Logistikfunktionen: Betriebswirtschaftliche Logistik Band 1 9783486715866, 9783486598247

Die Logistik hat sich in den letzten 40 Jahren zu einer etablierten Funktionenlehre innerhalb der Betriebswirtschaftsleh

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German Pages 266 [268] Year 2012

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Logistikfunktionen: Betriebswirtschaftliche Logistik Band 1
 9783486715866, 9783486598247

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Logistikfunktionen

Betriebswirtschaftliche Logistik Band 1

von

Prof. Dr. Rudolf Large Universität Stuttgart

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Dr. Stefan Giesen Herstellung: Constanze Müller Titelbild: thinkstockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-59824-7 eISBN 978-3-486-71586-6

Im Gedenken an Werner Large

Vorwort zum ersten Band In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stand ich als Student des Wirtschaftsingenieurwesens an der Technischen Universität Darmstadt vor der Wahl meines Vertiefungsbereichs. Die Logistik galt als junges, noch nicht gefestigtes, gleichzeitig jedoch als vielversprechendes und interessantes Fach. In dieser Zeit lehrten und forschten an der Technischen Universität Darmstadt mein späterer Doktorvater Prof. Dr. Hans-Christian Pfohl sowie Prof. Dr. Wolfgang Domschke und Prof. Dr. Horst Tempelmeier. Zudem hatte ich aufgrund der räumlichen Nähe Gelegenheit, als Gasthörer eine Vorlesung von Prof. Dr. Gösta B. Ihde zur Makrologistik an der Universität Mannheim zu verfolgen. Ihnen gilt bis heute meine besondere Hochachtung. Sie haben als akademische Lehrer – jeder auf seine eigene Art und Weise – meine Sichtweise von der Logistik nachhaltig geprägt und damit den Grundstein für meine spätere Lehre gelegt. Deshalb möchte ich ihnen an erster Stelle danken. Die Logistik hat mich bis heute nicht losgelassen und meine Faszination für dieses abwechslungsreiche Gebiet der Betriebswirtschaftslehre mit seinen vielfältigen Bezügen zu den Ingenieur- und Sozialwissenschaften sowie seinen unterschiedlichsten Forschungsmethoden ist ungebrochen. Deshalb wage ich nun, meiner Lehrergeneration folgend, den ersten Band eines Lehrbuchs zur betriebswirtschaftlichen Logistik vorzulegen. Ein Band zum Logistikmanagement und ein weiterer zu den Logistikdienstleistungen sind in Vorbereitung. Mein Streben war es einerseits, in der Tradition deutscher Lehrbücher, die immer zu einem guten Stück wissenschaftliche Monographien waren, gesichertes Lehrbuchwissen mit aktuellen Forschungsergebnissen zu verbinden. Dabei stand von Beginn an eine klare betriebswirtschaftliche Perspektive außer Frage, die jedoch nicht blind gegenüber Erkenntnissen aus den Nachbardisziplinen, insbesondere aus den Ingenieurwissenschaften, sein sollte. Andererseits war es mein Ziel, die inhaltlichen und methodischen Anforderungen an einen zeitgemäßen Lehrbuchtext zu erfüllen. Der Verständlichkeit wurde aus diesem Grund besondere Beachtung geschenkt. Dies gilt auch für die behandelten mathematischen Verfahren. Diese erheben nicht den Anspruch, praxistaugliche Lösungen oder den neusten Stand des Operations Research wiederzugeben, sondern sollen dem Leser durch eine quantifizierende Herangehensweise ein besseres Verständnis der vorgestellten Probleme ermöglichen. Herzlich danken möchte ich Herrn MSc. Christian Brendler, Herrn Dipl.-Kfm. techn. Michael Drodofsky, Frau Dipl.-Kffr. Rahel Hartmann, Frau Dipl.-Kffr. techn. Katrin Kenner, Herrn Dipl.-Kfm. Nikolai Kramer, Frau Dipl.-Kffr. Wiebke Roos und Frau Dipl.-Vw. techn. Veronica Widmaier für ihre kritischen Hinweise zu einem ersten Entwurf dieses Bandes sowie für die Entlastung, die ich gerade in der Endphase des Schreibens durch sie erfahren habe. Ebenso gilt mein Dank meinem Kollegen aus Saarbrücker Zeiten, Herrn Prof. Dr. Thomas Bousonville, für seine wertvollen Anmerkungen insbesondere zu den angewendeten Pla-

VIII

Vorwort zum ersten Band

nungsverfahren. Gedankt sei schließlich meiner Sekretärin, Frau Johanna Meisel, für die mühevolle Durchsicht des Manuskripts. Meiner Frau Birgit möchte ich besonders danken. Sie hat meine Arbeit stets mit Interesse begleitet und mich in jeder Phase moralisch gestützt. Während der Arbeiten an diesem Buch ist mein Vater, Werner Large, verstorben. So wird die Freude über das abgeschlossene Werk von der Traurigkeit des Abschieds überschattet. Er hätte sich über die Fertigstellung sehr gefreut. Ihm ist dieses Buch im Gedenken gewidmet.

Weinheim und Stuttgart im Februar 2012

Rudolf Large

Inhalt 1

Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

1

1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4

Begriff der Logistik..................................................................................................... 1 Logistik als Lehre........................................................................................................ 1 Logistik als Phänomen ................................................................................................ 9 Logistik als Wissenschaft.......................................................................................... 16 Zusammenfassung..................................................................................................... 21

1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5

Beurteilungskriterien der Logistik ............................................................................ 22 Rationalität logistischer Handlungen ........................................................................ 22 Logistikleistungen, Logistikkosten und logistikinduzierte Erlöse............................ 23 Erfolg und Wirtschaftlichkeit der Logistik ............................................................... 30 Erfolgspotenziale der Logistik .................................................................................. 35 Logistik und Nachhaltige Entwicklung..................................................................... 37

2

Logistikeinheitenbildung

2.1

Notwendigkeit und Ebenen der Logistikeinheitenbildung ....................................... 43

2.2

Arten von Logistikeinheiten...................................................................................... 45

2.3

Handlungen der Logistikeinheitenbildung................................................................ 51

2.4

Planung der Logistikeinheitenbildung ...................................................................... 55

3

Außerbetrieblicher Transport

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4

Grundlagen des außerbetrieblichen Transports......................................................... 57 Verkehrswege, Verkehrsmittel und Verkehrsträger ................................................... 57 Beförderungsaufkommen, Beförderungsleistung und Fahrleistung ......................... 64 Rechtliche Grundlagen des Fracht- und des Speditionsgeschäfts............................. 68 Dienstleister des außerbetrieblichen Transports ....................................................... 70

3.2 3.2.1 3.2.2

Abbildung außerbetrieblicher Transporte ................................................................. 72 Räumliche Transferbeziehungen, Entfernungen und Transportmengen................... 72 Produktionstheoretische Abbildung von Transporthandlungen ................................ 79

3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4

Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen ..................................................... 84 Grundstrukturen räumlicher Gütertransfers .............................................................. 84 Planung ungebrochener Transporte........................................................................... 89 Planung gebrochener Transporte............................................................................... 93 Transporte im Kombinierten Ladungsverkehr .......................................................... 97

43

57

X

Inhalt

3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4

Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren................................................101 Grundlagen der Tourenplanung .............................................................................. 101 Bestimmung der Reihenfolge innerhalb einzelner Touren ..................................... 105 Bestimmung von Tourenplänen...............................................................................110 Erweiterungen des Tourenplanungsproblems..........................................................115

4

Innerbetrieblicher Transport

4.1

Handlungen und Prozesse des innerbetrieblichen Transports .................................119

4.2

Stetige und unstetige Fördermittel...........................................................................122

4.3

Planung innerbetrieblicher Transportstrukturen ......................................................126

4.4

Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporte ............................131

5

Physische Lagerung

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5

Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte ...................................................135 Funktionen von Lagerbereichen und Lagerhäusern ............................................... 135 Dienstleistungen und Dienstleister der physischen Lagerung................................ 137 Aufgaben und Entscheidungskriterien der Lagerstandortwahl .............................. 139 Grundmodelle und Verfahren der Lagerstandortplanung ....................................... 142 Ansatz der mehrstufigen Lagerstandortplanung..................................................... 149

5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5

Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung ...........................................................151 Grundprozesse in und Grundaufbau von Lagerhäusern ......................................... 151 Lagermittel und lagerbezogene Fördermittel ......................................................... 155 Aufgaben und Phasen der Gestaltung von Lagerhäusern....................................... 157 Räumliche Anordnung der Funktionsbereiche innerhalb des Lagerhauses ........... 162 Planung der Lagerplatzzuordnung.......................................................................... 169

5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

Kommissionierung...................................................................................................172 Gegenstand der Kommissionierung ....................................................................... 172 Grundlegende Kommissionierprinzipien................................................................ 175 Planung und Steuerung der einstufigen Kommissionierung .................................. 177 Planung und Steuerung der mehrstufigen Kommissionierung............................... 183

6

Lagerhaltung

6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3

Grundlagen der Lagerhaltung..................................................................................185 Lagerhaltung und Bestandsmanagement................................................................ 185 Bedarfsermittlung als Ausgangspunkt der Lagerhaltung ....................................... 189 Steuerung der Lagerauffüllung ............................................................................... 197

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3

Planung von Lagerbeständen...................................................................................202 Zielsetzungen der Planung von Lagerbeständen .................................................... 202 Planung konstanter Bestellmengen......................................................................... 207 Planung von Melde- und Sicherheitsbeständen...................................................... 212

119

135

185

Inhalt

XI

Schlussbemerkungen zum ersten Band

219

Verzeichnis der Variablen

221

Verzeichnis der Fallbeispiele

225

Literatur- und Quellenverzeichnis

227

Literatur ................................................................................................................................. 227 Technische Normen und Richtlinien ..................................................................................... 243 Gesetze, Verordnungen und EU-Richtlinien ......................................................................... 245 Sonstige Dokumente und Daten ............................................................................................ 247 Sachverzeichnis

249

1

Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

1.1

Begriff der Logistik

1.1.1

Logistik als Lehre

Die Gesamtheit der arbeitenden Menschen bildet die Grundlage der Wirtschaft. Warum jedoch arbeiten Menschen und warum gibt es also die Wirtschaft? Zur Beantwortung dieser grundlegenden Fragen sind viele Wege möglich. Einen davon eröffnet der Ansatz der funktionalen Erklärung. Mit Hilfe eines funktionalen Erklärungsansatzes wird ein Phänomen erklärt, indem es als Bedingung für das angemessene Funktionieren eines übergeordneten Ganzen betrachtet wird.1 Die Wirtschaft erfüllt eine Funktion für jedes einzelne Individuum und damit für die Menschheit als Ganzes. Obwohl funktionale Erklärungen stets viele Erklärungsmuster zulassen,2 liegt in der Funktion der Versorgung mit Gütern, d.h. mit Sachgütern und Dienstleistungen, sicherlich eine der vordringlichsten Zwecke menschlicher Arbeit. Dazu gehört auch, die dabei entstehenden Abfälle in angemessener Art und Weise zu entsorgen. Grundlage der Versorgung mit Gütern ist die Produktion. Wird diese aus dem Blickwinkel der Wirtschaft und deren Funktion für die menschliche Gesellschaft betrachtet, interessiert weniger der naturwissenschaftlich-technische Vorgang der Entstehung von Sachgütern oder Dienstleistungen, sondern, ob diese Güter geeignet sind, die konkreten Bedarfe von Menschen zu decken und so ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Mit dem Aspekt der Bedarfsdeckung ist der Eignungswert von Gütern angesprochen.3 Der Eignungswert wird durch einen speziellen Wertschöpfungsprozess erzeugt, bei dem vorhandene Güter durch Handlungen von Menschen in modifizierte Güter gewandelt werden, die aus Sicht eines bestimmten Subjekts geeignet sind, dessen Bedarfe zu decken. Kern dieser Handlungen ist die menschliche Arbeit, denn in ihr ist die schöpferische Kraft enthalten oder mit anderen Worten die wertbildende Substanz4 des menschlichen Körpers und Geistes, die Bestehendes verändert und aus Gegebenem Neues erbaut. Einzelne Handlungen sowie die aus einzelnen Handlungen zusammengesetzten Handlungsfolgen (Prozesse) sind generell als Umsetzung eines Vorhabens zu verstehen und unterscheiden sich hierdurch von anderen Geschehnissen, die

1

Vgl. Stegmüller (1983), S. 679.

2

Vgl. Stegmüller (1983), S. 688.

3

Vgl. Large (1995), S. 43.

4

Vgl. Marx (1969), S. 20.

2

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

ohne bewusste Aktion eines handelnden Subjekts eintreten.5 Handeln ist stets mit einem subjektiven Sinn verbunden.6 Handlungsfolgen, deren Sinn in der Erzeugung von Eignungswert liegt, sollen im Weiteren als Transformationsprozesse bezeichnet werden. Geeignete Güter können jedoch nur dann zur Bedarfsdeckung und somit zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzt werden, wenn diese rechtlich und faktisch für die gewünschten Verwendungen verfügbar sind. Erst dann ist diesen Gütern ein individueller Gebrauchswert zugeordnet und ein Subjekt kann diese frei disponieren. Die rechtliche Verfügbarkeit von Gütern setzt umfassende Eigentumsrechte oder zumindest spezielle, auf die gewünschte Verwendung bezogene einzelne Verfügungsrechte voraus. Möglich sind dabei vier Stufen von Verfügungsrechten: das Recht, das Gut zu nutzen, das Recht, das Gut zu verändern, das Recht auf die Früchte aus der Nutzung des Gutes und das Recht, diese Rechte auf andere zu übertragen.7 Erst bei Vorliegen entsprechender Rechte darf über diese Güter in der gewünschten Weise verfügt werden. Verfügt ein Subjekt über das zuletzt genannte Recht, können Verfügungsrechte mit Hilfe von Transaktionsprozessen auf andere Subjekte übertragen werden.8 Die faktische Verfügbarkeit liegt vor, wenn ein Gut aus Sicht eines Subjekts am erforderlichen Ort und zu der erforderlichen Zeit der Verwendung zur Verfügung steht. In Situationen, die durch ein Zusammenfallen von Produktion und Konsum geprägt sind, ist die faktische Verfügbarkeit definitionsgemäß gegeben, da Güter am Ort und zur Zeit des Bedarfs mit der erwünschten Eignung erzeugt werden. Dies ist bei der Dienstleistungsproduktion immer der Fall. Ein Beispiel der Sachgüterproduktion, bei dem diese Bedingung ebenfalls zutrifft, ist der Obstanbau in einem Garten, in dem die Früchte sofort bei der Ernte verzehrt werden. Wird der Transformationsprozess gemeinschaftlich vollzogen oder findet der Konsum gemeinschaftlich statt, müssen lediglich Regelungen über die Verteilung der Verfügungsrechte an diesen Gütern gefunden werden. In unserer heutigen Wirtschaft ist jedoch das Zusammenfallen von Produktion und Konsum bei Sachgütern nur noch selten anzutreffen. Vielmehr sind vier Phänomene zu beobachten, die spezielle Handlungen zur Herstellung der faktischen Verfügbarkeit notwendig werden lassen: (1) Das zeitliche Auseinanderfallen von Produktion und Konsum, (2) das räumliche Auseinanderfallen von Produktion und Konsum, (3) das räumliche und zeitliche Auseinanderfallen der Produktion selbst und (4) die Existenz von Abfällen, die nicht am Ort und zur Zeit ihrer Entstehung beseitigt werden können. Zu 1) Das zeitliche Auseinanderfallen von Produktion und Konsum kann zunächst saisonale Gründe haben. So werden beispielsweise bestimmte Produkte (Saisonartikel) nur zu bestimmten Zeiten nachgefragt (z.B. Weihnachtsschmuck), müssen jedoch zur Auslastung von Kapazitäten und zur Erzeugung der erforderlichen Mengen über einen längeren Zeitraum vorgefertigt werden. Umgekehrt gibt es Produkte, z.B. ernteabhängige Lebensmittel, die nur zu bestimmten Zeiten hergestellt werden können, jedoch das ganze Jahr über nachgefragt werden. Neben solchen natur- oder kulturgegebenen Ursachen, kann auch vernünftiges Wirt5

Vgl. Hesse (2006), S. 396.

6

Vgl. Weber (1972), S. 1.

7

Siehe dazu grundlegend Furubotn/Pejovich (1972), S. 1140; Tietzel (1981), S. 210.

8

Vgl. Large (1995), S. 43.

1.1 Begriff der Logistik

3

schaften dazu führen, dass Produktion und Konsum absichtlich nicht synchron erfolgen. Wichtiges Beispiel dafür ist die Losbildung im Rahmen der industriellen Fertigung. Die Losgrößen werden zur Vermeidung von Rüstkosten bewusst größer gewählt als der aktuelle Periodenbedarf. In all diesen Fällen muss die Verfügbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt durch zeitliche Transferprozesse hergestellt werden, die sich technisch in Lagerprozessen manifestieren. Zu 2) Ebenso können Konsum und Produktion räumlich getrennt stattfinden.9 Dies ist zunächst dann der Fall, wenn die Gütererzeugung aufgrund natürlicher Gegebenheiten nur an bestimmten Orten erfolgen kann, die jedoch von denen der Verwendung – die als räumlich verteilt angenommen wird – abweichen. Ein Beispiel dafür ist die landwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln in nur einzelnen klimatisch geeigneten Regionen, obwohl diese weltweit nachgefragt werden. Ebenso kann es vernünftig sein, Produktionen dort zusammenzufassen, wo Rohstoffe, Energie oder auch Arbeitsleistungen zu besonders günstigen Konditionen verfügbar sind. Beispiele sind die Roheisenerzeugung in der Nähe von Kohlevorkommen, die Aluminiumproduktion in der Nähe von Wasserkraftwerken oder die Textilproduktion in so genannten Niedriglohnländern. Weiterhin können technische Erfordernisse die Dezentralisation von Produktionsprozessen verhindern. Ein Beispiel dafür ist die Automobilproduktion, die aufgrund der Größendegression nur in größeren Einheiten effizient durchgeführt werden kann. Alle diese Beispiele führen zum räumlichen Auseinanderfallen von Produktion und Konsum. Um die aufgezeigte Verteilung zu überwinden sind räumliche Transferprozesse erforderlich, welche die erforderliche faktische Verfügbarkeit im Anschluss an die Produktion herstellen. Diesen räumlichen Transfers liegen Transporte als technische Akte zugrunde. Zu 3) Produktionsaktivitäten zur Erzeugung eines Endproduktes können auf verschiedene Arbeitsplätze, Werkstätten, Betriebe, Unternehmen und letztlich Länder verteilt sein. Während durch horizontale Arbeitsteilung, welche zu einer räumlichen Verteilung gleichartiger Produktionsprozesse führt (Mengenteilung), das Problem des räumlichen Auseinanderfallens von Bedarf und Erzeugung vermindert wird, entstehen durch vertikale Arbeitsteilung (Artenteilung) Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen, die entsprechende Lieferungen erfordern. Deutlich wird eine starke vertikale Arbeitsteilung an geringen Fertigungstiefen.10 Diese Form der Arbeitsteilung ermöglicht eine spezialisierte und damit effiziente Gütererzeugung. Sie führt jedoch auch dazu, dass die Erzeugung und die Weiterverwendung von Gütern in nachfolgenden Produktionsprozessen zeitlich und räumlich auseinanderfallen und somit durch zeitliche und räumliche Transferprozesse, d.h. durch Transport- und Lagerprozesse, verbunden werden müssen. Zu 4) Bei der Produktion und Verwendung von Gütern entstehen Abfälle. Nach §3 Abs. 1 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) sind Abfälle „alle beweglichen Sachen … deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“ und die in einem Anhang zu diesem Gesetz in Gruppen aufgelistet werden. Dazu zählen beispielsweise nicht den Normen entsprechende Produkte, Produkte, bei denen das Verfallsdatum überschritten ist, kontaminierte oder verschmutzte Stoffe, Rückstände aus industriellen Verfahren, bei der Förderung und der Aufbereitung von Rohstoffen anfallende Rückstände, Produkte, 9

Vgl. Ihde (1972), S. 9; Ihde (2001), S. 3.

10

Siehe dazu ausführlich Large (2009a), S. 1–2.

4

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

die vom Besitzer nicht oder nicht mehr verwendet werden, und kontaminierte Stoffe oder Produkte, die bei der Sanierung von Böden anfallen.11 Ein Besitzer kann sich dieser Abfälle durch Verwertung oder durch Beseitigung entledigen (Entsorgung).12 Die stoffliche oder energetische Verwertung setzt Güter mit einer der Verwertung entsprechenden Eignung voraus und erfordert bei zeitlichem und räumlichem Auseinanderfallen deren Zuführung zu dieser Verwendung. Die dazu erforderlichen Transfers wurden bereits unter den Punkten (1) und (2) bzw. (3) beschrieben. Bei Abfällen, die beseitigt werden müssen, handelt es sich dagegen nicht um Güter, sondern um Dinge, die nach dem Stand der Technik keinerlei Eignung zur direkten oder indirekten Bedarfsdeckung aufweisen, sondern völlig unnütz und möglicherweise sogar „aufgrund ihres konkreten Zustandes geeignet sind, gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Umwelt zu gefährden.“13 Können solche Abfälle nicht am Ort und zur Zeit ihrer Entstehung entsorgt werden, müssen auch diese räumlich und zeitlich transferiert werden, um die faktische Verfügbarkeit an einem geeigneten Ort zur richtigen Zeit herzustellen und somit eine angemessene Beseitigung zu gewährleisten. Dazu können auch sehr langfristige Lagerprozesse, z.B. auf Deponien, erforderlich sein. Die angestellten Überlegungen zu diesen vier Phänomenen kann man nun zusammenfassen: Zur Deckung von räumlich und zeitlich verteilten Bedarfen, zur Ermöglichung arbeitsteiliger Produktion und zur Beseitigung von Abfällen sind Handlungen erforderlich, die eine Übertragung der Güter bzw. Abfälle in Raum und Zeit ermöglichen und somit die faktische Verfügbarkeit herstellen. Solche Handlungen bzw. Handlungsfolgen bilden Transport- und Lagerprozesse. Abstrahiert man wiederum von dem naturwissenschaftlich-technischen Charakter dieser Prozesse und rückt stattdessen den Aspekt der Wertentstehung in den Vordergrund, so tritt zu den beiden bereits angesprochenen Gruppen von Wertschöpfungsprozessen (Transformation und Transaktion) die Klasse der Transferprozesse hinzu.14 Transferprozesse erfüllen damit eine wesentliche Unterstützungsfunktion für die Wirtschaft, indem sie den räumlichen und zeitlichen Ausgleich der Güterproduktion, der Güterverwendung und der Beseitigung von Abfällen ermöglichen. Zwischen Transformations- und Transferprozessen bestehen wechselseitige Abhängigkeiten. Zunächst bestimmt das Ausmaß des räumlichen und zeitlichen Auseinanderfallens von Produktion und Konsum sowie der Grad der Arbeitsteilung den Umfang der erforderlichen Transferprozesse. Andererseits werden jedoch die Möglichkeiten der Arbeitsteilung sowie der räumlichen und zeitlichen Trennung von Produktion und Konsumtion wesentlich von der Leistungsfähigkeit der Transport- und Lagerprozesse bestimmt.15 Leistungsfähige Gütertransfers bilden eine unabdingbare Voraussetzung, um in einer Volkswirtschaft die Möglich11

Vgl. Anhang I des KrW-/AbfG.

