Lutherische Theologie und Kirche, Heft 01/2020 - Einzelkapitel - Seelsorge und Gemeindeaufbau - oder -abbau. Zuversichtliche Kirche im Wandel der Zeit gestalten 9783846997116, 3846997116

Ganz gemeindepraktisch ausgerichtet ist schließlich der Beitrag von Markus Nietzke, Superintendent in Niedersachsen und

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Seelsorge und Gemeindeaufbau - oder–abbau. Zuversichtlich Kirche im Wandel der Zeit gestalten.
0. Eröffnung
1. Der Zusammenhang zwischen Seelsorge und Gemeindeaufbau
2. Ein kurzer Streifzug mit zwei Erinnerungen zum Thema „Gemeindeaufbau“
3. Eine Anregung: Seelsorge an Pilgern und Touristen als Thema im Gemeindeaufbau?
4. Seelsorge und Gemeindeabbau: Umgang mit Verlust an Gottesdiensten und Gemeinschaft
5. Blick nach vorne
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Lutherische Theologie und Kirche, Heft 01/2020 - Einzelkapitel - Seelsorge und Gemeindeaufbau - oder -abbau. Zuversichtliche Kirche im Wandel der Zeit gestalten
 9783846997116, 3846997116

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Lutherische Theologie und Kirche 45. Jahrgang 2020 Heft 1

Lutherische Theologische Hochschule

Copyright © 2020 Edition Ruprecht ISBN: 9783846997116

Markus Nietzke

Lutherische Theologie und Kirche, Heft 01/2020 – Einzelkapitel – Seelsorge und Gemeindeaufbau – oder -abbau. Zuversichtliche Kirche im Wandel der Zeit gestalten Lutherische Theologie und Kirche, Heft 01/2020

Edition Ruprecht

MARKUS NIETZKE

Seelsorge und Gemeindeaufbau - oder –abbau. Zuversichtlich Kirche im Wandel der Zeit gestalten.1 0. Eröffnung Zu Ostern 2019 wurde die Öffentlichkeit durch die Mitteilung überrascht, dass der Mitgliederverlust in den Kirchen anhalten wird und es bis 2060 zu einer Halbierung der Mitgliederzahlen kommen wird.2 Dank der „unentrinnbaren Zeitgenossenschaft“3, in der wir leben, wird die SELK davon nicht ausgenommen sein – sagt man. Ist es nicht eine erhebliche Selbstüberschätzung,4 zu meinen man könne einen Zeitraum von knapp 40 Jahren (bis 2060!) vorab prognostizieren? Solche Prognosen haben zudem etwas Lähmendes an sich. Sie legen sich wie Mehltau auf die Kirche und ihre Gemeinden und behindern das Grünen und Wachsen. Anders gesagt: Diese Prognosen werden zu einer Art self-fulfilling prophecy für die pasto1

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Diesem Artikel liegen zwei Referate zu Grunde: Im PTS der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) am 6. November 2019 in Bleckmar und auf der Mentorenkonferenz der SELK am 13. Februar 2020 in Hannover. Der Artikel folgt im Wesentlichen dem mündlichen Vortrag. Anregungen und Diskussionsbeiträge seitens der Vikare und Mentoren aus der SELK sind im Aufsatz berücksichtigt worden. Andreas Dreyer, Grußwort des Vorsitzenden. Hannoversches Pfarrvereinsblatt 124 (2019) Frühjahr/Sommer, 3. Diesen Begriff entleihe ich: Werner Klän, Konfessionalisierung und Pluralisierung angesichts gemeinsamer Herausforderungen, in: Jürgen Kampmann/Werner Klän (Hg), Preußische Union, lutherisches Bekenntnis und kirchliche Prägungen. Theologische Ortsbestimmungen im Ringen um Anspruch und Reichweite konfessioneller Bestimmtheit der Kirche, OUH.E 14, Göttingen 2014, 341. Vgl. Meinhard Miegel, Hybris. Die überforderte Gesellschaft, Bonn 2014, sowie die Glosse: Der Overconfidence-Effekt. Warum Sie systematisch Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten überschätzen, in: Ralf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, München 232019, 13–17, hier 14: „[…] Dasselbe gilt für Prognosen.“ LuThK 44 (2020), 69–82 DOI 10.2364/3846997116

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rale Arbeit in der Kirche.5 Wenn wir es uns schon selbst einreden, die Sache der Kirche ist verloren, lohnt sich kaum noch ein Einsatz dafür. Es zeugt, last but not least, eher von Unglauben als von Zutrauen in Jesus Christus der versprochen hat, dass die Sache der Kirche nicht untergeht.6 Gleichwohl können solche Prognosen anregen, darüber nachzudenken, wie künftig die Arbeit der Kirche gestaltet werden kann. Die Anregungen z.B. der Freiburger Studie der EKD und der DBK7 sind ein echter eye-opener, wenn man hinschauen will: „Die ,Basis‘ stärken, die ,Kirchenmitgliedschaft stärker würdigen‘ und ,familienbezogene Aktivitäten in den Gemeinden zu unterstützen‘“.8 Kehrt dadurch eine Aufbruchstimmung in der Kirche ein? Wir nehmen die Zukunft zuversichtlich in den Blick und fragen, wie die pastorale Arbeit in unserer Kirche mit ihren Regionen, Pfarrbezirken und Gemeinden, den Predigtorten und Predigtplätzen, bis hin in die Wohnstube eines entlegenen Ortes gestaltet werden kann – inmitten unserer sich wandelnden Zeit.

