei-
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EGMR Matyjek/PL (Fn. 171), § 55; Luboch/PL (Fn. 527), § 60 („in order to ensure that the accused receives a fair trial any difficulties caused to the defence by a limitation on its rights must be sufficiently counterbalanced by the procedures followed by the judicial authorities“); vgl. auch: EGMR Doorson/NL (Fn. 525), § 72; van Mechelen u.a./NL (Fn. 541), § 54. BVerfG NJW 2001 2531. Vgl. BGH NJW 1990 584 (Hinweis auf das Ergebnis verfahrensbezogener Ermittlungen – TÜ). Wieweit im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum Schutz des Ermittlungserfolges das Akteneinsichtsrecht eingeschränkt werden kann und wieweit diese Beschränkungen auch noch im gerichtlichen
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Haftprüfungsverfahren fortbestehen können, ist strittig; vgl. Rn. 642 und Art. 5 EMRK Rn. 340 ff.; Meyer-Goßner § 147, 25a ff. StPO; LR/Lüderssen/Jahn § 147, 160a f. StPO je m.w.N. EGMR Edwards/UK (Fn. 493); Rowe u. Davis/UK, 16.2.2000, ECHR 2000-II = StraFo 2002 51 mit Anm. Sommer; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477); Gaede StraFo 2004 195, 196. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 477), für ein Verfahren vor dem Schwurgericht, wo der Verhandlungsrichter die Fragen der Verteidigung in camera stellte und das geheim gehaltene Material keinen Teil des angeklagten Falls betraf und auch den Geschworenen nicht vorgelegt wurde.
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nem Verteidiger verschwiegen wird („disclosure“).560 Augenscheinsobjekte (Waffen usw.), auf die sich die Anklage stützt, müssen spätestens in der Hauptverhandlung vorgelegt werden, um der Verteidigung eine effektive Kontrolle und ggf. Einwände zu ermöglichen (siehe auch Rn. 222, 240, 285).561 Auch ein Aktenverlust kann die Wahrnehmung der Verfahrensbefugnisse beeinträchti- 217 gen.562 Reichen die in das Verfahren eingeführten Beweismittel für eine sichere Verurteilung nicht aus, weil ein möglicherweise auch entlastend wirkendes zentrales Beweismittel für das Gericht gesperrt bleibt, muss es den Angeklagten trotz fortbestehenden Tatverdachts freisprechen.563 Die gebotene Chancengleichheit kann auch dadurch verletzt sein, dass die Staatsanwaltschaft durch irgendwelche Maßnahmen Einblick in das Verteidigungskonzept des Angeklagten erhält.564 Auch ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, wenn ein Gericht in willkürlicher Missachtung einer Vorlagepflicht eine strittige Frage selbst entscheidet und so dem Betroffenen die Möglichkeit nimmt, dass die Vorlegungsfrage von einem höheren Gericht zu seinen Gunsten entschieden wird.565 Kein Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit hat der Gerichtshof nach den 218 Umständen des Einzelfalls darin gesehen, dass der zuständige Generalstaatsanwalt an einer Informationsveranstaltung für Mitglieder des erkennenden Gerichts teilgenommen hatte: Er hatte sachlich die Fragen von Juroren beantwortet, aber nicht versucht, die Zusammensetzung der Jury zu beeinflussen.566 5. Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren („Right to adversarial trial / proceedings“) a) Recht auf rechtliches Gehör. Das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren ver- 219 langt, dass die Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör erhalten. Dazu gehört, dass jedem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Möglichkeit gegeben wird, den Fall einschließlich 560
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EGMR Atlan/UK (Fn. 522; wahrheitswidrige Verneinung der Existenz von nicht offen gelegtem Beweismaterial bei der Anklagebehörde). Das Prüfungsmodell des EGMR ähnelt insoweit demjenigen bei Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, vgl. etwa EGMR Edwards/UK (Fn. 493); P.G. u. J.H./UK (Fn. 477); Edwards u. Lewis/UK, 22.7.2003, StraFo 2003 360 mit Anm. Sommer; (GK) Edwards u. Lewis/UK, 27.10.2004, ECHR 2004-X; hierzu ausführlich Rn. 789. EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E, 6.12.1988, A 146; dazu Esser 626; SK/Paeffgen 166, der die Frage aufwirft, ob es der EGMR als Kompensation hätte genügen lassen, wenn die Verteidigung die Gegenstände im Ermittlungsverfahren hätte besichtigen können. Bejahend Esser in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts (2007) 39, 47. EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 432. Vgl. BGH NStZ 2004 343 (Fall El Motassadeq); dazu Gaede StraFo 2004 195, der die Beweiswürdigungslösung des BGH als
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unzureichend kritisiert und die Frage aufwirft, wieweit die Sperrung von entlastendem Beweismaterial durch andere staatliche Stellen mit dem aus dem Gebot eines fairen Verfahrens herzuleitenden Informationsanspruch vereinbar ist. BGH NStZ 1984 419, dazu Rieß JR 1985 48; AG Mannheim StV 1985 276; OLG Karlsruhe StV 1986 10, dazu Volk StV 1986 34, I. Roxin 96 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 105 StPO je m.w.N.; vgl. auch ÖVerfGH EuGRZ 1985 85 mit Anm. Kopetzki 95 und zum Verbot der Beschlagnahme der Verteidigungsunterlagen Rn. 616. In der willkürlichen Nichtvorlage an den EuGH hat der EGMR wiederholt einen Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens gesehen: EGMR Desmonts/F (Fn. 348); Dotta/I (Fn. 348); Moosbrugger/A (Fn. 348); Canela Santiago/E (Fn. 348); Bakker/A (Fn. 348); vgl. Breuer JZ 2003 433, 439. Zu der darin liegenden Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter vgl. Rn. 125. EGMR Corcuff/F (Fn. 527), § 32.
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seiner Beweise darzustellen567 sowie Stellungnahmen und Beweise zur Kenntnis zu nehmen und zu erörtern, um die Entscheidung des Gerichts beeinflussen zu können.568 Obwohl der EGMR diese Grundsätze „neutral“ formuliert, kann die Gewährung von Gehör als Recht nur dem Beschuldigten (nicht der Anklagebehörde) zustehen.569 Die Abgrenzung der Garantie eines kontradiktorischen Verfahrens zum Prinzip der 220 Waffengleichheit fällt nicht leicht und wird auch in der Rechtsprechung des EGMR nicht immer deutlich.570 Regelmäßig ist in einem Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nicht nur eine Missachtung des Gebots eines kontradiktorischen Verfahrens, sondern auch ein Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit zu sehen.571 Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie wohl in den meisten Fällen – die Versagung rechtlichen Gehörs den einen Verfahrensbeteiligten gegenüber dem anderen Verfahrensbeteiligten benachteiligt. Insofern kann eine Konventionsverletzung im Ergebnis sowohl auf eine Verletzung der Waffengleichheit als auch auf eine Verletzung des Anspruchs auf ein kontradiktorisches Verfahren gestützt werden.572 Wird dagegen nicht nur dem einen Beteiligten, sondern auch dem anderen Beteiligten ein Beweismittel vorenthalten, so ist zwar das Gebot des rechtlichen Gehörs verletzt, nicht aber das Prinzip der Waffengleichheit. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz wird nach Auffassung des Gerichtshofs immer durch einen Vergleich der Einflussmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten bestimmt („disadvantage vis-à-vis one’s opponent“).573 Grundsätzlich muss der Beschuldigte/Angeklagte nur angehört werden, wenn eine für 221 ihn nachteilige Entscheidung ergehen soll. Gibt ein Gericht einer erhobenen Rüge statt oder reduziert ein Rechtsmittelgericht die verhängte Strafe, so braucht der Angeklagte nicht erneut angehört zu werden.574
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b) Recht auf Zugang zum Beweismaterial. Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgt für die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht, der Verteidigung grundsätzlich Einsicht in das gesamte gesammelte Beweismaterial zu gewähren, d.h. sowohl in die für als auch in die gegen den Beschuldigten sprechenden Materialien.575 Diese Garantie auf Zugang zum relevanten Beweismaterial („entitlement to disclosure of relevant evidence“) stellt allerdings kein
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Vgl. Esser 410 f. EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 87; Abbasov/ASE, 17.1.2008, § 30; Samokhvalov/R, 12.2.2009, § 46; Natunen/FIN, 31.3.2009, § 39; Sibgatullin/R, 23.4.2009, § 37; Seliwiak/PL, 21.7.2009, § 56; Maksimov/ ASE, 8.10.2009, § 38; Janatuinen/FIN, 8.12.2009, § 41; Sabayev/R, 8.4.2010, § 35; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 59 („The right to an adversarial trial means in principle the opportunity for the parties to a criminal trial to have knowledge of and comment on all evidence adduced or observations filed with a view to influencing the courts’ decision“); KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 91 f.; Esser 406 f. Esser 411. So auch Trechsel 9; exemplarisch EGMR Sibgatullin/R (Fn. 568), § 37. EGMR Samokhvalov/R (Fn. 568), § 46
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(„the principle of equality of arms is another feature of the wider concept of a fair trial, which also includes the fundamental right that criminal proceedings should be adversarial“); vgl. auch EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 87; Sabayev/R (Fn 568), § 35. Vgl. nur Gaede 301. Vgl. nur EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393). EGMR Riha/F (E), 24.6.2004. EGMR (GK) Edwards u. Lewis/UK (Fn. 560), § 46; Natunen/FIN (Fn. 568), § 39; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 41 („disclose to the defence all material evidence in their possession for or against the accused“); Welke u. Bialek/PL, 1.3.2011, § 64; siehe schon: EGMR Rowe u. Davis/UK (Fn. 558), § 60.
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absolutes Recht des Beschuldigten dar.576 Die Vertragsstaaten können in ihrem nationalen Recht Ausnahmen vorzusehen; diese müssen allerdings durch gegenläufige Interessen („competing interests“) gerechtfertigt und verhältnismäßig („strictly necessary“) sein.577 Gegenläufige Interessen können etwa aus der nationalen Sicherheit resultieren oder 223 aus dem Bedürfnis, bestimmte Ermittlungsmethoden der Polizei geheim zu halten.578 Die nationalen Gerichte müssen die gegenläufigen Interessen abwägen und Schwierigkeiten, die sich für die Verteidigung durch eine etwaige Einschränkung des vorgenannten Rechts im Laufe des Verfahrens ergeben, genügend ausgleichen („sufficiently counterbalance“).579 Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK kann dementsprechend schon darin liegen, dass die nationalen Gerichte es versäumen, die Verteidigungsinteressen gegen die Interessen, die für die Zurückhaltung des Materials sprechen, abzuwägen bzw. darin, dass sie nach den Vorgaben des nationalen Rechts die berührten Interessen gar nicht abwägen dürfen.580 Eine Abwägung ist schon dann unzureichend, wenn sie die Frage der Notwendigkeit der Geheimhaltung bestimmten Materials nur pauschal nach dessen Art und nicht nach dessen Inhalt zu beantworten versucht.581 Dabei überlässt der Gerichtshof, sofern das Recht auf Zugang zum Beweismaterial 224 aus Gründen des öffentlichen Wohls eingeschränkt wird, die Prüfung der ersten beiden Punkte („competing interests“ / „strictly necessary“) weitgehend den nationalen Gerichten;582 er verlangt aber eine ausreichende Begründung583 und nimmt insoweit eine Plausibilitätskontrolle vor.584
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EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 40; Kennedy/UK (Fn. 37), § 187. EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 40; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 42; Kennedy/UK (Fn. 37), § 184. EGMR Kennedy/UK (Fn. 37), § 187 („The interests of national security or the need to keep secret methods of investigation of crime must be weighed against the general right to adversarial proceedings.“); vgl. auch: EGMR (GK) Edwards u. Lewis/ UK (Fn. 560), § 46. EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 40; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 42; Kennedy/UK (Fn. 37), § 184. EGMR Mirilashvili/R, 11.12.2008, §§ 206 ff. (§ 206: „the essential point in the reasoning of the domestic court was that the materials at issue related to the OSA and, as such, could not have been disclosed to the defence. It appears that the court did not analyse whether those materials would have been of any assistance for the defence, and whether their disclosure would, at least arguably, have harmed any identifiable public interest“). EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), § 209 („The court’s decision was based on the type of material at issue […] and not on an analysis of its content.“).
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EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 41 („In cases where evidence has been withheld from the defence on public interest grounds, it is not the role of this Court to decide whether or not such non-disclosure was strictly necessary since, as a general rule, it is for the national courts to assess the evidence before them.“); Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 43. EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), § 209 („… the decision to withhold materials relating to the surveillance operation was […] not sufficiently justified.“). EGMR Gözel u. Özer/TRK, 6.7.2010, § 66 („La Cour rappelle qu’elle a souvent examiné de tels griefs et conclu à la violation de l’article 6 § 1 de la Convention en raison de la non-communication de l’avis du procureur général, compte tenu de la nature des observations de celui-ci et de l’impossibilité pour le justiciable d’y répondre par écrit […]. La Cour considère que le Gouvernement n’a fourni aucun fait ni argument convaincant susceptible de mener en l’espèce à une conclusion différente de celles prononcées pour des griefs identiques.“); vgl. EGMR (GK) Göç/TRK, 11.7.2002, ECHR 2002-V, §§ 55–58; Tosun/TRK, 28.2.2006, §§ 22–24.
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Besondere Bedeutung kommt dem Entscheidungsprozess, d.h. dem Verfahren als solchem zu, mit dem eine Beschränkung des Zugangs zum Beweismaterial geprüft wird.585 Der Gerichtshof prüft diesen dritten Punkt, d.h. ob das auf nationaler Ebene gewählte Verfahren („decision-making procedure“) die Einschränkung der Verteidigungsrechte hinreichend ausgeglichen hat und ob hinreichende Sicherheiten gegen Missbrauch bestehen,586 vollumfänglich. Im Fall Edwards and Lewis587 hatte ein Richter das ihm von der Anklagebehörde vorgelegte Material bewertet und die Anträge der Verteidigung auf Einsichtnahme abschlägig beschieden, gleichzeitig aber über das Vorliegen einer Tatprovokation entschieden, ohne dass die Verteidigung zu dieser Frage substantiiert Stellung nehmen konnte. In dieser Vorgehensweise sah der Gerichtshof Art. 6 Abs. 1 EMRK als verletzt an. Grundsätzlich muss der Beschuldigte Gelegenheit erhalten, die Stellungnahme eines Vertreters der Anklage (im konkreten Fall: Generalanwalts) zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihr zu äußern. Zur Verhandlung, in der der Anklagevertreter eine Empfehlung oder eine sonstige verfahrensrelevante Stellungnahme abgibt, muss der Beschuldigte geladen werden. Versäumnisse des Staates in dieser Beziehung begründen nur dann keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn der Beschuldigte durch eigenes Verschulden die Frist zur Begründung des Rechtsmittels nicht einhält und seine Stellungnahme zu den Ausführungen des Anklagevertreters die Entscheidung in der Sache nicht mehr beeinflussen kann.588 Der Anspruch auf ein kontradiktorisches Verfahren ist verletzt, wenn ein Urteilsentwurf und das Votum des Berichterstatters des erkennenden Gerichts vor Beginn der mündlichen Verhandlung nur der Anklagebehörde oder einer sonstigen Justizbehörde zugestellt oder auf sonstige Weise bekannt gegeben werden, nicht aber dem Beschuldigten. Nachdem der Gerichtshof diesen Aspekt schon in seiner frühen Rechtsprechung589 festgestellt hatte, änderte Frankreich daraufhin seine bis dahin gängige Praxis. Nunmehr besteht die Stellungnahme des gerichtlichen Berichterstatters aus zwei Teilen. Der erste wird allen Verfahrensbeteiligten zugestellt. Den zweiten, der die persönliche Meinung des Berichterstatters und den Urteilsentwurf enthält, bekommen weder die Anklagebehörde noch der Beschuldigte zugestellt. Diese neue Praxis ist an sich mit der EMRK vereinbar, worauf der Gerichtshof im Urteil Fabre 590 auch ausdrücklich hingewiesen hat. Dass der EGMR gleichwohl einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK annahm, beruht darauf, dass der zweite Teil des Berichts entgegen der neuen Praxis der Anklagebehörde zugestellt worden war. Wird dagegen der Urteilsentwurf erst in der mündlichen Verhandlung selbst verlesen, ohne dass ein Verfahrensbeteiligter vorher Kenntnis vom Entwurf hatte, so ist das mit
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EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 41; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 43; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 70 („[…] the Court must scrutinise the decision-making procedure to ensure that, as far as possible, the procedure complied with the requirements to provide adversarial proceedings, equality of arms and incorporated adequate safeguards to protect the interest of the accused.“); vgl. auch EGMR Jasper/UK, 16.2.2000, §§ 52–53). EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), § 209
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(„[…] the decision to withhold materials relating to the surveillance operation was not accompanied by adequate procedural guarantees […].“). EGMR (GK) Edwards u. Lewis/UK (Fn. 560). EGMR P.D./F, 20.12.2005 (Generalanwalt); Dayanan/TRK, 13.10.2009, §§ 35 f. EGMR (GK) Reinhardt u. Slimane-Kaïd/F, 31.3.1998, Rep. 1998-II = ÖJZ 1998 151. EGMR Fabre/F, 2.11.2004.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
der EMRK vereinbar, wenn der Beschuldigte die Möglichkeit hatte, an der Verhandlung teilzunehmen und seine Stellungnahme vorzubereiten. Nutzt er diese Gelegenheit nicht, so ist darin kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör zu sehen.591 Auch kann er aus Art. 6 Abs. 1 EMRK keinen Anspruch auf vorherige Zustellung des Urteilsentwurfs herleiten.592 Schriftsätze von Verletzten, die im Strafprozess ihre zivilrechtlichen Ansprüche verfol- 230 gen, müssen dem Beschuldigten dann nicht zugestellt werden, wenn sie inhaltlich nur Schriftsätze der Anklagebehörde wiederholen.593 Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze eines kontradiktorischen Verfahrens, d.h. dem Beschuldigten muss eine effektive Möglichkeit der Stellungnahme auch zu diesen Schriftsätzen eingeräumt werden. 6. Pflicht zur Begründung einer Entscheidung. Die Pflicht zur Begründung einer ge- 231 richtlichen Entscheidung („duty to give reasons for a decision“) wird ebenfalls zu den Erfordernissen eines fairen Verfahrens gerechnet.594 Allerdings überprüft der Gerichtshof nicht, ob die Begründung der nationalen Gerichte tatsächlich zutrifft,595 sondern kontrolliert nur, ob sich die nationalen Gerichte überhaupt mit dem (wesentlichen) Vorbringen des Beschuldigten in sachlicher Weise auseinandergesetzt haben.596 Die Begründungspflicht ergibt sich aus dem Recht auf rechtliches Gehör. Nur wenn eine Entscheidung ausreichend begründet wird, kann der Beschuldigte überprüfen, ob sich das Gericht tatsächlich mit den von ihm vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt und nicht willkürlich entschieden hat.597 Prinzipiell muss jede Entscheidung eines Gerichts begründet werden, nicht nur das die 232 jeweilige Instanz abschließende Urteil.598 Das Fehlen einer Begründung kann den Anspruch auf ein faires Verfahren599 vor allem dann verletzen, wenn dadurch die Einle-
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EGMR K.A. u. A.D./B (E), 17.2.2005. EGMR K.A. u. A.D./B (E) (Fn. 591). EGMR Verdù Verdù/E, 5.2.2007. EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 89; Baucher/F, 24.7.2007, § 42 („Les juges doivent cependant indiquer avec une clarté suffisante les motifs sur lesquels ils se fondent.“); KK-EMRK-GG/Grabenwarter/ Pabel Kap. 14, 96; Meyer-Ladewig 109. EGMR Gra˘dinar/MOL (Fn. 168), § 107; Vetrenko/MOL, 18.5.2010, § 52 („to place a „tribunal“ under a duty to conduct a proper examination of the submissions, arguments and evidence, without prejudice to its assessment or to whether they are relevant for its decision, given that the Court is not called upon to examine whether arguments are adequately met.“); Lalmahomed/NL, 22.2.2011, § 37 („as long as the resulting decision is based on a full and thorough evaluation of the relevant factors […], it will escape the scrutiny of the Court […].“); siehe auch EGMR (GK) Perez/F, 12.2.2004 (Fn. 89), § 80; Buzescu/ RUM, 24.5.2005, § 63. EGMR Vetrenko/MOL (Fn. 595), § 55
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(„one of the requirements of Article 6 is for the domestic courts to deal with the most important arguments raised by the parties and to give reasons for accepting or rejecting such arguments. […] A failure to deal with a serious argument or a manifestly arbitrary manner of doing so is incompatible with the notion of a fair trial.“); Meyer-Ladewig 109. EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 43 („for the requirements of a fair trial to be satisfied, the accused, and indeed the public, must be able to understand the judgment or decision that has been given; this is a vital safeguard against arbitrariness. […] the rule of law and the avoidance of arbitrary power are principles underlying the Convention.“); vgl. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 90; Trechsel 104–106; Gaede 303. EGMR Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 64 („for the effective administration of justice, courts and tribunals should adequately state the reasons on which they base their decisions.“); Trechsel 103. Ob innerstaatlich eine weitergehende Begründungspflicht aus dem verfassungsrecht-
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gung eines Rechtsbehelfs erschwert oder entwertet wird, weil im Dunkeln bleibt, welche Erwägungen die Entscheidung tragen.600 Das gilt auch für die Staaten, die – wie Deutschland – das 7. ZP-EMRK nicht ratifiziert haben. Zwar lässt sich aus Art. 6 Abs. 1 EMRK selbst kein Anspruch auf eine Rechtsmittelinstanz ableiten. Es entspricht aber der gefestigten Rechtsprechung des EGMR, dass die Konventionsstaaten, wenn sie (insofern überobligationsmäßig) Rechtsmittelverfahren einführen, gewährleisten müssen, dass jede Instanz den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK genügt,601 was u.a. beinhaltet, dass die Rechtsmittelführer ihr Rechtsmittel sinnvoll ausüben können.602 Der Beschuldigte hat zwar keinen Anspruch auf eine schriftliche Urteilsbegründung. Art. 6 Abs. 1 EMRK entfaltet aber zugunsten des Beschuldigten eine zeitliche und eine inhaltliche Schutzkomponente.603 In zeitlicher Hinsicht muss der Beschuldigte die zur Ausübung seiner Rechtsmittelbefugnis erforderlichen Gründe für seine Verurteilung entweder bei der Verkündung des Urteils erfahren oder innerhalb der Frist zur Einlegung bzw. Begründung des Rechtsmittels. Erfährt er sie nach Ablauf dieser Frist, lässt sich ein Konventionsverstoß nur dann vermeiden, wenn er sein Rechtsmittel trotz Fristablaufs ergänzend begründen kann. Inhaltlich gesehen muss das Gericht die Gründe angeben, auf die es die Entscheidung stützt, und zwar in einem Umfang, der es dem Beschuldigten ermöglicht, von dem ihm zustehenden Rechtsmittel sinnvoll Gebrauch zu machen. Was das im Einzelnen heißt, ist schwierig zu beantworten,604 schon weil die Grundsätze, die der Gerichtshof hauptsächlich zu zivilrechtlichen Streitigkeiten entwickelt hat, sich nur eingeschränkt auf das Strafverfahren übertragen lassen und der EGMR selbst die Einzelfallabhängigkeit betont.605 Der erforderliche Inhalt der Begründung muss vor allem dem mit ihr intendierten Zweck (Nachvollziehbarkeit der Entscheidung; Willkürausschluss) genügen. Maßgebend dafür ist die Lage des Einzelfalls, vor allem die Art der jeweiligen Entscheidung, deren Bedeutung und deren Gewicht.606
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lichen Recht auf Gehör abzuleiten ist, kann offen bleiben; eine Begründungspflicht unter diesem Gesichtspunkt bejahen grundsätzlich: Grabenwarter § 24, 66; SK/Paeffgen 78; Villiger 491. EGMR Hadjianastassiou/GR, 16.12.1992, A 252 = NJW 1993 1697 = EuGRZ 1993 70 = ÖJZ 1993 396; Hiro Balani/E, 9.12.1994, A 303-B = ÖJZ 1995 350; Baucher/F (Fn. 594), §§ 41 ff., insb. § 42 („Les juges doivent cependant indiquer avec une clarté suffisante les motifs sur lesquels ils se fondent. C’est ainsi, par exemple, qu’un accusé peut exercer utilement les recours existants.“); siehe auch: Peukert EuGRZ 1986 297; Rogall (Beschuldigte als Beweismittel) 114. EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), §§ 34, 38 („Protocol No. 7 adds to the guarantees contained in the Convention: it does not detract from them. […] Article 2 of Protocol No. 7 cannot be construed a contrario as limiting the scope of Article 6 guarantees in appellate proceedings with respect to those
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Contracting Parties for which Protocol No. 7 is not in force.“); siehe auch: EGMR Delcourt/B (Fn. 172); De Cubber/B (Fn. 415); Ekbatani/S, 26.5.1988, A 134, § 26; Khalfaoui/F, 14.12.1999, ECHR 1999-IX, § 37; (GK) Kudla/PL, 26.10.2000, ECHR 2000-XI, § 122 = NJW 2001 2694 = EuGRZ 2004 484 = ÖJZ 2001 904. Aus der jüngeren Rechtsprechung EGMR Marpa Zeeland B.V. u. Metal Welding B.V./NL, 9.11.2004, ECHR 2004-X, § 48 m.w.N. Näher Esser 746-749 m.w.N. KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 96; Trechsel 106 f. EGMR Gra˘dinar/MOL (Fn. 168), § 107; Ruiz Torija/E, 9.12.1994, A 303-A, § 29; Hiro Balani/E (Fn. 600), § 27; Helle/FIN, 19.12.1997, Rep. 1997-VIII, § 55 = ÖJZ 1998 932; (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 91. Grabenwarter § 24, 66; ferner zum jeweiligen „Relevanzhorizont“ der Entscheidungsbegründung Kudlich/Christensen GA 2002 337. /
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Das Gericht muss nicht auf jedes Argument eingehen, das der Beschuldigte vorge- 237 bracht hat.607 Auch dürfte der EGMR es zulassen, dass in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht einfach gelagerte Fälle knapper begründet werden als Sachverhalte, die vor allem rechtlich gesehen komplexe Fragen aufwerfen. Bei Ermessensentscheidungen ist die Begründungspflicht hinsichtlich der angestellten Erwägungen regelmäßig höher.608 Jedenfalls müssen alle aus Sicht des Gerichts entscheidungserheblichen Aspekte und diesbezüglich vorgebrachte Argumente angesprochen werden.609 Die Gründe müssen erkennen lassen, dass das Gericht den wesentlichen Vortrag der Parteien verarbeitet hat.610 Das Recht auf eine begründete Entscheidung ist in besonderer Weise betroffen, wenn 238 die Schuldfrage von einem Geschworenengericht entschieden wird, da diesen eine Begründung im eigentlichen Sinn fremd ist.611 Dies ist allerdings nicht schlechthin mit der Konvention unvereinbar,612 da die EMRK den Mitgliedsstaaten nicht vorschreibt, wie sie ihr Rechtssystem gestalten müssen, solange die Gesamtfairness des Prozesses sichergestellt ist.613 Es muss daher gewährleistet sein, dass der Angeklagte und auch die Öffentlichkeit nachvollziehen können, warum es zu einer Verurteilung gekommen ist. Darüber hinaus müssen Schutzmechanismen gegen eine willkürliche Entscheidungsfindung („vital safeguard against arbitrariness“) in Form einer speziellen Verfahrensgestaltung („special procedural features“) erkennbar sein.614 Das bedeutet, dass die Geschworenen über die rechtlichen Probleme des Falls aufgeklärt werden und ihnen präzise Fragen gestellt werden müssen.615 So hat der Gerichtshof im Fall Taxquet beanstandet, dass die Fragen, die den Geschworenen gestellt worden waren, für den (späteren) Beschwerdeführer und seine sieben Mitangeklagten identisch waren und für den Beschwerdeführer daher nicht erkennbar war, warum gerade er für schuldig befunden wurde.616
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EGMR van de Hurk/NL (Fn. 77), §§ 59, 61; (GK) García Ruiz/E (Fn. 359); Volkmer/D (E) (Fn. 153); Alge/A (Fn. 477); Burg u.a./F (E), 28.1.2003, ECHR 2003-II; Salov/UKR (Fn. 171), § 89; Gra˘dinar/MOL (Fn. 168), § 107 („Article 6 § 1 […] cannot be understood as requiring a detailed answer to every argument.“); Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 64; Vetrenko/MOL (Fn. 595), § 52; Brusco/F (Fn. 175), § 58; (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 91; ferner auch Meyer-Ladewig 109; Gaede 304 m.w.N. Vgl. EGMR H./B (Fn. 85); De Moor/B (Fn. 118); SK/Paeffgen 78; KK-EMRKGG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 96. EGMR Vetrenko/MOL (Fn. 595), § 55 („one of the requirements of Article 6 is for the domestic courts to deal with the most important arguments raised by the parties and to give reasons for accepting or rejecting such arguments. […] A failure to deal with a serious argument or a manifestly arbitrary manner of doing so is incompatible with the notion of a fair trial.“); (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 91; Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 43 („courts are not obliged to give a detailed answer to
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every argument raised, it must be clear from the decision that the essential issues of the case have been addressed.“). Meyer-Ladewig 42; vgl. zur Ableitung aus dem Recht auf Gehör etwa BVerfGE 89 133, 146; 96 205, 216; BVerfG StraFo 2004 235. Trechsel 107. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), 16.11.2010, § 90 („does not require jurors to give reasons for their decision and that Article 6 does not preclude a defendant from being tried by a lay jury even where reasons are not given for the verdict“); siehe auch EGMR Judge/UK (E), 8.2.2011, §§ 35 ff. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), §§ 83 f.; (GK) Achour/F, 29.3.2006, ECHR 2006-IV, § 51. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 90; Suominen/FIN (Fn. 455), § 37; Tatishvili/R (Fn. 455), § 58. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 92; Papon/F (E), 15.11.2001, ECHR 2001-XII. EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 96 („The questions, which were succinctly worded and were identical for all the defendants, did not refer to any precise
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Rechtsmittelgerichte können sich in der Begründung ihres Urteils auf die vorangegangenen Entscheidungen beziehen.617 Die Begründung darf vom Umfang her insgesamt auch knapper ausfallen als in der ersten Instanz. Jedoch wird man auch hier verlangen müssen, dass sich das Gericht erkennbar mit den wesentlichen Argumenten des Angeklagten ernsthaft auseinandergesetzt haben muss.618 Auch die Nichtbegründung von höchstrichterlichen Entscheidungen („national superior courts“), d.h. von Urteilen oder Beschlüssen, gegen die kein Rechtsmittel mehr statthaft ist, kann daher je nach Einzelfall das Recht auf ein faires Verfahren verletzen.619 Wenn übergeordnete staatliche Gerichte allerdings „lediglich“ die Verwerfung/Zurückweisung eines Rechtsmittels beschließen, lässt der EGMR unter Umständen sogar die Bezugnahme auf eine bestimmte Verfahrensvorschrift, die ein solches prozessuales Vorgehen erlaubt, oder auch die inhaltliche Billigung der Vorentscheidung für die Nichtannahme eines Rechtsmittels als Begründung genügen,620 insbesondere in einem der eigentlichen Prüfung des Rechtsmittels vorgeschalteten Annahmeverfahren.621 Voraussetzung ist aber, dass das Rechtsmittel keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, etwa weil die Untergerichte sich sehr genau an die Rechtsprechung des verwerfenden Gerichts gehalten und ihre jeweiligen Entscheidungen ausgewogen begründet haben.622
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7. Gerichtliche Fürsorge als Aspekt der Verfahrensfairness. Die Garantie des fairen Verfahrens kann erfordern, dass das Gericht schützend eingreift, um ein offensichtliches Ungleichgewicht bei der Vertretung der Verfahrensinteressen auszugleichen,623 wie dies auch aus dem in die gleiche Richtung gehenden und zumindest in der Zielsetzung weitgehend identischen Grundgedanken der prozessualen Fürsorgepflicht 624 hergeleitet wird. Das
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and specific circumstances that could have enabled the applicant to understand why he was found guilty.“). Ganz anders dagegen zur Rechtslage in Schottland: EGMR Judge/UK (E) (Fn. 612), §§ 36 ff. EGMR Brusco/F (Fn. 175), § 58 („se borner à faire siens les motifs de la décision entreprise“); (GK) García Ruiz/E (Fn. 359), § 26. Vgl. Gaede 304 m.w.N. in Fn. 602–603; SK/Paeffgen 78, der vom Rechtsmittelgericht ebenfalls eine Auseinandersetzung mit den substantiiert vorgetragenen Argumenten fordert. Siehe hierzu schon: Esser 749. EGMR Bachowski/PL (E), 2.11.2010 („where the highest court in a country refuses to accept a case or where it examines a remedy on its merits and dismisses it on the basis that the legal grounds for amending or quashing a contested judgment are not made out, very limited reasoning may satisfy the requirements of Article 6 of the Convention.“); Helle/FIN (Fn. 605), § 55; Nerva u.a./UK, 24.9.2002, ECHR 2002-VIII. EGMR Bachowski/PL (E) (Fn. 620; „As regards the preliminary procedure for the examination and admission of cassation
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appeals, […] an appellate court is not required to give more detailed reasoning when it simply applies a specific legal provision to dismiss a cassation appeal as having no prospects of success, without further explanation.“); Salé/F, 21.3.2006, § 17; Burg u.a./F (E) (Fn. 607); (GK) Gorou/GR (Nr. 2) (Fn. 83). EGMR Helle/FIN (Fn. 605); (GK) García Ruiz/E (Fn. 359); Teuschler/D (E), 4.10. 2001; Vogl/D (E), 5.12.2002; Burg u.a./F (E) (Fn. 607); Witt/D (E), 8.1.2007, NJW 2008 2322 (BVerfG; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde ohne Begründung; keine Abweichung vom verfassungsrechtlich geprägten Begriff „verwerflich“ i.S.v. § 240 StGB); Greenpeace e.V. u.a./D (E), 12.5.2009 („simply to refer to the legal provisions governing that procedure if the questions raised by the complaint, as in the present case, are not of fundamental importance“); Frowein/Peukert 183; Meyer-Ladewig 42. Vgl. OLG Köln NStZ 1989 542 (Bestellung eines Verteidigers bei Auftreten eines Opferanwalts; vgl. § 140 Abs. 2 StPO). Vgl. dazu LR/Kühne Einl. I 121 ff.; LR/Becker Vor § 226, 23 f. StPO; SK/Paeffgen 74.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Gericht muss Rücksicht auf die konkrete Situation der Verfahrensbeteiligten nehmen und darf sie in keine ihre Rechtswahrung beeinträchtigende Zwangslage bringen oder nicht dagegen einschreiten, wenn dies durch einen anderen Verfahrensbeteiligten geschieht.625 Es muss unsachliche Einwirkungen anderer Verfahrensbeteiligter unterbinden, ebenso einer Beeinflussung der Laienrichter (etwa durch eine Pressekampagne) entgegenwirken.626 In der unrichtigen Auskunft der Staatsanwaltschaft darüber, ob bei ihr weiteres, nicht 240 offen gelegtes und gerichtlich nicht verwendetes relevantes Material vorliege, hat der EGMR einen Verstoß gegen das faire Verfahren gesehen, da der Richter dadurch gehindert wird, dieses Material zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob durch die Nichtoffenlegung die Verteidigung in unfairer Weise behindert wird.627 Das Gericht darf ferner aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für den Betroffenen herleiten. Beruht eine Fristversäumnis auf einem Fehler des Gerichts, erfordert die hierdurch gebotene besondere Fairness, diesem Umstand bei den Anforderungen an die Wiedereinsetzung Rechnung zu tragen.628 8. Enttäuschung berechtigten Vertrauens. Ein faires Verfahren erfordert ferner, dass 241 alle Verfahrensbeteiligten auf die Rechtslage und Äußerungen des Gerichts und die dadurch geschaffene Verfahrenslage vertrauen können. Mit diesem Vertrauensschutz als Ausprägung des Gedankens der Rechtssicherheit („legal certainty“) 629 ist vor allem im Strafverfahren jede bewusste Täuschung oder Irreführung durch staatliche Organe unvereinbar. Aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes können sich konkrete Hinweispflichten für das Gericht ergeben. Besondere Umstände können das Gericht verpflichten, durch Hinweise und Belehrungen auf eine sachgemäße Rechtswahrung hinzuwirken und erkannte Irrtümer richtig zu stellen, so etwa, wenn es nachträglich von einer kundgegebenen Auffassung abweichen630 oder Verfahrensfehler korrigieren will, ferner bei einer unvorhergesehenen Änderung der Verfahrenslage.631 Erteilt das Gericht eine an sich nicht notwendige Belehrung, muss diese gleichwohl 242 sachlich richtig und vollständig sein.632 Ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfah625 626 627
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Vgl. etwa LG Mönchengladbach StV 1987 333. EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1987 355. EGMR Atlan/UK (Fn. 522), wobei aber unbedingt notwendige, verteidigungseinschränkende Maßnahmen zum Schutz anderer Personen oder wichtiger öffentlicher Interessen als zulässig angesehen wurden. Zu dem aus dem Gebot der Waffengleichheit hergeleiteten Anspruch auf Offenlegung aller beweiserheblichen Informationen der Staatsanwaltschaft bzw. anderer staatlicher Stellen vgl. EGMR Edwards/UK (Fn. 493); Rowe u. Davis/UK (Fn. 558); Gaede StraFo 2004 195, 196 m.w.N. BVerfG NJW 2004 2887 unter Hinweis auf BVerfGE 78 123, 126 und seine Rechtsprechung, wonach die Anforderungen an die Wiedereinsetzung nicht überspannt werden dürfen, etwa BVerfGE 40 88, 91; 67 208, 212.
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Zur Rechtssicherheit als Fairnesselement siehe EGMR Xheraj/ALB, 29.7.2008. Vgl. ThürVerfGH NStZ 2003 278 (Verurteilung ohne Hinweis auf die Änderung einer bekanntgegebenen Auffassung); BGH NJW 2011 3463 („Bewährung“ erwähnt in Vorgespräch). Nach Niemöller StraFo 2000 361, 363 konkretisiert sich das Fairnessgebot in der Rechtsprechung des BVerfG in drei Richtungen: Mindeststandard aktiver Verfahrensbefugnisse, Grundsatz von Treu und Glauben, der dem Gericht verbietet, eigene Fehler oder Versäumnisse den Verfahrensbeteiligten zum Nachteil gereichen zu lassen sowie das Gebot des Vertrauensschutzes. Vgl. BGHSt 24 25 (weist das Gericht auf die Vorteile einer freigestellten Verfahrensgestaltung hin, darf es deren Nachteile nicht unerwähnt lassen).
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rens ist darin zu sehen, dass das Gericht absichtlich einen gebotenen Hinweis unterlässt 633 oder einen erkennbaren Irrtum, der die Prozessführung beeinträchtigt, nicht richtig stellt,634 dass es Prozessbeteiligte täuscht, überrumpelt oder sich widersprüchlich verhält oder dass es sich über eine von ihm geschaffene oder geduldete Vertrauenslage ohne vorherigen Hinweis hinwegsetzt. So etwa, wenn es auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem nach dem bisherigen Prozessverlauf auch ein kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte635 oder wenn es von Zusagen oder einem in Aussicht gestellten Verhalten abweicht,636 ohne vorher darauf hinzuweisen und Gelegenheit zur Nachholung der vielleicht im Vertrauen darauf unterlassenen Verfahrenshandlungen zu geben,637 oder wenn es das Vertrauen in eine von ihm geduldete Verfahrensübung trotz Änderung seines Standpunktes fortbestehen lässt und dann ohne Vorwarnung nachteilige Folgen daraus herleitet, wie in der Erschwerung des Zugangs zu Gericht durch eine von der bisherigen Übung abweichende strengere Auslegung der Formvorschriften.638 Ein Hinweis des Gerichts kann auch erforderlich sein, wenn das Gericht selbst außerhalb der Hauptverhandlung Ermittlungen veranlasst hat oder selbst vornimmt, deren Ergebnis es nicht für entscheidungserheblich erachtet.639 Darüber hinaus kann nach Ansicht des EGMR die Nichtbeachtung des lex mitior243 Grundsatzes (vgl. § 2 Abs. 3 StGB) dazu führen, dass der Konventionsstaat nicht nur gegen Art. 7 EMRK verstößt, sondern auch gegen das Fairnessgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK.640 Hat der Beschuldigte sich unter Verzicht auf von Art. 6 EMRK garantierte Rechte für ein beschleunigtes Verfahren entschieden, das eine deutliche Reduzierung des Strafrahmens vorsieht, darf der Staat dieses berechtigte Vertrauen des Beschuldigten auf eine niedrigere Strafe nicht dadurch enttäuschen, dass er durch eine Gesetzesänderung zuungunsten des Angeklagten die Höchststrafe heraufsetzt.641 Die Möglichkeit des Beschuldigten, in das reguläre Verfahren unter Wiederaufleben aller prozessualen Rechte zu wechseln, heilt diesen Verstoß nicht.642
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OLG Frankfurt NStZ 1990 556. Zum Verhältnis zur Fürsorgepflicht, die Rechtspflicht ist und als eine Ausprägung des Gebots eines fairen Verfahrens verstanden und mitunter zusätzlich noch aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet wird, vgl. LR/Kühne Einl. I 123; SK/Rogall Vor § 133, 113 StPO (Recht auf faires Verfahren und Sozialstaatsprinzip); ferner OLG Koblenz VRS 60 (1981) 119. Vgl. BVerfGE 108 341, 346, das einen Verstoß gegen das Recht auf Gehör bejahte, weil dadurch der Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Umstand unmöglich gemacht wurde. So von einer angekündigten Wahrunterstellung; vgl. BGHSt 32 44 (wo aber der Vorrang des einfachen nationalen Rechts bei der innerstaatlichen Prüfung verkannt wird), ferner etwa BGH NJW 1990 1924 (Nichteinhaltung einer staatsanwaltschaftlichen Zusage); BGH NJW 2003 1409 (Überschreiten der bei einer verbindlichen Verständigung in Aussicht
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gestellten Strafobergrenze ohne vorherigen Hinweis). BVerfG NJW 1987 2662; BGH MDR 1989 838; ferner das reichhaltige Schrifttum zur Problematik der Absprachen im Strafprozess, etwa bei Schünemann Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen, Gutachten zum 58. DJT (1990), Bd. I Teil C und bei LR/Stuckenberg § 257c StPO. Gericht darf nicht ohne Hinweis eine bisher tolerierte unleserliche Unterschrift nicht mehr anerkennen, BVerfGE 78 123; vgl. aber auch EKMR NJW 1989 579 (übertrieben formalistische Anforderungen, aber kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK, da diese dem Anwalt bekannt waren). BGH NJW 1990 193; StV 2001 4. EGMR (GK) Scoppola/I (Nr. 2), 17.9.2009, NJOZ 2010 2726. EGMR (GK) Scoppola/I (Nr. 2) (Fn. 640), § 139. EGMR (GK) Scoppola/I (Nr. 2) (Fn. 640), § 143.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
9. Verfahrensrechte des Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 bis 7 244 IPBPR). Die Konventionen überlassen die Regelung des Strafverfahrens grundsätzlich dem nationalen Recht. Vor allem die Regelung der Beweiserhebung einschließlich des Verbotes der Erhebung und Verwendung bestimmter Beweismittel richten sich nach dem nationalen Recht, das auch bestimmen kann, welche Rechtsfolgen der Verstoß gegen ein solches Verbot hat (vgl. Rn. 268 ff.). Die Konventionen beschränken sich darauf, für das Strafverfahren in Absatz 3 beispielhaft für typische Verfahrenslagen und Verteidigungskonstellationen einige wichtige Erfordernisse festzulegen, die als Grundlinien für die Verfahrensgestaltung im jeweiligen nationalen Recht dem Angeklagten ein insgesamt faires Verfahren sichern sollen. Als Mindestgarantien für ein faires Verfahren verdeutlichen sie die Anforderungen dieses Gebots. Sie geben ihm Konturen,643 ohne jedoch seinen Gehalt voll auszuschöpfen.644 Da der EGMR die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 3 EMRK (nur) als Teilaspekte 245 des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) ansieht,645 nimmt er eine Gesamtbewertung646 der Fairness des Verfahrens vor mit der Folge, dass selbst bei einem Verstoß gegen die Einzelrechte des Absatzes 3 in irgendeinem Verfahrensstadium nicht notwendig das gesamte Verfahren konventionswidrig sein muss.647 Als Instrumente eines praktischen Menschenrechtsschutzes dürfen die Einzelrechte nicht als Selbstzweck verstanden und isoliert vom Zweck ihrer Gewährleistung und dem Regelungsgefüge des
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SK/Paeffgen 125. Frowein/Peukert 278 („Mindestgarantien“); IK-EMRK/Kühne 486; Meyer-Goßner 16; Vogler ZStW 89 (1977) 787; SK/Paeffgen 125. Die durch den unterschiedlichen englischen und französischen Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 EMRK („minimum rights“ bzw. „notamment“) ausgelöste Frage, ob es sich insoweit um Beispiele oder um Mindestgarantien für ein faires Verfahren handeln soll, spielt in der Praxis keine Rolle. EGMR Yavuz/A, 27.5.2004, § 44, ÖJZ 2005 156; Mayzit/R, 20.1.2005, § 77; Balliu/ALB, 16.6.2005, § 25; Kolu/TRK, 2.8.2005, § 50; Sannino/I, 27.4.2006, ECHR 2006-VI, § 47 = ÖJZ 2007 513; Popov/R, 13.7.2006, § 169; Padalov/BUL, 10.8.2006, § 30; Borisova/BUL (Fn. 527), § 37; Matyjek/PL (Fn. 171), § 54; Baucher/F (Fn. 594), § 41; Galstyan/ARM, 15.11.2007, § 83; Luboch/PL (Fn. 527), § 59; Abbasov/ ASE (Fn. 568), § 23; Demebukov/BUL, 28.2.2008, § 43; Shulepov/R, 26.6.2008, § 31; Bogumil/P, 7.10.2008, § 45; Moiseyev/R (Fn. 527), § 201; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 47; Rybacki/PL, 13.1.2009, § 53; Shabelnik/UKR, 19.2.2009, § 51; Natunen/FIN (Fn. 568), § 38; Grigoryevskikh/R, 9.4.2009, § 75; Hanzevacki/KRO, 16.4.2009; § 20; Sibgatullin/R (Fn. 568),
§ 38; Kulikowski/PL (Fn. 308), § 55; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 30; Sobolewski/PL (Nr. 2), 9.6.2009, § 26; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 43; Seyithan Demir/TRK, 28.7.2009, § 39; Arcinski/PL, 15.9.2009, § 30; Pishchalnikov/R, 24.9.2009, §§ 64 f.; Maksimov/ASE (Fn. 568), § 30; Kuralic´ /KRO, 15.10.2009, §§ 43 f.; Caka/ ALB, 8.12.2009, § 77; Dzankovic/D (E), 8.12.2009; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 40; Ebanks/UK, 26.1.2010, § 71; Sinichkin/R, 8.4.2010, § 36; Kornev u. Karpenko/UKR, 21.10.2010, § 63; Leonid Lazarenko/UKR, 28.10.2010, § 48; Garcia Hernandez/E, 16.11.2010, § 23; Hovanesian/BUL, 21.12.2010, § 30; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 60; ferner KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 127. EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), § 25 („On the whole, the Court is called upon to examine whether the proceedings in their entirety were fair.“), auch § 42; ferner EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 78; Natunen/FIN (Fn. 568), § 38; Caka/ALB (Fn. 645), § 77; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 40; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 57; Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 48. EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 77; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 64; eingehend dazu Gaede HRRS-FG Fezer 21, 35 ff. /
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jeweiligen Verfahrens ausgelegt werden. Geboten ist eine Gesamtschau, die darauf abstellt, dass die aufgeführten Rechte Eckpunkte für ein insgesamt faires Verfahren mit wirksamen Verteidigungsrechten festlegen.648 Die Modalitäten, in denen die Forderungen des Absatzes 3 ihre Schutzfunktion ver246 wirklichen, bestimmen sich nach dem Verfahrenssystem des jeweiligen nationalen Rechts; sie können also wegen ihres Bezugs auf die jeweilige Verfahrensordnung zu unterschiedlichen Anforderungen führen. Räumt das nationale Verfahrensrecht dem Beschuldigten insgesamt faire Verfahrensrechte ein, so kann es zulässig sein, wenn in Ausnahmefällen die in Absatz 3 garantierten Rechte aus einem durch überwiegende öffentliche oder private Belange gerechtfertigten Grund sachgerechte, verhältnismäßige Einschränkungen erfahren. Die Einzelanforderungen der Absätze 3 setzen voraus, dass das Verfahren im natio247 nalen Recht insgesamt so geregelt ist, dass eine effektive und rechtsstaatliche Rechtspflege die wesentlichen Verteidigungsrechte des Angeklagten sichert.649 Der für alle Konventionsgarantien geltende Grundgedanke eines fairen Ausgleichs zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Schutzinteressen des Einzelnen („fair balance“) bestimmt ihre Auslegung, die aber immer darauf achten muss, dass im Einzelfall ein insgesamt faires Verfahren gewährleistet bleibt. Der Anwendungsbereich der einzelnen Grundsätze ist unterschiedlich.650 Während 248 einige eher auf die Hauptverhandlung zugeschnitten sind, gelten andere schon ihrem Wortlaut nach und vor allem auch für das Vorverfahren.651 Ihre jeweilige Tragweite ist durch eine sinnorientierte Auslegung zu ermitteln. Für ihr Ziel, dem Beschuldigten ein faires Verfahren zu sichern, wird es zwar in der Regel genügen, dass die von ihnen gewährleisteten Verfahrensrechte insgesamt ausreichend zum Tragen kommen. Ob ein Verstoß gegen einen dieser Grundsätze für sich allein bereits ein solches Gewicht hat, dass die Fairness des gesamten Verfahrens dadurch unheilbar in Frage gestellt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.652 Vor diesem Hintergrund ist der Instanzrichter gehalten, vorrangig jedem Einzelrecht Rechnung zu tragen und diesem prozessual zu einer möglichst effektiven Geltung zu verhelfen.
V. Tatprovokation als Grenze der Verfahrensfairness 249
1. Staatliche Zurechenbarkeit. Der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) kann auch und gerade durch die Verleitung einer Person zur Begehung einer Straftat verletzt werden. Sowohl der EGMR als auch die deutschen Gerichte haben sich in jüngerer Zeit diesem Problem auf unterschiedliche Art und Weise genähert.653
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Vgl. EGMR Unterpertinger/A (Fn. 521); Schenk/CH (Fn. 478); (GK) Pélissier u. Sassi/F, 25.3.1999, ECHR 1999-II = NJW 1999 3545 = EuGRZ 1999 323 = ÖJZ 1999 905; (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319); ferner EKMR EuGRZ 1986 276 (Can); dazu EGMR EuGRZ 1986 274; Windisch/A (Fn. 499), sowie etwa EKMR EuGRZ 1978 314; 1986 277; 1989 464; Frowein/Peukert 278; IK-EMRK/Kühne 486; SK/Paeffgen 125. Art. 48 Abs. 2 EUC stellt diesen Grundsatz
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heraus, wenn dort unter Verzicht auf Einzelaufzählungen jeder angeklagten Person die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet wird. Die EKMR ließ verschiedentlich offen, ob die einzelnen Rechte auch im Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung zum Tragen kommen; so EuGRZ 1986 276 (Can). EKMR EuGRZ 1986 276; 1988 504. EKMR EuGRZ 1977 347. Hierzu auch: LR/Stuckenberg § 206a, 103 StPO.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Nach der EMRK können Staaten nur für das auf ihrem Hoheitsgebiet geschehende und ihnen zurechenbare Verhalten verantwortlich gemacht werden (Art. 1 EMRK). Dabei sind verschiedene Konstellationen denkbar. Zunächst können staatliche Stellen selbst tätig werden; es können sich aber auch Private in staatlichem Auftrag betätigen. Im letzteren Fall muss gesondert geprüft werden, ob dem Staat das Handeln der privaten Akteure zugerechnet werden kann. Der EGMR differenziert in seiner Rechtsprechung terminologisch zwischen verdeckt ermittelnden Polizeibeamten (Verdeckter Ermittler/noeP – für diese verwendet er einheitlich den Begriff des „undercover agent“ 654) und Informanten (informer/informant), der (bislang) nur für Privatpersonen Verwendung findet.655 Einstiegsfrage für die Prüfung einer Tatprovokation ist, ob das Handeln einer heimlich/verdeckt ermittelnden Person dem Staat zurechenbar ist (Art. 1 EMRK). Während dies bei Polizeibeamten (VE; noeP) in der Regel zu bejahen ist, bedarf dieser Aspekt bei verdeckt „ermittelnden“ Privatpersonen einer genaueren Untersuchung.656 Ein dem Staat zurechenbarer Eingriff in die Rechte des Betroffenen liegt etwa in der Einschaltung Privater bei der Errichtung und Durchführung einer sog. Hörfalle (täuschungsbedingte Preisgabe strafrechtlich relevanter Angaben bei akustischer Überwachung), wenn die staatlichen Stellen hierfür eine gewisse (ggf. auch rechtswidrige) technisch-logistische Hilfe leisten und sich dabei im Rahmen ihres dienstlichen Aufgabenbereichs bewegen.657 Zu verneinen ist die Zurechenbarkeit allerdings, wenn staatliche Stellen nichts von der eigenmächtigen Aktion einer Privatperson wissen und später lediglich deren Ergebnisse verwerten.658 Anders liegt es freilich, wenn der Staat das Handeln einer Privatperson nachträglich „genehmigt“ und sich dieses dadurch quasi zurechnen lässt 659 oder gar konkrete Bedingungen für das Handeln der Privatperson schafft.660 Sowohl der EGMR als auch die nationalen Gerichte gehen davon aus, dass verdeckte polizeiliche Ermittlungsarbeit prinzipiell zulässig ist.661 Allerdings rechtfertigt auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität nicht die Aufgabe des Grundsatzes des fairen Verfahrens und die Missachtung der Verteidigungsrechte.662
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Vgl. im Einzelnen Warnking 223 f. Vgl. EGMR Allan/UK (Fn. 478). Der EGMR nimmt die Zurechnung anhand des zu prüfenden Konventionsrechts vor; angesichts der Vergleichbarkeit der Problematik erscheint es allerdings vertretbar, die vom EGMR gefundenen Kriterien auf die Gesamtproblematik des Einsatzes verdeckt ermittelnder Privatpersonen anzuwenden: Dazu auch Gaede StV 2004 86; Demko HRRS 2004 382; Warnking 227. EGMR A./F, 23.11.1993, A 277-B = ÖJZ 1994 392 m. Anm. Tietze; MDR 1994 1078; M.M./NL, 8.4.2003, StV 2004 1 mit Anm. Gaede StV 2004 46; dazu Demko HRRS 2004 382; Warnking 224 ff. EGMR Stocké/D, 19.3.1992, A 199; Shannon/UK, 4.10.2005. EGMR (GK) Ramanauskas/LIT, 5.2.2008, §§ 63–65 = NJW 2009 3565.
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EGMR Allan/UK (Fn. 478; Zellspitzel; Ausstattung mit Abhörvorrichtung). EGMR Lüdi/CH, 15.6.1992, A 238 = NJW 1992 3088 = StV 1992 499 = EuGRZ 1992 300 = ÖJZ 1993 343; Teixeira de Castro/P (Fn. 478); Khudobin/R, 26.10.2006, ECHR 2006-XII; BVerfGE 57 250 = NJW 1981 1719 = JZ 1981 741 = NStZ 1981 357= EuGRZ 1981 402 = MDR 1981 900 m. Anm. Kotz StV 1981 591; BVerfG NJW 1985 1767 = NStZ 1985 131 = StV 1985 178; BGHSt 32 115 = NJW 1984 294 = NStZ 1984 36 m. Anm. Frenzel = StV 1984 56 m. Anm. Grünwald = JZ 1984 433 m. Anm. Fezer. Vgl. EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478), § 36; (GK) Ramanauskas/LIT (Fn. 659) m. Anm. Gaede/Buermeyer HRRS 2008 279.
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2. Voraussetzungen einer Tatprovokation. Als Tatprovokation wird das gezielte Herbeiführen einer (meist) polizeilich kontrollierten Straftat („police incitement“) bezeichnet, die zur (späteren) Festnahme und Verfolgung des sodann Tatverdächtigen führt. Die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen von einer solchen Provokation gesprochen werden kann, werden von EGMR und BGH unterschiedlich beurteilt: a) Der EGMR prüft das Vorliegen der Tatprovokation – anhand einer hypothetischen 255 Überlegung663 – danach, ob die spätere Tat auch ohne die staatliche Einflussnahme begangen worden wäre. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn eine bereits vorhandene strafrechtliche Aktivität einer Person („already been predisposed to commit the crime“) 664 in ihrem weiteren Verlauf lediglich passiv untersucht wird. Anders liegt der Fall aber, wenn eine Person, die (noch) keine strafrechtlichen Aktivitäten entfaltet, zur Begehung einer strafbaren Handlung verleitet wird („exert such an influence […] as to incite the commission of an offence“).665 Ob lediglich eine passive Untersuchung oder eine aktive Beeinflussung vorliegt, untersucht der EGMR anhand folgender Kriterien: Zu berücksichtigen sind etwaige zum Zeitpunkt der staatlichen Aktivität bereits be256 stehende Verdachtsmomente gegen den späteren „Täter“ („objective suspicions that the applicant had been involved in criminal activity“).666 Der Verdacht kann sich aus einschlägigen Vorstrafen des späteren Täters ergeben; alleine reichen solche Vorstrafen allerdings nicht aus.667 Indizwirkung für eine konventionswidrige Tatprovokation entfaltet ferner die fehlende (unabhängige) Überwachung der Aktivitäten des Verdeckten Ermittlers bzw. noeP oder der V-Person (idealerweise durch einen Richter).668 Konventionswidrig ist weiterhin der Einsatz eines Mittelsmannes, der einen Dritten zu einer Straftat anleiten soll; ob der Mittelsmann selbst als Anstifter verurteilt wird, ist unerheblich.669 b) Nach Ansicht des BGH soll eine Provokation dagegen erst dann vorliegen, wenn 257 eine Person durch staatliche Stellen oder durch einen staatlich kontrollierten Dritten zu seiner Tat angeregt wird oder seine latent vorhandene Bereitschaft wesentlich intensiviert wird.670 Dabei reicht es nicht aus, wenn die Einflussnahme auf den Täter lediglich kausal für die Begehung der Tat geworden ist, der Tatentschluss muss vielmehr im Täter geweckt werden bzw. dessen bereits geplante Tat muss durch die Beeinflussung ein völlig anderes Gepräge erhalten („Quantensprung“);671 ein bloßes „Mitmachen“ staatlicher Stellen bei der Tat reicht nicht aus.672 Der BGH differenziert – im Unterschied zum
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Vgl. dazu und zum Folgenden EGMR Bannikova/R, 4.11.2010, HRRS 2011 Nr. 331, §§ 37 ff. EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478), § 32. EGMR Ramanauskas/LIT (Fn. 659), § 55. Vgl. für den konventionsgemäßen Einsatz von V-Leuten: EGMR Calabro/I u. D (E), 21.3.2002, ECHR 2002-V. EGMR Bannikova/R (Fn. 663), § 38. EGMR Constantin u. Stoian/RUM, 29.9.2009, § 55. EGMR Vanyan/R, 15.12.2005, §§ 46 f.; siehe dagegen: EGMR Lüdi/CH (Fn. 661); konventionsgemäßer Einsatz eines vereidigten Polizeibeamten als Verdeckter Ermittler, der im Rahmen eines förmlichen Ermittlungsverfahrens tätig wird und dessen Ein-
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satz richterlicher Kontrolle unterliegt); näher dazu Esser 173 ff. EGMR Pyrgiotakis/GR, 21.2.2008, HRRS 2008 Nr. 500. BGHSt 32 345 = NJW 1984 2300 = NStZ 1985 131 m. Anm. Meyer; 45 321 = NJW 2000 1123 = JZ 2000 363 m. Anm. Roxin = NStZ 2000 269 m. Anm. Endriß/Kinzig = StV 2000 114 m. Anm. Sinner/Kreuzer = JA 2000 450 m. Anm. Lesch = JR 2000 432 m. Anm. Lesch; dazu auch Kudlich JuS 2000 951; BGHSt 47 44 = NJW 2001 2981 = NStZ 2001 554 = StV 2001 492 = wistra 2001 431 m. Anm. Weber NStZ 2002 50; KK-StPO/Nack § 110c, 10 StPO; BeckOK-StPO/Hegmann § 110c, 8 StPO. BGHSt 47 44. KK-StPO/Nack § 110c, 10 StPO.
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Recht auf ein faires Verfahren
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EGMR, der tatprovozierendes Verhalten generell für menschenrechtswidrig hält – zwischen zulässiger und unzulässiger Tatprovokation.673 Er hält tatprovozierendes Verhalten von Vertrauenspersonen für zulässig, solange der eigene Beitrag des Täters nicht durch das Verhalten des Lockspitzels gänzlich in den Hintergrund tritt.674 Im Falle eines fehlenden Tatverdachts gegen den Täter ist die Rechtsstaatswidrigkeit der Tatprovokation allerdings indiziert.675 Hingegen wird die an sich gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Provokation der Tat hingenommen, wenn die spätere Verurteilung des Täters nicht auf durch die Verleitung beruhenden Beweisen beruht, sondern auf einem Geständnis des Täters.676 3. Rechtsfolge der Tatprovokation. Unterschiedlich werden auch vom EGMR und 258 den nationalen Gerichten die durch das Gebot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) definierten Folgen der Tatprovokation gezogen. Der EGMR differenziert zwischen zwei verschiedenen Gesichtspunkten: Der Tatprovokation als solcher (d.h. der provozierende Einsatz Verdeckter Ermittler etc.) und der Verwendung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse in einem späteren Strafprozess. In seiner grundlegenden Entscheidung Teixeira de Castro 677 hat der EGMR klargestellt, dass nicht erst die Verwendung der durch die Tatherbeiführung (Provokation) erlangten Erkenntnisse, sondern bereits der Einsatz Verdeckter Ermittler etc. zur Tatprovokation per se dazu führen kann, dass das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren von Anfang an und endgültig verletzt ist (dazu auch Rn. 262).678 Zusätzlich und unabhängig von der Bewertung der verdeckten Ermittlungstätigkeit 259 an sich kann auch die spätere Verwendung der durch die Tatprovokation gewonnenen Erkenntnisse im Strafprozess den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzen: So hat der EGMR wiederholt festgestellt, dass die Tatprovokation konventionswidrig sei, wenn die Verurteilung des Angeklagten hauptsächlich („mainly“) auf den durch den Einsatz der durch die Tatprovokation gewonnenen Beweisen beruht.679 Hingegen soll die Einhaltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch die Gerichte indiziert sein, wenn die Verurteilung gerade nicht auf den durch die verdeckten Polizeioperationen gewonnenen Beweisen beruht.680 Ob die Tatprovokation wesentlich für die Verurteilung des Täters geworden ist, kann 260 indes nichts über die Konventionswidrigkeit des tatprovozierenden Verhaltens per se aussagen: Eine Verurteilung des Täters aufgrund anderer als durch die Tatprovokation erlangter Beweise vermag eine konventionswidrige Tatprovokation nicht nachträglich zu heilen, weil diese Erkenntnisse ihrerseits auf einem Verfahren beruhen, das es ohne Pro673
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BGHSt 45 321 = NStZ 2000 269, 270 („Allerdings ist nicht jede Tatprovokation durch eine VP unzulässig.“). Vgl. dagegen noch RG Urt. v. 20.1.1912 bei Kohlrausch ZStW 33 (1912) 688, 693 ff. BGHSt 32 345 = NJW 1984 2300 = NStZ 1985 131 m. Anm. Meyer. BGH StV 1989 518 = wistra 1990 64; NStZ 1994 335 = StV 1994 368; NStZ 1995 506 = StV 1995 364. BayObLG NStZ 1999 527 = StV 1999 631 m. Anm. Taschke = JR 2000 256 m. Anm. Küpper. EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478).
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EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478), § 39 („that intervention and its use […] meant that, right from the outset, the applicant was definitively deprived of a fair trial“; „Cette intervention et son utilisation […] ont privé ab initio et définitivement le requérant d’un procès équitable.“ (Hervorhebungen nicht im Original). EGMR Vanyan/R (Fn. 668), § 49; Ali/RUM, 9.11.2010, §§ 102 ff. EGMR Sequeira/P (E), 6.5.2003, ECHR 2003-VI; Eurofinacom/F (E), 7.9.2004, ECHR 2004-VII; vgl. im Einzelnen Warnking 244 f.
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vokation nicht gegeben hätte. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus der vom EGMR selbst gewählten Formulierung im Urteil Teixeira.681
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4. Verfahrensrechtliche Besonderheiten („Zwei-Stufen-Modell“). Nachdem der EGMR anhand der vorgenannten Kriterien (Rn. 254–256) festgestellt hat, dass eine Tatprovokation vorliegt (erste Stufe), untersucht er in einer zweiten Stufe, ob der Bf. den Vorwurf einer konventionswidrigen Tatprovokation vor den nationalen Gerichten effektiv geltend machen konnte.682 Dazu muss er zum einen die Möglichkeit haben, den Vorwurf der Tatprovokation vor Gericht vorzubringen, zum anderen muss dann das Gericht in einem kontradiktorischen Verfahren feststellen, in welchem Umfang staatliche Stellen in die Beeinflussung des Täters verwickelt waren, was der Grund für die Anordnung der verdeckten Operation war und welcher Art von Beeinflussung der Täter ausgesetzt war.683 Im Urteil Ramanauskas hat der EGMR erstmals klargestellt, dass in diesem Verfahren zur Feststellung von Art und Umfang der Tatprovokation die Beweislast dem Staat obliegt.684 Der Gerichtshof hat diese Beweislastverteilung („burden of proof“) in zwei weiteren Urteilen bestätigt.685
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5. Kompensationsmodelle. Obwohl der EGMR den Vertragsstaaten keine konkreten, einzelfallbezogenen Vorgaben zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens machen kann und selbst im Falle eines Konventionsverstoßes auf dessen Feststellung und die Festsetzung einer Entschädigung beschränkt ist, zählt die Rechtsprechung des EGMR zu einer rechtsstaats- und damit konventionswidrigen Tatprovokation zu den wenigen strafprozessualen Feldern, in denen der Gerichtshof konkrete Vorgaben und Mindestanforderungen an eine nationalstaatliche Reaktion aufgestellt hat. So spricht er schon in seiner Leitentscheidung Teixeira de Castro aus dem Jahr 1998 davon, dass dem Betroffenen von Anfang an und endgültig kein faires Verfahren gewährt worden sei.686 Der EGMR geht also davon aus, dass die konventionswidrige Tatprovokation zu einem unheilbaren anfänglichen Mangel der Verfahrensführung (genauer: der Einleitung dieses Verfahrens) geführt hat. Diesen Überlegungen sollte im nationalen Strafprozessrecht mit der Annahme eines 263 anfänglichen Strafverfahrenshindernisses Rechnung getragen werden687 – auch wenn diese Forderung gewissen dogmatischen Bedenken begegnet, da die polizeiliche Tatprovokation regelmäßig vor der Erhebung einer strafrechtlichen Anklage stattfindet und somit stricto sensu außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt (dazu Rn. 92). Mit den Vorgaben des EGMR in Einklang zu bringen dürfte auch die Annahme eines persönlichen (materiellen) Strafausschließungsgrundes sein.688
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Vgl. oben Fn. 678. Vgl. auch Warnking 245; Esser 174. EGMR Bannikova/R (Fn. 663), §§ 71 ff. EGMR (GK) Ramanauskas/LIT (Fn. 659), § 71. EGMR (GK) Ramanauskas/LIT (Fn. 659), § 70. EGMR Bannikova/R (Fn. 663), § 73; Ali/RUM (Fn. 679), § 103. Vgl. auch EGMR Vlachos/GR, 18.9.2008, § 24.
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So auch Sinner/Kreuzer StV 2000 114; Kudlich JuS 2000 951; Conen StRR 2009 84; a.A. Warnking 247 f.; Ambos NStZ 2002 628; Kinzig StV 1999 288. Lesch JR 2000 434, 436 geht davon aus, dass die Annahme eines Verfahrenshindernisses die einzige mit der Rspr. des EGMR kompatible Lösung ist, hält dies allerdings für mit dem deutschen Recht unvereinbar. Beulke 288 a.E.; LR/Stuckenberg § 206a, 85 StPO, mit weiteren Nachweisen in Fn. 332.
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Ein (bloßes) Beweisverwertungsverbot, wie es eine weit verbreitete Literaturmeinung 264 fordert,689 wird den Vorgaben des EGMR im Ergebnis nur unzureichend gerecht: Die anfängliche und unheilbare Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch eine Tatprovokation führt dazu, dass regelmäßig alle zur Verfügung stehenden Beweise wegen des Verstoßes unverwertbar sein würden. In diesem Fall wäre es aber dem Beschuldigten nicht zuzumuten, dass ein Verfahren gegen ihn mit den damit notwendig einhergehenden irreparablen Folgen für seine Reputation eingeleitet wird. Ein Beweisverwertungsverbot würde weiterhin die Gefahr bergen, dass der Angeklagte im Hauptverfahren zu einem Geständnis veranlasst wird, welches – da nicht durch die rechtswidrige Tatprovokation erlangt – ohne weiteres verwendet werden könnte.690 Diesem Ansatz hat der EGMR im Urteil Ramanauskas explizit den Boden entzogen.691 Der BGH hat sich, nachdem einige Senate zur Kompensation einer (rechtswidrigen) 265 Tatprovokation ein Verfahrenshindernis,692 die Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs693 bzw. einen persönlichen Strafausschließungsgrund694 angenommen hatten, am Ende für die vom 1. Strafsenat entwickelte695 Strafzumessungslösung entschieden.696 Der BGH geht davon aus, dass eine gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßende Tatprovokation durch einen entsprechenden Strafabschlag kompensiert werden kann. Ein Verfahrenshindernis oder ein Beweisverwertungsverbot seien zu starr, um die Folgen einer rechtswidrigen Tatprovokation angemessen und gerecht zu bestimmen. Die unzulässige Tatprovokation sei daher (nicht mehr als) ein besonders ins Gewicht fallender, schuldunabhängiger Strafmilderungsgrund. Auch nach dem Teixeira de Castro-Urteil des EGMR hat der BGH – trotz starker Kritik der Literatur – die Strafzumessungslösung bestätigt.697 Eine „Heilung“ des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens
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Lüderssen FS Peters 362; Fischer/Maul NStZ 1992 7, 13; Kinzig StV 1999 292. So das BayObLG NStZ 1999 527 = StV 1999 631 m. Anm. Taschke = JR 2000 256 m. Anm. Küpper. EGMR (GK) Ramanauskas/LIT (Fn. 659), § 72. Der 2. Strafsenat in NJW 1981 1626 = NStZ 1981 394 = StV 1981 599; ebenso StV 1982 221; NStZ 1982 126; der 3. Strafsenat in StV 1981 276. So der 4. Strafsenat in NStZ 1981 70. So der 5. Strafsenat in einem obiter dictum in StV 1984 58 = NStZ 1984 178 (obiter dictum nicht abgedruckt). In BGHSt 32 345 = NJW 1984 2300 = NStZ 1985 131 m. Anm. Meyer. Der 2. Strafsenat hatte zunächst in seinem Revisionsurteil (NStZ 1984 78 = StV 1984 4) auf ein Urteil des LG Frankfurt a.M. die Strafzumessungslösung für rechtsfehlerhaft erachtet; auf die nunmehr von der StA eingelegte Revision gegen das – im Sinne der bisherigen Rspr. des 2. Strafsenats – ein Verfahrenshindernis annehmende Urteil des LG (StV 1984 415) hin wollte der 2. Strafsenat nunmehr aber seine
697
Auffassung aufgeben und sich der Strafzumessungslösung anschließen; sein Versuch, wegen dieser Frage den Großen Senat für Strafsachen anzurufen (NJW 1986 75 = StV 1985 309 m. Anm. Schünemann StV 1985 424 = JZ 1986 103 m. Anm. Schumann JZ 1986 66), wurde als unzulässig abgewiesen (BGHSt 33 356 = NJW 1986 1764 = StV 1986 47 = JuS 1986 814 m. Anm. Hassemer); der 4. Strafsenat hat sich in BGH NStZ 1995 506 = StV 1995 364 und der 5. Strafsenat in BGHSt 33 283 = NJW 1985 2838 = NStZ 1985 517 = JZ 1985 398 = wistra 1985 233 der Strafzumessungslösung angeschlossen. BGHSt 45 321 = NJW 2000 1123 = JZ 2000 363 m. Anm. Roxin = NStZ 2000 269 m. Anm. Endriß/Kinzig = StV 2000 114 m. Anm. Sinner/Kreuzer = JA 2000 450 m. Anm. Lesch = JR 2000 432 m. Anm. Lesch; dazu auch Kudlich JuS 2000 951; nochmals bestätigt in BGHSt 47 44 = NJW 2001 2981 = NStZ 2001 554 = StV 2001 492 = wistra 2001 431 m. Anm. Weber NStZ 2002 50; BGH NStZ 2008 39 f.; NStZ 2009 405 f.
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
durch eine (bloße) Strafmilderung findet in der Judikatur des EGMR bis heute keinen Ansatz. Auch das BVerfG hat die Forderung nach einem Verfahrenshindernis oder eines Straf266 ausschließungsgrundes im Grundsatz abgelehnt und lediglich auf extreme Ausnahmefälle beschränkt.698 Der OGH lehnt in ständiger Rspr. die Annahme eines Verfahrenshindernisses oder eines persönlichen Strafausschließungsgrundes ebenfalls ab und pflichtet „mit Blick auf Art. 34 EMRK“699 der Strafzumessungslösung bei.700 Die vom BGH vertretene Strafzumessungslösung entspricht evident nicht den Vorga267 ben des EGMR.701 Der Grundsatz des fairen Verfahrens und seine Beachtung dürfen nicht zu einem reinen Strafzumessungsgesichtspunkt degradiert werden, sondern sind essentielle Voraussetzungen für die Durchführung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens an sich. Schließlich darf nicht unbeachtet bleiben, dass bei der Verletzung von Art. 6 EMRK durch eine konventionswidrige Tatprovokation nicht nur eine Verletzung von Individualrechten, sondern auch eine Verletzung von völkerrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland in Rede steht. Ein solcher völkerrechtlicher Verstoß zieht schließlich die Verpflichtung der Bundesrepublik zur Wiedergutmachung (restitutio in integrum) nach sich, was im Fall der Tatprovokation nur durch die Forderung nach einem Verfahrenshindernis gewährleistet wird. Schließlich darf aus dem Ansatz des EGMR, die Einhaltung der Verfahrensfairness durch eine „Gesamtbetrachtung“ des Verfahrens zu überprüfen, nicht geschlossen werden, dass eindeutige Teilaussagen des Gerichtshofs zu Einzelfragen des Fairnessgebotes unbeachtet bleiben dürfen.702
VI. Grundsätze der Beweiserhebung und Beweisverwertung 268
1. Allgemeines. Die Konventionen überlassen die Regelung des Strafverfahrens, namentlich das materielle Beweisrecht und die Einzelheiten der Beweisgewinnung und -verwertung, weitgehend den Vertragsstaaten. Sie legen für diesen zentralen Aspekt des Strafverfahrens weder Verfahrensgrundsätze, wie etwa den aus dem deutschen Recht bekannten Grundsatz der Unmittelbarkeit fest, noch regeln sie explizit, ob und wann eine Beweisaufnahme erforderlich ist, ob ein Recht auf Einvernahme eines Zeugen oder Sachverständigen besteht, nach welchen Kriterien und Grundsätzen Beweismittel zu bewerten sind und ob Beweisverbote eingreifen. Alle diese Fragen überlassen sie weitgehend dem nationalen Recht und den nationalen Gerichten.703 Der EGMR beschränkt sich folge-
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701
BVerfG NJW 1987 1874 = NStZ 1987 276. OGH Beschl. v. 23.7.2008, 13 Os 73/08x, Tz. 6. OGH Beschl. v. 11.1.2005, 11 Os 126/04 = öJBl 2005 531 m. Anm. Pilnacek; Beschl. v. 23.7.2008, 13 Os 73/08x; OLG Graz ÖJZ 2010 37; vgl. zur Diskussion in Österreich Burgstaller ÖJZ 1986 524; Fuchs ÖJZ 2001 497; Ambos ÖJZ 2003 667; Kirchbacher/ Scholl ÖJZ 2006 323; Stuefer/Soyer ÖJZ 2007 140. Vgl. nur die Anmerkungen der Lit. zu BGHSt 45 321: Roxin JZ 2000 369; Endriß/Kinzig NStZ 2000 271; Sinner/ Kreuzer StV 2000 114; Lesch JR 2000 434;
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Kudlich JuS 2000 951; zur neueren Rechtsprechung: Gaede/Buermeyer HRRS 2008 269; Apfel/Strittmatter Praxiswissen Strafverteidigung im Betäubungsmittelrecht (2009) Rn. 970; auch im Hinblick auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des GG muss die Rspr. die hergebrachten Grundsätze anhand der Entscheidungen des EGMR überdenken (vgl. BVerfGE 111 307 = NJW 2004 3407 – Görgülü; hierzu: Esser StV 2005 348). Gaede/Buermeyer HRRS 2008 279. Vgl. EGMR (GK) Bykov/R, 10.3.2009, § 88, NJW 2010 213 = JR 2009 514, (GK) Gäfgen/D, 1.6.2010, § 162, NJW 2010 3145 = EuGRZ 2010 417 („While Article 6
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Art. 14 IPBPR
richtig auf die Frage, ob das nationale Verfahren – einschließlich der Beweisgewinnung und -verwertung insgesamt fair war (hierzu schon Rn. 179). Dies gilt auch, soweit Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBPR für die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage einige der grundsätzlichen Anforderungen eines fairen Verfahrens ausdrücklich aufführen (sog. zentrale Beschuldigtenrechte; vgl. hierzu schon Rn. 245). Den Vertragsstaaten verbleibt somit ein gewisser Spielraum bei der Ausgestaltung des 269 Beweisverfahrens und seiner justiziellen Kontrolle. Das nationale Recht kann die Entscheidung über die Erhebung der Beweise weitgehend in das Ermessen des Richters stellen,704 es kann aber auch die Gründe festlegen, mit denen die Beweiserhebung im Einzelfall abgelehnt werden darf oder muss. Es ist seine Sache, ob und mit welchem Inhalt es generelle Beweisverbote aufstellt und ob es zum Schutz öffentlicher oder privater Belange die Beweiserhebung einschränkt, so etwa zum Schutz von Geheimhaltungsinteressen des Staates705 oder zum Schutz von Zeugen in einer besonderen Lage, wie sie z.B. in den Zeugnisverweigerungsrechten des nationalen Rechts festgelegt werden.706 Die Rechtsprechung des EGMR zur Beweisgewinnung und -verwertung zeichnet sich 270 daher durch eine gewisse Zurückhaltung und Lückenhaftigkeit aus, weil ihr eine originär menschenrechtliche Betrachtungsweise zugrunde liegt, so dass Verstöße gegen nationale Verfahrensvorschriften nur insoweit relevant werden, als darin eine Beschränkung oder Verletzung der in der EMRK verbürgten Garantien, namentlich der Verfahrensfairness liegt.707 Darüber hinaus führt die vom EGMR im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 EMRK praktizierte Gesamtbetrachtung dieser Verfahrensfairness zu Schwierigkeiten bei der Entwicklung einer verlässlichen (harten) Beweislehre und ihrer praktischen Handhabung.708
guarantees the right to a fair hearing, it does not lay down any rules on the admissibility of evidence as such, which is primarily a matter for regulation under national law.“); siehe ferner: EGMR Schenk/CH (Fn. 478); §§ 45–46; Kostovski/NL, 20.11.1989, A 166 = StV 1990 481 = ÖJZ 1990 312; Windisch/A (Fn. 499); Vidal/B (Fn. 479); Doorson/NL (Fn. 525); Teixeira de Castro/P (Fn. 478), § 34; (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); Khan/UK (Fn. 477); P.G. u. J.H./UK (Fn. 477); (GK) Perna/I (Fn. 479); Destrehem/F, 18.5.2004; Accardi u.a./I (E), 20.1.2005, ECHR 2005-II; Haas/D (E), 17.11.2005, NJW 2006 2753 = NStZ 2007 103 mit Anm. Esser = JR 2006 289; Vaturi/F, 13.4.2006; Popov/R (Fn. 645); Koval/UKR, 19.10.2006; Heglas/CZ, 1.3.2007, § 84; Mika/S (E), 27.1.2009; Baybasin/D (E), 3.2.2009; Tarau/RUM, 24.2.2009; Caka/ALB (Fn. 645); Khametshin/R, 4.3.2010; A.S./FIN, 28.9.2010; Schroeder GA 2003 295; Widmaier FS G. Schäfer 76; Meyer-Ladewig 141; Lubig/Sprenger ZIS 2008 433, 438; Jung GA 2009 651.
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So etwa in Frankreich Art. 310 Code de procédure pénale. EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 467. EGMR Unterpertinger/A (Fn. 521); Beulke FS Rieß 3, 9. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 162 („In particular, it is not its function to deal with errors of fact or of law allegedly committed by a national court unless and in so far as they may have infringed rights and freedoms protected by the Convention.“); siehe auch: EGMR Schenk/CH (Fn. 478), §§ 45–46; Teixeira de Castro/P (Fn. 478), § 34; Heglas/CS (Fn. 703), § 84; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 57. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 163 („It is, therefore, not the role of the Court to determine, as a matter of principle, whether particular types of evidence – for example, evidence obtained unlawfully in terms of domestic law – may be admissible. The question which must be answered is whether the proceedings as a whole, including the way in which the evidence was obtained, were fair.“); Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 58; kritisch auch Jäger GA 2008 473, 480 ff. /
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Trotz dieser strukturellen Nachteile in der Kontrolle der Beweisgewinnung und -verwertung können die aus der Judikatur des EGMR abzuleitenden Grundsätze als Mindestgarantien für eine europäische Beweislehre – einschließlich eines Beweistransfers in Europa verstanden werden.709 Die unterschiedlich ausgestalteten nationalen Vorschriften müssen diesen von der EMRK vorgezeichneten Leitlinien und Standards genügen.
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2. Beweisgewinnung. Die Beweisgewinnung umfasst die Entscheidung über die Zulässigkeit von Beweisen, die im Vorverfahren bereits gewonnen wurden bzw. deren Erhebung im gerichtlichen Verfahren die Anklagebehörde oder Verteidigung beantragen („admissibility of evidence“), die Art und Weise der Erhebung („taking of evidence“), den Nutzen eines noch nicht erhobenen Beweises für die materielle Wahrheitsfindung („relevance of evidence“) sowie die Würdigung der erhobenen Beweise („assess the evidence before them“). Auch die Beweisgewinnung unterliegt keiner vollständigen Kontrolle durch den 273 EGMR; der Gerichtshof beschränkt sich weitgehend auf die Prüfung, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit fair i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK war.710 Innerhalb des Art. 6 EMRK – als Elemente der Verfahrensfairness – ergeben sich für die Beweisgewinnung vor allem aus dem Recht auf effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK), aus dem Frageund Konfrontationsrecht (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) sowie aus dem Recht auf Dolmetscherunterstützung (Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK) konkrete Vorgaben für die Beweisgewinnung; Maßstab ist aber auch hier am Ende die Verfahrensfairness.711 Im Einzelfall kann die vom EGMR favorisierte Gesamtbetrachtung der Verfahrens274 fairness für den Beschuldigten auch von Vorteil sein; etwa dann, wenn einzelne, für sich betrachtet „geringfügige“ Verstöße nicht für sich alleine, wohl aber (erst) in ihrer Gesamtheit die Fairness des Verfahrens „insgesamt“ in Frage stellen. Nur soweit den einzelnen Konventionsbestimmungen konkrete, verbindliche Vorga275 ben zur Beweisgewinnung zu entnehmen sind, können sich Verfahrensfehler isoliert, d.h. außerhalb der (Gesamt-) Verfahrensfairness, in einem Konventionsverstoß niederschlagen. Hierzu zählt das strafprozessuale Gesetzlichkeitsprinzip (Erfordernis einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, etwa für Eingriffe in das Eigentum, Art. 1 des 1. ZP-EMRK, oder in die von Art. 8 EMRK, siehe dort Rn. 36 ff.,712 und Art. 10 EMRK, siehe dort Rn. 41 ff., geschützten Rechte), der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Eingriffen in die von Art. 8 EMRK, Art. 10 EMRK und vom 1. ZP-EMRK geschützten Rechte, das
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Vgl. hierzu Esser in Marauhn (Hrsg.): Bausteine eines europäischen Beweisrechts 39 ff.; vertiefend: Gleß Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung (2006); dies. JR 2008 317. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 163; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 58. Vgl. im Einzelnen auch die Darstellung bei Warnking 45 ff. Zu Eingriffen in Art. 8 EMRK durch Maßnahmen bei der Beweisgewinnung vgl. EGMR Buck/D, 28.4.2005, ECHR 2005-IV = NJW 2006 1495 = StV 2006 561 = StraFo 2005 371 (Durchsuchung); Malone/UK, 2.8.1984, A 82 = EuGRZ 1985 17; /
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M.M./NL (Fn. 657); Doerga/NL, 27.4.2004 (Telefonüberwachung); vgl. auch: Esser 145 ff.; EGMR Taylor-Sabori/UK, 22.10.2002; Uzun/D, 2.9.2010, NJW 2011 1333 = EuGRZ 2011 115 (Überwachung mit GPS-System); hierzu: BGHSt 46 266 = NStZ 2001 386; EGMR Vetter/F, 31.5.2005; Chalkley/UK, 12.6.2003; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477) (akustische Wohnraumüberwachung); Lüdi/CH (Fn. 661); Kostovski/NL (Fn. 703); Teixeira de Castro/P (Fn. 478; Einsatz Verdeckter Ermittler); Brinks/NL (E), 5.4.2005; Rotaru/RUM, 4.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 74 (Datenerhebung).
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Verbot bestimmter Behandlungen, insbesondere im Rahmen einer Vernehmung (Art. 3 EMRK)713 und die zentralen Verteidigungsrechte (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 EMRK). Die EMRK kennt keinen abgeschlossenen Katalog zulässiger Beweismittel.714 Es kommen alle tatrelevanten Erkenntnisquellen als Beweismittel in Betracht, auch der Beschuldigte selbst.715 Ein Mitbeschuldigter kann (Belastungs-)Zeuge i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK sein (dazu unter Rn. 764 ff., 771).716 Für die Beweisaufnahme im weiteren Sinne als solches stellt die EMRK keinen über die Verfahrensfairness hinausgehenden Amtsermittlungs- oder Untersuchungsgrundsatz auf.717 Nur aus wenigen Verfahrensgarantien – beispielsweise bei der Aufklärung eines Tötungsdelikts (Art. 2 EMRK) oder bei einer plausibel behaupteten Folter oder Misshandlung (Art. 3 EMRK)718 – lässt sich eine Pflicht zur umfassenden und zeitnahen Beweiserhebung ableiten. Anstelle einer Festschreibung abstrakter Prozessmaximen interpretieren die an den Beschuldigtenstatus anknüpfenden Konventionen zentrale Fragen des Verfahrensablaufs, die einen menschenrechtlichen Bezug aufweisen, als grundsätzlich disponible Rechte des Beschuldigten. Grenzen für die Beweiserhebung ergeben sich insbesondere aus dem Selbstbelastungsprivileg des Beschuldigten (Rn. 879 ff.), dem Schweigerecht im Speziellen (Rn. 912 ff.) sowie dem Grundsatz der Waffengleichheit (Rn. 202 ff.).719
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3. Beweiswürdigung (im engeren Sinne). Zu Fragen der Beweiswürdigung liegt bis- 280 lang ebenfalls nur eine lückenhafte Judikatur des EGMR vor. Grund hierfür ist, dass der Gerichtshof es ablehnt, die vom Tatgericht festgestellten Tatsachen und erhobenen Beweise einer eigenen Würdigung zu unterziehen.720 Der EGMR hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es nicht seine Aufgabe sei, sich mit Tatsachen- oder (einfachen) Verfahrensfehlern der nationalen Gerichte zu befassen.721 Der EGMR ist weder ein Revisions-/ Kassationsgericht noch ein Gericht „vierter Instanz“.722 713
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Vgl. hierzu Esser 374 ff.; Ambos § 10, 58 ff.; Villiger in: Thürer (Hrsg.), EMRK: Neuere Entwicklungen (2005) 61 ff. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 163 („It is […] not the role of the Court to determine, as a matter of principle, whether particular types of evidence – for example, evidence obtained unlawfully in terms of domestic law – may be admissible.“); Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 58. Die Angaben des Beschuldigten sind „obtained evidence“, vgl. EGMR Allan/UK (Fn. 478). EGMR S.N./S, 2.7.2002, ECHR 2002-V, § 45; vgl. auch: BGH NStZ 2005 224 = JR 2005 247 mit Anm. Esser. Vgl. hierzu Esser in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts 39, 48 f. EGMR Trubnikov/R, 5.7.2005; Fatma Kaçar/TRK, 15.7.2005; Simsek u.a./TRK, 26.7.2005; Esser 105 ff.; Lagodny in: Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht (2004) 83 ff.
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Vgl. hierzu Esser in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts 39 ff. EGMR Gra˘dinar/MOL (Fn. 168), § 107; Vetrenko/MOL (Fn. 595), § 52 („The effect of Article 6 § 1 is (…) to place a „tribunal“ under a duty to conduct a proper examination of the submissions, arguments and evidence, without prejudice to its assessment or to whether they are relevant for its decision, given that the Court is not called upon to examine whether arguments are adequately met.“); (GK) Perez/F (Fn. 89), § 80; Buzescu/RUM (Fn. 595), § 63; siehe auch: EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 37 („Moreover, as long as the resulting decision is based on a full and thorough evaluation of the relevant factors […], it will escape the scrutiny of the Court“). EGMR (GK) García Ruiz/E (Fn. 359), § 28; Cornelis/NL (E), 25.5.2004, ECHR 2004-V. EGMR Kemmache/F (Nr. 3), 24.11.1994, A 296-C, § 44 = ÖJZ 1995 394; Melnychuk/UKR (E), 5.7.2005, ECHR 2005-IX.
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Eine menschenrechtliche Kontrolle der Beweiswürdigung findet dahingehend statt, ob das nationale Gericht bei der Beweiswürdigung die von der Konvention garantierte Verfahrensfairness verletzt hat,723 insbesondere nachvollziehbare Gründe für die Würdigung der Beweise angeführt hat, so dass diese insgesamt nicht als willkürlich („arbitrary“) erscheint.724 Dabei lassen sich folgende Leitlinien des EGMR herausarbeiten: Das erkennende Strafgericht muss die Gründe für seine Entscheidung über die Schuld des Angeklagten so konkret darlegen, dass der Verurteilte von einem im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsmittel Gebrauch machen kann (Darlegungs- und Begründungspflicht; hierzu auch Rn. 231 ff.).725 Wegen der für den Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) liegt die Beweislast („burden of proof“) stets auf Seiten der staatlichen Stellen, namentlich der Anklagebehörde. Diese (im inquisitorischen Verfahren auch das Gericht) hat Beweise vorzulegen, die für eine Verurteilung ausreichen („adduce evidence sufficient to convict him“).726 Wenn eine im Ermittlungsverfahren gewonnene Zeugenaussage zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden soll, ohne dass diesem oder seinem Verteidiger vorher eine Ausübung des Frage- und Konfrontationsrechts (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) ermöglicht worden ist, liegt darin eine den Fairnessgrundsatz berührende Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte.727 Eine Beweisverwertung setzt in diesem Fall voraus, dass die dadurch in der Hauptverhandlung eingetretene Beschränkung der Verteidigungsrechte soweit wie möglich kompensiert wird.728 In engen Ausnahmefällen ist allerdings auch die Verwertung von Beweisen zulässig, deren Erhebung weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger durch eine effektive Ausübung des Frage- und Konfrontationsrechts beeinflussen konnten. In diesem Fall soll der Beweiswürdigung eine zentrale Rolle bei der Wahrung der Verfahrensfairness zukommen (dazu Rn. 789 ff., 799).729 Diese Grundsätze gelten in erster Linie für die Verwertung von Zeugenaussagen,730 können aber auch für die Berücksichtigung tatschuldrelevanter Gegenstände (Augenscheinsobjekte) zur Anwendung kommen (siehe schon Rn. 218). Zum Nachteil des Beschuldigten dürfen solche Beweise nur verwertet werden, wenn sie zuvor zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind („produced in court at the trial“), und zwar in einer Art und Weise, die es der Verteidigung erlaubt, die Identität und Relevanz derartiger Gegenstände in einer effektiven Art und Weise in Frage zu stellen („chal723
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EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 88; (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 162 („In particular, it is not its function to deal with errors of fact or of law allegedly committed by a national court unless and in so far as they may have infringed rights and freedoms protected by the Convention.“). EGMR Köktas/D (E), 13.9.2011 (geringerer Beweiswert widerrufener Angaben; mögliche Belastungsmotive berücksichtigt; insgesamt gesehen trotz „Willkürmaßstab“ recht eingehende Überprüfung der Beweiswürdigung durch den EGMR). EGMR Hadjianastassiou/GR (Fn. 600); vgl. hierzu Esser 745 ff. EGMR Barberà, Messequé u. Jabardo/E (Fn. 561), § 77; siehe auch: Esser 624, 742 f.
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EGMR Solakov/MAZ, 31.10.2001, ECHR 2001-X, § 62; S.N./S (Fn. 716), §§ 43 ff.; Visser/NL, 14.2.2002, §§ 43-52 = StraFo 2002 160; Lucà/I, 27.2.2001, ECHR 2001-II, §§ 39–45; Scheper/NL (E), 5.4.2005; zum Drei-Stufen-Modell des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK: Demko ZStR 2004 416, 418 ff.; Renzikowski JZ 1999 605, 606, 611 f. Zur Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK auf nationaler Ebene: BGH NJW 2005 1132 = NStZ 2005 224 = JR 2005 247 mit Anm. Esser. EGMR Lüdi/CH (Fn. 661), § 47; van Mechelen u.a./NL (Fn. 541). EGMR Asch/A (Fn. 499); siehe hierzu auch Esser 652 ff.; Widmaier FS G. Schäfer 76 ff. EGMR P.S./D (Fn. 525).
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Recht auf ein faires Verfahren
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lenge their identification or relevance in a fully effective manner“).731 Als Kompensation für ihre unterbliebene Präsentation in der Hauptverhandlung kommt auch hier die Vorlage der Gegenstände gegenüber dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger im Ermittlungsverfahren oder zu einem anderen Zeitpunkt des Verfahrens in Betracht. 4. Beweisverbote. Da sich der Gerichtshof auf die Feststellung eines Konventionsver- 286 stoßes beschränken muss (Art. 41 EMRK) und nur in Ausnahmefällen andeutet, welche konkreten Folgen sich seiner Ansicht nach für den betroffenen Vertragsstaat aus dem festgestellten Verstoß ergeben, kann nur aufgrund einer exakten sprachlichen Analyse der Judikatur732 auf etwaige aus der EMRK abzuleitende Beweisverbote geschlossen werden. Auch für die nationale Beweisverwertung legt der Grundsatz der Verfahrensfairness, Art. 6 Abs. 1 EMRK, nur einen allgemeinen „weichen“ Mindeststandard fest, wodurch die Entwicklung einer verlässlichen Beweis(verbots)lehre auf der Grundlage der EMRK erschwert wird.733 a) Beweiserhebungsverbote. Der EGMR lehnt allgemeine Ausführungen zur Zuläs- 287 sigkeit von Beweismitteln ab.734 Jedoch geht mit der Beanstandung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen durch den Gerichtshof implizit eine Aussage über die Unzulässigkeit der Beweisgewinnung einher. Daher können sich Beweiserhebungsverbote entweder aus einem Verstoß gegen eine Vorschrift aus dem nationalen Verfahrensrecht oder – bei Einhaltung des nationalen Rechts – aus einer Verletzung der EMRK ergeben. Ein (aus der EMRK abzuleitendes) Beweiserhebungsverbot wegen Verletzung des 288 nationalen Rechts setzt voraus, dass entweder die entsprechende Konventionsgarantie eine Verweisung auf das nationale Recht enthält oder dass die nationale Verfahrensvorschrift, gegen die verstoßen wurde, am Schutzgehalt einer in der EMRK verbürgten Garantie teilnimmt. Im Ergebnis kommt es also immer darauf an, ob gegen eine Garantie der EMRK verstoßen wird. Fehler nach nationalem Recht ohne unmittelbare oder wenigstens mittelbare Anknüpfung an die EMRK mögen eine strafprozessuale Revision begründen können; menschenrechtlich bleiben sie ohne prozessuale Folgen. Auch bei Einhaltung des nationalen Rechts kann sich ein Beweisverbot „autonom“ 289 aus einer konventionswidrigen Beweiserhebung ergeben (insbesondere in der Konstellation, dass das nationale Recht im Schutzgehalt hinter der Konvention „zurückbleibt“). So liegt bei Art. 8 EMRK eine (originär) konventionswidrige Beweiserhebung vor, wenn für den konkreten Eingriff in ein von dieser Vorschrift geschütztes Recht keine gesetzliche Grundlage im nationalen Recht vorhanden ist 735 (und dort auch nicht verlangt wird) oder eine nationale gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht die von Art. 8 Abs. 2 EMRK geforderten „procedural safeguards“ besitzt (siehe hierzu Art. 8 EMRK Rn. 36 ff.). Die Kompensation einer konventionswidrigen Beweiserhebung – außerhalb des Fairnessgebots – kommt in diesem Fall nicht in Betracht, weil auch eine „noch so faire“ weitere Verfahrensgestaltung den eingetretenen „isolierten“ (von der Verfahrensfairness trennbaren) Verstoß gegen eine spezielle Garantie der Konvention jenseits des Art. 6 EMRK nicht beheben könnte.736 731 732
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EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561), §§ 19, 88–89. Exemplarisch ausgeführt bei Esser in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts 39, 49 f. am Urteil Teixeira de Castro/P (Fn. 478). Vgl. auch Jäger GA 2008 473, 480 ff.
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EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 89. Siehe etwa: EGMR Halford/UK, 25.6.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 311. Esser in Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts 39, 55 f.
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Umgekehrt zieht die Verletzung einer speziellen Garantie der Konvention (z.B. von Art. 8 EMRK; siehe dort Rn. 58 ff.) bei der Beweisgewinnung nach ständiger Rechtsprechung des EGMR nicht notwendig auch eine Verletzung von Art. 6 EMRK nach sich. Es kommt stets darauf an, ob durch den (Verfahrens-)Mangel die Fairness des Verfahrens insgesamt derart beeinträchtigt worden ist, dass die Verteidigungsrechte nicht mehr effektiv gewährleistet waren.737 Jedoch herrscht über diese Position zwischen den Richtern am EGMR keinesfalls Einigkeit738 und auch in den Reihen der Literatur bildet sich allmählich eine Gegenansicht heraus.739 Auch die Verletzung eines von Art. 6 EMRK speziell geschützten Beschuldigtenrechts 291 (vgl. die Rechte aus Art. 6 Abs. 3 EMRK; Schweigerecht) hat nicht zwingend die (endgültige) Feststellung eines Verstoßes gegen die Verfahrensfairness zur Folge; auch insoweit wird auf die Wahrung der Fairness des Verfahrens insgesamt abgestellt. Der EGMR trifft die Entscheidung über die Verwertbarkeit eines unter Verstoß gegen 292 den nemo-tenetur-Grundsatz gewonnenen Beweises also nicht abstrakt, sondern legt seiner Prüfung die Gesamtumstände des Falles zugrunde.740 Zwar dürfe eine Verurteilung nicht im Wesentlichen auf das Schweigen des Beschuldigten gestützt werden. Zulässig sei aber, dass dieses Schweigen in eben solchen Situationen, die offensichtlich einer Erklärung von Seiten des Beschuldigten verlangen, bei der Beweiswürdigung miteinbezogen werde (vgl. Rn. 916).741 Auch Gerichte, die – wie in Deutschland – nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung und gerade ohne feste Beweisregeln entscheiden, sind an diese Grundsätze des EGMR gebunden.742
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b) Beweisverwertungsverbote. Von der Rechtmäßigkeit bzw. Konventionskonformität der Beweiserhebung ist die Frage zu trennen, ob bestimmte bereits gewonnene Beweise zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden dürfen oder ob insoweit ein Beweisverwertungsverbot besteht. Zweifelhaft ist, ob sich aus den Urteilen des EGMR zu Beschlagnahmeverboten 294 selbstständige Beweisverwertungsverbote ergeben, die sich allein aus der Art des beschlagnahmten Gegenstandes erklären. Der Gerichtshof hat Beschlagnahmeverbote für Aufzeichnungen aus dem Bereich der Intimsphäre743 sowie für Druckschriften, Presseerzeug-
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EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 165 („As to the examination of the nature of the Convention violation found, the Court reiterates that the question whether the use as evidence of information obtained in violation of Article 8 rendered a trial as a whole unfair contrary to Article 6 has to be determined with regard to all the circumstances of the case, including, respect for the applicant’s defence rights and the quality and importance of the evidence in question.“); Khan/UK (Fn. 477), §§ 35–40; P.G. u. J.H./UK (Fn. 477), §§ 77–79; Bykov/R (GK) (Fn. 703), §§ 94–98; Lubig/Sprenger ZIS 2008 433, 439. EGMR Khan/UK (Fn. 477), partly dissenting opinion of Judge Loucaides; EGMR P.G. und J.H./UK (Fn. 477), partly dissent-
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ing opionion of Judge Tulkens, § 1; Bykov/R (GK) (Fn. 703), partly dissenting opinion of Judge Spielmann, § 37. So etwa Jung GA 2003 193, 198; ders. GA 2009 651, 654 f. EGMR (GK) John Murray/UK, 8.2.1996, Rep. 1996-I = EuGRZ 1996 587 = ÖJZ 1996 627; Condron/UK (Fn. 543). EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740); Condron/UK (Fn. 543); Beckles/UK, 8.10.2002, ÖJZ 2004 67. EGMR Telfner/A, 20.3.2001, ÖJZ 2001 613. EGMR Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = NJW 1984 541 = EuGRZ 1983 488; Z/FIN, 25.2.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1998 152 (Krankenakte).
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nisse und Kunstwerke postuliert.744 Allerdings stand nicht speziell die Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände im Zentrum der Überlegungen, sondern – bedingt durch die Konzeption der Eingriffsvorbehalte in Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 EMRK – die Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme selbst. Zahlreicher sind unselbstständige Beweisverwertungsverbote, die erst aus einer (national) rechtswidrigen oder gar konventionswidrigen Beweisgewinnung entstehen. Grundsätzlich zieht nicht jede nach den nationalen Normen fehlerhafte Beweiserhebung („unlawfully obtained evidence“) nach den Vorgaben der EMRK ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Der EGMR nimmt an, dass die Verwertung dieser Beweise nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, soweit das Strafverfahren trotz der Verwertung insgesamt fair durchgeführt wird; maßgeblich ist, dass die Rechte der Verteidigung (noch) effektiv garantiert werden.745 Dazu gehört nicht nur, dass dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben wird, die Echtheit des Beweises in Frage zu stellen und seiner Verwertung zu widersprechen,746 sondern auch, dass das Strafgericht eine Vielzahl von Beweisen bei der Urteilsfindung berücksichtigt und die Verurteilung nicht allein auf die Verwertung des rechtswidrig erlangten Beweises stützt. Bei zuverlässigen Beweismitteln darf die Verurteilung aber von Konventions wegen unter Umständen allein auf sie gestützt werden.747 Auch die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) steht der Verwertung eines rechtswidrig erhobenen Beweises nicht per se entgegen, da sie es lediglich verbietet, den Beschuldigten vor seiner Verurteilung als schuldig zu behandeln. Dies liefert aber keinen Maßstab für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes (siehe auch Rn. 503).748 In der Verwertung des konventionswidrig erlangten Beweises liegt weder ein (zweiter) Verstoß gegen die bereits missachtete Konventionsgarantie noch ein (automatischer) Verstoß gegen die Verfahrensfairness, Art. 6 Abs. 1 EMRK.749 Auch erzeugt eine konventionswidrige Beweisgewinnung nicht automatisch ein von der Konvention gefordertes Beweisverwertungsverbot. Besonderheiten gelten allerdings bei einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Im Anschluss an das Urteil der Großen Kammer im Fall Gäfgen750 dürfte die Verwertung eines unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK erlangten Beweises nur noch in Ausnahmefällen keine Verletzung von Art. 6 EMRK darstellen (ausführlich dazu Rn. 952 ff.). Selbst beim Zeugenbeweis – konkret bei einer Einschränkung des Frage- und Konfrontationsrechts (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) – kommt die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht (vgl. im Einzelnen Rn. 796). Konkretere Anforderungen an die Beweisverwertung hat der EGMR vereinzelt für einige Fallkonstellationen aufgestellt,751 so zum Beispiel im Urteil Schenk752 zur Verwer-
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Vgl. hierzu: Esser 135 ff. EGMR Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), §§ 57 ff. EGMR Allan/UK (Fn. 478). EGMR Lee Davies/B, 28.7.2009, § 52 („Lorsque la qualité de cet élément de preuve est très solide et ne prête à aucun doute, le besoin d’autres éléments à l’appui devient moindre.“); (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 90; Lubig/Sprenger ZIS 2008 433, 434. EGMR Schenk/CH (Fn. 478), §§ 46–48, 51. Anders sehen dies einige Richter am EGMR, die die Linie vertreten, ein Verfahren das /
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unter Missachtung der Garantien der EMRK durchgeführt werde, könne nicht fair sein. Vgl. EGMR Khan/UK (Fn. 477), partly dissenting opinion of Judge Loucaides; EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 477), partly dissenting opionion of Judge Tulkens, § 1; (GK) Bykov/R (Fn. 703), partly dissenting opinion of Judge Spielmann, § 37. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703). EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478); zur Tatprovokation siehe auch: EGMR Sequeira/P (E) (Fn. 680). EGMR Schenk/CH (Fn. 478), §§ 48, 52–53.
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tung der von einer Privatperson rechtswidrig hergestellten Tonbandaufnahme eines Telefongesprächs oder im Urteil Barberà 753 zur Verwertung von Angaben, die ein Beschuldigter ohne den erforderlichen Zugang zu einem Verteidiger gemacht hatte, sowie im Urteil Teixeira de Castro zu den aus einer konventionswidrigen Tatprovokation gewonnenen Erkenntnissen (siehe Rn. 258 ff.).754 Deutlichere Konturen weist der nemo-tenetur-Grundsatz auf. Im Urteil Allan hat der 300 EGMR den im konkreten Fall vorliegenden Verstoß gegen das Selbstbelastungsprivileg („Zellenspitzel“) neben der Beweiserhebung ausdrücklich auch – ob alternativ oder kumulativ wird allerdings nicht recht deutlich – aus der Verwertung des Beweisergebnisses hergeleitet (siehe aber Rn. 948 ff.).755
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5. Angleichung der nationalen Regeln zur Beweiserhebung und -verwertung auf der Ebene der Europäischen Union. Für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf die Erlangung und Verwertung von Beweisen in Strafverfahren mit Auslandsbezug bestehen gegenwärtig parallel verschiedene Rechtsgrundlagen. Die auf der Ebene des Europarates bestehenden Übereinkommen (mit dem EuRhÜbk von 1959 als Ursprung) werden ergänzt durch zahlreiche weitere Rechtshilfeübereinkommen, insbesondere durch das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 29.5.2000756 sowie durch das SDÜ.757 Weiterhin Gültigkeit haben zwei Rahmenbeschlüsse,758 die – basierend auf dem EU302 Vertragswerk von Nizza – auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in den Mitgliedstaaten gestützt sind. Nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 22.7.2003 zur Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln759 hatte der Rat der Europäischen Union am 18.12.2008 nach mehr als vier Jahre dauernden Beratungen den Rahmenbeschluss 2008/978/JI über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen760 angenommen. Der Rahmenbeschluss – ein Instrument der früheren Dritten Säule – war am 19.1.2009 in Kraft getreten und bis zum 19.1.2011 in nationales Recht umzusetzen (Art. 23 Abs. 1 RB). Die Konzeption der Europäischen Beweisanordnung (EBA) geht zurück auf die 303 Beschlüsse des EU-Sondergipfels von Tampere 1999, durch den die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit (PJZS) in Europa erstmals verbindlich vereinbart wurde. Die EBA basiert auf dem dort proklamierten und mittlerweile im Vertrag von Lissabon (vgl. Art. 82 Abs. 1 AEUV) verankerten Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das bis dahin lediglich im (früheren) Gemeinschaftsrecht (Warenverkehrsfreiheit) bekannt war.
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755
EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561), §§ 87, 89. Ausführliche Darstellung und Analyse dieser und weiterer Konstellationen bei Warnking Strafprozessuale Beweisverbote in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Recht (2009). EGMR Allan/UK, 5.11.2002 (Fn. 478); zur dogmatischen Trennung zwischen Beweisgewinnung und -verwertung in Bezug auf
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das Schweigerecht vgl. auch EGMR Shannon/UK (Fn. 658), § 35. ABlEG Nr. C 197 v. 12.7.2000, S. 1. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.6.1985 […] betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen v. 19.6.1990. Hierzu: Zeder ÖJZ 2009 992. ABlEU Nr. L 196 v. 2.8.2003, S. 45. ABlEU Nr. L 350 v. 30.12.2008, S. 72; im Folgenden RB-EBA.
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Keimzelle des RB war ein Vorschlag der EU-Kommission vom 14.11.2003.761 Das 304 Europäische Parlament war in der Entstehung nur im Anhörungsverfahren beteiligt (vgl. Art. 39 Abs. 1 EUV a.F.).762 Bemerkenswert ist dabei, dass der EP-Ausschuss Recht und Binnenmarkt das Rechtsinstrument von Anfang an abgelehnt und dabei Kritikpunkte formuliert hatte, die der EBA – ebenso dem seit April 2010 in Planung befindlichen Nachfolgemodell EEA (dazu Rn. 306) – bis heute entgegengehalten werden.763 Auf nationaler Ebene hat die förmliche Umsetzung des RB noch nicht begonnen. Der 305 BT-Rechtsausschuss hatte sich bereits 2004764 kritisch zur damals noch im Entwurfsstadium befindlichen EBA geäußert. Ein wesentlicher Kritikpunkt war, dass auf EUEbene repressive Maßnahmen vorrangig und vor allem deutlich schneller als die Beschuldigtenrechte harmonisiert werden. Hinzu kam die Kritik an unzureichenden Möglichkeiten, die Vollstreckung einer aus dem Ausland eintreffenden EBA abzulehnen. Erhebliche Bedenken hatten auch die BRAK, der DAV sowie die CCBE geäußert. Schünemann bemängelt, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Strafrecht zum Rückzug auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Grundrechtsschutz führe.765 Bemerkenswert ist, dass noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist für den RB-EBA Arbei- 306 ten an einer noch weiter reichenden Maßnahme zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat begonnen haben. Die Kommission hatte zur Vorbereitung ihres eigenen für 2011 geplanten RiL-Vorschlags bereits Ende 2009 ein entsprechendes Grünbuch als Diskussionsgrundlage aufgelegt.766 Seit April 2010 liegt eine Initiative mehrerer Mitgliedsstaaten mit einem konkreten Vorschlag für eine auf Art. 82 Abs. 2 Satz 2 lit. a AEUV gestützte Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vor,767 die Teile des Grünbuches aufgreift. Ziel der geplanten Richtlinie ist die Bündelung der einzelnen zum Beweistransfer vorliegenden Rahmenbeschlüsse768 zu einer einzigen Richtlinie,769 die nun auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen als Regelungsinstrument zur Verfügung steht (Art. 82 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Kernelement soll eine sog. Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) werden. Die nationalen Parlamente sind bereits mit dem Entwurf befasst worden. Der Deutsche Bundestag hat auf Vorschlag des Rechtsausschusses770 die Bun-
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KOM (2003) 688 endg. Der EP-Ausschuss für Justiz und Inneres stimmte dem RB-EBA vorbehaltlich einiger Änderungen letztlich zu. In einer endgültigen Stellungnahme v. 15.10.2008 formulierte das EP mehrere Änderungsvorschläge, u.a. ein Recht der Verteidigung auf Beantragung einer EBA. Stellungnahme v. 29.9.2004, BTDrucks. 15 S. 3831. Schünemann ZRP 2003 187 f.; ferner zur EBA: Gazeas ZRP 2005 18; Ahlbrecht NStZ 2006 70; Krüßmann StraFo 2008 458; Esser FS Roxin II 1497; Stefanopoulou JR 2011 54. „Erlangung verwertbarer Beweise zur Verwendung in Strafverfahren in anderen Mitgliedsstaaten“, KOM (2009) 624 v. 11.11.2009; hierzu: Schünemann/Roger ZIS 2010 92.
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ABlEU Nr. C 165 v. 24.6.2010, S. 22. Neben dem RB-EBA gibt es noch den aus dem Jahr 2003 stammenden Rahmenbeschluss 2003/577/JI über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABlEU Nr. L 196 v. 2.8.2003, S. 45); zur Umsetzung im nationalen Recht siehe Gesetz v. 6.6.2008 (BGBl. I S. 995). Der Erlass eines RB ist mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1.12.2009 nicht mehr möglich. Die bereits in Kraft getretenen RB behalten aber ihre Wirksamkeit; siehe Art. 9 des Protokolls Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon, ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 322. Beschluss des Deutschen Bundestages, Stellungnahme gem. Art. 23 Abs. 3 GG v. 7.10.2010, BTDrucks. 17 S. 3234.
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desregierung aufgefordert, den unter Federführung Belgiens entstandenen RL-E in seiner vorgelegten Form abzulehnen.771
VII. Anspruch auf Entscheidung in angemessener Frist 307
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1. Allgemeines. Die Gewährleistung des Zugangs zu Gericht (Rn. 104 ff.) kann ihre Schutzfunktion für den Einzelnen nur dann voll entfalten, wenn dieser in absehbarer Zeit auch eine Entscheidung des Gerichts in der Sache erwarten kann. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt deshalb für alle ihm unterfallenden Verfahren (Rn. 28 ff.) einen Anspruch auf „Verhandlung“ in angemessener Frist („within a reasonable time“ / „dans un délai raisonnable“).772 Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR drückt diese Garantie noch klarer aus, indem er eine Aburteilung ohne unangemessene Verzögerung („tried without undue delay“ / „jugée sans retard excessif“) fordert; diese Garantie ist allerdings auf strafrechtlich angeklagte Personen beschränkt. Das Recht auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK soll die physischen und psychischen, nicht selten finanziell-existenziellen Belastungen in Grenzen halten, die jedes gerichtliche Verfahren für die Betroffenen regelmäßig mit sich bringt. Eine zügige Verfahrenserledigung ist darüber hinaus unerlässlich für die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege sowie für deren Ansehen und Glaubwürdigkeit. Vor allem für das Strafverfahren – hierzu zählt u.a. auch das deutsche Ordnungswidrigkeitenverfahren (Rn. 74) 773 – soll gewährleistet werden, dass der Beschuldigte nicht länger als nötig unter der Last eines seine Aburteilung bezweckenden Verfahrens774 verbleibt. Hieraus ergibt sich – ebenso wie aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Verbot unnötiger oder unverhältnismäßiger Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche – ein Anspruch des jeweils Beteiligten, dass jedes ihn betreffende Verfahren zügig durchgeführt wird, vor allem ein Strafverfahren.775 Das Gebot, die angemessene Verfahrensdauer nicht zu überschreiten, umfasst das gesamte innerstaatliche Verfahren, ausgehend von behördlichen Ermittlungen über die gerichtlichen Verfahren in allen Instanzen bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss.776 Auch ein verfassungsgerichtliches Verfahren muss innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen werden, unabhängig davon, ob das Gericht über eine gegen das Urteil erho-
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BT-Beschluss, Stellungnahme gem. Art. 23 Abs. 3 GG v. 7.10.2010, BTDrucks. 17 3234 S. 5 f. Zum Spannungsverhältnis zwischen angemessener Verfahrensdauer und den einzelnen Gewährleistungen des fairen Verfahrens siehe: KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 103 mit dem Hinweis darauf, dass ein Mehr an Verfahrensrechten regelmäßig das Verfahren verlängert; vgl. dazu auch Grabenwarter § 24, 68. Vgl. zum Begriff der strafrechtlichen Anklage Rn. 68 ff.; zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung im Buß-
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geldverfahren: OLG Bamberg NJW 2009 2468. Vgl. etwa Kohlmann FS Pfeiffer 205; I. Roxin 249 ff.; Schroth NJW 1990 31 je m.w.N. H.M.; vgl. etwa EGMR Wemhoff/D (Fn. 246); ferner Art. VII Abs. IX lit. a NATO-Truppenstatut, das dem Beschuldigten ausdrücklich ein Recht auf alsbaldige und schnelle Verhandlung garantiert; dazu BGHSt 21 61. HRC Charles Gurmurkh Sobhraj/Nepal, 27.7.2010, 1870/2009, § 7.4.
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bene Verfassungsbeschwerde entscheidet777 oder sonst mit der Sache befasst worden ist.778 Bei einer Richtervorlage (Art. 100 GG) oder einem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) wird der Abschluss des Verfahrens durch das zwischengeschaltete Verfahren (Inzidenzverfahren) ohne Rücksicht auf dessen Gegenstand schon rein faktisch um die Dauer des verfassungsgerichtlichen bzw. unionsrechtlichen Verfahrens hinausgezögert.779 Gleiches gilt, wenn das Verfassungsgericht die Sache unter ganzer oder teilweiser Aufhebung des fachgerichtlichen Endurteils zurückverwiesen hat. Entscheidend ist stets, ob in dem zugrundeliegenden Verfahren (noch) über einen zivilrechtlichen Anspruch oder über eine strafrechtliche Anklage entschieden wird. Bei Entscheidungen über eine Auslieferungshaft ist eine unangemessen lange Verfah- 312 rensdauer ebenso zu berücksichtigen, so dass ggf. eine Fortdauer der Auslieferungshaft nicht mehr zulässig ist (hierzu auch: Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK).780 2. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer a) Allgemeine Grundsätze. Die Maßstäbe und Kriterien für die Beurteilung der Ange- 313 messenheit einer Verfahrenserledigung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR sind etwas großzügiger als die speziell für Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR geltenden Grundsätze – dort ist speziell über die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung zu entscheiden (siehe Art. 5 EMRK Rn. 125, 239, 248 ff.). Bei jugendlichen Beschuldigten, die sich in Untersuchungshaft befinden, schreibt Art. 10 Abs. 2 lit. b IPBPR explizit vor, dass die Sachentscheidung so schnell wie möglich ergehen muss (vgl. Art. 5 EMRK Rn. 408). Welche Dauer des jeweiligen Verfahrens noch als angemessen angesehen werden 314 kann, legen weder die Konventionen noch die Spruchpraxis der Kontrollgremien (EGMR/HRC) näher fest.781 Es kommt stets auf die Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls an.782 Auch aus der Rechtsprechung des EGMR lassen sich keine
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Vgl. EGMR Kraska/CH, 19.4.1993, A 254-B = ÖJZ 1993 818; Pammel/D, 1.7.1997, Rep. 1997-IV = NJW 1997 310 = EuGRZ 1997 310 = ÖJZ 1998 316; Probstmeier/D, 1.7.1997, Rep. 1997-IV = NJW 1997 2809 = EuGRZ 1997 405; Becker/D, 26.9.2002, EuGRZ 2003 26; (GK) Süßmann/D, 16.9.1996, Rep. 1996-IV = EuGRZ 1996 514 = ÖJZ 1997 274 (Verstoß verneinend); Kind/D, 20.2.2003, EuGRZ 2003 228; Ruiz-Mateos/E (Fn. 85); Gast u. Popp/D (Fn. 77); Klein/D (Fn. 77); MeyerLadewig 73. Dazu Matscher EuGRZ 1993 449, 450 ff., der wegen der unterschiedlichen Funktion des Verfassungsgerichts nach verschiedenen Fallgruppen unterscheiden will, so ob die Verfassungsbeschwerde selbst einen zivilrechtlichen Anspruch oder eine strafrechtliche Anklage zum Gegenstand hat oder ob sie eine nicht darunter fallende Frage, wie etwa die Frage der Staatsangehörigkeit oder die abstrakte Normenkontrolle, betrifft.
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Vgl. EGMR Voggenreiter/D (Fn. 77; Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz). Matscher EuGRZ 1993 449, 451: Dauer jedes Zwischen-, Parallel- oder Inzidentverfahrens verlängert faktisch den Abschluss des Hauptverfahrens, ohne Rücksicht darauf, ob es selbst einen Art. 6 EMRK unterfallenden Gegenstand hat; vgl. auch Vorwerk JZ 2004 553, 555. BVerfG NJW 2000 1252; KK-EMRK-GG/ Dörr Kap. 13, 206. Vgl. den (ersten) Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzungen des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren (Untätigkeitsbeschwerdengesetz, 2005), zum Thema allgemein schon Gaede wistra 2004 169; hierzu Art. 13 EMRK Rn. 77. Vgl. EGMR (GK) Frydlender/F (Fn. 154); Adam/D, 4.12.2008; Güli Kara/TRK, 15.9.2009; BVerfGE 55 349, 369; BVerfG NJW-RR 2010 207; BVerfG EuGRZ 2009 669 mit krit. Anm. Mansdörfer GA 2010 153, 156; Trechsel 141 („… essential that
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festen zeitlichen Räume oder Grenzen für einzelne Verfahrensabschnitte oder gar für die Gesamtverfahrensdauer entnehmen783 – wohl aber konkrete Leitlinien für die Bestimmung der Angemessenheit.784 Ein extrem langer Zeitraum hat die Vermutung einer Konventionsverletzung für sich, die durch die jeweilige Regierung entkräftet werden muss.785 Dagegen lässt eine nur in einem Verfahrensabschnitt eingetretene Verzögerung erst dann den Schluss auf eine Konventionsverletzung zu, wenn sie nicht durch eine Beschleunigung in anderen Verfahrensabschnitten „ausgeglichen“ wird und somit das Verfahren insgesamt als überlang erscheint.786 Unangemessen lange dauert ein Verfahren, wenn es den Betroffenen länger als nach der Sachlage zur Vertretung seiner Interessen oder zur Wahrung der Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten erforderlich belastet. Zu berücksichtigen ist dabei letztlich immer nur die Verfahrensdauer, die auf einer dem Staat und seinen Organen i.S.v. Art. 1 EMRK zuzurechnenden Verzögerung beruht.787 Die Verfahrensdauer, die für die sachgerechte Erledigung des jeweiligen Verfahrens bei ordnungsgemäßer Sachbearbeitung im normalen Verfahrensbetrieb notwendig ist – das ist mehr als die bei größtmöglicher Beschleunigung erreichbare Minimaldauer – muss überschritten sein.788 Hält sich die Gesamtdauer des Verfahrens bei Berücksichtigung seines Gegenstands und der Schwierigkeiten der Ermittlungen im angemessenen Rahmen, liegt im Umstand, dass das Gericht wegen anderer vorrangiger Sachen den Fortgang des Verfahrens während einiger Monate nicht wesentlich gefördert hat, für sich allein noch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot.789 Das stetige Anschwellen der Beschwerden, die sich auf eine unangemessene Verfahrensdauer stützen (die Garantie ist die am häufigsten vor dem EGMR in Anspruch ge-
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each case be assessed on its own merits“); SK/Paeffgen 116 m.w.N.; zur Berücksichtigung der besonderen Situation der Wiedervereinigung einerseits: EGMR (GK) Süßmann/D (Fn. 777); Gast u. Popp/D (Fn. 77); andererseits: EGMR Klein/D (Fn. 77); Hesse-Anger/D, 6.2.2003. EGMR Panchenko/R, 8.2.2005 (ein Jahr pro Instanz als Faustregel); dazu krit. Meyer-Ladewig 77; vgl. ferner die Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR zur Angemessenheit der Verfahrensdauer bei Meyer-Ladewig 82 f.; SK/Paeffgen 116 („relationaler Begriff“), Villiger 468; Wittling-Vogel/Ulick DRiZ 2008 87 ff.; BVerfG NJW-RR 2010 207. Insoweit missverständlich BVerfG NJW-RR 2010 207. EGMR Eckle/D (Fn. 245); IK-EMRK/Kühne 329; Ulsamer FS Faller 376. EGMR Nuutinen/FIN, 27.6.2000, ECHR 2000-VIII, § 110; Metzele/D (E), 2.6.2009 – zivilrechtliche Streitigkeit („however, a delay at some stage may be tolerated if the overall duration of the proceedings cannot
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be deemed excessive“); BGH NStZ-RR 2006 50; StV 2008 663 = StraFo 2008 513; NStZ-RR 2008 285 = StV 2009 338; NJW 2011 3314, Tz. 39 (eine isolierte Bewertung mehrerer Verfahrensabschnitte, gesonderte Kompensation und anschließende Addition ist unzulässig; vielmehr muss die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick genommen werden). Etwa EGMR Buchholz/D (Fn. 106); Gast u. Popp/D (Fn. 77); Metzger/D, 31.5.2001, NJW 2002 2856 = StV 2001 489 mit Anm. I. Roxin = EuGRZ 2001 299; Ambos NStZ 2002 628, 630; Kühne StV 2001 530; Jacobs/White/Ovey 188; Harris/O’Boyle/ Warbick 280. Zu den Ursachen der überlangen Verfahrensdauer vgl. etwa Barton StV 1996 690; Kempf StV 1997 208; Kohlmann FS Pfeiffer 206; I. Roxin 77 ff. (auch zu den verschiedenen Ansätzen zur Berechnung der nicht mehr angemessenen Frist); ter Veen StV 1997 374. Siehe auch: BGH NStZ 1999 313 = StV 1999 205; NStZ 2003 384.
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nommene), haben den Gerichtshof inzwischen veranlasst, die Verfahrensdauer nicht mehr akribisch,790 sondern zunehmend summarisch („global assessment“) zu überprüfen.791 b) Komplexität des Verfahrens. Neben der abstrakten Gesamtdauer des jeweiligen 319 Verfahrens spielen in der Regel 792 dessen Umfang und Komplexität, d.h. etwaige im Verfahren aufgeworfene besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten, die zentrale Rolle bei der Beurteilung der Verfahrensfairness.793 Als besonders komplex sieht der EGMR beispielsweise an: eine große Anzahl von Beteiligten; die Lösung schwieriger Rechtsfragen, bei der sich das Gericht nicht auf eine ständige Rechtsprechung berufen kann; das Erfordernis, Auskünfte über anzuwendendes ausländisches Recht einzuholen.794 Die Komplexität muss sich gerade aus den Tatsachen des Falles ergeben; beruht sie hingegen z.B. auf mehreren aufeinanderfolgenden Gesetzesänderungen, unterfällt die Verzögerung der alleinigen Verantwortlichkeit des Staates. Der Staat muss die Komplexität des Verfahrens darlegen und ggf. beweisen.795 c) Verfahrensgang und Justizorganisation. Zunehmend an Bedeutung gewonnen hat 320 die konkrete Sachbehandlung und Gestaltung des Verfahrens durch die nationalen Behörden und Gerichte.796 Das nationale Verfahrensrecht wird als solches nicht abstrakt auf seine Tauglichkeit 321 zur zügigen Verfahrenserledigung überprüft,797 sondern nur daraufhin, ob im konkreten 790 791 792
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Vgl. hierzu schon EGMR König/D (Fn. 38); Obermeier/A (Fn. 106). Vgl. EGMR Mianowski/PL, 16.12.2003; Frowein/Peukert 250. Nur wenn die Gesamtdauer des Verfahrens schon so unverhältnismäßig ist, dass sie unter keinem Gesichtspunkt mehr angemessen sein kann, entscheidet der EGMR ohne Prüfung der Einzelheiten aufgrund einer globalen Beurteilung, vgl. EGMR Obermeier/A (Fn. 106) (nach 9 Jahren noch nicht erledigtes arbeitsgerichtliches Verfahren über eine Suspendierung); ferner etwa EGMR Metzger/D (Fn. 787); Grabenwarter § 24, 46. Vgl. EGMR (GK) McFarlane/IR, 10.9.2010; (GK) Pedersen u. Baadsgaard/DK, 17.12. 2004, ECHR 2004-XI = NJW 2006 1645; Kaemena u. Thöneböhn/D, 22.1.2009, StV 2009 561 mit Anm. Krehl und Krawczyk = JR 2009 172 = HRRS 2009 Nr. 808 sowie Esser/Gaede/Tsambikakis NStZ 2011 140; EGMR Hatipoglu/TRK, 15.9.2009 (6 Jahre zur Aufklärung eines einfachen Versicherungsbetrugs konventionswidrig); dagegen: BGH StV 2008 299 (8 Jahre zur Aufklärung von Untreue mit Schadensumfang von 6,9 Millionen DM soll nicht per se konventionswidrig sein); vgl. zu den verfassungsrechtlichen Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer BVerfG EuGRZ 2009 695.
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Für weitere Beispiele vgl. auch SK/Paeffgen 120. HRC Smantser/Weißrussland, 17.11.2008, 1173/2003, § 10.4. Vgl. etwa EGMR König/D (Fn. 38); Zimmermann u. Steiner/CH, 13.7.1983, A 66 = NJW 1984 2749 = EuGRZ 1983 482; Foti/I (Fn. 244); Deumeland/D (Fn. 70); Poiss/A, 23.4.1987, A 117 = NJW 1989 650; Eckle/D (Fn. 245); (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); ferner etwa EKMR bei Strasser EuGRZ 1985 435; 521; 548; 624; Ambos NStZ 2002 628, 629; Frowein/Peukert 146 ff.; Grabenwarter § 24, 45; IK-EMRK/ Kühne 322, 336; Meyer-Ladewig 77; Peukert EuGRZ 1979 271; SK/Paeffgen 120 ff.; Ulsamer FS Faller 378 je m.w.N.; zur Verzögerung durch die StA vgl. insb. BGH wistra 2009 347, StraFo 2009 391, StV 2009 638 (Verlust der Originalakten); BGH Beschl. v. 23.7.2008 – 5 StR 283/08 (verzögerte Übersendung der Strafakten an den GBA); BGH wistra 2009 271 (Überlastung der StA); BGH Beschl. v. 14.5.2008 – 3 StR 75/08 (Untätigkeit eines Sachverständigen). EGMR König/D (Fn. 38); Axen/D, 8.12.1983, A 72 = EuGRZ 1985 225; IK-EMRK/Kühne 321.
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Einzelfall der Staat und seine Organe der Pflicht genügt haben, das innerstaatliche Verfahren so zu regeln und zu organisieren (notfalls auch zu vereinfachen), dass es innerhalb angemessener Dauer durchgeführt werden kann. Der EGMR leitet in ständiger Rechtsprechung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK objektive 322 Rechtspflichten der Konventionsstaaten ab, Gesetze, Organisationsstruktur und Personalausstattung dem Gedanken der vernünftig-zügigen Prozessabwicklung anzupassen (Organisationspflicht).798 Allerdings ist bei einer Anpassung darauf zu achten, dass diese selbst nicht zu Verzögerungen bei laufenden Verfahren führt.799 Ungeachtet der Komplexität des jeweiligen Verfahrensgegenstands (Rn. 319) und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten (Rn. 321) muss das Verfahren in angemessener Frist beendet werden.800 Gerade die Komplexität des Verfahrens und eine sich abzeichnende umfangreiche Beweiserhebung (insbesondere bei der Einholung von Sachverständigengutachten; dazu auch Rn. 326) kann es erfordern, dass sich die staatlichen Stellen bei der Verfahrensgestaltung um eine besondere „Dichte“, ggf. auch parallele Führung von Verfahren bemühen.801 Der EGMR hält diese staatliche Organisationspflicht in Deutschland, insbesondere 323 im Hinblick auf zivilrechtliche Verfahren, für derzeit nicht erfüllt. Er beklagt ein strukturelles Problem in der Verfahrenspraxis und fordert die Einführung effektiver innerstaatlicher Rechtsmittel zur Überprüfung von Verstößen gegen den Beschleunigungsgrundsatz („The Court stresses that the respondent State must introduce without delay…“) Daneben schlägt er zur Herstellung konventionskonformer Verhältnisse „ad hoc-Lösungen“ – etwa vom Staat ausgehende Ausgleichsangebote und Vergleiche – vor.802 Der Staat und seine Organe sind verpflichtet, jedes Verfahren zügig und kontinuier324 lich, d.h. ohne vermeidbare Pausen zu betreiben. Die Überschreitung von Fristen, die das nationale Recht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen etc. setzt, begründen nicht automatisch einen Verstoß gegen die Konventionen, sie können aber ein Indiz für eine vorwerfbar zögerliche Bearbeitung sein.803 Personalnot und Arbeitsüberlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte hat der Staat zu vertreten;804 er ist verpflichtet,
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Vgl. EGMR Gheorghe/RUM, 15.3.2007, ECHR 2007-III; Buj/KRO (Fn. 109); BGH Beschl. v. 21.2.2008 – 4 StR 666/07; BGH StV 2008 288; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 108; KK/Schädler 37; zum bisher eher gegenläufigen Verhalten von Bund und Ländern vgl. SK/Paeffgen 116 m.w.N. HRC Lumanog u. Santos/Philippinen, 21.4.2008, 1466/2006, § 8.3 ff. Vgl. EGMR König/D (Fn. 38); Grumann/D, 21.10.2010 = NJW 2011 1055; Deumeland/D (Fn. 70); (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); Frowein/Peukert 143, 146 ff.; ferner zur Verpflichtung des Staates, Missbrauch und prozessverschleppende Taktiken zu unterbinden, Peukert EuGRZ 1979 273 unter Hinweis auf EKMR (Hätti). EGMR Ballhausen/D, 23.4.2009, § 64 (zivilrechtlich); Jehovah’s Witnesses of Moscow u.a./R, 10.6.2010; vgl. auch: BVerfG Beschl. v. 2.9.2009 – 1 BvR 3171/08
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(14 Jahre; Abfindungsansprüche nach Kündigung eines Sozietätsvertrages einer Steuerberatungspraxis); EGMR Jesse/D, 22.12.2009 (Gericht setzt Sachverständigen keine Frist für die Erstellung ihrer Gutachten: mehr als 8 Jahre in einer Instanz); BVerfG Beschl. v. 30.7.2009 – 1 BvR 2662/06 (Parallelität von Beweisaufnahme und Anordnung eines Gutachtens). EGMR Rumpf/D, 2.9.2010, NJW 2010 3355 mit Anm. Meyer-Ladewig = EuGRZ 2010 700; vgl. auch den Empfehlungskatalog des Ministerkommittees des Europarates vom 24.2.2010, Recommendation CM/Rec (2010)3. Frowein/Peukert 144. EGMR Rawa/PL, 14.1.2003 (Gewährleistung ausreichender Verfügbarkeit von Gerichtssachverständigen); Kressin/D, 22.12.2009; BVerfG Beschl. v. 30.7.2009 – 1 BvR 2662/06 (Verzögerung durch Wechsel des Berichterstatters und der Kammerbeset-
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seine Verwaltung und Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass sie den Anforderungen der Konventionen genügen kann.805 Das Fachgericht darf sich bei einer außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf beschränken, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln, sondern muss sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen, wie etwa das Durchbrechen der gewöhnlichen Terminierungsreihenfolge, das möglichst strikte Einhalten gesetzlich vorgegebener (Soll-)Fristen zum Absetzen und Verkünden von Entscheidungen sowie das Bemühen um spruchkörperinterne Entlastungsmaßnahmen.806 Desgleichen ist es dem Staat anzulasten, wenn sich ein Verfahren durch einen Richter- 325 wechsel erheblich verzögert.807 Plötzlich auftretende personelle Engpässe begründen nur dann keine Verantwortlichkeit des Staates für die dadurch hervorgerufene Verzögerung, wenn mit der erforderlichen Zügigkeit Abhilfemaßnahmen ergriffen werden.808 Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer Korrektur von Entscheidungen durch die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsmittel gehört zum gesetzlich vorgesehenen Verfahren und begründet für sich keine dem Staat anzulastende Überlänge.809 Die Zeit, die für ihre Behandlung benötigt wird, ist in die Berechnung der Gesamtdauer ebenso einzubeziehen, wie von Drittbetroffenen eingelegte Rechtsbehelfe, die das Verfahren verlängern.810 Dem mitunter großen Zeitbedarf für die Erforschung der Wahrheit in einem von der 326 Inquisitionsmaxime bestimmten Strafverfahren (schwierige, aufwendige Ermittlungen,811 Beweiserhebungen im Ausland,812 Sachverständigengutachten813) und der Notwendigkeit der Einräumung einer für den konkreten Fall ausreichenden Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung ist stets Rechnung zu tragen. Dagegen kann das Legalitätsprinzip nicht rechtfertigen, dass das Verfahren durch das Ausermitteln nebensächlicher weiterer Straftaten verzögert wird.814
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zung); Grabenwarter 3 § 24, 71; vgl. aber: BGH Beschl. v. 20.3.2008 – 1 StR 488/07 = NJW 2008 2451 (kein gänzliches Ausblenden anderweitiger Verpflichtungen der Strafkammer in Wirtschaftsstrafsachen). Etwa EGMR Buchholz/D (Fn. 106); Zimmermann u. Steiner/CH (Fn. 796); B./A, 28.3.1990, A 175 = ÖJZ 1990 482 (Hinausschieben der schriftl. Urteilsabfassung um 33 Monate); Khamidov/R (Fn. 273; NichtDurchführung eines begünstigenden Urteils über 15 Monate hinweg wegen Anti-TerrorOperation); Kaemena u. Thöneböhn/D (Fn. 793); Grabenwarter § 24, 47; MeyerLadewig 81; SK/Paeffgen 116; Villiger 454. Vgl. BVerfGE 36 275 (Untersuchungshaft); BGH Beschl. v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09 (Zusammenwirken von Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren). Vgl. ThürVerfGH DÖV 2011 118. EGMR H.E./A, 11.7.2002, ÖJZ 2003 433 (10 Jahre); IK-EMRK/Kühne 336. EGMR Zimmermann u. Steiner/CH (Fn. 796); IK-EMRK/Kühne 336; BVerfGE 36 275; 46 28; 63 68; Niebler FS Kleinknecht 311.
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Vgl. I. Roxin 80, Fn. 184. EGMR (GK) Kakamoukas u.a./GR, 15.2. 2008, NJW 2009 655; (GK) McFarlane/IR (Fn. 793). Meyer-Ladewig 82, 83: SK/Paeffgen 116; Villiger 461 je m.w.N. ferner etwa einerseits BGH NStZ 2003 384; andererseits BVerfG JZ 2003 999 mit Anm. Bohnert. Meyer-Ladewig 82. Vgl. EGMR Neumeister/A (Fn. 121); IK-EMRK/Kühne 331; vgl. aber: EGMR Bozlar/D, 5.3.2009, EuGRZ 2009 207 (zivilgerichtliches Verfahren – Schmerzensgeld; Arzthaftung; 4 Jahre 3 Wochen für eine Instanz unangemessen); D.E./D, 16.7.2009 (sozialgerichtliches Verfahren; 13 Jahre 8 Monate; vier Instanzen – unangemessen). Vgl. auch EGMR Grumann/D (Fn. 800) mit Anm. Schneider/Schmaltz; dies. NJW 2011 3270 zum „Beschleunigungspotential“ in Arzthaftpflichtverfahren. EGMR Eckle/D (Fn. 245); Ulsamer FS Faller 373, 377; IK-EMRK/Kühne 338; vgl. LR/Beulke § 154, 1, 25 ff. StPO.
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Stehen Entscheidungen über die Verfahrensgestaltung im Ermessen des Gerichts, erfordert die pflichtgemäße Ermessensausübung, dass es dabei auch die Auswirkungen auf das Gebot der Verfahrensbeschleunigung angemessen berücksichtigt. Zu einer mit dem Recht auf angemessene Verfahrensdauer korrespondierenden Verfahrensgestaltung gehört auch eine frühzeitige Einbindung der Staatsanwaltschaft, wenn Finanzbehörden wegen Steuerdelikten Ermittlungen führen.815 Die Verbindung eines einfach gelagerten Strafverfahrens mit einem gegen mehrere 328 Beschuldigte geführten langwierigen Großverfahren kann wegen der dadurch bedingten erheblichen Verzögerung des Verfahrensabschlusses ermessensfehlerhaft sein.816 Auch ein unsachgemäßes Verhalten der Strafverfolgungsbehörden im Rechtsmittelver329 fahren kann einen Konventionsverstoß nach sich ziehen.817
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d) Bedeutung des Verfahrens für Betroffene. Die Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen ist ebenfalls bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens zu berücksichtigen,818 da das Ausmaß einer hinzunehmenden Belastung auch dadurch mitbestimmt wird, welche Auswirkung die schnelle Erledigung des Verfahrens für die Lebensgestaltung einer Person hat.819 Ein besonderes Beschleunigungsinteresse besteht bei wichtigen familienrechtlichen Entscheidungen (Scheidung, Kindschaftssachen, Unterhalt),820 bei Entscheidungen, von denen der Lebensunterhalt abhängt,821 oder bei sonstigen, im Einzelfall besonders bedeutsamen Verfahren.822 Auch die individuelle, nicht selten erhebliche Belastung eines Verdächtigen durch ein Strafverfahren, insbesondere, wenn er sich in Untersuchungshaft befindet,823 und die mit seinem Ausgang ver-
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BGH Beschl. v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09 (unter Hinweis auf § 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Vgl. BVerfG StV 2002 578, wo das BVerfG einen Verbindungsbeschluss aufhob, weil er dem rechtsstaatlichen Gebot eines fairen Verfahrens und dem Beschleunigungsgebot widersprach und dem Beschuldigten die Erschöpfung des Rechtswegs nicht zumutbar war. OLG Karlsruhe StV 2004 431 (Verzögerung der Entscheidung über eine Sprungrevision des Angeklagten um 15 Monate, da die StA sachwidrig Berufung eingelegt und später wieder zurückgenommen hatte). Etwa EGMR Gheorghe/RUM (Fn. 798; Erfordernis einer besonders zeitnahen Entscheidung, wenn die Entscheidung so gelagert ist, dass sie die gesundheitliche Situation des Betroffenen verbessern kann); Buchholz/D (Fn. 106); BVerfGE 46 17, 29; Grabenwarter § 24, 69; KK-EMRK-GG/ Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 104; IK-EMRK/Kühne 322; vgl. Kühne StV 2001 530 ff.; KK/Schädler 34; SK/Paeffgen 119; vgl. Ambos NStZ 2002 628, 629: Verfahrensüberlänge ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen, bei der Frage der angemessenen Kompensation sei auch Tat-
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schuld zu berücksichtigen; gegen Einbeziehung der Tatschuld etwa Kempf StV 2001 134,135; Ostendorf/Radtke JZ 2001 1094; I. Roxin StV 2001 491. Vgl. etwa OLG Köln StV 1991 248; zu den Belastungen Schroth NJW 1990 29. Vgl. EGMR Afflerbach/D, 24.6.2010, FamRZ 2010 1721 (überlange Dauer eines familienrechtlichen Verfahrens; Umgang); Adam/D (Fn. 782). Etwa EGMR (GK) Süßmann/D (Fn. 777; Rentenansprüche bei hohem Alter); F.E./F, 30.10.1998, Rep. 1998-VIII (Schadensersatz wegen tödlicher Erkrankung); SK/Paeffgen 119; Villiger 460 je m.w.N. EGMR Klein/D (Fn. 77) nahm dies bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes an; zust. SK/Paeffgen 119; krit. Breuer NVwZ 2001 Beil. 6; BVerfG Beschl. v. 2.9.2009 – 1 BvR 3171/08: geltend gemachter Anspruch macht den Hauptteil des Klägervermögens aus; vgl. weiterhin für Fälle, in denen eine besondere Eilbedürftigkeit wegen der Bedeutung des Verfahrensausgangs angenommen wurde; Frowein/ Peukert 262. Etwa EGMR Abdoella/NL, 25.11.1992, A 248-A; SK/Paeffgen 119; Villiger 460;
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bundenen Auswirkungen auf den Beschuldigten fallen insoweit ins Gewicht, als davon abhängt, welches Maß möglicher Beschleunigung von den Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall zu fordern ist.824 e) Verhalten der Verfahrensbeteiligten / Aspekte außerhalb des staatlichen Verant- 331 wortungsbereiches. Ebenso in Betracht gezogen wird bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer das Verhalten der Verfahrensbeteiligten, namentlich des späteren Beschwerdeführers vor dem EGMR, im behördlichen und ggf. anschließenden gerichtlichen Verfahren. Gleiches gilt für Verzögerungen, die durch ein den staatlichen Stellen nicht zurechenbares Verhalten entstehen.825 Unabhängig davon, ob und wieweit einen Verfahrensbeteiligten eine Verfahrensförde- 332 rungspflicht trifft,826 können von diesem vorwerfbar verursachte Verfahrensverzögerungen nicht dem Staat zugerechnet werden.827 Dies gilt – für zivilrechtliche Streitigkeiten – etwa für Klageerweiterungen im laufenden Verfahren, Prozesskostenhilfeanträge und den Austausch des Rechtsvertreters – ebenso wie für Strafverfahren.828 Soweit die Parteien eines Rechtsstreits (in Grenzen auch der Angeklagte eines Strafverfahrens829) den Verfahrensabschluss durch eigenes Verfahrens- oder Prozessverhalten – etwa durch die Verletzung von Anwesenheitspflichten oder das verschleppende Betreiben eines Parteiprozesses830 – hinausgeschoben haben, ist dies bei der Bemessung der angemessenen Frist als objektives Faktum mit zu berücksichtigen. Dabei ist nicht entscheidend, ob sie eine Verfahrenspflicht verletzen oder ob sie nur alle gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung bzw. -einflussnahme ausschöpfen. Dies gilt vor allem im Strafverfahren, wo der Beschuldigte in der Regel zwar zur Teilnahme an der Hauptverhandlung, nie aber zur aktiven Mitwirkung verpflichtet ist.831 Eine durch das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten verursachte Verzögerung ist den staatlichen Organen jedoch dann zur Last zu legen, wenn diese es unterlassen haben, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Verfahren trotzdem in angemessener Frist weiter zu betreiben und zu beenden.832
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zur besonderen Eilbedürftigkeit bei Untersuchungshaft umfassend: Maier/Percic NStZ-RR 2009 300 f. Siehe auch: BVerfG Beschl. v. 6.5.1997 – 1 BvR 711/96, NJW 1997 2811. EGMR Vayic/TRK, 20.6.2006, ECHR 2006-VII (zwischenzeitliche Flucht des Angeklagten); siehe auch: OLG Naumburg Beschl. v. 22.2.2008 – 1 Ws 104/08 (kein Verstoß bei Verzögerung wg. terminlicher Schwierigkeiten des Verteidigers). Siehe dazu KK-EMRK-GG/Grabenwarter/ Pabel Kap. 14, 104 (keine Verpflichtung des Angeklagten zur aktiven Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden). EGMR Eckle/D (Fn. 245); Extremfall: EGMR Peterke u. Lembcke/D (E), 3.2.2009, EuGRZ 2009 315 (Dauer: 10 Jahre 4 Monate; rentenrechtliche Streitigkeit – vorzeitige Einlegung einer Verfassungsbeschwerde mit Antrag, das Berufungsverfahren ruhen zu lassen; verspätete
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Präzisierung des Antrags trotz Aufforderung; keine Reaktion auf Schriftsätze und Anfrage des Gerichts nach Vergleichsbereitschaft); BVerfG NJW 2009 1469 = StV 2010 497; BGH NJW 2005 2791 (Prozessverschleppung durch den Angeklagten); BVerfG StV 2006 73 ff. (Zurechnung wahrheitswidrigen Verteidigervorbringens). Vgl. EGMR Metzele/D (E) (Fn. 786). Etwa durch Hungerstreik: EGMR Jablonski/PL, 21.12.2000; Weigerung die Zelle zu verlassen: EGMR Trzaska/PL, 11.7.2000; es sei denn es gibt einen Grund dafür: EGMR Mellors/UK, 17.7.2003. Vgl. EGMR D.E./D (Fn. 813; sozialgerichtliches Verfahren; i.E. unangemessene Dauer). EGMR Eckle/D (Fn. 245); Corigliano/I (Fn. 242); Frowein/Peukert 110; IK-EMRK/ Kühne 335. Frowein/Peukert 151 m.w.N.
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Dass der Beschuldigte sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ergreift, kann ihm als solches nicht angelastet werden,833 ebenso wenig die Rüge der Befangenheit gegen einen Richter834 oder Sachverständigen.835 Das Recht des Beschuldigten und die damit korrespondierende Verpflichtung des 334 Staates, ein Strafverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, darf von der Strafjustiz nicht als Rechtfertigung für die Beschränkung von Beschuldigtenrechten, insbesondere des Beweisantragsrechts, missbraucht werden. Insoweit ist es bedenklich, dass der BGH auch unter Hinweis auf den Beschleunigungsgrundsatz in der neueren Rechtsprechung836 zunehmend Verteidiger- und Beschuldigtenrechte beschränkt.837 Durch die Behandlung von Beweisanträgen verursachte Verzögerungen fallen dem Staat nicht zur Last, wenn die Rechtsbehelfe zügig und mit der wegen der Gesamtdauer des Verfahrens gebotenen Beschleunigung behandelt werden.838 Eine künstliche Herbeiführung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, z.B. durch Richterablehnungen oder die exzessive Einlegung von Beweisanträgen, ist somit nahezu ausgeschlossen.839 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass selbst wenn der Beschuldigte und spätere Angeklagte vorwerfbar zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen hat, dennoch eine unangemessene Verfahrensverzögerung durch staatliche Stellen zu verzeichnen sein kann.840 3. Zeitraum des zu berücksichtigenden Verfahrens
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a) Beginn. Bei den von Art. 6 Abs. 1 EMRK erfassten Streitigkeiten des Privatbereichs („zivilrechtlicher Anspruch“) wird die Verfahrensdauer in der Regel von der Klageerhebung an berechnet.841 Tritt eine Person einem laufenden Verfahren später bei, ist dieser Zeitpunkt für sie maßgebend.842 Hängt die Anrufung des Gerichts von einem Vorverfahren ab, etwa von einem Widerspruchsverfahren, so beginnt die Frist bereits mit dessen Einleitung.843 Bei einer strafrechtlichen Anklage (zum Begriff vgl. Rn. 68 ff.) beginnt der für Art. 6 336 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR maßgebende Zeitraum („Frist“) spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte entsprechend Absatz 3 lit. a offiziell Kenntnis erhält, dass wegen der Straftat, die den Gegenstand des konkreten Verfahrens bildet,844
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Vgl. EGMR Pretto u.a./I (Fn. 386); Poiss/A (Fn. 796); Glüsen/D, 10.1.2008, § 83 (Antrag auf Einvernahme eines weiteren Sachverständigen – Entschädigung nach dem OEG); Adam/D (Fn. 782); BVerfG NJW-RR 2010 207; EuGRZ 2009 699; für das Vorlageverfahren zum GSSt vgl. BVerfG NJW 2009 1467. EGMR Lislawska/PL, 13.7.2004; vgl. hierzu auch BGH StraFo 2009 245 (1 Jahr zwischen erfolgreicher Richterablehnung und Neubeginn der Verhandlung; Verstoß). EGMR Ballhausen/D (Fn. 801), § 63 (zivilrechtlich). Etwa BGHSt 51 298; 333 ff.; 52 355. Zu Recht kritisch I. Roxin GA 2010 425 und Kühne GA 2008 361, 367.
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EGMR Eckle/D (Fn. 245); Meyer-Ladewig 78; Villiger 463. Vgl. KG NStZ-RR 2009 180. EGMR Niesen/D, 21.10.2010; Jahnke/D, 3.3.2011. EGMR Poiss/A (Fn. 796); Editions Périscope/F (Fn. 77); EKMR ÖJZ 1996 477; Meyer-Ladewig 72; SK/Paeffgen 117; Villiger 456. Frowein/Peukert 137; Meyer-Ladewig 72. EGMR König/D (Fn. 38); Frowein/Peukert 138 m.w.N.; Meyer-Ladewig 74; SK/Paeffgen 117; a.A. Villiger 456 (bei Ablehnung mit Verwaltungsakt). EGMR Ommer/D (Nr. 2), 13.11.2008, HRRS 2009 Nr. 217 = StRR 2009 227 mit Anm. Artkämper.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
gegen ihn ermittelt wird,845 indem ihm ein Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluss eröffnet oder er wegen der Tat festgenommen wird oder indem er Kenntnis erhält, dass ein Haftbefehl gegen ihn ergangen ist („… on which the suspicion against a person begins to have substantial repercussions on his situation“ bzw. „… on which the first charges were levelled“).846 Von diesem Zeitpunkt an steht er unter der psychischen Belastung des gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahrens. Tritt diese Belastung indes bereits früher ein,847 etwa weil der Betroffene Kenntnis von der Vernehmung möglicher Belastungszeugen erlangt, kann der Fristbeginn auch schon der Tag dieser Kenntniserlangung sein.848 Im Rahmen geheimer Ermittlungsmaßnahmen (technische Überwachung, Einsatz verdeckter Ermittlungspersonen), die schon geraume Zeit vor dem Zeitpunkt stattfinden können, in dem der Betroffene erfährt, dass gegen ihn ermittelt wird, besteht eine psychische Belastung zunächst nicht. Dennoch können sich bereits aus einem solchen ermittlerischen Vorgehen zumindest indirekte Benachteiligungen ergeben (Kontakt-, Vertrauens-, Auftragsverluste). In diesen Fällen wird man den Zeitpunkt der Kenntniserlangung auf den Zeitpunkt des Beginns der geheimen Maßnahme vorverlagern müssen. Die Frist beginnt dann in diesem Zeitpunkt. Werden die Ermittlungen auf eingestellte frühere Verfahren ausgedehnt, beginnt die 337 Frist erst mit dem Zeitpunkt, der im neuen Verfahren als Ausdehnung der Untersuchung auf die früheren Taten anzusehen ist. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Dauer des neuen Verfahrens ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Ermittlungen bereits früher durchgeführt worden ist.849 b) Ende. Die Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR endet mit 338 der gerichtlichen Entscheidung, die das Verfahren rechtskräftig erledigt bzw. in sonstiger
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Etwa EGMR Eckle/D (Fn. 245); Deweer/B (Fn. 38); Corigliano/I (Fn. 252); Hennig/A, 2.10.2003, ÖJZ 2004 314 = wistra 2004 177; (GK) McFarlane/IR (Fn. 793); BGH NJW 1990 56; NStZ 1982 291; Frowein/ Peukert 138; IK-EMRK/Kühne 324; MeyerGoßner 8; Meyer-Ladewig 76; Nowak 45; Vogler ZStW 89 (1977) 780; Peukert EuGRZ 1979 270; Ulsamer FS Faller 373; Villiger 457. Nach SK/Paeffgen 117 kann – unabhängig von der Kenntnis des Beschuldigten – auch schon der Zeitpunkt maßgebend sein, an dem das Verfahren sonst nach außen tritt; KK-EGMR-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 103 („… mit dem Zeitpunkt, in dem erste Schritte der Strafuntersuchung nach außen hin gesetzt werden“); Trechsel 139 („declaration of war by the prosecuting authority against the defendant“); BGH Beschl. v. 23.7.2008 – 2 StR 252/08; BGH NJW 2008 2451 (keine überzogenen Anforderungen an Umfang der Rüge einer konventionswidrigen Verzögerung); aber BGH NStZ-RR 2009 92 (realistischer Überblick über den tatsäch-
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lichen Ablauf des gesamten Strafverfahrens; Beleuchtung des Zeitraums zwischen Verkündung und Zustellung des Urteils nicht ausreichend); BGH StV 2008 345 (Gericht muss die Möglichkeit haben, sich anhand des Rügevorbringens einen Überblick über das Verfahren und seine Verzögerung zu verschaffen). EGMR Wemhoff/D (Fn. 246; Abstellen auf die zur Untersuchungshaft führende Verhaftung des Beschwerdeführers); Neumeister/A (Fn. 121; Abstellen auf die untersuchungsrichterliche Anordnung der Voruntersuchung); Frowein/Peukert 138; MeyerLadewig 76. EGMR (GK) Reinhardt u. Slimane-Kaïd/F (Fn. 589); Hennig/A (Fn. 845). EGMR Eckle/D (Fn. 245); einschränkend OLG Hamm NStZ 2009 318 (gleichsam gerüchteweise Kenntnis nicht ausreichend); EGMR Angelucci/I, 19.2.1991, A 196-C: spätestens mit der durch die Ermittlungen veranlassten Bestellung eines Anwalts; Frowein/Peukert 138. Frowein/Peukert 139.
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Weise abschließt,850 nicht aber schon durch ein Zwischenurteil.851 Sie endet ferner mit jeder sonstigen endgültigen Erledigung, wie etwa einer Einstellung des Verfahrens (etwa nach §§ 170, 153, 153a StPO), dem Abschluss eines Vergleichs852 oder der Rücknahme eines Rechtsmittels.853 Ab diesem Zeitpunkt läuft dann auch die 6-Monats-Frist für die Einlegung der Individualbeschwerde (Art. 35 Abs. 1 EMRK); siehe aber Rn. 340 für die Anrufung des Verfassungsgerichts. Maßgebend ist die Entscheidung der letzten Rechtsmittelinstanz in der Sache, auch wenn diese Entscheidung infolge einer Rechtsmittelbeschränkung nur noch einen Teil des Verfahrens betrifft, wie etwa bei einer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch.854 Selbst die nachträgliche Gesamtstrafenbildung im Beschlusswege (§ 460 StPO) kann noch mit einbezogen werden,855 nicht aber Kostenfestsetzungsverfahren und ähnliche nach dem Abschluss noch anfallende Verfahren, die nur noch Nebenentscheidungen betreffen. Die Zeit, die bis zu einer durch Richtervorlage oder durch eine Verfassungsbeschwerde ausgelösten Entscheidung eines Verfassungsgerichtes vergeht, wird in die nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgebende Berechnung der Gesamtdauer des Verfahrens miteinbezogen, wenn das Verfahren (noch) den zivilrechtlichen Anspruch bzw. die strafrechtliche Anklage betrifft.856 Allerdings berücksichtigt der EGMR bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer die besondere Stellung des Verfassungsgerichts im Verfahren und seine speziellen Aufgaben im Rahmen der Rechtsgewährung.857 Kann eine gerichtliche Entscheidung nicht oder im Wege der Zwangsvollstreckung erst viel später durchgesetzt werden, so soll auch noch der Zeitraum bis zur endgültigen Befriedigung des Anspruchs des Betroffenen einzurechnen sein,858 was zweifelhaft ist, da es hier nicht mehr um die gerichtliche Feststellung des Anspruchs geht.859 Wird die Wiederaufnahme des Strafverfahrens angeordnet, beginnt die Frist von diesem Zeitpunkt an neu zu laufen.860
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Etwa EGMR Worm/A, 29.8.1997, Rep. 1997-V = ÖJZ 1998 35; Hennig/A (Fn. 845) (Zustellung der schriftl. Urteilsbegründung); Grabenwarter § 24, 68. EGMR Guincho/P, 10.7.1984, A 81 = NJW 1986 645 = EuGRZ 1985 637; Stoianova u. Nedelcu/RUM, 4.8.2005, ECHR 2005-VIII (Zeitberechnung bei zwei Verfahrensanläufen, wenn der erste nicht abgeschlossen war). EGMR Caleffi/I, 24.5.1991, A 206-B; Frowein/Peukert 141; IK-EMRK/Kühne 327. EGMR Schaedel/D (E), 3.2.2009 (verwaltungsgerichtliches Verfahren). Frowein/Peukert 140; IK-EMRK/Kühne 326; Meyer-Goßner 8; Peukert EuGRZ 1979 271; Ulsamer FS Faller 375. EGMR Eckle/D (Fn. 245). EGMR Ruiz-Mateos/E (Fn. 85); (GK) Süßmann/D (Fn. 777); Pammel/D (Fn. 777); Meyer-Ladewig 73; SK/Paeffgen 117;
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Villiger 458; mit Einschränkungen wohl auch Frowein/Peukert 14 (nicht wenn unzulässig oder offensichtlich unbegründet); a.A. IK-EMRK/Kühne 326; krit. auch Breuer Beilage zu NJW 2001 6, Sonderheft Weber. EGMR Kaemena u. Thöneböhn/D (Fn. 793); Grabenwarter § 24, 68; KK-EGMR-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 103 m.w.N. EGMR Martins Moreira/P, 26.10.1988, A 143; Halka u.a./P, 2.7.2002; Frowein/ Peukert 141; Meyer-Ladewig 72. Keine vorwerfbare Verfahrensverzögerung, wenn die mögliche Vollstreckung sich nur dadurch verzögert, dass der Betroffene den erforderlichen Antrag verspätet stellt: EGMR Unión Alimentaria Sanders S.A./E, 7.7.1989, A 157; Frowein/Peukert 141. EGMR Löffler/A, 3.10.2000, ÖJZ 2001 234.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
4. Rechtsfolgen einer unangemessenen Verfahrensdauer a) Vorrang der Fachgerichtsbarkeit. Die Konventionen geben – anders als bei Art. 5 343 Abs. 5 EMRK / Art. 9 Abs. 5 IPBPR – nicht vor, nach welchen Kriterien, in welcher Weise und in welchem Umfang eine Verletzung des Anspruchs auf zügige Verfahrenserledigung aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR zu kompensieren ist. Obligatorisch sind lediglich für das Verfahren vor dem EGMR die Feststellung der Konventionsverletzung und die Zubilligung einer Entschädigung nach Art. 41 EMRK – soweit das nationale Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestattet.861 Eine Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK), mit der eine Nichtbeachtung des FairnessGrundsatzes (fair-trial) gerügt wird, bezieht nicht automatisch die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes mit ein. Der Betroffene muss (um dem Zulässigkeitserfordernis Erschöpfung des Rechtswegs, Art. 35 Abs. 1 EMRK, zu entsprechen) schon auf nationaler Ebene explizit die Unangemessenheit der Verfahrensdauer rügen und sollte diesen Aspekt dann auch in der Beschwerdeschrift als separaten Beschwerdepunkt neben allgemeinen Fairnessgedanken benennen und substantiiert darlegen (vgl. Teil II Rn. 149 ff.).862 In erster Linie ist es aber Sache der nationalen Fachgerichte zu entscheiden, auf wel- 344 chem Wege sie die durch die unangemessene Verzögerung des Verfahrens eingetretenen Nachteile ausgleichen wollen.863 Vorrangig ist eine eingetretene Konventionsverletzung bereits innerstaatlich zu bereinigen, um ein Verfahren vor dem EGMR zu vermeiden.864 Dies sollte möglichst noch im anhängigen Verfahren geschehen; dabei wird in Kauf genommen, dass sich die legitime Dauer des Verfahrens durch eine Zurückverweisung oder durch ein zur Beendigung der Verfahrensverzögerung eingeleitetes innerstaatliches Zwischenverfahren865 nochmals legitim verlängert.866 Eine unangemessen lange Verfahrensdauer muss grundsätzlich auch mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden (siehe auch Rn. 347).867 b) Rügeobliegenheiten der Verfahrensbeteiligten. Im Strafverfahren ist die überlange 345 Verfahrensdauer – unabhängig von den Auswirkungen auf die Zulässigkeit weiterer Untersuchungshaft868 – nach Möglichkeit noch im anhängigen Verfahren angemessen auszugleichen.869 Es gehört auch hier zur Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs i.S.d. Art. 35 Abs. 1 EMRK, dass der Beschuldigte alle ihm innerstaatlich verfügbaren 861
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Vgl. etwa: EGMR Eckle/D (Fn. 245); Kind/D (Fn. 777) (nur immateriellen Schaden); Voggenreiter/D (Fn. 77). EGMR Eule/D (E) (Fn. 510). Vgl. etwa EGMR Eckle/D (Fn. 245); Trurnit/Schroth StraFo 2005 361. Beispielhaft für eine daher ausgebliebene Konventionsverletzung: EGMR Josten/D (E), 28.9. 2010; vgl. auch BGH NJW 2011 3314, Tz. 37. Der EGMR hat durch Änderung seiner Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Art. 6 und Art. 13 EMRK gefordert, dass das nationale Recht nach Art. 13 EMRK die Möglichkeit der innerstaatlichen Abhilfe gegen eine Verfahrensverzögerung schaffen muss; die Erschöpfung dieses innerstaatlichen Rechtsbehelfs sieht er dann konsequent als eine Zulässigkeitsvoraussetzung für seine Anrufung an; vgl. Art. 13 EMRK Rn. 77 ff.
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Vgl. BayObLG StV 1989 394. EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 844); sowie etwa BVerfGE 45 349, 369; 63 45, 69; 92 277, 326; BVerfG NJW 2003 2225 m.w.N.; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001 1969, 1970; ferner zur damit korrespondierenden Pflicht zur Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs nach Art. 35 Abs. 1 EMRK, Teil II Rn. 149 ff. Vgl. etwa OLG Stuttgart MDR 1990 76; LG Köln NStZ 1989 441 und bei Art. 5 EMRK Rn. 281 m.w.N. Zu den dafür in Frage kommenden Maßnahmen vgl. etwa BVerfG NJW 2003 2225; ferner LR/Kühne Einl. I 67 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 120 StPO; SK/Paeffgen § 206a Anh. 30 StPO je m.w.N.
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und wirksamen Rechtsbehelfe ausschöpfen muss, um diese Konventionsverletzung bereits innerstaatlich geltend zu machen und einer weiteren Verzögerung entgegenzuwirken.870 Der Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot muss als solcher bereits vor den natio346 nalen Gerichten beanstandet worden sein. Sofern die Verzögerung im Strafverfahren nicht erst nach der letzten tatrichterlichen Verurteilung eingetreten und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist,871 erfordert dies bei der Revision eine den Begründungsanforderungen genügende Verfahrensrüge.872 Setzt sich allerdings das angefochtene Urteil bereits in seinen Strafzumessungsgründen ausdrücklich mit einer festgestellten Verfahrensverzögerung auseinander, ist insoweit auch im Rahmen der Sachrüge eine Nachprüfung der dort dazu getroffenen Feststellungen, eventuell auch die Beanstandung von deren Unzulänglichkeit, möglich.873 Zur Erschöpfung des Rechtswegs i.S.d. Art. 35 Abs. 1 EMRK gehört auch, dass die 347 Verletzung des Beschleunigungsgebots mit der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird; mit dieser muss sie unter dem Blickwinkel des darin liegenden Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen Art. 2 Abs. 1 GG ordnungsgemäß gerügt werden.874 Hierzu zählt, anders als im Zivilprozess, im Strafverfahren auch die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde (sowohl im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren).875 Das BVerfG kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht anweisen, die notwendigen Schlüsse zu ziehen, allerdings keine Entschädigung aussprechen.876
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c) Kompensationsmöglichkeiten auf nationaler Ebene. Kann eine Verfahrensverzögerung, die zur Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer führen wird, nicht präventiv verhindert werden, so hat der Betroffene einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Aus Art. 13 EMRK folgt außerdem, dass dem Betroffenen im nationalen Recht eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, den Verstoß vor einer unabhängigen Instanz wirksam zu rügen (vgl. dazu Art. 13 EMRK Rn. 70 ff.). 870
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Für Österreich: Antrag auf Verfahrensbeschleunigung (Fristsetzungsantrag) nach § 91 GOG, vgl. EGMR Holzinger/A (Nr. 1), 30.1.2001, ECHR 2001-I = ÖJZ 2001 478; Talirz/A (E), 11.9.2001, ÖJZ 2002 619; Strasser/A (E), 25.9.2001, ÖJZ 2002 37; Graf/A (E), 3.6.2003, ÖJZ 2003 856; EKMR ÖJZ 1993 463; OGH ÖJZ 2009 327, 328; für Portugal: EGMR Tomé Mota/P (E), 2.12.1999, NJW 2001 2692; für Spanien: EGMR Gonzalez Marin/E (E), 5.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 2691; zu den Lösungen in Österreich, Frankreich, Spanien und Italien: Vorwerk JZ 2004 553, 556, 559; zu den in der Schweiz möglichen innerstaatlichen Rechtsbehelfen vgl. Villiger 134 ff.; vgl. auch Art. 13 EMRK Rn. 71. BGH NStZ 1995 335 mit Anm. Uerpmann; NStZ 1997 29 mit Anm. Scheffler StV 1997 409; 1998 377; NStZ 2001 52; NStZ-RR 2002 166; BayObLG StV 1989 394; MeyerGoßner 9c. Vgl. BGH NStZ-RR 2005 81; NStZ-RR
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1997 451; 2000 418; StV 1999 205; Scheffler StV 1993 568 (auch zur Aufklärungsrüge); G. Schäfer FS Rieß 489; Meyer-Goßner 9c; vgl. LR/Kühne Einl. I 40; vgl. aber auch OLG Hamm NJW-Spezial 2011 299. BGH NStZ 2007 71; NStZ 2005 223; StV 1992 452 mit Anm. Scheffler StV 1993 568; BGH StV 2000 554; OLG Düsseldorf StraFo 2000 379; vgl. aber auch G. Schäfer FS Rieß 489 (nur Verfahrensrüge); ferner BayObLG StV 1989 394. Vgl. etwa BVerfG NJW 1984 967; 1997 2811; 2003 2225; EuGRZ 2001 576; ferner Art. 13 EMRK Rn. 71 ff.; Teil II Rn. 149 ff. (zu Art. 35 EMRK). EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 844). Im Fall Ommer wurde aufgrund der Besonderheit des Falles (es kam zu einem Freispruch, so dass eine Kompensation nicht möglich war) dennoch eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt. EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 844); BVerfG NJW 2001 214.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Ein innerstaatliches Gericht, das eine unangemessen lange Verfahrensdauer von Amts wegen im Rahmen der ihm obliegenden Entscheidungskompetenz kompensieren will (mit der Folge, dass dem Betroffenen die sog. Opfereigenschaft für eine Individualbeschwerde zum EGMR nach Art. 34 EMRK fehlt), muss zunächst in seiner das Verfahren oder den Verfahrensabschnitt abschließenden Entscheidung neben den ohnehin gebotenen und auch als Ansatzpunkt für die Kompensation unverzichtbaren Feststellungen zur Tat und zum Schuldumfang877 die eingetretene Konventionsverletzung (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK) ausdrücklich feststellen und dabei Grund und Dauer der dem Staat anzulastenden Verfahrensverzögerung und ihre Auswirkungen auf den Verfahrensbeteiligten/Angeklagten ausdrücklich aufzeigen.878 Ein automatisches Verfahrenshindernis begründet diese Feststellung allerdings nicht. Der BGH geht (auch in jüngerer Rechtsprechung, siehe Rn. 356) davon aus, dass bei geringen Verzögerungen diese bloße Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer als innerstaatliche Kompensation ausreichen soll.879 Diese Behandlung steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR und ist daher konventionswidrig.880 Der BGH verweist zur Begründung seiner Position auf Urteile des EGMR, bei denen dieser eine Konventionsverletzung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) festgestellt hat und dem Betroffenen keine Geldentschädigung nach Art. 41 EMRK zugesprochen hat.881 Aus dieser Tatsache schlussfolgert der BGH, dass auch auf nationaler Ebene eine bloße Feststellung ausreichen könnte.882 Hierfür ergeben sich in den zitierten Entscheidungen aber keine Anhaltspunkte. Die Entschädigung nach Art. 41 EMRK kann in Einzelfällen zusätzlich zur Feststellung gewährt werden. Allerdings nur vom EGMR. In zahlreichen Urteilen betont der EGMR hingegen, dass auf nationaler Ebene eine Wiedergutmachung (neben einer notwendigen Feststellung der Konventionsverletzung) insbesondere durch ausdrückliche und messbare Minderung der Strafe möglich ist.883 Die bloße Feststellung des Konventionsverstoßes ist aber eben selbst keine Kompensation, sondern deren notwendige Bedingung und „Vorstufe“. Das Gericht hat stets darzulegen, durch welche Maßnahmen und in welchem exakt zu bestimmenden Ausmaß es den erlittenen Nachteil des Angeklagten auszugleichen gedenkt.884 Ausnahmsweise kann eine solche Kompensation auch im Rahmen der Kostenentscheidung erfolgen.885 Art und Umfang des Ausgleichs richten sich allein nach der Intensität der individuellen Rechtsverletzung; Tatgewicht und Maß der Schuld sind irrelevant.886 Stets im Auge 877 878
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BGH bei Becker NStZ-RR 2003 104; BayObLG StV 2003 375 mit Anm. I. Roxin. BGH Beschl. v. 2.4.2008 – 5 StR 354/07 (pauschaler Hinweis auf die bisher verstrichene Verfahrensdauer in den Urteilsgründen reicht nicht aus); BGH wistra 2008 302 (Gebotenheit konkreter Feststellungen zu Art, Ausmaß und Ursachen der […] aufgetretenen Verzögerungen); vgl. dazu auch BGH NStZ-RR 2008 368; StV 2008 399. BGH (GS) Beschl. v. 17.1.2008 – GSSt 1/07, NJW 2008 860 = JR 2008 212 mit Anm. Kraatz JR 2008 189; ebenso BGH StV 2009 638; NStZ 2010 94 und BGH NStZ-RR 2011 239, 240; vgl. auch BGH NJW 2011 3314, Tz. 40.
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Ebenso I. Roxin GA 2010 425, 426. BGH NJW 2008 860, 864. A.a.O. EGMR Dzˇ elili/D, 10.11.2005, StV 2006 474 = StraFo 2006 147 = NVwZ-RR 2006 513, 514. EGMR Eckle/D (Fn. 245); vgl. BVerfG NStZ 1997 591 (erforderlich für Nachprüfung der ausreichenden Kompensation des Verfassungsverstoßes); BGH StraFo 2008 297; EuGRZ 2003 307; Kühne EuGRZ 1983 383. BGH NJW-Spezial 2010 58 für das anwaltsgerichtliche Verfahren. BGH (GS) Beschl. v. 17.1.2008. Nach Ansicht des GS knüpft die Strafzumessungslösung an ein eher sachfernes Kriterium an,
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zu behalten ist, ob und inwieweit die Verfahrensdauer als solche bzw. die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es demzufolge nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände gehen kann.887 In den Konventionen fehlen exakte Vorgaben zur Durchführung der Kompensation. 353 Die Rechtsprechung des EGMR und der deutschen Gerichte konkretisieren aber, welche Formen des Ausgleichs im Einzelfall die Wiedergutmachung des Konventionsverstoßes bewirken können. Dieser Ausgleich geschah vor den deutschen Strafgerichten bis 2007 in erster Linie 354 dadurch, dass die unangemessen lange Dauer wegen ihrer strafähnlichen Auswirkungen auf den Beschuldigten und die durch die lange Verfahrensdauer bedingten sonstigen Nachteile des Angeklagten888 bei der Bemessung der Rechtsfolgen ausdrücklich berücksichtigt wurden (sog. Strafzumessungslösung).889 Bei einer Gesamtfreiheitsstrafe durfte der Ausgleich nicht allein bei der Gesamtstrafe vorgenommen werden; es musste bereits bei jeder Einzelstrafe konkret aufgezeigt werden, in welchem Ausmaß die an sich angemessene Strafe jeweils vermindert wurde.890 Dieser Schadensausgleich wurde dabei meist als besonderer eigenständiger Strafmilderungsgrund behandelt, der zusätzlich zu dem verringerten Strafbedürfnis wegen der zwischen Tat und Aburteilung liegenden langen Zeit Berücksichtigung zu finden hatte.891 In Fällen, in denen eine Kompensation nur durch eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafen möglich war, geriet die Strafzumessungslösung jedoch an ihre Grenzen und lief Gefahr, das Rechtsfolgensystem des StGB in Frage zu stellen.
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Im Jahr 2008 hat der BGH (Großer Senat für Strafsachen) der sog. Vollstreckungslösung den Vorzug eingeräumt.892 Anstelle einer Reduzierung der im Urteilstenor auszu-
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während das Vollstreckungsmodell den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht von vornherein von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe abkoppelt; so auch BGH NStZ-RR 2008 368. BGH wistra 2008 302; vgl. dazu auch BGH NStZ-RR 2008 368 („Gefahr, dass dem Angeklagten die […] Verzögerung doppelt zugute gebracht worden ist“); vgl. auch BGH Beschluss v. 23.8.2011 1 StR 153/11, Tz. 40. Vgl. BVerfG NJW 2003 2225 (ungenügende Kompensation, wenn die inzwischen eingetretene Resozialisierung nach 9 Jahren Verfahrensdauer durch Verhängung einer nicht aussetzungsfähigen Jugendstrafe gestört wird). BGHSt 24 239; 27 274; 35 137; BGH NStZ 1982 291; 1986 218; 1987 232; 1988 552; NJW 1990 56; MDR 1990 168; BayObLGSt 1989 85 = StV 1989 394; BVerfG NJW 2003 2225; IK-EMRK/Kühne 342; MeyerGoßner 9; Schäfer Strafzumessung 327; SK/Rogall Vor § 133, 120 StPO; Schroth NJW 1990 29; vgl. LR/Jäger Vor § 213, 23 ff. StPO; gegen die Strafzumessungslösung etwa: Scheffler Die überlange Dauer von Strafverfahren 201 ff.
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BGH NJW 2003 2759; zur Bestandskraft zunächst im Widerspruch zur Strafzumessungslösung ergangener ungeminderter Einzelstrafen nach der Entscheidung für die Vollstreckungslösung vgl. BGH NStZ 2008 477. Weitgehend h.M., etwa BGHSt 32 345; 37 10; BGH NJW 1990 56; 1999 1198; StV 1990 17; 2000 57; vgl. LR/Kühne Einl. I 67 ff.; LR/Jäger Vor § 213, 23 ff. StPO; zur Problematik eines solchen „Strafmilderungsgrundes“: I. Roxin 183 ff. m.w.N.; Weigend StV 2000 388; ferner zum Sonderfall des Verhältnisses zwischen Kompensation und Verschlechterungsverbot: BGH NJW 2000 748 mit Anm. Maiwald NStZ 2000 389. BGH (GS) NJW 2008 860 = JR 2008 212 mit Anm. Kraatz JR 2008 189; hierzu auch Ignor/Bertheau NJW 2008 2209. Zur gesamten Thematik auch EGMR Kaemena u. Thöneböhn/D (Fn. 793); BVerfG Beschl. v. 10.3.2009 – 2 BvR 49/09 (Vorgehen nach der Strafzumessungslösung in Übergangsfällen weiterhin zulässig); BGH NStZ-RR 2008 244 (kein Verstoß, wenn statt der Vollstreckungslösung weiterhin die Straf-
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sprechenden Strafe wird der Angeklagte unbeschadet der Verzögerung zu der schuldangemessenen und präventiv gebotenen Strafe verurteilt. Von dieser Strafe gilt sodann ein der Verzögerung adäquater Teil als bereits vollstreckt, was ebenfalls im Urteil ausgesprochen wird.893 Die Anrechnung der Verfahrensverzögerung findet also nicht mehr im Rahmen der Strafzumessung, sondern in einem der eigentlichen Strafzumessung nachgelagerten gesonderten Schritt statt894 und respektiert zumindest im Ausgangspunkt die gesetzlich vorgegebenen Mindeststrafen. Sie stellt eine am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar.895 Dennoch bleibt es möglich, den Angeklagten für das erlittene Verfahrensunrecht zu entschädigen. Dies gilt, sollte die Kompensation hier ausnahmsweise geboten sein, selbst im Falle lebenslanger Freiheitsstrafe.896 Anknüpfungspunkt für die Anrechnung ist die Gesamtstrafe, denn alleine sie ist Grundlage der Vollstreckung. Das Vorgehen vermag neben dem Entschädigungsprinzip der EMRK auch dem Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn die Verzögerung als immaterieller Nachteil ähnlich wie bei der Untersuchungshaft durch Anrechnung auf die Strafe ausgeglichen wird.897 Wie bisher stellt das Gericht Art und Ausmaß der Verzögerung ausdrücklich fest. Die deutsche Rechtsprechung geht bisher davon aus, dass diese Feststellung in Fällen 356 geringfügiger – dennoch konventionswidriger – Verfahrensverzögerungen bereits als Kompensation genügen kann.898 Demgegenüber hält der EGMR neben der Feststellung der Konventionsverletzung stets eine irgendwie geartete Kompensation für erforderlich.899 Die Feststellung der Verzögerung dient nach wie vor nur als Grundlage für die Strafzumessung (im weiteren Sinne, einschließlich Vollstreckungsmodellen) und erlaubt es, den durch die Verzögerung konkret erlittenen Belastungen bei der Straffestsetzung
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zumessungslösung angewandt wird [bzw. Strafzumessungserwägungen in das Urteil eingeflossen sind, BGH NJW 2008 2451], sich dies aber angesichts der vom GS für das Vollstreckungsmodell aufgestellten Maßstäbe als für den Angeklagten günstig erweist); vgl. auch BGH Beschl. v. 26.2.2008 – 4 StR 15/08; anders, wenn die Anwendung der Strafzumessungslösung für den Angeklagten ungünstig ist, BGH Beschl. v. 11.3.2008 – 3 StR 54/08; BGH Beschl. v. 18.1.2008 – 3 StR 388/07 (frühere Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung bei Anwendung des Vollstreckungsmodells): vgl. zu diesem Verschlechterungsverbot BGH NJW 2008 2451. Zu den praktischen Auswirkungen: Beukelmann StraFO 2011 210. BGH StV 2008 399. BGH NJW 2009 307; BGHSt 54 135 = NJW 2009 3734 (am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung); zur Möglichkeit einer noch strikteren Trennung zwischen Strafzumessung und Strafkompensation vgl. eingehend Heghmanns ZJS 2008 198. BGHSt 54 135 = NJW 2009 3734; deshalb
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sind Strafausspruch und Kompensationsentscheidung grundsätzlich je für sich auf Rechtsfehler überprüfbar, BGH StV 2010 228; BGH wistra 2009 347. Anrechnung auf die Mindestverbüßungsdauer i.S.v. § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Vgl. Kraatz JR 2006 406. Vgl. BGH wistra 2008 302; BGH StV 2008 399; BGH NStZ-RR 2009 248; KK/Schädler 39. Zweifelhafte Ausweitung bei BGH BeckRS 2010 25871. Hier wird trotz Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung eine Kompensation unter Berufung auf den besonders gravierenden Tatvorwurf abgelehnt. Vgl. Rn. 350; vgl. insoweit auch BGH NJW 2011 3314, Tz. 40. EGMR Ommer/D (Nr. 1), 13.11.2008, StV 2009 519 und EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 844) (ausdrückliche Feststellung der Verzögerung und eines angemessenen Ausgleichs für die Konventionsverletzung erforderlich); so auch EGMR Stein/D (E), 7.7.2009; zu Erfordernis, Realisierbarkeit und Höhe einer Entschädigung in Geld vgl. umfassend Volkmer NStZ 2008 611.
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Rechnung zu tragen. Einer mathematisierenden Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es hingegen nicht mehr.900 Die im Wege der Anrechnung vorgenommene Kompensation belässt der nach § 46 357 StGB zugemessenen und im Urteilstenor ausgesprochenen Strafe die Funktion, die ihr strafrechtliche wie außerstrafrechtliche Regelungen zuweisen. Namentlich für die Fragen einer Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 1 bis 3 StGB), der formellen Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 bis 3 StGB), deren Vorbehalt (§ 66a Abs. 1 StGB) oder nachträgliche Anordnung, des Verlustes von Amtsfähigkeit, Wählbarkeit oder Stimmrecht (§ 45 StGB), der Anordnung der Führungsaufsicht (§ 68 Abs. 1 StGB), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 Abs. 1 StGB), des Absehens von Strafe (§ 60 StGB)901 oder der Vollstreckungsverjährung (§ 79 StGB) bleibt die unrechts- und schuldangemessene Strafe und nicht die aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe maßgeblich. Da die Vollstreckungslösung den Schuldspruch unberührt lässt, soll ein Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 6 StPO, der darauf zielt, die Vollstreckungslösung auf den Fall anzuwenden, generell unzulässig sein, da ein unzulässiges Wiederraufnahmeziel verfolgt werde.902 Gleichzeitig behält die überlange Verfahrensdauer aber ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund. Einerseits weil mit dem Fortschreiten der Zeit zwischen Tat und Urteil das Strafbedürfnis abnimmt, andererseits weil sich die mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für den Gefangenen generell umso stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen Ermittlungsbeginn und Verfahrensabschluss verstreicht.903 § 357 StPO kommt im Zusammenhang mit der Kompensation rechtsstaatswidriger 358 Verfahrensverzögerungen nach dem Vollstreckungsmodell nicht zur Anwendung.904 Die Aufhebung des Urteils erfolgt nach Auffassung des BGH nicht wegen einer Gesetzesverletzung bei der Anwendung des Strafgesetzes. Aufhebungsgrund sei vielmehr die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren i.S.v. § 344 Abs. 2 StPO, weil es das Gericht versäumt hat, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell unter Beachtung der Kriterien, die sich aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1, Art. 13, Art. 34 EMRK für die Kompensation ergeben, angemessen auszugleichen. Somit kann sich der Verteidiger im Bereich der Verfahrensverzögerung nicht auf die von einem anderen Angeklagten eingelegte Revision verlassen, er muss das Rechtsmittel selbst einlegen. Eine analoge Anwendung des § 357 StPO kommt nicht in Betracht, weil die Frage nach einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach den individuellen Umständen des Einzelfalles für jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen ist.905 Kritiker der Vollstreckungslösung stellen die These in Frage, dass bei dem vom Grund359 satz der Verhältnismäßigkeit bestimmten Ausgleich zwischen der rechtsstaatswidrigen Grundrechtsbeeinträchtigung des Angeklagten und dem mit dem Strafverfahren bezweckten Rechtsgüterschutz906 zwingend die Grenzen einzuhalten sind, die der Gesetz-
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Als „Fremdkörper der Strafzumessung“ bzw. „systemwidrig“ bereits kritisiert in BGH NStZ-RR 2006 202 bzw. BGH NJW 2005 466; s. auch Schäfer Strafzumessung 443; BGH wistra 2008 302; BGH StV 2008 399. BGH StV 2004 420. OLG Celle NStZ-RR 2010 251. BGH NJW 1999 1198; BGH wistra 2009 347 (Verfahrensdauer wegen des mit der
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Zeit abnehmenden Strafbedürfnisses und zum Ausgleich von Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind, weiterhin auf Strafzumessungsebene relevant). BGH StraFo 2009 115. BGH StV 2008 633. Vgl. etwa BVerfGE 92 277, 326; BVerfG NJW 2003 2225.
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geber durch die Strafrahmen und die Bindung einer Sanktionsart an bestimmte sachliche Voraussetzungen gezogen hat. Vor allem hinsichtlich der Bindung an die Untergrenzen der Strafrahmen (Mindeststrafe) sei dies nicht überzeugend, da die Anrechnung eines bereits erlittenen verfahrensrechtlichen Nachteils auf eine an sich den Strafrahmen beachtende schuldangemessene Strafe auch dann noch die vom Gesetzgeber mit der Mindeststrafe gezogene Bewertung respektiert, wenn sie allein wegen dieses Ausgleichs zu einer darunter liegenden Strafe führt.907 Darüber hinaus wird angezweifelt, dass es eines Systemwechsels überhaupt bedurfte, ja sogar, dass die Vollstreckungslösung mit der Konvention vereinbar ist. Anders als vom BGH angenommen, sei der Rechtsprechung des EGMR zur unangemessenen Verfahrensdauer zu entnehmen, dass Deutschland einem Betroffenen die Opferstellung i.S.v. Art. 34 EMRK nehmen könne, indem die Gerichte die erlittene Verletzung ausdrücklich feststellen und durch eine nachprüfbar ausgewiesene Strafmilderung oder eine spezifische Verfahrenseinstellung kompensieren.908 Vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung des EGMR die Konvention nach Auffassung des BVerfG 909 letztverbindlich auslege, befremde die Aussage des BGH, das Vollstreckungsmodell verstoße nicht gegen die Konvention.910 Inzwischen hat der EGMR die Vollstreckungslösung allerdings für konventionskonform erklärt.911 Insbesondere stehe sie im Einklang mit dem in Art. 1, Art. 35 Abs. 1 und Art. 13 EMRK zum Ausdruck kommenden Subsidiaritätsgedanken, der Umsetzung und Durchsetzung der durch die Konvention verliehenen Rechte und Freiheiten zunächst dem Verantwortungsbereich der Mitgliedsstaaten unterstellt.912 Neben der Feststellung des Konventionsverstoßes und der Feststellung, dass ein bezifferter Teil der schuldangemessenen Strafe als vollstreckt gilt (vgl. Rn. 355), kommen als kompensatorische Alternative zum Vollstreckungsmodell namentlich die Aussetzung der Strafe zur Bewährung,913 das Absehen von Strafe 914 bzw. von einer Maßregel der Besserung und Sicherung, die völlige oder teilweise Verfahrenseinstellung nach strafprozessualen Opportunitätsgrundsätzen (§§ 153 ff. StPO)915 sowie eine spätere Aufhebung des Urteils916 in Betracht. Die jeweilige Maßnahme des materiellen oder prozessualen Rechts ist stets mit dem ausdrücklichen Hinweis zu versehen, dass sie gerade zur Kompensation des festgestellten Verfahrensverstoßes getroffen wird. Darüber hinaus hält der EGMR auch eine Wiedergutmachung durch Zahlung einer Entschädigung in Geld für möglich.917 Das deutsche Recht kennt jedoch keine Regelung, die es den Strafgerichten ermöglicht, eine solche Geldentschädigung zuzuerkennen. 907
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Schroth NJW 1990 30 (keine Bindung bei qualifizierter Überlänge); LR/Kühne Einl. I 67 ff. EGMR Eckle/D (Fn. 245); I. Roxin StV 2008 14; Krehl/Eidam NStZ 2006 1 („gefestigte Rechtsprechung des EGMR“). BVerfG NJW 2004 3407 (normative Leitfunktion mit Bindungswirkung für die innerstaatlichen Gerichte). I. Roxin StV 2008 16. EGMR Kaemena u. Thöneböhn/D (Fn. 793) („The Court welcomes this initiative“); krit. hingegen zur Vereinbarkeit der Vollstreckungslösung mit deutschem Verfassungs-, Straf- und Strafprozessrecht Ignor/Bertheau NJW 2008 2209.
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Vgl. für etwaige Folgen in der deutschen Rechtsprechung I. Roxin GA 2010 425 ff. BGH StV 1983 502; 1985 322; 411. BGH StV 2004 420. Zur Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung als Ausgleich für eine konventionswidrige Verzögerung vgl. EGMR Stein/D (E) (Fn. 899); BGHSt 24 239; 35 137; LG Stuttgart Justiz 1990 303: Meyer-Goßner 9c; BGH StV 2008 299; Schroth NJW 1990 30. BGH Beschl. v. 3.4.2008 – 4 StR 89/08. Vgl. dazu etwa EGMR Lutz/F, 26.3.2002; Kühne EuGRZ 1983 383; Kraatz JR 2006 406.
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Die konkrete Wiedergutmachungsmaßnahme ist nach Möglichkeit bereits im Erkenntnisverfahren vorzunehmen und kann nicht den Strafvollstreckungsbehörden überlassen werden. Im Grunde handelt es sich hierbei um den gebotenen Ausgleich aller Nachteile, die der Angeklagte durch die rechtswidrige Überlänge des Verfahrens erlitten hat – in Ausprägung der den Staat treffenden Pflicht zur Wiedergutmachung des Schadens. Die Kompensation beseitigt die Opfereigenschaft des Betroffenen i.S.v. Art. 34 365 EMRK.918 Sie erfüllt eine Art Staatshaftungsanspruch, der dem in einem überlangen Strafverfahren Angeklagten ebenso erwachsen kann wie der Partei eines vom Gericht schleppend geführten Zivilprozesses oder einem Bürger, der an einem verzögerten Verwaltungsstreit beteiligt ist. Der Anspruch entsteht auch, wenn der Angeklagte freigesprochen wird.919 Gemäß Art. 35 Abs. 3 EMRK wird die Individualbeschwerde u.a. dann zurückgewiesen, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen sind. Einen etwaigen konventionswidrig langsamen Verfahrensgang in einem Staat (auch und gerade in einem anderen Vertragsstaat der EMRK) bei der Bemessung der Angemessenheit der Dauer eines Strafverfahrens gänzlich unberücksichtigt zu lassen, mit dem Argument, der das Verfahren führende Vertragsstaat habe auf den Verfahrensgang im Ausland keinen Einfluss nehmen können, stellt beim Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer (anders als bei Verfahrensrechten, vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, Rn. 785) eine zu formal-isolierte Betrachtung auf, die das Gesamtverfahren (genauer: seine Dauer) völkerrechtlich „aussplittet“. Auch wenn der Teil des Verfahrens im Ausland dem das Verfahren übernehmenden bzw. führenden Vertragsstaat nicht zugerechnet werden kann, so bleibt dieser Staat gleichwohl zu einer Berücksichtigung der Gesamtverfahrensdauer und zur Kompensation des aufgetretenen Mangels verpflichtet, auch wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben.920 Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Staaten durch eine bloße Abgabe eines (noch nicht unangemessen langen) Verfahrens an einen anderen Staat (in dem dann durch den an sich nicht zu beanstandenden Verfahrensrest der Zustand einer insgesamt unangemessenen Verfahrensdauer eintritt) die Verurteilung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK vermeiden könnten. Nur bei einer verfahrensrechtlich nicht mehr auf anderem Wege ausgleichbaren irre366 parablen schweren rechtsstaatswidrigen Benachteiligung durch eine von staatlichen Organen zu vertretende schwerwiegende Verfahrensverzögerung wird auch der Abbruch des Strafverfahrens durch dessen Einstellung als zulässig und geboten angesehen.921 Auch der BGH nimmt in extremen Ausnahmefällen ein Verfahrenshindernis922 an; im Übrigen hält er an der vorherrschenden Meinung fest, die bei den durch Kompensation noch ausgleichbaren Fällen der verzögerlichen Behandlung ein Verfahrenshindernis ver918 919 920 921
Vgl. hierzu Teil II Rn. 141 f. Vgl. EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 844). In die andere Richtung argumentiert: BGH NJW 2011 3314, Tz. 37. Vgl. BVerfG NJW 1984 967; 1992 2473; 1993 3254; 2003 2225; BGHSt 35 137; 46 149 mit Anm. Kempf StV 2001 134; OLG Schleswig StV 2003 379; Ambos NStZ 2002 628, 631; Ostendorf/Radtke JZ 2001 1094; I. Roxin StraFo 2001 51; Mansdörfer GA 2010 153, 165; Scheffler Überlange Dauer von Strafverfahren 176; Meyer-
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Goßner 9; SK/Paeffgen § 206a Anh. 30 StPO je m.w.N. zum Streitstand. BGHSt 46 149 (anders: „nur Verfahrensabbruch“: BGHSt 35 141; BGH NStZ 1989 284; BGH NJW 2001 1146; OLG Koblenz NJW 1994 1887; OLG Zweibrücken NStZ 1989 134; Hillenkamp NJW 1989 2842; Schroth NJW 1990 29; vgl. auch OLG Koblenz NJW 1972 405; LG Düsseldorf NStZ 1988 427. Zum Streitstand ferner LR/Kühne Einl. I 68; LR/Stuckenberg § 206a, 82 StPO.
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neint.923 Die einstellende Entscheidung muss Grund und Ausmaß der Verzögerung feststellen und neben einer Prognose des weiteren Verfahrensverlaufs auch begründen, warum jede Weiterführung des Verfahrens unvertretbar wäre. Dazu gehören in der Regel auch die nach dem Verfahrensstand möglichen Feststellungen zum Tatgeschehen. Ob daneben auch Feststellungen zum Schuldumfang erforderlich sind, ist strittig.924 Aus der Sicht der Konventionen kommt es für den innerstaatlichen Ausgleich einer Konventionsverletzung durch überlange Verfahrensdauer nur darauf an, dass anderweitig irreparable Fälle auch durch Abbruch der Strafverfolgung erledigt werden können. In welcher Form dies innerstaatlich geschieht und wie dies dort dogmatisch einzuordnen ist, ist aus der Sicht der Konventionen unerheblich. Bei einem bereits abgeschlossenen Verfahren kann der Nachteil ausnahmsweise auch 367 noch durch einen Gnadenerweis innerstaatlich ausgeglichen werden.925 5. Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrecht- 368 lichen Ermittlungsverfahren. Das Thema Verfahrensbeschleunigung hat auch den deutschen Gesetzgeber seit längerer Zeit intensiv beschäftigt. Nachdem die Bundesrepublik (seit Jahren) vom EGMR für schwere Verstöße gegen den Beschleunigungsgrundsatz gerügt worden war926 und auch das BVerfG verschiedentlich an den Gesetzgeber appelliert hatte, sich dieses strukturellen Problems in der deutschen Justiz endlich anzunehmen,927 wurde zuletzt im März 2010 ein Gesetzentwurf zu diesem Thema vorgelegt.928 Am 29.9.2011 wurde dieser Entwurf schließlich vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Der Bundesrat hat am 14.10.2011 seine Zustimmung erteilt.929 Maßgebliche Neuerung des am 3.12.2011 in Kraft getretenen Gesetzes über den 369 Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜVerfBesG) ist, wie bereits die Überschrift des neuen Siebzehnten Titels des GVG 923
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BGHSt 21 81; 24 239; BGH GA 1977 275; wistra 1982 108; NStZ 1982 291; 1983 135; StV 1983 502; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987 19; ferner BVerfG NJW 2003 225 („nicht so schwerwiegend, dass Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen anzunehmen“). Zum Streitstand etwa Kohlmann FS Pfeiffer 210; Schroth NJW 1990 31; Vogler ZStW 89 (1977) 780 ff.; LR/Kühne Einl. I 68; LR/Stuckenberg § 206a, 82 StPO; LR/Jäger Vor § 213, 24 StPO; Meyer-Goßner 9; IK-EMRK/Kühne 341 f. Etwa BGH bei Becker NStZ-RR 2003 104; BayObLG StV 2003 388 mit Anm. I. Roxin = JR 2003 507 mit Anm. Scheffler; Ambos NStZ 2002 628, 630; Ostendorf/ Radtke JZ 2001 1094; Kempf StV 2001 134; I. Roxin StV 2001 491; dies. StraFo 2001 52. Vgl. BGHSt 24 240; IK-EMRK/Kühne 344. EGMR Rumpf/D (Fn. 802); (GK) Sürmeli/D, 8.6.2006, ECHR 2006-VII = NJW 2006 2389 = EuGRZ 2007 255 = FamRZ 2007 1449 = NdsRpfl. 2006 318. Vgl. zu den Auswirkungen der Betonung
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des Beschleunigungsgebots auf die deutsche Rechtsprechung I. Roxin GA 2010 425; Kühne JZ 2010 821. BVerfGE 107 395, 416. Referentenentwurf des BMJ, abrufbar als „Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 15.3.2010“ unter www.bmj.de, vgl. auch BRDrucks. 540/10; siehe auch bereits Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren (Untätigkeitsbeschwerdengesetz) v. 22.8.2005. Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren v. 24.11.2011, in Kraft seit 3.12.2011, BGBl. 2011 I S. 2302; vgl. auch Pressemitteilung vom 30.9.2011 (Bundestag beschließt Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren) und Pressemitteilung vom 14.10.2011 (Durchbruch beim Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren), abrufbar unter www.bmj.de; BTDrucks. 17 7217; BRDrucks. 587/11.
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zeigt, eine neue, bisher dem deutschem Recht fremde Form des „Rechtsschutzes“ gegen überlange Verfahren. Dieser sieht in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG für Verfahrensbeteiligte die Möglichkeit der angemessenen Entschädigung bei einer unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens vor. § 199 GVG stellt bezüglich des Strafverfahrens besondere Bestimmungen auf (Rn. 374). Bei Rüge einer überlangen Verfahrensdauer müssen zunächst die Rechtsbehelfe ergriffen werden, die das jeweilige nationale Recht innerstaatlich zur Abhilfe (Beschleunigung; § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG; Verzögerungsrüge) oder Kompensation eines solchen Verstoßes vorsieht (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Nach Art. 23 ÜVerfBesG gilt dies auch für bereits (auf nationaler Ebene oder auch vor dem EGMR) anhängige Verfahren. Für Entschädigung bei unangemessener Dauer eines Verfahrens vor dem BVerfG gelten die §§ 97a ff. BVerfGG. Festzuhalten ist zunächst, dass sich der deutsche Gesetzgeber nicht für einen Rechtsbehelf entschieden hat, der eine „präventive Wirkung“ hat, also das Verfahren unmittelbar beschleunigen soll. Stattdessen wurde eine „kompensatorische“ Möglichkeit gewählt, die eine (rein) finanzielle Entschädigung ex-post, also nach bereits erfolgter Verzögerung zubilligt.930 Vom Grunde her ist der Gedanke, einen Rechtsbehelf einzuführen, der das Verfahren beschleunigen soll, zu begrüßen.931 Dies vor allem deswegen, weil alle anderen in Betracht gezogenen, bereits bestehenden Rechtsbehelfe, wie etwa die Verfassungsbeschwerde, die Dienstaufsichtsbeschwerde oder Schadensersatz wegen Amtshaftung, den Anforderungen des EGMR (zu Recht) nicht genügen.932 An dem nun eingeschlagenen Weg und der aktuellen Fassung des Gesetzentwurfs wird aber auch (berechtigte) Kritik laut:933 Während sich bei einem Symposium des BMJ im Jahr 2007 die Mehrheit der Beteiligten für die jetzt gewählte kompensatorische Lösung aussprach,934 erscheint jedenfalls für die strafrechtliche Dimension eine präventive Lösung vorzugswürdig.935 Nur mit einer Untätigkeitsklage im eigentlichen Sinn, wie bereits 2005 vorgeschlagen, könnte tatsächlich eine Beschleunigung langwieriger Verfahren erreicht werden. Gerade ein solcher Weg müsste (vor allem im Strafverfahren) das Anliegen des Gesetzgebers sein, statt dem Opfer einer Verfahrensverschleppung (aus welchen Gründen auch immer) bloß nachträglich eine finanzielle Kompensation zuzugestehen. Die Kritik am aktuellen Gesetz selbst entzündet sich am Tatbestandsmerkmal der „unangemessenen Verfahrensdauer“, das nach Meinung einiger Autoren zu unbestimmt ist.936 Ein weiterer Kritikpunkt stellt die Befürchtung einer Aushöhlung des Prinzips der
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Der EGMR erklärt das für zulässig, vgl. etwa EGMR (GK) Sürmeli/D (Fn. 926), § 138. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2010 205, m.w.N. in Fn. 2; Scholz DRiZ 2010 182; BRDrucks. 540/10 S. 1. Vgl. Darstellung bei Scholz DRiZ 2010 182, 183. Vgl. speziell zur Kritik bezogen auf die Regelungen zum Strafverfahrensrecht Rn. 374 ff. Zur Kritik etwa Scholz DRiZ 2010 182 m.w.N.; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2010 205. Ausdrücklich befürwortend auch EGMR (GK)
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Sürmeli/D (Fn. 926), § 138. Kritik an der kompensatorischen Lösung auch bei Stellungnahme der BRAK Nr. 37/2010, S. 5 ff., Nr. 18/ 2011, S. 4 f.; Göcken NJW-Aktuell 2011 16 sowie Huerkamp/Wielpütz JZ 2011 139, 140. Die neue Regelung i.E. befürwortend aber Althammer JZ 2011 446, 452; vgl. auch bereits Roller ZRP 2008 122. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2010 205, 207; Beukelmann NJW-Spezial 2010 632, 633, BRAK-Stellungnahme Nr. 18/2011, S. 6. Ebenfalls kritisch, allerdings vorwiegend aus formaler Sicht: BRDrucks. 540/10 S. 3 f.
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richterlichen Unabhängigkeit dar.937 Weiterhin stellt sich aus Praxissicht die Frage, wie die Beurteilung einer Verzögerung stattfinden soll, ohne das Hauptverfahren selbst zu verzögern, etwa durch Übermittlung der Akten an das wegen der Verzögerungsrüge angerufene Gericht. Für das Strafverfahren stellt § 199 GVG Besonderheiten auf. So soll es die Verzöge- 374 rungsrüge richtigerweise auch bereits im Vorverfahren geben, § 199 Abs. 2 Satz 1 GVG.938 Wird im Rahmen der „Vollstreckungslösung“ die überlange Verfahrensdauer berücksichtigt, so stellt dies gemäß § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG eine Wiedergutmachung auf andere Weise i.S.d. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG dar, so dass dann keine Entschädigung in Geld verlangt werden kann.939 Kritisch ist, insbesondere für den strafverfahrensrechtlichen Teil, zu bedenken, dass 375 für den nicht verteidigten Beschuldigten eine Kenntnis des Rechtsbehelfs von Nöten ist.940 Weiterhin erforderlich wäre ein expliziter Hinweis auf die Anwendbarkeit auch bei Fällen, in denen die Vollstreckungslösung aus praktischen Gründen keine Anwendung findet.941 Aufgrund des Nebeneinanders von Vollstreckungslösung und Verzögerungsrüge 376 wurde von Seiten des Bundesrats ursprünglich für einen Verzicht auf die Verzögerungsrüge plädiert.942 Unklar ist auch das Verhältnis der neuen Regelungen zur (präventiven) Untätigkeitsverfassungsbeschwerde.943 Die Kritik richtet sich aber im Kern gegen die Rügemöglichkeit, unabhängig ob diese präventiv oder kompensatorisch möglich ist.944 Sie resultiert aus der Befürchtung von Mehrbelastungen durch umfassende Protokollierung der staatsanwaltlichen und richterlichen Tätigkeit. Ferner wird eine Klageflut befürchtet.945 Selbst wenn diese Gefahr berechtigt sein sollte,946 steht immer noch der menschenrechtliche Schutz des Beschuldigten im Vordergrund. Um diesem gerecht zu werden, scheint eine pauschale Ablehnung aus der Befürchtung etwaigen Missbrauchs kein probates Mittel. Vielmehr wäre im Interesse des Beschuldigten wenigstens der Versuch einer präventiven Lösung erstrebenswert gewesen.
VIII. Öffentlichkeit der Verhandlung und Entscheidungsverkündung 1. Schutzzweck. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen ist ein Grundprinzip 377 der demokratischen Gesellschaft und genießt auch innerhalb der Garantien des Art. 6 EMRK eine zentrale Stellung.947 Durch sie soll der gerichtliche Entscheidungsvorgang für jedermann transparent („rendering the administration of justice transparent“), die
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Insbesondere Scholz DRiZ 2010 182, 183. Begrüßend insoweit Stellungnahme BRAK Nr. 37/2010, S. 4 f. Äußerst kritisch und für eine Ausklammerung des Strafverfahrens BRDrucks. 540/10 S. 1 ff. Für eine Berücksichtigung in einem sog. „Letter of Rights“: Beukelmann NJWSpezial 2010 632, 633. Dieser steht ferner wohl aus sozialpolitischen Gesichtspunkten dem Entwurf kritisch gegenüber. Vgl. zu diesen Fällen: Stellungnahme BRAK Nr. 37/2010, S. 8.
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BRDrucks. 540/10 S. 1 ff. Hierzu Huerkamp/Wielpütz JZ 2011 139, 141. BRDrucks. 540/10 S. 1 ff., inbs. S. 3. So auch bereits Scholz DRiZ 2010 183. Weniger kritisch als Scholz DRiZ 2010 183 diesbezüglich aber etwa Beukelmann NJW-Spezial 2010 632, 633 und SteinbeißWinkelmann ZRP 2010 205, 207. EGMR Vernes/F (Fn. 396), § 30 („un principe fondamental consacré par l’article 6 § 1 de la Convention.“).
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Rechtsprechung durchschaubar und so das Vertrauen in sie gestärkt werden („people’s confidence in the courts“).948 Der Wegfall jedweder „Geheimjustiz“ ermöglicht der Öffentlichkeit die unmittelbare Kontrolle („public scrutiny“) der von den anderen Staatsgewalten unabhängigen Gerichte. Die Öffentlichkeit fördert auch die Objektivierung der Verfahrensgestaltung. Sie kann den Verfahrensbeteiligten mitunter auch Rückhalt bei der Wahrung ihrer Verfahrensinteressen gegenüber dem Gericht geben. Dies alles trägt zur Unparteilichkeit der Rechtspflege, zur sachlichen und korrekten Verhandlungsführung, zum Ausschluss von Willkür, zur Verwirklichung der Waffengleichheit und somit insgesamt zur Sicherung eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR) bei.949 Die Konventionen garantieren die Öffentlichkeit des Verfahrens als Recht des Einzelnen grundsätzlich in allen Verfahren, die in den sachlichen Anwendungs- und damit Schutzbereich der Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR fallen,950 also auch vor den als Tribunal anzusehenden beruflichen Disziplinarorganen.951 Dritte Personen als Vertreter der Öffentlichkeit können aus diesen Konventionsgarantien keinen Anspruch auf eine ihre Teilnahme ermöglichende öffentliche Verhandlung über eine strafrechtliche Anklage oder einen zivilrechtlichen Verfahrensgegenstand herleiten.952 Unter Öffentlichkeit ist die Volksöffentlichkeit zu verstehen; die bloße Parteiöffentlichkeit genügt hierfür nicht.953 Die Öffentlichkeit ist nur gewährleistet, wenn jedermann nach eigenem Belieben Zugang zum Ort der gerichtlichen Verhandlung erhalten kann. Es reicht nicht aus, dass lediglich einige ausgewählte Vertreter internationaler Organisationen als neutrale Prozessbeobachter zugelassen werden.954 Die Verhandlung vor Gericht muss für jedermann zugänglich sein und darf nur durch die räumlichen Gegebenheiten, nicht aber durch eine willkürliche Auswahl des Publikums begrenzt werden.955 Dies schließt erforderliche Kontrollen der Besucher aus Sicherheitsgründen956 und den Ausschluss einzelner Störer nicht aus, solange diese nicht
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EGMR Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 73. EGMR Golder/UK (Fn. 271); Axen/D (Fn. 797); Pretto u.a./I (Fn. 386); Sutter/CH, 22.2.1984, A 74 = EuGRZ 1985 229; Werner/A (Fn. 167); Riepan/A (Fn. 453); (GK) Martinie/F (Fn. 152), § 39; Volkov/R, 4.12.2007, § 25; Belashev/R, 4.12.2008, § 79; Olujic´/KRO, 5.2.2009, § 70; Krestovskiy/R, 28.10.2010, § 24; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 73; Esser 707; Frowein/Peukert 187; IK-EMRK/Kühne 348; Nowak 31; Nowak/Schwaighofer EuGRZ 1985 725; Wyss EuGRZ 1996 1, 5; Villiger 441; zu den ähnlichen Überlegungen bei den §§ 169 ff. GVG und der abzulehnenden Tendenz, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit als Regelungsgrund in den Vordergrund zu rücken, vgl. LR/Kühne Einl. I 53, 70; LR/Wickern Vor § 169, 3 ff. GVG; ferner Jung GedS H. Kaufmann 891; Morscher/Christ EuGRZ 2010 272, 273. Vgl. etwa EGMR Pretto u.a./I (Fn. 386). /
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Etwa EGMR Diennet/F (Fn. 119). Für eine stärkere Berücksichtigung der Aspekte „Zugänglichkeit der Verhandlung“ sowie „hinreichende Transparenz“ dagegen: Handschell DRiZ 2010 395, 399. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); IK-EMRK/ Kühne 345; Nowak/Schwaighofer EuGRZ 1985 725; SK/Paeffgen 87; Villiger 440; Morscher/Christ EuGRZ 2010 272, 273. EGMR Olujic´/KRO (Fn. 949), § 73 (Vertreter von UNHCR und der OSZE, die bei Androhung von Kriminalstrafe zur Verschwiegenheit verpflichtet worden waren, durften an Verhandlung teilnehmen; gleichwohl ging der Gerichtshof von einer „general exclusion of the public from the proceedings“ aus). Peukert EuGRZ 1980 247, 268; zu den Anforderungen an die Verhandlungsöffentlichkeit vgl. LR/Wickern § 169, 9 ff. GVG. Vgl. Klotz NJW 2011 1186 zu der Frage der Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch Videoüberwachung des Ein-
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über ihren Sicherheitszweck hinaus zu einer selektiven Auswahl der Teilnehmer führen. Besteht der freie Zugang uneingeschränkt, ist es unschädlich, wenn tatsächlich niemand der Verhandlung zuhört. Zeit und Ort der mündlichen Verhandlung müssen rechtzeitig bekannt gegeben werden, damit jeder Interessierte daran teilnehmen kann.957 Findet die Hauptverhandlung an einem Ort statt, der der Öffentlichkeit normalerweise verschlossen ist (Ortstermin), wie etwa bei einer Verhandlung in einer Justizvollzugsanstalt, kann es zur Gewährleistung der Öffentlichkeit erforderlich sein, über die übliche Form der Bekanntgabe von Zeit und Ort der Verhandlung hinaus zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Öffentlichkeit der Verhandlung auch tatsächlich zu gewährleisten, wie etwa ein Aushang an der Gerichtstafel oder Informationen in den Medien über den Verhandlungsort, seine Erreichbarkeit und den freien Zugang zu diesem.958 Die Presse wird, wie die in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK / Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR geregelten Ausschlussmöglichkeiten zeigen, hinsichtlich des Zutritts zur Verhandlung der allgemeinen Öffentlichkeit gleichgestellt.959 Dies betrifft die Befugnis der Journalisten zur einfachen Teilnahme. Selbst diese kann, wenn die räumlichen Kapazitäten begrenzt sind, vom Vorsitzenden geregelt werden.960 Gesteigerte Formen der Medienberichterstattung, wie etwa die Ton- oder Fernsehübertragung einer Verhandlung oder die Befugnis, diese durch Filmaufnahmen oder in Lichtbildern festzuhalten und in der Regel selektiv in Ausschnitten zu verbreiten,961 werden durch die Konventionen nicht garantiert. Sie gehen in ihren Auswirkungen über die Schutzfunktion hinaus, die die unmittelbare Anwesenheit des Publikums beim Verfahren erfüllt. Sie können deshalb im nationalen Recht ohne Bindung durch Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR geregelt und zum Schutz eines fairen, unbeeinflussten Verfahrens, der Belange der Betroffenen und der Unparteilichkeit der Rechtspflege auch eingeschränkt werden (siehe diesbezüglich zur Unschuldsvermutung, Art. 6 Abs. 2 EMRK, auch Rn. 460).962 Grundsätzlich genügt es, wenn ein Verfahrensbeteiligter – im Strafverfahren der Beschuldigte bzw. Angeklagte (etwa im Strafbefehlsverfahren oder im Bußgeldverfahren) – die Möglichkeit hat, durch einen entsprechenden Antrag oder sonstigen Rechtsbehelf ein öffentliches Gerichtsverfahren herbeizuführen.963 Einem Verstoß des Öffentlichkeitsgrundsatzes steht in Strafsachen ein positiver Ausgang des Verfahrens für den Beschuldigten nicht entgegen.964 Aus dem Schutzzweck des Gebots der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung folgt, dass es aus der Sicht der Konventionsgarantie nur darauf ankommt, ob diesem
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gangsbereiches des Gerichts. Eine Verletzung ablehnend: LG Itzehoe NJW 2010 3525; a.A. VG Wiesbaden NJW 2010 1220. Vgl. etwa EGMR Andrejeva/LET (E), 11.7.2006. EGMR Riepan/A (Fn. 453); Hummatov/ ASE, 29.11.2007; Meyer-Ladewig 184. Grabenwarter § 24, 73; SK/Paeffgen 87. Vgl. BVerfGE 103 44. BVerfG NJW 2003 500; zur bevorzugten Platzzuteilung an Medienvertreter als Multiplikatoren für die erweiterte Öffentlichkeit Grabenwarter § 24, 88. Zur Zulässigkeit des Verbots, eine laufende
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Verhandlung im Fernsehen in Ausschnitten wortgetreu nachzuspielen, EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 613. Guradze 16; Partsch 157; vgl. IK-EMRK/ Kühne 349; SK/Paeffgen 87; Wyss EuGRZ 1996 1; zum Verbot des § 169 Satz 2 GVG vgl. LR/Wickern § 169, 43, 52 GVG. Vgl. Meyer-Ladewig 187 zu den Regelungen über Gerichtsbescheide nach der VwGO und dem SGG, in denen ebenfalls eine mündliche Verhandlung herbeigeführt werden kann. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40).
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Recht im Gesamtverfahren genügt worden ist. Die Öffentlichkeit muss daher mindestens bei der Verhandlung in einer Instanz, in der Sachentscheidungen getroffen werden, voll bestanden haben.965 Für das Rechtsmittelverfahren gelten besondere Grundsätze (Rn. 407 ff.). Zur Heilung eines in erster Instanz eingetretenen Verstoßes gegen das Recht auf öffentliche Verhandlung im späteren Instanzenzug siehe Rn. 416 ff.
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2. Mündlichkeit der Verhandlung. Öffentlichkeit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR bedeutet grundsätzlich auch die Mündlichkeit der Verhandlung („oral hearing“). Die für die Entscheidungsfindung wichtigen Vorgänge müssen in der Verhandlung wenigstens in den Grundzügen so zur Sprache kommen, dass die unbeteiligten Zuhörer verstehen können, worum es in der Sache geht. Jeder unmittelbar bei Gericht Anwesende muss Gelegenheit haben, von den zur Entscheidung führenden Vorgängen Kenntnis zu nehmen;966 andernfalls würde der mit der Öffentlichkeit verfolgte Kontrollzweck nicht in vollem Umfang erfüllt. Dies schließt weder die Verwendung schriftlicher Beweise noch ihre vereinfachte 388 Form der Einführung in das Verfahren (vgl. etwa das Selbstleseverfahren in § 249 Abs. 2 StPO) aus. Auch eine eingehende Erörterung aller Einzelheiten ist nicht notwendig, wohl aber, dass die für das Verständnis des Verfahrens wichtigen, die spätere Entscheidung tragenden Umstände transparent werden.967 Für die Parteien muss die Möglichkeit bestehen, in die schriftliche Ausführungen der jeweiligen Gegenseite Einsicht nehmen zu können (dazu vertiefend Rn. 222).968 Ein darüber hinausgehendes Gebot der Mündlichkeit des Verfahrens wird man aus dem Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht herleiten können.969 Die Vorsehung eines schriftlichen Verfahrens vor Gericht, in dem nicht nur über vor389 läufige Maßnahmen, sondern über Bestand und Umfang eines „civil right“ selbst oder über die Begründetheit einer strafrechtlichen Anklage entschieden wird, verletzt das Öffentlichkeitsgebot nicht,970 wenn die Betroffenen durch einen Antrag eine mündliche Verhandlung herbeiführen können.971 Besteht für eine (zivilprozessuale) Partei oder den Angeklagten gar keine Möglichkeit, eine öffentliche mündliche Verhandlung zu fordern, weil etwa im nationalen Recht für bestimmte Verfahren ausschließlich schriftliche Stellungnahmen oder Anhörungen vorgesehen sind, von denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, verstößt das regelmäßig gegen das Recht auf eine öffentliche Verhandlung.972 Die (Möglichkeit der) Wahl einer Verfahrenssprache, die nicht zugleich Amtssprache 390 eines Verfahrensstaats ist bzw. von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verstanden wird, stellt – soweit diese Wahl dem Willen der Prozessbeteiligten bzw. des Angeklagten entspricht – keinen Verstoß gegen das Recht auf eine öffentliche Verhandlung dar – mag auch der „Öffentlichkeit“ aus diesem Grund der „Zugang“ zu diesem Verfahren weitgehend faktisch versperrt sein.973
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EGMR Alge/A (Fn. 477); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 615; Villiger 444; EGMR Blücher/CS, 11.1.2005; Kurtulmus/TRK (E), 24.1.2006, ECHR 2006-II. IK-EMRK/Kühne 355. IK-EMRK/Kühne 355. EGMR Milatová u.a./CS, 21.6.2005, ECHR 2005-V (zivilrechtliche Streitigkeit). Vgl. hierzu schon Guradze 18. Vgl. etwa EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40);
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Le Compte/B (Fn. 40); Weber/CH (Fn. 187); Nowak/Schwaighofer EuGRZ 1985 725; ferner zur Praxis des HRC: Nowak 32-36. EGMR (GK) Eskelinen u.a./FIN (Fn. 83); (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); vgl. MeyerLadewig 186 f. EGMR (GK) Martinie/F (Fn. 152), §§ 42 ff. Zur geplanten Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen, in denen in englischer Sprache verhandelt werden
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3. Verzicht. Ein Verzicht der Verfahrensparteien – im Strafverfahren des Angeklagten, denn ihm allein wird dort das Recht auf eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR gewährt – auf die von den Konventionen garantierte öffentliche Verhandlung wird – unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass das nationale Recht dies überhaupt erlaubt – vom EGMR für zulässig gehalten.974 Er hält es mit der primär den Betroffenen als subjektives Recht zugesicherten Konventionsgarantie auf ein öffentliches Verfahren für vereinbar, dass diese sich ausdrücklich oder stillschweigend mit einem schriftlichen Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit einverstanden erklären.975 Dass die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit auch Geheimverfahren verhindern soll und objektiven, über den Schutz des Einzelnen hinausreichenden Zwecken dient, wie dem generellen Interesse an der Transparenz der Rechtspflege (siehe Rn. 377), schließt die Möglichkeit eines wirksamen Verzichts des Einzelnen auf das ihm garantierte Verfahrensrecht im Einzelfall nicht aus. Der allgemeinen Kontrollfunktion der Öffentlichkeit ist genügt, wenn das nationale Recht grundsätzlich ein öffentliches Verfahren vorsieht, von dem kein Rechtsuchender ohne sein Zutun ausgeschlossen werden kann. Die Konventionen garantieren dem Einzelnen die Öffentlichkeit als Verfahrensgrundrecht primär zu seinem Schutz, nicht aber als ein auch gegen ihn und seine Interessen wirkendes Rechtsinstitut zur Sicherung des Allgemeininteresses an der Öffentlichkeit der Rechtspflege.976 Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt daher nicht vor, wenn das Gericht mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Verfahren entscheidet, auch wenn in diesen Fällen die objektive Kontrollfunktion der Öffentlichkeit ausgeschaltet wird.977 Dies gilt auch für ein Verfahren, in dem nach Einstellung des Strafverfahrens über die Haftentschädigung befunden wird.978 Ein derartiger Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung ist allerdings nur wirksam, wenn er eindeutig erfolgt und öffentlichen Interessen nicht zuwiderläuft.979 Er kann bereits darin zu sehen sein, dass ein Verfahrensbeteiligter in Kenntnis, dass üblicherweise schriftlich entschieden wird, den verfahrensrechtlich möglichen und ihm auch effektiv zugänglichen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht stellt.980 Voraussetzung für die Annahme und Wirksamkeit eines in der Nichtantragstellung zu
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soll, und die diesbezügliche Debatte über den (deutschen) Öffentlichkeitsgrundsatz siehe: GesE des Bundesrates vom 27.1.2010, BRDrucks. 42/10; BTDrucks. 17 S. 2163; Braunbeck DRiZ 2010 316. EGMR Le Compte/B (Fn. 40); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); vgl. auch EGMR Håkansson u. Sturesson/S, 21.2.1990, A 171-A = EuGRZ 1992 5; Weber/CH (Fn. 187); Schuler-Zgraggen/CH (Fn. 107); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 615; Frowein/Peukert 191, 199; Peukert EuGRZ 1980 247, 268; Villiger 443; Bedenken bei SK/Paeffgen 106. Zum stillschweigenden Verzicht vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 615; ferner allgemein IK-EMRK/Kühne 347; Meyer-Ladewig 187; Morvay ZaöRV 21 (1961) 337; BGH NJW 1957 1480. Strenger: SK/Paeffgen 110,
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der für das Strafverfahren einen ausdrücklichen Verzicht nach vorheriger Belehrung fordert. SK/Paeffgen 106 ff., 109 betont dagegen stärker die objektiv-rechtliche Komponente. Vgl. SK/Paeffgen 106. EGMR Werner/A (Fn. 167). Meyer-Ladewig 68. EGMR Håkansson u. Sturesson/S (Fn. 974); Schuler-Zgraggen/CH (Fn. 107); Zumtobel/A, 21.9.1993, A 268-A = ÖJZ 1993 762; Fredin/S (Nr. 2), 23.2.1994, A 283-A = ÖJZ 1994 565; Fischer/A, 26.4.1995, A 312 = ÖJZ 1995 633; Haider/A (Fn. 110); Frowein/Peukert 191; Grabenwarter § 24, 90; Meyer-Ladewig 172; vgl. auch die Bedenken gegen diese Praxis bei SK/Paeffgen 106 ff.
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sehenden Verzichts ist, dass das Gericht einem solchen Antrag auch praktisch entsprechen kann; zur Stellung faktisch aussichtsloser Anträge ist kein Betroffener verpflichtet,981 so etwa, wenn das nationale Recht gar keine mündliche Verhandlung vorsieht.982 Im Unterbleiben der Antragstellung kann auch dann kein Verzicht gesehen werden, wenn das mit der Sache befasste Gericht kurzfristig schriftlich entscheidet, ohne dem Betroffenen überhaupt Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben.983 Ein Verzicht der Prozessbeteiligten bzw. des Angeklagten ist für das Gericht nicht bin395 dend. Sofern es das nationale Recht erlaubt, kann es trotzdem öffentlich (mündlich) verhandeln und entscheiden, wenn es dies im Hinblick auf die Parteien oder sonst in einem überwiegenden öffentlichen Interesse für angezeigt hält.984 Grenzen können sich freilich aus anderen Menschenrechten, wie etwa dem Fairnessgrundsatz und der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) ergeben. Ein Verzicht der Parteien auf eine öffentliche Verhandlung schließt das Recht Dritter 396 auf Kenntnisnahme vom Inhalt des ergangenen Urteilsspruchs und seiner Begründung nicht automatisch aus.985 Einschränkungen in diesem Bereich können sich aus Art. 8 EMRK (Privatleben) ergeben.
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4. Ausnahmen vom Recht auf Durchführung einer Verhandlung. Das Erfordernis der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung gilt von vornherein nicht für Verfahren, deren Gegenstand nicht unter Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR fällt, d.h. für solche Verfahren, die weder einen Streit über „civil rights“ (Rn. 38 ff.) noch eine strafrechtliche Anklage (Rn. 68 ff.) betreffen. Liegt aber ein Streit vor, der einen dieser beiden Anwendungsbereiche betrifft, wie etwa die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, muss grundsätzlich öffentlich verhandelt werden.986 Die Garantie und Pflicht, eine mündliche Verhandlung anzusetzen, ist aber keine 398 absolute; es gibt Verfahren, in denen es der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht bedarf. Von dem Gebot der Öffentlichkeit der Verhandlung kann schon unter den Voraus399 setzungen des Absatzes 1 Satz 2 ganz oder zum Teil abgesehen werden (vgl. dazu Rn. 427 ff.), etwa zur Ermöglichung eines verbesserten Informationsaustausches oder im Interesse des Zeugenschutzes.987
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EGMR Werner/A (Fn. 167). EGMR Saccoccia/A (Fn. 103), § 72 (Exequatur-Verfahren); H./B (Fn. 85); Diennet/F (Fn. 119); vgl. auch Grabenwarter § 24, 89; SK/Paeffgen 109, wonach Verfahrensregeln konventionswidrig sind, wenn sie eine mündliche Verhandlung der Sache generell ausschließen. EGMR Faugel/A (E), 20.11.2003, ÖJZ 2004 437. EGMR Håkansson u. Sturesson/S (Fn. 974); Grabenwarter § 24, 91; zustimmend insoweit auch SK/Paeffgen 109 (nicht nur individualschützender Menschenrechtsschutz sondern auch objektivrechtliche Kompo-
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nente der Gewährleistung eines rechtlichen Mindeststandards). Vgl. Nowak 40 f. EGMR Rushiti/A, 21.3.2000, ÖJZ 2001 155; OGH ÖJZ 2002 570; dem BVerwG zufolge ist auch dann eine mündliche Verhandlung erforderlich, wenn etwa die Vorfrage für die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags eine Entscheidung beinhaltet, die sich auf das Bestehen und den Inhalt eines weiteren Rechtsverhältnisses bezieht, das ein civil right i.S.v. Art. 6 EMRK betrifft: BVerwG NVwZ 2008 696. EGMR Osinger/A, 24.3.2005 = ÖJZ 2006 255.
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Von einer (mündlichen) Verhandlung insgesamt kann jedoch nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände988 oder aufgrund eines wirksamen Verzichts abgesehen werden (vgl. Rn. 391 ff.). Beantragt ein Verfahrensbeteiligter die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor Gericht, so wird sein Recht verletzt, wenn das Gericht dem Antrag nicht entspricht, sofern nicht besondere, außergewöhnliche Umstände das Absehen von der Verhandlung rechtfertigen.989 Wann genau solche außergewöhnlichen Umstände vorliegen, hat der EGMR nicht abschließend geklärt.990 Die Auslegung der Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK wird vom Gerichtshof flexibel gehandhabt. In die Frage der Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung sind von den Behörden Effektivität und Wirtschaftlichkeit mit einzubeziehen, um das Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK innerhalb einer angemessenen Frist entscheiden und dem Erfordernis einer raschen Erledigung des Verfahrens gerecht werden zu können.991 Eine Ausnahme von der Erforderlichkeit einer Verhandlung gilt im Zivilprozess („civil rights“), wenn das Verfahren lediglich technische Fragen oder reine Rechtsfragen betrifft, d.h. keine Umstände tangiert, die das Gericht veranlassen müssten, sich einen persönlichen Eindruck vom Bf. zu verschaffen.992 In Strafsachen beziehen sich die Forderungen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit von vornherein nur auf die Hauptverhandlung („public hearing“ / „entendue publiquement“), also auf das Kernstück des Verfahrens, das im Strafprozess die Grundlage der Urteilsfindung bildet. Für das übrige, die Hauptverhandlung vorbereitende oder ihr nachfolgende Verfahren sowie für die Urteilsberatung gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht,993 ebenfalls nicht für gerichtliche Haftprüfungsentscheidungen.994 Wenn es sich um ein Verfahren handelt, das für den Betroffenen lediglich mit einer geringen persönlichen Belastung verbunden ist und somit auch nicht unter das traditionelle Kriminalstrafrecht fällt, kann auch in Strafsachen von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Verhandlung unter solchen Umständen abgesehen werden, die die Rechtsprechung ursprünglich nur bei zivilrechtlichen Verfahren für zulässig erklärt hat.995
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EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41) (Disziplinar-Verfahren im Gefängnis); vgl. auch EGMR B. u. P./UK, 24.4.2001, ECHR 2001-III = ÖJZ 2002 571; Alge/A (Fn. 477); Valová u.a./SLO, 1.6.2004; Grabenwarter § 24, 79, 89; Meyer-Ladewig 170, 171; SK/Paeffgen 106. EGMR Stallinger u. Kuso/A (Fn. 443); Allan Jacobsson/S (Nr. 2), 19.2.1998, Rep. 1998-I, § 46; Sporer/A, 3.2.2011, ÖJZ 2011 525 (Sorgerecht eines unehelichen Vaters). Esser 711. EGMR Petersen/D (E), 6.12.2001, ECHR 2001-XII = NJW 2003 1921; (GK) Hermi/I, 18.10.2006, ECHR 2006-XII; (GK) Jussila/FIN (Fn. 146). EGMR Saccoccia/A (Fn. 103), § 72 (Exequatur-Verfahren; Vermögensbeschlag-
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nahme aufgrund einer amerikanischen final forfeiture); vgl. ferner: EGMR SchulerZgraggen/CH (Fn. 107), § 58; Varela Assalino/P (E), 25.4.2002; Sporer/A (Fn. 989) §§ 46 f. (Sorgerechtsfall – Eindruck von den Eltern). Guradze 16; vgl. EKMR ÖJZ 1991 324 (Geschworenenbelehrung). EGMR Neumeister/A (Fn. 121). EGMR (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); strafrechtlicher Charakter von Steuerzuschlägen angenommen; jedoch kein Kernbereich des Strafrechts; daher mündliche Verhandlung aufgrund der ausreichenden Möglichkeiten, in der Sache schriftlich vorzutragen, entbehrlich); ferner auch EGMR Kammerer/A, 12.5.2010, ÖJZ 2010 877, §§ 23 ff. für einen Bußgeldbescheid in einer Verkehrssache; vgl. auch Grabenwarter § 24, 89.
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Eine Verhandlung ist etwa dann entbehrlich, wenn es sich um einen geringen Verstoß in Disziplinarsachen oder in solchen nach dem OWiG handelt, der durch eine Behörde geahndet werden kann. Allerdings muss dann ein Gericht mit umfassenden Prüfungsund Entscheidungsbefugnissen angerufen werden können (s.o. Rn. 104 ff.).996
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5. Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz. Findet in der Rechtsmittelinstanz eine erneute (mündliche) Verhandlung statt, gilt das Recht des Angeklagten auf Zulassung der Öffentlichkeit grundsätzlich auch für sie,997 vor allem, wenn über die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung neu Beweis erhoben und verhandelt wird (dazu auch Rn. 410 f.).998 Allerdings besteht eine Einschränkung dahingehend, dass die Anwendung des Art. 6 408 EMRK im Verfahren vor Rechtsmittelgerichten von den Verfahrenseigenschaften und der Rolle abhängig gemacht wird, die dem Rechtsmittelgericht im jeweiligen Verfahrensmodell zukommt.999 Abzustellen ist hierbei auf die Art des Rechtsmittelsystems, den Umfang der Befugnisse, die dem Gericht zukommen, sowie die Art und Weise der tatsächlichen Geltendmachung und des Schutzes der Interessen des Beschuldigten vor diesem Gericht, einschließlich der Verteidigungsrechte.1000 War die Kontrolle durch die Öffentlichkeit in der Tatsacheninstanz gewährleistet, ist 409 die Durchführung einer Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz entbehrlich, wenn über das Rechtsmittel selbst oder auch nur dessen Zulassung unter Bindung an die getroffenen Tatsachenfeststellungen und beschränkt auf Rechtsfragen im schriftlichen Verfahren entschieden wird.1001 In diesem Fall ist Art. 6 Abs. 1 EMRK gewahrt, wenn im Ausgangsverfahren eine Anhörung stattgefunden hat und das Rechtsmittelgericht unter Verweis auf seine Absicht, das Rechtsmittel zu verwerfen, den Verfahrensbeteiligten eine (effektive) Gelegenheit zur (schriftlichen) Stellungnahme gibt.1002 Eine Verhandlung soll in der Rechtsmittelinstanz auch dann entbehrlich sein, wenn 410 über beweiserhebliche Tatsachen allein aufgrund des Akteninhalts entschieden werden kann.1003 996
EGMR Le Compte/B (Fn. 40); Öztürk/D (Fn. 171); Suhadolc/SLW (E), 17.5.2011; vgl. Meyer-Ladewig 64. 997 EGMR Engel/NL (Fn. 40); Peukert EuGRZ 1980 247, 268; vgl. auch Bachler ÖJZ 1993 537; SK/Paeffgen 112 ff. 998 EGMR Ekbatani/S (Fn. 601), A 134; Jan-Ake Andersson/S, 29.10.1991, A 212-B = EuGRZ 1991 419; Fejde/S, 29.10.1991, A 212-C = EuGRZ 1991 420; Helmers/S (Fn. 120); SK/Paeffgen 111, 112; Villiger 447. 999 EGMR Ekbatani/S (Fn. 601); Botten/N, 19.2.1996, Rep. 1996-I = ÖJZ 1996 675; Bulut/A (Fn. 527); Helmers/S (Fn. 120); Jan-Ake Andersson/S (Fn. 998); Fejde/S (Fn. 998); Rippe/D (E), 2.2.2006; Pokrzeptowicz-Meyer/D (E), 25.8.2009 (Sorgerechtsverfahren); Garcia Hernandez/E (Fn. 645), § 24. 1000 Esser 780. 1001 EGMR Axen/D (Fn. 797); Sutter/CH
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(Fn. 949); Bulut/A (Fn. 527); Botten/N (Fn. 999), § 39; Faugel/A (Fn. 983); Garcia Hernandez/E (Fn. 645), § 24 („Lorsqu’une audience publique a eu lieu en première instance, l’absence de débats publics en appel peut se justifier par les particularités de la procédure en question, eu égard à la nature du système d’appel interne, à l’étendue des pouvoirs de la juridiction d’appel, à la manière dont les intérêts du requérant ont réellement été exposés et protégés devant elle, et notamment à la nature des questions qu’elle avait à trancher.“); Frowein/Peukert 195; IK-EMRK/Kühne 348; Meyer-Goßner 6; Peukert EuGRZ 1980 247, 268; SK/Paeffgen 111 ff.; Villiger 445. EGMR Jung/D (E), 29.9.2009. EGMR Anne-Marie Andersson/S (Fn. 90); SK/Paeffgen 113; vgl. für die ZPO: EGMR Rippe/D (E) (Fn. 999); Ditz/D (E), 2.6.2009.
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Auch vor einem Rechtsmittelgericht, das die entscheidungserheblichen Tatsachen neu zu ermitteln und festzustellen hat, ist eine Verhandlung nicht zwingend erforderlich.1004 Einer Verhandlung (in Anwesenheit des Angeklagten) bedarf es jedoch stets, wenn über die Schuldfrage neu entschieden wird1005 oder eine nahezu vollständige Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich ist.1006 Weisen die speziellen Fragen eines Falles Schwierigkeiten auf und sind diese darüber hinaus auch von wesentlicher Bedeutung für die zu treffende Entscheidung, muss ebenfalls erneut (mündlich) verhandelt werden,1007 vor allem dann, wenn einige dieser Fragen in der Rechtsmittelinstanz zum ersten Mal aufgeworfen und entschieden werden. Ein Verzicht auf eine (mündliche) Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht ist gleichzeitig mit einem Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung verbunden. Dies begründet der EGMR damit, dass die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit allgemein überwiegend von den Interessen des Beschuldigten bestimmt wird, wobei das (vermutete) Interesse der Öffentlichkeit dabei nicht über das des Beschuldigten hinausgeht.1008 Wird eine mündliche Verhandlung mit dem Rechtsmittel (erstmals) beantragt, nachdem auf eine solche in erster Instanz verzichtet wurde, so wird eine weniger strikte Praxis vom EGMR für zulässig gehalten.1009 Eine Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht soll schließlich aufgrund fehlender Beschwer unterbleiben können, d.h. wenn der Angeklagte in einem Strafverfahren von jedem Schulderkenntnis freigestellt werden soll.1010
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6. Heilung. Die Heilung eines aufgrund unterbliebener Verhandlung oder eines unter 416 Ausschluss der Öffentlichkeit fehlerhaft geführten erstinstanzlichen Verfahrens ist – jedenfalls in Strafsachen – nur bei einer vollständigen Wiederholung der Verhandlung in
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EGMR Garcia Hernandez/E (Fn. 645), § 24 („Ainsi, devant une cour d’appel jouissant de la plénitude de juridiction, l’article 6 ne garantit pas nécessairement le droit à une audience publique ni, si une telle audience a lieu, celui d’assister en personne aux débats“). EGMR Garcia Hernandez/E (Fn. 645), § 25 („[…] lorsqu’une instance d’appel est amenée à connaître d’une affaire en fait et en droit et à étudier dans son ensemble la question de la culpabilité ou de l’innocence, elle ne peut, pour des motifs d’équité du procès, décider de ces questions sans appréciation directe des moyens de preuve présentés en personne par l’accusé qui soutient qu’il n’a pas commis l’acte, considéré comme une infraction pénale.“); § 34 („Les questions traitées étant essentiellement de nature factuelle, la Cour estime que la condamnation de la requérante en appel par l’Audiencia Provincial après un changement dans l’appréciation des éléments tels que le comportement de la requérante, sans que celle-ci ait eu l’occasion d’être entendue personnellement et
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de les contester moyennant un examen contradictoire au cours d’une audience publique, n’est pas conforme avec les exigences d’un procès équitable tel que garanti par l’article 6 § 1 de la Convention.“); siehe auch: EGMR Dondarini/SM, 6.7.2004, § 27; Ekbatani/S (Fn. 601), § 32; Constantinescu/RUM, 27.6.2000, ECHR 2000-VIII, § 55. EGMR Ekbatani/S (Fn. 601); vgl. Esser 781; Meyer-Ladewig 174, 175. EGMR Axen/D (Fn. 797); Ekbatani/S (Fn. 601); Fejde/S (Fn. 998); Helmers/S (Fn. 120); vgl. Meyer-Ladewig 175. EGMR Sutter/CH (Fn. 949); vgl. Esser 782. EGMR Miller/S, 8.2.2005; vgl. MeyerLadewig 174; vgl. für das Vorgehen eines unterlegenen Kandidaten gegen die Richterwahl: EGMR Juricic/KRO, 26.7.2011 (wurde in erster Instanz auf die Öffentlichkeit verzichtet, so ist diese in höherer Instanz nicht erforderlich, sofern es sich um dieselben Rechtsfragen handelt). EGMR Adolf/A (Fn. 184).
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höherer Instanz („complete re-hearing“) möglich; diese muss auch die Ermittlung des Sachverhaltes und das Beweisverfahren umfassen. Das Rechtsmittelgericht muss über eine dementsprechend weite Prüfungskompetenz verfügen („requisite scope“) und diese auch praktisch ausüben.1011 Diese Vorgaben formuliert der EGMR angesichts der Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und des generellen Erfordernisses der Beweiserhebung in mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Angeklagten (vgl. Rn. 377, 657 ff.).1012 Ist das Recht des Angeklagten auf eine öffentliche Verhandlung in der oder den Tat417 sacheninstanz(en) nicht eingehalten worden, kann die von Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderte Verhandlung vor einem nur auf die Kontrolle von Rechtsfragen beschränkten Rechtsmittelgericht (Revisions- oder Kassationsgericht) den Fehler nicht mehr heilen.1013 Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittelgericht zwar von Rechts wegen auch Tatsachenfragen prüfen dürfte, davon aber generell oder wenigstens im konkreten Fall absieht. Dabei ist unerheblich, ob der Angeklagte es etwa versäumt hat, die Vernehmung von Zeugen zu beantragen und auf diese Weise eine Beweisaufnahme herbeizuführen.1014
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7. Verkündung der gerichtlichen Entscheidung. Anders als Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR sieht Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK keine Gründe für den Ausschluss der Urteilsöffentlichkeit vor. Die Verkündung der gerichtlichen Entscheidung muss daher grundsätzlich aus den gleichen Erwägungen wie die Verhandlung1015 öffentlich erfolgen.1016 Nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK gilt dies selbst dann, wenn die Öffentlichkeit der Verhandlung aus einem der dort aufgezählten Ausnahmegründe ausgeschlossen werden durfte (dazu Rn. 427).1017 Allerdings lässt der EGMR es beim Vorliegen eines der in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK 419 genannten Ausnahmegründe zu, die öffentliche Verkündung auf die Urteilsformel zu beschränken und dem Angeklagten die Urteilsgründe unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu eröffnen.1018 Liegt keiner der in den Konventionen genannten Ausnahmegründe vor, 1011
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EGMR Krestovskiy/R (Fn. 949), § 34 („[…] the lack of a public hearing could not in any event be remedied by anything other than a complete re-hearing before the appellate court“); Riepan/A (Fn. 453). EGMR Riepan/A (Fn. 453); vgl. MeyerLadewig 174. EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 40); Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); Weber/CH (Fn. 187); Diennet/F (Fn. 119). EGMR Krestovskiy/R (Fn. 949), § 35 („It was for the domestic judicial authorities to secure the defendant’s right to have evidence adduced at a public hearing.“); Riepan/A (Fn. 453), § 41. Esser 752. Eine weitgehend entsprechende Regelung ist im deutschen Recht in § 173 Abs. 1 u. Abs. 2 GVG verankert. So unter Hinweis auf die Fassung von Art. 6 Abs. 1 EMRK: Frowein/Peukert 196; IK-EMRK/Kühne 355; Meyer-Ladewig 186; Peukert EuGRZ 1980 247, 268;
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SK/Paeffgen 115; je m.w.N.; a.A. Guradze 17; Morvay ZaöRV 21 (1961) 317; Partsch 157, Fn. 506 („trial“ / „procès“ meinen das ganze Verfahren, umfassen also auch die Entscheidungsbegründung). EGMR Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 84 („The operative part of the trial court’s judgment included, among other things, information about the applicants, the charges against them and their legal classification, the findings as to their guilt and sentence and the order for costs. Having regard to the specific features of the criminal proceedings in question and the reasons which underlay the courts’ decisions to conduct the proceedings in camera, the Court finds that limiting the public pronouncement to the operative parts of the judgments cannot not be considered to have contravened Article 6 § 1 of the Convention.“); dagegen: EGMR Raza/BG, 11.2.2010, § 53.
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müssen die Urteilgründe damit in öffentlicher Verhandlung eröffnet werden (wobei die mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts, § 268 Abs. 2 Satz 2 StPO, genügt).1019 Der EGMR umgeht die an sich nahe liegende Frage einer entsprechenden Anwendung dieser Ausschlussgründe auf die Urteilsverkündung dadurch, dass er im Hinblick auf die unterschiedlichen Gerichtspraktiken in den Mitgliedstaaten eine wörtliche Auslegung ablehnt und die Ansicht vertritt,1020 die formellen Aspekte der Bekanntgabe seien zweitrangig, sofern nur dem Schutzzweck Rechnung getragen wird, der fordert, dass der Urteilsspruch und seine Gründe der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.1021 Eine buchstabengetreue Auslegung verbiete sich, wenn dadurch die Gründe, aus denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde1022 und das vorrangige Erfordernis eines fairen Verfahrens zunichte gemacht würden. Es kann daher genügen, die Gründe nur in einer summarischen Zusammenfassung mitzuteilen. Die schriftliche Urteilsbegründung braucht weder vorzuliegen noch muss sie verlesen werden.1023 Strittig ist, wieweit Art. 6 Abs. 1 EMRK ein darüber hinausgehendes Absehen von 420 einer öffentlichen Urteilsverkündung zulässt.1024 Vom Schutzzweck her ist es vertretbar, die strengere Auslegung aufzulockern, die die Gründe, die den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Verhandlung rechtfertigen (dazu Rn. 427 ff.), bei der Bekanntgabe der Entscheidung in keinem Falle greifen lassen will.1025 Die Erwägungen, die die Ausschließung der Öffentlichkeit von der Verhandlung rechtfertigen, stehen oft auch der Bekanntgabe zumindest eines Teiles der Urteilsgründe entgegen. Ob diese dann in der für die Öffentlichkeit bestimmten Urteilsfassung eventuell unter Kennzeichnung der Lücke weggelassen
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Vgl. zur Rechtslage bei „civil rights and obligations“: EGMR Ryakib Biryukov/R, 17.1.2008, § 45, NJW 2009 2873 mit Anm. Tubis NJW 2010 415; ferner Ziekow NVwZ 2010 793, 796 ff. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass nur die Parteien (und nicht etwa jedermann) einen Anspruch auf die Garantien des Art. 6 EMRK und damit auf eine öffentliche Urteilsverkündung haben. Die Abwesenheit der Parteien in einem anberaumten Verkündungstermin (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO) wird regelmäßig einen Verzicht auf dieses Recht darstellen (Rn. 391 ff.), so dass von Konventions wegen gar keine öffentliche Urteilsverkündung nötig ist. Die Befürchtung von Tubis NJW 2010 415, 417, die derzeitige Praxis der deutschen Gerichte zur Verkündung und Veröffentlichung von Urteilen in Zivilprozessen entspreche angesichts des Urteils Ryakib Biryukov nicht mehr den vom EGMR aufgestellten Voraussetzungen für eine effektive Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit, entbehrt daher jeder Grundlage. Etwa EGMR B. u. P./UK (Fn. 988); vgl. Meyer-Ladewig 186. EGMR Pretto u.a./I (Fn. 386); Axen/D
(Fn. 797), §§ 30–32; B. u. P./UK (Fn. 988), § 45; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 83 („The Court has applied the requirement of the public pronouncement of judgments with some degree of flexibility. Thus, it has held that despite the wording which would seem to suggest that reading out in open court is required, other means of rendering a judgment public may be compatible with Article 6 § 1. As a general rule, the form of publicity to be given to the judgment under domestic law must be assessed in the light of the special features of the proceedings in question and by reference to the object and purpose of Article 6 § 1. In making this assessment, account must be taken of the entirety of the proceedings.“). Diese für die Verhandlung geltenden Ausnahmegründe sind auf die Urteilsverkündung nicht unmittelbar anwendbar, vgl. SK/Paeffgen 115; Villiger 451. Frowein/Peukert 196; Meyer-Ladewig 186. Vgl. Villiger 541; aber auch EGMR Z/FIN (Fn. 743); wo die Anordnung des Gerichts, die Urteilsgründe nach zehn Jahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, als Verletzung des Art. 8 EMRK gewertet wurde. Grabenwarter § 24, 96. /
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werden können1026 oder ob das Urteil dadurch unverständlich würde, hängt vom Einzelfall ab. Eine öffentliche Verkündung des Urteils ist daher nach Ansicht des EGMR nicht zwingend geboten. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann von der Verkündung der Urteilsgründe (dazu bereits Rn. 419), im Einzelfall sogar von der Verkündung des ganzen Urteils abgesehen werden, wenn die mit der öffentlichen Bekanntgabe bezweckte öffentliche Kontrolle des Urteils anderweitig gesichert ist. Danach reicht es aus, wenn das Urteil und seine Gründe der Öffentlichkeit in irgendeiner Form (Einsicht auf der Geschäftsstelle, Übersendung einer Abschrift auf Anforderung, Veröffentlichung) zugänglich sind.1027 Dabei ist es unschädlich, wenn dem durch Art. 8 EMRK gebotenen Schutz der Privatsphäre durch Anonymisierung Rechnung getragen wird.1028 Bei höchstgerichtlichen Entscheidungen, die nach Anhörung der Parteien im schriftlichen Verfahren ergehen und öffentlich verkündete Urteile der unteren Instanzen betreffen, hat der EGMR ebenfalls eine öffentliche Verkündung für entbehrlich gehalten.1029 Es soll genügen, wenn die maßgebenden Grundsätze, die die Entscheidung tragen, aus Entscheidungssammlungen ersichtlich sind. Grundsätzlich soll es sogar mit Ziel und Zweck des Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar sein, wenn das nationale Recht die Kenntnisnahme der Öffentlichkeit in irgendeiner Form gewährleistet (zweifelhaft).1030 Für das Erfordernis der öffentlichen Zugänglichkeit reicht es aber nicht, wenn die Einsicht in das Urteil oder eine Entscheidungssammlung etc. von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängig gemacht wird oder wenn das Gericht nach eigenem Ermessen darüber entscheiden kann, ob es die Einsicht gewähren will.1031 Ergeht eine gerichtliche Entscheidung im schriftlichen Verfahren, ist ihre öffentliche Verkündung nicht erforderlich.1032 Das Einverständnis der Betroffenen mit dieser Verfahrensart deckt in der Regel auch die schriftliche Bekanntgabe der Entscheidung ab.1033 Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR trägt dem Schutzinteresse der Betroffenen insoweit Rechnung, als er zwar grundsätzlich für Entscheidungen in Straf- und Zivilsachen die öffentliche Verkündung fordert, eine Ausnahme aber vorsieht, wenn die Interessen Jugendlicher entgegenstehen oder das Verfahren Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über
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Nach Frowein/Peukert 196 hat die EKMR eine geraffte Zusammenfassung genügen lassen. Vgl. EGMR Axen/D (Fn. 797); Pretto/I (Fn. 386); Sutter/CH (Fn. 949); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Werner/A (Fn. 167); B. u. P./UK (Fn. 988); Petersen/D (E) (Fn. 991); Ramsahai u.a./NL, 15.5.2007; Frowein/Peukert 197; Grabenwarter § 24, 96; IK-EMRK/Kühne 355; Meyer-Ladewig 186; Nowak/Schwaighofer EuGRZ 1985 725; Villiger 450; ablehnend SK/Paeffgen 115. Grabenwarter § 24, 96; SK/Paeffgen 115. EGMR Axen/D (Fn. 797); Meyer-Ladewig 70; vgl. auch EGMR Werner/A (Fn. 167); B. u. P./UK (Fn. 988). EGMR Sutter/CH (Fn. 949); Petersen/D (E) (Fn. 991); Pretto u.a./I (Fn. 386), lies offen,
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ob auch die Hinterlegung des Urteils genügt, während in EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41) und Szücs/A, 24.11.1997, Rep. 1997-VII, unter den dort festgestellten Umständen das Fehlen einer öffentlichen Urteilsverkündung beanstandet wurde; vgl. dazu Villiger 450, 451 (Rechtsprechung noch nicht gefestigt). EGMR Werner/A (Fn. 167). Vgl. Meyer-Ladewig 186. Meyer-Ladewig 186. Im Einverständnis mit der schriftlichen Entscheidung kann, muss aber nicht notwendig auch ein wirksamer Verzicht auf die öffentliche Zugänglichkeit der Entscheidung liegen; wieweit diese ausgeschlossen werden kann, ist strittig (vgl. Rn. 420 ff.), wer aber darauf verzichtet, kann auch einen darin liegenden Verstoß nicht mehr rügen.
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Kinder betrifft.1034 Bei einer an den Schutzzwecken orientierten Auslegung dürfte es mit dem Anliegen des Öffentlichkeitsgebots vereinbar sein, wenn bei Vorliegen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigenden Grundes nur der Tenor der Entscheidung oder nur ein Teil der Gründe öffentlich bekannt gegeben wird, um von den Konventionen anerkannte, vorrangige öffentliche Interessen und Menschenrechte anderer Personen zu schützen, wie etwa das von Art. 8 EMRK garantierte Privat- und Familienleben oder sonstige Menschenrechte.1035 Bei einem wirksamen Verzicht auf eine öffentliche (mündliche) Verhandlung muss auch die Verkündung nicht öffentlich sein.1036 8. Ausnahmen vom Gebot der Öffentlichkeit der Verhandlung. Die in Art. 6 Abs. 1 427 Satz 2 EMRK ausdrücklich aufgeführten Ausnahmegründe, die den Ausschluss der Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung gestatten, lassen sich in drei Gruppen gliedern:1037 – den Schutz der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit, soweit er in einem demokratischen Staatswesen geboten ist (Rn. 430); – den Schutz privater Interessen, nämlich der Schutz Jugendlicher und der Schutz des Privatlebens (Rn. 432); – Interessen der Rechtspflege („interests of justice“ / „intérêts de la justice“),1038 die jedoch nur bei Vorliegen besonderer Umstände und nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang den Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigen (Rn. 440). Der Ausschluss der Öffentlichkeit muss in allen drei Fallgruppen zur Verwirklichung 428 der Ziele erforderlich sein („strictly required by the circumstances of the case“).1039 Darüber hinaus nimmt der EGMR auch eine Abwägung zwischen dem Anspruch des Angeklagten auf eine öffentliche Verhandlung und den Gründen vor, die für einen Ausschluss der Öffentlichkeit sprechen.1040 Die Möglichkeit einer derartigen Beschränkung enthält keinen Gesetzesvorbehalt. Ob 429 diese Aufzählung der Ausnahmen abschließend ist oder ob der EGMR daneben auch immanente Gründe für einen Ausschluss der öffentlichen Verhandlung anerkennt, ist bislang offen. In jüngeren Entscheidungen, die allerdings zivilrechtliche Streitigkeiten betreffen, hat der Gerichtshof zu erkennen gegeben, dass er bereit ist, ungeschriebene Gründe anzuerkennen.1041 Da die Parteien auf den Anspruch auf öffentliche Verhandlung im Ein-
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Zur Entstehungsgeschichte Nowak 32. Zur Zulässigkeit, die Öffentlichkeit aus Gründen auszuschließen, die sich aus anderen Schrankenklauseln der Konventionen ergeben vgl. Nowak 25; ferner Peukert EuGRZ 1980 247, 268 (für Art. 8 EMRK). BGHZ 25 60; Peukert EuGRZ 1980 247, 268. Grabenwarter § 24, 80 (allgemeine Ausschlussgründe, prozessbezogene Ausschlussgründe und Ausschlussgründe im Interesse der Rechtspflege); IK-EMRK/Kühne 351. Die frühere bundesdeutsche Übersetzung „Interesse der Gerechtigkeit“ war verfehlt, vgl. Nowak 26 unter Hinweis auf die Übersetzungen von Österreich („Rechtspflege“) und der DDR („Rechtsfindung“).
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EGMR (GK) Martinie/F (Fn. 152), § 40; Olujic´ /KRO (Fn. 949), 71; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 74. EGMR Krestovskiy/R (Fn. 949), § 27 („to strike a proper balance between the applicant’s right to a public hearing of the criminal case against him, on the one hand, and other important interests at stake, on the other“). EGMR (GK) Martinie/F (Fn. 152), § 41; Olujic´ /KRO (Fn. 949), § 72 („exceptional circumstances relating to the nature of the issues to be decided …, may justify dispensing with a public hearing“); Martinie/F (Fn. 152), § 41. /
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zelfall verzichten können (Rn. 391 ff.), ist mitunter auch auf diesem Weg ein Schutz ihrer berechtigten Interessen vor Offenlegung erreichbar, sofern dem nicht das jeweilige nationale Recht entgegensteht. Die in der ersten Gruppe zusammengefassten öffentlichen Interessen, öffentliche Moral, öffentliche Ordnung und nationale Sicherheit, werden nur in dem Maße geschützt, in dem das in einem demokratischen Staatswesen geboten ist.1042 Es werden also Prinzipien als Wertungsmaßstab angeführt, die auch sonst (vgl. Art. 8 bis 11 EMRK) zur Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse in geschützte Bereiche dienen. Auch hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.1043 Zur Abgrenzung kann trotz der bei der Abwägung ins Gewicht fallenden unterschiedlichen Zielsetzung auch auf die bei den genannten Artikeln entwickelten Gesichtspunkte zurückgegriffen werden;1044 ebenso wie dort bietet bei Zweifeln auch der allgemeine Standard in den Demokratien westeuropäischer Prägung Orientierungshilfe. So kann die Öffentlichkeit ausnahmsweise im Interesse der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft von einem strafrechtlichen Verfahren gegen einen Strafgefangenen unter gewissen Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Allerdings sind derartigen Ausnahmen ihrerseits enge Grenzen gesetzt, so dass diese nur bei solchen Verhandlungen zur Anwendung kommen dürfen, die die strafrechtlichen Verfehlungen des Gefangenen betreffen, welche speziell mit dem Haftvollzug in Zusammenhang stehen. Der Schutz der Interessen Jugendlicher und des Privatlebens der „Parteien“ rechtfertigt nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK / Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Verhandlung.1045 Da die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung vor Gericht ein Recht des Beschuldigten darstellt, darf diesem der Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz seines Privatlebens nicht aufgedrängt werden.1046 Wer altersmäßig als Jugendlicher einzustufen ist, bestimmt sich grundsätzlich nach nationalem Recht. Allerdings muss dabei auch internationalen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden (vgl. dazu Rn. 959 ff.). Das Gebot, im Strafverfahren gegen Jugendliche auf deren Alter Rücksicht zu nehmen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht zu gefährden, folgt aus Art. 14 Abs. 4 IPBPR. Auch Art. 40 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (CRC) vom 20.11.1989 (vgl. Rn. 974) enthält eine entsprechende Staatenverpflichtung. Art. 40 Abs. 2 lit. b, vii CRC erkennt ausdrücklich den Anspruch des Kindes1047 auf Achtung seines Privatlebens in allen Verfahrensabschnitten an. Auch hier ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Der Ausschluss der Öffentlichkeit vom gesamten Prozess ist daher nicht gerechtfertigt, wenn der Schutz der Privatsphäre auch durch einen Teilausschluss (z.B. während der Einvernahme eines Opferzeugen) erreicht werden kann.1048
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Vgl. Grabenwarter § 24, 80; Nowak 33; die Regelung des § 172 GVG entspricht diesen Ausschlussgründen weitgehend im deutschen Recht. Grabenwarter § 24, 80. Nach Grabenwarter § 24, 80 haben diese trotz der gleichen Formulierung im Hinblick auf Inhalt, Zweck und Systematik eine unterschiedliche Bedeutung. Im deutschen Recht finden sich ähnliche Regelungen in den §§ 170, 171a, 171b GVG.
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EGMR Werner/A (Fn. 167); vgl. Esser 713. Nach Art. 1 CRC ist ein Kind i.S.d. Übereinkommens jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt (siehe Rn. 974). EGMR Krestovskiy/R (Fn. 949), § 31 (Einvernahme eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers und der Angehörigen des mutmaßlichen Vergewaltigers; EGMR stellt
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Zur Stärkung der Rechte von jugendlichen Opfern und Zeugen von Straftaten wurde durch das 2. OpferRRG v. 29.7.20091049 die Schutzaltersgrenze in verschiedenen Vorschriften der StPO und des GVG von derzeit 16 auf nunmehr 18 Jahre heraufgesetzt, u.a. auch beim Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 172 Nr. 4 GVG). Diese Grenze wird der altersspezifischen Belastungssituation besser gerecht. Sie entspricht zudem der Schutzaltersgrenze, die den meisten internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zugrunde liegt. Partei i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 EMRK ist im Strafverfahren auch der Angeklagte; auch ein als Zeuge vernommenes Verbrechensopfer wird dazu gerechnet.1050 Bei Berücksichtigung des Schutzzwecks wäre auch eine weite Auslegung vertretbar, die das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben aller vor Gericht auftretenden Verfahrensteilnehmer in den Schutzbereich mit einbezieht.1051 Diese Auslegung kollidiert allerdings damit, dass die Konventionen den Parteien eines Streits um civil rights sowie dem Angeklagten das Recht auf ein öffentliches Verfahren garantieren, so dass im Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unvermeidlich ist. Wegen der Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit neigt der EGMR dazu, diesem den Vorrang vor dem Schutz der immer auch berührten Privatinteressen einzuräumen.1052 Den Schutz des Privatbereichs anderer am Verfahren beteiligter Personen sieht der Wortlaut beider Konventionen nicht vor. Dieser ist vor allem bei erwachsenen Zeugen bei einer auf Wortlaut und Adressaten abstellenden Auslegung der Öffentlichkeitsgarantie weder bei der Verhandlung noch bei der Urteilsverkündung ein Ausschlussgrund. Soweit dies nicht mittelbar über einen anderen Ausschlussgrund, wie etwa den Gesichtspunkt des Interesses der Moral, möglich ist, würde jede Schutzmöglichkeit fehlen. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR garantieren die Öffentlichkeit, sie gewähren aber selbst bei Vorliegen ihrer Ausschlussvoraussetzungen keinen Anspruch auf Ausschluss der Öffentlichkeit.1053 Ein solcher kann sich jedoch aus dem alle Bereiche des Privatlebens gegen staatliche Eingriffe schützenden Art. 8 EMRK (vgl. Art. 17 IPBPR) ergeben.1054 Auch wenn für die Heranziehung zur Zeugenaussage ein rechtfertigender Grund nach Art. 8 Abs. 2 EMRK besteht, ist das Gebot, den Privatbereich zu schützen und unumgängliche Eingriffe in diesen möglichst gering zu halten, gegen den allgemeinen Schutzzweck des Öffentlichkeitsgebotes abzuwägen. Dabei fällt ins Gewicht, dass letzteres auch bei den Parteien und bei Jugendlichen hinter den Schutz des Privatbereichs zurückzutreten hat, also kein Prinzip ist, dem die Konventionen einen absoluten Vorrang gegenüber allen anderen Rechten zuerkennen. Aus diesem Grund erscheint der Ausschluss der Öffentlichkeit zur Verhinderung eines schwerwiegenden Eingriffs in den Pri-
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zum einen auf die Privatsphäre der Zeugen, zum anderen auf die „clarity and accuracy of their testimony“ ab). Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) v. 29.7.2009 (BGBl. I S. 2280); hierzu: Hilger GA 2009 657; vgl. §§ 58a Abs. 1; 241a Abs. 1; 247 Satz 2; § 255 Abs 2 StPO; § 172 GVG). So Nowak 34. Grabenwarter § 24, 86 (Art. 8 und Art. 14 EMRK gebieten Erstreckung des Partei-
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begriffes auf andere Prozessbeteiligte insbes. Zeugen). Vgl. EGMR Werner/A (Fn. 167). BGHSt 23 82; BGer EuGRZ 1994 59; Frowein/Peukert 199; IK-EMRK/Kühne 353; Peukert EuGRZ 1980 247; a.A. Herbst NJW 1969 546; vgl. auch Nowak 33; Odersky FS Pfeiffer 326; ferner LR/Wickern § 172, 38 GVG m.w.N. Vgl. etwa EGMR Z/FIN (Fn. 743); Esser 712; Frowein/Peukert 199; IK-EMRK/ Kühne 353.
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vatbereich eines unbeteiligten Zeugen (unter Berücksichtigung der von Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung) auch dann konventionsgemäß, wenn man nicht von einem vom nationalen Recht gelösten weit ausgelegten Begriff der „Parteien“ i.S.v. „alle Verfahrensbeteiligte“ ausgehen will. Für die Urteilsverkündung sieht nur Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR einen Ausschluss der Öffentlichkeit vor, und auch nur, um entgegenstehenden Interessen Jugendlicher Rechnung zu tragen oder um besonders sensible Teilbereiche des Privatlebens, nämlich Ehestreitigkeiten und Vormundschaftssachen von Kindern, zu schützen. Die oben erörterte Möglichkeit (Rn. 419 ff.) unter Heranziehung der anderen Verbürgungen der Konventionen die Öffentlichkeit auch zum Schutz anderer Privatbereiche bei einer Verkündung der Urteilsgründe auszuschließen oder die öffentliche Bekanntgabe der Gründe auf die nicht besonders schutzbedürftigen Tatsachen zu begrenzen,1055 ist auch hier in Betracht zu ziehen.1056 Im Interesse der Rechtspflege ist der Ausschluss der Öffentlichkeit nur bei Vorliegen besonderer Umstände und nur in dem durch diese Umstände gebotenen Umfang, also in der Regel nicht für die ganze Verhandlung zulässig, sondern nur für einen eng begrenzten Teil derselben, etwa für die Vernehmung eines Zeugen, von dem befürchtet wird, dass er andernfalls die Wahrheit zurückhalten würde1057 oder um seine Sicherheit fürchten müsste.1058 Der Gerichtshof legt Wert darauf, dass die Gerichte den Ausschluss der Öffentlichkeit insbesondere in Fällen des Zeugenschutzes einzelfallbezogen begründen (sowohl die Gründe für eine Gefährdung als auch die zu treffende Abwägung der berührten Interessen). Den Prozessbeteiligten ist – nach Bekanntgabe des der zu treffenden Entscheidung zugrunde liegenden Materials – Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.1059 Ein Ausschluss im Interesse der Rechtspflege wird auch für zulässig gehalten, wenn andernfalls die ordnungsgemäße Fortführung des Verfahrens wegen der Emotionen des Publikums gefährdet wäre1060 oder wenn Einschränkungen notwendig sind, um die Ordnung im Sitzungssaal zu wahren.1061 Ferner kann ein Bedürfnis, bestimmte Ermittlungsmethoden der Polizei geheim zu halten, den Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigen.1062 Das gilt allerdings nur dann, wenn der Ausschluss für die Geheimhaltung notwendig ist („strictly necessary“).1063 Zudem muss das Gericht die in der Verhandlung fehlende Öffentlichkeit ausgleichen, um
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Vgl. Frowein/Peukert 196; Meyer-Ladewig 186 („summarische Zusammenfassung“), ferner EGMR B. u. P/UK (Fn. 988). Vgl. EGMR Nuutinen/FIN (Fn. 786). EGMR Belashev/R (Fn. 949), § 80 („free exchange of information and opinion in the pursuit of justice“); Frowein/Peukert 198; IK-EMRK/Kühne 352; Grabenwarter § 24, 87; Peukert EuGRZ 1980 247, 268. EGMR Volkov/R (Fn. 949), §§ 25 ff. (sogar Ausschluss vom gesamten Prozess für zulässig gehalten); Belashev/R (Fn. 949), § 80. EGMR Belashev/R (Fn. 949), § 85 („reasons to be regrettably laconic“).
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Nowak 35. Vgl. Grabenwarter § 24, 87, 88 (auch zur Privilegierung der Medienvertreter bei der Platzvergabe im Sitzungssaal), ferner Peukert EuGRZ 1980 247, 268; Wyss EuGRZ 1996 1 ff. EGMR Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 75. EGMR Belashev/R (Fn. 949), § 83; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 77 („[…] the mere presence of classified information in the case file does not automatically imply a need to close a trial to the public, without balancing openness with other public interest considerations.“; Drogendelikte).
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das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu gewährleisten.1064 Die Öffentlichkeit auszuschließen, um die Sicherheit der (potentiellen) Zuhörer sowie des (Gerichts-)Personals und des Angeklagten zu garantieren, wird vom Gerichtshof nur in seltenen Ausnahmefällen für zulässig gehalten, da fast immer weniger einschneidende Maßnahmen möglich sind (Metalldetektoren, Screening)1065 und Sicherheitsprobleme gerade bei Strafverfahren vorkommen können.1066 Die Schwere des Vorwurfs allein reicht jedenfalls nicht aus, um Sicherheitsprobleme annehmen zu können.1067 In erster Linie entscheidet die Auffassung des Gerichts darüber, ob und wie lange 444 solche besonderen Umstände den Ausschluss erfordern. Für die einzelfallbezogene Entscheidung wird ihm damit ein gewisser eigener Beurteilungsspielraum eingeräumt; der – sofern er den von den Konventionen vorgegebenen Rahmen nicht ersichtlich überschreitet – auch vom EGMR respektiert wird. Auch jede innerstaatliche Regelung hat davon auszugehen, dass über den Ausschluss der Öffentlichkeit vorrangig das jeweils befasste Gericht in eigenverantwortlicher Wertung aller Umstände zu befinden hat.
IX. Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR) 1. Allgemeines a) Der zur Altsubstanz der Menschenrechtsgarantien1068 zählende Grundsatz, dass 445 jeder, der wegen einer strafbaren Handlung angeklagt wird, bis zu dem gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat, ist ein konstituierendes Prinzip jeder am Schuldgrundsatz orientierten, rechtsstaatlichen Strafrechtspflege. Er schützt vor einer Bestrafung ohne vollen Nachweis strafrechtlicher Schuld und bindet diesen Nachweis an die Durchführung eines ordnungsgemäßen, „fairen“ Verfahrens, wie es Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR für die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage vorschreiben. Alle Strafverfolgungsorgane müssen ungeachtet des Gewichts des Verdachts, der das Strafverfahren ausgelöst hat, bei der Führung des Verfahrens für jedes mögliche Verfahrensergebnis offen bleiben und stets auch die Möglichkeit eines künfti-
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EGMR Belashev/R (Fn. 949), § 84 („measures to counterbalance the detrimental effect“). EGMR Krestovskiy/R (Fn. 949), § 29. EGMR Volkov/R (Fn. 949), § 25 („There is a high expectation of publicity in ordinary criminal proceedings, which may well concern dangerous individuals, notwithstanding the attendant security problems.“); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41), 87; Belashev/R (Fn. 949), § 79. EGMR Belashev/R (Fn. 949), § 86 („the gravity of the charges cannot by itself serve to justify the restriction of such a fundamental tenet of judicial proceedings as their openness to the public. […]. […] a danger which defendants may present to other parties to the proceedings cannot be gauged solely on the basis of the gravity of the charges and severity of the sentence
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faced. It must be assessed with reference to a number of other relevant factors which may confirm the existence of a danger justifying the denial of public access to a trial.“). Zu den weit über die Aufklärung hinausreichenden geschichtlichen Wurzeln: Hruschka ZStW 112 (2000) 285; Stuckenberg 11 ff.; SK/Paeffgen 175 je m.w.N.; ferner Art. 9 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte v. 26.8.1789; sowie Köster 85 (als Menschenrecht in der Aufklärung); IK-EMRK/ Kühne 413; Peukert EuGRZ 1980 259. Vgl. auch Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Sax Grundrechte III 2 987 (prozessuales Fundamentalprinzip); Jebens Liber Amicorum Wildhaber 208 („basic human right“); Stumer The Presumption of Innocence (2010) 1 ff.
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gen Freispruchs berücksichtigen.1069 Das rechtsstaatliche Gebot einer ergebnisoffenen Entscheidungsfindung soll auch die Aufgeschlossenheit des Gerichts für die Verfahrensvorgänge und die Argumente der Verteidigung und sein Gesamtverhalten gegenüber dem Beschuldigten bestimmen.1070 Dies ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines jeden fairen Verfahrens. Nachteilige Rechtsfolgen dürfen gegen den Beschuldigten erst festgesetzt werden, wenn als Ergebnis des Verfahrens seine Schuld zur Überzeugung des Gerichts erwiesen ist, wie dies das Rechtsstaatsprinzip für jeden staatlichen Eingriff in grundrechtlich geschützte Bereiche ohnehin fordert.
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b) Die Konventionen garantieren durch die inhaltlich (nicht wörtlich) übereinstimmenden Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR im Verfahren wegen einer strafrechtlichen Anklage jedem Beschuldigten ungeachtet des Gewichts eines gegen ihn bestehenden Verdachts das subjektive Recht,1071 von den Staatsorganen bis zum ordnungsgemäßen Nachweis der Schuld als unschuldig behandelt zu werden und als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld in einem fairen öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.1072 Wegen seiner Bedeutung wird dieser Grundsatz getrennt von den sonstigen Verfahrensrechten des Beschuldigten im Strafverfahren in einem eigenen Absatz herausgestellt.1073 Ähnlich wie andere Menschenrechtspakte1074 knüpfen die Konventionen an das Vorbild des Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 an, deren Fassung den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Unschuldsvermutung und dem Erfordernis eines fairen, die Verteidigungsrechte wahrenden Verfahrens1075 verdeutlicht.
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c) Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union legt in Verbindung mit der Gewährleistung der Achtung der Verteidigungsrechte (Art. 48 Abs. 2 EUC) fest, dass jeder Angeklagte (gemeint ist auch hier der Beschuldigte) bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig gilt (Art. 48 Abs. 1 EUC).1076
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d) Nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik nimmt die Unschuldsvermutung als eine besondere Ausprägung des vom Rechtsstaatsprinzip gebotenen fairen Verfahrens1077 und eines die Menschenwürde achtenden Grundrechtsschutzes am Verfassungsrang dieser Verbürgungen teil. Sie wird im Grundgesetz – im Gegensatz zu einigen
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Rüping ZStW 91 (1979) 351, 358; vgl. SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO: Notwendige Bedingung für die Offenheit der Entscheidungsfindung. Stuckenberg 544 ff.; ders. ZStW 111 (1999) 422, 452 ff. sieht darin das „Verbot der Desavouierung“. Die englische Fassung von Art. 14 Abs. 2 IPBPR spricht ausdrücklich von „right to be presumed innocent“, anders die französische Fassung und Art. 6 Abs. 2 EMRK. BVerfGE 74 373 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 74 StPO. Zur Entstehungsgeschichte Nowak 33; SK/Paeffgen 175.
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Art. 8 Abs. 2 AMRK; Art. 7 Abs. 1 lit. b Banjul Charta (siehe Teil I Rn. 23). Vgl. BVerfGE 74 373. Vgl. Jarass EU-Grundrechte 460 sowie das Grünbuch über die Unschuldsvermutung, KOM (2006) 174 v. 26.4.2006 sowie die hierzu veröffentlichten Stellungnahmen des MPI-Freiburg (abrufbar unter http://www.mpi-freiburg.de), der European Criminal Bar Association (ECBA), abrufbar unter http://www.ecba.org, sowie die BRAK-Stellungnahme-Nr. 18/2006, abrufbar unter www.brak.de. Vgl. Stuckenberg 546 ff.
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Landesverfassungen1078 – nicht ausdrücklich garantiert, hat aber als objektiver Grundsatz und als subjektives Recht des Einzelnen Verfassungsrang.1079 Das Rechtsstaatsprinzip und auch der Grundsatz, dass alles staatliche Handeln verpflichtet ist, die Menschenwürde und die Grundrechte einschließlich des darin wurzelnden Persönlichkeitsrechts jedes einzelnen Menschen zu achten, schließen es aus, dass Straftaten, die nicht in einem dem Gesetz entsprechenden ordnungsgemäßen Verfahren nachgewiesen wurden, die Grundlage einer Bestrafung bilden. Die Vermutung der Unschuld wird als selbstverständliche Bedingung eines nach Inhalt und Grenzen durch das Gebot der Achtung der Menschenwürde bestimmten, auf dem Schuldgrundsatz aufbauenden materiellen Strafrechts verstanden.1080 Der staatlichen Strafgewalt ist der in jeder Bestrafung liegende Grundrechtseingriff verboten, solange dessen Voraussetzungen einschließlich einer dem Betroffenen zurechenbaren Schuld nicht in einem ordnungsgemäßen Verfahren in der dafür vorgeschriebenen Form nachgewiesen sind.1081 Der Beschuldigte erhält das Recht auf ein Verfahren, in dem er bis zur abschließenden Entscheidung über den Schuldspruch1082 wie ein Unschuldiger zu behandeln ist. In dieser die Verfahrensstellung des Beschuldigten sichernden Fiktion der „Normtreue“ liegt – neben der den Strafverfolgungsorganen damit abverlangten unvoreingenommenen Offenheit hinsichtlich des möglichen Verfahrensausgangs und der daraus folgenden unvoreingenommenen Beweiswürdigung – ihre besondere Bedeutung für das Strafverfahren. Als Verfassungsgrundsatz enthält die Unschuldsvermutung nach Ansicht des BVerfG 449 keine sie in allen Einzelheiten bestimmenden Ge- und Verbote. Ihre Rechtsvermutung1083 je nach den sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren, ist Aufgabe des Gesetzgebers.1084 Als positives innerstaatliches Recht sind in diesem weiteren verfassungsrechtlichen Rahmen auch Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR unmittelbar anwendbar.1085 Wegen ihres spezifischen Strafprozessbezugs gilt die Unschuldsvermutung in allen Verfahren, die die Feststellung und Ahndung strafrechtlicher Schuld1086 zum Gegenstand haben, vor allem im Strafverfahren. Sie steht Maßnahmen der Strafverfolgung, die sich
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Siehe Art. 65 Abs. 2 BerlVerf; Art. 53 Abs. 2 VerfBrand; Art. 6 Abs. 3 BremVerf; Art. 20 Abs. 2 Satz 1 HessVerf (Zinn/Stein: Verfahren zum Zwecke der Bestrafung); ferner allgemeiner gefasst: Art. 6 Abs. 3 VerfRhPf; Art. 14 Abs. 2 SaarlVerf. Etwa BVerfGE 19 342, 348; 74 358, 370; 82 106, 114 (ungeschriebene Ausformung des Rechtsstaatsprinzips). BVerfGE 74 350, 371; ferner etwa IK-EMRK/Kühne 415; SK/Paeffgen 176; SK/Paeffgen Vor 112, 26 StPO; Meyer FS Tröndle 61, 62; Vogler FS Kleinknecht 436. BVerfGE 7 319; 9 169; 58 163; 80 120. Zur strittigen dogmatischen Ableitung Frister 92 (ratio des Schuldprinzips); Köster 139; SK/Paeffgen 176; ferner Stuckenberg 48 ff., 544 ff.; ders. ZStW 111 (1999) 422 ff. Soweit im Schrifttum unter Hinweis auf das insoweit aber nicht eindeutige Urteil EGMR Minelli/CH (Fn. 40) und auf BVerfGE 35 202, 232 die Ansicht vertreten
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wird, dass die Unschuldsvermutung „bis zur Rechtskraft der Entscheidung“ bestehen bleibt (Frowein/Peukert 263; Meyer-Goßner 15; Meyer-Ladewig 212), ist mitunter nicht klar, ob damit richtigerweise die Rechtskraft des Schuldspruchs oder der gesamten Entscheidung gemeint ist. Nach Stuckenberg 418 endet die Unschuldsvermutung mit der Verurteilung. Sie gilt nicht mehr im Verfahren, das nur noch den Strafausspruch zum Gegenstand hat. Zur Unschuldsvermutung als nicht empirische gesetzliche Vermutung eingehend: Stuckenberg 478 ff.; zu den verschiedenen Auffassungen 55 ff. BVerfGE 74 358, 370 ff.; BVerfG (Kammer) MDR 1991 213; NStZ 1991 30; vgl. auch Kühl ZStW 100 (1988) 643 (Bundesgesetzgeber zeigt strengeres Verständnis der Unschuldsvermutung als EGMR). Vgl. etwa BVerfG NJW 2002 3231. Die hier ebenfalls im weiten Sinn der Konventionen (vgl. Rn. 68 ff.) zu verstehen ist.
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auf einen Verdacht gründen, nicht im Wege, bestimmt im Zusammenhang damit aber auch Form, Inhalt und Ausmaß der Äußerungen staatlicher Stellen über Gegenstand, Verfahrensstand und Ergebnis eines solchen Verfahrens.1087 Solange der Verdacht nicht durch eine gerichtliche Feststellung der Schuld bestätigt ist, dürfen die staatlichen Stellen auch in ihren Äußerungen keine strafrechtliche Schuldfeststellung treffen.1088 Ihre Verlautbarungen über ein schwebendes Strafverfahren müssen inhaltlich zurückhaltend sein und kenntlich machen, dass sie nur einen Verdacht betreffen.1089 Die Äußerung eines solchen Verdachts aus begründetem Anlass schließt die Unschuldsvermutung nicht aus.1090 Gleiches gilt bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr.1091 Nach Abschluss des Strafverfahrens mit einem Freispruch darf das im Laufe des Verfahres gewonnene erkennungsdienstliche Material nur unter engen Voraussetzungen aufbewahrt werden.1092 Gleiches gilt für rechtmäßig erlangte Daten über nicht ausgeräumte Verdachtsmomente aus präventivpolizeilichen Gründen.1093 Das weitergehende Verbot der Zuweisung unbewiesener strafrechtlicher Schuld im 450 Rechtsverkehr1094 ist Teil des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, der die Verletzung des persönlichen Achtungsanspruchs durch unbewiesene missbilligende oder herabwürdigende Verlautbarungen staatlicher Organe oder durch Äußerungen Privater, insbesondere in der Presse, allgemein verbietet.1095 Das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz schließt – unabhängig von der Tragweite der Konventionsgarantien – auch sonst aus, dass staatliche Organe einen Bürger ohne vorher erbrachten Nachweis einer Schuld im allgemeinen Rechtsverkehr als Schuldigen einer Straftat behandeln.1096 Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob der Schuldvorwurf mit einem eingeleiteten Strafverfahren in Verbindung steht. Dieser Achtungsanspruch umfasst über den Vorwurf einer Straftat hinaus jedes nach allgemeiner Auffassung tadelnswerte Verhalten. Es ist deshalb fraglich, ob es weiterführt, den allgemein zutreffenden rechtsstaatlichen Grundgedanken, dass von der Rechtstreue der Bürger auszugehen ist und das daraus folgende Verbot der Zuweisung nicht bewiesener Schuld durch Staatsorgane mit dem ebenfalls auf den gleichen Grundgedanken beruhenden, in den Konsequenzen aber stringenteren strafprozessualen Institut „Unschuldsvermutung“ in einen Topf zu werfen. Eine undifferenzierte Verwendung dieser eingängigen Kurzformel verleitet leicht zu Gleichsetzungen in den Auswirkungen, die sachlich nicht geboten sind. Anders als bei der ausdrücklich auf das Strafverfahren beschränkten Unschuldsvermutung der Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR sind die verschiedenen Aspekte
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BVerfGE 19 342, 347; 71 206; 74 358, 369; 82 106, 117; BVerfG NStZ 1992 290; OLG Hamm NJW 2000 1278; Meyer FS Tröndle 61, 71; Roxin NStZ 1991 153; Marxen GA 1980 365; SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO m.w.N.; vgl. auch Esser 100 ff. EGMR Allenet de Ribemont/F, 10.2.1995, A 308 = ÖJZ 1995 509; Meyer-Ladewig 86; Villiger 493. EGMR Kuzmin/R, 18.3.2010, mit Verweis auf den Einzelfall und die jeweiligen besonderen Begleitumstände einer Erklärung. Vgl. EKMR EuGRZ 1987 356. Etwa SK/Paeffgen Vor § 112, 26 StPO. BGer EuGRZ 1994 492. BVerfG NJW 2002 3231, mit dem Hinweis,
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dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu beurteilen ist, ob die Speicherung der durch den Freispruch nicht ausgeräumten Verdachtsmomente aus präventivpolizeilichen Erwägungen (Wiederholungsgefahr) vertretbar ist; vgl. auch SK/Paeffgen 192. BVerfGE 74 358, 371; BVerfG (Kammer) NStZ 1988 21. Stuckenberg 560 ff. Vgl. BVerfGE 19 342, 347; 22 265; 35 320; 74 358, 370; 82 106, 117; BVerfG NStZ 1988 21; IK-EMRK/Kühne 416; Bornkamm NStZ 1983 102; Marxen GA 1980 373; SK/Rogall Vor § 133, 80 ff. StPO; Ulsamer FS Zeidler 1807.
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des Rechtsstaatsprinzips verfassungsrechtlich auch insoweit nicht in formalen Einzelregelungen ausdifferenziert, so dass es aus der Sicht des innerstaatlichen Verfassungsrechts wegen der gleichen Ableitung weitgehend nur eine Definitionsfrage wäre, ob man für das im Schutz des Persönlichkeitsrechts wurzelnde materielle Verbot der Zuweisung unbewiesener Schuld ebenfalls den Begriff der Unschuldsvermutung im weiten Sinn verwenden will. Insoweit wäre es nicht entscheidend, ob man darin nur einen Rechtsgrund sieht, der die Achtung des Persönlichkeitsrechts für den spezifischen Fall der Bezichtigung mit einer nicht erwiesenen strafrechtlichen Schuld inhaltlich konkretisiert und bekräftigt1097 oder ob man aus ihrem Grundgedanken eine eigene, darüber hinausreichende spezifische Schutzwirkung herleitet.1098 Anders wäre dies, wollte man aus einer solchen – weit verstandenen Unschuldsvermu- 451 tung – ein von allen Staatsorganen zu beachtendes Monopol des Strafrichters herleiten, dergestalt, dass der für ihre Widerlegung notwendige Schuldnachweis ausschließlich in einem Strafverfahren, nicht aber in einem sonstigen Verfahren erbracht werden kann (sog. „Exklusivität der strafrichterlichen Schuldfeststellung“).1099 Aus den allgemeinen Verfassungsgrundsätzen lässt sich weder dies noch eine damit letztlich verknüpfte allgemeine Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen herleiten. Rechtsstaatsprinzip und Grundrechtsschutz schreiben keine bestimmten Formen für das Rechtsschutzsystem vor. Sie können schon gar nicht dahin verstanden werden, dass sie die bestehende richterliche Befugnis, in eigener Unabhängigkeit Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten in dem für die eigene Entscheidung erforderlichen Umfang mitzuentscheiden,1100 außer Kraft setzen wollten. Nur die Bestrafung ist bei Kriminalstrafen dem Strafrichter vorbehalten, nicht aber die Entscheidung, welche außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen an das Vorliegen eines Straftatbestandes anknüpfen. Lehnt man eine solche Folgerung aus der Unschuldsvermutung ab,1101 so spricht für 452 die Begrenzung der aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Unschuldsvermutung auf den Bereich der Strafrechtspflege, dass es sich hier um eine verfahrensspezifische Schutzgarantie handelt, die der besonderen Lage des Beschuldigten im Strafverfahren Rechnung trägt und hier ein durch keine Abwägung relativierbares Verbot1102 bedeutet. Hier besteht ein erhöhter Schutzanspruch, der neben den materiellen auch besondere verfahrensrechtliche Gewährleistungen erfordert, und der den Staat auch verpflichtet, auf die Unschuldsvermutung Rücksicht zu nehmen, wenn er sich nach außen über ein schwebendes Strafverfahren äußert.1103 Diese müssen über das hinausgehen, was der nicht in ein
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So Meyer FS Tröndle 61, 63; SK/Rogall Vor § 133, 81 StPO (Konkretisierung und Verstärkung des im Spannungsverhältnis mit anderen Grundrechtsgarantien stehenden Persönlichkeitsrechtes); auch Lampe NJW 1973 217; Rüping FS Dünnebier 396. Kühl FS Hubmann 248 sieht in der Unschuldsvermutung neben der strafrechtlichen auch eine besondere persönlichkeitsrechtliche Komponente; vgl. auch Kühl ZStW 100 (1988) 411; ferner Marxen GA 1980 373 (Abwehrfunktion als konstitutives Rechtsprinzip gesellschaftlichen Zusammenlebens). So etwa Vogler FS Kleinknecht 429, 436; IK-EMRK/Kühne 437 ff.
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Vgl. BVerfG MDR 1991 891; OLG Düsseldorf NStZ 1990 531; Bruns FS Schmidt 602; SK/Rogall Vor § 133, 74 ff. StPO. So Meyer FS Tröndle 61, 62; Peukert EuGRZ 1980 247, 260; Rüping FS Dünnebier 391, 396; noch enger Paulus NStZ 1990 600; vgl. ferner etwa SK/Paeffgen 197 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 75, 82 StPO. Vgl. Stuckenberg 559; ders. ZStW 111 (1999) 422, 459; SK/Paeffgen Vor § 112, 26 StPO m.w.N. Zur mittelbaren Drittwirkung vgl. SK/Paeffgen 298.
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Strafverfahren verstrickte Staatsbürger an Schutz benötigt, wenn ihn Staatsorgane durch die Zuweisung unbewiesener strafrechtlicher Schuld in seinem sozialen Geltungsanspruch und damit in seinem Persönlichkeitsrecht verletzen.1104 Wo immer man die Grenze der aus den Verfassungsprinzipien abgeleiteten (unge453 schriebenen) Unschuldsvermutung im Bereich außerhalb der eigentlichen Strafrechtspflege zieht,1105 ihre Garantien dürfen nicht in einseitiger Sicht extensiv interpretiert werden. Sie sind mit anderen Forderungen der Verfassung, wie sie sich vor allem aus dem auch anderen Zielsetzungen verpflichteten Rechtsstaatsprinzip ergeben, zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen, der allen kollidierenden Prinzipien eine weitmögliche Verwirklichung garantiert (Prinzip der praktischen Konkordanz).1106 Für eine Übernahme der strafverfahrensspezifischen Aspekte der Unschuldsvermutung in den außerstrafrechtlichen Bereich und die im Schrifttum daraus hergeleitete Forderung einer für alle Staatsorgane bindenden Exklusivität strafrichterlicher Schuldfeststellung (dazu Rn. 451) bieten weder die Konventionen noch die Verfassung eine Handhabe.
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e) Verhältnis zwischen der Garantie der Konventionen und der Verfassungsgewährleistung. Die Konventionsgarantien und die innerstaatlichen Verfassungsgarantien stimmen im Grundsätzlichen überein. Dies wird auch dadurch weitgehend gesichert, dass nach Ansicht des BVerfG der Entwicklungsstand der Menschenrechte in Europa und damit auch die Fortentwicklung der in der EMRK gewährleisteten Unschuldsvermutung bei der Auslegung der Garantien des Grundgesetzes mit in Betracht zu ziehen ist.1107 Beide Garantien müssen sich aber nicht vollinhaltlich decken. Die innerstaatlichen Verfassungsgarantien können in Grenzbereichen hinter dem zurückbleiben oder über das hinausgehen, was die Konventionen nach dem Verständnis des EGMR völkerrechtlich garantieren und dann als einfaches Recht auch innerstaatlich fordern.1108 Die bei der Auslegung des Verfassungsrechts mit zu berücksichtigenden Verbürgungen der Konventionen sind an die Grenzen gebunden, die sich daraus ergeben, dass die Konventionen die Unschuldsvermutung nur für die Verfahren über strafrechtliche Anklagen aufstellen. Bei den aus dem ungeschriebenen Verfassungsgrundrecht hergeleiteten Gewährleistungen dagegen ist diese völkervertragsspezifische Beschränkung unbeachtlich; auch die gebotene Auslegungskonkordanz (Rn. 453) würde nicht daran hindern, die Unschuldsvermutung innerstaatlich weiter zu verstehen.1109 Dann können ihr aber die Implikationen des Rechtsstaatsprinzips anderweitige Grenzen setzen, um hier – wie auch sonst – seine verschiedenen und zum Teil gegenläufigen Aspekte in sich zum Ausgleich zu bringen; es lässt Raum für einfachgesetzliche Regelungen und ist erst verletzt, wenn rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind.1110
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Vgl. die Beispiele bei Meyer FS Tröndle 62 f., 64 ff. Zu den hier erforderlichen Abwägungen vgl. Lampe NJW 1973 217. Vgl. zur Tendenz, in der Rechtsprechung zum Persönlichkeitsschutz auf die Unschuldsvermutung zurückzugreifen Kühl ZStW 100 (1988) 432. Dazu etwa Herzog EuGRZ 1990 484. Zur ähnlichen Rechtslage bei den Konventionen, die einen gerechten und vernünftigen Ausgleich („fair balance“) zwischen dem
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Schutzanspruch des Einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit fordern vgl. Rn. 202 ff.; Teil I (Einf.) Rn. 191. BVerfGE 74 358, 370 ff.; BVerfG NJW 1990 2741; 2002 3231. Die Konventionen lassen weitergehendes Recht unberührt, Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR. So etwa BVerfGE 74 358, 371; 82 104, 117; vgl. SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO. BVerfGE 70 308; BVerfG MDR 1991 213.
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Das weitergehende Verbot der Zuweisung unbewiesener strafrechtlicher Schuld im 455 Rechtsverkehr (vgl. Rn. 450) ist innerstaatlich Teil des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, der die Verletzung des persönlichen Achtungsanspruchs durch unbewiesene missbilligende oder herabwürdigende Verlautbarungen verbietet, ganz gleich, ob staatliche Organe oder Private, insbesondere die Presse, dafür verantwortlich sind. Aus den auf das staatliche Strafverfahren beschränkten Konventionsgarantien der Unschuldsvermutung in den Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR lässt sich ein solcher Anspruch gegen Dritte nicht unmittelbar herleiten.1111 f) Eine unmittelbare Drittwirkung kommt der Unschuldsvermutung der Konventio- 456 nen nicht zu.1112 Sie betrifft die Ausübung der staatlichen Strafgewalt, verpflichtet die Staaten und ihre Organe (Art. 1 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR), begründet aber nach vorherrschender Meinung keine unmittelbaren Pflichten für private Dritte,1113 auch nicht für die Medienberichterstattung.1114 Das Regelungsrecht des Staates, der auch der Freiheit der Berichterstattung Grenzen setzen darf, folgt aus anderen Konventionsgarantien, die staatliche Einschränkungen zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer und zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtspflege ermöglichen (insbesondere Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR, aber auch Art. 8 Abs. 2 EMRK / Art. 17 Abs. 2 IPBPR). Der Rechtsschutz des Persönlichkeitsrechts umfasst auch den Schutz vor Zuweisung 457 einer strafrechtlichen Schuld, wenn und solange sie von den zuständigen Staatsorganen nicht ordnungsgemäß festgestellt ist.1115 Der Staat muss das hier bestehende Spannungsverhältnis zwischen der durch Art. 10 EMRK geschützten Pressefreiheit und dem Schutzinteresse des Einzelnen durch ausgewogene Regelungen ausgleichen. Das verfassungsrechtlich anerkannte Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, sein gesellschaftlicher Achtungsanspruch, sein Recht auf Privatheit und auf Schutz seiner Ehre (vgl. Art. 8
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Stuckenberg 417, 561 ff.; Meyer-Goßner 13; SK/Rogall Vor § 133, 82 StPO; a.A. Grawe NJW 1981 209; Marxen GA 1980 365; weitergehend auch BVerfGE 74 358, 371; 82 106, 117. Bornkamm NStZ 1983 102; Hassemer NJW 1985 1921, 1923; Kühl FS Hubmann 241, 248; Meyer FS Tröndle 63; Peukert EuGRZ 1980 260; Rüping FS Dünnebier 396; SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO; Roxin NStZ 1991 153, 156; Trechsel SJZ 1981 335; vgl. auch Villiger 500, 501 (keine Verantwortlichkeit der Presse, sondern Pflicht des Staates zu verhindern, dass Presseberichte die Fairness des Strafverfahrens beeinträchtigen); weit. Nachw. Stuckenberg ZStW 111 (1999) 422, 430; ferner BGH NJW 1994 1950. EGMR Kuzmin/R (Fn. 1089), erklärt den an sich „privaten“ Kandidaten für das Amt des Gouverneurs als „öffentliche“ Person; vgl. etwa Meyer FS Tröndle 61, 63; SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO.
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Vgl. OLG Frankfurt NJW 1980 597 (keine Drittwirkung, aber Prüfungsmaßstab); OLG Köln NJW 1987 2682; Bornkamm NStZ 1983 103; Laubenthal GA 1989 20, 25; Esser 714 ff.; Paulus NStZ 1990 600; Roxin NStZ 1991 153, 156; Meyer-Goßner 13; a.A. vor allem Marxen GA 1980 373, der unter Verneinung der Drittwirkung eine unmittelbare Verpflichtung Privater annimmt; Grawe NJW 1981 209; Stapper AfP 1996 349; Nowak 36 (zu Art. 14 IPBPR); KK/Schädler 44. Vgl. ferner Frowein/Peukert 267 ff., wo unter Hinweis auf Entscheidungen der EKMR die Ansicht vertreten wird, aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung sei die Obliegenheit des Staates abzuleiten, für eine objektive Berichterstattung der Presse über anhängige Strafverfahren zu sorgen. Zum Streitstand vgl. Stuckenberg 66 ff. m.w.N. Etwa OLG Braunschweig NJW 1975 651; Meyer FS Tröndle 63.
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EMRK / Art. 17 IPBPR) setzt – ungeachtet des anzuerkennenden Informationsinteresses der Öffentlichkeit – den Medien ebenso Grenzen1116 wie den Privaten. Vor allem im Bereich der Medienberichterstattung wird der an sich nur auf das Ver458 hältnis Staat/Bürger zugeschnittene Grundgedanke der Unschuldsvermutung unreflektiert verwendet, da er für einen besonders sensiblen Teilbereich des Persönlichkeitsschutzes plakativ ein Maßprinzip für die Grenze zulässiger Berichterstattung aufzeigt. Die notwendige Abwägung zwischen Informationsinteresse und geschütztem Persönlichkeitsrecht lässt zwar Berichte über den Verdacht einer Straftat zu, verbietet aber die Zuweisung einer noch nicht erwiesenen strafrechtlichen Schuld. In diesem weiten, über den Geltungsbereich der Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR hinausreichenden Sinn, hat die Unschuldsvermutung als Kurzformel für den Beurteilungsmaßstab von Berichten über Strafverfahren eine mittelbare Drittwirkung.1117 Nach weitergehender Ansicht ist die Unschuldsvermutung allgemeinverbindlich, insbesondere die Medien sind zu ihrer Beachtung unmittelbar verpflichtet.1118 Kommt es zu einer mit der Unschuldsvermutung unvereinbaren Medienberichterstat459 tung über ein Strafverfahren und ist dieser Konventionsverstoß den staatlichen Stellen zurechenbar (aktives Tun) oder als Verstoß gegen die ihnen obliegende Schutzpflicht anzusehen, so kann eine dem Verstoß angemessene Strafmilderung eine geeignete Form der Kompensation darstellen.1119 Wegen öffentlicher Verlautbarungen staatlicher Stellen über ein Strafverfahren vgl. Rn. 485 ff.
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g) Eine allgemeine Schutzpflicht des Staates, die über seine Verantwortung für die Äußerungen seiner Organe in Bezug auf ein anhängiges Strafverfahren hinausreicht, wird verschiedentlich auch hinsichtlich der Beachtung der Unschuldsvermutung durch Dritte angenommen.1120 Für den privaten Lebensbereich und den Schutz der Ehre begründen ausdrücklich Art. 17 IPBPR und auch Art. 8 EMRK Schutzpflichten des Staates.1121 Doch auch Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR geben bei weiter Auslegung den
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Vgl. BVerfGE 35 232 (Lebach): auch die Unschuldsvermutung gebiete eine zurückhaltende, die Verteidigungsargumente angemessen berücksichtigende Berichterstattung; ebenso kürzlich BVerfGE 119 309, 323 = NJW 2008 977; BVerfG NJW 2009 350, 351 („Holzklotz-Fall“), wo eine „ausgewogene Berichterstattung“ sowie die Berücksichtigung „eine[r] mögliche[n] Prangerwirkung“ gefordert wird, „die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden“ könne. Zur Verteidigung gegenüber der Medienberichterstattung vgl. ferner Eisenberg StraFo 2006 15; allgemein auch: Walter FS Manoledakis 1243; Trüg NJW 2011 1040, 1041 ff. OLG Frankfurt NJW 1980 597; Kühl FS Hubmann 252; Marxen GA 1980 373; vgl. Bornkamm NStZ 1983 104; MeyerGoßner 13; Schubarth 12 ff.; SK/Paeffgen 198. Marxen GA 1980 373 (originäre Verpflich-
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tung, keine Drittwirkung); KK/Schädler 44; vgl. auch: ÖVerfGH ÖJZ 1987 509; zu den einzelnen Streitfragen: SK/Rogall Vor § 133, 81 ff. StPO; SK/Paeffgen 197 ff.; aus empirischer Sicht: Altermann Medienöffentliche Vorverurteilung – strafjustizielle Folgerungen für das Erwachsenen- und für das Jugendstrafverfahren? (2009). Vgl. allgemein zur Frage der Strafmilderung aufgrund Medienberichterstattung: LG Karlsruhe NJW 2005 915, 916; Brandenstein/Kury NZV 2005 225; Knauer GA 2009 541; Pfeifle ZG 2010 282. Vgl. Frowein/Peukert 164; Jebens Liber Amicorum Luzius Wildhaber 211; Kühl FS Hubmann 248; Nowak 36; Peukert EuGRZ 1980 260; Ulsamer FS Zeidler 1802; auch Meyer FS Tröndle 61, 63; SK/Paeffgen 199, 200. Vgl. Art. 8 EMRK Rn. 24 ff.
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Rechtsgrund für eine Verpflichtung des Staates ab, den Einzelnen vor einer Aushöhlung seines sozialen Achtungsanspruchs durch Dritte zu schützen.1122 Insofern muss der Staat ein bestimmtes rechtliches Instrumentarium bereitstellen, damit der Bürger selbst oder mit Hilfe des Staates gegen solche ehrverletzenden Anschuldigungen vorgehen kann. Der Schutz des Bürgers kann allerdings nicht absolute Geltung beanspruchen. Vielmehr muss die Presse weiterhin die Möglichkeit haben, Berichte über Personen, die einer Straftat verdächtigt werden, zu verfassen, sofern sie auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte zurückgreifen kann. Zudem fordern die Konventionen – ähnlich wie bei anderen Schutzpflichten – nur einen Mindestschutz und nicht etwa den bestmöglichen Schutz. Bei dem großen Ermessensspielraum, den sie hierfür dem nationalen Recht einräumen, dürften sich daraus keine größeren Anforderungen an das unerlässliche gesetzliche Schutzinstrumentarium ergeben, als sie der zivil- und strafrechtliche Persönlichkeitsschutz des innerstaatlichen Rechts (beispielsweise mit dem presserechtlichen Gegendarstellungsanspruch sowie den Beleidigungsdelikten) bereits bietet.1123 h) Verzichtbarkeit. Ob der Beschuldigte auf die Beachtung der Unschuldsvermutung 461 verzichten kann, ist strittig.1124 Soweit mit der Unschuldsvermutung die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende objektive Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane umschrieben wird, das Verfahren unabhängig vom Verhalten und der Einlassung des Beschuldigten ergebnisoffen zu führen,1125 kann es keinen wirksamen Verzicht geben.1126 Die Strafverfolgungsorgane, vor allem das erkennende Gericht, müssen selbst bei einem Geständnis die Möglichkeit der Unschuld des Beschuldigten weiterhin in ihre Erwägungen einbeziehen und die Glaubwürdigkeit eines Geständnisses unvoreingenommen überprüfen. Auch eine eingeräumte Tat darf nur bestraft und auch sonstige für den Beschuldigten nachteilige Rechtsfolgen dürfen nur daran geknüpft werden, wenn seine Schuld als Ergebnis eines ordnungsgemäßen, fairen Verfahrens zur vollen Überzeugung des Gerichts feststeht.1127 Die Konventionen garantieren die Beachtung der Unschuldsvermutung dem Beschul- 462 digten einer Straftat als subjektives Menschenrecht.1128 Dessen formaler Aspekt, der den äußeren Umgang des Gerichts mit dem Beschuldigten betrifft, ist verzichtbar, denn diesen formalen Schutz muss niemand für sich in Anspruch nehmen.1129 Das Recht, im Strafverfahren vom Gericht formal als Unschuldiger behandelt zu werden, ist für denjeni-
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Anders noch LR/Gollwitzer 25 114; verneinend auch Roxin NStZ 1991 153; aus der Fürsorgepflicht abgeleitete Schutzpflicht bejaht etwa: SK/Paeffgen 199. Vgl. Kühl FS Hubmann 248; Roxin NStZ 1991 153. Zum Streitstand Stuckenberg 60; vgl. auch Seher ZStW 118 (2006) 101, 125, 149 ff. Grabenwarter § 24, 122; Meyer-Ladewig 212. Vgl. Stuckenberg 559. Ob dazu die rechtsförmliche Feststellung der Schuld im Tenor einer gerichtlichen Entscheidung unerlässlich ist oder ob es genügt, wenn das Gericht nur in deren Gründen zum Ausdruck bringt, dass es aufgrund des vor ihm durchgeführten Verfahrens für erwiesen hält, dass der Beschul-
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digte die fragliche Straftat begangen hat (Schuldspruchreife i.S.d. BVerfG), ist strittig. Stuckenberg 559, der die Unschuldsvermutung als Gebot der Einhaltung eines gegebenen Verfahrens und als Verbot der Desavouierung im Verfahren versteht, hält die Feststellung der formellen Schuld („legal guilt“) für erforderlich. Vgl. auch Frister 94 m.w.N. Vgl. SK/Paeffgen 179: spezielles Recht des Beschuldigten. Vgl. EKMR 1979 240; OLG Frankfurt NJW 1980 2031; Dörr 85; Haberstroh NStZ 1984 289, 294; Neubacher GA 2004 402, 413; Trechsel SJZ 1981 335; ferner etwa Ostendorf StV 1992 288; Schubarth ZStR 96 (1979) 295, 305; Wolter ZStW 93 (1981) 452, 475; ferner Art. 1 EMRK Rn. 59.
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gen bedeutungslos, der sich in freier Verantwortung ungezwungen und in Kenntnis der Tragweite seiner Erklärung selbst zu der ihm angelasteten Tat bekennt und damit auf den Schutz verzichtet, durch den diese Garantie seine Verteidigung im Strafverfahren sichern soll.1130 Es wäre am allerwenigsten für einen solchen Angeklagten verständlich und letztlich auch mit seinem Persönlichkeitsrecht und seiner Würde als selbstverantwortliches Verfahrenssubjekt unvereinbar, wollte man vom Gericht verlangen, dass es in einem solchen Fall bei seiner Verhandlungsführung ein glaubwürdiges Geständnis ignoriert, ihn trotzdem formal als Unschuldigen behandelt und eventuell sogar eine für ihn mit erheblichen Kosten und Zeitaufwand verbundene Beweisaufnahme durchführt, bloß um dann unabhängig von seinem Geständnis die Unschuldsvermutung formal durch andere Beweismittel widerlegen zu können. Grund und Grenzen der Verfügbarkeit über diesen den Verkehr des Gerichts mit dem Beschuldigten betreffenden Aspekt der Unschuldsvermutung folgen aus der Handlungsfreiheit und der Menschenwürde, die auch sonst als Elemente des Rechtsstaatsprinzips die Stellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt begründen und begrenzen. Dass unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten die Staatsorgane vom Rechtsstaatsprinzip zu einer unvoreingenommenen Verhandlungsführung und Urteilsfindung verpflichtet bleiben, wird dadurch nicht berührt, dies kann sie aber zu keinem lebensfremden Formalverhalten verpflichten. Wer die Tat den staatlichen Organen gegenüber zugibt, kann sich später nicht darauf berufen, die Unschuldsvermutung sei verletzt worden, wenn diese bereits im Verfahren von seiner Schuld ausgehen, sein Geständnis dem Urteil zu Grunde legen und daran Rechtsfolgen knüpfen.1131 Bei einem Widerruf des Geständnisses kommt die Unschuldsvermutung im weiteren 463 Verfahren aber wieder voll zum Tragen.1132 Der Beschuldigte kann aber stets nur auf das eigene subjektive Recht verzichten, in einer konkreten Verfahrenslage formal als unschuldig behandelt zu werden, nicht aber auf die Beachtung der objektiv aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflichten des Gerichts und der anderen Strafverfolgungsorgane zu einer ergebnisoffenen Verfahrensführung. 2. Tragweite der Unschuldsvermutung der Konventionen
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a) Die Konventionen garantieren jedem Betroffenen eines Strafverfahrens das subjektive Recht, in diesem bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig behandelt zu werden. Spiegelbildlich ergibt sich daraus für die Staatsorgane ein allgemeines Verhaltensprinzip, aus dem ihnen inhaltlich unterschiedliche Einzelanforderungen erwachsen können. Es würde der verfahrensbezogenen Funktion der Unschuldsvermutung nicht gerecht, ihren Anwendungsbereich und ihren Inhalt abstrakt und losgelöst von der Aufgabenstellung des jeweils handelnden Staatsorgans und dem jeweiligen Vorgang, der sich mit dem Vorwurf einer Straftat befasst, zu bestimmen. Dies gilt schon für das Strafverfahren selbst und es gilt erst recht, wenn man den Grundsatz, dass staatliche Organe strafrechtliche Schuld nur demjenigen anlasten dürfen, dem sie in einem ordnungsgemäßen Verfahren nachgewiesen ist, als eine über das Strafverfahren hinausreichende Außenwirkung der Unschuldsvermutung betrachtet.1133
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Etwa durch „guilty plea“ im englischen und amerikanischen Strafverfahren, vgl. Stuckenberg 287, 321, 419. Etwa OLG Köln NJW 1991 505; Trechsel SJZ 1981 336. Vgl. Stuckenberg 112 m.w.N. zur strittigen
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Frage, ob im freiwilligen vorzeitigen Strafantritt ein Verzicht auf die Unschuldsvermutung oder nur auf Teile von deren Schutzwirkung liegt. Vgl. Frowein/Peukert 169; Meyer-Ladewig 86.
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b) Die Tragweite der Konventionsgarantien ist – abgesehen vom Kernbereich ihrer 465 Anwendung in der Strafrechtspflege selbst – in der Rechtsprechung des EGMR nicht letztlich geklärt.1134 Die EMRK und der IPBPR gehen ersichtlich davon aus, dass die Unschuldsvermutung im Rahmen des jeweiligen Systems des nationalen Rechts unter Berücksichtigung von dessen Struktur und Eigenart anzuwenden ist und dass sie – ein ordnungsgemäßes Verfahren vorausgesetzt – in verschiedenen Verfahrensformen ihren Schutzzweck sinnvoll entfalten kann. Die von ihr geforderte Unvoreingenommenheit des Gerichts gegenüber dem Beschuldigten und seine daraus folgende Offenheit für den vom Nachweis einer Schuld durch den Staat abhängigen Verfahrensausgang1135 erfordern weder den Ersatz des Amts- durch den Parteiprozess1136 oder die Einführung des Schuldinterlokuts noch die Abschaffung des Strafbefehlsverfahrens oder des englischen pleaguilty-Verfahrens.1137 Die Konventionsgarantien sind nach Wortlaut („everyone charged with a criminal 466 offence“ / „toute personne accusée d’une infraction pénale“) und Systemzusammenhang1138 der Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR als Recht des Beschuldigten im Strafverfahren ausgestaltet. Der Gerichtshof betrachtet auch das Recht nach Art. 6 Abs. 2 EMRK – wie die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK – nur als einen Teilaspekt des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.1139 Sie sollen verhindern, dass der Beschuldigte in diesem Verfahren von Anfang an als Schuldiger behandelt wird, und sie sollen ihn vor Bestrafung ohne oder vor einem ordnungsgemäßen Nachweis der Schuld schützen. Sie sollen aber auch dazu beitragen, dass das Gericht den Sachhergang unvoreingenommen prüft.1140 Die Unschuldsvermutung ist ein Regulativ für die Ausübung der staatlichen Strafgewalt, die als schärfste Form des staatlichen Eingriffs ein sozial-ethisches Unwerturteil mit Bestrafung verbindet.1141 Sie wird dagegen nicht berührt durch die Auferlegung von Nachteilen, die weder die Ahndung der Straftat bezwecken noch als Ausdruck der staatlichen Missbilligung eines strafbaren Verhaltens angesehen werden, sondern die ein anderes Ziel und einen anderen Rechtsgrund haben. Die vorgängige Durchführung eines gesetzlichen Verfahrens ist Teil dieses Schutzes. 467 Erst wenn der grundsätzlich dem Staat obliegende Schuldnachweis in einem ordnungsgemäßen Verfahren entsprechend dem nationalen Recht und in Übereinstimmung mit
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So etwa Frister Jura 1988 357; Kühl Unschuldsvermutung 9; Laubenthal GA 1989 20; Meyer FS Tröndle 61; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 470; vgl. SK/Paeffgen 179 (keine durchgängig klaren Konturen); SK/Rogall Vor § 133, 74 StPO; Rüping ZStW 91 (1979) 358. Vgl. Stuckenberg ZStW 111 (1999) 422, 454 ff. (Sicherung der Offenheit des Verfahrens durch Verbot der Desavouierung). IK-EMRK/Kühne 435. IK-EMRK/Kühne 480; Vogler ZStW 89 (1977) 786; im Einzelnen strittig, vgl. Kühl Unschuldsvermutung 117; Schubarth 20 (Tatinterlokut); Trechsel JR 1981 136. Art. 6 Abs. 3 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBPR, die die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren regeln, beginnen mit den gleichen Worten.
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EGMR Vaquero Hernandez u.a./E, 2.11.2010, § 123 („la présomption d’innocence que consacre le paragraphe 2 constitue un élément, parmi d’autres, de la notion de procès équitable en matière pénale“). Vgl. EGMR Kyprianou/ZYP (Fn. 197); das nachfolgende Urteil der (GK) Kyprianou/ ZYP (Fn. 423), verneint allerdings die Notwendigkeit einer separaten Prüfung des Art. 6 Abs. 2 EMRK nach Feststellung einer Verletzung des Absatzes 1. Vgl. Kühl FS Hubmann 247; ders. Unschuldsvermutung 14; zur strittigen Rechtfertigung Frister 91 ff. (Eingriffszweck, nicht Art des Eingriffs).
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den Konventionsgarantien erbracht ist („until proved guilty according to law“ / „jusqu’à ce que ca culpabilité ait été légalement établie“), steht die Unschuldsvermutung der Verhängung einer Strafe oder einer ihr gleichkommenden Sanktion nicht mehr entgegen. Das Verfahren, das die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage betrifft, muss den dafür aufgestellten Konventionsgarantien (Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK / Art. 14 Abs. 1 und 3 IPBPR) entsprechen. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, den staatlichen Strafanspruch in einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren mit ausreichenden Verteidigungsrechten abzuwehren.1142 Aus den Konventionsgarantien in erweiternder Auslegung eine Maxime für jedes 468 staatliche Handeln herzuleiten, ist nicht gerechtfertigt. Der eindeutige Wortlaut und die Stellung im Vertrag, nicht zuletzt auch die im jeweiligen Absatz 1 festgelegte sachliche Einschränkung des Geltungsbereichs von Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR sprechen dafür, dass die Konventionen nur einen Grundsatz für die Verfahren aufstellen wollten, in denen über die Stichhaltigkeit einer Anklage entschieden wird (Unschuldsvermutung im engeren Sinn).1143 Der auf dem gleichen Grundgedanken beruhende Persönlichkeitsschutz gegen unbewiesene Anschuldigungen außerhalb des Strafverfahrens folgt aus anderen Konventionsgarantien, wie etwa Art. 8 und Art. 10 EMRK / Art. 17, 19 Abs. 3 IPBPR. Wer allerdings annimmt, dass die Garantien des Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR auch außerhalb des Strafverfahrens gelten (Unschuldsvermutung im weiten Sinn), müsste die in den anderen Konventionsgarantien getroffenen prinzipiellen Abgrenzungen auch bei der Bestimmung des Umfangs der Außenwirkung einer nicht strafverfahrensbezogenen Unschuldsvermutung mit berücksichtigen. Eine weite Auslegung der Konventionsgarantien über den Vertragstext hinaus würde, sieht man von der Sonderfrage der Exklusivität der strafrichterlichen Schuldfeststellung (Rn. 451) ab, allerdings kaum zu wesentlich anderen Ergebnissen führen als die Auffassung, die den Konventionsschutz gegen Schuldzuweisungen außerhalb des Strafverfahrens aus anderen Konventionsverbürgungen ableitet. 3. Verfahren aufgrund einer strafrechtlichen Anklage
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a) In allen Verfahren, in denen über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage im weiten Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR und über die Anordnung von Strafen oder ihnen gleichkommende Sanktionen entschieden wird, ist die Unschuldsvermutung zu beachten. Sie gilt in allen Fällen, in denen gegen eine bestimmte Person wegen des Verdachts eines strafbaren Verhaltens im weiten Sinn der Konventionen als Beschuldigter ermittelt wird (vgl. weiter Rn. 68 ff.). Zu den Verfahren über eine strafrechtliche Anklage i.S.d. Art. 6 EMRK rechnet auch 470 das Ordnungswidrigkeitenverfahren (Rn. 74).1144 Bei diesem wird es als mit der Unschuldsvermutung vereinbar angesehen, dass die Ahndung zunächst der Verwaltungsbehörde überlassen ist, sofern nur die Möglichkeit für den Betroffenen besteht, ein
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EGMR Minelli/CH (Fn. 40); BGer EuGRZ 1985 620; auch EGMR Salabiaku/F, 7.10.1988, A 141-A = ÖJZ 1989 347; Kyprianou/ZYP (Fn. 197). So HRC bei Nowak EuGRZ 1989 437; vgl. Meyer FS Tröndle 61, 62; Paulus NStZ 1990 600. EGMR Lutz/D, 25.8.1987, A 123 = EuGRZ
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1987 399; EKMR EuGRZ 1985 556; Westerdiek EuGRZ 1987 393; vgl. auch § 46 OWiG. Nach Ansicht von Göhler § 46, 10b, § 47, 45 OWiG, der die Anwendung der EMRK insoweit ablehnt, gilt die Unschuldsvermutung hier aufgrund des Rechtsstaatsprinzips.
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gerichtliches Verfahren zur Entscheidung über seine Schuld herbeizuführen.1145 Strittig ist, ob die Unschuldsvermutung bereits für das Ermittlungsverfahren der Verwaltungsbehörden gilt.1146 Da im eigentlichen Strafverfahren die Unschuldsvermutung vom Beginn der gegen den Beschuldigten gerichteten Ermittlungen an zu beachten ist, kann es nicht darauf ankommen, ob der Beschuldigte „spätestens mit dem Bußgeldbescheid“ als „angeklagt“ gilt.1147 Die Verwaltungsbehörde hat bereits bei den Ermittlungen wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit1148 die Unschuldsvermutung zu beachten, wie dies ohnehin aufgrund des Rechtsstaatsprinzips1149 für das Verhältnis zwischen Bürger und Behörde selbstverständlich sein sollte. Dies ist auch vom Ergebnis her unproblematisch, wenn man die Unschuldsvermutung nicht mit übertriebenen Folgerungen, wie dem Widerlegungsmonopol, überfrachtet. Im berufs-/anwaltsgerichtlichen Verfahren1150 und im Disziplinarverfahren1151 gilt sie 471 nur, soweit dort Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR anwendbar sind (vgl. Rn. 81), weil die Schuldfeststellung als Grundlage einer der Strafe gleichzuachtenden, auf Ahndung und Prävention abzielenden Sanktion in Frage kommen kann. Die Unschuldsvermutung gilt an sich nicht bei der Entscheidung über die Ausliefe- 472 rung, die der Rechtshilfe zuzuordnen ist und in der die über die Auslieferung entscheidenden Gerichte nicht darüber zu befinden haben, ob der Auszuliefernde schuldig ist.1152 Soweit kein Strafverfahren im ausliefernden Land anhängig ist, betrifft das Auslieferungsverfahren an sich (noch) keine strafrechtliche Anklage im weiten Sinne des Art. 6 EMRK (vgl. Rn. 87).1153 Nach Ansicht des EGMR ist die Unschuldsvermutung aber auf das Auslieferungsverfahren anwendbar, wenn eine enge Verknüpfung („close link“), sei sie rechtlich, praktiziert oder faktisch, zwischen dem Auslieferungsverfahren und dem im ersuchenden Staat anhängigen Strafverfahren besteht. Der EGMR hat dies in einem Fall bejaht, in dem die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung im ersuchenden Land angeordnet wurde; insofern sei das Auslieferungsverfahren eine unmittelbare Folge („direct consequence“) und Begleiterscheinung („concomitant“) des ausländischen Ermittlungsverfahrens.1154 b) Bei Bemessung der Rechtsfolgen erstreckt sich die Unschuldsvermutung grund- 473 sätzlich nicht auf die allein für die Bemessung maßgebenden Gesichtspunkte.1155 Sie ist durch die rechtsverbindliche Feststellung der strafrechtlich relevanten Schuld im Schuldspruch widerlegt. Vor allem bei den erforderlichen Prognoseentscheidungen (z.B. Strafaussetzung zur Bewährung) dürfen auch das aufgrund festgestellter Tatsachen voraus-
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EGMR Lutz/D (Fn. 1144), § 34. Zum Streitstand etwa SK/Paeffgen 194 m.w.N. So EGMR Öztürk/D (Fn. 171). Esser 64 (mit Hinweis, dass offen ist, ob der EGMR immanente Einschränkungen zulässt); Weiß JZ 1998 289, 291; SK/Paeffgen 184. Vgl. Göhler § 47, 45 OWiG. A.A. Guradze 22; BGHSt 20 70. IK-EMRK/Kühne 419; vgl. auch EGMR Moullet/F (E) (Fn. 181): die Tatsache, dass eine Handlung, die zu einer disziplinarrechtlichen Sanktion führen kann, gleichzeitig eine Straftat darstellt, genügt nicht,
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um das Disziplinarverfahren als strafrechtliche Anklage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen. IK-EMRK/Kühne 419; vgl. OVG Münster NJW 1989 2209 (Einlieferungsersuchen); ferner BGHSt 34 352 (Indizielle Feststellung einer Straftat, auf die sich die Auslieferung nicht erstreckt); vgl. auch SK/Paeffgen 180. Vgl. EGMR Ismoilov u.a./R (Fn. 228). EGMR Ismoilov u.a./R (Fn. 228); Gaforov/R, 21.10.2010. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422; IK-EMRK/Kühne 426.
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sichtlich zu erwartende Verhalten des Täters und die Wahrscheinlichkeit, dass er erneut straffällig wird, mit in Betracht gezogen werden.1156 Die Heranziehung rechtskräftiger Vorstrafen bei der Bestimmung der Rechtsfolgen ist 474 unter dem Blickwinkel der Unschuldsvermutung unproblematisch.1157 Lediglich bei einem rechtskräftig gewordenen Strafbefehl kann sich die beim Widerruf der Strafaussetzung strittig gewordene Frage (vgl. Rn. 518) stellen, ob dieser allein als Grundlage für die zu treffende Entscheidung ausreicht oder ob das Gericht dessen sachliche Richtigkeit nachprüfen muss; meist wird sich diese Frage dadurch lösen, dass der Beschuldigte die frühere Tat einräumt, wenn ihn das Gericht in der Hauptverhandlung dazu hört. Strittig ist, ob es mit der Unschuldsvermutung vereinbar ist, wenn das Gericht bei der Bestimmung der Rechtsfolgen andere, nicht oder noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten mit heranzieht (vgl. Rn. 517).
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c) An den Tatverdacht anknüpfende Strafverfolgungsmaßnahmen werden durch die Unschuldsvermutung nicht ausgeschlossen. Da zu ihrer Widerlegung ein gesetzlich geregeltes Verfahren erforderlich ist, setzt dies zwingend voraus, dass dieses bei Verdacht einer Straftat eingeleitet wird, um Schuld oder Unschuld zu klären. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c, Abs. 3 EMRK / Art. 9 Abs. 3 IPBPR bestätigen dies ausdrücklich durch die Zulassung der Untersuchungshaft bei Tatverdacht,1158 des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr1159 und der Forderung nach Haftentlassung gegen Sicherheitsleistung.1160 Auch der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO ist in der Auslegung des BVerfG1161 mit der Unschuldsvermutung vereinbar. Sie steht allgemein auf Verdacht gegründeten Maßnahmen nicht entgegen, mit denen der Sachverhalt aufgeklärt oder die Durchführung des Strafverfahrens gesichert werden soll. Der Beschuldigte hat die damit verbundenen Eingriffe in seine Rechte zu dulden, wenn der Grad des Tatverdachts gegen ihn die dafür gesetzlich vorausgesetzte Schwelle überschreitet.1162 Es ist zulässig, wenn bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit ihrer Anordnung oder Dauer eine Relation zu der voraussichtlich im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe hergestellt1163 oder geprüft wird, ob ihre Anordnung auch dann noch vertretbar ist, wenn sich nachträglich ergibt, dass sie einen Unschuldigen getroffen hat.1164 Zu beachten ist die Unschuldsvermutung stets bei der Formulierung von Haftent476 scheidungen; insbesondere dürfen dort strafrechtlich relevante Tatsachen nicht als feststehend beschrieben werden.1165 Ein allgemeines Maßprinzip, das bei zulässigen Strafverfolgungsmaßnahmen zusätz477 lich zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinzutritt, ist die Unschuldsvermutung auch
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IK-EMRK/Kühne 457; vgl. BVerfG (Kammer) NJW 1988 1715. IK-EMRK/Kühne 465. Meyer-Goßner 14; Jebens Liber Amicorum Wildhaber 215. Baumann JZ 1969 134. Vgl. Art. 5 EMRK Rn. 306 ff.; LR/Hilger § 116a, 3 StPO; Meyer FS Tröndle 61, 65; vgl. auch HRC Casanovas/Frankreich, 28.2.2008, 1514/2006, § 11.4. BVerfGE 19 350; vgl. LR/Hilger § 112, 53 StPO; Meyer FS Tröndle 61, 65.
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Guradze 26; Frowein/Peukert 275; IK-EMRK/Kühne 471, 473. Frowein/Peukert 275; IK-EMRK/Kühne 473. Hierauf stellen ab u.a. Frister Jura 1988 360; Haberstroh NStZ 1984 290; Krey JA 1983 237; dazu auch IK-EMRK/Kühne 473 ff. m.w.N. Vgl. OLG Stuttgart StraFo 2009 104 (Beschwerde gegen Aufhebung einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls, § 116 Abs. 4 StPO) mit krit. Anm. Schlothauer.
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sonst nicht.1166 Sie setzt nicht voraus, dass zwischen ihr und dem Grad des jeweiligen Tatverdachtes ein reziprokes Verhältnis besteht; sie wirkt zugunsten jedes Beschuldigten uneingeschränkt und unabhängig von der Stärke des Verdachts.1167 4. Zeitlicher Anwendungsbereich im Strafverfahren a) Als Grundregel für das Verhalten der Staatsorgane im Strafverfahren ist die Un- 478 schuldsvermutung während dessen ganzer Dauer zu beachten, ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Strafverfolgung.1168 Insofern kann eine spätere Verurteilung des Beschuldigten einen vorhergehenden Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nicht ungeschehen machen.1169 Die Unschuldsvermutung gilt auch schon im Ermittlungsverfahren vor der förmlichen 479 Anklageerhebung.1170 Angeklagter ist auch hier (vgl. Rn. 92) nicht im rechtstechnischen Sinn des jeweiligen nationalen Rechts (vgl. § 157 StPO), sondern als Beschuldigter zu verstehen. Die Unschuldsvermutung erlangt bereits von dem Zeitpunkt an verfahrensrechtliche Bedeutung, an dem sich die Ermittlungen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung auf eine bestimmte Person als Beschuldigter konzentriert haben. Hinsichtlich ihrer Schutzwirkung ist zu differenzieren: Sie steht selbstverständlich den Ermittlungen zur Klärung des Verdachtes einer Straftat nicht entgegen und schließt nicht aus, dass die Strafverfolgungsorgane den Beschuldigten als Verdächtigen, wohl aber, dass sie ihn bereits vor der rechtskräftig seine Schuld feststellenden Entscheidung als Schuldigen behandeln.1171 Nur Eingriffe, deren Zweck nicht die Klärung des bestehenden Verdachts, sondern die vorgezogene Ahndung einer vermuteten, aber noch nicht erwiesenen Schuld ist, würden gegen sie verstoßen.1172 Die Strafverfolgungsorgane sind durch die Unschuldsvermutung nicht gehindert, ihre Maßnahmen auf der Grundlage des jeweils vom Gesetz geforderten Verdachtsgrades zu treffen, die auch den Beschuldigten persönlich zur Duldung bestimmter Maßnahmen verpflichten können, wie etwa zur Teilnahme an einer Gegenüberstellung oder sich untersuchen zu lassen oder Blutentnahmen und ähnliche Eingriffe zu dulden.1173 Die strafbewehrte Verpflichtung, einer Behörde Unterlagen vorzulegen, kann die Unschuldsvermutung dann verletzen, wenn damit nicht ein legitimer Verwaltungszweck verfolgt wird, sondern die Behörde damit nur erzwingen will, dass ihr der Betroffene dadurch das ihr fehlende Beweismaterial für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn verschafft.1174 Die EKMR hatte zunächst Art. 6 Abs. 2 EMRK nur als Verhaltensregel für das Ver- 480 fahren vor dem erkennenden Gericht angewandt, denn erst nach Eröffnung des gerichtlichen Hauptverfahrens könne beurteilt werden, ob der Beschuldigte ein faires Verfahren 1166 1167 1168
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Meyer FS Tröndle 61, 67. IK-EMRK/Kühne 470 ff. EGMR Minelli/CH (Fn. 40); Phillips/UK, 5.7.2001, ECHR 2001-VII; Matijasevic/ SRB, 19.9.2006, ECHR 2006-X. EGMR Matijasevic/SRB (Fn. 1168); Mokhov/R, 4.3.2010. EGMR Fatullayev/ASE (Fn. 380); IK-EMRK/Kühne 421; Jebens Liber Amicorum Wildhaber 214; Nowak 34; Reiß GS Trzaskalik 495; Ulsamer FS Zeidler 1806. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422;
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vgl. Frowein/Peukert 267 (Bindung aller Staatsorgane). BVerfGE 35 320; IK-EMRK/Kühne 469; Ulsamer FS Zeidler 1806; vgl. Meyer FS Tröndle 61, 68 (gegen Umdeutung eines strafprozessualen Eingriffs in eine Strafe). Villiger 499. Vgl. EGMR Funke/F (Fn. 199), wo dies aber offen gelassen wurde, da der EGMR in der Bestrafung der Nichtvorlage der von der Zollbehörde angeforderten Bankunterlagen bereits einen Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens sah.
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hatte.1175 Der Beschränkung auf diesen Hauptanwendungsfall ist aber nur insoweit zuzustimmen, als sich Verhaltenspflichten für ein Staatsorgan immer nur für die Dauer seiner Befasstheit ergeben können und die besonderen gerichtsspezifischen Inhalte der Unschuldsvermutung, vor allem die daraus abzuleitenden Regeln für Verfahrensgestaltung, Beweislast und Entscheidungsfindung nur für das gerichtliche Erkenntnisverfahren gelten. Soweit aber der Unschuldsvermutung darüber hinaus Regeln für die Grundeinstellung der Staatsorgane gegenüber einer in ein Strafverfahren verstrickten Person entnommen werden, fehlt für die Beschränkung auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren jeder innere Grund.