12

Vgl. §3 Abs. 2 und §3 Abs. 7 KrW-/AbfG.

13

Vgl. §3 Abs. 4 KrW-/AbfG. Die Verfahren zur Beseitigung sind in Anhang IIa zum KrW-/AbfG aufgeführt.

14

Pfohl bezeichnet diese als raumzeitliche Gütertransformationen. Vgl. Pfohl (2010), S. 4.

15

Vgl. Ihde (2001), S. 1.

1.1 Begriff der Logistik

5

keiten der vertikalen Arbeitsteilung, der räumlichen Zusammenfassung der Gütererzeugung zu größeren Einheiten, der Vorratsproduktion und der umweltgerechten Beseitigung von Abfällen zu nutzen.16 Darüber hinaus wäre die heute praktizierte globale Arbeitsteilung ohne ein leistungsfähiges und zugleich kostengünstiges Transportwesen nicht denkbar. Wie jede wirtschaftliche Tätigkeit ist auch die Ausführung von räumlichen und zeitlichen Transfers mit Unsicherheiten verbunden und setzt deshalb Managementhandlungen zur Reduktion dieser Unsicherheit voraus.17 Die Managementhandlung der Planung steht für das rechtzeitige Durchdenken von zukünftigen Handlungsalternativen und ist Voraussetzung, um die Quellen von Unsicherheiten zu identifizieren und notwendige bzw. vorteilhafte Handlungen zu erkennen. Oder wie Gutenberg bereits grundlegend ausgeführt hat: „Planung will einen ruhigen und geordneten, gegen Störungen abgesicherten Gang für das betriebliche Geschehen.“18 Die Planung „stellt einen bewussten geistigen Prozess dar, durch den zukünftiges Geschehen gestaltet werden soll“19 und steht somit dem rein intuitiven Handeln gegenüber.20 Ziel der Planung ist das der eigentlichen Handlung zeitlich vorgelagerte Aufdecken der besten Handlungsalternative, die in entsprechenden Plänen dokumentiert wird. Folgt man einem entscheidungsorientierten Verständnis der Planung, kommen der Entscheidungsvorbereitung und dem Entscheidungsakt besondere Bedeutung zu.21 Eng verbunden mit der Planung sind deshalb umfangreiche Handlungen der Informationsversorgung, die Wissen über Rahmenbedingungen, Zusammenhänge aber auch über das eigene Wollen, Können und Dürfen generieren.22 Entscheidungen über den zeitlichen und räumlichen Transfer von Gütern sind komplex und werden deshalb oft nicht von einzelnen Personen allein getroffen, die Handlungsmöglichkeiten individuell durchdenken. Die Planung basiert vielmehr häufig auf Mehrpersonenentscheidungen. Vorstellungen über die beste Handlungsalternative müssen somit nachvollziehbar begründet und durch Kommunikationshandlungen abgestimmt werden. Zudem treten neben das reine Durchdenken sichtbare Handlungen, welche durch die Anwendung von Planungsmethoden und Planungswerkzeugen die Bewertung, Auswahl und Dokumentation von Handlungsalternativen unterstützen. Diese beiden Aspekte rechtfertigen trotz des prinzipiell geistigen Charakters der Planung von Planungshandlungen zu sprechen. Steuerungshandlungen setzen Pläne in Aktion um, indem Handlungen von Akteuren entsprechend der Planungen beeinflusst und kontrolliert werden. Die Steuerung umfasst die Managementhandlungen der Führung, der Organisation und der Kontrolle. Dieses handlungsorientierte Steuerungsverständnis deckt neben der Einwirkung auf menschliche Handlungen auch die Beeinflussung von weitgehend automatisierten Prozessen ab. Auch solche Prozesse erfordern zumindest Initiativhandlungen, um sie in die gewünschten Bahnen zu lenken.

16

Vgl. Ihde (1988), S. 18–19.

17

Zur Idee der Reduktion von Unsicherheiten durch Managementhandlungen siehe ausführlich Large (1995), S. 78–81; Large (2009a), S. 20–25.

18

Gutenberg (1958), S. 47.

19

Küpper (2004), Sp. 1150.

20

Vgl. Stölzle (2007), Sp. 1383.

21

Vgl. Küpper (2004), Sp. 1150.

22

Vgl. Large (1995), S. 82–86.

6

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Die Planung, Steuerung und Ausführung von Transferprozessen gab es zu allen Zeiten und wird es wohl solange geben, wie Menschen auf dieser Welt existieren. Im Laufe der Zeit hat sich deshalb dazu ein erheblicher Erfahrungsschatz gebildet. Ebenso ist es nicht verwunderlich, dass sich Menschen gezielt mit der Frage beschäftigen, wie Transferprozesse am besten geplant, gesteuert und vollzogen werden können. Werden solche Überlegungen systematisch betrieben und die Ergebnisse dieser Überlegungen gesammelt und dokumentiert, entwickelt sich daraus im Laufe der Zeit eine Lehre vom räumlichen und zeitlichen Transfer von Gütern und Abfällen. Mit zeitlichen und räumlichen Transfers beschäftigten und beschäftigen sich vor allem verkehrswirtschaftliche Lehren,23 Lehren der (physischen) Distribution im Rahmen des Marketings24 und die Materialwirtschaftslehre.25 Erst seit den 60er Jahren in den USA und seit den 70er Jahren in Deutschland findet sich der Terminus „Logistik“ zur Kennzeichnung einer Lehre vom räumlichen und zeitlichen Transfer von Gütern. In diesem Sinne lässt sich definieren: Die Logistik als Lehre vermittelt die richtigen Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen. Sie lässt sich deshalb in zwei interdependente Teillehren zerlegen: in eine Managementlehre „Logistikmanagement“, die als Lehre von den Handlungen der Planung und Steuerung des Gütertransfers zu verstehen ist, und in eine Lehre von den Handlungen der Ausführung des Gütertransfers (Logistikausführung). Vor den genannten Zeiträumen wurde der Terminus „Logistik“ als militärischer Begriff verwendet.26 In der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Naval Research Logistics Quarterly“ (1954) unterscheidet Eccles die reine Logistik und die angewandte Logistik: „Pure logistics is an abstract term used to indicate the whole complex process whereby the means of war necessary to support a national strategy are determined, procured, and finally distributed to the combat commanders. Applied logistics represents the everyday practical application of this abstract process. The objective of all logistics effort is the creation and sustained support of adequate combat forces.“27 Wie Ihde und ebenso Bjelicic eindrucksvoll zeigen, weist der Logistikbegriff innerhalb des Militärs eine lange Tradition auf und lässt sich nach ihrer Einschätzung sowohl mit dem griechischen Wort „logos“ (Vernunft) als auch mit dem französischen Verb „loger“ (jemanden einquartieren, etwas verstauen) in Verbindung bringen.28 Von zentraler Bedeutung für die Verbreitung des Logistikbegriffs innerhalb des europäischen und US-amerikanischen Militärs scheint dabei ein zunächst in französischer Sprache veröffentlichtes Buch zum „Wesen der Kriegskunst“ des Generals von Jomini zu sein.29

23

Siehe z.B. Aberle (2009).

24

Siehe z.B. Specht/Fritz (2005).

25

Siehe z.B. Grochla (1978); Arnolds et al. (2010).

26

Daneben fand sich der Terminus Logistik mit anderen Begriffsinhalten in der Mathematik und in der Logik. Siehe dazu z.B. Pfohl (2010), S. 11.

27

Eccles (1954), S. 14.

28

Vgl. Bjelicic (1987); Ihde (2001), S. 22–23. Siehe auch Bloech (1997), S. 577.

29

Vgl. Hayes (1954), S. 201.

1.1 Begriff der Logistik

7

Dieser unterscheidet fünf militärische Wissenschaften: die Strategie, die höhere Taktik, die Logistik, die Ingenieurwissenschaft und die Elementar-Taktik.30 Die Logistik bezeichnet er als „die praktische Anwendung der Kunst, die Heere zu bewegen.“31 Zur Herkunft des Logistikbegriffs finden sich darin die folgenden Ausführungen: „Der Name Logistik ist, wie bekannt, von major géneral des logis (im Deutschen durch Quartiermeister übersetzt) abgeleitet; dieser Titel bezeichnet Offiziere, die ehemals das Geschäft hatten, die Truppen unterzubringen, sie lagern zu lassen, die Colonnen zu führen und auf dem Terrain aufzustellen.“32 Es erscheint deshalb durchaus berechtigt, die sprachlichen Wurzeln der Logistik in den französischen Worten „loger“ bzw. „logis“ zu suchen.33 In den nachfolgenden Ausführungen, insbesondere in den 18 Hauptpunkten, „welche die Logistik umfassen muß“34, weitet Jomini dieses Verständnis der Logistik wesentlich aus. Unter anderem gehören dazu neben der Organisation der Truppenbewegungen, die Festlegung von Standorten für Depots, die Bewegung von Kriegsgeräten, Munition, Lebensmitteln und Hospitälern, die Vereinigung der Transportmittel eines Landes, die Einrichtung von Depots für Kranke und Verletzte sowie die Sicherung des Materials beim Rückzug.35 Wie die Übertragung dieses militärischen Begriffs in das Wirtschaftsleben und die akademische Lehre genau erfolgte, lässt sich heute nur noch vermuten. Ihde führt vor allem den alltäglichen Gebrauch des Begriffs durch ehemalige US-Soldaten an, die nach dem 2. Weltkrieg zahlreich in die Wirtschaft wechselten.36 Wohl Morgenstern steht der Verdienst zu, als erster in einer theoretischen Abhandlung eine sowohl für das Militär als auch für die Wirtschaft gültige Umschreibung logistischer Tätigkeiten vorgelegt zu haben.37 Diese enthält als Kern die Notwendigkeit des räumlichen und zeitlichen Transfers und die grundlegende Feststellung, dass der Wert von Gütern von Ort und Zeit abhängig ist.38 Damit stellt Morgenstern einerseits die Gemeinsamkeiten der Militärlogistik und der „Business Logistics“39 heraus, betont jedoch gleichzeitig die Unterschiede logistischer Handlungen im Militär und in der Wirtschaft. So beurteilt er die Logistik in der Wirtschaft im Vergleich zum Militär als einfach und wenig komplex. Ebenso führt er als besondere Probleme der Militärlogistik die hohe

30

Vgl. Jomini (1839a), S. 34.

31

Jomini (1839a), S. 35. Siehe dazu auch McGinnis (1992), S. 25; Ihde (2001), S. 22–23.

32

Jomini (1839b), S. 113.

33

Dagegen präferiert Bjelicic (1987, S. 155) die griechischen Wurzeln des Logistikbegriffs und betrachtet den Bezug auf den französischen Wortstamm als Irrtum.

34

Jomini (1839b), S. 115.

35

Vgl. Jomini (1839b), S. 115–119.

36

Vgl. Ihde (2001), S. 23–24.

37

Vgl. Morgenstern (1955). Siehe dazu auch Ihde (2001), S. 24.

38

Vgl. Morgenstern (1955), S. 130. Siehe dazu auch Pfohl (2010), S. 21.

39

In diesem Lehrbuch wird der deutsche Terminus „Unternehmenslogistik“ zur Übersetzung des englischen „Business Logistics“ verwendet.

8

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Wahrscheinlichkeit schneller Zustandsänderungen und die Unmöglichkeit der Nutzung freier Märkte zum Ausgleich von Nichtverfügbarkeiten an.40 In den Folgejahren sind vor allem praxisorientierte Veröffentlichungen in den USA entstanden, die zaghaft den Begriff der Logistik mit der physischen Distribution als Teilgebiet des Marketings in Verbindung bringen. Ein Beispiel ist der Aufsatz von Magee, der trotz des Titels „The Logistics of Distribution“ zwar zahlreiche materialwirtschaftliche Sachverhalte, insbesondere zum Bestandsmanagement, anspricht, jedoch keine Bezüge zur Logistik als Lehre im generellen Sinne enthält.41 Üblicherweise wird als erstes Lehrbuch der Logistik die Schrift von Smykay, Bowersox und Mossman genannt,42 die 1961 als „Physical Distribution Management“ mit dem Untertitel “Logistics Problems of the Firm“ erschien.43 Allerdings finden sich auch in diesem Lehrbuch zwar umfangreiche und detaillierte Aussagen zur Gestaltung der physischen Distribution, jedoch keine Aussagen zum Logistikbegriff und dessen Herkunft. Vielmehr tauchen die Begriffe „Logistik“ oder „logistisch“ nur vereinzelt und eher am Rande auf. Erst die zweite Auflage von 1968 enthält zumindest den knappen Hinweis auf die synonyme Verwendung der Begriffe „physical distribution“ und „business logistics“.44 Generell werden in diesem Zeitraum die Begriffe „Logistics“, „Business Logistics“ und „Marketing Logistics“ sowie „Physical Distribution“ häufig als austauschbar betrachtet und ohne begriffliche Abgrenzung verwendet.45 Nach unserem Verständnis haben erst Heskett, Ivie und Glaskowsky im Jahr 1964 unter dem Titel „Business Logistics“ das erste Lehrbuch zur Logistik vorgelegt.46 In diesem Buch findet sich nicht nur ein Vergleich zwischen dem militärischen und dem ökonomischen Logistikbegriff, sondern auch eine erste Definition der Unternehmenslogistik:47 „Business logistics will, for our discussion, refer to the management of all activities which facilitate movement and the coordination of supply and demand in the creation of time and place utility in goods.“48 Mit dieser Definition wurden bereits zentrale Elemente der Logistik als Lehre von den Transferprozessen ein- bzw. zusammengeführt. Eine wesentliche Erweiterung gegenüber früheren Texten zur physischen Distribution ist die explizite Berücksichtigung der physischen Beschaffung als Teil der Logistik.49 Grundlegend ist auch die Forderung nach der Koordination der logistischen Aktivitäten im Beschaffungs- und Absatzbereich, insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Bestände.50 Nicht in die Definition aufgenommen, jedoch auf den Folgeseiten explizit behandelt, wird die unternehmensübergreifende Koordination der

40

Vgl. Morgenstern (1955), S. 133–135.

41

Vgl. Magee (1960).

42

Siehe beispielsweise Stock/Lambert (2001), S. 12; Klaus (2009), S. 57; Kortschak (2012), S. 155.

43

Vgl. Smykay/Bowersox/Mossman (1961).

44

Vgl. Bowersox/Smykay/LaLonde (1968), S. 5.

45

Siehe z.B. Marks/Taylor (1967), S. IX sowie die in diesem Sammelband enthaltenen Einzelbeiträge.

46

Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964). Heskett hatte bereits zum Thema „Industrial logistics – a movement system concept“ promoviert. Siehe dazu die Anmerkung in Heskett (1962), S. 41.

47

Genauer betrachtet handelt es sich hier um eine Definition des Managements der Unternehmenslogistik.

48

Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 21.

49

Vgl. Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 21–23.

50

Vgl. Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 23.

1.1 Begriff der Logistik

9

Logistik der Unternehmen, die im Logistikkanal (logistics channel) zusammenwirken.51 Eindrucksvoll ist dabei das Beispiel eines Logistikkanals von dem Hersteller von Saatgut, über den Bauern, den Müller, den Groß- und Einzelhandel, bis hin zum Endverbraucher von Mehl. Schließlich ist auch der Hinweis auf die Stiftung von Zeit- und Ortsnutzen durch Lager- und Transportprozesse von elementarer Bedeutung.52 Dieser Effekt gleicht der zu Beginn dieses Abschnittes aufgezeigten Entstehung von Gebrauchswert durch das Herstellen der faktischen Verfügbarkeit. Vergleichsweise schnell entstanden auch in Deutschland Veröffentlichungen zur Logistik als Lehre. In ersten praxisorientierten Beiträgen zur physischen Distribution wird der Begriff Logistik zunächst ohne Erläuterung und eher als Schlagwort verwendet.53 Die wohl erste deutsche Zeitschriftenveröffentlichung aus dem wissenschaftlichen Bereich dürfte von Pfohl stammen. Diese erschien 1969 unter dem Titel „Alles für den Nachschub – Optimale Versorgung des Absatznetzes durch Marketing-Logistik“.54 Das erste deutsche Lehrbuch zur betriebswirtschaftlichen Logistik wurde von Ihde verfasst und 1972 als „Logistik – Physische Aspekte der Güterdistribution“ veröffentlicht.55 Im gleichen Jahr erschienen ein weiteres – stark mathematisch orientiertes – Lehrbuch von Ihde gemeinsam mit Bloech56 sowie die Dissertation „Marketing-Logistik“ von Pfohl,57 welche die Keimzelle und erste Auflage des über die nächsten Jahrzehnte in Deutschland als Standardwerk geltenden Lehrbuchs „Logistiksysteme“ darstellt.58 Unmittelbar danach folgte 1973 das Lehrbuch „Betriebswirtschaftliche Logistik – Systeme, Entscheidungen, Methoden“ von Kirsch, Bamberger, Gabele und Klein.59 Der erste deutsche Lehrstuhl für Logistik entstand 1971 als „Institut für Logistik, insbesondere Verkehrsbetriebslehre“, an der Universität Mannheim. Die Initiative zur Denomination ergriff der damalige Lehrstuhlinhaber Ihde, der erst ein Jahr zuvor den Lehrstuhl für Verkehrsbetriebslehre von Kirsch übernommen hatte.

1.1.2

Logistik als Phänomen

Logistik wurde bisher als Lehre von den Transferprozessen eingeführt. Bei vielen Lehren ist es üblich für die Bezeichnung der Lehre und für deren Gegenstand die gleichen Begriffe zu verwenden. So beschäftigen sich die Physik mit physikalischen oder die Ethik mit ethischen Phänomenen. Entsprechend könnte man sagen, die Logistik befasse sich mit logistischen Phänomenen oder kurz mit dem Phänomen der Logistik. Diese Gleichsetzung ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht jedoch nicht unproblematisch. Im strengen Sinne muss zwischen einer Lehre und dem Gegenstand einer Lehre auch begrifflich unterschieden werden.

51

Vgl. Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 24–27.

52

Vgl. Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 9. Diese Idee findet sich jedoch schon bei Morgenstern (1955), S. 130.

53

Siehe z.B. Poth (1970), S. 14 und 18.

54

Pfohl (1969).

55

Ihde (1972).

56

Bloech/Ihde (1972).

57

Pfohl (1972).

58

Pfohl (2010).

59

Kirsch et al. (1973).

10

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

So sollte beispielsweise die Ethik als Lehre von ihrem Gegenstand, der Moral (dem Ethos),60 deutlich unterschieden werden. Gleiches gilt für die Physik als Lehre und die Physis (Natur) als deren Gegenstand. Ebenso wie Ethik und Moral jedoch vielfach sprachlich gleichgesetzt werden, findet sich mittlerweile häufig eine Verwendung des Begriffs „Logistik“ zur Kennzeichnung realer Erscheinungen. Bereits bei Kirsch et al. kann man die folgenden Ausführungen nachlesen: „Verwendet man den Begriff Logistik zur Bezeichnung realer Phänomene und nicht als Name einer entsprechenden wissenschaftlichen (Teil-)Disziplin, so bezieht sich dieser Begriff auf die Gestaltung, Steuerung, Regelung und Durchführung des gesamten Flusses an Energie, Informationen, Personen, insbesondere jedoch von Stoffen (Materie, Produkte) innerhalb und zwischen Systemen.“61 Diese Definition geht zwar über die in Abschnitt 1.1.1 begründete Lehre von den Transferprozessen hinaus, zeigt jedoch deutlich die frühe Gleichsetzung von Lehre und Gegenstand. Eine solche begriffliche Identität liefert jedoch noch keinen Beweis, dass es logistische Phänomene tatsächlich gibt. Wie in Abschnitt 1.1.1 gezeigt, erfüllt zwar der Gütertransfer eine unverzichtbare Funktion für solche Volkswirtschaften, die durch Arbeitsteilung und ein räumliches und zeitliches Auseinanderfallen von Produktion und Konsumtion geprägt sind. Damit ist jedoch noch nicht belegt, dass in der Realität der Wirtschaft tatsächlich der Begriff „Logistik“ zur Kennzeichnung dieser Aktivitäten Verwendung findet. Um diesen Nachweis zu führen, lassen sich jedoch Indikatoren heranziehen, die auf die Existenz des Logistikbegriffs in der Unternehmensrealität schließen lassen. So bezeichnen sich Unternehmen, die Transferprozesse als Geschäftszweck durchführen, als Logistikunternehmen und verwenden häufig den Begriff „Logistik“ oder Kürzel davon bei der Bildung ihrer Firma. Beispiele dafür sind die IDS Logistik GmbH, die Hamburger Hafen und Logistik AG sowie die Logwin AG. In Industriebetrieben gibt es Logistikabteilungen, die keine Lehren aufstellen, sondern Transferprozesse tatsächlich planen, steuern und durchführen.62 Ebenso beschäftigen sich Logistikmanager und Logistikausführende mit der Logistik nicht primär als Lehre, sondern als auszuführendes Handlungsbündel. Im operativen Bereich gibt es logistische Ausbildungsberufsbilder, die in der jeweiligen Verordnung über die Berufsausbildung definiert sind. Beispiele dafür sind die Ausbildungsberufsbilder einer Fachkraft für Lagerlogistik sowie eines Kaufmanns bzw. einer Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung.63 Ein weiterer wichtiger Indikator für die Etablierung der Logistik in Unternehmen ist die Gründung bzw. Umbenennung von Fachverbänden der Logistik. Der bekannteste USamerikanische Logistikverband ist bereits 1963 unter dem Namen National Council of Physical Distribution Management entstanden und wurde 1985 zunächst in Council of Logistics Management (CLM) und 2005 in Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) umbenannt.64 Die International Society of Logistics (SOLE) wurde 1966 als Society of Logistics Engineers gegründet und vertritt noch heute eine weite, eher militärlogistische Sichtweise der Logistik als generelle Unterstützungsfunktion. In Deutschland ist die 60

Vgl. Düwell/Hübenthal/Werner (2006), S. 1.

61

Kirsch et al. (1973), S. 69.

62

Siehe z.B. Pfohl/Large (1998).

63

Vgl. LWLogAusbV bzw. SpedKfmAusbV.

64

Zu Verhältnis von Logistik und Supply Chain Management siehe Band 2.