1. Der Zusammenhang zwischen Seelsorge und Gemeindeaufbau Wilhelm Rothfuchs, zu meiner Studienzeit Professor für Praktische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule, betonte damals schon den Zusammenhang zwischen Seelsorge und Gemeindeaufbau: „Seelsorge ist Gemeindeaufbau am Einzelnen. Gemeindeaufbau ist Seelsorge an der Gemeinde.“ Noch grundlegender: „Seelsorge ist die Teilhabe der Kirche an der Sorge Gottes um die Seele der Getauften.“9 Im Zusammenhang mit dem Gemeindeaufbau 5 6

Dreyer, Grußwort (wie Anm. 2), 3. Ob damit auch die SELK als verfasste Organisation (Körperschaft des Öffentlichen Rechts; eingetragene Vereine) gemeint ist – sei dahin gestellt. 7 Siehe nur: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/studie-prognostiziert-deutschenkirchen-duestere-zukunft-16166977.html#void. Die Ergebnisse sind zu finden unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2019/20 19-05-02_Projektion-2060_EKD-VDD_FactSheets_final.pdf.pdf. 8 Siehe Dreyer, Grußwort (wie Anm. 2), 3. 9 Wilhelm Rothfuchs, Pastoraltheologie: „Seelsorge und Gemeindeaufbau“, Wintersemester 1991/1992 an der Luth. Theol. Hochschule Oberursel – ich zitiere aus meiner Vorlesungsmitschrift.

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konnte er formulieren: „Gemeindeaufbau ist die Mitarbeit der Kirche bei dem Bau Gottes an der Gemeinschaft der Getauften.“ Im Laufe von inzwischen 26 Jahren im Pfarramt ist mir deutlich geworden, wie die Ausrichtung der Seelsorge seinerzeit ganz und gar fokussiert war auf das Leben in der Gemeinde und um die Gemeinde herum. Was unbedingt beeindruckte: Seelsorge und Gemeindeaufbau sind verankert im Gottesdienst und in der Frömmigkeit, anders gesagt, der Spiritualität – die von Gott auf dieser Welt hervorgerufene liebende Beziehung des Menschen zu Gott und Welt, in der der Mensch immer von neuem sein Leben gestaltet und nachdenkend verantwortet.10 Mit anderen zusammen, versteht sich! Was allerdings in den Vorlesungen überhaupt nicht vorkam, war die Frage nach dem seelsorgerlichen Umgang mit Gemeinde-Abbau. Die Frage ist also auch im Zusammenhang von Gemeindeaufbau – oder -abbau immer wieder neu zu stellen: „Was ist Seelsorge?“ Theologisch gesehen:11 Seelsorge als Zuwendung zum einzelnen Menschen. Mit diesen einzelnen Menschen wird über das Evangelium von Jesus Christus eine Beziehung hergestellt. Psychologisch: Seelsorge als Beratung bei existenziellen und spirituellen Problemen. Soziologisch: Seelsorge als absichtsvolle, intendierte solidarische Gemeinschaft im kirchlichen Kontext. Ekklesiologisch: Seelsorge als Wesensmerkmal der christlichen Kirche, als Gemeinschaft der Heiligen, erlebbar durch die Ortsgemeinde und über sie hinaus. Pastoraltheologisch: Seelsorge als die berufliche Aufgabe kirchlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in spezifischen Arbeitsfeldern (Krankenhaus, Gefängnis, Urlauber-Seelsorge, Schuldienst). Künftig wird die soziale Situation eines Menschen viel stärker als Teil des Bedingungsgefüges begriffen werden müssen, in dem Seelsorge betrieben wird. Für die Praxis der Seelsorge ist eine Pluriformität zuzulassen und anzustreben.12 Das mag sich mit aktivem diakonischen Engagement verbinden; oder, wie ich es in meiner Zeit als Missionsdirektor (2003–2010) ansatzweise habe kennenlernen können, im interkulturellen oder sogar interreligiösen Dialog. Sprich: Gespräche mit Menschen anderer ethnischer, kultureller, religiöser oder weltanschaulicher Prägung. Ich denke dabei auch an Gespräche 10 Corinna Dahlgrün, Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott. Mit einem Nachwort von Ludwig Mödl, Berlin 2009, 153. 11 Jürgen Ziemer, Seelsorgelehre. Eine Einführung für Studium und Praxis, Göttingen 42015, 21–22. 12 A.a.O., 121.