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b) Bis zur abschließenden Entscheidung der Schuldfrage gilt die Unschuldsvermutung. Gerichtsintern hindert sie die Verurteilung zu Strafen nicht, wenn das erkennende Gericht das Erkenntnisverfahren soweit durchgeführt hat, dass ihm ein von seiner vollen Überzeugung getragener Schuldspruch möglich ist.1176 Gleiches gilt für die bloße Feststellung der Schuld in den Gründen einer abschließenden Entscheidung, sofern dieser Feststellung ebenfalls ein Verfahren vorausgegangen ist, in dem der Beschuldigte ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten hatte und in dem das Gericht die Schuld des Beschuldigten für voll erwiesen hielt. Das Gericht muss also bis zur „Schuldspruchreife“ verhandelt haben.1177 Welche Verfahrensvorgänge dafür nötig sind, hängt vom anzuwendenden Verfahrensrecht und von den Umständen des Einzelfalles ab. Hierauf abzustellen ist schon deshalb notwendig, weil ein förmlicher Schuldspruch im Tenor der Entscheidung gar nicht ergehen kann, wenn diese nicht mit einer Verurteilung wegen der festgestellten Straftat endet, so wenn eine anderweitige Entscheidung ergeht oder wenn die zur Überzeugung des Gerichts feststehende Straftat nur ein Element einer anderen Entscheidung ist, wie etwa beim Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung oder bei der Ablehnung einer bedingten Haftentlassung wegen einer anderen Straftat.1178 Bei Anfechtung der instanzabschließenden Entscheidung gilt die Unschuldsvermutung auch für die nächste Instanz. Die von ihr aufgestellte Fiktion dauert verfahrensextern bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Verurteilung,1179 wobei die Unanfechtbarkeit des Schuldspruchs maßgebend ist.1180 Ob sie die Vollstreckung vor Eintritt der Rechtskraft zulässt, erscheint fraglich.1181 Die in einigen Staaten übliche Überführung des Verurteilten in den
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Vgl. IK-EMRK/Kühne 443 m.w.N. EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 381; Meyer-Goßner 12; ferner BVerfG NStZ 1988 21. Das BVerfG fordert mit dieser Formel, dass das Gericht aufgrund des Verfahrens die volle Überzeugung von der Schuld des Angeklagten erlangt haben muss, bevor es eine Schuldfeststellung treffen darf (vgl. etwa BVerfGE 74 358, 372 ff.; 82 106, 117; NStZ 1991 93; 1992 290; 1993 238; BVerfG [Kammer] Beschl. v. 17.11.2005, 2 BvR 878/05 [n.v.]); Meyer FS Tröndle 61, 69; Kühl NJW 1984 1264; SK/Rogall Vor § 133, 76 StPO m.w.N.; a.A. Paulus NStZ 1990 600; Stuckenberg 559. Nur für diejenigen, die die hier abgelehnte Ansicht vertreten, dass wegen der Exklu-
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sivität der Schuldfeststellung (Rn. 451) die Unschuldsvermutung nur in dem Verfahren widerlegt werden kann, das die Ahndung dieser Tat selbst zum Gegenstand hat, macht das Erfordernis einer rechtsförmlichen Schuldfeststellung Sinn. EGMR Minelli/CH (Fn. 40); EKMR StV 1986 281; Meyer-Goßner 15; Laubenthal GA 1989 20; Partsch 161; Nowak 34; vgl. auch BVerfGE 22 265; 35 232; 74 371; nach Guradze 25 verlangt dies der Text nicht zwingend; ähnlich Stuckenberg 558; vgl. auch IK-EMRK/Kühne 430 („äußerster Zeitpunkt, bis zu dem Unschuldsvermutung noch gelten kann“). Stuckenberg 418. Vgl. die Bedenken bei IK-EMRK/Kühne 475.
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Strafvollzug trotz Anfechtung des verurteilenden Erkenntnisses wird aber vom EGMR für zulässig gehalten.1182 Kommt es zu keiner Verurteilung, weil das Verfahren durch Freispruch oder Einstel- 482 lung endet, wirkt die Unschuldsvermutung in die Nebenentscheidungen hinein.1183 Sie schließt es aus, dem Beschuldigten, dessen Schuld nicht erwiesen ist, wegen der weiterbestehenden Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung oder eines fortbestehenden Verdachts nachteilige Rechtsfolgen aufzuerlegen, sofern diese wegen ihres Zusammenhangs mit dem Strafverfahren sozial ähnlich stigmatisierend wirken wie das sozialethische Unwerturteil der eigentlichen Strafsanktion. Wo die Grenzen zu ziehen und welche Nebenentscheidungen als strafähnliche Sanktionen anzusehen sind, ist strittig.1184 Ein Recht, nach eingestellten Ermittlungen oder Freispruch für eine rechtmäßige 483 Untersuchungshaft entschädigt zu werden, kann aus der Unschuldsvermutung nicht hergeleitet werden.1185 c) Mit Abschluss des Erkenntnisverfahrens über die angeklagte Tat endet die verfah- 484 rensbezogene Schutzfunktion.1186 Da sie mit Unanfechtbarkeit des Schuldspruchs endgültig widerlegt ist, hat sie in Bezug auf die dort rechtsverbindlich festgestellte Tat im daran sich anschließenden Verfahren keine Bedeutung mehr. Sie gilt deshalb nicht mehr bei der Vollstreckung des verurteilenden Erkenntnisses und auch nicht, soweit auf dessen Grundlage spätere Entscheidungen ergehen, wie etwa die Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung oder über die Aussetzung eines Strafrestes oder die Entscheidung über eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 275a StPO. Im Wiederaufnahmeverfahren bleibt der Antragsteller zunächst bis zur Zulassung der Wiederaufnahme Verurteilter.1187 Erst danach gilt die Unschuldsvermutung auch wieder für ihn. 5. Amtliche Verlautbarungen über das Strafverfahren. Alle Äußerungen, die Behör- 485 den oder andere öffentliche Stellen über ein anhängiges oder noch einzuleitendes Strafverfahren1188 abgeben, z.B. im Rahmen einer polizeilichen oder staatsanwaltlichen Pressekonferenz, müssen als Außenwirkungen dieses Verfahrens der Unschuldsvermutung Rechnung tragen.1189 Dies gilt insbesondere für die Staatsanwaltschaft, die nach Ansicht
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Zu der bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK vom EGMR gebilligten Praxis der Überführung in den Strafvollzug nach der ersten Verurteilung vgl. Art. 5 EMRK Rn. 64; Esser 287. Vgl. etwa EGMR Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Sekanina/A, 25.8.1993, A 266-A = ÖJZ 1993 816; Zollmann/UK (E), 27.11.2003, ECHR 2003-XII; Taliadorou u. Stylianou/ZYP, 16.10.2008. Vgl. etwa BVerfGE 19 347 (gleiche Wirkung wie Strafe); K. Meyer FS Tröndle 61, 69; Frister (Eingriff, der nur bei erwiesener Schuld mit Gefahr für Normakzeptanz gerechtfertigt werden kann); Kühl Unschuldsvermutung 79 (gleichwertige sozialethische Missbilligung). EGMR Nölkenbockhoff/D, 25.8.1987, A 123 = EuGRZ 1987 410; Englert/D,
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25.8.1987, A 123 = NJW 1988 3257 = EuGRZ 1987 405; Sekanina/A (Fn. 1183); Dinares Peñalver/E (E), 23.3.2000; Del Latte/NL, 9.11.2004; Capeau/B, 13.1. 2005, ECHR 2005-I; A.L./D, 28.4.2005, NJW 2006 1113; Tendam/E, 13.7.2010; Meyer-Ladewig 86a; Merten/Papier/Gundel § 146, 136; vgl. Rn. 511. IK-EMRK/Kühne 430. IK-EMRK/Kühne 432; vgl. Laubenthal GA 1989 20. Fehlt es an einem solchen anhängigen oder beabsichtigten Strafverfahren, ist die Unschuldsvermutung nicht anwendbar: EGMR Zollmann/UK (E) (Fn. 1183; Äußerungen im Parlament). Aus der Rechtsprechung des EGMR vgl. etwa Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Daktaras/LIT, 10.10.2000, ECHR 2000-X;
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des EGMR quasi-richterliche Funktionen („fonctions quasi-judiciaires“ / „quasi-judicial function“) ausübt und den Ablauf der Untersuchung bestimmt.1190 Die Unschuldsvermutung erfordert Zurückhaltung bei der Wortwahl1191 und Vermeidung jeder vorzeitigen Schuldzuweisung und Verzicht auf jede sachlich nicht gebotene Bloßstellung des Beschuldigten.1192 Unzulässig ist es etwa, einen Untersuchungshäftling bei einer Anhörung vor Gericht zu zwingen, die ansonsten nur für Strafgefangene vorgesehene Uniform zu tragen.1193 Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt jedenfalls vor, wenn die amtliche 486 Äußerung eine Schuldfeststellung enthält („declaration of guilt“), die die Öffentlichkeit ermuntert, an die Schuld des Betroffenen zu glauben, und/oder die Bewertung der Tatsachen durch die zuständige gerichtliche Instanz präjudiziert.1194 Eine solche unzulässige Schuldfeststellung ist zu bejahen, wenn eine Person ohne jede Einschränkung und Zurückhaltung als Urheber oder Mittäter einer Straftat bezeichnet wird.1195 Eine vom Äußerungszweck her nicht gebotene Identifizierung des Beschuldigten hat zu unterbleiben, sofern dieser im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf nicht ohnehin in der Öffentlichkeit bereits bekannt ist. Keine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt dagegen vor, wenn die Entscheidung, einem Beschuldigten die Staatsbürgerschaft zu entziehen, allgemein mit seinen Äußerungen begründet wird, ohne sich konkret auf diejenigen zu beziehen, deretwegen er später verurteilt werden wird, bzw. ohne zugleich zu behaupten, er habe sich durch sie strafbar gemacht.1196 Eine Verantwortlichkeit für ein Handeln der Medien trifft die staatlichen Stellen zwar 487 an sich nicht.1197 Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMRK liegt aber dann vor, wenn zwar nicht die Namen der Betroffenen genannt werden, diese aber der Presse so präsentiert werden, dass sie leicht identifiziert werden können.1198 Anders kann die Sache lie-
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Butkevicius/LIT, 26.3.2002, ECHR 2002-II; Y.B. u.a./TRK, 28.10.2004; Arrigo u. Vella/MLT (E), 10.5.2005; Samoila u. Cionca/RUM, 4.3.2008; Khuzhin u.a./R, 23.10.2008; Viorel Burzo/RUM, 30.6. 2009; Petyo Petkov/BUL, 7.1.2010; Mokhov/R (Fn. 1169); Fatullayev/ASE (Fn. 380). EGMR Daktaras/LIT (Fn. 1189); Grabchuk/UKR, 21.9.2006; Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 1189). Vgl. etwa EGMR Daktaras/LIT (Fn. 1189); Butkevicius/LIT (Fn. 1189); Arrigo u. Vella/MLT (E) (Fn. 1189); Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 1189); Viorel Burzo/ RUM (Fn. 1189); Petyo Petkov/BUL (Fn. 1189); Mokhov/R (Fn. 1169); Fatullayev/ASE (Fn. 380); Gaforov/R (Fn. 1154). Zur Abwägungspflicht etwa Esser 101; dazu Grabenwarter § 24, 125 (schwierige Gratwanderung); als Beispiel zur Umsetzung vgl. etwa die Richtlinien für die Zusammenarbeit mit den Medien, Allgemeine Verfügung des Justizministers vom 12.11.2007, JMBlNRW 2008 2, insbes. §§ 6 III, 7 VI, 8, 9, 10 I, 20.
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EGMR Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 1189); Jiga/RUM, 16.3.2010 in Bezug auf den Angeklagten, der in Häftlingskleidung vor dem Gericht erscheinen musste, während der Mitbeschuldigte in normaler Kleidung auftreten durfte. EGMR Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Butkevicius/LIT (Fn. 1189); Y.B. u.a./TRK (Fn. 1189); Pandy/B, 21.9.2006; Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 1189); Khuzhin u.a./R (Fn. 1189); Mokhov/R (Fn. 1169); Fatullayev/ASE (Fn. 380). EGMR Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Y.B. u.a./TRK (Fn. 1189); Samoila u. Cionca/RUM (Fn. 1189); Khuzhin u.a./R (Fn. 1189); Mokhov/R (Fn. 1169); Fatullayev/ASE (Fn. 380). EGMR Mustafa (Abu Hamza)/UK (E), 18.1.2011, § 41. EGMR Y.B. u.a./TRK (Fn. 1189) in Bezug auf EGMR Papon/F (E) (Fn. 615); Viorel Burzo/RUM (Fn. 1189). Zur Einschränkung der Pressefreiheit durch die Unschuldsvermutung vgl. die Kommentierung zu Art. 10 EMRK Rn. 89 ff. EGMR Y.B. u.a./TRK (Fn. 1189).
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gen, wenn es sich um ein Ereignis oder um eine Person der Zeitgeschichte handelt; in einem solchen Fall ist es dann aber erforderlich, besonders hervorzuheben, dass nur ein Verdacht vorliegt.1199 Die Pflicht zur Beachtung jeder nach den Umständen möglichen Rücksichtnahme auf den Betroffenen besteht bei allen von einer staatlichen Stelle ausgehenden Erklärungen über ein anhängiges Strafverfahren, ganz gleich, ob mit einer solchen Verlautbarung die Strafverfolgung gefördert oder einzelne Personen oder die Öffentlichkeit über das Verfahren unterrichtet werden sollen oder ob aus einem anderen Anlass dazu Stellung genommen wird.1200 Bei Fahndungsmaßnahmen schließt die Unschuldsvermutung bei Beachtung des Grund- 488 satzes der Verhältnismäßigkeit die Einschaltung der Öffentlichkeit unter Benennung des Täters nicht aus; es muss aber deutlich gemacht werden, dass die Maßnahme aufgrund eines noch nicht erhärteten Verdachtes getroffen wird. Es ist jede Äußerung zu vermeiden, die den Eindruck erwecken könnte, dass die Schuld bereits feststeht.1201 6. Einzelfragen des Strafverfahrens a) Als Verhaltensregel für das Gericht soll die Unschuldsvermutung den von einem 489 Strafverfahren Betroffenen vor Voreingenommenheit der staatlichen Organe schützen. Insofern ist die Unschuldsvermutung eng mit dem Erfordernis der Unparteilichkeit des Gerichts verknüpft (dazu Rn. 156 ff.). Aus diesem Grund verneint die Große Kammer des EGMR im Fall Kyprianou – anders als noch das Kammer-Urteil1202 – die Notwendigkeit einer separaten Prüfung des Art. 6 Abs. 2 EMRK, nachdem sie bereits eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK mangels Unparteilichkeit des Gerichts bejaht hat.1203 Grundsätzlich müssen alle beteiligten staatlichen Stellen1204 während des ganzen Strafverfahrens davon ausgehen, dass unbeschadet eines bestehenden Verdachts eine Schuld des Betroffenen noch nicht erwiesen ist und ihm erst in einem fairen gerichtlichen Verfahren nachgewiesen werden muss. Ein Richter muss für jedes Verfahrensergebnis offen bleiben; er darf sich bei der Führung der Verhandlung nicht bereits von der festen Überzeugung der Schuld des Beschuldigten leiten lassen.1205 Insbesondere dürfen seine Äuße-
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Vgl. Esser 101; Marxen GA 1980 365; SK/Paeffgen 201. Vgl. EGMR Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Y.B. u.a./TRK (Fn. 1189); Khuzhin u.a./R (Fn. 1189); ferner zur Frage der Persönlichkeitsverletzung etwa BGH NJW 1994 1950; OLG Frankfurt NJW 1980 597; OLG Hamburg NJW-RR 1994 1176; OLG Hamm NJW 2000 1279; OLG München NJW-RR 1996 1493; OVG Koblenz NJW 1991 2659; OLG Celle NJW-RR 2008 1262 (Diskussionsforum der Strafverfolgungsbehörden im Internet); Roxin NStZ 1991 153. IK-EMRK/Kühne 425; Ulsamer FS Zeidler 1807; Schubarth 11 ff. Zur grundsätzlichen Vereinbarkeit auf Verdacht gestützter Maßnahmen der Strafverfolgung vgl. Rn. 124. EGMR Kyprianou/ZYP (Fn. 197) kritisiert die Voreingenommenheit der Richter aus-
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drücklich auch im Hinblick auf die Unschuldsvermutung. EGMR (GK) Kyprianou/ZYP (Fn. 423); auch EGMR Salov/UKR (Fn. 171) erwähnt die Unschuldsvermutung im Rahmen der Prüfung der Unparteilichkeit des Richters (§ 85), ohne näher auf sie einzugehen. Im Fall EGMR Vera Fernandez-Huidobro/E (Fn. 243), wird dagegen nach Verneinung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK noch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMRK geprüft (und verneint). Vgl. IK-EMRK/Kühne 422 (Pflicht zur Objektivität als Reflexwirkung der Unschuldsvermutung). EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); Telfner/A (Fn. 742); Pandy/B (Fn. 1194); Poncelet/B, 30.3.2010, NJW 2011 1789; vgl. auch BVerfG (Kammer) NJW 2008 3346.
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rungen nicht die Meinung widerspiegeln, dass der Beschuldigte tatsächlich schuldig ist.1206 Ein Richter darf das Prozessverhalten des Beschuldigten, wie etwa seine Befugnis zu schweigen (Rn. 912 ff.), nicht unter dem Blickwinkel präsumptiver oder bereits erwiesener Schuld bewerten. Sein Verhalten gegenüber dem Beschuldigten, aber auch bei Befragung der Beweispersonen und bei den zu treffenden Verfahrensentscheidungen,1207 muss während des ganzen Verfahrens davon bestimmt sein, dass die Unschuldsvermutung noch als unwiderlegt fortbesteht. Auch ein Ermittlungs- oder Untersuchungsrichter und vor allem die Staatsanwalt490 schaft, wenn sie quasi-richterliche Funktionen ausübt,1208 müssen bei ihren Entscheidungen und Äußerungen die Unschuldsvermutung beachten. Gleiches gilt auch für die Polizei.1209 Im Hinblick auf die Aufgabe eines Untersuchungsrichters, sowohl belastendes als auch entlastendes Beweismaterial zu sammeln, hielt der EGMR eine Bemerkung in einer öffentlichen Anhörung vor Gericht, in der der Beschuldigte mit zwei notorischen Serienmördern verglichen wurde, für nicht hinnehmbar („unacceptable“).1210 Diese Bemerkung komme einer unzulässigen Schuldfeststellung gleich, die sowohl die Öffentlichkeit ermuntern kann, an die Schuld des Betroffenen zu glauben, als auch die Bewertung der Tatsachen durch die zuständige gerichtliche Instanz präjudiziert.1211 Verlautbarungen oder sonstige der Öffentlichkeit zugängliche Informationen der 491 Strafverfolgungsbehörden über ein abgeschlossenes Strafverfahren (wie etwa Datenbanken über Sexualstraftäter) berühren nicht mehr die Unschuldsvermutung, weil insoweit der sachlich-zeitliche Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht mehr eröffnet ist. Die ursprüngliche Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist mit einer rechtskräftigen Verurteilung erledigt, eine neue Anklage noch nicht erhoben. Dennoch ist der Betroffene nicht schutzlos gestellt. Solche Hinweise können mit dem durch Art. 8 EMRK geschützten Privatleben der betroffenen Person in Konflikt geraten (vgl. dort Rn. 62).
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b) Vor Schuldzuweisungen durch verfahrensbeteiligte Dritte schützt die Unschuldsvermutung den Beschuldigten nicht. Der Vorsitzende muss gegen schuldpräjudizierende Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter einschreiten, wenn deren Duldung den Eindruck erwecken könnte, das Gericht teile sie und sei gleichfalls schon von der Schuld
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EGMR Minelli/CH (Fn. 40); Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Lavents/LET, 28.11.2002; Diamantides/GR (Nr. 2), 19.5.2005; Karakas u. Yesilirmak/TRK, 28.6.2005; Puig Panella/E, 25.4.2006; Matijasevic/SRB (Fn. 1168); Grabchuk/ UKR (Fn. 1190); Pandy/B (Fn. 1194); Geerings/NL, 1.3.2007, ECHR 2007-III; Vanjak/KRO, 14.1.2010 (Disziplinarverfahren; zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 EMRK siehe Rn. 471); Tendam/E (Fn. 1185). EGMR Matijasevic/SRB (Fn. 1168; Verlängerung der Untersuchungshaft u.a. mit der Begründung, der Beschuldigte habe die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen). Vgl. EGMR Grabchuk/UKR (Fn. 1190),
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in dem ausdrücklich die Wortwahl einer staatsanwaltlichen Entscheidung gerügt wurde. Ebenso EGMR Nerattini/GR, 18.12.2008; Ismoilov u.a./R (Fn. 228; Wortwahl der Begründung einer Auslieferungsentscheidung); e contrario Gaforov/R (Fn. 1154); vorsichtiger insoweit noch EGMR Daktaras/LIT (Fn. 1189). EGMR Poncelet/B (Fn. 1205): Verstoß gegen die Unschuldsvermutung wird nur im Rahmen einer Gesamtschau insbesondere zur Möglichkeit eines effektiven Rechtsmittels vor einem unparteilichen Gericht untersucht. EGMR Pandy/B (Fn. 1194). Vgl. EGMR Ismoilov u.a./R (Fn. 228) bzgl. einer staatsanwaltlichen Entscheidungsbegründung.
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überzeugt. In solchen Fällen kann es zur Wahrung der Unschuldsvermutung genügen, wenn das Gericht bzw. dessen Vorsitzender durch sein Verhalten, gegebenenfalls auch durch eine klarstellende Äußerung, deutlich zu erkennen gibt, dass seine Unvoreingenommenheit dadurch nicht beeinträchtigt wird.1212 c) Als Entscheidungsregel für das Strafverfahren verdeutlicht die Unschuldsvermu- 493 tung lediglich das allgemein geltende rechtsstaatliche Prinzip, dass der in jeder Bestrafung liegende Grundrechtseingriff erst zulässig wird, wenn die Eingriffsvoraussetzungen, nämlich die schuldhafte Begehung einer Straftat, in einem ordnungsgemäßen Verfahren zur Überzeugung des Gerichts voll erwiesen sind.1213 Ein verurteilendes Erkenntnis darf nicht auf einen nur wahrscheinlichen Vorwurf, auf einen nicht zur Überzeugung des Gerichts im Verfahren voll erwiesenen Sachverhalt gestützt werden. Verdachtsstrafen sind unzulässig. Mit dem Schutzzweck der Unschuldsvermutung ist vereinbar, wenn die Richter, wie 494 in § 261 StPO vorgesehen, bei der abschließenden Würdigung der im gesetzlichen Verfahren erhobenen Beweise frei sind, sofern ihr Schuldspruch auf einer subjektiven Überzeugung von der Schuld des Beschuldigten beruht, die von objektiv, rational nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird.1214 Eine Entscheidung, die sich auf eine solche Überzeugung gründet, widerlegt die Unschuldsvermutung auch dann, wenn andere weiterhin zweifeln würden. Nur wenn sich diese Überzeugung willkürlich von jeder sachlichen Würdigung des Beweisergebnisses gelöst hat und von „grob unfairen“ oder sachlich durch nichts zu rechtfertigenden irrationalen Schlussfolgerungen bestimmt wird, wäre sie zur Widerlegung der Unschuldsvermutung ungeeignet, da dies dann nicht mehr als das Ergebnis des vorausgesetzten gesetzlichen Verfahrens angesehen werden könnte.1215 d) Auf welche Weise der Schuldnachweis zu führen ist, überlassen die Konventionen 495 dem nationalen Recht.1216 Aus der Unschuldsvermutung lassen sich keine bestimmten Regeln dafür herleiten, wie die zu ihrer Widerlegung notwendige Überzeugung des Richters von der Schuld des Beschuldigten zu gewinnen ist; sie darf nur nicht in einem Verfahren gewonnen worden sein, das in seiner Gesamtheit nicht mehr als ein gesetzliches Verfahren zur unvoreingenommenen Klärung des Schuldvorwurfes anzusehen ist. Das Gericht darf sein Urteil auf ein glaubhaftes Geständnis des Beschuldigten stützen. Andererseits darf es ein befugtes Verfahrensverhalten, wie etwa sein Schweigen, nicht bereits als Beweis seiner Schuld ansehen;1217 eine nach nationalem Recht mögliche Berücksichtigung des Schweigens bei der Beweiswürdigung hält der EGMR damit aber für vereinbar.1218
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EKMR bei IK-EMRK/Kühne 442. Vgl. Frister 89 ff.; Stuckenberg ZStW 111 (1999) 422, 451, 453 ff. m.w.N. Wegen der Einzelheiten vgl. LR/Gollwitzer 25 § 261, 64 ff. StPO. Ob auch nationale Verfahren mit stärkerer Bindung des Gerichts an Beweisregeln mit der Unschuldsvermutung vereinbar wären, braucht nicht erörtert zu werden. EKMR bei IK-EMRK/Kühne 445. Vgl. Nowak 35, wonach zwar der Zusatz, dass die Schuld „beyond reasonable doubt“ erwiesen sein müsse, nicht in Art. 14 Abs. 2 IPBPR aufgenommen wurde, dass aber
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dieser Gedanke als allgemeiner Rechtsgrundsatz anwendbar bleibt. EGMR Salabiaku/F (Fn. 1142); dazu Frowein/Peukert 158; EKMR ÖJZ 1990 216 (Kfz-Halter); Nowak 44; Peukert EuGRZ 1980 259; auch IK-EMRK/Kühne 422 (sowohl Amtsprozess als auch Parteiprozess mit ihr vereinbar). Vgl. EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740), dazu Esser 524 ff.; EGMR Telfner/A (Fn. 742); vgl. Rn. 912 ff. Vgl. EGMR (GK) Saunders/UK, 17.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 32; Telfner/A (Fn. 742); Kühne EuGRZ 1996 572.
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Dem Beschuldigten darf nicht angesonnen werden, dass er seine Unschuld nachweist. Als Beweislastregel verlangt die Unschuldsvermutung grundsätzlich, dass die staatlichen Organe den vollen Nachweis der die Schuld begründenden Tatsachen entsprechend den Erfordernissen des nationalen Rechts erbringen.1219 Misslingt er ihnen, ist sie nicht widerlegt, die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion sind dann nicht gegeben. Der Unschuldsvermutung entspricht insoweit der Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Beschuldigten zu entscheiden ist.1220 Daraus folgt auch, dass kein qualitativer Unterschied zwischen einem Freispruch aus Mangel an Beweisen und einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld des Beschuldigten bestehen darf.1221
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e) Problematisch ist die Zulässigkeit von Schuldvermutungen („presumptions of fact or of law“), nach denen in Umkehr der Beweislast bei Vorliegen bestimmter rechtlicher oder tatsächlicher Voraussetzungen die Schuld eines Beschuldigten als gegeben anzusehen ist oder dem Beschuldigten die Beweislast für ihre Widerlegung aufgebürdet wird.1222 Auch auf dem Gebiet des Strafrechts sind solche tatsächlichen oder rechtlichen Vermutungsregeln nicht generell konventionswidrig.1223 Der EGMR weist aber darauf hin, dass Vermutungsregeln im Konflikt stehen zu der Befugnis und Pflicht des Strafgerichts zu einer umfassenden Würdigung des Falles. Aufgrunddessen dürfen die Vertragsstaaten von solchen Vermutungsregeln nur in eingeschränktem Umfang Gebrauch machen.1224 Nach Ansicht des Gerichtshofs sind rechtliche oder tatsächliche Vermutungsregeln im Hinblick auf die Unschuldsvermutung zulässig, wenn die ihnen zu Grunde liegende Vermutung nicht unwiderlegbar ist, das Gericht diese nicht automatisch anwendet, bei der Feststellung der Schuld die vorliegenden Beweise abwägt und sorgfältig würdigt sowie dem
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EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); Telfner/A (Fn. 742); vgl. auch HRC Charles Gurmurkh Sobhraj/Nepal, 27.7.2010, 1870/2009, § 7.3. Der Grundsatz in dubio pro reo als Beweislastregel stellt nach Ansicht von EGMR Vassilios Stavropoulos/GR, 27.9.2007, einen besonderen Ausdruck („expression particulière“) der Unschuldsvermutung dar, letztere geht aber darüber hinaus, vgl. IK-EMRK/Kühne 440; Schubarth 3 je m.N.; SK/Paeffgen 183; Esser 524, 624; Walter JZ 2006 340, 345; anders Meyer FS Tröndle 61, 67 (jetzt nur noch Entscheidungsregel des sachlichen Rechts). EGMR Vassilios Stavropoulos/GR (Fn. 1220); Tendam/E (Fn. 1185). Vgl. hierzu Esser 742 ff.; IK-EMRK/Kühne 456; Stuckenberg 552 ff.; Meyer-Ladewig 85a; SK/Paeffgen 181, 183, 190. EGMR Haxhishabani/F, 20.1.2011, § 38 („la Convention ne prohibe pas les présomptions de fait ou de droit en matière pénale. Elle oblige néanmoins les Etats « à ne pas dépasser à cet égard un certain
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seuil » : ils doivent « les enserrer dans des limites raisonnables prenant en compte la gravité de l’enjeu et préservant les droits de la défense.“); Salabiaku/F (Fn. 1142), § 28; Radio France u.a./F, 30.3.2004, ECHR 2004-II, § 24. EGMR Salabiaku/F (Fn. 1142); Pham Hoang/F (Fn. 344); Telfner/A (Fn. 742); Janosevic/S (Fn. 192); Västberga Taxi Aktiebolag u. Vulic/S (Fn. 192); Radio France/F (Fn. 1223); Weh/A, 8.4.2004, JR 2005 423 = ÖJZ 2004 853; Falk/NL (E), 19.10.2004, ECHR 2004-XI; Vos/F (E), 5.12.2006; Krumpholz/A, 18.3.2010 = NJW 2011 201 = NZV 2011 147 = ÖJZ 2010 782. Ebenso in Bezug auf eine Vermutungsregelung im Abschöpfungsverfahren EGMR Phillips/UK (Fn. 1169); Grayson u. Barnham/UK, 23.9.2008, wo allerdings jeweils eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geprüft und verneint wird. Auch nach BVerfG NStZ 1987 118; 1988 21; NJW 1994 337 widerstreitet nicht jede Form von Schuldvermutungen rechtsstaatlichen Grundsätzen.
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Beschuldigten auch tatsächlich die Möglichkeit gibt, die Vermutung zu widerlegen.1225 Bei der Anwendung der Vermutungsregeln ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.1226 Im deutschen materiellen Strafrecht sind Schuldvermutungen weitgehend entfallen.1227 Auch in Bezug auf die „Halterhaftung“ für Verkehrsverstöße hat der EGMR diese 498 Rechtsprechung bestätigt. Dabei betont der Gerichtshof, dass selbst leichte Verkehrsverstöße in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fallen.1228 Er hat aber einerseits eine niederländische Regelung für mit der Unschuldsvermutung vereinbar erklärt,1229 andererseits in Bezug auf das österreichische Recht bereits das Vorliegen einer Vermutungsregelung verneint.1230 Im Fall O’Halloran u. Francis geht die Große Kammer schließlich gar nicht auf die Zulässigkeit von Vermutungsregeln ein und lässt nach Verneinung einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK eine Verletzung der Unschuldsvermutung dahinstehen.1231 Die Verantwortlichkeit des Halters für Verkehrsverstöße stellt meist ein Problem im Hinblick auf den eng mit der Unschuldsvermutung verknüpften1232 Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare (Art. 6 Abs. 1 EMRK) dar (hierzu Rn. 942). Der EGMR lässt damit Schuldvermutungen in einem sehr weiten, bedenklichen 499 Umfang zu. Letztlich laufen die vom Gerichtshof nicht beanstandeten Vermutungsregelungen auf eine Beweislastumkehr hinaus, die Art. 6 Abs. 2 EMRK eigentlich verbietet. Dann muss man aber erst recht annehmen, dass unwiderlegbare Vermutungen dem Verbot jeglicher Schuldantizipation widersprechen, auch wenn der EGMR diesbezüglich bislang keine klare Aussage getroffen hat.1233 Die Unschuldsvermutung ist nicht verletzt, wenn der nationale Gesetzgeber die Straf- 500 barkeit in abstrakten Gefährdungsdelikten vorverlegt1234 oder sich mit dem Nachweis objektiver Tatbestandsmerkmale begnügt.1235 Hierfür spricht, dass die Unschuldsvermu-
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EGMR Salabiaku/F (Fn. 1142); Pham Hoang/F (Fn. 344); Janosevic/S (Fn. 192); Västberga Taxi Aktiebolag u. Vulic/S (Fn. 192); Radio France/F (Fn. 1223); Vos/F (E) (Fn. 1224), kritisch insbesondere zur Exkulpationspflicht Esser 743; vgl. auch Frowein/Peukert 158; Grabenwarter § 24, 122; Meyer-Ladewig 85a; Villiger 499. EGMR Janosevic/S (Fn. 192); Västberga Taxi Aktiebolag u. Vulic/S (Fn. 192); Falk/NL (E) (Fn. 1224). Vgl. IK-EMRK/Kühne 456; Kühl ZStW 100 (1988) 629. EGMR Öztürk/D (Fn. 171); Falk/NL (E) (Fn. 1224). EGMR Falk/NL (E) (Fn. 1224). EGMR Telfner/A (Fn. 742); Weh/A (Fn. 1224); vgl. auch EGMR Rieg/A, 24.3.2005, ÖJZ 2006 342, wo der Gerichtshof mangels neuer Argumente wie im Fall Weh eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK ablehnt, ohne erneut auf die Vermutungsregelung einzugehen sowie EGMR Krumpholz/A (Fn. 1224; Konven-
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tionsverletzung bejaht wegen Abwälzung der Beweislast auf den Bf.). EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK, 29.6.2007, ECHR 2007-VIII = NJW 2008 3549; vgl. aber die abweichende Meinung des Richters Pavlovschi. Vgl. EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218); Staines/UK (E), 16.5.2000, ECHR 2000-V; Heaney u. McGuinness/IR, 21.12.2000, ECHR 2000-XII; Weh/A (Fn. 1224); Krumpholz/A (Fn. 1224). Kritisch dazu Esser 743. Vgl. auch IK-EMRK/Kühne 456; Stuckenberg 552 ff.; Meyer-Ladewig 87a; SK/Paeffgen 181, 183, 190. Vgl. SK/Paeffgen 190 (Besitz von Betäubungsmitteln) sowie den Vortragsbericht von Sowada JR 1997 57 (betreffend den Grundsatz in dubio pro reo). Kritisch zur in letzter Zeit vermehrten Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte Kühne Rechtspolitisches Forum 21 (2004) 19. EGMR Salabiaku/F (Fn. 1142); Pham Hoang/F (Fn. 344); Janosevic/S (Fn. 192); EKMR ÖJZ 1990 216; EKMR ÖJZ 1990
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tung eine rein verfahrensbezogene Schutzfunktion beinhaltet; Vorgaben für das materielle Strafrecht kann man aus ihr in der Regel nicht herleiten. Bei bestimmten Rechtsverletzungen darf dem Beschuldigten im materiellen Strafrecht das bereits bei Tatbegehung von ihm in Rechnung zu stellende Risiko aufgebürdet werden, dass sein Verhalten bei Nichterweislichkeit eines Umstands strafbar ist, wie etwa bei der üblen Nachrede nach § 186 StGB, wo der Beschuldigte, dem die ehrverletzende Äußerung nachgewiesen ist, das Risiko des Wahrheitsbeweises zu tragen hat.1236 Im Übrigen hindert die Unzulässigkeit rechtlich bindender Schuldvermutungen das 501 Gericht nicht, aus festgestellten Tatsachen für den Beschuldigten nachteilige tatsächliche Schlüsse zu ziehen oder eine für ihn nachteilige Prognose zu stellen. Stets unzulässig ist hingegen eine Vermutung, die die Tatschuld einer Person als solche annimmt. Die Auferlegung einer strafrechtlichen Sanktion darf nur aufgrund eigener persön502 licher Schuld erfolgen. Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt insofern vor, wenn der Beschuldigte während des Strafverfahrens stirbt und gegen seine Erben ein Bußgeld verhängt wird. Die strafrechtliche Schuld kann demnach nicht „vererbt“ werden („inheritance of the guilt“), auch dann nicht, wenn die Schuld des Verstorbenen bereits gesetzlich festgestellt wurde.1237
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f) Die vorherige ordnungsgemäße Durchführung des vom nationalen Recht vorgeschriebenen Verfahrens ist Voraussetzung für den gesetzlichen Nachweis der Schuld als Grundlage einer Bestrafung. Einzelne Verfahrensfehler, auch wenn sie in irgendeiner Hinsicht die Verteidigung beeinträchtigt haben oder einem Einzelaspekt der Forderung nach einem fairen Verfahren nicht genügen, bedeuten noch keine Entscheidungsfindung unter Verletzung der Unschuldsvermutung.1238 Eine andere Auslegung würde diesen Grundsatz zu einer umfassenden Garantie der strikten Einhaltung des gesamten jeweiligen nationalen Verfahrensrechts ausdehnen, was weder von den Konventionen gewollt ist noch dem innerstaatlichen Verfassungsrecht entnommen werden kann. Um das von der Unschuldsvermutung vorausgesetzte gesetzliche Verfahren in Frage zu stellen, ist daher mehr erforderlich als einzelne Verfahrensverstöße, wie etwa Verstöße gegen die Aufklärungspflicht oder die Verwendung eines unzulässigen Beweismittels.1239 Nur wenn das Verfahren insgesamt in einer Form geführt wurde, die erkennen lässt, dass das Gericht voreingenommen von Anfang an die Schuld des Beschuldigten unterstellt hat, ohne sich um eine objektive Sachaufklärung auch nur zu bemühen,1240 wäre sein Ergebnis nicht geeignet, die Unschuldsvermutung zu widerlegen. Sichere Leitlinien für die Grenzen sind der Straßburger Judikatur kaum zu entnehmen,1241 zumal diese die Unschuldsvermutung zwar als Verfahrensprinzip behandelt. Die frühere EKMR hatte verschiedentlich darauf abgestellt,
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216; Frowein/Peukert 158 ff.; zur Problematik Esser 742 ff.; vgl. auch BVerfGE 80 109 (nichtstrafrechtliche Regelung) sowie zur Beweislastverteilung in Doping-Fällen OLG Frankfurt NJW-RR 2000 1117 (Zivilverfahren). EKMR IK-EMRK/Kühne 458; vgl. auch Guradze 26; Kühl ZStW 100 (1988) 629; Schubart 7 (Unschuldsvermutung wirkt zugunsten des Opfers); a.A. Frister 64, 83. EGMR A.P., M.P. u. T.P/CH, 29.8.1997,
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Rep. 1997-V = ÖJZ 1998 588; E.L., R.L. u. J.O.-L/CH, 29.8.1997, Rep. 1997-V; hierzu Esser 744. Vgl. EGMR Schenk/CH (Fn. 478); Meyer FS Tröndle 61, 66. So aber wohl IK-EMRK/Kühne 445. Vgl. IK-EMRK/Kühne 441, 445; Peukert EuGRZ 1980 247, 260. Vgl. Frister Jura 1988 358; Meyer FS Tröndle 61, 66; vgl. auch SK/Paeffgen 196 (oft „pragmatische Lösungen“).
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ob Verstöße gegen die Unschuldsvermutung bei der Beweiswürdigung („materiell“) im Urteil zum Ausdruck kommen.1242 Erst wenn das Gericht aufgrund des jeweils dafür erforderlichen gesetzlichen Verfah- 504 rens1243 die Schuld des Beschuldigten für erwiesen hält, darf es in der abschließenden Entscheidung aussprechen, dass der Beschuldigte einer Straftat schuldig ist und daran ihm nachteilige Rechtsfolgen knüpfen, die nicht notwendig in der Verurteilung zu einer Strafe bestehen müssen. Soweit die verhängten Rechtsfolgen Strafcharakter haben, müssen auch ihre dem Beschuldigten zuzurechnenden Voraussetzungen sicher festgestellt sein. Es wäre mit der Unschuldsvermutung unvereinbar, sie auf einen bloßen Verdacht eines schuldhaften Handelns des Beschuldigten zu gründen.1244 Das BVerfG fordert die Durchführung des Strafverfahrens bis zur Schuldspruchreife,1245 die grundsätzlich erst nach dem letzten Wort eintritt, da bis dahin der Beschuldigte noch die Möglichkeit hat, durch sein Vorbringen auf die Meinungsbildung des Gerichts einzuwirken und eine bereits früher gewonnene Meinung wieder zu erschüttern. g) Einstellung. Aus Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR lässt sich kein 505 Anspruch des Beschuldigten herleiten, dass das wegen des Verdachts einer Straftat eingeleitete Verfahren auf die für ihn günstigste Weise erledigt, die Unschuldsvermutung also durch Freispruch bekräftigt statt durch eine Einstellung als nur nicht widerlegt behandelt wird.1246 Nach dem deutschen Verfahrensrecht gilt ohnehin der Grundsatz, dass die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO Vorrang hat vor der nach §§ 153 ff. StPO oder wegen eines Verfahrenshindernisses; ein dem Gericht unschwer möglicher (liquider) Freispruch hat Vorrang vor der Einstellung nach § 260 Abs. 3 StPO.1247 Als nicht mit einer Sanktion abschließenden Verfahrensabschluss genügt es für die 506 Einstellung, wenn das Gericht ohne volle Durchführung des Verfahrens feststellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des jeweiligen Einstellungsgrundes gegeben sind. Ist dabei das Maß einer etwaigen Schuld mitzubewerten, widerspricht es der Unschuldsvermutung nicht, wenn hypothetisch geprüft wird, ob das Ausmaß der möglicherweise bestehenden Schuld der Einstellung entgegensteht. Wenn, was die Regel ist, das Verfahren noch nicht
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Dagegen mit Recht IK-EMRK/Kühne 443; Partsch 160. Abgesehen davon, dass dieses Verfahren den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK / Art. 14 Abs. 1 u. 3 IPBPR entsprechen und insbesondere fair sein muss, stellen die Konventionen für den Schuldnachweis keine eigenen Anforderungen auf, sie überlassen es dem nationalen Recht, auf welchem Weg das Gericht seine volle Überzeugung von der Schuld des Beschuldigten gewinnen kann. Vgl. die Forderung nach verfassungskonformer einengender Auslegung in BGH NStZ 1995 125 (erweiterter Verfall); NJW 1995 1567 (Vermögensstrafe); Weßlau StV 1991 226 je m.w.N. Etwa BVerfGE 74 358, 372; 82 104, 117; NJW 1990 2741; Bruns StV 1982 19; a.A. Kühl NJW 1984 1264; 1988 3329;
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Kusch NStZ 1987 427; gegen das Abstellen auf Schuldspruchreife aus völlig anderen Gründen auch Paulus NStZ 1990 600. So IK-EMRK/Vogler 478 f.; ob man innerhalb der Unschuldsvermutung in dieser Weise differenzieren kann, erscheint fraglich, vgl. LR/Rieß 25 § 206a, 69 StPO; ferner Kühl Unschuldsvermutung 40 ff., 88 ff.; anders hingegen für den Fall, dass eine Verletzung der Unschuldsvermutung feststeht, das Verfahren aber wegen Verjährung eingestellt wird und somit der Eindruck entsteht, dass nur die Verjährung der Verurteilung entgegenstehe: EGMR Poncelet/B (Fn. 1205), § 60. Vgl. LR/Beulke § 153, 35 ff. StPO; LR/Graalmann-Scheerer § 170, 9, 10 StPO; LR/Stuckenberg § 206a, 8, 29 StPO; LR/Gollwitzer 25 § 260, 100 StPO.
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bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist, darf das einstellende Gericht oder die Staatsanwaltschaft dann aber nicht in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringen, dass es eine Straftat des Beschuldigten aufgrund der bisherigen Beweislage für gegeben hält.1248 Aus seiner Entscheidung muss hervorgehen, dass sie auf der Grundlage einer hypothetischen Bewertung der bestehenden Verdachtslage ergeht und keine endgültige gerichtliche Schuldzuweisung bedeutet.1249 Dies gilt auch, wenn das Ermittlungsverfahren nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Beschuldigten eingestellt wird.1250 Eine Zustimmung des Beschuldigten zur Verfahrenseinstellung enthält kein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld.1251 Eine Einstellung unter Auflagen ist mit der Unschuldsvermutung vereinbar, wenn der 507 Beschuldigte ihr zugestimmt und damit auch auf eine Hauptverhandlung zur Klärung der Schuldfrage verzichtet hat.1252 Nur wenn ausnahmsweise das Gericht die volle Überzeugung von der Schuld des Beschuldigten aufgrund einer mit allen Verfahrensgarantien bis zur Schuldspruchreife (einschließlich letztem Wort) durchgeführten Hauptverhandlung gewonnen haben sollte, soll es nach allerdings ebenso zweifelhafter wie strittiger Ansicht1253 ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung bei der Verfahrenseinstellung die erwiesene Schuld feststellen können, wie etwa auch bei einer erst nach Durchführung des Verfahrens beschlossenen Einstellung aufgrund einer Amnestie. Eine solche Feststellung soll dann ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung auch die Grundlage für eine dem Beschuldigten nachteilige Nebenentscheidung mit sanktionsähnlichem Charakter bilden können, so die Auferlegung von Verfahrenskosten, die Ablehnung der Auslagenerstattung1254 oder die Eintragung in einem Korruptionsregister.1255 Ein Nachverfahren, das dem Gericht erlauben würde, nach Erledigung des eigentlichen Verfahrens dieses
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Vgl. EGMR Adolf/A (Fn. 184), dazu Frowein/Peukert 273; EGMR Poncelet/B (Fn. 1205) bejaht einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, weil das Gericht den Anschein erweckt hat, dass nur die Verjährung den Beschuldigten vor einer Verurteilung gerettet hat; IK-EMRK/Kühne 476; ferner BVerfGE 74 379; BVerfG NJW 1990 2741; BVerfG (Kammer) Beschl. v. 17.11.2005, 2 BvR 878/05 (n.v.). EGMR Englert/D (Fn. 1185); Lutz/D (Fn. 1144); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); kritisch dazu Kühl NJW 1988 3232; Westerdiek EuGRZ 1987 393; dazu ferner Frowein/Peukert 168; Meyer-Ladewig 86a; Liemersdorf/Miebach NJW 1980 371, 374 und ablehnend IK-EMRK/Kühne 476 ff. Vgl. ferner BVerfGE 82 106, 118 mit abw. Meinung Mahrenholz 122 ff.; BVerfG NJW 1992 1612; BVerfG (Kammer) Beschl. v. 17.11.2005, 2 BvR 878/05 (n.v.). Vgl. BVerfGE 82 106, 118 (aber Vorrang des Freispruchs); IK-EMRK/Kühne 477; Stuckenberg 119, 565; krit. SK/Paeffgen 206 (Zustimmungsbedürftigkeit wünschenswert, von EGMR Adolf/A (Fn. 184), aber nicht gefordert); vgl. auch Esser 610.
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SächsVerfGH StraFo 2009 108. EGMR Deweer/B (Fn. 38); die Frage ist bei § 153a StPO strittig; vgl. dazu Esser 608 ff.; SK/Paeffgen 197; Stuckenberg 565 ff.; ferner LR/Beulke § 153a, 9, 12, 14, 39 ff. StPO je m.w.N. Vgl. dagegen: BVerfG MDR 1991 892 (Einstellung nach § 153a StPO ist kein Schuldnachweis). BVerfGE 74 370; NJW 1990 2741; vgl. zur Problematik des Abstellens auf die Schuldspruchreife LR/Beulke § 153, 80 StPO m.w.N.; a.A. (nur bei rechtskräftiger Verurteilung) Kühl NJW 1984 1265; 1988 3238; Kusch NStZ 1987 427. A.A. Wegner HRRS 2009 32, 36, der § 3 Abs. 2 Nr. 3 KRG Berlin, wonach der für die Eintragung erforderliche Nachweis des jeweiligen Rechtsverstoßes auch bei einer endgültigen Einstellung nach § 153a StPO als erbracht gilt, für nicht mit der Unschuldsvermutung vereinbar hält. Insoweit zurückhaltender der Entwurf eines Korruptionsregister-Gesetzes auf Bundesebene, BTDrucks. 16 9780 S. 2 („wenn keine vernünftigen Zweifel […] an der Täterschaft [bestehen]“).
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allein wegen Nebenentscheidungen nochmals aufzugreifen und bis zur Schuldspruchreife durchzuführen, sieht die StPO nicht vor.1256 Im Bereich der Lebensmittelaufsicht ist die Veröffentlichung von Betrieben auf einer 508 sog. Negativliste im Internet 1257 zumindest während eines noch laufenden Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahrens im Hinblick auf die Unschuldsvermutung äußerst bedenklich.1258 Wird erst nach einem rechtskräftigen Freispruch in einem Folgeverfahren durch 509 Schuldfeststellungen oder durch Bekräftigung des fortbestehenden Verdachts der Freispruch in Frage gestellt, verletzte dies nach früherer Ansicht des EGMR die Unschuldsvermutung.1259 Neuerdings hält der EGMR wohl aber auch nach einem rechtskräftigen Freispruch die Beschreibung einer Verdachtslage für zulässig und nur eine Schuldfeststellung für mit Art. 6 Abs. 2 EMRK unvereinbar, ohne diese Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung zu begründen.1260 Bislang wurde angenommen, dass nach Einstellung des Steuerstrafverfahrens dagegen in einem selbständigen Verfahren die Einziehung unversteuerter Ware ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung angeordnet werden kann, denn in diesem (objektiven) Verfahren sei keine Entscheidung über die Schuld einer bestimmten Person zu treffen.1261 Jedoch hat der EGMR in einem Fall, in dem die Einziehung von Gegenständen angeordnet wurde, die mutmaßlich aus Straftaten stammten, von denen der Betroffene freigesprochen wurde, eine Verletzung der Unschuldsvermutung aus zwei Gründen bejaht.1262 Zum einen war nicht bewiesen, dass der Betroffene tatsächlich im Besitz von Gegenständen war, deren Herkunft er nicht erklären konnte; insofern hatte das Gericht nur eine mutmaßliche Hochrechnung vorgenommen. Sofern nicht ohne vernünftigen Zweifel festgestellt sei, dass der Betroffene die Tat tatsächlich begangen hat, läuft eine solche Einziehung nach Ansicht des EGMR auf eine Schuldvermutung hinaus, die kaum mit Art. 6 Abs. 2 EMRK vereinbar sein kann.1263 Zum anderen betraf die Einziehungsanordnung gerade die Straftaten, von denen der Beschuldigte freigesprochen worden war. Insoweit war der EGMR der Meinung, dass das Urteil des Gerichts auf eine unzulässige Schuldfeststellung hinauslief. In Anbetracht der Tatsache, dass der EGMR die Feststellung einer Schuld („declaration of guilt“) bereits nach der Einstellung des Verfahrens generell für unzulässig hält (vgl. Rn. 506), bestehen zumindest erhebliche Zweifel daran, ob die vorgenannte Ansicht des brandenburgischen Verfassungsgerichts aufrecht erhalten werden kann. h) Kosten und Auslagen.1264 Für die Auferlegung der Auslagen des Strafverfahrens 510 ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass bei einem Freispruch der an sich irrelevante Kostenausspruch1265 bei Verbindung mit einem Ausspruch über eine letztlich noch nicht bewiesene Schuld der Entscheidung einen sanktionsähnlichen Charakter (stigmatisierende Wirkung) verleihen kann und deshalb mit der Unschuldsvermutung unvereinbar 1256 1257
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BVerfG (Kammer) MDR 1991 213; Kühl Unschuldsvermutung 120. So ein Modellprojekt in Berlin-Pankow (http://www.berlin.de/ba-pankow/ verwaltung/ordnung/smiley.html). Kritisch dazu Tsambikakis/Wallau StraFo 2010 177. EGMR Sekanina/A (Fn. 1183); Asan Rushiti/A (Fn. 986); Lamanna/A (Fn. 167); Frowein/Peukert 273; Pilnacek ÖJZ 2001 546, 554.
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EGMR Del Latte/NL (Fn. 1185). VerfG Brandenburg NStZ 1997 93. EGMR Geerings/NL (Fn. 1206). Zur Zulässigkeit von Schuldvermutungen vgl. bereits Rn. 497. Vgl. zu dieser Problematik ausführlich Demko HRRS 2007 286. Vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1985 628.
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ist.1266 Etwas anderes gilt, wenn die Kostenentscheidung nicht an tatbezogene Erwägungen anknüpft, sondern wenn das Kostenrecht in Abweichung vom vorherrschenden Erfolgsprinzip gestattet, einem davon unabhängigen vorwerfbaren Verfahrensverhalten Rechnung zu tragen (vgl. § 467 Abs. 2 StPO: „schuldhafte Säumnis“ oder § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO: „Selbstanzeige wegen vorgetäuschter Straftat“).1267 Bei einer Einstellung des Verfahrens dürfen dem Beschuldigten seine notwendigen Auslagen nicht mit der Begründung auferlegt werden, dass er bei Durchführung des Verfahrens „wahrscheinlich“ verurteilt worden wäre;1268 ob die Schuld des Beschuldigten gering wäre, hat das Gericht nur in einer hypothetischen Bewertung der Verdachtslage zu entscheiden, durch die die Unschuldsvermutung nicht widerlegt werden kann. Dass der Beschuldigte der Einstellung zugestimmt hat, ersetzt nicht den vollen Schuldnachweis.1269 Gleiches gilt auch bei der Verfahrenseinstellung im Privatklageverfahren nach § 383 Abs. 2 StPO,1270 obwohl die Kostenverteilung damit zu Lasten des Privatklägers geht.1271 Ausgeschlossen wird die Überbürdung aber nur, wenn sie als eine Bestätigung eines noch nicht erwiesenen strafrechtlichen Verschuldens zu werten ist; auf andere Gründe kann sie gestützt werden, so auch darauf, dass nach dem nicht aufklärungsbedürftigen Sachverhalt der Privatbeklagte durch sein gesamtes Verhalten nachvollziehbaren Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.1272 Von der Übernahme der notwendigen Auslagen des Beschuldigten durch die Staatskasse kann das Gericht ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung auch absehen, wenn der Beschuldigte nur wegen eines Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird (§ 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO),1273 er aber nach den bereits getroffenen Feststellungen des Gerichts ohne dessen Vorliegen verurteilt worden wäre. Bleibt die Verurteilung dagegen auch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zweifelhaft, ist § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nicht anwendbar, auch die Unschuldsvermutung würde dann ausschließen, einen nicht geklärten Verdacht zur Grundlage einer für den Angeklagten negativen Entscheidung zu machen.1274 Wird das Verfahren aufgrund einer Ermessensentscheidung ohne Schuldfeststellung eingestellt, kann ein fortbestehender Verdacht die Ablehnung der Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse rechtfertigen1275 oder auch, dass bei der Einstellung eines Verfahrens wegen einer Ordnungswidrigkeit dem Betroffenen die Auslagen nicht erstattet werden. Die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers auf den nichtverurteilten Beschuldigten wird durch
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Vgl. BVerfG NStZ 1988 84; NJW 1990 2741; SK/Paeffgen 203; sowie LR/Hilger § 467, 1 StPO. Etwa OLG Köln StV 1991 116; BGer EuGRZ 1984 79; Liemersdorf/Miebach NJW 1980 372, 376; vgl. Villiger 497; ferner SK/Paeffgen 203; LR/Hilger § 467, 24 ff., 28 ff. StPO m.w.N. BVerfG NStZ 1992 289. BVerfG MDR 1991 891. BVerfGE 74 358, 370 mit Anm. Krehl NJW 1988 3254; BVerfG MDR 1991 213; LG Koblenz StV 1991 117; auch Nierwetberg NJW 1989 1978, vgl. LR/Hilger § 471, 32 StPO m.w.N. Vgl. BVerfG (Kammer) MDR 1991 214 (wenn bei vernünftiger Betrachtungsweise die Tat als geringfügig bewertet werden
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kann, muss Privatkläger mit Kostenrisiko rechnen). BVerfG MDR 1991 213, wonach im Rahmen des § 471 Abs. 3 StPO auch das Vorliegen einer objektiv schwerer wiegenden Verfehlung mit in Betracht gezogen werden kann. BVerfG NJW 1992 1612; NStZ 1993 195; LR/Hilger § 467, 54 StPO m.w.N. Zur Anwendbarkeit von § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO beim Tod des Beschuldigten vor Rechtskraft des Urteils vgl. Heger GA 2009 45 sowie BGHSt 45 108. Vgl. LR/Hilger § 467, 53 StPO. EGMR Englert/D (Fn. 1185); BVerfG NJW 1990 2741; 2002 1867; VerfG Brandenburg JR 2003 101 (Einstellung nach § 47 Abs. 3 OWiG); Meyer-Goßner 15.
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die Unschuldsvermutung grundsätzlich ausgeschlossen, da ihr wegen des im Kostenrecht vorherrschenden Erfolgsprinzips ein strafrechtlicher Sanktionscharakter beigemessen wird.1276 Bei der Entscheidung über Erstattungsansprüche des nicht verurteilten Beschuldigten 511 wegen seiner verfahrensbedingten Auslagen oder über eine Entschädigung für eine erlittene Strafverfolgungsmaßnahme zwingt die Unschuldsvermutung an sich nicht zum Ersatz dieser Kosten durch die Staatskasse. Es mag zwar im Regelfall einer unverschuldeten Verfahrensverstrickung die letzte Konsequenz eines rechtsstaatlichen Schutzes sein, dass der Staat gehalten ist, jeden Nachteil zu entschädigen, der durch ein Verfahren entstanden ist, das mit keiner Verurteilung endet,1277 zwingend gebieten dies die Konventionsgarantien1278 aber ebenso wenig wie die Verfassung.1279 Die Entscheidung, die einen Auslagenersatz im Verhältnis zur Staatskasse ablehnt, ist, anders als die Auferlegung der Verfahrenskosten, als solche keine strafähnliche Sanktion und auch nicht notwendig der Ausdruck eines an strafrechtliche Schuld anknüpfenden sozialethischen Unwerturteils.1280 Es ist zulässig, die Versagung von Ersatzansprüchen an ein prozessuales Verschulden des nicht verurteilten Beschuldigten zu knüpfen.1281 Die Versagung der Auslagenerstattung oder der Entschädigung für Strafverfolgungs- 512 maßnahmen kann jedoch einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellen, wenn ihre Begründung eine direkte oder indirekte Schuldfeststellung („finding of guilt“) enthält.1282 So war im Fall Del Latte Haftentschädigung trotz vorausgegangenen Freispruchs mit der Begründung verweigert worden, die Angeklagten wären zwangsläufig verurteilt worden, wenn wegen weiterer, nicht angeklagter Delikte Anklage erhoben worden wäre.1283 Der EGMR sah hierin einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK. Die Unzulässigkeit der Verweigerung von Entschädigungsansprüchen aufgrund einer Schuld-
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EGMR Minelli/CH (Fn. 40); BVerfG (Kammer) NStZ 1988 84; auch BVerfGE 74 370; BVerfG NJW 1990 2741. Zur Berücksichtigung der aus der Unschuldsvermutung folgenden Beschränkungen bei der Billigkeitsentscheidung nach § 472 Abs. 2 StPO vgl. LR/Hilger § 472, 17 StPO. Zur Entwicklung der Gesetzgebung vgl. Kühl ZStW 100 (1988) 613; NJW 1988 3236. EGMR Englert/D (Fn. 1185); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); Sekanina/A (Fn. 1183); Dinares Peñalver/E (Fn. 1185); Capeau/B (Fn. 1185); A.L./D (Fn. 1185); Puig Panella/E (Fn. 1206); Panteleyenko/UKR, 29.6.2006; Grabchuk/UKR (Fn. 1190); Tendam/E (Fn. 1185); Meyer-Goßner 15; Meyer-Ladewig 86a; Pilnacek ÖJZ 2001 546, 556; strenger früher EGMR Minelli/CH (Fn. 40). Zu der diesen Fall nicht umfassenden Entschädigungsverpflichtung nach Art. 14 Abs. 6 IPBPR (Art. 3 des 7. ZP-EMRK), vgl. unten Rn. 1002 ff. Vgl. BVerfG EuGRZ 1979 638. EGMR Englert/D (Fn. 1185); BVerfG NStZ
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1988 84; NJW 1990 2741; BGHZ 64 353; OLG Köln NJW 1991 507 m.w.N.; strittig, vgl. Kühl NJW 1988 3235; NStZ 1989 135. EGMR Englert/D (Fn. 1185); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); OLG Köln NJW 1991 507 m.w.N.; ferner etwa BGer EuGRZ 1990 322 (Veranlassung oder Erschwerung der Durchführung des Strafverfahrens durch vorwerfbare Verletzung einer Verhaltensnorm); auch schon EuGRZ 1984 79; Kühl NJW 1988 3238; Liemersdorf/ Miebach NJW 1980 372; Nierwetberg NJW 1989 1978; vgl. LR/Hilger § 467, 28 ff. StPO und die Kommentare zu § 5 Abs. 2, 3, § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG je m.w.N. Ausführlich zur Unterscheidung zwischen unzulässiger Schuldfeststellung („finding of guilt“) und zulässiger Schuldprognose („state of suspicion“) EGMR Baars/NL, 28.10.2003 m.w.N.; vgl. auch EGMR Del Latte/NL (Fn. 1185); A.L./D (Fn. 1185); Didu/RUM, 14.4.2009. Kritisch zu diesem Abgrenzungskriterium Esser 761; Demko HRRS 2007 286, 290; Jebens Liber Amicorum Wildhaber 227. EGMR Del Latte/NL (Fn. 1185).
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feststellung gilt aber nicht nur nach einem rechtskräftigen Freispruch, sondern auch nach der Einstellung des Strafverfahrens. Dementsprechend hat der Gerichtshof eine Verletzung der Unschuldsvermutung für den Fall angenommen, dass eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft aufgrund einer nationalen Vorschrift verweigert wurde, nach der der Betroffene nach Einstellung des Verfahrens seine Unschuld beweisen muss, um Haftentschädigung zu erhalten.1284 Eine solche Umkehr der Beweislast deute darauf hin, dass das Gericht den Betroffenen für schuldig hält und sei deshalb unangemessen.1285 Zulässig ist nach Ansicht des EGMR1286 und des BVerfG1287 dagegen das Abstellen 513 auf eine sog. Schuldprognose („state of suspicion“).1288 Die Entscheidung, die notwendigen Auslagen nicht zu übernehmen oder keine Haftentschädigung zu leisten, sei keine Strafe oder eine ihr gleichkommende Maßnahme, die nur nach erbrachtem Schuldnachweis im gesetzlichen Verfahren ergehen dürfte.1289 Während der EGMR 1987 in den drei Urteilen gegen Deutschland noch auf die Intention der Richter abstellte,1290 hat er 2005 im Urteil A.L. eine Verletzung der Unschuldsvermutung mit der Begründung abgelehnt, dass die „missverständlich[en] und unbefriedigend[en]“ Äußerungen des Richters lediglich in einem an den Anwalt des Betroffenen gerichteten Schreiben enthalten waren und nicht öffentlich, etwa in einer Pressekonferenz, gemacht worden seien und deshalb nur geringe Außenwirkung gehabt hätten.1291 Festzuhalten ist, dass der EGMR zwar in ständiger Rechtsprechung darauf abstellt, ob die Entscheidungsbegründung eine (unzulässige) Schuldfeststellung enthält oder nur eine Verdachtslage beschreibt; wann jedoch tatsächlich eine Schuldfeststellung getroffen wird, ist im Laufe der Jahre vom EGMR uneinheitlich beantwortet worden.1292 Zudem hat der EGMR in zahlreichen Verfahren gegen Österreich und Norwegen 514 geurteilt, dass die Äußerung eines Verdachts nur zulässig ist, solange die Beendigung des Strafverfahrens nicht in einer Entscheidung in der Sache selbst resultiert („decision on the merits of the accusation“). Sei das Verfahren dagegen mit einem rechtskräftigen Freispruch beendet worden, so dürfe das Gericht in seiner Begründung der Entscheidung über Erstattungs- oder Entschädigungsansprüche keinerlei Verdacht hinsichtlich der Unschuld des Angeklagten mehr äußern.1293 In späteren Fällen, wie etwa im Fall Del Latte, in dem es auch um die Versagung von Entschädigungsansprüchen nach einem
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EGMR Capeau/B (Fn. 1185); ähnlich EGMR Tendam/E (Fn. 1185). EGMR Capeau/B (Fn. 1185). EGMR Englert/D (Fn. 1185); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); strenger noch EGMR Minelli/CH (Fn. 40), wo eine den deutschen Entscheidungen ähnliche Formulierung als Schuldfeststellung angesehen wurde; vgl. auch die Kritik von Demko HRRS 2007 286, 289; Jebens Liber Amicorum Wildhaber 227 sowie Kühl NJW 1988 3233, 3235. BVerfG NJW 1990 2741. Zu den strittigen Fragen vgl. LR/Hilger § 467, 60 StPO; ferner auch LR/Stuckenberg § 206a, 103 StPO. EGMR Lutz/D (Fn. 1144); Englert/D (Fn. 1185); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); A.L./D (Fn. 1185); BVerfG NJW 1990 2741
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mit abw. Meinung Mahrenholz; OLG Köln NJW 1991 506; kritisch dazu Kühl NJW 1988 3233; NStZ 1989 135; Westerdiek EuGRZ 1987 393; SK/Paeffgen 203; auch OLG Hamm NJW 1986 734. EGMR Englert/D (Fn. 1185); Lutz/D (Fn. 1144); Nölkenbockhoff/D (Fn. 1185); kritisch hierzu Esser 761. EGMR A.L./D (Fn. 1185); kritisch hierzu: Demko HRRS 2007 286, 291. Vgl. aber bereits Esser 761. Kritisch auch Demko HRRS 2007 286, 292. EGMR Sekanina/A (Fn. 1183); Asan Rushiti/A (Fn. 986); Lamanna/A (Fn. 167); Weixelbraun/A, 20.12.2001; Demir/A, 5.11.2002; O/N, 11.2.2003, ECHR 2003-II; Hammern/N, 11.2.2003.
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rechtskräftigen Freispruch ging, ist der EGMR dann aber überhaupt nicht auf diese Rechtsprechung eingegangen, sondern hat allein danach differenziert, ob eine unzulässige Schuldfeststellung oder zulässige Schuldprognose vorliegt.1294 Im Fall Puig Panella1295 hat der Gerichtshof dann allerdings wiederum bekräftigt, dass der Grundsatz, dass nach einem rechtskräftigen Freispruch keinerlei Verdacht mehr geäußert werden darf, erst recht gilt, wenn das Verfassungsgericht die verurteilenden Entscheidungen wegen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung aufhebt. Auch insofern ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs also uneinheitlich. Strittig ist, ob bei der Ermessensentscheidung auch ein fortbestehender Verdacht oder 515 die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung mitberücksichtigt werden darf, wenn das Verfahren nicht bis zur Schuldspruchreife fortgeführt worden war.1296 Bei der Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses wird die Prognose über den Verfahrensausgang, die das Gesetz der von anderen Umständen abhängigen eigentlichen Ermessensentscheidung über die Auslagenerstattung vorschaltet (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO), von der vorherrschenden Meinung als mit der Unschuldsvermutung vereinbar angesehen.1297 i) Mitberücksichtigung nicht verfahrensgegenständlicher Straftaten. Im Strafverfahren 516 selbst sind mitunter Feststellungen zu strafrechtlichen Verfehlungen notwendig, die nicht die verfahrensgegenständliche Straftat des Beschuldigten oder eines Mitbeschuldigten betreffen, die aber trotzdem entscheidungserheblich sind, etwa, weil für die richtige Anwendung des materiellen Strafrechts festgestellt werden muss, ob eine am Verfahren nicht beteiligte und auch noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Person Vortäter oder Haupttäter war. Wenn die Nachweise ausreichen, darf das Gericht die Begehung der Vortat oder Haupttat mit Wirkung gegenüber dem Beschuldigten feststellen, ohne gegenüber diesem oder gegenüber einem nicht am Verfahren Beteiligten die Unschuldsvermutung zu verletzen.1298 Gleiches gilt, wenn die zur Überzeugung des Gerichts erwiesenen Umstände der Begehung einer anderen, noch nicht rechtskräftig abgeurteilten Straftat als Indiz für die Modalitäten der Begehung der angeklagten Tat herangezogen werden.1299 1294
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Vgl. auch Meyer-Ladewig 86a, der ebenfalls nicht zwischen den verschiedenen Beendigungsmöglichkeiten unterscheidet. EGMR Puig Panella/E (Fn. 1206); vgl. auch EGMR Tendam/E (Fn. 1185), wo der EGMR die an sich widersprüchlichen Urteile Asan Rushiti (Fn. 986) und Del Latte direkt hintereinander zitiert. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422 (zulässig, wenn auf Existenz der Anklage, nicht auf Schuld abgestellt wird); ferner Peukert EuGRZ 1980 247, 261; a.A. etwa LG Darmstadt MDR 1988 885; vgl. Stuckenberg ZStW 111 (1999) 422; LR/Hilger § 467, 67 StPO je m.w.N. zum Streitstand. Vgl. LR/Hilger § 467, 55; 57 StPO m.w.N.; vgl. etwa BVerfG StV 1993 138 (Nichteröffnung nach § 204 StPO wegen Verfahrenshindernis); BVerfG NStZ 1992 289 und LG Darmstadt MDR 1988 885 (Einstellung nach § 206a StPO); OLG Düsseldorf StV
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1990 79; OLG Köln NJW 1991 506; OLG Zweibrücken NStZ 1987 425; Kühl Anm. zu OLG München NStZ 1989 134; ferner Liemerdorf/Miebach NJW 1980 373, die dies als Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Freispruchs ansehen; dagegen etwa OLG Hamm NJW 1986 734. EKMR bei IK-EMRK/Kühne 417; a.A. Isfen StV 2009 611, 613 f. BGHSt 34 209 = NStZ 1986 127 mit abl. Anm. Vogler = JR 1988 340 mit zust. Anm. Gollwitzer; vgl. auch BGHSt 34 352 (indizielle Verwertung der Umstände einer anderen Tat ist keine Verfolgung der anderen Tat); auch nach BVerfG NStZ 1988 21 schützt die Unschuldsvermutung nicht davor, ein noch nicht rechtskräftig abgeurteiltes, strafbares Verhalten in einem anderen gerichtlichen Verfahren festzustellen und aus dem festgestellten Sachverhalt für dieses Verfahren bestimmte Schlussfolgerungen zu ziehen; ebenso
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Rechtskräftig abgeurteilte Taten dürfen sowohl bei der den Schuldspruch tragenden Beweiswürdigung als auch im Rahmen der Strafzumessung herangezogen werden.1300 Ausgeschiedene Tatteile, über die im Erkenntnisverfahren nicht endgültig entschieden wurde, dürfen weder bei der Strafzumessung berücksichtigt noch in die Bewährungsauflage, den Schaden wiedergutzumachen, einbezogen werden.1301 Strittig ist, wieweit im Rahmen der Strafzumessung noch nicht rechtskräftig abge517 urteilte oder überhaupt nicht mehr verfolgbare andere Straftaten des Beschuldigten als Indiz für das Maß seiner Schuld und seiner Persönlichkeitsstruktur berücksichtigt werden dürfen.1302 Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht folgt aus der Exklusivität der Schuldfeststellung, dass über den Tatvorwurf ausschließlich in dem Verfahren entschieden werden darf, das diese Tat selbst zum Gegenstand hat; dieser Grundsatz schütze auch vor strafrechtlichen Auswirkungen, die unter Umgehung eines solchen Verfahrens an den Tatvorwurf geknüpft werden.1303 Mittlerweile hat auch der BGH seine frühere Rechtsprechung,1304 nach der die Warnfunktion eines früheren Strafverfahrens auch dann bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann, wenn das Verfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wurde, im Hinblick auf die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK jedenfalls für den Fall für „bedenklich“ erklärt, wenn das frühere Verfahren einen völlig anders gearteten Schuldvorwurf betraf.1305 Dies ist zu begrüßen und sollte ohne Einschränkung auf alle Fälle, in denen das frühere Verfahren durch Einstellung oder Freispruch beendet wurde, ausgedehnt werden. Denn auch insofern verstößt eine Schuldfeststellung durch ein Gericht, das nicht für die Aburteilung der fraglichen Straftat zuständig ist, gegen die Unschuldsvermutung.1306
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j) Bei der Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung könnte an sich fraglich sein, ob die Unschuldsvermutung bei einem nicht mehr den Schuldspruch, sondern nur noch den Strafausspruch betreffenden Entscheidungsteil überhaupt eingreift (Rn. 484). Wenn der Widerruf aber mit der Begehung einer neuen, noch nicht rechtskräftig abgeurteilten anderen Straftat begründet wird, gilt die Unschuldsvermutung im Hinblick auf diese neue Tat.1307 Die früher vorherrschende Meinung hielt
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Meyer-Goßner 14; Paulus NStZ 1990 600; Peukert EuGRZ 1980 247, 261; vgl. auch BGHSt 31 302 = JR 1984 170 mit Anm. Terhorst; LR/Beulke § 154, 57 StPO; a.A. Vogler FS Kleinknecht 429; ders. FS Tröndle 423; vgl. auch Esser 750. EGMR Albert u. Le Compte/B (Fn. 40); vgl. auch Engel u.a./NL (Fn. 40), und die Kritik von Esser 715. Vgl. OLG Frankfurt MDR 1994 499 m.w.N. Vgl. etwa BGH NJW 1951 770; NStZ 1981 91; BVerfG Beschl. v. 5.4.2010 – 2 BvR 366/10; Bruns NStZ 1981 81; ausführlich Stuckenberg StV 2007 655; zum Ganzen auch LR/Beulke § 154, 56 ff. StPO (für Taten und Tatteile, die nach §§ 154, 154a StPO ausgeschieden worden sind). Vogler FS Kleinknecht 436; IK-EMRK/ Kühne 463 f.
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BGHSt 25 64; BGH MDR 1954 151; 1979 635; StV 1991 64; NStZ-RR 2005 72. BGH NStZ 2006 620. Ebenso Stuckenberg StV 2007 655, 660 f.; gegen eine generelle Unzulässigkeit der strafschärfenden Berücksichtigung eines früheren Freispruchs aber Hacker/Hoffmann JR 2007 452, 456, die sich allerdings nicht hinreichend mit der Unschuldsvermutung auseinandersetzen. Dieselbe Frage stellt sich bei der Aussetzung eines Strafrests zur Bewährung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59b StGB), sowie etwa beim Berufsverbot und bei freiheitsentziehenden Maßregeln, wenn deren Aussetzung bei Begehung einer anderen Tat widerrufen werden kann; vgl. Neubacher GA 2004 402.
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deren Berücksichtigung bei der Widerrufsentscheidung für zulässig, sofern nach ordnungsgemäßer Sachaufklärung und ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs das materiellrechtliche Vorliegen der neuen Straftat, nicht notwendig aber auch deren Verfolgbarkeit, zur Überzeugung des widerrufenden Gerichts sicher feststeht.1308 Nur bei einem rechtskräftigen Freispruch wurde zum Teil eine Bindung des über den Widerruf entscheidenden Gerichts angenommen.1309 Nach der Gegenmeinung kommt es darauf nicht an, weil allein in dem Strafverfahren, das wegen der neuen Straftat durchgeführt wird, die Unschuldsvermutung in Bezug auf diese Tat widerlegt werden kann.1310 Die EKMR1311 hatte dies nicht abschließend entschieden; aufgrund ihrer Bedenken hat sich die Bundesregierung aber in einer gütlichen Einigung verpflichtet, auf die Beachtung der Unschuldsvermutung bei der Anwendung des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB besonders hinzuweisen und die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung zu überprüfen.1312 Wie auch der EGMR feststellt, ist es allerdings nie zu einer Gesetzesänderung gekommen.1313 Der EGMR hat im Urteil Böhmer1314 die Ansicht vertreten, die Unschuldsvermutung schließe die Schuldfeststellung in einem Strafverfahren aus, das nicht vor dem für die Aburteilung zuständigen erkennenden Gericht geführt wird. Nach Ansicht des OLG Köln1315 ist bei Vorliegen des
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BVerfG NStZ 1987 118; 1988 21; 1991 30; ferner etwa OLG Bremen StV 1984 125; 1986 165; 1990 118; OLG Düsseldorf StV 1986 346; 1993 35; OLG Hamburg JR 1979 379 m. zust. Anm. Zipf; OLG Hamm VRS 73 (1987) 275; StV 1992 284; KG JR 1983 423; StV 1988 26; OLG Karlsruhe Justiz 1987 192; MDR 1993 780; OLG Koblenz VRS 73 (1987) 276; OLG Stuttgart NJW 1976 200; 1977 1249; Justiz 1990 303; 1991 402; LG Kiel SchlHA 1992 10; Bruns StV 1982 17, 19; Frank MDR 1982 360; Peukert EuGRZ 1980 247, 261; zur Gegenmeinung vgl. etwa OLG Celle StV 1990 504; zum Streitstand ferner OLG Düsseldorf MDR 1990 1133 und die Rechtsprechungs- und Schrifttumsnachweise in den Kommentaren zu § 56f StGB sowie ausführlich Neubacher GA 2004 402, 403. Vgl. ferner auch OLG Hamburg NJW 2003 3574 (Widerruf einer Gnadenentscheidung vor Rechtskraft der neuen Verurteilung). Strittig, gegen Bindung OLG Düsseldorf NStZ 1990 541. EGMR Böhmer/D, 3.10.2002, NJW 2004 43 = StraFo 2003 47 mit Anm. Boetticher = StV 2003 82 mit Anm. Pauly; Blumenstein NStZ 1992 132; Boetticher NStZ 1991 1; Mrozynski JZ 1978 255; Ostendorf StV 1990 230; Schwerin SchlHA 1991 205; Vogler FS Kleinknecht 434; Vogler FS Tröndle 423; Wita 161 ff.; ferner zum Teil unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung: OLG Celle StV 1990 506;
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2003 575; OLG Koblenz NStZ 1991 253; OLG München NJW 1991 2302; OLG Schleswig NJW 1991 2303; OLG Jena StV 2003 574 u. 575. Vgl. auch OLG Zweibrücken JR 1991 477 mit Anm. Stoll, das seine Befugnis zur eigenen Entscheidung über die neue Tat trotz der formellen Rechtskraft eines derentwegen erlassenen Strafbefehls bejahte; da dieser in einem summarischen Verfahren ergangen und deshalb zwar formell-, nicht aber materiellrechtlich einem rechtskräftigen Urteil gleichzusetzen sei; zustimmend Neubacher GA 2004 402, 414. Vgl. EKMR NdsRpfl. 1992 54 (glaubhaftes Geständnis genügt); zur gütlichen Einigung mit der Bundesregierung nach erneuter Befassung vgl. EuGRZ 1989 212. Zu weiteren Entscheidungen der EKMR vgl. Pauly StV 2003 85. Dazu Boetticher NStZ 1991 4; Ostendorf StV 1990 230; Strasser EuGRZ 1992 450. Vgl. insofern die Änderungsvorschläge von Kraus 249 ff., 263 f. Eine Gesetzesänderung fordern auch Peglau NStZ 2004 248, 251 und Wita 160, 162. EGMR Böhmer/D (Fn. 1310). Dazu Peglau ZRP 2003 242; NStZ 2004 248; SK/Paeffgen 203 und Neubacher GA 2004 402 ff. (die beantragte Verweisung an die Große Kammer wurde abgelehnt). OLG Köln NJW 1991 505; ähnlich BVerfG NStZ 1991 30; OLG Düsseldorf MDR 1991 787; 982; OLG Stuttgart Justiz 1991 402; OLG Schleswig NJW 1992 2646 mit
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geringsten Zweifels an der neuen Straftat die Rechtskraft des Schuldspruchs im neuen Verfahren abzuwarten,1316 da diesem nicht in einem Schattenprozess nach Aktenlage vorgegriffen werden könne,1317 deshalb komme praktisch ein Widerruf vor Rechtskraft des Schuldspruchs nur bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses des Beschuldigten in Frage; liege aber ein überzeugendes, in rechtsstaatlich einwandfreier Weise zu Stande gekommenes Schuldbekenntnis vor, verletze der darauf gestützte Widerruf die Unschuldsvermutung nicht, denn sie gebiete nicht, diesem die Anerkennung zu versagen.1318 Auch das BVerfG hat mittlerweile entschieden, dass der Widerruf der Strafaussetzung auch vor Aburteilung der neuen Tat jedenfalls dann nicht gegen die Unschuldsvermutung verstößt, wenn der Betroffene die Anlasstat glaubhaft gestanden hat.1319 Dem ist zuzustimmen.
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k) Bei Prognosebeurteilungen, wie etwa im Rahmen des § 57 StGB, dürfen nicht angeklagte und abgeurteilte frühere Handlungen oder eine noch nicht rechtskräftig abgeurteilte neue Tat ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung mitberücksichtigt werden, da hierfür anders als grundsätzlich im Rahmen von § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht die Feststellung einer noch nicht abgeurteilten Straftat, sondern lediglich eine ungünstige Sozialprognose erforderlich ist.1320 Zudem wird im Verfahren nach § 57 Abs. 1 StGB nur die Frage nach der Fortsetzung der Vollstreckung einer bereits rechtskräftigen Strafe wegen ungünstiger Sozialprognose beantwortet, nicht aber eine Rechtsfolge in Bezug auf die neuen Straftaten verhängt.1321 Eine ungünstige Sozialprognose darf aber nicht allein
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Anm. Stree JZ 1993 39; vgl. auch OLG Hamm StV 2007 195 mit Anm. Kraft; a.A. OLG Schleswig NJW 1991 2302; vgl. auch Peglau ZRP 2003 242, 243; NStZ 2004 248, 251, der darauf hinweist, dass das Böhmer-Urteil weder die rechtskräftige Aburteilung der Anlasstat noch die Unwiderruflichkeit eines Geständnisses verlangt, und deshalb einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK verneint, wenn der Widerruf zwar nach erstinstanzlicher Aburteilung der neuen Tat, aber vor deren Rechtskraft erfolgt; auf diese Auslegung des EGMR-Urteils weist auch Krumm NJW 2005 1832, 1833 hin, hält aber das Abwarten der Rechtskraft „in der Regel“ für geboten; vgl. auch Seifert Jura 2008 684, 685. Vgl. auch den Vorschlag von Kraus 249 ff., per Gesetzesänderung die Zuständigkeit für die Widerrufsentscheidung auf das für die Aburteilung der neuen Straftat zuständige Tatgericht zu verlagern; ebenso LG Potsdam StV 2009 369; Seher ZStW 118 (2006) 101, 155 m.w.N. Neubacher GA 2004 402, 408 ff. zeigt die rechtlichen Schwierigkeiten auf, die bei einem zwar wenig wahrscheinlichen, aber immerhin möglichen späteren Freispruch von der den Widerruf begründenden Anlasstat hinsichtlich der Beseitigung der
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Widerrufsentscheidung entstehen (analoge Anwendung der Wiederaufnahmeregeln? usw.). Im Ergebnis ebenso Neubacher GA 2004 402, der unter Hinweis auf EGMR Böhmer/D (Fn. 1310) im glaubhaften Geständnis einen wirksamen Verzicht auf die Unschuldsvermutung sieht; ebenso KK/Schädler 45; der EGMR hat dies offen gelassen; dazu Peglau ZRP 2003 242, 244. Ähnlich Seifert Jura 2008 684, 685: „unwiderrufliches Geständnis im Beisein eines Verteidigers in einer richterlichen Vernehmung“. BVerfG (Kammer) NJW 2005 817 = NStZ 2005 204. Ebenso: OLG Köln NStZ 2004 685; OLG Düsseldorf NJW 2004 269; OLG Nürnberg NJW 2004 2032; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2005 8; OLG Stuttgart NJW 2005 83; OLG Saarbrücken Beschl. v. 29.10.2009 – 1 Ws 182/09 (polizeiliches Geständnis kann genügen); a.A. LG Potsdam StV 2009 369; Seher ZStW 118 (2006) 101, 149 ff., der eine Disponibilität der Unschuldsvermutung ablehnt, vgl. hierzu oben Rn. 461. So mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR: OLG Hamm NStZ-RR 2005 154. Vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2005 154.
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darauf gestützt werden, dass der Verdacht besteht, der Verurteilte habe weitere Straftaten begangen, vielmehr ist auch die Persönlichkeit des Verurteilten unter Berücksichtigung sonstiger bekannter Umstände und Gesichtspunkte zu würdigen.1322 7. Anwendbarkeit außerhalb eines Strafverfahrens a) Auf Verfahren, die nach ihrer Zielsetzung (tendenziell) nicht auf die Feststellung 520 und Ahndung strafrechtlicher Schuld (im weiten Sinn des Strafrechtsbegriffs der Konventionen) gerichtet sind, sondern die außerhalb der Strafrechtspflege im weiten Sinn der Konventionen eine Entscheidung über andere Rechtsfolgen eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts zum Gegenstand haben, erstreckt sich nach vorherrschender Meinung1323 die Unschuldsvermutung der Konventionen nicht,1324 so auch nicht auf Feststellungen der Zivilgerichte.1325 Diese sind selbst durch einen rechtskräftigen Freispruch nicht gehindert, wegen des fraglichen Sachhergangs einen Schadensersatzanspruch gegen den Freigesprochenen zuzuerkennen. Sie dürfen allerdings ihre Entscheidung dann nicht mit einem fortbestehenden Verdacht der strafbaren Handlung begründen oder im Tenor ihres Urteils den Freispruch als solchen in Frage stellen, da dies vom Freigesprochenen als nachträgliche Verurteilung verstanden werden könnte und eine eindeutige Verknüpfung („clear link“) zwischen dem Strafverfahren und dem Schadensersatzprozess herstellt, die zur Anwendbarkeit der Unschuldsvermutung führt.1326 Der EGMR hat die Möglichkeit einer solchen Verknüpfung unter expliziter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung hinsichtlich der Zivilgerichte auch für ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren vor dem Verwaltungsgericht bestätigt.1327 Für eine derartige Verknüpfung genügt, wenn die Verwaltungsgerichte nach dem nationalen Recht zwar nicht an die Entscheidungen der Strafgerichte gebunden sind, diese jedoch bei ihrer eigenen Entscheidung berücksichtigen müssen.1328 Auch in einem Verfahren, in dem der Betroffene als Nebenkläger wegen vermeintlicher Verleumdungen über das parallel gegen ihn laufende und im Zusammenhang mit dem Verleumdungsprozess stehende Strafverfahren auftrat, hat der EGMR die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 EMRK bejaht, überlässt aber dem nationalen Recht die Entscheidung, ob eine Aussetzung des Verfahrens zu erfolgen hat.1329 Umgekehrt aber gilt: Wird der Beschuldigte freigesprochen und verlangt er dann vom Staat Ersatz
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Etwa OLG Düsseldorf StV 1997 91; OLG Hamm NStZ-RR 2005 154. Vgl. etwa Meyer FS Tröndle 61, 63; MeyerGoßner 13; SK/Rogall Vor § 133, 81 StPO m.w.N. vgl. auch Paulus NStZ 1990 600. Nach IK-EMRK/Kühne 417 ist allerdings eine einheitliche Linie bei Beurteilung der Rückwirkung auf andere Verfahren nicht erkennbar. IK-EMRK/Kühne 417; Peukert EuGRZ 1980 247, 259; Meyer FS Tröndle 61, 63; Paulus NStZ 1990 600; vgl. ferner SK/Rogall Vor § 133, 81 StPO; Stuckenberg 557 f. Frowein/Peukert 162 mit Hinweisen auf EKMR. Vgl. EGMR Ringvold/N, 11.2.2003, ECHR 2003-II und a contrario EGMR Y/N, 11.2.2003, ECHR 2003-II; dazu Goedecke
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JIR 46 (2003) 605, 619; Jebens Liber Amicorum Wildhaber 216 ff.; Meyer-Ladewig 86b. Vgl. auch EGMR Diamantides/GR (Nr. 2) (Fn. 1206; Nichtberücksichtigung des Freispruchs in einem sich anschließenden Prozess wegen Verleumdung des Betroffenen) sowie den ähnlichen Rückgriff auf eine solche Verknüpfung im Auslieferungsverfahren, oben Rn. 472. Für eine solche Verknüpfung im deutschen Besteuerungsverfahren Reiß GS Trzaskalik 501; a.A. Pflaum wistra 2010 368, 370. EGMR Moullet/F (E) (Fn. 181); Vanjak/KRO (Fn. 1206). EGMR Vassilios Stavropoulos/GR (Fn. 1220). EGMR Diamantides/GR (Nr. 2) (Fn. 1206).
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für im Zuge des Ermittlungsverfahrens erlittene Schäden, so stellt es keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK dar, ihm trotz des Freispruchs die Beweislast dafür aufzubürden, dass der Verdacht gegen ihn von Anfang an unbegründet gewesen ist.1330 Man wird deshalb allgemein festhalten können, dass auch in einem Verfahren, das 521 keine strafrechtliche Anklage im weiten Sinne der Konventionen zum Gegenstand hat, die Unschuldsvermutung verletzt wird („would raise an issue under Article 6 § 2“), wenn das Gericht in seiner Entscheidungsbegründung dem Betroffenen eine strafrechtliche Schuld zuweist, obwohl er zuvor rechtskräftig freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde.1331 Dies hindert das im nachfolgenden Verfahren entscheidende Gericht allerdings nicht daran, seine Entscheidung auf die dem strafrechtlichen Vorwurf zu Grunde liegenden Tatsachen zu stützen, ohne diese aus strafrechtlicher Sicht zu bewerten.1332 Zudem hat der EGMR die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 EMRK für Verfahren 522 bejaht, die eine Schadensersatzklage des Beschuldigten als Abhilfe für eine vorausgegangene Verletzung der Unschuldsvermutung betreffen.1333 Der Gerichtshof betont insoweit, dass eine wesentliche Funktion der Unschuldsvermutung darin liegt, das Ansehen einer freigesprochenen Person vor auf einen Freispruch folgenden Äußerungen oder Handlungen zu schützen, die diesen untergraben würden.1334 Die Unschuldsvermutung schließt aber Hinweise auf ein anhängiges Strafverfahren nicht aus, sofern mit dem Hinweis keine vorweggenommene Feststellung der strafrechtlichen Schuld verbunden ist.1335 Im Übrigen ist es grundsätzlich dem nationalen Recht überlassen, eine sachgerechte Lösung dafür zu finden, wieweit die für andere Zwecke in außerstrafrechtlichen Verfahren zu treffenden Feststellungen über ein strafbares Verhalten auf Beweisvermutungen und Beweislastverteilungen gestützt werden dürfen und wieweit dort der bloße Verdacht einer Straftat rechtliche Auswirkungen haben kann,1336 ferner, wieweit als Grundlage bürgerlich-rechtlicher Ansprüche oder eines öffentlich-rechtlichen Einschreitens auch das Vorliegen eines Straftatbestandes von anderen Stellen und Gerichten festgestellt werden darf, sowie, ob und in welchem Umfang ein vorliegendes strafrichterliches Erkenntnis für eine solche Vorfrage Bindungswirkungen entfaltet.1337 Dies gilt für die Verfahren vor den Zivil- oder Verwaltungsgerichten,1338 aber auch für die Entscheidungen der Behörden
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EGMR Bok/NL, 18.1.2011, § 45 („The Court cannot find it unreasonable that the applicant was required to prove, on balance, the truth of his allegation that there had never been any reason to suspect him in circumstances where he was claiming damages in this regard.“). Vgl. in Bezug auf zivilrechtliche Haftung trotz Freispruchs die abweichende Begründung der Richterin Tulkens zu EGMR Ringvold/N (Fn. 1326) sowie Jebens Liber Amicorum Wildhaber 221; vgl. auch zum Besteuerungsverfahren Reiß GS Trzaskalik 502. Vgl. EGMR Moullet/F (E) (Fn. 181). EGMR Panteleyenko/UKR (Fn. 1278); Taliadorou u. Stylianou/ZYP (Fn. 1183). EGMR Taliadorou u. Stylianou/ZYP
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(Fn. 1183). Vgl. auch Jebens Liber Amicorum Wildhaber 210. EGMR Verlagsgruppe News GmbH/A (Fn. 96). In aller Regel wird allerdings auch hier der bloße Verdacht einer Straftat weder nachteilige Rechtsfolgen begründen noch die Beweiswürdigung tragen. Vgl. etwa BGH MDR 1990 542 (Beweiswürdigung, die auf einen trotz Freispruchs fortbestehenden Verdacht gestützt wurde); ferner OLG Düsseldorf MDR 1990 1133. EKMR bei Frowein FS Huber 556; IK-EMRK/Kühne 417; Meyer FS Tröndle 61, 63; Peukert EuGRZ 1980 247, 259; vgl. auch EGMR Vassilios Stavropoulos/GR (Fn. 1220).
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der öffentlichen Verwaltung1339 und die Verfahren, die die Unterbringung einer Person wegen einer psychiatrischen Erkrankung zum Gegenstand haben.1340 Ein Sonderproblem stellen insoweit die Verdachtskündigungen im Arbeitsrecht dar.1341 523 Hier stellt sich die Frage, ob einem Arbeitnehmer, gegen den der Verdacht einer Straftat vorliegt, von seinem Arbeitgeber gekündigt werden darf. Das BAG nimmt unter bestimmten Voraussetzungen1342 in ständiger Rechtsprechung die grundsätzliche Zulässigkeit einer solchen Kündigung an.1343 Nach herrschender Meinung ist dabei Art. 6 Abs. 2 EMRK auf Verdachtskündigungen nicht anwendbar.1344 Dem ist jedoch zu widersprechen:1345 Zwar entfaltet die Unschuldsvermutung keine unmittelbare Drittwirkung (siehe Rn. 456), so dass der Arbeitgeber nicht an Art. 6 Abs. 2 EMRK gebunden ist (es sei denn, er ist eine öffentliche Stelle). Wenn aber alle staatlichen Stellen die Unschuldsvermutung beachten müssen, sobald gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, dann muss dies auch für die Arbeitsgerichte gelten, die die Verdachtskündigung des Arbeitgebers bestätigen. Anknüpfungspunkt ist hierbei allerdings nicht das Verfahren vor dem Arbeitsgericht, da es hier nicht um die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion geht, sondern das Ermittlungsverfahren wegen der Straftat, der der Betroffene verdächtigt wird. Für den Fall, dass (ausnahmsweise) noch keine Ermittlungen aufgenommen wurden, der Betroffene also streng genommen noch nicht im weiten Sinne von Art. 6 Abs. 2 EMRK „angeklagt“ ist, ist über eine Vorwirkung der Unschuldsvermutung nachzudenken. Grundsätzlich ist also auch im Verfahren vor dem Arbeitsgericht die Unschuldsver- 524 mutung anwendbar. Erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, ob die Bestätigung einer Verdachtskündigung auch einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt. Man könnte sich insofern auf den Standpunkt stellen, dass ein Verdacht grundsätzlich nur vorläufige Maßnahmen rechtfertigt, so dass nur eine vorübergehende Suspendierung des Arbeitnehmers möglich wäre. Eine Kündigung hingegen würde eine endgültige Maßnahme darstellen; daran würde auch ein möglicher Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers,1346 wenn sich seine Unschuld nachträglich herausstellt, nichts ändern.
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Meyer FS Tröndle 61, 63; BVerwG NJW 1988 660 (AusländerG); vgl. IK-EMRK/ Kühne 425; aber auch die dort in Rn. 387 mitgeteilten Entscheidungen des ÖVerfGH. EKMR bei Frowein/Peukert 162; IK-EMRK/Kühne 419; SK/Paeffgen 192. Vgl. hierzu allgemein Moritz NJW 1978 402; Hahn Die Verdachtskündigung unter Berücksichtigung einer gesetzlichen Regelung (2004); Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts (2006); Schlegeit Das BAG und die Verdachtskündigung (2008). Zusammenfassend Schlegeit Das BAG und die Verdachtskündigung (2008) 53 f. Vgl. nur BAGE 2 1 = AP § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; BAG NJW 1964 1918; NZA 2005 1056; AP § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40; bestätigt durch BVerfG (Kammer), Beschl. v. 15.12.2008 – 1 BvR 347/08 (im konkreten Fall allerdings keine Verdachts-
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kündigung, sondern Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG). BAG NJW 1995 1110; NJW 2002 3651; LAG Berlin NZA 1997 319 = ZTR 1996 329; Hahn Die Verdachtskündigung unter Berücksichtigung einer gesetzlichen Regelung (2004) 36; Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts (2006) 80, 290; Schlegeit Das BAG und die Verdachtskündigung (2008) 59. Ebenso: Joachim AuR 1964 33; Schütte NZA 1991 Beil. 2 17; Kittner EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; Dörner NZA 1992 865; Naujok AuR 1998 398; Deinert AuR 2005 285; Keiser JR 2010 55, 58; vgl. auch Moritz NJW 1978 406. Vgl. hierzu BAG NJW 1964 1918; NJW 1998 1171; BGH AP § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 2; ausführlich Schlegeit Das BAG und die Verdachtskündigung (2008)
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Diese Gedanken können jedoch aus dem Grund nicht überzeugen, dass auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen allein aufgrund eines bestehenden Verdachts angeordnet werden können. Sinnvoller ist es deshalb, schlicht danach zu differenzieren, ob das Arbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung eine Schuldfeststellung trifft oder lediglich eine Verdachtslage beschreibt, wie es der EGMR etwa auch in Bezug auf Entschädigungs- und Erstattungsansprüche tut. Dem Wesen der Verdachtskündigung entspricht es, dass gegen den Arbeitnehmer lediglich der Verdacht einer Straftat besteht, der so schwerwiegend ist, dass deshalb das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dauerhaft zerstört wird. Grundsätzlich genügt daher zur Rechtfertigung der Verdachtskündigung die reine Beschreibung einer Verdachtslage, so dass insofern kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vorliegt. Die Urteilsbegründung kann jedoch im Einzelfall eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK beinhalten, nämlich dann, wenn das Arbeitsgericht – über das eigentlich Erforderliche hinaus – zu erkennen gibt, dass es den Betroffenen tatsächlich für schuldig hält. Dann läge eine unzulässige Schuldfeststellung vor.1347
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b) Allgemeiner Schutz vor Zuweisung unbewiesener strafrechtlicher Schuld. Entgegen der hier vertretenen Auffassung wird im Schrifttum und mitunter auch vom EGMR angenommen,1348 dass Art. 6 Abs. 2 EMRK den Einzelnen unabhängig von jedem Strafverfahren davor schützt, dass ein Träger der öffentlichen Gewalt seine Integrität durch Zuweisung strafrechtlicher Schuld antastet, bevor diese in einem gesetzlichen Verfahren vor dem für die Aburteilung der Straftat zuständigen Strafrichter nachgewiesen ist. Diese ausdehnende Auslegung erlangt praktische Auswirkungen, wenn man der verfahrensrechtlichen Komponente der Unschuldsvermutung eine so weitgehende Außenwirkung beimisst, dass nicht nur die eigentliche strafrechtliche Ahndung dem Strafrichter vorbehalten ist, sondern dass auch im nichtstrafrechtlichen Bereich alle anderen Staatsorgane davon ausgesperrt werden, bei den ihnen obliegenden Entscheidungen inzidenter den Tatbestand einer nicht vom Strafrichter vorher rechtskräftig abgeurteilten Straftat festzustellen, weil außerhalb eines nicht notwendig in der Bundesrepublik gegen den Beschuldigten zu führenden Strafverfahrens die „Widerlegung“ der Unschuldsvermutung nicht möglich sei.1349
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c) Exklusivität der strafgerichtlichen Schuldfeststellung? Der Grundgedanke, dass der Schuldnachweis im Strafverfahren zu erbringen ist, gilt für die Aburteilung der Straftat als solcher. Die Ausübung der staatlichen Strafgewalt durch Verhängung einer Strafe oder ihr gleichkommenden Maßnahme mit Sanktionscharakter wegen der nachgewiesenen schuldhaften Begehung einer Straftat1350 (im weiten Sinn des Strafrechtsbegriffs der Konventionen) ist grundsätzlich dem zuständigen gesetzlichen Richter und dem im nationalen Recht dafür vorgesehenen Strafverfahren vorbehalten, für das Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR besondere Rechtsgarantien aufstellen. Siehe hierzu bereits Rn. 451.
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155 ff.; Hahn Die Verdachtskündigung unter Berücksichtigung einer gesetzlichen Regelung (2004) 127 ff. Ebenso Keiser JR 2010 55, 58 f. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422; im Grunde auch in Anlehnung an Entscheidungen der EKMR EGMR Allenet de Ribemont/F (Fn. 1088); Daktaras/LIT (Fn. 1189); Verlagsgruppe News GmbH/A (Fn. 96); anders aber EGMR Zollmann/UK (E) (Fn. 1183) (Unschuldsvermutung
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mangels anhängigen oder geplanten Strafverfahrens nicht anwendbar); Gaforov/R (Fn. 1154); Frowein/Peukert 162; Frowein FS Huber 554; IK-EMRK/Kühne 417, 433; Kühl FS Hubmann 246; NJW 1988 3234; Meyer-Ladewig 86; SK/Rogall Vor § 133, 75 StPO; Nowak 36. Vgl. IK-EMRK/Kühne 437; Marxen GA 1980 373. IK-EMRK/Kühne 437; Meyer FS Tröndle 61, 69.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Mehr garantieren die Konventionen nicht. Der Wortlaut der Absätze 2 schreibt nicht einmal zwingend ein gerichtliches Verfahren vor. Sie lassen selbst hier dem nationalen Recht weiten Raum. Auch in einem Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde kann die Unschuldsvermutung widerlegt werden. Das Erfordernis, dass die Anrufung eines Gerichts möglich sein muss,1351 folgt aus den Garantien der Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 1 IPBPR. Soweit die Konventionsgarantien überhaupt über das eigentliche Strafverfahren hinausreichen, schützen sie den Einzelnen grundsätzlich davor, dass staatliche Organe ihr Verhalten gegenüber dem Bürger auf einen unbewiesenen strafrechtlichen Schuldvorwurf gründen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass sie ohne Rücksicht auf das jeweilige nationale Rechtssystem, auf das sie Bezug nehmen, ein exklusives Strafrichtermonopol begründen und verbieten wollen, das Vorliegen eines mit Strafe bedrohten Verhaltens in gesetzlichen Verfahren mit anderer Zielrichtung inzidenter festzustellen und zur Grundlage einer dort zu treffenden außerstrafrechtlichen Entscheidung zu machen.1352 Allerdings tendiert die Rechtsprechung des EGMR mit der Formulierung, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK eine Schuldfeststellung durch staatliche Stellen außerhalb des Strafverfahrens vor dem zuständigen Tatgericht verbietet, inzwischen deutlich in die Richtung des Konzepts der Exklusivität der strafgerichtlichen Schuldfeststellung.1353 Aus der verfassungsrechtlichen Ableitung der Unschuldsvermutung, vor allem dem Rechtsstaatsprinzip, kann, wie oben dargelegt, für das innerstaatliche Recht eine solche weitgehende und letztlich systemfremde Folgerung ebenfalls nicht hergeleitet werden.1354 Im Schrifttum wird dagegen in einer an sich konsequenten Ausdehnung des Strafrichtervorbehalts die Ansicht vertreten,1355 dieser schließe in Verfahren mit anderer Zielsetzung jede behördliche oder gerichtliche Feststellung über eine begangene Straftat aus, nicht nur ihre Ahndung als Straftat. Diese gedankliche Konstruktion überspannt den Inhalt der Anforderungen, die man an eine ungeschriebene Verfassungsgarantie und an den Konventionswortlaut im praktischen Rechtsleben vernünftigerweise stellen darf. Wollte man in jedem nicht zur Aburteilung der betreffenden Straftat durchgeführten gerichtlichen oder behördlichen Verfahren alle Feststellungen über strafrechtlich relevante Tatsachen überhaupt ausklammern oder sie auf die Feststellung erwiesener Verhaltensweisen ohne strafrechtliche Zuordnung beschränken,1356 so müsste ein solcher Strafrichtervorbehalt in einer wohl kaum befürworteten letzten Konsequenz für alle anderen gerichtlichen und behördlichen Verfahren unbeschadet ihrer anderen Zielrichtung gelten. Mit unserem Rechtsschutzsystem ist ein über die Ahndung als Straftat hinausreichendes Strafrichtermonopol unvereinbar. Dieses geht grundsätzlich davon aus, dass die Richter aller Gerichtszweige unabhängig und ohne Bindung an die Erkenntnisse anderer Gerichte die entscheidungserheblichen Vorfragen in dem jeweils für ihre Urteilsfindung erforderlichen Umfang selbst feststellen und entscheiden. Sie sind insoweit die dazu berufenen gesetzlichen Richter und das Verfahren ist das gesetzliche Verfahren für die darin zu treffenden Feststellungen. Eine Verabsolutierung des Strafrichtervorbehalts würde nicht nur in allen anderen gerichtlichen und behördlichen Verfahren jede Aussage über ein strafrechtlich relevantes Verhalten ausschließen; sie müsste auch im Strafverfahren
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Vgl. EGMR Lutz/D (Fn. 1144). Ebenso Pflaum wistra 2010 368, 370. Vgl. Stuckenberg StV 2007 655, 660; Seher ZStW 118 (2006) 101, 124. Vgl. BVerfG NStZ 1988 21; MDR 1991 891; ebenso Pflaum wistra 2010 368, 370.
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Vgl. IK-EMRK/Kühne 437; Marxen GA 1980 373; Vogler FS Kleinknecht 436; zum Besteuerungsverfahren Reiß GS Trzaskalik 504 f. Vgl. IK-EMRK/Kühne 464.
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den Richter hindern, Aussagen über nicht verfahrensgegenständliche Taten oder über Straftaten der nicht am Verfahren beteiligten Personen zu treffen, selbst wenn es um deren Verfahrensbeteiligung oder Vortäterschaft geht.1357 Die Unschuldsvermutung ist als Schutz des jeweiligen Beschuldigten vor der Zuweisung und Bestrafung wegen nicht ordnungsgemäß nachgewiesener Schuld gedacht. Sie zwingt die staatlichen Organe bei Entscheidungen über einen anderen Lebenssachverhalt nicht zu der lebensfremden Unterstellung, ein mit Strafe bedrohter Sachverhalt habe sich ungeachtet seiner mitunter unstrittigen Evidenz nicht zugetragen, nur weil er nicht rechtskräftig vom zuständigen Strafgericht abgeurteilt worden ist.1358 Die andere Auffassung hätte in letzter Konsequenz zur Folge, dass jedem Verfahren, in dem es darauf ankommt, ob ein mit Strafe bedrohtes Verhalten vorlag, notwendig Strafanzeige und Strafverfahren vorangehen müssten; das Strafverfahren würde damit zum Vorschaltverfahren für alle anderen, bis zu seiner Erledigung auszusetzenden Verfahren werden. Könnte auf diesem Weg eine strafrichterliche Entscheidung in der Sache nicht erreicht werden, etwa, weil die Straftat verjährt ist oder weil der Staat aus Opportunitätsgründen (vgl. §§ 153 ff. StPO) von der Strafverfolgung absieht oder weil die Durchführung des Strafverfahrens an anderen Umständen, wie etwa der Flucht des Angeklagten, scheitert, müsste der Gesetzgeber im Interesse der Gerechtigkeit und in Erfüllung seiner Rechtsgewährungspflicht gegenüber den sonst um seine Rechte gebrachten Geschädigten auch von Konventions wegen ein Ersatzverfahren vorsehen.1359 Dies alles verlangen die Konventionen vom nationalen Recht nicht. Zuzustimmen ist deshalb der Praxis, wonach in Verfahren mit anderer Zielsetzung 532 Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen und nötigenfalls auch über dessen Vorliegen selbst (nicht aber über die dem Strafrichter vorbehaltene Sanktionsfrage) in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts getroffen werden dürfen. Der Zweck der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 2 IPBPR kann nicht darin liegen, andere Gerichte oder staatliche Stellen zu zwingen, bei ihrer Entscheidung eine vom Strafrichter rechtskräftig festgestellte Straftat ohne Rücksicht auf ihre eigenen Erkenntnisse für erwiesen zu unterstellen oder dem nationalen Recht zu verbieten, dass die Gerichte aller Gerichtszweige in eigener Unabhängigkeit und ohne Bindung1360 in der Regel auch strafrechtliche Vorfragen mitentscheiden. Wer entgegen der hier vertretenen Meinung die Verfahrensgarantie der Unschuldsver533 mutung nicht auf das Verfahren zur Ahndung der strafrechtlichen Schuld beschränkt, sondern ihr eine allgemeine Schutzwirkung gegen jede Zuweisung unbewiesener Schuld beimisst, sollte diese Außenwirkung dadurch praktikabel machen, dass er anerkennt, dass die betreffende Straftat auch durch einen den Anforderungen des jeweiligen Verfahrens entsprechenden Schuldnachweis festgestellt werden kann. Eine solche Schuldfeststellung hätte dann allerdings nur eine auf die Zwecke des jeweiligen Verfahrens begrenzte Wirkung. Die Inzidentfeststellung würde die Unschuldsvermutung für andere Verfahren
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Die EKMR sah dies zu Recht für zulässig an, vgl. bei IK-EMRK/Kühne 417. BGHSt 34 211 = Jura 1988 356 mit Anm. Frister = JR 1988 340 mit Anm. Gollwitzer = NStZ 1986 127 mit abl. Anm. Vogler; zust. Meyer FS Tröndle 61, 73. Der effektive Rechtsschutz bei Streitig-
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keiten über „civil rights“ (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR) wäre sonst in Frage gestellt. Gesetzliche Regelungen schreiben nur in Ausnahmefällen etwas anderes vor, vgl. § 190 StGB.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
nicht widerlegen, vor allem könnte sie nicht ausschließen, dass in einem späteren Strafverfahren wegen der gleichen Tat der Beschuldigte als unschuldig zu behandeln ist. Ob umgekehrt ein rechtskräftiger Freispruch im Strafverfahren andere Gerichte insoweit bindet, dass sie dann auch unter Ausschöpfung aller ihnen verfügbarer Beweise1361 einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt nicht mehr feststellen, sondern ihre Erkenntnis nur noch auf die dem Freispruch zugrunde liegenden Tatsachen stützen dürfen, wie die EKMR angenommen hat,1362 erscheint ebenfalls zweifelhaft. Auch dies überspannt die Konventionsgarantien und lässt sich auch nicht aus den Verfassungsgarantien, vor allem dem Rechtsstaatsprinzip, herleiten. Diese Grundsätze schreiben kein bestimmtes Rechtsschutzsystem vor, allenfalls bekräftigen sie das vorhandene, das gerade für den Normalfall keine solche Bindungen aufstellt und das durch unterschiedliche Prozessmaximen in den verschiedenen Verfahrensarten bewusst unterschiedliche Ergebnisse in Kauf nimmt. Wegen des faktischen Gewichts, dem ein Freispruch in anderen Verfahren in der Regel beigemessen wird, wäre eine solche Bindung allerdings praktisch hinnehmbar.
X. Unterrichtung über die erhobene Beschuldigung (Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR) Da der EGMR die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 3 EMRK nur als Teilaspekte 534 des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) ansieht,1363 nimmt er eine Gesamtbewertung1364 der Fairness des Verfahrens vor, mit der Folge, dass selbst bei einem Verstoß gegen die Einzelrechte des Absatzes 3 in irgendeinem Verfahrensstadium, nicht notwendig das gesamte Verfahren konventionswidrig sein muss (dazu schon
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Vgl. Bruns StV 1982 19. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422; vgl. ferner zu der bei § 56f StGB strittigen Frage OLG Düsseldorf MDR 1990 1133; OLG Hamm NJW 1973 911 und die Erläuterungen in den Kommentaren zum StGB. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 44; Mayzit/R (Fn. 645), § 77; Balliu/ALB (Fn. 645), § 25; Kolu/TRK (Fn. 645), § 50; Sannino/I (Fn. 645), § 47; Popov/R (Fn. 645), § 169; Padalov/BUL (Fn. 645), § 30; Borisova/ BUL (Fn. 527), § 37; Matyjek/PL (Fn. 171), § 54; Baucher/F (Fn. 594), § 41; Galstyan/ ARM (Fn. 645), § 83; Luboch/PL (Fn. 527), § 59; Abbasov/ASE (Fn. 568), § 23; Demebukov/BUL (Fn. 645), § 43; Shulepov/R (Fn. 645), § 31; Bogumil/P (Fn. 645), § 45; Moiseyev/R (Fn. 527), § 201; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 47; Rybacki/PL (Fn. 645), § 53; Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 51; Natunen/FIN (Fn. 568), § 38; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 75; Hanzevacki/KRO (Fn. 645), § 20; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 38; Kulikowski/PL (Fn. 308), § 55; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 30;
Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 26; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 43; Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 39; Arcinski/PL (Fn. 645), § 30; Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 64 f.; Maksimov/ASE (Fn. 568), § 30; Kuralic´ /KRO (Fn. 645), §§ 43 f.; Caka/ALB (Fn. 645), § 77; Dzankovic/D (E) (Fn. 645); Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 40; Ebanks/UK (Fn. 645), § 71; Sinichkin/R (Fn. 645), § 36; Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645), § 63; Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 48; Garcia Hernandez/E (Fn. 645), § 23; Hovanesian/ BUL (Fn. 645), § 30; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 60; ferner KK/Grabenwarter/ Pabel Kap. 14, 127. EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), § 25 („On the whole, the Court is called upon to examine whether the proceedings in their entirety were fair.“), auch § 42; ferner EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 78; Natunen/FIN (Fn. 568), § 38; Caka/ALB (Fn. 645), § 77; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 40; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 57; Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 48. /
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Rn. 244).1365 Gleichwohl erkennt der EGMR an, dass es schon in einem sehr frühen Stadium des Strafverfahrens Verfahrensverstöße (insbesondere im Hinblick auf die in Absatz 3 normierten Rechte) geben kann, die das gesamte spätere Verfahren für den Beschuldigten ungünstig determinieren und damit unfair machen.1366 Das gilt namentlich im Bereich von Verteidigungsmängeln.
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1. Zweck der Unterrichtung. Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR fordern sachlich übereinstimmend die alsbaldige Unterrichtung des Beschuldigten1367 über die ihm angelasteten Beschuldigungen. Diese Unterrichtung soll die ihn belastende Ungewissheit über den Gegenstand des gegen ihn anhängigen Verfahrens frühzeitig ausräumen und ihm zugleich das Recht auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR) sichern.1368 Nur wenn der Beschuldigte weiß, wegen welcher Straftaten gegen ihn ermittelt wird und auf welche Tatsachen sich dieser Verdacht gründet, kann er seine Verteidigung effektiv vorbereiten1369 und wirksame Rechtsbehelfe gegen ihn belastende Ermittlungseingriffe ergreifen.1370 Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK schützt den Beschuldigten jedoch nicht davor, freiwillig 536 Angaben zu machen, bevor er hinreichend über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen unterrichtet wurde;1371 insofern greifen nur die Regeln zur Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur; Rn. 879 ff.). Der Gerichtshof prüft nicht die Begründetheit der Verteidigungsmittel, die der Betrof537 fene bei korrekter Unterrichtung gehabt hätte, sondern beschränkt sich auf eine Plausibilitätsprüfung im Hinblick darauf, ob diese Mittel sich von den tatsächlich gewählten unterschieden hätten.1372 Die Bedeutung der Unterrichtungspflicht für ein faires Verfahren liegt darin, dass die geforderte Unterrichtung den Beschuldigten möglichst frühzeitig in die Lage setzen soll, alles Erforderliche in die Wege zu leiten, um sich wirksam gegen die erhobenen Beschuldigungen und auch gegen die darauf gestützten Ermittlungseingriffe wehren zu können.1373 Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK kommt daher bereits bei der ersten Maßnahme zur Anwendung, deren Nichtbeachtung die Fairness des Verfahrens gefährdet.1374
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2. Anlass der Unterrichtung. Das Recht auf Unterrichtung wird durch jede behördliche1375 Maßnahme ausgelöst, durch die der Betroffene Kenntnis erhält, dass er Beschul-
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EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 77; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 64; eingehend dazu Gaede HRRS-FG Fezer 21, 35 ff. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 64. Angeklagte Person („everyone charged with a criminal offence“; „accusé“) ist in autonomer Auslegung im weiten Sinne des deutschen „Beschuldigten“ zu verstehen, vgl. Rn. 92 ff. Vgl. EGMR Dallos/H, 1.3.2001, ECHR 2001-II; (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); Egon Müller FS Koch 191, 197 (Verteidigung schon im Vorfeld ermöglichen). Die Möglichkeit, sich bereits in diesem Verfahrensabschnitt zu den Vorwürfen zu äußern, ist ihm unbenommen; durch lit. a wird er weder dazu verpflichtet noch wird
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es ihm verboten. Ob sich aus lit. a ein Recht auf Stellungnahme ableiten lässt, ist daher unerheblich (verneinend Villiger 505, zweifelnd SK/Paeffgen 126); vgl. auch OLG Düsseldorf StV 2010 512. Vgl. Weigend StV 2000 385; Frowein/Peukert 282. Vgl. EGMR Sutyagin/R (E), 8.7.2008. Vgl. EGMR Drassich/I, 11.12.2007; (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648). Vgl. EGMR Artico/I (Fn. 522); Deweer/B (Fn. 38); Goddi/I, 9.4.1984, A 76 = EuGRZ 1985 236; Colozza/I (Fn. 521); Frowein/ Peukert 282. EGMR Soylemez/TRK, 21.9.2006, § 128. Zur Unterrichtungspflicht über Schreiben und Stellungnahme anderer Verfahrens-
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
digter eines gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ist. Dies kann auch die behördliche Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage des Beschuldigten sein, der sich nach dem Zweck polizeilicher Aktivitäten in seinem unmittelbaren Umfeld erkundigt, aber auch sonstige Handlungen, die dem Beschuldigten die Existenz eines gegen ihn geführten Verfahrens zur Kenntnis bringen, wie etwa eine Festnahme oder Durchsuchung.1376 Der Begriff der Anklage wird hier – ebenso wie bei Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR – materiell, d.h. als Gegenstand einer gegen den Beschuldigten erhobenen Beschuldigung und eines diesbezüglich gegen ihn geführten Verfahrens verstanden.1377 3. Zeitpunkt der Unterrichtung. Der Beschuldigte muss in möglichst kurzer Frist 539 („promptly“ / „dans le plus court délai“) von den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und den ihnen zugrunde liegenden Tatsachen unterrichtet werden. Dies bedeutet nicht sofort mit Verfahrensbeginn, wohl aber, dass der Beschuldigte sobald als möglich die für die Vorbereitung seiner Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR) wesentliche Aufklärung über den sachlichen Gegenstand der Ermittlungen1378 und über alle ihm zur Last gelegten rechtlichen Vorwürfe erhält. Diese Unterrichtungspflicht wird dadurch ausgelöst, dass er von einer amtlichen Stelle erfährt, dass wegen einer gegen ihn erhobenen Anschuldigung ein behördliches Verfahren eingeleitet ist; damit ist er „angeklagt“ (vgl. Rn. 68 ff.).1379 Der Zeitpunkt der Unterrichtung darf also nicht mit der späteren formellen Erhebung einer Anklage i.S.d. § 170 StPO gleichgesetzt werden, er liegt in der Regel deutlich früher. Mit der Anklageerhebung erneuert sich der Anspruch des (jetzt) Angeschuldigten auf 540 Unterrichtung. Der Zweck des Absatzes 3 lit. a, die Verteidigung schon im Vorfeld zu sichern,1380 deckt sich mit der Forderung in Absatz 3 lit. b, eine ausreichende Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung zu gewähren. Die Unterrichtung ist ohne jeden weiteren Aufschub von Amts wegen vorzunehmen, sobald sie im Rahmen eines geordneten Verfahrensganges durchführbar ist. Dies gilt auch, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, erst recht aber für den Zeitpunkt der formellen Anklageerhebung. Auch aus diesem Grund kann eine mündliche Übersetzung der Anklageschrift erst in der Hauptverhandlung den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK nicht genügen.1381 Dass sich Art oder Umfang des Vorwurfs im Verlauf der Ermittlungen noch ändern können, rechtfertigt keinen Aufschub, vor allem kein längeres Zuwarten auf weitere Ergebnisse und den Abschluss der Ermittlungen.1382
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beteiligter, z.B. des Nebenklägers vgl. Rn. 227 f. und EGMR Verdú Verdú/E, 15.2.2007. Nowak 47 (behördliche Verfahrenshandlung, aus der Verdacht abgeleitet werden kann). Vgl. EGMR Luedicke u.a./D, 28.11.1978, A 29 = NJW 1979 1091 = EuGRZ 1979 34; EKMR EuGRZ 1988 330 (Brozicek). EKMR EuGRZ 1988 331; EGMR Kamasinski/A, 19.12.1989, A 168 = ÖJZ 1990 412; (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648). Der Begriff wird unabhängig vom nationalen Recht autonom ausgelegt. Vgl. etwa EGMR Neumeister/A, 27.6.1968 (Fn. 121); Engel u.a./NL (Fn. 40); Deweer/B (Fn. 38);
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Corrigliano/I, 10.12.1982, A 57 = EuGRZ 1985 585; Frister StV 1998 159; Niemöller 55; Weigend StV 2000 385; Villiger 505; vgl. auch OGH ÖJZ 2010 1080, 1081 („offizielle Benachrichtigung über den Tatvorwurf“). Vgl. Art. VII Abs. IX lit. b Nato-Truppenstatut, der ausdrücklich die Unterrichtung vor der Verhandlung fordert. Vgl. OLG Stuttgart StV 2003 490. IK-EMRK/Kühne 494, 497 m.w.N. zum Streitstand. Partsch 162 nimmt an, dass Anklagebehörde und Gericht einen gewissen Spielraum für die Bestimmung der Zeit der Unterrichtung haben, sofern sie nur der Verteidigung noch genügend Zeit lassen.
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Ändern sich im späteren Verfahrensverlauf die rechtliche Beurteilung oder die tatsächlichen Grundlagen der Beschuldigung, muss die Unterrichtung entsprechend ergänzt oder geändert werden. Es können also im Laufe eines Verfahrens mehrere Unterrichtungen notwendig sein. Nach Erhebung der Anklage zum zuständigen Gericht, die ebenfalls formalisiert die Unterrichtungspflicht erfüllt, setzt sich die Unterrichtungspflicht bei späteren Veränderungen in der Hauptverhandlung und in der Verhandlung vor den Rechtsmittelgerichten fort (siehe auch Rn. 550). Sie besteht insofern neben § 265 Abs. 1, 2 StPO, der ebenfalls primär der Sicherung einer umfassenden Verteidigung des Angeklagten durch die Ergänzung der zugelassenen Anklage dient.1383 Nach h.M. hat die Verteidigung jedoch nicht die Möglichkeit, einen solchen Hinweis nach § 265 Abs. 1, 2 StPO zu beantragen. Das Recht, die Erteilung eines rechtlichen Hinweises zu beantragen, aus Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR abzuleiten, scheint jedenfalls nicht ausgeschlossen. Eine konkrete Gefährdung des Untersuchungserfolgs kann einen Aufschub der Unter542 richtung grundsätzlich rechtfertigen,1384 so etwa, wenn bei einer alsbaldigen Unterrichtung die Gefahr besteht, dass die Erlangung oder Sicherstellung von Beweismitteln oder der Erfolg verdeckter Ermittlungen vom Beschuldigten vereitelt werden könnte. Der Umstand allein, dass dem Beschuldigten durch die Kenntnis vom Gegenstand des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens ermöglicht wird, seine prozessualen Rechte effektiv auszuüben, rechtfertigt den Aufschub seiner Unterrichtung allerdings nicht.1385 Die Unterrichtung ist immer dann geboten, wenn der Beschuldigte die Kenntnis von 543 den faktischen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn erhobenen Beschuldigung benötigt, weil er zu ihr als Beschuldigter vernommen werden soll oder weil er sich gegen eine in seine Rechte eingreifende Ermittlungsmaßnahme, wie etwa eine Beschlagnahme, Durchsuchung, Verhaftung usw., sofort und effektiv zur Wehr setzen will. Ob er auch ohne eine solche Maßnahme, die ihm die gegen ihn geführten Ermittlungen notwendigerweise zur Kenntnis bringt, nach lit. a von allen Ermittlungen gegen ihn unverzüglich unterrichtet werden muss, ist strittig. Verschiedentlich wird verneint, dass in solchen Fällen lit. a bereits zur alsbaldigen Unterrichtung des Beschuldigten über die ohne sein Wissen geführten Ermittlungen verpflichtet. Die Frage, ob die Unterrichtung zur Sicherung des Untersuchungserfolgs aufgeschoben werden darf, stellt sich dann gar nicht.1386 Frister folgert dagegen aus dem Zweck, die Verteidigung schon im Ermittlungsverfah544 ren zu sichern, dass die Unterrichtungspflicht grundsätzlich bereits durch jede die Beschuldigtenstellung begründende Inkulpation ausgelöst wird und nicht erst, wenn dieser Umstand dem Beschuldigten eröffnet oder sonst bekannt wird1387 wie dies beim Beschleunigungsgebot angenommen wird, dessen Fristberechnung mit der Kenntnis des Beschuldigten von dem gegen ihn gerichteten Verfahren einsetzt (vgl. Rn. 336). Auch er hält es für zulässig, die Mitteilung zur Sicherung der Ermittlungen aufzuschieben, will dies aber erst bei der Prüfung der Unverzüglichkeit der Unterrichtung berücksichtigen;1388 im praktischen Ergebnis dürfte kein großer Unterschied bestehen.
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Meyer-Goßner § 265, 2, 6 StPO; KK/Engelhardt § 265, 1 StPO. Frister StV 1998 159 ff.; Fincke ZStW 95 (1983) 919, 917; Weigend StV 2000 385; IK-EMRK/Kühne 496. Ambos ZStW 115 (2003) 583; Frister StV 1998 159, 162; Fincke ZStW 95 (1983) 919, 961.
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Vgl. Gillmeister StraFo 1996 115; Schroeder GA 1993 205, 210; ferner zur Problematik SK/Paeffgen 126 ff. Frister StV 1998 159, 160. Frister StV 1998 159, 162.
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Indes folgt eine solche Pflicht zur Begründung des Beschuldigtenstatus („angeklagte 545 Person“) bereits aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Rn. 95),1389 da es sich bei Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK dogmatisch nur um ein „Folgerecht“ des Beschuldigtenstatus handelt, das durch dessen Begründung erst ausgelöst wird. Bei der funktionsbedingt rückwirkenden Beurteilung der Unterrichtungspflicht durch 546 den EGMR steht meist der Gesichtspunkt im Vordergrund, ob der Beschuldigte ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung und damit insgesamt ein faires Verfahren hatte.1390 Verstöße gegen die Unterrichtungspflicht können im späteren Verfahrensverlauf durch Nachholung geheilt werden. Im Endergebnis ist dem Unterrichtungsanspruch Genüge getan, wenn der Beschuldigte vor der letzten maßgebenden Entscheidung über die ihm zur Last gelegten Vorwürfe und ihre tatsächlichen Grundlagen so rechtzeitig unterrichtet war, dass ihm genügend Zeit für seine Verteidigung verblieb.1391 War dies rückschauend in ausreichendem Maße der Fall, ist es unerheblich, wann und durch welche Maßnahmen dies geschah und ob die Information im Verbund oder entsprechend der Verfahrensentwicklung in Etappen erfolgte. Auch vorübergehende Verstöße gegen die Unterrichtungspflicht durch eine zunächst inhaltlich mangelhafte oder verspätete Unterrichtung können durch deren Nachholung geheilt werden.1392 Wichtig ist, dass die Unterrichtung, bezogen auf die spätere Verurteilung, vollständig war und die Vorbereitung der Verteidigung nicht beeinträchtigt wurde, das Verfahren also insgesamt fair war. Durch die Beiordnung eines (Pflicht)Verteidigers, nicht jedoch allein durch eine münd- 547 liche Übersetzung der Anklageschrift, soll im weiteren Verfahren ihre unterbliebene Mitteilung (in einer dem Angeschuldigten verständlichen Sprache) ausgeglichen werden können (zweifelhaft).1393 Die Interpretation der Unterrichtungspflicht als Element der Fairness des Verfahrens hat zur Folge, dass ihr auch noch Genüge getan ist, wenn dem Beschuldigten alles Erforderliche rechtzeitig vor der letzten maßgebenden Entscheidung über die Anklage zur Kenntnis gebracht worden ist und er ausreichend Zeit hatte, sich in seiner Verteidigung darauf einzustellen.1394
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In diese Richtung jetzt auch: EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), §§ 42 f., 52. Vgl. etwa EGMR (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); zur Praxis der EKMR vgl. SK/Paeffgen 126 ff. Die EKMR stellte als Kontrollinstanz darauf ab, ob bei Gesamtwürdigung des abgeschlossenen Verfahrens eine Benachteiligung fortbesteht, vgl. IK-EMRK/Kühne 498; diese Argumente kommen der Beruhensprüfung im deutschen Revisionsrecht nahe. Der Sinn der Regelung kann sich aber nicht darin erschöpfen. Eine solche Auslegung entwertet die geforderte Unverzüglichkeit. Gegen die bloße Beurteilung aus der Sicht des lit. b und für eine eigenständige Bedeutung auch: SK/Paeffgen 126, 128. Strittig ist, ob und unter welchen Voraussetzungen zur Durchsetzung des Unterrichtungsanspruchs der Rechtsweg nach
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§§ 23 ff. EGGVG eröffnet ist, durch welche konkrete Maßnahme ein in der verspäteten Unterrichtung liegender Nachteil für die Verteidigung durch das spätere Verfahren geheilt werden kann; ferner, ob eine im späteren Verfahren geheilte Verletzung der Unterrichtungspflicht ein Strafmilderungsgrund sein kann, vgl. Frister StV 1998 159, 163 f. OLG Karlsruhe StV 2005 655; a.A. OLG Hamburg NStZ 1993 53. Vgl. EGMR Abramyan/R, 9.10.2008, §§ 37 f. (keine Heilung: zwar vollständige Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht, aber in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers); Dallos/H (Fn. 1368); (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648). Die Ladung zur Berufungsverhandlung unter Mitteilung der Anträge der Staatsanwaltschaft reicht nicht aus, wenn dem in der ersten Instanz freigespro-
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4. Gegenstand der Unterrichtung. Dem Betroffenen ist die erhobene Beschuldigung mitzuteilen, also der Vorwurf des strafbaren Verhaltens (im weiten Sinn der Konventionen, vgl. Rn. 68 ff.), wegen dem gegen ihn ermittelt wird. Die sachgerechte Verteidigung erfordert, dass sowohl alle Tatsachen, auf die sich der Vorwurf gründet, als auch die daraus hergeleiteten rechtlichen Bewertungen vollständig mitgeteilt werden.1395 Nicht erforderlich ist es, zusätzlich auch die Beweismittel und Indizien mitzuteilen, auf die sich der Verdacht gründet.1396 Im Interesse effektiver Ermittlungen dürfen die Informationen über die Verdachtsgründe und dafür sprechende Beweismittel (vorübergehend) zurückgehalten werden. Dies schließt aber nicht aus, dass sich aus anderen Bestimmungen die Verpflichtung zur Offenlegung der Verdachtsgründe und der Beweismittel ergeben kann, wenn dies erforderlich ist, um die Rechte der Verteidigung in bestimmten besonderen Verfahrenslagen, vor allem im Haftprüfungsverfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK, § 115 Abs. 3 StPO effektiv wahrzunehmen.1397 Im Hinblick auf die Hauptverhandlung hat die StPO ausreichende Vorsorge getroffen, dass der Angeklagte nicht mit unbekannten und von ihm nicht bewertbaren Beweismitteln überrascht wird (vgl. §§ 200, 222, 246, 265 Abs. 3, 409 Abs. 1 StPO). Die überraschende Verwendung eines dem Angeklagten und seinem Verteidiger unbekannten, vorher nicht erkennbaren und auch nicht einschätzbaren Beweismittels in der Hauptverhandlung kann – unabhängig von der Anwendbarkeit des lit. a – das Gebot eines fairen Verfahrens verletzen (vgl. Rn. 222 ff.).1398 Die Unterrichtung über die Beschuldigung muss so konkret wie möglich sein, damit 549 sie eine taugliche Grundlage für die Vorbereitung der Verteidigung liefern kann. Maßgebend ist der jeweilige Stand der Ermittlungen.1399 Die Angaben müssen u.U. genauer und detaillierter sein als dies Art. 5 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 IPBPR bei der Festnahme/Verhaftung verlangen,1400 wo die Ermittlungen mitunter erst am Anfang stehen. Was dem Beschuldigten im Einzelnen jeweils eröffnet werden muss, beurteilt sich nach dem Verfahrensstand und den Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens.1401 Die Information muss jedoch stets genügen, um die Reichweite der erhobenen Vorwürfe verstehen
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chenen Angeklagten dort ein anderer Schuldvorwurf zur Last gelegt wird (vgl. EKMR bei Strasser EuGRZ 1989 463). EGMR Dallos/H (Fn. 1368); (GK) Kyprianou/ZYP (Fn. 423) verneinte die Notwendigkeit einer separaten Prüfung des Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK nach Feststellung einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK; Sutyagin/R (E) (Fn. 1371); Penev/BUL, 7.1.2010, §§ 33, 42; Adrian Constantin/RUM, 12.4.2011, § 25; SK/Paeffgen 127. EGMR Brozicek/I (Fn. 242); Bricmont/B (Fn. 499); EKMR EuGRZ 1977 347 (X/Belg); Frister StV 1998 159, 162; Frowein/Peukert 282; Villiger 507; a.A. Ambos ZStW 115 (2003) 583 (einschließlich Angaben zur Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen; Abweichungen bedürfen einer effektiven prozessualen Kontrollmöglichkeit); Gillmeister StraFo 1996 114, 116. Vgl. ferner Schroeder GA 1993 205, 209 (Mitteilung der Beschuldigung ermöglicht Sicherung entlastender Beweismittel).
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Vgl. zu Art. 5 Abs. 4 EMRK: EGMR Lietzow/D, 13.2.2001, ECHR 2001-I = NJW 2002 2013 = StV 2001 201; Schöps/D, 13.2.2001, ECHR 2001-I = NJW 2002 2015 = StV 2001 203; Garcia Alva/D, 13.2.2001, NJW 2002 2018 = StV 2001 205; Frister StV 1998 159, 162; Kempf StV 2001 206; ders. FS Rieß 217; Lange NStZ 2003 348. Weitere Nachweise bei Art. 5 EMRK Rn. 329 ff. EGMR Atlan/UK (Fn. 522). Vgl. dazu OGH ÖJZ 2010 1080, 1081. EKMR EuGRZ 1977 347 (X/B); Trechsel 200; Frowein/Peukert 282; IK-EMRK/ Kühne 489. Die kasuistische Spruchpraxis gibt keine sicheren Konturen für die Erfordernisse: IK-EMRK/Kühne 489; vgl. aber EGMR Mattoccia/I, 25.7.2000, ECHR 2000-IX und Trechsel 201.
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und eine adäquate Verteidigung vorbereiten zu können.1402 Können Angaben zunächst nur in groben Umrissen gegeben werden, sind sie später entsprechend dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen zu konkretisieren.1403 Ziehen die Ermittlungsbehörden alternative Geschehensabläufe mit völlig unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen1404 in Betracht, muss sich die Unterrichtung auf alle von ihnen erstrecken.1405 Auch eine die Tatsachenalternativen aufzeigende Anklage auf wahldeutiger Grundlage genügt den Anforderungen.1406 Die Unterrichtungspflicht besteht während des ganzen Verfahrens. Sie gilt auch für alle wesentlichen späteren Änderungen der tatsächlichen Grundlage der Anschuldigung oder ihrer rechtlichen Bewertung,1407 um die Verteidigung entsprechend anpassen zu können, auch noch im Rechtsmittelverfahren.1408 Das Rechtsmittelgericht ist nicht an einer Neubeurteilung der Straftat gehindert, solange der Angeklagte in diesem Verfahren ausreichend Gelegenheit erhält, sich gegenüber dem Gericht zu sämtlichen relevanten rechtlichen und tatsächlichen Aspekten des Falles zu äußern und im Rahmen einer umfassenden Sach- und Rechtsprüfung tatsächlich die Möglichkeit besteht, sein Vorbringen in der Entscheidung zu berücksichtigen.1409 Der Gerichtshof prüft sowohl, ob das zuständige Gericht in Wahrnehmung seiner Unterrichtungspflicht geeignete Maßnahmen (z.B. Vertagung der Anhörung, Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme) ergriffen hat, als auch das Vorliegen nationaler Vorschriften zur effektiven Durchsetzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK (i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. b EMRK).1410 Diese müssen dem Beschuldigten in geeigneter Form zur Kenntnis gebracht werden, damit er die Vorbereitung seiner Verteidigung entsprechend ändern kann.1411 Nach der weitgehend auf das Endergebnis abstellenden Spruchpraxis der früheren EKMR war eine Verurteilung, die von dem Mitgeteilten geringfügig abweicht oder wegen eines gleichartigen anderen Delikts ergeht, noch keine Verletzung von lit. a. Entscheidend ist, ob die Verteidigung im Endergebnis weder durch die Umstellung des Anklagevorwurfs einen veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Inhalt noch wegen der dafür erforderlichen zusätzlichen Vorbereitungszeit nennenswert behindert wurde.1412 Es
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EGMR Previti/I (E), 8.12.2009, §§ 204 f. (Korruptionsvorwurf); Bäckström u. Andersson/S (E), 5.9.2006; Husain/I (E), 24.2.2005, ECHR 2005-III. Frister StV 1998 159, 161. Die Grenzen, die einer Verurteilung aufgrund wahldeutiger Feststellungen gezogen sind (vgl. LR/Gollwitzer 25 § 261, 125 ff. StPO), gelten für die Unterrichtung nicht. Frister StV 1998 159, 161. EKMR nach IK-EMRK/Kühne 490; SK/Paeffgen 127. EGMR Abramyan/R (Fn. 1394), §§ 35 f.; Bäckström u. Andersson/S (E) (Fn. 1402); Mattoccia/I (Fn. 1401); IK-EMRK/Kühne 491; siehe auch: OGH ÖJZ 2010 325; LR/Gollwitzer25 § 265, 61; 80 ff. StPO. Vgl. EGMR Penev/BUL (Fn. 1395); Adrian Constantin/RUM (Fn. 1395), § 25. EGMR I.H. u.a/A, 20.4.2006, ÖJZ 2006
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865; Laaksonen/FIN, 12.4.2007 (Verstoß mangels Anhörung des Angeklagten). Vgl. EGMR Penev/BUL (Fn. 1395), §§ 43, 44 („The absence of a clear requirement in the applicable law to allow the accused to defend himself against the modified charges was undoubtedly decisive in that aspect“). Frister StV 1998 159, 161; vgl. Fincke ZStW 95 (1983) 918, 961; Wagner ZStW 109 (1997) 545, 568; a.A. Schäfer wistra 1987 166. EGMR Miraux/F, 26.9.2006 (Verstoß angenommen bei Verurteilung wegen Vollendung des Delikts anstelle des Versuchs, da die Änderung geeignet war, zu einer höheren Strafe zu führen und er sich dagegen nicht verteidigen konnte); Mattei/F, 19.12.2006 (Verstoß: Neubeurteilung durch das Gericht während der Beratung – Teilnahme statt Täterschaft); Previti/I (E)
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kann dann ausnahmsweise genügen, dass der Angeklagte durch den Gang der Verhandlung erkennen musste, wie die Anklage in Wirklichkeit zu verstehen war.1413
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5. Form und Adressat der Unterrichtung. Die Konventionen stellen zur Form der Unterrichtung keine besonderen Anforderungen auf.1414 Auch der EGMR hat bislang kein generelles Schriftformerfordernis statuiert, wenngleich man ein solches zumindest für die Entscheidung, mit der die Strafsache bei Gericht anhängig wird, fordern sollte.1415 Art. 40 Abs. 2 lit. b, ii des Übereinkommens über die Rechte des Kindes v. 20.11. 1989 (CRC) sieht vor, dass bei Kindern (vgl. Rn. 974) die Unterrichtung ggf. auch über Eltern oder Vormund vorgenommen werden kann. Im Regelfall muss allerdings zur Wahrung der Verfahrensfairness und des Gebots einer effektiven Verteidigung auch bei dieser Altersgruppe (zusätzlich und primär) eine direkte Unterichtung des Beschuldigten stattfinden. Im Übrigen genügt nach dem Sinn der Regelung jede offizielle Mitteilung an den Beschuldigten selbst oder seinen Verteidiger;1416 so auch die mündliche Unterrichtung durch die Polizei im Ermittlungsverfahren, etwa bei der ersten Vernehmung (§ 163a Abs. 4 StPO) oder durch Eröffnung des Haftbefehls (vgl. § 114 StPO). Seit dem 1.1.2010 sehen §§ 114b Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 4 StPO für verhaftete und vorläufig festgenommene Personen grundsätzlich eine schriftliche Belehrung vor. Die mündliche Belehrung soll dagegen die Ausnahme sein und nur zusätzlich erfolgen, falls eine schriftliche Belehrung erkennbar nicht ausreichend ist (vgl. § 114b Abs. 1 Sätze 2, 3 StPO).1417 Auch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger kann zur Unterrichtung genügen, wenn aus den Ermittlungsakten allein oder in Verbindung mit ergänzenden Hinweisen eindeutig ersichtlich ist, was dem Angeklagten tatsächlich und rechtlich zur Last gelegt wird. Eine Unterrichtung i.S.v. Abs. 3 lit. a liegt auch in der Anklageschrift oder im Strafbefehl nach §§ 200, 409 StPO, wenn dort die Tatsachen, die den Tatverdacht begründen und die rechtlichen Vorwürfe hinreichend konkret aufgeführt sind; ferner in den späteren Hinweisen auf rechtliche oder tatsächliche Änderungen (vgl. § 265 StPO). Allein die Bezugnahme auf die abstrakte Möglichkeit einer von der Anklage abweichenden rechtlichen Würdigung genügt hingegen nicht.1418 Welche sonstigen Vorgänge des nationalen Verfahrensrechts solche Unterrichtungen enthalten, beurteilt sich nach deren Inhalt im Einzelfall. Der EGMR prüft nach, ob die erteilten Mitteilungen und Informationen in ihrer Gesamtheit den Anforderungen des lit. a genügen.1419 Eine gesetzliche Vermutung, wo-
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(Fn. 1402), § 209 (kein Verstoß bei Präzisierung der angeklagten Begehungsweise aufgrund der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung). Vgl. EGMR Drassich/I (Fn. 1372); Niemöller 72 grenzt die Hinweispflicht danach ab, ob die Veränderung Tatumstände betrifft, die in den Anklagesatz aufzunehmen sind. Vgl. hierzu auch: OLG Graz ÖJZ 2010 37 („Überraschungsverbot“ des Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK gilt nicht für allgemeine Grundsätze der Strafbe-/zumessung). EGMR Gasin¸sˇ /LET, 19.4.2011, § 55;
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OGH ÖJZ 2010 1080, 1081; Frowein/Peukert 282; IK-EMRK/Kühne 492. Ausführlich schon Esser 438 (siehe auch Rn. 560 zum Gebot einer schriftlichen Übersetzung). EGMR Gasin¸sˇ /LET (Fn. 1414), § 55; EKMR nach IK-EMRK/Kühne 492. Einführung durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.7.2009 (BGBl. I S. 2274). EGMR I.H. u.a./A (Fn. 1409). EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); IK-EMRK/Kühne 493; Villiger 508.
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nach der in der Hauptverhandlung abwesende1420 oder anwaltlich vertretene1421 Beschuldigte als hinreichend informiert gilt, kann nicht der effektiven Kenntnisnahme gleichgesetzt werden. 6. Sprache der Unterrichtung. In einer dem Beschuldigten verständlichen Sprache ist 559 die Unterrichtung vorzunehmen. Dies muss nicht notwendig seine Muttersprache sein, wohl aber eine Sprache, die er sicher versteht. Andernfalls könnte seine Verteidigung an einem Verständnismangel oder einem Missverständnis leiden. Bei einem nicht im Verfolgungsstaat wohnenden ausländischen Beschuldigten kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass er eine in der (für ihn fremden) Gerichtssprache abgefasste Mitteilung versteht.1422 Die Beweislast für die Verständlichkeit der gewählten Sprache tragen die Strafverfolgungsbehörden jedenfalls dann, wenn der Beschuldigte Schwierigkeiten beim Verständnis äußert und die Behörden daraufhin sicher feststellen können, ob der Beschuldigte über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt. Beherrscht der Angeklagte die Gerichtssprache nicht oder nicht in dem erforderlichen Ausmaß, muss die Mitteilung mit allem, was dazugehört, von Amts wegen übersetzt werden.1423 Dies kann sich erübrigen, wenn gesichert ist, dass ein sprachkundiger Verteidiger die persönliche Unterrichtung übernimmt.1424 Mit dem Recht auf Unterrichtung in einer verständlichen Sprache wird das allgemeine Recht auf kostenfreie Beiordnung eines Dolmetschers nach Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR in einem für die Verteidigung wichtigen Punkte inhaltlich festgelegt (Rn. 828 ff.).1425 Die schriftliche oder mündliche Unterrichtung des Beschuldigten in einer ihm verständlichen Sprache über die ihm zur Last gelegten Tatsachen und die daraus hergeleiteten rechtlichen Beschuldigungen müssen im Übrigen unter solchen Umständen und in einer Form erfolgen, die es ihm ermöglichen, bewusst und mit ungeteilter Aufmerksamkeit von deren Gegenstand und von ihrer Tragweite Kenntnis zu nehmen. Die schriftliche Übersetzung einer solchen Mitteilung wird von den Konventionen 560 nicht zwingend gefordert.1426 Erfolgt die geforderte Unterrichtung (im gebotenen Umfang) aber erst durch Erhebung der formellen Anklage zum Gericht (vgl. § 170 Abs. 1 StPO), folgt das Erfordernis der Schriftform für die Anklage aus den §§ 200, 201 StPO und das Erfordernis einer schriftlichen Übersetzung aus dem Prinzip der Gleichbehandlung.1427 Nr. 181 Abs. 2 RiStBV sieht dann vor, dass insbesondere der Anklageschrift und dem Strafbefehl eine schriftliche Übersetzung beizufügen ist; es ist aber nicht erforderlich, dass alle Akten und Urkunden übersetzt werden.1428 Ein Verzicht auf die Beifügung einer Übersetzung ist allenfalls dann vertretbar, wenn bei einfach gelagerten
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EKMR EuGRZ 1988 330 (Brozicek). EGMR I.H. u.a./A (Fn. 1409). EKMR EuGRZ 1988 330 (Brozicek). Frowein/Peukert 284; Villiger 508. Ihm dürfen keine Nachteile im Vergleich zu einem sprachkundigen Beschuldigten entstehen, weshalb er in jedem Verfahrensstadium einen Anspruch auf Hinzuziehung eines Dolmetschers hat, BVerfG NJW 2004 50. Basdorf GedS Meyer 19, 24; IK-EMRK/ Kühne 492. Vgl. Weigend StV 2000 385. Siehe hierzu: OLG Düsseldorf NJW 2003
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2766, NStZ 2003 686 (LS); Basdorf GedS Meyer 19, 25; Vogler EuGRZ 1979 644. Vgl. Esser 444 unter Berücksichtigung von EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); für ein generelles Erfordernis einer schriftlichen Übersetzung der Anklageschrift im deutschen Strafprozess: Kühne StV 1994 66; OLG Frankfurt StV 2008 291; vgl. ferner LR/Wickern § 184, 9 GVG je m.w.N. Vgl. EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Brozicek/I (Fn. 242); KG StV 1994 90; OLG Düsseldorf StV 2001 498; MeyerGoßner 18; Meyer-Ladewig 96; SK/Paeffgen 129.
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Sachverhalten die Unterrichtung des Beschuldigten anderweitig gesichert ist, etwa wenn der Verteidiger dies übernimmt1429 und im Interesse der Verfahrensbeschleunigung auf die zeitraubende Fertigung der schriftlichen Übersetzung verzichtet wird.1430 Eine Übersetzung der Anklageschrift erst in der Hauptverhandlung erfüllt die menschenrechtlichen Anforderungen an die Unterrichtung des Angeklagten im Regelfall nicht.1431 Dies ist allenfalls dann nach lit. a unschädlich, wenn bei einem rechtlich und tatsächlich einfachen Sachverhalt feststeht, dass der Beschuldigte bereits vorher vom Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anschuldigung im vollen Umfang zuverlässig unterrichtet worden ist. In derart einfach gelagerten Fällen liegt ohnehin die Wahl des beschleunigten Verfah561 rens und damit die Möglichkeit einer nur mündlich erhobenen Anklage nahe (§§ 417, 418 Abs. 3 StPO). Ihre sofortige Übersetzung durch einen Dolmetscher wird dann grundsätzlich als Unterrichtung des Angeklagten ausreichen. Einer vorherigen Übersetzung der Antragsschrift i.S.d. § 417 StPO bedarf es dann nicht.1432 Es kommt aber auch stets darauf an, ob der Angeklagte mit der ihm gewährten Art der Übersetzung in der Lage ist, die Anklage (-schrift) zu verstehen und anzugreifen. Deshalb kann auf deren vorherige schriftliche Übersetzung auch in einem beschleunigten Verfahren nicht verzichtet werden, wenn das Gericht aufgrund der Umstände des Einzelfalls und der Sprachunkundigkeit des Betroffenen davon ausgehen muss, dass dieser durch die späte Information erst in der Hauptverhandlung derart in seiner Verteidigung beschränkt wird, dass nach dem Normzweck des Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK und zur Wahrung seiner Effektivität eine vorherige Information durch eine Übersetzung der Anklageschrift erforderlich wird. In einem solchen Fall wird es jedoch bereits regelmäßig an der Eignung der Sache zur sofortigen Verhandlung im beschleunigten Verfahren fehlen, so dass das Gericht die Entscheidung im beschleunigten Verfahren ablehnen und nach § 419 Abs. 3 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen muss. Einen Anspruch auf Übersetzung der Akten oder von Aktenteilen kann der Beschul562 digte aus lit. a nicht herleiten;1433 ein solcher Anspruch kann sich allerdings aus dem allgemeinen Fairnessgedanken und dem Recht auf Dolmetscherunterstützung (Rn. 828 ff.)
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Kritisch, sofern die Unterrichtung des Rechtsbeistandes ausreichen und damit die Verpflichtung zur Unterrichtung des Betroffenen auf ihn übertragen werden soll: Viering in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/ Zwaaks (Hrsg.), Theory and Practice of the ECHR 634. Wird die Anklageschrift nicht übersetzt, kann dies einen Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO begründen: OLG Karlsruhe StraFo 2002 193 = StV 2002 299; OLG Frankfurt StV 2008 291 = StraFo 2008 205. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); OLG Hamburg StV 1994 65 mit abl. Anm. Kühne; Basdorf GedS Meyer 19, 25; Frowein/Peukert 284; Meyer-Ladewig § 24, 99; Meyer-Goßner 18 (nur in Ausnahmefällen); kritisch gegen das Absehen von einer schriftlichen Übersetzung auch: SK/Paeffgen 129. OLG Hamm StV 2004 364 = StV 2005
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659; LG Heilbronn StV 1987 192; MeyerGoßner 18; anders OLG Düsseldorf NJW 2003 2766; NStZ 2003 686 (LS). OLG Stuttgart NStZ 2005 471, zustimmend Meyer-Ladewig 226; a.A. OLG Hamm StV 2004 364 = StV 2005 659, welches die Anwendung des § 418 Abs. 3 StPO bei sprachunkundigen Ausländern von vornherein ablehnt; LR/Stuckenberg § 201, 18 StPO (insbesondere wegen des Anspruchs auf genügende Vorbereitung nach Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK; Heilung durch schriftliche Übersetzung, ggf. Aussetzung (§ 265 Abs. 4 StPO) und Beiordnung eines Pflichtverteidigers) m.w.N. OLG Düsseldorf NJW 1986 2841; JZ 1986 508; OLG Hamm NStZ-RR 1999 158; Frowein/Peukert 284; IK-EMRK/Kühne 492; Meyer-Goßner 18; Vogler ZStW 89 (1977) 787; Villiger 508.
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ergeben. Ebenso besteht aus Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK kein Anspruch auf Übersetzung der schriftlichen Entscheidungsgründe, wenn das Urteil in seiner Anwesenheit mündlich verkündet und übersetzt worden ist (siehe Rn. 849).1434 7. Initiativen auf EU-Ebene a) Richtlinie über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafver- 563 fahren. Auf der Ebene der Europäischen Union ist die schrittweise Einführung gemeinsamer Mindestgarantien für Verfahrensrechte in Strafverfahren geplant. Im ersten Schritt des umfassenden Maßnahmenpakets geht es um die Verbürgung gemeinsamer Mindeststandards im Bereich der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen. Am 20.10.2010 wurde die Richtlinie über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren verabschiedet (siehe auch Rn. 869 ff.).1435 Die Mitgliedstaaten haben bis zum 27.10.2013 Zeit, um die Richtlinie umzusetzen (Art. 9 Abs. 1 RL).1436 Gemäß der Richtlinie haben Personen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von ihrer Ver- 564 dächtigung oder Beschuldigung Kenntnis erlangen, bis zum Abschluss des Verfahrens, einschließlich der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren, ein Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen (Art. 1 Abs. 1, 2 RL).1437 Dabei muss die verdächtige oder beschuldigte Person innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen erhalten (Art. 3 Abs. 1 RL). Dazu zählen „jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil“ (Art. 3 Abs. 2 RL). Was darüberhinaus als „wesentlich“ gilt, entscheiden die zuständigen Behörden im konkreten Fall, wobei allerdings ein entsprechender Antrag auf „Feststellung der Wesentlichkeit“ gestellt werden kann (Art. 3 Abs. 3 RL). Eine Einschränkung erfolgt allerdings insoweit, als „Passagen wesentlicher Dokumente, die nicht dafür maßgeblich sind, dass die verdächtigen oder beschuldigten Personen wissen, was ihnen zur Last gelegt wird“, nicht übersetzt werden brauchen (Art. 3 Abs. 4 RL). Zudem wird, sofern dies nicht dem fairen Verfahren entgegensteht, eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung für ausreichend erachtet (Art. 3 Abs. 7 RL). Für die verdächtige oder beschuldigte Person von besonderer Bedeutung ist, dass die 565 Kosten für Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen unabhängig vom Verfahrensausgang jedenfalls vom Mitgliedsstaat getragen werden (Art. 4 RL). b) Vorschlag für eine Richtlinie über das Recht auf Belehrung. Am 20.7.2010 hat die 566 Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über das Recht auf Belehrung in Strafverfahren1438 unterbreitet, der derzeit vom Europäischen Parlament bearbeitet wird. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass die Verdächtigen einer Straftat über ihre grundlegenden Rechte im Strafverfahren belehrt werden. Der Vorschlag der Kommission bezieht sich auf Art. 48 EUC, der die Verteidigungsrechte auf EU-Ebene gewähr-
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OLG Koblenz 12.6.2006 – 1 Ws 378/06. Einen Anspruch ohne Einschränkung ablehnend: OLG Köln NStZ-RR 2006 51 m.w.N. ABlEU Nr. L 280 v. 26.10.2010, S. 1. Dänemark hat sich weder an der Annahme der RL beteiligt noch ist es durch sie gebunden oder zu ihrer Anwendung ver-
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pflichtet, vgl. Europäisches Parlament und der Rat 2010/0801 (COD) v. 24.9.2010, Nr. 36 der Gründe. Die RL gilt zudem auch in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 7; Art. 3 Abs. 6 RL). KOM (2010) 392 endg. v. 20.7.2010.
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leistet. Diese sollen dieselbe Bedeutung und Tragweite wie die durch Art. 6 Abs. 3 EMRK garantierten Rechte haben.1439 Das Recht auf Belehrung lässt sich dabei nach Ansicht der Kommission aus der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR ableiten, wonach die Behörden einen proaktiven Ansatz verfolgen sollten, um sicherzustellen, dass strafrechtlich verfolgte Personen ihre Rechte effektiv wahrnehmen können. Der Vorschlag nimmt in diesem Zusammenhang vor allem auf das EGMR-Urteil Panovits1440 Bezug.1441
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c) Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte. Der von der Union verabschiedete Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren1442 sieht weitere Bereiche vor, in denen Informationsrechte des Beschuldigten durch europäische Rechtsakte zum Zwecke der Harmonisierung der nationalen Vorschriften geregelt werden sollen. Hierzu gehören der Rechtsbeistand (vgl. Rn. 719 ff.),1443 die Benachrichtigung von Verwandten, des Arbeitgebers und Konsularbehörden, besondere Schutzmaßnahmen für Beschuldigte, die z.B. aufgrund von Erkrankungen einer besonderen Fürsorge bedürfen, sowie ein Grünbuch zur Untersuchungshaft.
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8. Rechtsbehelfe. Ein Beschuldigter, der nur ungenügend über die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen der gegen ihn geführten Ermittlungen unterrichtet worden ist, kann während des laufenden Ermittlungsverfahrens unter Hinweis auf sein Recht aus Absatz 3 lit. a ausdrücklich um eine vollständige Mitteilung nachsuchen. Er kann deren Fehlen oder Mängel seiner Unterrichtung auch im Rahmen der Rechtsbehelfe geltend machen, die ihm gegen Ermittlungseingriffe zustehen, vor allem auch mit den Rechtsbehelfen, die er im Falle der Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Beschlagnahme hat. Ist ihm die Beanstandung einer ungenügenden Unterrichtung im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens nicht möglich, stellt sich die Frage, ob er eine ungenügende Auskunftserteilung oder die Berechtigung zu ihrer Verweigerung nach §§ 23 ff. EGGVG gerichtlich überprüfen lassen kann.1444 Dies wäre dann ein Rechtsbehelf, der ihm nach Art. 13 EMRK bereitgestellt werden müsste, den er aber nach Art. 35 EMRK auch auszuschöpfen hätte, wenn er allein einen Verstoß gegen Abs. 6 Abs. 3 lit. a EMRK geltend machen wollte; in der Regel wird die ungenügende Unterrichtung allerdings im Zusammenhang mit anderen Konventionsverletzungen, vor allem mit der Versagung eines fairen Verfahrens erst nach Abschluss des Strafverfahrens gerügt werden können. Hat der Angeklagte einen Verteidiger, so verlangt das OLG Stuttgart von diesem für 569 die spätere Geltendmachung der mangelhaften Unterrichtung (im Revisionsverfahren) eine Rüge dieses Verfahrensfehlers bereits in der Hauptverhandlung.1445 Der unverteidig1439 1440 1441 1442 1443
KOM(2010) 392 endg. v. 20.7.2010, Begründung Nr. 5, 15. EGMR Panovits/ZYP, 11.12.2008. KOM(2010) 392 endg. v. 20.7.2010, Begründung Nr. 5, 16 ff., 24. Hierzu Esser in: Sieber/Brüner/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), § 53, 38 ff. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des EP und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme: KOM (2011) 326 endg v. 8.6.2011.
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Strittig, vgl. Frister StV 1998 159, auch zur Frage einer Entschädigung zum Ausgleich einer nicht mehr reparablen Konventionsverletzung. Die isolierte Anfechtbarkeit eines Verstoßes gegen Abs. 3 lit. a im nationalen Recht würde allerdings zur Folge haben, dass bei einem nicht fortwirkenden Verstoß der Rechtsweg nicht erschöpft ist, Art. 35 Abs. 1 EMRK. OLG Stuttgart StV 2003 490.
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te Angeklagte soll dagegen auch ohne vorherige Rüge mit der Geltendmachung dieses Verfahrensmangels nicht ausgeschlossen sein. Diese auf eine Widerspruchslösung hinauslaufende Differenzierung überzeugt aus menschenrechtlicher Perspektive nicht. Vielmehr ist richtigerweise eine von Art. 35 EMRK geforderte horizontale Rechtsmittelerschöpfung auch noch im Revisionsverfahren möglich.
XI. Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR) 1. Zweck der Regelung. Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR 570 wollen sichern, dass dem Beschuldigten nach der Eröffnung der gegen ihn erhobenen Beschuldigung gemäß lit. a (Rn. 534 ff.) ausreichend Zeit und Gelegenheit verbleibt, seine Verteidigung vorzubereiten („adequate time and facilities for the preparation of his defence“). Daraus folgt, dass der Tod des Angeklagten zu einem Verfahrenshindernis führen muss. Der EGMR hat im Hinblick auf Art. 6 EMRK zu Recht Bedenken gegen die Fortführung eines Strafverfahrens über den Tod des Beschuldigten hinaus geäußert.1446 Die Teilrechte der Art. 6 Abs. 3 lit. a und lit. b EMRK hängen eng zusammen.1447 571 Formale Verfahrensbefugnisse nützen mitunter wenig, wenn die für ihre effektive Ausübung notwendigen Tatsachen nicht ermittelt und entlastende Beweise aus Zeitmangel nicht beigebracht werden können.1448 Die Gleichheit der Prozesschancen gegenüber der mit einem Ermittlungsvorsprung das Verfahren einleitenden Staatsanwaltschaft ist dann faktisch nicht gewährleistet.1449 Bleibt dem Beschuldigten bei einer kurzfristigen Änderung des Schuldvorwurfs nicht genügend Zeit, um sich darauf ausreichend vorzubereiten, kann neben lit. b auch lit. a verletzt sein.1450 2. Ausreichende Gelegenheit für die Vorbereitung der Verteidigung. Der Beschuldigte 572 muss unmittelbar nach der Unterrichtung über die gegen ihn erhobene Beschuldigung (lit. a) in der Lage sein, alle aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung seiner Verteidigung in die Wege zu leiten.1451 Dies gilt für Nachforschungen in den eigenen Unterlagen, die Einholung von Auskünften sowie die Kontaktaufnahme mit Perso-
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EGMR Gra˘dinar/MOL (Fn. 168), § 109 („The Court has serious reservations in respect of a legal system allowing the trial and conviction of deceased persons, given the obvious inability of such persons to defend themselves.“); vgl. auch Grabenwarter § 24, 461. EGMR Drassich/I (Fn. 1372), § 32; Penev/BUL (Fn. 1395), § 35 („the right to be informed of the nature and the cause of the accusation must be considered in the light of the accused’s right to prepare his defence“); vgl. auch EGMR (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); OGH ÖJZ 2010 1080, 1081. Villiger 509. Für das Ermittlungsverfahren wird der
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Geltungsgrund des Prinzips der Waffengleichheit vereinzelt darin gesehen, die dominierende Stellung der Ermittlungsbehörden auszugleichen, vgl. IK-EMRK/ Kühne 379 m.w.N. EGMR Penev/BUL (Fn. 1395). EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 78; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 84; Natunen/ FIN (Fn. 568), § 42; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 44 („the substantive defence activity on his behalf may comprise everything which is „necessary“ to prepare the main trial“); siehe ferner EGMR Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645), § 66; auch Meyer-Ladewig 227; vgl. ferner SK/Paeffgen 131 („seine Verteidigung organisieren können“).
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nen, die eventuell entlastende Tatsachen bekunden können, aber auch für die Vorbereitung und Ausarbeitung einer eigenen Stellungnahme zu den erhobenen Anschuldigungen.1452 Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK garantiert dem Beschuldigten auch, sich mit den Ermitt573 lungsergebnissen der Strafverfolgungsbehörden vertraut zu machen.1453 Wird dem Beschuldigten Beweismaterial vorenthalten, kann darin – neben einem Verstoß gegen das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens (Rn. 222) bzw. dem Prinzip der Waffengleichheit – auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK liegen.1454 Der Beschuldigte muss Gelegenheit haben, sich Notizen zu machen (etwa während einer Vernehmung oder Beweisaufnahme) und diese Notizen für seine Verteidigungszwecke verwenden können.1455 Dass unter Umständen auch die Staatsanwaltschaft dieses Recht nicht hat, ist nach Auffassung des EGMR ebenso unerheblich wie der Einwand, der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger könne sich auf sein Gedächtnis verlassen.1456 Die durch § 265 Abs. 4 StPO eröffnete Möglichkeit und Verpflichtung des Gerichts, 574 die Hauptverhandlung ggf. von Amts wegen zu unterbrechen, wenn sich in dieser ergibt, dass ohne eine unmittelbare oder nach § 147 Abs. 7 StPO erfolgende Einsicht in die Akten eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten nicht möglich ist, kann dabei allerdings eine ausreichende Kompensation zur Herstellung der gebotenen Waffengleichheit vor Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und zur Wahrung der Verteidigungsrechte – auch des anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten – darstellen.1457 Ob und was der Angeklagte zur Vorbereitung seiner Verteidigung unternehmen will, 575 ist grundsätzlich ihm selbst überlassen. Reicht ihm die für seine Vorbereitung verfügbare Zeit nicht aus oder bedarf er für die Beiziehung von Beweismitteln der Mithilfe staatlicher Stellen, muss er die ihm verfügbaren Gesuche und Anträge (Einsichtnahme in Beweisstücke; Zugang zur Akte etc.) stellen.1458 Vom Beschuldigten kann erwartet werden, dass er sein Anliegen gegenüber staatlichen Stellen plausibel begründet.1459 Der Beschuldigte hat einen Anspruch darauf, dass die zuständige Stelle, namentlich das
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Villiger 511. EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 84; Natunen/FIN (Fn. 568), § 42; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 44 („the opportunity to acquaint himself, for the purposes of preparing his defence, with the results of investigations carried out throughout the proceedings“); Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645), § 66; Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 64; Meyer-Ladewig 115, 227. EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 43; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 45 („Failure to disclose to the defence material evidence, which contains such particulars which could enable the accused to exonerate himself or have his sentence reduced, would constitute a refusal of facilities necessary for the preparation of the defence, and therefore a violation of the right guaranteed in Article 6 § 3 (b) of the Convention“). /
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EGMR Matyjek/PL (Fn. 171), § 59; Luboch/PL (Fn. 527), § 64. EGMR Welke u. Bialek/PL (Fn. 575), § 65 („to deny an accused or his lawyer the opportunity to compile notes and to rely on them in the course of argument may give rise to unfairness“; hier abgelehnt aufgrund der Umstände des Einzelfalls); Pullicino/MLT (E), 15.6.2000. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010 287. Meyer-Ladewig 228. EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 43; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 45 („to give specific reasons for his request […] and the domestic courts are entitled to examine the validity of these reasons“); Bendenoun/F (Fn. 192), § 52; vgl. auch HRC Kool/Niederlande, 28.4.2008, 1569/2007 (Urlaub als Grund für die Verschiebung einer gerichtlichen Vernehmung muss nachgewiesen werden; einfacher Telefonanruf bei Gericht nicht ausreichend).
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Gericht, sein Vorbringen überprüft.1460 Unterlässt er ein solches Vorbringen, kann sich dies zu seinen Lasten auswirken (prozessuale Obliegenheit) – nicht zuletzt bei der Frage der Erschöpfung nationaler Rechtsbehelfe (Art. 35 Abs. 1 EMRK).1461 Andererseits besteht für das Gericht eine prozessuale Fürsorgepflicht dahingehend, dem Beschuldigten eine effektive Ausübung seiner Verteidigungsrechte zu gewährleisten (vgl. Rn. 239); insbesondere muss der Beschuldigte über sein Recht, eine Vertagung der Hauptverhandlung zu beantragen, informiert werden.1462 Beide Gesichtspunkte (Obliegenheiten des Beschuldigten / Fürsorge des Gerichts) müssen im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Gesamtfairness des Verfahrens zum Ausgleich gebracht werden. Eine Einschränkung der Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung kann auch aus unzureichenden Haftbedingungen oder aus einer bestimmten Art der Behandlung eines Festgenommenen resultieren, z.B. wenn einem Beschuldigten in der Untersuchungshaft physisch nicht die Möglichkeit gegeben wird, konzentriert seine Verteidigung vorzubereiten.1463 Zur Vorbereitung der Verteidigung gehört vor allem die Möglichkeit, sich einen Verteidiger zu suchen und mit diesem die Verteidigung vorzubereiten. Der ungehinderte Verkehr mit dem Verteidiger seiner Wahl wird dem Beschuldigten von Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR ausdrücklich garantiert. Bei der EMRK führt die Auslegung von Art. 6 Abs. 3 lit. b, c EMRK unter dem Gesichtspunkt, dass die Verteidigung möglichst effektiv sein muss, zum gleichen Ergebnis (siehe Rn. 720).1464 Das HRC betont, dass eine effektive Verteidigung vor allem in Fällen, in denen die Todesstrafe droht, eine zwingende elementare Voraussetzung des fairen Verfahrens ist.1465
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3. Zugang zum Verteidiger im Ermittlungsverfahren. „[…] Even if the primary 580 purpose of Article 6, as far as criminal proceedings are concerned, is to ensure a fair trial by a ‘tribunal’ competent to determine ‘any criminal charge’, it does not follow that the Article has no application to pre-trial proceedings.“ 1466
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EGMR Natunen/FIN (Fn. 568), § 46; Janatuinen/FIN (Fn. 568), § 47 („having given specific reasons for the request for disclosure of certain evidence which could enable the accused to exonerate himself, he should be entitled to have the validity of those reasons examined by a court“). Vgl. EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41); Bricmont/B (Fn. 499) (Beweisantrag); Meyer-Ladewig 228; SK/Paeffgen 130. EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 85. EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 81 („conditions of detention that permit the person to read and write with a reasonable degree of concentration“); Moiseyev/R (Fn. 527), § 222; Meyer-Ladewig 227. EGMR Al-Moayad/D (E) (Fn. 228); Moiseyev/R (Fn. 527), § 209; Frowein/ Peukert 289; Meyer-Ladewig 238; IK-EMRK/Kühne 505.
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HRC Khuseynova u.a./Tadschikistan, 1263/2004, 1264/2004, § 8.4 („particulary in cases involving capital punishment, it is axiomatic that the accused must effectively be assisted by a lawyer at all stages of the proceedings“). EGMR (GK) Salduz/TRK, 27.11.2008, ECHR 2008 = NJW 2009 3707, § 50; siehe ferner EGMR Kolu/TRK (Fn. 645), § 50; Salov/UKR (Fn. 171), § 65; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 89; Rybacki/PL (Fn. 645), § 55; Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 52; Plonka/PL, 31.3.2009, § 32; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 65; Kuralic´/KRO (Fn. 645), § 44; Dzankovic/D (E) (Fn. 645); Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 36; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 68; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 62; Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 30; Müller-Ladewig 91a; Trechsel 250.
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Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR finden schon im Ermittlungsverfahren Anwendung. Voraussetzung für die Eröffnung des strafrechtlichen Schutzbereichs ist der Beschuldigtenstatus, den der EGMR konventionsautonom bestimmt und der grundsätzlich mit einem Inkulpationsakt („charge“) erlangt wird, wobei der Gerichtshof hier eine Betrachtungsweise bevorzugt, die weniger an Formalien, sondern vielmehr an den tatsächlichen („materiellen“) Verhältnissen orientiert ist (vgl. Rn. 68 ff.).1467 „The concept of ‘charge’ is ‘autonomous’; it has to be understood within the meaning 582 of the Convention and not solely within its meaning in domestic law. It may thus be defined as ‘the official notification given to an individual by the competent authority of an allegation that he has committed a criminal offence’, a definition that also corresponds to the test whether ‘the situation of the [suspect] has been substantially affected’“.1468 Was den Inhalt der durch Art. 6 EMRK vermittelten Rechte angeht, spielen sowohl 583 die Eigenarten des jeweiligen nationalen Verfahrens als auch die Umstände des Falles eine Rolle.1469 Maßgeblich ist auch bei der Gewährleistung der Vorbereitung der Verteidigung eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens.1470 Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK gewährt dem Beschuldigten grundsätzlich ein Recht auf 584 Verteidigerkonsultation („right of access to a lawyer“) schon bei Beginn der ersten (polizeilichen) Vernehmung1471 bzw. zum Teil (weitergehend, da nicht jeder, der festgenommen wird, auch sofort vernommen wird) ab der Festnahme1472 unabhängig von einer
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EGMR Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 52 („a “substantive”, rather than a “formal”, conception of the “charge” contemplated by Article 6 § 1. The Court is compelled to look behind the appearances and investigate the realities of the procedure in question.“). EGMR Salov/UKR (Fn. 171), § 65; siehe ferner: EGMR Deweer/B (Fn. 38), §§ 42, 46; Eckle/D (Fn. 245), § 73. EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 89; Rybacki/PL (Fn. 645), § 55; Shabelnik/ UKR (Fn. 645), § 52; Plonka/PL (Fn. 1466), § 32; Dzankovic/D (E) (Fn. 645); Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 36; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 69. EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 36. EGMR Kolu/TRK (Fn. 645), § 51; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 89; Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 53; Plonka/PL (Fn. 1466), §§ 34 f.; Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 67, 70, 81; Dzankovic/D (E) (Fn. 645); Savas¸ /TRK, 8.12.2009, § 63; Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 37; Yoldas¸ /TRK, 23.2.2010, § 49; Pavlenko/R, 1.4.2010, § 97; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 62; Sharkunov u. Mezentsev/R, 10.6.2010, § 97; Lopata/R, 13.7.2010, § 130; Brusco/F (Fn. 175), § 45
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(„la personne placée en garde à vue a le droit d’être assistée d’un avocat dès le début de cette mesure ainsi que pendant les interrogatoires, et ce a fortiori lorsqu’elle n’a pas été informée par les autorités de son droit de se taire“); Leonid Lazarenko/ UKR (Fn. 645), § 49; Hüseyin Habip Tas¸kın/TRK, 1.2.2011, § 21; Meyer-Ladewig 238. EGMR Dayanan/TRK (Fn. 588), § 31; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 84 („le suspect jouisse de la possibilité de se faire assister par un avocat dès le moment de son placement en garde à vue ou en détention provisoire“). Sogar ausdrücklich zwischen der Festnahme als solcher und der anschließenden Vernehmung unterscheidend: EGMR Brusco/F (Fn. 175), § 45 („la personne placée en garde à vue a le droit d’être assistée d’un avocat dès le début de cette mesure ainsi que pendant les interrogatoires, et ce a fortiori lorsqu’elle n’a pas été informée par les autorités de son droit de se taire“). Anders dagegen noch EGMR Yurttas/TRK, 27.5.2004, §§ 69–77 (keine Verletzung von Art. 6 EMRK, wenn der inhaftierte Beschuldigte zwar keinen Zugang zum Verteidiger erhält, aber auch nicht vernommen wird). Das dürfte allerdings angesichts der neueren Rechtspre-
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Vernehmung,1473 da in diesem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens nicht selten schon die Grundlagen für den späteren gerichtlichen Prozess geschaffen werden1474 und der Beschuldigte bei Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden – nicht nur wenn zugleich eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliegt 1475 – besonders verletzlich und damit schutzbedürftig ist („Anwalt der ersten Stunde“).1476 Bei Minderjährigen fordert der EGMR, dass die Ermittlungsbehörden besondere 585 Rücksicht nehmen.1477 Entsprechend Art. 14 Abs. 4 IPBPR verlangt das HRC, dass Jugendliche in Strafverfahren einen besonderen Schutz erfahren und über Beschuldigungen gegen sie sofort informiert werden müssen. Zudem sollte ihnen Hilfe bei der Verteidigung und deren Vorbereitung gestellt werden, insbesondere der Zugang zu einem Anwalt muss garantiert sein.1478 Siehe hierzu auch Rn. 959 ff. Auch eine Gegenüberstellung kann bereits als Vernehmung im vorgenannten Sinne 586 anzusehen sein und das Zugangsrecht zum Verteidigter auslösen.1479 Allerdings verlangt der EGMR für das Recht auf Verteidigerkonsultation eine Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit von einem gewissen Gewicht. So soll es für die Annahme eines Rechts auf Verteidigerkonsultation nicht genügen, dass der Beschuldigte sich nicht in Haft oder Polizeigewahrsam befindet, sondern auf offener Straße in Gegenwart von Zeugen vernommen wird und damit keine signifikante Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit vorliegt.1480
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chung des EGMR überholt sein; vgl. auch EGMR Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 84; Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 34. EGMR Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 34 („un accusé doit, dès qu’il est privé de liberté, pouvoir bénéficier de l’assistance d’un avocat et cela indépendamment des interrogatoires qu’il subit.“). EGMR Rybacki/PL (Fn. 645), § 55 („Article 6 – especially paragraph 3 – may be relevant before a case is sent for trial, at the preliminary investigation stage, if and so far as the fairness of the trial is likely to be seriously prejudiced by an initial failure to comply with its provisions.)“; Plonka/PL (Fn. 1466), § 34; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 101; Lopata/R (Fn. 1471), § 131; S¸ erif Öner/TRK, 13.9.2011 („the court finds it important to recall once again that the investigation stage is of crucial importance in criminal proceedings as the evidence obtained at this stage determines the framework in which the offence charged will be considered“). Dazu EGMR Kolu/TRK (Fn. 645), § 54; Örs u.a./TRK, 20.6.2006, § 60; Göçmen/ TRK, 17.10.2006, §§ 67–76; Söylemez/ TRK, 21.9.2006, §§ 119–125; Yusuf Gezer/ TRK, 1.12.2009, §§ 37–45; Baran u. Hun/ TRK, 20.5.2010, § 67 („the absence of an Article 3 complaint does not preclude the
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Court from taking into consideration the applicant’s allegations of ill-treatment for the purpose of determining compliance with the guarantees of Article 6“). EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 69; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 83; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 101; Lopata/R (Fn. 1471), § 131. EGMR Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 70. HRC Sharifavo u.a./Tadschikistan, 24.4.2008, 1209/2003, 1231/2003, 1241/2004, § 6.6 („juveniles are to enjoy at least the same guarantees and protection as those accorded to adults unter article 14 of the Covenant. In addition, juveniles need special protection in criminal proceedings. They should, in particular, be informed directly of the charges against them with appropriate assistance in the preparation and presentation of theri defence“). EGMR Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 67. EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 48 („Although the applicant […] was not free to leave, […] the circumstances of the case as presented by the parties, and established by the Court, disclose no significant curtailment of the applicant’s freedom of action, which could be sufficient for activating a requirement for legal assistance already at this stage of the proceedings.“).
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Das Recht auf Verteidigerkonsultation darf nur ausnahmsweise aus guten Gründen („compelling reasons“) eingeschränkt werden.1481 Die Gründe dürfen nicht „systemischer“ Natur sein, d.h. nicht generell auf bestimmte Delikte oder Verfahren Anwendung finden.1482 Der Rechtsprechung des EGMR ist vielmehr zu entnehmen, dass das Vorliegen dieser guten Gründe einzelfallbezogen geprüft werden muss.1483 Sind keine solchen Gründe vorhanden, die das Recht auf einen Verteidiger einzuschränken geeignet sind (bzw. werden diese von der Regierung nicht vorgetragen),1484 ist das Verfahren schon unfair – auch wenn der Beschuldigte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und er sich nicht selbst belastet hat.1485 In diesem Fall gewinnt das Zugangsrecht zum Verteidiger im Rahmen der Gesamt588 fairness eine gegenüber dem Schweigerecht/Selbstbelastungsprivileg (Rn. 879 ff.) eigenständige Bedeutung. Das Verfahren ist auch dann unfair, wenn der Beschuldigte, der eine Aussage gemacht hat, nach der Vernehmung einen Verteidiger konsultieren konnte und das weitere Verfahren kontradiktorisch abgelaufen ist.1486 Äußert der Beschuldigte den Wunsch auf Hinzuziehung eines Verteidigers, müssen die 589 Ermittlungsbehörden aktiv werden, um ihm den Kontakt zu ermöglichen.1487 Dazu
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EGMR Böke u. Kandemir/TRK, 10.3.2009, § 71; Plonka/PL (Fn. 1466), § 35; Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 67, 70, 81; Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 37; Yoldas¸ /TRK (Fn. 1471), § 49; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 97; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 62; Lopata/R (Fn. 1471), § 130; Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 49; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 139; Meyer-Ladewig 240. EGMR Baran u. Hun/TRK (Fn. 1475), § 71; Hüseyin Habip Tas¸kın/TRK (Fn. 1471), § 21. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 70 („as a rule, access to a lawyer should be provided as from the first interrogation of a suspect by the police, unless it is demonstrated in the light of the particular circumstances of each case that there are compelling reasons to restrict this right“); Plonka/PL (Fn. 1466), § 35; Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 37; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 97; Lopata/R (Fn. 1471), § 130. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 76 („no justification was given for not providing the applicant with access to a lawyer“). EGMR Dayanan/TRK (Fn. 588), § 33 („En soi, une telle restriction systématique sur la base des dispositions légales pertinentes, suffit à conclure à un manquement aux exigences de l’article 6 de la Convention, nonobstant le fait que le requérant a gardé le silence au cours de sa garde à
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vue.“); vergleiche aber auch EGMR Yurttas/TRK (Fn. 1472), §§ 69–77 (keine Verletzung von Art. 6 EMRK, wenn der inhaftierte Beschuldigte zwar keinen Zugang zum Verteidiger erhält, aber nicht vernommen wird). Zum Zusammenhang zwischen dem Zugang zum Verteidiger im Ermittlungsverfahren und dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit ferner: EGMR Baran u. Hun/TRK (Fn. 1475), § 68 („Early access to a lawyer is part of the procedural safeguards to which the Court will have particular regard when examining whether a procedure has extinguished the very essence of the privilege against self-incrimination.“). EGMR Plonka/PL (Fn. 1466), § 39; Gök u. Güler/TRK, 28.7.2009, § 57; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 119 („Even though at the trial the applicant had an opportunity to challenge the evidence against him in adversarial proceedings with the benefit of legal advice, […] the shortcomings in respect of the legal assistance at that stage seriously undermined the position of the defence at the trial.“). EGMR Pavlenko/R (Fn. 1471), § 107 („the authorities’ obligation to ensure that he be able to exercise that right, for instance, by contacting a lawyer by telephone or by other available means. The applicant made his intention to be assisted by counsel sufficiently clear to make it imperative for the investigating authorities to give him the benefit of legal assistance, unless there exist-
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gehört es, dem Beschuldigten die Möglichkeit zu eröffnen, seine Familie von seiner Festnahme in Kenntnis zu setzen, da dies die Ausübung des Zugangsrechts zu einem Verteidiger erleichtern kann.1488 Zum WÜK siehe Rn. 618 ff. Äußert der Beschuldigte den Wunsch nach Zugang zu einem Verteidiger hinreichend klar, sind die Behörden gehalten, diesem Wunsch durch geeignete Maßnahmen zu entsprechen, ggf. sogar durch die Bestellung eines Verteidigers, wenn dies im Interesse der Rechtspflege geboten ist (dazu unter Rn. 723).1489 Wünscht der Beschuldigte den Zugang zu einem Verteidiger, so kann sich aus der EMRK die Pflicht ergeben, auf einen existierenden anwaltlichen Notdienst zu Wochenend- und Nachtzeiten hinzuweisen.1490 Die Befragung eines Beschuldigten, der sein Recht auf Zugang zu einem Verteidiger einfordert, muss unterbrochen werden und darf erst fortgesetzt werden, wenn dem Beschuldigten dieses Recht gewährt worden ist.1491 Eine Einschränkung des Rechts auf Verteidigerzugang sieht der EGMR schon darin, dass dem Beschuldigten im Fall der Unerreichbarkeit des von ihm bestimmten Verteidigers nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich einen Ersatzverteidiger zu suchen bzw. dass ihm kein Verteidiger bestellt wird.1492 Selbst wenn besondere Gründe vorliegen (Rn. 587), die eine Einschränkung des Rechts auf Verteidigerzugang rechtfertigen, kann das Verfahren insgesamt gesehen trotzdem unfair sein.1493 Das ist in der Regel dann der Fall, wenn der Beschuldigte, dem vor der ersten Vernehmung der Zugang zu einem Verteidiger verwehrt worden ist, belastende Angaben macht, die dann in einem späteren Prozess für seine Verurteilung verwertet werden.1494 Findet dagegen keine Verwertung statt, kann ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK ausgeschlossen sein.1495 Die Verwertung selbstbelastender Angaben kann für sich betrachtet einen (weiteren) Fairnessverstoß darstellen, wenn der Beschuldigte die Verwertbarkeit nicht effektiv vor
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ed compelling reasons justifying the denial to the applicant of access to a lawyer.“). EGMR Pavlenko/R (Fn. 1471), § 106. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 73 f.; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 107 (Telefon). Corell StraFo 2011 34, 37, 41. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 79 („an accused such as the applicant in the present case, who had expressed his desire to participate in investigative steps only through counsel, should not be subject to further interrogation by the authorities until counsel has been made available to him, unless the accused himself initiates further communication, exchanges, or conversations with the police or prosecution.“). EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 74. EGMR Plonka/PL (Fn. 1466), § 35; Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 67, 70; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 97; Lopata/R (Fn. 1471), § 130. EGMR Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 53; Plonka/PL (Fn. 1466), § 35; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 70; Dzankovic/D (E)
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(Fn. 645); Pavlenko/R (Fn. 1471), § 97; Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471), § 97; Lopata/R (Fn. 1471), § 130 („The rights of the defence will in principle be irretrievably prejudiced when incriminating statements made during police interrogation without access to a lawyer are used for a conviction.“); Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 49. EGMR Hovanesian/BUL (Fn. 645), §§ 36 ff. (nicht ganz konsequent, weil der EGMR nicht darauf eingeht, ob überhaupt gute Gründe vorgelegen haben, dem Beschuldigten den Verteidiger vorzuenthalten. Dazu vgl. EGMR Dayanan/TRK (Fn. 588), § 33 („En soi, une telle restriction systématique sur la base des dispositions légales pertinentes, suffit à conclure à un manquement aux exigences de l’article 6 de la Convention, nonobstant le fait que le requérant a gardé le silence au cours de sa garde à vue.“). Ob der Beschuldigte schweigt oder Angaben macht, sollte beim Fehlen guter Gründe nicht mehr relevant sein.
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Gericht rügen kann, z.B. dadurch, dass sich das Gericht nicht mit seinen Argumenten auseinandersetzt.1496 Der Zugang zu einem Verteidiger vor bzw. während einer Vernehmung ist von be594 sonderer Bedeutung, wenn der Beschuldigte nicht auf sein Schweigerecht hingewiesen worden ist.1497 Nach Auffassung des Gerichtshofs besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Recht auf möglichst frühen Zugang zu einem Verteidiger im Ermittlungsverfahren und dem nemo-tenetur-Prinzip (siehe Rn. 879 ff.). Wird dem Beschuldigten kein Verteidigerzugang gewährt, indiziert das einen Verstoß gegen das Selbstbelastungsprivileg; der frühe Zugang zu einem Verteidiger ist daher ein entscheidender Aspekt bei der Beantwortung der Frage, ob ein Geständnis unter Missachtung des nemo-tenetur-Prinzip gewonnen wurde.1498 Auf das Recht auf Verteidigerzugang schon im Ermittlungsverfahren kann der Be595 schuldigte im Prinzip verzichten.1499 Jedoch muss sein Verzicht auf einen Verteidiger, zumal wenn der Beschuldigte vorläufig festgenommen ist oder sich bereits in Untersuchungshaft befindet, freiwillig erfolgen und hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen („unequivocal manner“).1500 Der Beschuldigte muss in der Lage sein, vor der Erklärung eines solchen Verzichts die 596 Konsequenzen seines Verhaltens vorauszusehen.1501 Daran kann es fehlen, wenn der Vor-
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EGMR Lopata/R (Fn. 1471), § 143 („the Court is not satisfied that the applicant’s grievance received an appropriate response from the national courts and considers that fair procedures for making an assessment of the issue of legal assistance proved nonexistent in the present case.“), § 144 („the use of the applicant’s confession statement obtained in circumstances which raised doubts as to its voluntary character, and in the absence of legal assistance, together with the apparent lack of appropriate safeguards at the trial, rendered the applicant’s trial unfair.“). EGMR Brusco/F (Fn. 175), § 45 („la personne placée en garde à vue a le droit d’être assistée d’un avocat dès le début de cette mesure ainsi que pendant les interrogatoires, et ce a fortiori lorsqu’elle n’a pas été informée par les autorités de son droit de se taire.“). EGMR Hakan Duman/TRK, 23.3.2010, § 47 („Early access to a lawyer is part of the procedural safeguards to which the Court will have particular regard when examining whether a procedure has extinguished the very essence of the privilege against self-incrimination.“); siehe ferner Pavlenko/R (Fn. 1471), § 101 („In most cases, this particular vulnerability [gemeint: die des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren] can only be properly compensated
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for by the assistance of a lawyer whose task is, among other things, to help to ensure respect of the right of an accused not to incriminate himself. This right indeed presupposes that the prosecution in a criminal case seek to prove their case against the accused without resort to evidence obtained through methods of coercion or oppression in defiance of the will of the accused.“); anschaulich auch EGMR Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 59 („In addition, the applicant, having been warned about criminal liability for refusal to testify and at the same time having been informed about his right not to testify against himself, could have been confused, as he alleged, about his liability for refusal to testify, especially in the absence of legal advice during that interview.“); Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 50. EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 90; Plonka/PL (Fn. 1466), § 35; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 77; Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471), § 106; MeyerLadewig 240. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393); Panovits/ZYP (Fn. 1440); Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 77; Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 52. EGMR Talat Tunç/TRK, 27.3.2007, § 59; Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 77; Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 40; Pavlenko/R
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wurf bei der Vernehmung sich wider besseres Wissen der Strafverfolgungsbehörden auf ein weniger schweres Delikt bezieht, der Beschuldigte auf einen Verteidiger verzichtet und der gegen ihn erhobene Vorwurf danach ausgeweitet wird.1502 Ein Verzicht kann sowohl ausdrücklich („expressly“) oder auch konkludent („tacitly“) erklärt werden.1503 Angesichts der herausragenden Bedeutung des Rechts auf Verteidigerzugang1504 sind strenge Maßstäbe anzulegen.1505 Allein aus dem Umstand, dass der Beschuldigte über sein Schweigerecht und sein Recht auf Zugang zu einem Verteidiger belehrt worden ist, dies in einem Formular bestätigt und sodann Angaben zur Sache macht, kann nicht auf einen eindeutigen Verzicht auf das Verteidigerzugangsrecht geschlossen werden, weil der Beschuldigte – ohne den Beistand eines Verteidigers – möglicherweise die Konsequenzen seines Handelns nicht übersieht.1506 Der EGMR lehnt es ferner ab, einen wirksamen Verzicht darin zu sehen, dass der Beschuldigte nach Belehrung über sein Recht, einen Anwalt hinzuziehen zu dürfen, auf die Fragen der Vernehmungsperson antwortet, ohne sich mit seinem Verteidiger beraten zu haben.1507 Vielmehr muss, wenn der Beschuldigte den Wunsch äußert, einen Verteidiger zu konsultieren, die Vernehmung abgebrochen werden, bis sich der Beschuldigte mit seinem Verteidiger beraten hat oder er von sich aus den Kontakt mit den Vernehmungspersonen wieder aufnimmt.1508 Ein durch Drohung oder Gewalt gewonnener Verzicht auf einen Verteidiger ist in jedem Fall unwirksam und stellt einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK dar.1509 Ferner hat der EGMR auch den Verzicht einer Beschuldigten mit schweren Alkoholproblemen für unwirksam gehalten.1510 Dieser Ansatz sollte für vergleichbare körperliche oder geistige Mängel entsprechend gelten. Das Recht, einen Verteidiger zuzuziehen, besteht während des ganzen Verfahrens, da es nicht nur die Verteidigung gegen die erhobene Beschuldigung in der Hauptverhandlung, sondern auch die Wahrung der Verfahrensrechte des Beschuldigten von Anfang an, also auch schon während der polizeilichen Ermittlungen (Rn. 605), ermöglichen soll.1511
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(Fn. 1471), § 102 („Before an accused can be said to have impliedly, through his conduct, waived an important right under Article 6, it must be shown that he could reasonably have foreseen what the consequences of his conduct would be.“); Jones/UK (E), 9.9.2003; Lopata/R (Fn. 1471), § 135. EGMR Leonid Lazarenko/UKR (Fn. 645), § 54 („the Court does not rule out that, as argued by the applicant, the charges against him were artificially mitigated at that stage with a view to circumventing that legal safeguard.“), § 56 („the case-file material it has in its possession contains a waiver of legal assistance by the applicant […]. The applicant made the waiver in question without being aware of all the seriousness of the possible penalty. That waiver cannot therefore be considered as having been attended by minimum
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safeguards commensurate with its importance.“); siehe auch: EGMR Yaremenko/UKR, 12.6.2008, § 88. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 77. EGMR Plonka/PL (Fn. 1466), § 33; Dayanan/TRK (Fn. 588), § 30; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 82. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 78. EGMR (GK) Salduz/TRK (Fn. 1466), §§ 59 ff.; Pishchalnikov/R (Fn. 645), §§ 77, 79, 80. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 79. EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 79. EGMR Yaremenko/UKR (Fn. 1502). EGMR Plonka/PL (Fn. 1466), § 38. EGMR Imbrioscia/CH, 24.11.1993, A 275 = ÖJZ 1994 517; (GK) John Murray/UK (Fn. 740); Huseyn u.a./ASE, 26.7.2011, § 171 („Article 6 will normally require that the accused be allowed to benefit from the assistance of a lawyer
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Wird dem Beschuldigten diese potentielle Unterstützung verweigert, kann darin ein irreparabler Verstoß gegen ein faires Verfahren liegen, so etwa, wenn er des Rates eines Verteidigers bedarf, weil er sich in einem fundamentalen aussagetaktischen Dilemma befindet, sowohl bei einer Aussage als auch durch sein Schweigen Nachteile zu befürchten hat,1512 oder weil der Beschuldigte minderjährig ist.1513 Eine Pflicht zur Belehrung des Beschuldigten hinsichtlich des Rechts auf Verteidiger602 zugang kann sich nach der Rechtsprechung des EGMR jedenfalls bei minderjährigen Beschuldigten aus der EMRK selbst ergeben (dazu auch Rn. 755 ff.).1514 Problematisch erscheint es, dem Beschuldigten die materielle Beweislast dafür aufzuerlegen, dass ihm der Kontakt zu einem Verteidiger tatsächlich vorenthalten wurde; dass die bloße Behauptung einer solchen Kontaktverweigerung nicht ausreicht,1515 ist sicher richtig. Mehr als eine substantiierte Darlegung der Tatsachen wird man vom Beschuldigten allerdings nicht erwarten dürfen. Auf EU-Ebene ist auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 2 AEUV eine Richtlinie über 603 das Recht auf Belehrung in Strafverfahren geplant, die darüber hinausgehend vorsieht, dass jeder Beschuldigte über sein Recht, einen Anwalt hinzuziehen zu dürfen, schriftlich und in leicht verständlicher Sprache in einer sog. „Erklärung der Rechte“ (Letter of Rights) belehrt werden muss (dazu Rn. 566).1516 Am 8.6.2011 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme vorgelegt, KOM (2011) 326 endg. Auch ein Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu einem Verteidiger schon im Ermitt604 lungsverfahren kann im Verlauf des späteren Verfahrens geheilt werden, so dass der Beschwerdeführer seinen Opferstatus verliert (vgl. Teil II Rn. 129 ff.).1517 Weder der Umstand, dass der Beschuldigte die Unterstützung durch einen Verteidiger erfährt, noch ein im weiteren Verlauf kontradiktorisches Verfahren hält der Gerichtshof aber für geeignet, den anfänglichen Verstoß gegen die Verfahrensfairness auszugleichen.1518
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from the initial stages of police interrogation.“); Nechiporuk u. Yonkalo/UKR, 21.4.2011, § 262 („As a rule, access to a lawyer should be provided as from the first interrogation of a suspect by the police, unless it is demonstrated in the light of the particular circumstances of each case that there are compelling reasons to restrict this right.“); Esser 452; Villiger 509; auch bei Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug sind Art. 6 Abs. 3 lit. b und c EMRK grundsätzlich anwendbar: EGMR Young/UK (Fn. 181). EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740); (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393); ausführlich zu dieser Konstellation Esser 454. EGMR (GK) Salduz/TRK (Fn. 1466) mit Anm. Herrmann StRR 2009 97. EGMR Adamkiewicz (Fn. 426), § 88 („il n’apparaît pas que les autorités aient elles-mêmes, avant de l’interroger, informé d’une manière quelconque le requérant de
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son droit de garder le silence et de consulter un avocat avant toute déclaration.“); siehe auch EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440), § 73 („the lack of provision of sufficient information on the applicant’s right to consult a lawyer before his questioning by the police, especially given the fact that he was a minor at the time and not assisted by his guardian during the questioning, constituted a breach of the applicant’s defence rights.“). EGMR Latimer/UK (E), 31.5.2005. KOM (2010) 392 endg. v. 20.7.2010. EGMR Kozlov/R, 17.9.2009, § 54. EGMR Hakan Duman/TRK (Fn. 1498), § 51 („Neither the assistance subsequently provided by a lawyer nor the adversarial nature of the ensuing proceedings could cure the defects which had occurred while the applicant was in custody.“); § 52 („Even though the applicant had the opportunity to challenge the evidence
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4. Recht des Beschuldigten auf Anwesenheit seines Verteidigers bei der polizeilichen 605 Vernehmung. Ob neben dem Recht, im Ermittlungsverfahren einen Verteidiger konsultieren zu dürfen, auch ein (weitergehendes) Recht des Beschuldigten auf Anwesenheit seines Wahl- oder Pflichtverteidigers bei der polizeilichen Vernehmung existiert, ist aus der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR bisher nicht eindeutig hervorgegangen.1519 Der Gerichtshof hat eine Differenzierung aufgrund der von ihm vorgenommenen Gesamtbetrachtung bislang nicht für erforderlich gehalten. Drei jüngere Urteile des EGMR haben diese Frage belebt. Im Urteil Panovits findet sich der Hinweis, dass der Mangel an rechtlichem Beistand während einer Befragung des Beschuldigten („during an applicant’s interrogation“) eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte darstellen kann, soweit nicht wichtige Gründe („compelling reasons“) für die Vorenthaltung des Beistands vorliegen, die zudem die Gesamtfairness des Verfahrens nicht in Frage stellen dürfen.1520 Dieser Argumentationsansatz wird vom Gerichtshof allerdings im Verlauf der Urteilsbegründung nicht weiter verfolgt. Vielmehr wird die Unfairness des Verfahrens im Fall Panovits vor allem damit begründet, dass die Behörden den seinerzeit minderjährigen Beschuldigten angesichts seiner erkennbaren Hilflosigkeit über sein Recht, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, hätten informieren müssen.1521 Auch die Urteile Pishchalnikov und Brusco enthalten Anhaltspunkte dafür, dass der 606 Gerichtshof mittlerweile von einem Recht des Beschuldigten auf Anwesenheit seines Wahl- oder Pflichtverteidigers bei einer polizeilichen Vernehmung auszugehen scheint.1522 Damit würde der EGMR über die Vorgaben der deutschen StPO hinausgehen, die ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei einer polizeilichen Vernehmung gerade nicht kennt.1523 Stimmen aus der Literatur, die das Anwesenheitsrecht uneingeschränkt bejahen, über- 607 zeugen.1524 Der Verteidiger ist nicht in der Lage, den Beschuldigten durch eine Konsul-
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against him at the trial and subsequently on appeal, the fact that no lawyer was present while he was in police custody, in the absence of an unequivocal and intentional waiver on his part, irretrievably damaged his defence rights.“); siehe auch EGMR Pavlenko/R (Fn. 1471), § 119; Laska u. Lika/ALB (Fn. 527), § 68. Esser 466 ff.; Gaede 794; eine Darstellung der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung findet sich auch bei Beijer EurJCrimeCrLJ 2010 311, 313, 332 ff.; vgl. EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740). EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440), § 66 („the lack of legal assistance during an applicant’s interrogation would constitute a restriction of his defence rights in the absence of compelling reasons that do not prejudice the overall fairness of the proceedings.“). EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440), § 73 („the lack of provision of sufficient information on the applicant’s right to consult a lawyer before his questioning by the police, especi-
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ally given the fact that he was a minor at the time and not assisted by his guardian during the questioning, constituted a breach of the applicant’s defence rights.“). EGMR Pishchalnikov/R (Fn. 645), § 79 („when an accused has invoked his right to be assisted by counsel during interrogation, a valid waiver of that right cannot be established by showing only that he responded to further police-initiated interrogation even if he has been advised of his rights.“); Brusco/F (Fn. 175), § 45 („la personne placée en garde à vue a le droit d’être assistée d’un avocat dès le début de cette mesure pendant les interrogatoires, et ce a fortiori lorsqu’elle n’a pas été informée par les autorités de son droit de se taire.“); wie hier im Ergebnis auch: Beijer EurJCrimeCrLJ 2010 311, 313, 336. Meyer-Goßner § 163, 16 StPO. Gaede 794 f. m.w.N. Fn. 29; jüngst auch Beijer EurJCrimeCrLJ 2010 311, 313, 336 unter Berufung auf die Urteile Panovits (Fn. 1440) und Pishchalnikov (Fn. 645).
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tation vor der Vernehmung auf alle rechtlichen Schwierigkeiten vorzubereiten, die sich während der konkreten Vernehmungssituation ergeben können. Der regelmäßig juristisch nicht besonders geschulte Beschuldigte ist bei der Befragung durch versierte Polizeibeamte häufig überfordert,1525 was von diesen ausgenutzt werde könnte. Von daher ist die Anwesenheit des Verteidigers schon vor und während der ersten polizeilichen Einvernahme erforderlich, damit der Verteidiger seine Kontrollfunktion effektiv wahrnehmen kann. Nur so lässt sich die normative Waffengleichheit herstellen. Eine Heilung dieses Verstoßes ist nur anzunehmen, wenn ein Verwertungsverbot hinsichtlich der konventionswidrig gewonnenen Aussage besteht.1526 5. Ausreichende „Gelegenheit“ zur Vorbereitung der Verteidigung
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a) Auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter. Ein auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter muss grundsätzlich seine Verteidigung in eigener Verantwortung selbst vorbereiten und organisieren (können), etwa durch Erkundigungen, Beibringung von Unterlagen und Nachforschungen nach sonstigen Beweismitteln. Es ist – bis zur Grenze der drohenden Verfahrensbeeinträchtigung (etwa durch die Unterdrückung von Beweismaterial oder eine unangemessene Einflussnahme auf Zeugen) – seine Sache, ob und wie er diese Möglichkeiten ausschöpft.1527 Er darf durch staatliche Maßnahmen nicht an zulässigen Aktivitäten zu diesem Zweck gehindert werden. Das nationale Recht kann ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK fordern, 609 dass der Beschuldigte eine Zustelladresse angibt oder dass er oder sein Verteidiger sich nach dem gerichtlichen Verhandlungstermin erkundigen, wenn keine Ladung vorgeschrieben ist.1528 Die Unterlagen, die der Beschuldigte ersichtlich zur Vorbereitung seiner Verteidigung 610 im laufenden Verfahren gesammelt hat, unterliegen nicht der Beschlagnahme und sind der Verwertung durch die Strafverfolgungsbehörden entzogen; insoweit hat das auch aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Ermöglichung einer effektiven Verteidigung Vorrang vor den Belangen einer funktionierenden Strafrechtspflege.1529 Speziell zur Verteidigerkorrespondenz siehe Rn. 616. Das Recht auf Teilnahme an richterlichen Beweiserhebungen dient ebenfalls der Vor611 bereitung seiner Verteidigung, es wird aber nicht zwingend durch lit. b garantiert, da es für dessen Zwecke genügen kann, wenn der Beschuldigte spätestens bei der Beweisverwertung vor dem erkennenden Gericht seine Verteidigungsrechte, insbesondere sein Fragerecht ausüben und zum Beweisergebnis Stellung nehmen und seine Einwände dagegen vorbringen kann.1530
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Das Problem erkennt auch EGMR Lopata/R (Fn. 1471), § 131 („At the same time, an accused often finds himself in a particularly vulnerable position at that stage of the proceedings [gemeint: im Ermittlungsverfahren], the effect of which is amplified by the fact that legislation on criminal procedure tends to become increasingly complex, notably with respect to the rules governing the gathering and use of evidence.“).
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Gaede 797 ff. Vgl. IK-EMRK/Kühne 529 ff. („Obliegenheiten des Beschuldigten“); ebenso SK/Paeffgen 130. EKMR nach IK-EMRK/Kühne 529. Siehe auch: BGHSt 44 46; BGH NJW 1973 2035; BGHR § 97 StPO Verteidigungsunterlagen 1, 2; Dahs GedS Meyer 61, 68, vgl. LR/Schäfer 25 § 97, 85 StPO. Zum Frage- und Konfrontationsrecht vgl. Rn. 758 ff.
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Art. 14 IPBPR
b) Vorläufig festgenommer oder inhaftierter Beschuldigter. Ein Beschuldigter, dem 612 die Freiheit entzogen ist, muss ungeachtet der sich daraus ergebenden Einschränkungen ausreichende Möglichkeiten für die Vorbereitung seiner Verteidigung erhalten. Er darf nicht daran gehindert werden, aus der Haft heraus selbst die von ihm hierfür als erforderlich erachteten Maßnahmen in die Wege zu leiten, sei es schriftlich oder mündlich beim Besuch einer Person seines Vertrauens (vgl. hierzu auch Art. 8 EMRK Rn. 110).1531 Ein unüberwachter Besuch (etwa von Angehörigen) kann wegen Verdunkelungsgefahr abgelehnt werden (zum Verteidiger siehe aber Rn. 614).1532 Das für die Ausarbeitung seiner Verteidigung erforderliche Schreibmaterial darf ihm 613 nicht verweigert werden, desgleichen müssen für ihn, zumindest wenn er seine Verteidigung allein führen will, die wichtigsten einschlägigen Gesetzestexte verfügbar sein.1533 Soweit dies für die sachgerechte Vorbereitung seiner Verteidigung, nicht zuletzt auch zur Sicherung seines Rechts zur Befragung von Belastungszeugen nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR und damit zugleich auch zur Sicherung der Verwertbarkeit der Aussagen (siehe Rn. 795) notwendig ist, kann es vor allem in den Fällen einer notwendigen Verteidigung geboten sein, ihm bereits im Vorverfahren einen Verteidiger von Amts wegen nach § 141 Abs. 3 StPO zu bestellen.1534 Mit seinem Verteidiger muss ein in Haft befindlicher Beschuldigter zur Vorbereitung 614 seiner Verteidigung – unabhängig von einer Vernehmung1535 – in ausreichendem Maße und effektiv – mündlich und schriftlich1536 – verkehren können und zwar, wie es die zur Zweckerreichung notwendige Vertraulichkeit des Gespräches erfordert, grundsätzlich alsbald,1537 ohne Zuhörer1538 und ohne zeitliche Begrenzung.1539 Dabei muss der Be-
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Vgl. EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 41; Verstoß durch Zurückhaltung des Briefes des Gefangenen an Anwalt zur Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche). BGHSt 44 82; Nack FS G. Schäfer 46, 48. Villiger 511. Vgl. etwa BGHSt 46 93; 47 172, 176; 47 233, 234. EGMR Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 84 („un accusé doit, dès qu’il est privé de liberté, pouvoir bénéficier de l’assistance d’un avocat et cela indépendamment des interrogatoires qu’il subit.“); Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 34. Vgl. BGer EuGRZ 1981 284; EGMR Moiseyev/R (Fn. 527). Eine 7 Tage dauernde Verweigerung des Verkehrs mit seinem Verteidiger kann nicht nur gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK sondern auch gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK verstoßen: EGMR Magee/UK, 6.6.2000, ECHR 2000-VI; (K) Öcalan/TRK (Fn. 377); zust. Kühne JZ 2003 670, 672, anschließend daran: EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393). EGMR S/CH, 28.11.1991, A 220 = NJW 1992 3090 = EuGRZ 1992 296 = ÖJZ 1992 343; (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393);
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Zagaria/I, 27.11.2007; Rybacki/PL (Fn. 645), § 56 („The right of the defendant to communicate with his advocate out of hearing of a third person is part of the basic requirements of a fair trial in a democratic society and follows from Article 6 § 3 (c). (…) However, if a lawyer were unable to confer with his client and receive confidential instructions from him without such surveillance, his assistance would lose much of its effectiveness whereas the Convention is intended to guarantee rights that are practical and effective.“); (GK) Sakhnovskiy/R, 2.11.2010, § 97; S/CH (Fn. 1538), § 48; Artico/I (Fn. 522); EKMR (Can) EuGRZ 1986 276; BGer EuGRZ 1995 404; Frowein/Peukert 289; KKEMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 131; Paeffgen NStZ 1989 423. Art. 8 Abs. 3 lit. d AMRK garantiert ausdrücklich das Recht des Beschuldigten, mit dem Verteidiger seiner Wahl frei und ungestört verkehren zu können. EGMR (GK) Öcalan/TRK (Fn. 393); vgl. auch das Kammer-Urteil: EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377) mit Anm. Kühne JZ 2003 670; Zagaria/I (Fn. 1538),
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schuldigte später nicht nachweisen, dass sich das Abhören nachteilig auf seine Verteidigung ausgewirkt hat. Allein die Tatsache, direkt in seinen Verteidigungsrechten betroffen worden zu sein, muss von ihm bekräftigt werden.1540 Dabei kann nach dem EGMR auch schon der begründete Verdacht, abgehört zu werden, ausreichen, um die Verteidigung zu beeinträchtigen.1541 Von daher erscheint es problematisch, wenn das Gespräch zwischen Beschuldigtem und Verteidiger seitens der Strafverfolgungsbehörden (nur visuell) per Video aufgezeichnet wird, schon wegen der Möglichkeit, die gesprochenen Worte von den Lippen ablesen zu können.1542 Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Verfahren, in dem sich der Beschuldigte in 615 Untersuchungshaft befindet, sondern auch für den Umgang mit einem Verteidiger, der ihn in einem anderen anhängigen Strafverfahren vertritt, selbst wenn dieses im Ausland durchgeführt wird.1543 Die Verteidigerkorrespondenz, d.h. Briefe des Beschuldigten an seinen Verteidiger und 616 die Post, die er von seinem Verteidiger erhält, ist privilegiert.1544 Einschränkungen und Kontrollen dieses Verkehrs werden (nur) in Ausnahmefällen für zulässig gehalten; sie müssen im konkreten Fall durch schwerwiegende besondere Umstände gerechtfertigt sein1545 und einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Zwecke dienen, etwa, um
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§ 30; Moiseyev/R (Fn. 527), § 209; Oferta Plus S.R.L./MOL, 19.12.2006, § 145 = NJW 2007 3409 (zu Art. 34 EMRK). EGMR Zagaria/I (Fn. 1538), § 30 („S’il n’est pas nécessaire que le requérant prouve que la restriction a eu un effet préjudiciable sur le cours du procès, à supposer qu’il soit possible d’apporter une telle preuve, celui-ci doit pouvoir affirmer que la restriction l’a directement touché dans l’exercice des droits de la défense.“). EGMR Oferta Plus S.R.L./MOL (Fn. 1539), § 147 (zu Art. 34 EMRK): „The Court considers that an interference with the lawyer-client privilege and, thus, with the right of petition guaranteed by Article 34 of the Convention, does not necessarily require an actual interception or eavesdropping to have taken place. A genuine belief held on reasonable grounds that their discussion was being listened to might be sufficient, in the Court’s view, to limit the effectiveness of the assistance which the lawyer could provide. Such a belief would inevitably inhibit a free discussion between lawyer and client and hamper the client’s right to be effectively defended or represented.“ In diese Richtung auch EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 104 („it is questionable whether communication by video link offered sufficient privacy. The
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Court notes that in the Marcello Viola case [5.10.2006, ECHR 2006-VI], §§ 41 and 75) the applicant was able to speak to his lawyer via a telephone line secured against any attempt at interception. In the case at hand the applicant had to use the videoconferencing system installed and operated by the State. The Court considers that the applicant might legitimately have felt ill at ease when he discussed his case with Ms A.“). OLG Celle NStZ 2003 686 (auch zu der zur Verhütung von Missbrauch eventuell erforderlichen Legitimation des im ausländischen Verfahren bestellten Verteidigers durch die ausländischen Justizbehörden). Ob dies nur gilt, wenn dem Beschuldigten auch im ausländischen Verfahren die Rechte aus der EMRK zustehen, erscheint fraglich. EGMR Moiseyev/R (Fn. 527), § 210. EGMR Moiseyev/R (Fn. 527), § 210; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 102 („the relationship between the lawyer and his client should be based on mutual trust and understanding. Of course, it is not always possible for the State to facilitate such a relationship: there are inherent time and place constraints for the meetings between the detained person and his lawyer. Moreover, in exceptional circumstances the State may restrict confidential contacts with defence counsel for a person in deten-
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eine konkret zu befürchtende missbräuchliche Ausnutzung dieses Verkehrs zur Verdunkelung begangener oder zur Begehung weiterer Straftaten zu verhüten.1546 Überwachungsmaßnahmen dürfen die Verteidigung als solche nicht unnötig oder unverhältnismäßig behindern;1547 insbesondere muss der Verteidiger Gelegenheit haben, den Sachverhalt mit dem Beschuldigten vor einer Beweisaufnahme bzw. vor Beginn eines Verhandlungstermins zu besprechen. Dies ist auch erforderlich, damit er das Frage- und Konfrontationsrecht aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK sachgerecht ausüben kann, etwa wenn er für diesen an der kommissarischen Einvernahme eines Belastungszeugen teilnehmen soll.1548 Der Haftanstalt anzulastende Verzögerungen des Briefverkehrs mit dem Verteidiger, die zu einer Fristversäumnis führen, verletzen Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK.1549 Eine zeitlich befristete Unterbrechung des Verkehrs mit dem Verteidiger aufgrund 617 einer angeordneten Kontaktsperre nach §§ 31 ff. EGGVG ist mit Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK nur in Ausnahmesituationen vereinbar.1550 Gleiches gilt für Sicherheitsmaßnahmen (Trennscheibe, Kontrollen u.a.) für die Abwicklung des Verkehrs.1551 Ein Anspruch auf Verlegung in eine andere Haftanstalt zur Erleichterung der Besuche des Verteidigers kann aus lit. b nicht hergeleitet werden, solange der Kontakt mit dem Verteidiger zumindest anderweitig aufrechterhalten werden kann,1552 wohl aber, dass der Verkehr nicht durch eine willkürliche Verlegung absichtlich erschwert wird. 6. Pflicht zur Benachrichtigung der konsularischen Vertretung (Art. 36 WÜK). Der 618 Verkehr mit der konsularischen Vertretung oder sonstigen Vertretern seines Heimatstaates1553 zur Vorbereitung der Verteidigung wird einem ausländischen Beschuldigten nicht explizit durch Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK gewährleistet,1554 wohl aber durch Art. 36 Abs. 1 lit. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (WÜK)1555 und durch Sondervereinbarungen. Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK verlangt, dass festgenommene Beschuldigte über ihr Recht belehrt werden, Kontakt mit einem Vertreter des für sie zuständigen Konsulats aufnehmen zu können. Die Belehrungs-
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tion […]. Nevertheless, any limitation on relations between clients and lawyers, whether inherent or express, should not thwart the effective legal assistance to which a defendant is entitled. Notwithstanding possible difficulties or restrictions, such is the importance attached to the rights of the defence that the right to effective legal assistance must be respected in all circumstances.“); Kempers/A (E), 27.2. 1997; Lanz/A, 31.1.2002, § 52, ÖJZ 2002 433; Frowein/Peukert 295. EGMR Moiseyev/R (Fn. 527), § 210. EGMR De Wilde, Ooms u. Versyp/B (Fn. 352); IK-EMRK/Kühne 506; vgl. ferner Kühne EuGRZ 1979 532 (auch Schutz des Verteidigers); EGMR Zagaria/I (Fn. 1538), § 31 („toute mesure restreignant les droits de la défense doit être absolument nécessaire. Dès lors qu’une mesure moins restrictive peut suffire, c’est elle qu’il faut appliquer.“); van Mechelen u.a./NL (Fn. 541).
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Vgl. BGHSt 46 93. EGMR Domenichini/I, 21.10.1996, Rep. 1996-V; Grabenwarter § 24, 101. Bedenken äußert IK-EMRK/Kühne 512 f.; vgl. dagegen weniger restriktiv: Frowein/ Peukert 296; EKMR Can/A, 30.9.1985, EuGRZ 1986 276; BVerfGE 49 24; ferner zur „mise en sécret“: BGer EuGRZ 1978 16; IK-EMRK/Kühne 514; Villiger 282, 283 m.w.N. EKMR nach IK-EMRK/Kühne 510. IK-EMRK/Kühne 504. Vertiefend: Breuer GedS Blumenwitz 87. Vgl. SK/Paeffgen 131. BGBl. 1969 II S. 1585; 1971 II S. 1285. Vgl. dazu auch Nr. 135 RiVASt sowie Sondervereinbarungen: Art. VII Abs. IX lit. g NATO-Truppenstatut und Nr. XIV Abs. 2; Nr. XVI der Anl. 4 zum deutsch-sowjetischen Vertrag v. 12.10.1990 (BGBl. 1991 II S. 289).
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pflicht obliegt den zuständigen Behörden des Empfangsstaates und damit schon den festnehmenden Polizeibeamten, sofern sie Kenntnis von der ausländischen Staatsangehörigkeit erlangen oder Anhaltspunkte für eine solche bestehen.1556 In mehreren Urteilen hat der IGH (ICJ) in Den Haag einen staatlichen Verstoß gegen Art. 36 WÜK festgestellt.1557 Die Pflicht zur Unterrichtung des Beschuldigten und ggf. zur Benachrichtigung der Konsularstellen wird vom BVerfG nicht nur als zwischenstaatliche Verpflichtung interpretiert, sondern als spezielle Ausprägung der Verfahrensfairness angesehen.1558 Von einer Verletzung des Art. 36 WÜK sei immer dann auszugehen, wenn die Möglichkeit bestehe, dass der Einzelne ein ihm garantiertes, bestimmtes prozessuales Recht – wie die Aussagefreiheit – aufgrund der fehlenden konsularischen Unterstützung nicht in vollem Umfang wahrnehmen konnte, und dies nicht revisibel ist. Eine zwingende Unverwertbarkeit der unter Verletzung der prozessualen Garantie zustande gekommenen Beweisergebnisse folgt daraus allerdings nicht.1559 Die Pflicht der Fachgerichte, die Rechtsprechung des IGH zu Art. 36 WÜK – einer (self-executing) Norm des Völkerrechts – zu berücksichtigen, ergibt sich aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 59 Abs. 2 GG), welche die Entscheidungen eines völkerrechtlich ins Leben gerufenen internationalen Gerichts nach Maßgabe des Inhalts des inkorporierten völkerrechtlichen Vertrags umfasst.1560 Die prozessualen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK sind innerhalb der Senate des BGH umstritten. Der 1. Strafsenat hat sich zur Frage der Verwertbarkeit von Angaben eines nicht gemäß Art. 36 WÜK unterrichteten Beschuldigten nicht abschließend geäußert und statt dessen für den von ihm konkret zu entscheidenden Fall einer zu spät (siehe Rn. 618) erteilten Belehrung einen rechtzeitig erhobenen Widerspruch gefordert (Widerspruchslösung); erforderlich sei regelmäßig eine Begründung des Widerspruchs, die zumindest in groben Zügen die Angriffsrichtung deutlich mache.1561 Ein Beweisverwertungsverbot ausdrücklich abgelehnt hat der 5. Strafsenat. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des IGH zu Art. 36 Abs. 2 WÜK lehnt der Senat auch das Erfordernis eines spezifizierten Widerspruchs ab – jedenfalls für den Fall der unterbliebenen Belehrung; er verlangt statt dessen zur Sicherstellung der effektiven Revisibilität eine Kompensation der Rechtsverletzung und übernimmt die zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer entwickelte Vollstreckungslösung.1562
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BVerfG NJW 2007 499, 503; BGH Beschl. v. 7.6.2011 – 4 StR 643/10, Tz. 13. IGH Mexiko v. USA, 31.3.2004 (Avena) mit Anm. Groß/Stubbe GYIL 47 (2004) 722, 725 ff.; IGH Deutschland v. USA, 27.6.2001 (LaGrand), ICJ-Reports 2001 466 = EuGRZ 2001 287 = HRLJ 2001 36; ausführlich hierzu: Weigend FS Lüderssen 463; Mennecke GYIL 44 (2001) 430; Oellers-Frahm EuGRZ 2001 265; Hillgruber JZ 2002 91. BVerfG NJW 2007 499 = EuGRZ 2006 684; NJW 2011 207, 209.
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BVerfG EuGRZ 2006 684, 692 – bezogen auf einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK; so auch: Esser JR 2008 271. BVerfG NJW 2007 499 = EuGRZ 2006 684, 690; NJW 2011 207, 208. BGH NJW 2007 3587, 3588 mit Anm. Jahn JuS 2008 83. BGHSt 52 48 = NJW 2008 307, 309 = StV 2008 5; dagegen BGH StraFo 2011 319 = StV 2011 603.
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Der 3. Strafsenat hat sich ebenfalls gegen ein Beweisverwertungsverbot ausgespro- 623 chen, sich aber weder der Widerspruchslösung noch dem Kompensationsmodell angeschlossen; er befürwortet eine reine Beruhensprüfung i.S.v. § 337 StPO.1563 Der 4. Strafsenat hat sich – bezogen auf den konkreten Fall – ebenfalls gegen ein 624 Beweisverwertungsverbot ausgesprochen, eine solche prozessuale Folge aber – unter Anwendung der sog. Abwägungslehre – auch nicht kategorisch ausgeschlossen, falls dem Beschuldigten im weiteren Verfahren tatsächlich ein zu kompensierender Nachteil entstanden sein sollte. Die vom 1. Strafsenat vorgeschlagene Widerspruchslösung (Rn. 621) hat der Senat (jedenfalls für den Fall der unterbliebenen und auch später nicht nachgeholten Belehrung) verworfen; er plädiert statt dessen für eine Beruhensprüfung.1564 Ob eine Pflicht zur Unterrichtung des ausländischen Beschuldigten über sein Benach- 625 richtungsrecht und die Ermöglichung der Kontaktaufnahme zum Konsulat zum fairen Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gehört, hat der EGMR noch nicht entschieden. Eine auf Art. 6 Abs. 1 EMRK gestützte Rüge einer unterbliebenen oder fehlerhaften Unterrichtung des Beschuldigten nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK erscheint aber im Einzelfall erfolgversprechend. Eine Beschränkung des Kontaktrechts aus sachfremden Überlegungen, etwa um den Betroffenen zu einem Geständnis zu veranlassen, wäre jedenfalls vor dem Hintergrund des Fairnessgedankens unzulässig.1565 Ein Recht auf unbeaufsichtigten Verkehr mit Personen des Konsulats lässt sich aus lit. b allerdings nicht herleiten, wohl aber ein Recht darauf, dass staatliche Stellen in die Vorbereitung der Verteidigung mit Hilfe des Konsulats nicht ohne schwerwiegenden rechtfertigenden Grund und nicht länger als dafür unbedingt erforderlich eingreifen und dass sie die durch Überwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse oder Unterlagen den Strafverfolgungsbehörden zur Verwendung im laufenden Verfahren nicht zugänglich machen.1566 7. Ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung. Ausreichende Zeit muss der 626 Beschuldigte bzw. sein Verteidiger für die einzelnen Maßnahmen zur Vorbereitung seiner Verteidigung haben. Welche Zeit erforderlich ist, lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls,1567 dessen Umfang und Schwierigkeit und dem jeweiligen Verfahrensstadium sowie den nach der jeweiligen Verfahrenslage in Betracht zu ziehenden Verteidigungsmaßnahmen und der allgemeinen Arbeitsauslastung des Verteidigers,1568 ferner danach, ob sich der Beschul-
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BGH Urt. v. 20.12.2007 – 3 StR 318/07. BGH Beschl. v. 7.6.2011 – 4 StR 643/10, Tz. 14 f., 16 ff., 25. Vgl. BGer EuGRZ 1978 16. Das für die Beschlagnahme und Verwertung von Verteidigungsunterlagen geltende Verbot (vgl. Rn. 616) dürfte auch insoweit Platz greifen. EGMR Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645), § 66 („the issue of adequacy of time and facilities afforded to an accused must be assessed in the light of the circumstances of each particular case“); Miminoshvili/R, 28.6.2011, § 142 („The amount of time to be given to the defence in such situations cannot be defined in abstracto. The court has to decide in
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the light of all the circumstances of the case …“); OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos/R, 20.9.2011, § 551 (Verletzung von Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 lit. b: „did not have sufficient time to study the case file [at least 43.000 pages] at first instance [four days], and the early beginning of the hearings by the appeal court unjustifiably restricted the company’s ability to present its case on appeal.“). ferner KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 130. EGMR Mattick/D (E), 31.3.2005, ECHR 2005-VII („when determining the length of the preparatory time needed, it takes into account not only the complexity of the case, but also the usual workload of a legal
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digte in Freiheit oder in Haft befindet (siehe auch Rn. 630 f.).1569 Nur wenige Stunden oder gar Minuten Vorbereitungszeit jedenfalls sind auch bei kleineren und einfachen Vergehen zu knapp;1570 erst recht muss das für Verfahren gelten, in denen der Beschuldigte eine mehrjährige Haftstrafe zu erwarten hat. Die Vorbereitungszeit ist nach dem jeweiligen Verfahrensabschnitt unterschiedlich zu bemessen, wobei auf den Zeitbedarf abzustellen ist, der wegen einer neuen Lage jeweils zusätzlich zu dem bereits früher erlangten und für die Vorbereitung der Verteidigung zu nutzenden Kenntnisstand erforderlich wird. Die Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung ist dabei aber nicht im Verhältnis zu der Zeit zu berechnen, die die Strafverfolgungsbehörde für ihre Ermittlungen benötigte.1571 Bei Bemessung des erforderlichen Zeitbedarfs ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Beschuldigte bereits von der ersten Unterrichtung über die Beschuldigung (lit. a) an (vgl. Rn. 534 ff.) seine Zeit dafür auch tatsächlich nutzt und damit nicht erst bis zur Ladung zur Verhandlung zuwartet. Unter Berücksichtigung dieses Umstands, nicht zuletzt der Möglichkeit, sich schon im Zwischenverfahren innerhalb einer richterlichen Frist zur Anklage erklären zu können (§ 201 StPO),1572 erscheint die Ladungsfrist des § 217 StPO im Regelfall ausreichend. Ferner muss der Angeklagte nach Auffassung des EGMR auch die Zeit nutzen, die zwischen mehreren Verhandlungsterminen liegt, um sich in neue Unterlagen einzuarbeiten.1573
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counsel, who certainly cannot be expected to change his whole programme in order to devote all his time to one case. However, it is not unreasonable to require a defence lawyer to arrange for at least some shift in the emphasis of his work if this is necessary in view of the special urgency of a particular case“); Meyer-Ladewig 228. EKMR X/B, 9.5.1977, EuGRZ 1977 347; IK-EMRK/Kühne 521; Schorn 1. EGMR Borisova/BUL (Fn. 527), § 43; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 87; Ashughyan/ ARM, 17.7.2008, § 66; Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645), § 67 („despite the lack of a clear indication of the exact lapse of time between the offence committed by the second applicant and the examination of her administrative case in this respect, it is evident that this period was not longer than a few hours. Even if it is accepted that the applicant’s case was not a complex one, the Court doubts that the circumstances in which the applicant’s trial was conducted were such as to enable her to familiarise herself properly with and to assess adequately the charge and evidence against her and to develop a viable legal strategy for her defence.“); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 103 („the applicant was able to communicate with the newly-appointed lawyer for fifteen minutes, immediately before the start of the hearing. The Court
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considers that, given the complexity and seriousness of the case, the time allotted was clearly not sufficient for the applicant to discuss the case and make sure that Ms A.’s knowledge of the case and legal position were appropriate“). Vgl. Frowein/Peukert 287. Siehe aber auch: EGMR Aden Robleh/F (E), 18.10.2005: Wird die Frist nicht genutzt, etwa weil die Anklage im Wege der Ersatzzustellung zugestellt worden ist und der Angeklagte nicht in der Lage gewesen ist, sich zur Anklage zu äußern, so ist darin nicht automatisch ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK zu sehen, weil der Angeklagte noch in der Hauptverhandlung Gelegenheit hat, sich zu verteidigen. EGMR Mattick/D (E) (Fn. 1568; „the time between the hearings counts as preparatory time. Article 6 § 3 (b) of the Convention does not require the preparation of a trial lasting over a certain period of time to be completed before the first hearing. Rather, it is the amount of time actually available which counts towards the preparatory time. It could not be otherwise, since the course of trials cannot be fully charted in advance and may reveal elements which have not hitherto come to light and which require further preparation by the parties.“).
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Wechselt der Gegenstand der Anschuldigung im Laufe des Verfahrens (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK; Rn. 541), bemisst sich die erforderliche Vorbereitungszeit nach dem zusätzlichen Informationsbedarf, der je nach Lage des Einzelfalls dadurch entstehen kann, dass die Verteidigung auf die neue Anschuldigung umgestellt werden muss.1574 Dabei liegt eine beachtliche Änderung grundsätzlich nicht nur dann vor, wenn dem Beschuldigten ein neuer Sachverhalt zur Last gelegt wird, sondern auch dann, wenn sich ausschließlich die rechtliche Bewertung ändert,1575 da Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK dem Beschuldigten das Recht verleiht, nicht nur über den ihm zur Last gelegten Sachverhalt, sondern auch detailliert über die rechtliche Bewertung informiert zu werden.1576 Ein beachtlicher Wechsel der Anschuldigung kann demnach darin liegen, dass die Anklage ursprünglich auf Versuch lautet, der Angeklagte dann aber wegen vollendeter Tat bestraft werden soll. Der Angeklagte muss dann wegen des erhöhten Unrechtsgehalts zusätzlich ausreichend Zeit erhalten, seine Verteidigung umzustellen, weil er möglicherweise eine schwerere Strafe zu erwarten hat.1577 Aber auch dann, wenn der Vorwurf von einer täterschaftlichen Beteiligung auf eine bloße Teilnahme herabgestuft wird, muss der Angeklagte sich auf diesen Wechsel einstellen können.1578 Sind andererseits die Feststellungen, die der Verurteilung zugrunde liegen, den Angeklagten und ihren Verteidigern seit Langem bekannt und ändert sich in der Verhandlung nur die rechtliche Bewertung der Tat, so kann ausnahmsweise auch eine sehr kurze Vorbereitungszeit mit Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK vereinbar sein, wenn nicht ersichtlich ist, dass sich daraus ernsthafte Probleme für die Verteidigung ergeben.1579 Wird eine weitere Anklage zu einer laufenden Hauptverhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, so muss – bei fehlender Zustimmung des Angeklagten (vgl. § 266 StPO) – mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden.1580 Bei Bestellung eines Verteidigers oder bei einem Verteidigerwechsel muss diesem genügend Zeit zur Einarbeitung gegeben werden,1581 wobei seine allgemeine Arbeitsbelastung zu berücksichtigen ist. Der als Verteidiger bestellte Anwalt muss sich zwar nötigenfalls vordringlich dieser Aufgabe widmen, er kann deswegen aber nicht alle anderen Arbeiten zurückstellen.1582 Wenige Stunden oder gar nur einige Minuten Vorbereitungszeit reichen in jedem Fall nicht aus, gerade wenn der Beschuldigte eine mehrjährige Haftstrafe zu erwarten hat.1583 Keine neue Vorbereitungsfrist nach lit. b fällt in der Regel an, wenn
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EGMR (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648). EGMR Penev/BUL (Fn. 1395), § 42 („the Convention requires that the accused be informed in detail not only of the acts he is alleged to have committed, that is, of the facts underlying the charges, but also of the legal characterisation given to them.“). EGMR Drassich/I (Fn. 1372), § 31 („les dispositions du paragraphe 3 de l’article 6 montrent la nécessité de mettre un soin particulier à notifier l’ « accusation » à l’intéressé. L’acte d’accusation jouant un rôle déterminant dans les poursuites pénales, l’article 6 § 3 a) reconnaît à l’accusé le droit d’être informé non seulement de la cause de l’accusation, c’est-à-dire des faits matériels qui sont mis à sa charge et sur lesquels se fonde
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l’accusation, mais aussi de la qualification juridique donnée à ces faits et ce d’une manière détaillée“). EGMR Miraux/F (Fn. 1412). EGMR Mattei/F (Fn. 1412). EGMR Bäckström u. Andersson/S (E) (Fn. 1402). BGH StraFo 2009 110. EGMR Goddi/I (Fn. 1373); Twalib/GR, 9.6.1998, Rep. 1998-IV = ÖJZ 1999 390; Esser 447; IK-EMRK/Kühne 528; MeyerLadewig 228. Frowein/Peukert 287; IK-EMRK/Kühne 527. EGMR Bogumil/P (Fn. 645), § 48 („S’agissant en particulier de l’avocate d’office désignée le jour même de l’audience, l’intervalle d’un peu plus de cinq heures
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mehrere Verteidiger vorhanden sind und einer die Rolle des ausgeschiedenen übernimmt; nur wenn dies nicht möglich ist, muss dem neu eintretenden Anwalt die erforderliche Zeit für die Einarbeitung eingeräumt werden.1584 Wechselt ein Angeklagter aber kurz vor der Hauptverhandlung ohne nachvollziehbaren Grund seinen Verteidiger, kann er sich regelmäßig nicht darauf berufen, dass dem neuen Verteidiger die Zeit zum Einarbeiten fehlt.1585 Die Vorbereitung von Rechtsmitteln gehört ebenfalls zur Vorbereitung der Verteidigung.1586 Dabei schreibt die EMRK den Mitgliedsstaaten nicht vor, dass sie eine Rechtsmittelinstanz einrichten müssen; wenn die Staaten aber Rechtsmittel gewähren, muss das Verfahren in jeder Instanz mit Art. 6 EMRK vereinbar sein (vgl. Rn. 991 ff.).1587 Die Fristen des einfachen Verfahrensrechts sichern für den Normalfall den Zeitbedarf der Verteidigung. Im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot wird es grundsätzlich als mit lit. b vereinbar angesehen, dass starre Rechtsmittelfristen nicht verlängert werden können.1588 Dies hatte die EKMR selbst für die früher nur zwei Wochen betragende Revisionsbegründungsfrist des § 345 StPO a.F. mehrfach mit der Erwägung bejaht, dass der Verteidiger mit Gang und Ergebnis des Verfahrens und dem Inhalt der Akten bereits ausreichend vertraut sei.1589 Es verstößt gegen Art. 6 EMRK, wenn der Rechtsmittelführer durch eine dem Konventionsstaat zurechenbare Täuschung zur Rücknahme seines Rechtsmittels veranlasst wird und dadurch, nachdem er die Täuschung erkannt hat, die rechtzeitige (Wieder-)Einlegung seines Rechtsmittels versäumt.1590 Auch hat der EGMR es als einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK angesehen, wenn der Beschwerdeführer innerhalb der Rechtsmittelfrist keine Begründung der Entscheidung erhält.1591 Bei Großverfahren ist strittig, ob die Revisionsbegründungsfrist von einem Monat ausreicht, um alle Möglichkeiten dieses Rechtsmittels für eine effektive Verteidigung auszuschöpfen.1592 Eine Rechtsmittelbegründungsfrist von 5 Tagen wurde dagegen als unvereinbar mit Absatz 3 lit. b angesehen, wenn der Rechtsmittelführer bis dahin nicht einmal von allen maßgebenden Entscheidungsgründen Kenntnis hatte.1593 Besondere Verfahrensarten zur Beschleunigung des Verfahrens insgesamt, wie das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO, sind grundsätzlich mit lit. b vereinbar,1594
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dont elle a disposé afin de préparer la défense était de toute évidence trop bref pour une affaire grave pouvant déboucher sur une lourde condamnation.“); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 103; siehe auch EGMR Daud/P, 21.4.1998, Rep. 1998-II, § 39 = ÖJZ 1999 198. EKMR nach Frowein/Peukert 287. EKMR nach Frowein/Peukert 287; IK-EMRK/Kühne 530 (missbräuchliche Verkürzung der Vorbereitungszeit); vgl. auch EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 117. KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 130. EGMR Kulikowski/PL (Fn. 308), § 59; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 34; Arcinski/PL (Fn. 645), § 34; Davran/TRK (Fn. 303), § 38; Lalmahomed/NL (Fn. 595), §§ 34, 38.
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IK-EMRK/Kühne 523; Meyer-Goßner 19. Siehe hierzu Guradze 31; IK-EMRK/ Kühne 523; a.A. für die Frist nach § 345 Abs. 1 StPO KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 130. EGMR Marpa Zeeland B.V. u. Metal Welding B.V./NL (Fn. 602; Rücknahme gegen Zusage, sich für eine Herabsetzung der Strafe einzusetzen). EGMR Baucher/F (Fn. 594), §§ 41 ff. Verneinend Hillenkamp 112 ff.; Grabenwarter NJW 2002 109; Grabenwarter § 24, 103; ähnlich ÖVerfGH NStZ 2000 669 (für die Vierwochenfrist). Vgl. LR/Hanack 25 § 345, 1 StPO. EGMR Hadjianastassiou/GR (Fn. 600); Frowein/Peukert 288. EGMR Borisova/BUL (Fn. 527), 40; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 85.
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wenn die Staatsanwaltschaft sie nur bei einem einfachen, für alle Beteiligten offen liegenden und auch sonst zur sofortigen Aburteilung geeigneten Sachverhalt beantragt, der bei klarer Beweislage weder für die Anklage noch für die Vorbereitung der Verteidigung einen nennenswerten Zeitaufwand erfordert.1595 Unerlässlich ist auch hier, dass der Beschuldigte ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte.1596 Unter diesem Blickwinkel kann in Einzelfällen eine zu kurze Ladungsfrist bedenklich sein.1597 Sollte sie nicht ausreichen, muss das Gericht die Frist angemessen verlängern oder die Aburteilung als für das beschleunigte Verfahren nicht geeignet ablehnen.1598 Ist eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten, hat das Gericht nach § 418 Abs. 4 StPO dem Beschuldigten von Amts wegen einen Verteidiger beizuordnen, sofern er noch keinen hat. Diesem muss dann aber auch ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung einschließlich einer Besprechung mit dem Angeklagten eingeräumt werden.1599
XII. Recht auf Zugang zur Verfahrensakte 1. Umfang des Aktenzugangsrechts. Die Gelegenheit zur Einsicht in die einschlägigen 635 Verfahrensakten und in die als Beweismittel amtlich verwahrten Dokumente sowie zur Besichtigung sonstiger Beweisgegenstände gehört, auch wenn dort nicht ausdrücklich angesprochen, ebenfalls zu dem durch lit. b garantierten Recht auf eine (effektive) Vorbereitung der Verteidigung.1600 Alle für das Strafverfahren durchgeführten sachdienlichen Erhebungen sowie alle für die Verwendung in diesem beigebrachten Unterlagen rechnen grundsätzlich dazu, ganz gleich, ob sie den Beschuldigten belasten oder entlasten und ob sie schon dem Gericht vorgelegt worden sind oder sich noch in den Akten der Staatsanwaltschaft befinden.1601 Der Beschuldigte muss grundsätzlich das ganze gegen ihn angesammelte, verwertbare 636 Material zu seiner Entlastung nutzen können. Dies folgt aus dem Gebot eines die Waffengleichheit wahrenden fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK), das eine Parität des Wissens voraussetzt.1602 Welche Teile der Verfahrensakte für die Vorbereitung der Vertei1595
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Esser 449; IK-EMRK/Kühne 524 f.; Vogler ZStW 82 (1970) 776; Schorn 5 (bei geständigem Angeklagten); generelle Bedenken: Herzog ZRP 1991 125; Schünemann NJW 1968 975. Zu dieser auch im Eilverfahren zu beachtenden Voraussetzung vgl. Nr. 146 Abs. 1 Satz 2 RiStBV; Bandisch StV 1994 158; Esser 449; Herzog ZRP 1991 125; vgl. LR/Gössel § 418, 23 StPO; Meyer-Goßner Vor § 417, 4; § 418, 8 StPO; SK/Paeffgen Vor § 417, 6 StPO m.w.N. Vgl. LR/Gössel Vor § 417, 53 StPO. Vgl. LR/Gössel § 417, 25 ff., § 419, 24 StPO. Vgl. LR/Gössel § 418, 52 StPO; MeyerGoßner § 418, 12 StPO; SK/Paeffgen § 418, 20 StPO. Frowein/Peukert 185; Grabenwarter § 24, 65; IK-EMRK/Kühne 517; Nowak 43; Villiger 524; Gröger 13 m.w.N.
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IK-EMRK/Kühne 517; für prozesstaktische Aufzeichnungen des StA-Sitzungsvertreters in der Handakte gilt dies nicht, unter der Prämisse, dass sich nach dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit sämtliches be- und entlastendes Material in der Hauptakte befindet. Ebenso wenig besteht ein Einsichtsrecht in das Senatsheft des Revisionsgerichts (BGH StRR 2009 122 L). Vgl. dazu und zu den Problemfällen LR/Lüderssen/Jahn § 147, 23 ff. StPO; LR/Stuckenberg § 199, 7 ff. StPO, die strittige Frage der Einsicht in Spurenakten der Polizei ist beim EGMR bisher nicht behandelt worden, vgl. SK/Paeffgen 132. EGMR Edwards/UK (Fn. 493), § 36; Luboch/PL (Fn. 527), § 60; Esser 424 ff.; vgl. LR/Lüderssen/Jahn § 147, 4 StPO.
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digung notwendig sind, darf nicht der Beurteilung des nationalen Richters unterliegen oder gar den Strafverfolgungsorganen überlassen werden. Nach Abschluss der Ermittlungen besteht ein grundsätzlich unbeschränktes Akten637 zugangsrecht. Alles, was sich auf die Begehung und Umstände der Tat einschließlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale bezieht oder die Beweismittel einschließlich ihrer Verlässlichkeit betrifft und zur Verfahrensakte genommen wurde, ist als für die Verteidigung notwendig anzusehen.1603 Niederschriften über Verhandlungen und (kommissarische) Vernehmungen sind der Verteidigung zugänglich zu machen, wenn sie deren Inhalt für die Wahrnehmung ihrer Aufgabe benötigt, vor allem zur Vorbereitung eines Rechtsbehelfs. Das Aktenzugangsrecht aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kennt keinen „Wesentlichkeits-Vor638 behalt“ (vgl. hierzu abweichend für die Haftprüfung Art. 5 EMRK Rn. 349). Die (dauerhafte) Sperrung von Beweismaterial ist nur unter engen Voraussetzungen mit dem Fairnessgrundsatz vereinbar (vgl. Rn. 641).1604
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2. Ausnahmen. Der Schutz noch laufender Ermittlungen kann ausnahmsweise gegen die Offenlegung von Aktenteilen im Vorverfahren sprechen. Der Gerichtshof erkennt an, dass strafrechtliche Ermittlungen effektiv geführt werden müssen. Dies kann bedeuten, dass ein Teil der im Zuge der Ermittlungen zusammengetragenen Informationen (vorläufig) geheim gehalten werden kann, um zu verhindern, dass Tatverdächtige Beweismaterial manipulieren und den Gang der Rechtspflege untergraben. Allerdings dürfen die mit dem Strafverfahren verbundenen legitimen Ziele nicht unter Inkaufnahme erheblicher Beschränkungen der Rechte der Verteidigung verfolgt werden. Eine (partielle oder zeitweilige) Beschränkung des Aktenzugangs kann daher nur dann menschenrechtlichen Bestand haben, wenn im konkreten Fall schwerwiegende Gründe des öffentlichen Wohls (Sicherheitsrisiken, Geheimhaltungsinteressen, Zeugenschutz) sie als unumgänglich erscheinen lassen.1605 Geheimhaltungsinteressen mitangeklagter Personen können keine Verweigerung des Aktenzugangs rechtfertigen, soweit der Inhalt der Akten von Bedeutung für das Verfahren ist.1606 Zu Handakten von Mitgliedern des gerichtlichen Spruchkörpers oder der Staatsan640 waltschaft, die lediglich Notizen, Bearbeitungshinweise und Kopien der Hauptakte enthalten, muss der Beschuldigte regelmäßig keinen Zugang erhalten.1607
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3. Verweigerung des Aktenzugangs. Die Entscheidung über die Verweigerung der Akteneinsicht kann nur dann konventionsgemäß sein, wenn sie von einem Richter getroffen oder wenigstens kontrolliert werden kann, der nicht selber über Schuld oder Unschuld des Beschuldigten bzw. Angeklagten entscheidet: So rügt der EGMR in diesem
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Frowein/Peukert 185; Meyer-Ladewig 90a; vgl. auch IK-EMRK/Kühne 517. Vgl. für die Fälle der Aufarbeitung des durch die Geheimdienste des früheren Warschauer Paktes begangenen Unrechts: EGMR Turek/SLO, 14.2.2006, ECHR 2006-II, § 115. Die Abwägung zwischen den Gründen des öffentlichen Wohls und den Verteidigungsrechten erfolgt insbesondere auch im Hin-
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blick auf die für den Angeklagten zu erwartenden Folgen des Verfahrens; vgl. EGMR Matyjek/PL (Fn. 171), § 59. Vgl. für das Kartellbußgeldverfahren BGHSt 52 58 = NJW 2007 3256 = NStZ 2008 104. Vgl. auch BGH Beschl. v. 5.2.2009 – 1 StR 697/08 = StRR 2009 122 L (Senatsheft BGH – „Revisionsakte“).
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Zusammenhang sowohl die Entscheidungszuständigkeit der StA im Ermittlungsverfahren1608 als auch die Zuständigkeit des Tatrichters.1609 Überaus problematisch erscheinen vor diesem Hintergrund Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung des § 96 StPO die Akteneinsicht mit der Begründung verweigert, in diesen befänden sich gesperrte Beweise. Während die Praxis deutscher Gerichte diese Methode für allgemein zulässig hält1610 und die dadurch entstehenden Nachteile für die Verteidigung im Wege einer zurückhaltenden Beweiswürdigung kompensieren will,1611 widerspricht die Entscheidungszuständigkeit der Staatsanwaltschaft klar dem kontradiktorischen Charakter des Verfahrens. 4. Aktenzugang in Haftfällen. Besonderheiten gelten, wenn sich der Beschuldigte in 642 Untersuchungshaft oder in einer sonstigen Form der Freiheitsentziehung befindet. In einer solchen Situation ist es schon zur effektiven Verteidigung des Beschuldigten im Haftprüfungsverfahren nach Art. 5 Abs. 4 EMRK unerlässlich, dass der Verteidiger die für die Verteidigung „wesentlichen“ Teile Akten einsehen kann (vgl. hierzu den speziellen Anknüpfungspunkt des Art. 5 Abs. 4 EMRK, dort Rn. 641).1612 5. Berechtigter. Das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abzuleitende Recht auf Zugang zur 643 Verfahrensakte ist im Kern ein Beschuldigtenrecht. In der Regel ist es ausreichend, wenn „der Verteidigung“ insgesamt das Zugangsrecht eröffnet wird. Es ist daher grundsätzlich zulässig, wenn das nationale Recht die Akteneinsicht dem Verteidiger vorbehält.1613 Kann der Beschuldigte jedoch auf diese Weise (z.B. aufgrund der Komplexität der Materie: organisierte Kriminalität; Wirtschaftsstrafverfahren) nicht in dem für seine Verteidigung notwendigen Umfang über alle den erhobenen Anschuldigungen zu Grunde liegenden Details unterrichtet werden1614 und erhält er diese Kenntnis auch nicht auf andere Weise (Kopien aus den Akten usw.), hat er das Recht, sich neben seinem Verteidiger selbst darüber aus den Akten unterrichten zu können.1615 Dem Beschuldigten muss in
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EGMR Dowsett/UK, 24.6.2003, ECHR 2003-VII = HRRS 2003 171; vgl. auch Gaede 248. EGMR (GK) Edwards u. Lewis/UK (Fn. 560); (GK) Rowe u. Davis/UK (Fn. 558); zum Ganzen Gaede HRRS 2004 44. BVerfGE 57 250 = NJW 1980 1719 = NStZ 1981 357 = JZ 1981 741; 63 45 = NJW 1983 1043 = NStZ 1983 273 = StV 1983 177; OLG Hamm NJW 1984 880 = StV 1984 373 = MDR 1984 73 m. Anm. Schäfer MDR 1984 454. BGHSt 49 112 = NJW 2004 1259 = NStZ 2004 343 = StV 2004 192 (Fall El Motassadeq) m. Anm. Kudlich JuS 2004 929. Vgl. EGMR Lamy/B, 30.3.1989, A 151 = StV 1993 283 = wistra 1993 333; Lietzow/D (Fn. 1397); Schöps/D (Fn. 1397); Garcia Alva/D (Fn. 1397); jeweils zu Art. 5 Abs. 4 EMRK mit Anm. Kempf StV 2001
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206; dazu ferner Ziegler StV 1993 321; Kempf FS Rieß 217; LR/Lüderssen/Jahn § 147, 160a StPO. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378), § 88; bestätigt in EGMR Frangy/F, 1.2.2005; Kremzow/A, 21.9.1993, A 268-B = EuGRZ 1995 537 = ÖJZ 1994 310, § 52; Esser 425 ff.; IK-EMRK/Kühne 520; MeyerLadewig 90; Villiger 511; vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 374; vgl. auch HRC Salikh/Usbekistan, 30.3.2009, 1382/2005. Vgl. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378). EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377); bestätigt durch Urteil der GK v. 12.5.2005 (Fn. 393); dazu Kühne JZ 2003 670; die Entscheidung ist von den Besonderheiten des Falles geprägt (umfangreiche Akten, zu knappe Zeit der Verteidiger für die Unterrichtung, Insiderwissen des Angeklagten, wer für die einzelnen Gewaltakte der PKK direkt verantwortlich war).
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diesem Fall neben seinem Verteidiger ein unmittelbarer Zugang zur Akte ermöglicht werden, weil nur auf diese Weise eine effektive Verteidigung gewährleistet ist.1616 Auch der nicht verteidigte Beschuldigte hat ein Recht auf Zugang zur Verfahrens644 akte.1617 Ein Beschuldigter, der keinen Verteidiger hat, muss alle für seine Verteidigung sachdienlichen Auskünfte und Abschriften erhalten, sofern ihm nicht die unmittelbare Akteneinsicht ermöglicht wird.1618 Im Einzelfall kann jedoch der kontradiktorische Charakter des Verfahrens nur durch Gewährung der unmittelbaren Akteneinsicht durch den Beschuldigten selbst sichergestellt werden.1619 Stehen dem die Gefährdung des Untersuchungszwecks oder überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegen, muss dem Beschuldigten die Ermöglichung des Zugangs zur Akte von Amts wegen ein Verteidiger bestellt werden.
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6. Art und Weise des Aktenzugangs. Der Zugang zur Verfahrensakte und die Kenntnisnahme des in ihr enthaltenen Materials muss dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) in geeigneter Weise ermöglicht werden. Maßstab ist die Effektivität der Verteidigung. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob für eine effektive Verteidigung die Überlassung von Abschriften (Ablichtungen) aus den Akten oder die Erteilung von Auskünften ausreichend1620 oder ob hier die Einsichtnahme in die Originalakte unerlässlich ist. Die Überlassung von Abschriften und das Gestatten der Fertigung von Notizen sind zur Wahrung der Waffengleichheit in jedem Fall erforderlich.1621 Die Überlassung der Originalakte ist grundsätzlich nicht erforderlich; für eine effek646 tive Verteidigung (etwa im Haftprüfungsverfahren) ist es in der Regel ausreichend, wenn dem Verteidiger (bzw. dem Beschuldigten) eine Kopie der Akte (und sei es in elektronischer Form) zur Verfügung gestellt wird. Entsprechend gilt dies für Kopien von Bild- und Tondokumenten.1622 Jedoch muss der Verteidiger die Vollständigkeit der Originalakte bzw. des ihm zur Verfügung gestellten Duplikats überprüfen können. Ein solcher unmittelbarer Zugang zur Originalakte darf dem nicht verteidigten Beschuldigten mit Rücksicht auf die drohende Manipulationsgefahr versagt werden. Zur Verteidigung erforderliche Abschriften bzw. Kopien müssen ihm dann jedoch zur Verfügung gestellt werden. Genügt diese Art des Zugangs zur Akte nicht den Anforderungen einer effektiven Verteidigung, ist dem Beschuldigten für die Wahrnehmung des Aktenzugangsrechts von Amts wegen ein Verteidiger zu bestellen.1623 1616
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Vgl. bezogen auf Art. 5 Abs. 4 EMRK: EGMR Mooren/D (GK) 9.7.2009, StV 2010 490 m. Anm. Pauly = EuGRZ 2009 566 = HRRS 2009 Nr. 649. EGMR Foucher/F (Fn. 527); vgl. dazu LG Mainz NJW 1999 313 = NStZ 1999 313 m. Anm. Haass NStZ 1999 442 = JuS 2000 287 m. Anm. Dörr: Das LG sieht sich aufgrund des Geltung der EMRK im Rang eines einfachen Gesetzes nicht an die Entscheidung des EGMR gebunden; Kühne JZ 2003 670, 672; anders noch im Falle eines sich selbst verteidigenden Rechtsanwalts BVerfGE 53 207 = NJW 1980 1677. Vgl. EGMR Foucher/F (Fn. 527); zu den Besonderheiten dieses Falls Esser 426 ff., ferner Böse StraFo 1999 293; Haass NStZ 1999 442; vgl. auch LR/Lüderssen/Jahn
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§ 147, 8, 12 StPO; Meyer-Goßner § 147, 4 StPO; Schlothauer StV 2001 192. EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377); bestätigt durch Urteil der GK v. 12.5.2005 (Fn. 393); Matyjek/PL (Fn. 171); Luboch/PL (Fn. 527). § 147 Abs. 6 StPO beschränkt den Angeklagten, der keinen Verteidiger hat, auf diese Möglichkeit. EGMR Matyjek/PL (Fn. 171), § 63, Luboch/PL (Fn. 527), § 64. OLG Schleswig NJW 1980 352 m. Anm. Amelung/Tyrell NJW 1980 1560 = JZ 1979 816; zum Anspruch auf willkürfreie Entscheidung über Antrag nach § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO: BVerfG NJW 2012 141. Zur Problematik unter dem Blickwinkel des aufgedrängten Verteidigers vgl. Esser 429 ff.; Meyer-Goßner § 147, 4 StPO.
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Zu einer effektiven Verteidigung gehört, dass dem Verteidiger bzw. dem Beschuldigten die erforderlichen Unterlagen unter Einräumung der dafür erforderlichen Zeit,1624 d.h. so rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, dass dieser sich effektiv auf das gerichtliche Verfahren vorbereiten kann. Der Verteidiger darf, wenn es Art und Umfang der Akte erfordern, auch Mitarbeitern seiner Kanzlei sowie Sachverständigen eine Einsichtnahme in die Akte ermöglichen, ggf. auch auf dem Beschuldigten (siehe Rn. 644).1625 Der Zugang zur Akte im Herrschaftsbereich der Justiz (Geschäftsstelle; Verteidigerzimmer im Gerichtsgebäude) kann für eine effektive Verteidigung ausreichend sein, wenn dem Verteidiger Gelegenheit gegeben wird, sich ungestört und in einem zeitlich angemessenen Rahmen mit dem Inhalt der Akte vertraut zu machen. Bei komplexeren Verfahren wird jedoch eine Überlassung der Akte (ggf. in Kopie) für einen angemessenen Zeitraum in die Räumlichkeiten des Verteidigers erforderlich sein.1626 Der Zugang zur Verfahrensakte in dem oben beschriebenen Umfang muss grundsätzlich unentgeltlich ermöglicht werden. Lediglich für die Fertigung von Kopien oder die Versendung der Akte (durch die Justiz) darf ein dem Verwaltungsaufwand angemessenes Entgelt 1627 verlangt werden1628 – nicht aber gegenüber einem mittellosen Beschuldigten. Ein Antrag auf Zugang zur Akte umfasst grundsätzlich auch später, d.h. nach Antragstellung eingegangene Aktenteile. Eine Pflicht der Justizbehörden, den Beschuldigten/Verteidiger über nach der erfolgten Einsichtnahme eingegangene Aktenbestandteile zu informieren, wird man unter Fürsorgegesichtspunkten (vgl. Rn. 239) jedoch nur in besonders gelagerten Konstellationen annehmen können. Nach dem Verstreichen einer gewissen Zeitdauer kann das Gebot einer effektiven Verteidigung die Gewährleistung eines erneuten Zugangs zur (inzwischen erweiterten) Akte gebieten; einen entsprechenden Antrag kann das zuständige nationale Gericht allerdings ablehnen, wenn der Antrag nicht zielführend ist („would serve no meaningful purpose“).1629
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7. Prozessuales. Der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger muss den Zugang zur Akte 651 gemäß den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts beantragen, ggf. wiederholt.1630 Der Antrag stellt einen zu erschöpfenden (i.d.R. effektiven) Rechtsbehelf i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK dar. Ob ein fortwährendes bzw. erneutes „Bemühen“ um Aktenzugang im Laufe des Verfahrens als „Erschöpfung“ i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK zu verlangen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ein einmaliger Antrag dürfte ausreichend sein, wenn die ablehnende Entscheidung zu erkennen gegeben hat, dass künftige Anträge (vor Abschluss der Ermittlungen) aussichtslos sind.1631 In Fällen, in denen ein Aktenein-
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Etwa EGMR (K) Öcalan/TRK (Fn. 377); Huseyn u.a./ASE (Fn. 1511), §§ 174 ff.; vgl. dazu Gröger 32 f. Vgl. hierzu: OLG Brandenburg NJW 1996 67 m. Anm. Hiebl StraFo 1996 24. Die Dauer der Überlassung hängt im Einzelfall insbesondere vom Umfang der Akten ab; BGH wistra 2006 25 m. Anm. Gaede HRRS 2005 377. Auch „sachliche Vorleistungen“ sind denkbar. So kann beispielsweise die Übersendung einer Kopie eines Ton-Bild-Dokuments von der vorhergehenden Übersendung einer Leerkassette durch den
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Verteidiger abhängig gemacht werden: OLG Koblenz NStZ-RR 2000 311. AG Lahr AGS 2008 264 (Kostenschuldner ist der Strafverteidiger); a.A. AG Dessau AnwBl. 2007 239 (Kostenschuldner soll der Beschuldigte sein). EGMR Kugler/A, 14.10.2010, § 59 = ÖJZ 2011 378. EGMR Kampanis/GR, 13.7.1995, A 318-B = ÖJZ 1995 953; Schöps/D (Fn. 1397). Zu große Anforderungen stellt daher BGH NStZ 2010 530 = StV 2010 615 = wistra 2010 232 (Bemühen bis zum Ablauf der
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sichtsgesuch gar nicht beschieden wird, den Beschuldigten bzw. seinen Verteidiger zu verpflichten bei Gericht nachzufragen, warum über den Antrag noch nicht entschieden ist, dürfte die Anforderungen an die Erschöpfung des nationalen Rechtsschutzes aber überdehnen.1632 Art, Umfang und ggf. die Verweigerung eines Aktenzugangs muss der Beschuldigte 652 durch eine unabhängige Instanz überprüfen lassen können (vgl. Art. 13 EMRK). Insofern ist § 147 Abs. 5 StPO, der eine solche Überprüfungsmöglichkeit eines verweigerten Aktenzugangs erst nach Abschluss der Ermittlungen vorsieht,1633 höchst problematisch.1634
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8. Aktenzugangsrecht vor den Gerichten der EU. Auch die Gerichte der Union haben das auf Art. 6 Abs. 1 EMRK beruhende Recht auf Aktenzugang zu beachten.1635 Der Zugang zu den Akten hat dabei umfassend zu erfolgen, Ausnahmen gelten lediglich für die zu wahrenden Interessen Dritter, interne Schriftstücke der Unionsorgane sowie „andere vertrauliche Informationen“.1636 Die Verletzung des Rechts auf Aktenzugang ist unabhängig von einem etwaigen Antrag der Betroffenen auf Gewährung der Akteneinsicht, wenn sich die Unterlagen in den Ermittlungsakten der Unionsbehörden befinden. Ist dies nicht der Fall, muss ein entsprechender Antrag gestellt werden, um das Recht auf Akteneinsicht nicht zu verwirken.1637 Das Recht auf Aktenzugang entsteht nach Ansicht des EuGH erst nach Abschluss der Ermittlungen; anders seien diese nicht effektiv zu führen.1638 Auch die nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon rechtsverbindliche Charta der 654 Grundrechte der Europäischen Union gewährt über die Verteidigungsrechte in Art. 47 Abs. 2 sowie Art. 48 auch das Recht auf Akteneinsicht.1639
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Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge in der Revision, wenn konkrete Bezeichnung des vorenthaltenen Aktenmaterials nicht möglich ist). OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010 287, 288. Vgl. nur KK/Laufhütte § 147, 25 StPO; Meyer-Goßner § 147, 40 StPO; BeckOKStPO/Wessing § 147, 26 StPO. Vgl. auch Hermann Untersuchungshaft 152; Burhoff HEV, Rn. 157, der in den nicht von § 147 Abs. 5 StPO umfassten Fällen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG für statthaft hält. Vgl. statt vieler EuGH Verb. Rs. C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P u. C-219/00 P (Zementkartell), 7.1.2004, Slg. 2004, I-123 = WuW 2005 557; Rs. C-407/04 P (Dalmine), 25.1.2007, Slg. 2007, I-829 = BeckRS 2007 70062;
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EuG Rs. T-410/03 (Hoechst GmbH), 18.6.2008, Slg. 2008, II-881 = WuW 2008 882; Rs. T-38/02 (Groupe Danone), 25.10.2005, Slg. 2005, II-4407 = BeckRS 2006, 70430; Rs. T-30/91 (Solvay SA), 29.6.1995, Slg. 1995, II-1775; dies ist Ausprägung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens, vgl. Pache NVwZ 2001 1343; Schwarze/Voet van Vormizeele Art. 47, 2; 11 ff. GRCh. EuG Rs. T-410/03 (Hoechst GmbH) (Fn. 1635), Tz. 145. EuG Rs. T-38/02 (Groupe Danone) (Fn. 1635), LS 2. EuGH Verb. Rs. C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P u. C-219/00 P (Zementkartell) (Fn. 1635), Tz. 22. Vgl. im Einzelnen Calliess/Ruffert/Blanke Art. 47, 14; Art. 48, 4 GRCh.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
XIII. Anwesenheit bei der Verhandlung, Verteidigung in eigener Person oder durch Wahl- oder Pflichtverteidiger (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR) 1. Zweck. Zur Sicherung der Verteidigung als Grundvoraussetzung eines fairen Ver- 655 fahrens1640 garantiert Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK dem Beschuldigten seinem Wortlaut nach drei Rechte: das Recht, sich selbst zu verteidigen, das Recht, damit einen Verteidiger eigener Wahl zu beauftragen und, unter bestimmten Voraussetzungen, das Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines (Pflicht-)Verteidigers.1641 Diese drei Rechte gewährleistet auch Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR,1642 der aber zusätz- 656 lich noch die Belehrung des Beschuldigten über sein Recht, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen, vorschreibt und sein Recht auf Anwesenheit bei der Verhandlung ausdrücklich festlegt.1643 2. Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung a) Schutzgehalt. Die Anwesenheit bei/während der Verhandlung („the right to be 657 present at the trial“) wird nur von Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR dem Angeklagten als ein Verteidigungsrecht ausdrücklich garantiert, nicht aber vom Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK. Allerdings betont auch der EGMR immer wieder, wie wichtig die Anwesenheit des Angeklagten in der Verhandlung für einen fairen Strafprozess ist,1644 insbeson1640
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Etwa EGMR Pakelli/D, 25.4.1983, A 64 = NStZ 1983 373 m. Anm. Stöcker = EuGRZ 1983 344. Etwa Grabenwarter § 24, 104; SK/Paeffgen 133. Die Auslegungsschwierigkeit wegen der Unterschiede zwischen dem englischen und französischen Text („or“ bzw. „et“) werden im Interesse einer leistungsfähigen Verteidigung dadurch gelöst, dass das Recht auf einen Verteidiger seiner Wahl prinzipiell auch dem zusteht, dem die Mittel dafür fehlen; vgl. IK-EMRK/Kühne 534; SK/Paeffgen 134; ferner EGMR Pakelli/D (Fn. 1640). Zur Auslegung des jeweiligen Wortlauts, insbes. wegen des Verhältnisses zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger vgl. Nowak 58 ff. Art. 18 Abs. 7 des deutsch-sowjetischen Truppenvertrags vom 12.10.1990 (BGBl. 1991 II S. 258) führt in Anlehnung an Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR das Recht, bei Verhandlungen anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, bei den Verfahrensrechten vor deutschen Strafgerichten besonders auf. EGMR Marcello Viola/I, 5.10.2006, ECHR 2006-XI, § 50 („In the interests of a fair and just criminal process it is of capital
importance that the accused should appear at his trial […], both because of his right to a hearing and because of the need to verify the accuracy of his statements and compare them with those of the victim – whose interests need to be protected – and of the witnesses.“); Demebukov/BUL (Fn. 645), § 51; Sabayev/R (Fn. 568), § 32; Sinichkin/R (Fn. 645), § 30; Zhuk/UKR (Fn. 527), § 26 („a person charged with a criminal offence should, as a general principle, be entitled to be present and participate effectively in the hearing concerning the determination of criminal charges against him. This right is implicit in the very notion of an adversarial procedure and can also be derived from the guarantees contained in sub-paragraphs (c), (d) and (e) of paragraph 3 of Article 6.“); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 96 („A person charged with a criminal offence should, as a general principle based on the notion of a fair trial, be entitled to be present at the first-instance trial hearing.“); Lala/NL, 22.9.1994, A 297-A, § 33; Poitrimol/F (Fn. 345), § 35; Meyer-Ladewig 116; vgl. auch BGHSt (GSSt) 55 87 = NJW 2010 2450 = NStZ 2011 47 = StV 2010 467 = wistra 2010 352 f., Tz. 8, 14 unter Berufung auf Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.
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dere wenn dieser sich selbst verteidigen will.1645 Bei der EMRK, die das Recht auf Anwesenheit nicht besonders anspricht,1646 wird dieses Recht im Wege der Auslegung hergeleitet, und zwar aus Art. 6 EMRK „in seiner Gesamtheit“1647 sowie aus den die Anwesenheit voraussetzenden Rechten, wie dem Recht, sich selbst zu verteidigen1648 oder dem Recht auf Dolmetscherunterstützung nach Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK, ferner allgemein auch aus dem Recht auf ein faires Verfahren.1649 Der EGMR zählt das Anwesenheitsrecht zu den wichtigsten Rechten des Angeklagten.1650 In erster Linie ist das Anwesenheitsrecht, das die beiden Übereinkommen garantieren, 658 auf die Verhandlung in der ersten Instanz bezogen.1651 Zwar gibt es auch in der Rechtsmittelinstanz prinzipiell ein Anwesenheitsrecht des Angeklagten (dazu Rn. 712 ff.),1652 Einschränkungen durch die Signatarstaaten sind aber wegen des oftmals geringeren Prüfungsumfangs leichter mit der EMRK zu vereinbaren.1653 Inhaltlich gesehen geht das Anwesenheitsrecht des Angeklagten über einen Anspruch 659 auf rein physische Präsenz in der Verhandlung hinaus.1654 Der Angeklagte hat grundsätzlich ein Recht auf effektive Teilnahme an der gegen ihn geführten Verhandlung („right to participate effectively in a criminal trial“).1655 Er muss alle Vorgänge in der Verhandlung selbst wahrnehmen1656 und zu ihnen Stellung nehmen können. Der EGMR hat etwa 1645
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BVerfGE 41 249 leitet das Anwesenheitsrecht aus dem Recht auf Gehör und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Recht auf ein faires Verfahren ab; es gilt allerdings nicht uneingeschränkt; vgl. ferner BVerfGE 54 116; 63 332; BVerfG NStZ 1991 294; vgl. auch BVerfGE 59 283; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 424; Rieß JZ 1975 268. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 52. Etwa EGMR F.C.B./I, 28.8.1991, A 208-B = EuGRZ 1992 539 = ÖJZ 1992 35; T./I, 12.10.1992, A 245-C = EuGRZ 1992 541 = ÖJZ 1993 213; Helmers/S (Fn. 120); Kremzow/A (Fn. 1613); EKMR Mielke/D, 25.11.1996, EuGRZ 1997 148. Vertiefend zum „Right of Self-Representation“ für den Bereich des Völkerstrafrechts: Temminck Tuinstra Defence Counsel in International Criminal Law (2009), 245 ff. EGMR Colozza/I (Fn. 521), § 27; Brozicek/I (Fn. 242); Ziliberberg/MOL, 1.2.2005, § 40; Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 52; Abbasov/ASE (Fn. 568), § 31; Demebukov/BUL (Fn. 645), § 44; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 42; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 33; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 33; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 54; Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 37; Maksimov/ASE (Fn. 568), § 39; ferner Frowein/Peukert 158 f.; SK/Paeffgen 135; Villiger 473. EGMR Golubev/R (E), 9.11.2006 („one of the cornerstone rights of an accused“).
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EGMR Dondarini/SM (Fn. 1005), § 26; Liebreich/D (E), 8.1.2008; Igual Coll/E, 10.3.2009, § 26. EGMR Samokhvalov/R (Fn. 568), § 42. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 47; Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Samokhvalov/R (Fn. 568), § 43; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 34; vgl. auch HRC Donskov/Russland, 2.9.2008, 1149/2002, § 10.2. EGMR Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 78 („The right of an accused under Article 6 to effective participation in his or her criminal trial generally includes not only the right to be present, but also to hear and follow the proceedings.“); ferner EGMR S.C./UK, 15.6.2004, ECHR 2004-IV, § 28; Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 53; Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R, 14.10.2008, NJOZ 2009 4992, § 51; Güveç/TRK, 20.1.2009, § 123. EGMR Pobornikoff/A, 3.10.2000, ÖJZ 2001 232; Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 53 („Nor is it in dispute that Article 6, read as a whole, guarantees the right of an accused to participate effectively in a criminal trial.“); Popov/R (Fn. 645), § 170; Golubev/R (E) (Fn. 1650); Vogler ZStW 89 (1977) 778; SK/Paeffgen 70; KK-EMRKGG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 127. EKMR Mielke/D (Fn. 1647) (jeweils nur kurze Verhandlungszeiten unter Hinweis auf BVerfG NJW 1995 1951 = NStZ 1995 391 = EuGRZ 1995 138); EGMR Zagaria/I (Fn. 1538), § 28 („L’article 6, lu comme
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einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darin gesehen, dass der Angeklagte in einem Verfahren, in dem die Schwere der erlittenen Körperverletzung von ausschlaggebender Bedeutung war, nicht bei der Befragung des Sachverständigen darüber zugegen gewesen ist und ihm damit die Möglichkeit fehlte, Einfluss auf den Gang der Vernehmung zu nehmen.1657 Eine effektive Teilnahme setzt ferner voraus, dass der Angeklagte in die Lage versetzt 660 wird, alle Vorgänge akustisch1658 und optisch wahrzunehmen, sie – ggf. mit Hilfe eines Dolmetschers – zu verstehen und zu ihnen Stellung zu nehmen,1659 ferner, dass er in geistiger und körperlicher Hinsicht fähig ist, möglicherweise auch nur zeitlich begrenzt, an der Verhandlung teilzunehmen und seine Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen. Er muss begreifen können, was für ihn auf dem Spiel steht.1660 Der Angeklagte muss in der Lage sein, seinen Verteidigern seine Sicht der Sachlage darzustellen, zu sagen, mit welchen Aussagen er nicht einverstanden ist, und seinem Verteidiger die Fakten mitzuteilen, die er zu seiner Verteidigung anführen möchte.1661 An der Fähigkeit zu einer effektiven Verteidigung wird es daher in der Regel fehlen, 661 wenn der Angeklagte infolge überlanger Dauer der Verhandlung völlig übermüdet und daher nicht mehr in der Lage ist, sich zu konzentrieren.1662 Auch wenn der Angeklagte infolge von Schwerhörigkeit dem Geschehen in der Hauptverhandlung nicht folgen kann, ist das Recht auf effektive Verteidigung verletzt.1663 Das Gericht ist daher bei Kenntnis des Gebrechens1664 (wohl aber auch nur dann) von Konventions wegen verpflichtet, aktiv Schutzmaßnahmen zu ergreifen.1665 Die materielle Beweislast für die Behauptung, nicht verhandlungsfähig gewesen zu sein, bzw. für die Kenntnis des Gerichts von der Verhandlungsunfähigkeit, liegt beim Beschuldigten.1666 An einer effektiven Teilnahme an der Hauptverhandlung kann es ferner bei einem 662 minderjährigen Angeklagten fehlen, dem in wichtigen Verhandlungsterminen kein Verteidiger zur Seite steht.1667 Dabei stellt der EGMR nicht auf die formale Mandatierung eines Verteidigers ab, sondern darauf, ob der Verteidiger dem Angeklagten tatsächlich beigestanden hat, insbesondere ob er bei den Verhandlungsterminen anwesend war.1668 Der EGMR verlangt, dass jugendliche Angeklagte mit Reifeverzögerungen nach Möglichkeit vor ein spezielles Jugendgericht gestellt werden, das auf ihre Schwächen in besonderem Maße Rücksicht nimmt.1669
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un tout, reconnaît à l’accusé le droit de participer réellement à son procès. Cela inclut en principe, entre autres, le droit non seulement d’y assister, mais aussi d’entendre et suivre les débats.“). EGMR Cottin/B, 2.6.2005; Golubev/R (E) (Fn. 1650). EGMR Stanford/UK (Fn. 526): dem Gericht vom Verteidiger nicht mitgeteilte Hörprobleme. Vgl. EGMR Colozza/I (Fn. 521); Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561). EGMR Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 51; Meyer-Ladewig 116. EGMR Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 78. EGMR Makhfi/F, 19.10.2004, §§ 39 ff.
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(mehr als 17-stündige Verhandlung); Meyer-Ladewig 223. EGMR Timergaliyev/R (Fn. 1654); Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 82. EGMR Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 84. EGMR Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), §§ 51, 59; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 79. EGMR Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 57; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), §§ 85 f. EGMR Güveç/TRK (Fn. 1654), §§ 125 ff. EGMR Güveç/TRK (Fn. 1654), §§ 128 ff. EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 35 („when the decision is taken to deal with a child, […] who risks not being able to participate effectively because of his young age and limited intellectual capacity, by way of
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Sofern ein legitimes Ziel verfolgt wird (Rn. 676 ff.), kann es ausreichen und sogar als milderes Mittel der Beschränkung geboten sein, dass der Beschuldigte der Verhandlung nur, aber auch wenigstens mittels einer Videoübertragung folgen kann.1670 Das gilt jedenfalls dann, wenn er nicht durch technische Komplikationen daran gehindert wird, die Verhandlung nachzuvollziehen.1671 Darüber hinaus muss auch bei einer solchen Form der Teilnahme an der Hauptverhandlung die Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger sichergestellt sein.1672 Da der EGMR schon den begründeten Verdacht, abgehört zu werden, ausreichen lässt, um einen Konventionsverstoß anzunehmen, muss für die Kommunikation eine separate, abhörsichere Telefonverbindung hergestellt werden.1673 Hat der Angeklagte einen Verteidiger, kann den Erfordernissen eines fairen Verfah664 rens schon genügt sein, wenn wenigstens dieser die Möglichkeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung hatte.1674 Der Staat muss mit der erforderlichen Sorgfalt aber dafür sorgen, dass dem Angeklagten der Termin auch tatsächlich unter der Wahrung der dafür vorgeschriebenen Formen ordnungsgemäß zur Kenntnis gebracht wird.1675 Ob im Übrigen die Anwesenheit des Angeklagten in einer Verhandlung für ein faires Verfahren wesentlich ist, hängt auch davon ab, ob seine persönliche Anwesenheit wegen der zu beurteilenden Fragen für die Rechtsfindung erforderlich ist.1676 Das Verteidigungsrecht muss der Substanz nach in der Hauptverhandlung ausgeübt werden können. Ist dies gewährleistet, wird es durch die Förmlichkeiten der Verfahrensgestaltung, wie die Zuweisung eines bestimmten Platzes im Gerichtssaal, nicht beeinträchtigt.1677 Das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten ist kein absolutes Recht; es muss durch Herstellung eines vernünftigen Gleichgewichts mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung, sonstigen
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criminal proceedings rather than some other form of disposal directed primarily at determining the child’s best interests and those of the community, it is essential that he be tried in a specialist tribunal which is able to give full consideration to, and make proper allowance for, the handicaps under which he labours, and adapt its procedure accordingly.“). EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), §§ 67, 76; Golubev/R (E) (Fn. 1650); Zagaria/I (Fn. 1538), § 29 („la Cour a estimé que la participation de l’accusé aux débats par vidéoconférence n’est pas, en soi, contraire à la Convention. Elle doit cependant s’assurer que son application dans chaque cas d’espèce poursuit un but légitime et que ses modalités de déroulement sont compatibles avec les exigences du respect des droits de la défense.“); Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 83; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 98. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 74; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 83. EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 98 („as regards the use of a video link, […] this form of participation in proceedings is not, as such, incompatible
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with the notion of a fair and public hearing, but it must be ensured that the applicant is able to follow the proceedings and to be heard without technical impediments, and that effective and confidential communication with a lawyer is provided for.“). EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 104 („it is questionable whether communication by video link offered sufficient privacy. The Court notes that in the Marcello Viola [s.o.] the applicant was able to speak to his lawyer via a telephone line secured against any attempt at interception. In the case at hand the applicant had to use the video-conferencing system installed and operated by the State. The Court considers that the applicant might legitimately have felt ill at ease when he discussed his case with Ms A.“). EGMR Stanford/UK (Fn. 526); EKMR EuGRZ 1982 447 (Händle) mit Anm. Schlüter; EKMR Mielke/D (Fn. 1647); IK-EMRK/Kühne 385 f. EGMR F.C.B./I (Fn. 1647); T./I (Fn. 1647). So auch für die Rechtsmittelinstanz: EGMR Kremzow/A (Fn. 1613); Pobornikoff/A (Fn. 1655). EKMR EuGRZ 1982 447 (Händle).
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öffentlichen Interessen und den Erfordernissen eines gerechten Verfahrens in Einklang gebracht werden1678 und kann daher unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden. b) Zum einen ist ein Verzicht des Beschuldigten auf das in den Konventionen garantierte Anwesenheitsrecht – anders als bei der nach nationalem Verfahrensrecht mitunter bestehenden Anwesenheitspflicht1679 – grundsätzlich möglich.1680 Daher ist ein Abwesenheitsurteil, das deswegen ergeht, weil der Beschuldigte auf seine Anwesenheit wirksam verzichtet hat, nicht ohne Weiteres konventionswidrig (näher zur Vereinbarkeit von Abwesenheitsurteilen mit der EMRK siehe Rn. 680). Der Schutzzweck von Art. 6 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR ist erfüllt, wenn dem Beschuldigten die Möglichkeit der Teilnahme offen steht.1681 Es ist seine Sache, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Allerdings sind die Anforderungen, die der EGMR an einen wirksamen Verzicht des Beschuldigten stellt, angesichts der Bedeutung des Anwesenheitsrechts1682 hoch. Von einem wirksamen Verzicht kann nur gesprochen werden, wenn das Verhalten des Beschuldigten eindeutig darauf gerichtet ist, dem Prozess fernbleiben zu wollen, und von Seiten des Staates durch eine Reihe von Schutzmaßnahmen begleitet wird, die der Bedeutung des Anwesenheitsrechts gerecht werden.1683 Ferner darf der Verzicht nicht gegen wichtige öffentliche Interessen verstoßen.1684 Dabei geht die Prüfung, ob von einem eindeutigen Verzicht des Beschuldigten gesprochen werden kann, häufig mit der Frage einher, ob der Staat ausreichende Schutzmaßnahmen getroffen hat, um die Anwesenheit des Beschuldigten sicherzustellen, und damit seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten nachgekommen ist, die darin besteht, den Beschuldigten darüber zu unterrichten, dass gegen ihn ein Strafverfahren betrieben wird, und ihn zur gerichtlichen Verhandlung zu laden.1685 Bei einem ausdrücklichen Verzicht des Beschuldigten auf sein Anwesenheitsrecht in der Verhandlung werden sich in dieser Hinsicht kaum Probleme ergeben. Virulent werden die beiden Fragen aber, wenn ein konkludenter Verzicht des Beschuldigten zur Diskussion steht. Dieser wird vom Gerichtshof ebenfalls für möglich gehalten unter der Voraussetzung, dass dem Verhalten des Beschuldigten eindeutig der objektive 1678
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EGMR Colozza/I (Fn. 521); EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D, EuGRZ 1978 314, 1982 447 mit Anm. Schlüter. Das von den Konventionen garantierte Anwesenheitsrecht muss von der nur im nationalen Recht mitunter begründeten Anwesenheitspflicht unterschieden werden, vgl. SK/Paeffgen 135; ferner LR/Becker § 230, 4 StPO. EGMR (GK) Sejdovic/I, 1.3.2006, ECHR 2006-II, § 86 („Neither the letter nor the spirit of Article 6 prevents a person from waiving of his own free will, either expressly or tacitly, the entitlement of the guarantees of a fair trial.“); Yavuz/A (Fn. 645), § 45; Kaya/A, 8.6.2006, § 28, ÖJZ 2006 972; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 46; Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 38; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 136; Meyer-Ladewig 122.
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Goose NJW 1974 1308; HRC Mbenge/ Zaire, 25.3.1983, 16/1977, EuGRZ 1983 406; Nowak 62 f. EGMR Samokhvalov/R (Fn. 568), §§ 42, 57. KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 136. EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680), § 86 („a waiver of the right to take part in the trial must be established in an unequivocal manner and be attended by minimum safeguards commensurate to its importance (…). Furthermore, it must not run counter to any important public interest.“); ferner EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 47; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 46; Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 38. Trechsel 256.
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Erklärungswert beigemessen werden kann, nicht an der Verhandlung teilnehmen zu wollen. Objektiv mehrdeutige Verhaltensweisen reichen für die Annahme eines konkludenten Verzichts damit nicht aus.1686 Der Beschuldigte muss Kenntnis von dem gegen ihn geführten Strafverfahren haben1687 und es muss anzunehmen sein, dass er die Konsequenzen seines Verhaltens vorausgesehen hat.1688 Die Strafverfolgungsbehörden bzw. die Gerichte müssen in zumutbarem Umfang 670 selbst Nachforschungen über den Grund des Fernbleibens anstellen (siehe Rn. 672).1689 Aufgrund dessen hat der Gerichtshof ein Abwesenheitsverfahren für konventionskonform gehalten, das deswegen durchgeführt worden war, weil der Angeklagte, der Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren hatte, sich ohne Grund1690 über ein Verbot, seinen Aufenthaltsort zu verlassen, hinweggesetzt hatte und es unterlassen hatte, den Strafverfolgungsbehörden seine neue Adresse mitzuteilen.1691 Der EGMR hatte häufig die Frage zu untersuchen, ob das schlichte Ausbleiben des 671 Beschuldigten in der Verhandlung als konkludenter Verzicht auf das Anwesenheitsrecht zu werten ist. Da von einem eindeutigen Verzicht nur gesprochen werden kann, wenn der Beschuldigte weiß, dass gegen ihn ein Strafverfahren betrieben wird, ist zunächst zu prüfen, ob er über ausreichende Kenntnis von dem gegen ihn geführten Strafverfahren verfügt.1692 Will man allein das Nichterscheinen in der Verhandlung als Verzicht werten, muss man verlangen, dass der Beschuldigte nicht nur allgemein davon weiß, dass ein Strafverfahren gegen ihn betrieben wird, sondern auch, dass er positiv über den Ort und den Zeitpunkt der Verhandlung informiert ist.1693 Die Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte müssen den Beschuldigten, und zwar in einer für ihn verständlichen Sprache, über Zeit und Ort der Hauptverhandlung unterrichten.1694 Macht der Beschuldigte es den Behörden bzw. den Gerichten absichtlich unmöglich, ihn zu informieren, kann schon darin ein konkludenter Verzicht gesehen werden.1695 Den einschlägigen Urteilen des EGMR ist zu entnehmen, dass der Gerichtshof 672 grundsätzlich verlangt, dass der Beschuldigte in amtlicher Art und Weise benachrichtigt worden sein muss.1696 Allerdings ist es nicht von vornherein konventionswidrig, wenn
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EGMR Colozza/I (Fn. 521), aus der neueren Rechtsprechung siehe EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680). EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 53. EGMR Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 38 („before an accused can be said to have implicitly, through his conduct, waived an important right under Article 6 of the Convention, it must be shown that he could reasonably have foreseen what the consequences of his conduct would be.“), § 41; ferner EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 48. EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 49. EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 54 („there is no indication or claim that the applicant had good cause in violating the restriction order or that he had moved for reasons beyond his control“). EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), §§ 53–59.
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Aus der jüngeren Rechtsprechung EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680); Sibgatullin/R (Fn. 568), § 49; eingehend Esser 722 ff. Esser 724. EGMR Brozicek/I (Fn. 242). EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), §§ 57, 58 („through his actions the applicant had brought about a situation that made him unavailable to be informed of and to participate in, at the trial stage, the criminal proceedings against him. […]. […] regard being had to the margin of appreciation allowed to the Bulgarian authorities, the applicant’s conviction in absentia and the refusal to grant him a retrial at which he would be present did not amount to a denial of justice.“). EGMR Somogyi/I, 18.5.2004, ECHR 2004-IV, § 75 („as regards the Government’s assertion that the applicant had in any event learned of the proceedings
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der Beschuldigte über seinen Verteidiger geladen wird, sofern sichergestellt wird, dass dieser den Beschuldigten tatsächlich informiert.1697 Nur in Ausnahmefällen kann auch die aus nichtamtlichen Quellen erlangte Kenntnis ausreichend sein.1698 Sie müssen beim Ausbleiben des Angeklagten nachprüfen, ob dieser Gelegenheit hatte, sich über die Verhandlung zu informieren und an dieser teilzunehmen.1699 Sie dürfen sich nicht damit zufrieden geben, den Beschuldigten nur anhand seiner Adresse zu suchen, die ihnen bekannt ist, sondern sie müssen auch zumutbare Nachforschungen nach dem Verbleib des Beschuldigten anstellen, wenn sie ihn an der aktenkundigen Adresse nicht antreffen.1700 Die Kenntnis anderer Behörden über den Aufenthalt des Beschuldigten müssen sich die Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte zurechnen lassen.1701 Gelingt es den Strafverfolgungsbehörden bzw. den Gerichten trotz zumutbarer Nachforschungen nicht, dem Beschuldigten die Ladung zuzustellen, so darf aus dem schlichten Ausbleiben des Beschuldigten in der Hauptverhandlung, also ohne dass weitere Umstände hinzukom-
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through a journalist who had interviewed him or from the local press, the Court points out that to inform someone of a prosecution brought against him is a legal act of such importance that it must be carried out in accordance with procedural and substantive requirements capable of guaranteeing the effective exercise of the accused’s rights, as is moreover clear from Article 6 § 3 (a) of the Convention; vague and informal knowledge cannot suffice.“); R.R./I, 9.6.2005, § 55 („En l’absence de toute preuve d’une notification officielle, la Cour ne saurait conclure que le requérant a renoncé de manière non équivoque à son droit à comparaître à l’audience.“); T./I (Fn. 1647); Esser 723. Das Erfordernis der amtlichen Benachrichtigung, also unmittelbar durch Staatsorgane, ergibt sich dogmatisch daraus, dass der Staat durch die Benachrichtigung seiner Schutzpflicht gegenüber dem Beschuldigten nachkommt. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 49; Kaya/A (Fn. 1680), §§ 30 f. („summons via counsel is not in itself in violation of Article 6 of the Convention. However, in circumstances where an accused has not been notified in person of a hearing, particular diligence is required in assessing whether he has waived his right to be present.“). EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680), § 99 („This may be the case […] where the accused states publicly or in writing that he does not intend to respond to summonses of which he has become aware through sources other than the authorities, or succeeds in evading an attempted arrest […] or when materials are brought to
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the attention of the authorities which unequivocally show that he is aware of the proceedings pending against him and of the charges he faces.“). EGMR Seyithan Demir/TRK (Fn. 645), § 42 („in view of the prominent place held in a democratic society by the right to a fair trial […], Article 6 […] imposes on every national court an obligation to check whether the defendant has had the opportunity to apprise himself of and participate in the proceedings against him where, as in the instant case, this is disputed on a ground that does not immediately appear to be manifestly devoid of merit.“); Somogyi/I (Fn. 1696), § 72; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 57. EGMR Seliwiak/PL (Fn. 568), § 60 („It was also for the court to ensure, by making the necessary administrative arrangements, that the court correspondence was served on the applicant who at the time of the trial remained in custody.“). EGMR Seliwiak/PL (Fn. 568), § 60 („It is therefore essentially the responsibility of the State to make available to the courts effective access to information about persons deprived of their liberty at the time of the trial.“), ferner § 62 („it falls to the State to ensure that information on all persons deprived of liberty is collected and updated and made available to courts conducting criminal proceedings in order to ensure that correspondence and summonses are properly served on defendants and the latter’s procedural rights thereby safeguarded.“).
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men, nicht der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte auf sein Anwesenheitsrecht verzichtet hat. Die Fürsorgepflicht kann es dann gebieten, das Verfahren auszusetzen. Ist hingegen davon auszugehen, dass der verurteilende Staat seiner Fürsorgepflicht genügt hat und der Angeklagte positiv über Ort und Zeitpunkt der Verhandlung Bescheid weiß, kann sein Ausbleiben in der Verhandlung als Verzicht gedeutet werden.1702 Hinsichtlich der Beweislast bei der Prüfung eines konkludenten Verzichts gilt damit 673 Folgendes: Der Staat muss, wenn er mit der Behauptung, dass der Beschuldigte auf die Teilnahme konkludent verzichtet, durchdringen will, beweisen können, dass der Beschuldigte positive (i.d.R. amtlich vermittelte) Kenntnis vom Ort und Zeitpunkt der Verhandlung hat; Unklarheiten gehen insofern zu seinen Lasten, als dass Verhalten des Beschuldigten bei Zweifeln nicht als Verzicht gewertet werden kann und ein etwaiges Abwesenheitsverfahren daher als Verstoß gegen Art. 6 EMRK gewertet wird.1703 Beruft sich der Beschuldigte dagegen darauf, dass er trotz Kenntnis aufgrund objektiver Umstände nicht am Verfahren teilnehmen und sein Ausbleiben daher nicht als Verzicht gedeutet werden kann, so trifft ihn dafür die Beweislast.1704 Ein Verstoß gegen Ordnungsvorschriften, etwa die Weigerung des Beschuldigten, die 674 Gerichtssprache zu sprechen,1705 soll nach Auffassung des EGMR noch keinen konkludenten Verzicht auf sein Anwesenheitsrecht bedeuten, auch wenn der Beschuldigte weiß, dass sein Verhalten mit einem Ausschluss von der Verhandlung sanktioniert werden kann. Die Frage, wann ein an sich wirksamer Verzicht des Beschuldigten gegen wichtige 675 öffentliche Interessen verstößt, ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden. Da aber der Gerichtshof einen Verzicht des Beschuldigten auf seine Anwesenheit auch dann für wirksam hält, wenn ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe droht,1706 dürfte dieser Voraussetzung kaum eine einschränkende Funktion zukommen.
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c) Des Weiteren verleihen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK / Art 14 Abs. 3 lit. d IPBPR dem Beschuldigten kein Recht, in jedem Stadium der Hauptverhandlung anwesend zu sein. Das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten in der Hauptverhandlung kann aus übergeordneten Gesichtspunkten eingeschränkt werden, etwa wegen vorrangiger Interessen der Rechtspflege, aus Gründen des Zeugenschutzes oder zum Schutz des Beschuldigten selbst. Da der EGMR echte Abwesenheitsverfahren für konventionskonform hält, solange gewisse Mindestvoraussetzungen eingehalten werden1707 (näher dazu Rn. 680 ff.), muss es auch auch ohne Verstoß gegen die EMRK möglich sein, zeitweise ohne den Beschuldigten zu verhandeln, wenn und solange ein vernünftiger Ausgleich zwischen den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten und denen einer funktionierenden Rechtspflege hergestellt wird. Die § 231a StPO (vorsätzlich herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit), § 231b 677 StPO (Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal wegen ordnungswidrigen Benehmens) sowie § 232 StPO (Hauptverhandlung trotz Ausbleibens) sind daher mit der EMRK vereinbar, weil der Beschuldigte es sonst in der Hand hätte, das Verfahren gegen 1702 1703
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Esser 727. EGMR Somogyi/I (Fn. 1696), § 72; Ziliberberg/MOL (Fn. 1649), §§ 39, 41; Abbasov/ASE (Fn. 568), § 29; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 46; Maksimov/ASE (Fn. 568), § 37; Trechsel 255. Vgl. EGMR Goddi/I (Fn. 1373); KK-
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EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 136; Trechsel 255. EGMR Zana/TRK, 25.11.1997, Rep. 1997-VII = ÖJZ 1998 715. EGMR Battisti/F (E), 12.12.2006. EGMR Colozza/I (Fn. 521).
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ihn zu sabotieren.1708 Seine Verteidigungsinteressen werden nicht zuletzt dadurch ausreichend berücksichtigt, dass er im Falle der §§ 231a, b StPO über den wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten ist, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist (jeweils Absatz 2 der Vorschriften), sowie dadurch, dass er sich gemäß § 234 StPO durch einen Verteidiger vertreten lassen kann, der die Verfahrensbefugnisse des Beschuldigten an dessen Stelle wahrnimmt.1709 Übergeordnete Gesichtspunkte des Zeugenschutzes, des Schutzes des Angeklagten 678 selbst oder vorrangige Interessen der Rechtspflege können die zeitweilige Entfernung des Beschuldigten aus der Hauptverhandlung gegen seinen Willen rechtfertigen. Mit der EMRK vereinbar ist daher, bei enger Auslegung der Gründe, § 247 StPO. Die Gründe der Gewinnung einer wahren Aussage und des Zeugenschutzes können es erfordern, zeitweise ohne den Beschuldigten zu verhandeln. Seine Interessen werden durch § 247 Satz 4 StPO ausreichend berücksichtigt. Der Vernehmungsbegriff des § 247 StPO ist allerdings angesichts der großen Bedeutung des Anwesenheitsrechts eng auszulegen. Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ist kein Teil der Vernehmung. Die fortdauernde Abwesenheit eines nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Beschuldigten bei einer Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet daher regelmäßig (wenn keine Heilung vorliegt) den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.1710 Einerseits betont der EGMR, dass die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK ange- 679 sichts ihrer überragenden Bedeutung grundsätzlich auch für einfache Verfahren gelten.1711 Andererseits hält der Gerichtshof im Anschluss an das Jussila-Urteil der Großen Kammer1712 das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten in Verfahren, die zwar in den Anwendungsbereich der strafrechtlichen Garantien des Art. 6 EMRK fallen (Rn. 68 ff.), die aber nicht zum „Kernstrafrecht“ zählen (Bußgeldsachen im Straßenverkehr etc.), für leichter einschränkbar,1713 solange die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten in der Verhandlung wenigstens durch einen Anwalt wahrgenommen werden. Dagegen hatte er noch im Yavuz-Urteil auf eine Verletzung von Art. 6 EMRK erkannt, da in der Verhandlung in einer Bußgeldsache (wegen illegaler Beschäftigung) weder der Beschuldigte noch ein Anwalt anwesend waren.1714
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Für den Fall des § 231a StPO: EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D (Fn. 1678); siehe Frowein/Peukert 160; IK-EMRK/Kühne 538; vgl. auch BVerfGE 41 249. Frowein/Peukert 160; IK-EMRK/Kühne 385. BGH (GSSt) wistra 2010 352 auch unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; zum Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats (NJW 2010 1012) ausführlich Bung HRRS 2010 50. EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 36 („The right to a fair trial, from which the requirement of the proper administration of justice is to be inferred, applies to all types of criminal offence, from the most straightforward to the most complex. The right to the fair administration of justice
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holds so prominent a place in a democratic society that it cannot be sacrificed for the sake of expedience.“). EGMR (GK) Jussila/FIN (Fn. 146). EGMR Kammerer/A (Fn. 995), §§ 26 f. („The approach adopted in the Jussila v. Finland case [Fn. 146], namely to apply the criminal head guarantees of Article 6 in a differentiated manner depending on the nature of the issue and the degree of stigma certain criminal cases carried, is, in the Court’s view, not limited to the issue of the lack of an oral hearing but may be extended to other procedural issues covered by Article 6, such as, in the present case, the presence of a accused at a hearing.“). EGMR Yavuz/A (Fn. 645), §§ 41 ff.
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d) Echte Abwesenheitsverfahren1715 und Verfahren, in denen zeitweise in Abwesenheit des Beschuldigten verhandelt wird, stellen nicht zwangsläufig einen Verstoß gegen die EMRK dar,1716 sondern können unter bestimmten Voraussetzungen konventionskonform sein. Der EGMR erteilt der absoluten Gewähr eines Teilhaberechts in diesem Zusammenhang eine Absage und erkennt ausdrücklich an, dass es nachvollziehbare Gründe dafür geben kann, Abwesenheitsverfahren in den nationalen Rechtsordnungen vorzusehen.1717 Hintergrund dafür ist, dass sich der Beschuldigte durch seine Abwesenheit oder durch sein Verhalten in der Hauptverhandlung nicht zum Herrn des Verfahrens aufschwingen darf. Der Gerichtshof überlässt es dabei den Konventionsstaaten, das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung einerseits und zügiger Strafverfolgung andererseits so aufzulösen, dass das Verfahren insgesamt gesehen fair ist, und beschränkt sich auf die Prüfung, ob das Ergebnis, der Strafprozess als Ganzes, den Anforderungen des Art. 6 EMRK genügt.1718 Dem EGMR folgend, müssen Anwesenheitsverfahren folgende Voraussetzungen1719 erfüllen, um den Anforderungen des Art. 6 EMRK zu genügen: Zunächst muss eine wirksame Einschränkung des Anwesenheitsrechts vorliegen. 681 Diese kann sich daraus ergeben, dass der Beschuldigte wirksam auf seine Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet (Rn. 676 ff.),1720 oder aus einem der Anwesenheit des Beschuldigten übergeordneten Gesichtspunkt (Rn. 676 ff.). Selbst wenn ein wirksamer Verzicht auf die Anwesenheit in der Verhandlung vorliegt, 682 darf ein für den Beschuldigten erschienener Wahlverteidiger nicht von der Verhandlung ausgeschlossen werden; der Beschuldigte hat das Recht, sich trotz seiner Abwesenheit in der Verhandlung vertreten zu lassen (dazu Rn. 702 ff.).1721 Analog dazu gilt: Wenn der Beschuldigte zwar auf seine Anwesenheit verzichtet, zugleich aber zum Ausdruck bringt, dass er sich durch einen Verteidiger vertreten lassen möchte, müssen die staatlichen Stellen sorgfältig prüfen, ob der Beschuldigte nach den von den Konventionen aufgestellten Grundsätzen für eine „effektive Verteidigung“ (Rn. 719 ff.) einen Anspruch auf Beiordnung eines (Pflicht-)Verteidigers hat. Falls die Beiordnung konventionswidrig versagt wird, ist das nationale Verfahren auch unter Berücksichtigung der EGMR-Rechtsprechung zum Abwesenheitsverfahren unfair verlaufen. Davon zu unterscheiden ist folgende Konstellation: Liegt kein wirksamer Verzicht des 683 Beschuldigten vor, kann selbst die Anwesenheit eines vom Gericht bestellten Verteidigers
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Ausführlich zur Vereinbarkeit von Abwesenheitsverfahren mit der EMRK: Paul 211 ff. EGMR Boroanca˘/RUM, 22.6.2010, § 66 („une procédure se déroulant en l’absence du prévenu n’est pas en soi incompatible avec l’article 6 de la Convention.“). EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680), § 82; Demebukov/BUL (Fn. 645), § 45. EGMR Colozza/I (Fn. 521); R.R./I (Fn. 1696), § 51 („La Convention laisse aux Etats contractants une grande liberté dans le choix des moyens propres à permettre à leur système judiciaire de répondre aux exigences de l’article 6 tout en préservant leur efficacité. Il appartient toutefois à
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la Cour de rechercher si le résultat voulu par celle-ci se trouve atteint. En particulier, il faut que les ressources offertes par le droit interne se révèlent effectives si l’accusé n’a ni renoncé à comparaître et à se défendre ni eu l’intention de se soustraire à la justice.“). Werden diese Voraussetzungen eingehalten, kann sogar ein Abwesenheitsurteil, das den Beschuldigten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, mit der EMRK vereinbar sein: EGMR Battisti/F (E) (Fn. 1706). EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680), § 82. EGMR Krombach/F (Fn. 345).
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die Abwesenheit des Beschuldigten in der Verhandlung nicht kompensieren, wenn dieser ad hoc bzw. neu bestellt wird und keine ausreichende Zeit hat, sich (effektiv) auf die Verhandlung vorzubereiten, insbesondere sich mit dem Beschuldigten zu besprechen (Rn. 626 ff.).1722 Dann liegt neben der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK bezüglich der Abwesenheit des Beschuldigten auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK vor. Wenn der Beschuldigte aus übergeordneten Gesichtspunkten abwesend ist (Rn. 676 ff.), 684 sollten die Konventionsstaaten sicherstellen, dass der Eingriff in das Anwesenheits- und Verteidigungsrecht des Beschuldigten möglichst schonend erfolgt und seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht wesentlich eingeschränkt werden. Die EKMR hatte die §§ 231a, 231b StPO auch deswegen als mit der Konvention vereinbar angesehen, weil die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten nach § 234 StPO durch einen Verteidiger wahrgenommen werden können.1723 Zur Konventionskonformität der §§ 231a, 231b und 247 StPO tragen auch die Unterrichtungspflichten nach den §§ 231a Abs. 2, 231b Abs. 2, 247 Satz 4 StPO bei. Zudem dürfte die Praxis vieler Gerichte, den Beschuldigten im Falle eines Ausschlusses nach § 247 StPO die Vernehmung per Videosimultanübertragung (Rn. 663) mitverfolgen zu lassen, die Vereinbarkeit mit der EMRK optimieren.1724 Kommt es zu einem Verstoß gegen die oben genannten Grundsätze, so kann dieser 685 geheilt werden, wenn der Beschuldigte die Möglichkeit hat, das konventionswidrig ergangene Abwesenheitsurteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen („a fresh determination of the merits of the charge, in respect of both law and fact“).1725 Das hat für das Verfahren vor dem EGMR zur Folge, dass der Beschuldigte seinen Opferstatus verliert und seine Individualbeschwerde damit unzulässig ist.1726 Allerdings muss der Beschuldigte in einer ihm verständlichen Sprache über die Frist zu Einlegung des Rechtsmittels belehrt werden; geschieht das nicht, kann das einen Konventionsverstoß begründen.1727 Zur Klarstellung: Mangels Konventionswidrigkeit ist keine Überprüfungsmöglichkeit 686 erforderlich, wenn die (zeitweise) Abwesenheit des Beschuldigten aus übergeordneten Gesichtspunkten gerechtfertigt ist oder der Beschuldigte wirksam auf seine Anwesenheit in der Verhandlung und sein Recht, sich selbst zu verteidigen oder sich durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen, verzichtet hat. Die älteren Urteile des Gerichtshofs hatten
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EGMR Seliwiak/PL (Fn. 568), § 63. EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D (Fn. 1678). In diese Richtung auch van Gemmeren NStZ 2001 264 in seiner Urteilsanmerkung zu BGH NStZ 2001 262. EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 45 („Although proceedings that take place in the accused’s absence are not of themselves incompatible with Article 6 of the Convention, a denial of justice nevertheless undoubtedly occurs where a person convicted in absentia is unable subsequently to obtain from a court which has heard him a fresh determination of the merits of the charge, in respect of both law and fact, where it has not been established that he
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has waived his right to appear and to defend himself […] or that he intended to escape trial.“); Stoichkov/BUL, 24.3.2005, § 55; Boroanca˘ /RUM (Fn. 1716), § 67 („la réouverture du délai d’appel contre la condamnation par contumace, avec la faculté, pour l’accusé, d’être présent à l’audience de deuxième instance et de demander la production de nouvelles preuves s’analysait en la possibilité d’une nouvelle décision sur le bien-fondé de l’accusation en fait comme en droit.“); Meyer-Ladewig 127. EGMR Sibgatullin/R (Fn. 568), § 29. EGMR Hakimi/B, 29.6.2010, §§ 35 ff. unter Berufung auf EGMR Da Luz Domingues Ferreira/B, 24.5.2007, §§ 38 ff.
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den letzten Punkt noch offengelassen.1728 Die neuere Rechtsprechung des EGMR lässt daran aber keinen Zweifel.1729 Dabei scheint der Gerichtshof davon auszugehen, dass der Beschuldigte, um seinen Anspruch auf Überprüfung zu verlieren, sowohl auf sein Anwesenheitsrecht als auch auf sein Verteidigungsrecht verzichtet haben muss (die letzte Passage des Zitats deutet darauf hin: „right to appear and to defend himself“). Im Umkehrschluss heißt das: Der Beschuldigte kann also auf sein Anwesenheitsrecht verzichten; wenn er aber den Strafverfolgungsbehörden oder dem Gericht deutlich gemacht hat, dass er sich durch einen Verteidiger vertreten lassen möchte, kann er unter Umständen ein Recht haben, das Abwesenheitsurteil nachprüfen zu lassen (Näheres unter Rn. 688 ff.). Hinsichtlich der Frage, wann das Verhalten des Beschuldigten auch als ein Verzicht 687 auf sein Verteidigungsrecht gedeutet werden kann, gilt Folgendes: Wenn der Beschuldigte über den Ort und den Zeitpunkt der Verhandlung in Kenntnis gesetzt worden ist und dann in der Verhandlung schlicht ausbleibt, wird man darin sowohl einen Verzicht auf sein Anwesenheitsrecht als auch auf sein Verteidigungsrecht sehen können (dazu im Detail Rn. 672). Wenn der Beschuldigte sein Verteidigungsrecht nicht verlieren möchte, muss er einen Wahlverteidiger zur Verhandlung schicken oder deutlich machen, dass das Gericht ihm einen Pflichtverteidiger bestellen soll. Eine Überprüfungsmöglichkeit muss dem Beschuldigten dagegen in folgenden Fällen 688 eröffnet sein: Erstens, wenn aus seinem Verhalten nicht eindeutig der Schluss gezogen werden kann, dass er auf sein Anwesenheitsrecht verzichten will. Des Weiteren, wenn er zwar wirksam auf sein Anwesenheitsrecht verzichtet hat, nicht aber auf sein Recht, sich durch einen Wahlverteidiger vertreten zu lassen, und dieser nicht gehört worden ist. Ist der Wahlverteidiger gehört worden, so ist fraglich, ob dem Beschuldigten eine 689 erneute Überprüfungsmöglichkeit zustehen muss. Dagegen spricht Folgendes: Die EMRK
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So z.B. EGMR Poitrimol/F (Fn. 345; „It is open to question whether this latter requirement (gemeint: die neue Entscheidungsmöglichkeit) applies when the accused has waived his right to appear and to defend himself.“). Der EGMR hat in diesem Urteil insbesondere bemängelt, dass der Wahlverteidiger des Beschuldigten nicht in der Berufungsinstanz gehört worden war. Der Anspruch des Beschuldigten darauf ergab sich aber nicht aus dem Umstand, dass in der ersten Instanz in Abwesenheit des Beschuldigten verhandelt worden war; dieser hatte nämlich wirksam verzichtet. Der EGMR verlangt aber, dass wenn (insoweit allerdings nicht von der Konvention gefordert) dem Beschuldigten eine zweite Instanz eingeräumt wird, das Verfahren dort ebenfalls mit Art. 6 EMRK vereinbar sein muss. Daran fehlte es hier, weil das Berufungsgericht das Recht des Beschuldigten, sich trotz Anwesenheitsverzichts durch einen Wahlverteidiger
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vertreten zu lassen, auch im Hinblick auf das an sich legitime Ziel, die Anwesenheit des Beschuldigten sicherzustellen, unverhältnismäßig beschränkt hatte. Das Verfahren vor dem Kassationsgerichtshof hätte diesen Fehler vor dem Berufungsgericht ohnehin nicht mehr heilen können, da das Kassationsgericht nur Rechtsfragen hätte prüfen dürfen. EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680), § 82 („Although proceedings that take place in the accused’s absence are not of themselves incompatible with Article 6 of the Convention, a denial of justice nevertheless undoubtedly occurs where a person convicted in absentia is unable subsequently to obtain from a court which has heard him a fresh determination of the merits of the charge, in respect of both law and fact, where it has not been established that he has waived his right to appear and to defend himself.“).
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selbst räumt dem Beschuldigten kein Recht auf eine zweite Instanz ein.1730 Wenn man dem verteidigten Beschuldigten, der wirksam auf seine Anwesenheit verzichtet hat, gestattet, das Ergebnis überprüfen zu lassen, so würde dieser allein wegen seiner Abwesenheit gegenüber einem anwesenden Beschuldigten begünstigt, der diese Überprüfungsmöglichkeit nach der EMRK nicht hat. Eine solche Auslegung kann die EMRK nicht gebieten. Nicht entschieden ist bisher jene Konstellation: Der Beschuldigte hat gegenüber dem Gericht oder den Strafverfolgungsbehörden angezeigt, dass er zu seinem Prozess nicht erscheinen will, aber durch einen zu bestellenden (Pflicht-) Verteidiger verteidigt werden möchte. Die Bestellung eines Verteidigers wird ihm aber versagt. Sofern die Verteidigerbestellung nach der EMRK erforderlich gewesen ist (Rn. 719 ff.), muss ihm die Möglichkeit einer erneuten Verhandlung und Entscheidung eröffnet werden. Die Überprüfungsmöglichkeit muss es dem Beschuldigten gestatten, den Fall in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht neu entscheiden zu lassen („fresh determination of the merits of the charge, in respect of both law and fact“).1731 Das soll gerade auch dann gelten, wenn der Beschuldigte erst nach der Urteilsverkündung von dem gegen ihn in Abwesenheit geführten Strafverfahren erfährt.1732 Wird die Überprüfungsmöglichkeit von einer Frist abhängig gemacht, ist diese also nur dann konventionskonform, wenn sie mit der Kenntnis des Beschuldigten vom Strafverfahren zu laufen beginnt. Ferner darf die Überprüfungsmöglichkeit nicht vom Nachweis bestimmter Umstände abhängig gemacht werden. Sie muss ohne Weiteres gewährt werden.1733 Der Gerichtshof verlangt aber nicht, dass eine Heilung durch eine Wiederholung der ersten Instanz1734 eintreten kann. Er lässt eine Überprüfung des Urteils im Instanzenzug ausreichen, sofern das Rechtsmittelgericht dabei nicht an die im Abwesenheitsverfahren getroffenen Feststellungen gebunden ist.1735 Das ist im Hinblick auf Art. 14 Abs. 5 IPBPR und Art. 2 des 7. ZP-EMRK bedenklich, weil diese Vorschriften (bei entsprechender Ratifikation) ein Rechtsmittel in Strafsachen fordern und dem zu Unrecht in Abwesenheit Verurteilten dadurch eine Instanz genommen wird. Bei einem mehrdeutigen Verhalten des Beschuldigten muss eine solche Überprüfung eines Abwesenheitsurteils ohne Weiteres möglich sein, da bei einem mehrdeutigen Ver-
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Ein solches ergibt sich erst aus dem 7. ZP-EMRK (Rn. 991 ff.). Vergleiche nur EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680); eine solche Garantie im Falle rumänischer Abwesenheitsurteile verneinend: OLG Oldenburg StraFo 2011 105; OLG Karlsruhe StraFo 2011 106. EGMR Colozza/I (Fn. 521). EGMR R.R./I (Fn. 1696), § 59 („un condamné qui ne saurait passer pour avoir renoncé de manière non équivoque à comparaître doit en toute circonstance pouvoir obtenir qu’une juridiction statue à nouveau sur le bien-fondé de l’accusation. Une simple possibilité dans ce sens, dépendant des preuves pouvant être fournies par le parquet ou par le condamné quant aux circonstances entourant son
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absence de son domicile et son lieu de résidence effective, ne saurait satisfaire aux exigences de l’article 6 de la Convention.“); Meyer-Ladewig 127. Zur Frage der Befangenheit, wenn an der zweiten Verhandlung Richter mitwirken, die schon bei der Abwesenheitsverhandlung mitgewirkt haben, siehe EGMR Thomann/ CH (Fn. 446). EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680; „the reopening of the time allowed for appealing against a conviction in absentia, where the defendant was entitled to attend the hearing in the court of appeal and to request the admission of new evidence, entailed the possibility of a fresh factual and legal determination of the criminal charge.“).
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halten der Beschuldigte nicht wirksam auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat. Die Überprüfungsmöglichkeit darf seitens der Konventionsstaaten dann nicht erschwert werden, indem sie davon abhängig gemacht wird, dass der Beschuldigte nachweisen muss, dass er sich nicht absichtlich der Verfolgung entziehen wollte. Eine solche Bestimmung kann einen Prozess konventionswidrig machen.1736 Auch in einem wegen eines Abwesenheitsurteils betriebenen Auslieferungsverfahren 694 muss geprüft werden, ob das Verfahren, das zu diesem Urteil geführt hat, mit Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR vereinbar ist. Ansonsten kann (auch) der ausliefernde Staat gegen die EMRK verstoßen.1737 Die von den deutschen Gerichten anhand von Art. 25 GG und § 73 Satz 1 IRG entwickelten Kriterien für die Zulässigkeit eines Auslieferungsersuchens aufgrund eines Abwesenheitsurteils entsprechen in der Sache denen des EGMR (auch wenn die Entscheidungen sich in der Regel nicht direkt auf Art. 6 EMRK beziehen). Maßgeblich ist für die deutschen Gerichte, ob die Möglichkeit rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und das Recht auf angemessene Verteidigung als zentrale Elemente der Verfahrensfairness in dem der Auslieferung zugrunde liegenden Urteil gewahrt worden sind oder nachträglich gewährt werden.1738 Eine Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Beschuldigten ergangenen Strafurteils ist daher unzulässig, sofern der Beschuldigte weder über Durchführung und Abschluss des betreffenden Verfahrens in geeigneter Weise unterrichtet war noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen.1739 Ob allein eine verbindliche Zusicherung des ersuchenden Staates dies im vollen Umfang gewährleisten kann, hängt von den jeweiligen zwischenstaatlichen Vereinbarungen1740 ab, aber auch von der Rechtslage und der Gerichtspraxis des ersuchenden Staates und den Umständen des Einzelfalls.1741
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e) Abwesenheitsverfahren und Europäischer Haftbefehl. Die „Auslieferung“ bzw. Überstellung einer Person auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls1742 zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union
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EGMR (GK) Sejdovic/I (Fn. 1680). Vgl. dazu EGMR Al-Saadoon u. Mufdhi/UK, 2.3.2010, § 149. BVerfG NJW 1991 1411 = NStZ 1991 294; BVerfGK 3 27 = NStZ-RR 2004 308 = StV 2004 438; BGHSt 47 120 = NJW 2002 228 = NStZ 2002 166 = JZ 2002 464 m. Anm. Vogel = JR 2002 476 m. Anm. Lagodny; OLG Karlsruhe StV 2004 547 = StraFo 2004 388. BVerfGK 6 13 = NStZ 2006 102 = StV 2005 675. Vgl. insbesondere Art. 3 Abs. 1 des 2. ZP-EuAuslÜbk v. 17.3.1978 (BGBl. 1990 II S. 119), wonach die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit ergangenen Urteils verweigert werden darf, wenn im vorausgegangenen Abwesenheitsverfahren die Mindestrechte der Verteidigung nicht gewahrt erscheinen, es sei denn, dass der ersuchende Staat sichert zu, dass
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der Verurteilte eine effektive Möglichkeit erhält, ein neues Verfahren herbeizuführen, in dem er seine Verteidigungsrechte voll ausüben kann. BGHSt 47 120 = JR 2002 476 mit Anm. Lagodny = JZ 2002 464 mit Anm. Vogel (Auslieferung aufgrund eines italienischen Kontumazialurteils); zum Erfordernis einer ausreichenden Zusicherung BVerfGK 3 27 = NStZ-RR 2004 308 = StV 2004 438 (Italien); verneinend für Italien KG StV 1993 207; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1999 92 = StV 1999 268; ThürOLG StV 1999 265; OLG Nürnberg NStZ-RR 1998 94 = StV 1997 648; OLG Schleswig StV 1996 102. Zum Europäischen Haftbefehl, der nach § 83a IRG ein Auslieferungsersuchen ersetzt, vgl. OLG Stuttgart NJW 2004 3437 = NStZ 2005 47 = StV 2004 546.
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ist im Achten Teil des IRG abschließend1743 geregelt (vgl. § 1 Abs. 4 IRG), ein Rückgriff auf die allgemeinen Regeln des IRG und der Rechtsprechung ist ausgeschlossen. Der Gesetzgeber des EuHbG-II hat § 83 Nr. 3 IRG gegenüber der Vorgängernorm des EuHbG-I erweitert und die Auslieferung auch dann für zulässig erklärt, wenn der Verfolgte in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens, für das ein Verteidiger bestellt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat. Damit hat er in weiterem Umfang als gefordert zur Verkehrsfähigkeit von Abwesenheitsurteilen beigetragen. Art. 5 Nr. 1 des RB 2002/584/JI 1744 sieht dagegen nicht vor, dass die Mitgliedstaaten in den sog. „Fluchtfällen“ ausliefern müssen. Diese Neuerung ist zwar zu Recht kritisiert worden,1745 sie ist aber prinzipiell mit der EMRK vereinbar, da der Gerichtshof in solchen Fällen von einem Verzicht des Beschuldigten auf sein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung ausgeht. Konflikte mit den Vorgaben des EGMR können aber vor allem deshalb entstehen, 696 weil für den Gerichtshof maßgeblich ist, ob das Verhalten des Beschuldigten als Verzicht auf sein Anwesenheitsrecht zu deuten ist. § 83 Nr. 3 IRG stellt dagegen nur auf die Kenntnis der betreffenden Person vom Termin ab. Es lassen sich aber durchaus Situationen vorstellen, in denen der Beschuldigte zwar Kenntnis vom Termin der Verhandlung hat, seine Abwesenheit in der Verhandlung aber nicht als Verzicht auf sein Anwesenheitsrecht gedeutet werden kann. Das kann der Fall sein, wenn er zu kurzfristig geladen worden ist, um den Termin noch wahrnehmen zu können, oder wenn er den nationalen Behörden glaubhaft gemacht hat, dass er aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, nicht an der Verhandlung teilnehmen kann (etwa weil er inhaftiert ist und die zuständigen Stellen ihn nicht gehen lassen). Wird trotzdem in seiner Abwesenheit ein Urteil gefällt, dann ist darin nach der Rechtsprechung des EGMR ein Verstoß gegen die EMRK zu sehen, der nur durch die Möglichkeit einer erneuten Verhandlung geheilt werden kann. Seine Auslieferung wäre dem Wortlaut des § 83 Nr. 3 IRG nach aber zulässig, auch ohne die Möglichkeit einer erneuten Überprüfung. Weitere Differenzen mit den Vorgaben des EGMR bestehen hinsichtlich der Frage, 697 welche Anforderungen an das neue Gerichtsverfahren zu stellen sind: Der Gerichtshof verlangt, dass der Beschuldigte ohne Weiteres die Möglichkeit haben muss, in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht eine erneute Entscheidung herbeizuführen. § 83 Nr. 3 IRG selbst stellt in dieser Hinsicht keine qualitativen Anforderungen auf, so dass z.B. das vom EGMR wiederholt kritisierte Wiederaufnahmeverfahren in Italien (Art. 175 CPP) dem Wortlaut nach genügen würde. In Konstellationen wie den oben beschriebenen kann der Kernbestand der Garantie 698 eines fairen Verfahrens berührt sein, weil der Verfolgte verurteilt worden sein kann, ohne dass ihm jemals eine realistische Möglichkeit auf rechtliches Gehör eingeräumt worden ist. Ein Verstoß Deutschlands gegen die EMRK durch Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls lässt sich in solchen Fällen nur dann vermeiden, wenn über Art. 1 Abs. 3 des RB 2002/584/JI bzw. über § 73 Satz 2 IRG1746 Art. 6 Abs. 2 EUV und damit die EMRK
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Dazu OLG Stuttgart NStZ-RR 2008 175 m. Anm. Ahlbrecht StRR 2008 198. Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates v. 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 190 v. 18.7.2002, S. 1).
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Böhm NJW 2006 2592. Auslieferungen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls stehen weiterhin unter dem ordre public-Vorbehalt des § 73 Satz 2 IRG; dazu: Böhm/Rosenthal in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.) 841.
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und die Rechtsprechung des EGMR Berücksichtigung findet. Die Auslieferung muss in solchen Fällen wegen Unvereinbarkeit mit der EMRK für unzulässig erklärt werden. In Situationen wie der oben skizzierten sollte der Rechtsbeistand des Verfolgten dem 699 zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Überstellung aufgerufenen Oberlandesgericht substantiiert Umstände vortragen, warum das Verhalten des Verfolgten nicht als Verzicht gedeutet werden kann bzw. warum die Wiederaufnahmemöglichkeit des ersuchenden Staates den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht genügt. Die gerichtliche Aufklärungspflicht gebietet es dann zu ermitteln, ob der Vortrag zutrifft. Wenn das der Fall ist, kann eine Auslieferung noch verhindert werden, obwohl an sich kein Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG vorliegt. Der Rahmenbeschluss 2009/299/JI v. 26.2.2009 1747 soll die Abwesenheitsurteile be700 treffenden Regelungen in fünf anderen Rahmenbeschlüssen vereinheitlichen. Von der Neuregelung betroffen ist auch der RB-EuHB. Dort ist Art. 4a eingefügt worden, der Art. 5 Nr. 1 ersetzt und vorsieht, dass die Vollstreckung eines aufgrund eines Abwesenheitsurteils ergangenen Europäischen Haftbefehls verweigert werden kann, es sei denn, dass eine von insgesamt vier Ausnahmen einschlägig ist: (1) Der EuHB ist zum einen dann zu vollstrecken, wenn die betroffene Person rechtzeitig entweder persönlich vorgeladen oder auf andere Weise tatsächlich offiziell vom Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt und zudem darüber informiert worden ist, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint. (2) Der EuHB ist ferner dann zu vollstrecken, wenn die Person ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder ihr oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und die Person bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist. (3) Die dritte Ausnahme ist dann vorgesehen, wenn die Person nach Zustellung der Entscheidung und Belehrung über die Möglichkeit einer Wiederaufnahme oder Berufung ausdrücklich erklärt, dass sie die Entscheidung nicht anficht, oder innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt. (4) Darüber hinaus muss der EuHB vollstreckt werden, wenn die betroffene Person die Entscheidung zwar noch nicht zugestellt bekommen hat,1748 sie aber unverzüglich nach ihrer Übergabe persönlich zugestellt bekommen und dabei über die Möglichkeit einer Wiederaufnahme oder Berufung und die maßgeblichen Fristen informiert werden wird. Diese Neuregelung löst die oben skizzierten Konflikte mit der EMRK nicht, da auch 701 der neue Rahmenbeschluss maßgeblich auf die Kenntnis des Beschuldigten abstellt und hinsichtlich der Qualität des neuen Verfahrens keine Vorgaben macht.1749 Effektiv lassen sich Konventionsverstöße damit nur über Art. 1 Abs. 3 des RB 2002/584/JI verhindern.
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Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates v. 26.2.2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABlEU Nr. L 81 v. 27.3.2009, S. 24). Art. 4a Abs. 2 des RB 2009/299/JI verleiht
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der betroffenen Person zwar das Recht, einen Antrag auf Erhalt einer Abschrift des Urteils noch vor Übergabe zu stellen, sofern sie zuvor noch nicht offiziell in Kenntnis gesetzt worden ist, dass gegen sie ein Strafverfahren betrieben wird; die Vorschrift stellt aber auch klar, dass durch dieses Recht das Verfahren nicht verzögert werden darf. Im Ergebnis auch Klitsch ZIS 2009 11, die aber die Konventionswidrigkeit vornehmlich damit begründet, dass der Vollstreckungsstaat den Europäischen Haft-
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f) Recht auf Verteidigung bei Abwesenheit in der Hauptverhandlung. Hat der Beschuldigte wirksam auf seine Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet, darf ein für ihn erschienener Verteidiger von der Verhandlung gleichwohl nicht ausgeschlossen werden. Durch einen Verzicht auf sein Anwesenheitsrecht verliert der Beschuldigte nicht sein Recht, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen.1750 Eine Entscheidung, die ergeht, ohne dass dem Verteidiger des Beschuldigten die Möglichkeit gegeben worden ist, diesen in seiner Abwesenheit zu verteidigen, kann daher gegen Art. 6 EMRK verstoßen.1751 Der EuGH (Krombach) sah in dieser Vertretungsmöglichkeit einen fundamentalen Grundsatz des [früheren] Gemeinschaftsrechts.1752 Das gilt nicht nur in erster Instanz, sondern auch im Rechtsmittelverfahren.1753 Der Gerichtshof sieht es als einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK an, wenn die Vertragsstaaten die Anwesenheit des Beschuldigten in der Rechtsmittelinstanz dadurch erzwingen wollen, dass sie im Falle seiner Abwesenheit seinen für ihn erschienenen Wahlverteidiger von der Verhandlung ausschließen.1754 Der EGMR erkennt zwar an, dass die Vertragsstaaten die Möglichkeit haben müssen, die Anwesenheit des Beschuldigten in der Verhandlung sicherzustellen.1755 Er lässt jedoch nicht zu, dass die Abwesenheit des Beschuldigten mit einem Verlust seines Rechts auf einen Wahlverteidiger sanktioniert wird.1756 Darin sieht er angesichts der herausragenden Bedeutung des Rechts auf einen Verteidiger eine unverhältnismäßige Reaktion.1757 Welche Gestellungsmittel mit der Konvention vereinbar sind, wird unter Rn. 711 erörtert. Strittig ist, ob es gegen diesen Grundsatz verstößt, wenn das nationale Recht vorsieht (vgl. § 329 Abs. 1 StPO), dass ein Rechtsmittel des unentschuldigt ausgebliebenen Beschuldigten ohne Verhandlung auch zur Sache dann sofort zu verwerfen ist, wenn für ihn ein Verteidiger erschienen ist. Ein Konventionsverstoß wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang überwiegend mit dem Argument verneint, dass die den Urteilen des Gerichtshofs zugrunde liegenden Sachverhalte nicht mit dem Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO vergleichbar seien: Das Verwerfungsurteil ergehe nicht, nachdem das Berufungsgericht ohne den Beschuldigten verhandelt habe; es fände ja gerade keine Verhandlung zur Sache statt.1758 § 329 Abs. 1 StPO beschränke nicht das Recht auf den Beistand
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befehl auch dann vollstrecken muss, wenn die Person nicht richtig geladen worden ist. Das muss jedoch nicht zwangsläufig auf einen Konventionsverstoß hinauslaufen, solange nur eine konventionskonforme Wiederaufnahmemöglichkeit besteht. EGMR Kari-Pekka Pietiläinen/FIN, 22.9.2009, §§ 31 f. EGMR Poitrimol/F (Fn. 345); Pelladoah/NL, 22.9.1994, A 297-B; Lala/ NL (Fn. 1644); (GK) van Geyseghem/B (Fn. 345); Krombach/F (Fn. 345); zur früheren Rechtslage in Frankreich vgl. Gundel NJW 2001 2380; Esser 773, 784 ff. EuGH Rs. C-7/98 (Krombach) (Fn. 7). EGMR Kari-Pekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), § 31. Aus der jüngeren Rechtsprechung EGMR Harizi/F, 29.3.2005; die Rechtslage in
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Frankreich hat sich inzwischen aber – wohl unter dem Eindruck der wiederholten Verurteilungen – geändert, worauf der Gerichtshof auch hinweist: EGMR KariPekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), §§ 31 f. EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 51; Kari-Pekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), §§ 31 f. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 59; Demebukov/BUL (Fn. 645), § 52; KariPekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), §§ 31 f.; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 141. EGMR Demebukov/BUL (Fn. 645), § 51; Kari-Pekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), §§ 31 f. OLG Oldenburg NStZ 1999 156; OLG Köln NStZ-RR 1999 112.
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eines Verteidigers.1759 Innerhalb der Grenzen, die § 329 Abs. 1 StPO ziehe, sei eine Verteidigung des Beschuldigten durchaus möglich. Der Verteidiger könne beispielsweise auf fehlende Prozessvoraussetzungen oder auf Entschuldigungsgründe verweisen. Das BVerfG 1760 hält das Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO auch unter Berücksichti706 gung der EMRK in der Auslegung durch den EGMR für mit Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG (Anspruch auf ein faires Verfahren) vereinbar. Angesichts der legitimen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, grundsätzlich keine Abwesenheitsverfahren durchzuführen, sei es nicht geboten, dem Beschuldigten das Recht einzuräumen, sich durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, und damit durch die Hintertür doch ein Abwesenheitsverfahren einzuführen. Art. 6 EMRK sei nicht beeinträchtigt, insbesondere weil der Beschuldigte es in der Hand habe, durch sein Erscheinen die Berufungshauptverhandlung zu ermöglichen. Auch in der Kommentarliteratur wird ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK ganz überwie707 gend verneint, was ergänzend noch darauf gestützt wird, dass dem Beschuldigten in der ersten Instanz alle Verteidigungsrechte gewährleistet worden seien.1761 Die Stimmen, die sich für die Konventionswidrigkeit des § 329 Abs. 1 StPO aussprechen, sind dagegen vereinzelt geblieben.1762 Die EMRK selbst verlangt nicht, dass dem Beschuldigten gegen seine erstinstanzliche 708 Verurteilung ein Rechtsmittel eingeräumt wird.1763 Ein solcher Anspruch ergibt sich erst aus Art. 2 des 7. ZP-EMRK. Der Gerichtshof betont aber in ständiger Rechtsprechung, dass wenn die Staaten mehrere Instanzen vorsehen, jede Instanz für sich genommen mit Art. 6 EMRK vereinbar sein muss.1764 Daher wird das Argument, Art. 6 EMRK könne nicht verletzt sein, weil der Beschuldigte in der ersten Instanz in den Genuss sämtlicher Verteidigungsrechte gekommen sei, vor dem EGMR keinen Bestand haben.1765 Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof streng zwischen der Möglichkeit, sich selbst zu
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BayObLGSt 1999 170 = NStZ-RR 2000 307. BVerfG StraFo 2007 190 (Nichtannahmebeschluss nach § 93b BVerfGG, d.h. keine Entscheidung zur Sache und daher nicht nach § 31 Abs. 1 BVerfGG verbindlich). Meyer-Goßner § 329, 2 StPO. Sommer StraFo 1999 402; Meyer-Mews NJW 2002 1928; AnwK-StPO/Sommer Art. 6, 91 MRK; in diese Richtung auch Gaede 262 Fn. 328. EGMR Davran/TRK (Fn. 303), § 38 („même si l’article 6 de la Convention n’astreint pas les Etats contractants à créer des cours d’appel ou de cassation.“). Aus der jüngeren Rechtsprechung EGMR Marpa Zeeland B.V. u. Metal Welding B.V./NL (Fn. 602), § 48; Kulikowski/PL (Fn. 308), § 59; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 34; Davran/TRK (Fn. 303), § 38 („un Etat qui se dote de juridictions de cette nature a l’obligation de veiller à ce que les justiciables jouissent auprès d’elles des garanties fondamentales de l’article 6“); Zhuk/UKR (Fn. 527), § 28 („a State which
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institutes courts of appeal or cassation is required to ensure that persons amenable to the law shall enjoy before these courts the fundamental guarantees contained in Article 6“); Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 34 („Article 6 does not compel Contracting Parties to provide appeals in civil or criminal cases.“); Wersel/PL, 13.9.2011, § 42 („The Convention does not compel the Contracting States to set up courts of appeal or of cassation. However, where such courts do exist, the guarantees of Article 6 must be complied with, including the right to free legal assistance.“); grundlegend: EGMR Delcourt/B (Fn. 172), § 25. In seinem Sondervotum zum van-Geyseghem-Urteil (Fn. 345) argumentierte Richter Pellonpää mit einer solchen „Gesamtbetrachtung“: Insgesamt gesehen sei das Verfahren insbesondere deshalb fair gewesen, weil das maßgebliche erstinstanzliche Urteil aufgrund einer Verhandlung in Anwesenheit der Beschuldigten ergangen sei; damit fand er aber nicht das Gehör seiner Richterkollegen.