1.1 Begriff der Logistik

11

Bundesvereinigung Logistik (BVL) der bedeutendste Verband im Bereich der Logistik. Die BVL wurde 1978 gegründet und hat derzeit etwa 9.500 Mitglieder aus Industrie, Handel, Dienstleistung und Wissenschaft. Bereits 1973 entstand die Deutsche Gesellschaft für Logistik (DGfL), die jedoch später in der BVL aufging. Der traditionelle deutsche Einkäuferverband BME (gegründet 1954) nahm 1989 die Bezeichnung Logistik in seinen Namen auf und nennt sich seither Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik.65 Auf europäischer Ebene vereint die European Logistics Association (ELA) derzeit 30 nationale Logistikvereinigungen, u.a. die BVL und den BME. Weiterhin wären anzuführen der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) als Branchenverbände der Verkehrswirtschaft. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und der in Abschnitt 1.1.1 eingeführten Definition der Logistik als Lehre kann nun Logistik auch als reale Erscheinung charakterisiert werden: Die Logistik als Phänomen umfasst alle Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen. Die Funktion der Logistik als Phänomen besteht in der Unterstützung der Gütertransformation und -transaktion durch räumliche und zeitliche Transfers, um damit die faktische Verfügbarkeit von Gütern für den Konsum oder die Weiterverwendung in der Produktion herzustellen. Diese Gesamtfunktion der Logistik kann in einzelne logistische Teilfunktionen aufgelöst und durch die jeweils anfallenden logistischen Handlungen konkretisiert werden. Im militärischen Bereich herrscht eine sehr breite Sicht der Logistikfunktion vor, die unterschiedlichste Unterstützungsfunktionen, z.B. die Entwicklung, die Beschaffung, die Lagerung, den Transport und die Instandhaltung von militärischen Gütern sowie die Ausbildung, den Transport und die Verpflegung von Soldaten, umfasst.66 Ähnlich definiert auch die International Society of Logistics (SOLE, ehemals Society of Logistics Engineers) die Logistik als „a professional discipline that ensures the successful support of the product throughout its life. From design engineering to manufacturing and materials, packaging and marketing, and distribution and disposition, logistics involves every possible phase of the product support process.“67 Mit der Übertragung in den wirtschaftlichen Bereich kam es zu einer deutlichen Einengung des Aufgabenumfangs im Sinne der in Abschnitt 1.1.1 abgeleiteten Funktion. Vor allem war damit eine Einschränkung auf Gütertransfers und die Ausklammerung des Transfers von Personen verbunden. Amerikanische Lehrbücher listen in der Regel recht unsystematisch einzelne Handlungen auf,68 die zur Realisation der Planung, Steuerung und Ausführung von Gütertransfers insbesondere im Bereich der physischen Distribution anfallen: order processing, inventory management, transportation, warehousing, materials handling, packaging,

65

Vgl. Fricke (2004), S. 255.

66

Siehe z.B. Eccles (1954), S. 7.

67

http://www.sole.org/info.asp.

68

Bowersox, Closs und Cooper (2009, S. 26) bezeichnen diese als „areas of logistical work“ und Stock und Lambert (2001, S. 19) sprechen von „key logistics activities“.

12

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

facility network design.69 Auch bei Pfohl findet sich unter Rückgriff auf die US-amerikanische Literatur eine vergleichbare Auflistung logistischer Aufgabenbereiche: Auftragsabwicklung, Lagerhaltung, Lagerhaus, Verpackung und Transport.70 Zur systematischen Ableitung von logistischen Teilfunktionen kann auf die beiden Dimensionen der faktischen Verfügbarkeit zurückgegriffen werden. Danach lassen sich zunächst die beiden primären Hauptfunktionen Transport (räumlicher Transfer) und Lagerung (zeitlicher Transfer) abgrenzen. Bereits 1932 nahm Henzel in seiner fundamentalen Abhandlung zur Funktionsteilung in der Unternehmung die Lagerfunktion und die Transportfunktion in den Kreis der betrieblichen Grundfunktionen auf.71 Diese beiden primären Hauptfunktionen der Logistik können wiederum untergliedert werden. Die Hauptfunktion Transport wird üblicherweise in die beiden Teilfunktionen außerbetrieblicher Transport und innerbetrieblicher Transport72 unterschieden. Als Abgrenzungskriterium dienen dazu die eingesetzten technischen Verfahren. Während außerbetriebliche Transporte mit Hilfe der unterschiedlichen Verkehrstechnik der Verkehrsträger73 durchgeführt werden, basieren innerbetriebliche Transportprozesse auf fördertechnischen Einrichtungen. Obwohl außer- und innerbetriebliche Transportprozesse sehr viele Gemeinsamkeiten aufweisen, zeigen sie hierdurch auch wesentliche Unterschiede.74 Insbesondere ist zu beachten, dass außerbetriebliche Transporte unter Nutzung öffentlicher Infrastruktur abgewickelt werden müssen.75 Spezielle räumliche Transferprozesse bilden der Umschlag, d.h. das Beladen, Umladen und Abladen, und die Handhabung. Im Rahmen der Handhabung erfolgt der räumliche Transfer von Gütern häufig nicht nur entlang der drei Raumachsen, sondern schließt auch Drehbewegungen der Objekte um diese Achsen ein. Die Hauptfunktion Lagerung umfasst als erste wesentliche logistische Teilfunktion die physische Lagerung, also alle Handlungen des zeitlichen Transfers im engeren Sinne. Diese Teilfunktion wird in der deutschen Literatur in Anlehnung an den US-amerikanischen Begriff „Warehousing“ häufig mit dem Begriff „Lagerhaus“ belegt.76 Neben der reinen Zeitüberbrückung gehören hierzu auch Handlungen, die dem Wareneingang, der Ein- und Auslagerung, dem Warenausgang und insbesondere der Kommissionierung dienen.77 Traditionell davon getrennt betrachtet wird die logistische Teilfunktion der Lagerhaltung. Die Lagerhaltung umfasst dispositive Aufgaben, die einen Einfluss auf die Bestandshöhen insbesondere in Lagern haben.78 Da Bestände nicht nur in Lagern, sondern auch z.B. in Werkstätten (Produktionsbestand) oder bei Transporten (Unterwegsbestand) auftreten, wird in der US-amerika-

69

Vgl. Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 26–31. Siehe ähnlich Stock/Lambert (2001), S. 19–25.

70

Vgl. Pfohl (2010), S. 9–10.

71

Vgl. Henzel (1932), S. 195. Allerdings betrachtet Henzel nur den innerbetrieblichen Transport.

72

Ihde (1972, S. 21) nennt explizit den Innerbetrieblichen Transport als logistische Funktion und führt weiterhin den Faktornachschub, die Betriebliche Lager- und Vorratswirtschaft sowie die Physische Produktdistribution an.

73

Siehe dazu Abschnitt 3.1.

74

Siehe dazu Abschnitt 4.1.

75

Siehe dazu Abschnitt 3.1.1.

76

Siehe z.B. Pfohl (2010), S. 10.

77

Siehe dazu Abschnitt 5.3.

78

Vgl. Pfohl (2010), S. 87.

1.1 Begriff der Logistik

13

nischen Literatur in der Regel der allgemeinere Begriff „inventory management“ zur Kennzeichnung dieser logistischen Teilfunktion verwendet.79 In diesem Sinne könnte man die logistische Teilfunktion der Lagerhaltung auch als Bestandsmanagement bezeichnen.80 Allerdings ist damit häufig eine rein finanzwirtschaftliche Betrachtung und Bewertung von Beständen verbunden, die der Bedeutung von Beständen für die Logistik nicht gerecht wird. In diesem Buch wird deshalb zwischen der Lagerhaltung als logistischer Teilfunktion81 und der eher finanzwirtschaftlichen Perspektive des Bestandsmanagements unterschieden.82 Die Lagerung und der Transport von Gütern kann nur durchgeführt werden, wenn diese Güter transport- bzw. lagerfähig sind. Deshalb kann eine fünfte logistische Teilfunktion abgeleitet werden, die zwar im strengen Sinne nicht auf Handlungen des Gütertransfers basiert, die jedoch eine unmittelbare Voraussetzung für solche Handlungen darstellt. Üblicherweise wird zur Kennzeichnung von Handlungen, welche die Transport- bzw. Lagerfähigkeit zum Ziel haben, der Begriff „Verpackung“ verwendet.83 Diese Praxis erscheint jedoch zumindest missverständlich, da nicht nur durch Verpackungsprozesse i.e.S., sondern z.B. auch durch das Palettieren oder das Beladen von Containern die Transport- bzw. Lagerfähigkeit von Gütern hergestellt werden kann. Zudem ist neben der Schutzfunktion von Verpackungen aus Sicht der Logistik vor allem das Bilden von transferierbaren Einheiten von zentraler Bedeutung, welches im Englischen häufig mit dem Begriff „Unitization“84 gekennzeichnet wird.85 Die logistische Teilfunktion, die Verpackungsprozesse und andere Formen der Einheitenbildung zusammenfasst, soll deshalb im Folgenden als Logistikeinheitenbildung bezeichnet werden.86 Fasst man diese Gedanken zusammen, lassen sich somit fünf logistische Teilfunktionen unterscheiden, die in diesem Band ausführlich behandelt werden: Außerbetrieblicher Transport, Innerbetrieblicher Transport, Physische Lagerung, Lagerhaltung und Logistikeinheitenbildung. Die Auftragsabwicklung wird dagegen im Folgenden nicht als eine eigenständige logistische Teilfunktion betrachtet, da diese in ihrer Ausprägung als Bearbeitung von Kundenaufträgen eher als Teil des Transaktionsprozesses verstanden werden kann. Die Generierung und Abarbeitung von Fertigungsaufträgen fällt in den Bereich der Produktionsplanung und -steuerung und gehört somit zur Transformation. Die Abwicklung von Transport- oder Lageraufträgen ist bereits durch die abgeleiteten logistischen Teilfunktionen abgedeckt. Die Notwendigkeit einer eigenständigen logistischen Teilfunktion der Auftragsabwicklung erscheint somit nicht gegeben.

79

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 230–235.

80

Vgl. Pfohl (2010), S. 87.

81

Siehe dazu Kapitel 6.

82

Letztere wird in Band 2 behandelt.

83

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 23; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 29–30; Pfohl (2010), S. 10.

84

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 462; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 272.

85

Siehe dazu die Diskussion der Verpackungsfunktionen in Abschnitt 2.3.

86

Siehe dazu die engere Verwendung des Begriffs „logistische Einheit“ bei Pfohl (2010), S. 141.

14

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik Primäre Hauptfunktionen

Logistische Teilfunktionen Außerbetrieblicher Transport

Transport

Herstellen der Transportund Lagerfähigkeit

Innerbetrieblicher Transport Logistikeinheitenbildung Physische Lagerung

Lagerung Lagerhaltung Abbildung 1: Logistische Teilfunktionen.

Aus der expliziten Unterscheidung einzelner logistischer Teilfunktionen ergibt sich eine wesentliche Konsequenz für das Logistikmanagement, denn es werden unmittelbar zwei explizite Managementebenen ersichtlich: das Management der einzelnen logistischen Teilfunktionen und das Management der Gesamtlogistik, dessen Hauptaufgabe in der Koordination dieser logistischen Teilfunktionen besteht. Ersteres wird in diesem Band in Zusammenhang mit den einzelnen Teilfunktionen dargestellt. Der Koordination der Teilfunktionen durch ein integratives Logistikmanagement ist der zweite Band gewidmet. Dieser umfasst deshalb die koordinierte Planung und Steuerung der Logistik eines Unternehmens. Wenn die Logistik nun, wie gezeigt, als ein Phänomen verstanden werden kann, dann muss es realiter auch Subjekte geben, die logistische Handlungen und damit die Funktion der Logistik als Ganzes bzw. die aufgezeigten Teilfunktionen ausüben.87 Ruft man sich nochmals die Gründe in Erinnerung, die zu einem Auseinanderfallen von Produktion und Konsumtion führen,88 so wird zunächst deutlich, dass jeder Mensch als Teil eines privaten Haushalts täglich Transferprozesse vollziehen muss. Wir gehen beispielsweise zum Einkaufen und transportieren danach die gekauften Waren nachhause. Dort eingetroffen, werden diese in der Wohnung verteilt und ggf. bevorratet. Und natürlich müssen wir unseren Müll zu entsprechenden Sammelpunkten transportieren. Mancher wird auch selbsterzeugte Lebensmittel aus dem Garten zu seiner Wohnung transportieren, über Winter einlagern oder vielleicht an Freunde verteilen. Neben dieser „privaten Logistik“ in Haushalten werden Transferprozesse natürlich in weit größerem Umfang in Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen vollzogen, deren 87

Damit ist der institutionelle Aspekt der Logistik angesprochen. Siehe dazu Pfohl (2010), S. 229.

88

Siehe Abschnitt 1.1.1.

1.1 Begriff der Logistik

15

Hauptaufgaben auf dem Gebiet der Erzeugung von Sachgütern und Dienstleistungen sowie des Handels mit diesen Gütern liegen. Man könnte deshalb von der Unternehmenslogistik sprechen, die sich im Fall der Industrie in vier große logistische Teilbereiche unterteilen lässt:89 die Beschaffungslogistik, die Produktionslogistik, die Distributionslogistik und die Rückführungslogistik.90 Dem breiten Begriff „Rückführungslogistik“ im Sinne des angelsächsischen „Reverse Logistics“91 wird in diesem Buch der Vorrang gegenüber dem in Deutschland üblicherweise gebrauchten Begriff „Entsorgungslogistik“ gegeben, da sich die Entsorgung im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) lediglich auf zu verwertende oder zu beseitigende Abfälle bezieht,92 die Rückführungslogistik jedoch alle Objekte umfasst, die entgegen der Hauptrichtung, d.h. in Richtung des Endkunden, zurückgeführt werden. Handelsunternehmen verfügen über keine Produktionslogistik, da sie definitionsgemäß keine Transformation durchführen, und bei Dienstleistungsunternehmen fällt aufgrund des uno-actu-Prinzips93 die Produktions- und die Distributionslogistik untrennbar zusammen. Die Beschaffungs- und Distributionslogistik enden generell nicht an den Unternehmensgrenzen, sondern können bis zu den Lieferanten und den Lieferanten der Lieferanten bzw. bis zu den Kunden und ggf. über mehrere Handelsstufen hinweg bis zu den Endkunden reichen, wenn dies zur Erfüllung der Funktion der Unternehmenslogistik erforderlich ist. So spricht beispielsweise die Logistikdefinition des US-amerikanischen Logistikverbandes umfassend von einem Güterfluss zwischen dem Entstehungspunkt eines Gutes und dem Ort der Konsumtion.94 Diese Sichtweise findet sich bereits in den frühen Schriften zur betriebswirtschaftlichen Logistik.95 Das Phänomen Unternehmenslogistik sollte deshalb umfassend, d.h. organisationsübergreifend, im Sinne der US-amerikanischen Business Logistics verstanden werden. Die Hauptaufgabe von Logistikunternehmen als einer speziellen Form von Dienstleistungsunternehmen besteht in der Durchführung von logistischen Handlungen für Dritte.96 Sie bilden somit eine weitere wichtige Gruppe von Subjekten der Logistik. Neben den rechtlich definierten Logistikdienstleistern (Frachtführer, Lagerhalter und Speditionen) gehören dazu auch die Ersteller von so genannten neuen Logistikdienstleistungen, wie z.B. die KurierExpress-Paket-Dienste (KEP-Dienste) oder die Kontraktlogistikunternehmen97, sowie Unternehmen, die weitere spezielle Logistikdienstleistungen, z.B. Verpackungsdienstleistungen, 89

Pfohl (2010, S. 16–19) bezeichnet diese Teilbereiche als „phasenspezifische Subsysteme“ und Ihde (2001, S. 254–255) als „logistische Hauptprozesse“.

90

Dem breiteren Begriff „Rückführungslogistik“ im Sinne des angelsächsischen „Reverse Logistics“ (siehe z.B. Stock/Lambert (2001), S. 24–25) wird hier der Vorrang gegenüber dem in Deutschland üblicherweise gebrauchten Begriff „Entsorgungslogistik“ gegeben, da sich die Entsorgung im Sinne des KrW-/AbfG lediglich auf Abfälle bezieht.

91

Siehe z.B. Stock/Lambert (2001), S. 24–25.

92

Siehe dazu abweichend Pfohl (2010, S. 219), der auch z.B. Retouren und Leergut als Objekte der Entsorgungslogistik betrachtet.

93

Siehe z.B. Burr/Stephan (2006), S. 22–23.

94

Vgl. http://cscmp.org/aboutcscmp/definitions.asp.

95

Siehe z.B. Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964), S. 21–23; Ihde (1972), S. 13–14; Kirsch et al. (1973), S. 269–273.

96

Zu den Logistikdienstleistungsunternehmen siehe die Abschnitte 3.1.4 und 5.1.2 in diesem Band sowie ausführlich Band 3 dieser Reihe.

97

Vgl. Large (2009b), S. 446.

16

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

oder Logistikberatung anbieten. Prinzipiell können in entwickelten Volkswirtschaften alle Aufgaben der Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Rückführungslogistik von Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen durch einzelne oder mehrere Logistikdienstleister übernommen werden. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die logistischen Handlungen der privaten Haushalte. Als letztes Subjekt der Logistik ist der Staat zu nennen, dessen wesentliche logistische Aufgaben in der Bereitstellung der erforderlichen Verkehrsinfrastruktur sowie in der Schaffung eines verlässlichen Rechtsrahmens liegen. Darüber hinaus kommt dem Staat eine wichtige Funktion hinsichtlich der Ausbildung von logistischem Personal zu.

1.1.3

Logistik als Wissenschaft

Eine Lehre kann nur Wissen bereitstellen, wenn sie selbst über einen Wissensvorrat verfügt. Dieser Vorrat wird einerseits im Laufe der Zeit durch allgemeines Erfahrungswissen geschaffen, welches Menschen, die logistische Aufgaben ausführen, sammeln und an ihre Kollegen und Schüler weitergeben. So wird jeder von uns einmal die Erfahrung gemacht haben, dass Güter verpackt werden müssen, um Beschädigungen beim Transport zu vermeiden. Darüber hinaus wird eine Lehre, die den Anspruch erhebt, Ratschläge für eine effiziente und nachhaltige Funktionserfüllung zu geben, nicht ohne die gezielte Generierung von speziellem Wissen auskommen. Dies gilt vor allem für solches Wissen, welches nicht durch die Subjekte der Logistik direkt in Verbindung mit ihren Planungs-, Steuerungs- oder Ausführungshandlungen gewonnen werden kann, sondern wissenschaftliche Prozesse des Verstehens und Erklärens erfordert. Damit ist die dritte Bedeutung der Logistik angesprochen. Der Begriff der Logistik steht auch für die Wissenschaft von der Logistik: Die Logistik als Wissenschaft strebt das Erklären und Verstehen von Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen an. Dies umfasst auch das Erklären und Verstehen der Bedingungen und der Auswirkungen dieser Handlungen. In diesem Sinne generiert die Logistik Wissen über ihr Erkenntnisobjekt, also die logistischen Phänomene, und gliedert dieses Wissen in den Wissensvorrat der Logistik als Lehre ein. Erklären steht für den naturwissenschaftlich-orientierten Erkenntnisprozess in der Logistik und das Streben nach allgemeinen Theorien. Vertreter des kritischen Rationalismus in der Betriebswirtschaftslehre gehen von einem Methodenmonismus aus und postulieren, dass es sehr überraschend wäre, „wenn ein Denkstil, der sich in den Naturwissenschaften so hervorragend bewährt hat, nicht auch in sozialwissenschaftlichen Bereichen zur Förderung des Erkenntnisfortschrittes fruchtbar gemacht werden könnte.“98 Dieser geht von der Existenz allgemeiner Gesetzesaussagen in den Sozialwissenschaften und damit auch in den Wirtschaftswissenschaften aus. Das Erklären als wissenschaftlicher Erkenntnisprozess in der Logistik strebt somit das Erkennen allgemeingültiger Zusammenhänge zwischen den Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Gütertransfers, den Bedingungen dieser Handlungen und den Auswirkungen dieser Handlungen an. 98

Schanz (1988), S. VIII.

1.1 Begriff der Logistik

17

Dieses grundsätzlich berechtigte Streben stößt jedoch aus drei Gründen an Grenzen.99 Logistische Handlungen sind im Gegensatz zu den Erkenntnisobjekten der Naturwissenschaften nur als historisch bedingte Phänomene zu begreifen. Gesetzesaussagen zur Logistik sind deshalb sinnvollerweise nur für bestimmte Zeitabschnitte zu formulieren. Selbst Popper, der die Suche nach „Gesetzen mit unbegrenztem Geltungsbereich“100 auch für die Sozialwissenschaften fordert, räumt ein, „dass es in unserem sozialen Leben viele Regelmäßigkeiten gibt, die nur für unsere besondere Epoche charakteristisch sind und dass wir geneigt sind, diese Beschränkung zu übersehen.“101 Zweitens werden die realen Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Gütertransfers durch den aktuellen Wissensvorrat der Logistik als Lehre beeinflusst. Dieser Wissensvorrat wird jedoch wiederum durch die Logistik als Wissenschaft gespeist, d.h. aktuelle Handlungen werden durch wissenschaftliche Aussagen über vergangene Handlungen beeinflusst. Drittens sind im Gegensatz zu Prozessen der Natur menschliche Handlungen und die Ergebnisse dieser Handlungen von subjektivem Sinn geprägt. Auch logistische Handlungen werden deshalb realiter nicht zwingend nach allgemeingültigen Gesetzen ablaufen, sondern vom individuellen Wollen des Akteurs zumindest teilweise bestimmt sein. Menschen verhalten sich in gleichen Situationen nicht notwendigerweise gleich.102 Sie können sich sogar bewusst entgegen bestimmter Gesetzmäßigkeiten verhalten, wenn ihnen diese bekannt sind. Damit ist die Prognose von individuellen logistischen Handlungen und den daraus entstehenden Folgen auch bei bekannten Gesetzmäßigkeiten mit einer erheblichen Unsicherheit verbunden. Vertreter des geisteswissenschaftlich-orientierten Erkenntnisprozesses des Verstehens sozialer Handlungen und Institutionen berücksichtigen deshalb explizit die Subjektivität menschlicher Handlungen und ihre raum-zeitliche Bedingtheit, d.h. ihren historischen und regionalen Kontext.103 Methodisches Ziel ist nicht die Gewinnung möglichst allgemeiner Gesetzesaussagen, sondern im Gegenteil das Verstehen konkreter sozialer Phänomene. Dabei sollte der Erkenntnisprozess des Verstehens nicht als ein Ansammeln singulärer Daten und als reine Deskription einzelner Phänomene der Logistik betrieben werden, sondern sollte der Ergänzung erklärender Aussagen dienen. Man könnte auch von einem dritten Weg sprechen, wie dies bereits Sombart in seinen „Drei Nationalökonomien“ eindrucksvoll formuliert hat: „Wir aber, die wir Geisteswissenschaft treiben wollen, müssen hindurchzusteuern versuchen zwischen der naturwissenschaftlichen (nomothetischen) Denkweise, die dem Geist nicht gerecht wird und allem Historismus, Deskriptivismus, Irrationalismus, Romantizismus, die sämtlich unserem wissenschaftlichen Bedürfnis nicht Genüge tun.“104 Für die Existenz und Entwicklung der Logistik als Wissenschaft können mehrere Indikatoren herangezogen werden. Ein wichtiger Indikator ist die Auseinandersetzung mit der Logistik als Wissenschaft oder zumindest als wissenschaftliche Teildisziplin in der wissenschaftlichen Literatur, vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften. In den USA finden sich wissen99

Siehe dazu Large (1995), S. 21–22.