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mit Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Religionsgemeinschaften darüber, wie die Seelsorge im Einzelfall (auch gemeinsam verantwortet!) aussehen kann. Ein weiterer Gedanke: Wie sähe Seelsorge unter dem Blickwinkel des Gemeinde-Abbaus aus? Wer begleitet beispielsweise ältere, immobil gewordene Menschen in Diasporasituationen, wo es keine Aufbrüche oder wachsenden Gemeinden gibt?

2. Ein kurzer Streifzug mit zwei Erinnerungen zum Thema „Gemeindeaufbau“ Wenn William Shakespeare in seinen Sonetten schreibt: „From fairest creatures we desire increase, / that thereby beauty's rose might never die,“13 möchte ich entsprechend ein paar schöne Rosen aus dem Bereich des Gemeindeaufbaus aus der SELK-Literatur anschauen und ein wenig beschnuppern, um – im Sinne des Benchmarking14 – Anteil an gelungenen Projekten zu geben und zu nehmen. Die Auswahl deckt keineswegs alles ab, was zum Thema gelingender Gemeindeaufbau gesagt werden könnte. Aber es mag uns zuversichtlich stimmen und sogar inspirieren. a. Seelsorge im Gemeindeaufbaukonzept von Richard Tepper Im Synodalreferat der 3. Kirchensynode der SELK in Hermannsburg im Juni 1979 hob Richard Tepper hervor, wie hilfreich das Angebot sei, welches „das lutherische Bekenntnis allen an die Hand gibt, die sich bemühen, die biblische Botschaft von Jesus Christus den Menschen unsere Zeit nahezubringen.“15 Dies wurde in vier Thesen entfaltet. Die zweite These lautete: „Die biblische Botschaft den Menschen unserer Zeit nahe bringen heißt: Die verschiedenen Möglichkeiten der Evangelisation, die sich heute bieten, mit guten Gewissen 13 William Shakespeare, The Sonnets/Die Sonette. Englisch und in ausgewählten deutschen Vers-Übersetzungen. Mit Anmerkungen und einem Nachwort herausgegeben von Raimund Borgmeier. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 9729. Stuttgart 1974, 2014. Sonnet I. 14 Benchmarking ist der kontinuierliche Vergleich von Produkten, Dienstleistungen sowie Prozessen und Methoden zwischen (mehreren) Unternehmen, um die Leistungslücke zum sog. Klassenbesten systematisch zu schließen. 15 Richard Tepper, Solange es Tag ist. Möglichkeiten lutherischer Evangelisation heute, Groß Oesingen 1981. Umschlagtext.

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nutzen.“16 Neben der Nutzung von Rundfunk und Fernsehen als „wichtige missionarische Arbeit“17, neben Anregungen wie „Campinggottesdiensten“, „Straßenpredigten in Fußgängerzonen“, „Bücherstände vor Kaufhäusern“ und „Missionsstunden“ wird auch besonders auf Schrifttümer (sprich: „Traktate“) verwiesen. Laut Tepper ist vieles im Bereich des Kleinschrifttums (gemeint ist: aus dem Umfeld konfessionellen Luthertums) „schriftgemäß“, aber „leider vielfach unbrauchbar“.18 Geeigneteres Schrifttum wäre vonnöten.19 Manches wurde umgesetzt. Aber gerade die letztgenannte Bilanz ist ernüchternd und sähe heute vielleicht nicht ganz anders aus. Was hatte Erfolg? Was blieb folgenlos? b. Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit als Teil eines Gemeindeaufbaukonzepts In „Zum Umgang mit der Presse“ von Klaus Pahlen (1986) wird in seiner Definition über „Öffentlichkeitsarbeit“ für den Bereich der SELK herausgestellt: Es geht in der Öffentlichkeitsarbeit der Kirche und der Kirchengemeinde um „das publizistische und öffentliche Handeln der Gemeinde […], um ihre lokale Kommunikation“.20 „Kommunikation ist eine Form kirchlichen Handelns.“21 Aber: eine „genaue Bestimmung und Abgrenzung dieser Art von Werbung von anderen Kommunikationsformen“ ist schwierig. Begriffe, die mit Öffentlichkeitsarbeit zusammenhängen sind: Werbung, Public Relations, Kommunikation, Kontaktpflege, Mission, vertrauensbildende Maßnahmen, das Ernstnehmen der Wünsche und Erwartungen der Gemeindeglieder, Einladen im weitesten Sinne. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit in der Gemeinde ist gleichermaßen die glaubwürdige und vertrauensschaffende Kommunikation wie die praktische Hilfe, Kommunikation in Gang zu bringen und zu halten. Anders gesagt: „Evangelische Werbung ist das wiederholte Bemühen, die Aufmerksamkeit von Menschen für die Sache Gottes zu gewinnen.“ 22 Für den 16 17 18 19 20

A.a.O., 32ff. A.a.O., 43. A.a.O., 42. A.a.O., 43. Klaus Pahlen, Zum Umgang mit der Presse. Meines Wissens unveröffentlicht (1986), 11. 21 Ebd. 22 Ebd.