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verteidigen, und dem Recht, sich durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen, unterscheidet. Er hebt immer wieder hervor, dass der Beschuldigte durch den Verzicht auf seine Anwesenheit in der Verhandlung nicht das Recht auf mittelbare Teilhabe an der Verhandlung durch formelle Verteidigung verliere.1766 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs zeichnet sich ab, dass aus diesem „Mutterrecht“ zwei Teilaspekte abgeleitet werden: Zum einen darf ein erschienener Verteidiger nicht von einer Verhandlung des Gerichts ausgeschlossen werden. Darüber hinaus räumt der Gerichtshof dem Beschuldigten einen Anspruch darauf ein, sich durch einen Verteidiger vertreten zu lassen. Schon im Poitrimol-Urteil 1767 hat der Gerichtshof herausgestellt, dass er das Recht jedes Beschuldigten, effektiv durch einen Verteidiger verteidigt zu werden („right to be effectively defended by a lawyer“) nicht nur im Sinne eines Beistands, sondern auch im Sinne einer Vertretung („to be legally replaced by a lawyer“) versteht. Der Wortlaut der Konvention („legal assistance“) stehe dem nicht entgegen. Das beinhaltet, dass der Beschuldigte, der sich vertreten lassen will, ein Recht darauf hat, dass die Verhandlung so durchgeführt wird, als wäre er selbst anwesend. Das Gericht darf das Verfahren dann nicht deshalb anders ablaufen lassen, nur weil der Beschuldigte sich für sein Recht entscheidet, sich von einem Verteidiger vertreten zu lassen. Das dürfte mit dem Satz gemeint sein, man dürfe den Beschuldigten für seine Abwesenheit nicht bestrafen.1768 Im Ergebnis läuft das auf ein Recht des Beschuldigten auf eine Abwesenheitsverhandlung hinaus.1769 Dieser Ansatz ist allerdings mit der Aussage des Gerichtshofs kaum in Einklang zu 709 bringen, wonach es den Konventionsstaaten überlassen bleiben muss, ob sie in ihren Prozessordnungen Verhandlungen in Abwesenheit des Beschuldigten zulassen wollen oder nicht. Nach Auffassung des Gerichtshofs darf die legitime Entscheidung gegen Abwesenheitsverfahren jedenfalls nicht dazu führen, dass der Beschuldigte in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt wird. Zu den zulässigen Gestellungsmitteln näher unter Rn. 711. § 329 Abs. 1 StPO wird den oben beschriebenen Anforderungen nicht gerecht. Wenn 710 die Berufung zulässig ist und auch die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, wird nicht erneut über die Schuld- und Rechtsfolgenfrage verhandelt wie bei Anwesenheit des Beschuldigten. Stattdessen wird die Berufung ohne Verhandlung zur Sache verworfen. Es ist daher wahrscheinlich, dass der Gerichtshof ein Verfahren, in dem § 329 Abs. 1 StPO angewandt wurde, für unfair und damit konventionswidrig erklären wird. Die deutschen Gerichte sind nicht darin gehindert, sondern aufgefordert, § 329 711 Abs. 1 StPO schon jetzt konventionskonform auszulegen: Das BVerfG hat im GörgülüBeschluss1770 die Verpflichtung der deutschen Gerichte betont, Entscheidungen des Gerichtshofs, auch wenn sie nicht gegen Deutschland ergangen sind, zum Anlass zu nehmen, die nationalen Rechtsordnungen zu überprüfen und sich bei einer möglicherweise
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EGMR Kari-Pekka Pietiläinen/FIN (Fn. 1750), §§ 31 f. EGMR Poitrimol/F (Fn. 345). EGMR (GK) van Geyseghem/B (Fn. 345), § 34 („Even if the legislature must be able to discourage unjustified absences, it cannot penalise them by creating exceptions to the right to legal assistance.“). Das erkennt auch Richter Pelonpää in seinem Sondervotum: „The applicant, however, is in effect claiming on the basis
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of the Convention not just a right to be assisted but rather a right to be absent from criminal proceedings and the corollary right to be defended in such proceedings by a representative.“ Er findet, dass dieses Recht nicht von der Konvention garantiert ist. Die Mehrheit der Richter der Großen Kammer scheint diesen Schritt aber gehen zu wollen. BVerfGE 111 307 = NJW 2004 3407 = JZ 2004 1171 = StV 2005 307.
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erforderlichen Änderung an der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu orientieren. Sofern methodisch vertretbar, sind die nationalen Gesetze völkerrechtsfreundlich auszulegen, um einen Konventionsverstoß Deutschlands zu vermeiden. Da § 329 Abs. 1 StPO die Vertretung des Beschuldigten nicht generell ausschließt, sondern sie ausweislich seines Wortlauts „in Fällen, in denen dies zulässig ist“ erlaubt, ist die Berücksichtigung der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung zwanglos möglich: Immer dann, wenn ein Beschuldigter dem Gericht anzeigt, dass er von einem Wahlverteidiger vertreten zu werden wünscht, ist die Vertretung von Konventions wegen zu gestatten. Verfassungsrecht steht dieser Interpretation nicht entgegen, weil keine bipolaren Grundrechtsverhältnisse zu berücksichtigen sind. Auch zwingendes sonstiges Bundesrecht (sofern man diese Einschränkung überhaupt für möglich hält) verlangt kein anderes Ergebnis. Denn wie bereits oben angedeutet, ist die StPO zwar grundsätzlich auf eine Verhandlung in Anwesenheit des Beschuldigten zugeschnitten, Abwesenheitsverhandlungen, zumal in der Berufungsinstanz, sind aber keineswegs so systemfremd, wie das BVerfG in seinem oben zitierten Nichtannahmebeschluss behauptet. Das zeigt schon ein Blick auf § 329 Abs. 1 und Abs. 2 StPO. Da es dem Angeklagten nach den Grundsätzen der EMRK freisteht, auf seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu verzichten, begegnen Gestellungsmittel im nationalem Recht (vgl. § 230 Abs. 2 StPO: Vorführung; § 231 Abs. 2 StPO: „geeignete Maßnahmen“ gegen Entfernung) Bedenken.
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g) Recht auf Anwesenheit im Rechtsmittelverfahren. Das Recht zur Anwesenheit besteht grundsätzlich auch im Rechtsmittelverfahren.1771 Wie das Anwesenheitsrecht in der ersten Instanz ist es aber kein absolutes Recht, sondern es kann eingeschränkt werden. Das ist im Rechtsmittelverfahren wegen der geringeren Bedeutung des Anwesenheitsrechts im größeren Umfang möglich als in der ersten Instanz.1772 Die Regeln, die der Gerichtshof dazu entwickelt hat, sind sehr komplex.1773 Ob die Anwesenheit des Beschuldigten in der Rechtsmittelinstanz nach der Konvention erforderlich ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen nationalen Verfahrens ab.1774 Der Gerichtshof schenkt dabei der Gesamtheit der nationalen Verfahrensordnung Beachtung und der Funktion, die die Rechtsmittelgerichte darin erfüllen.1775
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EGMR Csikós/H, 5.12.2006, ECHR 2006-XIV; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 42; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 33; Sinichkin/R (Fn. 645), § 30 („the duty to guarantee the right of a criminal defendant to be present in the courtroom – either during the original proceedings or in a retrial – ranks as one of the essential requirements of Article 6.“). EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 47; Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 54; Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 50; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 43; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 34; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 34; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 55; Sinichkin/R (Fn. 645), § 31 („The personal attendance of the defendant does not take on the same
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crucial significance for an appeal hearing as it does for the trial hearing.“); (GK) Hermi/I (Fn. 991), § 60; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 96 („A person charged with a criminal offence should, as a general principle based on the notion of a fair trial, be entitled to be present at the firstinstance trial hearing. However, the attendance of the defendant in person does not necessarily take on the same significance for the appeal hearing.“). Trechsel 257. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 47; Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Samokhvalov/R (Fn. 568), § 43; Igual Coll/E (E) (Fn. 1651), § 26; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 96. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 54; Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 50; Samokh-
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Ferner spielt es auch eine Rolle, wie die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten 713 wahrgenommen werden.1776 In keinem Fall darf der Beschuldigte im Ergebnis ohne wirksame Vereidigung dastehen.1777 Dass er nach den Vorschriften einiger Konventionsstaaten verpflichtet ist, seinen Wunsch nach persönlicher Teilnahme an der Rechtsmittelverhandlung vorab mitzuteilen, soll nach Ansicht des EGMR jedenfalls keinen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darstellen, sofern die Regelung hinreichend klar ist.1778 Eine Verhandlung kann in der Rechtsmittelinstanz zum einen dann ohne den Beschul- 714 digten stattfinden, wenn der Beschuldigte wirksam auf sein Anwesenheitsrecht verzichtet hat.1779 Dazu ist – wie in der ersten Instanz – insbesondere erforderlich, dass der Beschuldigte durch eine amtliche Ladung Kenntnis vom Termin erhalten hat (vgl. Rn. 671).1780 Unter dieser Voraussetzung kann er auch stillschweigend, also durch bloßes Ausbleiben in der Verhandlung auf sein Anwesenheitsrecht verzichten.1781 Die Anwesenheit und die Vermittlung eines unmittelbaren Eindrucks von seiner Per- 715 son gegenüber dem Gericht muss dem Beschuldigten in der Rechtsmittelinstanz jedenfalls dann gewährleistet sein, wenn das Gericht den Fall nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht aufrollt (ggf. mit einer erneuten Beweisaufnahme) und die Schuldfrage neu entscheidet.1782 Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittelgericht das
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valov/R (Fn. 568), § 43; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 76; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 34; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 34; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 55; Belziuk/PL, 25.3.1998, Rep. 1998-II = ÖJZ 1999 117; (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319); ferner SK/Paeffgen 136 (abl. zu EGMR Kucera/A, 3.10.2002, ÖJZ 2003 156); vgl. auch Esser 784 ff. EGMR Sabayev/R (Fn. 568), § 33 („Regard must be had in assessing this question to, among other things, the special features of the proceedings involved and the manner in which the defence’s interests are presented and protected before the appellate court, particularly in the light of the issues to be decided by it and their importance for the appellant.“); Sinichkin/R (Fn. 645), § 33; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 96. EGMR Sabayev/R (Fn. 568), § 34 („it is also of crucial importance for the fairness of the criminal justice system that the accused be adequately defended, both at first instance and on appeal“); Lala/NL (Fn. 1644), § 33; Sinichkin/R (Fn. 645), § 34. EGMR Samokhvalov/R (Fn. 568), § 56; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 45. EGMR (GK) Hermi/I (Fn. 991), § 76; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 57; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 36; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 57. EGMR Sibgatullin/R (Fn. 568), § 49.
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EGMR Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 36. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 58 („where an appellate court has to examine a case as to the facts and the law and make a full assessment of the issue of guilt or innocence, it cannot determine the issue without a direct assessment of the evidence given in person by the accused for the purpose of proving that he did not commit the act allegedly constituting a criminal offence.“); Dondarini/SM (Fn. 1005), § 27; Bazo González/E, 16.12.2008, § 31; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 45; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 36; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 35; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 56; Sinichkin/R (Fn. 645), § 32; ferner EGMR Andreescu/RUM, 8.6.2010, § 64 („lorsqu’une instance d’appel est amenée à connaître d’une affaire en fait et en droit et à étudier dans son ensemble la question de la culpabilité ou de l’innocence, elle ne peut, pour des motifs d’équité du procès, décider de ces questions sans appréciation directe des témoignages présentés en personne par l’accusé qui soutient qu’il n’a pas commis l’acte tenu pour une infraction pénale.“); Kremzow/A (Fn. 1613); Pobornikoff/A (Fn. 1655): Recht auf Anwesenheit, wenn persönlicher Eindruck für eine Entscheidung von Bedeutung; Kucera/A (Fn. 1775): Auswertung eines Gutachtens über Alkohol- und Medikamenteneinfluss auf
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erstinstanzliche Urteil im vollen Umfang aufrechterhält.1783 Der Beschuldigte muss in dieser Konstellation auch gehört werden, wenn er dies nicht beantragt.1784 Bei sonstiger Nachprüfung des Falles in tatsächlicher Hinsicht ist seine Anwesenheit nicht zwingend erforderlich.1785 Bei der Abwägung spielt für den EGMR die Bedeutung der Verurteilung für den Beschuldigten eine entscheidende Rolle,1786 so dass bei Bagatellvergehen die Anwesenheit generell eher nicht erforderlich zu sein scheint.1787 Ferner hält der Gerichtshof die Anwesenheit des Beschuldigten dann für erforderlich, 716 wenn das Rechtsmittelverfahren für den Beschuldigten eine entscheidende Bedeutung („crucial importance“) hat.1788 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Entscheidung zu einem schwerwiegenden Nachteil für den Beschuldigten führen kann, etwa weil die Verböserung der erstinstanzlichen Strafe oder die Aufrechterhaltung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe droht oder weil der Beschuldigte im Fall einer rechtskräftigen Entscheidung mit erheblichen Nachteilen für sein Berufsleben rechnen muss. Sofern der Beschuldigte schon in der ersten Instanz gehört worden ist, ist seine Anwe717 senheit in der Regel nicht erforderlich, wenn das Gericht das erstinstanzliche Urteil nur auf Rechtsfehler hin überprüfen darf oder wenn das Gericht lediglich über die Zulässigkeit bzw. die Annahme des Rechtsmittels1789 verhandelt.1790 Auch dann ist aber darauf
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Tathergang für Strafzumessung, dazu abl. SK/Paeffgen 136; vgl. auch Grabenwarter § 24, 106. EGMR Sandor Lajos Kiss/H, 29.9.2009, § 26 („It is irrelevant in this respect that […] the Regional Court came to the same conclusion as the first-instance court and upheld its judgment without changing it on the merits.“); Talaber/H, 29.9.2009, § 29. EGMR Andreescu/RUM (Fn. 1782), § 68 („la juridiction de recours était tenue de prendre des mesures positives afin d’entendre le requérant lors de l’audience, même si l’intéressé ne l’avait pas sollicité expressément.“). EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 56 („even where an appeal court has full jurisdiction to review the case on questions both of fact and of law, Article 6 does not always require a right to a public hearing and a fortiori a right to be present in person.“); Golubev/R (E) (Fn. 1650); Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 50; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 77; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 36; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 35; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 56; Sabayev/R (Fn. 568), § 33; Sinichkin/R (Fn. 645), § 31; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 96; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 137. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 56; Golubev/R (E) (Fn. 1650); Liebreich/D (E)
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(Fn. 1651); Samokhvalov/R (Fn. 568), § 45; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 77. Trechsel 258. EGMR Liebreich/D (E) (Fn. 1651); Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 58; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 53. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 47; Golubev/R (E) (Fn. 1650); Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 37 („it is quite possible that leave-to-appeal proceedings may comply with the requirements of Article 6, even though the appellant be not given an opportunity to be heard in person by the appeal court, provided that he or she had at least the opportunity to be heard by a first-instance court.“); Monnell u. Morris/UK, 2.3.1987, A 115, § 58; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 35. EGMR Yavuz/A (Fn. 645), § 47; Dondarini/SM (Fn. 1005), § 27; Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 55; Abbasov/ASE (Fn. 568), § 33; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 44; Sibgatullin/R (Fn. 568), § 35; Sobolewski/PL (Nr. 2) (Fn. 645), § 34; Seliwiak/PL (Fn. 568), § 55; Sinichkin/R (Fn. 645), § 31 („proceedings involving only questions of law, as opposed to questions of fact, may comply with the requirements of Article 6, even though the appellant has not been given the opportunity to be heard in person by the appeal or cassation court, provided that he has been heard by a first-instance
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zu achten, dass das Prinzip der Waffengleichheit gewahrt wird. Daran kann es fehlen, wenn die Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten, aber in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft geführt wird.1791 Die Anwesenheit des Angeklagten kann entbehrlich sein, wenn sein Rechtsmittel wegen Fristablaufs ohnehin unzulässig ist und seine Einwendungen in der Sache daher die Entscheidung gar nicht mehr beeinflussen können.1792 Auch wenn reine Rechtsfragen verhandelt werden, verlangt der EGMR aber, dass der Beschuldigte aus Gründen der Verfahrensfairness über den Verhandlungstermin informiert werden muss, so dass er die Möglichkeit hat, seine Interessen durch einen Verteidiger wahrnehmen zu lassen.1793 § 350 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfte demnach mit der EMRK vereinbar sein, wenn er 718 konventionskonform so interpretiert wird, dass dem Beschuldigten jedenfalls bei entscheidender Bedeutung des Verfahrens die Anwesenheit gestattet sein muss. Hinsichtlich dieser Vorschrift hat Deutschland allerdings einen Vorbehalt zu Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR erklärt, wonach die persönliche Anwesenheit eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.1794 3. Recht auf eine effektive Verteidigung. Die Konventionen betrachten die Verteidi- 719 gungsrechte als Gesamtheit.1795 Die Staaten können die Bedingungen für ihre Ausübung im Einzelnen regeln; aus den Konventionen allein lassen sich weder bestimmte einzelne Verteidigungsrechte herleiten noch ein Rechtfertigungsgrund für einzelne Verteidigungshandlungen.1796 Die nationalen Regelungen müssen jedoch in ihrer Gesamtheit eine insgesamt wirksame, effektive Verteidigung ermöglichen.1797
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court.“); Monnell u. Morris/UK (Fn. 1789), § 30; Sutter/CH (Fn. 949), § 30; Zhuk/ UKR (Fn. 527), § 32; Kamasinski/A (Fn. 1378); Bulut/A (Fn. 527); (GK) Meftah u.a./F (Fn. 319). EGMR Zhuk/UKR (Fn. 527), §§ 33 f. („As the competence of the Supreme Court in the present case was limited to questions of law, the lack of a public hearing before it was not in breach of Article 6 § 1 of the Convention per se. […] This is true in so far as the pertinent court – as in the above-mentioned cases – held a hearing in camera, which is not the case here. […] The prosecutor had the advantage of being present at that preliminary hearing, unlike any other party, and to make oral submissions to the three judge panel, such submissions being intended to influence the latter’s opinion. These submissions in fact were directed at having the applicant’s appeal dismissed and his conviction upheld. The Court considers that procedural fairness required that the applicant should also have been given an opportunity to make oral submissions in reply. The panel, having deliberated, dismissed the applicant’s appeal on points of law at the
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preliminary hearing, thus dispensing with a public hearing to which the applicant would have been summoned and been able to take part. It is also noted that the applicant had requested that the hearing be held in his presence.“). EGMR P.D./F (Fn. 588). EGMR Ziliberberg/MOL (Fn. 1649), § 41; Abbasov/ASE (Fn. 568), § 33; Maksimov/ASE (Fn. 568), § 41. Vgl. Art. 1 Nr. 2 des Ratifikationsgesetzes zum IPBPR v. 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533); Rüping ZStW 91 (1979) 354. Vertiefend zum „Right of Legal Assistance“ im Bereich des Völkerstrafrechts: Temminck Tuinstra Defence Counsel in International Criminal Law (2009) 13 ff. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 60; BGHSt 38 345 = NJW 1993 273 = NStZ 1993 79 = JR 1994 114 m. Anm. Beulke. EGMR Caka/ALB (Fn. 645), § 85 („while Article 6 § 3 (c) confers on everyone charged with a criminal offence the right to „defend himself in person or through legal assistance …“, it does not specify the manner of exercising this right. It thus leaves to the Contracting States the choice of the means of ensuring that it is secured
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a) Recht, sich selbst zu verteidigen. Das Recht, sich selbst zu verteidigen („right to defend himself in person“) 1798 folgt aus der Menschenwürde, die gebietet, den Beschuldigten (und ggf. späteren Angeklagten) als eigenverantwortliches Prozesssubjekt mit eigenen Verfahrensrechten zu behandeln. Dieses Recht hat der Beschuldigte grundsätzlich im gesamten Strafverfahren, es ist also, wie die übrigen Rechte der Absätze 3 beider Konventionen bestätigen, gerade nicht nur auf die Hauptverhandlung beschränkt. Der Beschuldigte ist daher von Beginn des Ermittlungsverfahrens an während des gesamten Verfahrens berechtigt, seine Verteidigung selbst zu führen und die dazu gehörenden Verteidigungsrechte selbst auszuüben. Er kann dies zwar grundsätzlich nur im Rahmen der dafür in den jeweiligen nationalen Verfahrensordnungen vorgesehenen Möglichkeiten. Diese werden aber daran gemessen, ob sie im ausreichenden Maße ein faires Verfahren mit den in den Konventionen garantierten Verteidigungsrechten, wie Anwesenheits-, Unterrichtungs- und Fragerechten wirksam ermöglicht haben. Dabei verstößt es jedenfalls nicht gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, wenn die Konventionsstaaten für die auf die Nachprüfung von Rechtsfragen beschränkten höheren Rechtsmittelinstanzen vorschreiben, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite stehen muss (vgl. §§ 345 Abs. 2 1. Alt., 350 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 StPO).1799 Wird der Beschuldigte auf sein eigenes Verteidigungsrecht verwiesen, weil sein Verteidiger wegen Differenzen, die auf einem angesonnenen standeswidrigen Verhalten beruhen, die Verteidigung niedergelegt hat, so liegt darin keine Verletzung der „Waffengleichheit“.1800 Das Gebot einer „effektiven Verteidigung“ kann jedoch in einer solchen Konstellation die Beiordnung eines (neuen) Verteidigers gebieten (vgl. Rn. 723). Einschränkungen des Selbstverteidigungsrechtes des Beschuldigten müssen stets durch 721 die Interessen der Rechtspflege, einschließlich des Schutzes des Beschuldigten, gerechtfertigt sein.1801 Zur Wahrung der Verfahrensfairness kann es genügen, wenn bestimmte Verteidigungsrechte nicht vom Beschuldigten in Person, sondern nur durch einen Verteidiger wahrgenommen werden können. Darauf gründet sich die Ansicht, dass die Konventionen dem Beschuldigten das Selbstverteidigungsrecht nur alternativ zur Verteidigung durch einen Verteidiger gewähren,1802 da beide Möglichkeiten in der Lage sind, ein insgesamt kontradiktorisches Verfahren zu sichern. Daher ist es nicht konventionswidrig, wenn der Beschuldigte, der einen Verteidiger wählt oder dem ein solcher bestellt wird, nach nationalem Recht in bestimmten Verteidigungsbefugnissen beschränkt ist, etwa im Recht, ausnahmslos an allen Phasen der Verhandlung selbst teilnehmen zu können.1803 Es bedeutet aber nicht, dass er durch eine solche Einschränkung die Befugnis verliert, auch insoweit selbst aktiv Gesichtspunkte zu seiner Verteidigung anzuführen.1804
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in their judicial systems, the Court’s task being only to ascertain whether the method they have chosen is consistent with the requirements of a fair trial.“); Quaranta/ CH, 24.5.1991, A 205, § 30 = ÖJZ 1991 745. Dazu SK/Rogall Vor § 133, 96 StPO; SK/Paeffgen 137. Vertiefend für den Bereich des Völkerstrafrechts: Temminck Tuinstra Defence Counsel in International Criminal Law (2009), 245 ff. EGMR Kulikowski/PL (Fn. 308), § 60; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 35; Arcinski/PL (Fn. 645), § 35; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 134.
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IK-EMRK/Kühne 539. Vgl. etwa EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D (Fn. 1678); EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); IK-EMRK/Kühne 538; für eine Einschränkbarkeit auch SK/Paeffgen 137. Vgl. EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D (Fn. 1678); IK-EMRK/Kühne 535. Partsch 165 unter Berufung auf EKMR. Vgl. US Supreme Court EuGRZ 1985 718: Recht auf Selbstverteidigung durch aufgezwungenen Anwalt nicht verletzt, solange Angeklagter die Freiheit behält, seine Verteidigung nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten; IK-EMRK/Kühne 537.
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Hier ist wie folgt zu unterscheiden: Aus der Sicht der Konventionen müssen die dort 722 gewährleisteten Verteidigungsrechte im nationalen Recht so geregelt werden, dass sie der Verteidigung insgesamt zustehen, sie müssen aber nicht notwendig alle dem Beschuldigten selbst eingeräumt sein. Bei der Nachprüfung eines abgeschlossenen Verfahrens durch den EGMR wird deshalb die behauptete Verletzung garantierter Verteidigungsrechte meist nur danach beurteilt, ob die Rechte der Verteidigung insgesamt so ausreichend wahrgenommen werden konnten,1805 dass der Beschuldigte ein faires Verfahren hatte. Das aus der Subjektstellung des Beschuldigten fließende Recht, sich selbst aktiv zu verteidigen und selbst alle aus seinem Recht auf Gehör folgenden Befugnisse wahrzunehmen, entfällt auch auf der Ebene der Konventionsverbürgungen nicht dadurch, dass ihm ein Verteidiger mit der gleichen Befugnis zur Seite steht.1806 Der Beschuldigte ist grundsätzlich nicht gehindert, vor Gericht seine Verteidigung aktiv zu führen, eventuell auch im Widerspruch zur Strategie seines Verteidigers, der seinerseits aber von Konventions wegen nicht verpflichtet ist, nur die Auffassung des Beschuldigten vorzutragen.1807 Im Übrigen ist es dem nationalen Recht nicht verwehrt, einzelne Verteidigungsrechte nur dem Verteidiger vorzubehalten, wie etwa das Akteneinsichtsrecht.1808 b) Notwendige („effektive“) Verteidigung. Einige Konventionsstaaten sehen vor, dass 723 dem Beschuldigten unter bestimmten Umständen zwingend ein Verteidiger zu bestellen ist (sog. notwendige Verteidigung, vgl. § 140 StPO). Der Beschuldigte kann darin eine Einschränkung des Rechts, sich selbst zu verteidigen, sehen. Für den EGMR folgt aber aus der Konvention kein Recht, sich stets selbst (also ohne Verteidiger) verteidigen zu können; vielmehr sollen die Konventionsstaaten ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK vorsehen können, dass der Beschuldigte in bestimmten Fällen die Unterstützung eines Verteidigers bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsinteressen erhalten muss.1809 Der EGMR erkennt an, dass die Rechtssysteme in den jeweiligen Konventionsstaaten immer komplizierter werden und dass der Verteidigerbeistand notwendig ist, um einen Ausgleich zu schaffen.1810 Es kann daher im Interesse der Rechtspflege von Konventions wegen geboten sein, dem (verteidigten wie unverteidigten) Beschuldigten gegen dessen Willen einen (weiteren) Verteidiger zu bestellen.1811 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Effektivität der Verteidigung sonst nicht gewährleistet wäre, was von den
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EGMR Imbrioscia/CH (Fn. 1511); Daud/P (Fn. 1583); vgl. dazu Weigend StV 2000 385; IK-EMRK/Kühne 539. Vgl. SK/Paeffgen 137. EKMR nach Frowein/Peukert 293; IK-EMRK/Kühne 539. IK-EMRK/Kühne 520, 537. EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 65 („Article 6 § 3 (c) guarantees that proceedings against the accused will not take place without an adequate representation for the defence, but does not give the accused the right to decide himself in what manner his defence should be assured. The decision as to which of the two alternatives mentioned in the provision should be chosen, namely the applicant’s right to defend himself in person or to be re-
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presented by a lawyer of his own choosing, or in certain circumstances one appointed by the court, depends upon the applicable legislation or rules of court.“). EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 29 („Given the sophistication of modern legal systems, many adults of normal intelligence are unable fully to comprehend all the intricacies and all the exchanges which take place in the courtroom: this is why the Convention, in Article 6 § 3 (c), emphasises the importance of the right to legal representation.“). EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 91; Esser 492 ff.; dazu ferner Trechsel 263 ff. Siehe auch die Reformüberlegungen von Graalmann-Scheerer StV 2011 696.
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Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig ist (Schwere des Tatvorwurfs1812; Alter bzw. intellektuelle Fähigkeiten des Beschuldigten; vgl. Rn. 738, 754). Wie sich das mit der in anderen Entscheidungen geäußerten Ansicht verträgt, alle Rechte des Art. 6 EMRK, insbesondere das Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers, seien im Prinzip verzichtbar,1813 ist ungeklärt.1814 Man kann die Rechtsprechung so deuten, dass es – angesichts des großen Spielraums, den die Konventionsstaaten bei der Ausgestaltung ihres Rechtssystems haben1815 – einerseits mit der EMRK vereinbar ist, wenn Staaten dem Willen des Beschuldigten Vorrang einräumen und einen Verzicht auf einen Rechtbeistand (grundsätzlich) zulassen. Andererseits folgt daraus nicht, dass die zwingende (und damit „aufgezwungene“) Beiordnung eines Verteidigers konventionswidrig sein muss.1816 Die Rechtslage beim IPBPR ist dagegen anders.1817 Das HRC hält die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten für paktswidrig.1818
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4. Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl. Das Recht auf einen Verteidiger1819 der eigenen Wahl wird in beiden Konventionen grundsätzlich garantiert, und zwar ebenfalls für das gesamte Verfahren, also auch bereits für das Ermittlungsverfahren.1820 Ge1812
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EGMR Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 58 („in particular where a deprivation of liberty is at stake, the interests of justice in principle call for legal representation.“); (GK) Benham/UK (Fn. 189), § 61. Etwa EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 47 („ni la lettre ni l’esprit de l’article 6 de la Convention n’empêchent une personne de renoncer de son plein gré à son droit de se voir assisté par un conseil commis d’office de manière expresse ou tacite (…). Pareille renonciation toutefois doit être non équivoque et ne se heurter à aucun intérêt public important.“); Raykov/BUL, 22.10. 2009, § 63; Caka/ALB (Fn. 645), § 86; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 90. Exemplarisch EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 91 („While the nature of some of the rights safeguarded by the Convention is such as to exclude a waiver of the entitlement to exercise them […], the same cannot be said of certain other rights […]. It is clear from the text of Article 6 § 3 (c) that an accused has the choice of defending himself either “in person or through legal assistance“. Thus, it will normally not be contrary to the requirements of this Article if an accused is self-represented in accordance with his own will, unless the interests of justice require otherwise.“). EGMR Raykov/BUL (Fn. 1813), § 65 („la Convention laisse aux Etats contractants une grande liberté dans le choix des moyens propres à permettre à leurs systèmes judiciaires de répondre aux
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exigences de l’article 6 tout en préservant leur efficacité.“); Sannino/I (Fn. 645), § 48; Rybacki/PL (Fn. 645), § 54; Samokhvalov/R (Fn. 568), § 56; Plonka/PL (Fn. 1466), § 33; Caka/ALB (Fn. 645), § 85; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 95 („while Article 6 § 3 (c) confers on everyone charged with a criminal offence the right to „defend himself in person or through legal assistance …“, it does not specify the manner of exercising this right. It thus leaves to the Contracting States the choice of the means of ensuring that it is secured in their judicial systems, the Court’s task being only to ascertain whether the method they have chosen is consistent with the requirements of a fair trial.“); Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 31. Trechsel 265. Zum IPBPR Nowak 60. Zur Problematik des aufgezwungenen Verteidigers vgl. SK/Paeffgen 137; LR/Lüderssen/Jahn § 140, 7 ff. StPO. Trechsel 266. HRC Michael u. Brian Hill/Spanien, 2.4.1997, 526/1993, § 14.2 („Michael Hill’s right to defend himself was not respected, contrary to article 14, paragraph 3(d), of the Covenant.“). Zu den historischen Vorläufern dürfte insbesondere das 6. Amendment zur US-Verfassung zählen, das jedem Beschuldigten das Recht auf einen Verteidiger garantiert. Etwa EGMR Quaranta/CH (Fn. 1797); Imbrioscia/CH (Fn. 1511); (GK) John
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Recht auf ein faires Verfahren
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meint ist die Garantie, die Verteidigung nicht selbst führen zu müssen, sondern auf anwaltliche Hilfe zurückgreifen zu können.1821 Der EGMR hält das Recht auf einen selbst gewählten Verteidiger trotz der herausragenden Bedeutung dieses (Teil-)Rechts für ein insgesamt faires Verfahrens nicht für absolut.1822 So ist es etwa mit der Konvention vereinbar, wenn die nationalen Prozessordnungen für das Auftreten als Verteidiger einen juristischen Abschluss verlangen.1823 Ferner kann das Recht dann eingeschränkt werden, wenn es um einen vom Staat zu bestellenden (und ggf. auch zu bezahlenden) Verteidiger geht. Zwar müssen die Gerichte bei der Auswahl eines zu bestellenden Verteidigers die Wünsche des Beschuldigten berücksichtigen, sie dürfen sich aber über sie hinwegsetzen, wenn es triftige Gründe dafür gibt.1824 Die inhaltliche Tragweite dieses Rechts, das in Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR noch durch 725 die ausdrückliche Garantie des Verkehrs mit dem Verteidiger der eigenen Wahl ergänzt wird, ist im Übrigen strittig. Der EGMR betont immer wieder, dass die unüberwachte Kommunikation mit dem Verteidiger (vor und auch während der Hauptverhandlung) zu den wichtigsten Elementen eines fairen Verfahrens gehört.1825 Ein Eingriff in dieses
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Murray/UK (Fn. 740); Pavlenko/R (Fn. 1471), § 98 („a person charged with a criminal offence who does not wish to defend himself in person must be able to have recourse to legal assistance of one’s own choosing.“); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41), § 99; Pakelli/D (Fn. 1640), § 31; ferner Grabenwarter § 24, 108; SK/Paeffgen 138. EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), § 32; Hanzevacki/KRO (Fn. 645), § 21 („A person charged with a criminal offence who does not wish to defend himself in person must be able to have recourse to legal assistance of his own choosing.“); Campbell u. Fell/UK (Fn. 41), § 99; Pakelli/D (Fn. 1640), § 31; Whitfield u.a./UK, 12.4.2005, § 48. EGMR Klimentyev/R (Fn. 527), § 116 („Whilst it is true that Article 6 §§ 1 and 3 (c) guarantee to everyone charged with a criminal offence the right to represent himself through legal assistance of his own choosing, this right […] is not absolute and may be subject to reasonable restrictions.“); ähnlich EGMR Kuralic´/KRO (Fn. 645), § 47 („although not absolute, the right of everyone charged with a criminal offence to be effectively defended by a lawyer, assigned officially if need be, is one of the fundamental features of a fair trial.“). EGMR Shabelnik/UKR (Fn. 645), § 39 („As to the applicant’s complaint about the domestic courts’ refusal to allow his mother to act as his additional (non-legal) representative during the judicial pro-
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ceedings, the Court recalls that the right to legal representation of one’s own choosing ensured by this provision is not of an absolute nature. The legal requirement for the defence counsel to hold a law degree is not in violation of the above provision.“). EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 66 („Notwithstanding the importance of a relationship of confidence between lawyer and client, the right to choose one’s own counsel cannot be considered to be absolute. It is necessarily subject to certain limitations where free legal aid is concerned and also where it is for the courts to decide whether the interests of justice require that the accused be defended by counsel appointed by them. When appointing defence counsel the national courts must certainly have regard to the defendant’s wishes. However, they can override those wishes when there are relevant and sufficient grounds for holding that this is necessary in the interests of justice.“); Popov/R (Fn. 645), § 171; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 98; Meyer-Ladewig 230. EGMR Golubev/R (E) (Fn. 1650; „although not absolute, the right of everyone charged with a criminal offence to be effectively defended by a lawyer is one of the fundamental features of a fair trial […]. Effective defence is impossible without the possibility for the accused to communicate with his lawyer out of hearing of third persons.“); Rybacki/PL (Fn. 645), § 56 („The right of the defendant to communi-
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Recht darf nur aus bestimmten Gründen erfolgen,1826 allerdings darf insgesamt gesehen die Verfahrensfairness nicht beeinträchtigt werden.1827 Einen Verstoß gegen das Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl hat der EGMR daher darin gesehen, dass das Gericht in Abwesenheit des vom Beschuldigten gewählten Verteidigers verhandelt hatte, obwohl dieser das Gericht darüber informiert hatte, dass er erkrankt sei.1828 Im Anwendungsbereich des § 137 StPO wirkt sich dies jedoch praktisch kaum aus.1829 Keine Einschränkung des Rechts auf einen Verteidiger der eigenen Wahl folgt bei sinn726 entsprechender Auslegung der Garantien beider Konventionen daraus, dass es nur alternativ neben dem Recht, sich selbst zu verteidigen, aufgezählt wird. Dies rechtfertigt nicht die Annahme, dass das nationale Recht kein Recht auf einen Verteidiger vorsehen müsse, wenn das Interesse der Rechtspflege dies nicht erfordert und der Beschuldigte in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. In missverstandener Verknüpfung der nur für die Beiordnung eines Verteidigers geltenden Einschränkung mit dem Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl hatten EKMR und EGMR zunächst diese Ansicht vertreten.1830 Nunmehr hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass der Beschuldigte ein uneingeschränktes Recht darauf hat, sich durch einen selbstgewählten Verteidiger (in der Regel ein Rechtsanwalt) verteidigen zu lassen, und dass nur der Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers davon abhängt, dass das Interesse der Rechtspflege dies erfordert.1831 Auch für Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR wird eine solche Einschränkung des Wahlrechts abgelehnt.1832
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cate with his advocate out of hearing of a third person is part of the basic requirements of a fair trial in a democratic society and follows from Article 6 § 3 (c). […] However, if a lawyer were unable to confer with his client and receive confidential instructions from him without such surveillance, his assistance would lose much of its effectiveness whereas the Convention is intended to guarantee rights that are practical and effective.“); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 97; S/CH (Fn. 1538), § 48. Zur „Privacy of Communications“ im Völkerstrafrecht: Temminck Tuinstra Defence Counsel in International Criminal Law (2009) 64 ff. EGMR Golubev/R (E) (Fn. 1650); Rybacki/PL (Fn. 645), § 56. EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 61 („Specifically, an accused’s right to communicate with his advocate out of hearing of a third person is part of the basic requirements of a fair trial in a democratic society and follows from Article 6 § 3 (c) of the Convention. If a lawyer were unable to confer with his client and receive confidential instructions from him without such surveillance, his assistance would lose much of its usefulness. (…) However, restrictions may be imposed on an
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accused’s access to his lawyer if good cause exists. The question, in each case, is whether the restriction, in the light of the entirety of the proceedings, has deprived the accused of a fair hearing.“). EGMR Hanzevacki/KRO (Fn. 645), §§ 24–29. Das durch § 137 StPO uneingeschränkt gewährleistete Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl wird als eine Konkretisierung der Verfassungsgarantie eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens verstanden, vgl. etwa BVerfGE 38 115; 39 165; 45 295; 63 390; 64 145; 65 175; 66 319 = NStZ 1984 561 mit Anm. Senge; Niemöller/ Schuppert AöR 107 (1982) 428. Vgl. etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 116; EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40) (Beschränkung der Verteidigung auf Rechtsfragen im militärischen Disziplinarverfahren); dazu Frowein/Peukert 293; Trifterer/Binner EuGRZ 1977 142; IK-EMRK/Kühne 535; SK/Paeffgen 138. EGMR Pakelli/D (Fn. 1640); ebenso jetzt auch: BGer EuGRZ 1984 160; Frowein/ Peukert 293; IK-EMRK/Kühne 540 ff.; Peukert EuGRZ 1980 247, 265; Trifterer/ Binner EuGRZ 1977 136, 147; SK/Paeffgen 134, 138 je m.w.N. Nowak 62.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Die Beiordnung eines (Pflicht-)Verteidigers kann nach nationalem Recht im weiteren Umfang vorgesehen sein als in den Konventionen. Diese schränken auch die Befugnis des Beschuldigten nicht ein, zusätzlich zum bestellten Pflichtverteidiger einen Verteidiger seiner Wahl beizuziehen. Er muss sich nicht damit begnügen, dass ein ihm aufgedrängter Verteidiger die Aufgabe übernommen hat.1833 Nur die Möglichkeit, sich durch einen Verteidiger der eigenen Wahl vertreten zu lassen, gewährleisten die Konventionen. Es ist Sache des Beschuldigten, ob er von ihr Gebrauch macht, wie er den Verteidiger auswählt und ob er ihn bezahlen kann;1834 desgleichen, ob der Wahlverteidiger für ihn auch tatsächlich effektiv tätig wird und dass er zu den anstehenden Terminen verfügbar ist.1835 Erreicht er dies nicht, muss er sich selbst verteidigen, sofern die Voraussetzungen für die Beiordnung eines (Pflicht-)Verteidigers bei ihm nicht gegeben sind. Ist der Wahlverteidiger also in der Hauptverhandlung trotz mehrfacher Vertagung wiederholt säumig und wird deshalb ohne ihn (aber in Gegenwart des Beschuldigten) verhandelt, geht das prinzipiell nicht zu Lasten des Konventionsstaates1836 (es sei denn, dass der Staat zum Eingreifen verpflichtet ist, weil der Beschuldigte unbedingt einen Verteidiger benötigt). Prinzipiell selbst verteidigen muss sich der Beschuldigte auch im Privatklageverfahren, wo der Beschuldigte auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit keinen Anspruch darauf hat, dass ihm Prozesskostenhilfe gewährt wird.1837 Unter den allgemeinen Voraussetzungen ist ihm allerdings ein Verteidiger zu bestellen (Rn. 723, 733 ff.). Das Tätigwerden des gewählten Verteidigers wird zwar nicht unbeschränkt garantiert.1838 Es stellt aber in jedem Fall einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK dar, wenn der gewählte Verteidiger dem Beschuldigten den Rat gibt, ein Geständnis zu widerrufen und zu schweigen, und der Verteidiger deswegen vom Verfahren ausgeschlossen wird, weil sein Verhalten für standeswidrig gehalten wird.1839 Weiter muss das Gericht grundsätzlich dem von den Konventionen gewährleisteten Recht auf einen Verteidiger der eigenen Wahl bei der Verfahrensgestaltung Rechnung tragen. Dies erfordert Rücksichtnahme auf etwaige Verhinderungen dieses Verteidigers schon bei der Terminsbestimmung,1840 es kann auch ein gewisses Zuwarten wegen einer möglichen Verspätung des Verteidigers gebieten;1841 es zwingt aber nicht notwendig bei jeder Verhinderung und jedem Ausbleiben des Verteidigers zu einer Vertagung,1842 andernfalls wäre einer Verschleppung des Verfahrens Tür und Tor geöffnet. Die Umstände des Einzelfalls sind dafür maßgebend, ob dem Recht auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger oder dem
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Nowak 60, 63 f. zur Praxis des HRC. Zu den Problemen der Kosten des aufgedrängten Pflichtverteidigers vgl. BVerfGE 66 313; ferner OLG Zweibrücken NJW 1991 264; Neumann NJW 1991 264; LR/Hilger § 464a, 47 StPO m.w.N. IK-EMRK/Kühne 546. IK-EMRK/Kühne 553. EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), §§ 35–37. BVerfGE 63 390; OLG Düsseldorf NStZ 1989 92; LR/Hilger § 379, 17 StPO m.w.N. EGMR Rybacki/PL (Fn. 645), § 54 („although not absolute, the right of everyone charged with a criminal offence
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to be effectively defended by a lawyer, assigned officially if need be, is one of the fundamental features of fair trial.“); Poitrimol/F (Fn. 345), § 34; Demebukov/ BUL (Fn. 645), § 50. EGMR Yaremenko/UKR (Fn. 1502). Vgl. etwa BGH StV 1989 89; 1999 524; BayObLGSt 1980 179 = VRS 76 (1989) 290; LR/Becker § 231, 15 ff. StPO; Nack FS G. Schäfer 46, 47. Zur Wartepflicht vgl. BVerfGE 65 171; LR/Becker § 228, 22 StPO. Vgl. auch SK/Paeffgen 145.
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Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR1843 Vorrang gebührt. Dabei sind neben Anlass und Dauer der Verhinderung und der Zeitpunkt ihrer Erkennbarkeit die Schwierigkeit und Bedeutung der Sache sowie die Fähigkeit des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, zu berücksichtigen.1844 Das Konventionsrecht des Beschuldigten ist dagegen verletzt, wenn das Gericht sich ohne triftigen Grund darüber hinwegsetzt, dass der Beschuldigte einen Verteidiger seines Vertrauens gewählt hat, etwa, wenn es in Abwesenheit dieses Verteidigers und des Beschuldigten nur mit einem bestellten Verteidiger die Verhandlung durchführt,1845 aber auch, wenn es einen gewählten Verteidiger, dem der Beschuldigte wegen Störung des Vertrauensverhältnisses das Mandat entzogen hatte, zum Pflichtverteidiger bestellt,1846 oder den Antrag des Beschuldigten auf Entpflichtung des Verteidigers ablehnt.1847 Allerdings ist nach Ansicht des EGMR Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK nicht verletzt, wenn der Beschuldigte in einem Verfahren aus einem wichtigen Grund 1848 nicht durch seinen Wahlverteidiger, sondern durch einen Pflichtverteidiger vertreten wird, dieser aber seine Arbeit sorgfältig erledigt. Ein Recht auf eine unbegrenzte Zahl von Wahlverteidigern kann aus der Gewähr732 leistung der freien Wahl nicht hergeleitet werden. Die Beschränkung der Zahl der gewählten Verteidiger (§ 137 Abs. 1 StPO) ist mit der Konvention vereinbar,1849 desgleichen die Befugnis des Staates, das Auftreten der Verteidiger vor Gericht gesetzlich an besondere Voraussetzungen zu binden und im Interesse der Rechtspflege besonderen Schranken, wie dem Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) 1850 oder den strafprozessualen Ausschließungsgründen (§§ 138a ff. StPO), zu unterwerfen.1851 Der Staat ist auch nicht gehindert, für das Auftreten der Verteidiger vor Gericht gewisse Ordnungsvorschriften aufzustellen.1852
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EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), § 38 („Bearing in mind also the authorities’ obligation under Article 6 § 1 of the Convention to conduct the proceedings „within a reasonable time“, the circumstances of the applicant’s representation during his trial do not disclose a failure to provide legal assistance as required by Article 6 § 3 (c ) of the Convention or a denial of a fair hearing under paragraph 1 of that provision.“). IK-EMRK/Kühne 544. Diesen Grundsätzen entspricht im Wesentlichen die Rechtsprechung bei Verhinderung eines nicht notwendigen Verteidigers, vgl. LR/Becker § 228, 21 ff. StPO; ferner etwa BayObLGSt 1988 179 = VRS 76 (1989) 290; ähnlich auch EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), §§ 35–38. EKMR nach IK-EMRK/Kühne 546; vgl. auch BGH StV 1999 524. BGH NStZ 2000 325; Nack FS G. Schäfer 46, 47.
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BGH NStZ 1993 600. EGMR Eurofinacom/F (E) (Fn. 680; „Néanmoins, malgré l’importance de relations confiantes entre avocat et client, ce droit n’a pas un caractère absolu: des « motifs pertinents et suffisants » tenant à l’intérêt de la justice peuvent fonder la désignation d’un défenseur contraire aux vœux de l’accusé.)“. EKMR Ensslin, Baader, Raspe/D (Fn. 1678); Frowein/Peukert 300; IK-EMRK/Kühne 546; Meyer-Goßner 20. Bei einer späteren Verfahrensverbindung muss das Gericht aber auch berücksichtigen, ob der Beschuldigte dadurch die Befugnis verliert, sich durch den von ihm gewählten Verteidiger vertreten zu lassen, vgl. BVerfG StV 2002 578; LR/Lüderssen/ Jahn § 146, 28 StPO m.w.N. IK-EMRK/Kühne 550. EKMR zum Tragen einer Robe; dazu Vogler ZStW 82 (1970) 777; 89 (1977) 788; IK-EMRK/Kühne 548.
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Recht auf ein faires Verfahren
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5. Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers a) Einordnung in den Gesamtkontext effektive Verteidigung. Das Recht auf unent- 733 geltliche Beiordnung eines Verteidigers wird – anders als das Recht auf einen Wahlverteidiger – in Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR nur eingeschränkt für den Fall garantiert, dass der Beschuldigte keine genügenden Mittel für einen Wahlverteidiger aufbringen kann und dass das Interesse der Rechtspflege die Beiordnung erfordert. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben sein.1853 Für bemittelte Beschuldigte folgt das Recht (ggf. auch der Zwang) auf Beiordnung 734 eines Verteidigers aus den Vorgaben zum Gebot einer effektiven Verteidigung (Rn. 723) – in der Regel mit der Folge, im Falle einer Verurteilung auch die entsprechenden Kosten übernehmen zu müssen. Der Gerichtshof betrachtet das Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers 735 nicht isoliert, sondern stellt es – wie jedes der Teilrechte des Art. 6 Abs. 3 EMRK – stets in den Gesamtzusammenhang des Anspruchs auf ein faires Verfahren.1854 Bei einem Beschuldigten, der nicht mittellos ist, sich aber keinen Verteidiger gewählt hat, schreiben die Konventionen, anders als §§ 140, 141 StPO, die Bestellung eines Verteidigers nicht explizit vor.1855 Eine entsprechende Pflicht kann sich aber aus den Grundsätzen zur Effektivität der Verteidigung (Rn. 723) ergeben. b) Verzicht. Auf das Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Verteidigers kann der 736 Beschuldigte – wie auf alle Rechte, die mit dem Recht auf ein faires Verfahren zusammenhängen – im Prinzip wirksam verzichten.1856 Allerdings muss der Verzicht eindeutig erklärt werden und freiwillig sein; darüber hinaus darf er wichtigen öffentlichen Interessen nicht zuwiderlaufen,1857 – insbesondere nicht den Interessen der Rechtspflege und dem Gebot einer effektiven Verteidigung (vgl. Rn. 723). Lehnt der Beschuldigte den für ihn bestellten Verteidiger ab, weil dieser nicht genügend Zeit zur Vorbereitung der Hauptverhandlung gehabt habe und er deswegen dessen Anwesenheit als reine Forma-
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EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 41; Raykov/BUL (Fn. 1813), § 57; Dzankovic/D (E) (Fn. 645); Shilbergs/R, 17.12.2009, § 120; Wersel/PL (Fn. 1764), § 43 („That provision attaches two conditions to this right. The first is lack of „sufficient means to pay for legal assistance“, the second is that „the interests of justice“ must require that such assistance be given free.“); KK-EMRK-GG/ Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 143; Demko HRRS-FG Fezer, 1, 7. EGMR Quaranta/CH (Fn. 1797), § 27 („the right of an accused to be given, in certain circumstances, free legal assistance constitutes one aspect of the notion of a fair trial in criminal proceedings.“); Artico/I (Fn. 522); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 94; Hovanesian/BUL (Fn. 645), § 30; Demko HRRS-FG Fezer 1, 5, 9 f. OLG Köln NJW 1991 2223; IK-EMRK/ Kühne 555.
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EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 47; Raykov/BUL (Fn. 1813), § 63; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 90. EGMR Shulepov/R (Fn. 645), § 33; Raykov/BUL (Fn. 1813), § 63; Sinichkin/R (Fn. 645), § 35 („a waiver of a right guaranteed by the Convention – in so far as it is permissible – must not run counter to any important public interest, must be established in an unequivocal manner and must be attended by minimum safeguards commensurate to the waiver’s importance […]. Before an accused can be said to have by implication, through his conduct, waived an important right under Article 6, it must be shown that he could reasonably have foreseen what the consequences of his conduct would be.“); (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 90.
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lität betrachtet, so wird das (zumal bei juristischen Laien) in der Regel nicht als ein Verzicht auf unentgeltliche Beiordnung eines (Pflicht-)Verteidigers zu deuten sein.1858 Auch dass der Beschuldigte in dieser Situation nicht nach einem anderen (Pflicht-)Verteidiger fragt bzw. um mehr Vorbereitungszeit bittet, kann nicht als ein Verzicht angesehen werden.1859
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c) Die Mittellosigkeit muss der Beschuldigte nachweisen; er muss dartun, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Verteidigerkosten nicht bestreiten kann.1860 Ist dies nicht bereits im Verfahren vor den nationalen Gerichten geschehen, weil es nach nationalem Recht für die Ablehnung der beantragten Bestellung eines (Pflicht-)Verteidigers darauf nicht ankam, so kann dies im Verfahren vor dem EGMR dargelegt werden, wobei dieser aber keine hohen Anforderungen an den nachträglichen Nachweis der Mittellosigkeit in dem für die Verteidigerbestellung maßgebenden früheren Zeitpunkt stellt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann es genügen, dass der Beschuldigte vor Gericht die Mittellosigkeit behauptet hatte.1861
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d) Im Interesse der Rechtspflege muss die Bestellung eines Verteidigers liegen. Dieser Begriff1862 umschließt sowohl das öffentliche Interesse an der Findung eines gerechten Urteils als auch die Wahrung des Verteidigungsinteresses des Beschuldigten. Beide überschneiden sich, da es auch im öffentlichen Interesse liegt, dass die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten, nicht zuletzt die ihn entlastenden Umstände, in einem kontradiktorischen und insgesamt fairen Verfahren sachkundig zur Sprache kommen und dass auch insoweit während des ganzen Verfahrens, also auch im Rechtsmittelverfahren,1863 die Waffengleichheit mit der Staatsanwaltschaft gewahrt ist.1864 Bei der Untersuchung der Frage, ob die Beiordnung eines unentgeltlichen Beistands im Interesse der Rechtspflege von Konventions wegen erforderlich gewesen ist, wendet der Gerichtshof verschiedene Kriterien an.1865 Diese lassen sich aber auf einen Grundgedanken zurückführen.
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EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 91 („the applicant is a lay person and has no legal training […]. He was unaware of Ms A.’s appointment and eventually refused her services for the very reason that he perceived her participation in the proceedings as a mere formality. He made his position known to the Supreme Court as best he could. The applicant should not be required to suffer the consequences of Ms A.’s passive attitude when one of the key elements of his complaint is precisely her passivity. Accordingly, the inaction of Ms A. cannot be regarded as a waiver.“). EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 92 („the applicant could not be expected to take procedural steps which normally require some legal knowledge and skills. The applicant did what an ordinary person would do in his situation: he expressed his dissatisfaction with the manner in which legal assistance was organised by the Supreme Court. In such circumstances,
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the applicant’s failure to formulate more specific claims cannot count as a waiver either.“). Vgl. etwa OLG Celle NJW 1989 676; aber auch IK-EMRK/Kühne 556, wonach die Spruchpraxis der EKMR und des EGMR nicht eindeutig erkennen lassen, welche Anforderungen sie an die Mittellosigkeit stellen. EKMR Pakelli/D, 7.5.1981; IK-EMRK/ Kühne 556. Vgl. IK-EMRK/Kühne 558 m.w.N.; vertiefend Demko HRRS-FG Fezer 1 ff. Nach Grabenwarter § 24, 111; SK/Paeffgen 153 differieren die Anforderungen zwischen dem erstinstanzlichen und dem Rechtsmittelverfahren; es dürfte vor allem aber auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles ankommen, ob auch im Rechtsmittelverfahren die Beiordnung des Verteidigers erforderlich ist. Vgl. EKMR Pakelli/D (Fn. 1861) (zu § 350 StPO); ferner EGMR Artico/I (Fn. 522); IK-EMRK/Kühne 561 f. EGMR Quaranta/CH (Fn. 1797), § 32.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Entscheidend ist stets, dass der Beschuldigte eine realistische Chance hat, sich effektiv 739 zu verteidigen.1866 Die vom Gerichtshof angeführten Kriterien müssen nicht unbedingt kumulativ vorliegen (wenngleich der Gerichtshof häufig mehrere Aspekte anführt, um das Interesse der Rechtspflege zu bejahen). Es kann – unter dem Gesichtspunkt, dass die Effektivität der Verteidigung gewährleistet sein muss – ausreichen, dass nur ein Kriterium erfüllt ist.1867 Das Interesse der Rechtspflege kann vor allem durch die Schwere der Strafe begründet werden, die dem Beschuldigten droht. Dabei kommt es nicht auf die Strafe an, die das Gericht vermutlich aussprechen würde, sondern auf das gesetzlich zulässige Höchstmaß.1868 Darüber hinaus kann es auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ankommen,1869 den Umfang des Verfahrens und dessen Bedeutung für den Beschuldigten, aber auch auf besondere, in seiner Person liegende Umstände, etwa die Minderjährigkeit oder Jugend des Beschuldigten.1870 Hat der Beschuldigte einen Freiheitsentzug zu erwarten (dazu gehört auch eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann), so gebietet in der Regel das Interesse der Rechtspflege die Bestellung eines Verteidigers.1871 Vor allem dürfen die Anforderungen und Belastungen des jeweiligen Verfahrens den 740 Beschuldigten in seiner Verteidigungsfähigkeit nicht überfordern. An diese sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr für ihn auf dem Spiel steht.1872 Aus der Tatsache allein, dass der Beschuldigte die Gerichtssprache nicht oder nicht ausreichend versteht, so dass ein Dolmetscher zuzuziehen ist, folgt nach der vorherrschenden Rechtsprechung nicht zwingend, dass ihm neben dem Dolmetscher zusätzlich ein Verteidiger
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EGMR R.D./PL, 18.12.2001, § 49 („There is, however, a primary, indispensable requirement of the „interests of justice“ that must be satisfied in each case. That is the requirement of a fair procedure before courts, which, among other things, imposes on the State authorities an obligation to offer an accused a realistic chance to defend himself throughout the entire trial. In the context of cassation proceedings, that means that the authorities must give an accused the opportunity of putting his case in the cassation court in a concrete and effective way.“); Gaede HRRS-FG Fezer 21, 44 f. Demko HRRS-FG Fezer, 1, 8. EGMR Quaranta/CH (Fn. 1797), § 33 („In the first place, consideration should be given to the seriousness of the offence of which Mr Quaranta was accused and the severity of the sentence which he risked. He was accused of use of and traffic in narcotics and was liable to „imprisonment or a fine“. […] By sentencing the applicant to six months’ imprisonment, the court did not reach this limit […]. The Court notes however that this was no more than an estimation; the imposition of a more severe
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sentence was not a legal impossibility. […] The maximum sentence was three years’ imprisonment. In the present case, free legal assistance should have been afforded by reason of the mere fact that so much was at stake.“). EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 43; Raykov/BUL (Fn. 1813), § 59; Demko HRRS-FG Fezer 1, 14 ff. EGMR Artico/I (Fn. 522); Granger/UK, 28.3.1990, A 174; Quaranta/CH (Fn. 1797); Pham Hoang/F (Fn. 344); Grabenwarter § 24, 106; IK-EMRK/Kühne 558; Meyer-Ladewig 234; SK/Paeffgen 153; Demko HRRS-FG Fezer 1, 18. EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 43 („Il convient de rappeler sur ce point que lorsqu’une privation de liberté se trouve en jeu, les intérêts de la justice commandent en principe d’accorder l’assistance d’un avocat.“); Raykov/BUL (Fn. 1813), § 59; Katritsch/F, 4.11.2010, § 31;Quaranta/CH (Fn. 1797), §§ 32–34; (GK) Benham/UK (Fn. 189), §§ 60–61; Demko HRRS-FG Fezer 1, 13. EGMR Pham Hoang/F (Fn. 344); IK-EMRK/Kühne 558.
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beizuordnen ist;1873 bei der stets notwendigen Prüfung aller Umstände fällt allerdings die Beeinträchtigung der Verteidigungsfähigkeit durch die unzureichenden Sprachkenntnisse und die unzureichende Einsicht in die Zusammenhänge mit ins Gewicht.1874 Jedoch kann auch in solchen Fällen die Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung im Ergebnis verneint werden, wenn die Behauptung des Beschuldigten, die Gerichtssprache nicht zu beherrschen, insgesamt wenig glaubhaft ist.1875 Kann der Beschuldigte den Akteninhalt nicht selbst erfassen, so ist ihm zur Wahrung 741 der Rechte aus Art. 6 Abs. 3 EMRK ein Verteidiger zu bestellen.1876 Bei Bagatellsachen (ein Begriff, der allerdings schwer mit einem fragmentarischen Strafrecht vereinbar scheint) fordert das Interesse der Rechtspflege die Beiordnung eines Verteidigers in der Regel nicht.1877
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e) Der Gerichtshof hat in jüngeren Entscheidungen herausgestellt, dass die Kriterien, die für ihn in der ersten Instanz maßgeblich sind, auch in Rechtsmittelinstanzen Geltung beanspruchen.1878 Das Interesse der Rechtspflege verlangt die Beiordnung eines Verteidigers, wenn das Rechtsmittelgericht den Fall in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht überprüfen kann, die Tatvorwürfe gegen den Beschuldigten erheblich sind (dazu soll auch die rechtliche Komplexität der Materie zählen1879) und die Strafe, die der Beschuldigte zu erwarten hat, hoch ist.1880 Ist die Bestellung eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich, muss diesem auch Gelegenheit gegeben werden, die Verteidigung effektiv zu führen.1881 Allein der Akt der Bestellung eines Verteidigers genügt den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht.1882
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f) Zur Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe (Art. 35 Abs. 1 EMRK) gehört grundsätzlich, dass der Beschuldigte einen entsprechenden Antrag auf Bestellung eines Verteidigers stellt. Andererseits fällt die Bestellung eines zur Wahrung der Verfah-
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BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit Anm. Tag (auf Vorlage OLG Oldenburg gegen BayObLG StV 1990 103); Basdorf GedS Meyer 19, 31. Strittig, vgl. BVerfGE 64 135, 150; ferner etwa OLG Düsseldorf NJW 1989 667; KG NStZ 1990 402; OLG Hamm NStZ 1990 143; StV 1995 64; OLG Köln NJW 1991 2223; OLG Koblenz MDR 1994 1137; anders BayObLG StV 1990 103; KG StV 1985 185; StV 1986 239; OLG Zweibrücken StV 1988 379; NStZ 1990 51 je m.w.N. Vgl. ferner IK-EMRK/Kühne 559 und zur Auslegung des § 140 StPO LR/Lüderssen/Jahn § 140, 96 ff. StPO. EGMR Barsom u. Varli/S (E) (Fn. 192). LG Hildesheim Beschl. v. 9.11.2007 – 12 Qs 57/07, StV 2008 132 (Lese- und Rechtschreibschwäche – Legasthenie). BGHSt 46 178; OLG Hamm StV 1995 64; Hilger Anm. zu KG NStZ 1990 405; Nowak 62. EGMR Shulepov/R (Fn. 645); Shilbergs/R (Fn. 1853).
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EGMR Shilbergs/R (Fn. 1853), § 122 („the legal issues in his criminal case were of particular complexity, involving determination of the constituent elements of a number of aggravated criminal offences, assessment of the degree of liability of several co-defendants, including their level of personal culpability, establishment of a variety of mitigating and aggravating circumstances and examination of the negative of the defences raised.“). EGMR Talat Tunç/TRK (Fn. 1501), § 62; Shulepov/R (Fn. 645), § 32; Grigoryevskikh/R (Fn. 645), § 91; Shilbergs/R (Fn. 1853), § 121; Sinichkin/R (Fn. 645), § 34. EGMR Wersel/PL (Fn. 1764), § 50 („In the context of cassation proceedings, … the authorities must give an accused the opportunity of putting his case before the cassation court in a concrete and effective way.“). EGMR Marcello Viola/I (Fn. 1644), § 60; Caka/ALB (Fn. 645), § 85.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
rensfairness notwendigen Verteidigers in den Verantwortungsbereich des Gerichts. Nach den Konventionen ist für die Bestellung eines Verteidigers weder die Zustimmung noch die Anhörung des Beschuldigten erforderlich. Es wird daher regelmäßig einen Konventionsverstoß darstellen, wenn das Gericht keinen Verteidiger bestellt, obwohl die Voraussetzungen, die die Konvention aufstellt, erfüllt sind – auch ohne einen entsprechenden Antrag des Beschuldigten.1883 g) Das Gericht soll zwar bei der Auswahl des Verteidigers Rücksicht auf die Wünsche 744 des Angeklagten nehmen, ein Recht, die Auswahl selbst zu bestimmen, hat er aber nicht.1884 Im Interesse der Rechtspflege kann das Gericht bei Vorliegen sachlicher Gründe auch einen anderen Verteidiger als den vom Beschuldigten gewünschten bestellen.1885 Hat der Beschuldigte bereits einen Wahlverteidiger, ergibt sich aus den Konventionen kein Anspruch darauf, dass dieser Wahlverteidiger auch zum (Pflicht-)Verteidiger bestellt wird, selbst wenn gegen den Beschuldigten wegen Mordes ermittelt wird.1886 Der Beschuldigte hat prinzipiell keinen Anspruch darauf, einen Anwalt mit beson- 745 derer Sachkunde zugeteilt zu bekommen, so dass die Verteidigung auch weniger qualifizierten Personen nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts übertragen werden kann, wie etwa nach § 142 Abs. 2 StPO einem Gerichtsreferendar.1887 Maßstab und Grenze für die Einhaltung des Fairnessgebotes ist aber auch hier stets die Effektivität der Verteidigung. Grundsätzlich keinen Konventionsverstoß stellt es dar, wenn der bestellte Verteidiger 746 sich nach gewissenhafter Prüfung des Falles mangels Erfolgsaussichten weigert, dem Wunsch des Beschuldigten zu entsprechen und ein Rechtsmittel einzulegen. Aus der Konvention lässt sich in dieser Situation kein Anspruch auf Bestellung eines anderen Verteidigers ableiten.1888 Ein Konventionsverstoß kann sich allerdings je nach Einzelfall aus einer Verletzung von Hinweispflichten ergeben.1889 Maßstab muss allerdings auch hier stets sein, dass die Effektivität der Verteidigung insgesamt nicht in Frage gestellt wird. h) Aus der Bestellung eines Verteidigers erwächst den zuständigen staatlichen Stellen 747 eine gewisse Überwachungspflicht.1890 Sie müssen nötigenfalls durch geeignete Maßnahmen (Ermahnungen, Abberufung) dafür sorgen, dass der Verteidiger die ihm übertragene Aufgabe auch tatsächlich wahrnimmt, da der Beschuldigte andernfalls trotz der Bestel-
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EGMR Padalov/BUL (Fn. 645), § 54 („Certes, les obstacles à l’exercice effectif des droits de la défense auraient pu être surmontés si les autorités internes, conscientes des difficultés du requérant, avaient adopté un comportement plus actif visant à s’assurer que l’intéressé savait qu’il pouvait demander la désignation d’un avocat commis d’office.“); Sinichkin/R (Fn. 645), § 43 („corresponding obligation on the part of the court to verify in each individual case whether it is lawful to proceed with the hearing in the absence of legal counsel for the accused. […] It had been incumbent on the appeal court to verify whether there had been a valid waiver of legal assistance by the applicant
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and, if there was none, to appoint a lawyer.“). EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 66; Frowein/Peukert 304; IK-EMRK/Kühne 563 ff.; Meyer-Goßner 20; vgl. ferner die Nachweise bei Nowak 64. Für die StPO vgl. LR/Lüderssen/Jahn § 142, 12 f. StPO. EGMR Croissant/D, 25.9.1992, A 237-B = EuGRZ 1992 542 = ÖJZ 1993 211. EGMR Dzankovic/D (E) (Fn. 645). IK-EMRK/Kühne 564. EGMR Kulikowski/PL (Fn. 308), § 68; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 43. EGMR Kulikowski/PL (Fn. 308), §§ 69 ff.; Antonicelli/PL (Fn. 308), §§ 44 ff.; Arcinski/PL (Fn. 645), §§ 40 f. Meyer-Ladewig 237.
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lung ohne den erforderlichen (effektiven) Beistand bleibt.1891 Wer die zur Überwachung der Verteidigung berufenen „competent national authorities“ sind, bestimmt grundsätzlich das nationale Recht. Der EGMR meint damit vorrangig Gerichte und Strafverfolgungsbehörden; nicht per se ausgeschlossen ist damit allerdings, dass auch eine Selbstverwaltungsorganisation der Anwaltschaft, wie etwa eine Anwaltskammer,1892 vom nationalen Recht zur Kontrolle berufen wird. Da aber weder der vom Beschuldigten gewählte noch der ihm bestellte Verteidiger als 748 Organ des Staates angesehen werden können,1893 ist die Führung des Strafverfahrens im Wesentlichen eine Angelegenheit zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger.1894 Der Verteidiger führt die Verteidigung grundsätzlich unabhängig vom Staat1895 nach seinem eigenen pflichtgemäßen Ermessen.1896 Fehler der Verteidigung können einem Konventionsstaat daher grundsätzlich nicht zugerechnet werden.1897 Die staatlichen Stellen sind deshalb weder berechtigt noch verpflichtet, stets und sofort einzugreifen, wenn sie ein Verhalten des Pflichtverteidigers oder Wahlverteidigers1898 als unzureichend oder fehlerhaft ansehen.
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EGMR Artico/I (Fn. 522); Goddi/I (Fn. 1373); Frowein/Peukert 305; IK-EMRK/Kühne 567 f.; Villiger 521; vgl. auch ÖVerfGH EuGRZ 1983 20; BGH NJW 1993 340 (Verteidigungsrechte verletzt, wenn Pflichtverteidiger sie faktisch nicht mehr wahrnimmt); zur Kontrolle der Mindeststandards einer Pflichtverteidigung: BGH StraFo 2009 107; vgl. auch: US Supreme Court Strickland v. Washington, 466 U.S. 688, 686 (1984): „representation that does not fall below an objective standard of reasonableness in light of prevailing professional norms“; David Bobby v. Robert J. van Hook, 78 U.S. Law Week 4001; Bogumil/P (Fn. 645), § 49 („Les circonstances de la cause commandaient à la juridiction de ne pas demeurer passive et d’assurer le respect concret et effectif des droits de la défense du requérant.“); Daud/P (Fn. 1583), § 42. Vgl. hierzu: OGH ÖJZ 2011 370. EGMR Arcinski/PL (Fn. 645), § 31 („the responsibility of the Contracting Parties is incurred by the actions of their organs. A lawyer, even if officially appointed, cannot be considered to be an organ of the State.“). EGMR Pavlenko/R (Fn. 1471), § 99 („It follows from the independence of the legal profession from the State that the conduct of the defence is essentially a matter between the defendant and his counsel, whether appointed under a legal-aid scheme or privately financed.“);
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Katritsch/F (Fn. 1871), § 29 („De l’indépendance du barreau par rapport à l’Etat il découle que la conduite de la défense appartient pour l’essentiel à l’accusé et à son avocat, commis au titre de l’aide judiciaire ou rétribué par son client.“). EGMR Sannino/I (Fn. 645), § 49; Arcinski/PL (Fn. 645), § 31. EGMR Artico/I (Fn. 522), § 36; Daud/P (Fn. 1583), § 38; Tuzinski/PL (E), 30.3. 1999; Rutkowski/PL (E), 19.10.2000, ECHR 2000-XI; Bogumil/P (Fn. 645), § 46 („On ne saurait pour autant imputer à un Etat la responsabilité de toute défaillance d’un avocat d’office. De l’indépendance du barreau par rapport à l’Etat il découle que la conduite de la défense appartient pour l’essentiel à l’accusé et à son avocat, commis au titre de l’aide judiciaire ou rétribué par son client.“); Kulikowski/PL (Fn. 308), § 56; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 31; Ebanks/UK (Fn. 645), § 72; Villiger 524. EGMR Mayzit/R (Fn. 645), § 67; Sannino/I (Fn. 645), § 49; Timergaliyev/R (Fn. 1654), § 59; Güveç/TRK (Fn. 1654), § 130; Arcinski/PL (Fn. 645), § 31; Ebanks/UK (Fn. 645), § 72; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 99 („Nevertheless, a State cannot be held responsible for every shortcoming on the part of a lawyer appointed for legal-aid purposes.“). A.A. offenbar KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 141.
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Art. 14 IPBPR
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder auch das Tätigwerden eines Wahlverteidi- 749 gers allein stellt allerdings noch nicht die von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK geforderte Effektivität der Verteidigung sicher.1899 Daher müssen staatliche Stellen ausnahmsweise eingreifen („required to intervene“),1900 wenn sie von einem gravierenden Mangel der Verteidigung unterrichtet werden oder dieser offenkundig ist,1901 etwa dergestalt, dass ein minderjähriger Beschuldigter wegen des Versagens des Verteidigers wesentliche Verfahrensrechte endgültig einbüßt,1902 wenn der Betroffene ein ihm an sich zustehendes Rechtsmittel verliert, weil der für ihn bestellte Verteidiger eine einfache Formvorschrift nicht beachtet,1903 oder weil für das Gericht offensichtlich ist, dass der bestellte Verteidiger untätig bleibt.1904 Fehler des Gerichts in dieser Beziehung werden nicht dadurch unbeachtlich, dass der 750 Beschuldigte es versäumt, dem Mangel abzuhelfen, beispielsweise durch Rücksprache mit dem Gericht oder seinem Pflichtverteidiger.1905 Das gilt sinngemäß auch für den bestellten Verteidiger selbst.1906
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EGMR Sannino/I (Fn. 645), § 48 („the Convention is designed to „guarantee not rights that are theoretical or illusory but rights that are practical and effective“ and that assigning a counsel does not in itself ensure the effectiveness of the assistance he may afford an accused.“); Bogumil/P (Fn. 645), § 46; Arcinski/PL (Fn. 645), § 32; Kuralic´ /KRO (Fn. 645), § 47; Caka/ALB (Fn. 645), § 85; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 99; Katritsch/F (Fn. 1871), § 29; (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 95; Imbrioscia/CH (Fn. 1511), § 38; Artico/I (Fn. 522), § 33; Orlov/R, 21.6.2011, § 108 („Assigning counsel does not in itself ensure the effectiveness of the assistance counsel may provide to his client. Nevertheless, a State cannot be held responsible for every shortcoming on the part of a lawyer appointed for legal-aid purposes. It follows from the independence of the legal profession from the State that the conduct of the defence is essentially a matter between a defendant and his counsel, whether appointed under a legal-aid scheme or private financed. The competent national authorities are required under Article 6 § 3 (c) to intervene only if a failure by legal-aid counsel to provide effective legal assistance is manifest or sufficiently brought to their attention in another way.“; Verletzung von Art. 6 Abs. 1, 3 lit. b, c). EGMR Balliu/ALB (Fn. 645), § 33; Kulikowski/PL (Fn. 308), § 57; Antonicelli/PL (Fn. 308), § 32; Arcinski/PL (Fn. 645), § 31; Ebanks/UK (Fn. 645), § 73.
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EGMR Sannino/I (Fn. 645), § 49 („The competent national authorities are required under Article 6 § 3 (c) to intervene only if a failure by legal-aid counsel to provide effective representation is manifest or sufficiently brought to their attention in some other way.“); Bogumil/P (Fn. 645), § 46; Pavlenko/R (Fn. 1471), § 99; Katritsch/F (Fn. 1871), § 29; Daud/P (Fn. 1583), § 38; Kamasinski/A (Fn. 1378), § 65; Huseyn u.a./ASE (Fn. 1511), § 180; OGH ÖJZ 2011 370. EGMR Güveç /TRK (Fn. 1654), §§ 130 ff. Meyer-Ladewig 237. EGMR Artico/I (Fn. 522); Daud/P (Fn. 1583); Czekalla/P, 10.10.2002, ECHR 2002-VIII = NJW 2003 1229; Bogumil/P (Fn. 645). Vgl. zu einem (möglichen) Verstoß gegen das 6. Amendment der US-Verfassung infolge einer anwaltlichen Falschberatung die Supreme Court-Entscheidung Jose Padilla v. Kentucky, 78 U.S. Law Week 4235, vgl. DAJV Newsletter 2010 192, 193 f. EGMR Sannino/I (Fn. 645), § 51 („the Court considers that the applicant’s conduct could not of itself relieve the authorities of their obligation to take steps to guarantee the effectiveness of the accused’s defence. The above-mentioned shortcomings of the court-appointed lawyers were manifest, which put the onus on the domestic authorities to intervene.“). EGMR Bogumil/P (Fn. 645).
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Auch die offensichtliche Unfähigkeit, die übernommene Aufgabe auszuüben, kann ein Eingreifen des Staates zur Sicherung des fairen Verfahrens und des von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR garantierten Rechts auf effektive Verteidigung von Konventions wegen erfordern.1907 Da der Verteidiger grundsätzlich die Verteidigung in eigener Verantwortung führt, reichen dafür in der Regel Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Beschuldigten oder die Behauptung von Qualitätsmängeln der Verteidigung allein nicht aus.1908 Ein Konventionsverstoß kann auch darin liegen, dass dem Beschuldigten in der Tatsacheninstanz gegen seinen ausdrücklichen Willen eine bestimmte Verteidigungsstrategie aufgezwungen worden ist und die Rechtsmittelgerichte dann eine erneute Beweisaufnahme willkürlich verweigern.1909
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i) Unentgeltlichkeit des Beistands durch einen Pflichtverteidiger bedeutet, dass der Beschuldigte von allen daraus erwachsenden Kosten während des Verfahrens freigestellt ist. Strittig ist, ob diese Freistellung endgültig oder nur vorläufig ist, ob der Staat die ihm daraus erwachsenen Auslagen im Falle einer Verurteilung dann ersetzt verlangen kann, wenn der Verurteilte nicht mehr mittellos ist.1910 Da die Unentgeltlichkeit hier, anders als bei der Zuziehung eines Dolmetschers (vgl. Rn. 828 ff.), nur bei Mittellosigkeit garantiert wird, vertritt die vorherrschende Meinung die Ansicht, dass die Konventionen die Verurteilung zum Ersatz dieser Auslagen und – sofern der Beschuldigte dann nicht mehr mittellos ist – auch deren spätere Beitreibung nicht ausschließen.1911 Wird dem Beschuldigten neben dem von ihm gewählten Verteidiger nach § 141 StPO zusätzlich von Amts wegen zur Sicherung der Interessen der Rechtspflege, etwa um Verfahrensverschleppungen zu verhindern, ein weiterer Verteidiger bestellt, ist strittig, ob die Konventionen ausschließen, dass dann von ihm der Ersatz der Kosten des ihm gegen seinen Willen aufgedrängten zusätzlichen Verteidigers verlangt werden kann.1912 Ein weiterhin mittelloser Verurteilter darf allerdings in keinem Fall später zu den Kosten herangezogen werden;1913 insoweit genügt es aber, wenn sichergestellt ist, dass bei Mittellosigkeit nicht vollstreckt wird.1914
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EGMR Staroszczyk/PL (Fn. 320), § 122 (Zivilrecht); Villiger 521. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Imbrioscia/CH (Fn. 1511); IK-EMRK/Kühne 539; Frowein/Peukert 306; vgl. auch MeyerLadewig 47 f., 236 f. EGMR Ebanks/UK (Fn. 645) (der EGMR hat eine Verletzung von Art. 6 EMRK im konkreten Fall allerdings verneint). Frowein/Peukert 307; IK-EMRK/Kühne 569 ff.; Meyer-Goßner 21; ferner LR/Hilger 25 § 464a, 3 StPO m.w.N. zum Streitstand. Dazu vor allem IK-EMRK/Kühne 569 ff.; SK/Paeffgen 153; ferner EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 422; StV 1985 89; EuGRZ 1992 542; BVerfG NJW 2003 196; OLG Düsseldorf NStZ 1984 283; OLG Hamm NStZ 1990 143; NStZ-RR 2000 160; wistra 2000 240; OLG München
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NJW 1981 534; OLG Stuttgart Justiz 1984 309; OLG Zweibrücken MDR 1990 175; Meyer-Goßner 21; Meyer-Ladewig 233 und zur Gegenmeinung OLG Düsseldorf NStZ 1982 339; 1985 370 m. abl. Anm. Schikora; Art. VII Abs. IX lit. e Nato-Truppenstatut verweist wegen der Gebührenermäßigung des Pflichtverteidigers auf die im Aufnahmestaat geltenden Bedingungen. Zulässig nach EGMR Croissant/D (Fn. 1885) mit abl. Anm. Kühne; EKMR bei Strasser EuGRZ 1992 280; OLG Zweibrücken StV 1990 363 mit abl. Anm. Beulke, dagegen auch Neumann NJW 1991 266; Meyer-Goßner 21; SK/Paeffgen 150; vgl. LR/Lüderssen/Jahn § 141, 45 StPO; LR/Hilger § 464a, 47 StPO. Meyer-Ladewig 233. Peukert EuGRZ 1980 247, 276; IK-EMRK/ Kühne 570; Meyer-Goßner 21.
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j) Inhaltlich gesehen orientieren sich die Tätigkeit und die damit verbundenen Rechte 753 eines bestellten Verteidigers an den Vorgaben zum Wahlverteidiger (Rn. 731). So hat der Beschuldigte einen Anspruch darauf, dass auch die Kommunikation mit dem für ihn bestellten Pflichtverteidiger ohne staatliche Überwachung stattfinden kann.1915 k) Der gebotene Zeitpunkt der Bestellung richtet sich ebenfalls nach den Interessen 754 der Rechtspflege, d.h. letztlich nach der gebotenen Effektivität der Verteidigung (vgl. Rn. 738).1916 6. Belehrung über das Recht auf einen Verteidiger. Die Belehrung über das Recht auf 755 einen Verteidiger schreibt nur Art. 14 Abs. 3 lit. d IPBPR und nur für den Fall vor, dass ein Beschuldigter noch keinen Verteidiger gewählt hat. Nach der Satzstellung bezieht sich diese Unterrichtungspflicht lediglich auf die Möglichkeit, dass er mit seiner Verteidigung einen Verteidiger seiner Wahl beauftragen kann, nicht aber darauf, dass ihm andernfalls bei Mittellosigkeit ein Verteidiger von Amts wegen bestellt werden muss, sofern das Interesse der Rechtspflege dies erfordert. Es kann aber zweckmäßig sein, bei einem erkennbar mittellosen Beschuldigten auch diese Möglichkeit anzusprechen. Der gebotene Zeitpunkt der Belehrung und die Stelle, die sie vorzunehmen hat, wer- 756 den nicht näher festgelegt. Da die Unterrichtung der Vorbereitung der Verteidigung dient, muss sie so rechtzeitig vor der Hauptverhandlung vorgenommen werden, dass bei der Wahl eines Verteidigers die Frist von lit. b gewahrt und gegebenenfalls auch gesichert ist, dass der Verteidiger ggf. das Fragerecht des Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) ausüben kann, wenn Belastungszeugen vernommen werden, die in der Hauptverhandlung eventuell nicht mehr verfügbar sind (Rn. 795). Das nationale Recht hat hier einen gewissen Gestaltungsspielraum. Allerdings kann sich nach Auffassung des EGMR nach den Umständen des Einzel- 757 falles auch direkt aus der EMRK, also ohne dass das nationale Recht eine Belehrungspflicht vorsieht, ein Recht des Beschuldigten auf eine Belehrung schon vor der ersten Vernehmung ergeben, wenn der Beschuldigte erkennbar schutzbedürftig und der Tatvorwurf schwer ist (vgl. Rn. 602).1917 Wenn die StPO (vgl. insbesondere §§ 136 Abs. 1; 163a Abs. 3, 4 StPO) diese Belehrung der ersten Einvernahme des Beschuldigten voranstellt, trägt sie diesem Erfordernis Rechnung.1918
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EGMR (GK) Sakhnovskiy/R (Fn. 1538), § 97 („An accused’s right to communicate with his lawyer without the risk of being overheard by a third party is one of the basic requirements of a fair trial in a democratic society and follows from Article 6 § 3 (c) of the Convention. […] If a lawyer were unable to confer with his client and receive confidential instructions from him without such surveillance, his assistance would lose much of its usefulness, whereas the Convention is intended to guarantee rights that are practical and effective.“); Castravet/MOL, 13.3.2007, § 49. Siehe hierzu: OLG Oldenburg NJW 2009 3044; hierzu: Kröpil Jura 2010 765 zur
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Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren. EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440): Gegen den Beschuldigten wurde wegen Mordes und Raubes ermittelt. Der Beschuldigte war zum Zeitpunkt der Vernehmung noch minderjährig und vor der Einvernahme von seinem Vater getrennt worden; Adamkiewicz/PL (Fn. 426; § 88: „La Cour observe en effet qu’en l’espèce, il n’apparaît pas que les autorités aient elles-mêmes, avant de l’interroger, informé d’une manière quelconque le requérant de son droit de garder le silence et de consulter un avocat avant toute déclaration.“). SK/Rogall Vor § 133, 98 StPO; vgl. im Übrigen LR/Gleß § 136, 28 StPO.
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XIV. Befragung von Zeugen, Ladung von Entlastungszeugen (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR) 758
1. Allgemeine Grundsätze. Bestimmte Regeln über die Zulässigkeit und die Verwendung von Beweisen stellen die Konventionen auch im Bereich des Zeugenbeweises nicht auf. Sie fordern auch hier nur, dass insgesamt ein faires Verfahren gewahrt ist, das den Verteidigungsrechten einschließlich der Waffengleichheit bei der Ausübung der Verfahrensbefugnisse Rechnung trägt. 759 Das Recht des Beschuldigten (und späteren Angeklagten), Belastungszeugen zu befragen und Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie Belastungszeugen zu laden und vernehmen zu lassen, gewähren beide Konventionen übereinstimmend.1919 Sie sehen darin einen spezifischen Aspekt des durch Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR gewährleisteten fairen Verfahrens. Diese Garantie soll sichern, dass der Beschuldigte bei der für seine Verteidigung besonders wichtigen Beweiserhebung die gleichen Befugnisse wie die Anklagevertretung hat.1920 760 Die von den Vorstellungen des angelsächsischen Parteiprozesses bestimmte Wortwahl 1921 stellt hier das Prinzip der Waffengleichheit (Chancengleichheit) für den Personalbeweis besonders heraus1922 und legt der Befugnis der Verteidigung, belastende Zeugenaussagen selbst hinterfragen zu können, besonderes Gewicht für ein faires Verfahren bei.1923 Überträgt man diesen Grundgedanken auf den vom Amtsermittlungsgrundsatz bestimmten kontinentalen Strafprozess, dann gehört auch dort zum fairen Verfahren, dass der Beschuldigte bei der Ausschöpfung der persönlichen Beweismittel und bei der Prüfung des Wahrheitsgehaltes der Aussagen eines Zeugen grundsätzlich die gleichen Befugnisse haben muss wie die Staatsanwaltschaft. 761 Bei der Auslegung der formellen Regelung der Konventionen, die auf materielle Kriterien für den Anspruch auf Beweiserhebung verzichtet,1924 steht deren erkennbare Ziel-
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Dieses Recht wird auch in Art. 18 Abs. 7 des deutsch-sowjetischen Truppenvertrags v. 12.10.1990 (BGBl. 1991 II S. 289) fast wortgleich mit Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR besonders angesprochen, während Art. 7 Abs. IX lit. c, d des Nato-Truppenstatuts eine teils engere, teils weitergehende Fassung (insbes. Gegenüberstellung) haben. Vgl. etwa EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580); vgl. auch HRC Khuseynova u.a./Tadschikistan 1263/2004, 1264/2004, § 8.5. IK-EMRK/Kühne 577; vgl. Sixth Amendment zur Verfassung der USA („In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right … to be confronted with the witnesses against him“), dazu und zur Rechtslage in England: Spencer 1 ff.; Dörr 42 ff.; Beulke FS Rieß 3, 6; vgl. auch Gollwitzer GedS Meyer 151. Zur Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR in England vgl. Spencer 51 ff. Vgl. EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Bönisch/A (Fn. 522); vgl. auch EKMR
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bei Strasser EuGRZ 1985 627; Frowein/ Peukert 308; Guradze 35; IK-EMRK/ Kühne 577; SK/Paeffgen 154. Vgl. BGer EuGRZ 1979 296; 1980 247; für den IPBPR Hofmann 39; Nowak 65. Ferner auch Peukert EuGRZ 1980 247; 255 (Waffengleichheit aber nicht verletzt, wenn Staatsanwalt den Zeugen unmittelbar fragen darf, während der Angeklagte seine Fragen über den Richter stellen muss). Hier wird der Unterschied deutlich, der zwischen der englischen und der französischen Rechtsauffassung besteht, wenn es darum geht, in welcher Form Zeugenaussagen als zuverlässige Grundlage der gerichtlichen Tatsachenfeststellung in die Verhandlung einzuführen sind, vgl. dazu Gleß ZStW 115 (2003) 131, 143 ff. Anders Art. 8 Abs. 2 lit. f AMRK (deutsche Übersetzung EuGRZ 1980 435), wo der Verteidigung neben dem Fragerecht das Recht eingeräumt wird, Personen, die den Tatbestand klären können, als Zeugen zu
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
setzung im Vordergrund, zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens die Verteidigung in ihren Mitteln mit der Anklagebehörde gleichzustellen; jede den Beweiswert in Frage stellende Einseitigkeit bei der Beweisaufnahme soll vermieden werden. Die Konventionen gehen davon aus, dass die Befugnis des Angeklagten, die Vernehmung eines für seine Verteidigung wesentlichen Zeugen zu erreichen, im nationalen Recht so geregelt ist, dass er in dieser für ein faires Verfahren notwendigen Verteidigungsmöglichkeit nicht unbillig beschränkt wird;1925 insbesondere muss er das Recht haben, einen ihn belastenden Zeugen zu befragen oder durch seinen Verteidiger befragen zu lassen und zu den Ergebnissen der Beweiserhebung Stellung zu nehmen (dazu Rn. 773 ff.).1926 In welchen Fällen der EGMR neben dem Verstoß gegen das Gebot eines fairen Ver- 762 fahrens zusätzlich zu Art. 6 Abs. 1 EMRK auch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK wegen der ungleichen Beweiserhebungschancen als verletzt ansieht, bleibt mitunter unklar. Vielfach prüft er beides gemeinsam, da er Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nur als einen Aspekt des fairen Verfahrens betrachtet,1927 so dass er meist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Verfahrensregelungen des jeweiligen nationalen Rechts und des konkreten Verfahrensverlaufs entscheidet, ob der Beschuldigte insgesamt ein faires Verfahren hatte.1928 Dies kann auch der Fall sein, wenn der geltend gemachte Verstoß gegen Absatz 3 im weiteren Verfahren ausgeglichen worden ist.1929
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laden; vgl. Buergenthal EuGRZ 1984 169; Frowein EuGRZ 1980 169. Das Recht, den Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden, legt auch Art. VII Abs. 9 lit. c des Nato-Truppenstatuts vom 12.6.1951 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190) fest. Vgl. etwa Trifterer/Binner EuGRZ 1977 142. Das innerstaatlich im Recht auf Gehör verankerte Recht, zum Ergebnis der Vernehmungen Stellung zu nehmen, folgt aus dem in Absatz 1 garantierten Recht auf ein faires Verfahren (vgl. Rn. 185); es ließe sich auch aus dem Sinn des Fragerechts herleiten; vgl. SK/Paeffgen 154. Etwa EGMR Delta/F, 19.12.1990, A 191-A = ÖJZ 1991 425; Asch/A (Fn. 499); S.N./S (Fn. 716); Hulki Günes¸ /TRK, 19.6.2003, ECHR 2003-VII; Haas/D (E) (Fn. 703); Vaturi/F (Fn. 703); Popov/R (Fn. 645); Koval/UKR (Fn. 703); Pello/EST, 12.4.2007; Vladimir Romanov/R, 24.7.2008; Mirilashvili/R (Fn. 580); Taxquet/B, 13.1.2009; siehe auch EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279), § 102 (GK sah sich nicht in der Lage, eine Prüfung der dritten Stufe – Beweiswürdigung – vorzunehmen: „in absence of any reasons for the verdict, it is impossible to ascertain whether or not the applicant’s conviction was based on the information …“); Mika/S (E) (Fn. 703); Baybasin/D (E) (Fn. 703); V.D./RUM, 16.2.2010; Khametshin/R
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(Fn. 703); Orhan Çaçan/TRK, 23.3.2010; A.S./FIN (Fn. 703); zustimmend MeyerLadewig 241; kritisch Walther GA 2003 204, 219 ff. So etwa EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); van Mechelen/NL (Fn. 541); P.S./D (Fn. 525); Haas/D (E) (Fn. 703); Sapunarescu/D (E), 11.9.2006, StraFo 2007 170; Koval/UKR (Fn. 703); Al-Khawaja u. Tahery/UK, 20.1.2009 (vor GK anhängig) m. Anm. Dehne-Niemann HRRS 2010 189; Baybasin/D (E) (Fn. 703); vgl. auch Renzikowski JZ 1999 605; Beulke FS Rieß 3, 7; ferner zu der auch hier Platz greifenden Gesamtbetrachtung des EGMR als (flexibles) Prüfkriterium für ein faires Verfahren Nack FS G. Schäfer 46, 50; kritisch Walther GA 2003 204, 218 („relativierende Abwägungslehre“); Ambos ZStW 115 (2003) 583, 612 f.; Schröder GA 2003 293 ff. (vergleichbar einer Beruhensprüfung i.S.v. § 337 StPO). Kritisch zur Übernahme dieser Gesamtbetrachtung durch die deutschen Gerichte: Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 193 f. Anders Walther GA 2003 204, 219 ff., die fordert, dass die Verstöße gegen Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK für sich allein und losgelöst von der Frage des fairen Verfahrens geprüft werden müssen. Schroeder GA 2003 293, 297 ff. sieht im Abstellen auf das Gesamtverfahren eine Art Beruhensprüfung.
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Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR stellt auf den Personalbeweis ab, den Beweis durch Urkunden umfasst er an sich nicht.1930 Dieser wird unmittelbar an den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR gemessen; er ist also ebenso daran gebunden, dass bei der Verwendung schriftlicher oder in einer sonstigen Form dokumentierter Beweismittel die Grenzen einer fairen, die Waffengleichheit wahrenden Verfahrensgestaltung eingehalten werden. Soweit ein Beweis durch Urkunden erbracht werden soll, muss die Verteidigung Gelegenheit haben, diese zu überprüfen. Allerdings ist eine Änderung der Rechtsprechung in Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK auf Urkundsbeweise absehbar. So hat der EGMR schon 2008 selbst anerkannt, dass es in seiner neueren Rechtsprechung klare Hinweise („clear indications“) gibt, dass Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK möglicherweise auch auf andere Beweismittel als „Zeugen“ angewandt werden könnte.1931 Dabei nimmt er Bezug auf zwei Fälle aus dem Jahr 2003, bei denen er bereits die Ablehnung eines Urkundsbeweises an Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gemessen hat.1932 Auch in dem 2008 entschiedenen Fall Mirilashvili hat der Gerichtshof Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zur Überprüfung der behaupteten Unfairness der Erhebung von Sachverständigen- und Urkundsbeweisen herangezogen.1933 Angesichts der Tatsache, dass der EGMR die Erhebung von Urkundsbeweisen bislang unmittelbar an Art. 6 Abs. 1 EMRK (faires Verfahren) gemessen hat, ist die Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung von Absatz 3 jedoch nicht zwingend erforderlich.
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2. Begriff des Zeugen i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK. Die formelle Unterscheidung zwischen Belastungs- und Entlastungszeugen entspricht an sich nicht dem vom Untersuchungsgrundsatz bestimmten kontinentaleuropäischen Strafprozess.1934 Da die meisten Zeugen in diesem Verfahrensmodell vom Gericht beigezogen werden und ihre Aussagen für und gegen den Angeklagten gewertet werden können, erscheint es kaum sachgerecht, darauf abzustellen, auf wessen Betreiben ein Zeuge geladen wurde. Als Belastungszeugen sind alle Personen anzusehen, deren für die Entscheidungsfindung verwertbare Bekundungen den Beschuldigten und ggf. späteren Angeklagten in irgendeiner Hinsicht i.S.d. Anklage belasten,1935 während als Entlastungszeugen alle Personen in Betracht kommen, die eine zu Gunsten des Angeklagten wirkende Tatsache bekundet haben oder bekunden sollen. Da es auf den mit der Beiziehung der Zeugen verfolgten Zweck ankommt, können auch Zeugen, die den Beschuldigten bzw. Angeklagten zuvor belastet haben, unter den Begriff des Entlastungszeugen fallen, wenn sich die Verteidigung von ihrer erneuten Einvernahme und Befragung1936 eine Entlastung verspricht, sei es durch eine Korrektur ihrer früheren Aussagen oder weil die erneute Befragung Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen aufzeigen soll.1937
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Zur Ausnahme bei der Verlesung der Protokolle früherer Zeugenvernehmungen vgl. Rn. 783. So ausdrücklich EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580). EGMR (GK) Perna/I (Fn. 479); Georgios Papageorgiou/GR, 9.5.2003, ECHR 2003-VI; ebenso jetzt EGMR Georgios Papageorgiou/GR (Nr. 2), 15.10.2009. EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580). Vgl. BGer EuGRZ 1979 296.
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Grabenwarter § 24, 113. Die Konventionsgarantie des Frage- und Konfrontationsrechts bei diesen Zeugen deckt sich insoweit weitgehend mit einem weit verstandenen Ladungsrecht; das eine sollte aber das andere nicht ausschließen. Vgl. Grabenwarter § 24, 117; SK/Paeffgen 163, die ein Recht auf Zuziehung dieser „Belastungszeugen“ bejahen.
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Zeuge ist dabei nicht rechtstechnisch im Sinne des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts zu verstehen. Der Begriff wird statt dessen autonom ausgelegt.1938 Nach dem Zweck der Regelung interpretiert der EGMR jede Person als Zeugen, deren Angaben als Beweis innerhalb der gerichtlichen Entscheidungsfindung verwendet werden (können),1939 also auch die Person, die (noch) nicht formal von den Strafverfolgungsbehörden oder vor Gericht als Zeuge vernommen wird oder deren Bekundungen durch eine andere Beweisart in die Verhandlung eingeführt werden,1940 etwa durch die Verlesung einer schriftlichen Aussage im Vorverfahren.1941 Als Adressat des Fragerechts kommen alle Personen in Betracht, die als Beweismittel unmittelbar vernommen werden (Zeugen im formellen, verfahrensrechtlichen Sinne der StPO). Personen, deren Wahrnehmungen nicht durch ihre persönliche Einvernahme, sondern nur mittelbar über andere Personen in das Verfahren eingeführt werden, stehen für eine unmittelbare Befragung nicht zur Verfügung, es sei denn, sie werden nachträglich als Zeugen zugezogen. Diese Unterscheidung entspricht dem Grundgedanken der Regelung, die die Rechte der Verteidigung dadurch sichern will, dass diese zugezogene Beweispersonen befragen und nicht zugezogene Personen laden lassen darf.1942 Auch „mittelbare Zeugen“ können Belastungszeugen im Sinne des autonomen Zeugenbegriffs der Konventionen sein (dazu Rn. 765), so dass sich das von diesen garantierte Fragerecht auch auf sie und ihre Aussage erstreckt.1943 Der EGMR hat dies meist pragmatisch vom Ergebnis her unter dem Blickwinkel eines fairen Verfahrens beurteilt, unabhängig von den Besonderheiten des nationalen Rechts.1944 Erforderlich ist eine differenzierende Betrachtung: Im Grundsatz muss das Konfrontationsrecht aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK dem Angeklagten bezüglich aller vom Gericht formal als Zeuge (Rn. 764) eingestuften Personen eingeräumt werden, bevor deren Angaben bei der Urteilsfindung verwertet wer-
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EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); Windisch/A (Fn. 499); Delta/F (Fn. 1927); Asch/A (Fn. 499); Vidal/B (Fn. 479); Artner/A, 28.8.1992, A 242-A = EuGRZ 1992 476; Haas/D (E) (Fn. 703); Eskelinen u.a./FIN, 8.8.2006; Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Mirilashvili/R (Fn. 580); Mika/S (E) (Fn. 703); A.S./FIN (Fn. 703); Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139); Krivoshapkin/R, 27.1.2011, § 56; Esser 630; Joachim StV 1992 245; Radtke/ Hohmann/Ambos 48. Vgl. EGMR Asch/A (Fn. 499); S.N./S (Fn. 716); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Mika/S (E) (Fn. 703); Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471; Aussage bei polizeilicher Gegenüberstellung); A.S./FIN (Fn. 703); EKMR EuGRZ 1997 148 (Mielke). EGMR Asch/A (Fn. 499); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Mika/S (E) (Fn. 703); A.S./FIN (Fn. 703).
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EGMR Krivoshapkin/R (Fn. 1938), § 56. Art. 8 Abs. 2 lit. f AMRK stellt diesen Grundgedanken klar heraus, wenn er der Verteidigung das Recht gibt, die vor Gericht anwesenden Zeugen zu befragen und Personen, die die Tatsachen erhellen können, als Zeugen zu laden. EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); Asch/A (Fn. 499); Artner/A (Fn. 1938); P.S./D (Fn. 525); BGHSt 46 93, 97; NStZ 1993 292; StV 1996 471; BGH NJW 1991 646 ließ dies noch offen. Verneinend früher etwa BGHSt 17 358; Löhr 176 ff.; Tiedemann MDR 1963 458 (Fragerecht der Konventionen geht nicht über § 240 Abs. 2, §§ 219, 220 StPO hinaus). EGMR Kostovski/NL (Fn. 703) stellt bei der autonomen Auslegung des Zeugenbegriffs darauf ab, dass die Aussagen dem Gericht vorlagen und in seine Erwägungen mit einbezogen wurden; vgl. auch BGH NJW 1991 646; 2000 3505.
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den,1945 ebenso bezüglich aller nicht in der Hauptverhandlung vernommenen Personen, deren Aussagen oder sonstige Bekundungen zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden sollen; dies gilt etwa für Personen, die als Zeuge lediglich im Vorverfahren vernommen worden sind, nicht aber – aus welchem Grund auch immer – in der Hauptverhandlung.1946 Personen, die selbst im Verfahren zu keiner Zeit vernommen wurden, können mangels 769 eigenen Bezugs zum Verfahren nicht Adressat eines verfahrensinternen Fragerechts sein. Dies gilt auch, wenn eine Privatperson als Zeuge vom Hörensagen darüber berichtet, was ihr ein anderer erzählt hat.1947 Sind dagegen Personen in einem früheren Verfahrensstadium behördlich einvernommen worden und werden ihre Aussagen für die Entscheidungsfindung in die Hauptverhandlung eingeführt, so gelten solche Personen nach dem Schutzzweck der Konventionen selbst als Belastungszeugen; das Fragerecht der Verteidigung erstreckt sich dann auch auf sie und ihre Aussage.1948 Dabei ist nicht entscheidend, ob und aus welchem Grund ihre früheren Aussagen durch Verlesung des Vernehmungsprotokolls, durch Vorspielen einer Bild-/Tonaufzeichnung oder durch Einvernahme einer Verhörsperson oder auf andere Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung werden und ob sie im Endergebnis für die Urteilsfindung verwendet werden.1949 Das unmittelbare Fragerecht erstreckt sich vor allem auch auf die Personen, deren Beobachtungen durch die Aussage eines anderen, der dies von ihnen im öffentlichen Auftrag erfragt hat, in die Hauptverhandlung eingeführt werden, weil sie für eine Vernehmung in ihr nicht verfügbar sind, wie dies etwa bei einem Verdeckten Ermittler oder einer V-Person der Fall sein kann.1950 Zeugen vom Hörensagen sind selbst Belastungszeugen.1951 Sie bekunden eine eigene 770 Wahrnehmung, die allerdings nur darin besteht, was ihnen eine andere Person über das eigentlich entscheidungsrelevante Geschehen berichtet hat. Wenn diese Auskunftsperson nicht selbst als unmittelbarer „Tatzeuge“ im Verfahren vernommen worden ist und nicht vom Angeklagten in der Hauptverhandlung befragt werden kann, schließen weder Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK noch Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR aus, dass Zeugen vom Hörensagen an Stelle der eigentlichen Wahrnehmungsperson vernommen und ihre Aussagen verwer-
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Zum weiten Begriff des Belastungszeugen vgl. Rn. 764; ferner zum Fragerecht Gollwitzer GedS Meyer 147 ff. Zur Verlagerung des Schwerpunkts der Beweiserhebung ins Ermittlungsverfahren und zur Absicherung der Rechte der Verteidigung in diesem Verfahrensstadium vgl. Beulke FS Rieß 3, 17 ff. Eine andere Frage ist, ob die Aufklärungspflicht bzw. aus der Sicht der Konventionen das Gebot eines fairen Verfahrens verlangt, dass das Gericht – sofern möglich – eine solche Person als Zeugen zuzieht. EGMR Kostovski/NL (Fn. 703) betrachtet sie in Abweichung von nationalem Recht „für die Zwecke des lit. d“ als Zeugen, ebenso EGMR Windisch/A (Fn. 499); Delta/F (Fn. 1927); Isgrò/I, 19.2.1991, A 194-A; Vidal/B (Fn. 479); Asch/A (Fn. 499); Artner/A (Fn. 1938); P.S./D
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(Fn. 525); Esser 630 ff.; Meyer-Ladewig 244. Für das Entstehen des Fragerechts als Verteidigungsrecht als solches kann es nur darauf ankommen, ob eine in irgendeiner Hinsicht in die Hauptverhandlung eingeführte und potentiell auch gegen den Angeklagten verwertbare, also ihn möglicherweise belastende Aussage vorliegt; dass sie vom Gericht bei der Urteilsfindung später nicht verwertet wurde, hat nur Bedeutung für die Frage, ob sein Urteil auf der Beschneidung des Fragerechts beruht oder ob dieser Umstand die Fairness des Gesamtverfahrens beeinträchtigen konnte. EGMR Lüdi/CH (Fn. 661). Zur grundsätzlichen Zulässigkeit vgl. etwa BVerfGE 57 283; BVerfG (Kammer) NStZ 1991 445; BGHSt 17 382; 33 178; vgl. BGH NStZ 1982 433; NJW 1991 646.
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tet werden dürfen.1952 Das gilt auch, wenn auf diese Weise der Inhalt eines Urteils oder eines Vernehmungsprotokolls (ohne zusätzliche Verlesung oder Ladung der vorprozessual einvernommenen Person) in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll; hier ist entscheidend, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine vollständige Kenntnis vom Inhalt der später zu seinen Lasten verwerteten Angaben (Inhalt der Aussage bzw. des Vernehmungsprotokolls) erhalten kann.1953 Zeuge im Sinne der Konventionen kann auch ein Sachverständiger1954 sein (dazu 771 Rn. 807 ff.), vor allem aber auch – soweit es um die Ausübung des Fragerechts geht – ein Mitbeschuldigter1955 oder ein Nebenbeteiligter am Verfahren1956 oder der Privat- oder Nebenkläger1957 bzw. das Opfer der Tat.1958 Das Recht, die geladenen Entlastungszeugen zu befragen, wird von den Konventionen 772 nicht ausdrücklich gewährleistet. Bei dem Konzept des Parteiprozesses, das gedanklich die Fassung der Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR mitbestimmte, war diese Befugnis selbstverständlich.1959 Es wird durch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht ausgeschlossen. Da das Fragerecht des § 240 Abs. 2 StPO ohnehin bei allen genannten Personengruppen eingreift,1960 bedarf dieser Aspekt hier keiner Vertiefung aus der Sicht der Konventionen.
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EKMR nach Frowein/Peukert 308, 310; IK-EMRK/Kühne 591 ff.; je m.w.N. zum Streitstand; ferner Geppert Unmittelbarkeit 247; Peukert EuGRZ 1980 247, 267 ff.; Meyer-Goßner 22; SK/Paeffgen 157; Vogler ZStW 89 (1977) 788; a.A. etwa Grünwald FS Dünnebier 359 und JZ 1966 469, 493; Hanack JZ 1972 236; Guradze 35; einschränkend auch Dörr 154. EGMR Köktas/D (E) (Fn. 724) (Einführung der früheren Angaben eines Belastungszeugen durch Befragung von Zollbeamten, die nach der Festnahme eine Vernehmung durchgeführt hatten; Befragung des Zeugen war in der Hauptverhandlung allerdings auch möglich). EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 329; 380; IK-EMRK/Kühne 579; Peukert EuGRZ 1980 247, 266; EGMR Bönisch/A (Fn. 522), verweist darauf, dass ein Sachverständiger bei wörtlicher Auslegung kein Zeuge ist, lässt die (entsprechende) Anwendbarkeit von lit. d wegen des bejahten Verstoßes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens letztlich aber offen; ähnlich EGMR Eskelinen u.a./ FIN (Fn. 1938) (Gutachten eines Professors der Rechtswissenschaften als „legal expert“); Balsyte˙ -Lideikiene˙/LIT, 4.11.2008. Zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des (sachverständigen) Zeugen i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK vom (neutralen) Sachverständigen vgl. auch Esser 693 ff. sowie ausführlich Rn. 807 ff.
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Etwa EGMR Ferrantelli u. Santangelo/I (Fn. 419); S.N./S (Fn. 716); Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139); SK/Paeffgen 162; Esser 331; Guradze 35; Peukert EuGRZ 1980 247, 258; vgl. auch BGH NStZ 2005 224 = StV 2005 113 = JR 2005 247 mit Anm. Esser; BGH StraFo 2009 374 = NStZ 2009 581 = StV 2010 57; zustimmend Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 190; zur „Zeugeneigenschaft“ des Mitangeklagten auch SK/Rogall Vor § 133, 123 StPO; Walther GA 2003 204, 216, die das Verbot des § 240 Abs. 2 Satz 2 StPO, Mitangeklagte unmittelbar zu befragen, für problematisch hält. Gegen ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers aus Art. 6 Abs. 3 EMRK bei Vernehmung eines Mitbeschuldigen (im Haftprüfungsverfahren): OLG Köln Beschl. v. 10.6.2011 – 2 Ws 313/11. Zu eng in der Interpretation des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO (Beweiserhebungsverbot) aus konventionsrechtlicher Sicht daher: BGH NStZ 2011 168. Vgl. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Esser 631. Esser 631. EGMR Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Mirilashvili/R (Fn. 580); A.L./FIN, 27.1.2009; A.S./FIN (Fn. 703). Vgl. Geppert Unmittelbarkeit 246; Schorn 2. Vgl. Gollwitzer GedS Meyer 147.
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3. Frage- und Konfrontationsrecht – Inhalt und Bedeutung für die Verfahrensfairness. Die Konventionen geben dem Beschuldigten zwar nicht das Recht auf eine unmittelbare Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen (Konfrontation im engeren Sinn),1961 sie garantieren aber der Verteidigung ein unmittelbares Fragerecht (zur Form siehe Rn. 786). Die Befugnis, Belastungszeugen zu befragen (sog. Konfrontationsrecht)1962 soll sicherstellen, dass Zeugen nicht einseitig vernommen werden und dass bei ihrer Einvernahme auch die für die Verteidigung wichtigen Gesichtspunkte zur Sprache kommen können. Sie soll es außerdem ermöglichen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen und den Wahrheitsgehalt seiner Aussage zu hinterfragen.1963 Die Konventionsbestimmungen garantieren die Verfahrensbefugnisse des Beschuldig774 ten bei der Beweisaufnahme vorwiegend unter dem Blickwinkel einer insgesamt fairen, ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten eröffnenden Verfahrensgestaltung. Das Fragerecht der Konventionen wird als Recht der Verteidigung insgesamt verstanden. Aus dem Wortlaut „oder stellen zu lassen“ wird geschlossen, dass das Recht zur Be775 fragung nicht notwendig dem Beschuldigten bzw. späteren Angeklagten persönlich eingeräumt sein muss; es genügt grundsätzlich, wenn der Verteidiger diese Möglichkeit hatte.1964 Das für eine effektive Hinterfragung einer Aussage mitunter erforderliche Sachwissen muss sich der Verteidiger ggf. vorher bei seinem Mandanten verschaffen.1965 War ihm dies aus Gründen nicht möglich, die weder er noch sein Mandant zu vertreten haben, kann sich daraus ein Anspruch auf Wiederholung der Einvernahme (Rn. 779) ergeben.1966 Ein eigenes Konfrontationsrecht des Beschuldigten bei der Einvernahme von Belas776 tungszeugen kann aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR also grundsätzlich nicht hergeleitet werden.1967 Diese Bestimmungen sind daher nicht verletzt, wenn der Beschuldigte bzw. spätere Angeklagte bei der Vernehmung eines Zeugen aus prozessualen Gründen ausgeschlossen wird. Das Verteidigungsrecht ist grundsätzlich gewahrt, wenn er nachträglich vom Inhalt der Aussage Kenntnis erhält, etwa durch die Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO, und dann ausreichend (effektiv) Gelegenheit erhält, Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen.1968
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Vgl. EGMR Doorson/NL (Fn. 525); Beulke FS Rieß 3, 7; BGHSt 46 93, 96; anders als der sonst als Vorbild mit hereinspielende 6. Zusatzartikel zur Verfassung der USA oder Art. VII Abs. IX lit. c des Nato-Truppenstatuts. Nach Walther GA 2003 204, 212 verdeutlicht der englische Wortlaut „to examine or have examined“ besser als das „befragen oder befragen lassen“ (vgl. franz. Wortlaut „interroger ou faire interroger“), dass hier nicht nur das bloße Stellen von Fragen, sondern ein aktives Hinterfragen des Wahrheitsgehalts einer Aussage gemeint ist. Vgl. Walther GA 2003 204, 215 ff. BGHSt 46 93, 95; BGH StV 1996 471; BVerfG (K) Beschl. v. 2.5.2007 – 2 BvR 411/07 (unveröffentlicht); BVerfG (Kammer) NStZ 2007 534; IK-EMRK/Kühne 581; vgl. auch Guradze 35; Trechsel EuGRZ 1987 153; vgl. auch Frowein/
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Peukert 309 ff. Vgl. auch den Shanti-Prozess, bei dem der Angeklagte aus Opferschutzgründen nur über seine Anwälte Fragen stellen durfte und – hinter verdunkelten Glasscheiben sitzend – die Zeugenvernehmung über einen Monitor verfolgen konnte (SZ v. 28.8.2009, S. 38). Vgl. BGHSt 46 93, 102 (vorherige Rücksprache des Verteidigers mit dem Beschuldigten für sachgerechte Fragestellung erforderlich). Beulke FS Rieß 3, 15; vgl. auch OGH ÖJZ 2009 1073, 1074 (mangelnde Vorbereitungszeit). A.A. wohl Renzikowski FS Mehle 529, 537, demzufolge eine ausreichende Begründung für die Abwesenheit des Angeklagten „kaum möglich“ ist. EKMR nach IK-EMRK/Kühne 581; vgl. auch: Frowein/Peukert 308; BVerfG (Kammer) NStZ 2007 534.
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Die Gelegenheit zur angemessenen und ausreichenden („effektiven“) Befragung eines Belastungszeugen muss dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) im Laufe des Verfahrens mindestens einmal gegeben werden.1969 Das Konfrontationsrecht soll in der Regel bei einer unmittelbaren Konfrontation mit dem Zeugen in der öffentlichen (kontradiktorischen) Hauptverhandlung1970 ausgeübt werden können; es kann aber auch schon im Vorverfahren (effektiv) gewährt werden. Die EMRK legt keinen strengen Unmittelbarkeitsgrundsatz im formalen Sinne fest; ihr kann auch genügen, wenn das Fragerecht außerhalb der Hauptverhandlung wirksam ausgeübt werden konnte.1971 War die Befragung eines Zeugen nach nationalem Recht zunächst nicht möglich oder ist sie zu Unrecht verweigert worden, genügt es den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR, wenn sie vor Erlass des Urteils (effektiv) nachgeholt werden kann. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gewährt kein isoliertes Recht auf Anwesenheit des Beschuldigten bei kommissarischen richterlichen Zeugeneinvernahmen oder bei der Einvernahme eines Zeugen durch die Polizei.1972 Eine effektive Konfrontation (falls dort schon geboten) kann dort auch durch einen (ggf. zu bestellenden) Verteidiger erfolgen. Eine effektive Konfrontation i.S.v. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK kann die Stellung einer sog. Wiederholungsfrage erforderlich machen.1973 Ein darüber hinausgehendes Recht auf eine erneute Konfrontation kann bei unveränderter Beweislage aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR nicht hergeleitet werden.1974 Eine Möglichkeit der erneuten, ergänzenden Befragung eines Belastungszeugen kann notwendig werden, wenn eine erste Möglichkeit der Konfrontation für den Beschuldigten nicht effektiv war, z.B. weil er noch keinen Verteidiger hatte, als er einer Einvernahme im Ermittlungsverfahren beigewohnt hat, so dass letztlich erst die spätere Einvernahme in Gegenwart des Verteidigers bzw. durch diesen (z.B. aufgrund der Komplexität des Falles) die erste effektive Befragungsmöglichkeit darstellt.1975 Ein weiterer Grund können neuerliche ergänzende, belastende Angaben des Zeugen sein. Die Konventionen verpflichten nur dazu, das Verfahren grundsätzlich so zu gestalten, dass der Beschuldigte (oder sein Verteidiger) eine (effektive) Gelegenheit zur Ausübung des Frage- und Konfrontationsrechts hat. Ob er davon Gebrauch macht, ist dann seine Sache (Disponibilität).1976 Es geht zu Lasten des Beschuldigten, wenn er sich dieser Möglichkeit dadurch begibt, dass er befugt oder unbefugt der Hauptverhandlung oder einer (kommissarischen) Zeugeneinvernahme fernbleibt, bei der er das Fragerecht hätte ausüben können,1977 oder wenn er seinen Verteidiger ungenügend über solche Verfahrensmodalitäten informiert. 1969
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EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); BGHSt 46 93, 97; vgl. auch Endriss FS Rieß 65 ff.; SK/Paeffgen 164. Das Recht auf eine faire (kontradiktorische) öffentliche Verhandlung beurteilt der EGMR im Zusammenhang mit den Rechten des Absatzes 3, diese schließen aber nicht aus, auch außerhalb der Verhandlung gewonnene Beweise in dieser als Beweismittel zu verwenden, so dass dann dem Fragerecht besonderes Gewicht beikommt; vgl. SK/Paeffgen 166. Vgl. SK/Paeffgen 164; EGMR Baybasin/D (E) (Fn. 703); Mamikonyan/ARM, 16.3.2010, § 42; ferner EGMR Isgrò/I
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(Fn. 1948; ungenügend, wenn Angeklagter ohne Verteidiger teilnahm). Vgl. BVerfG (Kammer) NJW 2007 204 (kein staatliches Verschulden für unterbliebene Konfrontation). Zu dieser Thematik: Gerst StRR 2011 168. Vgl. etwa BGer EuGRZ 1979 296; 1993 290; SK/Paeffgen 164, 165; Villiger 477. Vgl. etwa EGMR Isgrò/I (Fn. 1948); BGer EuGRZ 1993 290. EGMR Håkansson u. Sturesson/S (Fn. 974), § 66; Kwiatkowska/I (E), 30.11.2000; Ros¸ ca/RUM, 3.5.2011, § 35. Zu den Einzelheiten Gollwitzer GedS Meyer 160 ff.
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Die Konventionen überlassen es dem nationalen Recht, ob es die Vernehmung und Befragung der Zeugen der Hauptverhandlung vorbehält oder ob es der Verteidigung schon vorher eine solche Möglichkeit eröffnet, wie etwa durch ein Teilnahmerecht an einer Einvernahme im Ermittlungsverfahren. Es ist Sache des nationalen Rechts, ob und unter welchen Voraussetzungen es die gerichtliche Verwendung bestimmter Beweismittel, wie etwa der Zeugen vom Hörensagen, einschränken will.1978 Dies gilt auch für den Sonderfall der Aussagen über Bekundungen anonymer Gewährsleute;1979 diese gelten, wenn ihre Bekundungen gegenüber Strafverfolgungsorganen im Verfahren gewonnen und verwendet werden, auch selbst als Belastungszeugen im Sinne der Konventionen,1980 so dass das Fragerecht grundsätzlich auch ihnen gegenüber besteht (Rn. 759). Es muss daher im Rahmen des Gesamtverfahrens in irgendeiner Form dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in dem für die Verteidigung erforderlichen Umfang effektiv ermöglicht werden,1981 notfalls auch durch wiederholte Übermittlung schriftlich fixierter Fragen.1982 Den Antworten des Zeugen auf die schriftlichen Fragen muss im Rahmen der Beweiswürdigung dasselbe Gewicht beigemessen werden wie den im Rahmen einer mündlichen Vernehmung gegebenen Antworten.1983 Das Einreichen eines solchen Fragenkatalogs vor der Einvernahme schließt aber das Recht der Verteidigung nicht aus, nach Vorliegen der protokollierten Aussage ergänzende Fragen an den Zeugen zu stellen.1984 Eine Verlesung von Vernehmungsniederschriften aus dem Ermittlungsverfahren schlie782 ßen die Konventionen nicht prinzipiell aus,1985 selbst wenn eine solche Verlesung an die Stelle der Einvernahme einer Beweisperson in der Hauptverhandlung tritt.1986 Allerdings wird die einvernommene Person, deren Aussage verlesen wird, unabhängig vom natio-
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Geppert Unmittelbarkeit 246 ff. Zu den hier bestehenden erheblichen Unterschieden in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen Gleß ZStW 115 (2003) 131, 144. Vgl. ferner EGMR Schenk/CH (Fn. 478), zur Zulässigkeit der Verwendung einer rechtswidrig gewonnenen Tonbandaufnahme sowie oben Rn. 299. BGHSt 17 388; Peukert EuGRZ 1980 247, 267; vgl. auch EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); sowie zur englischen Rechtspraxis SK/Paeffgen 161. EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); Asch/A (Fn. 499); BGHSt 46 93, 97; BGH NStZ 1993 292; StV 1996 471. Vgl. EGMR Doorson/NL (Fn. 525). Etwa EGMR Windisch/A (Fn. 499); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928). EGMR Marinescu/RUM, 2.2.2010, §§ 78 f. BGHSt 46 93; BGer EuGRZ 1993 290. Vgl. etwa EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); Verwendung im Vorverfahren erlangter Beweismittel für sich allein betrachtet mit Art. 6 EMRK nicht unvereinbar; ferner EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1987 356, wo in der Verlesung der früheren Aus-
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sage in Gegenwart des Zeugen kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK gesehen wurde, da Gelegenheit zu Fragen bestand; EKMR ÖJZ 1989 484 (Gericht könne nicht angelastet werden, wenn die Zeugen, deren frühere Aussage verlesen wurde, in der Hauptverhandlung die Aussage verweigerten, so dass das Fragerecht leer lief). EGMR Unterpertinger/A (Fn. 521), dazu auch: EGMR Belevitskiy/R, 1.3.2007, § 117; Krivoshapkin/R (Fn. 1938), § 54 („in certain circumstances it may prove necessary to refer to statements made during the investigative stage. If the defendant has been given an adequate and proper opportunity to challenge these statements, their admission in evidence will not in itself contravene Article 6 §§ 1 and 3 (d) of the Convention.“); EMRK/ Kühne 584; BGH NStZ 1985 376; MeyerGoßner 22; vgl. aber auch BGHSt 51 325 = NJW 2007 2195 (Unzulässigkeit der Verlesung einer früheren schriftlichen Erklärung eines Zeugen, wenn dieser sich vor Gericht auf sein Auskunftsverweigerungsrecht, § 55 StPO, beruft).
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nalen Recht als Belastungszeuge angesehen,1987 so dass grundsätzlich das Fragerecht der Verteidigung auch sie einschließt. Hatten der Angeklagte oder sein Verteidiger Gelegenheit, der (kommissarischen) Einvernahme im Vorverfahren beizuwohnen, und dort ihr Fragerecht auszuüben, so sind die Forderungen der Konventionen erfüllt, auch wenn der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger diese Gelegenheit nicht wahrgenommen haben sollten. War ihnen dies nach nationalem Recht zu Recht oder Unrecht verwehrt worden, so verlangt – unabhängig von der Zulässigkeit der Verlesung der Vernehmungsniederschrift nach nationalem Recht1988 – Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung die Gelegenheit erhält, nach Verlesung der Niederschrift ihre Fragen vorzutragen1989 und dadurch eventuell eine nochmalige Vernehmung des Zeugen auch zu den Fragen zu erreichen oder wenigstens den Zeugen zur Hauptverhandlung zu laden.1990 Ausnahmsweise wird die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift, bei deren Zu- 783 standekommen das Fragerecht nicht ausgeübt werden konnte, als zulässig angesehen, wenn die Befragung nicht möglich ist, weil der Vernommene verstorben, vernehmungsunfähig oder unerreichbar ist.1991 Die Verwertung setzt aber voraus, dass die Verteidigung ihre Einwände gegen den Inhalt der protokollierten Aussage und die nach ihrer Ansicht offenen Fragen dem Gericht vortragen kann. Wo der EGMR die Grenzen jeweils zieht, ist abstrakt schwer zu beurteilen, da er – wie bereits erörtert (Rn. 762) – stets (nur) darauf abstellt, ob im jeweiligen Einzelfall ein insgesamt faires, die Verteidigungsrechte ausreichend wahrendes Verfahren gewährt wurde. Die Konventionsstaaten, sprich Staatanwaltschaften und Gerichte, müssen zumutbare 784 Anstrengungen unternehmen, um einem Beschuldigten die Konfrontation mit abwesenden Belastungszeugen zu ermöglichen. Dass der Prozess sich dadurch in die Länge ziehen kann, ist kein Argument, das der Gerichtshof gelten lässt.1992 Bei der kommissarischen Zeugeneinvernahme im Ausland besteht das Sonderpro- 785 blem, ob auch der für die Vernehmung im Wege der Rechtshilfe verantwortliche ausländische Staat durch die Konvention verpflichtet ist, das Fragerecht zu ermöglichen. Die EKMR hatte dies in einem Fall bejaht, obwohl sie davon ausging, dass die Einvernahme im Wege der Rechtshilfe im ersuchten Staat kein Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK war.1993 Grundsätzlich ist der ersuchende Staat für eine konventionsgemäße Durchführung des Strafverfahrens auch insoweit verantwortlich, als sein eigenes Gericht die Verurteilung auf eine im Ausland erfolgte Zeugeneinvernahme stützt. Er muss dafür
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Autonome Auslegung des Zeugenbegriffs in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, vgl. etwa EGMR Unterpertinger/A (Fn. 521); Kostovski/NL (Fn. 703); Windisch/A (Fn. 499); Asch/A (Fn. 499); EKMR EuGRZ 1997 148; IK-EMRK/Kühne 584; vgl. auch Grabenwarter § 5, 9 ff. sowie oben Rn. 765. Vgl. etwa EGMR Doorson/NL (Fn. 525); ferner LR/Erb § 168c, 56 StPO; LR/Jäger § 224, 31 StPO. Vgl. BGHSt 46 93; BGH NStZ 1983 421; 1985 376; IK-EMRK/Kühne 585. Vgl. EGMR Cardot/F, 19.3.1991, A 200 = EuGRZ 1992 437 (Rechtsweg nicht erschöpft, wenn Verweigerung dieser
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Möglichkeit nicht innerstaatlich beanstandet wird). EGMR Artner/A (Fn. 1938); Ferrantelli u. Santangelo/I (Fn. 419); Peukert EuGRZ 1980 247, 266; Dörr 154 (nur bei Verstorbenen); SK/Paeffgen 157; so bereits EKMR EuGRZ 1997 148 (Mielke) unter Hinweis, dass die Aussagen durch anderes Beweismaterial bestätigt wurden. EGMR Krivoshapkin/R (Fn. 1938), §§ 56 ff. Peukert EuGRZ 1980 247, 266; kritisch IK-EMRK/Kühne 588 ff., der im Ergebnis aber auch der isolierten Beachtung des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK bei der kommissarischen Einvernahme zuneigt.
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Sorge tragen, dass das Fragerecht/Konfrontationsrecht dadurch nicht unterlaufen wird.1994 Das Gericht muss sich bemühen, dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger eine direkte Befragung von Auslandszeugen – sei es vor Ort oder per Videokonferenz1995 – zu ermöglichen.1996 Die in § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO1997 geregelte Durchbrechung des Verbots der Be786 weisantizipation bedarf insoweit einer menschenrechtlich gebotenen restriktiven Auslegung.1998 Ob durch die Gewährung der Rechtshilfe eine Mitverantwortung des ersuchten Staates für diesen Teil des Strafverfahrens begründet wird, die ihn verpflichtet, auch seinerseits dafür zu sorgen, dass die Verteidigungsrechte insoweit nicht verkürzt werden,1999 erscheint schon deshalb fraglich, weil die Konventionsgarantien das Fragerecht gerade nicht für den Vorgang jeder einzelnen Einvernahme garantieren, sondern sich damit begnügen, dass es bezogen auf das gesamte Verfahren gewahrt ist. Die Form, in der das Fragerecht ausgeübt werden kann, überlassen die Konventionen 787 der Regelung im nationalen Recht. Es muss vorrangig in der wohl wirksamsten Form der unmittelbaren Befragung des Zeugen durch Angeklagten und Verteidiger vor dem erkennenden Gericht gewährt werden. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK verlangt aber nicht zwingend, dass Fragen an den Zeugen stets direkt vom Angeklagten oder seinem Verteidiger gestellt werden können.2000 Aus dem Wortlaut „stellen oder stellen zu lassen“ wird hergeleitet, dass ausnahmsweise auch eine mittelbare Form der Befragung genügt, etwa durch Zwischenschaltung des Richters, der die ihm mündlich oder auch schriftlich übermittelten Fragen an die Beweisperson richtet,2001 wie dies bei § 240 Abs. 2 Satz 2, § 241a StPO vorgesehen ist. Desgleichen wird es in der Regel für ausreichend erachtet, wenn Fragen schriftlich eingereicht werden, etwa, damit sie bei einer auswärtigen kommissarischen Vernehmung gestellt werden können,2002 wobei unter Umständen nach Vorliegen der Vernehmungsniederschrift ergänzende Fragen zugelassen werden müssen.
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IK-EMRK/Vogler 1 556; Peukert EuGRZ 1980 247, 266. Art. 10 EURhÜbk, ABlEU Nr. C 197 v. 12.7.2000, S. 1 regelt die Möglichkeit einer Vernehmung von Auslandszeugen per Videokonferenz. Vgl. etwa die (erfolglosen) Bemühungen in den Fällen EGMR Haas/D (E) (Fn. 703); Mirilashvili/R (Fn. 580); BGHSt 55 70; dazu auch Zöller ZJS 2010 441, 445; Sommer StraFo 2010 284 f.; Schramm HRRS 2011 156 ff.; Stiebig JR 2011 170 ff. Vgl. hierzu BGH NJW 2005 2322 = NStZ 2005 701 (zulässige Beweisantizipation bei Ablehnung eines Antrags der Staatsanwaltschaft auf Vernehmung eines belastenden Auslandszeugen gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO). Ebenso Gleß FS Eisenberg 499, 505 ff.; vgl. auch Rn. 270. Für eine generelle
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Unvereinbarkeit von § 244 Abs. 5 S. 2 StPO mit Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK: Günther FS Widmaier 253, 259 ff.; EGMR Jorgic/D (Fn. 372) hat die Anwendung von § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO dagegen im konkreten Fall nicht beanstandet, da Auslandszeugen nicht automatisch als unerreichbare Beweismittel angesehen würden („are not automatically treated as unobtainable evidence“). Vgl. für die Frage der Beiziehung von Entlastungszeugen aus dem Ausland Rn. 805. 1999 Bei essentiellen Menschenrechten, wie etwa dem Verbot einer unmenschlichen Behandlung nach Art. 3 EMRK (siehe dort Rn. 33), wird dies angenommen. 2000 Vgl. EGMR Accardi u.a./I (E) (Fn. 703). 2001 Peukert EuGRZ 1980 247, 255. 2002 Vgl. EGMR Kostovski/NL (Fn. 703); Windisch/A (Fn. 499).
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4. Einschränkbarkeit des Konfrontationsrechts („Drei-Stufen-Theorie“) a) Inhaltliche Grenzen des Fragerechts ergeben sich in der Praxis dann, wenn das 788 Gericht Fragen – ebenso die Ladung eines Zeugen – ablehnt, die es als nicht erforderlich für die Wahrheitsfindung ansieht.2003 Das nationale Recht kann insoweit sachbezogene Grenzen für die Zulässigkeit von Fragen aufstellen und dabei auch einem Missbrauch des Fragerechts entgegenwirken (vgl. etwa § 241 StPO).2004 Im Hinblick auf § 240 Abs. 2, § 241 StPO erübrigt es sich, näher darauf einzugehen, ob das Fragerecht der Verteidigung in den Konventionen absolut, d.h. unabhängig von einer gleichartigen Befugnis der Staatsanwaltschaft garantiert ist oder ob es genügt, wenn hinsichtlich etwaiger sachlicher Einschränkungen Verteidigung und Anklagevertretung wenigstens gleichbehandelt werden.2005 Der EGMR beschränkt – ähnlich wie beim Ladungsrecht – seine Kontrolle darauf, ob das Fragerecht missbräuchlich und willkürlich eingeschränkt wurde2006 und ob durch die Ablehnung einer Frage die Grundsätze eines fairen Verfahrens, namentlich die Verteidigungsrechte, verletzt wurden.2007 b) Faktische Beschränkungen im Verfahren („Drei-Stufen-Prüfung“). Grundsätzlich 789 müssen alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung unter Beachtung eines kontradiktorischen Verfahrens erhoben werden.2008 Daher dürfen auch vorprozessuale Angaben eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht, nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden. Insofern hat der EGMR speziell zur Verwertbarkeit von Angaben in der Hauptverhandlung abwesender Zeugen,2009 die über Beweissurrogate Eingang in die Hauptverhandlung finden, für Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK ein dreistufiges Prüfungsschema entwickelt.2010 (1) Auf der ersten Stufe geht es um die Suche nach einem sachlichen und von der 790 EMRK anerkannten Grund dafür, dass der Angeklagte sein Befragungs- und Konfronta-
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EKMR EuGRZ 1982 447 (Händle) mit Anm. Schlüter; Frowein/Peukert 313; Nowak 65. 2004 Hierzu HK-GS/Seebode § 241, 11 StPO. 2005 Gegen die Relativierung in EKMR EuGRZ 1987 151 (Unterpertinger) die dortige Anm. von Trechsel. 2006 Vgl. Frowein/Peukert 313 (Verletzung nur, wenn Erheblichkeit dem Tatrichter „ersichtlich war oder sein musste“); siehe auch: EKMR EuGRZ 1982 447 (Händle). 2007 Frowein/Peukert 313; zur sog. Fairness des „gesamten“ Verfahrens Rn. 762. 2008 EGMR Solakov/MAZ (Fn. 727); P.S./D (Fn. 525); Visser/NL (Fn. 727); Laukkanen u. Manninen/FIN, 3.2.2004; Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Krasniki/CS, 28.2.2006; Vaturi/F (Fn. 703); Koval/UKR (Fn. 703); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Mirilashvili/R (Fn. 580); Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279); Al-Kha-
waja u. Tahery/UK (Fn. 1928); Mika/S (E) (Fn. 703); Baybasin/D (E) (Fn. 703); Tarau/RUM (Fn. 703); Dzelili/D (E), 29.9.2009; Caka/ALB (Fn. 645); V.D./RUM (Fn. 1927); Sommer/I (E) (Fn. 244); Orhan Çaçan/TRK (Fn. 1927); A.S./FIN (Fn. 703); Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645); vgl. auch EGMR Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139). 2009 Der Gerichtshof behandelt beide Fallgruppen im Grundsatz gleich, vgl. EGMR Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928), §§ 35 f. 2010 Siehe hierzu Demko ZStrR 2004 416, 418 ff.; Renzikowski JZ 1999 605, 606, 611 f.; KK/Schädler 54 ff.; Radtke/Hohmann/Ambos 50; vgl. ebenso das Prüfungsmodell bei der Zurückhaltung von Beweismaterial („disclosure“): EGMR Edwards u. Lewis/UK (Fn. 560); (GK) Edwards u. Lewis/UK (Fn. 560); Gaede HRRS 2004 44, 46 ff.
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tionsrecht in der Hauptverhandlung gar nicht oder – etwa wegen der Aufrechterhaltung der Anonymität oder Abschirmung des Zeugen – nur eingeschränkt ausüben kann. Um die Einschränkung der Verteidigungsrechte in der Hauptverhandlung rechtfertigen zu können, muss der jeweilige Grund in der gerichtlichen Entscheidung hinreichend plausibel und nachvollziehbar dargelegt sein („seriousness and well-foundedness of the reasons“).2011 Das Gericht muss die Gründe für die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts kritisch hinterfragen und ggf. ihr Vorliegen überprüfen. Mit einer bloßen Behauptung darf es sich nicht zufrieden geben. Als Gründe hat der EGMR die sachliche oder rechtliche Unerreichbarkeit des Zeugen,2012 den Tod des Zeugen,2013 die Schutzbedürftigkeit des Zeugen (z.B. als Opfer einer Sexualstraftat;2014 Schutz vor Repressalien2015) sowie die Berufung des Zeugen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht2016 anerkannt.
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EGMR P.S./D (Fn. 525); Visser/NL (Fn. 727); Krasniki/CS (Fn. 2008) (Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung der Anonymität nicht hinreichend dargelegt); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928) („relevant and sufficient reasons“); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927; kein hinreichender Grund, wenn der Zeuge fünf Tage später erreichbar wäre); Dzelili/D (E) (Fn. 2008) (anonymer Zeuge); speziell zur Prüfungsdichte bei Sperrerklärungen: BGH NStZ 2005 43; Renzikowski JZ 1999 605, 610. EGMR Blum/A, 3.2.2005, ÖJZ 2005 766; Calabrò/I u. D (E), 21.3.2002; Doorson/NL (Fn. 525); Artner/A (Fn. 1938); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Haas/D (E) (Fn. 703); Mirilashvili/R (Fn. 580). EGMR Ferrantelli u. Santangelo/I (Fn. 419); Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928); Mika/S (E) (Fn. 703). EGMR S.N./S (Fn. 716); N.F.B./D (E), 18.10.2001, ECHR 2001-XI = NJW 2003 2297; P.S./D (Fn. 525); Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Scheper/NL (E) (Fn. 727); A.L./FIN (Fn. 1958); V.D./RUM (Fn. 1927); A.S./FIN (Fn. 703); siehe hierzu auch: Arbeitsdokument der EU-Kommission über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, KOM (2007) 693 endg. v. 13.11.2007; siehe auch EGMR Judge/UK (E) (Fn. 612), § 27 („an accused does not have an unlimited right to put whatever questions he wishes to a witness; it is entirely legitimate for domestic courts to exercise some control of the questions that may be put in crossexamination to a witness and an issue
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would only arise under Article 6 § 3(d) if the restrictions placed on the right to examine witnesses were so restrictive as to render that right nugatory.“). Das schottische Recht verbietet die Zulassung von Beweismittlen und Befragungen bezüglich des Charakters oder des früheren Sexuallebens des Opfers bei Sexualdelikten, wenn nicht eine der festgeschriebenen Ausnahmen gegeben ist. „Those exceptions require: (i) that the evidence or questioning relate only to a specific occurrence or occurrences of sexual or other behaviour …; are relevant to whether the accused is guilty…; and the probative value of the evidence is significant and likely to outweigh any risk of prejudice to the proper administration of justice …“, § 4). Der EGMR meint, dass dies eine angemessene und flexible Antwort auf das Problem der Befragung von Opfern bei Sexualdelikten sei, § 30. EGMR Visser/NL (Fn. 727); Kok/NL (E), 4.7.2000, ECHR 2000-VI; Doorson/NL (Fn. 525); Birutis u.a./LIT, 28.3.2002 (Schutz von Mitgefangenen); Haas/D (E) (Fn. 703); Krasniki/CS (Fn. 2008); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645); zu dieser Fallgruppe zählt auch der Schutz Verdeckter Ermittler und V-Personen: EGMR Lüdi/CH (Fn. 661). EGMR Asch/A (Fn. 499); Unterpertinger/A (Fn. 521); vgl. auch zum Schweigerecht des im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK als Zeuge angesehenen Mitangeklagten: Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 191.
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Unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit der Angaben eines nicht-konfrontier- 791 ten Zeugen (zweite und dritte Stufe) dürfen diese als Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen verwendet werden.2017 (2) Die zweite Stufe betrifft den bestmöglichen Ausgleich des Verteidigungsmangels, 792 der durch die Beschränkung oder den Ausschluss des Befragungsrechts in der Hauptverhandlung eintritt. Art. 6 EMRK erlaubt nur erforderliche Eingriffe in die Verteidigungsrechte,2018 die zudem in einem anderen Verfahrensstadium hinreichend – d.h. soweit wie möglich – kompensiert werden müssen („sufficiently counterbalanced“).2019 Angaben, die ein Zeuge außerhalb der Hauptverhandlung gemacht hat, können als Beweis verwertet werden, wenn dem Beschuldigten oder wenigstens seinem Verteidiger anstelle der nicht möglichen Befragung des Zeugen in der Hauptverhandlung zu irgendeinem Zeitpunkt im Verfahren eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben worden ist, den Zeugen effektiv zu befragen (dazu Rn. 773 ff.), um auf diese Weise seine Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit testen und in Zweifel ziehen zu können.2020 Die in der Hauptverhandlung nicht (mehr) mögliche Ausübung des Konfrontations- und Befragungsrechts kann also bereits durch ausreichende Mitwirkungsbefugnisse des Beschuldigten bei der Gewinnung des Beweises „kompensiert“ worden sein oder aber dieser Verteidigungsmangel muss noch bis zum Abschluss der Hauptverhandlung dadurch ausgeglichen werden, dass der Beschuldigte – oder wenigstens sein Verteidiger – mit dem Zeugen konfrontiert wird (soweit faktisch möglich).2021 Eine sorgfältige und zurückhaltende Art der Beweiswürdigung stellt dagegen keinen „Ausgleich“ einer Beschränkung des Fragerechts auf dieser zweiten Prüfungsstufe dar.2022 Die Beweiswürdigung wird vielmehr erst auf der dritten Prüfungsebene relevant (Rn. 799).
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Esser 678; Renzikowski JZ 1999 605; SK/Paeffgen 160. 2018 EGMR P.S./D (Fn. 525; „measures … strictly necessary“); Oyston/UK (E) (Fn. 541; „restrictions on access to evidence or to a witness may be necessary or unavoidable“); zu diesem Stufensystem auch Demko ZStrR 2004 416, 430 (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). 2019 EGMR S.N./S (Fn. 716); van Mechelen u.a./NL (Fn. 541); Doorson/NL (Fn. 525); Birutis u.a./LIT (Fn. 2015); Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Krasniki/CS (Fn. 2008); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); A.S./FIN (Fn. 703). 2020 EGMR S.N./S (Fn. 716) („adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against him“); e contrario A.L./FIN (Fn. 1958) und A.S./FIN (Fn. 703; keinerlei Befragungsmöglichkeit in irgendeinem Verfahrensstadium); P.S./D (Fn. 525); Lüdi/CH (Fn. 661); Haas/D (E) (Fn. 703); Krasniki/CS (Fn. 2008); Vaturi/F (Fn. 703); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Balsyte˙ -Lideikiene˙/LIT (Fn. 1954); Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber EGMR (GK)
Taxquet/B (Fn. 279); Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928); Mika/S (E) (Fn. 703); Tarau/RUM (Fn. 703); Pacula/LET, 15.9.2009 (keine Waffengleichheit bei Konfrontation vor der Polizei); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); V.D./RUM (Fn. 1927); Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471); Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645); Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139). 2021 Vgl. EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); Kostovski/NL (Fn. 703); Windisch/A (Fn. 499); Delta/F (Fn. 1927); Asch/A (Fn. 499); Lüdi/CH (Fn. 661); Ferrantelli u. Santangelo/I (Fn. 419); van Mechelen u.a./NL (Fn. 541). 2022 EGMR Hulki Günes¸ / TRK (Fn. 1927) („a careful examination of the statements taken from the witnesses on commission […] can scarcely be regarded as a proper substitute for direct examination and attendance“); Osmanag˘aog˘lu/TRK, 21.7.2009; ähnlich Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928; auch eine entsprechende Belehrung der Jury durch den Richter genügt nicht); Gleß NJW 2001
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Anerkannt als teilweise Kompensation („partly counterbalanced“) für eine nicht mögliche Konfrontation eines von der Exekutive gesperrten Zeugen in der Hauptverhandlung hat der EGMR die schriftliche Beantwortung eines von der Verteidigung eingereichten Fragenkatalogs.2023 Auch die Möglichkeit, die außergerichtliche Vernehmung der Zeugen mittels einer Sichtblende (Venezianischer Spiegel) optisch und akustisch zu verfolgen und ggf. ergänzende Fragen über die Vernehmungsperson stellen zu lassen, kann eine hinreichende Kompensation darstellen.2024 Bei der Vernehmung eines zum Schutz vor Repressionen anonym bleibenden Belastungszeugen sah es der EGMR2025 dagegen als nicht ausreichend an, dass der Angeklagte und sein Verteidiger der richterlichen Vernehmung lediglich von einem Nebenraum aus zuhören und aus diesem heraus Fragen stellen konnten. Entgegen einer früheren Auffassung2026 hält der 1. Strafsenat des BGH die audio794 visuelle Vernehmung (§ 247a StPO) eines für die Einvernahme im Gerichtssaal nach § 96 StPO gesperrten Tatzeugen unter elektronischer Verfremdung seiner Gesichtszüge und Stimme für zulässig, da Angeklagter und Verteidiger den Zeugen unmittelbar befragen und trotz der Abschirmung auch seine Reaktion auf direkte Fragen beobachten können.2027 Wieweit solche Einschränkungen, die jedenfalls eine bessere (unmittelbare) Erkenntnisquelle erschließen, als die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift oder die Einvernahme einer Verhörsperson als Zeugen vom Hörensagen, mit der Garantie eines fairen Verfahrens vereinbar sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, vor allem danach, wieweit die Verteidigung dadurch noch effektiv gewährleistet ist.2028 Die nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte haben für die bestmögliche 795 Gewährleistung des Befragungsrechts (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) einzustehen und müssen daher von Amts wegen alle ihnen rechtlich möglichen, Erfolg versprechenden Maßnahmen ergreifen (z.B. Aufenthaltsermittlung;2029 Vorführung einer Person), um dem
3606; Meyer-Lohkamp StV 2004 13; Pauly StV 2002 291, 292; Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 202 f.; im Ergebnis auch Wohlers FS Trechsel 813, 826; a.A. offenbar KK/Schädler 58, der eine „materielle Kompensation“ bereits durch sorgfältige Gewichtung der sonstigen Beweismittel zulassen will. 2023 EGMR Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928; „The handicaps […] were partly counterbalanced by the Regional Court in that a catalogue of questions was submitted to the police officer supervising „VP 1“ by the court on the applicant’s request and the answers given by „VP 1“ were subsequently read out in court […] Nonetheless, the failure to further question „VP 1“ entailed a certain restriction of the applicant’s defence rights.“). 2024 EGMR Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); a contrario EGMR Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); A.S./FIN (Fn. 703; keine Information des Verdächtigen über die auf Video aufgezeichnete Vernehmung des Opfers).
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EGMR van Mechelen/NL (Fn. 541); Visser/NL (Fn. 727); vgl. zu den Streitfragen im innerdeutschen Recht SK/Paeffgen 159 ff. 2026 BGHSt (GrS) 32 115, 124. 2027 BGH StV 2002 639; NJW 2003 74 = NStZ 2003 274; NStZ 2004 345; NStZ 2005 43; NStZ 2006 648 = StV 2006 682; vgl. auch BVerfG (Kammer) NStZ 2007 534; BGHSt 51 232 = NJW 2007 1475 (technische Gewährleistung der audiovisuellen Vernehmung); hierzu Kolz FS G. Schäfer 35, 39; Walter StraFo 2004 224; KK/Schädler 57; kritisch Renzikowski FS Mehle 529, 538 ff. 2028 Dazu Walter StraFo 2004 224 ff. (grundsätzlich statthaft), auch Esser 671 ff. Zu den Bedenken nach innerstaatlichem Recht: Esser 675 ff.; Renzikowski JZ 1999 605 ff. 2029 EGMR Artner/A (Fn. 1938; „not been negligent in their efforts“); Doorson/NL (Fn. 525); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Tarau/RUM (Fn. 703); Orhan Çaçan/TRK (Fn. 1927).
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Beschuldigten eine Konfrontation des Zeugen vor Abschluss der Hauptverhandlung zu ermöglichen („make every reasonable effort“);2030 die Stellung eines (Hilfs-)Beweisantrags ist daher prinzipiell entbehrlich, sicherheitshalber freilich anzuraten. Dies gilt vor allem, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, d.h. damit zu rechnen ist, dass ein für den Nachweis des Tatvorwurfs zentraler Zeuge später für eine Einvernahme und Befragung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen wird. Stammt die Ursache für eine unterbliebene Konfrontation aus der staatlichen Sphäre oder ist sie dem Staat wenigstens zurechenbar, so sind die Strafverfolgungsbehörden für diesen Verteidigungsmangel verantwortlich.2031 Inwieweit die Strafverfolgungsbehörden bereits im Vorverfahren dafür sorgen müssen, dass der Beschuldigte sein Fragerecht effektiv wahrnehmen kann, damit es nicht durch eine vorhersehbare spätere Verfahrensentwicklung obsolet wird, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles (Vorhersehbarkeit). So kann ein Verstoß gegen das Konfrontations- und Fragerecht des Beschuldigten darin liegen, dass ein Urteil auf die Aussage eines einzigen oder zentralen Belastungszeugen gestützt wird, obwohl die Strafverfolgungsorgane es unterlassen haben, den Beschuldigten rechtzeitig von der Einvernahme zu benachrichtigen oder ihm im Falle der Inhaftierung einen Verteidiger zu bestellen (§ 141 Abs. 3 StPO), bevor der Zeuge in Abwesenheit des Beschuldigten richterlich vernommen wurde, und damit zu rechnen war, dass der Zeuge (z.B. aufgrund eines Zeugnisverweigerungsrechtes; Ausreise; Flucht) in der Hauptverhandlung nicht mehr befragt werden konnte.2032 Im Falle der Verantwortlichkeit staatlicher Stellen für eine insgesamt nicht oder nicht 796 (mehr) effektive Gewährleistung des Konfrontationsrechts darf eine Verwertbarkeit der belastenden Angaben des Zeugen nicht in Betracht kommen (Beweisverwertungsverbot)2033 – selbst wenn zusätzlich andere, die Aussage des Zeugen stützende Beweise vor-
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EGMR Delta/F (Fn. 1927); Haas/D (E) (Fn. 703); Pello/EST (Fn. 1927); Balsyte˙ Lideikiene˙/LIT (Fn. 1954); Mirilashvili/R (Fn. 580; im Ausland lebende Zeugen); Caka/ALB (Fn. 645); Khametshin/R (Fn. 703); Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471); A.S./FIN (Fn. 703); SK/Paeffgen 158; Kühne 915; vgl. hierzu BVerfGK 8 355 = NJW 2007 204 (keine Pflicht, die Aussagebereitschaft des Zeugen fortwährend zu prüfen); BGH NStZ 2004 505, 506 (Auslandszeuge); NStZ-RR 2007 315 (ausreichend, dem nicht erschienenen Zeugen ein Ordnungsgeld aufzuerlegen); StraFo 2009 374 = NStZ 2009 581 = StV 2010 57 (wegen Selbstbelastungsfreiheit keine Pflicht, den mitangeklagten Zeugen zur Beantwortung von Fragen der Verteidiger anzuhalten); hierzu kritisch: DehneNiemann HRRS 2010 189, 191 ff. Vgl. etwa EGMR Delta/F (Fn. 1927); a contrario Mika/S (E) (Fn. 703) (keine Verantwortlichkeit bei Selbstmord der Zeugin wenige Tage nach der Tat); BGHSt 46 93, 100. Die mangelnde Kooperation ausländischer Behörden ist dem Staat nicht
zurechenbar, auch wenn der Drittstaat selbst Vertragsstaat der EMRK ist: EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), § 220 (Georgien); BGHSt 55 70 (Türkei); zustimmend Zöller ZJS 2010 441, 444 f.; ablehnend Sommer StraFo 2010 284 f.; kritisch zur Differenzierung nach staatlichem Verschulden Renzikowski FS Mehle 529, 540 f. und Schramm HRRS 2011 156 ff.; für eine Differenzierung zwischen Konstellationen, in welchen das ausländische Verfahren eingehalten wurde, und einer Verletzung des ausländischen Rechts Stiebig JR 2011 170 ff. 2032 BGHSt 46 93, 100. 2033 Für ein Beweisverwertungsverbot dagegen Schlothauer StV 2001 127, 129; Klemke StV 2003 413, 415; Kunert NStZ 2001 128; Eisele JR 2004 12, 17; Fezer JZ 2001 363, 364; Gleß NJW 2001 3606; Neuhaus JuS 2000 18, 21 Fn. 23; Sowada NStZ 2005 1, 6; differenzierend dagegen: Widmaier FS G. Schäfer 76, 78, der der Beweiswürdigungslösung des BGH zustimmt und nur bei Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf Verteidigerkonsultation oder auf
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liegen. Die Rechtsprechung der deutschen Strafgerichte geht bedauerlicherweise einen anderen Weg und vertritt auch für diesen Fall lediglich eine „weiche“ Beweiswürdigungslösung (Herabstufung des Beweiswerts einer ohne Möglichkeit der Befragung des Zeugen zustande gekommenen Aussage).2034 Erweist sich eine Beschränkung des Fragerechts als „strictly necessary“ und haben 797 staatliche Stellen diesen Verfahrensmangel nicht zu verantworten, bleibt auf der zweiten Prüfungsstufe des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zu klären, ob ein Beweisverwertungsverbot nicht schon deshalb angenommen werden muss, weil der Angeklagte sein Konfrontationsrecht (wenn auch staatlich unverschuldet) zu keinem Zeitpunkt (effektiv) ausüben konnte und ihm als Ausgleich keine „adequate and proper opportunity to challenge and question“ des Zeugen gewährt werden konnte.2035 Dies gilt insbesondere für die Fallgruppe der anonymen Zeugen, da hier dem Beschuldigten neben der unterbliebenen Konfrontation zusätzlich die Identität des Zeugen verborgen bleibt.2036 Dass ein gedanklicher Weg vorbei an einem Beweisverwertungsverbot hier überhaupt gangbar scheint, liegt daran, dass der EGMR das Konfrontationsrecht als ein Element der Verfahrensfairness ansieht und dieses Teilrecht in eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens einstellt (hierzu bereits Rn. 762). Am Ende läuft dieser Ansatz auf eine Abwägung („fair balance“) zwischen den Interessen der Verteidigung und den von der EMRK anerkannten Gründen für ihre Beschränkung hinaus.2037 Abstrakte Grenze für die Verwertbarkeit von Beweisen, die niemals unterschritten werden darf, ist die Wahrung der Verteidigungsrechte und damit letztlich eben jene „Gesamt-Verfahrensfairness“.2038 Zu ihrer Gewährleistung gehört im Stadium der Beweiserhebung, dass es dem Angeklagten wenigstens möglich war, zu den ihn belastenden Angaben des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung Stellung zu nehmen und diese in Frage zu stellen – ohne freilich den Zeugen selbst befragen zu können.2039 Sollen die Angaben eines nicht konfrontierten anonymen Zeugen zum Nachteil des 798 Angeklagten verwertet werden, so hält es der EGMR für wünschenswert („souhaitable“), dass die Angaben von einem Richter überprüft werden, der die Identität des Zeugen kennt, die Gründe für die Aufrechterhaltung der Anonymität überprüft und seine Auffassung in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen zum Ausdruck bringen
Bestellung eines Pflichtverteidigers ein Verwertungsverbot annimmt; ähnlich Widmaier FS Nehm 357, 370 (Verwertungsverbot in „gravierenden Fällen“ – „Befragungsblockade“). 2034 BGHSt 46 93, 100; BGH NStZ 2005 224 = JR 2005 247 mit Anm. Esser; NJW 2007 237; NStZ-RR 2008 49; NStZ-RR 2009 212 = StV 2009 346; gegen ein Beweisverwertungsverbot auch KK/Schädler 54. 2035 Für ein generelles Verwertungsverbot der Angaben eines nicht konfrontierten Mitangeklagten Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 196, 203 ff. 2036 Für ein Verwertungsverbot der Angaben nicht konfrontierter anonymer Zeugen daher: Beulke FS Rieß 3, 9; Wattenberg StV 2000 688, 693.
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EGMR S.N./S (Fn. 716); Doorson/N (Fn. 525); Oyston/UK (E) (Fn. 541); P.S./D (Fn. 525; „principles of fair trial require that the interests of the defence are balanced against those of witnesses or victims“); Haas/D (E) (Fn. 703); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); Grabenwarter § 24, 116. 2038 Vgl. EGMR S.N./S (Fn. 716; „measures may be taken for … protecting the victim provided that such measures can be reconciled with an adequate and effective exercise of the rights of the defence“); siehe hierzu auch: Demko ZStR 2004 416, 427 ff. 2039 EGMR S.N./S (Fn. 716); P.S./D (Fn. 525; „challenge the evidence“); Asch/A (Fn. 499; „opportunity to discuss … version of events and to put his own“).
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kann.2040 Zwingend für die Wahrung der Verfahrensfairness scheint aber auch dieses Erfordernis nicht zu sein. (3) Auf der abschließenden, dritten Prüfungsstufe im Drei-Stufen-Modell zur Kon- 799 trolle von Einschränkungen des durch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK garantierten Konfrontationsrechts geht es um Anforderungen an die Beweiswürdigung. Die Angaben des nicht bzw. nur eingeschränkt konfrontierten Zeugen müssen mit besonderer Sorgfalt und Vorsicht gewürdigt werden („treated with extreme care“),2041 und außerdem durch andere Beweise erhärtet sein („corroborated by other evidence“) 2042. Die Verurteilung darf nicht „ausschließlich“ bzw. „maßgeblich“ auf die Angaben des nicht-konfrontierten Zeugen gestützt werden.2043 Dies gilt selbst dann, wenn auf der zweiten Stufe eine bestmögliche Kompensation bejaht wurde.2044 Das Konfrontationsrecht des Angeklagten ist daher verletzt, wenn das Gericht zur Schonung des jugendlichen Tatopfers eines Sexual-
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EGMR Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279). 2041 EGMR S.N./S (Fn. 716); Visser/NL (Fn. 727); Doorson/NL (Fn. 525); Haas/D (E) (Fn. 703); Krasniki/CS (Fn. 2008); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Mirilashvili/R (Fn. 580); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); V.D./RUM (Fn. 1927); vgl. auch EGMR Solakov/MAZ (Fn. 727) („thorough and careful analysis“); ebenso Baybasin/D (E) (Fn. 703); ähnlich Mika/S (E) (Fn. 703) („detailed analysis“); zur Umsetzung vgl. BGH NJW-RR 2005 321; BVerfG (Kammer) NJW 2007 204; BVerfG (Kammer), Beschl. v 23.1.2008, 2 BvR 2491/07 (unveröffentlicht): Beweiswürdigungslösung des BGH verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; BVerfG (Kammer) NJW 2010 925, 926, Tz. 15 (Sicherungsverwahrung). 2042 EGMR Doorson/NL (Fn. 525); Asch/A (Fn. 499); Artner/A (Fn. 1938); Ferrantelli u. Santangelo/I (Fn. 419); Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Mika/S (E) (Fn. 703); Baybasin/D (E) (Fn. 703); Beulke FS Rieß 3, 10 ff.; Meyer-Ladewig 244; vgl. auch BGH NStZ 2000 265; Mamikonyan/ARM (Fn. 1971), § 44 („the statement … was corroborated by other, equally weighty evidence in the case.“). 2043 Vgl. EGMR P.S./D (Fn. 525; „where a conviction is based solely or to a decisive degree on depositions that have been made by a person whom the accused has had no opportunity to examine or have examined, whether during the investigation or at the trial, the rights of the defence are restricted
to an extent that is incompatible with … Article 6“); Lucà/I (Fn. 727); Solakov/MAZ (Fn. 727); Rachdad/F, 13.11.2003; Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Scheper/NL (E) (Fn. 727); Haas/D (E) (Fn. 703); Krasniki/CS (Fn. 2008); Vaturi/F (Fn. 703); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Vladimir Romanov/R (Fn. 1927); Balsyte˙ -Lideikiene˙ / LIT (Fn. 1954); Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928); Mika/S (E) (Fn. 703); Baybasin/D (E) (Fn. 703); Tarau/RUM (Fn. 703); Dzelili/D (E) (Fn. 2008); Caka/ALB (Fn. 645); V.D./RUM (Fn. 1927); Khametshin/R (Fn. 703); Sommer/I (E) (Fn. 244); Orhan Çaçan/TRK (Fn. 1927); Sharkunov u. Mezentsev/R (Fn. 1471); Kornev u. Karpenko/UKR (Fn. 645); Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139). Vgl. auch EGMR (K) Taxquet/B (Fn. 1927; Konventionsverletzung gegeben, da sich der Akte nicht entnehmen ließ, ob sich das Urteil auch auf andere objektive Beweise stützte); siehe hierzu aber auch: EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279); zur Umsetzung vgl. BGH NJW-RR 2005 321; BVerfG (K) NJW 2007 204; BVerfG (K) Beschl. v. 2.5.2007 – 2 BvR 411/07 (unveröffentlicht), BVerfG (K) Beschl. v. 23.1.2008 – 2 BvR 2491/07 (unveröffentlicht); BVerfG (K) NJW 2010 925, 926, Tz. 15, 20 (Sicherungsverwahrung); Widmaier FS Nehm 357, 369 f. 2044 So klarstellend EGMR Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928) mit Hinweis auf EGMR Doorson/NL (Fn. 525); ebenso Jung GA 2009 235, 239; Dehne-Niemann HRRS 2010 189, 197.
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delikts nur dessen Mutter und den vernehmenden Polizeibeamten über die Angaben zum Tatgeschehen hört und sein Urteil allein auf deren Angaben stützt.2045
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(4) Kritik an der Drei-Stufen-Prüfung. Die Aufspaltung des Konfrontations- und Fragerechts auf drei Stufen verschwimmt in jüngeren Urteilen des Gerichtshofs, wenn dieser feststellt, dass sich eine Verurteilung nicht ausschließlich bzw. maßgeblich auf die Aussage eines nicht konfrontierten Zeugen stützen darf, und im Anschluss dennoch prüft, ob hinreichende, diesen Mangel kompensierende Faktoren vorliegen.2046 Ob ein Angeklagter trotz der Beeinträchtigung seines Fragerechts insgesamt noch ein faires, seine Verteidigungsrechte ausreichend wahrendes Verfahren hatte, lässt sich bei der Variationsbreite der einzelnen Fallgestaltungen nicht generell beantworten. Dies hängt vor allem von der Entscheidungserheblichkeit der Aussage und ihrer Würdigung im Urteil ab, aber auch davon, welche Bedeutung die jeweiligen Einschränkungen des Fragerechts im konkreten Einzelfall nach dem System des nationalen Rechts für das Zustandekommen des Urteils hatten.2047 Wird beispielsweise ein für die Sachaufklärung wichtiger Zeuge von der Exekutive gesperrt, so dass er vom Gericht nicht vernommen werden kann, erfordert die faire Verhandlungsführung (mindestens), dass dies vom Gericht bei der dann gebotenen vorsichtigen Beweiswürdigung berücksichtigt wird;2048 oft wird das Gericht dann die Möglichkeit nicht ausschließen können, dass der gesperrte Zeuge das Entlastungsvorbringen des Angeklagten bestätigt hätte.2049 Schließlich dürfte bei nicht konfrontierten V-Leuten dem Gebot einer vorsichtigen Beweiswürdigung kaum entsprochen werden können, wenn aufgrund von Vertraulichkeitszusagen die Höhe ihrer (in der Praxis üblichen) Bezahlung – ein für die Glaubwürdigkeit wesentlicher Faktor – nicht in Erfahrung zu bringen ist.
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5. Recht, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen zu erwirken. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweiserhebung, speziell die Ladung von Entlastungszeugen betreffend, haben die nationalen Gerichte einen Beurteilungsspielraum. Der EGMR sieht auch beim Zeugenbeweis seine Aufgabe grundsätzlich nicht darin, an Stelle des Tatrichters die Sachdienlichkeit einer Beweiserhebung oder gar die tatrichterliche Beweiswürdigung nachzuprüfen oder abstrakt zu entscheiden, ob nach nationalem
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EGMR P.S./D (Fn. 525); vgl. auch EGMR A.M./I, 14.12.1999, ECHR 1999-IX = StraFo 2000 375. 2046 So etwa EGMR Al-Khawaja u. Tahery/UK (Fn. 1928); kritisch hierzu Jung GA 2009 235, 239 f. 2047 Gegen die Lösung des BGH, der in solchen Fällen eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und ggf. die Anwendung des Zweifelssatzes fordert (vgl. BGH NStZ 2004 343): Gaede StraFo 2004 195 m.w.N., der bei Beweispersonen, deren Verwendung nach § 96 StPO gesperrt ist, einwendet, dass das Vorenthalten deren Wissens durch die Exekutive gegen den aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Offenlegung des Beweismaterials verstößt und der ein Verfahren zur richter-
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lichen Kontrolle der Erheblichkeit des gesperrten Materials ähnlich dem englischen „in camera“-Verfahren vorschlägt. 2048 Siehe etwa EGMR Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928). 2049 BGHSt 49 112 = NJW 2004 1259 = NStZ 2004 343 mit Anm. Gössel Jura 2004 696 = JZ 2004 924 mit Anm. Müller = StV 2004 192 („El Motassadeq“ – Sperrung eines Zeugen durch die USA); zu den Lösungsmöglichkeiten auch Gaede StraFo 2004 195 (mit Bedenken gegen die Beweiswürdigungslösung des BGH); nachfolgend OLG Hamburg NJW 2005 2326 (Verlesung der Vernehmungsprotokolle gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO zulässig); BGHSt 51 144 = NJW 2007 384.
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Recht die Verwendung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels zulässig war.2050 Er kontrolliert nur, ob insoweit das Gebot eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens einschließlich der Waffengleichheit gewahrt ist.2051 Die Verfahrensfairness kann zum Beispiel dadurch verletzt sein, dass eine Beweiserhebung im Allgemeinen oder ein Zeugenbeweis im Speziellen willkürlich, weil nicht durch vertretbare sachliche Überlegungen gedeckt, abgelehnt wird oder weil dem Beschuldigten eine ersichtlich relevante Verteidigungsmöglichkeit vorenthalten wird.2052 So hat der EGMR einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK in einem Fall bejaht, in dem das Berufungsgericht die Verurteilung des Angeklagten auf eine Neuinterpretation der Aussagen von Zeugen gestützt hatte, welche es selbst allerdings – entgegen dem Antrag der Verteidigung – nicht vernommen hatte.2053 Eine Verletzung des Frage- und Konfrontationsrechts setzt stets voraus, dass der Angeklagte schon auf nationaler Ebene dargelegt, weshalb die von ihm beantragte Zeugenvernehmung für die Wahrheitsfindung erforderlich sein soll.2054 Die Konventionen überlassen es dem nationalen Recht, wieweit und unter welchen 802 Voraussetzungen es die Ladung von Zeugen zulassen will.2055 Entsprechend seinem jeweiligen Verfahrenssystem kann jeder Vertragsstaat in seinem nationalen Recht die Beweiserhebung auch sachlich regeln und begrenzen. Er kann bestimmen, welche Art
2050
EGMR Unterpertinger/A (Fn. 521); Kostovski/NL (Fn. 703); Windisch/A (Fn. 499); Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Vaturi/F (Fn. 703); Jorgic/D (Fn. 372); Mirilashvili/R (Fn. 580); Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279); Mika/S (E) (Fn. 703); Tarau/RUM (Fn. 703); Caka/ALB (Fn. 645); Sommer/I (E) (Fn. 244); Orhan Çaçan/TRK (Fn. 1927); IK-EMRK/Kühne 600; Peukert EuGRZ 1980 247, 267; Vogler ZStW 89 (1977) 788. 2051 Etwa EGMR Vidal/B (Fn. 479), §§ 32–33; (GK) Perna/I (Fn. 479); Destrehem/F (Fn. 703); Accardi u.a./I (E) (Fn. 703); Haas/D (E) (Fn. 703); Vaturi/F (Fn. 703); Popov/R (Fn. 645); Sapunarescu/D (E) (Fn. 1928); Koval/UKR (Fn. 703); Vos/F (E) (Fn. 1225); Jorgic/D (Fn. 372); Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279); Mika/S (E) (Fn. 703); Tarau/RUM (Fn. 703); Sommer/I (E) (Fn. 244); Orhan Çaçan/TRK (Fn. 1927); Vaquero Hernandez u.a./E (Fn. 1139). 2052 Vgl. etwa EGMR Teixeira de Castro/P (Fn. 478); (GK) Pélissier u. Sassi/F (Fn. 648); Destrehem/F (Fn. 703); Accardi u.a./I (E) (Fn. 703; „the domestic courts [decided] on the basis of logical and pertinent arguments“); Vaturi/F (Fn. 703;
keinerlei Möglichkeit, irgendeinen Zeugen in irgendeinem Verfahrensstadium zu befragen oder befragen zu lassen); Popov/R (Fn. 645; keine [tatsächliche] Vernehmung von Entlastungszeugen, obwohl das Gericht die entsprechenden Beweisanträge der Verteidigung zuvor angenommen hatte); Pello/EST (Fn. 1927; Nichtladung zweier mutmaßlicher Entlastungszeugen, die in der Anklageschrift als Belastungszeugen bezeichnet waren); Jorgic/D (Fn. 372; „the Court cannot find that the domestic courts had acted arbitrarily“); Mirilashvili/R (Fn. 580); Polyakov/R, 29.1.2009; Bacanu u. SC „R“ SA/RUM, 3.3.2009 („la Cour est frappée […] par les arguments lapidaires et stéréotypés“); Caka/ALB (Fn. 645) (Missachtung von entlastenden Zeugenaussagen durch Gericht). 2053 EGMR Destrehem/F (Fn. 703). 2054 Etwa EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Bricmont/B (Fn. 499); (GK) Perna/I (Fn. 479); Vaturi/F (Fn. 703); Koval/UKR (Fn. 703); Vos/F (E) (Fn. 1224); Pello/EST (Fn. 1927); Taxquet/B (Fn. 1927); siehe aber auch EGMR (GK) Taxquet/B (Fn. 279); Tarau/RUM (Fn. 703); Kouzmin/R, 18.3.2010. 2055 Etwa EGMR Bricmont/B (Fn. 499); Vidal/B (Fn. 479); Alge/A (Fn. 477).
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
von Beweisen und Beweismitteln zulässig sind 2056 bzw. ob und in welcher Form Beweise in die Verhandlung einzuführen sind; 2057 er kann die Verwendung bestimmter Arten von Beweismitteln auch generell ausschließen.2058 Auch beim Zeugenbeweis hat das nationale Recht hinsichtlich Form und Inhalt einen 803 Gestaltungsspielraum.2059 Es kann die Anträge auf Ladung und Vernehmung von Zeugen an Fristen und Formen knüpfen, wie etwa an die Benennung des Beweisthemas oder die Mitteilung der Anschrift der Zeugen,2060 und es kann die Form der Ablehnung regeln. Dass die Ablehnung eines Beweisantrags in der Regel einer (förmlichen) Begründung bedarf,2061 wie dies etwa § 244 Abs. 6 StPO 2062 vorschreibt, folgt aus den Grundsätzen der Verfahrensfairness (zur Begründungspflicht allgemein siehe Rn. 231 ff.). Es ist mit den Konventionen grundsätzlich vereinbar, wenn das Recht des Angeklag804 ten, einen Zeugen unmittelbar laden zu lassen (Selbstladungsrecht, § 220 StPO), an die Sicherstellung der Auslagen des Zeugen gebunden ist, wenn diese Verteidigungsmöglichkeit dem Angeklagten nur zusätzlich zu der Möglichkeit eingeräumt wird, durch einen förmlichen Beweisantrag zu erreichen, dass das Gericht alle Beweispersonen einvernimmt, von denen sachdienliche Bekundungen zu erwarten sind.2063 Hat aber die Staatsanwaltschaft nach innerstaatlichem Recht die Möglichkeit, Zeugen unmittelbar zu laden oder laden zu lassen, so muss dieses Recht auch dem Angeklagten unter denselben Bedingungen (wie es Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK fordert) eingeräumt werden (ggf. auch ohne die Auflage, die Auslagen des Zeugen sicherzustellen). Das Recht, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen zu erwirken, wird 805 dem Angeklagten nicht als absolutes Recht auf Beiziehung einer unbegrenzten Zahl beliebiger Zeugen gewährt.2064 Es gilt die ungeschriebene Einschränkung, dass die Ladung und Vernehmung der Zeugen durch das Gericht tatsächlich durchführbar und der Zeuge erreichbar sein muss, was allerdings grundsätzlich auch die Vernehmung eines Zeugen im Ausland im Wege der Rechtshilfe oder mit Hilfe von Videotechnologie mit ein-
2056
EGMR Schenk/CH (Fn. 478; rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen); Kostovski/NL (Fn. 703); Delta/F (Fn. 1927); Allan/UK (Fn. 478); Pello/EST (Fn. 1927). 2057 Vgl. etwa EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 477; Verwertung mittels einer heimlichen Abhöranlage gewonnener Erkenntnisse, die der verhandlungsführende Richter der Beurteilung der Geschworenen überließ); zu den unterschiedlichen Auffassungen über die zuverlässige Sachverhaltsfeststellung in den nationalen Rechtsordnungen, vgl. Gleß ZStW 115 (2003) 131, 143 ff. mit Beispielen aus dem englischen und französischen Recht. 2058 EKMR Unterpertinger/A (Fn. 521). 2059 Vgl. Gleß ZStW 115 (2003) 131 ff. 2060 EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 115; bei Strasser EuGRZ 1985 627. 2061 Einschränkend noch: EGMR Bricmont/B (Fn. 499).
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2062
Vgl. hierzu BGH NJW 2005 1132. Strittig; wie hier IK-EMRK/Kühne 601; a.A. Guradze 36. 2064 EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); vgl. auch EGMR Destrehem/F (Fn. 703); Koval/UKR (Fn. 703); Vos/F (E) (Fn. 1224); Jorgic/D (Fn. 372); Tarau/RUM (Fn. 703); Khametshin/R (Fn. 703); Kouzmin/R (Fn. 2054); Frowein/Peukert 313; Radtke/ Hohmann/Ambos 51; IK-EMRK/Kühne 603; Nowak 65 (auch zum Scheitern des Vorschlags der Garantie eines weitergehenden Beweiserhebungsrechts beim Entwurf des IPBPR); EGMR Judge/UK (E) (Fn. 612), § 27 („Article 6 § 3(d) does not guarantee the accused an unlimited right to secure the appearance of witnesses in court: it is for the domestic courts to decide whether it is appropriate to call a witness.“); Köktas/D (E) (Fn. 724). 2063
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
schließt.2065 Bei Auslandszeugen muss das Gericht zumutbare Anstrengungen zur Herstellung der Erreichbarkeit des Zeugen unternehmen.2066 Wird das Recht auf Ladung von Zeugen im nationalen Recht konventionsgemäß be- 806 schränkt, so muss gleichwohl stets ein insgesamt faires, ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten bietendes Verfahren gewährleistet bleiben. Zur Wahrung der Waffengleichheit müssen für die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen die gleichen Bedingungen gelten wie sie für Belastungszeugen vorgesehen sind. Letztere Verknüpfung darf nicht dahin missverstanden werden, dass ihr schon dann genügt sei, wenn im konkreten Einzelfall Verteidigung und Anklage die Zuziehung einer gleichen Zahl von Zeugen möglich war. Es kommt nicht auf die vordergründige Gleichheit hinsichtlich der Zahl der Zeugen oder der Dauer ihrer Vernehmung an,2067 sondern darauf, dass bei allen Zeugen, von denen eine verfahrenserhebliche Aussage zu erwarten ist, die Verteidigung insgesamt die gleiche Möglichkeit für ihre Zuziehung haben muss wie die Anklage.2068 War allerdings diese Voraussetzung durch eine entsprechende rechtliche Regelung des Verfahrens und durch eine ihr entsprechende tatsächliche Verhandlungsführung2069 gewahrt, so soll es zulässig sein, dass ein Gericht den Antrag der Verteidigung auf Ladung und Vernehmung eines Zeugen (ohne weitere Begründung) 2070 ablehnt, weil es dessen Aussage nicht für erforderlich hält.2071 Auch eine damit verbundene Vorwegnahme der Beweiswürdigung (hinsichtlich der Notwendigkeit der Beweiserhebung) verletzt nicht zwangsläufig das Recht aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK.2072 Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Angeklagte darlegen kann, dass die Erheblichkeit der zu erwartenden Aussage für den Tatrichter ersichtlich war oder jedenfalls sein musste.2073 Die neuere Judikatur geht dahin, dass der Angeklagte und spätere Beschwerdeführer die Wahrscheinlichkeit darzulegen hat, dass eine Ladung und Einvernahme des (Entlastungs-)Zeugen zur Wahrheitsfindung notwendig war, damit das Instanzgericht und später der EGMR eine Verletzung der Verteidigungsrechte infolge der Weigerung, den Zeugen zu vernehmen, feststellen kann.2074 Andererseits lässt sich aber auch feststellen, dass der EGMR die Konventionskonformität der Ablehnung einer Ladung bzw. Einvernahme von Entlastungszeugen da-
2065
Enger Art. VII Abs. IX lit. d NATO-Truppenstatut, wo das gleichartige Recht nur gewährt wird, wenn die Entlastungszeugen der Gerichtsbarkeit des Aufnahmestaates unterstehen. Vgl. auch Rn. 785 sowie EGMR Haas/D (E) (Fn. 703); Zöller ZJS 2010 441, 445. 2066 EGMR Köktas/D (E) (Fn. 724; „undertaken certain efforts“). 2067 Der Hinweis bei EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40), die Nichtladung von Entlastungszeugen sei kein Verstoß, da auch keine Belastungszeugen geladen worden seien, wurde zu Recht kritisiert; vgl. IK-EMRK/ Kühne 602. 2068 IK-EMRK/Kühne 602. 2069 Guradze 36. 2070 EGMR Bricmont/B (Fn. 499); dazu krit. SK/Paeffgen 167. 2071 EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40); Bricmont/B (Fn. 499); Köktas/D (E) (Fn. 724); EKMR
bei Bleckmann EuGRZ 1979 116; 1981 115, 116, 118; 1983 17; bei Strasser EuGRZ 1989 467; Frowein/Peukert 313; Guradze 36; IK-EMRK/Kühne 602 ff.; SK/Paeffgen 167, 168 beanstandet u.a. die darin liegende Beweisantizipation und fordert zumindest eine intersubjektive Plausibilität der Ablehnung. 2072 EGMR Jorgic/D (Fn. 372), §§ 84–86; Köktas/D (E) (Fn. 724) („a pre-assessment of evidence such as proscribed in Article 244 § 5 of the German Code of Criminal Procedure does not necessarily entail a violation of the accused’s procedural rights“). 2073 EGMR Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); Vidal/B (Fn. 479); Garaudy/F, 24.6.2003, ECHR 2003-IV = NJW 2004 3695. 2074 EGMR Priebke/I, 5.4.2001 (insoweit in EuGRZ 2001 387 nicht abgedruckt); Hatipoglu/TRK (Fn. 793).
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
mit begründet, dass die Gerichte hierfür ausreichend Gründe („relevant reasons“) angeführt hatten.2075 Insoweit dürfte das Urteil Bricmont – Ablehnung der Notwendigkeit ohne weitere Begründung (s.o.) – überholt sein.
XV. Sachverständigenbeweis 807
1. Abgrenzung des Sachverständigen vom Zeugen. Die Konventionen definieren weder den Begriff des Sachverständigen noch den des Zeugen (dazu bereits Rn. 764). Die Unterscheidung ist unter dem Aspekt der Verfahrensfairness mitunter deutlich problematischer als die formale Herangehensweise der nationalen Strafprozessordnungen vermuten lässt. Der EGMR orientiert sich daher grundsätzlich nicht an diesen formalen Vorgaben des jeweiligen nationalen Rechts. Vielmehr stellt er auf die prozessuale Stellung und Einflussnahme der – nach nationalem Recht – zum Sachverständigen bestellten Person auf das Verfahren ab, sowie auf die Art und Weise der Aufgabenerfüllung.2076 Neutralität und Objektivität sind die zentralen Kriterien für die Differenzierung, ob 808 eine Person im Verfahren die Rolle eines Sachverständigen oder eines Zeugen einnimmt bzw. einnehmen kann. Zwar gelten die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht für die Tätigkeit des Sachverständigen im engeren Sinne (auch nicht für Sachverständige, die durch das Gericht bestellt werden), denn die Vorschrift ist zunächst einmal nur auf das eigentliche Verfahren zur Klärung der strafrechtlichen Anklage selbst anwendbar (dazu Rn. 69). Ein Sachverständiger muss daher auch nicht schon aus Art. 6 Abs. 1 EMRK wie ein Gericht unparteiisch sein, weil er nicht zum gerichtlichen Spruchkörper gehört, also keine die Parteien bindende Entscheidung trifft, sondern lediglich ein Beweismittel darstellt. Die Begutachtung oder eine sonstige Tätigkeit einer als Sachverständiger bestellten Person ist aber so eng mit dem Strafverfahren im engeren Sinne verbunden, dass jedenfalls bei der Einführung der Ergebnisse ihrer Tätigkeit in das gerichtliche Verfahren bestimmte Garantien des Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR gewährleistet sein müssen. Mangelt es einer zur sachverständigen Begutachtung einer Tatsache bestellten Person an Neutralität und Objektivität, so kann es einen Verstoß gegen die Waffengleichheit als Teil der Verfahrensfairness darstellen, wenn diese Person formal als Sachverständiger (und nicht als Belastungszeuge; vgl. Rn. 819) behandelt wird, insbesondere wenn ihren Bekundungen ein höherer Beweiswert beigemessen wird oder die Beschuldigtenrechte gegenüber einer Einvernahme als Zeuge eingeschränkt sind.2077 Bedenken des Beschuldigten hinsichtlich einer Parteilichkeit eines Sachverständigen 809 sind dabei nicht entscheidend, sondern vielmehr, ob etwaige Zweifel an der Neutralität objektiv berechtigt sind („objectively justified“).2078 Sonst wäre die Erhebung eines Sachverständigenbeweises aufgrund der auf vielen Feldern nur begrenzten Zahl zur Verfügung stehender Experten häufig nicht zu realisieren. Berechtigte Zweifel an der Neutralität des Sachverständigen können dazu führen, dass dieser als Belastungszeuge einzuordnen ist. In diesem Fall sind die zu Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK entwickelten Grundsätze anzuwenden, um die Verfahrensfairness zu gewährleisten (siehe dazu Rn. 823).2079
2075
EGMR Köktas/D (E) (Fn. 724). EGMR Bönisch/A (Fn. 522), § 31; Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 42, 59. 2077 Meyer-Ladewig Art. 6, 155 unter Hinweis auf EGMR Sara Lind Eggertsdóttir/ISL (Fn. 439); Shulepova/R, 11.12.2008 (ärzt2076
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licher Sachverständiger, der bei beklagter Klinik angestellt ist). 2078 EGMR Stoimenov/MAZ, 5.4.2007, § 40; Brandstetter/A (Fn. 490), § 44. 2079 Hierzu ausführlich: Esser 630 ff.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Die Zugehörigkeit einer Person zu einer Stelle, auf deren Anzeige hin das strafrecht- 810 liche Ermittlungsverfahren in Gang gekommen ist, bzw. auf deren Gutachten die eigentliche Anklage beruht, begründet in der Regel (noch) keine berechtigten Zweifel an ihrer Neutralität.2080 Auch dass ein Sachverständiger seinen Untersuchungsauftrag überschreitet, indem er in seinem Gutachten auf Fragen der Beweiswürdigung eingeht, soll hierfür nicht ausreichen.2081 Werden aber genau die Personen, deren Handeln zur Entstehung des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts geführt hat, als Sachverständige bestellt, so fordert die Waffengleichheit, dass der Beschuldigte die Möglichkeit erhalten muss, den (formal gesehen) „Sachverständigen“ wie einen Belastungszeugen nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zu befragen.2082 2. Auswahl des Sachverständigen. Art. 6 EMRK gewährt dem Beschuldigten kein 811 Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl eines zu bestellenden Sachverständigen. Besitzt der vom Gericht auserkorene Sachverständige die von ihm unter Fairnessgesichtspunkten geforderte Neutralität, stellt es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit dar, wenn das Gericht dem Antrag der Verteidigung, einen anderen Sachverständigen zu bestellen, nicht folgt.2083 Hat der Beschuldigte Zweifel an der Neutralität des vom Gericht ausgewählten Sach- 812 verständigen, so trifft ihn eine Rügeobliegenheit. Deren Reichweite und Umfang war im Urteil Brandstetter zunächst offen geblieben, ebenso wie das Gericht auf eine solche Rüge zu reagieren hat.2084 Im Urteil Mirilashvili ließ es der EGMR ausreichen, dass sich das nationale Gericht mit den Bedenken ernsthaft auseinandersetzt und zu einem Ergebnis kommt, das nicht willkürlich erscheint.2085 Nach Ansicht des EGMR ist eine Rüge grundsätzlich unbeachtlich, wenn sie erst nach der Erstattung eines nachteiligen Gutachtens erhoben wird.2086 Häufig werden sich Zweifel an der Neutralität aber gerade aus dem Inhalt des erstellten Gutachtens oder aus den Ausführungen in der Hauptverhandlung ergeben. Daher sollte der EGMR deutlicher zwischen anfänglichen und nachträglichen Bedenken hinsichtlich der Neutralität differenzieren. 3. Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Grundsätzlich ist es Sache 813 der nationalen Gerichte, zu entscheiden, ob ein Sachverständiger bestellt werden muss oder ob eine Frage auch ohne die Sachkunde eines Sachverständigen entschieden werden kann. Allerdings hat der Gerichtshof schon wiederholt festgestellt, dass der Verzicht auf die Bestellung eines Sachverständigen unter bestimmten Umständen dazu führen kann, dass der Angeklagte insgesamt kein faires Verfahren hatte.2087
2080
EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), § 44. Vgl. hierzu auch EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), §§ 176 f. 2082 EGMR Bönisch/A (Fn. 522); vgl. zu diesem Urteil: OLG Koblenz ZLR 1987 167; Meier ZLR 1988 265, 270 ff.; Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 44 f., 60 f.; Stoimenov/MAZ (Fn. 2078), § 40; anders bezogen auf einen zivilrechtlichen Sachverhalt: EGMR Olsson/S, 24.3.1988, A 130, §§ 12, 89 = EuGRZ 1988 591 (Inobhutnahme von Kindern aus Gründen des Jugendschutzes: Einvernahme einer mit dem Fall befassten Ärztin als Sachverständige zulässig). 2081
2083
EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), §§ 188, 191. 2084 EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 44 f. 2085 EGMR Mirilashvili/R (Fn. 580), § 181; Alois Weinöhrl/D (E), 4.11.2008 (sozialgerichtliches Verfahren). 2086 Vgl. EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 44 f.; Bernard/F, 23.4.1998, Rep. 1998-II, §§ 37–41 = ÖJZ 1999 236. 2087 Meyer-Ladewig Art. 6, 154; vgl. auch EGMR Paefgen/D (E), 12.1.2010.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
a) Erforderlichkeit zur Sachaufklärung. Das Tatgericht besitzt einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Sachaufklärung notwendig ist 2088 und welche spezielle Sachkunde im konkreten Fall erforderlich ist.2089 Indem der EGMR die Entscheidung in das Ermessen des nationalen Gerichtes stellt, billigt er diesem sogar eine gewisse negative Vorwegnahme der Beweiswürdigung zu.2090 Die Bedeutung der zu fällenden Entscheidung kann aber unter besonderen Umständen die Bestellung eines Sachverständigen erforderlich machen (Elsholz).2091 Dies gilt im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 EMRK insbesondere dann, wenn der Fall Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die aufgrund des Aktenmaterials nicht angemessen gelöst werden können.2092
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b) Pflicht zur aussagepsychologischen Begutachtung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen. Ein weiter Beurteilungsspielraum wird dem Tatgericht auch hinsichtlich der Frage zugestanden, ob es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen selbst einschätzen kann oder auf die Sachkunde eines Psychologen bzw. Psychiaters angewiesen ist.2093 Urteile oder Entscheidungen des EGMR, die sich explizit mit der Erforderlichkeit einer aussagepsychologischen Begutachtung zur Frage der Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder Mitbeschuldigten im Strafverfahren befassen, liegen – soweit ersichtlich – noch nicht vor. Überträgt man die Grundsätze, die der EGMR im Fall Elsholz (siehe Rn. 814) aufgestellt hat, auf die Besonderheiten eines Strafverfahrens und die Situation des Zeugenbeweises, so wird man auch in diesem Zusammenhang auf die „besonderen Umstände“ und die „Bedeutung der zu fällenden Entscheidung“ abzustellen haben: Die „Bedeutung der zu fällenden Entscheidung“ ließe sich zunächst recht abstrakt auf die vom Gericht zu treffende Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten beziehen. Dies hätte allerdings zur Folge, dass dieses Kriterium im Strafverfahren nahezu jeden einschränkenden Charakter verlöre, da eine strafrechtliche Verurteilung – unabhängig von der konkreten Strafe – stets mit einem gravierenden Unwerturteil verbunden ist, so dass man immer von einer solchen „Bedeutung“ ausgehen müsste. Bezogen auf die besondere Problematik „Glaubwürdigkeit eines Zeugen“, spricht deshalb mehr dafür, im Hinblick auf das Kriterium der „zu treffenden Entscheidung“ die strafrechtliche Beweiswürdigung ins Visier zu nehmen. Von „Bedeutung“ wäre jedenfalls die Aussage eines zentralen Belastungszeugen. Insbesondere betrifft dies die Konstellation „Aussage gegen Aussage“. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen 816 bedarf es jedoch nicht schon deshalb, weil ein Zeuge das einzige Beweismittel ist. Hinzukommen müssen weitere „besondere Umstände“, aufgrund derer das Gericht nicht mehr auf seine eigene Sachkunde und Fähigkeit zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen vertrauen darf. Dies können etwa Reife- oder Persönlichkeitsmängel des Zeugen
2088
Vgl. zu dieser Frage auch: BVerfG NJW 2009 1585 (Gehörsverletzung durch Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots – Sachverständigengutachten – im Zivilverfahren). 2089 Hierzu allgemein: Roggenwallner StRR 2011 180. 2090 EGMR Doorson/NL (Fn. 525), §§ 31, 33 f., 81 f.; vgl. ebenso: H./F (Fn. 115), §§ 60 f., 65, 70 (zivilrechtlicher Schadensersatzprozess).
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2091
EGMR (GK) Elsholz/D (Fn. 479), §§ 52 f., 66 (Umgangsrecht eines Elternteils mit einem Kind wurde verneint, weil sich die Abneigung des anderen Elternteils auf das Kind übertragen hatte). 2092 EGMR (GK) Elsholz/D (Fn. 479), § 66. 2093 Siehe die Entscheidung: EGMR Paefgen/D (E) (Fn. 2087), die allerdings ein familiengerichtliches Verfahren betraf.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
sein, vor allem, wenn sie mit einem nicht konstanten oder gar widersprüchlichen Aussageverhalten zusammentreffen, so dass sie geeignet sind, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen aufkommen zu lassen. c) Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen. Grund- 817 sätzlich ist das Gericht nicht verpflichtet, allein wegen eines darauf gerichteten Beweisantrags eines Verfahrensbeteiligten einen Sachverständigen zu bestellen. Auch hier gelten die vorgenannten Grundsätze.2094 Die Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen stellt insbesondere dann keinen Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens dar, wenn der Beschuldigte den Antrag zu einem Zeitpunkt stellt, zu dem der mit der Einholung eines entsprechenden Gutachtens verbundene Zweck nicht mehr erreicht werden kann.2095 Der EGMR hat jedoch auch festgestellt, dass die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung von Art. 6 EMRK (unterlassene Einholung eines Gutachtens) von der Stellung eines entsprechenden Beweisantrags im nationalen Verfahren abhängen kann (Rechtswegerschöpfung).2096 d) Pflicht zur Bestellung eines weiteren Sachverständigen. Von der Notwendigkeit der 818 Beauftragung und Auswahl eines Sachverständigen zu unterscheiden ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein weiterer Sachverständiger bestellt werden muss, wenn ein Sachverständiger bereits eine Expertise geliefert hat. Maßstab ist auch hier die Gewährung eines (insgesamt) kontradiktorischen Verfahrens als zentrales Element der Verfahrensfairness. Neben der Auswahl des Sachverständigen und der Qualität der Begutachtung spielt dabei vor allem eine Rolle, ob und wie sich das Gericht mit dem Gutachten und den mündlichen Ausführungen des (ersten) Sachverständigen – einschließlich etwaiger Änderungen, Widersprüche etc. – auseinandergesetzt hat und dem Beschuldigten Gelegenheit zu einer Stellungnahme, ggf. auch eine direkte Befragung des Sachverständigen, eingeräumt hat.2097 Ist diese „Verfahrensfairness“ im engeren Sinne gewahrt, besitzen die Gerichte einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob die Einholung eines weiteren Gutachtens für die Klärung der fallrelevanten Fragestellung erforderlich ist. Die Verfahrensfairness erfordert die Einholung eines weiteren Gutachtens jedenfalls nicht schon deshalb, weil der vom Gericht bestellte (neutrale) Sachverständige den Standpunkt der Anklagebehörde teilt.2098 Die Einholung einer weiteren Expertise kann jedoch erforderlich sein, wenn der Sachverständige den Tatverdacht überhaupt erst begründet hat und daher als Belastungszeuge anzusehen ist (siehe oben Rn. 810).2099 Das Gericht muss keine Person als (weiteren) Sachverständigen einvernehmen (oder als Zeugen), die im Auftrag des Beschuldigten Untersuchungen vorgenommen
2094
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Siehe z.B. EGMR Martha Ullmann u. Markus Ullmann/D (E), 20.1.2009 (Sorgerechtsverfahren – Bestellung eines pädiatrischen Sachverständigen zur Begutachtung von Kindesverletzungen); vgl. zur widersprüchlichen Ablehnungsbegründung eines Beweisantrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens: BGH NJW 2010 1214 = JZ 2010 471 mit Anm. Eisenberg. EGMR Asch/A (Fn. 499) (Verheilung der Verletzungen).
2096
Siehe dazu EGMR Magnusson/S (E), 16.12.2003 (Stellung eines Beweisantrags nicht nachgewiesen); siehe auch EGMR Balsyte˙ -Lideikiene˙ /LIT (Fn. 1954), § 64 a.E. 2097 EGMR Stoimenov/MAZ (Fn. 2078), §§ 41 f. 2098 EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), § 46. 2099 EGMR Stoimenov/MAZ (Fn. 2078), §§ 38 ff.
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hat und zu einer Erkenntnis gekommen ist, die ihn entlastet.2100 Selbst wenn der Sachverständige seine im schriftlichen Gutachten geäußerte Auffassung in der mündlichen Verhandlung ändert, muss grundsätzlich kein zweites Gutachten in Auftrag gegeben werden. Vertritt der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung aber plötzlich eine vom schriftlichen Gutachten abweichende, für den Beschuldigten nachteilige Auffassung (Diskrepanz zwischen Gutachten und Erläuterung in der Verhandlung), kann die Verfahrensfairness verletzt sein, wenn kein weiteres Gutachten eingeholt wird.2101
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4. Behandlung des Sachverständigen als Belastungszeugen. Ein Sachverständiger, der nicht die von Art. 6 EMRK geforderte Neutralität und Objektivität besitzt, ist als Belastungszeuge anzusehen (s. dazu auch Rn. 808). Seine Beteiligung am Strafverfahren muss ebenso wie die Verwertung seiner Erkenntnisse dem Prinzip der Waffengleichheit Rechnung tragen. Wie das erkennende Gericht im Einzelnen zu verfahren hat, hängt zum einem von der Stellung des „Sachverständigen“ während des Verfahrens ab, zum anderen von der Art und Weise, wie er seine Aufgaben erfüllt. 2102 Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK verlangt, dass Personen, die von der Verteidigung benannt 820 werden, um den Ausführungen des „Sachverständigen“ zu widersprechen, vom Gericht auf die gleiche Art und Weise einvernommen werden wie der „Sachverständige“.2103 Der EGMR orientiert sich dabei am unterschiedlichen Beweiswert („Überzeugungskraft“) der Angaben eines „Sachverständigen“ gegenüber denen eines Zeugen und der (faktischen) Einflussnahme des „Sachverständigen“ auf das Verfahren. Die Verknüpfung beider Gesichtspunkte ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Angaben eines Sachverständigen gegenüber denen eines Zeugen in der nationalen Rechtsordnung explizit einen höheren Beweiswert haben.2104 Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, scheint es geboten, einen „Sachverständigen“, dem es an der gebotenen Neutralität mangelt, verfahrensrechtlich einem Belastungszeugen gleichzustellen. Der EGMR verlangt aber auch in diesem Fall nicht, dass das Gericht eine von der 821 Verteidigung benannte Person ebenfalls als Sachverständigen beauftragt und später vernimmt. Wie die Einvernahme zu erfolgen hat, hängt vielmehr davon ab, ob der „Sachverständige“ in der Verhandlung eine beherrschende Rolle einnimmt. Dies ist namentlich der Fall, wenn er dem Beschuldigten oder einem von der Verteidigung benannten Zeugen Fragen stellt oder zu dessen Ausführungen Stellung nimmt oder wenn die Ansicht des „Sachverständigen“ für die Entscheidung wegen der fehlenden Sachkunde des Gerichts besonderes Gewicht hat, insbesondere bei einer Bestellung durch das Gericht selbst.2105 Dann soll eine Vernehmung der von der Verteidigung benannten Personen als „Zeuge“ nicht genügen.
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EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 10–19, 44 ff.; siehe dazu auch OLG Koblenz ZLR 1987 167. EGMR G.B./F, 2.10.2001, ECHR 2001-X, §§ 68-70 = StraFo 2002 81 = R&P 2002 254 (Änderung eines psychiatrischen Gutachtens aufgrund von in der mündlichen Verhandlung erstmals von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Dokumenten zum Sexualverhalten des Beschuldigten). Siehe zum Beispiel EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 59 f.
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EGMR Bönisch/A (Fn. 522), § 32; Brandstetter/A (Fn. 490), § 61. Ausführlich zu Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK Rn. 773 ff. und bei Esser 630 ff. EGMR Sara Lind Eggertsdóttir/ISL (Fn. 439), §§ 47, 49; Shulepova/R (Fn. 2077), §§ 66, 68. Zu letzterem Gesichtspunkt EGMR Sara Lind Eggertsdóttir/ISL (Fn. 439), §§ 47, 49; Shulepova/R (Fn. 2077), §§ 66, 68; Mirilashvili/R (Fn. 580), §§ 178 f.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Die Verwertung von Angaben, die ein Belastungszeuge als „Sachverständiger“ ge- 822 macht hat, soll dagegen möglich sein, wenn dieser keine dominierende Rolle gespielt hat und die von der Verteidigung benannten und als Zeugen vernommenen Personen hinsichtlich solcher Punkte gehört werden, die mit der vom „Sachverständigen“ durchgeführten Untersuchung zusammenhängen.2106 Die Leitlinien des EGMR zur verfahrenstechnischen „Kompensation“ der Tätigkeit 823 eines Sachverständigen, dem die gebotene Neutralität fehlt, erscheinen wenig konsistent. Die Lösung des Problems sollte sich zentral am Status des Sachverständigen als Belastungszeugen orientieren (s.o. Rn. 809). Seine Angaben sind demnach verwertbar, wenn sämtliche durch diesen Status ausgelösten Beschuldigtenrechte beachtet worden sind, namentlich das Frage- und Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK. Da dem Fairnessgebot dadurch bereits entsprochen wird, können die von der Verteidigung benannten Personen auch als Zeugen vernommen werden.2107 5. Rechte des Beschuldigten a) Anwesenheits-/Auskunftsrecht. Aus Art. 6 EMRK lässt sich kein selbstständiges 824 Recht ableiten, bei Explorationen oder der sonstigen Tätigkeit eines Sachverständigen anwesend zu sein oder (separat) Einsicht in Unterlagen zu erhalten, die der Sachverständige in seine Untersuchungen mit einbezogen hat (zur Akteneinsicht allgemein siehe Rn. 635 ff.). Es ist allerdings zur Wahrung der Verfahrensfairness sicherzustellen, dass sich der Beschuldigte im (späteren) gerichtlichen Verfahren nach den Maßstäben des Art. 6 EMRK beteiligen kann.2108 Daraus folgt ein Anspruch auf frühzeitige Mitteilung des vom Sachverständigen erstellten Gutachtens, insbesondere, wenn die Angaben des Sachverständigen für die vom Gericht zu treffende Entscheidung maßgeblich sind.2109 Das Recht, möglichst frühzeitig vom Inhalt des Gutachtens in Kenntnis gesetzt zu werden, steht auch in Zusammenhang mit dem Grundsatz, dass dem Beschuldigten die effektive Möglichkeit einer Stellungnahme zum Gutachten gewährleistet sein muss (dazu Rn. 825). b) Recht auf (effektive) Stellungnahme. Handelt es sich bei dem Gutachten des Sach- 825 verständigen um ein wesentliches Beweismittel, müssen die Parteien zu diesem effektiv Stellung nehmen können.2110 Das heißt nicht, dass den Parteien bzw. dem Beschuldigten das Recht zusteht, bei der Erstellung des Gutachtens von Anfang an mitzuwirken. Der Fall Cottin lässt erkennen, dass eine solche Stellungnahme unter bestimmten Vor- 826 aussetzungen nur im zeitlichen Zusammenhang mit der Fertigstellung des Gutachtens gewährleistet ist. Die Möglichkeit der Stellungnahme erst nach Fertigstellung des Gutachtens ist dann nicht mehr effektiv, wenn (1) die behandelte Fragestellung mit der vom Gericht zu entscheidenden Frage identisch ist, (2) die Tätigkeit des Sachverständigen sich auf ein Gebiet erstreckt, welches sich dem Wissen des Gerichts entzieht, (3) das Gutachten zwar für das Gericht nicht bindend ist, jedoch auf die Tatsachenermittlung einen überragenden Einfluss hat, (4) keine Schwierigkeit für die Beteiligung der Partei bei der Erstellung des Gutachtens besteht, (5) die Partei aufgrund der unterbliebenen Beteili2106 2107 2108 2109
EGMR Brandstetter/A (Fn. 490), §§ 22–27, 60–63; Mirilashvili/R (Fn. 580), §§ 179 f. EGMR Bönisch/A (Fn. 522), §§ 33 f.; Belevitskiy/R (Fn. 1986), § 177. Meyer-Ladewig 156. Vgl. hierzu EGMR Bernard/F (Fn. 2086),
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§ 38; zur „Abhängigkeit“ des Richters vom Sachverständigen: Nack GA 2009 201; Erb ZStW 121 (2009) 802. EGMR Stoimenov/MAZ (Fn. 2078), § 43.
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gung keine Möglichkeit hat, Zeugen zu befragen, die die Ansicht der Gegenseite stützen, (6) der Partei die im Gutachten berücksichtigten Dokumente erst nach dessen Fertigstellung und Übermittlung zur Kenntnis gelangen.2111
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c) Unschuldsvermutung. Der Sachverständige muss sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch in seinen mündlichen Ausführungen vor Gericht der Unschuldsvermutung Rechnung tragen (Art. 6 Abs. 2 EMRK). Der EGMR überprüft dies auf der Ebene der Beweiswürdigung. Wird im Ermittlungsverfahren ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, mit dessen Hilfe sowohl die Gefährlichkeit des Beschuldigten als auch das Vorliegen einer geistigen oder psychischen Abnormität festgestellt werden soll, soll es nicht zu beanstanden sein, wenn der Sachverständige von der Hypothese ausgeht, dass der Beschuldigte die Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist, begangen hat.2112 Ob man hier der Unschuldsvermutung tatsächlich gerecht wird, erscheint zweifelhaft. Der EGMR sollte sich hier an den Grundsätzen orientieren, die er zur Tätigkeit von Ermittlungsbehörden und zum Einfluss der Öffentlichkeit auf den Ausgang des Strafverfahrens aufgestellt hat (Rn. 485 ff.).
XVI. Dolmetscherunterstützung (Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR) 828
1. Zweck und Schutzgehalt der Garantie. Zweck der Garantie aus Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK ist es, in Ergänzung der Gewährleistungen der Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR, jedem Beschuldigten, der der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtig ist – dabei kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern allein auf die Sprachunkenntnis an –, die effektive Wahrnehmung seiner Verfahrensinteressen und damit ein faires Verfahren zu sichern.2113 Fremdsprachige Beschuldigte sollen dem Beschuldigten gleichgestellt werden, der die Gerichtssprache beherrscht. Mangelnde Sprachkenntnisse eines Beschuldigten sollen die Verteidigung nicht beeinträchtigen; das erhöhte Kostenrisiko soll die Zuziehung eines Dolmetschers nicht verhindern.2114 Deshalb wird – anders als beim Recht auf einen (ggf. zusätzlich zu bestellenden) Verteidiger (vgl. Rn. 733) – nicht darauf abgestellt, ob der Beschuldigte die für die Bezahlung dieser Unterstützungsleistung notwendigen Mittel aufbringen kann. Die Garantie findet sich zudem in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 lit. a AMRK und in Art. 55 829 Abs. 1 lit. c, Art. 67 Abs. 1 lit. f IStGH-Statut. Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht kann sich die Notwendigkeit der Zuziehung 830 eines Dolmetschers aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergeben;2115 ein genereller Anspruch auf Kostenfreistellung lässt sich daraus jedoch nicht her-
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EGMR Cottin/B (Fn. 1657), §§ 31–33 (Strafverfahren); siehe zuvor schon die allerdings zivilrechtlichen Urteile: EGMR Mantovanelli/F, 18.3.1997, Rep. 1997-II, §§ 33, 35 f.; Eskelinen u.a./FIN (Fn. 1938), §§ 30–34. EGMR Bernard/F (Fn. 2086), §§ 37–41; zur Unschuldsvermutung im Lebensmittelstrafverfahren: Meier ZLR 1988 265, 278 ff. Vgl. Rn. 195 ff.; vgl. zur Notwendigkeit
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von Dolmetscherleistungen im Strafvollzug: Sagel-Grande FS 2010 100 (Studie aus den Niederlanden). EKMR EuGRZ 1977 467 (Luedicke u.a.); BVerfG NJW 2004 50. Vgl. etwa BVerfGE 40 199; 64 135 = JZ 1983 569 mit Anm. Rüping (str.; aber Ableitung aus fairem Verfahren); BVerfG NJW 1990 3072; BayObLG NJW 1996 1836.
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leiten. Das BVerfG stützt deshalb den grundsätzlichen Anspruch eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG; allein wegen mangelnder Sprachkenntnisse darf niemand schlechter gestellt werden als die anderen, mit einem solchen Kostenrisiko nicht belasteten Beschuldigten.2116 Für Taube und Stumme gilt die Konventionsgarantie des kostenlosen Beistands eines 831 Dolmetschers nach ihrem Wortlaut nicht.2117 Es liegt aber nahe, die Vorschrift auf diese Personen wegen des gleichen Grundgedankens entsprechend anzuwenden. Andernfalls folgt aus der Garantie eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK)2118 ebenso wie aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nur das Gebot, dass ein Dolmetscher zuzuziehen ist, wenn das zur Verteidigung notwendige Verständnis aller Verfahrensvorgänge und die Verständigung mit dem Beschuldigten nicht anderweitig sichergestellt werden kann.2119 Die Kostenfrage bliebe davon unberührt, sofern man die Kostenfreiheit nicht mit dem Gleichbehandlungsgebot bei den Konventionsrechten (Art. 14 EMRK / Art. 26 IPBPR) rechtfertigt, das – ebenso wie Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG – jede Benachteiligung wegen einer Behinderung ausschließt. Unzureichende Sprachkenntnisse für sich allein rechtfertigen nicht automatisch die 832 Bestellung eines Verteidigers (Rn. 740).2120 Gerade deshalb ist eine wegen Sprachunkenntnis erforderliche Dolmetscherunterstützung unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs oder sonstiger Besonderheiten des konkreten Falles zu gewährleisten. 2. Voraussetzung des Anspruchs. Einen Anspruch auf Zuziehung eines Dolmetschers 833 hat der Beschuldigte nur, wenn er die Gerichtssprache nicht so sicher beherrscht, dass er der späteren Verhandlung folgen, ihre Vorgänge verstehen oder sich bei seiner Einlassung und seinen Anträgen so ausdrücken kann, wie es seine zweckentsprechende Verteidigung (auch schon im Ermittlungsverfahren, Rn. 839) erfordert.2121 Ein Dolmetscher ist bereits dann beizuziehen, wenn eine der Voraussetzungen (nicht verstehen oder nicht ausdrücken) vorliegt.2122 Die Anforderungen an das zu verlangende Sprachniveau kön-
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BVerfG NJW 2004 50; NJW 2004 1095 (keine Schlechterstellung bei Briefkontrolle und Besucherüberwachung eines Inhaftierten). Da Art. 3 Abs. 3 GG keinen Gesetzesvorbehalt habe, könnten sich Einschränkungen nur durch Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht rechtfertigen lassen, zu denen die Sicherung der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens gehöre. Bei der Abwägung seien die „falltypische Gestaltung“ und die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. SK/Paeffgen 172; a.A. IK-EMRK/Kühne 611. Vgl. SK/Paeffgen 172; IK-EMRK/Kühne 611. Nr. 9005 Abs. 4 KVGKG stellt Taube und Stumme zu Recht den Fremdsprachlern gleich; vgl. auch LR/Wickern § 185, 29 GVG.
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BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit Anm. Tag; Staudinger StV 2002 327; so früher schon OLG Koblenz MDR 1994 1137. Es ist eine davon unabhängige Auslegungsfrage des nationalen Rechts, wieweit nach Lage des Einzelfalls eine notwendige Verteidigung vorliegt, vgl. LR/Lüderssen/ Jahn § 140, 103 ff. StPO; ferner etwa Basdorf GedS Meyer 19, 32; Hilger NStZ 1990 405. EGMR Colozza/I (Fn. 521); Barberà, Messegué u. Jabardo/E (Fn. 561); S¸aman/TRK, 5.4.2011; IK-EMRK/Kühne 614; MeyerLadewig 249; BVerfG (Vorprüfungsausschuss) EuGRZ 1986 439; EGMR Cuscani/UK, 24.9.2002 (kein Anspruch auf kostenlose Dolmetscherunterstützung, wenn Bf. Sprache des Gerichts ausreichend versteht, aber aus politischen Gründen ihren Gebrauch ablehnt). IK-EMRK/Kühne 613.
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nen einzelfallabhängig, vor allem bedingt durch die Komplexität des Verfahrens, variieren.2123 Es kommt stets darauf an, ob der Beschuldigte selbst die Gerichtssprache beherrscht. 834 Es genügt nicht, dass der Verteidiger neben der Gerichtssprache eine weitere Sprache spricht, die auch der Beschuldigte beherrscht (für die Notwendigkeit der Dolmetscherunterstützung bei Gesprächen zwischen Beschuldigtem und Verteidiger im Vorverfahren kann dies allerdings relevant sein; Rn. 850). Die Unterstützung des Beschuldigten durch einen sprachkundigen Angehörigen genügen zu lassen, überzeugt selbst in ganz einfach gelagerten Fällen nicht.2124 Die Zuziehung eines Dolmetschers darf das Gericht ablehnen, wenn es anhand der 835 ihm bekannten Vorgänge 2125 sicher feststellen kann, dass die für die Verteidigung erforderliche aktive und passive Verständigungsmöglichkeit des Beschuldigten in der Gerichtssprache gegeben ist (zum Ermittlungsverfahren siehe Rn. 839). Dabei kommt es auf den Einzelfall an. Bei einer Person mit fremder Muttersprache kann eine solche Sprachfertigkeit auch bei einem längeren Inlandsaufenthalt nicht ohne weiteres vermutet werden; noch weniger gilt dies bei einem im Ausland lebenden Ausländer.2126 Der EGMR überprüft die Entscheidung des nationalen Gerichts im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Sprachübertragung in eigener Verantwortung.2127
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3. Zeitlicher und sachlicher Umfang der geforderten Unterstützung. Die Garantie der Dolmetscherunterstützung will verhindern, dass mangelnde Sprachkenntnisse die Verteidigungschancen des Beschuldigten verschlechtern. Aus diesem Zweck folgt, dass die Beiordnung des Dolmetschers sich auf alle für die Verteidigung wesentlichen Vorgänge 2128 erstrecken muss, also auf alle Vorgänge, ohne deren Kenntnis ein faires, die Waffengleichheit2129 mit der Anklagevertretung wahrendes Verfahren in Frage gestellt wäre. Dass der Wortlaut auf die Verhandlungssprache des Gerichts abstellt („language used 837 in court“ / „langue employée à l’audience“), darf nicht dahingehend verstanden werden, dass sich die Notwendigkeit der Dolmetscherunterstützung auf den mündlichen Verkehr mit dem Gericht oder gar nur auf die gerichtliche Hauptverhandlung beschränken darf; mit der Anknüpfung an die Verhandlungssprache wird nur die Voraussetzung, nicht aber der Umfang der Beiordnung festgelegt – weder sachlich noch zeitlich.2130 Der Anspruch auf kostenfreie Unterstützung durch einen Dolmetscher gilt grundsätz838 lich für das gesamte Strafverfahren.2131 Wie schon in den Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK /
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SK/Paeffgen 169; vgl. auch: EGMR S¸aman/TRK (Fn. 2121). Ebenso: SK/Paeffgen 169 m.w.N.; vgl. aber: EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1979 118 (Unterstützung durch Ehefrau genügt). Nach Villiger 528 kann auch aus prozessfremden Hinweisen auf die Sprachkenntnis des Beschuldigten geschlossen werden. Vgl. EGMR Özkan/TRK (E), 21.11.2006; EKMR EuGRZ 1988 330 (Brozicek). IK-EMRK/Kühne 614. Vgl. auch: OLG Düsseldorf NJW 1989 677, das von der Bestellung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO absieht, da die Rechte des Angeklagten schon allein durch
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Beiordnung eines Dolmetschers gewahrt seien; a.A. OLG Karlsruhe NStZ 1987 522; vgl. auch: KG NStZ 1990 402 unter Aufgabe der früheren Rspr. mit Anm. Hilger. Dazu differenzierend Trechsel 329. EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); vgl. EKMR EuGRZ 1977 467; zur zunächst engeren Auffassung der EKMR (nur für Verständigung mit dem Richter) vgl. Frowein/Peukert 315; Kühne FS H. Schmidt 37; Vogler ZStW 89 (1977) 790. Zu dieser Auslegungsfrage beim IPBPR vgl. Nowak 54 ff. EGMR Katritsch/F (Fn. 1871), § 41 („Ce droit ne vaut pas pour les seules
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Art. 14 IPBPR
Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR (Rn. 559) und Art. 5 Abs. 2 EMRK – die eine Unterrichtung in einer dem Beschuldigten verständlichen Sprache vorschreiben – klar zum Ausdruck kommt, umfasst der Anspruch auf Sprachübertragung alle für die Verteidigung wesentlichen Vorgänge des gesamten Strafverfahrens einschließlich der Übersetzung der Dokumente, auf deren Kenntnis der Beschuldigte für eine sachgerechte Verteidigung angewiesen ist.2132 Die Garantie der Dolmetscherunterstützung einschließlich der Freistellung von da- 839 durch entstehenden Kosten gilt somit auch für das Ermittlungsverfahren.2133 Erfasst ist damit der mündliche und schriftliche Verkehr mit dem Verteidiger (Rn. 850) ebenso wie die kommissarische Einvernahme eines Zeugen in Gegenwart des Beschuldigten.2134 Spätestens zu Beginn des Hauptverfahrens muss das Gericht (im Vorverfahren nach 840 eigenem Ermessen die Staatsanwaltschaft oder die Polizei) 2135 unabhängig von einer Antragstellung des Beschuldigten2136 von Amts wegen2137 prüfen, ob und bei welchen verteidigungsrelevanten Verfahrensvorgängen wegen der unzureichenden Sprachkenntnisse des Beschuldigten die Übertragung in eine diesem verständlichen Sprache zur Sicherung eines fairen Verfahrens notwendig ist.2138 Dies muss nicht notwendig die Muttersprache des Beschuldigten sein; bei selteneren Sprachen wäre dies mitunter gar nicht möglich.2139 Im Verlauf des Verfahrens hat das Gericht regelmäßig zu prüfen, ob eine angemessene Dolmetscherunterstützung gewährleistet ist.2140 Gegebenenfalls, so etwa, wenn beim Vorwurf schwerer Straftaten Interessensgegensätze zwischen mehreren Beschuldigten bestehen, kann es notwendig sein, dass das Gericht zur Wahrung der Vertraulichkeit der Gespräche mit dem jeweiligen Verteidiger für jeden einzelnen Beschuldigten einen eigenen Dolmetscher bestellt.2141 Die Konventionen garantieren dem Beschuldigten den kostenfreien 2142 Beistand eines 841 Dolmetschers in allen Stadien 2143 eines Verfahrens, das eine strafrechtliche Anklage im weiten Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR zum Gegenstand hat.2144
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déclarations orales à l’audience, mais aussi pour les pièces écrites et pour l’instruction préparatoire.“); Hovanesian/ BUL (Fn. 645), § 35; BGHSt 46 178; Staudinger StV 2002 327; Meyer-Goßner 23a; SK/Paeffgen 169. Etwa Frowein/Peukert 316; BGer EuGRZ 1993 290; Grabenwarter § 24, 76; SK/Paeffgen 169; OLG Dresden StRR 2011 362. BVerfG NJW 2004 50. EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Kamasinski/A (Fn. 1378); Vogler EuGRZ 1979 644; ferner etwa OLG Frankfurt StV 1986 24; vgl. LR/Wickern § 185, 10 GVG; 187, 3 GVG. Vgl. Schmidt Verteidigung von Ausländern (2005), 214. EGMR Lagerblom/S, 14.1.2003; BVerfG NJW 2004 50; Art. VII Abs. IX lit. f NatoTruppenstatut stellt demgegenüber darauf
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ab, ob der Beschuldigte dies für erforderlich hält. EGMR Cuscani/UK (Fn. 2121). Basdorf GedS Meyer 19, 21; IK-EMRK/ Kühne 614 f.; vgl. LR/Wickern § 185 GVG. Dazu kritisch Trechsel 330. EGMR Katritsch/F (Fn. 1871); (GK) Hermi/I (Fn. 991); Özkan/TRK (E) (Fn. 2126). OLG Frankfurt StV 1996 166. EGMR Is¸yar/BUL, 20.11.2008; HRC Charles Gurmurkh Sobhraj/Nepal (1870/2009), 27.7.2010, § 7.2. OLG Brandenburg StV 2006 28. EGMR Mariani/F, 31.3.2005; diese Garantie findet sich auch in Art. 18 Abs. 7 des deutsch-sowjetischen Truppenvertrags v. 12.10.1990 (BGBl. 1991 II S. 258), während Art. 7 Abs. IX lit. f des NatoTruppenstatuts nur das Recht auf einen „befähigten Dolmetscher“ gewährt.
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Umfasst ist somit auch das Bußgeldverfahren.2145 Dort gilt die Freistellung von den Dolmetscherkosten auch für das Ermittlungsverfahren vor der Verwaltungsbehörde.2146 Ob Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK für das Vollstreckungsverfahren gilt, ist immer noch umstritten.2147 Die Norm selbst spricht lediglich von den Rechten der „angeklagte(n) Person“, so dass nach dem Wortlaut eine Geltung für das Vollstreckungsverfahren ausscheidet. Zu beachten ist allerdings, dass ausländische Inhaftierte ihre Rechtsschutzmöglichkeiten im Strafvollzug häufig gar nicht kennen.2148 Eine Erstreckung der Dolmetscherunterstützung auch auf diese Phase des Strafverfahrens ist daher menschenrechtlich dringend geboten (siehe auch Rn. 853). Zu Spannungen mit § 184 GVG („Die Gerichtssprache ist deutsch.“) kommt es insbesondere, wenn Rechtsmittel in nichtdeutscher Sprache eingelegt werden. Eine klärende Entscheidung des EGMR zu der Frage, ob ein aufgrund fehlener Sprachkompetenz verspätet eingelegtes Rechtsmittel dennoch als fristgerecht eingelegt zu gelten hat, steht noch aus. Eine Anwendung der Grundsätze des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR auf das Auslieferungsverfahren wird bislang häufig mit dem Argument abgelehnt, dass dieses dem eigentlichen Strafverfahren vorgelagerte Verfahren (noch) nicht die strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR (vgl. Rn. 68) betreffe, über die gerichtlich zu entscheiden sei.2149 Demgegenüber halten Literatur und neuere Rechtsprechung mittlerweile, teilweise unter Hinweis darauf, dass es nach § 10 Abs. 2 IRG auch im Auslieferungsverfahren zu einem gerichtlichen Befinden über die strafrechtliche Anklage kommen könne, vorwiegend einen Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers auch im Auslieferungsverfahren für gegeben.2150 Art. 11 Abs. 2 RB-EuHB sieht für Überstellungen innerhalb der Europäischen Union auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls explizit vor, dass die gesuchte Person nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates sowohl einen Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes als auch eines Dolmetschers hat. Der Anspruch auf kostenfreie Unterstützung durch einen Dolmetscher umfasst neben der Sprachübertragung in der Hauptverhandlung 2151 alle sonstigen Verfahrensvorgänge, bei denen Verständigungsschwierigkeiten die Verteidigung des Beschuldigten beeinträchtigen können. Er gilt vor allem für die Anhörung des Beschuldigten im Haftprüfungsverfahren2152 und bei allen Einvernahmen, bei denen der Beschuldigte anwesend ist (bzw.
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EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Öztürk/D (Fn. 171); Frowein/Peukert 315; Meyer-Ladewig 249; Schroth EuGRZ 1985 558; a.A. Vogler EuGRZ 1979 44. Strittig, vgl. Esser 519; Schroth EuGRZ 1985 557. Dafür LG Mühlhausen Beschl. v. 21.4.2008 (gesamtes Strafverfahren); dagegen AG Montabaur NStZ 1997 616 (nur Erkenntnisverfahren). Laubenthal Strafvollzug (2011), 335. Siehe nur OLG Düsseldorf NStZ 2001 211. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner § 40, 44 IRG; Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 40, 23 f. IRG; OLG München NJW-RR 2006 1511; OLG Celle StV 2005 452 (Anspruch
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auf Dolmetscherunterstützung im Falle der Abschiebehaft); LG Lübeck StraFo 2004 130 (entsprechende Anwendung bei Abschiebehaft); Fromm StRR 2011 208, 211. Hat der Beschuldigte eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift in Händen, verstößt es nicht gegen das faire Verfahren, wenn ihm ihre Verlesung in der Hauptverhandlung nicht nochmals mündlich übersetzt wird (BVerfG NJW 2004 1443). KK/Schädler 61; Meyer-Ladewig 251. Dass dieses selbst nicht unter Art. 6 EMRK sondern unter Art. 5 Abs. 4 EMRK fällt, steht der für das Strafverfahren insgesamt garantierten Kostenfreiheit der Sprachübertragung nicht entgegen, SK/Paeffgen 169.
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unter Fairnessgesichtspunkten sein muss). Ist nur sein Verteidiger anwesend, kann es diesem überlassen werden, den Beschuldigten darüber zu unterrichten. Bei partiellen Sprachkenntnissen können Differenzierungen gerechtfertigt sein. Wenn bei einem Beschuldigten feststeht, dass er Schreiben in der Gerichtssprache einwandfrei versteht oder sprachlich einfachen Verhandlungen folgen kann,2153 braucht es dafür keiner Übersetzung. Dies schließt nicht aus, dass die Zuziehung eines Dolmetschers zur Hauptverhandlung notwendig bleibt, weil der Beschuldigte Schwierigkeiten hat, sich in der fremden Sprache sicher auszudrücken oder weil ihm sprachlich komplizierte Vorgänge zur Kenntnis gebracht werden müssen. Ein Recht des Beschuldigten auf Zuziehung eines Dolmetschers besteht dagegen nicht, wenn (partiell) in einer Sprache verhandelt wird, die er beherrscht; etwa bei einer kommissarischen Vernehmung nach § 185 Abs. 2 GVG.2154 Der Anspruch schließt die Übersetzung solcher Schriftstücke mit ein, auf deren Verständnis der Beschuldigte angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben,2155 so vor allem die Ladung zur Hauptverhandlung,2156 den Haftbefehl,2157 die Anklageschrift 2158 oder einen Strafbefehl, ebenso eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung,2159 weiterhin solche Schriftstücke, auf denen das spätere Urteil beruht.2160 Ein Anspruch auf Übersetzung des gesamten Akteninhalts erwächst aus Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR aber nicht („interpreter“ not „translator“).2161 Einen Anspruch auf Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung hat der Beschuldigte, dem die mündlichen Urteilsgründe bei der Verkündung (mündlich) übersetzt wur-
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Vgl. BGH GA 1963 148. Vgl. auch: EGMR Diallo/S (E), 5.1.2010. EGMR Kuvikas/LIT, 27.6.2006; Lagerblom/S (Fn. 2136); Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Frowein/Peukert 316; IK-EMRK/Kühne 612; SK/Paeffgen 169; Nowak 56; Trechsel 329; Jacobs/White 203. Vgl. OLG Dresden Beschl. v. 14.11.2007 – 1 Ws 288/07 (bzgl. der Warnung betreffend die drohenden Maßnahmen im Falle des unentschuldigten Ausbleibens); OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010 49. Vgl. OLG Stuttgart Justiz 1986 307, das dies beim Haftbefehl bejaht, bei der Entscheidung über die Haftbeschwerde aber verneint, wenn diese den Haftbefehl ohne Änderung in einem wesentlichen Punkt bestätigt; ferner Rn. 556 und Art. 5 EMRK Rn. 193. Vgl. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Esser 443 f.; siehe aber auch OLG Düsseldorf NJW 2003 2766 (mündliche Übersetzung kann in einfachen Fällen genügen). Nach OLG Hamm StV 2004 364 (schriftliche Übersetzung der Anklageschrift vor der Hauptverhandlung erforderlich). Vgl. Rn. 540, nach BVerfG NJW 2004 1443
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kann der Anklagesatz dann aber in deutscher Sprache verlesen werden. LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 20 StPO; Sommer StraFo 1995 45, 48; Staudinger StV 2002 327, 329; vgl. ferner: IK-EMRK/ Kühne 618 spricht nur von „zu übersetzende[n] mündliche[n] Sprachinhalte“; SK/Paeffgen 170: kein „verfassungskräftig verbürgter Anspruch auf Erteilung der Rechtsmittelbelehrung in seiner (des Ausländers) Heimatsprache“; vgl. auch: BVerfG (Kammer) NStZ 1991 446 (zur Wiedereinsetzung); BGH StraFo 2005 419 (Rechtsmittelbelehrung muss Hinweis enthalten, dass die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache erfolgen muss). EGMR Kuvikas/LIT (Fn. 2155). EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); (GK) Hermi/I (Fn. 991); Frowein/Peukert 317; IK-EMRK/Kühne 617; Grabenwarter § 24, 99; Meyer-Goßner 26; Meyer-Ladewig 251; SK/Paeffgen 169; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 150; Vogler ZStW 89 (1977) 787; OLG Düsseldorf JZ 1986 508; OLG Hamm NStZ-RR 1999 158; OLG Dresden StRR 2011 362; vgl. Rn. 562.
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den, nach h.M. grundsätzlich nicht.2162 Unverständlich ist, dass ein solcher Anspruch nur dann bestehen soll, wenn der Beschuldigte für seine weitere Verteidigung auf den Wortlaut der Begründung angewiesen ist.2163 Dies soll – insbesondere bei einfach gelagerten Sachverhalten – nicht immer der Fall sein. Eine Rolle spielen soll dabei auch, ob dem Beschuldigten bei Einlegung von Berufung oder Revision ein Verteidiger zur Seite steht, der die Gerichtssprache spricht. Ob der Beschuldigte die schriftlichen Gründe für eine effektive Verteidigung erfahren muss, kann aus seiner Sicht letztlich erst das Ergebnis ihrer Prüfung (mit Hilfe eines Dolmetschers) sein.2164 Eine (jedenfalls mündliche) Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung sollte daher der Regelfall sein – nicht umgekehrt. Der Verkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger – sowohl die mündliche als auch 850 die schriftliche Kommunikation (auch außerhalb der Hauptverhandlung) – wird vom Anspruch auf kostenfreie Beiziehung eines Dolmetschers der Sache nach umfasst (zur Notwendigkeit im Einzelfall siehe Rn. 853).2165 Für den Verkehr mit dem Pflichtverteidiger wurde dies schon immer bejaht, während dies für den Verkehr mit dem Wahlverteidiger in Anlehnung an eine ältere Ansicht der EKMR lange Zeit überwiegend verneint wurde.2166 Da die Konventionen nicht nur für den Verkehr des Beschuldigten mit dem Gericht, sondern bei allen für die Verteidigung wesentlichen Handlungen 2167 erforderlichenfalls die kostenlose Zuziehung eines Dolmetschers vorsehen, ist kein stichhaltiger Grund ersichtlich, warum für den Verkehr mit dem Wahlverteidiger der von den Konventionen gewollte Ausgleich dieser zusätzlichen Belastung nicht gelten sollte; 2168 der Beschuldigte sollte nicht allein sprachbedingt einen Verteidiger wählen müssen, in den er kein Vertrauen hat.2169
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BVerfG NStZ-RR 2005 273; NJW 1983 2764; OLG Köln NStZ-RR 2006 51; a.A. IK-EMRK/Kühne 618 f.; SK/Paeffgen 170 („glatter Verstoß gegen Art. 6 I“) mit Hinweis auf die Bedeutung der schriftlichen Urteilsgründe, auch für die Akzeptanz des Urteils und die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Anfechtung. Vgl. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); BVerfG JZ 1983 659; BGer EuGRZ 1993 292; OLG Frankfurt NJW 1980 1238; OLG Hamm StV 1990 101 mit Anm. Kühne; Römer NStZ 1981 474; MeyerGoßner 27; LR/Hilger § 464a, 12 StPO m.w.N.; ferner Basdorf GedS Meyer 19, 26 (für Revision ohne Verteidiger); Esser 515. Vgl. BGH GA 1981 262; OLG Hamburg NJW 1978 2462, bestätigt in BVerfGE 64 151 ff. = JZ 1983 659 mit Anm. Rüping; OLG Frankfurt NJW 1980 1238; OLG Stuttgart NStZ 1981 225; OLG Hamm StV 1990 101 mit Anm. Kühne; je m.w.N.; Heldmann StV 1981 225; Sieg MDR 1981 281; vgl. ferner Meyer-Goßner 27; LR/Hilger § 464a, 12 StPO m.w.N.; a.A. SK/Paeffgen 170 (allenfalls nicht notwendig bei berufungsartigen Rechtsmitteln, aber
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Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn es für Verständnis und Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Revision maßgebend auf die schriftlichen Urteilsgründe ankommt). BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit Anm. Tag, zustimmend Staudinger StV 2002 327; OLG Celle NStZ 2011 718 = StRR 2011 166 = StraFo 2011 186; die dadurch entstandenen Kosten sind erstattungsfähige Auslagen, vgl. LR/Hilger § 464a, 8 f. StPO m.w.N. Vgl. dazu Vogler EuGRZ 1979 643; LR/Hilger § 464a, 9 StPO m.w.N. BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit Anm. Tag; IK-EMRK/Kühne 612; vgl. Rn. 838. KG NStZ 1990 402 mit Anm. Hilger; OLG Stuttgart StV 1986 491; OLG Zweibrücken NJW 1980 2143; LG Berlin NStZ 1990 450; LG Hamburg StV 1990 16; Kühne FS H. Schmidt 38; Vogler EuGRZ 1979 643; Meyer-Goßner 25; LR/Hilger § 464a, 9 StPO je m.w.N.; dahingehend auch LG Duisburg StV 2000 195, anders jedoch für das Auslieferungsverfahren OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 211. So auch Trechsel 339.
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Auch der BGH hat entschieden, dass die Konventionen für den Verkehr mit jedem Verteidiger die Kostenfreiheit der Zuziehung eines Dolmetschers 2170 erfordern, sofern und soweit die dafür von den Konventionen aufgestellten Voraussetzungen (Sprachdefizit, sachliche Erforderlichkeit der jeweiligen Besprechung für die Verteidigung, nicht aber Mittellosigkeit) gegeben sind.2171 Die Entscheidung wurde durch das BVerfG bestätigt.2172 Aus der Sicht der Konventionsgarantie ist unerheblich, mit welcher Konstruktion dieses Ergebnis im nationalen Recht erreicht wird (Beiordnung des Dolmetschers durch Gericht, nachträgliche Kostenübernahme bei Zuziehung durch Verteidiger; vorhergehende oder nachfolgende Prüfung der Erforderlichkeit).2173 Die Zuziehung des Dolmetschers muss für die Vorbereitung der Verteidigung notwendig sein. Ist für die Vorbesprechung mit dem gerichtlich bestellten Verteidiger bereits ein Dolmetscher zugezogen worden, so wird man die Zuziehung eines Dolmetschers für die Besprechung mit dem vom Beschuldigten zusätzlich gewählten Verteidiger gleichwohl als notwendig ansehen können.2174 Umfasst ist zudem eine Abschlussberatung des Verteidigers hinsichtlich der Möglichkeiten und Rechte während der Strafvollstreckung – auch nach Rechtskraft.2175 Welche sonstigen Vorgänge unter die Konventionsgarantie der kostenfreien Sprachübertragung fallen, ist strittig. Bei einer vom Staat erzwungenen Überwachung wird man nach dem Zweck der Anordnung abgrenzen müssen, da nicht die Belastung mit den Kosten der Strafverfolgung, sondern nur der sprachbedingte Nachteil bei Führung der eigenen Verteidigung ausgeglichen werden soll. Auch wenn es in der Praxis schwierig sein wird, zu unterscheiden, ob ein Besuch oder ein Telefongespräch auch der Vorberei-
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OLG Karlsruhe Justiz 2000 90; LG Berlin NStZ 1990 449; Meyer-Ladewig 249, 252 f. Für die allgemeine Freistellung des Verkehrs mit dem Wahlverteidiger von den Dolmetscherkosten auch Meyer-Goßner 25; Staudinger StV 2002 327 je m.w.N.; LG Osnabrück StraFo 2011 89 (Freistellung auch für den Fall, dass keine notwendige Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO oder Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK vorliegt); a.A. früher etwa OLG Stuttgart Justiz 1984 191; Basdorf GedS Meyer 19, 31 ff.; Villiger 530. BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit Anm. Tag. BVerfG NJW 2004 51. Zu den wegen des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung strittigen einzelnen kostenrechtlichen Konstruktionen vgl. OLG Düsseldorf StV 2000 194; OLG Karlsruhe StV 2000 193; KG NStZ 1990 403 mit Anm. Hilger; ferner etwa OLG Frankfurt StV 1991 457; OLG Hamm StV 1994 457; vgl. KG NStZ 1990 402 mit Anm. Hilger; zu den schon früher strittigen Fragen etwa OLG Düsseldorf GA 1986 79;
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JMBlNW 1989 34; Basdorf GedS Meyer 19, 29; Kühne FS H. Schmidt 40; durch BGHSt 46 178 = JR 2002 121 mit zust. Anm. Tag ist entschieden, dass die durch den Verkehr mit dem Wahlverteidiger angefallenen Dolmetscherkosten einschließlich der Kosten vorbereitender Gespräche zu erstatten sind, vgl. Meyer-Goßner 25; ferner LR/Hilger § 464a, 8 f. StPO m.w.N. OLG Oldenburg NStZ 2011 719; OLG Karlsruhe StraFo 2009 527; LG Dresden StRR 2011 156; LG Osnabrück StraFo 2011 89; LG Bielefeld StraFo 2011 217 (bejahend auch für den Fall eines der Muttersprache des Beschuldigten kundigen Pflichtverteidigers); a.A. AG Rosenheim Beschl. v. 3.3.2011, 8 Ds 280 Js 22311/10 (Verneinung der Kostentragungspflicht des Staates für den Fall, dass bereits ein vom Angeklagten gewählter Pflichtverteidiger bestellt war und keine Anhaltspunkte für eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses bestehen); OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 215 (nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände). OLG München StraFo 2008 88.
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tung der eigenen Verteidigung dient und deshalb in Zweifelsfällen die Freistellung bejaht werden muss, gilt die Kostenfreiheit an sich nur für die Kosten der Überwachung einer Kommunikation, die auch der Vorbereitung der Verteidigung im weitesten Sinne dient. Dies kann, muss aber nicht immer, auch bei den Kosten der Telefonüberwachung der Fall sein.2176 In der Praxis findet sich diese Differenzierung in der Regel nicht. Nach ihr könnten Dolmetscherkosten aus der Freistellung des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK herausfallen, so etwa die Kosten der Zuziehung eines Dolmetschers für die Kontrolle des in einer fremden Sprache geführten privaten, nicht auch verteidigungsbezogenen Briefverkehrs 2177 oder bei der Überwachung eines rein privaten Besuchs bei einem Untersuchungsgefangenen.2178 In Deutschland steht dem jedoch das gerade bei der Aufrechterhaltung privater Beziehungen in der Regel Platz greifende Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG entgegen, so dass auch insoweit – abgesehen vielleicht von wenigen, eine andere Abwägung gebietenden Ausnahmefällen – alle Überwachungskosten endgültig von der Staatskasse zu tragen sind. Im praktischen Ergebnis führt dies dazu, dass die Dolmetscherkosten bei derartigen Überwachungsmaßnahmen der Staatskasse endgültig zur Last fallen, zumal in der Regel die Trennung zwischen einer rein privaten und einer daneben auch die Vorbereitung der Verteidigung bezweckenden Unterhaltung in der Praxis ohnehin kaum durchführbar ist. Dolmetscherkosten, die dadurch angefallen sind, dass der Beschuldigte schuldhaft dem Termin ferngeblieben ist, fallen nicht unter die Freistellung,2179 wohl aber die Kosten einer durch das Ausbleiben des Dolmetschers notwendig gewordenen Verfahrensaussetzung.2180 Ein Recht auf Auswahl des Dolmetschers, d.h. auf Beiordnung einer bestimmten Per855 son als Dolmetscher, hat der Beschuldigte aufgrund der Konventionen nicht.2181 Diese schreiben auch nicht vor, wer den Dolmetscher beauftragt. Das nationale Recht kann dies entsprechend seinem jeweiligen System regeln. Der Beschuldigte kann aufgrund der Konventionen nur beanspruchen, dass ihm ein für die erforderlichen Sprachübertragun-
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Kostentragungspflicht des Staates verneinend: EGMR Akbingöl/D (E), 18.11.2004 (Herstellung von Waffengleichheit, nicht Ausgleich der Kosten der Strafverfolgung); OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 158; bejahend OLG Köln StV 1994 326; OLG Stuttgart StV 1995 260: OLG Stuttgart StV 1990 79 hatte dies offen gelassen (erst in der abschließenden Kostenentscheidung sei darüber zu befinden); ähnlich LG Berlin StV 1989 350; vgl. LR/Hilger § 464a, 14 StPO m.w.N. Die unter dem Blickwinkel des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG mit gegenteiligem Ergebnis vorgenommene Abwägung in BVerfG NJW 2004 1095 dürfte nicht den Fall eines zur Vorbereitung der Verteidigung geführten Telefongespräches betreffen. Für wohl generelle Freistellung LG Stuttgart StV 2001 123; zust. Anm. Paeffgen NStZ 2002 83 Fn. 19; Meyer-Goßner 24; a.A. OLG Stuttgart Justiz 1984 191; vgl. auch LR/Hilger § 464a, 14 StPO m.w.N.
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Gegen Freistellung Vogler EuGRZ 1979 640; OLG Koblenz NStZ-RR 1996 159; LG Mainz NStZ-RR 1996 32; a.A. OLG Düsseldorf NStZ 1991 403 (zu § 119 Abs. 3 StPO; § 27 Abs. 1 IRG); OLG Frankfurt StV 1986 24; LG Berlin StV 1989 350; Paeffgen NStZ 1989 423; 1990 533; 1998 76; Meyer-Goßner 24; OLG Stuttgart StV 1990 79 lässt dies offen und verneint nur die Vorschusspflicht für die Auslagen; für zumindest vorläufige Kostenübernahme durch die Staatskasse auch LG Berlin StV 1989 350; vgl. LR/Hilger § 464a, 14 StPO m.w.N. EKMR EuGRZ 1989 329; so jetzt § 464a StPO. LG Hamburg StV 1985 500; Meyer-Goßner 24. Kühne FS H. Schmidt 40; a.A. LG Duisburg StraFo 2008 328; AK-StPO/Püschel § 185, 8 GVG („faktisch ein Auswahlrecht“).
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gen genügend qualifizierter Dolmetscher zur Seite steht2182 und dass er mit den Kosten für dessen Zuziehung nicht belastet wird. Um das Recht auf Dolmetscherunterstützung wirklich effektiv zu machen, besteht für staatliche Stellen, namentlich für das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung, eine Pflicht zur Kontrolle der Tätigkeit des Dolmetschers; wenn sich dem Gericht der Eindruck aufdrängen muss, dass der bestellte Dolmetscher unzulänglich arbeitet, muss dieser ausgetauscht werden.2183 Ein Recht auf Verhandlung in einer bestimmten Sprache gewähren die Konventionsgarantien nicht.2184 In Staaten mit mehreren Amtssprachen muss in der Landessprache verhandelt werden, derer der Beschuldigte mächtig ist.2185 Wird diese zur Gerichtssprache, greifen weder das Recht auf einen Dolmetscher noch die Kostengarantie ein. Den Urteilen des EuGH in den Fällen Mutsch 2186 und Bickel u. Franz 2187 ist der Grundsatz zu entnehmen, dass Unionsbürger, die von einer durch das Unionsrecht geschützten Grundfreiheit Gebrauch machen und sich zu diesem Zweck in einem anderen Mitgliedstaat der Union aufhalten, hinsichtlich der von den Strafgerichten gewählten Gerichtssprache nicht gegenüber den Angehörigen dieses Staates ungleich behandelt werden dürfen. Mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist es nicht vereinbar, die Inanspruchnahme eines Dolmetschers für Mandantengespräche durch einen Verteidiger von der vorherigen Bewilligung durch das Tatgericht abhängig zu machen.2188
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4. Form. Die Konventionen verlangen prinzipiell keine schriftliche Übersetzung des 860 wesentlichen Akteninhalts.2189 Ob bei den für die Verteidigung wichtigen Schriftstücken eine mündliche Übersetzung genügt oder ob ihre vollständige schriftliche Sprachübertragung erforderlich ist, beurteilt sich nach dem Regelungszweck, dem Beschuldigten eine verlässliche Grundlage für die Wahrung seiner Rechte zu geben. Verteidigt sich der Beschuldigte selbst und enthält das Schriftstück viele Einzelheiten, mit denen er sich auseinandersetzen muss, dann reicht in der Regel schon wegen der begrenzten Aufnahmefähigkeit die einmalige mündliche Übertragung als Arbeitsgrundlage für eine effektive Verteidigung nicht aus; anders dagegen, wenn der Sachverhalt einfach gelagert und dem
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Zur Problematik richterlicher Qualitätskontrolle der Sprachübertragung Basdorf GedS Meyer 19, 22. EGMR Katritsch/F (Fn. 1871) („Le droit ainsi garanti doit être concret et effectif. L’obligation des autorités compétentes ne se limite donc pas à désigner un interprète: il leur incombe en outre, une fois alertées dans un cas donné, d’exercer un certain contrôle ultérieur de la valeur de l’interprétation assurée.“); (GK) Hermi/I (Fn. 991); Özkan/TRK (E) (Fn. 2126). IK-EMRK/Kühne 612. BGer EuGRZ 1981 221; 1995 613; aber auch ÖVerfGH EuGRZ 1984 19 m. Anm. Stadler; Corte Costitutionale EuGRZ 2000 542 (territoriale, nicht personale Garantie);
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ferner die Nachw. bei IK-EMRK/Kühne 612; SK/Paeffgen 174. EuGH Rs. 137/84 (Mutsch), 11.7.1985, Slg. 1985, 2681 = EuGRZ 1985 609. EuGH Rs. C-274/96 (Bickel u. Franz), 24.11.1998, Slg. 1998 I-7637 = EuZW 1999 82 m. Anm. Novak. BVerfG NJW 2004 50; OLG Karlsruhe StraFo 2009 527; OLG Celle NStZ 2011 718. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Katritsch/F (Fn. 1871; „le paragraphe 3e) ne va pas jusqu’à exiger une traduction écrite de toute preuve documentaire ou pièce officielle du dossier.“); Meyer-Ladewig 250 (mündliche Übersetzung in Hauptverhandlung kann genügen).
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Beschuldigten ohnehin bekannt ist oder wenn er einen Verteidiger hat, der mit ihm die einzelnen Punkte besprechen kann.2190 Bei Entscheidungen, die mündlich verkündet werden, genügt es in der Regel, wenn ihr wesentlicher Inhalt dem anwesenden Beschuldigten mündlich übersetzt wird.2191 Ist eine Zustellung an den abwesenden Beschuldigten erforderlich, ist allerdings eine schriftliche Übersetzung beizufügen.2192 Form und Umfang der Sprachübertragung von Verfahrenshandlungen bzw. der Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst werden nicht näher festgelegt. Den Anforderungen der Konventionen genügen in der Regel sowohl die mündliche als auch die schriftliche Übertragung. Bei den Vorgängen in einer mündlichen Verhandlung wird im Allgemeinen eine mündliche Sprachübertragung stattfinden. Die Konventionen fordern nicht die wortwörtliche Übersetzung aller Vorgänge. Sofern es nicht im Einzelfall auf den genauen Wortlaut ankommt oder eine Vielzahl von Einzelheiten nur durch wiederholtes Nachlesen erfasst werden kann,2193 genügt es, wenn dem Beschuldigten das für seine Verteidigung Wesentliche mündlich simultan oder konsekutiv übersetzt wird,2194 wie etwa der Inhalt einer ihn belastenden Zeugenaussage oder eines in der Hauptverhandlung verwendeten schriftlichen Beweismittels. Will das Gericht den Inhalt einer Urkunde im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung machen, so ist zumindest erforderlich, dass das Gericht dafür sorgt, dass dem Beschuldigten der Inhalt der Urkunde übersetzt wird, wenn ihm keine schriftliche Übersetzung zur Verfügung gestellt werden kann. Die Einschränkung, die § 259 Abs. 1 StPO hinsichtlich der Schlussvorträge von Anklage und Verteidigung bringt, dürfte nur bei vernünftiger, die Verteidigungsbelange berücksichtigender Handhabung mit den Konventionen vereinbar sein, die eine Unterrichtung über den für die Verteidigung wichtigen Inhalt, nicht aber eine wörtliche Sprachübertragung fordern. 5. Kostenfreistellung. Die Freistellung von den Dolmetscherkosten wird von den Konventionen ausdrücklich garantiert – absolut, d.h. unabhängig von der Vermögenslage des Betroffenen,2195 und endgültig.2196 Davon dürfen die Konventionsstaaten nicht abweichen.2197 Die früher in Deutschland vertretene Auffassung, dass die Befreiung nur eine vorläufige sei und nicht daran hindere, einem verurteilten Beschuldigten diese Kosten als Auslagen aufzuerlegen,2198 ist überholt. Die Erstattung der Kosten darf nicht
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EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Kühne FS H. Schmidt 39; vgl. auch BVerfG NJW 1990 3072 (Zivilprozess). EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378). Vgl. Nr. 181 II RiStBV; dazu Basdorf GedS Meyer 19, 25. Vgl. Kühne FS H. Schmidt 40. EGMR Kamasinski/A (Fn. 1378); Trechsel 336. EGMR Is¸yar/BUL (Fn. 2142; Anspruch auf kostenlose Dolmetscherunterstützung auch bei anderslautender nationaler Regelung); SK/Paeffgen 169; KK-EMRK-GG/Grabenwarter/Pabel Kap. 14, 150; differenzierend: Trechsel 331 f., der die Kostenfreiheit
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(„The guarantee is absolute in its financial aspect.“), nicht jedoch das Recht auf Dolmetscherunterstützung als solches („… with regard to the right to assistance as such, the picture we gain … is quite different“) für absolut garantiert hält. Kritisch SK/Paeffgen 171 („völlig undifferenzierende Lösung“). EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Frowein/Peukert 319; IK-EMRK/Kühne 622; Nowak 57; LR/Hilger § 464a, 3, 8 StPO m.w.N. EGMR Hovanesian/BUL (Fn. 645), §§ 48 ff. Vgl. die Nachweise bei SK/Paeffgen 169.
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Recht auf ein faires Verfahren
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davon abhängig gemacht werden, ob der Beschuldigte freigesprochen oder verurteilt wurde.2199 Die absolute Gewährung des Anspruchs auf kostenfreie Dolmetscherunterstützung 866 bedeutet, dass auch der wohlhabende Beschuldigte Anspruch auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers hat, soweit der Ausgleich des Sprachdefizits für seine Verteidigung und damit für ein dem Rechtsstaatsgebot entsprechendes faires Verfahren notwendig ist (s.o. Rn. 828).2200 Dies ist nicht der Fall, wenn er die Gerichtssprache ausreichend versteht, aber es aus politischen Gründen ablehnt, sie zu benutzen.2201 Hat der Beschuldigte nach einer Verurteilung die Verfahrenskosten zu tragen, so muss 867 er für die Dolmetscherkosten gleichwohl nicht aufzukommen.2202 Lediglich die Auslagen für den Dolmetscher, die durch sein schuldhaftes Säumnis unnötig entstanden sind, können ihm auferlegt werden.2203 Die Freistellung von den Dolmetscherkosten gilt auch für den Privatbeklagten, nicht aber für den Privatkläger2204 oder Nebenkläger.2205 Eines nachträglichen, besonderen Ausspruchs über die von Verfassungs wegen gebo- 868 tene, grundsätzliche Kostentragungspflicht der Staatskasse im Sinne einer Kostengrundentscheidung bedarf es – auch für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten – nicht. Sie ergibt sich unmittelbar aus Nr. 9005 Abs. 4 KV GKG.2206 6. EU-Richtlinie zur Dolmetscherunterstützung. Bereits am 23.10.2009 hatten sich 869 die Justizminister der EU-Mitgliedstaaten auf einen Rahmenbeschluss über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Unterstützungen in Strafverfahren geeinigt,2207 der wegen des Inkrafttretens des Vertrages von Lissabon am 1.12.2009 allerdings nicht mehr nach altem Recht umgesetzt werden konnte.2208 Im Januar 2010 wurde durch den Rat der Europäischen Union eine entsprechende 870 Richtlinie eingebracht,2209 die im Dezember 2009 von einer Initiative aus 13 Mitgliedstaaten, basierend auf Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. b AEUV, vorgeschlagen wurde.2210 Im
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Meyer-Goßner 24; IK-EMRK/Kühne 622; so auch Trechsel 332; zur Tragweite der Kostenfreiheit vgl. LR/Hilger § 464a, 8 ff. StPO. 2200 Vgl. BVerfGE 64 145; Basdorf GedS Meyer 19, 20; SK/Paeffgen 171. 2201 Grabenwarter § 24, 76. 2202 EGMR Luedicke u.a./D (Fn. 1377); Esser 516 ff. 2203 Vgl. LR/Hilger § 464c, 1 StPO; Esser 519; vgl. auch: LG Trier NStZ-RR 2009 159 (analoge Anwendung des § 464c StPO im Falle der Weiterbearbeitung des Verfahrens in Deutschland im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens der ungarischen Strafverfolgungsbehörden für die anfallenden Übersetzungskosten der ungarischen Akten für den deutschsprachigen Angeklagten). 2204 Meyer-Goßner 24; LR/Hilger § 464a, 11 StPO; vgl. auch BVerfG NStZ 1981 230. 2205 BGH NJW 2003 218; a.A. LR/Wickern § 185, 36 GVG m.w.N.
2206
OLG Karlsruhe StraFo 2009 527; OLG München StraFo 2008 88; OLG Brandenburg StraFo 2005 415; a.A. OLG Düsseldorf StRR 2007 163; OLG Celle Beschl. v. 9.3.2011 – 1 Ws 102/11, StRR 2011 166. 2207 Ratsdok. 14792/09. Weiterhin haben die Justizminister eine Entschließung zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung des Rechts auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verabschiedet; Ratsdok. 14793/09. 2208 Zur Entstehung siehe auch Cras/de Matteis 153 ff. 2209 Rat, Interinstitutionelles Dossier 2010/0801 (COD), 5673/10, DROIPEN 8, COPEN 25, CODEC 47 v. 22.1.2010. 2210 Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren, ABlEU Nr. C 69 v. 18.3.2010, S. 1.
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März 2010 legte die Europäische Kommission einen eigenen Vorschlag für eine derartige Richtlinie vor.2211 Am Ende wurde die Richtlinie über das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren vom 20.10.2010 verabschiedet.2212 Nunmehr haben die Mitgliedstaaten bis zum 27.10.2013 Zeit, um die Richtlinie umzusetzen (Art. 9 Abs. 1 RL).2213 Die Richtlinie sieht vor, dass Personen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von ihrer Verdächtigung oder Beschuldigung Kenntnis erlangen, bis zum Abschluss des Verfahrens, einschließlich der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren, ein Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen haben (Art. 1 Abs. 1, 2 RL). Sie gilt zudem in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 7; Art. 3 Abs. 6 RL). Dabei sollen die Leistungen unverzüglich, „während der Strafverfahren bei Ermittlungs- und Justizbehörden, einschließlich während polizeilicher Vernehmungen, sämtlichen Gerichtsverhandlungen sowie aller erforderlicher Zwischenverhandlungen“ zur Verfügung gestellt werden (Art. 2 Abs. 1 RL). Darüber hinaus wird auch die Verständigung der verdächtigen oder beschuldigten Person mit ihrem Rechtsbeistand erfasst (Art. 2 Abs. 2 RL). Diese Regelung entspricht dem Niveau des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK, der die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Dolmetscherleistungen auch für Verteidigergespräche zur Verfügung zu stellen (vgl. Rn. 850). Die RL sieht auch die Möglichkeit des Einsatzes von Kommunikationstechnologien, wie Videokonferenz, Telefon und Internet, vor, sofern für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht die persönliche Anwesenheit des Dolmetschers erforderlich ist (Art. 2 Abs. 6 RL). Die verdächtige oder beschuldigte Person muss innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen erhalten (Art. 3 Abs. 1 RL). Dazu zählen „jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil“ (Art. 3 Abs. 2 RL). Was darüber hinaus als „wesentlich“ gilt, entscheiden die zuständigen Behörden im konkreten Fall, wobei allerdings ein entsprechender Antrag gestellt werden kann (Art. 3 Abs. 3 RL). Eine Einschränkung erfolgt allerdings insoweit, als „Passagen wesentlicher Dokumente, die nicht dafür maßgeblich sind, dass die verdächtigen oder beschuldigten Personen wissen, was ihnen zur Last gelegt wird“, nicht übersetzt werden brauchen (Art. 3 Abs. 4 RL).2214 Zudem wird, sofern dies nicht dem fairen Verfahren entgegensteht, eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung für ausreichend erachtet (Art. 3 Abs. 7 RL).2215 Ein Verzicht auf das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen kann nur nach vorheriger rechtlicher Beratung oder anderer Kenntniserlangung der Folgen eines solchen Verzichts unmissverständlich und freiwillig erklärt werden (Art. 3 Abs. 8 RL).
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Europäische Kommission, „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren“, KOM (2010) 82 endg. v. 9.3.2010. Zur Notwendigkeit von Dolmetscherleistungen im Strafvollzug: SagelGrande FS 2010 100 (Studie aus den Niederlanden).
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ABlEU Nr. L 280 v. 26.10.2010, S. 1 ff. Dänemark hat sich weder an der Annahme der RL beteiligt noch ist es durch sie gebunden oder zu ihrer Anwendung verpflichtet, vgl. Europäisches Parlament und der Rat 2010/0801 (COD) v. 24.9.2010, Nr. 36 der Gründe. Vgl. dazu auch Cras/de Matteis 153, 159 f. Vgl. dazu auch Cras/de Matteis 153, 160.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Für die verdächtige oder beschuldigte Person von besonderer Bedeutung ist, dass die 877 Dolmetsch- und Übersetzungskosten unabhängig vom Verfahrensausgang jedenfalls vom Mitgliedsstaat getragen werden (Art. 4 RL).2216 Zudem muss sichergestellt werden, dass Dolmetscher und Übersetzer die Vertraulichkeit zu wahren haben (Art. 5 Abs. 3 RL). Zu beachten ist, dass die RL lediglich einen Mindeststandard festlegt, so dass natio- 878 nale Vorschriften, die ein höheres Schutzniveau vorsehen, keinesfalls durch sie beschränkt oder beeinträchtigt werden (Art. 8 RL).
XVII. Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR) 1. Allgemeines. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR führt unter den Mindestrechten des wegen 879 einer strafbaren Handlung (Art. 14 Abs. 3 IPBPR) Angeklagten ausdrücklich auf, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen („nemo tenetur se ipsum accusare/prodere“). Dieses Verbot und das damit verbundene Recht des Beschuldigten zu schweigen entspricht einem allgemein anerkannten Grundsatz („gemeineuropäisches Gedankengut“),2217 der den Beschuldigten vor jedem Aussagezwang schützen soll. Die staatlichen Behörden und Gerichte, die ihm seine Schuld nachweisen müssen, werden dadurch zu eigenen, gründlichen Ermittlungen gezwungen. Zudem wird Fehlentscheidungen vorgebeugt, die aus einer Selbstbelastung resultieren können. In der EMRK fehlt ein ausdrückliches Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung.2218 Es 880 wird jedoch, soweit es den Beschuldigten einer Straftat betrifft, aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) hergeleitet.2219 Der EGMR zählt das international allgemein anerkannte Recht des Beschuldigten, selbst darüber zu entscheiden, ob er zu Beschuldigungen aussagen oder schweigen will, zum Kernbereich eines fairen Verfahrens.2220
2216 2217
2218
Vgl. dazu auch Cras/de Matteis 153, 158. Zur Entwicklung aus der angelsächsischen Rechtstradition vgl. etwa Böse GA 2002 98, 108; Dingeldey JA 1987 407, 408 unter Hinweis auf das 5. Amendment zur Verfassung der USA; Nowak 74 f.; ferner etwa Eser ZStW 86 (1974) Beih. 144; Lorenz JZ 1992 1000; Nothelfer Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang (1989); Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst 67 ff.; Rüping JR 1974 135; Verrel Selbstbelastungsfreiheit 277; SK/Rogall Vor § 133, 130 StPO; SK/Paeffgen Vor § 112, 31 StPO; Art. 6 EMRK Rn. 80 ff.; LR/Kühne Einl. J 87 ff. je m.w.N. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union spricht es nicht ausdrücklich an.
2219
EGMR Funke/F (Fn. 199); (GK) John Murray/UK (Fn. 740); (GK) Saunders/UK (Fn. 1218; „Herzstück des fairen Verfahrens“); J.B./CH (Fn. 190); Beckles/UK (Fn. 741); Allan/UK (Fn. 478), dazu Esser JR 2004 98; dazu Weiß NJW 1999 2236; Ambos NStZ 2002 628, 632; Grabenwarter § 24, 119; Meyer-Ladewig 131; SK/Rogall Vor § 133, 131 StPO; SK/Paeffgen 81 je m.w.N.; Villiger 502; Nowak 74 f.; vgl. aber auch Rogall 112 f. und zur engeren Auslegung des EuGH und des EuG: Böse ZRP 2001 403; a.A. KK/Schädler 22. 2220 EGMR Allan/UK (Fn. 478), vgl. Esser 521 ff., 615.
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Die Selbstbelastungsfreiheit wird unabhängig von der Schwere und Komplexität des strafrechtlichen Vorwurfs gewährt.2221 Sie gilt jedoch nicht absolut.2222 Dies wird u.a. dadurch deutlich, dass sie nach der Rechtsprechung des EGMR lediglich einen Teil des umfassenderen Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) ausmacht, bei dessen Prüfung verschiedenste Aspekte des Einzelfalls relevant werden können.2223 Der Grundsatz nemo tenetur aus Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR 882 richtet sich sowohl an den Gesetzgeber, der zumindest im Verfahren wegen strafbarer Handlungen keinen irgendwie gearteten Aussagezwang vorsehen darf, als auch an die Gerichte und alle staatlichen Organe, die im konkreten Einzelfall keinen Zwang ausüben dürfen, um eine Schuldigerklärung oder eine selbstbelastende Aussage in Bezug auf eine Straftat im weiten Sinn der Konventionen herbeizuführen. Private Dritte werden nicht angesprochen.2224 In welcher Form das nationale Recht die Äußerungen des Angeklagten in das Verfahren 883 einführt, ist unerheblich. So kommt es nicht darauf an, ob im Strafverfahren eine solche Aussage als Einlassung des Angeklagten unmittelbar für die Entscheidungsfindung verwertbar ist oder ob dort seine förmliche Versetzung in die verfahrensrechtliche Stellung eines „Zeugen in eigener Sache“ vorgesehen ist. Nach dem Schutzzweck der Vorschrift ist der Zwang zur Selbstbelastung in jeder Form verboten und zwar unabhängig davon, ob die Verwertung einer erzwungenen Aussage nach nationalem Recht zulässig ist2225 und ob und unter welchen Voraussetzungen ein Gericht das Schweigen des Angeklagten zu konkreten Vorgängen bei seiner Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigen darf.2226 Erwägungen öffentlichen Interesses dürfen zur Rechtfertigung einer Aushöhlung, d.h. 884 eines Eingriffs in den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit, nicht herangezogen werden.2227 Dieser Kernbereich ist abwägungsresistent.2228 Gleichzeitig geht der Gerichtshof jedoch davon aus, dass jenseits des Kernbereichs für die Beurteilung der Fairness des Ver2221
EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218), § 74; das abweichende Sondervotum der Richter Lorenzen, Levits u. Hajiyev zu EGMR Weh/A (Fn. 1224) bringt dies gegen die Mehrheitsentscheidung vor. Wohlers forumpoenale 2008 7 und Ashworth Crim.L.R. 2007 897 sind der Ansicht, dass dieser wichtige Hinweis in späteren Urteilen bewusst nicht mehr aufgenommen und auf diese Weise ein Wandel in der Rechtsprechung vollzogen werde, weil die späteren Urteile (u.a. EGMR (GK) Jalloh/D, 11.7.2006, ECHR 2006-IX = NJW 2006 3117 = StV 2006 617 = EuGRZ 2007 150 und EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231), inzwischen auch Lückhof u. Spanner/A, 10.1.2008, ÖJZ 2008 375) sonst mit der Rechtsprechung nicht mehr vereinbar seien. Allerdings: EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703). 2222 Ausdrücklich EGMR Weh/A (Fn. 1224); Heaney u. McGuiness/IR (Fn. 1233). 2223 Ashworth Crim.L.R. 2007 897. 2224 Vgl. BVerfG 56 37; SK/Rogall Vor § 133, 135, 156 StPO; OLG Karlsruhe NStZ 1989 287 mit Anm. Rogall.
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Vgl. EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221) – Brechmitteleinsatz nach § 81a StPO; vgl. zur Strafbarkeit der den Brechmitteleinsatz leitenden Ärzte bei Tod des Verdächtigen BGHSt 55 121 = NJW 2010 2595 m. Anm. Eidam u. Krüger/Kroke Jura 2011 289. 2226 Vgl. EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740): „common-sense-Schlußfolgerung zulässig, weil der gegen den Angeklagten ermittelte Sachverhalt eine Erklärung verlangte“; dazu Kühne EuGRZ 1996 571; SK/Paeffgen 84; vgl. auch EGMR Condron/UK (Fn. 543); Telfner/A (Fn. 742): „wenn nach gesundem Menschenverstand nur eine einzige Schlussfolgerung möglich“, nicht aber wenn der Sachverhalt aufklärungsbedürftig bleibt; vgl. auch EGMR Beckles/UK (Fn. 741); Esser 454, 522 ff.; Meyer-Ladewig 140; Villiger 502. 2227 EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218), § 74. Aus diesem Grund haben die Richter Lorenzen, Levits und Hajiyev in ihrem abweichenden Sondervotum zu EGMR Weh/A (Fn. 1224) einen Verstoß angenommen; EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 93. 2228 Safferling Jura 2008 100.
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fahrens in seiner Gesamtheit die Möglichkeit besteht, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der konkreten Straftat2229 und der Bestrafung des Täters gegen das Interesse des Einzelnen an der Erlangung des Belastungsmaterials in rechtmäßiger Form abzuwägen.2230 Eine gewaltsame Erzwingung einer Selbstbelastung kann außerdem gegen Art. 3 885 EMRK / Art. 7, 10 Abs. 1 IPBPR verstoßen.2231 Aus der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK und der den staatlichen Organen obliegenden Beweislast allein dürfte sich ein solches Verbot jedoch nicht unmittelbar ableiten lassen.2232 Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht kommt dem von der StPO als selbstverständ- 886 lich vorausgesetzten Verbot 2233 jedes Zwangs zur Selbstbelastung nach einhelliger Meinung Grundrechtsrang zu, ganz gleich, ob man es aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 GG) und vor allem aus dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG)2234 herleitet, mit der jeder Zwang zu einer Aussage, die die Grundlage für die eigene Verurteilung bilden kann, unvereinbar ist, oder ob man dieses Verfahrensgrundrecht auch aus dem ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip und der Menschenwürdegarantie wurzelnden Recht auf Verteidigung und Gehör sowie der Unschuldsvermutung folgert.2235 Es ist ein Abwehrrecht im Grundrechtsrang und ein besonderes Persönlichkeitsrecht, das sich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Entschließungsfreiheit und dem Recht auf Privatleben (vgl. Art. 8 EMRK) weitgehend überlagert, aber nicht völlig deckt.2236 Nemo tenetur kann, wie Art. 34 EMRK zeigt, auch von unmittelbar betroffenen Per- 887 sonengruppen oder juristischen Personen geltend gemacht werden.2237 Innerstaatlich ist
2229
Kritisch Ashworth Crim.L.R. 2007 717. EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); Shannon/UK (Fn. 658; Besonderheiten der Nordirlandproblematik genügten nicht zur Rechtfertigung). 2231 Nowak 75 f. 2232 Böse GA 2002 123; Rogall 109 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 131 StPO; SK/Paeffgen 81; Grabenwarter § 24, 119 weist darauf hin, dass EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740) und (GK) Saunders/UK (Fn. 1218) einen engen Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung annehmen; a.A. ferner Guradze FS Loewenstein 160; Dingeldey JA 1984 407, 408; IK-EMRK/Kühne 447; Schubarth 9; Villiger 502; Ott 193. Ob die vom EGMR nicht schlechtweg ausgeschlossenen Folgerungen aus dem Schweigen (vgl. Rn. 912 ff., 916) die Unschuldsvermutung verletzen können, so Rüping JR 1974 137, ist eine andere Frage. 2233 Vgl. etwa §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 1, 243 Abs. 4 StPO; § 393 AO; BVerfGE 38 113; 55 144; Dingeldey JA 1984 407, 408; SK/Rogall Vor § 133, 130 StPO m.w.N.; Wohlers 691. 2234 BVerfGE 38 113; 55 150 ff.; 56 41 ff.; 65 2230
46; BVerfG NStZ 1995 555; 2000 488; StV 1999 71; 2002 177; Böse GA 2002 98; Bruns FS Schmidt-Leichner 8; Dingeldey JA 1984 407, 409; Eser ZStW 86 (1974) Beih. 144; Esser JR 2004 98; Kühl JuS 1986 117; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 421; Niebler FS Kleinknecht 306; Rogall 137 ff.; Schäfer FS Dünnebier 11; Streck StV 1981 362; Stürner NJW 1981 1757; SK/Rogall Vor § 133, 132 ff. StPO m.w.N. 2235 Vgl. BVerfGE 35 41, 47; 38 105, 113 ff.; 55 144, 150; 56 37, 41; 95 241; SK/Paeffgen 80. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen ferner Böse GA 2002 98. 2236 Zu den Unterscheidungen SK/Rogall Vor § 133, 134 ff. StPO. 2237 Queck 107 f.; Schubert 430 f., 356 ff. (auch zum IPBPR, bei dem es umstritten ist); Schuler JR 2003 268; Weiß NJW 1999 2236; ders. JZ 1998 289 (in Kritik von BVerfGE 95 220, 241); Meyer-Ladewig 138; vgl. aber auch Arzt JZ 2003 456; Volk NJW-Spezial 2009 422 f. („ ,Nemo tenetur‘ für Unternehmen ist eine Illusion“, weil inoffiziell – vor allem im Wirtschaftsstrafrecht – eine Beweislastumkehr gelte, die quasi als „Verlängerung“ der im
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strittig, ob dieses Auskunftsverweigerungsrecht auch juristischen Personen als solchen zusteht, wenn sie selbst einer Ordnungswidrigkeit beschuldigt werden. Das BVerfG 2238 hat dies unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 3 GG verneint.2239 Auch international hat das nemo-tenetur-Prinzip einen hohen Stellenwert, worauf der 888 EGMR immer wieder hinweist.2240
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2. Strafverfahren als Fixpunkt des sachlich-persönlichen Anwendungsbereichs. Der Gerichtshof unterscheidet im Wesentlichen zwei Fallgruppen, in denen die Einhaltung der Selbstbelastungsfreiheit eine wichtige Rolle spielt. Dies sind zum einen Fälle, in denen während eines anhängigen („pending“) oder vor einem erwarteten („anticipated“) Verfahren zum Zwecke der Erlangung potentiell 2241 belastender Informationen Zwang gegen den Angeklagten i.S.d. Art. 6 EMRK angewendet wird (Rn. 24 ff.). Zum anderen betrifft die Rechtsprechung Fälle, in denen es um die Verwendung belastender Informationen zur Strafverfolgung geht, die zuvor unabhängig von einem Strafverfahren mithilfe von Zwang erlangt wurden.2242 Das Verbot des Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR beschränkt sich seinem Wortlaut nach auf 890 den Aussagezwang bei Personen in Verfahren, in denen sie selbst einer strafbaren Handlung beschuldigt werden.2243 Strafbare Handlung ist dabei im weiten Sinn der Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR zu verstehen, auch Ordnungswidrigkeiten fallen darunter (siehe Rn. 74), ggf. auch berufsrechtlich zu ahndende Verfehlungen und disziplinarrechtlich vom Gericht zu ahndende Verstöße, soweit strafähnliche Sanktionen in Frage kommen (vgl. Rn. 81). In weiter Auslegung sollen Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR auf alle 891 einer Auskunftspflicht unterworfenen Personen anwendbar sein, vor allem auf Zeugen, wenn sich diese bei Erfüllung ihrer Zeugenpflicht einer strafbaren Handlung im oben verstandenen weiten Sinn selbst bezichtigen müssten.2244 Ob diese Konventionsbestimmungen wirklich so weit ausgelegt werden können, dass damit ein allgemeines „privilege against self-incrimination“ völkervertraglich festgelegt wurde,2245 kann bei der Vielgestaltigkeit nationalrechtlicher Auskunftspflichten fraglich erscheinen. Dies mag für jene
materiellen Recht bestehenden Dokumentations-, Kontroll-, Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten für den prozessualen Raum entstanden sei). 2238 BVerfGE 95 220, 241; kritisch dazu Weiß NJW 1999 2236; Schuler JR 2003 265, 286; für die Anwendbarkeit Eidam 58; vgl. auch Sachs/Sachs GG, 9. Aufl. 2009, Art. 19 GG Rn. 70 mit Fn. 234. 2239 Ebenso der EuGH Rs. 374/87 (Orkem), 18.10.1989, Slg. 1989 3283; dazu Schuler JR 2003 265, 286 m.w.N. zu Streitstand sowie Schubert 443 ff. 2240 EGMR Brusco/F (Fn. 175), § 44. 2241 EGMR Weh/A (Fn. 1224), § 41 („information which might incriminate the person“). 2242 EGMR Weh/A (Fn. 1224), §§ 41 ff. 2243 Der Wortlaut folgt der Garantie für das Strafverfahren im 5. Amendment zur Verfassung der USA, vgl. Dingeldey JA 1984
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407, 409, der IPBPR betrifft aber nur natürliche Personen: Schuler JR 2003 265, 268 unter Hinweis auf EuGH Rs. 374/87 (Orkem) (Fn. 2239) m.w.N.; vgl. Schubert 456 ff. 2244 Vgl. OGH ÖJZ 2010 471; siehe auch: Trechsel 349; a.A. Schlauri 90 f. Jedenfalls soll die Verhängung eines Ordnungsgeldes („fine“) für die Eidesverweigerung dann keinen unzulässigen Zwang darstellen, wenn der Eid zeitlich vor der Zeugenaussage gesprochen werden muss und das Ordnungsgeld deshalb nicht der Herbeiführung einer Aussage diene, sondern lediglich für den Fall einer Aussage deren Wahrheitsgehalt sichern soll. Das Recht, im Anschluss an den Eid, die Aussage zu verweigern, sei dadurch nicht berührt. So EGMR Serves/F (Fn. 254), § 47. 2245 Rogall 116 ff.; Dingeldey JA 1984 407, 409.
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Recht auf ein faires Verfahren
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Vertragsstaaten dahinstehen, in denen nach innerstaatlichem Verfassungsrecht die Tragweite dieses Grundsatzes über jede engere Auslegung hinausreichen würde. Sie beschränkt sich nicht auf die Beschuldigten eines Strafverfahrens, sondern schützt auch alle anderen Personen, insbesondere Zeugen, in gerichtlichen und behördlichen Verfahren vor dem Zwang zu selbstbelastenden Aussagen. 3. Verbot unangemessenen Zwangs. Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR 892 untersagen jeden unmittelbaren2246 oder mittelbar unangemessenen („improper“) 2247 Zwang, durch den eine Person, der eine strafbare Handlung zur Last gelegt wird, veranlasst werden soll, sich selbst im Sinne der Anklage förmlich für schuldig zu erklären oder sich durch eine Aussage selbst zu belasten oder sonst selbst aktiv an ihrer Belastung mitzuwirken.2248 Dies gilt für jede für Zwecke der Strafverfolgung abgeforderte Äußerung;2249 auch die Beantwortung einer darauf abzielenden Frage darf deshalb nicht erzwungen werden. Wesentliche Kriterien der Prüfung, ob der Wesengehalt des Rechts auf Selbstbelas- 893 tungsfreiheit ausgehöhlt wird, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs 2250 Art und Grad der Einflussnahme, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, die Existenz angemessener Verfahrensgarantien (Anfechtungsmöglichkeit hinsichtlich der Echtheit des Beweises und seiner Verwertung, Erforderlichkeit weiterer Beweismittel zur Verifizierung der Angaben;2251 Ausschluss der Verantwortlichkeit eines KfZ-Halters, wenn ihm die geforderte Angabe aus Gründen unmöglich ist, die er nicht zu verantworten hat 2252) sowie eine etwaige Verwertung der erlangten Mittel.2253 Die prozessualen Sicherungen etc. prüft der EGMR (teilweise) bereits, bevor er sich sonst konkret mit der Verletzung des Schweigerechts auseinandersetzt. Entscheidend ist, ob der Betroffene eine andere Wahl hat, als entweder sein Schwei- 894 gen zu brechen und möglicherweise eine belastende Auskunft zu erteilen oder eine Geldoder Freiheitsstrafe wegen seines Unterlassens zu erhalten.2254 Die Verwertung der gewonnenen Angaben ist nicht zwingend zur Geltendmachung der Selbstbelastungsfrei-
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Ausdrücklich das automatische Vorliegen eines Verstoßes bei direktem Zwang verneinend: EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231), § 53. 2247 Esser JR 2004 98 (absolute Garantie nur in einem Kernbereich); Summers 156 ff. 2248 HRC Rakhmatov u.a./Tadschikistan, 1.4.2008, 1209/2003, 1231/2003, 1241/2004, Report 2008, Vol. II, Annex V.E, § 6.3 („… must be understood in terms of the absence of any direct or indirect physical or psychological coercion by the investigation authorities on the accused with view to obtain a confession of guilt.“); vgl. auch HRC Khuseynova u.a./Tajikista, 1263/2004, 1264/2004, § 8.3; Sharifova u.a./Tajikistan, 24.4.2008, 1209, 1231/2003, 1241/2004, § 6.3. 2249 Zur Problematik der Abgrenzung von Offenbarungs- und Mitteilungspflichten, die anderen öffentlichen Interessen oder
auch Interessen Dritter dienen sollen, vgl. EGMR J.B./CH (Fn. 190); Müller EuGRZ 2001 546; SK/Paeffgen 82. 2250 Grabenwarter § 24, 119 („nach Art eines beweglichen Systems“). 2251 EGMR Lückhof u. Spanner/A (Fn. 2221), § 56; (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231), § 60. 2252 EGMR Lückhof u. Spanner/A (Fn. 2221), § 56. 2253 EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); (GK) Bykov/R (Fn. 703), §§ 90, 92; Schuhmann StV 2006 661 sieht darin bloße Verhältnismäßigkeitserwägungen, die nicht über einen Verstoß entscheiden, sondern erst im Anschluss an seine Ablehnung im Rahmen der Verfahrensfairness geprüft werden dürfen. 2254 EGMR Weh/A (Fn. 1224), gemeinsames ablehnendes Sondervotum der Richter Lorenzen, Levits und Hajiyev.
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heit erforderlich.2255 Auch wenn von den staatlichen Stellen letztlich gar kein Strafverfahren angestrengt wird, schließt dies einen Verstoß bzw. seine Geltendmachung in Bezug auf eine zwangsweise Behandlung nicht aus.2256 Je mehr aber eine tatsächliche Verurteilung auf dem zwangsweise erlangten Geständnis/Beweis beruht, desto schwerer wiegt der Verstoß im Rahmen der Gesamtfairness des Verfahrens.2257 Wenn andere öffentliche Interessen eine Pflicht zur Offenlegung bestimmter Tatsachen 895 rechtfertigen, ist strittig, wieweit damit ein Schutz vor den strafrechtlichen Folgen verbunden ist.2258 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage der Verfahrensfairness, wenn zu Lasten des 896 Beschuldigten Zeugenaussagen verwertet werden, die unter Zwang erwirkt wurden. Dabei geht es um die Qualität und Glaubhaftigkeit der Aussage sowie die Existenz prozessualer Garantien, beispielsweise der Konfrontationsmöglichkeiten des Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, vgl. Rn. 758 ff.). Auch wenn dem Zeugen selbst kein Schweigerecht zusteht, so wendet der Gerichtshof hinsichtlich des Beweiswertes der Aussage dieselben Grundsätze an wie beim Beschuldigten und weist dabei insbesondere darauf hin, dass es dem Zeugen neben dem Schweigerecht an dem Schutz durch ein gesetzlich vorgesehenes Recht auf Hinzuziehung eines Anwalts vor der ersten Vernehmung fehlt.2259 Unter Zwang sind dabei aber nicht nur die durch Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR geäch897 teten Maßnahmen zu verstehen, sondern jede (unzulässige) unmittelbare oder mittelbare Ausübung von Druck auf den Beschuldigten, durch den dieser zu einer Selbstbelastung gebracht werden soll.2260 Auch die mit der Verhörsituation im Ermittlungsverfahren einhergehende einschüchternde und hemmende Wirkung selbst kann im Einzelfall bereits einen Zwang i.S.d. Art. 6 EMRK begründen. Dies hat der Gerichtshof für einen Fall entschieden, in dem ein Minderjähriger ohne anwaltlichen Beistand und in Abwesenheit seiner Erziehungsberechtigten u.a. zum Vorwurf des Mordes verhört worden war. Zwar war er über sein Schweigerecht, nicht jedoch über sein Recht auf anwaltlichen Beistand belehrt worden. Dies hielt der EGMR2261 aufgrund der Minderjährigkeit des Beschuldigten nicht für ausreichend, um ihm seine Rechte deutlich zu machen und dadurch – einer positiven Pflicht der Verhörspersonen entsprechend – den bestehenden Druck zu mindern.2262 Bei erwachsenen Beschuldigten werden allerdings höhere Anforderungen an die Unzulässigkeit des bei einer Vernehmung ausgeübten Drucks zu stellen sein.2263
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EGMR Shannon/UK (Fn. 658), § 34. EGMR Shannon/UK (Fn. 658) unter Verweis auf EGMR Funke/F (Fn. 199). 2257 Vgl. EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440; Verstoß; Geständnis als wesentliche – nicht alleinige – Grundlage der Verurteilung). 2258 Vgl. BVerfGE 56 37, 50 („Gemeinschuldner“); LR/Kühne Einl. J 97 ff.; LR/Gössel Einl. L 79 (Abwägung); entgegen h.M. für generelles Beweisverwertungsverbot SK/Paeffgen 82. 2259 EGMR Lutsenko/UKR, 18.12.2008. 2260 Abwehr finaler Zwangsausübung: Kühl JuS 1986 117; ders. StV 1986 190; Rogall 145; Stürner NJW 1981 1757. 2261 A.A. abweichende Meinung zu EGMR 2256
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Panovits/ZYP (Fn. 1440) von Richter Erotocritou. 2262 EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440; Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK im Vorverfahren; keine Heilung im weiteren Verfahren; mit Beweisverwertung Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen irreparabler Aushöhlung der Verteidigungsrechte durch Verstoß gegen das Schweigerecht/Rechtsstaatsprinzip). 2263 Vgl. EGMR Kolu/TRK (Fn. 645; situationsbedingter psychischer Zwang bei Vernehmung eines in Einzelhaft gehaltenen Beschuldigten in Abwesenheit eines anwaltlichen Beistands und ohne Belehrung über sein Schweigerecht).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Mit der Vorenthaltung des Beschuldigtenstatus kann die Ausübung unzulässigen Drucks einhergehen, etwa dann, wenn der (spätere) Beschuldigte wider besseres Wissen der Strafverfolgungsbehörden nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge vernommen wird und vor der Einvernahme einen strafbewehrten Eid, die Wahrheit zu sagen, ablegen muss.2264 Im Übrigen fällt die Androhung von Nachteilen tatsächlicher oder rechtlicher Art, auch für andere Personen, ebenso unter den Begriff der Zwangsausübung, wie die Androhung von Gewalt oder die Herbeiführung der Selbstbelastung durch Psychopharmaka2265 oder die Erzwingung von Angaben oder der Herausgabe von Unterlagen zur Verwertung für die Zwecke eines Strafverfahrens durch Androhung oder Verhängung von Geldstrafen oder Geldbußen.2266 Da der EGMR es andererseits als zulässig ansieht, dass der Staat Auskunfts- und Dokumentationspflichten für andere öffentliche Zwecke begründet 2267 und solche Auskünfte, vor allem auch für Steuerzwecke (dazu Rn. 906 ff.),2268 durch Strafsanktionen erzwingt, kann die Abgrenzung schwierig sein. Dies gilt vor allem, wenn solche Angaben, deren Erzwingung für andere Zwecke nicht gegen das nur für Strafverfahren geltende Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung verstößt, später in einem Strafverfahren verwendet werden.2269 Das Privileg des Schutzes vor jedem Zwang zur Selbstbelastung bietet aber keine Immunität für Verdeckungshandeln, d.h. für Handlungen, mit denen der Befragte verhindern will, dass sein strafrechtlich relevantes Verhalten aufgedeckt wird.2270 Das Verbot ist auch nicht berührt, wenn der Betroffene in einer ihm abverlangten Erklärung selbst falsche Angaben macht.2271 Wieweit im Übrigen Aussagen gegen das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung verstoßen, die eine von ihrem Schweigerecht Gebrauch machende Person unter dem von staatlichen Stellen unmittelbar oder mittelbar herbeigeführten psychologischen Druck eines anhängigen oder drohenden Strafverfahrens abgibt, hängt von den hier mitunter sehr unterschiedlich zu bewertenden Umständen des Einzelfalls ab, sowie davon, ob deswegen der Betroffene insgesamt kein faires Verfahren mehr hatte.
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EGMR Brusco/F (Fn. 175), §§ 44 ff. Dencker NStZ 1982 154; SK/Rogall Vor § 133, 139 StPO. 2266 EGMR J.B./CH (Fn. 190) mit Anm. Schobe NJW 2002 492 (Geldbußen wegen Weigerung der Vorlage von Unterlagen im Steuerhinterziehungsverfahren); vgl. dazu Ambos NStZ 2002 628, 632; ferner EGMR Funke/F (Fn. 199); Meyer-Ladewig 137. 2267 Vgl. EGMR van Vondel/NL (E) (Fn. 136); Weh/A (Fn. 1224); Müller EuGRZ 2001 546; LR/Kühne Einl. J 95 ff. Zu § 325 HGB vgl. Weiß DB 2010 1744. 2268 Zur Verfassungsmäßigkeit und Vereinbarkeit des § 31a AO mit Art. 6 EMRK BFHE 219 483 = NJW 2007 3742; siehe auch Nichtannahmebeschluss BVerfG 17.1.2008 – 1 BvR 2863/07. 2269 In solchen Fällen wird ein menschenrechtlich/grundrechtlich verbürgtes Beweiserhe2265
bungsverbot unter Hinweis auf BVerfGE 56 37 im Schrifttum bejaht, vgl. SK/Paeffgen 82 m.w.N. ferner LR/Kühne Einl. J 97 ff.; LR/Gössel Einl. L 79; vgl. auch Schaefer NJW-Spezial 2010 120 (Auskunftspflicht des Arbeitnehmers im Rahmen des § 60 HGB; LAG Hamm 3.3.2009, 14 Sa 1689/08. 2270 EGMR Allen/UK (E), 10.9.2002, ECHR 2002-VIII = ÖJZ 2003 909. 2271 EGMR Allen/UK (E) (Fn. 2270); aber EGMR Weh/A (Fn. 1224; unzureichende Auskunft über eine dritte Person zur Entlastung: „für sich genommen kein entscheidendes Argument“ gegen Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK); zu diesem Aspekt Gaede JR 2005 426 (Verantwortlichkeit des Staates für die Zwangslage schließt Rechtsverlust aus).
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4. „Vorwirkung“ des Selbstbelastungsprivilegs. Hat der Beschuldigte in einem (vorgelagerten) außerstrafrechtlichen Verfahren Aussagen oder Angaben gemacht oder Unterlagen2272 vorgelegt, weil er dazu kraft Gesetzes unter Androhung von Strafen verpflichtet war, so berührt dies an sich das Verbot des Selbstbelastungszwangs nicht. Der Betroffene kann sich im Zeitpunkt der Zwangseinwirkung noch nicht auf sein Schweigerecht berufen, weil er in diesem Moment noch nicht angeklagt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist. Der Gerichtshof kann dann bei der Prüfung von nemo tenetur nicht direkt an die Zwangswirkung anknüpfen. Jedoch kann die spätere Verwendung der in einem „Vorverfahren“ erlangten Aus904 sagen etc. im Strafverfahren das Gebot eines fairen Verfahrens verletzen, wenn dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten des (jetzt) Beschuldigten erheblich eingeengt werden.2273 In einer solchen Konstellation lässt sich ein Verwertungsverbot 2274 für die Verwendung des gewonnenen Materials in einem späteren Strafverfahren herleiten. Bei der Prüfung der Verwertbarkeit einer außerstrafverfahrensrechtlich erlangten 905 Äußerung im späteren Strafverfahren nimmt der EGMR eine Gesamtschau unter Berücksichtigung der vorherigen Zwangseinwirkung vor,2275 ohne dabei eine Beschränkung der Selbstbelastungsfreiheit auf offensichtlich bzw. unmittelbar belastende Äußerungen vorzunehmen. Letztlich komme es nicht darauf an, ob die Äußerung per se belastend erscheine, sondern darauf, ob sie von der Staatsanwaltschaft2276 oder dem Gericht tatsächlich2277 zu Lasten des Beschuldigten, also zur Unterstützung der Anklage bzw. Begründung der Verurteilung verwendet werde. Daher nimmt rechtfertigendes Vorbringen oder eine reine Tatsachendarstellung auf der Verwertungsebene am Schutz der Selbstbelastungsfreiheit und des Schweigerechts teil.2278
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5. Steuerrechtliche Aspekte. Gerade im Steuerrecht, sowohl im Bereich der Umsatzals auch der Einkommenssteuer, kann die Selbstbelastungsfreiheit relevant werden. Zu überprüfen ist an erster Stelle der von der Strafvorschrift des § 370 AO (Steuerhinterziehung) ausgehende Zwang zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen, vollständigen Steuererklärung.2279 Dabei werden grundsätzlich zwei Konstellationen unterschieden: (1) die Offenbarung von außersteuerlichen Gesetzesverstößen bei Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung und (2) die Abgabe einer Steuererklärung nach vorangegangener Steuerstraftat.2280
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EGMR Funke/F (Fn. 199); Allan/UK (Fn. 478); J.B./CH (Fn. 190) mit Anm. Schohe; Ambos NStZ 2002 628, 632 f.; Esser 520 ff. 2273 EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218): rechtlicher Zwang zur Aussage gegenüber den von einer Behörde eingesetzten Inspektoren, deren Protokolle später im Strafverfahren verwendet wurden. 2274 Vgl. BVerfGE 56 37, 48 („Gemeinschuldner“: Verwertungsverbot), jetzt § 97 InsO: SK/Paeffgen 82; ferner LR/Kühne Einl. J 97 ff. 2275 EGMR Weh/A (Fn. 1224); Warnking 90, 109.
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EGMR Serves/F (E), 4.5.2000, ECHR 2000-V. 2277 Nicht nur potentiell: „the use to which evidence (…) is put“, EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218). 2278 EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218), §§ 70 f. 2279 BGH NStZ-RR 2009 340: die wahre Zwangslage entsteht wegen § 371 AO regelmäßig erst, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben wird, nicht schon mit der ihm unbekannten Verfahrenseinleitung als solcher. 2280 Wulf wistra 2006 89.
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Für den ersten Fall ist § 393 Abs. 2 Satz 1 AO ein Verwertungsverbot zu entnehmen. 907 Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit und dieses Verwertungsverbotes soll aber dann nicht berührt sein, wenn der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Abgabe von steuerlichen Erklärungen weitere außersteuerliche Straftaten begeht, wie z.B. eine Urkundenfälschung nach § 267 StGB durch den Gebrauch unechter Urkunden. Dies gelte grundsätzlich auch für den Fall der Selbstanzeige, da diese nicht mit Zwangsmitteln herbeigeführt werden könne.2281 Trotzdem sei die Erfüllung der Erklärungspflicht zumutbar.2282 Die Ausnahmeregelung des § 393 Abs. 2 Satz 2 AO, die schon längere Zeit von der überwiegenden Literatur für unvereinbar mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz erachtet wurde,2283 war dem BVerfG vergeblich zur Prüfung vorgelegt worden.2284 Im zweiten Fall (Abgabe einer Steuererklärung nach vorangegangener Steuerstraftat) 908 nimmt der BGH eine Suspendierung der Erklärungspflicht dann an, wenn hinsichtlich desselben Veranlagungszeitraums und derselben Steuerart, für die bereits Steuerstrafverfahren eingeleitet wurden, erneut eine Erklärung abzugeben ist.2285 Anderenfalls gilt ein Verwertungsverbot.2286 6. Arbeitsrechtliche Auskunftspflichten. Ob über Art. 6 Abs. 1 EMRK ein „vorgela- 909 gertes“ Auskunftsverweigerungsrecht besteht, ist insbesondere bei erzwungenen Selbstbelastungen außerhalb staatlicher Verfahren problematisch, so z.B. in Fällen, in denen Unternehmen – etwa auf Aufforderung der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC – private Ermittlungen im Betrieb durchführen lassen. Hintergrund solcher Ermittlungen ist zumeist, dass an der US-Börse notierte Unternehmen dem Foreign Corrupt Practices Act unterliegen. Um die bei einem Pflichtverstoß drohenden empfindlichen Konsequenzen wie langwierige Ermittlungen und hohe Geldstrafen abzumildern, ist eine Kooperation mit der SEC für Unternehmen in der Regel vorteilhaft.2287 Da sich Kooperation zudem strafmildernd auswirkt, veranlassen Unternehmen zumeist eigene private Ermittlungen und setzen ihre Arbeitnehmer nicht selten erheblich unter Druck zur Kooperation.2288 Grundsätzlich sind solche privaten Ermittlungen im Wirtschaftsstrafverfahren zwar nicht als unzulässig anzusehen,2289 dennoch ist fraglich, inwieweit Arbeitnehmer sich in diesem Stadium selbst belasten und ihre eigene Position in einem eventuellen (späteren) Strafprozess gefährden müssen. Während Auskunftspflichten des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht allgemein anerkannt 910 sind,2290 kommt es für die Frage, ob der Arbeitnehmer auch zu selbstbelastenden Aussagen verpflichtet ist, auf die Verhältnismäßigkeit im Einzellfall an.2291 Entscheidend ist hierbei insbesondere, ob der Arbeitgeber zwingend auf derartige Auskünfte angewiesen
2281
Vgl. BGH NJW 2005 2720 = StV 2004 526, bestätigt durch BVerfG NJW 2005 352 (Nichtannahmebeschluss); zust. Wulf wistra 2006 89 m.w.N. für entgegenstehende Ansichten. 2282 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 242; a.A. Wulf wistra 2006 89. 2283 Vgl. Schwarz § 393 57 f. AO; zu den verfassungsrechtlichen Bedenken auch Seipl in: Beermann/Gosch (Hrsg.), AO/FGO, § 393 157 f. AO. 2284 LG Göttingen wistra 2008 231 (Vorlagebeschluss) – anhängiges Verfahren beim
BVerfG wistra 2010 341, Vorlagebeschluss ist unzulässig. 2285 Vgl. BGH NJW 2002 1733 = NStZ 2002 437; Wulf wistra 2006 89 m.w.N. 2286 BGH NJW 2005 763 = NStZ 2005 519. 2287 Wybitul BB 2009 606, 606. 2288 Jahn StV 2009 41, 42. 2289 Dann/Schmidt NJW 2009 1851, 1852; Jahn StV 2009 41, 43. 2290 BAGE 81 15 = NZA 1996 637, 638; BGH NJW-RR 1989 614. 2291 Dann/Schmidt NJW 2009 1851, 1853.
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ist, um sein Recht durchzusetzen.2292 Gegen die Annahme einer Auskunftspflicht spricht zum einen, dass es in der Regel neben der Mitarbeiterbefragung noch andere Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns gibt.2293 Zudem würde eine Auskunftspflicht zu einem Wertungswiderspruch führen. Denn der Arbeitnehmer wäre verpflichtet, einem Arbeitgeber unbeschränkt Auskunft zu geben, welcher aus eigennützigen Interessen auch einer Kooperation mit der Strafverfolgungsbehörde oft nicht abgeneigt sein wird. Damit würde das Schweigerecht unterlaufen, bevor es überhaupt im Rahmen eines Strafprozesses entsteht.2294 Im Sinne eines effektiven Beschuldigtenschutzes erscheint es daher angebracht, Arbeit911 nehmern bereits während der privaten Ermittlungen ein Auskunftsverweigerungsrecht zuzugestehen. Hiervon hängt im Übrigen auch die Frage ab, ob bei Nichtbeachtung in der Folge ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot entsteht.2295 Ein Mitarbeiter, der in der irrigen Annahme einer Auskunftspflicht freiwillig aussagt, wird allerdings nicht durch ein Beweisverwertungsverbot geschützt.2296
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7. Pflicht zur Achtung des Schweigerechts. Wegen seiner Bedeutung darf grundsätzlich2297 die Ausübung des Selbstbelastungsprivilegs dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereichen, insbesondere darf seine Verteidigung nicht dadurch beschränkt werden, dass der Verteidiger wegen der Empfehlung, vom Schweigerecht Gebrauch zu machen, abgelehnt („dismissed“) wird.2298 Hat sich der Beschuldigte zum Schweigen entschlossen, so verlangt das Selbstbe913 lastungsprivileg von den staatlichen Stellen, seinen Willen zu respektieren.2299 Im deutschen Recht wird die Achtung des Schweigerechts grundsätzlich in weiterem Umfang gewährleistet als es die Rechtsprechung des EGMR verlangt.2300 Dies erscheint angesichts der Unwägbarkeiten der vom EGMR verwendeten Kriterien und der Orientierung am jeweiligen Einzelfall auch zur Sicherung der Effektivität des Schweigerechts konsequent und wird seiner Bedeutung eher gerecht.2301 Die Frage der Konventionsmäßigkeit der Verwertungspraxis bei einem Teilschweigen 914 des Beschuldigten wurde bislang noch nicht entschieden.2302 Jedenfalls bei Beachtung der für die zulässige Verwertung des (vollständigen) Schweigens maßgeblichen Gesichtspunkte, wird diese allerdings vom Gerichtshof akzeptiert werden. Eine Berücksichtigung des Schweigens zu Lasten des Beschuldigten schließt der Gerichtshof nicht gänzlich aus,2303
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Dies bejahend z.B. BGHZ 41 318, 323. Dann/Schmidt NJW 2009 1851, 1853. 2294 Vgl. Jahn StV 2009 41, 44. 2295 BVerfG WM 2008 989. 2296 Vgl. die Ausführungen und Ausnahmen hierzu bei Dann/Schmidt NJW 2009 1851, 1855. 2297 Kritisch u.a. zur Rspr. des EGMR und den Entwicklungen auf EU-Ebene, die das Schweigerecht gefährden Salditt FS Hamm 595 ff. 2298 EGMR Yaremenko/UKR (Fn. 1502). 2299 EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218); siehe hierzu: KG Beschl. v. 11.6.2010 mit Anm. Burhoff StRR 2010 396 („Versuch … die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern“). 2293
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2300
So auch von Arnim GedS Blumenwitz 265, 290. 2301 Schlauri 393 f. geht mit einem Teil der Literatur und unter Berufung auf einen Bericht des HRC von 1995 zur Menschenrechtslage im Vereinigten Königreich von einem generellen Verwertungsverbot aus Art. 14 IPBPR aus. 2302 Offen gelassen auch die Zulässigkeit der Verwertung von Angaben, die vor der Ausübung des Schweigerechts gemacht wurden: EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740), § 56. 2303 EGMR Krumpholz/A (Fn. 1224), § 32.
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solange die Schlussfolgerungen aus seinem Verhalten 2304 nicht zu einer mit der Unschuldsvermutung unvereinbaren Verschiebung der Beweislast führt. Das Schweigerecht verbietet es den Gerichten, das Schweigen allein als Zeichen der Schuld des Angeklagten anzusehen und eine Verurteilung allein oder hauptsächlich darauf bzw. auf die Weigerung des Beschuldigten, Fragen zu beantworten oder Beweise beizubringen, zu stützen.2305 Bei der Belehrung von Geschworenen darf es der Richter nicht ihnen überlassen, welche Schlussfolgerung sie aus dem Schweigen ziehen wollen; er muss angemessenes Gewicht auf die dafür abgegebenen Erklärungen des Betroffenen legen, so etwa, dass er auf Rat seines Anwalts geschwiegen hat.2306 Schweigt der Beschuldigte allerdings in einer Situation, in der von ihm eindeutig eine Erklärung zu erwarten ist, akzeptiert es der EGMR, dass der Richter seinen Eindruck in die Bewertung sonstiger belastender Beweise mit einfließen lässt.2307 Der EGMR erkennt es als Sicherung an, wenn die Verwertung des Schweigens in einem Verfahren erfolgt, in dem die Schlussfolgerungen einer freien Würdigung unterliegen, die vom Richter zu begründen ist und wiederum ihrerseits gerichtlicher Kontrolle unterliegt.2308 Als unzureichend hat der Gerichtshof daher die prozessualen Sicherungen im Fall Krumpholz (Halterhaftung; Rn. 498) angesehen. Dort lag nicht nur die Beweislast, sondern faktisch auch die Verantwortung für die Verfahrensführung beim Bf. (Fahrzeughalter), da das Gericht nicht zur Anhörung des Bf. und zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet war. Hinzu kam das Fehlen einer zweiten gerichtlichen (Kontroll-)Instanz.2309 In die Beurteilung der Verfahrensfairness im Fall der Verwertung des Schweigens können überdies als verfahrensrechtliche Garantien einbezogen werden, dass die Verteidigungsrechte gewahrt wurden, dass der Beschuldigte über die rechtlichen Folgen seines Schweigens angemessen belehrt worden ist, dass aufgrund einer ausreichenden Tatsachenbasis ein Anscheinstatbestand vorlag und von dem Beschuldigten eine bestimmte Erklärung erwartet wurde, und dass eine Verwertung seines Schweigens hätte unterbleiben müssen, falls der Beschuldigte die Belehrung nicht verstanden hätte oder diesbezüglich Zweifel bestanden hätten.2310 Auch eine fehlende anwaltliche Vertretung im Zeitpunkt der Vernehmung stellt der EGMR in seine Gesamtbetrachtung ein, da die Bereitschaft auch eines Unschuldigen von einem anwaltlichen Beistand abhängen könne. Doch auch im Falle der Anwesenheit eines Verteidigers darf das Schweigen nicht ohne weiteres zu Lasten des Betroffenen bewertet werden, da er diese Entscheidung im Vertrauen auf eine entsprechende Empfehlung des Anwalts getroffen haben kann.2311 Allerdings wird gerade Letzteres vom EGMR eher flexibel gehandhabt. Bei der Frage, ob im Fall Averill eine Erklärung von dem Betroffenen hätte erwartet werden können, zieht der Gerichtshof zur Bekräftigung dieser Annahme den Umstand der Verteidigung heran; wohl weil er davon ausgeht, einem Unschuldigen hätte der Anwalt aufgrund der Beweis-
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Neben dem Schweigen gilt dies auch für sonstige Verhaltensweisen wie z.B. die Mimik oder die Reaktion des Beschuldigten; vgl. EGMR (GK) John Murray (Fn. 740), § 54 („applicant’s behaviour“). 2305 Vgl. EGMR Averill/UK, 6.6.2000, ECHR 2000-VI; (GK) John Murray (Fn. 740). 2306 EGMR Beckles/UK (Fn. 741); vgl. Kühne EuGRZ 1996 571. 2307 EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740);
Krumpholz/A (Fn. 1224); vgl. aber BGH NStZ 2009 705 (Verstoß gegen den Nemotenetur-Grundsatz durch Ablehnung eines Beweisantrags). 2308 Vgl. EGMR Averill/UK (Fn. 2305), § 50; (GK) John Murray/UK (Fn. 740). 2309 EGMR Krumpholz/A (Fn. 1224), §§ 41 ff. 2310 EGMR (GK) John Murray/UK (Fn. 740). 2311 EGMR Averill/UK (Fn. 2305), §§ 48 ff.
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lage vernünftigerweise zur Aussage geraten.2312 Eine konkrete Gewichtung bzw. die Entbehrlichkeit einzelner Kriterien kann der Rechtsprechung aber bislang nicht entnommen werden.2313
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8. Pflicht zur Belehrung. Die Pflicht zur Belehrung über das Schweigerecht ist bislang in der Rechtsprechung des EGMR nicht abgesichert 2314 und wird auch kaum diskutiert. Zweifellos muss der Beschuldigte Kenntnis haben von seinem Privileg, um von diesem Gebrauch machen zu können.2315 Gleiches gilt für die Annahme eines Verzichts auf dieses aus Art. 6 EMRK abzuleitende Recht. Bevor aus seinem Verhalten auf einen (konkludenten) Verzicht geschlossen werden darf, muss auch nach Ansicht des Gerichtshofs nachgewiesen sein, dass der Angeklagte vernünftigerweise die Folgen seines Handelns vorhersehen konnte.2316 Im Fall Aleksandr Zaichenko hat der EGMR ausdrücklich erklärt, die Polizeibeamten seien zur Belehrung verpflichtet gewesen, obwohl der Bf. weder festgenommen noch formell (in Polizeigewahrsam) vernommen worden war. Bei seiner Befragung im Rahmen einer Straßenkontrolle hatte allerdings bereits ein konkreter Tatverdacht gegen ihn vorgelegen.2317 Trechsel hält es jedoch für schwierig, im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Beleh920 rung einen Verstoß gegen den Fairnessgrundsatz festzustellen. Gerügt werden müsse, dass der Beschuldigte bei seiner Aussage auf das Schweigerecht verzichtet habe, dieser Verzicht jedoch aufgrund des Belehrungsmangels unwirksam gewesen sei.2318 Genau dies war im Fall Aleksandr Zaichenko auch der Ausgangspunkt des EGMR, wobei eine Belehrung zunächst ganz unterblieben war, weshalb die Feststellung eines unwirksamen Verzichts keine Schwierigkeiten bereitete. Die Gesamtbetrachtung der Verfahrensfairness erfolgte anschließend anhand der in Rn. 918 beschriebenen Kriterien. Dabei wies der EGMR insbesondere darauf hin, dass (trotz anwaltlicher Vertretung im Hauptverfahren) keine Kompensation des erlittenen Nachteils erfolgt war.2319 In der deutschen StPO ist die Belehrungspflicht ausdrücklich in §§ 114b Abs. 2 Satz 1 921 Nr. 2, 127 Abs. 4 StPO, §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 4, 55 Abs. 2 StPO verankert. Die nationale Rechtsprechung leitet überdies zum Schutz des Nemotenetur-Grundsatzes aus dem Recht auf ein faires Verfahren die Pflicht der Verhörspersonen ab, einen Beschuldigten gegebenenfalls „qualifiziert“ zu belehren. Dies betrifft die Fälle, in denen ein Beschuldigter unter Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO (§ 163a Abs. 4 Satz 2 StPO) vernommen wurde. Zu Beginn einer erneuten Vernehmung ist er
2312 2313 2314 2315
Vgl. EGMR Averill/UK (Fn. 2305), § 51. Ausführlich Esser 526 f. Vorsichtig in seiner Interpretation der Rechtsprechung Berger EHRLR 2007 514. Jedenfalls wenn die Belehrung nach nationalem Recht auch einen Hinweis darauf enthält, dass im Prozess aus seinem Schweigen Schlüsse zu seinen Lasten gezogen werden können, folgt aus der Belehrung auch ein indirekter Zwang, der jedoch bislang nicht entscheidend war. EGMR Magee/UK (Fn. 1537), § 39 (wichtig ist dann aber der anwaltliche Beistand bereits zu Beginn der polizeilichen Vernehmung); Averill/UK (Fn. 2305), § 48; (GK) John Murray/UK (Fn. 740).
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EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 40: Der Verzicht muss, soweit das Recht überhaupt zur Disposition des Beschuldigten steht, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht und von Sicherungsmechanismen begleitet werden, die in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des Rechtsverzichts stehen. Darüber hinaus darf der Verzicht keinem wichtigen öffentlichen Interesse zuwider laufen. EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 52. Trechsel 352 f. Vgl. EGMR Aleksandr Zaichenko/R (Fn. 242), § 58.
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dann nicht nur über sein uneingeschränktes Schweigerecht zu belehren, sondern gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass vorherige selbstbelastende Angaben nicht gegen ihn verwendet werden dürfen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass ein Beschuldigter auf sein Schweigerecht nicht nur deshalb verzichtet, weil er glaubt, seine belastende Aussage ohnehin nicht mehr beseitigen zu können. Unterbleibt der Hinweis auf die Unverwertbarkeit, so entscheidet der BGH über die Verwertbarkeit der im Anschluss an die „einfache“ Belehrung erfolgten Aussage durch Abwägung im Einzelfall.2320 Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 die Frage aufgeworfen, ob ein deutscher Konsularbeamter, der seiner konsularischen Beistandspflicht nach § 7 KonsG nachkommt, indem er einen in einem ausländischen Strafverfahren Beschuldigten befragt, ebenfalls einer Belehrungspflicht unterliegt, wenn die Aussagen des Beschuldigten in einem späteren Strafverfahren in Deutschland gegen diesen verwendet werden.2321 Gesetzlich ist er dazu nach § 15 Abs. 1, Abs. 3 u. Abs. 5 KonsG nur dann verpflichtet, wenn er auf Ersuchen deutscher Gerichte oder Behörden Vernehmungen oder Anhörungen durchführt. Aus revisionsrechtlichen Gründen musste der BGH diese Frage nicht entscheiden; sie wäre mit Blick auf das oben gesagte aber zu bejahen gewesen.2322 Bedauerlicherweise hat sich der EGMR im Fall Aleksandr Zaichenko nicht mit der 922 Figur der qualifizierten Belehrung befassen müssen. Unmittelbar nach den ersten belastenden Angaben war zwar eine Belehrung erfolgt, nach der sich der Bf. erneut selbstbelastend zur Sache einließ, jedoch wurde im Strafverfahren später nicht zwischen der ersten und der zweiten Aussage differenziert und der ersten Aussage erhebliches Gewicht bei der Urteilsfindung beigemessen. Die Frage, welche Auswirkungen die Belehrung mit der anschließenden Aussage haben könnte, ließ der Gerichtshof daher ausdrücklich offen. 9. Herausgabe von Beweismaterial / Gewinnung von körperlichem Material. Die Er- 923 zwingung der aktiven Mitwirkung an der eigenen Belastung durch eine eigenhändige Herausgabe von Beweismaterial, die vom Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR („gegen sich selbst aussagen“) nicht erfasst wird, ist mit dem Gebot eines fairen Verfahrens unvereinbar.2323 Dagegen gerät eine Pflicht zur bloßen passiven Duldung der mit Eingriffen in die Kör- 924 perintegrität verbundenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen mit dem nemo-teneturGrundsatz nicht in Konflikt (vgl. Rn. 925). Der Zwang zur Anwesenheit bei der Hauptverhandlung oder zur Duldung einer 925 erkennungsdienstlichen Maßnahme, wie etwa die Entnahme einer Blut-, Urin-2324 oder
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Vgl. BGH NJW 2009 1427 = NStZ 2009 281 (4 StR 455/08 – zu Unrecht Vernehmung zunächst als Zeuge) unter Darstellung der relevanten Umstände; im Ergebnis BGHSt 52 11 („Mallorca“); gegen eine Abwägung und für ein generelles Verwertungsverbot Roxin JR 2008 16 unter Berufung auf BGHSt 38 214 mit dem Hinweis, dass der qualifizierten Belehrung dieselbe Zielsetzung wie § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO selber zugrunde liegt und daher ebenfalls die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten betroffen sind.
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BGHSt 55 314 = NJW 2011 1523 m. Anm. Norouzi = StV 2011 334 = wistra 2011 113, Tz. 14. Vgl. auch die Anmerkung von Norouzi NJW 2011 1526 f. mit Verweis auf BVerfG NJW 2007 499, 504. EGMR Funke/F (Fn. 199); Grabenwarter § 24, 119; SK/Paeffgen 83. Zur Zulässigkeit der Anordnung einer Urinkontrolle gegenüber einem Strafgefangenen: BVerfG (Nichtannahmebeschluss), 6.8.2009, 2 BvR 2280/07.
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Gewebeprobe oder sonstigem Körpermaterial oder die Erlangung einer Stimmprobe 2325 oder die Duldung vergleichbarer Eingriffe 2326 zu Beweiszwecken fällt nicht unter das Verbot. Gleiches gilt für die Verwendung selbständig existierenden belastenden Materials, das unabhängig vom Willen und den Erklärungen des Beschuldigten sichergestellt wurde.2327 926 Gerade nicht unabhängig vom Willen des Beschuldigten, sondern unter Missachtung seines Willens, erfolgt die Gewinnung im Körper des Betroffenen verborgener Betäubungsmittel beim sog. Brechmitteleinsatz.2328 Dem unkooperativen Beschuldigten wird hierbei zwangsweise eine Nasensonde eingeführt und ein Präparat verabreicht, um eine pathologische Reaktion in seinem Organismus auszulösen und ihn zum Erbrechen der gesuchten Betäubungsmittel zu zwingen. Der EGMR ordnete diesen Sachverhalt nicht bei der Fallgruppe der Gewinnung von Sachbeweisen („real evidence“) ein und betrachtete ihn daher nicht als Ausnahme zu den im Urteil Saunders proklamierten Grundsätzen zur Selbstbelastungsfreiheit bei der Erlangung von Körpermaterial, sondern stellte ihn als Fall der Selbstbezichtigung im weiten Sinne der erzwungenen Herausgabe von Dokumenten gleich.2329 927 Der Gerichtshof bejahte einen erheblichen Eingriff in die physische und psychische Unversehrtheit des Betroffenen sowie einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK,2330 der unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Einzelfalls 2331 wohl 2332 auch einen Ver-
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EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 477). Anders wohl AG Frankfurt a.M. NZV 2010 266 (Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Atemalkoholmessung erfordert vorherige Belehrung über die Freiwilligkeit und Nichterzwingbarkeit). Etwa EGMR (GK) Saunders/UK (Fn. 1218); Grabenwarter § 24, 119; Meyer-Ladewig 133. Nach Trechsel 354 ist entscheidend, ob die Mitwirkung des Beschuldigten durch die Anwendung von Gewalt/direktem Zwang („direct force“) ersetzt werden könnte. Kritisch in Bezug auf die vom EGMR vollzogenen Abgrenzungen Eisenhardt 154 f.; ebenfalls Schuhmann StV 2006 661, der den Unterschied zur Blutabnahme in der unterschiedlichen Belastung als Frage der Verhältnismäßigkeit sowie in der Reduzierung des Betroffenen auf ein Beweisgewinnungsobjekt sieht, weil eine unnatürliche Reaktion des Körpers provoziert und nicht bloß ein natürlicher Vorgang (Blutfluss) ausgenutzt wird. Vgl. EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231); Safferling Jura 2008 100; zur Abgrenzung auch Gaede HRRS 2006 241 (echte Grundsatzentscheidung, die den erzwungenen Brechmitteleinsatz zur Beweisgewinnung praktisch ausschließt).
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Anders die abweichende Meinung der Richter Wildhaber und Calfisch sowie die gemeinsame abweichende Meinung der Richter Ress, Pellonpää, Baka und Sˇikuta zu EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221). In Ermangelung hinreichender Anhaltspunkte keine Verletzung in EGMR Bogumil/P (Fn. 645). Vgl. EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221), § 107: Entscheidungserheblichkeit der erlangten Betäubungsmittel, geringes öffentliches Interesse an einer Verurteilung des Straßendealers bei relativ geringen Drogenmengen (sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung), fehlende effektive Verteidigungsmöglichkeit wegen Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach nationalem Recht (BVerfG StV 2000 1 hatte noch keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken); kritisch in Bezug auf diese Argumentation Ashworth Crim.L.R. 2007 717. Zuvor war bereits ein Verstoß gegen den Fairnessgrundsatz festgestellt worden, so dass die zusätzliche Prüfung unter dem Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit nicht entscheidungserheblich war und der Gerichtshof sich letztlich nicht endgültig festgelegt hat.
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stoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit und damit eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes begründete.2333 10. Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen – Schutz vor Täuschung. Selbstbelastende Äuße- 928 rungen (mündlich oder schriftlich) gegenüber einer nicht im staatlichen Auftrag handelnden Privatperson können verwertet werden, unabhängig davon, von wem die Initiative für das Gespräch ausging.2334 Fraglich ist dagegen, wieweit die durch die Konventionen verbürgte Selbstbelastungs- 929 freiheit dagegen schützt, dass sie von (Privat-)Personen unterlaufen wird, die den schweigenden Betroffenen im verdeckten Auftrag staatlicher Stellen2335 veranlassen, sich zu einem ihm angelasteten Sachverhalt zu äußern.2336 Gleiches gilt auch für eine Selbstidentifizierung auf einem von der Polizei unter Verschweigen des Zwecks vorgelegten Lichtbild2337 oder für Angaben, zu denen ein Häftling von einem Mithäftling durch unlautere Mittel mit Wissen der staatlichen Stellen veranlasst wird.2338 Im Urteil Allan 2339 hat der Gerichtshof eine Verletzung des von Anfang an und 930 später wiederholt in den offiziellen Vernehmungen ausgeübten Schweigerechts 2340 des Beschuldigten darin gesehen, dass dieser in der Haft durch einen von der Polizei beauftragten Mithäftling zu Äußerungen veranlasst und dadurch sein Schweigerecht gezielt unterlaufen wurde. Maßgebend für die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) war, dass in Würdigung aller Umstände das Gespräch mit dem Informanten als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung anzusehen war, weil der Beschuldigte die Äußerungen nicht spontan von sich aus 2333
EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); Wohlers forumpoenale 2008 7 geht davon aus, dass der EGMR mit dieser Entscheidung die Unterscheidung zwischen unzulässigem Zwang zu aktivem Verhalten und zulässigem Zwang zu passivem (Er-)Dulden endgültig aufgegeben hat; wegen der Annahme von vis absoluta die Anwendbarkeit der Selbstbelastungsfreiheit verneinend: Schuhr NJW 2006 3538; keine Verletzung von Art. 6 EMRK trotz Verstoßes gegen Art. 3 EMRK: EGMR (K) Gäfgen/D, 30.6.2008, NStZ 2008 699 = EuGRZ 2008 466 = ÖJZ 2009 571 = HRRS 2008 Nr. 627 und (GK) Gäfgen/D (Fn. 703). 2334 Etwa BGHSt 27 355, 357; 36 167, 173; ferner der umstrittene Hörfallen-Fall BGHSt 42 139, 153 = NStZ 1996 502 mit Anm. Rieß. 2335 Zur Zurechnung privater Ermittlungstätigkeit im Rahmen der Hörfalle: EGMR M.M./NL (Fn. 657); A./F (Fn. 657); vgl. auch Wastl/Litzka/Pusch NStZ 2009 68 sowie Dann/Schmidt NJW 2009 1851 zu den SEC-Ermittlungen. 2336 Nach Gaede StV 2003 260 kommt es nur darauf an, ob das Verhalten des Informanten dem Staat zuzurechnen ist und ob dieser dem Beschuldigten die selbstbelastende
Äußerung entlockt hat. Zur Frage, ob die Freiheit vom Selbstbelastungszwang auch auf den Schutz vor Täuschung ausgedehnt werden sollte vgl. ferner Weigend ZStW 113 (2001) 271; SK/Paeffgen 84; Engländer ZIS 2008 163. Den Schutz vor Täuschung (durch VE) verneinend Ott 74. 2337 EGMR Doorson/NL (Fn. 525); SK/Paeffgen 84. 2338 Vgl. BGHSt 44 129 = JR 1999 346 mit Anm. Hanack = NStZ 1999 147 mit Anm. Roxin; zu den strittigen Fragen des innerstaatlichen Rechts Esser JR 2004 98, 101 m.w.N. 2339 EGMR Allan/UK (Fn. 478; Äußerungen in der Gefängniszelle gegenüber von der Polizei mit dem Aushorchen beauftragtem Mitgefangenen); SK/Paeffgen 85; vgl. auch Gaede StV 2004 46, 49. Zur Verwertbarkeit einer gegenüber dem Zellspitzel gemachten Äußerung im US-amerikanischen Recht Brugger DAJV Newsletter 2009 196. 2340 Ob gegen das Gebot eines fairen Verfahrens auch verstoßen wird, wenn ein in Freiheit befindlicher Beschuldigter ausgehorcht wird, bevor er sich auf sein Schweigerecht berufen hat, ließ der EGMR offen; vgl. Esser JR 2004 98, 100; Gaede StV 2004 46, 49.
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abgegeben hatte, sondern ihm seine Angaben von seinem Gesprächspartner als „Agent“ des Staates unter Verschweigen des staatlichen Auftrags durch beharrliches Fragen bewusst entlockt worden waren.2341 Der Gerichtshof betonte den psychologischen Druck, unter dem der Beschuldigte gestanden hatte, und der gezielt und unter Missachtung des Willens des Beschuldigten ausgenutzt worden war. Entscheidende Faktoren zum Aufbau eines ausreichenden, unzulässigen Maßes an Zwang waren der Mordverdacht als solcher, die Inhaftierung sowie der unmittelbar von den Polizeibeamten in den Vernehmungen ausgeübte Druck. Besonderheiten im Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Gesprächspartner kamen im konkreten Fall zwar nicht zum Tragen, wurden aber als mögliche Aspekte zur Beurteilung der Gesamtsituation genannt.2342 Dies bestätigte der EGMR im Fall Bykov,2343 obwohl auch dort die Beziehung zum 931 Informanten im Ergebnis nicht relevant wurde.2344 Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK wurde verneint, da die anderen Faktoren, die zusammengenommen im Fall Allan zur Annahme unzulässigen Drucks geführt hatten, ebenfalls fehlten. So hatte der Beschuldigte noch keine Kenntnis von den Ermittlungen, die gegen ihn angestrengt wurden, weil er unter dem Verdacht stand, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben. Außerdem befand er sich in Freiheit, so dass er von seinem Schweigerecht noch keinen Gebrauch gemacht haben konnte, als der Informant der Polizei zu ihm kam.2345 Der Tatsache, dass Letzterer im Auftrag der Polizei handelte, wurde keine wesentliche Bedeutung zugemessen.2346 Im Vergleich zum Allan-Urteil lag aber ein wesentlich stärkeres Täuschungsmoment vor. Es wurde dem Beschuldigten nicht nur verschwiegen, in welcher Rolle und aus welchem Grund der andere zu ihm kam. Tage vor seinem Besuch wurde vielmehr die (falsche) Meldung veröffentlicht, die Leichen zweier Männer seien gefunden worden, darunter auch das potentielle Opfer. Auf Anweisung der Polizei spiegelte der vermeintliche Auftragsmörder dem Beschuldigten vor, er habe den Mord ausgeführt. Zum Beweis übergab er ihm mehrere Sachen der Toten. Das Gespräch wurde aufgezeichnet. Dieses Täuschungsmanöver ließen die Gründe der Mehrheitsentscheidung unerwähnt, obwohl der Beschwerdeführer ausdrücklich rügte, seine Verurteilung basiere auf Betrug und List.2347 Auch die Ausführungen des Allan-Urteils, nach denen die Anwendung von Täuschung durch die Behörden, um dem Beschuldigten Geständnisse entlocken zu können, die Selbstbelastungsfreiheit unterliefen,2348 wurde nicht aufgenommen. Eine Auseinandersetzung mit dem Gedanken einer unzulässigen Täuschung sowie ein 932 Vergleich mit der Tatprovokation 2349 finden sich erst in den teilweise abweichenden
2341
Zur Interpretation der Tragweite dieser Entscheidung, insbesondere auch zur Frage, wieweit sie auch gilt, wenn Angaben aufgezeichnet werden, die ein in Freiheit befindlicher Beschuldigter freiwillig im Anschluss an eine Vernehmung macht, in der er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte, vgl. Esser JR 2004 98, 106. Siehe auch: Roxin FS Geppert 549. 2342 EGMR Allan/UK (Fn. 478), § 52. 2343 EGMR (GK) Bykov/R, 10.3.2009 (Fn. 703). 2344 EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 102 („The nature of his relations with V. – subordination of the latter to the applicant – did not impose any particular form of behaviour on him.“).
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Vgl. EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 102. Vgl. aber Partly Dissenting Opinion der Richter Spielmann mit den Richtern Rozakis, Tulkens, Casadevall und Mijovic´ §§ 28 ff. 2347 Vgl. EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 703), § 99. 2348 EGMR Allan/UK (Fn. 478), § 50. Dort allerdings konkret bezogen auf den Beschuldigten, der sich in der Vernehmung bereits für das Schweigen entschieden hat. 2349 Partly Dissenting Opinion von Richter Costa verweist auf EGMR (GK) Ramanauskas/LIT (Fn. 659), § 9 („The facts were different, but both cases involved simulation and provocation instigated by the security forces.“). 2346
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Meinungen im Anschluss an die Entscheidungsgründe, die einen Verstoß gegen die Belastungsfreiheit bejahten.2350 Zum einen wird hervorgehoben, dass die Versagung des Schweigerechts vor einer Anklage oder der ersten Vernehmung das Risiko des Missbrauchs durch die Behörden in sich berge und der Betroffene für das zukünftige Verfahren seines Rechts beraubt würde, weil ihm faktisch nicht mehr die Wahl bliebe, zu schweigen oder auszusagen.2351 Zum anderen wird darauf abgestellt, dass sich der Beschuldigte als unfreiwilliger Hauptdarsteller der von den Behörden gelenkten Inszenierung de facto ebenso unter staatlicher Kontrolle befand wie der (U-)Häftling.2352 In der Zusammenschau mit den abweichenden Ansichten, die das Bewusstsein der 933 Großen Kammer für die (erhebliche) Irreführung des Beschuldigten dokumentieren, stellt sich verstärkt die Frage, ob der EGMR den Schutz des Nemo-tenetur-Grundsatzes grundsätzlich nicht auf Täuschungen erweitert oder ob der Schutz (auch vor Täuschungen) zeitlich erst mit der Festnahme und der Berufung auf das Schweigerecht eingreifen soll. Ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass in diesem Verfahrensstadium noch gar kein Schutz bestanden haben könnte, enthält das Urteil jedenfalls nicht. Nach der Entscheidung im Fall Allan hat der BGH in Umsetzung der EGMR-Recht- 934 sprechung (und vor dem Hintergrund der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen2353) drei eindeutige Verstöße beim Einsatz Verdeckter Ermittler bzw. eines noeP bejaht.2354 In allen drei Fällen hatten die Beschuldigten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht.2355 In zwei Fällen kam dem bestehenden Vertrauensverhältnis zu der jeweiligen Kontaktperson eine erhebliche Bedeutung zu, da eine gewisse Vertrautheit zwischen den Personen jeweils bewusst zur Gewinnung belastender Aussagen ausgenutzt worden war. In dem Urteil von 2007 stellte der BGH zudem fest, dass die besonderen
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2354
Partly Dissenting Opinion Costa, § 1 ff., Spielmann u.a., §§ 32 ff. Partly Dissenting Opinion Spielmann u.a. § 33. Partly Dissenting Opinion Spielmann u.a. § 35. BGHSt 42 139 (Hörfalle) = NJW 1996 2940 = StV 1996 465 = NStZ 1996 502 mit Anm. Popp NStZ 1998 95. BGHSt 52 11 (vernehmungsähnliche Befragung durch VE während Hafturlaub – Beweisverwertungsverbot, Tz. 17) = NJW 2007 3138 = NStZ 2007 714 = StV 2007 509 und BGH NStZ 2009 343 (Fall Pascal) = StV 2009 225 (Selbstbelastende Angaben gegenüber einem VE nach Ausübung des Schweigerechts unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses – Beweisverwertungsverbot; ohne ausdrücklichen Rückgriff auf den Fairness-Gedanken und stärker am nemo-tenetur-Prinzip orientiert); zur Entwicklung der Rspr. Roxin NStZ-Sonderheft 2009 41; BGHSt 55 139 („Bandidos“) = NJW 2010 3670 = NStZ 2010 527 = StV 2010 465 m. Anm. Kretschmer HRRS 2010 343 u. Jahn JuS
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2010 832 (Verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung – Beweisverwertungsverbot; Tz. 21); siehe auch: OLG Zweibrücken NStZ 2011 113 (Verbot verdeckter Ermittlungen nach der sog. Cold-Case-Technik, d.h. mittels Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zum Verdächtigten durch seine Einbeziehung in eine ihm vorgetäuschte verbrecherische Organisation, wobei er gegen Entgelt zur Begehung vermeintlicher Straftaten veranlasst wird). Zur Entwicklung dieser Rspr. Sowada FS Geppert 689. Vgl. BGHSt 52 11, 18: „Der (…) Sachverhalt wird wesentlich dadurch geprägt, dass der Angekl. (…) erklärt hatte, er werde (…) von seinem Schweigerecht Gebrauch machen.“ (Hervorhebung hinzugefügt). Engländer ZIS 2008 163, 166 und Roxin NStZ-Sonderheft 2009 41, 43, 46 lehnen es ab, diesem Umstand für die (Un-)Zulässigkeit einer verdeckten Vernehmung wesentliche Bedeutung beizumessen. Ebenso Sowada FS Geppert 689, 713.
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Belastungen der (Straf-)Haft ausgenutzt worden waren.2356 Im „Bandidos“-Fall von 2010 spielte die von der Kontaktperson herbeigeführte Zwangslage, das Opfer des geplanten Mordanschlages auf einem Foto identifizieren zu müssen, um den Tod einer unschuldigen Person zu verhindern, die entscheidende Rolle bei der Annahme eines Verstoßes gegen den Nemo-tenetur Grundsatz. Die gezielte Herbeiführung der Aussagen auf Veranlassung der Polizei2357 mündete dann jeweils in einer Missachtung des Beschuldigtenwillens und damit in der Verletzung des Schweigerechts. Dagegen geht der BGH – in Anlehung an das EGMR-Urteil Bykov – dann nicht von einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK aus, wenn der Beschuldigte weder sein Schweigerecht ausgeübt hat, noch sich in Haft befindet, noch die Aussage auf Veranlassung der Polizei herbeigeführt wurde (vgl. Rn. 935 a.E.).2358 Aus einer weiteren Entscheidung („Marokkaner-Fall“) 2359 wird deutlich, dass nach 935 Ansicht des BGH eine emotionale Zwangslage, wie sie insbesondere aufgrund der haftbedingten Beschränkungen2360 vorliegen kann, auch dann unzulässig ausgenutzt werden kann, wenn keine Person eingesetzt wird, die dem Beschuldigten die Informationen entlocken soll, und auch sonst nicht auf den Beschuldigten eingewirkt wird. Bei dem Beschuldigten wurde in der U-Haft (Besuchsraum) lediglich gezielt der Eindruck einer unüberwachten Gesprächssituation erweckt, obwohl die Gespräche aufgezeichnet wurden. Der BGH bejahte aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, wenngleich er die Selbstbelastungsfreiheit nicht in einem Maße verletzt sah, dass dies für sich genommen bereits ein Verwertungsverbot begründen könnte.2361 Dabei hat der BGH u.a. darauf abgestellt, dass die Ermittlungsbehörden unter Ausnutzung einer Situation, in der dem Betroffenen ein Ausweichen auf einen von ihm selbst gewählten Gesprächsort nicht möglich war, gezielt eine Fehlvorstellung herbeigeführt hatten, um eine prozessverwertbare Selbstbelastung zu erlangen. Dieses manipulative Szenario kommt der Ausübung von Zwang zumindest nahe und ersetzt das gezielte Aushorchen des Beschuldigten.2362 Der BGH hat jüngst (in argumentativer Anlehnung an Bykov) das Vorliegen einer Zwangslage in einem Fall allerdings verneint, in dem ein nicht inhaftierter Verdächtiger sich selbst in einem Gespräch mit einer Privatperson schwer belastet hatte; das Gespräch war aufgezeichnet worden: Der Verdächtige habe sich in dem Gespräch mit der Privatperson keinerlei psychischer Zwangswirkung, die vergleichbar mit den Haftfällen wäre, gegenüber gesehen. Es sei daher nicht gerechtfertigt, ein Verwertungsverbot bezüglich seiner Aussagen anzunehmen.2363
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Im konkreten Fall war der V-Mann die einzige Kontaktperson des Beschuldigten außerhalb der JVA. Als solche benötigte der Beschuldigte ihn auch für Vollzugslockerungen, so dass er zu ihm auch in einem Abhängigkeitsverhältnis stand. Auch hier stellten sich die Gespräche (beharrliches Fragen, situationsbedingte Provokation) als „funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung“ dar. BGHSt 52 11, 22; BGH NStZ 2009 343. BGH NStZ 2011 596 = JR 2011 407 m. Anm. Eisenberg, Tz. 17 f. = StraFo 2011 271 m. krit. Anm. NJW-Spezial 2011 408. BGHSt 53 294 (Beweisverwertungsverbot; Tz. 14) = NJW 2009 2463 = NStZ 2009
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519 = StV 2010 458; i.Erg. zustimmend die krit. Anm. Zuck JR 2010 17 sowie Klesczewski StV 2010 462. Zur Beziehung zwischen der Ausgestaltung der U-Haft und dem Recht auf ein faires Verfahren Klescewski StV 2010 462, 464. Klescewski StV 2010 462, 464 kritisiert vor allem, dass die tangierten Grundsätze des fairen Verfahrens nicht namhaft gemacht worden seien und daher unklar bleibe, wie eine Gesamtschau einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren ergeben solle, wenn eine relevante Verletzung der Teilprinzipien nicht festgestellt werden könne. So auch Klescewski StV 2010 462, 464. BGH (Fn. 2358).