100

Popper (1987), S. 81.

101

Popper (1987), S. 78.

102

Vgl. Seiffert (2003), S. 214.

103

Zum Begriff des Verstehens siehe z.B. Sombart (1967), S. 191–234; Weber (1972), S. 1–6.

104

Sombart (1967), S. 171.

18

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

schaftliche Abhandlungen zur Logistik bzw. zur Physischen Distribution zunächst vor allem in der Marketingliteratur. Bereits zu Beginn der 70er Jahre erschienen in renommierten deutschen Wissenschaftszeitschriften der Betriebswirtschaftslehre erste Abhandlungen zum Wissenschaftsprogramm der Logistik. Zu nennen sind hier die drei grundlegenden Arbeiten von Kirsch, Ihde und Pfohl.105 Dem herrschenden Paradigma dieser Zeit folgend, basieren die dargelegten Überlegungen zu einer wissenschaftlichen Logistik als Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre allesamt auf dem Entscheidungs- und Systemansatz. Diese Einordnung trifft auch für die 1971 vorgelegte Dissertation von Pfohl zu, die 1972 unter dem Titel „Marketing-Logistik“ erscheint.106 In der Folgezeit sind immer wieder Übersichten zum Stand der Logistikforschung erschienen.107 Ebenso finden sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur Ansätze einer theoretischen Fundierung der Logistik, die in der Regel auf bekannte Theorien, z.B. aus dem Allgemeinen Management oder der Neuen Institutionenökonomik, zurückgreifen.108 Der Versuch der Entwicklung einer geschlossenen Logistiktheorie muss jedoch aus heutiger Sicht als nicht sinnvoll, weil vergeblich gewertet werden.109 Ebenso wenig wie eine Theorie des Marketings oder eine Theorie der Beschaffung ist auch eine umfassende Theorie der Logistik nicht zu erwarten. Selbst die Produktionstheorie ist nur in der Lage, einzelne Aspekte der Produktion in Betrieben, nämlich die Mengenbeziehungen zwischen Input- und Outputgrößen, zu erklären. Der zweite wichtige Indikator für eine etablierte Wissenschaft ist die Existenz von speziellen wissenschaftlichen Zeitschriften der Logistik. Das erste Heft des Journals of Business Logistics (JBL) erschien 1978. Das Journal of Business Logistics gilt als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften der Logistik,110 war jedoch von Beginn an und ist noch immer stark auf die USA ausgerichtet.111 Das International Journal of Physical Distribution and Materials Management (IJPD&MM) erscheint seit 1971 und wurde erst 1990 in International Journal of Physical Distribution and Logistics Management umbenannt (IJPD&LM). Dem Namen entsprechend zeichnet sich diese Logistikzeitschrift durch eine internationale Orientierung aus, so dass darin auch häufiger Beiträge europäischer Autoren zu finden sind. Im Jahr 2005 wurden sogar zwei Hefte ausschließlich mit Beiträgen deutscher Autoren veröffentlicht. Ebenfalls seit 1990 erscheint die Zeitschrift „The International Journal of Logistics Management”. Die wohl älteste Logistikzeitschrift ist die seit 1954 herausgegebene Naval Research Logistics Quarterly, die jedoch zu Beginn beinahe ausschließlich Beiträge zur Militärlogistik enthielt. Ein erster Versuch zur Etablierung einer Logistikzeitschrift im deutschsprachigen Raum war die zunächst eher akademische jedoch später zunehmend praxisorientierte Zeitschrift für Logistik, die erstmals 1980 erschien, jedoch nach mehreren Verlagswechseln 1997 endgültig eingestellt wurde. Die erste deutsche Logistikzeitschrift mit wissenschaftlichem Anspruch war die von der Wissenschaftlichen Kommission Logistik des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB) herausgegebene Zeitschrift 105

Vgl. Kirsch (1971); Ihde (1972); Pfohl (1974).

106

Vgl. Pfohl (1972).

107

Siehe z.B. Mentzer/Kahn (1995); Göpfert (1999); Large/Stölzle (1999); Klaus (2009).

108

Siehe z.B. Weber (1992); Göpfert (1999); Weber (2008).

109

Vgl. Weber (2008), S. 63.

110

Eine gute Übersicht der Entwicklung der Zeitschrift bietet Miyazaki/Phillips/Phillips (1999).

111

LaLonde (1978), S. V.

1.1 Begriff der Logistik

19

Logistik Management, die 1999 erstmals erschien. Auch diese konnte nach 2007 nicht mehr weitergeführt werden. Jüngster Versuch ist die Zeitschrift Logistics Research, die seit 2009 mit Unterstützung der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) herausgegeben wird. Der dritte Indikator für die Existenz einer betriebswirtschaftlichen Wissenschaft der Logistik ist die organisatorische Verankerung innerhalb des einflussreichen Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB). Dieser Meilenstein wurde 1996 mit der Gründung der Wissenschaftlichen Kommission Logistik erreicht. Neben den regelmäßigen Kommissionstagungen, die dem wissenschaftlichen Austausch dienen, organisiert die Kommission seit 1999 die im zweijährigen Abstand stattfindende wissenschaftliche Konferenz „Logistikmanagement“ (LM). Damit ist ein vierter Indikator angesprochen. Regelmäßig durchgeführte wissenschaftliche Konferenzen der Logistik zeigen einen lebendigen Austausch innerhalb der Wissenschaftsgemeinde an. Neben nationalen Konferenzen sind vor allem Konferenzen mit internationaler Beteiligung von Bedeutung. Lange Tradition hat die Educators’ Conference des amerikanischen Logistikverbands CSCMP. In Europa haben sich vor allem die Konferenzen des Logistics Research Networks (LRN), des Nordic Logistics Research Networks (NOFOMA) und der Association Internationale de Recherche en Logistique (AIRL) etabliert. Daneben finden sich umfassendere Wissenschaftskonferenzen, in deren Rahmen logistische Themen einen breiteren Raum einnehmen.112 Trotz dieser Indikatoren einer positiven Entwicklung der Logistik als Wissenschaft, existieren noch heute Hindernisse für eine umfassende Wissenschaftsgemeinde der Logistik. Zum einen beschränkt sich die wissenschaftliche Betrachtung der Logistik nicht nur auf die Wirtschaftswissenschaften. Auch innerhalb der Ingenieurwissenschaften wird der Begriff der Logistik zur Kennzeichnung einer Disziplin verwendet, die sich mit den Technologien des Transports und der Lagerung zur Realisation von Güterflüssen beschäftigt.113 Eine solche Logistik unterscheidet sich deshalb von der betriebswirtschaftlichen Logistik zunächst durch ein abweichendes Erkenntnisobjekt. Die betriebswirtschaftliche Logistik konzentriert sich auf den Wertaspekt bei der Definition ihres Erkenntnisobjekts und betrachtet deshalb die Prozesse des Transports und der Lagerung unter diesem speziellen Blickwinkel als Wertschöpfungsprozesse (räumlicher und zeitlicher Transfer) zur Herstellung der faktischen Verfügbarkeit von Gütern. Die betriebswirtschaftliche Logistik wird folglich spezifische Kriterien zur Beurteilung der Güte von logistischen Handlungen anlegen, die sich von denen der Ingenieurwissenschaften unterscheiden.114 Ebenso wendet die ingenieurwissenschaftliche Logistik Forschungsmethoden an, die von denen der betriebswirtschaftlichen Logistik abweichen. Im Rahmen eines Vergleichs von 88 ingenieurwissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Dissertationen im Bereich der Logistik wurden auf Basis der eingesetzten Forschungsmethoden mit Hilfe einer Clusteranalyse vier unterschiedliche Forschungsmuster identifiziert.115 Bei den Ingenieuren dominierten erwartungsgemäß die Erstellung von Prototypen und die Durchführung von Simulationen 112

Beispiele sind die Konferenzen der European Operations Management Association (EUROMA) und der International Purchasing and Supply Education and Research Association (IPSERA).

113

Siehe dazu z.B. Arnold/Furmans (2009).

114

Siehe dazu Hauptabschnitt 1.2.

115

Siehe dazu ausführlich Large/Stölzle (1999).

20

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

(21 der 33 Dissertationen). Innerhalb der betriebswirtschaftlichen Logistik zeigten sich jedoch unterschiedliche methodische Ausrichtungen. Die 55 betriebswirtschaftlichen Dissertationen wurden wie folgt zugeordnet: Feld- und Fallstudien (41%), Prototyperstellung oder Simulation (28%), Befragungen (24%) und reine Modellierung (7%). Aufgrund dieser Ergebnisse kann man zunächst auf Unterschiede zwischen ingenieurwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Logistik schließen. Allerdings wird auch innerhalb der betriebswirtschaftlichen Logistik eine große Methodenvielfalt deutlich. Dieses Ergebnis zeigt sich auch in anderen Untersuchungen.116 So unterscheiden Dunn, Seaker und Waller drei generelle Richtungen der Logistikforschung: eine allgemeine Beschreibung von Variablen (z.B. Fallstudien), die Interpretation der Wahrnehmungen von Befragten (Umfragen, Interviews, Expertenbefragung) und die künstliche Rekonstruktion der Realität durch Modellbildung.117 Eine weitere Möglichkeit der Abgrenzung von wissenschaftlichen „Logistikschulen“ innerhalb der Betriebswirtschaftslehre ist die Unterscheidung der Aktivitäten nach dem primären Zweck der Forschung. Danach lassen sich der deskriptiv-konzeptionelle Ansatz, der mathematisch-instrumentelle Ansatz und der explikative Ansatz unterscheiden. Der deskriptivkonzeptionelle Ansatz verfolgt primär den Zweck, die aktuelle „Best Practice“ der Logistik zu erkennen, daraus einzelne Handlungsempfehlungen für die Praxis abzuleiten und umfassende Logistikmanagementkonzepte zu entwickeln. Bei diesem Ansatz nimmt somit das Verständnis der Logistik als „anwendungsorientierte Wissenschaftsdisziplin“118 eine dominierende Position ein. Grundlage für wissenschaftliche Aussagen im Rahmen eines deskriptiv-konzeptionellen Ansatzes sind in der Regel einzelne Feld- und Fallstudien sowie deskriptiv ausgewertete einfache schriftliche Befragungen. Auch der mathematisch-instrumentelle Ansatz hat eine lange Tradition innerhalb der Logistik, denn schon früh wurde der Nutzen des Operations Research für die Logistik erkannt.119 Der Hauptzweck der Logistikforschung liegt nach diesem Wissenschaftsverständnis in der Unterstützung logistischer Entscheidungen durch die Bereitstellung von mathematischen Modellen und leistungsfähigen Algorithmen.120 Auch der zweite Ansatz strebt somit eine Verbesserung der logistischen Praxis an. Im Gegensatz zum ersten Ansatz werden die Instrumente dazu jedoch nicht aus dem Wissen der Anwender durch Systematisierung und Verdichtung abgeleitet, sondern in einem separierten Erkenntnisprozess generiert. Der explikative Ansatz der Logistikforschung strebt die möglichst allgemeingültige Erklärung von Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Gütertransfers an. Ebenso sollen die Wirkungen von externen Bedingungen auf diese Handlungen sowie die Wirkungen dieser Handlungen auf andere Größen, z.B. auf Erfolgsgrößen, erklärt werden. Obwohl sich aus solchen Erklärungen Aussagen über vernünftiges Handeln im Sinne einer Lehre der Logistik ableiten lassen, steht der 116

Siehe z.B. Larson/Poist (2004), S. 69, die einen hohen Anteil von Veröffentlichungen im Transportation Journal feststellen, die auf schriftlichen Befragungen basieren.

117

Vgl. Dunn/Seaker/Waller (1994), S. 145. Siehe auch Gammelgaard (2004), die zwei unterschiedliche Schulen identifiziert.

118

Siehe dazu Delfmann et al. (2010a), S. 9–10; Delfmann et al. (2010b), S. 61–63.

119

Siehe z.B. Magee (1960), S. 96; Smykay/Bowersox/Mossman (1961), S. 7; Ihde (1972), S. 24.

120

Als Beispiele für diesen Ansatz seien als früher Beitrag Bloech/Ihde (1972) sowie das dreibändige Standardwerk „Logistik“ (Domschke (2007); Domschke/Scholl (2010); Domschke/Drexl (1996)) genannt.

1.1 Begriff der Logistik

21

unmittelbare Anwendungsbezug nicht im Mittelpunkt dieses Ansatzes. Primäres Ziel ist zunächst die Entwicklung von Theorien über logistische Sachverhalte. Der explikative Ansatz der Logistikforschung begnügt sich nicht mit dem Sammeln und Kategorisieren von Wissen, über welches Logistiker in Unternehmen bereits verfügen, sondern strebt nach jener Erkenntnis, die nur durch Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf unternehmensübergreifende Daten erlangt werden kann und deshalb diesem Personenkreis verborgen bleibt. Durch diesen Anspruch unterscheidet sich der dritte Ansatz wesentlich von dem ersten. Die Grundlage für solche Erklärungen bildet die quantitative empirische Forschung auf Basis großzahliger Datenerhebungen und multivariater statistischer Verfahren,121 denn mit diesem Instrumentarium können Zusammenhänge aufgedeckt werden, die logistischen Akteuren nicht bewusst sind. Da, wie oben ausgeführt, Erklärungen in den Sozialwissenschaften jedoch oft nur bedingt, vor allem nur historisch bedingt, möglich sind, sollte die rein explikative Vorgehensweise durch einen verstehenden Erkenntnisprozess ergänzt werden, der sich interpretativer Forschungsmethoden bedient und dabei die betrieblichen Akteure einbezieht. Zu diesem durch verstehende Elemente ergänzten explikativen Ansatz der Logistikforschung bekennt sich der Autor. Eine umfassende Lehre der Logistik nimmt jedoch Einsichten jeder der drei beschriebenen Forschungsansätze auf, sofern sie helfen, die richtigen Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Gütertransfers zu vermitteln. In diesem Sinne finden sich in diesem Lehrbuch neben empirisch gewonnenen Erkenntnissen auch konzeptionelle Überlegungen sowie Ansätze der mathematischen Modellierung und die dazugehörigen Lösungsverfahren.

1.1.4

Zusammenfassung

Fasst man die bisherigen Ausführungen zusammen, so können drei unterschiedliche und dennoch eng miteinander zusammenhängende Begriffsinhalte mit dem Terminus „Logistik“ verbunden werden: Die Logistik kann als Phänomen, als Lehre und als Wissenschaft definiert werden. Jede dieser drei Sichtweisen hat elementare Bedeutung für die Logistik. Logistische Phänomene sind das Erfahrungsobjekt der Logistik als Wissenschaft. Deren wissenschaftliche Erkenntnisse reichern die Lehre von der Logistik mit dem erforderlichen Wissen an. Schließlich wird die Lehre die Handlungen von Logistikern und anderen Personen lenken und so logistische Phänomene in ihrer konkreten historischen Ausformung beeinflussen. Damit schließt sich der Zirkel (Abbildung 2). Wissenschaft, Lehre und Phänomen bilden eine Einheit von Erkenntnis, Vermittlung und Anwendung und treiben so die Entwicklung der Logistik voran.

121

Siehe dazu beispielsweise Mentzer/Kahn (1995) sowie Kotzab (2005).

22

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

… als Phänomen umfasst alle Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen.

… als Lehre

vermittelt die richtigen Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen.

Logistik

… als Wissenschaft strebt das Erklären und Verstehen von Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen an.

Abbildung 2: Die drei Verwendungen des Terminus „Logistik“: Lehre, Phänomen und Wissenschaft.

1.2

Beurteilungskriterien der Logistik

1.2.1

Rationalität logistischer Handlungen

Um ihrem Anspruch als Lehre zu genügen, muss die Logistik die „richtigen“ Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Gütertransfers lehren. Dieser Sachverhalt wurde bereits in Abschnitt 1.1.1 betont. Um jedoch die Richtigkeit von zu lehrenden Handlungen zu beurteilen, bedarf es Kriterien, denen diese Handlungen genügen sollen. Das grundlegende Kriterium zur Beurteilung von logistischen Handlungen ist deren Rationalität, im Sinne von Zweckrationalität und Wertrationalität. Obwohl realiter nie traditionales oder affektuelles Verhalten von Menschen ausgeschlossen werden kann,122 sollten wirtschaftliche Handlungen nicht einfach unreflektiert vollzogen werden, weil dies schon immer so geschehen ist. Ebenso sollten sie nicht rein durch Gefühlsregungen bestimmt sein. Beide Verhaltensweisen würden zu einem unvernünftigen Umgang mit Ressourcen führen. Handlungen, die von der Logistik gelehrt werden, müssen rational sein. Logistische Handlungen verfolgen den Zweck, die faktische Verfügbarkeit von Gütern herzustellen, denn darin besteht die Funktion der Logistik für die Wirtschaft.123 Um zu beurteilen, ob diese Funktionserfüllung vernünftig erfolgt ist bzw. erfolgen wird, also Zweckrationalität vorliegt, müssen die Konsequenzen vollzogener und beabsichtigter Handlungen ermittelt werden. 122

Weber (1972, S. 12–13) unterscheidet affektuelles, traditionales, wertrationales und zweckrationales Verhalten. Siehe dazu Large (2009a), S. 159.

123

Vgl. Abschnitt 1.1.1.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

23

Zur Sicherung der Zweckrationalität sind also Input- und Outputgrößen der Logistik erforderlich, die im Nachhinein für vollzogene Handlungen bestimmt (Kontrolle) und vor allem im Voraus abgeschätzt werden können (Planung). Im Abschnitt 1.2.2 werden deshalb zunächst die Leistungen der Logistik, die Logistikkosten und die logistikinduzierten Erlöse diskutiert. Mit Hilfe dieser Größen kann der kurzfristige Erfolg und die Wirtschaftlichkeit der Logistik ex ante und ex post beurteilt werden (1.2.3). Aus strategischer Sicht interessieren jedoch weniger die kurzfristigen Erfolge der Logistik, sondern vielmehr die Erfolgspotenziale, die Aussagen über zukünftige Erfolge erlauben (1.2.4). Darüber hinaus sollte die Logistik im Sinne der Sicherung der Wertrationalität auch den Wertvorstellungen einer Gesellschaft genügen und die Erfüllung dieser Werte rational verfolgen. Zum Ende des ersten Kapitels wird deshalb die Frage des Beitrags der Logistik zur nachhaltigen Entwicklung der Welt angesprochen (1.2.5).

1.2.2

Logistikleistungen, Logistikkosten und logistikinduzierte Erlöse

Ausgangspunkt der Bewertung logistischer Handlungen ist das Resultat dieser Handlungen. Dabei wird wie in Abschnitt 1.2.1 gezeigt die allgemeine Prämisse gesetzt, dass nur vernünftige Handlungen gewünschte Resultate hervorbringen können. Betrachtet wird also zunächst die Effektivität der Logistik. Der Effekt der Logistik wird durch die resultierenden Logistikleistungen sichtbar. Logistikleistungen stellen das Resultat logistischer Handlungen dar, also der Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen. Logistische Leistungen können aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Entsprechend sind unterschiedliche Klassifikationen für Logistikleistungen möglich.124 Nach der Art der zugrunde liegenden logistischen Handlungen (Verrichtungen)125 lassen sich außerbetriebliche und innerbetriebliche Transportleistungen, physische Lagerleistungen, Lagerhaltungsleistungen und Leistungen der Logistikeinheitenbildung unterscheiden. Da logistische Leistungen an unterschiedlichen Objekten vollzogen werden können, ergeben sich z.B. Leistungen der Ersatzteil- oder der Materiallogistik. Legt man den Rang der Logistikaufgabe zugrunde, folgen Ausführungs- und Managementleistungen als Klassen. Auch das Merkmal der Abgrenzbarkeit von Logistikleistungen kann als Klassifikationskriterium dienen.126 Neben abgrenzbaren einzelnen Logistikdienstleistungen finden sich auch solche, die eng mit Transaktionen und Transformationen verbunden sind. Beispiele dafür sind Verkaufsfahrten im ambulanten Handel oder die Bewegung von Werkstücken in der Fließfertigung. Schließlich grenzt eine weitere Klassifikation Logistikleistungen nach der Art der Leistungsbeziehung ab. Dabei dienen die möglichen Leistungserbringer und Leistungsempfänger als Differenzierungsmerkmale (Abbildung 3). Im Fall der rein internen Leistungsbezie124

Siehe dazu z.B. Siepermann (2003b); Pfohl (1996), Sp. 1131–1133.

125

Siehe zu den Kriterien Arbeitsobjekt, Verrichtung, Rang und Phase grundlegend Kosiol (1962), S. 49–62.

126

Vgl. Siepermann (2003b), S. 1016.

24

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

hung werden logistische Leistungen von einer Logistikorganisationseinheit für eine andere interne Organisationseinheit erstellt. Ein Beispiel dafür ist die Leistung eines Produktionslagers für die eigene Fertigung. Häufig erfolgt die Leistungserstellung jedoch für ein anderes Unternehmen. Insbesondere in der Distributionslogistik werden Logistikleistungen für externe Kunden erbracht und an deren Anforderungen ausgerichtet. Darüber hinaus kann ein Unternehmen auch andere Unternehmen mit der Leistungserstellung beauftragen. Werden Logistikleistungen extern bezogen, handelt es sich um Dienstleistungen, die in der Regel von Logistikunternehmen als Primärleistung oder auch von anderen Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, z.B. von Materiallieferanten, als Sekundärleistung erstellt werden.127 Diese Fremdleistungen richten sich zum einen an eigene Organisationseinheiten als Empfänger. Beispielsweise erstellen Lieferanten im Rahmen einer Lieferung frei Haus Transferleistungen für das beziehende Unternehmen und Transportunternehmen führen als Frachtführer Verkehrsleistungen im Bereich der Beschaffungslogistik durch. Andererseits werden in der betrieblichen Praxis externe Dienstleister zur Versorgung von Kunden eingesetzt. Hierdurch entsteht eine triadische Beziehung zwischen dem Auftraggeber, dem Dienstleistungsunternehmen als Leistungsersteller und dem Kunden als Leistungsempfänger.128 Ein Beispiel für eine umfassende Fremdleistung sind kontraktlogistische Leistungen, wie z.B. Lagerung, Kommissionierung und Auslieferung, im Bereich der Distribution.

Intern

Extern

Intern

Logistische Leistung einer Logistikorganisationseinheit für eine andere interne Organisationseinheit

Logistische Leistung einer Logistikorganisationseinheit für ein anderes Unternehmen

Extern

Leistungserbringer

Leistungsempfänger

Leistung eines anderen Unternehmens für eine interne Organisationseinheit

Leistung eines Logistikdienstleisters für ein anderes Unternehmen

Abbildung 3: Leistungsbeziehungen in der Logistik.

Das spezifische Wesen von Logistikdienstleistungen kann durch diese allgemeinen Klassifikationen, die sich im Prinzip auf alle Arten von Leistungen anwenden lassen, nicht erschlossen werden. Weber hat in Anlehnung an die drei Sichtweisen von Dienstleistungen (Dienstleistungen als Potenziale, als Prozesse und als Ergebnisse)129 vier Kategorien des Logistikleis127

Vgl. Pfohl (2010), S. 34.