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Bereich der kirchlichen Werbung ist von Interesse, woran sich dieses Unterfangen konkret festmachen lässt. Daher heißt es in der theologischen Begründung: „Der Gott der Christen ist ein werbender Gott. Er überlässt die Menschen nicht ihrem Schicksal, sondern ist ständig auf dem Weg zu ihnen. Er sucht sie. Er ruft sie. Er stellt sich ihnen vor. Er redet mit ihnen. Er tritt in Konkurrenz zu Göttern und Götzen, die die Menschen in ihren Bann schlagen wollen.“23 Als Begründung der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit wird definiert: „Grund und Begründung evangelischer Werbung ist das Liebeswerben Gottes selbst. Darum hat sich die Werbung der Kirche an der Werbung Gottes zu orientieren.“24 Das kann durchaus unter Nutzung neuer Methoden der Kommunikation und gegenwärtiger Erkenntnisse geschehen, ja, die Kirche „kann lernen vom Theater, Film und anderen Ausdrucksmitteln, die überall verstanden werden.“ Allerdings nicht vorbehaltlos: „Maßstab allen Tuns bleibt Christus. Er hat sich zum Heil der Menschen erniedrigt und ist ihnen nicht nur gleich, sondern auch ihr Diener geworden.“25 Wie aber kann kirchliche Öffentlichkeitsarbeit heute – in einem Zeitalter der Unaufmerksamkeit – Aufmerksamkeit erregen? Sind andere, neue Methoden gefragt? Die eben geschilderten Überlegungen könnten auf ihren Wert sowohl im Gemeindeaufbau als auch im Gemeindeabbau abgeklopft werden. Vielleicht bieten die alten Medien (= „Schrifttum“ [Tepper]) und neueren, sozialen Medien (= „andere Ausdrucksmittel“ [Pahlen]) doch mehr Gelegenheiten für Auf- und Abbau von Gemeinden als gedacht!

3. Eine Anregung: Seelsorge an Pilgern und Touristen als Thema im Gemeindeaufbau? Unter vielen Möglichkeiten hier eine Anregung: Meine These: Es reicht völlig aus, Menschen, die als Pilger oder Touristen unterwegs sind, für eine bestimmte Zeit zu begleiten und dazu einen Kirchraum, eine „offene“ Kirche für die Seelsorge anzubieten. Da kann man – ausgelöst durch eine Wanderung in der Südheide – folgendes erleben:

23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd.

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Vor zwei Jahren haben wir in der kleinen Kreuzkirche eine wunderschöne Hochzeit gefeiert. Im letzten Jahr waren wir hier und auch in diesem Jahr besuchen wir die kleine Kreuzkirche wieder und erinnern uns der Gefühle unserer Hochzeit, können diese wieder in uns spüren […] Wir sagen noch einmal „Danke“ für dieses Ereignis. Gerichtet an Gott. Pastor Nietzke. An die Kirchengemeinde. Und wir sagen „Danke“ für die offene Kirche. P.S. Und wir sagen „Danke“ für den wundervoll gestalteten Stein („Gott liebt uns!“)26

Zufallsgespräche mit persönlichen Hintergrund und alltagsseelsorgerliche Kommunikation sind längst Teil seelsorgerlicher Praxis.27 Dies erlebe ich konkret, wenn Pilgerinnen und Pilger, oder Radfahrer oder Menschen aus dem näheren Umfeld der täglich geöffneten Kleinen Kreuzkirche (SELK) in Hermannsburg in der Kirche verweilen. Dem sollte, so sagen die Fachleute und Tourismus-Experten, eine Pluralität der Beteiligungsformen entsprechen. Ein Gästebuch tut es zwar auch – aber es mag auch weitere Kommunikationsmittel im Nachgang geben: Brief, Anruf per Telefon, Mail über die Homepage der Gemeinde. Damit hängt unmittelbar Gastfreundschaft zusammen, die durch eine täglich geöffnete Kirche angedeutet und manchmal durch die zufällige Anwesenheit eines Pfarrers vor Ort gewährleistet wird. Der Gastgeber darf dabei nicht berechnend sein. Eigentlich eine Binsenweisheit: Seelsorge ist nicht exklusiv! Sie wird über die offene Kirche und Gelegenheitsgespräche Menschen erreichen, die nicht zur eigenen Kirchengemeinde oder überhaupt einer Kirche angehören und von daher gesehen „Gäste“ sind. Vielleicht ist gerade das eine der stärksten Chancen dieser Art von Seelsorge, dass sie gegenwärtig Menschen erreicht, die von der Kirche zwar weit weg sind, aber von einer in dem Kirchengebäude oder der Ortsgemeinde vorhandenen Kompetenz zum hilfreichen und befreienden Gespräch dankbar Gebrauch machen. Gast ist, wer heute kommt und morgen eventuell schon wieder weiter zieht.28 Die entscheidende Frage ist, ob es gelingen wird, in sehr kurzer Zeit eine aktuell emotionale Situation eines Gesprächspartners aufzunehmen und einen ersten kleinen perspektivischen Schritt anzudeuten. Wichtig scheint hier zu sein, ob jemand 26 Eintrag im Gästebuch der Kleinen Kreuzkirche 2019. Das Gästebuch liegt in der täglich geöffneten Kirche aus. 27 Ziemer, Seelsorgelehre (wie Anm. 11), 121. 28 A.a.O., 152.