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Weiterhin als zulässig 2364 zu betrachten sind im Grundsatz Abhörmaßnahmen 2365 936 (auch in der Haft) 2366 sowie die Durchführung verdeckter Ermittlungen. Die bloße Verheimlichung des Ermittlungsinteresses erscheint unschädlich.2367 Werden Verdeckte Ermittler oder V-Personen o.ä. eingesetzt, so ist es ihnen jedoch untersagt, aktiv auf belastende Äußerungen des Beschuldigten hinzuwirken. Lediglich das „Abschöpfen“ 2368 von Informationen, die dieser auf eigene Initiative preisgibt, lässt das Schweigerecht des Beschuldigten unberührt.2369 Auch im Fall Allan wurde kein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens darin 937 gesehen, dass das Gericht die Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen des Beschuldigten mit seiner Freundin und mit einem Mithäftling als Beweismittel verwendet hatte, die im Gefängnis mit einer ihm unbekannten Abhörvorrichtung aufgenommen worden waren, deren Vorhandensein er aber für möglich hielt.2370 Der EGMR, der bewusst auf den Einzelfall abstellte, nahm zwar an, dass das Abhören wegen des Fehlens einer hinreichenden Rechtsgrundlage gegen Art. 8 EMRK2371 verstieß; die Verwertung der durch das Abhören gewonnenen Erkenntnisse verletzte aber nach seiner Ansicht nicht notwendigerweise auch das Gebot eines fairen Verfahrens,2372 da der Schutzgehalt des Fairnessgebotes unabhängig davon zu bestimmen sei und der Beschwerdeführer die Möglichkeit hatte, in der Verhandlung die Bedeutung und Verlässlichkeit der Aussage in Frage zu stellen.2373 Diese Anfechtungsmöglichkeit ist jedoch dann in ihrer Effektivität und ausgleichenden Wirkung zu hinterfragen, wenn die nationalen Rechtsvorschriften dem Gericht im Hinblick auf den Ausschluss der Beweismittel keinen Ermessenspielraum einräumen.2374
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Für einen Paradigmenwechsel dagegen Klescewski StV 2010 462, 465. Die Grenze bildet insbesondere Art. 8 EMRK. Vgl. aber BGHSt 53 294: „Allerdings ist bei der Anordnung und Durchführung von Maßnahmen, die letztlich darauf gerichtet sind, den Beschuldigten‚ als Beweismittel gegen sich selbst’ zu verwenden, auf die besonderen Umstände der Haft Bedacht zu nehmen.“ Auch BGH StV 2010 465, 466: „Die Aushorchung (…) unter Ausnutzung der besonderen Situation seiner Inhaftierung begründet von vornherein Bedenken gegen die Zulässigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahme.“ Vgl. auch BGHSt 42 139, 152, 156 – Hörfalle; die Hörfalle gänzlich ablehnend Roxin NStZ-Sonderheft 2009 41, 44. Vgl. aber BGHSt 53 294 („Jedenfalls dann, wenn einem Untersuchungsgefangenen für die Kontakte mit der Ehefrau abweichend von der allgemeinen Praxis stets ein gesonderter Raum zur Verfügung gestellt wird, in dem zu keinem Zeitpunkt ein Vollzugsbediensteter zur Gesprächsüberwachung anwesend ist, verliert die Überwachungsmaßnahme den Charakter einer bloßen
‚Abschöpfung‘ freiwilliger Äußerungen und wird zur bewussten Irreführung.“ Hervorhebung hinzugefügt). 2369 BGHSt 53 294; BGH StV 2010 465, 466. 2370 Auch BGHSt 53 294 hat ausdrücklich keine Bedenken, wenn der U-Häftling weiß oder wissen kann, dass Besuchskontakte generell oder im konkreten Fall – auch akustisch – überwacht und aufgezeichnet werden. 2371 Etwa EGMR Schenk/CH (Fn. 478); Khan/UK (Fn. 477); Allan/UK (Fn. 478). 2372 Vgl. EGMR Heglas/CS (Fn. 703; Verwertung einer Gesprächsaufzeichnung, gewonnen durch eine am Körper getragene Abhörvorrichtung). 2373 EGMR Allan/UK (Fn. 478). 2374 EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221) – § 81a StPO gestattet bestimmte körperliche Eingriffe, unter die auch der Brechmitteleinsatz gefasst wurde; BGHSt 55 121 = NJW 2010 2595 m. Anm. Eidam deutet an, dass § 81a StPO auch nach Ansicht der Rspr. nicht mehr als Ermächtigungsgrundlage genügen dürfte; vgl. hierzu Krüger/Kroke Jura 2011 289, 292. Nach Ashworth Crim.L.R. 2007 717 können Verfahrensgarantien die Verfahrensfairness generell in Fällen der
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Genau zu betrachten ist der Einsatz von Personen, die dem Beschuldigten gesellschaftlich übergeordnet sind oder zu ihm in einem persönlichen Verhältnis stehen, das per se geeignet ist, unter Umständen (emotionalen) Druck zu erzeugen oder zu begünstigen (z.B. Eltern, Ehepartner, sonstige Bezugs- oder Respektspersonen). Wenn das persönliche Verhältnis zum Gesprächspartner als zusätzlicher Faktor in die Beurteilung einzubeziehen ist, dann birgt ihr Einsatz diesbezüglich ein gewisses Risiko. Nicht gegen den Grundsatz nemo tenetur verstößt eine freiwillige Selbstbelastung 939 gegenüber einem Träger öffentlicher Gewalt. Auf die Freiwilligkeit der Aussage kann nicht schon deshalb geschlossen werden, weil der Betroffene seine Aussage gegenüber einem anderen Amtsträger („authority“) als dem für die Zwangsausübung Verantwortlichen gemacht hat.2375 Unschädlich ist es in der Regel, wenn der Beschuldigte durch ein Versprechen zur Aussage veranlasst wurde.2376 Auf die Motive, aus denen er sich zur Aussage entschließt, kommt es nicht an, sondern nur darauf, dass die Aussage selbst das Ergebnis seiner eigenen freien Entschließung ist. Dies setzt voraus, dass der Betroffene seine Entscheidung auszusagen, frei von Irrtümern und unbeeinflusst von Fallen 2377 trifft, die ihm vom Staat gestellt werden. Ein Tatsachenirrtum ist insofern nur dann unbeachtlich, wenn die Äußerung spontan und unaufgefordert gemacht wird, sich also auch der psychologische Druck durch Inhaftierung und Vernehmung nicht auswirkt.2378 Nach Ansicht des HRC liegt die Beweislast für die Freiwilligkeit eines (erzwungenen) 940 Geständnisses bei dem betroffenen Staat.2379
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11. Kartellrechtliche Ermittlungsverfahren. Ordnet man eine von der Europäischen Kommission verhängte Kartellgeldbuße als „criminal charge“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK ein (Rn. 76) und bejaht die Frage, ob sich auch juristische Personen auf den nemotenetur-Grundsatz berufen können (so Rn. 887), so ist die Selbstbelastungsfreiheit auch im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren zu berücksichtigen.2380 Problematisch ist hier insbesondere die von der Europäischen Kommission erlassene Kronzeugenregelung,2381 da diese einen faktischen Zwang zur Selbstbelastung begründet.2382 Zudem gewährt der EuGH den betroffenen Unternehmen kein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung, sondern verlangt nur, dass die Verteidigungsrechte des Unternehmens
Beweisgewinnung entgegen Art. 3 EMRK nicht begründen, weil dessen Effektivität dadurch wesentlich gemindert würde. 2375 EGMR Harutyunyan/ARM, 28.6.2007, ECHR 2007-III. 2376 Nowak 74 (ein solcher Vorschlag wurde abgewiesen). Vgl. Kühl StV 1986 190; aber auch die weitergehenden Verbote des § 136a StPO. 2377 Bewusste Schaffung einer unüberwacht wirkenden Gesprächssituation in der Haftanstalt: BGHSt 53 294. 2378 EGMR Allan/UK (Fn. 478). 2379 HRC Rakhmatov u.a./Tadschikistan, 1.4.2008, 1209/2003, 1231/2003, 1241/2004, Rep. 2008, Vol. II, Annex V.E, § 6.3. 2380 Ausführlich hierzu Vocke Die Ermittlungs-
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befugnisse der EG-Kommission im kartellrechtlichen Voruntersuchungsverfahren (2006), 115 ff. sowie Schubert 507 ff. Vgl. die „Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003“, ABlEU Nr. C 210 v. 1.9.2006, S. 2, sowie die „Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen“, ABlEU Nr. C 298 v. 8.12.2006, S. 17. Ausführlich hierzu Schwarze EuR 2009 171, 189 ff.; allgemein zu den Grenzen der Ermittlungsbefugnisse der Europäischen Kommission im Kartellverfahren: Reinhalter ZEuS 2009 53.
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nicht beeinträchtigt werden.2383 Insofern bleibt der Schutz der Unternehmen im europäischen Kartellverfahren deutlich hinter den Anforderungen der EMRK zurück.2384 12. Straßenverkehrsrechtliche Halterverantwortlichkeit. Ist bereits ein Strafverfahren 942 anhängig, ergibt sich daraus unmittelbar ein Recht auf Auskunftsverweigerung. Komplex gelagert sind dagegen Fälle, in denen es um das Auskunftsverlangen gegenüber Fahrzeughaltern geht. Zu entscheiden hatte der EGMR, ob eine Pflicht 2385 zur Preisgabe der Person des Fahrzeugführers durch den Halter zum Zwecke der Verfolgung eines Verstoßes gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften und die Ahndung des Schweigens mit einem Bußgeld bzw. einer Geldstrafe/(Ersatz-)Freiheitsstrafe gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Halters verstößt. Dabei hatte sich der Gerichtshof mit der Beweisgewinnung und der Anwendbarkeit der Selbstbelastungsfreiheit in diesem Stadium des Verfahrens auseinanderzusetzen. Der EGMR lehnt einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK (und ggf. auch Art. 6 943 Abs. 2 EMRK) u.a. ab, wenn der Zwang aus der Verantwortlichkeit und Verpflichtung resultiert, die der Halter bewusst mit dem Fahrzeug übernommen hat, dessen Besitz und Benutzung zu schweren Schäden führen können (so etwa für die bußgeldbewehrte Pflicht des Halters zur Angabe des Fahrers zur Tatzeit 2386 und die Verantwortlichkeit des Halters für geringfügige Verkehrsübertretungen;2387 anders aber bei Geschwindigkeitsübertretungen2388). Die Frage des selbstbelastenden Charakters eines Beweises beurteilt der Gerichtshof 944 hier grundsätzlich anders als auf der Ebene der Beweisverwertung. Obwohl die Preisgabe der Identität des Fahrzeugführers zwangsläufig zu einem Verfahren gegen ihn, also möglicherweise2389 gegen den Halter selbst, geführt hätte, reduziert der EGMR die Identität in ihrer Bedeutung auf ein bloßes neutrales Faktum 2390 bzw. auf lediglich einen von meh-
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EuGH Rs. 374/87 (Orkem) (Fn. 2239), Tz. 34; zuletzt bestätigt durch EuGH Rs. C-301/04 P (SGL Carbon AG), 29.6.2006, Slg. 2006, I-5915, Tz. 39 ff. So überzeugend Schwarze EuR 2009 171, 191 ff., insbes. 194 („unzulässige Aushöhlung der Selbstbelastungsfreiheit“); kritisch auch Hensmann Die Ermittlungsrechte der Kommission im europäischen Kartellverfahren (2009), S. 129 ff. Eine Verpflichtung zur Aussage muss sich nicht immer aus dem Gesetz ergeben. Sie kann auch rein tatsächlicher Natur sein, vgl. etwa EGMR Serves/F (E) (Fn. 2276; hierarchische Autorität im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren, das zu hohen Strafen hätte führen können). EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231), § 57; gegen eine solche Einschätzung: abweichendes Sondervotum des Richters Pavlovschi, der die Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz, dass Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung keine Eingriffe in den Kernbereich des Rechts auf
Selbstbelastungfreiheit und Achtung des Schweigerechts rechtfertigen können, anmahnt. Kritisch auch schon abweichendes Sondervotum der Richter Lorenzen, Levits und Hajiyev zu Weh/A (Fn. 1224). 2387 EGMR Falk/NL (E) (Fn. 1224). 2388 EGMR Krumpholz/A (Fn. 1224), §§ 38 ff. (auch unter Hinweis auf die fehlenden verfahrensrechtlichen Sicherheiten im konkreten Fall); zur Halterverantwortlichkeit in Europa: Milke NZV 2010 17. 2389 Warnking 108 f. stellt fest, dass die theoretisch selbstbelastende Wirkung lange Zeit nach der Rechtsprechung des EGMR ausgereicht hatte, sich dies aber im Urteil Weh/A (Fn. 1224) geändert habe und stattdessen eine tatsächliche Selbstbelastung gefordert worden sei. 2390 Der im Vergleich zu den bis dahin entschiedenen Fällen begrenzte Umfang an erfragten Informationen sollte einen entscheidenden Unterschied darstellen, EGMR (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231), §§ 58, 62.
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reren Aspekten, die erst gemeinsam zu einem Strafverfahren führen könnten.2391 Als Folge verneinte der EGMR das für die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK erforderliche Maß der Betroffenheit,2392 wenn es wegen des eigentlichen Verkehrsverstoßes noch zu keinem Verfahren gegen den Halter gekommen und dieses auch noch nicht hinreichend in Aussicht genommen worden war.2393 Der Gerichtshof verlangt, dass ein potentielles späteres Strafverfahren bereits eine 945 gewisse Konkretisierung erfahren hat, damit es eine Vorwirkung entfalten kann, die es dem Befragten gestattet, sich frühzeitig mit Blick auf dieses Verfahren auf sein Schweigerecht zu berufen. Die Möglichkeit der Durchführung des Verfahrens darf nicht mehr völlig fern liegen und der Zusammenhang mit der Aussagepflicht darf nicht bloß hypothetischer Natur sein.2394 Die tatsächliche Durchführung des Strafverfahrens ist aber nicht erforderlich2395 und auch ein Freispruch hindert die Geltendmachung eines Verstoßes nicht.2396 Für die Frage der Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes ist eine isolierte Betrachtung der beiden Verfahren jedenfalls nicht angezeigt. Beispielhaft sei hier genannt, dass es für den Gerichtshof für die Gewährung des Schweigerechts ohne Belang ist, ob in dem in Aussicht genommenen Strafverfahren der Richter gesondert über die Verwertung der in dem anderen Verfahren gewonnenen Beweismittel entscheiden kann.2397 Das deutsche Straßenverkehrsrecht kennt grundsätzlich weder eine Vermutungsregel 946 in Bezug auf die Fahrereigenschaft noch eine Auskunftspflicht wie in Österreich oder im Vereinigten Königreich. Allenfalls ist in § 25a StVG eine Kostentragungspflicht des Halters für das Bußgeldverfahren in den Fällen vorgesehen, in denen der Kraftfahrzeugführer nicht ermittelt werden kann oder seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordert.2398 Außerdem kann die Verwaltungsbehörde dem Halter nach § 31a StVZO die Führung eines Fahrtenbuchs auferlegen, wenn der Fahrzeugführer nicht festgestellt werden konnte. Diese Möglichkeit besteht vor allem dann, wenn das Verhalten des Halters für den Misserfolg ursächlich war, weil er nicht, unzureichend oder sogar irre-
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Nach Ansicht der Kritiker liegt darin eine völlige Fehleinschätzung; erst recht vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens gegen Unbekannt im Fall Weh (Fn. 1224). So abweichendes Sondervotum der Richter Lorenzen, Levits und Hajiyev zu Weh/A (Fn. 1224), sowie des Richters Pavlovschi zu (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231); auch Wohlers forumpoenale 2008 7; Gaede JR 2005 426. 2392 EGMR Weh/A (Fn. 1224). Erforderlich ist eine nicht unwesentliche Betroffenheit („substantially affected“) durch die angegriffene Maßnahme; vgl. EGMR Lückhof u. Spanner/A (Fn. 2221), § 49; (GK) O’Halloran u. Francis/UK (Fn. 1231). 2393 EGMR Lückhof u. Spanner/A (Fn. 2221), § 49 bejaht dagegen die Betroffenheit durch die Aufforderung zur Angabe des Fahrers im Zusammenhang mit der Mitteilung, dass mit seinem Pkw eine Ord-
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nungswidrigkeit („administrative offence“) begangen wurde. Aufgrund des Verfahrensstandes im Zeitpunkt der Aufforderung ist jedoch nicht erkennbar, ob der EGMR mit dieser Aussage vom Urteil Weh/A (Fn. 1224) abweichen wollte. 2394 EGMR Weh/A (Fn. 1224); deckungsgleich EGMR Rieg/A (Fn. 1230). 2395 EGMR Funke/F (Fn. 199). 2396 EGMR Heaney u. McGuiness/IR (Fn. 1233; kein Verlust des Opferstatus). 2397 Vgl. EGMR Shannon/UK (Fn. 658; Auskunftspflicht gegenüber den Finanzbehörden). 2398 Als „nicht völlig unbedenklich“ bezeichnet SK/Rogall Vor § 133, 139 StPO den § 25a Abs. 1 StVG, weil die Kostentragungspflicht als Kompensation von Beweisnöten gedacht sei, die sich aus berechtigter Aussageverweigerung ergäben.
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führend bei den Ermittlungen mitgewirkt hat.2399 Sein Aussageverweigerungsrecht wird dem Halter im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht abgesprochen, ein Recht, zugleich von der Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben aber schon. Schließlich diene die Auflage der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs, der eine andere Entscheidung zuwider laufen würde.2400 Das Risiko, Verkehrsverstöße auch in Zukunft nicht ahnden zu können, müsse die Rechtsordnung nicht hinnehmen.2401 Aufgrund dieser Zwecksetzung handelt es sich um eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr ohne strafenden Charakter zur künftigen Feststellung eines Fahrzeugführers nach einem Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift,2402 bei der das Schweigerecht keine Anwendung findet. Erst ein Verstoß gegen die Pflichten aus §§ 31a Abs. 2, 3 StVZO, vor Fahrtbeginn den Fahrzeugführer in das Fahrtenbuch einzutragen und das Fahrtenbuch der zuständigen Stelle auf Verlangen vorzuzeigen, stellt wieder eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 69a Abs. 5 Nr. 4, 4a StVZO dar. Hier stellt sich dann allerdings die Frage, ob der Halter die Herausgabe des Fahrten- 947 buchs unter Berufung auf seine Selbstbelastungsfreiheit verweigern kann, wenn mithilfe des Fahrtenbuchs ein Verkehrsverstoß aufgeklärt und verfolgt werden soll. Zum einen soll der Halter unter Androhung einer Geldbuße zur Herausgabe eines Dokuments gezwungen werden, zum anderen ist dessen Existenz aber gesichert, so dass u.U. die Möglichkeit besteht, die Mitwirkungshandlung des Betroffenen durch ein Eingreifen der Behörden zu ersetzen. Entscheidend ist somit, ob und wann Dokumente vom Willen des Betroffenen unabhängig existierende Beweismittel im Sinne der Rechtsprechung des EGMR darstellen können. 13. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den nemo tenetur-Grundsatz. Besondere 948 Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den nemo tenetur-Grundsatz legen weder der IPBPR noch die EMRK fest. Es wird vielmehr dem nationalen Recht überlassen, welche Rechtsfolgen es innerstaatlich daran knüpfen will. Nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften ist daher zu beurteilen, ob der Verstoß ein Verwertungsverbot mit oder ohne Fernwirkung oder ein Offenbarungsverbot zur Folge hat 2403 oder ob und unter welchen Voraussetzungen das Gericht bei seiner Beweiswürdigung Schlüsse aus dem Schweigen ziehen darf (vgl. Rn. 916 ff.). Aufgrund der grundsätzlichen Verweisung auf das nationale Recht beschäftigt sich 949 der EGMR nicht vorrangig mit der Frage der Zulässigkeit bestimmter Beweise, sondern nur innerhalb einer Gesamtprüfung der Verfahrensfairness mit dem Teilaspekt der Art und Weise, in der die im Strafprozess verwerteten 2404 Beweismittel erlangt worden
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Zuletzt VG Freiburg, 22.12.2008 (1 K 1580/08); gegen die Verantwortlichkeit als zwingende Voraussetzung OVG Münster SVR 2008 359 m. Anm. Rebler. 2400 Zuletzt BayVGH 7.11.2008 (11 CS 08.2650); OVG M-V, 26.5.2008 (1 L 103/08), jeweils m.w.N. für eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, BVerwG NZV 2000 385. 2401 VG Augsburg 16.12.2008 (Au 3 K 08.630). 2402 OVG Münster SVR 2008 359 m. Anm. Rebler und m.w.N. zur obergerichtlichen Rechtsprechung. 2403 Vgl. dazu SK/Rogall Vor § 133, 158 ff. StPO.
Nach Nowak 75 hat das HRC die Vertragsstaaten aufgefordert, entsprechende Beweisverwertungsverbote vorzusehen. 2404 EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), §§ 172 f.: Die Frage eines Verstoßes gegen Art. 6 EMRK stellt sich nicht, wenn der unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK direkt erlangte Beweis im Strafprozess von der Verwertung ausgeschlossen und für die mittelbar durch die Verletzung erlangten Beweise eine Fernwirkung anerkannt wird, so dass sie ebenfalls nicht verwertet werden können.
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sind.2405 Dazu gehört auch die Art der möglichen Verletzung eines anderen nach der Konvention geschützten Rechts, z.B. des Schweigerechts und des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit, sowie die Qualität bzw. die Verlässlichkeit des Beweises im Hinblick auf die Erforderlichkeit weiterer unterstützender Beweise.2406 Zudem ist die Entscheidungserheblichkeit des Beweises in die Betrachtung der Verfah950 rensfairness einzustellen.2407 Zu beachten ist, dass im Zusammenhang mit der Verletzung anderer Konventionsrechte nicht immer dieselben Grundsätze Anwendung finden.2408 Dies macht deutlich, dass ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz auf der Ebene der Beweisgewinnung nicht per se die Unfairness des Verfahrens begründet und grundsätzlich die Verwertung der erlangten Beweise in einem Strafverfahren nicht hindert.2409 Stellt der EGMR im Rahmen dieser Gesamtprüfung fest, dass das Verfahren wegen 951 der Verwertung der unter Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit erlangten Beweise nicht mehr fair ist, so bedeutet dies ein de facto-Beweisverwertungsverbot.2410 Eine Pflicht, eine diesbezüglich explizite Regelung zu treffen, kann für das nationale Recht weder aus Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR noch aus dem Recht auf ein faires Verfahren hergeleitet werden, auch keine generelle Belehrungspflicht.2411 Allerdings darf der Staat nicht auf alle rechtlichen Möglichkeiten zur Absicherung dieses Verbotes verzichten,2412 denn er ist gegenüber den Konventionsorganen für die innerstaatliche Beachtung dieses Verbots verantwortlich.
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14. Folgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK für die Selbstbelastungsfreiheit. Trotz der absoluten Geltung des Verbots von Folter sowie unmenschlicher und erniedrigender Strafe und Behandlung in Art. 3 EMRK, der formalen Gleichrangigkeit dieser Behandlungsverbote und ihrer unzureichenden Trennschärfe differenziert der Gerichtshof hinsichtlich der Zulässigkeit der Verwertung von Beweisen, die unter Verletzung von Art. 3 EMRK erlangt worden sind.2413 Der Grund hierfür liegt darin, dass der EGMR im Falle einer unzulässigen Beweisverwertung nicht von einem zweiten Verstoß gegen Art. 3 EMRK,2414 sondern von einer Verletzung des Fairnessgebotes (Art. 6 Abs. 1 EMRK)2415 ausgeht und dieses nach seiner Rechtsprechung keine absolute Geltung beansprucht,
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EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 163. EGMR (K) Gäfgen/D (Fn. 2333); Yaremenko/UKR (Fn. 1502), §§ 76 f.; Safferling Jura 2008 100. 2407 EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 164. 2408 Wegen der im Gegensatz zu Art. 8 EMRK absoluten Geltung des Art. 3 EMRK ausdrücklich: EGMR (K) Gäfgen/D (Fn. 2333); (GK) Jalloh/D (Fn. 2221). 2409 Nach Ansicht von Warnking 59 stellt sich aufgrund der Gesamtbetrachtung die Frage der Auswirkung einer Verletzung des Art. 6 EMRK bei der Beweiserlangung für die Beweisverwertung nach Art. 6 EMRK nicht. 2410 Von Arnim GedS Blumenwitz 265, 270 m.w.N. 2411 So aber Hofmann 40. 2412 Zur weitergehenden Schutzpflicht beim Folterverbot siehe Art. 3 EMRK Rn. 20, 24.
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Gegen eine Differenzierung: Übereinstimmende Meinungen der Richter Bratza und Zupancˇicˇ zu EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); Schuhr NJW 2006 3538; Warnking 84. Kritisch Esser NStZ 2008 657, auch unter Hinweis auf die Rechtslage bei außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK durch Folter gewonnenen Beweisen; vergleichbar EGMR Harutyunyan/ARM (Fn. 2375) (fehlende Prüfungskompetenz ratione temporis bzgl. Art. 3 EMRK, aber Berücksichtigung im Rahmen des Art. 6 EMRK). Warnking 82 (Verwertungsverbote können grundsätzlich nur aus Art. 6 EMRK, nicht aber aus anderen Konventionsrechten abgeleitet werden).
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weshalb hier grundsätzlich widerstreitende Interessen Berücksichtigung finden können. Der Gerichtshof will sich daher darauf beschränken, festzulegen, welche Maßnahmen sowohl erforderlich („necessary“) als auch ausreichend („sufficient“) sind, um die Rechte aus Art. 6 EMRK im Anschluss an einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK effektiv zu schützen.2416 Nach dieser Rechtsprechung dürfen belastende Beweismittel (sowohl Geständnisse als 953 auch Sachbeweise („real evidence“), die unmittelbar mithilfe von Folter gewonnen werden, unabhängig von ihrer Beweiskraft niemals verwendet werden, um die Schuld eines Beschuldigten nachzuweisen.2417 Einen derartigen Automatismus erkennt der EGMR bei solchen Handlungen, die als 954 unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EGMR anzusehen, aber nicht mit Folterhandlungen gleichzustellen sind, lediglich für die Verwendung von Geständnissen an.2418 Bei unmittelbar gewonnenen Sachbeweisen tendiert der EGMR dagegen zu einer Einzelfallentscheidung. Er betont, dass hier überhaupt nur die Fälle relevant würden, in denen feststehe, dass sich die Verletzung von Art. 3 EMRK auf den Ausgang des Verfahrens ausgewirkt, d.h. im Urteil (Schuld- oder Strafausspruch) niedergeschlagen habe.2419 Würden dagegen Beweise verwertet, die unabhängig davon gefunden wurden, und werde auf diese Weise die Kausalkette zwischen der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung, den erlangten Beweisen und der Verurteilung unterbrochen, so bestehe die Problematik nicht.2420 Im Fall Jalloh (Brechmitteleinsatz) hatte der Gerichtshof die Frage eines Beweisver- 955 wertungsverbotes für unmittelbar mithilfe unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gewonnene Sachbeweise mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls noch offen gelassen,2421 wenngleich er nicht hatte ausschließen wollen, dass in bestimmten Einzelfällen auch die Verwertung solcher Beweise dem Verfahren gegen das Opfer einen unfairen Charakter verleihen könnte – und zwar unabhängig von der Schwere des ihm zur Last gelegten Delikts, der Bedeutung der Beweise und seiner Möglichkeit, deren Zulässigkeit und spätere Verwertung im Verfahren anzufechten.2422 Nach Ansicht des Gerichtshofs sprach sogar eine starke Vermutung für die Annahme eines unfairen Verfahrens, wenn der Sachbeweis aufgrund eines unmittelbar mithilfe der erniedrigenden Behandlung erwirkten Geständnisses gefunden wurde (sog. „fruit of the poisonous tree“) und die Verwertung des Geständnisses jedenfalls zur Unfairness des Verfahrens geführt hätte.2423 Für die durchzuführende Fairnessprüfung sei dann insbesondere entscheidend,
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Vgl. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 178. EGMR Baybasin/D (E) (Fn. 703); Harutyunyan/ARM (Fn. 2375); (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); siehe auch EGMR Nechiporuk u. Yonkalo/UKR (Fn. 1511), § 259 („… admission of statements obtained as a result of torture as evidence to establish the relevant facts in criminal proceedings renders the proceedings as a whole unfair irrespective of their probative value and of whether their use was decisive in securing the defendant’s conviction.“). EGMR (K) Gäfgen/D (Fn. 2333), § 99; vgl. auch EGMR Yusuf Gezer/TRK (Fn. 1475).
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EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 178. Vgl. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), §§ 180, 187. Bislang gibt es hierzu noch keinen klaren Konsens zwischen den Vertragsstaaten, den Gerichten anderer Staaten und anderer Institutionen, die die Einhaltung der Menschenrechte überwachen (vgl. § 174). 2421 Kritisch Pollähne/Kemper KrimJ 2007 185 (Entwertung des Folterverbots). 2422 EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221). 2423 Für einen Hinweis auf ein automatisches Verwertungsverbot: Gaede HRRS 2006 241. 2420
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ob die Verurteilung wesentlich auf dem konventionswidrig gewonnenen Beweis beruhe und ob die sonstigen Verteidigungsrechte gewahrt worden seien.2424 Mit dem Urteil der Großen Kammer im Fall Gäfgen hat der EGMR einen weite956 ren 2425 Schritt in Richtung auf ein automatisches Beweisverwertungsverbot für sämtliche unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK erlangten Beweise unternommen und insoweit eine Regelvermutung für die anderenfalls bestehende Verletzung der Verfahrensfairness formuliert.2426 Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass den Strafverfolgungsbehörden eine deutliche Grenze für den Einsatz ihrer Ermittlungsmethoden aufgezeigt und jeder Anreiz zum Missbrauch der zurückhaltenden Rechtsprechung vermieden werden sollte.2427 Zur Ausführung weiterer Prüfungsmaßstäbe gelangte die Mehrheit der Großen Kammer des EGMR leider nicht, da sie im konkreten Fall das Beruhen des Urteils auf den fraglichen Beweisen verneinte.2428 Es bleibt somit noch eine gewisse Unsicherheit für die konkrete Handhabung derartiger Fälle.2429 Dennoch folgt aus der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Strafgerichte 957 nunmehr, dass in Zukunft nicht mehr davon ausgegangen werden kann, die Verwertung der Früchte sei grundsätzlich zulässig, um das Strafverfahren nicht lahm zu legen. Stattdessen wird zunächst von der Unzulässigkeit ausgegangen werden müssen.2430 Die ausnahmsweise Verwertung dieser Sachbeweise im Einzelfall wird ausführlich begründet werden müssen. Dabei ist darauf zu achten, dass sie in Zukunft keine wesentliche Bedeutung für die Verurteilung des Angeklagten erlangen dürfen. Dieses Ergebnis überzeugt angesichts der Stellung des innerhalb der EMRK heraus958 ragenden Menschenrechts aus Art. 3 EMRK sowie der weiten und damit strengen Auslegung des Art. 15 UNCAT durch das HRC und die Literatur.2431
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EGMR (K) Gäfgen/D (Fn. 2333), § 105 (Fernwirkung des konventionswidrig gewonnenen Geständnisses in Bezug auf die indirekten tatsächlichen Beweise – u.a. Autopsiebericht, Fuß- und Reifenspuren am Fundort der Leiche – wurde abgelehnt), mit Anm. Esser NStZ 2008 657. 2425 Von Arnim GedS Blumenwitz 265, 280, war zuvor bereits der Ansicht, die Rspr. des EGMR weise die Tendenz zu einem automatischen Beweisverwertungsverbot im Anschluss an einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK unabhängig von den Umständen des Einzelfalls auf. 2426 Sauer JZ 2011 23, 29 f. möchte das Beweisverwertungsverbot auf einen auf Art. 3 EMRK fußenden völkerrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch zurückführen; zweifelnd Weigend StV 2011 325, 327. 2427 EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703), § 178 („The repression of, and the effective protection of individuals from, the use of investigation methods that breach Article 3
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may therefore also require, as a rule, the exclusion from use at trial of real evidence which has been obtained as the result of any violation of Article 3“). 2428 Anders die Joint Partly Dissenting Opinion der Richter Rozakis, Tulkens, Jemens, Ziebele, Bianku und Power zu EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 703). Vgl. auch Weigend StV 2011 325, 329. 2429 Bedauernd die Joint Partly Dissenting Opinion (Fn. 2428): „The Court could have answered this question categorically.“ 2430 Bereits eine Pflicht zur Rechtsprechungsänderung anmahnend Warnking 86. 2431 Vgl. Nowak/McArthur Art. 15, 2, 88 UNCAT; übereinstimmende Meinung des Richters Zupancˇicˇ zu EGMR (GK) Jalloh/D (Fn. 2221); mahnt offenkundigen Widerspruch zu Art. 15 UNCAT an und geht davon aus, dass insbesondere die Trennung zwischen verbalen und nicht verbalen Beweismitteln wahrscheinlich keinen Bestand haben wird.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
XVIII. Verfahren gegen Jugendliche (Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 4 IPBPR / CRC) 1. Allgemeines. Jugendliche dürfen im Hinblick auf die ihnen zu gewährenden Men- 959 schenrechte als Minima für ein faires Verfahren nicht schlechter gestellt werden als Erwachsene, die in einer vergleichbaren Situation strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch sind aufgrund der Schutzpflichten des Staates gegenüber Minderjährigen Abweichungen von den allgemeinen Verfahrensregeln zum Teil unumgänglich. 2. Strafmündigkeit. Während die EMRK eine Altersgrenze für die Strafmündigkeit 960 einer Person nicht explizit festlegt, nennen die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates (s. Rn. 962 ff.)2432 sowie Art. 1 CRC und Art. 6 Abs. 5 IPBPR2433 ein Alter von 18 Jahren als Grenze für bestimmte Rechte und Garantien. Kind i.S.d. UN-Kinderrechtskonvention ist nach deren Art. 1 „jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“. Im deutschen Recht umfasst der Kinderbegriff der CRC daher auch Jugendliche i.S.v. § 1 Abs. 2 JGG.2434 3. EMRK und sonstiges Recht des Europarats. Dem Text der EMRK lassen sich 961 keine speziellen Grundsätze für ein Strafverfahren gegen Jugendliche entnehmen. Im Wesentlichen muss daher auf die Interpretation des Folter- und Misshandlungsverbots aus Art. 3 EMRK, das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK (dazu Rn. 173 ff., 239 ff.) sowie auf die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) zurückgegriffen werden.2435 Der Europarat hat zudem in einigen Empfehlungen 2436 konkretere Vorgaben für das 962 Strafverfahren gegen Jugendliche gegeben. Zwar sind diese als sog. „soft law“ einzuordnen, doch orientieren sich deutsche Gerichte bei der Auslegung von nationalen Rechtssätzen regelmäßig an ihnen.2437 Dabei fordert die Resolution Res(66)25 zum Strafvollzug von Jugendlichen unter 21 Jahren vom 30.4.1966 eine möglichst kurzfristige Inhaftierung. Die Empfehlung Nr. R (87) 20 über die gesellschaftlichen Reaktionen auf Jugendkriminalität vom 17.9.1987 2438 stellt sich als Bekenntnis zu einem liberalen Strafrecht dar. Es wird empfohlen, vorrangig Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Sind strafrechtliche Maßnahmen aber erforderlich, so soll nach der Empfehlung die Sanktion ausgesprochen werden, die am wenigsten „intensiv“ erscheint. Zudem werden im dritten Abschnitt die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien geregelt. In der Empfehlung Nr. R (88) 6 über die gesellschaftlichen Reaktionen auf Kriminalität unter Jugendlichen aus Gastarbeiterfamilien v. 18.4.1988, die den sozialen Reaktionen auf die Delinquenz von
2432
Vgl. Rule 21.1 der Rec (2008) 11; Rule 11.1 der Rec (2006) 11. 2433 Zu beachten ist, dass Art. 14 Abs. 4 IPBPR – anders als Art. 6 Abs. 5 IPBPR für das Verbot der Todesstrafe – keine Altersgrenze bestimmt. 2434 Bung StV 2011 625, 627. 2435 Keiser ZStW 120 (2008) 26, 28. 2436 Die nachfolgenden Empfehlungen (Re-
commendations) des Europarates sind (auf Englisch) abrufbar unter: www.coe.int. 2437 Vgl. Pruin ZJJ 2011 127 m.w.N. auch zur ausdrücklichen Anerkennung im Justizvollzugsgesetzbuch Baden-Württemberg. 2438 Rec Nr. R (87) 20 on Social Reactions to Juvenile Delinquency; auf Deutsch abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 19–201.
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Jugendlichen mit Migrationshintergrund gewidmet ist, fordert der Europarat ein Diskriminierungsverbot betreffend die Angehörigen von Minoritäten.2439 Ziel der Empfehlungen Nr. R (92) 16 über die Europäischen Grundsätze zu ambulanten Sanktionen und Maßnahmen v. 19.10.19922440 und die zu ihrer Durchführung erlassene Empfehlung Nr. R (2000) 22 zur Verbesserung der Durchführung der Europäischen Grundsätze betreffend in der Gemeinschaft angewandte Sanktionen und Maßnahmen v. 25.11.20002441 ist es, Freiheitsstrafen bei Jugendlichen zurückzudrängen, um Prisonisierungsschäden zu vermeiden, und die Achtung der Menschenrechte, die aus der EMRK folgen, sicherzustellen.2442 Die Empfehlung Nr. R (2003) 20 zu neuen Wegen im Umgang mit Jugenddelinquenz und der Rolle der Jugendgerichtsbarkeit v. 24.9.2003 2443 greift im Wesentlichen den Inhalt der Empfehlung zu den gesellschaftlichen Reaktionen auf Jugendkriminalität aus dem Jahr 1987 wieder auf. Abschnitt II enthält als Hauptziele: Prävention, Resozialisierung und Wahrung der Opferinteressen. Abschnitt III betont den Vorrang ambulanter Maßnahmen, fordert die Zurückdrängung von U-Haft und stationären Maßnahmen sowie die Stärkung der Rechte der Täter. Zu nennen sind im Zusammenhang mit der Europäischen Jugendgerichtsbarkeit auch die Empfehlung Nr. R (2006) 2 über die Europäischen Gefängnisregeln (European Prison Rules) v. 11.1.2006.2444 Diese sehen die Trennung des Strafvollzugs für Häftlinge unter 18 Jahren vom Erwachsenenstrafvollzug vor. Die Empfehlung Nr. R (2008) 11 über die Europäischen Regeln über straffällige Jugendliche, die Sanktionen oder Maßnahmen unterworfen sind (Europäische Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäterinnen und Straftäter, ERJOSSM), v. 5.11.2008 2445 enthält konkrete Regelungen zum europäischen Jugendstrafvollzug, z.B. das Recht auf Wahrung der Privatsphäre (Nr. 16) oder die Schaffung einer Partizipationsmöglichkeit für Jugendliche (Nr. 13) und ihre Eltern (Nr. 14) im Strafverfahren. Die Regelungen der ERJOSSM beanspruchen, einem modernen Menschenrechtsverständnis verpflichtet, Geltung sowohl für ambulante als auch für stationäre Sanktionen. Durch die Feststellung, dass die ERJOSSM andere Menschenrechte lediglich ergänzen (nicht jedoch beschränken) sollen, tragen sie auch dem Grundsatz des Verbots der Schlechterstellung jugendlicher Straftäter Rechnung. Bedenken zur Vereinbarkeit deutschen Rechts mit den ERJOSSM bestehen insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der nachträglich angeordneten Sicherungsverwah-
2439
Rec Nr. R (88) 6 on Social Reactions to Juvenile Delinquency among Young People coming from Migrant Families; auf Deutsch abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 202–205. 2440 Rec Nr. R (92) 16 on the European Rules on Community Sanctions and Measures; auf Deutsch abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 206-222. „Ambulant“ entspräche eher der deutschen Terminologie: vgl. Neubacher Die Politik des Europarats auf dem Gebiet des Jugendkriminalrechts, in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 170, 179 ff. 2441 Rec (2000) 22 on Improving the Implemen-
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tation of the European Rules on Community Sanctions and Measures; auf Deutsch abgedruckt unter: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 223–228. 2442 Vgl. Präambel der Empfehlung Rec (2000) 22. 2443 Rec Nr. R (2003) 20 on New Ways of Dealing with Juvenile Delinquency and the Role of Juvenile Justice. 2444 Siehe Rule 11.1 der Rec (2006) 2 v. 11.1.2006. 2445 Rec Nr. R (2008) 11 on the European Rules for Juvenile Offenders subject to Sanctions or Measures.
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Recht auf ein faires Verfahren
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rung gegen Jugendliche (vgl. Nr. 2 ERJOSSM; § 7 Abs. 2–4 JGG).2446 Auch wird vorgebracht, dass die in einigen Strafvollzugsgesetzen vorgesehenen Disziplinartatbestände nicht konkret genug ausgestaltet seien und daher gegen Nr. 94.3 ERJOSSM verstoßen. Für Jugendliche in Haft soll nach Ansicht des Penological Council aus den ERJOSSM ein Anspruch auf mindestens einen Besuch pro Woche (bzw. 4 Besuche pro Monat) erwachsen (vgl. Nr. 83 ERJOSSM sowie den auf BVerfG-Entscheidungen verweisenden Kommentar zu Nr. 85.2 ERJOSSM). Auch ist aus ihnen eine Verpflichtung des Staates zum Schutz der Jugendlichen vor wechselseitigen Übergriffen und Viktimisierung herzuleiten (vgl. Nr. 88.2 ERJOSSM).2447 Die im Januar 2010 veröffentlichten „Draft Guidelines on Child-Friendly Justice“ des 968 Ministerkomitees des Europarates verstehen sich als Vertiefung bzw. Konkretisierung der UN-Kinderrechte-Konvention (CRC; dazu Rn. 960, 974). Entsprechend dieser Konvention gelten auch hier als „Kinder“ alle Personen unter 18 Jahren. 4. IPBPR. Im Gegensatz zur EMRK enthält der IPBPR besondere Garantien zum 969 Schutze Jugendlicher. So resultiert aus Art. 24 Abs. 1 IPBPR zunächst die allgemeine staatliche Verpflichtung zum Schutze Jugendlicher, und somit auch im Strafverfahren, in Übereinstimmung mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) vom 19.12.1966.2448 Einige Gewährleistungen werden gesondert aufgegriffen und konkretisiert, wie etwa in Art. 6 Abs. 5 IPBPR (Verbot der Todesstrafe bei Jugendlichen unter 18 Jahren). Art. 10 Abs. 2 lit. b und Abs. 3 Satz 2 IPBPR fordern zudem für den Haftvollzug, dass jugendliche Beschuldigte und Verurteilte von Erwachsenen zu trennen sowie ihrem Alter und ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln sind. Art. 14 Abs. 4 IPBPR begründet das Gebot einer jugendgerechten Verfahrensgestal- 970 tung. Das Verfahren muss so geführt werden, dass es die Wiedereingliederung der Jugendlichen in die Gesellschaft fördert; dies gilt sowohl für die Verfahrensgestaltung als auch für das auf Jugendliche anwendbare Sanktionssystem, das sich nicht auf repressive Strafen beschränken darf. Einzelheiten werden dem nationalen Recht überlassen. Dem nationalen Gesetzgeber verbleibt somit ein weiter Gestaltungsspielraum. Er muss auch nicht zwingend ein besonderes Verfahren vor Jugendgerichten einführen.2449 Wird gegen Jugendliche aber nach denselben Verfahrensvorschriften wie bei Strafprozessen gegen Erwachsene verhandelt und kommt dasselbe Sanktionensystem zur Anwendung, ist dies nicht mit Art. 14 Abs. 4 IPBPR vereinbar.2450 Ausführlich zu den Besonderheiten des Strafverfahrens gegen Jugendliche siehe Rn. 980 ff. 5. Recht der Europäischen Union 2451. Zwar sieht das Primärrecht auch in der Fas- 971 sung des Vertrags von Lissabon keine Kompetenz der EU zur Schaffung bzw. Harmonisierung des materiellen bzw. formellen Jugendstrafrechts vor.2452 Die Charta der Grund-
2446
Dünkel ZJJ 2011 140, 142. Dünkel ZJJ 2011 140, 150. 2448 BGBl. 1973 II S. 1570 wegen der Verpflichtung zu Sondermaßnahmen zum Schutze der Kinder vgl. etwa Art. 10 Nr. 3 IPWSKR. 2449 Nowak 63. 2450 Vgl. ital. Corte Costituzionale EuGRZ 1988 107 (gleiches Erkenntnisverfahren gegen Jugendliche und Erwachsene im 2447
Staate New York); ferner Mayer GA 1990 572 (Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Kindes). 2451 Zum Einfluss der CRC (Rn. 974 f.) auf die Kinderrechtsartikel der EUC siehe Steindorff-Classen EuR 2011 19, 21 ff., 29 ff. 2452 Vgl. Radtke ZJJ 2011 120 zu den unionsrechtlichen Einflüssen auf das Jugendstrafrecht.
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EMRK Art. 6
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rechte der Europäischen Union enthält jedoch Vorgaben, die Einfluss auf die Behandlung Jugendlicher im Strafverfahren haben. Von besonderer Bedeutung ist Art. 24 Abs. 1 EUC, nach dem Kinder 2453 ein Recht auf Schutz und Fürsorge haben. Ihre Meinung muss in eigenen Angelegenheiten dem Alter und Reifegrad entsprechend Berücksichtigung finden. Der EuGH hat allerdings jüngst festgestellt, dass aus Art. 24 Abs. 1 EUC keine Verpflichtung zur persönlichen Anhörung des Kindes folgt, wenn dies dem Kindeswohl entgegensteht. Es muss allerdings ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, in dem das Kind seine Beteiligungsrechte effektiv wahrnehmen kann.2454 Art. 24 Abs. 2 EUC normiert den Grundsatz der vorrangigen Berücksichtigung des 972 Kindeswohles,2455 insbesondere für Maßnahmen in öffentlichen Einrichtungen. In Art. 24 Abs. 3 EUC wird schließlich das Recht eines jeden Kindes auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen festgelegt, sofern dies nicht im Einzelfall dem Kindeswohl widerspricht. Vom 11.6. bis 20.8.2010 führte die Europäische Kommission eine öffentliche Konsul973 tation zu einer neuen Kinderrechtsstrategie durch. Themen der Konsultation sind eine kinderfreundliche Justiz und die Einbeziehung der Kinder in das Justizwesen sowie rechtspolitische Maßnahmen zur Gewährleistung von Kinderrechten insbesondere bei der Familienmediation. Die Konsultation befasst sich zudem mit dem Schutz einzelner Gruppen von Kindern wie z.B. von Armut betroffenen Kindern oder solchen, die Opfer von Gewalt oder sexueller Ausbeutung geworden sind. In einer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen stellte die Kommission 2456 in der Folge eine Agenda für die Rechte der Kinder auf, in der auch Vorgaben für die Behandlung minderjähriger Beschuldigter, Zeugen und Opfer in Strafverfahren gemacht werden. Insbesondere wird dort auch festgeschrieben, dass in Verfahren gegen Jugendliche ihre Privatsphäre besonders geschützt werden müsse und dass sich die Beteiligten des Strafverfahrens einer Sprache bedienen müssen, die dem Reifegrad und dem Alter der Beschuldigten angepasst ist, um sicherzustellen, dass diese dem Verfahrensgang folgen können und den Inhalt von Belehrungen über ihre Verfahrensrechte verstehen.
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6. UN-Konvention über die Rechte des Kindes (CRC)2457. Von besonderer Bedeutung für das Jugendstrafverfahren ist die UN-Konvention über die Rechte des Kindes v. 20.11.1989.2458 Mit Ausnahme der USA und Somalia haben alle Vertragsstaaten der
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Der Begriff „Kind“ i.S.d. EUC entspricht dem des Art. 1 CRC, erfasst also den Zeitraum zwischen der Geburt und dem 18. Lebensjahr. Siehe dazu Steindorff-Classen EuR 2011 19, 21, 30. 2454 EuGH Rs. C-491/10 PPU (Aguirre Zarraga), 22.12.2010, Rn. 63 ff. = FamRZ 2011 355 (Leitsatz und Gründe) mit Anmerkung Schulz FamRZ 2011 359. Ob dieser Grundsatz auch ohne weiteres auf das Strafverfahren übertragen werden kann, ist allerdings fraglich. 2455 Vgl. hierzu: Nds OVG DVBl. 2011 289, 291 (Erteilung Aufenthaltserlaubnis bei Geburt des Kindes im Bundesgebiet).
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Mitteilung der Kommission v. 15.2.2011, KOM (2011) 60 endg. 2457 Convention on the Rights of the Child (CRC), A/Res/44/25 v. 20.11.1989, BGBl. 1992 II S. 121; seit 5.4.1992 in Deutschland in Kraft; abrufbar unter: http://www.national-coalition.de/pdf/ UN-Kinderrechtskonvention.pdf (Stand: 1.11.2011). 2458 Zur Entwicklung von den ersten Kinderrechtsabkommen zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes: Steindorff-Classen EuR 2011 19, 20 f.; Invernizzi The Human Rights of Children (2011).
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Vereinten Nationen die CRC ratifiziert.2459 Deutschland hatte zur CRC ursprünglich einen Vorbehalt dahingehend erklärt, dass einigen Vorschriften des Übereinkommens innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung zukommen solle. Seit der Rücknahme dieses Vorbehalts am 15.7.2010 kommt der CRC in Deutschland uneingeschränkt der Rang einfachen Bundesrechts zu.2460 Das Übereinkommen regelt die Rechte der Kinder (siehe Rn. 960). Im strafrechtlichen Kontext sind vor allem Art. 3, 37 und 40 CRC von Bedeutung. Während Art. 3 CRC den allgemeinen Vorrang des Kindeswohls2461 normiert, stellen Art. 37 und 40 CRC konkrete Regeln zum Umgang mit Kindern im Strafverfahren dar. Nach Art. 40 Abs. 1 CRC muss jedes Kindes, das der Verletzung der Strafgesetze verdächtigt ist, in einer Weise behandelt werden, die das Gefühl des Kindes für die eigene Würde und den eigenen Wert fördert und seine Achtung vor den Menschenrechten und Freiheiten anderer stärkt. Auch das Alter und das Ziel der sozialen Wiedereingliederung sind bei der Behandlung straffälliger Minderjähriger zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck gelten für Minderjährige, die einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder überführt wurden, zumindest die in Art. 40 Abs. 2 lit. b CRC genannten Mindestgarantien: Die Jugendlichen müssen unverzüglich und unmittelbar über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden und einen rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand zur Vorbereitung und Wahrnehmung ihrer Verteidigung erhalten. Die Sache muss unverzüglich durch eine zuständige Stelle, die unabhängig und unparteiisch ist, in einem fairen Verfahren entsprechend dem Gesetz entschieden werden. Dabei hat ein rechtskundiger oder anderer geeigneter Beistand anwesend zu sein sowie die Eltern, sofern dies nicht insbesondere in Anbetracht des Alters oder der Lage des Kindes als seinem Wohl widersprechend angesehen wird. Zwar schreibt Art. 40 2 b) ii) CRC vor, dass jedem Kind in einem gegen es selbst gerichteten Strafverfahren der Zugang zu einem Verteidiger zu gewähren ist; die Normierung einer stets verpflichtenden Verteidigung kann hierin aber nicht erblickt werden (vgl. aber Rn. 585, 986). Dies resultiert im Hinblick auf die verpflichtende Verteidigung in zum Teil stark divergierenden nationalen Regelungen.2462 Darüber hinaus bietet Art. 37 lit. a, b CRC Schutz vor bestimmten Arten der Strafe und des Freiheitsentzugs. Im Falle des zulässigen Freiheitsentzuges bestimmt Art. 37 lit. c CRC zudem, dass es Kindern ermöglicht werden muss, den Kontakt zur Familie aufrecht zu erhalten. Nach Art. 37 lit. d CRC muss Rechtsbeistand gewährt werden. Es muss nach dieser Vorschrift auch die Möglichkeit bestehen, die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges überprüfen zu lassen. Weiterhin werden in Art. 40 Abs. 2 lit. b CRC die Rechte, einen Rechtsbehelf gegen ein Strafurteil einzulegen und nicht als Zeuge aussagen oder sich schuldig bekennen zu müssen, gewährleistet. Daneben sind Art. 12 Abs. 2 CRC, der Kindern Anspruch auf rechtliches Gehör einräumt, als auch Art. 16 Abs. 2 CRC zu beachten, der rechtlichen Schutz gegen Eingriffe in die Privatsphäre gewährt. Zu beachten ist, dass die CRC bislang kein Individualbeschwerdeverfahren für die 975 Verletzung ihrer Garantien vorsieht und daher in Bezug auf den Individualrechtsschutz
2459
Die Erklärungen von 1992 befassen sich u.a. mit der elterlichen Sorge, dem Umgangsrecht, der Vertretung Minderjähriger, dem Erbrecht nichtehelicher Kinder, dem Beistand für Minderjährige im Strafverfahren und aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen, BGBl. 1992 II S. 122, 990.
2460
Von Kühlewein ZJJ 2011 134; Bung StV 2011 625, 627. 2461 Vgl. zum Begriff des Kindeswohles: Bung StV 2011 625, 631 f. m.w.N. 2462 Pruin ZJJ 2011 127, 130.
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hinter der EMRK zurückbleibt.2463 Aufgrund seiner völkerrechtlichen Bindung hat der Staat bei seinen Entscheidungen die Vorgaben der CRC dennoch zu berücksichtigen.2464
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7. Sonstige Maßnahmen der Vereinten Nationen. Zu den weiteren für das Jugendstrafverfahren relevanten Vorgaben der Vereinten Nationen zählen die sog. BeijingGrundsätze.2465 Sie stellen Mindestgrundsätze für die Jugendgerichtsbarkeit dar. Zu den Beijing-Grundsätzen gibt es auch einen offiziellen Kommentar,2466 der gegenüber den Rules gleichrangig ist und daher eine authentische Interpretation des Normtextes darstellt.2467 Rule 14.1 enthält das Fair-trial-Gebot, das gemäß den Ausführungen des Kommentars zu dieser Vorschrift mindestens die Achtung der in Rule 7.1 erwähnten Rechte voraussetzt. Die Tokyo Rules 2468 beschäftigen sich ausschließlich mit ambulanten Maßnahmen. 977 Sie sind nach Rule 2.1 auf alle Straftäter, also nicht nur Jugendliche, anwendbar. Das Regelwerk zielt insgesamt auf eine Zurückdrängung freiheitsentziehender Maßnahmen zugunsten ambulanter Maßnahmen ab. Dazu werden etwa in Rule 8.2 – nicht abschließend gemeinte – Sanktionen aufgezählt. Die aus demselben Jahr stammenden Havanna-Grundsätze 2469 regeln die Rahmenbedingungen für den Freiheitsentzug Jugendlicher, welcher immer nur ultima ratio sein soll, vgl. Rule 2, und mit den Menschenrechten in Einklang sein muss, vgl. Rule 3. Die Riyadh Guidelines 2470 wurden 1990 als drittes Instrument zur Regelung, Verbes978 serung und Vereinheitlichung des Vorgehens der UNO-Mitgliedsstaaten im Bereich Jugendkriminalität verabschiedet. Sie beschäftigen sich mit der Prävention der Jugend-
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Hierzu auch: Pruin ZJJ 2011 127; die Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens durch ein Fakultativprotokoll zur CRC fordernd: Maywald ZKJ 2011 159, 164. 2464 Bung StV 2011 625, 627. 2465 Beijing Rules bzw. „United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice“, A/Res/40/33 v. 29.11.1985; abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 76–84; ZStW 99 (1987) 253; abrufbar auch unter: http://www.un.org/ documents/ga/res/40/a40r033.htm (Stand 1.11.2011); sowie auf Deutsch unter: http://www.un.org/Depts/german/ gv-early/ar4033.pdf. 2466 Jeweils unter der jeweiligen Norm der Rules; ebenfalls abgedruckt in: ZStW 99 (1987) 253; s.a. http://www.un.org/ Depts/german/gv-early/ar4033.pdf. 2467 So Schüler-Springorum in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 19, 28. 2468 Tokyo Rules bzw. „United Nations Standard Minimum Rules for Non-custodial Measures“, A/Res/45/110 v. 14.12.1990, abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 132-141; abrufbar auf Englisch/Französisch/Spanisch unter: http://www.un.org/ documents/ga/res/45/a45r110.htm (Stand
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1.11.2011); siehe ausführlich auch: Morgenstern Internationale Mindeststandards für ambulante Strafen (2002) 72 ff. zur Entwicklung, Rechtsnatur und zu deren Inhalten. 2469 Havana Rules bzw. „United Nations Rules for the Protection of Juveniles Deprived of their Liberty“, A/Res/45/113 von der Generalversammlung am 14.12.1990 verabschiedet, abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 94–108; abrufbar u.a. auf Englisch unter http://www.un.org/ documents/ga/res/45/a45r113.htm (Stand 1.11.2011); zusammenfassend SchülerSpringorum in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 19, 30 ff. 2470 Die Riyadh Guidelines (United Nations Guidelines for the Prevention of Juvenile Delinquency) A/Res/45/112 wurden von der Generalversammlung am 14.12.1990 verabschiedet, abgedruckt bei: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 85–93; ZStW 104 (1992) 169; abrufbar unter: http://www. un.org/documents/ga/res/45/a45r112.htm (Stand: 1.11.2011); zur Entstehungsgeschichte: Schüler-Springorum ZStW 104 (1992) 179 f.
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Art. 14 IPBPR
kriminalität.2471 Nur der sechste Abschnitt richtet sich direkt an die „Gesetzgebung und Jugendgerichtsbarkeit“. Die Richtlinien betonen dabei besonders die entscheidende Bedeutung der Spezialprävention.2472 Seit 1998 gibt es überdies noch einen Entwurf eines nicht verabschiedeten UN-Mustergesetzes zur Jugendgerichtsbarkeit.2473 Zu beachten ist auch der General Comment No. 10 2474 des UN-Komitee für die 979 Rechte des Kindes v. 25.7.2007. Das Committee on the Rights of the Child empfiehlt im Hinblick auf die Verpflichtung der Staaten aus der CRC, Kindern einen – nicht notwendigerweise rechtlichen – Beistand zur Seite zu stellen sowie die Kostenfreiheit dieses Beistands zu regeln (Tz. 49). Zudem wird vorgeschlagen, im Sinne des Beschleunigungsgebots zeitliche Grenzen für das gesamte Strafverfahren gegen Jugendliche, einschließlich des Ermittlungsverfahrens, einzuführen, die wesentlich kürzer sein sollen als bei Verfahren gegen Erwachsene (Tz. 52). Zugleich müssen aber die Verfahrensrechte der Jugendlichen gewahrt werden, insbesondere das Recht auf einen Beistand. Dessen Anwesenheitsrecht soll nach dem General Comment zudem nicht auf das Gerichtsverfahren beschränkt werden, sondern bereits im Ermittlungsverfahren gelten, insbesondere also auch bei polizeilichen Vernehmungen. 8. Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens nach der EMRK und dem IPBPR. Nach 980 Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR hat jeder das Recht auf einen gesetzlichen Richter. Sowohl das zuständige Gericht als auch der zuständige Spruchkörper müssen sich aus dem Gesetz ergeben. Ausnahmegerichte sind unzulässig. Die nähere Ausgestaltung aufgrund untergesetzlicher Normen genügt, wenn sie den vorgegebenen gesetzlichen Rahmen wahren (siehe Rn. 139). In Anlehnung an die Erfordernisse der obigen internationalen Dokumente kann von einer Pflicht zur Schaffung spezieller Jugendgerichte ausgegangen werden.2475 Im Hinblick auf die Unparteilichkeit des Gerichts hat der EGMR festgestellt, dass 981 wegen der besonderen Schutzpflichten gegenüber jugendlichen Straftätern nationale Regelungen zulässig sein können, nach denen Richter, die bereits in der Ermittlungsphase wesentliche, für den Beschuldigten nachteilige Entscheidungen im Hinblick auf das Strafverfahren getroffen haben (hier: Eröffnung des Ermittlungsverfahrens, Leitung des Beweiserhebungsverfahrens), auch Teil des Richterkollegiums sein können, das die Strafsache verhandelt. Allerdings muss diese Regelung im Interesse der minderjährigen Delinquenten liegen.2476 Der Öffentlichkeitsgrundsatz, der der Kontrolle und Sicherung eines fairen Verfah- 982 rens dient, ist in Deutschland in § 169 GVG geregelt. Dennoch kann er nicht uneingeschränkt gelten, weil er gegenüber anderen wichtigen Belangen, insbesondere den Inter-
2471
Vgl. knapp zum Inhalt der Richtlinien: Schüler-Springorum 19, 25 f. 2472 Ebenso Bochmann 24. 2473 Model Law on Juvenile Justice; abgedruckt in: BMJ (Hrsg.), Dokumente, 109–131; abrufbar unter: http://www.childsrights. org/html/site_fr/law_download.php?id=124 (Stand: 1.11.2011); siehe auch SchülerSpringorum 19, 28 ff. 2474 Committee on the Rights of the Child, General Comment No. 10 (CRC/C/GC/10), v. 25.4.2007; abrufbar unter: http://www2.
ohchr.org/english/bodies/crc/comments.htm (Stand: 1.11.2011). 2475 Vgl. auch die Beijing Rules, die eine eigene Jugendgerichtsbarkeit als selbstverständlich voraussetzen (Teil 1 – Allgemeine Prinzipien / Grundlegende Perspektiven 1.4). 2476 Siehe EGMR Adamkiewicz/PL (Fn. 426), §§ 101 ff. (Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK angenommen, da polnische Regierung nichts zur Rechtfertigung der Regelungen dargetan hatte).
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essen Jugendlicher an der Wahrung ihrer Privatsphäre (Nr. 8 der Beijing Rules; Art. 40 Abs. 2 lit. b vii CRC; Rule 12 der Rec (92) 16 bei ambulanten Maßnahmen; Rule 16 der Rec(2008)11 und Art. 8 EMRK) und ihrem Schutz vor Stigmatisierung, abgewogen werden muss.2477 Daher hat der deutsche Gesetzgeber in § 48 Abs. 1 JGG die Nichtöffentlichkeit der Hauptverhandlung für Jugendstrafverfahren normiert. Jedoch scheint Art. 6 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. EMRK lediglich die nichtöffentliche Verhandlung, nicht jedoch auch die Urteilsverkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zuzulassen.2478 Anders verhält es sich bei Art. 14 Abs. 1 Satz 3 2. Hs. IPBPR, der eine Ausnahme vom Erfordernis der öffentlichen Urteilsverkündung im Jugendstrafverfahren zulässt. Gerade die Erweiterungen der Rechte in neueren Normtexten sollten aber in die EMRK hineingelesen werden. Art. 14 Abs. 1 Satz 3 IPBPR stellt eine Umsetzung der kriminologischen Erkenntnisse und der Forderungen internationaler Dokumente dar, die Erziehung und Prävention und nicht die – öffentlichkeitswirksame – Strafe Jugendlicher als Zweck der Verfahren sehen.2479 Dabei müssen aber die Rechte derjenigen, die an der Öffentlichkeit des Verfahrens ein berechtigtes Interesse haben, wie etwa das Opfer, hinreichend berücksichtigt werden.2480 Weiterhin muss nach dem Fair-trial-Grundsatz innerhalb angemessener Frist verhan983 delt werden (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK / Art. 14 Abs. 3 lit. c IPBPR).2481 Bei Verfahren gegen Jugendliche ist der Beschleunigungsgrundsatz von besonderer Bedeutung, da die erzieherische Wirkung mit der Dauer des Verfahrens abnimmt. Deshalb soll hier möglichst rasch eine Entscheidung ergehen.2482 In Untersuchungshaftsachen gilt wegen der Unschuldsvermutung und der Intensität der Grundrechtseinschränkung ein qualifizierter Beschleunigungsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK / Art. 9 Abs. 3 Satz 1 IPBPR, Art. 10 Abs. 2 lit. b IPBPR).2483 Obwohl Jugendstrafverfahren möglichst tatnah abgeschlossen werden sollen (vgl. auch den General Comment Nr. 10 des Committee on the Rights of the Child Rn. 979), ist darauf zu achten, dass die
2477
EGMR V./UK, 16.12.1999, ECHR 1999-IX, §§ 76 f., 87; Meyer-Ladewig 170; Kilkelly 3. 2478 So sieht es § 48 Abs. 1 JGG vor („einschließlich der Verkündung der Entscheidungen“); der EGMR hat die nichtöffentliche Urteilsverkündung allerdings zum Schutz der Privatsphäre der Kinder in einer Familiensache, P. u. B./UK, 24.4.2001, §§ 46–49, erlaubt. § 48: „Having regard to the nature of the proceedings and the form of publicity applied by the national law, the Court considers that a literal interpretation of the terms of Article 6 § 1 concerning the pronouncement of judgments would not only be unnecessary for the purposes of public scrutiny but might even frustrate the primary aim of Article 6 § 1, which is to secure a fair hearing[…].“. Ungeachtet dessen, dass es sich hierbei um einen zivilrechtlichen Fall handelte, ist davon auszugehen, dass der EGMR auch in Strafprozessen unter bestimmten Bedingungen die nicht-öffentliche Urteilsverkündigung
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in Jugendstrafsachen billigt, vgl. dazu Rn. 439. 2479 Vgl. Nr. 8 der Beijing Rules (nebst Kommentierung), die ebenfalls vor Stigmatisierung warnt; siehe auch Art. 40 Abs. 2 lit. b vii CRC; Rec (1987) 20. 2480 Die deutsche Regelung führt zu einem gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen, da dem Opfer die Teilnahme an der Verhandlung nach § 48 Abs. 2 JGG gestattet ist. 2481 Siehe Rn. 307 ff.; umfassend aus Sicht der Praxis: Tepperwien NStZ 2009 1. 2482 Vgl. auch Art. 40 Abs. 2 lit. b iii CRC; Rule 4 der Rec (87) 20; Rule 14 der Rec (2003) 20; Rule 9 der Rec. R (2008) 11 und Rule 20.1 der Beijing Rules. 2483 Diese Vorgaben wurden in § 72 Abs. 5 JGG umgesetzt, und durch die Regelungen der Subsidiarität der U-Haft bei Jugendlichen § 72 Abs. 1 JGG und für unter 16-Jährige in Absatz 2 betont.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Verfahrensrechte der Jugendlichen geachtet werden. Insbesondere muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung gegeben werden. Auch das Recht auf rechtliches Gehör ist durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK geschützt. 984 Für das Verständnis Jugendlicher darüber, warum ihr Handeln falsch war und weshalb eine bestimmte Maßnahme als Reaktion notwendig ist, ist es wichtig, dass sie ausreichende Partizipationsmöglichkeiten haben und den Gang der Verhandlung nachvollziehen können (Rec (87) 20, Rule 8; Rec (2008) 11, Rule 31.2 ff.).2484 Nur so kann eine erzieherische Wirkung erreicht werden und eine dem Jugendlichen verständliche Lösung gefunden werden, bei der er insbesondere im Rahmen ambulanter Sanktionen mitwirken muss.2485 Das Recht auf Anwesenheit ist ein wesentlicher Teilaspekt des fairen Verfahrens und 985 hängt eng mit dem Recht auf Gehör zusammen.2486 Die Anwesenheit des Minderjährigen ist wegen des Erziehungsgedankens essentiell und eine Hauptverhandlung sollte daher möglichst nie in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen.2487 Einige Modifikationen ergeben sich wegen der alterspezifischen Belastungssituation 986 auch beim Recht auf effektive Verteidigung. Insbesondere müssen Einschüchterungen jeglicher Art vermieden werden. Es ist sicherzustellen, dass der Jugendliche so früh wie möglich über den Tatvorwurf und seine Verteidigungsrechte in Kenntnis gesetzt wird. Dabei müssen die Strafverfolgungsbehörden alles tun, um sicherzustellen, dass der Beschuldigte den Tatvorwurf bzw. die Belehrung über seine Rechte, insbesondere des Rechts zu schweigen oder auf Verteidigerkonsultation, oder auch nur die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und seiner Aussagen in diesem Verfahrensstadium versteht. Wenn davon wegen des Alters des Minderjährigen nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann, muss diese Benachteiligung durch die alterstypischen Verständnisgrenzen durch Zugang zu einem Rechtsbeistand kompensiert werden.2488 Zudem muss generell auf eine jugendgerechte Sprache und Erläuterung geachtet werden.2489 Der Jugendliche muss verstehen, weshalb er sich verantworten muss und was ihm genau vorgeworfen wird. Der EGMR führt dazu aus: „It is essential that a child charged with an offence is dealt with in a manner which takes full account of his age, level of maturity and intellectual and emotional capacities, and that steps are taken to promote his ability to understand and participate in the proceedings.“ 2490 „However, ,effective participation‘ in this context
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Vgl. EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 29. Vgl. Rule 13 der Rec (2008) 11: „Any justice system dealing with juveniles shall ensure their effective participation in the proceedings concerning the imposition as well as the implementation of sanctions or measures.“. 2486 Vgl. Meyer-Ladewig 116. 2487 Die Ausnahme in § 51 Abs. 1 JGG dient dem Erziehungsgedanken; sie ist wegen der in Satz 2 niedergelegten Unterrichtungspflicht einer effektiven Verteidigung nicht abträglich. 2488 EGMR (GK) T./UK, 16.12.1999, § 85; Panovits/ZYP (Fn. 1440), §§ 67 f.; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 89. 2489 Speziell geregelt wird dies in Rec(2008)11 betreffend die Durchführung ambulanter 2485
Maßnahmen in Rule 33.1, betreffend die Regeln in einer freiheitsentziehenden Einrichtung in Rule 62.3 und Rule 94.4, bezüglich des Vorwurfs disziplinarwürdiger Pflichtverstöße. Abgerundet wird dies in Rule 106.3, die bei Problemen u.a. ergänzenden Dolmetschereinsatz vorsieht; vgl. auch EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 29; Kilkelly 40 f. explizit in Bezug auf Art. 5 Abs. 2 EMRK („in a language which he understands“), was Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK entspricht; siehe auch Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage v. 13.2.2008, BTDrucks. 16 8146, in: BTDrucks. 16 13142 S. 104. 2490 EGMR V./UK (Fn. 2477), § 86 a.E; siehe auch EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 29; (GK) T./UK (Fn. 2488), § 84; Panovits/ZYP
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presupposes that the accused has a broad understanding of the nature of the trial process and of what is at stake for him or her, including the significance of any penalty which may be imposed. It means that he or she, if necessary with the assistance of, for example, an interpreter, lawyer, social worker or friend, should be able to understand the general thrust of what is said in court.“2491 Dies bedeutet, dass dem jugendlichen Beschuldigten unter Umständen bereits während der polizeilichen Vernehmung – aber natürlich ebenso im Gerichtsverfahren – sowohl ein Dolmetscher als auch ein Verteidiger zur Seite stehen muss. Zudem gelten für Belehrungen gesteigerte Anforderungen.2492 Der Beschuldigte muss in der Lage sein, dem Inhalt der Zeugenaussagen zu folgen und seinem Verteidiger seine Sicht mitzuteilen bzw. einen Widerspruch zum Ausdruck zu bringen oder dem Gericht Tatsachen zur Kenntnis zu bringen, die seiner Verteidigung dienen.2493 Das Recht auf Akteneinsicht lässt sich ebenfalls aus der Verfahrensfairness und der Waffengleichheit (hierzu Rn. 635 ff.) herleiten. Es kann allerdings mit den staatlichen Schutzpflichten gegenüber den Minderjährigen (Rn. 959, 981) kollidieren, etwa wenn psychologische Gutachten oder die Berichte der Jugendgerichtshilfe in der Akte enthalten sind. Hier kann es erforderlich sein, dem Minderjährigen selbst den Zugang aufgrund des übergeordneten Erziehungs- und Schutzauftrags zu verweigern. Das Recht auf effektive Verteidigung wird dadurch nicht über Gebühr beeinträchtigt, wenn wenigstens Eltern bzw. Verteidigung ein volles Akteneinsichtsrecht genießen. Das Recht auf einen Beistand, der nicht Verteidiger ist, ist in Art. 6 EMRK nicht ausdrücklich genannt. Hierunter versteht man das Recht Jugendlicher, mit ihren ihnen vertrauten Bezugspersonen während des Verfahrens Kontakt zu haben und von ihnen Unterstützung und psychischen Rückhalt zu bekommen.2494 Der EGMR nimmt an, dass die Befragung bzw. Vernehmung eines minderjährigen Beschuldigten durch die Polizei im Rahmen des Vorverfahrens unter bestimmten Umständen im Beisein eines Beistands erfolgen muss.2495 Zu beachten ist insoweit auch Rule 14 der Empfehlung Rec (2008) 11.2496 Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung sind vor allem nationale Regelungen problematisch, nach denen ein Geständnis für die informellen Verfahrensbeendigungen notwendig ist. Vielfach empfinden die Jugendlichen dies als weniger einschneidend als eine Hauptverhandlung und legen schon deshalb ein Geständnis ab, um eine informelle Beendigung des Verfahrens zu erreichen. Hier müssen die Staatsanwälte bzw. Gerichte genau prüfen, ob das Geständnis glaubhaft ist.2497 Das Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln gegen Strafurteile (Art. 14 Abs. 5 IPBPR; Art. 2 des 7. ZP-EMRK; Rule 8 Rec (1987) 20; Rule 3 Rec (2008) 11; Art. 40 Abs. 2 lit. b v) CRC; Rule 3.5 der Tokyo Rules) dient dem Schutz vor Fehlverurteilungen und ist wegen der erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen durch eine ungerechtfertigte straf-
(Fn. 1440), § 67; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 70. 2491 EGMR S.C./UK (Fn. 1654), § 29; siehe auch EGMR (GK) T./UK (Fn. 2488), § 84; Panovits/ZYP (Fn. 1440), § 67; Adamkiewicz/PL (Fn. 426), § 70; Güveç/TRK (Fn. 1654), § 124. 2492 Vgl. EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440), §§ 68 ff. 2493 EGMR Güveç/TRK (Fn. 1654), § 124. 2494 Vgl. BVerfGE 107 104, 121; Eisenberg § 69, 4 JGG.
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Vgl. EGMR Panovits/ZYP (Fn. 1440), § 67 a.E.; S.C./UK (Fn. 1654), § 29; Güveç/TRK (Fn. 1654), § 124. Dieses Recht steht in einem engen Zusammenhang zum Recht auf effektive Verteidigung, siehe Rn. 655 ff. 2496 Ähnliches normieren Art. 40 Abs. 2 lit. b iii) CRC und Rule 15.2 der Beijing Rules. Letztere sieht sogar eine Verpflichtung der Eltern zur Teilnahme vor, wenn dies im Interesse des Jugendlichen liegt. 2497 So auch Antwort der Bundesregierung v. 13.2.2008, BTDrucks. 16 13142 S. 88.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
rechtliche Verurteilung notwendig. Das Recht, die Entscheidungen überprüfen lassen zu können, stärkt das Vertrauen darauf, dass das Urteil gerechtfertigt und richtig ist. Dennoch gilt dieses Recht im deutschen Jugendstrafrecht nach § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nur eingeschränkt in Bezug auf Weisungen und Zuchtmittel. Zwar könnte man hierin eine Schlechterstellung jugendlicher Angeklagter gegenüber Erwachsenen sehen, die gegen jedes Urteil vorgehen können. Andererseits sind Rechtsmittel gegen die (freiheitsentziehende) Jugendstrafe von der Ausnahme des § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht berührt.2498 Die erfassten Maßnahmen dienen der Erziehung und nicht der Bestrafung. Bei diesen weniger eingriffsintensiven Sanktionen, bei denen Rechtsmittel wegen Umfang und Wahl ausgeschlossen sind, kommt es wegen der hierfür notwendigen Kooperation der Jugendlichen meist ohnehin nicht zur Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung. In den wenigen Fällen, wo Nachteile für die Entwicklung des Jugendlichen zu befürchten sind, sollten die zuständigen Jugendrichter im Wege ihres Ermessens eine Abwandlung der angeordneten Maßnahmen im Lichte der internationalen Vorgaben zur Jugendgerichtsbarkeit und in Kenntnis der Unmöglichkeit zur Einlegung von Rechtsmitteln anstreben, um den Erziehungserfolg nicht zu gefährden. Überdies dient die Verkürzung und Einschränkung der Rechtsmittel der Verfahrensbeschleunigung und dem Rechtsfrieden.2499
XIX. Recht auf eine gerichtliche Überprüfung der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung (Art. 2 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 5 IPBPR) 1. Allgemeines. Das Recht des wegen einer strafbaren Handlung Verurteilten auf 991 Überprüfung des Urteils durch eine höhere Instanz (Art. 14 Abs. 5 IPBPR) ist in der EMRK selbst nicht enthalten. Obwohl das Recht auf Zugang zu einem Gericht einen wesentlichen Aspekt des fairen Verfahrens darstellt, garantiert Art. 6 EMRK keinen Instanzenzug.2500 Ein Recht auf ein Rechtsmittel gegen eine strafgerichtliche Verurteilung („right to seek review of conviction and sentence“) findet sich erst in Art. 2 Abs. 1 des 7. ZP-EMRK vom 22.11.1984,2501 das Deutschland zwar 1985 gezeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert hat.2502 Eng verknüpft mit der Rechtsmittelgarantie ist der aus der Verfahrensfairness abzu- 992 leitende Grundsatz, dass ein Urteil hinreichend begründet sein muss (dazu Rn. 231 ff.). Art. 2 des 7. ZP-EMRK ist immer dann einschlägig, wenn eine strafrechtliche Anklage 993 i.S.d. Art. 6 EMRK vorliegt (Rn. 24).2503 Auch der Begriff des Gerichts orientiert sich an 2498
Vgl. auch Abs. 3 lit. b des von der Bundesrepublik ursprünglich (Rn. 974) zu Art. 40 Abs. 2 lit. b v) CRC erklärten Vorbehalts, wonach „bei Straftaten von geringer Schwere nicht in allen Fällen […] die Überprüfung eines nicht auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils durch eine „zuständige übergeordnete Behörde oder durch ein zuständiges höheres Gericht“ ermöglich werden muß“; der Vorbehalt ist zwischenzeitlich zurückgenommen worden. 2499 Vgl. Kuhn 143. 2500 EGMR Staroszczyk/PL (Fn. 320), § 125 („The Convention does not compel the
Contracting States to set up courts of appeal or of cassation.“); Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 34 („Article 6 does not compel Contracting Parties to provide appeals in civil or criminal cases.“). 2501 EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 34; hierzu bereits EGMR Delcourt/B (Fn. 172), § 25. 2502 Meyer-Ladewig 61. 2503 EGMR Zaicevs/LET (Fn. 181), § 53; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 120 („Where an offence is found to be of a criminal character attracting the full guarantees of Article 6 of the Convention, it consequently
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 6 EMRK (siehe Rn. 127 ff.).2504 Im Übrigen verfügen die Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Rechtsmittel über einen weiten Umsetzungsspielraum.2505 Der zweite Instanzenzug wird von dem bewusst allgemein gefassten Art. 14 Abs. 5 IPBPR nach Maßgabe der jeweiligen innerstaatlichen Gesetze gewährt. Die Vertragsstaaten können die Modalitäten des Rechtsmittelverfahrens entsprechend ihrem jeweiligen Verfahrenssystem regeln. Auch die Festlegung der Gründe, aus denen eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zugelassen wird, und die Formen der Anfechtungsmöglichkeit werden dem nationalen Recht überlassen. Jedoch konturieren EGMR und HRC den Gestaltungsspielraum bei der Einrichtung eines Rechtsmittelverfahrens insoweit, als dass jede Beschränkung ein legitimes Ziel verfolgen muss und den Kernbereich des Rechts nicht antasten darf.2506 Insbesondere darf das Recht auf ein Rechtsmittel als solches nicht in das Ermessen der Staaten gestellt werden.2507 Notwendig ist im Grundsatz eine echte substantielle Überprüfung der erstinstanzlichen 994 Verurteilung durch das Rechtsmittelgericht. Ist diese gewährleistet, werden neben meritorischen (in der Sache entscheidenden) auch kassatorische Rechtsmittel als ausreichend angesehen.2508 Die Vertragsstaaten können auch bestimmen, dass ein Rechtsmittel auf die Überprüfung reiner Rechtsfragen („limited to questions of law“) beschränkt wird oder generell einer Annahme bzw. Zulassung unterliegt („may require the person wishing to appeal to apply for leave to do so“ / „seek permission to do so“).2509 Die Revision in ihrer Ausgestaltung nach §§ 333 ff. StPO genügt diesen Anforderungen prinzipiell, wenngleich Verfahrensanforderungen und Zulässigkeitskriterien an den Vorgaben des EGMR zu messen sind; zur sog. Rügeverkümmerung 2510 vgl. die Ausführungen bei Rn. 117.
attracts also those of Article 2 of Protocol No. 7.“); Gurepka/UKR, 6.9.2005, § 55. 2504 Vgl. Explanatory Report Nr. 17: „As compared with the wording of the corresponding provisions of the United Nations Covenant (Article 14, paragraph 5), the word „tribunal“ has been added to show clearly that this provision does not concern offences which have been tried by bodies which are not tribunals within the meaning of Article 6 of the Convention.“ 2505 EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 125 („wide margin of appreciation“); Explanatory Report Nr. 18: „Different rules govern review by a higher tribunal in the various member States of the Council of Europe. In some countries, such review is in certain cases limited to questions of law, such as the recours en cassation. In others, there is a right to appeal against findings of facts as well as on the questions of law. The article leaves the modalities for the exercise of the right and the grounds on which it may be exercised to be determined by domestic law.“ 2506 EGMR Krombach/F (Fn. 345), § 96; Gurepka/UKR (Fn. 2503), § 59; Galstyan/ ARM (Fn. 645), § 125 („Any restrictions contained in domestic legislation on that
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right of review must, by analogy with the right of access to a court (…) pursue a legitimate aim and not infringe the very essence of that right“). 2507 Vgl. HRC Salgar de Montejo/Kolumbien (64/1979), 24.3.1982, EuGRZ 1982 339; Nowak 87; HRC Aboushanif/Norwegen, 2.9.2008, 1542/2007, § 7.2.; vgl. auch HRC Serena u.a./Spanien, 18.4.2008, 1351/2005, 1352/2005, § 9.3: Staaten können vorsehen, dass im Einzelfall Personen vor einem höheren Gericht abgeurteilt werden, solange dies nicht zu einer Beschneidung des Rechts auf Überprüfung des Urteils führt; hier: Rechtsmittel „amparo“ kein angemessenes Rechtsmittel i.S.d. Art. 14 Abs. 5 IPBPR, da nur eine formelle Prüfung des Urteils erfolgt. 2508 Nowak 82. 2509 EGMR Hauser-Sporn/A, 7.12.2006, § 52 = ÖJZ 2007 511 („The Contracting States may limit the scope of the review by a higher tribunal by virtue of the reference in paragraph 1 of this Article to national law.“); vgl. auch: EGMR Pesti u. Frodl/A (E), 18.1.2000, ECHR 2000-I (Auszüge). 2510 Jüngste Rechtsprechung diesbezüglich: BVerfG NJW 2009 1469.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Eine Überprüfungsmöglichkeit wird nur dann als Rechtsmittel i.S.d. 7. ZP-EMRK 995 angesehen, wenn es der Betreffende durch die Einhaltung der gesetzlich klar vorgeschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst in der Hand hat („at his disposal“), seinen Fall überprüfen zu lassen (Rechtsmittelbefugnis); die Entscheidung, ob es zu einer Überprüfung kommt, darf nicht (allein) in das Ermessen der Strafverfolgungsbehörden oder des übergeordneten Gerichts gestellt sein.2511 Auch vorgeschaltete Annahmeverfahren (leave to appeal proceedings) können den Anforderungen eines Rechtsmittels i.S.d. 7. ZP-EMRK entsprechen.2512 Das HRC betont, dass der Mangel einer ordnungsgemäßen, wenn auch nur kurzen, 996 Begründung bezüglich der fehlenden Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels die effektive Ausübung des in Art. 14 Abs. 5 IPBPR gewährten Rechts auf Überprüfung des Urteils gefährdet.2513 Art. 2 Abs. 2 des 7. ZP-EMRK gestattet es, im nationalen Recht Ausnahmen vom 997 Recht auf eine zweite Instanz für geringfügige Straftaten vorsehen, d.h. für Taten, denen bei einer Gesamtwürdigung geringes Gewicht beizumessen ist. Für die Beurteilung der Geringfügigkeit 2514 spielt es eine wichtige Rolle, ob die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist oder nicht.2515 Der EGMR geht dabei von der nach dem gesetzlichen Strafrahmen rechtlich zulässigen Höchststrafe aus, nicht von der tatsächlich verhängten Strafe.2516 Ob auch bei Art. 14 Abs. 5 IPBPR eine Möglichkeit zur Beschränkung eines Rechtsmittels besteht, wenn es sich um geringfügige Straftaten handelt oder ob hier das nationale Recht, auf das verwiesen wird, Ausnahmen zulassen kann, ist zweifelhaft.2517 Für Deutschland folgt die Zulässigkeit von Ausnahmen zugunsten geringfügiger Delikte, sofern sie nicht mit Freiheitsstrafe geahndet wurden, bereits aus dem zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR erklärten Vorbehalt.2518 Die Einschränkungen der Anfechtungsmöglichkeit, wie sie etwa nach §§ 79 ff. OWiG bestehen, verstoßen deshalb nicht gegen Art. 14 Abs. 5 IPBPR.
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EGMR Gurepka/UKR (Fn. 2503), §§ 59 ff.; Galstyan/ARM (Fn. 645), § 126 („provide an individual with a clear and accessible right to appeal“; „clearly defined procedure or time-limits and consistent application in practice“); Mkhitaryan/ ARM, 2.12.2008, § 85; Tadevosyan/ARM, 2.12.2008, § 79. Explanatory Report Nr. 19: „In some States, a person wishing to appeal to a higher tribunal must in certain cases apply for leave to appeal. The right to apply to a tribunal or an administrative authority for leave to appeal is itself to be regarded as a form of review within the meaning of this article.“; EGMR Stempfer/A, 26.7.2007, § 50; zweifelnd Jacobs/White/Ovey 306. HRC Aboushanif/Norwegen, 2.9.2008, 1542/2007, § 7.2, abweichende Meinung zu „even if in brief form“ Shearer. Vgl. Trechsel FS Ermacora 195, 204 zur Frage, ob sich die Geringfügigkeit abstrakt nach der Strafdrohung bemisst oder, da es
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sich um die Frage der Anfechtbarkeit handelt, nach der Art der abgeurteilten Tat und der im Urteil erkannten Strafe. Explanatory Report Nr. 21: „When deciding whether an offence is of a minor character, an important criterion is the question of whether the offence is punishable by imprisonment or not“; EGMR Zaicevs/LET (Fn. 181), § 55. EGMR Galstyan/ARM (Fn. 645), § 124 („[…] a penalty of 15 days of imprisonment is sufficiently severe not to be regarded as being of a „minor character.“); Ashughyan/ARM (Fn. 1570), §§ 108 f. Zur nicht ganz eindeutigen Entstehungsgeschichte und zur Praxis des HRC vgl. Nowak 84 f. Vgl. BGBl. 1973 II S. 1533 „([…] dass bei Straftaten von geringer Schwere nicht in allen Fällen die Überprüfung eines nicht auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils durch ein Gericht höherer Instanz ermöglicht werden muss (lit. b)).“
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Grundsätzlich steht jedem wegen einer Straftat Verurteilten der Anspruch auf Überprüfung des Urteils durch eine höhere Instanz zu. Dies gilt in Deutschland auch für Verbrechen, die nach § 120 GVG erstinstanzlich dem Zuständigkeitsbereich der Oberlandesgerichte zugewiesen sind, da diese in der Revision vor dem BGH überprüft werden können (vgl. § 135 GVG), so dass eine zweite Instanz gewährleistet ist. Problematisch stellt sich die Lage jedoch bei Verfahren vor einem obersten Gericht dar, da Urteile, die in der ersten Instanz einem solchen Gericht zugewiesen sind, nicht von einer höheren gerichtlichen Instanz überprüft werden können.2519 Einige europäische Staaten haben in Bezug auf Ministeranklagen vor dem jeweiligen Verfassungsgericht einen Vorbehalt zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR dahingehend erklärt, dass die Möglichkeit der Anrufung einer höheren Instanz nicht existiert.2520 Aufgrund dieses Vorbehalts liegt darin kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 5 IPBPR. In Deutschland besteht ein solcher Vorbehalt nicht; 2521 man ging davon aus, dass die im Grundgesetz und in den Länderverfassungen vorgesehenen Entscheidungen der Verfassungsgerichte bei sog. Präsidenten- oder Ministeranklagen den Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen nicht gleich zu achten sind,2522 weshalb es keine Notwendigkeit für einen Vorbehalt zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR gab (dazu Rn. 82 ff.). Sollte es tatsächlich um den Verdacht der Begehung einer Straftat gehen, so finden stets zwei getrennte Verfahren mit unterschiedlicher Rechtsfolge statt. Zwar ist das Verfahren vor dem BVerfG bzw. vor dem Landesverfassungsgericht dem Strafprozess nachgebildet und die Verfassungsrichter entscheiden auch über die Verletzung eines Straftatbestandes, doch erfolgt dort keine Verurteilung auf der Grundlage der StPO mit der Folge einer Sanktion nach dem StGB. Eine solche Verurteilung findet ausschließlich vor einem Strafgericht statt, wogegen dann Berufung und/oder (Sprung-)Revision eingelegt werden kann. Die Garantie des Art. 14 Abs. 5 IPBPR ist damit gewahrt, gegen das Strafurteil ist die Anrufung einer höheren Instanz zulässig. Deswegen stellt es keine Verletzung von Art. 14 Abs. 5 IPBPR dar, wenn das Feststellungsurteil des Verfassungsgerichts, das als tatsächliche Folge lediglich den Amtsverlust kennt, nicht revidierbar ist. Dem Erfordernis eines zweiten Instanzenzugs und der Möglichkeit der nochmaligen 999 Überprüfung eines verurteilenden Erkenntnisses durch eine zweite Instanz ist auch genügt, wenn das Urteil der zweiten Instanz zu einer schwereren Strafe führt.2523 Ob dies auch gilt, wenn nach einem Freispruch in der ersten Instanz erstmals in der zweiten Instanz verurteilt wurde, oder ob trotz Gewährleistung des geforderten zweistufigen Instanzenzuges in diesem Fall ein weiterer Rechtsmittelzug eröffnet werden muss,2524
2519 2520
2521
Vgl. hierzu: Trechsel FS Ermacora 195, 204. Staaten, die einen solchen Vorbehalt erklärt haben sind: Belgien, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweiz. Zur Tragweite des entsprechenden italienischen Vorbehalts vgl. Nowak 87. Vgl. BGBl. 1973 II S. 1533, Art. 1 Nr. 3 des Zustimmungsgesetzes v. 15.11.1973. Der deutsche Vorbehalt zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR betrifft nur die Fälle, dass ein weiteres Rechtsmittel nicht in allen Fällen allein deshalb eröffnet werden muss, weil der Beschuldigte erstmals in der Rechtsmittelinstanz verurteilt worden ist (lit. a), und dass bei Straftaten von geringer Schwere nicht in allen Fällen die Überprüfung eines
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nicht auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils durch ein Gericht höherer Instanz ermöglicht werden muss (lit. b). 2522 Anders als die strafrechtliche Ministerverantwortlichkeit in Italien, vgl. Nowak 87. 2523 Nowak 86, der bezweifelt, ob die hierauf abzielenden Vorbehalte mehrerer westeuropäischer Staaten notwendig waren. 2524 Nowak 86 hält ein weiteres Rechtsmittel für erforderlich; dazu auch Trechsel FS Ermacora 195, 204: Nur bei reformatorischen Rechtsmitteln, der Ausschluss auch kassatorischer Rechtsmittel wäre dem Betroffenen kaum zumutbar.
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Art. 14 IPBPR
mag zweifelhaft sein. Wegen des von Deutschland zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR erklärten Vorbehalts kann dies dahinstehen. Der von Deutschland erklärte Vorbehalt entspricht dieser Einschränkung.2525 2. Verfahren vor der Rechtsmittelinstanz. Das Verfahren vor der Rechtsmittelinstanz 1000 muss den Anforderungen des Art. 6 EMRK genügen. Das gilt selbst dann, wenn Staaten, die das 7. ZP-EMRK nicht ratifiziert haben, dem Beschuldigten eine Rechtsmittelinstanz gewähren.2526 Die Überprüfung muss stets durch ein übergeordnetes Gericht i.S.d. Art. 6 EMRK erfolgen.2527 Eine Kontrolle durch dasselbe Gericht genügt nicht.2528 Im Übrigen besitzen die Vertragsstaaten auch bei der Ausgestaltung des Verfahrens in 1001 der Rechtsmittelinstanz einen weiten Gestaltungsspielraum. Sie können dabei auch regeln, ob der Angeklagte zur Verhandlung persönlich erscheinen muss und ob und in welchen Fällen er sich von einem Verteidiger vertreten lassen kann (vgl. hierzu auch Rn. 712).
XX. Entschädigung bei Fehlurteil (Art. 3 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 6 IPBPR) 1. Allgemeines. Das Recht auf Entschädigung des Verurteilten bei schlüssigem Nach- 1002 weis eines Fehlurteils ist aufgrund des Art. 14 Abs. 6 IPBPR für Deutschland verbindlich. In der EMRK ist es nicht enthalten, wohl aber in Art. 3 des 7. ZP-EMRK v. 22.11.1984,2529 das Deutschland noch nicht ratifiziert hat, so dass insoweit der EGMR nicht angerufen werden kann. Die Voraussetzungen für die Entschädigung sind in beiden Konventionen eng be- 1003 grenzt.2530 Die Entschädigung wird nur für den Fall der nachträglichen Aufhebung eines rechtskräftig gewordenen und ganz oder teilweise vollstreckten Fehlurteils gefordert,2531 nicht aber für Schäden, die durch Strafverfolgungsmaßnahmen entstanden sind, die nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben. Ob und wieweit diese entschädigt werden, bleibt deshalb der freien Entscheidung des nationalen Gesetzgebers überlassen.2532 Für freiheitsentziehende Maßnahmen besteht eine Sonderregelung in Art. 5 Abs. 5 1004 EMRK / Art. 9 Abs. 5 IPBPR. Der Entschädigungsanspruch hängt nicht von der förm-
2525
Vgl. BGBl. 1973 II S. 1533, Art. 1 Nr. 3 des Zustimmungsgesetzes v. 15.11.1973 „([…] dass ein weiteres Rechtsmittel nicht in allen Fällen allein deshalb eröffnet werden muss, weil der Beschuldigte erstmals in der Rechtsmittelinstanz verurteilt worden ist (lit. a), […].“). 2526 EGMR Lalmahomed/NL (Fn. 595), § 36 („A Contracting Party which provides for the possibility of an appeal is required to ensure that persons amenable to the law shall enjoy before the appellate court the fundamental guarantees contained in Article 6“); so bereits: EGMR Delcourt/B (Fn. 172); De Cubber/B (Fn. 415);
Khalfaoui/F (Fn. 601), § 37; (GK) Kudla/PL (Fn. 601). 2527 Meyer-Ladewig Art. 2 Protokoll Nr. 7, 2. 2528 Devolutiver, nicht remonstrativer Rechtsbehelf, Nowak 83 unter Hinweis auf HRC. 2529 Vgl. Trechsel FS Ermacora 195, 205 zu der zu engen Begrenzung der Entschädigung und zum Unterschied der Entschädigungspflicht nach Art. 5 Abs. 5 EMRK. 2530 Zu den gleichartigen Voraussetzungen des Art. 3 des 7. ZP-EMRK vgl. Meyer-Ladewig, Art. 3 Protokoll Nr. 7, 2. 2531 Vgl. § 1 StrEG. 2532 Vgl. §§ 2 bis 4 StrEG.
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lichen Beseitigung eines rechtskräftig gewordenen Fehlurteils ab, sondern davon, dass die Freiheitsentziehung als solche rechtswidrig war.2533
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2. Voraussetzungen der Entschädigungspflicht (Art. 14 Abs. 6 IPBPR). Es muss die rechtskräftige Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung (im weiten Sinn der Konventionen; dazu Rn. 74 ff.) zu einer Strafe vorliegen, die der Verurteilte ganz oder teilweise verbüßt haben muss. Unter Urteil ist dabei jedes Straferkenntnis zu verstehen, unter Strafe jede Art von strafrechtlicher Sanktion, auch die Geldstrafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Das Urteil muss förmlich aufgehoben worden sein, etwa im Wiederaufnahmeverfah1006 ren oder durch eine Begnadigung. Ein bestimmtes Verfahren wird dabei nicht vorausgesetzt.2534 Es muss darauf beruhen, dass durch neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen2535 schlüssig bewiesen wird, dass ein Fehlurteil vorlag, der Angeklagte also unschuldig ist. Dass die aufgehobene verurteilende Entscheidung selbst rechtswidrig war, ist dagegen keine Voraussetzung für die Entschädigung.2536 Wird der Angeklagte im Wiederaufnahmeverfahren nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern nur mangels ausreichenden Nachweises der Schuld freigesprochen, begründet Art. 14 Abs. 6 IPBPR keine Entschädigungspflicht.2537 Die Begnadigung zieht eine Entschädigungspflicht nur nach sich, wenn sie zur Beseiti1007 gung des Fehlurteils aus Rechtsgründen gewährt wurde,2538 nicht, wenn sie auf allgemeinen Billigkeitserwägungen beruht. Gleiches gilt für eine allgemeine Amnestie. Keine Entschädigungspflicht besteht, wenn nachgewiesen ist, dass die Tatsache, die 1008 das Vorliegen eines Fehlurteils schlüssig beweist, vom Verurteilten selbst zurückgehalten worden ist. Damit soll vor allem vermieden werden, dass jemand zu entschädigen ist, der seine falsche Verurteilung bewusst herbeigeführt oder hingenommen hat, etwa, um den wirklichen Täter zu decken.2539 Auf dem gleichen Grundgedanken beruht der Ausschluss der Entschädigung nach § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG, zu deren Auslegung Art. 14
2533
Tretter FS Ermacora 195, 206; vgl. Nowak 95; ferner Art. 5 EMRK Rn. 375 ff. 2534 Vgl. Explanatory Report Nr. 23: „Nor does the article seek to lay down any rules as to the nature of the procedure to be applied to establish a miscarriage of justice.“; EGMR Matveyev/R, 3.7.2008, §§ 39 f. 2535 Sollte somit lediglich einer bereits bekannten Tatsache neues Gewicht beigemessen werden, ist ein Entschädigungsanspruch nicht gegeben, für Art. 3 des 7. ZP-EMRK vgl. EGMR Matveyev/R (Fn. 2534), §§ 41 ff.; Bachowski/PL (E) (Fn. 620; „The domestic courts acknowledged that the judgment given in 1959 was unacceptable because the applicable substantive criminal law had been seriously distorted and misapplied in that case. Hence, the acquittal of the applicant was due to a reassessment by the Supreme Court of the evidence which had already
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been used and known to the court in the original proceedings“). 2536 Ebenso für Art. 3 des 7. ZP-EMRK, vgl. Meyer-Ladewig 2; Frowein/Peukert 1. 2537 Ebenso für Art. 3 des 7. ZP-EMRK: MeyerLadewig 2. Vgl. die Kritik von Tretter FS Ermacora 195, 206 gegen die Beibehaltung dieser zu engen Entschädigungspflicht in Art. 3 des 7. ZP-EMRK sowie zur Ungereimtheit, dass bei Freispruch in noch laufenden Verfahren keine Entschädigung vorgesehen und der Freispruch zweiter Klasse beibehalten wird, obwohl dies mit der Unschuldsvermutung kaum vereinbar ist. 2538 Vgl. Nowak 93, mit Beibehaltung dieses kritisierten Zusatzes sollten auch die Fälle erfasst werden, in denen der zu Unrecht Verurteilte nur begnadigt wurde. HRC Muhonen/Finnland, 8.4.1985, 89/1981, EuGRZ 1985 565; Nowak 94. 2539 Nowak 94.
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Art. 14 IPBPR
Abs. 6 IPBPR heranzuziehen ist.2540 Soweit diese bei der hier allein in Frage kommenden Entschädigung für ein Fehlurteil nach § 1 StrEG anwendbar sind, dürften sie die Grenzen der Konvention einhalten. 3. Gesetzliche Regelung. Die Entschädigung ist entsprechend dem Gesetz zu ge- 1009 währen. Maßgebend ist also die jeweilige gesetzliche Regelung in den Vertragsstaaten. Diese sind zu einer gesetzlichen Regelung verpflichtet,2541 um eine sichere Rechtsgrundlage für die Entschädigung zu schaffen.2542 Im Übrigen ist dem nationalen Recht nur aufgegeben, die Entschädigung entsprechend den Vorgaben des Art. 14 Abs. 6 IPBPR näher zu regeln. Der Gesetzgeber kann die Modalitäten für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs sowie seine Höhe festlegen; er darf aber nicht die Entschädigung an zusätzliche sachliche Voraussetzungen knüpfen, die ihre Gewährung nach Beseitigung eines Fehlurteils über die Konvention hinaus einschränken.2543 Ob die Erben bei Tod eines Verurteilten einen Ersatzanspruch haben, ist der Regelung des nationalen Rechts überlassen.2544
XXI. Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“ / Art. 4 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 7 IPBPR) 1. Allgemeines. Das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“ / „double jeo- 1010 pardy“ 2545) ist ein allgemeiner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und sichert die Freiheit des Einzelnen sowie den sozialen Frieden. Es dient der materiellen Gerechtigkeit ebenso wie der Rechtssicherheit. Zu unterscheiden ist bei der Vielzahl der Regelungen des Grundsatzes das klassische innerstaatliche Modell und das über die Staatsgrenzen und damit die eigene Staatsgewalt hinausreichende Doppelbestrafungsverbot. Letzteres wiederum kann vertikal, also zwischen Mitgliedsstaat und übergeordneter supranationaler Organisation gelten (international) oder horizontal, also zwischen verschiedenen Staaten (transnational). a) Art. 103 Abs. 3 GG. Als objektiver Verfassungsgrundsatz, der gleichzeitig ein Pro- 1011 zessgrundrecht gewährleistet,2546 schließt Art. 103 Abs. 3 GG – ebenso gleichartige Vorschriften in den Länderverfassungen – die mehrmalige Bestrafung einer Person wegen der gleichen Tat durch innerdeutsche Gerichte aus.2547 Die Vorschrift verbietet nicht nur (erst) die mehrmalige Aburteilung einer Person, sondern untersagt bereits die Einleitung eines weiteren Verfahrens und damit die dem gerichtlichen Verfahren vorgelagerte Strafverfolgung; sie stellt mithin ein Verfahrenshindernis dar.2548 2540
Schätzler § 5, 36 StrEG. Nowak 96; anders Art. 3 des 7. ZP-EMRK, wo neben der gesetzlichen Regelung auch die Übung des jeweiligen Staates als ausreichende Grundlage für die Entschädigung angesehen wird. 2542 Zu Art. 3 des 7. ZP-EMRK vgl. zudem Grabenwarter, § 24, 154 m.w.N., nach dem auch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung oder Übung nicht von der Entschädigungspflicht befreien kann. 2543 Nowak 94. 2541
2544
Vgl. Nowak 71, wonach ein Ersatzanspruch der Erben im Falle der Hinrichtung des Verurteilten nicht in den IPBPR aufgenommen wurde. 2545 Siehe den 5. Zusatzartikel zur US-Verfassung. 2546 BK/Rüping 15; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 472; Liebau 74. 2547 Vgl. etwa BVerfGE 12 62, 66; 75 1, 15. 2548 BVerfGE 56 32; BayVerfGHE 11 13 f.; Jarass/Pieroth Art. 103, 79 GG; Zöller Terrorismustrafrecht 316.
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Keine mehrmalige Bestrafung i.S.v. Art. 103 Abs. 3 GG stellt es dar, wenn in einem Verfahren mehrere Sanktionen nebeneinander verhängt werden. Auch die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zulasten des Beschuldigten ist unter bestimmten, eng zu interpretierenden Voraussetzungen zulässig.2549 Eine unzulässige mehrmalige Bestrafung liegt aber dann vor, wenn eine vorangegangene Verurteilung nachträglich versehentlich in zwei verschiedene Gesamtstrafen einbezogen wurde.2550 Die Tat bestimmt sich nach dem nach natürlicher Lebensauffassung einheitlich zu bewertenden Lebensvorgang, auf den sich Anklage und Eröffnungsbeschluss beziehen.2551 Damit wird an den prozessualen Tatbegriff i.S.v. § 264 StPO angeknüpft.2552 Art. 103 Abs. 3 GG erfasst das Kernstrafrecht und Nebenstrafrecht, nicht aber das (Berufs-) Disziplinarrecht. Art. 103 Abs. 3 GG ist weder auf das Verhältnis mehrerer Disziplinarmaßnahmen untereinander noch auf das Verhältnis solcher Maßnahmen zu den Kriminalstrafen anwendbar.2553 Nicht unter die allgemeinen Strafgesetze i.S.v. Art. 103 Abs. 3 GG fallen auch die Ordnungswidrigkeitentatbestände.2554 Aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen ergeben sich hier allerdings Beschränkungen einer erneuten oder doppelten Sanktionierung. Dem tragen eigenständige Verfolgungshindernisse (z.B. § 56 Abs. 4 OWiG) und die differenzierenden Regelungen der §§ 84, 85 OWiG Rechnung.2555 Zu den einen Strafklageverbrauch und damit das Doppelbestrafungsverbot auslösenden Entscheidungen im Rahmen eines Strafverfahrens zählen nicht nur Freispruch und Verurteilung durch das zuständige Gericht (zum Strafbefehl siehe § 410 Abs. 3 StPO). Anderen gerichtlichen Entscheidungen kann zumindest eine beschränkte Rechtskraft zukommen (vgl. §§ 153 Abs. 2 StPO gegenüber der erneuten Verfolgung als Vergehen;2556 § 153a Abs. 2 Satz 2 StPO – im Falle der endgültigen Einstellung, ebenfalls gegenüber der erneuten Verfolgung als Vergehen).2557 Staatsanwaltliche Verfügungen haben (innerstaatlich) eine solche Wirkung dagegen nicht (vgl. aber bezogen auf Art. 54 SDÜ auch Rn. 1071 ff.).2558 Eine Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen gemäß § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO führt lediglich zu einem beschränkten Strafklageverbrauch. Das Verbot der doppelten Aburteilung gilt mit einigen Einschränkungen auch für die vor dem 3.10.1990 ergangenen Urteile der Gerichte der ehemaligen DDR, weil diese der inländischen Gerichtsbarkeit zugerechnet werden.2559 2549
Jarass/Pieroth Art. 103, 80 GG. Dazu Hellebrand NStZ 2004 64 (Rückgängigmachung durch Wiederaufnahme). 2551 BVerfGE 23 202; BGHSt 43 98 f.; 255 ff. 2552 Jarass/Pieroth Art. 103, 72 GG; BVerfGE 45 434, 435. 2553 BVerfGE 66 357; Jarass/Pieroth Art. 103, 74 GG; Maunz/Dürig/Schmid-Aßmann Art. 103, 288 GG, der darauf hinweist, dass entsprechende Konflikte nach Maßgabe sonstiger rechtsstaatlicher Garantien, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zu lösen seien. Im Schrifttum werden aber auch differenzierende Ansichten vertreten, die nicht auf die abstrakte Unterschiedlichkeit von Kriminalstrafen und anderen Sanktionen, sondern auf das Maß ihrer Annäherung in den Sanktionswirkun2550
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gen abstellen und dadurch zu einer Einschränkung der Disziplinargewalt gelangen; vgl. anstelle vieler: BK/Rüping 28 ff. 2554 Vgl. BVerfGE 21 391, 401; 43 101, 105 = NJW 1977 293 = DRiZ 1977 87 (red. Leitsatz und Gründe); a.A. Jarass/Pieroth Art. 103, 74 GG. 2555 Maunz/Dürig/Schmid-Aßmann 289. 2556 Hierzu str.: Meyer-Goßner § 153, 37 f. StPO. 2557 Meyer-Goßner § 153, 37 f.; § 153a, 45 StPO; vgl. auch BGH NJW 2004 375; Jarass/Pieroth Art. 103, 76 ff. GG. 2558 BGHSt 28 121; 29 292; 37 11 f.; Jagla 195 f. 2559 Vgl. Art. 18 EV; Jarass/Pieroth Art. 103, 7 8 GG; Meyer-Goßner Einl. 176; dazu auch BVerfGE 12 62; 36 1; 37 57.
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Für die Urteile ausländischer Gerichte gilt ne bis in idem dagegen grundsätzlich 1018 nicht.2560 Allerdings ist insoweit § 51 Abs. 3 StGB zu beachten, wonach bei der Vollstreckung der von einem deutschen Gericht verhängten Sanktion die im Ausland bereits vollstreckte Sanktion anzurechnen ist. Im Hinblick auf die besondere rechtliche Situation des Unionsrechts und die Verwo- 1019 benheit der unionalen und gemeinschaftsrechtlichen Ebene wurde jedoch schon Ende der 60er Jahre entschieden, dass sich das Doppelverfolgungsverbot auch im Verhältnis von (damals noch) gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Sanktionen auswirken muss. Die Frage der Geltung des Doppelbestrafungsverbots hat dabei insbesondere Bedeutung für das Kartellrecht. Doppelte Verfahren wegen desselben wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens sind mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Vertragsstaaten notwendig verbunden. Die Verfahrenshäufung verstoße als solche aber nicht gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, weil die nationalen und europäischen Kartellvorschriften verschiedene Schutzzwecke verfolgen und somit nicht wegen derselben Tat bestraft werde.2561 Der BGH hat in der „Teerfarben“-Entscheidung im Ergebnis entsprechend das Doppelbestrafungsverbot für anwendbar erklärt, indem er darauf hinweist, dass mit dem Europäischen Gerichtshof eine „zwischenstaatliche“ Gerichtsbarkeit geschaffen worden sei, die sich der Unterscheidung zwischen aus- und inländischer Gerichtsbarkeit entzieht und daher die auf europäischem Unionsrecht (früher Gemeinschaftsrecht) beruhenden Entscheidungen der Gerichte der EU keine Ausübung ausländischer Gerichtsbarkeit seien.2562 EuG und EuGH sind vielmehr als innerstaatliche Gerichte anzusehen.2563 Gleichwohl bedarf es auch insoweit einer Regelung zum Strafklageverbrauch, wie etwa im Bereich des Kartellrechts durch die VO 1/2003. Bei der Übernahme der Vollstreckung einer ausländischen Verurteilung dagegen ist 1020 das ausländische Urteil nicht am Maßstab des Art. 103 Abs. 3 GG zu prüfen, denn dieser gilt nicht im ersuchenden Staat und berührt auch nicht die Regelungen anderer Rechtsordnungen, die eine Doppelbestrafung anerkennen und zulassen.2564 Lediglich eine wegen derselben Tat ergangene abschließende (der Rechtskraft fähige) Entscheidung eines deutschen Gerichts oder einer Behörde i.S.v. § 9 Nr. 1 IRG hindert die Vollstreckungshilfe (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG). b) Art. 4 des 7. ZP-EMRK / Art. 14 Abs. 7 IPBPR. Der Grundsatz, dass eine Person 1021 wegen der gleichen Tat nicht mehrmals bestraft, bzw. verfolgt werden darf, also dass eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung im Strafverfahren es ausschließt, dass der Betroffene wegen derselben Tat nochmals strafgerichtlich belangt werden kann, ist ein allgemeiner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, der bereits im 5. Zusatzartikel zur US-Verfassung Erwähnung findet. Menschenrechtlich verankert ist der Grundsatz ne bis in idem in Art. 14 Abs. 7 1022 IPBPR.2565 In die EMRK war diese Garantie zunächst nicht aufgenommen worden, er
2560
Vgl. BVerfG StraFo 2008 151 = DAR 2008 586; BGHSt 24 57; LR/Kühne Einl. K 98; Beck-GG/Schmahl 44; Jarass/Pieroth Art. 103, 78 GG. 2561 EuGH Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), 13.2. 1969, Slg. 1969, 1, 15. 2562 BGHSt 24 54 (Kartellordnungswidrigkeit); LR/Kühne Einl. K 98. Die Begründung ist freilich unsauber, da die Sanktionen nicht
durch den Gerichtshof selbst verhängt werden, sondern durch die Kommission. 2563 BGHSt 24 54, 57; Jarass/Pieroth Art. 103, 78 GG. 2564 Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 73, 93 IRG. 2565 Zur Entstehungsgeschichte und den wechselnden Fassungsvorschlägen vgl. Nowak Art. 14, 97 f.
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findet sich aber mit einigen Erweiterungen und Einengungen2566 in Art. 4 des 7. ZPEMRK v. 22.11.1984, das Deutschland bislang nicht ratifiziert hat. Beide Vorschriften betreffen nur die wiederholte Aburteilung innerhalb des gleichen Staates.2567 Die Wiederaufnahme des Verfahrens stellt keinen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot dar. Das Verbot wird durch Art. 4 Abs. 3 des 7. ZP-EMRK notstandsfest gewährleistet, während Art. 4 Abs. 2 IPBPR es nicht bei den notstandsfesten Gewährleistungen aufzählt.
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c) Internationale Ebene. Das Verbot der Doppelbestrafung ist auch in Art. 20 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH – ICC) niedergelegt.2568 Es gilt ferner für die Arbeit der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für das frühere Jugoslawien (ICTY)2569 und Ruanda (ICTR)2570 sowie für die Arbeit der Gerichtshöfe in Ost-Timor, Libanon und Sierra Leone. Die in den Statuten bzw. Abkommen geregelten Verfolgungs- und Bestrafungsverbote 1024 schränken die Strafgewalt staatlicher Gerichte zu Gunsten der Strafgewalt der internationalen Gerichtshöfe, also in vertikaler Hinsicht, ein. Bei Verfolgung durch die internationalen Gerichtshöfe wird der Betroffene vor erneuter Verfolgung wegen derselben Tat durch staatliche Gerichte geschützt (Art. 20 Abs. 2 ICC-Statut; 2571 Art. 10 Abs. 1 ICTYStatut; Art. 9 Abs. 1 ICTR-Statut; Art. 11 UN-Reg. 2000/15 und Art. 4 UNTAET 2000/30 Art. 5 des Anhangs zu UNSR 1757; Art. 9 SCSL-Statut). Auch in umgekehrter Richtung gewähren die Statuten und Abkommen Schutz vor 1025 Doppelbestrafung, genauer vor Verfolgung durch die internationalen Gerichtshöfe bei bereits durchgeführtem Verfahren vor einem staatlichen Gericht (Art. 20 Abs. 3 IStGHStatut; Art. 10 Abs. 2 ICTY-Statut; Art. 9 Abs. 2 ICTR-Statut). Ein neuerliches Verfahren vor den Gerichtshöfen ist allerdings möglich, wenn das nationale Strafverfahren nicht unparteiisch und unabhängig war oder den Angeklagten vor internationaler strafrechtlicher Verantwortung schützen sollte (sog. sham-proceedings; vgl. Art. 20 Abs. 3 IStGHStatut; Art. 10 Abs. 2 ICTY-Statut; Art. 9 Abs. 2 ICTR-Statut; Letztere lassen ein erneutes Verfahren auch unter der Voraussetzung zu, dass der Fall nicht mit der erforderlichen Sorgfalt verfolgt wurde).2572 Ist nach diesen Maßgaben ein neues Verfahren zulässig, haben die Gerichtshöfe eine wegen derselben Handlung bereits von einem staatlichen Gericht verhängte Strafe bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (Art. 10 Abs. 3 ICTY-Statut; Art. 9 Abs. 3 ICTR-Statut).
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Zu den Unterschieden zwischen den Regelungen vgl. Tretter FS Ermacora 195, 207 ff. 2567 Das EP hat in einer Entschließung v. 16.3.1984 (EuGRZ 1984 355) u.a. unter Hinweis auf die Freizügigkeit in der (früheren) EG die Ausdehnung des Grundsatzes auf ausländische Urteile gefordert; zur Rechtslage in einzelnen europäischen Staaten vgl. die Begründung des Entschließungsantrags EuGRZ 1984 349. 2568 BGBl. 2000 II S. 1393. 2569 Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem
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Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) v. 10.4.1995 (BGBl. I S. 485); abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 53b. 2570 Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetz) v. 4.5.1998 (BGBl. I S. 843); abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 54a. 2571 Triffterer ICC-Commentary Art. 20 § 22. 2572 Triffterer ICC-Commentary Art. 20 § 44, 45.
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2. Inhalt und Regelungsbereich von Art. 4 des 7. ZP-EMRK a) Strafverfolgungshindernis. Verboten nach Art. 4 des 7. ZP-EMRK bzw. Art. 14 1026 Abs. 7 IPBPR ist die erneute Verfolgung und Bestrafung wegen einer strafbaren Handlung, wenn der Betreffende wegen dieser bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist.2573 Ihrem Wortlaut nach untersagt die Vorschrift hinsichtlich der abgeurteilten Straftat die doppelte Strafverfolgung, d.h. die Durchführung eines zweiten Strafverfahrens und nicht erst die erneute Verurteilung durch ein Strafgericht („liable to be tried or punished“ / „être poursuivi ou puni“).2574 Die frühere deutsche Fassung „vor Gericht gestellt oder bestraft werden“ war dagegen 1027 irreführend. Die vom EGMR im Urteil Gradinger gewählte Formulierung „that provision does not therefore apply before new proceedings have been opened“ bedeutet deshalb nicht, dass das Verbot der Doppelbestrafung erst nach der Einleitung eines zweiten Verfahrens greift. Die Zusammenhänge zwischen dem Verbot der Doppelbestrafung und der Erhebung der strafrechtlichen Anklage führen dazu, dass das Verbot des ne bis in idem nicht nur die Erhebung einer „zweiten“ Anklage verbietet, sondern weiter reicht und praktisch die Wirkung eines Strafverfolgungshindernisses annimmt, wie es im deutschen Recht der Fall ist (Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 1011).2575 Das bringt die Formulierung „the aim … is to prohibit the repetition of criminal proceedings, that have been concluded by a final decision“ klar zum Ausdruck.2576 Die Rechtsfolge einer Verletzung des Art. 4 des 7. ZP-EMRK wäre – sofern Deutsch- 1028 land das 7. ZP-EMRK ratifizieren sollte – dieselbe wie bei einer Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG. Wenn bekannt wird, dass bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt, kann dies sogar noch bei bereits eingetretener Rechtskraft der zweiten Entscheidung als neue Tatsache gemäß § 359 Nr. 5 StPO vorgebracht werden.2577 Falls die rechtskräftige Verurteilung bereits während des Ermittlungsverfahrens bekannt wird, entsteht insoweit ein Verfahrenshindernis. Im Hauptverfahren müsste nach § 260 Abs. 3 StPO eine Einstellung durch Urteil erfolgen.2578 b) Rechtskräftige Verurteilung. Der Begriff „Verurteilung“ in Art. 4 des 7. ZP-EMRK 1029 entspricht dem des Art. 7 EMRK (siehe dort Rn. 26). Gemeint ist also die Verhängung einer staatlichen Sanktion als Reaktion auf eine festgestellte Schuld. Nicht erfasst sind daher präventive Maßnahmen, denn diese sind nicht Folge der festgestellten Schuld, wie z.B. Erziehungsmaßnahmen im Straßenverkehr.2579 Unerheblich ist, ob die Verurteilung durch ein Gericht erfolgt.2580 Auch der Strafbefehl fällt wegen seiner (eingeschränkten) Rechtskraft unter den 1030 Begriff der Verurteilung. Ein erneutes Verfahren wäre zumindest dann unzulässig, wenn es auf Tatsachen beruht, die erst nach Rechtskraft des Strafbefehls eingetreten sind. Denn dann beruht die der materiellen Gerechtigkeit widersprechende Verurteilung nicht auf dem summarischen Charakter des Verfahrens, sondern hätte auch bei Durchführung eines Hauptverfahrens nicht beachtet werden können.2581
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EGMR (GK) Sergey Zolotukhin/R, 10.2.2009, § 110. Siehe EGMR Nilsson/S (E), 13.12.2005, ECHR 2005-XIII; Sergey Zolotukhin/R, 7.6.2007, § 34. Siehe: Meyer-Goßner Einl., 171; SK/Paeffgen 24; BGHSt 20 292.
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Esser 95. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 34 f. 2578 Degenhard StraFo 2005 67. 2579 SK/Paeffgen 38. 2580 KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 8. 2581 BVerfGE 65 377, 379 = NJW 1984 604 = NStZ 1984 325. 2577
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Ob und welche anderweitige Erledigung des Verfahrens das Verbot auslöst, ist im Einzelnen strittig. Der EGMR hat noch nicht eindeutig Stellung dazu bezogen, ob die Verfahrenseinstellung einem Freispruch gleichzusetzen ist. Davon wird aber bei Rechtskraftwirkung der Entscheidung auszugehen sein.2582 Der BGH bejaht jedenfalls die Sperrwirkung unanfechtbarer gerichtlicher Einstellungen nach § 153 Abs. 2 StPO.2583 Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn sich die Tat nachträglich als Verbrechen darstellt.2584 Auch die Entscheidung über die Einstellung gemäß § 153a StPO mit Zustimmung des Gerichts erwächst in Rechtskraft, so dass nach den genannten Kriterien bei erneuter Verfolgung das Verbot der Doppelbestrafung eingreifen würde.2585 Staatsanwaltliche Einstellungsverfügungen sind dagegen nach überwiegender Auffas1032 sung rechtskräftigen Urteilen nicht gleichzusetzen.2586 Diese Wertung ist jedoch angesichts der Judikatur des EuGH zu Art. 54 SDÜ 2587 überholt (siehe unten Rn. 1071 ff.).2588 Ausgeschlossen ist eine erneute Verfolgung erst, wenn die Strafklage aufgrund der 1033 früheren Entscheidung verbraucht ist. Dies setzt den Eintritt der (formellen) Rechtskraft der Entscheidung voraus. Solange ein Urteil nach nationalem Recht noch mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, ist die Voraussetzung der „final decision“ nicht erfüllt.2589 Im Laufe desselben anhängigen Verfahrens darf dieselbe Tat Gegenstand einer wieder1034 holten richterlichen Würdigung und Aburteilung sein. Es handelt sich nicht um ein neues Strafverfahren, wenn das ursprüngliche Verfahren im Rahmen einer fristgerecht eingelegten Berufung oder Revision fortgeführt wird.2590
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c) Begriff der (strafrechtlichen) Tat. Obwohl die englische Originalfassung von Art. 4 des 7. ZP-EMRK, anders als zum Beispiel Art. 3 des 7. ZP-EMRK nicht den Begriff „criminal offence“, sondern nur „offence“ benutzt,2591 werden die Begriffe der „Straftat“ und des „Strafverfahrens“ entsprechend Art. 6 und 7 EMRK konventionsautonom ausgelegt, so dass es hier zu einem Gleichlauf der Anwendbarkeit kommt.2592 Anwendung finden daher die sog. Engel-Kriterien.2593 Demnach wird (als Einstieg) die formelle Zuordnung der angewandten Vorschrift im nationalen Recht untersucht, also ob die das Delikt bestimmende Norm dem nationalen Strafrecht angehört, dem Disziplinarrecht oder einem anderen Rechtsbereich. Das allein kann aber nicht entscheidend sein, da es sonst dem Ermessen des jeweiligen Staates überlassen wäre, ob eine bestimmte Maß-
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KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 9. BGHSt 48 331 = NJW 2004 375. 2584 BGH JZ 2004 737 mit insoweit zustimmender Anm. Kühne, der bei der Einstellung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO und auch bei der alleinigen Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO annimmt, dass sie nach Art. 54 SDÜ im Bereich der Mitgliedstaaten ebenfalls ein begrenztes Verbot der Strafverfolgung bewirkt. 2585 BVerfGE 65 380 = NJW 1984 604 = NStZ 1984 325. 2586 Mansdörfer 123; Frowein/Peukert 2. 2587 EuGH Rs. C-385/01 u. C-187/01 (Gözütok u. Brügge), 11.2.2003, Slg. 2003, I-1345 = NJW 2003 1173 = NStZ 2003 332 = StV 2003 201 = wistra 2003 137 = EuZW 2003 2583
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214; dazu Stein NJW 2003 1162; Radtke/ Busch NStZ 2003 281; Kühne JZ 2003 305. 2588 Vgl. dazu Hecker StV 2001 306; Böse GA 2003 544; Degenhard StraFo 2005 68; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 9. 2589 EGMR (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), § 108; Frowein/Peukert 3. 2590 KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 10. 2591 So auch in der französischen Fassung: „infraction“ statt „infraction pénale“. 2592 EGMR Ruotsalainen/FIN, 16.6.2009, § 42; Haarvig/N (E), 11.12.2007; Rosenquist/S (E), 14.9.2004; Manasson/S (E), 8.4.2003; Göktan/F, 2.7.2002, ECHR 2002-V, § 48; Malige/F, 23.9.1998, Rep. 1998-VII, § 35; Nilsson/S (E) (Fn. 2574). 2593 EGMR Engel u.a./NL (Fn. 40), §§ 81 f.
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nahme den Charaker einer Kriminalstrafe hat. Dies würde dem Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen.2594 Als zweites Merkmal wird „the very nature of the offence“, also die wahre Natur der Norm, betrachtet. Dabei ist die entsprechende Gesetzgebung in anderen Vertragsstaaten zu berücksichtigen, insbesondere dahingehend, ob die durch die Norm geschützten Rechtsgüter auch dort ebenfalls durch Strafgesetze abgesichert werden. Auch der mit der Norm verfolgte Zweck kann hier relevant sein, etwa wenn diese eine eindeutig abschreckende und/oder ausgleichende Funktion haben.2595 Art, Höhe und Schwere der drohenden Sanktion („degree of severity of the penalty“) können als dritter Bemessungsfaktor eine Rolle bei der Beurteilung einer Norm als „strafrechtlich“ spielen, wobei grundsätzlich von der potenziellen Höchststrafe auszugehen ist.2596 Jede freiheitsentziehende Maßnahme hat im Prinzip Strafcharakter. Dies ist eine nur im Einzelfall widerlegliche Vermutung, wenn die Freiheitsentziehung nach Art, Dauer und Ausführung keinen spürbar nachteiligen Charakter hat.2597 Die letzten beiden Kriterien stehen im Alternativitätsverhältnis. Eine kumulative Anwendung ist aber nicht ausgeschlossen, insbesondere, wenn bei separater Beurteilung ein eindeutiges Ergebnis nicht gefunden werden kann.2598 Eine besondere Schwere der Tat wird dagegen nicht gefordert.2599 Von der Garantie erfasst ist somit nach ständiger Rechtsprechung nicht nur das Kriminalstrafrecht im klassischen Sinne, wie es von dem jeweiligen Staat definiert wird. Vielmehr fällt auch das Ordnungswidrigkeitenrecht darunter, sofern es strafenden Charakter hat, wie dies bei straßenverkehrsrechtlichen Sanktionen die Regel ist.2600 Auch das Verwaltungssanktionenrecht ist erfasst, sofern die jeweilige Maßnahme die Verwirklichung einer Strafe bezweckt. Erforderlich ist insoweit eine Einzelfallbetrachtung nach den oben genannten Kriterien.2601 Insbesondere im Unionsrecht, wo derartige Sanktionen funktional das klassische Strafrecht ersetzen, ist der Anwendungsbereich des Art. 4 des 7. ZP-EMRK eröffnet.2602 Dies spricht ferner dafür, dass das Verbot der Konvention nicht entgegensteht, wenn herkömmlich neben der Strafverfolgung das gleiche Verhalten auch unter nichtstrafrechtlichen Gesichtspunkten in einem anderen Verfahren, etwa einem Disziplinarverfahren, gewürdigt wird.2603 Da disziplinarrechtliche Maßnahmen regelmäßig keinen strafrechtlichen, sondern vielmehr präventiven Charakter haben (vgl. 2594
EGMR Ruotsalainen/FIN (Fn. 2592), §§ 42, 45; Maresti/KRO, 25.6.2009, § 56. 2595 EGMR Ruotsalainen/FIN (Fn. 2592), §§ 46 f.; Maresti/KRO (Fn. 2594), §§ 59 f.; Tsonyo Tsonev/BUL (Nr. 2), 14.1.2010, § 49; Frowein/Peukert Art. 26. 2596 EGMR Maresti/KRO (Fn. 2594), § 60; Frowein/Peukert 26; Jung GA 2010 472, 473. 2597 EGMR Nilsson/S (E) (Fn. 2574), § 30; (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), § 56; Maresti/KRO (Fn. 2594), § 60; siehe speziell zu der Handhabung der Kriterien im Fall Zolotukhin (Fn. 2573) auch Jung GA 2010 472, 473. 2598 EGMR Öztürk/D (Fn. 171), § 54; Lutz/D (Fn. 1144), § 55; (GK) Jussila/FIN (Fn. 146); §§ 30–31; Ruotsalainen/FIN
(2592), § 43; Maresti/KRO (Fn. 2594), § 57. 2599 EGMR Ezeh u. Connors/UK (Fn. 171); (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), §§ 52 f., 55; Maresti/KRO (Fn. 2594), § 59; Tsonyo Tsonev/BUL (Nr. 2) (Fn. 2595), § 49. 2600 SK/Paeffgen 25; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 14; Mansdörfer 108 f. 2601 So soll z.B. der Entzug der Fahrerlaubnis als Folgemaßnahme einer strafrechtlichen Verurteilung (also nicht präventiv) den Charakter einer Strafe haben: EGMR Maszni/RUM, 21.9.2006, § 66; vgl. Frowein/Peukert 26 ff. m.w.N. 2602 Mansdörfer 109. 2603 H.M. zu Art. 103 Abs. 3 GG, vgl. etwa BVerfGE 21 378, 391; 27 180.
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Rn. 81), muss sich der Einzelne diesen auch neben einer Kriminalstrafe stellen.2604 Auch hier ist allerdings eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der berufsspezifischen Besonderheiten anzustellen, so dass sich aus der Schwere und Art der Sanktion – entsprechend den Kriterien des EGMR – etwas anderes ergeben kann.2605 Schwierig zu handhaben in der Praxis ist die weite Auslegung des Strafverfahrensbe1040 griffs deshalb, weil die meisten Mitgliedsstaaten der EMRK kumulative strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Sanktionen haben, insbesondere im Bereich des Straßenverkehrsrechts und der Zoll- und Steuervergehen.2606 Nach Ansicht des Gerichtshofs können die nationalen Behörden über die Ausgestaltung des Sanktionssystems und des diesbezüglich repressiven Verfahrens frei entscheiden.2607 Daher beschränkt der EGMR den Anwendungsbereich des ne bis in idem-Grundsatzes insoweit, dass eine kumulative Verhängung von strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen zulässig ist. Die Grenze ist jedoch erreicht, wenn beide Sanktionen dazu dienen, den Täter von der erneuten Begehung einer Tat abzuhalten. Diese sanktionierende und abschreckende Wirkung ist nach Ansicht des Gerichtshofs klassisches Merkmal der Kriminalstrafe, so dass dann ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vorläge.2608 Dagegen ist eine zusätzliche verwaltungsrechtliche „Sanktion“ zum Ausgleich von Schäden, die durch die jeweilige Tat bereits eingetreten sind oder noch eintreten werden, aber eben nur in dieser Höhe, zulässig.2609 Eine besonders problematische Konstellation stellt die Verhängung von EU-Kartell1041 geldbußen dar.2610 Art. 23 Abs. 5 der VO 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln 2611 stellt klar, dass Kartellbußen keinen strafrechtlichen Charakter hatten. Diese Vorschrift ist vor allem der Tatsche geschuldet, dass die EU-Mitgliedsstaaten der Union keine originär strafrechtlichen Befugnisse übertragen hatten. Die Vorschrift ist allerdings nur deklaratorischer Natur. Der Anwendungsbereich strafrechtlicher Verfahrensgarantien kann nach den Engel-Kriterien nicht durch die gesetzgeberische Einordnung einer Norm beschränkt werden.2612 Die Kartellbußen sind als Strafen im weiteren Sinne und somit als strafrechtliche Sanktionen i.S.v. Art. 4 des 7. ZP-EMRK zu qualifizieren, da sie eine Reaktion auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten und somit eine repressive Maßnahme darstellen.2613 Für den Betroffenen bestehe trotz des geringen Unrechtsgehalts mangels sittlich-ethischer Missbilligung des in Frage stehenden Verhaltens gleichermaßen ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich weiterer ahndender Sanktionen. Dies wird auch mit den teilweise immensen Höhen der Geldbußen begründet.2614
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EGMR Storbråten/N, 1.2.2007; Haarvig/N (E) (Fn. 2592). 2605 Wie hier: Esser 99; SK/Paeffgen 25. 2606 Karakosta KritV 2008 73 ff. 2607 Grundlegend: EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38. 2608 EGMR Ruotsalainen/FIN (Fn. 2592), §§ 46 f.; Maresti/KRO (Fn. 2594), § 59; Tsonyo Tsonev/BUL (Nr. 2) (Fn. 2595), § 49. Vgl. hierzu auch: Karakosta KritV 2008 74. 2609 EGMR Ruotsalainen/FIN (Fn. 2592), §§ 46 f. 2610 Siehe vertiefend zu dem Problem Streinz
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Jura 2009 412, so wie Brammer Co-operation between National Competition Agencies in the Enforcement of EC Competition Law (2009). ABlEU Nr. L 1 v. 4.1.2003, S. 1. Heselhaus/Nowak/Nehl § 58, 11; Kruck 46 f. (mit weiteren Bedenken hinsichtlich einer strafrechtlichen Kompetenz der Kommission), 50 f. Zu den verschiedenen Konstellationen, in denen der Ne bis in idem-Grundsatz zur Anwendung kommen kann, siehe Streinz Jura 2009 412. Kruck 48 ff.; Liebau 39.
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d) Doppelbestrafung. Auch die zweite Bestrafung muss eine staatliche sein. Eine 1042 arbeitsrechtliche Folge der ersten Verurteilung, mit Ausnahme bestimmter beamtenrechtlicher und disziplinarrechtlicher Maßnahmen, die durch staatliche Stellen ergehen (siehe dazu oben Rn. 81), kann das Doppelbestrafungsverbot nicht hindern. Eine Doppelbestrafung liegt dann nicht vor, wenn bloß eine Zusatz- oder Nebenstrafe verhängt wird, die zum ersten Verfahren gerechnet werden muss, selbst wenn sie von einer anderen Behörde – oder vielmehr gerade wenn sie durch ein anderes Organ verhängt wird.2615 So ist die Entziehung eines Führerscheins, die nicht schon automatisch auf eine strafrechtliche Verurteilung folgt, dann als Teil der Sanktion gegen das Führen eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss zu sehen, wenn sie eine unmittelbare und vorhersehbare Folge der Verurteilung war, obwohl sie nicht durch das Strafgericht, sondern im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens verhängt wurde. Der Bf. musste jedenfalls mit der Einziehung nach Abschluss des Strafverfahrens rechnen, da das Strafgericht selbst die Einziehung im betreffenden Land gar nicht verfügen kann.2616 e) Identität der Tat (idem). Das Verbot betrifft die nochmalige strafrechtliche Verfol- 1043 gung der gleichen Person wegen der gleichen strafbaren Handlung. Was darunter zu verstehen ist, legen die Konventionen nicht fest. Die nationalen Rechtsordnungen gehen im Übrigen von sehr unterschiedlichen Tatbegriffen aus. Die unterschiedlichen Abgrenzungen der res iudicata im nationalen Recht sind mit Art. 4 des 7. ZP-EMRK und Art. 14 Abs. 7 IPBPR vereinbar, wenn der Kernbereich der Garantien unangetastet bleibt.2617 Der Schutzbereich beider Normen ist jedenfalls enger als der auch verschiedene strafbare Handlungen einschließende Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG. Da der IPBPR weitergehendes innerstaatliches Recht nicht einengt (vgl. Art. 5 Abs. 2 IPBPR), kommt Art. 14 Abs. 7 IPBPR bei Verurteilungen in Deutschland nicht zum Tragen. Dasselbe gilt für Art. 4 des 7. ZP-EMRK. Hinsichtlich des idem existierte lange Zeit keine einheitliche Linie.2618 Im Urteil Gra- 1044 dinger hatte der EGMR angenommen, dass das Verbot der Doppelbestrafung eingreifen müsse, wenn das zweite Verfahren auf demselben Verhalten einer Person beruhe wie das erste („based on the same conduct“).2619 Eine Verletzung von Art. 4 des 7. ZP-EMRK nahm der Gerichtshof daher trotz unterschiedlicher Bezeichnung, Natur und anderen Zwecks der anwendbaren Vorschriften an.2620 Damit hatte der EGMR den Begriff des „idem“ zunächst sehr beschuldigtenfreund- 1045 lich interpretiert. Das Doppelbestrafungsverbot greift diesem Ansatz zufolge nicht erst dann ein, wenn der Beschuldigte von dem Delikt, das Gegenstand des zweiten Verfahrens wäre, ausdrücklich freigesprochen worden ist. Vielmehr besteht ein prozessuales Verfolgungshindernis bereits dann, wenn ein Gericht das betreffende Delikt geprüft und im Urteil festgestellt hat, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, und zwar auch – und gerade – wenn es dabei einem Irrtum erlegen ist und sich nach der Verurteilung herausstellt, dass ein als nicht erfüllt angesehenes Tatbestandsmerkmal tatsäch-
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Grabenwarter § 24, 142. EGMR Maszni/RUM (Fn. 2601), §§ 67 f.; R.T./CH, 30.5.2000; Nilsson/S (E) (Fn. 2574); Frowein/Peukert 7. So bereits: Ungern-Sternberg ZStW 94 (1982) 84. Vertiefend: Hußung Der Tatbegriff im
Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (2011). 2619 EGMR Gradinger/A (Fn. 190), § 55; siehe auch Jung GA 2010 472, 474. 2620 EGMR As ¸ ci/A, 19.10.2006, ECHR 2006-XV; (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), § 71.
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lich doch vorlag. Auch in diesem Fall darf dasselbe Verhalten nicht wegen eines anderen Delikts verfolgt werden, das dieses Tatbestandsmerkmal ebenfalls enthält.2621 Mit der beschuldigtenfreundlichen Tendenz bei der Beurteilung der abgeurteilten Straf1046 tat hat der Gerichtshof im Urteil Oliveira dann jedoch gebrochen. Überraschend und im Gegensatz zur EKMR lehnte der EGMR einen Verstoß gegen Art. 4 des 7. ZP-EMRK ab, weil die zweite Verurteilung zwar auf dem selben tatsächlichen Verhalten basierte, die Beschwerdeführerin aber nicht zweimal wegen desselben Vergehens verurteilt worden sei („same offence“).2622 Eine dritte Herangehensweise entwickelte der EGMR im Urteil Fischer, indem er das 1047 Eingreifen des Doppelbestrafungsverbots davon abhängig machte, ob sich die anzuwendenden Tatbestände in ihren wesentlichen Elementen („the same essential elements“) entsprechen.2623 Zugrunde zu legen sei dabei sowohl der Sachverhalt, der aus einer oder mehreren Handlungen besteht, sowie dessen Einbeziehung in das Strafverfahren (doppelte Identität). Unerheblich soll dagegen die materiell-rechtliche Bewertung sein.2624 Ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot ist nach diesen Kriterien nicht schon deswegen anzunehmen, wenn eine Handlung mehrere Straftatbestände erfüllt, die in Idealkonkurrenz zueinander stehen. Das Verbot greift erst dann ein, wenn durch zwei unterschiedliche Tatbestände zumindest teilweise dasselbe Unrecht abgedeckt wird.2625 Diese Rechtsprechung wendete der EGMR seit dem Urteil Fischer regelmäßig an,2626 erstaunlicherweise auch unter Hinweis auf Gradinger.2627 Über den offensichtlichen Widerspruch zur Gradinger-Rechtsprechung kann dies jedoch nicht hinwegtäuschen. Wo die Grenzen der Konventionsgarantie zu ziehen sind, war bisher einzelfallab1048 hängig und das Ergebnis wurde nicht selten nach „kryptischen Billigkeitsargumenten“ entschieden.2628 Für Deutschland ist dies weitgehend unproblematisch, da Art. 103 2621
EGMR Gradinger/A (Fn. 190), §§ 7–9, 36, 55: Es ging um ein Straferkenntnis, das auf § 5 öStVO beruhte (Fahren eines PKW mit einer BAK von 0,8 g/L), obwohl der Bf. in einem ersten Verfahren wegen § 81 Abs. 2 öStGB (Fahrlässige Tötung unter Alkoholeinfluss), der ebenfalls eine BAK von 0,8 g/L voraussetzt, unter irrtümlicher Annahme einer niedrigeren BAK nicht verurteilt wurde; vgl. hierzu auch EGMR Marte u. Achberger/A, 5.3.1998, Rep. 1998-I (gütliche Einigung): Die Bf. wurden zunächst wegen Widerstands gegen Polizeibeamte und später im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Zahlung von 6.000 bzw. 11.000 ÖS verurteilt, wo ihnen Verstöße gegen das öVwVfG und den Public Morality Act zur Last gelegt wurden (Verhalten gegen die öffentliche Ordnung/Beleidigung der öffentlichen Moral durch Angriff auf Polizeibeamte in Gegenwart anderer Personen). Die EKMR hatte einen Verstoß gegen Art. 4 des 7. ZP-EMRK angenommen, obwohl sie nur einen weitgehend identischen Sachverhalt annahm. 2622 EGMR Oliveira/CH, 30.7.1998, Rep.
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1998-V = ÖJZ 1999 77 = JBL 1999 102, § 25. Der Gerichtshof differenzierte zwischen dem Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug und der fahrlässigen Verursachung der Verletzungen. Obwohl entgegen der gesetzlichen Vorgaben zwei parallele Verfahren geführt worden waren, lehnte der EGMR einen Verstoß ab. 2623 EGMR Franz Fischer/A, 29.5.2001, § 25 = ÖJZ 2001 657; kritisch zu dem bereits in EGMR Ponsetti u. Chesnel/F, 14.9.1999, ECHR 1999-VI, § 5, eingeführten Begriff: Esser 98 f. 2624 KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 16 f. 2625 EGMR Franz Fischer/A (Fn. 2623), §§ 25, 29; OGH ÖJZ 2009 135; vgl. auch SK/Paeffgen 27. 2626 Siehe Nachweise in: EGMR (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), §§ 74–77. 2627 Vgl. EGMR W.F./A, 30.5.2002 = ÖJZ 2003 476; Sailer/A, 6.6.2002, 25; Maszni/RUM (Fn. 2601), § 67; Marcello Viola/I (Fn. 1644), §§ 85, 88, sowie die Unzulässigkeitsentscheidungen: EGMR Rosenquist/S (E) (Fn. 2592); As¸ci/A (Fn. 2620). 2628 Vgl. SK/Paeffgen 27.
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Abs. 3 GG den weiten, an den einheitlichen Lebensvorgang anknüpfenden prozessualen Tatbegriff der StPO absichert 2629 und daher auf jeden Fall dem Verbot der Art. 4 Abs. 1 des 7. ZP-EMRK bzw. Art. 14 Abs. 7 IPBPR genügt.2630 Aus deutscher Sicht hat diese Rechtsprechung aber das Prinzip ne bis in idem in der 1049 strafprozessualen Praxis erheblich entwertet. Der Regelungs- und Schutzgehalt des Art. 4 des 7. ZP-EMRK wurde darauf beschränkt, dass eine Person nicht wegen derselben Straftat erneut verfolgt werden darf. Dass Fälle, in denen eine (strafbare) Handlung mehrere Straftatbestände erfüllt, nicht von dieser Garantie erfasst sein sollen, irritiert. Dies führt zu einer Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs, die nicht nur wirklichkeitsfremd erscheint, sondern auch im Widerspruch zum Schutzzweck des Verbots der doppelten Aburteilung steht.2631 Die strafverfolgungsfreundliche Auslegung des Doppelbestrafungsverbots der Oliviera- und Fischer-Rechtsprechung führt dazu, dass in denjenigen Staaten, in denen eine unüberschaubare Menge an Straftatbeständen normiert ist, nach beinahe jeder Aburteilung ein erneutes Verfahren möglich ist.2632 Denn der Gesetzgeber hätte es in der Hand, einen einheitlichen Lebenssachverhalt derart in verschiedene Straftatbestände aufzuteilen, dass der jeweils sanktionierte Unrechtsgehalt unterschiedlicher Natur ist. Überzeugend wäre es, entsprechend der Gradinger-Rechtsprechung die „Tat“ unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung als den zu beurteilenden einheitlichen Handlungskomplex zu verstehen. Dieser Ansicht hat sich nun auch die Große Kammer im Urteil Zolotukhin 2633 ange- 1050 schlossen.2634 Wenn das Doppelbestrafungsverbot ein effektives Recht sein soll, müsse es bereits dann eingreifen, wenn die in Frage stehende Straftat im Wesentlichen auf demselben einheitlichen tatsächlichen Vorgang beruht wie eine bereits abgeurteilte Tat. Dabei soll der Gerichtshof seinen Fokus künftig auf den Komplex untrennbar miteinander verbundener tatsächlicher Umstände richten, der insbesondere durch denselben Angeklagten, Tatzeit und Tatort bestimmt wird. Die rechtliche Qualifizierung soll dagegen keine Rolle spielen.2635 Obwohl die Große Kammer nicht ausdrücklich darauf Bezug nimmt, orientiert sie sich hier an den Kriterien, die auch im Rahmen des Art. 54 SDÜ Anwendung finden (s. Rn. 1079 f.). 3. Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Das Prinzip ne bis in idem ist kein absolutes 1051 Recht und dementsprechend nicht schrankenlos gewährleistet. Einen Eingriff in dieses Recht stellt das Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten des Angeklagten dar, die allerdings zulässig ist, wenn neue Tatsachen bekannt werden oder das bisherige
2629
Vgl. BVerfGE 56 27 ff.; ferner zur Rspr. des BVerfG zum Tatbegriff Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 473; für die Abkoppelung des Tatbegriffes des Art. 103 Abs. 3 GG von der materiellrechtlichen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses Maatz FS Meyer-Goßner 257. 2630 Siehe insoweit auch § 84 Abs. 1 OWiG. 2631 Esser 95 ff., wie hier SK/Paeffgen 26. 2632 Siehe hierzu: SK/Paeffgen 27. 2633 Vgl. die ausführliche Urteilsbesprechung bei Jung GA 2010 472. 2634 Einen anderen Schluss zieht der ÖVerfGH aus dem Urteil: Dieser kommt in einer
2635
Gesamtschau der Rechtsprechung des EGMR seit 1995 zu dem Schluss, dass es weiterhin auf die rechtliche Qualifikation der Tat ankomme, nicht auf den zugrunde liegenden Sachverhalt. Nur wenn die Tatbestände im Wesentlichen übereinstimmen, greife das Doppelbestrafungsverbot ein (EuGRZ 2010 631, 638 ff.). EGMR (GK) Sergey Zolotukhin/R (Fn. 2573), §§ 80, 84; bestätigt in EGMR Ruotsalainen/FIN (Fn. 2592), §§ 48 ff. und EGMR Maresti/KRO (Fn. 2594), § 62; Tsonyo Tsonev/BUL (Nr. 2) (Fn. 2595), § 51; siehe auch Jung GA 2010 472, 475.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Verfahren schwerwiegende Mängel aufweist.2636 Die Wiederaufnahme des Verfahrens als eine im nationalen Verfahrensrecht verankerte Korrekturmöglichkeit ist ein Annex des ursprünglichen Verfahrens; der Grundsatz des ne bis in idem steht ihr auch in der Form des Art. 14 Abs. 7 IPBPR nicht entgegen.2637 Auch die in Russland praktizierte „supervisory review“ zu Lasten des Angeklagten oder zur Überprüfung von Rechtsfehlern auf Antrag des Generalstaatsanwalts als ein der Wiederaufnahme vergleichbares Institut ist damit prinzipiell zulässig.2638 Der Bundesrat hatte einen Gesetzentwurf 2639 vorgelegt, der auf eine Reform des 1052 strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts (§§ 359 ff. StPO) abzielte, später aber nicht mehr aufgegriffen wurde. Danach soll ein vor Gericht Freigesprochener sich erneut einem Prozess stellen, wenn durch neue kriminaltechnische Untersuchungsmethoden – wie etwa die DNA-Analyse – belegt werden kann, dass er doch der (mutmaßliche) Täter war. Um der Verhältnismäßigkeitprüfung im Rahmen der Prüfung des Art. 103 Abs. 3 GG standzuhalten, sieht der Gesetzesentwurf zahlreiche Beschränkungen vor: Die Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten soll auf die Fälle des Mordes (§ 211 StGB), Völkermordes (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und des Kriegsverbrechens (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), bzw. Fälle der mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden Anstiftung zu diesen Taten beschränkt werden. Die Wiederaufnahme soll darüber hinaus nur möglich sein, wenn dringende Gründe dafür sprechen, dass der im ersten Verfahren freigesprochene Angeklagte nun verurteilt wird oder nur deswegen nicht verurteilt wird, weil seine Schuldunfähigkeit zumindest nicht auszuschließen ist.
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4. Transnationales Doppelbestrafungsverbot. Die Entscheidungen darüber, welches Verhalten strafrechtlich relevant ist, und wie es zu behandeln ist, gehört zu den Kernkompetenzen souveräner Staaten. Durch die konkurrierenden Strafansprüche verschiedener Nationen entsteht jedoch eine menschen- und grundrechtlich bedenkliche Situation, die einen über die eigene Strafgewalt hinausgehenden Strafklageverbrauch erforderlich macht, um Rechtssicherheit und Gerechtigkeit gewährleisten zu können.2640
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a) Allgemeiner Rechtsgrundsatz. Ein Grundsatz ne bis in idem mit grenzüberschreitender Wirkung und zwischenstaatlicher Geltung hat sich weder als Völkergewohnheitsrecht noch als allgemeiner Rechtsgrundsatz verfestigt – anders als das innerstaatliche Doppelbestrafungsverbot; 2641 er stellt daher auch keine allgemeine Regel des Völkerrechts dar.2642
2636
Vgl. SK/Paeffgen 29; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 29, 36, 40; Mansdörfer 121. 2637 Vgl. Nowak Art. 14, 100, wonach die diesbezüglichen Vorbehalte einiger westeuropäischer Staaten nicht notwendig gewesen seien. Die Urteile der ehem. Besatzungsgerichte (BGHSt 6 176) lösen das Verbot der Doppelaburteilung nur aus, soweit dies vertraglich anerkannt wurde; vgl. zum Überleitungsvertrag vom 30.3.1955 (BGBl. II S. 405); BGHSt 12 36; LR/Kühne Einl. K 101.
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EGMR Nikitin/R, 20.7.2004, ECHR 2004-VIII, § 46. 2639 BTDrucks. 16 7957. 2640 Vgl. Jagla 21 ff.; Liebau 188 ff. 2641 BVerfGE 75 1, 23. 2642 BVerfGE 75 1, 18 ff., 24 ff.; BVerfG StraFo 2008 151 = DAR 2008 586; Thomas 344; Lagodny 58; Hein 77, 84, 116; Specht 118; Mansdörfer 22 f.; Kniebühler 353, 356; Jagla 61 ff., 68 ff.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
b) EMRK. Art. 4 des 7. ZP-EMRK schützt nur vor erneuter Strafverfolgung durch 1055 denselben Staat und entfaltet keine Wirkung zwischen den Vertragsstaaten.2643 Die Verurteilung durch einen anderen Staat steht einer erneuten Strafverfolgung wegen der gleichen Tat im Inland also nicht entgegen,2644 da sie auf einem anderen Recht und einer anderen Strafgewalt beruht. Eine Ausnahme besteht, wenn und soweit das ausländische Urteil als vollstreckbar anerkannt und vollzogen und hierdurch auf den nationalen Strafanspruch verzichtet worden ist. Im Übrigen kann für zwischenstaatliche Sachverhalte Art. 6 EMRK (auch im Zusam- 1056 menhang mit Art. 7 EMRK) nicht ergänzend herangezogen werden, da insoweit Art. 4 des 7. ZP-EMRK eine abschließende Regelung darstellt.2645 Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt eine erneute Bestrafung wegen derselben Tat auch keine erniedriegende Strafe i.S.v. Art. 3 EMRK dar.2646 c) Weitere Völkerrechtliche Übereinkommen und Verträge. Die grenzüberschreitende Ausdehnung des Verbots der Doppelbestrafung und die damit verbundene gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Verurteilungen anderer Staaten ist Gegenstand zahlreicher völkerrechtlicher Übereinkommen und Verträge. Eine solche Anerkennung ist Voraussetzung für die Zusammenarbeit der Staaten und nicht zuletzt auch für die Übernahme der Vollstreckung der Urteile anderer Staaten. Die Zusammenarbeit ist gerade im Hinblick auf die Internationalisierung vieler Kriminalitätsbereiche von immenser Wichtigkeit. Schon 1970 hatte der Europarat versucht, durch Art. 53 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen v. 26.5.1970 (ETS 70) ein europaweites Doppelbestrafungsverbot zu etablieren. Jedoch haben nur 22 der 47 Mitglieder des Europarats (Stand November 2011) das Übereinkommen ratifiziert. Auch in Deutschland ist es mangels eines Zustimmungsgesetzes bisher nicht in Kraft getreten.2647 Am 16.3.1984 erließ das EP eine Entschließung über die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem im Strafrecht innerhalb der früheren EG.2648 Einer derartigen Entschließung kam allerdings keine Rechtswirkung zu; durch sie wurden Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, den Inhalt der Entschließung in nationales Recht umzusetzen. Dasselbe gilt für die Erklärung über die Grundrechte und Grundfreiheiten vom 12.4.1989, die (als Entschließung) ebenfalls ein Doppelbestrafungsverbot enthielt.2649 Das EG-ne-bis-in-idem-Übereinkommen aus dem Jahre 1987 2650 sollte den Grundsatz ne bis in idem zwischen den Mitgliedstaaten der früheren Europäischen Gemein-
2643
SK/Paeffgen 24 m.w.N.; BVerfG StraFo 2008 151 = DAR 2008 586. 2644 EGMR Graf/A (Fn. 870); HRC A.P./Italien (E), 2.11.1987, 204/1986, EuGRZ 1990 15; Nowak Art. 14, 99; Villiger 695; vgl. LR/Kühne Einl. D 44. 2645 Liebau 174 f.; Jagla 75; siehe weitergehend Mansdörfer 101 ff.; a.A. Specht 49 f., der das Prinzip der Rechtskraft als von den durch Art. 6 EMRK geschützten Voraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens erfasst ansieht. 2646 Mansdörfer 100; Jagla 75; Liebau 175 f.; a.A. Schorn Art. 3, 43 EMRK; ders. JZ
1964 205 f. unter Hinweis auf die Folgen (Belastung durch das erneute Verfahren und Schädigung des Rufs), die aber genauso beim ersten Verfahren entstehen. 2647 Zöller Terrorismusstrafrecht 317 f. 2648 Abgedruckt in EuGRZ 1984 355 f. 2649 Abgedruckt in EuGRZ 1989 204 ff.; siehe auch Jagla 48 f. 2650 Übereinkommen v. 25.5.1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, BGBl. 1998 II S. 2226; Ratifikationsstand abrufbar unter: http://www. consilium.europa.eu; vgl. Schomburg StV 1997 383; NJW 1999 540, StV 1999 246.
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schaften etablieren, trat aber mangels Ratifikation durch alle Abschlussstaaten nicht in Kraft. Einige Abschlussstaaten, darunter Deutschland, machen allerdings von der durch Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens gewährleisteten Möglichkeit der vorläufigen Anwendung im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten Gebrauch. Inhaltlich ist das Übereinkommen nahezu deckungsgleich mit der Regelung des Art. 54 SDÜ (siehe hierzu Rn. 1064 ff.). Auf Unionsebene enthalten Art. 7 des Übereinkommens aufgrund von Art. K 3 des 1061 EU Vertrags über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26.7.1995 2651 sowie Art. 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung vom 25.6.1997 2652 zumindest ein sektorielles Verbot der Doppelbestrafung. Auch das NATO-Truppenstatut sieht in Art. 7 Abs. 8 vor, dass ein Angeklagter nicht 1062 erneut bestraft werden kann. Ausnahmen bestehen lediglich für einige Dienstvergehen.2653 Zudem existieren bilaterale Vereinbarungen über die Anerkennung ausländischer 1063 Urteile, wie zum Beispiel gemäß Art. XV des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20.4.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung vom 31.1.1972.2654
1064
5. Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)2655. Eine besondere Bedeutung innerhalb der durch völkerrechtliche Verträge geschaffenen transnationalen Doppelbestrafungsverbote hat Art. 54 SDÜ. Das SDÜ vom 19.6.1990 hat die Regelungen des EG-ne-bis-in-idem-Übereinkommens in ihrem wesentlichen Wortlaut übernommen und in Art. 54 SDÜ ein transnationales Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) geschaffen. Dieses Verbot entfaltete zunächst nur Wirkung zwischen den Vertragsstaaten. Durch die Einbeziehung des Übereinkommens in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union2656 gilt der in Art. 54 SDÜ gewährleistete Grundsatz mittlerweile auch zwischen allen EU-Mitgliedstaaten. Zudem sind auch andere (Nicht-EU-)Staaten dem SDÜ beigetreten, so dass die Vorschrift heute einen weitreichenden Schutz vor Doppelbestrafung gewährleistet.2657
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a) Inhalt. Existiert bereits ein Straferkenntnis in einem beteiligten Staat, so kann ein anderer Staat die Tat nicht mehr strafrechtlich verfolgen, sobald das SDÜ in beiden
2651 2652
2653 2654 2655 2656
ABlEG Nr. C 316 v. 27.11.1995, S. 49. Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABlEG Nr. C 195 v. 25.6.1997, S. 2. Zöller Terrorismusstrafrecht 319. Zöller Terrorismusstrafrecht 319. Zu Art. 54 SDÜ siehe auch Hecker § 13. Protokoll zur Einbeziehung des SchengenBesitzstands in den Rahmen der Europäischen Union (BGBl. 1998 II S. 429 ff.) zum Amsterdamer Vertrag v. 2.10.1997 (Vertrag
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2657
von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (BGBl. 1998 II S. 387 ff.). Zum Schengenraum gehören derzeit: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern.
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Staaten Geltung entfaltet. In zeitlicher Hinsicht findet Art. 54 SDÜ auch dann Anwendung, wenn das Übereinkommen zum Zeitpunkt der Verkündung des ersten Urteils in dem verurteilenden Staat noch nicht in Kraft getreten war.2658 Nur derjenige, gegen den das Straferkenntnis erlassen wurde, kann sich auf die Verwirkung des Strafanspruchs berufen. Mittäter profitieren nicht vom Strafklageverbrauch.2659 Art. 54 SDÜ hindert die erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat 1066 durch einen anderen Mitgliedstaat im Falle einer rechtskräftigen Aburteilung durch einen Mitgliedstaat.2660 Zweifel darüber, welche Entscheidungen diese Anforderungen erfüllen, sind nicht zuletzt dadurch entstanden, dass die Textfassungen der jeweils verbindlichen Sprachen nicht vollständig deckungsgleich sind.2661 Bei der Auslegung der Vorschrift ist zu beachten, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger so wenig wie möglich beschränkt werden sollte; der Anwendungsbereich des Art. 54 SDÜ muss dementsprechend möglichst umfassend sein.2662 Aus der Rechtsprechung des EuGH lassen sich folgende Kriterien ableiten. Es muss 1067 sich um eine verfahrensbeendende Entscheidung einer zur Mitwirkung am Strafverfahren berufenen Strafverfolgungsbehörde handeln, die Ahndungswirkung hat. Zudem muss durch die Entscheidung die Strafklage endgültig verbraucht sein.2663 Das Doppelbestrafungsverbot entfaltet seine Wirkung auch bei einem Freispruch.2664 Dies zeigt schon die Verwendung von „Aburteilung“ im ersten Satzteil und von „Verurteilung“ im Weiteren, erklärt sich aber auch mit oben genannter Leitlinie, die Gefahr wiederholter Strafverfolgung so weit als möglich zurückzudrängen.2665 Durch den Wortlaut eindeutig festgeschrieben wurde die wechselseitige Anerkennung 1068 rechtskräftiger Urteile. Weitgehend unbestritten ist auch, dass dies auch für andere gerichtliche Erkenntnisse, wie etwa den Strafbefehl (vgl. § 410 Abs. 3 StPO) gilt.2666 Auch ein Abwesenheitsurteil, das nach nationalem Recht rechtskräftig geworden ist, steht der
2658
EuGH Rs. C-436/04 (Van Esbroeck), 9.3.2006, Slg. 2006 I-2333 = NJW 2006 1781, Tz. 35 ff.; Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink), 8.7.2007, Slg. 2007, I-6619, Tz. 22 = NJW 2007 3416 = NStZ 2008 164; Rs. C-297/07 (Bourquain), 11.12.2008, Slg. 2008 I-9425, Tz. 29 = NJW 2009 3149 = NStZ 2009 454 = EuZW 2009 118 = StRR 2009 139 mit Anm. Westen; Graf/Inhofer Art. 54, 40 SDÜ. 2659 EuGH Rs. C-467/04 (Gasparini), 28.9.2006, Slg. 2006 I-9199, Tz. 29 ff. = NJW 2006 3403 = NStZ 2007 408 = EuZW 2007 29. 2660 Ausführlich zum Merkmal „rechtskräftige Aburteilung“: Hecker § 13, 23 ff. 2661 Graf/Inhofer Art. 54, 8 SDÜ. 2662 EuGH Rs. C-297/07 (Bourquain) (Fn. 2658; „rechtskräftige Aburteilung“, auch wenn die Strafe nach dem Recht des Urteilsstaats wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten nie unmittelbar vollstreckt werden konnte). Zur Problematik: Radtke FS Seebode 298, 305.
2663
Satzger FS Roxin II 1516, 1527 f.; siehe auch EuGH Rs. C-491/07 (Turansky), 22.12.2008, Slg. 2008 I-11039 = NStZ-RR 2009 109 (jederzeitige Möglichkeit des Wiederaufgreifens nach nationalem Recht); siehe auch EuGH Rs. C-261/09 (Mantello), 16.11.2010, Tz. 46 = NJW 2011 983 = NStZ 2011 466 („Ob ein Urteil rechtskräftig i.S.v. Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses ist, bestimmt sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Urteil verhängt wurde.“); siehe zu diesem Urteil auch Rn. 1114. 2664 EuGH Rs. C-150/05 (Van Straaten), 28.9.2006, Slg. 2006, I-9327= NJW 2006 3406 = NStZ 2007 410 = EuZW 2007 32 = JZ 2007 245 f., Tz. 61; Rs. C-467/04 (Gasparini) (Fn. 2659), Tz. 29 ff.; siehe auch BGH NStZ-RR 2007 197 = wistra 2007 154. 2665 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner Art. 54, 11 SDÜ; Graf/Inhofer Art. 54, 17 SDÜ. 2666 Graf/Inhofer Art. 54, 20 SDÜ.
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Strafverfolgung entgegen,2667 da die Definitionsmacht über die Rechtskraft einer Entscheidung allein beim erstverurteilenden Staat liegt.2668 Nicht an der Sperrwirkung nehmen dagegen solche Entscheidungen teil, die schon bei Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweise wieder aufgenommen werden können, wie etwa solche nach § 211 StPO, da ihnen innerstaatlich keine Rechtskraft zukommt.2669 Auf den Inhalt des Urteils kommt es nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 54 1069 SDÜ nicht an, so dass einer erneuten Verfolgung auch der Freispruch wegen Verjährung oder aus Mangel an Beweisen entgegensteht.2670 Im Urteil Miraglia legte der EuGH aber nahe, dass eine Einstellung aus rein verfahrensrechtlichen Gründen nicht ausreichend sei, sondern die Entscheidung einer Sachprüfung erfolgen müsse.2671 Das Doppelbestrafungsverbot soll daher nicht eingreifen, wenn ein Verfahren durch ein Gericht rechtskräftig eingestellt wird, weil die Staatsanwaltschaft beschlossen hat, ihre Ermittlungen nur wegen eines parallel durch Strafverfolgungsbehörden eines anderen Vertragsstaats eingeleiteten Verfahrens nicht fortzusetzen.2672 Der Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens im (erst)verurteilenden Staat 1070 muss außer Acht bleiben, bis das Verfahren dort tatsächlich eingeleitet wird. Dafür spricht jedenfalls der Zweck der Vorschrift.2673 Die gegenseitige Anerkennung anderer Formen der Verfahrenserledigung blieb zu1071 nächst strittig.2674 Im Vorabentscheidungsverfahren Gözütok u. Brügge hat der EuGH Art. 54 SDÜ unter Hinweis darauf weit ausgelegt, dass die Regelung ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedsstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme impliziert, so dass auch Verfügungen der Staatsanwaltschaft mit Sanktionscharakter, die das Verfahren endgültig erledigen, die Strafklage verbrauchen, etwa dann, wenn ein Strafverfahren ohne Mitwirkung eines Gerichts nach Erfüllung bestimmter Auflagen durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wird.2675 Der transnationale Strafklageverbrauch greift also für alle Entscheidungen ein, bei denen im nationalen Recht das Vertrauen des Betroffenen auf
2667
EuGH Rs. C-297/07 (Bourquain) (Fn. 2658). 2668 BGH NStZ 1998 149 m. Anm. Van der Wyngaert u. Lagodny; BGH StV 1999 478 m. abl. Anm. Kühne; Radtke/Busch EuGRZ 2000 424 f. 2669 Graf/Inhofer Art. 54, 19 SDÜ. 2670 EuGH Rs. C-469/03 (Miraglia), 10.3.2005, Slg. 2005, I-2009 = NJW 2005 1337, Tz. 43 ff.; Rs. C-467/04 (Gasparini) (Fn. 2659); Rs. C-150/05 (Van Straaten) (Fn. 2664). 2671 EuGH Rs. C-469/03 (Miraglia) (Fn. 2670), Tz. 29 ff. 2672 EuGH Rs. C-469/03 (Miraglia) (Fn. 2670), Tz. 18; Rs. C-467/04 (Gasparini) (Fn. 2659), Tz. 23 ff. 2673 So Graf/Inhofer Art. 54, 19 SDÜ; a.A. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner Art. 54, 11 SDÜ. 2674 Eine Darstellung der vertretenen Ansichten betreffend der die Sperrwirkung auslösen-
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den Entscheidungsformen vor der Stellungnahme des Gerichtshofs findet sich bei Kniebühler 223 ff.; siehe auch: Radtke/ Busch EuGRZ 2000 421; Schomburg StV 1997 383; Stange/Rilinger StV 2001 540; BayObLGSt 2000 78; siehe auch Satzger FS Roxin II 1516, 1527 f. Zu Besonderheiten der Verfahrenserledigungen in den einzelnen europäischen Staaten vgl. ferner Harms FS Rieß 725; LR/Kühne Einl. K 98. EuGH Rs. C-385/0101 u. C-187/01 (Brügge u. Gözütok) (Fn. 2587), Tz. 31– 48; zur EuGH-Rechtsprechung bzgl. Art. 54 SDÜ insgesamt: Böse GA 2003 744; Mansdörfer Das Prinzip ne bis in idem im europäischen Strafrecht (2004); Nehm FS Steininger 369; Radtke FS Seebode 297, 303 ff.; EuGH Rs. C-491/07 (Turansky) (Fn. 2663); s.a. Hackner NStZ 2011 425, 429.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
die Endgültigkeit der Entscheidung geschützt wird, also die erneute Verfolgung im Inland ausschließt.2676 Die verschiedenen Möglichkeiten der Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nach §§ 153 ff. StPO 2677 führen – mit Ausnahme von § 153a Abs. 1 StPO (zumindest für Vergehen) 2678 – innerstaatlich nicht zu einem – auch nicht bedingten – Strafklageverbrauch, da sie die Staatsanwaltschaft nicht hindern, die Ermittlungen jederzeit wieder aufzunehmen.2679 Auch die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO steht der Strafverfolgung durch einen anderen Staat nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft stellt zwar Ermittlungen an, um Sachverhalt und Tatverdacht soweit zu klären, dass sie über die Erhebung einer Anklage oder die Einstellung des Verfahrens entscheiden kann. Die Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts ist aber keine endgültige Entscheidung.2680 Dies gilt selbst dann, wenn die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO wegen Verjährung erfolgt. Im Gegensatz zur gerichtlichen Einstellung wegen Verjährung erwächst erstere eben gerade nicht in Rechtskraft, was Voraussetzung der durch Art. 54 SDÜ vermittelten Sperrwirkung ist.2681 Noch nicht entschieden ist zudem, welche anderen Behörden und Verfahren (außerhalb des Strafverfahrens) das Doppelbestrafungsverbot auslösen können. Bei Anwendung der obigen Grundsätze dürfte das aber etwa für Entscheidungen der Finanzämter im Steuerstrafverfahren gelten, soweit sie die Funktion der Staatsanwalt wahrnehmen, wie auch für Verwaltungsbehörden im Zusammenhang mit Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit.2682 Nicht an der Sperrwirkung nehmen auch solche Entscheidungen teil, die schon bei Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweise wieder aufgenommen werden können, wie etwa solche nach § 174 Abs. 1 StPO, da ihnen keine Rechtskraft zukommt (siehe entsprechend oben zu § 211 StPO, Rn. 1068). Auch bei der gerichtlichen Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO wird die Wiederaufnahme an besondere Voraussetzungen geknüpft. Folgt man dem BGH und wendet mit ihm dieselben Kriterien wie i.R.v. § 153a StPO an, so führt die Entscheidung ebenfalls zu einem beschränkten Strafklageverbrauch (siehe Rn. 1072).2683 Außerdem tritt gemäß § 154 Abs. 4 StPO dieselbe Sperrwirkung auch für die gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO bei Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Abschluss des anderen Verfahrens ein.2684 Ungeklärt ist auch, ob Verfallsanordnungen einen Verbrauch der Strafklage zur Folge haben. Es fehlt hier allerdings der Sanktionscharakter der Maßnahme, der Verfall ist vielmehr präventiv ausgerichtet.2685 2676
Graf/Inhofer Art. 54, 23 SDÜ; EuGH Rs. C-491/07 (Turansky) (Fn. 2663), § 51; OLG Stuttgart StV 2008 402; Andreou 260. 2677 Siehe Näheres zur Frage des Strafklageverbrauchs bei der Einstellung nach § 153 oder § 154 StPO: Hackner NStZ 2011 425, 429. 2678 BGHSt 48 331 = NJW 2004 375 = NStZ 2004 218 mit. Anm. Heghmanns NStZ 2004 633 = StraFo 2004 16 = JZ 2004 737 = JR 2005 31 = JA 2004 434; siehe auch: EuGH Rs. C-385/01 und C-187/01
(Gözütok und Brügge) (Fn. 2587), Tz. 27 ff.; siehe auch Petropoulos FS Schöch 856. 2679 Graf/Inhofer Art. 54, 25 SDÜ. 2680 EGMR Müller/A (Nr. 2), 18.9.2008 = NL 2008 260. 2681 Graf/Inhofer Art. 54, 24 SDÜ. 2682 Hackner NStZ 2011 425, 429 f. 2683 BGHSt 48 331 = NStZ 2004 218; Graf/I. Beukelmann § 153, 42 f. StPO. 2684 Graf/I. Beukelmann § 154, 24 StPO. 2685 Hackner NStZ 2011 425, 430.
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Entscheidungen von Organen der EU fallen nicht unter Art. 54 SDÜ, da die EU selbst nicht unmittelbar durch die Vorschrift berechtigt oder verpflichtet wird.2686
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b) Idem. Im grundlegenden Urteil Van Esbroeck definiert der EuGH das idem, also dieselbe Tat, als Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen – nach eindeutiger Stellungnahme der Europäischen Kommission – unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten Interesse.2687 Letztere Aspekte können aufgrund der mangelnden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften keine Rolle spielen, da die Freizügigkeit der Unionsbürger sonst entgegen dem Zweck der Vorschrift zu weit einschränkt würde.2688 Heranzuziehen sind dagegen Tatort, Tatzeitpunkt, Zweck der Tat und Täteridenti1080 tät.2689 Ein einheitlicher Tatvorsatz reicht für die Annahme einer Tat nicht aus.2690 Allerdings ist auch die Identität des Tatobjekts nicht erforderlich. Der EuGH fordert vielmehr nur, dass die nationalen Gerichte eine objektive Verbindung zwischen den Tatobjekten nachweisen, die sich aus dem Zusammenhang der zu vergleichenden tatsächlichen Umstände, also dem Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ergeben soll.2691
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c) Vollstreckungsklausel. Der Strafklageverbrauch setzt darüber hinaus voraus, dass die verhängte Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Das erste Vollstreckungselement setzt voraus, dass die Vollstreckung der Sanktion 1082 vollständig erledigt ist, das zweite Element, dass sie bereits eingeleitet ist und noch andauert. Eine Sanktion ist auch dann „bereits vollstreckt“ bzw. wird „gerade vollstreckt“, wenn die von einem Mitgliedsstaat verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.2692 Dies war zunächst umstritten. Das OLG Saarbrücken hatte angenommen, dass eine Freiheitsstrafe während der Bewährungszeit nicht vollstreckt werde, weil vom Verurteilten nur verlangt werde, sich gesetzestreu zu verhalten, und deshalb auch keine Sperrwirkung eintreten könne.2693 2686
Streinz Jura 2009 418. Schriftliche Stellungnahme der Kommission v. 2.3.2004 in der Rs. C-493/03, Az-KOM JURM (2004) 13005/RT; EuGH Rs. C-436/04 (Van Esbroeck) (Fn. 2658), Tz. 42; siehe insoweit auch Schnabl 104; Satzger FS Roxin II 1516, 1529.; bestätigt durch EuGH Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink) (Fn. 2658), Tz. 36; Rs. C-288/05 (Kretzinger), 18.7.2007, Slg. 2007, I-6642 = NStZ 2008 166 = NJW 2007 3412. 2688 EuGH Rs. C-436/04 (Van Esbroeck) (Fn. 2658), Tz. 35; siehe auch EuGH Rs. C-150/05 (Van Straaten) (Fn. 2664), Tz. 48; Rs. C-288/05 (Kretzinger) (Fn. 2687), Tz. 29. 2689 Siehe zu den Kriterien Degenhard StraFo 2005 68; EuGH Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink) (Fn. 2658), Tz. 28, 36. 2690 EuGH Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink) (Fn. 2658), Tz. 29. 2687
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2691
EuGH Rs. C-150/05 (Van Straaten) (Fn. 2664), Tz. 52 (Identität der Tatsachen, obwohl vor den nationalen Gerichten nicht geklärt werden konnte, ob zumindest Teilmengen der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel einander entsprachen) mit krit. Anm. Kühne JZ 2007 247; bestätigt durch EuGH Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink) (Fn. 2658), Tz. 36; Rs. C-288/05 (Kretzinger) (Fn. 2687), Tz. 37; vgl. auch Satzger FS Roxin II 1516, 1529 f. unter Hinweis auf die Ähnlichkeit zum deutschen Tatbegriff. 2692 EuGH Rs. C-288/05 (Kretzinger) (Fn. 2687), § 44; vgl. auch den Vorlagebeschluss des BGH NStZ 2006 106. 2693 OLG Saarbrücken NStZ 1997 245; siehe ausführlich zu der besonderen Situation der zusätzlich verhängten (nicht bezahlten) Geldstrafe: Satzger FS Roxin II 1516, 1531 f.
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
Typische Fälle des dritten Vollstreckungselements („nicht mehr vollstreckt werden 1083 kann“) sind Amnestie, Begnadigung oder Vollstreckungsverjährung (vgl. § 79 Abs. 1 StGB).2694 Auch eine erlassene Bewährungsstrafe kann nicht mehr vollstreckt werden und erfüllt ebenso die Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ.2695 Das Doppelbestrafungsverbot greift auch dann ein, wenn die in einem Vertragsstaat verhängte Strafe nach dem Recht des Urteilsstaats wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten zu keinem Zeitpunkt unmittelbar vollstreckt werden konnte, da der Wortlaut „nicht mehr“ nicht voraussetzt, dass die Vollstreckung zu irgendeiner Zeit möglich war.2696 Dagegen führen tatsächliche Hindernisse bezüglich der Vollstreckung des ersten Urteils nicht zum Eingreifen des Strafklageverbrauchs. Auch stellt die Fahndung keine Vollstreckung im Sinne der Vorschrift dar.2697 Diese Auslegung gilt unabhängig von der Möglichkeit, gemäß dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI 2698 einen Europäischen Haftbefehl auszustellen, um eine Person zur Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils festnehmen zu lassen. Das Vollstreckungserfordernis ist auch nicht bei kurzfristiger Polizei- und/oder Untersuchungshaft erfüllt, auch wenn diese nach innerstaatlichem Recht auf die Vollstreckung der Freiheitsstrafe anzurechnen wäre, da eine rechtskräftige Aburteilung noch nicht erfolgt ist.2699 Die Vollstreckungsklausel gilt auch nach Inkrafttreten des Art. 50 EUC fort (siehe 1084 Rn. 1098 ff.). d) Vorbehalte. Für näher spezifizierte Fallgruppen ist den Staaten die Möglichkeit 1085 eingeräumt worden, Vorbehalte gegen die Geltung des Grundsatzes anzubringen (Art. 55 Abs. 1 SDÜ); 2700 etwa wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde liegt, ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des jeweiligen „zweitverurteilenden“ Staates begangen wird. Das gilt jedoch nicht, wenn die Tat auch teilweise im Hoheitsgebiet der erstverurteilenden Vertragspartei begangen wird und sich gegen die Sicherheit oder andere wesentliche Interessen der Vertragspartei richtet. Ein Vorbehalt ist auch zulässig, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde liegt, von einem Beamten unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wird. In diesen Fällen wird ein überwiegendes Interesse des betreffenden Mitgliedstaates anerkannt, die Tat trotz einer rechtskräftigen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat erneut zu verfolgen und zu bestrafen, wobei gemäß Art. 56 SDÜ aber zumindest ein Strafabschlag zu gewähren ist. Deutschland hat einen entsprechenden Vorbehalt z.B. für den gesamten Bereich terrorismusspezifischer Straftaten erklärt.2701 e) Rechtsfolge eines Verstoßes. Art. 54 SDÜ führt zu einem umfassenden Verfol- 1086 gungsverbot, d.h. bereits die erneute Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn die erste Entscheidung nach dem Recht des erstverurteilenden Staates nur eine beschränkte Rechtskraft aufweist,2702 wie etwa die
2694
Zöller FS Krey 501, 513; Hecker § 13, 43. EuGH Rs. C-288/05 (Kretzinger) (Fn. 2687). 2696 EuGH Rs. C-297/07 (Bourquain) (Fn. 2658); vgl. auch Satzger FS Roxin II 1516, 1532 f. 2697 EuGH Rs. C-288/05 (Kretzinger) (Fn. 2687), Tz. 53 ff. 2698 ABlEU Nr. L 190 v. 18.7.2002, S. 1. 2699 EuGH Rs. C-288/05 (Kretzinger) 2695
(Fn. 2687), § 52; in dieser Sache auch: BGH JR 2009 387 mit Anm. Kretschmer. 2700 Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach der Aufnahme des Schengenbesitzstandes in den Rahmen der EU gemäß Art. 52 EUC, siehe: Liebau 126 f.; a.A. Hecker § 13, 65 ff.; Plöckinger/Leidenmühler wistra 2003 81, 82 f. 2701 BGBl. 1994 II S. 642. 2702 Böse GA 2003 754; Andreou 271.
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Einstellung nach § 153a StPO, der lediglich die erneute Verfolgung einer Tat als Vergehen ausschließt, nicht aber als Verbrechen. Der EuGH geht darüber hinaus, da er die Grenzen der Sperrwirkung nicht nur auf den Fall beschränkt, dass sich die Tat, die in einem anderen Staat erneut verfolgt wird, nicht als Verbrechen darstellt.2703
1087
6. Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUC). Ein weiterer Versuch, einen europaweiten zwischenstaatlichen („transnationalen“) Strafklageverbrauch festzusetzen, wurde im Dezember 2000 durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union unternommen.2704 Art. 50 EUC sieht vor, dass niemand, der wegen einer Straftat in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Von dem Versuch, den Wortlaut des Art. 4 des 7. ZP-EMRK zu übernehmen und damit das Doppelbestrafungsverbot auf innerstaatliche Fälle zu beschränken, wurde letztlich Abstand genommen.2705 Bedeutung hat die Garantie daher in dreifacher Hinsicht: zum einen für die innerstaatlichen Strafgerichte, zum zweiten auf zwischenstaatlicher Ebene und zum dritten zwischen den Organen der Union und den Mitgliedsstaaten.2706 Die EUC sollte von Anfang an unionsweite zwischenstaatliche Geltung bekommen, 1088 erlangte aber zunächst keine rechtliche Verbindlichkeit als eigenständige Rechtsquelle.2707 Selbst der EuGH erwähnte die EUC als Rechtserkenntnisquelle zunächst nur im Zusammenhang mit der EMRK.2708 Um der EUC mehr Autorität zu verleihen, wurde sie als Teil II in die Verfassung zur Europäischen Union aufgenommen, die jedoch wegen der gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden nicht rechtsverbindlich wurde. Durch den – nach dem ablehnenden ersten Referendum in Irland 2008 – schließlich am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon2709 wurde die erneut proklamierte Grundrechtecharta 2710 dem EUV und AEUV rechtlich gleichgestellt.2711 Verpflichtet durch Art. 50 EUC werden die Organe der EU, sowie alle Mitglied1089 staaten der EU. Die Garantie ist aber nur anwendbar, wenn beide Verfahren innerhalb der EU durchgeführt wurden. Allerdings ist bei einer vorausgehenden Verurteilung durch einen Drittstaat immerhin eine Berücksichtigung der früheren Strafe bei der Verhängung der erneuten Strafe geboten. Erfasst sind interne Fälle, z.B. die zweifache Verurteilung durch denselben Staat bzw. durch die Union und transnationale Fälle durch verschiedene Mitgliedstaaten oder durch Mitgliedstaaten einerseits und Union andererseits.2712
2703
Kritisch dazu: Böse GA 2003 754 ff.; Andreou 271 f. 2704 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1. 2705 Siehe Näheres bei Meyer/Eser Art. 50, 4. 2706 Meyer/Eser Art. 50, 5 ff. EUC, siehe: Liebau 126 f.; a.A. Hecker § 13, 65 ff.; Plöckinger/Leidenmühler wistra 2003 81, 82 f. 2707 A.A. Liebau 101 f. 2708 EuGH Rs. C-263/02 P (Jégo-Quéré & Cie SA), 1.4.2004, Slg. 2004, I-3425 = NJW 2004 2006, Tz. 47. 2709 Vertrag von Lissabon zur Änderung des
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2710 2711
2712
Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABlEU Nr. C 306 v. 17.12.2007). ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389. Vertrag von Lissabon, Allgemeine Bestimmungen, Art. 6: „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind.“ Jarass Art. 50, 9 ChGR.
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Art. 14 IPBPR
Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EUC gilt die Verpflichtung aus Art. 50 EUC für alle Aktivitäten der Union. Einen grundrechtsfreien Bereich gibt es danach nicht.2713 Hinsichtlich der Mitgliedstaaten gilt diese Grundrechtsbindung allerdings nur bei der Durchführung des Rechts der Union. Dies bedeutet eine bedeutende Einschränkung. Der EuGH spricht dagegen von einer Bindung der Mitgliedsstaaten an die Charta „im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts [jetzt: Unionsrecht]“ und damit von einer erheblich weiteren Bindung der Mitgliedsstaaten an die Grundrechte.2714 Zum Teil wird vertreten, es müsse mit dem EuGH der Anwendungsbereich der Charta weit bestimmt werden, da sonst die Einschränkung des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EUC häufig durch die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze umgangen werden könnte, die eine Einschränkung wie Art. 51 EUC nicht aufweisen. Dafür sprechen auch die Erläuterungen zu Art. 51 EUC, die ohne Einschränkung auf die Rechtsprechung des EuGH verweisen, sowie dass dort abwechselnd einmal von Durchführung und einmal von Anwendungsbereich die Rede ist.2715 Andererseits wurde der Begriff der Durchführung im Gegensatz zu dem aus der ERT-Rechtsprechung stammenden Begriff des Anwendungsbereichs bewusst gewählt, um dieser Rechtsfortbildung des EuGH Einhalt zu gebieten bzw. sie zumindest teilweise rückgängig zu machen.2716 Unionsrecht meint zum einen das gesamte Primärrecht, soweit es die Mitgliedsstaaten bindet. Auch die Vorschriften der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sind erfasst, nicht aber die Grundrechte selbst, da dies zu einem Zirkelschluss führen würde.2717 Zum anderen fallen unter den Begriff Unionsrecht alle Rechtsakte, die aufgrund der Verträge erlassen wurden, unabhängig davon, ob ein Zusammenhang mit den Zielen der Grundrechte besteht. Welcher Stufe das Unionsrecht zuzuordnen ist, spielt dagegen keine Rolle, so dass auch Entscheidungen bzw. Beschlüsse erfasst sind, ebenso atypische Rechtsakte wie Verträge.2718 Die Durchführung dieses Unionsrechts wiederum kann der Erlass von Rechtsnormen oder das Fällen von Einzelfallentscheidungen durch die Verwaltung oder Gerichte sein.2719 Für die Bindung der Strafgerichte an Art. 50 EUC heißt dies, dass nicht das ganze Verfahren schon deshalb an die Justizgrundrechte gebunden ist, weil eine Norm des Unionsrechts im Verfahren relevant wird. Das Strafverfahren ist gleichwohl die Durchführung nationaler Strafgewalt. Lediglich die unionsrechtliche Norm selbst ist dann im Einklang mit den Unionsgrundrechten auszulegen. Auch für die nationalen Strafgerichte kann daher Art. 50 EUC grundsätzlich nur Geltung beanspruchen, wenn materielles Strafrecht oder Strafverfahrensrecht betroffen ist, das Gegenstand unionsrechtlicher Harmonisierung geworden ist. Nicht ausreichend ist es aber, wenn aufgrund einer Richtlinie „wirksame und abschreckende Sanktionen“ zu schaffen sind oder wenn die Mitgliedsstaaten Sanktionen geschaffen haben, um Verstöße gegen unionsrechtlich determinierte Bestimmungen mit
2713 2714
Jarass Art. 51, 4 ChGR. EuGH Rs. C-260/89 (Nationales Fernsehmonopol), 18.6.1991, Slg. 1991, I-2925 = JZ 1992 682, Tz. 42; Rs. C-276/01 (Steffensen) (Fn. 484), Tz. 70; Rs. C-112/00 (Schmidberger), 12.6.2003, Slg. 2003, I-5659, Tz. 75 = NJW 2003 3185; Rs. C-349/07 (Soprope), Slg. 2008, I-10369, Tz. 34, vgl. Meyer/Borowsky Art. 51, 24 f. EUC.
2715 2716 2717 2718 2719
Jarass ChGR Art. 51, 10; a.A. Meyer/ Borowsky Art. 51, 24 ff. EUC. Meyer/Borowsky Art. 51, 24 ff. EUC. Tettinger/Stern/Ladenberger Art. 51, 34 GRCh. Jarass Art. 51, 15 ChGR. Jarass Art. 51, 16 ff. ChGR.
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Sanktionen zu bewehren.2720 Für den speziellen Fall des Doppelbestrafungsverbots gilt, dass Art. 51 Abs. 1 EUC anwendbar ist, wenn ein nationales Gericht eine Entscheidung eines anderen Mitgliedsstaats vor dem Hintergrund des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung anerkennt, da dies als Durchführung von Unionsrecht zu sehen ist.2721 Durch die rechtskräftige Verurteilung oder den rechtskräftigen Freispruch bezüglich derselben Tat muss Strafklageverbrauch eingetreten sein. Art. 50 EUC verwendet also im Gegensatz zu Art. 54 SDÜ nicht den Begriff der Aburteilung, womit aber keine sachlichen Unterschiede verbunden sein dürften, da auch insoweit gilt, dass die Freizügigkeit möglichst nicht beeinträchtigt werden sollte.2722 Insoweit kann also auf die Ausführungen zu Art. 54 SDÜ verwiesen werden (Rn. 1066 ff.). Der Wortlaut des Art. 50 EUC legt nahe, dass die Vorschrift nur bei Straftaten eingreift. Strittig ist deshalb, ob auch strafähnliche Maßnahmen erfasst sind. Dagegen spricht neben dem Wortlaut der Norm, dass die Erläuterungen zur Charta von Sanktionen sprechen, die durch ein Strafgericht verhängt werden.2723 Der Begriff Straftat ist jedoch weit auszulegen, so dass auch Ordnungswidrigkeiten, Disziplinarstrafen usw. darunter fallen.2724 Auch hat das EuG in einem Verfahren i.R.d. des EG-Sanktionsrechts Art. 50 EUC herangezogen.2725 Zudem wird der Begriff der Strafe auch in Art. 48 und 49 EUC weit ausgelegt,2726 ebenso wie in Art. 4 des 7. ZP-EMRK (siehe oben Rn. 1035 ff.). Hinsichtlich des Tatbegriffs kann (ebenfalls) auf Art. 54 SDÜ verwiesen werden (Rn. 1079 f.). Die entscheidende Abweichung gegenüber Art. 54 SDÜ liegt darin, dass Art. 50 EUC dem Wortlaut nach aber auf eine Vollstreckungsklausel verzichtet. Dies aber ermöglicht, das Fehlen eines einheitlichen Strafrechtssystems auszunutzen (sog. „forum shopping“ oder „forum fleeing“).2727 Beschuldigte könnten sich nicht nur der Strafverfolgung in dem Staat mit der geringsten Strafandrohung stellen und die geringere Strafe verbüßen, sondern sogar vor der Vollstreckung in ein anderes EU-Land fliehen, in dem dann die Tat nicht noch einmal verfolgt werden könnte. Zwar kann der Europäische Haftbefehl auch zum Zwecke der Vollstreckung einer bereits verhängten Strafe erlassen werden, wegen seines begrenzten Anwendungsbereichs (Mindeststrafe, obligatorische und fakultative Ablehnungsgründe) löst der Europäische Haftbefehl die auftretenden Probleme aber nur teilweise.2728 Für Geldstrafen2729 und Einziehung2730 bestehen vergleichbare Probleme.2731 Mit dem LG Aachen ist daher Art. 54 SDÜ seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als sekundärrechtliche Umsetzung bzw. Konkretisierung des primärrechtlichen
2720
Tettinger/Stern/Ladenberger Art. 51, 38, 45 GRCh. 2721 Satzger FS Roxin II 1516, 1523. 2722 Zöller FS Krey 501, 517. 2723 Jarass Art. 50, 5 ChGR. 2724 Meyer/Eser Art. 50, 8. 2725 EuG Rs. T-223/00 (Kyowa Hakko und Kyowa Hakko Europe/Kommission), 9.7.2003, Slg. 2003, II-2553, Tz. 104; Rs. T-236/01 (Tokai Carbon/Kommission), 29.4.2004, Slg. 2004, II-1181, Tz. 137. 2726 Jarass Art. 48, 5–7, 18; Art. 49, 7–9 ChGR. 2727 Allgemein Jagla 32 f.; Thomas 163; Zöller FS Krey 501, 519.
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2728
Zöller FS Krey 501, 519 f.; Hecker § 13, 38; Satzger FS Roxin II 1516, 1522 f. 2729 Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen v. 24.2.2005 (ABlEU Nr. L 76 v. 22.3.2005, S. 16). 2730 Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen v. 6.10.2006 (ABlEU Nr. L 328 v. 24.11. 2006, S. 59). 2731 Zöller FS Krey 501, 518 ff.
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Justizgrundrechts aus Art. 50 EUC zu sehen und muss in dessen Lichte grundrechtskonform ausgelegt werden.2732 Im Sinne der deutschen Grundrechtsdogmatik stellt die Vollstreckungsklausel des Art. 54 SDÜ einen Eingriff in dieses primärrechtliche Grundrecht dar. Dieser Eingriff ist jedoch gemäß Art. 52 EUC formell wie materiell gerechtfertigt. Art. 54 SDÜ bildet eine ausreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Das legitime Ziel der Einschränkung, also der zulässige Einschränkungsgrund, ist die Verhinderung der Vollstreckungsvereitelung durch Flucht in einen anderen europäischen Staat.2733 Auch bestehen hinsichtlich der Vollstreckungsklausel keine Verhältnismäßigkeitsbe- 1100 denken.2734 Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man entsprechend Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV bei der Auslegung der Charta die Erläuterungen2735 gebührend berücksichtigt: „Nach Art. 50 findet die Regel ne bis in idem nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedsstaaten Anwendung. Dies entspricht dem Rechtsbesitzstand der Union; siehe Art. 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens und das Urteil des EuGH vom 11.2.2003, Rechtssache C-187/01 Gözütok“.2736 Demzufolge muss die Vollstreckungsklausel des Art. 54 SDÜ auch nicht im Wege geltungserhaltender Reduktion gelöscht werden. Es ist von einem Gleichlauf des Art. 54 SDÜ und Art. 50 EUC auszugehen.2737 Auch ist die Einschränkung des ne bis in idem-Gebots nach der Vorschrift des Art. 4 1101 Abs. 2 des 7. ZP-EMRK, die auch i.R.v. Art. 50 EUC gilt, in internen Fällen zulässig. Danach kann die Wiederaufnahme des Verfahrens gesetzlich vorgesehen werden.2738 Auch die zu Art. 54 SDÜ erklärten Vorbehalte sind von Art. 52 EUC abgedeckt, so 1102 dass diese weiterhin gelten. Dies bestätigen auch die Erläuterungen zur Charta: „Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedsstaaten nach diesem Übereinkommen vom Grundsatz „ne bis in idem“ abweichen können, sind von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt.“ 2739
2732
Burchard/Brodowski StraFo 2010 180 f.; so auch Hecker § 13, 38 ff.; siehe auch LG Aachen StraFo 2010 190, bestätigt durch BGH Beschl. v. 1.12.2010 – 2 StR 420/10, vgl. auch die Pressemitteilung v. 11.11.2010, Nr. 216/2010, sowie BGHSt 56 11 = NJW 2011 1014 = NStZ-RR 2011 7, Tz. § 13 ff., der die Vollstreckungsklausel für anwendbar hielt und sich insoweit auf die acte-claire-Doktrin berief; Satzger FS Roxin II 1516, 1523 ff. 2733 LG Aachen StraFo 2010 190 = StV 2010 237; vgl. Hecker § 13, 39; so auch Satzger FS Roxin II 1516, 1523 f.; vgl. auch Hackner NStZ 2011 425, 429. 2734 Siehe LG Aachen StraFo 2010 190 = StV 2010 237; Hecker § 13, 39; ebenso Satzger FS Roxin II 1516, 1523 f. 2735 Die Erläuterungen sind weder verbindlich, noch sind sie eine echte Rechtsquelle.
Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV verpflichtet lediglich zu einer „gebührende(n) Berücksichtigung“. 2736 ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 17. 2737 Vgl. Brodowski ZIS 2010 376, 383; Satzger § 10, 68; im Ergebnis ebenso Dannecker EuZW 2009 110, 124, der aber für eine restriktive Auslegung des Vollstreckungselements plädiert. Vgl. zum Ganzen auch Burchard/Brodowski StraFo 2010 179 ff.; siehe auch: Vogel StRR 2011 135, 137, der das Fehlen des Vollstreckungselements mit dem Vorrang des Auslieferungs- und Vollstreckungsübernahmeverfahrens erklärt; siehe auch BGHSt 56 11 = NJW 2011 1014 = NStZ-RR 2011 7, Tz. §§ 13 ff. 2738 Siehe Näheres bei Jarass ChGR Art. 50, 10 ChGR. 2739 ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 31, Liebau 127 ff.
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7. Weitere Initiativen auf EU-Ebene
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a) Kompetenzkonflikte. Um Kompetenzkonflikte zwischen den nationalen Gerichten zu lösen, hatte die Kommission die Einführung eines Verfahrens vorgeschlagen, mit dem staatenübergreifende Rechtsfälle einem nationalen Strafgericht zur Entscheidung zugewiesen werden. Angestrebt wird darüber hinaus die Konzentrierung der Strafverfolgung in einem Mitgliedstaat, der mit Hilfe bestimmter Kriterien bestimmt wird; verhindert werden soll, dass dieselbe Tat unnötigerweise von mehreren Staaten verfolgt wird. Eine umfassende Konsultation über die diesbezüglich in den Mitgliedsstaaten geltenden Vorschriften hatte die Kommission mit dem Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren v. 23.12.20052740 angestoßen.
b) EU-Rahmenbeschluss zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten.2741 Zumindest in den Kontext eines transnationalen Doppelbestrafungs-/verfolgungsverbots gehören auch die derzeitigen Bemühungen auf Unionsebene zur Etablierung eines rechtlichen Mechanismusses, mit dem sich eine parallele oder gar doppelte Strafverfolgung von vornherein vermeiden lässt. Auf seiner letzten Tagung vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags hat der Rat den Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren angenommen,2742 der bis zum 15.6.2012 umzusetzen ist. Der Rahmenbeschluss erstreckt sich allerdings nur auf „echte“ Ne-bis-in-idem-Fälle und zwingt die Behörden lediglich zu einer Kommunikation und Konsultation. Scheitert die Konsultation, so kann jede Behörde ihr Verfahren weiter betreiben. Der Rahmenbeschluss enthält zudem einen unverbindlichen Katalog, in welchem Land die Ermittlungen zu konzentrieren sind.2743 Der Rahmenbeschluss sieht eine Pflicht zur direkten Kontaktaufnahme und Benach1105 richtigung der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates vor, wenn dort wegen derselben Tat ebenfalls ein Strafverfahren geführt wird (Art. 5 ff.). Zur Vermeidung paralleler Verfahren sollen (nicht obligatorisch) die Strafverfolgungsbehörden der betroffenen Staaten im Wege direkter Konsultation (Art. 5 Abs. 1; Art. 10) versuchen, zu einer „effizienten Lösung“ (Art. 1 Abs. 2 lit. b) zu gelangen – ggf. unter Einschaltung von Eurojust (Art. 12) – die meist in der „Konzentration der Strafverfahren in einem einzigen Mitgliedstaat“ (Art. 10 Abs. 1) bestehen dürfte. Die getroffene Entscheidung ist gerichtlich nicht überprüfbar. Die ursprünglich geplante Festschreibung fester Kriterien für die Auswahl des „zuständigen“ Verfolgungsstaates hat sich nicht durchgesetzt.2744 Die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses werden ergänzt durch ein geplantes 1106 Rechtsinstrument zur Übertragung von Strafverfahren, das bislang nur als (nicht mehr verabschiedeter) Entwurf für einen Rahmenbeschluss2745 vorliegt, aber vermutlich ebenfalls als Richtlinienvorschlag neu eingebracht werden wird.
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2742
KOM (2005) 696 endg. Die Hellenische Republik hatte bereits 2003 eine Initiative betreffend die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips vom 13.2.2003, mit dem Ziel, Kompetenzkonflikte zu vermeiden und gemeinsame Rechtsnormen in Bezug auf das Doppelbestrafungsverbot zu gerieren, ins Leben gerufen. Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beile-
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2743 2744 2745
gung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABlEU Nr. L 328 v. 15.12.2009, S. 42. Zum Rahmenbeschluss: Vogel StRR 2011 135, 139. Kritisch hierzu: Schünemann/Roger ZIS 2010 92, 96. Ratsdok. 16437/09 v. 24.11.2009; 13504/09 v. 21.9.2009; 11119/09 v. 30.6.2009. Die Überlegungen werden auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags
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Recht auf ein faires Verfahren
Art. 14 IPBPR
8. Ne bis in idem als Auslieferungshindernis a) Allgemeines. Eine rechtskräftige Aburteilung durch ein deutsches Gericht wegen derselben Tat kann ein Auslieferungshindernis darstellen. § 9 Nr. 1 IRG bestimmt, dass im vertragslosen Auslieferungsverkehr eine abschließende Entscheidung eines deutschen Gerichts der Auslieferung entgegensteht. Dies sind Urteile und Entscheidungen mit entsprechender Rechtswirkung, insbesondere also Strafbefehle und Bußgeldbescheide. Das Gesetz stellt zudem diesen Entscheidungen solche nach §§ 204, 174, 153a StPO und §§ 45, 47 JGG gleich: Nicht gleichgestellt werden andere Fälle der Einstellung (z.B. §§ 153, 153b, 170 Abs. 2 StPO). Dies wird mit den sanktionsähnlichen Leistungen i.R.d. § 153a StPO und §§ 45, 47 JGG begründet.2746 Innerhalb der EU zählt das Doppelbestrafungsverbot aufgrund von Art. 54 SDÜ und des EG-Ne bis in idem-Übereinkommens zum europäischen ordre public, so dass nach § 73 Satz 2 IRG die Auslieferung unzulässig ist, wenn die Tat durch einen Mitgliedsstaat, sei es der ersuchende Staat, Deutschland als ersuchter Staat selbst oder ein dritter Mitgliedsstaat, bereits abgeurteilt ist. Denn das Verbot der Doppelbestrafung ist ein wesentlicher Bestandteil des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung. Seine grundsätzliche Bedeutung belegt auch Art. 50 EUC. Zum transnationalen Doppelbestrafungsverbot nach Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, der im Gegensatz zum SDÜ und dem Ne bis in idem-Übereinkommen keine Vorbehalte zulässt, siehe Rn. 1111 ff.2747 Dagegen ist der Grundsatz ne bis in idem nicht Teil des internationalen ordre public. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach eine innerstaatliche Strafverfolgung durch eine Aburteilung durch einen ausländischen Staat ausgeschlossen wäre, gibt es nicht, insbesondere hat dieser Umstand auch keinen Einfluss auf die Zulässigkeit der Auslieferung.2748 Eine Auslieferung soll aber zumindest dann nach Art. 103 Abs. 3 GG unzulässig sein, wenn der Verfolgte im ersuchenden Staat freigesprochen worden ist, da ein Auslieferungsersuchen nicht im offenen Widerspruch zu dem im Recht des ersuchenden Staates geltenden Verbot doppelter Strafverfolgung stehen darf.2749 Ob das Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 4 des 7. ZP-EMRK bezüglich der Mitwirkung an einer Vollstreckung eines zweiten Strafurteils bezüglich einer in einem Drittstaat bereits abgeurteilten Straftat durch Auslieferung des Täters an einen anderen fremden Staat entgegensteht, hat der EGMR bislang noch nicht entschieden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht soll eine solche Mitwirkung nicht schon als solche gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit oder sonstige verfassungsrechtliche Gewährleistungen verstoßen.2750
1107
1108
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1110
b) Europäischer Haftbefehl. Im RB 2002/584/JI des Rates v. 13.6.2002 über den 1111 Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten2751 ist der Grundsatz ne bis in idem als Grund für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung durch den ersuchten Staat ausgestaltet worden. Art. 3 Nr. 2 RB sieht ein Auslieferungshindernis für den Fall vor, dass die Tat bereits durch einen anderen Mitgliedsstaat abgeurteilt wurde.
2746 2747 2748
von Lissabon weiter verfolgt; vgl. Ratsdokument 16771/09 (POLGEN 219) v. 27.11.2009 (18-Monatsprogramm), 75 f. Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 9, 7 f. IRG. Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 73, 90 IRG; Bubnoff 37 f., 70. BVerfGE 75 1, 15 ff.; Bubnoff 38.
2749
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2751
OLG Köln NJW 2008 3300, 3302; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner § 73, 95 IRG; Grützner/Pötz/Kreß/Vogel § 73, 92, 93 IRG. Vgl. BVerfGE 75 1, 18 ff. = NJW 1987 2155; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner § 73, 96 IRG. ABlEU Nr. L 190 v. 18.7.2002, S. 1.
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EMRK Art. 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Zur Umsetzung des RB 2002/584/JI ist dem IRG ein Achter Teil angefügt worden.2752 Nach dem § 83 Nr. 1 IRG ist die Auslieferung an einen EU-Mitgliedstaat nicht zulässig, wenn dieselbe Tat von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist und die Sanktion im Falle der Verurteilung bereits vollstreckt wurde, vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen des § 83 Nr. 1 IRG (dieselbe Tat, rechtskräftige Aburteilung und Vollstreckungselement) sind dabei so auszulegen wie die des Art. 54 SDÜ, an den der Unionsgesetzgeber Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses angelehnt hat. Das bedeutet insbesondere auch, dass die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung unter Auflagen ein Auslieferungshindernis darstellt. Dies ist nicht unumstritten, da der Rahmenbeschluss selbst zwischen rechtskräftigen Urteilen und rechtskräftigen Entscheidungen ohne Urteilsqualität unterscheidet und für letztere in Art. 4 Nr. 3 Alt. 2 des Rahmenbeschlusses ein fakultatives Auslieferungshindernis vorsieht. Dies kann die weite Auslegung des Art. 54 SDÜ aber nicht beschränken.2753 § 83 Nr. 1 IRG ergänzt § 9 Nr. 1 IRG, der voraussetzt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit 1113 besteht, so dass § 83 Nr. 1 IRG vor allem bei Aburteilungen durch dritte Mitgliedsstaaten Anwendung finden wird. Er kann jedoch auch bei Entscheidungen herangezogen werden, die nicht von Art. 9 Nr. 1 IRG erfasst sind, wie z.B. die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO, sofern man diesen für geeignet hält, ein Verfolgungshindernis zu begründen.2754 In diesem Zusammenhang ist auf die Rs. Mantello2755 hinzuweisen: Herr Mantello 1114 war im Jahre 2005 in Italien wegen unerlaubten Besitzes von Kokain rechtskräftig verurteilt worden und hatte seine Strafe verbüßt. 2009 erließen die italienischen Strafverfolgungsbehörden einen Europäischen Haftbefehl. Der Tatvorwurf lautete auf Beteiligung an einem bandenmäßig betriebenen Kokainhandel zwischen Deutschland und Italien. Bei der Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen stellte sich heraus, dass Beweise diesbezüglich bereits 2005 vorgelegen hatten. Die Strafverfolgungsbehörden hatten jedoch von der Verfolgung des Organisationsdeliktes abgesehen, weil sie die Fortschritte der Ermittlungen nicht gefährden wollten. Nach Ansicht der italienischen Strafverfolgungsbehörden lag ein Fall des „ne bis in idem“ nicht vor. Dennoch legte das OLG Stuttgart die Sache dem EuGH vor, wobei durch die Vorlage zum einen geklärt werden sollte, ob sich der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 RB-EuHb nach dem Recht des Ausstellungsstaates oder des Vollstreckungsstaates richten solle, oder ob der Begriff autonom unionsrechtlich auszulegen sei. Zum anderen wollte das OLG Stuttgart geklärt wissen, ob die Einzeltat und das Organisationsdelikt dieselbe Tat darstellen, und damit ein Strafklageverbrauch bezüglich letzterem anzunehmen sei, zumindest wenn bei Aburteilung der Einzeltat bereits Beweise bezüglich des Organisationsdeliktes vorlagen und die Strafverfolgungsbehörde auch deswegen bereits hätte Anklage erheben können. Hier entschied sich der EuGH zwar grundsätzlich für eine autonome unionsrechtliche Auslegung und legte fest, dass Art. 3 Nr. 2 RB-EuHb wie Art. 54 SDÜ auszulegen sei. Zugleich wies er aber darauf hin, dass sich die Frage der Rechtskraft nach dem Recht des Ausstellungsstaates richtet und der Vollstreckungsstaat nicht berechtigt sei, dies zu überprüfen.2756
1112
2752 2753
2754 2755 2756
Europäisches Haftbefehlsgesetz v. 21.7. 2004 (BGBl. I S. 1748). Grützner/Pötz/Kreß/Böse § 83, 2 IRG; Bubnoff 70; Graf/Inhofer RB-EUHb Art. 3, 3, 4. Grützner/Pötz/Kreß/Böse § 83, 3 IRG. EuGH Rs. C-261/09 (Mantello) (Fn. 2663). EuGH Rs. C-261/09 (Mantello) (Fn. 2663),
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Tz. 46 ff.; siehe dazu auch Vogel StRR 2011 135, 138. Unbefriedigend ist jedoch, dass der Gerichtshof nicht die Möglichkeit wahrgenommen hat, zum Verhältnis von Organisationsdelikt und Einzeltat Stellung zu nehmen und die Problematik auf die Ebene der Rechtskraft verlagert hat.
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Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
Art. 7 EMRK (Art. 15 IPBPR) EMRK Artikel 7 Keine Strafe ohne Gesetz (1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. (2) Dieser Artikel schließt nicht aus, dass jemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.
IPBPR Artikel 15 (1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder nach internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach Begehung einer strafbaren Handlung durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist das mildere Gesetz anzuwenden. (2) Dieser Artikel schließt die Verurteilung oder Bestrafung einer Person wegen einer Handlung oder Unterlassung nicht aus, die im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von der Völkergemeinschaft anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.
Schrifttum (Auswahl) Arnold/Karsten/Kreicker Menschenrechtsschutz durch Art. 7 Abs. 1 EMRK, NJ 2001 51; Esser Sicherungsverwahrung, JA 2011 727; Kinzig Das Recht der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des EGMR in Sachen M. gegen Deutschland, NStZ 2010 233; Kreicker Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2002); Laue Die Sicherungsverwahrung auf dem europäischen Prüfstand, JR 2010 198; Mitterhuber Sicherungsverwahrung und Art. 7 EMRK (EGMR M./Deutschland, Urt. v. 17.12.2009) (2010); Möllers Die „Einkesselung“ des EGMR durch BVerfG und BGH bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, ZRP 2010 153; Müller Die Sicherungsverwahrung, das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention, StV 2010 207; Pinzauti The European Court of Human Rights’ Incidental Application of International Criminal Law and Humanitarian Law: A Critical Discussion of Kononov v. Latvia, JICJ 2008 1043; Polakiewicz Verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte der strafrechtlichen Ahndung des Schußwaffeneinsatzes an der innerdeutschen Grenze, EuGRZ 1992 177; Pollähne Europäische Rechtssicherheit gegen Deutsches Sicherheitsrecht? KJ 2010 255; Rau Deutsche Vergangenheitsbewältigung vor dem EGMR – Hat der Rechtsstaat gesiegt? NJW 2001 3008; Rau Transitional Justice: The German Experience after 1989, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Rechtsstaat in Lectures, Nr. 4, 2009; Renzikowski Das Elend mit der rückwirkend verlängerten und der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung, ZIS 2011 531; Werle Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001 3001; Rissingvan Saan Neuere Aspekte der Sicherungsverwahrung im Kontext der Rechtsprechung des EGMR, FS Roxin II 1173; Schöch Sicherungsverwahrung und Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, FS Roxin II 1193; Windoffer Die Maßregel der Sicherungs-
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EMRK Art. 7
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
verwahrung im Spannungsfeld von Europäischer Menschenrechtskonvention und Grundgesetz, DÖV 2011 590.
Übersicht Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2. Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
3. Gesetzliche Festlegung des Straftatbestandes und der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . .
8
4. Gesetzliche Festlegung der Strafe
. . . . . . 16
5. Gebot der Auslegung – Verbot der Analogie 6. Rückwirkungsverbot
Rn. b) c) d) e)
17
. . . . . . . . . . . . 23
7. Grenzen des Anwendungsbereichs: Strafbarkeit und Strafe a) Umfasste Sanktionen . . . . . . . . . . 26
Disziplinarmaßnahmen . . . . . . . . Maßregeln der Besserung und Sicherung Sonstige belastende Maßnahmen . . . Verfahrensregelungen . . . . . . . . .
. . . .
29 30 31 33
8. Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) als Strafe i.S.v. Art. 7 EMRK a) EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafgerichte . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzliche Neuregelung . . . . . . . . .
34 36 39 43
9. Ausnahme der Absätze 2
. . . . . . . . . . 47
1
1. Allgemeines. Das Verbot der Verurteilung wegen einer Handlung, die zur Zeit ihrer Begehung nicht mit Strafe bedroht war, macht jede Strafbarkeit davon abhängig, dass die Tat bereits im Zeitpunkt ihrer Begehung in einer gültigen und hinreichend konkreten Norm mit Strafe bedroht ist (nullum crimen, nulla poena sine lege). Dieses Verbot schließt eine Bestrafung in analoger Anwendung eines anderen Straftatbestandes ebenso aus wie die Verurteilung aufgrund eines erst nach der Begehung erlassenen Strafgesetzes. Es ist daher eine grundlegende Norm jedes rechtsstaatlichen Freiheitsschutzes und gewährleistet die Rechtssicherheit als Grundlage einer selbstverantwortlichen Lebensführung, da es vor willkürlicher Verfolgung und Bestrafung schützt1 und den Handlungsraum transparent festlegt, der ohne Furcht vor einer Bestrafung ausgeschöpft werden darf.2 Die in Art. 7 EMRK verankerten Garantien sind so auszulegen und anzuwenden, dass 2 sie einen wirksamen Schutz gegen willkürliche Strafverfolgung, Verurteilung und Bestrafung bieten.3 Inhaltliche Schranken für die einzelnen Tatbestände ergeben sich aus den übrigen Rechten der EMRK.4 Der strafrechtliche Gesetzesvorbehalt ist Frucht aufklärerischen Rechtsdenkens.5 Er ist Reaktion auf die Sorge, die Freiheit des Einzelnen sei durch behördliche und richterliche Willkür gefährdet und fordert als Garant bürgerlicher Freiheit im Interesse der Rechtssicherheit sowohl die vorgängige rechtliche Festlegung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Strafbarkeit als auch die Festlegung der Strafsanktion. Soweit dies einem formellen Parlamentsgesetz vorbehalten ist,6 wird damit zugleich die Gewaltentrennung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung festgeschrieben.7
1
2 3
4
EGMR Streletz, Kessler u. Krenz/D, 22.3.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 3035; Meyer-Ladewig 1. Frowein/Peukert 1; Villiger 533. EGMR Witt/D (E), 8.1.2008, NJW 2008 2322, 2323; Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1), § 50; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 9. Vgl. Grabenwarter § 24, 128.
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5
6 7
Vgl. Art. 8 der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte vom 26.8.1789; KK-EMRK-GG/ Kadelbach Kap. 15, 1; grundlegend zur Entstehungsgeschichte Krey Keine Strafe ohne Gesetz (1983), Rn. 13 ff. m.w.N. EGMR Kokkinakis/GR, 25.5.1993, A 260-A = ÖJZ 1994 59. Grabenwarter § 24, 128.
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Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
Der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege hat als freiheitssicherndes und 3 willkürvorbeugendes Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit 8 in vielen europäischen Verfassungen Aufnahme gefunden. Art. 103 Abs. 2 GG verbürgt diesen Grundsatz innerstaatlich mit Verfassungsrang. Er wird als ein allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsamer allgemeiner Grundsatz angesehen, der bereits zu den allgemeinen Grundsätzen des früheren Gemeinschaftsrechts nach Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. zählte.9 Die Aufnahme des Grundsatzes in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union10 bestätigt dies. Über Art. 7 EMRK hinausgehend, in Anlehnung an Art. 15 Abs. 1 Satz 3 IPBPR, wird dort vorgeschrieben, dass die mildere Strafe zu verhängen ist, wenn Strafmaß oder Strafart nach Begehung der Tat geändert wurde, sowie zusätzlich, dass das Strafmaß gegenüber der Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf (Art. 49 Abs. 3 EUC).11 Art. 49 Abs. 2 EUC stellt klar, dass eine Bestrafung wegen einer Handlung oder Unterlassung auch zulässig ist, wenn sie zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war. Die AEMR vom 10.12.1948 hat den Grundsatz, dass niemand wegen einer Handlung 4 oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war, in Art. 11 mit der Unschuldsvermutung und dem Recht auf Verteidigung im Strafverfahren zusammengefasst. Wegen seiner Bedeutung garantieren EMRK und IPBPR diesen Grundsatz jeweils in einem gesonderten Artikel;12 der IPBPR ergänzt ihn noch durch die Verpflichtung, ein erst nach der Tat erlassenes milderes Gesetz anzuwenden (Art. 15 Abs. 1 Satz 3 IPBPR). Beide Konventionen legen, offensichtlich beeinflusst durch die Verhältnisse nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs,13 jeweils in einem Absatz 2 fest, dass dieser Grundsatz nicht die Bestrafung von Personen hindert, die sich zwar nicht nach ihrem nationalen Recht, wohl aber nach international allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar gemacht haben. Die fundamentale Bedeutung des Grundsatzes, dass niemand wegen einer Tat bestraft 5 werden darf, die nicht bereits bei ihrer Begehung mit Strafe bedroht war, ergibt sich auch daraus, dass ihn beide Konventionen notstandsfest gewährleisten (Art. 15 Abs. 2 EMRK / Art. 4 Abs. 2 IPBPR). Verstöße gegen Art. 7 EMRK sind schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die Bestimmung ist somit eng auszulegen.14 2. Vorbehalt. Die BR Deutschland hat ursprünglich erklärt, sie werde Art. 7 EMRK 6 nur in den Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG anwenden.15 Die Erklärung war nach ihrem Inhalt kein echter Vorbehalt. Sie wäre entbehrlich gewesen.16 Art. 7 EMRK enthält keine über Art. 103 Abs. 2 GG hinausgehenden Verbürgungen; die Anwendung weitergehender 8
9
10
So auch EuGH 3.5.2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld VZW/Leden van de Ministerraad), NJW 2007 2237 (RB EuHB); zum Doppelzweck des Art. 103 Abs. 2 GG vgl. BVerfGE 78 374. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 6); Hilf EuGRZ 1985 343; Streinz 416; Schwarze/Stumpf Art. 6, 30 EUV; Grabenwarter § 24, 128 f. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1; BGBl. 2008 II S. 1165; ursprüngliche Textfassung: ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1, EuGRZ 2000 554; zur Charta siehe Teil I Rn. 80 f.
11
12 13
14 15 16
Vgl. Grabenwarter § 24, 129: Bedeutung auch für Strafen, die nicht in Freiheitsrechte eingreifen; Ehlers § 6, 61. Zur Entstehung vgl. Nowak 1, 2. Zum Zustandekommen des Absatzes 2 vgl. Frowein/Peukert 1, 8; Nowak 18; Partsch 171. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 10. BGBl. 1954 II S. 14; dazu Süsterhenn DVBl. 1955 753; vgl. Meyer-Ladewig 23. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 8.
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EMRK Art. 7
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Gewährleistungen des nationalen Rechts wird nach Art. 53 EMRK ohnehin nicht ausgeschlossen, so dass schon deshalb die Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG nicht eingeschränkt werden konnte.17 Vor diesem Hintergrund hat Deutschland den Vorbehalt mit Erklärung gegenüber dem Generalsekretär des Europarates vom 5.10.2001 zurückgenommen.18 Zu Art. 15 Abs. 1 IPBPR hat die BR Deutschland keinen gleichartigen Vorbehalt wie 7 bei Art. 7 EMRK abgegeben. Sie hat sich aber entsprechend Art. 1 Nr. 4 des Ratifizierungsgesetzes 19 vorbehalten, dass bei einer Milderung der zur Zeit der Tat in Kraft befindlichen Strafvorschriften in bestimmten Ausnahmefällen das zur Tatzeit geltende Recht auf Taten, die vor der Gesetzesänderung begangen wurden, weiterhin anwendbar bleiben kann (vgl. Rn. 6).
3. Gesetzliche Festlegung des Straftatbestandes und der Strafbarkeit 8
Bestimmtheitsgrundsatz. Art. 7 EMRK und Art. 15 IPBPR legen in ihrem Absatz 1 den Grundsatz fest, dass eine Verurteilung wegen einer Handlung oder Unterlassung unzulässig ist, wenn deren Strafbarkeit nicht bereits zur Zeit der Begehung, d.h. vor der Begehung der Tat 20 ausreichend deutlich – durch Gesetz und Rechtsprechung 21 – festgelegt war (nullum crimen sine lege certa).22 Die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung muss hinreichend zugänglich und 9 vorhersehbar im nationalen Recht bestimmt sein.23 Der Straftatbestand muss im Gesetz so genau umschrieben sein, dass alle vom Gesetz betroffenen Personen24 aus dem Wortlaut der Norm, ggf. unter Berücksichtigung seiner Auslegung durch die Gerichte,25 ersehen können, welches Verhalten – Handlungen oder Unterlassungen – mit Strafe bedroht ist.26 Ein gewisser Spielraum für richterliche Auslegung ist zwar notwendig und 17
18 19
20 21
22
Vgl. die bei Meyer-Ladewig 23 wiedergegebene Erklärung der Bundesregierung; ferner etwa v. Weber ZStW 65 (1953) 347; Jescheck NJW 1954 785 (bloß „Ausdruck der Missbilligung“); sowie Ambos StV 1997 39, 40, wonach die strikte Positivität von Art. 103 Abs. 2 GG keinen Rückgriff auf ungeschriebene Rechtsgrundsätze erlaubt. BGBl. 2003 II S. 1580. Vgl. Art. 1 des Gesetzes v. 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533): „Dem … Pakt … wird mit folgender Maßgabe zugestimmt: (…) 4. Artikel 15 Abs. 1 des Paktes wird derart angewandt, daß im Falle einer Milderung der zur Zeit in Kraft befindlichen Strafvorschriften in bestimmten Ausnahmefällen das bisher geltende Recht auf Taten, die vor der Gesetzesänderung begangen wurden, anwendbar bleiben kann.“ So auch: SK/Paeffgen 13. EGMR (GK) Baskaya u. Ok¢uoglu/TRK, 8.7.1999, ECHR 1999-IV = NJW 2001 1995; Meyer-Ladewig 7. Zu der auch von Art. 7 EMRK vorausgesetzten Bestimmtheit der Straftatbestände
720
23 24
25
26
Grabenwarter § 24, 137; EGMR Nadtochiy/ UKR, 15.5.2008; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 23. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 24. Bei Vorschriften, die sich nur an einen bestimmten Personenkreis richten, reicht es, wenn diese aufgrund ihres Spezialwissens und ihrer berufsbezogenen Informationspflichten die Strafbarkeit erkennen können, vgl. EGMR Cantoni/F, 15.11.1996, EuGRZ 1999 193; Grabenwarter § 24, 137 f. EGMR Achour/F, 29.3.2006 (mehr als 100-jährige Gerichtsüberzeugung, dass geänderte Regelungen über Wiederholungstaten auch dann zur Anwendung kommen, wenn nur die tatsächliche Wiederholungstat und nicht auch die erste Tat im Geltungszeitraum der Regelung begangen wird); vgl. auch: EGMR Tolgyese/D (E), 8.7.2008 (fehlende Aufenthaltserlaubnis; §§ 3 I, 92 I AuslG; § 12 Abs. 2 DurchführungVO zum AuslG). EGMR Witt/D (E) (Fn. 3); Baskaya u. Ok¢uoglu/TRK (Fn. 21); (GK) Kafkaris/ZYP 12.2.2008; Streicher/D, 10.2.2009.
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Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
jedem Gesetz inhärent, auch die Auslegung muss jedoch hinreichend klar und vorhersehbar sein.27 Eine Einschränkung des nationalen Gesetzgebers hinsichtlich der Festlegung eines Straftatbestandes besteht grundsätzlich nicht.28 Die vom BVerfG unter Art. 103 Abs. 2 GG gestellte Anforderung, dass die Strafbarkeitsvoraussetzungen mit Ansteigen des Strafmaßes präziser umschrieben sein müssen,29 findet sich in der Konventionspraxis nicht.30 Vielmehr gelten eher flexible Maßstäbe, weshalb auf den Bestimmtheitsgrundsatz gestützte Beschwerden nur selten Erfolg haben. Über Art. 49 EUC bzw. über Art. 7 EMRK als Erkenntnisquelle kann auch der EuGH 10 mit den Anforderungen an die Bestimmtheit strafgesetzlicher Bestimmungen befasst werden. So war der EU-Rahmenbeschluss 2002/584/JI vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten31 diesbezüglich in die Kritik geraten. Danach sind Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, Haftbefehle anderer Mitgliedstaaten zu vollstrecken und die betreffende Person zu übergeben, ohne ihrerseits die Anordnung im einzelnen zu überprüfen. Die Liste der über 30 in Art. 2 Abs. 2 RB genannten Straftaten, für die die traditionelle Bedingung der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit fallen gelassen wurde, sofern diese Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat mit Freiheitsentzug im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, wurde als so vage und unklar angesehen, dass sie mangels Bestimmtheit gegen das Legalitätsprinzip in Strafsachen verstoßen könne.32 Der EuGH hat indes in Art. 2 Abs. 2 RB keine Verletzung des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ erkannt. Wenn die Vorschrift die Straftaten, bei denen eine Übergabe zu erfolgen hat, nur schlagwortartig benenne, gehe es dem Unionsrecht nicht darum, Strafbarkeit zu begründen. Die Definition der Straftaten und der für sie angedrohten Strafen ergebe sich aus dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats, während sich die EU darauf beschränke, die Ausübung der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt horizontal zu koordinieren.33 Rechtsvorschriften, vor allem Parlamentsgesetze, aus denen sich eine Strafbarkeit 11 ergeben soll, müssen in Kraft getreten sein und dürfen nicht bereits wieder außer Kraft getreten sein. Zum Inkrafttreten gehört auch die Veröffentlichung der Vorschrift oder eine sonstige sichere Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit.34 Eine Dauertat, die vor dem Inkrafttreten der Strafvorschrift begonnen, danach aber weitergeführt wurde, ist strafbar, wenn die strafbaren Handlungen auch nach dem Inkrafttreten der Strafvorschrift noch fortgesetzt wurden.35 Es genügt, wenn für den Normadressaten bei Vornahme der Handlung oder bei deren Fortführung nach Eintritt der Strafbarkeit, vorhersehbar 36 ist,
27 28
29 30 31 32
33
Jüngst relevant in EGMR Liivik/EST, 25.6.2009; näher unten Rn. 17 ff. Zur Problematik von Strafnormen, die aufgrund ihrer Formulierung erhebliche Möglichkeiten für eine willkürliche Anwendung eröffnen: EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 6). BVerfGE 75 329, 342. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 24. ABlEU Nr. L 190 v. 18.7.2002, S. 1. Vgl. die Argumente der Verfahrensbeteiligten in: EuGH (GK) Advocaten voor de Wereld (Fn. 8). EuGH (GK) Advocaten voor de Wereld (Fn. 8); dazu trotz Anerkennung der formal richtigen Sichtweise des EuGH krit. Nettesheim EuR 2009 41 f.
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Vgl. Villiger 535; Meyer-Ladewig 7. Vgl. Meyer-Ladewig 14 unter Hinweis auf EGMR Ecer u. Zeyrek/TRK, 27.2.2001, ECHR 2001-II. EGMR (GK) Kononov/LET, 17.5.2010 (Strafbarkeit von Kriegsverbrechen nach der Haager Landkriegsordnung); Jorgic/D, 12.7.2007, NJOZ 2008 3605 = forumpoenale 2008 73 m. Anm. Wohlers (Strafbarkeit ethnischer Säuberungen in der bosnischen Region Doboj unter Zugrundelegung einer weiten Auslegung des „Völkermord“-Begriffs in § 220a StGB a.F.); Achour/F (Fn. 25); Dragotoniu u. Militaru-Pidhorni/RUM, 24.5.2007; Sud Fondi SRL u.a./I, 20.1.2009; Ould Dah/F (E), 17.3.2009 (Verurteilung für
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
dass sein Verhalten – nach dem einschlägigen innerstaatlichen Recht oder aber nach internationalem Recht – strafbar ist. Hierbei können auch Regelungsgegenstand, Beruf und Kenntnisstand der Normadressaten, insbesondere auch seine beruflichen Fachkenntnisse ins Gewicht fallen.37 Die Vorhersehbarkeit einer Verurteilung ist hingegen nicht erforderlich.38 Die Festlegung durch geschriebenes Recht ist nach den Konventionen – anders als 12 nach Art. 103 Abs. 2 GG39 – nicht unerlässlich. Der Begriff „Recht“ in Art. 7 EMRK meint sowohl geschriebenes als auch ungeschriebenes Recht.40 In welcher Form die notwendige konkrete Festlegung zu geschehen hat, bestimmen die Konventionen nicht. Dies richtet sich nach der jeweiligen nationalen Verfassungslage. Wo diese ein formelles Parlamentsgesetz fordert, weil die Grundentscheidung über die Strafbarkeit eines Verhaltens dem Parlament vorbehalten ist,41 kann die vorgängige Festlegung der Strafbarkeit i.S.d. Art. 7 EMRK / Art. 15 IPBPR grundsätzlich auch nur durch ein solches begründet werden. Im Bereich des common law genügt es, dass aufgrund einer gefestigten bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung der Tatbestand feststeht und auch der Strafrahmen umgrenzt ist.42 Es genügt, wenn die Grenzen aufgrund der Rechtsprechung feststellbar sind.43 Eine Fortentwicklung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit durch Richterrecht und Gewohnheitsrecht wird dadurch, anders als durch Art. 103 Abs. 2 GG, nicht ausgeschlossen, sofern sie mit dem Wesen der strafbaren Handlung in Einklang steht und vernünftigerweise vorhergesehen werden kann.44 Die Strafbarkeit nach internationalem Recht, die Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 15 13 Abs. 1 IPBPR der Strafbarkeit nach nationalem Recht gleichstellen, muss ebenfalls bereits im Zeitpunkt der Begehung der Tat gegeben sein.45 Liegt sie bei Tatbegehung vor, ist es unschädlich, wenn gleichartiges nationales Recht die Tat erst nach ihrer Begehung mit Strafe bedroht.46 Davon werden die Fälle nicht erfasst, in denen Völkerrechtsnormen zu nationalen Normen transformiert worden sind oder sonst als Bestandteil des innerstaatlichen Rechts die Auslegung des nationalen Straftatbestandes mitbestimmt haben (vgl. Rn. 14).47 Die Anerkennung des internationalen Rechts als eine zur ausreichenden
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in Mauretanien begangene Folterungen auf der Grundlage des Universalitätsprinzips trotz Amnestie im Tatortstaat mit Art. 7 EMRK vereinbar). Vgl. etwa EGMR Cantoni/F (Fn. 24); dazu Winkler EuGRZ 1999 181; Schimanek/A, 1.2.2000, ÖJZ 2000 817; Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1); Meyer-Ladewig 7; Villiger 535. Vgl. SK/Paeffgen 14; Klarstellung im Sondervotum Bratza/Vajic EuGRZ 2001 222. Zum Ausschluss des Gewohnheitsrechts BVerfGE 14 185; vgl. etwa Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann Art. 103 Abs. 2, 183 GG. EGMR Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1); KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 7, 20; Frowein/Peukert 4. Nach BVerfGE 78 374 ist dies einer der Zwecke des Art. 103 Abs. 2 GG.
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EKMR EuGRZ 1977 38 (Handyside); EKMR nach Frowein/Peukert 4; Nowak 5. Frowein/Peukert 4. EGMR S.W./UK, 22.11.1995, A 335-B = ÖJZ 1996 356 (Vergewaltigung in der Ehe strafbar entgegen einer Ausnahme des common law von 1736); IK/Renzikowski 72 f. EGMR (GK) Kononov/LET (Fn. 36), §§ 199 f.; van Anraat/NL, 6.7.2010, §§ 71 ff.: Van Anraat verurteilten die niederländischen Gerichte wegen seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen, da er Chemikalien an Saddam Hussein in den Irak geliefert hatte, die der Herstellung von Senfgas dienten. Eine Verletzung von Art. 7 EMRK verneinte der EGMR, weil eine Norm des Völkerrechts vorhanden sei, die den Einsatz von Giftgas verbiete. Grabenwarter § 24, 135; SK/Paeffgen 40. Grabenwarter § 24, 134.
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Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
Festlegung der Strafbarkeit 48 geeignete Strafandrohung kann Bedeutung erlangen, wenn ein Täter von einem anderen Staat wegen einer Straftat abgeurteilt wird, für die sein nationales Recht oder das Recht des Tatorts keine Strafe angedroht haben.49 An sich könnte die Strafbarkeit nach internationalem Recht auch unmittelbar aus dem völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht hergeleitet werden.50 In aller Regel folgt sie aber aus dem Völkervertragsrecht, sofern dieses die Vertragsstaaten nicht nur zum Erlass nationaler Straftatbestände verpflichtet,51 sondern das strafbare Verhalten selbst festlegt, wie etwa die Haager Landkriegsordnung,52 die Genfer Konventionen bei Verstößen gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht53 oder die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder die Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut über den Internationalen Strafgerichtshof (ICC-Statut).54 Das Rückwirkungsverbot des Absatzes 1 gilt auch bei der Anwendung vertraglich begründeter neuer völkerrechtlicher Straftatbestände.55 Die in vielen internationalen Übereinkommen zu findende völkerrechtliche Verpflich- 14 tung der Mitgliedstaaten, eine Tat innerstaatlich mit Strafe zu bedrohen, fällt nur unter die erste Alternative, da das internationale Recht in diesem Fall Straftatbestand und Strafe nicht selbst für jedermann verbindlich festsetzt, sondern nur die einzelnen Vertragsstaaten zum Erlass entsprechender nationaler Strafnormen verpflichtet,56 manchmal es ihnen auch nur anheim stellt.
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Auch insoweit muss die Strafbarkeit konkret festgelegt sein, die bloße Kennzeichnung als strafwürdig genügt nicht nach dem Regelungszweck, der auch die vorherige Androhung der Strafe umfasst. Vgl. aber Partsch 172 (strafwürdiges Verhalten). EGMR Korbely/H, 19.9.2008 (eine auf Art. 3 der Genfer Konventionen von 1949 gründende Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann nur ergehen, wenn die Tat neben den Mord-Kriterien besondere Kriterien des internationalen Rechts erfüllt); vgl. Frowein/Peukert 9, unter Hinweis auf Bestrafung eines Kriegsgefangenen wegen Verstößen gegen das Kriegsrecht nach Art. 85, 99 der Dritten Genfer Konvention. Vgl. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 8, 39; Ambos § 5 Rn. 6; Partsch 171 verneint die Existenz solcher Strafvorschriften im allgemeinen Völkerrecht. Zur Piraterie vgl. Frowein/Peukert 10; Villiger 539 bezweifelt, ob insoweit die notwendige Bestimmtheit des Strafmaßes gegeben ist. Inzwischen legen internationale Übereinkommen den Tatbestand der Seeräuberei und das Recht der Staaten zu seiner Verfolgung und Aburteilung gemäß den festzulegenden Strafen fest; vgl. Art. 15 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See vom 29.4.1958 (BGBl. 1972 II S. 1089); ferner Art. 100 ff. des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen
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(SRÜ) vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II S. 1799). Zur Pirateriebekämpfung aus menschenrechtlicher Perspektive (Festnahme): Esser/Fischer ZIS 2009 771; dies. JR 2010 513. Meist wird nur eine Staatenverpflichtung zum Erlass nationaler Strafvorschriften begründet; diese hat die Vertragsstaaten, nicht den Einzelnen als Adressaten; mitunter würde sie auch nicht den Bestimmtheitserfordernissen für eine Strafvorschrift genügen; vgl. etwa Art. 4 der UNCAT (Art. 3 EMRK Rn. 25). Bei der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (BGBl. 1954 II S. 729) ist dies strittig, zu Recht verneinend Frowein/ Peukert 9; wohl bejahend Nowak 6. Jüngst relevant in EGMR (GK) Kononov/ LET (Fn. 36), einen Verstoß gegen Art. 7 EMRK im Gegensatz zum Kammerurteil v. 24.7.2008 verneinend; krit. zum Kammerurteil schon Pinzauti JICJ 6 2008, 1054 f.; Frowein/Peukert 9, 13. Vgl. Guradze 9; Frowein/Peukert 9 (auch zur Ahndung von Verstößen gegen das Kriegsrecht durch den späteren Gewahrsamsstaat). Etwa Art. 25 ff. ICC-Statut (BGBl. 2000 II S. 1394); Grabenwarter § 24, 135. Frowein/Peukert 9; Nowak 6; vgl. auch: Art. 6 ICC-Statut. So etwa Art. 4 UNCAT.
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In den sog. Mauerschützen-Urteilen57 hat der EGMR eine Verletzung von Art. 7 EMRK verneint. Die Taten (Erteilung des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze) hätten zwar der Staatsraison der DDR entsprochen. Sie seien aber nach DDR-Recht strafbar und insbesondere deshalb nicht durch die Gesetzes- und Befehlslage der DDR gerechtfertigt gewesen, weil sie von der DDR-Verfassung gewährleistete Grundrechte offensichtlich verletzt und gegen das unerlässliche Gebot, Menschenleben zu schützen, verstoßen hätten. Die Strafbarkeit sei auch für Personen in leitender Position erkennbar gewesen, denn sie selbst hätten eine Staatspraxis (mit-)etabliert, die der Rechtslage evident widersprach. Der Gerichtshof gelangte zu der Überzeugung, die Taten hätten auch die völkerrechtlich geschützten Rechte auf Leben58 und Freizügigkeit 59 der Opfer verletzt und seien nicht nach Art. 2 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt oder von den Ausnahmebedingungen der Art. 2 Abs. 3 des 4. ZP-EMRK bzw. Art 12 Abs. 3 IPBPR erfasst.
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4. Gesetzliche Festlegung der Strafe. Auch die Strafe muss nach Art und Umfang, insbesondere im Höchstmaß (bereits bei/vor Begehung der Tat) gesetzlich angedroht worden sein (nulla poena sine lege).60 In der Praxis wird das Bestimmtheitsgebot jedoch auch auf der Rechtsfolgenseite großzügig angewandt.61 Einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nahm der EGMR im Fall Kafkaris an: Die Dauer der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe sei für den Täter in Anbetracht der diese auf 20 Jahre beschränkenden Strafvollzugsgesetze und Strafvollstreckungspraxis nicht vorhersehbar gewesen; das zyprische Recht zu dieser Frage sei „als Ganzes“ zu unbestimmt gewesen.62 Überzeugend hat das BVerfG die Vermögensstrafe (§ 43a StGB i.d.F. von 1992) als zu unbestimmt und für verfassungswidrig erklärt.63
5. Gebot der Auslegung – Verbot der Analogie 17
a) Das Gebot einer hinreichenden Bestimmtheit materieller Strafvorschriften, steht deren Auslegung durch die nationalen Gerichte nicht entgegen, da es immer erforderlich sein wird, Zweifelsfragen zu klären und Strafbestimmungen an veränderte Umstände anzupassen.64 Art. 7 EMRK kann nicht dahin verstanden werden, dass er die schrittweise Klärung von Inhalt und Reichweite einer Strafbestimmung durch richterliche Auslegung von Fall zu Fall ausschlösse.65 57
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EGMR Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1); K.-H. W./D, 22.3.2001, NJW 2001 3042. Zum Umgang der Strafjustiz mit dem SEDRegime: Safferling in: Conze u.a. (Hrsg.), Die demokratische Revolution 1989 in der DDR (2009), 203. Art. 3 AEMR: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben“; Art. 6 IPBPR (von der DDR am 8.11.1974 ratifiziert): „Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. (…) Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden“; Art. 2 Abs. 1 EMRK. Art. 2 Abs. 2 des 4. ZP-EMRK, Art. 12 Abs. 2 IPBPR: „Jeder Person steht es frei, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen“; Ausnahmen jeweils in Absatz 3. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 9, 24. IK/Renzikowski 54 m.w.N.
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EGMR (GK) Kafkaris/ZYP (Fn. 26), § 150; zu Recht krit. jedoch abweichende Meinung der Richter Loucaides und Jociene; IK/Renzikowski 55. BVerfGE 105 135, 152 ff.; KK-EMRK-GG/ Kadelbach Kap. 15, 24. EGMR Witt/D (E) (Fn. 3); Baskaya u. Ok¢uoglu/TRK (Fn. 21); so i.E. auch KK-EGMR-GG/Kadelbach Kap. 15, 32. EGMR Witt/D (Fn. 3): ausreichende Bestimmtheit des Begriffs „verwerflich“ in § 240 Abs. 2 StGB; siehe auch: EGMR Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1), § 50: „Wie eindeutig auch immer eine gesetzliche Vorschrift in einem Rechtssystem gefasst sein mag, es bleibt doch unvermeidlich Raum für richterliche Auslegung. Immer wird es not-
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Die Auslegung hat mit der Zeit zu gehen, die Rechtsprechung muss als Rechtsquelle 18 zur fortschreitenden Entwicklung des Strafrechts beitragen.66 Werden Zweifelsfragen zum Nachteil des Betroffenen entschieden67 oder führt die Änderung der Auslegung einer Strafnorm dazu, dass ein Sachverhalt mit einbezogen wird, der nach einer bei Tatbegehung vertretenen Rechtsmeinung von dieser nicht erfasst wurde,68 so wird dies nicht als verbotene rückwirkende Bestrafung angesehen. Die geänderte Auslegung muss sich allerdings im Rahmen vernünftiger Grenzen („reasonable interpretation“) halten, den Zielen der Konvention entsprechen, eine vernünftigerweise vorhersehbare Entwicklung vollziehen, willkürfrei sein und darf das Wesen der Straftat nicht verändern.69 Notwendig ist immer, dass der Einzelne im Zeitpunkt der Tatbegehung die mögliche Strafbarkeit seines Verhaltens aufgrund der ihm möglichen Beurteilung der Verhältnisse selbst erkennen kann70 oder dass er zumindest die Möglichkeit hat, aus allgemein zugänglichen Quellen, vor allem durch den Gesetzestext und dessen Auslegung durch die Gerichte, aber auch durch Erkundigungen zu erfahren, welche Handlungen und Unterlassungen möglicherweise unter eine existierende Strafnorm fallen.71 b) Die strikte Gesetzesbindung der Strafbarkeit schließt es allerdings aus, Strafgesetze 19 zum Nachteil des Beschuldigten ausdehnend auszulegen und Strafen in analoger Anwendung einer anderen Strafvorschrift festzusetzen (Analogieverbot).72 Nur ein hinreichend klares und bestimmt formuliertes Gesetz darf den Straftatbestand formen und Strafsanktionen androhen.73 Daraus folgt das Verbot, den Anwendungsbereich einer Strafvorschrift durch Analogie zu Lasten des Angeklagten auf andere, wenn auch vergleichbare Sachverhalte auszudehnen.74 Die Grenze zwischen zulässiger Auslegung 75 und unzulässi-
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wendig sein, Zweifelsfragen zu klären und die Vorschrift an sich verändernde Umstände anzupassen. Siehe auch: EGMR S.W./UK, 22.11.1995, A 335, §§ 34–36 = ÖJZ 1996 356; C.R./UK, 22.11.1995, A 335, §§ 32–34. Vgl. SK/Paeffgen 26 m.w.N. Villiger 536. Vgl. EGMR C.R./UK (Fn. 65); S.W./UK (Fn. 65): Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe in Fortentwicklung des common law entgegen einem dies straffrei stellenden Gesetz von 1736; dazu Grabenwarter § 24, 134; Meyer-Ladewig 7; Villiger 536. Vgl. EGMR Streletz, Kessler u. Krenz/D (Fn. 1); dazu: Grabenwarter § 24, 135, 138; EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 16; BVerfG NStZ 1990 537; EGMR Witzsch/D (E), 13.12.2005 (ausreichende Vorhersehbarkeit der Verurteilung wegen der Leugnung der Verantwortung von Hitler und der NSDAP für den Holocaust in einem privaten Brief; § 130 StGB); Radio France/F, 30.3.2004; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 25, 32. Vgl. EGMR K.-H. W./D (Fn. 57); dazu Rau NJW 2001 3008; Roellecke NJW 2001 3024;
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Grabenwarter § 24, 137, 139; Meyer-Ladewig 8 unter Hinweis auf EGMR K.A. u. A.D./B, 17.2.2005, § 55 (Bestrafung sadomasochistischer Praktiken). EGMR Cantoni/F (Fn. 24); dazu Winkler EuGRZ 1999 181; Baskaya u. Okcuoglu/ TRK (Fn. 21); Frowein/Peukert 4; Grabenwarter § 24, 137, 139; Villiger 536; SK/Paeffgen 24. EGMR K.A. u. A.D./B, 17.2.2005, § 51; Jorgic/D (Fn. 36; keine ausufernde Auslegung des „Völkermord“-Begriffs durch die deutschen Gerichte; zulässige Entscheidung für eine weite Auslegung); Dragotoniu u. Militaru-Pidhorni/RUM, 24.5.2007 (Anwendung eines Korruptionstatbestandes, der nur für Beamte und Funktionäre staatlicher Betriebe gilt, auf Mitarbeiter einer Privatbank); KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 25. Vgl. SK/Paeffgen 34; EGMR (GK) Kafkaris/ZYP (Fn. 62); Custers, Deveaux u. Turk/DK, 3.5.2007. Nowak 4; Villiger 536; Vogler AöR 89 (1977) 791. Vgl. EKMR NJW 1984 2753 (Sprayer von Zürich): „Grenzen einer vernünftigen Aus-
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ger Analogie wird dort gezogen, wo auch noch für den Laien erkennbar ist, dass sein Verhalten unter eine bestehende Strafnorm fallen kann.76 Innerhalb der Erkennbarkeitsgrenze ist auch die Verwendung allgemeiner Begriffe 20 und unbestimmter Rechtsbegriffe möglich.77 Bei Blankettvorschriften ist auch nach Art. 7 EMRK erforderlich, dass bereits aus 21 dem ermächtigenden Gesetz die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Höhe der Strafdrohung zu ersehen sind. Im Übrigen kann der Straftatbestand durch andere Rechtsvorschriften im Range unter dem Gesetz näher konkretisiert werden.78 Der Überprüfung einer gerichtlichen Auslegungspraxis durch den EGMR sind natur22 gemäß Grenzen gesetzt. Vorrangig ist es Aufgabe der staatlichen Behörden, insbesondere der Gerichte, nationales Recht auszulegen. Der Gerichtshof hat es wiederholt abgelehnt, seine Auslegung der staatlichen Vorschriften an die Stelle der Auslegung der staatlichen Gerichte zu setzen, sofern Letztere nicht willkürlich ist. Er entscheidet also nicht über die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit einer Person, sondern prüft lediglich, ob die Vorschrift des autonomen nationalen Rechts ein strafbares Verhalten ausreichend vorhersehbar bestimmte.79
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6. Rückwirkungsverbot. Art. 7 EMRK verbietet im Namen des Vertrauensschutzes den Erlass rückwirkender Strafgesetze. Eine verbotene Rückwirkung liegt vor, wenn der zeitliche Anwendungsbereich eines Gesetzes auf Vorgänge erstreckt wird, die vor seinem Inkrafttreten liegen. Die gesetzliche Grundlage oder, für das common law, die Rechtsprechung, auf die eine Verurteilung gestützt wird, müssen im Tatzeitpunkt bereits bestehen. Daneben verhindert Art. 7 EMRK, dass eine Verschärfung der Rechtsfolgen rückwirkend auf eine vor dem Inkrafttreten der Norm begangene Tat angewendet wird (nulla poena sine lege praevia).80 Zulässig sind hingegen Gesetze, die zum Tatzeitpunkt in Kraft waren und bei erneuter Straffälligkeit die Strafe aus der ersten Verurteilung verschärfen.81 Eine verbotene Rückwirkung liegt auch vor, wenn ein für nichtig erklärtes Gesetz 24 rückwirkend ersetzt werden soll,82 nicht jedoch bei der gesetzestechnischen Ersetzung einer Strafvorschrift durch eine gleichlautende andere.83
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legung nicht überschritten“; ferner etwa BVerfGE 47 120; 55 152. EKMR nach Frowein/Peukert 4. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 24; EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 6) zum Begriff „Proselytismus“. Vgl. für Art. 103 Abs. 2 GG: BVerfGE 14 185; 22 19; 23 265; 32 362; 38 371; 75 342; 78 374. Näher OK/Radtke/Hagemeier Art. 103, 29 f. GG. EGMR Witt/D (E) (Fn. 3). EGMR Gurguchiani/E, 15.12.2009; (GK) Kafkaris/ZYP (Fn. 26); Garagin/I (E), 29.4.2008; zu Art. 15 IPBPR: HRC Lemercier/Frankreich, 28.4.2006, 1228/2003. KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 29. Ähnliche Konstellation: EGMR (GK) Achour/F (Fn. 25); die Umwandlung einer
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15-jährigen Freiheitsstrafe bzw. einer 20-jährigen Freiheitsstrafe mit der Möglichkeit zur Begnadigung in eine lebenslange Freiheitsstrafe ist dann keine rückwirkende Verschärfung, wenn die Verhängung der 15- bzw. 20-jährigen Freiheitsstrafe nur Übergangsregelung anlässlich der Abschaffung der Todesstrafe ist und die Neuregelung die lebenslange Strafe vorsieht, vgl. HRC, CCPR/100/D/1346/2005 v. 28.10.2005. EKMR nach Frowein/Peukert 3. EKMR bei Frowein/Peukert 8 (Greek Case); zust. SK/Paeffgen 15. Zum Fall einer technischen Strafbarkeitslücke zwischen Tatbegehung und Aburteilung vgl. BVerfG NJW 1990 1103.
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Art. 15 IPBPR
Die rückwirkende Anwendung milderer Gesetze ist dagegen möglich.84 Der Gerichts- 25 hof sieht darin ein Grundprinzip des Strafrechts und geht mittlerweile von einer Pflicht zur Anwendung der jeweils milderen Strafvorschrift aus.85 Art. 15 Abs. 1 Satz 3 IPBPR schreibt dies im Gegensatz zur EMRK bereits zwingend vor,86 wobei der Zeitpunkt der letzten Aburteilung die Pflicht zur Anwendung des milderen Gesetzes begrenzt.87 Infolge der Rücknahme ihres Vorbehalts gilt die Pflicht zur Anwendung des milderen Gesetzes mittlerweile auch für Deutschland ausnahmslos. Auch bei Zeitgesetzen i.S.d. § 2 Abs. 4 StGB ist die Anwendung des alten, schärferen Rechts somit unzulässig.
7. Grenzen des Anwendungsbereichs: Strafbarkeit und Strafe a) Absatz 1 bindet die staatliche Strafbefugnis an die vorherige Festlegung des straf- 26 baren Verhaltens durch eine Rechtsnorm. Dies gilt für jede Verurteilung, d.h. Bestrafung wegen einer Straftat.88 Beide zusammengehörenden Begriffe sind unabhängig von Bezeichnung, Zuordnung und Dogmatik des jeweiligen nationalen Rechts autonom auszulegen,89 wobei auch der systematische Zusammenhang mit den anderen sich auf Straftaten beziehenden Garantien der Konventionen, insbesondere Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR zu berücksichtigen ist.90 Ob eine Maßnahme im Einzelfall als Strafe einzuordnen ist, beurteilt der EGMR im 27 Rahmen seiner autonomen Auslegung anhand der sog. Welch-Kriterien.91 Ausgangspunkt der Auslegung ist nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EMRK, dass es sich bei der Maßnahme um eine Sanktion handelt, die im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat auferlegt worden ist. Als weitere relevante Faktoren stellt der EGMR auf die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, ihre Natur und ihren Zweck, das mit ihrer Schaffung und Umsetzung verbundene Verfahren sowie auf die Schwere der Maßnahme ab. Die Schwere der Maßnahme kann jedoch nicht allein entscheidend sein. Dies gilt für alle im innerstaatlichen Recht als Strafe vorgesehenen Sanktionen, wie 28 etwa Freiheitsstrafen, Geldstrafen oder Ersatzfreiheitsstrafen 92, aber auch für an ein Ver-
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Zur Problematik der milderen Sanktion vgl. Nowak 12 ff. Vgl. auch HRC Marz/R, 23.11.2009, 1425/2005: kein Recht im konkreten Fall auf Umwandlung der Todesstrafe in eine 15-jährige statt lebenslange Freiheitsstrafe im Wege der Begnadigung; in CCPR/C/100/D/1760/2008 v. 29.10.2008 stellt das HRC fest, dass eine Auslegungsmöglichkeit zugunsten einer milderen Sanktion bzw. Nichtstrafbarkeit Art. 7 EMRK verletzt. Vgl. dazu grundlegend EGMR (GK) Scoppola/I (Nr. 2), 17.9.2009; dazu auch Bohlander StraFo 2011 169 ff. mit einer ausführlichen Darstellung der Rechtsprechungsgeschichte. Vgl. dazu HRC Gavrilin/Weißrussland, 3.3.2007, 1342/2005; Nowak 13 ff.; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 31. Nowak 14; HRC van der Plaat/Neuseeland, 5.8.2008, 1492/2006 („implied limitations“).
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Vgl. zu Art. 15 IPBPR: HRC van der Plaat (Fn. 87). EGMR Welch/UK, 9.2.1995, A 307-A = ÖJZ 1995 511 (Beschlagnahme); HRC van Duzen/CA, 7.4.1982, 50/1979, EuGRZ 1983 14; Hofmann 42; Nowak 7, 10. Bezüglich der „Straftat“ haben Art. 6 und 7 EMRK insoweit denselben Anwendungsbereich, ebenso Grabenwarter § 24, 130; SK/Paeffgen 5. EGMR Welch/UK (Fn. 89), §§ 28 f.; Jamil/F, 8.6.1995, A 317-B, §§ 30 f. (Ersatzfreiheitsstrafe) = ÖJZ 1995 796; Van der Velden/NL (E), 8.8.2005, ECHR 2006-XV (DNA-Test); (GK) Kafkaris/ZYP (Fn. 26), § 142; M./D, 17.12.2009 (Sicherungsverwahrung) = EuGRZ 2010 25; Meyer-Ladewig 16; IK/Renzikowski 21 m.w.N. aus der Literatur. EGMR Jamil/F (Fn. 91) (Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung einer Geldstrafe); Grabenwarter § 24, 130; Meyer-Ladewig 109.
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schulden gebundene Nebenfolgen mit Strafcharakter93, ferner für Sanktionen, die einer Strafe gleichzuachten sind. Dem Verbot unterfallen nicht nur echte Kriminalstrafen, wie sie etwa das StGB normiert, sondern auch die Geldbußen des OWiG.94
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b) Ob und wieweit Art. 7 EMRK und Art. 15 IPBPR auch bei Disziplinarmaßnahmen Anwendung finde, ist strittig.95 Bejaht wird dies für die Maßnahmen des Disziplinarrechts, deren Verhängung wegen Art und Höhe der Sanktion einer strafrechtlichen Anklage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK gleichstehen.96 Wegen des weitergehenden innerstaatlichen Verfassungsrechts hat diese Streitfrage aber kaum Bedeutung, da Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich, wenn auch mit Auflockerungen hinsichtlich der Konkretisierung der einzelnen Pflichtverletzung, disziplinarrechtliche und berufsgerichtliche Sanktionen umfasst.97
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c) Bei Maßregeln der Besserung und Sicherung, die nicht begangenes Unrecht ahnden, sondern künftigen Straftaten vorbeugen sollen, gilt das Rückwirkungsverbot nach § 2 Abs. 6 StGB nicht. Ob dies mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist, ist strittig. In der deutschen Rechtsprechung und Teilen der Literatur wird eine Rückwirkung im Bereich der Maßregeln im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG als zulässig erachtet.98 Dies wird vor allem mit ihrem zu Strafen i.S.d. StGB deutlich anderen Zweck begründet.99 Von anderen Teilen der Literatur wird § 2 Abs. 6 StGB hingegen als sachlich verfehlt bzw. verfassungswidrig bezeichnet, in Anbetracht der tatsächlichen Auswirkungen von Maßregeln.100 Der Bundesgesetzgeber hingegen hat die in § 2 Abs. 6 StGB festgelegte Ausnahme für Maßregeln, die der Prävention dienen, als mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK /
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EGMR Welch/UK (Fn. 89) (Beschlagnahme des Vermögens wegen Drogenhandels). Näher IK/Renzikowski 26 f. Kritisch zur deutschen Regelung des Verfalls (§ 73 StGB) vor dem Hintergrund der Urteile Welch/UK und M./D (Fn. 91) Gehrmann wistra 2010 345, 347. Für das innerstaatliche Recht vgl. BVerfGE 38 348, 371 f.; 41 314, 319; 42 261, 263; 55 144, 152; 71 108, 114; BVerfG NJW 1990 1103. Zur EMRK vgl. Art. 6 EMRK Rn. 75 sowie Grabenwarter § 24, 17 f. Verneinend: Meyer-Goßner 1; Morvay ZaöRV 21 (1961) 341; Vogler ZStW 89 (1977) 791; mit Einschränkungen auch Frowein/Peukert 8 (fraglich, soweit Disziplinarverfahren als Strafverfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK angesehen werden). Grabenwarter § 24, 130; Meyer-Ladewig 18; Villiger 534; vgl. Art. 6 EMRK Rn. 81. Vgl. etwa BVerfGE 26 186, 203; 44 105, 115 f.; 45 346, 351; 60 215, 233; 66 337, 355; BGHSt 19 90; Maunz/Dürig/SchmidtAßmann Art. 103 Abs. 2, 196 GG; Hömig/ Hömig Art. 103, 11 GG; Sachs/Degenhart Art. 103, 59 GG. Vgl. u.a. BVerfGE 109 133; BGHSt 24 103,
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106; Jarass/Pieroth Art. 103, 47 GG; Peglau NJW 2001 2436; Maunz/Dürig/SchmidtAßmann Art. 103 II, 244 GG („noch eben“); Lackner/Kühl § 1, 8. Deutlich insbesondere BVerfGE 109 133, 167: Der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG umfasse nur staatliche Maßnahmen, die eine missbilligende, hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient. Dies treffe auf Maßregeln nicht zu. Vgl. u.a. Stratenwerth/Kuhlen § 3, 12; Roxin AT I, § 5, 56; Ullenbruch NStZ 1998 325, 330; Kinzig StV 2000 330, 335; zaghaft auch: Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 II, 21 GG, Fn. 73; Mitterhuber 19 sieht die Sicherungsverwahrung aus dem Blickwinkel des StGB weiterhin rechtsdogmatisch als Maßregel an, woran auch die Annäherung an Strafe nichts zu ändern vermag. Jedoch kommt ihr im Rahmen des Rückwirkungsverbots Bedeutung zu, indem sie dort unter den weiteren Strafbegriff falle.
Robert Esser
Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
Art. 15 Abs. 1 IPBPR vereinbar angesehen.101 Zur Sicherungsverwahrung siehe ausführlich Rn. 34 ff. d) Der Schutzbereich des Art. 7 EMRK ist auf eine „Verurteilung“ bzw. „Verhängung 31 von Strafe“ beschränkt. Insbesondere wird unterschieden zwischen Maßnahmen, welche selbst eine Strafe darstellen und solchen, die lediglich den Vollzug bzw. die Vollstreckung einer Strafe betreffen. Nachträgliche Änderungen von Maßnahmen und Modalitäten der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs werden daher nicht von der Norm erfasst, solange der Charakter der Sanktion dadurch nicht grundlegend verändert wird.102 Ebenso werden die nachträgliche Einführung von Maßnahmen zur Förderung der Resozialisierung des Täters103 oder die Regelungen über die Eintragungen ins Strafregister104 oder sonstigen Registern und Datenbanken105 nicht dem Verbot unterstellt. Beugemaßnahmen fallen weder in den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG 106 32 noch in den der Art. 7 EMRK / Art. 15 IPBPR. Gleiches gilt für andere Maßnahmen des Verwaltungszwangs oder sonstige belastende Maßnahmen der öffentlichen Gewalt107 oder bürgerlich-rechtliche Ansprüche,108 wie den Anspruch auf Schmerzensgeld. e) Verfahrensregelungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 33 EMRK und Art. 15 IPBPR.109 Dies gilt auch für Verjährungsvorschriften, die nachträglich aufgehoben oder verlängert werden können, da dies nichts daran ändert, dass die Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung bereits mit Strafe bedroht war.110 Ob etwas anderes gilt, wenn die Tat bereits verjährt war, bevor das Verlängerungsgesetz erlassen wurde, ließ der EGMR offen.111
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So Begr. zu Art. 2 Abs. 6 StGB Entw. 1962, BTDrucks. 4 650 S. 108; ein Teil der Kommentare zu § 2 Abs. 6 StGB mit dem Hinweis, dass auch andere Unterzeichnerstaaten zwischen Strafe und Maßregel unterscheiden: vgl. z.B. LK/Jescheck Einl. 109 ff.; ferner etwa Peglau NJW 2000 179, 181. EGMR (GK) Kafkaris/ZYP (Fn. 26), § 150 (Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe wird nicht durch die rückwirkende Änderung der Strafvollstreckungspraxis tangiert); Grava/I, 10.6.2003, § 51; EKMR Hogben/UK (E), 3.3.1986, D.R. 46, S. 231, § 4; EKMR Hosein/UK, 28.2.1996; Frowein/Peukert 8; Grabenwarter § 24, 130; Meyer-Ladewig 6; Villiger 537. Vgl. Nowak 16; HRC A.R.S./Kanada, 28.10.1981, 91/1981, EuGRZ 1982 528 (nachträgliche Einführung einer obligatorischen Bewährungshilfe in Kanada keine Strafe). Grabenwarter § 24, 130; KK-EMRKGG/Kadelbach Kap. 15, 37. EGMR Bouchacourt/F, 17.12.2009; Gar-
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del/F, 17.12.2009; M.B./F, 17.12.2009 (Datenbank zur Registrierung verurteilter Sexualstraftäter). Vgl. etwa v. Münch/Kunig Art. 103 Abs. 2, 20 GG. Vgl. EGMR Lawless/IR, 1.7.1961; Partsch 175; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 17 m.w.N. EKMR bei Partsch 175. EKMR bei Frowein/Peukert 8; Villiger 537; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 35; Trechsel 111. EGMR Coeme u.a./B, 22.6.2000, ECHR 2000-VII; BVerfGE 25 269, 289; MeyerLadewig 10; vgl. auch EGMR G/F, 27.9.1995, A 325-B; Grabenwarter § 24, 134; KK-EMRK-GG/Kadelbach Kap. 15, 36; ferner das Übereinkommen über die Nichtanwendbarkeit gesetzlicher Verjährungsfristen auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 26.11.1968 (Simma/Fastenrath Nr. 16). EGMR Coeme u.a./B (Fn. 110); SK/Paeffgen 12 m.w.N.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
8. Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) als Strafe i.S.v. Art. 7 EMRK 34
a) Bezüglich der Sicherungsverwahrung ist der Streit, ob Maßregeln als Strafe anzusehen sind, nun vom EGMR – bezogen auf Art. 7 EMRK – im Fall M./D entschieden worden. Unter Berufung auf § 67d Abs. 3 StGB i.d. im Jahr 1998 geänderten Fassung, der die bis dahin geltende Höchstdauer von 10 Jahren bei einer (erstmalig) im Urteil verhängten Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB) aufhob und i.V.m. Art. 1a Abs. 3 EGStGB auch auf Fälle der Sicherungsverwahrung vor Inkrafttreten der geänderten Bestimmung erstreckte, hatte das LG Marburg im Jahr 2001 die weitere Unterbringung des vielfach vorbestraften Beschwerdeführers über die 10-Jahres-Grenze hinaus angeordnet. Der EGMR sah in der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die zur Tatzeit geltende zehnjährige Höchstdauer hinaus eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EMRK. Dabei arbeitete der Gerichtshof die tatsächlichen Parallelen zwischen Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung heraus und ordnete die Sicherungsverwahrung entgegen der Ansicht des BVerfG112 anhand der Welch-Kriterien überzeugend als Strafe i.S.v. Art. 7 EMRK ein.113 Die Sicherungsverwahrung sei wie die Freiheitsstrafe eine staatliche Reaktion auf schwere, schuldhafte Taten; sie stelle eine Freiheitsentziehung dar, werde wie eine Freiheitsstrafe vollzogen und beinhalte keine speziellen Therapiemaßnahmen.114 Hiermit bestätigt der Gerichtshof diejenigen Stimmen in der Literatur, welche die Sicherungsverwahrung seit jeher als Etikettenschwindel anprangern und daher eine Gleichstellung beim verfassungsrechtlichen Schutz fordern.115
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BVerfGE 109 133; zust. u.a. Sprung Nachträgliche Sicherungsverwahrung – verfassungsgemäß? (2009) 173 f.; Milde Die Entwicklung der Normen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung in den Jahren von 1998 bis 2004 (2006), 110 f. EGMR M./D, 17.12.2009, NJW 2010 2495 = NStZ 2010 263 = EuGRZ 2010 25 (nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB über die zur Tatzeit geltende zehnjährige Höchstdauer hinaus); zust. Müller StV 2010 207; Kinzig NStZ 2010 233; Laue JR 2010 198; Möllers ZRP 2010 153, 154. Im Rahmen von Art. 7 EMRK auch schon IK-EMRK/ Renzikowski 32; Finger Vorbehaltene und Nachträgliche Sicherungsverwahrung (2008), 221 f. Der Bf. M. wurde, nachdem das Urteil des EGMR am 10.5.2010 durch die Ablehnung der Verweisung an die GK endgültig geworden war (Art. 43 Abs. 2 EMRK), aus der Sicherungsverwahrung entlassen, die Maßregel wurde für erledigt erklärt; vgl. OLG Frankfurt Beschl. v. 24.6.2010 – 3 Ws 485/10, NStZ 2010 573; kritisch zur Dauer bis zur Entlassung Pollähne KJ 2010 255, 256 f. Vgl. u.a. zu Art. 103 Abs. 2 GG: Best ZStW 114 (2002) 88 ff.; Kinzig StV 2000 330, 332; Laubenthal ZStW 116 (2004) 703;
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Mushoff KritV 2004 137; Jung GA 2010 639 (Straftat und Maßregeln bilden ein „Sanktionengeflecht“); siehe schon Jung FS Wassermann 875 (Plädoyer für eine allgemeine Anwendung des Rückwirkungsverbots auf Maßregeln); jetzt auch Pollähne KJ 2010 255. Das HRC, Dean/Neuseeland, 29.3.2009, CCPR/C/95/D/1512/2006 hat entschieden, dass die Verhängung einer Präventivhaft von 10 Jahren keinen Verstoß gegen Art. 15 IPBPR darstellt, obwohl auf den Bf. der (spätere und mildere) Sentencing Act 2002 nicht angewendet wurde, der anstelle der zugrunde gelegten 10-jährigen Mindestdauer der Präventivhaft, innerhalb derer keine Freilassung auf Bewährung (parole) erfolgen kann, eine derartige Mindestdauer von fünf Jahren vorsieht; ob auch unter Anwendung des milderen Gesetzes (des Sentencing Act von 2002) der Bf. tatsächlich früher aus der Haft entlassen worden wäre, hänge von vielen Faktoren ab und sei demnach Spekulation. Die Frage, ob gesetzliche Änderungen (Milderungen), die nach dem Schuldspruch erfolgen, sowie gesetzliche Erleichterungen hinsichtlich der Möglichkeit zur Freilassung auf Bewährung überhaupt zum Strafbegriff und zum Begriff des milde-
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Art. 15 IPBPR
Der EGMR hat seine Leitlinien aus dem Fall M. in mehreren der von den OLGs 35 unterschiedlich beurteilten Parallelfällen bekräftigt.116 Auch die staatliche Schutzpflicht aus Art. 3 EMRK, die sich auch auf Misshandlungen und Bestrafungen durch Privatpersonen (hier: zur Entlassung anstehende Straftäter) erstrecke,117 kann nach Ansicht des EGMR eine Freiheitsentziehung über eine zur Tatzeit gesetzlich festgelegte Grenze hinaus nicht legitimieren, weil die Erfüllung dieser positiven Schutzpflicht nur Maßnahmen erlaubt, die ihrerseits mit der Konvention vereinbar sind.118 Für die aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) abzuleitende Schutzpflicht kann nichts anderes gelten. b) In seinem Urteil vom 4.5.2011 hatte sich das BVerfG mit diesen Vorgaben des 36 EGMR auseinanderzusetzen.119 Dabei hält das BVerfG an der Zweispurigkeit des deutschen Sanktionensystems ausdrücklich fest – d.h. an der Einteilung in primär präventive Zwecke verfolgende Maßregeln der Besserung und Sicherung einerseits, und in die repressiv wirkende, am Schuldgrundsatz orientierte Kriminalstrafe andererseits.120 Trotz der vom EGMR aufgezeigten und vom BVerfG bestätigten Missstände beim Vollzug der Sicherungsverwahrung, die dieser Maßregel einen strafähnlichen Charakter verleihen, dürfe die unterschiedliche Zwecksetzung und verfassungsrechtliche Legitimation nicht übersehen werden: diese verpflichte aber gerade nicht dazu, die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG der des Art. 7 EMRK vollständig anzugleichen. Zugleich weist das BVerfG aber darauf hin, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich freiheitsorientiert und therapiegerichtet zu vollziehen sei; es müsse ein deutlicher Abstand zwischen einem strafbedingten Freiheitsentzug und der Sicherungsverwahrung mit eindeutiger therapeutischer Ausrichtung zum Ausdruck kommen (sog. Abstandsgebot). Demzufolge müsse mit der Behandlung des Verurteilten schon im Strafvollzug121 und so früh begonnen werden, dass sie vor Strafende bereits abgeschlossen werden könne. Da die bisherige Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung dem nicht genüge, seien Bundes- und Landesgesetzgeber aufgefordert, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das an der Wiedererlangung der Freiheit ausgerichtet ist und so detaillierte Regeln vorsieht („gesetzliche
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ren Gesetzes des Art. 15 Abs. 1 IPBPR gehören, konnte offengelassen werden. EGMR Kallweit/D, 13.1.2011, §§ 66 ff., EuGRZ 2011 255 = NJOZ 2011 1494; Mautes/D, 13.1.2011, §§ 53 ff.; Schummer/D, 13.1.2011, §§ 65 ff. Eine Zurechnung von Handlungen Privater an den Staat findet statt, wenn diese wegen der besonderen Verhältnisse auch vom Staat zu (mitzu-)verantworten sind, weil sie von ihm geduldet wurden oder weil seine Organe sie hätten rechtzeitig erkennen und verhindern können (vgl. Art. 3 EMRK Rn. 27); vgl. Grabenwarter § 20, 36. EGMR Jendrowiak/D, 14.4.2011. BVerfG NJW 2011 1931; krit. Windoffer DÖV 2011 590. Anlass waren insgesamt vier Verfassungsbeschwerden: zwei gegen die die 10 Jahre überschreitende Sicherungsverwahrung bei Anlasstaten, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 begangen wurden
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(Konstellation des Urteils M./D); eine zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen nach § 7 Abs. 2 JGG sowie eine über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB a.F. Der EGMR hat dieses Einschwenken des BVerfG auf seine Interpretation ausdrücklich begrüßt, vgl. EGMR Schmitz/D, 9.6.2011, § 41, und Mork/D, 9.6.2011, § 54. Auch Schöch FS Roxin II 1210 f. sieht angesichts der Zweispurigkeit und unter Berufung auf das Abstandsgebot keinen Verstoß gegen Art. 7 EMRK. Also noch vor der Sicherungsverwahrung, damit deren Vollstreckung nach Möglichkeit gar nicht erst beginnen muss (§ 67c Abs. 1 StGB); BVerfG NJW 2011 1931, 1938: „Kommt Sicherungsverwahrung in Betracht, müssen schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren.“
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Regelungsdichte“),122 dass in maßgeblichen Fragen der Exekutive und Judikative keine Entscheidungsmacht mehr belassen ist. Die autonome Interpretation des Begriffs Strafe in Art. 7 EMRK sei der rechtlichen Vielfalt im übrigen zugänglich und ermögliche eine gewisse Flexibilität der einzelnen Mitgliedsstaaten in der Ausgestaltung ihres Sanktionensystems.123 Das BVerfG hatte zuvor mehrfach Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung 37 (§ 32 BVerfGG) abgelehnt und die Betroffenen auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen.124 Die Folgen des EGMR-Urteils M./Deutschland für die deutsche Rechtsordnung zeich38 nen sich immer klarer ab, weil mit den oben beschriebenen Leitlinien des BVerfG (Rn. 36) nun konkrete Anweisungen an Gesetzgeber und Justiz vorliegen. Abzuwarten bleibt die erforderliche gesetzliche Neuregelung, die sich an den (erfreulich) detaillierten verfassungsgerichtlichen Vorgaben zu orientieren haben wird.
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c) Vor dem Urteil des BVerfG waren als erste die deutschen Strafgerichte zur Umsetzung der Straßburger Leitlinien aufgerufen.125 Die Frage, ob auch die Sicherungsverwahrten in den sog. Parallelfällen, in denen die (anfängliche) Sicherungsverwahrung ebenfalls rückwirkend länger als zehn Jahre vollstreckt wird, freizulassen sind, wurde von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet. Maßgeblich war, ob § 2 Abs. 6 StGB dahingehend konventionskonform ausgelegt werden konnte bzw. musste, dass Art. 7 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR eine „andere gesetzliche Bestimmung“ i.S. dieser Norm war, nach der nicht das Entscheidungsrecht, sondern das Tatzeitrecht anwendbar ist,126 oder ob einem solchen Ansatz der Wille des
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BVerfG NJW 2011 1931, 1938; das BVerfG ordnet die zu treffenden Regelungen, auch soweit sie im Strafvollzug und damit zeitlich vor der Sicherungsverwahrung greifen (vgl. Fn. 121), ausdrücklich nicht als „Strafvollzug“ ein, wofür der Bund seit 2006 keine Gesetzgebungskompetenz mehr hätte, sondern erkennt dem Bund gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz zu, wovon dieser auch Gebrauch machen und „die wesentlichen Leitlinien des freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts“ regeln muss, damit das Konzept „nicht durch landesrechtliche Regelungen unterlaufen werden kann“, BVerfG NJW 2011 1931, 1941. Zutreffend weist Renzikowski ZIS 2011 531, 534 darauf hin, dass allein eine andere Vollzugsweise der Sicherungsverwahrung nicht den Strafcharakter nehmen kann, da maßgebliches Kriterium die Eingriffsintensität insgesamt ist. Damit kritisiert er das BVerfG, das allein das Abstandsgebot zur Rechtfertigung einer Differenzierung heranzieht. BVerfG Beschl. v. 22.12.2009 – 2 BvR 2365/09; Beschl. v. 19.5.2010 – 2 BvR
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769/10, NJW 2010 2501 = EuGRZ 2010 385; Beschl. v. 5.8.2010 – 2 BvR 1646/10; Beschl. v. 16.8.2010 – 2 BvR 1762/10; vgl. auch BVerfG Beschl. v. 30.6.2010 – 2 BvR 571/10 (zur nachträglichen Sicherungsverwahrung). Kritisch Pollähne KJ 2010 255, 258 („Karlsruher Landrecht“). Kritisch zur Umsetzung der EGMR-Vorgaben (vor dem Urteil des BVerfG v. 4.5.2011) durch die deutschen Gerichte: Gaede HRRS 2010 329. So OLG Frankfurt Beschl. v. 1.7.2010 – 3 Ws 539/10, NStZ-RR 2010 321; OLG Hamm Beschl. v. 6.7.2010 – 4 Ws 157/10; Beschl. v. 22.7.2010 – 4 Ws 180/10; Beschl. v. 29.7.2010 – 4 Ws 193/10; OLG Karlsruhe Beschl. v. 15.7.2010 – 2 Ws 458/09; Beschl. v. 15.7.2010 – 2 Ws 44/10; anders aber in Bezug auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung OLG Frankfurt Beschl. v. 1.7.2010 – 3 Ws 418/10, NStZ-RR 2010 321 (Rechtskraft des die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteils stehe entgegen, nur Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 StPO möglich). Für eine Entlassung schon OLG Hamm Beschl. v. 12.5.2010 – 4 Ws 114/10.
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Gesetzgebers127 bzw. das mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) ausgestattete Urteil des BVerfG im Fall M. aus dem Jahre 2004128 entgegenstand.129 Der durch die konträren OLG-Beschlüsse durchaus als chaotisch zu bezeichnenden 40 Situation begegnete der Gesetzgeber durch eine am 30.7.2010 in Kraft getretene Änderung des GVG, wonach ein OLG, das bei seiner Entscheidung über die Erledigung der Sicherungsverwahrung von einer nach dem 1.1.2010 ergangenen Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will, die Sache dem BGH vorzulegen hat (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG n.F. – sog. Divergenzvorlage).130 Nachdem mehrere Oberlandesgerichte die Rechtsfrage dem BGH vorgelegt hatten,131 41 entschied der 5. Strafsenat mit Beschluss v. 9.11.2010132, § 67d Abs. 3 StGB a.F. einschränkend auszulegen und eine rückwirkende Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus nur noch zuzulassen, wenn „eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist“. Mit demselben Beschluss hat der 5. Strafsenat außerdem bei den anderen vier Strafsenaten angefragt,133 ob, wie oben ausgeführt, sich aus der EMRK eine „andere Bestimmung“ i.S.d. § 2 Abs. 6 StGB ergebe, die die Rückwirkung ausschließen würde. Die übrigen Strafsenate haben zwar in ihren Antworten die Rechtsfrage nicht in gleicher Weise beurteilt, dennoch unterblieb ausnahmsweise die Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen, da nach den Antworten der anderen Strafsenate die oben dargestellte Entscheidung des BVerfG erging; der 5. Strafsenat hat die Rechtsfrage dann mit Beschluss vom 23.5.2011 im Sinne der Vorgaben des BVerfG entschieden.134 Da der EGMR die Sicherungsverwahrung insgesamt als Strafe iSv Art. 7 Abs. 1 42 EMRK eingeordnet hat, ist die rückwirkende Anwendung auch anderer Arten der Sicherungsverwahrung auf Taten, die vor dem jeweiligen Inkrafttreten der Norm begangen wurden, konventionswidrig.135 Diese Konsequenz hatte der 4. Strafsenat des BGH schon kurz nach der Endgültigkeit des EGMR-Urteils in Bezug auf die nachträgliche Anord-
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So OLG Stuttgart Beschl. v. 1.6.2010 – 1 Ws 57/10 (keine sofortige Entlassung); OLG Celle Beschl. v. 25.5.2010 – 2 Ws 169/10, NStZ-RR 2010 322. BVerfGE 109 133. So OLG Koblenz Beschl. v. 7.6.2010 – 1 Ws 108/10; OLG Köln Beschl. v. 14.7.2010 – 2 Ws 428/10; Beschl. v. 14.7.2010 – 2 Ws 431/10; ebenso im Ergebnis auch OLG Nürnberg Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ws 315/10 (juris – nur Leitsätze); Beschl. v. 7.7.2010 – 1 Ws 342/10 (juris – nur Leitsätze). Gegen eine Entlassung außerdem schon OLG Koblenz Beschl. v. 30.3.2010 – 1 Ws 116/10, JR 2010 306 (mangels Endgültigkeit des EGMR-Urteils); Beschl. v. 17.5.2010 – 2 Ws 573/09 (Fortführung des Beschwerdeverfahrens). Viertes Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (4. GVGÄndG) v. 24.7.2010 (BGBl. I S. 976). OLG Nürnberg Beschl. v. 4.8.2010 – 1 Ws 404/10, NStZ 2010 574; OLG Köln Beschl.
v. 12.8.2010 – 2 Ws 488/10, BeckRS 2010 20734; OLG Stuttgart Beschl. v. 19.8.2010 – 1 Ws 57/10; eine Vorlagepflicht verneint dagegen OLG Karlsruhe Beschl. v. 4.8.2010 – 2 Ws 227/10, NStZ-RR 2010 322. 132 BGH NJW 2011 240. 133 Anfragebeschluss; Anfragebeschluss beim 4. Strafsenat gem. § 132 Abs. 3 GVG, da der 4. Strafsenat die Rechtsfrage vorher anders entschieden hatte als der 5. Strafsenat entscheiden wollte, BGH NJW 2011 240, 244; Anfragebeschluss bei den übrigen Strafsenaten wegen grundsätzlicher Bedeutung, BGH a.a.O. 244, dort auch zur Zulässigkeit einer derartigen Anfrage bei den übrigen Strafsenaten. 134 BGH NJW 2011 1981; zu den Antworten der anderen Strafsenate vgl. Punkt 3 der Gründe (1982). 135 Näher Müller StV 2010 207; Kinzig NStZ 2010 233; Laue JR 2010 198; Pollähne KJ 2010 255, 261, 263.
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nung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB (a.F.) gezogen und diese Art der Sicherungsverwahrung wegen der Rückwirkung nicht verhängt.136 Anderes kann hingegen weiterhin für schuldunabhängige Maßregeln wie etwa die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gelten.137
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d) Als Reaktion auf das Urteil des EGMR im Fall M. hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 138 eine grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung in die Wege geleitet.139 Beschlossen wurde unter anderem eine Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung (Beschränkung des Anwendungsbereichs), ein Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung und die weitgehende Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 und 2 StGB) für künftige Fälle. Zudem wurde die Möglichkeit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht eingeführt. Die sog. Parallelfälle zum Urteil des EGMR, die sonst eigentlich entlassen werden 44 müssten, sollen nun durch das am 1.1.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG) erfasst werden. Mit diesem „Kunstgriff“ versucht der Gesetzgeber zu vermeiden, dass auch die neue Unterbringungsform wieder als „Strafe“ i.S.v. Art. 7 Abs. 1 EMRK angesehen wird. Interessant in diesem Kontext ist der 2004 in Kraft getretene § 66b Abs. 3 StGB a.F., 45 seit 1.1.2011 (der alleinige Absatz des) § 66b StGB. Er betrifft Personen, die zunächst im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden (§ 63 StGB), bei denen jedoch eine weitere Vollstreckung der Maßnahme aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit oder mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr möglich ist. Gemäß § 66b StGB kann für diese Fälle die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Hierbei gingen der BGH wie auch das BVerfG davon aus, dass im Kern nur eine Überweisung von einer Maßnahme in die andere (Maßregel) und gerade keine erstmalige Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme erfolgt.140 Inwiefern die nachträgliche Sicherungsverwahrung aber das „Etikett“ der Strafe damit beseitigen will, bleibt
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BGH Beschl. v. 12.5.2010 – 4 StR 577/09, NStZ 2010 567 = StraFo 2010 297 = EuGRZ 2010 359 (dieser Beschluss des 4. Strafsenats war Anlass für den oben geschilderten Anfragebeschluss des 5. Strafsenats, BGH NJW 2011 240; § 66b Abs. 3 StGB a.F. ist seit dem 1.1.2011 der einzige Absatz von § 66b StGB und wurde, wie oben ausgeführt, vom BVerfG mit Urteil v. 4.5.2011 für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt); zurückgestellt bis zur Endgültigkeit des EGMR-Urteils noch durch Beschl. v. 11.2.2010 – 4 StR 577/09; a.A. in Bezug auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG wegen der Besonderheiten des Jugendstrafrechts aber BGH NJW 2010 1539 = NStZ 2010 381 = StV 2010 515, Rn. 60 ff.; dazu kritisch Eisenberg NJW 2010 1507, 1508 f.
734
137 138 139 140
sowie Möllers ZRP 2010 153. Vgl. auch BGH Beschl. v. 6.7.2010 – 5 StR 142/10, NStZ-RR 2011 41. Best ZStW 114 (2002) 88; IK/Renzikowski 32. In Kraft seit dem 1.1.2011; vgl. auch BT-Drucks. 17 4062. Ausführlich sowie teils krit. hierzu: Kinzig NJW 2011 177. BGHSt 52 379 = NJW 2009 1010, sowie BVerfG NJW 2010 1514, dort damals noch für verfassungsgemäß befunden; Mitterhuber 20 fordert, dass „über die Tradition der Zweispurigkeit hinaus der Blickwinkel zugunsten der Rechtswirklichkeit geöffnet wird“: Nur die autonome Auslegung des Begriffs „Strafe“ vermag einen effektiven Schutz gegen Willkür zu gewährleisten.
Robert Esser
Keine Strafe ohne Gesetz
Art. 15 IPBPR
unklar: Die Unterbringung erfolgt gerade aufgrund der Erledigung nicht mehr in Anstalten des psychiatrischen Krankenhauses, sondern in Anstalten für den Vollzug der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Eine vorige Unterbringung ändert am vom EGMR angeprangerten „Etikettenschwindel“ gerade nichts. Im o.g. (Rn. 36) Urteil vom 4.5.2011 hat das BVerfG dementsprechend § 66b StGB 46 n.F. offensichtlich als Kunstgriff entlarvt und für unvereinbar mit der Verfassung erklärt, ohne diesen Aspekt bzw. diese Rechtsnorm im Urteil näher auszuführen;141 auch der weitgehend gleichlautende § 66b Abs. 3 StGB a.F. wurde für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, und auch hierzu erfolgen im Urteil keine näheren Ausführungen. Da das BVerfG den Kunstgriff bzw. den Etikettenschwindel als solchen entlarvt hat, wird die erforderliche gesetzliche Neuregelung dafür Sorge zu tragen haben, dass das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen auf ein Unterbleiben der Anordnung einer Sicherungsverwahrung berücksichtigt wird und ein rückwirkender Ausspruch der Sicherungsverwahrung in allen Varianten, nicht nur, aber auch im Fall des derzeitigen § 66b StGB, nur erfolgt, wenn zum einen das Abstandsgebot gewahrt wird und daneben insbesondere eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Nur für diesen Fall ist das Vertrauen der Betroffenen auf ein Unterbleiben einer rückwirkenden Sicherungsverwahrung ausnahmsweise nicht schutzwürdig.142 9. Ausnahme der Absätze 2. Die Ausnahme der Absätze 2, wonach Absatz 1 der Ver- 47 urteilung oder Bestrafung einer Person nicht entgegensteht, wenn die Handlung im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von der „Völkergemeinschaft“ (IPBPR) bzw. von den „zivilisierten Völkern“ (EMRK) allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar
141
142
Vgl. BVerfG NJW 2011 1931, 1933 („§ 66b des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes […] vom 22. Dezember 2010 [ist] mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar“). Vgl. BVerfG NJW 2011 1931, 1933, 1941, 1944; zusätzlich zu den oben im Text genannten Bedingungen verlangt das BVerfG, dass die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK erfüllt sind. Das BVerfG nimmt außerdem ausdrücklich keine vollständige Angleichung von Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 103 GG vor (a.a.O. 1942), da jedoch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK entweder vorsieht, dass die Sicherungsverwahrung mit der Schuldfeststellung verknüpft ist (lit. a; dann keine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, schon gar nicht rückwirkend), oder dass der Betroffene psychisch krank ist (lit. e; eine andere Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK kommt de facto so gut wie nicht in Betracht, vgl. ausführlich bei Art. 5 EMRK Rn. 83 ff.), sind bei
Wahrung der sonstigen Voraussetzungen (insb. Abstandsgebot im Vollzug) Konstellationen nur schwer vorstellbar, in denen die nunmehrige deutsche (Verfassungs-) Rechtslage bezogen auf Art. 7 EMRK konventionswidrig ist. Vorstellbar bleibt aber der Fall, dass eine psychische Krankheit voreilig angenommen wird (es ist also eine hohe Qualität der Sachverständigengutachten anzumahnen) und der schon mehrfach zu beklagende Etikettenschwindel nun an dieser Stelle auftritt. Weitere aussichtsreiche Menschenrechtsbeschwerden wären für diesen Fall bereits vorgezeichnet. Die Auslegung der psychischen Krankheit durch das BVerfG ist ohnehin schon nicht gerade eng; so soll die psychische Störung i.S.d. § 1 ThUG für die Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK ausreichen und bereits unterhalb der Schwelle der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB vorliegen können; näher dazu Art. 5 EMRK Fn. 432, 435.
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EMRK Art. 7
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
war,143 sollte nach den Motiven144 die auf rückwirkende Vorschriften gestützten Prozesse der Siegermächte gegen Kriegsverbrecher, vor allem auch die Nürnberger Prozesse, und die Prozesse in verschiedenen Ländern gegen Kollaborateure,145 absichern. Die Ausnahmeregelung gilt unabhängig von dem Anlass für ihre Aufnahme fort. Sie 48 greift ein, wenn nationales Recht Taten privilegiert, die nach den allgemein in der Völkergemeinschaft anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar sind.146 Diese Rechtsgrundsätze brauchen aber, anders als bei Absatz 1, nicht in verbindlichen Völkerrechtssätzen selbst ihren Ausdruck gefunden haben. Wenn auch Vieles in der Begriffsbildung noch offen und umstritten ist (vgl. die noch fehlende konkrete Definition von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“), dürfte es genügen, dass ein Verhalten weltweit im nationalen Strafrecht der einzelnen Staaten als Straftat angesehen wird, so dass auch der Täter über die grundsätzliche Strafbarkeit seines Verhaltens keinen Zweifel haben konnte, wie dies bei verschiedenen Grunddelikten, etwa Tötungsdelikten oder anderen Gewaltverbrechen, der Fall ist. Nur wenn diese Voraussetzung, die wohl nur theoretisch enger ist als die „von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze“ (Art. 7 Abs. 2 EMRK), vorliegt, schließt Absatz 1 nicht aus, dass solche Taten nachträglich durch Gesetz für strafbar erklärt und verfolgt werden.147 Sie ermächtigt aber nicht dazu, durch Völkerrecht selbst neue Strafbestimmungen rückwirkend zu schaffen148 und sie schließt an sich nicht aus, dass inländisches Verfassungsrecht für das Rückwirkungsverbot durch die Forderung der Aufnahme der Strafbarkeit in das geschriebene Recht eine engere Grenze festlegt (vgl. Art. 53 EMRK; Art. 5 Abs. 2 IPBPR).149
143
144 145
146 147
Auf die von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätze stellt auch Art. 38 Abs. 1 lit. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs ab; vgl. Grabenwarter § 24, 136. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Frowein/ Peukert 11; Nowak 6, 18; Partsch 171 ff. Vgl. EGMR De Becker/B, 27.3.1962, A 4; Ambos StV 1997 39, 41; Frowein/Peukert 12 unter Hinweis auf EKMR; Grabenwarter § 24, 136; Meyer-Ladewig 22; KK-EMRKGG/Kadelbach Kap. 15, 42. Vgl. ferner Art. 24 ICC-Statut. Der gleiche Grundgedanke findet sich in Art. 1 lit. b des Übereinkommens vom 26.11.1968 (vgl. Fn. 110), wonach Verbre-
736
148
149
chen gegen die Menschlichkeit auch solche Handlungen sein können, die nach dem innerstaatlichen Recht des Landes, in dem sie begangen wurden, nicht strafbar sind. Nowak 19; Art. 24 Abs. 1 ICC-Statut schreibt ebenfalls vor, dass niemand nach diesem Statut für ein Verhalten strafrechtlich verantwortlich ist, das vor seinem Inkrafttreten stattgefunden hat. Zur Problematik des Verhältnisses zwischen Art. 7 Abs. 2 EMRK und dem innerstaatlichen Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG bei der Strafbarkeit der Schüsse an der innerdeutschen Grenze vgl. BVerfGE 95 99 = StV 1997 14; Ambos StV 1997 39 ff.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Art. 8 EMRK (Art. 17, 23, 24 IPBPR) EMRK Artikel 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Art. 2 des (1.) ZP-EMRK Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. IPBPR Artikel 17 (1) Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. (2) Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. Artikel 23 (1) Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. (2) Das Recht von Mann und Frau, im heiratsfähigen Alter eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wird anerkannt. (3) Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. (4) Die Vertragsstaaten werden durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, daß die Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Für den nötigen Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe ist Sorge zu tragen. Artikel 24 (1) Jedes Kind hat ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens oder der Geburt das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.
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EMRK Art. 8
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
(2) Jedes Kind muss unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register eingetragen werden und einen Namen erhalten. (3) Jedes Kind hat das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben. Schrifttum (Auswahl) Anders Zur Problematik öffentlicher Sexualstraftäterdateien, JR 2011 190; Behnsen Das Recht auf Privatleben und die Pressefreiheit – Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Hannover ./. Deutschland, ZaöRV 65 (2005) 239; Breitenmoser Der Schutz der Privatsphäre gemäß Art. 8 EMRK (1986); Brötel Der Schutz des Familienlebens, RabelsZ 1999 580; Bulach Die konstitutionelle Rolle des EGMR im europäischen Grundrechtsschutzsystem durch Auslegung und Fortentwicklung der gemeinsamen Grundwerte unter besonderem Bezug auf Art. 8 EMRK (2007); Caroni Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration (1999); Choudhry/Herring Human Rights and Family Law (2009); Czech Das Recht auf Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Verletzungen durch mediale Berichterstattung, ÖJZ 2010 113; Dünkel Kontakte von Gefangenen mit der Außenwelt und europäische Menschenrechtsstandards, ZfStrVo 2008 262; Dünkel Strafvollzug und die Beachtung der Menschenrechte, FS Jung 99; Ellger Die Europäische Menschenrechtskonvention und deutsches Privatrecht, RabelsZ 1999 625; Engels/ Jürgens Auswirkungen der EGMR-Rechtsprechung zum Privatsphärenschutz – Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung des „Caroline“-Urteils im deutschen Recht, NJW 2007 2517; Ennöckl Die Zulässigkeit von Informationseingriffen in der Rechtsprechung des EGMR, FS Machacek u. Matscher (2008) 95; Ennulat Datenschutzrechtliche Verpflichtungen der Gemeinschaftsorgane und -einrichtungen; Esser/Gruber Einsatz von Körperscannern zur Terrorismusbekämpfung – im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention? ZIS 2011 379; Esser Europäischer Datenschutz – Allgemeiner Teil – Mindeststandards der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz (2008), 281; Fahrenhorst Familienrecht und Europäische Menschenrechtskonvention (1994); Fahrenhorst Fortpflanzungstechnologien und EMRK, EuGRZ 1988 125; Fahrenhorst Sorge- und Umgangsrecht nach der Ehescheidung und die EMRK, FamRZ 1988 238; Frenz Europäischer Datenschutz und Terrorabwehr, EuZW 2009 6; Friedrich Grundrechtlicher Persönlichkeitsschutz und europäische Privatsphärengarantie (2009); Fritzsch Der Schutz sozialer Bindungen von Ausländern – eine Untersuchung zu Art. 8 EMRK (2009); Gaede Das Verbot der Umgehung der EMRK durch den Einsatz von Privatpersonen bei der Strafverfolgung, StV 2004 46; Giegerich Schutz der Persönlichkeit und Medienfreiheit nach Art. 8, 10 EMRK im Vergleich zum Grundgesetz, RabelsZ 1999 471; Guder Die repressive Hörfalle im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention (2007); von Gunten Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (1992); Günes Europäischer Ausweisungsschutz (2009); Gusy Polizeiliche Datenerhebung und -verwendung nach der EMRK, FS Hilger 117; Hailbronner Die Einschränkung von Grundrechten in einer demokratischen Gesellschaft. Zu den Schrankenvorbehalten der EMRK, FS Mosler 359; Hammer Europäische Wende im Kirchlichen Arbeitsrecht?, AuR 2011 278; Hauer Die Polizeizwecke der Grundrechtsschranken der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 115; Henrich Der Schutz des „Familienlebens“ durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, FS Udo Steiner (2009) 294; Hillgruber/Jestaedt Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz nationaler Minderheiten (1993); Hornung Fortentwicklung des datenschutzrechtlichen Regelungssystems des Europarats, DuD 2004 719; Kley-Struller Der Schutz der Umwelt durch die Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1995 507; Kopper-Reifenberg Kindschaftsreform und Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK (2001); Kugelmann Schutz privater Individualkommunikation nach der EMRK, EuGRZ 2003 16; Lazarus Die Bedeutung der Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und der EMRK für die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft (2006); Lederer Quo vadis Bildberichterstattung (2008); Lehr Ansätze zur Harmonisierung des Persönlichkeitsrechts in Europa (2009); Matscher Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz iSd EMRK, ÖRiZ 2001 238; Maus Der grundrechtliche Schutz des Privaten im europäischen Recht (2007); Müller Der Schutz des Privatlebens Prominenter im deutschen und englischen Zivilrecht (2009); Neukamm Bildnisschutz in Europa (2007); Ott Ver-
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
deckte Ermittlungen im Strafverfahren (2008); Palm-Risse Der völkerrechtliche Schutz von Ehe und Familie (1990); Postberg Das Zusammenwirken von EMRK, Grundgesetz und EU-Grundrechtscharta anhand des Art. 52 III und des Art. 53 der Charta (2008); Prüttling Das Caroline-Urteil des EGMR und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2006); Sander Der Schutz des Aufenthalts durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (2008); Schorn Das Pflegekind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2010); Siemen Datenschutz als europäisches Grundrecht (2006); Tym Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts? EuGRZ 2006 541; Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet, MMR 2008 83; Villiger Expulsion and the right to respect for private and family life (Art. 8 of the Convention), FS Wiarda 657; Wenserski Geheimnisschutz nach Art. 8 MRK und die Einwirkungen auf das deutsche und englische Recht (1988); Wildhaber Die dänischen Sexual-Erziehungsfälle, EuGRZ 1976 493; Wittinger Familien und Frauen im regionalen Menschenrechtsschutz (1999).
Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Recht auf Privatheit als Schutzgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht auf Privatheit als Menschenrecht a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Spezielle Konventionsgewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . c) Völkerrechtliche Vereinbarungen . . 3. Verhältnis zum Verfassungsrecht . . . . 4. Tragweite der Konventionsgarantien – Allgemeine Grundsätze a) Schutzgehalt . . . . . . . . . . . . b) Träger der Rechte . . . . . . . . . . c) Eingriffe des Staates . . . . . . . . . d) Positive Schutzpflichten . . . . . . . e) Verfahrensgarantien . . . . . . . . . II. Zulässigkeitsvoraussetzungen für staatliche Regelungen und Eingriffe in die von Art. 8 Abs. 1 EMRK / Art. 17 IPBPR geschützten Bereiche 1. Rechtsbindung („Gesetzlichkeit“) der Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 17 IPBPR . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK a) Eingriffszweck . . . . . . . . . . . b) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft . . . . . . .
1 4 7 9 10
12 14 18 24 33
36 42
45 54
Rn. III. Geschützte Rechtsbereiche und Einzelrechte 1. Privatleben a) Begriff / Schutzbereich . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . c) Heimliche Aufzeichnungen / Verdeckte Ermittlungen . . . . . . . d) Datenschutz . . . . . . . . . . . . e) Positive Schutzpflichten . . . . . . 2. Familienleben a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Förderung der Beziehung von Eltern und Kind . . . . . . . c) Recht auf Aufenthalt / Ausweisung / Auslieferung . . . . . . . . . . . d) Verfahrensgarantien . . . . . . . . 3. Wohnung a) Begriff / Schutzbereich . . . . . . b) Eingriffsvoraussetzungen . . . . . c) Durchsuchung einer Wohnung als strafprozessuale Zwangsmaßnahme 4. Private Kommunikation a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . b) Eingriff / Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . c) Überwachung Strafgefangener . . d) Positive Schutzpflichten . . . . . . 5. Ehre und Ruf . . . . . . . . . . . .
. .
58 76
. . .
79 85 95
.
98
. 111 . 119 . 130 . 131 . 137 144 . 153 . . . .
155 158 165 166
Alphabetische Übersicht Abgrenzung Privatleben/Familienleben 107 Abgrenzung privat/öffentlich 58 ff. Abhörvorrichtung 82, 137, 140 Abtreibung 28, 61 Abwägung, Interessen- 10, 21, 26, 29, 31, 53, 55, 57, 89, 96, 118, 121 Abwehr staatlicher Eingriffe 39, 107 Adoption 101, 104, 117 Akten 34 f., 51
– Einsicht in 34 – Fürsorgeakten 34 – Geschäftsunterlagen 137 – Krankenakten 34, 51 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 4 Allgemeininteresse 29, 96 Anhörung des Betroffenen 34, 57, 130 Annexkompetenz 37 Anwesenheitsliste 60
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EMRK Art. 8
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Arzt – ärztliche Unterlagen 51 – freie Arztwahl 67 – medizinische Behandlung 68 Aufenthaltsrecht 119 ff. Aufzeichnung, systematische 79 Ausgewogenes Verhältnis („fair balance“) 23, 24, 34, 57 Auskunft – Anspruch 34 – über Telefonverbindungen 77, 153 – über Vermögensverhältnisse 78 Auslieferung 129 Ausweisung 119 ff. Äußere Erscheinung 66 Autonome Lebensgestaltung 58 Beobachtung, ständige 58 Berufliche Aktivitäten 58, 78 Beschlagnahme 51, 56, 63, 77, 140, 142, 146, 148, 165 Bestimmtheitsgrundsatz 28, 37 ff., 43, 45, 81, 89 Betretungsrecht > Wohnung Betreuungsverhältnis 103 Betriebsstätte 134 Beurteilungsspielraum des Staates 29 f., 39, 45, 52, 55, 91, 112, 125, 134 Beziehungen zu anderen Menschen 58, 65, 72 Bild, Recht am eigenen 26, 58, 69 Bild- und Tonaufnahmen 19, 26, 47, 58, 60, 64, 68 f., 79 ff., 140, 153, 156 – heimliche 19, 64, 79 ff., 137 Bildung 117 Blutentnahme 68 Briefgeheimnis 2, 157, 158 ff. Briefverkehr mit Verteidiger 162 ff. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 6 common law 36 Daseinsfürsorge 32 Datenbanken über Sexualstraftäter 62, 86 Datenschutz 6, 9, 11, 17, 55, 62, 82, 85 ff., 90 Demonstration 60 Diskriminierung 43, 56, 130, 143 DNA-Profil 38, 87, 91 Durchsuchung 56, 77, 133, 137, 142, 144 ff., 153 – Befehl 147, 149 Ehe 7, 98, 107 f., 116, 119, 127 Ehre 4 f., 12, 166 ff. Eingriff – durch Dritte 11, 165 – staatlicher 1 ff., 15 f., 18 ff., 31, 33, 36 ff., 58, 60, 65, 68, 70, 76 ff., 107, 112, 117, 120, 123, 130, 137 ff., 152, 155 ff., 166 – Notwendigkeit 27, 40 f., 43, 45, 48 ff., 54 f., 65, 84, 89, 91 f., 107, 112, 118, 125, 141 f., 159, 162 – Rechtsbindung 36 ff. Eltern 7, 9, 15, 51, 53, 66, 98 ff., 111 ff., 124, 129 E-Mail 153 Erbrecht 109 Erheblichkeitsschwelle 21, 166 Erkennungsdienstliche Behandlung 76 Ermessensspielraum > Beurteilungsspielraum des Staates
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fair balance > Ausgewogenes Verhältnis Faires Verfahren 33, 57, 92, 130, 163 Familie – Familienleben 1 ff., 5 f., 12, 15 ff., 31, 34, 57, 98 ff., 140, 158 – Geschwister 100 – Großeltern 100 – tatsächlich gelebte 12, 98 Festnahme > Inhaftierung Fingerabdruck 87, 91 Fotos > Bild- und Tonaufnahmen freie Entfaltung der Persönlichkeit 1, 10 Freiheitsentziehung 110 Freiheitsrechte 1 Gefängnis 27, 64, 110, 133, 160 ff. Gefahrenabwehr 138 Geheimhaltungspflichten 89 f. Gemeinwohl 76, 124 Geschäftsräume 56, 134, 148 Geschlechtsumwandlung 72 Gesetzgeber 24, 30, 65 Gesetz im materiellen Sinn 36 Gesetzesbindung > Eingriff, – Rechtsbindung Gesundheit 27 f., 46 f., 51, 53, 67, 90, 112, 139 – Daten 90 – Gefährdung 27, 139 Gleichgeschlechtliche Beziehung 99, 108 Haartracht 66, 76 Häftling > Strafgefangene Handlungsfreiheit, allgemeine 10 Häuslicher Lebensbereich 10, 26 Heilbehandlung 76 Heirat > Ehe Hörfalle 20, 156 Hundehaltung 61 Immissionen 58, 138 f. Individualbeschwerde 2 Inhaftierung 16, 71, 110 f. Interessenabwägung > Abwägung, InteressenIdentität, persönliche 55, 66, 126 Juristische Person 17, 134 Kaserne 133 Kernbereich der Persönlichkeitssphäre 10, 65 Kind 7, 9, 11, 16, 31, 51, 53, 57, 72, 98 ff., 124, 127 ff. – Erziehung 7, 98, 102, 112, 117 – Kindeswohl 53, 57, 112 f., 116, 128, 130 – nichteheliches 31, 100, 102, 106, 116 – Pflegekind 104 – Unterbringung 51, 113 Kleidung 66 Kommunikation 1, 6, 8, 11, 17, 19, 58, 65, 69, 84, 140, 153 ff. – mit dem EGMR 8, 157 – mit internationalen Einrichtunge 8 Kontradiktorisches Verfahren 130 Kontrollbefugnis des EGMR 55 f. Kontrollen, staatliche 27, 40, 60, 157, 158 ff. Kopien 140, 153 Korrespondenz 2 f., 12, 77, 153 ff., 158 ff. Lebensweise 67, 73 Massenmedien > Presseveröffentlichungen Meinungsfreiheit 166
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Menschenwürde 1, 10 Minderheiten 73 Minderjährige 14 f., 100, 111, 129 Missbrauch 82 f., 89, 130, 141 f., 146, 148, 150, 157, 162 Mitgliedstaaten als Vergleichsmaßstab 12, 54, 117 Moral 46, 52 f., 58 Namen 58, 61, 66, 98, 116 Nationales Recht 5, 12, 19, 30, 35, 36 f., 40, 42 ff., 81, 89, 93, 98, 107, 117, 130, 141, 146 Nationale Sicherheit 35, 46, 48, 82, 92, 125, 157 Nebenklage 25 Nichteheliche Gemeinschaft 99, 102 Notstand (Art. 15 EMRK) 48 Notwendigkeit (eines Eingriffs) 27, 40 f., 43, 45, 48 ff., 54 f., 65, 84, 89, 91 f., 107, 112, 118, 125, 141 f., 159, 162 Öffentliche Gewalt 1, 36, 137 Öffentliche Interessen 10, 23 f., 31, 34, 57 f., 98 Öffentliche Sicherheit und Ordnung 45 ff., 61, 124 Öffentlichkeit 21, 26, 35, 47, 51, 58 ff., 78, 83, 86, 90, 167 Öffentlichkeitsbezug eines Verhaltens 52, 59 Opfereigenschaft 19, 139 Optische Überwachung > Bild- und Tonaufnahmen Örtliche Anschauungen 65, 105 Petitionsrecht 157 Pflegerbestellung 51, 76 Pluralismus 54 Portokosten 160 Postgeheimnis 2 Postkarte 154 Presseveröffentlichungen 11, 26 Privatbereich 5, 10, 12, 19, 23, 24, 31, 36, 41, 42, 53, 56, 58 ff., 77 f., 86, 89, 153, 165 – funktionelle Abgrenzung 23, 59 Privatgespräch 59 Privatklage 25 Privatleben > Privatbereich Privatpersonen, staatliche Ermittlungen durch 20, 156 Psychiatrische Klinik 27, 76 Rechte und Freiheiten anderer 23, 26, 46, 53, 58, 73, 156, 166 Rechtsanwalt 25, 134, 148, 158, 162 f., 164 Rechtsbehelf, wirksamer 24, 93 Rechtsstaat 36, 54 Regelungspflicht des Staates > Schutzpflichten des Staates Regelungszweck 45, 49, 51 Religiöse Überzeugung 7, 117 Religionsfreiheit 7 Richterrecht 36 Richtervorbehalt 68, 83, 142, 145 Ruf > Ehre Sachverständigengutachten 130 Satzung 36 Scheidung 107 Schutzpflichten des Staates 11, 22, 24 ff., 33, 35, 53, 75, 95 ff., 107, 130, 139, 165, 168 Schwangerschaft 28, 61 Sexualleben 58, 73 Sozialversicherungsträger 90
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Speichelprobe 68 Staatsangehörigkeit 75, 126 f. Statusregelungen 18 Sterbehilfe 51, 70 Stimmenaufzeichnung > Bild- und Tonaufnahmen Strafgefangene 16, 47, 71, 97, 110, 133, 158 ff. Strafverfolgung 25, 47, 62, 77, 86, 137, 144 Strafvollzug 47 Strafvorschrift 11, 18, 25, 29 f., 129 Syndikusanwalt 164 Tagebuch 77 Telefonüberwachung 20, 40, 79, 81 f., 140, 160 Terrorismusbekämpfung 35, 54, 92, 162 Tonaufnahmen > Bild- und Tonaufnahmen Transsexuelle > Geschlechtsumwandlung Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern 9 Übereinkommen über die Rechte des Kindes 9 Übereinkommen zum Schutz personenbezogener Daten 9 Überwachungsmaßnahmen, geheime 10, 19, 40, 80 ff., 140, 157 Umwelteinflüsse 58, 138 f. Unabhängige Stelle 6, 35, 83, 130, 148 Unterhaltsgewährung 98, 103 Unterlassen des Staates 21 f., 139, 168 Untersuchung, körperliche 68 Vaterschaft 31, 61, 100 ff., 116 f. – Feststellung der 77, 111 Verdeckte Ermittlungen 79 ff. Verfahrensgarantien 33 ff., 130, 141 Verfassungsrecht, innerstaatliches 10 f. Verhältnismäßigkeit 32, 40, 44, 49, 53, 54, 56, 65, 77, 126, 129, 141, 144, 146, 148, 151 f., 163 Verhütung von Straftaten 46 ff., 71, 125, 157 Verjährung 32 Verkehrsvorschriften 21, 61 Verteidiger > Rechtsanwalt Videoüberwachung > Bild- und Tonaufnahmen Volkszählung 50 Vorratsdatenspeicherung 86 Vorenthalten von Post 161 Vorführung 51 Werbung 78 Wesensgehalt 56 Willkür 1, 4, 23, 35 ff., 42 ff., 75, 89, 94, 110, 130, 141, 146, 148 Wirtschaftliches Wohl des Landes 46, 50, 53, 152 Wohnungsbewirtschaftung 50, 137, 152 Wohnung 1 ff., 12, 17, 57, 65, 77 f., 131 ff., 154 – beruflich genutzte Räume 134 – Besteuerung der 136 – Betretungsrecht 138 – Durchsuchung 56, 77, 133, 137, 142, 144 ff., 153 – Wohnungsnahe Flächen 132 – Wohnrecht (Bewilligung / Entzug) 136, 137 Wort, Recht am gesprochenen 11 Züchtigungsrecht 117 Zustimmung – des Betroffenen 89, 137 – Dritter 34 Zwangsumsiedlung 137
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
I. Allgemeines 1
1. Recht auf Privatheit als Schutzgegenstand. Das Recht auf Privatheit im weit verstandenen Sinne als Anspruch auf Achtung des gesamten privaten Lebensbereiches, das auch dessen einzeln aufgeführte Schutzbereiche wie Familienleben, private Kommunikation und Wohnung mit einschließt, gehört zu den wesentlichen Freiheitsrechten des Menschen. Die Achtung seiner Menschenwürde erfordert, dass ihm für die Entwicklung seiner Persönlichkeit ein eigener Handlungs- und Rückzugsraum gesichert ist, wo er in freier Selbstbestimmung1 über seine private Lebensführung entscheiden kann.2 Die unvermeidliche Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft darf nicht so weit gehen, dass ihm kein geschützter Freiraum für die Entwicklung seines Eigenlebens und damit eines wesentlichen Teils der Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit verbleibt. Zweck von Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR ist es, den Einzelnen vor sachlich ungerechtfertigten oder willkürlichen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in seinen privaten Lebensbereich zu schützen, einschließlich seines Familienlebens, seines guten Rufs, seiner Wohnung und seiner Kommunikation mit anderen.3 Während im vergangenen Jahrhundert die Gewährleistung einzelner besonders 2 schutzwürdig erscheinender Rechte dieses Bereichs, wie etwa des Brief- oder Postgeheimnisses oder die grundsätzliche Unverletzlichkeit der Wohnung im Vordergrund staatlicher Gewährleistungen standen, hat die moderne Entwicklung die Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes der gesamten Privatsphäre ergeben.4 Wenn die Konventionen die Schutzbereiche Privatleben, Familienleben, Wohnung und Korrespondenz besonders aufführen, so bedeutet dies nicht, dass diese einzelnen Aspekte der Privatsphäre voneinander klar abtrennbar wären. Sie überlagern sich weitgehend, so dass ein Eingriff oft mehrere der aufgeführten Schutzbereiche berührt.5 In ihrer Gesamtheit garantieren sie einen Freiheitsraum, in dem der Einzelne seine Persönlichkeit frei entfalten und Eingriffe des Staates abwehren kann.6 Im Individualbeschwerdeverfahren zum EGMR (Art. 34 EMRK)7 muss daher lediglich eine Verletzung des Art. 8 EMRK geltend gemacht werden; auf einen spezifischen Schutzbereich muss sich der Betroffene nicht berufen, wenngleich dies der Überzeugungskraft der Beschwerde sicherlich zuträglich ist.8 So schließt das Privatleben weitgehend das Familienleben (Rn. 98 ff.) mit ein; das 3 Privatleben ist allerdings der weitere Begriff, der auch Sachverhalte umfasst, die nicht zum Familienleben gerechnet werden. Vielfach sind auch die Eingriffe in die Korrespondenz (Rn. 153 ff.) oder in die Wohnung (Rn. 131 ff.) zugleich Eingriffe in das Privatleben und mitunter auch in das Familienleben.9
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Anders als Art. 2 Abs. 1 GG enthalten die Konventionen keine besondere Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit; Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR dienen daher in solchen Fällen oft als Auffangvorschrift. Vgl. EGMR Pretty/UK, 29.4.2002, ECHR 2002-III = NJW 2002 2851 = EuGRZ 2002 234 = ÖJZ 2003 311; zu der Menschenwürde als Schutzziel der sie nicht ausdrücklich erwähnenden EMRK vgl. Meyer-Ladewig NJW 2004 981. EGMR Belg. Sprachenfall, 23.7.1968, A 6 = EuGRZ 1975 298; Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = NJW 1979 2449 = EuGRZ 1979 454 =
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FamRZ 1979 903; Malone/UK, 2.8.1984, A 82 = EuGRZ 1985 17; Brüggemann u. Scheuten/D, 12.7.1977. Zur Bedeutung des Rechts auf Privatheit und zur Entwicklung Nowak 1 ff.; ferner Evers EuGRZ 1984 281. Etwa Frowein/Peukert 1; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 1; SK/Paeffgen 1. Vgl. Grabenwarter § 22, 1; Villiger 555. Vgl. dazu den Practical Guide on Admissibility Criteria des EGMR; Teil II. SK/Paeffgen 16; Grabenwarter § 22, 5 m.w.N. Vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 1 mit weiteren Beispielen.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
2. Recht auf Privatheit als Menschenrecht a) Grundlagen. Art. 12 AEMR untersagt, jemanden willkürlichen Eingriffen in sein 4 Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr und rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes auszusetzen. Art. 17 IPBPR erweitert dies, indem er neben den willkürlichen auch die „rechtswidrigen“ Beeinträchtigungen verbietet. Demgegenüber erkennt Art. 8 Abs. 1 EMRK jedermann den Anspruch auf Achtung10 5 seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs zu. Entsprechend dem auch bei anderen Artikeln der EMRK gewählten System begnügt er sich aber nicht mit einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Er legt in Absatz 2 in einer Aufzählung die Fälle fest, in denen das nationale Recht vorsehen darf, dass öffentliche Stellen in den geschützten Privatbereich eingreifen können. Hinsichtlich des Schutzgutes ist sein Wortlaut auch insoweit enger als Art. 17 IPBPR, als Ehre und Ruf bei den Schutzgütern nicht besonders erwähnt werden (vgl. aber Art. 10 Abs. 2 EMRK).11 Die am 1.12.2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen 6 Union12 gewährleistet in ihrem Art. 7 ebenfalls das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Wohnung und der Kommunikation. Der Schutz der persönlichen Daten wird in Art. 8 EUC besonders gewährleistet, wobei Art. 8 Abs. 3 EUC die Kontrolle durch eine unabhängige Stelle fordert.13 b) Spezielle Konventionsgewährleistungen. Garantien der Konventionen, die beson- 7 dere private Rechte mit erfassen, konkretisieren und verstärken einzelne Aspekte des Rechts auf Privatheit, so etwa die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK / Art. 18 IPBPR), das Recht auf Ehe und Familie (Art. 12 EMRK / Art. 23 IPBPR) oder die Verpflichtung des Staates, das Recht der Eltern auf Erziehung der Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu achten (Art. 2 des 1. ZP-EMRK / Art. 18 Abs. 3 IPBPR). Soweit der ungehinderte schriftliche und mündliche Verkehr mit den Konventions- 8 organen (EGMR/HRC) besonderen Garantien unterfällt,14 gehen diese als Spezialregelungen dem allgemeinen Schutz der Kommunikation durch Art. 8 EMRK vor.15 Gleiches gilt für ähnliche Vorschriften in internationalen Abkommen, die die Kommunikation und den ungehinderten Verkehr mit bestimmten internationalen Einrichtungen vor Eingriffen schützen sollen.16
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Evers EuGRZ 1984 284: Formelkompromiss, der auf höherer Abstraktionsebene als die unmittelbare Gewährleistung den Ausgleich divergierender Auffassungen erlaubt. Zum überkommenden Schutz privater Lebensgestaltung KK-EMRK-GG/ Marauhn/Meljnik Kap. 16, 5 ff. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1, BGBl. 2008 II S. 1165. Siehe zum europäischen Datenschutz u.a. Frenz EuZW 2009 6. Der Gerichtshof leitet diese Garantie unmittelbar aus Art. 34 EMRK ab: vgl. EGMR (GK) Akdivar u.a./TRK, 16.9.1996, Rep. 1996-IV, § 105; Aksoy/TRK, 18.12.1996,
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Rep. 1996-VI, § 105; (GK) Ilas¸cu u.a./MOL u.a., 8.7.2004, ECHR 2004-VII, § 480; vgl. auch das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen vom 5.3.1996 (CTS 161; BGBl. 2001 II S. 359; am 1.1.1999 in Kraft getreten; für Deutschland: 1.11.2001). Außerdem: Art. 1 des 1. Fakultativprotokolls v. 16.12.1966 zum IPBPR (BGBl. 1992 II S. 1246), für Deutschland in Kraft seit 25.11.1993 (BGBl. 1994 II S. 311). IK-EMRK/Rogge Art. 25 (a.F.), 177. Siehe etwa Art. 11 des Übereinkommens vom 9.9.2002 über die Vorrechte und Immuni-
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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c) Völkerrechtliche Vereinbarungen. Andere völkerrechtliche Vereinbarungen schützen die in den Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR gewährleisteten Rechte ebenfalls. Hinzuweisen ist insbesondere auf das auf der Ebene des Europarates geschlossene Übereinkommen zum Schutz personenbezogener Daten,17 das sich mit der Beschaffung, Verarbeitung und Verwahrung personenbezogener Daten befasst und u.a. die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten über Strafurteile von einem geeigneten Schutz durch das innerstaatliche Recht abhängig macht (Art. 6). Weitere Verpflichtungen der Staaten zum Datenschutz ergeben sich aus Art. 16, 40 Abs. 2 lit. b, vii des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (CRC).18 Familien- und Kinderrechte finden sich im Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern v. 24.4.1967 (ETS 58; revidiert durch CETS 202 v. 27.11.2008), im Europäischen Übereinkommen über die Rechtsstellung der unehelichen Kinder v. 15.10.1975 (ETS 85), im Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses v. 20.5.1980 (ETS 105), im Europäischen Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten v. 25.1.1996 (ETS 160) sowie im Übereinkommen über Computerkriminalität v. 23.11.2001 (ETS 185). Ziel des Übereinkommens über den Umgang von und mit Kindern vom 15.5.2003 (ETS 192) ist es, das Recht von Kindern und ihren Eltern auf regelmäßigen Kontakt im In- und Ausland näher auszugestalten und zu stärken. Es enthält allgemeine Grundsätze für diesbezügliche behördliche Anordnungen.19
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3. Verhältnis zum Verfassungsrecht. Mit dem innerstaatlichen Verfassungsrecht,20 das vor allem in den Art. 4, 6, 10 und 13 GG einzelne zum Privatbereich zählende Grundrechte besonders schützt, decken sich die Gewährleistungen der Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR weitgehend. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert über die Konventionsverbürgungen hinaus die allgemeine Handlungsfreiheit. Diese schließt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit ein und garantiert in Verbindung mit der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) das damit untrennbar verbundene Recht auf einen Freiraum für die private Lebensführung. Dieser reicht über den häuslichen Lebensbereich hinaus und umfasst auch die Orte, an denen jemand objektiv erkennbar von Dritten ungestört sein will.21 Dieser private Lebensbereich ist in seinem Kernbereich22 für den Staat unantastbar, im Übrigen darf der Staat in ihn nur aufgrund eines Gesetzes und nur nach einzelfallbezogener Güterabwägung im Interesse vorrangiger öffentlicher Interessen eingreifen.23 Dies setzt innerstaatlich auch den staatlichen Maßnahmen zur geheimen Über-
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täten des Internationalen Strafgerichtshofs; Zustimmungsgesetz v. 19.8.2004 (BGBl. II S. 1138). Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten v. 28.1.1981 (ETS 108; BGBl. 1985 II S. 539); in Kraft seit 1.10.1985 (BGBl. 1985 II S. 1134). Vgl. auch das Zusatzprotokoll bezüglich Kontrollstellen und grenzüberschreitendem Datenverkehr vom 8.11.2001 (ETS 181; BGBl. 2002 II S. 1882); in Kraft seit 1.7.2004 (BGBl. 2004 II S. 1093) sowie hierzu Hornung DuD 2004 719. Gesetz v. 17.2.1992 (BGBl. II S. 121).
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ETS Nr. 192, in Kraft seit 1.9.2005, von Deutschland nicht unterzeichnet. Vgl. BVerfGE 76 79 ff.; KK-EMRK-GG/ Marauhn/Meljnik Kap. 16, 15 ff. Vgl. BVerfGE 101 361, 382; BGH JZ 1997 39 mit Anm. Forkel; JZ 2004 622. Vgl. etwa BVerfGE 27 6; 350; 32 378; 34 245; 80 367; Isensee/Kirchhof/Horn HbStR Bd. 7, § 149, 75 ff.; Geis JZ 1991 112. Wegen der umfangreichen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum zu diesen strittigen Fragen kann nur generell auf die Nachweise in den Kommentaren zum GG verwiesen werden.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
wachung eines Betroffenen verfassungsrechtliche Schranken, vor allem, wenn sie in den Kernbereich der Persönlichkeitssphäre eingreifen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu den §§ 100a ff., 100c ff. StPO verwiesen.24 Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Recht am gesprochenen Wort und die 11 Befugnis, selbst zu bestimmen, wem der Kommunikationsinhalt zugänglich sein soll 25, ferner das grundsätzliche Recht auf Selbstbestimmung über Erfassung, Speicherung und Verwendung der Daten, die die Privatsphäre der eigenen Person betreffen.26 Diese Vorgaben umreißen zugleich auch die Schutzpflicht des Staates, der angemessene strafrechtliche 27 oder zivilrechtliche Vorschriften schaffen muss, um dem Einzelnen ausreichende Schutzmöglichkeiten bei jeder ins Gewicht fallenden Verletzung seiner Privatsphäre durch Dritte zu eröffnen. Dies gilt im verstärkten Maße bei Kindern, die ein eigenes Recht auf ungestörte Entfaltung ihrer Persönlichkeit28 haben. Diese kann durch Eingriffe Dritter, vor allem aber durch das Kind betreffende Veröffentlichungen in den Massenmedien nachhaltig gestört werden; deshalb besteht hier eine erhöhte Schutzpflicht des Staates.29 4. Tragweite der Konventionsgarantien – Allgemeine Grundsätze a) Schutzgehalt. Der Schutzgehalt des Art. 8 EMRK ist insgesamt sehr weit zu ver- 12 stehen. Die verschiedenen Rechte überschneiden sich teilweise.30 Art. 8 Abs. 1 EMRK nennt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz, während Art. 17 IPBPR das Privatleben selbst unter Einbeziehung der Ehre und des Rufes gewährleistet, allerdings nur im Rahmen der Gesetze.31 Ein großer praktischer Unterschied ist damit nicht verbunden. Geschützt wird der ganze private Bereich in seinen vielfachen Aspekten und in allen 13 Abstufungen der Privatheit.32 Dazu passt, dass auch der Begriff der Familie autonom – also in der Regel weiter – ausgelegt wird als in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und so die tatsächlich gelebte Familie mit allen Verhaltensweisen erfasst, in denen sich die persönlichen Beziehungen der Familienmitglieder verwirklichen. Die Wohnung als elementarer Lebensraum des Individuums33 wird als traditioneller Bestandteil des Privatbereiches besonders herausgestellt34 und ist in diesem Sinne zu interpretieren. b) Träger der Rechte. Träger der Rechte aus diesen Konventionsgarantien sind alle 14 natürlichen Personen; auch Minderjährige haben eigene Rechte, die in ihrem Namen mit-
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Vgl. auch BVerfG NJW 2004 999. Vgl. etwa BVerfGE 34 238, 246; 54 148, 154; BVerfG NJW 1992 815; BGHZ 27 284, 286; BGH NJW 1988 1016; 2003 1727 jeweils m.w.N. Vgl. EKMR EuGRZ 1980 170. Zum „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“: BVerfGE 65 1 ff.; ferner: Isensee/Kirchhof/ Hube HbStR, Bd. 5, § 148 Rn. 66 ff. Siehe etwa § 238 StGB (Nachstellung) und § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen). Vgl. BVerfGE 24 119, 144; 45 400, 417; 72 122, 137; BVerfG NJW 2003 3262. Siehe hierzu auch: EGMR K.U./FIN, 2.12.2008, § 46 (Veröffentlichung einer
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Anzeige sexueller Natur über einen 12-Jährigen auf einer Internet-Dating-Seite); BVerfGE 101 361, 385; ferner: BVerfG NJW 2003 3262 (Veröffentlichung des Horoskops eines Kindes in der Presse). Frowein/Peukert 1. Dazu Evers EuGRZ 1984 283. Vgl. etwa EGMR P.G. u. J.H./UK, 25.9.2001, ECHR 2001-IX = ÖJZ 2002 911 (weiter Begriff, einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich). Vgl. BVerfGE 42 219; 51 110. Zum Wohnungsbegriff der EMRK, des GG und der EuGH-Rechtsprechung vgl. auch KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 53 ff.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
unter auch von Personen für sie geltend gemacht werden können, die nach innerstaatlichem Recht sonst nicht zu ihrer Vertretung berechtigt sind.35 Entscheidet der gesetzliche Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht für den 15 Minderjährigen und erfolgt im Widerspruch hierzu ein Eingriff, so können nebeneinander das Recht des Minderjährigen (z.B. auf Achtung seiner körperlichen Integrität) und das Recht des Elternteils auf Achtung des Familienlebens betroffen sein.36 Art. 8 EMRK gewährt Schutz auch in Bezug auf Haftbedingungen. Eine Verwirkung 16 der Rechte für Strafgefangene aufgrund ihrer Verurteilung gibt es nicht, so dass diese grundsätzlich ihre Grundrechte und Freiheiten, mit Ausnahme des Rechts auf Freiheit ausüben können. Bei einer rechtmäßigen Inhaftierung sind die normalen Beschränkungen und Einschränkungen, die mit dem Leben und der Disziplin im Vollzug verbunden sind, keine Angelegenheiten, die einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK darstellen, weil sie entweder nicht als Eingriff in das Privat- und Familienleben des Inhaftierten angesehen werden oder ein solcher Eingriff gerechtfertigt wäre.37 Zusätzliche Beschränkungen müssen daher auch bei Häftlingen im Einzelfall gerechtfertigt werden (vgl. Rn. 71, 159).38 Die Auffassung, Art. 8 EMRK könne beispielsweise dann keine Anwendung finden, wenn der Häftling zu einer derart langen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, dass eine „Teilnahme“ an dem Leben seiner Kinder nicht zu erwarten sei, ist abzulehnen.39 Soweit juristische Personen Träger der in Art. 8 EMRK garantierten Rechte sein kön17 nen, wie etwa Schutz der Wohnung, der Kommunikation oder der Daten, können auch sie die Verletzung ihrer Konventionsrechte beanstanden.40
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c) Eingriffe des Staates. Ein Eingriff liegt jedenfalls vor, wenn eine staatliche Maßnahme konkret den Genuss der Konventionsgarantie vereitelt oder nicht nur unwesentlich erschwert oder behindert.41 Zudem werden auch vorgelagerte Beschränkungsmaßnahmen, welche die Ausübung des garantierten Rechts von vorneherein unmöglich machen,42 vom Eingriffsbegriff erfasst, ganz gleich, ob sie nur einen Einzelfall betreffen oder schon generell abstrakt die Ausübung eines in den Konventionen garantierten Rechts vereiteln oder ohne sachlich rechtfertigenden Grund erschweren.43 Dies kann eine das Familienleben unmittelbar beeinträchtigende Statusregelung sein44 oder auch die Strafbarkeit bestimmter, dem Privatleben zuzurechnender Verhaltensweisen. Dem Betrof-
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EGMR Iosub Caras/RUM, 27.7.2006; Grabenwarter § 22, 3; SK/Paeffgen 14; KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 66. EGMR Glass/UK, 9.3.2004, ECHR 2004-II. EGMR D.G./IR, 16.5.2002, ECHR 2002-III, § 105; Beier/D (E), 22.1.2008. EGMR (GK) Dickson/UK, 4.12.2007, ECHR 2007-XIII = NJW 2009 971, § 68 (Rechtfertigung als notwendige und unvermeidbare Folgen der Inhaftierung); (GK) Hirst/UK (2), 6.10.2005, §§ 69 f. EGMR (GK) Dickson/UK (Fn. 38), §§ 65 f. (Verweigerung einer künstlichen Befruchtung). EGMR Société Colas Est. u.a./F, 16.4.2002, ECHR 2002-III, §§ 40 ff.; Grabenwarter
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§ 22, 4; SK/Paeffgen 15; KK-EMRK-GG/ Marauhn/Meljnik Kap. 16, 67. EGMR Guillot/F, 24.10.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 518; Raninen/FIN, Rep. 1997-III; Peters 153. Vgl. EGMR Golder/UK, 21.2.1975, A 18 = EuGRZ 1975 91 (Untersagung des Briefverkehrs); IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 46 ff. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 47 ff., auch zum Zusammenhang mit der für die Beschwerdebefugnis des Art. 34 EMRK erforderlichen Verletzung in einem Konventionsrecht („Opfereigenschaft“). EGMR Marckx/B (Fn. 3); IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 47.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
fenen ist in solchen Fällen ein Abwarten, ob tatsächlich ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wird, nicht zumutbar.45 Bei geheimen Überwachungsmaßnahmen ist ein Eingriff schon dann anzunehmen, 19 wenn das Recht des Betroffenen auf unüberwachte Kommunikation bereits durch das Vorhandensein von Gesetzen und Vollzugspraktiken, welche das geheime Abhören etc. ermöglichen, geschmälert wird.46 Dass bereits eine konkrete Maßnahme gegen den Beschwerdeführer getroffen wurde, muss dieser in solchen Fällen nicht geltend machen. Die bloße Existenz derartiger Regelungen birgt die naheliegende Gefahr der Überwachung für alle, auf die das Gesetz möglicherweise Anwendung findet.47 Die genauen Voraussetzungen zur Bejahung eines Verstoßes werden vom EGMR anhand der Umstände des Einzelfalls festgelegt48 Berücksichtigung finden hierbei neben dem potentiell verletzten Recht und dem persönlichen Risiko des Beschwerdeführers, unter diesem Gesetz Opfer einer heimlichen Maßnahme zu werden, auch die nationalen Rechtsschutzmöglichkeiten. Fehlen sie, so prüft der Gerichtshof auch bei einem geringeren Eingriffsrisiko im konkreten Fall, ob ein solcher vorlag.49 Die Möglichkeit einer Verletzung durch die bloße Existenz des Gesetzes lässt jedoch nicht den Umkehrschluss zu, dass jede behauptete heimliche Überwachungsmaßnahme vom EGMR überprüft wird. Der Gerichtshof hält angesichts der Beweisschwierigkeiten, die bei heimlichen Maßnahmen den effektiven Schutz der Menschenrechte und die menschenrechtliche Überprüfung konterkarieren könnten, für die Verfahren, in denen es um einen konkreten Eingriff geht, nicht an den sonst geltenden Anforderungen an dessen Nachweis fest. Es genügt, wenn der geltend gemachte konkrete Eingriff hinreichend wahrscheinlich („reasonable likelihood“) ist. Seine Überzeugung vom Vorliegen eines Eingriffs gewinnt der EGMR daher nicht erst durch den direkten Nachweis des Eingriffs, sondern nach Würdigung sämtlicher Umstände des Falles.50 Bei einer außerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten liegenden Überwachung muss der Betroffene aufzeigen können, warum vernünftigerweise die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er Opfer eines gesetzlich nicht vorgesehenen Eingriffs in seinen Privatbereich war.51 Im Allgemeinen reicht aber die bloße Möglichkeit, künftig von einer solchen Regelung selbst betroffen zu werden, für die Bejahung eines (gegenwärtigen) Eingriffs nicht aus.52 Ein Eingriff des Staates kann auch vorliegen, wenn sich staatliche Stellen zur Errei- 20 chung eines mit dem Eingriff verfolgten öffentlichen Zweckes privater Personen bedienen, etwa dadurch, dass sie die unmittelbare Ausführung des Eingriffs privaten Personen überlassen. Dies kann dadurch geschehen, dass sie eine Privatperson mit der Ausforschung eines anderen beauftragen oder ihnen die Vorrichtungen zur Verfügung
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Etwa EGMR Norris/IR, 26.10.1988, A 142 = EuGRZ 1992 477 = ÖJZ 1989 628 (Strafbarkeit der Homosexualität). EGMR Iliya Stefanov/BUL, 22.8.2008, § 49; Liberty u.a./UK, 1.7.2008; Iordachi u.a./MOL, 10.2.2009, §§ 33 f.; IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 47. EGMR Weber u. Saravia/D (E), 29.6.2006, ECHR 2006-XI = NJW 2007 1433 (Abhörmaßnahmen G10-Gesetz i.d.F. des Verbrechensbekämpfungsgesetzes); vgl. zur rechtsstaatlichen Nachbesserung des G10 a.F. auch: BVerfGE 100 313; Erfahrungs-
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bericht der Bundesregierung, BTDrucks. 15 2042; Erstes Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes v. 31.7.2009 (BGBl. I S. 2499). EGMR Klass/D, 6.9.1978, A 28 = NJW 1979 1755 = EuGRZ 1979 278, § 34. EGMR Kennedy/UK, 18.5.2010, § 124 (nicht endgültig). EGMR Iliya Stefanov/BUL, 22.5.2008, § 49. Etwa EGMR Halford/UK, 25.6.1997, Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 311. IK-EMRK/Rogge Art. 25 (a.F.) 204 ff.; Meyer-Ladewig Art. 34, 18, 24.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
stellen, mit denen belastende Äußerungen zu Beweiszwecken erfasst und aufgezeichnet werden können,53 etwa durch Aufzeichnung privater Telefongespräche („Hörfalle“).54 Ein Eingriff ist dagegen zu verneinen, wenn der Betroffene nach den Umständen ver21 nünftigerweise nicht erwarten kann, dass auf seine Privatsphäre individuell Rücksicht genommen wird, weil er sich in der Öffentlichkeit bewegt55 und allgemeine Regelungen befolgen muss, die der Staat generell und ohne konkrete Zielrichtung auf bestimmte Einzelpersonen allgemein für bestimmte zwischenmenschliche Beziehungen und Verhaltensweisen trifft,56 wie etwa die Verkehrsvorschriften oder die sonstigen Vorschriften, die im Interesse eines geregelten Zusammenlebens in der modernen Gesellschaft das private Verhalten bestimmten Regeln unterwerfen, die von jedermann zu beachten sind. Solche allgemeinen staatlichen Maßnahmen liegen in der Regel unter der Erheblichkeitsschwelle eines individuellen Eingriffs. Sie lassen die Substanz der Konventionsgarantien unberührt und sind daher auch nicht an deren Eingriffsvoraussetzungen zu messen.57 In solchen Fällen erübrigt sich eine Rechtsgüterabwägung, die dann allerdings ohnehin meist zugunsten einer sachlichen Rechtfertigung des Eingriffs ausfiele. Der Gerichtshof hat wiederholt beides zusammen geprüft und ohne Festlegung, ob er eine staatliche Maßnahme als Eingriff ansieht, sich damit begnügt, ihre Vereinbarkeit („compliance“) mit der Konvention festzustellen, so vor allem, wenn dem Staat vorgeworfen wurde, durch Unterlassen einer Regelung gegen die Konvention verstoßen zu haben.58 Der Schutz vor Eingriffen staatlicher Stellen betrifft grundsätzlich Maßnahmen nega22 torischer Art zu ihrer Abwehr. Darüber hinaus kann ein Unterlassen des Staates eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Staat die Nichterfüllung einer aus den Konventionsgarantien abgeleiteten positiven Handlungs- und Schutzpflicht vorgeworfen werden kann. Ob dieses Unterlassen als Eingriff zu bezeichnen ist und sich folglich der Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK auf diese Fälle erstrecken muss, ist umstritten.59 Der EGMR verwendet diese Bezeichnung bislang nicht und weicht in der Folge bei der Prüfung einer Verletzung teilweise von derjenigen ab, die er bei einem Eingriff durch eine staatliche Maßnahme vornimmt.60 Im Ergebnis geht er aber davon aus, dass beide Fallgestaltungen voraussetzen, dass die Auswirkungen auf den Betroffenen eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten61 und dass sie auch sonst mitunter voneinander schwer abzugrenzen sind.62
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EGMR Allan/UK, 5.11.2002, ECHR 2002-IX = ÖJZ 2004 196 = StraFo 2003 162 = StV 2003 257 mit Anm. Gaede = JR 2004 127 und Esser JR 2004 98. Vgl. EGMR M.M./NL, 8.4.2003, StV 2004 1 mit Anm. Gaede StV 2004 46; A/F, 23.11.1993, A-277 B = ÖJZ 1994 392; Allan/UK (Fn. 53) mit Anm. Esser JR 2004 98; Grabenwarter § 17, 6 f. EGMR P.G. u. H.J./UK (Fn. 32). Vgl. EGMR Botta/I, 24.2.1998, Rep. 1998-I = ÖJZ 1999 76 (keine Behindertentoiletten am Badestrand); Peters 155. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 61 ff. unter Hinweis auf die hier bestehende Grauzone und die Spruchpraxis der EKMR, die darauf abstellte, ob die staatlichen Maß-
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nahmen Zwangscharakter hatten. Vgl. auch KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 69 f. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 53 ff.; Lux-Wesener EuGRZ 2003 555, 556; Peters 155 (bei Unterlassungssituationen trennt der EGMR nicht zwischen Eingriff und Rechtfertigung). Dafür Frowein/Peukert 14; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser Art. 8, 55 ff. Vgl. Rn. 24 ff. Verneinend etwa EGMR Botta/I (Fn. 56; Verpflichtung am Badestrand Behindertentoiletten zu schaffen). Etwa EGMR Sylvester/A, 24.4.2003, ÖJZ 2004 113.