128

Vgl. Li/Choi (2009).

129

Siehe z.B. Corsten/Gössinger (2007), S. 21–23.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

25

tungsbegriffs entwickelt: Potenzial-, prozess-, ergebnis- und wirkungsbezogene Logistikleistungen.130 Potenzialbezogene Logistikleistungen sind Bereitstellungsleistungen.131 Mitarbeiter und Betriebsmittel (z.B. Fahrzeuge, Lagerplätze, Behälter) werden bereitgestellt, um bei Bedarf logistische Handlungen zu vollziehen. In der Terminologie der Produktionstheorie für Dienstleistungen handelt es sich bei dieser Bereitstellung um eine Vorkombination von Produktionsfaktoren zur Herstellung einer Leistungsbereitschaft.132 Es wird also bereits durch die Vorkombination eine logistische Leistung erzeugt, die eine unverzichtbare Vorleistung für schnelle logistische Leistungen mit hoher Zuverlässigkeit darstellt. Dazu müssen die eingesetzten Ressourcen die erforderliche Eignung und Kapazität pro Zeitintervall aufweisen.133 Im Mittelpunkt prozessbezogener Logistikleistungen steht der vollzogene Prozess, wobei jedoch kein bestimmtes Leistungsergebnis gefordert wird. Im Gegensatz zu potenzialbezogenen Logistikleistungen wird aktiv ein Prozess durchgeführt und nicht nur eine Leistungsbereitschaft hergestellt. Die Erstellung prozessbezogener Logistikleistungen bewirkt eine Kapazitätsbelegung, sofern das betreffende Betriebsmittel nicht mehr für alternative Handlungen verwendet werden kann. Als vollzogene Leistungen zählen beispielsweise auch Leerfahrten aufgrund mangelnder Nachfrage oder Bereitstellungsfahrten aufgrund unpaariger Transportströme. Ergebnisbezogene Logistikleistungen setzen dagegen direkt am zeitlichen und räumlichen Transfer von Gütern oder Abfällen an und konkretisieren sich an dem Objekt.134 Eine Logistikleistung gilt danach als erbracht, wenn eine Orts- oder Zeitveränderung an einem Objekt oder einer bestimmten Objektmenge erreicht wurde. Ein Beispiel dafür ist der Transport einer Ladung von zwei Tonnen über eine Strecke von 200 Kilometern. Obwohl im engeren Sinne nur der Vollzug gewollter Logistikhandlungen als eine Leistung verstanden wird, können ergebnisorientiert auch Fehlleistungen, z.B. Transporte an einen falschen Bestimmungsort, quantifiziert werden. Da Transferprozesse die faktische Verfügbarkeit von Gütern sowie im Rahmen der Entsorgungslogistik ebenso von Abfällen herstellen sollen, kann der Logistikleistungsbegriff darüber hinaus an seiner Wirkung festgemacht werden. Eine wirkungsbezogene Logistikleistung gilt als erbracht, wenn die gewollte faktische Verfügbarkeit eines Objekts für ein Subjekt hergestellt ist.135 Der alleinige Vollzug einer Transport- oder Lagerleistung im Sinne einer ergebnisbezogenen Logistikleistung reicht somit nicht aus. Das zu transferierende Gut mit seiner spezifischen Eignung muss vielmehr in der gewünschten Menge und zur gewünschten Zeit am gewünschten Ort verfügbar sein.136 130

Vgl. Weber (1986), S. 1198–1204; Weber/Kummer (1998), S. 116–117; Weber (2002), S. 115–128.

131

Vgl. Weber (1986), S. 1198; Weber (2002), S. 118–119.

132

Vgl. Maleri/Frietzsche (2008), S. 85.

133

Vgl. Weber (1986), S. 1198; Weber (2002), S. 119.

134

Vgl. Weber (2002), S. 121.

135

Vgl. Weber (1986), S. 1202–1204; Weber (2002), S. 125–128.

136

Dieser Sachverhalt wird in der Literatur häufig mit dem Schlagwort der „vier R“ belegt. Siehe dazu z.B. Pfohl (2010), S. 12.

26

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Den Logistikleistungen steht der Verbrauch an Produktionsfaktoren gegenüber, der erforderlich ist, um diese Leistungen zu erstellen. Wird ein solcher Verbrauch monetär bewertet und einer bestimmten Periode zugerechnet, folgen daraus die Kosten der Logistik. Logistikkosten stellen den monetär bewerteten Faktoreinsatz dar, der zur Erstellung von Logistikleistungen erforderlich ist. Kosten basieren deshalb immer auf zwei unterschiedlichen Elementen: den verbrauchten Faktormengen und den Preisen pro Einheit der erforderlichen Faktoren. Die Faktormengen werden zur Herstellung einer Leistungsbereitschaft im Rahmen der Vorkombination und zur Endkombination, die an dem jeweiligen zu transferierenden Gut vollzogen wird, benötigt.137 Typische Faktoren, die in der Logistik benötigt werden, sind objektorientierte und dispositive Arbeitsleistungen, Betriebsstoffe und Betriebsmittel. Logistikkosten lassen sich wie alle Kosten nach verschiedenen Kriterien klassifizieren.138 Zunächst können diese nach der Art der zugrunde liegenden logistischen Handlungen unterschieden werden. Daraus ergeben sich z.B. Transport-, Umschlags-, Lagerhaus-, Lagerhaltungs- und Verpackungskosten. Problematisch ist die Kostenabgrenzung bei Leistungen, die eng mit Handlungen der Transformation (Produktionslogistik) oder der Transaktion (Beschaffungs- und Distributionslogistik) verbunden sind. Insbesondere in der Produktionslogistik werden Logistikkosten häufig nicht separat erfasst, sondern zusammen mit den Fertigungskosten den Produktionskostenstellen zugerechnet. Weiterhin ist eine Klassifikation auf Basis der eingesetzten Faktoren möglich (Kostenarten). Legt man dieses Kriterium zugrunde lassen sich z.B. Personal-, Energie-, Miet-, und Versicherungskosten sowie Abschreibungen und Kosten für logistische Fremdleistungen differenzieren. Nach dem Kriterium der Kostenermittlung können die Grundkosten, die sich direkt als Zweckaufwand aus der Finanzbuchhaltung übernehmen lassen, und die kalkulatorischen Kosten unterschieden werden. Eine Klassifikation entsprechend der Zurechenbarkeit zu Kostenträgern führt zur Trennung von Logistikeinzel- und Logistikgemeinkosten. Logistikeinzelkosten entstehen für Prozesse, die sich direkt einem Kostenträger zuordnen lassen. Ein Beispiel dafür ist ein Ganzladungstransport mit dem LKW zur Auslieferung eines bestimmten Gutes an einen Kunden. Hier lassen sich die Arbeitsstunden des Fahrers und die Kraftstoffkosten direkt dem Auftrag zuordnen. Die meisten Logistikkosten können dagegen nur indirekt nach einer entsprechenden Kostenstellenrechnung, z.B. mittels eines Zuschlags, auf einen Kostenträger verrechnet werden.139 Zu diesen echten Gemeinkosten zählen z.B. die Energiekosten eines Lagers oder das Gehalt eines Disponenten. Allerdings werden häufig auch Logistikeinzelkosten wie Gemeinkosten behandelt (unechte Gemeinkosten), da ihre getrennte Erfassung und Verrechnung auf Kostenträger zu aufwendig wäre bzw. weil keine entsprechenden Instrumente der Kostenrechnung existieren.140

137

Zum zweistufigen Produktionsprozess von (Dienst-)Leistungen siehe z.B. Maleri/Frietzsche (2008), S. 85.

138

Vgl. Siepermann (2003a).

139

Vgl. Weber (2002), S. 175.

140

Vgl. Siepermann (2003a), S. 880.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

27

Schließlich können Kosten auch nach ihrer Abhängigkeit von der Ausbringungsmenge unterschieden werden, d.h. im vorliegenden Fall danach, ob die Logistikkosten vom Umfang der Logistikleistung abhängig sind. Variable Logistikkosten steigen mit einer höheren Logistikleistung, fixe Logistikkosten bleiben dagegen konstant. Sprungfixe Logistikkosten ändern sich schlagartig, wenn eine bestimmte Leistungsmenge überschritten wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zu einer Leistungserhöhung ein weiterer Mitarbeiter beschäftigt werden muss. Die Bestimmung der Abhängigkeit der Kosten von einer erbrachten Leistungsmenge setzt eine differenzierte Erfassung der logistischen Leistungsquanten voraus. Soll den Logistikkosten zu Vergleichszwecken141 eine ebenfalls monetäre Größe gegenübergestellt werden, so folgt daraus die Notwendigkeit der finanziellen Bewertung der bisher betrachteten Leistungen. Damit sind der Begriff des Erlöses und dessen Bedeutung in der Logistik angesprochen. In diesem Buch soll der mittlerweile herrschenden Meinung gefolgt werden, Erlöse als monetär bewertete Leistungen und die Leistung selbst lediglich als mengenmäßige Größe zu betrachten. Werden logistische Leistungen von einem Industrie- oder Handelsunternehmen kundennah erbracht, so ist es prinzipiell möglich, diese dem Kunden gesondert zu berechnen und hierfür einen Preis zu vereinbaren. Ein Beispiel dafür ist der Ausweis von Transport- und Verpackungskosten bei einer Warenlieferung. In solchen Fällen könnte man im engeren Sinne von einem Logistikerlös als echtem Logistikumsatzerlös sprechen, der auf einem Marktpreis basiert. Leistungen die nicht direkt an einen externen Kunden gerichtet sind, lassen sich nicht durch einen konkreten Marktpreis bewerten. Zum einen werden solche Leistungen, z.B. Lagerleistungen, häufig für mehrere Güter und Kunden erbracht. Zum anderen wird ein Kunde interne Leistungen als Teil der Aufgabe des Lieferanten sehen und nicht zu einer Zahlung bereit sein. Um solche internen Leistungen zu bewerten, müssen deshalb statt der realisierten Marktpreise kalkulatorische Verrechnungspreise herangezogen werden. Zur Bildung von Verrechnungspreisen für logistische Leistungen gibt es verschiedene Ansätze. Können diese Leistungen prinzipiell auch am Verkehrsmarkt als Logistikdienstleistungen bezogen werden, besteht die Möglichkeit, den marktüblichen Preis dafür anzusetzen. Dies ist beispielsweise bei Ganzladungstransporten mit einem Lastkraftwagen problemlos möglich, da in diesem Bereich eine weitgehende Markttransparenz vorliegt. Bei komplexeren und unternehmensspezifischen Leistungen besteht dagegen das Problem, entsprechende Referenzpreise zu ermitteln. In diesen Fällen können in der Regel nur Schätzpreise herangezogen werden. Möglich sind auch interne Preisverhandlungen zwischen leistenden und empfangenden Organisationseinheiten. Allerdings werden diese Verhandlungen nur dann realistische Preise ergeben, wenn den empfangenden Organisationseinheiten prinzipiell die Möglichkeit offensteht, alternativ auf externe Märkte zuzugreifen. Eine verbreitete Praxis besteht in der Verwendung von Kostenpreisen, d.h. der kalkulatorische Erlös einer Leistung entspricht den dafür entstandenen Kosten. Allerdings bleibt in diesem Fall ein Vergleich von Kosten und Erlösen aussagenlos. Logistikerlöse sind Logistikleistungsmengen, die mit Hilfe von realisierten Marktpreisen oder internen Verrechnungspreisen monetär bewertet wurden. 141

Siehe dazu Abschnitt 1.2.3.

28

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Da die Logistik als Unterstützungsfunktion eingeführt wurde,142 stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und ggf. wie logistische Handlungen die Vermarktung der Primärprodukte von Industrie- und Handelsunternehmen beeinflussen. Es ist unmittelbar einsichtig, dass ohne Transferprozesse die Durchführung von Transformationen und Transaktionen in aller Regel unmöglich oder zumindest unwirksam sein würde. Außerdem haben die Ausführungen in Abschnitt 1.1.1 die gegenseitige Bedingtheit von effizienter arbeitsteiliger Produktion und logistischen Prozessen aufgezeigt. Es ist somit von Wirkungen der Logistik auf die allgemeinen Umsatzerlöse eines Unternehmens auszugehen, die weit über die aufgezeigten direkten Erlöse durch bewertete Logistikleistungen hinausgehen. Umsatzerlöse, die zwar keine bewerteten Logistikleistungen im engeren Sinne darstellen, jedoch durch logistische Handlungen bedingt oder zumindest gefördert werden, werden als logistikinduzierte Umsatzerlöse bezeichnet. Von der Logistik können dabei Mengen- und Preiseffekte auf den Umsatzerlös ausgehen.143 Voraussetzung dafür ist, dass diese Logistikleistungen kundennah erstellt werden, der Kunde somit die Qualität dieser Leistungen wahrnehmen kann. Durch herausragende Logistikleistungen, z.B. eine sehr kurze Lieferzeit oder eine hohe Lieferzuverlässigkeit,144 können in diesem Fall potenzielle Kunden dazu bewegt werden, bei diesem Unternehmen statt bei der Konkurrenz einzukaufen. Hierdurch steigen die Absatzmengen. Ebenso kann eine quantitativ und qualitativ sehr gute Logistikleistung die Grundlage zu einer Differenzierung bilden, d.h. ein Unternehmen kann aufgrund seines außergewöhnlich hohen Leistungsniveaus Preise gegenüber seinen Kunden durchsetzen, die über dem branchenüblichen Standard liegen. Beide Effekte führen somit zu höheren logistikinduzierten Umsatzerlösen. Darüber hinaus können Unternehmen, die ihre Logistikkosten minimieren oder zumindest gering halten, am Markt niedrigere Angebotspreise als die Konkurrenz ansetzen und so zur Erfüllung einer Strategie der Kostenführerschaft beitragen.145 Zur Darstellung der Wirkungen eines steigenden Leistungsniveaus auf die Umsatzerlöse eines Industrie- oder Handelsunternehmens wird in der Literatur häufig auf die Marktreaktionsfunktion zurückgegriffen, die den Umsatz eines Unternehmens in Abhängigkeit von den realisierten Logistikleistungen, z.B. gemessen mit dem Servicegrad eines Lagers oder der Lieferzeit, darstellt.146 Dabei wird angenommen, dass sich unterhalb eines bestimmten Leistungsminimums (Punkt A) kein Umsatz realisieren lässt. Erst ab diesem Punkt sind Kunden bereit, überhaupt Produkte bei dem betrachteten Unternehmen zu kaufen. Das Maximum des Umsatzes stellt sich bei Logistikleistungen ein, die nach Stand der Technik nicht übertroffen werden können (Punkt E). Zwischen diesen beiden Grenzen liegt der effektive Leis142

Siehe Abschnitt 1.1.1.

143

Vgl. Weber (2002), S. 158.

144

Zur systematischen Ableitung von Messgrößen der Leistungsmenge und der Leistungsqualität siehe Band 2.

145

Zum Zusammenhang von logistischen Fähigkeiten, den Porter’schen Wettbewerbsstrategien (Differenzierung und Kostenführerschaft) und dem Unternehmenserfolg siehe Lynch/Keller/Ozment (2000). Allerdings zeigt diese Untersuchung wesentliche methodische Schwächen und sollte deshalb mit Bedacht interpretiert werden.

146

Vgl. Pfohl (1977a), S. 249–251; Pfohl (2004), S. 95–96; Pfohl (2010), S. 40–41; Stock/Lambert (2001), S. 106– 107; Weber/Kummer (1998), S. 179–180.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

29

tungsbereich. Bei sehr geringen Logistikleistungen steigt der Umsatz zunächst kaum, da die Kunden diese noch immer als schlecht wahrnehmen. Bei sehr hohem Leistungsniveau nimmt der Zuwachs des Umsatzes ab, da die Kunden weitere Leistungssteigerungen nicht mehr als wesentlich nutzensteigernd wahrnehmen. Hierdurch entsteht der als charakteristisch angenommene S-förmige Verlauf der Marktreaktionsfunktion.147 Allerdings muss betont werden, dass eine solche S-Kurve zwar plausibel ist, sich jedoch einer empirischen Überprüfung entzieht, da sicherlich kein reales Unternehmen bereit wäre, seine Logistikleistung derart zu variieren, um die entsprechenden Erlöswirkungen zu messen. Man könnte lediglich versuchen, durch Befragungen im Rahmen der Marktforschung die Zahlungsbereitschaft der Kunden und die beabsichtigte Nachfragemenge für ausgewählte Leistungsniveaus zu erheben. Die in Abbildung 4 dargestellte Erlöskurve hat somit eher didaktischen Wert.

Effektiver Leistungsbereich

Logistikinduzierte Erlöse E

A

Logistikleistung 148

Abbildung 4: Logistikinduzierter Umsatzerlös.

Weiterhin lehrt die Erfahrung, dass auch sehr gute Logistikleistungen von den Kunden als selbstverständlich erachtet und nicht honoriert werden können. Auch deshalb darf ein solcher Kurvenverlauf nicht generell angenommen werden. Vielmehr ist es notwendig, die Wirkungen der Logistik auf die Umsatzerlöse in Abhängigkeit von den vorliegenden Rahmenbedingungen zu betrachten. Bereits früh hat Pfohl fünf potenzielle Moderatoren auf das Verhältnis von Logistikleistung und Umsatzerlös formuliert: den Grad der Substituierbarkeit des Produkts, die logistischen Anforderungen aufgrund der Produkteigenschaften, das Serviceniveau der Konkurrenz, den Standort des Kunden und somit seine Serviceerwartungen sowie die Abhängigkeit des Kunden von diesem Produkt.149 Weber betont die Abhängigkeit der Wirkung von den Leistungserwartungen und von der Art der Beziehung zwischen Lieferant und Kunde.150 Liegen demnach anonyme Spotmarktbeziehungen mit einem Differenzierungspotenzial vor, so kann der Logistik eine bedeutende Rolle zukommen. In diesem Fall

147

Siehe dazu grundlegend Hamman (1974), S. 146–152.

148

Vgl. Pfohl (1977a), S. 250.

149

Vgl. Pfohl (1977a), S. 248.

150

Vgl. Weber (2002), S. 160–165; Weber (2003), S. 16–18.

30

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

sind die aufgezeigten Erlössteigerungen über Mengen- und Preiseffekte möglich. Wird in solchen Beziehungen dagegen das Leistungsniveau durch den Markt vorgegeben, so ergeben sich keine Potenziale für logistikinduzierte Erlöse. Das übliche Leistungsniveau darf jedoch nicht unterschritten werden. Im dritten Fall liegen relationale Beziehungen vor, die jedoch ebenfalls durch ein vom Kunden vorgegebenes quantitatives und qualitatives Leistungsniveau geprägt sind. Auch hier besteht somit keine Zahlungsbereitschaft des Kunden für eine höhere Logistikleistung. Schließlich können relationale Beziehungen vorliegen, die Gestaltungsspielräume des Lieferanten erlauben. In diesem Fall führt die Differenzierung durch Logistik primär zur Stärkung der Kundenbindung. Zusammenfassend muss man jedoch feststellen, dass logistikinduzierte Erlöse sehr schwer zu quantifizieren und deshalb für konkrete Entscheidungen kaum zu verwenden sind.

1.2.3

Erfolg und Wirtschaftlichkeit der Logistik

Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens, einzelner Bereiche eines Unternehmens bis hin zum Erfolg spezieller Prozesse und einzelner Handlungen lässt sich generell durch Subtraktion der jeweiligen Kosten von den zugehörigen Erlösen bilden. Prinzipiell kann somit auch der Erfolg logistischer Handlungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht bestimmt werden.151 Der betriebswirtschaftliche Logistikerfolg ergibt sich als Differenz der Logistikerlöse und der Logistikkosten. Ein positiver Logistikerfolg ist ein wesentliches Beurteilungskriterium der betriebswirtschaftlichen Logistik, denn wenn ein positiver Logistikerfolg eintritt, dann haben die durchgeführten logistischen Handlungen direkt zu einem quantitativen Wertzuwachs geführt. Allerdings kann einer logistischen Handlung oder einem Prozess nicht immer ein Logistikerlös direkt zugerechnet werden, da, wie in Abschnitt 1.2.2 gezeigt, die Messung der Leistungen und vor allem die Bestimmung von realistischen Preisen für diese Leistungen schwierig ist. Zuweilen müssen sogar Logistikkosten akzeptiert werden, um die gewünschten Transformations- und Transaktionsprozesse zu ermöglichen, ohne dass ein direkter Logistikerlös bestimmbar ist. Allerdings sollte in diesen Fällen versucht werden, das Ausmaß der logistikinduzierten Erlöse abzuschätzen und den entstandenen Logistikkosten zuzuordnen. Dabei kann auf die bereits eingeführte Marktreaktionsfunktion zurückgegriffen werden.152 Dieser Erlösfunktion werden die Logistikkosten als Funktion der realisierten Logistikleistungen gegenübergestellt.153 Als Differenz der beiden Kurven ergibt sich der logistikinduzierte Erfolg in Abhängigkeit vom Niveau der Logistikleistung (Abbildung 5).

151

Zu den verschiedenen Erfolgsbegriffen des Rechnungswesens siehe z.B. Schierenbeck/Wöhle (2008), S. 79.

152

Siehe Abbildung 4.

153

Vgl. Pfohl (2004), S. 95–96; Pfohl (2010), S. 40–41; Stock/Lambert (2001), S. 106–107; Weber/Kummer (1998), S. 179–180.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

31

Erfolgsmaximale Logistikleistung

Logistikinduzierte Erlöse

A

B

Logistikkosten

C

Logistikinduzierter Erfolg

D E Logistikleistung

154

Abbildung 5: Logistikinduzierter Erfolg.

Bei niedriger Logistikleistung ist der logistikinduzierte Erfolg zunächst negativ, d.h. die bewirkten Erlöse reichen nicht aus, die Logistikkosten zu decken. Erst am Punkt B entsprechen die Logistikkosten gerade den logistikinduzierten Erlösen. Der Erfolg steigt sodann mit zunehmender Logistikleistung an und erreicht bei einem Niveau C sein Maximum (erfolgsmaximale Logistikleistung). Da mit zunehmender Logistikleistung die Logistikkosten stärker steigen als die logistikinduzierten Erlöse, sinkt der logistikinduzierte Erfolg ab diesem Extremum. Die Erfolgskurve schneidet schließlich bei Punkt D die Nulllinie. Geht man von der Gültigkeit dieses Modells aus, dann ist es nicht vernünftig, die Logistikleistung bis zu dem nach Stand der Technik möglichen Maß zu steigern (E). Die Logistikleistung sollte vielmehr möglichst das Niveau C annehmen. Ebenso wie die S-förmige Erlöskurve stellt jedoch die daraus resultierende Erfolgskurve lediglich ein didaktisches Modell dar, um die plausible Wirkung unterschiedlicher Leistungsniveaus zu demonstrieren. Die Bestimmung des realen „Logistikleistungsoptimums“ eines Unternehmens mit Hilfe dieses Modells ist nicht möglich. Selbst wenn logistische Handlungen erfolgreich sind, d.h. sich ein positiver Logistikerfolg einstellt, bleibt die Frage bestehen, ob diese Handlungen nicht noch besser durchgeführt werden könnten. Um diese Frage zu beantworten, muss das zentrale Kriterium der Effizienz logistischer Handlungen herangezogen werden.155 Logistische Handlungen sind effizient, wenn die resultierende Logistikleistung ohne Erhöhung des Faktoreinsatzes nicht mehr verbessert werden kann oder wenn der Faktoreinsatz ohne Verschlechterung der Logistikleistung nicht mehr reduziert werden kann. 154

Vgl. Pfohl (2010), S. 41.