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den Eindruck gewinnt oder das Gefühl hat, angenommen zu sein. Dieses erfordert pastorale Präsenz im Augenblick und eine empathische Grundeinstellung.29 Ein erstes Fazit könnte daraus gezogen werden: Gemeindeaufbau ist die seelsorgerliche Begleitung des wandernden Gottesvolkes, das seine Zelte aufschlägt, aber auch wieder abbricht.

4. Seelsorge und Gemeindeabbau: Umgang mit Verlust an Gottesdiensten und Gemeinschaft „Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert und wirt keyner für den anderen sterben. Sonder ein yglicher in eygner person für sich mit dem todt kempffen“ sagt Martin Luther am Sonntag Invokavit 1522.30 Meine These: Gemeinde-Abbau hat – genau wie der Tod – eine das Leben tief verunsichernde Macht.31 Wenn in meiner Nachbarschaft eine Kirchengemeinde aufgelöst und eine Kirche entwidmet und geschlossen oder gar zurückgebaut wird, steht auch das eigene Gemeindeleben vor Ort auf dem Prüfstand. Es muss sich immer wieder neu bewähren, dass wir angesichts von allerlei Verlusterfahrungen (wie z.B. einem Mitgliederschwund in vielen SELK-Gemeinden) dennoch eine Hoffnung hegen, die sich aus der Zuversicht, dass Jesus Christus der Herr der Kirche ist, herleitet. Nicht die Kirche Jesu Christi, die „una sancta catholica et apostolica ecclesia“, die wir im Nicaenum bekennen, stirbt ab oder erleidet Verluste, wohl aber die Kirchen verstanden als Organisationen mit Gemeinden, die z.B. als Körperschaften oder Vereine konstituiert und bei einem Amtsgericht erfasst sind.32 In einer Situation der Verunsicherung und der Abschiede ist die Zusage der Nähe Gottes und die Vergewisserung der Hoffnung von

29 A.a.O., 216. 30 WA 10/III,1. 31 Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden III. Die Amtshandlungen. Teil 5. Die Bestattung. Herausgegeben von der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands, Hannover 1996. 32 So wurde nach dem Referat im Februar 2020 in der Diskussion angeregt, sich noch einmal genauer mit dem Begriff „Gemeinde“ zu befassen: Was ist eigentlich eine Gemeinde? Was macht sie zu mehr als einer Ansammlung von Individuen? Wann „kippt“ der Begriff und wann kann eine Gemeinde nicht mehr (im Sinne des Vereinsrechts) existieren?

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großer Bedeutung.33 Dieser Dienst ist ein wichtiger seelsorgerlicher Dienst! Wir treffen auf Menschen in Kirchengemeinden oder Gemeindeaufbau-Projekten oder eben auch Gemeinde-Abbau-Projekten mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Erwartungen: Einerseits gibt es solche, die fest im christlichen Glauben verwurzelt sind, andererseits begegnen uns Menschen, die ihre Kirche innerlich längst verlassen haben oder gar ausgetreten sind. Solche unterschiedlichen Situationen in den Blick zu nehmen, gehört zur Verantwortung eines Seelsorgers unabdingbar dazu. Nun kommt noch ein entscheidender Aspekt dazu: Ein Seelsorger (ich meine damit auch Pastoralreferentinnen oder Gemeindeglieder in einem von einer Kirchengemeinde organisierten Besuchsdienst) wird sehr sensibel darüber nachdenken müssen, wie er der Klage über den Rückgang und den Abbau des kirchlichen Lebens im Gespräch mit Menschen, die sich intensiv mit dem Thema Kirche befassen, einfühlsam Raum gibt und auf der anderen Seite deutlich den Zuspruch einer Geborgenheit in Christus, die auch der Tod – selbst einer Kirchengemeinde – nicht zerstören kann, laut werden lässt. Es ist das Vorrecht von Pfarrern/Pastoralreferentinnen in der SELK, als Seelsorger nahe an den Menschen zu arbeiten – in Gemeinden ganz unterschiedlicher Prägung, will sagen, im Wachsen, in der Blüte oder im Verwelken befindlich – und dabei das Wort des Gottes zu predigen, „der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Leben ruft“ (Röm 4,17). Zum Thema Gemeindeabbau möchte ich zwei weitere Aspekte betonen: 1. Zum Thema gehört der seelsorgliche Beistand für sterbende Gemeinden. Ohne Unkenruf oder, wie man in Norddeutschland sagt, „Spökenkiekerei“ gehört künftig die Begleitung sterbender Gemeinden zu den unausweichlichen Aufgaben im Gemeindepfarramt der SELK. Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger in der SELK werden damit jetzt schon konfrontiert. Von ihnen wird seelsorgerlicher Beistand erwartet. Ich benenne dieses als Tatsache künftiger pastoraler Arbeit.34 Was nun nach einem Widerspruch klingt, ist doch eines der Geheimnisse des Gemeindeaufbaus: Es gilt Abschied von der Illusion zu nehmen, wir könnten die Kirche durch unser Tun retten bzw. durch ein bestimmtes und ausgeklügeltes Konzept erhalten. Es gilt Abschied zu nehmen von der Illusion, statistische Erhebungen und 33 Ziemer, Seelsorgelehre (wie Anm. 11). 34 A.a.O., 350–351.