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Art. 17, 23, 24 IPBPR
Bei einem Eingriff in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht muss stets ein gerech- 23 ter Ausgleich („fair balance“) zwischen den in Art. 8 Abs. 2 EMRK fixierten Interessen der Gemeinschaft und den durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechten gewahrt bleiben 63 oder durch die betreffenden staatlichen Maßnahmen hergestellt werden.64 Eine Einschränkung der Konventionsrechte wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass ein Lebensvorgang der Privatsphäre zuzuordnen ist oder sie mit berührt. Es liegt in der Natur der Sache, dass im Privatbereich alle Rechte des Einzelnen ihre Grenze in den gleichen Rechten des anderen finden65 und dass sie auch mit den Anforderungen und Rechten der Gemeinschaft, in der der Einzelne lebt, in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssen. Die deshalb nötige Abgrenzung66 erfordert zur Verhinderung von Willkür und im Interesse der Vorhersehbarkeit staatlicher Einwirkungen in der Regel ihre rechtliche Verankerung (Rn. 24, 57, 59).67 d) Positive Schutzpflichten. Positive Schutzpflichten ergeben sich für den Staat aus 24 beiden Konventionsverbürgungen. Art. 17 Abs. 2 IPBPR spricht ausdrücklich aus, dass jedermann Anspruch auf rechtlichen Schutz des in Absatz 1 umschriebenen Privatbereichs durch den Gesetzgeber 68 hat. Bei Art. 8 EMRK werden diese Schutzpflichten des Staates aus seiner Pflicht zur Achtung der dort garantierten Rechte hergeleitet.69 Der Staat muss sich daher nicht nur jedes ungerechtfertigten Eingriffs enthalten; er muss auch dafür sorgen, dass jeder in seinem Herrschaftsbereich diese Rechte genießen kann. Aus dem Achtungsanspruch folgt die „immanente“ positive Pflicht 70 des Staates, einzugreifen, wenn die garantierten Rechte des Einzelnen durch Dritte beeinträchtigt oder bedroht werden. In diesem Fall hat der Staat sinnvolle und angemessene Maßnahmen zur Sicherung der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK zu treffen.71 Er muss für einen gerechten Ausgleich („fair balance“) der kollidierenden Einzelinteressen und auch für dessen Vereinbarkeit mit den allgemeinen Interessen der Gemeinschaft sorgen.72 Insofern gelten im Allgemeinen dieselben Grundsätze wie für die Rechtfertigung eines staatlichen (nega-
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Vgl. Meyer-Ladewig 2. EGMR Rodrigues da Silva u.a./NL, 31.1.2006, ECHR 2006-I = EuGRZ 2006 562 = ÖJZ 2006 738. So schon Art. 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789; vgl. ferner Art. 2 Abs. 1 GG. Nach IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 6, 9 werden die unbestimmten und unbestimmbaren Grundrechte aus Art. 8 EMRK erst durch den Schrankenvorbehalt näher eingegrenzt und umschrieben. Weitere Vorgaben für die Regelungsbefugnis können sich aus dem Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) ergeben, vgl. IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 12. „Protection of the law“ bzw. „protection de la loi“. Etwa EGMR X. u. Y./NL, 26.3.1985, A 91 = EuGRZ 1985 297 = NJW 1985 2075; Airey/IR, 9.10.1979, A 32 = EuGRZ 1979 626; Rees/UK, 17.10.1986, A 106; Powell,
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Rayner/UK, 21.2.1990, A 172 = ÖJZ 1990 418; Cossey/UK, 27.9.1990, A 184 = ÖJZ 1991 173; Guerra/I, 19.2.1998, Rep. 1998-I = EuGRZ 1999 188 = NJW 1999 3185 = ÖJZ 1999 33 = NVwZ 1999 57; Maumousseau u. Washington/F, 6.12.2007, § 83; Grabenwarter § 22, 1, 53 ff.; Meyer-Ladewig 2 ff. Vgl. EGMR Cossey/UK (Fn. 69); BVerfGE 76 80. EGMR (GK) Evans/UK, 10.4.2007, ECHR 2007-I = NJW 2008 2013; (GK) Hatton/UK, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII = EuGRZ 2005 584 = NVwZ 2004 1465 = ÖJZ 2005 642 = RdU 2004 110; Powell u. Rayner/UK (Fn. 69), § 41; vgl. zur Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf Art. 13 GG ablehnend: BVerfG NVwZ 2009 1494, 1498. EGMR Gaskin/UK, 7.7.1989, A 160; Cossey/UK (Fn. 69); McGinley u. Egan/UK, 9.6.1998, Rep. 1998-III = ÖJZ 1999 355; Odièvre/F, 13.2.2003; Petrenco/MOL, 20.3.2010.
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tiven) Eingriffs.73 Deshalb muss der Staat eine Rechtsordnung und ein wirksames rechtliches Instrumentarium schaffen, das die Achtung des Privatlebens auch im Verhältnis der Bürger untereinander wirksam sichert74 und das zumindest bei schwerer wiegenden Eingriffen dem Betroffenen ermöglicht, wirksame gerichtliche Hilfe zu erlangen, sei es im Wege eines zivilen Rechtsstreits oder aber durch Herbeiführung eines Strafverfahrens.75 Ein effektives Strafverfahren umfasst nicht nur die genuin staatliche Strafverfolgung, 25 sondern auch die Möglichkeit der Privat- oder Nebenklage. Nimmt der Verletzte hierbei selbst seine Rechte wahr, ohne anwaltlich vertreten zu sein, so sind je nach den Umständen des Einzelfalls keine zu hohen Anforderungen an die Form der Anträge etc. zu stellen.76 Wirksame Hilfe impliziert, dass dem Recht des Betroffenen noch irgendwie Rechnung getragen werden kann. Kann der Schaden durch die bereitgestellten Instrumentarien nicht mehr verhindert werden, weil sie erst im Nachhinein ihre Wirkung entfalten, so genügen sie nicht den Anforderungen des Art. 8 EMRK.77 Gleiches gilt, wenn zwar die Strafbarkeit einer bestimmten Eingriffshandlung vorgesehen ist, letztlich aber aufgrund der bestehenden Gesetze keine Möglichkeit besteht, den Täter ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen. Die Durchsetzbarkeit des Strafanspruchs mit Hilfe einer effektiven Strafverfolgung und die negative Generalprävention sind insoweit Bestandteile der positiven Schutzpflicht, der auch dann nicht genügt werden kann, wenn sich das Opfer lediglich an einem Dritten schadlos halten kann.78 Der Einzelne muss einen wirksamen Schutz des Bereichs seiner privaten Lebens26 führung erlangen können; so etwa, wenn unbefugte Dritte einen der Öffentlichkeit entzogenen und der Privatheit zurechenbaren Bereich unter Überwindung der bestehenden Hindernisse ausspähen und darüber in der Presse berichten79 oder wenn unerlaubte Fotoaufnahmen von Vorgängen der privaten Lebensgestaltung und deren Veröffentlichung in der Presse das Recht am eigenen Bild verletzen.80 Will der Staat zum Schutz einer von Bildaufnahmen betroffenen Person in Erfüllung seiner Schutzpflicht positive Maßnahmen 73
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EGMR (GK) Dickson/UK (Fn. 38), § 70 (positive oder negative Pflicht offen gelassen; Prüfung nur noch der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme); (GK) Hatton/UK (Fn. 71), § 98 = EuGRZ 2005 584; Sari u. Colak/ TRK, 4.4.2006, ECHR 2006-V; Ciubotaru/MOL, 27.4.2010, § 50: Die Grenzziehung ist nicht immer eindeutig möglich; vgl. auch KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 99. EGMR Airey/IRL (Fn. 69); Karakó/H, 28.4.2009, MR 2009 121 (Ausgleich von Art. 8 und Art. 10 EMRK). EGMR K.U./FIN (Fn. 29); Colak u. Tsakiridis/D, 5.3.2009, EuGRZ 2009 203. EGMR Sandra Jankovic´ /KRO, 5.3.2009. EGMR Tysiac/PL, 20.3.2007, ECHR 2007-IV, §§ 126 f. (unzureichende Regelungen zur medizinisch indizierten Abtreibung, stattdessen strafrechtliche oder disziplinarische Maßnahmen gegen die Ärzte, die aber nicht geeignet waren, Gesundheitsschäden der Mutter zu verhindern), NJOZ 2009 3349.
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EGMR K.U./FIN (Fn. 29; Anonymität bei Internetkriminalität und fehlende Handhabe gegen die Betreiber von Servern zur Herausgabe von Informationen über die jeweiligen Nutzer). BGH JZ 2004 622 (Luftbildaufnahmen vom privaten Feriendomizil Prominenter und deren Veröffentlichung). EGMR Caroline v. Hannover/D, 24.6.2004, ECHR 2004-VI = EuGRZ 2004 404 = NJW 2004 2647 = JZ 2004 1015 = AfP 2004 348 = DVBl 2004 1091 = FamRZ 2004 1455 = GRUR 2004 1051 (Fotos aus dem Privatleben) mit Kritik an dem bis dahin vom BGH entwickelten Abwägungsmodell „absolute/relative Person der Zeitgeschichte“; dazu Heldrich NJW 2004 2634; Mann NJW 2004 3220 (auch zu den von BVerfG NJW 2004 3407 ff. angesprochenen Problemen, die sich innerstaatlich daraus ergeben, dass der EGMR den geschützten Bereich bei Personen der Zeitgeschichte weiter gezogen hat als das insoweit für konventionswidrig erklärte Urteil des BVerfG NJW 2000 1021).
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ergreifen, so hat er die Rechte anderer Personen bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Für die Abwägung von Bedeutung ist u.a., ob die Veröffentlichung über die Massenmedien die breite Öffentlichkeit erreicht oder nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht wird und ob sie Fragen betrifft, die von allgemeinem öffentlichen Interesse sind oder lediglich dem Interesse eines gewissen Publikums dienen.81 Die Gefährdung der Gesundheit einzelner Personen kann unter besonderen Umstän- 27 den vom Staat ein Tätigwerden aufgrund einer aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Schutzpflicht erfordern,82 so etwa die Aufsicht und Kontrolle über private psychiatrische Einrichtungen,83 Vorsorgemaßnahmen gegen die Verbreitung von Infektionen in Gefängnissen84 oder die Verpflichtung zu ausreichenden Informationen über die Gefahren, denen die Einwohner einer Gemeinde durch eine Fabrik85 oder ein Soldat durch die Teilnahme an Tests mit chemischen Waffen86 ausgesetzt werden, aber auch sonst ein Tätigwerden, wenn dies zum Schutz vor übermäßigen Immissionen notwendig ist.87 Gleiches gilt bei staatlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in Bezug auf 28 die Gesundheit der werdenden Mutter. Jedenfalls im Bereich des medizinisch indizierten Abbruchs ist darauf zu achten, dass die Regelungen so bestimmt sind, dass nicht aus einer Unsicherheit über die Strafbarkeit faktisch die Unmöglichkeit eines solchen Eingriffs resultiert.88 Anzumerken ist hier, dass mit der Schwangerschaft nicht zwingend indiziert ist, dass der private Lebensbereich der Mutter alle sonstigen Interessen überwiegt. Allen voran die Rechte des noch ungeborenen Kindes sind mit dem Recht auf Privatleben der Mutter in Einklang zu bringen.89 Jedenfalls ist aus Art. 8 EMRK kein Recht der Mutter auf Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs abzuleiten. Sie hat gegebenenfalls sogar außer Landes zu gehen, um den Abbruch durchführen zu lassen. In Irland wurde von drei Klägerinnen gerügt, dass sie den medizinisch notwendigen Schwangerschaftsabbruch nicht in Irland selbst durchführen konnten, da dieser dort nicht gestattet ist. Irland gewährt lediglich das Recht, die Abtreibung außerhalb der Landesgrenzen vorzunehmen. Der EGMR verneinte einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK, weil aufgrund der moralischen und ethischen Diskussion in Irland ein solches Vorgehen einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf Schutz der Privatsphäre der Frau und
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EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 80); Gourguénidzé/GEO, 17.1.2007; Toma/RUM, 24.2.2009 (keine Einschränkung der Schutzwürdigkeit („champ de protection“) eines Beschuldigten); zur Umsetzung der Abwägung auf nationaler Ebene: BGHZ 178 213 (Bildberichterstattung); BGH VersR 2009 513 (Caroline); vgl. ebenso BGH MDR 2009 86 (Caroline II); BVerfG (Caroline v. Hannover II) NJW 2008 1793 mit Anm. Frenz NJW 2008 3102. Zur Auskunftspflicht des Staates: EGMR McGinley u. Egan/UK (Fn. 72; Information über Folgen von Atomtest); ferner EGMR L.C.B./UK, 9.6.1998, Rep. 1998-III = ÖJZ 1998 353, wo in einem ähnlichen Fall Art. 2 EMRK im Vordergrund stand; Greenpeace e.V./D (E), 12.5.2009, NVwZ 2011 93; Meyer-Ladewig 45, 88. EGMR Storck/D, 16.6.2005, ECHR 2005-V
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= NJW-RR 2006 308 = EuGRZ 2008 582, § 150. EGMR Shelley/UK (E), 4.1.2008 (ggf. Programme zum Austausch von Injektionsnadeln für Drogenkonsumenten). EGMR Guerra/I (Fn. 69), dazu Dörr JuS 1999 809; Öneryildiz/TRK, 18.6.2002, nach Meyer-Ladewig 45; Grabenwarter § 22, 57. EGMR (GK) Roche/UK, 19.10.2005, ECHR 2005-X = NJOZ 2007 865. EGMR Powell, Rayner/UK (Fn. 69, Fluglärm); López Ostra/E, 9.12.1994, A 303-C = EuGRZ 1995 530 = ÖJZ 1995 347 (Unterlassung des Eingreifens bei Geruchsbelästigung); Hatton/UK (Fn. 71, Fluglärm); Grabenwarter § 22, 15; MeyerLadewig 45, 88; vgl. auch Rn. 58, 138. EGMR Tysiac/PL (Fn. 77). EGMR (GK) A, B, C/IR, 16.12.2010, §§ 213 f.
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öffentlichem Anstandsgefühl garantiere. Europaweit gebe es keinen einheitlichen Standard, ab wann der Lebensschutz des Neugeborenen absolut beginne.90 Damit sei jedem Staat selbst ein gewisser Spielraum überlassen. Die Mühen und Anstrengungen der Betroffenen angesichts einer Reise außer Landes, um die Abtreibung vornehmen zu lassen, seien im Regelfall hinzunehmen. Dem Staat wird bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht in der Regel ein weiter Beurtei29 lungsspielraum zuerkannt.91 Es wird dem Staat überlassen, auf welchem Weg er seiner Pflicht genügen und den gebotenen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeiführen will.92 Er muss mit dem Ziel eines gerechten Ausgleichs die Gesichtspunkte des Allgemeininteresses mit denen des betroffenen Privatinteresses abwägen, um zu entscheiden, ob besondere Umstände sein Tätigwerden zur Sicherung des Privatlebens und der anderen garantierten Rechte erfordern 93 und welche Maßnahmen dafür angezeigt sind. Dies müssen nicht notwendig Strafvorschriften sein, die sich dort, wo der Staat bereits im Vorfeld zum Schutz verpflichtet ist, sogar im Einzelfall als unzureichend erweisen können.94 Bei schwerwiegenden Taten, durch die unverzichtbare und wesentliche Rechte des 30 Opfers aus Art. 8 EMRK betroffen sind, bedarf es dagegen zu ihrem effektiven Schutz strafrechtlicher Bestimmungen.95 Je mehr sich die Vertragsstaaten hierbei angleichen, desto stärker werden die Grenzen des Beurteilungsspielraums der übrigen Vertragsstaaten beeinflusst.96 Hat der Staat für einen bestimmten Bereich ein Schutzsystem auf der Grundlage strafrechtlicher Sanktionen gewählt, so kann sich daraus unter gewissen Umständen, etwa bei besonders schutzbedürftigen Personen, für ihn die Pflicht ergeben, eine Lücke des nationalen Strafrechts zu schließen, um so einen anderweitig nicht erreichbaren Schutz zu gewährleisten.97 Dass das Strafrecht insoweit meist der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt und sich immer wieder unerwünschte Strafbarkeitslücken bilden, hat der EGMR zwar grundsätzlich erkannt, als Entschuldigungsgrund für eine verspätete Reaktion des Gesetzgebers aber nicht gelten lassen.98 Die Schutzpflicht wird auch bei Art. 8 EMRK unmittelbar aus der Konventionsgaran31 tie (Abs. 1 EMRK) hergeleitet. Nach vorherrschender Meinung gelten die Eingriffs-
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EGMR (GK) A, B, C/IR (Fn. 89), §§ 237 f. Das gilt insbesondere auf dem Gebiet des Umweltschutzes, wo der Gerichtshof sich in seiner Kontrolle weit zurücknimmt, vgl. EGMR Greenpeace e.V./D (E) (Fn. 82, „the choice of means as to how to deal with environmental issues is a matter falling within the Contracting State’s margin of appreciation in environmental matters“); siehe aber auch: EGMR Fadeyeva/R, 9.6.2005, ECHR 2005-IV, § 105. Etwa EGMR Airey/IR (Fn. 69); Abdulaziz u.a./UK, 28.5.1985, A 94 = NJW 1986 2173 = EuGRZ 1985 567; Keegan/IR, 26.5.1994, A 290 = NJW 1995 2153 = EuGRZ 1995 113 = ÖJZ 1995 70 = FamRZ 1995 110; Stubbings u.a./UK, 22.10.1996, Rep. 1996IV = ÖJZ 1997 436; Botta/I (Fn. 56); enger: EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 80).
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EGMR X. u. Y./NL (Fn. 69, Schutz Untergebrachter vor sexuellem Missbrauch); Odièvre/F (Fn. 72). EGMR Storck/D (Fn. 83), § 150 (wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Bf. wurden §§ 223–226 StGB und die Möglichkeit der Schadenersatzklage aus unerlaubter Handlung als unzureichend zum Schutz ihrer körperlichen Integrität angesehen). EGMR Jankovic´ /KRO (Fn. 76), § 47 (entsprechend wachsender Standards beim Schutz der Menschenrechte). EGMR K.U./FIN (Fn. 29), § 44; zur Angleichung bei der Behandlung von DNA-Proben: EGMR (GK) S. u. Marper/UK, 4.12.2008, EuGRZ 2009 299 = NJOZ 2010 696, § 45. EGMR X. u. Y./NL (Fn. 69, sexueller Missbrauch im Heim untergebrachter geistig Behinderter); vgl. auch Nowak 6. EGMR K.U./FIN (Fn. 29), § 48.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Rn. 45 ff.) nicht unmittelbar, der EGMR spricht insoweit nicht von einem Eingriff („interference“), auf den sich die Schranken des Absatzes 2 ihrem Wortlaut nach allein bezögen.99 Mittelbar geben sie jedoch Anhaltspunkte für die auch hier zum Erreichen eines gerechten Ausgleichs erforderliche Abwägung der kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen.100 Regelt der Staat (befugt) aus einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründe Verhältnisse des Privatbereichs, muss er dafür sorgen, dass sich daraus bei einer Abweichung von den geregelten Normalfällen oder bei einer Änderung der Verhältnisse keine Beeinträchtigungen in einem höchstpersönlichen Bereich ergeben, die für den Einzelnen unzumutbar sind.101 Der Staat muss für einen gerechten Ausgleich zwischen widerstreitenden öffentlichen oder privaten Interessen sorgen.102 So erfordert etwa die Achtung des Familienlebens, dass der Staat seine Rechtsordnung so gestaltet, dass sie erlaubt, ein normales Familienleben herzustellen und zu führen; die Feststellung des Bestehens familiärer Beziehungen, wie etwa zwischen einem nichtehelichen Kind und seinem Vater, darf nicht durch rechtliche Hürden unnötig erschwert werden (Rn. 116).103 Die Schutzpflicht des Staates besteht zeitlich nicht unbegrenzt, sie schließt angemes- 32 sene Verjährungsregelungen nicht aus.104 Unmögliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen können dem Staat zu keiner Zeit abverlangt werden.105 Ein Anspruch auf positive Leistungen der Daseinsfürsorge kann aus der Schutzpflicht des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht abgeleitet werden.106 e) Verfahrensgarantien. Art. 8 EMRK enthält – ebenso wie in Art. 17 IPBPR – keine 33 ausdrücklichen Verfahrensgarantien; trotzdem wird – mitunter unter Hinweis auf die staatliche Schutzpflicht107 – gefordert, dass jeder staatliche Entscheidungsprozess in einem fairen Verfahren108 ergehen muss, in dem alle Betroffenen ihre Belange ausreichend vertreten können,109 bevor es im Einzelfall zu einem auf Art. 8 Abs. 2 EMRK gestützten Eingriff kommt.110 Der EGMR beschränkt sich darauf sicherzustellen, dass
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Etwa EGMR Rees/UK (Fn. 69), § 37; Powell, Rayner/UK (Fn. 69); López Ostra/E (Fn. 87); Odièvre/F (Fn. 72). Vgl. EGMR (GK) Hatton/UK (Fn. 71); LuxWessener EuGRZ 2003 555, 556. EGMR Marckx/B (Fn. 3); Airey/IR (Fn. 69); X. u. Y./NL (Fn. 69); EKMR 1979 566 (van Oosterwijk); einschränkend Evers EuGRZ 1984 284 (keine Akte der Nichtachtung). EGMR Keegan/IR (Fn. 92); Mayer-Ladewig 2. EGMR Marckx/B (Fn. 3); Zaunegger/D, 3.12.2009 = EuGRZ 2010 25 = NJW 2010 511 = ÖJZ 2010 138 (keine Möglichkeit des Sorgerechts für Vater eines unehelichen Kindes gegen den Willen der Mutter; Verstoß gegen Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK). EGMR Stubbings u.a./UK (Fn. 92). EGMR K.U./FIN, 2.12.2008. Nowak 7. So in EGMR H.M./TRK, 8.8.2006.
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Etwa EMRK McMichael/UK, 24.2.1995, A 307-A = ÖJZ 1995 704; Buckley/UK, 25.9.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1997 313; Ciliz/NL, 11.7.2000, ECHR 2000-VIII = NVwZ 2001 547; Elsholz/D, 13.7.2000, ECHR 2000-VIII = NJW 2001 2315 = ÖJZ 2002 71 = EuGRZ 2001 595 = FamRZ 2001 341 = ZfJ 2001 106; vgl. auch nachf. Fn. EGMR W/UK, 8.7.1987, A 121 = EuGRZ 1990 533 = NJW 1991 2199; Elsholz/D (Fn. 108); Venema/NL, 17.12.2002, ECHR 2002-X = ÖJZ 2004 275; Grabenwarter § 22, 51; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 396 ff.; Meyer-Ladewig 78, 116. EGMR Tysiac/PL (Fn. 77); Ullmann/D (E), 20.1.2009 (Entziehung des elterlichen Sorgerechts: „whether the decision-making process involved in measures of interference was fair and afforded due respect to the interests safeguarded by Article 8“).
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das Verfahren als Ganzes, einschließlich der Behandlung der Beweise, fair i.S.d. Art. 6 EMRK war, ohne dabei die Rolle eines Superrevisionsgerichts einzunehmen.111 Soweit aus dem Recht auf Achtung des Privat- oder des Familienlebens neben dem 34 Anhörungsrecht auch Ansprüche auf Auskunft oder auf Einsicht in Akten oder Unterlagen hergeleitet werden, die die eigene Person betreffen,112 wie etwa Kindschafts-, Kranken- und Fürsorgeakten oder sonstige behördlich gespeicherten Daten, stehen dem mitunter Interessen der Allgemeinheit oder auch der Schutz anderer Personen gegenüber, so dass auch deren Zustimmung erforderlich sein kann. Bei der Entscheidung ist auf ein „faires Gleichgewicht“ zwischen den betroffenen Interessen zu achten.113 In solchen komplexen Lagen ist es nach Ansicht des EGMR für die Erfüllung der 35 staatlichen Schutzpflicht unerlässlich, dass die Betroffenen die Entscheidung einer unabhängigen Stelle herbeiführen können; so etwa auch bei Verweigerung der Auskunft durch die aktenführende Behörde.114 Dies gilt selbst dann, wenn die nationale Sicherheit betroffen ist. Die Behörden müssen die Gefahr für die nationale Sicherheit mit konkreten Tatsachen belegen; der Betroffene muss ein entsprechendes Vorbringen der Behörden angreifen können, um jeglicher Willkür entgegenzuwirken. Hierzu gehört auch, dass die Gerichte Zugang zu den Informationen erhalten, die für eine ausreichende Prüfungsgrundlage notwendig sind. Außerdem dürfen gerichtliche Entscheidungen nicht der vollständigen Geheimhaltung unterliegen und der Öffentlichkeit in ihrer Gänze vorenthalten werden, schließlich dient die Öffentlichkeit einer Entscheidung der Sicherung eines Mindestmaßes an Kontrolle und Schutz vor Willkür. Terrorismus, nationale Sicherheit und die Verwendung vertraulicher Unterlagen stellen die Behörden keinesfalls frei von jeglicher Kontrolle. Nationale Regelungen müssen diese sicherstellen.115
II. Zulässigkeitsvoraussetzungen für staatliche Regelungen und Eingriffe in die von Art. 8 Abs. 1 EMRK / Art. 17 IPBPR geschützten Bereiche 36
1. Rechtsbindung („Gesetzlichkeit“) der Eingriffe. Wie bei den innerstaatlichen Grundrechten116 schließt die Privatbezogenheit eines Vorgangs eine staatliche Regelung bzw. einen Eingriff des Staates nicht grundsätzlich aus. Erforderlich ist jedoch, dass die Maßnahme eine Grundlage im nationalen Recht – einschließlich der in dem Staat anwendbaren völkerrechtlichen Regeln117 – hat und darüber hinaus rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht.118 Für Eingriffe der öffentlichen Gewalt in den Privatbereich fordern Art. 8
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EGMR Turek/SLO, 14.2.2006, ECHR 2006-II unter Hinweis auch auf EGMR Görgülü/D, 26.2.2004, NJW 2004 3397 und die dort vorgenommene Gegenüberstellung von Art. 8 und Art. 6 EMRK. Vgl. hierzu auch KK-EMRK-GG/ Marauhn/Meljnik Kap. 16, 30. EGMR Gaskin/UK (Fn. 72); M.G./UK, 24.9.2002, ÖJZ 2004 65; SK/Paeffgen 42 ff. EGMR Gaskin/UK (Fn. 72); M.G./UK (Fn. 113). EGMR C.G. u.a./BUL, 24.4.2008, ÖJZ 2008 973; Liu/R, 6.12.2007; Raza/BUL, 11.2.2010, §§ 50–55.
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Vgl. etwa Art. 2, 5 Abs. 2; 6; 7; 10; 13 GG. EGMR Weber u. Saravia/D (Fn. 47, Achtung der territorialen Souveränität eines anderen Staates); vgl. auch (GK) Neulinger u. Shuruk/CH, 6.7.2010, § 100 (Haager Kindesentführungsübereinkommen); Lipkowsky, McCormack/D (E), 18.1.2011. EGMR Doerga/NL, 27.4.2004; Valenzuela Corntreras/E, 20.7.1998, Rep. 1998-V; Kruslin/F, 24.4.1990, A 176-A = ÖJZ 1990 564; zum vorrangigen Schutz durch die nationalen Institutionen: EGMR Wegera/PL, 19.1.2010.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
EMRK / Art. 17 IPBPR ein Gesetz im materiellen Sinn.119 Ein (Parlaments-)Gesetz im formellen Sinn ist nicht erforderlich; es kann jeder von einer dafür zuständigen nationalen Stelle erlassene Rechtssatz120 genügen, auch ein (vom Staat abgeleitetes) Satzungsrecht,121 eine Festlegung durch das common law 122 sowie ein auf konstanter Rechtsprechung beruhendes Richterrecht,123 welches nicht auf eine erweiternde Auslegung des geschriebenen Rechts hinausläuft.124 Die gesetzliche Regelung muss allgemein bekannt gemacht worden sein, etwa durch 37 ihre Veröffentlichung,125 oder dem Betroffenen sonst zugänglich126 sein. Nicht veröffentlichte und nur intern an die jeweilige Behörde gerichtete Verwaltungsvorschriften127 genügen dieser Anforderung nicht.128 Die Regelung muss so hinreichend bestimmt sein, dass Willkür ausgeschlossen und zumindest in den Grundzügen für den Einzelnen vorhersehbar und berechenbar ist, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen ein staatlicher Eingriff in Frage kommen kann.129 Die materiellen Voraussetzungen eines Eingriffs und das dabei einzuhaltende Verfahren müssen hierzu in der Regel bereichsspezifisch genügend konkret festgelegt sein.130 Dadurch soll den Erfordernissen der Rechtssicherheit genügt, jeder Willkür staatlicher Organe entgegengewirkt und eine Nachprü-
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EGMR Kruslin/F (Fn. 118); Mastepan/R, 14.1.2010, § 37. Zur sachlichen Übereinstimmung der Schrankenformulierung („prescibed by law“ / „prévues par la loi“) mit der des Art. 10 EMRK („in accordance with the law“ / „prévues par la loi“) vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 533. Zur Entwicklung eines autonomen, vom nationalen Recht unabhängigen materiellen Gesetzesbegriffs vgl. IK-EMRK/Wildhaber/ Breitmoser 538 ff. Vgl. EGMR Barthold/D, 25.3.1985, A 90 = NJW 1985 2885 = EuGRZ 1985 170 (Berufsordnung). Vgl. EGMR Sunday Times/UK, 26.4.1979, A 38 = EuGRZ 1979 386; Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = NJW 1984 541 = EuGRZ 1983 488; Malone/UK (Fn. 3); Chappel/UK, 30.3.1989, A 152-A; Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 3 ff., IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 542 ff. Für das Richterrecht des franz. Cour de Cassation: EGMR Kruslin/F (Fn. 118); Huvig/F, 24.4.1990, A 176-B = ÖJZ 1990 564 (kritisch dazu IK-EMRK/Wildhaber/ Breitenmoser 542 ff., allerdings mit dem Hinweis (550), dass nur solches Richterrecht Rechtsgrundlage sein könne, dessen Existenz und Tragweite durch eine konstante Rechtsprechung allgemein verwurzelt sei). EGMR Kopp/CH, 25.3.1998, Rep. 1998-II = ÖJZ 1999 115; Valenzuela Corntreras/E (Fn. 118).
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IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 558. EGMR Silver u.a./UK, 25.3.1983, A 61 = EuGRZ 1984 149 (Gefängnisordnung); vgl. ferner EKMR bei IK-EMRK/Wildhaber/ Breitenmoser 557; Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 4 (unveröffentlichte Verwaltungsanordnungen genügen nicht, da keine Rechtsvorschriften). EGMR Mikhaylyuk u. Petrov, 10.12.2009, § 28: auch Anweisungen des Innenministeriums o.ä. EGMR Silver u.a./UK (Fn. 126); Gillow/UK, 24.11.1986, A 124-C; Chappel/UK (Fn. 122); IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 557, 558; vgl. auch BVerfG NJW 2009 3293, 3294. EGMR Doerga/NL (Fn. 118); Rekvenyi/H, 20.5.1999, ECHR 1999-III = NVwZ 2000 421 = ÖJZ 2000 235 (allgemein gehaltene Verfassungsbestimmung ausreichend); P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); Meyer-Ladewig 100 ff. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. Rn. 40, 81 ff. EKMR EuGRZ 1990 167 (Abhören von Telefongesprächen), BVerfGE 100 313, 359 ff.; BVerfG NJW 2003 2733; 2004 2213, hinsichtlich des Umfangs der Konkretisierungspflicht wird auf die bei Eingriffen nach Art. 10 EMRK zu beachtenden Grundsätze verwiesen; vgl. auch ÖVerfGH EuGRZ 1986 190 mit Anm. Tretter; BGH MDR 1991 885; Rombach JZ 1991 78.
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fung ihrer Entscheidungen erleichtert werden.131 Vor diesem Hintergrund begegnet eine im nationalen Recht mitunter als ausreichend angesehene Annexkompetenz für Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen staatlicher Zwangseingriffe erheblichen Bedenken.132 Bei mehreren Eingriffen ist jeder grundsätzlich selbstständig zu beurteilen. Für die 38 Vorhersehbarkeit der Entnahme einer Zellprobe und der damit verbundenen Erstellung eines DNA-Profils bei einem Straftäter bedarf es daher einer speziellen Regelung – allerdings nicht bereits bei Begehung der Straftat, sondern erst im Zeitpunkt des konkreten Eingriffs, der Probenentnahme.133 Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit hängt vom jeweiligen Gegenstand der Regelung, ihren Adressaten und ihrem sonstigen Anwendungsbereich ab;134 die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe kann der Rechtsprechung überlassen werden. Wird der Eingriff in das Ermessen einer Behörde gestellt, muss dessen Ausübung nach 39 Ziel und Anwendungsbereich gesetzlich so eingegrenzt werden, dass eine objektive Nachprüfung möglich und ein Mindestmaß an Rechtschutz für den Betroffenen gesichert bleibt.135 Der Abwehranspruch gegen rechtswidrige und willkürliche Eingriffe öffentlicher Stellen darf nicht daran scheitern, dass der handelnden Stelle ein unbegrenztes Ermessen eingeräumt ist.136 Dass das Gesetz generelle und auslegungsbedürftige Begriffe enthält, die auch veränderten Umständen Rechnung tragen sollen und die erst durch die Rechtsprechung Konturen erhalten, schließt nicht aus, dass es dem Erfordernis der Bestimmtheit noch genügt. Für den Ausschluss der Willkür reicht es, wenn der Einzelne – ggf. nach Einholung fachkundigen Rats – ihren Inhalt und ihre Tragweite erkennen kann.137 Vorschriften, die der Behörde einen gewissen Ermessensspielraum einräumen, müssen Gegenstand, Zweck und Ausmaß der Ermessensausübung hinreichend eingrenzen.138 In Bereichen, in denen allerdings die Gefahr unkontrollierter und willkürlicher Ein40 griffe besonders groß ist, wie etwa bei der geheimen Telefonüberwachung, muss die Regelung die Voraussetzungen, unter denen die öffentlichen Stellen zu einem solchen Eingriff ermächtigt sind, seinen Umfang, den Umgang mit den daraus gewonnenen Daten sowie erforderliche Kontrollmaßnahmen genau festlegen.139 Nur wenn das natio-
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EGMR Rekvenyi/H (Fn. 129); IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 555 ff.; MeyerLadewig 102 f.; vgl. Art. 10 EMRK Rn. 17. Kritisch hierzu: Kratzsch Die so genannte Annexkompetenz im Strafverfahrensrecht (2009). EGMR (E) van der Velden/NL, 7.12.2006, ECHR 2006-XV. EGMR Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = NJW 1996 375 = EuGRZ 1995 590 = ÖJZ 1996 75; Chorherr/A, 25.8.1993, A 266-B = ÖJZ 1994 173 („Erregung öffentlichen Ärgernisses“ ausreichend); Meyer-Ladewig 104; wegen weiterer Beispiele auch für unzureichende Bestimmtheit vgl. Art. 10 EMRK Rn. 41. Etwa EGMR Campbell/UK, 25.3.1992, A 233 = ÖJZ 1992 595; (GK) Bykov/R, 10.3.2009, § 78, NJW 2010 213 = JR 2009 514 mit Anm. Gaede JR 2009 493 ff.; Shalimov/UKR, 4.3.2010 (Einschränkung
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des Besuchsrechts in der U-Haft); MeyerLadewig 105 m.w.N.; ferner etwa BVerfGE 83 130, 145; BVerfG NJW 2004 2213, 2216. EGMR (E) Weber u. Saravia/D (Fn. 47); Lupsa/RUM, 8.6.2006, ECHR 2006-VII; Huvig/F (Fn. 123); Gillan u. Quinton/UK, 12.1.2010. EGMR Barthold/D (Fn. 121); IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 559 ff. Vgl. EGMR Olsson/S (1), 24.3.1988, A 130 = EuGRZ 1988 591; Eriksson/S, A 156; Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 4; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 561, 565, 571. EGMR Malone/UK (Fn. 3); ähnlich für geheime Unterlagen: EGMR Amann/CH, 16.2.2000, ECHR 2000-II = ÖJZ 2001 71; Rotaru/RUM, 4.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 74; (E) Brinks/NL, 5.4.2005; ferner für die Briefkontrolle in der Haft: Meyer-Ladewig 94 m.w.N.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
nale Recht diese Eingriffsvoraussetzungen ausreichend festlegt und wenn diese im konkreten Fall auch eingehalten werden, ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und deshalb zulässig, sofern auch seine anderen Voraussetzungen gegeben sind: der Eingriff muss unter dem Blickwinkel einer demokratischen Gesellschaft zur Verfolgung eines legitimen Zieles i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig sein.140 Die Übereinstimmung mit dem zugrunde liegenden nationalen Recht wird vom EGMR nur eingeschränkt überprüft, da es in erster Line Aufgabe der nationalen Behörden und Gerichte ist, die Gesetze auszulegen und anzuwenden.141 Eingriffe sind nur zulässig, wenn sie im Interesse übergeordneter Rechtsgüter notwen- 41 dig sind; dies ist mehr als nur „zweckmäßig“ oder „wünschenswert“ oder „nützlich“.142 Der Umfang des jeweiligen Schutzes der angeführten Privatbereiche kann nicht aus dessen Umschreibung allein gewonnen werden, sondern immer nur aus einer wertenden Zusammenschau der Bedeutung des jeweiligen Schutzbereiches und der den Eingriff rechtfertigenden Prinzipien im Einzelfall. Im Übrigen verfolgen Art. 8 EMRK und Art. 17 IPBPR bei der Begrenzung der zulässigen Eingriffe unterschiedliche Methoden. 2. Art. 17 IPBPR. Art. 17 IPBPR enthält – anders als Art. 8 Abs. 2 EMRK – keine 42 materiell determinierte Aufzählung der Gründe, die staatliche Eingriffe in die gewährleisteten Privatbereiche rechtfertigen;143 er begnügt sich mit dem Verbot rechtswidriger oder willkürlicher Eingriffe. Der Schutz bleibt deshalb aber nicht wesentlich hinter dem des Art. 8 EMRK zurück. Rechtswidrig hat die Bedeutung, dass nur Eingriffe zulässig sind, die im Einklang mit der nationalen Rechtsordnung stehen; dass sie durch ein formelles Gesetz gedeckt werden, ist nicht notwendig.144 Eingriffe, die nicht durch das jeweilige nationale Recht gedeckt sind, verstoßen ohne Rücksicht auf die Vertretbarkeit ihrer Zielsetzung gegen Art. 17 IPBPR. Bestehendes nationales Recht als Grundlage für einen Eingriff muss seinerseits – in der Weise wie es von den nationalen Gerichten ausgelegt wird145 – im Einklang mit dem IPBPR stehen.146 Das neben der Rechtmäßigkeit stehende Willkürverbot hat eine zweifache Bedeutung: 43 Zum einen wendet es sich an die ausführenden staatlichen Stellen, die das nationale Recht frei von Willkür anwenden müssen, zum anderen betrifft es die Rechtsetzung selbst, die vom IPBPR nicht durch Festlegung der Eingriffsziele eingegrenzt wird.147 Hier folgt aus dem Willkürverbot, dass die Eingriffe nicht durch eine zu unbestimmte Fassung ihrer Voraussetzungen für den Betroffenen unberechenbar werden dürfen; das Ermessen der Vollzugsorgane muss eingegrenzt und nachprüfbar sein.148 Außerdem darf bei der Normierung der Tatbestände nicht unter Missachtung sachbezogener Gesichtspunkte oder in unzulässiger Diskriminierung bestimmter Personengruppen verfahren werden.149 Dem nationalen Recht entsprechende, d.h. rechtmäßige Einzelmaßnahmen, die in die 44 Privatsphäre hineinwirken, unterfallen ebenfalls der Willkürkontrolle. Die Behörden
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Vgl. EGMR M.M./NL (Fn. 54). EGMR Petri Sallinen u.a./FIN, 27.9.2005, §§ 77 f. Meyer-Ladewig 109. Vgl. dazu Joseph/Schultz/Castan 16.14. Nowak 11. HRC Van Hulst/NL, 15.11.2004, 903/1999, § 7.5. HRC General Comment 28, § 3. Vgl. HRC General Comment 28, §§ 4, 8.
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Vgl. HRC Pinkney/Kanada, 29.10.1981, 27/1978, § 7.27; dazu auch Joseph/ Schultz/Castan 16.10 f.; HRC Russische Föderation, CCPR/C/79/Add.54 (1995), § 19; Jamaika, CCPR/C/79/Add. 83 (1997), § 20; CCPR/C/HKG/CO/2 (2006), § 12; Conte/Burchill 204. Vgl. HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./Mauritius, 9.4.1981, 35/1978, EuGRZ 1981 391; dazu Nowak 14.
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dürfen Maßnahmen nur zur Erreichung eines zulässigen Zwecks in einem diesem angemessenen Ausmaß (Verhältnismäßigkeit) anordnen, sofern ein den Eingriff im konkreten Fall ausreichend rechtfertigender Anlass besteht.150 Solche Gründe lassen sich im Wege der Interpretationshilfe auch aus den in anderen Artikeln geschützten Werten und den dort materiell festgelegten Eingriffsvoraussetzungen (vgl. Art. 12 Abs. 3, Art. 18 Abs. 3, Art. 19 Abs. 3, Art. 21 Satz 2, Art. 22 Abs. 2 IPBPR) erschließen. Auch auf den Katalog von Art. 8 Abs. 2 EMRK kann zurückgegriffen werden.151 Willkür liegt insbesondere vor, wenn eine Behörde in Wirklichkeit mit der Maßnahme einen anderen als den vorgegebenen Zweck erreichen will, also bei der Anordnung nicht bona fide handelt. 3. Besondere Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Zum Ausschluss von Willkür sind nach Art. 8 EMRK an Rechtssetzung und Vollzug die gleichen Anforderungen zu stellen wie nach Art. 17 IPBPR (vgl. Rn. 42 ff.). Zusätzlich sind bei Art. 8 Abs. 2 EMRK weitere Schranken zu beachten.
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a) Eingriffszweck. Die zulässigen Eingriffszwecke zählt Art. 8 Abs. 2 EMRK abschließend auf.152 Zu anderen Zwecken ist ein Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte nicht zulässig (Art. 18 EMRK).153 Die einzelnen Katalogfälle sind jedoch weit gespannt, da zu ihrer Umschreibung unbestimmte Rechtsbegriffe wie „öffentliche Ordnung“, „Sicherheit“ usw. verwendet werden. Dies eröffnet den Staaten einen weiten Beurteilungsspielraum für Regelungen, der aber durch das zusätzliche Erfordernis der Notwendigkeit der jeweiligen Regelung in einer demokratischen Gesellschaft (Rn. 54 ff.) eingegrenzt wird. Die einen Eingriff zulassenden Regelungsziele bzw. -zwecke werden alternativ aufgeführt. Es genügt, wenn eines der angeführten Ziele den Eingriff rechtfertigt. Mitunter kommen mehrere dieser Regelungszwecke in Betracht, denn die Aufzählungen decken und überschneiden sich zum Teil.154 Sie sind stärker nach ihrer Zielsetzung als nach dem Wortlaut auszulegen.155 Ob eine staatliche Maßnahme von einem der aufgeführten Eingriffszwecke gerechtfertigt wird, muss aufgrund der Sachlage und des Kenntnisstandes der handelnden Stelle im Zeitpunkt des Eingriffs beurteilt werden, ex ante.156 Eingriffsregelungen sind nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig im Interesse der natio46 nalen oder öffentlichen Sicherheit, des wirtschaftlichen Wohls des Landes, der Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verhütung von Straftaten157, zum Schutz der Gesundheit
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Vgl. HRC Toonen/Australien, 31.3.1994, 488/1992, § 8.3; EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121; Nowak 12 ff.; ähnlich für das innerstaatliche Recht etwa BVerfG NJW 1991 690. Nowak 13. Vgl. etwa EGMR Golder/UK (Fn. 42); Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 10. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 588; ferner zur Ablehnung „immanenter“ oder „stillschweigender“ zusätzlicher Schranken 579. Der EGMR begnügt sich dann meist unter Verzicht auf Abgrenzungen auf die Herausstellung eines den Eingriff rechtfertigenden Zieles, vgl. etwa EGMR Klass/D (Fn. 48),
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22.10.1981; Dudgeon/UK (Fn. 122); Frowein/Peukert 10 ff.; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 591 ff. m.w.N. Vgl. den etwas anders gefassten Katalog zulässiger Einschränkungen in Art. 9 des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten v. 28.1.1981 (CTS 108). Etwa EGMR Bouchelkia/F, 29.1.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1998 116; Z/FIN, 25.2.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1998 152. Hier besteht ein Textunterschied „á la défense de l’ordre et à la prévention des infractions pénales“ bzw „for the prevention of disorder or crime“ aus dem bisher keine
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oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Damit werden weitgehend alle Maßnahmen gedeckt, die in den modernen demokratischen Staaten das öffentliche Leben und die Teilhabe des Einzelnen daran regeln und vor Gefahren schützen. Im Gegensatz zur Verhütung von Straftaten wird die Strafverfolgung als Eingriffs- 47 zweck nicht besonders erwähnt. Sie wird meist entweder der Aufrechterhaltung der Ordnung zugerechnet158 oder aber der Verhütung von Straftaten, da Strafverfolgungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Prävention auch diesem Zweck dienen.159 Sie dient aber auch der öffentlichen Sicherheit („public safety“ / „sureté publique“)160 und kann zusätzlich noch durch andere Schutzzwecke gerechtfertigt sein. Ein- und Ausreisebeschränkungen sowie Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Strafvollzug ergehen, werden ebenfalls unter den Eingriffszweck der Verhütung von Straftaten gefasst,161 so etwa die Verhinderung des Ausbruchs eines Gefangenen durch (befristete) permanente Videoüberwachung, ebenso die gleichzeitig beabsichtigte Verhinderung seines Suizides bzw. einer sonstigen Gesundheitsschädigung, die einen Prozess vereiteln und aufgrund der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit des Falles Unruhen in der Bevölkerung hervorrufen oder diese verstärken könnte.162 Auch für die Beschränkung des Kontakts eines Häftlings zu seiner Mutter während des Prozesses wurde dies bejaht, weil die Mutter in diesem Prozess als Zeugin der Anklage Belastungszeugin gegen ihren Sohn sein sollte und das Kontaktverbot deshalb der Sicherung eines ordnungsgemäßen Strafverfahrens diente.163 Gleiches gilt für Leibesvisitationen an Besuchern in der Haft, um das Einschleusen von Drogen zu unterbinden.164 Andererseits stellt der Gerichtshof jedoch an anderer Stelle klar, dass allein ein möglicher Konflikt mit der Meinung der Öffentlichkeit nicht geeignet ist, die Rechte des Strafgefangenen zu suspendieren.165 Die nationale Sicherheit kann auch schwerwiegende Einschränkungen der Konven- 48 tionsrechte rechtfertigen; erforderlich ist in solchen Fällen jedoch eine schwerwiegende Bedrohung des Staates und seiner Einrichtungen, die allerdings nicht soweit gehen muss, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der bedrohte Staat den Art. 8 EMRK aufgrund der Notstandsklausel des Art. 15 EMRK außer Kraft setzen könnte.166 Mit den Hinweisen auf die nationale Sicherheit wurden Maßnahmen zur Bekämpfung staatsgefährdender Bestrebungen gerechtfertigt.167 Bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Maßnahme im Interesse der nationalen Sicherheit sind die Grundsätze zu beachten, die der EGMR für die Auflösung einer politischen Partei nach Art. 11 Abs. 2 EMRK ent-
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Schlussfolgerungen gezogen wurden, vgl. Evers EuGRZ 1984 283. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 620 ff. vgl. aber ferner 621 mit Angabe der umfangreichen Rechtsprechung, wo Maßnahmen der Strafverfolgung der Verhinderung strafbarer Handlungen zugerechnet werden. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 18 (Gefahr der Bestrafung bei Besuch der Mutter). Die frühere deutsche Übersetzung verwendete dafür den weniger zutreffenden Begriff „öffentliche Ruhe und Ordnung“, vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 601 ff. Vgl. zur frühen Spruchpraxis IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 626 f.
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EGMR (E) van der Graaf/NL, 1.6.2004 (Mordfall Pim Fortuyn v. 6.5.2002, kurz vor den Parlamentswahlen). EGMR Baginski, 11.10.2005; Ferla/PL, 20.5.2008 (aus den gleichen Gründen kein Kontakt zur Ehefrau vor dem Prozess). EGMR Wainwright/UK, 26.9.2006, ECHR 2006-X, § 43. EGMR (GK) Dickson/UK (Fn. 38), § 70; (GK) Hirst/UK (2) (Fn. 38), § 70. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 598. Vgl. etwa EGMR Klass/D (Fn. 48); Leander/S, 26.3.1987, A 116; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 598 m.w.N.
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wickelt hat, siehe dort Rn. 37, soweit sich diese Maßnahmen gegen die Vorsitzenden einer politischen Partei oder deren Mitglieder richtet, etwa durch das Sammeln und Aufbewahren von Informationen in einem Polizeiregister. Danach darf nicht allein das Programm der Partei zur Beurteilung herangezogen werden, es hat vielmehr ein Vergleich mit den Aktivitäten und Äußerungen der Parteiführung zu erfolgen, um eine potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit zu begründen.168 In den meisten Fällen werden Eingriffe im polizeilichen Bereich aber auf den Schutz 49 der öffentlichen Sicherheit oder die Aufrechterhaltung der Ordnung gestützt, der zusammen mit der als weiteres Ziel genannten Verhütung von Straftaten dem Staat einen weiten Regelungsbereich eröffnet und der auch, gleichgültig wo man sie zuordnet, die Verfolgung von Straftaten mit einschließt (vgl. Rn. 47).169 Die Grenzen werden auch hier nicht so sehr durch den abstrakten Regelungszweck, sondern dadurch gezogen, dass alle Regelungen die Voraussetzungen der Demokratieüblichkeit und Notwendigkeit erfüllen müssen und dass die Verhältnismäßigkeit des jeweiligen Eingriffs gewahrt werden muss (Rn. 54 ff.). Bei Regelungen bzw. Eingriffen für das wirtschaftliche Wohl des Landes wurde 50 ursprünglich vor allem an die Devisenkontrolle und die Wohnraumbewirtschaftung170 gedacht.171 Es werden davon aber alle (notwendigen) Maßnahmen zur Sicherung der Wirtschaftsordnung erfasst. Auch die Begründung strafbewehrter Mitwirkungspflichten bei einer Volkszählung172 soll hierunter fallen. Der Regelungszweck Schutz der Gesundheit wird weit verstanden.173 Er umfasst 51 sowohl das psychische und physische Wohlbefinden einzelner Personen oder Personengruppen als auch die öffentliche Gesundheit als Ganzes.174 Er rechtfertigt vor allem Maßnahmen, die im Interesse der Allgemeinheit zur Bekämpfung von Krankheiten notwendig sind175 oder die allgemein Gesundheitsschäden vorbeugen sollen. Auch die Beschlagnahme ärztlicher Unterlagen und die Aussagen der Ärzte über die HIV-Infektion eines Angeklagten in einem Strafverfahren werden dadurch gerechtfertigt, nicht aber, dass die Akten darüber mit allen Unterlagen nach zehn Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.176 Gedeckt werden aber auch Maßnahmen, die im Interesse der physischen oder psychischen Gesundheit eines Einzelnen notwendig sind, wie etwa die Unterbringung eines Kindes entgegen dem Willen der Eltern177 oder die Vorführung einer Person im Verfahren zur Bestellung eines Pflegers.178 Der Staat hat zu verhindern, dass ein Patient seinem Leben durch Einnahme von Medikamenten ein Ende setzt, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass diese Ent-
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EGMR Segerstedt-Wiberg u.a./S, 6.6.2006, ECHR 2006-VII: Unverhältnismäßigkeit der Datenspeicherung wegen der bloßen Mitgliedschaft in der KPML – MarxistischLeninistische Partei – ohne Bezug zu konkreten Umständen während des 30-jährigen Bestehens der Partei oder der 21-jährigen Mitgliedschaft). Evers EuGRZ 1984 283. Frowein/Peukert 47. Guradze 3. EKMR EuGRZ 1983 410. EGMR Haas/CH, 20.1.2011, § 50, NJW 2011 3773.
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IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 632. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 637. Vgl. die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung aus diesem Grund nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK. EGMR Z/FIN (Fn. 156). IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 638; vgl. aber auch EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 18, bei Strasser EuGRZ 1985 522, 523, wo die Interessen des Kindes als dem Recht der Eltern vorrangiges „Recht eines anderen“ gewertet werden. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 18 (auch für Vermögensverwaltung).
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scheidung aus freien Stücken und unter absoluter Zurechnungs- und Entscheidungsfähigkeit getroffen wurde. Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Patient womöglich einen unwürdigen Tod unter Vernichtungsschmerzen fürchtet. Ist diese Angst allerdings unbegründet, ist die Weigerung der Vergabe von lebensbeendenden Medikamenten und die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe kein Verstoß des Art. 8 EMRK.179 Welche Maßnahmen zum Schutz der Moral getroffen werden dürfen, kann nicht 52 generell gesagt werden. Die Auffassungen in den Vertragsstaaten sind dafür zu unterschiedlich.180 Ähnlich wie beim Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG ist bei der Auslegung in erster Linie auf die allgemein anerkannten Moralvorstellungen in der jeweiligen nationalen Gesellschaft zurückzugreifen.181 Die einzelnen Staaten haben hier einen weiten Beurteilungsspielraum. Eingriffe in intime Bereiche des Privatlebens ohne unmittelbaren Öffentlichkeitsbezug bedürfen jedoch schwerwiegender Gründe, um sie zu legitimieren.182 Zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer können die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 53 EMRK ebenfalls eingeschränkt werden.183 Dies trägt dem Grundsatz Rechnung, dass die Rechte des Einzelnen notwendig durch die gleichen Rechte der anderen begrenzt werden184 und der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht mitunter eingreifen muss, wenn die Konventionsgarantien durch Dritte gefährdet werden. So können auch Belange des Kindeswohls dem Recht der Eltern auf gelebte Familienbeziehungen vorgehen.185 Die vorgegebenen (immanenten) Schranken des Privatbereichs erfordern immer eine Rechtsgüterabwägung im Einzelfall.186 Auch sonst können Maßnahmen, die zum Schutze oder der Durchsetzung des Rechtes oder der Freiheiten anderer notwendig sind, bei Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Beschränkungen und Eingriffe in den Privatbereich rechtfertigen.187 Meist werden aber daneben kumulativ auch weitere Eingriffsgründe angeführt, wie etwa die Verhinderung strafbarer Handlungen oder der Schutz der Gesundheit und der Moral oder das wirtschaftliche Wohl des Landes.188 b) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft. Jede Regelung oder Anord- 54 nung, mit der einer oder mehrere der zulässigen Zwecke verfolgt werden soll, muss aus der Sicht eines demokratischen Staatsbildes einem dringenden gesellschaftlichen Bedürf-
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EGMR Haas/CH (Fn. 173), § 54 (Leiden an schweren Psychosen). IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 640. EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; krit. dazu Ermacora EuGRZ 1977 363 (Übernahme des innerstaatlichen Moralbegriffes statt Entwicklung eines europäischen Standards); vgl. auch EGMR Dudgeon/UK (Fn. 122); Müller u.a./CH, 24.5.1988, A 133 = NJW 1989 379 = ÖJZ 1989 182 = EuGRZ 1988 543; ferner HRC Herzberg u.a./FIN, 2.4.1982, EuGRZ 1983 342 (kein weltweit geltender gemeinsamer Maßstab); vgl. Art. 10 EMRK Rn. 86. EGMR Norris/IR (Fn. 45). Zur nachträglichen Einfügung dieses Einschränkungsgrundes vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 640.
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EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 19 (Räumung eines unbefugt bewohnten Hauses); vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 650. Vgl. etwa EGMR Olsson/S (1) (Fn. 138). Vgl. etwa EGMR Olsson/S (1) (Fn. 138); Chappel/UK (Fn. 122); Gaskin/UK (Fn. 72); IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 650 und die weiteren Beispiele 652 ff. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 18 (Vermutung, dass Notar geisteskrank ist, wenn er ärztliche Untersuchung verweigert, die wegen seiner für die Allgemeinheit wichtigen Funktion zum Schutze Dritter erforderlich ist). Vgl. etwa EGMR Olsson/S (1) (Fn. 138); IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 646 m.w.N.
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nis entsprechen und verhältnismäßig in Bezug auf das angestrebte Ziel sein.189 Bei länger andauernden Maßnahmen genügt es nicht, wenn die Notwendigkeit nur zu Beginn vorliegt. Gerade in den Fällen, in denen der Eingriff durch seine Dauer an Intensität gewinnt, ist zur Aufrechterhaltung eine erneute Prüfung der Notwendigkeit vorzunehmen und ggf. eine weniger einschneidende alternative Maßnahme zu ergreifen.190 Es genügt nicht, dass eine Maßnahme aus der Sicht einer demokratischen Gesellschaft nur nützlich oder zweckmäßig erscheint. Die Notwendigkeit des Eingriffs folgt nicht schon daraus, dass mit ihm ein zulässiges Ziel i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK verfolgt wird; sie ist für den konkreten Zweck aus der Sicht der Werte einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu beurteilen. Sie ist nicht an dem Maßstab einer abstrakten Staatsraison zu messen, die vom absoluten Vorrang des Staates und seiner Ziele bestimmt wird, sondern an einem Staatsverständnis, das vom Leitbild einer für die Meinungsvielfalt offenen, pluralistischen Demokratie geprägt ist, in der das Verhältnis zwischen Staat und Bürger von typischen, Staatsmacht und Staatszwecke begrenzenden Wertvorstellungen, wie Toleranz, Pluralismus der Meinungen, Volkssouveränität, Rechtsstaatsprinzip (rule of law)191 und Anerkennung der Grundrechte und insbesondere von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht wird.192 Dies schließt nicht aus, besondere zeitbedingte Umstände, wie etwa die Erfordernisse der Terrorismusbekämpfung, mit zu berücksichtigen.193 Als Indiz für die Demokratie-Üblichkeit wird dabei gewertet, dass auch eine Reihe anderer Mitgliedstaaten in ihrer Rechtsordnung gleichartige Maßnahmen zulassen. Der Beurteilungsspielraum, den die einzelnen Staaten auch insoweit haben, wird hin55 sichtlich der Wahl der Maßnahmen, die sie im Interesse eines der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Zweckes treffen wollen, unterschiedlich weit bemessen. Maßgebend dafür ist eine wägende Gesamtschau, bei der die Art des Eingriffs, die besonderen Umstände des Einzelfalls und das Gewicht der kollidierenden Interessen194 ebenso zu berücksichtigen sind wie die Auswirkung der konkreten Maßnahme auf den Einzelnen und die Bedeutung des vom Eingriff betroffenen Rechts in einer demokratischen Gesellschaft. So wird der Umfang des staatlichen Beurteilungsspielraums grundsätzlich eingeschränkt, wenn der Eingriff einen besonders wichtigen Aspekt der persönlichen Identität und des Lebens (z.B. den Schutz persönlicher Daten)195 betrifft196 oder der Eingriff in das Privatleben mit dem Mittel des Strafrechts erfolgt.197 Jedenfalls aber ist bei schwerwiegenden
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Vgl. EGMR (GK) Üner/NL, 18.10.2006, NVwZ 2007 1279 = DVBl. 2007 689; (GK) Slivenko/LET, 9.10.2003, ECHR 2003-X = EuGRZ 2006 560. Vgl. EGMR Iletmis/TRK, 6.12.2005, ECHR 2005-XII (Verhinderung der Ausreise durch Beschlagnahme des Passes über einen Zeitraum von 15 Jahren); Baginski/PL (Fn. 163; vollständige Isolation eines Häftlings von seiner Mutter); Ferla/PL (Fn. 163). Etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 181); Young u.a./UK, 13.8.1981, A 44 = NJW 1982 2717 = EuGRZ 1981 559; vgl. ferner W/UK (Fn. 109). Vgl. etwa EGMR Moustaquim/B, 18.2.1991, A 193 = EuGRZ 1993 552 = InfAuslR 1991 149 = ÖJZ 1991 452; Chassagnou/F, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 1999
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3695; Meyer-Ladewig 109. Auch eine der Schwere des Eingriffs entsprechende Einbeziehung der Betroffenen in den Entscheidungsprozess durch Anhörung und Information kann dazu gehören, vgl. EGMR W/UK (Fn. 109). EKMR EuGRZ 1983 430 (McVeigh u.a.). Etwa EGMR Johansen/N, 7.8.1996, Rep. 1996-III = ÖJZ 1997 75; Buckley/UK (Fn. 108). EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), § 103. EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), § 102; (GK) Dickson/UK (Fn. 38), § 78; Connors/UK, 27.5.2004, § 82 m.w.N. EGMR (GK) Hatton/UK (Fn. 71); Dudgeon/ UK (Fn. 122).
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Eingriffen eine besonders strenge Prüfung erforderlich. Der Umfang des Beurteilungsspielraums ist insofern (auch) abhängig von der Qualität des Entscheidungsprozesses.198 Grundsätzlich wird die Freiheit des Staates, selbst zu entscheiden, welche Maßnahme im jeweiligen Fall zweckmäßig ist, vom Gerichtshof anerkannt.199 Der EGMR hat wiederholt hervorgehoben, dass die Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts Sache der innerstaatlichen Behörde und Gerichte ist. Er sieht es nicht als seine Aufgabe an, Gesetze abstrakt nachzuprüfen oder seine eigene Auffassung über die Zweckmäßigkeit einer innerstaatlichen Maßnahme oder über die damit von dem jeweiligen Staat verfolgte Politik an die Stelle der Auffassung der nationalen Behörden zu setzen, zumal diese unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, Bedürfnisse und Traditionen darüber sachnäher entscheiden können.200 Dies gilt umso mehr in den Fällen, in denen es unter den Mitgliedsstaaten des Europarates hinsichtlich der zu beurteilenden Problematik keinen Konsens gibt.201 Der Beurteilungsspielraum wird hier normalerweise weiter, aber nicht allumfassend sein. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen wird keinesfalls entbehrlich.202 Der Gerichtshof behält sich die einzelfallbezogene Kontrolle darüber vor, ob eine konkrete Maßnahme in einem demokratischen Staat wirklich notwendig ist und die dafür angeführten Gründe stichhaltig und ausreichend sind.203 Es besteht insoweit die Pflicht des Staates, das dringende gesellschaftliche Bedürfnis, dem die Maßnahme dienen soll, bezogen auf den konkreten Einzelfall darzulegen.204 Die Ausnahmen vom Grundsatz des Absatzes 1 sind als solche eng auszulegen und 56 überzeugend zu begründen.205 Dabei wird vorausgesetzt, dass die Staaten bei Erlass der einschlägigen Regelungen und bei Anordnung eines Eingriffs „vernünftig, sorgfältig und in gutem Glauben“ handeln206 und dass ihre Entscheidungen nicht von Gesichtspunkten beeinflusst sind, die eine unzulässige Diskriminierung bedeuten.207 Die Maßnahmen dürfen im Einzelfall208 den Wesensgehalt des verbürgten Privatbereiches nicht aushebeln;209 vor allem müssen sie gegenüber dem mit ihnen verfolgten legitimen Zweck verhältnismäßig sein.210 Bei der Prüfung von Durchsuchungen (insbesondere von Geschäftsräu-
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EGMR Salontaji-Drobnjak/SRB, 13.10.2009, §§ 141 ff. (Einschränkung der Geschäftsfähigkeit). Etwa EGMR (GK) Hatton/UK (Fn. 71); Klass/D (Fn. 48); ferner etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 181); Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 13. Vgl. EGMR (GK) Hatton/UK (Fn. 71); Leander/S (Fn. 167); Buckley/UK (Fn. 108). KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 92. EGMR (GK) Dickson/UK (Fn. 38), §§ 78 f. unter Hinweis auf EGMR (GK) Hirst/UK (2) (Fn. 38). Meyer-Ladewig 118. EGMR Baginski/PL (Fn. 163), § 89. Vgl. auch: BVerfG StV 2009 253 (körperliche Durchsuchung bei U-Häftlingen). EGMR Smirnov/R, 12.11.2007, § 43; Buck/D, 28.4.2005, ECHR 2005-IV = NJW 2006 1495 = StV 2006 561 = StraFo 2005 371.
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Vgl. etwa EGMR Dudgeon/UK (Fn. 122); EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121; Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 15; ferner HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./ Mauritius (Fn. 149). Vgl. etwa EGMR Hoffmann/A, 23.6.1993, A 255-C = ÖJZ 1993 853 = JBl. 1994 465 = EuGRZ 1996 648 (Religionszugehörigkeit). Vgl. etwa EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1987 560 (keine allgemeine Aussage über Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Maßnahmen bei Kontrolle der Gefangenenpost). Frowein/Peukert Vorbem. zu Art. 8 bis 11, 15. Vgl. EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189); (GK) Slivenko/LET (Fn. 189); Dudgeon/ UK (Fn. 122); Barthold/D (Fn. 121); Norris/IR (Fn. 45).
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men) und Beschlagnahmen hat der EGMR u.a. folgende Kriterien herangezogen: die Umstände, unter denen die Durchsuchung angeordnet wurde (insbesondere das Vorliegen weiterer Beweismittel), Inhalt und Reichweite der Durchsuchungsanordnung, Art und Weise des Vollzuges, einschließlich der Anwesenheit eines unabhängigen Beobachters während der Durchsuchung sowie den Umfang der möglichen Auswirkungen auf die Arbeit und den Ruf des Betroffenen.211 Es muss ein faires Gleichgewicht zwischen den kollidierenden Interessen bestehen bzw. 57 hergestellt werden. So wird etwa der Anspruch des Betroffenen auf Achtung seines Privatund Familienlebens abgewogen mit den Interessen anderer Personen, vor allem mit dem Wohl betroffener Kinder 212 oder dem Interesse des einzelnen am Schutz seiner Wohnung und den Landschafts- und Bauplanungen öffentlicher Stellen213 oder den Interessen der Gemeinschaft an der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung strafbarer Handlungen214 sowie an der Sicherung einer ordnungsgemäßen („proper“) Rechtspflege.215 Soweit bei der Gewichtung der kollidierenden Interessen auch Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen sind, die in der Person eines Betroffenen liegen, ist dieser nach Möglichkeit in angemessener Form in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen und zu den beabsichtigten Maßnahmen und den vorliegenden Beweismitteln zu hören. Der Entscheidungsprozess als solcher und die richtige Gewichtung der Interessen unterliegen dabei einer selbständigen gerichtlichen Kontrolle.216 Die für die Feststellung eines fairen Gleichgewichts notwendige Abwägung erfordert grundsätzlich, dass der Betroffene vorher eine ausreichende Möglichkeit hatte, auch selbst seine Belange geltend zu machen, damit sie bei der erforderlichen Abwägung angemessen berücksichtigt werden können, diese also das Ergebnis eines fairen Verfahrens217 ist. Gibt es für eine Maßnahme Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens und der Behandlung des Betroffenen, so ist es nicht die Pflicht des Betroffenen, sondern die der Behörde, ein ordnungsgemäßes Verfahren sicherzustellen.218
III. Geschützte Rechtsbereiche und Einzelrechte 1. Privatleben
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a) Begriff / Schutzbereich. Der Begriff des Privatlebens, den beide Konventionen nicht näher bestimmen, entzieht sich weitgehend einer begrifflichen Abgrenzung.219 Er ist weit auszulegen, geschützt wird der ganze private Bereich in seinen vielfachen Aspekten
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EGMR Smirnov/R (Fn. 205), § 44; Buck/D (Fn. 205); vgl. weiter Rn. 144 ff. Etwa EGMR Keegan/IR (Fn. 92); Johansen/N (Fn. 194). Etwa EGMR Buckley/UK (Fn. 108, stationärer Wohnwagen). EGMR Beldjoudi/F, 26.3.1992, A 234-A = EuGRZ 1993 556 = ÖJZ 1992 773 = InfAuslR 1994 86; Vgl. auch BVerfG EuGRZ 2004 317; Bouchelkia/F (Fn. 156); P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); Peck/UK, 28.1.2003, ECHR 2003-I = ÖJZ 2004 651 m.w.N. EGMR Worwa/PL, 27.11.2003. EGMR (GK) Hatton/UK (Fn. 71).
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Etwa EGMR Keegan/IR (Fn. 92); McMichael/UK (Fn. 108); Buckley/UK (Fn. 108); Ciliz/NL (Fn. 108); Elsholz/D (Fn. 108); Venema/NL (Fn. 109); Grabenwarter § 22, 51; Meyer-Ladewig 78, 113. EGMR Wainwright/UK (Fn. 164; während einer Leibesvisitation war die Betroffene durch ein Fenster sichtbar. Die Regierung hatte vorgetragen, sie hätte um den Sichtschutz bitten sollen). Etwa EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); zu den Schwierigkeiten einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung und zum pragmatischen Vorgehen vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 96 ff.
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und in allen Abstufungen der Privatheit.220 Er umfasst das Recht auf persönliche Entwicklung und Selbstbestimmtheit 221 sowie auf physische, psychische und moralische Unversehrtheit.222 Maßnahmen, die nicht die Intensität von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erreichen und folglich von Art. 3 EMRK nicht erfasst werden, können daher durchaus einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen,223 wie etwa eine (Fluggast-)Kontrolle mithilfe eines Körperscanners224. Privatleben schließt die körperliche, geistige und seelische Befindlichkeit der Person,225 alle ihre Individualität kennzeichnenden Merkmale, wie ihre ethnische Zugehörigkeit,226 sowie ihr Recht auf einen Namen227 oder ihr Recht am eigenen Bild 228 mit ein, ferner den gesamten Bereich der individuellen und autonomen Lebensgestaltung des Einzelnen mit all seinen Handlungen, Unterlassungen aber auch seine Beziehungen zu anderen Personen einschließlich des Familien- und Sexuallebens229 und der verschiedenen Formen der Kommunikation, sofern diese unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände und Verhältnisse der Sphäre des Nicht-Öffentlichen zuzurechnen sind.230 Zeitlich kann die Beziehung zu einem anderen Menschen unter Umständen selbst über dessen Tod hinaus durch Art. 8 EMRK geschützt sein.231 Zur Achtung des Privatbereiches gehört des weiteren das Recht auf einen staatsfreien Raum, das Freisein von einer ständigen Beobachtung im eigenen Heim ebenso wie in anderen Räumen232 oder grundsätzlich auch in der
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Vgl. EGMR Practical Guide on Admissibility Criteria, 285; EGMR P.G. u. J.H./ UK (Fn. 32, weiter Begriff, einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich); Peck/UK (Fn. 214) EGMR Pretty/UK (Fn. 2); Friend u. Countryside Alliance u.a./UK, 24.11.2009 (mit dem Hinweis darauf, dass nicht jegliches Verhalten im Hinblick auf die Selbstbestimmtheit erlaubt ist). EGMR van Kück/D, 12.6.2003, ECHR 2003-VII = NJW 2004 2505 (Transsexualität); Bensaid/UK, 6.2.2001, ECHR 2001-I = NVwZ 2002 453 = InfAuslR 2001 364; Costello-Roberts/UK, 25.3.1993, A 247-C = ÖJZ 1993 707; Meyer-Ladewig 11. EGMR Wainwright/UK (Fn. 164; Leibesvisitation unter vollständiger Entblößung bei Besuchern eines Häftlings); Jalloh/D, 11.7.2006, ECHR 2006-IX = EuGRZ 2007 150 = NJW 2006 3117 = StV 2006 617 (vgl. insbesondere die abweichenden Meinungen zur Verletzung von Art. 8 EMRK beim Brechmitteleinsatz); Dolenec/KRO, 26.11.2009, § 128; SK/Paeffgen 27: „… Art. 8 die niedrigste und am weitesten vorgelagerte Verteidigungslinie gegen Beeinträchtigungen der ‚körperlichen Integrität‘.“ Hierzu: Esser/Gruber ZIS 2011 379, 381. EGMR X u. Y/NL, 26.3.1985, A 91 = EuGRZ 1985 297 = NJW 1985 2075; Costello-Roberts/UK (Fn. 222);
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Burghartz/CH, 22.2.1994, A 280-B = ÖJZ 1994 559; Evers EuGRZ 1984 283, MeyerLadewig 11. EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), § 66; Ciubotaru/MOL (Fn. 73), § 49. EGMR Mentzen/LET, 7.12.2004; Güzel Erdagöz/TRK, 21.10.2008; Art. 24 Abs. 2, 3 IPBPR bestätigen das für die eigene Identität wichtige Recht auf einen Namen, wenn sie ausdrücklich das Recht jedes Kindes, unverzüglich nach der Geburt einen Namen zu erhalten und registriert zu werden sowie sein Recht auf den Erwerb einer Staatsangehörigkeit ausdrücklich garantieren. EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 80); Sciacca/I, 11.2.2005, ECHR 2005-I (Foto anlässlich der Festnahme wurde von Polizei an die Presse gegeben); Reklos u. Davourlis/GR, 15.1.2009. Vgl. hierzu die Rechtsprechungsübersicht von Wiemann EuGRZ 2010 408. Zu den Abgrenzungsfragen vgl. IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 96 ff., insbes. 114 ff.; Meyer-Ladewig 7 ff. und zur teleologischen, wertenden Abgrenzung Evers EuGRZ 1984 284. EGMR Znamenskaya/R, 2.6.2005 (Verfahren betreffend Vaterschaft und Namen eines tot geborenen Kindes); vgl. auch SK/Paeffgen 65 m.w.N. zum Familienleben. Vgl. EGMR Allan/UK (Fn. 53), dazu Esser JR 2004 98 (geheime Ton- und Videoaufzeichnungen in der Gefängniszelle); vgl.
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Öffentlichkeit. Außerdem werden die verschiedenen Formen der Kommunikation, ferner alles, was Vorgänge aus diesem Bereich erfasst und für andere einsichtig machen kann vom Begriff des Privatlebens eingeschlossen, wie etwa Ton- und Bildaufnahmen,233 Unterlagen und Dokumentationen. Selbst geschäftliche und berufliche Aktivitäten234 können dem Privatbereich zuzurechnen sein,235 ebenso der Schutz vor beeinträchtigenden oder schädigenden Immissionen aus der Umwelt.236 Allerdings werden Verhaltensweisen mit einem sich nicht in der Unterhaltung privater persönlicher Beziehungen erschöpfenden Außenbezug nicht allein dem Privatbereich zugerechnet, vor allem wenn sie mit den Rechten anderer Menschen oder mit den in Absatz 2 aufgezählten öffentlichen Interessen bzw. mit der in Art. 9 Abs. 2 EMRK erwähnten Moral kollidieren. Die von der Gewichtung der hereinspielenden öffentlichen und privaten Interessen abhängige Grenzziehung ist in den Randbereichen fließend. Große praktische Auswirkungen sind damit nicht verbunden, da es auch bei Annahme eines staatlichen Eingriffs in den Privatbereich darauf ankommt, ob dieser durch eine gesetzliche Regelung und die weit gespannten Zulässigkeitsgründe von Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt ist.237 Soweit sich Vorgänge im öffentlichen Raum vollziehen, wird man unterscheiden müs59 sen: An sich endet die Privatsphäre nicht bereits dadurch, dass sich jemand in der Öffentlichkeit bewegt, denn Privatsphäre ist nicht räumlich, sondern vom Schutzzweck her funktional zu verstehen.238 Es gibt einen Bereich, in dem Menschen auch in der Öffentlichkeit zusammenkommen können, und der dennoch zum Privatleben gerechnet werden kann. Dieser Bereich ist weiter, wenn es sich um „normale Personen“ und nicht um Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens handelt.239 So ist ein Privatgespräch zwischen zwei Personen auch dann Bestandteil ihres Privatbereichs, wenn sie es auf der Straße oder in einem öffentlichen Lokal führen.240 Soweit der Betroffene sich aber bewusst selbst zum Teil der Öffentlichkeit macht, etwa weil er an besonderen öffentlichen Ereignissen aktiv teilnimmt, freiwillige öffentliche Erklärungen (auch im Gerichtssaal) abgibt oder weil er sonstige Tätigkeiten ausübt, bei denen er weiß oder zumindest damit rechnen muss, dass sie zum Gegenstand öffentlicher Berichte gemacht oder aufgezeichnet werden, endet in der Regel sein Privatbereich, da er vernünftigerweise insoweit keinen besonderen Schutz erwarten kann.241 Dies gilt nicht bereits deshalb, weil gegen
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hierzu auch EGMR P.G. u. H.J./UK (Fn. 32): Aufzeichnung für Stimmvergleich; BGH NJW 2009 2463 (akustische Überwachung – Besuchsraum U-Haft). Vgl. EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 80; Fotos aus dem Privatleben). EuGH Varec SA/B, 14.2.2008, NVwZ 2008 651 (Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge). EGMR Niemietz/D, 16.12.1992, A 251-B = EuGRZ 1993 65 = NJW 1993 718 = ÖJZ 1993 389 = JBl 1993 451; Halford/UK (Fn. 51); Bigaeva/GR, 28.5.2009 (Zulassung einer Ausländerin als Rechtsanwältin); Köpke/D (E), 5.10.2010 (heimliche Videoüberwachung einer Arbeitnehmerin); Sidabras u. Dziautas/LIT, 27.7.2004. EGMR López Ostra/E (Fn. 87), § 51; Tatar/RUM, 27.1.2009; Branduse/RUM,
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7.4.2009 (Geruchsbelästigung in Gefängniszelle durch Müllhalde); (GK) Hatton u.a./ UK, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII = EuGRZ 2005 584 = NVwZ 2004 1465 = ÖJZ 2005 642, § 96; Greenpeace e.V./D (E) (Fn. 82); vgl. aber Caron u.a./F (E), 29.6.2010 (Unzulässigkeit einer allgemeinen Beschwerde gegen den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen). Vgl. Rn. 36 ff.; 45 ff. Vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 118, ferner Rn. 60 ff. zu den Schwierigkeiten einer allgemeinen Abgrenzung und zur einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR. EGMR Sciacca/I (Fn. 228), §§ 28, 29. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32; signifikanter, wenn auch nicht notwendig entschei-
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
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den Betroffenen ein Strafverfahren eingeleitet wird.242 Auch bei Handlungen mit Öffentlichkeitsbezug kann der Schutzbereich insbesondere dann weiterhin eröffnet sein, wenn der dem Betroffenen bekannt gegebene Verwendungszweck der Aufzeichnungen überschritten oder wenn das im öffentlichen Bereich gewonnene Material ohne sein Wissen von einer Stelle systematisch gesammelt oder ausgewertet wird.243 Der Privatbereich ist nicht betroffen, wenn ein Teilnehmer an einer Veranstaltung sich 60 ebenso wie alle anderen in eine Anwesenheitsliste eintragen muss. Auch Fotos, die die Polizei von Teilnehmern einer öffentlichen Demonstration anfertigt, sind nicht als Eingriff in deren Privatsphäre einzustufen,244 da die Teilnehmer bezwecken, dass die Öffentlichkeit ihr Engagement für eine bestimmte Sache wahrnimmt. Auch in Situationen, in denen eine Person undifferenziert mit einer Mehrzahl von Personen von allgemeinen Maßnahmen der Überwachung und Kontrolle betroffen wird, ist der Schutz geringer. So ist der Privatbereich einer Person nicht tangiert, wenn sie bei einer generellen VideoÜberwachung einer Straße, eines Bahnhofs oder eines Kaufhauses aufgenommen wird.245 Die Offenlegung der bei einer solchen Überwachung gewonnenen Aufnahmen einer Person durch eine öffentliche Stelle kann aber einen schweren Eingriff in das Privatleben des Betroffenen bedeuten.246 Weder zum alleinigen Privatbereich der Frau noch zu dem des Vaters gerechnet wird 61 die Schwangerschaft und damit die Regelung der Möglichkeiten ihres Abbruchs (Abtreibung);247 Gleiches gilt für allgemeine Vorschriften, die – wie etwa Verkehrsregeln 248 – das Verhalten in der Öffentlichkeit für jedermann zu dessen Schutz oder im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit regeln, ohne speziell persönlichkeitsrelevant zu sein.249 Dazu rechnen etwa die Pflicht, eine Fußgängerunterführung zu benutzen oder
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dender Umstand); EKMR ÖJZ 1993 320 (Friedl) hat dies auch für die aktenmäßige Aufbewahrung solcher Aufnahmen zur Dokumentation, nicht zur Weiterverwendung, verneint. Vgl. aber Frowein/Peukert 6, wo zu Recht darauf hingewiesen wird, dass die Aufbewahrung von Daten über eine öffentliche Betätigung oder Erklärung eines Einzelnen in dessen Privatbereich eingreift. EGMR Sciacca/I (Fn. 228), § 29; Toma/ RUM (Fn. 81; keine Einschränkung der Schutzwürdigkeit; „champ de protection“). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32) unter Hinweis auf die gleiche Lage beim gezielten Sammeln von Informationen in Akten; Amann/CH (Fn. 139); Rotaru/RUM (Fn. 139). Vgl. EKMR Friedl/A, ÖJZ 1993 320; EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); MeyerLadewig 8. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); AG Saarbrücken, 11.11.2009, 22 OWi 66 Js 1585/09 (901/09) – Verkehrsüberwachung, differenzierend zwischen Übersichtsaufnahmen des fließenden Verkehrs und Aufnahmen der Fahrzeugführer sowie der Kennzeichen nach Verwendungskontext und Individualisier-
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barkeit); hinsichtlich einer Differenzierung noch offen: BVerfG NJW 2009 3293, 3294; restriktiver bei einer Überwachung mit Aufzeichnung in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht: BVerfG NVwZ 2007 688 („Regensburger Karavan-Denkmal“) mit Anm. Zöller NVwZ 2007 775. Zum Einsatz der Videoüberwachung als Mittel der Kriminalprävention: Kett-Straub ZStW 123 (2011) 110, 118 ff.; Siegel VerwArch 102 (2011) 159. EGMR Peck/UK (Fn. 214; Verhinderung eines Selbstmordes auf der Straße dank Videoüberwachung; Veröffentlichung von Bildern der sich daran anschließenden Vorgänge ohne ausreichende Unkenntlichmachung der Person). EKMR bei Frowein/Peukert 4; vgl. EKMR EuGRZ 1976 397 (Brüggemann); EKMR EuGRZ 1981 20 (Paton); ausführlich dazu unter Hinweis auf die Rechtsprechung in einzelnen Staaten: IK-EMRK/Wildhaber/ Breitenmoser 225 ff.; SK/Paeffgen 33. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 139.
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Sicherheitsgurte oder Schutzkleidung anzulegen oder das Erfordernis eines Führerscheins, aber auch die Trinkwasserfluoridierung.250 Nicht der alleinigen Privatsphäre zugerechnet wurde ferner die Eintragungsfähigkeit eines Vornamens251 oder ein Verbot der Hundehaltung.252 In zeitlicher Hinsicht kann Art. 8 EMRK dem Betroffenen mitunter länger Schutz bie62 ten als Art. 6 Abs. 2 EMRK. Während Verlautbarungen oder sonstige der Öffentlichkeit zugängliche Informationen der Strafverfolgungsbehörden über ein abgeschlossenes Strafverfahren (wie etwa Datenbanken über Sexualstraftäter 253) die Unschuldsvermutung nicht mehr berühren, weil insoweit der sachlich-zeitliche Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK regelmäßig nicht mehr eröffnet ist (vgl. dort Rn. 491), können solche Hinweise im konkreten Fall (noch) mit dem durch Art. 8 EMRK geschützten Privatleben der betroffenen Person in Konflikt geraten. Jenseits der besonderen Umstände des Einzelfalls begegnen die Registrierung von verurteilten Sexualstraftätern in nichtöffentlichen Datenbanken sowie deren Verpflichtung zur Angabe ihrer Adresse und Anzeige eines Wohnortwechsels etc. (auch gegen Androhung einer Haft- oder Geldstrafe) keinen Bedenken, sofern die allgemeinen Voraussetzungen (vgl. Rn. 36 ff.) einschließlich eines unabhängigen (gerichtlichen) Kontrollverfahrens gewährleistet sind.254 Öffentliche Datenbanken/ Websites widersprechen dagegen im Regelfall der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.255 Teil des Privatlebens ist auch die Freizügigkeit, auch diejenige über Staatsgrenzen hin63 aus ins Ausland, insbesondere dann, wenn familiäre und berufliche Verbindungen zu verschiedenen Staaten bestehen. Dieses Recht ist in der heutigen Zeit als so grundlegend anzusehen, dass ein schwerwiegender Eingriff auch dann angenommen werden kann, wenn die gewünschte Ausreise z.B. durch die Beschlagnahme des Passes unterbunden wird. Insoweit ist es unerheblich, dass die Freizügigkeit ebenfalls von Art. 2 des 4. ZPEMRK erfasst wird.256 Der Bereich des Nichtöffentlichen darf nicht eng ausgelegt werden.257 Dazu gehört 64 das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, vor allem dort, wo Rechte Dritter nicht berührt
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EKMR X/B, EuGRZ 1980 170; IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 139 mit weiteren Beispielen aus der Spruchpraxis der EKMR; Frowein/Peukert 7. EGMR Guillot/F (Fn. 41). EKMR bei Frowein/Peukert 7 (krit.); dazu IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 132 ff., wonach auch Beziehungen zu einem Haustier Teil des geschützten Privatlebens sein können. Das US-Justizministerium betreibt seit 2005 die National Sex Offender Public Registry Web Site, die alle persönlichen Daten (nebst Foto) sowie die Details der Verurteilung von Sexualstraftätern aus 48 Bundesstaaten enthält, wo ebenfalls entsprechende Datenbanken geführt werden. Verurteilte Sexualstraftäter sind verpflichtet, sich als solche registrieren zu lassen („Megan’s Law“, 1994). Nicht-öffentliche Datenbanken über Sexualstraftäter gibt es seit 2008 in Öster-
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reich; in der Schweiz sind sie in Planung. Bayern (seit 2006 Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter – HEADS) und Bremen haben solche Datenbanken bereits eingerichtet. 254 EGMR Gardel/F, 17.12.2009 (die im französischen Recht vorgesehene Maximaldauer der Datenspeicherung von 30 Jahren ist verhältnismäßig); zum französischen FIJAIS vgl. auch EGMR Hautin/F (E), 24.11.2009 (Art. 7 EMRK); Bouchacourt/F, 17.12.2009; M.B./F, 17.12.2009. 255 Näher dazu, dass der EGMR die Datenspeicherung leichter für rechtmäßig erklärt, wenn die Dateien nicht öffentlich zugänglich sind: Anders JR 2011 195. 256 EGMR Iletmis/TRK (Fn. 190), § 50; Riener/BUL, 23.5.2006 (nur Art. 2 des 4. ZP-EMRK geprüft). 257 EGMR Amann/CH (Fn. 139); Rotaru/RUM (Fn. 139).
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
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sind.258 Dies schließt selbst das Recht ein, in einer Gefängniszelle (auch im Polizeigewahrsam259 oder einem Besuchsraum („parloir“) eines Gefängnisses 260) nicht heimlich abgehört oder durch verdeckte Videoaufnahmen erfasst zu werden.261 Auch das Innere eines Kraftfahrzeugs gehört als Räumlichkeit dem Privatleben i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK an.262 Zum Bereich des Nichtöffentlichen zählt auch die Möglichkeit, Beziehungen zu ande- 65 ren Menschen anzuknüpfen und zu unterhalten,263 sich mit ihnen auch außerhalb der Wohnung im öffentlichen Raum zu treffen, Lokale zu besuchen oder sonst etwas gemeinsam zu unternehmen. Privatleben umfasst letztlich, negativ abgegrenzt, alles, was nicht der Teilnahme am Leben der Gemeinschaft und dem dazu gehörenden allgemeinen Umgang mit anderen Personen zuzurechnen ist (dazu Rn. 72 ff.).264 Das Privatleben schließt zumindest in wesentlichen Teilen auch die als Schutzgut besonders erwähnten Bereiche der Familie, der Wohnung und der Kommunikation mit anderen Personen mit ein, es geht aber darüber hinaus.265 Eine erschöpfende abstrakte Abgrenzung des geschützten Bereiches erscheint wegen der sich mit den Verhältnissen und Anschauungen ändernden Grenzen des staatsfreien Raumes und wegen der vor allem in den Randbereichen auftretenden Zweifels- und Wertungsfragen kaum Erfolg versprechend.266 Sie würde bei der Beurteilung der konkreten Fälle kaum weiterführen, da diese sich meist nur im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit staatlicher Eingriffe bzw. der Verletzung des staatlichen Schutz- und Achtungsanspruchs stellt. Abgesehen von dem nur selten berührten, für den Staat unantastbaren Kernbereich der Persönlichkeitssphäre267 korrespondieren aber die nach Ort, Zeit und Anschauungen in den Randbereichen oszillierenden Grenzen des Privatbereichs auch mit den vom Gesetzgeber vorgesehenen und von Art. 8 Abs. 2 EMRK unter den Voraussetzungen der Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Demokratieüblichkeit zugelassenen Eingriffsmöglichkeiten,268 da diese im Umkehrschluss auch dessen aktuellen Raum verdeutlichen. Zu den vielgestaltigen Erscheinungsformen, in denen sich die private Individualität 66 einer Person ausdrückt und die deshalb dem Privatleben zuzurechnen sind, gehört das Recht auf Identität und der Entwicklung der eigenen Person einschließlich der Kenntnis der dafür wesentlichen Umstände der eigenen Herkunft, wie Geburt und Identität der natürlichen Eltern,269 ferner das für die persönliche Identifizierung in der Gemeinschaft
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Nowak 17. EGMR Wood/UK, 16.11.2004. EGMR Wisse/F, 20.12.2005; vgl. auch BGHSt 53 294 (kein Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung, weil Besuchsraum nicht einer Wohnung gleichgestellt). EGMR Allan/UK (Fn. 53) m. Anm. Esser JR 2004 98. EGMR Ernst u.a./B, 15.7.2003 (Durchsuchung). Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1979 566 (van Oosterwijk); EGMR Niemietz/D (Fn. 235). Evers EuGRZ 1984 284 („Abzugsverfahren“). Vgl. etwa EKMR bei Strasser EuGRZ 1985 511 (Recht auf Lösung der Familienbande; Ehelichkeitsanfechtung).
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EKMR und EGMR definieren sie nicht erschöpfend. Vgl. EKMR EuGRZ 1980 170 (X); zu den einzelnen Abgrenzungsversuchen IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 96 ff. BVerfGE 34 245; Isensee/Kirchhof/Horn HbStR, Bd. 5, § 149, 75; ob es einen solchen gibt oder ob nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur die Anforderungen an die Eingriffsvoraussetzungen wachsen, ist strittig, vgl. LR/Becker § 244, 193 StPO; Geis JZ 1991 112. Vgl. Rn. 54 ff. EGMR Miculicˇ /KRO, 7.2.2002, ECHR 2002-I; Smirnova/R, 24.7.2003 (Recht auf Besitz der zum Identitätsnachweis erforderlichen Dokumente); Odièvre/F (Fn. 72; Geheimhaltung der Personalien der Mutter
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wichtige Recht auf Vor- und Familiennamen.270 Mit dem Privatleben wird auch das Recht auf eine selbstgewählte private Lebensführung mit allen dazu gehörenden Tätigkeiten und Konsequenzen in allen Varianten271 geschützt, so auch der private Umgang mit anderen Personen und das grundsätzliche Recht, das Bild der äußeren Erscheinung, wie Kleidung oder Haartracht, selbst zu bestimmen.272 Auch die körperliche und seelische Integrität und die geistige Gesundheit gehören 67 zum Privatleben.273 Die Verfügungsmacht über den eigenen Körper und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht schließen die Befugnis ein, sich Gefahren auszusetzen274 sowie sich für eine ungesunde Lebensweise zu entscheiden, zu rauchen oder zu trinken sowie grundsätzlich auch, sich den Arzt selbst auszuwählen oder auch eine ärztliche Behandlung abzulehnen.275 Das Recht auf den eigenen Tod ist, zumindest bei Patienten, die sich in stationärer Behandlung in Krankenhäusern befinden, allerdings entsprechend einzuschränken (vgl. Rn. 51).276 Erfolgt eine medizinische Behandlung 277 gegen den Willen des Betroffenen, so liegt 68 ein Eingriff in dessen Recht auf Achtung des Privatlebens selbst dann vor, wenn die körperliche Unversehrtheit durch die Behandlung nur geringfügig beeinträchtigt ist.278 Dies gilt im besonderen Maße für strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, wie etwa die Abnahme einer Blut- und Speichelprobe,279 für eine körperliche Untersuchung 280 oder eine Stimmenaufzeichnung zum Zwecke eines Stimmenvergleichs.281 Geschützt vor Ausspähung, Dokumentation und nicht gewollter Verbreitung sind fer69 ner alle nichtöffentlichen Äußerungen, wie überhaupt Tatsache und Inhalt jeder privaten Kommunikation mit anderen Personen,282 ferner das eigene Bild und die auf die eigene Person bezogenen Daten.283
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nach anonymer Geburt); dazu: Benda JZ 2003 533; Lux-Wesener EuGRZ 2003 555; Verschruegen ÖJZ 2004 1; zur anonymen Kindsabgabe – auch aus internationaler Perspektive: Pfaller Die anonyme Geburt in Frankreich (2008); Teubel Geboren und Weggegeben (2009); Wiesner-Berg Anonyme Kindesabgabe in Deutschland und der Schweiz (2009); Kingreen KritV 2009 88; siehe auch: EGMR S.H./A, 1.4.2010, ÖJZ 2010 684 (In-vitro-Fertilisation). Vgl. EGMR Burghartz/CH (Fn. 225); Stjerna/ FIN, 25.11.1994, A 299 (kein Recht auf Namensänderung); Guillot/F (Fn. 41); Ünal Tekeli/TRK, 16.11.2004, ECHR 2004-X; von Rehlingen u.a./D (E), 6.5.2008 und Heidecker-Tiemann/D (E), 6.5.2008 (kein Doppelname des Kindes, § 1617 Abs. 1 BGB). Vgl. Meyer-Ladewig 7 ff. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 121. EGMR Bensaid/UK (Fn. 222); Odièvre/F (Fn. 72); Dolenc/KRO, 26.11.2009 (posttraumatische Belastungsstörung eines Häftlings); Meyer-Ladewig 7, 11. Bislang fehlt eine entsprechende Feststellung in der Rechtsprechung des HRC, vgl. Kälin/Künzli 437. Siehe zur Personenkontrolle durch einen Körperscanner: Esser/Gruber ZIS 2011 379, 381 f.
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EGMR Glass/UK, 9.3.2004, ECHR 2004-II; Pretty/UK (Fn. 2); IK-EMRK/Wildhaber/ Breitenmoser 270 ff., auch zu den Fragen der Sterbehilfe; Nowak 120. EGMR Haas/CH (Fn. 173), § 51. Zur gynäkologischen Untersuchung: EGMR Bogumil/P, 7.10.2008; Juhnke/TRK, 13.5.2008, NVwZ 2009 1547; Y.F./TRK, 22.7.2003, ECHR 2003-IX. EGMR Storck/D (Fn. 83). EGMR Schmidt/D, 5.1.2006 (bzgl. Eingriff nach § 81a StPO); zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme als Ausprägung des Gebots (nachträglichen) effektiven Rechtsschutzes i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08. Vgl. hierzu: BVerfG StV 2009 253 (körperliche Durchsuchung bei U-Häftlingen) sowie OLG Celle NStZ 2010 436, 441, unzulässige Beobachtung der Entkleidung und Durchsuchung mit Kameras. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). Zur Überwachung der Kommunikation vgl. Rn. 155 ff. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 120; 1982 537; bei Strasser EuGRZ 1990 198, 199; Evers EuGRZ 1984 290 ff.; Frowein/ Peukert 5; Nowak 21, 23.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Auch die durch Art. 2 EMRK nicht eingeschränkte Befugnis, sich aufgrund einer eigenen freien Willensentscheidung selbst zu töten (Suizid),284 rechnet dazu. Die Art, wie die Schlussphase des Lebens gestaltet werden soll, ist Teil der Lebensführung und muss als solche respektiert werden, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Verbot der Sterbehilfe / Beihilfe zum Suizid einen Eingriff in das Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellt.285 Allerdings muss die Entscheidung, das Leben beenden zu wollen, frei und ohne Zwang getroffen worden sein. Bei psychisch labilen Patienten stellt die Verweigerung der Vergabe von lebensbeendenden Barbituraten keinen Verstoß des Art. 8 EMRK dar, wenn sich deren Sterbewunsch auf die objektiv nicht zutreffende Tatsache stützt, sie würden ansonsten unwürdig und unter Vernichtungsschmerzen verenden.286 Strafgefangene (erst recht U-Gefangene) genießen alle in der Konvention garantierten Grundrechte und -freiheiten, außer dem Recht auf Freiheit, soweit eine rechtmäßig verhängte Inhaftierung ausdrücklich in den Geltungsbereich von Art. 5 EMRK / Art. 9 IPBPR fällt. Jede Beschränkung anderer Rechte muss gerechtfertigt sein, wobei sich eine solche Rechtfertigung aus den Sicherheitserwägungen ergeben kann, die unweigerlich mit den Umständen der Inhaftierung verbunden sind, insbesondere zur Verhütung von Straftaten und zur Aufrechterhaltung der Ordnung.287 Teil der privaten Lebensführung ist auch das im Gefühlsbereich für die Entwicklung und Erfüllung der eigenen Persönlichkeit wichtige Recht, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen, zu unterhalten und zu beenden.288 Das Sexualverhalten ist ebenfalls geschützt 289 – soweit dabei die Grenzen des Privaten nicht verlassen290 oder die Rechte des Sexualpartners291 tangiert werden – ferner das Recht, sich durch Kinder fortzupflanzen,292 sich dabei auch der Mittel der Fortpflanzungstechnologie zu bedienen293 oder aber sich gegen eine Fortpflanzung zu entscheiden,294 ferner auf Anerkennung einer vollzogenen (irreversiblen) Geschlechtsumwandlung mit allen damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen.295
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IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 267 ff. EGMR Pretty/UK (Fn. 2); dazu SK/Paeffgen 24. EGMR Haas/CH (Fn. 173), § 51. EGMR Hirst/UK (2) (Fn. 38), § 69; Beier/D (E), 22.1.2008 (Verbot des Besitzes eines CD-Players und einer Playstation in einer Hochsicherheitsanstalt – JVA Straubing; § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG). EKMR EuGRZ 1978 199 (Brüggemann); Frowein/Peukert 3; Nowak 26. Etwa einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen: EGMR Dudgeon/UK (Fn. 122); Norris/IR (Fn. 45); Modinos/ZYP, 22.4.1993, A 259 = ÖJZ 1993 821; ferner auch Smith u. Grady/UK, 27.9.1999, ECHR 1999-VI = NJW 2000 2089 (Entlassung aus der Armee); Obst/D, 23.9.2010, NZA 2011 277 = NVwZ 2011 482 = AuR 2010 447 (Ls.; Kündigung einer Angestellten der Mormonenkirche wegen Ehebruchs, vgl. hierzu Hammer AuR 2011 278) sowie Schüth/D, 23.9.2010, NZA 2011
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279 = NVwZ 2011 482 = AuR 2011 307 (Ls.; Kündigung einer Angestellten einer katholischen Kirchengemeinde wegen Ehebruchs und Bigamie); siehe zu beiden Urteilen auch den Tagungsbericht von Risini DVBl. 2011 878; HRC Toonen/Australien (Fn. 150), § 8.2; Frowein/Peukert 4; MeyerLadewig 1, 19 ff.; Nowak 28 f. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 124 ff.; ferner 143, 152 ff. (in der Öffentlichkeit angebotene Prostitution). EGMR K.A. u. A.D./B, 17.2.2005 (Verurteilung wegen sadomasochistischer Handlungen). IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 184 ff.; EGMR Evans/UK, 10.4.2007. Dazu Fahrenhorst EuGRZ 1988 125; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 192 ff. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 189. Unter Hinweis auf die sich verändernden Anschauungen jetzt: EGMR Goodwin/UK, 11.7.2002, ECHR 2002-VI = NJW-RR 2004 289; van Kück/D (Fn. 222, Kostenerstattung
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Die Achtung des Privatlebens kann auch die Rücksichtnahme auf die Sitten und Gebräuche einer Minderheit und die Respektierung einer ihnen gemäßen Lebensweise erfordern.296 Auch sie findet jedoch ihre Grenze in der menschenrechtlichen Freiheit anderer Personen, selbst wenn diese der Minderheitengruppe angehören.297 Ein Recht, die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates zu erlangen, kann aus 75 Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht hergeleitet werden; allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen könnten die willkürliche Verweigerung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit und die daraus sich ergebenden Folgen auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK (Familie) zu prüfen sein (dazu Rn. 119 ff.).298
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b) Eingriff. Der Staat darf in Manifestationen der Individualität nur eingreifen, wenn dies aus einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten triftigen Gründe des Gemeinwohls unerlässlich ist, etwa für Zwecke einer erkennungsdienstlichen Behandlung wegen des Verdachts einer Straftat299 oder aus hygienischen Gründen.300 Zu den Eingriffen in die körperliche und geistige Unversehrtheit rechnen auch staatliche Maßnahmen der Heilbehandlung oder Betreuung, wie die Einweisung in eine psychiatrische Klinik oder die Bestellung eines Pflegers oder Betreuers.301 Das Einholen von Auskünften über die von einem bestimmten Anschluss aus herge77 stellten Telefonverbindungen ist ebenfalls ein Eingriff in das Privatleben und in die Korrespondenz.302 Vergleichbare Anforderungen gelten für andere staatliche Eingriffe, wie etwa für Durchsuchungen und Beschlagnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung. Solche Maßnahmen berühren den Privatbereich über den Eingriff in die Wohnung hinaus, wenn sie sich auf private Schriften erstrecken, wie etwa eigene Aufzeichnungen, vor allem Tagebücher, aber auch ein Romanmanuskript.303 Diese Maßnahmen sind nur aufgrund
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für geschlechtsangleichende Maßnahmen); zurückhaltender früher: EGMR Cossey/UK (Fn. 69) und B/F, 25.3.1992, A 232-C = ÖJZ 1992 625 (Namensänderung, aber keine Verpflichtung des Staates zur Änderung der Eintragung im Geburtenregister); Sheffield u. Horsham/UK, 30.7.1998, Rep. 1998-V = ÖJZ 1999 571; EKMR EuGRZ 1979 566 (van Oosterwijk); 1981 127; vgl. ferner EGMR X, Y, Z/UK, 22.4.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 271 (kein Recht auf Eintragung als Vater eines Kindes nach künstlicher Insemination des Partners); zur Entwicklung der Rechtsprechung Frowein/Peukert 13; Meyer-Ladewig 21; Peters 157; vgl. ferner Nowak 17; BVerfGE 49 286. EGMR Connors/UK (Fn. 196, § 84; Noack u.a./D (E), 25.5.2000, ECHR 2000-VI = NVwZ 2001 307 (Sorben, Gemeinde Horno); vgl. auch EGMR Chapman u.a./UK, 18.1.2001, ECHR 2001-I (Wohnwagen von Roma); Meyer-Ladewig 44. Hierzu SK/Paeffgen 34, z.B. Zwangsbeschneidung, Zwangsverheiratung (Ehrenmord).
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EGMR (E) Karassev/FIN, 12.1.1999, ECHR 1999-II = NVwZ 2000 3001; Meyer-Ladewig 30. Etwa EGMR Saunders/UK, 17.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 32; EKMR EuGRZ 1983 430 (McVeigh); Frowein/ Peukert 8; Nowak 20. Vgl. EKMR EuGRZ 1981 119; bei Bleckmann EuGRZ 1982 311 (Befehl, Haare schneiden zu lassen); dazu IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 123. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 311. EGMR Salontaji-Drobnjak/SRB (Fn. 198), §§ 141 ff. (Einschränkung der Geschäftsfähigkeit); vgl. zu Zwangsbehandlung und Betreuungsrecht Dodegge NJW 2006 1627; zur Rechtmäßigkeit medizinischer Zwangsmaßnahmen bei einer Unterbringung nach § 1906 BGB: Ludyga FPR 2007 104. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32) mit Hinweis, dass das Aufzeichnen der Telefonverbindung zum Zwecke der Abrechnung durch die Betreibergesellschaft nicht gegen Art. 8 EMRK verstößt. Etwa EKMR bei Frowein/Peukert 6.
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eines Gesetzes im Interesse der Strafverfolgung oder ähnlicher wichtiger Belange i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK304 bei strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig; dies gilt auch für die hierbei oder aus anderem Anlass gewonnenen Erkenntnisse über körperliche, geistige und seelische Befindlichkeiten.305 Sie müssen daher nach Anlass, Art, Ausmaß und Auswirkungen den Anforderungen der Konventionen an Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs genügen. Im Verbot für Gastwirte, Alkohol in der angrenzenden Wohnung aufzubewahren, 78 wurde ein – durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigter – Eingriff in den Privatbereich gesehen.306 Ein Eingriff liegt auch im Verlangen von Auskünften über die eigenen Vermögensverhältnisse oder über die Verwendung eigener Mittel; auch eine solche staatliche Maßnahme kann durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt sein.307 Gleiches gilt grundsätzlich auch bei Eingriffen in berufliche oder geschäftliche Aktivitäten,308 die zum Privatbereich gerechnet werden, soweit sie nicht aus diesem heraus in die Öffentlichkeit treten, wie etwa bei der Werbung. c) Heimliche Aufzeichnungen / Verdeckte Ermittlungen. Eine gezielte, systematische 79 oder ständige heimliche Aufzeichnung vom Verhalten oder von Äußerungen des Betroffenen, etwa im Rahmen einer verdeckten Ermittlung, greifen in seine Privatsphäre ein, selbst wenn die Aufzeichnungen nur im öffentlichen Raum gemacht werden.309 Ein Eingriff in das Privatleben liegt auch bei heimlichen Stimm- und Tonaufnahmen in einer Polizeizelle vor, auch wenn dadurch nur Material für einen Stimmvergleich gewonnen werden soll,310 sowie darin, dass die Polizei einem Bürger ein Gerät zur Aufzeichnung der Telefongespräche mit einer zu überwachenden Person zur Verfügung stellt.311 Auch die Aufzeichnung des Bewegungsprofils einer Person mittels Anbringen eines GPS-Peilsenders stellt grundsätzlich einen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.312 Überwachungsmaßnahmen dieser Art, insbesondere geheime Ton-/Bildaufzeichnun- 80 gen lassen sich als spezielle, besonders intensive Eingriffe in das Privatleben einer Person begreifen und bedürfen deshalb einer ausreichend bestimmten Rechtsgrundlage313 und der Rechtfertigung durch einen der Schwere des Eingriffs angemessenen Grund.314 Die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der nationalen Rechtsgrundlage 81 und an die Vorhersehbarkeit der mit dem Eingriff verbundenen Folgen sind besonders 304
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Zur Vaterschaftsfeststellung: EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 120; Frowein/ Peukert 8, 18; hierzu auch: Reiche Heimliche Vaterschaftstests (2008). Vgl. etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 537 (Untersuchung des Geisteszustands und Aufbewahrung der Daten hierüber); vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 120. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 311 (Schutz vor Umgehung eines der Gesundheit dienenden Verbots); Frowein/Peukert 7. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 425 (Auskunft an Finanzbehörde); IK-EMRK/ Wildhaber/Breitenmoser 123. EGMR Niemietz/D (Fn. 235; Durchsuchung einer Anwaltskanzlei); ferner: EGMR Halford/UK (Fn. 51).
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Vgl. Rn. 59 f.; ferner zu dem in der heimlichen Telefonüberwachung zugleich liegenden Eingriff in die Korrespondenz Rn. 156. Zum agent provocateur Ott 242 f. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). EGMR M.M./NL (Fn. 54); Goedecke GYIL 44 (2003) 606, 621. EGMR Uzun/D, 2.9.2010, § 52 = NJW 2011 1333. EGMR Malone/UK (Fn. 3); Schenk/CH, 12.7.1988, A 140 = NJW 1989 654; Kopp/CH (Fn. 124); Khan/UK, 12.5.2000, ECHR 2000-V = JZ 2000 993 mit Anm. Kühne/Nash; Amann/CH (Fn. 139); P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). Frowein/Peukert 16.
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hoch. Namentlich bei der Telefonüberwachung kommt eine analoge Anwendung strafprozessualer Eingriffsbefugnisse ebenso wenig in Betracht wie die Herleitung einer gesetzlichen Grundlage aus allgemeinen Gesetzen oder Rechtsgrundsätzen.315 Eine allgemeine gesetzliche Ermittlungsbefugnis der Polizei kann nicht Grundlage einer geheimen Überwachungsmaßnahme sein.316 Zur Vermeidung von Machtmissbrauch hat der Gerichtshof folgende Mindestgaran82 tien für geheime Überwachungsmaßnahmen entwickelt und zwischen der Anordnung und der Ausführung der Maßnahmen unterschieden:317 Gesetzlich geregelt werden müssen die Art der Straftaten, die eine Überwachungsanordnung rechtfertigen können, die Personengruppen, bei denen eine Überwachung (namentlich Telefongespräche) durchgeführt werden darf (insbesondere bei Betroffenheit am Verfahren nicht beteiligter Dritter318),319 die Begrenzung der Dauer der Maßnahme, das Verfahren bei der Auswertung, Verwendung und Speicherung der erlangten Daten, die bei der Übermittlung der Daten an Dritte zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen und die Umstände, unter denen die Aufzeichnungen gelöscht und die Datenträger vernichtet werden müssen oder dürfen.320 Nicht erforderlich ist eine erschöpfende namentliche Auflistung sämtlicher Delikte, die eine Maßnahme rechtfertigen sollen, solange aus der entsprechenden Regelung die Art der Straftaten deutlich hervorgeht.321 Um die Vielzahl der Fälle hierunter fallenden Konstellationen erfassen zu können, akzeptierte der Gerichtshof u.a. die Formulierung „im Interesse der nationalen Sicherheit“.322 Um der Komplexität des Einzelfalls gerecht werden zu können, verlangt der EGMR nicht, dass eine konkrete absolute Höchstdauer der Maßnahmen festgeschrieben wird. Erforderlich sind dann aber Sicherungsmechanismen, die eine regelmäßige Überprüfung der Aufrechterhaltung der Maßnahme erlauben.323 Ein Richtervorbehalt oder eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle gehören nicht 83 zwingend zu den gesetzlichen Mindestanforderungen.324 Dennoch sind gerade bei geheimen Maßnahmen, die der Öffentlichkeit entzogen sind und deshalb ein besonderes Risiko des Machtmissbrauchs in sich tragen, zu jedem Zeitpunkt325 externe oder zu-
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EGMR Kruslin/F (Fn. 118); Huvig/F (Fn. 123). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). Vgl. EGMR Iordachi u.a./MOL (Fn. 46), §§ 42 ff. EGMR Matheron/F, 29.3.2005 (auch ihnen muss effektiver Rechtsschutz gewährt werden). EGMR Kennedy/UK (Fn. 49), § 160: Ausreichend ist es, wenn in der Gesamtschau mit den Umständen, die eine Maßnahme auslösen können, erkennbar ist, welche Personen betroffen sein können. Dies gilt insbesondere, wenn in der Anordnung eine weitere Individualisierung der betroffenen Personen, Telefonnummern etc. erfolgen muss. Zusammenfassend (bezogen auf die Telefonüberwachung): EMRK (E) Weber u. Saravia/D (E) (Fn. 47), § 95 (G10-Gesetz i.F.d. Verbrechensbekämpfungsgesetzes).
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EGMR Kennedy/UK (Fn. 49, § 159 („sufficient detail should be provided of the nature of the offences“). EGMR Kennedy/UK (Fn. 49), § 159. „Serious crime“ wurde wegen einer entsprechenden Definition im Gesetz selbst ebenso akzeptiert wie die Formulierung „for the purpose of (…) detecting serious crime“. Vgl. EGMR Kennedy/UK (Fn. 49), § 161. Ausführlich: Esser Europäischer Datenschutz; EGMR Matheron/F (Fn. 318; nicht ausreichend: Kontrolle durch einen „magistrat“, der die Maßnahme auch angeordnet hat). EGMR Dumitru Popescu/RUM, 26.4.2007 (auch bereits vor der eigentlichen Anordnung, wenn hierfür gerade kein unabhängiges Organ zuständig ist).
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mindest unabhängige interne Kontrollmechanismen von besonderer Bedeutung.326 Bereits die Anordnung der Überwachungsmaßnahme sollte durch eine unabhängige Stelle erfolgen.327 In Bezug auf die Notwendigkeit geheimer Überwachungsmaßnahmen ist festzuhalten, 84 dass ein gewisser Anlass vorausgesetzt wird, so dass eine erkundende oder ausforschende geheime (Kommunikations-)Überwachung ohne jeden Anlass nicht mit Art. 8 Abs. 2 EMRK vereinbar ist.328 d) Datenschutz. Der Schutz personenbezogener Daten,329 insbesondere auch medizi- 85 nischer Daten ist grundlegender Bestandteil des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens.330 Der Begriff der persönlichen Daten wird vom EGMR (mittlerweile)331 weit ausgelegt und umfasst jede Information über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person.332 Dass eine Person (ohne ihr Wissen) gegenüber einer Behörde oder in einer staatlichen Sphäre bestimmte personenbezogene Informationen preisgibt, lässt die Zuordnung der entsprechenden Daten zum Privatleben dieser Person unberührt.333 Auch Telefondaten (gewählte Rufnummern, eingegangene Anrufe, Gesprächsdauer) werden unabhängig von der tatsächlichen Überwachung der Gespräche vom Schutzbereich des Privatlebens erfasst.334 Im Falle einer systematischen Sammlung und Verwahrung fallen sogar diejenigen Informationen in den Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK, die allgemein zugänglich sind, etwa weil sie aus Zeitungsartikeln, Radioprogrammen oder Entscheidungen öffentlicher Behörden bestehen.335 Keine Rolle spielt dabei, ob die staatliche Sammlung der öffentlich zugänglichen Informationen verdeckt oder offen erfolgt und wie sensibel ihr Inhalt ist.336 Ein Eingriff in den Privatbereich der davon betroffenen Personen liegt sowohl in der 86 Sammlung als auch in der Speicherung (Aufbewahrung), Verarbeitung und Weitergabe durch eine öffentliche oder private Stelle sowie in der Verwendung durch andere Stellen.337 Hierzu können auch Verlautbarungen oder sonstige der Öffentlichkeit zugäng-
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Vgl. ausführlich EGMR Association for European Integration and Human Rights u. Ekimdzhiev/BUL, 28.6.2007 (auch vergleichend zum deutschen Recht); (GK) Bykov/R (Fn. 135), § 79 (Anwendung der Grundsätze zur Telefonüberwachung auch beim Gebrauch technischer Hilfsmittel außerhalb der Telekommunikation); Kennedy/UK (Fn. 49), §§ 124, 155 (Regulation of Investigatory Powers Act 2000, „RIPA“). EGMR Iordachi u.a./MOL (Fn. 46), § 40; Dumitru Popescu/RUM (Fn. 325). EGMR Klass/D (Fn. 48) EGMR Rotaru/RUM (Fn. 139); Grabenwarter § 22, 10, 26. EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), § 66; L.L./F, 10.10.2006, ECHR 2006-XI; Szuluk/UK, 2.6.2009. In Anlehnung an Art. 2 lit. a des Europäischen Datenschutzübereinkommens; vgl. zur Entwicklung der Judikatur: Siemen 79 ff. Zur Entwicklung des Datenschutz-
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standards in Europa: Bodenschatz Der europäische Datenschutzstandard (2011). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32; polizeiliche Stimmfalle); Peck/UK (Fn. 214). EGMR Heglas/CS, 1.3.2007. EGMR Segerstedt-Wiberg u.a./S (Fn. 168). EGMR Amann/CH (Fn. 139); Rotaru/RUM (Fn. 139); P.G. u. J.H./UK (Fn. 32); M.B./F (Fn. 254), § 49. EGMR Weber u. Saravia/D (E) (Fn. 47); Rotaru/RUM (Fn. 139); Amann/CH (Fn. 139); zur Speicherung und Übermittlung personenbezogener Verkehrsdaten bei der sog. Vorratsdatenspeicherung als Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben siehe: Zöller GA 2007 393, 410 ff.; siehe auch das Urteil des rumänischen Verfassungsgerichtshofs (Curtea Constitut¸ionala˘ a României) v. 8.10.2009, der die aufgrund der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
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liche Informationen der Strafverfolgungsbehörden über ein abgeschlossenes Strafverfahren (wie etwa Datenbanken über Sexualstraftäter) gehören, die von Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht mehr erfasst werden (s. Rn. 62, Art. 6 EMRK Rn. 491). Gleiches gilt für die Weigerung staatlicher Stellen, dem Betroffenen den vollen 87 Umfang der über ihn gespeicherten Informationen mitzuteilen.338 Das Vorliegen eines Eingriffs unabhängig von der Art und Weise der Informationsgewinnung kann auch damit begründet werden, dass die gesammelten Informationen bei zukünftigen Maßnahmen im Hinblick auf den Betroffenen eine neue Bedeutung erlangen können, ohne dass dieser die Möglichkeit hat, die Informationssammlung zu kontrollieren und – jedenfalls bei unbemerkter Informationsgewinnung – die Daten einzusehen oder deren Verwendbarkeit für bestimmte Zwecke überprüfen zu lassen.339 Ähnlich, nämlich mit Blick auf die Möglichkeiten zukünftiger Verwendungen, unterschied der EGMR bislang zwischen der Behandlung der Speicherung von Fingerabdrücken auf der einen und der Aufbewahrung von Zellmaterial sowie des daraus erstellten DNA-Profils auf der anderen Seite. Speziell beim Zellmaterial stellte der Gerichtshof fest, dass dessen Bedeutung insbesondere angesichts der raschen wissenschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Genforschung über die Bedeutung eines bloßen neutralen Identifikationsmerkmals, wie etwa des Fingerabdrucks hinausginge, so dass die systematische Aufbewahrung von Zellmaterial per se einen Eingriff in das Privatleben begründete.340 Inzwischen bejaht der Gerichtshof aber in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung auch bei Fingerabdrücken das Vorliegen eines Eingriffs und unterscheidet nun nur noch bei der Frage der Rechtfertigung. Zwar beinhalteten Fingerabdrücke weit weniger Informationen über die Person als dessen DNA-Identifizierungsmuster, gerade als Identifikationsmerkmal seien sie aber mit Fotografien und Stimmproben vergleichbar und tangierten so das Privatleben des Einzelnen auch dann, wenn es letztlich eines Vergleichsabdrucks und eines geübten Auges bedürfe. Unter diesen Umständen verneint der EGMR das Vorliegen eines neutralen und unbedeutenden Merkmals. Immerhin führt die Speicherung der Fingerabdrücke in einer Datenbank auch dazu, dass in zukünftigen Ermittlungsverfahren permanent ein Abgleich stattfindet.341 Datenerhebung und -verwendung sind von ihrem Eingriffscharakter her getrennt 88 voneinander zu beurteilen, soweit der Datenverarbeitung ein eigenständiger Akt der Erhebung vorausgeht.342 Dies führt dazu, dass sich u.U. auch der Prüfungsmaßstab verschiebt, weil etwa die Verwendung der Informationen in einem Strafprozess allein an Art. 6 Abs. 1 EMRK gemessen wird.343 Weil aber auf der Ebene der Informationsverarbeitung durch die Polizei ein Verweis auf den Vorrang des Art. 6 Abs. 1 EMRK aus-
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vom 15.3.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden (…), erfolgende Vorratsdatenspeicherung als verfassungs- und konventionswidrig (Art. 8 EMRK) einstuft. EGMR Segerstedt-Wiberg u.a./S (Fn. 168), § 99; Brinks/NL (E) (Fn. 139); Gaskin/UK (Fn. 72; Prüfung als Verletzung einer positiven Pflicht). So Gusy FS Hilger 117, 121 f.
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EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), §§ 69 ff.; (E) Van der Velden/NL (Fn. 133) unter Hinweis auf EKMR Kinnunen/FIN, 15.5.1996 (Speicherung von Fingerabdrücken kein Eingriff). EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), §§ 78 ff. (ausführliche Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung; Unterscheidung letztlich irrelevant; auch für Rechtfertigung); EGMR Hofmann/D (E), 16.11.2010. Gusy FS Hilger 117, 124. Gusy FS Hilger 117, 127.
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scheidet, fehlt dort häufig ein spezifischer Schutz. Das gilt namentlich dann, wenn der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK mit dem Abschluss der Datenerhebung endet, weil die Daten, auf die zugegriffen wird, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ausschließlich der Verfügungsgewalt des Betroffenen unterliegen.344 Ein Eingriff ist nur zulässig, wenn der Betroffene zugestimmt hat 345 oder wenn eine 89 hinreichende Rechtsgrundlage346 dies für einen der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Zwecke gestattet. Der legitime Zweck und der Grund für den staatlichen Eingriff müssen aus der gesetzlichen Grundlage für den Eingriff im nationalen Recht mit hinreichender Bestimmtheit hervorgehen.347 Die Schwere und Intensität des Eingriffs darf nicht außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehen, er muss außerdem zum Ausschluss von Willkür vorhersehbar und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (vgl. Rn. 54 ff.). Bei der erforderlichen Interessenabwägung zwischen dem jeweiligen Eingriffszweck348 und den schutzwürdigen Belangen des betroffenen Einzelnen kommt es darauf an, zu welchem Zweck die Daten verwendet werden sollen, an wen sie weitergegeben werden und ob der Empfänger ebenfalls zu deren Geheimhaltung verpflichtet ist, ferner, wie sensibel die jeweiligen Daten sind und wie stark deshalb der mit der Weitergabe verbundene Eingriff in den Privatbereich ist. Enthält das Gesetz, welches den Eingriff regelt, eine Zweckbindung in Bezug auf die Verwendung der gewonnen Daten und eine Regelung der Voraussetzungen, unter denen ihre Übermittlung an andere Behörden erfolgen darf, so liegt gerade auch darin ein wesentlicher Schutz vor Missbrauch.349 Bei der Weitergabe persönlicher Daten über den Gesundheitszustand spielt es eine 90 Rolle, ob diese Daten von einem Krankenhaus an einen ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichteten Sozialversicherungsträger übermittelt werden350 oder aber der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.351 Gleiches gilt im gerichtlichen Verfahren. Während im laufenden Verfahren an der Preisgabe dieser Daten ein Interesse bestehen kann, ist bei der anschließenden Veröffentlichung der Entscheidung zu prüfen, ob die Daten zum Schutz des Betroffenen anonymisiert (Verwendung nur der Initialen) oder der Zugang zu der Entscheidung bzw. den sonstigen Dokumenten eingeschränkt werden müssen.352 Ein besonderes Schutzbedürfnis bejaht der Gerichtshof im Falle der automatischen 91 Datenverarbeitung, nicht zuletzt zu polizeilichen Zwecken und bei besonders sensiblen Daten, speziell DNA-Informationen, so dass er hier im Rahmen der allgemeinen Kriterien besonders strenge Anforderungen an die Schutzmechanismen stellt.353 Ob ein Eingriff zum Schutz demokratischer Einrichtungen notwendig ist, ist eng auszulegen. Dem Staat wird hierbei aber auch hinsichtlich Art und Ausmaß des konkreten Eingriffs ein 344 345
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Gusy FS Hilger 117, 132. Der EGMR interpretiert die Zustimmung des Betroffenen als Rechtsverzicht, dessen Annahme allerdings strengen Prüfkriterien unterliegt. Zur „Freiwilligkeit“ bei Fluggastkontrollen mithilfe eines Körperscanners: Esser/Gruber ZIS 2011 379, 381 f. EGMR Kopp/CH (Fn. 124); P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). EGMR Rotaru/RUM (Fn. 139). Vgl. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32): Stimmproben für Sprachidentifizierung. EGMR Weber u. Saravia/D (E) (Fn. 47; strategische Kommunikationsüberwachung, G10).
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EGMR M.S./S, 27.8.1997, Rep. 1997-IV = ÖJZ 1998 587; vgl. auch Anne-Marie Andersson/S, 27.8.1997, Rep. 1997-IV = ÖJZ 1998 585 (nur bzgl. Zugang zum Gericht, Art. 6 Abs. 1 EMRK). EGMR Z/FIN (Fn. 156; HIV-Infektion); K.H. u.a./SLO, 28.4.2009 (Fortpflanzungsfähigkeit). EGMR C.C./E, 6.10.2009 (HIV-Infektion, Zivilurteil). EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), § 103.
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gewisser Beurteilungsspielraum zuerkannt.354 Der Spielraum ist allerdings überschritten bei der Anordnung einer generellen und zeitlich unbefristeten Sammlung und Speicherung von Fingerabdrücken und DNA-Informationen von Verdächtigungen jeglichen Alters trotz eines Freispruchs und unabhängig davon, welcher Straftat diese Personen verdächtigt wurden. In die Beurteilung und Abwägung einzubeziehen sind u.a. das Risiko der Stigmatisierung für den Betroffenen. Für Jugendliche gilt dies in besonderem Maße. Ein rechtsvergleichendes Kriterium kann sein, ob und in wieweit sich andere Vertragsstaaten für eine restriktive Handhabung entschieden haben. Im Regelfall ist eine Beschränkung auf Erwachsene und bestimmte Delikte vorzusehen, sowie die zeitliche Begrenzung der Speicherung, sei es bis zum Freispruch oder nach Ablauf einer bestimmten Frist.355 Die Verweigerung des vollständigen Zugangs zu den Akten des nationalen Geheim92 dienstes (und der darin befindlichen persönlichen Daten) ist notwendig i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK, wenn der Staat den begründeten Verdacht geltend machen kann, dass die Bereitstellung solcher Informationen die Wirksamkeit des Überwachungssystems zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung des Terrorismus gefährdet.356 Zu achten ist darauf, wem die Befugnis zukommt, den Zugang zu den Daten zu verweigern. Sind dies (typischerweise) die Geheimdienste, deren Maßnahmen gerade auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden sollen, so ist dies nicht mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, insbesondere dem Prinzip der Waffengleichheit vereinbar.357 Es genügt nicht, dass der Staat sich beim Sammeln, Aufbewahren und der Weitergabe 93 der Daten in den ihm durch das nationale Recht in Übereinstimmung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgegebenen Grenzen hält; auch bei einem danach zulässigen Eingriff erwachsen ihm positive (Schutz-)Pflichten. Er muss nicht nur die jeweils erforderlichen Garantien gegen eine missbräuchliche Verwendung dieser Daten vorsehen;358 er muss, zumindest bei Bekanntwerden des Vorhandenseins solcher Daten, dem Betroffenen ein effektives und tatsächlich gangbares Verfahren zur Verfügung stellen, mit dem er innerhalb eines angemessenen Zeitraums Zugang zu seiner Akte erhält.359 Gegen die Speicherung und den Inhalt der Daten muss der Staat außerdem einen wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelf nach Art. 13 EMRK eröffnen360 und er muss ausdrücklich regeln, dass derart erlangte Daten gelöscht werden, wenn sie für den Zweck, der ihre Erhebung gerechtfertigt hat, nicht mehr gebraucht werden. Im Falle einer strafprozessualen Datenerhebung sollte als wichtiges Schutzelement 94 gegen willkürliche staatliche Eingriffe und zur Ermöglichung eines effektiven (gericht354
EGMR Z/FIN (Fn. 156); Meyer-Ladewig 40 ff.; vgl. auch die Vorabentscheidung des EuGH (Rechnungshof u.a./Österreichischer Rundfunk u.a. (C-465/00, 138/01, 139/01), 20.5.2003, EuGRZ 2003 232) zur Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. EG L Nr. 281 v. 24.10.1995, S. 31) und den (engen) Voraussetzungen, unter denen die Namensnennung der Bezieher höherer Gehälter in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Bericht des Rechnungshofes zulässig sein kann.
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EGMR (GK) S. u. Marper/UK (Fn. 96), Rechtsschutzmöglichkeiten fehlten ebenfalls. EGMR Segerstedt-Wiberg u.a./S (Fn. 168), § 102. EGMR Turek/SLO (Fn. 111). EGMR Klass/D (Fn. 48); Rotaru/RUM (Fn. 139); Meyer-Ladewig 42. EGMR Haralambie/RUM, 27.10.2009: Verstoß gegen die positive Verpflichtung wegen Ermöglichung der Einsichtnahme in die Securitate-Akte erst 6 Jahre nach Anfrage, trotz dessen fortgeschrittenen Alters. EGMR Rotaru/RUM (Fn. 139).
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lichen) Rechtsschutzes außerdem die (nachträgliche) Bekanntgabe der Maßnahme gegenüber dem Betroffenen gesetzlich geregelt werden. Die Aufbewahrung entgegen einer nationalen Löschungsvorschrift verletzt Art. 8 EMRK bereits mangels gesetzlicher Grundlage.361 In Bezug auf das Erfordernis der effektiven Kontrolle der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten sollte diese zumindest in letzter Instanz durch ein Gericht erfolgen. Andere Stellen und Einrichtungen sollten über die einem Gericht im engeren Sinne immanente Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verfügen und die Kontrolle auf der Grundlage eines ordentlichen, justizförmigen Verfahrens durchführen.362 e) Positive Schutzpflichten. Die wirksame Achtung des Privatlebens verbietet dem 95 Staat nicht nur Eingriffe ohne rechtfertigenden Grund. Neben negativen Unterlassungspflichten können sich für ihn unter besonderen Unständen aus der Achtungspflicht auch positive Schutzpflichten ergeben.363 Dies ist dann der Fall, wenn besondere Umstände sein Tätigwerden zur Sicherung eines essentiellen Aspektes des Privatlebens erfordern,364 so beispielsweise, wenn andernfalls wegen seiner Untätigkeit das Privatleben des Betroffenen schutzlos schwerwiegenden Eingriffen durch Dritte ausgesetzt wäre. Die Grenze zwischen den positiven und negativen Verpflichtungen des Staates ist nicht immer genau zu ziehen, die anwendbaren Grundsätze sind aber ähnlich, da in beiden Fällen der Staat einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Belange herstellen muss.365 Die Wahl der Mittel, um die Einhaltung von Artikel 8 EMRK zu sichern, liegt auch hier grundsätzlich im Ermessen des Staates.366 Mitunter stehen sich auch positive und negative Pflichten des Staates spiegelbildlich 96 gegenüber, wenn dieser darüber zu entscheiden hat, ob die Achtung des Privatlebens der einen Person den Eingriff in das Privatleben einer anderen rechtfertigt. In solchen Fällen erfordert der gerechte Ausgleich eine Abwägung der widerstreitenden Privatinteressen. Gleiches gilt aber auch im Verhältnis zwischen den Allgemeininteressen und einem Indi-
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Vgl. EGMR Amann/CH (Fn. 139; Aufbewahrung einer Karteikarte). EGMR Association for European Integration and Human Rights u. Ekimdzhiev/BUL (Fn. 326); Rotaru/RUM (Fn. 139). Vgl. dazu. Rn. 24 ff. Siehe etwa EGMR Köpke/D (E), 5.10.2010 (zur heimlichen Videoüberwachung einer Arbeitnehmerin): „…, there may be positive obligations inherent in an effective respect for private life. These obligations may involve the adoption of measures designed to secure respect for private life even in the sphere of the relations of individuals between themselves.“ EGMR X. u. Y./NL (Fn. 69; Schutz Untergebrachter vor sexuellem Missbrauch durch ausreichende Strafvorschriften); Odièvre/F (Fn. 72). So etwa EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 80); Obst/D (Fn. 289); Schüth/D (Fn. 289); Köpke/D (E), 5.10.2010 zum Ausgleich zwischen dem Recht des Beschuldigten auf Achtung seines Privatlebens auf der
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einen Seite und dem Interesse des Arbeitgebers auf Schutz seines Eigentums und dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege auf der anderen Seite; IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 55 ff. wenden sich deshalb dagegen, dass zwischen dem Eingriff durch ein Handeln des Staates und dem Eingriff, für den der Staat wegen Nichterfüllung seiner Schutzpflicht einzustehen hat, unterschieden wird. Etwa EGMR Köpke/D (E), 5.10.2010. Unter gewissen Umständen erfordere die positive Schutzpflicht jedoch ein „legislative framework“. Im vorliegenden Fall sei dies nicht erforderlich gewesen: „A covert video surveillance at the workplace following substantiated suspicions of theft does not concern a person’s private life to an extent which is comparable to the affection of essential aspects of private life by grave acts in respect of which the Court has considered protection by legislative provisions indispensable.“
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vidualinteresse, für das eine Schutzpflicht in Anspruch genommen wird.367 Im letzteren Fall wird nicht zusätzlich darauf abgestellt, ob die Eingriffsvoraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen.368 Positive Schutzpflichten bestehen auch dort, wo der Staat – unabhängig von mög97 lichen Eingriffen von dritter Seite – in einer besonderen Position zum Betroffenen steht, namentlich, weil sich dieser in Haft befindet. Gerade auch hinsichtlich seiner medizinischen Versorgung steht der Gefangene in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis, welches die zuständigen staatlichen Stellen zu einem Tätigwerden zwingen kann. Dies gilt erst recht, wenn der Häftling aufgrund seines psychischen Zustandes nicht ausreichend für sich selbst sorgen und entscheiden kann.369 In diesem Rahmen ist die Grenze zwischen einem Eingriff (Art. 3, 8 EMRK) durch Vorenthaltung der notwendigen medizinischen Versorgung und der Verletzung einer positiven Schutzpflicht fließend. 2. Familienleben
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a) Schutzbereich. Familie ist nicht im Sinne der Definitionen des jeweiligen nationalen Rechts für ein bestimmtes Rechtsinstitut zu verstehen, sondern autonom als natürliche („famille naturelle“)370 oder tatsächlich gelebte Familie („effective family life“), für deren Begründung eine Eheschließung (vgl. Art. 12 EMRK / Art. 23 IPBPR) nicht erforderlich ist.371 Zum Schutzbereich gehören alle Formen, in denen die persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Familie sich verwirklichen, der gegenseitige Umgang ebenso wie das Recht der Eltern auf Namensgebung372 und auf Erziehung der Kinder sowie die vielfältigen Formen des Zusammenlebens, der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung einschließlich der Gewährung von Unterhalt.373 Eine Familie ist nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt und kann auch andere fak99 tische „familiäre“ Bindungen erfassen, wenn die Beteiligten in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenleben. Ein räumliches Zusammenleben ist aber nicht einmal zwingend erforderlich.374 Auch das auf Dauer angelegte Zusammenleben von Personen, das auf einer gleichgeschlechtlichen Beziehung beruht, kann dem Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK unterfallen.375
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Etwa EGMR Odièvre/F (Fn. 72; Auskunftspflicht bei anonymer Geburt); Obst/D (Fn. 289); Schüth/D (Fn. 289; Entlassung von kirchlichen Mitarbeitern wegen Ehebruchs). EGMR Marckx/B (Fn. 3); Ress/UK, 17.10.1986, A 106; Powell, Rayner/UK (Fn. 69); López Ostra/E (Fn. 87); LuxWesener EuGRZ 2003 555, 556, die aber die in Absatz 2 primär für Eingriffe aufgeführten Zwecke mittelbar auch bei der Abwägung im Rahmen des Achtungsanspruchs berücksichtigen will; vgl. aber auch IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 53 ff. (gegen die Beschränkung des Absatzes 2 auf die negativen Verpflichtungen). EGMR Dolenec/KRO, 26.11.2009, § 170. Etwa: EGMR Marckx/B (Fn. 3); Al-Nashif/ BUL, 20.6.2002, ÖJZ 2003 344.
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EGMR Johnston u.a./IR, 18.12.1986, A 112 = EuGRZ 1987 313; Elsholz/D (Fn. 108); Al-Nashif/BUL (Fn. 370; trotz Eheschließung mit einer anderen Frau); Wagner EuGRZ 1986 422; KK-EMRKGG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 38. Auch die durch Art. 23 Abs. 1 IPBPR als Institut garantierte Familie umfasst die tatsächlich gelebte Familie, vgl. Nowak Art. 23, 8. EGMR Guillot/F (Fn. 41); zur Beschränkung dieses Rechts im Interesse des Kindes vgl. BVerfG NJW 2004 1586 (keine 12 Vornamen). Vgl. Henrich FS Steiner 294. EGMR Kroon u.a./NL, A 297-C = ÖJZ 1995 296 = FamRZ 2003 813. EGMR Salgueiro da Silva Monta/P, 21.12.1999, ECHR 1999-IX; vgl. auch EGMR Karner/A, 24.7.2003, ECHR
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Der Schutzbereich der Familie umfasst jedenfalls die Personen, zwischen denen enge 100 blutsmäßige Bande bestehen; er ist aber nicht auf die Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern begrenzt,376 sondern umfasst etwa auch das Verhältnis der nichtehelichen Kinder zur Mutter und zu ihrem natürlichen Vater,377 ferner etwa das Verhältnis zwischen Geschwistern378 oder zwischen Großeltern und den Enkeln.379 Im Verhältnis zwischen den Elternteilen und ihren Kindern wird das Band des Fami- 101 lienlebens bereits durch die Geburt begründet380 und kann nur durch ganz außergewöhnliche Umstände zerrissen werden. Das Familienleben wird nicht schon dadurch beendet, dass die zunächst gelebten Beziehungen zwischen den Eltern zerbrochen sind,381 auch wenn ein Kind nach der Trennung nur bei einem Elternteil lebt.382 Es endet auch nicht, wenn ein Kind von den Eltern getrennt und in öffentliche Obhut genommen wird,383 wohl aber mit der vollen Aufnahme des Kindes in eine neue Familie durch Adoption.384
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2003-IX = ÖJZ 2004 36; Schalk u. Kopf/A, 24.6.2010, §§ 87 ff., NJW 2011 1421; a.A. Grabenwarter § 22, 14. EGMR (GK) Slivenko/LET (Fn. 189); Tym EuGRZ 2006 541 erkennt darin ein neues Verständnis des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK, nach dem alle sonstigen familiären (und gesellschaftlichen) Beziehungen nunmehr dem Privatleben zuzuordnen sind. EGMR Marckx/B (Fn. 3); Keegan/IR (Fn. 92); Boughanemi/F, 24.4.1996, Rep. 1996-II = ÖJZ 1996 834; Elsholz/D (Fn. 108); Petersen/D (E), 6.12.2001, NJW 2003 1921 = EuGRZ 2002 32 = ÖJZ 2003 114 = FamRZ 2002 1017; Zaunegger/D (Fn. 103); Sporer/A, 3.2.2011, §§ 70 f. = ÖJZ 2011 525; hierzu: Scherpe RabelsZ 2009 935; Brötel RabelsZ 1999 580, 586; Frowein/Peukert 17 f.; Nowak 26 f., 31. Dies ist unabhängig davon, ob Kraft einer gesetzlichen Vermutung bei einer noch fortbestehenden Ehe der seit Jahren verschwundene Ehemann als Vater des Kindes gilt: EGMR Kroon u.a./NL (Fn. 374): Zu den Problemen der Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen Vater nach deutschem Recht vgl. BVerfG NJW 2003 2151; Roth NJW 2003 3153. Vgl. EGMR Boujlifa/F, 21.10.1997, Rep. 1997-VI, § 36 = ÖJZ 1998 626; A. W. Khan/UK, 12.1.2010, § 32; Moustaquim/B (Fn. 192); Mustafa u. Armagan Akin/TRK, 6.4.2010; Meyer-Ladewig 50; SK/Paeffgen 74 m.w.N. EGMR Bronda/I, 9.6.1998, Rep. 1998-IV = ÖJZ 1999 436; Scozzari u. Giunta/I, 13.7.2000, ECHR 2000-VIII = ÖJZ 2002 74; BVerfG NJW 2009 1133 f. (Übertragung
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der Vormundschaft auf die Großeltern); EGMR Boyle/UK, 28.2.1994, A 282-B (Neffen und Nichten); Frowein/Peukert 20; Meyer-Ladewig 50; Nowak 31. Während der EGMR sonst ein Recht auf Begründung des Familienlebens schon aus der Geburt ableitet (vgl. Rn. 101), beurteilt die entscheidungstragende Mehrheit in EGMR Odièvre/F (Fn. 72) den Anspruch des Kindes auf Auskunft über seine Mutter bei einer anonymen Geburt unter dem Gesichtspunkt der Achtung seines Privatlebens. EGMR Berrehab/NL, 21.6.1988, A 138 = EuGRZ 1993 547 = ÖJZ 1989 220; Hokkanen/FIN, 23.9.1994, A 299-A = ÖJZ 1995 271; Keegan/IR (Fn. 92); McMichael/UK (Fn. 108); Johansen/N (Fn. 194); Gül/CH, 19.2.1996, Rep. 1996-I = ÖJZ 1996 593; Elsholz/D (Fn. 108); Petersen/D (Fn. 377); Al-Nashif/BUL (Fn. 370); Mustafa u. Armagan Akin/TRK (Fn. 378); Brötel RabelsZ 1999 580, 588. Etwa EGMR Berrehab/NL (Fn. 381); Hokkanen/FIN (Fn. 381); Gül/CH (Fn. 381); Ahmut/NL, 28.11.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1997 676; Ciliz/NL (Fn. 108); Al-Nashif/BUL (Fn. 370). EGMR Olsson/S (1) (Fn. 138); W/UK (Fn. 109); Johansen/N (Fn. 194); Scozzari u. Giunta/I (Fn. 379); EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 572, 575 (Fürsorgeerziehung). Vgl. auch Brötel RabelsZ 1999 580, 587; Grabenwarter § 22, 17. EGMR Fretté/F, 26.2.2002, ECHR 2002-I = FamRZ 2003 149; Pini u.a./RUM, 22.6.2004; Frowein/Peukert 21; SK/Paeffgen 65; Grabenwarter § 22, 17; Meyer-Ladewig 50 je m.w.N.
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Auch ein Kind, das aus einer nichtehelichen Gemeinschaft hervorgeht, ist vom Augenblick seiner Geburt an und schon allein durch seine Geburt ipso iure Teil dieser „Familien“-Einheit.385 Jedoch reicht die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein – d.h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale („legal or factual elements“), die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten – nicht aus, um unter den Schutz von Art. 8 EMRK zu fallen. In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleichkommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische „familiäre Bindungen“ zu schaffen. Hierzu gehören etwa Art und Dauer der elterlichen Beziehung, insbesondere die Frage, ob das Kind geplant war und ob die Vaterschaft anerkannt wurde. Des Weiteren sind auch der Beitrag zur Erziehung und Betreuung des Kindes sowie die Qualität und Häufigkeit des Kontakts zu berücksichtigen.386 Im Übrigen, vor allem zwischen Erwachsenen,387 müssen besondere, über die übli103 chen gefühlsmäßigen Bindungen hinausreichende388 enge familiäre Bindungen auch tatsächlich bestehen und gelebt werden, damit der Schutz des Art. 8 EMRK eingreift.389 Ob solche de facto Familienbeziehungen bestehen, ist stets aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu beurteilen, wie Dauer und Intensität der Beziehungen, Art und Form des Zusammenlebens, Bestehen eines Abhängigkeits- oder Betreuungsverhältnisses390, gegenseitige Unterhaltsgewährung 391 und Verbundenheit durch gemeinsame Kinder.392 Personen, die in die Familie eingegliedert wurden, wie Adoptivkinder,393 Pflegekinder 104 oder nahe Verwandte eines Ehepartners394 unterfallen dem Schutzbereich des Familienlebens, sofern dadurch auch tatsächlich nahe persönliche Beziehungen entstanden sind. Enge zwischenmenschliche Beziehungen können auch zwischen Personen bestehen, 105 die nicht ständig zusammenleben. Es muss aber ersichtlich sein, dass die den Konventionsschutz auslösenden engen familiären Bindungen auf Dauer angelegt sind und auch tatsächlich gelebt werden. Wo bei Angehörigen der weiteren Familie die Grenzen zu ziehen sind, richtet sich immer nach den gelebten konkreten Beziehungen, aber auch nach den örtlichen Anschauungen, die je nach Kulturkreis verschieden sein können.395
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EGMR Brauer/D, 28.5.2009, NJW-RR 2009 1603, § 30 („real existence in practice of close personal ties“); Lebbink/NL, 1.6.2004, ECHR 2004-IV, § 35; Znamenskaya/R, 2.6.2005, § 26; Hülsmann/D (E), 18.3.2008, NJW-RR 2009 1585. EGMR Anayo/D, 21.12.2010, §§ 55–57; Kroon u.a./NL (Fn. 374), § 30; Lebbink/NL (Fn. 385), §§ 36 f.; Hülsmann/D (Fn. 385); A. W. Khan/UK (Fn. 378), § 34. EGMR Sisojeva u.a./LET, 16.6.2005, EuGRZ 2006 554 (Familienleben zwischen Eltern und erwachsenem Kind abgelehnt; lediglich ein Eingriff in das Privatleben); SK/Paeffgen 69. EGMR Yilmaz/D, 17.4.2003, NJW 2004 2147 m.w.N. EGMR A. W. Khan/UK (Fn. 378), § 32
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(speziell bei Immigranten); BVerwG 65 188; BGer EuGRZ 1984 82; 1985 38; 1990 181; 183; Nowak 32. EGMR Moretti u. Benedetti/I, 27.4.2010 (Pflegeeltern). EKMR EuGRZ 1977 497; bei Bleckmann EuGRZ 1981 119; BGer EuGRZ 1990 183; Frowein/Peukert 20. Vgl. auch BVerwGE 65 188. Vgl. EGMR Kroon u.a./NL (Fn. 374); X, Y, Z/UK, 22.4.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 271; Al-Nashif/BUL (Fn. 370). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 424; Frowein/Peukert 21; IK-EMRK/Wildhaber/ Breitenmoser 379; Meyer-Ladewig 50. Brötel RabelsZ 1999 580, 587; Grabenwarter § 22, 18. Nowak 31; Art. 23, 8 f.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
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Auch ein beabsichtigtes Familienleben kann ausnahmsweise unter Art. 8 EMRK fallen.396 Sofern es die Umstände rechtfertigen, muss sich das „Familienleben“ insbesondere auch auf die potentielle Beziehung erstrecken, die sich zwischen einem nichtehelichen Kind und dessen leiblichem Vater entwickeln kann. Maßgebliche Kriterien, die in diesen Fällen für das tatsächliche und praktische Vorliegen enger persönlicher Bindungen maßgeblich sein können, sind u.a. die Art der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse an dem Kind und das Bekenntnis zu ihm seitens des leiblichen Vaters sowohl vor als auch nach der Geburt.397 Die Grenzziehung zwischen Privat- und Familienleben hat für die Abwehr staatlicher Eingriffe nur geringe Bedeutung. Eingriffe in das Familienleben sind meist auch Eingriffe in das Privatleben.398 Dem Privatleben kann daher im konkreten Fall auch eine Auffangfunktion zukommen, wenn die strengeren Voraussetzungen an das Bestehen eines Familienlebens nicht erfüllt sind, etwa auch im Verhältnis zwischen Eltern und erwachsenen Kindern.399 Für die Notwendigkeit ihrer Rechtfertigung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ändert sich nichts, wenn man sie nur unter diesem Gesichtspunkt beurteilt. Die Besonderheiten des Schutzgutes Familienleben fallen dagegen ins Gewicht, soweit daraus positive Gewährleistungspflichten des Staates hergeleitet werden, wie etwa, dass er bei staatlichen Entscheidungen auch deren Auswirkungen auf die Besonderheiten des Familienlebens der davon Betroffenen in Bedacht nimmt oder wenn von ihm verlangt wird, dass er bestimmte Formen des Familienlebens schützt. Hier darf der Staat nach den Formen des Zusammenlebens differenzieren.400 Bei der nach Art. 12 EMRK / Art. 23 IPBPR geschützten Ehe hat der Staat u.U. gesteigerte Schutzpflichten. Das Recht auf Schließung einer Ehe folgt primär aus diesen Bestimmungen und nicht aus den Schutzpflichten der Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR. Nach diesen kann der Staat aber mitunter sogar verpflichtet sein, zum Schutz des Privatlebens einen für den einzelnen durchsetzbaren Weg zur Beendigung einer für ihn nicht mehr tragbaren Ehegemeinschaft zu eröffnen;401 die Pflicht, im nationalen Recht die Scheidung vorzusehen, lässt sich aus der EMRK aber ebenso wenig herleiten402 wie die Pflicht, die religiöse Ehe anzuerkennen.403 Hingegen verpflichtet Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK nicht zur Ermöglichung einer gleichgeschlechtlichen Eheschließung,404 denn andernfalls würde die Nichtverpflichtung aus Art. 12 EMRK unterlaufen werden.405 Für eine andersartige gesetzliche Anerkennung wird den Vertragsstaaten aufgrund des Fehlens eines diesbezüglichen europäischen Konsenses eine weite Einschätzungsprärogative zugestanden.406 Das Erbrecht zwischen Eltern und ihren Kindern ist so eng mit dem Familienleben verbunden, das es unter den Schutz von Art. 8 EMRK fällt.407 Der Staat ist allerdings 396
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EGMR Pini u.a./RUM, 22.6.2004, ECHR 2004-V, §§ 143, 146 (unterbliebene Herstellung des Familienlebens war Bf. nicht zuzurechnen). EGMR Nylund/FIN (E), 29.6.1999, ECHR 1999-VI = ÖJZ 2000 354; N/D (E), 19.6.2003; Lebbink/NL (Fn. 385), § 36; Hülsmann/D (Fn. 385). EKMR EuGRZ 1977 497; bei Bleckmann EuGRZ 1983 425. SK/Paeffgen 52. Vgl. Frowein/Peukert 23 ff. EGMR Airey/IR (Fn. 69); Frowein/Peukert 26.
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EGMR Johnston u.a./IR (Fn. 371) unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte; dazu Art. 12 EMRK Rn. 10. EGMR (GK) Serife Yigit/TRK, 2.11.2010. EGMR Schalk u. Kopf/A (Fn. 375). Frowein/Peukert 5; Grabenwarter § 22, 59; Meyer-Ladewig 2. EGMR Schalk u. Kopf/A (Fn. 375). EGMR Marckx/B (Fn. 3), § 52; Camp u. Bourimi/NL, ECHR 2000-X, § 35; Merger u. Cros/F, 22.12.2004, § 48; Brauer/D, 28.5.2009, § 30.
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nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle der faktischen Familie zuzurechnenden Personen ein Erbrecht erhalten.408 Der Festnahme bzw. Inhaftierung eines Ehegatten steht Art. 8 EMRK nicht zwangs110 läufig entgegen. Das Familienleben wird aber verletzt, wenn einem Verhafteten jeder Kontakt mit den nächsten Familienangehörigen, vor allem dem Ehegatten, verweigert oder in einem Ausmaß beschränkt wird, das die Aufrechterhaltung der Familienbande nicht mehr ermöglicht, ohne dass ein rechtfertigender Ausnahmefall vorliegt.409 Bei einer Freiheitsentziehung verstoßen Beschränkungen des Kontakts zur Außenwelt nicht per se gegen die EMRK, da Einschränkungen des Privat- und Familienlebens zwangsweise mit einer solchen Situation verbunden sind. Der Staat ist aber verpflichtet, dem Inhaftierten dabei zu helfen, den Kontakt zu seiner Familie aufrechtzuerhalten.410 Soweit die Kontaktaufnahme zur Familie und anderen Personen im Polizeigewahrsam bzw. in der Haft nicht geregelt ist, muss der Staat entsprechende Regelungen schaffen, die einen wirksamen Schutz vor willkürlichen Maßnahmen und sonstigen Verletzungen des Art. 8 EMRK bieten.411 Wird einem U-Häftling der Besuch eines Familienangehörigen verweigert 412 oder wird ihm untersagt, das Gefängnis zeitweise zu verlassen, um seine Familienangehörigen zu besuchen, so richtet sich die Rechtmäßigkeit der Untersagung – gleiches gilt bei Restriktionen hinsichtlich der Besuche von Familienangehörigen bei Strafgefangenen – nach dem Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK.413 Insbesondere bei der Frage, ob ein Besuch bei sterbenden oder kranken Familienangehörigen untersagt werden kann, spielen folgende Faktoren eine Rolle: der Stand des Strafprozesses gegen den Betroffenen, die Art und Schwere des begangenen Delikts, der Charakter des Gefangenen, die Schwere der Krankheit des Verwandten, der Grad der Verwandtschaft („degree of kinship“), die Möglichkeit eines begleiteten Ausgangs, die Möglichkeit eines Verwandtenbesuchs in der Haft und das Bestehen von Fluchtgefahr.414 Wird der Ausgang nach Berücksichtigung sämtlicher Faktoren untersagt, so muss ggf. eine alternative Möglichkeit der Kontaktaufnahme geprüft werden.415
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b) Pflicht zur Förderung der Beziehung von Eltern und Kind. Eine Verpflichtung des Staates, die ungehinderte Begründung eines Familienlebens und einen daraus sich erst
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EGMR Marckx/B (Fn. 3); bei Strasser/Weber EKMR EuGRZ 1989 563. EGMR Sari u. Colak/TRK (Fn. 73; keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der Familie für mehr als sieben Tage seit der Festnahme); EKMR EuGRZ 1983 430; BGer EuGRZ 1981 528; KK-EMRK-GG/ Marauhn/Meljnik Kap. 16, 45. EGMR Baginski/PL (Fn. 163); Schemkamper/F, 18.10.2005. EGMR Sari u. Colak/TRK (Fn. 73; Eingriff lag zeitlich vor einer Gesetzesänderung 2002). EGMR Kucera/SLO, 17.7.2007 (Treffen mit der wegen derselben Tat beschuldigten Ehefrau verweigert; Grund: Austausch von ermittlungsgefährdenden Informationen; kontrollierte Überwachung als milderes Mittel).
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EGMR Schemkamper/F (Fn. 410); zu Langzeitbesuchen aus menschenrechtlicher Perspektive auch: Dünkel ZfStrVo 2008 262. EGMR Lind/R, 6.12.2007 (Besuch im Ausland; ggf. ist die Hilfe der dortigen Behörden in Anspruch zu nehmen bevor von vornherein die Unmöglichkeit eines Besuchs wegen Fluchtgefahr angenommen wird.). EGMR Lind/R (Fn. 414), §§ 95 ff. (Verstoß gegen Art. 8 EMRK wurde bejaht, weil das Telefongespräch zum Abschied in einer Sprache geführt werden musste, die der todkranke Vater nur schlecht verstand, und dieses von der Behörde bereits nach einer Minute unterbrochen wurde; Besonderheit des Falles: Todestag stand wegen Sterbehilfe fest).
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entwickelnden gegenseitigen Umgang416 zu sichern, wird nur für den Bereich der engsten Familie anerkannt. Den wechselseitigen Beziehungen zwischen Eltern und Kinder als dem grundlegenden Element des Familienlebens wird ein so hoher Stellenwert beigemessen,417 dass der Staat u.U.418 verpflichtet ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass solche Familienbeziehungen tatsächlich hergestellt und aufrechterhalten werden können.419 Daraus kann ein Recht der Betroffenen erwachsen, dass die Existenz eines derartigen Familienverhältnisses rechtlich verbindlich festgestellt wird.420 Keinesfalls aber dürfen die staatlichen Behörden das Entstehen solcher Beziehungen behindern, sofern dies nicht ein schwerwiegender Grund rechtfertigt.421 Ein schwerwiegender Grund, bereits die Zeugung des Kindes unmöglich zu machen, liegt grundsätzlich nicht bereits in der (langen) Inhaftierung eines Elternteils; jedenfalls soweit die Mutter in Freiheit das Kind aufziehen kann.422 Soll ein nicht begleiteter ausländischer Minderjähriger abgeschoben werden, so ist nach Möglichkeit eine Zusammenführung der Familie herbeizuführen.423 Bei einem Eingriff in Eltern/Kind-Beziehungen hat das Kindeswohl im Vordergrund 112 aller Regelungen zu stehen.424 Bei dessen Würdigung haben die Behörden einen weiten Beurteilungsspielraum, insbesondere bei Sorgerechtsentscheidungen.425 Maßnahmen, die dem Kindeswohl zuwiderlaufen, etwa weil sie die Gesundheit oder die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen, kann kein Elternteil verlangen.426 Dass ein Kind in einem für seine Erziehung günstigeren Umfeld untergebracht werden könnte, kann an sich nicht rechtfertigen, es im Wege einer Zwangsmaßnahme der Betreuung durch seine biologischen Eltern zu entziehen; es müssen andere Umstände vorliegen, die auf die Notwendig-
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Vgl. EGMR Berrehab/NL (Fn. 381; Beziehungen beider Elternteile zum gemeinsamen Kind, auch wenn diese nicht zusammenleben); W/UK (Fn. 109); Ciliz/NL (Fn. 108); Elsholz/D (Fn. 108; mit Kindeswohl begründete Verweigerung des Umgangsrechts); vgl. auch vorst. Fn. EGMR McMichael/UK (Fn. 108); Johansen/N (Fn. 194). Maßgebend ist hier vor allem der Vorrang des Kindeswohls vgl. etwa EGMR Olsson/S (2), 27.11.1992, A 250 = ÖJZ 1993 353. EGMR Marckx/B (Fn. 3); (GK) K. u. T./ FIN, 12.7.2001, ECHR 2001-VII = NJW 2003 809; Görgülü/D (Fn. 111). Vgl. aber auch EGMR Odièvre/F (Fn. 72), wo der Anspruch eines erwachsenen Kindes auf die wegen der anonymen Geburt geheim gehaltene Auskunft über seine Eltern unter dem Blickwinkel des Schutzes des Privatlebens geprüft und wegen des Vorrangs des staatlich geschützten Geheimhaltungsinteresses der Mutter verneint wurde. EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1988 45 (Feststellung der Abstammung vom unehel. Vater); aber auch EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 18 (kein Recht auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft beim
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Mann, der mit der Kindsmutter nicht zusammenlebt). Etwa EGMR Keegan/IR (Fn. 92; Freigabe zur Adoption ohne Beteiligung des unehel. Vaters). EGMR (GK) Dickson/UK (Fn. 38), § 76. EGMR Mubilanzila Mayeka u.a./B, 12.10.2006, ECHR 2006-XI = NVwZ-RR 2008 573, 576. EGMR Sabou u. Pircalab/RUM, 28.9.2004; Pokrzeptowicz-Meyer/D (E), 25.8.2009 (Sorgerechtsverfahren); Lipkowsky, McCormack/D (E), 18.1.2011. Zusammenfassend: EGMR Glesmann/D, 10.1.2008, §§ 102–103; Haase/D (E), 12.2.2008, ECHR 2004-III (Auszüge) = NJW 2004 3401; Schumacher/D (E), 26.2.2008. EGMR Johansen/N (Fn. 194); Tiemann/F u. D (E), 27.4.2000, ECHR 2000-IV = NJW 2001 2319 (Ls); Elsholz/D (Fn. 108); Scozzani u. Giuntal/I (Fn. 379); Sahin/D und Sommerfeld/D, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII = EuGRZ 2004 707, 711 = FamRZ 2004 337; Görgülü/D (Fn. 111); Haase/D (Fn. 425); Hub/D (E), 22.4.2008, FuR 2009 623.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
keit eines derartigen Eingriffs in das Recht von Eltern auf Familienleben mit ihrem Kind aus Art. 8 EMRK schließen lassen.427 Um den familiären Verbund zwischen einem Kind und seinen Eltern nicht nachhaltig zu gefährden, müssen die Behörden im Falle einer bereits bestehenden Trennung zwischen dem Kind und einem Elternteil hinsichtlich „darüber hinausgehender Einschränkungen“ stets auf einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Kindes und denen der beiden Elternteile428 bedacht sein und deshalb auch nach Anordnung einer getrennten Unterbringung der Kinder für die Aufrechterhaltung aller mit dem Kindeswohl zu vereinbarenden Kontakte zwischen Eltern und Kindern sorgen sowie sich auch um eine eventuelle Wiederzusammenführung bemühen;429 auch insoweit obliegen dem Staat „positive obligations inherent in an effective ,respect‘ for family life“ .430 Dazu zählt auch, die Situation in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.431 Zur Wahrung ihrer Interessen müssen die Behörden die Eltern möglichst frühzeitig und im angemessenen Umfang in den Entscheidungsprozess einbinden (vgl. Rn. 130).432 Bei der Vollstreckung einer Entscheidung, die nach der Ehescheidung die Wiedervereinigung eines Kindes mit einem seiner Elternteile anordnet, erfordert die positive Pflicht zur Beachtung des Familienlebens, dass sich der Staat um die schnelle Vollstreckung bemüht, denn die künftigen Beziehungen zwischen einem Elternteil und seinem Kind dürfen nicht allein durch bloßen Zeitablauf entschieden werden.433 In Kindschaftsverfahren muss dem Faktor Zeit eine maßgebliche Bedeutung zukommen, weil immer die Gefahr besteht, dass Verfahrensverzögerungen zu einer faktischen Entscheidung der betreffenden Frage führen.434 Bei einem nichtehelichen Vater/Kind-Verhältnis können aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht schon per se besondere Rechte des Vaters hergeleitet werden; so kann ein unehelicher Vater, der damit einverstanden war, dass sein Sohn den Nachnamen seiner Mutter erhielt, sich später nicht gegen eine Änderung des Nachnamens wenden.435 Der Vater eines nichtehelichen Kindes hat grundsätzlich ein Umgangsrecht mit seinem Kind, vorausgesetzt, dass Gründe des auch hier vorrangigen Kindeswohls nicht entgegenstehen. Er darf insoweit nicht schlechter gestellt werden als ein Vater bei einer geschiedenen Ehe.436 Über diese Verpflichtungen zum Schutze bestehender und zur Förderung ernsthaft angestrebter Vater-Kind-Beziehungen hinaus werden die staatlichen Stellen durch Art. 8
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EGMR Haase/D (E) (Fn. 425); K.A./FIN, 14.1.2003, § 92. Etwa EGMR Görgülü/D (Fn. 111); Haase/D (Fn. 425); Glesmann/D (Fn. 425; Unterbringung Pflegefamilie/Einschränkung Umgangsrecht), §§ 1671, 1684 Abs. 4 BGB); Hub/D (E) (Fn. 426; Einschränkung Umgangsrecht); Ullmann/D (E) (Fn. 110; Entziehung des Sorgerechts); Meyer-Ladewig 58. EGMR Olsson/S (2) (Fn. 418); Scozzari u. Giunta/I (Fn. 379); Nekvedavicius/D (E), 19.6.2003; Haase/D (Fn. 425); Ullmann/D (Fn. 110); Hub/D (Fn. 426; in Abgrenzung zu Nekvedavicius/D); Grabenwarter § 22, 19. EGMR Glesmann/D (Fn. 425), § 104. EGMR Nekvedavicius/D (Fn. 429).
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EGMR W/UK (Fn. 109), §§ 62–64; McMichael/UK (Fn. 108); Venema/NL (Fn. 109); Wildgruber/D, 29.1.2008; Drösser-Brand/D (E), 14.10.2008 (Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf einen Elternteil); Meyer-Ladewig 78. EGMR W/UK (Fn. 109); Sylvester/A (Fn. 62); Görgülü/D (Fn. 111); Haase/D (Fn. 425); Wildgruber/D (E) (Fn. 432); Meyer-Ladewig 58 m.w.N. EGMR H./UK, 8.7.1987, A 120, §§ 89–90. EGMR Petersen/D (Fn. 377). EGMR Sahin/D und Sommerfeld/D (Fn. 426); zu diesen Urteilen: Goedecke JIR 46 (2003) 606, 625, 630; vgl. auch: EGMR Görgülü/D (Fn. 111); Elsholz/D (Fn. 108) ließ die Frage noch offen.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
EMRK / Art. 17 IPBPR allein nicht verpflichtet, von sich aus dafür zu sorgen, dass im konkreten Fall eine Familienbeziehung gegründet und gelebt wird. Die Konventionsgarantien geben keinen Anspruch auf eine im nationalen Recht nicht vorgesehene Adoption437 und garantieren weder ein Recht auf Bildung noch ein Monopol der Eltern auf Erziehung der Kinder.438 Der Staat muss aber nach Art. 2 ZP-EMRK / Art. 18 Abs. 4 IPBPR das Recht der Eltern achten, die Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen religiösen und sittlichen Überzeugungen – auch abweichend von der h.M. – zu erziehen.439 Wieweit dieses Recht eine körperliche Züchtigung deckt oder der Schule verbietet, ist offen;440 das Erziehungsrecht rechtfertigt aber nie Maßnahmen, die nach der übereinstimmenden Rechtsauffassung aller Mitgliedstaaten strafbar sind.441 Ein Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern kann zugleich einen Eingriff in das Familienleben bedeuten.442 Staatliche Maßnahmen, die in diesen Schutzbereich eingreifen, müssen zur Erreichung 118 eines der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Zwecke gesetzlich vorgesehen und auch in einer Demokratie notwendig sein. Die erforderliche faire Abwägung der für eine solche Maßnahme sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls oder des Schutzes anderer mit den Belangen des/der Betroffenen muss sie rechtfertigen.443 c) Recht auf Aufenthalt / Ausweisung / Auslieferung. Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR 119 begründen auch unter dem Blickwinkel der Achtung des Familienlebens kein Recht auf einen Aufenthalt in einem bestimmten Staat.444 Erst recht garantiert Art. 8 EMRK nicht das Recht auf eine besondere Form der Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltstitel)445, insbesondere wenn die von den Behörden vorgeschlagene Lösung eine ungehinderte Ausübung des Privat- und Familienlebens gestattet.446 Soweit nicht Unionsrecht 447 oder besondere
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EGMR (GK) E.B./F, 22.1.2008, § 41 (Diskriminierung einer homosexuellen Frau durch Verweigerung einer Adoption). EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3). Vgl. Art. 9 EMRK Rn. 13, 19, 24. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 424; bei Strasser/Weber EuGRZ 1988 47; 48; Frowein/Peukert 28; krit. SK/Paeffgen 29. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 425; vgl. auch Frowein/Peukert 25. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Kjeldsen u.a./DK, 7.12.1976, A 23 = EuGRZ 1976 478 = NJW 1977 487 (Sexualkunde); dazu Wildhaber EuGRZ 1976 489; Frowein/ Peukert 28. Vgl. oben Rn. 12, 21; ferner etwa EGMR Beldjoudi/F (Fn. 214); Nasri/F, 13.7.1995, A 320-B = ÖJZ 1995 908; Boughanemi/F (Fn. 377). Etwa EGMR Radovanovic/A, 22.4.2004, ÖJZ 2005 76; Al-Nashif/BUL (Fn. 370); vgl. aber „Global Trends 2010“ UNHCR, S. 12 ff.: obwohl kein Aufenthaltsrecht besteht, beherbergt Deutschland unter allen Industriestaaten die meisten Flüchtlinge (594.300); hier kommen 17 Flüchtlinge auf
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einen Dollar des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts. Die USA haben schätzungsweise 264.600 und Großbritannien 238.100 Flüchtlinge aufgenommen. Dennoch ist dem Bericht des UNHCR zu entnehmen, dass vier von fünf Flüchtlingen weltweit in den Entwicklungsländern leben. EGMR (GK) Sisojeva u.a./LET, 15.1.2007, NVwZ 2008 979 = InfAuslR 2007 140; hierzu: BVerwG (Ls.) DVBl. 2009 203 (Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen, § 26 Abs. 4 AufenthG). EGMR Aristimuno Mendizabal/F, 17.1.2006. So etwa die zur Sicherung der Freizügigkeit der Unionsbürger ergangenen Regelungen der EU, die im Lichte des Art. 8 EMRK ausgelegt werden; dadurch werden die Regelungen des nationalen Rechts über die Versagung der Aufenthaltserlaubnis zum Schutz des Familienlebens vom EuGH erheblich eingeschränkt; vor allem, wenn es um die Aufenthaltsrechte der einem Drittstaat angehörenden Kinder und Ehegatten eines EU-Bürgers geht; vgl. etwa EuGH EuGRZ 2002 596; 2003 607; 2004 422.
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EMRK Art. 8
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Verträge dies einschränken, sind die Vertragsstaaten entsprechend einem anerkannten Grundsatz des Völkerrechts berechtigt und zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung auch verpflichtet,448 über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung eines Nichtinländers zu bestimmen.449 Vor allem bei der Einreise muss ein Staat nicht die Wahl der Eheleute anerkennen, in welchem Land sie gemeinsam leben wollen.450 Die Frage nach den Anforderungen, die Art. 8 EMRK (Achtung des Familienlebens) 120 an eine Ausweisung stellt, stellt sich folglich grundsätzlich nicht, bevor der Betroffene jemals eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat. Allein der Umstand eines längeren Aufenthalts begründet kein Verbot der Ausweisung.451 Der Eingriff in das Familienleben muss aber fair sein, die für ihn angeführten Gründe müssen ein berechtigtes Ziel verfolgen, stichhaltig sein und auch den durch Art. 8 EMRK geschützten Belangen Rechnung tragen.452 Bei der Ausweisung eines Straftäters kann es jedoch von Bedeutung sein, ob die Auf121 enthaltserlaubnis in Kenntnis der Straffälligkeit des Betroffenen erteilt wurde.453 Im Übrigen wird die Kenntnis des Ausländers von der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bei Begründung des Familienlebens vom EGMR bei der Abwägung zu Lasten des ausländischen Familienangehörigen gewertet, so dass in diesen Fällen nur ausnahmsweise eine Verletzung von Art. 8 EMRK angenommen wird.454 Der Staat ist nicht gehindert, Straftäter auszuweisen.455 Diese Grundsätze gelten 122 unabhängig davon, ob der Ausländer als Erwachsener oder in sehr jungem Alter in das Gastland eingereist oder sogar dort geboren wurde.456 Ausdrücklich erklärt der EGMR, dass trotz einer anders lautenden Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates457 im Hinblick auf die Ausweisungsbefugnis der Vertragsstaaten bei Vorliegen eines der Gründe aus Art. 8 Abs. 2 EMRK die Situation straffälliger ausländischer Staatsangehörigen selbst dann nicht mit derjenigen eines Staatsbürgers gleichgestellt werden könne, wenn der Ausländer einen unbefristeten („non précaire“ / „very strong“) Aufenthaltsstatus besitze und ein hohes Maß an Integration aufweise. Ein Recht auf Nichtausweisung ergibt sich in keinem Fall aus Art. 8 EMRK.458
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EGMR Mubilanzila Mayeka u.a./B (Fn. 423). EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189); Radovanovic/A (Fn. 444). EGMR Rodrigues da Silva u.a./NL (Fn. 64); Gül/CH (Fn. 381); Al-Nashif/BUL (Fn. 370). EGMR (E) Dragan u.a./D, 7.10.2004, NVwZ 2005 1043 (Ausweisung einer staatenlosen Familie ohne Aufenthaltsgenehmigung); zur Abschiebung Staatenloser auch SK/Paeffgen 77a. Vgl. EGMR Ciliz/N (Fn. 108; Abschiebung, obwohl Verfahren zu einem Probetreffen mit Sohn eingeleitet worden war). EGMR Omojudi/UK, 24.11.2009. EGMR Rodrigues da Silva u.a./NL (Fn. 64; obwohl die Betroffene sich zu keinem Zeitpunkt legal in den NL aufgehalten hatte, wurde ein derartiger Ausnahmefall bejaht, u.a. wegen der sehr engen Bindung zu
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dem noch sehr kleinen Kind und weil zwischenzeitlich eine Legalisierung hätte erreicht werden können). EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189); Yilmaz/D (Fn. 388), m.w.N.; Adam/D, 4.10.2001, EuGRZ 2001 582 = NJW 2003 2595; Beldjoudi/F (Fn. 214); OVG Koblenz Urt. v. 30.7.2010 – 7 A 11230/09, BeckRS 2010 51857. EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189). Rec 1504 (2001) über die Nichtausweisung von langjährig ansässigen Zuwanderern. EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189); anders VGH BW, 18.3.2011 – 11 S 2/11: danach fehlt es in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Gleichwohl kann eine Auslieferung oder Ausweisung gegen Art. 8 EMRK verstoßen, 123 wenn seine Garantien bei der Auslegung offener Rechtsbegriffe oder bei der Ermessensausübung nicht hinreichend berücksichtigt werden.459 Die Verweigerung der Einreise, vor allem aber eine Auslieferung oder Ausweisung können in das gemeinsame Familienleben eingreifen,460 da es seine Wiederherstellung oder Fortsetzung in dem betreffenden Land ganz oder auf längere Zeit unmöglich macht.461 Abzustellen ist auf die Familienverhältnisse in dem Zeitpunkt, in dem der Eingriff rechtlich verbindlich wird; bei einem Aufenthaltsverbot also auf die Rechtskraft dieses Verbotes.462 Bei der Prüfung einer ggf. erforderlichen tatsächlichen Abschiebung und ihrer Notwendigkeit ist allerdings auch die Entwicklung nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung zu berücksichtigen.463 Das BVerwG beurteilt die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei Ausländern einheitlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung durch die letzte Tatsacheninstanz (letzte mündliche Verhandlung),464 um mit diesem späten Zeitpunkt der EMRK und ihrer Auslegung durch den EGMR so weit wie möglich Geltung zu verschaffen.465 Keine Verletzung des Familienlebens liegt vor, wenn es dem Betroffenen möglich und 124 bei objektiver Würdigung seiner Verhältnisse auch zuzumuten ist, die Familiengemeinschaft in einem anderen Land zu beginnen oder fortzusetzen,466 so vor allem, wenn gegen ein Verbleiben oder eine Wiedereinreise in das Gastland schwerwiegende Gründe des Gemeinwohls oder der öffentlichen Sicherheit sprechen.467 Art. 8 EMRK gewährleistet nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens selbst zu wählen.468 Dies gilt besonders, wenn der wegen schwerer Straftaten Ausgewiesene erst nach Anordnung seiner Ausweisung geheiratet hat469 oder wenn die Familienbande auch vom Ausland aus gepflegt werden können, so etwa, wenn die üblicherweise getrennt wohnenden erwachsenen und wirtschaftlich selbständigen Kinder die Möglichkeit zu Besuchen bei den Eltern und zu ihrer finanziellen Unterstützung haben470 oder wenn ein Ausgelieferter nach Erledigung des Verfahrens zurückkehren kann.471 Wird der 459 460 461
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Vgl. VG Köln Beschl. v. 18.2.2009 – 12 L 1926/08, BeckRS 2009 32875. EGMR Radovanovic/A (Fn. 444); Moustaquim/B (Fn. 192) EGMR Abdulaziz u.a./UK (Fn. 92); Al-Nashif/BUL (Fn. 370); ÖVerfGH EuGRZ 1986 190 mit Anm. Tretter (bereits Aufenthaltsverbot, nicht erst Vollstreckung). EGMR Bouchelkia/F (Fn. 156); El Bouljaldi/F, 26.9.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 626; Yilmaz/D (Fn. 388). EGMR (GK) Maslov/A, 23.6.2008, ÖJZ 2008 779, unter Hinweis auf seine Rspr. zu Art. 3 EMRK betreffend den Vollzug einer Abschiebung. BVerwG NVwZ 2009 979 (Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Härtefall). BVerwG InfAuslR 2005 26; DVBl. 2008 392 (insoweit Änderung der bis zum Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.8.2007 bestehenden Rspr.) = InfAuslR 2008 156.
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EGMR Cruz Varas/S, 20.3.1991, A 201 = EuGRZ 1991 203 = ÖJZ 1991 519 = NJW 1991 3079 = InfAuslR 1991 217; BGer EuGRZ 1985 38. Vgl. EGMR Baghli/F, 30.11.1999, ECHR 1999-VIII = NVwZ 2000 1401 = InfAuslR 2000 53 (Ausweisung und zehnjähriges Einreiseverbot wegen Drogenhandels). EGMR Ahmut/NL, 28.11.1996 (Fn. 382) unter Hinweis auf das faire Gleichgewicht zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und der Zuwanderungskontrolle. EGMR Bouchelkia/F (Fn. 156); Adam/D (Fn. 455); vgl. ferner Baghli/F (Fn. 467; Unbeachtlichkeit einer erst nach der Ausweisung eingegangenen Beziehung), ebenso EGMR Jakupovic/A, 6.2.2003, ÖJZ 2003 567. Vgl. BVerfG EuGRZ 2004 317; BGer EuGRZ 1990 181. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 311.
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EMRK Art. 8
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Aufenthalt gestattet, so kommt zum Tragen, dass Art. 8 EMRK die effektive und nicht bloß theoretische Teilhabe an den verbürgten Rechten garantiert, so dass es u.U. nicht ausreicht, wenn der Staat bloß von einer Ausweisung absieht. Stattdessen kann sich aus Art. 8 EMRK eine positive Verpflichtung zur Ermöglichung der Rechtsausübung ergeben.472 Eine Ausweisung wegen einer Straftat kann zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder 125 der nationalen Sicherheit oder zur Verhütung von Straftaten in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein473 insbesondere bei Drogendelikten.474 Allerdings ist dabei zwischen Drogenhändlern und Drogenkonsumenten zu unterscheiden.475 Letztere stellen danach nicht zwingend eine gleichermaßen starke Bedrohung für die öffentliche Ordnung dar. Die Beschaffungsdelikte sind nach den allgemeinen Kriterien in ihrer Schwere zu beurteilen.476 Die staatlichen Behörden haben hier auch wegen ihrer besseren Kenntnis der örtlichen Verhältnisse einen weiten Beurteilungsspielraum. Die Haft von Ausländern in Unterbringungszentren zum Zwecke der Abschiebung ist nur zulässig, um dem Staat zu ermöglichen, die heimliche Einwanderung zu bekämpfen. Dabei hat der Staat seine internationalen Verpflichtungen und die (Grund-)Rechte des Ausländers zu beachten.477 Eine Ausweisung darf im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unverhältnismäßig 126 sein.478 Bei der Gewichtung der einzelnen Umstände differenziert der EGMR zwischen Immigranten der ersten und zweiten Generation.479 Immigranten der zweiten Generation sind Personen, die in der Regel praktisch keine Bindungen mehr zum Staat der formellen Staatsangehörigkeit haben, weil sie im Aufenthaltsstaat geboren wurden. Ihnen gleichgestellt sind Personen, die seit ihrer frühesten Kindheit in diesem Staat leben.480 Es wird dennoch kritisiert, dass das Verhältnis der einzelnen Kriterien und ihre Gewichtung im Einzelnen insgesamt unklar bleiben.481 Maßgebliche Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind jeweils die Art und Schwere der begangenen Straftat 482 des Ausgewiesenen, die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Tat verstrichene Zeitspanne und sein Verhalten in dieser Zeit,483 außerdem seine Familienbindungen sowie seine sonstigen sozialen Kontakte, die er sich während seines Aufenthalts in dem Gastland aufgebaut hat.484 Letztere sind in ihrer 472
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EGMR Sisojeva u.a./LET (Fn. 387; die Rechtfertigung des Eingriffs wurde anhand der Kriterien für eine Rechtfertigung der Ausweisung geprüft). EGMR Radovanovic/A (Fn. 444). Vgl. EGMR A. W. Khan/UK (Fn. 378), § 40; Keles/D, 27.10.2005, FamRZ 2006 1351; Najafi/S (E), 6.7.2004; D/UK, 2.5.1997, Rep. 1997-III = NVwZ 1998 161. EGMR (GK) Maslov/A (Fn. 463), § 80. EGMR Ezzouhdi/F, 13.2.2001, § 34. EGMR Mubilanzila Mayeka u.a./B (Fn. 423). EGMR Aronica/D, 18.4.2002, EuGRZ 2002 514 = ÖJZ 2003 309; Mutlag/D, 25.3.2010; Meyer-Ladewig 118. Vgl. EGMR Radovanovic/A (Fn. 444); Benhebba/F, 15.6.2003. EGMR Radovanovic/A (Fn. 444); Boultif/CH, 2.8.2001, ECHR 2001-IX =
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InfAuslR 2001 476, Concurring Opinion Baka, Wildhaber, Lorenzen. Davy ZAR 2007 233. Der EGMR bezieht auch das verhängte Strafmaß in seine Überlegungen mit ein und beurteilt dessen Relation zur Ausweisung. Vgl. EGMR Keles/D (Fn. 474); A. W. Khan/ UK (Fn. 378), § 40; Mutlag/D (Fn. 478), § 55 unter Einbeziehung der Tatsache, dass der Betroffene bei der Tat bereits über die Möglichkeit der Ausweisung nach erneuter Straffälligkeit informiert war. EGMR A. W. Khan/UK (Fn. 378), § 41 (lange Wohlverhaltensphase). EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189); Radovanovic/A (Fn. 444); Benhebba/F (Fn. 479); Boultif/CH (Fn. 480); Omojudi/UK (Fn. 453); vgl. auch VG Freiburg Urt. v. 17.2.2009 – 3 K 613/08, BeckRS 2009 32149.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Gesamtheit in die Betrachtung einzustellen, da sie unabhängig davon, ob zusätzlich noch ein Familienleben im Gastland besteht, die soziale Identität des Betroffenen mitgestalten und so Teil seines Privatlebens sind.485 Auch die Verbindungen zum Bestimmungsland, die Staatsangehörigkeit der einzelnen 127 Betroffenen sowie ggf. die Frage, ob der Ehegatte von der Straftat wusste, als die familiäre Beziehung aufgenommen wurde, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und wie alt diese sind sowie das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und das Kind in dem Land, in welches der andere ausgewiesen werden soll, unter Umständen begegnen, gehören zu den wesentlichen Kriterien.486 Bei der Bewertung kann auch das Alter des Betroffenen eine Rolle spielen. Die Einordnung der zur Ausweisung führenden Straftaten als Jugendkriminalität kann die Notwendigkeit der Ausweisungsmaßnahme ebenso beeinflussen wie das Kindeswohl, auf das Rücksicht zu nehmen ist.487 Im Ergebnis ergibt sich anhand dieser Kriterien aus Art. 8 EMRK ein stärkerer, wenn auch nicht absoluter,488 Schutz für Immigranten der zweiten Generation489 selbst dann, wenn diese keine Familie im Aufenthaltsstaat haben, da Art. 8 EMRK mit dem Privatleben die Gesamtheit der sozialen Beziehungen schützt.490 Unverhältnismäßig kann eine (an sich berechtigte) Ausweisung sein, wenn diese trotz 128 familiärer Bindungen des Ausgewiesenen nicht befristet wird.491 Eine Befristung kann im Übrigen auch aufgrund einer Gesamtabwägung der genannten Umstände zur Bejahung der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein.492 Sie ist aber grundsätzlich nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.493 Gegen Art. 8 EMRK verstößt eine Strafrechtsnorm, die einem Elternteil für den Fall seiner Verurteilung zu einer Haftstrafe automatisch – ohne gerichtliche Prüfung und ohne Berücksichtigung der Interessen des Minderjährigen – seine elterlichen Rechte entzieht.494 Dem von einer Ausweisung Betroffenen muss die Möglichkeit offen stehen, der Auffassung der Behörde vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes entgegenzutreten, um so jedem Rechtsmissbrauch vorzubeugen und Willkür auszuschließen.495 Neben dieser grundlegenden Forderung an die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung prüft der EGMR im Übrigen das ihr zugrunde liegende nationale Recht und seine Anwendung daraufhin, ob es den Ausweisungstatbestand frei von unzulässigen Diskriminierungen (vgl. Art. 14 EMRK Art. 2 IPBPR) festgelegt hat 496 und ob es von den Behörden bona fide angewendet wurde.497
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EGMR A.W. Khan/UK (Fn. 378), § 31; vgl. zum Übermaßverbot: BVerwG NVwZ 2010 389, 391 (keine „tiefgreifende Verwurzelung in Deutschland und gleichzeitige Entwurzelung vom Herkunftsland“). EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189), §§ 57 f.; Radovanovic/A (Fn. 444); Benhebba/F (Fn. 479); Boultif/CH (Fn. 480); Omojudi/UK (Fn. 453); vgl. auch VG Freiburg (Fn. 484). EGMR (GK) Maslov/A (Fn. 463). Vgl. auch OVG Lüneburg DVBl. 2008 929 (Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen wegen Begehung einer Straftat). Frowein/Peukert 24; vgl. auch BVerwG NVwZ 2009 979.
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EGMR (GK) Üner/NL (Fn. 189). EGMR Yilmaz/D (Fn. 388) unter Hinweis auf EGMR Berrehab/NL (Fn. 381); Mehemi/F, 26.9.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 625 = NVwZ 1998 164 = InfAuslR 1997 430. EGMR Keles/D (Fn. 474), § 66. BVerfG EuGRZ 2007 467. EGMR Sabou u. Pircalab/RUM (Fn. 424). EGMR Al-Nashif/BUL (Fn. 370); Raza/ BUL, 11.2.2010. HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./Mauritius (Fn. 149); vgl. Nowak 14; EGMR Abdulaziz u.a./UK (Fn. 92). HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./Mauritius (Fn. 149).
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Für die Auslieferung498 eines deutschen (vgl. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG; § 80 Abs. 1 u. 2 IRG; §§ 2, 73 IStGHG) oder ausländischen Tatverdächtigen (vgl. § 2 Abs. 1 IRG) zur Strafverfolgung oder eines wegen einer Straftat verurteilten Ausländers (Vgl. § 2 Abs. 1 IRG)499 zur Strafvollstreckung gelten entsprechende Überlegungen. Auch eine Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist grundsätzlich mit Art. 8 EMRK vereinbar. Ausnahmsweise sind jedoch der Schutz des Ehe- und Familienlebens einerseits und das Strafverfolgungs- bzw. Strafvollstreckungsinteresse des ersuchenden Staates gegeneinander abzuwägen. Zu prüfen sei dabei neben dem Gewicht der Tatvorwürfe, ob bei einer Auslieferung eine besondere Beeinträchtigung des Ehe- und Familienlebens i.S.v. Art. 8 EMRK droht.500 Eine besonders eingehende Prüfung sei hier vor allem bei der Auslieferung von Jugendlichen und Heranwachsenden angezeigt, da für diese Gruppe der Schutz des Familienlebens besondere Bedeutung habe. Sofern ein Jugendlicher oder Heranwachsender keine familiären Beziehungen im ersuchenden Staat hat, soll eine Auslieferung nur dann zulässig sein, wenn durch sie keine in Anbetracht der vorgeworfenen Straftaten unverhältnismäßige Zerstörung der Familienbeziehungen hervorgerufen wird.501 Grundsätzlich vermag die Gründung (bzw. Existenz) einer Familie im ersuchten Staat jedoch ebenso wenig vor Auslieferung ins Ausland zu schützen wie vor nationaler Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung, da regelmäßig ein Nachzug der Familie möglich sein wird. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung kann jedoch aus Art. 8 EMRK ein Auslieferungshindernis erwachsen, wenn das Strafverfolgungsinteresse des ersuchenden Staats eher gering einzuschätzen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn der ersuchende Staat die Strafverfolgung schuldhaft über mehrere Jahre verzögert hat und für die nunmehrige Auslieferung eine Entfremdung der Kinder von ihrer Mutter zu besorgen wäre.502 Auch die Existenz schwerstkranker Familienmitglieder kann einer Auslieferung entgegenstehen, falls die Anwesenheit zur Sicherstellung des Therapieerfolgs erforderlich erscheint und sowohl eine Trennung als auch eine Begleitung in den ersuchenden Staat die Verschlechterung der Erkrankung zur Folge haben könnte (etwa aufgrund mangelhafter medizinischer Versorgung im ersuchenden Staat).503
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d) Verfahrensgarantien. Aus der Schutzpflicht des Art. 8 EMRK in Verbindung mit dem Konzept der Rechtmäßigkeit und der Vorherrschaft des Rechts hat der EGMR Verfahrensgarantien für Eingriffe in das Familienleben entwickelt. Der Staat ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle in diese grundlegenden Menschenrechte eingreifenden Maßnahmen in einem fairen Verfahren ergehen, in dem – abgesehen von Eilfällen504 – die
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Allgemein hierzu: Lagodny Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland (1987); Schwaighofer Auslieferung und Internationales Strafrecht (1988). Im Grundsatz erfolgt keine Auslieferung Deutscher zur Strafvollstreckung im Ausland; vgl. aber § 80 Abs. 3 IRG im Bereich der Europäischen Union: Zustimmung zu richterlichem Protokoll nach Belehrung. Siehe OLG Hamm StRR 2011 152 mit krit. Anm. Burchardt bzgl. des übersehenen Vorrangs von § 73 Satz 2 IRG.
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OLG Stuttgart NStZ-RR 2004 345; für eine generell stärkere Berücksichtigung der Menschenrechte des Minderjährigen als eigenständiges Individuum in aufenthaltsrechtlichen Fragen vgl. Maierhöfer NVwZ 2011 4. OLG Hamm Beschl. v. 21.12.2006, Az. (2) 4 Ausl. A 25/06 (313/06); OLG Hamm NStZ-RR 2011 209 (Ls.). OLG Karlsruhe NStZ 2005 351. EGMR K. u. T./FIN (Fn. 419); MeyerLadewig 117.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Betroffenen auch zu den anstehenden Fragen und den vorliegenden Beweismitteln ausreichend vorher gehört worden sind.505 In einigen Fällen, die Maßnahmen zum Wohl eines Kindes betrafen, hat der EGMR gefordert, dass die nationalen Behörden vor ihrer Entscheidung ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen, um die Belange des Kindes zutreffend beurteilen zu können.506 Die Anordnung der Ausweisung muss im Regelfall nach Art. 13 IPBPR in einem kontradiktorischen Verfahren von einem unabhängigen Organ überprüft werden können;507 dabei sind die maßgebenden Beweise nachzuprüfen. 3. Wohnung a) Begriff / Schutzbereich. Auch der Begriff der Wohnung ist im Sinne der Konven- 131 tionen autonom auszulegen.508 Zentrales Merkmal ist die hinreichende Bindung an einen abgrenzbaren Raum / Ort („lieu déterminé“) von gewisser Dauer.509 Insoweit maßgeblich ist die Funktion, die dieser Ort nach den tatsächlichen Umständen erfüllt. Wohnung sind die Räumlichkeiten, die der jeweils Betroffene tatsächlich bewohnt. Unerheblich ist, ob er Eigentümer oder Mieter ist.510 Für den Schutz des Individualbereichs ist lediglich maßgebend, dass er sie tatsächlich zu Wohnzwecken nutzt.511 Durch seine zeitweilige Abwesenheit verliert er diesen Schutz nicht.512 Geschützt wird von Art. 8 EMRK die für Wohnzwecke benutzte Sphäre des privaten 132 Lebensraums513 einschließlich des Rechts, den physisch abgrenzbaren Raum ungestört zu nutzen.514 Ein bisher nicht bewohntes Grundstück, auf dem der Bau eines Wohnhauses geplant ist, fällt aber nicht unter den Schutz des Art. 8 EMRK;515 desgleichen nicht ein auf einer öffentlichen Fläche abgestelltes Fahrzeug.516 Die bei einer Wohnung befindliche Garage und wohnungsnahe Gebäudeteile und Flächen (z.B. Terrasse; Innenhof; umfriedeter Garten) zählen dazu,517 nicht aber eine Waschküche, die dem Betroffenen nicht allein gehört518. Ein Wohnwagen519 oder ein Hausboot 520 werden auch dann von dem Begriff
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EGMR W/UK (Fn. 109); Keegan/IR (Fn. 92); McMichael/UK (Fn. 108); Elsholz/D (Fn. 108); Venema/NL (Fn. 109); vgl. auch Rn. 33 f. EGMR Elsholz/D (Fn. 108); Sommerfeld/D, 11.10.2001, EuGRZ 2001 588 = FamRZ 2002 381; kritisch dazu Benda EuGRZ 2002 282; Meyer-Ladewig 117. Vgl. Art. 13 IPBPR (bei Art. 4 des 4. ZP-EMRK). Zum Wohnungsbegriff der EMRK, des GG und der diesbezüglichen EuGH-Rechtsprechung vgl. auch KK-EMRK-GG/Marauhn/ Meljnik Kap. 16, 53 ff. EGMR Hartung/F (E), 3.11.2009 (zweifelnd bzgl. Künstlergarderobe, die nur punktuell und zeitlich begrenzt zur Verfügung stand); Propkovich/R, 18.11.2004; Gillow/UK (Fn. 128); McKay-Kopecka/PL, 19.9.2006. EGMR Mentes u.a./TRK, 28.11.1997; Meyer-Ladewig 87. EGMR Karner/A (Fn. 375); McCann/UK, 13.5.2008 (Sozialwohnungen, auch wenn das
Wohnrecht nach nationalem Recht bereits erloschen ist); Frowein/Peukert 42; Nowak 42. 512 EGMR Demades/TRK, 31.7.2003 (Feriendomizil). 513 Vgl. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 458 (Räumlichkeit, der eine gewisse Privatsphäre anhaftet). 514 EGMR Gaida/D (E), 3.7.2007, NVwZ 2008 1215; Moreno Gómez/E, 16.11.2004, ECHR 2004-X = NJW 2005 3767. 515 EGMR Loizidou/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1997 793 = EuGRZ 1997 555. 516 Grabenwarter § 22, 21 mit Hinweis auf EKMR. 517 Frowein/Peukert 42; Grabenwarter § 22, 21; Nowak 42. 518 EGMR Chelu/RUM, 12.1.2010. 519 EGMR Buckley/UK (Fn. 108; Zigeuner) ferner m.w.N.; Grabenwarter § 22, 21 (jedenfalls, soweit sie als Lebensmittelpunkt benutzt werden). 520 Nowak 42.
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der Wohnung erfasst, wenn zwar ein ortsfester Standort fehlt, sie aber für Wohnzwecke genutzt werden.521 Die Zelle eines Strafgefangenen ist keine Wohnung i.S.d. Art. 8 EMRK,522 desgleichen eine Kaserne; ihre Durchsuchung kann aber den Bereich des Privatlebens berühren (Rn. 64, 79).523 Betrieblich im gleichen Haus befindliche oder beruflich genutzte Räume, wie etwa eine Anwaltskanzlei,524 zählen zur Wohnung.525 Aufgrund der weiteren französischen Sprachfassung („domicile“ gegenüber „home“) und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Auslegung der EMRK dynamisch, d.h. unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung erfolgen muss, legt der EGMR Art. 8 Abs. 1 EMRK so aus, dass dieser auch das Recht eines Unternehmens auf Achtung seines Firmensitzes, seiner Zweigstellen sowie anderer Betriebsstätten und Geschäftsräume umfasst.526 Es kommt dabei nicht darauf an, ob hinter dem Unternehmen eine natürliche oder eine juristische Person steht.527 Ob dem Staat mit der Unterscheidung zwischen Wohnung und Geschäftsräumen bei seinen Maßnahmen jeweils ein unterschiedlich weiter Beurteilungsspielraum eröffnet wird, hat der EGMR offen gelassen.528 Auch Büroräume innerhalb einer Behörde werden vom Schutz des Art. 8 EMRK erfasst, weil auch dort eine „begründete Erwartung der Privatheit“ des Betroffenen zumindest hinsichtlich seines Schreibtisches und des Aktenschrankes besteht („reasonable expectation of privacy“ test).529 Ein Anspruch auf Bereitstellung einer Wohnung kann aus Art. 8 EMRK ebenso wenig wie aus Art. 13 GG hergeleitet werden,530 desgleichen keine Einwände gegen die Be-
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Grabenwarter § 22, 22: auch Schutz besonderer Lebensformen wie das Umherziehen im Wohnwagen. Vgl. EGMR Allan/UK (Fn. 53), dazu Esser JR 2004 98 (heimliche Überwachung der Zelle verletzt Recht auf Privatleben); BGHSt 53 294 zu Art. 13 GG (erst recht nicht Besuchsraum der JVA). IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 477. EGMR Niemietz/D (Fn. 235); zur sorgfältigen Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei: BVerfG NJW 2009 281; NJW 2008 2422; siehe auch: BVerfG NJW 2008 1937. EGMR Chappel/UK (Fn. 122; Wohnung und Betrieb im gleichen Haus); Meyer-Ladewig 87; verneinend EuGH Hoechst AG (Rs. C-46/87, 22/88), 21.9.1989, EuGRZ 1989 395; vgl. auch Frowein/Peukert 42 (inzwischen sind Geschäftsräume eindeutig in den Schutzbereich einbezogen); zur Ausdehnung auch auf diesen Bereich Nowak 43.
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EGMR Société Colas Est. u.a./F (Fn. 40), §§ 40, 41; Niemietz/D (Fn. 235); van Rossem/B, 9.12.2004, StraFo 2005 283. Vgl. auch: BVerfGE 32 68; 42 219; 44 371; SK/Paeffgen 83 f. EGMR Buck/D (Fn. 205); Petri Salinen u.a./FIN, 27.9.2005, § 70; SK/Paeffgen 86. EGMR Panteleyenko/UKR, 29.6.2006. EGMR Peev/BUL, 26.7.2007, ECHR 2007-IX, §§ 37 ff. (bejaht: Eingriff in das Privatleben; offen gelassen dagegen: Recht auf Achtung der Wohnung); die „Erwartung der Privatheit“ wurde sowohl auf die tatsächlichen Umstände, d.h. die große Anzahl vorhandener persönlicher Gegenstände als auch auf eine generell übliche Regelung zwischen Dienstherren und Angestellten gestützt, da wiederum im konkreten Fall keinerlei Anhaltspunkte gegen eine solche Praxis sprachen; vgl. EGMR Steeg u. Wenger/D (E), 3.6.2008 (Durchsuchung u.a. eines Lehrstuhls wegen des Verdachts auf Insiderhandel). Frowein/Peukert 43.
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steuerung der Wohnung,531 auch nicht das Recht, in einer bestimmten Gemeinde zu wohnen.532 b) Eingriffsvoraussetzungen. Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR erfassen alle Eingriffe in 137 eine vorhandene Wohnung. Dies sind jedenfalls alle Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, die deren exklusive Privatheit – ohne Zustimmung533 des Inhabers – ganz oder teilweise aufheben. Eingriffe können in den verschiedensten Formen vorkommen, so durch Enteignung534, Zerstörung des Wohnraums535, Vertreibung aus der Wohnung, einem Verbot der Rückkehr in die Wohnung,536 durch einen sonstigen Entzug des Wohnrechts,537 eine Zwangsumsiedlung538 oder auch durch eine Zerstörung der Wohnung,539 aber auch durch Anbringen einer heimlichen Abhörvorrichtung,540 ferner durch Maßnahmen der Wohnungsbewirtschaftung.541 Neben dem unbefugten Eindringen und den Maßnahmen der Ausspähung gehören vor allem auch Durchsuchungen zum Zwecke der Strafverfolgung (Rn. 144 ff.)542 dazu, selbst wenn dabei nur nach Geschäftsunterlagen gesucht wird,543 oder wenn dies im Rahmen einer Vollstreckungsmaßnahme geschieht. Ein Eingriff in die Wohnung liegt ferner in deren Betreten aus Gründen der Gefahren- 138 abwehr 544 oder in Ausübung eines spezialgesetzlichen Betretungsrechts, wie es sich – begrenzt auf den jeweiligen Zweck – in Verwaltungsgesetzen findet. Auch durch übermäßige Umwelteinflüsse (Lärm, Emissionen, Gerüche und ähnliche Einwirkungen) 545
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EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 311. Offen gelassen von EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 19. 533 Siehe aber: EGMR Kucera/SLO (Fn. 412): Unabhängig von einer (möglicherweise) erklärten Zustimmung wurde aufgrund einer polizeilichen Übermacht, die dem Betroffenen nur wenig Entscheidungsfreiheit ließ, eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch Betreten der Wohnung angenommen. 534 EGMR Mehmet Salih u. Abdülsamet Cakmak/TRK, 29.4.2004; Mutlu/TRK, 10.10.2006. 535 EGMR Selcuk u. Asker/TRK, 24.4.1998. 536 EGMR Cyprus/TRK, 10.5.2001; Dogan u.a./TRK, 29.6.2004, ECHR 2004-VI; Gillow/UK (Fn. 128); ZYP/GR, 10.5.2001, ECHR 2001-IV; EKMR bei Frowein/Peukert 43 (Zypern); Grabenwarter § 22, 30; Meyer-Ladewig 88. 537 EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 19; ferner bei Frowein/Peukert 47 (Häuser in Guernsey u. Jersey). 538 EGMR Noack u.a./D (E) (Fn. 296; Umsiedlung der Einwohner der Gemeinde Horno); Frowein/Peukert 43. 539 EGMR Bilgin/TRK, 16.11.2000 (Niederbrennen des Hauses); HRC Georgopoulos u.a./GR, 14.9.2010, 1799/2008, § 7.3; Meyer-Ladewig 88.
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Frowein-Peukert 6, 46; ob die Telefonüberwachung auch ein Eingriff in die Wohnung ist, hat der EGMR in Klass/D (Fn. 48) offen gelassen; EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32) behandelt die Verwendung einer geheimen Abhöranlage in der Wohnung als Eingriff in das Privatleben. Frowein/Peukert 47. Etwa EGMR Klass/D (Fn. 48); Crémieux/F, 25.2.1993, A 256-B = ÖJZ 1993 534; Funke/F, 25.2.1993, A 256-A = ÖJZ 1993 532; Camenzind/CH, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII = ÖJZ 1998 797; Murray/UK, 28.10.1994; Chappell/UK (Fn. 122); Grabenwarter § 22, 30; vgl. auch EGMR Evcen/NL (E), 3.12.1997; Kanthak/D (E), 11.10.1988. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 423; Nowak 44 f. Nowak 45. EGMR (E) Gaida/D (Fn. 514; Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkanlagen); Moreno Gómez/E (Fn. 514); Greenpeace e.V./D (E) (Fn. 82; Feinstaub); siehe auch die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 1885 (2009) für ein ZP-EMRK betreffend ein Recht auf eine gesunde Umwelt.
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kann das Recht des Einzelnen an seiner Wohnung beeinträchtigt werden, so wenn öffentliche Stellen durch eine Genehmigung für deren Quelle mitverantwortlich sind, wie etwa bei dem durch einen Flughafen verursachten Fluglärm546 oder bei erheblichen Geruchsbelästigungen durch eine Abfallbeseitigungsanlage.547 Eine Verantwortlichkeit des Staates kann sich gerade bei Umweltbelastungen auch 139 hier aus der Verletzung einer positiven Schutzpflicht ergeben, wenn er Maßnahmen unterlässt, die er zum Schutz der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK auch in Bezug auf die Beziehung zwischen Privatpersonen hätte ergreifen müssen.548 Bei Entscheidungen und Maßnahmen mit Einfluss auf die Umwelt prüft der Gerichtshof sowohl die materielle Entscheidung als auch den Entscheidungsprozess auf ihre jeweilige Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK und darauf, ob die Interessen des Einzelnen in angemessener Weise Berücksichtigung gefunden haben.549 Im Unterlassen jeder Information der benachbarten Bevölkerung über die von einem Chemiewerk ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefahren und über die ggf. erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen hat der EGMR einen Verstoß gegen Art. 8 und Art. 10 EMRK gesehen.550 Im konkreten Fall der Verlängerung der Betriebsgenehmigung eines Kernkraftwerkes hat der EGMR dagegen die für die Klagebefugnis erforderliche Darlegung eines zivilrechtlichen Anspruchs i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK verneint, da die für die Opfereigenschaft erforderliche konkrete Gesundheitsgefährdung nicht dargelegt worden sei.551 Die von Art. 8 Abs. 1 EMRK / Art. 17 Abs. 1 IPBPR erfassten Eingriffe in die Woh140 nung sind in der Regel zugleich Eingriffe in das Privatleben. Sie können zusätzlich auch noch Eingriffe in das Familienleben oder in die private Kommunikation bedeuten, wie dies etwa bei Abhören eines in der Wohnung geführten Telefongesprächs,552 beim Anbringen einer geheimen Abhöranlage,553 bei einer optischen Überwachung der von einer Familie bewohnten Räume oder der Beschlagnahme / Kopie der Festplatte eines PC554 der Fall sein kann.555 Auch Eingriffe in das Recht auf Wohnung sind nur auf gesetzlicher Grundlage (vgl. 141 Rn. 36 ff.) zulässig. Sie müssen einen legitimen (Art. 8 Abs. 2 EMRK) und (auch im konkreten Einzelfall) hinreichend plausiblen Grund haben, dürfen nicht unverhältnis-
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EGMR Powell, Rayner/UK (Fn. 69; staatliche Genehmigung des von Privaten betriebenen Flughafens Heathrow, nur unter dem Blickwinkel eines vertretbaren Anspruchs i.S.d. Art. 13 EMRK geprüft); vgl. Schrader NVwZ 1999 40; Frowein/Peukert 44; Meyer-Ladewig 88; ferner Peters 207 ff. unter Hinweis auf das damals noch bei der GK anhängige Verfahren Hatton/UK (Fn. 71; Verstoß gegen Art. 8 EMRK wurde im Ergebnis abgelehnt (anders noch die Kammer, 2.10.2001, ÖJZ 2003 72), da sowohl eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums als auch Verfahrensfehler verneint wurden). EGMR López Ostra/E (Fn. 87); vgl. Kley/ Struller EuGRZ 1995 507; Villiger 563; EGMR Brândus¸e/RUM, 7.4.2009 (Geruchsbelästigung in einer Gefängniszelle).
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EGMR (E) Gaida/D (Fn. 514). EGMR Brândus¸e/RUM (Fn. 547), § 62. EGMR Guerra/I (Fn. 69); Dörr JuS 1999 809; Peters 205; Villiger 563. EGMR Balmer-Schafroth/CH, 26.8.1997, Rep. 1997-IV = EuGRZ 1999 183 = ÖJZ 1998 436 = RdU 1997 188, dazu Kley EuGRZ 1999 177; EGMR (GK) Athanassoglou/CH, 6.4.2000, ECHR 2000-IV = ÖJZ 2001 317; Peters 210 ff. EGMR Klass/D (Fn. 48) ließ dies noch offen. EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32). EGMR Petri Sallinen u.a./FIN (Fn. 141), § 71 (Kanzleiräume). EGMR Kahn/UK, 12.5.2000, ECHR 2000-V = JZ 2000 993 mit Anm. Kühne/ Nash; offengelassen von EGMR Klass/D (Fn. 48).
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
mäßig556 sein und auch nicht diskriminierend angewendet werden. Zum Schutz vor staatlichem Missbrauch und Willkür muss das nationale Recht hinreichende verfahrensrechtliche Garantien vorsehen. Das Vorhandensein solcher Sicherheiten überprüft der EGMR bei der Frage der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.557 Werden diese Garantien nicht eingehalten, so begründet dies regelmäßig die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme.558 Eine solche Sicherheit kann ein Richtervorbehalt sein, selbst dann, wenn der Richter 142 ohne Beteiligung des Betroffenen („ex parte“) entscheidet.559 Dass Eingriffe in die Wohnung – ähnlich wie bei Art. 13 Abs. 2 GG – grundsätzlich vom Richter angeordnet werden müssen, fordern die Konventionen allerdings nicht. Wenn ein Richtervorbehalt als wesentliche Kontrollinstanz dagegen gänzlich fehlt und es in der Folge allein den Ermittlungsbehörden obliegt, die Notwendigkeit einer Durchsuchung (vgl. Rn. 143 ff.) und Beschlagnahme einzuschätzen, kann ein von den Konventionen geforderter hinreichender Schutz zu verneinen sein.560 Das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle im Vorfeld der Maßnahme muss dann dadurch ausgeglichen werden, dass das Gesetz für den Betroffenen eine effektive (nachträgliche) gerichtliche Kontrollmöglichkeit vorsieht. Jedoch wird auch diese Kontrollmöglichkeit vom EGMR noch auf ihre Wirksamkeit zum Schutz gegen den Missbrauch der Eingriffsmöglichkeiten durch die Behörden untersucht und bei der Prüfung der Notwendigkeit des Eingriffs entsprechend berücksichtigt.561 Dass dem überlebenden Partner einer homosexuellen Beziehung das einem überleben- 143 den Ehegatten zustehende Recht auf Eintritt in ein bestehendes Mietverhältnis verweigert wird, kann eine gegen Art. 8 EMRK i.V.m. 14 EMRK verstoßende Diskriminierung darstellen.562 c) Durchsuchung einer Wohnung als strafprozessuale Zwangsmaßnahme. Zum 144 Zwecke der Strafverfolgung 563 angeordnete Durchsuchungen können auf Art. 8 Abs. 2 EMRK gestützt werden, wenn die für sie angeführten Gründe plausibel und ausreichend sind („relevant and sufficient”) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist („proportionality principle“). Die (richterliche) Anordnung einer Durchsuchung muss auf einem ausreichenden Ver- 145 dacht beruhen, dessen Vorliegen grundsätzlich ex ante zu bestimmen ist. Im Wege einer ex-post Betrachtung sind die tatsächlichen Verhältnisse insoweit maßgeblich, als ein Verdacht, der auf einer (leicht) vermeidbaren Fehlvorstellung basiert, nicht ausreichen kann.564 Im Fall Keegan ging es um die Durchsuchung der falschen Wohnung, weil bei den Ermittlungen übersehen worden war, dass der Verdächtige dort bereits vor Monaten
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EuGH (Fn. 525; Hoechst), ferner etwa EGMR Niemietz/D (Fn. 235); Funke/F (Fn. 542); Crémieux/F (Fn. 542); Miailhe/F, 25.2.1993, A 256-C; Meyer-Ladewig 120. EGMR Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/A, 16.10.2007, ECHR 2007-XI, § 57 = NJW 2008 3409 = ÖJZ 2008 246 unter Hinweis auf Société Colas Est u.a./F (Fn. 40), § 48. EGMR Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/A (Fn. 557), § 66. EGMR Tamosius/UK (E), 19.9.2002, ECHR 2002-VIII.
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EGMR Funke/F (Fn. 542); Smirnov/R (Fn. 205), § 45. EGMR Smirnov/R (Fn. 205), § 45; Buck/D (Fn. 205; Schutz im deutschen Recht und der deutschen Rechtsprechung grundsätzlich angemessen und wirksam). EGMR Karner/A (Fn. 375). Der Begriff Verhinderung von Straftaten umfasst auch die Strafverfolgung begangener Taten (vgl. Rn. 47). EGMR Keegan/UK, 18.7.2006, ECHR 2006-X.
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ausgezogen war und sie nun von einem gänzlich Unbeteiligten bewohnt wurde. Dass der Polizei insoweit keine Böswilligkeit vorgeworfen werden konnte, war nicht von Bedeutung. Eine derartige Beschränkung hielt der EGMR auch zum Schutz der Funktionsfähigkeit der polizeilichen Ermittlungstätigkeit nicht für erforderlich. Für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist von Bedeutung, dass das jeweilige natio146 nale Recht dem Betroffenen angemessene und effektive Garantien gegen Missbrauch und Willkür gewährt; darüber hinaus muss die Maßnahme im konkreten Einzelfall in Hinblick auf das mit ihr verfolgte (legitime) Ziel verhältnismäßig sein.565 Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kommt es u.a. auf die Schwere der Straftat an, wegen der die Durchsuchung und (ggf.) die anschließende Beschlagnahme von Gegenständen erfolgen soll. Ferner sind die konkreten Umstände zu berücksichtigen, die Anlass für die Anordnung der Durchsuchung sind, namentlich das Vorhandensein weiterer Beweise zu diesem Zeitpunkt. Inhalt und Umfang der Durchsuchungsanordnung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle – mit einem besonderen Augenmerk für die Art der zu durchsuchenden Räumlichkeit und die Sicherheiten, die für eine angemessene Beschränkung der Maßnahme bestehen. Schließlich sind noch die möglichen Folgen der Maßnahme für das Ansehen der von ihr Betroffenen von Bedeutung.566 Der Zweck der Durchsuchung und die betroffenen Räume müssen genügend ein147 gegrenzt sein.567 Der Durchsuchungsbeschluss muss in jedem Fall ein Minimum an Angaben enthalten, welche geeignet sind, die Befugnisse der Ermittlungsbeamten zu begrenzen und als Grundlage für die Überprüfung der durchgeführten Durchsuchung zu dienen. Hierzu gehört insbesondere die Angabe der Beweismittel, nach denen die Ermittlungsbeamten suchen sollen.568 Sollen die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts durchsucht werden, so sind (auch im 148 Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Art. 6 EMRK) 569 ggf. bereits bei der Anordnung Regelungen zum Schutz derjenigen Gegenstände zu treffen, die aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht privilegiert sind. In Frage kommen beispielsweise das Verbot, derartige Dokumente mitzunehmen oder die Einschaltung eines unabhängigen Dritten, der während der Durchsuchung privilegierte Dokumente erkennen kann und die Ermittlungsbeamten beaufsichtigt.570 Zu den Garantien gegen Missbrauch und Willkür gehört es, dass die Ermittlungsbeamten eine vollständige Aufstellung der beschlagnahmten Gegenstände erstellen müssen, um sowohl eine nachträgliche Überprüfung als auch 565
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EGMR Niemietz/D (Fn. 235); Camenzind/CH (Fn. 542), § 45; Société Colas Est u.a./F (Fn. 40), § 48; Buck/D (Fn. 205; unverhältnismäßige Durchsuchung wegen einer mutmaßlich von einem Dritten begangenen geringfügigen OWi); Steeg u. Wenger/D (E) (Fn. 529). EGMR Buck/D (Fn. 205), § 45; Smirnov/R (Fn. 205), § 44; Steeg u. Wenger/D (Fn. 529). EGMR Niemietz/D (Fn. 235); Grabenwarter § 22, 46. Vgl. als historischen Vorläufer den 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung: The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but
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upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. EGMR van Rossem/B (Fn. 526). EGMR André u.a./F, 24.7.2008 (Anerkenntnis des Berufsgeheimnisses als Folge des Nemo-tenetur-Grundsatzes); Tamosius/UK (E) (Fn. 559); Niemietz/D (Fn. 235; Beeinträchtigung des Anwaltgeheimnisses kann Auswirkungen auf den ordnungsgemäßen Gang der Rechtspflege und damit auf die durch Art. 6 EMRK geschützten Rechte haben). EGMR Smirnov/R (Fn. 205), §§ 46, 48, vgl. auch EGMR Da Silveira/F, 21.1.2010.
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Art. 17, 23, 24 IPBPR
die Rückforderung durch den Betroffenen zu ermöglichen. Die Durchsuchung zur Beschlagnahme von privilegierten Unterlagen, die ausschließlich der Verfolgung des Mandanten dienen, ist unverhältnismäßig.571 Art. 8 EMRK schließt jedoch Maßnahmen, die das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant berühren können, insbesondere dann nicht aus, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Anwalt an einer Straftat beteiligt ist oder diese Maßnahmen dem Kampf gegen gewisse Praktiken dient. Dabei ist aber die besondere Stellung des Rechtsanwalts zu berücksichtigen.572 Bei unzureichenden Angaben im Durchsuchungsbeschluss und der Abwesenheit des Betroffenen während der Durchsuchung ist diese nicht gerechtfertigt, wenn außer dem Betroffenen niemand über den Zusammenhang der Durchsuchung informiert wird und somit keine effektive und umfassende Überwachung des Umfangs der Durchsuchung möglich ist.573 Besondere Regelungen zum Schutz des Betroffenen vor Willkür können angezeigt sein beim Einsatz von maskierten Sondereinsatzkräften, da gerade durch die Anonymisierung gegenüber dem Betroffenen die Gefahr des Missbrauchs von Befugnissen besteht. Hier kommt die Einschaltung eines unparteiischen Beobachters oder die Beschränkung auf diejenigen Fälle in Betracht, in denen der Einsatz normaler Polizeibeamter nicht als sicher und ausreichend angesehen werden kann.574 Nicht jede erfolglose Durchsuchung ist damit auch zwangsläufig unverhältnismäßig. Etwas anderes kann aber gelten, wenn angemessene und durchführbare Vorsichtsmaßnahmen nicht ergriffen werden.575 Eingriffe in die Wohnung durch ihre Betretung können ihre Rechtfertigung auch aus anderen Gesichtspunkten herleiten. So können Eingriffe im Rahmen der Wohnungsbewirtschaftung unter dem Blickwinkel des wirtschaftlichen Wohls des Landes (Rn. 50) oder aber auch der öffentlichen Planung576 gerechtfertigt sein; sofern dies nicht – gemessen an dem damit verfolgten Ziel – zu einem unverhältnismäßigen Eingriff führt.577
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4. Private Kommunikation a) Schutzbereich. Als besonders schützenswerter Teil des Privatbereichs werden Kor- 153 respondenz (Art. 8 Abs. 1 EMRK) bzw. Schriftverkehr (Art. 17 Abs. 1 IPBPR) explizit erwähnt. In weiter, zweckorientierter Auslegung wird unter die in beiden Konventionen verwendeten Begriffe „correspondence“ / „correspondance“ nicht nur der Austausch schriftlicher Mitteilungen gerechnet, wie beim eigentlichen Briefverkehr,578 sondern alle (modernen) Formen der Nachrichten- und Datenübermittlung. Funksender („radiotransmitting device“)579, Telegraphie, Telekopie, Pager580 oder E-Mail,581 sowie die fern571 572 573 574
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EGMR André u.a./F (Fn. 569; Verdacht des Steuerbetrugs). EGMR Da Silveira/F (Fn. 570), §§ 37, 45. EGMR van Rossem/B (Fn. 526). EGMR Kucera/SLO (Fn. 412), § 122 (Einsatz u.a. von maskierten Polizisten, die in der Folge die Wohnung des Betroffenen betraten, um die Anklage zuzustellen und den Beschuldigten zur Vernehmung abzuholen). EGMR Keegan/UK (Fn. 565), § 35. EGMR Buckley/UK (Fn. 108; Wohnen im Wohnwagen auf eigenem Grund).
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Vgl. EGMR Gillow/UK (Fn. 128); EKMR bei Frowein/Peukert 47; beide zu Wohnungsverboten in Guernsey. Hier liegt ein Eingriff bereits in dem bloßen Öffnen eines Briefes; vgl. EGMR Mikhaylyuk u. Petrov/UKR (Fn. 127), § 24. EGMR (GK) Bykov/R (Fn. 135). EGMR Taylor-Sabori/UK, 22.10.2002. EGMR Copland/UK, 3.4.2007, EuGRZ 2007 415; Vgl. Grabenwarter § 22, 24; Kugelmann EuGRZ 2003 16, 21 (nicht aber öffentlich zugängliche Newsgroups und Homepages).
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
mündliche Kommunikation im Rahmen der bestehenden Kommunikationssysteme fallen darunter.582 Unerheblich ist es dabei, ob diese vom Staat oder von Privaten betrieben werden und in welcher Rechtsform dies geschieht;583 ferner, ob für die Gespräche ein Privatanschluss oder ein Büroanschluss benutzt wird und ob dies innerhalb oder außerhalb eines öffentlichen Netzes584 stattfindet. Auch die Aufzeichnung der von einem bestimmten Anschluss aus angerufenen Nummern durch die Betreibergesellschaft des jeweiligen Netzes zur Gebührenerfassung rechnet dazu.585 Der Schutzbereich reicht über den unmittelbaren Vorgang des Austausches der Mitteilungen hinaus; er umfasst sowohl die Kopien der abgesandten als auch die vom Empfänger nach ihrem Zugang aufgehobene Korrespondenz,586 ferner die Tonaufzeichnungen von Telefongesprächen. Dies gilt auch für die Einsichtnahme in die vorgefundene Korrespondenz bei Hausdurchsuchungen.587 Ziel des weit verstandenen Schutzbereiches ist der umfassende Schutz der Individualkommunikation.588 Geschützt werden alle an der Kommunikation teilnehmenden Personen, der Absender 154 ebenso wie der Empfänger einer Mitteilung, der Inhalt ebenso wie die Tatsache der Korrespondenz. Zwischen der Korrespondenz einer natürlichen und einer juristischen Person wird, der Rechtsprechung zum Begriff der Wohnung (Rn. 131) entsprechend, nicht mehr unterschieden.589 Es kommt nicht darauf an, ob die Kommunikation gegen eine Einsichtnahme oder ein Mithören besonders gesichert ist oder ob ihr Inhalt offen zu Tage liegt, wie etwa bei einer Postkarte.590
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b) Eingriff / Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen. In die Korrespondenz eingegriffen wird nicht nur durch die – bereits einmalige 591 – unbefugte Kenntnisnahme von dem Inhalt der jeweiligen Mitteilung oder deren Aufzeichnung, sondern auch, wenn die Korrespondenz verzögert oder verhindert wird, so etwa dadurch, dass Briefe zurückbehalten oder vernichtet werden.592 Der Inhalt der Korrespondenz spielt bei der Frage, ob ein Eingriff vorliegt, keine Rolle.593
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EGMR Klass/D (Fn. 48) m. Anm. Arndt; Malone/UK (Fn. 3); Margareta u. Roger Andersson/S, 25.2.1992, A 226-A; Huvig/F (Fn. 123); Lüdi/CH, 15.6.1992, A 238 = NJW 1992 3088 = StV 1992 499 = EuGRZ 1992 301 = ÖJZ 1992 843; Niemietz/D (Fn. 235); A/F (Fn. 54); Halford/UK (Fn. 51); Kennedy/UK (Fn. 49), § 118; EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1987 358; Grabenwarter § 22, 24; Meyer-Ladewig 92; Partsch 189. BVerfG JZ 2003 1104 mit Anm. Förster JZ 2003 1111; Frowein/Peukert 48; Nowak 47. EGMR Halford/UK (Fn. 51; Bürotelefon des nicht-öffentlichen Polizeinetzes). EGMR P.G. u. J.H./UK (Fn. 32; Verwendung für Strafverfahren zulässig, da Erfassung gesetzlich vorgesehen und für Betroffenen vorhersehbar). EGMR Miailhe/F (Fn. 556); Niemietz/D (Fn. 235); Funke/F (Fn. 542); Grabenwarter
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§ 22, 23; a.A. IK-EMRK/Wildhaber/Breitenmoser 496 unter Hinweis auf EKMR (nur bis zum Empfang durch Adressaten, danach Schutz des Privatbereichs). EGMR Niemietz/D (Fn. 235); vgl. Grabenwarter § 22, 31 (Eingrenzung der Einsichtnahme bei Anordnung der Hausdurchsuchung). KK-EMRK-GG/Marauhn/Meljnik Kap. 16, 58 f. EGMR Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/A (Fn. 557). Guradze 22. EGMR Anatoliy Tarasov/R, 18.2.2010, § 57 (unabhängig davon, ob derjenige, der „Kenntnis“ nimmt, tatsächlich in der Lage ist, den Inhalt der Korrespondenz sprachlich zu verstehen); Narinen/FIN, 1.6.2004. Grabenwarter § 22, 31, 48. Frérot/F, 12.6.2007.
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Auch die mit Billigung eines Gesprächsteilnehmers, aber ohne Wissen des anderen 156 vorgenommene Tonbandaufzeichnung594 oder das Mithören eines Telefongesprächs verletzt das Recht des anderen Teilnehmers auf Achtung seiner Korrespondenz.595 Handelt der private Gesprächsteilnehmer dabei im Auftrag oder auf Anraten staatlicher Stellen, ist dieser Eingriff auch dem Staat zuzurechnen.596 Dies gilt unter diesen Umständen selbst dann, wenn die Privatperson die Aufnahmen auch für private Zwecke macht, weil die Kontrolle des Geschehens letztlich nicht bei der Privatperson liegt. Anderenfalls würde den Ermittlungsbehörden faktisch ermöglicht, durch den Einsatz privater Ermittler jeglicher Verantwortung aus der EMRK zu entgehen.597 Überwachungsmaßnahmen, wie etwa Einsichtnahme, Zensur, Abhören usw. werden 157 dadurch nicht ausgeschlossen, sofern sie im Interesse der nationalen Sicherheit, der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten auf gesetzlicher Grundlage angeordnet werden und angemessene und wirksame Garantien gegen Missbrauch bestehen.598 Unerheblich ist dabei, ob es sich um die Kontrolle der privaten Korrespondenz oder um Eingaben an Behörden handelt.599 Es müssen aber die Grenzen beachtet werden, die sich aus dem innerstaatlichen Recht, so aus dem grundsätzlich geschützten Briefgeheimnis oder auch aus dem Petitionsrecht (Art. 17 GG) oder aus völkerrechtlichen Garantien, wie etwa dem Recht auf ungehinderten Verkehr mit dem EGMR (Art. 34 EMRK),600 ergeben. Überwachungsmaßnahmen ohne ausreichende Rechtsgrundlage verstoßen gegen die Konventionen.601 c) Überwachung Strafgefangener. Auch für die Anordnung der Überwachung der 158 Korrespondenz Gefangener bedarf es eines rechtfertigenden Grundes. Beschränkungen der Kommunikation sind auch bei Gefangenen nur zulässig, wenn sie eine ausreichende Rechtsgrundlage haben (vgl. etwa § 29 StVollzG), in der Voraussetzungen und Ausmaß der Kontrolle (differenzierend in Bezug auf Briefwechsel/Kommunikation mit dem Verteidiger; zeitliche Grenzen) 602 und die bei der Ermessensausübung zu beachtenden
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Auch bei der Aufnahme eines Gesprächs mit einem „verwanzten“ Gesprächsteilnehmer: EGMR Heglas/CS, 8.8.2006. Vgl. EGMR M.M./NL (Fn. 54); dazu Gaede StV 2004 46 m.w.N.; ferner etwa BVerfG JZ 2003 1104 mit Anm. Foerster JZ 2003 1111; ausführlich zur Hörfalle Guder 153 ff. Vgl. EGMR A/F (Fn. 54); M.M./NL (Fn. 54); zur Hörfallen-Problematik Gaede StV 2004 46. EGMR van Vondel/NL, 25.10.2007, § 49, forumpoenale 2008 77 m. Anm. Godenzi. EGMR Klass/D (Fn. 48, m. Anm. Arndt); Kruslin/F (Fn. 118); EKMR EuGRZ 1980 170; vgl. auch EGMR Malone/UK (Fn. 3); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 167; Frowein/Peukert 16; Schorn 6, 7; ferner BVerfGE 30 17; BGer EuGRZ 1984 223. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121. Europäisches Übereinkommen über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichts-
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hof für Menschenrechte teilnehmenden Personen vom 5.3.1996 (CTS 161; BGBl. 2001 II S. 359). Das am 1.1.1999 (für Deutschland: 1.11.2001) in Kraft getretene Abkommen ersetzt das frühere Abkommen vom 6.5.1969 (CTS 67; BGBl. 1975 II S. 1445). Es verpflichtet die Vertragsparteien, den an Beschwerdeverfahren teilnehmenden Personen (Beauftragte, Berater, Anwälte, Kläger, Delegierte, Zeugen, Sachverständige) Immunität von der Gerichtsbarkeit für ihre Erklärungen vor dem EGMR sowie ungehinderten schriftlichen Verkehr mit dem Gerichtshof und Reisefreiheit zu gewähren, damit sie am Verfahren teilnehmen können. Vgl. Teil II Rn. 46. EGMR Kopp/CH (Fn. 124; Abhören eines Rechtsanwalts entgegen Gesetz); dazu Villiger 565; EGMR Khan/UK (Fn. 313) mit Anm. Kühne/Nash. EMRK Petrov/BUL, 22.5.2008, § 44.
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Grundsätze genügend konkret festlegt werden.603 Eine Definition des Begriffs der Korrespondenz, die sich an deren Inhalt orientiert und maßgeblich sein soll für die Beschränkungsmöglichkeiten gegenüber einem Gefangenen bzw. dessen Beschränkungsfreiheit, ist unvereinbar mit Art. 8 EMRK, da auf diese Weise ganze Bereiche der Korrespondenz aus dem Schutzbereich herausgelöst werden können.604 Dieser steht insoweit nicht zur Disposition. Der mit der Kontrolle verbundene Eingriff muss im Einzelfall nach Zweck (vgl. Art. 8 159 Abs. 2 EMRK) und Anlass notwendig sein, der mit ihm verfolgte Zweck darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des jeweiligen Kommunikationsvorgangs stehen. Immerhin kann Briefverkehr u.U. die einzige Verbindung des Häftlings zur Außenwelt darstellen 605 oder der zu gewährenden ausreichenden medizinischen Versorgung606 (vgl. Art. 3 EMRK Rn. 85) dienen. Unter den vorgenannten Voraussetzungen dürfen der Briefverkehr der Gefangenen607 160 und deren Telefongespräche608 von den Gefängnisbehörden kontrolliert werden.609 Die Weigerung der Gefängnisbehörde, die Portokosten zu übernehmen, kann einen Eingriff in die Korrespondenz darstellen.610 Auf der einen Seite verpflichtet Art. 8 EMRK den Staat nicht dazu, die Kosten für die gesamte Korrespondenz zu tragen; andererseits darf sie auch nicht an den Kosten scheitern.611 In den Fällen einer übermäßigen Korrespondenz ist eine Kostentragungspflicht daher zu verneinen. Ein Minimum an Korrespondenz ist dem Häftling jedoch ggf. mit der Übernahme entstehender Kosten, insbesondere für Briefmarken, zu ermöglichen. Ein Eingriff in die Korrespondenz liegt auch im Vorenthalten der Post, etwa im Rah161 men einer Kontrolle oder Beschränkung der Korrespondenz inhaftierter Personen, ferner auch, wenn die Gefängnisverwaltung einen Gefangenen nicht davon verständigt, dass ein von ihm aufgegebener Brief wegen unvollständiger Adresse zurückgekommen ist.612 Auch Maßnahmen, die die Korrespondenz nur mittelbar beeinflussen, können einen Eingriff darstellen.613
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EGMR Doerga/NL (Fn. 118); Labita/I, 6.4.2000, ECHR 2000-IV; Meyer-Ladewig 94, 105. EGMR Frérot/F, 12.6.2007, ECHR 2007-VII, § 61 (Regelung der Behandlung von Gefangenenpost einschließlich ihrer Definition in einem Rundschreiben des französischen Justizministers). EGMR Ekinci u. Akalin/TRK, 30.1.2007. EGMR Szuluk/UK (Fn. 330; Überwachung des Briefverkehrs eines lebensbedrohlich erkrankten Häftlings mit einem spezialisierten Arzt). EGMR Silver u.a./UK (Fn. 126); Campbell/UK (Fn. 135); Grabenwarter § 22, 48 f. Meyer-Ladewig 94. EGMR Doerga/NL (Fn. 118). Siehe hierzu: OLG Hamm NStZ-RR 2010 292 (bzgl. § 119 Abs. 1 StPO n.F. – Wiederholungsgefahr; Bezugnahme auf Art. 8 EMRK).
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Verneinend EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 311, vgl. aber auch Grabenwarter § 22, 48 unter Hinweis auf EGMR A.B./NL, 29.1.2002, wonach die Gefängnisverwaltung Kosten für Schreibmaterial und Porto zu tragen hat; ferner zur Pflicht des Staates, die Kosten einer Übersetzung zu übernehmen Art. 6 EMRK Rn. 854. EGMR Gagiu/RUM, 24.2.2009, § 88. EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 535. EGMR Puzinas/LIT (Nr. 2), 9.1.2007 (Disziplinarmaßnahme, weil Bf. sich schriftlich über die Gefängnisbedingungen beschwert und diesen Brief nicht wie vorgesehen über die Gefängnisverwaltung, sondern über nicht autorisierte Kanäle verschickt hatte. Mit dieser Maßnahme sollte die Art der Versendung entsprechender zukünftiger Briefe beeinflusst werden.). Vgl. auch BVerfG StraFo 2009 379.
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Der Briefverkehr eines Gefangenen mit seinem Verteidiger614 oder seinem Prozessver- 162 treter unterliegt hinsichtlich der darin enthaltenen Mitteilungen grundsätzlich keiner Kontrolle.615 Dies gilt naturgemäß unabhängig vom Inhalt der Korrespondenz, also gleichermaßen für die Korrespondenz allgemeiner Natur sowie diejenige, die kommende bzw. anhängige Verfahren betrifft. Ihre routinemäßige Untersuchung ist unvereinbar mit den Grundsätzen der Vertraulichkeit und den mit einem Mandatsverhältnis einhergehenden Privilegierungen.616 Nur in besonderen Ausnahmefällen (terroristische Vereinigung) oder bei der Notwendigkeit besonderer Schutzvorkehrungen gegen einen Missbrauch im Einzelfall, insbesondere bei dem Verdacht, der Brief enthalte verbotene Einlagen, die mit den normalen Mitteln nicht entdeckt wurden, kann auch dies als notwendig angesehen werden.617 Geht es um die Entdeckung von Einlagen, so hat sich die Briefkontrolle wiederum auf das Öffnen des Schreibens, ggf. im Beisein des Gefangenen, zu beschränken. Das Lesen der Verteidigerpost bleibt grundsätzlich weiterhin untersagt, sofern nicht der begründete Verdacht besteht, der Inhalt sei strafbarer Natur bzw. gefährde die Gefängnissicherheit oder die Sicherheit anderer Personen. Diese Beurteilung hängt von den Gesamtumständen ab, setzt aber in jedem Fall das Vorliegen von Tatsachen oder Informationen voraus, die aus der Sicht eines objektiven Beobachters den Missbrauch der Privilegierung belegen.618 Dass der Schutz der Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandant in Art. 8 163 EMRK angesiedelt wird, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich im Kern um ein klassisches Verteidigungsrecht handelt, dessen Schutzgehalt zwar prinzipiell auch über Art. 6 Abs. 1 EMRK (faires Verfahren) zu erschließen wäre. Allerdings bietet die strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK gegenüber der „Gesamtfairness“ des Art. 6 EMRK deutlich strenge Eingriffskriterien. Vom EuGH/EuG wird die Wahrung der Vertraulichkeit der Kommunikation zwi- 164 schen Anwalt und Mandant („legal professional privilege“) in den Kontext der Verteidigungsrechte gestellt und ein Offenlegungsverbot für den Schriftverkehr zwischen unabhängigem Anwalt und Mandant als allgemeiner Rechtsgrundsatz aufgestellt.619 Das Verbot wurde vom EuG auf unternehmensinterne Dokumente erweitert, die den Verlauf eines Anwaltsgespräches wiedergeben oder intern über dieses informieren.620 Umstritten war die Frage, ob das Offenlegungsverbot nur für unabhängige Anwälte Geltung beansprucht. Das EuG hatte in diesem Sinne 2007 in der Rs. Akzo die im Urteil des EuGH in
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Zum Anbahnungsverhältnis SK/Paeffgen 145 m.w.N. EGMR Erdem/D, 5.7.2001, ECHR 2001-VII = NJW 2003 1439 = EuGRZ 2001 391, unter Hinweis auf die Wichtigkeit der unkontrollierten Kommunikation mit dem Verteidiger; ferner etwa EGMR Campbell u. Fell/UK, 28.6.1984, A 80 = EuGRZ 1985 534; S/CH, 28.11.1991, A 220 = NJW 1992 3090 = ÖJZ 1992 343 = EuGRZ 1992 298; Meyer-Ladewig 96; vgl. auch Grabenwarter § 22, 49 (allenfalls äußere Kontrolle des Inhalts durch Öffnen des Umschlags, am besten in Gegenwart des Gefangenen). EMRK Petrov/BUL (Fn. 602), § 43; Ekinci u. Akalin/TRK (Fn. 605; gerade auch Vor-
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würfe gegen Vollzugsbeamte müssen mitgeteilt werden können, um dagegen vorgehen zu können). Vgl. EGMR Campbell/UK (Fn. 135); Erdem/D (Fn. 615; Überwachung des Briefverkehrs mit Verteidiger nach § 148 Abs. 2 StPO); EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1987 560; Grabenwarter § 22, 48. EMRK Petrov/BUL (Fn. 602), § 43; Tsonyo Tsonev/BUL, 1.10.2009, § 40; vgl. auch BVerfG 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09; SK/Paeffgen 144. EuGH Rs. 155/79 (AM&S/Kommission), Slg. 1982, 1575 = NJW 1983 503. EuG Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1990, II-163 = EuR 1991 171.
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der Rs. AM&S wurzelnde Rechtsprechung bestätigt.621 Der EuGH ist dem Schlussantrag der Generalanwältin Kokott gefolgt, die eine Zurückweisung des Rechtsmittels empfohlen hatte.622 Es bleibt daher bei der schon bislang anerkannten Ausnahme von dem Offenlegungsverbot zulasten von Syndikusanwälten. Die nationale Rechtsprechung hat dem Syndikusanwalt bislang ebenfalls unter Hinweis auf die Position des EuGH den Schutz des anwaltlichen Schriftverkehrs, etwa vor Beschlagnahme, verwehrt.623
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d) Positive Schutzpflichten. Aus der Pflicht des Staates zur Achtung des Privatbereichs (Art. 8 Abs. 1 EMRK) bzw. aus der staatlichen Schutzpflicht (Art. 17 Abs. 2 IPBPR) wird ferner hergeleitet, dass der Staat ausreichende gesetzgeberische und administrative Vorkehrungen zur Wahrung der Privatheit der Kommunikation gegen unbefugte Eingriffe Dritter treffen muss.624 Dies gilt besonders, wenn der Einzelne selbst nicht in der Lage ist, für einen entsprechenden Schutz zu sorgen, weil die private Korrespondenz als Beweismaterial beschlagnahmt und vom Staat verwahrt wird.625 Aus der Schutzpflicht kann aber kein Anspruch gegen den Staat auf Einrichtung von neuen Kommunikationswegen oder auf Funktionieren der Postverbindungen hergeleitet werden.626
166
5. Ehre und Ruf. Anders als Art. 8 EMRK nimmt Art. 17 Abs. 1 IPBPR auch die Ehre und den Ruf in seinen Schutzbereich mit auf; verboten sind allerdings nur rechtswidrige Angriffe („unlawful attacks“ / „atteintes illégal“).627 Aus der Entstehungsgeschichte628 wird hergeleitet, dass damit nur Eingriffe von einer gewissen Erheblichkeit gemeint sind, die vorsätzlich Ehre und Ruf eines anderen durch unwahre Behauptungen beeinträchtigen sollen.629 Die Äußerung wahrer Tatsachen, auch wenn sie für jemanden abträglich sind, sollte dadurch nicht verhindert werden.630 Weitergehende gesetzliche Einschränkungen der durch Art. 19 IPBPR garantierten Meinungsfreiheit sind zugunsten der Achtung der Rechte oder des Rufes anderer aber zulässig (Art. 19 Abs. 3 lit. a IPBPR; vgl. auch Art. 10 Abs. 2 EMRK). Unter Ruf ist die Einschätzung eines Menschen durch andere zu verstehen, was not167 wendig voraussetzt, dass die verletzende Handlung einer Mehrzahl anderer Personen oder der Öffentlichkeit bekanntwerden muss. Die persönliche Integrität („personal integrity“) bleibt hiervon unabhängig.631 Bei der Ehrverletzung ist dies nicht der Fall, da die Ehre den Anspruch jedes Menschen auf Achtung seiner selbst umfasst, so dass eine Verletzung auch unter vier Augen erfolgen kann.632 Die Ehre kann auch durch Formalbeleidigungen oder eine sonstige erniedrigende Behandlung verletzt sein.
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EuG verb. Rs. T-125/03 u. T-253/03 (Akzo u.a./Kommission), Slg. 2007, II-3523 = EuR 2008 514 m. Anm. Weiß. EuGH Rs. 550/07P (Akzo Nobel Chemicals Ltd. u.a./Kommission), Urt. v. 14.9.2010; siehe auch Schlussantrag der Generalanwältin v. 29.4.2010. LG Bonn NStZ 2007 605; gegen diese Entwicklung schon Roxin NJW 1992 1130; ders. NJW 1995 17. Frowein/Peukert 49; Nowak 47; zur staatlichen Schutzpflicht vor privaten Eingriffen vgl. auch Gaede StV 2004 46, 52. Vgl. EGMR Craxi (2)/I, 17.7.2003, amtlich
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verwahrte private Korrespondenz als Grundlage für Medienberichte über Privatleben. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121 (Nachsendung von Post). Die amtliche deutsche Übersetzung mit „Beeinträchtigungen“ ist zu weit, vgl. Nowak 51 ff. Hierzu SK/Paeffgen 3 f. Nowak 53 ff. Nowak 53. EGMR Karakó/H (Fn. 74), § 23. Nowak 54.
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Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Art. 17, 23, 24 IPBPR
Art. 17 IPBPR verpflichtet den Staat und seine Organe, selbst jeden Angriff auf Ruf 168 oder Ehre einer Person durch die rechtswidrige Behauptung unwahrer Tatsachen zu unterlassen. Aus der ausdrücklichen Schutzpflicht des Absatzes 2 folgt ferner, dass der Staat durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen dafür sorgen muss, dass der Einzelne auch gegen Angriffe privater Dritter ausreichend geschützt wird, wie dies der strafrechtliche Ehrenschutz und die zivilrechtlichen Regelungen ermöglichen. Die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht kann aber auch erfordern, dass einzelne Staatsorgane (z.B. der Vorsitzende Richter, § 238 StPO) zugunsten des Ehrenschutzes eingreifen und Ehrverletzungen rügen und ihre Fortsetzung unterbinden. Dies gilt insbesondere im Falle von Äußerungen, die über die Grenzen der nach Art. 10 EMRK als zulässig zu erachtenden Kritik hinausgehen. Hier kann nach Art. 8 EMRK eine Pflicht des Staates zum Tätigwerden entstehen.633
633
EGMR Pfeifer/A, 15.11.2007, ECHR 2007XII = NJW-RR 2008 1218 = ÖJZ 2008 161; Petrenco/MOL, 20.3.2010.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 9 EMRK (Art. 18 IPBPR) EMRK Artikel 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. (2) Die Freiheit, seine Religion- oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Art. 2 des 1. ZP-EMRK Recht auf Bildung Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.
IPBPR Artikel 18 (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen. Schrifttum (Auswahl) Abel Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, NJW 2001 410; Abel Die Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubensund Weltanschauungsgemeinschaften, NJW 2003 264; Aras Die Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz in der Türkei, ZEuS 2007 219; Battis/Pultmann Was folgt für den Gesetzgeber
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
aus dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts? JZ 2004 581; Bausback Religions- und Weltanschauungsfreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht, EuR 2000 261; Bleckmann Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (1995); Blum Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1992); Böckenförde Kopftuchstreit auf dem richtigen Weg? NJW 2001 723; Böse Die Glaubens- und Gewissensfreiheit im Rahmen der Strafgesetze, ZStW 113 (2001) 40; Dujmovits Der Schutz religiöser Minderheiten nach der EMRK, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 139; Frowein Freedom of Religion in the Practice of the European Commission and Court of Human Rights, ZaöRV 46 (1986) 249; Ganz Das Tragen religiöser Symbole und Kleidung in der öffentlichen Schule in Deutschland, Frankreich und England (2009); Globig Die Lohengrin-Klausel des Grundgesetzes, ZRP 2002 107; Goerlich Distanz und Neutralität im Lehrberuf. Zum Kopftuch und anderen religiösen Symbolen, NJW 1999 2929; Heckel Religionsunterricht für Muslime, JZ 1999 741; Heinig/Morlok Von Schafen und Kopftüchern, JZ 2003 777; Hillgruber Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999 538; Hutzel Religionsfreiheit in Deutschland – Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Wechselwirkungen nach Art. 9 EMRK (2009); Kadelbach/Parhisi (Hrsg.), Die Freiheit der Religion im europäischen Verfassungsrecht (2007); Kimminich Religionsfreiheit und Menschenrecht (1990); Kirchhof Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des deutschen Kirchensteuersystems, Bochumer Schriften zum Steuerrecht 2004 11; Knüppel Das Menschenrecht der Religionsfreiheit im Spannungsverhältnis zur Apostasiedoktrin in islamisch geprägten Staaten (2009); Krimphove Europa und die Religionen, KuR 2008 89; Kohlhofer (Hrsg.), Religionsgemeinschaftenrecht und EGMR (2009); Lücke Zur Dogmatik der kollektiven Glaubensfreiheit, EuGRZ 1995 651; Michael Verbote von Religionsgemeinschaften, JZ 2002 482; Muckel Die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, DÖV 2005 191; Ohler/Weiß Glaubensfreiheit versus Schutz von Ehe und Familie, NJW 2002 194; Ottenberg Der Schutz der Religionsfreiheit im internationalen Recht (2009); Pabel Der Grundrechtsschutz für das Schächten in rechtsvergleichender Perspektive, EuGRZ 2002 220; Pabel Islamisches Kopftuch und Prinzip des Laizismus, EuGRZ 2005 12; Pulte Ökumenischer Religionsunterricht? – Möglichkeiten und Grenzen aus der Perspektive von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, AfkKR 173 (2004) 441; Roellecke Die Entkoppelung von Recht und Religion, JZ 2004 105; Röper Frau mit Kopftuch ungeeignet als Lehrerin und Beamte – Das Kopftuch als Teil der islamischen Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften, VBlBW 2005 81; Sacksofsky Die Kopftuch-Entscheidung – von der religiösen zur föderalen Vielfalt, NJW 2003 3297; Schnabel Die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei im Spiegel zweier jüngerer Urteile, ZevKR 2008 187; Schwarz Die karitative Tätigkeit der Kirchen im Spannungsfeld von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht, EuR 2002 192; Spiess Verschleierte Schülerinnen in Deutschland und Frankreich, NVwZ 1993 637; Starck Staat und Religion, JZ 2000 1; Stürz Die staatliche Förderung der christlichen karitativen Kirchentätigkeit im Spiegel des europäischen Beihilferechts (2008); Sydow Religiöse Symbole im öffentlichen Dienst, ZG 2004 313; Sydow Moderator im Glaubensstreit: Der neutrale Staat in ungewohnter Rolle, JZ 2009 1141; Thüsing Religion und Kirche in einem neuen Antidiskriminierungsrecht, JZ 2004 172; von Ungern-Sternberg Religionsfreiheit in Europa (2008); Vachek Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreservaten und Art. 9 EMRK (2000); Weber Kontroverse zum Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Amtsrecht, NJW 2003 2067; Waldhoff Kirchliche Selbstbestimmung und Europarecht, JZ 2003 978; Walter Abschiebung in einen anderen Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention, JZ 2005 788; Weber Religiöse Symbole in der Einwanderungsgesellschaft, ZAR 2004 53; Wilms Amtshaftung der Kirche für Äußerungen ihrer Sektenbeauftragten, NJW 2003 2070; Wilms Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, NJW 2003 1083. Vgl. ferner die Länderberichte auf der XI. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte über die Rechtsprechung zur Bekenntnisfreiheit von Hassemer/Hömig EuGRZ 1999 525; Hungerbühler/ Férand EuGRZ 1999 563; Kucsko-Stadlmayer EuGRZ 1999 505; Wille EuGRZ 1999 543.
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Übersicht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Religiöse und sittliche Erziehung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2. Überblick über den Inhalt der Garantien a) Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 5 b) Ausübung . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3. Einschränkungen
. . . . . . . . . . . . . . 25
4. Engere Grenzen des innerstaatlichen Rechts . 35
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1. Allgemeines. Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ist ein in der Würde des Menschen wurzelndes und für die selbstverantwortliche Lebensführung existentielles Grundrecht. Sie wird in Absatz 1 beider Konventionen jedermann gewährleistet. Dadurch ist sie zugleich auch eine der Grundlagen der auf dem Pluralismus der Anschauungen aufbauenden demokratischen Gesellschaft.1 Die Konventionen übernehmen im Wesentlichen den Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948. Die Bedeutung der Religions- und Überzeugungsfreiheit und die Notwendigkeit, sie vor Diskriminierungen zu schützen, hat die UN-Generalversammlung in der Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung vom 25.11.19812 besonders hervorgehoben. 2 Die am 1.12.2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union3 erkennt in Art. 10 Abs. 1 ebenfalls die Rechte auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit im gleichen Umfange und mit gleicher Tragweite an wie sie auch in der EMRK garantiert sind (Art. 52 Abs. 1, 3 EUC). Art. 10 Abs. 2 EUC normiert ausdrücklich das in den Konventionen an anderer Stelle (Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK / Art. 8 Abs. 3 lit. c ii IPBPR) angesprochene Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen; dieses wird aber nur nach Maßgabe der staatlichen Ausführungsgesetze geschützt. 3 Die frühere Europäische Gemeinschaft konnte bis 2009 aufgrund des Art. 13 EGV im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Diskriminierungsverbote erlassen, die u.a. auch jede Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung verboten.4 Nunmehr bestimmt Art. 19 AEUV, dass unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge der Rat im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. 4 Art. 18 IPBPR wird einerseits durch Art. 4 Abs. 2 IPBPR notstandsfest garantiert, andererseits durch Art. 20 Abs. 2 IPBPR eingeschränkt, wonach jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit
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Vgl. EGMR Kokkinakis/GR, 25.5.1993, A 260-A = ÖJZ 1994 59; Grabenwarter § 22, 82; Meyer-Ladewig 1. General Assembly Resolution, Declaration on the Elimination of All Forms of Intolerance and of Discrimination Based on Religion or Belief, A/RES/36/55. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1, BGBl. 2008 II S. 1165; vgl. auch die Fassung
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aus dem Jahr 2000: ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000 = EuGRZ 2000 554. Vgl. Richtlinie 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABlEG Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16; vgl. dazu Thüsing JZ 2004 172; Waldhoff JZ 2003 976, 978.
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
oder Gewalt aufgestachelt wird, durch Gesetz zu verbieten ist. In Art. 15 Abs. 2 EMRK ist Art. 9 EMRK nicht unter den notstandsfesten Rechten aufgeführt; jedoch schließt Art. 15 Abs. 1 letzter Halbsatz EMRK jede Einschränkung aus, die im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten steht, wozu in den Mitgliedstaaten des IPBPR auch die Uneinschränkbarkeit der Religionsfreiheit gehört. Im Übrigen ist ein rechtfertigender Grund für eine staatliche Einschränkung der inneren Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auch unter den Erfordernissen eines Notstands kaum denkbar. Für die Form der äußeren Religionsausübung erlauben ohnehin Art. 9 Abs. 2 EMRK / Art. 14 Abs. 3 IPBPR die erforderlichen Einschränkungen.
2. Überblick über den Inhalt der Garantien a) Die garantierten Freiheiten umfassen, wie Art. 9 Abs. 1 EMRK / Art. 18 Abs. 1, 2 IPBPR mit unterschiedlichen Worten, aber im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend ausdrücken, die auch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR) nach außen besonders abgesicherte (innere) Gedankenfreiheit sowie die Gewissensfreiheit, die an sich die daneben besonders erwähnte Religionsfreiheit mit einschließt. Art. 9 EMRK schützt in erster Linie den Bereich der persönlichen Weltanschauung und religiösen Bekenntnisse, also den Bereich, der als forum internum bezeichnet wird.5 Art. 9 EMRK garantiert aber nicht immer das Recht, sich im öffentlichen Bereich so zu verhalten, wie es die persönliche Weltanschauung gebietet. Insbesondere der in Art. 9 Abs. 1 EMRK verwendete Begriff des „Praktizierens“ erfasst nicht jede Handlung, die durch die jeweilige Weltanschauung motiviert oder von ihr beeinflusst wird.6 Das durch Art. 9 EMRK gewährte Recht auf Gewissensfreiheit, welches das Recht auf Ausbildung und Betätigung des Gewissens umfasst,7 wird nicht unbegrenzt gewährt. Schon auf der Ebene des Schutzbereichs verlangt der EGMR, dass die betreffenden Ansichten („Weltanschauung“) einen gewissen Grad an Stichhaltigkeit, Ernsthaftigkeit, Bedeutung und inneren Zusammenhang aufweisen müssen.8 Art. 9 EMRK gewährleistet kein Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen.9 Hierfür ist Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK bestimmend (dort Rn. 33). Das Recht auf Befreiung vom Wehr- und Zivildienst für Funktionäre religiöser Gruppierungen fällt dagegen in den Anwendungsbereich von Art. 9 EMRK, da es das angemessene Funktionieren dieser Gruppierungen gewährleisten soll.10 Wesentlich für die gesondert erwähnte Religionsfreiheit ist das Recht jedes Einzelnen, unbeeinflusst vom Staat nach eigener freier Wahl eine bestimmte Religion oder Weltan-
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EGMR Blumberg/D (E), 18.3.2008; Grabenwarter § 22, 87. EGMR Blumberg/D (E) (Fn. 5); Porter/UK (E), 8.4.2003; Zaoui/CH (E), 18.1.2001. Grabenwarter § 22, 86. EGMR Blumberg/D (E) (Fn. 5; Verweigerung der Vornahme einer medizinischen Einstellungsuntersuchung einer Auszubildenden wegen „möglicher Befangenheit“); Bayatyan/ ARM, 27.10.2009.
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Vgl. EGMR Ülke/TRK, 24.1.2006 (Haftund Geldstrafen wegen Wehrdienstverweigerung; wegen Verletzung des Art. 3 EMRK – erniedrigende Behandlung – keine gesonderte Prüfung des Art. 9 EMRK – Verurteilung und strafrechtliche Verfolgung als Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen / pazifistischer Einstellung). EGMR Löffelmann/A, 12.3.2009, NVwZ 2010 823.
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schauung11 anzunehmen oder abzulehnen, sich privat und öffentlich zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu bekennen, diese zu wechseln,12 sich mit Gleichgesinnten zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuschließen,13 seinen Glauben zu verbreiten14, oder über die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu schweigen.15 Die negative Bekenntnisfreiheit erlaubt es dem Einzelnen außerdem, solche Handlungen zu verweigern, die Rückschlüsse auf den jeweiligen Glauben zulassen. So ist es etwa nicht mit Art. 9 EMRK zu vereinbaren, wenn ein Einzelner dem Gericht offenbaren muss, nicht einer bestimmten Religion anzugehören, um so einen anderen als den religiösen Eid schwören zu können. Keinen Verstoß stellt dahingegen die Aufforderung dar, zu Zwecken der Kirchensteuererhebung seine Nichtzugehörigkeit zu einer Religion preiszugeben.16 Die Angabe, nicht zu einer erhebungspflichtigen Religionsgemeinschaft zu gehören, tangiert zwar die negative Religionsfreiheit des Auskunftgebers. Allerdings hat diese Auskunft nur minimalen Informationswert und wird zudem nicht außerhalb des Steuerverhältnisses publik gemacht. Die auferlegte Verpflichtung ist demnach als verhältnismäßig anzusehen und steht hinter dem verfassungsmäßig garantierten Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf Erhebung der Kirchensteuer zurück. Wie das Nebeneinander von Religion und Weltanschauung zeigt, ist dieses Freiheits10 recht weit auszulegen und umfasst daher auch die Ansichten von Außenseitern und Sektierern. Erforderlich ist nur, dass ein Mindestmaß an geistigem Gehalt die Religion identifizierbar macht, wenn die Religionsfreiheit für ein bestimmtes Verhalten in Anspruch genommen wird.17 Dass die Ansichten auch für Außenstehende rational einsichtig sind, ist dagegen nicht erforderlich. Aufgrund der Verpflichtung des Staates zur Neutralität und Unparteilichkeit ist dieser nicht befugt, darüber zu entscheiden, ob religiöse Anschauungen oder die Formen, in denen sie ausgedrückt werden, berechtigt oder sinnvoll sind.18 Er darf deshalb auch nicht die Möglichkeit gemeinsamer Religionsausübung bestimmter Gruppen durch bürokratische Hemmnisse behindern.19 Erst recht ist ihm untersagt, seinen Bürgern eine bestimmte Religion oder Weltanschauung aufzudrängen.20 11
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Zur Schwierigkeit der wegen der Gleichstellung nicht entscheidenden Abgrenzung zwischen einer ein Mindestmaß an Identifizierbarkeit erfordernden Religion und einer Weltanschauung: Grabenwarter § 22, 87. Art. 9 EMRK erfasst auch nicht-religiöse Weltanschauungen, vgl. Nowak 14. Vgl. EKMR EuGRZ 1986 648; zur Pflicht des Staates, den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft zu ermöglichen, wenn diese keinen Austritt kennt, vgl. Frowein/Peukert 14; Grabenwarter § 22, 92; BVerfGE 44 49. Zur Entstehung der Fassung von Art. 18 Abs. 1 Satz 2 IPBPR, vgl. Nowak 13. Zur religiösen Vereinigungsfreiheit vgl. etwa BVerfGE 83 341, 355 ff.; Lücke EuGRZ 1995 651. EGMR Z. u. T./UK (E), 28.2.2006, ECHR 2006-III. Vgl. EGMR Alexandridis/GR, 21.2.2008; Sinan Isik/TRK, 2.2.2010; Frowein/Peukert 8. Zum Inhalt der Religionsfreiheit vgl. auch
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Art. 1, 6 der Erklärung der UN-Generalversammlung v. 25.11.1981 (Fn. 2). EGMR Wasmuth/D, 17.2.2011 (Pflichtangaben auf Lohnsteuerkarte). Grabenwarter § 22, 87; Meyer-Ladewig 4a; vgl. BVerfG 83 341, 353; Hassemer/Hömig EuGRZ 1999 525, 526. EGMR Kimlya u.a./R, 1.10.2009 (Scientology); Leyla Sahin/TRK, 10.11.2005, ECHR 2005-XI = EuGRZ 2006 28 = ÖJZ 2006 424 = NVwZ 2006 1389 = FamRZ 2006 93 = DVBl. 2006 167; Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R, 5.10.2006, ECHR 2006-XI = EuGRZ 2007 24; Mirolubovs u.a./LET, 15.9.2009. EGMR Manoussakis u.a./GR, 26.9.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1997 352 (Behinderung der Zeugen Jehovas bei Verwendung eines Raumes für Gottesdienste). EGMR Kjeldsen u.a./DK, 7.12.1976, A 23 = NJW 1977 487 = EuGRZ 1976 478 (Sexualkundeunterricht); Frowein/Peukert 6; Grabenwarter § 22, 91.
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
Art. 18 Abs. 2 IPBPR stellt klar, dass insoweit jeder Zwang verboten ist. Dieses Verbot erfasst auch indirekte Zwangsmittel, wie etwa sachlich nicht erforderliche rechtliche oder tatsächliche Erschwerungen des Religionswechsels oder die faktische Behinderung der Ausübung einer bestimmten Religion durch unnötige bürokratische Hürden. Öffentliche oder bürgerliche Rechte dürfen nicht von einer bestimmten Religionszugehörigkeit abhängig sein;21 diese darf auch nicht entgegen dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 14 EMRK für eine Entscheidung über Vor- und Nachteile ausschlaggebend sein.22 Soweit der Staat im Bereich der Bildung und des Unterrichts tätig wird, verpflichten ihn Art. 2 1. ZP-EMRK / Art. 18 Abs. 4 IPBPR, das Recht der Eltern zu achten, Erziehung und Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.23 Soweit die Garantien auch kollektiv auszuübende Rechte umfassen, können religiöse Zusammenschlüsse der Mitglieder, sowohl Kirchen als auch kleinere Gruppen, sie selbst geltend machen.24 Für den Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft ist die Autonomie religiöser Gemeinschaften unentbehrlich. Sie gehört zum Wesensgehalt der Garantie, die Art. 9 EMRK einräumt.25 Der Staat darf die Bildung solcher Zusammenschlüsse nicht behindern und ihre Anerkennung als Träger eigener Rechte nicht verweigern.26 Auch die Wartezeit für die Anerkennung ist in einem angemessenen Rahmen zu halten.27 In jüngster Zeit misst der EGMR die Verweigerung sowohl der Anerkennung als auch der Registrierung von Religionsgemeinschaften an der Vereinigungsfreiheit des Art. 11 EMRK im Lichte des Art. 9 EMRK.28 Dem Staat ist es versagt, einer Religionsgemeinschaft ein bestimmtes Oberhaupt aufzuzwingen.29 Religiöse Gemeinschaften haben das Selbstverwaltungsrecht30 und sind
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Nowak 18. EGMR Lang/A, 19.3.2009 (Freistellung vom Militärdienst); Hoffmann/A, 23.6.1993, A 255-C = EuGRZ 1996 648 = ÖJZ 1993 853 = JBl 1994 465 mit Anm. Fahrenhorst EuGRZ 1996 633; Frowein/Peukert 9. Vgl. Rn. 24. Vgl. Frowein/Peukert 11, auch zur Entwicklung der Spruchpraxis der EKMR; ferner etwa EGMR Canea Catholic Church/GR, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII = ÖJZ 1998 750; Cha’are Shalom Ve Tsedek/F, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = ÖJZ 2001 774; Lücke EuGRZ 1995 651. EGMR Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R (Fn. 19); Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a./A, 31.7.2008, ÖJZ 2008 865 = NVwZ 2009 509; Moskauer Zeugen Jehovas/R, 10.6.2010. Grabenwarter § 22, 94 unter Hinweis auf EGMR Église Métropolitaine de Bessarabie u.a./MOL, 13.12.2001, ECHR 2001-XII; Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R (Fn. 25; Verweigerung der notwendigen Registrierung der Satzungsänderung
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einer religiösen Organisation; Verlust ihres Status als juristische Person; dadurch Beschränkung der Ausübung religiöser Aktivitäten; Verletzung der Vereinigungsund Religionsfreiheit); Svyato-Mykhaylivska Parafiya/UKR, 14.6.2007 (Weigerung der Behörden, die Änderung der Satzung einer orthodoxen Gemeinde, durch die diese sich einer anderen kirchlichen Gerichtsbarkeit unterstellt, anzuerkennen). EGMR Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a./A (Fn. 25; längere Wartezeit auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft nur bei neuen oder eher unbekannten Zusammenschlüssen zulässig). EGMR Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a./A (Fn. 25); Moskauer Zeugen Jehovas/R (Fn. 25); Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R (Fn. 25); Kimlya u.a./R, 1.10.2009; Meyer-Ladewig 9. EGMR Heilige Synode der bulgarisch-orthodoxen Kirche u.a./BUL, 22.1.2009; MeyerLadewig 5. Vgl. Schwarz EuR 2002 192, 204; EGMR Oberster Heiliger Rat der muslimischen
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insoweit ebenfalls Grundrechtsträger,31 sie unterliegen aber im Kernbereich ihres Wirkens nicht den Bindungen, die staatlichen Organen aus der Pflicht zur Gewährleistung dieser Freiheitsgarantien erwachsen, wie etwa der Neutralitätspflicht32 oder religionsrelevanten Diskriminierungsverboten.33 Da religiöse Gemeinschaften gewöhnlich in der Form organisierter Strukturen existieren, sind diese im Licht des Art. 11 EMRK, welcher dem gesellschaftlichen Zusammenleben Schutz vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen gewährt, zu interpretieren.34 Der Einzelne kann gegen die religiöse Gemeinschaft, deren Mitglied er ist, weder aus 16 Art. 9 EMRK noch aus Art. 18 IPBPR ein persönliches Recht auf Anerkennung einer abweichenden Glaubensauffassung oder auf Übertragung eines religiösen Amtes herleiten;35 stimmt er mit deren Auffassungen nicht überein, muss er notfalls austreten. Die ungehinderte Ausübung dieses Individualrechts auf Austritt muss der Staat durch Einräumung der Möglichkeit einer Austrittserklärung vor einer staatlichen Stelle sicherstellen, sofern die betroffene Religionsgemeinschaft dies nicht selber vorsieht.36 Der Anspruch des einzelnen Mitglieds auf staatlichen Rechtsschutz gegen Maßnahmen seiner eigenen Religionsgesellschaft, die dem Bereich der Religionsausübung und Glaubensfreiheit zuzurechnen sind, wird bei der gebotenen Abwägung zwischen der staatlichen Justizgewährungspflicht und der Gewährleistung der kollektiven Glaubensfreiheit und der grundsätzlich zu beachtenden Pflicht des Staates zur Neutralität meist zurücktreten.37 Dies gilt auch bei den sog. „Staatskirchen“.38 Eine Staatsreligion oder eine Staatskirche, die manche Mitgliedsstaaten haben, 17 während andere sie in ihrer Verfassung ausdrücklich verbieten,39 ist mit dieser Freiheit
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Gemeinde/BUL, 16.12.2004 (Erzwingen der einseitigen Festlegung der Führerschaft über die muslimische Gemeinde verletzt Art. 9 EMRK). Ob dies auch die karitative Tätigkeit mit einschließt, ist strittig, vgl. Schwarz EuR 2002 192, 203. Vgl. Sachs/Höfling Art. 1, 109 GG („Träger der Grundrechte, nicht deren Bindungsadressaten“); Lücke EuGRZ 1995 651, 656; Meyer-Ladewig 11. Vgl. zur Problematik mit dem Unionsrecht: Thüsing JZ 2004 172; Waldhoff JZ 2003 978. EGMR Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R (Fn. 25); Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a./A (Fn. 25); Heilige Synode der bulgarisch-orthodoxen Kirche u.a./BUL, 22.1.2009. Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1986 648. Frowein/Peukert 14; Frowein ZaöRV 46 (1986) 249, 256; Grabenwarter § 22, 92. Nach BGH NJW 2000 1555; 2003 2097 schränkt das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften die staatliche Rechtmäßigkeitskontrolle innerkirchlicher Maßnahmen ein; die staatliche Justizgewährungspflicht beschränkt sich auf eine
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Wirksamkeitskontrolle (Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien der staatlichen Ordnung, Willkürverbot, ordre public). BVerfG NJW 2004 3099 ließ dies offen. Vgl. zum Streitstand auch Lücke EuGRZ 1995 561 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte; ferner zu den Problemen des kirchlichen Arbeitsrechts Thüsing JZ 2004 172. Vgl. BVerfGE 18 385, 387; 42 312, 331 (Kirchen werden dadurch in ihrem eigentlichen Bereich nicht zu Institutionen der mittelbaren Staatsverwaltung). Soweit den Religionsgemeinschaften in Randbereichen staatliche Aufgaben übertragen sind (etwa Friedhofsverwaltung), üben sie grundrechtsgebundene Staatsgewalt aus, vgl. etwa Sachs/Höfling Art. 1, 110 GG. Die Abgrenzung der staatlichen Rechtsgewährungspflicht von der Autonomie der Kirchen ist vor allem im Bereich des Amtsrechts strittig, vgl. etwa BVerwG NJW 2003 2112; BVerwGE 95 379; 116 86; BVerfG JZ 2004 791 mit krit. Anm. Goerlich; BGH NJW 2000 1559; Weber NJW 2003 2067; Waldhoff JZ 2003 978. Vgl. etwa Lücke EuGRZ 1995 651.
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
nicht unvereinbar. Es müssen aber neben der Staatsreligion auch andere Religionen zugelassen sein. Es darf kein direkter oder indirekter Zwang ausgeübt werden, die Staatsreligion anzunehmen oder beizubehalten,40 sich deren Riten zu unterziehen oder an sie Abgaben zu entrichten.41 Eine vom Staat geregelte Kirchensteuerpflicht ist mit den Konventionsgarantien vereinbar, sofern der Einzelne frei ist, sich ihr durch Aufgabe seiner Mitgliedschaft in der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu entziehen.42 Eine Benachteiligung des Einzelnen in seinen Konventionsrechten wegen seiner Weltanschauung oder seiner Religionszugehörigkeit verstößt zugleich auch gegen die Diskriminierungsverbote in Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1, 26, 27 IPBPR,43 die umgekehrt aber auch den Staat verpflichten können, danach zu differenzieren, ob ein bestimmtes Verhalten religiös bedingt war.44 Aus der Pflicht des Staates, die innere Überzeugung des Einzelnen zu respektieren und auch die Ausübung der mit ihr zusammenhängenden Gebräuche innerhalb der auch hierfür geltenden allgemeinen Schranken nicht zu behindern, folgt jedoch nicht, dass der Staat durch die Konvention verpflichtet ist, selbst besondere Organisationsformen für religiöse Gruppen vorzusehen.45 Er muss ermöglichen, dass sich religiöse Zusammenschlüsse ungehindert bilden können,46 im Übrigen steht es ihm aus der Sicht der Konventionen frei, ob und in welchem Umfang er besondere Rechtsformen für den Zusammenschluss von Glaubensgemeinschaften aufstellt, so vor allem, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen will.47 Schutzpflichten des Staates können sich aus seiner Verpflichtung ergeben, die Reli- 18 gionsfreiheit aller seiner Bürger ohne jede Diskriminierung (Art. 14 EMRK) zu achten und auch zu gewährleisten.48 Der Staat muss für den religiösen Frieden und für ein Klima der religiösen Toleranz in der Gesellschaft sorgen.49 Er muss unter Umständen eingreifen, um sicherzustellen, dass alle Personen in seinem Herrschaftsbereich auch
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EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 410; EGMR Masaev/MOL, 12.5.2009 (Auferlegung einer Geldstrafe wegen Ausübung einer nicht staatlich anerkannten Religion); Nowak 16; vgl. auch BVerfGE 44 59, 66; 55 32, 36. EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 410 (Darby: Zwangsweise Einbeziehung in eine Aktivität für eine Religionsgemeinschaft); BVerfG NVwZ 2002 1496 (Kirchensteuer als autonomes Satzungsrecht); dazu Gohm NVwZ 2002 1475; Frowein/Peukert 7. Villiger 596; vgl. auch BGer EuGRZ 2001 128 (Kirchensteuerpflicht für juristische Personen). EGMR Darby/S, 23.10.1990, EuGRZ 1990 504, wo wegen der gegen Art. 14 EMRK verstoßenden Verweigerung der Kirchensteuerermäßigung bei Wohnsitz im Ausland von einer Prüfung des Art. 9 EMRK abgesehen wurde, während EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 411 in der gleichen Sache umgekehrt verfuhr. Vgl. EGMR Thlimmenos/GR, 6.4.2000, ECHR 2000-IV = ÖJZ 2001 518: Art. 14
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EMRK i.V.m. Art. 9 EMRK ist auch verletzt, wenn der Staat ohne objektive und vernünftige Rechtfertigung eine Differenzierung unterlässt, so dass die Verurteilung wegen einer aus religiösen Gründen begangenen Tat (Zeuge Jehovas; Weigerung Uniform zu tragen) in gleicher Weise wie echte kriminelle Verfehlungen die Ablehnung der Zulassung als Wirtschaftsprüfer begründet. Dies schließt nicht aus, dass sich – meist historisch bedingt – aus dem jeweiligen innerstaatlichen Recht Verpflichtungen ergeben können. Vgl. etwa BVerfGE 83 341, 355 ff. Vgl. BVerfGE 102 370 (Ablehnung bei Zeugen Jehovas); dazu Abel NJW 2001 410; Hillgruber NVwZ 2001 1347; Wilms NJW 2003 1083. So wird der Schutzbereich von Art. 9 EMRK berührt, wenn einem Missionar die Einreise verweigert wird, um ihn an der Ausübung und Verbreitung seiner Religion zu hindern, vgl. EGMR Nolan u. K/R (E), 30.11.2006. So auch Frowein/Peukert 10; Grabenwarter § 22, 106.
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EMRK Art. 9
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
tatsächlich ihre Religion frei und ungestört ausüben können50 (Art. 1 EMRK / Art. 2 Abs. 1, 2 IPBPR). Die Religionsfreiheit jeder Gruppe findet eine Schranke dort, wo sie auch die Religionsfreiheit einer anderen Gruppe respektieren muss. Der Staat und seine Organe dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn die von den Konventionen garantierten Freiheiten einem Teil der Bewohner durch dominante gesellschaftliche oder religiöse Gruppen faktisch verweigert werden. Er muss den Betroffenen zumindest die Möglichkeit eröffnen, gegen sie gerichtete unberechtigte herabsetzende Äußerungen anderer religiöser Gruppen gerichtlich vorzugehen,51 und er muss in schwerwiegenden Fällen auch selbst eingreifen, um die Religions- und Glaubensfreiheit der betroffenen Gruppe oder den religiösen Frieden zu wahren und die gegenseitige Toleranz sicherzustellen. Aus Art. 9 EMRK kann aber nicht die Pflicht eines dritten Mitgliedstaates hergeleitet werden, einem Flüchtling, der behauptet aufgrund seiner Religionszugehörigkeit in seinem Heimatland verfolgt zu werden, Asyl zu gewähren, solange dieser nicht konkret gefährdet ist.52 Auch aus den in Art. 9 Abs. 2 EMRK / Art. 18 Abs. 3 IPBPR aufgeführten Gründen kann mitunter ein Eingreifen des Staates nicht nur zulässig, sondern zur Wahrung der Religionsfreiheiten anderer Gruppen sogar geboten sein (Vgl. Rn. 25 ff.). In schwerwiegenden Fällen kann es auch erforderlich sein, dass der Staat durch eigene Maßnahmen die religiösen Gefühle einer Gruppe seiner Bürger vor Beleidigungen ihrer Religion durch andere schützt.53 Grundsätzlich hat der Staat dafür zu sorgen, dass in seinem Herrschaftsbereich die unterschiedlichen religiösen Anschauungen der verschiedenen Gruppierungen geachtet werden und dass die öffentliche Ausübung religiöser Gebräuche vor gezielten Störungen Dritter, auch durch andere religiöse Gruppen, geschützt wird54 und dass allen genügend Raum für eine religiöse Betätigung bleibt. Er muss aber auch die religiösen Überzeugungen des Einzelnen schützen;55 dieser kann zwar nicht verlangen, dass er innerhalb der religiösen Gruppierung, der er angehört, völlig frei auch konträre Meinungen vertreten kann, sein Recht, sich von dieser Gruppierung zu trennen, muss der Staat aber notfalls sicherstellen.56 Eine besondere Schutzpflicht hat der Staat dort, wo er die Lebensführung des Einzel19 nen besonderen Regelungen oder Zwängen unterwirft, die notwendig auch Bereiche der Religionsausübung mit einschließen, wie etwa in der Schule, im Militär, den Strafvollzugsanstalten usw. Dann ist er verpflichtet, den davon Betroffenen durch positive Maßnahmen die Wahrnehmung ihrer Rechte aus den Konventionsgarantien zu ermöglichen.57 So muss er auch sicherstellen, dass das Recht der Eltern auf Erziehung der Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen (Art. 2 1. ZP-EMRK / Art. 18 Abs. 4 IPBPR) geachtet wird. Soweit wegen der besonderen Lage Einschränkungen der Religionsausübung erforderlich sind, müssen sie sich auf das nach der jeweiligen Sachlage Notwendige beschränken. 50
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EGMR Otto Preminger Institut/A, 29.9.1994, A 295-A = ÖJZ 1995 154; Wingrove/UK, 25.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 714; 97 Mitglieder der Gldani Gemeinde der Zeugen Jehovas u. 4 andere/GEO, 3.5.2007. Vgl. etwa BGH NJW 2003 1308 (Amtshaftung der Kirchen für Äußerungen ihres Sektenbeauftragten); dazu Wilms NJW 2003 2070; Frowein/Peukert 10. EGMR Z u. T/UK (E), 28.3.2006, ECHR 2006-III. Vgl. etwa EGMR Otto Preminger Institut/A
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(Fn. 50; Einschränkung des Art. 10 EMRK zum Schutz der religiösen Auffassungen anderer); dazu: Frowein/Peukert 10; Grabenwarter ZaöRV 55 (1995) 128; Grabenwarter § 22, 106; Starck JZ 2000 1, 7 ff.; Villiger 602. Zur Schutzpflicht des Staates vgl. BVerfGE 41 29, 49; 52 233, 240; 93 1, 16; ÖVerfGH EuGRZ 2001 330. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1). Vgl. Rn. 16. Villiger 599.
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
b) Das allgemeine Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit wird durch das Recht auf private oder öffentliche Ausübung der Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen ergänzt (Art. 9 Abs. 1 2. Halbsatz 2 EMRK / Art. 18 Abs. 2 Satz 2 IPBPR).58 Als Formen der Ausübung und Bekundung der Religion bzw. der Weltanschauung wird neben dem Gottesdienst und dem Unterricht im Sinne der Vermittlung der religiösen Lehren der jeweiligen Religionsgemeinschaft59 auch das „Praktizieren von Bräuchen und Riten“ („practice and observance“ / „les pratices et l’accomplissement des rites“) besonders angeführt.60 Damit sollen die meist aus alten Bräuchen überkommenen besonderen Formen des religiösen Brauchtums geschützt werden, aber auch neue, sich erst entwickelnde Formen religiöser Rituale fallen hierunter, selbst wenn nur ein kleiner Personenkreis sie praktiziert. Eine geplante Pilgerreise kann eine Terminsverschiebung in einem Strafverfahren erforderlich machen.61 Es werden aber nicht alle Handlungen geschützt, die im Einzelfall religiös oder weltanschaulich motiviert sind, sondern nur solche, bei denen der Ausdruck der jeweiligen Religion oder Weltanschauung in einem deutlich auf sie bezogenen Verhalten in Erscheinung tritt62, wie etwa bei Veranstaltungen zur gemeinsamen Religionsausübung, bei den herkömmlichen Prozessionen oder beim Läuten der Kirchenglocken.63 Die Weigerung, allgemeine Bürgerpflichten zu erfüllen, wird nicht von Art. 9 EMRK erfasst.64 Ebenso wenig gewährt Art. 9 EMRK das Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung zum Zwecke der Berufsausübung bei einer religiösen Vereinigung in einem Konventionsstaat.65 Die Abgrenzung der intersubjektiv als Religionsausübung oder Ausdruck einer Weltanschauung einzureihenden Handlungen von denen, die nur von einem persönlichen Motiv eines Einzelnen mitbestimmt werden, kann schwierig sein. In dem für das öffentliche Leben maßgebenden Bereich lösen sich die Fragen aber vielfach dadurch, dass andernfalls auch andere, mitunter weiter reichende Konventionsrechte (insbes. Art. 8, 10 oder 11 EMRK / Art. 17, 19, 21, 22 IPBPR) einschlägig sind und dass der Staat in diese meist aus den gleichen Gründen, wie bei Art. 9 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 18 Abs. 3 IPBPR eingreifen und sie unter bestimmten Voraussetzungen sogar verbieten darf. Kritische Verlautbarungen staatlicher Stellen über bestimmte Religionsgemeinschaften sind mit der staatlichen Neutralitätspflicht vereinbar, sofern die zuständigen staatlichen Organe sich darauf beschränken, in Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben zu negativen Tendenzen bestimmter religiöser Gruppierungen Stellung zu nehmen und öffentlich vor den davon ausgehenden Gefahren zu warnen,66 sofern dies zum Schutz der 58
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Vgl. auch EGMR Kosteski/MAZ, 13.4.2006, NZA 2006 1401; Ahmet Arslan u.a./TRK, 23.2.2010. Gemeint ist hier die religionsinterne Unterweisung und nicht der schulische Unterricht i.S.d. Art. 18 Abs. 4 IPBPR (dazu Rn. 24), Art. 2 1. ZP-EMRK; Grabenwarter § 22, 89. Die Tragweite dieser Umschreibung möglicher Formen der Religionsbekundung ist noch wenig geklärt; sie umfassen nach Ansicht der EKMR auch Handlungen zur Bekundung einer nichtreligiösen Weltanschauung; vgl. Frowein/Peukert 18 f.; Nowak 25; ferner Art. 1 und 6 der Erklärung der UN-Generalversammlung vom 25.11.1981 (Fn. 15); eine Verhaltensweise,
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die keine in der jeweiligen Religionsgemeinschaft übliche Praxis darstellt, ist allerdings keine Ausübung eines religiösen Brauchs, vgl. OGH Beschl. v. 27.9.2008. LG München I StraFo 2011 95 (Pilgerreise nach Mekka). Frowein/Peukert 20; Grabenwarter § 22, 90; vgl. auch EGMR Leyla Sahin/TRK (Fn. 18). Vgl. etwa BK-GG/Zippelius Art. 4, 104 GG; BVerwGE 68 68. Grabenwarter § 22, 90; OGH Beschl. v. 27.9.2008. EGMR El Majjaoui u. Stichtung Touba Moskee/NL, 20.12.2007. Vgl. EGMR Leela Förderkreis e.V. u.a./D, 6.11.2008, NVwZ 2010 177.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Bevölkerung oder bestimmter Gruppierungen erforderlich erscheint. Sie müssen bei solchen Verlautbarungen aber Zurückhaltung und Sachlichkeit wahren und jede mit der staatlichen Neutralitätspflicht unvereinbare parteiergreifende Einmischung vermeiden.67 Zwar kann der staatlichen Informationstätigkeit durchaus die Qualität eines Eingriffs zukommen.68 Die Anforderungen an eine formell-gesetzliche Grundlage sind vom BVerfG aber aufgeweicht worden. Anstelle einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung soll bei einer mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung schon die „verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung“ ausreichen.69
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c) Art. 18 Abs. 4 IPBPR verpflichtet die Vertragsstaaten außerdem, die Freiheit der Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.70 Die gleiche Verpflichtung begründet Art. 2 Satz 2 1. ZP-EMRK, wonach der Staat bei der Erfüllung der übernommenen Unterrichts- und Bildungsaufgaben dem Recht der Eltern auf Erziehung und Unterrichtung ihrer Kinder gemäß ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen Rechnung tragen muss. In welcher Form diese Verpflichtung erfüllt werden kann, ist den staatlichen Organen überlassen, die in einer pluralistischen Gesellschaft flexible Lösungen finden müssen, die der Verpflichtung zum Schutz verschiedener religiöser Gruppierungen Rechnung tragen.71 Auch hier können sich Grenzen bei einer durch Abwägung zu lösenden Kollision mit vorrangigen Schutzgütern ergeben.72 Dieses Recht wird aber nicht schon dadurch angetastet, dass der Staat gegen den Willen von Eltern einen (objektiv gehaltenen) Sexualkundeunterricht in der Schule vorsieht73 oder ein Kind von Sektenangehörigen nicht von der Teilnahme an einer Schulparade aus Anlass eines nicht religionsbezogenen Staatsfeiertages freistellt, weil ihr Glaube die Teilnahme an einer Gedächtnisfeier für einen Krieg verbiete.74
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3. Einschränkungen. Im Gegensatz zum höchstpersönlichen Recht auf interne Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ist die Freiheit der Ausübung nicht absolut garantiert.75 Ausübung und Bekundung der Religion oder Weltanschauung können
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Vgl. etwa BVerfGE 105 279, 295 ff.; BVerfG NJW 2002 3458; EuGRZ 2002 448; BVerwG JZ 1989 977 (Transzendentale Meditation); Frowein ZaöRV 46 (1986) 249, 259. OK-GG/Germann 1.6.2010, Art. 4, 45 GG; Sachs/Kokott Art. 4, 109 ff. GG. BVerfGE 105 279, 301 ff. Dort als Recht der Eltern, nicht der Kinder garantiert; vgl. hierzu EGMR Olsson/S, 24.3.1988, A 130 = EuGRZ 1988 591. Vgl. EGMR Campbell u.a./UK, 25.5.1982, EuGRZ 1982 153 (kein Schulausschluss, weil Eltern körperliche Strafen ablehnen); Folgerø u.a./N, 29.6.2007, NVwZ 2008 1217 (verpflichtende Teilnahme an christlichem Religionsunterricht; Art. 2 1. ZP-EMRK verletzt; Art. 9 EMRK nicht gesondert geprüft); vgl. ferner EGMR Appel-Irrgang u.a./D (E), 6.10.2009, EuGRZ 2010 177 (Berliner Ethikunterricht konventionskonform); zur even-
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tuellen Freistellung vom Religionsunterricht vgl. Rn. 24. Vgl. BVerfG NJW 2002 206; dazu Ohler/ Weiß NJW 2002 194. Vgl. auch das zur Personensorge unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK ergangene Urteil des EGMR Hoffmann/A, 23.6.1993, das sich auch mit der Möglichkeit einer religiös begründeten Verweigerung der Bluttransfusion durch die Mutter befasste; dazu Frowein/Peukert 9; Fahrenhorst EuGRZ 1996 648. Vgl. EGMR Kjeldsen/DK, 7.12.1976, EuGRZ 1976 478; Jimenez Alonso u.a./E, 25.5.2000, ECHR 2000-VI; vgl. Art. 2 1. ZP-EMRK; Rn. 55 ff. EGMR Valsamis/GR, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 114. Frowein/Peukert 1, 29; vgl. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1); hierzu und zu zwei weiteren die Zeugen Jehovas in Griechenland betreffenden Urteilen, EGMR Manoussakis u.a./GR
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
durch Gesetz76 eingeschränkt werden,77 wenn dies zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und öffentlichen Ordnung,78 Gesundheit79 und Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer80 (IPBPR „Grundrechte und Grundfreiheiten anderer“81) notwendig ist (Art. 9 Abs. 2 EMRK / Art. 18 Abs. 3 IPBPR).82 Einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedarf es nur dann nicht, wenn sie nicht den praktischen Bedürfnissen entspricht, sondern diese vielmehr beeinträchtigt, und eine gefestigte sowie zugängliche Rechtsprechung, die als Ermächtigungsgrundlage dienen kann, vorhanden ist.83 Bei verfassungsfeindlichen gewaltbereiten religiösen Gruppierungen kann der Schutz 26 der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deren Verbot rechtfertigen.84 Die Eingriffe des Staates müssen stets in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, insbesondere dürfen sie nicht außer Verhältnis zu dem mit ihnen verfolgten Ziel stehen.85 Die allgemeine Schutzpflicht, die dem Staat nach Art. 1 EMRK / Art. 2 IPBPR zur Aufgabe macht, allen Personen und Gruppen in seinem Herrschaftsbereich die ungehinderte Ausübung der ihnen durch die Konventionen gewährleisteten Rechte zu ermöglichen, kann ihn auch verpflichten, zur Sicherung der Toleranz und der Respektierung der verschiedenen Überzeugungen gegen Personen oder Personengruppen einzuschreiten, die andere an der Aus-
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(Fn. 19); Valsamis/GR (Fn. 74): Fahrenhorst EuGRZ 1996 633. Insoweit gelten hier die gleichen Voraussetzungen wie bei Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 EMRK. EGMR Kuznetsov u.a./R, 11.1.2007. Vgl. Grabenwarter § 22, 102: Staat darf allgemeinschädliches Verhalten auch bei Religionsgemeinschaften untersagen; ferner etwa EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 425 (Belästigung von Straßenpassanten); zum IPBPR vgl. Nowak 33. Vgl. EGMR Cha’are Shalom Ve Tsedek/F (Fn. 24; Schächten); Grabenwarter § 22, 103; Frowein/Peukert 30 (Motorradschutzhelm bei Siks). Dies kann auch den Schutz der Religionsfreiheit der Bürger vor aggressiver religiöser Werbung religiöser Gruppen mit einschließen, vgl. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1); Grabenwarter § 22, 106. Art. 18 Abs. 3 IPBPR lässt die Einschränkung nur zum Schutz der nach nationalem Recht bestehenden Grundrechte und Grundfreiheiten anderer zu (Nowak 33 ff.), ist also enger als bei vergleichbaren Regelungen in anderen Artikeln und Art. 9 Abs. 2 EMRK, der dies allgemein zum Schutz der Rechte anderer erlaubt. Zu den legitimen Schutzzielen Grabenwarter § 22, 102 f.; ferner etwa BVerwG NJW 2001 1365 (keine Ausnahme vom Verbot des Cannabisanbaus für rituellen Genuss). Vgl. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1);
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Larissis/GR, 24.2.1998, Rep. 1998-I = JBl 1998 573. Siehe auch Grabenwarter § 22, 101. Vgl. BVerfG EuGRZ 2003 746 (Vereinsverbot des „Kalifatstaates“ wegen dessen Bereitschaft, verfassungswidrige Ziele notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen); Michael JZ 2002 482. EGMR Manoussakis/GR (Fn. 19), dazu Fahrenhorst EuGRZ 1996 633; Wingrove/UK, 25.11.1996, ÖJZ 1997 718; Grabenwarter § 22, 104 unter Hinweis auf EGMR Métropolitaine de Bessarabie u.a./MOL (Fn. 26) zur unverhältnismäßigen Verweigerung der staatlichen Anerkennung zur Sicherung der territorialen Integrität; EGMR Phull/F (E), 11.1.2005, ECHR 2005-I (Verpflichtung, den Turban bei der Flughafen-Sicherheitskontrolle abzunehmen); s. auch Meyer-Ladewig 16 mit Verweis auf die Zusammenstellung: EGMR Dogru/F, 4.12.2008, § 64, NVwZ 2010 693; El Morsli/F (E), 4.3.2008 (Verweigerung eines Einreisevisums aufgrund der Weigerung einer Marokkanerin, ihren Schleier an der Sicherheitsschleuse des Konsulatsbüros kurz zu ihrer Identifikation abzunehmen); Sabanchiyeva u.a./R (E), 6.11.2008 (russisches Antiterrorgesetz: Nichtaushändigung, sondern Verbrennung der Leichen der bei einem Angriff getöteten Terroristen – ohne Bekanntgabe des Datums der Beisetzung; Unklarheiten hinsichtlich der Abhaltung der üblichen Rituale; Beschwerde der Familienangehörigen zulässig); Singh/F (E), 13.12.2008.
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übung eines der in Art. 9 EMRK / Art. 18 IPBPR geschützten Rechte hindern oder sie dabei stören.86 Ob, unter welchen Umständen und mit welchen Einschränkungen auch ein Verbot der aggressiven Werbung für den eigenen Glauben zum Schutze anderer zulässig ist, kann im Einzelnen fraglich sein.87 Der kommerzielle Vertrieb religiöser Gegenstände sowie deren wirtschaftlich motivierte Anzeige zu Werbezwecken fallen nicht unter Art. 9 EMRK / Art. 18 IPBPR.88 Art. 20 Abs. 2 IPBPR verpflichtet darüber hinaus die Vertragsstaaten, jedes Eintreten 27 für religiösen Hass, das zu Diskriminierung, Feindseligkeiten oder Gewalt aufstachelt, durch Gesetz zu verbieten. Die Zulässigkeit einer Einschränkung der Religionsausübung kann deshalb für diesen Grund auch aus Art. 20 IPBPR abgeleitet werden; für Art. 9 EMRK folgt sie bereits aus der Zulässigkeit der in einer demokratischen Gesellschaft üblichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Da diese Einschränkungen grundsätzlich in die gleiche Richtung gehen, dürfte es keine praktischen Auswirkungen haben, dass beide Konventionen weitergehende Garantien grundsätzlich nicht ausschließen (Art. 53 EMRK / Art. 5 Abs. 2 IPBPR). Zulässige Beschränkungen in den äußeren Formen der Religionsausübung können in 28 vielen Bereichen des Zusammenlebens mit anderen in Betracht kommen. Ob eine einschränkende Regelung zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Moral erforderlich ist, muss der Staat bei Erlass der jeweiligen Regelung beurteilen, wobei er das Gewicht des verfolgten jeweiligen Schutzinteresses und seine Bedeutung für ein geordnetes Zusammenleben in der Gemeinschaft mit der Einschränkung abwägen muss, die der Betroffene in seinem Recht auf äußere Religionsausübung hinzunehmen hat.89 Der Staat hat dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Der EGMR berücksichtigt die Wertungen des betroffenen Mitgliedstaates; er überprüft aber auch, ob die jeweiligen staatlichen Maßnahmen durch die vorgetragenen Gründe grundsätzlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sind.90
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Ähnliches gilt auch nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 GG, dessen Schranken sich ebenfalls aus den kollidierenden Grundrechten anderer ergeben, vgl. BVerfGE 41 29, 50; 52 223, 247; ferner etwa BK-GG/Zippelius Art. 4, 79, 108 ff. GG m.w.N.; EGMR Leyla Sahin/ TRK (Fn. 18); Mirolubovs u.a./LET, 15.9.2009. Vgl. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1; Unverhältnismäßigkeit); Grabenwarter § 22, 106; Meyer-Ladewig 8 stellt auf die Verhältnismäßigkeit ab; anders: Frowein/Peukert 30 (grundsätzlich unzulässig). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 122; Frowein/Peukert 23; Frowein ZaöRV 46 (1986) 249, 259; Villiger 600. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1); Dahlab/CH, 15.2.2001, ECHR 2001-V = NJW 2001 2871 = EuGRZ 2003 595 = VBlBW 2001 439; vgl. auch BGer EuGRZ 1996 470 (Entnahme einiger Haare bei Sikh zum Nachweis des Drogenkonsums); BAG NJW 2003 2815 (Kopftuch am Arbeitsplatz);
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EGMR Kurtulmus/T (E), 24.1.2006, ECHR 2006-II (Verpflichtung der Staatsbeamten religiös neutral aufzutreten); vgl. auch EGMR Kosteski/MAZ (Fn. 58; Verlangen eines Nachweises der Glaubenszugehörigkeit ist zulässig, wenn auf dessen Grundlage das Recht auf Arbeitsbefreiung an einem religiösen Festtag geltend gemacht werden soll). Fraglich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit bei § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) hh) ATDG, der die Speicherung von Angaben zur Religionszugehörigkeit vorsieht, soweit diese im Einzelfall zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus erforderlich sind, durch das sehr unbestimmte Kriterium der Erforderlichkeit zur „Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ die Gefahr einer diskriminierenden Verwendung besteht, vgl. dazu Tinnefeld/ Petri MMR 2006 Heft 11, V ff. EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1); Dahlab/CH (Fn. 89); Leyla Sahin/TRK (Fn. 18); Grabenwarter § 22, 104 (Plausibilität).
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
Ähnlich wie bei der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) ergibt sich die Notwendigkeit, 29 im jeweiligen Einzelfall die anerkannten anderen Schutzzwecke mit der Konventionsgarantie der Religionsfreiheit abzugleichen. So widerspricht es Art. 9 EMRK, wenn der Eid ausnahmslos mit einer religiösen Beteuerungsformel abverlangt wird 91 oder wenn allgemein das Werben für Religionsgemeinschaften unter Strafe gestellt92 wird oder wenn eine Verurteilung wegen einer ausschließlich aus religiöser Überzeugung begangenen Verfehlung später als Grund für eine objektiv damit nicht zu rechtfertigende Versagung der Zulassung zu einem bestimmten Beruf herangezogen wird.93 Wieweit das Verbot der Schächtung von Tieren gegen die Freiheit der Religionsausübung verstößt, ist strittig.94 Im Schulbereich hat der Staat keine Kompetenz, die religiösen Inhalte des Religions- 30 unterrichts für alle Schüler verbindlich festzulegen; er ist aber nicht gehindert, den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen und alternativ dazu einen objektiv gestalteten und die unterschiedlichen Überzeugungen achtenden Ethikunterricht vorzuschreiben.95 Er darf auch einem Geometrielehrer verbieten, in seinen Unterrichtsstunden statt Geometrie Religion zu lehren.96 Kollisionen mit dem Erziehungsrecht der Eltern kann der Staat mitunter auch dadurch ausräumen, dass er einen Schüler von der Teilnahme an einem abgelehnten Religionsunterricht dispensiert oder ihm gestattet, an seinen religiösen Feiertagen von der Schule fernzubleiben.97 Aufgrund der Bekleidungsvorschriften des Islam wurde auch ein Anspruch auf die Befreiung vom gemeinsamen Turn- oder Schwimmunterricht anerkannt.98 Besteht aus Gründen der Religionsneutralität die Pflicht, eine Schuluniform zu tragen, gewährt Art. 9 EMRK gleichwohl nicht das Recht, abweichend davon ein Kopftuch zu tragen.99 Ein Schulgebet, bei dem den Schülern die Teilnahme ausdrücklich freigestellt wird, ist nicht als Verletzung der religiösen Neutralitätspflicht anzusehen,100 desgleichen bei Freiwilligkeit der Teilnahme am Tischgebet in einem kommunalen Kindergarten.101
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EGMR Buscarini u.a./SM, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 2957 = EuGRZ 1999 213 = ÖJZ 1999 852 (Parlamentarier-Eid); Frowein/Peukert 8. Zum Verbot des Proselytismus: EGMR Kokkinakis/GR (Fn. 1); Larissis/GR (Fn. 83); Grabenwarter § 22, 106. EGMR (GK) Thlimmenos/GR (Fn. 44; zur Verurteilung wegen der Weigerung, eine Uniform zu tragen, als Grund für die Nichtzulassung als Wirtschaftsprüfer). Vgl. EGMR Cha’are Shalom Ve Tsedek/F (Fn. 24): Verweigerung der Zulassung des Vereins zum Schächten kein Verstoß gegen Art. 9 EMRK, wenn bereits ein größerer Verein die Ausnahmegenehmigung dafür erhalten hat; BVerfGE 104 337 (Schächten keine Religionsausübung, aber als Ausdruck religiöser Überzeugung einer Gruppe geschützt); ÖVerfGH EuGRZ 1999 600; sowie Kästner JZ 2002 491; Waldhoff JZ 2003 978 (Ausnahmen vom Betäubungsgebot in der Tierschutzrichtlinie der EG); Sachs/Kokott Art. 4, 68 GG m.w.N.; Frowein/Peukert 32. EGMR Appel-Irrgang u.a./D (E), 6.10.2009
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= EuGRZ 2010 177; HRC EuGRZ 1981 389; Heckel JZ 1999 741; vgl. auch BVerwG JZ 1999 353; zum Ethikunterricht: Sachs/ Kokott Art. 4, 36 GG; Grabenwarter § 22, 91. Frowein/Peukert 23. Vgl. IK-EMRK/Wildhaber Art. 2 1. ZPEMRK, 80 ff., 83 ff. Vgl. BVerwG NVwZ 1994 578; BGer EuGRZ 1993 400. EGMR Kose u. 93 andere/TRK (E), 24.1.2006, ECHR 2006-II. BVerfGE 52 233; vgl. andererseits auch HessStaatsGH NJW 1966 31; Sachs/Kokott Art. 4, 34 GG; vgl. ferner IK-EMRK/Wildhaber Art. 2 1. ZP-EMRK, 92 ff. VG Gießen NJW 2003 1265 (freiwilliges Tischgebet); VGH Kassel NJW 2003 2846 (Tischgebet im kommunalen Kindergarten); BVerfG EuGRZ 2003 756 hatte in dieser Sache vorl. Rechtsschutz abgelehnt, aber für das Hauptverfahren einige Hinweise gegeben (Verbot gezielten Einwirkens, Vermeidung einer Exponierung des am Gebet nicht teilnehmenden Kindes).
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EMRK Art. 9
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
31
Ein zur Wahrung der Neutralität des Unterrichts bestehendes staatliches Verbot für Lehrer oder Studenten in der (Hoch-)Schule, ein äußerliches Kennzeichen einer bestimmten Weltanschauungs- oder Glaubensrichtung (Kopftuch, Kleidung oder Kennzeichen einer Sekte) zu tragen, ist – soweit gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig – mit Art. 9 EMRK vereinbar, da die Staaten in dieser Frage einen gewissen Beurteilungsspielraum besitzen.102 Auf der Basis des Grundgesetzes ist strittig, ob ein solches äußerliches Kennzeichen vom Staat untersagt werden kann, wenn es als Zeichen einer mit Art. 3 Abs. 2, 3 GG unvereinbaren Weltanschauung dem Grundsatz der konfessionellen Neutralität der Schule und dem Schutz der religiösen Gefühle der Schüler und ihrer Eltern unvereinbar ist.103 Die Konventionsgarantie ist nicht verletzt, wenn einem Lehrer im Beamtenverhältnis 32 nicht gestattet wird, der Schule während der Dienstzeit wegen des Freitagsgebetes mehrere Stunden fernzubleiben.104 Ebenso stellt das Aufhängen christlicher Kreuze im Klassenzimmer keinen Verstoß gegen die Glaubensfreiheit der Schüler und das Erziehungsrecht aus Art. 2 1. ZP-EMRK der Eltern dar.105 Zwar sei es dem Staat verboten, in einer Art und Weise auf Schüler einzuwirken, die den Respekt vor der weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern vermissen lasse. Allerdings ist nach Ansicht des EGMR (GK) keine Beeinflussung der Schüler durch die bloße Anwesenheit eines Kruzifixes zu befürchten. Als passives Symbol fehle ihm die Aussagekraft eines Lehrvertrages oder einer Teilnahme 102
103
EGMR Kervanci/F, 4.12.2008 (Ausschluss vom Turn-/Sportunterricht wegen Tragens eines Kopftuchs); Leyla Sahin/TRK (Fn. 18); Aktas u.a./F, 30.6.2009; Dahlab/CH (Fn. 89; Kopftuchverbot – Lehrerin); EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 121 (Verbot für Lehrer, in der Schule religiöse Abzeichen zu tragen); siehe auch: BVerwG NJW 2009 1289; zum Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs in türkischen Universitäten: TürkVerfGH EuGRZ 1990 146; zu dieser Thematik: Goerlich NJW 2001 2862; Grabenwarter § 22, 105; Frowein/Peukert 33 f.; aus internationaler Perspektive: Wiese Lehrerinnen mit Kopftuch (2008), 254 ff.; Ganz Das Tragen religiöser Symbole und Kleidung in der öffentlichen Schule in Deutschland, Frankreich und England (2009). BVerfG NJW 2003 3111 = JZ 2003 1164 mit Anm. Kästner, lässt dies offen, fordert aber eine Regelung durch den Gesetzgeber; dazu kritisch: Ipsen NVwZ 2003 1210; Pofalla NJW 2004 1218; Sacksofsky NJW 2003 3297; die entsprechenden, neu geschaffenen landesrechtlichen Regelungen wurden bislang nicht beanstandet, vgl. BVerwGE 121 140 = NJW 2004 3581 (§ 38 SchulG BW); dazu auch BVerwG NJW 2009 1289; BVerfGK 7 320 (§ 59b Abs. 4 SchulG BR); BVerwGE 131 242 = NJW 2008 3654 (Referendarin – § 59b Abs. 4, 5
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SchulG BR); BAG NZA 2010 227 (§ 57 Abs. 4 SchulG NW); ebenso BAG DB 2010 1016; grundsätzlich zustimmend Hofmann NVwZ 2009 74; Röper VR 2009 7; kritisch Walter/Ungern-Sternberg DVBl 2008 880; dies. DÖV 2008 488; für den nichtstaatlichen Bereich vgl. BAG NJW 2003 1685 (Kopftuch einer Verkäuferin im Kaufhaus kein Kündigungsgrund für privaten Arbeitgeber). Vgl. ferner BVerfG NJW 2007 56 (pauschales Kopftuchverbot in Gerichtsverhandlungen) sowie vertiefend Ganz Das Tragen religiöser Symbole und Kleidung in der öffentlichen Schule in Deutschland, Frankreich und England – Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung der EMRK (2009); Kinzinger-Büchel Der Kopftuchstreit in der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung (2009); Sicko Das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Umsetzung durch die Landesgesetzgeber (2008); IK-EMRK/Wildhaber Art. 2 1. ZP-EMRK, 95 ff. EGMR EuGRZ 1981 326. EGMR (GK) Lautsi/I, 18.3.2011 NVwZ 2011 737; zur älteren Entscheidung der Kammer, die einen Verstoß bejahte, siehe: EGMR Lautsi/I, 3.11.2009; zu diesem Urteil: Augsberg/Engelbrecht JZ 2010 450; Hillgruber KuR 2010 8; Huster JZ 2010 354; Michl Jura 2010 690.
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Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18 IPBPR
an religiösen Praktiken. Zudem sei den Eltern immer noch vorbehaltlos die Möglichkeit gegeben, ihre natürliche Aufgabe als Erzieher zu erfüllen und ihre Kinder mithilfe ihrer eigenen weltanschaulichen Überzeugung zu leiten. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen das gegen Italien ergangene Urteil Lautsi 33 in Deutschland haben wird, insbesondere im Hinblick auf die Vorgabe des BVerfG, wonach das Anbringen eines Kruzifixes im Klassenzimmer zulässig ist, solange nicht Erziehungsberechtigte eines Schülers ernsthafte und einsehbare Gründe dagegen vorbringen können.106 Gleiches gilt bei den Einwänden gegen das Vorhandensein eines Kruzifixes im Gerichtssaal.107 Bei Untersuchungs- und Strafgefangenen sind Einschränkungen mit den Konventions- 34 garantien vereinbar, die zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt hinsichtlich Ort und Zeit der Religionsausübung,108 Beschaffung besonderer Kultgeräte,109 religiöser Literatur,110 Barttracht111 und auch hinsichtlich sonstiger äußerer Anforderungen ihrer Religion angezeigt sind.112 Andererseits besteht aber auch eine Pflicht des Staates, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auf die religiösen Bedürfnisse und Verpflichtungen der Gefangenen Rücksicht zu nehmen,113 ihnen den Besuch des Gottesdienstes zu ermöglichen und für ihre religiöse Betreuung zu sorgen.114 Um dies zu ermöglichen, darf die Gefängnisverwaltung den Gefangenen nach seiner Religionszugehörigkeit befragen,115 verweigert er darüber die Auskunft, ist es allein ihm anzulasten, wenn Besonderheiten seiner Religion unberücksichtigt bleiben. Behauptet ein Gefangener einen Religionswechsel, muss die Gefängnisverwaltung zwar prüfen, dass dieser ernsthaft und nicht nur zur Erlangung einer Vergünstigung vorgetäuscht ist; die Anerkennung des Religionswechsels darf aber nicht von einer schriftlichen Bescheinigung des Religionsbeauftragten abhängig gemacht werden.116 Dem Wunsch eines Gefangenen, der plausibel geltend macht, aus religiösen Gründen nur vegetarische Kost zu sich nehmen zu dürfen, hat der Staat zu entsprechen.117 4. Engere Grenzen des innerstaatlichen Rechts. Art. 4 GG setzt den Einschränkungen 35 der Religionsausübung engere Grenzen. Während die Regelungsvorbehalte der Konventionen allgemein einfachgesetzliche Einschränkungen zulassen, bedürfen nach Art. 4 GG alle Eingriffe einer unmittelbaren verfassungsrechtlichen Legitimation. Art. 4 GG selbst
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BVerfGE 93 1 = EuGRZ 1999 497; ferner zur Widerspruchslösung: BayVerfGH BayVwBl 1997 686; BayVerwBl 2002 400; BGer EuGRZ 1991 89; zum Anbringen von Kruzifixen in Schulzimmern ferner IK-EMRK/Wildhaber Art. 2 1. ZP-EMRK, 89 ff., vgl. auch zum Anspruch eines Lehrers auf Entfernung von Kruzifixen BayVGH NVwZ 2002 1000 sowie BayVGH Beschl. v. 12.1.2010 – 3 ZB 08.2634 (Lautsi-Urteil nicht einschlägig). Vgl. BVerfGE 35 366 375 f. (kein Zwang entgegen der eigenen Überzeugung in einem mit einem Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal zu verhandeln); kritisch Sachs/Kokott, Art. 4, 52 GG. Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1981 328; ferner ÖVerfGH bei Folz FS Verosta 218.
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EKMR nach Frowein/Peukert 28. Vgl. EKMR nach Frowein/Peukert 28. Nowak 40. Vgl. EKMR bei Frowein/Peukert 28; Nowak 40. Zur Beachtung religiöser Speisevorschriften vgl. EKMR bei Frowein/Peukert 28; Nowak 40; ferner § 21 Satz 3 StVollzG; Art. 23 Satz 3 BayStVollzG. EGMR Poltoratskiy/UKR, 29.4.2003, ECHR 2003-V; EKMR nach Frowein/Peukert 28; Frowein ZaöRV 46 (1986) 249, 258; vgl. ferner §§ 53 bis 55 StVollzG; Art. 55–57 BayStVollzG. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 425. OLG Koblenz NStZ 1994 207. EGMR Jakóbski/PL, 7.12.2010.
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EMRK Art. 9
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
gewährleistet ohne jeden Vorbehalt das Recht des Einzelnen, sich seine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu bilden, sie zu haben und zu bekennen.118 Deshalb greifen bei ihm nur die immanenten Schranken, die sich aus anderen Bestimmungen des GG ergeben.119 So setzen ihr die kollidierenden Grundrechte anderer Grundrechtsträger sowie andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter Schranken,120 die nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz auszugleichen sind. Dies kann das Verbot eines religiösen Vereins rechtfertigen, wenn sich nach sorgfältiger Sachaufklärung ergibt, dass dieser aggressiv-kämpferisch das Ziel verfolgt, Verfassungsprinzipien i.S.d. Art. 79 Abs. 3 GG zu untergraben.121 Art. 4 GG wird durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 WRV ergänzt, der klarstellt, dass 36 der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis gewährleistet sind, dass niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren und dass die Behörden nur insoweit das Recht haben, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert (Art. 136 Abs. 3 WRV). Dieses Verbot ist auch im Strafverfahren zu beachten.122 Bei inhaftierten Personen ist die Feststellung der Religionszugehörigkeit durch die Gefängnisverwaltung zulässig, da sie Voraussetzung für die religiöse Betreuung der Gefangenen ist.123 Ferner darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden (§ 136 Abs. 4 WRV). Die StPO trägt diesen Anforderungen Rechnung.124 Auch sonst kann Art. 4 GG erfordern, bei der Durchführung der Verhandlung den religiösen Bindungen Einzelner Rechnung zu tragen, sei es bei der Terminsanberaumung,125 sei es bei der äußeren Gestaltung der Verhandlung126 oder den Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild eines Verhandlungsteilnehmers.127 Grenzen ergeben sich aber auch hier aus dem Zusammentreffen mit anderen Verfassungsgarantien, vor allem aus der Kollision mit den Grundrechten anderer.128 Wegen der zahlreichen weiteren Auslegungsfragen zu Art. 4 GG muss auf die Erläute37 rungen dieses Artikels in den einschlägigen Kommentaren zum Grundgesetz verwiesen werden.
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Vgl. BVerfGE 69 1, 33 ff.; 93 1, 15; BVerfG EuGRZ 2003 746 („vorbehaltslos aber nicht schrankenlos“). Vgl. BVerfGE 32 98, 107; 41 29, 50; 52 223, 246; BVerfG NJW 1989 3269; 2003 2815; Heinig/Morlok JZ 2003 777. BVerfGE 28 243, 261; BVerfG EuGRZ 2003 746. BVerfG EuGRZ 2003 746 („Verbot des Kalifenstaats“). LR/Ignor/Bertheau § 68, 8 StPO; LR/Becker § 243, 69 StPO. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1983 425. Vgl. LR/Ignor/Bertheau § 64, 1 StPO, § 65, 1 StPO.
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Vgl. BGHSt 13 123; LR/Jäger § 213, 5 StPO; RiStBV Nr. 116 Abs. 2. Vgl. BVerfGE 35 375 (kein Zwang, entgegen der eigenen Überzeugung in einem mit einem Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal zu verhandeln). Vgl. etwa zum Tragen einer Kopfbedeckung: VG Wiesbaden NVwZ 1985 137; ferner allgemein zu der mit dem Gesundheitsschutz begründeten Pflicht, Motorradhelme aufzusetzen bei Sikhs: BGer EuGRZ 1993 595; Frowein/Peukert 30. Vgl. Heinig/Morlok JZ 2003 777.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Art. 10 EMRK (Art. 19 IPBPR) EMRK Artikel 10 Freiheit der Meinungsäußerung (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. (2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.
IPBPR Artikel 19 (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. (2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. (3) Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. Artikel 20 (1) Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten. (2) Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Haß, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten. Schrifttum (Auswahl): Astheimer Rundfunkfreiheit, ein europäisches Grundrecht: eine Untersuchung zu Art. 10 EMRK (1990); Bartsch Contempt of Court und Pressefreiheit, EuGRZ 1977 464; Blumenwitz Die Meinungs- und Informationsfreiheit nach Art. 19 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, FS Ermacora (1988) 67; Bosma Freedom of Expression in England and under the ECHR (2000); Britz Die Freiheit der Kunst in der Europäischen Kulturpolitik, EuR 2004 1; Calliess Zwischen Souveränität und europäischer Effektivität: Zum Beurteilungsspielraum der Vertrags-
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EMRK Art. 10
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
staaten im Rahmen des Art. 10 EMRK, EuGRZ 1996 293; Cram Automatic reporting restrictions in criminal proceedings and Article 10 of the ECHR, in: Barendt (Edt.), Media Freedom and Contempt of Court (2009); Czech Das Recht auf Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Verletzungen durch mediale Berichterstattung, ÖJZ 2011 113; Damjanovic/Oberkofler Neue Akzente aus Strassburg – Die Rechtsprechung zur Art. 10 EMRK, MR 2000 70; Dörr/Zorn Die Entwicklung des Medienrechts, NJW 2001 2837; Engel Der Zusammenhang von Sende- und Empfangsfreiheit unter der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZUM 1988 511; Engel Privater Rundfunk vor der Europäischen Menschenrechtskonvention (1993); Engel Einwirkungen des europäischen Menschenrechtsschutzes auf Meinungsäußerungsfreiheit und Pressefreiheit, AfP 1994 1; Frenz Recht am eigenen Bild für Prinzessin Caroline, NJW 2008 3102; Frowein Art. 10 EMRK in der Praxis von Kommission und Gerichtshof, AfP 1986 197; Giegerich Schutz der Persönlichkeit und Medienfreiheit nach Art. 8, 10 EMRK im Vergleich mit dem Grundgesetz, RabelsZ 1999 471; Gornig Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte (1988); Grabenwarter Filmkunst im Spannungsfeld zwischen Freiheit der Meinungsäußerung und Religionsfreiheit. Anm. zum Urteil des EGMR im Fall Otto Preminger-Institut, ZaöRV 55 (1995) 128; Hettling/Voelkel Die aktuelle Diskussion um die Pressefreiheit in den USA – Staats- vs. journalistischer Quellenschutz, DAJV 2006 77; Hoffmeister Art. 10 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1994 bis 1999, EuGRZ 2000 358; Kiethe/Fuhrmann Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und kollidierenden Rechtsgütern, MDR 1994 115; Kloepfer „Freedom within the press“ and „Tendency protection“ under Art. 10 of the European Convention on Human Rights (1997); Koch Parteiverbote, Verhältnismäßigkeitsprinzip und EMRK, DVBl. 2002 1388; Kolonovits Meinungsfreiheit und Blasphemie in der jüngeren Rechtsprechung des EGMR, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK. Studien zur Europäischen Menschenrechtskonvention (1998) 169; Kriele Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, NJW 1994 1897; Kugelmann Die streitbare Demokratie der EMRK. Politische Parteien und Gottesstaat: Das Urteil des EGMR zur Auflösung der Wohlfahrtspartei in der Türkei, EuGRZ 2003 533; Kühling Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht (1999); Kulms Werbung: Geschützte Meinungsäußerung oder unlauterer Wettbewerb? Zum Verhältnis von Art. 10 EMRK und UWG, RabelsZ 1999 520; Lampe (Hrsg.) Meinungsfreiheit als Menschenrecht (1998); Langenfeld/Zimmermann Interdependenzen zwischen nationalem Verfassungsrecht, EMRK und EG-Recht, ZaöRV 52 (1992) 259; Laeuchli Bosshard Die Meinungsäusserungsfreiheit gemäss Art. 10 EMRK unter Berücksichtigung der neueren Entscheide und der neuen Medien (1990); Lindenmann Ein Grundrecht auf Persönlichkeitsentfaltung?: Gedanken zur Entgrenzung der Meinungsäusserungsfreiheit gemäss Art. 10 EMRK (1998); Neumeyer Zwischen den Klippen der EMRK, ZRP 2011 162; Nicol/Millar/Sharland Media Law and Human Rights (2009); Nolte Werbefreiheit und Europäische Menschenrechtskonvention, RabelsZ 1999 507; Prebeluh Die Entwicklung der Margin of Appreciation-Doctrin im Hinblick auf die Pressefreiheit, ZaöRV 61 (2001) 771; Preslmayr Vergleichende Werbung und Äußerungsfreiheit gem. Art. 10 EMRK, EuGRZ 1985 221; Probst Art. 10 EMRK – Bedeutung für den Rundfunk in Europa (1996); Ratz Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007 948; Scheyli Die Abgrenzung zwischen ideellen und kommerziellen Informationsgehalten als Bemessungsgrundlage der „margin of appreciation“ im Rahmen von Art. 10 EMRK, EuGRZ 2003 488; Schmid Artikel 10 EMRK – eine Zauberformel? MR 2001 19; Schwaibold Stoll gegen die Schweiz 1:6, forumpoenale 2008 180; Stock Medienfreiheit in der EUGrundrechtscharta: Art. 10 EMRK ergänzen und modernisieren (2000); Swoboda Art. 10 EMRK – das immer noch unbekannte Wesen, MR 2000 293; Tretter Jüngste Entwicklung im österreichischen Rundfunkrecht, EuGRZ 1996 77; Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet, MMR 2008 83; Zeder Hype um das Redaktionsgeheimnis, ÖJZ 2011 5; Zeder Medienrecht im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz, ÖJZ 2011 14; Zielinski Gewährleistung und Durchsetzung der Medienfreiheit in Europa – Tagung der Art. 10 EMRK-Arbeitsgruppe in Sofia, OER 2011 208; Zimmermann Verbreitung von Informationen über Schwangerschaftsunterbrechungen und Europäische Menschenrechtskonvention, NJW 1993 2966.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Übersicht Rn. 1. Allgemeines zu den Kommunikationsfreiheiten a) Allgemeine Bedeutung . . . . . . . . . . b) Einschränkung der Garantien . . . . . . c) Innerstaatliches Grundrecht . . . . . . . d) Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Übriges Recht der Europäischen Union . f) Bedeutung für das Strafverfahren . . . .
1 3 4 5 6 8
2. Schutzgut a) Freiheit der Meinungsbildung . . . . . b) Freiheit der Meinungsäußerung . . . . c) Freiheit der Informationsbeschaffung . d) Pressefreiheit, Massenkommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Freiheit der Kunst . . . . . . . . . . . f) Freiheit der Wissenschaft . . . . . . . . g) Grenzüberschreitende Garantie . . . .
. . . .
19 23 24 25
3. Tragweite der Garantien a) Schutz gegen staatliche Eingriffe b) Schutzpflicht des Staates . . . . c) Geschützte Personen . . . . . . d) Wahlrecht . . . . . . . . . . .
. . . .
26 29 35 38
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. 11 . 12 . 16
4. Allgemeine Voraussetzungen der Beschränkung der Ausübung (Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . 41
Rn. c) Berechtigtes Ziel . . . . . . . . . . . . . d) Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft . . . . . . . . . . e) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . f) Staatlicher Beurteilungsspielraum . . . . 5. Einzelne Zwecke einer zulässigen Beschränkung a) Schutz der nationalen Sicherheit . . . . . b) Öffentliche Ordnung . . . . . . . . . . . c) Ansehen und Unparteilichkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten . . . . . . . . . . . . e) Schutz der Gesundheit . . . . . . . . . . f) Schutz der Moral und der öffentlichen Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . g) Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verbot von Kriegspropaganda sowie von nationalem, rassischem oder religiösem Hass (Art. 20 IPBPR) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Andere völkerrechtliche Verpflichtungen c) Innerstaatliches Recht . . . . . . . . . d) Grundzüge der Regelung des Art. 20 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 48 51 52
72 73 76 83 85 86 87
. 96 . 100 . 103 . 104
Alphabetische Übersicht Amtliche Schriftstücke 79 Angehörige des öffentlichen Dienstes 36, 88 Anklageschrift, Veröffentlichung 79 Ausforschung, staatliche 11 Ausländer 3, 35 Beleidigung 31, 80 f., 88, 94, 101 Berufsausübung 44 Berufsrecht 37, 41 Beschlagnahme 69, 75, 86 Bestrafung 43, 53, 72, 75, 86 f. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 5 Chilling effect 62 Common law 41 Contempt of court 76 Dienstleistungsfreiheit 6 Diskriminierungsverbot 35, 104 Drittwirkung 28 Ehrverletzungen 62 Eigentumsrecht 94 Eingriffszwecke 4, 45 ff. Einrichtungen, öffentliche 18, 67, 74, 93 Entlassung aus dem öffentlichen Dienst 37 Faires Verfahren 10, 68, 81 Fernsehen 15 f., 22, 78 Filme 14 Flugblätter 14
Freie Berufe 56 Freiheit, sich Informationen zu beschaffen 1, 16 Freiheit, Informationen zu empfangen 16, 18, 56 Freiheit der Kunst 23 Freiheit der Meinungsbildung und -äußerung 1 f., 11 ff., 54, 60, 63 f. Freiheit der Wissenschaft 24 Gedankenfreiheit 1, 11 f., 23 Gefahr der Einschüchterung („chilling effect“) 62 Gefangene 16, 34, 36 Gegendarstellung 15, 31 Geheimhaltung, Informationsquelle 20, 68 Gehirnwäsche 11 Geistige Auseinandersetzung 1 Gemeinsamer internationaler Standard 86 Genehmigung, staatliche 2, 22 Gerichtsberichterstattung 78 f., 89 ff. Gesamtschau 58 Gesetzliche Regelungen 18, 77 Gesundheit 45, 85 Gewinnerzielung 26 Gewissensfreiheit 11 Grenzübergreifende Informationen 25 Grundrechte, innerstaatliche 4 Güter- und Interessenabwägung 50 f. Guter Ruf 45, 76, 84, 87 ff.
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EMRK Art. 10
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Herausgeber 19, 31 Indoktrinierung, einseitige 11 Informationsbeschaffung 1 f., 16 ff., 25, 72, 94 Informationsquelle, Geheimhaltung 20, 68 Informationsweitergabe 12, 23, 84 Internet 16 Interviews 66 Journalisten 66 ff. Juristische Personen 44, 100 kommerzielle Zwecke 12, 22, 54 Kommunikationsformen 14 f., 19 f. Kommunikationsmittel, fremde 15 Kriegspropaganda 3, 72, 96 ff., 103 Kritik, öffentliche 1, 36, 61, 67, 76, 80, 82, 87 ff. Kunst 1, 13 f., 23, 25, 86 Meinungsäußerung 1 ff., 10, 12 ff., 29, 32 f., 36, 99 Meinungsbildung 1 f., 11 ff. Menschenwürde 62, 71 Mildere Mittel 60 Missbrauchsklausel 3 Missstände, Erörterung 33, 62, 64 Mitteilung von Tatsachen 12 Moral 45, 86 Nennung des Namens 89 Offene Diskussion 53, 65, 88 Öffentliche Aufgabe der Presse 57, 63 ff. Öffentlicher Dienst, Beschränkungen 36 f. Öffentliches Interesse 91, 95 Öffentliche Sicherheit und Ordnung 45, 72 ff. Öffentliche Warnung 85 Öffentlichkeit, Informationsanspruch 64 Öffentlichkeit der Rechtspflege 78, 81 f. Parlamentarische Rechte 38 Parteiverbot 72 Personen des öffentlichen Lebens 71, 88 Pluralismus der Medien 22, 26, 48 Pluralität der Meinungen 5, 22 Politiker 61, 64, 67, 87 ff. Politische Auseinandersetzung 56, 59, 62, 87 Polizeibeamte 36 Pornographische Schriften 86 Presse, öffentliche Aufgabe 57, 63 ff. Presse, polemische Übertreibung 67, 88 Presse als Wachhund der Öffentlichkeit 8, 64 Presse, Sorgfaltspflicht 66, 72 Pressefreiheit 4, 19 ff., 63 f., 68 ff., 84 Private Dritte 27 Privatheit 11 Programmgestaltung 22 Propaganda 3, 11, 72, 96 ff. Provokation 67, 88
Quellen, allgemein zugängliche 4, 16, 26 Rassenhass 99, 102 ff. Realakte als Meinungsäußerung 12, 14 Rechte anderer 4, 18, 45, 66, 75, 84 f., 87 ff. Rechtsanwälte 81, 92 Rechtspflege, Schutz der 77 f. Religionsfreiheit 11, 39, 96, 99 Religiöse Ansichten und Gefühle 75, 86 Richter 36, 76 f., 80, 82, 92 Richterrecht 41 Rundschreiben 14 Rundumwirkung 28 Sachlichkeitsgebot 44 Schutzpflicht des Staates 18, 29 ff., 47, 52, 60, 95 Sicherheit, nationale 72, 84, 97 Soldaten 36 Staatsgeheimnisse 72 Staatsgrenzen 1, 5 Steuergeheimnis 83 Straftaten 43, 45, 64, 68, 75, 100 f. Straßenverkehr 74 Teilhabe am öffentlichen Leben 1, 26 Telekommunikation 74 Toleranz 26, 48, 67 Unschuldsvermutung 8, 89 ff. Verbot der Veröffentlichung 49 Verbot neonazistischer Betätigung 72 Verbreitung vertraulicher Nachrichten 83 ff. Verfassungsrecht 41 Verfassungstreue 36 Verhältnismäßigkeit 4, 49, 51 ff., 60, 74 ff., 98, 104 Vermummungsverbot 75 Verschwiegenheitspflicht 76 Verwirkung 4 Völkerrechtliche Rechtsakte 41 Vorzensur 21 Wahlbeteiligung 38 Wahrheitsbeweis 67 Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse 71, 86 Warenverkehrsfreiheit 6 Warnhinweis, auf Verpackung 85 Warnung, staatliche 85 Weiterverbreitung 6, 19, 25 Weltanschauung 11, 102 Werbung 13, 27, 54, 75, 85 Werturteile 67 Wettbewerb 42, 48, 54, 71 Willkür 26, 42, 60 Wirtschaftliche Betätigung 27, 54 Zeugnisverweigerungsrecht 8, 20, 69
1. Allgemeines zu den Kommunikationsfreiheiten 1
a) Allgemeine Bedeutung. Nach Art. 19 AEMR vom 10.12.1948 hat jedermann das Recht auf Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung. Zu diesem Recht gehört auch die Freiheit, sich ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. Hieran knüpfen Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR an, wenn sie jedermann die grundsätzliche Freiheit der Meinungsbildung – einschließlich der dafür
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
notwendigen freien Informationsbeschaffung und der Meinungsäußerung – garantieren.1 Diese Rechte sind eine Grundvoraussetzung für die selbstverantwortliche geistige Existenz des Menschen. Sie ermöglichen im gesellschaftlichen Bereich die freie Entfaltung des geistigen Lebens und fördern die freie geistige Auseinandersetzung mit Meinungen und Ereignissen. Sie sind unerlässlich für eine funktionierende Demokratie, denn der freie und ungehinderte Austausch von Nachrichten und Gedanken über die nationalen Grenzen hinweg und die ungehinderte Möglichkeit, sich zu informieren und Kritik zu üben, sind grundlegende Voraussetzungen für jede echte Teilhabe am staatlichen Leben und für eine aktive Ausübung der Bürgerrechte.2 Die Garantien schließen auch die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit mit ein. Die Regelungen in den beiden Konventionen weisen bei übereinstimmender Grund- 2 tendenz in den Einzelheiten Unterschiede auf. So zählt Art. 19 Abs. 2 IPBPR im Gegensatz zu Art. 10 EMRK die wichtigsten Medien der Meinungsbildung und Meinungsäußerung ausdrücklich auf (Wort, Schrift, Druck, durch Kunstwerke), ohne diese jedoch abschließend festzulegen („andere Mittel der eigenen Wahl“). Andererseits fehlt bei Art. 19 IPBPR der bei Art. 10 Abs. 1 EMRK enthaltene Bezug auf den Eingriff öffentlicher Behörden und der Hinweis auf die Zulässigkeit einer staatlichen Genehmigung für Rundfunk-, Lichtspiel- und Fernsehunternehmen.3 Auch der Katalog der Gründe, die Eingriffe in die Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsbeschaffung rechtfertigen können, ist in Art. 10 Abs. 2 EMRK detaillierter ausgeformt. Er ist zum Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung des EGMR4 geworden. b) Einschränkung der Garantien. Eine Einschränkung der Garantien des Art. 10 3 EMRK über den Katalog des Absatzes 25 hinaus erlaubt Art. 16 EMRK,6 der es den Vertragsstaaten gestattet, der politischen Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen aufzuerlegen.7 Art. 19 IPBPR enthält diese Einschränkung nicht, so dass seine Garantien für Inländer und Ausländer gleichermaßen gelten. Bei der Ratifikation des IPBPR hat die Bundesrepublik einen Vorbehalt erklärt, Art. 19 IPBPR ebenfalls nur innerhalb des dem
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Zur Entstehungsgeschichte (Art. 10 EMRK): Frowein/Peukert 2; Partsch 200 (Art. 19 IPBPR); Blumenwitz FS Ermacora 67 ff.; Nowak 5 f. Etwa: EGMR Lingens/A, 8.7.1986, A 103 = NJW 1987 2143 = EuGRZ 1986 424; Oberschlick/A, 23.5.1991, A 204 = NJW 1992 613 = EuGRZ 1991 216 = ÖJZ 1991 641; Observer u. Guardian/UK, 26.11.1991, A 216 = EuGRZ 1995 16 = ÖJZ 1992 378; Sunday Times Nr. 2/UK, 26.11.1991, A 217; Castells/E, 23.4.1992, A 236 = ÖJZ 1992 803; Thorgeir Thorgeirson/ISL, 25.6.1992, A 239 = ÖJZ 1992 810; Frowein/Peukert 1. Zu dem beim IPBPR bestehenden Unterschied zwischen dem liberalen (westlichen) Freiheitsverständnis und dem der ehem. sozialistischen Staaten vgl. Blumenwitz FS Ermacora 67; Hofmann 45; Nowak 1 ff. Zum Vergleich beider siehe auch Gutachten des IAGMR EuGRZ 1986 371.