155

Siehe dazu z.B. Pfohl (2010), S. 39–41; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 41. Deutlich wird die Bedeutung der Effizienz auch an der Logistikmanagementdefinition des CSCMP, die explizit einen effizienten Güterfluss fordert (http://cscmp.org/aboutcscmp/definitions.asp).

32

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Die Forderung nach Effizienz entspricht somit der allgemeinen Forderung nach vernünftigem, d.h. in diesem Fall zweckrationalem, Umgang mit Ressourcen.156 Die zweite hier angeführte Formulierung des Effizienzkriteriums ist in der betrieblichen Praxis oft die wichtigere, da der Zweck im Sinne einer erforderlichen Logistikleistung in der Regel vom Empfänger der Leistung definiert und vorgegeben wird. Entsprechend besteht häufig die Aufgabe der Logistik darin, dieses Logistikleistungsniveau mit geringstem Faktoreinsatz zu realisieren. Gerade diese Formulierung zeigt damit deutlich, dass nicht-effiziente Zustände verschwenderisch und deshalb unvernünftig sind. Ebenso sollten Logistiker stets überlegen, ob und wie sie bei einer gegebenen Faktorausstattung die Logistikleistungen verbessern können. Leistungssteigerungen eröffnen Spielräume zur Differenzierung und tragen somit ggf. zur Erreichung zusätzlicher logistikinduzierter Erlöse bei.157 Um zu beurteilen, ob logistische Einzelhandlungen oder ganze Handlungsfolgen (Prozesse) effizient sind, können verschiedene Kenngrößen herangezogen werden. Die Produktivität logistischer Handlungen setzt die erzielte Logistikleistung zur benötigten Einsatzmenge eines bestimmten Faktors in Relation.158 Kann die Produktivität nicht mehr erhöht werden, dann ist die logistische Handlung in Bezug auf diesen Faktor effizient. Dies kann am Beispiel der Arbeitsproduktivität eines Transports erläutert werden. Definiert man den Output dieses Transports als ergebnisorientierte Logistikleistung, dann kann diese in tkm gemessen werden. Ein LKW-Fahrer, der einen vollbeladenen LKW (25t maximale Nutzlast) mit der zulässigen Geschwindigkeit von 80km/h vier Stunden lang fährt, erbringt eine Leistung von 8000 tkm. Seine Produktivität beträgt 2000 tkm pro Arbeitsstunde. Da die maximale Nutzlast ausgeschöpft und die maximale Geschwindigkeit erreicht ist, lässt sich die Produktivität bei diesem Stand der Technik (und des Rechts) nicht mehr erhöhen. Der Transport ist damit aus Sicht des Arbeitseinsatzes effizient. Soll eine größere Leistung erbracht werden, ist dies nur durch eine Erhöhung der Arbeitszeit (also des Faktoreinsatzes) möglich. Ist dagegen der LKW nicht voll beladen oder fährt dieser nicht mit der maximal erlaubten Geschwindigkeit, wird eine längere Arbeitszeit für die gleiche Leistung erforderlich. Der Prozess wäre also im Sinne des Arbeitseinsatzes nicht effizient. Ein anderes Bild kann sich jedoch ergeben, wenn statt des Faktors „geleistete Arbeitszeit“ der Faktor „Kraftstoffverbrauch“ betrachtet wird. In diesem Fall kann es durchaus effizient sein, langsamer als erlaubt zu fahren, wenn hierdurch die Kraftstoffproduktivität erhöht wird (tkm pro l). Aus diesem Beispiel wird das Hauptproblem der Verwendung der Produktivität zur Beurteilung der Effizienz deutlich: Eine Produktivität bezieht sich immer nur auf eine bestimmte Faktorart und lässt den Einsatz anderer Faktoren unberücksichtigt. Ebenso kann nur eine bestimmte Messgröße der Logistikleistung verwendet werden. Möchte man beispielsweise neben der Leistung in tkm auch die Einhaltung einer bestimmten Lieferzeit berücksichtigen, ist dies im Rahmen von Produktivitätsbetrachtungen nicht möglich. Um beide Probleme zu umgehen, kann auf die Kennzahl der Wirtschaftlichkeit zurückgegriffen werden. Dazu werden die erbrachten Logistikleistungen und die erforderlichen Faktormengen monetär bewer156

Man könnte an dieser Stelle zur Erläuterung das so genannte „Ökonomische Prinzip“ bemühen, welches jedoch auf dem allgemeinen Vernunftprinzip beruht, das generell jeder Art von wert- und zweckrationalem Handeln zugrunde liegt und nicht auf den Lebensbereich der Wirtschaft beschränkt ist. Siehe dazu Abschnitt 1.2.1.

157

Siehe dazu Abbildung 5.

158

Vgl. Pfohl (2010), S. 39–40.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

33

tet und in Relation gesetzt.159 Die Wirtschaftlichkeit logistischer Handlungen bestimmt sich als Quotient der monetär bewerteten Logistikleistungen (Logistikerlöse) und der monetär bewerteten Faktormengen (Logistikkosten), die zu deren Erstellung notwendig sind. Die Wirtschaftlichkeit ist eine dimensionslose Kennzahl, die möglichst große Werte, jedoch mindestens den Wert „1“ (Logistikerlöse = Logistikkosten) annehmen sollte. Die Ausprägung der Wirtschaftlichkeit kann nicht nur für einzelne logistische Handlungen, sondern auch für umfangreiche Prozesse bestimmt werden. Auf Basis der Wirtschaftlichkeit kann somit die zentrale Forderung an eine „richtige“ Logistik als betriebswirtschaftliche Teillehre aufgestellt werden: Die betriebswirtschaftliche Logistik lehrt effiziente Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen, d.h. Handlungen, deren Wirtschaftlichkeit bei vorliegendem Stand der Technik nicht mehr verbessert werden kann. Generell ist dabei, wie bereits ausführlich dargelegt, die korrekte Bestimmung der Logistikerlöse kein einfaches Unterfangen. Soll die Wirtschaftlichkeit der Logistik eines gesamten Unternehmens bestimmt werden, ist prinzipiell die Einbeziehung logistikinduzierter Erlöse möglich. Allerdings haben die vorangegangenen Ausführungen gezeigt, dass auch deren Bestimmung keinesfalls trivial ist. Soll darüber hinaus die Wirtschaftlichkeit beabsichtigter Handlungen im Rahmen der Planung ex ante bestimmt werden, so muss ein vernünftiges Logistikmanagement auch die Frage stellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich eine als effizient erkannte Handlung und damit deren erwünschte Wirkung realisieren lässt. Damit ist das Risiko der Logistik angesprochen. Ist bereits die Realisation einer effizienten Logistikhandlung unsicher, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass eine nicht effiziente Ersatzlösung umgesetzt werden muss, nicht vernachlässigbar, dann muss dieser Sachverhalt bereits bei der Logistikplanung berücksichtigt werden. Ein Beispiel dafür ist eine effiziente Transportlösung, die jedoch im Fall der Nichtdurchführbarkeit kostspielige Eiltransporte erfordert, um Produktionsausfälle zu vermeiden. Auch wenn es gelingt, durch Ersatzlösungen das Niveau der Logistikleistung zu halten, werden bei derartigen Unsicherheiten zumindest die Logistikkosten stochastische Größen darstellen. In solchen Fällen muss der Aspekt der Unsicherheit in Form von vorausgeplanten Notfallstrategien explizit berücksichtigt werden, die mit mehr oder weniger gut abschätzbaren Wahrscheinlichkeiten ergriffen werden müssen. Weiterhin kann auch bei planmäßiger Realisation aufgrund von Risiken bei der eigenen Leistungserstellung oder von externen Einflüssen das Ergebnis einer Logistikhandlung unsicher sein. Beispielsweise besteht die Gefahr einer Verlängerung der Transportzeit durch Staus, technische Störungen oder Fehler des eigenen Personals. In diesem Fall sind neben den Logistikkosten vor allem die Logistikleistungen stochastische Größen. Schließlich kann Unsicherheit dazu führen, dass Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, die zusätzliche Kosten verursachen. Ein gängiges Beispiel dafür ist das Halten von Sicherheitsbeständen.160 Würden die Wiederauffüllung eines Bestands und die Abgänge aufgrund der Nachfrage stets „normal“ ablaufen,

159

Vgl. Pfohl (2010), S. 40.

160

Siehe dazu Abschnitt 6.2.3.

34

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

d.h. entsprechend der getroffenen Annahmen und Vereinbarungen, so wären Sicherheitsbestände überflüssig und würden nur unnötige Kosten verursachen. Lagerlösungen unter Einschluss von Sicherheitsbeständen wären also nicht effizient und somit unvernünftig. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass die Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit schwankt und die Wiederbeschaffungszeit selbst kürzer oder länger sein kann. Ist die Nachfrage höher oder die Wiederbeschaffungszeit länger als erwartet, werden diese Sicherheitsbestände jedoch benötigt, um höheren Schaden in Form von Fehlmengenkosten zu vermeiden. Trotzdem bleibt auch bei Sicherheitsbeständen ein „Restrisiko“ von unzureichender Logistikleistung. Diese kurzen Überlegungen zum „Risikomanagement“ der Logistik machen deutlich: Bei Unsicherheit sind die eingeführten Kriterien zur Beurteilung beabsichtigter Logistikhandlungen – Logistikleistungen, Logistikosten, Logistikerlöse, logistikinduzierte Erlöse, Logistikerfolg und Wirtschaftlichkeit – lediglich stochastische Größen, deren Ausprägungen Wahrscheinlichkeitsverteilungen unterliegen. Neben der Wirtschaftlichkeit wird in der Logistikliteratur häufig auch die Kapitalrentabilität der Logistik als betriebswirtschaftliche Beurteilungsgröße der Logistik genannt,161 die in unterschiedlichen Ausformungen, z.B. als Eigenkapitalrentabilität (Return on Equity) oder Gesamtkapitalrentabilität (Return on Assets) bestimmt werden kann.162 Stets wird dabei eine monetäre Erfolgsgröße auf einen Kapitaleinsatz bezogen. Die Kapitalrentabilität weist somit die gleiche prinzipielle Problematik auf, wie die Produktivität: die Outputgröße wird nur auf eine singuläre Inputgröße bezogen. Mit Hilfe der Kapitalrentabilität lässt sich deshalb lediglich die Effizienz der Kapitalverwendung aus Sicht eines Kapitalgebers, nicht jedoch die Effizienz logistischer Handlungen bestimmen.163 Somit wäre eine einseitige Orientierung von logistischen Handlungen an der Kapitalrentabilität in hohem Maße interessengeleitet.164 Die Aufnahme der Kapitalrentabilität in den Kriterienkatalog einer Lehre der Logistik wäre nur dann gerechtfertigt, wenn Kapitaleignern gegenüber anderen Ressourceneignern, z.B. den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, eine Vorrang- oder zumindest Sonderstellung eingeräumt würde. Diese besondere Stellung ist jedoch ethisch nicht zu begründen und kann deshalb nicht als gegeben betrachtet werden. Nützlich als Bewertungskriterium ist dagegen die Umsatzrentabilität, da diese ermöglicht, den logistikinduzierten Erfolg mit Hilfe der logistikinduzierten Umsatzerlöse zu relativieren und hierdurch eine dimensionslose Kennzahl zu generieren, die den Vergleich mit anderen Prozessen und Unternehmen prinzipiell ermöglicht. Zudem konnte Dehler auf Basis einer

161

Vgl. Lambert/Burduroglu (2000), S. 9–10; Stock/Lambert (2001), S. 31–37; Stapleton et al. (2002), Pfohl (2004), S. 59–62; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 398–401; Pfohl (2010), S. 40.

162

Zu den verschiedenen Ausformungen der Kapitalrentabilität siehe z.B. Schierenbeck/Wöhle (2008), S. 81.

163

Allerdings konnte auf Basis von empirischen Untersuchungen ein Zusammenhang von logistischer Leistung und finanzwirtschaftlichen Größen, wie der Kapitalrentabilität, aufgezeigt werden. Siehe dazu z.B. Zentes/Schramm-Klein/Neidhart (2004); Shang/Marlow (2005).

164

Zu dieser generellen Problematik siehe Projektgruppe im WSI (1974), S. 48–50.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

35

großzahligen Untersuchung positive Wirkungen der Logistikkosten und der Logistikleistungen auf die Umsatzrentabilität von Unternehmen aufzeigen.165

1.2.4

Erfolgspotenziale der Logistik

Die bisherigen Ausführungen zu den Logistikkosten, -leistungen und -erlösen sowie zum Erfolg und zur Wirtschaftlichkeit der Logistik haben eher eine kurzfristige Perspektive eingenommen. Soll die Richtigkeit logistischer Handlungen, vor allem von logistischen Planungshandlungen, nicht nur aus einer kurzfristigen, sondern auch aus einer langfristigen Perspektive beurteilt werden, so ist eine strategische Bewertung dieser Handlungen notwendig. Dazu ist zu klären, was unter dem Adjektiv „strategisch“ zu verstehen ist und welche Beurteilungskriterien eine strategische Bewertung logistischer Handlungen erlauben. Als wesentliches Element des „Strategischen“ kann der Bezug auf Handlungsmöglichkeiten identifiziert werden. Zukünftige Handlungsmöglichkeiten der Logistik ergeben sich primär aus den Fähigkeiten der Logistikmitarbeiter und -führungskräfte sowie der Leistungsfähigkeit der technischen Logistikeinrichtungen eines Unternehmens. Kirsch verwendet deshalb das Adjektiv „strategisch“ im Sinne von „die Fähigkeiten signifikant betreffend“.166 Folgt man dem Ressourcenorientierten Ansatz des strategischen Managements, ergeben sich solche Fähigkeiten und damit die angesprochenen Handlungsmöglichkeiten aus der Ausstattung eines Unternehmens mit Ressourcen.167 Nach diesem Ansatz können verschiedene Sachmittel, Fähigkeiten, Organisationsprozesse, Verhaltensweisen, Informationen und Wissen als Ressourcen im weitesten Sinne verstanden werden.168 Eine Ressource in diesem Kontext bezeichnet also nicht wie üblich lediglich eine Inputgröße, sondern steht für ein langfristiges Können eines Unternehmens.169 Damit die in einem Unternehmen vorhandenen Ressourcen tatsächlich strategische Relevanz erhalten, sollten sie über vier Eigenschaften verfügen: sie sollten wertvoll, knapp, nur schwer durch Wettbewerber imitierbar und nicht durch andere Fähigkeiten ersetzbar sein.170 Wertvoll sind Ressourcen, wenn sie zu einem Kundennutzen führen, der das übliche Maß einer Branche übersteigt. Auch logistische Fähigkeiten können in diesem Sinne wertvoll, knapp, nur schwer imitierbar und nicht substituierbar sein. Sie stellen dann eine strategische Ressource dar und bilden die Voraussetzung für zukünftige Erfolge. In diesem Fall entspringt der Logistik ein Erfolgspotenzial. Der Begriff „Erfolgspotenzial“171 wurde vor allem von Gälweiler geprägt, der eine strategische Steuerungsgröße suchte, die dem Erfolg ähnlich vorgelagert ist wie der

165

Der Einfluss der Logistikleistung auf die Umsatzrentabilität erfolgte indirekt über den Markterfolg der Unternehmen. Vgl. Dehler (2001), S. 240–244.

166

Vgl. Kirsch (1997), S. 157.

167

Siehe dazu Bamberger/Wrona (1996).

168

Vgl. Barney (1991), S. 101–102. Wernerfelt (1984, S. 172) führt dazu aus: „By a resource is meant anything which could be thought of as a strength or weakness of a given firm. More formally, a firm’s resources at a given time could be defined as those (tangible and intangible) assets which are tied semipermanently to a firm.“

169

Zu den terminologischen Problemen des Ressourcenorientierten Ansatzes siehe Rasche/Wolfrum (1994), S. 511.

170

Vgl. Barney (1991), S. 105–112.

171

Zum Begriff des Erfolgspotenzials siehe ausführlich Large (2009a), S. 29–38.

36

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

Erfolg der Liquidität.172 Mit Hilfe des Konstrukts des Erfolgspotenzials sollen die negativen und positiven Einflüsse auf den Unternehmenserfolg so früh wie möglich erkannt173 und unerwünschten Einflüssen entgegengewirkt werden.174 Erfolgspotenziale berechtigen jedoch lediglich zu Erfolgserwartungen, d.h. sie müssen durch Managementaktivitäten entfaltet und genutzt werden.175 Im weiteren Verlauf wird deshalb das Adjektiv „strategisch“ im Sinne von „die Entfaltung von Erfolgspotenzialen betreffend“176 verwendet. Der Erfolg der Logistik wurde in Abschnitt 1.2.3 als Differenz von Logistikerlösen und Logistikkosten eingeführt. In einer potenzialorientierten Betrachtung können deshalb analog dazu Logistikerlöspotenziale und Logistikkostenpotenziale unterschieden werden.177 Präziser müsste man von Potenzialen sprechen, welche in der Zukunft hohe Logistikerlöse sowie niedrige Logistikkosten zur Folge haben werden. Durch die getrennte Betrachtung von Erlös- und Kostenpotenzialen kann eine Abschätzung der zukünftigen Wirtschaftlichkeit vorgenommen werden. Die Ursachen dieser Potenziale können im Unternehmen selbst aber auch bei Partnern liegen, mit denen ein Unternehmen zusammenarbeitet. In der Logistik lassen sich interne und externe Erfolgspotenziale unterscheiden, die sich jeweils als Summe der Logistikerlöspotenziale und Logistikkostenpotenziale bestimmen lassen. Interne Erfolgspotenziale der Logistik können zunächst auf dem Stamm an Mitarbeitern und Führungskräften im Logistikbereich beruhen.178 Legt man die bereits angeführten Kriterien von Barney als Maßstab an, so stellen sich Erfolgspotenziale dann ein, wenn das Wissen, Können und Wollen der Mitarbeiter eine Stärke im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen darstellt, eine solche Stärke nicht einfach durch Weiterbildung erreicht werden kann und derart qualifizierte Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt knapp und kaum durch andere zu ersetzen sind.179 Voraussetzung ist allerdings, dass diese Mitarbeiter fest in das Unternehmen eingebunden sind und deshalb von Konkurrenten nur schwer zu einem Wechsel bewegt werden können. Bedeutsamer als die Qualifikation und Motivation einzelner Personen ist deren Zusammenwirken innerhalb der bestehenden Aufbauorganisation. Sowohl die Art und Weise der Aufgabenteilung (Spezialisierung der Logistik) als auch die Form der Konfiguration und Entscheidungsdelegation können wesentliche Quellen dauerhafter Erfolge darstellen. Auch von der Koordination der einzelnen Transferhandlungen und logistischen Prozesse können Erfolgspotenziale ausgehen. Beispielsweise kann eine einzigartige Kombination verschiedener Koordinationsinstrumente, z.B. der Planung und der Selbstabstimmung, vorliegen. Damit ist bereits der Bereich der Ablauforganisation angesprochen. Diese ist eng 172

Vgl. Gälweiler (1976).

173

Vgl. Gälweiler (1976), S. 368.

174

Vgl. Freiling (2007), Sp. 403.

175

Vgl. Schmid/Kutschker (2002), S. 1242.

176

Kirsch (1993), Sp. 4097.

177

Bei Pfohl (2004), S. 66, finden sich die Bezeichnungen Kostenpotenzial und Marktpotenzial.

178

Siehe dazu ausführlich Band 2.

179

Vgl. Barney (1991), S. 105–112.

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

37

mit der Nutzung von Informations- und Kommunikationssystemen verbunden. Obwohl heute die meisten Unternehmen Standardlösungen im Bereich des Enterprise Resource Planning (ERP) und möglicherweise sogar des Advanced Planning (APS) verwenden, kann von der unternehmensspezifischen Ausgestaltung und vor allem von der gekonnten Nutzung dieser Systeme durch fähige Mitarbeiter ein wesentliches Erfolgspotenzial der Logistik ausgehen. Neben der Informations- und Kommunikationstechnik werden zur Realisation logistischer Prozesse Lager-, Transport- und Verpackungstechnologien eingesetzt. Logistische Erfolgspotenziale können deshalb auch auf diesen Technologien beruhen, insbesondere dann, wenn diese auf innovativen Eigenentwicklungen oder unternehmensspezifischen Anpassungen beruhen. Im Fall der Logistik werden die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten neben den eigenen Fähigkeiten auch durch die Fähigkeiten der Marktpartner und die Fähigkeiten einbezogener Logistikdienstleister bestimmt. Externe Erfolgspotenziale der Logistik können somit aus der logistischen Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten resultieren. Durch die Fremdvergabe logistischer Leistungen können auch die Fähigkeiten externer Logistikdienstleister Quellen zukünftiger Erfolge darstellen.180 Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn eine umfangreiche Vergabe komplexer Logistikleistungen an Kontraktlogistikunternehmen erfolgt und diese Dienstleister eine spezifische Anpassung ihrer Leistungen an den Auftraggeber vornehmen.181 Die Bedeutung externer Logistikdienstleister für den Erfolg und die Effizienz der Logistik wird insbesondere im dritten Band dieses Buchs betrachtet.

1.2.5

Logistik und Nachhaltige Entwicklung

Neben den bisher eingeführten Beurteilungskriterien, die sich allesamt aus der Forderung nach Zweckrationalität ableiten lassen, können und sollten weitere Beurteilungskriterien in eine Lehre aufgenommen werden, die der Sicherung der Wertrationalität der Logistik dienen. Diese bedürfen jedoch einer expliziten ethischen Begründung und Legitimation. In diesem Abschnitt wird deshalb das grundlegende Kriterium der Nachhaltigen Entwicklung als Beurteilungsgröße der Logistik eingeführt.182 Auch diese normative Setzung muss selbstredend ausführlich begründet werden. Eine Nachhaltige Entwicklung strebt die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse an, ohne die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen.183 Kernaussage des Nachhaltigkeitskonzepts ist die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten auf dieser Erde, um hierdurch dauerhaft die Armut auf dieser Welt zu beseitigen. Die Bedürfnisbefriedigung der gesamten gegenwärtigen Menschheit bedingt die gerechte Verteilung von Ressourcen auf alle lebenden Menschen (intragenerative Gerechtigkeit). Hinzu tritt der Ausgleich von Lebens- und Entwicklungschancen zwischen heutigen und zukünftigen Generationen (intergenerative Gerechtigkeit). Das Ziel der Nachhaltigkeit ist empirisch oder logisch nicht zu begründen. Es 180

Vgl. Large (2009b). Mit der Fremdvergabe von Logistikleistungen wird sich Band 3 ausführlich beschäftigen.