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Prognosen aller Art oder ein bestimmter Standpunkt zu einer ethischen Frage seien ein Kriterium für den Bestand der Kirche Jesu Christi. Die Warnung Jesu gilt: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Mt 16,26) Der Bestand und Erhalt der Kirche liegt nicht in unserer Hand, der Garant für die Kirche ist Jesus Christus selbst. Warum machen wir uns dann immer wieder Gedanken dazu? Ich verweile noch ein wenig bei dem oft noch tabuisierten Thema des Gemeindeabbaus in der SELK: Ich bin dabei, zu erkunden, ob es eine Abfolge verschiedener Phasen im Sterbeprozess eines Pfarrbezirks oder einer Gemeinde gibt:35 Für einen ersten Versuch möchte ich fünf Phasen unterscheiden: 1. Eine Vermeidungsstrategie: „Nein! Nicht unsere Gemeinde! Auch nicht unser Pfarrbezirk!“ Ein anderes Wort für diese Vermeidungsstrategie ist: „Leugnung“. Ich ahne zwar als Pfarrer oder Gemeindeglied, dass ein dramatischer Wandel mich nicht unbeteiligt sein lässt. Ich setze mich aber erst einmal zur Wehr, indem ich sage: „Das betrifft nicht mich, auch nicht meine Gemeinde!“ Trotzdem: Wir müssen es – es ist zugegebenermaßen sehr schmerzlich – wahrnehmen. Da und dort geht eine Gemeindearbeit zu Ende, da und dort können wir nicht mehr eigenständige Gemeinde in einem Pfarrbezirk sein.36 2. Der Wandel ruft Schmerz und vielleicht auch Aggressionen hervor; gegen den Pfarrer der Gemeinde, den Bezirksbeirat im Kirchenbezirk, Superintendent oder überhaupt „die“ Kirchenleitung: „Das darf doch alles nicht wahr sein!“ Zorn einerseits, aber die Mutlosigkeit oder Resignation andererseits sind die erkennbaren Motive. Wir müssen den Verlust an Kirchlichkeit und Frömmigkeit vor Ort eingestehen lernen. 3. Manchmal versucht ein Kirchenvorstand oder eine Gemeindeversammlung es mit Verhandlungen: „Wenn wir (noch schnell) dieses oder jenes Konzept ausprobieren, ändert sich alles!“ Dieser Aktionismus ist im Gespräch behutsam zu enttarnen. 4. Wenn auch diese Versuche in der Regel viel schneller als erwartet oder gar erhofft scheitern, ist das ein Tal der Tränen, oder besser gesagt, der Depression, welches es zu durch35 A.a.O., 352. Siehe dazu auch: Christian Grethlein, Grundinformation Kasualien: Kommunikation des Evangeliums an Übergängen des Lebens, Göttingen 2007, 311. 36 Interessante Aspekte zum Thema Tod, Trauer und Sterbebegleitung, ausdrücklich „perimortal“ benennt Kerstin Lammer, Den Tod begreifen. Neue Wege in der Trauerbegleitung, Neukirchen 2003. Zitiert nach: Grethlein, Grundinformation (wie Anm. 35), 311.