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Vgl. die Übersicht über die 1994 bis 1999 entschiedenen 48 Fälle bei Hoffmeister EuGRZ 2000 358. In dessen Rahmen muss der Staat auch seiner Verpflichtung zum Schutz anderer Konventionsrechte, insbesondere des durch Art. 8 EMRK geschützten Privat- und Familienlebens durch Herstellung einer praktischen Konkordanz Rechnung tragen; vgl. Giegerich RabelsZ 1999 471, 474 ff. Art. 16 EMRK: „Die Artikel 10, 11 und 14 sind nicht so auszulegen, als untersagten sie den Hohen Vertragsparteien, die politische Tätigkeit ausländischer Personen zu beschränken.“ Bei EU-Bürgern greift diese Einschränkung nicht, vgl. EGMR Piermont/F, 27.4.1995, A 314 = ÖJZ 1995 751 = InfAuslR 1996 45; Frowein/Peukert Art. 16, 1; Giegerich RabelsZ 1999 471, 472; vgl. Art. 16 EMRK Rn. 6.
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Art. 16 EMRK entsprechenden Rahmens anzuwenden.8 Die politische Meinungsfreiheit wird ferner durch Art. 20 IPBPR eingeschränkt, der die Vertragsstaaten verpflichtet, Kriegspropaganda und jedes Eintreten für nationalen, rassischen und religiösen Hass durch Gesetz zu verbieten.9 Auch aus der Missbrauchsklausel des Art. 17 EMRK / Art. 5 Abs. 1 IPBPR können sich zusätzliche legitime Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung ergeben.10
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c) Innerstaatliches Grundrecht. Das innerstaatliche Grundrecht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Art. 5 Abs. 1 GG), stimmt mit den Konventionsgarantien im Wesentlichen überein. Dies gilt auch, soweit die von Art. 19 Abs. 2 IPBPR nur inhaltlich umschriebene und in Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK überhaupt nicht ausdrücklich erwähnte Pressefreiheit als Individualrecht garantiert wird.11 Die Beschränkbarkeit der von Art. 5 GG gewährleisteten Grundrechte ist zwar insofern weiter, als dass dafür generell die allgemeinen Gesetze ausreichen, die nicht auf die in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR genannten Regelungszwecke beschränkt sein müssen. Praktisch dürfte aber gegenüber der vom GG gebotenen Abwägung bei der Auslegung grundrechtseinschränkender Gesetze wegen der weiten Fassung der zulässigen Eingriffszwecke in Art. 10 Abs. 2 EMRK kaum ein ins Gewicht fallender Unterschied bestehen, zumal der Vorbehalt der Rechte anderer generalklauselartig wirkt.12 Die nur von Art. 10 Abs. 2 EMRK geforderte Notwendigkeit der Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft findet im Wesentlichen eine Entsprechung13 in der vom GG gebotenen restriktiven Anwendung der einschränkenden Normen, die ihrerseits im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit im demokratisch verfassten Staat des GG unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen sind.14 Die Möglichkeit einer Verwirkung des Grundrechtes nach Art. 18 GG dürfte von den Einschränkungen der Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3, Art. 20 IPBPR gedeckt sein. Ohne auf die Divergenzen im Einzelnen einzugehen, sollen im Rahmen dieser Kommentierung nur die Grundzüge der Gewährleistungen beider Konventionen angesprochen werden.
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d) Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union15 bekräftigt in ihrem Art. 11 ebenfalls das Recht auf Meinungs-
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Art. 1 Nr. 1 des Ratifikationsgesetzes vom 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533): „Dem … Pakt … wird mit folgender Maßgabe zugestimmt: 1. Artikel 19, 21 und 22 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 des Paktes werden in dem Artikel 16 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 entsprechenden Rahmen angewandt. (…)“. Zu diesem Schrankenvorbehalt vgl. Nowak 35 ff.; Blumenwitz FS Ermacora 67, 70, 77; ferner Hoffmeister EuGRZ 2000 358. EGMR Jersild/DK, 23.9.1994, A 298 = NStZ 1995 237 = ÖJZ 1995 227 (kein Schutz rassistischer Äußerungen durch Art. 10 EMRK). Zum Anwendungsbereich des Art. 17 EMRK: Klein ZRP 2001 397, 399 f.; ferner Meyer-Ladewig Art. 17 1 f.; Hoffmeister
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EuGRZ 2000 358, 360: „Verbot der Auschwitzlüge“ wird dem Schutz des Art. 10 EMRK durch Art. 17 EMRK entzogen mit Hinweis auf obiter dictum in EGMR Lehideux u. Isorni/F, 23.9.1998, Rep. 1998-VII = ÖJZ 1999 656 (Verwendung für Marschall Pétain). Frowein/Peukert 2; 15 ff.; vgl. Rn. 19. Zu den Unterschieden vgl. Giegerich RabelsZ 1999 471 ff., 505 ff. (Zusammenfassung). Echterhölter JZ 1956 146; Hofmann 46; Schorn 13. BVerfGE 7 198, st.Rspr. ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389; BGBl. 2008 II S. 1165; vgl. auch die frühere Fassung aus dem Jahr 2000: ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000 = EuGRZ 2000 554.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
freiheit und freie Meinungsäußerung sowie die Freiheit, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Nach Art. 11 Abs. 2 EUC werden die Freiheit der Medien und ihre Pluralität geachtet.16 e) Übriges Recht der Europäischen Union. Das übrige Recht der Europäischen Union 6 rechnet die Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehsendungen einschließlich deren Weiterverbreitung in Kabelnetzen sowie das Zurverfügungstellen des Anzeigenraums in Druckerzeugnissen zu den freien Dienstleistungen,17 während für den Vertrieb von Druckerzeugnissen einschließlich des Vertriebs von Presseerzeugnissen die Freiheit des Warenverkehrs gilt. Diese Konventionsgarantien sind daher auch durch die Freiheitsverbürgungen des Unionsrechts abgesichert.18 Im November 2008 hat die EU den Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämp- 7 fung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erlassen.19 Etwaigen Spannungen mit der Freiheit der Meinungsäußerung soll dabei u.a. durch Verfahrensgarantien innerhalb der Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden (vgl. Rn. 100).20 f) Bedeutung für das Strafverfahren. Die Garantien des Art. 10 EMRK / Art. 19 8 IPBPR kommen in mancherlei Hinsicht auch mit strafrechtlichen Aspekten in Berührung. Augenscheinlich fungieren vielmals Strafgesetze als Schranken der geschützten Freiheiten, so dass insofern eine zurückhaltende Anwendung dieser Gesetze veranlasst sein kann.21 So mag insbesondere der Verlauf eines Strafverfahrens durch die Frage beeinflusst werden, wie weit der Schutz des Art. 10 EMRK im Einzelfall reicht. Die Meinungsfreiheit kann entscheidend für die Einleitung bzw. den Ausgang eines Strafverfahrens sein, so z.B. wenn ein Journalist sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz einer Quelle beruft.22 Die Presse nimmt zudem bei Abläufen, die der öffentlichen Verwaltung zugeordnet sind, die Aufgabe eines „öffentlichen Wachhundes“ („public watchdog“) wahr.23 Von strafrechtlicher Relevanz ist zudem der Umstand, dass bei der Berichtererstattung
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Damit wird auch der Medienpluralismus festgeschrieben, vgl. Grabenwarter § 23, 1. Vgl. Geiger/Khan/Kotzur Art. 57, 10 AEUV. Vgl. etwa Dörr/Zorn NJW 2001 2837; Sachs/Bethge Art. 5, 7 ff. GG m.w.N. Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28.11.2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABlEU Nr. L 328 v. 6.12.2008, S. 55. Dort wird den EU-Mitgliedstaaten u.a. aufgegeben, die Leugnung des Holocausts unter Strafe zu stellen, Art. 1 Abs. 1 lit. c. Zur Umsetzung des RB ins deutsche Recht (Änderung von § 130 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB) siehe Gesetz vom 16.3.2011, BGBl I S. 418, und den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 17 3124 v. 1.10.2010. Erwägungsgrund 15 des RB-Rassismus (Fn. 19).
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Wie z.B. im Fall EGMR Vajnai/H, 8.7.2008 (ungarisches Strafgesetz verbot das Tragen eines totalitären Symbols in der Öffentlichkeit; Vizepräsident der Arbeiterpartei trug einen roten Stern auf einer genehmigten Demonstration und wurde bestraft. Der EGMR verwies auf die verschiedenen Bedeutungen, die ein roter Stern haben kann, und sah angesichts der Umstände des vorliegenden Falles eine Einschränkung des Art. 10 EMRK nicht als gerechtfertigt an). EGMR Voskuil/NL, 22.11.2007, ECHR 2007-III = NJW 2008 2563; Nordisk Film u. TV A/S/DK (E), 8.12.2005, ECHR 2005XIII. Vgl. EGMR Pedersen u. Baadsgard/DK, 17.12.2004, ECHR 2004-XI = NJW 2006 1645; Tourancheau u. July/F, 24.11.2005.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
über ein Strafverfahren die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zumeist ein zulässiges Einschränkungskriterium der Garantien des Art. 10 EMRK darstellt24 und als Gradmesser dahingehend fungiert, inwieweit über ein laufendes Strafverfahren berichtet werden darf.25 Auch für das Strafverfahren selbst ist Art. 10 EMRK von direkter Bedeutung. So 9 schützt Art. 10 EMRK unmittelbar sowohl den Verteidiger in seinem Handeln und seinen Äußerungen für den Mandanten, namentlich beim Plädoyer,26 als auch den Beschuldigten selbst in seinem Verteidigungsvorbringen, namentlich bei seiner Einlassung,27 wobei zu beachten ist, dass individuelle Meinungsäußerungen während eines gerichtlichen Verfahrens (zu Verteidigungszwecken) in der Regel schon unter den spezielleren Art. 6 EMRK fallen28 und auf der anderen Seite die in Art. 10 Abs. 2 EMRK besonders aufgeführte Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtspflege ein hierzu im Spannungsverhältnis stehendes Einschränkungskriterium abgibt (hierzu näher Rn. 76 ff.). Darüber hinaus soll nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht die von Art. 10 10 EMRK garantierte Meinungsäußerungsfreiheit als natürliche Folge in bestimmten Prozesskonstellationen – der geladene Zeuge ist Beschuldigter in einem anderen Verfahren und würde sich durch seine Aussage selbst belasten – das negative Recht sich nicht zu äußern (Schweigerecht),29 einschließen, so dass es eines Rückgriffs auf Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) gar nicht mehr bedürfe.30 Der EGMR teilt diese Ansicht jedoch nicht und behandelt den Zeugen als de facto-Angeklagten i.S.v. Art. 6 EMRK (dort Rn. 97); das Schweigerecht fällt danach unter Art. 6 EMRK.31
2. Schutzgut 11
a) Freiheit der Meinungsbildung. Die Freiheit der Meinungsbildung, die sich als Vorgang des Innenlebens mit der durch Art. 9 EMRK / Art. 18 IPBPR besonders geschützten Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und zum Teil auch mit einigen Erscheinungsformen des Rechts auf Privatheit des Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR überschneidet,
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Grabenwarter § 23, 32; EGMR Constantinescu/RUM, 27.6.2000, ECHR 2000-VIII; Worm/A, 29.8.1997, Rep. 1997-V = ÖJZ 1998 35; „Wirtschafts-Trend“ ZeitschriftenVerlagsgesellschaft mbH/A (E), 14.11.2002, ECHR 2002-X = ÖJZ 2003 155; Tourancheau u. July/F (Fn. 23); siehe aber auch zu den Grenzen: EGMR Dupuis u.a./F, 7.6.2007, ECHR 2007-III = NJW 2008 3412. Vgl. z.B. EGMR Campos Dâmaso/P, 24.4.2008 (ausnahmsweise Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber dem Recht auf ein faires Verfahren). EGMR Kyprianou/ZYP, 15.12.2005, ECHR 2005-XIII = NJW 2006 2901; Steur/NL, 28.10.2003, ECHR 2003-XI = NJW 2004 3317; Nikula/FIN, 21.3.2002, ECHR 2002-II = ÖJZ 2003 430. EGMR Saday/TRK, 30.3.2006.
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KK-GG-EMRK/Grote/Wenzel Kap. 18, 142. Auch „negative Meinungsfreiheit“, vgl. KKEMRK-GG/Grote/Wenzel Kap. 18, 44. Vgl. Trechsel 342 f.; siehe auch Bericht der EKMR in: K/A, 2.6.1993, A 22-B (Vorwurf des Drogenankaufs; Ladung als Zeuge im Verfahren gegen Drogenhändler; Geldbuße und Erzwingungshaft wegen Berufung auf Schweigerecht; EKMR: keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK, jedoch Verletzung des „Rechts zu schweigen“ abgeleitet aus Art. 10 EMRK; keine Entscheidung des EGMR wegen gütlicher Einigung). Siehe EGMR Serves/F, 20.10.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 629 (Befragung eines Zeugen, der zwar formal gesehen kein Angeklagter war, aber doch immer noch im Verdacht stand, in den Fall verwickelt zu sein).
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
wird in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK / Art. 19 Abs. 1 IPBPR als Voraussetzung der freien Meinungsäußerung gewährleistet.32 Der Staat hat das Recht des Einzelnen auf seine eigene Meinung zu achten. Er darf versuchen, durch Informationen und Propaganda im Rahmen des in der modernen Kommunikationsgesellschaft üblichen Informationsangebotes auf den Meinungsbildungsprozess des Einzelnen einzuwirken; er darf ihm aber nicht gegen seinen Willen durch unerlaubte Mittel, wie Gehirnwäsche und sonstige gegen Art. 3 EMRK / Art. 7 IPBPR verstoßende Methoden, oder durch einseitige Indoktrinierung, eine bestimmte Meinung aufzwingen33 oder ihn veranlassen, entgegen seiner inneren Überzeugung eine bestimmte Meinung nach außen zu vertreten. Dies deckt sich mit Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR, die bei der Gewährleistung der Konventionsrechte jede Differenzierung nach politischen oder sonstigen Anschauungen verbieten, und mit Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR, die den Einzelnen vor der unbefugten Ausforschung seiner Meinung durch den Staat schützen. b) Freiheit der Meinungsäußerung. Die Freiheit der Meinungsäußerung („right to 12 freedom of expression“ / „droit à la liberté d’expression“) garantiert das Recht, eine intern gebildete eigene Meinung auch nach außen frei und unbehindert kundzutun. Meinung ist dabei aber nicht nur im engen Sinn einer wertenden Äußerung zu verstehen; auch die bloße Mitteilung von Tatsachen und jede sonstige Äußerung,34 auch als Äußerungen zu wertende Realakte,35 unterfallen der Konventionsgarantie. Geschützt wird grundsätzlich das jedermann zustehende Recht, sich in jeder beliebigen Art und Weise und zu jedem beliebigen Zweck frei auszudrücken. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK spricht von dem „Empfang“ und der „Weitergabe“ von „Informationen und Ideen“ („information and ideas“ / „des informations ou des idées“), ebenso Art. 19 Abs. 2 IPBPR mit dem verdeutlichenden Zusatz, dass „Informationen und Gedankengut jeder Art“ geschützt werden. Beide Konventionen garantieren also das Recht auf Äußerungen aller Art und in jeder Form, von der bloßen Mitteilung oder Weitergabe von Tatsachen, Nachrichten, wertenden Stellungnahmen oder Verbreitung neuer Ideen bis zur Werbung ideeller oder kommerzieller Art,36 ohne Rücksicht auf den damit verfolgten Zweck 37 oder darauf, ob die Äußerung von anderen als positiv oder als verletzend und schockierend aufgefasst wird.38 Die Meinungsfreiheit umfasst auch die in Art. 10 EMRK nicht besonders ange-
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HRC General Comment 10/19, Nr. 1, EuGRZ 1984 421; Frowein/Peukert 3 f.: Freiheit vor „Indoktrinierung“; Grabenwarter § 23, 3; Meyer-Ladewig 12; Nowak 7 f. Vgl. EGMR Kjeldsen/DK, 7.12.1976, A 23 = NJW 1977 487 = EuGRZ 1976 478; Nowak 9. Blumenwitz FS Ermacora 67, 71 (keine abschließende Aufzählung der Äußerungsinhalte); Meyer-Ladewig 5; vgl. auch Grabenwarter § 23, 4 (keine Unterscheidung von Meinungen und Tatsachen auf der Schutzbereichsebene sondern erst bei der Rechtfertigung). Vgl. Rn. 14. EGMR Markt intern Verlag GmbH u.a./D, 20.11.1989, A 165 = EuGRZ 1996 302; dazu Calliess EuGRZ 1996 293; EGMR Groppera
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Radio/CH, 28.3.1990, A 173 = NJW 1991 615 = EuGRZ 1990 255; offen gelassen in EGMR Barthold/D, 25.3.1985, A 90 = NJW 1985 2885 = EuGRZ 1985 170 = AfP 1986 33 = GRUR Int 1985 468; Stambuk/D, 17.10.2002, NJW 2003 497 = EuGRZ 2002 589 = ÖJZ 2004 235; ferner EGMR Schöpfer/CH, 20.5.1998, Rep. 1998-III = ÖJZ 1999 237; EKMR NJW 1992 963 (Werbeverbot für Anwälte); ÖVerfGH ÖJZ 1987 61; 1997 252; Preslmayr EuGRZ 1985 221; Frowein/Peukert 9 m.w.N. Frowein/Peukert 5; Nowak 7 ff. Vgl. etwa EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Wabl/A, 21.3.2000, ÖJZ 2001 108; Jerusalem/A, 27.2.2001, ECHR 2001-II = ÖJZ 2001 693.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
sprochene Freiheit der Wissenschaft und der Kunst.39 Als Recht mit Sozialbezug ist die Freiheit der Äußerung wichtig für die zwischenmenschlichen Beziehungen und für das politische Leben in einer Demokratie.40 Nur aus den in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 2 IPBPR umrissenen Gründen kann sie durch Gesetz eingeschränkt werden. Das Recht auf Meinungsfreiheit umfasst auch das Recht, nicht zur Vertretung einer 13 abgelehnten Meinung gezwungen zu werden. Das Recht, sich frei zu äußern, ist nicht auf bestimmte Kommunikationsmittel oder 14 -formen beschränkt.41 Art. 19 Abs. 2 IPBPR verdeutlicht dies, wenn er Wort, Schrift, Druck, Kunstwerke oder andere Mittel der eigenen Wahl besonders aufzählt. Auch Videokassetten und Filme fallen hierunter, wie die Erwähnung der Kinounternehmen in Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK zeigt. Die Verteilung von Flugblättern, Rundschreiben oder Zeitschriften kann eine eigene Meinungsäußerung des Verteilers sein, wenn sich der Verteilende mit deren Inhalt identifizieren will.42 Auch Realakte, mit denen das Missfallen an bestimmten Verhaltenweisen anderer ausgedrückt 43 oder provokant gegen andere Stellung genommen wird, wie etwa durch demonstratives Verbrennen einer Flagge oder durch die Herabwürdigung politischer oder religiöser Symbole,44 fallen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Das Recht auf Kundgabe der eigenen Meinung begründet keinen Anspruch, zu die15 sem Zweck auch fremde Kommunikationsmittel benutzen zu können. Grundsätzlich ist jeder auf die Kommunikationsmittel beschränkt, über die er selbst verfügen oder sich durch eine Absprache mit anderen verschaffen kann oder die ihm von der nationalen Rechtsordnung für bestimmte Zwecke eröffnet werden, wie etwa der presserechtliche Anspruch auf Gegendarstellung.45 Ohne eine solche Rechtsgrundlage besteht kein Anspruch auf freien Zugang zu Kommunikationsmitteln, über deren Verwendung andere Personen zu bestimmen haben. Vor allem kann aus den Konventionsgarantien grundsätzlich kein allgemeines Recht Privater hergeleitet werden, die Massenmedien, wie etwa Rundfunk oder Fernsehen, zur Verbreitung ihrer eigenen Ansichten benutzen zu können.46 Dies kann man insofern als negative Medienfreiheit verstehen.47
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EGMR Müller u.a./CH, 24.5.1988, A 133 = NJW 1989 379 = EuGRZ 1988 543 = ÖJZ 1989 182; Otto-Preminger-Institut/A, 20.9.1994, A 295-A = ÖJZ 1996 154; vgl. Britz EuR 2004 1. Vgl. EGMR Cox/TRK, 20.5.2010 (Verbot der Wiedereinreise aufgrund von Äußerungen über Kurden und Armenier); Gül u.a./TRK, 8.6.2010 (Äußerungen im Rahmen einer friedlichen Demonstration). Meyer/Ladewig 5. EGMR Steel/UK, 23.9.1998, Rep. 1998-VII; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 359. Etwa EGMR Steel/UK (Fn. 42); Hashman u. Harrup/UK, 25.11.1999, ECHR 1999-VIII (provokante Störung der Jagdausübung durch langsames Gehen oder Hornblasen); vgl. dazu Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 359 mit weiteren Beispielen; Grabenwarter § 23, 4; Meyer-Ladewig 8.
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Grabenwarter § 23, 4; vgl. auch Meyer-Ladewig 6. In Ausnahmesituationen kann allerdings ein solcher Anspruch bestehen: EGMR Melnychuk/UKR (E), 5.7.2005, ECHR 2005-IX. Ob aus Art. 10 EMRK ein Recht des Einzelnen gegen den Staat auf Einführung eines solchen Anspruchs abzuleiten wäre, ist zweifelhaft, vgl. Frowein/Peukert 16; ferner Giegerich RabelsZ 1999 471, 479 unter Hinweis auf den US Supreme Court, wonach ein Recht auf Gegendarstellung die Pressefreiheit verletzt. Vgl. EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 122 (kein Recht, die eigene Meinung im Rundfunk zu verbreiten); HRC EuGRZ 1982 342 (Hertzberg), dazu Nowak 16. Vgl. Heselhaus/Nowak/Kühling § 24, 24.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
c) Freiheit der Informationsbeschaffung. Die Freiheit, sich Informationen zu beschaf- 16 fen und zu empfangen, sichert die Grundlagen für eine verantwortliche eigene Meinungsbildung und -äußerung.48 Im freien zwischenmenschlichen Meinungsaustausch ist das eine ohne das andere nicht denkbar. Die Gewährleistung richtet sich gegen den Staat, der in die Freiheit, auch über die Grenzen hinweg,49 Informationen zu empfangen oder sich zu beschaffen, nicht ohne einen rechtfertigenden Grund i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR eingreifen darf. Anders als Art. 19 Abs. 2 IPBPR erwähnt Art. 10 Abs. 1 EMRK zwar das Recht, Informationen zu sammeln, nicht gesondert. Das Recht, Informationen zu empfangen, schließt aber auch das Recht mit ein, sich aktiv um Informationen zu bemühen50 und dafür auch alle allgemein zugänglichen Quellen51 zu nutzen. So muss einem Strafgefangenen die Möglichkeit gewährt werden, auf eigene Kosten Bücher oder Gesetzestexte zu erwerben.52 Für den Zugang zum Internet gelten ebenfalls die allgemeinen Grundsätze über die Freiheit der Informationsbeschaffung und nicht die Sonderregelungen für Rundfunk und Fernsehen.53 Der Staat darf die Freiheit der Informationsbeschaffung nicht behindern, er muss viel- 17 mehr dafür sorgen, dass ein Informationssystem besteht, das dem Einzelnen ermöglicht, sich über alle wesentlichen Fragen zu unterrichten.54 Er wird aber durch Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR nicht verpflichtet, seinerseits selbst Informationen zu sammeln und von sich aus zu publizieren.55 Es genügt, wenn der Einzelne frei und unbehindert vom Staat um Informationen bei jeder dazu bereiten Person oder Stelle nachfragen kann. Ohne einen dies rechtfertigenden triftigen Grund i.S.d. Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR darf der Staat in das Recht auf Informationsbeschaffung nicht eingreifen, d.h. weder die Benutzung der dafür notwendigen Einrichtungen oder Empfangsgeräte56 verbieten, noch den Empfang der Sendungen stören.57
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Vgl. Grabenwarter § 23, 6 zur sog. passiven Informationsfreiheit, die aber auch das Recht schützt, sich um Informationen zu bemühen. Zur völkerrechtlichen Absicherung der grenzübergreifenden Informationsfreiheit durch Vereinbarungen über den „free flow of information“ vgl. Blumenwitz FS Ermacora 67, 73 ff. ÖVerfGH EuGRZ 1987 237; Frowein/ Peukert 11; Grabenwarter § 23, 6; a.A. Partsch 201. Diese in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG enthaltene ausdrückliche Einschränkung fehlt zwar in den Konventionsgarantien, sie ergibt sich bei ihnen aber daraus, dass diese ihrer Schutzrichtung nach grundsätzlich weder gegen private Dritte noch gegenüber staatlichen Stellen weitergehende Auskunftsansprüche begründen; vgl. Berka EuGRZ 1982 413; Grabenwarter § 23, 6; Villiger 611; Nowak 18. Ob ein auf eigene Angelegenheiten beschränkter Auskunftsanspruch unmittelbar daraus hergeleitet werden kann, ist fraglich, vgl. BGer EuGRZ 1979 3; Nowak/Rosenmayr/Schwaighofer Bericht Sevilla-Kolloq. EuGRZ 1986 233; Frowein/Peukert 13.
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Vgl. Meyer-Ladewig 17. Vgl. Giegerich RabelsZ 1999 471, 476 ff.; Grabenwarter § 23, 9 (Subsumtion unter allgemeine Informations- und Meinungsfreiheit, nicht unter Rundfunkfreiheit). Vgl. Frowein/Peukert 13; Grabenwarter § 23, 6. ÖVerfGH EuGRZ 1999 427; Blumenwitz FS Ermacora 67, 71; Goose NJW 1974 1305, 1307; Grabenwarter § 23, 14; Unterrichtungspflichten des Staates können sich aber aus anderen Schutzpflichten ergeben, so aus Art. 8 EMRK; vgl. EGMR Guerra/I, 19.2.1998, Rep. 1998-I = NJW 1999 3185 = ÖJZ 1999 33 = EuGRZ 1999 188 = NVwZ 1999 57; Roche/UK, 19.10.2005, ECHR 2005-X = NJOZ 2007 865. EGMR Autronic AG/CH, 22.5.1990, A 178 = NJW 1991 620 = EuGRZ 1990 261 = ÖJZ 1990 716; EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 291; vgl. ferner etwa BVerfGE 90 27, 33; 92 126; BerlVerfGH NJW 2002 2166; Dörr/Zorn NJW 2001 2837, 2840; Sachs/Bethge Art. 5, 59 GG; Ellger RabelsZ 1999 655. Gornig EuGRZ 1988 5.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Eine Beeinträchtigung des freien Informationsaustausches durch staatliche Maßnahmen kann sowohl die Konventionsrechte des Verbreiters als auch die des am Empfang der Information Interessierten verletzen. Der potentielle Empfänger oder Interessent an einer Information kann sich dagegen wenden, wenn sein Recht, Informationen zu empfangen, dadurch verletzt wird, dass der Staat ohne rechtfertigenden Grund die Verbreitung einer auch für ihn wichtigen Mitteilung unterbunden hat.58 Das aktive Recht auf Informationsbeschaffung hat der Einzelne aber immer nur im Rahmen der ihm offenen und rechtlich zulässigen Möglichkeiten.59 Es begründet keinen Anspruch auf Daten, die ihm von ihrer Zweckbestimmung her nicht zugänglich sind. Gesetzliche Regelungen, die dies ausschließen, sowie entgegenstehende Rechte anderer setzen dem Informationsbeschaffungsrecht Schranken; so vor allem auch, soweit der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK60 der Informationsbeschaffung Grenzen setzen muss.61 Ein allgemeiner Anspruch auf ungehinderten Zugang zu allen Informationen, die bei den Einrichtungen der öffentlichen Hand angesammelt sind, oder auf eine umfassende Auskunft über diese durch staatliche Einrichtungen lässt sich auch aus Art. 19 Abs. 2 IPBPR nicht herleiten.62
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d) Pressefreiheit, Massenkommunikationsmittel. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsverbreitung durch die sonstigen Massenkommunikationsmittel werden in den Konventionen nicht besonders erwähnt. Diese gehen davon aus, dass die Konventionsgarantien die Verbreitung und Weiterverbreitung von Informationen auf jede technisch mögliche Art umfassen63 und dass ihre Schranken grundsätzlich auch für alle Medien gelten.64 Die Zuordnung zur Pressefreiheit hat aber insofern Bedeutung, als deren Hauptträger, die periodischen Zeitschriften, eine herausgehobene Stellung für die Meinungsbildung in einer demokratischen Staatsordnung haben und daher die staatlichen Eingriffe sehr viel höheren Schranken unterliegen.65 Der erhöhte Schutz umfasst sowohl die Arbeit der Journalisten selbst als auch die dazu gehörenden Rahmenbedingungen. Ihm unterfallen neben den Journalisten auch die Verleger und Herausgeber im Außen- wie im Innenverhältnis.66 Als eine Grundvoraussetzung der Pressefreiheit genießt das Zeugnisverweigerungs20 recht der journalistischen Berufe über ihre Informationsquellen diesen Schutz, andern-
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EGMR Leander/S, 26.3.1987, A 116; Gaskin/ UK, 1.1.1989, A 160; Open Door u. Dublin Well Woman/IR, 29.10.1992, A 246-A = NJW 1993 773 = ÖJZ 1993 280 = EuGRZ 1992 484 (Schwangerschaftsberatung in Irland; gerichtliche Untersagungsverfügung betreffend Weitergabe von Informationen über geeignete Kliniken in GB; i.E. Verstoß gegen Art. 10 EMRK). Vgl. etwa EGMR Társaság a Szabadságjogokért/H, 14.4.2009; Frowein/Peukert 11, 13; Nowak 18 ff. Vgl. Art. 8 EMRK Rn. 24 ff. Vgl. aber zur Verletzung einer gerichtlichen Anordnung zur uneingeschränkten Preisgabe von Informationen EGMR Kenedi/H, 26.5.2009. ÖVerfGH EuGRZ 1990 427; Berka EuGRZ
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1982 413; Nowak 19; Goose NJW 1974 1307. Zur Verankerung des Grundsatzes des „free flow of information“ in anderen Verträgen Blumenwitz FS Ermacora 67, 73; zu der in der Spruchpraxis offenen Frage, ob allgemein ein Anspruch auf angemessene Information besteht, vgl. Frowein/ Peukert 13. Vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 362 ff. EGMR Sunday Times/UK, 26.4.1979, A 30 = EuGRZ 1979 386; Groppera Radio/CH (Fn. 36); Oberschlick/A (Fn. 2); Grabenwarter § 23, 9; Guradze 8; Nowak 16. Grabenwarter § 23, 9; vgl. Rn. 57. Vgl. EGMR News Verlags GmbH u. Co KG/A, 11.1.2000, ECHR 2000-I = ÖJZ 2000 394 = MR 2000 221; Grabenwarter § 23, 8.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
falls wäre die für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse unentbehrliche Gewinnung von Informationen gefährdet.67 Ein ausdrückliches Verbot der Vorzensur der Presse, also das Abhängigmachen einer 21 Veröffentlichung von einer vorherigen behördlichen Kontrolle, fehlt in beiden Konventionen.68 Aus dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK lässt sich lediglich ableiten, dass die Freiheiten „ohne Eingriffe öffentlicher Behörden“ gewährt werden.69 Das Fehlen eines ausdrücklichen Verbots ist wohl darauf zurückzuführen, dass eine Regelung, die eine Veröffentlichung formell von einer vorherigen staatlichen Kontrolle oder Bewilligung abhängig macht, mit der Freiheit der Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar ist.70 Allerdings ist zu unterscheiden, um was für eine Art Vorzensur es sich handelt. So ist eine präventive Vorlagepflicht mit Prüfungs- und Verbotsvorbehalt unzulässig, jedoch nicht ein Äußerungsverbot, das zivilrechtlich erstritten worden ist.71 Völlig ausgeschlossen wird ein staatlicher Eingriff durch das Verbot einer beabsichtigten Veröffentlichung im Einzelfall jedenfalls nicht; so vor allem, wenn schwerwiegende Gründe dies zum Schutz wichtiger Rechtsgüter rechtfertigen, der Eingriff nur vorläufigen Charakter hat und seine Berechtigung in einem gerichtlichen Verfahren alsbald geprüft werden kann.72 Sind die Tatsachen, deren Veröffentlichung verhindert werden soll, jedoch bereits anderweitig veröffentlicht, kann der Schutzzweck entfallen, der den Eingriff rechtfertigt. Bei den Rundfunk-, Lichtspiel- und Fernsehunternehmen bestätigt der Hinweis auf 22 die Zulässigkeit einer staatlichen Genehmigung in Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK den Grundsatz, dass die Garantien der Freiheit der Meinungsbildung und -äußerung für alle Medien gelten.73 Die Einschränkung war durch die staatlichen Rundfunkmonopole veranlasst, die bei Unterzeichnung der EMRK im Jahre 1950 in den meisten Mitgliedstaaten nicht zuletzt auch wegen der damals nur begrenzt verfügbaren Sendefrequenzen bestanden.74 Eine Festschreibung bestimmter Organisationsformen für den Betrieb dieser Massenmedien liegt darin nicht.75 Der Satz wird jedoch dafür angeführt, dass zumindest die Zulassung ihres Betriebs und dessen technische Vorgaben durch staatliche Regelungen auch aus anderen als den in Absatz 2 angeführten Gründen eingeschränkt werden können.76 Eine staatliche Lizenzierung oder ähnliche Regelungen, die die Errichtung pri-
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Vgl. EGMR Sanoma Uitgevers B.V./NL, 31.3.2009; Goodwin/UK, 27.3.1996, Rep. 1996-II = ÖJZ 1996 795; Bladet Tromso u. Stensaas/N, 20.5.1999, ECHR 1999-III = NJW 2000 1015 = ÖJZ 2000 232 = EuGRZ 1999 453; Frowein/Peukert 15, 17; Grabenwarter § 23, 8; Meyer-Ladewig 39; Zeder ÖJZ 2011 5. Vgl. EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Frowein/Peukert 29; Grabenwarter § 23, 13; Hofmann 46. Vgl. Heselhaus/Nowak/Kühling § 24, 78. Frowein/Peukert 29; Nowak 23; Villiger 621; Blumenwitz FS Ermacora 69, 73; vgl. auch EGMR Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A, 19.12.1994, A 302 = ÖJZ 1995 314 = JBl 1995 513 (Weigerung des Dienstherrn, Zeitschrift zu verbreiten; Eingriff).
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Vgl. Heselhaus/Nowak/Kühling § 24, 78. EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2): Geheime Informationen, sog. „SpycatcherFälle“; Grabenwarter § 23, 39 ff.; Nowak 40. Bei Art. 19 IPBPR wurde von der Aufnahme einer ähnlichen Bestimmung abgesehen, zumal sich die Einführung einer staatlichen Genehmigungspflicht mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung (Art. 19 Abs. 3 IPBPR) rechtfertigen lässt, vgl. Nowak 56. Vgl. Villiger 628. Frowein/Peukert 19; Grabenwarter § 23, 49 ff.; vgl. auch EGMR Groppera Radio/CH (Fn. 36). EGMR Informationsverein Lentia/A, 24.11.1993, A 276 = EuGRZ 1994 549 = ÖJZ 1994 32; Radio ABC/A, 20.10.1997, Rep. 1997-VI = ÖJZ 1998 151; Tele 1 Privatfernsehgesellschaft mbH/A, 21.9.2000, ÖJZ
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EMRK Art. 10
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
vater Sendestationen von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen, den Rechten und Bedürfnissen eines bestimmten Publikums abhängig macht oder die Umsetzung der Verpflichtungen aus internationalen Übereinkommen bezweckt, können deshalb nach dem dritten Satz des Absatzes 1 zulässig sein,77 selbst wenn sie keinem der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dienen.78 Abgesehen von solchen Regelungen, die es erlauben, den Gegenstand des Sendebetriebs zur Sicherung bestimmter allgemeiner Zielsetzungen, wie etwa die Ausgewogenheit und Qualität der Programme generell festzulegen,79 bedarf jede staatliche Einflussnahme auf den Inhalt von Sendungen einer Rechtfertigung durch einen der in Absatz 2 aufgeführten Schutzzwecke.80 Gleiches gilt für sonstige Eingriffe der öffentlichen Hand in die inhaltliche Programmgestaltung.81 Alle Eingriffe müssen vom Gesetz vorgesehen sein, eine legitime Zielsetzung haben und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, also einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis entsprechen.82 Bei dieser Beurteilung haben die Behörden einen Spielraum, der je nach der Art der Programminhalte unterschiedlich weit bemessen ist; er ist weiter, wenn ein Veranstalter vorwiegend Sendungen zu kommerziellen Zwecken beabsichtigt.83 Ob im Hinblick auf den technischen Fortschritt ein staatliches Monopol für ein terrestrisches Fernsehen auch dann mit Art. 10 EMRK noch vereinbar ist, wenn es eine objektive und ausgewogene Berichterstattung („Binnenpluralität“) garantiert,84 hängt nach Ansicht des EGMR auch davon ab, ob es anderen potentiellen Betreibern durch einen nur unzulänglichen Zugang zum terrestrischen Fernsehen85 oder durch den völligen Ausschluss davon unmöglich gemacht wird, Meinungen im Wege des Fernsehens zu verbreiten oder ob sie für ihre eigenen Programme sonstige dazu geeignete Medien, wie Kabel- oder Satellitenfernsehen, haben, die eine lebensfähige Alternative zum terrestrischen Fernsehen bieten.86 Auf die Fragen, ob sich aus den als Individualfreiheitsrecht garantierten Konventionsrechten auch eine Garantie zur Erhaltung der Pluralität der
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2001 157; Demuth/CH, 5.11.2002, ECHR 2002-IX = ÖJZ 2004 148 = EuGRZ 2003 489; dazu Scheyli EuGRZ 2000 455; vgl. auch Dörr/Zorn NJW 2001 2837. So etwa EGMR Demuth/CH (Fn. 76); ferner EuGH JZ 1992 682 = EuZW 1991 507= EuGRZ 1991 279; vgl. die bei Villiger 629 aufgeführten Beispiele für solche Gesichtspunkte; Grabenwarter § 23, 49; Meyer-Ladewig 69. EGMR Tele 1 Privatfernsehgesellschaft mbH/A (Fn. 76); Meyer-Ladewig 69 f. Vgl. EGMR Demuth/CH (Fn. 76); ferner Grabenwarter § 23, 49 (Einschränkung im Interesse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens). Vgl. EGMR Groppera Radio/CH (Fn. 36); Autronic/CH (Fn. 56); Informationsverein Lentia/A (Fn. 76); Strasser EuGRZ 1994 549; Frowein/Peukert 20; Villiger 629. Zum Zusammenhang zwischen Sendeund Informationsfreiheit vgl. Engel ZUM 1988 511.
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Vgl. EKMR Villiger 630: Verbot, ein direktes Interview mit Angehörigen einer terroristischen Vereinigung zu senden. Grabenwarter § 23, 18 ff.; Meyer-Ladewig 41 ff.; vgl. EGMR Demuth/CH (Fn. 76): Verweigerung der Sendekonzession für Spartenprogramm; krit. dazu Scheyli EuGRZ 2003 455. EGMR Demuth/CH (Fn. 76). Vgl. Grabenwarter § 23, 51 (begrenzte Bevorzugung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dann zulässig). Vgl. EGMR Radio ABC/A (Fn. 76) zum zu geringen Frequenzangebot trotz weitergehender technischer Möglichkeiten. Vgl. zur Rechtslage in Österreich die Differenzierungen in EGMR Radio ABC/A (Fn. 76); Tele 1 Privatfernsehgesellschaft mbH/A (Fn. 76); ÖVerfGH EuGRZ 1996 106; Grabenwarter § 23, 50; Tretter EuGRZ 1996 77; Dörr/Zorn NJW 2001 2837, 2845 ff. m.w.N. Zur Rechtslage in Deutschland etwa Sachs/Bethge Art. 5, 99 ff. GG.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Medien87 und damit nicht nur ein Recht,88 sondern auch eine Pflicht des Staates zur Verhinderung einer übermäßigen Medienkonzentration89 herleiten lässt, sowie, ob die Konventionen auch außerhalb einer öffentlich-rechtlichen Trägerschaft medienintern die Binnenpluralität, vor allem Äußerungsfreiheit und Meinungsvielfalt gewährleisten,90 kann hier nicht näher eingegangen werden. e) Freiheit der Kunst. Die Freiheit der Kunst wird in Art. 10 EMRK nicht besonders 23 erwähnt, da dieser nicht nach Ausdrucksformen unterscheidet.91 Art. 19 Abs. 2 IPBPR nennt als Medium für die Weitergabe von Informationen und Gedankengut ausdrücklich auch die Kunstwerke. Den Konventionsgarantien liegt ein offener Kunstbegriff zu Grunde, der nicht auf bestimmte Formen und Inhalte begrenzt ist und auch diejenigen mit einschließt, die die Kunstwerke der Öffentlichkeit zugänglich machen.92 Bei der Prüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs in diese Freiheiten werden an die erforderliche Abwägung wegen ihrer fundamentalen Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft hohe Anforderungen gestellt. Es wird u.a. nach Art und Schwere der staatlichen Sanktionen unterschieden (so z.B. Geldbuße oder Vernichtung als unzüchtig empfundener Bilder).93 f) Freiheit der Wissenschaft. Auch die Wissenschaftsfreiheit wird in Art. 10 EMRK 24 nicht explizit erwähnt. Nichtsdestotrotz fällt die Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse, d.h. die Wissenschaftsfreiheit in ihrem kommunikativen Gehalt, unter das Schutzgut.94 Der von Art. 5 Abs. 3 GG gewährte Schutz von Forschung und Lehre im Ganzen wird allerdings von Art. 10 EMRK nicht erreicht.95 g) Grenzüberschreitende Garantie. Beide Konventionen stellen ausdrücklich heraus, 25 dass die Freiheit der Äußerung und der Information nicht an den Landesgrenzen endet. Sowohl das Recht, sich zu erklären als auch das Recht auf Informationsbeschaffung gelten (auch) in Bezug auf das Ausland.96 Die Möglichkeit, im Ausland seine Meinung zu verbreiten, etwa durch Ausstellung eigener Kunstwerke,97 wird dadurch ebenso vor aktiven staatlichen Eingriffen geschützt wie umgekehrt der Bezug ausländischer Presseerzeugnisse oder politischer Broschüren98 und der Empfang ausländischer Radio- und Fernsehsender, auch zum Zwecke der Weiterverbreitung.99 Die Störung des Empfangs solcher Sendungen ist dem Staat verboten.100 87 88
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So Schorn 8 (Institutionsgarantie). Vgl. EGMR Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT)/CH, 28.6.2001, ECHR 2001-VI = ÖJZ 2002 855. Vgl. etwa Meyer-Ladewig 70 (Staat als „Garant des notwendigen Pluralismus“); Grabenwarter § 23, 55 ff. mit Hinweis auf eine Reihe von diesbezüglichen Erklärungen des Ministerkomitees und der parlamentarischen Versammlung des Europarats. Vgl. HRC EuGRZ 1982 342 (Hertzberg); Nowak 22. EGMR Müller u.a./CH (Fn. 39); MeyerLadewig 20; Villiger 609. Grabenwarter § 23, 10 („Kunstmittler“); vgl. EGMR Otto-Preminger-Institut/A (Fn. 39). Vgl. EKMR EuGRZ 1986 702; dazu Villiger 609; zu dem rechtmäßigen Verbot einer Kari-
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katur über die Ereignisse des 11.9.2001, in der es in Anlehnung an eine bekannte Werbung hieß: „Wir haben alle davon geträumt … Hamas tat es!“: EGMR Leroy/F, 2.10.2008, NJOZ 2010 512 = NL 2008 273. Grabenwarter § 23, 11. Vgl. Heselhaus/Nowak/Mann § 26, 9. Vgl. Blumenwitz FS Ermacora 67, 73 ff., insbes. zum weiterreichenden Grundsatz des „free flow of information“. Vgl. EGMR Müller u.a./CH (Fn. 39). ÖVerfGH EuGRZ 1990 427. EGMR Groppera Radio/CH (Fn. 36); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 287 (Groppera Radio); EGMR Autronic AG/CH (Fn. 56); Villiger 631. Gornig EuGRZ 1988 1; Hofmann 46; Villiger 632.
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3. Tragweite der Garantien 26
a) Schutz gegen staatliche Eingriffe. Schutz gegen staatliche Eingriffe gewähren die Art. 10 Abs. 1 EMRK / Art. 19 Abs. 1 IPBPR als individuelle Freiheitsgarantie grundsätzlich jedermann in seiner für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlichen Freiheit, sich aus allen legal zugänglichen Quellen zu informieren und seine Meinung privat und öffentlich zu äußern, ganz gleich, ob seine Nachrichten und Ideen den herrschenden Ansichten entsprechen und welchen Zweck er damit verfolgt und ob mit der Meinungsäußerung die Absicht verbunden ist, Gewinn zu erzielen.101 Innerhalb der durch die Absätze 2 gezogenen Grenzen ist auch unerheblich, ob sie günstig aufgenommen werden oder ob sie einzelne Personen oder Personengruppen beunruhigen, verletzen oder schockieren.102 Dies erfordern Pluralismus, Toleranz und offene Geisteshaltung, ohne die eine demokratische Gesellschaft auf Dauer nicht existieren kann. Soweit es um die Teilhabe am öffentlichen Geschehen im weitesten Sinne geht, kann die Ausübung dieser für die demokratische Staatsordnung konstituierenden Freiheiten103 vom Staat aus den nach Art. 10 Abs. 2 EMRK zulässigen Gründen nur in sehr engen Grenzen und nur im absolut notwendigen Umfang eingeschränkt werden.104 So kann es bereits eine Verletzung des Art. 10 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn dem Individuum Rechtsschutz gegen willkürliche Beeinträchtigungen der Freiheiten durch den Staat versagt wird.105 27 Dem Staat wird ein größerer Regelungsspielraum zuerkannt, soweit sich Äußerungen nur auf den privaten Bereich beschränken oder nur die wirtschaftliche Betätigung betreffen, insbesondere bei der reinen Werbung,106 wobei sich dieser Regelungsraum aber verengt, wenn dabei auch Fragen von Allgemeininteresse angesprochen werden.107 Art. 10 EMRK schützt, wie der Wortlaut von Absatz 1 Satz 2 zeigt, vor Eingriffen öffentlicher Stellen in die garantierten Freiheiten, die nur im begrenzten Umfang und nur zu den in Absatz 2 aufgeführten Zwecken zulässig sind. Dies gilt gleichermaßen, ob sich der Eingriff gegen die Person des für die Äußerung Verantwortlichen richtet oder gegen den für ihre Verbreitung eingeschalteten Medienträger oder gegen das Medium selbst, mit dem
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Etwa EGMR Autronic AG/CH (Fn. 56); Kulms RabelsZ 1999 520, 521 ff.; Frowein/Peukert 9. EGMR Handyside/UK (Fn. 68); Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Castells/E (Fn. 2); Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A (Fn. 70); Lehideux u. Isorni/F (Fn. 10); Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/ TRK, 8.7.1999, ECHR 1999-IV = NJW 2001 1995; Wabl/A (Fn. 38); Jerusalem/A, 27.2.2001 (Fn. 38). Vgl. Scheyli EuGRZ 2003 455, 460 („preferred freedoms“). Etwa EGMR Lingens/A (Fn. 2); Oberschlick/A (Fn. 2); Thorgeir Thorgeirson/ISL (Fn. 2); Schwabe/A, 28.8.1992, A 242-B = ÖJZ 1993 67; Casado Coca/E, 24.2.1994, A 285-A = ÖJZ 1994 636; Jersild/DK (Fn. 10); Prager u. Oberschlick/A, 26.4.1995, A 313 = ÖJZ 1995 675; Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK
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(Fn. 102); ferner: Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 309; Hoffmeister EuGRZ 2000 358; Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 783 ff.; Scheyli EuGRZ 2003 455, 460. Vgl. EGMR Glas Nadezhda EOOD u. Anatoliy Elenkov/BUL, 11.10.2007, ECHR 2007-XI. Zu der trotz wirtschaftlicher Zielsetzung erforderlichen Abgrenzung zwischen kommerziellen und ideellen Informationsgehalten siehe hierzu Scheyli EuGRZ 2003 455, 456 kritisch zu EGMR Demuth/CH (Fn. 76); vgl. auch Nolte RabelsZ 1999 507, 515 ff.; Kulms RabelsZ 1999 521, 527 f. (kein pauschal weiter Beurteilungsspielraum, sondern am Einzelfall orientierte Verhältnismäßigkeitsprüfung). EGMR Hertel/CH, 25.8.1998, Rep. 1998-VI = ÖJZ 1999 614; Barthold/D (Fn. 36); Casado Coca/E (Fn. 104).
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
die Meinung ausgedrückt wird und in dem sie vielfach auch verkörpert ist.108 Ein unmittelbares Recht des Einzelnen gegen private Dritte lässt sich daraus nicht herleiten.109 Bei Art. 19 Abs. 2 IPBPR wurde die Beschränkung der Garantie auf behördliche Ein- 28 griffe nicht aufgenommen. Hieraus wird geschlossen, dass der Garantie eine „Rundumwirkung“ zukomme.110 Eine unmittelbare Drittwirkung ist jedoch zu verneinen. b) Schutzpflicht des Staates. Die allgemeine Schutzpflicht des Staates nach Art. 1 EMRK/ 29 Art. 2 IPBPR schließt auch das für das Demokratieprinzip unverzichtbare Gebot ein, dafür zu sorgen, dass die in Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR garantierten Freiheiten nicht durch Dritte zunichte gemacht werden können. Daraus kann sich die Verpflichtung des Staates ergeben, tätig zu werden, um die Freiheit der Meinungsäußerung zu ermöglichen, und zwar sowohl im Verhältnis zwischen Privatpersonen111 als auch zum Schutz eines Presseorgans und seiner Bediensteten, wenn diese wegen einer Meinungsäußerung laufend Ziel von Gewalttaten sind.112 Durch welche Maßnahmen der Staat dieser Schutzpflicht im Einzelnen nachkommen will, steht in seinem Einschätzungsermessen, das nach den gleichen Gesichtspunkten wie bei den staatlichen Eingriffen enger oder weiter bemessen wird.113 Wieweit diese staatliche Schutzpflicht reicht, ist vor allem im Bereich der Massen- 30 medien noch wenig geklärt.114 Es wird die Ansicht vertreten, dass dem Staat eine extreme Meinungsbeeinflussung verwehrt ist115 und dass er verpflichtet ist, eine Ordnung zu schaffen, in der der Einzelne ungehindert durch Dritte seine ihm durch die Konventionen garantierten Rechte, insbesondere sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben und seine Informationsrechte uneingeschränkt wahrnehmen kann, vor allem aber auch, dass er dazu auf eine Vielzahl konkurrierender Medien zurückgreifen kann.116 Daraus wird die Pflicht des Staates hergeleitet, zu verhindern, dass das Informationsangebot, das durch die Meinungsvielfalt in der Presse gegeben ist, durch eine exzessive Pressekonzentration hinfällig wird.117 Im Einzelfall kann der Staat verpflichtet sein, einen Herausgeber zum Abdruck einer 31 Gegendarstellung zu bewegen, z.B. der Entschuldigung in einem Beleidigungsfall. Das Recht auf Gegendarstellung fällt als wichtiger Teil der Meinungsäußerungsfreiheit in den Anwendungsbereich von Art. 10 EMRK, auch wenn der Herausgeber grundsätzlich frei entscheiden kann, was er veröffentlicht.118 Die Verpflichtung zur Gegendarstellung stellt einen Eingriff in die persönliche Integrität des Betroffenen dar.119 108
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Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 365 unter Hinweis auf EGMR Sürek/TRK, 8.7.1999 (Verantwortlichkeit als Verleger). Vgl. Partsch 203, Fn. 680. Nowak 21 ff. Grabenwarter § 23, 54; EGMR Heinisch/D, 21.7.2011, § 44 = NJW 2011 3501 = AuR 2011 355 = EuGRZ 2011 555 = NZA 2011 1269 (Schutzpflicht des Staates erstreckt sich auch auf das Verhältnis von Arbeitgeber u. Arbeitnehmer). EGMR Özgür Gündem/TRK, 16.3.2000, ECHR 2000-III; Grabenwarter § 23, 54; Meyer-Ladewig 9; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 822 f. Vgl. EGMR Powell u. Rayner/UK, 21.2.1990, A 172 = ÖJZ 1990 418, mit Hinweis darauf, dass die Grenze zwischen
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positiven Verpflichtungen und Eingriffen mitunter schwierig zu ziehen ist; dazu Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 822. Vgl. HRC General Comment 10/19 Nr. 2; EGMR Manole u.a./MOL, 17.9.2009. Frowein/Peukert 4. Informationsverein Lentia/A (Fn. 76). EGMR Informationsverein Lentia/A (Fn.76); Frowein/Peukert 4, 18; Meyer-Ladewig 9. EGMR Melnychuk/UKR (E) (Fn. 45; Staat war Pflicht nachgekommen, aber Herausgeber musste Gegendarstellung nicht veröffentlichen, da sie obszöne und beleidigende Bemerkungen enthielt). Art. 14 AMRK gewährleistet das Recht auf Gegendarstellung ausdrücklich. EGMR Radio Twist/SLO, 19.12.2006.
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Der Staat kann verpflichtet sein, dem Einzelnen im Rahmen der Meinungsäußerung die Nutzung von öffentlichen Straßen und Plätzen zu gewähren.120 Aus anderen Konventionsrechten, insbesondere Art. 8 EMRK, können sich ebenfalls 33 Schutzansprüche des Betroffenen gegenüber dem Staat herleiten lassen. Soweit der Staat eine Person einem Sonderstatus unterwirft, der ihre gesamten 34 Lebensverhältnisse reglementiert, können ihm daraus weitergehende positive Verpflichtungen zur Sicherung der Mindestrechte erwachsen, etwa bei Gefangenen die Ermöglichung einer ausreichenden Information über die Ereignisse der Außenwelt oder die Beschaffung wichtiger Unterlagen,121 ferner auch das Zurverfügungstellen von Papier und Schreibmaterial für Eingaben.122
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c) Geschützte Personen. Die Rechte aus diesen Konventionsartikeln werden grundsätzlich jedermann, Inländern und Ausländern gleichermaßen, garantiert. Nur hinsichtlich der politischen Tätigkeit von Ausländern lässt Art. 16 EMRK Einschränkungen der durch Art. 10 EMRK garantierten Freiheiten zu.123 Im Übrigen stehen diese jedem ohne Ansehen der Person zu; eine unterschiedliche Behandlung nach der Person des Trägers verstieße gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR. Für Personen, die sich im öffentlichen Dienst befinden,124 für Soldaten125 oder Polizei36 beamte126 gelten grundsätzlich ebenfalls die Rechte aus Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR, ferner auch für Personen, denen die Freiheit entzogen ist, wie etwa Strafgefangene.127 Aus dem Sonderstatus heraus können sich einerseits besondere Pflichten für den Staat ergeben,128 andererseits kann er seinen öffentlichen Bediensteten auch besondere Einschränkungen, legitimiert durch die Zwecke des Art. 8 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR, auferlegen.129 So kann er Angehörige des öffentlichen Dienstes zur Verschwiegenheit verpflichten oder ihre politische Betätigung Einschränkungen unterwerfen,130 die sich vor allem aus ihrer Pflicht zur Verfassungstreue und zur Unparteilichkeit ergeben.131 Sie sind gehalten, bei ihren Äußerungen nach Form und Inhalt sachlich zu bleiben und insbesondere auch bei Kritik an den öffentlichen Verhältnissen oder an ihrem 120 121 122 123 124
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EGMR Appleby u.a./UK, 6.5.2003, ECHR 2003-VI. EKMR bei Frowein/Peukert 14 (Beschaffung von Gesetzestexten auf eigene Kosten). EKMR nach Villiger 604. Vgl. Art. 16 EMRK Rn. 3 auch zu den Ausnahmen für Unionsbürger. Vgl. für Angehörige des öffentlichen Dienstes EGMR Kosiek/D, 28.8.1986, A 105 = NJW 1986 3007 = EuGRZ 1986 509; Glasenapp/D, 28.8.1986, A 104 = NJW 1986 3005 = EuGRZ 1986 497; Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = NJW 1996 375 = EuGRZ 1995 590; Wille/FL, 28.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 1195 = EuGRZ 2001 475 = ÖJZ 2000 647; Volkmer/D, 22.11.2001, NJW 2002 3087 = ÖJZ 2003 273; Meyer-Ladewig 22; Villiger 608. EGMR Engel/NL, 8.6.1976, A 22 = EuGRZ 1976 221; Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A (Fn. 70); Grigoriades/GR, 25.11.1997, Rep. 1997-VII =
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ÖJZ 1998 794: Beleidigung der Armee; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 360; Grabenwarter § 23, 35; EGMR Rose/D (E), 14.9.2010, NZWehrr 2011 120. EGMR Rekvényi/H, 20.5.1999, ECHR 1999-III = ÖJZ 2000 235 = NVwZ 2000 421; vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 360. Vgl. EGMR Silver/UK, 25.3.1983, A 61, EuGRZ 1984 147, dort aber nur Art. 8 EMRK geprüft; Yankov/BUL, ECHR 2003XII, §§ 126–145; Dickson/UK, 4.12.2007, NJW 2009 971; Frowein/Peukert 14; Guradze 21 I; vgl. Art. 8 EMRK Rn. 16. Vgl. Rn. 88. Vgl. EGMR Wille/FL (Fn. 124); MeyerLadewig 24; Villiger 608. EGMR Rekvényi/H (Fn. 126). Vgl. EGMR Glasenapp/D (Fn. 124); Vogt/D (Fn. 124); Grabenwarter § 23, 35; MeyerLadewig 22, 65.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Dienstherrn Zurückhaltung zu üben.132 Ob der Staat eine solche Zurückhaltung aus einem der in Absatz 2 aufgezählten Gründe im konkreten Einzelfall verlangen kann, hängt aber davon ab, ob dies bei Berücksichtigung des hohen Stellenwertes der freien Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, was eine Abwägung aller Umstände des jeweiligen Falles erfordert. Die grundsätzlich auch den öffentlichen Bediensteten zustehende Freiheit der Meinungsäußerung entfällt nicht schon deshalb, weil die Äußerung unter den gegebenen Umständen aktuelle politische Bedeutung hat. So verlangen insbesondere das Prinzip der Gewaltenteilung und die Wahrung judikativer Unabhängigkeit bei Eingriffen in die Meinungsfreiheit von Richtern eine sehr sorgfältige Prüfung.133 Ein Recht auf Zugang zum öffentlichen Dienst gewährleisten die Konventionen be- 37 wusst nicht.134 Eine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst wegen bestimmter Meinungsäußerungen oder einer jetzigen oder früheren politischen Betätigung wird jedoch an Art. 10 EMRK gemessen; ihre Gründe bedürfen daher einer einzelfallbezogenen Rechtfertigung durch einen der Gründe des Absatzes 2.135 d) Wahlrecht. Das Recht zur Teilnahme an allgemeinen Wahlen folgt als ein jeweils 38 nur bestimmten Gruppen von Bürgern (Gemeindeangehörige, Staatsangehörige, Unionsbürger) zustehendes politisches Bürgerrecht nicht aus Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR, sondern aus Art. 3 des 1. ZP-EMRK.136 Desgleichen gehören die vom jeweiligen Parlamentsrecht festgelegten Rechte der Parlamentarier in der Volksvertretung, insbesondere ihr dortiges Antrags- und Rederecht, nicht zum Schutzbereich des Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR.137 Berücksichtigung kann dieser Aspekt aufgrund seiner überragenden Wichtigkeit allerdings im Zusammenhang mit einer hierzu in Beziehung stehenden Meinungsäußerung finden.138
4. Allgemeine Voraussetzungen der Beschränkung der Ausübung (Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR) a) Allgemeines. Unter dem Hinweis auf die Pflichten und die Verantwortung (IPBPR: 39 „besondere Pflichten und besondere Verantwortung“), die die Ausübung der Meinungsund Informationsfreiheit mit sich bringt,139 legen Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR die Voraussetzungen fest, unter denen in die dort garantierten Freiheiten einge-
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Meyer-Ladewig 65. Vgl. EGMR Harabin/SLO, 29.6.2004 (E), ECHR 2004-VI; siehe auch EGMR Albayrak/TRK, 31.1.2008 (dass ein Richter Veröffentlichungen der PKK liest und einen von der PKK kontrollierten Fernsehsender anschaut, rechtfertigt ein staatliches Einschreiten in Form einer Disziplinarmaßnahme nicht). Vgl. EGMR Wille/FL (Fn. 124), wo aber ein Eingriff wegen der noch laufenden Amtszeit bejaht wurde; Meyer-Ladewig 24; Hoffmeister EuGRZ 2000 359. EGMR Vogt/D (Fn. 124; Entlassung als Lehrerin wegen Mitgliedschaft in der DKP nicht gerechtfertigt); Volkmer/D (Fn. 124;
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Stasi-Informant); Lahr/D (E), 1.7.2008 (vorzeitige Entlassung eines Wehrdienstpflichtigen aus der Bundeswehr wegen der Zugehörigkeit zur NPD); Meyer-Ladewig 24. Vgl. EGMR Matthews/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3101 = EuGRZ 1999 200 = ÖJZ 2000 34. Frowein/Peukert 7; vgl. Sachs/Bethge Art. 5, 40 ff. GG (Organkompetenzen). EGMR Malisiewicz-Gasior/PL, 6.4.2006. Dieser Satz enthält aber keine eigenständige Rechtsgrundlage für Einschränkungen, sondern erklärt lediglich die daran abschließend aufgezählten Eingriffsgründe; vgl. EGMR Thorgeir Thorgeirson/ISL (Fn. 2); Frowein/ Peukert 25.
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griffen werden darf oder sogar eingegriffen werden muss, wenn dies zur Erfüllung einer ihm aus einer anderen Konventionsgarantie erwachsenen Schutzpflicht geboten ist, so etwa zum Schutze des Lebens (Art. 2 EMRK) oder des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) oder der Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) oder aufgrund des Art. 20 IPBPR. Die Aufzählung der Eingriffsgründe in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR ist abschließend. Aus anderen als den angeführten Gründen kann ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden.140 Die Eingriffe müssen gesetzlich geregelt141 und für die dort jeweils angeführten Zwecke notwendig sein. Anders als Art. 19 Abs. 3 IPBPR engt Art. 10 Abs. 2 EMRK dies weiter dahin ein, dass die Notwendigkeit aus der Sicht einer demokratischen Gesellschaft bestehen muss.142 Als in Betracht kommende Maßnahmen des Staates, mit denen die in Art. 10 Abs. 2 40 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR aufgeführten Schutzgüter durchgesetzt werden können, zählt Art. 10 Abs. 2 EMRK Formvorschriften, Bedingungen,143 Einschränkungen oder Strafdrohungen auf. Er hat eine Bandbreite, unter der sich alle praktisch in Betracht kommenden Regelungen und Maßnahmen subsumieren lassen,144 so dass die Aufzählung keine Einengung gegenüber Art. 19 Abs. 3 IPBPR bedeutet, der bestimmte gesetzliche Einschränkungen ohne nähere Klassifizierung der Art den zulässigen staatlichen Maßnahmen zurechnet.
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b) Gesetzliche Grundlage. Gesetzlich vorgesehen muss jede zulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit anderer sein. Ihre Voraussetzungen müssen in einem Gesetz im materiellen Sinn als Rechtssatz festgelegt sein.145 Die Voraussetzungen für das Gesetz in Art. 10 Abs. 2 EMRK entsprechen weitgehend denjenigen des Gesetzes in Art. 8 EMRK bzw. des Rechts in Art. 7 EMRK.146 Normen des Verfassungsrechts oder völkerrechtliche Rechtsakte147 können als Rechtsgrundlage für einen Eingriff ausreichen, ferner nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Verfassungsrechts auch Normen im Range unterhalb des formellen Gesetzesrechts148 sowie das von den Standesvertretungen erlassene Berufsrecht.149 Gleiches gilt für die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des common law 150 und richterrechtlich entwickelte Grundsätze.151 140 141
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Vgl. ÖVerfGH ÖJZ 1996 590 (Kollegialität; Ehre und Würde des Standes). Dazu können auch Vorschriften des Unionsrechts gehören; zum Verbraucherleitbild des EuGH, der strengere Anforderungen an die irreführende Werbung stellt, vgl. Kulms RabelsZ 1999 520, 534; Sack GRUR 2004 89. Dazu Rn. 48 ff. Ein Eingriff in Form einer Bedingung ist z.B. die Aussetzung eines wegen bestimmter Äußerungen geführten Strafverfahrens unter Androhung der Wiederaufnahme bei weiterem Verstoß in den nächsten drei Jahren, da der Betroffene so entmutigt wird, an der öffentlichen Debatte teilzunehmen, vgl. EGMR Çetin/TRK, 20.12.2005. Frowein/Peukert 29. EGMR Gsell/CH, 8.10.2009 (Generalklausel im Polizeirecht). EGMR Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); siehe auch EGMR Witt/D (E), 8.1.2008, NJW 2008 2322.
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EGMR Groppera Radio/CH (Fn. 36); Autronic AG/CH (Fn. 56); Grabenwarter § 23, 20. Enger zu Art. 19 IPBPR vgl. Nowak 46 (Gesetz im formellen Sinn); zur strikten Gesetzesbindung der Eingriffe in die Meinungsfreiheit bei Art. 5 Abs. 2 GG vgl. etwa BVerfGE 83 130, 142; 108 282, 297; BVerfG NJW 2004 2814. EGMR Barthold/D (Fn. 36; Satzung); Casado Coca/E (Fn. 104); zum öffentlichrechtlichen Status von Standesvertretungen vgl. auch EGMR Le Compte u.a./B, 23.6. 1981, EuGRZ 1981 551; Van der Mussele/B, 23.11.1983, A 70, EuGRZ 1985 477; H/B, 30.11.1987, A 127-B = ÖJZ 1988 220. Etwa EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Wingrove/UK, 25.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 714. EGMR Open Door u. Dublin Well Woman/ IR (Fn. 58).
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Voraussetzung ist, dass die jeweilige Regelung dem Betroffenen zugänglich und ihr 42 Inhalt aus sich selbst heraus verständlich ist oder aber in Verbindung mit ihrer Auslegung durch die Gerichte so hinreichend bestimmt werden kann, dass ihre willkürliche Anwendung ausgeschlossen ist.152 Eine absolute Gewissheit, die jeden Auslegungszweifel ausschließt, kann nicht verlangt werden.153 Für den Betroffenen muss aber genügend vorhersehbar sein, was der jeweiligen Regelung vernünftigerweise unterfällt, so dass er sein Verhalten darauf einstellen kann,154 wie etwa bei Wettbewerbsbeschränkungen zur Verhütung unlauteren Wettbewerbs.155 Unvorhersehbar ist die Bestrafung für das Vorlesen von geschriebenen Stellungnah- 43 men wegen Nichterfüllung gewisser Voraussetzungen und Formalitäten, die gesetzlich nur für das Veröffentlichen oder Verteilen von solchen Texten vorgesehen sind.156 Gleiches gilt für die Verpflichtungsanordnung („binding-over order“), künftig den Frieden nicht zu stören oder nicht gegen die guten Sitten zu verstoßen.157 Hingegen können auch komplexe Spezialvorschriften die Anforderung der Vorhersehbarkeit noch erfüllen, wenn sie sich an einen Personenkreis wenden, der die nötigen Spezialkenntnisse hat oder sich verschaffen kann.158 Greift der Staat mit einer Strafvorschrift in die Meinungsfreiheit ein, muss diese nicht nur im Zeitpunkt der Tatbegehung, sondern auch noch im Zeitpunkt ihrer Aburteilung gesetzlich vorgesehen sein.159 Der Gesetzesvorbehalt gilt für alle konkreten Eingriffe in die durch Art. 10 EMRK garantierten Freiheiten. Bei einer öffentlichen Verlautbarung, durch die die zuständigen staatlichen Stellen in 44 Erfüllung einer ihnen obliegenden Aufgabe die Allgemeinheit vor bestimmten Entwicklungen warnen oder sie über bestimmte Gefahren aufklären wollen, genügt es, dass die handelnde Stelle dazu sachlich befugt ist. Eine zusätzliche besondere gesetzliche Eingriffsermächtigung, wie von Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR für einen unmittelbaren (administrativen) Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung des Betroffenen gefordert wird, bedarf es bei solchen allgemeinen Verlautbarungen nicht.160 Die Meinungsäußerungsfreiheit der Betroffenen bleibt dadurch ebenso unberührt wie deren Freiheit, sich eine eigene Meinung zu bilden und sie beizubehalten. Solche Äußerungen werden aufgrund der Organkompetenz abgegeben und nicht etwa in Ausübung eines dem Staat nicht zustehenden Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Die staatlichen Stellen sind deshalb bei ihren Äußerungen zur Zurückhaltung und zur ausgewogenen Sachlichkeit
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Vgl. etwa EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Wingrove/UK (Fn. 150); Rose/D (E) (Fn. 125). Vgl. etwa Grabenwarter § 23, 20. Etwa EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Barthold (Fn. 36); Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Tolstoy Miloslavsky/UK, 13.7.1995, A 316-B = ÖJZ 1995 949; Goodwin/UK (Fn. 67); Rekvényi/H (Fn. 126); Radio France u.a./F, 30.3.2004, ECHR 2004-II; Hashman u. Harrup/UK (Fn. 43): Störung einer Fuchsjagd „contra bona mores“ zu unbestimmt; dazu Dörr/Zorn NJW 2001 2837, 2856; Grabenwarter § 23, 20; vgl. Art. 8 EMRK Rn. 37; EGMR Heinisch/D (Fn. 111), § 48 (Kündigung, § 626 BGB, wegen Strafanzeige gegen Arbeitgeber). EGMR Markt Intern Verlag GmbH u.a./D
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(Fn. 36); News Verlags GmbH u. Co KG/A (Fn. 66). Insofern liegt ein Verstoß gegen Art. 10 EMRK vor. Vgl. EGMR Karademirci u.a./ TRK, 25.1.2005, ECHR 2005-I. EGMR Hashman u. Harrup/UK (Fn. 43). EGMR Groppera Radio/CH (Fn. 36); anders für den gleichen Fall EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 287. EGMR Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102) unter Hinweis auf den Unterschied zu Art. 7 EMRK; vgl. auch EGMR Aydin/D, 27.1.2011, § 64, NVwZ 2011 1185. Vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 359 unter Hinweis auf EGMR Wille/FL (Fn. 124), wo ebenfalls keine formale Rechtsgrundlage gefordert wurde.
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verpflichtet.161 Wirkt sich eine öffentliche Verlautbarung mittelbar auf die Rechtsstellung anderer, etwa auf die Berufsausübungsfreiheit der von ihr Betroffenen aus, muss dafür ein sachlicher Anlass von hinreichendem Gewicht bestehen. Soweit Zusammenschlüsse von Personen, vor allem juristischer Personen, selbst Träger des Grundrechts der Freiheit der Meinungsäußerung sind, können sie sich auch ihrerseits bei ihren Äußerungen darauf berufen, wenn sie von ihrer Freiheit Gebrauch machen, um vor gesellschaftlichen Entwicklungen oder Gefahren zu warnen.162
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c) Berechtigtes Ziel. Ein berechtigtes Ziel muss jeder Eingriff in die in Art. 10 Abs. 1 EMRK / Art. 19 Abs. 2 IPBPR garantierten Rechte verfolgen. Als zulässige Eingriffszwecke zählt Art. 10 Abs. 2 EMRK parallel zu Art. 8 Abs. 2 EMRK auf: die nationale oder öffentliche Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Schutz der Gesundheit oder der Moral und den Schutz der Rechte anderer – ergänzt durch die territoriale Unversehrtheit und den Schutz des guten Rufes anderer. Zu den Rechten anderer gehören auch die durch die Konventionen besonders 46 geschützten Rechte, so vor allem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK / Art. 17 IPBPR), aus denen dem Staat gegenüber dem Betroffenen besondere Schutzpflichten erwachsen, die mit den Ansprüchen aus Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden müssen.163 Ergänzt werden diese Eingriffszwecke durch bereichsbezogene Zwecke wie die Ver47 hinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen und die Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Diese weitgefächerten Zwecke, mit denen praktisch viele Eingriffe gerechtfertigt werden könnten, werden dadurch erheblich eingeschränkt, dass im Einzelfall jeder darauf gestützte Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft zur Erreichung des legitimen Eingriffszwecks notwendig („necessary“ / „nécessaires“) sein muss.
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d) Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft. Die Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft wird in Art. 10 Abs. 2 EMRK als wertsetzender Beurteilungsmaßstab herausgestellt. Ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis muss den Eingriff erfordern.164 Die Existenz einer freien demokratischen Gesellschaft in den Mitgliedstaaten wird von der EMRK vorausgesetzt. Für eine solche
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Die Befugnis zu solchen wertenden Äußerungen ist durch die unmittelbar auf dem GG bzw. auf den Landesverfassungen beruhende Organkompetenz gedeckt, auch wenn dadurch faktisch ein Grundrechtsbereich mittelbar betroffen werden sollte; vgl. Sachs/Bethge Art. 5, 40 GG; ferner etwa BVerfGE 105 252, 367 (marktbezogene Produktinformation), aber auch BVerfGE 105 279, 303 (Sektenbroschüre der Bundesregierung). Vgl. etwa Sachs/Bethge Art. 5, 40, 43 GG; problematisch insoweit BGH NJW 2003 1308 (Sorgfaltspflicht des Sektenbeauftragten einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft). EGMR Caroline v. Hannover/D, 24.6.2004,
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ECHR 2004-VI = NJW 2004 2647 = EuGRZ 2004 404 = ÖJZ 2005 588 = DVBl 2004 1091 = JZ 2004 1015 (Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatbereich in Zeitschriften); BGHZ 178 213 = NJW 2009 757 (zulässige Bildberichterstattung über den als Teil der öffentlichen Verwaltung bedingten Strafvollzug eines Filmschauspielers als Person des öffentlichen Interesses auch ohne dessen Einwilligung); EGMR Egeland u. Hanseid/N, 16.4.2009, NJW-RR 2010 1487 (unzulässige Bildberichterstattung über den Moment der Festnahme einer Person zur Vollstreckung eines Urteils). EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Yurttas/TRK, 27.5.2004.
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Freiheit der Meinungsäußerung
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Gesellschaft ist der ungehinderte Austausch von Meinungen, die Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsgewinnung durch deren Bürger unerlässlich. Unerlässlich für den freien Meinungsaustausch ist aber auch die Anerkennung des Pluralismus der Meinungen und damit auch die Toleranz gegenüber unerwünschten oder für falsch erachteten Auffassungen. In diesen Wettbewerb konkurrierender Meinungen darf der Staat in einer demokratischen Gesellschaft grundsätzlich nur eingreifen, wenn dies auch aus deren Blickwinkel notwendig ist, um ihre Funktion und das freie Zusammenleben der Bürger zu sichern.165 Die Vereinbarkeit eines Eingriffs mit den pluralistischen Strukturen einer freien Demokratie ist sowohl bei der gesetzlichen Regelung der Eingriffsvoraussetzungen als auch bei den darauf gestützten Entscheidungen der Exekutivorgane und der Gerichte zu beachten. Notwendig in einer demokratischen Gesellschaft ist im Hinblick auf den hohen Rang 49 des garantierten Freiheitsrechtes und seiner grundlegenden Bedeutung für das Funktionieren einer Demokratie eng auszulegen.166 Gefordert wird, dass im konkreten Fall 167 ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis („pressing social need“) für das staatliche Einschreiten besteht,168 dass der verfolgte Zweck nicht auch schon durch einen weniger schweren Eingriff erreicht werden kann169 und dass der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht.170 Insoweit hat jeder Staat einen gewissen Beurteilungsspielraum, der je nach dem vom Eingriff betroffenen Gegenstand unterschiedlich weit bemessen ist.171 Der Eingriff muss zwar nicht zwingend geboten sein, es genügt aber, wenn bei der Abwägung für ihn so schwerwiegende Gründe sprechen, dass sie alle dagegensprechenden Gesichtspunkte172 deutlich überwie-
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Vgl. etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 68); Jersild/DK (Fn. 10); Janovski/PL, 21.1.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1318 = EuGRZ 1999 8 = ÖJZ 1999 735. Vgl. etwa EGMR VgT Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT)/CH (Fn. 88); Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 2)/A, 6.11.2003, ÖJZ 2004 316; Dörr/Zorn NJW 2001 2837, 2846; Nowak 47. Vgl. EGMR Editions Plon/F, 18.5.2004, ECHR 2004-IV (Journalist und der Privatarzt des französischen Präsidenten Mitterrand hatten kurz nach dessen Tod unter Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht ein Buch veröffentlicht. Für die am nächsten Tag erlassene einstweilige Verfügung gegen den Vertrieb sah der EGMR einen „pressing social need“; bei der späteren Entscheidung in der Hauptsache jedoch nicht mehr, da dessen Inhalt bereits seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte); siehe auch EGMR Vereinigung Bildender Künstler/A, 25.1.2007 (Gerichte hatten ein zeitlich und räumlich unbeschränktes Ausstellungsverbot für ein Gemälde erlassen; es hätte beachtet werden müssen, dass damit jegliche Möglichkeit der Ausstellung genommen wurde, obwohl ungewiss war, ob der Bf. bei einer
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späteren Ausstellung überhaupt noch bekannt sein würde). Vgl. etwa EGMR Barthold/D (Fn. 36); Lingens/A (Fn. 2); Autronic/CH (Fn. 56); Weber/CH, 22.5.1990, A 177 = NJW 1991 623 = EuGRZ 1990 265 = ÖJZ 1990 713; Lehideux u. Isorni/F (Fn. 10); Fressoz u. Roire/F, 21.1.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1315 = EuGRZ 1999 5 = ÖJZ 1999 774; Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); IAGMR EuGRZ 1986 371. Die „Clear and Present Danger“-Rechtsprechung des US Supreme Court wurde von den Organen der EMRK nicht als Eingriffsrechtfertigung übernommen, vgl. Sottiaux ZaöRV 63 (2003) 653, 666 ff; EGMR Rose/D (E) (Fn. 125). EGMR Goodwin/UK (Fn. 67). EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Heinisch/D (Fn. 111): Whistleblowing (Arbeitsrecht). Dazu Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771 ff.; ferner Rn. 52 ff. Dazu gehört auch die möglicherweise bestehende Gefahr einer Beeinträchtigung der freien Berichterstattung durch die einschüchternde Wirkung des Eingriffs („chilling effect“), vgl. Rn. 62.
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gen.173 Dies muss in jedem Fall überzeugend dargetan werden.174 Dass der Eingriff den Umständen nach zweckmäßig oder vernünftig ist, reicht dafür allein noch nicht aus.175 Das (gerichtliche) Verbot der Veröffentlichung und Verbreitung ganzer Zeitungen, obgleich auch nur über einen kurzen Zeitraum, verstößt daher selbst im Rahmen von Antiterrormaßnahmen gegen das Gebot der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.176 In Art. 19 Abs. 3 IPBPR wurde der Hinweis auf die Notwendigkeit in einer demokra50 tischen Gesellschaft bewusst nicht aufgenommen,177 was angesichts der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft unverständlich erscheint, aber dennoch bei der Auslegung des Artikels zu berücksichtigen ist. Demnach wäre die Erforderlichkeit des Eingriffs nur nach der Zweck-Mittel-Relation, bei der das Gewicht des Eingriffs am Rang des mit ihm im konkreten Fall verfolgten Zweckes gemessen wird, zu beurteilen.178 Dies läuft auf eine Güterabwägung i.S. einer Verhältnismäßigkeitsprüfung hinaus.179 In seinen Einzelfallentscheidungen nimmt das HRC jedoch dennoch regelmäßig Bezug auf die Eigenschaft der Meinungsfreiheit als tragende Säule einer jeden freien und demokratischen Gesellschaft.180
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e) Verhältnismäßigkeit. Auch bei einem an sich berechtigten Ziel darf der Eingriff nicht unverhältnismäßig gegenüber den durch Art. 10 EMRK / Art. 19 IPBPR geschützten Rechtsgütern sein. Dies begrenzt den Spielraum181 der Staaten, denen grundsätzlich überlassen ist, ob sie im Einzelfall überhaupt einschreiten wollen und, wenn ja, welche Regelungen sie zum Schutz eines der in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. IPBPR aufgezählten Zwecke wählen.182 Die Zulässigkeit jedes staatlichen Eingriffs hängt davon ab, dass er nicht außer Verhältnis zu den von ihm betroffenen Rechtsgütern und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung steht.183 Bei der Abwägung werden der Zweck des staatlichen Eingriffs, sein Gegenstand sowie seine Art und Schwere und seine unmittelbaren und mittelbaren Rechtsfolgen berücksichtigt,184 vor allem auch die Auswirkungen, die der Eingriff auf das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft hat.
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Vgl. EGMR Aydin/D (Fn. 159; die Verurteilung nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG wegen der Unterstützung der kriminellen Vereinigung „PKK“ stellt keine Verletzung von Art. 10 EMRK dar. Grundlage der Strafbarkeit war nicht die Äußerung des Verlangens nach Aufhebung des Verbots als solche, sondern die in der Selbsterklärung zu sehende Unterstützung der verbotenen Organisation, die sich auch aus den Gesamtumständen ergab; abweichende Meinung Kalaydjieva). Das ist häufig nicht der Fall, vgl. z.B.: EGMR Salov/UKR, 6.9.2005, ECHR 2005VIII. EGMR Barthold/D (Fn. 36). Vgl. EGMR Ürper u.a./TRK, 20.10.2009. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Publikationsverboten siehe auch: BVerfG, AfP 2011 43 = EuGRZ 2011 88 (im Rahmen der Führungsaufsicht für die Dauer von
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5 Jahren erteiltes allgemeines Publikationsverbot für die „Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts“). Der Antrag zur Aufnahme dieser Einschränkung wurde abgelehnt, vgl. Nowak 47. EGMR Open Door u. Dublin Well Woman/IR (Fn. 58). So Nowak 47. Vgl. Nowak 47; Conte/Burchill 87. Dazu Rn. 52 ff. Etwa EGMR Markt Intern Verlag GmbH u.a./D (Fn. 36); Casado Coca/E (Fn. 104). EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 3)/A, 11.12.2003, ÖJZ 2004 398; Meyer-Ladewig 43. Etwa EGMR Perna/I, 6.5.2003, ECHR 2003-V = NJW 2004 2653; Grabenwarter § 23, 25; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 362.
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Freiheit der Meinungsäußerung
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f) Staatlicher Beurteilungsspielraum. Ein Beurteilungsspielraum („margin of appre- 52 ciation“ / „marge d’appréciation“)185 wird den Staaten für die Entscheidung zugebilligt, ob und welche Regelungen sie zum Schutz eines der in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 2 IPBPR angeführten Zwecke treffen und ob und mit welchen Mitteln sie eingreifen wollen.186 Dieser Spielraum wird dadurch begrenzt, dass der jeweilige Eingriff auch bei einem an sich berechtigten Ziel, etwa weil der Staat damit eine ihm gegenüber dem Betroffenen obliegende Schutzpflicht erfüllen muss, nicht unverhältnismäßig gegenüber den geschützten Rechtsgütern sein darf.187 Im Falle der Festlegung einer Strafe (durch eine Jury) müssen effektive und adäquate 53 Schutzmaßnahmen vorhanden sein, die eine unverhältnismäßige Strafe verhindern können.188 Liegt der staatliche Eingriff erst in der nachträglichen Bestrafung einer bereits geäußerten Meinung, ist bei der Abwägung neben der Höhe der ausgesprochenen Strafe oder dem Gewicht sonstiger Rechtsfolgen auch zu berücksichtigen, welche Wirkung dies auf die Bereitschaft zur offenen Diskussion von Missständen hat.189 Wird bereits die Tatsache eines staatlichen Eingriffs als solche als konventionswidrig angesehen, kommt es auf Art und Höhe der Sanktion nicht an. Umgekehrt kann aber auch die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs allein in Art oder Höhe der verhängten Sanktion liegen.190 Je nach der Bedeutung der geschützten Freiheit für die demokratische Gesellschaft und der Art und Schwere des Eingriffs191 ergeben sich dadurch unterschiedlich hohe Eingriffsschranken,192 die gleichzeitig auch den Umfang des staatlichen Beurteilungsspielraums begrenzen. Soweit nur die wirtschaftliche Betätigung betroffen ist, etwa, weil der Eingriff die 54 kommerzielle Werbung oder Fragen des unlauteren Wettbewerbs betrifft, hat der Staat einen größeren Raum für Eingriffe 193 als auf dem Gebiet der eigentlichen demokratischen Meinungsbildung und den damit verbundenen Auseinandersetzungen, die die unverzichtbare Grundstruktur für jede freie demokratische Gesellschaft bilden und in die der Staat nur unter ganz besonderen Umständen eingreifen darf.194
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Oder auch „variabler Einschätzungsspielraum“, vgl. Heselhaus/Nowak/Kühling § 24, 63. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771 ff. Etwa EGMR Casado Coca/E (Fn. 104); Jacubowski/D, 23.6.1994, A 291-A = NJW 1995 857 = EuGRZ 1996 306 = ÖJZ 1995 151; Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 3)/A (Fn. 187; Beanstandung einer preisvergleichenden Werbung unverhältnismäßig und daher in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig). EGMR Tolstoy Miloslavsky/UK (Fn. 154); Independent News and Media u. Independent Newspapers Ireland Limited/IR, 16.6.2005, ECHR 2005-V. EGMR Tolstoy Miloslavsky/UK (Fn. 154); vgl. Grabenwarter § 23, 37; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 362. Vgl. Grabenwarter § 23, 38. Vgl. Grabenwarter § 23, 37; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 362.
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Dazu etwa Hoffmeister EuGRZ 2000 358 ff.; Meyer-Ladewig 43 Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771 ff.; Scheyli EuGRZ 2003 455. Etwa EGMR Casado Coca/E (Fn. 104); Demuth/CH (Fn. 76); Krone Verlag GmbH & Co. KG u. Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co. KG/A, 20.3.2003, ÖJZ 2003 812; Hachette Filipacchi Presse Automobile u. Dupuy/F, 5.3.2009 (Verurteilung wegen unzulässiger Tabakwerbung); Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT)/CH (Fn. 88) zum unzulässigen andauernden Verbot der Ausstrahlung einer kommerziellen Werbung trotz des Vorliegens eines durch den EGMR festgestellten Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit; Grabenwarter § 23, 34; Meyer-Ladewig 64; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 785. EGMR Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); vgl. Rn. 27.
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Dieser Spielraum verringert sich bereits, wenn auch Fragen von allgemeinem Interesse195 aufgeworfen werden, wie dies etwa bei Äußerungen von Wissenschaftlern oder Angehörigen freier Berufe zu ihrem Arbeitsfeld angenommen wird,196 selbst wenn diese damit auch eine werbewirksame Publizität angestrebt haben.197 Deutlich enger ist der staatliche Spielraum bei Äußerungen, mit der die persönliche 56 Auffassung zu einer Frage von öffentlichem Interesse vertreten oder an einer politischen Auseinandersetzung teilgenommen wird.198 In diesem Bereich ist die Freiheit, Informationen zu empfangen und die eigene Meinung ungehindert zu äußern und an den damit verbundenen Auseinandersetzungen teilzunehmen, konstituierend für eine demokratische Staatsordnung,199 so dass der Staat in diese nur in den unbedingt nötigen Fällen eingreifen darf. Dies gilt besonders bei den Veröffentlichungen in der Presse. Der Bedeutung einer 57 freien Presse für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft wird dabei ein besonders hoher Stellenwert beigemessen (siehe Rn. 8, 19).200 Mittlerweile werden Meinungsäußerungen von politischem oder allgemeinem Interesse in ihrer Bedeutung der Presse gleichgestellt.201 Als Gründe für diese Gleichbehandlung führt der EGMR an, dass auch kleinen Gruppen bzw. Privatpersonen außerhalb des „Mainstreams“ die Möglichkeit gegeben werden müsse, zur öffentlichen Debatte beizutragen, und dass die effektive Ausführung ihrer Aktivitäten nur gewährleistet werden könne, wenn vermeintlichen Eingriffen besonders hohe Hürden entgegenstünden.202 Ob ein Eingriff in die garantierten Freiheiten als notwendig anerkannt wird, ist letzt58 lich aber immer das einzelfallbezogene Ergebnis einer wägenden Gesamtschau von Anlass und Gewicht der Äußerung, von Form und den Umständen, unter denen sie abgegeben wurde und von Zweck und Ausmaß des jeweiligen Eingriffs.203 Es ist grundsätzlich Sache der zuständigen innerstaatlichen Stellen, zu beurteilen, welche Maßnahmen im Rahmen der jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten notwendig sind, welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind204 und wie sie das innerstaatliche Recht auslegen
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Vgl. EGMR Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT)/CH (Fn. 88). Vgl. etwa EGMR Sorguc/TRK, 23.6.2009. EGMR Barthold/D (Fn. 36); Stambuk/D (Fn. 36); enger bei Rechtsanwälten wegen ihrer Stellung in der Rechtspflege: EGMR Schöpfer/CH (Fn. 36). Zur Schwierigkeit der Abgrenzung in Grenzbereichen, vgl. etwa EGMR Markt Intern Verlags-GmbH u.a./D (Fn. 36); Jacubowski/D (Fn. 187); zu beiden Callies EuGRZ 1996 293; vgl. ferner Frowein/ Peukert 27; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 361. Etwa EGMR Handyside/UK (Fn. 68); Sunday Times/UK (Fn. 54); Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Casado Coca/E (Fn. 104); Volkmer/D (Fn. 124); Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290; Frowein/Peukert 27; vgl. auch Rn. 49. Vgl. etwa EGMR Worm/A (Fn. 24); Hoff-
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meister EuGRZ 2000 358, 363 ff.; MeyerLadewig 43; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 781. EGMR Steel u. Morris/UK, 15.2.2005, ECHR 2005-II = NJW 2006 1255. EGMR Steel u. Morris/UK (Fn. 201; Aktivisten von Greenpeace London verteilten Flugblätter, die McDonalds u.a. vorwarfen, für die Hungersnot in den Dritte-WeltLändern verantwortlich zu sein; Schadensersatz unverhältnismäßig). Vgl. HRC General Comment 10/19 Nr. 3, EuGRZ 1984 421; ferner Sottiaux ZaöRV 63 (2003) 653, 669 ff. zur Rspr. des EGMR, vor allem zu den türkischen Pressefällen, u.a. EGMR Zana/TRK, 25.11.1997, Rep. 1997-VII = ÖJZ 1998 715; vgl. auch EGMR Akdas/TRK, 16.2.2010. Zu den Schutzpflichten des Staates vgl. Rn. 29 ff.
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und anwenden wollen.205 Der EGMR erkennt an, dass die nationalen Stellen aufgrund ihrer Sachnähe die Erforderlichkeit eines Eingriffs besser beurteilen können, zumal in den Vertragsstaaten in einigen Bereichen die Auffassungen und die Rechtslage sehr unterschiedlich sind.206 Der EGMR ist daher darauf bedacht, die Würdigung des konkreten Falles durch die innerstaatlichen Stellen grundsätzlich nicht durch seine eigene Sicht zu ersetzen.207 Dennoch prüft er mitunter eingehend nach, ob im Lichte des Gesamtzusammenhangs, in dem die betroffenen Meinungskundgaben standen, die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung eines Eingriffs herangezogenen Gründe auch wirklich für diesen maßgeblich waren und ob sie solches Gewicht hatten, dass sie den Eingriff rechtfertigen können.208 Dies ist nicht der Fall, wenn eine Zeitschrift der ihr aufgrund eines Mediengesetzes 59 auferlegten Veröffentlichungspflicht in der Zeit nicht nachkam, in der ein Gericht eine solche Verpflichtung verneinte; und zwar auch dann, wenn dessen Urteil später aufgehoben und die Verpflichtung obergerichtlich bejaht wurde.209 Die von den Behörden für den Eingriff angeführten Gründe müssen sich auf eine vertretbare Beurteilung des maßgebenden Sachverhalts stützen und einem Standard entsprechen, der im Einklang mit den in den Konventionen enthaltenen Grundsätzen steht.210 Hierbei kann es vor allem für die Beurteilung der Demokratieüblichkeit von indizieller Bedeutung sein, ob auch andere Mitgliedstaaten ähnliche Eingriffe vorsehen oder ob dort vergleichbare Einschränkungen fehlen. Im letzteren Fall obliegt es in der Regel dem betroffenen Staat aufzuzeigen, warum aufgrund der bei ihm bestehenden besonderen Verhältnisse die fragliche Regelung trotzdem notwendig ist. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, ob innerstaatlich überhaupt eine einheitliche Staatspraxis besteht.211 Es kommt aber stets auf die Beurteilung an, ob und wieweit im Einzelfall solche Umstände den Beurteilungsspielraum des Staates einschränken.212 Bei Fragen von öffentlichem Interesse, die Gegenstand der politischen Erörterung 60 oder sonst der öffentlichen Meinungsbildung und damit Grundlage der für die demokratische Gesellschaft notwendigen offenen Auseinandersetzung sind, ist der Handlungs-
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EGMR Vogt/D (Fn. 124); Worm/A (Fn. 24); Volkmer/D (Fn. 124); Wingrove/UK (Fn. 150); vgl. Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 779. Vgl. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 774 ff. (europäischer Standard „common ground“ ergibt sich aus dem Vergleich der Rechtssysteme und der Praxis in den Mitgliedstaaten, die in der demokratischen Grundordnung weitgehend übereinstimmen, während dagegen vor allem im kulturellen und religiösen Bereich größere Unterschiede bestehen). Etwa EGMR Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = NJW 1984 541 = EuGRZ 1981 488; Tolstoy Miloslavsky/UK (Fn. 154); Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 2)/A (Fn. 166). EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Goodwin/UK (Fn. 67); Worm/A (Fn. 24); Zana/TRK (Fn. 203); Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Bladet Tromso u. Stensaas/N
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(Fn. 67); Wingerter/D (E), 21.3.2002, NJW 2003 877 = EuGRZ 2002 329 (Warnung des AnwG gegenüber Rechtsanwalt, der Angehörige der Justiz verunglimpft hatte). Zu der mitunter bestehenden Tendenz des EGMR, trotz formaler Anerkennung eines staatlichen Beurteilungsspielraums die Abwägungen selbst zu treffen, ohne jedoch dabei die entscheidungsrelevanten Obersätze klar herauszustellen, vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 361, 367 ff. EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 2)/A (Fn. 166; Geldbuße nach dem nationalen Mediengesetz). EGMR Zana/TRK (Fn. 203); Lehideux u. Isorni/F (Fn. 10). Vgl. EGMR Handyside/UK (Fn. 68; Beschlagnahme nur in England, nicht aber in Schottland oder Nordirland). Vgl. Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 775 f.
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spielraum des Staates für Regelungen und Einzeleingriffe eng. In diese Bereiche darf der Staat nur eingreifen, wenn schwerwiegende Gründe oder seine Schutzpflicht dies erfordern.213 Der mit dem Eingriff verfolgte legitime Zweck muss die Verhältnismäßigkeit gegenüber dem hohen Rang der von Art. 10 EMRK geschützten Rechte wahren.214 Berücksichtigt wird dabei auch, ob die staatliche Rechtsordnung andere, weniger eingreifende Mittel bereit hält, mit denen der erstrebte Schutz erreicht werden kann.215 Die existentielle Bedeutung der freien Meinungsäußerung für das Funktionieren eines demokratischen Staatswesens ist dann gegenüber dem Schutz der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter abzuwägen. Die abschließende Gesamtbeurteilung, ob der Eingriff bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, trifft der Gerichtshof unter Hinweis auf seine Überwachungsaufgabe selbst,216 auch wenn er sich gelegentlich mit der Feststellung begnügt, dass die nationalen Gerichte die Abwägung in nachvollziehbarer Weise vorgenommen haben.217 Das Verbot der Willkür gilt auch für das staatliche Handeln in diesem Bereich. Willkür liegt aber nicht schon darin, dass Zivil- und Strafgerichte bei der Beurteilung einer Äußerung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, zumal auch die Beweislast in den jeweiligen Verfahrensarten unterschiedlich verteilt ist.218 Der Staat muss sich in seinem Handeln zurückhalten, wenn Fragen der Politik oder 61 sonstige Themen von öffentlichem Interesse kontrovers erörtert werden. Dies schließt auch die Kritik an den im öffentlichen Leben wirkenden Personen, vor allem an Politikern, aber auch an Akademikern, die mit einem Werk zu einer öffentlichen Debatte beitragen,219 mit ein.220 Dabei fällt auch ins Gewicht, dass es zur umfassenden Unterrichtung der Bürger wichtig ist, dass sich niemand aus Angst vor Sanktionen davon abhalten lässt, seine Meinung zu Themen von allgemeinem Interesse privat oder öffentlich auszusprechen und Kritik an öffentlichen Zuständen zu üben.221 Insofern ist auch ein absolutes Verbot für Mediziner, Berufskollegen für deren Behandlungsmethoden nicht zu kritisieren, nicht haltbar.222
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EGMR Hertel/CH (Fn. 107; Warnung vor Gesundheitsrisiko); Barthold/D (Fn. 36; statt Wettbewerb, vielmehr Beitrag zur öffentlichen Diskussion, daher kein weiter Beurteilungsspielraum). EGMR Lingens/A (Fn. 2); Sunday Times/UK (Fn. 54); Markt Intern Verlag GmbH u.a./D (Fn. 36); Wille/FL (Fn. 124); Wabl/A (Fn. 38); Krone Verlag GmbH & Co. KG/A, 26.2.2002, ÖJZ 2002 466; Krone Verlag GmbH & Co. KG (Nr. 2)/A (Fn. 166). EGMR Lehideux u. Isorni/F (Fn. 10). Etwa EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Goodwin/ UK (Fn. 67). Vgl. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 780, wonach der engere oder weitere Beurteilungsspielraum der Staaten spiegelbildlich einer größeren oder geringeren Kontrolldichte des Gerichtshofs entspricht. Vgl. EGMR Wingrove/UK (Fn. 150); Calliess EuGRZ 1996 293. EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG u.
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Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co. KG/A (Fn. 193). Vgl. EGMR Azevedo/P, 27.3.2008 (Kritik an einer Stellungnahme zur Qualität öffentlicher Gärten). Vgl. Grabenwarter § 23, 41 unter Hinweis auf EGMR Lopes Gomes da Silva/P, 28.9.2000, ECHR 2000-X; Meyer-Ladewig 56 ff. EGMR Lingens/A (Fn. 2); Barfod/DK, 22.2.1989, A 149 = ÖJZ 1989 695; Oberschlick/A (Fn. 2); Wingrove/UK (Fn. 150). Vgl. auch House of Lords EuGRZ 1993 197; Frowein/Peukert 29; ferner etwa BVerfGE 54 129; 83 130; 145; NJW 1992 1442, 1444; 2074; kritisch dazu Kriele NJW 1994 1897, 1899; zur Gefahr des sog. „chilling effect“ vgl. Rn. 62. Ansonsten wäre das Ziel des Berufes, der Schutz der Gesundheit und des Lebens der Patienten, gefährdet: EGMR Frankowicz/ PL, 16.12.2008.
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Freiheit der Meinungsäußerung
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Nur wenn im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung schwerwiegende Miss- 62 bräuche und Rechtsverletzungen auftreten, kann ein Eingreifen des Staates zum Schutz einer der in Art. 10 Abs. 2 EMRK / Art. 19 Abs. 3 IPBPR aufgeführten Gründe nötig sein, um wichtige Allgemein- oder Einzelinteressen, nicht zuletzt auch die unantastbare Menschenwürde223 zu schützen, so etwa wenn Mitteilungen über das Privatleben auch bei einer im öffentlichen Leben stehenden Person mit keinem achtenswerten öffentlichen Informationsinteresse mehr gerechtfertigt werden können224 oder bei Ahndung oder Verhütung einer auch bei politischen Auseinandersetzungen nicht zulässigen bewusst ehrverletzenden Äußerung225 oder bei der Bekämpfung illegaler Maßnahmen oder Gewalttätigkeiten. Der EGMR bewertet auch hier die Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahmen selbst und wägt sie gegen das Recht der Bevölkerung auf umfassende Informationen unter Beachtung der Nachteile ab, die der für eine Demokratie notwendigen freien Auseinandersetzung bei einer zu restriktiven Handhabung der Einschränkungen entstehen
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Vgl. BVerfGE 75 369, 380; 93 266, 293; 102 347, 367; Grimm NJW 1995 1697, 1703; ferner BVerfG NJW 2003 1303 (zur Benetton Werbung; sorgfältige Abwägung, ob die Ausübung eines Grundrechts, das wie die Meinungsfreiheit selbst in der Menschenwürde wurzelt, die Menschenwürde eines anderen verletzt); zur Schockwerbung vgl. auch Nolte RabelsZ 1999 507, 518. Vgl. Grabenwarter § 23, 42, 44 unter Hinweis auf EGMR Tammer/EST, 6.2.2001, sowie EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 163): Fotos aus Privatbereich, wobei der EGMR den geschützten Bereich weiter zieht als das BVerfG NJW 2000 1021 u. BGH NJW 1996 1128 bei Auslegung von §§ 22, 23 KUG; der BGH ist in der Folge bemüht gewesen, durch Entwicklung eines sog. „abgestuften Schutzkonzepts“ der Rechtsprechung des EGMR gerecht zu werden, vgl. z.B. BGH NJW 2007 1981 = GRUR 2007 523; NJW 2007 1977 = GRUR 2007 527; NJW 2008 749; NJW 2008 3141; NJW 2010 3025; NJW 2011 744; NJW 2011 746; zweifelnd, ob insbesondere die beiden zuletzt genannten Entscheidungen auf der Linie des EGMR liegen, weil letztlich die Bekanntheit der Person bei der Abwägung widerstreitender Interessen den Ausschlag zugunsten der Pressefreiheit gebe, Wanckel NJW 2011 726; das BVerfG hat die neue Rechtsprechung des BGH „im Grundsatz gebilligt“ (Neumeyer DRiZ 2011 163), BVerfG NJW 2008 1793; siehe auch BVerfG NJW 2011 740; zusammenfassend Neumeyer a.a.O 162; siehe ferner BGHZ 178
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213 = NJW 2009 757 zur zulässigen Bildberichterstattung über den als Teil der öffentlichen Verwaltung bedingten Strafvollzug eines Filmschauspielers als Person des öffentlichen Interesses auch ohne dessen Einwilligung. Vgl. EKMR ÖJZ 1990 124 (Schmähkritik, bei der nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht, wird nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt; vielmehr tritt sie hinter dem Achtungsanspruch des Betroffenen zurück); vgl. BVerfGE 61 1, 12; 82 272, 284; BVerfG EuGRZ 1993 146. Allerdings kann eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs allenfalls ausnahmsweise die Annahme einer der Abwägung der jeweils einschlägigen Grundrechte entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann (BVerfG NJW 2009 749). Andernfalls liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (BVerfG NJW 2009 3016). Vgl. ferner BVerfG NJW 2009 908 zur Verunglimpfung der Bundesflagge („Schwarz-Rot-Senf“).
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können.226 Dazu zählt auch die Gefahr, dass die für die Information der Bevölkerung wichtige, unbegrenzt offene Erörterung echter oder vermeintlicher Missstände wegen der dann möglicherweise befürchteten Nachteile – und sei es auch nur wegen der Notwendigkeit zur Rechtfertigung in einem Verfahren – beeinträchtigt werden könnte („chilling effect“).227 Der verantwortlichen Berichterstattung in der Presse kommt in der demokratischen 63 Gesellschaft eine unersetzliche Funktion für die Verbreitung von Nachrichten und Ideen über alle Angelegenheiten des öffentlichen Interesses zu. Bei der Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen trägt sie zu deren von den Konventionen geforderten Öffentlichkeit bei.228 Bei Eingriffen in die Pressefreiheit und in die Freiheit der Berichterstattung der anderen Medien werden an die Erforderlichkeit des staatlichen Einschreitens wegen dieser Bedeutung einer freien Presse für die Information der Öffentlichkeit und der ungehinderten Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft sowie dem Recht der Bürger auf unbehinderte Information besonders hohe Anforderungen gestellt.229 Daraus folgt, dass eine Freiheitsstrafe nur in Fällen gerechtfertigt ist, in denen Grundrechte anderer betroffen sind, zum Beispiel beim Auffordern zur Gewaltanwendung.230 Aufgrund der Gleichstellung von Meinungsäußerungen von politischem oder allgemeinem Interesse mit Äußerungen der Presse gelten hier für Einschränkungen dieselben hohen Hürden.231 Grundsätzlich können sich die Angehörigen der Presse ebenso wie jeder andere durch 64 das Vertreten eigener Meinungen am öffentlichen Meinungsbildungsprozess beteiligen,232 wobei jedoch die jeweiligen Meinungsäußerungen durch ihre Publizierung höhere Bedeutung erlangen können. Dies ist bei der erforderlichen Abwägung ebenso zu berücksichtigen wie die besondere Bedeutung der Presse in einem demokratischen Staatswesen, in dem ihr als „Wachhund der Öffentlichkeit“ („public watchdog“) die Aufgabe zukommt, auch belastende Informationen von ernsthafter öffentlicher Bedeutung zu verbreiten233 und dazu Stellung zu nehmen und so den gerade auch bei öffentlichen Missständen bestehenden Informationsanspruch der Öffentlichkeit zu erfüllen.234 Dies gilt vor allem für die öffentlichen Tätigkeiten eines Politikers,235 für öffentliche Aktivitäten
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EGMR Zana/TRK (Fn. 203); Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); vgl. auch Grimm NJW 1995 1697, 1703. Aus der Verfassungsrechtsprechung der USA; vgl. Giegerich RabelsZ 1999 471, 478, 489; ferner etwa EGMR Jersild/DK (Fn. 10); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Perna/I (Fn. 184); Grabenwarter § 23, 37; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 819. EGMR Worm/A (Fn. 24); Grabenwarter § 23, 40. EGMR Lingens/A (Fn. 2); Oberschlick/A (Fn. 2); Weber/CH (Fn. 168); Hacquemand/F, 16.7.2009; zur strafrechtlichen Verurteilung eines Journalisten einer französischen Tageszeitung, der eine Pressenotiz mit einem Foto, das eine verhaftete Person in Polizeigewahrsam
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veranschaulichte, illustrierte); Fatullayev/ ASE, 22.4.2010; siehe schon EKMR bei Strasser/Weber EuGRZ 1988 91. EGMR Cumpa˘na˘ u. Maza˘re/ROM, 17.12.2004, ECHR 2004-XI (Verurteilung wegen Beleidigung zu einer Gefängnisstrafe); siehe auch: EGMR Mahmudov u. Agazade/ASE, 18.12.2008. EGMR Steel u. Morris/UK (Fn. 201). Vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 364. Etwa EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2); Goodwin/UK (Fn. 67); Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Perna/I (Fn. 184); Grabenwarter § 23, 39. EGMR Kjeldsen u.a./DK (Fn. 33); Grabenwarter § 23, 39. EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG/A, 26.2.2002 (Fn. 214).
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von Personen und Vereinigungen,236 auch der eigenen Rundfunkanstalt,237 oder bei Straftaten politischer Natur.238 Ein strengerer Maßstab ist dagegen an Presseveröffentlichungen anzulegen, wenn 65 diese außerhalb ihrer oben erwähnten Funktion in der demokratischen Gesellschaft Berichte und Fotos aus dem Alltagsleben einer Person präsentieren, die keinerlei Bedeutung für die öffentliche Diskussion einer Frage von allgemeinem Interesse haben.239 Für solche Veröffentlichungen kann sich die Presse nicht auf ihren öffentlichen Auftrag berufen, so dass der Schutz des Privatlebens der Betroffenen nach Ansicht des EGMR Vorrang hat.240 Diese Gesichtspunkte fallen bei der Abwägung der Zulässigkeit eines staatlichen Eingriffs ins Gewicht,241 ohne dass dadurch aber die sich aus Art. 10 Abs. 2 1. Hs. EMRK ergebenden Pflichten und Verantwortlichkeiten entfallen.242 Die Verantwortlichkeit der Medienberichterstattung umschließt grundsätzlich die Ver- 66 pflichtung zur Sorgfalt bei eigenen Ermittlungen und im Rahmen des Möglichen auch die Prüfung der von anderen mitgeteilten Tatsachen,243 bevor darüber im guten Glauben berichtet wird.244 Grundsätzlich kann ein Journalist bei Einhaltung dieser journalistischen Sorgfaltspflichten nicht belangt werden.245 Allerdings gehen diese Pflichten nicht so weit, als dass sie den Journalisten verpflichteten, sich vom Inhalt eines Zitats, das Dritte beleidigen könnte, förmlich zu distanzieren; eine solche Pflicht wäre mit der Aufgabe der Presse nicht vereinbar.246 Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte anderer verbietet jede nach dem Berichtszweck unnötige Herabsetzung. Bei der Wiedergabe amtlicher Berichte ist die Prüfungspflicht reduziert; im Einzelfall kann sie ganz entfallen.247 In der Regel dürfen Aussagen Dritter, z.B. die Antworten befragter Personen im Rahmen von Interviews, verbreitet werden, selbst wenn diese strafbare Äußerungen (rassistische Diskriminierungen) enthalten, sofern sich der Journalist bzw. der Interviewer damit nicht identifiziert. Grundsätzlich hat die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, über derartige Meinungen, die Personen, die sie vertreten, und deren Herkunft und Hintergründe unterrichtet zu werden.248 Nur außerordentlich schwerwiegende
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EGMR Jerusalem/A (Fn. 38); Antica u. „R“ Company/RUM, 2.3.2010; Flinkkilä u.a./ FIN, 6.4.2010. EGMR Wojtas-Kaleta/PL, 16.7.2009. EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG/A (Fn. 214). So in EGMR Standard Verlags GmbH (No. 2)/A, 4.6.2009, NJW 2010 751 = ÖJZ 2009 926. Vgl. EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 163). EGMR Jersild/DK (Fn. 10); De Haes u. Gijsels/B, 24.2.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1997 912; Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Bergens Titende u.a./N, 2.5.2000, ECHR 2000-VI = ÖJZ 2001 110; Grabenwarter VVDStL 60 (2001) 290, 309. Etwa EGMR Goodwin/UK (Fn. 67); Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Bergens Titende u.a./N (Fn. 241); Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 364. Vgl. EGMR Thorgeir Thorgeirson/ISL
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(Fn. 2; keine weitere Nachprüfung bei glaubhaften Mitteilungen über Brutalitäten der Polizei); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Standard Verlagsgesellschaft mbH (No. 2)/A, 22.2.2007, ÖJZ 2007 836; Petrina/RUM, 14.10.2008, NL 2008 287; Grabenwarter § 23, 45; Meyer-Ladewig 37, 49 f. Meyer-Ladewig 33. KK-EMRK-GG/Grote/Wenzel Kap. 18, 134; Zeder ÖJZ 2011 6 f. mit Darstellung der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung. EGMR Pedersen u. Baadsgard/DK (Fn. 23). Vgl. EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Tara u. Poiata/MOL, 16.10.2007; Meyer-Ladewig 49 f.; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 366. EGMR Jersild/DK (Fn. 10), mit dem Hinweis, dass andernfalls die Medien ihre Aufgabe als „öffentlicher Wachhund“ nicht
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Gründe können einen Eingriff in dieses Recht rechtfertigen.249 Ähnliche Grundsätze gelten für Berichtererstattungen über Pressekonferenzen.250 Der journalistischen Freiheit wird ein gewisser Grad von polemischer Übertreibung 67 und Provokation zugestanden.251 Von den betroffenen Politikern, die sich infolge ihrer Berufswahl mit ihrer öffentlichen Tätigkeit der Kritik der Öffentlichkeit unterwerfen, wird ein höheres Maß an Toleranz gefordert 252 und zwar selbstverständlich auch dann, wenn diese Politiker gleichzeitig in einem anderen Beruf (z.B. Rechtsanwalt) tätig sind.253 Die polemische Übertreibung und Provokation, die den Journalisten eingeräumt wird, muss dabei in der gleichen Weise einem kritisierten Politiker eingeräumt werden, der durch die Presse auf die an ihn gerichtete Kritik antwortet.254 Die Grenzen, die die Staaten der freien Meinungsäußerung in diesem Bereich setzen dürfen, müssen nach der Sachlage unbedingt erforderlich sein.255 Sie müssen berücksichtigen, dass Art. 10 EMRK die Kritik am Staat und seinen Organen, an den sonstigen öffentlichen Einrichtungen und an den bestehenden Verhältnissen sowie auch an den im öffentlichen Leben stehenden Personen in einem viel weiteren Umfang zulässt als bei Privatpersonen.256 Im Übrigen müssen sich alle staatlichen Eingriffe im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen halten. So kann zwar auch bei Werturteilen, die einem Beweis nicht zugänglich sind, verlangt werden, dass sie auf einer Tatsachengrundlage beruhen,257 bei allgemein gehaltenen Werturteilen („würdelos“; „Opportunismus“; „illegal“ 258) kann jedoch kein Wahr-
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erfüllen würden; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 364; Meyer-Ladewig 31; EGMR Savitchi/MOL, 11.10.2005 (Interview mit Kritik an einem Polizisten); Ormanni/I, 17.7.2007 (Interview mit einem der Vergewaltigung Beschuldigten). Vgl. EGMR Pedersen u. Baadsgard/DK (Fn. 23; Bf. hatten einen hochrangigen Polizisten einer Straftat – der Unterdrückung wichtigen Beweismaterials in einem Strafverfahren – beschuldigt, u.a. unter Bezugnahme auf die Aussage einer Taxifahrerin. Die Ausführungen waren auf dem Beweis zugängliche Tatsachen gestützt, deren Richtigkeit die Bf. jedoch in keiner Weise begründen konnten; Einschränkung der Meinungsfreiheit der Bf. mit Verweis auf das öffentliche Ansehen des Polizisten und seine Unschuldsvermutung gerechtfertigt). Vgl. EGMR July u. Sarl Libération/F, 14.2.2007. Etwa EGMR Prager u. Oberschlick/A (Fn. 104); Oberschlick/A, 1.7.1997, Rep. 1997-IV = NJW 1999 1315 = ÖJZ 1997 956; Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Janovski/PL (Fn. 165); Bladet Tromso u. Stensaas/N (Fn. 67); Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); Wabl/A (Fn. 38); Feldek/SLO, 12.7.2001, ÖJZ 2002 814; Perna/I (Fn. 184); Scharsach u. News Verlagsgesellschaft/A, 13.11.2003, ECHR 2003-XI = ÖJZ 2004 512; Kulis u. Rózycki/PL, 6.10.2009;
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Meyer-Ladewig 31. Für andere Berufe gilt dieses Recht zur Überzeichnung nicht, vgl. ÖVerfGH EuGRZ 1994 571 (Rechtsanwalt). EGMR Lingens/A (Fn. 2); Incal/TRK, 9.6.1998, Rep. 1998-IV; Scharsach u. News Verlagsgesellschaft/A (Fn. 251); Ukrainian Media Group/UKR, 29.3.2005. EGMR Riolo/I, 17.7.2008 (Artikel mit Kritik an einem Politiker für seine Doppelrolle: Verteidigung eines Angeklagten in einem Mafia-Mordverfahren, andererseits Tätigkeit als Politiker; Politiker hatte sich laut EGMR selbst scharfer Kritik ausgesetzt, die auch in ihrem provokativen Ton hinzunehmen war). EGMR Sanocki/PL, 17.7.2007. Das ist z.B. der Fall, wenn lebenswichtige Interessen des Staates, wie z.B. die nationale Sicherheit oder die territoriale Integrität, gegen terroristische Bedrohungen geschützt werden soll: EGMR Falakaoglu u. Saygili/ TRK, 23.1.2007. EGMR Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102). EGMR Krone Verlag GmbH & Co. KG u. Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co. KG/A (Fn. 193); Scharsach u. News Verlagsgesellschaft/A (Fn. 251); Lindon, Otchakovsky-Laurens u. July/F, 22.10.2007, ECHR 2007-XI = NJOZ 2009 2203. EGMR Vides Aizsardzibas Klub/LET, 27.5.2004 (NRO hatte einen Bericht ver-
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heitsbeweis gefordert werden.259 Hier reicht bereits eine gewisse Tatsachengrundlage.260 Im Einzelfall kann sich die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen als schwierig erweisen, die aufgrund der unterschiedlichen Grenzen für die Rechtfertigungsebene aber notwendig ist.261 Anerkannt wird das Recht der Journalisten, ihre Informationsquelle geheim zu 68 halten, da hierin eine Grundvoraussetzung der für eine demokratische Gesellschaft unerlässlichen Pressefreiheit gesehen wird.262 Ein unzureichender Quellenschutz könnte Informanten abschrecken, die Presse bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit über Angelegenheiten öffentlichen Interesses zu unterstützen und so ihre Aufgabe als „public watchdog“ gefährden.263 Daher stellt die Durchsuchung von Wohnung und Büro eines Journalisten einen Eingriff in die Pressefreiheit dar, wenn sie aufgrund lediglich vager Anhaltspunkte für eine durch den Journalisten im Zusammenhang mit der Erlangung der verwendeten Informationen begangene Straftat nicht zu rechtfertigen ist.264 Das Ausmaß des Quellenschutzes kann sich ferner erheblich auf ein laufendes Strafverfahren auswirken. Im Fall Voskuil/NL265 hatte ein Journalist einen Artikel veröffentlicht, in dem ein ungenannter Polizist Methoden preisgab, die er gegenüber verschiedenen Personen bei strafrechtlichen Ermittlungen gebraucht hatte. Das zuständige Gericht befahl dem Journalisten die Identität der Quelle preiszugeben, einerseits um drei wegen Waffenhandel Angeklagten ein faires Verfahren zu garantieren, andererseits um die Integrität der Polizei und Justizbehörden zu wahren. Der Journalist weigerte sich, was für ihn eine zweiwöchige Inhaftierung zur Folge hatte. Obwohl das staatliche Vorgehen nach nationalem Recht vorgesehen war und zur Verhütung von Straftaten i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK erfolgte, sah der EGMR eine Verletzung des Art. 10 EMRK als gegeben an. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Quellen von der Zusammenarbeit mit der Presse abgeschreckt werden, was wiederum deren Rolle als „public watchdog“ gefährde.266 Anders kann sich die Lage dann darstellen, wenn ein Journalist verdeckt recherchiert und so die Quelle gar nicht erfährt, dass sie als selbige fungiert.267
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fasst, der einem Bürgermeister vorwarf, „illegale“ Dokumente, Entscheidungen und Zertifikate unterschrieben zu haben. Dieser Bericht wurde in einer Regionalzeitung veröffentlicht. Der EGMR sah die von der NRO vorgelegten Beweise als ausreichend an. Das Wort „illegal“ erachtete er als eine persönliche Rechtsauffassung in Form eines Werturteils und nicht als Tatsachenbehauptung). EGMR Lingens/A (Fn. 2); Oberschlick/A (Fn. 2); Jerusalem/A (Fn. 38); Scharsach u. News Verlagsgesellschaft/A (Fn. 251); Meyer-Ladewig 50. Vgl. EGMR Kulis/PL, 18.3.2008 (zur Bezeichnung „Lügner“). Vgl. etwa EGMR Krasulya/R, 22.2.2007 (Gebrauch des Tempus „Zukunft“ als Indiz für ein Werturteil). EGMR Goodwin/UK (Fn. 67; gerichtliche Offenlegungsorder und Strafe wegen Nichtbefolgung; zum Schutz von Informanten und des Redaktionsgeheimnisses); EGMR Voskuil/NL (Fn. 22); Tillack/B, 27.11.2007,
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ECHR 2007-XIII = NJW 2008 2565; siehe auch Grabenwarter § 23, 47; Frowein/Peukert 17; Meyer-Ladewig 53. EGMR Voskuil/NL (Fn. 22); ebenso BVerfG NJW 2011 1859 = DVBl 2011 161: Beschlagnahme von Beweismitteln in Redaktionsräumen oder Rundfunksendern; Missachtung der Subsidiaritätsklausel des § 97 Abs. 5 Satz 2, 2. Hs. StPO. Vgl. aber auch EGMR Financial Times Ltd u.a./UK, 15.12.2009; Sanoma Uitgevers B.V./NL (Fn. 67), wobei die Große Kammer, 14.9.2010, eine Verletzung des Art. 10 EMRK bejahte. EGMR Tillack/B, 27.11.2007 (Fn. 262); vgl. auch EGMR Romen u.a./LUX, 25.2.2003, ECHR 2003-IV. EGMR Voskuil/NL (Fn. 22). Insbesondere konnten die Aussagen des Journalisten im Verfahren gegen die wegen Waffenhandels Angeklagten durch andere Zeugenaussagen ersetzt werden. EGMR Nordisk Film u. TV A/S/DK (E) (Fn. 22), dazu auch Zeder ÖJZ 2011 8.
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In Deutschland gewährt § 53 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 3 StPO Journalisten ein weit reichendes Zeugnisverweigerungsrecht, unabhängig davon, ob die Nennung der Quelle zur Aufklärung einer Straftat erforderlich ist oder die dem Journalisten zugespielte Information rechtmäßig oder rechtswidrig (Geheimnisverrat) erlangt wurde.268 Grundsätzlich untersagt § 97 Abs. 5 StPO die Beschlagnahme von Unterlagen eines Journalisten, um zu verhindern, dass die Ermittlungsbehörden die nicht genannte Quelle selbst identifizieren.269 Jedoch wird dieser Schutz in der Praxis oftmals dadurch ausgehebelt, dass gegen den Journalisten aufgrund des Verdachts der Beihilfe zu einer Straftat der „Quelle“ (Geheimnisverrat; §§ 353b, 27 StGB) ermittelt wird.270 Im Juni 2009 wurde die von europäischen Journalisten initiierte Europäische Charta 70 für Pressefreiheit (European Charter on Freedom of the Press) vorgestellt.271 Zur Stärkung ihrer Rechte können sich Medienvertreter auf diese Charta berufen, wenn sie von Regierungen oder Behörden in ihrer journalistischen Freiheit beeinträchtigt werden. Die zehn Artikel umfassende Charta legt Grundsätze fest, die Regierungen beim Umgang mit Journalisten einhalten müssen (u.a. Zensurverbot; Schutz vor Überwachungen, Lauschaktionen und Durchsuchungen von Redaktionen und Computern; freier Zugang von Journalisten und Bürgern zu allen in- und ausländischen Informations- und Medienquellen). Sie fordert mit Nachdruck den Schutz der Journalisten vor Bespitzelung. Nach der Vorstellung ihrer Initiatoren sollte die Anerkennung der Charta bei künftigen Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union bzw. zum Europarat zur Bedingung gemacht werden. Bei Einzelfragen des privaten Bereichs, bei denen nicht das Funktionieren des öffent71 lichen Lebens unmittelbar berührt ist, sondern das Verhältnis zwischen einzelnen Bürgern, ihre gegenseitigen Rechte, ihre persönliche Integrität oder ihre weltanschaulichen und religiösen Auffassungen272 oder auch der private Wettbewerb,273 hat der Staat einen 268 269 270
Hettling/Voelkel DAJV 2006 77, 78; siehe auch BVerfGE 66 116 (Springer/Wallraff). Hierzu: BVerfG NJW 2011 1859 = DVBl 2011 161. Dies ist grundsätzlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt (BVerfGE 117 244, 260 ff.). Allerdings muss dann „dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenen Informantenschutz bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen […] hinreichend Rechnung getragen worden [sein]“. Zur Stärkung des Informanten- und Quellenschutzes hat der Bundestag einen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) beschlossen, der die Aufnahme eines Abs. 3a in § 353b StGB mit folgendem Wortlaut vorsieht: „(3a) Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhal-
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tung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.“ (BTDrucks. 17 3355 v. 21.10.2010). Zusätzlich ist eine Ergänzung von § 97 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 StPO vorgesehen. Die Beschlussempfehlung des Bundesrates lautet allerdings auf Ablehnung der Gesetzesänderung, da der Schutz der Journalisten über § 34 StGB ausreichend sei. Ein Beschluss des Bundesrates ist noch nicht erfolgt, vgl. BRDrucks. 538/10, 875. Sitzung, 15.10.2010, S. 15. Zu diesem Gesetzgebungsvorhaben siehe Ignor/Sättele ZRP 2011 69. Siehe hierzu auch den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks. 17 3989 v. 30.11.2010). Zum Text der Charta: www.pressfreedom.eu. Vgl. einerseits EGMR Wingrove/UK (Fn. 150); aber andererseits auch EGMR Otto-Preminger-Institut/A (Fn. 39); dazu Grabenwarter ZaöRV 55 (1995) 128. Etwa EGMR Barthold/D (Fn. 36); Markt Intern Verlag GmbH u.a./D (Fn. 36); Casado Coca/E (Fn. 104); Jacubowski/D
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größeren Regelungsraum, vor allem, wenn er kollidierende Freiheitsrechte zwischen den Bürgern ausgleichen274 oder einem starken Wandel in den wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen muss.275 Stehen sich auf beiden Seiten die Rechte auf freie Meinungsäußerungen gegenüber, ist der Staat, der in der Sache die konträren Meinungen beider Seiten achten muss, darauf beschränkt, gegen Missbräuche einzuschreiten, so vor allem, wenn das Recht auf Achtung der Menschenwürde276 oder ein sonstiges vorrangiges Recht eines Beteiligten verletzt wird.
5. Einzelne Zwecke einer zulässigen Beschränkung a) Schutz der nationalen Sicherheit. Der Schutz der nationalen Sicherheit, der auch 72 die in Art. 10 Abs. 2 EMRK besonders erwähnte territoriale Unversehrtheit mit umfasst, rechtfertigt Einschränkungen der Äußerungs- und Informationsbeschaffungsfreiheit zur Verhütung einer Gefährdung des Staates. Darunter fällt etwa die Bekämpfung separatistischer Aktivitäten und Aussagen 277 oder der strafrechtliche Schutz von Staatsgeheimnissen,278 aber auch das Verbot, u.a. in der Presse über eine gerichtliche Verhandlung oder den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks zu berichten, wenn in einer gerichtlichen Verhandlung die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen wurde (§ 174 Abs. 2 GVG; § 353d Nr. 1, 2 StGB).279 Unter bestimmten Umständen kann auch das Einschreiten gegen die Aufforderung zur Fahnenflucht mit diesem Zweck gerechtfertigt werden.280 Die durch Art. 20 Abs. 1 IPBPR (siehe Rn. 96 ff.) ausdrücklich festgelegte Verpflichtung, Kriegspropaganda durch Gesetz zu verbieten, wird ebenfalls erfasst, wie auch das Verbot einer neonazistischen oder faschistischen Betätigung281 und der Bestrafung der Verbreitung von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen282 sowie der mit einem Parteiverbot zwangsläufig verbundene Eingriff in Art. 10 EMRK.283 Bei ernsthaften Konflikten und Spannungen besteht eine besondere Sorgfaltspflicht der Medien bei ihrer Berichterstattung, damit sie nicht zur Verbreitung von Hass und Gewalt missbraucht werden.284
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(Fn. 187; Wettbewerbsverstoß durch Rundbrief); zu beiden Callies EuGRZ 1996 293; Kulms RabelsZ 1999 520, 524; Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 779 ff., 785. EGMR Wingrove/UK (Fn. 150; Schutz vor Blasphemie). Etwa EGMR Casado Coca/E (Fn. 104). Vgl. BVerfGE 75 369, 380; 102 347; BVerfG NJW 2002 1303; Grimm NJW 1995 1697, 1703. Vgl. Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 361 zu den 13 Entscheidungen des EGMR gegen die Türkei in den Jahren 1998 und 1999 (Bekämpfung separatistischer pro-kurdischer Äußerungen). EGMR Hadjianastassiou/GR, 16.12.1992, A 252 = NJW 1993 1697 = ÖJZ 1993 396 = EuGRZ 1993 70; ferner die sog. SpycatcherFälle EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2) und Sunday Times Nr. 2 (Fn. 2); ferner Nowak 54. Zu den Einschränkungen
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des Geheimnisschutzes bei bereits anderweitig der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen vgl. EGMR Vereniging Weekblad Bluf/NL, 9.2.1995, A 306-A = ÖJZ 1995 469; ähnlich EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); dazu Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 812. Siehe auch: EGMR Adamek/D (E), 25.3.2008 (Verurteilung eines Journalisten wegen des Abhörens von Polizeifunk). EKMR bei Frowein/Peukert 37 zu konkreten Hinweisen auf Desertionsmöglichkeiten in Nordirland. EKMR bei Frowein/Peukert 37; Nowak 54; näher liegend wohl öffentliche Ordnung vgl. Rn. 73. EKMR nach Frowein/Peukert 37. Vgl. Art. 11 EMRK Rn. 37 ff. Vgl. EGMR S¸ ener/TRK, 18.7.2000, ÖJZ 2001 696; Meyer-Ladewig 33.
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b) Öffentliche Ordnung. Die öffentliche Ordnung, die in Art. 19 Abs. 3 IPBPR durch den Begriff „ordre public“ definiert wird,285 rechtfertigt ebenfalls Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit. Dieser sehr weite Begriff deckt vielfach auch die Eingriffe ab, die bei Art. 10 Abs. 2 EMRK unter die dort detaillierter aufgeführten legitimen Eingriffsziele fallen. Auch die Konzessionierung von Rundfunk-, Lichtspiel- und Fernsehunternehmen wird hierdurch gedeckt.286 Bei der großen Spannweite dieses Begriffs, der vielgestaltige Maßnahmen im öffentlichen Interesse umfassen kann, erlangen die aus den allgemeinen Grundsätzen, vor allem die aus der Notwendigkeit und der Demokratieüblichkeit ableitbaren Schranken besondere Bedeutung, so etwa auch bei der Beurteilung berufsrechtlicher Werbeverbote.287 Art. 10 EMRK versucht eine Eingrenzung des weiten Begriffs der öffentlichen Ord74 nung dadurch, dass er die für die Beschränkung wichtigen Gesichtspunkte „öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung und Verbrechensverhütung“ nebeneinander aufzählt. Unter Ordnung wird die allgemeine öffentliche Ordnung verstanden, die vom Schutz der demokratischen Institutionen und der staatlichen Strukturen gegen Störungen bis zu der Regelung einzelner Sachbereiche reicht, wie etwa der Ordnung des Straßenverkehrs oder der Telekommunikation oder die Maßnahmen zur Verhütung von gegenseitigen Störungen beim Betrieb von Rundfunkanlagen.288 Auch die interne Ordnung einzelner öffentlicher Einrichtungen, wie von Behörden, des Militärs289 oder von Strafanstalten,290 fallen hierunter. Bei der Beurteilung, ob und welche Maßnahmen im konkreten Fall zur Aufrechterhaltung der Ordnung angezeigt sind, haben die Staaten und ihre Organe einen gewissen Beurteilungsspielraum, der dadurch begrenzt wird, dass die jeweiligen Maßnahmen zur Erreichung des mit ihnen angestrebten Zweckes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein müssen und dass sie die Verhältnismäßigkeit gegenüber dem mit ihnen angestrebten Zweck wahren.291 Die Verhütung von Straftaten rechtfertigt die Einschränkung der Meinungsäußerungs75 freiheit durch die „klassischen“ Straftatbestände. Vor allem können Äußerungen, die zur Begehung einer Straftat auffordern, unterbunden werden.292 Allerdings ist auch hier der jeweilige Einzelfall sehr genau zu prüfen. So stellt es keine Aufforderung zu einer Straftat dar, wenn Zeitungsartikel, die ein negatives Bild eines Staates zeichnen und zudem im feindlichen Ton verfasst sind, Personen nennen, die terroristische Aktivitäten bekämpfen.293 Beim Vermummungsverbot überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr und der Verhütung strafbarer Handlungen den damit verbundenen Ein-
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Die engl. Fassung „public order“ bringt diesen Begriff als Klammerzusatz. Zur Entstehung vgl. Nowak 55. Nowak 56. Vgl. etwa EGMR Barthold/D (Fn. 36); Casado Coca/E (Fn. 104); dazu Villiger 618. EGMR Autronic AG/CH (Fn. 56); EKMR bei Strasser EuGRZ 1990 291 (Autronic AG). EGMR Engel/NL (Fn. 125); Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A (Fn. 70); Frowein/Peukert 38; Grabenwarter § 23, 22. EGMR Golder, 21.2.1975, A 18 = EuGRZ 1975 91; Silver/UK (Fn. 127); Frowein/Peukert 38 u.a. zum Verbot, Artikel aus dem
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Gefängnis zu schreiben; Grabenwarter § 23, 22; Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 791; vgl. auch: EGMR Nilsen/UK (E), 9.3.2010 (Einschreiten der Strafanstalt gegen Vorhaben eines Strafgefangenen, eine Autobiographie zu veröffentlichen). Vgl. EGMR Chorherr/A, 25.8.1993, A 266-B = ÖJZ 1994 174; Piermont/F (Fn. 7). Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 794. EGMR Ergin u. Keskin/TRK (Nr. 1 u. 2), 16.6.2005 (türkische Gerichte hatten die Bf. u.a. schuldig befunden, Personen bewusst zur Zielscheibe terroristischer Aktivitäten gemacht zu haben); siehe auch: EGMR Çetin/TRK (Fn. 143).
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Freiheit der Meinungsäußerung
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griff in die nur in der äußeren Form ihrer Ausübung betroffene Meinungsfreiheit.294 Der Schutz der öffentlichen Ordnung rechtfertigt auch Maßnahmen zur Durchsetzung des in Art. 20 IPBPR ausdrücklich verbotenen Eintretens für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zur Diskriminierung, Feindseligkeiten oder Gewalt aufgestachelt wird (vgl. Rn. 96 ff.).295 Zu berücksichtigen sein kann dabei der Kontext, in dem die Aufstachelungen auftauchen. So liegt die Grenze zum Einschreiten im Vergleich zum Gebrauch von Massenmedien höher, wenn die Äußerungen lediglich im Rahmen einer Novelle getätigt werden.296 Äußerungen, die sich gegen die der Konvention zugrunde liegenden Werte richten, genießen nicht den Schutz des Art. 10 EMRK.297 Die Beschlagnahme und Einziehung eines Films wegen der Verletzung der religiösen Gefühle eines großen Teiles der Bevölkerung durch den Filminhalt kann unter dem Blickwinkel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der Rechte anderer gerechtfertigt sein.298 Das Gleiche gilt für das im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse mit Art. 9 EMRK gerechtfertigte Verbot der religiösen Radiowerbung in Irland.299 Ebenso hat es der EGMR als einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechend angesehen, dass die Türkei gegen verletzende Angriffe in Glaubensfragen, die den Muslimen heilig sind, vorging, und die (geringe) Bestrafung eines Autors für die Veröffentlichung eines Buches in der Türkei, das eben solche Glaubensvorstellungen stark angriff, als gerechtfertig angesehen.300 c) Ansehen und Unparteilichkeit der Rechtspflege. Einen Sonderfall der öffentlichen 76 Ordnung und einen Einschränkungszweck, der auch für Strafverfahren von unmittelbarer Bedeutung ist, stellt die in Art. 10 Abs. 2 EMRK besonders erwähnte Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtspflege dar. Diese wohl von der angelsächsischen Vorstellung des „contempt of court“301 beeinflusste Zielsetzung wird auch von der Überlegung mitbestimmt, dass die Richter durch ihre Verschwiegenheitspflicht mitunter daran gehindert sind, einer öffentlichen Kritik entgegenzutreten.302
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Vgl. BGer EuGRZ 1992 137. Vgl. HRC Faurisson/F, 8.11.1996, 550/1993, EuGRZ 1998 271, wo der Zweck eines französischen Gesetzes, Antisemitismus zu bekämpfen, als mit Art. 19 Abs. 3 IPBPR vereinbar angesehen wurde, während die abstrakte Beurteilung eines das Leugnen anderer historischer Tatsachen unter Strafe stellenden Gesetzes abgelehnt wurde; zur Problematik Weiß EuGRZ 1998 274; Hoffmeister EuGRZ 2000 358, 360. Vgl. zur ungerechtfertigten Beschlagnahme einer auf Tatsachen basierenden Novelle: EGMR Alinak/TRK, 29.3.2005; allerdings kann auch im Rahmen der Meinungsäußerung in einer Novelle die Grenze überschritten sein, vgl: EGMR Lindon, OtchakovskyLaurens u. July/F (Fn. 257). EGMR Lehideux u. Isorni/F (Fn. 10). EGMR Otto-Preminger-Institut/A (Fn. 39); dazu Grabenwarter ZaöRV 55 (1995) 128; Meyer-Ladewig 72 f.; Villiger 602; Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 809 f.; vgl. ferner
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auch EGMR Wingrove/UK (Fn. 150; blasphemisches Video). EGMR Murphy/IR, 10.7.2003, ECHR 2003-IX (zur besonderen religiösen Lage in Irland sowie der Benachteiligung finanzschwächerer Religionsgemeinschaften bei Zulassung); vgl. Goedecke JIR 46 (2003) 606, 626. Vgl. EGMR I.A./TRK, 13.9.2005, ECHR 2005-VIII = NJW 2006 3263 (unter Hinweis darauf, dass das Buch nicht aus dem Verkehr gezogen, nur eine geringe Strafe verhängt wurde und der Prophet Mohamed die zentrale Rolle in der Lehre des Islams einnehme). Vgl. etwa EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Brit. High Court EuGRZ 1992 594; Frowein/Peukert 30, 43; Grabenwarter § 23, 24. EGMR De Haes, Gijsels/B (Fn. 241); vgl. zur politischen Betätigung eines Richters EGMR Hrico/SLO, 20.4.2004, § 46; Grabenwarter § 23, 32; Steinberger Umfang und Grenzen der Kritik an Richtern in Deutsch-
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Wenn es einem Richter allerdings möglich ist, seinen Ruf auf zivilrechtlichem Wege zu verteidigen, so kann dies zur Unverhältnismäßigkeit einer staatlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit, insbesondere einer Gefängnisstrafe wegen Kritik an der Justiz, führen.303 Beamte, die in der Rechtspflege tätig sind, sollten von Meinungsäußerungen, die die Autorität und Unparteilichkeit der Rechtspflege beeinträgen könnten, Abstand nehmen, was aber nicht heißt, dass solche generell untersagt wären.304 Gesetzliche Regelungen und Einzelanordnungen zum Schutz des Ansehens des 77 Gerichts sowie der Richter und zur Sicherung der Autorität des Gerichts werden als zulässig angesehen, so etwa die Versagung des Zutritts (§ 175 GVG) oder die Ahndung eines ungebührlichen Verhaltens vor Gericht (§ 178 GVG) oder die Ahndung von herabwürdigenden Äußerungen über Berufs- und Laienrichter.305 Gestattet sind vor allem Maßnahmen, die die Funktion der Rechtspflege schützen und nicht zuletzt die Laienrichter vor einer Beeinflussung durch die Massenmedien bewahren sollen (vgl. § 353d StGB; Rn. 79) 306 oder die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit einer strafrechtlichen Untersuchung.307 Bei einem Einschreiten gegen eine Presseveröffentlichung ist ein strenger Maßstab 78 anzulegen. Eingriffe in die Berichterstattung über Maßnahmen der Rechtspflegeorgane sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Hier fällt ins Gewicht, dass die Rechtspflege grundsätzlich öffentlich ist,308 so dass der Information der Öffentlichkeit besonderes Gewicht zukommt.309 Die Zulässigkeit von Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerungen im Interesse des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtspflege berechtigen den Staat nicht, bereits jede öffentliche Erörterung einer bei Gericht anhängigen Sache einzuschränken.310 Dafür bedarf es eines schwerwiegenden Grundes. Art und Umfang der Einschränkung müssen den Umständen nach unerlässlich sein. So kann z.B. zur Sicherung eines fairen Verfahrens die Erörterung eines laufenden Verfahrens nach
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land, den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2010), S. 281 ff.; vgl. auch: EGMR Bezymyannyy/R, 8.4.2010 (Anschuldigung gegen Richter, ein vorsätzlich unrichtiges Urteil gefällt zu haben). EGMR Katrami/GR, 6.12.2007 (Artikel über ein Strafverfahren gegen Schwester; Bezeichnung des Richters implizit als „Clown“; Bewährungsstrafe vom EGMR beanstandet, u.a. mit dem Hinweis auf Anhängigkeit einer zivilrechtlichen Klage des Richters). EGMR Kayasu/TRK, 13.11.2008 (türkischer Staatsanwalt hatte Anklage gegen einen Initiator des Militärcoups von 1980 erhoben und leitete an die Presse u.a. Kopien der Anklageschrift weiter. Die türkischen Gerichte erlegten ihm Bewährungsstrafen auf und enthoben ihn seines Amtes u.a. wegen Beleidigung des Militärs. Der EGMR entschied, dass der „chilling effect“, den solche Strafen auf alle der in der Justizpflege
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Tätigen haben, berücksichtigt werden müsse. Insofern bedürfe es einer angemessenen Balance zwischen dem Recht des Beamten auf Meinungsfreiheit und dem damit konkurrierenden Interesse der gebührlichen Rechtspflege). EGMR Barford/DK, 22.2.1989, A 149 = ÖJZ 1989 695; vgl. auch Corte Costituzionale EuGRZ 2002 613 mit Anm. Luther (Kontrollaufgabe des Abgeordneten rechtfertigt nicht Beleidigung eines Staatsanwalts). Guradze 19; dazu auch: EGMR Axel Springer AG/D, 18.3.2010. EGMR Weber/CH (Fn. 168; Bestrafung der Veröffentlichung einer bereits vorher bekanntgewordenen Tatsache als für nicht notwendig in einer demokratischen Gesellschaft angesehen). Vgl. Art. 6 EMRK Rn. 377 ff. Vgl. EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Frowein/Peukert 43. EGMR Worm/A (Fn. 24).
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nationalem Recht geahndet werden, wenn sie objektiv geeignet ist, dessen Ausgang zu beeinflussen.311 Auch das Verbot, den Gang einer Verhandlung stark verkürzt im Fernsehen nachzuspielen, wurde als gerechtfertigt angesehen.312 Der Sicherung des Gerichts gegen Beeinflussung dient auch § 353d Nr. 3 StGB, der die Veröffentlichung der Anklageschrift oder amtlicher Schriftstücke eines Straf-, Bußgeld- oder Disziplinarverfahrens vor ihrer Verwendung im Verfahren oder vor dessen Abschluss mit Strafe bedroht. Sachliche Kritik an einer getroffenen Entscheidung kann, selbst wenn einseitig und überzogen, nicht mit dem Hinweis auf das Ansehen des Gerichts bzw. des einzelnen Richters unterbunden werden; die Gerichte müssen sie hinnehmen.313 Nicht akzeptabel sind hingegen Versuche, schon vorher durch unsachliche öffentliche Kritik den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen.314 Gleiches gilt für Beleidigungen der Berufs- oder Laienrichter,315 wobei persönliche Kritik zulässig ist, solange sie anlassbezogen ist und sich im Rahmen akzeptabler Grenzen bewegt.316 Auch Rechtsanwälte, vor allem Strafverteidiger, müssen durch ihr Verhalten vor Gericht, durch den Inhalt und die Form ihrer Ausführungen, zu einer ordnungsgemäßen Rechtspflege beitragen. Sie besitzen aber einen notwendigerweise großen Freiraum für Art und Form ihrer Ausführungen bei der nachdrücklichen Vertretung der Rechte und Interessen ihrer Klienten. Dieser Freiraum ist allerdings nicht unbegrenzt – auch nicht mit Hinweis auf das der Prozesspartei garantierte Recht auf ein faires Verfahren.317 Dies gilt vor allem für persönliche Beleidigungen.318 Wegen der Bedeutung der nicht durch die Befürchtung nachträglicher Sanktionen beeinflussten Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen in der Verhandlung sieht der EGMR allerdings nur in Ausnahmefällen eine Einschränkung der Äußerungsfreiheit des Verteidigers als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig an.319 Dabei liegt der Maßstab für die Notwendigkeit einer Einschränkung höher, wenn der Mandant einem strafrechtlichen Verfahren ausgesetzt ist, als in einem Verfahren, in dem es lediglich um eine Disziplinarstrafe geht.320 Grundsätzlich hat ein Rechtsanwalt – auch außerhalb des Gerichtssaals – das Recht, öffentlich die Rechtspflege zu kritisieren.321 Seiner Kritik sind aber gewisse Grenzen 311 312 313
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EGMR Worm/A (Fn. 24). EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 613. Vgl. EGMR Sunday Times/UK (Fn. 54); Sabou u. Pîrcalab/RUM, 28.9.2004; Kobenter u. Standard Verlags GmbH/A, 2.11. 2006, ÖJZ 2007 342; Frowein/Peukert 43. Vgl. EGMR Prager u. Oberschlick/A (Fn. 104); Worm/A (Fn. 24); Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 815; Villiger 623. EGMR Barfod/DK (Fn. 221); Prager u. Oberschlick/A (Fn. 104); Meyer-Ladewig 75; dazu: Steinberger 281 ff. Vgl. EGMR July u. Sarl Libération/F (Fn. 250). Vgl. EGMR Schöpfer/CH (Fn. 36); dazu Villiger 618; Wingerter/D (Fn. 208); Nikula/ FIN (Fn. 26); Kyprianou/ZYP (Fn. 26); Meyer-Ladewig 76. Vgl. BGH NJW 2009 2690 mit der Feststellung, dass ein Mandatsverhältnis keine
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Straffreiheit für persönliche Schmähungen Dritter, die ein Strafverteidiger gegenüber seinem Mandanten äußert, begründet, insbesondere dann nicht, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigung zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu sein. Ferner hierzu BVerfGE 76 171; BVerfG StV 1994 489. EGMR Nikula/FIN (Fn. 26). EGMR Schmidt/A, 17.7.2008, ÖJZ 2008 909. Vgl. EGMR Foglia/CH, 13.12.2007 (Anwalt kritisierte die Methoden der StA in einem Strafverfahren, das mangels Beweisen eingestellt worden war, als oberflächlich und flüchtig. Er selbst hatte einige Personen bei ihren zivilrechtlichen Klagen vertreten).
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gesetzt,322 die bezüglich einer Strafverfolgungsbehörde, die dem Angeklagten im Verfahren gegenübersteht, weiter gezogen werden müssen als bei der Kritik an einem unparteiischen Richter.323
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d) Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten. Art. 10 Abs. 2 EMRK erwähnt als legitimes Eingriffsziel gesondert die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten.324 Dabei wird auf einen materiellen Geheimnisbegriff abgestellt, d.h. es ist in jedem Fall im Rahmen der Abwägung zu entscheiden, ob die Geheimhaltungsinteressen oder das Informationsinteresse überwiegen.325 Während die französische Fassung des Konventionstextes von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen („informations confidentielles“) spricht, bezieht sich der englische Text nur auf Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulich erhaltenen Informationen („received in confidence“). Die englische Sprachfassung ist nach Ansicht des EGMR zu restriktiv geraten, so dass auch Dritte, die nicht in einem Vertrauensverhältnis zum Dokument stehen, insbesondere Medienvertreter, unter die Vorschrift fallen.326 Damit dürften sowohl der Schutz vertraulich zu behandelnder Tatsachen aus dem öffentlichen Bereich,327 als auch aus dem zivilen Bereich, gedeckt sein, ebenso Maßnahmen zum Schutz des Steuergeheimnisses.328 Ein Eingriff in die Pressefreiheit kann nicht mehr mit dem Schutzbedürfnis geheimer 84 Informationen gerechtfertigt werden, wenn diese Informationen sachlich richtig und bereits der Öffentlichkeit zugänglich sind 329 – auch dann nicht, wenn diese Informationen infolge einer Verletzung eines Dienstgeheimnisses erlangt wurden.330 Ob und inwie-
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Überschritten waren diese Grenzen in EGMR Coutant/F, 24.1.2008 (Anwältin hatte eine Woche nach Beginn eines Strafverfahrens in einem Presseartikel die missbräuchlichen Methoden von Spezialeinheiten der Polizei im Kampf gegen den Terrorismus an den Pranger gestellt, ohne Beweise dafür liefern zu können). EGMR Nikula/FIN (Fn. 26). Frowein/Peukert 42; Guradze 18 (Vorschriften zum Schutz von Berufs- und Amtsgeheimnissen gedeckt), vgl. dort auch zum Unterschied zwischen dem nur die Vertraulichkeit der Mitteilung schützenden englischen Text und dem auch die Vertraulichkeit des Inhalts mitumfassenden französischen Text. EGMR (GK) Stoll/CH, 10.12.2007, NJWRR 2008 1141 = forumpoenale 2008 134 (auszugsweises Zitat eines als geheim einzustufenden Strategiepapiers; Verurteilung wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen; kein Verstoß gegen Art. 10 EMRK, unter Absage an den „formellen Geheimnisbegriff“); vgl. Schwaibold forumpoenale 2008 180. EGMR (GK) Stoll/CH (Fn. 325). Bei staatlichen Geheimnissen überschneidet
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sich dieser Eingriffszweck mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, vgl. die sog. Spycatcher-Fälle EGMR Observer u. Guardian/ UK (Fn. 2) und Sunday Times Nr. 2 (Fn. 2); ferner Vereniging Weekblad Bluf/NL (Fn. 278), wo der staatliche Eingriff wegen der Veröffentlichung an sich geheimer Informationen unter dem Blickwinkel der nationalen Sicherheit gesehen wurde; vgl. ferner EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 168), dazu Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 812; sowie BGer EuGRZ 2001 416 (Veröffentlichung eines vertraulichen amtlichen Papiers). Vgl. EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 168); Meyer-Ladewig 18, 54. So im sog. Spycatcher-Fall: EGMR Observer u. Guardian/UK (Fn. 2) und Sunday Times Nr. 2 (Fn. 2), wo das Buch bereits in den USA erschienen war; Vereniging Weekblad Bluf/NL (Fn. 278). Im Fall Fressoz u. Roire/F (Fn. 168) war das veröffentlichte versteuerte Einkommen für jedermann aus den Steuerlisten der Gemeinde ersichtlich. EGMR Dammann/CH, 25.4.2006 (Journalistenrecherche: Vorstrafen des Verdächtigen; Assistentin der StA teilt unter Verletzung des Dienstgeheimnisses Vorstrafen mit, ohne Drängen/Täuschen des
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weit andere Eingriffsziele, wie etwa der Schutz der Rechte anderer, den Eingriff rechtfertigen können, ist in Abwägung der dort zu berücksichtigenden Gesichtspunkte zu entscheiden.331 In Ausnahmefällen, und als letzter Ausweg, kann Art. 10 EMRK sogar die Weitergabe von internen Informationen durch einen Beamten an die Presse rechtfertigen, wenn andere Wege keinen Erfolg versprechen und die Informationen von öffentlichem Interesse sowie authentisch sind.332 Beim IPBPR, der diesen Eingriffsgrund nicht besonders erwähnt, rechtfertigen sich Schutzmaßnahmen je nach der Art der Nachricht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der öffentlichen Ordnung oder bei vertraulichen Nachrichten aus dem Privatbereich unter dem des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer. e) Schutz der Gesundheit. Der Schutz der Gesundheit wird in beiden Konventionen 85 besonders erwähnt. Art. 19 Abs. 3 IPBPR spricht von „Volksgesundheit“ („public health“). Dass Art. 10 Abs. 2 EMRK auch im Sinne der Belange der öffentlichen Gesundheitspflege zu verstehen ist, liegt nahe, kann aber dahinstehen, denn staatliche Maßnahmen, die die Gesundheit Einzelner vor Schädigungen bewahren sollen, werden auch durch den Eingriffszweck des Schutzes der Rechte anderer gerechtfertigt.333 Der Gesundheitsschutz kann Eingriffe in die Meinungsfreiheit rechtfertigen, so etwa durch das Verbot einer irreführenden Werbung. In die Meinungsfreiheit wird aber nicht dadurch eingegriffen, dass der Staat den Abdruck seines Warnhinweises auf der Verpackung eines Produkts vorschreibt.334 f) Schutz der Moral und der öffentlichen Sittlichkeit. Der Schutz der Moral (Art. 8 86 Abs. 2 EMRK: „protection of morals“ / „protection de la morale“) bzw. nach Art. 19 Abs. 3 IPBPR der öffentlichen Sittlichkeit („public […] morals“ / „moralité publique“) kann ebenfalls Eingriffe des Staates rechtfertigen. Auch Art. 10 Abs. 2 EMRK meint die öffentliche Moral im Sinne der allgemein anerkannten Moralvorstellungen; bei einem Verstoß gegen diese Moral kann das Recht der Betroffenen staatliche Schutzmaßnahmen rechtfertigen. Maßgebend sind dabei nicht die individuellen Moralvorstellungen Einzelner, sondern der in der jeweiligen Gesellschaft zeitlich und örtlich vorherrschende allgemeine Standard. Dieser ist bei den Konventionsstaaten sehr unterschiedlich und auch dem ständigen Wandel unterworfen.335 Die Konventionsorgane räumen deshalb den nationalen Stellen einen weiten Beurteilungsspielraum ein, da diese wegen ihrer Sachnähe die von der jeweiligen Tradition und den in der Gesellschaft jeweils vorherrschenden Anschauungen beeinflussten örtlichen Moralvorstellungen besser beurteilen können.336
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Journalisten; Informationen hätten auch auf anderem Wege, z.B. „case-law reports“, erlangt werden können). Vgl. z.B. EGMR Radio Twist/SLO (Fn. 119; Ausstrahlung eines Telefongesprächs zwischen Justizminister und stellvertretendem Ministerpräsidenten über politische Themen). Vgl. EGMR Guja/MOL, 12.2.2008. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 793. Vgl. BVerfGE 95 173, 182; dazu Di Fabio NJW 1997 2863 (Verpflichtung zum Abdruck eines ministeriellen Warnhinweises auf Tabakerzeugnissen betrifft die Berufs-
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ausübung, nicht aber die Meinungsfreiheit; ferner Sachs/Bethge Art. 5, 38b GG, Nolte RabelsZ 1999 507, 517 (Vorrang des Gesundheitsschutzes). Vgl. Frowein/Peukert 39; Meyer-Ladewig 35. Vgl. EGMR Handyside/UK (Fn. 68); Müller u.a./CH (Fn. 39); Open Door u. Dublin Well Woman/IR (Fn. 58; Schwangerschaftberatung); Otto-Preminger-Institut/A (Fn. 39); Wingrove/UK (Fn. 150); HRC EuGRZ 1982 342 (Hertzberg); dazu Weiß EuGRZ 1998 274; Hoffmeister EuGRZ 2000 358; Frowein/Peukert 39; Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 793 f.; Villiger 610.
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Dies kann zu Differenzierungen führen.337 Der Eingriffszweck erlaubt etwa das Einschreiten gegen pornographische Schriften338 durch Verbote und Strafen oder die Bestrafung wegen der Ausstellung unzüchtiger Kunstwerke und deren Beschlagnahme.339 Bei der Beurteilung, ob ein Einschreiten zum Schutz der Moral notwendig ist, fällt auch ins Gewicht, ob durch die staatliche Maßnahme eine ernsthafte Verletzung und Kränkung der religiösen Gefühle eines Teiles der Bevölkerung340 oder schädliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen verhindert werden sollen.341
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g) Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer. Der Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer gestattet ebenfalls Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Er rechtfertigt vor allem die Bestrafung wegen beleidigenden oder herabwürdigenden Äußerungen, die grundsätzlich auch in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer notwendig ist.342 Gleiches gilt grundsätzlich für das vom Staat zu schützende Recht des Einzelnen, Eingriffe Dritter in seinen durch Art. 8 EMRK geschützten privaten Lebensbereich, insbesondere Presseveröffentlichungen darüber, mit Hilfe der Gerichte abzuwehren.343 Der Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer setzt aber auch der politischen Auseinandersetzung Schranken, wobei hier vor allem bei einem Politiker, soweit er in öffentlicher Funktion auftritt, die Grenzen vertretbarer Kritik nach Form und Inhalt weiter gezogen werden als bei Privatleuten,344 was von den nationalen Gerichten allerdings immer wieder nicht in Betracht gezogen wird.345 Vertreter des Staates und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens346 müssen 88 sich ein erhöhtes Maß an öffentlicher Erörterung und Kritik gefallen lassen.347 Grundsätzlich ist aber auch in diesem Bereich öffentlicher Auseinandersetzung die Notwendigkeit des Schutzes der persönlichen Belange einschließlich des Ehrenschutzes abzuwägen gegen das schwerwiegende, für jede demokratische Gesellschaft existentielle Interesse der Öffentlichkeit an der offenen Diskussion aller Fragen, denen im jeweiligen Zeitpunkt politische oder eine sonstige allgemeine Bedeutung beigemessen wird.348 Auch im Rahmen dieser Abwägung kommt dem Staat ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.349 Fraglich erscheint, ob Art. 10 EMRK aufgrund einer „Gesamtbetrachtung“ noch
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Im Gegensatz zum EGMR Müller u.a./CH (Fn. 39), hielt EKMR (EuGRZ 1986 702) in der gleichen Sache zwar die Bestrafung, nicht aber die Beschlagnahme, die auch die Ausstellung im Ausland verhinderte, für notwendig zum Schutz der örtlichen Moralvorstellungen; vgl. dazu Frowein/Peukert 39; Villiger 615 f. EGMR Wingrove/UK (Fn. 150); Villiger 616. EGMR Müller u.a./CH (Fn. 39); Würkner NJW 1989 369. Vgl. EGMR Otto-Preminger-Institut/A (Fn. 39); Wingrove/UK (Fn. 150). EGMR Handyside/UK (Fn. 68) maß diesem Gesichtspunkt besonderes Gewicht bei; ebenso HRC EuGRZ 1982 342 (Hertzberg). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1981 122; zu den einschlägigen Entscheidungen der EKMR Frowein/Peukert 41; vgl. Kriele NJW
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1994 1897 (Schutz der persönlichen Ehre kommt zu kurz). Vgl. Giegerich RabelsZ 1999 471, 498. EGMR Lingens/A (Fn. 2); Oberschlick/A (Fn. 2); Schwabe/A (Fn. 104); Karhuvaara u. Iltalehti/FIN, 16.11.2004, ECHR 2004-X = NJW 2006 591; Krasulya/R (Fn. 261); Frowein/Peukert 41; Nowak 50 ff.; vgl. Rn. 67. Vgl. zuletzt EGMR Dabrowski/PL, 19.12.2006. Vgl. EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 168): Veröffentlichung der Steuererklärung eines Generaldirektors. Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 796 ff.; Bodrozic/SRB, 23.6.2009. EGMR Oberschlick/A (Fn. 2); Bodrozic/SRB (Fn. 347). Vgl. EGMR Karhuvaara u. Iltalehti/FIN (Fn. 344; strenge Strafen für einen begrenzten Eingriff in die Privatsphäre einer Abge-
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die Bezeichnung eines Politikers als „Trottel“ deckt, weil sie im Rahmen einer polemischen Kritik an einer von diesem in einer Rede vertretenen, als Provokation empfundenen Auffassung noch als (sachbezogene) Reaktion auf diese Auffassung und nicht als persönliche Beleidigung verstanden werden kann.350 Bei der erforderlichen Abwägung ist zu unterscheiden, ob sich die Kritik gegen die Führung des öffentlichen Amtes oder die Rolle der Person im öffentlichen Leben oder aber gegen ihr Privatleben und ihr Verhalten als Einzelperson richtet.351 In den öffentlichen Bereichen, die der Kritik weitgehend offen stehen, kommt den Pflichten und Verantwortlichkeiten der Journalisten erhöhte Bedeutung zu,352 da sie dabei nach der Funktion des Betroffenen unterscheiden müssen. Dies kann vor allem bei nachgeordneten Beamten und Verwaltungsangehörigen eine Rolle spielen, die sich zwar hinsichtlich ihrer Amtsführung im weiteren Maße als im Privatleben der Kritik stellen müssen, die aber im Interesse ihrer Amtsführung auch insoweit einen Anspruch auf Schutz vor beleidigenden verbalen Attacken genießen.353 Aus strafrechtlicher Sicht relevant ist der Grundsatz, dass der Schutz der Unschulds- 89 vermutung (Art. 6 EMRK Rn. 445 ff.) ein zulässiges Einschränkungskriterium des Art. 10 EMRK darstellt – und zwar ungeachtet dessen, wer die Äußerung tätigt – ob Funktionär, Politiker oder Journalist.354 Bei der Medienberichterstattung über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse kann es in Abwägung mit den legitimen privaten Interessen des Betroffenen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein, dass ein Nachrichtenmagazin zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt wird, wenn es den Beschuldigten unter Hinweis auf ein eingeleitetes Strafverfahren mit vollem Namen genannt und ihn auf diese Weise einer die Unschuldsvermutung missachtenden Medienjustiz ausgeliefert hat, ohne dass das öffentliche Interesse an der Berichterstattung die Nennung des vollen Namens erfordert hätte.355 Allerdings kann auch die Berufung auf die Unschuldsvermutung eine Einschränkung 90 des Art. 10 EMRK nicht pauschal rechtfertigen. Das verdeutlicht der Umstand, dass der Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens auch dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ohne dass die Aussage zunächst in einem Strafverfahren bewiesen werden
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ordneten; krasse Unverhältnismäßigkeit in Bezug auf die Meinungsfreiheit). EGMR Oberschlick/A (Fn. 251) nahm das an; dazu Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 797, unter Hinweis auf EGMR Lopes Gomes da Silva/P (Fn. 220; ähnlich herabwürdigende Kritik eines Politikers zulässig); Scharsach u. News Verlagsgesellschaft/A (Fn. 251; Bezeichnung als „Kellernazi“ in Verbindung mit dem Vorwurf einer ungenügenden Abgrenzung von der extremen Rechten; zulässig); Karman/R, 14.12.2006 (Bezeichnung eines Politikers als „lokaler Neofaschist“ in Hinblick auf dessen Veröffentlichungen, deren Ideale denen des Nationalsozialismus ähnelten); zulässig: Meyer-Ladewig 49. Frowein/Peukert 41; vgl. Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 795, wobei den Staaten wegen der Bedeutung der Presseberichterstattung in der demokratischen Gesellschaft
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bei der erforderlichen Abwägung kaum ein eigener Beurteilungsspielraum eingeräumt wird. EGMR Jersild/DK (Fn. 10); Prager u. Oberschlick/A (Fn. 104); Unabhängige Initiative Informationsvielfalt/A, 26.2.2002, ECHR 2002-I, ÖJZ 2002 468. EGMR Janovski/PL (Fn. 165); Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 798. EGMR Constantinescu/RUM (Fn. 24); Worm/A (Fn. 24); Tourancheau u. July/F (Fn. 23); Pedersen u. Baadsgard/DK (Fn. 23); Meyer-Ladewig 53, 74. EGMR „Wirtschafts-Trend“ ZeitschriftenVerlagsgesellschaft mbH/A (E) (Fn. 24); vgl. auch: BGH MMR 2010 571 (Bereithalten von Teasern zum Abruf im Internet, in denen ein verurteilter Straftäter namentlich genannt wird); BGH NJW 2010 757 (namentliche Nennung eines Straftäters in einem Online-Archiv).
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müsste.356 Darüber hinaus mag im Einzelfall sogar eine Berichterstattung über ein laufendes Verfahren möglich sein.357 Weitere Grenzen der Unschuldsvermutung als Einschränkungskriterium der Meinungsfreiheit hat der EGMR im Fall Dupuis aufgezeigt.358 Gegen zwei französische Journalisten war ein Bußgeld wegen der Veröffentlichung und Verbreitung vertraulicher Informationen trotz eines laufenden Strafverfahrens gegen eine durch die Veröffentlichung betroffene bedeutende politische Figur verhängt worden. Diese Maßnahme wurde vom EGMR als ungerechtfertigt angesehen, da ein erhebliches, öffentliches Interesse an der Bereitstellung und Verfügbarkeit der veröffentlichten Informationen bestand, diese der Öffentlichkeit zumindest zum Teil bekannt waren und es zudem nicht nachgewiesen werden konnte, dass die veröffentlichten Informationen tatsächlich einen negativen Einfluss auf die Unschuldsvermutung hatten. Als nicht unverhältnismäßig hat der EGMR die anwaltsgerichtliche Verwarnung eines Anwalts wegen der Verunglimpfung des guten Rufes der ortsansässigen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte in einem Kostenfestsetzungsverfahren angesehen.359 Soweit der Staat selbst und seine Einrichtungen (Verwaltungsstellen, Polizei usw.) als solche Gegenstand einer öffentlichen Kritik, vor allem in der Presse, sind, hat die Erörterung der kritisierten Vorgänge in der Öffentlichkeit wegen ihrer Bedeutung für das Funktionieren einer demokratischen Kontrolle besonderes Gewicht. Hier werden für ein staatliches Vorgehen gegen eine solche Kritik viel engere Grenzen gezogen als bei den im öffentlichen Leben stehenden Personen.360 Die Achtung der Rechte anderer entspricht als grundsätzliche Grenze der Meinungsund der Informationsbeschaffungsfreiheit den besonderen Pflichten und der besonderen Verantwortung, die für die Ausübung dieser Konventionsrechte auch privaten Dritten gegenüber zu beachten ist.361 Andere können sowohl Einzelpersonen als auch bestimmte, in irgendeiner Hinsicht übereinstimmende Personengruppen sein. Entgegenstehende Rechte anderer können in vielfältiger Form bestehen. Sie umfassen die auch vom Schutz des guten Rufes gerechtfertigte Strafbarkeit der üblen Nachrede 362 und der Beleidigung anderer, den Persönlichkeitsschutz 363, den Urheberschutz oder die gewerbliche oder
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EGMR Flux/MOL, 29.7.2008 (nicht fundierter Vorwurf der Bestechlichkeit gegenüber Schulleiterin). Vgl. EGMR Campos Dâmaso/P (Fn. 25; ausnahmsweise Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber dem Recht auf ein faires Verfahren; Bf. hatte bereits mehrere Artikel über das Verfahren veröffentlicht und nahm keine Stellung zu einer möglichen Tatschuld; kein Laienrichter involviert, so dass es sehr unwahrscheinlich war, dass der Artikel, der gründlich recherchiert und authentisch war, den Ausgang des Verfahrens beeinflussen hätte können). EGMR Dupuis u.a./F (Fn. 24). EGMR Wingerter/D (E) (Fn. 208). Vgl. etwa EGMR Castells/E (Fn. 2); Thorgeir Thorgeirson/ISL (Fn. 2); Bas¸kaya u. Okçuog˘lu/TRK (Fn. 102); Prebeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 799 m.w.N.
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Frowein/Peukert 41; Nowak 50 ff. Der EGMR unterscheidet ebenfalls, ob eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliegt, verlangt aber auch bei Werturteilen eine ausreichende Tatsachengrundlage: EGMR De Haes u. Gijsels/B (Fn. 241); Oberschlick/A (Fn. 251); Jerusalem/A (Fn. 38); Krone Verlag GmbH & Co. KG u. Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co. KG/A (Fn. 193); vgl. aber auch EGMR Lingens/A (Fn. 2), Wahrheitsbeweis für allgemein herabsetzende Würdigung des Verhaltens eines Politikers unverhältnismäßig. Vgl. EGMR Hoffer u. Annen/D, 13.1.2011, NJW 2011 3353 = ZfL 2011 61 = DÖV 2011 281 (Ls.) (Meinungsfreiheit muss in Abwägung zum Persönlichkeitsrecht zurücktreten, wenn im Kampf gegen Abtreibung eine Broschüre verteilt wird, in der die Formulierung
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
geschäftliche Betätigung364 sowie das Eigentumsrecht Dritter, das auch der künstlerischen Betätigung an fremden Gegenständen Schranken setzt.365 Sie schließen den Schutz der religiösen Überzeugung anderer vor blasphemischer Herabwürdigung366 oder vor Beunruhigung durch rassistische oder herabwürdigende Äußerungen367 mit ein. Zum Schutz der Rechte Dritter gehört auch deren Recht auf hinreichenden Schutz 95 ihrer persönlichen Daten und ihres Privatbereiches.368 Zu diesem Zweck ist der Staat berechtigt, unter Umständen aber auch zur Erfüllung seiner Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK / Art. 17 Abs. 2, 20 IPBPR verpflichtet, der Informationserlangung und -verbreitung Schranken zu setzen.369 Dies rechtfertigt z.B. Einschränkungen der Presseberichterstattung über Angelegenheiten aus dem Privatbereich anderer, für deren Erörterung kein schützenswertes öffentliches Interesse besteht oder den Ausschluss der Öffentlichkeit bei bestimmten gerichtlichen Verfahren (vgl. §§ 170 ff. GVG). Dem nationalen Gesetzgeber obliegt es, kollidierende Rechte in einer der Bedeutung der Informations- und Meinungsfreiheit einerseits und dem Schutzbedürfnis des betroffenen Dritten andererseits Rechnung tragenden Abwägung zu einer Konkordanz zu bringen, wobei ihm hier ein größerer, der Nachprüfung des EGMR aber nicht entzogener Beurteilungsspielraum für die Regelungen vorbehalten ist.370 So schwächte das BVerfG seinen auf der strikten Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte beruhenden abgestuften Schutzbereich ab und verneint bei absoluten Personen der Zeitgeschichte eine Schutzbereichsbeeinträchtigung nicht mehr generell, sondern misst nun im Rahmen der Abwägung den Umständen des Einzelfalls eine höhere Bedeutung zu.371 Wie gesehen hat sich gleichfalls aber auch der EGMR der Rechtsprechung des BVerfG angenähert.372
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„Damals: Holocaust heute: Babycaust“ eine direkte Verbindung zu einem bestimmten legal praktizierenden Arzt herstellt, da weniger diffamierende Mittel zur Verfolgung des politischen Ziels zur Verfügung stehen; Bezeichnung des Arztes als „Tötungsspezialisten“). EGMR Barthold/D (Fn. 36); Bergens Tidende/N (Fn. 241); Preslmayr EuGRZ 1985 221; vgl. Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 801 (Eingriffe in die geschäftliche Betätigung werden unter dem Aspekt der Konsumenten oder Konkurrenten und nicht als Eingriffe in die Privatsphäre gesehen). EKMR EuGRZ 1984 259 (Sprayer von Zürich). Vgl. EGMR Wingrove/UK (Fn. 150; blasphemisches Video). EGMR Garaudy/F, 24.6.2003, ECHR 2003IX = NJW 2004 3691 (Infragestellung des Holocaust); mit Bezug auf diese Entscheidung auch BVerwGE 131 216 (Tz. 31) =
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NJW 2009 98 = BayVBl. 2009 50 = DVBl 2008 1248 („Rechtfertigung einer pro-nationalsozialistischen Politik [genießt] nicht den Schutz des Art. 10 EMRK“); vgl. auch HRC Faurisson/F, 8.11.1996, 550/1993, EuGRZ 1998 271 (Infragestellen von Judenmord und Gaskammern als Verletzung der jüdischen Gemeinde; Verbot durch Art. 19 Abs. 3 lit. a IPBPR gerechtfertigt). Vgl. etwa EGMR Caroline v. Hannover/D (Fn. 163); Frowein/Peukert 41; ferner Art. 8 EMRK Rn. 85 ff. Vgl. EGMR Garaudy/F (Fn. 367). Vgl. etwa EGMR Barfod/DK (Fn. 221); Weber/CH (Fn. 168); Giegerich RabelsZ 1999 471, 493 ff., 503; Prepeluh ZaöRV 61 (2001) 771, 800. Frenz NJW 2008 3102, 3103; siehe dazu auch BGH NJW 2009 757 (Karsten Speck). Vgl. u.a.: EGMR Sciacca/I, 11.1.2005, ECHR 2005-I; näher: Frenz NJW 2008 3102.
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EMRK Art. 10
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
6. Verbot von Kriegspropaganda sowie von nationalem, rassischem oder religiösem Hass (Art. 20 IPBPR) a) Allgemeines. Art. 20 IPBPR, der in der EMRK keine Entsprechung findet, normiert im Gegensatz zu den anderen Konventionsgarantien kein subjektives Recht des Einzelnen, sondern eine für alle Konventionsgarantien, insbesondere aber für die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 19 IPBPR) geltende obligatorische Schranke.373 Er begründet eine Handlungspflicht der Mitgliedstaaten. Während sonst die Konventionen nur dazu ermächtigen, die gewährleisteten Rechte und Freiheiten, vor allem die Freiheit der Meinungsäußerung, die Religionsfreiheit sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erforderlichenfalls aus bestimmten Gründen durch Gesetz zu beschränken, ohne in der Regel sonst eine Pflicht zum Tätigwerden zu begründen, verpflichtet Art. 20 IPBPR die Mitgliedstaaten ausdrücklich zum Erlass von Verboten.374 Die Verpflichtung, durch Gesetz die Kriegspropaganda und die Aufstachelung zur 97 Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt aus nationalem, rassischem oder religiösem Hass zu verbieten,375 konkretisiert die allgemeiner gehaltenen (zweckgebundenen) Eingriffsvorbehalte bei den anderen Garantien des IPBPR und ergänzt sie durch eine Regelungspflicht für die genannten Spezialfälle. An sich könnten die von Art. 20 IPBPR geforderten Verbote auch mit den als Eingriffsgründe anerkannten Zwecken der nationalen Sicherheit (Verbot der Kriegspropaganda) oder der öffentlichen Ordnung (Verbot der Verhetzung) gerechtfertigt werden.376 Deshalb ergeben sich bei der EMRK, in der eine dem Art. 20 IPBPR entsprechende Verpflichtung fehlt, keine Schwierigkeiten, die von Art. 20 IPBPR geforderten Verbote mit den Eingriffsvorbehalten der jeweiligen Garantien insbesondere mit Art. 10 Abs. 2 EMRK zu rechtfertigen. Das Verbot zweckwidriger Einschränkungen in Art. 18 EMRK steht solchen Rege98 lungen nicht entgegen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich auch diese Verbote in den für alle Eingriffe festgelegten allgemeinen Grenzen wie der Verhältnismäßigkeit, der Demokratieüblichkeit usw. halten.377 Art. 17 EMRK schließt andererseits die missbräuchliche Verwendung der Garantien der EMRK zur Friedensstörung und Rassenhetze ausdrücklich aus.378 Für die Verfahrensrechte, die die EMRK jedermann einräumt, gilt dies nicht.379 Ob Gleiches auch für das Verfahren vor dem HRC nach dem FP-IPBPR380 gilt, ist strittig, hat aber für das Verfahren vor dem EGMR keine unmittelbare Bedeutung. Um der Verpflichtung zum Erlass von Verboten aus Art. 20 IPBPR nachzukommen, 99 gab es in Deutschland in jüngster Zeit zahlreiche Entschließungs- und Gesetzgebungsanträge zur strafrechtlichen „Bekämpfung“ des Rechtsextremismus sowie der „nachhaltigen Bekämpfung von Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“.381 Jedoch besteht nach wie vor keine Einigkeit darüber, ob und ggf. welche Strafrechtsänderungen geboten und sachgerecht sind.382 Vorgeschlagen wurde etwa, die „Hass-Motive“ bei der
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Zur Entstehungsgeschichte im Rahmen der Beratungen des Art. 19 IPBPR: Blumenwitz FS Ermacora 67, 68 ff.; Nowak 3 ff. Entstehungsgeschichte Nowak 3 ff. Vgl. etwa HRC EuGRZ 1983 409 (Ausschluss vom Telefondienst wegen unzulässiger Rassendiskriminierung aufgrund eines kanadischen Gesetzes berechtigt). Vgl. Nowak 18, 19.
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Nowak 18; vgl. Rn. 45 ff. Vgl. EKMR bei Frowein/Peukert Art. 17, 2–4. Vgl. Art. 17 EMRK Rn. 7. Vgl. Teil II Rn. 353 ff. Vgl. BR-Drucks. 564/00; BT-Drucks. 14 4067; Überblicke bei Bittmann DRiZ 2007 323; Keiser ZRP 2010 46 Keiser ZRP 2010 46.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
Körperverletzung in einem neuen § 224a StGB als niedrige Beweggründe zu kennzeichnen. Zudem sollte das Strafzumessungsrecht verschärft werden und in § 46 Abs. 2 StGB „besonders auch menschenverachtende, rassistische oder fremdenfeindliche“ Beweggründe und Ziele als strafschärfende Umstände aufgenommen werden. Ferner wurde erwogen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe sei „in der Regel“ zur Verteidigung der Rechtsordnung i.S.v. § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich, „wenn die Tat von menschenverachtenden, rassistischen oder fremdenfeindlichen Beweggründen oder Zielen mitbestimmt war“. In diesen Fällen soll durch eine Änderung des § 56 Abs. 3 StGB künftig auch die Vollstreckung längerer Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zwei Jahren in der Regel zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sein. Fremdenfeindliche Motive können auch de lege lata schon im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB strafschärfend oder bei § 211 Abs. 2 StGB als niedrige Beweggründe gewertet werden. b) Andere völkerrechtliche Verpflichtungen. Andere völkerrechtliche Verpflichtungen 100 gehen über Art. 20 IPBPR hinaus, so etwa das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7.3.1966.383 Vor allem in dessen Art. 4 lit. a verpflichten sich die Staaten grundsätzlich dazu, jede Verbreitung von Ideen, die sich auf die Überlegenheit einer Rasse oder den Rassenhass gründen, jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und jede Gewalttätigkeit gegen eine Rasse oder Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit oder jede Aufreizung dazu sowie jede Unterstützung rassenkämpferischer Betätigung zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung zu erklären. Diese Verpflichtung wird u.a. durch Art. 4 lit. b ergänzt, der den Staaten auferlegt, alle Organisationen und alle organisierten oder sonstigen Propagandatätigkeiten, welche die Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen, als gesetzwidrig zu erklären und zu verbieten und die Beteiligung an derartigen Organisationen oder Tätigkeiten als eine nach dem Gesetz strafbare Handlung anzuerkennen. Art. 4 hebt ausdrücklich hervor, dass die Staaten bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen die in der AEMR sowie die in Art. 5 nochmals besonders herausgestellten Bürgerrechte, vor allem das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit, gebührend berücksichtigen müssen. Die Verpflichtungen bestehen auch hier nicht absolut, sondern nur in dem Umfang, der sich nach Abwägung mit der Bedeutung der Menschenrechte ergibt, in die die geforderten Verbote eingreifen. Es ist den Vertragsstaaten auch hier überlassen, die kollidierenden Pflichten des Menschenrechtsschutzes zu einer praktischen Konkordanz zu bringen. Zudem bestimmt der Rahmenbeschluss 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung 101 bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom 28.11.2008,384 dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union die erforderlichen Maßnahmen trifft, um die in Art. 1 lit. a-d RB genannten rassistischen und fremdenfeindlichen Handlungen, wie etwa die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und Hass oder das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven, unter Strafe zu stellen und sie mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen nach Art. 3 RB zu versehen. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 RB verpflichtet sicherzustellen, dass bei allen anderen als den dort enumerativ aufgelisteten Straftaten rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe entweder als erschwerender Umstand Geltung verschafft wird oder dass solche Beweggründe bei der Festlegung des Strafmaßes durch die Gerichte berücksichtigt wer-
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BGBl. 1969 II S. 962.
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ABlEU Nr. L 328 v. 6.12.2008, S. 55.
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EMRK Art. 10
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
den. In Art. 5 und 6 RB werden die Verantwortlichkeit juristischer Personen und deren Sanktionierung bei Verwirklichung einer der im RB genannten Straftaten bestimmt. Nach dem Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Computerkriminalität betref102 fend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art vom 28.1.2003 (ETS 189) verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Materials über Computersysteme (Art. 3), rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Drohungen und Beleidigungen (Art. 4 und 5) sowie die Leugnung, grobe Verharmlosung und Billigung oder Rechtfertigung von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6) nach ihrem innerstaatlichen Recht zu Straftaten zu erklären. Deutschland hat das ZP am 10.6.2011 ratifiziert.385 Die Änderung der Strafvorschrift der Volksverhetzung in § 130 StGB zum 1.4.2005386 war bereits auf die Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1 des ZP zurückzuführen.387
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c) Innerstaatliches Recht. Die Unzulässigkeit jeder Ungleichbehandlung aufgrund der Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat oder Herkunft, des Glaubens oder religiöser oder politischer Anschauungen folgt bereits aus Art. 3 Abs. 3 GG. Dem Verbot des Art. 20 Abs. 1 IPBPR entspricht das Verbot des Art. 26 GG, der Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, für verfassungswidrig erklärt und – über Art. 20 IPBPR hinaus – auch verlangt, dass sie unter Strafe gestellt werden (vgl. §§ 80, 80a StGB). Die Strafbarkeit der Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass oder die den öffentlichen Frieden gefährdende Beschimpfung religiöser Bekenntnisse nach Maßgabe der §§ 130, 131, 166 StGB trägt Forderungen des Art. 20 Abs. 2 IPBPR Rechnung.
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d) Grundzüge der Regelung des Art. 20 IPBPR. Die Verpflichtung, Kriegspropaganda durch Gesetz zu verbieten (Absatz 1), soll nach der Entstehungsgeschichte nicht jede Meinungsäußerung über den Krieg erfassen, sondern nur eine propagandistische,388 d.h. vorsätzlich auf die Beeinflussung anderer Menschen abzielende Tätigkeit, mit der für einen völkerrechtlich unzulässigen Friedensbruch geworben wird. Unter Krieg ist hier nur ein mit der UN-Charta und den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten unvereinbarer Friedensbruch durch Akte einer bewaffneten Aggression zu verstehen. Völkerrechtlich zulässige Kriegshandlungen, wie Maßnahmen zur Selbstverteidigung in Übereinstimmung mit der UN-Charta fallen nicht hierunter.389 Das von Absatz 2 geforderte Verbot der Verhetzung soll in Ergänzung der anderen 105 Diskriminierungsverbote der Art. 2 Abs. 1, 3 und Art. 26 IPBPR die ausdrückliche Aufhetzung zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt unterbinden, sofern diese durch ein Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass bestimmt wird.390 Die Entstehungsgeschichte dürfte dafür sprechen, dass diese Pflicht nur ins Gewicht fallende Verstöße erfassen soll. Vor allem die den inneren und äußeren Frieden gefährdende öffent-
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Gesetz v. 16.3.2011, BGBl. II S. 290; das Gesetz ist am 1.10.2011 in Kraft getreten; siehe auch Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 17 3124. BGBl. 2005 I S. 969. Vgl. BTDrucks. 15 4832 (Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN).
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Zum Propagandabegriff vgl. Nowak 11. HRC General Comment 11/19; Hofmann 47; Nowak 12. Zu den Unklarheiten dieser Bestimmung vgl. Nowak 14.
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Freiheit der Meinungsäußerung
Art. 19, 20 IPBPR
liche Hetze gegen Angehörige einer anderen Nationalität, einer anderen Rasse oder einer anderen Religion soll dadurch unterbunden werden.391 Zum gleichen Ergebnis führt eine Auslegung, die sich an der detaillierteren Regelung im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung orientiert. Dort wird ebenfalls die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die in Freiheitsrechte eingreifenden Verbote gefordert. Meinungsäußerungen im privaten Kreis, die nicht zu Gewalt aufstacheln, müssen nicht verboten werden.392 Eine Verurteilung aufgrund eines französischen Sondergesetzes („Gayssot-Gesetz“) wegen einer öffentlichen Äußerung, in der der Völkermord an den Juden und die Existenz der Gaskammern bezweifelt wurde, hat das HRC nicht unter dem Blickwinkel der Aufhetzung zum Rassenhass nach Art. 20 Abs. 2 IPBPR behandelt; es hat sie als zum Schutz der Rechte anderer (jüdische Gemeinde) als nach Art. 19 Abs. 3 lit. a IPBPR gerechtfertigt angesehen.393 Art. 20 IPBPR verpflichtet jeden Vertragsstaat zum Erlass entsprechender allgemeiner 106 gesetzlicher Verbote, also nicht nur zu solchen, die für die Staatsorgane gelten. Bei den unscharfen Konturen der Konventionsverpflichtungen und der Erforderlichkeit, diese mit den gleichfalls garantierten Freiheitsrechten zu einer praktischen Konkordanz zu bringen, steht den Staaten ein gewisser Regelungsspielraum zu, auch deshalb, weil sie eine mit dem sonstigen innerstaatlichen Recht übereinstimmende (systemkonforme) Lösung finden müssen. Eine unbedingte Pflicht, alle verbotenen Handlungen auch mit Strafe zu bedrohen, folgt aus Art. 20 IPBPR nicht,394 wohl aber die Verpflichtung, durch angemessene Sanktionen oder sonstige staatliche Reaktionen für die Effektivität der Verbote zu sorgen. Die strittige Frage ist in den Staaten, die dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung beigetreten sind, wegen der aus dessen Art. 4 folgenden Verpflichtung zum Erlass von Strafvorschriften395 nur für die Fälle von Bedeutung, die nicht in den Schutzbereich dieses Abkommens fallen.
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Nowak 15; EGMR Féret/B, 16.7.2009 (Strafrechtliche Verurteilung des Vorsitzenden einer rechtsextremen Partei wegen Aufstachelung der Bevölkerung zu Diskriminierung und Rassenhass im Wahlkampf).
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Nowak 15. HRC Faurisson/F, 8.11.1996, 550/1993, EuGRZ 1998 271; Nowak 20; vgl. Rn. 87 ff. Nowak 13, 15. Vgl. Rn. 100.
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EMRK Art. 11
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 11 EMRK (Art. 21, 22 IPBPR) EMRK Artikel 11 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. (2) Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen. Dazu: Artikel 16 Beschränkungen der politischen Tätigkeit ausländischer Personen Die Artikel 10, 11 und 14 sind nicht so auszulegen, als untersagten sie den Hohen Vertragsparteien, die politische Tätigkeit ausländischer Personen zu beschränken. Artikel 17 Verbot des Missbrauchs der Rechte Die Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.
IPBPR Artikel 21 Das Recht, sich friedlich zu versammeln, wird anerkannt. Die Ausübung dieses Rechts darf keinen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Artikel 22 (1) Jedermann hat das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen sowie zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten.
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Art. 21, 22 IPBPR
(2) Die Ausübung dieses Rechts darf keinen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel steht gesetzlichen Einschränkungen der Ausübung dieses Rechts für Angehörige der Streitkräfte oder der Polizei nicht entgegen. (3) Keine Bestimmung dieses Artikels ermächtigt die Vertragsstaaten des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts, gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen oder Gesetze so anzuwenden, daß die Garantien des oben genannten Übereinkommens beeinträchtigt werden.
Schrifttum (Auswahl) Breitbach Das Versammlungsverbot innerhalb von Bannmeilen um Parlamente und seine Ausnahmeregelungen, NVwZ 1988 584; Breitbach Versammlungsfreiheit und Zensurverbot, NJW 1988 8; Emek Parteiverbote und Europäische Menschenrechtskonvention (2007); Fahlbeck Gewerkschaftsfreiheit und Diskriminierungsverbot im Fall schwedischer Lokomotivführerverband und im Fall Schmidt und Dahlström, EuGRZ 1976 471; Heidebach/Unger Das Bayerische Versammlungsgesetz – Vorbild für andere Länder oder Gefährdung der Versammlungsfreiheit unter Föderalisierungsdruck, DVBl 2009 283; Höllein Das Verbot rechtsextremistischer Veranstaltungen, NVwZ 1994 635; Jäggi Die Koalitionsfreiheit gemäß Art. 11 EMRK, JIR 19 (1976) 238; Kutscha Neues Versammlungsrecht – Bayern als Modell?, NVwZ 2008 1210; Klein Parteiverbotsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ZRP 2001 397; Kontopodi Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Verbot politischer Parteien (2007); Mann/ Ripke Überlegungen zur Existenz und Reichweite eines Gemeinschaftsgrundrechts der Versammlungsfreiheit, EuGRZ 2004 125; Marauhn Die wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit zwischen menschenrechtlicher Gewährleistung und privatrechtlicher Ausgestaltung. Zur Bedeutung von Art. 11 EMRK für das kollektive Arbeitsrecht und das Gesellschaftsrecht, RabelsZ 1999 537; Müller-Schallenberg/Förster Die Pflichtmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften, ZRP 2005 230; Sailer Blattschuss aus Karlsruhe, NuR 2007 186; ders. Der Jagdzwang und die Menschenrechte, ZRP 2005 88; Theuerkauf Parteiverbote und die Europäische Menschenrechtskonvention (2006).
Übersicht Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2. Strafrechtliche Bedeutung . . . . . . . . .
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3. Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . .
11
4. Vereinigungsfreiheit a) Allgemeine Vereinigungsfreiheit . . . . b) Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . .
21 25
5. Staatliche Eingriffe a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriffszweck . . . . . . . . . . . . .
30 33
Rn. c) Gesetzlich vorgesehen . . . . . . . . d) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . .
35
6. Parteiverbot . . . . . . . . . . . . . . . .
37
7. Besondere Einschränkungen bei Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei und der Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . .
40
8. Positive Schutzpflichten des Staates
42
. . .
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1. Allgemeines. Art. 20 AEMR vom 10.12.1948 legt fest, dass jedermann das 1 Recht auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit für friedliche Zwecke hat und dass niemand gezwungen werden darf, einer Vereinigung anzugehören. Art. 11 EMRK übernimmt diese Rechte. Neben dem Recht auf friedliche Versammlung gewährleistet er das
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Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen1 und verdeutlicht es dahin, dass diese Vereinigungsfreiheit das Recht einschließt, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten. Mit gleichen Worten gewährleistet Art. 22 Abs. 1 IPBPR die Vereinigungsfreiheit, während das Recht, sich friedlich zu versammeln, getrennt in Art. 21 Abs. 1 IPBPR garantiert wird. Art. 16 EMRK schränkt die Garantien dahin ein, dass die Vertragsparteien dadurch nicht gehindert werden, der politischen Tätigkeit von Ausländern (weitergehende) Beschränkungen aufzuerlegen.2 Aufgrund des Vorbehaltes der BR Deutschland3 gilt diese Einschränkung auch bei den Art. 21, 22 IPBPR. Art. 22 Abs. 3 IPBPR hebt außerdem hervor, dass dieser Artikel die Vertragsstaaten des Übereinkommens (Nr. 87) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts von 19484 nicht zu Maßnahmen ermächtigt, die die Garantien dieses Übereinkommens beeinträchtigen. Der Absatz ist an sich überflüssig, da sich bereits aus Art. 5 Abs. 2 IPBPR ergibt, dass weitergehende Gewährleistungen unberührt bleiben;5 für die EMRK folgt dies aus Art. 53 EMRK. Für die Auslegung der Tragweite der gewährleisteten Koalitionsfreiheit kann jedoch die ausdrückliche Verknüpfung mit dem ILO-Abkommen Bedeutung haben.6 Andere Konventionen enthalten vergleichbare Verpflichtungen. So verpflichtet Art. 8 IPWSKR7 die Staaten, das Recht des Einzelnen zur Gründung und zum Beitritt zu Gewerkschaften und die freie Betätigung der Gewerkschaften zu gewährleisten. Dies erkennt auch die Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961 (ETS 35) 8 als von allen Staaten zu verfolgendes Ziel nach Teil I Nr. 5 und als eine nach Maßgabe des Teils III zu übernehmende Verpflichtung in Teil II Art. 5 an. Art. 5 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung von jeder Form der Rassendiskriminierung 9 (CERD) verpflichtet die Staaten zur Unterlassung jeder Diskriminierung; als Anwendungsfälle des Verbots werden u.a. das Recht, sich friedlich zu versammeln und friedliche Vereinigungen zu bilden und das Recht, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten (Art. 5 lit. d, ix, lit. e, ii) besonders aufgeführt. Für das Recht der Europäischen Union und das frühere Gemeinschaftsrecht hat der EuGH die in den Art. 11 EMRK gewährleisteten Rechte zumindest konkludent als verbindlich anerkannt; sie sind bei der Auslegung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs zu berücksichtigen.10 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union11 bestätigt in Art. 12 Abs. 1 das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschließlich des Rechts, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten. Art. 12 Abs. 2 EUC hebt die Bedeutung der politischen Parteien für die Willensbildung auf der Ebene der Union hervor. Art. 52
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Zum Verständnis als klassisch liberales Freiheitsrecht: Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 128 m.w.N. auch zur Gegenmeinung. Für Unionsbürger gilt diese Einschränkung nicht, vgl. Art. 16 EMRK Rn. 3; Frowein/ Peukert Art. 16, 1. Vgl. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes v. 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533). BGBl. 1956 II S. 2073. Vgl. Nowak Art. 22, 36. Vgl. EKMR Cheall/UK, NJW 1986 1414;
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Nowak 35; 36; aber auch Frowein/Peukert 14 f. BGBl. 1973 II S. 1570. BGBl. 1964 II S. 1262. BGBl. 1969 II S. 962. EuGH Rs. C-112/00 (Schmidberger/A), Slg. 2003, I-5659 = NJW 2003 3185 = EuZW 2003 592 m. Anm. Koch = EuGRZ 2003 492; dazu Mann/Ripke EuGRZ 2004 125. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1; BGBl. 2008 II S. 1165.
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Art. 21, 22 IPBPR
Abs. 3 EUC legt fest, dass die in ihr garantierten Rechte, soweit sie Rechten der EMRK entsprechen, die gleiche Tragweite und Bedeutung wie diese haben.12 2. Strafrechtliche Bedeutung. Trotz der engen Verbundenheit der Freiheiten aus Art. 10 und 11 EMRK kommt letzterer mit deutlich weniger strafrechtlichen Aspekten in Berührung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Art. 10 EMRK seine strafrechtliche Relevanz insbesondere aus der individuellen Berufung auf die dort gewährten Freiheiten während eines laufenden Strafverfahrens – z.B. durch den Verteidiger, der sich im Prozess auf seine Meinungsfreiheit beruft – also unabhängig von einer etwaigen Versammlung oder Vereinigung – gewinnt. Strafrechtliche Belange werden durch die in Art. 11 EMRK festgehaltenen Garantien lediglich tangiert, so etwa, wenn Strafgesetze als Beschränkungen der Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit fungieren, insofern also eine Abwägung der betroffenen Belange erforderlich wird.13 So ist eine Bestrafung wegen der Teilnahme an einer Versammlung nur rechtmäßig, wenn der Betroffene selbst eine strafbare Handlung begangen hat,14 was als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu werten ist. Im Strafvollzug wird der bloße Wunsch von Gefangenen, in Kontakt zu anderen Gefangenen zu treten oder zusammen in einer Zelle untergebracht zu werden, nicht von Art. 11 EMRK erfasst.15 Die Nichteinleitung staatlicher Ermittlungen nach gewalttätigen Übergriffen während einer Demonstration kann ggf. als Verletzung der Freiheiten aus Art. 11 EMRK gewertet werden.16 Insgesamt gesehen ist die Bedeutung des Art. 11 EMRK aus strafrechtlicher Sicht jedoch eher als gering einzuschätzen. Die Bearbeitung beschränkt sich dementsprechend auf die Kernbereiche des Art. 11 EMRK.
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3. Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsfreiheit, die notwendig die Meinungsfrei- 11 heit mit einschließt,17 wird mit der Einschränkungsmöglichkeit für die politische Tätigkeit ausländischer Personen durch Art. 16 EMRK jedermann für friedliche Versammlungen garantiert; dies schließt auch den Zugang zu einer sich bildenden Versammlung und alle Maßnahmen zu deren Vorbereitung sowie deren Leitung mit ein.18 Versammlung wird weit verstanden als jedes gewollte Zusammenkommen mehrerer 12 Menschen zu dem Zweck einer gemeinsamen Erörterung von Fragen, zu einer kollek-
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Vgl. zum Ganzen Meyer/Borowski Art. 53 EUC, 7 ff.; Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010), Art. 53, 14 f.; Tettinger/Stern/von Danwitz Europäische Grundrechtecharta, Art. 53, 12. Vgl. etwa EGMR Çetinkaya/TRK, 27.6.2006 (Gefängnisstrafe gegen einen Versammlungsteilnehmer); dagegen: Barraco/F, 5.3.2009 (Verurteilung eines demonstrierenden Lastwagenfahrers zu einer Bewährungsstrafe wegen Verkehrsbehinderung auf der Autobahn gerechtfertigt). Vgl. Meyer-Ladewig 29; EGMR Sergey Kuznetsov/R, 23.10.2008 (ungerechtfertigte, verwaltungsrechtliche Geldbuße in Höhe von
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35 € wegen Abhaltung einer öffentlichen Versammlung). Vgl. EKMR McFeeley u.a./UK (E), 15.5.1980. Vgl. EGMR Ouranio Toxo u.a./GR, 20.10. 2005, ECHR 2005-X (Übergriffe gegenüber einer Partei, die sich u.a. für die Rechte der in Griechenland lebenden mazedonischen Minderheit einsetzte; keine Ermittlungen gegen die Unruhestifter). EKMR EuGRZ 1980 36, vgl. Grabenwarter § 23, 62: lex specialis gegenüber Art. 10 EMRK. Frowein/Peukert 5; vgl. BVerfGE 69 315, 349; 84 203, 209.
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EMRK Art. 11
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tiven Meinungsbildung oder auch nur zur gemeinsamen Kundgabe von Meinungen, ganz gleich, ob dies in privaten Räumen oder in der Öffentlichkeit geschieht.19 Nicht notwendig ist, dass alle dort die gleiche Meinung vertreten wollen; auch wer eine gegenteilige Ansicht als die Veranstalter vertritt, genießt den Schutz der Versammlungsfreiheit.20 Diese erfasst auch Umzüge und Demonstrationen sowie andere kollektive Formen, mit denen eine Mehrzahl von Menschen gemeinsam in der Öffentlichkeit eine bestimmte Überzeugung kundtun will,21 wie etwa Lichterketten oder sonstige Maßnahmen, die allgemeine Aufmerksamkeit auslösen wollen.22 Auch Spontanversammlungen unterfallen dem Schutz.23 Ein Zusammenkommen von Menschen aus einem rein gesellschaftlichen Anlass oder ein zufälliges Zusammentreffen mehrerer Personen ist noch keine Versammlung,24 daraus kann sich aber eine gewollte Versammlung i.S.d. Art. 11 EMRK entwickeln. Friedlich bezieht sich auf die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung.25 13 Eine Versammlung ist nicht friedlich, wenn bestimmte Ziele gewaltsam durchgesetzt werden sollen.26 Eine Sitzblockade, bei der sich die Teilnehmer rein passiv verhalten, ist als friedlich anzusehen.27 Dass die Teilnehmer unbewaffnet sein müssen (vgl. Art. 8 Abs. 1 GG), fordern die Konventionen nicht ausdrücklich, jedoch kann die erkennbare Bewaffnung und Gewaltbereitschaft einer größeren Zahl von Teilnehmern den Charakter einer friedlichen Versammlung aufheben.28 Das Tragen von Schutzkleidern oder Helmen ist aber noch keine Bewaffnung;29 ob darin in Verbindung mit anderen Umständen ein Indiz für die Gewaltbereitschaft gesehen werden kann, hängt vom Einzelfall ab. Dass einzelne Teilnehmer am Rande der Demonstration gewalttätig werden, lässt den Charakter einer friedlichen Demonstration für die anderen aber noch nicht entfallen,30 desgleichen nicht die Gefahr einer Gegendemonstration.31 19
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Etwa EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“/A, 21.6.1988, A 139 = EuGRZ 1989 522 = ÖJZ 1988 734; Frowein/Peukert 3; Grabenwarter § 23, 62 (Kollektivität der Äußerung); Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 127 (mind. zwei Personen; str., ob drei Teilnehmer nötig); vgl. ÖVerfGH EuGRZ 1989 528; 1990 550. Vgl. etwa BVerfGE 84 203, 209. Etwa EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“/A (Fn. 19); EKMR EuGRZ 1980 36; 1981 217; Frowein/Peukert 3; Villiger 611; Nowak 6; Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 128, halten die Begrenzung des Schutzbereiches auf Meinungsbildung und Meinungskundgabe für nicht erforderlich. Auch sog. „sit ins“ auf öffentlicher Straße, vgl. Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 129 unter Hinweis auf EKMR; Nowak 10. Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 129. Vgl. BVerfGE 104 92, 104; ÖVerfGH EuGRZ 1989 528; Frowein/Peukert 2; Meyer-Ladewig 4 (Schutz durch Art. 8 EMRK); Nowak Art 21, 6; für die Einbeziehung gesellschaftlicher Zusammenkünfte Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 128; Villiger 633.
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EGMR Alekseyev/R, 21.10.2010, NVwZ 2011 1375, § 80; Frowein/Peukert 4; Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 129; Nowak 9. EGMR Stankov u.a./BG, 2.10.2001, ECHR 2001-IX = HRLJ 2001 404; Frowein/Peukert 4; Grabenwarter § 23, 62; Meyer-Ladewig 7; Mann/ Ripke EuGRZ 2004 125, 130. EKMR nach Grabenwarter § 23, 62. Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 130; Nowak 10. Vgl. Nowak 10; Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 130. EGMR Ezelin/F, 26.4.1991, A 202; Frowein/ Peukert 4. EKMR EuGRZ 1981 216; EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“/A (Fn. 19); vgl. zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen: EGMR Öllinger/A, 29.6.2006, ECHR 2006-IX = ÖJZ 2007 79 (unrechtmäßiges Verbot einer Versammlung, die gegen das Gedenken an getötete SS-Soldaten an Allerheiligen mittels dem Gedenken an die durch die SS getöteten Juden demonstrieren wollte).
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Art. 21, 22 IPBPR
Eine friedliche Demonstration liegt dagegen nicht vor, wenn die gewaltsame Durchsetzung bestimmter Ziele bereits von Anfang an erkennbar mit eingeplant ist.32 Wer nur zum Zwecke der Störung und Verhinderung an einer Versammlung teilnehmen will, kann sich nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen, wenn staatliche Organe ihn an der Teilnahme hindern.33 Gegenüber friedlichen Versammlungen haben die Behörden stets ein besonderes Maß an Toleranz aufzubringen,34 auch wenn die fragliche Versammlung formell rechtswidrig zustande kam.35 Insbesondere rechtfertigt die Rechtswidrigkeit einer Demonstration nicht per se eine Verletzung der Versammlungsfreiheit. Anordnungen in diesem Bereich dürfen nicht als versteckte Hindernisse gebraucht werden, um so die Ausübung der Versammlungsfreiheit einzuschränken.36 Anders als bei Art. 8 Abs. 1 GG fehlt in den Konventionen eine grundsätzliche Freistellung von der formellen Anmelde- oder Erlaubnispflicht, die Konventionen hindern also nicht daran, im innerstaatlichen Recht eine solche für bestimmte Arten von Versammlungen vorzusehen, sofern in der Sache das Recht, sich auf öffentlicher Straße friedlich zu versammeln, als solches nicht eingeschränkt wird und die Anmelde- oder Erlaubnispflicht nur bezweckt, die Überprüfung des friedlichen Charakters zu erleichtern oder rechtzeitige Vorkehrungen für den störungsfreien Verlauf zu treffen.37 So garantiert Art. 11 EMRK in besonderen Situationen das Zusammenkommen ohne vorherige Anmeldung, auch wenn eine solche gesetzlich vorgeschrieben ist, etwa bei einem unerwarteten Anlass, der eine vorherige Anmeldung unmöglich macht, und so die potentiellen Demonstranten vor die Wahl stellt, entweder auf ihr Versammlungsrecht zu verzichten oder gegen die Anmeldepflicht zu verstoßen.38 Dies kann auch deshalb angezeigt sein, weil dem Staat mitunter auch Schutzpflichten erwachsen, wenn andernfalls das Recht des Einzelnen, sich mit Gleichgesinnten öffentlich zu versammeln und insbesondere zu demonstrieren, nicht verwirklicht werden könnte.39 Der Konventionsschutz erstreckt sich auf alle, die in irgendeiner Form an einer friedlichen Versammlung teilnehmen, sie vorbereiten oder leiten oder sonst zu deren Zustandekommen oder Durchführung beitragen. Dies gilt für Einzelpersonen ebenso wie
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Frowein/Peukert 4; Villiger 634. Vgl. BVerfGE 84 203, 209. Zum Verstoß hiergegen: EGMR Oya Ataman/TRK, 5.12.2006, ECHR 2006-XIV (Polizei hatte unverhältnismäßig zur Auflösung einer friedlichen Versammlung Tränengas eingesetzt, nachdem sie die Teilnehmer vorher darauf hingewiesen hatte, dass die Versammlung mangels Anmeldung rechtswidrig sei). Vgl. vorstehende Fn. und EGMR Çilog˘lu u.a./TRK, 6.3.2007 (polizeilicher Einsatz von Tränengas innerhalb des Beurteilungsspielraumes, insbesondere weil die abgehaltene, nicht angemeldete Versammlung bereits seit drei Jahren wöchentlich stattfand). Vgl. EGMR Samüt Karabulut/TRK, 27.1. 2009 (exzessive Gewaltanwendung von Polizisten bei Auflösung einer friedlichen, wenn auch rechtswidrigen, Demonstration).
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Vgl. EKMR EuGRZ 1980 36; 1981 216; für eine Verneinung der Erlaubnis sind triftige Gründe zu geben, vgl. EGMR Güneri u.a./ TRK, 12.7.2005; Frowein/Peukert 3, MeyerLadewig 7; Villiger 633. Vgl. etwa zum kurzfristig angekündigten Beiwohnen des ungarischen Ministerpräsidenten an einem vom rumänischen Premierminister im Rahmen eines Besuchs in Budapest veranstalteten Empfang anlässlich des rumänischen Nationalfeiertages: EGMR Bukta u.a./H, 17.7.2007, ECHR 2007-IX; keine besonderen Gründe für das Abhalten einer Spontanversammlung – die Gesetzeslage verlangte eine Anmeldung 72 Stunden vor Versammlungsbeginn – lagen hingegen vor in: EGMR Molnár/H, 7.10.2008. Villiger 635.
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für Personenvereinigungen und juristische Personen.40 Auch Ausländer können sich auf diese Garantie berufen, sofern keine nach Art. 16 EMRK zulässigen Einschränkungen bestehen. Geschützt wird auch das Recht, einer Versammlung fernzubleiben und jede Mitwir19 kung an deren Zustandekommen abzulehnen.41 Die Garantien des Art. 11 EMRK können sich auch auf ausländische Sachverhalte erstrecken; so ist eine Regelung, die von ausländischen Organisationen eingeladenen Vereinsmitgliedern vorschreibt, vor ihrer Ausreise eine amtliche Genehmigung einzuholen, nicht mit Art. 11 EMRK vereinbar.42 Ob der aktuellen Entwicklungen sei erwähnt, dass in Deutschland im Zuge der Föde20 ralismusreform die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder überging.43 Der Freistaat Bayern hatte von der Kompetenzerweiterung als erstes Land Gebrauch gemacht. Aufgrund eines Eilantrags vor dem BVerfG wurden einstweilen wegen Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 GG Teile des Gesetzes außer Kraft gesetzt.44
4. Vereinigungsfreiheit 21
a) Die allgemeine Vereinigungsfreiheit umfasst, ebenso wie die besonders erwähnte Koalitionsfreiheit, das Recht auf Gründung einer Vereinigung, das Recht, in einer Vereinigung Mitglied zu werden und auch die Mitgliedschaft sowie jede Tätigkeit für ihre Zwecke zu beenden. Ob auch wirtschaftliche Vereinigungen unter diese Garantie fallen, ist strittig, wird aber für beide Konventionen zu bejahen sein.45 Insofern wird die Vereinigungsfreiheit allen Vereinigungen gewährleistet, ganz gleich, ob sie ideelle oder wirtschaftliche Zwecke verfolgen.46 Eine besondere Wichtigkeit kommt der Vereinigungsfreiheit dabei für Angehörige von Minderheiten ob deren gesellschaftlicher Stellung zu.47 Es ist Sache des nationalen Rechts, die Rechtsformen zu regeln, mittels derer die gewährleisteten Rechte verwirklicht werden können.48 Ein Anspruch der Vereinigungen, dass der Staat sie als Rechtspersönlichkeiten anerkennt oder dass er ihnen eine bestimmte
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EKMR EuGRZ 1980 36; 1981 216; Frowein/ Peukert 5; Grabenwarter § 23, 63; Mann/ Ripke EuGRZ 2004 125, 131; vgl. Nowak Art. 2, 25 (nicht geklärt, ob IPBPR juristische Personen und Personenzusammenschlüsse erfasst). Sog. negative Versammlungsfreiheit vgl. BVerfGE 69 315, 343. Vgl. EGMR Izimir Savas¸ Kars¸ıtları Derneg˘i u.a./TRK, 2.3.2006. Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. Vgl. BVerfGE 122 342 = NVwZ 2009 441 = EuGRZ 2009 167 (seitdem mehrfach verlängert); zur Diskussion u.a. Papier BayVBl. 2010 225; Heidebach/Unger DVBl. 2009 283; Kutscha NVwZ 2008 1210; Hong NJW 2009 1458. Bejahend Marauhn RabelsZ 1999 537, 551 mit Angaben zum Streitstand bei der EMRK; Nowak Art. 22, 6.
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Zur wirtschaftlichen Vereinigungsfreiheit Marauhn RabelsZ 1999 537. Es wäre mit der Konvention unvereinbar, wenn die Existenz der Rechte von Minderheiten von der Akzeptanz durch die Mehrheit abhinge. Vgl. dazu etwa EGMR Gorzelik u.a./PL, 17.2.2004, ECHR 2004-I = NVwZ 2006 65 (rechtmäßige Ablehnung der Eintragung der „Union von Personen schlesischer Nationalität“ in Polen); Baczkowski u.a./PL, 3.5.2007, ECHR 2007-VI (unrechtmäßige Verweigerung einer Genehmigung für eine Versammlung, die gegen Homophobie protestieren wollte); Barankevich/R, 26.7.2007 (unrechtmäßiges Verbot der Abhaltung eines Gottesdienstes einer Minderheitenkirche). Frowein/Peukert 8; Marauhn RabelsZ 1999 537, 554.
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Art. 21, 22 IPBPR
Organisationsform zur Verfügung stellen muss, begründen die Konventionen nicht, sofern sich die geschützten Freiheitsrechte auch im Rahmen der nach dem nationalen Recht möglichen Formen entfalten können.49 Die Freiheit, politische Parteien zu bilden, wird ebenfalls von dieser Konventions- 22 garantie umfasst.50 Wegen ihrer Bedeutung für die Willensbildung in der Demokratie sind hier staatlichen Verboten sehr enge Grenzen gesetzt.51 Die negative Vereinigungsfreiheit, das Recht des Einzelnen, Vereinigungen fernzublei- 23 ben, wird ebenso wie in Art. 9 Abs. 1 GG von den Konventionen gewährleistet, auch wenn es im Gegensatz zu Art. 20 Abs. 2 AEMR nicht ausdrücklich erwähnt wird.52 Im Rahmen dieser Überlegung ist allerdings zu beachten, dass Art. 11 EMRK auf 24 berufliche Vereinigungen öffentlich-rechtlicher Art, die Ziele des Allgemeinwohls verfolgen, nicht anzuwenden ist;53 insofern steht es dem Staat also offen, zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben öffentlich-rechtliche Zusammenschlüsse mit Zwangsmitgliedschaft zu gründen.54 Jedoch kann der Staat die Gründung eines freiwilligen privaten Vereins neben dem öffentlich-rechtlichen Verband nicht verbieten.55 Zudem entschied der EGMR, dass die Zwangsmitgliedschaft in einem Jagdverband konventionswidrig ist, wenn sie den betroffenen Grundstückseigentümer unverhältnismäßig belastet;56 nach einem Urteil aus dem Jahr 2011 ist das in Deutschland bestehende System der Zwangsmitgliedschaft konventionskonform.57 b) Die Koalitionsfreiheit, also die Freiheit, Gewerkschaften zur Vertretung gemein- 25 samer Interessen zu gründen und ihnen beizutreten, wird als besonders wichtiges Recht der Vereinigungsfreiheit in den Konventionen explizit hervorgehoben;58 die Koalitionsfreiheit wird insofern als Spezialfall der Vereinigungsfreiheit angesehen.59 Die Rechtsprechung des Gerichtshofes bezüglich der Koalitionsfreiheit wird von zwei Grundsätzen ge-
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Villiger 637 unter Hinweis auf EKMR. Anders als beim GG, wo neben Art. 9 GG die Sonderregelung des Art. 21 GG steht. Etwa EGMR Vereinigte kommunistische Partei der Türkei/TRK, 30.1.1998, Rep. 1998-I; Sozialistische Partei/TRK, 25.5.1998, Rep. 1998-III; Partei der Freiheit und Demokratie/ TRK, 8.12.1999, ECHR 1999-VIII; Refah Partisi u.a./TRK, 13.2.2003, ECHR 2003-II = EuGRZ 2003 207 = NVwZ 2003 1489 = ÖJZ 2005 975; Grabenwarter § 23, 76, 79 m.w.N.; Grabenwarter VVDStL 60 (2000) 290, 310; Meyer-Ladewig 8, 22 f.; ferner Pabel ZaöRV 63 (2003) 921, 924. EGMR Le Compte u.a./B, 23.6.1981, A 43 = NJW 1982 2714 = EuGRZ 1981 551 (Zwangsmitgliedschaft zum belgischen „Ordre des médecins“); Albert, Le Compte/B, 10.2.1983, A 58 = EuGRZ 1983 190; Sigurdur Sigurjónsson/ISL, 30.6.1993, A 264 = ÖJZ 1994 207; Bota/RUM (E), 12.10.2004: Zwangsmitgliedschaft zur „Union of Romanian Lawyers“; Frowein/Peukert 10; MeyerLadewig 12; vgl. Nowak 9.
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Vgl. etwa EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 53); Bota/RUM (E) (Fn. 52; Zwangsmitgliedschaft zur „Union of Romanian Lawyers“). Vgl. ferner etwa Grabenwarter § 23, 73. EGMR Le Compte u.a./B (Fn. 53); Frowein/ Peukert 10; Villiger 638. Vgl. EGMR Chassagnou/F, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 1999 3695 = ÖJZ 2000 113; Schneider/LUX, 10.7.2007, NuR 2008 489. EGMR Herrmann/D, 20.1.2011 (nicht endg.); zur deutschen Rechtslage siehe ferner BVerwG NVwZ 2006 92 m. Anm. Sailer NVwZ 2006 174 und BVerfGK 10 66 = NVwZ 2007 808 m. Anm. Maierhöfer NVwZ 2007 1155 (im BJagdG festgelegte Zwangsmitgliedschaft mit höherrangigem Recht vereinbar); kritisch: Sailer NuR 2007 186. Zur Diskussion siehe auch Reh NuR 2010 753; Müller-Schallenberg/Förster ZRP 2005 230; Sailer ZRP 2005 88. Vgl. Marauhn RabelsZ 1999 537, 541. Vgl. EGMR Belg. Polizeigewerkschaft/B, 27.10.1975, A 19, § 38 = EuGRZ 1975 562.
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leitet60: erstens zieht der EGMR alle Maßnahmen eines Staates in Erwägung, die auf die Sicherung der Koalitionsfreiheit abzielen, wodurch dem vertragsstaatlichen Ermessensspielraum Rechnung getragen wird; zweitens akzeptiert das Gericht keine Einschränkungen, die die wesentlichen Elemente der Koalitionsfreiheit beeinträchtigen würden. Diese beiden Prinzipien widersprechen sich nicht, vielmehr stehen sie in gegenseitiger Beziehung zueinander. Die Vertragsstaaten haben im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes die wesentlichen Elemente der Koalitionsfreiheit, ohne welche die Garantie selbiger leer laufen würde, zu beachten. Die Koalitionsfreiheit umfasst das Recht, jederzeit neue Gewerkschaften zu gründen 26 oder ihr beizutreten, aber auch das Verbot von „closed shop agreements“, d.h. Vereinbarungen, bei denen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft eine Voraussetzung für die Einstellung ist.61 Demgegenüber steht der Gewerkschaft grundsätzlich das Recht zu, ihre Mitglieder frei zu wählen.62 So garantiert die Koalitionsfreiheit sowohl den Gewerkschaften wie auch dem einzelnen Mitglied einen Freiheitsraum zur Selbstorganisation einschließlich der Regelung der Mitgliedschaft 63 sowie für die gewerkschaftliche Betätigung, vor allem für die Vertretung der beruflichen Interessen ihrer Mitglieder.64 Daher ist es mit Art. 11 EMRK unvereinbar, wenn das staatliche Recht den Arbeitgebern gestattet, den Arbeitnehmern wesentliche Lohnerhöhungen anzubieten, die mit der Beendigung kollektivvertraglicher Vereinbarungen einverstanden waren, während die Arbeitnehmer, die nicht bereit waren, auf ihre Vertretung durch die Gewerkschaft zu verzichten, diese Lohnerhöhungen nicht erhalten.65 Auch eine Zwangsversetzung eines Beamten, die auf dessen Mitgliedschaft zu einer rechtmäßigen öffentlich-rechtlichen Gewerkschaft beruht, widerspricht der Koalitionsfreiheit.66 Wieweit das Streikrecht durch Art. 11 EMRK / Art. 22 IPBPR garantiert wird, ist 27 weitgehend offen;67 generell ausgeschlossen werden darf es nicht, wenn sich die Staaten in Art. 6 Abs. 4 der Europäischen Sozialcharta zu seiner Anerkennung verpflichtet haben.68 Seine Ausübung kann aber den nach Art. 11 Abs. 2 EMRK / Art. 22 Abs. 2 IPBPR zulässigen Einschränkungen unterworfen werden,69 so etwa bei Beamten70 oder
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Vgl. grundlegend und zusammenfassend zur Koalitionsfreiheit: EGMR Demir u. Baykara/ TRK, 12.11.2008, AuR 2009 269 = NJOZ 2010 1897. Vgl. EGMR Demir u. Baykara/TRK (Fn. 60). Vgl. etwa EGMR Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF)/UK, 27.2.2007 (britische Gerichte versagten Ausschluss eines Gewerkschaftsmitgliedes wegen dessen Zugehörigkeit zur „British National Party“; Verstoß gegen Art. 11 EMRK). EKMR Cheall/UK, NJW 1986 1414 (Recht, Gewerkschaften zu bilden, schließt Recht auf eigene Satzung mit ein, die der Einzelne bei Beitritt hinnehmen muss). Vgl. etwa EGMR Belg. Polizeigewerkschaft (Fn. 59); ferner Schwedische Lokomotivführer/S, 6.2.1976, A 20 = EuGRZ 1976 62; Schmidt u. Dahlström/S, 6.2.1976, A 21 = EuGRZ 1976 68; Grabenwarter § 23, 77; Villiger 254.
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EGMR Wilson und The National Union of Journalists u.a./UK, 2.7.2002, ECHR 2002-V = ÖJZ 2003 729. Vgl. EGMR Metin Turan/TRK, 14.11.2006, allerdings nicht grundsätzlich, vgl. EGMR Ademyilmaz u.a./TRK, 21.3.2006. Vgl. Frowein/Peukert 18; Marauhn RabelsZ 1999 537, 547 (aber kein vollständiger Ausschluss). Frowein/Peukert 18; Grabenwarter § 23, 77; Meyer-Ladewig 19, 22. Art. 8 Abs. 1 lit. d IPWSKR v. 19.12.1966 (BGBl. 1992 II S. 1247) gewährleistet das Streikrecht nur in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung, die ihrerseits allerdings die Übereinkommen im Rahmen der internationalen Arbeitsorganisation beachten muss; vgl. Frowein/Peukert 21. EGMR Schmidt u. Dahlström/S (Fn. 64); Enerji Yapi-Yol Sen/TRK, 21.4.2009, NZA 2010 1423 (Streikverbot für gewisse Grup-
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Art. 21, 22 IPBPR
zum Schutze der Rechte anderer.71 Es ist im Kern insoweit garantiert, als es den Gewerkschaften zur Wahrnehmung der beruflichen Interessen ihrer Mitglieder nur versagt werden könnte, wenn der Staat ihnen dafür andere angemessene und gleich effektive Mittel zur Wahrung dieser Interessen zur Verfügung stellt.72 Ein Streikrecht der Gewerkschaften zu anderen, insbesondere zu politischen Zwecken, gewährleistet Art. 11 EMRK nicht. Art. 11 EMRK schließt staatliche Zwangsgewerkschaften und ein Monopol der be- 28 stehenden Gewerkschaften aus;73 er sichert andererseits das Recht, jederzeit neue Gewerkschaften zu gründen. Die Pflicht, mit einer Gewerkschaft Tarifverträge abzuschließen oder beizubehalten, kann aus Art. 11 EMRK nicht hergeleitet werden;74 ebenso wenig die Verpflichtung, einer Arbeitgebervereinigung beizutreten oder ein eigenes Abkommen mit einer Gewerkschaft zu schließen.75 Zumindest, wenn zureichende Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, gilt dies auch, wenn eine staatliche Stelle als Arbeitgeber mit anderen Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen hat.76 Ein Recht einer Gewerkschaft, bei Maßnahmen des Staates konsultiert zu werden, lässt sich daraus nicht ableiten.77 Die Weigerung eines Staates, eine Gewerkschaft, die bereits mehrere Jahre ihre Tätigkeit ausgeübt hatte, als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen, ist mit Art. 11 EMRK nicht vereinbar.78 Die negative Koalitionsfreiheit wird zumindest in dem für ihren Freiheitsraum uner- 29 lässlichen Kernbereich von der Garantie mit umfasst.79 Stets ist ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft zu schaffen. Grundsätzlich steht dem Staat zwar ein weiter Ermessenspielraum zu. Dieser reduziert sich jedoch bei den angesprochenen „closed shop agreements“ (Rn. 26) auf Null.80 Dabei macht es für die Beurteilung eines Falles keinen Unterschied, ob bereits beim Vertragsschluss ein „closed shop agreement“ besteht oder es erst danach geschlossen wird;
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pen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes zulässig, nicht aber ein allgemeines Streikverbot für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes); Frowein/Peukert 21; Grabenwarter § 23, 77; Villiger 639; zur Unzulässigkeit der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen Streikteilnahme eines Beamten vgl. EGMR Karacaya/TRK, 27.3.2010; Kaya u. Seyhan/TRK, 15.9.2009; Cerikci, 13.7.2010; VG Düsseldorf AuR 2011 74 (kein Streikrecht, aber u.U. Disziplinarmaßnahme unzulässig); VG Kassel Urteile v. 27.7.2011 – 28 K 574/10.KS.D und 28 K 1208/10.KS.D (Streikrecht für gewisse Beamte); VG Osnabrück Urt. v. 19.8.2011 – 9 A 1/11 (kein Streikrecht für Beamte, Disziplinarmaßnahme zulässig); siehe ferner Lindner DÖV 2011 305; Kutzki DÖD 2011 169. Vgl. EGMR Unison/UK, 10.1.2002, ECHR 2002-I = ÖJZ 2003 276; Syndicat Suédois des Travailleurs des Transports/S (E), 30.11. 2004. EGMR Schmidt u. Dahlström/S (Fn. 64); Unison/UK, 10.1.2002 lässt dies weitgehend offen; vgl. Frowein/Peukert 18; Grabenwarter § 23, 77; Villiger 639.
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EKMR EuGRZ 1980 450; EGMR Young u.a./UK, 13.8.1981, A 44 = NJW 1982 2717 = EuGRZ 1982 2717; zu den strittigen Einzelheiten vgl. Frowein/Peukert 14; Nowak 14; Villiger 641. Etwa die EGMR Unison/UK (Fn. 72); Wilson u. The National Union of Journalists u.a./UK (Fn. 65). EGMR Gustafsson/S, 25.4.1996, Rep. 1996-II = ÖJZ 1996 869. EGMR Schwedische Lokomotivführer/S (Fn. 64); dazu Fahlbeck EuGRZ 1976 471. EGMR Belg. Polizeigewerkschaft/B (Fn. 59), unter Hinweis, dass sich ein solches Recht auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Sozialcharta ergibt. EGMR Demir u. Baykara/TRK (Fn. 60). EGMR Young u.a./UK (Fn. 78); vgl. dazu auch EGMR Sigurdur Sigurjónsson/ISL (Fn. 52; Bindung der Taxi-Konzession an Mitgliedschaft in privatrechtl. Berufsvereinigung); Vörour Olafsson/ISL, 27.4.2010; vgl. zur Bedeutung der negativen Koalitionsfreiheit Marauhn RabelsZ 1999 537, 542. Vgl. EGMR Sørensen u. Rasmussen/DK, 11.1.2006, ECHR 2006-I.
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insbesondere bedeutet die Kenntnis des Arbeitnehmers von einem „closed shop agreement“ bei Vertragsunterschrift nicht den Verzicht auf seine Rechte aus Art. 11 EMRK.81 Der Staat kann verpflichtet sein, in Ausübung seiner Regelungsbefugnisse nach Art. 11 Abs. 2 EMRK den Einzelnen gegen Missbräuche zu schützen, die sich aus der beherrschenden Stellung einer Gewerkschaft ergeben können.82 Der EGMR hat aber im Falle des Boykotts eines Betriebes den Staat für nicht verpflichtet gehalten, sich in diese Auseinandersetzung durch ein Verbot des nach dem nationalen Recht zulässigen Boykotts einzumischen.83
5. Staatliche Eingriffe 30
a) Allgemeines. Staatliche Eingriffe in die Garantien des Art. 11 Abs. 1 EMRK können in unterschiedlichster Gestalt vorkommen: etwa in Form eines Verbots, einer Versammlung beizuwohnen84 oder der Bestrafung wegen der Teilnahme an selbiger,85 in der Versagung des passiven Wahlrechts,86 der Verzögerung87 oder gänzlichen Ablehnung einer Behörde, einer Vereinigung Rechtsfähigkeit zu verleihen.88 Bei letzterem ist zu beachten, dass eine Ablehnung eine Religionsgemeinschaft anzuerkennen, zugleich ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, Art. 9 EMRK, bedeutet.89 Zu prüfen ist nach der Feststellung eines Eingriffes stets, ob dieser den Voraussetzun31 gen des Art. 11 Abs. 2 EMRK genügt, also ob er einen (oder mehrere) legitimen Eingriffszweck verfolgt, gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Erforderlich ist, dass die getroffenen Maßnahmen eine ausreichende Rechts-
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Vgl. EGMR Sørensen u. Rasmussen/DK (Fn. 80; unter Verweis auf den Umstand, dass der Arbeitnehmer stets am kürzeren Hebel sitzt, da er die Stelle bei Widerspruch nicht erhalten hätte). EGMR Young u.a./UK (Fn. 78); Sibson/UK, 20.4.1993, A 258-A = ÖJZ 1994 35; Gustafsson/S (Fn. 75); EKMR Cheall/UK (NJW 1986 1414), dazu gehört aber nicht notwendig, dafür zu sorgen, dass sich rückwirkende Lohnerhöhungen auch auf die nicht am Arbeitskampf beteiligten Personen erstrecken, vgl. EGMR Schmidt u. Dahlström/S (Fn. 64), dazu Fahlbeck EuGRZ 1976 471; Grabenwarter § 23, 77, vgl. zur Rechtsprechung auch Marauhn RabelsZ 1999 537, 543. Vgl. EGMR Gustafsson/S (Fn. 75). Vgl. EGMR Adali/TRK, 31.3.2005 (unrechtmäßiges Verbot gegenüber einer Nordzypriotin, in (Süd-)Zypern an einer friedlichen Versammlung teilzunehmen). Vgl. EGMR Ezelin/F (Fn. 30; Bestrafung wegen der Teilnahme an einer Versammlung nicht gerechtfertigt, wenn der Betroffene selbst keine strafbare Handlung begangen hat).
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Vgl. EGMR Zdanoka/LET, 17.6.2004. Vgl. EGMR Ramazanova u.a./ASE, 1.2.2007 (vier Anträge zur Eintragung wurden mit Hinweis auf eine notwendige Änderung der Satzung zurückgewiesen). Vgl. etwa EGMR Gorzelik u.a./PL (Fn. 47); Sidiropoulos u.a./GR, 10.7.1998, Rep. 1998-IV. Vgl. EGMR Metropolitan Church of Bessarabia u.a./MOL, 13.12.2001, ECHR 2001-VII. Zur unrechtmäßigen Verweigerung einer durch eine Gesetzesänderung notwendig gewordenen erneuten Registrierung religiöser Vereinigungen, die zum Verlust der Rechtsfähigkeit der Bf. führte: EGMR Moskauer Unterorganisation der Heilsarmee/R, 5.10.2006, ECHR 2006-I = EuGRZ 2007 24; Scientology Kirche Moskau/R, 5.4.2007, NJW 2008 495; siehe zu einem notwendigen besonders sensiblen Umgang durch die nationalen Behörden bei Konflikten von einer religiösen Vereinigung mit der ihr überstehenden Kirchenleitung: EGMR Svyatot-Mykhayliska Parafiya/UKR, 14.6.2007.
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grundlage haben, durch triftige Sachgründe gerechtfertigt sind, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und insgesamt Ausnahmecharakter haben. Wie im Rahmen des Art. 10 EMRK (dort Rn. 62) ist ein sog. „chilling effect“ (Ab- 32 schreckungswirkung) auch in Bezug auf die Garantien des Art. 11 EMRK von Bedeutung. Demnach sind bereits Maßnahmen mit abschreckender Wirkung als Eingriff zu qualifizieren, d.h. auch wenn die Demonstrationsteilnehmer theoretisch trotz eines ausgesprochenen Verbotes protestieren könnten, handelt es sich bei dem Verbot bereits um einen Eingriff, da ein solches Verbot bereits von vornherein auf potentielle Teilnehmer einschüchternd bzw. abschreckend wirken kann.90 Insofern sind also auch abschreckende Maßnahmen am Maßstab des Art. 11 Abs. 2 EMRK messbar. b) Die Eingriffszwecke, die dem Staat eine Einschränkung dieser Gewährleistungen 33 gestatten, werden in Art. 11 Abs. 2 EMRK / Art. 21 Satz 2, Art. 22 Abs. 2 IPBPR aufgezählt. Die Einschränkungsgründe, die dem Muster der Art. 8 Abs. 2, 10 Abs. 2 EMRK folgen, stimmen trotz einiger Unterschiede im Wesentlichen mit diesen überein. Einschränkungen rechtfertigen den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, wozu nicht nur private Rechte, sondern auch das Recht auf eine friedliche Demonstration sowie die negative Vereins- und Koalitionsfreiheit gehören.91 Einschränkungen sind aber auch zur Sicherung bestimmter öffentlicher Aufgaben zulässig, so im Interesse der nationalen oder öffentlichen Sicherheit oder zum Schutz der öffentlichen Ordnung,92 die sowohl die in Art. 11 Abs. 2 EMRK besonders erwähnte Verhütung von Straftaten als auch die „institutionelle Ordnung“93 mit umfasst, ferner zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Moral.94 Dies kann direkt durch gesetzliche Regelungen, wie etwa durch ein absolutes Versammlungsverbot innerhalb der Bannmeile eines Parlaments 95 geschehen oder auch im Vollzug eines Gesetzes durch Einzelanordnungen, wie etwa Versammlungs- oder Demonstrationsverbote zur Verhütung einer anderweitig nicht vermeidbaren ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.96 Die abschließende Aufzählung der Zwecke einer zulässigen Einschränkung soll ver- 34 hindern, dass offen oder verdeckt zu einem anderen Zweck in die Versammlungs- oder Vereinsfreiheit eingegriffen wird (vgl. Art. 18 EMRK). Die legitimen Eingriffszwecke sind aber so weit gefasst, dass sie dem Staat einen großen Handlungs- und Beurteilungsspielraum für erforderliche Maßnahmen eröffnen,97 so dass sich die Grenzen meist erst aus den allgemeinen Schranken, vor allem aus der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft (Rn. 36) und der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergeben. c) Alle Eingriffe müssen im Interesse ihrer Vorhersehbarkeit und zum Ausschluss von 35 Willkür gesetzlich vorgesehen sein; sie müssen eine Grundlage im innerstaatlichen Recht
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So etwa in EGMR Baczkowski u.a./PL (Fn. 47). Vgl. EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“/A (Fn. 19); ÖVerfGH EuGRZ 1990 550; ferner Rn. 29. Vgl. Frowein/Peukert 6 ff.; Villiger 636. Vgl. EGMR Basque Nationalist Party und Ipparalde – Regional Organisation/F, 7.6.2007, ECHR 2007-VII. Art. 11 EMRK spricht zwar nur allgemein von Gesundheit und Moral, gemeint ist
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jedoch auch hier der öffentliche Bezug dieser Schutzgüter, wie etwa die Störung der Friedhofsruhe (vgl. ÖVerfGH EuGRZ 2001 330); der private Bezug fällt unter die Rechte anderer. ÖVerfGH EuGRZ 1996. EKMR EuGRZ 1981 216 (Verbot für Demonstrationsmärsche für zwei Monate); Villiger 638. Vgl. etwa EKMR EuGRZ 1980 36; 1981 216 (Demonstrationsverbote); Frowein/Peukert 6.
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haben. Diese muss den Betroffenen zugänglich und so hinreichend bestimmt sein, dass er sich gegen willkürliche Maßnahmen wehren kann.98 Letzteres wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass das Gesetz einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumt, sofern dessen Ausmaß und Modalitäten mit hinreichender Genauigkeit für den Betroffenen feststellbar sind, um ihn vor Willkür zu schützen.99 Eine Bestimmung, die schlicht besagt, dass die Eintragung eines Vereins verhindert werden kann, wenn dessen Satzung dem nationalen Recht widerspricht, genügt diesem Erfordernis nicht, da dadurch den Behörden ein zu weiter Spielraum eingeräumt wäre.100
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d) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft. Für ein staatliches Eingreifen bedarf es nach Art. 11 Abs. 2 EMRK – wie bei Art. 10 EMRK – eines dringenden gesellschaftlichen Bedürfnisses („pressing social need“).101 Eingriffe in die Vereinsfreiheit sind auch bei Erfüllung aller anderen Voraussetzungen nur zulässig, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft zur Erreichung des jeweiligen Schutzzweckes notwendig sind.102 Sie dürfen also nicht den durch Meinungspluralismus, Toleranz, Aufgeschlossenheit und Volkssouveränität geprägten Grundwerten eines demokratischen Staatswesens widersprechen.103 Diese sind das grundlegende Element der europäischen öffentlichen Ordnung, das als einziges politisches Modell mit der EMRK vereinbar ist.104 Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundwerte einer demokratischen Staatsordnung fällt zusätzlich als Eingriffsschranke ins Gewicht. Die Verfolgung der Wiedereinführung der Monarchie oder die Änderung der verfassungsrechtlichen Strukturen stellen allein gesehen jedoch keinen Widerspruch zum demokratischen Staatswesen dar.105
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6. Parteiverbot. Beim Verbot einer politischen Partei hat die Bindung an die Grundwerte einer demokratischen Staatsordnung als Eingriffsschranke besonderes Gewicht, da die Demokratie strukturell die Konkurrenz der Meinungen und der sie vertretenden politischen Parteien erfordert. Es bedarf daher eines gewichtigen Rechtfertigungsgrundes,
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Vgl. EGMR Maestri/I, 17.2.2004, ECHR 2004-I (Disziplinarstrafe gegenüber einem Richter wegen Zugehörigkeit zur Freimaurerloge; keine gesetzliche Regelung). Dies kann auch eine Verfassungsbestimmung sein; vgl. EGMR Rekvényi/H (GK), 20.5.1999, ECHR 1999-III = NJW 2001 2319 = ÖJZ 2000 235 = NVwZ 2000 421; Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51; Bedeutung des Laizismus); Gorzelik u.a./PL (Fn. 47; keine Notwendigkeit einer Definition des Begriffs „nationale Minderheiten“ im nationalen Recht). Vgl. EGMR Koretskyy u.a./UKR, 3.4.2008. Dass ein „dringendes gesellschaftliches Bedürfnis“ besteht, ist mit überzeugenden Gründen darzulegen, vgl. etwa: EGMR Tüm Haber Sem u. Çinar/TRK, 21.2.2006, ECHR 2006-II (ungerechtfertigte Auflösung einer durch Beamte gegründeten Gewerkschaft); Vörour Olafsson/ISL, 27.4.2010.
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Zur Aufnahme des in der EMRK, nicht aber sonst beim IPBPR üblichen Regulativs der Demokratieüblichkeit in Art. 21 Satz 2, Art. 22 Abs. 2 IPBPR vgl. Nowak Art. 21, 19. Vgl. EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Young u.a./UK (Fn. 78); Nowak Art. 21. EGMR Vereinigte kommunistische Partei u.a./TRK (Fn. 51); Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51). Vgl. EGMR Zhechev/BUL, 21.6.2007 (Verein wurde aufgrund seiner politischen Ziele die Eintragung versagt; keine Anzeichen, dass Ziele mittels gewalttätiger oder undemokratischer Methoden verfolgt werden sollten; Organisation war als politischer Verein die Teilnahme an Wahlen verschlossen; kein „pressing social need“ für Nichteintragung).
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wenn der Staat eine politische Partei wenn auch nur kurzzeitig – verbietet 106 bzw. die Registrierung einer Partei verweigert.107 Dies setzt voraus, dass die Partei nach ihrem Programm – oder aber auch nur nach den Äußerungen ihrer Funktionäre108 – grundlegende staatliche und gesellschaftliche Veränderungen anstrebt, die unvereinbar mit dem Demokratieverständnis der EMRK sind. Diese wird grundsätzlich von der Koexistenz und Konkurrenz pluralistischer Auffassungen, von der Meinungs- und Religionsfreiheit und einer diese ermöglichenden staatlichen Neutralität geprägt, die die Ausübung dieser für ein demokratisches Staatswesen unerlässlichen Freiheiten ermöglicht und schützt. Bestrebungen zur Abschaffung eines demokratisch strukturierten Staatswesens können deshalb nicht durch eine formale Berufung auf die Rechte aus Art. 10 und 11 EMRK 109 gerechtfertigt werden. Dem steht auch das Missbrauchsverbot des Art. 17 EMRK entgegen.110 Eine Partei, die zu Gewalt anstachelt oder grundlegende demokratische Prinzipien 38 missachtet oder auf deren Zerstörung oder auf die Missachtung der von diesen gewährleisteten Rechten und Freiheiten abzielt, wird durch Art. 11 EMRK nicht vor einem Verbot geschützt.111 Das System der Konventionen erfordert einen Ausgleich zwischen den Notwendigkeiten der Verteidigung einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft und der Wahrung individueller Rechte auch in Bezug auf staatliche Reformen.112 Damit ist vereinbar, dass von einer Partei Änderungen der staatlichen Ordnung angestrebt werden, sofern dies mit demokratischen Mitteln erreicht werden soll. Auch bestehende staatliche Strukturen dürfen dabei in Frage gestellt werden, nicht aber die demokratische Grundstruktur des Staates.113 Die Ausnahmen, die ein Parteiverbot rechtfertigen,114 sind wegen der Bedeutung, die den Parteien für den freien demokratischen Meinungsbildungsprozess nach Art. 10 EMRK zukommt, eng auszulegen. Der EGMR räumt den Staaten hier nur einen engen Beurteilungsspielraum ein; die getroffenen staatlichen Entscheidungen prüft er in jeder Hinsicht (Rechtsgrundlage, Eingriffsgrund, Sachverhaltsbeurteilung usw.) voll umfänglich nach.115 So ist die Auflösung einer Partei, deren Programm grundsätzlich mit dem 106
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Vgl. etwa EGMR Christian Democratic People’s Party/MOL, 14.2.2006, ECHR 2006-II (vorübergehendes Verbot einer Partei aufgrund nicht genehmigter Zusammenkommen). Etwa EGMR Linkov/CS, 7.12.2006. EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51); Pabel ZaöRV 63 (2001) 921. Beide gehören zusammen, da die Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK) die Ausübung der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) einer in organisierter Form zusammengefassten größeren Zahl von Personen gewährleistet; die Mehrheit solcher Zusammenschlüsse fördert auch den für die demokratische Willensbildung unverzichtbaren Pluralismus der Meinungen. Die EKMR hatte mit diesem Argument am 20.7.1957 eine Beschwerde der KPD als unzulässig abgelehnt, vgl. Golsong NJW 1957 1349; kritisch dazu Frowein/Peukert Art. 17, 3; Klein ZRP 2001 397, 399; Pabel ZaöRV 63 (2001) 921, 929.
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EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51), unter Hinweis auf EGMR Yazar u.a./TRK, 9.4.2002, ECHR 2002-II; dazu Pabel ZaöRV 63 (2003) 921, 926 (Aufhebung der Trennung von Kirche und Staat, Einführung der Scharia, Diskriminierung durch unterschiedliche Rechtssysteme). EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51); vgl. Grabenwarter § 23, 85; ders. VVDStL 60 (1990) 290, 310 m.w.N. Grabenwarter § 23, 85. EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51), rechtfertigt dies mit der Schutzpflicht zur Sicherung der demokratischen Gesellschaft aus Art. 1 EMRK. Vgl. Grabenwarter § 23, 85; Meyer-Ladewig 30 ff.; ferner zu den Entscheidungen der EKMR Frowein/Peukert 9, 13 und zu dem Unterschied der Prüfungsvoraussetzungen beim BVerfG und EGMR vgl. Klein ZRP 2001 397, 398.
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Demokratieverständnis der EMRK vereinbar ist, allein aufgrund der Befürchtung, dass das eigentliche Ziel der Partei sei, die territoriale Integrität oder Einheit des Staates zu unterminieren, ebenso wenig zu rechtfertigen116 wie die Nichtregistrierung einer Partei in einer vergleichbaren Situation.117 Zu trennen von dieser Frage ist die Situation, dass ein Verein ausschließlich deshalb nicht eingetragen wird, weil ein Artikel der Satzung besagt, dass es sich bei dem Verein um eine Organisation einer – nicht anerkannten – „nationalen Minderheit“ handele, und aus diesem Minderheitsstatus spezielle Vorrechte aus dem Wahlgesetz, wie z.B. das Recht bei Wahlen zu kandidieren, folgen würden.118 Auch Maßnahmen, die zwar im Ergebnis für eine Partei ähnliche Folgen wie ein Verbot haben können, sind von der besonderen Konstellation des Parteiverbots zu unterscheiden.119 Bei allen anderen Vereinigungen ist bei Eingriffen des Staates in die Vereinigungsfreiheit 39 zu berücksichtigen, dass Vereinigungen aller Art, gleich ob mit politischen, weltanschaulichen, religiösen, wirtschaftlichen oder kulturellen Zielsetzungen in einer demokratischen Gesellschaft vernünftigerweise notwendig sind, weil sie die kollektive Verwirklichung der Religions- und Meinungsfreiheit ermöglichen und damit einem wichtigen gesellschaftlichen Bedürfnis Rechnung tragen. Den staatlichen Behörden wird deshalb für die Notwendigkeit von korrigierenden Eingriffen und für ein präventives Einschreiten auch gegen solche Vereinigungen nur ein enger Beurteilungsspielraum zuerkannt. Die getroffenen Einschränkungen müssen stets sachlich gerechtfertigt sein und nach Art und Intensität der Maßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren120 und insgesamt Ausnahmecharakter haben.121 Insofern ist ein Verein, dessen Satzung bzw. erklärte Ziele keine Gefahr für eine demokratische Gesellschaftsordnung darstellen, grundsätzlich in ein Vereinsregister einzutragen. Bloße Mutmaßungen einer rechtswidrigen Gesinnung genügen zur Verweigerung der Eintragung nicht; darüber hinaus ist als milderes Mittel die Möglichkeit der Auflösung eines Vereins nach Aufnahme der Aktivitäten in Betracht zu ziehen,122 an die ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen sind; so müssen stets konkrete Beweise für die Gefahr der gesellschaftlichen Ordnung vorliegen.123
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Vgl. EGMR Democracy and Change Party u.a./TRK, 26.4.2005: Ziel der zu Unrecht aufgelösten Partei war u.a., die Entwicklung der kurdischen Sprache voranzutreiben; siehe zu der Problematik auch EGMR Emek Partisi u. Senol/TRK, 31.5.2005. Vgl. EGMR Partidul Comunistilor (Nepeceristi) et Ungureanu/RUM, 3.2.2005, ECHR 2005-I (Partei wies kommunistische Züge auf). Vgl. EGMR Gorzelik u.a./PL (Fn. 47; „Organisation der schlesischen nationalen Minderheit“): In einer solchen Vorgehensweise ist auch keine „per se“-Einschränkung des Art. 11 EMRK zu sehen, da nur der entsprechende Artikel der Vereinssatzung zu streichen gewesen wäre; siehe ferner zur gerechtfertigten Nichtzulassung eines Vereins als Partei, da dessen Grundsätze insbesondere auf die ethnische Zugehörigkeit abstellten: EGMR Artyomov/R (E), 7.12.2006, ECHR 2006-XV. So zum Beispiel das gesetzliche Verbot der
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Finanzierung einer inländischen durch eine ausländische Partei: EGMR Basque Nationalist Party und Ipparalde – Regional Organisation/F (Fn. 93). Vgl. Grabenwarter § 23, 83. Vgl. EKMR ÖJZ 1993 320 (Auflösung eines verkehrsbehindernden „sit in“); EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51); Frowein/Peukert 12; Villiger 638 mit Hinweis auf von der EKMR entschiedene Fälle. Zum Testen der „wahren“ Intentionen. Vgl. etwa EGMR Bekir-Ousta u.a./GR, 11.10. 2007; Bozgan/RUM, 11.10.2007 (Nichteintragung eines Vereins aufgrund von Annahmen, die weder aus Satzung noch Verhalten der Mitglieder abzuleiten waren). Vgl. EGMR Association of Citizens „Radko“ und Paunkovski/MAZ, 15.1.2009 (Wahl einer Person als Name des Vereins, dessen Ideologie der mazedonischen Bevölkerung ihren Status als nationale ethnische Minderheit absprach, diente nicht als ausreichender Beweis dazu, dass der Verein eine Politik
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7. Besondere Einschränkungen bei Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei und der 40 Staatsverwaltung. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK können Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der Staatsverwaltung besonderen gesetzlichen Einschränkungen 124 hinsichtlich der Ausübung der Vereinigungsfreiheit unterworfen werden (Art. 22 Abs. 2 Satz 2 IPBPR); Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK lässt dies auch hinsichtlich der Versammlungsfreiheit zu. Diese Beschränkungen sind eng auszulegen und zudem auf die Ausübung der betroffenen Rechte beschränkt, d.h. etwaige Einschränkungen können den wesentlichen Kern des Rechts auf Organisation nicht beeinträchtigen.125 Bei Art. 21 IPBPR fehlt die Klausel, die Zulässigkeit besonderer Beschränkungen kann hier jedoch aus den Zwecken des Art. 22 Abs. 2 IPBPR gerechtfertigt werden.126 Die Ausnahmeregelung für die Staatsverwaltung gilt aber nur für solche Personen, die, ähnlich wie die Streitkräfte und die Polizei, für den Staat hoheitliche Aufgaben wahrnehmen.127 So fallen jedenfalls Abgeordnete oder Gemeinderatsmitglieder nicht hierunter.128 Ebenso wenig können Kommunalbeamte, die nicht in der Staatsverwaltung als solcher tätig sind, pauschal als Angehörige der Staatsverwaltung behandelt werden.129 Die Einschränkungen müssen „rechtmäßig“ sein, d.h. sie müssen eine ausreichende 41 Grundlage im nationalen Recht, in der Regel also in einem Gesetz, haben,130 den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren131 und durch schwerwiegende Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt sein. Ob außerdem auch ein die Einschränkungen rechtfertigender Grund i.S.v. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK vorliegen muss, ist strittig.132 Einzelne Stimmen in der Literatur wollen dies bejahen.133 Eine Heranziehung der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK würde jedoch den sog. Beamtenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK de facto leer laufen lassen. Da auch bei Beamten die Einschränkungen des Rechts aus Art. 11 EMRK verhältnismäßig sein müssen, ist das Schutzniveau tatsächlich nicht geringer als bei Nichtbeamten.134 Bei der Weite der eine Einschränkung rechtfertigenden Gesichtspunkte dürfte dies in der Regel kaum Probleme bereiten.
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verfolgen wollte, die eine Gefahr für Staat oder Gesellschaft darstellen könnte; Auflösung des Vereins insofern nicht mit Art. 11 EMRK vereinbar). Gerechtfertigt war ein Verbot hingegen in EGMR Kalifatstaat/D (E), 11.12.2006, ECHR 2006-V = EuGRZ 2007 543 (Zielsetzung des Vereins war – ohne Ausschluss von Gewaltanwendung – die Errichtung einer islamischen Weltregierung unter dem Recht der Sharia). Zur Tragweite, die bis zum Verbot reichen kann, aber Art. 18 EMRK beachten muss, Frowein/Peukert 21; Grabenwarter § 23, 86; Villiger 642; vgl. ferner den Vorbehalt zugunsten des innerstaatlichen Rechts bei Polizei und Streitkräften in Teil II Art. 5 der Europäischen Sozialcharta. Vgl. EGMR Demir u. Baykara/TRK (Fn. 60) Nowak Art. 21, 14. Vgl. Marauhn RabelsZ 1999 537, 548; EGMR Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = NJW 1996 375 = EuGRZ 1995 590 = ÖJZ 1996
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75, ließ offen, ob Lehrer unter diese Einschränkungsmöglichkeit fallen. EGMR Zdanoka/LET (Fn. 86). Vgl. EGMR Demir u. Baykara/TRK (Fn. 60). Vgl. Marauhn RabelsZ 1999 537, 549. Frohwein/Peukert 21; Grabenwarter § 23, 86 unter Hinweis auf von der EKMR entschiedenen Fälle; ebenso Meyer-Ladewig 35; ferner EGMR Vogt/D (Fn. 127): Entlassung einer Lehrerin wegen Zugehörigkeit zu der nicht verbotenen DKP verstieß gegen Art. 11 EMRK. EGMR Rekvényi/H (GK), 20.5.1999 (Fn. 99), lässt dies offen. Meyer-Ladewig 36; EGMR (GK) Demir u. Baykara/TRK (Fn. 60); anders noch EKMR Council of Civil Service Unions/UK, 20.1.1987, DR 50, 228, die lediglich prüfte, ob die Einschränkung willkürlich war; Grabenwarter § 23, 70; Frowein/Peukert 21.
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EMRK Art. 11
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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8. Positive Schutzpflichten des Staates. Auch positive Schutzpflichten des Staates können sich aus den Konventionsgarantien ergeben. Diese sind zwar in erster Linie Abwehrrechte, die den Eingriffen des Staates in den gewährleisteten Freiheitsraum Grenzen setzen. Wird jedoch die garantierte Freiheit des Einzelnen in einem wesentlichen Umfang aus Gründen illusorisch, die von ihm nicht beeinflussbar sind, weil sie in vorgegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen wurzeln, kann der Staat aufgrund seiner Gewährleistungspflicht nach Art. 1 EMRK / Art. 2 IPBPR je nach den Umständen auch verpflichtet sein, durch angemessene und vernünftige Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die gewährleisteten Rechte auch ausgeübt werden können.135 So muss der Staat etwa die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausübung der garantierten Rechte schaffen, wobei er in deren Ausgestaltung aber weitgehend frei ist und auch nicht verpflichtet ist, den jeweiligen Gruppen Mittel für die Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung zu stellen.136 Ist der Schutzzweck durch verschiedene Mittel erreichbar, ist es dem Staat überlassen, welche er wählen will.137 Er hat insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum.138 Dies kann im Einzelfall das Ergreifen angemessener Maßnahmen zum Schutz einer 43 Versammlung139 oder genehmigten Demonstration vor Störungen durch Gegendemonstrationen140 sowie die Einleitung von Ermittlungen141 erfordern und bis zum Verbot einer Partei reichen.142 Auch im Übrigen kann der Staat generell verpflichtet sein, durch eine entsprechende Ausgestaltung seiner Gesetze den Einzelnen vor dem Druck übermächtiger Vereinigungen zu schützen, so, wenn ihm außergewöhnliche Härten oder schwerwiegende berufliche Nachteile wegen des Nichtbeitritts zu einer bestimmten Gewerkschaft oder Vereinigung erwachsen könnten.143 Umgekehrt darf der Staat das Recht der Gewerkschaften, für die Interessen ihrer Mitglieder zu kämpfen, nicht im Wege der Gesetzgebung dadurch unterlaufen, dass er den Arbeitgebern ermöglicht, nicht organisierte Arbeitnehmer bevorzugt einzustellen.144 Dem Staat wird ein weiter Beurteilungsspielraum zugebilligt, ob und auf welchem Weg er eingreifen will. Eine Verpflichtung, unter allen Umständen die Ausübung der garantierten Rechte gegenüber allen von Dritten kommenden Störungen durchzusetzen, trifft ihn nicht.145 Er ist auch nicht verpflichtet, privaten Vereinigungen die Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung zu stellen.146
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Zu einem klaren Verstoß mehrerer Schutzpflichten, vgl. EGMR Ouranio Toxo u.a./GR (Fn. 16; Nichteingreifen bei Übergriffen gegenüber einer Partei bzw. deren Gebäude, die sich u.a. für die Rechte der in Griechenland lebenden, mazedonischen Minderheit einsetzte; Fehlen von Einsatzkräften als Vorwand; keine Einleitung von Ermittlungen gegen die Unruhestifter). Grabenwarter § 23, 88. Vgl. EGMR belg. Polizeigewerkschaft/B (Fn. 59). EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“, 21.6.1988, A 139 = EuGRZ 1989 522 = ÖJZ 1988 734; Gustafsson/S (Fn. 75); Grabenwarter § 23, 88; Meyer-Ladewig 5. Vgl. EGMR The United Macedonian Organisation Umo Ilinden und Ivanov/BUL,
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20.10.2005; siehe auch ÖVerfGH EuGRZ 1990 550 (Beseitigung störender Transparente). EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“ (Fn. 19). Vgl. BVerfG EuGRZ 1991 361 (kein Grundrechtsschutz, wenn ausschließlich Verhinderung einer anderen Versammlung beabsichtigt). Vgl. EGMR Ouranio Toxo u.a./GR (Fn. 16). EGMR Refah Partisi, Erbakan u.a./TRK (Fn. 51). EGMR Young u.a./UK (Fn. 78; closed shop); EKMR NJW 1986 1413; Frowein/ Peukert 14, 15; Nowak Art. 21, 17. EGMR Wilson/UK (Fn. 65); vgl. Grabenwarter § 23, 88. EGMR Gustafsson/S (Fn. 75). EKMR nach Grabenwarter § 23, 88.
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Recht auf Eheschließung
Art. 23 IPBPR
Art. 12 EMRK (Art. 23 IPBPR) EMRK Artikel 12 Recht auf Eheschließung Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. IPBPR Artikel 23 (1) Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. (2) Das Recht von Mann und Frau, im heiratsfähigen Alter eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wird anerkannt. (3) Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. (4) Die Vertragsstaaten werden durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, daß die Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Für den nötigen Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe ist Sorge zu tragen. Schrifttum (Auswahl) Coester-Waltjen Grundgesetz und EMRK im deutschen Familienrecht, Jura 2007 914; Fahrenhorst Familienrecht und Europäische Menschenrechtskonvention (1994); Henrich Zur Frage ders. Rechts auf Eheschließung eines Transsexuellen nach erfolgreicher geschlechtsverändernder Operation, FamRZ 2004 173; Klein Frankreich – Unwirksamkeit der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Partner, ZEuP 2006 419; Palm-Risse Völkerrechtlicher Schutz von Ehe und Familie (1990); Rixe Der EGMR als Motor einer Harmonisierung des Familienrechts in Europa, FPR 2008 222. Vgl. auch weitere Literatur bei Art. 8 EMRK.
Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . b) Innerstaatliche Garantien . . . . . . . 2. Schutzbereich a) Recht auf Eheschließung . . . . . . . . b) Freiwilligkeit der Eheschließung . . . . c) Gleichberechtigung; Schutz der Kinder bei Eheauflösung . . . . . . . . . . . .
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Rn. d) Recht auf Gründung einer Familie . . .
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3. Einschränkungen a) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . b) Schranken-Schranken . . . . . . . . . c) Relevanz auf strafrechtlichem Gebiet .
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1. Allgemeines a) Grundlagen. Nach Art. 16 AEMR haben Männer und Frauen im heiratsfähigen 1 Alter das Recht auf Eheschließung und Familiengründung ohne Beschränkungen aufgrund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion. Eine Ehe darf nur im freien und
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. Männer und Frauen sind gleichberechtigt bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Art. 23 IPBPR entspricht diesem Vorbild, während Art. 12 EMRK nur das Recht auf 2 Eheschließung und Familiengründung nach nationalem Recht beinhaltet. Die Vorschrift wurde aber später durch Art. 5 des 7. ZP-EMRK ergänzt, der die Gleichheit der Ehegatten während der Ehe und bei Auflösung der Ehe festschreibt, so wie die Gleichberechtigung in ihren Beziehungen zu ihren Kindern.1 Art. 23 Abs. 4 IPBPR verpflichtet dagegen die Staaten, für den Schutz der Kinder bei Auflösung der Ehe zu sorgen. Art. 3 IPBPR verpflichtet darüber hinaus die Vertragsstaaten allgemein, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller in diesem Pakt festgelegten bürgerlichen und politischen Rechte sicherzustellen. Das Recht auf Ehe und Familie wird auch von der EMRK ohne jede Diskriminierung nach Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion gewährt; dies folgt aus Art. 14 EMRK.2 Auch andere internationale Konventionen schützen die Gleichberechtigung beim 3 Recht auf Ehe und die freie Wahl des Ehegatten, so Art. 5 lit. d, iv des Übereinkommens zur Beseitigung von jeder Form der Rassendiskriminierung vom 7.3.1966 (CERD)3 oder der zusätzlich auch detailliert die Gleichberechtigung in der Ehe fordernde Art. 16 des Übereinkommens zur Beseitigung von jeder Form der Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 (CEDAW)4. Die Freiheit der Eheschließung wurde schon in Art. 1 lit. c, Art. 2 des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und der sklavereiähnlichen Einrichtungen vom 7.9.1956 5 geregelt. Der Schutz der Kinder bei Eheauflösung wird auch im Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (CRC)6 angesprochen. Die genannten Regelungen gewährleisten jeweils nur Personen unterschiedlichen Ge4 schlechts eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union7 (EUC) geht darüber hinaus, indem sie auf die ausdrückliche Beschränkung auf Männer und Frauen verzichtet und in Art. 9 allgemein das Recht gewährt, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Erfasst sind somit grundsätzlich auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Indem jedoch die Garantie unter den Vorbehalt des innerstaatlichen Rechts gestellt wird, wird diese weite Fassung relativiert, so dass eine generelle Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften nicht schon kraft der EUC erfolgt, sondern vielmehr in die Zuständigkeit der einzelnen Staaten gegeben wird.8 Weitere Artikel der EUC befassen sich mit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 23), dem Recht der Kinder auf Beziehungen zu beiden Elternteilen (Art. 24 Abs. 3) sowie dem rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie (Art. 33).
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Deutschland hat dieses ZP nicht ratifiziert; vgl. Teil I Rn. 53. Vgl. Partsch 214; siehe zum allgemeinen Diskriminierungsverbot auch des 12. ZP-EMRK. BGBl. II 1969 S. 962; Bek. v. 16.10.1969 BGBl. II S. 2211. BGBl. II 1985 S. 648. Vgl. hierzu aus strafrechtlicher Sicht die Forderungen nach einem Gesamtstraftatbestand „Häusliche Gewalt“ und die diesbezüglich ablehnende Antwort der Bundesregierung (BTDrucks. 16 12152; 16 12839).
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BGBl. 1958 II S. 203. Auch die DDR war diesem Übereinkommen beigetreten (GBl. 1974 II S. 1250). BGBl. 1992 II S. 121; s. auch Art. 6 EMRK Rn. 433. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1. Charta-Erläuterungen, ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 21; BGBl. 2008 II S. 1165; Meyer-Ladewig Art. 12, 3; Jarass/Pieroth Art. 9, 5 GG; Tettinger/Stern/Tettinger Art. 9, 15 f.; Grabenwarter § 22, 59.
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Recht auf Eheschließung
Art. 23 IPBPR
b) Innerstaatliche Garantien. Innerstaatlich stellt Art. 6 GG Ehe und Familie unter 5 den besonderen Schutz des Staates; er gewährleistet auch die Freiheit der Eheschließung.9 Die Gleichberechtigung von Mann und Frau folgt aus Art. 3 Abs. 2 GG; hinsichtlich der Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen wird Art. 3 GG durch den speziellen10 Art. 6 Abs. 5 GG ergänzt.
2. Schutzbereich a) Recht auf Eheschließung. Art. 12 EMRK garantiert Männern und Frauen im hei- 6 ratsfähigen Alter das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wobei diese Garantie nach Maßgabe des jeweiligen innerstaatlichen Rechts gewährt wird. Eigene Schranken legt Art. 12 EMRK nicht fest: wegen der Bindung der Garantie an das innerstaatliche Recht war dies entbehrlich.11 Geschützt von Art. 12 EMRK wird die traditionelle Ehe zwischen Personen verschie- 7 denen biologischen Geschlechts;12 ob dies auch für Transsexuelle nach einer vollzogenen Geschlechtsumwandlung gilt, war strittig, wird aber vom EGMR bejaht.13 Einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen steht bei isolierter Betrachtung nichts entgegen.14 Hingegen sprechen die Systematik und der historische Kontext gegen eine gleichgeschlechtliche Ehe. Angesichts des fehlenden europäischen Konsenses ist eine diesbezügliche Regelung dem nationalen Recht eines jeden Vertragsstaates überlassen.15 Art. 23 Abs. 2 IPBPR garantiert ebenfalls das Recht auf Ehe, wobei der Ausdruck, 8 dass dieses Recht „anerkannt“ wird, keine grundsätzliche Abschwächung der Garantie bedeutet, sondern zum Ausdruck bringen soll, dass es sich um ein natürliches, der Konvention vorgegebenes Recht handelt.16 Die Festlegung des heiratsfähigen Alters sowie der sonstigen Modalitäten der Eheschließung überlassen beide Konventionen den Vertragsstaaten;17 ebenso die Festlegung sachlich zu rechtfertigender Ehehindernisse.18 9 10 11 12
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BVerfGE 31 58, 67; 36 161. Vgl. BVerfGE 26 60, 72. Grabenwarter § 22, 65. EGMR van Oosterwijck/B, 6.11.1980, A 40 = NJW 1982 497 = EuGRZ 1981 275; Rees/UK, 17.10.1986, A 106; Cossey/UK, 27.9. 1990, A 184 = ÖJZ 1991 173; Sheffield, Horsham/ UK, 30.7.1998, Rep. 1998-V = ÖJZ 1999 571; vgl. BVerfGE 105 313 = NJW 2002 2543 = EuGRZ 2002 348; BVerfG NJW 2008 2325 = FamRZ 2008 1321; BVerfG FamRZ 2009 1295 (Lebenspartnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren ist keine Ehe i.S.d. Konventionsgarantien und des Art. 6 GG, sondern ein aliud zur Ehe); Meyer-Ladewig Art. 12, 3; Grabenwarter § 22, 60. EGMR Goodwin/UK, 11.7.2002, ECHR 2002-VI = NJW-RR 2004 289 = ÖJZ 2003 766, hat deren Recht auf Ehe jetzt bejaht; ebenso Grabenwarter § 22, 54, 66; MeyerLadewig Art. 12, 3; Peters 169. Auch der EuGH 7.1.2004, Rs. C-117/01 (K.B./National Health Service Pensions Agency, Secretary
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of State for Health), NJW 2004 1440, wonach Art. 141 EGV einer Regelung entgegenstand, die es unter Verstoß gegen die EMRK einem Paar unmöglich machte, nach der Geschlechtsumwandlung eines Partners die Ehe einzugehen. EGMR Schalk u. Kopf/A, 24.6.2010, NJW 2011 1421, § 55; verneinend in Bezug auf den Wortlaut: EGMR Rees/UK (Fn. 12); Meyer-Ladewig Art. 12, 3; Villiger 643. EGMR Schalk u. Kopf/A, 24.6.2010, §§ 59 ff.; Grabenwarter § 22, 60. Nowak Art. 23, 26; Art. 21, 4. Frowein/Peukert Art. 12, 1; Grabenwarter § 22, 59, 64; Meyer-Ladewig Art. 12, 5; Nowak Art. 23, 1, 2 mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte des Art. 23 IPBPR. Art. 2 des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Sklaverei (vgl. Fn. 5) verpflichtet die Staaten, „soweit erforderlich“ ein angemessenes Mindestalter festzusetzen. Frowein/Peukert Art. 12, 2; Meyer-Ladewig Art. 12, 5; Grabenwarter § 22, 59, 64; vgl.
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b) Freiwilligkeit der Eheschließung. Art. 23 Abs. 3 IPBPR ergänzt die Garantie dadurch, dass die Ehe nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden darf. Er folgt damit Art. 16 Abs. 2 AEMR und Art. 16 Abs. 1 AEMR. In Art. 12 EMRK wurde dies ebenso wenig übernommen wie das ausdrückliche Erfordernis der Freiwilligkeit der Eheschließung. Wegen der größeren Homogenität der Anschauungen in den europäischen Mitgliedstaaten hielt man dies für entbehrlich. Ein Zwang zur Heirat ist auch nach Art. 12 EMRK nicht zulässig, denn die Freiheit der Eheschließung umfasst auch die negative Freiheit, eine Eheschließung abzulehnen.19 Die Zulassung eines Zwangs zur Eheschließung würde außerdem die staatliche Pflicht zum Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK) verletzen. Ein Recht auf Scheidung als Voraussetzung für ein Recht auf Eingehung einer neuen 10 Ehe kann aus Art. 12 EMRK nicht hergeleitet werden. Das Recht auf Scheidung wird jedoch in Art. 5 des 7. ZP-EMRK vorausgesetzt, der die Rechtsfolgen der Scheidung regelt.20 Bei Art. 23 IPBPR, dessen Absatz 4 die Eheauflösung anspricht, wird jedoch eine Verletzung des Rechts auf (Wieder-)Heirat durch ein absolutes Scheidungsverbot bejaht.21
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c) Gleichberechtigung; Schutz der Kinder bei Eheauflösung. Art. 16 Abs. 1 AEMR fordert, dass Mann und Frau bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe gleiche Rechte haben. Art. 23 Abs. 4 IPBPR verpflichtet die Vertragsstaaten, diesen Grundsatz durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen und für den Schutz der Kinder im Falle der Auflösung einer Ehe zu sorgen. Es handelt sich um Staatenverpflichtungen, aus denen keine subjektiven Rechte des Einzelnen unmittelbar hergeleitet werden können.22 Die Staaten werden hinsichtlich der Gleichberechtigung der Ehegatten auch nur zur allmählichen Verwirklichung (progressive Implementierung) verpflichtet,23 während sie bei Eheauflösung auch nur für den nötigen Schutz der (ehelichen) Kinder sorgen müssen.24 Art. 5 des 7. ZP-EMRK, das von Deutschland nicht ratifiziert wurde, legt dagegen 12 ausdrücklich fest, dass die Ehegatten untereinander und in Beziehung zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben, wobei klargestellt wird, dass dieser Artikel den Staaten nicht verwehrt, die im Interesse der Kinder nötigen Maßnahmen zu treffen. Letzteres entspricht ihrer Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 4 Satz 2 IPBPR.
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d) Recht auf Gründung einer Familie. Während bei der Auslegung des Art. 12 EMRK auf die Familiengründung als Folge der Heirat abgestellt wird,25 so dass in der Ablehnung der Adoption eines Kindes durch einen Junggesellen kein Verstoß gegen Art. 12
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BGer EuGRZ 2002 616 (Eheschließungsverbot zwischen Stiefvater und Stieftochter). Frowein/Peukert Art. 12, 5; Meyer-Ladewig Art. 12, 2. EGMR Johnston/IR, 18.12.1986, A 112 = EuGRZ 1986 313; unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte); Frowein/Peukert Art. 12, 4; Grabenwarter § 22, 61; Meyer-Ladewig Art. 12, 4; Villiger 643; vgl. andererseits die aus Art. 8 EMRK abgeleiteten staatlichen Schutzpflichten EGMR Airey/IR, 6.2.1981, A 41 = EuGRZ 1979 626; Art. 8 EMRK Rn. 107; sowie Art. 5 des 7. ZP-EMRK (von Deutschland nicht ratifiziert), der die Gleichheit bei den Rechtsfolgen nach einer Scheidung festlegt.
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Argentinischer Oberster Gerichtshof EuGRZ 1987 322 m. Anm. Polakiewicz EuGRZ 1987 324; Hofmann 49. Ausführlich zur Argumentation siehe: Nowak Art. 23, 33 ff. Nowak Art. 23, 48. Vgl. Entstehungsgeschichte Nowak Art. 23, Rn. 45 ff. Nowak Art. 23, 61; vgl. Guradze JIR 1971 (15) 261. Vgl. EGMR Abdulaziz u.a./UK, 28.5.1985, A 94 = NJW 1986 3007 = EuGRZ 1985 569; Frowein/Peukert Art. 12, 7; Grabenwarter § 22, 62; Villiger 646.
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Recht auf Eheschließung
Art. 23 IPBPR
EMRK gesehen wurde,26 versteht Art. 23 IPBPR die Familie in einem weiten Sinn, wobei deren jeweiliges gesellschaftliches und kulturelles Verständnis dafür maßgebend ist, welcher Personenkreis und welche Funktionen zur Familie gehören;27 sie umfasst nicht nur die in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen zulässige Mehrehe, sondern auch die ohne Heirat faktisch gelebte Familie.28 Das Recht, eine Familie zu gründen, schließt das Recht auf Zeugung oder Adoption von Kindern mit ein.29 Der Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat (Art. 23 Abs. 1 IPBPR) ist 14 vom Staat durch eine entsprechende staatliche Ordnung, vor allem im Wege der Gesetzgebung zu erfüllen. Der Schutzanspruch kann durch familienfeindliche staatliche Regelungen verletzt werden,30 auch wenn der Schutz der (gelebten) Familienbeziehungen gegen Eingriffe primär aus den weiterreichenden Art. 17 IPBPR und Art. 8 EMRK31 folgt. Nach dem Sinn des Art. 23 Abs. 1 IPBPR muss der Staat auch dafür sorgen, dass die Gesellschaft, also auch die gesellschaftlichen Kräfte, die Familie achtet. Eine unmittelbare Rechtspflicht für bestimmte Personen, insbesondere für die gesellschaftlichen Organisationen, wird aber durch Art. 23 Abs. 1 IPBPR nicht begründet.32
3. Einschränkungen a) Schranken. Art. 12 EMRK / Art. 23 IPBPR sehen keine dem Art. 8 Abs. 2 EMRK 15 vergleichbaren ausdrücklichen Einschränkungsgründe vor. Art. 12 EMRK gewährt die Ausübung der Rechte aber nur im Rahmen der nationalen Gesetze, die jedoch die Garantie nicht aushöhlen und ihren Wesensgehalt nicht antasten dürfen.33 Bei Art. 23 IPBPR fehlt der Hinweis auf die nationalen Gesetze. Nach h.M. sind jedoch neben der Festlegung der Formalitäten für eine gültige Eheschließung auch solche sachlichen Einschränkungen durch das nationale Recht zulässig, die sich auf allgemein anerkannte Gründe, wie Festlegung des Heiratsalters34 oder das Verbot der Eheschließung zwischen nahen Verwandten35 oder – in Ländern des westlichen Kulturkreises – auf das Verbot der Bigamie beschränken.36 b) Schranken-Schranken. In beiden Konventionen müssen sich die Einschränkungen in 16 engen Grenzen halten, sie müssen dem Schutz berechtigter Belange der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung oder der unmittelbar beteiligten Personen dienen, frei von sachfremden Erwägungen sein, auf einer allgemein einsichtigen, rationalen Grundlage beruhen37 26
27 28 29 30
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EKMR bei Frowein/Peukert Art. 12, 7; vgl. andererseits den von Art. 8 EMRK geschützten weiten Familienbegriff, dort Rn. 13; siehe aber EGMR Schalk u. Kopf/A (Fn. 15), § 56. Nowak Art. 23, 9. Nowak Art. 23, 37 f. Frowein/Peukert Art. 12, 7; Nowak Art. 23, 19. Vgl. HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./Mauritius, 9.4.1981, 35/1978, EuGRZ 1981 391; Nowak Art. 23, 10 f.; Guradze JIR 1971 (15) 261 verneint dagegen, dass sich aus Art. 23 Abs. 1 IPBPR justiziable Rechte herleiten lassen. Zum Verhältnis zu Art. 8 EMRK vgl. Frowein/Peukert Art. 12, 8. Nowak Art. 23, 13.
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EGMR Cossey/UK, 27.9.1990; Frowein/ Peukert Art. 12, 1; Grabenwarter § 22, 64 f.; Villiger 645. Vgl. Rn. 8; Villiger 645 (auch wenn eine islamische Ehe mit niedrigerem Heiratsalter dadurch nicht möglich ist). BGer EuGRZ 2002 616 (Eheschließungsverbot zwischen Stiefvater und Stieftochter). Ferner die bei Frowein/Peukert Art. 12, 2–5 angeführten Fälle der EKMR (z.B. Gattenmord); vgl. ferner EGMR F/CH, 18.12.1987, A 128 = EuGRZ 1993 130, und wegen der Ehe nach Geschlechtsumwandlung Rn. 7. Nowak Art. 23, 31. Vgl. BVerfGE 36 163; 49 300; Frowein/Peukert Art. 12, 2–5; Nowak Art. 23, 32; Schorn 3, 4.
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EMRK Art. 12
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
und nicht unverhältnismäßig sein.38 Ähnlich wie bei Art. 8 Abs. 2 EMRK muss bei jeder Einschränkung der mit ihr angestrebte Zweck gegenüber dem grundsätzlich garantierten Recht auf Ehe abgewogen werden. Eine danach unverhältnismäßige Einschränkung verstößt gegen die Konventionsgarantie, so auch ein Gesetz, das nach der dritten Scheidung eine dreijährige Wartefrist für die Wiederverheiratung vorschrieb.39 Die nationalen Regelungen dürfen ferner keine von den Konventionen verbotene Diskriminierung enthalten.40
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c) Relevanz auf strafrechtlichem Gebiet. Bei Strafgefangenen darf das Recht, eine Ehe einzugehen, nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden,41 aber im Einzelfall aus schwerwiegenden Gründen versagt werden.42 Ob auf dem Recht auf Eingehung einer Ehe ein Recht folgt, die Ehe während der Haft auch zu vollziehen, hat der EGMR bislang nicht explizit entschieden.43 Ein möglicher Ansatzpunkt dürfte neben Art. 12 EMRK das Recht auf Privat- und Familienleben sein (Art. 8 EMRK), das Einschränkungen lediglich bei strikter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zulässt. § 24 Abs. 1 Satz 1 StVollzG44 räumt jedem Strafgefangenen einen Anspruch auf Empfang von Besuchen während der Haft ein. Zwar beschränken diese Normen die Mindestbesuchsdauer lediglich auf eine Stunde im Monat; eine Verlängerung ist jedoch möglich, wenn dies zur Reintegration oder Behandlung des Inhaftierten förderlich erscheint.45 Gerade auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG wird es deshalb als zulässig erachtet, verheiratete Inhaftierte bei der Gewährung von Besuchszeiten zu bevorzugen.46 Die Zulässigkeit sog. Langzeitbesuche von Ehepartnern (einschließlich Intim- bzw. Sexualkontakten) ist weder ausdrücklich ausgeschlossen, noch existiert ein diesbezüglicher Anspruch des Inhaftierten.47 Sie erscheinen jedoch mit Blick auf die Grundsätze der Gegensteuerung (§ 3 Abs. 2 StVollzG)48 und Angleichung (§ 3 Abs. 1 StVollzG)49 sowie unter Berücksichtigung der staatlichen Verpflichtung zum besonderen Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG durchaus angebracht.50 Für den Inhaftierten ergibt sich allerdings nur ein Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung. In Deutschland werden Langzeitbesuche momentan in etwa 30 Justizvollzugsanstalten mit überwiegend positiven Ergebnissen durchgeführt.51 38 39 40 41
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Grabenwarter § 22, 65. EGMR F/CH (Fn. 35); dazu Villiger 644. Vgl. Rn. 2; Art. 14 EMRK Rn. 21 ff. EGMR Frasik/PL, 5.1.2010; Jaremowicz/PL, 5.1.2010; EKMR nach Frowein/Peukert Art. 12, 3; Meyer-Ladewig Art. 12, 6; Villiger 645; Guradze 15; Nowak Art. 23, 32. EKMR nach Frowein/Peukert Art. 12, 3; Partsch 215. Ablehnend: EKMR EuGRZ 1978 518; bei Bleckmann EuGRZ 1982 531; Frowein/Peukert Art. 12, 7; Villiger 646. Entsprechend die landesrechtlichen Regelungen in § 19 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III, Art. 27 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG, § 26 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG, § 34 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG, § 25 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG. § 24 Abs. 2 StVollzG, § 19 Abs. 3 JVollzGB III, Art. 27 Abs. 2 BayStVollzG, § 26 Abs. 3 HmbStVollzG, § 34 Abs. 2 HStVollzG, § 25 Abs. 2 NJVollzG.
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OLG Dresden NStZ 1998 159; siehe auch OLG München StV 2009 198. BVerfG NStZ-RR 2001 253; OLG Koblenz NStZ 1998 398; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004 60; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006 154; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008 261. Einzige Ausnahme: § 26 Abs. 4 HmbStVollzG. Auf Länderebene: § 2 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB III, Art. 5 Abs. 2 BayStVollzG, § 3 Abs. 1 Satz 2 HmbStVollzG, § 3 Abs. 2 HStVollzG, § 2 Abs. 2 NJVollzG. Auf Länderebene: § 2 Abs. 2 JVollzGB III, Art. 5 Abs. 1 BayStVollzG § 3 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG, § 3 Abs. 1 HStVollzG, § 2 Abs. 1 NJVollzG. AK-StVollzG/Joester/Wegner § 24, 25; Calliess/Müller-Dietz § 27, 8. Preusker Langzeitbesuche in deutschen Gefängnissen, FS 2008 255; zur Rechtslage in Österreich siehe § 93 Abs. 2 öStVG (Durchführung von Langzeitbesuchen seit 2007).
Robert Esser
Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
Art. 13 EMRK (Art. 2 IPBPR) EMRK Artikel 13 Recht auf wirksame Beschwerde Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
IPBPR Artikel 2 (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. (2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind. (3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben; b) dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen; c) dafür Sorge zu tragen, daß die zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde, Geltung verschaffen.
Schrifttum (Auswahl) Brüning Staatshaftung bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren NJW 2007 1094; Esser Effektiver nationaler Rechtsschutz als Grundelement des europäischen Menschenrechtsschutzes – Überlegungen auf der Grundlage der EGMR-Urteile Horvat v. Kroatien und Sürmeli v. Deutschland, in: Pavišic (Hrsg.), Decennium Moztanicense, Deset godina rada Zavoda za kaznene znanosti Mošćenice – Pravnog fakulteta Sveučilišta u Rijeci (2008), 101; Frowein Art. 13 as a growing pillar of Convention law, GedS Ryssdal (2000) 545; Gimpel Einführung einer allgemeinen Untätigkeitsbeschwerde im Strafprozeß durch Gesetz, ZRP 2003 35; Gundel Neue Anforderungen des EGMR an die Ausgestaltung des nationalen Rechtsschutzsystems – Die Schaffung effektiver Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer, DVBl. 2004 217; Matscher Zur Funktion und Tragweite der Be-
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EMRK Art. 13
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
stimmung des Art. 13 EMRK, FS Seidl-Hohenveldern 315; Redeker Kann eine Untätigkeitsbeschwerde helfen? NJW 2002 488; Roller Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, ZRP 2008 122; Schaupp-Haag Die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges nach Art. 26 EMRK und das deutsche Recht (1987); Steinbeiß-Winkelmann Überlange Gerichtsverfahren – Der Ruf nach dem Gesetzgeber, ZRP 2007 177; Steinbeiß-Winkelmann Die Verfassungsbeschwerde als Untätigkeitsbeschwerde? NJW 2008 1783; Vorwerk Kudla gegen Polen – Was kommt danach? JZ 2004 553; Vospernik Das Verhältnis zwischen Art. 13 und Art. 6 EMRK – Absorption oder „Apfel und Birne“? ÖJZ 2001 361.
Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Art. 13 EMRK . . . . . . . . . . . b) Art. 2 Abs. 3 IPBPR . . . . . . . . c) Andere internationale Konventionen d) Europäische Union . . . . . . . . .
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. . . .
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2. Bedeutung und Tragweite der Verfahrensgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Reichweite und Inhalt der Garantie a) Akzessorietät und Ausgestaltung durch das nationale Recht . . . . . . . . . . b) Individualrecht . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Grenzen der Rechtsbehelfsgarantie . . . . . . . . . . . . .
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5. Effektivität des Rechtsbehelfs . . . . . . .
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Rn. a) Geeignetheit eines Rechtsbehelfs . . . . aa) Unabhängigkeit der entscheidenden Behörde . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsanspruch . . . . . . . . . . cc) Rechtsmittelerfolg . . . . . . . . . dd) Rechtsmittelverweigerung und -verzögerung . . . . . . . . . . . b) Zugänglichkeit . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenwirken mehrerer Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . e) Abhilfemöglichkeiten bei überlanger Verfahrensdauer nach deutschem Recht aa) Verfassungsbeschwerde . . . . . . bb) Sonstige Rechtsbehelfe . . . . . . cc) Bewertung der Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer durch den EGMR . . . . . . . . . . . .
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41 42 46 47 60 63 68 69 70 71 75
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1. Allgemeines 1
a) Art. 13 EMRK. Die Konventionsgarantie enthält eine akzessorische Rechtsschutzgarantie, die nur zusammen mit der Behauptung einer Verletzung eines Konventionsrechts geltend gemacht werden kann. Die deutschsprachige Fassung ist insofern irreführend, als nicht nur das Recht auf eine Beschwerde im technischen Sinn des gleichnamigen Rechtsmittels des nationalen Verfahrensrechts gewährleistet wird (Rn. 40 ff.),1 sondern das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf („right to an effective remedy“) bei einer innerstaatlichen Instanz für jedermann, der die Verletzung in einem der in der EMRK oder ihren Zusatzprotokollen festgelegten Recht plausibel geltend machen kann (Rn. 17 ff.). Die weiterreichende Forderung in Art. 8 AEMR vom 10.12.1948, nach der jedermann Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen hat, die ihn in seinem von der Verfassung oder einem Gesetz verbürgten Grundrecht verletzen, wurde insoweit einschränkend abgewandelt.2
2
b) Art. 2 Abs. 3 IPBPR. Wie Art. 13 EMRK ist auch Art. 2 Abs. 3 IPBPR streng akzessorisch und setzt entgegen dem Wortlaut keinen Verstoß gegen ein im IPBPR ver1
Vgl. Grabenwarter § 24, 174 (Begriff ist autonom zu interpretieren).
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Zur Entstehungsgeschichte IK-EMRK/Schweizer 4 ff.; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 316.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
bürgtes Recht voraus, sondern lediglich, dass eine Konventionsverletzung vertretbar behauptet wird.3 Er ergänzt und konkretisiert insoweit die Verpflichtung der Staaten aus Art. 2 Abs. 2 IPBPR, alle erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den im IPBPR anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen. Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art. 2 Abs. 3 IPBPR (nur) die Vertragsstaaten, 3 dafür zu sorgen, dass jeder, der in seinen im IPBPR anerkannten Rechten und Freiheiten verletzt worden ist, innerstaatlich das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen (lit. a).4 Die nach nationalem Recht jeweils zuständigen Stellen, Gerichte, Verwaltungsorgane oder sonstige Stellen müssen aufgrund der Beschwerde den Sachverhalt überprüfen und ggf. eine solche Verletzung feststellen können (lit. b). Zudem muss gesichert sein, dass erfolgreichen Beschwerden durch die zuständigen staatlichen Organe Geltung verschafft wird (lit. c). Art. 2 Abs. 3 lit. b IPBPR enthält zusätzlich noch die allgemein gehaltene Verpflich- 4 tung, den – auch dort nicht zwingend geforderten – gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen. Dieser Wortlaut trägt der Tatsache Rechnung, dass der IPBPR für eine weit weniger homogene Staatengemeinschaft gilt, die sich, anders als die Vertragsstaaten der EMRK, nicht unbedingt an den traditionellen westlichen Rechtsbehelfsvorstellungen orientiert.5 c) Andere internationale Konventionen. Auch andere internationale Konventionen 5 verpflichten die Vertragsstaaten dazu, die in ihnen enthaltenen materiellen Gewährleistungen durch wirksame innerstaatliche Rechtsbehelfe abzusichern. So fordert Art. 6 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung v. 7.3.1966 (CERD),6 dass die Mitgliedstaaten jeder Person in ihrem Hoheitsbereich „wirksame Rechtsbehelfe durch die zuständigen nationalen Gerichte und sonstige staatliche Einrichtungen“ sowie angemessene Schadensersatzansprüche gewährleisten bei „allen rassisch diskriminierenden Handlungen, welche ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten im Widerspruch zu diesem Übereinkommen verletzen“. Art. 13 der UN-Antifolterkonvention v. 10.12.1984 (UNCAT)7 verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass jeder, der behauptet, er sei im Hoheitsbereich eines Mitgliedstaates gefoltert worden, das Recht auf Anrufung der zuständigen Behörden und auf umgehende unparteiische Prüfung seines Falles durch diese Behörden hat. Art. 14 UNCAT fordert darüber hinaus, im nationalen Recht einklagbare Schadensersatzansprüche vorzusehen. d) Europäische Union. In der Europäischen Union wird das Recht auf einen wirk- 6 samen Rechtsbehelf als Teil des allgemeinen Unionsrechts angesehen, da es zu den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen gehört, die Teil der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten sind.8 Zur Bekräftigung fordert Art. 47 EUC für jede Per-
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Nowak 13 ff., 62. Zu dieser „Staatenverpflichtung“ Nowak 13; IK-EMRK/Schweizer 29. Zur Entstehungsgeschichte Nowak 5 ff., 64. BGBl. 1969 II S. 962. BGBl. 1990 II S. 246. EuGH Gutachten EuGRZ 1996 197; IK-EMRK/Schweizer 110; EuGH Rs. 222/84 (Johnston), 15.5.1986, Slg. 1986, 1651, §§ 18,
19; Rs. 222/86 (Heylens u.a.), 15.10.1987, Slg. 1987, 4097, § 14; Rs. C-424/99 (Kommission/Österreich), 27.11.2001, Slg. 2001, I-9285, § 45; Rs. C-50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), 25.7.2002, § 39 = NJW 2002 2935; Rs. C-467/01 (Eribrand), 19.6.2003, Slg. 2003, I-6471, § 61; vgl. Teil I Rn. 1 ff., 101.
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son, die in einem durch das Recht der Union garantierten Recht oder einer Freiheit verletzt ist, einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht.9 Problematisch war unter diesem Gesichtspunkt, dass vor den Europäischen Gerichten 7 bisher nur derjenige gegen eine Entscheidung oder eine Verordnung nach Art. 230 Abs. 4 EGV a.F. klagen konnte, der dadurch in seinen Rechten unmittelbar und auch individuell betroffen war. Nach der sog. Plaumann-Formel war der Kläger nur dann individuell durch den angegriffenen Akt betroffen, wenn besondere Umstände ihn aus dem Kreis der übrigen Personen heraushoben, so dass er auf ähnliche Weise individualisiert wurde wie ein Adressat.10 Damit war es natürlichen und juristischen Personen praktisch unmöglich, gegen Verordnungen direkt vorzugehen, was insoweit problematisch war, als sie keine Durchführungsmaßnahmen erforderten. Der Versuch des EuG, die Individualklagebefugnis im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu erweitern, wurde vom EuGH unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EGV a.F. abgelehnt. Schließlich wurde, diesem Ziel folgend, bei der Neufassung der Verträge nun in Art. 263 Abs. 4 AEUV auf das Merkmal der individuellen Betroffenheit bei Verordnungen verzichtet.11 Die Vorschrift sieht nunmehr vor, dass auch „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ angreifbar sind, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen: es wird nur noch verlangt, dass die angegriffene Handlung Rechtswirkung gegenüber dem Kläger hat. Was allerdings Rechtsakte mit Verordnungscharakter sind, ist umstritten. Gemeint sein können zum einen sog. Scheinverordnungen, die in der Form einer Verordnung ergehen, aber tatsächlich konkret-individuelle Regelungen treffen. Andererseits kann das Merkmal aber auch – in Abgrenzung zu den in Art. 289 Abs. 3 AEUV genannten Rechtsakten mit Gesetzescharakter – so verstanden werden, dass es alle Rechtsakte erfassen soll, die nicht in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen worden sind.12 Innerstaatlich garantiert Art. 19 Abs. 4 GG bei einer (behaupteten) Verletzung eines 8 subjektiven Rechts durch die öffentliche Gewalt den Weg zu den Gerichten. Soweit im GG vergleichbare Rechte wie in den Konventionen garantiert werden, steht bei deren Verletzung die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) offen.13 Diese genügt jedoch nach der Rechtsprechung des EGMR nicht in allen Konstellationen den Anforderungen, die Art. 13 EMRK an einen wirksamen Rechtsbehelf stellt (hierzu Rn. 71 ff.).14
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2. Bedeutung und Tragweite der Verfahrensgarantie. Die Bedeutung der Garantie eines nationalen Überprüfungsverfahrens i.S.d. Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR liegt einmal darin, dass die tatsächliche Gewährung der Konventionsrechte und damit deren Effektivität innerstaatlich abgesichert wird. Der Einzelne erhält dadurch das Recht, schon vor einer nationalen Stelle um wirksame Abhilfe nachzusuchen,15 wenn er mit vertretbaren Argumenten („arguable claim“) eine Konventionsverletzung behaupten kann.16 Die Konventionsstaaten sind verpflichtet, eine nationale Überprüfungsinstanz zu
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EuG EuGRZ 2002 266. EuGH Rs. C-25/62 (Plaumann), 28.5.1963, Slg. 1963, 211 ff.; Rs. C-50/00 (UPA Unión de Pequenos Agricultores), 25.7.2002, Slg. 2002, I-6677 = NJW 2002 2935. Geiger/Khan/Kotzur Art. 263, 30 f. AEUV. Arndt/Fischer/Fetzer 274. Vgl. Grabenwarter § 24, 164. EGMR (GK) Sürmeli/D, 8.6.2006, ECHR 2006-VII = NJW 2006 2389 = EuGRZ 2007
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15 16
255 = FamRZ 2007 1449 (Beschwerden über die Verfahrensdauer in Zivilprozessen); hierzu Esser in: Pavišic (Hrsg.), Decennium Moztanicense, 101. Vgl. Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 317. Z.B. EGMR Klass/D, 6.9.1978, A 28 = NJW 1979 1755 = EuGRZ 1979 278; Leander/S, 26.3.1987, A 116; Boyle u. Rice/UK, 27.4.1988, A 131; Powell u. Rayner/UK,
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
schaffen, die einer behaupteten Konventionsverletzung im Falle ihres Vorliegens abhelfen kann.17 Diese Pflicht eröffnet den Vertragsstaaten entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität zugleich die Möglichkeit, behauptete Konventionsverstöße ihrer Organe selbst zu überprüfen, sie innerstaatlich selbst zu bereinigen und sich so ein Verfahren vor dem EGMR zu ersparen. Der Gerichtshof wird dadurch entlastet, da er sich nach Art. 35 Abs. 1 EMRK mit einer Individualbeschwerde wegen einer Konventionsverletzung nur befasst, wenn die bestehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind (Teil II Rn. 149 ff).18 Die Ausschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe bei einer vertretbar behaupteten Verletzung eines Konventionsrechtes ist auch beim IPBPR Voraussetzung für die Anrufung des Human Rights Committee (HRC) als Kontrollorgan (vgl. Art. 41 Abs. 1 lit. c IPBPR für Staatenbeschwerden; Art. 2, 5 Abs. 2 lit. b des 1. FP-IPBPR für Individualbeschwerden).19 Durch die vorherige Einschaltung einer nationalen Instanz kann der Gerichtshof auf Entscheidungen aufbauen, deren Grundlagen im nationalen Recht bereits überprüft worden sind. Die Anforderungen des jeweiligen nationalen Rechts werden für den Gerichtshof verdeutlicht und können von ihm bei seiner Entscheidungsfindung mitberücksichtigt werden. Der für die Fortentwicklung des Konventionssystems wichtige Dialog zwischen den Rechtssystemen20 wird dadurch gefördert. Wird die Verletzung der EMRK erst durch den EGMR festgestellt, so fordert Art. 13 EMRK nicht, dass das nationale Recht die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vorsehen muss.21 In der Bundesrepublik hat der Gesetzgeber diese Möglichkeit sowohl für das Strafverfahren (§ 359 Nr. 6 StPO) als auch für das Zivilverfahren (§ 580 Nr. 8 ZPO) eröffnet.
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3. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfsgarantien. Soweit ein und dieselbe Konven- 14 tionsverbürgung durch unterschiedliche Rechtsbehelfsgarantien in der Konvention abgesichert wird, verdrängt der stärkere Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz die schwächere, unspezifische Garantie des Art. 13 EMRK.22 Dies gilt etwa für den Fall, dass
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21.2.1990, A 172 = ÖJZ 1990 418; Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A, 19.12.1994, A 302 = ÖJZ 1995 314; Wille/FL, 28.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 1195 = ÖJZ 2000 647 = EuGRZ 2001 475; Grabenwarter § 24, 171 f.; MeyerLadewig 5; Villiger 654. Vgl. EGMR (GK) Kudła/PL, 26.10.2000, ECHR 2000-XI, § 157 = NJW 2001 2694 = EuGRZ 2004 484 = ÖJZ 2001 904; (GK) Ramirez Sanchez/F, 4.7.2006, ECHR 2006-IX. Vgl. EGMR Kudła/PL (Fn. 17), § 152; Yuriy Nikolayevich Ivanov/UKR, 15.10.2009, § 63; McFarlane/IR, 10.9.2010, § 112; Grabenwarter § 24, 163 (materiellrechtliche Voraussetzung für die Subsidiarität des Art. 35 EMRK); IK-EMRK/Schweizer 2 (Filterwirkung), 55 ff. (Abgrenzung zu Art. 35 Abs. 1 EMRK); Meyer-Ladewig 1.
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Vgl. Nowak 62 ff. (repressiver Rechtsschutz genügt). Vgl. Teil II Rn. 364. Zur Wechselwirkung zwischen Art. 13 EMRK und dem jetzigen Art. 35 Abs. 1 EMRK: Ganshof van der Meersch EuGRZ 1981 481; IK-EMRK/Schweizer 55 ff. Vgl. BVerfG (Vorprüfungsausschuss) EuGRZ 1985 654 (Pakelli); OLG Stuttgart Justiz 1985 177 je m.w.N.; strittig, vgl. Teil II Rn. 247. Frowein/Peukert 10; IK-EMRK/Schweizer 52; Villiger 648; Vospernik ÖJZ 2001 361, 367 (wenn Rechtsschutz gegen die gleiche Konventionsverletzung im vollen oder größeren Umfang als bei Art. 13 EMRK besteht und dessen Schutzziel daher von dem anderen Konventionsartikel mitumfasst ist).
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sie für das nationale Recht vorschreiben, dass über die jeweilige Fragestellung bzw. Konventionsverletzung nur eine richterliche Instanz entscheiden darf. Die Rechtsbehelfsgarantien der Konventionen, wie sie Art. 6 Abs. 1 EMRK / Art. 14 Abs. 1 IPBPR und Art. 5 Abs. 3, 4 EMRK / Art. 9 Abs. 3, 4 IPBPR für die dort genannten Rechte und Verfahren enthalten, gehen daher als Spezialregelungen dem nur allgemein und unspezifisch garantierten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf grundsätzlich vor.23 Wieweit Art. 13 EMRK bei anderen verfahrensbezogenen Konventionsverletzungen 15 anwendbar ist, etwa wenn eine staatliche Stelle einem durch eine Maßnahme Betroffenen konventionswidrig den Zugang zum Gericht verweigert oder diesen faktisch unmöglich macht, ohne dass dagegen ein innerstaatlicher Rechtsbehelf ergriffen werden kann,24 wenn also die weitergehende akzessorische Rechtsbehelfsgarantie des Art. 13 EMRK den Rechtsweg wegen einer anderen materiellen Konventionsverletzung nicht parallel zu einer Gerichtsgarantie absichert, ist dagegen strittig. Insoweit hat die Garantie des Art. 13 EMRK einen anderen Schutzgegenstand,25 weil sie die Einhaltung einer spezielleren Gerichtsgarantie selbst betrifft.26 In der Sache fällt die Garantie des Art. 13 EMRK aber auch in einem solchen Fall mit dem durch die Verhinderung der Anrufung des Gerichts gleichzeitig verletzten und unmittelbar anwendbaren spezielleren Recht auf Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht in den Art. 5 Abs. 3, 4 bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK zusammen, so dass zumindest kein praktisches Bedürfnis besteht, neben diesen Garantien noch die Einhaltung des Art. 13 EMRK gesondert zu prüfen.27 Sind allerdings Konventionsrechte verletzt, die weder von den Verfahrensgarantien 16 des Art. 5 EMRK erfasst werden noch vom Recht auf eine gerichtliche Entscheidung in Art. 6 Abs. 1 EMRK gedeckt sind, weil es weder um einen zivilrechtlichen Anspruch noch um eine strafrechtliche Anklage 28 geht, wird die Rechtsbehelfsgarantie des Art. 13 EMRK durch keine vorrangige Garantie des Rechtswegs zu den Gerichten verdrängt. Die Generalität des Art. 13 EMRK zeigt sich dabei darin, dass er im Gegensatz zu den Garantien aus Art. 5 und 6 EMRK für alle aus der Konvention garantierten Rechte gilt, insofern also weiter ist.29 Bei Konventionsverletzungen, die nicht notwendig mit den Verfahrensgarantien der Art. 5 und 6 EMRK zusammentreffen, muss zumindest ein Rechtsbehelf zu einer den Anforderungen des Art. 13 EMRK genügenden staatlichen Stelle gegeben sein.30
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EGMR Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Silver u.a./UK, 25.3.1983, A 61 = EuGRZ 1984 534; Campbell u. Fell/UK, 28.6.1984, A 80 = EuGRZ 1985 534; De Jong u.a./NL, 22.5.1984, A 77 = EuGRZ 1985 700; W/UK, 8.7.1987, A 121 = NJW 1991 2199 = EuGRZ 1990 533; Hentrich/F, 22.9.1994, A 296-A = EuGRZ 1996 593 = ÖJZ 1995 594; Frowein/Peukert 10; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 318, 336; weitere Nachw. zur Entwicklung der Rspr. des EGMR Vospernic ÖJZ 2001 361; IK-EMRK/Schweizer 48 ff., 52; vgl. Art. 5 EMRK Rn. 199 ff., 316 ff.; Art. 6 EMRK Rn. 167 ff. IK-EMRK/Schweizer 53 bejaht dies; ebenso Vospernik ÖJZ 2001 361, 367.
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Vgl. die Wiedergabe des Meinungsstandes in der Literatur bei Vospernik ÖJZ 2001 361, 362 ff. Vospernik ÖJZ 2001 361, 367 verneint bei solchen Konstellationen den gleichen Gegenstand; IK-EMRK/Schweizer 53 (gleichzeitige Anwendung). Vgl. etwa EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 23); Campbell u. Fell/UK (Fn. 23); W/UK (Fn. 23); Frowein/Peukert 10. Vgl. Art. 6 EMRK Rn. 24 ff. Meyer-Ladewig 2. So behandelt der EGMR auch Fälle mit Foltervorwürfen (Art. 3 EMRK) unter dem Blickwinkel der Rechtsbehelfsgarantie des Art. 13 EMRK, vgl. die Nachweise bei Vospernik ÖJZ 2001 361, 366.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
4. Reichweite und Inhalt der Garantie a) Akzessorietät und Ausgestaltung durch das nationale Recht. Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 IPBPR gewährleisten ein Recht auf innerstaatlichen Rechtsschutz nur bei einer (vertretbar behaupteten) Verletzung eines anderen Konventionsrechts.31 Die Behauptung eines Verstoßes gegen Art. 13 EMRK muss daher immer auch das Konventionsrecht mit anführen, dem mit der Beschwerde innerstaatlich zur Geltung verholfen werden soll.32 Soweit ein Staat ein bestimmtes Konventionsrecht nur mit Vorbehalt anerkannt hat, gewährleistet Art. 13 EMRK dessen Nachprüfung auch nur mit den sich aus diesem Vorbehalt ergebenden Einschränkungen.33 Zu den von Art. 13 EMRK erfassten Konventionsrechten zählen die im Abschnitt I der EMRK aufgenommenen Rechte und Freiheiten, ferner – soweit der jeweilige Staat ihnen beigetreten ist – auch die Rechte und Freiheiten, die sich aus Zusatzprotokollen ergeben. Auf andere Rechte und Freiheiten erstreckt sich die Garantie auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht, mögen diese auch verfassungsrechtlich gewährleistet sein oder sich aus anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben. Auch die Garantie des Art. 2 Abs. 3 IPBPR ist akzessorisch. Das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs kann ebenfalls nur im Hinblick auf eine Beeinträchtigung bei Ausübung eines bestimmten Konventionsrechts nach Art. 6 bis 27 IPBPR beanstandet werden.34 Aus dem Wortlaut der Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 lit. a IPBPR könnte geschlossen werden, dass beide Vorschriften die Verletzung eines Konventionsrechts voraussetzen. Dem ist nicht so, liegt die Funktion des durch beide Vorschriften garantieren Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf doch gerade in der Überprüfung, ob eine Verletzung des besagten Rechts vorlag.35 Daher ist für eine Verletzung der Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 lit. a IPBPR ausreichend, dass die Verletzung von anderen Konventionsrechten plausibel geltend gemacht werden kann. Mit vertretbaren Argumenten („arguable claim“) muss ein Verstoß behauptet werden können, das Vorliegen der Verletzung eines Konventionsrechts muss bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls immerhin denkbar sein.36 Unschädlich ist aber, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Behauptung einer Konventionsverletzung unbegründet ist. Bei der notwendigen konkreten Würdigung kann auch ein sachlich unbegründetes Vorbringen noch als vertretbare Argumentation zu werten sein.37 Nur offensichtlich
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IK-EMRK/Schweizer 9 (als Grundrecht ausgestaltete Verfahrensgarantie); Villiger 647; Frowein/Peukert 1; IK-EMRK/Schweizer 36 f.; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 319. Frowein/Peukert 1. IK-EMRK/Schweizer 24. Nowak 13 ff., 62. EGMR Ommer/D (Nr. 2), 13.11.2008, HRRS 2009 Nr. 217. EGMR Klass/D (Fn. 16); Silver u.a./UK (Fn. 23); Leander/S (Fn. 16); Boyle u. Rice/UK (Fn. 16); Powell u. Rayner/UK (Fn. 16); Halford/UK, 25.6.1997,
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Rep. 1997-III = ÖJZ 1998 311; Kaya/TRK, 19.2.1998; Wille/FL (Fn. 16); Hilal/UK, 6.3.2001, ECHR 2001-II = ÖJZ 2002 436 = InfAuslR 2001 417; vgl. auch Frowein/Peukert 2; Grabenwarter § 24, 172; MeyerLadewig 5; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 320; Nowak 71 f. Etwa EGMR Boyle u. Rice/UK (Fn. 16); M.u.R. Andersson/S, 25.2.1992, A 226-A = ÖJZ 1992 552; Costello-Roberts/UK, 25.3.1993, A 247-C = ÖJZ 1993 707; Camenzind/CH, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII = ÖJZ 1998 797; Valsamis/GR, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 114; IK-EMRK/
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unbegründete („manifestly ill-founded“), vor allem neben der Sache liegende, unsubstantiierte Behauptungen reichen nicht aus, um aus Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR einen Anspruch auf einen Rechtsbehelf herzuleiten.38 Dies sollte aber nicht automatisch in allen Fällen angenommen werden, in denen der EGMR eine Konventionsverletzung aus der Retrospektive verneint. Das gilt insbesondere dann, wenn der Gerichtshof eine Beschwerde erst nach längerer und eingehender Prüfung der Argumente im Endergebnis als „offensichtlich unbegründet und damit unzulässig“ verwirft. In solchen Fällen können diese durchaus vertretbar i.S.d. Art. 13 EMRK gewesen sein.39 Wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde allerdings nicht ausreichend substantiell tatsächlich begründet hat, wird sie in der Regel nicht vertretbar sein.40 Umgekehrt ist eine Beschwerde, die zugelassen worden ist, weil sie nicht von vorneherein unbegründet ist, als vertretbar anzusehen.41 Wer als Verletzter in Betracht kommt und damit nach Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR Anspruch auf einen wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelf hat, richtet sich danach, ob die konkrete staatliche Maßnahme ihn selbst beschwert, er selbst also ihr Opfer ist, weil sie in ein bestimmtes, ihm selbst durch die Konvention verbürgtes eigenes Recht eingreift.42 Dies können auch Kinder oder nicht voll geschäftsfähige Personen sein.43 Siehe dazu Teil II Rn. 123 ff. Die Rechtsbehelfsgarantien selbst begründen keinen zusätzlichen, vom Schutz konkreter Konventionsgarantien gelösten eigenständigen Rechtsbehelf. Sie verweisen vielmehr auf das nationale Recht, dem sie grundsätzlich die Regelung überlassen. Es ist primär eine innerstaatliche Angelegenheit, in welcher Form und bei welcher Stelle der von den Konventionen geforderte wirksame Rechtsbehelf („remedy“ / „recours“) geltend gemacht werden kann, um den materiellen Inhalt der Konventionsgarantien innerstaatlich durchzusetzen.44 Eine bestimmte Form oder Ausgestaltung des Rechtsbehelfs wird von Art. 13 EMRK nicht vorgeschrieben. Er muss auch nicht zu einem Gericht führen und von den Staaten auch nicht notwendig im Bereich der Rechtspflege angesiedelt werden.45 Hilft die zuständige staatliche Stelle der Konventionsverletzung nicht ab, fordert Art. 13 EMRK keinen weiteren innerstaatlichen Rechtsbehelf, insbesondere nicht die Einschaltung eines unabhängigen Gerichts. Bei Art. 2 Abs. 3 IPBPR wird dies bereits durch den Wortlaut klargestellt, der ausdrücklich die verschiedenen Staatsorgane, zu
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Schweizer 40, Meyer-Ladewig 6; Villiger 655 ff.; ebenso Grabenwarter § 24, 172. EGMR Powell u. Rayner/UK (Fn. 16); IK-EMRK/Schweizer 20 f.; Meyer-Ladewig 6; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 320; Grabenwarter § 24, 172. Grabenwarter § 24, 172 unter Hinweis auf EKMR; andererseits aber EGMR Powell u. Rayner/UK (Fn. 16), wo der Gerichtshof die Ansicht vertrat, dass die Schwelle der offensichtlichen Unbegründetheit so angesetzt werden müsse, dass sie auch für die Vertretbarkeit eines Anspruchs gilt; ähnlich EGMR Plattform „Ärzte für das Leben“/A, 21.6.1988; Meyer-Ladewig 6 stimmt dem „für den Regelfall“ zu; Bedenken dagegen
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bei Frowein/Peukert 3; vgl. auch EGMR Boyle u. Rice/UK (Fn. 16). EGMR Mentese u.a./TRK, 18.1.2005. EGMR Nuri Kurt/TRK, 29.11.2005. Vgl. Art. 1 EMRK Rn. 13 ff. Vgl. etwa EGMR M.u.R. Andersson/S (Fn. 37); IK-EMRK/Schweizer 17 (auch zur Prozessfähigkeit Minderjähriger). EGMR Lithgow u.a./UK, 8.7.1986, A 102 = EuGRZ 1988 350; Meyer-Goßner 1; Schorn 8; vgl. auch BGHSt 20 86. Vgl. EGMR Leander/S (Fn. 16); Chahal/UK, 15.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 432 = NVwZ 1997 1093 = InfAuslR 1997 97; Al-Nashif/BUL, 20.6.2003, ÖJZ 2003 344; Grabenwarter § 24, 174; ferner Rn. 13.
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denen der Rechtsbehelf führen kann, nebeneinander aufführt und der im Übrigen nur die Staaten verpflichtet, für den Ausbau eines langfristig angestrebten gerichtlichen Rechtsschutzes zu sorgen (lit. b). Da die Mitgliedstaaten nicht gehalten sind, die Konventionen als solche in das inner- 27 staatliche Recht zu inkorporieren,46 genügt es, wenn das jeweilige nationale Rechtsschutzsystem den Weg eröffnet hat, die Verletzung gleichartiger innerstaatlicher Rechte zu rügen, sofern und soweit diese die Konventionsverbürgungen der Substanz nach umfassen.47 Erforderlich ist nur, dass die angerufene Stelle auch insoweit ausreichende Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse hat und in sachlicher Unabhängigkeit den fraglichen Vorgang inhaltlich überprüfen und ggf. angemessene Abhilfe in die Wege leiten kann (Rn. 40 ff.). In Deutschland eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. den Verfahrensordnungen aller Ge- 28 richtszweige, nicht zuletzt dank der Generalklausel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, bei allen Konventionsverletzungen durch die öffentliche Gewalt (Exekutive) grundsätzlich den Weg zu den Gerichten. Er gibt den Betroffenen einen substantiellen Anspruch auf eine gerichtliche Kontrolle, die nicht durch eine zu enge Auslegung und Anwendung prozessualer Regeln leer laufen darf.48 Dies gilt auch bei erledigten Grundrechtseingriffen, wenn trotz deren prozessualer Überholung ein rechtliches Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs besteht.49 Soweit die Konventionsrechte mit Grundrechten übereinstimmen, können das BVerfG 29 und vielfach auch die Landesverfassungsgerichte angerufen werden.50 Zwar kann aus keiner der Vertragsbestimmungen eine Verpflichtung der Vertragsstaaten hergeleitet werden, bei Verletzungen der Konventionsrechte zusätzlich einen Weg zu einem Verfassungsgericht zu eröffnen.51 Ermöglicht jedoch das nationale Recht, die Verletzung eines Konventionsrechts oder einer gleichgerichteten innerstaatlichen Verfassungsverbürgung bei einem Verfassungsgericht geltend zu machen, muss auch dieser innerstaatliche Rechtsbehelf, sofern er als effektiv anzusehen ist, nach Art. 35 Abs. 1 EMRK ausgeschöpft werden, bevor der EGMR mit der Sache befasst werden darf.52 Ist eine Verfassungsbeschwerde als unwirksamer Rechtsbehelf anzusehen, etwa weil ihre Behandlung zu viel Zeit beansprucht,53 steht der direkte Weg zum EGMR offen, falls keine anderen Rechtsmittel in Betracht kommen. Zur (Un-)Wirksamkeit der deutschen Verfassungsbeschwerde in Verfahren, die eine überlange Verfahrensdauer zum Gegenstand haben, siehe Rn. 71 ff.
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Ferner etwa EGMR Schwedischer Lokomotivführerverband/S, 6.2.1976, A 20 = EuGRZ 1975 562, dazu Fahlbeck EuGRZ 1976 476; Lithgow u.a./UK (Fn. 44); Olsson/S (Nr. 2), 27.11.1992, A 250 = ÖJZ 1993 353; Murray/UK, 8.2.1996, Rep. 1996-I, EuGRZ 1996 587 = ÖJZ 1996 627; IK-EMRK/Schweizer 13 f. m.w.N. EGMR IR/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; Lithgow u.a./UK (Fn. 44); Grabenwarter § 24, 166, 175. Vgl. etwa BVerfGE 97 27, 39; 100 313, 364; 101 397, 407. Vgl. BVerfGE 96 27 = JR 1992 328 mit Anm. Amelung; ferner etwa Meyer-Goßner Vor § 296, 18a StPO; LR/Matt 25 Vor § 304, 68 ff. StPO, beide m.w.N.
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Vgl. BVerfG (Kammer) EuGRZ 1985 655 (Pakelli). EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 23); James/UK, 21.2.1986, A 98 = EuGRZ 1988 341; EKMR DÖV 1959 743; VerfGH Rheinland-Pfalz NJW 1959 1628; Meyer-Ladewig 16; Schorn 15; ferner Dörr 92 (Transformation begründet keine Zuständigkeit des BVerfG). Vgl. EGMR Arrigo u. Vella/MLT (E), 10.5.2005 (Möglichkeit einer als effektiv einzustufenden Verfassungsbeschwerde; Individualbeschwerde als unzulässig abgewiesen). Vgl. EGMR Vidas/KRO, 3.7.2008.
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b) Individualrecht. Seinem Wortlaut nach ist Art. 2 Abs. 3 IPBPR eine Staatenverpflichtung, so dass zweifelhaft sein könnte, ob der Einzelne einen Anspruch daraus herleiten kann; dies wird aber überwiegend bejaht.54 Für Deutschland ist die Frage ohne praktische Bedeutung, da das bestehende nationale Rechtsschutzinstrumentarium weit umfangreicher ist als es die Konventionen erfordern.55 Außerdem ergibt sich ein solches Recht des Einzelnen auch aus Art. 13 EMRK, der ungeachtet seiner Ausfüllungsbedürftigkeit durch nationales Recht, ein Individualrecht verbürgt.56 Auf dieses kann sich in den Staaten, die die Konvention ins innerstaatliche Recht transformiert haben,57 jedermann gegenüber den nationalen Stellen unmittelbar berufen. Wenn allerdings das nationale Verfahrensrecht im konkreten Fall keinen wirksamen 31 Rechtsbehelf vorsieht, mag es fraglich sein, ob dann die innerstaatliche Umsetzung stets an der Unzulänglichkeit des nationalen Rechts scheitert.58 Es erscheint vertretbar, in solchen Fällen unter Hinweis auf die unmittelbare Geltung des Art. 13 EMRK kleinere gesetzestechnisch und nicht prinzipiell bedingte Rechtsschutzlücken durch eine analoge Heranziehung bestehender Rechtsbehelfsregelungen einschließlich der dort vorgesehenen Zuständigkeiten auszufüllen, um das innerstaatlich bestehende Recht auf Überprüfung zu verwirklichen.59
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c) Systematische Grenzen der Rechtsbehelfsgarantie. Nur bei Behauptung einer Konventionsverletzung durch einen zu ihrer Beachtung verpflichteten Träger der öffentlichen Gewalt wird ein Rechtsbehelf durch Art. 13 EMRK garantiert,60 nicht aber für Ansprüche zwischen Privaten. Wenn der Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich hervorhebt, dass dies auch gilt, wenn Personen die Verletzung in amtlicher Eigenschaft begangen haben, sollte damit nur Besonderheiten des englischen Rechts Rechnung getragen werden.61 Diese für die kontinentaleuropäischen Rechtssysteme überflüssige Klarstellung darf deshalb nicht dazu verleiten, den Anwendungsbereich des Art. 13 EMRK über die Bereiche der öffentlichen Gewalt hinaus auszudehnen.62 Gleiches gilt für den entsprechenden Zusatz („selbst wenn“) bei Art. 2 Abs. 3 lit. a IPBPR.63 Zur Frage, ob Art. 13 EMRK auch bei Konventionsverstößen in einem gerichtlichen Verfahren einen gesonderten Rechtsbehelf fordert, vgl. Rn. 34 ff.
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Vgl. Hofmann 25; Partsch EuGRZ 1989 1; ferner zur ähnlichen Rechtslage bei der AMRK: Buergenthal EuGRZ 1984 170. Vgl. Hofmann 26. IK-EMRK/Schweizer 10; Schorn 6. Die Absicht, nur eine Staatenverpflichtung zu begründen, hat sich bei den Vertragsverhandlungen nicht durchgesetzt, vgl. Frowein/Peukert 1; Guradze 1, 3. Eine Pflicht zur Transformation folgt daraus aber nicht, vgl. etwa EGMR Smith u. Grady/UK, 27.9.1999, ECHR 1999-IV = NJW 2000 2089 = AuR 2004 311; vgl. Frowein/Peukert 11; IK-EMRK/Schweizer 13; Meyer-Ladewig 8. Zur Rechtslage in den Staaten, in denen die EMRK kein innerstaatliches Recht ist, vgl. Villiger 652. Vgl. EKMR DÖV 1959 743; VerfGH Rhein-
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land-Pfalz NJW 1959 1628; BGHSt 20 68; Münch JZ 1961 154 (nicht self-executing). Vgl. IK-EMRK/Schweizer 11, 12 zum Wandel der Rechtsprechung in Österreich und der Schweiz in Richtung einer unmittelbaren Anwendbarkeit; Villiger 653. Morvay ZaöRV 21 (1961) 316, 319; Schorn 2, 4. Frowein/Peukert 7; IK-EMRK/Schweizer 92; Grabenwarter § 24, 181 (der ursprüngliche englische Text – „notwithstanding“ – ist maßgebend; er erklärt sich daraus, dass im englischen Recht der Staat nicht ohne weiteres für seine Beamten haftet). Schorn 18. Zur Übernahme des britischen Entwurfs vgl. Nowak 9.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
Ob auch ein Rechtsbehelf gegen gerichtliche Entscheidungen nach Art. 13 EMRK 33 gegeben sein muss, könnte seinem Wortlaut nach zweifelhaft sein, ist aber zu verneinen. Ebenso wie innerstaatlich Art. 19 Abs. 4 GG begründet Art. 13 EMRK keinen Anspruch auf Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen durch eine – wegen der Unabhängigkeit der Gerichte dann notwendig – gerichtliche Rechtsmittelinstanz.64 Dies folgt aus dem System der EMRK65 und auch aus der Abwandlung des Art. 13 EMRK gegenüber Art. 8 AEMR, der bei Grundrechtsverletzungen die Möglichkeit der Anrufung eines innerstaatlichen Gerichts fordert. Die Nachprüfung durch ein höheres Gericht, die die Sonderregelung in Art. 14 Abs. 5 IPBPR (ebenso Art. 2 des 7. ZP-EMRK66) jedem wegen einer strafbaren Handlung Verurteilten zusichert,67 bleibt aber von Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR unberührt. Soweit sie Platz greift, enthält sie vorgehendes Sonderrecht. Bei Konventionsverletzungen, die im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren 34 begangen werden, ist strittig, ob Art. 13 EMRK eingreift. Dies hat dort Bedeutung, wo das nationale Verfahrensrecht keinen wirksamen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einem durch die Verfahrensgestaltung begangenen Konventionsverstoß innerstaatlich abgeholfen werden kann. Die frühere Rechtsprechung des EGMR hatte die Anwendbarkeit des Art. 13 EMRK in diesen Fällen verneint. Bei Feststellung eines Konventionsverstoßes nach Art. 5, 6 EMRK wurde meist davon abgesehen, die Sache auch zusätzlich unter dem Blickwinkel des Art. 13 EMRK zu prüfen.68 Unter Hinweis auf den anderen Beschwerdegegenstand wird die Anwendbarkeit der Rechtsbehelfsgarantie des Art. 13 EMRK heute jedoch überwiegend bejaht, wobei wegen der von den Konventionen garantierten Unabhängigkeit der Gerichte eine Überprüfung durch nichtrichterliche Stellen ausscheidet.69 Der EGMR bejaht deshalb auch in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung bei 35 einer gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßenden unangemessen langen Verfahrensdauer – unter Hinweis auf seine Überlastung durch diese gehäuft auftretenden Fälle – zusätzlich zu dem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK auch einen Verstoß gegen Art. 13 EMRK, wenn das innerstaatliche Recht keinen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem sich der Betroffene gegen die überlange Dauer eines anhängigen Verfahrens auch innerstaatlich effektiv wehren kann („Recht auf ein zügiges Verfahren“).70 Wie ein solcher Rechtsbehelf aussehen könnte, ist der innerstaatlichen Regelung überlassen.71 Wirksam ist ein solcher Rechts64 65 66 67
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Vgl. Frowein/Peukert 12 f.; Grabenwarter § 24, 167 f., 169; Meyer-Ladewig 17. Frowein/Peukert 12. Von Deutschland nicht ratifiziert, vgl. Teil I Rn. 53. Vgl. Art. 6 EMRK Rn. 991; auch zum einschränkenden Vorbehalt Deutschlands (vgl. BGBl. 1993 II S. 311). Etwa EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 23); Silver u.a./UK (Fn. 23), Frowein/ Peukert 13. Vgl. Frowein/Peukert 14 mit Hinweis auf eine Entscheidung der EKMR bei unangemessen langer Verfahrensdauer; Vospernik ÖJZ 2001 361, 367; ablehnend OGH EuGRZ 1989 534 mit Anm. Schoibl; vgl. Grabenwarter § 24, 168; zur richterlichen Unabhängigkeit vgl. auch die Empfehlung des Ministerkomitees Rec(2010)12 und Art. 6 EMRK Rn. 140 ff.
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EGMR (GK) Kudla/PL (Fn. 17); dazu Gundel DVBl. 2004 17; Meyer-Ladewig NJW 2001 2679; Vorwerk JZ 2004 553; EGMR Buj/KRO, 1.6.2006; ferner zu der die Fragen nicht vertiefenden weiteren Rechtsprechung des EGMR Vospernik ÖJZ 2001 361, 366; ferner etwa IK-EMRK/Schweizer 49, 54 (auch bei Judikative Anspruch auf unabhängige Kontrollinstanz); Frowein Peukert 15 f.; Grabenwarter § 24, 168; Meyer-Ladewig 20; vgl. auch die Empfehlung des Ministerkomitees Rec(2010)3 on effective remedies for excessive length of proceedings. Beispiele solcher Regelungen führt MeyerLadewig NJW 2001 2679 an; ebenso MeyerLadewig 26 ff.; vgl. ferner Gundel DVBl. 2004 17, 21 ff.; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001 1969. Zur Säumnisbeschwerde in Österreich als nach Art. 35 Abs. 1 EMRK auszuschöpfendem Rechtsbehelf vgl. etwa
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behelf aber nur, wenn er geeignet ist, wenigstens einer weiteren Verzögerung des Verfahrens abzuhelfen und darauf hinzuwirken, dass ein verzögertes Verfahren alsbald zum Abschluss gebracht werden kann oder aber, wenn er innerstaatlich zu einer angemessenen Kompensation der Nachteile führt, die durch eine vom Staat zu verantwortende Verfahrensverzögerung bereits eingetreten sind (siehe Rn. 47 ff., 70 ff.).72 Wie weit der Rechtsschutz gegen richterliche Entscheidungen und das Verfahren geht, 36 ist im Detail umstritten. Der Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte schließt an sich jede Kontrolle durch eine außergerichtliche Instanz und jeden Eingriff in ein schwebendes Verfahren aus (siehe Rn. 34). Zudem verzögert das Einschalten einer zusätzlichen richterlichen Instanz das Verfahren zunächst weiter. Auch als Zwischeninstanz mit beschränkter Entscheidungsbefugnis ist ein weiterer Rechtsbehelf mit den Strukturgrenzen der EMRK schlecht zu vereinen, die – ebenso wie innerstaatlich Art. 19 Abs. 4 GG – grundsätzlich keinen mehrstufigen gerichtlichen Rechtsschutz fordert (siehe oben Rn. 33).73 Ein solcher würde überdies nichts daran ändern, dass es notwendigerweise immer ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht geben muss, dessen Entscheidung und auch dessen Verfahren innerstaatlich keiner weiteren gerichtlichen Kontrolle unterliegen kann, da andernfalls die Nachprüfbarkeit ins Unendliche ausgedehnt würde. Auch in Form eines Zwischenverfahrens ist ein weiterer innerstaatlicher Rechtsbehelf problematisch, da er mitunter eine vorgezogene Verfahrenswürdigung voraussetzt, die einen Eingriff in den noch nicht abgeschlossenen Entscheidungsfindungsprozess bedeuten kann. Er scheidet aus, wenn im Verfahren der letzten Instanz bzw. erst vor einem Verfassungsgericht gegen eine das Verfahren betreffende Konventionsverbürgung verstoßen wurde.74 Bei Verfahrensverzögerungen durch Gerichte, deren Entscheidungen anfechtbar sind, kann aber auch die übergeordnete Instanz – zumindest in Strafsachen – für eine angemessene Kompensation der Konventionsverletzung sorgen. Für Deutschland stellte sich lange die Frage, ob die von der Rechtsprechung für die 37 Fälle einer unangemessen langen Verfahrensdauer entwickelten bisherigen Abhilfemöglichkeiten zumindest in den Verfahren über eine strafrechtliche Anklage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK in ihrer Gesamtheit bereits den Erfordernissen eines Rechtsbehelfs i.S.d.
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EGMR Basic/A, 30.1.2001, ECHR 2001-I = ÖJZ 2001 517; Meyer-Ladewig 33; kritisch zur Untätigkeitsbeschwerde Casadevall NJW 2001 2694, 2701; Vorwerk JZ 2004 553, 556; andererseits Redeker NJW 2003 488; zum Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG siehe EGMR Holzinger/A, 30.1.2001, ECHR 2001-I = ÖJZ 2002 619; zur Regelung in Spanien: EGMR Gonzales Marin/E, 5.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 1692; Meyer-Ladewig 35; Portugal: EGMR Tomé Mota/P, 2.12.1999, ECHR 1999-IX = NJW 2001 2692; Meyer-Ladewig 34; Frankreich: Bien/Guillaumont EuGRZ 2004 465; Meyer-Ladewig 36. Vgl. Grabenwarter § 24, 177; ferner Art. 6 EMRK Rn. 307 ff. Frowein/Peukert 12; IK-EMRK/Schweizer 54.
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Eine Ausnahme macht das von Deutschland nicht ratifizierte 7. ZP-EMRK bei strafrechtlichen Verurteilungen (Art. 2). Vgl. die abweichende Meinung von Richter Casadevall NJW 2001 2701 unter Hinweis auf die Fälle, in denen in der überlangen Verfahrensdauer vor Verfassungsgerichten ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK gesehen wurde; siehe etwa EGMR Ruiz-Mateos/E, 23.6.1993, A 262 = EuGRZ 1993 453 = ÖJZ 1994 105; Pammel/D, 1.7.1997, Rep. 1997-IV = EuGRZ 1997 310 = ÖJZ 1998 316; Probstmeier/D, 1.7.1997, Rep. 1997-IV = NJW 1997 2809 = EuGRZ 1997 405; Klein/D, 27.7.2000, NJW 2001 213; verneinend EGMR Gast u. Popp/D, 25.2.2000, ECHR 2000-II = NJW 2001 211.
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Recht auf wirksame Beschwerde
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Art. 13 EMRK genügen75 oder ob es auch insoweit notwendig ist, einen neuen Rechtsbehelf in der Form einer Untätigkeitsbeschwerde einzuführen (hierzu Rn. 70 ff.).76 Die Nachprüfung nationaler Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK fordert 38 Art. 13 EMRK nicht. Gesetze müssen demnach nicht vor einer innerstaatlichen Instanz, etwa einem Verfassungsgericht, mit der Begründung angegriffen werden können, sie stünden mit der Konvention nicht im Einklang.77 Dies schließt nicht aus, dass vor Anrufung des EGMR zur Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs innerstaatlich auch ein Verfassungsgericht oder ein sonstiges zur abstrakten Normenkontrolle befugtes Organ anzurufen ist, etwa für den Fall, dass die nationale Verfassung im Wesentlichen mit der Konvention übereinstimmende Grundrechte verbürgt oder wenn es ein dort der Konvention zuerkannter Übergesetzesrang erlaubt, deren Verletzung unmittelbar zu rügen. Den Anforderungen des Art. 13 EMRK selbst ist aber Genüge getan, wenn das nationale Recht eine Rechtsbehelfsmöglichkeit vorsieht, die die Nachprüfung der Übereinstimmung des beanstandeten Vollzugsaktes mit dem Gesetz erlaubt.78 Für Regelungen unterhalb des Ranges formeller Gesetze muss dagegen die Nachprü- 39 fung durch einen nationalen Rechtsbehelf i.S.v. Art. 13 EMRK möglich sein.79 Art. 2 Abs. 3 IPBPR dagegen erfordert auch für untergesetzliche Regelungen nicht, dass die Mitgliedstaaten eine Normenkontrollklage einführen. 5. Effektivität des Rechtsbehelfs. Den Staaten wird bei der Ausgestaltung der Rechts- 40 behelfe im nationalen Recht ein großer Spielraum zugestanden. Der von Art. 13 EMRK geforderte Rechtsbehelf muss aber sowohl in der Theorie als auch in der Praxis effektiv sein. Effektiv ist ein Rechtsbehelf nicht nur dann, wenn das Verfahren zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgeht. Er muss lediglich zugänglich und geeignet sein, der Beschwer abzuhelfen,80 wobei die Anforderungen je nach der Bedeutung der in Frage stehenden Konventionsgarantie variieren.81 75 76
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So Gimbel ZRP 2004 35; vgl. auch MeyerLadewig 21 ff. Ablehnend zur Frage einer solchen Beschwerde Gimbel ZRP 2004 35; Vorwerk JZ 2004 553. Zur Problematik der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten in Deutschland vgl. Meyer-Ladewig 21 bis 32, ferner Gundel DVBl 2004 17, 21 ff.; Vorwerk JZ 2004 553 ff. Zur Regelung in Österreich und in anderen Mitgliedstaaten vgl. Meyer-Ladewig 33 ff. EGMR X u. Y/NL, 26.3.1985, A 91 = NJW 1985 2075 = EuGRZ 1985 297; James/UK (Fn. 51); Leander/S (Fn. 16); Lithgow u.a./UK (Fn. 44); Holy Monasteries/GR, 9.12.1994, A 301-A = ÖJZ 1995 428; (GK) Kudla/PL (Fn. 17); Maurice/F, 6.10.2005, ECHR 2005-IX; Roche/UK, 19.10.2005, ECHR 2005-X; Powell u. Rayner/UK (Fn. 16); Morvay ZaöRV 21 (1961) 89, 105; Frowein/ Peukert 11; Meyer-Ladewig 16; Villiger 647; eingehend zu den verschiedenen Ansichten IK-EMRK/Schweizer 79 ff.; a.A. Schorn 4; Grabenwarter § 24, 170, der es wegen des insoweit nicht eingeschränkten Wortlauts
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und im Hinblick auf systematische Argumente (Bindung des Gesetzgebers durch Gesetzesvorbehalte, Überprüfung untergesetzlicher Normen) für konsequent hält, auch bei einem Konventionsverstoß des Gesetzgebers dem Betroffenen das Recht auf ein Normenkontrollverfahren einzuräumen. IK-EMRK/Schweizer 82. Vgl. EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23); Campbell u. Fell/UK (Fn. 23); Abdulaziz u.a./UK, 28.5.1985, A 94 = NJW 1986 3007 = EuGRZ 1985 567 (Immigration Rules); Grabenwarter § 24, 170; zu der str. Frage vgl. Berhardt (Sondervotum) EuGRZ 1985 575; Matscher FS Seidl-Hohenveldern 315, 333; IK-EMRK/Schweizer 79. EGMR Angelova/BUL, 13.6.2002, ECHR 2002-IV, §§ 161–162; Paulino Tomás/P (E), 27.3.2003, ECHR 2003-VII; Cobzaru/RUM, 26.7.2007, §§ 80–82; Süheyla Aydin/TRK, 24.5.2005, § 208; Jaremowicz/PL, 5.1.2010, § 69; Denis Vasilyev/R, 17.12.2009, § 134; McFarlane/IR (Fn. 18), § 108. EGMR Denis Vasilyev/R (Fn. 80), § 134; McFarlane/IR (Fn. 18), § 108.