181

Vgl. Large (2007); Large (2011); Large/Kramer/Hartmann (2011).

182

Siehe zum Folgenden Large (2010).

183

Vgl. United Nations (1987), S. 24.

38

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

handelt sich vielmehr um ein normatives Konzept, eine Wertung, die den Verzicht auf die ausbeuterische Realisation von kurzfristigem Nutzen zu Gunsten des Erhalts und des Aufbaus langfristig wirkender Nutzenpotenziale fordert. Die Idee der Nachhaltigkeit geht somit weit über einzelwirtschaftliche Überlegungen hinaus und bildet einen normativen Ansatz zur langfristigen potenzialorientierten Gestaltung der Lebensverhältnisse der Menschheit als Ganzes. Allerdings kann nachhaltige Entwicklung auf dieser Erde nur dann realisiert werden, wenn einzelwirtschaftliche Einheiten – die Haushalte und die Unternehmen – dieses Prinzip im Rahmen ihrer Entscheidungen berücksichtigen. Dabei stellt sich die Frage, warum wirtschaftliche Akteure und in unserem Fall Logistikmanager, das Globalziel der nachhaltigen Entwicklung verfolgen sollten. In der Literatur werden in der Regel als Hauptmotive für nachhaltiges Handeln externer Druck durch Gesetze und Verordnungen, die gewachsene Wachsamkeit der Öffentlichkeit sowie die ökologischen und sozialen Anforderungen der Kunden genannt.184 Aus dem grundlegenden Konzept der nachhaltigen Entwicklung wird aus diesem Blickwinkel schleichend das Konzept der „Corporate Sustainability“, welches auf die Befriedigung der Bedürfnisse von Anspruchsgruppen eines Unternehmens begrenzt ist.185 Letztlich dient ein solches Verständnis von Nachhaltigkeit lediglich dazu, die Erreichung der eigenen Rentabilitätsziele dauerhaft zu sichern. Entsprechend wurde in der Literatur der Versuch unternommen, positive Zusammenhänge zwischen nachhaltigem, insbesondere ökologischem Handeln und traditionellen ökonomischen Zielgrößen nachzuweisen und damit das Ziel der Nachhaltigkeit auch aus einer kurzfristig gewinnmaximierenden Sicht heraus zu legitimieren.186 Obwohl dieser Ansatz durchaus geeignet ist, Kapitaleigner und Manager für die Beschäftigung mit nachhaltiger Entwicklung zu motivieren, greift ein solches Begründungsmuster zu kurz und verstellt eher die Sicht auf die Notwendigkeit langfristiger ökonomischer Rationalität. Ziele, die zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, sollten aus ethischen Gründen in das Zielsystem von Unternehmen aufgenommen werden und nicht, weil hierdurch externem Druck begegnet wird und sich positive Wirkungen auf kurzfristige ökonomische Ziele erreichen lassen. Die Nachhaltige Entwicklung der Welt ist ein Wert an sich und kein Mittel zur Realisation kurzfristiger Zielsetzungen einzelner wirtschaftlicher Akteure. Die Idee nachhaltiger Entwicklung muss ihren Eingang in die Zielsysteme von Unternehmen vor allem durch strategisch denkende und verantwortungsbewusst handelnde Führungskräfte und Mitarbeiter finden, welche die Notwendigkeit erkannt haben, dieses Ziel wertrational zu verfolgen. Nachhaltige Entwicklung als Zielsetzung ist gerade dann notwendig, wenn beabsichtigte Logistikaktivitäten zwar aus einzelwirtschaftlicher Perspektive rational sind, jedoch die Lebensgrundlagen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen wesentlich beeinträchtigen. In solchen Situationen wirken Nachhaltigkeitsziele als ein unerlässliches Korrektiv. Diese Gedanken lassen sich auch auf den Spezialfall der Logistik übertragen:

184

Vgl. Green/Morten/New (1996), S. 190; Walton/Handfield/Melnyk (1998), S. 2; Seuring/Müller (2008a), S. 1703; Seuring/Müller (2008b), S. 460.

185

Als Beispiel dafür siehe Dyllick/Hockerts (2002), insbesondere S. 131–132.

186

Siehe z.B. Rao/Holt (2005).

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

39

Nachhaltige Logistik unterstützt die Deckung gegenwärtiger Bedarfe durch Transferprozesse, ohne die Möglichkeiten der Unterstützung der Bedarfsdeckung zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen. Nachhaltige Logistik einzelner Unternehmen, die wiederum zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesamtwirtschaft beiträgt, erfordert das Eröffnen und Sichern von internen und externen Erfolgspotenzialen.187 Dabei handelt es sich jedoch nur um eine notwendige Bedingung, denn es können in der Unternehmenspraxis Logistikprozesse realisiert werden, die zwar rational und aus Unternehmenssicht sogar wirtschaftlich nachhaltig, jedoch trotzdem bedenklich oder sogar nicht akzeptabel sind, da sie die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen beeinträchtigen oder sogar zerstören. Ein Beispiel dafür sind Distributionslösungen, die eine sehr schnelle Belieferung von Kunden ermöglichen und dazu Verkehrsträger einsetzen, die einen hohen Energieverbrauch und damit hohen CO2-Ausstoß aufweisen. Deshalb werden im Konzept der nachhaltigen Entwicklung neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sowie Fragen der sozialen Gerechtigkeit explizit berücksichtigt:188 Eine Logistik als Lehre, die nachhaltige Entwicklung wertrational verfolgt, berücksichtigt neben der ökonomischen auch die ökologische und die soziale Ebene. Voraussetzungen nachhaltiger Entwicklung auf wirtschaftlicher Ebene sind ein friedliches Miteinander der Völker sowie eine ausreichende wirtschaftliche und politische Stabilität, die durch den Aufbau wirtschaftlicher Potenziale eine langfristige Einkommenssicherung für alle Menschen ermöglicht. Nachhaltigkeit auf ökologischer Ebene erfordert den schonenden Umgang mit der natürlichen Umwelt bis hin zu einem bewussten Konsumverzicht, um natürliche Ressourcen für zukünftige Generationen zu erhalten. Hierdurch soll die permanente Regeneration natürlicher Ressourcen ermöglicht und somit der Auftrag der Bewahrung der Schöpfung – der letztlich an jedes einzelne Individuum gerichtet ist – erfüllt werden.189 Im Mittelpunkt der sozialen Ebene nachhaltiger Entwicklung steht der soziale Ausgleich innerhalb und zwischen den Generationen. Beispiele dafür sind die Angleichung der Lebensverhältnisse in unterschiedlichen Regionen der Welt und der offene Zugang zu Bildungsmöglichkeiten für alle Menschen. Nachhaltige Entwicklung ist jedoch nicht nur eine bedenkenswerte Idee, sondern eine gesellschaftlich legitimierte Wertsetzung. Eine explizite Aufforderung zur nachhaltigen Entwicklung enthält bereits der Bericht der UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der Brundtlandbericht.190 Darin wird das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als Ansatz zur Armutsbekämpfung und ökologischen Stabilisierung angeführt. Grundlegende Wertprämisse ist die Forderung nach Befriedigung der gegenwärtigen Bedürfnisse der Menschheit,

187

Siehe dazu Abschnitt 1.2.4.

188

Siehe z.B. Seuring/Müller (2008a), S. 1700–1702.

189

Vgl. Large (1995), S. 27.

190

United Nations (1987), S. 24.

40

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

ohne die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen. Die Fähigkeit dazu setzt ein potenzialorientiertes Wirtschaften, eine gerechte Verteilung von Ressourcen und Erzeugnissen sowie die Bewahrung der natürlichen Umwelt voraus. Auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro wurde von der Staatengemeinschaft eine Erklärung verabschiedet, welche die Forderung nach nachhaltiger Entwicklung als zentrale Wertaussage enthält. Unter anderem wird darin die zentrale Aussage formuliert, dass die einzelnen Staaten nicht nachhaltige Formen der Gütererzeugung beseitigen und das Konsumverhalten ihrer Bürger beeinflussen sollen, um eine höhere Lebensqualität für alle Menschen zu erreichen.191 Ergebnis dieser Konferenz war darüber hinaus ein globales Aktionsprogramm, die Agenda 21. In der Präambel der Agenda 21 wird die Verantwortung für die erfolgreiche Umsetzung primär den einzelnen Regierungen zugewiesen, die hierzu Strategien entwerfen, Pläne erstellen und Maßnahmen zu deren Realisation ergreifen sollen.192 Durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Juni 1995 wurde die EnqueteKommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ eingerichtet, die 1998 ihren Abschlussbericht vorlegte.193 Dieser Bericht enthält bereits zahlreiche Vorschläge für Maßnahmen und Messgrößen zu einer Nachhaltigkeitsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland. Die 2002 von der Bundesregierung vorgelegte nationale Nachhaltigkeitsstrategie baut deshalb wesentlich auf den Vorschlägen der Enquete-Kommission auf.194 Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie umfasst neben Aussagen zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung und einzelnen Schwerpunkten vor allem eine ausführliche Darlegung von 21 Indikatorenbereichen und zugehörigen Indikatoren (Messgrößen). Für jede der Messgrößen werden Vergangenheitswerte angeführt und Zukunftsziele definiert.195 Mehrere dieser Indikatoren weisen einen direkten oder zumindest einen indirekten Bezug zur Logistik auf. Diese sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Der Erfolg der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wird durch die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, erstmals 2004 und dann regelmäßig dem Bundestag einen Fortschrittsbericht vorzulegen, überprüfbar. Der bisher letzte Fortschrittsbericht wurde im Jahr 2008 veröffentlicht.196 Ebenso liegt ein Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung aus dem Jahr 2010 vor, der auch Erwartungen an den Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung aufstellt.197 Die Fortschrittsberichte und die Berichte des Beirats beruhen auf Daten des Statistischen Bundesamtes, welches zuletzt im Juli 2010 die aktuellen Entwicklungen in einem Indikatorenbericht veröffentlichte.198

191

United Nations (1993), S. 4.

192

United Nations (1993), S. 12.

193

Vgl. Deutscher Bundestag (1998).

194

Vgl. Die Bundesregierung (2002), S. 4.

195

Vgl. Die Bundesregierung (2002), S. 89–130.

196

Vgl. Deutscher Bundestag (2008).

197

Vgl. Deutscher Bundestag (2010).

198

Vgl. Statistisches Bundesamt (2010).

1.2 Beurteilungskriterien der Logistik

41 199

Tabelle 1: Logistikrelevante Indikatoren und Zielwerte der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Nr.

Indikatorenbereich

Indikatoren

Zielwert

2

Klimaschutz

Treibhausgasemissionen

Reduktion um 21% gegenüber dem Jahr 1990 bis 2008/2012

4

Flächeninanspruchnahme

Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche

Reduktion des täglichen Zuwachses auf 30ha bis 2020

9a

Bildung

18- bis 24-Jährige ohne Hochschulreife oder abgeschlossene Berufsausbildung

Verringerung des Anteils auf 9% bis 2010 und 4,5% bis 2020

11a

Mobilität

Gütertransportintensität

Absenkung auf 98% gegenüber 1999 bis 2010 und auf 95% bis 2020

11c

Mobilität

Anteil des Schienenverkehrs an der Güterbeförderungsleistung in tkm

Steigerung auf 25% bis 2015

11d

Mobilität

Anteil der Binnenschifffahrt an der Güterbeförderungsleistung in tkm

Steigerung auf 14% bis 2015

13

Luftqualität

Schadstoffbelastung der Luft

Verringerung auf 30% gegenüber 1990 bis 2010

16a

Beschäftigung

Erwerbstätigenquote insgesamt (15 bis 64 Jahre)

Erhöhung auf 73% bis 2010 und 75% bis 2020

16b

Beschäftigung

Erwerbstätigenquote Ältere (55 bis 64 Jahre)

Erhöhung auf 55 % bis 2010 und 57% bis 2020

Auf Basis dieser statistischen Veröffentlichung zeigen sich die folgenden Zielerreichungsgrade und Entwicklungen: • (zu 2) Die Treibhausgasemissionen sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen und erreichten im Jahr 2008 einen Indexwert von 77,6. Damit wurde bereits das für 2010 gesetzte Klimaschutzziel von 79 beinahe erreicht. Für das Jahr 2009 ist mit einem weiteren Rückgang zu rechnen, der jedoch wesentlich durch die Wirtschaftskrise bedingt ist. • (zu 4) Der tägliche Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsflächen betrug 2008 noch immer 104ha und hat sich damit gegenüber den Vorjahren kaum verändert. Der Zielwert von 30ha wird deshalb ohne gravierende Änderung der Ansprüche auf Wohn-, Verkehrsund Gewerbeflächen nicht erreicht werden können. • (zu 9a) Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ohne Hochschulreife oder abgeschlossene Berufsausbildung lag 2008 weitgehend unverändert gegenüber den Vorjahren bei 11,8%. • (zu 11a) Die Gütertransportintensität hat sich bis 2008 auf einen Wert von 118,4 erhöht. Der volkswirtschaftliche Transportaufwand pro erzeugter monetärer Gütereinheit entwickelt sich damit gegenläufig zur Zielsetzung.200 • (zu 11c) Der Anteil des Schienenverkehrs an der Güterbeförderungsleistung in tkm erhöhte sich in den letzten Jahren nur leicht. Im Jahr 2008 bleibt er mit einem Anteil von 18,1% unverändert zum Vorjahr. Eine Erreichung des Zielwertes von 25% ist nicht absehbar. • (zu 11d) Der Anteil der Binnenschifffahrt an der Güterbeförderungsleistung in tkm ging entgegen der Zielsetzung weiter zurück und lag 2008 nur noch bei 10,0%. 199

Vgl. Deutscher Bundestag (2008), S. 208–210.

200

Siehe dazu Abschnitt 3.1.2.

42

1 Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik

• (zu 13) Die Schadstoffbelastung der Luft ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen und erreichte 2008 einen Indexwert von 44,7 (1990 = 100). Der wesentliche Rückgang war jedoch aufgrund technologischer Maßnahmen zu Beginn der 90er Jahre zu verzeichnen. Es ist deshalb fraglich, ob die erforderliche weitere Reduktion um rund 15% bis 2010 erreicht werden kann. • (zu 16a) Die im Indikatorenbericht 2010 ausgewiesene Erwerbstätigenquote insgesamt (15 bis 64 Jahre) zeigt mit 70,9% im Jahr 2009 trotz einsetzender Wirtschaftskrise eine positive Entwicklung, die jedoch wesentlich einer Anwendung des Instruments der Kurzarbeit zuzurechnen ist. • (zu 16b) Die Erwerbstätigenquote bei den Älteren (55 bis 64 Jahre) stieg 2009 deutlich auf 56,2 % und überschritt damit den Zielwert für 2010. Die drei Ebenen der nachhaltigen Entwicklung und insbesondere die aufgezeigten Forderungen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie müssen somit bei der Planung, Steuerung und Realisation von Handlungen des Gütertransfers berücksichtigt werden, denn es handelt sich um legitimierte Werte unserer Gesellschaft. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem koordinierenden Management der Logistik (Band 2) zu. Die aufgestellte Forderung betrifft jedoch auch das Management und die Ausführung der einzelnen logistischen Teilfunktionen.

2

Logistikeinheitenbildung

2.1

Notwendigkeit und Ebenen der Logistikeinheitenbildung

Güter und Abfälle als die Objekte der Logistik kommen in vielfältigen Erscheinungsformen vor. Flüssigkeiten, Gase, Schüttgüter und unterschiedlichste Stückgüter von kleinsten elektronischen Bauteilen bis zu frischen Lebensmitteln müssen in Raum und Zeit transferiert werden. Viele Güter weisen dabei Eigenschaften auf, die den unmittelbaren Vollzug logistischer Handlungen an ihnen nicht erlauben. 201 Beispielsweise ist entsprechend der jeweiligen Bedarfe zunächst die Abgrenzung von definierten Teilmengen erforderlich. Oft fehlen auch die Voraussetzungen, um diese Güter mit manuellen oder mechanischen Mitteln zu greifen, zu sichern oder zu bewegen. Sie sind i.d.R. zu empfindlich, um sie ungeschützt zu lagern und zu transportieren. Andererseits kann von den zu transferierenden Objekten eine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen. Zu diesen Objekten der Logistik zählen alle Arten von Gefahrgütern und gefährlichen Abfällen. Aus diesen kurzen Überlegungen lässt sich der folgende Schluss ziehen: Die meisten Objekte der Logistik sind aufgrund ihrer Eigenschaften nicht unmittelbar für die Lagerung und den Transport geeignet. Hieraus folgt die Notwendigkeit der Bildung von logistischen Einheiten, die lager- und transportfähig sind. Wie in Abschnitt 1.1.2 bereits gezeigt, stellt die Logistikeinheitenbildung eine eigenständige logistische Teilfunktion dar, die den anderen vier Teilfunktionen als Grundlage ihrer Erfüllung dient. In der Logistikliteratur wird diese Funktion häufig verkürzt als „Verpackungsfunktion“ bezeichnet.202 Diese Sichtweise setzt jedoch einen sehr breiten Verpackungsbegriff voraus, der auch z.B. das Palettieren oder das Beladen von Containern umfasst, und damit über das umgangssprachliche Verständnis von Verpackung hinausgeht. In der technikorientierten Logistikliteratur findet sich deshalb auch die breitere Bezeichnung „Packstück- und Ladeeinheitenbildung“ zur Kennzeichnung dieser Funktion.203 Der in diesem Buch verwendete Begriff „Logistikeinheit“ ist damit ein Kunstbegriff, der ein mög-

201

Siehe dazu ausführlich die in Abschnitt 2.3 diskutierten Verpackungsfunktionen.

202

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 23; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 29–30; Pfohl (2010), S. 10.

203

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 9.

44

2 Logistikeinheitenbildung

lichst breites Spektrum an unterschiedlichsten lager- und transportfähigen Objekten abbilden soll, das von kleinsten Verkaufspackungen bis zu beladenen ISO-Containern reicht.204 Logistikeinheiten entstehen durch die Zusammenfassung von definierten Güter- oder Abfallmengen zu räumlich und zeitlich transferierbaren Objekten, an denen als geschlossene Einheit logistische Handlungen vollzogen werden. Charakteristisch für die Logistikeinheitenbildung ist somit die Schaffung von geschlossenen Einheiten. Dieser Aspekt ist in der angelsächsischen Literatur mit dem Begriff der Unitization205 belegt, der jedoch häufig nur auf die Bildung größerer Logistikeinheiten durch Zusammenfassung bezogen wird.206 Dabei ergibt sich jedoch die Frage, ab welcher Aggregationsstufe von einer „Unit“ gesprochen werden sollte. Offensichtlich hängt dies wesentlich von den beabsichtigten Handlungen ab. So wird der Sortierprozess bei einem Paketdienst eine andere logistische Einheit erfordern als der Umschlag in einem Distributionszentrum des Lebensmittelhandels. Der Begriff der Logistikeinheit soll deshalb nicht auf „größere“ Einheiten beschränkt werden. Eine Logistikeinheit kann jederzeit in kleinere Logistikeinheiten aufgespalten werden, sofern dies aufgrund der Nutzung der Güter oder aus logistischen Gründen erforderlich ist. Man könnte in diesem Fall von Logistikeinheitenauflösung sprechen. Andererseits können mehrere Logistikeinheiten wiederum zu größeren Logistikeinheiten zusammengefasst werden, sofern diese Vereinigung eine Voraussetzung für insgesamt effiziente Logistikprozesse darstellt. Die Logistikeinheitenbildung kann deshalb als mehrstufiger Prozess beschrieben werden.207 Im Anwendungsfall soll jene Aggregationsstufe der Logistikeinheiten gewählt werden, die für die erforderlichen Transport- und Lagerprozesse aus ganzheitlicher Sicht optimal ist. In der Norm DIN 55405 zu den Begriffen im Verpackungswesen findet sich beispielsweise eine Abbildung, die n Verpackungsprozessstufen von der Erstpackung bis zur größten Ladeeinheit vorsieht.208 Sehr deutlich wird die Mehrstufigkeit der Logistikeinheitenbildung in der EURichtlinie 94/62/EG und der darauf aufbauenden deutschen Verpackungsverordnung, die drei Ebenen von Verpackungen unterscheiden: Verkaufsverpackungen, Umverpackungen und Transportverpackungen.209 Güter in Verkaufsverpackungen werden dem Endabnehmer in der Verkaufsstelle als eine Verkaufseinheit angeboten und bilden damit die erste Ebene. Ein Beispiel ist eine 500g Packung Mehl, die bei einem Discounter angeboten wird. Eine bestimmte Anzahl von solchen Verkaufseinheiten kann durch Umverpackungen zusammengefasst werden, die z.B. der einfachen Bestückung der Verkaufsregale dienen. Umverpackungen können ohne Beeinträchtigung der Eignung von den Verkaufseinheiten entfernt werden. Bezogen auf das angeführte Beispiel handelt es sich um eine Papierhülle, die 10 Packungen

204

Siehe dazu auch die engere Verwendung des Begriffs „logistische Einheit“ bei Pfohl (2010), S. 141.

205

Vgl. Wills (1990), S. 9–13; Stock/Lambert (2001), S. 462; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 272.

206

Siehe dazu Abschnitt 2.3.

207

Vgl. Wills (1990), S. 9–11.

208

Vgl. DIN 55405, S. 7.

209

Vgl. Art. 3 94/62/EG sowie §3 Abs. 1 VerpackV. In der 94/62/EG werden explizit die Bezeichnungen Erst-, Zweit- und Drittverpackungen verwendet.

2.2 Arten von Logistikeinheiten

45

Mehl zu einer manuell handhabbaren Logistikeinheit zusammenfasst. Die dritte Ebene von Verpackungen stellen die Transportverpackungen dar. Auf dieser Ebene entstehen Logistikeinheiten, die den Transport der zusammengefassten Verkaufseinheiten, ggf. inklusive deren Umverpackungen, ermöglichen oder zumindest vereinfachen sollen.210 Dazu sind in unserem Beispiel die durch die Umverpackungen zusammengehaltenen Mehlpackungen auf einer Palette im Verbund gestapelt und durch eine Folie gesichert.

2.2

Arten von Logistikeinheiten

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt bereits die Mehrstufigkeit der Logistikeinheitenbildung betont wurde, sollen an dieser Stelle gebräuchliche Logistikeinheiten vorgestellt werden, die einen solchen mehrstufigen Prozess erlauben. Abbildung 6 gibt dazu einen Überblick. Eine eindeutige Systematik der Logistikeinheiten wird jedoch durch eine Vielzahl technischer Lösungen erschwert. Zudem existieren unterschiedliche technische Normen sowie Rechtsnormen, die aufgrund unterschiedlicher Blickwinkel und Zwecksetzungen teilweise inkonsistent sind.

Beladene Container und Wechselbehälter

Beladene Paletten und Rollbehälter

3

2

Packungen und Kleinladungsträger

1

Unverpackte Güter und Abfälle

0

Abbildung 6: Übersicht der Logistikeinheiten innerhalb einer mehrstufigen Logistikeinheitenbildung.