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wandern gilt. 5. Die letzte Phase, die ich dabei beobachte, ist eine sich allmählich entwickelnde kooperative Einstellung: „Nun gut, wenn ich es schon nicht ändern kann, will ich wenigstens versuchen, etwas aus dieser Situation zu machen! Es ist nicht leicht, aber ich sage Ja zu dem Wandel und gestalte ihn.“ Die Einwilligung und das Anerkennen dessen, dass es sterbende Gemeinden gibt und geben wird, mag aber auch einen inneren Frieden hervorrufen. Ich möchte nicht bei einer allgemeinen Zustandsbeschreibung stehen bleiben. Es ist nicht immer einfach, die Bedürfnisse eines im Gottesdienstbesuch und in Gemeindegliederzahlen schrumpfenden Pfarrbezirks zu erkennen. Dazu mag eine Teil-Visitation des Superintendenten dienen, der hierzu das sorgsame Gespräch mit dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand einer Gemeinde führt. Die Fragestellung, unter der ich dieses Thema angehe, lautet: „Welche Möglichkeiten gibt es, dass das Gemeindeleben erträglich bleibt?“ Es müssen nicht viele sein! Im Übrigen ist es nicht vorstellbar, dass man ohne Kooperation mit anderen Pfarrbezirken oder Pfarrern weitere Schritte tut. Die Angst einer Gemeinde vor der Vereinsamung darf dabei nicht aus den Augen verloren werden. Wird es Menschen geben, die in diesem Prozess weiterhin solidarisch sind und eine Gemeinde erkennen lassen, dass sie es wert ist, geliebt zu werden? Bei solchen Besuchen durch den Superintendenten oder eine oder einen anderen Vertreter des Kirchenbezirks ist es beglückend zu erleben, wie Menschen aus diesen Gemeinden noch einmal erzählen, wie es früher war. Manchmal werden damit auch bestimmte Erfahrungen neu gedeutet und ins rechte Licht gerückt. Anders gesagt: Menschen, die in einer sterbenden Gemeinde zu Hause sind oder waren, können damit ihren Frieden finden. Ich nehme eine allgemeine Sehnsucht danach war, dass entsprechende Andachten oder Gottesdienste den Gemeindegliedern Hoffnung geben, Frieden zusprechen und trösten.37 Summa: Das Sterben von Gemeinden gehört unabwendbar zum kirchlichen Leben dazu. Es kann weder verhindert noch auf Dauer hinausgezögert werden. Als Seelsorger können wir aber dazu beitragen, dass für solche Gemeinden auch die Zeit ihres Sterbens immer noch eine Zeit des Lebens ist: Wenn mitgetragen wird, was schwerfällt; wenn Raum gegeben wird, um zurückzuschauen; wenn Trost gespendet wird, um Glaube und Hoffnung zu vertiefen.38 Dabei mag 37 Ziemer, Seelsorgelehre (wie Anm. 11), 354. 38 A.a.O., 355–356.

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auch einmal ein Hinweis auf das heilige Abendmahl als besonders hilfreiches Instrument der Seelsorge erfolgen, als Kraftquelle39 – auch für den letzten Weg einer Gemeinde! Mir ist es wichtig hervorzuheben, dass da, wo wir nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Ernsthaftigkeit die gegenwärtigen Strukturveränderungen in der SELK gezielt im Sinne des Gemeindeaufund nota bene: Gemeindeabbaus als seelsorgerliche Chance in Angriff nehmen, diese Chance vertun. Jedes Misslingen, das nicht ernsthaft daraufhin ausgewertet wird, was daraus für den nächsten Schritt gelernt werden kann,40 wird zu einer extremen und schweren Belastung für uns.

5. Blick nach vorne Zu den wesentlichen Fragen zur Zukunft der Seelsorge im Gemeindeaufbau und Gemeindeabbau gehört die Kernfrage: „Warum eigentlich sind wir selbstständige evangelisch-lutherische Kirche?“ Weshalb bemühen wir uns, das gemeindliche Leben und die pastorale Versorgung vom Anfang bis zum Ende zu gewährleisten und mit Augenmaß zu gestalten? Wir können theologische Gründe ins Feld führen, wenn wir wollen. Wir können uns mit alten Argumentationsmustern behelfen, die sich aus der Abgrenzung von anderen speisen. Diese Denkweise gehört nicht, anders als vielleicht manche meinen, zum Fundament unserer Kirche. Ich halte eine solche Denkweise für falsch. Ich möchte den Blick darauf lenken: Wir sind selbstständige evangelisch-lutherische Kirche, weil wir als Gemeinden und Pfarrbezirke Charakter und Stil haben. „Charakter“ haben heißt, die Bereitschaft an den Tag zu legen, liebevoll – gemeinsam mit anderen – seelsorgerliche Verantwortung für das Leben selbst im kleinsten Predigtort zu übernehmen. Im Wachsen wie im Verblühen einer Gemeinde oder eines Predigtortes. Daraus wächst echte Selbstachtung.41

39 Ich verweise hier nur auf ein ausgesprochen bemerkenswertes Buch: Johann Anselm Steiger, Medizinische Theologie: Christus medicus und theologia medicinalis bei Martin Luther und im Luthertum der Barockzeit. Mit Edition dreier Quellentexte, Leiden/Boston 2005. 40 Klaus Doppler, Change. Wie Wandel gelingt, Frankfurt/New York 2017, 14. 41 Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, 9.37 und Joan Didion, Zitiert nach: Ryan Holiday, Der tägliche Stoiker. 366 Nachdenkliche Betrachtungen über Weisheit, Beharrlichkeit und Lebensstil. Mit einmaliger Neuübersetzung der größten Philo-