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a) Geeignetheit des Rechtsbehelfs. Die Geeignetheit eines Rechtsbehelfs nach Art. 13 EMRK hängt davon ab, ob er der Beschwer abhelfen kann und ob er zumindest die Aussicht auf Erfolg hat.82
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aa) Unabhängigkeit der entscheidenden Behörde. Dem Betroffenen muss nicht die Anrufung eines unabhängigen Gerichtes eingeräumt werden.83 Wie Art. 2 Abs. 3 lit. b IPBPR verdeutlicht, kommen je nach der konkreten Ausgestaltung ihrer Prüfungsbefugnisse und Abhilfemöglichkeiten neben den Gerichten auch andere verwaltungsinterne oder bei der Legislative angesiedelte Kontrollinstanzen in Betracht, wie etwa parlamentarische Ausschüsse, sofern diese zumindest faktisch verbindliche Entscheidungen treffen oder herbeiführen können (sie unten Rn. 48).84 Es ist daher grundsätzlich ausreichend, wenn der Betroffene die Möglichkeit zur Anrufung irgendeiner staatlichen Stelle hat. Bei welcher nationalen Stelle das über die Beschwerde entscheidende Organ errichtet wird, ist unerheblich, ebenso die Form, ist den einzelnen Vertragsstaaten überlassen.85 Entscheidend ist, dass die angerufene Stelle in der Lage ist, den Vorwurf der Konven43 tionsverletzung ohne jede Vorbelastung 86 objektiv und sachlich unabhängig von anderen staatlichen Stellen 87 – vor allem auch von der für die Konventionsverletzung verantwortlichen Ausgangsbehörde 88 – zu überprüfen. Es kommt also darauf an, welche Befugnisse die angerufene Stelle hat und welche Stellung dem Betroffenen in dem Verfahren zukommt.89 Der Betroffene muss mit seinen Argumenten hinreichend Gehör finden können. Des44 halb darf das Entscheidungsorgan an der Maßnahme, in der eine Verletzung der Konventionsrechte gesehen wird, nicht selbst beteiligt gewesen sein, etwa dadurch, dass sie die beanstandeten Vorschriften selbst erlassen hat.90 Der EGMR hat es für mit Art. 13 EMRK unvereinbar gehalten, dass in einem Beschwerdegremium vier der neun Mitglieder mitwirkten, die die beanstandete Maßnahme zu verantworten hatten.91 Ob Aufsichtsbeschwerden an den zuständigen Minister ausreichen oder ob bei diesem 45 die Unbefangenheit gegenüber den ihm nachgeordneten Stellen nicht durchweg gesichert
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Siehe u.a. EGMR (GK) Sejdovic/I, 1.3.2006, ECHR 2006-II, § 46; Apostol/GEO, 28.11.2006, ECHR 2006-XIV, § 35; McFarlane/IR (Fn. 18), § 108. EGMR Klass/D (Fn. 16); Silver u.a./UK (Fn. 23); Chahal/UK (Fn. 45); Al-Nashif/BUL (Fn. 45); Jaremowicz/PL, 5.1.2010, § 69; OVG Münster NJW 1956 1374; Frowein/ Peukert 5; Guradze 4; IK-EMRK/Schweizer 88 ff.; Morvay ZaöRV 21 (1961) 89, 101 mit Nachw. zum Streitstand. Vgl. EKMR bei Frowein/Peukert 5; IK-EMRK/Schweizer 60, 77, 88 ff.; ferner Nowak 64 ff.; insbes. 66 auch 60, wonach in bestimmten Fällen sogar im Erlass eines Amnestie- oder Wiedergutmachungsgesetzes ein wirksamer Rechtsschutz gegen vorangegangene Maßnahmen gesehen wurde. Etwa EGMR Vilvarajah/UK, 30.10.1991, A 215 = ÖJZ 1992 309 = NVwZ 1992 869;
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Peck/UK, 28.1.2003, ECHR 2003-I = ÖJZ 2004 651. Verneint in EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23), wo selbsterlassene Vorschriften überprüft werden sollten; Frowein/Peukert 6. Vgl. EGMR Khan/UK, 12.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 654 = JZ 2000 993; Salman/TRK, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = NJW 2001 2001; P.G. u. J.H./UK, 25.9.2001, ECHR 2001-IX = ÖJZ 2002 911 (Abhängigkeit der Mitglieder der Police Complaints Authority vom Secretary of State). EGMR Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs u. Gubi/A (Fn. 16); vgl. ferner EGMR Khan/UK (Fn. 87); IK-EMRK/ Schweizer 65. EGMR Jaremowicz/PL, 5.1.2010, § 69. EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23). EGMR Kayasu/TRK, 13.11.2008.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
erscheint, ist strittig.92 Bei der Vielzahl der hier hereinspielenden Umstände und Gestaltungsmöglichkeiten wird man auf den Einzelfall und die gesamten Gegebenheiten des jeweiligen nationalen Rechtsschutzsystems, vor allem auf die Stellung und Befugnisse der tatsächlich entscheidenden Organe sowie auf den Grad ihrer Unabhängigkeit im konkreten Fall abstellen müssen. bb) Rechtsanspruch. Gesuche, die keinen Rechtsanspruch des Betroffenen auf Prü- 46 fung in der Sache und keinen Anspruch auf Abhilfe durch die angerufene Stelle auslösen, wie mitunter Dienstaufsichtsbeschwerden gegen abgeschlossene Eingriffe,93 die Anrufung eines Ombudsmanns,94 Gnadengesuche oder Petitionen an ein Parlament95 oder Klagen gegen Privatpersonen bei einer Rechtsverletzung durch positives Handeln des Staates96 sind keine vorgängigen Rechtsbehelfe.97 Auch eine „hierarchische Beschwerde“ zu einem übergeordneten Staatsanwalt genügt den Anforderungen des Art. 13 EMRK nicht.98 Regelmäßig mangelt es auch an einem wirksamen Rechtsbehelf, wenn es dem Ermessen einer politischen Instanz überlassen bleibt, ob es einer Konventionsverletzung abhelfen will.99 cc) Rechtsmittelerfolg. Die angerufene Stelle muss ausreichende Kontroll- und Ent- 47 scheidungsbefugnisse haben und in der Lage sein, den fraglichen Eingriff unter allen konventionserheblichen Gesichtspunkten ungehindert inhaltlich zu überprüfen und bei Feststellung eines Verstoßes wirksame Abhilfe (Unterbindung der Verletzung oder deren Fortbestehen) oder aber angemessene Kompensation (Aufhebung, Schadensersatz oder eine andere Form der Genugtuung) in die Wege zu leiten.100 Nicht notwendig ist, dass sie den belastenden Akt selbst aufheben kann. Es kann auch genügen, dass sie nur die Rechtswidrigkeit des belastenden Aktes feststellt oder sonst eine innerstaatliche Maßnahme auslöst, die die Konventionsverletzung und ihre Folgen neutralisiert oder durch Schadensersatz oder eine andere Form der Genugtuung kompensiert.
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EGMR Campbell u. Fell/UK (Fn. 23), sieht dies als ausreichend an; dagegen Frowein/ Peukert 6; IK-EMRK/Schweizer 66; Nowak 65 schließt aus der Entstehungsgeschichte des IPBPR, dass die Entscheidung durch politische Organe, wie Regierungen, als wirksamer Rechtsschutz nicht ausreicht. Frowein/Peukert Art. 35, 26; Meyer-Ladewig Art. 35, 14; Vgl. Schaupp-Haag 176 ff. m.N. zur unterschiedlichen Spruchpraxis der EKMR. EGMR Denizci/ZYP, 23.5.2001, ECHR 2001-V; T.P. u. K.M./UK, 10.5.2001, ECHR 2001-V; Meyer-Ladewig 15; Art. 35, 14; Grabenwarter § 13, 27; Frowein/Peukert Art. 35, 26. Frowein/Peukert Art. 35, 26; Villiger 131; für weitere Beispiele vgl. Teil II Rn. 160. EGMR Pine Valley Developments Ltd/IR, 29.11.1991 = ÖJZ 1992 459; Grabenwarter § 13, 27. Frowein/Peukert Art. 35, 26; Peukert EuGRZ 1979 263, vgl. auch Nowak Art. 5 FP, 22 ff.
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Vgl. EGMR Smirnov/R, 7.6.2007, ECHR 2007-VII (rechtswidrige Durchsuchung der Wohnung eines Rechtsanwalts). IK-EMRK/Schweizer 73. Vgl. etwa EGMR Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 35), § 54; Mifsud/F (GK), 11.9.2002, § 17; Sürmeli/D (Fn. 14), § 99 = NJW 2006 2389; (GK) Kudla/PL (Fn. 17), § 156; Hartman/CS, 10.7.2003, ECHR 2003-VIII, § 81; Doran/IR, 31.7.2003, ECHR 2003-X; Kaemena u. Thöneböhn/D, 22.1.2009 = StV 2009 561 m. Anm. Krehl und Krawczyk JR 2009 172; Silver u.a./UK (Fn. 23); Klass/D (Fn. 16); Rotaru/RUM, 4.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 74; Al-Nashif/BUL (Fn. 45); Peck/UK (Fn. 85) verneinend für Medienkommission, die keinen Schadensersatz zusprechen kann; Frowein/Peukert 8 f. u. Art. 35, 11; Meyer-Ladewig 15 und Art. 35, 7; Schaupp-Haag 29 m.w.N.; Nowak 79 ff. je m.w.N.; Volkert JZ 2002 553, 557; Grabenwarter § 24, 175.
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Die nach Art. 13 EMRK zuständige Stelle muss über die Abhilfe einer von ihr festgestellten Konventionsverletzung selbst verbindlich entscheiden können. Den Anforderungen des Art. 13 EMRK ist nicht genügt, wenn sich eine Stelle ohne eigene Entscheidungsbefugnis nur in beratender Funktion äußert oder nur eine nicht bindende Empfehlung abgeben kann.101 Nur wenn in der Praxis des jeweiligen Staates die Entscheidungen dieser Stelle regelmäßig befolgt werden, kann deren Anrufung genügen; maßgebend für die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs ist letztendlich, ob er bei Vorliegen einer Konventionsverletzung tatsächlich zum Erfolg führt.102 Eine ausreichende Prüfungskompetenz der zur Entscheidung berufenen Stelle ist für 49 die Annahme eines wirksamen Rechtsbehelfs unerlässlich. Die Kontrolle muss sich auf alle für die Beachtung der jeweiligen Konventionsgarantie wesentlichen Umstände erstrecken. Soweit Verfehlungen staatlicher Stellen als Ursache für die Konventionsverletzung in Frage kommen, muss die zuständige Stelle den Sachhergang und die dafür Verantwortlichen gründlich und wirksam selbst ermitteln können.103 Die Nachprüfung muss die „Substanz der mit vertretbaren Argumenten behaupteten Konventionsverletzung“ umfassen.104 Dazu gehört grundsätzlich auch, dass die nachprüfende Stelle die dafür wesentlichen Sachfragen selbst beurteilen und in sachlicher Unabhängigkeit selbst über diese entscheiden kann.105 Ist dies nicht der Fall oder nimmt die zuständige Stelle diese ihr eigentlich zustehenden Möglichkeiten nicht in Anspruch, liegt ein Verstoß gegen Art. 13 EMRK vor, so etwa bei einem Gericht, das die Ergebnisse der Strafermittlungen lediglich bestätigt, ohne unabhängig die Fakten des Falls zu überprüfen.106 Eine nationale Stelle, die gar nicht erst überprüfen darf, ob der Eingriff in ein von 50 Art. 8 EMRK geschütztes Recht einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprach und verhältnismäßig war, genügt den Anforderungen aus Art. 13 EMRK nicht.107 Gleiches gilt, wenn sie wegen eines weiten Beurteilungs- oder Ermessensspielraums der Verwaltung von der Überprüfung absieht.108 Ob ein Gericht, das eine Entscheidung nur daraufhin überprüft, ob sie „rechtswidrig, willkürlich, unvernünftig oder mit Verfahrensmängeln behaftet ist“ („illegality, irrationality or procedural inpropriety“), noch den Anforderungen des Art. 13 EMRK genügen kann, wird unterschiedlich beurteilt.109 Unter Hinweis auf den Ausgestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers wurde eine darauf be-
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Etwa EGMR Chahal/UK (Fn. 45); Frowein/ Peukert 5; Grabenwarter § 24, 175; IK-EMRK/Schweizer 73. EGMR Iatridis/GR, 25.3.1999, ECHR 1999-II = EuGRZ 1999 318. Vgl. Meyer-Ladewig 11a und die dort angeführten Entscheidungen des EGMR. Vgl. etwa EGMR Riener/BUL, 23.5.2006 (aufgrund einer Steuerschuld wurde dem Bf. ein Reisebann auferlegt. Die zuständigen Behörden ignorierten nach Feststellung der Steuerschuld alle anderen Umstände des Falles und unternahmen keinen Versuch zu überprüfen, ob der Reisebann nach Ablauf einer gewissen Zeit noch verhältnismäßig war). Etwa EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23); Leander/S (Fn. 16); Grabenwarter § 24, 174 f.; Meyer-Ladewig 15.
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Vgl. EGMR Mammadov (Jalaloglu)/ASE, 11.1.2007 (Folter eines Oppositionsführers). EGMR Smith u. Grady/UK (Fn. 57); MeyerLadewig 14. EGMR Hasan u. Chaush/BUL, 26.10.2000, ECHR 2000-XI; Meyer-Ladewig 14. Für das Verfahren des „judicial review“ hatte die EKMR dies verneint, der EGMR dies aber bejaht, so Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314; Vilvarajah u.a./UK (Fn. 85); Hilal/UK (Fn. 36); verneinend EGMR Chahal/UK (Fn. 45); (GK) Hatton u.a./UK, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII; siehe auch das Kammerurteil, 2.10.2001, ÖJZ 2003 71 = RdU 2002 20. Zu diesen Verfahren vgl. Frowein/Peukert 5; IK-EMRK/Schweizer 69; MeyerLadewig 14.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
schränkte Überprüfung mitunter für ausreichend gehalten.110 Ob eine solche inhaltlich beschränkte („reasonableness“) Prüfungskompetenz in allen Fällen ausreicht, ist zweifelhaft. Bei der Gefahr schwerwiegender Folgen für den Betroffenen (Abschiebung, drohende Folter)111 bzw. im Rahmen des Art. 8 EMRK112 ist dies aber zu verneinen. Die Anforderungen, die an den Umfang der Nachprüfungskompetenz hinsichtlich 51 geheimer Überwachungsmaßnahmen gestellt werden, hängen auch davon ab, welches faktische Gewicht eine solche Kontrolle nach der jeweiligen nationalen Übung hat, ferner aber auch von der Schwere der jeweiligen Konventionsverletzung und sonstigen Besonderheiten des Einzelfalls. In Angelegenheiten, die die nationale Sicherheit und die Geheimhaltungsinteressen des Staates betreffen, wurde es als genügend angesehen, dass diese von der beauftragten Stelle „so weit wie nach den (besonderen) Umständen möglich“ („as effective as can be“) überprüfbar sind, wobei allerdings mit der Schwere des Konventionsverstoßes auch die Anforderungen an die Nachprüfung steigen.113 Bei Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 2 GG 52 können die Kompetenzen eines unabhängigen Kontrollausschusses ausreichend sein.114 Vor allem, wenn Erwägungen der nationalen Sicherheit die Preisgabe sensibler Daten nicht erlauben, hält der EGMR es für ausreichend, dass der Rechtsbehelf so wirksam wie möglich ist.115 Bei Verstößen gegen Konventionsgarantien, die wie Art. 3 EMRK, keiner Einschränkung zugänglich sind, liegt dagegen ein wirksamer Rechtsbehelf nur vor, wenn der angerufenen nationalen Stelle die Nachprüfung aller konventionserheblichen Gesichtspunkte in einem Verfahren mit ausreichenden prozessualen Garantien möglich ist.116 Die Regelung des innerstaatlichen Verfahrens zur Überprüfung des behaupteten Kon- 53 ventionsverstoßes überlassen Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR dem nationalen Recht. Damit der Rechtsbehelf wirksam ist, ist dem Betroffenen jedoch zur Wahrung seines Rechts ein Mindestmaß an Gehör zur Darlegung seiner Beschwerde und auch zur Stellungnahme zu etwaigen relevanten Sachvorträgen anderer Verfahrensbeteiligter ein-
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EGMR Soering/UK (Fn. 109); Vilvarajah u.a./UK (Fn. 85). Vgl. Frowein/Peukert 5 unter Hinweis auf EGMR Soering/UK (Fn. 109); ferner auch EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK, 4.2.2005, ECHR 2005-I = EuGRZ 2005 357; vgl. Meyer-Ladewig 12. Vgl. EGMR Keegan/UK, 18.7.2006, ECHR 2006-X (Polizei war gewaltsam in die Wohnung des Bf. zur Durchsuchung selbiger eingedrungen, ohne die Adresse, die sie von einem Verdächtigen erhalten hatte, vorher bzgl. der jetzigen Bewohner verifiziert zu haben). EGMR Leander/S (Fn. 16); Klass/D (Fn. 16), Eingriffe nach Art. 8 und 10 EMRK, in denen die nationale Sicherheit die Preisgabe sensibler Informationen nicht erlaubte; ferner Vilvarajah (Fn. 85); anders: EGMR Chahal/UK (Fn. 45): strengere Anforderungen zumindest bei Gefahr irreversibler Schäden – Art. 3 EMRK – bei Ausweisung); ähnlich EGMR Jabari/TRK, 11.7.2000, ECHR
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2000-VIII = ÖJZ 2002 37 = InfAuslR 2001 57; Grabenwarter § 24, 176 (Reichweite der Nachprüfungspflicht abhängig von dem jeweilig geltend gemachten Konventionsrecht); Meyer-Ladewig 15; IK-EMRK/ Schweizer 84 ff. EGMR Klass/D (Fn. 16). Vgl. ferner EGMR Rotaru/RUM (Fn. 100): bei geheimer Überwachung objektiviertes Überwachungssystem ausreichend. EGMR Klass/D (Fn. 16); Leander/S (Fn. 16); ferner auch EGMR Vilvarajah/UK (Fn. 85). EGMR Chahal/UK (Fn. 45): zu Art. 5 Abs. 4 EMRK; vgl. auch EGMR Smith u. Grady/UK (Fn. 57); Hatton u.a./UK (Fn. 109: Fluglärm; Art. 8 EMRK; Beschränkung auf Rechtswidrigkeit, Irrationalität und offensichtliche Unangemessenheit zu eng); in EGMR Vilvarajah/UK (Fn. 85), wurde dagegen bei Art. 3 EMRK noch die eingeschränkte Nachprüfung für ausreichend gehalten.
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zuräumen.117 Hierzu kann auch der Zugang zu den Ergebnissen eines wegen der Konventionsverletzung durchgeführten Ermittlungsverfahrens gehören.118 Eine mündliche Verhandlung fordert Art. 13 EMRK nicht.119 Es steht grundsätzlich im Ermessen der nationalen Stellen, ob der nationale Rechts54 behelf darauf gerichtet sein soll, den Konventionsverstoß soweit möglich noch im laufenden Verfahren zu beheben120 oder ob er sich in allen Fällen nur auf die Feststellung der Konventionsverletzung und deren Kompensation durch eine entsprechende Wiedergutmachung / Entschädigung beschränken soll.121 Für den Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 3 IPBPR soll es in der Regel genügen, dass die 55 Konventionsverletzung nachträglich (ex post facto) festgestellt werden kann, sofern diese Feststellung innerstaatlich Wirkung zugunsten des Betroffenen entfaltet.122 Nur in Ausnahmefällen, in denen die Verletzung eines besonders wichtigen Konventionsrechts zu einem schwerwiegenden, nicht mehr ausgleichbaren Schaden führen könnte, ist zur Wirksamkeit des Rechtsbehelfs erforderlich, dass dieser bereits einen präventiven Rechtsschutz ermöglicht.123 Welche Maßnahmen zur Behebung oder eventuell auch Wiedergutmachung einer fest56 gestellten Konventionsverletzung nötig sind, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Falles.124 Bei Verletzung von grundlegenden Rechten wie Art. 2 und 3 EMRK fordert Art. 13 EMRK einen Rechtsbehelf zur Erlangung von Schadensersatz;125 zumindest bei Art. 2126 und 3 EMRK 127 auch für immaterielle Schäden.128 Die Maßnahmen,
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Meyer-Ladewig 15. EGMR Salman/TRK (Fn. 87); Meyer-Ladewig 15. Frowein/Peukert 6. Zu dieser Tendenz vgl. BVerfGE 108 341, wo gefordert wird, dass die Verstöße gegen das Recht auf Gehör bereits im Bereich der Fachgerichtsbarkeit bereinigt werden müssen, wobei dem Gesetzgeber freigestellt wird, ob er diese Aufgabe der gleichen Instanz oder aber der nächsthöheren überträgt. Vgl. etwa Bien/Guillaumont EuGRZ 2004 451 (Deutschland/Frankreich) und zur Regelung in Italien durch das Gesetz vom 24.3.2001: Breuer EuGRZ 2004 445, 446. HRC bei Nowak 74 ff.; dazu Nowak EuGRZ 1986 611. Nowak 75. Siehe: EGMR Cataldo/I (E), 3.6.2004, ECHR 2004-VI: Der Beschwerdeführer war einem sechs Jahre dauernden Ermittlungsverfahren ausgesetzt und machte zur Kompensation vor den italienischen Gerichten einen Vermögensschaden geltend. Die Gerichte erkannten einen solchen nicht, gewährten dafür aber aus Billigkeit („equity“) eine Summe als Schmerzensgeld und Aufwendungsausgleich. Der Gerichtshof empfand den vom Bf. geltend gemachten
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Schaden als spekulativ und die ausgesprochene Kompensation als adäquat. Vgl. EGMR Wainwright/UK, 26.9.2006, ECHR 2006-X (Nichtbeachtung von Vorgaben bei Leibesvisitation von Gefangenenbesuchern). Vgl. EGMR Bubbins/UK, 17.3.2005, ECHR 2005-II: Der Beschwerdeführer verlangte eine richterliche Überprüfung („judicial review“) der Erschießung seines Bruders durch die Polizei im Rahmen einer Belagerung, nachdem dieser den Aufforderungen der Polizei nicht gefolgt war. Auch wenn den nationalen Ermittlungsbehörden kein Vorwurf bzgl. der Ermittlung nach Art. 2 EMRK zu machen war, nahm der EGMR hier eine Verletzung des Art. 13 EMRK allein deshalb an, weil das nationale Zivilrecht keinen Rechtsbehelf vorsah, der in diesem Fall Ersatz für einen Nichtvermögensschaden hätte vorsehen können; siehe auch EGMR Kontrová/SLO, 31.5.2007, ECHR 2007-VI (Versagen der Polizei, die Kinder der Beschwerdeführer zu schützen, die vermeintlich von ihrem Vater getötet wurden). Siehe etwa EGMR McGlinchey u.a./UK, 29.4.2003, ECHR 2003-V (unmenschliche Behandlung einer Gefangenen, die unter Entzugserscheinungen litt). Meyer-Ladewig 11.
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Recht auf wirksame Beschwerde
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die auch von anderen als den über den Rechtsbehelf entscheidenden Stellen getroffen werden können, müssen insgesamt ausreichen, um innerstaatlich die Geltung der Konvention augenscheinlich zu machen. Sie sollen den Betroffenen, sofern möglich, von den Folgen der Konventionsverletzung freistellen und diese angemessen kompensieren. Nur ausnahmsweise genügt es schon, dass eine Konventionsverletzung ausdrücklich 57 festgestellt und die künftige Beachtung der Konvention durch entsprechende Anordnungen oder auch gesetzgeberische Maßnahmen spezial- oder auch generalpräventiv gesichert wird.129 Im Regelfall ist aber die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit einer (häufig erledigten) Maßnahme ohne jegliche Kompensation nicht ausreichend.130 Der Umfang des Schadensersatzes liegt im Ermessen der innerstaatlichen Gerichte. 58 Eine zu gering erscheinende Entschädigung wird daher als alleiniger Grund für eine Verletzung des Art. 13 EMRK regelmäßig nicht ausreichen,131 es sei denn sie ist im Vergleich zu ähnlichen Fällen aus der Rechtsprechung des EGMR offenkundig unangemessen.132 Ergeht infolge einer Beschwerde über die Verfahrensdauer eines Rechtsstreits ein Urteil mit einem geringen, aber noch im Rahmen befindlichen Schadensersatzausspruch und einer Anordnung zur zeitnahen Durchsetzung der sich hinziehenden Rechtssache und stellt sich diese Anordnung als erfolglos heraus, kann darüber hinaus im Einzelfall aufgrund der Kombination dieser beiden Faktoren ein Verstoß gegen Art. 13 EMRK anzunehmen sein.133 Neben der förmlichen Aufhebung oder Rücknahme einer konventionswidrigen be- 59 hördlichen Anordnung kann zur Wiedergutmachung je nach Lage des Falles auch die faktische Beendigung eines konventionswidrigen Zustands, die Bestrafung oder Disziplinierung des für die Verletzung Verantwortlichen oder die Zuerkennung einer Entschädigung ausreichen.134 dd) Rechtsmittelverweigerung und -verzögerung. Art. 2 Abs. 3 lit. c IPBPR verpflich- 60 tet die Staaten ausdrücklich, dafür zu sorgen, dass alle zuständigen Stellen, vor allem auch die Vollzugsorgane, einem erfolgreichen innerstaatlichen Rechtsbehelf Geltung verschaffen.135 In Art. 13 EMRK fehlt eine solche ausdrückliche Verpflichtung; sie ergibt sich jedoch aus der Natur der Sache. Wenn die Entscheidung, die der Betroffene innerstaatlich erlangen kann, von den übrigen zuständigen staatlichen Stellen nicht beachtet werden muss, besteht im Ergebnis kein wirksamer Rechtsbehelf.136 Dies ist etwa der Fall, wenn die angerufene Stelle nur eine beratende Funktion hat oder lediglich Vorschläge unterbreiten kann (siehe dazu auch oben Rn. 35, 47 ff.) 137 oder wenn – und sei es auch
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Vgl. Teil II Rn. 216 ff. Wie etwa im Fall der öffentlichen Kundgabe psychiatrischer Daten eines Verdächtigen: EGMR Panteleyenko/UKR, 29.6.2006; zur Versagung einer Demonstration an einem bestimmten Tag, vgl. EGMR Bączkowski u.a./PL, 3.5.2007, ECHR 2007-VI. Vgl. die ablehnenden Entscheidungen des EGMR gegenüber Beschwerden, die sich gegen zu geringe Entschädigungen des italienischen „Pinto-Gesetzes“ richteten: EGMR Delle Cave u. Corrado/I, 5.6.2007, ECHR 2007-VI; Provide S.R.L/I, 5.7.2007, ECHR 2007-VIII.
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EGMR Wasserman/R, 10.4.2008 (russische Gerichte hatten für die Verzögerung der Urteilsvollstreckung 250 € gewährt). So EGMR Kaić u.a./KRO, 17.7.2008. Vgl. Nowak 78 ff.; Frowein/Peukert 8. Ursprünglich war vorgesehen, dass Polizei und Verwaltungsorgane gebunden sein sollten, die stattgebende Entscheidung in der Praxis zu verfolgen oder zu vollstrecken, vgl. Nowak 12. Vgl. Frowein/Peukert 5. EGMR Chahal/UK (Fn. 45); IK-EMRK/ Schweizer 60.
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nur wegen der faktischen Verhältnisse – vom Betroffenen nicht erreicht werden kann, dass die für die Konventionsverletzung zuständigen Stellen sie beachten.138 Wird die Verletzung elementarer Rechte behauptet, die bereits ihrerseits zu effektiven 61 Ermittlungen verpflichten (Art. 2 u. 3 EMRK), verlangt auch ein wirksamer Rechtsbehelf i.S.v. Art. 13 EMRK gründliche und wirksame Ermittlungen in der Sache („adequate and effective investigations“).139 Die relevanten Tatsachen müssen von der zuständigen Stelle i.S.v. Art. 13 EMRK selbst ermittelt und festgestellt werden; die bloße „Übernahme“ eines behördlichen Berichtes ist jedenfalls nicht ausreichend.140 Die Anforderungen des Art. 13 EMRK sind weiter als die sich speziell aus Art. 2 und 3 EMRK ergebenden Untersuchungspflichten.141 Folglich ist Art. 13 EMRK verletzt, wenn die zuständigen Behörden auf eine Beschwerde hin nur oberflächliche Ermittlungen aufnehmen,142 also z.B. keine gründlichen Recherchen bzgl. eines Todes, einer unmenschlichen Behandlung oder Folter durchführen.143 Dies gilt auch für den Fall, dass noch andere grundsätzlich effektive Rechtsbehelfe im Zivilrecht zur Verfügung stünden, die Unwirksamkeit der strafrechtlichen Ermittlungen aber auch deren Ineffektivität zur Folge hat144 bzw. die staatlichen Stellen es durch die Unwirksamkeit der Ermittlungen bereits verfehlt haben, den Pflichten nach Art. 13 EMRK nachzukommen.145 Der Gerichtshof spricht dann von einer Verletzung des Art. 13 i.V.m. Art. 2 EMRK bzw. einem anderen Artikel.146 Die enge Verbindung der Konventionsrechte in diesen Fällen führt dazu, dass ein Rechtsbehelf bereits dann als unwirksam anzusehen ist, wenn strafrechtliche Ermittlungen bzgl. des Todes einer Person nicht aufzuklären vermögen, welche Umstände zum Tod der Person geführt haben.147 Zu Einzelheiten hinsichtlich der Schutzpflicht des Staates zur schnellen und effektiven Aufklärung der Ursachen einer Tötung durch Gewalteinwirkung unter Art. 2 EMRK Rn. 33. Siehe auch Art. 3 EMRK Rn. 21 ff. Im Fall der drohenden Abschiebung oder Auslieferung in ein Land, in dem die Anwendung von Folter oder eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung droht, gelten dieselben Grundsätze. Die
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EGMR Zazanis/GR, 18.11.2004. Vgl. KK-EMRK-GG/Grote/Richter Kap. 20, 104; EGMR Dink/TRK, 14.9.2010, § 144. EGMR Fahriye Çalis¸kan/TRK, 2.10.2007, § 49. Vgl. EGMR Yas¸ arog˘lu/TRK, 20.6.2006; Dink/TRK (Fn. 139), § 144; Denis Vasilyev/R (Fn. 80), § 135. Vgl. EGMR Afanasyev/UKR, 5.4.2005 (Körperverletzung durch Polizeibeamte während eines Verhörs; Verlust von Zeugenaussagen durch verspätete Ermittlungen); Gezici/TRK, 17.3.2005 (Tod eines Angehörigen; unterbliebene Autopsie des Toten; Stillstand der Ermittlungen für zwei Jahre; keine Vernehmung der Augenzeugen). Vgl. EGMR Gezici/TRK (Fn. 142); Tanis¸ u.a./TRK, 2.8.2005, ECHR 2005-VIII; Devrim/TRK, 2.3.2006; Ataman/TRK, 27.4.2006; Ognyanova u. Choban/BUL, 23.2.2006; Merzhuyeva u.a./R, 7.10.2010, § 225 (Verschwinden einer Person; Verstoß gegen Art. 2 EMRK).
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Vgl. EGMR Cobzaru/RUM, 26.7.2007 (Verfehlung der Behörden zu untersuchen, ob hinter Misshandlungen auf einer Polizeistation rassistische Motive standen mit Verweis des EGMR darauf, dass auf zivilrechtlichen Schadensersatz nur eine theoretische Chance bestehe); bestätigt in: EGMR Chember/R, 3.7.2008; Tarariyeva/R, 14.12.2006, § 101; Dedovskiy u.a./R, 15.5.2008, § 101; Menesheva/R, 9.3.2006, ECHR 2006-III; Mikheyev/R, 26.1.2006; Isayeva, Yusopova u. Bazayeva/R, 24.2.2005; Khashiyev u. Akayeva/R, 24.2.2005; Estamirov u.a./R, 12.10.2006. Vgl. EGMR Bazorkina/R, 27.7.2007. Vgl. etwa EGMR Akhmadova u. Sadulayeva/R, 10.5.2007; Baysayeva/R, 5.4.2007. Vgl. EGMR Ceyhan Demir u.a./TRK, 13.1.2005 (Verletzungen eines Gefangenen bei einer Konfrontation mit Gefängniswärtern; Tod bei Rücktransport aus Krankenhaus); siehe auch: EGMR Güngör/TRK, 22.3.2005.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
Behauptung drohender Folter bzw. erniedrigender / unmenschlicher Behandlung muss sorgfältig untersucht werden. Im Übrigen ist in einem solchen Fall ein Rechtsbehelf nur dann wirksam, wenn er aufschiebende Wirkung hat.148 Ungeeignet und damit ineffektiv ist ein Rechtsbehelf auch bei unangemessen langer 62 Verfahrensdauer, wobei es bei der Beurteilung der Vertretbarkeit der Verfahrensdauer auf die jeweils in Frage stehende Garantie ankommt. Der EGMR fühlt sich nicht gehindert, über die Dauer eines Verfahrens zu entscheiden, das innerstaatlich noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.149 b) Zugänglichkeit. Nicht ausreichend ist es, wenn ein (effektiver) Rechtsbehelf nur in 63 der Theorie, d.h. auf dem Papier, besteht, die Ausübung in der Praxis jedoch verhindert wird.150 Das nationale Recht darf den Rechtsbehelf zwar an die Einhaltung bestimmter Fristen oder an sonstige formale Zulässigkeitsvoraussetzungen binden.151 Diese formalen Beschränkungen müssen sich jedoch im Rahmen des sonst Üblichen halten. Sie dürfen keine zu strengen, durch Sachgründe nicht gebotene Anforderungen an die Beschwerdelegitimation stellen und sie dürfen nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass es einem Betroffenen faktisch kaum möglich ist, vom Rechtsbehelf fristgerecht Gebrauch zu machen.152 Unter dem Blickwinkel eines wirksamen Rechtsbehelfs sind dem Staat zuzurechnende 64 Behinderungen des Beschwerdeführers bei der Ausübung des Rechtsbehelfs (denial of justice)153 oder bei der freien Entscheidung über seine Einlegung ebenso wenig akzeptabel wie Repressalien, die der Betroffene bei Ergreifen des Rechtsbehelfs zu befürchten hat.154 Unwirksam ist ein Rechtsbehelf auch dann, wenn das nationale Recht überzogene formale Anforderungen an seine Einlegung stellt155 oder zu kurze Fristen vorsieht.156 Auch das Versagen der aufschiebenden Wirkung kann einen Rechtsbehelf ineffektiv machen,157 ebenso die nicht ausreichende Belehrung über die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe, auch wenn die Konvention eine solche Rechtsmittelbelehrung nicht vorschreibt.158
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EGMR Abdolkhani u. Karminia/TRK, 22.9.2009, §§ 113, 116. EGMR Goretzki/D, 24.1.2002 = EuGRZ 2002 325; Pine Valley Developments Ltd u.a./IR, 29.11.1991, A-222; Paulino Tomás/P (Fn. 80); Tomé Mota/P (Fn. 71); Belinger/ SLW (E), 2.10.2001; Scordino/I (Nr. 1), 29.3.2006, ECHR 2006-V = NJW 2007 1259 = ÖJZ 2007 382, § 195; Jaremowicz/ PL, 5.1.2010, § 71; McFarlane/IR (Fn. 18) § 123; Meyer-Ladewig 20 ff. zur Pflicht, noch während des laufenden Verfahrens die Verfahrensverzögerung mit dazu geeigneten innerstaatlichen Rechtsbehelfen zu beanstanden. Vgl. EGMR Öneryildiz/TRK, 30.11.2004, ECHR 2004-XII (Nichtauszahlung des zugesprochenen Schadensersatzes); Shamayev u.a./GEO u. R, 12.4.2005, ECHR 2005-III (Verhinderung der Ausübung des in der Theorie bestehenden Rechtsbehelfs).
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Grabenwarter § 24, 180; IK-EMRK/Schweizer 61; Meyer-Ladewig 13. Meyer-Ladewig 14. Vgl. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 48; ferner die ausdrückliche Regelung in Art. 5 Abs. 2 lit. b FP-IPBPR und in Art. 21 Abs. 1 lit. c, Art. 22 Abs. 5 lit. b UNCAT; EKMR nach Frowein/Peukert Art. 35, 29; Nowak Art. 5 FP, 22 ff. Frowein/Peukert Art. 35, 29; vgl. EGMR Akdivar u.a./TRK, 16.9.1996, Rep. 1996-IV, §§ 73 ff. Vgl. etwa VerfGH Berlin JR 2002 412. EGMR Jabari/TRK (Fn. 113). Vgl. EKMR ÖJZ 1997 675 (Beschwerde wirksamer Rechtsbehelf, weil aufschiebende Wirkung). EGMR Dankevich/UKR, 29.4.2003.
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Unvereinbar mit Art. 13 EMRK ist es ferner, einen innerstaatlichen Rechtsbehelf gegen eine schwerer wiegende, vor allem auch diskriminierend wirkende Maßnahme allein daran scheitern zu lassen, dass kein aktuelles Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht, weil die beanstandete Maßnahme bereits vollzogen und damit erledigt ist.159 Ein mit der Einlegung verbundenes (angemessenes) Kostenrisiko macht einen Rechts66 behelf nicht ineffektiv.160 Unzumutbar kann ein Rechtsbehelf aber dann sein, wenn bei der Einstellung automatisch eine Gebühr anfällt.161 Hingegen erachtet der EGMR das Erheben einer Gerichtsgebühr i.H.v. 25 €, die zurückgezahlt wird, wenn die Beschwerde gerechtfertigt ist, ebenso als zulässig wie die Beschränkung, dass eine Beschwerde unabhängig von den Umständen des anhängigen Falls nur einmal im selben Jahr eingereicht werden kann.162 Erforderlich für die Zugänglichkeit ist nicht, dass die EMRK unmittelbar in das 67 innerstaatliche Recht inkorporiert wird. Es genügt, wenn das von der Konvention geschützte Recht seiner Substanz nach vom Betroffenen vor der entscheidenden Instanz geltend gemacht werden kann. Das Recht muss nicht unmittelbar aus der Konvention hergeleitet werden. Die Berufung auf inhaltsgleiches innerstaatliches Recht reicht aus.163 Wo die Konventionen nicht Bestandteil des innerstaatlichen Rechts geworden sind, besteht ohnehin nur diese Möglichkeit. Sie reicht allerdings dann nicht aus, wenn eine konventionswidrige Maßnahme dem innerstaatlichen Recht entspricht und deshalb innerstaatlich nicht als rechtswidrig angreifbar ist. Dann folgt das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs und damit der Verstoß gegen Art. 13 EMRK / Art. 2 Abs. 3 IPBPR schon aus der Gesetzeslage.164
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c) Zusammenwirken mehrerer Rechtsbehelfe. Ist ein einzelner Rechtsbehelf nicht effektiv, führt dies nicht automatisch zu einer Verletzung der Garantie. Aus dem Zusammenspiel mehrerer Rechtsschutzmöglichkeiten, die für sich allein den Anforderungen nicht genügen, kann sich insgesamt ein ausreichender innerstaatlicher Rechtsschutzmechanismus ergeben.165 Erforderlich ist allerdings, dass sich diese Rechtsschutzmechanis-
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EGMR Camenzind/CH (Fn. 37); IK-EMRK/ Schweizer 68; vgl. etwa BVerfGE 42 128, 130; 96 27, 39; 100 313, 364; 101 397, 407; BVerfG EuGRZ 2002 198. EGMR Charzyñski/PL (E), 1.3.2005 (Rechtsmittelgebühr); Reuther/D (E), 5.6. 2003 (Kostenvorschuss beim BayVerfGH) mit krit. Anm. Deumeland AGS 2004 241; siehe aber auch: EGMR Scordino/I (Nr. 1) (Fn. 149), § 201; McFarlane/IR (Fn. 18), § 124. EGMR Prencipe/MCO, 19.7.2009, § 96. EGMR Charzyński/PL, 1.3.2005, ECHR 2005-V: Fraglich war hier, ob die infolge des Kudla-Urteils in Polen geschaffene Möglichkeit der Beschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer – u.a. mit oben genanntem Inhalt – eine wirksame Beschwerde i.S.d. Art. 13 EMRK darstellte. Der Bf. hatte von ihr nicht Gebrauch gemacht und direkt den
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EGMR angerufen, der die Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe nach Art. 35 Abs. 1 EMRK annahm, da er die neu geschaffene Beschwerdemöglichkeit als mit Art. 13 EMRK vereinbar einstufte. EGMR The Observer u. Guardian/UK, 26.11.1991, A 216 = ÖJZ 1992 378 = EuGRZ 1995 16; Smith u. Grady/UK (Fn. 57); IK-EMRK/Schweizer 13 ff. Vgl. EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23); Campbell u. Fell/UK (Fn. 23); Abdulaziz u.a./UK (Fn. 79). EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23); Lithgow u.a./UK (Fn. 44); Leander/S (Fn. 16); Chahal/UK (Fn. 45), § 145; Abdolkhani u. Karminia/TRK (Fn. 148), § 107; (GK) Kudla/PL (Fn. 17), § 157; Jaremowicz/PL, 5.1.2010, § 69; Grabenwarter § 24, 176; IK-EMRK/ Schweizer 77; Meyer-Ladewig 13; Nowak 63; dagegen Frowein/Peukert 8 f.
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
men gegenseitig zu einem vollwertigen Rechtsschutz ergänzen.166 Mehrere Rechtsbehelfe gewähren auch zusammen betrachtet keinen ausreichenden Rechtsschutz, wenn aufgrund des mit den verschiedenen Rechtschutzmöglichkeiten verbundenen Zeitverlusts und den sonstigen Belastungen des Betroffenen die Effektivität des Rechtsschutzes insgesamt nicht mehr gewährleistet ist.167 Dementsprechend hält der EGMR es für mit Art. 13 EMRK unvereinbar, wenn der Betroffene, um Schadensersatz zu erlangen, zunächst eine verwaltungsgerichtliche Klage erheben muss und dann gefordert ist, eine Klage wegen unerlaubter Handlung nachzuschieben.168 d) Beweislast. Der Nachweis eines wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs obliegt 69 im Fall des Bestreitens der Regierung.169 Sie muss ggf. durch Anführung von Präzedenzfällen darlegen, dass es dem Beschwerdeführer ohne Weiteres möglich gewesen wäre, eine ihm zugängliche innerstaatliche Stelle wegen der behaupteten Konventionsverletzung anzurufen und durch sie Abhilfe zu erlangen.170 Diese Möglichkeit besteht nicht, wenn das nationale Recht einen solchen Rechtsbehelf zwar theoretisch eröffnet, dieser aber in der Staatspraxis nicht genutzt wird und er daher auch allgemein unbekannt geblieben ist.171 Bloße (unbegründete) Zweifel an der Effektivität eines zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfs entbinden den Betroffenen nicht davon diesen in Anspruch zu nehmen.172 Wenn das nationale Recht jede Regelung des beanstandeten Eingriffs vermissen lässt173 und auch keine Generalklausel die Anrufung der Gerichte oder einer anderen zur Überprüfung berufenen nationalen Instanz eröffnet, fehlt es an einem effektiven Rechtsbehelf. e) Abhilfemöglichkeiten bei überlanger Verfahrensdauer nach deutschem Recht. Wie 70 bereits dargelegt, garantiert Art. 13 EMRK auch einen wirksamen Rechtsbehelf zur Sicherung des Rechts auf ein zügiges Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK (siehe oben Rn. 35). aa) Verfassungsbeschwerde. Grundsätzlich wird das Recht auf ein zügiges Verfahren 71 zwar auch durch das Grundgesetz geschützt und eine Verletzung kann im Wege einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Jedoch sieht der EGMR die Verfassungsbeschwerde in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zur Geltendmachung dieser Konventionsverletzung als nicht effektiv an. Wie der Gerichtshof im Rahmen der
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EGMR Silver u.a./UK (Fn. 23); Kudla/PL (Fn. 17); Bordov/R (Nr. 2), 15.1.2009, § 97; IK-EMRK/Schweizer 77. Vgl. auch die Bedenken von Frowein/Peukert 8 f.; Nowak 63. Vgl. EGMR Lukenda/SLW, 6.10.2005, ECHR 2005-X. Die infolge dieses Urteils in Slowenien geschaffene Rechtslage hält der EGMR grundsätzlich für mit Art. 13 EMRK vereinbar, siehe: EGMR Žunič/SLW, 18.10.2007. Nicht nachweisen konnte dies die ukrainische Regierung z.B. im Falle eines Gefangenen, der gegen die Bedingungen seiner Haft vorgehen wollte, vgl. EGMR Melnik/UKR, 28.3.2006.
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EGMR Wille/FL (Fn. 16). Der bloße Verweis auf Rechtsbehelfmöglichkeiten reicht nicht aus: EGMR Kangasluoma/FIN, 20.1.2004: Die finnische Regierung war nicht imstande zu belegen, dass das finnische Recht allein wegen Verfahrensverzögerung eine angemessene Kompensation gewährt. EGMR Kangasluoma/FIN (Fn. 170). EGMR Krasuski/PL, 14.6.2005, ECHR 2005-V: Die Zweifel des Beschwerdeführers lagen vor allem in der Neuheit der polnischen Regelung begründet, die infolge des Kudla-Urteils verabschiedet worden war. Vgl. EGMR Halford/UK (Fn. 36).
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Beschwerde gegen die überlange Dauer – zunächst bezogen auf ein anhängiges Zivilverfahren (Sürmeli) – festgestellt hat, genügt die deutsche Rechtslage den Anforderungen des Art. 13 EMRK nicht.174 Die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs sei danach nur gewährleistet, wenn das Rechtsmittel die Entscheidung des zuständigen Gerichts entweder beschleunige oder eine angemessene Wiedergutmachung für eingetretene Verzögerungen gewähren könne. Eine Verfassungsbeschwerde leiste dies im Falle eines anhängigen Zivilverfahrens nicht, weil das BVerfG in diesem Fall regelmäßig nur die Verfassungswidrigkeit feststelle und das zuständige Gericht auffordere, das Verfahren zu beschleunigen oder abzuschließen; es könne dem zuständigen Gericht aber weder eine Frist setzen noch andere Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens anordnen und sei auch nicht berechtigt Kompensation, z.B. in Form von Schadensersatz, zuzusprechen.175 Die beschränkten Möglichkeiten des BVerfG, eine Verfahrensbeschleunigung herbeizuführen, wurden auch im Fall Grässer176 deutlich, in dem das BVerfG eine Anordnung zur Beschleunigung des Verfahrens gegeben hatte, das Verfahren vor dem zuständigen Gericht aber erst 16 Monate später beendet wurde.177 Dies wirkt sich auch auf die Anwendung des Art. 35 Abs. 1 EMRK aus, da es in Fällen der Unwirksamkeit einer Verfassungsbeschwerde zur Rechtswegserschöpfung keiner Erhebung selbiger mehr bedarf. Allerdings ist zu beachten, dass es durchaus Konstellationen gibt, in denen die Verfassungsbeschwerde einen wirksamen Rechtsbehelf darstellt. Es ist wie folgt zu differenzieren: Die Verfassungsbeschwerde ist in strafrechtlichen Verfahren als wirksamer Rechtsbe72 helf anzusehen, wenn das BVerfG die Möglichkeit hat, die Staatsanwaltschaft oder die für die Strafverfahren zuständigen Gerichte anzuweisen, die notwendigen Schlüsse aus einer unangemessenen Verfahrensverzögerung zu ziehen, d.h. das Verfahren nach §§ 153 und 153a StPO einzustellen, die Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO zu beschränken oder von der Strafe abzusehen bzw. diese zu mildern.178 Allerdings besteht die Möglichkeit nur, wenn die betroffene Person entweder einer Straftat schuldig gesprochen wurde oder – bei Anwendung von §§ 153, 153a, 154, 154a StPO – das Verfahren aufgrund der Annahme eingestellt wird, dass die betroffene Person von den Strafgerichten andernfalls wegen einer Straftat schuldig gesprochen werden könnte. Daher ist die Verfassungsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf als Rüge gegen ein zu lange dauerndes Ermittlungsverfahren, das von den Ermittlungsbehörden eingestellt wird, ohne dass der Beschwerdeführer der ihm zur Last gelegten Straftaten schuldig gesprochen wäre, denn in diesem Fall laufen die oben angesprochenen Abhilfemöglichkeiten leer.179 Zum Ausspruch einer dem Art. 13 EMRK genügenden Kompensationszahlung ist das BVerfG zudem nicht berechtigt. In einem Zivilverfahren stellt sich die Lage einfacher dar: Wie festgestellt, ist die Ver73 fassungsbeschwerde in einem anhängigen Zivilverfahren mangels angemessener Abhilfemöglichkeiten nicht als effektiver Rechtsbehelf anzusehen.180 Gleiches gilt für die Rügemöglichkeit bzgl. der Dauer eines abgeschlossenen Zivilverfahrens.181 Auch hier bedarf es also vor dem Gang nach Straßburg nicht einer vorherigen Verfassungsbeschwerde.
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EGMR (GK) Sürmeli/D (Fn. 14); siehe auch: EGMR Herbst/D, 11.1.2007, EuGRZ 2007 420 = NVwZ 2008 289, §§ 63–68; Ommer/D (Nr. 2) (Fn. 35), § 54; Meyer-Ladewig 25. EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 105. EGMR Grässer/D, 5.10.2006, EuGRZ 2007 268.
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EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 106. EGMR Ommer (Nr. 2)/D (Fn. 35), §§ 57 ff.; Meyer-Ladewig 22. EGMR Herbst/D (Fn. 174). EGMR Sürmeli/D (Fn. 14). EGMR Herbst/D (Fn. 174).
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Recht auf wirksame Beschwerde
Art. 2 IPBPR
Fraglich war zunächst, ob die Einstufung der Verfassungsbeschwerde als nicht-effek- 74 tiver Rechtsbehelf durch den EGMR in Anbetracht eines Beschlusses der 3. Kammer des Senats des BVerfG aufrechtzuerhalten war.182 In diesem Beschluss fungierte die Verfassungsbeschwerde erfolgreich als Untätigkeitsbeschwerde in Form eines schnellen und unmittelbar greifenden Rechtsschutzinstruments gegen ein überlanges Verfahren; bei einer diesem speziellen Fall entsprechenden generellen Handhabung könnte ein System entstehen, das der EGMR in anderen europäischen Staaten als mit Art. 13 EMRK vereinbar eingestuft hat.183 Mit einer Etablierung dieser Rechtsprechung kann jedoch nicht ernsthaft gerechnet werden. Dagegen sprechen ein Plenarbeschuss des BVerfG aus dem Jahr 2003184 mit dem Verweis auf den Vorrang des fachgerichtlichen Rechtsschutzes sowie die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde allgemein.185 bb) Sonstige Rechtsbehelfe.186 Im Zivilrechtsverfahren eröffnet zwar bei Verletzun- 75 gen des Anspruches auf rechtliches Gehör § 321a ZPO die Möglichkeit zur Rüge. Vergleichbare Vorschriften finden sich auch für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit (§§ 152a VwGO, 133a FGO, 178a SGG). Sie gelten jedoch nicht für Verfahrensverzögerungen. Im Verfahren der Zwangsvollstreckung wird für den Fall der Verfahrensverzögerung in § 766 ZPO ein Rechtsbehelf gewährt. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit räumt § 58 FamFG demjenigen eine Beschwerde ein, „dessen Recht durch die Verfügung beeinträchtigt ist“, § 59 Abs. 1 FamFG. Ob dies auch Fälle von Verfahrensverzögerungen betrifft, wird nicht einheitlich beurteilt. Die StPO enthält, wie bereits angesprochen, für das Strafverfahren verschiedene Vor- 76 schriften, die auf eine Beschleunigung des Verfahrens abzielen, vgl. §§ 121, 229, 275 Abs. 1 StPO. Darüber hinaus besteht im strafgerichtlichen Rechtsmittelverfahren bei vermeidbaren Verfahrensverzögerungen die Möglichkeit der Kompensation im Rahmen der Strafzumessung bzw. nach der sog. Vollstreckungslösung (dazu ausführlich bei Art. 6 EMRK Rn. 355 ff). Abseits der speziellen Verfahrensordnungen kommen als „ultima ratio“ die Dienstaufsichtsbeschwerde nach § 26 Abs. 2 DRiG und die Verfassungsbeschwerde in Betracht. Im Rahmen einer vor dem EGMR ausreichenden Kompensation könnte an eine Amtshaftungsklage zu denken sein.187 Auch der richterrechtliche Rechtsbehelf der „außerordentlichen Untätigkeitsbeschwerde“ bedarf einer Erwähnung. cc) Bewertung der Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer durch den 77 EGMR. Zur Problematik der Verfassungsbeschwerde als effektiver Rechtsbehelf siehe Rn. 70 ff. Zu der Dienstaufsichtbeschwerde nach § 26 Abs. 2 DRiG führt der EGMR aus, dass sie dem Betroffenen in der Regel keinen Anspruch darauf gebe, den Staat zur Ausübung seiner Hoheitsbefugnisse zu zwingen und daher keine wirksame Beschwerdemöglichkeit nach Art. 13 EMRK darstelle.188 Da die zuständigen Gerichte keinen Ersatz für einen Nichtvermögensschaden gewähren können, was aber gerade die Rechtspre-
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BVerfG Beschl. v. 20.9.2007, NJW 2008 503; siehe Besprechung: Steinbeiß-Winkelmann NJW 2008 1783. Vgl. Steinbeiß-Winkelmann NJW 2008 1783. BVerfGE 107 395, 401 ff. Vgl. Steinbeiß-Winkelmann NJW 2008 1783.
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Nach Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007 177, 178. Zum den sich generell ergebenden Problemen der Staatshaftung bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren, siehe Brüning NJW 2007 1094. EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 109; MeyerLadewig 28.
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chung des EGMR prägt,189 wird auch die Möglichkeit einer Amtshaftungsklage nicht als ausreichend bewertet.190 Gleiches gilt für die richterrechtlich entwickelte „außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde“, denn hier sei erstens die Rechtsprechung nicht einheitlich und zweitens gebe es verfassungsrechtliche Bedenken gegen ungeschriebene Rechtsbehelfe mit unterschiedlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen.191 Allgemein gilt nach der Rechtsprechung des EGMR ein Rechtsmittel gegen überlange 78 Verfahrensdauer dann als wirksam, wenn es selbst in angemessener Dauer möglich ist192 und mit einer angemessenen Entschädigung für den Beschwerdeführer endet (siehe bereits Rn. 35).193 Art. 13 EMRK verlangt entweder, dass der Rechtsbehelf bereits das laufende Verfahren beschleunigt oder aber eine ausreichende nachträgliche Kompensation gewährt, wobei erstere Möglichkeit vorzugswürdig ist und die nachträgliche Kompensation vor allem dann als effektiv zu werten ist, wenn das Verfahren bereits sehr lange gedauert hat und ein Rechtsbehelf zur Beschleunigung des Verfahrens nicht (mehr) existiert.194 Weil Deutschland seiner Verpflichtung, einen solchen wirksamen Rechtsbehelf vorzu79 sehen, trotz wiederholter Verurteilungen in Straßburg lange Jahre nicht nachgekommen war, wurde es vom Gerichtshof im Fall Rumpf 195 (Pilot-Verfahren; dazu Teil II Rn. 106, 171) erneut verurteilt. In dem Urteil sprach der EGMR die Verpflichtung Deutschlands aus, binnen eines Jahres einen Rechtsbehelf zu schaffen, der mit den Anforderungen des Art. 13 EMRK in Einklang steht. Vom Grunde her ist der Gedanke eines präventiven Rechtsbehelfs, der das Verfahren 80 beschleunigen soll, zu begrüßen,196 wie er noch 2005 in einem Gesetzgebungsentwurf favorisiert wurde, sogar vorzugswürdig.197 Die dabei in Frage kommende Untätigkeitsbeschwerde198 ist aber selbst Kritik ausgesetzt. Ein die Verfahrensbeschleunigung anmahnender Zwischenrechtsbehelf verzögert durch die Einschaltung einer weiteren Instanz die Erledigung der Hauptsache meist weiter,199 ohne die Beschwer durch die bereits eingetretene überlange Verfahrensdauer aus der Welt schaffen zu können; lediglich ihre Fortdauer kann verkürzt und die Notwendigkeit einer Kompensation aufgezeigt werden. Fraglich ist aber, ob damit nicht lediglich die Beschleunigung des einen Verfahrens mit der Verzögerung eines anderen erkauft wird.
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Vgl. EGMR Hartman/CS, 10.7.2003, ECHR 2003-VIII; Lukenda/SLO, 6.10.2005, ECHR 2005-X; Scordino/I (Fn. 149); Cocchiarella/I, 29.3.2006, ECHR 2006-V. EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 113; MeyerLadewig 29. EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 110; MeyerLadewig 26 f. EGMR Goretzki/D, 24.1.2002 = EuGRZ 2002 325; Pine Valley Developments Ltd u.a./IR, 29.11.1991, A-222; Paulino Tomás/P (Fn. 80); Tomé Mota/P (Fn. 71); Belinger/ SLW (E), 2.10.2001; Scordino/I (Nr. 1) (Fn. 149), § 195; McFarlane/ IR (Fn. 18), §§ 123 f. EGMR Scordino/I (Nr. 1) (Fn. 149), §§ 195, 204–207; Martins Castro u. Alves Correia de Castro/P, 10.6.2008; McFarlane/IR (Fn. 18), § 108.
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EGMR Kudła/PL (Fn. 17), § 158; Mifsud/F (Fn. 100); Scordino/I (Nr. 1) (Fn. 149), § 187; McFarlane/IR (Fn. 18), § 108. EGMR Rumpf/D, 2.9.2010, NJW 2010 3355. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2010 205 m.w.N. in Fn. 2; Scholz DRiZ 2010 182. BRDrucks. 540/10, S. 1. Ausdrücklich befürwortend auch EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 138. Vgl. zum Entwurf des Untätigkeitsbeschwerdegesetzes, Roller ZRP 2008 122. Dies kann anders sein, wenn Fälle jahrelang liegen geblieben sind; hier fragt sich aber, ob bei chronisch überlasteten Gerichten die angemahnte Beschleunigung mit der Verzögerung anderer Verfahren erkauft wird. Vgl. Meyer-Ladewig NJW 2001 2679.
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Recht auf wirksame Beschwerde
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Im Übrigen könnte wegen der Unabhängigkeit des erkennenden Gerichts eine die 81 Beschleunigung anmahnende Zwischenentscheidung die zuständige richterliche Instanz weder in ihrer sachlichen Entscheidung noch bei der Ermittlung der dafür erforderlichen Grundlagen beeinflussen; sie könnte allenfalls eng begrenzt auf einzelne Aspekte der Verfahrensgestaltung einwirken und im Übrigen höchstens eine nicht das Verfahrensergebnis berührende Kompensation für die Verzögerung durch die Rechtsverletzung in die Wege leiten. Im August 2010 hat die Bundesregierung daher einen neuen Entwurf für ein Gesetz 82 über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorgelegt. Der Gesetzgeber hat sich dabei nicht für einen Rechtsbehelf entschieden, der das Verfahren unmittelbar beschleunigen soll. Stattdessen wurde eine „kompensatorische“ Möglichkeit gewählt (siehe ausführlich hierzu Art. 6 EMRK Rn. 368 ff.).200 Dieses Gesetz vom 24.11.2011 trat am 3.12.2011 in Kraft.201
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Der EGMR erklärt das für zulässig, vgl. etwa EGMR Sürmeli/D (Fn. 14), § 138.
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BGBl. 2011 I S. 2302.
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Art. 14 EMRK (Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR) EMRK Artikel 14 Diskriminierungsverbot Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Protokoll Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.2000 Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen – eingedenk des grundlegenden Prinzips, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben, entschlossen, weitere Maßnahmen zu treffen, um die Gleichberechtigung aller Menschen durch die kollektive Durchsetzung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden als „Konvention“ bezeichnet) zu fördern, in Bekräftigung der Tatsache, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung die Vertragsstaaten nicht daran hindert, Maßnahmen zur Förderung der vollständigen und wirksamen Gleichberechtigung zu treffen, sofern es eine sachliche und angemessene Rechtfertigung für diese Maßnahmen gibt – haben Folgendes vereinbart: Artikel 1 – Allgemeines Diskriminierungsverbot (1) Der Genuss eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. (2) Niemand darf von einer Behörde diskriminiert werden, insbesondere nicht aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe. Artikel 2 – Räumlicher Geltungsbereich (1) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet. (2) Jeder Staat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Protokolls auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Protokoll tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
(3) Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen oder geändert werden. Die Rücknahme oder Änderung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt. (4) Eine nach diesem Artikel abgegebene Erklärung gilt als Erklärung im Sinne des Artikels 56 Absatz 1 der Konvention. (5) Jeder Staat, der eine Erklärung nach Absatz 1 oder 2 abgegeben hat, kann jederzeit danach für eines oder mehrere der in der Erklärung bezeichneten Hoheitsgebiete erklären, dass er die Zuständigkeit des Gerichtshofs, Beschwerden von natürlichen Personen, nichtstaatlichen Organisationen oder Personengruppen nach Artikel 34 der Konvention entgegenzunehmen, für Artikel 1 dieses Protokolls annimmt. Artikel 3 – Verhältnis zur Konvention Die Vertragsstaaten betrachten die Artikel 1 und 2 dieses Protokolls als Zusatzartikel zur Konvention; alle Bestimmungen der Konvention sind dementsprechend anzuwenden. Artikel 4 – Unterzeichnung und Ratifikation Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, welche die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nur ratifizieren, annehmen oder genehmigen, wenn er die Konvention gleichzeitig ratifiziert oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt ratifiziert hat. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt. Artikel 5 – Inkrafttreten (1) Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem zehn Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 4 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein. (2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Protokoll gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahmeoder Genehmigungsurkunde folgt. Artikel 6 – Aufgaben des Verwahrers Der Generalsekretär des Europarats notifiziert allen Mitgliedstaaten des Europarats (a) jede Unterzeichnung; (b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde; (c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach den Artikeln 2 und 5; (d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Protokoll. Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.
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Geschehen zu Rom am 4. November 2000 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats beglaubigte Abschriften.
IPBPR Artikel 2 (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. Artikel 3 Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller in diesem Pakt festgelegten bürgerlichen und politischen Rechte sicherzustellen. Artikel 16 Jedermann hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden. Artikel 24 (1) Jedes Kind hat ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens oder der Geburt das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert. Artikel 26 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten. Artikel 27 In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.
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Schrifttum (Auswahl) v. Arnauld Minderheitenschutz im Rechte der Europäischen Union, AVR 42 (2004) 111; Dieballe Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben – neue Vorgaben des EG-Vertrags, EuR 2000 275; Freudenschuss Die Diskriminierungsverbote der EMRK und der Rassendiskriminierungskonvention im österreichischen Recht, EuGRZ 1983 623; Glock Der Gleichheitssatz im Europäischen Recht (2008); Hausheer Der Fall Burghartz – oder Vom bisweilen garstigen Geschäft der richterlichen Rechtsharmonisierung in internationalen Verhältnissen, EuGRZ 1995 623; Hailbronner Die sozialrechtliche Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen – ein minderheitenrechtliches Postulat? JZ 1997 397; Hilpold Internationales und Europäisches Minderheitenrecht (2010); Hilpold Neue Minderheiten im Völkerrecht und im Europarecht, AVR 42 (2004) 80; Hofmann Minderheitenschutz in Europa, ZaöRV 52 (1992) 1; Kimminich Minderheiten- und Volksgruppenrechte im Spiegel der Völkerrechtsentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg, BayVerwBl. 1993 331; Kischel Zur Dogmatik des Gleichheitssatzes in der Europäischen Union, EuGRZ 1997 1; Klebes Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutze nationaler Minderheiten, EuGRZ 1995 262; Kugelmann Minderheitenschutz als Menschenrechtsschutz, AVR 39 (2001) 233; Moeckli Human Rights and Non-discrimination in the ‘War on Terror’ (2008); Mohn Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht (1990); Opsahl Equality in Human Rights Law with particular Reference to Article 26 of the International Covenant on Civil and Political Rights, FS Ermacora 51; Partsch Wertet die neue Straßburger Judikatur das Diskriminierungsverbot auf? FS Everling (1995) 1049; Pentassuglia Minority Issues as a Challenge in the European Court of Human Rights: A Comparison with the Case Law of the United Nations Human Rights Committee, JIR 46 (2003) 401; Riesenhuber/Frank Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Europäischen Vertragsrecht – Zu einer vorgeschlagenen Richtlinie des Rats, JZ 2004 529; Rossi Das Diskriminierungsverbot nach Art. 12 EGV, EuR 2000 197; Sturm Das Straßburger Marckx-Urteil zum Recht des nichtehelichen Kindes und seine Folgen, FamRZ 1982 1150; Tomuschat Equality and Non-Discrimination under the International Covenant on Civil and Political Rights; FS Schlochauer 691; Vandenhole Non-Discrimination and Equality in the View of the UN Human Rights Treaty Bodies (2005); Wittinger Familien und Frauen im Regionalen Menschenrechtsschutz (1999); Wittinger Die Gleichheit der Geschlechter und das Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Status quo und Perspektiven durch das Zusatzprotokoll Nr. 12, EuGRZ 2001 272; Wolfrum Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz (2003)
Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Konventionsgarantien . . . . . . b) Ausdrückliche Grenzen des Gleichbehandlungsgebots . . . . . . . . c) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . d) Internationale Verträge . . . . . . e) Nationale Ebene . . . . . . . . . .
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. . . .
2. Gleichbehandlung bei der Ausübung der von den Konventionen garantierten Freiheiten und Rechte a) Beschränkung auf Konventionsrechte . b) Diskriminierungsverbot . . . . . . . .
1 6 10 12 14
16 21
Rn. c) Beispiele für Diskriminierung . . d) Gerechtfertigte und angemessene Ungleichbehandlung . . . . . . . e) Verpflichtete . . . . . . . . . . . f) Terrorismus . . . . . . . . . . .
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3. Allgemeine Garantie der Gleichheit (Art. 26 IPBPR) . . . . . . . . . . . . . .
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4. Allgemeines Diskriminierungsverbot (12. ZP-EMRK) . . . . . . . . . . . . . .
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5. Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . .
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1. Allgemeines 1
a) Konventionsgarantien. Art. 2 AEMR vom 10.12.1948 fordert in Übereinstimmung mit den Zielen der UN-Charta,1 dass die in ihr proklamierten Rechte und Freiheiten jedem zustehen ohne irgendwelche Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Vermögen, Geburt oder sonstigem Status. In Art. 7 AEMR ist festgelegt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben, ferner, dass sie Anspruch haben auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, welche die vorliegende Erklärung verletzen würde, und gegen jede Aufreizung zu einer solchen. Der IPBPR folgt dieser Zweiteilung der Garantie der Gleichbehandlung, indem er in 2 Art. 2 Abs. 1 jede Ungleichbehandlung bei Anwendung der Konventionsgarantien verbietet und diese Verpflichtung der Vertragsstaaten in Art. 3 nochmals in Bezug auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung der im IPBPR festgelegten Rechte konkretisiert. Diese akzessorischen Garantien werden in Art. 26 IPBPR durch ein allgemeines, nicht akzessorisches Gleichbehandlungsgebot ergänzt, das – ohne sachliche Beschränkung auf die Konventionsgarantien – ausspricht, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben, wobei Satz 2 vom Wortlaut des Art. 7 AEMR abweicht. Art. 14 EMRK begnügt sich demgegenüber damit, jede Diskriminierung bei der 3 Anwendung der in der Konvention und in den Zusatzprotokollen gewährleisteten Rechte und Freiheiten zu verbieten.2 Die Vorschrift ist akzessorisch und ergänzt den Schutzbereich jedes Konventionsrechts durch ein Diskriminierungsverbot. Er umfasst die gesamte Tragweite der jeweiligen Garantien und begründet auch die Verpflichtung des Staates, bei Eingriffen aufgrund der Schrankenvorbehalte, selbst wenn diese Eingriffe in seinem Ermessen stehen, das Gebot der Gleichbehandlung zu beachten.3 Ein darüber hinausreichendes allgemeines Gleichbehandlungsgebot stellt er nicht auf.4 Ein solches Gleichbehandlungsgebot sieht das am 1.4.2005 in Kraft getretene, von 4 Deutschland bisher nicht ratifizierte 12. ZP-EMRK vom 4.11.20005 vor. Es verpflichtet die Staaten, den Genuss eines jeden auf Gesetz beruhenden Rechtes jedermann ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Den Behörden wird verboten, jemanden aus diesen oder sonstigen Gründen zu diskriminieren. 1
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Vgl. Art. 1 Abs. 3; Art. 13 Abs. 1 lit. b, Art. 55 lit. c UN-Charta, die die Förderung der allgemeinen Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion als Ziel anführen. Vertiefend zum Gleichbehandlungsgebot aus menschenrechtlicher Perspektive: Altwicker Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz (2011). Frowein/Peukert 25; Grabenwarter § 26, 2; Guradze 1; Partsch 91; a.A. Schorn 2. Etwa EGMR Belg. Sprachenfall, 23.7.1968,
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A 6 = EuGRZ 1975 298; van der Mussele/B, 23.11.1983, A 70 = EuGRZ 1985 477; Gaygusuz/A, 16.9.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1996 955 = JZ 1997 405 = InfAuslR 1997 1; Frowein/Peukert 9, sowie zur Gleichbehandlung im Rahmen der Schrankenvorbehalte auch Rn. 3; Grabenwarter § 26, 2; MeyerLadewig 6. EGMR Schmidt/D, 18.7.1994, A 291-B = EuGRZ 1995 392 = NVwZ 1995 365 = ÖJZ 1995 148 = VBlBW 1994 402; L.B./A, 8.4.2002, ÖJZ 2002 696. Vgl. Rn. 45 ff.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Art. 14 EMRK und Art. 2 Abs. 1 IPBPR heben die Pflicht zur Gleichbehandlung bei 5 der Anwendung der Konventionsgarantien ausdrücklich hervor, obwohl die Gleichheit bei der Gewährung der jeweiligen Konventionsrechte in den meisten Artikeln beider Konventionen schon dadurch verdeutlicht wird, dass diese jedem oder jedermann zuerkannt werden, so auch das in Art. 16 IPBPR jedermann garantierte Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden. Bei bestimmten Konventionsgarantien finden sich zusätzlich besondere, die Gleichbehandlung ausdrücklich fordernde Gebote. So hebt Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR hervor, dass alle Menschen vor Gericht gleich sind.6 Art. 23 Abs. 4 IPBPR und Art. 5 des 7. ZP-EMRK7 fordern für Mann und Frau gleiche Rechte bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe.8 Art. 24 Abs. 1, Art. 25 IPBPR wiederholen nochmals ausdrücklich die Diskriminierungsverbote des Art. 2 Abs. 1 IPBPR oder verweisen auf diese. b) Ausdrückliche Grenzen des Gleichbehandlungsgebots. Grenzen des Gleichbehandlungsgebots bestehen dort, wo in bestimmten Ausnahmefällen schon der Wortlaut einer Konventionsgarantie zeigt, dass diese nur für bestimmte Personengruppen gilt. So garantiert etwa Art. 25 IPBPR nur den Staatsbürgern politische Rechte, während Art. 16 EMRK umgekehrt bei Ausländern Einschränkungen der durch Art. 10 und Art. 11 EMRK allen Menschen garantierten politischen Betätigung zulässt, wenn er ausdrücklich feststellt, dass Art. 14 EMRK nicht so auszulegen ist, dass er einer solchen Beschränkung entgegensteht. Das Verbot der Einzel- und Kollektivausweisung in Art. 3 Abs. 1 des 4. ZP-EMRK betrifft nur die eigenen Staatsangehörigen, während umgekehrt das Verbot der Kollektivausweisung der Ausländer in Art. 4 des 4. ZP-EMRK und die Garantien für die Ausweisung von Ausländern in Art. 13 IPBPR schon von der Natur der Sache her nur für diese gelten können. Der Schutz ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten erlaubt nach Art. 27 IPBPR eine Differenzierung zu deren Gunsten hinsichtlich ihrer kulturellen Betätigung, ihrer Religionsausübung und der Verwendung ihrer Muttersprache und insoweit eine Ungleichbehandlung.9 Insoweit sind entgegen Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1, Art. 26 IPBPR nach der nationalen Herkunft oder dem sonstigen Status differenzierende Sonderregelungen zulässig. Im Übrigen aber werden die in den Konventionen festgelegten Rechte und Freiheiten durch Art. 1 EMRK allen der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates unterstehenden Menschen in gleichem Umfang gewährt. Aus der Zugehörigkeit zu einer Minderheit können keine Sonderrechte hergeleitet werden.10 Für Notstandsmaßnahmen enthält Art. 4 Abs. 1 IPBPR ein weiter gefasstes Diskriminierungsverbot. Der Katalog auch im Notstandsfall unzulässiger Diskriminierungen führt die politischen und sonstigen Anschauungen und die nationale Herkunft sowie das Vermögen, die Geburt oder den sonstigen Status nicht mit auf. Art. 15 EMRK gestattet dagegen ohne ausdrückliche Unterscheidungen in den unbedingt erforderlichen Fällen die Abweichung von den Konventionsverpflichtungen generell. Dies könnte auch eine 6
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Auch bei dem von Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderten fairen Verfahren ist die Gleichwertigkeit der Verfahrensbefugnisse, die sog. Waffengleichheit (siehe dort Rn. 202 ff.) unerlässlich. Deutschland hat das 7. ZP-EMRK bislang nicht ratifiziert.
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Zur Bedeutung dieser auf fortschreitende Verwirklichung gerichteten Verpflichtung des IPBPR vgl. Art. 12 EMRK Rn. 7. Vgl. HRC Lovelace/CDN, 30.7.1981, EuGRZ 1981 522; Tomuschat FS Mosler 951. EGMR Noack u.a./D, 25.5.2000, ECHR 2000-VI (Gemeinde Horno).
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sachlich gebotene Ungleichbehandlung von Personengruppen rechtfertigen,11 während ohne einen solchen sachlich rechtfertigenden Grund auch hier das Gebot der Gleichbehandlung gilt. Diese gegenüber Art. 4 Abs. 1 IPBPR weitergehende Einschränkungsmöglichkeit kommt jedoch bei den Vertragsparteien des IPBPR nicht zum Tragen, da dessen engere und damit für den Betroffenen günstigere Fassung nach Art. 53 EMRK anwendbar bleibt und damit als anderweitige völkerrechtliche Verpflichtung auch im Notstandsfall nach Art. 15 Abs. 1 EMRK zu beachten ist.
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c) Unionsrecht. Das Unionsrecht enthält das Verbot, im Anwendungsbereich der Verträge bei Bürgern der Union nach der Staatsangehörigkeit zu unterscheiden (Art. 18 AEUV), sowie weitere Vorschriften, die für bestimmte Sachbereiche des Unionsrechts12 die Gleichbehandlung aller Unionsbürger ohne Unterschiede nach Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz im Inland oder in einem anderen EU-Staat13 oder Geschlecht14 vorschreiben. Durch „vernünftige Gründe gerechtfertigt“ kann daher sein, dass den Angehörigen der EU-Staaten andere Rechte eingeräumt werden als den sonstigen Ausländern, da sie einer besonderen Rechtsordnung angehören.15 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union16 behandelt in ihrem Kapitel III 11 die Aspekte der Gleichheit. Art. 20 EUC stellt fest, dass alle Personen vor dem Gesetz gleich sind, Art. 21 EUC verbietet jede Diskriminierung, während Art. 23 Abs. 1 EUC die Gleichheit von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen festlegt, wobei Art. 21 Abs. 2 EUC festhält, dass der Grundsatz der Gleichheit die Beibehaltung oder Einführung spezifischer Vergünstigungen für das bisher unterrepräsentierte Geschlecht (sog. „affirmative actions“) nicht ausschließt.17
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d) Internationale Verträge. Auf internationaler Ebene ergeben sich weitere, zum Teil gegenständlich beschränkte Gleichbehandlungsgebote bzw. Diskriminierungsverbote, so etwa aus Art. 2 Abs. 2 des IPWSKR vom 19.12.196618, aus dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7.3.196619, aus dem ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25.6.195820, aus dem Übereinkommen gegen Diskriminierung im
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EGMR IR/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; Frowein/Peukert 8. Vgl. Art. 8, 19, 153 Abs. 1 lit. i, 157 AEUV, ferner etwa die RL 76/207/EWG v. 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen; allgemein zur Dogmatik des Gleichheitssatzes in der EU: Dieballe EuR 2000 175; Kischel EuGRZ 1997 1; ferner etwa Hailbronner JZ 1997 397 zur sozialen Gleichbehandlungspflicht der Angehörigen der EU, je m.w.N. Etwa EuGH 29.4.2004, Rs. C-224/02, EuGRZ 2004 416 (Unterschied bei Berechnung der Pfändungsfreigrenze durch Nichtberücksichtigung der am ausländischen
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Wohnsitz bezahlten Steuer ist mit Freizügigkeit innerhalb der EU-Staaten unvereinbar). Vgl. Dieballe EuR 2000 275 ff. EGMR Moustaquim/B, 18.2.1991, A 193 = EuGRZ 1993 552 = ÖJZ 1991 452 = InfAuslR 1991 149; vgl. aber auch EGMR Gaygusuz/A (Fn. 3), mit krit. Anm. Hailbronner JZ 1997 397. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1, BGBl. 2008 II S. 1165; vgl. Teil I (Einf.) Rn. 80 f. Ebenso auch die Präambel des 12. ZP-EMRK. BGBl. 1973 II S. 1570 (Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung der in diesem Pakt festgelegten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte). BGBl. 1969 II S. 961. BGBl. 1961 II S. 97.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Unterrichtswesen vom 15.12.1960 21, aus dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 22, aus dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 23. Das Gebot der Gleichbehandlung wird ferner in den Abschlussdokumenten der 13 KSZE-Folgetreffen, vor allem dem Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE vom 29.6.1990 (Teil 1, Nr. 5.9) angesprochen.24 Den Schutz der Minderheiten in Europa bezwecken das im Rahmen des Europarats in Ergänzung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 5.11. 199225 beschlossene Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten vom 1.2.199526, das neben einem Diskriminierungsverbot und dem Verbot der Zwangsassimilierung auch Toleranz- und Förderungspflichten und das Recht auf Benutzung der Minderheitensprache begründet und das festlegt, dass die in ihm garantierten Rechte und Freiheiten, soweit sie eine Entsprechung in der EMRK haben, im gleichen Sinne wie diese zu verstehen sind (Art. 23). Da dieses Übereinkommen nur eine Überwachung durch das Ministerkomitee vorsieht (Art. 24), nicht aber selbst den Rechtsweg zum EGMR eröffnet, kann der Betroffene dort die Verletzung eines Rechtes aus diesem Abkommen nicht unmittelbar rügen. Er kann seine Beschwerde nur darauf stützen, dass dadurch gleichzeitig auch seine Rechte aus der EMRK (insbes. Art. 8 oder 14 EMRK) verletzt sind. e) Nationale Ebene. Im innerstaatlichen Verfassungsrecht ist der Gleichbehandlungs- 14 grundsatz einschließlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mann und Frau und des Verbots einer Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft oder wegen seines Glaubens oder der religiösen oder politischen Anschauung durch Art. 3 GG gewährleistet, der als Grundnorm der freiheitlichen Demokratie die gesamte Rechtsordnung bestimmt und nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch die Gleichbehandlung durch das Gesetz fordert. Differenzierungen dürfen daher nicht von einem der unzulässigen Merkmale bestimmt sein. Sie sind nur zulässig, wenn für sie andere Gründe von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.27 § 6 Abs. 2 IRG untersagt eine Auslieferung, wenn ernstliche Gründe für die Annahme 15 bestehen, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder dass seine Lage aus einem dieser Gründe erschwert werden würde.28
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BGBl. 1968 II S. 385. BGBl. 1985 II S. 647; dazu Delbrück FS Schlochauer 247. BGBl. 2008 II S. 1419. Siehe EuGRZ 1990 239; vgl. Teil I Rn. 75 ff. BGBl. 1998 II S. 1314; für die Bundesrepublik in Kraft ab 1.1.1999 (BGBl. II S. 59). BGBl. 1997 II S. 1408, für die Bundesrepublik in Kraft ab 1.2.1998 (BGBl. II S. 57). Vgl. BVerfGE 55 72, 88; 74 9, 30; 88 87, 96.
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BGBl. 1994 I S. 1537; hierzu OLG Köln Beschl. v. 23.9.2003 – 2 Ausl 252/03; OLG Karlsruhe Beschl. v. 12.2.2004 – 1 AK 37/03; OLG Saarbrücken Beschl. v. 13.12.2006 – OLG Ausl 35/06; OLG Karlsruhe Beschl. v. 8.12.2008 – 1 AK 68/08; KG Beschl. v. 30.1.2009 – (4) Ausl A 522/03 (139–140/07); OLG Karlsruhe Beschl. v. 14.9.2009 – 1 AK 43/09.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
2. Gleichbehandlung bei der Ausübung der von den Konventionen garantierten Freiheiten und Rechte a) Beschränkung auf Konventionsrechte. Art. 14 EMRK garantiert die Gleichbehandlung nur bei den von der Konvention und ihren Zusatzprotokollen gewährleisteten Rechten und verbietet eine nicht sachlich gerechtfertigte Diskriminierung bei den jeweils zulässigen staatlichen Eingriffen in diese Rechte. Er betrifft also nicht jede innerstaatliche Ungleichbehandlung, sondern nur eine solche, die sich auf die Ausübung einer Konventionsgarantie (einschließlich ZP) auswirkt.29 Als solche ist er als Bestandteil jeder Konventionsbestimmung zu betrachten.30 Anders als das am 1.4.2005 in Kraft getretene 12. ZP-EMRK (Rn. 45 ff.) und Art. 26 IPBPR hat er als akzessorische Regelung keine von den anderen Konventionsverbürgungen unabhängige Bedeutung. Er sichert die Gleichbehandlung beim Genuss der in den Konventionen und den Zusatzprotokollen verbürgten Rechte und Freiheiten31 im weit verstandenen Regelungsbereich des jeweils verbürgten Konventionsrechts.32 Art. 14 EMRK setzt weder einen Eingriff in ein Konventionsrecht noch einen Konven17 tionsverstoß voraus. Eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung im generellen Anwendungsbereich eines Konventionsrechts genügt,33 so etwa im vielschichtigen Bereich des Privat- oder Familienlebens (Art. 8 EMRK)34 oder der Religionsfreiheit 35 oder in dem weit verstandenen Bereich des Eigentumsschutzes nach Art. 1 ZP-EMRK.36 Art. 14
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Vgl. etwa EGMR Inze/A, 28.10.1987, A 126 = ÖJZ 1988 177; Petrovic/A, 27.3.1998, Rep. 1998-II = ÖJZ 1998 516; Wessels-Bergervoet/NL, 4.6.2002, ECHR 2002-IV = ÖJZ 2003 516; Karner/A, 24.7.2003, ECHR 2003-IX = ÖJZ 2004 36; EKMR Mielke/D, 25.11.1996, EuGRZ 1997 148. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); X u. Y/NL, 26.3.1985, A 91 = NJW 1985 2075 = EuGRZ 1985 297; Villiger 658. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3): keine von den übrigen normativen Vorschriften der Konvention losgelöste Bedeutung; ferner EGMR van der Mussele/B (Fn. 3); Grabenwarter § 26, 3; Meyer-Ladewig 5. Vgl. Grabenwarter § 26, 3 (thematische Einschlägigkeit). EGMR Petrovic/A (Fn. 29); Prinz HansAdam II von Liechtenstein/D, 12.7.2001, ECHR 2001-VIII = NJW 2003 649 = EuGRZ 2001 466 = ÖJZ 2002 347; Jüdische Liturgische Gesellschaft Cha’are Shalom Ve Tsedek/F, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = ÖJZ 2001 774. Etwa EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = NJW 1979 2449 = EuGRZ 1979 454 = FamRZ 1979 903; Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = EuGRZ 1983 488 = NJW 1984 541; Burghartz/CH, 22.2.1994, A 280-B = ÖJZ 1994 559; Hoffmann/A, 23.6.1993, A 255-C
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= EuGRZ 1996 648 = ÖJZ 1993 853; Meyer-Ladewig 16, 19. Etwa EGMR Darby/S, 23.10.1990, A 187 = NJW 1991 1404 = EuGRZ 1990 504 = ÖJZ 1991 392 (höhere Kirchensteuer wegen Wohnsitz im Ausland); Thlimmenos/GR, 6.4.2000, ECHR 2000-IV = ÖJZ 2001 518 (Verweigerung des Berufszugangs wegen religionsbedingter Verurteilung); Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a./A, 31.7.2008, NVwZ 2009 509; Gütl/A, 12.3.2009, ÖJZ 2009 684 (Befreiung vom Militär- und Zivildienst für Priester); Grabenwarter § 26, 4; Meyer-Ladewig 16. EGMR Gaygusuz/A (Fn. 3; Arbeitslosenunterstützung); Inze/A (Fn. 29; Vorrang der ehelichen Kinder vor den unehelichen beim Erbrecht); van Raalte/NL, 21.2.1997, Rep. 1997-I = ÖJZ 1998 117 (Beitrag zum Kinderversorgungsfond); Wessels Bergervoet/NL (Fn. 29); Willis/UK, 11.6.2002, ECHR 2002-IV (Witwenbeihilfe für Witwer); Ernewein u.a./D, 12.5.2009, EuGRZ 2009 580 (Nichtentschädigung von Waisen verstorbener „Malgré-nous“, d.h. Franzosen, die im Zweiten Weltkrieg vom Nazi-Regime zwangsweise zur Deutschen Wehrmacht eingezogen wurden; Sachverhalt fällt nicht unter Art. 1 ZP-EMRK); Carson u.a./UK, 16.3. 2010; Stummer/A (Verweisung an die GK;
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
EMRK kann auch durch Maßnahmen verletzt werden, die als solche mit der jeweiligen Konventionsgarantie vereinbar sind37 oder die im Bereich eines Konventionsrechts mehr gewähren, als die Konvention fordert,38 etwa die Einräumung eines Rechts auf eine von der Konvention nicht geforderte weitere gerichtliche Instanz,39 oder bei der Regelung eines vom Schutz der jeweiligen Konventionsgarantie ausdrücklich ausgenommenen Sachverhalts.40 Art und Ausmaß der berührten Konventionsgarantie sowie die Zugehörigkeit der von der Diskriminierung betroffenen Handlung zu ihrem Schutzbereich sind daher bei der Behauptung eines Verstoßes gegen Art. 14 EMRK vorweg zu prüfen.41 Auch die aufgrund von Eingriffsvorbehalten konventionsrechtlich zulässigen staat- 18 lichen Einschränkungen eines Konventionsrechts müssen durch objektive und vernünftige Gründe gerechtfertigt werden und frei von jeder sachlichen nicht begründeten Diskriminierung sein.42 Dies gilt auch, wenn sich eine Konventionsgarantie nur darauf beschränkt, für Eingriffe ein innerstaatliches Gesetz zu fordern.43 Andererseits kann auch die Verletzung eines Konventionsrechts zugleich mit einem Verstoß gegen Art. 14 EMRK verbunden sein. Der EGMR begnügt sich dann meist mit der Feststellung der Verletzung des anderen Rechts, weil er es nicht für erforderlich hält, daneben noch zu untersuchen, ob auch gegen Art. 14 EMRK verstoßen wurde.44 Die Verletzung dieses Artikels wird aber gesondert geprüft, wenn in ihr ein (zusätzlicher) grundlegender Aspekt der Angelegenheit zu sehen ist.45 Für die ebenfalls akzessorische Verbürgung der Gleichbehandlung bei der Ausübung 19 der Konventionsrechte durch Art. 2 Abs. 2 IPBPR gelten grundsätzlich die gleichen Gesichtspunkte. Die Vorschrift untersagt dem Staat nur Diskriminierungen, die in Verbindung mit der Ausübung bestimmter, vom IPBPR garantierter Rechte oder Freiheiten stehen. Auch diese müssen nicht notwendig selbst verletzt sein.46
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Pensionsberechtigung und Pensionsansprüche); (GK) Serife Yigit/TRK, 2.11.2010 (Hinterbliebenenversorgung); siehe auch: Grabenwarter § 26, 3. Etwa EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Belg. Polizeigewerkschaft/B, 27.10.1975, A 19 = EuGRZ 1975 562; Abdulaziz u.a./UK, 28.5.1985, A 94 = NJW 1986 3007 = EuGRZ 1985 567; Frowein/Peukert 2; Grabenwarter § 26, 3. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Abdulaziz u.a./UK (Fn. 37); Frowein/Peukert 13; Grabenwarter § 26, 3; Villiger 658. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3). Vgl. EGMR Schmidt/D (Fn. 4): „Feuerwehrabgabe“; Grabenwarter § 26, 3. Etwa EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Belg. Polizeigewerkschaft/B (Fn. 37); Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Times Newspaper Ltd. u.a./UK, 26.4.1979, A 30 = EuGRZ 1979 386; Marckx/B (Fn. 34); Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Schmidt/D (Fn. 4); Olbertz/D, 25.5.1999, ECHR 1999-V = NJW 2001 1558; Frowein/ Peukert 3; Meyer-Ladewig 5.
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Vgl. EGMR Engel u.a./NL, 8.6.1976, A 22, §§ 81 f. = EuGRZ 1976 232; IR/UK, 18.1.1978 (Fn. 11); van der Mussele/B (Fn. 3); Rasmussen/DK, 28.11.1984, A 87 = NJW 1986 2176 = EuGRZ 1985 511; Abdulaziz u.a./UK (Fn. 37); Petrovic/A (Fn. 29); Meyer-Ladewig 8. Frowein/Peukert 9, 10. Etwa EGMR Marckx/B (Fn. 34); X u. Y/NL (Fn. 30); Norris/IR, 26.10.1988, A 142 = EuGRZ 1992 477 = ÖJZ 1989 628; Kroon/NL, 27.10.1994, A 297-C = ÖJZ 1995 269 = FamRZ 2003 813; Matthews/ UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3107 = EuGRZ 1999 200 = ÖJZ 2000 34; Noack u.a./D (Fn. 10; Horno-Entscheidung), LKV 2001 69; Frowein/Peukert 15 ff.; Meyer-Ladewig 34; Villiger 660. Etwa EGMR Airey/IR, 9.10.1979, A 32 = EuGRZ 1979 626; Dudgeon/UK (Fn. 34); Chassagnou u.a./F, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 1999 3695 = ÖJZ 2000 113. Nowak 16, 17.
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Gleiches gilt für die Staatenverpflichtung in Art. 3 IPBPR, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung der Konventionsrechte herzustellen.47 Ob dieses Gebot für die Staaten eine weitergehende Verpflichtung begründet als das allgemeine Gebot, die Konventionsrechte ohne Unterschied des Geschlechtes zu gewähren (Art. 2 Abs. 1 IPBPR), erscheint fraglich und ist strittig.48 Sieht man auch die Verpflichtung zur Herstellung der materiellen Gleichberechtigung durch ausgleichende Maßnahmen als einen Aspekt des allgemeinen Gleichbehandlungsgebotes an, lassen sich aus Art. 3 IPBPR praktisch kaum weitergehende Verpflichtungen des Staates herleiten als aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR.49 Nimmt man in weiter Auslegung des umfassenderen, nicht auf die Konventionsrechte beschränkten Art. 26 IPBPR an, dass dieser auch den nationalen Gesetzgeber allgemein zur Gleichbehandlung verpflichtet, würde Art. 3 IPBPR als vorgehende Spezialregelung die allgemeinen Pflichten des staatlichen Gesetzgebers eher einschränken. Soweit andere einzelne Artikel des IPBPR im Hinblick auf ein von ihnen garantiertes Recht selbst die Gleichbehandlung als gesonderte Konventionspflicht vorschreiben, wie vor allem Art. 26 IPBPR oder für die Gleichheit vor Gericht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR oder für die Gleichberechtigung der Ehegatten Art. 23 Abs. 4 IPBPR, verdrängen sie als Spezialregelung den Art. 2 Abs. 1 IPBPR.50
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b) Diskriminierungsverbot. Art. 14 EMRK schließt jede sachlich ungerechtfertigte Benachteiligung („without discrimination on any ground“ / „sans distinction aucune“) bei der Ausübung der von den Konventionen garantierten Freiheiten und Rechte aus, wobei Gesichtspunkte, die für sich allein eine solche Benachteiligung nicht rechtfertigen, als Beispiele angeführt werden:51 Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politische oder sonstige Anschauungen, nationale oder soziale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt oder ein sonstiger Status. Konventionswidrig ist damit – wie der auch in anderen internationalen Verträgen (Rn. 12 f.) verwendete Diskriminierungsbegriff des englischen Wortlauts zeigt 52 – nicht schon jede unterschiedliche Behandlung, sondern nur eine solche, durch die Sachverhalte, die in den für die Regelung wesentlichen Umständen gleich gelagert sind, oder Personen in vergleichbarer Lage ungleich behandelt werden, ohne dass ein am Regelungszweck gemessener, ausreichend gewichtiger objektiver und vernünftiger Grund 53 dies rechtfertigt. So etwa, wenn die unterschiedliche Behandlung willkürlich ist oder wenn mit ihr kein legitimes Ziel verfolgt wird oder aber, wenn zwischen dem erstrebten Ziel und den Auswirkungen
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Nowak Art. 3, 7; HRC Aumeeruddy-Cziffra u.a./Mauritius, 9.4.1981, 35/1978, EuGRZ 1981 391. Nowak Art. 3, 10, mit Nachw. zum Streitstand. So auch Nowak Art. 3, 12. Nowak 16. Frowein/Peukert 25; Guradze 1; Partsch 91; a.A. Schorn 2. Guradze 4; Partsch 92; Tomuschat FS Schlochauer 691, 712, unter Hinweis auf den vor allem im Völkerrecht entwickelten Begriff „discrimination“, der eine willkürliche Behandlung nach sachfremden Unter-
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scheidungsmerkmalen meint. Vgl. ferner EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); dazu Khol ZaöRV 30 (1970) 263; Frowein/Peukert 17; Meyer-Ladewig 8. EGMR Lithgow u.a./UK, 8.7.1986, A 102 = EuGRZ 1988 350; Moustaquim/B (Fn. 15); Gaygusuz/A (Fn. 3); Okpisz/D, 25.10.2005, NVwZ 2006 917; S.H. u.a./A, 1.4.2010, RdM 2010 85 zum Verbot einer Eizellenund Spermienspende für eine in vitro Befruchtung; Frowein/Peukert 19 f.; Grabenwarter § 26, 6; Meyer-Ladewig 8; Khol ZaöRV 30 (1970) 263, 289; Partsch 93.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
der eingesetzten Mittel auf die Betroffenen kein angemessenes Verhältnis besteht.54 Dabei ist unerheblich, ob der Staat durch aktives Tun oder aber durch Unterlassen gebotener Gleichstellungsmaßnahmen für eine bestehende Diskriminierung verantwortlich ist.55 Auch bei Art. 2 Abs. 1 IPBPR wird, ungeachtet des Wortlauts der englischen Fassung 22 („distinction“, statt „discrimination“), nur die sachwidrige, nicht durch vernünftige, objektive Gründe zu rechtfertigende oder unverhältnismäßige Ungleichbehandlung verboten.56 Als Beispiele für Merkmale einer unzulässigen Diskriminierung werden weitgehend die gleichen Gesichtspunkte aufgezählt wie bei Art. 14 EMRK. Lediglich die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit fehlt.57 Dies ist jedoch ohne sachliche Bedeutung, da die Aufzählung auch hier nur beispielhaft ist, und jede Differenzierung verbietet, die nicht durch einen zureichenden objektiven Grund gerechtfertigt wird.58 Neben der direkten Diskriminierung ist inzwischen auch die Möglichkeit einer in- 23 direkten, d.h. faktischen Diskriminierung anerkannt.59 Dafür ist erforderlich, dass sich eine einzelne Maßnahme in unverhältnismäßiger Weise auf einen bestimmten Personenkreis nachteilig auswirkt. Aufgrund des Umstandes, dass es den Betroffenen in der Regel schwer fällt, eine indirekte Diskriminierung zu beweisen, wurde die Darlegungslast vor dem EGMR zugunsten der beschwerdeführenden Partei gelockert. Infolgedessen genügt es, dass die Betroffenen eine ihre Ansicht untermauernde, verlässliche und aussagekräftige Statistik vorlegen,60 um den Übergang der Darlegungslast auf den betroffenen Staat zu bewirken, der daraufhin darlegen muss, dass keine unterschiedliche Behandlung von Personen in vergleichbarer Lage besteht oder sich, sofern sie denn vorliegt, rechtfertigen lässt. Dabei gibt es für den Beweis des ersten Anscheins weder eine verfahrensrechtliche Beschränkung der Zulässigkeit von Beweismitteln noch festgelegte Regeln für die Beweiswürdigung. Auch kann die Beweislast in Abweichung von dem Grundsatz affirmanti incumbit probatio der Behörde obliegen, sofern ausschließlich ihr die fraglichen Umstände bekannt sind.61 Die Gründe, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, zählen die Konven- 24 tionen nicht auf. Die Staaten haben bei der Frage, ob und in welchem Ausmaß gewisse Umstände bei einer im übrigen gleichen Lage eine unterschiedliche rechtliche Behandlung gestatten oder sogar erfordern, einen Beurteilungs- und Regelungsspielraum.62 Dieser ist nach Umständen, Gegenstand, Hintergrund und Auswirkungen der jeweiligen Regelung unterschiedlich weit.63 Maßgebend ist, ob im Einzelfall die Gründe für die Differenzie-
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EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Marckx/B (Fn. 34); Rasmussen/DK (Fn. 42); Abdulaziz u.a./UK (Fn. 37); Frowein/Peukert 17; MeyerLadewig 9. Frowein/Peukert 2. Nowak 32, 33; Zur negativen Umschreibung in der Entstehungsgeschichte „arbitrary“, „unfair and unreasonable treatment“ vgl. Tomuschat FS Schlochauer 691, 712. Vgl. Art. 27 IPBPR und Rn. 62. Nowak 34. Vgl. etwa EGMR D.H. u.a./CZ (Roma von Ostrava), 13.11.2007, EuGRZ 2009 81 = NVwZ 2008 533; Zarb Adami/MLT, 20.6.2006, ECHR 2006-VIII (Berufung zum
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Geschworenen); Hugh Jordan/UK, 6.1.2005; Sampanis u.a./GR, 5.6.2008. EGMR Hoogendijk/NL (E), 6.1.2005; D.H. u.a./CZ (Fn. 59). EGMR Salman/TR, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = NJW 2001 2001; Angelova u. Iliev/BUL, 26.7.2007. EGMR Jahn u.a./D, 30.6.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2005 2907 = NJ 2005 513. Vgl. etwa EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); Belg. Polizeigewerkschaft/B (Fn. 37); Schwed. Lokomotivführer/S, 6.2.1976, A 20 = EuGRZ 1976 62; Engel u.a./NL, 8.6.1976, EuGRZ 1976 221; IR/UK (Fn. 11); Times Newspaper Ltd. u.a./UK (Fn. 41);
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rung so gewichtig sind, dass sie diese rechtfertigen.64 Der Regelungsspielraum verengt sich dort, wo, wie bei der Herstellung der Gleichberechtigung der Geschlechter, das von allen Mitgliedstaaten mit den Differenzierungsverboten erstrebte Ziel der Gleichbehandlung gefährdet ist. Auch Unterscheidungen, die an die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht oder an die sexuelle Orientierung anknüpfen, bedürfen zu ihrer Rechtfertigung besonders schwerwiegender oder sogar zwingender Gründe.65 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft kann für sich allein die Versagung der Übertragung der elterlichen Gewalt auf die Mutter nicht rechtfertigen.66 Gleiches gilt für die unterschiedliche Behandlung der ehelichen oder un-/nichtehelichen Kinder bezüglich ihrer Verwandtschaftsverhältnisse67 oder für unterschiedliche Regelungen, die ohne sonst rechtfertigende Gründe allein auf die Staatsangehörigkeit abstellen.68 Die Gründe für eine zulässige unterschiedliche Behandlung hängen von den jeweiligen 25 sachlichen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten, vom Zweck der damit verfolgten Differenzierung und von der Verhältnismäßigkeit der mit der Differenzierung verbundenen Wirkung69 ab. Bei der Beurteilung des Regelungsspielraums der einzelnen Staaten wird unterschieden, ob sich in dem jeweiligen Sachbereich ein europäischer Standard entwickelt hat, so dass die Berufung auf überkommene Traditionen zurücktreten muss, oder in den einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin unterschiedliche Auffassungen bestehen. Dann fallen auch die zeit- und umständebezogenen Wertvorstellungen in den einzelnen Vertragsstaaten mit ins Gewicht,70 die vor allem zu unterschiedlichen Bewertungen bei einer Differenzierung führen können. Der EGMR erkennt dann wegen der Sachnähe den nationalen Stellen einen größeren Beurteilungsspielraum zu.71
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Rasmussen/DK (Fn. 42); Lithgow u.a./UK (Fn. 53); Stubbings u.a./UK, 22.10.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1997 436 (unterschiedliche Verjährungsfristen für vorsätzliche und fahrlässige Taten); Olbertz/D (Fn. 41); Lederer/D, 22.5.2006, ECHR 2006-VI = NJW 2007 3049 = BRAK-Mitt. 2007 216 (Hochschullehrer können als Beamte auf Lebenszeit nicht als Rechtsanwalt tätig sein); Frowein/ Peukert 10; Grabenwarter § 26, 8, 9; Meyer-Ladewig 9. Vgl. EGMR Carson u.a./UK, 16.3.2010, EuGRZ 1983 410 (sachlich gerechtfertigt, dass nur Haushaltsvorstände für die Ausfüllung des Erhebungsbogens bei Volkszählung verantwortlich sind). Grabenwarter § 26, 8 weist darauf hin, dass die Beurteilung der Vergleichbarkeit eines Sachverhalts und der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung sich mitunter überschneiden; er sieht in der Verhältnismäßigkeit des mit der Differenzierung angestrebten Ziels zu den eingesetzten Mitteln letztlich die Rechtfertigung der Differenzierung. Etwa EGMR Schuler-Zgraggen/CH, 24.6.1993, A 263 = EuGRZ 1996 604 = ÖJZ 1994 138; Burghartz/CH (Fn. 34); Schmidt/D (Fn. 4); van Raalte/NL (Fn. 36); Smith u. Grady/UK, 27.9.1999, ECHR 1999-VI =
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NJW 2000 2089 = ÖJZ 2000 614; Karner/A (Fn. 29);Kozak/PL, 2.3.2010; Grabenwarter § 26, 10; Meyer-Ladewig 12. EGMR Hoffmann/A (Fn. 34); Grabenwarter § 26, 13. Vgl. etwa EGMR Marckx/B (Fn. 34); Inze/A (Fn. 29); Meyer-Ladewig 30 ff. m.w.N.; zur grundsätzlichen Gleichbehandlung der Väter aus geschiedenen Ehen und der natürlichen Väter beim Umgangsrecht mit ihren Kindern vgl. EGMR Sommerfeld/D, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII = EuGRZ 2004 711 = FamRZ 2004 337; ferner die Frage offenlassend EGMR Elsholz/D, 13.7.2000, ECHR 2000VIII = NJW 2001 2315 = EuGRZ 2001 595 = ÖJZ 2002 71 = FamRZ 2001 341 = ZfJ 2001 106; vgl. auch bei Art. 8 EMRK Rn. 116, oder HRC Karel Des Fours Walderode/CZ, 2.11.2001, NJW 2002 353 (Rückgabe entzogenen Eigentums nur an Staatsbürger). Etwa EGMR Gaygusuz/A (Fn. 3). Vgl. Grabenwarter § 26, 9. EGMR Rasmussen/DK (Fn. 42); Stec u.a./ UK, 12.4.2006, ECHR 2006-VI; Frowein/ Peukert 23, 24; Khol ZaöRV 30 (1970) 263, 282. EGMR S.H. u.a./A (Fn. 53); Grabenwarter § 26, 12; Meyer-Ladewig 11 f. m.w.N.
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Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Übergreifende Anhaltspunkte für die Beurteilung der sachlichen Berechtigung und 26 Angemessenheit von Differenzierungen bleiben aber immer die Ziele der Konventionen, wie sie in den Präambeln und in dem durch die einzelnen Garantien festgeschriebenen Gesamtsystem der Wertordnung der Vertragsgemeinschaft zum Ausdruck kommen.72 Die Gründe, unter denen die Konventionsgarantien den Eingriff in ein von ihnen grundsätzlich geschütztes Recht zulassen, rechtfertigen in der Regel auch die darin liegende Differenzierung73 gegenüber dem nicht von dieser Einschränkung erfassten Genuss dieses Rechts.74 Die Befugnis zur Differenzierung im Bereich eines Konventionsrechts hängt aber nicht davon ab, dass einer dieser Eingriffsgründe vorliegt. Die Zuerkennung eines Beurteilungsspielraums der einzelnen Staaten schließt nicht aus, dass sich der EGMR die letzte Entscheidung vorbehält, ob die im Einzelfall vorgetragenen Sachgründe so gewichtig sind, dass sie eine Differenzierung rechtfertigen.75 Die Beispiele unzulässiger Differenzierungsgesichtspunkte in beiden Konventionen 27 bestätigen zwar, dass die in Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR erwähnten Gesichtspunkte in der Regel für sich allein eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen vermögen.76 Sie schließen diese aber nicht zwingend aus. Hält der Staat unterschiedliche Regelungen in ihrem Bereich für erforderlich, muss er aufzeigen, dass ein vernünftiger sachlicher Zweck von Gewicht diese erfordert.77 Dies gilt verstärkt für das spezielle Gleichbehandlungsgebot von Mann und Frau in Art. 3 IPBPR;78 jedoch wurden auch hier sachbezogene Differenzierungen nicht völlig ausgeschlossen.79 c) Beispiele für Diskriminierung. Der EGMR hat eine unzulässige Diskriminierung 28 darin gesehen, dass unverheiratete Männer über 45 Jahre, nicht aber unverheiratete Frauen im gleichen Alter zu Sozialabgaben nach einem allgemeinen Kinderhilfegesetz herangezogen wurden80 oder dass einer Frau wegen ihrer Mutterschaft die Weiterzahlung ihrer Invalidenrente mit der Begründung verweigert wurde, dass Frauen üblicherweise nach der Geburt eines Kindes ihre Berufstätigkeit einstellen.81 Eine unzulässige Differenzierung wurde ferner darin gesehen, dass einem Witwer Witwengeld und Unterstützung für die Kinder versagt wurde, weil dies nur den Witwen zustehe,82 sowie in der Verpflichtung von Frauen, den Namen des Ehemannes zu führen83 und in der Ungleichbehandlung von Mann und Frau bei der Möglichkeit, den eigenen Nachnamen mit dem Familiennamen zu verbinden.84 Die das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK) berührende 72
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Vgl. etwa HRC Danning/NL, 9.4.1987, 180/1984, EuGRZ 1989 39 (unterschiedliche Rechtsstellung zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren im niederl. Versicherungsrecht). Etwa EGMR Rekvényi/H, 20.5.1999, ECHR 1999-III = ÖJZ 2000 235 = NVwZ 2000 421; Cha’are Shalom Ve Tsedek/F (Fn. 33); Meyer-Ladewig 22. Vgl. Frowein/Peukert 5 ff. EGMR Abdulaziz u.a./UK (Fn. 37); Inze/A (Fn. 29); dazu Frowein/Peukert 6, 48. Guradze 3 (Vermutung der Sachfremdheit einer auf sie gestützten Differenzierung). Frowein/Peukert 25; Grabenwarter § 26, 4; Meyer-Ladewig 9. Vgl. EGMR Burghartz/CH (Fn. 34; Unterschiedliche Doppelnamen nach Ehe).
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Vgl. EGMR Schmidt/D (Fn. 4; Feuerwehrabgabe statt Dienstpflicht bei Feuerwehr, aber keine Differenzierung nach Geschlechtern, wenn Ausgleichscharakter entfallen ist). EGMR van Raalte/NL (Fn. 36); vgl. ferner EGMR Schmidt/D (Fn. 4); dazu Meyer-Ladewig 13. EGMR Schuler-Zgraggen/CH (Fn. 65); Frowein/Peukert 29; Villiger 667. EGMR Willis/UK (Fn. 36; Witwenbeihilfe für Witwer). EGMR Ünal Tekeli/TRK, 16.11.2004, ECHR 2004-X = FamRZ 2005 427. EGMR Burghartz/CH (Fn. 34); Meyer-Ladewig 17.
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Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Regelung der Einwanderung verstieß gegen Art. 14 EMRK.85 Gleiches wurde auch bei der Ungleichbehandlung ehelicher und un-/nichtehelicher Kinder bei der Erbfolge86 oder bei der Anwartschaft auf Hofübernahme nach einem Erbhöfegesetz angenommen.87 Ob der Gesetzgeber mit dem ehemaligen § 1711 Abs. 2 BGB das Umgangsrecht des 29 Vaters mit dem unehelichen Kind anders regeln durfte als bei einem Vater nach einer geschiedenen Ehe, hat der EGMR offen gelassen.88 Spätere Entscheidungen beanstandeten jedoch die Ungleichbehandlung der Väter.89 Die Regelung des § 1626a BGB, wonach der Mutter die elterliche Sorge unehelicher Kinder obliegt und der Vater zum gemeinsamen Sorgerecht der Zustimmung der Mutter bedarf, kann im Einzelfall gegen Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstoßen.90 Ein Verstoß gegen Art. 14 EMRK wurde auch darin gesehen, dass – anders als bei 30 Eheleuten – einer Person, die in einer homosexuellen Beziehung gelebt hatte, nach dem Tod ihres Partners der Eintritt in das Mietverhältnis versagt wurde.91 Gegen Art. 14 EMRK verstieß auch, dass einem berechtigt im Inland lebenden Ausländer allein wegen der fehlenden Staatsangehörigkeit Unterstützungszahlungen aus der Arbeitslosenversicherung verweigert wurden.92 Eine nach Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 9 EMRK unzulässige Diskriminierung lag ferner darin, dass einer Mutter die elterliche Gewalt nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht übertragen wurde,93 oder dass eine Reduktion der Kirchensteuer nur verweigert wurde, weil der Betroffene nicht im Inland wohnte.94 Gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK 31 verstieß ferner, dass einer kirchlichen Gruppierung mangels Rechtspersönlichkeit der Zugang zu Gericht versagt wurde, während dies anderen religiösen Gruppen ohne besondere Formalitäten möglich war,95 oder dass aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit des Angeklagten ein Urteil nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.96 85 86
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EGMR Abdulaziz u.a./UK (Fn. 37); Frowein/ Peukert 28. EGMR Marckx/B (Fn. 34); Brauer/D, 28.5.2009, FamRZ 2009 1293 (Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die vor dem 1.7.1949 geboren wurden); zu den Problemen bei der Befolgung (Art. 46 Abs. 1 EMRK) bzw. Berücksichtigung (dazu Teil II Rn. 136) dieser Judikatur: Frowein/Peukert 12; MeyerLadewig 19. Vgl. auch EGMR Pla u. Puncernau/AND, 13.7.2004, ECHR 2004-VIII = NJW 2005 875 (erbrechtliche Diskriminierung eines adoptierten Kindes infolge richterlicher Auslegung einer Testamentsklausel); siehe EGMR Merger u. Cros/F, 22.12.2004 (Anspruchslage eines unehelichen Kindes im Zuge des Erbfalls eines Elternteils). EGMR Inze/A (Fn. 29); Frowein/Peukert 6, 49. EGMR Elsholz/D (Fn. 67). EGMR Sommerfeld/D (Fn. 67); Sahin/D, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII = EuGRZ 2004 707 = FamRZ 2004 337; Paulik/SLO,
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10.10.2006, ECHR 2006-XI; vgl. Goedecke JIR 46 (2003) 606, 625, 630. EGMR Zaunegger/D, 3.12.2009 = EuGRZ 2010 25 = NJW 2010 511 = ÖJZ 2010 138; hierzu BVerfG 3.8.2010 – 1 BvR 420/09; zur Rechtslage in Österreich: Sporer/A, 3.2.2011, §§ 55 ff. = ÖJZ 2011 525. EGMR Karner/A (Fn. 29); Kozak/PL (Fn. 65). EGMR Gaygusuz/A (Fn. 3); dazu kritisch Hailbronner JZ 1997 397, auch zur Frage, ob hier der Eigentumsschutz des Art. 1 ZP-EMRK als verletztes Konventionsrecht greift; Meyer-Ladewig 18. EGMR Hoffmann/A (Fn. 34): Zeugen Jehovas; Grabenwarter § 26, 13. EGMR Darby/S (Fn. 35); Grabenwarter § 26, 14; Meyer-Ladewig 18. EGMR Katholische Kirche von Chania/GR, 16.12.1997, Rep. 1997-VIII = ÖJZ 1998 750; Sâmbata Bihor Greek Catholic Parish/RUM, 12.1.2010. EGMR Paraskeva/BUL, 25.3.2010.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Gegen Art. 14 EMRK verstieß auch eine Regelung des Jagdrechts, die Eigentümer 32 kleinerer Grundstücke benachteiligt.97 Wegen unzulässiger Diskriminierungen im Bereich der Eigentumsgarantie vgl. bei Art. 1 ZP-EMRK, Rn. 30). Wiederholt stellte der EGMR einen Verstoß gegen Art. 14 EMRK bei der Durchfüh- 33 rung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens fest, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung aufgrund der Rasse.98 d) Gerechtfertigte und angemessene Ungleichbehandlung. Eine in der Natur der 34 Sache liegende oder aus übergeordneten Gesichtspunkten angezeigte Unterscheidung schließen auch die nur als Anzeichen für eine konventionswidrige Diskriminierung aufgeführten Merkmale nicht aus. Dies gilt nicht nur für die als Sonderfall in Art. 16 EMRK ausdrücklich geregelte Einschränkung der politischen Betätigung der Ausländer, sondern allgemein. Voraussetzung für jede Ungleichbehandlung ist aber, dass ein sie rechtfertigender Grund einsichtig ist und dass das mit ihm verfolgte Ziel und die dafür eingesetzten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu der Ungleichbehandlung stehen.99 Eine nur für Ehemänner bestehende Ausschlussfrist für die Ehelichkeitsanfechtungs- 35 klage ist als gerechtfertigt anzusehen, wenn dies der Rechtssicherheit und dem Interesse des Kindes dient.100 Als sachlich gerechtfertigt können auch unterschiedliche Haftbedingungen für weibliche und männliche Häftlinge anzusehen sein101 oder eine ungleiche Behandlung der Kinder, die wegen einer (zulässigen) anonymen Geburt keine Auskunft darüber erhalten, wer ihre natürlichen Eltern sind, gegenüber anderen Kindern; dies gilt auch im Hinblick auf ein Erbrecht.102 Die Schlechterstellung der eigenen Staatsbürger gegenüber den vom Völkerrecht 36 geschützten Ausländern hat der EGMR bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung für zulässig gehalten.103 Bei der Zulassung der Einreise darf der Staat aus sachlichen, nicht aber aus rassistischen Gründen die Angehörigen bestimmter Länder bevorzugen.104 Die Nichtzulassung von (Nicht-EU-)Ausländern zum Anwaltsberuf verstößt ebenfalls nicht gegen das Diskriminierungsverbot.105 Weitere Beispiele sind etwa der Minderheitenschutz (Art. 27 IPBPR) oder die Anwendung des Territorialprinzips bei der Festsetzung der Amts- und Gerichtssprache in mehrsprachigen Staaten.106
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EGMR Chassagnou u.a./F (Fn. 45). EGMR Nachova u.a./BUL, 6.7.2005, ECHR 2005-VII = EuGRZ 2005 693; Bekos u. Koutropoulos/GR, 13.12.2005, ECHR 2005-XIII; Secic/KRO, 31.5.2007, ECHR 2007-VI; Angelova u. Iliev/BUL (Fn. 61); Cobzaru/RUM, 26.7.2007; Stocia/RUM, 4.3.2008. Frowein/Peukert 23, unter Hinweis auf EGMR James u.a./UK, 21.2.1986, A 98 = EuGRZ 1988 341; Meyer-Ladewig 9. EGMR Rasmussen/DK (Fn. 42); Kroon u.a./NL (Fn. 44), beschränkte sich auf die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 8 EMRK; vgl. Frowein/Peukert 24, 27. EMRK nach Frowein/Peukert 33. EGMR Odièvre/F, 13.2.2003, ECHR 2003-III = NJW 2003 2145 = EuGRZ 2003 584 = ÖJZ 2005 34 (mit Hinweis, dass
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diese Kinder bei ihren Adoptiveltern erbberechtigt sind). EGMR James u.a./UK (Fn. 99); Lithgow u.a./UK (Fn. 53); zur Streitfrage vgl. Art. 1 ZP-EMRK Rn. 31 f. EGMR Moustaquim/B (Fn. 15); Frowein/ Peukert 45 m.w.N. aus der Spruchpraxis des EGMR; Meyer-Ladewig 29. EGMR Bigaeva/GR, 28.5.2009. EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3); dazu auch: Frowein/Peukert 10, 38; EuGH Rs. C-274/96 (Bickel u. Franz), 24.11.1998, Slg. 1998, I-7637 = EuZW 1999 82 (Gerichtssprache); BGer EuGRZ 1981 221 (Festlegung der Gerichtssprache durch Kantone); vgl. zum Schutz der Minderheitensprache auch ÖVerfGH 28.6.1983, EuGRZ 1984 19 mit Anm. Stadler; Guradze JIR 14 (1971) 261; Art. 6 EMRK Rn. 828; ferner Nowak Art. 2, 39.
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Die unterschiedliche Regelung des Kündigungs- und Räumungsschutzes bei Wohnungen und bei anderen, insbesondere gewerblich genutzten Immobilien hat der EGMR als objektiv gerechtfertigt angesehen zum Schutz der Mieter während eines ernstlichen Wohnungsmangels.107 Wegen weiterer Einzelheiten vgl. die Erläuterungen zu den einzelnen Konventionsgarantien.108
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e) Verpflichtete. Sowohl vom Gesetzgeber als auch von allen staatlichen Stellen beim Gesetzesvollzug ist das Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Ausübung der Konventionsrechte in Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR zu beachten.109 Dabei kann auch eine sachlich unberechtigte Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte die Verpflichtung zur sachbezogenen Differenzierung verletzen. So dürfen Personen bei Bestehen wesentlicher Wertungsunterschiede nicht gleichbehandelt werden.110 Dies schließt aber innerhalb gewisser Grenzen eine Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers bei Massenvorgängen (Steuern, Sozialabgaben) nicht aus.111
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f) Terrorismus. Im Zuge der Bekämpfung des Terrorismus beschlossen einzelne Mitgliedstaaten innerstaatliche Maßnahmen, die mit Art. 14 EMRK und weiteren Konventionsgarantien in Konflikt standen. So verstieß der vom englischen Gesetzgeber auf den Weg gebrachte Anti Terrorism, Crime and Security Act 2001, der den Innenminister dazu ermächtigte, Ausländer, die der Verstrickung in den internationalen Terrorismus verdächtigt wurden, auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren, gegen die durch den Human Rights Act 1998 in das englische Recht inkorporierten Art. 14 i.V.m. Art. 5 EMRK.112
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3. Allgemeine Garantie der Gleichheit (Art. 26 IPBPR). Als selbständiges Recht, das – anders als die Garantien des Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1, Art. 3 IPBPR – nicht akzessorisch an den Anwendungsbereich einer anderen Konventionsgarantie gebunden ist,113 garantiert Art. 26 IPBPR die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz und den Anspruch aller Menschen auf gleichen Schutz durch das Gesetz ohne jede Diskriminierung.114 Damit wird eine allgemeine Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers zur Gleichbehandlung über den von Art. 14 EMRK / Art. 2 Abs. 1 IPBPR umfassten Bereich der Konventionsrechte hinaus begründet. Die Staaten werden verpflichtet, auch dort, wo es nicht um die Umsetzung von Konventionsrechten geht, jede sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung zu unterlassen.115 Eine unmittelbare Drittwirkung kommt der Garantie des Art. 26 IPBPR aber auch dort nicht zu, wo sie in das nationale Recht inkorporiert ist.116
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EGMR Spadea u. Scalabrino/I, 28.9.1995, A 315-B = ÖJZ 1996 189. Ferner auch Frowein/Peukert 25 ff.; Grabenwarter § 26, 4 ff.; Meyer-Ladewig 4 ff.; Nowak 35 ff. Nowak 33; Tomuschat FS Schlochauer 691, 694. Vgl. EGMR Thlimmenos/GR (Fn. 35); Pretty/UK, 29.4.2002, ECHR 2002-III = NJW 2002 2851 = EuGRZ 2002 234 = ÖJZ 2003 311; Grabenwarter § 26, 5; MeyerLadewig 15. Vgl. Etwa BVerfGE 63 119, 128. Vgl. etwa Grote in: Graulich/Simon (Hrsg.), Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit (2007), 228.
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Guradze JIR 14 (1971) 261; Nowak 12. Nowak 12 ff. So auch das am 1.4.2005 in Kraft getretene 12. ZP-EMRK; vgl. Rn. 45 ff. Grabenwarter § 26, 17 (im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des 12. ZP-EMRK); Nowak 19 ff. Da fast alle EU-Staaten den IPBPR ratifiziert haben, stellt sich aber schon jetzt die Frage, ob der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 26 IPBPR nicht bereits inhaltlich zu den allgemeinen Grundsätzen der Union gehört; vgl. Kischel EuGRZ 1997 1. Tomuschat FS Schlochauer 691, 696; Grabenwarter § 26, 18 hält es trotz der offiziellen Erläuterungen zum 12. ZP-EMRK für
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Gleichheit vor dem Gesetz verlangt die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Perso- 41 nen bei Anwendung des Gesetzes. Als besonders wichtiger Unterfall wird die Gleichheit aller Menschen vor Gericht in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR noch besonders garantiert. Als formaler Grundsatz betrifft die Gleichheit vor dem Gesetz die Gesetzesanwendung durch Gerichte und Behörden. Sie schließt nicht aus, dass individuelle Merkmale und persönliche Eigenschaften eines Menschen bei der Gesetzesanwendung eine Rolle spielen, wie etwa bei Beurteilung der Eignung zur Führung eines Kraftfahrzeugs oder zum Betrieb eines Gewerbes oder die Persönlichkeitsstruktur bei Bemessung einer Strafe oder der Beurteilung der Haftgründe für die Untersuchungshaft. Gleichbehandlung erfordert aber, dass dies in dem vom Gesetz vorgezeichneten Rahmen nach gleichen Gesichtspunkten geschieht. Vor allem wird jede Willkür bei Anwendung des Gesetzes ausgeschlossen.117 Ob sich der gleiche Schutz durch das Gesetz nur auf die Gesetzesanwendung bezieht, 42 also den ersten Halbsatz nur in einem für seine Verwirklichung wichtigen Gesichtspunkt bekräftigt,118 oder ob er jede Diskriminierung durch die nationale Rechtssetzung auch über Art. 2 Abs. 1 IPBPR hinaus allgemein verbietet,119 ist nicht zuletzt wegen der wenig erhellenden Anbindung des Diskriminierungsverbotes des Satzes 2 („in this respect“ / „a cet égard“) und der auch sonst unklaren Entstehungsgeschichte strittig.120 Folgt man der weiten Auslegung, welche in Art. 26 IPBPR eine über die anderen Konventionsgarantien hinausreichende Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers zum Unterlassen diskriminierender Regelungen sieht,121 dann ist der nationale Gesetzgeber ähnlich wie durch Art. 3 GG gehalten, allgemein im nationalen Recht für die materielle Gleichheit der Rechte und Pflichten zu sorgen. Er hat jede unterschiedliche Behandlung aus nicht sachbezogenen Gründen zu unterlassen (negatorisches Diskriminierungsverbot). Er darf deshalb auch die Rückgabe früher generell konfiszierten Eigentums nicht vom Erwerb der eigenen Staatsbürgerschaft abhängig machen.122 Die Schutzpflicht des Staates erfordert auch, dass er durch hinreichend genaue Fassung seiner Rechtsvorschriften eine tragfähige objektive Grundlage für die Gleichbehandlung bei der Rechtsanwendung und den Ausschluss von Willkür schafft, und dass er auch sonst durch positive Maßnahmen zumindest im öffentlichen Bereich für einen gleichen und wirksamen Schutz gegen Diskriminierung sorgt.123 Dies rechtfertigt sogar zeitlich begrenzt bevorzugende Sondermaßnahmen124 zugunsten von Personen, die Opfer einer früheren und noch fortwirkenden Dis-
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zweifelhaft, ob der EGMR angesichts seiner Rechtsprechung zu den positiven Pflichten dieser Auffassung beitreten wird. Nowak 15. Tomuschat FS Schlochauer 691, 705; dagegen Nowak 16. Vgl. Teil I Nr. 5.9 des Kopenhagener KSZEDokuments (Fn. 24): Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In diesem Zusammenhang wird das Gesetz jede Diskriminierung untersagen und jedermann gleichen und wirkungsvollen Schutz gegen Diskriminierung gleich welcher Art angedeihen lassen. Dazu Nowak 8 ff., 16 ff.; andererseits Hofmann 52; Tomuschat FS Schlochauer 691, 702 ff.
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HRC Danning/NL, 9.4.1987, 180/1984, EuGRZ 1989 35 mit krit. Anm. Tomuschat; Nowak 17 f. HRC Dr. Karel Des Fours Walderode/CZ (Fn. 67). Nowak 28 ff. Zur Entstehungsgeschichte des Satzes 2 vgl. Nowak 8 ff., 27. Zur sog. „affirmative action“ vgl. auch die Präambel des 12. ZP-EMRK; danach sind auch gezielt nur einzelne Gruppen betreffende Maßnahmen „zur Förderung der vollen und wirklichen Gleichheit“ zulässig, „soweit diese Maßnahmen objektiv und vernünftig und gerechtfertigt sind“, wie etwa eine „Frauenquote“ oder Maßnahmen zugunsten von Minderheiten. Im Unionsrecht lässt Art. 157 Abs. 4 AEUV im Berufsleben „Vergünstigungen für das unterrepäsentierte
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kriminierung waren.125 Ob Satz 2 den Staat dagegen verpflichtet, über das Verhältnis Staat/Einzelperson hinaus im quasi-öffentlichen Bereich Diskriminierungen durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken,126 erscheint fraglich.127 Wollte man dies annehmen, müsste man den Staaten hier einen weiten Beurteilungsspielraum für die Notwendigkeit positiver Schutzmaßnahmen zubilligen.128 Auf den Privatbereich, den Bereich persönlicher Entscheidungen, erstreckt sich, wie die Entstehungsgeschichte zeigt, eine solche Schutzpflicht des Staates nicht.129 Wie bei Art. 3 GG bedeutet Gleichheit, dass sachlich Gleiches gleich, aber auch, dass 43 sachlich Verschiedenes ungleich zu behandeln ist, wobei die sachliche Gleichheit immer nach dem Ausmaß der Übereinstimmung bei den für die sachgerechte Regelung des jeweiligen Lebenssachverhalts maßgebenden Kriterien zu beurteilen ist, nicht aber nach den dafür irrelevanten Fakten. Sowohl die Gleich- als auch die Ungleichbehandlung müssen durch einen vernünftigen, aus der Natur der Sache sich ergebenden oder sonst einleuchtenden rationalen Grund gerechtfertigt sein (vgl. Rn. 24 f.). Art. 26 IPBPR verbietet aber nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur die Diskri44 minierung im bereits oben (Rn. 21 ff.) erörterten Sinn: also eine Differenzierung der Rechte oder Pflichten, die durch keinen (zulässigen) sachlichen Grund gerechtfertigt wird und die (objektiv) als willkürlich erscheint. Dies gilt auch für die Anforderungen an den staatlichen Schutz der Gleichbehandlung in Satz 2 und die dort aufgestellten, mit der Aufzählung in Art. 2 Abs. 1 IPBPR inhaltsgleichen Beispiele unzulässiger Unterscheidungskriterien (Rn. 22 ff.). Diese können für sich allein keine Differenzierung rechtfertigen. Dies schließt aber bei Vorliegen triftiger sachlicher Gesichtspunkte nicht aus, dass sie als Gründe für eine sachbezogene Differenzierung mit herangezogen werden. Eine Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlung kann sich im Übrigen auch aus der Konvention ergeben, etwa aus der Beschränkung der politischen Rechte auf die Staatsbürger in Art. 25 IPBPR, aus Art. 16 EMRK 130 oder aus dem Verbot des Eintretens für nationalen, rassischen oder religiösen Hass in Art. 20 IPBPR.
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4. Allgemeines Diskriminierungsverbot (12. ZP-EMRK). Das 2005 in Kraft getretene 12. ZP-EMRK sieht ebenfalls ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot vor. Das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK bezieht sich nur auf Fälle von Diskriminierung bei der Inanspruchnahme eines von der EMRK garantierten Rechts (vgl. Rn. 16). Das 12. ZP-EMRK hebt diese Beschränkung auf 131 und legt fest, dass niemand unter keinerlei Vorwand von einer öffentlichen Behörde diskriminiert werden darf. Seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es verschiedene Ansätze, einen 46 weitergehenden Schutz auf dem Gebiet der Gleichheit und der Diskriminierung zu schaffen. Das 12. ZP-EMRK wurde schließlich am 4.11.2000 den Mitgliedstaaten des Europa-
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Geschlecht“ ausdrücklich zu; auch Art. 23 Abs. 2 EUC sieht „die Beibehaltung oder Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht“ als mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar an. Zum aktiven Diskriminierungsschutz vgl. Nowak 29; ferner etwa Delbrück FS Schlochauer 247, 264. So Nowak 31 unter Bezugnahme auf HRC (Horizontalwirkung, die den Staat im quasiöffentlichen Bereich wie Arbeitsverhältnisse,
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Schulen, Verkehrsmittel, Hotels, Theater, Parks usw. verpflichten kann, manifeste Diskriminierungen zu unterbinden). Verneinend Hofmann 51 unter Hinweis auf die zunehmend vertretene Gegenmeinung. Nowak 31. Nowak 31; Tomuschat FS Schlochauer 691, 702, 710 ff. („to forbid private discrimination“, „lethal threat to private freedom“). Vgl. ferner Art. 16 EMRK Rn. 3 f. Meyer-Ladewig 3 ff.
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
rats zur Zeichnung aufgelegt. Vorausgegangen war ein langer Entstehungsprozess, an dem neben der Parlamentarischen Versammlung vor allem das Leitungskomitee für Menschenrechte (CDDH), die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI; Rn. 48)132 und das Leitungskomitee für Gleichheit zwischen Frauen und Männern (CDEG) maßgeblich beteiligt waren. Ausgangspunkt aller Überlegungen waren Art. 14 der EMRK sowie die vergleichbaren Regelungen in Art. 7 AEMR und Art. 26 IPBPR, die in Ermangelung eines unabhängigen Diskriminierungsverbots nur einen eingeschränkten Schutz vor Diskriminierung bieten. Art. 14 EMRK bezieht sich lediglich (akzessorisch) auf die in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten. Das CDEG arbeitete im Hinblick darauf, dass es bis dato keinen gesetzlich garantierten Schutz der Gleichheit zwischen Frauen und Männern in Form einer unabhängigen Rechtsnorm gab, an der Schaffung einer solchen Norm und der Aufnahme dieser Norm in die EMRK. 1994 wies das Ministerkomitee des Europarats das Leitungskomitee für Menschenrechte (CDDH) an, die Notwendigkeit und Durchführbarkeit dieses Entwurfs des CDEG zu prüfen. Gleichzeitig wurde auf Beschluss des ersten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats am 8./9.10.1993 in Wien die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) gegründet. Der Grund für diesen Beschluss lag in dem weltweit verstärkten Wiederaufleben von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und der Entstehung eines Klimas der Intoleranz. Die ECRI bekam zur Aufgabe, an der Verstärkung der gesetzlichen Garantien gegen jede Form der Diskriminierung zu arbeiten und bei Bedarf Vorschläge zur Verbesserung an das Ministerkomitee zu übermitteln. Ihre Arbeit mündete in der Empfehlung, den durch die EMRK gewährleisteten Schutz um ein Zusatzprotokoll, das eine Generalklausel gegen Diskriminierung aufgrund der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion sowie der nationalen und sozialen Herkunft enthält, zu erweitern. Im April 1996 wies das Ministerkomitee des Europarats das CDDH an, die Umsetzung dieses Vorschlages zu überprüfen. Im Oktober 1997 bestätigte das CDDH die Notwendigkeit und Durchführbarkeit eines Zusatzprotokolls, das die Gleichheit zwischen Frauen und Männern zum Inhalt hat, und empfahl dieses Protokoll auch als Mittel zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz. Das Ministerkomitee verabschiedet bei seinem 715. Treffen am 26.6.2000 nach Rücksprache mit dem EGMR und der Parlamentarischen Versammlung das 12. ZP-EMRK und den dazugehörigen Erläuternden Bericht (Explanatory Report). Bis November 2011 wurde das Protokoll von 37 der 47 Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnet.133 Nach der Ratifizierung durch den zehnten Mitgliedstaat trat das Protokoll am 1.4.2005 in Kraft. Deutschland unterschrieb das Protokoll am 4.11.2000, hat es aber bislang nicht ratifiziert (ebenso 18 weitere Staaten). Auf eine Anfrage der FDP im Deutschen Bundestag stellte die Bundesregierung fest,134 dass ihrer Ansicht nach eine Ratifizierung keine unmittelbaren Rechtsfolgen für die deutsche Rechtsordnung auslöse. Bedenken ergäben sich jedoch gegenüber einer möglichen Auslegungspraxis des Art. 1 des 12. ZP-EMRK. Dieser Artikel sieht vor, dass alle gesetzlich niedergelegten Rechte jedermann ohne Diskriminierung aufgrund seiner nationalen Herkunft zu gewähren sind. Diese Formulierung könnte dahingehend ausgelegt werden, dass Differen-
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Zur Arbeit der ECRI: Brummer Der Europarat (2008), 215 ff. Zum Ratifikationsstand: www.conventions. coe.int.
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Antwort der BReg v. 14.1.2009 (BTDrucks. 16 11603) auf die Kleine Anfrage der FDP v. 17.12.2008 (BTDrucks. 16 11469).
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zierungen nach der Staatsangehörigkeit, die in Deutschland verfassungskonform sowohl im Sozial- und Arbeitsgenehmigungsrecht als auch im Ausländer- und Asylrecht vorgenommen werden, nicht mehr zulässig wären. Auch das Verbot der Diskriminierung wegen eines sonstigen Status könnte so ausgelegt werden, dass etwa die statusrechtlichen Unterscheidungen im Recht des Öffentlichen Dienstes in Frage gestellt würden. Aus diesen Gründen hält es die Bundesregierung für wichtig zu beobachten, wie die weitere Entwicklung der Ratifikation durch andere Staaten verläuft und welche Haltung der EGMR in seiner künftigen Rechtsprechung einnimmt. Diese ist aufgrund des Umstandes, dass das Protokoll erst am 1.4.2005 in Kraft getreten ist und die Beschwerdeführer den Instanzenweg in ihrem Heimatland beschritten haben müssen, bevor sie Individualbeschwerde beim EGMR erheben können, noch sehr dürftig.135 Das 12. ZP-EMRK beinhaltet eine Präambel und insgesamt sechs Artikel. Die Präambel nimmt in ihrem ersten Abschnitt Bezug auf zwei grundlegende Prinzipien, zum einen auf das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz und zum anderen auf das Prinzip des gleichen Schutzes durch das Gesetz. Jedoch werden diese beiden Prinzipien weder in Art. 14 EMRK noch in Art. 1 des Protokolls explizit erwähnt. Allerdings besteht ein enger Zusammenhang zwischen diesen beiden oben genannten Prinzipien und dem Diskriminierungsverbot, denn sie beruhen auf dem gleichen Grundgedanken und bilden eine zusammengehörende Einheit.136 So nimmt auch der EGMR in seiner Rechtsprechung zu Art. 14 EMRK Bezug auf das Prinzip der Gleichbehandlung.137 Der dritte Abschnitt bekräftigt die Tatsache, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung die Vertragsstaaten nicht daran hindert, Maßnahmen zur Förderung der vollständigen und wirksamen Gleichberechtigung zu treffen, sofern es eine sachliche und angemessene Rechtfertigung für diese Maßnahmen gibt. Dabei gesteht der EGMR den nationalen Behörden eine dahingehende Einschätzungsprärogative zu, ob und in welchem Umfang eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist. Im Gegensatz zu anderen internationalen Bestimmungen sind die unterzeichnenden Staaten aber nicht verpflichtet, derartige Maßnahmen zu ergreifen. Der Schwerpunkt des 12. ZP-EMRK liegt auf Art. 1. Dieser besteht aus zwei Absätzen, die sich gegenseitig ergänzen.138 Absatz 1 legt fest, dass der Genuss eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten ist. Absatz 2 bestimmt, dass niemand von einer Behörde diskriminiert werden darf, insbesondere nicht aus einem der oben genannten Gründe. Der Diskriminierungsbegriff des Art. 1 des 12. ZP-EMRK und des Art. 14 EMRK stimmt sowohl im Wortlaut als auch in der Bedeutung überein. Eine unterschiedliche Bezeichnung, wie sie im französischen Text139 besteht, ist nicht gewollt. Die Aufzählung der Gründe, auf deren Grundlage eine Diskriminierung nicht gestattet ist, ist in Art. 1 des 12. ZP-EMRK und in Art. 14 EMRK identisch. Damit sollten unerwünschte Umkehrschlüsse bei der Auslegung der beiden Artikel vermieden werden.
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Erstes Verfahren des EGMR zum 12. ZP-EMRK: EGMR Sejdic u. Finci/BIH, 22.12.2009. Grabenwarter § 26, 17. Vergleiche EGMR Belg. Sprachenfall (Fn. 3).
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Grabenwarter § 26, 22. Art. 1 des 12. ZP-EMRK („sans discrimination aucune“); Art. 14 EMRK („sans distinction aucune“).
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Diskriminierungsverbot
Art. 2, 3, 16, 24, 26, 27 IPBPR
Zudem bestand das Bedürfnis nach einer weitergehenden Auflistung, um den veränderten Gegebenheiten seit dem abschließenden Entwurf des Art. 14 EMRK Rechnung zu tragen, bei der Formulierung des Artikels nicht, da die Aufzählung nicht abschließend ist.140 Im Vergleich zu Art. 14 EMRK gewährleistet Art. 1 des 12. ZP-EMRK einen weitergehenden Schutz, denn Art. 14 EMRK bezieht sich nur auf die in der Konvention anerkannten Rechte oder Freiheiten und verhält sich zu diesen akzessorisch, wohingegen Art. 1 des 12. ZP-EMRK – ähnlich wie Art. 3 GG – ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot vorsieht und die ganze nationale Rechtsordnung und Rechtsanwendung erfasst. Diese wird damit unter diesem Gesichtspunkt insgesamt der Kontrolle durch den EGMR unterworfen.141 Der sich daraus ergebende zusätzliche Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots ist insbesondere in der Ausübung eines auf der nationalen Ebene spezifisch garantierten Rechts eines Individuums, in der Ausübung eines Rechts, das sich aus der Pflicht einer unter nationalem Recht stehenden Behörde ableitet, in der Ausübung von Ermessen durch eine Behörde und in jedem sonstigen Tun oder Unterlassen einer Behörde relevant.142 Neben der negativen Verpflichtung nationaler Behörden, kein Individuum zu diskriminieren, ist der Umfang einer positiven Verpflichtung nationaler Behörden, Maßnahmen zu ergreifen, um Fälle möglicher oder bestehender Diskriminierungen, auch zwischen Privaten, zu verhindern bzw. zu beseitigen, nicht klar umrissen. Im Hinblick darauf, dass Art. 1 des 12. ZP-EMRK den Genuss eines jeden gesetzlichen niedergelegten Rechtes ohne Diskriminierung gewährleisten soll, ist eine positive Verpflichtung zu begrenzen. Allenfalls in den Fällen, in denen eine Beziehung zwischen Privaten ein öffentliches Gebiet betrifft, das im Normalfall durch Gesetze geregelt ist, ist eine Verpflichtung des Staates zu bejahen. Jedenfalls werden Fälle, in denen rein private Angelegenheiten betroffen sind, nicht erfasst.143 Der Rechtsbegriff des Art. 1 des 12. ZP-EMRK bezieht sich auf das nationale und internationale Recht. Allerdings ermächtigt dieser Begriff den EGMR nicht dazu, die Einhaltung der Vorschriften in anderen internationalen Bestimmungen zu überprüfen. Der Behördenbegriff in demselben Artikel stammt aus Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 der EMRK und meint die Exekutive, die Judikative und die Legislative.144 Art. 2 des 12. ZP-EMRK betrifft den räumlichen Geltungsbereich. Art. 3 des 12. ZP-EMRK bezieht sich auf das Verhältnis des Protokolls zur Konvention. Die Vertragsstaaten betrachten Art. 1 und 2 des 12. ZP-EMRK als Zusatzartikel zur EMRK. Die Konvention ist daher im Lichte der Art. 1 und 2 auszulegen. Art. 53 EMRK bestimmt, dass die Konvention nicht als Beschränkung oder Minderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden darf, die in den Gesetzen eines Hohen Ver-
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Vergleiche EGMR Da Silva Mouta/P, 21.12.1999, ECHR 1999-IX. Grabenwarter § 26, 18 (Ausdehnung des Konventionsschutzes als Hauptgrund für die zögerliche Ratifikation des Protokolls); EGMR Sejdic u. Finci/BIH (Fn. 135; Unwählbarkeit von Roma und Juden für das höchste Staatsamt). Nach dem EGMR mag die Regelung bei ihrem Erlass gerechtfertigt
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gewesen sein (Beendigung eines brutalen Konflikts; Friedenswahrung), doch ist sie angesichts der heutigen Entwicklung des betroffenen Landes nicht mehr zu rechtfertigen. Explanatory Report, §§ 22 f. Meyer Ladewig, Art. 14, 4; Explanatory Report, § 28. Explanatory Report, § 30.
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EMRK Art. 14
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
tragsschließenden Teils oder einer anderen Vereinbarung, an der er beteiligt ist, festgelegt sind, und regelt damit auch das Verhältnis des 12. ZP-EMRK zu den Bestimmungen der Konvention. Das 12. ZP-EMRK, das einen weitergehenden Schutz als Art. 14 EMRK gewährt, verdrängt diesen Artikel nicht, sondern überlappt ihn lediglich. Gemäß Art. 32 EMRK umfasst die Zuständigkeit des EGMR alle die Auslegung und Anwendung der beiden Bestimmungen zueinander betreffenden Angelegenheiten. Die Art. 4, 5 und 6 entsprechen der Formulierung des Model Final Clauses for Con62 ventions and Agreements concluded within the Council of Europe, die das Ministerkomitee des Europarats 1962 angenommen und 1980 aktualisiert hat und die das Verfahren der Unterzeichnung, der Ratifikation und des Inkrafttretens bei Übereinkommen oder Abkommen regelt und die die Aufgaben des Verwahrers näher bezeichnet.
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5. Minderheitenschutz. Die EMRK spricht den Schutz der ethnischen, rassischen oder religiösen Minderheiten145 nicht besonders an. Das Verbot einer Diskriminierung allein wegen der Zugehörigkeit zu einer solchen Minderheit folgt aus dem allgemeinen Verbot der Ungleichbehandlung unter einem solchen Gesichtspunkt. Die Lebensweise einer Minderheit kann auch unter den Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK) fallen.146 Die Freiheitsgarantien der Konventionen, vor allem der Schutz der privaten Lebensgestaltung, das Recht auf Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit (Art. 8, 10, 11 EMRK / Art. 17, 18 und 21 IPBPR) gewährleisten jedem einen individuellen Freiheitsraum, auf den sich auch die einzelnen Angehörigen einer religiösen, völkischen oder sonstigen Minderheit zur Wahrung ihrer Identität berufen können, da deren Einschränkung in der Regel in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft nicht erforderlich ist.147 Diese Garantien und die formale Gleichbehandlung mit allen anderen Personen lösen aber das eigentliche Problem der nationalen Minderheiten, die Wahrung ihrer spezifischen Besonderheiten gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung, nicht. Zum Erreichen einer materiellen Gleichbehandlung können deshalb spezifische Sonderregelungen zu Gunsten einer Minderheit („affirmativ action“) mit dem Gebot der Gleichbehandlung vereinbar sein, wie dies in der Präambel zum 12. ZP-EMRK und auch in Art. 21 Abs. 2 EUC als mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar angesehen wird (vgl. Rn. 11). Art. 27 IPBPR bestätigt dies, wenn er das Recht der ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten auf ein eigenes kulturelles und religiöses Leben und auf ihre eigene Sprache herausstellt.148 Gleiches gilt für das europäische Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten vom 1.2.1995.149
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Zum Fehlen eines völkerrechtlich allgemein akzeptierten Begriffs der nationalen Minderheit vgl. von Arnauld AVR 42 (2004) 111; Hofmann ZaöRV 52 (1992) 1; Klebes EuGRZ 1995 262, 263 (unter Hinweis auf Nr. 12 des Explanatory Reports, EuGRZ 1995 268), ferner zur Frage, ob unter den völkerrechtlichen Minderheitenbegriff auch Angehörige fremder Staaten fallen, vgl. Hilpold AVR 42 (2004) 80; Kugelmann AVR 39 (2001) 233, 239 ff. Für das allgemeine Diskriminierungsverbot, das unabhängig von der Staatsangehörigkeit jeden schützt, spielt diese Frage keine Rolle, wohl aber bei
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der Frage, wieweit ein Staat unter diesem Gesichtpunkt zu spezifischen Sondermaßnahmen verpflichtet ist. Meyer-Ladewig Art. 8, 44. Zur Spruchpraxis des EGMR und des HRC in diesen Fällen eingehend Pentassuglia JIR 46 (2003) 401. Siehe zu den vom HRC behandelten Fällen: Pentassuglia JIR 46 (2003) 401, insbes. 408, 423 ff., 427, 437 ff. Vgl. Rn. 13. Vertiefend Hilpold Internationales und Europäisches Minderheitenrecht (2010).
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Abweichen im Notstandsfall
Art. 4 IPBPR
Art. 15 EMRK (Art. 4 IPBPR) EMRK Artikel 15 Abweichen im Notstandsfall (1) Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen. (2) Aufgrund des Absatzes 1 darf von Artikel 2 nur bei Todesfällen infolge rechtmäßiger Kriegshandlungen und von Artikel 3, Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 7 in keinem Fall abgewichen werden. (3) Jede Hohe Vertragspartei, die dieses Recht auf Abweichung ausübt, unterrichtet den Generalsekretär des Europarats umfassend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe. Sie unterrichtet den Generalsekretär des Europarats auch über den Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen außer Kraft getreten sind und die Konvention wieder volle Anwendung findet. IPBPR Artikel 4 (1) Im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet ist, können die Vertragsstaaten Maßnahmen ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus diesem Pakt in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft setzen, vorausgesetzt, daß diese Maßnahmen ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen und keine Diskriminierung allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft enthalten. (2) Auf Grund der vorstehenden Bestimmung dürfen die Artikel 6, 7, 8 (Absätze 1 und 2), 11, 15, 16 und 18 nicht außer Kraft gesetzt werden. (3) Jeder Vertragsstaat, der das Recht, Verpflichtungen außer Kraft zu setzen, ausübt, hat den übrigen Vertragsstaaten durch Vermittlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen unverzüglich mitzuteilen, welche Bestimmungen er außer Kraft gesetzt hat und welche Gründe ihn dazu veranlaßt haben. Auf demselben Wege ist durch eine weitere Mitteilung der Zeitpunkt anzugeben, in dem eine solche Maßnahme endet.
Schrifttum (Auswahl) Arden Human Rights and Terrorism, in: Breitenmoser (Hrsg.), Human Rights, Democracy and the Rule of Law – Liber amicorum Luzius Wildhaber (2007), 21; Chaskalson The Widening Gyre: Counter-Terrorism, Human Rights and the Rule of Law, Cambridge Law Journal 67 (2008) 69; Föh Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 (2011); Grabenwarter in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.), Les nouvelles ménaces contre la paix et la sécurité internationales (2004), 211; Hutchinson The Margin of Appreciation Doctrine in the European Court of Human Rights, ICLQ 48 (1999) 638; Kauffmann Terrorismus im Wandel – Auslegung des Begriffs Terrorismus im Lichte des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG), Jura 2011 257; Kitz Die Notstandsklausel des Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1982); Limbach Human Rights in Times of Terror, GoJIL 2009 1; Maslaton Notstandsklauseln im regionalen Menschenrechtsschutz: Eine vergleichende Untersuchung der Art. 15 EMRK und Art. 27 AMRK (2001); Moeckli Human Rights and Non-discrimination on the ‘War on Terror’ (2008); Schmahl Derogation von Menschenrechtsverpflichtungen in Notstandslagen, in: Fleck (Hrsg.) Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte (2004), 125; Schmid The Right to a Fair Trial in Times of Terrorism: A Method to Identify the Non-Derogable Aspects of Article 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights, GoJIL 2009 29; Sottiaux Terrorism and the Limitation of Rights – The ECHR and the US Constitution (2008); Stein Die Außerkraftsetzung von Garantien menschenrechtlicher Verträge, in I. Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, Schranken und Wirkungen (1982), 135; Wurst Die völkerrechtliche Sicherung der Menschenrechte in Zeiten staatlichen Notstandes – Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1967).
Übersicht Rn. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen a) Krieg / Öffentlicher Notstand . . b) Amtliche Verkündung . . . . . . c) Notifikation . . . . . . . . . . . d) Erforderlichkeit der Maßnahmen
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e) Beachtung sonstiger völkerrechtlicher Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . f) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . g) Weiter Beurteilungsspielraum der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Notstandsfeste Gewährleistungen . . . . .
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1. Allgemeines. Art. 15 EMRK und Art. 4 IPBPR gestatten den Vertragsstaaten, im Falle eines öffentlichen Notstandes Maßnahmen zu ergreifen, mit welchen sie sich über die Mehrzahl der Verpflichtungen hinwegsetzen können, die ihnen aufgrund der Konventionen obliegen. Diese Befugnis, die sie auch auf Teile ihres Staatsgebiets beschränken können, haben sie aber nur, wenn, soweit und solange dies nach der jeweiligen Lage unbedingt erforderlich ist. Eine förmliche Aufhebung der bei den Notstandsmaßnahmen nicht zu beachtenden Konventionsartikel bedarf es dafür nicht.1 Diese Konventionsrechte werden in dem Umfang, in dem der bedrohte Staat sie wirksam außer Kraft setzt, unanwendbar.2 Sie stehen dann insoweit Eingriffen des Staates in die betroffenen Konventionsgarantien nicht entgegen.
2. Voraussetzungen 2
a) Es muss ein Krieg oder ein anderer öffentlicher Notstand vorliegen, der das Leben der Nation bedroht, also so schwerwiegend ist, dass der Fortbestand des geregelten Lebens in der jeweiligen staatlichen Gemeinschaft in Frage gestellt wird. Der nur in Art. 15 EMRK, nicht aber in Art. 4 IPBPR besonders erwähnte Krieg kann, ebenso wie sonstige bewaffnete Auseinandersetzungen von Gewicht, eine solche, die Existenz des Staates bedrohende Lage sein.3 Unter Krieg im völkerrechtlichen Sinn
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EGMR Lawless/IR, 1.7.1961, A 3; Frowein/ Peukert 8; Guradze 5; Partsch 76. Zur Berufung auf Art. 15 EMRK in der Staatenpraxis vgl. die Auflistung bei Kitz 96 ff.; ferner Villinger 698.
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Grabenwarter § 2, 8. Frowein/Peukert 6 f.; Nowak 12; Partsch 75; Guradze 2, wonach diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wenn die Verwicklung des Staates in einen bewaffneten Konflikt weder seinen
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Abweichen im Notstandsfall
Art. 4 IPBPR
wird man die unter Anwendung von Waffengewalt geführte Auseinandersetzung zwischen mehreren Staaten zu verstehen haben, wobei auch bewaffnete Konflikte ohne förmliche Kriegserklärung als „Krieg“ i.S.d. Konvention angesehen werden. Diese Zuordnung ist allerdings bei Art. 15 EMRK von geringer Bedeutung, da bewaffnete Auseinandersetzungen andernfalls als öffentlicher Notstand die gleichen Einschränkungen rechtfertigen könnten,4 so etwa gewaltsame innerstaatliche Konflikte, die die Existenz des organisierten Gemeinwesens bedrohen. Auf eine Bedrohung durch Krieg hat sich bisher kein Konventionsstaat berufen; in einigen Fällen wurde allerdings das Vorliegen eines Notstands geltend gemacht.5 Einschränkungen bei Konventionsrechten können auch durch andere Staatskrisen zu deren Bewältigung notwendig werden. Ob und in welchem Maße (fortlaufende) terroristische Anschläge das Ausmaß einer die Existenz des Staates als geregeltes Gemeinwesen in Frage stellende Krisensituation erreichen können, wird jüngst vor dem Hintergrund der durch den islamischen Terrorismus ausgelösten Bedrohungslage lebhaft diskutiert. Schwierigkeiten bestehen schon deshalb, da es weiterhin an einer international verbindlichen Definition des Terrorismus fehlt.6 Die Organe des Europarates haben mittlerweile eine ganz beachtliche Zahl von Rechtstexten zur Terrorismusbekämpfung vorgelegt, darunter das Übereinkommen zur Verhütung des Terrorismus v. 16.5.2005 (CETS 196).7 Das Vereinigte Königreich hatte als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11.9.2001 eine Erklärung abgegeben, mit Teil 4 des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. f EMRK abzuweichen. Danach konnten ausländische Terrorismusverdächtige interniert werden, wenn eine Abschiebung nicht möglich war. Die Derogationserklärung wurde jedoch am 16.3.2005 nach einem Urteil des House of Lords, das die Vorschrift für unvereinbar mit den Erfordernissen des Art. 15 EMRK erklärte, wieder zurückgenommen.8 Das HRC fordert eine gegenwärtige, schon eingetretene Bedrohung, während der EGMR die Gefahr eines Angriffs ausreichen lässt, solange jederzeit mit der Verwirklichung des Angriffs zu rechnen ist und Anhaltspunkte dafür vorliegen. Sinn von Art. 15 EMRK sei es auch, die Mitgliedsstaaten vor zukünftigen Risiken zu bewahren, so dass nicht erst auf einen tatsächlichen Angriff gewartet werden müsse, bis Gegenmaßnahmen
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Bestand gefährdet noch seine Bevölkerung erheblich in Mitleidenschaft zieht. Frowein/Peukert 6. Albanien: 2.3. bis 24.7.1997, YB 40 (1997) 34; Frankreich: 12.1. bis 23.8.1985, YB 28 (1985) 13, 15 f.; Vereinigtes Königreich: 23.12.1988 bzw. 23.3.1989 bis 26.2.2001, YB 31 (1988) 15 f. u. YB 32 (1989) 8; Türkei: 26.12.1978 bis 19.7.1987, YB 23 (1980) 10 ff., YB 29 (1986) 12 f., YB 30 (1987) 18 f.; 6.8.1990 bis 29.1.2002, YB 33 (1990) 14 f., YB 34 (1991) 14 f., YB 35 (1992) 16. Siehe Grote/Marauhn/Krieger Kap. 8, 2 m.w.N. Siehe Sambei/Polaine/du Plessis Counter-Terrorism Law and Practice (2009); Saul Defining Terrorism in International Law (2008); siehe auch: Sulk Jura 2010 683, 684; Wolny Die völkerrechtliche Kriminalisierung von
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modernen Akten des internationalen Terrorismus (2008), 25 ff.; Zöller Terrorismusstrafrecht (2009), 99 ff.; Kauffmann Jura 2011 257. Ratifiziert mit Gesetz v. 16.3.2011 (BGBl. II S. 300); weitere Dokumente zusammengestellt in: Council of Europe (Hrsg.), The fight against terrorism – Council of Europe standards (2007); kritisch zur EU-Terrorismusbekämpfung: Eder/Senn (Hrsg.), Europe and Transnational Terrorism (2009). House of Lords, A. v. Secretary of State for the Home Department, EuGRZ 2005 488; Arden 21 ff.; Greer EHRLR 2008 163 ff.; Grabenwarter in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.) 2004 211; KK-EMRK-GG/Marauhn Kap. 8, 2 m.w.N.
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ergriffen werden können.9 Die Bedrohung muss so schwerwiegend sein, dass sie zumindest in einem Teilbereich die Bevölkerung trifft und mindestens in diesem die Organisation des Lebens der staatlichen Gemeinschaft gefährdet.10 Sie muss also über eine bloße Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinausgehen, die der Staat bereits mit Maßnahmen unterbinden kann, die die Konventionen ihm ohnehin gestatten. Eine die Nation bedrohende Krise kann auch vorliegen, wenn die eigentlichen Unruhen oder bürgerkriegsähnlichen Zustände sich auf ein territorial begrenztes Gebiet beschränken.11 Militärische Auslandseinsätze, wie sie etwa im Rahmen internationaler Operationen 7 mit begrenzter Zielsetzung stattfinden, sind kein Notstand, der das Leben der Nation des Vertragsstaats bedroht.12 Naturkatastrophen können das Ausmaß einer die Existenz des Staates als geregeltes 8 Gemeinwesen in Frage stellende Krisensituation erreichen.
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b) Art. 4 Abs. 1 IPBPR fordert als weitere unerlässliche Voraussetzung ausdrücklich die amtliche Verkündung des Notstands.13 Der Notstand muss von einer dazu befugten nationalen Stelle öffentlich bekannt gegeben worden sein, damit jeder sich darauf einstellen kann; es genügt nicht, dass die Notlage als solche faktisch offensichtlich ist.14 Bei Art. 15 EMRK ist die amtliche Bekanntgabe des Notstands keine Wirksamkeits10 voraussetzung einschränkender Maßnahmen.15 Die EKMR hatte jedoch mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass gegenüber der betroffenen Bevölkerung deutlich gemacht werden müsse, dass es sich um Notstandsmaßnahmen handele.16 Da bei den Mitgliedstaaten des IPBPR die Pflicht zur amtlichen Bekanntgabe bereits aus Art. 4 Abs. 1 IPBPR folgt (Rn. 9), gilt dies für diese Staaten auch bei Art. 15 EMRK, denn es gehört zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen, deren Beachtung auch eine Voraussetzung für die Zulässigkeit von Notstandsmaßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 EMRK ist.17 Die Erklärung des Notstands durch den Home Secretary im britischen Unterhaus sah der EGMR als ausreichende amtliche Verkündung an.18
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c) Beide Konventionen sehen die Notifikation von allen getroffenen Maßnahmen vor. Nach Art. 15 Abs. 3 EMRK ist der Generalsekretär des Europarates zu unterrichten; nach Art. 4 Abs. 3 IPBPR über den Generalsekretär der Vereinten Nationen die anderen Vertragsstaaten. Die Unterrichtung muss ausreichend sein und alle getroffenen Maßnahmen und auch 12 ihre eventuelle örtliche Begrenzung umfassen. Werden nur bestimmte Teile des Staates benannt, geht der EGMR davon aus, dass in den anderen Teilen des Staatsgebietes keine
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EGMR (GK) A u.a./UK, 19.2.2009, §§ 173 f. EGMR Lawless/IR (Fn. 1); Guradze 3; Kitz 37; Partsch 76; vgl. auch Rn. 21 ff. zum weiten Beurteilungsspielraum des Staates. EGMR Lawless/IR (Fn. 1); IR/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; Frowein/Peukert 7; Grabenwarter § 2, 10; Nowak 14; enger Meyer-Ladewig 4 nur „Auswirkungen auf die gesamte Nation“. Krieger ZaöRV 62 (2002) 669, 690, die ergänzend auch darauf hinweist, dass in der Bundesrepublik eine vollständige Suspendie-
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rung der Grundrechte nicht möglich ist (vgl. Art. 19 Abs. 2 GG). Nowak 17; HRC bei Nowak EuGRZ 1981 428. Nowak 19; vgl. auch Frowein/Peukert 13. Partsch 74. Frowein/Peukert 8. EGMR Brannigan u. McBride/UK, 26.5.1993, A 258-B = ÖJZ 1994 65; Frowein/Peukert 13; Meyer-Ladewig 7; vgl. Rn. 17 f. EGMR Brannigan u. McBride/UK (Fn. 17).
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Abweichen im Notstandsfall
Art. 4 IPBPR
Einschränkungen zulässig sind.19 Die Unterrichtung und die damit verbundene Transparenz der Maßnahmen dient der internationalen Kontrolle; sie kann Anfragen des Generalsekretärs des Europarates nach Art. 52 EMRK auslösen und gegebenenfalls sogar andere Konventionsstaaten zu einer Staatenbeschwerde (Art. 33 EMRK) veranlassen.20 Die Unterrichtung ist aber keine Voraussetzung, von der die Zulässigkeit der Notstandsmaßnahmen abhängt, da sie den vom Staat bereits getroffenen Maßnahmen zeitlich nachfolgt.21 Art. 4 Abs. 3 IPBPR verpflichtet den Staat, unverzüglich die in Ausübung seines Not- 13 standsrechts außer Kraft gesetzten Bestimmungen und die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, sowie die Zeitspanne und die Beendigung der Suspendierung mitzuteilen.22 Art. 15 Abs. 3 EMRK bindet die Unterrichtung an keine Frist, sie muss aber so schnell wie möglich geschehen. Eine Unterrichtung nach 12 Tagen wurde vom EGMR als ausreichend angesehen,23 eine Unterrichtung nach 4 Monaten hielt die frühere EKMR für verspätet.24 Die Mitteilung unterliegt keinem Publikationsgebot.25 d) Erforderlichkeit der Maßnahmen. Art. 15 Abs. 1 EMRK und Art. 4 Abs. 1 IPBPR 14 rechtfertigen nur solche Einschränkungen, die die Notstandslage unbedingt erfordert.26 Eine solche Lage, die die ganze Nation und die Funktion des organisierten Gemeinwesens bedroht, muss bereits bestehen oder unmittelbar bevorstehen.27 Die Gegenmaßnahmen müssen unerlässlich sein, damit die Gefahrenlage, so wie sie sich für die Behörden im Zeitpunkt der Anordnung darstellt,28 wirksam bewältigt werden kann. Der Zweck darf nicht bereits durch ein milderes Mittel erreichbar sein, vor allem nicht durch Maßnahmen, die bereits im Rahmen der Konventionsgarantien getroffen werden können.29 Erst wenn diese nicht ausreichen oder keinen Erfolg versprechen, darf der Staat Konventionsrechte in dem unbedingt erforderlichen Umfang derogieren.30 In der Regel müssen erst alle Einschränkungsmöglichkeiten, die bei verschiedenen Konventionsgarantien schon im Normalfall Maßnahmen im Interesse der nationalen Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung usw. vorsehen, ausgeschöpft sein.31
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Meyer-Ladewig 8 unter Hinweis auf EGMR Sakik u.a./TRK, 26.11.1997, Rep. 1997-VII; siehe auch EGMR Sadak/TRK, 8.4.2004; Yurttas/TRK, 27.5.2004, ÖJZ 2005 156; Abdulsamet Yaman/TRK, 2.11.2004. Frowein/Peukert 15. Frowein/Peukert 15, mit dem Hinweis, dass die EKMR und EGMR Lawless/IR (Fn. 1), die Bedeutung des Fehlens einer Mitteilung ausdrücklich offen gelassen haben. Nach Kitz 87 ff. schließt eine arglistige Verletzung der Benachrichtigungspflicht die Berufung auf Art. 15 Abs. 1 EMRK aus. HRC Landinelli Silva u.a./Uruguay, 8.4.1981, 034/1978, EuGRZ 1981 388; siehe auch HRC General Comment 29 v. 24.7.2001, Nr. 17 (abgedruckt bei Doswald-Beck/Kolb 433 ff.); Nowak 17, 37. EGMR Lawless/IR (Fn. 1). Vgl. Frowein/Peukert 15; Grabenwarter § 2, 13; Meyer-Ladewig 8; zu den zeitlichen Ver-
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zögerungen der Notifikation vgl. auch Partsch 74. EGMR Lawless/IR (Fn. 1); vgl. Frowein/Peukert 15, wonach die abgegebenen Meldungen nach Art. 15 EMRK im Yearbook of the European Convention on Human Rights veröffentlicht werden; vgl. Fn. 5. Frowein/Peukert 4, 9 ff.; Guradze 5 (Übermaßverbot); Partsch 77; Villiger 699. Meyer-Ladewig 4. Beurteilung ex ante; vgl. auch Partsch 75. Grabenwarter § 2, 11. Kitz 39 ff.; vgl. die Prüfung möglicher Maßnahmen in EGMR Lawless/IR (Fn. 1). Nach Guradze 7 zwingt im Bereich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit kein Notstand zu Maßnahmen, die über das bereits nach Art. 9 Abs. 2 EMRK Zulässige hinausgehen. Da Art. 4 Abs. 2 IPBPR keine Einschränkung der Religionsfreiheit (Art. 18 IPBPR) zulässt und Art. 15 Abs. 1 EMRK
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Im Übrigen gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eingriffsintensität sowie räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich der die Konvention einschränkenden Notstandsmaßnahme dürfen nicht außer Verhältnis stehen zu der Bedeutung, die der Maßnahme für die Bewältigung der konkreten Notstandslage tatsächlich zukommt.32 Der EGMR berücksichtigt dabei die tatsächlichen Verhältnisse, die Natur der Rechte, von denen abgewichen wird, die Dauer des Notstands sowie die Umstände, die ihn ausgelöst haben.33 Beispielsweise hat der EGMR die Außerkraftsetzung von Art. 5 Abs. 2 bis 4 EMRK 16 als zulässig angesehen,34 während eine Einschränkung, die auch die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien bzw. fundamentalen Verfahrensgrundsätze (faires Verfahren, habeas corpus oder die Unschuldsvermutung) umfasste, vom HRC als unverhältnismäßig bzw. generell unzulässig betrachtet wurde.35 Auch und gerade eine Außerkraftsetzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK kann nur in Betracht kommen, wenn dies nach der Lage unbedingt erforderlich ist.36 Mit Notstand nicht gerechtfertigt werden können auch Verbote wie die Untersagung der politischen Betätigung und Teilnahme an Wahlen für 15 Jahre.37
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e) Die Notstandsmaßnahmen dürfen den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des betreffenden Staates nicht zuwiderlaufen. Mit dieser Forderung wollen Art. 15 Abs. 1 EMRK / Art. 4 Abs. 1 IPBPR die Beachtung des allgemeinen Völkerrechts sichern, aber auch Verpflichtungen aus anderen Übereinkommen, vor allem auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts, wie etwa aus den vier Genfer Konventionen von 194938 oder die Strafbarkeit nach dem Römischen Statut des internationalen Strafgerichtshofs (ICC-Statut).39 Umfasst sind auch die Verpflichtungen aus anderen Menschenrechtspakten. Wo diese andere oder weitergehende Rechte notstandsfest verbürgen,40 schließt dies auch jede Einschränkung nach Art. 15 EMRK aus.
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nur solche Einschränkungen gestattet, die nicht im Widerspruch zu anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsparteien stehen, stellt sich diese Frage für die Staaten nicht, die auch Mitgliedstaaten des IPBPR sind. Grabenwarter § 2, 11; vgl. Nowak 25 ff.; Partsch 77; siehe Art. 18 EMRK Rn. 3. EGMR Aksoy/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI. EGMR IR/UK (Fn. 11). Nicht zulässig, da nicht unbedingt erforderlich, wertete der EGMR allerdings die Derogation von Art. 5 Abs. 3 EMRK beispielsweise in EGMR Nuray Sen/TRK, 17.6.2003, sowie in EGMR Bilen/TRK, 21.2.2006. Nowak 27 unter Hinweis auf die „Siracusa Principles“; vgl. die Gutachten des IAGMR EuGRZ 1989 218; 233 (keine Suspendierung der Rechtsschutzgarantien wie HabeasCorpus-Verfahren; faires Verfahren); ähnlich HRC General Comment 29 (Fn. 22), Nr. 7 ff., insbes. Nr. 11. EGMR Elci u.a./TRK, 13.11.2003. HRC Landinelli Silva u.a./Uruguay (Fn. 22); dazu Nowak 37 ff. mit weit. Beispielen.
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Betreffend: die Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde (Genfer Abkommen I), die Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See (Genfer Abkommen II), die Kriegsgefangenen (Genfer Abkommen III) und die Zivilpersonen in Kriegszeiten (Genfer Abkommen IV); ergänzt durch zwei Zusatzprotokolle aus dem Jahr 1977 (Regeln zum Umgang mit Kombattanten bzw. Vorgaben für innerstaatliche Konflikte). Zum Verhältnis der Menschenrechtspakte zum humanitären Völkerrecht vgl. Krieger ZaöRV 62 (2002) 691 ff., auch zu der Frage, ob und wieweit die Regeln der Genfer Konventionen bei einem gemeinsamen Anwendungsbereich als vorgehende Spezialvorschriften anzusehen sind und wieweit die jeweils günstigere Regel zur Anwendung kommt. Vgl. ferner Frowein/ Peukert 13; Kitz 43; Nowak 28 mit weit. Beispielen. Vgl. HRC General Comment 29 (Fn. 22), Nr. 12. Vgl. Frowein/Peukert 13; Grabenwarter § 2, 11; vgl. Rn. 29.
Robert Esser
Abweichen im Notstandsfall
Art. 4 IPBPR
Soweit Art. 4 Abs. 2 IPBPR weitere Konventionsrechte jeder Einschränkungsmöglich- 18 keit entzieht, sind diese auch aufgrund des Art. 15 EMRK nicht einschränkbar. Dadurch lösen sich die Unterschiede bei der Notstandsfestigkeit der einzelnen Konventionsrechte dadurch, dass auch bei Art. 15 EMRK die Notstandsbefugnisse durch den sie am meisten einschränkenden Vertrag bestimmt werden. Das nur bei Art. 4 Abs. 1 IPBPR enthaltene Diskriminierungsverbot bei Notstandsmaßnahmen (vgl. Rn. 19) wird auf diesem Umweg auch im Bereich der EMRK beachtlich. f) Diskriminierungsverbot. Art. 4 Abs. 1 IPBPR enthält zusätzlich das Verbot, bei 19 Notstandsmaßnahmen eine Person allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache oder der sozialen Herkunft zu diskriminieren. Dieses Verbot erstreckt sich auf weniger Merkmale als die umfangreicheren Aufzählungen der Art. 2 Abs. 1 / Art. 26 IPBPR41 und es ist auch insoweit enger, als es nur verbietet, die aufgeführten Gesichtspunkte für sich allein zum Abgrenzungskriterium einer Notstandsmaßnahme zu machen. Gestattet ist aber, dies in Verbindung mit anderen, nicht dem Katalog unterfallenden sachlich gebotenen Gesichtspunkten zu tun.42 Die Bedeutung des Diskriminierungsverbotes in Art. 4 Abs. 1 IPBPR liegt vor allem 20 darin, dass es sicherstellt, dass auch bei Notstandsmaßnahmen ein – wenn auch inhaltlich eingeschränkteres – Diskriminierungsverbot beachtet werden muss. Die allgemeinen Diskriminierungsverbote sind nicht notstandsfest gewährleistet, sofern sie nicht akzessorisch zu einem ohnehin notstandsfesten Recht angelegt sind. g) Den Staaten wird schon aufgrund ihrer Sachnähe ein weiter Beurteilungsspielraum 21 zuerkannt, innerhalb dessen sie selbst entscheiden, ob eine Notstandslage vorliegt und welche Maßnahmen zu deren Behebung oder zur Abwehr einer sich aus ihr ergebenden Bedrohung unerlässlich sind.43 Der EGMR beschränkt sich weitgehend auf eine Art „europäische Aufsicht“; er ersetzt die Einschätzung der Lage und der Erforderlichkeit einer Maßnahme durch die nationalen Stellen nicht durch seine eigene Beurteilung, sofern die Einschätzung der nationalen Stellen sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums hält und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.44 Mit dieser Einschränkung prüft er nach, ob das Vorliegen eines Notstandes und die getroffenen Maßnahmen unter den zur Zeit der Anordnung gegebenen Umständen von dem jeweiligen Staat vernünftigerweise als unbedingt erforderlich angesehen werden durften.45 Im Ausnahmefall A u.a./UK, in dem der EGMR u.a. auch überprüfen musste, ob die 22 Entscheidung des House of Lords bezüglich der Annahme eines Staatsnotstands gerechtfertigt war,46 erklärt er ausdrücklich, dass im Fall von höchstrichterlichen Entscheidungen das Subsidiaritätsprinzip zu achten sei. Der Gerichtshof überprüfe die nationale Auffassung nur dahingehend, ob das höchste nationale Gericht Art. 15 EMRK falsch
41 42 43
Vgl. Art. 14 EMRK Rn. 40. Nowak 29. EGMR (GK) A u.a./UK (Fn. 9), § 173; Lawless/IR (Fn. 1); IR/UK (Fn. 11); HRC Landinelli Silva/Uruguay (Fn. 22); EGMR Brannigan u. McBride/UK (Fn. 17), siehe auch das abweichende Votum des Richters Makarczyk; Aksoy/TRK (Fn. 33); Hutchinson ICLQ 48 (1999) 638 ff.; Frowein/Peukert 3, 9; Grabenwarter § 2, 10; Meyer-Lade-
44
45 46
wig 5; Partsch 77; KK-EMRK-GG/Krieger Kap. 8, 11. Vgl. EGMR (GK) A u.a./UK (Fn. 9); Brannigan u. McBride/UK (Fn. 17): Gefahr für Bevölkerung und das ganze Staatswesen; dazu Frowein/Peukert 10; Grabenwarter § 2, 10 f.; Villiger 700. Vgl. Frowein/Peukert 3 f.; Kitz 21 ff.; Nowak 31. Vgl. Rn. 21.
Robert Esser
951
EMRK Art. 15
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
ausgelegt oder angewendet habe („misinterpreted or misapplied“) oder zu einer völligen Fehlentscheidung gelangt wäre („conclusion which was manifestly unreasonable“).47 Der Ausschuss nach Art. 40 IPBPR – das Human Rights Committee (HRC) – prüft in 23 Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach, ob der Notstand so schwerwiegend war, dass die Aussetzung des jeweiligen Konventionsrechts und die getroffenen Maßnahmen unbedingt notwendig zu seiner Eindämmung waren.48 Dies geschieht auch, wenn der Ausschuss durch einen Staatenbericht von einer solchen Lage in Kenntnis gesetzt wird.49 Ein Staat kann sich nur dann mit Erfolg auf das Vorliegen eines Ausnahmezustandes berufen, wenn er diesen durch eine hinreichend detaillierte Schilderung der Lage aufzeigt und darlegt, weshalb er die vom normalen Rechtszustand abweichenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Notstandes unbedingt notwendig halten durfte.50 Eine solche Schilderung ist nach Möglichkeit schon bei der Notifikation der Notstandsmaßnahmen abzugeben (vgl. Rn. 11); sie ist zu ergänzen, wenn sich die Lage ändert.51 Die Befugnis der Konventionsorgane, sich mit der Notstandslage und den getroffenen Maßnahmen zu befassen, etwa auch im Rahmen eines Staatenberichts nach Art. 40 IPBPR, besteht jedoch unabhängig von der ordnungsgemäßen Erfüllung der Pflicht zur Notifikation.52
24
3. Notstandsfeste Gewährleistungen. Beide Konventionen nehmen gewisse Rechte und Freiheiten von der Einschränkbarkeit durch Notstandsmaßnahmen ausdrücklich aus. Art. 15 Abs. 2 EMRK gestattet keine Einschränkungen von Art. 3, 4 Abs. 1 und Art. 7 EMRK, ferner des Art. 2 EMRK mit Ausnahme der Todesfälle, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind. Soweit mit Art. 3 EMRK auch das Verbot erniedrigender Behandlung für notstands25 fest erklärt wird, soll nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht zu berücksichtigen sein, dass sich in Notstandszeiten das Gewicht der für die abwägende Abgrenzung heranzuziehenden Gesichtspunkte verschieben könne. Es sollen – eine objektive Handhabung vorausgesetzt – die im Notstandsfall gebotenen Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen auch eine Behandlung rechtfertigen können, die unter normalen Umständen bereits als erniedrigend für den Betroffenen anzusehen wäre,53 wie etwa Durchsuchungen oder unzulängliche Haftbedingungen. Dieser Ansicht ist zu widersprechen, weil sie den nicht disponiblen Grad der „Erniedrigung“ bzw. „Unmenschlichkeit“ einer Behandlung je nach Bedrohungslage festzulegen scheint. Ergänzend erklären Art. 3 des 6. ZP-EMRK sowie Art. 2 des 13. ZP-EMRK die 26 Bestimmungen dieser Protokolle über die Abschaffung der Todesstrafe für nicht durch Art. 15 EMRK einschränkbar. Art. 4 Abs. 3 des 7. ZP-EMRK 54 legt dies für das dort in 47 48
49 50
EGMR (GK) A u.a./UK (Fn. 9), §§ 174 ff. Vgl. Nowak 31, wonach das HRC die Doktrin vom weiten Beurteilungsspielraum nicht ausdrücklich übernommen hat. Das HRC stellt in seinem General Comment 29 (Fn. 22) strengere Anforderungen an die Annahme eines Notstands und an die Erforderlichkeit der Maßnahmen („limited to the extent strictly required by the exigencies of the situation“). Vgl. Nowak 32; ferner HRC General Comment 5/13. Grabenwarter § 2, 11, 13; Meyer-Ladewig 5; ferner – verneinend, wenn das Festhalten von
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51
52 53 54
Personen von der gerichtlichen Kontrolle freigestellt wurde – EGMR Aksoy/TRK (Fn. 33): Notwendigkeit nicht dargetan; vgl. ferner HRC Landinelli Silva/Uruguay (Fn. 22). Vgl. HRC General Comment 5 v. 28.7.1981, Nr. 13; später ersetzt durch General Comment 29 (Fn. 22), Nr. 17. Vgl. HRC General Comment 29 (Fn. 22), Nr. 17. Frowein/Peukert 14. Von Deutschland nicht ratifiziert, vgl. Teil I Rn. 53.
Robert Esser
Abweichen im Notstandsfall
Art. 4 IPBPR
Art. 4 Abs. 1 und 2 aufgenommene Verbot der Doppelverurteilung einschließlich der Möglichkeit der Wiederaufnahme fest. Art. 4 Abs. 2 IPBPR schließt es aus, die Bestimmungen der Art. 6, 7, 8 (Absätze 1 27 und 2), 11, 15, 16 und 18 IPBPR durch Notstandsmaßnahmen außer Kraft zu setzen. Er geht damit über Art. 15 Abs. 2 EMRK hinaus, wenn er zusätzlich auch das Verbot der Schuldhaft (Art. 11 IPBPR), das Recht auf Anerkennung als rechtsfähige Person (Art. 16 IPBPR) und die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18 IPBPR) für notstandsfest erklärt.55 Art. 6 des 2. FP-IPBPR schließt – unbeschadet des Vorbehalts nach Art. 2 des 2. FP- 28 IPBPR – die Außerkraftsetzung der Bestimmungen dieses Protokolls über die Abschaffung der Todesstrafe aus. Die ausdrückliche Ausnahme für die Tötung im Rahmen rechtmäßiger, d.h. vom Kriegsvölkerrecht gedeckter Kriegshandlungen fehlt in Art. 4 Abs. 2 IPBPR. Sie ist jedoch mit dem von Art. 6 Abs. 1 IPBPR geforderten Schutz des Lebens vereinbar, zumindest soweit die Kriegshandlungen im Einklang mit dem allgemeinen Völkerrecht und den völkerrechtlichen Vertragspflichten des jeweiligen Staates stehen.56 Soweit Art. 4 Abs. 2 IPBPR mehr Rechte für notstandsfest erklärt als die EMRK, hat 29 dies für seine Mitgliedstaaten zur Folge, dass sie wegen dieser völkerrechtlichen Bindung auch im Rahmen des Art. 15 EMRK diese Rechte nicht einschränken können, obwohl diese nach der EMRK selbst nicht notstandsfest wären. Ins Gewicht fallende Auswirkungen hätte dieser Unterschied zwischen den beiden Konventionen wegen der Art der vom IPBPR zusätzlich für notstandsfest erklärten Rechte ohnehin nicht.57
55
In HRC General Comment 29 (Fn. 22), Nr. 7 wird darauf hingewiesen, dass auch eine Garantie, die nach Art. 4 Abs. 2 IPBPR nicht außer Kraft gesetzt („non-derogable“) werden darf, sehr wohl den im jeweiligen Konventionsartikel vorgesehenen Einschränkun-
56 57
gen („restrictions“) unterworfen werden kann. Vgl. Nowak Art. 6, 9 (Vereinbarkeit mit UNCharta). Vgl. Kitz 44 ff.
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EMRK Art. 16
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 16 EMRK EMRK Artikel 16 Beschränkungen der politischen Tätigkeit ausländischer Personen Die Art. 10, 11 und 14 sind nicht so auszulegen, als untersagten sie den Hohen Vertragsparteien, die politische Tätigkeit ausländischer Personen zu beschränken.
1
1. Allgemeines. Die Rechte aus den Konventionen werden, wie Art. 1 EMRK und auch die Diskriminierungsverbote des Art. 14 EMRK und des 12. ZP-EMRK1 belegen, allen Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft oder Staatsangehörigkeit oder sonstige Unterschiede gleichermaßen gewährt. Auch Art. 2 Abs. 1 IPBPR spricht diesen Grundsatz aus, der auch die Wortwahl anderer Artikel („Jedermann“) bestimmt, und der dann durch die Diskriminierungsverbote des Art. 26 IPBPR nochmals bestätigt wird. Nur wenige Artikel beider Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle beschränken 2 ihren Anwendungsbereich auf bestimmte Personengruppen, so etwa Art. 25 IPBPR, der die politischen Rechte der Staatsbürger anspricht, oder Art. 3 des 4. ZP-EMRK, der das Verbot der Ausweisung eigener Staatsbürger und deren Einreiserecht in den eigenen Staat festschreibt, sowie das Verbot der Kollektivausweisung der Ausländer in Art. 4 des 4. ZP-EMRK und die Garantien für die Ausweisung von Ausländern in Art. 13 IPBPR. Zu den wenigen Artikeln, die Rechtsunterschiede zwischen Inländern und Ausländern zulassen, gehört auch Art. 16 EMRK.
3
2. Regelungsgehalt. Art. 16 EMRK schränkt die in den Art. 10 und 11 EMRK auch ausländischen Personen garantierten Rechte insoweit ein, als er dem Staat die Befugnis einräumt, die politischen Aktivitäten ausländischer Personen im Bereich dieser Konventionsverbürgungen zu begrenzen, auch wenn andere Personen und auch andere Ausländergruppen von solchen Einschränkungen unberührt bleiben. Das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK steht dem nicht entgegen, wie der Wortlaut des Art. 16 EMRK ausdrücklich hervorhebt. An besondere sachliche Voraussetzungen bindet Art. 16 EMRK die Befugnis zu einschränkenden Sonderregelungen für Ausländer nicht.2 Die Einschränkungen können aus sachlichem Anlass aber auch aus Präventivgründen 4 angeordnet werden. Die Regelung hat den Sinn, jedem Staat entsprechend dem herkömmlichen Völkerrecht 3 die Möglichkeit zu erhalten, die politischen Tätigkeiten bestimmter Ausländergruppen auf seinem Staatsgebiet einzuschränken, sei es, um seine eigene innere Sicherheit zu gewährleisten, sei es, um seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber anderen von diesen Tätigkeiten betroffenen Staaten nachzukommen. Dies spricht dafür, dass die Voraussetzungen, unter denen Art. 10 Abs. 2 EMRK allgemein Eingriffe des Staates in die Informations- und Meinungsfreiheit zulässt und die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK für staatliche Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit nicht notwendig zusätzlich vorliegen müssen, um dem Staat ausländerspezifische Einschränkungen dieser Rechte zu erlauben.4 Bei der weiten Fassung dieser Absätze wer-
1
2
Das 12. ZP-EMRK ist am 1.4.2005 in Kraft getreten, wurde aber von Deutschland bislang nicht ratifiziert (siehe die Kommentierung dieses ZP sowie bei Art. 14 EMRK). Meyer-Ladewig 3.
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3 4
Vgl. Frowein/Peukert 1; Meyer-Ladewig 3. Frowein/Peukert 1: kein weiterer sachlicher Grund erforderlich; ebenso Meyer-Ladewig 3; Villiger 701: „kein weiterer Rechtfertigungsgrund“.
Robert Esser
Beschränkungen der politischen Tätigkeit ausländischer Personen
Art. 16 EMRK
den sie allerdings in der Regel vorliegen, da bei einer von Ausländergruppen ausgehenden Störung des inneren oder des äußeren Friedens in der Regel eine der Eingriffsvoraussetzungen dieser Absätze und auch ein die Differenzierung rechtfertigender Anlass gegeben sein dürften. Gleiches gilt für die Demokratieüblichkeit eines solchen Eingriffs. Die besondere Befugnis zur Einschränkung der politischen Betätigung von Auslän- 5 dern besteht aber nur hinsichtlich einer politischen Betätigung und auch da nur für die Ausübung von Rechten aus Art. 10 oder 11 EMRK. Bei den anderen Konventionsgarantien, insbesondere bei den die Freiheit schützenden Garantien des Art. 5 EMRK, erlaubt Art. 16 EMRK keine ausländerspezifische Sonderbehandlung oder Sonderregelung. Desgleichen besagt er nichts über die nicht an Art. 10 oder 11 EMRK zu messende Zulässigkeit der Ausweisung eines Ausländers.5 3. Auf Personen, die Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union 6 (Unionsbürger) sind, kann nach einem obiter dictum6 des EGMR Art. 16 EMRK nicht angewendet werden:7 Die Bf. war deutsche Staatsangehörige und Mitglied des Europäischen Parlaments. Auf Einladung diverser politischer Gruppierungen in den französischen Überseegebieten Polynesien und Neukaledonien unternahm sie eine Reise in die betreffenden Gebiete, während derer sie unter anderem auf öffentlichen Versammlungen gegen die französischen Nuklearversuche im Pazifik protestierte. Als Reaktion darauf wurde die Bf. sowohl aus Polynesien als auch aus Neukaledonien ausgewiesen. Die jeweiligen Rechtsbehelfe wurden jeweils letztinstanzlich durch das französische oberste Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) abgewiesen. Der EGMR stellte insoweit klar, dass die Bf. als Unionsbürgerin einerseits und wegen ihres Status als Mitglied des Europäischen Parlaments andererseits nicht als Ausländerin i.S.v. Art. 16 EMRK angesehen werden könne. Der Begriff des Ausländers in der Auslegung durch den Gerichtshof orientiert sich also nicht (nur) an dem formalen Kriterium der Staatsangehörigkeit: Allein die Tatsache, dass die Bürger der französischen Überseeterritorien an Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen können, hat zur Folge, dass Mitglieder dieser parlamentarischen Körperschaft nicht als Ausländer betrachtet werden können. Art. 9 EUV bestimmt, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates auch Unionsbürger ist, so dass kein Unionsbürger in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dem Ausländerbegriff des Art. 16 EMRK unterfällt.8 4. Die Sonderregelung des Art. 18 EMRK, die ihrerseits den zulässigen Einschrän- 7 kungen der Konventionsgarantien Grenzen setzt, wenn diese nicht den in der Konvention vorgesehenen Zwecken dienen, gilt auch bei Art. 16 EMRK. Zu denken ist hier an den Fall, dass eine politische Betätigung von Ausländern nur das friedliche Eintreten für die Durchsetzung von Konventionsrechten zum Ziel hat.9
5 6 7
Vgl. den bei Frowein/Peukert 2 erörterten Fall. Regelung damals noch nicht in Kraft. EGMR Piermont/F, 27.4.1995, A 314 = ÖJZ 1995 751 = InfAuslR 1996 45; Frowein/Peukert 1; Meyer-Ladewig 2;
8
9
Mann/Ripke EuGRZ 2004 125, 133; Villiger 701. Grabenwarter § 18, 26; zur Unionsbürgerschaft auch: Geiger/Khan/Kotzur Art. 9, 4 EUV. Vgl. Frowein/Peukert 7.
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EMRK Art. 17
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 17 EMRK (Art. 5 IPBPR) EMRK Artikel 17 Verbot des Missbrauchs der Rechte Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, in der Konvention festgelegte Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.
IPBPR Artikel 5 (1) Keine Bestimmung dieses Paktes darf dahin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in dem Pakt vorgesehen, hinzielt. (2) Die in einem Vertragsstaat durch Gesetze, Übereinkommen, Verordnungen oder durch Gewohnheitsrecht anerkannten oder bestehenden grundlegenden Menschenrechte dürfen nicht unter dem Vorwand beschränkt oder außer Kraft gesetzt werden, daß dieser Pakt derartige Rechte nicht oder nur in einem geringeren Ausmaße anerkenne.
1. Auslegungsschranken des Art. 17 EMRK / Art. 5 Abs. 1 IPBPR 1
a) Allgemeines. Art. 17 EMRK und Art. 5 Abs. 1 IPBPR setzen bei beiden Konventionen der Auslegung wertorientierte Schranken, die sowohl die Ausübung der Konventionsrechte durch den Einzelnen als auch die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Rechte beschränken können. Diese Artikel wollen verhindern, dass unter formaler Berufung auf einzelne Konventionsrechte Konventionsgarantien abgeschafft oder eingeschränkt werden. Ebenso wie bei dem weiter gefassten Art. 18 EMRK soll jedem Missbrauch der Konvention für letztlich konventionswidrige Zielsetzungen entgegengewirkt werden können. 2 Das Missbrauchsverbot, das auch aus den Zielsetzungen und dem Geist der Konventionen abgeleitet werden kann,1 gilt sowohl für den Staat selbst 2 als auch für Personengruppen oder Einzelpersonen, die sich auf ein Konventionsrecht berufen, um demokratische Strukturen oder Menschenrechte anderer einzuschränken oder diese überhaupt abzuschaffen. Dem einzelnen Träger eines Konventionsrechts soll es unmöglich gemacht werden, dass er dessen Schutz in Anspruch nehmen kann, wenn er es zur Zerstörung der in den Konventionen gewährleisteten Rechte oder Freiheiten benutzen will.3
1 2
Vgl. Nowak 6. Zu dessen ausdrücklicher Einbeziehung gaben die Missbräuche, vor allem in faschistischen Staaten Anlass, vgl. Frowein/Peukert 1; ferner
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3
zur Entstehungsgeschichte dieser Klausel des IPBPR Nowak 1, 3 ff. Frowein/Peukert 1, Meyer-Ladewig 1; beide unter Hinweis auf den vergleichbaren Grund-
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Verbot des Missbrauchs der Rechte
Art. 5 IPBPR
b) Akzessorietät von Art. 17 EMRK und Art. 5 Abs. 1 IPBPR. Beide Bestimmungen 3 können nicht für sich allein geprüft werden, da sie notwendig die Einschränkung eines anderen Konventionsrechts voraussetzen. Der Staat darf nicht unter Berufung auf ein Konventionsrecht, auch nicht unter Berufung auf die nur temporäre Einschränkungen erlaubenden Notstandsklauseln (Art. 15 EMRK / Art. 4 IPBPR),4 andere Konventionsrechte abschaffen oder einschränken. Auch der Einzelne kann sich gegenüber dem Staat nicht auf ein Konventionsrecht, wie etwa die Religions-, Meinungs- oder Vereinsfreiheit,5 berufen, wenn er damit ein Verhalten rechtfertigen will, das darauf abzielt, Konventionsrechte anderer abzuschaffen oder einzuschränken oder ein Konventionsrecht insgesamt zu beseitigen. Bei Missbrauch eines Konventionsrechts zur Rechtfertigung konventionswidriger Zwecke entfällt dessen Schutz. Die Anwendung von Art. 17 EMRK und Art. 5 Abs. 1 IPBPR hängt an sich von der 4 vorrangigen Frage ab, ob das beanstandete Verhalten nicht ohnehin bereits außerhalb der für die jeweilige Konventionsgarantie gezogenen Grenzen liegt, so dass deren Schutz ohnehin nicht eingreift. In solchen Fällen kommt es dann nicht mehr darauf an, dass Art. 17 EMRK bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines staatlichen Eingriffs einerseits ein bei der Abwägung zu berücksichtigendes zusätzliches Argument für dessen Rechtmäßigkeit liefern kann, während er andererseits auch die bei den einzelnen Artikeln aufgeführten Schranken für staatliche Eingriffe verstärkt. Gleiches gilt für Art. 5 Abs. 1 IPBPR, der als Missbrauchsverbot sowohl die staatlichen Eingriffe in Konventionsrechte6 als auch die aktive Ausübung von Konventionsrechten durch einzelne private Personen oder Gruppen7 begrenzt. Bei staatlichen Maßnahmen sind diese mitunter schon durch die in dem jeweiligen 5 Konventionsartikel festgelegten Eingriffsschranken nicht gedeckt. Dies kann vor allem bei den Art. 8 bis 11 EMRK der Fall sein, wo die Eingriffsvoraussetzungen in den jeweiligen Absätzen 2 abschließend festgelegt werden. Deren Missachtung macht einen Eingriff konventionswidrig, so etwa, weil er unverhältnismäßig ist oder das Erfordernis der Demokratieüblichkeit nicht erfüllt. Wenn der EGMR feststellt, dass eine staatliche Maßnahme gegen eine bestimmte Verbürgung der Konvention verstößt, verzichtet er in der Regel darauf, diese dann auch noch unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen Art. 17 oder 18 EMRK gesondert zu prüfen.8 Umgekehrt werden staatliche Maßnahmen, die von den Eingriffsvoraussetzungen der jeweiligen Konventionsgarantien gedeckt sind, vor allem, wenn man ihre Demokratieüblichkeit bejaht, in der Regel auch nicht als Missbrauch i.S.d. Art. 17 EMRK angesehen werden können.9 c) Handlungen einzelner privater Personen oder von Personengruppen werden nur 6 dann vom Missbrauchsverbot erfasst, wenn sie ein ihnen an sich zustehendes Konventionsrecht bewusst dazu benutzen, um auf die Einschränkung oder Abschaffung einzel-
4 5
6 7 8
gedanken der Art. 18 und 21 Abs. 2 GG; Nowak 1, 5. Vgl. Nowak 1. Vgl. Nowak 8, wonach der Missbrauch voraussetzt, dass die Konventionen ein aktives Ausüben bestimmter Konventionsrechte gewährleisten. Nowak 5, 6. Nowak 7, 8. Etwa EGMR Sporrong u. Lönnroth/S,
9
23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Cicek/TRK, 27.2.2001; MeyerLadewig 5; Villiger 702. Frowein/Peukert 5 mit Hinweis, dass die EKMR bei Vereinbarkeit der Einschränkungen mit den Gesetzesvorbehalten der einzelnen Konventionsgarantien auch eine Verletzung des Art. 17 IPBPR ausschloss; vgl. auch EGMR Engel/NL, 8.6.1976, A 22 = EuGRZ 1976 221; Villiger 702.
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EMRK Art. 17
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
ner oder aller Konventionsverbürgungen hinzuwirken. Es muss ein direkter Missbrauch des jeweils geltend gemachten Konventionsrechts selbst vorliegen, wie bei der Berufung auf die Meinungsfreiheit für rassistische, neonazistische oder sonst demokratiefeindliche Äußerungen.10 In solchen Fällen lassen Art. 17 EMRK und Art. 5 Abs. 1 IPBPR einen staatlichen 7 Eingriff in das zu konventionswidrigen Zwecken missbrauchte Konventionsrecht zu. Damit darf aber nur verhindert werden, dass ein bestimmtes Konventionsrecht zum Kampf gegen die von den Konventionen verbürgte Ordnung missbraucht werden kann. Die ausnahmsweise Zulassung des staatlichen Eingriffs in das Konventionsrecht bedarf einer besonderen Begründung und sorgfältiger Überprüfung hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit.11 Die anderen Gewährleistungen der Konventionen, die nicht selbst für einen solchen Zweck missbräuchlich beansprucht werden, bleiben in ihrer Geltung unberührt.12 Bei missbräuchlicher Berufung auf ein Konventionsrecht kann dieses zwar im konkreten Fall keine Schutzwirkung entfalten, sie führt aber nicht zum Verlust aller anderen Konventionsrechte.13
8
2. Begünstigungsklausel des Art. 5 Abs. 2 IPBPR. Art. 5 Abs. 2 IPBPR verfolgt einen völlig anderen Zweck. Er will günstigere innerstaatliche Regelungen für den Einzelnen aufrecht erhalten und davor schützen, dass diese durch die Berufung auf weniger weitreichende Verbürgungen des IPBPR eingeschränkt werden. Als ein bei Menschenrechtskonventionen üblich gewordenes Regelungsprinzip zur Verwirklichung des größtmöglichen Menschenrechtsschutzes steht er neben den anderen Günstigkeitsklauseln, den Spezialverweisen in den Art. 6 Abs. 2, 3 und Art. 22 Abs. 3 IPBPR und neben Art. 46 IPBPR, der dieses Prinzip auch für das Verhältnis zu den Vereinten Nationen und anderen internationalen Konventionen festlegt.14 Diese Regelung reiht sich damit ein in die auch bei Art. 53 EMRK und in anderen Konventionen15 geübte Praxis, ausdrücklich festzuschreiben, dass ihre Regeln jeweils Mindeststandards festlegen, die die Staaten nicht hindern, in innerstaatlichen Gesetzen oder durch internationale Vereinbarungen weitergehende Rechte einzuräumen.16 Art. 5 Abs. 2 IPBPR verbietet aber nur die Einschränkung einer weitergehenden innerstaatlichen Gewährleistung unter dem Vorwand, dass der IPBPR sie nicht vorsehe; Änderungen der innerstaatlichen Vergünstigungen aus anderen, sachlichen Gründen schließt er nicht aus.17
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Vgl. Frowein/Peukert 3; Meyer-Ladewig 3 beide zur Rechtfertigung des KPD-Verbots durch die EKMR; vgl. ferner EGMR Schimanek/A, 1.2.2000, ÖJZ 2000 817 (NS-Aktivitäten); ferner bei rassistischen Äußerungen: EKMR Glimmerveen u.a./NL, 11.10.1979, D.R. 18, 187; Frowein/Peukert 4; MeyerLadewig 4; EGMR Jersild/DK, 23.9.1994, A 298 = NStZ 1995 237 = ÖJZ 1995 227. Vgl. andererseits aber EGMR Vogt/D, 26.9.1995, A 323 = NJW 1996 375 = EuGRZ 1995 590 = NJ 1996 248 = ÖJZ 1996 75, wonach die Entlassung einer in der DKP aktiven Lehrerin
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nicht mit dem Missbrauch des Art. 10 EMRK zu rechtfertigen war. Vgl. zu provozierenden Werbeaussagen und der Pressefreiheit BVerfGE 107 275 = NJW 2003 1303 = JZ 2003 622. EGMR Lawless/IR, 1.7.1961, A 3; Frowein/ Peukert 2; Meyer-Ladewig 2; Villiger 704. Nowak 9. Nowak 2, 15. So auch Art. 53 EUC und Art. 29 lit. b AMRK. Vgl. Meyer-Ladewig Art. 53, 2. Nowak 13.
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Begrenzung der Rechtseinschränkungen
Art. 18 EMRK
Art. 18 EMRK EMRK Artikel 18 Begrenzung der Rechtseinschränkungen Die nach dieser Konvention zulässigen Einschränkungen der genannten Rechte und Freiheiten dürfen nur zu den vorgesehenen Zwecken erfolgen. 1. Allgemeines. Die Vorschrift hat nur Bedeutung, soweit die EMRK Einschränkungen 1 der in ihr garantierten Rechte und Freiheiten zulässt. Soweit sie ein Recht schrankenlos, ohne jede Möglichkeit der Einschränkung gewährleistet, ist für die Anwendung des Art. 18 EMRK nach seinem Wortlaut kein Raum.1 Der Vorschlag, Art. 18 EMRK einen autonomen Charakter zuzuerkennen und ihn auch bei einer schrankenlosen Gewährleistung zur Anwendung zu bringen, wenn die dortige Auslegung bzw. Abgrenzung Raum für Missbrauch lässt,2 verdient Beachtung, konnte sich allerdings vor dem EGMR (noch) nicht durchsetzen. Lässt die Konvention Einschränkungen zu, ist es an sich eine Selbstverständlichkeit, 2 dass diese nur für genau diejenigen Zwecke zulässig sind, für die die jeweiligen Konventionsbestimmungen dies ausdrücklich vorsehen.3 Die Bedeutung des Art. 18 EMRK liegt daher eher darin, die Staaten ausdrücklich daran zu erinnern, dass sie die Fälle, in denen die EMRK Eingriffe in die garantierten Rechte und Freiheiten gestattet, nicht extensiv auslegen oder im Wege der Analogie auf andere Fälle ausdehnen dürfen. Das gilt namentlich für den abschließenden Katalog zulässiger Gründe für eine Freiheitsentziehung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK (siehe dort Rn. 52 ff.). Für den EGMR bedeutet es, dass er auch von Konventions wegen kontrollieren muss, dass Einschränkungen durch das nationale Recht nur zu einem zulässigen Zweck angeordnet worden sind. 2. Anwendungsbereich. Art. 18 EMRK gilt in allen Fällen, in denen die EMRK Ein- 3 schränkungen der in ihr garantierten Rechte und Freiheiten zulässt. Der Verstoß kann deshalb auch nur im Zusammenhang mit der Anwendung einer Schrankenbestimmung gerügt werden.4 Wird zusätzlich zur Verletzung eines Konventionsrechts auch ein Verstoß gegen Art. 18 EMRK behauptet, müssen die Gründe substantiiert vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass der Betroffene Opfer einer in der jeweiligen Konventionsbestimmung nicht vorgesehenen Einschränkung ist.5 Art. 18 EMRK wurde auch herangezogen, um die Anwendung einer wegen des längst beendeten Notstands zeitlich nicht mehr gerechtfertigten Notstandsmaßnahme i.S.d. Art. 15 EMRK zu beanstanden.6 3. Verhältnis des Art. 18 EMRK zum eingeschränkten Konventionsrecht. Es liegt 4 immer auch ein unmittelbarer Verstoß gegen das betroffene Konventionsrecht vor, wenn die bei ihm zugelassenen Einschränkungen überschritten worden sind oder wenn mit seiner Einschränkung ein Zweck verfolgt wird, für den der betroffene Konventionsartikel keine Eingriffsermächtigung erteilt hat. Der darin liegende Konventionsverstoß wird in der Regel bereits bei Prüfung der Beachtung der jeweiligen Konventionsgarantie vom Ge1 2 3 4
So Meyer-Ladewig 1. Villiger 706. Vgl. Frowein/Peukert 1 (kein „detourment de pouvoir“). EKMR Kamma/NL, 14.7.1974, DR 1, 4; EGMR Oates/PL (E), 14.5.2000; Gusinskiy/R, 19.5.2004, ECHR 2004-IV, § 73 (Verhaftung
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und Zwang zum Verkauf eines Medienunternehmens); Frowein/Peukert 2. Vgl. EGMR Tanli/TRK, 10.4.2001, ECHR 2001-III; Meyer-Ladewig 1. EGMR De Becker/B, 27.3.1962, A 4; Frowein/Peukert 2.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
richtshof festgestellt, denn diese schließt auch die Zulässigkeit von Einschränkungen mit ein. Einer besonderen Berufung des Bf. auf Art. 18 EMRK bedarf es insoweit nicht; sie ist jedoch unschädlich und oft zweckmäßig, wenn Zweifel hinsichtlich der Konventionsgemäßheit des mit der Einschränkung verfolgten Zwecks bestehen (siehe Rn. 6). Ist der Gerichtshof der Meinung, dass der Eingriff gerechtfertigt war und deshalb 5 keine Verletzung der Konvention vorliegt, hält er in der Regel eine Erörterung des Art. 18 EMRK für entbehrlich.7 Der EGMR hat wiederholt entschieden, dass es neben der Feststellung einer Konventionsverletzung8 oder aber auch im umgekehrten Fall, wenn ein Eingriff gerechtfertigt war, weil die Schrankenbestimmung beachtet wurde,9 keiner besonderen Ausführungen zu Art. 18 EMRK bedarf. Vom Gerichtshof offen gelassen wurde bislang, ob die Verletzung von Art. 18 EMRK 6 auch erst mündlich in der Verhandlung vor der Großen Kammer geltend gemacht werden kann, wenn dies nicht schon in der Verhandlung vor der Kammer geschehen ist. In jedem Fall wird eine Verletzung von Art. 18 EMRK nur bei substantiierten Hinweisen geprüft.10 An die Darlegung der Umstände werden hohe Anforderungen gestellt.11
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4. Austausch von Schrankenbestimmungen. Wenn der vom Staat zur Rechtfertigung eines Eingriffs angeführte Grund diesen nicht zu rechtfertigen vermag, kann fraglich sein, ob der Eingriff trotzdem aufrechterhalten werden kann, weil ein anderer nach der jeweiligen Konventionsgarantie zulässiger Grund die Einschränkung rechtfertigt, der Eingriff also im Endergebnis mit der Konvention vereinbar war. Diese Frage kann zum Beispiel eine Rolle spielen, wenn sich, wie etwa bei Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 EMRK, die Eingriffsgründe inhaltlich überschneiden, die erforderliche Abwägung aber wegen der unterschiedlichen Gewichtung dieser Gründe zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs führen kann. Die nationale Norm, die den Eingriff trägt, gibt in aller Regel den sie rechtfertigenden Konventionsgrund nicht an, bei der nachträglichen Darlegung der Konventionsgemäßheit ihres Verhaltens berufen sich die Staaten meist auf alle in Frage kommenden Eingriffsziele, deshalb erscheint es mit den Belangen eines vernünftigen Menschenrechtsschutzes vereinbar, wenn bei der Prüfung durch den EGMR die Konventionsgemäßheit einer Maßnahme auf einen anderen Eingriffszweck gestützt wird, der die Einschränkung der Konventionsgarantie im zumindest gleichen Umfang erlaubt, wie der vom Staat zur Rechtfertigung des Eingriffs angeführte.12 Diente der Eingriff einem Zweck, der ihn nach der Konvention rechtfertigt, dürfte es unschädlich sein, wenn der Staat mit ihm zusätzlich auch noch einen anderen, in der Konvention nicht vorgesehenen Zweck verfolgt,13 solange durch diese Zielsetzung die ausschließlich am zulässigen Eingriffszweck zu messende Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewahrt bleibt. 7 8
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Meyer-Ladewig 1. EGMR Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Bozano/F, 18.12.1986, A 111 = NJW 1987 3066 = EuGRZ 1986 101; dazu Frowein/ Peukert 2 (EKMR hatte Art. 18 EMRK unterstützend herangezogen); Meyer-Ladewig 1; Villiger 705. EGMR Engel u.a./NL, 8.6.1976, A 22 = EuGRZ 1976 221; Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Frowein/Peukert 2, 4; Meyer-Ladewig 1; Villiger 705 je m.w.N. EGMR (GK) Sisojeva u.a./LET, 17.1.2007,
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NVwZ 2008 979 = InfAuslR 2007 140. Vor der Kammer (16.6.2005, EuGRZ 2006 554) hatten die Bf. die Verletzung von Art. 18 EMRK nicht gerügt. EGMR Khodorkovskiy/R, 31.5.2011, §§ 255, 256. Vgl. die sehr unterschiedliche Fälle betreffende Spruchpraxis der EKMR bei Frowein/ Peukert 3, 4. Kritisch zur kasuistischen Auslegung von Art. 18 EMRK in diesen Fragen Villiger 706. Zweifelnd Villiger 706.
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Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20.3.19521 EMRK Artikel 1 Schutz des Eigentums (1) Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. (2) Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält. Artikel 2 Recht auf Bildung Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgabe das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Artikel 3 Recht auf freie Wahlen Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten. IPBPR Artikel 18 (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen. Artikel 25 Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Art. 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; 1
BGBl. 1956 II S. 1879; für die BR Deutschland in Kraft seit 13.2.1957.
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b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden; c) unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben.
Schrifttum zum Recht auf Eigentum (Auswahl) Allen Property and The Human Rights Act 1998 (2005); Cremer Eigentumsschutz der Erben von Reformland in der ehemaligen DDR, EuGRZ 2004 134; Dolzer Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht (1985); Dolzer Eigentumsschutz als Abwägungsgebot, Bemerkungen zu Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls der EMRK, FS Zeidler 1679; Fiedler Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz des Eigentums, EuGRZ 1996 354; Fischborn Enteignung ohne Entschädigung nach der EMRK? – Zur Vereinbarkeit des entschädigungslosen Entzugs von Eigentum mit Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (2010); Frowein Der Eigentumsschutz in der EMRK, FS Rowedder 68; Gelinsky Der Schutz des Eigentums gem. Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (1996); Hartwig Der Eigentumsschutz nach Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK, RabelsZ 1999 561; Leisner „Eigentum als Menschenrecht“ – weder nach deutschem noch nach Völkerrecht geschützt, GedS Blumenwitz 195; Malzahn Bedeutung und Reichweite des Eigentumsschutzes in der Europäischen Menschenrechtskonvention (2007); Matiss Terrorismusbekämpfung und menschenrechtlicher Eigentumsschutz (2009); Mergner Das Bodenreformeigentum und die Eigentumsgewährleistungen (2009); Mittelberger Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK im Lichte der Rechtsprechung der Straßburger Organe (2000); Mittelberger Die Rechtsprechung des ständigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Eigentumsschutz – Bilanz nach den ersten zwei Jahren (November 1998 bis April 2001), EuGRZ 2001 364; Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union. Das Eigentumsrecht in der Rechtsordnung der EU, in der EMRK und in den Verfassungen Deutschlands, Italiens und Irlands (1997); Pabel Wahlrecht auch für Strafgefangene? ÖJZ 2005 550; Pech Der Schutz öffentlich-rechtlicher Ansprüche durch die Eigentumsgarantie des Ersten Zusatzprotokolls, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 233; Peukert Der Schutz des Eigentums nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1981 97; Peukert Die Rechtsprechung des EGMR zur Verhältnismäßigkeit einer Eigentumsentziehung nach zollrechtlichen Vorschriften, EuGRZ 1988 509; Riedel Entschädigung für Eigentumsentziehung nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention – Zur Herausbildung eines gemeineuropäischen Standards, EuGRZ 1988 333; Seidl-Hohenveldern Eigentumsschutz nach der EMRK und nach allgemeinem Völkerrecht im Lichte der EGMR-Entscheidungen in den Fällen James und Lithgow, FS Ermacora 181; Wildhaber The Protection of Legitimate Expectations in European Human Rights Law, FS Baudenbacher 253.
Übersicht Rn. I. Schutz des Eigentums 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Grundzüge der Regelung des Art. 1 des 1. ZP-EMRK . . . . . . . . . 3. Eigentum – Begriff . . . . . . . . 4. Eingriff . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. 5. Enteignung . . . . . . . . . . . . . . 6. Nutzungsregelungen . . . . . . . . . 7. Einziehung und Verfall . . . . . . . . II. Recht auf Bildung
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III. Recht auf freie Wahlen . . . . . . . . . .
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Schutz des Eigentums
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I. Schutz des Eigentums 1. Allgemeines. Art. 17 AEMR v. 10.12.1948 sieht vor, dass jedermann das Recht 1 hat, allein oder in Gemeinschaft mit anderen Eigentum zu haben, sowie, dass niemand willkürlich seines Eigentums beraubt werden darf. Beide Konventionen haben dieses zu den klassischen Menschenrechten2 zählende, auch Freiheit und Sicherheit verbürgende Recht3 nicht in ihre Garantien aufgenommen. Es wird nur mittelbar dort mitberücksichtigt, wo die Konventionen den Staat zum Schutz der Rechte anderer, zu denen auch das Eigentumsrecht gehört, die Einschränkung bestimmter Konventionsgarantien gestatten. Während beim IPBPR auch heute noch der Eigentumsschutz überhaupt fehlt,4 ist er 2 bei der EMRK erst nach Erreichung des zunächst fehlenden Konsenses durch Art. 1 des 1. ZP-EMRK vom 20.3.1952 den Konventionsgarantien beigefügt worden.5 Auf Eigentumsentziehungen, die vor der Ratifikation des ZP faktisch eingetreten waren, erstreckt sich die Eigentumsgarantie nicht,6 sehr wohl aber auf Ansprüche, die nach Inkrafttreten des ZP durch innerstaatliches Recht geschaffen wurden und sich auf staatliche Eingriffe beziehen, die vor Inkrafttreten des ZP lagen.7 Die EKMR und auch der EGMR haben ferner in Entscheidungen zur Bodenreform in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)8 und anderen Staaten unter sowjetischem Einfluss9 klargestellt, dass die Vertragsstaaten nicht verpflichtet sind, von ihren Rechtsvorgängern oder von Besatzungsmächten begangenes Unrecht zu beheben. Auch in der Entscheidung des EGMR zur Weigerung der deutschen Gerichte, den Nachkommen der Opfer eines Massakers der Waffen-SS 1944 in Griechenland eine Entschädigung zuzusprechen, unterstrich der Gerichtshof, dass die Konvention nach seiner gefestigten Rechtsprechung den Mitgliedstaaten keine spezifische Verpflichtung auferlegt, eine Wiedergutmachung für solches Unrecht oder solche Schäden zu leisten, welche ihre Vorgängerstaaten verursacht haben.10 Sollten die Vertragsstaaten sich entscheiden, Entschädigung zu gewähren, so steht ihnen insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zu.11 Die Verträge der früheren 2 3 4
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Vgl. Art. 2 und 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte v. 26.8.1789. Vgl. BVerfGE 50 339; 53 290; Dicke EuGRZ 1982 361. Dies lässt sich durch den Einfluss der früheren sozialistischen Staaten erklären (vgl. etwa Seidl-Hohenveldern FS Ermacora 181) und hing wohl auch mit dem Streben der DritteWelt-Staaten nach wirtschaftlicher Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 IPBPR) zusammen; vgl. Nowak Art. 1, 37 ff. Zur Entstehungsgeschichte und den Meinungsverschiedenheiten etwa Frowein/Peukert 1; Kälin/Künzli S. 485; Mittelberger EuGRZ 2001 364, 365; Partsch 219 ff.; Partsch ZaöRV 14 (1954) 645, 656 ff.; SeidlHohenveldern FS Ermacora 181; zum Kompromisscharakter dieses Artikels vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 562. EKMR EuGRZ 1978 188 (Ostverträge); vgl. auch BVerfGE 6 296 = NJW 1957 745; zur Anwendbarkeit der EMRK ratione temporis siehe Art. 1 EMRK Rn. 12.
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EGMR (GK) Broniowski/PL, 22.6.2004, ECHR 2004-V = NJW 2005 2521 = EuGRZ 2004 472 = ÖJZ 2006 130; Meyer-Ladewig 62. EKMR Weidlich u.a./D, 4.3.1996; EGMR (GK) Jahn u.a./D, 30.6.2005, ECHR 2005VI = NJW 2005 2907 = NVwZ 2005 1407 = NJ 2005 513; (GK) von Maltzan u.a., von Zitzewitz u.a. sowie MAN Ferrostaal u. Alfred Töpfer Stiftung/D (E), 2.3.2005, ECHR 2005-V = NJW 2005 2530 = EuGRZ 2005 305 = DVBl. 2005 831 = NJ 2005 325 = JuS 2006 350 m. Anm. Dörr. EGMR (GK) Kopecky´ /SLO, 28.9.2004, ECHR 2004-IX = NJW 2005 2537 = NJOZ 2005 2912; J.S. u. A.S./PL, 24.5.2005. EGMR Sfountouris u.a./D (E), 31.5.2011. EGMR Wos´/PL, 8.6.2006, ECHR 2006-VII, § 72 = NJOZ 2007 2326; Jantner/SLO, 4.3.2003.
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Europäischen Gemeinschaften erklärten ausdrücklich, dass sie die nationale Eigentumsordnung unberührt ließen.12 Auch andere völkerrechtliche Übereinkommen erkennen das Recht auf Eigentum an, 3 so etwa Abkommen, die die Rechtstellung von Ausländern, Flüchtlingen oder Staatenlosen meist in der Form von Meistbegünstigungsklauseln regeln. Es wird ferner unter die ohne jede Diskriminierung zu gewährenden Bürgerrechte in Art. 5 lit. d des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung von jeder Form der Rassendiskriminierung (CERD) aufgeführt.13 Die Regierungen der KSZE-Mitgliedstaaten hatten in Nr. 9.6 des Kopenhagener Abschlussdokuments v. 29.6.199014 das Recht des Einzelnen bestätigt, sich ungestört seines Eigentums zu erfreuen. Die Charta von Paris v. 21.11.1990 bekräftigte ebenfalls das Recht des Einzelnen, allein oder in Gesellschaft mit anderen Eigentum innezuhaben und selbständig Unternehmen zu betreiben.15 Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union16 bestätigt ebenfalls das 4 Recht jeder Person, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Eine Enteignung ist nur aus Gründen des öffentlichen Interesses unter den im Gesetz vorgesehenen Bedingungen und gegen angemessene Entschädigung zulässig. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit es für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Art. 17 Abs. 2 EUC hebt hervor, dass geistiges Eigentum geschützt ist. Der Wortlaut ist zwar etwas anders gefasst als der des Art. 1 des 1. ZP-EMRK; Art. 52 Abs. 3 EUC bestätigt jedoch, dass sich die Vorschrift in Bedeutung und Tragweite an der Parallelbestimmung der EMRK zu orientieren hat.
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2. Grundzüge der Regelung des Art. 1 des 1. ZP-EMRK. Das Recht auf Achtung ihres Eigentums („peacefull enjoyment of his possessions“ / „droit au respect de ses biens“) wird von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 jeder natürlichen oder juristischen Person garantiert. Achtung bedeutet, dass der Staat das im weiten Sinn als vermögenswerte Rechtsgüter zu verstehende Eigentum aller seiner Hoheitsgewalt unterliegenden Personen grundsätzlich zu respektieren hat; auch in Bezug auf seine Handlungen, die sich im Ausland auswirken.17 Dieser Grundsatz bestimmt die Struktur des ganzen Art. 1, der drei unterschiedliche, wechselseitig aber zusammengehörende Regeln enthält:18 Absatz 1 Satz 1 legt als Grundregel die Achtung des Eigentums fest, die für die Aus6 legung des gesamten Artikels maßgebend ist.19 Absatz 1 Satz 2 lässt die Entziehung des Eigentums nur unter bestimmten Voraussetzungen zu und Absatz 2 erkennt die Befugnis des Staates an, die Benutzung des Eigentums im allgemeinen Interesse zu regeln.
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Vgl. Art. 222 EWGV; Art. 83 Montanvertrag. BGBl. 1969 II S. 962. EuGRZ 1990 239. EuGRZ 1990 517. Zum Charakter dieser Erklärungen, die keine rechtlich bindenden Vertragspflichten begründen, vgl. Teil I Rn. 31 (CERD), 76 (Kopenhagener Abschlussdokument), 77 (Charta von Paris). ABlEU Nr. C 83 v. 30.3.2010, S. 389; BGBl. 2008 II S. 1165; vgl. auch die frühere Fassung aus dem Jahr 2000: ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000 = EuGRZ 2000 554. EKMR EuGRZ 1978 188 (Ostverträge).
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Zur sog. Drei-Normen-Regel etwa Cremer EuGRZ 2004 134, 135; Grabenwarter § 25, 8 ff.; Mittelberger EuGRZ 2001 364, 366, ferner Hartwig RabelsZ 1999 561, 570. Etwa EGMR (GK) Ehem. König von Griechenland u.a./GR, 23.11.2000, ECHR 2000XII = NJW 2002 45 = EuGRZ 2001 397 = ÖJZ 2002 351 = NVwZ 2002 321; (GK) Ehem. König von Griechenland/GR, 28.11.2002 = NJW 2003 1721 (Urteil zur Frage der Entschädigung); Kalogeropoulos u.a./GR u. D (E), 12.12.2002, ECHR 2002X = NJW 2004 273.
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
Die Grundsatzregelung des Absatzes 1 Satz 1 bestimmt die Auslegung des gesamten Artikels. Die klassischen Eingriffsformen (Enteignung nach Absatz 1 Satz 2; Nutzungsbeschränkung nach Absatz 2) werden als besondere Beispiele für die Eingriffe und ihre Schranken verstanden.20 Auf die Grundregel des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 hat deshalb der EGMR mitunter auch unmittelbar zurückgegriffen, wenn im Einzelfall zweifelhaft war, ob eine staatliche Regelung nach Absatz 1 Satz 2 oder nach den in Absatz 2 besonders angesprochenen Fällen zu beurteilen war.21 Der EGMR prüft dann gleichfalls, ob der in Frage stehende Eingriff dem grundlegenden Gebot zur Achtung des Eigentums dadurch Rechnung trägt, dass er eine ausreichende Rechtsgrundlage hat, einen im Allgemeininteresse liegenden Zweck verfolgt und die Nachteile des Betroffenen gerecht ausgeglichen werden.22 Ob es bei Zuordnungsschwierigkeiten wirklich sinnvoll ist, unmittelbar aus der allgemein gehaltenen grundsätzlichen Garantie des Privateigentums zusätzlich eine ergänzende Möglichkeit der Eingriffsprüfung herzuleiten, ist strittig.23 Da aber auch dann die Zulässigkeit des Eingriffs nach den gleichen Voraussetzungen (ausreichende Rechtsgrundlage, Allgemeininteresse, Verhältnismäßigkeit) beurteilt wird, ist es vom Ergebnis her unerheblich, ob man Absatz 1 Satz 1 als Auffangregelung unmittelbar heranzieht24 oder das gleiche Ergebnis mit der analogen Anwendung der von gleichen Grundgedanken bestimmten Eingriffsschranken des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 gewinnt. Absatz 1 Satz 2 betrifft die Zulässigkeit des Eigentumsentzugs unter gesetzlich festgelegten Bedingungen, die hinreichend bestimmt, den Betroffenen zugänglich und vorhersehbar sein müssen. Es muss ein gerechter Ausgleich zwischen dem mit dem Eingriff verfolgten öffentlichen Interesse und dem Schutz der Rechte des Betroffenen hergestellt werden.25 Absatz 2 ermächtigt die Staaten, den Gebrauch (Benutzung) des Eigentums entsprechend dem Allgemeininteresse zu regeln.26 Der Staat darf ferner unter gesetzlich fest-
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EGMR James u.a./UK, 21.2.1986, A 98 = EuGRZ 1988 341; Islamische Religionsgemeinschaft/D (E), 5.12.2002, ECHR 2002-X = NJW 2004 669; Jahn u.a./D, 22.1.2004, NJW 2004 923 = EuGRZ 2004 57 = DVBl. 2004 365 = NJ 2004 167. Etwa EGMR Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; Poiss/A, 23.4.1987, A 117 = NJW 1989 650; Stran Greek Refineries u. Stratis Andreadis/GR, 9.12.1994, A 301-B = ÖJZ 1995 432; Pressos Compania Naviera S.A. u.a./B, 20.11.1995, A 332 = EuGRZ 1996 193 = ÖJZ 1996 275; (GK) Iatridis/GR, 25.3.1999, ECHR 1999-II = EuGRZ 1999 316; (GK) Beyeler/I, 5.1.2000, ECHR 2000-I = NJW 2003 654; (GK) Broniowski/PL (Fn. 7); wohl auch EGMR Kalogeropoulos u.a./GR u. D (E) (Fn. 19); Verweigerung der erforderlichen Zustimmung zur Zwangsvollstreckung in Vermögen der Bundesrepublik; vgl. Cremer EuGRZ 2004 134, 136; Grabenwarter § 25, 14; Meyer-Ladewig 51 ff. m.w.N.
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Meyer-Ladewig 53. Zur Entwicklung der wegen der Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts zunächst angezweifelten Entschädigungspflicht bei der Enteignung von eigenen Staatsangehörigen bis zu deren endgültiger Anerkennung durch EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); Seidl-Hohenveldern FS Ermacora 181, 182 ff. Vgl. Mittelberger EuGRZ 2001 364, 366 m.w.N.; ferner etwa Hartwig RabelsZ 1999 561, 570. Meyer-Ladewig 51, 53. EGMR Hentrich/F, 22.9.1994, A 296-A = EuGRZ 1996 593 = ÖJZ 1995 594; Lithgow u.a./UK, 8.7.1986, A 102 = EuGRZ 1988 350; (GK) Beyeler/I (Fn. 21); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8). H.M. EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); James u.a./UK (Fn. 20); AGOSI/UK, 24.10.1986, A 108 = NJW 1989 3079 = EuGRZ 1988 513; Fredin/S (Nr. 1), 18.2.1991, A 192 = ÖJZ 1991 514; Wittek/D,
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gelegten Voraussetzungen in das Eigentum eingreifen oder es entziehen, so vor allem, wenn es rechtswidrig gebraucht wird oder wenn dadurch die Erfüllung von Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit erzwungen werden soll.27 Aus dem grundsätzlichen Achtungsanspruch des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 folgt auch hier eine Grenze für alle gesetzlich zulässigen Maßnahmen. Sein Schutz darf nicht leerlaufen. Vermögensentziehende Maßnahmen dürfen nicht unverhältnismäßig sein.28 Dem Einzelnen darf kein unvertretbares Sonderopfer zugemutet werden. Der Staat muss auch hier einen gerechten Ausgleich („fair balance“) zwischen den verfolgten öffentlichen Belangen und der Bedeutung des fundamentalen Grundrechtes für das Individuum wahren.29 Dazu gehört auch, dass die Behörden bei einem im Allgemeininteresse gerechtfertigten Eingriff in das Eigentum in angemessener Zeit handeln müssen. Sie dürfen nicht mehrere Jahre zuwarten und den Betroffenen über den Eingriff im Ungewissen lassen.30
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3. Eigentum – Begriff. Eigentum wird in Art. 1 nicht definiert. Die verschiedenen Bezeichnungen („possessions“, „property“ / „biens“) meinen dasselbe. Der Begriff hat eine autonome Bedeutung;31 er wird im weiten Sinn und nicht etwa im Sinne der unterschiedlichen Eigentumsbegriffe des jeweiligen nationalen Sachenrechts32 verstanden. Ähnlich wie bei Art. 14 GG ist Schutzgut das vom nationalen Recht als bestehend 12 anerkannte persönliche Vermögen. Der Schutz umfasst aber auch sonstige erworbene Rechte und Berechtigungen mit Vermögenswert,33 die innerstaatlich anderen Grundrechtsverbürgungen (etwa Art. 12 GG) zugerechnet werden. Ein Vertrag, der nach einer verbindlichen innerstaatlichen Entscheidung nichtig ist, ist aber nicht geeignet, dem
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12.12.2002, ECHR 2002-X = NJW 2004 1583 = EuGRZ 2003 224. Vgl. Grabenwarter § 25, 12 f.; Meyer-Ladewig 52. EGMR Pressos Compania Naviera S.A. u.a./B (Fn. 21); Wittek/D (Fn. 26); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8). Zu dem vom EGMR nicht immer gleich gesehenen Verhältnis zwischen Gesetzmäßigkeit und dem im Wortlaut der Konvention nicht zu findenden Verhältnismäßigkeitsprinzip Mittelberger EuGRZ 2001 364, 367 ff.; ferner etwa Fiedler EuGRZ 1996 354, 355 („mittelbare Kanalisation des öffentlichen Interesses“); Hartwig RabelsZ 1999 561, 572 ff. EGMR James u.a./UK (Fn. 20); Lithgow u.a./UK (Fn. 25); Poiss/A (Fn. 21); Mellacher u.a./A, 19.12.1989, A 169 = ÖJZ 1990 150 = JBl 1990 507: „fair balance“; Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26); (GK) Iatridis/GR (Fn. 21); Wittek/D (Fn. 26); (GK) Beyeler/I (Fn. 21); vgl. auch EKMR EuGRZ 1991 427 („reasonable relationship of proportionalities“). EGMR (GK) Beyeler/I (Fn. 21): Verletzung des Art. 1 des 1. ZP-EMRK, weil Behörde das staatliche Vorkaufsrecht bei einem Gemälde erst nach mehr als 4 Jahren seit Kennt-
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nis des gesamten Sachverhalts ausgeübt hatte. EGMR Saccoccia/A, 18.12.2008, § 85 = ÖJZ 2009 619 (gemietetes Banksafe; ExequaturVerfahren; Vermögensbeschlagnahme aufgrund einer amerikanischen final forfeiture); Riela u.a./I (E), 4.9.2001; (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19); (GK) Beyeler/I (Fn. 21); Ehlers/Wegener § 5 II 1, 5 unter Verweis auf EKMR Holy Monasteries/GR (E), 5.6.1990, EuGRZ 1993 607, 609. Auch das heutige Recht der Europäischen Union stellt nicht auf die nationalen Eigentumsbegriffe ab (vgl. Art. 345 AEUV). EGMR van Marle u.a./NL, 26.6.1986, A 101 = EuGRZ 1988 35: Bezeichnung Wirtschaftsprüfer; Gasus Dossier- & Fördertechnik GmbH/NL, 23.2.1995, A 306-B; (GK) Iatridis/GR (Fn. 21): Kundenstamm eines Kinos; Wittek/D (Fn. 26); Peukert EuGRZ 1981 99 ff.; Grabenwarter § 25, 3; Meyer-Ladewig 9 ff.; vgl. krit. auch Hartwig RabelsZ 1999 561, 566 (Gefahr, dass Eigentumsbegriff konturenlos wird und künftige Gewinnerwartungen abgesichert werden).
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
Betroffenen eine eigentümerähnliche Stellung im Sinne der Konventionsgarantie zu verschaffen.34 Neben dem Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen im Sinne des bür- 13 gerlichen Rechts umfasst der Begriff alle an das Eigentum anknüpfenden Rechte, wie etwa das Jagdrecht,35 sowie sonstige bestehende Rechte, die einen Vermögenswert darstellen, so zum Beispiel tatsächlich existierende Forderungen36 und geldwerte Ansprüche oder sonstige (wohlerworbene) vermögenswerte Rechte („acquired rights“ / „droits acquis“).37 Eigentum i.S.d. Art. 1 sind auch Rechte aufgrund einer öffentlichrechtlichen Erlaubnis,38 so etwa das Recht zum Kiesabbau39 oder die einem Restaurant erteilte Schankerlaubnis für Alkohol,40 ferner ein aufgrund eines rechtskräftigen Urteils oder eines Schiedsspruchs erlangter Zahlungsanspruch41 oder sonstige Vermögenswerte, bei denen eine berechtigte Erwartung besteht, sie als Eigentum zu erlangen.42 Ein Anspruch gegen den Staat, dass er die Kaufkraft des bei einer Bank angelegten Geldes gegen Inflation schützt, folgt daraus nicht.43 Eigentum sind auch alle durch persönlichen Einsatz geschaffenen vermögenswerten 14 Positionen, wie etwa das geistige Eigentum,44 insbesondere auch das Eigentum an einer eingetragenen Marke,45 oder das Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb46 einschließlich des erworbenen Kundenstamms („good will“),47 oder eine Steuerberateroder Anwaltskanzlei mit ihrer Klientel.48 Zum Eigentum werden ferner sonstige erwor-
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EGMR Kötterl u. Schittily/A (E), 9.1.2003, ÖJZ 2003 477; wenn dagegen ein Staat die durch einen Schiedsspruch erlangten Ansprüche nachträglich durch ein Gesetz aufhebt, liegt darin ein ungerechtfertigter Eingriff in erworbenes Eigentum, vgl. EGMR Stran Greek Refineries u. Stratis Andreadis/GR (Fn. 21). EGMR (GK) Chassagnou u.a./F, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 1999 3695 = ÖJZ 2000 113. EGMR van der Mussele/B, 23.11.1983, A 70 = EuGRZ 1985 477; (GK) Beyeler/I (Fn. 21); Lenz/D (E), 27.9.2001, ECHR 2001-X = NJW 2003 2441 = EuGRZ 2001 484: „Forderungen, für die eine berechtigte Erwartung der Realisierung geltend gemacht werden kann“; Mordechai Poznanski/D (E), 3.7.2007, NJW 2009 489; EKMR bei Strasser EuGRZ 1988 619; vgl. Peukert EuGRZ 1981 100. EGMR van Marle u.a./NL (Fn. 33), § 41. Vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 566 f. EGMR Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26). EGMR Tre Traktörer AB/S, 7.7.1989, A 159, dazu Hartwig RabelsZ 1999 561, 567. EGMR Stran Greek Refineries u. Stratis Andreadis/GR (Fn. 21); Kalogeropoulos/GR u. D (E) (Fn. 19). EGMR Pine Valley Developments Ltd u.a./IR, 29.11.1991, A 222 = ÖJZ 1992 459;
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Pressos Compania Naviera S.A. u.a./B (Fn. 21); Islamische Religionsgemeinschaft/D (E) (Fn. 20): Treuhandverwaltung einer PDSSpende. EGMR Ryabykh/R, 24.7.2003, ECHR 2003IX; Rudzińska/PL (E), 7.9.1999, Rep. 1999VI; Gayduk u.a./UKR (E), 2.7.2002, ECHR 2002-VI; Todorov/BUL (E), 13.5.2008; vgl. Goedecke JIR 46 (2003) 606, 629. Frowein/Peukert 6; Grabenwarter § 25, 4; Meyer-Ladewig 21; Peukert EuGRZ 1981 97, 103; vgl. auch Art. 17 Abs. 2 EUC. EGMR (GK) Anheuser-Busch Inc./P, 11.1.2007, GRUR 2007 696 = GRURInt 2007 901. Zum Eigentumsbegriff des 1. ZP-EMRK: Frowein/Peukert 4 ff.; Partsch 227; Schorn 3; Peukert EuGRZ 1981 97; Riedel EuGRZ 1988 334; zu Beispielen aus der Spruchpraxis der früheren EKMR vgl. etwa Bleckmann EuGRZ 1981 123; 1982 315 ff.; 1983 219; Strasser/Weber EuGRZ 1988 92 ff.; Strasser EuGRZ 1988 615. EGMR van Marle u.a./NL (Fn. 33); (GK) Iatridis/GR (Fn. 21); Hoerner Bank/D (E), 20.4.1999, ECHR 1999-IV = NJW 2001 1555; Grabenwarter § 25, 4; Ehlers/Wegener § 5 II 1, 11 f. EGMR Olbertz/D (E), 25.5.1999, ECHR 1999-V = NJW 2001 1558; Döring/D (E), 9.11.1999, ECHR 1999-VIII = NJW 2001
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1. ZP EMRK
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bene Ansprüche gerechnet, wie der Anspruch auf ein vertraglich vereinbartes Vorruhestandsgeld.49 Auch Versorgungsansprüche, die aufgrund eigener Leistungen entstanden sind, zäh15 len zum Eigentum,50 wie Leistungen eines nationalen Sozialversicherungssystems oder ein Pensionsanspruch.51 Dabei wird allerdings nicht unbedingt ein Recht auf Zahlungen in einer bestimmten Höhe garantiert.52 Auch das Recht auf Notstandshilfe (österreichisches Recht) hat der EGMR als Eigentum angesehen, weil es auch an frühere Beitragszahlungen zur (ausgelaufenen) Arbeitslosenunterstützung geknüpft war.53 Der Schutz eines erlangten Vermögenswertes entfällt nicht etwa deshalb, weil dieser mit einem seinen Bestand in Frage stellenden Recht, wie etwa einem nationalen Vorkaufsrecht, belastet ist.54 Nur das private Eigentum eines (ehem.) Staatsoberhauptes, nicht aber das ihm zur Verfügung gestellte öffentliche Eigentum unterfällt dem Schutz des Art. 1.55 Der Erwerb künftigen Eigentums, auf das noch kein durchsetzbarer Anspruch 16 besteht,56 wird nicht geschützt. Die Aussicht auf einen künftigen Vermögenserwerb fällt nicht in den Schutzbereich;57 desgleichen auch nicht die Beeinträchtigung künftiger Erwerbsmöglichkeiten aufgrund einer Änderung nationaler Gesetze.58 Art. 1 erfasst auch nicht die Pflicht zur Übernahme einer unentgeltlichen oder geringer entlohnten Tätigkeit.59 Geschützt wird das Recht, über das eigene Vermögen zu verfügen,60 nicht aber ein bis zum Eintritt des Erbfalls nur als Anwartschaft bestehendes Erbrecht.61 Durch erbrachte eigene Leistungen oder durch eine günstige Rechtslage erlangte private oder
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1558 = AnwBl. 2000 747; vgl. ferner EGMR Wendenburg u.a./D (E), 6.2.2003, ECHR 2003-II = NJW 2003 2221 = EuGRZ 2003 709 = ÖJZ 2004 775; Grabenwarter § 25, 4; Meyer-Ladewig 21. EGMR Lenz/D (E) (Fn. 36). Vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 567 (Parallele zu innerstaatlichen Entwicklungen). Etwa EGMR Feldbrugge/NL, 29.5.1986, A 99 = EuGRZ 1988 14; Deumeland/D, 29.5.1986, A 100 = NJW 1989 652 = EuGRZ 1988 20; Jankovic/KRO (E), 12.10.2000, ECHR 2000-X; Wessels-Bergervoet/NL, 4.6.2002, ECHR 2002-IV = ÖJZ 2003 516: Diskriminierende Festsetzung der Pensionsansprüche; Asmundsson/ISL, 12.10.2004, ECHR 2004-IX, §§ 39 ff.; Grabenwarter § 25, 5; Hartig RabelsZ 1999 561, 566 f.; Meyer-Ladewig 15; Ehlers/Wegener § 5 II 1, 13 ff. je m.w.N.; vgl. auch Hailbronner JZ 1997 397 (in Anlehnung an BVerfGE 63 152, 174; 69 272, 307: verneinend bei Fehlen einer eigenen Leistung). EGMR Lenz/D (E) (Fn. 36; Vorruhestandsgeld; EGMR ließ Anwendbarkeit des 1. ZP-EMRK offen, da der in der Absenkung der Berechnungsgrundlage liegende Eingriff nicht unverhältnismäßig zu dem damit verfolgten Ziel war).
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EGMR Gaygusuz/A, 16.9.1996, Rep. 1996IV = ÖJZ 1996 955 = JZ 1997 405 mit krit. Anm. Hailbronner JZ 1997 397. Vgl. EGMR (GK) Beyeler/I (Fn. 21); wegen Vorkaufsrecht des italienischen Staates widerruflicher Eigentumserwerb an einem Gemälde. EGMR (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19); Meyer-Ladewig 23. EGMR Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48); Ian Edgar (Liverpool) Ltd./UK (E), 25.1.2000, ECHR 2000-I; Levänen u.a./FIN (E), 11.4.2006; (GK) Anheuser-Busch/P (Fn. 45), § 64; vgl. auch EGMR van Marle u.a./NL (Fn. 33). EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = NJW 1979 2449 = EuGRZ 1979 454 = FamRZ 1979 903. Vgl. EGMR Andrews u.a./UK (E), 26.9.2000 (Gesetzesänderung über Feuerwaffen). EGMR van der Mussele/B (Fn. 36); vgl. ferner EKMR EuGRZ 1975 47 (Anwaltsgebühren). EGMR Handyside/UK, 7.12.1976, A 24 = EuGRZ 1977 38; Marckx/B (Fn. 57). EGMR Marckx/B (Fn. 57); Grabenwarter § 25, 6; Riedel EuGRZ 1988 333, 334.
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
öffentlich-rechtliche Rechtspositionen fallen darunter, wenn sie eine bereits rechtlich fundierte Erwartung auf „Eigentumserwerb“ begründen.62 Von Art. 1 ebenfalls geschützt ist die berechtigte Erwartung („legitimate expecta- 17 tion“), Eigentum zu erlangen.63 Diese Erwartung muss sich allerdings entweder auf die nicht lediglich zukünftige Rechtslage oder gefestigte Rechtsprechung konzentrieren.64 Die einfache Erwartung, die Rechtslage werde sich ändern, ist insoweit unzureichend.65 Von der Begründung einer „berechtigten Erwartung“ kann nicht ausgegangen werden, wenn die richtige Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts strittig ist und das Vorbringen in der Folge von den innerstaatlichen Gerichten zurückgewiesen wird.66 4. Eingriff. Ein Eingriff in das Eigentum unter Verletzung der Garantie des Absatzes 1 18 Satz 1 kann in einem aktiven Handeln staatlicher Stellen zu sehen sein, z.B. in einem Diebstahl,67 aber auch vorliegen, wenn es der Staat entgegen seiner allgemeinen Schutzpflicht aus Art. 1 EMRK unterlässt, in seinem Herrschaftsbereich oder in Teilen davon die effektive Ausübung des Eigentumsrechts zu gewährleisten und die zum Schutz des Eigentumsrechts notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.68 Das bewusste Unterlassen gebotener Maßnahmen kann dann einem aktiven Eingriff des Staates in das Eigentum gleichkommen. Der Staat hat in beiden Fällen einen von ihm zu verantwortenden Eigentumseingriff 19 durch einen legitimen Zweck zu rechtfertigen und für einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Einzelnen und denen der Gemeinschaft zu sorgen: Deshalb hat der EGMR verschiedentlich verzichtet, sich auf einen der beiden ineinander übergehenden Gesichtspunkte (aktives Handeln – Untätigkeit) festzulegen.69 Die Nichtvollstreckung eines rechtskräftigen Urteils stellt ebenfalls einen Eingriff in 20 das Eigentum dar.70 Auch ohne formale Enteignung i.S.d. Absatzes 1 Satz 2 oder ausdrückliche Anordnung einer Nutzungsbeschränkung i.S.d. Absatzes 2 kann ein Eingriff
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Vgl. EGMR Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48, im konkreten Fall offen gelassen); MeyerLadewig 10, 21 (good will); vertiefend: Wildhaber FS Baudenbacher 253. EGMR (GK) Gratziner u. Gratzingerova/CS (E), 10.7.2002, ECHR 2002-VII; (GK) Kopecký/SLO (Fn. 9). EGMR Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia dall’Internamento e dalla Guerra di Liberazione/D (E), 4.9.2007, NJW 2009 492, 493 f. m. Anm. Dörr JuS 2009 741; vgl. auch EGMR Sfountouris u.a./D (E) (Fn. 10): Massaker der Waffen-SS in Griechenland; nationale Gerichte hatten deutsches und internationales Recht nicht willkürlich angewandt, d.h. es bestand keine berechtigte Erwartung, eine Entschädigung für einen erlittenen Schaden zu erhalten. EGMR (GK) von Maltzan u.a., von Zitzewitz u.a. sowie MAN Ferrostaal u. Alfred Töpfer Stiftung/D (E) (Fn. 8); Ernewein u.a./D (E), 12.5.2009, EuGRZ 2009 580.
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EGMR (GK) Kopecký/SLO (Fn. 9), § 50; (GK) Anheuser-Busch Inc./P (Fn. 45), § 65; Schaedel/D (E), 3.2.2009. EGMR Sadykov/R, 7.10.2010, §§ 262–267. Vgl. EGMR (GK) Broniowski/PL (Fn. 7) m.w.N. EGMR (GK) Broniowski/PL (Fn. 7): Staat ist seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, entsprechend einem früher erlassenen Gesetz für einen gerechten Ausgleich der Landverluste im ehem. Ostpolen zu sorgen. EGMR Burdov/R, 7.5.2002, ECHR 2002-III; Burdov/R (Nr. 2), 15.1.2009; Jasiūnienė/LIT, 6.3.2003; Voytenko/UKR, 29.6.2004; Jeličić/BIH, 31.10.2006, ECHR 2006-XII; regelmäßig wird in diesem Fall auch Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt sein, vgl. EGMR Hornsby/GR, 19.3.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 236: Recht auf Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils ist Teil des Fair-TrialGrundsatzes.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
in das Eigentum schon darin liegen, dass der Staat dem Eigentümer die Nutzung seines Eigentums unmöglich macht („de facto Enteignung“),71 sei es, dass er ihm durch seine Organe langfristig den Zugang zu dem Gebiet verwehrt, im dem sein Eigentum liegt,72 sei es, dass er den Eigentümer langfristig durch ein vorläufiges Bauverbot an der Nutzung seines Eigentums hindert.73 Auch eine gesetzliche Regelung, durch die eine unwirksame Eigentumsübertragung nachträglich geheilt werden soll, greift in das Eigentum ein,74 desgleichen ist die Zerstörung eines Hauses durch Sicherheitskräfte ein Eingriff in das Eigentum.75 Die Kürzung eines mit dem Arbeitgeber vereinbarten Vorruhestandgeldes durch den Gesetzgeber stellt jedoch keinen Eingriff in das Eigentum dar, da der Anspruch nur dem Grunde nach, nicht aber in einer bestimmten Höhe unter den Schutz des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 fällt.76 Die bloße Nennung einer Organisation auf einer Liste terroristischer Vereinigungen, deren Vermögen möglicherweise eingefroren werden wird, stellt noch keinen Eingriff in das Eigentum dar.77
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5. Enteignung. Die Enteignung wird durch Art. 1 ZP-EMRK nicht ausgeschlossen, sie ist aber nach Absatz 1 Satz 2 nur zulässig, wenn sie in den nationalen Gesetzen vorgesehen ist. Die Bedingungen, unter denen das Eigentum entzogen werden kann, müssen durch einen allen zugänglichen und eindeutigen Rechtssatz festgelegt und damit für die Betroffenen vorhersehbar sein (vgl. Rn. 9). Bei dem Eingriff müssen die materiellen und formellen Voraussetzungen des innerstaatlichen Rechts eingehalten78 und die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beachtet werden,79 zu denen auch die Beachtung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gehört. Das gilt nicht nur für die formalen Enteignungsgesetze, sondern auch für sonstige staatliche Maßnahmen, die eine Eigentumsentziehung anordnen oder ihr in der Wirkung de facto gleichkommen.80 Die Enteignung oder die ihr de facto gleichkommende Maßnahme muss im öffent22 lichen Interesse liegen. Außerdem ist bei allen staatlichen Eingriffen in das Eigentum die Verhältnismäßigkeit zwischen dem im öffentlichen Interesse verfolgten Ziel und den Grundrechten des Betroffenen zu wahren. Es muss ein gerechtes (faires) Gleichgewicht zwischen den tangierten Interessen hergestellt werden. Dem Betroffenen darf dadurch
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Vgl. EGMR Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26; Widerruf einer Kiesabbaubewilligung im entschiedenen Fall keine de facto Enteignung). EGMR (GK) Loizidou/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = EuGRZ 1997 555 = ÖJZ 1997 793 (Zugang zu Grundstück in Nordzypern). EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); Meyer-Ladewig 26. EGMR Forrer-Niedenthal/D, 20.2.2003, NJW 2004 927 = VIZ 2004 170 = ZOV 2004 68. Meyer-Ladewig 28 unter Hinweis auf EGMR Dulas/TRK, 30.1.2001. EGMR Lenz/D (E) (Fn. 36). EGMR Segi, Gestoras pro Amnestia u.a./ Mitgliedsstaaten der EU (E), 23.5.2002, ECHR 2002-V.
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Zum Erfordernis der Gesetzmäßigkeit, der gegenüber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der neuen Rechtsprechung des EGMR – etwa EGMR (GK) Iatridis/GR (Fn. 21); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19) – stärkeres Gewicht beigemessen wird, vgl. Mittelberger EuGRZ 2001 364, 370 ff.: Eine nicht dem Gesetz entsprechende Enteignung ist unzulässig, so dass es auf ihre Verhältnismäßigkeit nicht mehr ankommt. EGMR James u.a./UK (Fn. 20); (GK) Iatridis/GR (Fn. 21); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8); Baklanov/R, 9.6.2005; Frizen/R, 24.3.2005; Ismayilov/R, 6.11.2008; MeyerLadewig 48. EGMR Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26).
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
keine unverhältnismäßige Last auferlegt werden.81 Eine gewährte Entschädigung muss dem Wert des entzogenen Eigentums in vernünftiger Weise Rechnung tragen.82 Bei Beurteilung der Frage, ob ein gerechter Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen und dem Schutz der Rechte des Einzelnen gewahrt wurde, zieht der EGMR alle Umstände des Einzelfalls, die Anwendung der gesetzlichen Regelungen auf den Betroffenen und die Modalitäten seiner Entschädigung in Betracht.83 In der Regel stellt eine Enteignung einen unverhältnismäßigen Eingriff dar, wenn keine Entschädigung gezahlt wird.84 Bei Enteignungen, die vor dem Inkrafttreten der Konventionen durchgeführt wurden, ist die Hoffnung auf deren rechtliche Unwirksamkeit oder Rückgängigmachung und damit auf Anerkennung oder Wiedererlangung eines entzogenen Eigentums kein nach Art. 1 geschützter Vermögenswert.85 Das für eine Enteignung zu fordernde öffentliche Interesse wird dabei weit ausgelegt. Es deckt alle Maßnahmen ab, mit denen der Staat eine legitime Politik, vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder der Bodenordnung verfolgt, so etwa für Zwecke des Straßenbaus86 oder der Flurbereinigung.87 Maßnahmen des Gesetzgebers, die nach einem Wechsel des Wirtschaftssystems im Bereich der Eigentumsordnung Rechtsfrieden und Rechtssicherheit wiederherstellen sollen,88 sowie Enteignungen, die keine Nutzung durch die Allgemeinheit begründen, sondern in Verfolgung einer sozialpolitischen Zielsetzung zugunsten Privater wirken, können hierunter fallen.89 Auch die Beachtung von Unionsrecht durch die Mitgliedsstaaten der EU kann ein berechtigtes öffentliches Interesse darstellen.90
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EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); Pressos Compania Naviera S.A. u.a./B (Fn. 21); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19): Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48); Forrer-Niedenthal/D (Fn. 74); vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 572; MeyerLadewig 41. EGMR Holy Monasteries/GR, 9.12.1994, A 301-A = ÖJZ 1995 428; (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19). Etwa EGMR Noack u.a./D (E), 25.5.2000, ECHR 2000-VI = LKV 2001 69 = NVwZ 2001 307 („Gemeinde Horno“); Forrer-Niedenthal/D (Fn. 74); Hamer/B, 27.11.2007, ECHR 2007-V. Nur unter außergewöhnlichen Umständen kann dies anders sein, vgl. EGMR Holy Monasteries/GR (Fn. 82); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8). EGMR (GK) von Maltzan u.a., von Zitzewitz u.a. sowie MAN Ferrostaal u. Alfred Töpfer Stiftung/D (E) (Fn. 8); (GK) Malhous/CS (E), 13.12.2000, ECHR 2000-XII; Meyer-Ladewig 57 ff.; vgl. auch zum Klageausschluss des Überleitungsvertrags EGMR
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(GK) Fürst Adam II von und zu Liechtenstein/D, 12.7.2001, ECHR 2001-VIII = NJW 2003 649 = EuGRZ 2001 466 = ÖJZ 2002 347 = VIZ 2003 174; dazu kritisch Blumenwitz AVR 40 (2002) 215. EGMR (GK) Papachelas/GR, 25.3.1999, ECHR 1999-II = EuGRZ 1999 319 = NVwZ 1999 1325. EGMR Prötsch/A, 15.11.1996, Rep. 1996-V = ÖJZ 1997 190; Meyer-Ladewig 39. Vgl. etwa EGMR Forrer-Niedenthal/D (Fn. 74); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8); vgl. auch das vorangegangene Kammer-Urteil (Fn. 20); dazu Hornickel NVwZ 2004 567 u. Dörr JuS 2004 808. EGMR Lithgow u.a./UK (Fn. 25); James u.a./UK (Fn. 20); Hákansson u. Sturesson/S, 21.2.1990, A 171-A = EuGRZ 1992 5; (GK) Ehem. König von Griechenland u.a./GR (Fn. 19); Hartwig RabelsZ 1999 561, 568. EGMR (GK) Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi/IR, 30.6.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2006 197 = EuGRZ 2007 662 = EuR 2006 78; Meyer-Ladewig 38.
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Dem Gesetzgeber und den staatlichen Behörden wird sowohl hinsichtlich des Vorliegens eines öffentlichen Interesses als auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des Eingriffs und der Wahl der Mittel ein weiter Beurteilungsspielraum zuerkannt,91 da sie grundsätzlich besser in der Lage sind, die örtlichen Bedürfnisse und Zusammenhänge zu beurteilen. Die Maßnahmen müssen nicht notwendig sein; es genügt, wenn sie den staatlichen Stellen den Umständen nach als angeraten erscheinen, sofern sie „vernünftig und im guten Glauben“ handeln.92 Der Gerichtshof behält sich aber die Beurteilung vor, ob die Verhältnismäßigkeit 28 gewahrt und ein gerechter Ausgleich („proper balance“ / „juste équilibre“) gegeben ist.93 Je nach den Umständen kann diese Abwägung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.94 Grundsätzlich achtet der EGMR dabei die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, dass die Enteignung im öffentlichen Interesse liegt, es sei denn, dass ihm diese offensichtlich willkürlich oder unvernünftig erscheint.95 Zum Prüfungsumfang zählt i.d.R. auch, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines öffentlichen Interesses wirklich gegeben waren.96 Die Bedingungen, unter denen das Eigentum entzogen werden kann, müssen durch 29 Gesetz festgelegt97 sein. Sie müssen also im innerstaatlichen Recht vorgesehen sein und diesem, ebenso den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, entsprechen.98 Das gilt nicht nur für die formalen Enteignungsgesetze, sondern auch für sonstige staatliche Maßnahmen, die eine Eigentumsentziehung anordnen oder die wegen ihrer Auswirkungen einer Enteignung in der Wirkung gleichkommen (de facto Enteignung), da die verbleibende Rechtsposition keine sinnvolle Nutzung mehr zulässt.99 Der Staat darf Eingriffe in das Eigentum, insbesondere aber die Entziehung und die 30 Rückgewähr entzogenen Eigentums nicht willkürlich regeln und insbesondere nicht
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EGMR James u.a./UK (Fn. 20); Lithgow u.a./UK (Fn. 25); AGOSI/UK (Fn. 26); Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26); Wiesinger/A, 30.10.1991, A 213 = ÖJZ 1992 238; (GK) Chassagnou u.a./F (Fn. 35); (GK) Ehem. König von Griechenland u.a./GR (Fn. 19); Wittek/D (Fn. 26); Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48); Forrer-Niedenthal/D (Fn. 74); (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8); Frowein/Peukert 44; Mittelberger EuGRZ 2001 364, 366; vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 568 (Definitionshoheit des öffentlichen Interesses). EGMR Handyside/UK (Fn. 60); Mordechai Poznanski/D (E) (Fn. 36); Peukert EuGRZ 1981 97, 107. Etwa EGMR Noack u.a./D (E) (Fn. 83); Wiesinger/A (Fn. 91). Vgl. Fiedler EuGRZ 1996 354, 355 (Abstellen auf gerechten Ausgleich positiv zu bewerten). Vgl. EGMR (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8); Fiedler EuGRZ 1996 334, 335 unter Hinweis auf EGMR Pine Valley Developments Ltd u.a./IR (Fn. 42) einerseits und Hentrich/F (Fn. 25) andererseits.
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EGMR Mellacher u.a./A (Fn. 29); Hákansson u. Sturesson/S (Fn. 89); Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48); Mittelberger EuGRZ 2001 364, 366 m.w.N.; Meyer-Ladewig 36. EKMR EuGRZ 1979 574; EGMR Islamic Republic of Iran Shipping Lines/TRK, 13.12. 2007, ECHR 2007-V; Frowein/Peukert 44. Nicht notwendig ist ein förmliches Gesetz; a.A. Guradze 4 I. Auch eine Entscheidung des BVerfG erfüllt wegen § 31 BVerfGG diese Voraussetzung: EGMR Wendenburg u.a./D (E) (Fn. 48). EGMR James u.a./UK (Fn. 20); (GK) Iatridis/GR (Fn. 21); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19). Etwa EGMR Papamichalopoulos u.a./GR, 24.6.1993, A 260-B = ÖJZ 1994 177; Hentrich/F (Fn. 25): staatl. Vorkaufsrecht; (GK) Brumarescu/RUM, 28.10.1999, ECHR 1999-VII; Grabenwarter § 25, 9; MeyerLadewig 31; vgl. auch Cremer EuGRZ 2004 134, 136.
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
auf Gesichtspunkte abstellen, die eine unzulässige Diskriminierung (Art. 14 EMRK, 12. ZP-EMRK / Art. 26 IPBPR) der Betroffenen bedeuten.100 Ob die Enteignungsentschädigung gesetzlich geregelt sein muss, richtet sich zunächst 31 nach dem jeweiligen nationalen Recht. Art. 1 ZP schreibt sie nicht ausdrücklich vor. Der Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts schließt nur die entschädigungslose Enteignung bei Ausländern aus, da bei diesen das völkerrechtliche Fremdenrecht die entschädigungslose Enteignung verbietet.101 Die zunächst strittige Entschädigungspflicht für Inländer102 hat der EGMR dann aus allgemeinen Grundsätzen und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem allgemeinen Achtungsanspruch in Absatz 1 Satz 1 hergeleitet.103 Die frühere Ansicht der Konventionsorgane, dass eine solche Entschädigungspflicht 32 auch unter Berufung auf Art. 5 des 1. ZP-EMRK, Art. 14 EMRK nicht begründet werden könne, ist damit überholt. Die praktischen Auswirkungen dieser umstrittenen Auslegung wurden allerdings auch früher schon dadurch gemildert, dass eine entschädigungslose Enteignung der eigenen Staatsangehörigen im Regelfall bereits innerstaatlich nicht als zulässig angesehen wurde, und dass auch eine Entschädigung unter dem angemessenen Wert meist ein übermäßiger Eingriff ist, der gegen Art. 1 des 1. ZP-EMRK verstößt.104 Eine grundsätzliche Entschädigungspflicht wird jetzt aus dem Gebot der Achtung des 33 Eigentums hergeleitet, das auch bei enteignenden Maßnahmen des Staates unverhältnismäßige Eingriffe ausschließt (siehe Rn. 28). Es muss ein gerechter Ausgleich („fair balance“) zwischen dem mit der Enteignung verfolgten Allgemeininteresse und den Belangen des Betroffenen hergestellt werden.105 Bei der hierdurch gebotenen Abwägung der Auswirkungen fällt die gewährte Entschädigung entscheidend ins Gewicht, da ihre Höhe maßgeblich dafür ist, ob darin ein angemessener Ausgleich für den Eigentumsentzug zu sehen ist.106 Sofern nicht außergewöhnliche Verhältnisse dies rechtfertigen, bedeutet die Versagung jeder Entschädigung ein unverhältnismäßiges, das faire Gleichgewicht der Interessen missachtendes Sonderopfer, zu dessen Anordnung der Staat auch durch Ab-
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HRC Des Fours Walderode/CS, 2.11.2001, 747/1997, NJW 2002 353 (Rückgabe entzogenen Eigentums nur an Staatsbürger). Frowein/Peukert 50 f.; Partsch 225; Peukert EuGRZ 1981 97, 108, ferner ausführlich dazu Seidl-Hohenveldern FS Ermacora 181, 182 ff. und Hartwig RabelsZ 1999 561, 574, der trotz der eher dagegen sprechenden Entstehungsgeschichte die Vorschrift als Rechtsfolgenverweisung versteht und sie deshalb gleichermaßen auf Inländer und Ausländer für anwendbar hält. EGMR James u.a./UK (Fn. 20); Lithgow u.a./UK (Fn. 25); str.; dazu etwa Böckstiegel NJW 1967 905; Peukert EuGRZ 1981 97, 108, Riedel EuGRZ 1988 333; Seidl-Hohenveldern FS Ermacora 181, 182 ff. m.w.N.
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Vgl. Cremer EuGRZ 2004 134, 138; Hartwig RabelsZ 1999 561, 563. Etwa EGMR (GK) Papachelas/GR (Fn. 86). Etwa EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); Mellacher u.a./A (Fn. 29); Holy Monasteries/GR (Fn. 82); Pressos Compania Naviera S.A. u.a./B (Fn. 21); (GK) Papachelas/GR (Fn. 86); ferner etwa Cremer EuGRZ 2004 134, 139 zu EGMR (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8). EGMR (EuGRZ 1988 341); Lithgow u.a./UK (Fn. 25); (GK) Papachelas/GR (Fn. 86). Zur Erweiterung des Abwägungsspielraums des EGMR durch das nicht an materielle Maßstäbe gebundene Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 573.
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1. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
satz 1 Satz 2 nicht ermächtigt wird.107 Das Gleiche gilt, wenn eine Regelung die verschiedenen Betroffenen ungleich belastet.108 Der Umfang der Entschädigungspflicht muss sich grundsätzlich am Marktwert des 34 entzogenen Gegenstandes orientieren, wenn dadurch der Entzug des Eigentums kompensiert werden soll.109 Eine gesetzliche Regelung, welche undifferenziert bei Maßnahmen des Straßenbaus die Höhe der Entschädigung kürzt, um eine vermutete Werterhöhung des Grundstücks durch den Straßenbau auszugleichen, wurde vom EGMR als mit Art. 1 des 1. ZP-EMRK unvereinbar angesehen, da sie zu wenig flexibel ist, um den unterschiedlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und den betroffenen Eigentümer behindert, sein Recht auf volle Entschädigung geltend zu machen.110 Nur wenn besondere Umstände vorliegen, können bei einer rechtmäßigen Enteignung 35 berechtigte Ziele des öffentlichen Interesses auch in einer demokratischen Gesellschaft111 eine unter dem vollen Marktwert liegende Entschädigung als angemessen erscheinen lassen;112 so etwa, wenn eine globale Enteignung der Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse dient113 oder wenn staatsformbedingtes Eigentum beim Vollzug grundlegender Änderungen der Regierungsform, wie etwa bei Übergang von der Monarchie zur Republik, entzogen wird.114 Eine unverhältnismäßige Verzögerung bei der Festsetzung oder Auszahlung der Entschädigung kann die Betroffenen über Gebühr belasten und damit den gerechten Ausgleich zwischen dem Eigentumsentzug und dem Wert der Entschädigung aufheben.115
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6. Nutzungsregelungen. Nutzungsregelungen, also hoheitliche Maßnahmen, die – ohne das Eigentum im weit verstandenen Sinn des Absatzes 1 Satz 1 ganz zu entziehen – seinen Gebrauch in einem bestimmten Sinn regeln, die insoweit etwas gebieten oder untersagen, behält Absatz 2 dem Staat ausdrücklich vor. Dies eröffnet ihm einen weiten Handlungsspielraum bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen, durch die er die Benutzung des Eigentums einschränken darf, wenn er dies im Allgemeininteresse für erforderlich hält.116 Allgemeininteresse wird dabei dem öffentlichen Interesse des Absatzes 1 Satz 2 (Rn. 25) vielfach gleichgesetzt.117 107
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EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); James u.a./UK (Fn. 20); Holy Monasteries/ GR (Fn. 82), dazu Fiedler EuGRZ 1996 354 ff.; (GK) Jahn u.a./D (Fn. 8), dazu Cremer EuGRZ 2004 134; Frowein/Peukert 68; Meyer-Ladewig 43; vgl. ferner Riedel EuGRZ 1988 333; Seidl-Hohenveldern FS Ermacora 181, 186 ff. Vgl. EGMR (GK) Chassagnou u.a./F (Fn. 35): Benachteiligung kleiner Grundeigentümer; Meyer-Ladewig 40 f. EGMR (GK) Papachelas/GR (Fn. 86); Papamichalopoulos/GR (Fn. 99). EGMR (GK) Papachelas/GR (Fn. 86) m.w.N.; Meyer-Ladewig 44. Nach der Konvention können nur deren Ziele ein anzuerkennendes öffentliches Interesse begründen, vgl. Fiedler EuGRZ 1996 354, 356. EGMR James u.a./UK (Fn. 20); Lithgow u.a./UK (Fn. 25); Holy Monasteries/GR
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(Fn. 82); (GK) Papachelas/GR (Fn. 86); Meyer-Ladewig 44. Vgl. Hartwig RabelsZ 1999 561, 577. EGMR (GK) Ehem. König von Griechenland u.a./GR (Fn. 19); vgl. auch EGMR Holy Monasteries/GR (Fn. 82); vgl. Fiedler EuGRZ 1996 354, 356 f. (auch zur Umsetzung völkerrechtlicher Verträge); MeyerLadewig 44. Etwa EGMR Akkus/TRK, 9.7.1997, Rep. 1997-IV = ÖJZ 1998 356; Meyer-Ladewig 46 f. mit Hinweisen auf weitere Entscheidungen des EGMR; ferner auch EGMR (GK) Beyeler/I (Fn. 21; jahrelange Verzögerung der Entscheidung über staatliches Vorkaufsrecht). Beispiele aus der Rechtsprechung von EGMR und EKMR bei Frowein/Peukert 56 ff. EGMR James u.a./UK (Fn. 20); Frowein/ Peukert 42; Grabenwarter § 25, 21; Meyer-
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
Wie die Staaten den Gebrauch des Eigentums regeln wollen, und welche Einschrän- 37 kungen sie im Allgemeininteresse bei dessen Gebrauch für notwendig halten, ist wegen ihrer größeren Sachnähe weitgehend ihnen überlassen. Sie haben sowohl hinsichtlich der Zielsetzung als auch hinsichtlich der Mittel einen weiten Beurteilungsspielraum.118 Dem Gerichtshof obliegt jedoch eine Missbrauchskontrolle, die sich auch auf die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Wahrung eines vernünftigen (fairen) Gleichgewichts zwischen dem Allgemeininteresse und dem Interesse des Einzelnen erstreckt.119 Zur Herstellung eines solchen Gleichgewichts gehört auch die Vorsehung prozessualer 38 Erfordernisse im nationalen Recht und deren Beachtung durch die Behörden und Gerichte. Die prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten und Garantien in einem Art. 1 betreffenden Verfahren müssen nicht notwendig denen des Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprechen. Sie müssen dem Einzelnen jedoch stets eine angemessene Möglichkeit bieten, seinen Fall den zuständigen Behörden zu dem Zweck vorzutragen, die Maßnahmen wirksam zu bekämpfen, die in seine durch Art. 1 garantierten Rechte eingreifen.120 Diese Garantie ist gewahrt, wenn nach dem Fund erheblicher Rauschgiftmengen in 39 einem Flugzeug dieses beschlagnahmt und nur gegen Zahlung eines Geldbetrages wieder freigegeben wird.121 Eine zulässige Nutzungsregelung wurde beispielsweise in der zeitlichen Befristung der Befugnis zum Schotterabbau gesehen,122 in der Sicherstellung von ehemaligem Parteivermögen zweifelhafter Herkunft durch Anordnung einer Treuhandverwaltung beim Empfänger,123 in Baubeschränkungen,124 in der Verpflichtung, das Jagdrecht in einen Jagdverband einzubringen,125 oder in einer Regelung über den Besitz von Feuerwaffen.126 Als Nutzungsregelungen i.S.d. Absatzes 2 behandelt wurden ferner die Mietpreisbindung 127 und die gesetzlichen Regelungen, die die Mieter bei Wohnungsknappheit vor Kündigung durch die Eigentümer schützen.128 Eine zulässige Nutzungsregelung ist auch darin zu sehen, dass ein Teil der Entlohnung der Strafgefangenen als Überbrückungsgeld ihrer sofortigen Verfügung entzogen wird.129
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Ladewig 48; vgl. auch EGMR Handyside/ UK (Fn. 60); Mittelberger EuGRZ 2001 364, 367. EGMR Saccoccia/A (Fn. 31), § 88 (Vermögensbeschlagnahme aufgrund einer amerikanischen final forfeiture); AGOSI/UK (Fn. 26), § 52; (GK) Chassagnou u.a./F (Fn. 35); (GK) Ehem. König von Griechenland/GR (Fn. 19); Kalogeropoulos u.a./GR u. D (E) (Fn. 19); Meyer-Ladewig 48; Hartwig RabelsZ 1999 561, 570. Zu dieser „Fair balance“ siehe etwa: EGMR Saccoccia/A (Fn. 31), § 88 (Vermögensbeschlagnahme aufgrund einer amerikanischen final forfeiture); James u.a./UK (Fn. 20); Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26); Spadea u. Scalabrino/I, 28.9.1995, A 315-B = ÖJZ 1996 189; Gasus Dosier u. Fördertechnik GmbH/NL (Fn. 33); Tre Traktörer AB/S (Fn. 40); Olbertz/D (E) (Fn. 48); Air Canada/UK, 5.5.1995,
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A 316-A = ÖJZ 1995 755; Islamische Religionsgemeinschaft/D (E) (Fn. 20); EKMR EuGRZ 1991 427; Meyer-Ladewig 48 f.; Mittelberger EuGRZ 2001 368 vgl. Rn. 22 ff. EGMR Saccoccia/A (Fn. 31); Jokela/FIN, 21.5.2002, ECHR 2002-IV, § 45; AGOSI/ UK (Fn. 26), § 55. EGMR Air Canada/UK (Fn. 119). EGMR Fredin/S (Nr. 1) (Fn. 26). EGMR Islamische Religionsgemeinschaft/D (E) (Fn. 20; PDS-Spende). EGMR Sporrong u. Lönnroth/S (Fn. 21); Meyer-Ladewig 49. EGMR (GK) Chassagnou u.a./F (Fn. 35). EGMR Andrews/UK (E) (Fn. 58); vgl. Rn. 16. EGMR Mellacher u.a./A (Fn. 29). EGMR Spadea u. Scalabrio/I (Fn. 119). EKMR bei Bleckmann EuGRZ 1982 315.
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Nach dem weiten Verständnis des Eigentums i.S.d. Art. 1130 werden aber auch Beschränkungen in der Zulassung oder Ausübung eines dem Eigentumsschutz i.S.d. Art. 1 Abs. 1 unterfallenden Berufes als Nutzungsregelungen angesehen, so etwa die Regelungen der Zulassungserfordernisse für Rechtsanwälte und Steuerberater131 oder die Beschränkungen durch das Rechtsberatungsgesetz.132 Neben den Maßnahmen im Allgemeininteresse wird besonders erwähnt, dass Art. 1 41 Gesetzen zur Sicherung der Zahlung von Steuern, sonstigen Abgaben133 oder Geldstrafen134 nicht entgegensteht. Das Verbot zur Achtung des Eigentums bei der Regelung dieser Maßnahmen wird dadurch aber nicht gänzlich aufgehoben. Konfiskatorische Steuern oder unverhältnismäßige Geldstrafen können in Extremfällen auch gegen den Grundsatz der Achtung des Eigentums verstoßen.135 Solche Fragen sind nicht der Kontrolle des Gerichtshofs am Maßstab von Art. 1 entzogen.136 Dies gilt vor allem, wenn diese Rechtsinstitute von einem Staat nicht entsprechend ihrer Zweckbestimmung als Strafe oder Heranziehung zu öffentlichen Lasten, sondern missbräuchlich (vgl. Art. 18 EMRK) unter Umgehung der Achtungspflicht nur zum Zwecke der Eigentumsentziehung (zweckfremd) eingesetzt werden sollten. Ein Einfuhrverbot für Gold ist keine Nutzungsregelung.137 Die Beschränkung der Vermögensverfügungsbefugnis durch eine (vorläufige) Beschlag42 nahme bzw. das Einfrieren von Konten sind sowohl nach den Maßstäben des EGMR138 als auch des BVerfG139 als Nutzungsbeschränkungen i.S.v. Absatz 2 anzusehen.140 Virulent ist dieser Themenkreis durch die im Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika 1998 und den Anschlägen von New York und Washington D.C. am 11.9.2001 beschlossenen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates geworden.141 Die Überprüfung der auf Grundlage dieser Resolutionen erfolgten Nutzungsbeschränkungen von Eigentum ist bis dato lediglich von EuG142 und EuGH143 vorgenommen worden. Während das EuG diesbezüglich seinen Prüfungsmaßstab allein auf das ius cogens verengte, zu dem es im Ergebnis auch das Recht auf Eigentum zählt, stellt der EuGH auf den verfahrensrechtlichen Aspekt der Gewährung von Grundrechten ab: Damit diese nicht zu einem reinen ius nudum verkümmerten, müssten – in Anlehnung an die Rspr. des EGMR144 – effektive verfahrensrechtliche Garantien gewährt werden, um
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Vgl. Rn. 11. Etwa EGMR Olbertz/D (E) (Fn. 48); Döring/D (E) (Fn. 48); Meyer-Ladewig 49. EGMR Hoerner Bank/D (E) (Fn. 47). Zum weiten Begriff vgl. die Beispiele bei Frowein/Peukert 74 ff.; Grabenwarter § 25, 13. Zur Angemessenheit vgl. Frowein/Peukert 74 m.w.N. aus der Rspr. des EGMR. EGMR Buffalo S.r.l. in liquidation/I, 3.7.2003; Frowein/Peukert 74. EGMR Orion-Brˇeclav s.r.o./CS (E), 13.1.2004; Valico/I (E), 21.3.2006, ECHR 2006-III; Grifhorst/F (E), 7.9.2006. EGMR AGOSI/UK (Fn. 26). Vermögensverfügungsbeschränkung im Insolvenzverfahren: EGMR Bottaro/I, 17.7.2003; Luordo/I, 17.7.2003, ECHR 2003-IX = EWiR 2003 1135. Sperrung von in der Bundesrepublik belegenen Konten von DDR-Bürgern: BVerfGE 62
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169 = NJW 1983 2309 = EuGRZ 1983 42 = wistra 1983 67. Kämmerer EuR 2008 Beiheft 1, 65. SR-Res. 1267 (1999) v. 15.10.1999 (TalibanSanktionen); SR-Res. 1373 (2001) v. 28.9.2001 (Bekämpfung des Terrorismus). EuG Rs. T-315/01, Kadi/Rat u. Kommission, Slg. 2005, II-3649 = EuZW 2005 163; Rs. T-306/01 Yusuf u. Al Barakaat International Foundation/Rat u. Kommission, Slg. 2005, II-3533 = EuGRZ 2005 592 = EuR 2005 424. EuGH Rs. C-415/05 P u. C-402/05 P, verb. Rs. Kadi/Rat u. Kommission und Yusuf u. Al Barakaat International Foundation/Rat u. Komission, Slg. 2008, I-6351 = EuGRZ 2008 480 = EuZW 2008 648; zum Rechtsschutz gegen Terrorlistung vertiefend Feinäugle ZRP 2010 188. EGMR Jokela/FIN (Fn. 120).
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Schutz des Eigentums
Art. 18, 25 IPBPR
die Nutzungsbeschränkung des Eigentums zu rechtfertigen. Das Verfahren muss dabei der Betrachtung in abstracto standhalten.145 Nach Ansicht des EuGH kann das Verfahren vor dem Taliban Sanctions Committee146 den gestellten Anforderungen nicht genügen.147 7. Einziehung und Verfall. Der entschädigungslose (endgültige) Entzug (Einziehung, Verfall) eines Gegenstandes oder einer Forderung oder sonstiger Vermögenswerte als strafrechtliche Nebenfolge oder aus sicherheitsrechtlichen Gründen (Einziehung, Anordnung der Vernichtung usw.) wird als – grundsätzlich zulässige – Nutzungsbeschränkung des Eigentums angesehen,148 da hierdurch nur eine dem Eigentum herkömmlich inhärente Schranke zum Tragen komme.149 Eine gegen den Täter einer Straftat gerichtete Einziehung wird allgemein bei den producta et instrumenta sceleris für zulässig gehalten.150 Das Verfahren zur Einziehung von Tatwerkzeugen oder zur Gewinnabschöpfung selbst stellt in der Regel keine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 2 EMRK dar, die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt somit im Einziehungsverfahren grundsätzlich nicht.151 Jedoch fällt das strafrechtliche Verfahren, an dessen Ende die Einziehung als sanktionsrechtlicher Folgenausspruch steht, dem Art. 6 Abs. 1 EMRK; es muss daher in jedem Fall den Anforderungen an ein faires Verfahren i.S.d. Vorschrift genügen.152 Nicht anders zu behandeln ist die Vollstreckung (Exequatur) der Entscheidung eines (ausländischen) Gerichts zur Einziehung von Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit der Begehung strafbarer Handlungen stehen. Maßnahmen, die verdächtige Kapitalbewegungen blockieren sollen, stellen eine wirksame und notwendige Waffe im Kampf gegen den Drogenhandel dar. Auch hier muss aber zwischen diesem Allgemeininteresse und dem Interesse der Eigentümer ein „faires Gleichgewicht“ bestehen.153 Dies gilt aber auch für die Einziehung sonstiger Gegenstände, soweit dies die staatliche Reaktion auf Pflichtverstöße des Eigentümers ist oder wenn damit eine von der Sache ausgehende Gefahrenlage verhütet oder beendet werden soll. Die auch hier geltenden Verbote übermäßiger Strafen und nicht erforderlicher oder unverhältnismäßiger Eingriffe müssen beachtet werden.154 Insbesondere muss bei einer Einziehung von Eigentum als Sanktion neben einer weiteren Strafe substantiiert dargelegt werden, dass der Eingriff
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EuGH Rs. C-415/05 P u. C-402/05 P (Fn. 143), § 368 = EuGRZ 2008 480 = EuZW 2008 648. Delisting procedure, vgl. § 7 der Guidelines for the (1267) Committee for the Conduct of its Work vom 7.11.2002, zuletzt geändert am 26.1.2011. So schon vor der Entscheidung des EuGH: Kämmerer EuR 2008 Beiheft 1, 65. EGMR Handyside/UK (Fn. 60); AGOSI/UK (Fn. 26); Phillips/UK, 5.7.2001, ECHR 2001-VII; Honecker u.a./D (E), 15.11.2001, ECHR 2001-XII; Butler/UK (E), 27.6.2002, ECHR 2002-VI; Yildirim/I (E), 10.4.2003, ECHR 2003-IV; Frizen/R (Fn. 79); Grayson u. Barnham/UK, 23.9.2008; Grabenwarter § 25, 12; Peukert EuGRZ 1981 97, 105. Zur ähnlichen Zuordnung zur Sozialbin-
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dung bei Art. 14 GG vgl. BVerfGE 20 359; 22 371, 422; BGHZ 27 388; Gilsdorf JZ 1958 643 ff.; AK-GG/Rittstieg Art. 14, 255 ff. GG; KK-EMRK-GG/Cremer Kap. 22, 102. Frowein/Peukert 60 ff.; Peukert EuGRZ 1981 97, 112. EGMR Phillips/UK (Fn. 148), § 35. EGMR Phillips/UK (Fn. 148), § 39; Grayson u. Barnham/UK (Fn. 148). EGMR Saccoccia/A (Fn. 31), §§ 87 f. (Vermögensbeschlagnahme aufgrund einer amerikanischen final forfeiture); Raimondo/I, 22.2.1994, A 281-A, § 30 = ÖJZ 1994 562. EGMR Smirnov/R, 7.6.2007: Einbehaltung des Computers eines Rechtsanwalts als Beweismittel für einen Zeitraum von über 7 Jahren.
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1. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
in das Recht auf Achtung des Eigentums („peaceful enjoyment of possessions“) zur wirkungsvollen Ahndung des jeweiligen Straftatbestandes notwendig ist.155 Andernfalls ist die Grenze der Sozialbindung überschritten156 und es liegt eine Enteignung i.S.v. Art. 1 Satz 2 vor. Strittig ist, ob dies auch der Fall ist, wenn ein an der geahndeten Straftat unbeteiligter 47 Dritter als Eigentümer von der Einziehung betroffen wird.157 Es stellt sich vor allem die Frage, ob die Grenze der Nutzungsregelung nur dann eingehalten ist, wenn der Dritteigentümer bösgläubig ist158 oder schon dann, wenn er die Umstände, die zum Eigentumsverlust führten, mit zu vertreten hat.159 Der EGMR hat in der Entscheidung AGOSI/ UK festgestellt, dass die Bös- bzw. Gutgläubigkeit des Besitzers der zu beschlagnahmenden Güter zumindest bei der Bewertung des Verfahrens der Beschlagnahme berücksichtigt werden müsse.160 Letztlich hat der EGMR damit die Frage offen gelassen, in welchem Maße eine etwaige Gut- bzw. Bösgläubigkeit des Besitzers Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme hatte. Die Beschlagnahme von producta bzw. instrumenta sceleris bei einem gutgläubigen, unbeteiligten Dritten dürfte aber regelmäßig unverhältnismäßig sein. Die Einziehung eines Gegenstandes bei einem Dritten auf der Grundlage des § 74a StGB ist vom Regelungsgehalt der Vorschrift her betrachtet prinzipiell mit Art. 1 des 1. ZP-EMRK vereinbar. Allerdings dürfte die Formulierung „in verwerflicher Weise erworben hat“ (§ 74a Nr. 2 StGB) zu unbestimmt sein. Auf unionsrechtlicher Ebene bietet Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses über die Ein48 ziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten161 den Mitgliedsstaaten der EU die Möglichkeit, bei bestimmten Straftaten ihre Vorschriften über die Einziehung auch auf unbeteiligte Dritte zu erstrecken, wobei auch hier der Begriff „sehr nahe stehende Person“ Zweifel an seiner hinreichenden Bestimmtheit weckt. Auf der Grundlage der EMRK kann aber selbst bei Annahme einer Enteignung i.S.v. 49 Art. 1 Abs. 1 Satz 2 ausnahmsweise ein Fall vorliegen, der bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen (Rn. 22 ff.) den (entschädigungslosen) Eigentumsentzug gestatten kann.
II. Recht auf Bildung 50
Art. 2 Satz 1 legt in Übereinstimmung mit dem inhaltlich sehr viel weitergehenden Art. 26 AEMR fest, dass niemandem das Recht auf Bildung (vor allem auf Ausbildung; vgl. „education“ / „éducation“) verwehrt werden darf. Er garantiert damit ein Recht auf Bildung als subjektives Teilhaberecht162 sowie die Pflicht des Staates, ein – in der Regel staatliches – Ausbildungswesen mit den dafür erforderlichen Einrichtungen zu schaffen und zu unterhalten, sowie dafür zu sorgen, dass jedem – entsprechend seinen Fähigkeiten – der Zugang zu den bestehenden Bildungseinrichtungen möglich ist.
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EGMR Ismayilov/R (Fn. 79). Vgl. BVerfGE 20 361. EGMR Frizen/R (Fn. 79); AGOSI/UK (Fn. 26); gegen Annahme einer Nutzungsregelung Peukert EuGRZ 1988 509. Frowein/Peukert 61 unter Hinweis auf EGMR AGOSI/UK (Fn. 26). Zur Frage der Schrankenziehung bei Art. 14 GG vgl. BGHZ 27 73; Maunz/Dürig/Papier Art. 14,
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575 GG; BK/Kimminich Art. 14, 207 ff. GG; von Münch/Dicke Art. 14, 31 GG. Vgl. Frowein/Peukert 61 (für Bösgläubigkeit); ähnlich BGHZ 27 385. EGMR AGOSI/UK (Fn. 26), § 54. Rahmenbeschluss 2005/212/JI, ABlEU Nr. L 68 v. 15.3.2005, S. 49. EGMR Kjeldsen u.a./DK, 7.12.1976, A 23 = NJW 1977 487 = EuGRZ 1976 478.
Robert Esser
Recht auf Bildung
Art. 18, 25 IPBPR
Art. 2 Satz 1 ist nicht lediglich auf grundlegende Bildungseinrichtungen anwendbar. Auch höhere Bildungseinrichtungen, insbesondere die Hochschulen, fallen in seinen Schutzbereich.163 Ein Recht des Einzelnen darauf, dass der Staat bestimmte, insbesondere weiterführende Bildungseinrichtungen schafft, kann daraus nicht hergeleitet werden.164 Schafft er jedoch Bildungseinrichtungen der Elementarstufe, in denen in einer bestimmten Sprache unterrichtet wird, so hat er auch weiterführende Einrichtungen zu schaffen, in denen ebenfalls in dieser Sprache unterrichtet wird.165 Aus Art. 2 ergibt sich nur die Verpflichtung des Staates, für ein angemessenes Ausbildungssystem zu sorgen, wozu auch die Begründung einer Schulpflicht gehören kann.166 Zwingend vorgeschrieben wird die Vorsehung bzw. Beibehaltung einer solchen Pflicht durch die Konvention allerdings nicht.167 Über die Ausgestaltung des Bildungssystems trifft Art. 2, anders als Art. 26 AEMR, keine Aussage. Dem Staat wird damit ein weitreichender Ermessensspielraum zuerkannt.168 Ihm steht es weitgehend frei, wie er das Schulwesen im Interesse der Allgemeinheit organisieren will. Er ist nicht verpflichtet, dabei auch allen besonderen Vorstellungen einzelner Gruppen Rechnung zu tragen. Der Staat ist durch Art. 2 Satz 2 nur insoweit gebunden, als er das Recht der Eltern achten muss, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.169 Das durch Art. 2 gewährte Recht auf Bildung ist kein absolutes Recht. Es kann von den Vertragsparteien eingeschränkt werden, wobei es – anders als bei Art. 8 bis 11 EMRK – keinen numerus clausus zulässiger Einschränkungsgründe gibt. Die Einschränkung wird vom Gerichtshof auf ihre Vorhersehbarkeit für die Betroffenen und ihren legitimen Zweck geprüft sowie darauf, dass sie das Recht auf Bildung nicht vollständig aushöhlt. Die Einschränkung muss darüber hinaus verhältnismäßig sein und darf anderen Konventionsgarantien nicht zuwiderlaufen.170 Art. 2 Satz 2 gewährleistet ebenso wie Art. 18 Abs. 4 IBPBR das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu erziehen, auch gegenüber dem Staat und dessen Unterrichtswesen, bei dessen Ausgestaltung dieses Recht der Eltern staatlicherseits beachtet werden muss. Diese Verpflichtung ist auch für die Auslegung der anderen Konventionsverbürgungen, vor allem der Art. 8 bis 11 EMRK, von Bedeutung. Das in Art. 2 Satz 2 anerkannte elterliche Erziehungsrecht ist grundlegender Bestandteil des Familienlebens i.S.d. Art. 8 EMRK. Die Verpflichtung zur Achtung der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern wirkt sich auch auf die Auslegung der anderen Konventionsverbürgungen aus, da sich daraus Grenzen für den Handlungsspielraum des Staates ergeben können. Dieser muss bei all seinen Maßnahmen das in Art. 2 des 1. ZP-EMRK und Art. 18 Abs. 4
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EGMR Belg. Sprachenfall/B, 23.7.1968, A 6 = EuGRZ 1975 298; Delcourt/B, 17.1.1970, A 11; (GK) Leyla Sahin/TRK, 10.11.2005, ECHR 2005-XI = EuGRZ 2006 28 = NVwZ 2006 1389 = DVBl 2006 167 = ÖJZ 2006 424. EGMR Belg. Sprachenfall/B (Fn. 163); dazu IK-EMRK/Wildhaber 117 ff.; vgl. Frowein/ Peukert 2; Grabenwarter § 22, 71 ff.; Meyer-Ladewig 6.
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EGMR (GK) Republik Zypern/TRK, 10.5.2001, ECHR 2001-IV (griechischsprachige weiterführende Schulen in Nordzypern). Vgl. Frowein/Peukert 3; Meyer-Ladewig 7. Beaucamp DVBl. 2009 220, 223; Grabenwarter § 22, 71. IK-EMRK/Wildhaber 33 ff. Vgl. Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 2 GG. EGMR (GK) Leyla Sahin/TRK (Fn. 163).
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1. ZP EMRK
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
IPBPR anerkannte Erziehungsrecht der Eltern achten. Es ist auch bei der Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. d EMRK zu berücksichtigen. Seiner Verpflichtung zur Achtung des elterlichen Erziehungsrechts kann der Staat durch eine entsprechend sachbezogene, weltanschaulich neutrale und jede Indoktrinierung vermeidende Unterrichtsgestaltung erfüllen,171 aber auch dadurch, dass er den Eltern die Möglichkeit eröffnet, ihre Kinder auf private Schulen ihrer Wahl zu schicken oder sie von Schulveranstaltungen fernzuhalten, die mit ihrer religiösen Überzeugung unvereinbar sind. Dies kann etwa auch dadurch geschehen, dass er ihnen die Möglichkeit der Befreiung vom Religionsunterricht oder vom Schulbesuch an religiösen Feiertagen eröffnet.172 Die von Art. 2 Satz 2 geforderte Achtung vor der Freiheit der Eltern, ihre Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sittlich und religiös zu erziehen, steht einer allgemeinen Schulpflicht nicht entgegen.173 Die BR Deutschland hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in einer Erklärung darauf hingewiesen, dass sie der Auffassung ist, dass Art. 2 Satz 2 keine Verpflichtung des Staates begründet, Schulen religiösen oder weltanschaulichen Charakters zu finanzieren.174 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union175 garantiert ebenfalls das Recht auf Bildung und auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung (Art. 14 Abs. 1 EUC) einschließlich der unentgeltlichen Teilnahme am Pflichtschulunterricht (Art. 14 Abs. 2 EUC). Sie überlässt die Organisation des Unterrichtswesens („Gründung von Lehranstalten“) der einzelstaatlichen Regelung, die jedoch die Achtung der demokratischen Grundsätze und auch das Recht der Eltern sicherstellen muss, die Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen (Art. 14 Abs. 3 EUC). Sowohl Art. 14 Abs. 2 EUC als auch Art. 32 EUC (Verbot der Kinderarbeit) gehen in ihren Formulierungen davon aus, dass der Staat eine allgemeine Schulpflicht grundsätzlich vorsehen darf; die exakten Rahmenbedingungen bleiben allerdings offen. Das in Art. 26 AEMR niedergelegte Recht auf Bildung wurde durch Art. 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR)176 grundlegend erweitert. Art. 13 Abs. 2 lit. a IPWSKR normiert ein Recht auf unentgeltlichen
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EGMR Kjeldsen/DK (Fn. 162; Sexualkundeunterricht); siehe auch: BVerfG NJW 2009 3151(Grundschule; Präventionsveranstaltung zur Sensibilisierung der Kinder für etwaigen sexuellen Missbrauch; Karnevalsveranstaltung); vgl. auch: EGMR Campbell u. Cosans/UK, 25.2.1982, A 48 = EuGRZ 1982 153 (Ablehnung körperlicher Züchtigung); zum konfessionell neutralen Ethikunterricht vgl. EGMR Appel-Irrgang/D (E), 6.10.2009, EuGRZ 2010 177 = NVwZ 2010 1353. Grabenwarter § 22, 71; IK-EMRK/Wildhaber 80 ff.; Villiger 676; zur Befreiung vom Religionsunterricht: EGMR (GK) Folgerø u.a./N, 29.6.2007, ECHR 2007-VIII = NJW 2008 3274 = NVwZ 2008 1217; vgl. auch Art. 9 EMRK Rn. 30.
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EGMR Konrad u.a./D, 11.9.2006 (E), ECHR 2006-XIII; Beaucamp DVBl. 2009 220, 223; zum sog. „Homeschooling“ siehe auch: BVerwG NVwZ 2010 525; BayVGH BayVBl. 2009 19, 20; OVG Bremen Urt. v. 3.2.2009 – 1 A 21/07, NordÖR 2009 158; für ein solches Recht der Eltern: Reimers NVwZ 2008 720, 722; ablehnend: Thurn NVwZ 2008 718. BGBl. 1957 II S. 226. ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1, BGBl. 2008 II S. 1165; vgl. auch die frühere Fassung aus dem Jahr 2000: ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000 = EuGRZ 2000 554. BGBl. 1973 II S. 1569.
Robert Esser
Recht auf freie Wahlen
Art. 18, 25 IPBPR
Grundschulunterricht, aber auch eine Pflicht zur Teilnahme. Diese Grundschulpflicht hat der Staat durch entsprechende gesetzliche Regelungen und durch die Bereitstellung geeigneter Einrichtungen sicherzustellen. Gemäß Art. 13 Abs. 3 IPWSKR sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Freiheit der Eltern, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen sowie die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen zu wählen, sicherzustellen; die Grundschulpflicht aus Absatz 2 lit. a IPWSKR bleibt von dieser Bestimmung unberührt.
III. Recht auf freie Wahlen Wie die Präambel zeigt, geht die EMRK davon aus, dass ihre Grundfreiheiten am 62 besten durch eine wahrhaft demokratische politische Ordnung in den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Deshalb werden in Art. 3 des 1. ZP-EMRK auch das aktive und passive Wahlrecht der Bürger und alle sonst für diese Ordnung konstituierenden Wahlrechtsgrundsätze dem Konventionsschutz unterstellt. Abweichend vom sonstigen Inhalt der Konventionen werden damit grundsätzlich auch politische Rechte der Bürger in den Konventionsschutz mit einbezogen. Den Bürgern der einzelnen Mitgliedstaaten wird damit – ebenso wie ausdrücklich in Art. 25 lit. b IPBPR – das aktive und passive Wahlrecht als subjektives Recht garantiert.177 Zu dessen Verwirklichung werden die Vertragsstaaten verpflichtet, die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen zu bestimmen, die periodisch in nicht allzu großen Abständen abzuhalten sind. Mittelbar wird damit auch die bereits aus dem Demokratiegebot abzuleitende Verpflichtung der Konventionsstaaten bestätigt, aus freien Wahlen hervorgegangene gesetzgebende Körperschaften zu schaffen.178 Die politischen Parteien bleiben in der EMRK unerwähnt. Ihre Bedeutung für das 63 Funktionieren der demokratischen Ordnung ist jedoch anerkannt. Sie werden durch die Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK geschützt.179 Art. 3 gewährt dieses Recht bei allen Wahlen zu gesetzgebenden Körperschaften; dies 64 sind alle Körperschaften, die nach dem jeweiligen nationalen Recht Aufgaben der Gesetzgebung haben, bei einem föderalistischen Staatsaufbau also sowohl die Parlamente des Bundesstaates als auch die Parlamente der Gliedstaaten, Kantone oder autonome Regionen oder sonstiger Organe mit gesetzgeberischen Aufgaben.180 Auch das Europäische Parlament wird als gesetzgebende Körperschaft i.S.d. Art. 3 angesehen,181 nicht jedoch örtliche Körperschaften, die, wie die Gemeinden, auch bei Erlass von Vorschriften keine originäre sondern nur eine abgeleitete Staatsgewalt ausüben.182 Dass daneben noch andere, nicht durch direkte oder indirekte Wahlen von den Bürgern legitimierten Organe bei der Gesetzgebung mitwirken, wie etwa das House of Lords, wurde als mit der EMRK vereinbar angesehen, zumindest dann, wenn es insoweit kein Vetorecht hat.183 Volks-
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EGMR Mathieu-Mohin u. Clerfayt/B, 2.3.1987, A 113; Meyer-Ladewig 1. Frowein/Peukert 1; Grabenwarter § 23, 90; Meyer-Ladewig 4. Grabenwarter § 23, 94; vgl. Art. 11 EMRK Rn. 22, 37 ff. EGMR Mathieu-Mohin u. Clerfayt/B (Fn. 177): „Conseil regional“, dazu IKEMRK/Wildhaber 65, 75 ff.; Frowein/Peu-
181
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kert 3; Grabenwarter § 23, 96; Meyer-Ladewig 1. EGMR (GK) Matthews/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3107 = EuGRZ 1999 200 = ÖJZ 2000 34 = JBl 1999 590 (Wahlrecht britischer Bürger in Gibraltar). Grabenwarter § 23, 96; IK-EMRK/Wildhaber 63; Meyer-Ladewig 4. Frowein/Peukert 2.
Robert Esser
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1. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
abstimmungen über Einzelfragen oder Wahlen anderer Staatsorgane (Staatspräsidenten, Vertreter der Exekutive oder Richter) fallen nicht unter die nur die Wahlen zu gesetzgebenden Körperschaften erfassende Garantie des Art. 3.184 Das durch Art. 25 lit. a IPBPR garantierte unmittelbare oder mittelbare Mitwirkungsrecht der Staatsbürger bei der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten umfasst dagegen alle Formen der Beteiligung an diesen, insbesondere auch die Wahlen zu den örtlichen Gebietskörperschaften. Bei der Ausgestaltung des Wahlrechts und des Wahlverfahrens haben die Mitglied65 staaten einen weiten Beurteilungsspielraum, in dem sie die Modalitäten der Wahlbeteiligung festlegen können. Sie können sich auch für so unterschiedliche Wahlsysteme, wie Mehrheits- oder Verhältnismäßigkeitswahlrecht mit allen dazwischen liegenden Varianten entscheiden.185 Auch indirekte Wahlen sind zulässig.186 Im Rahmen der jeweiligen Regelung sind Einschränkungen des Wahlrechts aus sachbezogenen (legitimen) Gründen, wie etwa Staatsangehörigkeit, Altersgrenzen für das aktive und passive Wahlrecht, oder Wohnsitz187, ferner aber auch zur Sicherung anderer Belange des öffentlichen Wohles zulässig.188 Das öffentliche Interesse kann unter besonderen Umständen auch einen zeitweiligen Entzug des Wahlrechts bei bestimmten Personen rechtfertigen.189 Alle Einschränkungen müssen verhältnismäßig sein und dürfen die Wahlrechtsgaran66 tien nicht in ihrer Substanz antasten.190 Sie müssen ferner die Rechtsgleichheit wahren. Dazu gehört auch, dass bei der Ausgestaltung des Wahlrechts jede nach Art. 14 EMRK / Art. 25, 26 IPBPR unzulässige Diskriminierung unterbleibt.191 Dies schließt Sonderregelungen zum Schutz nationaler Minderheiten nicht aus.192 Unerlässlich ist nur, dass die Gesamtwürdigung des Wahlsystems ergibt, dass die Wahlen allgemein, frei und geheim sind und in regelmäßigen Zeitabständen abgehalten werden.193 Unzulässig ist der generelle Entzug des Wahlrechts für alle Strafgefangenen, der unab67 hängig von jeglicher Einzelfallwürdigung oder Haftdauer erfolgt.194 Gemäß § 22 der (österreichischen) NRWO sind nur wegen Vorsatztat zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe Verurteilte vom Wahlrecht ausgeschlossen, was jedoch dem „Hirst-Test“ nicht standhält und ebenfalls für konventionswidrig befunden wurde, da die Entscheidung über den (zeitweiligen) Verlust des Wahlrechts nicht von einem Richter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls getroffen wurde und außerdem kein Zusammenhang zwischen der Straftat und den Themen demokratische Institutionen und Wahlen vorausgesetzt ist.195 In einem Piloturteil gegen das Vereinigte Königreich im Jahre 2010 bestätigte der Gerichtshof diese Rechtsgrundsätze.196
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IK-EMRK/Wildhaber 58, 59. Frowein/Peukert 6; IK-EMRK/Wildhaber 38–56. 186 IK-EMRK/Wildhaber 45. 187 EGMR Hilbe/FL (E), 7.9.1999, ECHR 1999-VI. 188 Vgl. IK-EMRK/Wildhaber 25 ff.; Grabenwarter § 23, 104 ff. 189 Vgl. EGMR Labita/I, 6.4.2000, ECHR 2000-IV (Mafia-Zugehörigkeit). 190 Villiger 681. 191 IK-EMRK/Wildhaber 34 ff. 192 IK-EMRK/Wildhaber 50 ff.
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Meyer-Ladewig 6. EGMR Hirst/UK, 30.3.2004, ÖJZ 2005 195, bestätigt von EGMR (GK) Hirst/UK, 6.10.2005, ECHR 2005-IX. EGMR Frodl/A, 8.4.2010, inbes. § 34, ÖJZ 2010 734; § 22 NRWO wurde durch Gesetz vom 5.7.2011, in Kraft seit dem 1.10.2011, geändert; vgl. CM/ResDH (2011) 91 v. 14.9.2011. EGMR Greens u. M.T./UK, 23.11.2010, ECHR 2010. Vgl. auch ausführlich und rechtsvergleichend, auch zu Deutschland: Pabel ÖJZ 2005 553.
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Freizügigkeit/Ausweisungsschutz
Art. 11, 12, 13 IPBPR
Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind vom 16.9.19631 EMRK Artikel 1 Verbot der Freiheitsentziehung wegen Schulden Niemandem darf die Freiheit allein deswegen entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Artikel 2 Freizügigkeit (1) Jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. (2) Jeder Person steht es frei, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen. (3) Die Ausübung dieses Rechts darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. (4) Die in Absatz 1 anerkannten Rechte können ferner für bestimmte Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind. Artikel 3 Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger (1) Niemand darf durch eine Einzel- oder Kollektivmaßnahme aus dem Hoheitsgebiet des Staates ausgewiesen werden, dessen Angehöriger er ist. (2) Niemandem darf das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Angehöriger er ist. Artikel 4 Verbot der Kollektivausweisung Kollektivausweisungen ausländischer Personen sind nicht zulässig. IPBPR Artikel 11 Niemand darf nur deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
1
BGBl. 1968 II S. 422; für die BR Deutschland in Kraft getreten am 1.6.1968 (BGBl. II S. 1109).
Robert Esser
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4. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Artikel 12 (1) Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. (2) Jedermann steht es frei, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen. (3) Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind. (4) Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Artikel 13 Ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen.
I. Verbot der Freiheitsentziehung wegen Schulden (Art. 1 des 4. ZP-EMRK) Der praktisch bedeutungslose Art. 1 des 4. ZP-EMRK ist – ebenso wie der inhaltsgleiche Art. 11 IPBPR – bereits bei Art. 5 EMRK Rn. 4, 44, 88 behandelt.
II. Freizügigkeit (Art. 2 des 4. ZP-EMRK) 1
1. Schutzgegenstand. Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 IPBPR schützen die Freizügigkeit, die jedermann gewährt wird, der sich rechtmäßig im staatlichen Hoheitsgebiet aufhält, also nicht nur den eigenen Staatsangehörigen wie in Art. 11 GG oder innerhalb der Europäischen Union den Unionsbürgern (Art. 21 AEUV; ex-Art. 8 EGV).2 Auch das Recht, den Wohnsitz frei zu wählen, gehört zu der garantierten Freizügigkeit und damit auch das Recht, an seinem frei gewählten Wohnsitz registriert zu werden, insbesondere, wenn mit einer Nichtregistrierung eine Kürzung von Sozialansprüchen einhergeht.3 Das Recht, das eigene Land zu verlassen, das beide Artikel in Absatz 2 garantieren, 2 schließt aus, dass die Freizügigkeit für die eigenen Staatsbürger auf die Grenzen des eige-
2
Auch Art. 45 Abs. 1 EUC garantiert die Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nur den Unionsbürgern. Den Staatsangehörigen dritter Staaten, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten, kann sie von den
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3
Organen der Union nach Art. 77 AEUV (früher: Art. 62 Abs. 1 und 3, Art. 63 Abs. 4 EGV) ebenfalls gewährt werden (Art. 45 Abs. 2 EUC). EGMR Tatishvili/R, 22.2.2007.
Robert Esser
Freizügigkeit
Art. 11, 12, 13 IPBPR
nen Hoheitsgebiets beschränkt werden kann. In diesem Recht sieht der EGMR einen festen Bestandteil des internationalen Menschenrechtsschutzes.4 Das Recht, in ein anderes Land einzureisen und sich dort aufhalten zu dürfen, kann 3 aus Art. 2 nicht hergeleitet werden.5 2. Voraussetzung der Freizügigkeit ist ein rechtmäßiger Aufenthalt in dem jeweiligen 4 Land. Rechtmäßig ist der Aufenthalt der Staatsbürger in ihrem eigenen Land, aber grundsätzlich auch der Unionsbürger in einem anderen Land der Europäischen Union. Ausländer halten sich nur dann rechtmäßig im Staatsgebiet auf, wenn und solange sie nach dem jeweiligen nationalen Recht die Befugnis dazu haben. Rechtmäßig ist ein Aufenthalt nur, wenn auch die Bedingungen oder Beschränkungen eingehalten werden, an die seine Bewilligung geknüpft ist.6 Wird einem Ausländer die Befugnis zum Aufenthalt nur für ein bestimmtes Gebiet erteilt, hält er sich nur dort rechtmäßig auf, für die anderen Teile des Staatsgebietes hat er das Recht auf Freizügigkeit und freie Wohnsitzwahl nicht.7 Eine Ausweisungsverfügung beendet den rechtmäßigen Aufenthalt.8 Zu den Gründen, 5 aus denen die Staaten die Freizügigkeit auch bei rechtmäßigem Aufenthalt personenbezogen oder territorial einschränken können, vgl. Rn. 7 ff. 3. Das Recht, jedes Land einschließlich des eigenen zu verlassen, wird in Art. 2 Abs. 2 6 des 4. ZP-EMRK und in Art. 12 Abs. 2 IPBPR jedermann garantiert. Die Ausreisefreiheit ist insbesondere für die eigenen Staatsbürger von Bedeutung, die nicht ohne einen dies rechtfertigenden Grund (Rn. 7 ff.) am Verlassen ihres eigenen Landes gehindert werden dürfen. Die dafür notwendigen Dokumente dürfen ihnen nicht verweigert werden.9 Wird ein Ausländer rechtmäßig in sein Heimatland abgeschoben, verletzt dies sein Recht auf Ausreisefreiheit in ein Land seiner Wahl nicht. Ein Recht, auch das eigene Vermögen ins Ausland zu verlagern, kann aus Absatz 2 nicht hergeleitet werden.10 4. Einschränkungen der Freizügigkeit und Ausreisefreiheit lassen Art. 2 Abs. 3 des 7 4. ZP-EMRK und Art. 12 Abs. 3 IPBPR nur zu, wenn diese gesetzlich vorgesehen sind und einem der dort aufgezählten Zwecke dienen und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.11 Die Aufzählung der einzelnen Zwecke, die einen Eingriff in die Freizügigkeit und Ausreisefreiheit rechtfertigen können, sind denen in Art. 8 Abs. 2 EMRK nachgebildet, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.12 Ebenso wie dort verlangt auch Art. 2 Abs. 3 zusätzlich, dass die Einschränkungen in
4
5 6
7
Vgl. EGMR Streletz, Kessler, Krenz/D, 22.3.2001, ECHR 2001-II = NJW 2001 3035 = EuGRZ 2001 210 = ÖJZ 2002 274 = NJ 2001 261; Grabenwarter § 21, 39; HRC Baumgartner/D, 31.7.2003, EuGRZ 2004 143. Frowein/Peukert 2; Meyer-Ladewig 3. EGMR Bolat/R, 5.10.2006, ECHR 2006-XI (Betroffener muss sich aber nur an die Beschränkungen halten, die ihm gegenüber rechtmäßig geäußert wurden). EGMR Omwenyeke/D (E), 20.11.2007, ECHR 2007-XII; EKMR EuGRZ 1987 336.
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10 11 12
EGMR Piermont/F, 27.4.1995, A 314 = ÖJZ 1995 751 = InfAuslR 1996 45. EGMR Baumann/F, 22.5.2001, ECHR 2001-V; Bartik/R, 21.12.2006, ECHR 2006-XV; Grabenwarter § 21, 22. Grabenwarter § 21, 43; Meyer-Ladewig 6. Frowein/Peukert 6. Zu Art. 12 Abs. 3 IPBPR vgl. auch die Erläuterungen der zulässigen Eingriffszwecke bei Nowak 34–44.
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4. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, während diese Einschränkung in Art. 12 Abs. 3 IPBPR fehlt. Personen, denen die Freiheit entzogen ist, weil sie sich in rechtmäßiger Haft befinden 8 (Art. 5 Abs. 1 EMRK / Art. 9 Abs. 1 IPBPR) können sich nicht auf ihr Recht auf Freizügigkeit und Ausreisefreiheit berufen.13 Auch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die der Sicherung der Strafverfolgung dienen, wie etwa die Anordnung einer Wohnsitzbeschränkung oder von Hausarrest14 oder Aufenthalts- und Ausreisebeschränkungen zur Vermeidung von Untersuchungshaft15 sind damit zu vereinbaren. Gleiches gilt für die Anordnung, nach der ein Gemeinschuldner während des Insolvenzverfahrens seinen Wohnort nicht verlassen darf.16 Gerechtfertigt sein kann die Einziehung eines Reisepasses wegen horrender Steuer9 schulden17 oder für die Weigerung, einem Ausländer vor der Verbüßung seiner Strafe die Ausreise zu gestatten.18 Auch die Hinterlegung eines Passes zur Sicherung des Freigangs bei einem Inhaftierten oder die Weigerung der Behörde, einem im Ausland lebenden Staatsangehörigen einen Reisepass auszustellen, weil er seine Wehrpflicht nicht erfüllt hatte, wurden als gerechtfertigt angesehen,19 nicht aber die Verweigerung der Herausgabe eines sichergestellten Passes bei einer am Strafverfahren nicht beteiligten Person.20 Die Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses, nur weil die betroffene Person vertrauliche Staatsinformationen besitzt, kann unverhältnismäßig und somit nicht gerechtfertigt sein.21 Das Verbot, seine Kinder in ein anderes Land zu verbringen, wurde als zulässig erachtet, weil es die Durchführung des Verfahrens über das Sorgerecht sichern sollte.22 Beschränkungen der Reisefreiheit müssen zumindest schriftlich niedergelegt sein, um eine Nachprüfung zu ermöglichen, ob sie mit den nationalen Regelungen übereinstimmen; mündliche Anweisungen eines Vorgesetzten sind unzureichend.23 Für bestimmte Gebiete können die Staaten die Freizügigkeit nach Art. 2 Abs. 1, nicht 10 aber das Recht auf Verlassen des Landes nach Absatz 2, einschränken, sofern dies gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt ist. Gemeint sind damit etwa militärische Sperrgebiete, aber auch Natur-
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Vgl. EGMR Guzzardi/I, 6.11.1980, A 39 = NJW 1984 544 = EuGRZ 1983 633 (Internierung auf Insel als Haft); Frowein//Peukert 3, 5 (Art. 5 EMRK Spezialregelung); Grabenwarter § 21, 45. EGMR Raimondo/I, 22.2.1994, A 281-A = ÖJZ 1994 562 (unzulässig aber verspätete Mitteilung der Aufhebung); Labita/I, 6.4.2000, ECHR 2000-IV (unzulässig nach Freispruch); Santoro/I, 1.7.2004, ECHR 2004-VI; Fedorov u. Fedorova/R, 13.10.2005 (Verhältnismäßigkeit einer Aufenthaltsbeschränkung: Dauer der Anordnung und Begleitumstände sind zu berücksichtigen; kein Verstoß bei einer 4 Jahre und 3 Monate andauernden Beschränkung); Verstoß dagegen bei EGMR Földes u. Földesné Hajlik/H, 31.10.2006, ECHR 2006-XII (Entzug des Reisepasses über 10 Jahre); Grabenwarter § 21, 45; Meyer-Ladewig 8. EGMR Rosengren/RUM, 24.4.2008 (Maß-
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nahme aufgrund der Dauer von 7 Jahren und 9 Monaten nicht mehr rechtmäßig). Grabenwarter § 21, 47. EGMR Riener/BUL, 23.5.2006; aufgrund des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit kann der Pass aber nur so lange eingezogen werden, wie das Ziel, nämlich die Eintreibung der Steuerschulden, realistischerweise noch erfüllt werden kann. Grabenwarter § 21, 47. Grabenwarter § 21, 49. EGMR Baumann/F, 22.5.2001, ECHR 2001-V; Meyer-Ladewig 8. EGMR Bartik/R (Fn. 9); auch hierbei fließen die Begleitumstände in die Abwägung mit ein. EGMR Roldan Texeira u.a./I, 26.10.2000; Meyer-Ladewig 6. EGMR Timishev/R, 13.12.2005, ECHR 2005-XII.
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Ausweisungsschutz
Art. 11, 12, 13 IPBPR
schutzgebiete oder Verbote zum Schutze gefährdeter Einrichtungen oder Sperren und sonstige Quarantänemaßnahmen im Interesse des Seuchenschutzes, aber auch ein behördlicher Platzverweis.24 Art. 12 IPBPR enthält diese Sonderregelung für territoriale Einschränkungen nicht. Sein Absatz 3, der gesetzlich vorgesehene Einschränkungen u.a. zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, oder der Volksgesundheit erlaubt, ist aber weit genug, um auch solche territoriale Beschränkungen zu rechtfertigen. 5. Zum Recht auf Einreise in das eigenes Land (Art. 12 Abs. 4 IPBPR) vgl. bei Art. 3 11 des 4. ZP-EMRK.
III. Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger (Art. 3 des 4. ZP-EMRK) 1. Allgemeines. Nach dem Vorbild von Art. 9 und 13 Abs. 2 AEMR schützt Art. 3 12 des 4. ZP-EMRK das Recht jedes Staatsbürgers auf Aufenthalt in seinem Heimatstaat. Er verbietet die Ausweisung aus dem eigenen Land und garantiert das Recht, in den Heimatstaat einreisen zu können. Dieses Recht ist im Normalfall selbstverständlich, es kann aber in Ausnahmefällen große Bedeutung erlangen, wenn einer Personengruppen außerhalb des Mutterlandes das Recht eingeräumt wurde, für dessen Staatsangehörigkeit zu optieren25 oder wenn den Angehörigen ehemaliger Herrscherhäuser das Recht auf Einreise in das eigenen Land verwehrt wird.26 Der IPBPR enthält kein Verbot der Ausweisung eigener Staatsbürger, es kann dort 13 allenfalls mittelbar aus dem Recht auf Einreise des Art. 12 Abs. 4 IPBPR hergeleitet werden.27 Die Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen an ein anderes Land wird weder 14 von Art. 3 des 4. ZP-EMRK noch durch eine andere Konventionsgarantie verboten.28 Art. 3 bietet insoweit weniger Schutz als Art. 16 Abs. 2 GG, der die Ausweisung eigener Staatsangehöriger grundsätzlich untersagt (Satz 1) und nur die Auslieferung an Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof zulässt (Satz 2) – soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Ein hinreichend bestimmtes, förmliches Gesetz29 kann demnach eine Auslieferung an andere EU-Mitgliedstaaten30 bzw. an einen internationalen Gerichtshof 31 vorsehen.32 Neben dem Grundsatz der Ver-
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Gabenwarter § 21, 47. Vgl. die Beispiele bei Frowein//Peukert 1 und Grabenwarter § 21, 50 (Personen, die bei Gewährung der Unabhängigkeit afrikanischer Staaten die britische Staatsangehörigkeit erwarben, ohne dadurch automatisch das Recht auf Einreise in das Vereinigte Königreich zu erhalten, das das 4. ZP-EMRK nicht ratifiziert hat). Vgl. den Vorbehalt Österreichs (http://conventions.coe.int). Nowak 45 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte. Grabenwarter § 21, 52.
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Dreier/Masing Art. 16, 96 GG; BeckOK-GG/ Maaßen Art. 16, 47 GG; Uhle NJW 2001 1889, 1892. Vgl. § 80 IRG; eingeführt durch EuHBGesetz v. 20.7.2006 (BGBl. I 2006 S. 1721). Vgl. § 3 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz v. 10.4.1995 (BGBl. 1995 I S. 485); § 3 Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetz v. 4.5.1998 (BGBl. 1998 I S. 843). Zu den Begrifflichkeiten „Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ und „internationaler Gerichtshof“ vgl. Zimmermann JZ 2001 233, 235 f.; Uhle NJW 2001 1889, 1892.
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4. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
hältnismäßigkeit 33 umfasst der Begriff „rechtsstaatliche Grundsätze“, u.a. das Recht auf einen gesetzlichen Richter, die richterliche Unabhängigkeit, das Verbot rückwirkender Bestrafung, das Verbot der Doppelbestrafung, die Unschuldsvermutung, das Recht, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen, sowie das Gebot rechtlichen Gehörs.34
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2. Geschützt werden von Art. 3 nur die eigenen Staatsangehörigen, wobei der Beschwerdeführer die eigene Staatsangehörigkeit nachweisen muss.35 Einen Rechtsschutz gegen die Entziehung der Staatsangehörigkeit ähnlich dem Verbot des Art. 16 Abs. 1 GG sieht das 4. ZP-EMRK nicht vor. In der willkürlichen Aberkennung der Staatsangehörigkeit allein zu dem Zweck, damit die Ausweisung zu ermöglichen, dürfte aber eine unzulässige Umgehung des Art. 3 liegen, die seinen Schutz nicht entfallen lässt.36 Eine unzulässige Ausweisung liegt vor, wenn der Betreffende gezwungen wird, den 16 Heimatstaat ohne Recht auf Rückkehr zu verlassen.37 Kollektivausweisungen sind Ausweisungen, in denen ohne Prüfung des Einzelfalls bestimmte nach generellen Merkmalen wie Rasse oder Religion erfasste Personengruppen ausgewiesen werden.38 Art. 3 verbietet nur die Kollektivausweisung eigener Staatsangehöriger, ein gleichartiges Verbot der Kollektivausweisung von Ausländern normiert jedoch Art. 4 des 4. ZP-EMRK, so dass im Ergebnis insgesamt jede Kollektivausweisung verboten ist. Einschränkungsmöglichkeiten im Interesse anderer Staatsaufgaben ähnlich den Schrankenregelungen in den Art. 8 bis 11 EMRK bestehen beim Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger in Art. 3 Abs. 1 des 4. ZP-EMRK nicht.39 Sein Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger gilt uneingeschränkt. Art. 12 IPBPR enthält kein Ausweisungsverbot für eigene Staatsbürger,40 es kann allenfalls begrenzt aus dem Verbot hergeleitet werden, willkürlich die Einreise in das eigene Land zu beschränken.
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3. Die Einreise in das Gebiet des eigenen Staates darf den eigenen Staatsangehörigen nach Art. 3 Abs. 2 des 4. ZP-EMRK und Art. 12 Abs. 4 IPBPR ebenfalls nicht verwehrt werden. Jeder Staatsbürger muss deshalb die Möglichkeit haben, wieder in das Gebiet seines Heimatstaates einzureisen, gleich, ob er damit einen zeitlich begrenzten Aufenthalt bezweckt oder eine endgültige Rückkehr. Die Ausübung dieses Rechts kann aber modifiziert werden, so ist ein zeitlich begrenzter Ausschluss des Einreiserechts möglich, etwa bei Personen, die wegen einer ansteckenden Erkrankung im Ausland in Quarantäne sind oder bei einem straffällig gewordenen Staatsangehörigen, der nach der Auslieferung sich der Strafverfolgung durch die Flucht entzogen hat.41 Ob dies auch für die vorzeitige Rückkehr von Personen gilt, die für eine bestimmte Zeit zu Dienstleistungen im Ausland verpflichtet sind,42 erscheint fraglich, denn die Sanktionierung von Dienstpflichten liegt auf einer anderen Ebene als das grundsätzlich jedem Bürger uneingeschränkt garantierte Recht auf Einreise. Art. 12 Abs. 4 IPBPR garantiert das Recht auf Einreise nur begrenzt. 33 34
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Jarass/Pieroth Art. 16, 23 GG; vgl. auch BRDrucks. 715/99, S. 5. BeckOK-GG/Maaßen Art. 16, 52 GG; Zimmermann JZ 2001 233, 237; Uhle NJW 2001 1889, 1893. Vgl. EKMR EuGRZ 1974 113; 1976 244 (Brückmann); Grabenwarter § 21, 26. Grabenwarter § 21, 26; so wohl auch Villiger 685, der es aber für schwierig hält, die Umgehung aufzuzeigen.
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EKMR EuGRZ 1974 113; 1976 244 (Brückmann). EGMR Conka/B, 5.2.2002, ECHR 2002-I. Grabenwarter § 21, 28. Zur Entstehungsgeschichte und die Gründe, aus denen dieses Verbot nicht in die Konvention aufgenommen wurde, vgl. Nowak 45. Grabenwarter § 21, 28. So Grabenwarter § 21, 28 m.w.N.
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Ausweisungsschutz
Art. 11, 12, 13 IPBPR
Das Recht auf Einreise darf nicht willkürlich entzogen werden, Einschränkungen aus sachlich gerechtfertigten Gründen sind also zulässig.43 Für die Einreise von Ausländern oder Staatenlosen gilt Art. 3 Abs. 2 des 4. ZP-EMRK 18 nicht, da es das Einreiserecht ausdrücklich nur den eigenen Staatsangehörigen zuerkennt. Der Wortlaut von Art. 12 Abs. 4 IPBPR spricht dagegen von der Einreise in sein eigenes Land, so dass hier die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht auch Ausländer und Staatenlose sich darauf berufen können, wenn sie in dem Aufnahmeland so fest verwurzelt sind, dass sie dieses und nicht mehr ihr Herkunftsland als Heimat betrachten. Dies kann insbesondere bei staatenlosen Immigranten, die jede Verbindung zu ihrem Herkunftsland abgebrochen haben, der Fall sein.44 Behält jemand die Staatsangehörigkeit seines Ursprungslandes und erwirbt nicht die des Wohnsitzlandes, obwohl ihm dies nicht willkürlich verwehrt wird, wird das Land der Einwanderung nicht sein eigenes Land i.S.d. Art. 12 Abs. 4 IPBPR. Einbürgerungshindernisse aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen stellen dabei keine willkürlichen Schranken dar.45 Im Übrigen garantieren beide Konventionen Ausländern und Staatenlosen kein unein- 19 geschränktes Aufenthaltsrecht.46
IV. Verbot der Kollektivausweisung (Art. 4 des 4. ZP-EMRK / Art. 13 IPBPR) Art. 4 des 4. ZP-EMRK ergänzt das Verbot der Kollektivausweisung eigener Staats- 20 bürger in Art. 3 Abs. 1 durch ein gleichlautendes Verbot für Ausländer. Entsprechend dem Verbotszweck, zu verhüten, dass bestimmte Menschengruppen ohne individuelle Prüfung des Einzelfalls pauschal ausgewiesen werden können, werden auch Staatenlose durch dieses Verbot geschützt. Eine Ausweisung darf daher nicht nach generellen Kriterien allein wegen der Zugehörigkeit einer diese Kriterien erfüllenden Menschengruppe angeordnet werden, sondern nur aufgrund einer objektiven individuellen Prüfung jedes Einzelfalls, die es dem Einzelnen ermöglicht, seine eigenen Gründe gegen seine Ausweisung geltend zu machen.47 Insoweit gewährleistet Art. 4 auch ein der Individualbeschwerde (vgl. Art. 13 EMRK) zugängliches Einzelrecht.48 Ein solches Recht gewährleistet auch Art. 13 IPBPR. Er macht bei Ausländern und 21 Staatenlosen (der maßgebende Vertragstext – „an alien“ / „un étranger“ – erfasst beide), die sich rechtmäßig im Inland aufhalten, in Anlehnung an Art. 32 der Genfer Flüchtlingskonvention die Ausweisung ausdrücklich von einer rechtmäßig ergangenen, individuellen Entscheidung abhängig. Gegen diese kann der Betroffene, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Einwände erheben, die in einem geregelten Verfahren nachgeprüft werden müssen, in dem sich der Betroffene auch vertreten lassen kann. Aufgrund dieser Regelung wird auch beim IPBPR eine Kollektivausweisung für unzulässig gehalten.49
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Zur Entstehungsgeschichte Nowak 45 ff., der daraus eine Beschränkung auf die Fälle herleitet, in denen die Verbannung ins Ausland eine gesetzlich vorgesehene Strafe ist. Dazu Nowak 48 ff. HRC Stewart/Canada, 1.11.1996, 538/1993, § 12.2–12.9; Canepa/Canada, 3.4.1997,
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558/1993, § 11.3; BVerwG NVwZ 2010 389, 391 f. Villiger 685; Nowak 45. Villiger 686. Grabenwarter § 21, 29. Nowak 12 unter Hinweis auf HRC General Comment 15 v. 22.7.1986, § 27.
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4. ZP EMRK 22
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Art. 4 kann auch trotz individueller Verfahren verletzt sein, wenn gleichzeitig die Angehörigen einer bestimmten Personengruppe (Roma) ausgewiesen werden und die Behörden dabei aufgrund von Anweisungen an die Verwaltung ohne nähere Prüfung des Einzelfalls gleichartig vorgehen.50 Eine indirekte Massenausweisung kann vorliegen, wenn durch die Verweigerung der Arbeitserlaubnis gezielt ein Zwang zur Ausreise erzeugt wird.
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EGMR Conka/B, 5.2.2002, ECHR 2002-I (abgelehnte Asylbewerber); Grabenwarter § 21, 29.
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Abschaffung der Todesstrafe
6., 13. ZP EMRK
Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vom 28.4.1983* Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden als „Konvention“ bezeichnet) unterzeichnen – in der Erwägung, dass die in verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarats eingetretene Entwicklung eine allgemeine Tendenz zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe zum Ausdruck bringt – haben Folgendes vereinbart: Artikel 1 Abschaffung der Todesstrafe Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden. Artikel 2 Todesstrafe in Kriegszeiten Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden. Der Staat übermittelt dem Generalsekretär des Europarats die einschlägigen Rechtsvorschriften. Artikel 3 Verbot des Abweichens Von diesem Protokoll darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden. Artikel 4 Verbot von Vorbehalten Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention zu Bestimmungen dieses Protokolls sind nicht zulässig.
Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen vom 3.5.2002** Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen, in der Überzeugung, dass in einer demokratischen Gesellschaft das Recht jedes Menschen auf Leben einen Grundwert darstellt und die Abschaffung der Todesstrafe für den Schutz dieses Rechts und für die volle Anerkennung der allen Menschen innewohnenden Würde von wesentlicher Bedeutung ist;
* BGBl. 1988 II S. 663; in der BR Deutschland in Kraft seit 1.8.1989 (BGBl. 1989 II S. 814).
** Für die BR Deutschland am 1.2.2005 in Kraft getreten (BGBl. 2004 II S. 982).
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6., 13. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
in dem Wunsch, den Schutz des Rechts auf Leben, der durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden als «Konvention» bezeichnet) gewährleistet wird, zu stärken; in Anbetracht dessen, dass das Protokoll Nr. 6 zur Konvention über die Abschaffung der Todesstrafe, das am 28. April 1983 in Straßburg unterzeichnet wurde, die Todesstrafe nicht für Taten ausschließt, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; entschlossen, den letzten Schritt zu tun, um die Todesstrafe vollständig abzuschaffen, haben Folgendes vereinbart: Artikel 1 Abschaffung der Todesstrafe Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden. Artikel 2 Verbot des Abweichens Von diesem Protokoll darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden. Artikel 3 Verbot von Vorbehalten Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.
Schrifttum (Auswahl) Ballhausen Todesstrafe durch Alliierte – ein Verstoß gegen das Grundgesetz, NJW 1988 2656; Boulanger/Heyes/Hanfling (Hrsg.), Zur Aktualität der Todesstrafe (2002); Broda Europas Kampf gegen die Todesstrafe, ZfRV 1986 1; Calliess Die Abschaffung der Todesstrafe – Zusatzprotokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, NJW 1989 1019; Doehring Zum „Recht auf Leben“ aus nationaler und internationaler Sicht, FS Mosler 145; Flemming Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland? (2007); Frankenberg Die Ausweisung und Abschiebung trotz drohender Todesstrafe, JZ 1986 414; Geck Art. 102 GG und der Rechtshilfeverkehr zwischen der Bundesrepublik und Ländern mit Todesstrafe – BVerfGE 18 112, JuS 1965 221; Gusy Auslieferung bei drohender Todesstrafe? GA 1983 73; Hartig Abschaffung der Todesstrafe in Europa / Das 6. Zusatzprotokoll zur EMRK, EuGRZ 1983 270; Hodgkinson The Death Penalty: an overview of the issues, ZIS 2006 346; Ishizuka/Wolfslast/Weinrich (Hrsg.), Zur Abschaffung der Todesstrafe: Europäische und japanische Positionen. Tagungsband zum Internationalen Kolloquium am 22. und 23. August 2005 in Gießen, ZIS 2006 (Heft 8), 318 ff.; Junker Zur Verpflichtung des deutschen Richters, in der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen mitzuwirken, DRiZ 1985 161; Koch Die Todesstrafe in der DDR, ZStW 110 (1998) 89; Koch Die Abschaffung der Todesstrafe in der Bundesrepublik; Anmerkungen zur Kontroverse über die Entstehungsgeschichte von Art. 102 GG, RuP 2005 230; Kreuzer Die Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland – mit Vergleichen zur Entwicklung in den USA, ZIS 2006 320; Kühn Schutz vor Todesstrafe im Ausland, ZRP 2001 542; Möhrenschlager Völkerrechtliche Abschaffung der Todesstrafe – geschichtliche Entwicklung gegenwärtiger Stand, FS Baumann 297; Neubacher/Bachmann/Goeck Konvergenz oder Divergenz? – Einstellungen zur Todesstrafe weltweit, ZIS 2011 517; Peters Die Mißbilligung der Todesstrafe durch die Völkerrechtsgemeinschaft, EuGRZ 1999 650; Pintaske Neue Strafrechtstheorien zur Abschaffung der Todesstrafe in China, ZIS 2011 272; Rosenau Europäische Rechtspolitik zur Abschaffung der Todesstrafe, ZIS 2006 338; Schabas The European Union and the Death Penalty, EYHR 2009 133; Schöch Die Todesstrafe aus viktimologischer Sicht, ZIS 2006 412; Schreiber Todesstrafe, ZIS 2006 327; Schüssler Todesstrafe und Grundgesetz im Auslieferungsverfahren, NJW 1965 1896; Vogler Auslieferung bei drohender Todesstrafe und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – Der Fall Soering vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), GedS Meyer 477;
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Abschaffung der Todesstrafe
6., 13. ZP EMRK
York (Hrsg.) Against the Death Penalty – International Initiatives and Implications (2008); Zapatero Die Todesstrafe – Plädoyer für ein weltweites Moratorium, FS Roxin II 1148.
1. Ächtung der Todesstrafe in der deutschen Rechtsordnung. Ein Recht, nicht hinge- 1 richtet zu werden, wurde erstaunlich lange Zeit nicht als Menschenrecht angesehen. In diesem Lichte ist rückblickend auch die kontrovers1 geführte Diskussion einer möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe durch Aufhebung des Art. 102 GG („Die Todesstrafe ist abgeschafft.“) im Wege eines die Verfassung ändernden Gesetzes zu sehen. Die Vorschrift gelangte 1949 als Reaktion auf den Missbrauch der Todesstrafe im Nationalsozialismus 2 ins Grundgesetz. Ungeachtet eines völkerrechtswidrigen Verhaltens aufgrund der Ratifikation der Zu- 2 satzprotokolle Nr. 6 (Rn. 6 ff.) und 13 (Rn. 17 ff.) ist die Aufhebung von Art. 102 GG ausgeschlossen, da die Todesstrafe unzulässigerweise in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG eingreift (Art. 79 Abs. 3 GG). Der BGH hat im Jahr 19953 unmissverständlich klargestellt, dass die Todesstrafe mit dem Schutz der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Dieser Ausspruch hat die weiteren intensiven Bemühungen Deutschlands zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe bestärkt. § 8 IRG macht eine Auslieferung in einen Staat, in dem die der Auslieferung zugrunde 3 liegende Tat mit der Todesstrafe bedroht ist, davon abhängig, dass der ersuchende Staat zusichert, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt wird.4 2. Todesstrafe und Art. 2 EMRK. Auf der Ebene des Europarates wurde schon 1950 4 in Art. 2 EMRK eine rechtlich verbindliche Aussage zur Todesstrafe getroffen. Jedoch schränkt Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK das allen Menschen garantierte Recht auf Leben für die Fälle der Vollstreckung eines im justizförmigen Verfahren verhängten Todesurteils gerade ein, lässt die Todesstrafe als Ausnahme des Tötungsverbotes also explizit zu.5 3. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). Art. 6 IPBPR 5 (1966) normiert gewisse verfahrensrechtliche „Mindestvoraussetzungen“ für die Verhängung der Todesstrafe; für Straftaten Jugendlicher unter 18 Jahren ist sie gänzlich verboten; eine Vollstreckung an Schwangeren ist unzulässig.6
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Vgl. Maunz/Dürig/Scholz Art. 102, 11, 29-31 GG; Dreier Grundgesetz, Band III, 2000, Art. 102, 56 ff. GG. BVerfGE 39 1, 36 f.; 45 187, 225. Zu Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland Koch RuP 2005 230; Kreuzer ZIS 2006 320; siehe auch Schreiber ZIS 2006 327; Zapatero FS Roxin II 1147, 1148. BGHSt 41 317, 325 (Verurteilung eines Richters der DDR wegen Rechtsbeugung, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Totschlag und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Totschlag; dieser wirkte an drei Strafverfahren wegen „Verbrechen gem. Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der DDR“ mit, die jeweils zu Todesurteilen führten, obwohl er die Todesstrafe für nicht schuldangemessen hielt); vgl. auch BGH NStZ-RR 1999 361 (Verhängung
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der Todesstrafe bei Verurteilung wegen Spionage – auch unter Berücksichtigung von DDR-Recht – als Rechtsbeugung sanktioniert); BGH NStZ 1999 634 (deutsche Ermittlungsergebnisse für ein ausländisches Strafverfahren dürfen nur dann verwendet werden, wenn sichergestellt ist, dass diese nicht zum Zweck der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe verwerten werden). Zur justiziellen Praxis: Grützner/Pötz/Kreß § 8, 38 ff. IRG; Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner § 8, 15 IRG; Frankenberg JZ 1986 414. Zur Abschreckungswirkung der Todesstrafe siehe Hermann FS Schöch 791. Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 519 r. Spalte.
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6., 13. ZP EMRK 6
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Bestrebungen zur weiteren Eindämmung und Abschaffung der Todesstrafe standen von nun an ganz oben auf der Agenda von UN und Europarat. Erste Ansätze zeigten sich schon 1973 in der Parlamentarischen Versammlung,7 die dann zum Abschluss des 6. ZPEMRK (Rn. 7 ff.) führten. Auch das 2. Fakultativprotokoll zum IPBPR vom 15.12.1989 zur Abschaffung der Todesstrafe8 wirkte auf eine weltweite Abschaffung hin.9 Art. 1 des 2. FP-IPBPR verbietet jede Hinrichtung und verpflichtet die Vertragsstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Todesstrafe in ihrem Hoheitsbereich abzuschaffen. Vorbehalte zu diesem Protokoll sind nicht zulässig mit der Ausnahme, dass Staaten bei der Ratifizierung oder beim Beitritt einen Vorbehalt machen können, der die Anwendung der Todesstrafe in Kriegszeiten wegen einer Verurteilung wegen eines in Kriegszeiten begangenen Verbrechens militärischer Art vorsieht.
4. Protokoll Nr. 6 zur EMRK (1983) 7
a) Das am 1.3.1985 in Kraft getretene Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe (CETS 114) ist das erste internationale völkerrechtliche Abkommen, das die Verpflichtung zur Abschaffung der Todesstrafe (jedenfalls in Friedenszeiten) vorsieht. Von den Bestimmungen darf auch im Notstandsfall (Art. 15 EMRK) nicht abgewichen werden (Art. 3 des 6. ZP-EMRK). Das 6. Zusatzprotokoll stellt daher einen Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen, weltweiten Abschaffung der Todesstrafe dar. 10 Vorbehalte nach Art. 57 EMRK zu diesem Protokoll sind nicht zulässig (vgl. Art. 4 8 des 6. ZP-EMRK). Nur für Kriegszeiten und in Zeiten unmittelbar drohender Kriegsgefahr bestand für die Vertragsstaaten die Möglichkeit einer „Öffnung“ (vgl. Art. 2 des 6. ZP-EMRK; „kann in seinem Recht vorsehen“).
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b) Schon in der Präambel zum 6. ZP-EMRK greift der Europarat die „allgemeine Tendenz zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe“ auf. Eine moralische Aussage über ihre Verhängung wurde damit 1983 allerdings noch nicht getroffen; vielmehr lässt sich die hohe Ratifikationsrate (46 Staaten) politisch erklären: Seit 1994 ist die Bereitschaft der Staaten, das 6. ZP-EMRK zu ratifizieren, zwingende Vorraussetzung für einen Beitritt zum Europarat.11 Als einziger Staat des Europarates hat Russland das 6. ZP-EMRK noch nicht ratifi10 ziert. 1999 hatte das russische Verfassungsgericht ein zehnjähriges Moratorium erlassen; bereits gefällte Todesurteile wurden vom damaligen Präsidenten Jelzin in Gefängnisstrafen umgewandelt. Das Russische Verfassungsgericht hat dieses Moratorium im Dezember 2009 verlängert, so dass die Todesstrafe weiterhin nicht verhängt werden kann. Weißrussland ist daher der einzige Staat in Europa, in dem die Todesstrafe noch verhängt und auch vollstreckt wird.
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Vgl. die Nachweise im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum 6. ZP-EMRK (BTDrucks. 11 1468 S. 1) und Zapatero FS Roxin II 1147, 1150 m.w.N. BGBl. 1992 II S. 390; abgedruckt bei Esser Textsammlung Nr. 47b; hierzu: Platz ZaöRV 1981 345.
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Vgl. hierzu Fukushima ZIS 2006 344. Zur weiteren Entwicklung bis 2010 siehe Zapatero FS Roxin II 1147, 1151 ff. Siehe Resolution der Parlamentarischen Versammlung 1044 (1994).
Robert Esser
Abschaffung der Todesstrafe
6., 13. ZP EMRK
Im Geltungsbereich der BR Deutschland bleibt das 6. ZP-EMRK hinter Art. 102 GG 11 zurück, der die Todesstrafe bedingungslos abschafft. Trotzdem12 stimmte das deutsche Parlament aus rechtspolitischen Gründen im Sinne der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte dem 6. ZP-EMRK zu. Art. 53 EMRK, der auch für dieses Zusatzprotokoll gilt (vgl. Art. 6 ZP-EMRK a.E.), schreibt ausdrücklich vor, dass keine Regelung diese Protokolls als Beschränkung oder Beeinträchtigung anerkannter Menschenrechte oder Grundfreiheiten ausgelegt werden darf. c) Art. 1, der in Verbindung mit Art. 2 gelesen werden muss, sieht die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten vor. Zudem gilt ein Wiedereinführungsverbot für Staaten, die die Todesstrafe in Friedenszeiten bereits abgeschafft haben. Art. 1 Satz 2 unterstreicht, dass es sich beim Verbot der Todesstrafe um ein subjektives Abwehrrecht des Einzelnen handelt, weder zu dieser Strafe verurteilt noch hingerichtet zu werden. Schon bei drohender Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe ist die Erwirkung einer vorläufigen Anordnung beim EGMR möglich (Rule 39 VerfO-EGMR).13 Allerdings muss ein „ernsthaftes Drohen“ der Verhängung bzw. Vollstreckung dargelegt werden.14 Bisher wurde die Verletzung des 6. ZP-EMRK meist im Zusammenhang mit der drohenden Auslieferung an einen Drittstaat, in dem die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe drohte, geltend gemacht. Eine Auslieferung an einen Staat, in dem die ernsthafte Gefahr der Verhängung der Todesstrafe besteht, verstößt nicht nur gegen Art. 2 EMRK (siehe dort Rn. 47), sondern auch gegen Art. 1 des 6. ZP-EMRK. Allerdings besteht diese Gefahr dann nicht, wenn die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates versichern, dass die Todesstrafe nicht zur Anwendung kommt und wenn auch ansonsten keine Hinweise für die Annahme vorliegen, dass im konkreten Fall die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe besteht. Die Regelung des § 8 IRG (Rn. 3) bestätigt dies zusätzlich.15 Darüber hinaus kommt ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK in Betracht.16 Auch im Rahmen internationaler Friedens- und Militäreinsätze ist bei der Überstellung bzw. Übergabe festgenommener Personen (an Nichtvertragsstaaten zum Zwecke der Strafverfolgung) darauf zu achten, dass die den Betroffenen zur Last gelegten Straftaten nicht mit der Todesstrafe bedroht werden.17
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BTDrucks. 11 1468 S. 10. Vgl. EGMR Öcalan/TRK (E), 30.11.1999, NJW 2000 1093 = EuGRZ 1999 716: Der EGMR leitete aus Art. 2 EMRK und dem darin befindlichen Gebot des Staates zum Lebensschutz einen Anspruch her, nicht willkürlich zur Todesstrafe verurteilt zu werden; siehe zur Vereinbarkeit der Todesstrafe mit Art. 2 EMRK auch dort Rn. 43. EGMR Ismaili/D (E), 15.3.2001 (Zusicherung der marokkanischen Behörden, dass keine Verurteilung zur Todesstrafe drohe; frühere Verurteilung eines Mittäters wegen derselben Straftat lediglich zu einer Freiheitsstrafe). Grützner/Pötz/Kreß § 8, 38 ff. IRG; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner § 8 ,15 IRG. EGMR Al-Saadoon u. Mufdhi/UK, 4.10.210 (Übergabe von irakischen Gefangenen durch
17
britische Militäreinheiten an den Irak nach Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 2004): Einen Verstoß gegen Art. 1 des 13. ZP-EMRK ließ der EGMR bei der Annahme einer realen Gefahr der Verurteilung zum Tode und der Vollstreckung des Urteils unter Hinweis der Verletzung des Art. 3 EMRK offen; vgl. hierzu auch EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = EuGRZ 1989 314 = NJW 1990 2183: das sog. „Todeszellensyndrom“ (Warten auf die Vollstreckung der Todesstrafe aufgrund Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe) stellt einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar (siehe dort Rn. 66, 95); vgl. auch: EGMR Poltoratskiy/ UKR, 29.4.2003. Vgl. Art. 12 Abs. 2 der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates vom 10.11.2008
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6., 13. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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Staaten, die eine Ausnahme von der Abschaffung der Todesstrafe in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr in ihrem gegenwärtigen oder zukünftigen Recht vorsehen, wird gemäß Art. 2 die Mitgliedschaft für dieses Protokoll eröffnet. Jedoch ist die gerichtliche Anwendung nur unter Vorbehalt der in den entsprechenden Gesetzen genannten Fällen möglich – wie in Art. 2 EMRK vorgesehen. Der Staat ist dabei verpflichtet, zuvor dem Generalsekretär des Europarates die „rechtliche“ Grundlage zu übermitteln. Art. 2 wird durch das – auch von der BR Deutschland ratifizierte – am 1.7.2003 in Kraft getretene 13. ZP-EMRK (vgl. Rn. 19 ff.) modifiziert, das die Todesstrafe ausnahmslos und auch für die Fälle des Notstands abschafft. Die Limitierung der Zulässigkeit auf Kriegszeiten oder Zeiten unmittelbarer Kriegs17 gefahr – wie in Art. 2 vorgesehen – ist eng auszulegen.18 Eine gerichtliche Verurteilung zum Tode stellt daher eine Verletzung von Art. 1 des 6. ZP-EMRK dar, wenn sie nicht „im Recht vorgesehen ist“. Hinter dieser Formulierung verbergen sich konkrete Bestimmtheitsanforderungen. Der allgemeine Tatbestand des Völkermordes stellt keine von Art. 2. des 6. ZP-EMRK geforderte „rechtliche“ Grundlage für die Verhängung einer Todesstrafe dar, wenn seine Anwendbarkeit nicht auf Kriegszeiten und unmittelbare Kriegsgefahr beschränkt ist. Die gesetzlichen Bestimmungen müssen so hinreichend konkret formuliert sein, dass sie nicht nur die Taten und Umstände definieren, sondern ebenso die Begriffe der „Kriegszeit“ sowie der „unmittelbaren Kriegsgefahr“.19
18
d) Art. 3 sieht ein Verbot des Abweichens von diesem Protokoll nach Art. 15 EMRK vor, der in Kriegszeiten oder einem anderen Ausnahmefall, der das Land bedroht, Ausnahmen ermöglicht. Dies verstärkt die strikte Auslegung des Art. 2 EMRK. Weiterhin erklärt Art. 4 Vorbehalte nach Art. 57 EMRK für nicht anwendbar. Art. 6 betont, dass das Protokoll lediglich einen Zusatz zur Konvention darstellt, so dass Art. 2 EMRK nicht verdrängt wird, sowohl Art. 2 Abs. 1 Satz 1 als auch der gesamte Absatz 2 bleiben, was die Vertragspartner betrifft, bestehen und anwendbar.
18 19
über die Militäroperation der Europäischen Union als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias (ABlEU Nr. L 301 v. 12.11.2008, S. 33, 36; Nr. 4 der Anlage zum Briefwechsel der Europäischen Union und der Regierung Kenias über die Bedingungen und Modalitäten für die Übergabe von Personen, die seeräuberischer Handlungen verdächtigt werden und von den EU-geführten Streitkräften (EUNAVFOR) in Haft genommen werden, … und für ihre Behandlung nach einer solchen Übergabe (ABlEU Nr. L 79 v. 25.3.2009, S. 49, 52). Dazu IK-EMRK/Lagodny Anh. zu Art. 2 Rn. 1. Human Rights Chamber of Bosnia i Herzegovina, Damjanovic/BIH, CH/96/30: Verhängung der Todesstrafe durch ein Militärgericht in Bosnien-Herzegowina für Volkermord und
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für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung (Art. 141 f. des Strafgesetzbuches); die Menschenrechtskammer hielt Art. 141 f. mit dem 6. ZP-EMRK für unvereinbar und begründete so einen Verstoß gegen die Verfassung Bosnien-Herzegowinas, deren Art. 2 Abs. 2 eine direkte Anwendung aller Rechte und Freiheiten der EMRK inkl. Protokolle vorschreibt. Die Unbestimmtheit basierte darauf, dass der Tatbestand eine Vielzahl krimineller Handlungen von unterschiedlicher Schwere erfasste und in einer anderen Bestimmung lediglich darauf verwiesen wurde, dass die Todesstrafe nur in den schwersten Fällen gravierender Verbrechen zu verhängen sei. Somit war es nicht eindeutig vorhersehbar, für welche der im Tatbestand aufgezählten Handlungen im Einzelnen eine Verurteilung zur Todesstrafe erfolgen durfte.
Robert Esser
Abschaffung der Todesstrafe
6., 13. ZP EMRK
5. Protokoll Nr. 13 zur EMRK (2002) Das 13. ZP-EMRK (CETS 187) steht für den dynamischen Charakter der EMRK. Während das 6. ZP-EMRK in Kriegszeiten und Zeiten unmittelbarer Kriegsgefahr die Möglichkeit einer Abweichung von der Abschaffung der Todesstrafe vorsieht, wird diese im 13. ZP-EMRK ausnahmslos verboten. Zahlreiche politische Bestrebungen in diese Richtung konnten seit 1994 verzeichnet werden. Der Ministerrat war von der Parlamentarischen Versammlung angehalten worden, ein Zusatzprotokoll, das die Todesstrafe auch in Kriegszeiten abschaffen sollte, zu errichten.20 Dieses fundamentale Ziel wurde 1997 durch das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten des Europarats bestärkt. Auch die EU leistete einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung. 1998 wurden Richtlinien zum Thema Todesstrafe in Bezug auf Länder der Dritten Welt verabschiedet, die sich dieser Art der Bestrafung vehement entgegenstellten. Das 13. ZP-EMRK ist am 3.5.2002 verabschiedet worden und trat bereits am 1.7.2003 in Kraft. Bisher haben es 42 Staaten gezeichnet und ratifiziert.21 Aserbaidschan und Russland 22 stellen sich einer vollständigen Abschaffung der Todesstrafe weiterhin energisch in den Weg; beide Staaten haben das 13. ZP-EMRK nicht gezeichnet. Bereits in der Präambel des 13. ZP-EMRK wird auf die Entschlossenheit, „den letzten Schritt zu tun, um die Todesstrafe vollständig abzuschaffen“, hingewiesen.23 In den Erwägungsgründen zur vollständigen Abschaffung wird dabei auf die „allen Menschen innewohnende Würde“ Bezug genommen, der als unleugbares Recht höchster Wert zukomme, so dass – ganz im Gegensatz zum 6. ZP-EMRK eine moralphilosophische Bewertung der Todesstrafe anklingt. Art. 1 sieht die vollständige Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen vor, d.h. auch in Kriegszeiten und Zeiten unmittelbarer Kriegsgefahr. Satz 2 ist ganz im Sinne des Art. 1 Satz 2 des 6. ZP-EMRK als subjektives Abwehrrecht zu verstehen. Des Weiteren entspricht Art. 2 dem Art. 3 des 6. ZP-EMRK; Art. 3 spiegelt Art. 4 dieses Protokolls. Auf die Ausführungen sei hiermit Bezug genommen. Der Wortlaut des Art. 4 folgt Art. 5 des 6. ZP-EMRK und sollte damit eine schnelle Ratifikation erleichtern. Eine Erklärung nach Abs. 1 oder Abs. 2 bedeutet somit faktisch eine Ausdehnung der Kompetenz des Gerichtshofs auf die bezeichneten Hoheitsgebiete. Abs. 3 soll dabei eine formelle Rücknahme oder Änderung der abgegebenen Erklärung des Mitgliedstaates dann ermöglichen, wenn er sich für die internationalen Beziehungen dieses Hoheitsgebiets nicht mehr verantwortlich erklärt. Keineswegs aber ist er in dem Sinne zu verstehen, dass die Staaten beliebig die Todesstrafe dort wiedereinführen können.
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6. Verhältnis von Art. 2 EMRK, 6. ZP-EMRK und 13. ZP-EMRK. Prinzipiell finden 24 alle Bestimmungen der EMRK auf das 13. ZP-EMRK ergänzende Anwendung (vgl. Art. 5 des 13. ZP-EMRK) – mit einigen wenigen, aber wichtigen Besonderheiten.
20 21
Resolution der Parlamentarischen Versammlung 1246 (1994). Aktueller Ratifikationsstand abrufbar unter: http://www.conventions.coe.int (Stand November 2011): keine Ratifikation durch Armenien, Lettland und Polen. Russland und Aserbaidschan haben das 13. ZP-EMRK nicht gezeichnet.
22 23
Kritisch: Nußberger Ende des Rechtsstaats in Russland? (2007), 52. Zur Bedeutung der Milleniumserklärung Kofi Annans und ihrer Auswirkungen auf die vollständige Abolition der Todesstrafe siehe Zapatero FS Roxin II 1147, 1156 ff.
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6., 13. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
25
Während Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EMRK nicht von den Bestimmungen des 13. ZP-EMRK verdrängt wird, ist Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK, der für die Vollstreckung eines Todesurteils die gerichtliche Verhängung sowie eine gesetzliche Grundlage erfordert, aufgrund dieses Protokolls nicht länger anwendbar. Für Konventionsstaaten, die sowohl das 6. ZP-EMRK als auch das 13. ZP-EMRK 26 ratifiziert haben, ist ein Rückgriff auf Art. 2 des 6. ZP-EMRK nicht mehr möglich.
27
7. Initiativen auf der Ebene der UN und der Europäischen Union. Auf der Ebene der Europäischen Union gibt es ebenfalls Erklärungen zur Abschaffung der Todesstrafe.24 Hierin kommt zum Ausdruck, dass sich die EU nicht nur als wirtschaftliche Interessenvereinigung, sondern zunehmend auch als Verfassungs- und Wertegemeinschaft versteht.25 Schon 1994 ergingen die ersten Erklärungen und Initiativen (in diesem Fall vor allem durch die Regierung Italiens vorangetrieben). Ziel war ein erstes Moratorium der Todesstrafe. Weitere Erklärungen schlossen sich u.a. 1997 und 1999 an, in denen vornehmlich die Anwendbarkeit der Todesstrafe weiterhin beschränkt wurde und nunmehr eine Verhängung und Vollstreckung bei Geisteskrankheiten und bei nicht gewalttätigen Steuer- und Vermögensdelikten abgeschafft werden sollte.26 Derzeit beabsichtigt die spanische EU-Ratspräsidentschaft (2011), europaweit gegen die Todesstrafe durchzudringen. Auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen bezog Stellung mit ihrer Forderung eines Hinrichtungsmoratoriums sowie einer schrittweisen Abschaffung der Todesstrafe. Der 4. Weltkongress gegen die Todesstrafe kündigte im Februar 2010 den Aufbau einer Allianz von Hinrichtungsgegnern an.27 Die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung der Todesstrafe wurde auch anlässlich des Welttags gegen die Todesstrafe im Oktober 2010 laut.28 Bereits im Jahre 2008 erging ein Beschluss zur EU-Politik betreffend die Todesstrafe in Drittländern. Dabei wurden erneut Mindeststandards formuliert, die sich allerdings im Wesentlichen auf bereits zuvor erlassene Erklärungen bezogen. Leider konnte erneut keine einheitliche Ächtung der Verhängung der Todesstrafe für Drogendelikte, wie sie vor allem in Asien vorherrscht, erzielt werden.29
28
8. Weltweite Entwicklung zur Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe. Mit dem Inkrafttreten des 6. ZP-EMRK wurde nicht nur im europäischen, sondern auch im weltweiten Kontext die Rechtsentwicklung hin zur Abschaffung der Todesstrafe verstärkt.30 Zurzeit haben 96 Staaten die Todesstrafe rechtlich abgeschafft, 34 sehen zumindest von ihrer Vollstreckung ab. 58 Länder dagegen halten weiterhin an ihr fest. Wiedereingeführt wurde die Strafe seit den 1990 Jahren von vier Ländern (Gambia, Papua-Neuginea, Nepal, Philippinen). Die Zahl der verhängten Todesurteile ist kontinuierlich rückläufig. Weiterhin Problemland bleibt China, dass jedes Jahr mehr Menschen hinrichtet, als 29 alle anderen Staaten zusammen, wobei es eine sehr restriktive Informationspolitik bezüg-
24 25
26
Zu diesen Initiativen: Schabas European Yearbook on Human Rights (2009), 133. Vgl. hierzu ABlEU Nr. C 74 E v. 20.3.2008, S. 775 f., in der sich das Europäische Parlament u.a. für die Erweiterung einer weltweiten Kampagne gegen die Todesstrafe ausspricht; siehe auch Calliess JZ 2004 1033, 1037. Für eine sehr detaillierte Darstellung der ein-
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27 28
29 30
zelnen Erklärungen und Resolutionen: Schabas EYHR 2009 139. Vgl. BTDrucks. 17 2331. Dok. IP/10/1306 v. 8.10.2010 – „EU setzt sich weiterhin energisch für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein“ (Pressemitteilung der EU). Schabas EYHR 2009 135 f. Siehe Hodgkinson ZIS 2006 346.
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Abschaffung der Todesstrafe
6., 13. ZP EMRK
lich seiner genauen Hinrichtungszahlen betreibt.31 Positiv ist aber anzumerken, dass die Zahl der Delikte, auf die eine Verhängung der Todesstrafe droht, von der chinesischen Regierung erst im Februar 2011 um 13 auf nunmehr 55 Delikte vermindert wurde. Ebenso erfreulich sind die neueren Ansätze in der chinesischen Strafrechtsdogmatik. Im Rahmen der Tagung des „International Forum on Crime and Criminal Law in the Global Era“ (IFCCLGE) vom 30.10 bis 1.11.2010 in Peking wurde mit sachverständigen Vertretern aus asiatischen und nicht-asiatischen Ländern (darunter u.a. Argentinien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Russland) erneut intensiv über die Rechtfertigungsansätze der Todesstrafe als Form der Sanktion diskutiert. China öffnete sich insoweit westlichen Anschauungen, als dass es den einzigen Zweck des staatlichen Strafens nunmehr in der Verteidigung der Menschenrechte sieht. Als Konsequenz einer solchen dogmatischen Wende ist eine weiterhin konsistent begründbare Anwendung der Todesstrafe als Reaktion auf Kriminalität wohl auch in China nicht länger möglich. Abzuwarten bleibt die Konsequenz der chinesischen Rechtsprechung in der Anwendung und Auslegung dieser neuen Strafgrundtheorie.32 Nachdem in den USA und in Japan die Todesstrafenpraxis lange Zeit nicht in Frage 30 gestellt wurde, gab das 6. ZP-EMRK einen Anstoß zu innenpolitischen Diskussionen in beiden Ländern. Im Juni 2001 wurden beide Staaten vom Europarat zur Erklärung eines „unverzüglichen“ Moratoriums für Hinrichtungen aufgefordert.33 Zwar sind die USA und Japan34 nicht Mitglieder des Europarates, jedoch haben sie einen Beobachterstatus, der bei hartnäckigem Festhalten an der Todesstrafe ohne Fortschritte auf diesem Gebiet ernsthaft in Frage gestellt werden könnte. In den USA besteht auf der Ebene des Bundesrechts kein Verbot der Todesstrafe. Der 8. Zusatzartikel zur US-Verfassung verbietet lediglich „cruel and unusual punishments“ und erfasst daher nur bestimmte Fälle der Vollstreckung der Todesstrafe.35 Im März 2009 schaffte New Mexico als 15. Bundesstaat der USA die Todesstrafe ab. In 35 der 50 US-Bundesstaaten existiert die Todesstrafe aber weiterhin als Sanktionsform.36 Allein im Jahre 2010 wurden 46 Todesurteile in den gesamten USA vollstreckt. Spitzenreiter des letzten Jahrzehnts ist der Bundestaat Texas, der von 2000 bis zum Jahr 2010 265 Menschen hinrichten ließ.37 In einem Urteil des US Supreme Court vom 1.3.2005 wurde allerdings mit fünf zu vier Stimmen entschieden, dass eine Vollstreckung der Todesstrafe gegen Täter, die bei Begehung der Tat noch minderjährig waren, nicht zulässig ist. Zuvor waren allein zwischen 1990 und 2003 mehr als die Hälfte aller Exekutionen Jugendlicher weltweit in den USA vollstreckt worden.38
31 32 33
34
Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 519 f. Zum Ganzen: Pintaske ZIS 2011 272. Resolution der Parlamentarischen Versammlung 1253 (2001); vgl. Kühn ZRP 2001 542, 543. Hierzu Death Penalty Moratorium Bill, ZIS 2006 409. In Japan wurden nach einjähriger Unterbrechung im Juli 2010 wieder zwei Todesurteile vollstreckt. Zur Praxis der Todesstrafe in Japan Ishizuka ZIS 2006 330; Nakamura ZIS 2006 378; Ogawara ZIS 2006 372; zur Möglichkeit und Praxis eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Verhängung der Todesstrafe Kato ZIS 2006 354; Kobayashi
35 36
37
38
ZIS 2006 359; Shinya ZIS 2006 380. Siehe auch die Empfehlung der Japan Federation of Bar Associations, ZIS 2006 382. Zur aktuellen Entwicklung: Brugger JZ 2009 609, 616 f. Vgl. BTDrucks. 17 4794; kritisch hierzu: Hermann DRiZ 2010 406; zum Gebot der Berücksichtigung mildernder Umstände vor Verhängung der Todesstrafe siehe Brugger JZ 2008 773, 782. Vgl. BTDrucks. 17 4794; nach Stand Oktober 2010 sind weitere 3242 Personen in den USA zum Tode verurteilt. Siehe hierzu: Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 519 f.
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6., 13. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
31
Anders stellt sich die Lage allerdings weiterhin im Iran, in Pakistan, Saudi Arabien, dem Sudan, den V.A. Emiraten sowie im Jemen dar: Obwohl damit ein offensichtlicher Verstoß gegen die von all diesen Ländern ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention (vgl. Art. 37 CRC) vorliegt, sind in diesen Ländern auch im Jahre 2010 Minderjährige hingerichtet worden.39 Bizarr erscheint der Fall einer hingerichteten Frau im US-Bundesstaat Virginia im 32 Herbst 2010, die mit einem Intelligenzquotient von gerade einmal 72 Punkten nur knapp noch über dem Ausschlusswert lag, der eine Hinrichtung als absolutes Vollstreckungshindernis vermieden hätte. Im Winter des gleichen Jahres wurde ein Mann in Oklahoma zwecks eines Lieferengpasses bei der verwendeten Giftinjektion mit einem stattdessen vorrätigen Tierbetäubungsmittel hingerichtet.40 Auch bezüglich der einschlägigen Delikte, wegen denen eine Todesstrafe verhängt 33 werden kann, unterscheiden sich die Staaten erheblich. Während nach Art. 6 Abs. 2 IPBPR die Todesstrafe nur auf schwerste Verbrechen beschränkt sein soll, werden vor allem auch wegen Drogendelikten, die ausweislich nicht unter Art. 6 Abs. 2 IPBPR fallen, Todesurteile verhängt. So vollstrecken u.a. der Iran, Ägypten und Indonesien die Todesstrafe regelmäßig gegenüber Tätern von Drogendelikten. In Thailand war im Jahr 2010 sogar fast jeder zweite in einer Todeszelle Einsitzende (insgesamt 708 Personen) wegen eines Drogendelikts verurteilt.41 In Japan wurden nach einjähriger Unterbrechung zuletzt im Juli 2010 zwei zum Tode 34 verurteilte Mörder hingerichtet. In Taiwan war 2005 ein Moratorium für die Vollstreckung von Todesurteilen verhängt worden. Im April 2010 wurde dieses aufgekündigt und vier Todesurteile vollstreckt.
39 40
Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 520. Vgl. Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517.
1000
41
Neubacher/Bachmann/Goeck ZIS 2011 517, 520 f.
Robert Esser
Ausweisungsschutz pp.
7. ZP EMRK
Protokoll Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 22.11.1984* Artikel 1 Verfahrensrechtliche Schutzvorschriften in Bezug auf die Ausweisung von Ausländern (1) Eine ausländische Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, darf aus diesem nur aufgrund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden; ihr muss gestattet werden, a) Gründe vorzubringen, die gegen ihre Ausweisung sprechen, b) ihren Fall prüfen zu lassen und c) sich zu diesem Zweck vor der zuständigen Behörde oder einer oder mehreren von dieser Behörde bestimmten Personen vertreten zu lassen. (2) Eine ausländische Person kann ausgewiesen werden, bevor sie ihre Rechte nach Absatz 1 Buchstaben a, b und c ausgeübt hat, wenn eine solche Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt. Artikel 2 Rechtsmittel in Strafsachen (1) Wer von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. Die Ausübung dieses Rechts und die Gründe, aus denen es ausgeübt werden kann, richten sich nach dem Gesetz. (2) Ausnahmen von diesem Recht sind für Straftaten geringfügiger Art, wie sie durch Gesetz näher bestimmt sind, oder in Fällen möglich, in denen das Verfahren gegen eine Person in erster Instanz vor dem obersten Gericht stattgefunden hat oder in denen eine Person nach einem gegen ihren Freispruch eingelegten Rechtsmittel verurteilt worden ist. Artikel 3 Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen Ist eine Person wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben oder die Person begnadigt worden, weil eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag, so muss sie, wenn sie aufgrund eines solchen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend dem Gesetz oder der Übung des betreffenden Staates entschädigt werden, sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihr zuzuschreiben ist. Artikel 4 Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden (1) Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden. * Nichtamtliche Übersetzung. Von der BR Deutschland wurde das 7. ZP-EMRK bislang nicht ratifiziert
Robert Esser
1001
7. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
(2) Absatz 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist. (3) Von diesem Artikel darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden. Artikel 5 Gleichberechtigung der Ehegatten Hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art. Dieser Artikel verwehrt es den Staaten nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen.
Schrifttum (Auswahl) Trechsel Das verflixte Siebente? Bemerkungen zum 7. Zusatzprotokoll zur EMRK, FS Ermacora (195).
I. Allgemeines 1
Das 7. ZP-EMRK wurde von Deutschland bisher nicht ratifiziert.1 Soweit dieses Protokoll inhaltlich bereits im IPBPR enthaltene Verbürgungen übernimmt, gelten diese in Deutschland nur in der Fassung des IPBPR und den dazu von der Bundesrepublik erklärten Vorbehalten.
II. Schutzvorschriften zur Ausweisung von Ausländern (Art. 1) Art. 1 Abs. 1 des 7. ZP-EMRK übernimmt die in Art. 13 IPBPR enthaltene Regelung, wonach ein sich rechtmäßig im Staatsgebiet aufhaltender Ausländer nur aufgrund einer rechtmäßigen Entscheidung ausgewiesen werden darf, die unter Wahrung der national näher festgelegten Rechtsgarantien ergangen ist. Das für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung maßgebliche nationale Recht muss seinerseits zugänglich und vorhersehbar sein sowie im gewissen Umfang vor willkürlichen Eingriffen der Behörden in Konventionsrechte schützen.2 Ist eine Abschiebung nicht gesetzlich vorgesehen i.S.v. Art. 8 EMRK, so liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 vor.3 Der Begriff der Ausweisung ist hingegen unabhängig von der jeweiligen Definition im nationalen Recht zu verstehen und erfasst mit Ausnahme von Auslieferungen jede Maßnahme, durch die ein Ausländer gezwungen wird, einen Vertragsstaat zu verlassen.4 Die Möglichkeit, den Fall überprüfen zu lassen (Art. 1 Abs. 1 lit. b), ist nicht gegeben, 3 wenn das zuständige nationale Gericht sich weigert, Beweise zu sammeln, um die Anschuldigungen, die der Abschiebung zugrunde liegen, zu bestätigen oder zu entkräf-
2
1 2
Vgl. Teil I Rn. 53. EGMR Lupsa/RUM, 8.6.2006, ECHR 2006-VII.
1002
3 4
EGMR C.G. u.a./BUL, 24.4.2008, § 73, ÖJZ 2008 973. EGMR Bolat/R, 5.10.2006, ECHR 2006-XI.
Robert Esser
Ausweisungsschutz pp.
7. ZP EMRK
ten. Eine rein formale Überprüfung der staatlichen Entscheidung genügt den Anforderungen der Konvention nicht.5 Art. 1 Abs. 2, der in bestimmten Fällen ein Absehen von diesen Verfahrensgarantien 4 erlaubt, findet im Wortlaut des Art. 13 IPBPR keine Entsprechung. Ein Vertragsstaat, der sich, um einen Ausländer schon vor der Ausübung seiner 5 Rechte nach Art. 1 auszuweisen, auf die öffentliche Ordnung beruft, muss die Notwendigkeit dieser Maßnahme aufzeigen können.6
III. Rechtsmittel in Strafsachen (Art. 2) Art. 2 räumt in Absatz 1 ebenso wie Art. 14 Abs. 5 IPBPR jedem wegen einer Straftat 6 Verurteilten das Recht ein, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen.7 Absatz 2 lässt Ausnahmen bei geringfügigen Straftaten, bei Verurteilung durch ein oberstes Gericht oder bei einer Verurteilung aufgrund eines Rechtsmittels nach einem Freispruch zu. Im Wortlaut des Art. 14 Abs. 5 IPBPR fehlt diese Ausnahmeregelung.
IV. Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen (Art. 3) Art. 3 verpflichtet ebenso wie Art. 14 Abs. 6 IPBPR die Staaten zur Entschädigung, 7 wenn ein rechtskräftiges Strafurteil aufgehoben wurde, weil es sich nachträglich als Fehlurteil erweist.8
V. Ne bis in idem (Art. 4) Art. 4 legt ebenso wie Art. 14 Abs. 7 IPBPR das Verbot der doppelten Strafverfolgung 8 wegen derselben Tat fest. Der EGMR hat diesen Grundsatz mittlerweile fest in seine Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK integriert.9
VI. Gleichberechtigung der Ehegatten (Art. 5) Art. 5 bestimmt – ebenso wie Art. 23 Abs. 4 IPBPR – dass Ehegatten untereinander 9 und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern die gleichen Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und nach Auflösung der Ehe haben.10
5 6 7 8
EGMR C.G. u.a./BUL (Fn. 3), § 74; ebenso EGMR Lupsa/RUM (Fn. 2). EGMR C.G. u.a./BUL (Fn. 3), § 78. Vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 14 Abs. 5 IPBPR bei Art. 6 EMRK Rn. 991 ff. Wegen der Einzelheiten vgl. dazu die Erläute-
9 10
rungen zu Art. 14 Abs. 6 IPBPR bei Art. 6 EMRK Rn. 1002 ff. Vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 14 Abs. 7 IPBPR bei Art. 6 EMRK Rn. 1021 f. Vgl. dazu Art. 12 EMRK Rn. 11, Art. 14 EMRK Rn. 5, 18, 29.
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12. ZP EMRK
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Protokoll Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.2000 Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen – eingedenk des grundlegenden Prinzips, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben, entschlossen, weitere Maßnahmen zu treffen, um die Gleichberechtigung aller Menschen durch die kollektive Durchsetzung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden als „Konvention“ bezeichnet) zu fördern, in Bekräftigung der Tatsache, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung die Vertragsstaaten nicht daran hindert, Maßnahmen zur Förderung der vollständigen und wirksamen Gleichberechtigung zu treffen, sofern es eine sachliche und angemessene Rechtfertigung für diese Maßnahmen gibt – haben Folgendes vereinbart: Artikel 1 Allgemeines Diskriminierungsverbot (1) Der Genuss eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. (2) Niemand darf von einer Behörde diskriminiert werden, insbesondere nicht aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe. Die Kommentierung erfolgt bei Art. 14 EMRK Rn. 45 ff.
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Teil II Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes Schrifttum (Auswahl) Bajohr Die Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile im Wege der Wiederaufnahme, Eine Untersuchung zur Wiederaufnahme in Strafsachen unter besonderer Berücksichtigung der Wiederaufnahmegründe in § 79 Abs. 1 BVerfGG und § 359 Nr. 6 StPO (2008); Bausbeck Keine Wiederaufnahme nach dem EGMR-Urteil, NJW 1999 2483; Bergmann Das Bundesverfassungsgericht in Europa, EuGRZ 2004 620; Bleckmann Die Beschwerde in Strafsachen vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg, JA 1984 705; Bostedt Vorsorgliche und einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte (2009); Breuer Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR, EuGRZ 2004 257; ders. Urteilsfolgen bei strukturellen Problemen – das erste „Piloturteil“ des EGMR – Anmerkungen zum Fall Broniowski gegen Polen, EuGRZ 2004 445; ders. Von Lyons zu Sejdovic: Auf dem Weg zu einer Wiederaufnahme konventionswidrig zustande gekommener nationaler Urteile? EuGRZ 2004 782; ders. Karlsruhe und die Gretchenfrage: Wie hast du’s mit Straßburg? NVwZ 2005 412; Britz Die Individualbeschwerde nach Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung – Zur Einführung des Individualbeschwerdeverfahrens in Deutschland, EuGRZ 2002 381; Caflisch/Callewaert/Liddell/Mahoney/Villiger (Hrsg.), Liber Amicorum Luzius Wildhaber – Human Rights – Strasbourg Views (2007); Clements European Human rights: taking a case under the Convention (1999) 2; Cremer Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen – Anmerkung zum Görgülü-Beschluss des BVerfG v. 14.10.2004, EuGRZ 2004 683; Csaki Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der deutschen Rechtsordnung (2008); Czerner Das völkerrechtliche Anschlusssystem der Art. 59 II 1, 25 und 24 I GG und deren Inkorporierungsfunktion zugunsten der innerstaatlichen EMRK-Geltung, EuR 2007 537; ders. Inter partes- versus erga omnes-Wirkung der EGMR-Judikate in den Konventionsstaaten gemäß Art. 46 EMRK. Eine Problemanalyse auch aus strafverfahrensrechtlicher Perspektive, AVR 46 (2008) 345; Dannemann Schadensersatz bei Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung nach Art. 50 EMRK (1993); ders. Haftung für die Verletzung von Verfahrensvorschriften nach Art. 41 EMRK, RabelsZ 1999 452; Drzemczewski/ Meyer-Ladewig Grundzüge des neuen EMRK-Kontrollmechanismus nach dem am 11. Mai 1994 unterzeichneten Reform-Protokoll (Nr. 11), EuGRZ 1994 317; Eschelbach Beschwerde zum EGMR, in: Widmaier (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung (2006), § 29; Esser Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal (Hrsg.), Internationales Strafrecht in der Praxis (2008), 1; ders. Die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im nationalen Recht – ein Beispiel für die Dissonanz völkerrechtlicher Verpflichtungen und verfassungsrechtlicher Vorgaben? StV 2005 348; Frowein Der freundschaftliche Ausgleich im Individualbeschwerdeverfahren nach der Menschenrechtskonvention und das deutsche Recht, JZ 1969 213; Ghandi Some aspects of the Exhaustion of Domestic Remedies Rule under the Jurisprudence of the Human Rights Committee, GYIL 44 (2001) 485; Grabenwarter Wirkungen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – am Beispiel des Falls M. gegen Deutschland, JZ 2010 857; Gusy Wirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland, JA 2009 407; Hernd Recent Developments concerning fact-finding in the field of Human Rights, FS Ermacora 1; Karl Zur Bedeutung der Entscheidungen des EGMR in der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, ÖRiZ 2007 130; Kieschke Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkung auf das deutsche Strafverfahrensrecht (2003); Kilian Die Bindungswirkungen der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten der Konvention
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (1994); Klein Anmerkung – Zur Bindung staatlicher Organe an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, JZ 2004 1176; Kleine-Cosack Menschenrechtsbeschwerde im Berufsrecht der freien Berufe, AnwBl. 2009 326; ders. Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde (2007)2; Krüger Vorläufige Maßnahmen nach Art. 36 der Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (insbesondere in Ausweisungs- und Auslieferungsfällen), EuGRZ 1996 346; Lambert-Abdelgawad The Execution of Judgements of the European Court of Human Rights (2002); Lauff Der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Vereinten Nationen, NJW 1981 2611; Leach Taking a case to the European Court of Human Rights (2001); Leeb Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im entschiedenen Fall (2001); Leuprecht Der Schutz der Menschenrechte durch politische Organe – Das Beispiel des Ministerkomitees des Europarats, FS Ermacora 195; Macdonald Interim Measures in International Law with Special Reference to the European System for the Protection of Human Rights, ZaöRV 52 (1992) 703; Mandla Von Straßburg und der Wirklichkeit gedrängt – das BVerfG hat sich nach sieben Jahren ein bisschen korrigiert. Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 21. Juli 2010 – 2 BvR 420/09, JR 2011 185; Masuch Zur fallübergreifenden Bindungswirkung von Urteilen des EGMR, NVwZ 2000 1266; Matscher Das Verfahren vor den Organen der EMRK, EuGRZ 1982 489; ders. Die Begründung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, FS Bernhardt 503; ders. Der neue Menschenrechtsschutz in Europa, FS SeidlHohenveldern 445; ders. Kollektive Garantie der Grundrechte und die Staatenbeschwerde nach der EMRK, FS Adamowich 417; Maur Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten als neuer Wiederaufnahmegrund im Strafverfahren, NJW 2000 338; Meyer-Ladewig Unklarheiten bei der Berechnung der Beschwerdefrist in Straßburg? NJW 2011 1559; Meyer-Ladewig/Petzold Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR, NJW 2005 15; Myjer/Mol/Kempees/van Steijn/Bockwinkel/Uerpmann EGMR-Verfahren – Die häufigsten Irrtümer bei Einreichen einer Beschwerde, MDR 2007 505; Mosler Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach 20 Jahren, FS Huber 595; Okresek Die Umsetzung der EGMR-Urteile und ihre Überwachung. Probleme der Vollstreckung und der Behandlung von Wiederholungsfällen, EuGRZ 2003 168; Pache Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsordnung, EuR 2004 393; Papier Umsetzung und Wirkung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Perspektive der nationalen deutschen Gerichte, EuGRZ 2006 1; Payandeh Konventionswidrige Gesetze vor deutschen Gerichten, DÖV 2011 382; Pellopää Kontrolldichte des Grund- und Menschenrechtsschutzes in mehrpoligen Rechtsverhältnissen – Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2006 483; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention (2003); Polakiewicz Die innerstaatliche Durchsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 52 (1992) 149; ders. Die Aufhebung konventionswidriger Gerichtsentscheidungen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 52 (1992) 804; ders. Die Verpflichtung der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1993); Reinkenhof Auswirkungen des EGMR-Urteils zur Bodenreform auf rechtskräftig abgeschlossene gerichtliche Verfahren, NJ 2004 250; Ress Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Grenzen seiner Judikatur in: Hilf/Kämmerer/König (Hrsg.), Höchste Gerichte an ihren Grenzen (2007), 55; ders. Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996 350; ders. Die „Einzelfallbezogenheit“ in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, FS Mosler 719; ders. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Vertragsstaaten: Die Wirkung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im innerstaatlichen Recht und vor innerstaatlichen Gerichten, in: I. Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz (1982), 227; ders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als pouvoir neutre, ZaöRV 2009 289; Rixe Anm. zu EGMR, Urteil v. 26.2.2004, Görgülü ./. Deutschland, FamRZ 2004 1460; ders. Anmerkung zum Beschl. des BVerfG v. 14.10.2004, FamRZ 2004 1863; Rogge Die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde, EuGRZ 1996 341; Rohleder Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System (2009); Roth Beweislastumkehr bezüglich der Kausalität der Verletzung von Verfahrensrechten bei der Entscheidung über die Entschädigung nach Art. 41 EMRK, NVwZ 2006 753; Rudolf/von Raumer Die Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, AnwBl. 2009 313; dies. Der Schutzumfang der Europäischen Menschenrechtskon-
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
vention, AnwBl. 2009 318; Sattler Wiederaufnahme des Strafprozesses nach Feststellung der Konventionswidrigkeit durch Organe der EMRK (1973); Schaup-Haag Die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs nach Art. 26 EMRK und das deutsche Recht (1987); Schlette Das neue Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zur Reform des Kontrollmechanismus durch das 11. Protokoll, ZaöRV 56 (1996) 905; ders. Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, JZ 1999 219; Schmaltz Menschenrechte auf dem Prüfstand – Abordnung an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, DRiZ 2010 120; Schmalz Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention für die Bundesrepublik Deutschland (2006); Schumann Menschenrechtskonvention und Wiederaufnahme des Verfahrens, NJW 1964 743; Selbmann Anpassungsbedarf der Regelungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens an die Vorgaben der EMRK, ZRP 2006 124; ders. Restitutionsklagen aufgrund von Urteilen des EGMR? NJ 2005 103; Siess-Scherz Das neue Rechtsschutzsystem nach dem Protokoll Nr. 11 zur EMRK über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK (1998), 1; Silagi Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Bezugsgegenstand in Art. 25, 26 EMRK, EuGRZ 1980 632; Stöcker Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Bundesrepublik, NJW 1982 1905; Strasser Reform der Arbeitsmethoden und der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Karl (Hrsg.), Internationale Gerichtshöfe und nationale Rechtsordnung (2005), 111; Trechsel Anmerkung – Ist eine vom Europäischen Gerichtshof festgestellte Menschenrechtsverletzung durch ein Strafverfahren ein Wiederaufnahmegrund? StV 1987 187; Weiß Überblick über die Erfahrungen mit Individualbeschwerden unter verschiedenen Menschenrechtsabkommen, AVR 42 (2004) 142; Wendt Zur Frage der innerstaatlichen Geltung und Wirkung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte, MDR 1955 658; WerwieHaas Die Umsetzung der strafrechtlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland, Österreich, der Schweiz und im Vereinigten Königreich (2008); Wildhaber Eine verfassungsrechtliche Zukunft für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? EuGRZ 2002 569; Wittinger Die Einlegung einer Individualbeschwerde vor dem EGMR, NJW 2001 1238; Wolfrum/Deutsch (Hrsg.), The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions (2009); Zoellner Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (2009); Zwach Die Leistungsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1996). Schrifttum zum 14. Protokoll und den weiteren Maßnahmen Ang/Berghmans Friendly Settlements and Striking Out of Applications, in: Lemmens/Vandenhole (Hrsg.), Protocol No. 14 and the Reform of the European Court of Human Rights (2005), 89; Benoît-Rohmer Les Sages et la réforme de la Cour européenne des droits de l’homme, Rev.trim.dr.h. 2007 3; Caflisch Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und dessen Überwachungsmechanismen: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, ZSR 122, 1 (2003) 125; ders. The Reform of the European Court of Human Rights: Protocol 14 and Beyond, EHRLR 6 (2006) 403; Caflisch/ Callewaert/Liddell/Mahoney/Villiger (Hrsg.) Liber Amicorum Luzius Wildhaber – Human Rights – Strasbourg Views (2007); Cohen-Jonathan/Pettiti (Hrsg.), La réforme de la Cour européenne des droits de l’homme, Droit et Justice 48 (2003); dies. (Hrsg.) La réforme du système de contrôle contentieux de la Convention européenne des droits de l’homme, Droit et Justice 61 (2005); De Salvia Rapport introductif. La protéction judiciaire européenne des droits de l’homme, in: CohenJonathan/Pettiti, Droit et Justice 48 (2003) 7; Eaton/Schokkenbroek Reforming the Human Rights Protection System Established by the European Convention on Human Rights, HRLJ 2005 1; Egli Stellungnahmen und Berichte zur Reform des Rechtsschutzsystems der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZaöRV 64 (2004) 759; Flauss Faut-il transformer la Cour européenne des droits de l’homme en juridiction constitutionnelle? Recueil Dalloz 2003 1638; ders. La réforme de la réforme – propos conclusifs sous forme d’opinion séparée, in: Cohen-Jonathan/Pettiti Droit et Justice 61 (2005) 167; Gilch Die Reformen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter besonderer Berücksichtigung des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK (2009); Grabenwarter Zur Zukunft des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2003 174; ders. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Opfer des eigenen Erfolges? Menschenrechte in der Bewährung. Die Rezep-
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
tion der Europäischen Menschenrechtskonvention in Frankreich und Deutschland im Vergleich, Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat 37 (2005) 81; Greer Analysis – Reforming the European Convention of Human Rights: Towards Protocol 14, Public Law 2003 663; ders. Protocol 14 and the Future of the European Court of Human Rights, Public Law 2005 83; ders. The European Convention on Human Rights: Achievements, Problems and Prospects (2006); Helfer Redesigning the European Court of Human Rights: Embeddedness as a Deep Structural Principle of the European Human Rights Regime, EJIL 19 (2008) 125; Keller/Bertschi Erfolgspotenzial des 14. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 2005 204; Keller 50 Jahre danach: Rechtschutzeffektivität trotz Beschwerdeflut? Wie sich der EGMR den Herausforderungen stellt, EuGRZ 2008 359; Lambert Quelle réforme pour la Cour européenne des droits de l’homme 2002 795; Langbauer Die Änderungen des Kontrollverfahrens durch das 14. Protokoll (2009); Laubner Relieving the Court of its Success? – Protocol no. 14 to the European Convention on Human Rights, GYIL 47 (2005) 691; Leach Access to the ECtHR – From a Legal Entitlement to a Lottery, HRLJ 2006 11; Lemmens Single Judge Formations, Committees, Chambers and Grand Chamber, in: Lemmens/Vandenhole (Hrsg.), Protocol No. 14 and the Reform of the European Court of Human Rights (2005), 32; Lemmens/Vandenhole (Hrsg.), Protocol No. 14 and the Reform of the European Court of Human Rights (2005); Mahoney Speculating on the Future of the Reformed European Court of Human Rights, HRLJ 1999 1; ders. Parting Thoughts of an Outgoing Registrar of the European Court of Human Rights, HRLJ 2005 345; ders. Thinking the Small Unthinkable: Repatriating Reparation from the European Court of Human rights to the National Legal Order, in: Caflisch/Callewaert/Liddell/Mahoney/Villiger (Hrsg.), Liber Amicorum Luzius Wildhaber (2007) 263; Okresek Die Umsetzung der EGMR-Urteile und ihre Überwachung, EuGRZ 2003 168; Schmahl Piloturteile des EGMR als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, EuGRZ 2008 369; Schwaighofer Das Verfahren des EGMR im Lichte der Neuerungen des 14. Protokolls, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor neuen Herausforderungen. Aktuelle Entwicklungen in Verfahren und Rechtsprechung (2007) 17; Sicilianos L’objectif primordial du protocol n° 14 à la Convention européenne des droits de l’homme: alleger la charge de travail de la cour, in: CohenJonathan/Pettiti Droit et Justice 61 (2005) 55; Siess-Scherz Bestandsaufnahme: Der EGMR nach der Erweiterung des Europarates, EuGRZ 2003 100; Starace Modifications provided by Protocol No. 14 concerning proceedings before the European Court of Human Rights, Law and Practice of International Courts and Tribunals 5 (2006) 183; Tomuschat Individueller Rechtsschutz: das Herzstück des „ordre public européen“ nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 2003 95; Vanneste A New Admissibility Ground, in: Lemmens/Vandenhole (Hrsg.), Protocol No. 14 and the Reform of the European Court of Human Rights (2005), 69; Weidmann Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf dem Weg zu einem europäischen Verfassungsgerichtshof (1985); Wildhaber Eine verfassungsrechtliche Zukunft für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? EuGRZ 2002 569; ders. The European Court of Human Rights / 1998–2006. History, Achievements, Reforms (2006); ders. The European Court of Human Rights: the Past, the Present, the Future, American University international law review 22 (2007) 521. IPBPR – Verfahren der Individualbeschwerde Bayefsky How to Complain to the UN Human Rights Treaty System (2003); Boerefijn The Reporting Procedure under the Covenant on Civil and Political Rights – Practices and Procedures of the Human Rights Committee (1999); Ghandhi The Human Rights Committee and the Right of Individual Communication (1999); Nowak Die Durchsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte – Bestandsaufnahme der ersten 10 Tagungen des UN-Ausschusses für Menschenrechte, EuGRZ 1980 532; Pappa Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1996); Vandenhole The Procedures Before the UN Human Rights Treaty Bodies (2004). UNCAT – Individualbeschwerdeverfahren zum UN-Antifolterausschuss (UN-CAT) Inglese The UN Committee against Torture (2001); Nowak/McArthur The United Nations Convention against Torture (2008).
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
UN-Menschenrechtsrat Gutter Thematic Procedures of the United Nations Commission on Human Rights and International Law: in Search of a Sense of Community (2005); Kiwitt Die Fortentwicklung des universellen Menschenrechtsschutzes – Von der UN-Menschenrechtskommission zum UN-Menschenrechtsrat (2007); Nifosi The UN Special Procedures in the Field of Human Rights (2005); Osthoff Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes unter dem UN-Menschenrechtsrat, Diss. Saarbrücken 2011; Sperling Neuere institutionelle Entwicklungen im Bereich des Menschenrechtsschutzes (Individualklagen, Menschenrechtsrat der VN, u.a.) (2008).
Übersicht Rn. A. Verfahren des europäischen Menschenrechtsschutzes (EGMR) I. Zeitliche Entwicklung des Verfahrens II. Organisation und Struktur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1. Richter . . . . . . . . . . . . . . 2. Spruchkörper des Gerichts a) Einzelrichter . . . . . . . . . . b) Ausschuss (Committee) . . . . . c) Kammer (Chamber) . . . . . . . d) Zuweisung der Beschwerden . . e) Große Kammer (Grand Chamber) 3. Plenum . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kanzler . . . . . . . . . . . . . . 5. Generalsekretär des Europarats . . 6. Ministerkomitee des Europarats . . III. Beschwerdeverfahren 1. Verfahrensarten . . . . . . . . . . a) Staatenbeschwerde . . . . . . . b) Individualbeschwerde . . . . . 2. Allgemeine Grundsätze a) Verhandlungsort . . . . . . . . b) Verfahrensordnung . . . . . . . c) Sprachen . . . . . . . . . . . . d) Mündliche Verhandlung . . . . e) Anwesenheit der Parteien . . . . f) Verfahrensvertretung . . . . . . g) Kosten . . . . . . . . . . . . . h) Verfahrenshilfe (legal aid) . . . . i) Kommunikation . . . . . . . . j) Freies Geleit . . . . . . . . . . . k) Prüfung mehrerer Beschwerden . IV. Gang des Beschwerdeverfahrens 1. Beschwerdeeinlegung und Zuweisung an einen Spruchkörper . . . . . . . 2. Entscheidung über die Zulässigkeit a) Gemeinsame Prüfung von Zulässigkeit und Begründetheit . . . . b) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . c) Form . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren vor dem Einzelrichter e) Verfahren vor dem Ausschuss . . f) Verfahren vor der Kammer . . . 3. Verfahren bei Zulässigkeit der Beschwerde a) Ausschuss . . . . . . . . . . . . b) Kammer . . . . . . . . . . . . .
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Rn. c) Gütliche Einigung . . . . . . . . d) Beweiserhebung . . . . . . . . . e) Streichung aus dem Register; Wiedereintragung . . . . . . . . f) Beteiligung Dritter („third party intervention“) . . . . . . . . . . g) Verhandlungsprotokoll . . . . . 4. Verfahren vor der Großen Kammer a) Art. 30 EMRK . . . . . . . . . b) Art. 43 EMRK . . . . . . . . . 5. Vorläufige Maßnahmen („interim measures“) a) Erforderlichkeit vorläufiger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung nach Art. 40 VerfO c) Vorläufige Maßnahmen nach Art. 39 VerfO („interim measures“) . . . . . . . . . . . . . . d) Verbindlichkeit der vorläufigen Maßnahmen/Anordnungen . . . 6. Pilotverfahren . . . . . . . . . . . V. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualbeschwerde 1. Vereinbarkeit des Beschwerdegegenstandes mit der EMRK (Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK) a) Zeitliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione temporis) . . . b) Örtliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione loci) . . . . . . c) Sachliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione materiae) . . . . d) Persönliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione personae) . . 2. Beschwerdeführer a) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . b) Prozess-/Verfahrensfähigkeit . . c) Postulationsfähigkeit . . . . . . d) Beschwerdebefugnis/Opfereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . 3. Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Vertikale Erschöpfung . . . . . . c) Horizontale Erschöpfung . . . . d) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . e) Prüfung von Amts wegen/Rügeobliegenheit . . . . . . . . . . .
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen Rn.
4. Form a) Beschwerdeformular . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . c) Anonyme Beschwerden . . . . . d) Anwaltliche Vertretung . . . . . e) Sprache . . . . . . . . . . . . . 5. Frist a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . b) Fristende . . . . . . . . . . . . 6. Wiederholungs- und Kumulationsverbot a) Res iudicata . . . . . . . . . . . b) Litispendenz . . . . . . . . . . c) Identität der Beschwerden . . . . 7. Offensichtlich unbegründete Beschwerden . . . . . . . . . . . . . 8. Missbrauch des Beschwerderechts a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Formeller Missbrauch . . . . . . c) Materieller Missbrauch . . . . . 9. Unerheblicher Nachteil . . . . . . VI. Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs 1. Form und Inhalt a) Form . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellung der Konventionsverletzung . . . . . . . . . . . . c) Gerechte Entschädigung (Art. 41 EMRK) . . . . . . . . . . . . . d) Kostenerstattung . . . . . . . . 2. Endgültigkeit des Urteils . . . . . . 3. Wiederaufnahme des Verfahrens . . 4. Auslegung des Urteils . . . . . . . 5. Durchsetzung des Urteils a) Befolgungspflicht des betroffenen Staates . . . . . . . . . . . . . b) Verbindlichkeit des Urteils über den entschiedenen Fall hinaus . . c) Erga omnes-Wirkung der Straßburger Judikatur? . . . . . . . . d) Verfassungsvorbehalt bei der Berücksichtigung der Straßburger Judikatur . . . . . . . . . . . . e) Überwachung des Urteils . . . . VII. Reform des Gerichtshofs 1. Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . 2. 14. Protokoll zur EMRK v. 13.5.2004 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Einzelrichter . . . . . . . . . . c) Erweiterung der Befugnisse der Ausschüsse . . . . . . . . . . . d) Reduktion der Kammergröße . . e) Gemeinsame Entscheidung über Begründetheit und Zulässigkeit . f) Gütliche Einigung . . . . . . . . g) Neuer Unzulässigkeitsgrund . .
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Rn. h) Auslegung des Urteils . . . . . . i) Säumnisverfahren (infringement proceeding) . . . . . . . . . . . j) Menschenrechtskommissar . . . k) Richter . . . . . . . . . . . . . l) Beitritt der EU . . . . . . . . . m)Empfehlungen des Ministerkomitees . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Reformen . . . . . . . . . a) Lord Woolf-Report . . . . . . . b) Gruppe der Weisen (Group of Wise Persons) . . . . . . . . . . c) Umstrukturierung des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . d) Pilot Judgement Procedure/Pilotverfahren . . . . . . . . . . . . e) Unilateral Declarations . . . . . f) Verbindlichkeit vorläufiger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . 4. Rolle des EGMR . . . . . . . . . . a) Individual justice-Modell . . . . b) Constitutional justice-Modell . . c) Verlagerung des Prüfungsschwerpunktes . . . . . . . . . . . . .
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210 216 220 227 231 235 236
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259 262 266 269 273 278 287 289 291 294
309 310 311 312 315 316 317 318 321 325 326 328 329 330 331 335 347
B. Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen – Human Rights Committee (HRC) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 353 II. Staatenbeschwerde / Individualbeschwerde 1. Staatenbeschwerde . . . . . . . . . 358 2. Individualbeschwerde . . . . . . . 361 C. Sonstige Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes I. Allgemeines 1. Weitere Einrichtungen . . . . . . . 2. Sachliches Zusammentreffen der Verpflichtungen aus mehreren internationalen Übereinkommen . . II. Verfahren zum internationalen Menschenrechtsschutz bei der Organisation der Vereinten Nationen 1. Resolution 1503 des Wirtschaftsund Sozialrats . . . . . . . . . . . 2. Menschenrechtsrat (Human Rights Council) . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahren aufgrund von Spezialkonventionen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. UN-Antifolterkonvention (1984) . . 3. Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen . . . . . . . . . .
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D. Internationale Strafgerichtsbarkeit . . . . . 394
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
Alphabetische Übersicht Abhilfe, innerstaatliche 151 ff. – überlange Verfahrensdauer 157, 162 – unzumutbar 161 Abschiebung 100, 103 Abweichende Meinungen bei Urteilen des EGMR 214 Ad-Hoc-Vergleichskommission (IPBPR u.a.) 359 Allgemeine Bemerkungen bzw. Berichte der Ausschüsse 354 f. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 376 Amtshaftungsklage 155 Amtssprachen, EGMR 35, 56, 66, 82, 93, 184, 232, 346 Angehörige 133 f. Anhörungsrüge 156 Anonyme Beschwerden 181 ff. Anonyme Mitteilungen 363, 385 Antrag auf Entschädigung 158 Antrag auf mündliche Verhandlung 67 Anwalt, Beiordnung und Verkehr mit 43, 46 Aufschiebende Wirkung 100 Auslieferung 100, 103, 115 Ausschuss für Menschenrechte des IPBPR 353 Ausschuss nach Art. 17 UNCAT 381 Beschwer (s. Opfereigenschaft) Beschwerdebefugnis („Mitteilung“ von Menschenrechtsverletzungen) 375 ff. – natürliche Personen und Personengruppen als Opfer 375 – andere Personen bei zuverlässiger Kenntnis 375 Beschwerdeeinlegung 49 Beschwerdegegenstand, gleicher 199 Beteiligung Dritter am Verfahren des EGMR 91 Beweiswürdigung, freie 85 Bindungswirkung der Urteile des EGMR 237 ff. Dauerzustand, konventionswidriger 188 ECOSOC Res. 1503-XLVIII 373 ff. Entschädigung, gerechte 220 ff. Erfolgsaussichten der Rechtsbehelfe 174 Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (EMRK) 149 ff. – Darlegungslast des Bf. 175 – Darlegungspflicht des Staates 174 – Prüfung von Amts wegen 174 Europäische Kommission für Menschenrechte 3 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Abgabe an Große Kammer 20 – Amtsaufklärung 77 – Befugnis zur Anrufung 1 ff. – Berichterstatter 18, 51 – Beweiserhebung 74 ff. – Drei-Richter-Ausschuss („Committee“) 14 f. – Einzelrichter 13 – Gerichtsbarkeit (fakultativ bis 11. P-EMRK) 1 ff. – „nationaler“ Richter 16 – Große Kammer 19 f. – Kammer 16 ff. – Kammerpräsident 38, 20 – Kanzlei 24 ff. – Kanzler 26 – Mündliche Verhandlung 36 ff.
– Plenum 21 ff. – Präsident 12, 22 – Richter 8 ff. – Sektionspräsident (vgl. auch Kammerpräsident) 23 – Urteil 210 ff. – Verfahrenskosten 42 f. – Verweisung an Große Kammer 20, 98 – Vorläufige Maßnahmen/Anordnungen 100 ff. – Zugang 45 f., 47 f. Europäisches Übereinkommen über die am Verfahren von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen 46 Europarat 1 – Generalsekretär 28, 263 – Ministerkomitee 29 Fakultativprotokoll zum IPBPR 357 Form der Beschwerde („Mitteilung“) 384 f. Fortführung des Verfahrens im Allgemeininteresse 148 Freies Geleit 47 Gefangene 46, 86, 386, 392 Generalsekretär der Vereinten Nationen 354, 381 Gnadengesuche 160, 241 Günstigkeitsprinzip 369 Gütliche Einigung 68 ff., 213, 216, 291 ff. Haft (s. Gefangene) Haftbeschwerde 169 Human Rights Committee (s. Menschenrechtsausschuss) Immunität 46 Individualbeschwerde (EMRK) 32, 49 ff. – Beschwerde, Form 55 – Beschwerdebefugnis, Entwicklung 1 ff. – Gemeinsame Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit 52 – Verfahrensgang 49 ff. – Vertretung 128 – Zulässigkeitsvoraussetzungen 107 ff. Individualbeschwerde IPBPR 357 Individualbeschwerde zu anderen Ausschüssen 368 ff. Insolvenz 230 Instanzenzug 151 ff. Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) 394 Jugoslawien-Strafgerichtshof 396 Kompensation der Konventionsverletzung 141 ff., 220 ff. Kumulationsverbot (s. Litispendenz) Litispendenz 196 ff. Mehrpoliges Grundrechtsverhältnis 249, 370 Menschenrechtsausschuss 353 ff. Minderjährige 123, 127 Ministerkomitee des Europarats 29, 262 ff. Missbräuchliche Beschwerde 205 ff. Mittelbar Betroffene 135 f., 200 Minderjährige 123, 127 Ministerkomitee des Europarats 29, 262 ff. Missbräuchliche Beschwerde 205 ff. Mittelbar Betroffene 135 f., 200 Öffentlichkeit des Verfahrens 37 – Gütliche Einigung (Friendly Settlement) 69 – Ausschluss der Öffentlichkeit 37 Offensichtlich unbegründete Beschwerde 203 f.
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Offizialverfahren 77 Opfereigenschaft 129 ff. – Gegenwärtigkeit 138 ff. – Gesellschafter 131 – Juristische Personen 132 – Miteigentümer 131 – Mittelbar Betroffene (s. dort) – Selbstbetroffenheit 130 ff. – Unmittelbarkeit 136 ff. – Verwandte des Opfers 133 ff. – Wegfall der Opfereigenschaft 141 ff. Parteifähigkeit 123 ff. – Juristische Personen des Öffentlichen Rechts 126 – Juristische Personen des Privatrechts 125 – Nichtstaatliche Organisationen 125 – Personengruppen 125 – Religionsgemeinschaften 125 f. Pilotverfahren (Pilot Judgement Procedure) 106, 326 f. Post-, Telefonüberwachung 113, 140 Prozessfähigkeit 127 Prozesskostenhilfe (s. Verfahrenshilfe) Querulatorische Beschwerden 207 Rechtliches Gehör, Nachholung 155 Rechtsbehelfe, innerstaatliche – ungeeignete 159 Rechtswegerschöpfung 149 ff. – Dienstaufsichtsbeschwerde 160 – Gnadengesuch 160 – Ombudsmann 160 – Petitionen an ein Parlament 160 Reform des Verfahrens 266 ff. Register des EGMR, Streichung, Wiedereintragung 87 Reisekosten 44 Ruanda Strafgerichtshof 396 Sachverständige 74, 78, 80, 82, 84 Schadensersatzklage 155 Schutzpflicht 118 Staatenberichte 355 Staatenbeschwerde – EGMR 31, 53, 87, 201, 265 – UN-Menschenrechtsausschuss 358 ff. Staatskirchen 126 Statusregelungen 136 Streichung im Register > Register Tod des unmittelbar Verletzten 124, 147 Unabhängigkeit der Gerichte 243
Untersuchungshaft – Entschädigung 225 – Fristbeginn Beschwerdeeinlegung 188 – Wegfall der Opfereigenschaft 146 Untersuchungsverfahren wegen Folter von Amts wegen 144 Unzulässigkeit der Individualbeschwerde – fehlende Beschwerdeberechtigung (ratione personae) 117 ff. – Gegenstand außerhalb des Schutzbereiches der Konvention (ratione materiae) 116 – örtlich (ratione loci) 111 ff. – zeitlich (ratione temporis) 107 ff. Urteile des EGMR – Auslegung 236 – Befolgungspflicht des betroffenen Staates 237 – Orientierungswirkung für andere Staaten 251 – Überwachung der Durchführung 262 ff. Verfahrensdauer – EGMR 341 – überlange 278, 296 Verfahrenshilfe 43 f., 66 Verfahrensordnung des EGMR 34 Verfassungsgericht, Anrufung 153 Verhandlung über gütliche Einigung 69 – Vertraulichkeit 69 Veröffentlichung der Urteile des EGMR 232 Vertretung im Verfahren (EGMR) 40 f., 183 Vollmacht 183 Wiederaufnahme des Verfahrens (innerstaatlich) 241, 243, 247 Wiederaufnahme eines durch Urteil abgeschlossenen Verfahrens des EGMR 235 Wiedergutmachung durch Staat (s. Kompensation) Wiederholungsverbot 195, 199 ff. Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 373 f. Zeugen (EGMR) – Einvernahme 74 – Immunität 46 – Ladung 80 – Sprache 35, 82 Zulässigkeit der Individualbeschwerde – gemeinsame Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit 52 f. – Prüfung in jedem Abschnitt des Verfahrens 54 Zwischenrechtsbehelfe 154
A. Verfahren des europäischen Menschenrechtsschutzes (EGMR) I. Zeitliche Entwicklung des Verfahrens 1
Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention blieb in seinen Grundzügen seit deren Inkrafttreten am 3.9.1953 bis zum Jahr 1998 weitgehend unverändert.1 Die Verfahrensänderungen durch das 3., 5. und 8. Protokoll ließen seine Grund1
Vgl. Matscher FS Ermacora 79; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
struktur unangetastet. Kennzeichnend waren die Aufteilung der Kontrollbefugnisse auf drei verschiedene internationale Gremien – Kommission (EKMR), Gerichtshof, Ministerkomitee – und der grundsätzlich fakultative Charakter aller individuellen Rechtsbehelfe sowie die weitgehende Vertraulichkeit der Verhandlungen der EKMR und des Ministerkomitees.2 Die Individualbeschwerde war nur zulässig, wenn der dafür verantwortliche Staat die Zuständigkeit der Kommission (EKMR) in einer förmlichen Erklärung gegenüber dem Generalsekretär anerkannt hatte (Art. 25 EMRK a.F.). Der Gerichtshof konnte nur angerufen werden, wenn der betroffene Staat sich seiner Gerichtsbarkeit unterworfen hatte (Art. 46 Abs. 1 EMRK a.F.). Letzteres galt auch für die Staatenbeschwerde, mit der ein Vertragsstaat die Konventionsverletzung durch einen anderen Vertragsstaat vor der EKMR beanstanden konnte (Art. 48 EMRK a.F.). Im Laufe der Jahre unterwarfen sich alle Mitgliedstaaten des Europarates der Gerichtsbarkeit des EGMR, zum Teil allerdings mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen.3 Eine Individualbeschwerde wurde zunächst von der EKMR auf ihre Zulässigkeit hin geprüft.4 Über die zulässigen Beschwerden erstellte die EKMR einen vertraulichen Bericht, über den das Ministerkomitee des Europarats5 dann mit Zweidrittelmehrheit6 zu entscheiden hatte (Art. 32 Abs. 1 EMRK a.F.), sofern die Sache nicht innerhalb einer Drei-Monats-Frist dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegt wurde. Dieser durfte nur über den Teil der Beschwerde entscheiden, den die EKMR für zulässig erachtet hatte. Er konnte nur von der EKMR oder von dem Staat angerufen werden, gegen den sich die Beschwerde richtete, nicht aber von dem Betroffenen selbst, der sich mit einer Beschwerde an die EKMR gewandt hatte (Art. 48 EMRK a.F.). Erst das 9. Protokoll v. 6.11.1990 räumte dem Einzelnen die Befugnis ein, selbst den Gerichtshof anzurufen, wenn die EKMR die Beschwerde für zulässig erachtet hatte, sofern der betroffene Staat dieses Protokoll ratifiziert hatte.7 Das Verfahrenssystem wurde durch das 11. Protokoll v. 11.5.1994 grundlegend verändert.8 Das Protokoll trat nach seiner Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten 9 am 1.11. 1998 in Kraft. Die EKMR wurde mit einer Übergangsfrist abgeschafft; das Ministerkomitee ist seither nur noch zuständig für die Überwachung der ergangenen Urteile nach Art. 46 Abs. 2 EMRK. Über Menschenrechtsbeschwerden entscheidet nunmehr allein der ständige EGMR. Seiner Gerichtsbarkeit unterliegen automatisch alle Vertragsstaaten, ohne dass eine Unterwerfungserklärung abgegeben werden muss. Gegen eine von einem Vertragsstaat zu verantwortende Menschenrechtsverletzung kann jetzt nicht mehr nur ein anderer Vertragsstaat, sondern auch jeder betroffene Einzelne selbst den Gerichtshof unmittelbar anrufen.
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4 5 6
Meyer-Ladewig Einl. 8. Vgl. Tomuschat EuGRZ 2003 95, 97; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749, 3751. Zur Entstehungsgeschichte der Individualbeschwerde IK-EMRK/Rogge Art. 34, 71 ff. Zum Ministerkomitee des Europarats siehe Rn. 29, 262 ff. Erst nach dem 10. P-EMRK (ETS 146, BGBl. 1994 II S. 490) v. 25.3.1992, das nie in Kraft trat, hätte die einfache Mehrheit im Ministerkomitee für die Feststellung einer Konventionsverletzung ausgereicht. Das 10. P-EMRK
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ist mit Inkrafttreten des 11. P-EMRK am 1.11.1998 hinfällig geworden. Zur Entwicklung bis zum 11. P-EMRK: Siess-Scherz EuGRZ 2003 100, 102 ff.; Meyer-Ladewig Einl. 7 ff.; Meyer-Ladewig/ Petzold NJW 2009 3749 ff. Zur Entwicklung Engel EuGRZ 2003 122, 127 ff.; Egli ZaöRV 64 (2004) 759; MeyerLadewig/Petzold NJW 2009 3749. Deutschland hat das 11. P-EMRK mit Gesetz v. 24.7.1995 ratifiziert (BGBl. II S. 578). Derzeit sind 47 Staaten der EMRK beigetreten, vgl. www.echr.coe.int (Basic Texts).
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
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Aufgrund dieser Aufgabenerweiterung wurde der EGMR in einen ständigen Gerichtshof mit hauptamtlichen Richtern umgewandelt. Soweit er durch eine Staaten- oder Individualbeschwerde (Art. 33, 34 EMRK) oder einen Gutachtenauftrag (Art. 47 EMRK) mit einer Sache befasst wird, ist er außerdem zur Auslegung und Anwendung aller die Konvention und ihre Zusatzprotokolle betreffenden Angelegenheiten berufen (Art. 32 Abs. 1 EMRK). Über seine Zuständigkeit entscheidet er im Streitfall selbst (Art. 32 Abs. 2 EMRK).10 Seit dem 1.6.2010 gilt die EMRK in der Fassung des 14. Protokolls.11 Zur struktu7 rellen Entwicklung des Kontrollverfahrens und zur künftigen Ausrichtung des Gerichtshofs siehe ausführlich Rn. 266 ff.
II. Organisation und Struktur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 8
1. Richter. Der EGMR ist seit der Reform durch das 11. P-EMRK ein ständiger Gerichtshof mit hauptamtlich tätigen Richtern (Art. 19 Satz 2, Art. 21 Abs. 2 EMRK). Die Zahl der Richter entspricht der Zahl der Vertragsstaaten der Konvention (Art. 20 EMRK): derzeit besteht das Kollegium aus insgesamt 47 Richtern. Sie werden für jeden Staat aus einer von diesem Staat vorgelegten Vorschlagsliste von drei Kandidaten mit der Mehrheit der Stimmen von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für neun Jahre gewählt (Art. 22, 23 Abs. 1 Satz 1 EMRK), wobei die Amtszeit der Hälfte der Richter bei der ersten Wahl auf drei Jahre begrenzt war, damit alle drei Jahre ein Teil der Richter neu gewählt werden konnte (vgl. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 EMRK a.F.).12 Die Wiederwahl ist seit Inkrafttreten des 14. P-EMRK nicht mehr zulässig (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EMRK). Die Richter, deren Amtszeit mit der Vollendung des 70. Lebensjahres endet, bleiben bis zum Amtsantritt ihres Nachfolgers im Amt. Sie bleiben ferner in den Rechtssachen weiter tätig, mit denen sie bereits befasst sind (Art. 23 Abs. 3 EMRK). Die Regelung wird durch Art. 26 Abs. 3 VerfO für die Kammern und Art. 24 Abs. 4 VerfO für die Große Kammer dahingehend präzisiert, dass ausscheidende Richter weiter tätig bleiben, wenn sie an der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde teilgenommen haben. Ein Richter kann an der Prüfung einer Beschwerde nicht teilnehmen, wenn er be9 fangen ist, insbesondere wenn er an der zu entscheidenden Rechtssache ein persönliches Interesse hat, wenn er an der Rechtssache in irgendeiner Weise vorher mitgewirkt hat, wenn er als ad hoc Richter (Art. 29 VerfO) oder über seine Amtszeit hinaus nach Art. 26 Abs. 3 VerfO über die Beschwerde entscheiden soll, aber seine sonstige politische, administrative oder berufliche Tätigkeit mit den Grundsätzen einer richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht zu vereinbaren ist, oder wenn er sich zu der Sache öffentlich, über die Medien etc. in einer Art und Weise geäußert hat, die seine Unparteilichkeit objektiv in Zweifel zieht (Art. 28 Abs. 2 VerfO). Sieht sich ein Richter wegen einer dieser oder anderer Gründe als befangen an und 10 will er deswegen von sich aus nicht an der Behandlung der Beschwerde teilnehmen, so hat er den Präsidenten seiner Kammer darüber zu informieren, der ihn dann von der
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Vgl. z.B. Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749, 3751. Siehe Bekanntmachung der Neufassung der Konvention v. 4.11.1950 zum Schutz
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der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 22.10.2010 (BGBl. II S. 1998). Zu aufgetretenen Problemen bei der Richterwahl Engel EuGRZ 2003 122, 133.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
Teilnahme an der Rechtssache freistellt (Art. 28 Abs. 3 VerfO). Treten Zweifel an der Unparteilichkeit eines Kammermitglieds im obigen Sinne auf, so entscheidet die Kammer, nach Anhörung des Betroffenen, in dessen Abwesenheit darüber (Art. 28 Abs. 4 VerfO). Ist der nationale Richter betroffen, muss er durch einen ad hoc-Richter nach Art. 26 Abs. 4 / Art. 29 Abs. 1 lit. c VerfO ersetzt werden (siehe Rn. 10). Für die Mitglieder eines Dreier-Ausschusses (Committee) und Einzelrichter (Single Judges) gelten diese Regelungen entsprechend (Art. 28 Abs. 5 VerfO). Deutsche Richterin am EGMR ist sei dem 1.1.2011 Prof. Dr. Dr. h.c. Angelika Nuß- 11 berger (47), früher Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität zu Köln. Sie hat die frühere Verfassungsrichterin Dr. h.c. Renate Jaeger (2004–2010) abgelöst.13 Deren Vorgänger waren Prof. Dr. Georg Ress (1998–2004), Prof. Dr. Rudolf Bernhardt (1981–1998) und Prof. Dr. Hermann Mosler (1959–1980). Der Präsident des Gerichtshofs leitet den Gerichthof und repräsentiert ihn nach außen 12 (Art. 9 Abs. 1 VerfO). Er hat außerdem den Vorsitz im Plenum inne (Art. 9 Abs. 2 VerfO; zum Plenum siehe Rn. 21 ff.) und beruft dessen Sitzungen ein (Art. 20 Abs. 1 VerfO). Zudem ist er Vorsitzender der Großen Kammer sowie des Ausschusses, der über die Verweisung an die Große Kammer entscheidet (Art. 43 Abs. 2 EMRK / Art. 9 Abs. 2 VerfO). Derzeitiger Präsident des Gerichtshofs ist der Brite Sir Nicolas Bratza.14 Seine Vorgänger waren Jean Paul Costa (2007–2011), Luzius Wildhaber (1998–2007), Rudolf Bernhardt (1998),15 Rolv Ryssdal (1985–1998), Gérard J. Wiadra (1981–1985), Giorgio Balladore Pallieri (1974–1980), Sir Humphrey Waldock (1971–1974), Henri Rolin (1968–1971), René Samuel Cassin (1965–1968) und Lord Arnold Duncan McNair (1959–1965). 2. Spruchkörper des Gerichtshofs a) Einzelrichter (Single Judge). Seit dem 1.6.2010 – mit dem Inkrafttreten des 13 14. P-EMRK – kennt die EMRK den Spruchkörper des Einzelrichters. Ein Einzelrichter, der niemals der nationale Richter sein darf (Art. 26 Abs. 3 EMRK), wird vom Präsidenten des Gerichtshofs für zwölf Monate bestimmt. Der Präsident entscheidet auch über die Anzahl der Einzelrichter (Art. 27 A Abs. 1 VerfO). Der Einzelrichter (hierzu auch Rn. 273 f.) kann Beschwerden endgültig für unzulässig erklären, wenn dies ohne weiteres möglich ist; sonst leitet er sie an einen Ausschuss (Rn. 14 ff.) oder eine Kammer weiter (Art. 27 EMRK). Die den Einzelrichter betreffenden Regelungen galten aufgrund des Protokolls 14bis v. 27.5.2009 (hierzu Rn. 272) bereits für Beschwerden gegen diejenigen Staaten, die eine entsprechende Annahmeerklärung für dieses Protokoll abgegeben hatten. b) Ausschuss (Committee). Ausschüsse werden aus jeweils drei Richtern derselben 14 Sektion für 12 Monate gebildet. Es gilt ein Rotationsverfahren (Art. 26 Abs. 1 EMRK; Art. 27 Abs. 1 VerfO). Die Zahl der Ausschüsse bestimmt der Präsident des Gerichtshofs nach Anhörung des Sektionspräsidenten (Art. 27 Abs. 1 VerfO). Bis zum Inkrafttreten des 14. P-EMRK waren die Ausschüsse das einzige Filterorgan, das dem EGMR zur Verfügung stand. Nach Art. 28 Satz 1 lit. a EMRK / Art. 53 Abs. 1 VerfO können sie ein13 14 15
Siehe Mitteilung in EuGRZ 2010 367. Bratza trat am 4.11.2011 das Amt des Präsidenten des EGMR an. Bernhardt folgte nach dem Tod Ryssdals
1998 diesem im Amt nach, bis er bedingt durch die Umstrukturierung durch das 11. P-EMRK noch im selben Jahr ausschied.
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
stimmig eine Beschwerde für unzulässig erklären oder aus dem Register streichen, wenn sie diese Entscheidung ohne weitere Prüfung treffen können. Die Entscheidung der Ausschüsse sind endgültig (Art. 28 Abs. 2 EMRK; Art. 53 Abs. 4 VerfO). Neu hinzugekommen ist durch das 14. P-EMRK die Kompetenz der Ausschüsse, ein15 stimmig per Urteil auch über die Begründetheit von Beschwerden zu entscheiden, sofern bereits eine gefestigte Rechtsprechung hinsichtlich der in Frage stehenden Konventionsverletzung besteht (Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK). Siehe zur Entwicklung Rn. 278 ff. Die Regelungen wurden aufgrund des 14bis P-EMRK (Rn. 272) bereits auf Beschwerden gegen diejenigen Staaten angewandt, die eine entsprechende Annahmeerklärung abgegeben hatten. Kann der Ausschuss keine Entscheidung nach Art. 28 EMRK treffen, übermittelt er die Beschwerde einer Kammer zur weiteren Prüfung (Art. 53 Abs. 6 VerfO).
16
c) Kammer (Chamber). Die mit sieben Richtern besetzten Kammern (Art. 28 Abs. 1 EMRK) werden innerhalb der jeweiligen Sektion von deren Präsidenten nach dem in der Verfahrensordnung festgesetzten Rotationsverfahren gebildet (Art. 26 Abs. 1 lit. b VerfO).16 Innerhalb einer Sektion bestehen je drei Kammerformationen, die im Wechsel die Kammeraufgaben erfüllen.17 Neben dem Sektionspräsidenten muss auch stets der nationale Richter der Kammer angehören. Nationaler Richter ist der für die betroffene Vertragspartei (Staat) gewählte Richter, der auch dann nach Art. 26 Abs. 4 EMRK / Art. 26 Abs. 1 lit. a VerfO zur Mitwirkung berufen ist, wenn er einer anderen Sektion angehört. Für den Fall, dass der für eine Vertragspartei gewählte Richter (nationaler Richter) – 17 etwa wegen Befangenheit (Art. 28 VerfO), Rücktritt, Tod, etc.18 – nicht an der Verhandlung über eine Beschwerde teilnehmen kann, kann der betreffende Vertragsstaat vorab einen anderen Richter des Gerichtshofs oder eine andere Person benennen, die an seiner Stelle in der Eigenschaft eines Richters an den Sitzungen der Kammer teilnimmt (sog. ad hoc Richter; Art. 26 Abs. 4 EMRK / Art. 29 Abs. 1 lit. b VerfO; siehe auch Rn. 313). Erfolgt keine solche Ernennung, so kann die Regierung gemäß Art. 29 Abs. 1 lit. a VerfO innerhalb von 30 Tagen einen Richter des Gerichtshofs auswählen.
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d) Zuweisung der Beschwerden. Die Entscheidung, welchem dieser Spruchkörper die Beschwerde zugewiesen wird, trifft der durch den Sektionspräsidenten bestimmte Berichterstatter („Judge Rapporteur“; Art. 49 Abs. 3 lit. b VerfO), wobei es dem Sektionspräsidenten freisteht, die Beschwerde unabhängig von der Ansicht des Berichterstatters der Kammer zuzuweisen.19
19
e) Große Kammer (Grand Chamber). Als übergeordneter Spruchkörper wird die Große Kammer mit 17 Richtern und mindestens drei Ersatzrichtern (Art. 24 Abs. 1 VerfO) für drei Jahre (gerechnet ab der Wahl der Präsidenten der Sektionen und des Gerichtshofs) eingerichtet.20 Ihr gehören zwingend der Präsident des Gerichtshofs, die Vizepräsidenten und die fünf Sektionspräsidenten an (Art. 26 Abs. 5 EMRK / Art. 24 Abs. 2 lit. a VerfO). Der für den betroffenen Staat gewählte Richter (siehe Rn. 16) ist ebenfalls stets Mitglied der Großen Kammer (Art. 24 Abs. 2 lit. b VerfO).
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17 18
Zum Verfahren Wittinger NJW 2001 1238, 1240; Meyer-Ladewig EuGRZ 1996 374, 375 ff. Grabenwarter § 8, 1. Siehe zum Beispiel: EGMR Hoffer u. Annen/D, 13.1.2011, NJW 2011 3353 = ZfL 2011 61, § 5.
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Vgl. Grabenwarter § 8, 2; Wittinger NJW 2001 1238, 1240. Grabenwarter § 8, 4.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
Sofern eine Beschwerde der Großen Kammer nach Art. 30 EMRK vorgelegt wurde 20 (Abgabe der Rechtssache an die Große Kammer), wirken auch die Kammermitglieder bei der Entscheidung mit (Art. 24 Abs. 2 lit. c VerfO). In einem Verfahren nach Art. 43 EMRK dagegen (Verweisung an die Große Kammer) sind die Mitglieder der Kammer nach Art. 26 Abs. 5 EMRK / Art. 24 Abs. 2 lit. d VerfO von der Mitwirkung ausgeschlossen mit Ausnahme ihres Kammerpräsidenten und des „nationalen Richters“ (s.o.).21 Die übrigen Mitglieder werden aus den verbleibenden Richtern durch Los bestimmt. Die Modalitäten legt das Plenum fest, wobei auf Ausgewogenheit in geographischer Hinsicht und im Hinblick auf die verschiedenen Rechtssysteme zu achten ist (Art. 24 Abs. 2 lit. e VerfO). 3. Plenum. Das Plenum des Gerichtshofs hat seit dem 11. P-EMRK nur noch organi- 21 satorische Aufgaben, ist also kein Recht sprechender Spruchkörper. Die bis dahin ausgeübten Rechtsprechungsaufgaben führt seither die Große Kammer aus.22 Das Plenum tritt mindestens einmal im Jahr zusammen, jedenfalls aber dann, wenn es die Aufgaben nach der Verfahrensordnung erfordern oder auf Beschluss von mindestens einem Drittel der Richter (Art. 20 Abs. 1 VerfO). Es ist beschlussfähig, wenn mindestens zwei Drittel der Richter der Abstimmung beiwohnen (Art. 20 Abs. 2 VerfO). Das Plenum wählt den Präsidenten und die zwei Vizepräsidenten für eine Dauer von 22 drei Jahren, sofern dadurch nicht die Amtszeit überschritten wird (Art. 8 Abs. 1 VerfO) 23 und verteilt auf Vorschlag des Präsidenten die Richter für denselben Zeitraum auf die derzeit fünf Sektionen24 (Art. 25 Abs. 1 VerfO), wobei die Zusammensetzung der Sektionen im geographischer Hinsicht und in Bezug auf die Vertretung der Geschlechter ausgeglichen sein und auch den unterschiedlichen Rechtssystemen der Vertragsparteien Rechnung tragen soll (Art. 25 Abs. 2 VerfO). Jede Sektion bearbeitet alle Beschwerden gegen die Vertragsstaaten, deren Richter ihr angehört.25 Das Plenum wählt ferner die Sektionspräsidenten, die jeweils den innerhalb der Sek- 23 tionen aus sieben Richtern bestehenden Kammern vorsitzen (Art. 25 lit. c VerfO), sowie den Kanzler und dessen Stellvertreter (Art. 15 Abs. 1, 2 VerfO). Auch die Verfahrensordnung (siehe dazu Rn. 34) wird vom Plenum des Gerichtshofs beschlossen (Art. 25 lit. d EMRK). Das Plenum ist außerdem befugt, Anträge nach Art. 26 Abs. 2 EMRK auf die vorübergehende Verkleinerung der Kammern auf fünf Richter (siehe dazu Rn. 287 f.) zu stellen. 4. Kanzler. Die Kanzlei des Gerichtshofs ist organisatorisch in den Gerichtshof einge- 24 gliedert. Sie besteht aus 600 bis 650 permanenten und temporären Mitarbeitern (davon ca. 250 Juristen, sowie Übersetzern, Informatikern, Verwaltungsassistenten, Sekretärinnen, Boten etc.).26 Der Kanzler und seine Stellvertreter werden vom Plenum des Gerichtshofs gewählt (Art. 25 lit. e EMRK / Art. 15, 16 VerfO). Die übrigen Angehörigen der Kanzlei, auch die den Gerichtshof unterstützenden wissenschaftlichen Mitarbeiter,
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Vgl. Grabenwarter § 8, 5; Meyer-Ladewig Art. 26, 10. Meyer-Ladewig Art. 25, 1; IK-EMRK/ Keller/Schmidtmadel Art. 25, 1. Eine Wiederwahl ist möglich, aber nur einmal für jede Position. Während die EMRK nur von den Kammern als den für die Entscheidung zuständigen
25 26
Spruchkörpern spricht, verteilt die Verfahrensordnung die Richter auf Sektionen, aus denen dann die jeweils zur Entscheidung berufene Kammer gebildet wird. Schmaltz DRiZ 2010 120. Schmaltz DRiZ 2010 120; IK-EMRK/Keller/ Schmidtmadel Art. 24, 2.
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
sind Bedienstete des Europarats (Art. 18 Abs. 3 VerfO). Sie werden vom Generalsekretär des Europarats (Rn. 28) mit Zustimmung des Präsidenten des Gerichtshofs bzw. Kanzlers ernannt.27 25 Die Kanzlei („La plume de la Cour“) 28 unterstützt die Arbeit des Gerichtshofs. Sie führt die Korrespondenz mit den Beschwerdeführern, nach der Zustellung auch mit den Regierungen der betroffenen Staaten, und legt Akten über die Beschwerden an (Art. 17 Abs. 2 VerfO), die grundsätzlich öffentlich sind (Art. 33 VerfO). Die Mitarbeiter der Kanzlei sorgen auch für die Vervollständigung dieser Akten.29 Den Juristen der Kanzlei obliegt außerdem die erste Einschätzung der Erfolgsaussichten der Beschwerde.30 Zum Antrag auf Anonymität bei anhängigen Beschwerden siehe Rn. 181. Sind die Akten vollständig, weist der bearbeitende Jurist die Beschwerde vorläufig einem Entscheidungsorgan zu. Außerdem bereitet die Kanzlei auf Anweisung des (richterlichen) Berichterstatters 31 (Rn. 18) auch Entscheidungs- und Urteilsentwürfe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor.32 Zu den Aufgaben der Kanzlei gehört ferner die Öffentlichkeitsarbeit. Sie sorgt für die Zugänglichkeit der Rechtsprechung und verbreitet auch aktuelle Informationen zur Tätigkeit des Gerichtshofs sowie Statistiken.33 26 Dem Kanzler obliegt die Führung der Mitarbeiter des Gerichtshofs. Er berät das Gericht außerdem in prozessualen und praktischen Fragen. Er kann mit Genehmigung des Gerichtspräsidenten allgemeine Weisungen für die Arbeit in der Kanzlei erlassen (Art. 17 Abs. 4 VerfO), auch soweit dies die Handhabung der Beschwerden betrifft. Der gegenwärtige Kanzler des Gerichtshofs, Erik Fribergh, wurde am 28.6.2010 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt.34 27 Auch auf der Ebene der Sektionen gibt es Kanzler und einen Stellvertreter. Diese unterstützen die einzelnen Sektionen bei administrativen und rechtlichen Angelegenheiten (Art. 18 Abs. 2 VerfO).35
28
5. Generalsekretär des Europarats. Der Generalsekretär ist kein Organ des Gerichtshofs, sondern des Europarats. Da der Europarat nach Art. 50 EMRK die Kosten des Gerichtshofs trägt, ist der Generalsekretär für dessen Haushalt verantwortlich. Er bereitet darüber hinaus die Entscheidungen des Ministerkomitees vor (vgl. Rn. 29). Befugnisse und Aufgaben ergeben sich für den Generalsekretär aber auch aus der EMRK selbst (s. etwa Art. 15 Abs. 3, 52, 58 Abs. 1, 59 Abs. 5 EMRK).
29
6. Ministerkomitee. Das Ministerkomitee des Europarats hat seine frühere Befugnis zur Entscheidung über die Menschenrechtsbeschwerden (Art. 32 Abs. 1 EMRK a.F.) verloren. Es hat nach Art. 46 Abs. 2 EMRK aber weiterhin die Aufgabe, die Durchführung der Urteile des Gerichtshofs zu überwachen (vgl. Rn. 262 ff.).
27 28 29 30 31
IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 2. Schmaltz DRiZ 2010 120. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 5. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 5. Im Falle einer offensichtlich unzulässigen Beschwerde kann dies auch ein nichtrichterlicher Berichterstatter sein, siehe dazu Rn. 275.
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33 34 35
Wittinger NJW 2001 1238, 1240; Schmaltz DRiZ 2010 120 f.; IK-EMRK/Keller/ Schmidtmadel Art. 24, 1, 5. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 6. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 3. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 4.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
III. Beschwerdeverfahren 1. Verfahrensarten. Die EMRK kennt zwei verschiedene Verfahrensarten vor dem 30 Gerichtshof. Für sie gelten zum Teil unterschiedliche Verfahrensregeln: a) Staatenbeschwerde. Mit der Staatenbeschwerde kann jeder Vertragsstaat den Ge- 31 richtshof seit Inkrafttreten des 11. P-EMRK (1998) unmittelbar 36 mit der Behauptung anrufen, ein anderer Vertragsstaat habe ein in der Konvention oder einem Zusatzprotokoll garantiertes Recht verletzt (Art. 33 EMRK). Die für eine Staatenbeschwerde erforderlichen Angaben legt Art. 46 VerfO fest. Von der Möglichkeit einer Staatenbeschwerde haben die Mitgliedstaaten bisher nur spärlich Gebrauch gemacht. In der Regel wird aus diplomatischen Gründen ein solcher Schritt vermieden, wenn die Wahrung des „ordre public européen“ oft auch mit weniger öffentliches Aufsehen erregenden Maßnahmen zu erreichen ist.37 b) Individualbeschwerde. Mit der Individualbeschwerde kann dagegen jeder Einzelne, 32 jede Personenvereinigung und jede nichtstaatliche Organisation den Gerichtshof wegen der Verletzung eines in der Konvention oder einem Zusatzprotokoll gewährleisteten Rechts anrufen (Art. 34 EMRK). 2. Allgemeine Grundsätze a) Verhandlungsort. Die mündliche Verhandlung – so denn eine solche anberaumt 33 wird (Rn. 36) – findet vor der Kammer am Sitz des Gerichtshofs im Human Rights Building in Straßburg statt. Allerdings kann die Kammer, wenn sie es für zweckmäßig hält, ihre Tätigkeit auch in einem anderen Mitgliedstaat des Europarats ausüben (Art. 19 VerfO). Außerhalb des ständigen Sitzes stattfindende Ortsbesichtigungen werden meist von einer Delegation, also nicht durch den gesamten Spruchkörper, durchgeführt. b) Verfahrensordnung. Das Verfahren richtet sich hauptsächlich nach der vom Ple- 34 num beschlossenen Verfahrensordnung, den Rules of Court. Die Verfahrensordnung in ihrer aktuellen Fassung trat am 1.4.2011 in Kraft. Als Ergänzung zur Verfahrensordnung hat der Präsident des Gerichtshofs nach Art. 32 VerfO insgesamt sechs Verfahrensanordnungen (Practice Directions) erlassen: „Written Pleadings“ (PD-WP) vom 1.11.2003, ergänzt am 10.12.2007; „Institution of proceedings“ (individual applications under Article 34 of the Convention) (PD-I) vom 1.11.2003, ergänzt am 22.9.2008 und am 24.6.2009; „Just Satisfaction Claims“ (Article 41 of the Convention) (PD-JS) vom 28.3.2007; „Secured electronic filing“ (PD-SEF) vom 22.9.2008; „Interim Measures“ (Rule 39 of the Rules of Court) (PD-IM) vom 7.7.2011; „Requests for Anonymity“ (PD-RfA) vom 14.1.2010. c) Sprachen. Die Amtssprachen des Gerichtshofs sind Englisch und Französisch (Art. 34 35 Abs. 1 VerfO). Die Beschwerde kann jedoch auch in einer der Amtssprachen der Vertragsparteien eingelegt werden (Art. 34 Abs. 2 VerfO). In mündlichen Verhandlungen und ab der Zustellung der Beschwerde an den betroffenen Vertragsstaat sind in der Regel
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Auch die Staatenbeschwerde ging vor dem 11. P-EMRK zunächst an die EKMR und wurde dann meist im Ministerrat behandelt. Beim Gerichtshof bzw. nach alter Rechtslage
37
vor 1998 bei der Kommission (EKMR) sind bisher nur elf Staatenbeschwerden eingereicht worden. Vgl. Tomuschat EuGRZ 2003 95.
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nur die Amtssprachen des Gerichtshofs zu verwenden (Art. 36 Abs. 3 VerfO). Für die Verwendung einer anderen Sprache bedürfen der Bf. und sein Vertreter sowie der beteiligte Staat der Genehmigung des Kammerpräsidenten (Art. 34 Abs. 3 lit. a VerfO), wobei diese in der Praxis des Gerichtshofs jedenfalls bei well-established-case-law-Fällen nach Art. 28 Abs. 1 lit. 1 EMRK regelmäßig gegeben wird. In diesen Fällen müssen der Kanzler bzw. der jeweilige Staat für die mündliche und schriftliche Übersetzung in die Amtssprachen des Gerichtshofs sorgen (Art. 34 Abs. 3 lit. b VerfO). Der Kammerpräsident kann dem betroffenen Vertragsstaat, sofern dieser sich einer der Amtssprachen des Gerichtshofs bedient, auffordern, eine Übersetzung seiner schriftlichen Stellungnahmen in einer eigenen Amtssprache vorzulegen, damit dem Bf. das Verständnis der Stellungnahme erleichtert wird (Art. 34 Abs. 5 VerfO). Zeugen, Sachverständige und andere Personen können sich vor dem Gerichtshof ihrer eigenen Sprache bedienen, wenn sie die Amtssprache des Gerichts nicht hinreichend beherrschen. In diesen Fällen obliegt es dem Kanzler, die Übersetzung zu veranlassen (Art. 34 Abs. 6 VerfO).
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d) Mündliche Verhandlung. Das Gericht kann über die Beschwerde im schriftlichen Verfahren oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheiden. Findet eine mündliche Verhandlung statt, so ist diese grundsätzlich öffentlich und für jedermann zugänglich (Art. 63 Abs. 1 VerfO). Sie kann auch bereits zur Prüfung der Zulässigkeit anberaumt werden. Von Amts wegen bzw. auf Antrag einer Partei oder einer anderen betroffenen Person 37 können Presse und Öffentlichkeit während der ganzen oder eines Teiles der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden (Art. 63 Abs. 2 VerfO), wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Parteien es verlangen oder, soweit die Kammer es für unbedingt erforderlich hält, wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. Der Kammerpräsident (bzw. der Leiter der Delegation, Rn. 33) leitet die mündliche 38 Verhandlung und bestimmt ihren konkreten Ablauf, d.h. die Reihenfolge, in der den Parteien, ihren Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsbeiständen und Beratern sowie den sonstigen erschienenen Personen (Zeugen, Sachverständige, Drittbeteiligte) das Wort erteilt wird (Art. 64 Abs. 1 VerfO). Meist dauern die Verhandlungen einen Vor- oder Nachmittag. Die Redezeit wird meist im Voraus auf 45 Minuten bis zu einer Stunde begrenzt.
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e) Anwesenheit der Parteien. Grundsätzlich muss der Bf. nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen, sondern kann sich durch seinen Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen. Erscheint weder der Bf. noch sein Verfahrensbevollmächtigter zur mündlichen Verhandlung – bzw. zur Untersuchung einer Delegation des Gerichtshofs –, führt dies nicht zwingend zur Einstellung des Verfahrens (Art. A3 VerfO). Bleibt eine Partei ohne Angabe hinreichender Gründe von der Verhandlung fern, so kann die Kammer diese gleichwohl fortsetzen, wenn ihr dies mit einer geordneten Rechtspflege vereinbar erscheint (Art. 65 VerfO). Allerdings kann der Gerichtshof die Beschwerde bei Fernbleiben des Bf. wegen der Vermutung fehlenden Interesses an der Aufrechterhaltung der Beschwerde in der Liste der anhängigen Rechtssachen streichen (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 lit. c EMRK). Prinzipiell ist aber das Auftreten des Verfahrensbevollmächtigten ausreichend.
40
f) Verfahrensvertretung. Anwaltszwang besteht für das Verfahren der Individualbeschwerde grundsätzlich nicht. Der Bf. kann sich aber vor dem Gerichtshof durch einen in den Mitgliedstaaten zugelassenen Anwalt oder eine sonst vom Kammerpräsidenten zuge-
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lassene Person vertreten lassen (Art. 36 Abs. 1, Abs. 4 lit. a VerfO). Er muss sich aber nach der Mitteilung der Beschwerde nach Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO an den betroffenen Vertragsstaat vertreten lassen, wenn das Gericht nicht anders entscheidet (Art. 36 Abs. 2 VerfO). Zwingend ist die Vertretung durch einen Verfahrensbevollmächtigten – einen in einem 41 Vertragsstaat zugelassenen Rechtsbeistand (advocate) oder eine andere vom Kammerpräsidenten zugelassene Person (other person approved) (Art. 36 Abs. 4 lit. a VerfO) – in jeder mündlichen Verhandlung vor der Kammer (Art. 36 Abs. 3 VerfO; Rn. 36). Ausnahmsweise kann dem Bf. auch noch in diesem Stadium des Verfahrens gestattet werden, seine Interessen selbst zu vertreten, falls erforderlich mit Unterstützung eines Rechtsbeistands oder einer anderen Person (Art. 36 Abs. 3 VerfO). g) Kosten. Verfahrenskosten werden für das Verfahren vor dem EGMR nicht erho- 42 ben. Einer Entscheidung über Verfahrenskosten im Urteil (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. j VerfO) bedarf es nur, wenn die Beschwerde Erfolg hat und der Gerichtshof gemäß Art. 41 EMRK anordnet, dass der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, den Verletzten auch für die Kosten seiner Rechtsverfolgung zu entschädigen hat (siehe auch Rn. 220 ff.) h) Verfahrenshilfe (legal aid). Eine Verfahrenshilfe im Form der Bereitstellung finan- 43 zieller Mittel kann bei einer Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) durch den Kammerpräsidenten gewährt werden, sofern der Bf. selbst nicht über ausreichende Mittel für die Beauftragung eines Rechtsbeistands verfügt und dies für die ordnungsgemäße Prüfung der Beschwerde vor dem Gerichtshof notwendig ist (Art. 100 Abs. 1, 101 VerfO).38 Über die Verfahrenshilfe wird entschieden, wenn der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, zu deren Zulässigkeit Stellung genommen hat oder die Frist dafür abgelaufen ist (Art. 100 Abs. 1 VerfO). Der Bf. muss beglaubigte Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der beklagte Staat dazu Stellung genommen oder die Möglichkeit dazu gehabt haben.39 Die Entscheidung des Kammerpräsidenten wird dem Bf. durch den Kanzler mitgeteilt (Art. 102 Abs. 3 VerfO). Der Kammerpräsident kann seine Entscheidung jederzeit zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen für sie entfallen sind (Art. 105 VerfO). Die Verfahrenshilfe umfasst die Honorare des Rechtsbeistands oder einer anderen 44 nach Art. 36 VerfO zur Vertretung berechtigen Person (evtl. auch mehrere) sowie Aufenthalts- und Reisekosten und andere notwendige Auslagen (Art. 103 Abs. 2 VerfO). Die Höhe der Verfahrenshilfe wird dabei nach Art. 104 VerfO vom Kanzler bestimmt, der die Höhe der Honorare nach „den geltenden Tarifen“ festsetzt (Art. 104 lit. a VerfO).40 Die bewilligte Verfahrenshilfe gilt für ein etwaiges Verfahren vor der Großen Kammer weiter, sofern sie nicht rückgängig gemacht oder beschränkt worden ist (Art. 100 Abs. 2; 105 VerfO). i) Kommunikation. Der Bf. hat das Recht auf ungehinderte Kommunikation mit dem 45 Gerichtshof. Er darf weder bei der Einlegung der Individualbeschwerde noch im Laufe des anschließenden Verfahrens vor dem EGMR durch den betroffenen Staat an der effektiven Geltendmachung eines Konventionsverstoßes gehindert, geschweige denn zur Änderung oder gar Rücknahme der Beschwerde angehalten werden (Art. 34 Satz 2 EMRK).
38 39 40
Vgl. Meyer-Ladewig Art. 29, 16 ff. Meyer-Ladewig Art. 29, 17; Villiger 206. Vgl. Meyer-Ladewig Art. 29, 18; Villiger 206:
Nicht volles Honorar, sondern angemessener Beitrag zu den Kosten im Straßburger Verfahren.
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Weder auf den Bf. noch auf seine Angehörigen und Rechtsvertreter darf von staatlicher Seite Druck oder gar Zwang ausgeübt werden. Unzulässig sind unmittelbare Zwangswirkungen, Einschüchterungsversuche und sonstige unangemessene, indirekte Einflussnahmen, die den Betroffenen von der Einlegung oder Aufrecherhaltung einer Beschwerde abhalten sollen / können.41 Ob Kontakte zwischen den Behörden und einem (möglichen) Bf. unter dem Gesichtspunkt von Art. 34 EMRK unzulässig sind, ist nach Maßgabe der besonderen Umstände des Falles zu entscheiden. In dieser Hinsicht sind die Verletzbarkeit des Bf. und seine Anfälligkeit für eine Beeinflussung durch die Behörden zu berücksichtigen.42 Die Verletzung der staatlichen Pflicht aus Art. 34 Satz 2 EMRK kann im Rahmen der Individualbeschwerde geltend gemacht und vom Gerichtshof explizit im Urteil festgestellt werden. Dabei prüft der Gerichtshof die abschreckende Wirkung auf die Ausübung des Individualbeschwerderechts. Dabei ist insbesondere Rücksicht auf die Situation der Gefangenen zu nehmen, insbesondere auf ihre Angreifbarkeit und den Einfluss, den öffentliche Stellen auf ihn haben.43 Eine Rolle spielen kann zum Beispiel die Gefahr der Strafverfolgung des Anwalts,44 Befragungen durch staatliche Stellen in Bezug auf die Beschwerde,45 die Weigerung der Weiterleitung der Beschwerde durch die Gefängnisbediensteten46 etc. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch das Europäische Übereinkommen 46 über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen vom 5.3.1996 (ETS 161; Übk-Verf).47 Dieses gewährt allen als Partei, Vertreter oder Berater einer Partei oder als vorgeladener Zeuge oder Sachverständiger oder sonst mit Billigung des Präsidenten am Verfahren teilnehmenden Personen Immunität für ihre schriftlichen oder mündlichen Äußerungen gegenüber dem Gerichtshof, ferner für Urkunden und sonstige Beweismittel, die sie dem Gerichtshof vorlegen (Art. 2 Abs. 1 Übk-Verf). Diese Immunität besteht nicht, wenn sie Äußerungen oder Beweismittel außerhalb des Gerichtshofs anderen zur Kenntnis bringen (Art. 2 Abs. 2 Übk-Verf). Alle genannten Personen haben das Recht auf ungehinderten schriftlichen Verkehr mit dem Gerichtshof. Dies gilt auch für Personen, denen die Freiheit entzogen ist;48 deren Korrespondenz mit dem Gerichtshof darf nicht ungebührlich verzögert oder behindert oder zum Gegenstand einer disziplinarischen Maßnahme gemacht werden. Diese Personen haben ferner das Recht, mit einem Anwalt schriftlich zu verkehren und sich mit ihm 41
42 43
EGMR Fedotova/R, 13.4.2006; Klyakhin/R, 30.11.2004, § 119; Orhan/TRK, 18.6.2002, §§ 400–411; S¸arli/TRK, 22.5.2001, §§ 84–86; (GK) Tanrikulu/TRK, 8.7.1999, ECHR 1999-IV, §§ 130–133; Kurt/TRK, 25.5.1998, Rep. 1998-III, § 159; (GK) Akdivar u.a./TRK, 16.9.1996, Rep. 1996-IV, § 105; Ergi/TRK, 28.7.1998, Rep. 1998-IV; (GK) Salman/TRK, 27.6.2000, ECHR 2000-VII = NJW 2001 2001; (GK) Sisojeva u.a./LET, § 115, NVwZ 2008 979 = InfAuslR 2007 140; (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK, 4.2.2005, ECHR 2005-I, § 102 = EuGRZ 2005 357. EGMR (GK) Sisojeva u.a./LET (Fn. 41), § 116. EGMR Colibaba/MOL, 23.10.2007, § 68; Iambor/RUM (Nr. 1), 24.6.2008, § 212; Cotlet/RUM, 3.6.2003, § 71.
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EGMR Kurt/TRK (Fn. 41), §§ 159 ff. Z.B. EGMR (GK) Akdivar u.a./TRK (Fn. 41), § 105; (GK) Tanrikulu/TRK (Fn. 41), § 131. EGMR Nurmagomedov/R, 7.6.2007, § 61; siehe für weitere Beispiele den ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria, Nr. 16, abrufbar unter www.echr.coe.int (Case-law – Case-law Information – Admissibility Guide). BGBl. 2001 II S. 359. Das am 1.1.1999 in Kraft getretene Übereinkommen ersetzt das gleichartige frühere Abkommen v. 6.5.1969 (ETS 67; BGBl. 1975 II S. 1445). Siehe dazu EGMR Peers/GR, 19.4.2001, ECHR 2001-III, § 84; Kornakovs/LET, 15.6.2006, §§ 157 ff.
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Verfahren EGMR
zu beraten, ohne dass eine andere Person mithört. Eingriffe in diese Rechte sind nur aufgrund eines Gesetzes und nur insoweit zulässig, als sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder zum Schutz der Gesundheit notwendig sind (Art. 3 Übk-Verf). j) Freies Geleit. Das Recht auf ungehinderte Hin- und Rückreise, einschließlich des 47 durch Art. 4 Abs. 3 Übk-Verf noch gesondert gesicherten Rückkehrrechts, wird allen genannten Personen garantiert, die am Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmen, wobei ihnen keine Beschränkungen aus anderen als den vorerwähnten Gründen auferlegt werden dürfen (Art. 4 Abs. 1 lit. a, b Übk-Verf). In den Durchgangsstaaten oder in dem Staat, in dem die Verhandlung stattfindet, dürfen sie wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit, die vor Beginn ihrer Reise liegen, weder verfolgt noch in Haft genommen noch in sonstiger Weise in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden (Art. 4 Abs. 2 lit. a Übk-Verf). Diese Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 2 Übk-Verf haben nach Art. 4 Abs. 5 Übk-Verf Vorrang vor den Verpflichtungen, die sich aus sonstigen Übereinkommen des Europarats oder aus Rechtshilfe- oder Auslieferungsverträgen ergeben. Die durch das Übereinkommen garantierte Bewegungs- und Reisefreiheit erlischt, wenn die betreffende Person nicht in das Land zurückgekehrt ist, von dem aus sie die Reise angetreten hat, sofern sie an 15 aufeinander folgenden Tagen die Möglichkeit dazu hatte (Art. 4 Abs. 4 Übk-Verf). Die Immunität, die den oben genannten Personen nur gewährt wird, um ihnen die Freiheit und Unabhängigkeit für die Ausübung ihrer Rechte und die Wahrnehmung ihrer Pflichten vor dem Gerichtshof zu sichern, kann der Gerichtshof durch eine zu begründende Entscheidung unter den im Übereinkommen näher festgelegten Voraussetzungen aufheben.49 k) Prüfung mehrerer Beschwerden. Auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen 48 können mehrere Beschwerden miteinander verbunden werden (joinder). Neben einer förmlichen Verbindung kommt – nach Anhörung der Parteien – auch die gleichzeitige Prüfung (simultaneous examination) von Beschwerden in Betracht, die derselben Kammer zugeteilt sind (Art. 42 VerfO).
IV. Gang des Beschwerdeverfahrens 1. Beschwerdeeinlegung und Zuweisung an einen Spruchkörper. Wenn das „erste 49 Schreiben“ des Bf., in dem zumindest der Gegenstand der Beschwerde zu erläutern ist, bei der Kanzlei eingegangen ist, wird dort eine Akte angelegt und der Beschwerde eine bestimmte Nummer zugewiesen, die auch dem Bf. mitgeteilt wird. Dieses Aktenzeichen ist in allen künftigen Kontaktaufnahmen mit dem Gerichtshof zu nennen.50 Zu den formellen Anforderungen Rn. 176 ff., 186 ff. (Form, Frist). Findet das Beschwerdeformular keine Verwendung, wird es von der Kanzlei zugesandt und muss binnen einer bestimmten Frist ausgefüllt erneut eingereicht werden. Die Beschwerde wird dann durch den Präsidenten des Gerichtshofs einer Sektion 50 zugewiesen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Beschwerden gleichmäßig auf die fünf Sektionen verteilt werden (Art. 52 VerfO). 49
Zu den Einzelheiten und zu den Vorbehalten, die die Vertragsstaaten erklären können, vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. b; Art. 5 Abs. 3, 4; Art. 9 Übk-Verf.
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Siehe § 7 Practice Direction – Institution of Proceedings (Rn. 34).
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Wenn sich bereits aus den Unterlagen ergibt, dass die Beschwerde unzulässig ist oder aus dem Register gestrichen werden muss, wird sie dem Einzelrichter zugewiesen. Anderenfalls bestimmt der Sektionspräsident einen Richter als Berichterstatter (vgl. Rn. 18), der weitere Auskünfte und Unterlagen von den Parteien anfordern kann (Art. 49 Abs. 2, 3 lit. a VerfO) und der danach entscheidet, ob die Beschwerde von einem Ausschuss oder der Kammer behandelt werden soll, sofern der Sektionspräsident nicht schon die Prüfung durch einen dieser Spruchkörper angeordnet hat (Art. 49 Abs. 3 lit. b VerfO). Zum Verfahren vor den einzelnen Spruchkörpern siehe Rn. 56 ff. 2. Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde
52
a) Gemeinsame Prüfung von Zulässigkeit und Begründetheit. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 2 EMRK ist die gemeinsame Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit der Regelfall. Lediglich in Fällen, in denen dies aus Klarstellungsgründen erforderlich ist, wird die Entscheidung weiterhin separat getroffen, etwa wenn ein Teil der Beschwerde ausdrücklich für unzulässig erklärt werden soll.51 Nach Art. 29 EMRK a.F. sollte über die Zulässigkeit gesondert entschieden werden, da an diese erste Verfahrensstufe verschiedene Folgen geknüpft werden. Mit Einwendungen gegen einzelne Zulässigkeitsvoraussetzungen ist der Vertragsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, ab der Entscheidung über die Zulässigkeit (Art. 55 VerfO) präkludiert, es sei denn, dass besondere Gründe (particular reasons) 52 für ihr verspätetes Vorbringen vorliegen (z.B. Eintritt neuer Tatsachen) und diese vom betroffenen Vertragsstaat unverzüglich (without delay) nach ihrem Entstehen vorgebracht werden.53 Außerdem war der Versuch einer gütlichen Einigung nach Art. 38 EMRK a.F. zu diesem Zeitpunkt einzuleiten. Außerdem sollten Ausführungen zu einem eventuellen Entschädigungsanspruch spätestens in diesem Verfahrensabschnitt gemacht werden. Für Staatenbeschwerden ist es bei der regelmäßig gesondert zu treffenden Zulässig53 keitsentscheidung geblieben (Art. 29 Abs. 2 EMRK). Bei Individualbeschwerdeverfahren konnte die Kammer aber Zuständigkeit und Begründetheit auch schon vor Inkrafttreten des 14. P-EMRK gemeinsam prüfen und bei Zuleitung der Beschwerde Äußerungen zu allen Fragen, einschließlich der einer gerechten Entschädigung, und Vorschläge für eine gütliche Einigung anfordern (Art. 54A Abs. 1 VerfO) und danach über Zulässigkeit und Begründetheit in einem Urteil entscheiden (Art. 54A Abs. 2 VerfO).54 Siehe dazu näher unten Rn. 289.
54
b) Zeitpunkt. Der Gerichtshof kann jederzeit (on its own motion) eine Zulässigkeitsfrage (erneut) überprüfen, unabhängig davon, ob eine entsprechende Einwendung von dem betroffenen Vertragsstaat überhaupt oder verspätet erhoben wird.55 Er kann dies selbst bei vorangegangener Zulässigkeitsentscheidung, wenn diese wegen eines der in
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53
IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 29, 3. EGMR (GK) Sahin/D, 8.7.2003, ECHR 2003-VIII, § 45 = EuGRZ 2004 707 = FamRZ 2004 337. Vgl. EGMR Cˇ evizovic´ /D, 29.7.2004, § 27, NJW 2005 3125 = StV 2005 136 = EuGRZ 2004 634; Hartman/CS, 10.7.2003, ECHR 2003-VIII.
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Eingefügt mit Wirkung v. 1.10.2002. EGMR (GK) Blecˇ ic´ /KRO, 8.3.2006, ECHR 2006-III, § 63 = NJW 2007 347; Adrian Mihai Ionescu/RUM (E), 1.6.2010, § 30, EuGRZ 2010 281.
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Verfahren EGMR
Art. 35 Abs. 1–3 EMRK genannten Gründe negativ hätte ausfallen müssen,56 wobei ein Abweichen von der ursprünglichen Zulässigkeitsentscheidung nur bei Vorliegen neuer Gesichtspunkte bzw. unter außergewöhnlichen Umständen in Betracht kommen soll.57 c) Form. Die Zurückweisung der Beschwerde durch den Einzelrichter oder den Aus- 55 schuss als unzulässig wird nicht ausformuliert. Sie wird ohne Ausfertigung eines mit Gründen versehenen förmlichen Beschlusses dem Bf. durch einen allgemein gehaltenen Brief des Kanzlers der jeweiligen Sektion mitgeteilt, der nur eine abstrakte Mitteilung des Grundes der Unzulässigkeit enthält (Art. 53 Abs. 5 VerfO).58 d) Verfahren vor dem Einzelrichter. Ist die Beschwerde offensichtlich unzulässig, wird 56 von Juristen der Kanzlei aufgrund des Vortrags des Bf. in einer der Amtssprachen des Gerichtshofs ein Entscheidungsentwurf erstellt. Darin ist neben einer Aufstellung der Fakten auch die rechtliche Bewertung, also der Grund der Unzulässigkeit enthalten. Nach einer Kontrolle durch einen nichtrichterlichen Berichterstatter (siehe dazu Rn. 275) erhält der Richter den Entwurf. Zur Information wird er auch dem nationalen Richter zugeleitet.59 Der Einzelrichter kann nach Art. 27 EMRK Beschwerden für unzulässig erklären 57 oder aus dem Register streichen, wenn dies ohne weiteres möglich ist. Seine Entscheidungen sind endgültig. Über diese Entscheidung wird der Bf. durch einen abstrakt formulierten Brief informiert (Art. 52A Abs. 1 Satz 3 VerfO). Erklärt der Richter die Beschwerde nicht für unzulässig und streicht er sie auch nicht aus dem Register, leitet er sie an einen Ausschuss oder eine Kammer weiter (Art. 27 Abs. 3 EMRK). An den Ausschuss wird er die Beschwerde insbesondere dann weiterleiten, wenn er sie für (offensichtlich) begründet hält (siehe Rn. 62).60 Siehe zum Einzelrichter auch Rn. 13, 273 ff. e) Verfahren vor dem Ausschuss. Soll die Beschwerde durch den Ausschuss für un- 58 zulässig erklärt werden, wird – wie bei der Entscheidung durch den Einzelrichter – ein Entscheidungsentwurf erarbeitet. Auch hier wird – ohne dass die Beschwerde der Regierung vorher zugestellt wird – nach einer kanzleiinternen Überprüfung der Entscheidungsvorschlag dem (Dreier-)Ausschuss zugeleitet.61 Nach Art. 28 Satz 1 lit. a EMRK / Art. 53 Abs. 1 VerfO können auch die Ausschüsse 59 eine Beschwerde für unzulässig erklären oder aus dem Register streichen, wenn dies ohne weitere Prüfung möglich ist. Ergeht keine einstimmige Entscheidung, so ist die Beschwerde an die Kammer zu verweisen (Art. 22 Abs. 1 VerfO). Die Unzulässigkeitsentscheidung ist endgültig. Zu den Urteilen siehe Rn. 62.
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EGMR (GK) Pisano/I, 24.10.2002; (GK) Odièvre/F, 13.2.2003, ECHR 2003-III, § 22 = NJW 2003 2145 = EuGRZ 2003 584 = ÖJZ 2005 34. EGMR Cisse/F, 9.4.2002, ECHR 2002-III, § 32. Sog. Musterbrief, abgedruckt EuGRZ 2003 180, gegen diese Neuregelung, die – anders als früher der „warning letter“ – den Bf. im Unklaren darüber lässt, ob sein Fall gründ-
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lich geprüft und aus welchen Gründen eine Eingabe als unzulässig angesehen wird, werden erhebliche Bedenken erhoben. Vgl. SiessScherz EuGRZ 2003 104 ff.; Ohms EuGRZ 2003 141, 145; Grabenwarter EuGRZ 2003 174, 175; Schmaltz DRiZ 2010 120, 121. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 27, 2. Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749, 3752. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 28, 2.
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f) Verfahren vor der Kammer. Wird über die Beschwerde weder vom Einzelrichter noch vom Ausschuss entschieden, so ist die Beschwerde an die Kammer zu verweisen (Art. 29 Abs. 1 EMRK). Ist der (richterliche) Berichterstatter der Ansicht, die Beschwerde könne auch ohne Stellungnahme der Regierung für unzulässig erklärt werden, lässt er eine Unzulässigkeitsentscheidung de plano, also ohne vorherige Zustellung der Beschwerde an die Regierung, vorbereiten. Die Kammer kann die Beschwerde dann sofort für unzulässig erklären (Art. 54 Abs. 1 VerfO); die Entscheidung ist endgültig.62 Ist die Beschwerde nicht offensichtlich unzulässig, so kann auf Anweisung des 61 Berichterstatters die Zustellung an die Regierung erfolgen.63 Da gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 2 EMRK aber eine getrennte Entscheidung über die Zulässigkeit nicht mehr der Regelfall ist, erfolgt die Zustellung meist unmittelbar durch den Präsidenten oder die Kammer (siehe Rn. 65). 3. Verfahren bei Zulässigkeit der Beschwerde
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a) Ausschuss. Durch das 14. P-EMRK haben die Ausschüsse die Kompetenz erhalten, einstimmig auch über die Begründetheit von Beschwerden zu entscheiden, sofern bereits eine gefestigte Rechtsprechung hinsichtlich der in Frage stehenden Konventionsverletzung besteht (Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK; siehe hierzu auch Rn. 278). Die Regelungen wurden aufgrund des 14.bis P-EMRK bereits auf Beschwerden gegen diejenigen Staaten angewandt, die eine entsprechende Annahmeerklärung abgegeben hatten. Zum Protokoll 14bis s. Rn. 272. Das Verfahren in Fällen, in denen eine gefestigte Rechtsprechung besteht, ist gegen63 über dem Verfahren in der Kammer vereinfacht und beschleunigt (siehe Rn. 280). Trotz der offensichtlichen Begründetheit wird die Beschwerde zwar der Regierung zugestellt, die Stellungnahme ist aber fakultativ.64 Eine eventuelle Stellungnahme wird dem Bf. zur Information mitgeteilt. Er selbst muss nur seine Forderungen nach Art. 41 EMRK geltend machen.65 Die einstimmige Entscheidung des Ausschusses ist unanfechtbar (Art. 28 Abs. 2 64 EMRK). Trifft der Ausschuss keine (einstimmige) Entscheidung über die Zulässigkeit und fällt er auch kein Urteil, übermittelt er die Beschwerde der Kammer zur weiteren Prüfung (Art. 53 Abs. 6 VerfO).
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b) Kammer. Das Verfahren vor der Kammer ist in der Regel schriftlich. Die Kammer oder ihr Präsident können, wenn sie die Beschwerde nicht als unzulässig zurückgewiesen haben, die Beschwerde der Regierung zur Stellungnahme zustellen. In der Zustellung wird dem betroffenen Staat der Beschwerdesachverhalt mitgeteilt und er wird aufgefordert, binnen 16 Wochen Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme erfolgt durch Schriftsätze,66 für die eine Art „Präklusionsvorschrift“ (Art. 38 VerfO) gilt,67 die vom Gerichtshof durchweg streng interpretiert wird.
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Schmaltz DRiZ 2010 120, 121. Schmaltz DRiZ 2010 120, 121. IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 28, 7. Schmaltz DRiZ 2010 120, 121. Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749, 3753; IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 29, 2, 4; Schmaltz DRiZ 2010 120, 121.
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Siehe auch die PD-WP (Rn. 34). Die Vertragsstaaten haben zusätzlich die Möglichkeit, mittels eines gesicherten elektronischen Systems mit dem Gerichtshof zu kommunizieren, siehe dazu auch die Practice Direction – Secured Electronic Filing v. 22.9.2008 (PD – SEF).
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
Schriftsätze sind grundsätzlich in einer der Amtssprachen des Gerichtshofs einzu- 66 reichen; außerdem sollen die Parteien ab diesem Zeitpunkt durch einen Verfahrensbevollmächtigen vertreten sein. Ab diesem Verfahrensstadium wird außerdem Verfahrenshilfe (legal aid) gewährt (siehe Rn. 43). Der Bf. erhält Gelegenheit zur Erwiderung und kann beantragen, dass ihm eine Entschädigung nach Art. 41 EMRK zugesprochen wird (siehe Rn. 220). Es folgt eine abschließende Stellungnahme durch die Regierung. Danach bereitet der Berichterstatter (Judge Rapporteur) in der Regel einen Entscheidungsvorschlag vor.68 Eine mündliche Verhandlung findet nur statt, wenn das Gericht dies aus eigenem 67 Antrieb oder auf Antrag einer Partei hin beschließt (Rn. 36). Von dieser Möglichkeit macht der Gerichtshof auch bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien nur noch zurückhaltend Gebrauch; im Interesse der Verfahrensbeschleunigung wird die Erforderlichkeit meist verneint.69 Der Antrag auf mündliche Verhandlung setzt ferner voraus, dass nicht schon in einer die Zulässigkeit betreffenden mündlichen Verhandlung nach Art. 54 Abs. 3 VerfO auch über die Begründetheit verhandelt worden ist (Art. 59 Abs. 3 VerfO). Auch nachdem er einen Termin für die mündliche Verhandlung festgesetzt hat, kann der Gerichtshof eine Beschwerde jederzeit als unzulässig zurückweisen (Art. 35 Abs. 4 Satz 2 EMRK). c) Gütliche Einigung.70 Nach den Vorschriften der EMRK in der Fassung nach dem 68 11. P-EMRK konnten gütliche Einigungen nur nach der Zulässigkeitsentscheidung getroffen werden. Weil durch das 14. P-EMRK eine gesonderte Entscheidung über die Zulässigkeit zur Ausnahme wird, mussten auch die Regelungen zur Anregung der gütlichen Einigung angepasst werden.71 Gemäß Art. 39 Abs. 1 EMRK kann deswegen eine gütliche Einigung jetzt zu jedem Verfahrenszeitpunkt getroffen werden. Die Kanzlei nimmt nach Art. 62 Abs. 1, 4 VerfO zu diesem Zweck nach der Zustel- 69 lung der Beschwerde Kontakt zu den Parteien auf. Die Vergleichsbereitschaft sollte vom betroffenen Staat möglichst frühzeitig erklärt werden.72 Lehnt eine der Parteien eine gütliche Einigung von vornherein ab, wird das gerichtliche Verfahren in der Regel direkt fortgesetzt (siehe aber Rn. 71).73 Das Einigungsverfahren, zu dem die Parteien Vorschläge vorlegen sollen, ist formlos. Die Vorschläge und die zu diesem Zweck geführten Verhandlungen sind vertraulich (Art. 39 Abs. 2 EMRK / Art. 62 Abs. 2 Satz 1 VerfO); sie dürfen Außenstehenden nicht mitgeteilt werden. Auch im streitigen Verfahren vor dem Gerichtshof dürfen die hierbei abgegebenen Erklärungen und Zugeständnisse nicht erwähnt und verwendet werden (Art. 62 Abs. 2 VerfO). Darauf folgt aber kein absolutes Verbot, Unterlagen, die sich auf Vergleichsverhandlungen beziehen, einem Dritten zu zeigen oder mit ihm darüber zu sprechen, etwa mit einem Anwalt. Verboten ist, streitige Informationen zu publizieren, sei es in Medien oder in Briefen, die von vielen Personen gelesen werden können.74 Wer gegen diese Grundsätze verstößt, läuft Gefahr, dass der
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IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 29, 5. Zur restriktiven Handhabung vgl. Grabenwarter § 13, 63 (2008 nur 28 mündliche Verhandlungen). Siehe auch Rn. 88; vertiefend: Keller/Forowicz/Engi Friendly Settlements before the European Court of Human Rights (2010). Zur vorher bestehenden Problematik, wenn im Rahmen von Art. 54A VerfO über Zulässigkeit und sachliche Begründetheit gleich-
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zeitig verhandelt wurde, vgl. Siess-Scherz EuGRZ 2003 100, 105; Grabenwarter EuGRZ 2003 174, 177. Siess-Scherz EuGRZ 2003 100, 106. Grabenwarter § 13, 55. Siehe EGMR Mirol¸ubovs u.a./LET, 15.9. 2009, NVwZ 2010 1541 (kein Missbrauch, weil der Bf. nicht wusste, wie die Unterlagen in die Hände anderer gekommen waren).
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EGMR seine Beschwerde für missbräuchlich ansieht. Wenn der Staat von solchen Umständen erfährt, wird er den Gerichtshof informieren; selbst einschreiten gegen diese Praxis darf er nicht.75 Einigen sich die Parteien gütlich, so wird die Sache nach Art. 37 Abs. 1 lit. b EMRK / Art. 43 Abs. 3 VerfO aus dem Register gestrichen, nachdem überprüft wurde, dass die Einigung auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte getroffen wurde (Art. 62 Abs. 3 VerfO).76 Der Gerichtshof kann trotz der Einigung das Verfahren auch gegen den Willen des 70 Bf.77 fortsetzen, wenn er der Ansicht ist, dass die Achtung der Menschenrechte dies erfordert, aber auch, wenn er dies aus sonstigen Gründen für angezeigt hält.78 Sonst wird die Entscheidung nach Art. 39 Abs. 3 EMRK dem Ministerkomitee zugeleitet (Art. 43 Abs. 3 Satz 2 VerfO), das nach Art. 39 Abs. 4 EMRK die Durchführung zu überwachen hat. Hält sich der Vertragsstaat nicht an den Inhalt der getroffenen Einigung, kann der Gerichtshof die Wiedereintragung der Beschwerde ins Register beschließen (Art. 43 Abs. 5 VerfO). Kommt zwischen den Parteien keine gütliche Einigung zustande („gescheiterter Ver71 gleich“), ist grundsätzlich das Verfahren fortzusetzen. Der Gerichtshof kann aber auch gegen den Willen des Bf. den Rechtsstreit durch ein Urteil (Art. 43 Abs. 3 Satz 3 VerfO) als erledigt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK erklären und die Streichung der Beschwerde aus dem Register anordnen (siehe zur Streichung der Beschwerde nach dieser Variante Rn. 88).79 Voraussetzung ist aber, dass der Vertragsstaat den geltend gemachten Konventionsverstoß eindeutig anerkannt und ein angemessenes Vergleichsangebot gemacht hat, durch das Abhilfe geschaffen wird. In der Regel wird ein Geldbetrag angeboten, der in der Höhe in etwa einer nach Art. 41 EMRK festzusetzenden Entschädigung entspricht. Der EGMR prüft dann, ob die Achtung der Menschenrechte eine Fortsetzung des 72 Verfahrens erfordert. Neben der Frage der Anerkennung der Verletzung und der Angemessenheit der Entschädigung überprüft der EGMR insoweit auch, ob die zu entscheidenden Rechtfragen bereits durch seine Rechtsprechung geklärt sind bzw. ob noch eine andere Beschwerde zu den streitgegenständlichen Fragen anhängig ist, ob dem Bf. durch die Anerkennung des Vergleichsangebots weitergehende Rechte abgeschnitten würden oder ob die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen eine weitere Prüfung der Begründetheit erforderlich machen.80 Er berücksichtigt dabei die Art der Beschwerde, z.B. auch Art und Umfang der in früheren Fällen zur Durchführung von Urteilen des EGMR getroffenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf den Fall des Bf., sowie ob der Tatsachenvortrag dem ersten Anschein nach glaubhaft ist.81
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Grabenwarter § 13, 55; Meyer-Ladewig Art. 39, 8; 37, 8. Zur gütlichen Einigung und ihren Vor- und Nachteilen vgl. Villiger 219 ff. Vgl. etwa EGMR Axen/D, 27.2.2003, EuGRZ 2003 222; Ohms EuGRZ 2003 141, 147. EGMR Tyrer/UK, 25.4.1978, A 26 = NJW 1979 1089 = EuGRZ 1979 162; Villiger 97. Grabenwarter § 13, 55 hält die Fortsetzung bei schwersten Menschenrechtsverletzungen für angebracht, sofern sich der betroffene Staat nicht zu Maßnahmen verpflichtet, die gleichartige Verletzungen in Zukunft verhindern.
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EGMR Akman/TRK, 26.6.2001, ECHR 2001-VI; (GK) Tahsin Acar/TRK, 6.5.2003, ECHR 2003-III = NJW 2004 2357; Meriakri/ MOL, 1.3.2005; Orlowski/D (E), 1.4.2008, NJW 2009 1403 mit Anm. Meyer-Ladewig/ Petzold; Samadi/D (E), 7.10.2008; Kunkel/D (E), 2.6.2009, EuGRZ 2009 472; s.a. MeyerLadewig Art. 39, 8; Art. 37, 8. EGMR Orlowski/D (E) (Fn. 79); Lück/D, 15.5.2008, NJOZ 2009 5003; vgl. auch Meyer-Ladewig Art. 39, 9. EGMR Rantsev/ZYP u. R, 7.1.2010, NJW 2010 3003; Meyer-Ladewig Art. 39, 9.
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Verfahren EGMR
Durch die Streichung der Beschwerde aus dem Register nach Art. 37 Abs. 1 lit. c 73 EMRK ist der Bf. nicht gehindert, über den gerügten Verstoß hinausgehende oder sich erst danach realisierende Rechtsverletzungen geltend zu machen. d) Beweiserhebung. Sämtliche Tatsachen, deren Kenntnis für die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde notwendig ist, müssen durch den Gerichtshof festgestellt werden. Obwohl er den auf nationaler Ebene festgestellten Sachverhalt grundsätzlich nicht überprüft, muss der EGMR die der Beschwerde zugrunde liegenden Tatsachen grundsätzlich selbst ermitteln. Im Wesentlichen stützt er sich dabei auf die Ausführungen der Parteien, ist an diese jedoch in keiner Weise gebunden. Nicht bestrittene Tatsachen gelten grundsätzlich als zugestanden.82 Bereits auf nationaler Ebene erfolgte behördliche Ermittlungen oder gerichtliche Beweiserhebungen fließen in die Untersuchung mit ein, sind aber für die Entscheidung über das Vorliegen eines Konventionsverstoßes nicht ausschlaggebend. Lediglich ergänzend erfolgt eine unmittelbare Beweisaufnahme vor dem Gerichtshof, wobei die Parteien die Einvernahme von Zeugen, Sachverständigen oder anderen Personen beantragen können. Die in der Praxis seltene Erhebung von Beweisen findet meist in der mündlichen Verhandlung im Gerichtsgebäude in Straßburg statt, kann aber auch durch Delegationen, d.h. beauftragte Mitglieder der Kammer oder andere Richter des Gerichtshofs erfolgen (Art. A1-A8 VerfO). Der Gerichtshof kann solche Untersuchungen oder andere Beweiserhebungen in jedem Verfahrensstadium an jedem beliebigen Ort durch eines oder mehrere seiner Mitglieder durchführen (Art. 19 Abs. 2 VerfO). Das gilt insbesondere für die Kammer, die über die Begründetheit der Beschwerde entscheidet. Die Parteien haben die Kammer – bzw. die beauftragte Delegation – bei der Feststellung des der Beschwerde zugrunde liegenden Sachverhaltes zu unterstützen (Art. 38 Satz 2 EMRK, Art. A2 VerfO). Eine mangelhafte Unterstützung kann der Gerichtshof im Urteil explizit feststellen.83 Die Kammer kann auf Antrag einer Partei, eines Dritten sowie von Amts wegen alle Beweise erheben, die sie für geeignet hält, um den Sachverhalt aufzuklären, ohne dabei an bestimmte Beweismittel oder gar an Vorschriften und Grundsätze des jeweiligen nationalen Strafprozessrechts gebunden zu sein (Art. A1 Abs. 1 VerfO). Recht häufig werden die Parteien aufgefordert, Urkunden oder sonstige schriftliche Beweise für ihr Vorbringen vorzulegen. Jede Person, deren Angaben oder Erklärungen für die Aufklärung des behaupteten Konventionsverstoßes nützlich erscheinen, kann als Zeuge, Sachverständiger oder in anderer Eigenschaft gehört werden (Art. A1 Abs. 1 Satz 2 VerfO), was in der Praxis jedoch recht selten geschieht. Gleiches gilt für Ortsbesichtigungen oder Inaugenscheinnahmen. Außerdem kann die Kammer Personen oder Institutionen ersuchen, zu einer bestimmten Frage Auskünfte einzuholen, eine Stellungnahme abzugeben oder der Kammer Bericht zu erstatten (Art. A1 Abs. 2 VerfO). Kosten für Beweiserhebungen (vor einer Delegation), die der betroffene Vertragsstaat beantragt, muss dieser grundsätzlich selbst tragen. Das gilt jedoch nicht für den Bf., dem die Kosten einer von ihm beantragten Beweiserhebung nur höchst selten auferlegt werden. Meist werden diese Kosten vom Europarat getragen. Die Höhe der Kosten bestimmt der Kammerpräsident (Art. A5 Abs. 6 VerfO). 82 83
Vgl. Schmaltz DRiZ 2010 120, 121, Fn. 11. EGMR Sadykov/R, 7.10.2010, §§ 279–284; siehe näheres zur Unterstützungspflicht im
ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 18 f.
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Die Ladung von Zeugen etc. erfolgt durch die Kanzlei (Art. A5 Abs. 1 VerfO). Sie kommt vor allem dort in Betracht, wo die Sachverhaltsermittlung auf nationaler Ebene hinsichtlich eines für die Einhaltung der Konvention maßgeblichen Umstandes unzureichend gewesen ist. Allein dieser Aufklärungsmangel hat häufig einen eigenständigen Konventionsverstoß zur Folge.84 Jedes Kammer- bzw. Delegationsmitglied kann den Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsbeiständen und Beratern der Parteien, dem Bf., den Zeugen und Sachverständigen sowie jeder anderen vor der Kammer oder Delegation auftretenden Person Fragen stellen (Art. A7 Abs. 1 VerfO). Umgekehrt können die Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsbeistände und Berater der Parteien – ebenso wie ein nicht vertretener Bf. selbst – den Zeugen, Sachverständigen und den anderen zur Erforschung des Sachverhalts herangezogenen Personen unter Aufsicht des Kammerpräsidenten bzw. Leiters der Delegation Fragen stellen. Letztere entscheiden auch, ob eine Frage zulässig ist oder nicht (Art. A7 Abs. 2 VerfO). Zu ihrem Schutz kann die Vernehmung einer Person in Abwesenheit der Parteien erfolgen (Art. A7 Abs. 4 VerfO). Zeugen, Sachverständige und andere Personen, die vor dem Gerichtshof auftreten, dürfen sich ihrer eigenen Sprache bedienen, wenn sie keine der beiden Amtssprachen hinreichend beherrschen. Der Kanzler trifft die notwendigen Vorkehrungen für die mündliche und schriftliche Übersetzung (Art. 34 Abs. 6 VerfO). Wenn ein Zeuge, eine andere Person oder eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichenden Grund nicht vor der Kammer oder Delegation erscheint, kann die ohne sein Mitwirken mögliche Untersuchung bzw. Beweiserhebung der Delegation gleichwohl durchgeführt bzw. fortgesetzt werden (Art. A3 VerfO). Im Gegensatz zu den meisten nationalen Rechtsordnungen droht die EMRK für das Nichterscheinen bzw. die (unberechtigte) Zeugnisverweigerung keine Sanktion an. Jeder Zeuge oder Sachverständige leistet vor Beginn seiner Aussage bzw. vor Ausführung seines Auftrags einen Eid oder gibt eine feierliche Erklärung ab (Art. A6 VerfO). Die Parteien können die Vernehmung eines bestimmten Zeugen oder Sachverständigen nur unter engen Voraussetzungen ablehnen (z.B. wegen Befangenheit). Über den Antrag entscheidet die Kammer. Sie kann eine Person, die nicht als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden kann, gleichwohl zu Informationszwecken anhören (Art. A7 Abs. 5 VerfO). Der Gerichtshof ist nicht an bestimmte (nationale) Beweiserhebungs-, Beweisverwertungs- oder Beweislastregeln gebunden, sondern entscheidet über das Vorliegen eines Konventionsverstoßes aufgrund freier richterlicher Beweiswürdigung. Obwohl der Bf. keine prozessuale Beweislast im engeren Sinne trägt, muss er grundsätzlich den behaupteten Konventionsverstoß substantiiert darlegen und die entsprechenden tatsächlichen Umstände überzeugend nachweisen. In Fällen, in denen die Tötung eines Menschen, die Anwendung physischer Gewalt gegenüber inhaftierten Personen oder deren Unauffindbarkeit behauptet wird, besteht für den betroffenen Konventionsstaat allerdings eine qualifizierte Darlegungslast,85 deren Umfang je nach Einzelfall bis zu einer echten Beweislastumkehr und entsprechender Exkulpationspflicht reichen kann („plausible/satisfactory and convincing explana-
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So bedeutet z.B. eine nicht effektive Untersuchung des Sachverhalts bei behaupteten Verstößen gegen Art. 2 EMRK (siehe dort Rn. 33 ff.) und Art. 3 EMRK (siehe dort
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Rn. 21 f.) einen eigenständigen Verstoß gegen diese Konventionsbestimmungen. Grundlegend: EGMR Ribitsch/A, 4.12.1995, A 336 = EuGRZ 1996 504 = ÖJZ 1996 148.
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tion“).86 Lässt sich in einem solchen Fall der vom Bf. behauptete Sachverhalt nicht zuverlässig aufklären, so unterstellt der Gerichtshof das entsprechende Vorbringen, wenn der Vertragsstaat gegen seine aus Art. 3 bzw. Art. 5 EMRK abzuleitende Organisations- oder Dokumentationspflicht verstoßen hat.87 e) Streichung der Beschwerde aus dem Register; Wiedereintragung. Der Gerichtshof kann eine Beschwerde jederzeit durch Urteil (Art. 43 Abs. 3 Satz 3 VerfO) im Register streichen, wenn er der Meinung ist, dass der Bf. seine Beschwerde nicht weiterverfolgen will (Art. 37 Abs. 1 lit. a EMRK), weil dieser dies selbst ausdrücklich erklärt hat oder die Umstände Anlass zu dieser Annahme geben, etwa dadurch dass der Bf. auf Schreiben des Gerichtshofs nicht reagiert oder angeforderte Unterlagen oder Stellungnahmen nicht fristgerecht einreicht,88 obwohl er auf die Möglichkeit der Streichung hingewiesen wurde.89 Mit der Streichung – nur bei der Staatenbeschwerde muss die beklagte Partei zustimmen (Art. 43 Abs. 2 VerfO) – endet das Verfahren vor dem EGMR. Das Verfahren wird in der Regel auch im Register gestrichen, wenn eine gütliche Einigung erzielt wurde (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 lit. b EMRK; siehe Rn. 68) oder wenn der Gerichtshof eine weitere Prüfung der Sache aus sonstigen Gründen nicht für gerechtfertigt hält (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 lit. c EMRK), etwa, weil der Bf. verstorben ist und seine nahen Angehörigen das Verfahren nicht weiter betreiben.90 Eine Streichung im Register kann auch in Betracht kommen, wenn der beklagte Staat nach einer gescheiterten Vergleichsverhandlung einseitig die Konventionsverletzung einräumt und eine angemessene Entschädigung anbietet (siehe Rn. 71). Der Gerichtshof kann aber stets von der Streichung im Register absehen und das Verfahren fortsetzen, wenn er der Ansicht ist, dass die Achtung der in der Konvention und den Protokollen garantierten Menschenrechte die weitere Prüfung der Beschwerde erfordert (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EMRK), so, weil der Sachverhalt streitig ist und der beklagte Staat nicht eindeutig die Verantwortung übernommen und sich auch nicht eindeutig zu deren uneingeschränkter Aufklärung verpflichtet hat,91 ferner auch, wenn er aus sonstigen Gründen die Klärung der aufgeworfenen Fragen im Allgemeininteresse für angezeigt hält 92 oder wenn er an der Freiwilligkeit der Rücknahme der Beschwerde zweifelt.93 Wenn er dies nach den Umständen für gerechtfertigt hält, kann der Gerichtshof von sich aus die Wiedereintragung einer gestrichenen Beschwerde in das Register anordnen (Art. 37 Abs. 2 EMRK). Dies kann u.a. der Fall sein, wenn der Bf. nachweisen kann, dass die Annahme des Gerichts, er wolle seine Beschwerde nicht weiterverfolgen, unzutreffend und nicht von ihm verschuldet ist.94 86 87
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EGMR Mikheyev/R, 26.1.2006, § 102. EGMR Bojinov/BUL, 28.10.2004 (Dokumentation von Maßnahmen zur Durchführung einer gerichtlich angeordneten Freilassung). Die Frage eines menschenrechtlich relevanten Dokumentationsdefizits kann sich z.B. bei der Wohnraumdurchsuchung stellen (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005 1637 = NStZ 2005 337 = StV 2005 483 = EuGRZ 2005 178 = NVwZ 2005 1412 = wistra 2005 219; kritisch dazu: Günther NStZ 2005 486). EGMR Oberländer/D (E), 7.12.2010. Zum Erfordernis eines solches Hinweises: Meyer-Ladewig Art. 37, 3.
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Meyer-Ladewig Art. 37, 7 m.w.N., s.a. EGMR Kalantari/D, 11.10.2001, ECHR 2001-X = EuGRZ 2002 576; Taskin/D, 23.7.2002, NJW 2003 2003 = EuGRZ 2002 593. Etwa EGMR (GK) Tahsin Acar/TRK (Fn. 79). EGMR Tyrer/UK (Fn. 77), Klärung im Allgemeininteresse; vgl. auch die praktisch bedeutsamen Fälle des Todes des Bf.: Rn. 124, 147. EGMR Tyrer/UK (Fn. 77); Grabenwarter § 13, 59. Frowein/Peukert Art. 37, 7.
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f) Beteiligung Dritter („third-party intervention“). Ein Vertragsstaat kann sich an einem Verfahren vor der Kammer (oder der Großen Kammer), in dem einer seiner Staatsangehörigen Bf. ist, durch schriftliche Stellungnahmen und die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beteiligen (Art. 36 Abs. 1 EMRK). Im Interesse der Rechtspflege kann der Präsident des Gerichtshofs außerdem jedem Vertragsstaat, der nicht Partei ist und jeder betroffenen Person, die nicht Bf. ist, Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme oder zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung geben (Art. 36 Abs. 2 EMRK).95 Ein Staat, der sich nach Art. 36 EMRK beteiligt, wird dadurch nicht selbst Partei des Verfahrens; er wird auch nicht nach Art. 46 Abs. 1 EMRK durch das Urteil gebunden. Auch der Kommissar für Menschenrechte des Europarats kann bei allen Verhand92 lungen der Kammer (oder der Großen Kammer) schriftliche Stellungnahmen abgeben und an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen (Art. 36 Abs. 3 EMRK), siehe dazu auch Rn. 215. Entsprechende Erklärungen bzw. Anträge Dritter auf Teilnahme am Verfahren müs93 sen in einer der Amtssprachen eingereicht werden und bestimmten Form- und Fristvorgaben entsprechen (Art. 43 Abs. 2–5 VerfO). Schriftliche Stellungnahmen im Laufe des Verfahrens müssen den vom Kammerpräsidenten festgelegten Fristen und Bedingungen Rechnung tragen. Werden diese Bedingungen nicht eingehalten, so wird die jeweilige Stellungnahme meist nicht in die Verfahrensakte aufgenommen (Art. 44 Abs. 5 Satz 2 VerfO). Schriftliche Erklärungen Dritter, die den Vorgaben entsprechen, werden den Parteien 94 mitgeteilt, die unter Einhaltung einer bestimmten Frist ihrerseits schriftlich Stellung nehmen können (Art. 44 Abs. 6 Satz 2 VerfO).
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g) Verhandlungsprotokoll. Auf Beschluss der Kammer ist über die mündliche Verhandlung ein Wortprotokoll (verbatim record) anzufertigen, in dem u.a. die vor der Kammer abgegebenen Erklärungen, die dort gestellten Fragen und erhaltenen Antworten wortgetreu festgehalten werden (Art. 70 VerfO).96 4. Verfahren vor der Großen Kammer
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a) Art. 30 EMRK. Zur Abgabe einer Sache an die Große Kammer ist die mit der Sache befasste Kammer nach Art. 30 EMRK / Art. 72 Abs. 1 Satz 1 VerfO jederzeit befugt, sofern sie der Ansicht ist, dass über eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung der Konvention einschließlich ihrer Zusatzprotokolle zu entscheiden ist oder wenn ihre Entscheidung zur Abweichung von einer früheren Entscheidung des Gerichtshofes führen kann.
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Siehe etwa: EGMR Anayo/D, 21.12.2010, § 6 (Kindschaftsrecht; gesetzliche Eltern, §§ 1591, 1592 BGB); (GK) Gäfgen/D, 1.6.2010, §§ 7, 85, 158 f., NJW 2010 3145 = EuGRZ 2010 417 (Nebenkläger im strafrechtlichen Ausgangsverfahren; Eltern eines getöteten Kindes). Als zulässigen Inhalt eines solchen Verhandlungsprotokolls nennt Art. 70 VerfO: die Zusammensetzung der Kammer bei der Verhandlung; die Liste der erschienenen Per-
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sonen; Prozessbevollmächtigte, Rechtsbeistände und Berater der Parteien sowie Drittbeteiligte; den Namen, die Vornamen, sonstige Angaben zur Person und die Adresse der Zeugen, Sachverständigen und anderen gehörten Personen; den Wortlaut der abgegebenen Erklärungen, der gestellten Fragen und erhaltenen Antworten; den Wortlaut aller während der Verhandlung verkündeten Entscheidungen der Kammer oder des Kammerpräsidenten.
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Verfahren EGMR
Die Abgabe, die keiner Begründung bedarf (Art. 72 Abs. 1 Satz 2 VerfO), steht im 97 pflichtgemäßen Ermessen der Kammer. Weil den Parteien auf diesem Wege die Möglichkeit einer Überprüfung der Kammerentscheidung durch die Große Kammer – und damit praktisch eine Instanz – genommen wird, ist Voraussetzung für die Abgabe der Rechtssache, dass keine der Parteien diesem Vorgehen unter Angabe von Gründen widerspricht (Art. 30 EMRK / Art. 72 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VerfO).97 b) Art. 43 EMRK. Die Verweisung an die Große Kammer kann jede Partei innerhalb 98 von drei Monaten nach dem Datum des Urteils einer Kammer beantragen, damit diese als gerichtsinterne Kontrollinstanz die Sache neu entscheidet. Diese Befugnis ist ausdrücklich auf Ausnahmefälle begrenzt (Art. 43 Abs. 1 EMRK).98 Über die Annahme dieses Antrags entscheidet ein Ausschuss von fünf Richtern.99 Er nimmt den Antrag nur an, wenn die Rechtssache eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung der Konvention oder ihrer Protokolle aufwirft oder wenn es sich um eine schwerwiegende Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung handelt (Art. 43 Abs. 2 EMRK / Art. 73 Abs. 1 Satz 2 VerfO). Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, ist das Urteil der Kammer endgültig (Art. 44 Abs. 2 lit. c EMRK). Die Ablehnung muss nicht begründet werden (Art. 73 Abs. 2 Satz 3 VerfO). Wird der Antrag angenommen, überprüft die Große Kammer die Sache vollumfäng- 99 lich, soweit die Beschwerde vorher für zulässig erklärt worden ist.100 Sie kann alle rechtlichen Feststellungen, auch die Zulässigkeitsentscheidung, sowie die zugrunde liegenden Fakten101 neu bewerten.102 Eine Beschränkung der Verweisung ist nicht möglich. 5. Vorläufige Maßnahmen („interim measures“) a) Erforderlichkeit vorläufiger Maßnahmen.103 Die Individualbeschwerde hat, ebenso 100 wie die Staatenbeschwerde, keine aufschiebende Wirkung.104 Da der Gerichtshof erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs mit einer Sache befasst werden kann und die behauptete Konventionsverletzung längst stattgefunden hat, besteht in der Regel kein zwingendes Bedürfnis nach einer vorläufigen Anordnung. Anders ist dies nur in Einzelfällen, in denen dem Bf. ein schwerwiegender irreparabler Schaden droht, wie etwa bei
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Meyer-Ladewig Art. 30, 4; vgl. Wittinger NJW 2001 1238; kritisch zum Widerspruchsrecht Schlette ZaöRV 56 (1996) 905, 950, 964. Meyer-Ladewig NJW 1995 2813, 2816; Schlette ZaöRV 56 (1996) 905, 950, 952 ff.; Wittinger NJW 2001 1238, 1241. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses ist in Art. 24 Abs. 5 VerfO geregelt. EGMR (GK) K. u. T./FIN, 12.7.2001, ECHR 2001-VII, §§ 140-141 = NJW 2003 809; (GK) Göç/TRK, 11.7.2002, ECHR 2002-V, §§ 35–37; (GK) Perna/I, 6.5.2003, ECHR 2003-V, §§ 23–24 = NJW 2004 2653; (GK) Azinas/ZYP, 28.4.2004, ECHR 2004-III, § 32; (GK) Sisojeva u.a./LET (Fn. 41), § 61, Costa in: Caflisch u.a. (Hrsg.), Liber Amicorum Wildhaber 133.
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Vgl. etwa EGMR Cruz Varas u.a./S, 20.3.1991, A 201 = NJW 1991 3079 = EuGRZ 1991 203 = ÖJZ 1991 519 = InfAuslR 1991 217; (GK) Gustafsson/S, 25.4.1996, Rep. 1996-II, § 51 = ÖJZ 1998 867 = AuR 1997 408; (GK) K. u. T./FIN (Fn. 100). Etwa EGMR (GK) K. u. T./FIN (Fn. 100); (GK) Perna/I (Fn. 100). Grundlegend: Bostedt Vorsorgliche und einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte (2009). Vgl. IK-EMRK/Rogge Art. 34, 103, 328; Meyer-Ladewig Einl. 29; Art. 34, 48; Villiger 201; EGMR Bahaddar/NL, 19.2.1998, Rep. 1998-I = InfAuslR 1998 260; ferner etwa BayObLG NJW 1976 1591; High Court of Justice EuGRZ 1978 521.
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
der Auslieferung oder Abschiebung in ein Land, in dem er Todesstrafe oder Folter zu gewärtigen hat.105 Um zu verhüten, dass durch den innerstaatlichen Vollzug einer mit der Beschwerde beanstandeten Maßnahme die behauptete Konventionsverletzung verfestigt und Tatsachen geschaffen werden, die durch eine spätere Entscheidung des Gerichtshofs nicht mehr rückgängig gemacht werden können, eröffnet die Verfahrensordnung mehrere Möglichkeiten.
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b) Unterrichtung nach Art. 40 VerfO. Der Kanzler kann mit Genehmigung des Kammerpräsidenten die betroffene Vertragspartei durch jedes verfügbare Mittel vom Eingang der Beschwerde und ihrem Inhalt unterrichten (Art. 40 VerfO), damit diese durch geeignete innerstaatliche Maßnahmen dafür sorgen kann, dass der späteren Entscheidung über die Beschwerde nicht vorgegriffen wird.106
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c) Vorläufige Maßnahmen nach Art. 39 VerfO (interim measures). Nach Art. 39 VerfO kann die zuständige Kammer, oder, wenn sie nicht zusammengetreten ist, auch ihr Präsident allein, auf Antrag eines Betroffenen oder auch von Amts wegen den Parteien vorläufige Maßnahmen „empfehlen“, sofern dies im Interesse einer Partei oder eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs erforderlich ist. Ein Betroffener sollte den Antrag möglichst frühzeitig stellen und mit detaillierten Angaben über die befürchteten Folgen, nach Möglichkeit unter Beifügung von Beweismaterial, begründen.107 Unter Umständen ist es zweckmäßig, schon vor dem Ergehen der in Frage stehenden nationalen Entscheidung, den Antrag nach Art. 39 VerfO zu stellen, da der Gerichtshof keinen Bereitschaftsdienst hat und auch nicht alle Regierungen 24 Stunden pro Tag kontaktiert werden können.108 Eine solche Empfehlung wird nur dann ausgesprochen, wenn dem Bf. ein nicht wie103 dergutzumachender Schaden droht.109 Die empfohlenen Maßnahmen können die Beweissicherung bezwecken110 oder dem Bf. selbst Auflagen machen.111 Meist werden sie aber den Zweck haben, vorsorglich zu verhüten, dass durch die Fortsetzung innerstaatlicher Maßnahmen ein Zustand geschaffen wird, der bei Bejahung einer Konventionsverletzung durch den Gerichtshof nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.112 Bedeutung erlangt haben solche Fälle vor allen bei Abschiebung oder Auslieferung des Bf. in ein Drittland, in dem eine Gefahr für sein Leben oder Folter zu befürchten ist.113 Neben diesen Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK betreffenden Fällen kann ausnahmsweise auch im Rahmen von Beschwerden nach Art. 8 EMRK eine vorläufige Maßnahme erforderlich sein.114
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Oellers-Frahm EuGRZ 2003 689. IK-EMRK/Rogge Art. 34, 354. Nórgaard/Krüger FS Ermacora 109, 115; Esser in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), 201 f.; siehe auch Practice Direction – Request for interim measures (Rn. 34). Vgl. Practice Direction – Request for interim measures (Rn. 34). EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK (Fn. 41), §§ 104 ff. Beispiele bei IK-EMRK/Rogge Art. 34, 340 ff. Etwa, sich bei Haftentlassung zur Verfügung der Behörden zu halten oder den Hungerstreik abzubrechen, vgl. Nórgaard/Krüger
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FS Ermacora 109, 115; IK-EMRK/Rogge Art. 34, 353. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 26; IK-EMRK/ Rogge Art. 34, 328 ff.; Nórgaard/Krüger FS Ermacora 109, 115. Z.B. EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/ TRK (Fn. 41), §§ 104 f.; Ehlers/Schoch/ Kadelbach § 5, 26; Nórgaard/Krüger FS Ermacora 109 ff.; Krüger EuGRZ 1996 346. Meyer-Ladewig Einl. 26; siehe z.B. EGMR (GK) Evans/UK, 10.4.2007, ECHR 2007-IV = NJW 2008 2013; Halilova u.a./S (E), 19.1.2010; X/KRO, 17.7.2008; Useinov/NL (E), 11.4.2006.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
d) Verbindlichkeit der vorläufigen Maßnahmen/Anordnungen. Dass eine solche 104 Empfehlung der Kammer oder ihres Vorsitzenden nach Art. 39 VerfO für den betroffenen Staat die unmittelbare Rechtspflicht zur Befolgung begründet, wurde früher überwiegend verneint.115 Auch aus dem in Art. 25 a.F. EMRK geregelten Behinderungsverbot wurde nicht die generelle Verpflichtung der Staaten zur Befolgung der empfohlenen Maßnahmen hergeleitet.116 Diese Auffassung hat der EGMR im Jahr 2005 unter Hinweis auf die Praxis des UN-Menschenrechtsausschusses (HRC) und des UN-Antifolterausschusses (UN-CAT) sowie den vor dem IGH verhandelten Fall „La Grand“117 aufgegeben. Er sieht in der Missachtung seiner vorläufigen Anordnung, die verhindern soll, dass im konkreten Fall das Beschwerderecht und die spätere Entscheidung des Gerichtshofs praktisch durch eine vollendete Tatsachen schaffende staatliche Maßnahme obsolet werden, einen Verstoß gegen die in Art. 34 Satz 2 EMRK festgelegte Pflicht des Staates, die wirksame Ausübung des Beschwerderechts nicht zu behindern und die Urteile des Gerichtshofs zu befolgen (Art. 46 Abs. 1 EMRK). Durch die Missachtung der Empfehlung entziehe sich der Staat bewusst der Möglichkeit der Erfüllung seiner Konventionspflichten.118 Allein die Tatsache, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung getroffen wurde, verpflichtet den Staat nicht dazu, eine bestimmte Maßnahme, etwa die Abschiebung, auszusetzen.119 Abgesehen vom Streit um die Befolgungspflicht gerät ein Staat, der sich über eine sol- 105 che vorläufige Anordnung des Gerichts hinwegsetzt, unter einen erheblichen Erklärungsdruck, da das Ministerkomitee120 von der Empfehlung informiert wird und er sich außerdem auf Anfrage des Gerichts hinsichtlich der Durchführung der empfohlenen Maßnahmen erklären muss (Art. 39 Abs. 2, 3 VerfO). Sollte später ein Konventionsverstoß festgestellt werden, würde dessen Verfestigung durch Missachtung der vorläufigen Anordnung als sehr schwerwiegend gewertet werden. Die Staaten sind daher auch schon bisher, von wenigen Ausnahmen abgesehen, solchen Empfehlungen nachgekommen. 6. Pilotverfahren. In einem Grundsatzurteil im Jahr 2004 hat der EGMR die sog. 106 Pilot Judgement Procedure entwickelt.121 Der Gerichtshof greift beim Pilotverfahren eine
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Nórgaard/Krüger FS Ermacora 109 ff.; Meyer-Ladewig Einl. 26; Villiger 202; vgl. aber auch Wittinger NJW 2001 1238, 1241 (nach Neuordnung der Gerichtsbarkeit liege Annahme der Verbindlichkeit nahe). Vgl. EGMR Cruz Varas u.a./S (Fn. 101); Conka u.a./B (E), 13.3.2001; zu den auch früher schon strittigen Fragen vgl. Frowein/ Peukert 1 Art. 25, 51; Rogge NJW 1977 1559, 1570; Oellers/Frahm EuGRZ 1991 197; differenzierend Macdonald ZaöRV 52 (1992) 703 (Bindung, wenn sonst Recht auf effektive Beschwerde hinfällig). Siehe auch IGH D/USA („La Grand“), 27.6.2001, EuGRZ 2001 387: Verpflichtung der USA zur Beachtung einstweiliger Anordnungen des IGH nach Art. 41 IGH-Statut. EGMR (GK) Mamatkulov u. Askarov/TRK (Fn. 41), § 128, wonach eine Auslieferung entgegen einer Empfehlung nach Art. 39 VerfO den Art. 34 EMRK verletzt („irrepar-
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able harm being caused“); dazu OellersFrahm EuGRZ 2003 689; Tams ZaöRV 63 (2003) 681; Frowein/Peukert Art. 35, 61 f.; Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 10; s.a. kürzlich EGMR (GK) Paladi/MOL, 10.3.2009, §§ 87 ff.; Ben Khemais/I, 24.2.2009; Grori/ALB, 7.7.2009; vgl. auch: EGMR Kübler/D, 13.1.2011, NJW 2011 3703 (Missachtung einer einstweiligen Anordnung des BVerfG als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) – Anwaltsnotarstelle. EGMR Al-Moayad/D (E), 20.2.2007, §§ 122 ff., NVwZ 2008 761. In der Resolution Res(80)9 hatte schon das Ministerkomitee des Europarates den Mitgliedstaaten empfohlen, solchen Ersuchen (damals von der EKMR) zumindest in Auslieferungssachen nachzukommen. Vgl. EGMR (GK) Broniowski/PL, 22.6.2004, ECHR 2004-V = NJW 2005
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EGMR Verfahren
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von mehreren anhängigen vergleichbaren Beschwerden heraus und stellt in einem „pilot judgement“ fest, dass die gerügte Konventionsverletzung auf einem strukturellen Problem des Vertragsstaates beruht, etwa auf einer bestimmten konventionswidrigen Rechtsprechung oder verwaltungsrechtlichen Praxis oder auf einer mit der Konvention unvereinbaren nationalen Norm. Der verurteilte Staat soll daraufhin ein effektives Rechtsmittel vorsehen, das für alle potenziellen Bf. offen steht, die aufgrund desselben Defizits in ihren Rechten nach der Konvention verletzt sind (Näheres bei Rn. 349).
V. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualbeschwerde 1. Vereinbarkeit des Beschwerdegegenstandes mit der EMRK (Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK)
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a) Zeitliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione temporis). Die Verbürgungen der EMRK und der ZP sind nicht anwendbar auf Ereignisse, die vor der Zeit liegen, in der die Konvention oder das ZP für den Staat, dessen Herrschaftsgewalt sie zugerechnet werden, rechtsverbindlich wurde.122 Die Zuständigkeit des EGMR ergibt sich dann auch nicht daraus, dass der Bf. ein Verfahren wegen der in Frage stehenden Handlungen angestrengt hat, das bei Beitritt noch nicht erledigt ist bzw. erst danach eingeleitet wird.123 Allerdings kann ein nationales Urteil selbst einen Verstoß gegen die Konvention darstellen, wenn es die vor Inkrafttreten der EMRK erfolgten Eingriffe bestätigt oder gutheißt.124 Auch die Vollstreckung eines vor dem Beitritt zur Konvention ergangenen Urteils eröffnet nicht den Anwendungsbereich der Konvention, sofern nicht darin eine sich täglich neu ereignende Konventionsverletzung zu sehen ist.125 Dauert eine Konventionsverletzung nach dem Inkrafttreten von EMRK oder ZP in 108 dem betreffenden Staat noch an, erstreckt sich die Überprüfung des Gerichtshofs nur auf die nach diesem Zeitpunkt liegenden Vorgänge.126 Die fortdauernde Konventionsverletzung ist aber von den Vorgängen zu unterscheiden, die auf einem vor Wirksamwerden der Konvention abgeschlossenen Rechtsakt beruhen, dessen Wirkungen fortdauern, wie etwa der Eigentumsentzug bei einer vollzogenen Enteignung.127 In der durch einen vor
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2521 = EuGRZ 2004 472 = ÖJZ 2006 130; Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Effektivierung des Beschwerdeverfahrens: Recommendation 1535 (2001) on structures, procedures and means of the European Court of Human Rights. Vgl. hierzu: Eschment Musterprozesse vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2011). Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 10; Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; EGMR (GK) Blecˇic´ /KRO (Fn. 55), § 70; (GK) Sˇilih/SLW, 9.4.2009, § 140; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 177 ff. m.w.N. EGMR (GK) Blecˇic´ (Fn. 55), §§ 77 ff. Grabenwarter § 17, 16.
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Vgl. EGMR De Becker/B, 27.3.1962, A 4 (lebenslange Beschränkung bestimmter Rechte, z.B. der Meinungsfreiheit, aufgrund strafrechtlicher Verurteilung); zur Abgrenzung vgl. Grabenwarter § 17, 17. Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; Grabenwarter § 17, 15. Vgl. etwa EGMR (GK) Maltzan (Freiherr von) u.a./D (E), 2.3.2005, ECHR 2005-I = NJW 2005 2530 = EuGRZ 2005 305 = DVBl. 2005 831 = NJ 2005 325 = ZOV 2005 150; (GK) Fürst Hans-Adam II von und zu Liechtenstein/D, 12.7.2001, ECHR 2001-VIII = NJW 2003 649 = EuGRZ 2001 466 = ÖJZ 2002 347 = VIZ 2003 174; dazu Faßbender EuGRZ 2001 459; anders dagegen, wenn nur das Eigentum faktisch entzogen wurde, vgl. etwa EGMR Papamicha-
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Verfahren EGMR
dem Beitritt erfolgten Eingriff geschaffenen Rechtslage wird keine neue Konventionsverletzung gesehen. Kommen dagegen nach dem Inkrafttreten einer Konventionsverbürgung neue, auch ihrerseits selbst konventionswidrige Handlungen hinzu, sind diese an der Konvention zu messen.128 Bei Ausscheiden eines Staates aus der Konventionsverantwortlichkeit (Kündigung) 109 fallen nur die Vorgänge, die vor dem Wirksamwerden des Ausscheidens liegen, unter die Konvention (Art. 58 Abs. 2 EMRK). Stichtag für die Geltung der EMRK im (alten) Bundesgebiet ist der 3.9.1953 (1. ZP- 110 EMRK: 13.2.1957;129 4. ZP-EMRK: 1.6.1968; 6. ZP-EMRK: 1.8.1989; 13. ZP-EMRK: 1.2.2005). Auf dem Gebiet der früheren DDR gilt die Konvention seit dem 3.10.1990. Für Deutschland noch nicht in Kraft getreten sind das 7. und 12. ZP-EMRK (beide gezeichnet). b) Örtliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione loci). Beschwerden bezüglich 111 solcher Handlungen, die außerhalb des territorialen Herrschaftsbereiches eines Konventionsstaats geschehen oder einen nicht seiner faktischen Herrschaftsgewalt i.S.d. Art. 1 EMRK unterstehenden Sachverhalt außerhalb seines Staatsgebiets betreffen, sind ratione loci nicht zulässig.130 Aber auch extraterritoriales Handeln kann die Verantwortlichkeit nach Art. 1 EMRK auslösen, wobei diese wiederum ihre Grenze in der souveränen Hoheitsgewalt des anderen Staates findet.131
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lopoulos u.a./GR, 24.6.1993, A 260-B = ÖJZ 1994 177; (GK) Loizidou/TRK, 18.12.1996, Rep. 1996-VI = EuGRZ 1997 555 = ÖJZ 1997 793; Grabenwarter § 17, 16; Meyer-Ladewig Art. 1 des 1. ZP-EMRK, 55; Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 10. Z.B. auch wenn Verstoß gegen Art. 2 EMRK nicht vom EGMR geprüft werden kann, weil der Tod kurz vor Inkrafttreten der EMRK eingetreten ist, der betroffene Staat aber der davon zu trennenden Verpflichtung aus derselben Konventionsbestimmung nicht nachkommt, die Ursachen für den Tod aufzuklären: EGMR (GK) Sˇilih/SLW (Fn. 122), §§ 153–163. Vgl. auch EGMR (GK) Varnava u.a./TRK, 18.9.2009, §§ 121 ff. = NJOZ 2011 519 ff. zur Aufklärung über das Schicksal verschwundener Personen nach türkischer Invasion Zyperns 1974: Der Gerichtshof war zwar zur Prüfung von den Ereignissen im Jahre 1974 ratione temporis nicht zuständig. Allerdings rügten die Bf. ,dass die türkischen Behörden es bislang unterlassen hätten, das Schicksal ihrer Angehörigen aufzuklären. Nach Ansicht des EGMR trifft den Staat auch dann diese Ermittlungspflicht, wenn der Betroffene vor Inkrafttreten der Konvention
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für den beklagten Staat verschwunden ist; vgl. insbesondere auch die Aufstellung im ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 184 ff. Etwa EGMR (GK) Fürst Hans-Adam II von und zu Liechtenstein/D (Fn. 127); vgl. Art. 1 des 1. ZP-EMRK. Vgl. EGMR Collmann/D (E), 3.4.2007, § 1; Öcalan/TRK, 12.3.2003, § 93, EuGRZ 2003 472 m. Anm. Kühne JZ 2003 670 u. Breuer EuGRZ 2003 449; EGMR (GK) Bankovic´ u.a./B u.a. (E), 12.12.2001, ECHR 2001-XII = NJW 2003 413 = EuGRZ 2002 133 (NATO-Einsatz im früheren Jugoslawien); vgl. hierzu: Ress ZEuS 2003 74, 80 ff.; zu den hier bestehenden Fragen vgl. auch Art. 1 EMRK Rn. 29 ff.; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 169 ff. Vgl. etwa EKMR Zypern/TRK (E), 10.7.1978, D.R. 13, 85; EGMR (GK) Loizidou/TRK (Fn. 127); Drozd u. Janousek/F u. E, 26.6.1992, A 240, § 91 (Mitwirkung französischer und spanischer Richter an der Gerichtsbarkeit in Andorra nicht ausreichend), hierzu: Husheer ZEuS 1998 389, 396; Rumpf EuGRZ 1991 199 ff.
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Zurechenbares extraterritoriales Handeln kann auch eine diplomatische oder konsularische Tätigkeit betreffen oder an Bord eines Flugzeugs oder Schiffes geschehen, das unter diesem Staat registriert ist.132 Bei militärischen Aktionen auf dem Territorium eines anderen Staates nimmt der 113 EGMR eine Verantwortlichkeit des militärisch handelnden Staates an, wenn dessen Organe (Streitkräfte) eine effektive Kontrolle über das fremde Hoheitsgebiet ausüben.133 Sind an den militärischen Aktionen mehrere Staaten beteiligt, muss der Bf. die einzelnen Verantwortlichkeiten, d.h. die Rolle und Arbeits-/Machtverteilung der einzelnen Staaten sowie die Kommandostrukturen beschreiben.134 Auch im Rahmen der internationalen Rechtshilfe kann sich das Problem stellen, 114 gegen wen eine Individualbeschwerde zu richten ist. Beschwerdegegner ist hier grundsätzlich der um die Vornahme einer Maßnahme ersuchte Vollstreckungsstaat. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt aber zusätzlich auch der ersuchende Staat als Beschwerdegegner in Betracht: Staaten sind für sämtliche Rechtshilfemaßnahmen verantwortlich, die ihren Organen zuzurechnen sind oder von ausländischen Amtsträgern mit ihrer Duldung auf ihrem Territorium ausgeführt werden. Umgekehrt lässt sich eine Verantwortlichkeit für eine ersuchte, im Ausland geleistete Rechtshilfe nicht allein aus der Tatsache herleiten, dass diese veranlasst wurde. Vielmehr ist eine Zurechnung nur dann möglich, wenn die Handlung vom ersuchenden Staat aus effektiv kontrolliert wird. Nach diesen Kriterien gelten als extraterritorial ausgeübte Hoheitsgewalt z.B. grenzüberschreitende Zeugeneinvernahmen (per Video- oder Telefonkonferenz), die Nacheile oder Telefonüberwachungen sowie der Einsatz gemeinsamer Ermittlungsgruppen.135 Auslieferung bzw. Ausweisung / Abschiebung sind keine Fälle extraterritorial ausge115 übter Hoheitsgewalt. Die Verantwortung eines Staates für die konventionswidrige Behandlung einer Person im Ausland kann aber dadurch begründet werden, dass der ausliefernde/ausweisende Staat die Person in die Gefahr einer konventionswidrigen Behandlung bringt, etwa dadurch, dass in dem Staat, an den ausgeliefert bzw. in den ausgewiesen werden soll, Folter oder eine unmenschliche Behandlung (Art. 3 EMRK) droht. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Person in einen Dritt(Nichtkonventions-)staat ausgeliefert bzw. ausgewiesen / abgeschoben werden soll oder ob der um Auslieferung ersuchende bzw. die Aufnahme akzeptierende Staat selbst an die EMRK gebunden ist.136 Der
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Vgl. Frowein/Peukert Art. 1, 4; EGMR (GK) Bankovic´ u.a./B u.a. (E) (Fn. 130), §§ 59–60, 67; vgl. hierzu: Ress ZEuS 2003 74, 80. EGMR Loizidou/TRK (Fn. 127); Zypern/ TRK, 10.5.2001, ECHR 2002-IV, §§ 76–81; (GK) Ilasçu u.a./MOL, R, 8.7.2004, ECHR 2004-VII, §§ 310 ff., 316 = NJW 2005 1849 = HRLJ 2004 332; Issa u.a./TRK, 16.11.2004, §§ 72 ff.; vgl. Heintze GYIL 2002 60, 65 ff.; abgelehnt im Falle eines Luftangriffs: EGMR (GK) Bankovic´ u.a./B u.a. (E) (Fn. 130); vgl. Frowein/Peukert Art. 1, 5 f. EGMR Hussein/ALB u.a. (E), 14.3.2006, NJW 2006 2971 = EuGRZ 2006 247; hierzu Art. 1 EMRK, Rn. 39 ff. In solchen Fällen steht auch die Zulässigkeit ratione personae in Frage.
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Vgl. hierzu Art. 11, 13, 18 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 des EU-Übereinkommens vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 197 v. 12.7.2000, S. 3); vgl. auch EGMR (GK) Öcalan/TRK, 12.5.2005, ECHR 2005-IV, §§ 83 ff. = EuGRZ 2005 463 = NVwZ 2006 1267; siehe auch OLG Rostock NStZ-RR 2010 340. Vgl. EGMR Soering/UK, 7.7.1989, A 161 = NJW 1990 2183 = EuGRZ 1989 314; Mamatkulov u. Abdurasulovic´ /TRK, 6.2.2003, EuGRZ 2003 704; Meyer-Ladewig Art. 1, 8; ausführlich unter Art. 3 EMRK Rn. 60 ff.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
EGMR knüpft für die Feststellung der Verantwortlichkeit des ausliefernden bzw. abschiebenden Staates an die Handlung an, die sich auf dessen Territorium vollzieht.137 Der die Auslieferung bzw. Ausweisung ersuchende Staat ist wiederum nur für die auf seinem Territorium stattfindenden staatlichen Maßnahmen verantwortlich; eine im Ausland aufgrund eines Auslieferungsersuchens erfolgte Freiheitsentziehung ist dem ersuchenden Staat daher grundsätzlich nicht zurechenbar.138 c) Sachliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione materiae).139 Unzulässig ratione 116 materiae sind Beschwerden, mit denen vom Schutzbereich der Konvention offensichtlich nicht erfasste Sachverhalte gerügt werden, z.B. weil sie kein in dieser selbst oder in einem ZP gewährleistetes Recht betreffen140 oder weil das betreffende Konventionsrecht den Staat als Beschwerdegegner nicht bindet, da dieser insoweit einen wirksamen Vorbehalt erklärt hat oder dem fraglichen ZP nicht beigetreten ist.141 Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Bf. spezifiziert, welche Konventionsrechte seiner Ansicht nach verletzt sind.142 d) Persönliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione personae).143 Tauglicher 117 Beschwerdegegenstand eines Verfahrens vor dem EGMR ist allein ein hoheitlich staatliches Handeln, also alle Handlungen staatlicher Behörden und Institutionen sowie Zustände, die durch staatliche Organe/Stellen aller drei Gewalten verursacht worden sind oder dem betreffenden Vertragsstaat wenigstens zugerechnet werden können. Die Beschwerde ist dementsprechend ratione personae unzulässig, wenn der Beklagte nicht Vertragspartei ist oder ihm das in Frage stehende Handeln nicht zuzurechnen ist. Der Gerichtshof prüft die Zulässigkeit nach diesem Merkmal von Amts wegen.144 Beschwerden gegen das Verhalten natürlicher Personen oder privater Organisationen 118 sind nicht statthaft. Sofern (auch) Private an einer eingriffsrelevanten Maßnahme beteiligt sind, ist für die Annahme staatlicher Verantwortlichkeit erforderlich, dass das private Handeln staatlich veranlasst ist oder gegenüber dem staatlichen Anteil oder Einfluss in den Hintergrund tritt.145 Angeknüpft werden kann sowohl an ein aktives Handeln als
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EGMR Soering/UK (Fn. 136); Parlanti/D (E), 26.5.2005; Keles/D, 27.10.2005 = FamRZ 2006 1351; Kaldik/D (E), 22.9.2005; Ghiban/D (E), 16.9.2004, NVwZ 2005 1046; ausführlich Art. 3 EMRK Rn. 30 ff. EGMR Elsner/A, 24.5.2011, § 137. Vgl. die Beispiele aus der Praxis der ehem. EKMR bei Villiger 109. Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316. Vgl. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 11; Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; IK-EMRK/Rogge Art. 34, 160 f.; Grabenwarter § 13, 45 f.; Villiger 103; siehe auch zur Unzulässigkeit ratione materiae wegen eines erklärten Vorbehalts: EGMR Shestjorkin/EST (E), 15.6.2000; Laaksonen/FIN, 12.4.2007, §§ 22 ff.; vgl. auch die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Nr. 1732 (2010) – Re-
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inforcing the effectiveness of Council of Europe treaty law –, in der die Parlamentarische Versammlung die Staaten dazu aufruft, zumindest die wichtigsten Zusatzprotokolle zu ratifizieren und möglichst alle Vorbehalte zurückzunehmen. EGMR Guzzardi/I, 6.11.1980, A 39, § 61 = NJW 1984 544 = EuGRZ 1983 633. Siehe ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 150 ff. m.w.N., mit dem Hinweis, dass viele Fallgruppen, die unter der örtlichen Unvereinbarkeit anzusprechen sind, auch hier von Bedeutung sind. ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 148. EGMR A/F, 23.11.1993, A 277-B = ÖJZ 1994 392 (telefonische Hörfalle); Stocké/D, 19.3.1991, A 199 (täuschungsbedingte Festnahme); zur Tatprovokation Art. 6 EMRK Rn. 249 ff.
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
auch an ein Unterlassen (Verstoß gegen eine Schutzpflicht). Auch im letzteren Fall kann das Verhalten Privater relevant werden, wenn der Konventionsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, eine (positive) Schutzpflicht zur Verhinderung des mit dem privaten Handeln verbundenen „Eingriffs“ in die Rechtssphäre des Betroffenen hat.146 Die Vertragsstaaten der EMRK dürfen auch durch den Abschluss internationaler Ver119 träge und der damit verbundenen Übertragung von Hoheitsrechten keine konventionswidrigen Zustände schaffen. Ist allerdings ein Handeln staatlicher Stellen effektiv einer internationalen Organisation zuzurechnen (z.B. den UN), die selbst nicht Vertragspartei der EMRK ist, so ist der EGMR ratione personae nicht zuständig.147 Auch Rechtsakte der EU konnten bisher nicht unmittelbar Beschwerdegegenstand 120 eines Verfahrens vor dem EGMR sein, obwohl die Grundrechte, wie sie sich aus der EMRK und aus den allgemeinen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bindungswirkung für die Union entfalten. Da die EU nicht Mitglied des Europarates ist und daher der EMRK bisher nicht beitreten konnte (vgl. Art. 59 Abs. 1 EMRK a.F.),148 ist sie bis zu einem nach dem Inkrafttreten des 14. P-EMRK am 1.6.2010 jetzt möglichen Beitritt nicht direkt an die EMRK, sondern an die durch die Rechtsprechung des EuGH – u.a. aus der (bis 2009 rechtlich formal unverbindlichen) EU-Charta der Grundrechte149 – entwickelten Unionsgrundrechte gebunden (siehe Teil I – Einf. Rn. 98 ff.).150 Wenden die EU-Mitgliedstaaten EU-Recht an bzw. führen sie dieses Recht aus, so 121 sind sie dabei an die Unionsgrundrechte gebunden. Die Überprüfung erfolgt durch den EuGH. Allerdings sind die Vertragsstaaten der EMRK nach der Matthews-Rechtsprechung des EGMR auch für Handlungen verantwortlich, die sie in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen oder im Zusammenhang mit solchen Verpflichtungen übernommen haben.151 Das gilt auch für die Mitgliedstaaten der EU, die als Mitglieder des
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EGMR Storck/D, 16.6.2005, ECHR 2005-V, §§ 102 ff. (staatliche Pflicht zur Überwachung psychiatrischer Anstalten); Craxi/I (Nr. 2), 17.7.2003 (Verhinderung der Veröffentlichung von TÜ-Mitschnitten durch die Presse); zum Problem staatseigener Unternehmen siehe ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 150. EGMR (GK) Behrami u. Behrami/F u. Saramati/F, D u. N (E), 2.5.2007 (KFOR-/ UNMIK-Einsatz im Kosovo), EuGRZ 2007 522 = NVwZ 2008 645; Galic´ /NL (E), 9.6.2009; Blagojevic´ /NL (E), 9.6.2009 (ICTY-Verfahren); kritisch hierzu Frowein/ Peukert Art. 1, 7; siehe auch Rudolf/ von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; siehe insbesondere ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 152–168. Ein solcher Beitritt der Union zur EMRK ist in Art. 59 Abs. 2 EMRK vorgesehen. ABlEG Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1 = EuGRZ 2000 554; zur Entstehungsgeschichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Calliess EuZW 2001
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261; Streinz/Ohler/Herrmann § 14 II. Durch den Vertrag von Lissabon ist die Charta nun verbindlich: ABlEU Nr. C 303 v. 14.12.2007; zu den Auswirkungen des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon vgl. Kokott/Sobotta EuGRZ 2010 265. Zur Bedeutung der Unionsgrundrechte: EuGH (GK) Rs. C-540/03 (Parlament/Rat), 27.6.2006 = NVwZ 2006 1033 ff. (Familienzusammenführung – Drittstaatangehörige); zu diesem Urteil: Lindner EuZW 2007 71 ff.; vgl. ferner: Schwarze NJW 2005 3459 ff.; Bröhmer EuZW 2006 71 ff.; Szczekalla NVwZ 2006 1019 ff. EGMR (GK) Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi//IR, 30.6.2005, ECHR 2005-VI, § 155 = NJW 2006 197, 202 = EuGRZ 2007 662; zur Bindung der EU-Mitgliedstaaten an die EMRK bei der Ausführung von Unionsrecht (früher: Gemeinschaftsrecht) und dessen Kontrolle am Maßstab der EMRK: EGMR S. A. Dangeville/F (E), 16.4.2002, ECHR 2002-III = EuGRZ 2007 671 (fehlerhafte
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
Europarates und Unterzeichner der EMRK (zusätzlich) unmittelbar an die Garantien der EMRK gebunden sind. Über eine „mitgliedstaatliche Anknüpfung“ ist also auch die Umsetzung und Ausführung von Unionsrecht auf nationaler Ebene durch den EGMR überprüfbar (siehe Teil I – Einf. Rn. 102). Unter bestimmten Voraussetzungen kann den Vertragsstaaten auf diese Weise sogar 122 konventionswidriges Handeln von Unionsorganen zugerechnet werden.152 Im Bosphorus-Urteil hob der EGMR hervor, dass der Schutz der Menschenrechte in einer der EMRK entsprechenden Art und Weise auch durch das Unionsrecht (früher: Gemeinschaftsrecht) gewährleistet sei, solange dieses nicht offensichtlich fehlerhaft erscheine (manifestly deficient). Ein Staat wird in der Regel also nicht gegen die Konvention verstoßen, wenn er zwingende Vorgaben des Unionsrechts umsetzt.153 Soweit den Mitgliedstaaten dabei aber ein (Beurteilungs- oder Ermessens-)Spielraum zukommt, prüft der EGMR die Maßnahme vollumfänglich am Maßstab der EMRK.154 2. Beschwerdeführer a) Parteifähigkeit. Der Gerichtshof kann von jeder natürlichen Person im Wege der 123 Individualbeschwerde angerufen werden (Art. 34 EMRK), sofern sie – wenigstens zum Zeitpunkt der Verletzung – der Hoheitsgewalt des Staates unterliegt, gegen den sich die Beschwerde richtet. Parteifähig sind danach nicht nur die Staatsangehörigen (unabhängig vom Alter 155 oder ihrer Geschäftsfähigkeit 156), sondern auch Ausländer 157 und Staatenlose.158 Einschränkungen des persönlichen Schutzgehaltes der EMRK ergeben sich allerdings 124 mittelbar aus den einzelnen durch die Konvention garantierten Freiheitsrechten, sowie aus den Grundsätzen zur Beschwerdebefugnis (Rn. 129 ff.). Ob auch der Nasciturus parteifähig ist, hängt davon ab, ob man ihn als Träger des Rechts auf Leben ansieht (Näheres dazu bei Art. 2 EMRK Rn. 7).159 Die Parteifähigkeit endet mit dem Tod des
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RiL-Umsetzung als Verstoß gegen Art. 1 des 1. ZP-EMRK); (GK) Matthews/UK, 18.2. 1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 3107 = EuGRZ 1999 200 = ÖJZ 2000 34 = JBl 1999 590 (Gewährleistung von Wahlen zum EP); (GK) Senator Lines GmbH/A u.a. (E), 10.3.2004, ECHR 2004-IV = NJW 2004 3617 = EuGRZ 2004 279 = ÖJZ 2004 613 (Vollstreckung aus angefochtenem Bußgeldbescheid der Europäischen Kommission). Hierzu ausführlich: Breuer EuGRZ 2005 229 ff. mit Bezug auf: EGMR Emesa Sugar N.V./NL, 13.1.2005, EuGRZ 2005 234; in diese Richtung auch: Jaeger EuGRZ 2005 193, 198. EGMR (GK) Bosphorus/IR (Fn. 151), §§ 155 f. Zur gesamten Problematik: Schäfer Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Europäisches Gemeinschaftsrecht und dessen Vollzug – Verantwortlichkeit und Haftung der Mitgliedsstaaten (2006).
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EGMR (GK) Bosphorus/IR (Fn. 151), § 157: „Ein Staat bleibt aber nach der Konvention weiterhin voll verantwortlich für sein Handeln außerhalb seiner engen völkerrechtlichen Verpflichtungen.“ EGMR (GK) V/UK, 16.12.1999, ECHR 1999-IX = HRLJ 1999 459 (11-Jähriger). EGMR Storck/D (Fn. 146); Zehentner/A, 16.7.2009, §§ 36 ff., ÖJZ 2010 92 (auch gegen den Willen des Betreuers). Z.B. EGMR Twalib/GR, 9.6.1998, ECHR 1998-IV = ÖJZ 1999 390 (Tansanier). Frowein/Peukert Art. 34, 13. Dafür: Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 39; offen gelassen bei: EGMR Open Door and Dublin Well Woman/IR, 24.3.1992, A 246-A = NJW 1993 773 = EuGRZ 1992 484 = ÖJZ 1993 280; (GK) Vo/F, 8.7.2004, ECHR 2004-VIII, § 85 = NJW 2005 727 = EuGRZ 2005 568.
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EGMR Verfahren
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Bf., wobei die Beschwerde aber von den Erben oder nahen Verwandten fortgesetzt werden kann, wenn insoweit ein berechtigtes Interesse besteht oder die Beschwerde allgemeine Bedeutung hat (siehe Rn. 133 f.).160 Nichtstaatliche Organisationen und Personengruppen können die Verletzung eines in 125 der Konvention niedergelegten Rechtes geltend machen, wenn und solange161 dieses Recht seinem Wesen nach auf sie anwendbar ist.162 Nach dieser Maßgabe jedenfalls parteifähig sind juristische Personen des Privatrechts (z.B. Verein, AG, GmbH) und Personengesellschaften (z.B. OHG, KG), unabhängig von ihrer inneren Organisation oder ihrem Sitz.163 Auch privatrechtlich organisierte Kirchen sind solche „nichtstaatlichen Organisationen“.164 Auf die Rechtsfähigkeit nach nationalem Recht kommt es nicht an;165 selbst nach ihrer Auflösung bleiben diese nichtstaatlichen Organisationen parteifähig,166 da sonst die Vertragsstaaten die Beschwerdeberechtigung beeinflussen könnten. Nicht parteifähig sind dagegen alle staatlichen Stellen oder Organisationen, (Gebiets-) 126 Körperschaften, Anstalten und sonstige hoheitlich Tätige (Beliehene) sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, auch wenn sie in privatrechtlichen Organisations- und Handlungsformen agieren. Entscheidendes Kriterium ist dabei, ob die in Frage stehende Organisation öffentliche Gewalt ausübt. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn sie den Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung Rechnung tragen soll, die Mitglieder durch allgemeine Wahlen bestellt werden und sie sich aus dem allgemeinen Haushalt durch Zuweisungen finanziert. Zudem sprechen bestimmte Befugnisse einer Organisation für ihren öffentlich-rechtlichen Charakter, etwa das Recht, Enteignungen vorzunehmen, Verordnungen zu erlassen oder Verstöße gegen Normen zu sanktionieren.167 Ausnahmen bestehen für solche Einrichtungen, die dem Staat zwar organisatorisch zugeordnet sind, aber diesem in einem bestimmten grundrechtlich geschützten Bereich, dessen Verwirklichung sie dienen, wie Private gegenüber stehen, wie etwa Rundfunkanstalten, Kirchen oder Universitäten.168
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b) Prozess-/Verfahrensfähigkeit. Weder die EMRK noch die Verfahrensordnung (Rules of Court) stellen formal besondere Anforderungen an die Fähigkeit des Bf., selbst Verfahrenshandlungen vornehmen zu können. Sie wird im Interesse eines effektiven Menschenrechtsschutzes großzügig gehandhabt und hängt daher insbesondere nicht von
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Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 39; Frowein/ Peukert Art. 34, 15; vgl. etwa EGMR (GK) Varnava u.a./TRK (Fn. 128): Es könne offen bleiben, ob die verschwundenen Personen als Bf. anzusehen sind, da jedenfalls ihre Angehörigen Beschwerde nach der Konvention erheben konnten. Insbesondere nach ihrer Auflösung. Dies ist bereits eine Frage ihrer Parteifähigkeit, nicht ihrer Beschwerdebefugnis; siehe Beispiele bei Frowein/Peukert Art. 34, 18. EGMR Valico S.r.l./I (E), 21.3.2006, ECHR 2006-III (Bußgeld für baurechtswidriges Handeln). EKMR Scientology Kirche Deutschland e.V./D (E), 7.4.1977.
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Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 40. EGMR (GK) United Communist Party of Turkey u.a./TRK, 30.1.1998, Rep. 1998-I, § 33. Vgl. EGMR Dös¸emealti Belediyesi/TRK (E), 23.10.2010, NVwZ 2011 479. Ehlers Jura 2000 372, 376; Ehlers/Schoch/ Kadelbach § 5, 40; vgl. auch: Grabenwarter § 13, 10 unter Hinweis auf EGMR Radio France/F (E), 23.9.2003, ECHR 2003-X, § 26; Österreichischer Rundfunk/A, 7.12. 2006, §§ 46 ff., ÖJZ 2007 472; bezüglich Kirchen siehe EGMR The Holy Monasteries/GR, 9.12.1994, A 301-A, §§ 48 f. = ÖJZ 1995 428 = HRLJ 1995 30; sowie Frowein/Peukert Art. 34, 18.
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der Geschäftsfähigkeit nach dem jeweiligen nationalen Recht ab.169 Minderjährige170 oder Entmündigte / Betreute171 können sich selbst an den Gerichtshof wenden oder sich durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen.172 Dabei kommt es auch nicht auf das Sorgerecht an.172 c) Postulationsfähigkeit. Für das Verfahren vor dem EGMR besteht kein allgemeiner 128 Anwaltszwang. Erst in der mündlichen Verhandlung muss der Bf. (regelmäßig174) vertreten sein (Art. 36 Abs. 3 VerfO). Parteifähige Personen oder Personengruppen können die Beschwerde daher selbst oder durch einen (gewählten) Vertreter (representative) einreichen, wobei es in diesem Stadium des Verfahrens keinerlei Vorgaben oder Einschränkungen hinsichtlich der als Vertreter in Betracht kommenden Personen gibt (Art. 36 Abs. 1 VerfO). Ausnahmsweise kann auch eine nach nationalem Recht nicht vertretungsberechtigte bzw. nicht vom Bf. zu einer Vertretung autorisierte Person vor dem Gerichtshof im Namen einer anderen Person auftreten, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass dem EGMR die Interessen dieser Person sonst nicht zur Kenntnis gebracht werden und der Bf. eine besondere persönliche oder sachliche Nähe (standing) zur Geltendmachung dieser Interessen besitzt.175 Zum Nachweis der Vertretungsmacht siehe Rn. 183. d) Beschwerdebefugnis / Opfereigenschaft. Jede parteifähige Person, nichtstaatliche 129 Organisation oder Personengruppe muss geltend machen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem in der EMRK oder in einem ihrer ZP anerkannten Recht durch ein staatliches Handeln oder Unterlassen verletzt zu sein (Art. 34 EMRK); sonst ist die Beschwerde ratione personae unzulässig. Selbstbetroffenheit. Ausgeschlossen ist die Geltendmachung fremder Rechte im eige- 130 nen Namen (Prozessstandschaft; Verbandsklage) und solcher Rechte, die lediglich der Allgemeinheit oder einer nicht abgrenzbaren Personenmehrheit zugeordnet sind (actio popularis).176 Auch eine als Bf. auftretende (parteifähige) Personengruppe oder Vereinigung muss 131 die Verletzung eigener Rechte behaupten, nicht die ihrer Mitglieder. Konventionsrechte, die einem Zusammenschluss nicht auch selbst zustehen, also solche, die nur ein Einzelner als Person innehaben kann, kann er weder für sich selbst noch im Namen seiner Mitglieder geltend machen.177 Bei Maßnahmen gegen ein Wirtschaftsunternehmen können Mit-
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Etwa EGMR Marckx/B, 13.6.1979, A 31 = NJW 1979 2449 = EuGRZ 1979 454 = FamRZ 1979 903; Frowein/Peukert Art. 34, 20; Delvaux in: Maier (Hrsg.), Menschenrechtsschutz 40. EGMR Marckx/B (Fn. 169); (GK) Scozzari u. Giunta/I, 13.7.2000, ECHR 2000-VIII = ÖJZ 2002 74; Haase/D (E), 12.2.2008. EGMR Winterwerp/NL, 24.10.1979, A 33 = EuGRZ 1979 650. EGMR Petersen/D (E), 6.12.2001, ECHR 2001-XII = NJW 2003 1921 = EuGRZ 2002 32 = FamRZ 2002 1017 = ÖJZ 2003 114. EGMR (GK) Scozzari u. Giunta/I (Fn. 170), § 138. Der Kammervorsitzende kann Ausnahmen zulassen und dem Bf. gestatten, seinen Fall
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selbst zu präsentieren, falls notwendig unter dem Vorbehalt, sich von einem Anwalt oder einem anderen zugelassenen Vertreter unterstützen zu lassen (Art. 36 Abs. 3 VerfO). EGMR Haase/D, 8.4.2004, ECHR 2004-III, § 120 = NJW 2004 3401; Petersen/D (Fn. 172). So z.B. EGMR (GK) Ilhan/TRK, 27.6.2000, ECHR 2000-VII, § 52; Renolde/F, 16.10. 2008; (GK) Burden/UK, 29.4.2008, § 33, NJW-RR 2009 1606; (E) L. Z./SLO, 27.9.2011. Ebenso: Kleine-Cosack 1328; a.A. Peters 238; siehe auch EGMR Noack u.a./D (E), 25.5.2000, ECHR 2000-VI = NVwZ 2001 307 = LKV 2001 69; Fairfield u.a./UK (E), 8.3.2005, ECHR 2005-VI.
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eigentümer bzw. Gesellschafter Opfer sein, wenn sie in ihren Vermögensverhältnissen unmittelbar beeinträchtigt sind.178 Bei juristischen Personen sind in der Regel nur diese selbst beschwert und nicht ihre Teilhaber (Aktionäre).179 Eine natürliche Person kann darüber hinaus behaupten, selbst Opfer eines Konventionsverstoßes zu sein, wenn sich das betreffende nationale Verfahren (nur) gegen eine Vereinigung gerichtet hat, deren Zweck und Aufgabe es war, die Interessen der unmittelbar hinter ihr stehenden Mitglieder zu vertreten.180 Auf eine Selbstbetroffenheit der als Bf. auftretenden Person verzichtet der EGMR, wenn die Beschwerde Verstöße gegen das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) oder das Verbot der Folter und erniedrigenden/unmenschlichen Behandlung oder Strafe (Art. 3 EMRK) betrifft. In dieser Konstellation kann ein naher Angehöriger der (getöteten) Person im eigenen Namen die Beschwerde einlegen und die Verletzung der (fremden) Rechte des von einer staatlichen Maßnahme Betroffenen geltend machen.181 Diese Konstellation ist allerdings nicht verallgemeinerungsfähig.182 Verstirbt eine Person nach Abschluss des gegen sie geführten Strafverfahrens, so kann ein naher Angehöriger mangels Selbstbetroffenheit (not personally affected) nicht die mangelnde Fairness des (gegen seinen Sohn geführten) Strafverfahrens rügen (Art. 6 Abs. 1 EMRK).183 Grundsätzlich muss die im Beschwerdeformular als Bf. genannte Person diejenige sein, die von einer staatlichen Maßnahme unmittelbar und in eigener Person betroffen ist (directly affected by the measure complained of ). Die das Verfahren betreibende Person sollte als ihr Vertreter (representative) auftreten. Davon zu unterscheiden ist eine (unmittelbare) Mitbetroffenheit von Personen, die nicht der Adressat einer staatlichen Maßnahme sind, aber zumindest durch deren Folgen in ihrer eigenen Person betroffen werden (z.B. Tod, Misshandlung, Unauffindbarkeit eines nahen Angehörigen). Diese Personen machen als mittelbare Opfer letztlich eine eigene Beschwer geltend und können sich daher im eigenen Namen an den Gerichtshof wenden, wenn die Folgen der Maßnahme eine gewisse Schwere aufweisen und die von ihnen betroffenen Personen ein anerkennenswertes Interesse an der Überprüfung der Maßnahme durch den EGMR plausibel darlegen (siehe auch Rn. 138 ff., 147 f.).184
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Meyer-Ladewig Art. 34, 19. Vgl. Meyer-Ladewig Art. 34, 19; beachte aber die Ausnahme der sich in Liquidation befindlichen, selbst nicht mehr handlungsfähigen GmbH: EGMR G.J./LUX, 26.10.2000. EGMR Gorraiz Lizarraga u.a./E, 27.4.2004, ECHR 2004-III. Vgl. auch: Greenpeace e.V. u.a./D (E), 12.5.2009 (Opfereigenschaft des e.V. offen gelassen bzgl. Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 8 EMRK – staatlicher Gesundheitsschutz – Feinstaubfilter). EGMR (GK) Ilhan/TRK (Fn. 176), §§ 49–54 (Beschwerde unter eigenem Namen für Bruder); bestätigt durch: EGMR Fairfield u.a./UK (E) (Fn. 177); Renolde/F (Fn. 176); vgl. aber auch: EGMR Brudnicka u.a./PL, 3.3.2005, ECHR 2005-II (Be-
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schwerde des Erben bezüglich fehlender Unabhängigkeit eines Gerichts, das über zivilrechtlichen Anspruch des Erblassers entschieden hat); Y.F./TRK, 22.7.2003, ECHR 2003-IX (zwangsweise gynäkologische Untersuchung – Art. 8 EMRK); siehe weitere Beispiele im ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 29. EGMR Poznanski u.a./D (E), 3.7.2007, NJW 2009 489 = EuGRZ 2008 599. EGMR Direkci/TRK (E), 3.10.2006. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 45; EGMR Grams/D (E), 5.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 1989 (Tod eines Terrorverdächtigen bei Festnahmeversuch/Eltern); Çakici/ TRK, 8.7.1999, ECHR 1999-IV, § 80 = ÖJZ 2000 474.
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Unmittelbarkeit. Ein Schaden muss durch die staatliche Maßnahme nicht eingetreten sein.185 Entscheidend ist allein die unmittelbare Betroffenheit des Bf. durch die Maßnahme. Unmittelbarkeit liegt auch dann vor, wenn die in das Recht eingreifende Maßnahme bestandskräftig angeordnet, aber noch nicht vollzogen ist.186 Gesetzliche Regelungen begründen für sich allein in der Regel noch keine unmittelbare Betroffenheit; diese tritt erst mit dem direkten behördlichen Eingriff durch einen Vollzugsakt ein. Ausnahmsweise kann jedoch die Gesetzeslage über das abstrakte und virtuelle Betroffensein hinaus den Bf. in der Ausübung eines Konventionsrechts bereits unmittelbar beeinträchtigen (self-executing). Dies kann der Fall sein bei ihn betreffenden Statusregelungen187 oder bei Regelungen, die in sein Recht auf private Lebensgestaltung bereits unmittelbar eingreifen, so dass ihm nicht zugemutet werden kann, vor einer Beschwerde gegen die Regelung zu verstoßen und erst ein innerstaatliches Verfahren, etwa ein Strafverfahren, hinzunehmen, wobei dann darzulegen ist, warum und worin der Bf. individuell betroffen ist.188 Erfordert der Schutz eines Konventionsrechts, dass der Staat entsprechende Gesetze erlässt, kann derjenige, der dadurch in seinen Rechten konkret beeinträchtigt ist, sich auch gegen eine in der Untätigkeit liegende Verletzung der staatlichen Schutzpflicht mit der Beschwerde wenden.189 Gegenwärtige Betroffenheit. Der Bf. muss darüber hinaus behaupten, gegenwärtig – d.h. schon, im Moment bzw. noch während des gesamten Verfahrens in einem eigenen, ihm durch die Konvention oder eines ihrer ZP garantierten Recht verletzt zu sein.190 Dass ein Gesetz nur vorläufige Auswirkungen hat, genügt.191 Ausnahmsweise kann es auch genügen, wenn ein (potentielles) Opfer eine künftige mögliche Verletzung geltend macht, sofern es dem Bf. nicht zuzumuten ist, den Vollzug der Maßnahme abzuwarten (z.B. im Fall der drohenden Auslieferung).192 In den besonderen Fällen einer Ausweisung von Ausländern hat der Gerichtshof allerdings durchweg entschieden, dass ein Bf. nicht geltend machen kann, er sei „Opfer“ einer Ausweisungsentscheidung, wenn diese nicht vollziehbar ist.193 Gleiches gilt für Fälle, in denen eine 185 186
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EGMR (GK) Brumarescu/RUM, 28.10.1999, ECHR 1999-VII, § 50. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 42; Frowein/ Peukert Art. 34, 23; Grabenwarter § 13, 14; IK-EMRK/Rogge Art. 34, 266; Villiger 149. So etwa über die Rechtsstellung unehelicher Kinder: EGMR Marckx/B (Fn. 169). EGMR Marckx/B (Fn. 169); Dudgeon/UK, 22.10.1981, A 45 = NJW 1984 541 = EuGRZ 1983 488; Johnston/IR, 18.12.1986, A 112 = EuGRZ 1987 313; Norris/IR, 26.10.1988, A 142 = EuGRZ 1992 477 = ÖJZ 1989 628; Lüdi/CH, 25.6.1992, A 238 = NJW 1992 3088 = StV 1992 499 = EuGRZ 1992 300 = ÖJZ 1992 843; Open Door and Dublin Well Woman/IR (Fn. 159); Modinos/ZYP, 22.4.1993, A 259 = ÖJZ 1993 821; Amuur/F, 25.6.1996, Rep. 1996III = EuGRZ 1996 584 = ÖJZ 1996 956 = NVwZ 1997 1102 = InfAuslR 1997 49; (GK) Balmer-Schafroth u.a./CH, 26.8.1997, Rep. 1997-IV = EuGRZ 1999 183 = ÖJZ
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1998 436 = RdU 1997 188; Skender/MAZ (E), 10.3.2005. Auch das HRC lässt die Individualbeschwerde nach Art. 2 FP-IPBPR zu, wenn das Risiko, eine Beeinträchtigung zu erfahren, mehr als nur eine theoretische Möglichkeit darstellt: HRC AumeeruddyCziffra u.a./Mauritius, 9.4.1981, 35/1978, EuGRZ 1981 391; vgl. Nowak Art. 2 FP-IPBPR, 6; Tardu FS Partsch 287, 294. EGMR Marckx/B (Fn. 169); X u. Y/NL, 26.3.1985, A 91 = NJW 1985 2075 = EuGRZ 1985 297; vgl. auch Villiger 176. Siehe anstelle vieler EGMR (GK) Scordino/I (Nr. 1), 29.3.2006, ECHR 2006-V, § 179 = NJW 2007 1259 = ÖJZ 2007 382. EGMR Monnat/CH, 21.9.2006, ECHR 2006-X, § 33 = NJW-RR 2007 1524. Frowein/Peukert Art. 34, 23. EGMR Vijayanathan u. Pusparajah/F, 27.8.1992, A 241-B = ÖJZ 1993 101; Pellumbi/F (E) 18.1.2005; Etanji/F (E), 1.3. 2005; (GK) Sisojeva u.a./LET (Fn. 41), § 93.
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Ausweisungsanordnung unbefristet ausgesetzt worden war oder auf andere Weise ihre rechtliche Wirkung verloren hatte und die Entscheidung, mit der Abschiebung fortzufahren, vor den zuständigen Gerichten angefochten werden konnte.194 Gegenwärtig ist eine Person als potentielles Opfer einer staatlichen Maßnahme auch 140 dann betroffen, wenn sie zwar nicht nachweisen kann, Opfer einer Konventionsverletzung geworden zu sein, wie etwa bei geheimen staatlichen Maßnahmen der Kommunikations- oder Postüberwachung, sie aber eine diesbezügliche Wahrscheinlichkeit aufzeigt. Allein der Verdacht oder die Vermutung genügt jedoch nicht, um die Opfereigenschaft zu begründen.195 Wegfall der Opfereigenschaft. Die Konventionsverletzung muss den Bf. in irgendeiner 141 Form auch noch nach Einlegung der Beschwerde beschweren. Ein (bleibender) Schaden braucht ihm daraus nicht erwachsen zu sein.196 Ob ein Bf. tatsächlich aufgrund einer konventionswidrigen Maßnahme in eine ungünstige Lage geraten ist, ist für Art. 34 EMRK unerheblich.197 Die Erledigung der staatlichen Maßnahme durch ihren Vollzug beseitigt nicht unbedingt die sog. Opfereigenschaft des Betroffenen, auch wenn in Zukunft keine erneute gleichartige Beeinträchtigung zu erwarten ist.198 Die Beschwerde ist bzw. wird aber regelmäßig unzulässig, wenn die Beschwer durch die Maßnahme innerstaatlich bereits vollständig behoben ist. Bei nachträglichen Maßnahmen zur innerstaatlichen Kompensation einer eingetrete142 nen und als solcher nicht mehr reparablen Konventionsverletzung ist zusätzlich zur vollständigen Aufhebung sämtlicher mit dem Konventionsverstoß verbundenen (behebbaren) Nachteile („appropriate redress for the breach“) Voraussetzung für einen Wegfall der Opfereigenschaft, dass der beklagte Staat den Verstoß in eindeutiger Weise eingesteht („acknowledge in a sufficiently clear way“).199 Dies kann entweder durch ausdrückliche Erklärung („admission of liability“) – öffentlich bzw. individuell gegenüber dem Bf. – oder konkludent, der Sache nach („in substance“) erfolgen;200 so etwa, wenn dies in einem Verfahren geschieht, in dem dem Betroffenen ausdrücklich eine angemessene Entschädigung für eine konventionswidrige Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zuerkannt wird.201 Auch eine in jeder Hinsicht angemessene staatliche finanzielle Entschädigung als Ausgleich für einen eingetretenen materiellen bzw. immateriellen Schaden
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EGMR Kalantari/D (Fn. 90); Andric/S (E), 23.2.1999; Benamar u.a./F (E), 14.11.2000; Djemailji/CH (E), 18.1.2005; Yildiz/D (E), 13.10.2005; (GK) Sisojeva u.a./LET (Fn. 41), § 93. EGMR Klass u.a./D, 6.9.1978, A 28 = NJW 1979 1755 = EuGRZ 1979 278; Malone/ UK, 2.8.1984, A 82 = EuGRZ 1985 17; (GK) Rotaru/RUM, 4.5.2000, ECHR 2000-V = ÖJZ 2001 74; (GK) Senator Lines GmbH/A u.a. (E) (Fn. 151); Grabenwarter § 13, 16. EGMR Eckle/D, 21.6.1983, A 65 = EuGRZ 1983 553; Eckle/D, 15.7.1982, A 51, § 66 = EuGRZ 1983 371; Corigliano/I, 10.12.1982, A 57 = EuGRZ 1985 585; De Jong u.a./NL, 22.5.1984, A 77 = EuGRZ 1985 700; (GK) Burden/UK (Fn. 176), § 33; Frowein/Peukert Art. 34, 22.
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EGMR Krumpholz/A, 18.3.2010, NZV 2011 147 (Nachweis über Bezahlung einer Geldbuße unerheblich). Frowein/Peukert Art. 34, 43 f. EGMR Chevrol/F, 13.2.2003, ECHR 2003-III, §§ 30 f.; Koç u. Tambas¸ /TRK (E), 24.2.2005; Freimanis u. Lı¯dums/LET, 9.2.2006, §§ 66 f. EGMR Rechachi u. Abdelhafid/UK (E), 10.6.2003; (GK) Dalban/RUM, 28.9.1999, ECHR 1999-VI, § 44; Haase/D (Fn. 175), § 69; Eckle/D (Fn. 196), § 66; Lüdi/CH (Fn. 188); Amuur/F (Fn. 188); (GK) Rotaru/RUM (Fn. 195); siehe weitere Beispiele im ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 36 ff. EGMR (GK) Labita/I, 6.4.2000, ECHR 2000-IV; vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 384; Meyer-Ladewig Art. 34, 30.
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führt nur dann zum Wegfall der Opfereigenschaft des Betroffenen, wenn damit (auch) ein staatliches Eingeständnis des Konventionsverstoßes verbunden ist.202 Allgemeine staatliche Maßnahmen (general measures) zur Vermeidung vergleichbarer Konventionsverstöße in der Zukunft reichen dazu allein grundsätzlich nicht aus.203 Ebenso führt nicht jede für den Bf. günstige Entscheidung automatisch dazu, dass er seine Opfereigenschaft verliert. Welche innerstaatlichen Abhilfemaßnahmen die individuelle Beschwer beseitigen, hängt nicht zuletzt von der Art des verletzten Konventionsrechts und der (spezifischen) Wirkung der staatlichen Maßnahme ab, die den Verstoß beenden oder ihn ausgleichen soll.204 Eine Wiedergutmachung für Verletzungen von Art. 3 EMRK (Folter/unmenschliche Behandlung) erfordert nach den Vorgaben des EGMR zum einen, dass effektive und sorgfältige Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchgeführt werden, die auch geeignet sind, die für den Konventionsverstoß Verantwortlichen einer strafrechtlichen Verurteilung und angemessenen Bestrafung zuzuführen. Darüber hinaus ist eine finanzielle Entschädigung zu zahlen, sofern dies erforderlich ist; zumindest muss aber die effektive Möglichkeit (Zugänglichkeit und angemessene Dauer des Verfahrens) bestehen, eine solche Entschädigung für die Folgen einer im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehenden Behandlung zu erlangen.205 Die Zahlung einer Entschädigung allein führt niemals dazu, dass eine Person ihre Opfereigenschaft aus Art. 3 EMRK verliert.206 Die Opfereigenschaft eines Angeklagten, dessen Verteidigungsrechte (Art. 6 EMRK) verletzt wurden, entfällt in der Regel, wenn dieser freigesprochen wird 207 und der aufgetretene Verfahrensmangel keine weiterhin vorhandene „separate“ Beschwer begründet, ebenso durch die nachträgliche Überprüfung und Aufhebung eines konventionswidrigen Strafurteils (ggf. mit Ansetzung einer Neuverhandlung der Sache unter Einhaltung der Konvention),208 nicht aber durch die Aufhebung eines Urteils und die Löschung der Verurteilung im Vorstrafenregister, wenn der Vertragsstaat den Konventionsverstoß in keiner Weise offiziell eingestanden hat.209 Von besonderer praktischer Relevanz ist der Wegfall der Opfereigenschaft bei der Geltendmachung einer unangemessenen Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Herabsetzung der Strafe wegen überlangen Verfahrensdauer lässt allein den Status als 202
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In diesem Punkt ist die Straßburger Rechtsprechung nicht immer widerspruchsfrei: EGMR Vladimir Romanov/R, 24.7.2008; Cataldo/I (E), 3.6.2004, ECHR 2004-VI (Verfahrensdauer); Morsink/NL, 11.5.2004; Timofeyev/R, 23.10.2003; vgl. aber auch: EGMR Hay/UK (E), 17.10.2000, ECHR 2000-XI. EGMR Poleshchuk/R, 7.10.2004. Frowein/Peukert Art. 34, 33; vgl. aber Peukert EuGRZ 1979 261, 262; vgl. auch nachstehende Fußnote. Vgl. zunächst EGMR Gäfgen/D, 30.6.2008, §§ 77 ff. = NStZ 2008 699 = EuGRZ 2008 466 (Wegfall der Opfereigenschaft wegen erfolgter Verurteilung der für verbotene Vernehmungsmethoden verantwortlichen Polizisten und deren innerbehördlicher Versetzung sowie Nichtverwertung der gewonn-
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nen Aussagen des Betroffenen); dagegen aber die erhöhten Anforderungen (angemessene Bestrafung) der Großen Kammer: EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 95), §§ 120–130; vgl. auch Villiger 150; ferner Art. 6 EMRK Rn. 952 ff. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 95), §§ 116–119. Vgl. etwa EGMR Holzinger/A (Nr. 1), 30.1.2001, ECHR 2001-I = ÖJZ 2001 478; (GK) Senator Lines GmbH/A u.a. (E) (Fn. 151) vom EuG aufgehobene Geldbuße; Frowein/Peukert Art. 34, 31; Villiger 150. EGMR Streciwilk/PL (E), 19.9.2000, § 2; Arrigo u. Vella/MLT (E), 10.5.2005; etwas anderes gilt aber dann, wenn die Verurteilung weiterhin in einem Register als Vorstrafe eingetragen bleibt: EGMR Posokhov/R (E), 9.7.2002. EGMR Posokhov/R (E) (Fn. 208).
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Opfer i.S.d. Art. 34 EMRK nicht entfallen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die nationalen Gerichte (erstens) die Unangemessenheit der Verfahrensdauer in hinreichend klarer Weise anerkennen und (zweitens) diesen Konventionsverstoß durch eine ausdrückliche, messbare und vor allem angemessene Strafmilderung bzw. Anrechnung auf die Vollstreckungszeit bzw. durch eine Verfahrenseinstellung kompensieren.210 Auch eine angemessene Entschädigung kann in solchen Fällen zum Wegfall der Opfereigenschaft führen.211 Dieselben Grundsätze gelten bei der Wiedergutmachung einer unangemessen langen Untersuchungshaft (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK). Voraussetzung für den Wegfall der Beschwer ist auch hier, dass im abschließenden Urteil dargelegt wird, in welchem Umfang diese Feststellung eine messbare Minderung der verhängten Strafe bewirkt hat.212 Stirbt der unmittelbar Verletzte bevor oder nachdem eine andere Person die Be147 schwerde im Namen des tatsächlichen Opfers eingereicht hat, ist diese nicht automatisch mangels gegenwärtiger Beschwer unzulässig.213 Der (gesetzliche) Erbe, ein (naher) Verwandter (close relative) 214 und der Ehegatte können im Namen des Verletzten das Verfahren fortsetzen bzw. einleiten. Voraussetzung ist stets, dass die im Namen des verstorbenen Verletzten (Opfer) handelnde Person ein berechtigtes Interesse am Fortgang215 bzw. an der Einleitung des Verfahrens216 hat. Darüber hinaus soll bei Beschwerden, die erst nach dem Tod des Opfers eingereicht werden, von Bedeutung sein, ob es sich bei dem Beschwerdegegenstand um eine Sache von Allgemeininteresse handelt, z.B. weil eine bestimmte Gesetzeslage oder das Rechtssystem als Ganzes in Frage steht.217 Der EGMR hält sich außerdem in Ausnahmefällen für befugt, Beschwerden nach dem 148 Tod des Bf. selbst bei Fehlen eines zur Fortführung des Verfahrens Berechtigten nicht nach Art. 37 Abs. 1 lit. a EMRK im Register zu streichen, sondern sie weiterzuführen, wenn eine wichtige Frage von allgemeinem Interesse aufgeworfen ist und die Achtung der Menschenrechte dies verlangt, um den Schutzstandard der Konvention zu verdeutlichen, zu sichern und fortzuentwickeln.218
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EGMR Cordier/D (E), 19.1.2006, EuGRZ 2006 26; Sprotte/D (E), 17.11.2005, NJW 2006 3549; Dzelili/D, 10.11.2005, §§ 83, 103, StV 2006 474 = StraFo 2006 147 = NVwZ-RR 2006 513; Morby/LUX (E), 13.11.2003, ECHR 2003-VII; Beck/N, 26.6.2001, § 27; Jansen/D (E), 12.10.2000. EGMR Kalajzic/KRO (E), 28.9.2006. EGMR Dzelili/D (Fn. 210). Zu unterscheiden ist diese Konstellation von der Einlegung der Beschwerde durch einen nahen Verwandten, der selbst auch zumindest mittelbar durch das konventionswidrige Verhalten beschwert ist. Entscheidend ist nicht der konkrete Verwandtschaftsgrad, sondern ein plausibel behauptetes Interesse an der Fortführung des Verfahrens. Eine entsprechende Erklärung kommt also auch für den Lebens-
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partner bzw. Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Betracht; anders beim Vermächtnisnehmer (universal legatee): EGMR Thevenon/F (E), 28.2.2006, ECHR 2006-III. EGMR Craxi/I (E), 7.12.2000; Marie-Louise Loyen u. Bruneel/F, 5.7.2005, § 29; Poznanski u.a./D (E) (Fn. 182). EGMR (GK) Micallef/MLT, 15.10.2009, § 39; Brudnicka u.a./PL (Fn. 181). EGMR (GK) Micallef/MLT (Fn. 216), § 48; vgl. auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 30 ff. Etwa EGMR Irland/UK, 18.1.1978, A 25 = EuGRZ 1979 149; Karner/A, 24.7.2003, ECHR 2003-IX = ÖJZ 2004 36; Grabenwarter § 13, 6 f.; Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 46.
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3. Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe a) Allgemeines. In Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Völker- 149 rechts fordert Art. 35 Abs. 1 EMRK die Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe.219 Im Sinne der Subsidiarität internationaler Kontrollverfahren sollen zunächst die sachnäheren nationalen Stellen und Behörden Gelegenheit haben, der behaupteten Rechtsverletzung abzuhelfen.220 Der Betroffene ist deshalb verpflichtet, alle zur Wahrung der Konventionsgarantien geeigneten innerstaatlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dass ein Rechtsmittel wegen eines Formfehlers an sich als nicht erschöpft zu gelten 150 hat, kann dem Bf. dann nicht entgegengehalten werden, wenn das zuständige Gericht gleichwohl eine inhaltliche Prüfung in der Sache vorgenommen hat.221 b) Vertikale Erschöpfung. Erst nach erfolglosem Durchlaufen der nationalen Rechtsschutzmöglichkeiten kann sich eine betroffene Person an den Gerichtshof wenden (vertikale Erschöpfung). Als vorrangige innerstaatliche Abhilfemöglichkeiten222 kommen alle gerichtlichen und administrativen Rechtsbehelfe in Betracht, die der Betroffene selbst initiieren kann. Zu erschöpfen sind dabei nur „effektive“, d.h. dem Betroffenen zugängliche und in der Sache nicht völlig aussichtslose Rechtsbehelfe. Die Anforderungen des EGMR in diesem Punkt sind allerdings streng (siehe Rn. 161 ff.). Zu erschöpfen sind in erster Linie die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe (z.B. der Einspruch gegen den Strafbefehl, § 410 StPO) und Rechtsmittel. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn eine Kontrollinstanz nur eine (auf Rechtsfragen) beschränkte Prüfungsbefugnis hat223 oder wenn für ein bestimmtes Rechtsmittel erst die Annahme erforderlich ist (vgl. § 313 StPO) bzw. sogar beantragt werden muss und diese unsicher ist.224 Über den regulären Instanzenzug hinaus sind auch außerordentliche Rechtsbehelfe, wie etwa die Verfassungsbeschwerde, auszuschöpfen. Zu ergreifen sind des Weiteren alle Zwischenrechtsbehelfe 225 (namentlich § 238 Abs. 2 StPO) und alle sonstigen (effektiven) Antrags-, Beschwerde-, Widerspruchs-226 und Ab-
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Grabenwarter § 13, 19. Zur klarstellenden Bedeutung dieses Zusatzes Frowein/Peukert Art. 35, 1; ferner Silagi EuGRZ 1980 632; vgl. Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 19. Zur Entwicklung und Bedeutung dieses allgemeinen Völkerrechtsgrundsatzes vgl. Delbrück FS Partsch 213; Amerasinghe Local Remedies in International Law (2004)2. EGMR (GK) Selmouni/F, 28.7.1999, ECHR 1999-V, § 74 = NJW 2001 56; (GK) Maslov/A, 23.6.2008, § 92; (GK) Gäfgen/D (Fn. 95), § 142; s.a. ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 43, 45. EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 95), § 143. Vertiefend speziell für das deutsche Strafverfahrensrecht: Esser in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), 92 ff. EGMR (GK) Civet/F, 28.9.1999, ECHR 1999-VI = NJW 2001 54; L.L./F, 10.10.2006, ECHR 2006-XI; Renaud/F, 25.2.2010.
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EGMR Schädlich/D (E), 3.2.2009 (Dauer – verwaltungsgerichtliches Verfahren). So vor allem die in verschiedenen Staaten bestehenden Möglichkeiten, noch während des laufenden Verfahrens die Verletzung des Beschleunigungsgebots zu rügen, vgl. etwa EGMR Tomé Mota/P (E), 2.12.1999, ECHR 1999-IX = NJW 2001 2692; Gonzalez Marin/E (E), 5.10.1999, ECHR 1999-VII = NJW 2001 2691; Basic/A, 30.1.2001, ECHR 2001-I = ÖJZ 2001 517; Bacchini/CH (E), 21.6.2005; Kunz/CH (E), 21.6.2005; (GK) Scordino/I (Nr. 1) (Fn. 190), §§ 178 ff.; Art. 13 EMRK Rn. 70 ff. je m.w.N. Z.B. der Widerspruch nach § 249 Abs. 2 StPO gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens beim Urkundsbeweis bzw. die Beanstandung dessen Durchführung nach § 238 Abs. 2 StPO; hierzu BGH StRR 2011 99.
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hilfemöglichkeiten.227 Sieht das nationale Recht verschiedene Rechtsbehelfe vor, hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob alle (neben- oder nacheinander) beschritten werden müssen. Kann eine Abhilfe der Konventionsverletzung über unabhängig nebeneinander bestehende Rechtsbehelfe erreicht werden, wird es in der Regel genügen, wenn derjenige gewählt und bis zur letzten Instanz verfolgt wird, der die größte Effektivität verspricht. Neben diesem braucht ein Rechtsbehelf, der im konkreten Fall kaum bessere Erfolgsaussichten hat, nicht zusätzlich ergriffen werden.228 Zu erschöpfen ist des weiteren (je nach Beschwerdegegenstand) ein Antrag auf 155 Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder auf Verweisung der Sache an das zuständige Gericht, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder die Nachholung des rechtlichen Gehörs (vgl. Rn. 156), aber auch die Stellung erforderlicher Beweisanträge,229 sowie die Geltendmachung eines unbeachtet gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels in der nächst höheren Instanz 230 oder die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit,231 ferner – je nach geltend gemachtem Konventionsverstoß – auch die Beantragung von Prozesskostenhilfe oder eine Schadensersatz-232 oder Amtshaftungsklage,233 eine Strafanzeige,234 wobei es auch ausreichen kann, wenn das Ermittlungsverfahren durch die Anzeige einer anderen Person eingeleitet wurde235 und die Möglichkeit besteht, einem späteren Strafverfahren als Beteiligter (Nebenkläger) beizutreten.236
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Vgl. etwa EGMR Stallinger u. Kuso/A, 23.4.1997, Rep. 1997-II, §§ 34-37 = ÖJZ 1997 755 (Antrag auf mündliche Verhandlung); Unterguggenberger/A, 25.9.2001, ÖJZ 2002 272; Stojakovic/A, 9.11.2006; zu § 109 StVollzG bei menschenunwürdiger Unterbringung: BGH NJW-RR 2010 1465 = MDR 2010 743 m. Anm. Artkämper StRR 2010 275. EGMR Tomasi/F, 27.8.1992, A 241-A = EuGRZ 1994 101 = ÖJZ 1993 137; A/F (Fn. 145); (GK) Aquilina/MLT, 29.4.1999, ECHR 1999-III = NJW 2001 51; Manoussakis u.a./GR, 26.9.1996, Rep. 1996-IV = ÖJZ 1997 352; (GK) Öneryildiz/TRK, 30.11.2004, ECHR 2004-XII; Budayeva u.a./R, 20.3.2008; dazu Fahrenhorst EuGRZ 1996 633; Villiger 116; Frowein/ Peukert Art. 35, 23; Grabenwarter § 13, 27; siehe für weitere Bespiele den ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 48. Frowein/Peukert Art. 35, 15; EGMR Cardot/F, 19.3.1991, A 200, § 34 = EuGRZ 1992 437 = ÖJZ 1991 605; Tønsbergs Blad As und Haukom/N, 1.3.2007, ECHR 2007-III, § 54. Frowein/Peukert Art. 35, 15 mit weiteren Beispielen. Frowein/Peukert Art. 35, 15; EGMR Hauschildt/DK, 24.5.1989, A 154 = EuGRZ
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1993 122 = ÖJZ 1990 188: nicht nötig, wenn nicht erfolgversprechend. Vgl. EGMR Gonzalez Marin/E (E) (Fn. 225): Schadensersatz wegen unangemessener Verfahrensdauer; EGMR Hoffen/FL, 27.7.2006. Es hängt letztlich vom Rechtsschutzziel des Betroffenen ab, ob diesem mit einer Staatshaftungsklage voll genüge getan werden kann, vgl. Grabenwarter § 13, 28 unter Hinweis auf EGMR Hornsby/GR, 19.3.1997, Rep. 1997-II = ÖJZ 1998 236; (GK) Iatridis/GR, 25.3.1999, ECHR 1999-II = EuGRZ 1999 316. Vgl. Villiger 116; EGMR Dömel/D (E), 9.5.2007. Vgl. EGMR (GK) Og˘ur/TRK, 20.5.1999, ECHR 1999-III = NJW 2001 1991; (GK) Selmouni/F (Fn. 220), nur, wenn mit Nachdruck verfolgt; EGMR Slimani/F, 27.7.2004, ECHR 2004-IX; siehe auch Schaupp-Haag 165 ff., die diese Spruchpraxis ablehnt, da im Strafverfahren gegen einen Dritten keine effektive Behebung der Konventionsverletzung liegt; es dürfte auf den Einzelfall ankommen. Vgl. EGMR (GK) Og˘ur/TRK (Fn. 234): Arbeitgeber des Getöteten; Meyer-Ladewig Art. 35, 8. Vgl. EGMR (GK) Selmouni/F (Fn. 220): Möglichkeit als Privatkläger dem durch die Anzeige eingeleiteten Strafverfahren beizutreten.
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Anhörungsrügen müssen erhoben werden, etwa nach §§ 33a, 311a, 356a StPO, 55 Abs. 4 JGG.237 Auch bei einer überlangen Verfahrensdauer müssen zunächst die Rechtsbehelfe ergriffen werden, die das jeweilige nationale Recht innerstaatlich zur Abhilfe (Beschleunigung) oder Kompensation eines solchen Verstoßes vorsieht.238 Dagegen ist der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 359 StPO) kein zu erschöpfender Rechtsbehelf i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK.239 Es ist auch nicht notwendig, dass der Betroffene vor Erhebung der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 bis 4 EMRK neben den innerstaatlichen Rechtsbehelfen gegen die Anordnung der Haft zusätzlich innerstaatlich einen Antrag auf Entschädigung gestellt bzw. einen entsprechenden Anspruch geltend gemacht hat.240 Es kann allerdings die Opfereigenschaft entfallen, wenn mit der Entschädigung zugleich die ausdrückliche staatliche Anerkenntnis der Konventionsverletzung und eine Wiedergutmachung des gerügten Konventionsverstoßes verbunden sind. Zum Wegfall der Opfereigenschaft bei gleichzeitiger ausdrücklicher Anerkenntnis der Verletzung siehe Rn. 141 ff. Völlig aussichtslose (ineffektive) Rechtsbehelfe zu ergreifen, verlangt Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht. Ein zu erschöpfender Rechtsbehelf muss zum einen geeignet sein, eine effektive sachliche Überprüfung der (behaupteten) Konventionsverletzung herbeizuführen, mit dem Ziel, ihr abzuhelfen oder einen anderweitigen Ausgleich zu schaffen (siehe dazu näher Art. 13 EMRK Rn. 40 ff.).241 Insbesondere müssen keine Rechtsbehelfe ergriffen werden, die zwar existieren, durch die das eigentliche Anliegen aber nicht ver-
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Meyer-Ladewig Art. 35, 19, 21, jedenfalls für die an die Stelle der Gegenvorstellung getretene Anhörungsrüge. EGMR Gonzalez Marin/E (Fn. 225); Tomé Mota/P (E) (Fn. 225); Holzinger/A (Fn. 207); Basic/A (Fn. 225); A/A (E), 30.5.2003, ÖJZ 2004 35; Meyer-Ladewig Art. 35, 9; Art. 13, 20 ff.; beachte auch (GK) Sürmeli/D, 8.6.2006, ECHR 2006-VII = NJW 2006 2389 = EuGRZ 2007 255 = FamRZ 2007 1449 = NdsRpfl. 2006 318; Gräßer/D, 5.10.2006, EuGRZ 2007 268; Herbst/D, 11.1.2007, EuGRZ 2007 420 = NVwZ 2008 289. Scheuner FS Jahrreiß 571; Vogler ZStW 89 (1977) 792; Meyer-Goßner Anh. 4 MRK Art. 35, 2; im Grundsatz auch SchauppHaag 153 ff. m.N. zur wechselnden Spruchpraxis der EKMR. Erstaunlicherweise soll auch die sog. Erneuerung des Strafverfahrens im österreichischen Recht in analoger Anwendung von § 363a öStPO nicht zum zu erschöpfenden Rechtsweg gehören (krit. dazu und mit Praxishinweisen Reindl-Krauskopf JBl 2011 341), obwohl die Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung von § 363a öStPO (von der Rechtsprechung entwickelte Analogie, wonach der Konventionsverstoß auch geltend gemacht werden
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kann, wenn es kein EGMR-Urteil in der Sache gibt, vgl. OGH JBl 2008 62; dazu Rieder JBl 2008 23; Reindl-Krauskopf JBl 2008 130) gerade dazu dient, einen Konventionsverstoß rückgängig zu machen, wodurch der EGMR entlastet wird; da dies bislang, soweit ersichtlich, nur auf einer Entscheidung eines Einzelrichters (Art. 27 EMRK) beruht (vgl. Reindl-Krauskopf JBl 2011 341), ist hier womöglich das letzte Wort noch nicht gesprochen; bleibt es bei dieser Rechtsprechung, hat dies auch Auswirkungen auf die Frist des Art. 35 EMRK, die dann nicht mit der Ablehnung des Erneuerungsantrags, sondern mit der vorangegangenen Gerichtsentscheidung beginnt. EGMR (GK) Labita/I (Fn. 201); vgl. Kühne/ Esser StV 2002 383, 384. Vgl. etwa EGMR De Wilde u.a./B, 18.6.1971, A 12: „Belg. Landstreicher“; Airey/IR, 9.10.1979, A 32 = EuGRZ 1979 626; van Oosterwijck/B, 6.11.1980, A 40 = NJW 1982 497 = EuGRZ 1981 275; Cardot/F (Fn. 229); Pine Valley Developments Ltd. u.a./IR, 29.11.1991, A 222 = ÖJZ 1992 459; (GK) Og˘ur/TRK (Fn. 234); Frowein/ Peukert Art. 35, 11; Meyer-Ladewig Art. 35, 8; Schaupp-Haag 29 m.w.N.
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wirklicht werden kann.242 Auch Rechtsbehelfe, bei denen im Zeitpunkt, in dem sie einzulegen gewesen wären, nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung keinerlei Aussicht auf Erfolg bestand, müssen nicht erschöpft werden.243 Wenn der Rechtsbehelf einer vergleichbar betroffenen Person bereits abgelehnt wurde, braucht eine von der gleichen oder vergleichbaren Maßnahme betroffene andere Person nicht nochmals für sich selbst den gleichen Rechtsbehelf ergreifen.244 Dasselbe gilt, wenn sich die zuständige staatliche Behörde weigert, einem innerstaatlichen Urteil zugunsten eines Betroffenen nachzukommen.245 Gesuche, die keinen Rechtsanspruch des Betroffenen auf Prüfung in der Sache und 160 keinen Anspruch auf Abhilfe durch die angerufene Stelle auslösen, wie etwa Dienstaufsichtsbeschwerden gegen abgeschlossene Eingriffe,246 die Anrufung eines Ombudsmanns,247 Gnadengesuche oder Petitionen an ein Parlament,248 müssen nicht gestellt werden.249 Art. 35 Abs. 1 EMRK verlangt auch nicht, innerstaatliche Rechtsbehelfe zu ergreifen, 161 die dem Betroffenen bei Berücksichtigung seiner Lage nicht zumutbar sind. Der Bf. muss nach den Umständen des Einzelfalls und seiner persönlichen Lage stets nur das, aber dann auch alles, in die Wege leiten, was vernünftigerweise von ihm in seiner Situation erwartet werden kann.250 Ein Rechtsbehelf ist jedenfalls dann unzumutbar, wenn der Betroffene Repressalien zu fürchten hat,251 aber auch, wenn der Verletzte durch staatliche Organe gehindert wurde, einen innerstaatlichen Rechtsbehelf einzulegen (denial of justice).252 Unzumutbar kann (ausnahmsweise und im Einzelfall) auch ein Rechtsmittel sein, wenn bei der Einstellung des Verfahrens automatisch eine Gebühr anfällt.253 Ineffektiv kann ein Rechtsbehelf auch bei unvertretbar langer Verfahrensdauer sein; 162 dem Betroffenen ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zuzumuten, die inner242
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EGMR (GK) Guerra u.a./I, 19.2.1998, Rep. 1998-I = NJW 1999 3185 = EuGRZ 1999 188 = NVwZ 1999 57 = ÖJZ 1999 33 (Information über Umweltrisiken einer Chemiefabrik). Frowein/Peukert Art. 35, 27; Matscher EuGRZ 1982 497; Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 315; vgl. auch vgl. auch HRC Tillman/Australien, 18.3.2010, 1635/2007, § 6.3. EGMR Pfeifer u. Plankl/A, 25.2.1992, A 227 = NJW 1992 1873 = EuGRZ 1992 99 = ÖJZ 1992 455: Maßnahme der Briefkontrolle; vgl. auch EGMR (GK) Og˘ur/TRK (Fn. 234). EGMR (GK) Iatridis/GR (Fn. 232). Siehe EGMR Horvat/KRO, 26.7.2001, 2001-VIII, § 47; Frowein/Peukert Art. 35, 26; Meyer-Ladewig Art. 35, 21; Vgl. Schaupp-Haag 176 ff. m.N. zur unterschiedlichen Spruchpraxis der EKMR; siehe auch Meyer-Goßner Anh. 4 MRK Art. 35, 2, der wohl in der Dienstaufsichtsbeschwerde einen wirksamen Rechtsbehelf sieht. EGMR Denizci u.a./ZYP, 23.5.2001, ECHR 2001-V; Egmez/ZYP, 21.12.2000, ECHR 2000-XII, §§ 66 ff.; Grabenwarter § 13, 27.
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Frowein/Peukert Art. 35, 26; Villiger 131; wegen weitere Beispiele vgl. Art. 13 EMRK Rn. 21 ff. ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 51, allerdings unter Hinweis auf EGMR Kiiskinen u. Kovalainen/FIN (E), 1.6.1999. Vgl. EGMR van Oosterwijck/B (Fn. 241); (GK) Selmouni/F (Fn. 220): keine Strafanzeige bei mangelnder Verfolgungsbereitschaft; (GK) Salman/TRK (Fn. 41); Dankevich/UKR, 29.4.2003 (unzureichende Beschwerde eines Gefangenen über Rechtsbehelfe); Frowein/Peukert Art. 35, 29 ff.; Meyer-Ladewig Art. 35, 13 f. Frowein/Peukert Art. 35, 29; vgl. EGMR (GK) Akdivar u.a./TRK (Fn. 41), §§ 73 ff. = HRL 1997 203. Vgl. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 48; ferner die ausdrückliche Regelung in Art. 5 Abs. 2 lit. b FP-IPBPR und in Art. 21 Abs. 1 lit. c, Art. 22 Abs. 5 lit. b UNCAT; Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 25. EGMR Prencipe/MCO, 16.7.2009, § 96.
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Verfahren EGMR
staatliche Entscheidung abzuwarten. Der EGMR fühlt sich nicht gehindert, über die Dauer eines Verfahrens zu entscheiden, das innerstaatlich noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.254 Grundsätzlich ist aber auch bei lang andauernden Verfahren der Instanzenzug zu durchlaufen. Zweifel am Ausgang eines Rechtsschutzverfahrens entbinden nicht von dem Erforder- 163 nis, den entsprechenden Rechtsbehelf zu erschöpfen,255 ebenso wie ein mit der Einlegung verbundenes (angemessenes) Kostenrisiko.256 Wenn allerdings der Bf. durch Vorlage einschlägiger Gerichtsentscheidungen oder andere geeignete Beweise aufzeigen kann, dass ein Rechtsbehelf offensichtlich ohne jede Erfolgsaussicht gewesen wäre, kann seine Durchführung nicht verlangt werden.257 Maßgebend ist aber nicht die abstrakte innerstaatliche Rechtslage, sondern der Einzelfall mit all seinen Besonderheiten. Für eine „direkte“ Anrufung des Gerichtshofs unter Umgehung nationaler Rechts- 164 schutzmöglichkeiten muss der Betroffene plausible Gründe vorbringen können. Steht ein wirksamer Rechtsbehelf, mit dem einem Konventionsverstoß nach innerstaatlichem Recht abgeholfen werden kann,258 nachweislich nicht zur Verfügung, etwa weil sich die Rüge genau darauf bezieht, dass das innerstaatliche Recht kein den Anforderungen der Konvention genügendes Rechtsschutzverfahren kennt (Extremfall), erübrigt sich die Frage nach der Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe. c) Horizontale Erschöpfung. Materiell (inhaltlich) entspricht es den Anforderungen 165 des Art. 35 Abs. 1 EMRK, wenn das als verletzt gerügte Konventionsrecht wenigstens der Substanz nach 259 mit den zur Verfügung stehenden (effektiven) innerstaatlichen Rechtsbehelfen unter Beachtung aller Erfordernisse des innerstaatlichen Verfahrensrechts – also aller Fristen und Formen und aller sachlichen Begründungserfordernisse – geltend gemacht worden ist.260 254
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EGMR Goretzki/D, 24.1.2002, EuGRZ 2002 325; vgl. auch HRC Hernandez/Philippinen, 26.7.2010, 1559/2007, § 6.3 (Strafverfahren nach 8 Jahren immer noch nicht abgeschlossen, ohne dass Gründe dafür angeführt wurden). Vgl. etwa EGMR van Oosterwijck/B (Fn. 241); Tomé Mota/P (E) (Fn. 225); Allaoui u.a./D (E), 19.1.1999, EuGRZ 2002 144; Milosˇevic´ /NL (E), 19.3.2002, EuGRZ 2002 131; Frowein/Peukert Art. 35, 32; Matscher EuGRZ 1982 497; Meyer-Goßner Anh. 4 MRK Art. 35, 2; Meyer-Ladewig Art. 35, 10; vgl. HRC bei Tardu FS Partsch 287, 298. EGMR Charzyn´ski/PL (E), 1.3.2005, ECHR 2005-IV (Rechtsmittelgebühr); Reuther/D (E), 5.6.2003, ECHR 2003-IX (Kostenvorschuss beim BayVerfGH) mit krit. Anm. Deumeland AGS 2004 241. EGMR Allaoui u.a./D (E) (Fn. 255); Pressos Compania Naviera S. A. u.a./B, 20.11.1995, A 332, § 27 = ÖJZ 1996 275. Vgl. EGMR (GK) Buscarini u.a./SM, 18.2.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999
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2957 = EuGRZ 1999 213 = ÖJZ 1999 852: keine Anrufung der Zivilgerichte gegen Parlamentsentscheidung; siehe auch EGMR (GK) Sürmeli/D (Fn. 238); Gräßer/D (Fn. 238); Herbst/D (Fn. 238): keine Einlegung der Verfassungsbeschwerde bei behaupteter konventionswidriger, unangemessen langer Verfahrensdauer erforderlich, da weder Beschleunigung noch Ersatz für erlittene Verletzung zu erreichen. Die Anforderungen sind hier – anders als bei der vertikalen Erschöpfung (Rn. 151) – nicht all zu streng: siehe EGMR (GK) Gäfgen/D (Fn. 95), §§ 141 ff. EGMR Castells/E, 22.4.1992, A 236 = ÖJZ 1992 803; Cardot/F (Fn. 229); (GK) Fressoz u. Roire/F, 21.1.1999, ECHR 1999-I = NJW 1999 1315 = EuGRZ 1999 5 = ÖJZ 1999 77 = AfP 1999 251; (GK) Salman/TRK (Fn. 41); Grabenwarter § 13, 31; Gäfgen/D (E), 10.4.2007, NJW 2007 2461, 2463 = EuGRZ 2007 508 (auf nationaler Ebene unterbliebene Rüge, Zugang zu einem Rechtsanwalt sei verweigert worden); OGH ÖJZ 2011 564, 565.
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EGMR Verfahren
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Wird ein nationaler Rechtsbehelf wegen eines Verstoßes gegen eine Form- oder Fristvorschrift oder wegen eines sonstigen Verfahrensfehlers als unzulässig verworfen, so bewertet der EGMR dies als eine Nichterschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe,261 es sei denn, dass die Zurückweisung des Rechtsbehelfs willkürlich bzw. ihrerseits konventionswidrig 262 erscheint oder auf übertriebenem Formalismus („excessive formalism“) 263 beruht. Auf reine Wiederholung seiner Rügen darf sich der Betroffene nicht beschränken, sondern muss diese dem Prüfungsmaßstab von Rechtsbehelfen anpassen; vor dem BVerfG sind spezifisch verfassungsrechtliche Ausführungen erforderlich („specific constitutional law arguments“).264 Nimmt die nationale Stelle trotz eines Zulässigkeitsmangels eine Prüfung in der Sache vor (examined the substance of the appeal), so wird die Erschöpfung des Rechtswegs vom Gerichtshof in der Regel bejaht.265 Die Berufung auf ein in seinem Schutzumfang mit dem Konventionsrecht übereinstim167 mendes innerstaatliches Recht genügt.266 Die konkrete Bezugnahme auf die EMRK ist nicht erforderlich,267 sie ist jedoch zweckmäßig, weil es den Nachweis erleichtert, dass der Rechtsbehelf der Sache nach auch die Verletzung eines in der Konvention geschützten Rechtes betraf.268 Bei einer fortdauernden oder wiederholten Verletzung ist eine wiederholte Einlegung 168 des gleichen Rechtsbehelfs nicht notwendig, wenn dies wegen der unveränderten Umstände nur zu einer Wiederholung der bereits früher ergangenen Entscheidung führen würde. Hat sich die zugrunde liegende Situation aber verändert, ist die erneute Einlegung des Rechtsmittels zu empfehlen.269 Der Rechtsbehelf muss ernsthaft unter Angabe aller ihn tragenden Gründe verfolgt 169 werden. In persönlichen Verhältnissen des Betroffenen liegende Umstände, wie Rechtsunkenntnis, falsche Beratung, Krankheit, Mittellosigkeit, entbinden ihn nicht von der Verpflichtung zur Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe.270 Eine Haftbe-
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EGMR Schwarzenberger/D, 10.8.2006, § 30, NJW 2007 3553 = StraFo 2006 406. Sonst könnte dem Bf. durch einen willkürlichen Entzug seines Rechts auf Zugang zu einem Gericht (Art. 6 Abs. 1 EMRK) die Möglichkeit einer Individualbeschwerde genommen werden. EGMR Spahiu/D (E), 7.12.2010 (reine Wiederholung von Rügen vor dem BVerfG). EGMR Spahiu/D (E) (Fn. 263); Hofmann/D (E), 16.11.2010 (substantiierte Rüge der erkennungsdienstlichen Behandlung – Fotographien/Fingerabdrücke – erforderlich). EGMR Uhl/D (E), 6.5.2004, EuGRZ 2004 752; Atik/D (E), 13.5.2004; Voggenreiter/D, 8.1.2004, ECHR 2004-I = EuGRZ 2004 150 = NJW 2005 41. EGMR Guzzardi/I (Fn. 142); Glasenapp/D, 28.6.1986, EuGRZ 1986 497; Castells/E (Fn. 260); (GK) Fressoz u. Roire/F (Fn. 260); Augusto/F, 11.1.2007, ECHR 2007-I;
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Frowein/Peukert Art. 35, 3, 20 f.; Rudolf/ von Raumer AnwBl. 2009 313, 315. Vgl. EGMR Fressoz u. Roire/F (Fn. 260); ferner Frowein/Peukert Art. 35, 20; MeyerGoßner Anh. 4 MRK Art. 35, 2; s.a. Grabenwarter § 13, 32. Vgl. EGMR van Oosterwijck/B (Fn. 241), §§ 30 ff.; Frowein/Peukert Art. 35, 21 (trotz Grundsatz iura novit curia kann eindeutiges Argumentieren mit dem als verletzt bezeichneten Recht nötig sein); Grabenwarter § 13, 32 (insbesondere bei Fehlen einer anderen Rechtsgrundlage). Grabenwarter § 13, 30; Villiger 120. EGMR van Oosterwijck/B (Fn. 241), §§ 36–40; (GK) Akdivar u.a. /TRK (Fn. 41), §§ 68 f.; Khashiyev u. Akayeva/R, 24.2. 2005, §§ 116 f.; Isayeva u.a./R 24.2.2005, §§ 152 f., EuGRZ 2006 41; siehe auch den Negativkatalog bei Frowein/Peukert Art. 35, 32; Schaupp-Haag 60 ff.; Villiger 120 je m.N. zur Spruchpraxis der EKMR.
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Verfahren EGMR
schwerde, die nur formell erhoben, materiell aber nicht begründet wird, hat der EGMR als zur Erschöpfung des Rechtswegs nicht ausreichend angesehen.271 d) Zeitpunkt. Für die Erschöpfung des nationalen Rechtsschutzes kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beschwerde beim Gerichtshof eingeht (date of introduction of the application). Nur unter bestimmten Voraussetzungen verlangt der EGMR ausnahmsweise die Erschöpfung eines vom Vertragsstaat erst nach der Einlegung der Individualbeschwerde geschaffenen Rechtsbehelfs, mit dessen Hilfe der behauptete Konventionsverstoß auf nationaler Ebene effektiv geltend gemacht werden kann.272 Der Gerichtshof hat die Möglichkeit, den betroffenen Staat in einem Piloturteil (Rn. 106, 349) zur Einrichtung einer Rechtsschutzmöglichkeit für die Geltendmachung eines bestimmten Verstoßes gegen die Konvention anzuhalten, wenn weitere vergleichbare Beschwerden zu erwarten sind.273 Richtet der jeweilige Staat einen entsprechenden Rechtsbehelf ein, so kann der EGMR auch bereits anhängige Beschwerden für unzulässig erklären (Art. 35 Abs. 1 EMRK), sofern der Rechtsbehelf selbst effektiv erscheint und die jeweiligen Bf. nicht (etwa durch einen Fristablauf) von der nachträglichen Geltendmachung des Verstoßes auf nationaler Ebene abgehalten werden.274 Steht die endgültige innerstaatliche Entscheidung noch aus, ist eine bereits vorher erhobene Beschwerde zum EGMR grundsätzlich verfrüht und daher unzulässig. Der EGMR lässt es ausnahmsweise genügen, dass die Entscheidung erst kurz nach Einlegung der Beschwerde, spätestens aber bei Entscheidung über deren Zulässigkeit vorliegt.275 Maßgebend für die Frage, welche Rechtsbehelfe einem Betroffenen zur Verfügung stehen, ist ebenfalls die jeweilige innerstaatliche Rechtslage im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde beim Gerichtshof. Eine Ausnahme macht der EGMR, wenn ein Rechtsbehelf nachträglich, d.h. nach Einlegung der Beschwerde, aber noch vor deren abschließender Prüfung geschaffen wird (siehe auch Rn. 171).276 Das Rechtsmittel muss selbst wiederum wirksam sein.277
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e) Prüfung von Amts wegen / Rügeobliegenheit. Die Erschöpfung des nationalen 174 Rechtswegs wird vom Gerichtshof von Amts wegen geprüft. Unklarheiten über Existenz und Tragweite eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs aufzuklären, ist der Gerichtshof aber nicht verpflichtet. Wenn der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, die Einwendung erhebt, der Rechtsweg sei nicht erschöpft, muss er zur Überzeugung des Gerichtshofs aufzeigen, mit welchen ihm zugänglichen innerstaatlichen Rechtsbehelfen der Bf.
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EGMR Yahiaoui/F, 20.1.2000; Favre-Clémont/F, 30.5.2000, vgl. Kühne/Esser StV 2002 383, 384. EGMR I˙çyer/TRK (E), 12.1.2006, ECHR 2006-I, §§ 83 ff. = HRLJ 2006 109 (Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs); Korenjak/SLW (E), 15.5.2007, §§ 63–71; Robert Lesjak/SLW, 21.7.2009; Grabenwarter § 13, 22. EGMR (GK) Broniowski/PL (Fn. 121); siehe auch EGMR Rumpf/D, 2.9.2010, §§ 71 ff., NJW 2010 3355 = EuGRZ 2010 700. EGMR I˙çyer/TRK (Fn. 272), §§ 74 ff.; (GK)
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Scordino/I (Fn. 190), §§ 140–149; Parizov/ MAZ, 7.2.2008. Etwa EGMR Graf/A (E), 3.6.2003, ÖJZ 2003 856; Ringeisen/A, 16.7.1971, A 13; Grabenwarter § 13, 22. EGMR Bottaro/I (E), 23.5.2002; Andrásˇik u.a./SLO (E), 22.10.2002, ECHR 2002-IX; Nogolica/KRO, 5.9.2002, ECHR 2002-VIII; I˙çyer/TRK (Fn. 272), §§ 72 ff. Siehe ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 60 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.
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mit realen Erfolgsaussichten hätte Abhilfe erreichen können.278 Dabei sind die Erfolgsaussichten des Vorbringens ungleich größer, wenn auf eine bestimmte Rechtsprechung verwiesen werden kann.279 Er muss spätestens bei seiner Stellungnahme zur Zulässigkeit hinreichend klar und detailliert nachweisen, dass und welche innerstaatlich wirksamen und praktisch auch zugänglichen Rechtsbehelfe im Hinblick auf die behauptete Konventionsverletzung bestanden haben,280 sowie, dass der Bf. sie nicht ausgeschöpft hat, obwohl er sie hätte nutzen können, u.U. auch, dass sie im maßgeblichen Zeitpunkt durchgeführt werden hätten können.281 Unterlässt der Staat dieses Vorbringen bei seiner Stellungnahme zur Zulässigkeit, kann er dieses später nicht mehr nachholen (vgl. Art. 55 VerfO); erhebt er den Einwand nicht fristgerecht, ist er mit diesem präkludiert.282 Der Bf. seinerseits hat schon bei Einreichen der Beschwerde nach Art. 47 Abs. 1 lit. f, 175 h VerfO darzulegen, welche innerstaatlichen Rechtsbehelfe er ergriffen hat; zum Nachweis muss er die Unterlagen darüber (Entscheidungen, Rechtsmittelschriften usw.) beibringen. Beruft sich der Staat auf die Nichterschöpfung des nationalen Rechtswegs, muss der Bf. seinerseits dartun, weshalb er unter den gegebenen Umständen den vom Staat aufgezeigten Rechtsbehelf nicht einlegen konnte 283 oder warum ihm die Einlegung eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs nicht zumutbar war 284 oder der von ihm unterlassene, an sich mögliche Rechtsbehelf völlig ineffektiv gewesen wäre.285 4. Form
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a) Beschwerdeformular. Die Individualbeschwerde ist schriftlich unter Verwendung eines von der Kanzlei zur Verfügung gestellten, im Internet erhältlichen 286 Formulars direkt beim Gerichtshof einzureichen. Der Inhalt des Formulars ist in Art. 47 Abs. 1 VerfO im Einzelnen festgelegt. Die Erhebung der Beschwerde per Fax ist prinzipiell zulässig.287 Der Gerichtshof verlangt in diesem Fall allerdings eine Bestätigung der Be-
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EGMR (GK) Selmouni/F (Fn. 220); MeyerLadewig Art. 35, 25; Frowein/Peukert Art. 35, 9; vgl. auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 54 ff. EGMR Andrásˇik u.a./SLO (E) (Fn. 276); Di Sante/I (E), 24.6.2004; Giummarra u.a./F (E) 12.6.2001; Paulino Tomás/P (E), 27.3.2003, ECHR 2003-VIII; Johtti Sapmelaccat Ry u.a./FIN (E),18.1.2005. EGMR Deweer/B, 27.2.1980, A 35 = EuGRZ 1980 667; De Jong u.a./NL (Fn. 196); Johnston u.a./IR (Fn. 188); Bozano/F, 18.12.1986, A 111 = NJW 1987 3066 = EuGRZ 1987 101; (GK) Aquilina/ MLT (Fn. 228); (GK) Selmouni/F (Fn. 220); Tomé Mota/P (E) (Fn. 225); (GK) Mooren/D, 9.7.2009, §§ 57 ff., EuGRZ 2009 566 = StV 2010 490; Frowein/Peukert Art. 35, 9; Schaupp-Haag 83; vgl. Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 26. EGMR (GK) Selmouni/F (Fn. 220): Verschleppung mangels Aufklärungsinteresse der Behörden. EGMR Deweer/B (Fn. 280); Artico/I,
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13.5.1980, A 37 = EuGRZ 1980 662; Foti u.a./I, 10.12.1982, A 56 = NJW 1986 647 = EuGRZ 1985 578; Corigliano/I (Fn. 196); De Jong u.a./NL (Fn. 196); Bozano/F (Fn. 280); (GK) Nikolova/BUL, 25.3.1999, ECHR 1999-II = NJW 2000 2883 = EuGRZ 1999 320 = ÖJZ 1999 812; Villiger 114 („Estoppel“). EGMR Jabari/TRK, 11.10.2000, ECHR 2000-VIII = ÖJZ 2002 37 = InfAuslR 2001 57: Frist von 5 Tagen zu kurz. Vgl. EGMR Jabari/TRK (Fn. 283). Frowein/Peukert Art. 35, 10; vgl. auch Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 26; vgl. wegen der erwiesenen Untätigkeit der Behörden trotz ernsthafter Vorwürfe EGMR (GK) Aquilina/MLT (Fn. 228); (GK) Selmouni/F (Fn. 220), § 76; Tomé Mota/P (E) (Fn. 225); siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 57. Siehe www.echr.coe.int – Applicants – Application pack – German. EGMR Kemevuako/NL (E), 1.6.2010.
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schwerde auf dem gewöhnlichen Postweg. Diese erfolgt, indem auf die entsprechende Anforderung durch die Kanzlei hin innerhalb einer bestimmten Frist – aber nicht notwendig innerhalb der Sechs-Monats-Frist – das unterschriebene Originalschriftstück per Post nachgesandt wird (§ 5, 4 Practice Direction – Institution of Proceedings – PD-I). Hält der Bf. diese Frist nicht ein, so kann auch dies dazu führen, dass die Beschwerde als nicht eingelegt gilt und letztendlich an der Sechsmonatsfrist (Art. 35 Abs. 1 EMRK; Rn. 186 ff.) scheitert (§ 6 PD-I). Die telefonische Erhebung der Beschwerde ist formwidrig (§ 1 PD-I). Ein elektronisches Beschwerdeformular soll bald zur Verfügung stehen. b) Inhalt. Ein vollständig ausgefülltes Beschwerdeformular ist zwingend, wobei aber die Bezugnahme auf beigefügte Dokumente zulässig ist. Die Beschwerdeschrift muss die Vertragspartei(en) nennen, gegen die sich die Beschwerde richtet, und eine klare, umfassende, aber kurze Darstellung des Sachverhalts (Statement of the Facts) enthalten. Die als verletzt gerügten Konventionsgarantien (Statement of Alleged Violations) sind ebenfalls zu nennen. Angaben müssen auch hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 Abs. 1 EMRK (Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe; Einhaltung der Sechsmonatsfrist) gemacht werden sowie dazu, ob der Fall bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Beschwerdeinstanz vorgelegen hat oder noch vorliegt (Art. 47 Abs. 2 lit. b VerfO) bzw. ob andere Beschwerden des Bf. (unter Angabe des Aktenzeichens) vor dem Gerichtshof anhängig sind (§ 16 PD-I). Darüber hinaus sind auch Ausführungen zum Gegenstand der Beschwerde (Statement of the Object of the Application) einschließlich der durch die behauptete Konventionsverletzung (bereits) entstandenen Schäden zu machen, letzteres insbesondere im Hinblick auf einen zeitgleichen oder späteren förmlichen Antrag auf Gewährung einer gerechten Entschädigung (Art. 41 EMRK; Art. 60 VerfO). Der Beschwerdeschrift ist außerdem eine Aufstellung aller einschlägigen Unterlagen beizufügen, insbesondere der gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen oder Schriftstücke, die sich auf den Gegenstand der Beschwerde beziehen bzw. vom Gerichtshof als Beweismittel berücksichtigt werden sollen und als Anlage in Kopie beigefügt sind, (List of Documents; § 12 PD-I) und die Erklärung des Bf. über die Richtigkeit der Angaben (Declaration) enthalten. Sie ist mit der Unterschrift des Bf. bzw. des Verfahrensbevollmächtigten (Signature) abzuschließen.288 Der Beschwerde als Anlage beizufügen sind Kopien (§ 12 PD-I; keine CDs oder DVDs) aller einschlägigen Unterlagen, insbesondere der gerichtlichen oder sonstigen Entscheidungen, die sich auf den Gegenstand der Beschwerde beziehen (Art. 47 Abs. 1 lit. h VerfO). Der Bf. hat ferner Nachweise für die Erschöpfung aller zumutbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe und die Einhaltung der Beschwerdefrist zu erbringen. Schriftstücke, die der Gerichtshof als Beweismittel berücksichtigen soll (z.B. Protokolle, Zeugenaussagen), müssen ebenfalls der Beschwerdeschrift beigelegt werden.289
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c) Anonyme Beschwerden. Diese Fallgruppe spielt heute kaum eine Rolle mehr. 181 Beschwerden werden ohnehin erst registriert, wenn der Bf. ein ausgefülltes Beschwerde-
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Vgl. auch Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 317; Esser in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), 118 ff. Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 317;
Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2009 3749, 3751; Esser in: Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), Rn. 122.
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formular vorgelegt hat.290 Der Bf. muss seine vollen Personalien wie Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Beruf und Anschrift angeben. Anonyme Beschwerden, deren Verfasser nicht feststellbar sind, sind unzulässig (Art. 35 Abs. 2 lit. a EMRK).291 Nichtorganisierte Personengruppen, die keine vertretungsbefugten besonderen Organe haben, müssen die Personalien ihrer Mitglieder anführen, deren Rechte als verletzt geltend gemacht werden.292 Weltanschauliche Vereinigungen und Kirchen können die Rechte ihrer Mitglieder aus Art. 9 EMRK aus eigener Befähigung geltend machen, ohne die Namen der Mitglieder preiszugeben.293 Die Angabe der Personalien der sie vertretenden Personen und der Nachweis ihrer Vertretungsbefugnis genügen. Gleiches gilt auch bei Vereinen und juristischen Personen. Ausnahmsweise kann der Kammerpräsident auf Antrag oder von Amts wegen dem 182 Bf. gestatten, anonym zu bleiben (Art. 47 Abs. 3 VerfO, siehe auch Practice Direction – Request for Anonymity, PD-RfA). Der grundsätzlich zur Angabe seiner Personalien verpflichtete Bf. kann ausführen, dass und aus welchen Gründen er nicht wünscht, dass seine Identität entgegen der gewöhnlichen Regel gegenüber der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Vor der Regierung des betroffenen Staates wird der Name des Bf. allerdings nicht geheim gehalten. In jedem Fall wird der Bf. durch seine Initialen oder durch einen einzelnen Buchstaben gekennzeichnet (§ 14 lit. b PD-IP).
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d) Anwaltliche Vertretung. Ein Anwaltszwang besteht im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung nicht (siehe zur grundsätzlich obligatorischen Vertretung nach dem in Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO genannten Zeitpunkt Rn. 40).294 Wird ein Bf. vertreten, so muss der Vertreter eine schriftliche Vollmacht des Vertretenen vorlegen (Art. 45 Abs. 3 VerfO), sonst wird die Beschwerde als unzulässig ratione personae behandelt.295 Das gilt auch für Vertreter von juristischen Personen oder Personengruppen. Ausnahmsweise kann auch eine nach nationalem Recht nicht vertretungsberechtigte bzw. nicht vom Bf. zu seiner Vertretung autorisierte Person vor dem Gerichtshof im Namen einer anderen Person auftreten, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass dem EGMR die Interessen dieser Person sonst nicht zur Kenntnis gebracht werden und der Bf. einen Status (standing) – gemeint ist eine besondere persönliche oder sachliche Nähe – zur Geltendmachung dieser Interessen besitzt.296
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e) Sprache. Die Beschwerde muss nicht in einer der Amtssprachen des Gerichtshofs (Art. 34 Abs. 1 VerfO: englisch oder französisch) abgefasst sein. Bis zur Mitteilung der
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Siehe auch Frowein/Peukert Art. 35, 48; Meyer-Ladewig Art. 35, 36. Z.B. EGMR „Blondje“/NL (E), 15.9.2009; siehe zur fehlenden Unterschrift EGMR Kuznetsova/R (E), zur Beschwerde unter einem Pseudonym: EGMR Shamayev u.a./GEO u. R, 12.4.2005, ECHR 2005-III. Frowein/Peukert Art. 35, 48 unter Hinweis auf EKMR (E) Federation of French Medical Trade Unions and the National Federation of Nurses/F, 12.5.1986, D.R. 47, 228. Villiger 101; Meyer-Ladewig Art. 9, 2; Art. 34, 13; vgl. EGMR Cha’are Shalom Ve Tsedek/F, 27.6.2000, ECHR 2000-VII =
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ÖJZ 2001 774; Leela Förderkreis e.V. u.a./D, 6.11.2008, NVwZ 2010 177. Etwa EGMR (GK) Buscarini u.a./SM (Fn. 258); Wittinger NJW 2001 1238, 1239; Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316. EGMR Post/NL (E), 20.1.2009: Einreichung der Vollmacht unterbricht nicht die Sechsmonatsfrist des Art. 35 Abs. 1 EMRK; Fitzmartin u.a./UK, 21.1.2003; siehe zur Wirksamkeit der Vollmacht EGMR Aliev/GEO, 13.1.2009, §§ 44 ff.; Velikova/BUL, 18.5.2000, §§ 48 ff. EGMR Haase/D (Fn. 175), § 120; Petersen/D (E) (Fn. 172).
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Beschwerde an den betroffenen Vertragsstaat nach Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO kann sich der Bf. einer der Amtssprachen eines Vertragsstaats, also auch der deutschen Sprache bedienen (Art. 34 Abs. 2 VerfO),297 danach ist dies nur mit Erlaubnis des Kammerpräsidenten zulässig (Art. 34 Abs. 3 VerfO). Gleiches gilt bei einer mündlichen Verhandlung (siehe Rn. 67). Die Nichteinhaltung der genannten formalen und inhaltlichen Vorgaben führt zwar 185 nicht per se zur Unzulässigkeit der Beschwerde,298 kann jedoch zur Folge haben, dass die Beschwerde weder registriert noch geprüft wird.299 Deshalb sollten die vorgenannten Formvorschriften tunlichst beachtet werden. 5. Frist a) Fristbeginn. Die Individualbeschwerde muss binnen sechs Monaten nach der end- 186 gültigen innerstaatlichen Entscheidung eingelegt werden; das ist diejenige, mit der der nationale Rechtsweg erschöpft ist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Maßgebend ist die endgültige Entscheidung der Hauptsache, auch in Bezug auf Zwischenentscheidungen, die bereits früher unanfechtbar geworden sind. Außerordentliche Rechtsbehelfe, die den Eintritt der Rechtkraft nicht hindern, wie der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, sind im Hinblick auf den Fristbeginn irrelevant. Die Verfassungsbeschwerde gehört dagegen zum zu erschöpfenden Rechtsweg (vgl. Rn. 153). Zudem sind außerordentliche Rechtsbehelfe auch dann zu erschöpfen, wenn sie die einzigen Rechtsbehelfe darstellen.300 Diese Voraussetzung dient der Rechtssicherheit und soll gewährleisten, dass Beschwerden mit Konventionsbezug zeitnah entschieden werden.301 Die Frist beginnt grundsätzlich am Tag nach (vgl. Rn. 189) der Zustellung oder ande- 187 ren Art der förmlichen Bekanntgabe der mit Gründen versehenen Entscheidung an den Bf. bzw. dessen Vertreter.302 Wird die Entscheidung beiden zugestellt, so kommt es auf den (früheren) Zeitpunkt der Zustellung beim Rechtsvertreter an.303 Ist eine Zustellung oder sonstige förmliche Bekanntgabe nicht vorgesehen, beginnt die Frist, wenn die abschließende Entscheidung zur Verfahrensakte gelangt und den Verfahrensbeteiligten
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Meyer-Goßner Anh. 4 MRK Art. 35, 4; Wittinger NJW 2001 1238, 1239, die darauf hinweist, dass die Gewährung einer Verfahrenshilfe in diesem Anfangsstadium noch nicht möglich ist. Umkehrschluss zu Art. 35 Abs. 3 EMRK, d.h. die Konvention nennt die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualbeschwerde abschließend; s.a. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 55. Vgl. § 6, 8, 9 PD-I. EGMR Oberschlick/A (Nr. 1), 23.5.1991, A 204 = NJW 1992 613 = EuGRZ 1991 216 = ÖJZ 1991 641; Edwards/UK (E), 7.6.2001; Berdzenichvili/R (E), 29.1.2004, ECHR 2004-II; Meyer-Ladewig NJW 2011 1559; vgl. auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 67 ff.; im Falle eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung von
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§ 363a öStPO soll nach einer fragwürdigen Entscheidung eines Einzelrichters (EGMR) die Frist nicht mit Ablehnung des Antrags, sondern bereits mit der vorangegangenen Gerichtsentscheidung beginnen, vgl. ReindlKrauskopf JBl 2011 341 (vgl. oben Fn. 239). Vgl. z.B. EGMR Walker/UK (E), 25.1.2000, ECHR 2000-I; vgl. auch Meyer-Ladewig NJW 2011 1559. Etwa EGMR Kadik¸is/LET (Nr. 2) (E), 25.9.2003; Worm/A, 29.8.1997, Rep. 1997-V = ÖJZ 1998 35; (GK) Papachelas/GR, 25.3.1999, ECHR 1999-II = EuGRZ 1999 319 = NVwZ 1999 1325; Rudolf/ von Raumer AnwBl. 2009 313, 316. EGMR Andorka u. Vavra/H (E), 12.9.2006, ob bei zeitlich umgekehrter Reihenfolge der Zustellungen ebenfalls das frühere Zustelldatum (beim Bf.) maßgeblich ist, hat der EGMR bislang nicht entschieden.
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zugänglich ist.304 Bei einer im innerstaatlichen Recht nicht anfechtbaren Maßnahme beginnt sie mit dem Zeitpunkt, in dem der Eingriff ausgeführt und abgeschlossen wird 305 bzw. der Betroffene davon Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen.306 Problematisch ist die Bestimmung des Fristbeginns jedoch in Fällen von andauernden Konventionsverletzungen (siehe Rn. 188) oder wenn gerügt wird, in Fällen von Verletzungen von Art. 2, 3 EMRK sei nicht wirksam ermittelt worden.307 Bei einem konventionswidrigen Dauerzustand beginnt die Einlegungsfrist erst mit 188 dessen Beendigung.308 Vorgänge, die bereits sechs Monate vor der Einlegung der Beschwerde beendet waren, berücksichtigt der EGMR dann aber nicht.309 Bei einer Entscheidung über die Dauer der Untersuchungshaft lässt der EGMR die Sechsmonatsfrist mit dem Ende der Untersuchungshaft beginnen.310 Der Tag, an dem der Bf. vom beschwerenden Ereignis Kenntnis erlangt bzw. an dem 189 die endgültige Entscheidung über den beschwerenden Akt er- bzw. ihm zugeht, werden nicht auf den Lauf der Frist angerechnet (Ereignisfrist).311 Die (zweckwidrige) Einlegung eines offensichtlich unzulässigen oder zur Abhilfe der 190 Konventionsverletzung völlig ungeeigneten, also offenkundig ineffektiven innerstaatlichen Rechtsbehelfs hemmt die Frist nicht.312 Ist jedoch zweifelhaft, ob ein innerstaatlicher Rechtsbehelf zur Abhilfe der Konventionsverletzung geeignet ist, kann dem Betroffenen nicht angelastet werden, dass er zunächst die innerstaatliche Bereinigung des Konventionsverstoßes versucht hat. Auch wenn dieser Rechtsbehelf als unzulässig abgewiesen wird, beginnt ausnahmsweise die Frist erst mit dessen Erledigung, allerdings nur, wenn dessen völlige Ineffektivität für den Betroffenen nicht bereits vorher ersichtlich wurde.313 Es kann auch gegen die zu diesem Zeitpunkt letzte nationale Entscheidung innerhalb der 6-Monatsfrist Beschwerde eingelegt und parallel der (zweifelhafte) nationale Rechtsweg erschöpft werden. Darauf sollte der EGMR hingewiesen werden. Der
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EGMR Yavuz u.a./TRK (E), 1.2.2005, vgl. auch EGMR (GK) Papachelas/GR (Fn. 302), § 30. EGMR Gongadze/UKR, 8.11.2005, ECHR 2005-XI, § 155 = NJW 2007 895. Meyer-Ladewig NJW 2011 1559. Meyer-Ladewig NJW 2011 1559. EGMR Ülke/TRK (E), 1.6.2004; Sporrong u. Lönnroth/S, 23.9.1982, A 52 = NJW 1984 2747 = EuGRZ 1983 523; EGMR (GK) Varnava u.a./TRK (Fn. 128): Nach Ansicht des EGMR findet die Sechsmonatsfrist bei einer andauernden Verletzung nicht ohne weiteres Anwendung. Vielmehr beginne sie in einem solchen Fall jeden Tag erneut und erst wenn die zugrunde liegende Verletzung beendet sei. Im Fall verschwundener Personen dürfe mit der Anrufung des Gerichtshofs nicht zu lange gewartet werden, wobei die Zügigkeit auch nicht zu eng gesehen werden dürfe. Seien Personen im Verlauf eines internationalen Konflikts verschwunden, müssten die Angehörigen ihre Beschwerde innerhalb höchstens einiger
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Jahre erheben. Hätten sie mehr als zehn Jahre gewartet, müssten sie grundsätzlich darlegen, dass es während dieser Zeit Fortschritte bei der Aufklärung gegeben hätte, um zu rechfertigen, dass sie den Gerichtshof erst jetzt anrufen. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 53; Frowein/Peukert Art. 35, 42. Siehe zum zeitlichen Geltungsbereich der EMRK Rn. 107. EGMR Priebke/I (E), 5.4.2001, EuGRZ 2001 387. EGMR Arslan/TRK (E), 21.11.2002, ECHR 2002-X; Meyer-Ladewig NJW 2011 1559 unter Berufung auf den ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46). EGMR Rezgui/F (E), 7.11.2000, ECHR 2000-XI; Grabenwarter § 13, 36. Vgl. Grabenwarter § 13, 36, der rät zur Vermeidung von Nachteilen die Beschwerde zum EGMR gleichzeitig mit dem zweifelhaften Rechtsbehelf einzulegen, ebenso Villiger 145; Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 53; siehe auch EGMR Edwards/UK (E) (Fn. 300); (GK) Varnava u.a./TRK (Fn. 128), § 171.
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Gerichtshof lässt die Beschwerde dann i.d.R. ruhen, bis der nationale Rechtsweg erschöpft ist.314 Der Beginn der Frist kann gehemmt sein, wenn der Bf. für die eingetretene Verzöge- 191 rung eine ausreichende Erklärung liefert, etwa die Behinderung durch Gefängnisbehörden. Eine nur vorübergehende Verhinderung ist unbeachtlich, wenn dem Bf. danach noch ausreichend Zeit bleibt, die Frist zu wahren. Ein schlechter Gesundheitszustand stellt i.d.R. keine ausreichende Erklärung dar.315 b) Fristende. Zur Fristwahrung genügt es, wenn das erste Schreiben, in dem der 192 wesentliche Beschwerdegegenstand zusammenfassend dargestellt wird, fristgemäß abgesendet wird (vgl. Art. 47 Abs. 5 VerfO: „first communication“).316 Zur Fristwahrung ist es also nicht unbedingt erforderlich, das vom Gerichtshof bereitgestellte Beschwerdeformular (Rn. 176) zu benutzen; der Bf. muss in jedem Fall das von ihm als menschenrechtswidrig eingestufte Ereignis innerhalb der Beschwerdefrist vollständig und aus sich heraus verständlich darlegen. Rein informatorische Anfragen oder an den Gerichtshof gerichtete Auskunftsersuchen genügen hierfür nicht.317 Dabei ist grundsätzlich die Datierung des Schreibens entscheidend, wenn dieses aber später als an dem darauf folgenden Tag abgesendet wird, ist das Datum durch leserlichen Poststempel, durch eine Urkunde bzw. mit Hilfe des Faxprotokolls nachzuweisen.318 Der Gerichtshof kann entscheiden, dass ein anderes Datum gilt, wenn er dies für gerechtfertigt hält, etwa bei Zweifeln an der Datierung.319 Übersendet der Gerichtshof dem Bf. auf seine formlose erste Beschwerde hin das offizielle Beschwerdeformular und setzt zu dessen Ausfüllung eine Frist, so ist die Beschwerde auch bei Nichteinhaltung dieses Zeitraums verfristet.320 Die Frist wird nach Kalendermonaten berechnet, ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche 193 Länge.321 Zu beachten ist, dass der EGMR bisher die in Deutschland geltende Feiertagsregel nicht anerkannt hat (vgl. etwa § 193 BGB). Daher können Fristen auch am Wochenende oder an einem Feiertag ablaufen.322 Wegen widersprüchlicher Rechtsprechung des EGMR ist unklar, ob der letzte Tag der Frist derjenige ist, der der Zahl nach demjenigen des Fristbeginns entspricht, also ein Tag nach der Zustellung,323 oder ob die Frist an dem Tag abläuft, der der Zahl nach demjenigen entspricht, an dem zugestellt wurde 324. Für letztere Ansicht spricht jedenfalls, dass sowohl der EGMR als auch früher 314 315
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Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 54; EGMR Arslan/TRK (E) (Fn. 311); Poleshchuk/R (Fn.203), §§ 28, 35; Grabenwarter § 13, 37; Frowein/ Peukert Art. 35, 46, s.a. EKMR A.P./UK, 30.11.1994; (E) Peters/D, 20.2.1995. EGMR (GK) Buscarini u.a./SM (Fn. 258), § 23; Griechische Kirchengemeinde München/D (E), 18.9.2007; Frowein/Peukert Art. 35, 45; IK-EMRK/Rogge Art. 34, 28; ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 83. Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316. Wittinger NJW 2001 1238, 1239; vgl. auch EGMR Kadik¸is/LET (Fn. 302); Arslan/TRK (E) (Fn. 311); Oberschlick/A (Fn. 300), § 40 (application was posted); ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 85.
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So EGMR Gaillard/F, 11.7.2000; Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 53. Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; EGMR Kemevuako/NL (E) (Fn. 287). So in EGMR Fleri Soler/MLT, 26.9.2006, ECHR 2006-X; Meyer-Ladewig NJW 2011 1559. EGMR Otto/D (E), 10.11.2009; MeyerLadewig NJW 2011 1559 f.; Rudolf/ von Raumer AnwBl. 2009 313, 316; a.A. jetzt EGMR Sabri Günes/TRK, 24.5.2011, §§ 38 ff. (nicht endg.); ebenso: Frowein/Peukert Art. 35, 44. EGMR Fleri Soler/MLT (Fn. 321), § 31. EGMR Otto/D (E) (Fn. 322); siehe auch Meyer-Ladewig NJW 2011 1559, 1560 m.w.N.
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die EKMR bisher den Tag, der der Zahl nach demjenigen der Zustellung entspricht, als maßgeblich angesehen haben.325 Die Einhaltung der Beschwerdefrist überprüft der Gerichtshof von Amts wegen – also 194 unabhängig davon, ob der betroffene Vertragsstaat eine entsprechende Rüge erhoben hat oder auf die Einhaltung dieser Frist verzichtet.326 6. Wiederholungs- und Kumulationsverbot
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a) Res iudicata. Nach Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK befasst sich der EGMR nicht mit einer Individualbeschwerde, die mit einer schon geprüften Beschwerde übereinstimmt (Identität des Beschwerdegegenstandes). Es genügt, wenn ein inhaltsgleiches Gesuch bereits früher Gegenstand einer Sachentscheidung war. Dies ist auch der Fall, wenn die Beschwerde als offensichtlich unbegründet oder als unvereinbar mit der EMRK ratione materiae und damit als unzulässig i.S.v. Art. 35 Abs. 3 EMRK zurückgewiesen wurde, da die vorgenannten Abweisungsgründe eine summarische Sachentscheidung miteinschließen können.327 Eine Abweisung aus rein formalen Gründen, etwa wegen Nichterschöpfung des nationalen Rechtswegs oder wegen sonstiger formaler Mängel oder wegen des Beschwerderechts, schließt die erneute Einlegung der Beschwerde (nach Behebung des Hindernisses) nicht aus.328
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b) Litispendenz. Das Kumulationsverbot („una via electa“) soll verhindern, dass mehrere internationale Menschenrechtsschutzinstanzen neben- oder nacheinander mit der gleichen Sache,329 also bei Übereinstimmung von Beschwerdeführer, Sachverhalt und Beschwerdegegenstand, befasst werden.330 Die Anforderungen an die Instanzen hat der EGMR in seiner Rechtsprechung konkretisiert. Verfahren müssen zwischenstaatlich sein, also international und zugleich nicht durch private Institutionen eingerichtet. Das Entscheidungsgremium muss unabhängig sein und die Anforderungen an ein „Gericht“ nach den Vorgaben der EMRK erfüllen. Das Verfahren muss adversatorisch sein, die Entscheidungen müssen begründet den Parteien zugestellt und veröffentlicht werden. Das Verfahren darf weder (nur) präventiver Natur noch vertraulich sein. Die Parteien müssen zumindest in irgendeiner Weise an dem Verfahren selbst beteiligt werden. Der Spruchkörper muss die Befugnis haben, Verantwortung festzustellen und der Verletzung ein Ende zu setzen. Zudem muss das Verfahren effektiv sein.331 Instanzen, die diese Anforderungen erfüllen, sind die Menschenrechtsausschüsse der Vereinten Nationen,332 insbesondere der Menschenrechtsausschuss (HRC) des IPBPR, der
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Meyer-Ladewig NJW 2011 1559, 1560. EGMR Walker/UK (E) (Fn. 301); (GK) Blecˇ ic´ /KRO (Fn. 55), § 68; Belaousof u.a./GR, 27.5.2004; vgl. auch Meyer-Ladewig NJW 2011 1559. Vgl. EGMR Vogl u. Vogl/A (E), 23.10.2001 = ÖJZ 2002 393 (Ablehnung durch EKMR als unzulässig); Frowein/Peukert Art. 35, 53; Meyer-Ladewig Art. 35, 37. Frowein/Peukert Art. 35, 53. Es kommt nur ein Verfahren in Betracht, das auf die Untersuchung und Beilegung des konkreten Falls gerichtet ist, die Miterwäh-
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nung in einem Staatenbericht, der eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen in ihrer Gesamtheit zum Gegenstand hat, dürfte das Kumulationsverbot nicht auslösen; vgl. Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 9, 13. Vgl. kürzlich: EGMR Peraldi/F (E), 7.4.2009 (UN-Arbeitsgruppe über willkürliche Haft). ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 117 ff. m.w.N. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 60; Frowein/ Peukert Art. 35, 56; Meyer-Ladewig Art. 35, 40.
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Ausschuss (UN-CAT) nach Art. 17 ff. UNCAT und der UN-Ausschuss zur Bekämpfung der Rassendiskriminierung, sowie sonstige durch zwischenstaatliche Vereinbarungen eingesetzte Organe, die der Einzelne oder sonstige nach Art. 34 EMRK Beschwerdeberechtigte zum Schutz individueller Menschenrechte anrufen können, wie dies etwa auch bei den Rechtsschutzorganen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) möglich ist.333 Verfahren im Rahmen nichtstaatlicher Organisationen haben diese Wirkung nicht.334 197 Der EuGH ist – jedenfalls vor einem (zu erwartenden) Beitritt zur EMRK – wegen seiner speziellen Aufgabenstellung nicht als internationale Untersuchungsinstanz von Menschenrechtsverletzungen anzusehen, auch wenn er mitunter bei der Auslegung des Unionsrechts Fragen der EMRK mitentscheidet.335 Die Prüfung durch eine andere internationale Instanz steht der Individualbeschwerde 198 nach Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK vom Beginn der Anhängigkeit an336 und auch noch nach Erledigung des dortigen Verfahrens337 entgegen (Verfahrenshindernis), nicht aber, wenn sie dort vor einer Sachentscheidung zurückgenommen worden ist.338 c) Identität der Beschwerden. Eine Beschwerde betrifft inhaltlich denselben Gegen- 199 stand, wenn Sachverhalt, Beschwerdegegenstand und Beschwerdeführer identisch sind.339 Ob eine weitere Beschwerde zulässig ist, bestimmt sich nach einem Vergleich der zugrunde liegenden Sachverhalte. Die Sachlage zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung muss sich gegenüber derjenigen zum Zeitpunkt der erneuten Beschwerdeeinlegung verändert haben. Es genügt aber nicht, wenn nur Tatsachen ergänzt werden, die der Bf. auch schon vorher hätte vortragen können. War ihm die Kenntnisnahme von Tatsachen vor Einlegung der (ersten) Beschwerde nicht möglich, handelt es sich zwar noch um denselben Sachverhalt, jedoch kann dann ein Antrag nach Art. 80 VerfO gestellt werden.340 An der Übereinstimmung mit einer bereits vorher behandelten Beschwerde fehlt es, 200 wenn verschiedene Personen wegen des gleichen Sachverhalts eine Verletzung ihrer eigenen Konventionsrechte geltend machen.341 Die materielle Übereinstimmung genügt aber, etwa wenn in einem Verfahren eine Personenvereinigung als Bf. auftritt, in dem anderen aber die Vereinigung selbst.342 An der Überstimmung fehlt es, wenn wegen der gleichen Menschenrechtsverletzung sowohl der unmittelbar Betroffene wie auch der mittelbar Betroffene Individualbeschwerde erheben, sofern nicht jeder damit eigene anerkennens333
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Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 60; Frowein/Peukert Art. 35, 56; Grabenwarter § 13, 53; weitere Beispiele vgl. Ermacora FS Verosta 187, 192; Tardu FS Partsch 287, 299; ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 133 m.w.N. Vgl. Ermacora FS Verosta 187, 192; Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 8, 13. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 60; ebenso Grabenwarter § 13, 53. Meyer-Ladewig Art. 35, 40. Meyer-Ladewig Art. 35, 40; anders Art. 5 Abs. 2 lit. a FP-IPBPR, der nur während der anderweitigen Anhängigkeit die Individualbeschwerde ausschließt. Grabenwarter § 13, 53; Frowein/Peukert Art. 35, 56.
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EGMR (GK) Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT)/CH (Nr. 2), 30.6.2009, § 63, NJW 2010 3699; Frowein/Peukert Art. 35, 50; Grabenwarter § 13, 51 m.w.N.; vgl. HRC Fanali/Italien, 31.3.1983, 075/1980, EuGRZ 1983 407 = HRLJ 1983 189; Nowak Art. 5 FP-IPBPR, 12; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 102 ff. Ehlers/Schoch/Kadelbach § 5, 58. EGMR Folgerø u.a./N (E), 14.2.2006; Malsagova u.a./R (E), 6.3.2008; Frowein/ Peukert Art. 35, 50 unter Hinweis auf die Praxis der Kommission, solche Fälle als einheitliche Beschwerde zu behandeln. Grabenwarter § 13, 53, Fn. 254.
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werte Interessen verfolgt und deshalb zwar eine Identität des Sachverhalts, nicht aber eine Identität der potentiell Verletzten besteht.343 Die EKMR hatte offen gelassen, ob eine Individualbeschwerde auch unzulässig ist, 201 wenn ihr Gegenstand mit einer bereits geprüften Staatenbeschwerde übereinstimmt.344 Nach Ansicht der Großen Kammer des Gerichtshofs ist dies abzulehnen, da es an der Identität der Beschwerdeführer fehlt.345 Ob ein Verfahren vor einer anderen internationalen Instanz entgegensteht bzw. ob ein 202 Fall im Wesentlichen mit einer bereits behandelten Beschwerde übereinstimmt, prüft der Gerichtshof von Amts wegen. Der Bf. hat sich darüber nach Art. 47 Abs. 2 lit. b VerfO bereits bei Einreichen der Beschwerde ausdrücklich zu erklären.
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7. Offensichtlich unbegründete Beschwerden. Offensichtlich unbegründet („manifestly ill-founded“ / „manifestement mal fondée“) sind Beschwerden, deren Prüfung keine Konventionsverletzung erkennen lässt.346 Dies sind vor allem Beschwerden, bei denen der Tatsachenvortrag die behauptete Konventionsverletzung nicht belegt, weil er nicht schlüssig347 oder ersichtlich unzutreffend oder zumindest nicht beweisbar348 ist, ferner auch, wenn ersichtlich ist, dass die Konvention den gerügten Eingriff in ein Konventionsrecht zulässt. Die offensichtliche Unbegründetheit muss sich nicht bereits beim ersten Anschein aufdrängen. Der Gerichtshof lässt es genügen, wenn die Unbegründetheit der Beschwerde erst in einem späteren Verfahrensabschnitt nach Überprüfung aller Aspekte des Falls erkennbar wird. Die Praxis des Gerichtshofs zieht diese Grenze ziemlich weit. Trotz eines umfassenden Sach- und Rechtsvortrags kann der Gerichtshof nach der Verhandlung und Beratung zu dem Schluss kommen, sie sei offensichtlich unbegründet.349 Dagegen erklärt der Gerichtshof die Beschwerde nicht für unzulässig, wenn sie eine schwerwiegende Frage tatsächlicher oder rechtlicher Natur aufwirft.350 Die Begründung der ablehnenden Entscheidung beschränkt sich mitunter auf eine 204 knappe Pauschalformel,351 die als sog. „global formula“ auch benutzt wird, wenn dadurch andere Fragen der Zulässigkeit mit abgedeckt werden sollen.352 In anderen Fällen werden die Erwägungen, aus denen sich die Unbegründetheit ergibt, ausführlich dargelegt, um dann als Endergebnis die Beschwerde als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig zu bezeichnen. Im Interesse der Verfahrensvereinfachung bleibt die Einstufung einer Beschwerde als offensichtlich unbegründet genauso wie auch die Feststellung der Unzulässigkeit aus sonstigen Gründen während des ganzen Verfahrens allen
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Frowein/Peukert Art. 35, 51. EKMR Donnelly u.a./UK, 15.12.1975. EGMR (GK) Varnava u.a./TRK (Fn. 128) § 118. EGMR Airey/IR (Fn. 241); Boyle u. Rice/UK, 27.4.1988, A 131; Meyer-Ladewig Art. 35, 47; siehe dazu ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 353 ff. m.w.N.; sowie Nr. 345 ff., zum Problem, dass der EGMR häufig als Superrevisionsinstanz agieren soll. Bei Beschwerden, die erkennen lassen, dass lediglich das letztinstanzliche nationale Urteil überprüft werden soll, ist eine Abweisung wegen offensichtlicher Unbegründetheit möglich. Grabenwarter § 13, 48.
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Grabenwarter § 13, 48; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 353 ff., 364 ff. m.w.N. Vgl. Villiger 15; Grabenwarter § 13, 47; Frowein/Peukert Art. 35, 61. EGMR (GK) Ilasçu u.a./MOL, R (Fn. 133); Grabenwarter § 13, 47. Vgl. EGMR Petersen/D (E), 12.1.2006 („… having regard to all material in its possession, the Court finds that these complaints do not disclose any appearance of a violation of the rights and freedoms set out in the Convention or its Protocols“); Villiger 156. Grabenwarter § 13, 49; Villiger 156.
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damit befassten Spruchkörpern offen. Rationell ist dieses Verfahren vor allem, wenn eine Beschwerde als offensichtlich unbegründet bereits am Beginn des Verfahrens im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung durch den Einzelrichter oder einen einstimmigen Beschluss eines Ausschusses verworfen wird oder wenn die zunächst mit der Zulässigkeitsprüfung befasste Kammer sie durch einen Mehrheitsbeschluss353 verwirft, bevor zur Sache verhandelt wird. 8. Missbrauch des Beschwerderechts a) Allgemeines. Weder die EMRK noch die Rules of Court (VerfO) sehen die Verhän- 205 gung einer Gebühr als Sanktion für die missbräuchliche Einlegung einer Beschwerde vor. In Extremfällen kann der Gerichtshof eine Individualbeschwerde jedoch für unzulässig erklären, wenn sie seiner Ansicht nach missbräuchlich erhoben wurde (Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK). Ein Missbrauch des Beschwerderechts kann in einem Prozessverhalten (formeller Missbrauch) des Bf. liegen, aber auch in einem von dem Bf. verfolgten Zweck (materieller Missbrauch).354 b) Formeller Missbrauch. Die Individualbeschwerde kann als Sanktion für miss- 206 bräuchliches Prozessverhalten für unzulässig erklärt werden („for improper conduct of proceedings“). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Bf. bewusst wahrheitswidrige Tatsachen vorträgt (knowingly based on untrue facts),355 entscheidungsrelevante Tatsachen verschweigt oder unvollständige und damit irreführende Angaben, insbesondere zum Verfahrensgang macht. Unvollständige, irreführende Angaben können vor allem dann als missbräuchlich i.S.v. Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK eingestuft werden, wenn sie den Kern der Rechtssache betreffen und nicht hinreichend, d.h. plausibel erläutert worden ist, warum diese Auskunft nicht erteilt worden ist.356 Häufig ist dann auch eine Streichung nach Art. 37 Abs. 1 lit. a EMRK möglich. Auch Verstöße gegen die Verfahrensordnung können dazu führen, dass eine Beschwerde als missbräuchlich eingestuft wird, etwa wenn gegen das Gebot der Vertraulichkeit der Verhandlungen über eine gütliche Einigung verstoßen wird.357 Missbräuchlich ist auch die Beleidigung von Mitgliedern des Gerichtshofs (dazu 207 zählen auch die Mitarbeiter der Kanzlei) 358 bzw. die Äußerung unangemessener Kritik (contempt of court).359 Die Beschwerde wird aber nicht mehr als missbräuchlich behan-
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Auf die Diskrepanz, die darin liegen kann, wenn trotz divergierender Meinungen die offensichtliche Unbegründetheit festgestellt wird, weist Frowein/Peukert Art. 35, 61 hin. Grabenwarter § 13, 54. EGMR (GK) Akdivar u.a./TRK (Fn. 41), §§ 53–54; Varbanov/BUL, 5.10.2000, ECHR 2000-X, § 36; Popov/MOL (Nr. 1), 18.1.2005, § 48; Keretchachvili/GEO (E), 2.5.2006, ECHR 2006-V; Hüttner/D (E), 19.6.2006, NJW 2007 2097; Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), § 63. EGMR Hüttner/D (E) (Fn. 355) (Wegfall der Opfereigenschaft); Berger/D (E), 17.3.2009, EuGRZ 2009 316; Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), § 63; siehe weitere Beispiele im
ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 136 f. 357 EGMR Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), §§ 65 ff.; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 140 ff. 358 EGMR Jian/RUM (E), 30.3.2004 (Beifügung gefälschter Dokumente); Duringer u.a. und Grunge/F (E), 4.2.2003, ECHR 2003-II (Beleidigung von Mitgliedern des Gerichtshofs in Schriftsätzen); Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), § 64; Frowein/Peukert Art. 35, 62. 359 EGMR Rehak/CS (E), 18.5.2004; Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), § 64; ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 138 f. m.w.N.
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delt, wenn der Bf. mit den Beschimpfungen aufhört, bzw. sich dafür entschuldigt.360 Dasselbe gilt für Beschwerden von offenkundig querulatorischer Natur, die keinen wirklichen Zweck verfolgen und/oder in denen es um äußert geringe Schäden geht.361
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c) Materieller Missbrauch. Schließlich kann der mit einer Beschwerde verfolgte Zweck diese als missbräuchlich erscheinen lassen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Ziel des Bf. erkennbar nicht die Wahrung seiner legitimen eigenen Konventionsrechte ist, sondern die Beschwerde ausschließlich zu Propaganda- oder Reklamezwecken eingelegt wird. Der Umstand allein, dass die Beschwerde in der Öffentlichkeit Beachtung finden und damit auch eine politische Propagandawirkung zugunsten des Bf. erreicht werden soll, genügt dafür aber nicht.362 Auch dass sich der Bf. den Folgen des Urteils entziehen will, über das er sich beschwert, ist nicht ausreichend.363
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9. Unerheblicher Nachteil. Eine Beschwerde kann mit Inkrafttreten des 14. P-EMRK auch dann als unzulässig eingestuft werden (Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK), wenn der Bf. keinen erheblichen Nachteil erlitten hat (significant disadvantage), der Fall bereits von einem nationalen Gericht gebührend geprüft wurde (duly considered) und keine menschenrechtliche Besonderheiten aufweist (unless respect for human rights … requires an examination). Näheres siehe unter Rn. 294 ff.
VI. Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs 1. Form und Inhalt
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a) Form. Die Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs werden entweder in öffentlicher Sitzung verkündet oder, wie es in der Praxis die Regel ist, vom Kanzler in der Form einer beglaubigten Kopie den Parteien zugestellt, was die Verkündung ersetzt.364 Die Beratungen finden dagegen immer in nichtöffentlicher Sitzung statt (Art. 22 Abs. 1 VerfO). Auch nach Abschluss des Verfahrens bleiben diese Beratungen geheim. Neben den Richtern nehmen nur der Kanzler bzw. sein Vertreter sowie Kanzleibedienstete und Dolmetscher an den Beratungen teil, deren Hilfe für erforderlich erachtet wird. Sollen andere Personen zur Urteilsberatung zugelassen werden, bedarf dies nach Art. 22 Abs. 2 VerfO einer besonderen Entscheidung des Gerichtshofs. Sämtliche Entscheidungen des Gerichtshofs werden mit der Mehrheit der anwesenden 211 Richter getroffen. Im Rahmen von Schlussabstimmungen über Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde sind Enthaltungen nicht zulässig (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 VerfO). Abgestimmt wird durch Handzeichen, sofern nicht der Präsident eine namentliche Abstimmung anordnet (Art. 23 Abs. 3 VerfO). 212 Sobald ein Urteil endgültig wird, wird es dem Ministerkomitee zugeleitet (Art. 46 Abs. 2 EMRK). 360 361
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EGMR Mirol¸ubovs u.a./LET (Fn. 74), § 64. Frowein/Peukert Art. 35, 62; siehe auch EGMR Bock/D (E), 19.1.2010, NJW 2010 1581 = EuGRZ 2010 42 (Erstattung von 7,99 € für Magnesiumtabletten). EGMR Lawless/IR, 1.7.1961, A 3; (GK) Buscarini/SM (Fn. 258); Mirol¸ubovs u.a./ LET (Fn. 74), § 64; Frowein/Peukert
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Art. 35, 62; Meyer-Ladewig Art. 35, 51; siehe auch ECHR Practical Guide on Admissibility Criteria (Fn. 46), Nr. 145 m.w.N. EGMR Ismoilov u.a./R, 24.4.2008, §§ 101 ff. Vgl. Grabenwarter § 14, 3.
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Urteile und Zulässigkeitsentscheidungen sind zu begründen (Art. 45 Abs. 1 EMRK; 213 Art. 56 Abs. 1; Art. 74 VerfO).365 Dasselbe gilt für die Streichung einer für zulässig erklärten Beschwerde im Register, da diese i.d.R. als Urteil ergeht (Art. 43 Abs. 3 Satz 3 VerfO). Eine entsprechende Begründungspflicht besteht für Entscheidungen nach Art. 39 Abs. 1, 3 EMRK, durch die eine Beschwerde nach einer gütlichen Einigung im Register gestrichen wird. Es ist dabei aber lediglich der Sachverhalt und der Inhalt der Einigung in der Entscheidung wiederzugeben (Art. 39 Abs. 3 EMRK). Ferner ist anzugeben, ob die Entscheidung einstimmig oder durch Mehrheitsbeschluss 214 getroffen wurde. Jeder Richter kann seine im Urteil nicht zum Ausdruck gekommene übereinstimmende (concurring opinion) oder aber abweichende Meinung (dissenting opinion) darlegen (Art. 45 Abs. 2 EMRK; Art. 56 Abs. 1; Art. 74 Abs. 2 VerfO). Die Urteile werden vom Kammerpräsidenten bzw. Ausschussvorsitzenden und vom 215 Kanzler unterzeichnet (Art. 77 Abs. 1 VerfO). Kammerurteile können in öffentlicher Sitzung verkündet werden (Art. 77 Abs. 2 VerfO); danach wird das Urteil dem Ministerkomitee mitgeteilt, Kopien werden an die Parteien, an den Generalsekretär des Europarats, an alle Dritten i.S.v. Art. 36 EMRK, einschließlich des Kommissars für Menschenrechte, sowie an alle, die im Übrigen durch das Urteil unmittelbar betroffen sind (Art. 77 Abs. 3 VerfO), versendet. Bei Ausschussurteilen (generell) und bei vielen Kammerurteilen ersetzt die Bekanntgabe nach Art. 77 Abs. 3 VerfO die Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung (Art. 77 Abs. 2 VerfO). b) Feststellung der Konventionsverletzung. Im Grundsatz ist der EGMR darauf 216 beschränkt, Konventionsverletzungen durch den beteiligten Staat zu verneinen oder aber sie festzustellen. In materieller Hinsicht ist der Gerichtshof dabei nicht auf die Prüfung der vom Bf. geltend gemachten Konventionsbestimmungen festgelegt („The Court who is the master of the characterisation to be given in law to the facts“),366 sondern lediglich insoweit gebunden, als er nur den vor ihn gebrachten Lebenssachverhalt bzw. das zugrunde liegende spezielle Ereignis prüfen kann. Wurde eine Entscheidung über die Zulässigkeit (separat) getroffen, so hat sich die Prüfung materiell-rechtlich in den dadurch vorgegebenen Grenzen zu halten. Innerhalb dieses Rahmens kann der EGMR die Beschwerde on ist own motion auch vor dem Hintergrund einer vom Bf. nicht als einschlägig eingestuften Konventionsbestimmung untersuchen367 und dabei über alle Tatsachen- und Rechtsfragen entscheiden, die im Verfahren auftreten. Außer Betracht bleiben allerdings Äußerungen der Parteien im Rahmen einer streng vertraulichen Verhandlung über eine gütliche Einigung sowie die Gründe, aus denen eine solche Einigung nicht zustande gekommen ist (Art. 39 Abs. 2 EMRK; Art. 62 Abs. 2 Satz 1 VerfO).368 „In cases arising from individual petitions the Court’s task is not to review the 217 relevant legislation in the abstract. Instead, it must confine itself, as far as possible, to
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Zu den Besonderheiten von Aufbau und Stil der Urteile vgl. Grabenwarter § 14, 4 ff.: Zur Schwierigkeit, in den meist von den Mitarbeitern des Sekretariats erstellten schriftlichen Urteilsgründen den von divergierenden Rechtstraditionen bestimmten Auffassungen der einzelnen Richter Rechnung zu tragen, und den deshalb mitunter inkonsistenten Begründungen vgl. Kühne StV 2001 73, 77 ff.
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Vgl. EGMR Hub/D, 9.4.2009, § 40, FuR 2009 623 = JAmt 2010 37. EGMR Bati u.a./TRK, 3.6.2004, ECHR 2004-IV; vgl. auch: EGMR Parlanti/D (E) (Fn. 137), § 6 (bzgl. Art. 3 EMRK bei Auslieferungsentscheidung). EGMR (GK) Tahsin Acar/TRK (Fn. 79), §§ 63, 74.
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examining the issues raised by the case before it.“369 Daher kann die Nichteinhaltung innerstaatlicher Rechtsnormen als solche vor dem Gerichtshof menschenrechtlich nur über eine spezielle Anknüpfung in einer Bestimmung der EMRK gerügt werden, etwa im Rahmen von Schrankenvorbehalten, in denen die Konvention ausdrücklich auf das nationale Recht verweist (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK: „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“; Art. 8 Abs. 2 EMRK: „gesetzlich vorgesehen“). Aber selbst in diesen Fällen variiert die Kontrolldichte des EGMR von Fall zu Fall. Zum Teil beschränkt sich der Gerichtshof auf eine Evidenz- oder Willkürkontrolle,370 teilweise geht die Prüfung aber auch recht detailliert und tief ins nationale Recht hinein.371 Macht der Bf. geltend, durch dasselbe staatliche Handeln in mehreren Rechten nach 218 der Konvention bzw. durch unterschiedliche Handlungsmodalitäten staatlicher Organe verletzt zu sein, so nimmt der EGMR eine gesonderte Prüfung jedes einzelnen Beschwerdepunktes nur dann vor, sofern diese jeweils neue Fragestellungen aufwerfen. Es ist jedoch die Tendenz zu erkennen, dass der Gerichtshof detaillierte Ausführungen lediglich zu der im Schwerpunkt gerügten Konventionsverletzung macht und die Beurteilung der übrigen Aspekte der Beschwerde dahinstehen lässt.372 Grundsätzlich wird der Staat aus dem Urteil nach Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet, 219 die festgestellte Verletzung zu beenden, Wiederholungen auszuschließen sowie Wiedergutmachung zu leisten (zur Bindungswirkung der Urteile des EGMR siehe Rn. 237 ff.). Abgesehen von der Verpflichtung zur Leistung der nach Art. 41 EMRK auf Antrag ggf. festzusetzenden „gerechten Entschädigung“ (siehe zu den Voraussetzungen Rn. 220 ff.) als Ersatz für eine Wiedergutmachung im Sinne einer restitutio integrum (siehe dazu Rn. 223) äußert sich der Gerichtshof grundsätzlich nicht dazu, auf welchem Weg der verurteilte Staat seiner Befolgungspflicht aus dem Urteil (Art. 46 Abs. 1 EMRK) nachkommen soll. In den letzten Jahren hat der EGMR jedoch mehrfach angedeutet, teilweise sogar unmissverständlich ausgesprochen, wie der festgestellte Konventionsverstoß seiner Ansicht nach zu beheben ist, z.B. durch eine Neuverhandlung des Falles, die Freilassung des Bf. oder durch die Rückgabe einer beschlagnahmten Sache.373
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c) Gerechte Entschädigung (Art. 41 EMRK). In dem Urteil, das eine Konventionsverletzung feststellt oder – sofern zu diesem Zeitpunkt der Ausspruch einer Entschädigung noch nicht spruchreif ist – in einem gesonderten Urteil am Ende eines Nachverfahrens, entscheiden Kammer oder Ausschuss auch darüber, ob und in welcher Höhe dem Bf. wegen der festgestellten Konventionsrechtsverletzung eine gerechte Entschädigung zuzuerkennen ist (Art. 75 VerfO).374 Diese umfasst zum einen den tatsächlichen materiellen Schaden (pecuniary damage), die immateriellen Schäden, wie psychische Schäden, Unbequemlichkeiten etc. (non-pecuniary damage) sowie die Kosten und Auslagen für die Rechtsverfolgung (costs and expenses). Zu den Einzelheiten siehe Practice Direction Just 369 370
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EGMR (GK) Taxquet/B, 16.11.2010, § 83. EGMR Buck/D, 28.4.2005, ECHR 2005-IV, § 37 = NJW 2006 1495 = StV 2006 561 = StraFo 2005 371. EGMR Gusinskiy/R, 19.5.2004, ECHR 2004-IV, §§ 56–69. Siehe etwa: EGMR Wendenburg u.a./D (E), 6.2.2003, ECHR 2003-II = NJW 2003 2221, 2223 = EuGRZ 2003 709 = ÖJZ 2004 775 = BRAK-Mitt. 2003 70 (Singularzulassung bei Oberlandesgerichten).
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EGMR Stoichkov/BUL, 24.3.2005, § 81 (Neuverhandlung); (GK) Assanidze/GEO, 8.4.2004, ECHR 2004-II = NJW 2005 2207 = EuGRZ 2004 268 mit Anm. Breuer EuGRZ 2004 257 (Freilassung); hierzu auch: Csaki 31 ff.; Rudolf/von Raumer AnwBl. 2009 313, 314. Zur oft kursorischen Behandlung der Entschädigungsfragen in den Urteilen des EGMR vgl. Dannemann RabelsZ 1999 452, 492 ff.
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Satisfaction Claims v. 28.3.2007 (PD-JS). Ein Betrag, den der Bf. im Wege der Verfahrenshilfe (legal aid) erhalten hat, wird bei den Kosten in Abzug gebracht.375 Voraussetzung für alle Posten ist, dass eine Entschädigung vom Verletzten rechtzeitig, also innerhalb der Frist für Ausführungen zur Begründetheit, geltend gemacht und ordnungsgemäß belegt wird (Art. 60 VerfO, §§ 4, 5, 21, 22 PD-JS).376 Grundsätzlich wird eine Entschädigung nur für die aus der festgestellten Konven- 221 tionsverletzung unmittelbar erwachsenen materiellen oder immateriellen Schäden ausgesprochen, nicht für sonstige Schäden, die dem Bf. aus anderen vergleichbaren Vorgängen oder aus anderen, erfolglos behaupteten Konventionsverletzungen entstanden sind.377 Entschädigungsfähig sind nur die Nachteile, für die die im Urteil festgestellte Konven- 222 tionsverletzung ursächlich war.378 Die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast liegt allein beim Bf. Die Anforderungen sind beträchtlich.379 Zu beachten ist, dass der EGMR nicht darüber spekuliert, wie das Verfahren bei konventionskonformem Verhalten ausgegangen wäre (siehe insbesondere zu Beweisproblemen bei Verfahrensfehlern Rn. 225). Erforderlich sind konkrete, glaubhafte Angaben zu Eintritt, Art und Umfang der Schädigung.380 Die Zusprechung einer gerechten Entschädigung durch den EGMR erfolgt nur, 223 „wenn dies notwendig ist“ (Art. 41 EMRK). Zu den Voraussetzungen einer im Urteil ausgesprochenen Entschädigungspflicht des Vertragsstaates für materielle bzw. immaterielle Schäden gehört aber, dass der durch die festgestellte Konventionsverletzung entstandene Schaden innerstaatlich nur unvollkommen wiedergutgemacht worden ist, der frühere Zustand also im Zeitpunkt der Entscheidung nicht in jeder Hinsicht wiederhergestellt worden ist (restitutio integrum).381 Dies trifft bei den meisten an den Gerichtshof herangetragenen Konventionsverletzungen zu, denn in der Regel dürfte schon wegen des Zeitablaufs die vollkommene Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht mehr möglich sein, zumal mehr als die Hälfte der festgestellten Konventionsverletzungen das Verfahren betrifft.382 Eine nur teilweise innerstaatliche Kompensation lässt den Entschädigungsanspruch ebenso wenig vollständig entfallen, wie der Umstand, dass der Bf. möglicherweise auch auf einem innerstaatlichen Rechtsweg eine Entschädigung erstreiten könnte. Den Bf. darauf zu verweisen, erneut den innerstaatlichen Rechtsweg zu beschreiten, um eine Entschädigung zu erstreiten, sieht der EGMR als unzumutbar an.383
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EGMR (GK) Og˘ ur/TRK (Fn. 234). Siehe hierzu auch Frowein/Peukert Art. 41, 6 ff. §§ 7 f. PD-JS; speziell zur Entschädigung bei Verurteilungen aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben): Bruckmann Was kostet ein Menschenleben? (2009). §§ 7, 8 PD-JS; siehe insbesondere für die Verletzung von Verfahrensgarantien Frowein/Peukert Art. 41, 14 ff. Vgl. z.B. EGMR Krasniki/CS, 28.2.2006, § 91 (kein Zusammenhang zwischen Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK und Lohnausfall); Buck/D (Fn. 370) §§ 37, 60–62 (kein Zusammenhang zwischen konventionswidriger Durchsuchung von Geschäftsräumen und Umsatzverlust); Uhl/D (E) (Fn. 265), §§ 36–38 (kein un-
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mittelbarer Zusammenhang zwischen Gehalts- und Rentenminderung durch überlange Verfahrensdauer). §§ 7, 11 PD-JS. Frowein/Peukert Art. 41, 3; EGMR Neumeister/A, 7.5.1974, A 17 = EuGRZ 1974 27; König/D, 10.3.1980, A 36 = NJW 1981 505 = EuGRZ 1980 598. Dannemann RabelsZ 1999 452 f., auch zu der hier problematischen Kausalität des verfahrensbezogenen Konventionsverstoßes für das Verfahrensergebnis. Vgl. Frowein/Peukert Art. 41, 4; der EGMR wartet mitunter aber die Entscheidung über innerstaatlich geltend gemachte Schadensersatzansprüche ab, vgl. etwa EGMR Clooth/B, 12.12.1991, A 225 = ÖJZ 1992 420.
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Der Gerichtshof entscheidet über die Entschädigung und ihre Höhe nach billigem Ermessen („if necessary“), nicht zuletzt weil sich materielle und immaterielle Schäden nicht immer exakt voneinander abgrenzen lassen. Mitunter hält er wegen der Besonderheiten des Falles eine Entschädigung überhaupt nicht für angebracht oder legt eine Entschädigung fest, die unterhalb des tatsächlich eingetretenen materiellen Schadens liegt.384 Er gewährt grundsätzlich keine größere Summe als vom Bf. gefordert. In nicht wenigen Fällen lehnt der EGMR eine Entschädigung auch deshalb ab, weil 225 durch die festgestellte Konventionsverletzung kein nennenswerter Schaden entstanden ist, etwa, weil dadurch das gegen den Bf. ergangene Strafurteil nicht in Frage gestellt wird 385 oder eine konventionswidrige Untersuchungshaft durch Anrechnung auf die Strafe kompensiert ist (ohne dass dadurch die Opfereigenschaft entfällt). Liegt die Konventionsverletzung allein in einem Verfahrensverstoß, lehnt es der Gerichtshof ab, darüber zu spekulieren, welchen Ausgang das innerstaatliche Verfahren ohne den Verstoß genommen hätte. Häufig kann der Bf. nicht beweisen, dass der Prozess bei Beachtung der Konvention zu seinen Gunsten ausgegangen wäre, d.h. einen Schaden oder zumindest die Ursächlichkeit der Konventionsverletzung für diesen nicht belegen.386 Vielfach sieht der Gerichtshof bei Verfahrensverstößen auch in der Feststellung der 226 Konventionsverletzung bereits eine ausreichende Kompensation.387 Manchmal spricht er dem Bf. aber auch wegen der Beeinträchtigung seiner Prozesschancen eine billige Entschädigung zu,388 so etwa für einen geltend gemachten immateriellen Schaden.389 Auch die in einer überlangen Verfahrensdauer liegenden irreparablen Belastungen können unabhängig vom Ausgang des Verfahrens eine billige Entschädigung rechtfertigen, sofern nicht bereits eine Anrechnung erfolgt ist.
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§§ 2, 12 PD-JS. Vgl. EGMR Hauschildt/DK (Fn. 231). Etwa EGMR Pakelli/D, 25.4.1983, A 64 = NStZ 1983 373 = EuGRZ 1983 344; (GK) Comingersoll S.A./P, 6.4.2000, ECHR 2000-IV; Uhl/D, 10.2.2005, StV 2005 475 = EuGRZ 2005 121, 124; van Kück/D, 12.6.2003 = NJW 2004 2505, 2509; MeyerLadewig Art. 41, 11 f., 26; vgl. auch Dannemann RabelsZ 1999 452, 467; Roth NVwZ 2006 753 ff. plädiert deshalb für eine Beweislastumkehr zugunsten des Bf., so dass der verurteilte Staat nachweisen muss, dass der Verfahrensfehler sich nicht zum Nachteil des Bf. ausgewirkt hat, sofern nicht ein Wiederaufnahmeverfahren eingeführt wird. In Deutschland existiert aber schon seit längerem die Wiederaufnahmemöglichkeit im Strafverfahren (§ 359 Nr. 6 StPO). 2007 ist sie durch § 580 Nr. 8 ZPO auch im Zivilprozess eingeführt worden. Kraft Verweisung gilt diese Norm auch in allen anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen (§§ 79 ArbGG, 153 VwGO, 179 SGG und 134 FGO). Auch im VwVfG ist ein entsprechen-
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der Wiederaufnahmegrund in § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG verankert worden; zu anderen Vorschlägen zur Lösung des Problems siehe ebenfalls Roth NVwZ 2006 753, 757 f. Vgl. EGMR (GK) Aquilina/MLT (Fn. 228); (GK) Hood/UK, 18.2.1999, ECHR 1999-I = EuGRZ 1999 117 = NVwZ 2001 304 = ÖJZ 1999 816; (GK) Nikolova/BUL (Fn. 282); Lietzow/D, 13.2.2001, ECHR 2001-I = NJW 2002 2013 = StV 2001 201; Atlan/UK, 19.6.2001 = StraFo 2002 52 = ÖJZ 2002 698. Etwa EGMR Kostovski/NL, 20.11.1989, A 166 = StV 1990 481 = ÖJZ 1990 312; Delta/F, 19.12.1990, A 191-A = ÖJZ 1991 425; (GK) Elsholz/D, 13.7.2000, ECHR 2000-VIII = NJW 2001 2315 = EuGRZ 2001 595= ÖJZ 2002 71 = FamRZ 2001 341 = ZfJ 2001 106; Whitfield/UK, 12.4.2005; Dannemann RabelsZ 1999 452, 457, 465; Meyer-Ladewig Art. 41, 11, 27. Etwa EGMR Minelli/CH, 25.3.1983, A 62 = EuGRZ 1983 475; Oberschlick/A (Fn. 300); Krone Verlag GmbH & Co KG/A, 26.2.2002, ÖJZ 2002 466.
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Verfahren des internationalen Menschenrechtsschutzes
Verfahren EGMR
d) Kostenerstattung. Das Verfahren vor dem EGMR ist als solches kostenfrei, es 227 werden keine Gerichts- oder Verfahrensgebühren erhoben. Einer Entscheidung über Verfahrenskosten im Urteil (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. j VerfO) bedarf es daher nur, wenn die Beschwerde Erfolg hat und der Gerichtshof gemäß Art. 41 EMRK anordnet, dass der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, den Verletzten auch für die Kosten seiner Rechtsverfolgung zu entschädigen hat (siehe Rn. 230). Für den Bf. können durch eine etwaige anwaltliche Vertretung, Übersetzungen etc. durchaus erhebliche Kosten entstehen (hierzu Rn. 230).390 Für die Anordnung der Kostenerstattung enthält die EMRK keine besondere Rechts- 228 grundlage. Deshalb wird auch die Erstattung der Kosten unter dem Blickwinkel der gerechten Entschädigung nach Art. 41 EMRK391 behandelt. Der Gerichtshof kann der verletzten Partei den Anspruch auf Erstattung ihrer nachgewiesenen Verfahrenskosten ebenso zusprechen wie auch sonstige Teile einer gerechten Entschädigung (vgl. Rn. 220– 226). Dies setzt in der Regel voraus, dass der Bf., der die Darlegungs- und Beweislast hat, seine Ansprüche fristgerecht unter Beifügung der notwendigen Unterlagen beziffert und nach Rubriken geordnet geltend gemacht hat (Art. 60 VerfO). Erstattungsfähig sind nur die tatsächlich angefallenen Kosten, soweit sie zur Rechtsverfolgung erforderlich waren und der Höhe nach angemessen sind.392 Unter dieser Voraussetzung sind die Kosten erstattungsfähig, die durch die innerstaat- 229 liche Geltendmachung des verletzten Konventionsrechts entstanden sind, so die Kosten der Rechtsverfolgung, mit der der Bf. versucht hat, durch geeignete Rechtsbehelfe das im Urteil des EGMR als verletzt bezeichnete Konventionsrecht bereits innerstaatlich zur Geltung zu bringen, um seiner Pflicht zur Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe (Art. 35 Abs. 1 EMRK) zu genügen.393 Die innerstaatlichen Kosten und Auslagen müssen tatsächlich angefallen sein und Maßnahmen betreffen, die notwendig waren, um die festgestellte Konventionsverletzung zu verhüten oder zu beheben.394 Sie dürfen eine angemessene Höhe nicht überschreiten. Nicht ersetzt werden Kosten für ungeeignete Rechtsbehelfe oder Kosten, die für die Durchsetzung des verletzten Konventionsrechts nicht notwendig waren, ferner nicht belegte Kosten.395 Hatte die innerstaatliche Rechtsverfolgung noch andere Ziele als die Durchsetzung des vom EGMR als verletzt bezeichneten Konventionsrechts, wird von den Verfahrenskosten und Auslagen nur der auf die festgestellte Konventionsverletzung entfallende Anteil ersetzt.396
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Grabenwarter § 15, 10. Esser 298, 313 ff.; Frowein/Peukert Art. 41, 85 ff. Grabenwarter § 15, 12. Zu Anrechnung einer vom EGMR als Entschädigung i.S.v. Art. 41 EMRK ausgesprochenen Kostenerstattung auf nationale Erstattungsregelungen siehe: OGH ÖJZ 2011 332. Vgl. etwa EGMR (GK) Bladet Tromsø u. Stensaas/N, 20.5.1999, ECHR 1999-III = NJW 2000 1015 = EuGRZ 1999 453 = ÖJZ 2000 232. Zu dem Ersatz der Kosten innerstaatlicher Rechtsverfolgung vgl. Frowein/Peukert Art. 41, 86 ff.; Villiger 242, 243, je m.N.
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der differenzierenden Rechtsprechung des EGMR. Vgl. Villiger 242 unter Hinweis u.a. auf EGMR Terra Woningen B.V./NL, 17.12. 1996, Rep. 1996-VI = ÖJZ 1998 69; ferner etwa EGMR (GK) Beyeler/I, 28.5.2002, NJW 2003 658; Czekalla/PL, 10.10.2002, ECHR 2002-VIII = NJW 2002 1229; Frowein/Peukert Art. 41, 86; Meyer-Ladewig Art. 41, 30. Anders allerdings, wenn der Schwerpunkt eindeutig das verletzte Recht betraf, vgl. etwa EGMR Eckle/D (Fn. 196); Smith u. Grady/UK, 25.7.2000, ECHR 2000-IX = NJW 2001 809 = ÖJZ 2000 614 = AuR 2004 315.
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Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
Ersetzt werden ferner die Kosten der Rechtsverfolgung vor dem Gerichtshof,397 soweit die Beschwerde Erfolg hatte. Hierzu rechnen die Kosten, die dem Bf. durch seine persönliche Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entstanden sind, mit Ausnahme eines Verdienstausfalls, sofern das persönliche Erscheinen als nützlich erachtet werden kann.398 Die Anwaltskosten werden erstattet, mitunter allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe. Vor allem wenn der zahlungspflichtige Staat die Höhe beanstandet, besteht hier, ebenso wie bei der Gewährung von Verfahrenshilfe (Rn. 43 f.), die Tendenz zu einer kritischen Prüfung sowie dazu, nicht alle tatsächlich entstandenen und geltend gemachten Kosten als notwendig und angemessen voll anzuerkennen. Ausschlaggebend sind Umfang, Dauer und Schwierigkeit des Beschwerdeverfahrens.399 Eine gewährte Verfahrenshilfe wird angerechnet. Ein darüber hinaus gehendes, vereinbartes zusätzliches Vertreterhonorar kann in der allgemein für angemessen erachteten Höhe erstattet werden, wenn nachgewiesen ist, dass mit dem Vertreter von Anfang an auch insoweit eine echte Zahlungspflicht vereinbart wurde.400 Die vom EGMR zugesprochene Entschädigung wegen erlittener immaterieller Schäden ist (jedenfalls bei gravierenden Umständen des zugrunde liegenden Falles) nicht abtretbar und pfändbar; sie fällt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bf. nicht in die Insolvenzmasse. Gleiches gilt für die zuerkannte Erstattung der Kosten für das Verfahren vor dem EGMR. Dagegen ist der Anspruch auf Erstattung von (Mehr-)Kosten im vorausgegangenen innerstaatlichen Verfahren abtretbar, pfändbar und fällt in die Masse, wenn über das Vermögen des Bf. das Insolvenzverfahren eröffnet wird.401
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2. Endgültigkeit des Urteils. Endgültig (vergleichbar einer formellen Rechtskraft) werden die Urteile der Großen Kammer mit ihrem Erlass (Art. 44 Abs. 1 EMRK). Dasselbe gilt für die Urteile der Ausschüsse (Art. 28 Abs. 2 EMRK, siehe dazu Art. 77 Abs. 2, 3 VerfO; Rn. 278 f.). Die Urteile der Kammern werden endgültig, wenn die Parteien nicht binnen drei Monaten die Verweisung an die Große Kammer beantragt haben oder wenn sie erklären, dass sie dies nicht beantragen werden oder wenn der über die Annahme entscheidende 5er-Ausschuss den Verweisungsantrag ablehnt (Art. 44 Abs. 2 EMRK). Die endgültigen Urteile werden in englischer oder französischer Sprache oder, wenn 232 der Gerichtshof es beschließt, in beiden Sprachen abgefasst (Art. 76 Abs. 1 VerfO).402 Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich;403 sie werden unter der Verantwortung des Kanzlers veröffentlicht, nachdem sie endgültig geworden sind (Art. 44 Abs. 3 EMRK; Art. 78 Satz 1 VerfO). Dieser ist außerdem für die Herausgabe der amtlichen Sammlung zuständig, die
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Frowein/Peukert Art. 41, 91 ff. Frowein/Peukert Art. 41, 96. Vgl. EGMR (GK) Ehem. König von Griechenland/GR, 28.11.2002, NJW 2003 1721: überhöhte Kosten; Frowein/Peukert Art. 41, 94; Grabenwarter § 15, 11; Villiger 242 mit Hinweis auf die Praxis in schweizerischen Fällen 243. Vgl. EGMR Öztürk/D, 23.10.1984, A 85 = EuGRZ 1985 144; Delta/F (Fn. 388); Frowein/Peukert Art. 41, 95. BGH Urt. v. 24.3.2011 – IX ZR 180/10,
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WM 2011 756 = ZIP 2011 820 (überlange Verfahrensdauer; 30J; Amtshaftungsverfahren) mit Anm. Birnbreier GWR 2011 195. Zur Forderung nach einer Übersetzung der Urteile in alle Konventionssprachen vgl. den fraktionsübergreifenden Antrag „60 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention“, BTDrucks. 17 3423 v. 27.10.2010, S. 4. Abrufbar im Internet über die Rechtsprechungsdatenbank des EGMR (http://hudoc.echr.coe.int).
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Verfahren EGMR
in englischer und französischer Sprache ausgewählte Entscheidungen und sonstige Schriftstücke enthält, deren Veröffentlichung der Präsident des Gerichtshofs für zweckmäßig hält (Art. 78 Satz 2; 76 Abs. 2 VerfO).404 Sofern der Bf. bei Einlegung der Beschwerde keinen Antrag auf Anonymität gestellt 233 hat (Rn. 181), kann er einen solchen Antrag auch noch nach Veröffentlichung der Entscheidung bei der Kanzlei einreichen. Dabei sollte er aber ausführen, warum er auf die Stellung des Antrags bei Beschwerdeeinlegung verzichtet hat und weshalb er durch die Veröffentlichung des Urteils oder der Entscheidung belastet wird.405 Die endgültigen Urteile des Gerichtshofes werden nach Art. 46 Abs. 2 EMRK dem 234 Ministerkomitee des Europarates zugeleitet. Zur Überwachung und Durchsetzung der Urteile siehe Rn. 262 ff. 3. Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Ver- 235 fahrens ist in der Konvention nicht geregelt. Da ihre Anordnung die Bindungswirkung des Urteils aufhebt, lässt sie Art. 80 Abs. 1 VerfO nur unter engen Voraussetzungen zu. Es muss nachträglich eine entscheidungserhebliche Tatsache bekannt geworden sein, die im Zeitpunkt der Entscheidung weder der Gerichtshof noch die Parteien kannten und die der Partei, die den Antrag stellt, nach menschlichem Ermessen auch nicht bekannt sein konnte. Der Antrag muss binnen sechs Monaten nach der Erlangung der Kenntnis gestellt werden. Er muss das Urteil bezeichnen und alle Angaben enthalten, auf denen sich der Wiederaufnahmeantrag stützt, die dafür erforderlichen Unterlagen sind in Kopie beizufügen (Art. 80 Abs. 2 VerfO). Über den Antrag entscheidet die Kammer, gegen deren Urteil die Wiederaufnahme begehrt wird. Ist dies nicht möglich, wird die Kammer durch Los ergänzt oder neu gebildet (Art. 80 Abs. 3 VerfO). Hält die Kammer keinen Wiederaufnahmegrund für gegeben, weist sie den Antrag ab. Andernfalls wird der Antrag der Gegenpartei übermittelt, die Gelegenheit zur Stellungnahme erhält. Danach entscheidet die Kammer die Sache neu durch Urteil, für das die allgemeinen Grundsätze gelten (Art. 80 Abs. 4 VerfO). 4. Auslegung des Urteils. Die Auslegung des Urteils durch den Gerichtshof kann jede 236 Partei innerhalb eines Jahres nach der Verkündung beantragen (Art. 79 Abs. 1 VerfO). Der an die Kanzlei zu richtende Antrag muss den Teil des Urteils genau bezeichnen, dessen Auslegung begehrt wird (Art. 79 Abs. 2 VerfO). Über den Antrag entscheidet die Kammer, die das Urteil gefällt hat, nach Möglichkeit in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung (Art. 79 Abs. 3 VerfO). Sie kann den Antrag abweisen, wenn nach ihrer Ansicht kein Grund zur Prüfung besteht. Andernfalls übermittelt der Kanzler den Antrag den anderen Parteien mit der Aufforderung, binnen einer bestimmten Frist schriftlich Stellung zu nehmen. Die Kammer entscheidet dann durch Urteil, das auch aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehen kann, sofern die Kammer dies beschließt (Art. 79 Abs. 4 VerfO).
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Die Sammlung wurde bis Ende 1995 als Série A bzw. A bezeichnet (durchlaufend nummeriert), ab 1.1.1996 als Recueil des Arrêts et Décisions bzw. Reports of Judgements and Decisions, meist zitiert als Reports oder abgekürzt Rep. (Beispiel: Rep. 1998-VII), ab 1.11.1998 werden die Reports
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offiziell mit ECHR zitiert (Beispiel ECHR 2000-II), im Schrifttum finden sich weiterhin die Bezeichnungen Rep. oder allgemein Sammlung (Slg). Siehe auch Practice Direction – Requests for Anonymity v. 14.1.2010 (Rn. 34).
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EGMR Verfahren
Menschenrechtskonventionen, Erläuterungen
5. Durchsetzung des Urteils
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a) Befolgungspflicht des betroffenen Staates. Mit der Endgültigkeit (Rn. 231) tritt die materielle Rechtskraft eines Urteils ein. Die Vertragsstaaten der Konvention sind völkerrechtlich verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das Urteil des Gerichtshofs zu befolgen (Art. 46 Abs. 1 EMRK). Eine Bindungswirkung besteht also nur zwischen den am Verfahren beteiligten Beschwerdeführern und Staaten und im Hinblick auf die entschiedene Sache.406 Da der EGMR kein Rechtsmittelgericht im Verhältnis zu den nationalen Gerichten 238 der Vertragsstaaten ist, handelt es sich bei seinen Urteilen – mit Ausnahme des eine gerechte Entschädigung betreffenden Teils (Art. 41 EMRK) 407 – um reine Feststellungsurteile, die weder eine kassatorische noch unmittelbar gestaltende, die Rechtskraft der nationalen gerichtlichen Entscheidungen beseitigende Wirkung haben. Die als konventionswidrig beanstandete Maßnahme kann das Gericht nicht selbst aufheben. Sie bleibt rechtlich voll wirksam.408 Auch eine unmittelbare Kontaktaufnahme des Gerichtshofs mit den für den Konventionsverstoß verantwortlichen staatlichen Stellen zur Umsetzung des Urteils ist formell ausgeschlossen. Aus einer Zusammenschau von Art. 41 und 46 EMRK ergibt sich der konkrete Inhalt 239 der Pflicht des jeweiligen verurteilten Vertragsstaats. Nach Art. 41 EMRK hat er eine Entschädigung zu entrichten, sofern die Wiedergutmachung nach dem nationalen Recht nur unvollkommen möglich ist. Vorrangig sind die Vertragsstaaten zur Naturalrestitution verpflichtet. Sie müssen daher innerstaatlich durch geeignete individuelle oder auch allgemeine Maßnahmen versuchen, der festgestellten Konventionsverletzung abzuhelfen, also fortdauernde Verletzungen zu beenden 409 und die Folgen bereits abgeschlossener Verletzu