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Das ist für mich persönlich ein Grund, warum ich mich ausgerechnet in dieser konfessionell-lutherischen Minoritätskirche als Pfarrer und Superintendent engagiere – ohne dabei schönzureden, was ich an Mankos erkenne und zu benennen wüsste. Würden wir als Kirchengemeinden je unsere selbst gesetzten Grenzen überschreiten, wenn wir es nicht tun müssten, beispielsweise aufgrund einer eingetretenen Notsituation?42 Die Komfortzone ist kuschelig und bequem – aber dort ist nicht mehr zu erwarten als der alte Trott. Was heißt es in unserer Zeit, selbstständige evangelischlutherische Kirche zu sein? Was heißt es Seelsorge zu üben, Seelsorgerin oder Seelsorger zu sein? Im Werden begriffen? Was sind angemessene Formen des Gemeindeaufbaus in unserer Zeit? Oder nehmen wir Abschied von alten und lieb gewordenen Ideen und Idealen, weil unsere Zeit doch eine ganz, ganz andere ist als wir es mein(t)en? Entwicklungen sind in unserer Kirche – glaube ich – prinzipiell gewollt: Wenigstens diese Schwerpunkte möchte ich nennen,43 wo ich mir einen kreativen Gedankenschub und regen Gedankenaustausch wünschen würde: a) „Kirchen- und Gemeindeentwicklung unter dem Aspekt des ständigen Wandels in der modernen, säkularen Gesellschaft (auch in Zeiten des Klimawandels), b) „Angemessener Umgang mit Veränderungen im Berufsbild des Pfarrers.“ Ich resümiere: „In den 80er Jahren wurden Topmanager noch danach beurteilt, inwieweit sie in der Lage waren, ihre Unternehmen umzustrukturieren und zu entschlacken. In den 90er Jahren jedoch trat die Fähigkeit in den Vordergrund, jene Kernkompetenzen zu identifizieren, zu kultivieren und zu nutzen, die Wachstum erst möglich machen.“44 So liest man in einer Veröffentlichung in der Reihe Harvard Business School Publishing. sophen aller Zeiten: Seneca, Epiktet und Marcus Aurelius. Übersetzt von Stephen Hanselman, Elisabeth und Thomas Gilbert, Pößneck 2017, 213. 42 Boris Thomas, Fang nie an aufzuhören. Das Mindset für Manager und Macher, Frankfurt/New York 2019, 9f. 43 Ich nehme damit Bezug auf eine Reportage: Iris Frey, Kämpfer für mehr Klimagerechtigkeit. Blick in die Nachbarschaft (Bad Canstatt: Dekan Schultz-Berg kam mit vielen Impulsen vom Studium in Greifswald zurück), Stuttgarter Zeitung, Nr. 92. (Montag, 12. August 2019). Mit Dank an Wolf Warncke aus Tarmstedt, der mich mit solchen Informationen auf dem Laufenden hält. 44 Gary Hamel/C. K. Prahalad, Nur Kernkompetenzen sichern das Überleben. Harvard Business Manager. Edition 4/2007, 47.

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Markus Nietzke

„Kernkompetenzen“ in Bezug auf Seelsorge und Gemeinde-aufoder-abbau bleiben die Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Damit wird Kirche gebaut. Mein Wunsch ist, dass wir die – oft als disruptiv erlebte Wirklichkeit –, die wir als Teil der Schöpfung Gottes erleben, in unser Leben lassen. Ich möchte mit meinen Gedanken inspirieren, die nächste Krise – die garantiert kommen wird – deswegen mit größerer Sicherheit und Entschlossenheit anzugehen. Welche Herausforderungen oder gar Erfolge es im Gemeindeaufbau und Gemeindeabbau gibt, ist – wie in der Wirtschaft und in großen Firmen – unvorhersehbar und undurchsichtig.45 Wir stehen immer wieder am Anfang. Vincent van Gogh schreibt am 28. Oktober 1885 aus Nuenen an seinen Bruder über das Malen: „Mag der Tulpenhandel vergehen, DIE BLUMENZUCHT BLEIBT. Und ich für meinen Teil bin, ob es nun besser oder schlechter kommt, damit zufrieden, ein kleiner Gärtner zu sein, der ein Herz für seine Gärtnerei hat.“46 Wenn ich in den Garten Gottes – Parzelle SELK – blicke, auf meine eigene Arbeit als Pfarrer und Superintendent, kommt mir in den Sinn: „[…] ich für meinen Teil bin, ob es nun besser oder schlechter kommt, damit zufrieden, ein kleiner Gärtner zu sein, der ein Herz für seine Gärtnerei hat.“ Oder: Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es im Weinberg Gottes nach wie vor viel zu staunen gibt.

45 N.N., Meet the new boss. The rules of management are being ripped up. CEOs need to adapt. Leaders, in: The Economist. Volume 434, Number 9180, February 8th, 2020, 9. 46 Zitiert nach: Vincent van Gogh. Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Bodo Plachta. Aus dem Niederländischen und Französischen übersetzt von Christel Captijn-Müller/Winfried Jung, Stuttgart 2011, 182.