Bereits unverpackte Stückgüter können Logistikeinheiten bilden, sofern diese transportoder lagerfähig sind, d.h. ohne Verlust der Eignung und ohne Gefährdung der Umwelt transportiert oder gelagert werden können (Stufe 0). Weitere Voraussetzungen sind die effiziente Handhabung und die Möglichkeit einer zerstörungsfreien Kennzeichnung dieser Güter. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, so kann ein Prozess der Logistikeinheitenbildung erfol210

Container für den Straßen-, Schienen-, Schiffs- und Lufttransport sind gemäß Art. 3 94/62/EG explizit keine Transportverpackungen.

46

2 Logistikeinheitenbildung

gen, dessen Ergebnis in einer Packung als logistische Einheit besteht (Stufe 1).211 Nach DIN 55405 ist eine Packung das „Produkt des Verpackungsprozesses aus der Vereinigung von Packgut und Verpackung.“212 Unter dem Packgut ist das zu verpackende Gut zu verstehen.213 Darüber hinaus ist auch das Verpacken von Abfällen möglich. Im Einzelfall kann es sich um unverpackte Stückgüter, um bereits erstellte Packungen, aber auch um lose Stoffe, Flüssigkeiten oder Gase handeln. Die Stufe 1 der Logistikeinheitenbildung kann deshalb mehrfach durchlaufen werden. Der Begriff „Verpackung“ ist unterschiedlich genormt. Die DIN EN 14182214 verweist auf die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft über Verpackungen und Verpackungsabfälle, nach der „Verpackungen aus beliebigen Stoffen hergestellte Produkte zur Aufnahme, zum Schutz, zur Handhabung, zur Lieferung und zur Darbietung von Waren“215 darstellen. Nach DIN 55405 ist eine Verpackung die „Gesamtheit aller Verpackungsmaterialien, insbesondere von Packmitteln und Packhilfsmitteln, zur Erfüllung einer vorgegebenen Verpackungsaufgabe.“216 In der letztgenannten Norm wird der Versuch unternommen, Typen von Packmitteln und Packhilfsmitteln zu bilden und diese möglichst umfassend aufzulisten und zu definieren. Beispiele für Packmittel sind z.B. Beutel, Dosen, Fässer, Kästen, Kisten, Schachteln, die aus verschiedenen Packstoffen, z.B. Holz, Kunststoff, Metall, Papier oder Karton, bestehen können.217 Unterstützende Funktion bei der Verpackung haben die Packhilfsmittel. Hierzu gehören, z.B. Verschlüsse, Etiketten und Polstermittel. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Verpackungen ist der Grad der Wiederholbarkeit der Verwendung. Die Verpackungsverordnung definiert Mehrwegverpackungen als Verpackungen, „die dazu bestimmt sind, nach Gebrauch mehrfach zum gleichen Zweck wiederverwendet zu werden.“218 Alle anderen Verpackungen sind in diesem Sinne Einwegverpackungen. Daneben ist der Grad der Standardisierung einer Verpackung bedeutsam. Individuelle Verpackungen werden spezifisch entsprechend der Anforderungen entworfen und hergestellt. Beispiele dafür sind viele Verkaufsverpackungen sowie individuelle Großverpackungen, vor allem Holzverpackungen im konventionellen Seeverkehr. Standardverpackungen beruhen dagegen auf technischen Normen oder zumindest auf üblichen Branchenstandards. Neben der Normung einzelner Materialeigenschaften leistet vor allem die Normung von Größen einen wichtigen Beitrag zu einer effizienten Logistik. Von besonderer Bedeutung für die Größenstandardisierung von Logistikeinheiten ist die Verwendung des genormten Flächenmoduls 600 mm × 400 mm (1 M).219 Stellflächen grö211

Der Begriff Packstück wird für eine Packung gebraucht, „die besonders für den Transport geeignet ist.“ DIN 55405, S. 95.

212

DIN 55405, S. 95.

213

Vgl. DIN 55405, S. 92.

214

DIN EN 14182, S. 4.

215

Art. 3 94/62/EG.

216

DIN 55405, S. 120.

217

Im Gegensatz zur umgangssprachlichen Verwendung bezeichnet der Begriff „Karton“ immer einen Packstoff. Das daraus hergestellte Packmittel ist nach DIN 55405, S. 102, eine Schachtel.

218

§3 Abs. 3 VerpackV.

219

DIN 55510 Teil 3, S. 4.

2.2 Arten von Logistikeinheiten

47

ßerer Logistikeinheiten sollen ein ganzzahliges Vielfaches dieses Flächenmoduls betragen.220 So bedecken beispielsweise 4 dieser Flächenmodule (4 M) die Stellfläche einer Europalette. Kleinere Packungen sollten Stellflächen aufweisen, die Teilflächen des Moduls darstellen, d.h. sie sollten möglichst bündig in dieses Modul eingepasst werden und sich deshalb durch Teilung aus dem genormten Flächenmodul ergeben. Hieraus ergeben sich z.B. Stellflächen von 120 mm × 200 mm oder 150 mm × 133 mm. Auf diese Art und Weise können mehrstufige Prozesse der Logistikeinheitenbildung realisiert werden, ohne dass Stellflächen ungenutzt bleiben. Die modulare Gestaltung der Stellflächen sollte prinzipiell für alle Arten von Packmitteln, z.B. Kästen, Kisten, Schachteln, angestrebt werden. Selbst Fässer und Dosen können derart dimensioniert und angeordnet werden, dass ihre Stellflächen auf ein Flächenmodul passen.221 Ein aus praktischer Sicht sehr wichtiges mehrfach verwendbares Packmittel auf Basis dieses Flächenmoduls ist der Kleinladungsträger (KLT). Ein KLT ist ein „oben offener, dauerhafter, wiederverwendbarer, starrer, rechteckiger Modulbehälter, der manuell und/oder mechanisch gehandhabt werden kann.“222 Kleinladungsträger können unverpackte oder auch bereits verpackte Güter aufnehmen. KLT entsprechend der Normenreihe DIN EN 13199 können zu Säulen223 oder im Verbund224 gestapelt werden und sind in verschiedenen Längen, Breiten und Höhen, z.B. 600 mm × 400 mm × 213 mm oder 300 mm × 200 mm × 174 mm, genormt.225 Mit Hilfe von abnehmbaren Deckeln sind KLT verschließbar. Neben diesen Logistikeinheiten in der Größe von 1 M und kleiner werden zum Transport und zur Lagerung häufig größere Einheiten verwendet und dazu kleinere Logistikeinheiten zusammengefasst (Stufe 2).226 In der technischen Logistik wird hierbei häufig von Ladeeinheiten gesprochen.227 Der Begriff der Ladeeinheit ist jedoch nicht eindeutig definiert. Nach DIN 30781 Teil 1 bezeichnet eine Ladeeinheit Güter, die „zum Zwecke des Umschlags durch einen Ladungsträger zusammengefasst sind.“228 Dagegen findet sich in der DIN EN 14182 eine sehr breite Definition der Ladeeinheit als „einzelner Gegenstand oder Gruppe von Gegenständen, die dafür vorgesehen und so gestaltet sind, dass sie als Einheit gehandhabt werden können.“229 Die letzte Definition entspricht faktisch unserem Verständnis einer Logistikeinheit. Wesentlich scheint es deshalb zu sein, am Begriff des Ladungsträgers anzu-

220

3 M sollte vermieden werden. Vgl. DIN 55510 Teil 3, S. 8.

221

Vgl. Isermann (1996), Sp. 2181.

222

DIN EN 13199 Teil 1, S. 5.

223

DIN EN 13199 Teil 2.

224

DIN EN 13199 Teil 3.

225

Eine weitere Richtlinie für Kleinladungsträger ist die VDA 4500 des Verbands der Automobilindustrie.

226

Die DIN 55405 zum Verpackungswesen schließt auch größere Einheiten (Packungen bis 3m3 sowie Ladeeinheiten, sofern diese nicht an ein Transportmittel gebunden sind) in ihren Anwendungsbereich ein und betrachtet diese somit als verpackte Güter (DIN 55405, S. 3). Diesem weiten Verpackungsverständnis soll hier nicht gefolgt werden.

227

Siehe z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 23.

228

DIN 30781 Teil 1, S. 2.

229

DIN EN 14182, S. 4.

48

2 Logistikeinheitenbildung

setzen. Ein Ladungsträger kann ganz allgemein als ein „tragendes Mittel zur Zusammenfassung von Gütern“ 230 bezeichnet werden. Sollen nun wie bereits angemerkt größere Logistikeinheiten betrachtet werden, d.h. Einheiten deren Stellfläche ein Vielfaches des genormten Flächenmoduls darstellt, so steht zunächst eindeutig die Palette als Ladungsträger im Vordergrund. Erste Paletten wurden bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA entwickelt und verstärkt von den amerikanischen Streitkräften im 2. Weltkrieg eingesetzt.231 Die DIN EN ISO 445 definiert eine Palette als eine „steife horizontale Plattform mit minimaler Höhe, die mit Gabelstaplern und/oder Gabelhubwagen sowie anderem geeigneten Gerät gehandhabt werden kann und als Grundlage für das Zusammenfassen, Laden, Lagern, Handhaben, Stapeln, Transportieren oder Ausstellen von Gütern und Ladungen dient.“232 In dieser Norm werden verschiedene Bauformen von Paletten (Flachpaletten, Rungenpaletten, Boxpaletten, Gitterboxpaletten) sowie von Palettenaufbauten und Palettenzubehör beschrieben. Mit Hilfe von Paletten kann eine Vielzahl einzelner Logistikeinheiten zu einer Einheit zusammengefasst und damit einfach und schnell bewegt werden. Es ist unmittelbar einsichtig, dass z.B. ein LKW schneller und zu geringeren Kosten mit Paletten beladen werden kann als mit den einzelnen unpalettierten Schachteln oder Kleinladungsträgern. Allerdings sind dazu die in der Definition genannten technischen Hilfsmittel erforderlich. Darüber hinaus dienen Paletten während der Lagerung zur Aufnahme der palettierten Güter. Werden die Abmessungen von Paletten festgelegt und die eingesetzten Lager-, Förder- und Transportmittel darauf abgestimmt, so können durchgängige Logistikprozesse von einer Quelle bis zur Senke gestaltet werden, ohne eine Veränderung der Logistikeinheit vorzunehmen. Die für die Logistik wichtigste Palette ist in diesem Sinne die wiederverwendbare Flachpalette aus Holz mit den Abmaßen 1200 mm × 800 mm, die von vier Seiten mit einer Gabel aufgenommen werden kann.233 Diese als Kufenpalette ausgeführte Palette weist eine Stellfläche von 4 M auf und kann entsprechend mit modularen Logistikeinheiten bündig bepackt werden. Ebenso können LKW und Eisenbahnwaggons passgenau längs oder quer mit diesen Paletten beladen werden, da die Breite des Laderaums dieser Fahrzeuge etwas mehr als 2,4 m beträgt. Diese Palette dient auch als Tauschpalette (Europalette, EUR) im Europäischen Palettenpool, über deren Qualität in Deutschland die Gütegemeinschaft Paletten e.V. als Nationalkomitee der European Pallet Association (EPAL) wacht.234 Die EPAL legt dazu zusätzliche Qualitätskriterien und Reparaturvorschriften fest. Europaletten tragen deshalb spezielle Kennzeichnungen und Prüfsiegel. Europaletten sind zwar Eigentum der einzelnen am Warenaustausch beteiligten Industrie- und Handelsunternehmen oder der von ihnen beauftragten Logistikdienstleister,235 sie ermöglichen dennoch die unproblematische Weitergabe von Gütern an andere Unternehmen oder Endkunden. Werden Güter auf Paletten 230

DIN 30781 Teil 1, S. 2.

231

Vgl. Dommann (2009), S. 22–24.

232

DIN EN ISO 445, S. 4.

233

Vgl. DIN EN 13698 Teil 1.

234

Der Europäische Palettenpool wurde bereits 1961 von den Europäischen Bahnen im Rahmen des internationalen Eisenbahnverbands UIC begründet. Die Europalette ist deshalb durch ein UIC Merkblatt genormt, auf dem die hier angeführte DIN EN 13698 Teil 1 beruht. Siehe dazu DIN EN 13698 Teil 1, S. 3.

235

Daneben gibt es private Palettenpools, die Eigentümer der entliehenen Paletten bleiben.

2.2 Arten von Logistikeinheiten

49

angeliefert, so muss man diese nicht von der Palette abladen, sondern der Empfänger bewahrt die bestehende Logistikeinheit und schreibt dem Lieferanten eine Europalette gut oder gibt einfach eine andere leere Palette der gleichen Qualität im Gegenzug zurück. Die palettierte Einheit kann somit unverändert im Wirkungsbereich des Empfängers verwendet werden. Daneben sind zwei weitere Flachpaletten mit den Abmaßen 1200 mm × 1000 mm als Kufenpalette sowie als Fensterpalette genormt.236 Tauschpaletten dieser Größe werden im Europäischen Palettenpool unter der Bezeichnung EURO 3 (Kufenpalette) und EURO 2 (Fensterpalette) verwendet. Weltweit hat sich bisher noch kein Palettenstandard durchgesetzt. Insbesondere in Japan werden auch Paletten mit den Abmaßen 1100 mm × 1100 mm (Asia Palette) verwendet und in Nordamerika finden sich vor allem Paletten mit 48 in × 40 in, 32 in × 40 in und 32 in × 36 in.237 Die Ladung auf einer Palette muss je nach Beanspruchung und Stapelhöhe durch Folien oder Bänder gesichert werden. Daneben kann die Ladungssicherung auf der Palette auch durch Aufsetzrahmen erreicht werden. Sind solche Rahmen fest mit der Palette verbunden, liegen Boxpaletten vor, die in unterschiedlichsten Bauformen verwendet werden. In DIN 15142 sind verschiedene Box- und Rungenpaletten definiert, deren Maße ebenfalls auf dem genormten Flächenmodul beruhen.238 Im Rahmen des Europäischen Palettenpools wird eine tauschbare Gitterboxpalette in den Maßen 800 mm × 1200 mm verwendet. Sonderbauformen bilden die Silo- und Tankpaletten, welche die Aufnahme von Schüttgütern bzw. Flüssigkeiten erlauben. Insbesondere im Handel finden sich neben Paletten auch Rollbehälter als Ladeeinheiten, die einen manuellen Transport und Umschlag erlauben.239 Die Ladung wird dabei durch Aufbauten, bestehend aus zwei oder mehreren Rahmen, zusammengehalten. Rollbehälter eignen sich ebenso sehr gut zur kurzzeitigen Lagerung von angelieferten Gütern.240 Auf der höchsten Stufe der Logistikeinheitenbildung (Stufe 3) finden sich Großbehälter, deren Abmessungen ganzen Fahrzeugeinheiten entsprechen und die eine Vielzahl der bisher beschriebenen Logistikeinheiten aufnehmen können. Großbehälter erlauben damit den schnellen Umschlag ganzer Fahrzeugladungen. Wichtigste Vertreter dieser Gruppe sind die Container. Die Norm DIN ISO 668 umschreibt den Container allgemein als Transportbehälter, welche für den wiederholten Gebrauch geeignet sind, den Transport mit mehreren Transportmitteln ohne Umpacken des Inhalts ermöglichen, den mechanischen Umschlag der gesamten Einheit erlauben und ein Volumen von mindestens 1 m3 aufweisen.241 Container können prinzipiell auf Straßenfahrzeugen, Eisenbahnwaggons, Schiffen und in Flugzeugen transportiert werden. Neben dem klassischen kastenförmigen Stückgut-Container sind auch Sonderbauformen, wie Tank-, Flach- oder Kühlcontainer in Gebrauch. ISO-Container sind international genormt und müssen deshalb weitere spezifische Anforderungen erfüllen. Hierdurch wird deren weltweiter Einsatz ermöglicht. Die Breite von ISO-Containern beträgt stets 8ft (= 2438 mm). Allerdings sind verschiedene Längen und 236

Vgl. DIN EN 13698 Teil 2.

237

Vgl. Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 274–275. Ein Inch (Zoll) beträgt 25,4 mm.

238

Vgl. DIN 15142.

239

Vgl. DIN EN 12674.

240

Zu den Einsatzmöglichkeiten von Rollbehältern siehe Jahre/Hatteland (2004), S. 128–137.

241

Vgl. DIN ISO 668, S. 2.

50

2 Logistikeinheitenbildung

Höhen genormt. Die gebräuchlichsten ISO-Container sind 40ft (= 12192 mm) oder 20ft (= 6058 mm) lang und dürfen beladen ein Gesamtgewicht von 67200 lb (= 30,48 t) bzw. 52900 lb (= 24 t) nicht überschreiten.242 Als Maßeinheit von Containern ist die Größe TEU (Twenty Foot Equivalent Unit) üblich. Danach entspricht ein Container von 20ft Länge einem TEU und ein 40ft-Container zwei TEU. Die genormten Höhenmaße sind von der Länge abhängig. Für 40ft-Container gibt es vier genormte Höhen (9 ft 6 in = 2896 mm, 8 ft 6 in = 2591 mm, 8 ft = 2438 mm und niedriger als 8 ft = 2438 mm). 20ft-ISO-Container dürfen dagegen nur maximal eine Höhe von 8 ft 6 in aufweisen. Das Innenmaß der Breite von ISO-Containern muss mindestens 2330 mm betragen und ist somit zur flächendeckenden Aufnahme von Logistikeinheiten auf Basis des genormten Flächenmoduls zu schmal. In den vergangenen Jahren gab es deshalb Versuche nicht nur längere (45ft), sondern vor allem breitere Container einzuführen. Die Idee eines breiteren Containers ist nicht neu. Ein frühes Beispiel dafür ist der Binnencontainer mit einer Außenbreite von 2500 mm, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte, da auf Grund dieser Abmessungen kein Einsatz im Seeverkehr möglich ist.243 Aktuelle Ansätze versuchen eine größere Breite und Länge zu kombinieren. Ein Beispiel dafür ist der 45ft-Container des Unternehmens Unit45, der eine Innenbreite von 2444 mm aufweist und hierdurch 33 Paletten aufnehmen kann. Die durchgängige Verwendung dieser vergrößerten Einheiten bereitet jedoch Probleme, da die Verkehrsmittel, vor allem in der Schifffahrt, auf die kürzeren und schmäleren ISO-Container abgestimmt sind. Zudem treten rechtliche Probleme im europäischen Straßenverkehr mit überlangen Containern auf.244 Aus diesen Gründen werden 45ft-Container derzeit vor allem im Binnenverkehr mit der Bahn und auf speziellen Schiffen in der Küstenschifffahrt eingesetzt. Für den Binnenverkehr mit der Bahn und mit dem LKW können auch Wechselbehälter verwendet werden. Wechselbehälter sind bündig mit Europaletten beladbar, lassen sich jedoch im Gegensatz zu Containern i.d.R. nicht stapeln.245 Sie sind ähnlich wie LKWAufbauten in unterschiedlichen Bauarten verfügbar, vor allem als geschlossener Koffer, als offener Aufbau mit Plane oder mit klappbaren Bordwänden, als Wechselbehälter mit seitlichem Verschiebeverdeck oder als Pritsche mit Bordwänden.246 Darüber hinaus werden Wechselbehälter auch in Form von Wechseltanks für Flüssigkeiten, Gase und bestimmte Schüttgüter verwendet.247 Entsprechend der beiden unterschiedlichen Formen von Lastkraftwagen sind auch Wechselbehälter in zwei Klassen genormt. Wechselbehälter der Klasse A sind für Sattelanhänger geeignet, haben eine Länge von 12,19 m, 12,5 m oder 13,6 m und werden mit Hilfe eines Umschlaggeräts mit Greifzangen umgeschlagen.248 Wechselbehälter der Klasse C sind dagegen für Gliederzüge ausgelegt und mit 7,45 m (bzw. mit 7,82 m für Lastzüge mit Kurzkupplung) entsprechend kürzer.249 Wesentlicher Vorteil dieser Wechselbe242

Der 20ft-Container hat eigentlich nur eine Länge von 19ft 10½ in. Daneben sind noch 30ft- und 10ft-Container genormt.

243

Vgl. DIN 15190-101.

244

Vgl. Aberle (2009), S. 30.

245

Als Ausnahme siehe die stapelbaren Wechselbehälter nach DIN CEN/TS 13853.

246

Vgl. DIN EN 283, S 2.

247

Vgl. DIN EN 1432.

248

Vgl. DIN EN 452.

249

Vgl. DIN EN 284, S 5.

2.3 Handlungen der Logistikeinheitenbildung

51

hälter der Klasse C ist, dass sie von Fahrzeugen mit eigenen Mitteln auf Stützbeine abgesetzt bzw. selbständig, d.h. ohne zusätzliche Umschlageinrichtungen, aufgenommen werden können. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit Stillstandzeiten von Lastkraftwagen zu reduzieren und diese während der Beladung des Wechselbehälters für andere Transportaufgaben zu verwenden. Eine Sonderstellung unter den Logistikeinheiten nehmen Paletten und Container für den Luftverkehr ein, die so genannten „Unit Load Devices“. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Logistikeinheiten wird in diesem Bereich nicht eine weitgehende Modularisierung angestrebt, sondern diese Ladungsträger werden zur besseren Ausnutzung des Transportvolumens der Geometrie der verwendeten Flugzeuge angepasst. Hierdurch erhalten Luftfrachtcontainer unterschiedliche Konturen und können zudem nicht an einem beliebigen Ort in einem Flugzeug verstaut werden.250 Ferner werden diese Logistikeinheiten mit Rollen- oder Kugelbahnen bewegt. Aus diesen Gründen können Luftfrachtpaletten und -container nicht für andere Verkehrsträger verwendet werden.

2.3

Handlungen der Logistikeinheitenbildung

Ebenso vielfältig wie die in Abschnitt 2.2 beschriebenen Logistikeinheiten sind die Techniken der Logistikeinheitenbildung und damit die Handlungen zur Bildung von Logistikeinheiten. Die DIN 55405 nennt eine Vielzahl von verschiedenen Verpackungshandlungen, z.B. das Einschlagen, Einwickeln, Füllen, Umreifen, Umschnüren oder Verschließen. Bei Verwendung eines breiten Verpackungsbegriffs im Sinne der Logistikeinheitenbildung kommen weitere Handlungen hinzu, z.B. das Palettieren, das Bestücken von Kleinladungsträgern sowie das Beladen von Containern und Wechselbehältern. Neben den zugrunde liegenden Technologien können Handlungen der Logistikeinheitenbildung auch nach ihrem Zweck systematisiert werden. Handlungen der Logistikeinheitenbildung versetzen Güter oder Abfälle in den Zustand der räumlichen und zeitlichen Transferierbarkeit. Die erzeugten Logistikeinheiten müssen dazu bestimmte grundlegende Funktionen erfüllen. In der Literatur finden sich verschiedene Auflistungen solcher Funktionen, die in der Regel vereinfacht als Verpackungsfunktionen oder Verpackungszwecke bezeichnet werden.251 Nach Pfohl lassen sich vier Gruppen von Verpackungsfunktionen unterscheiden: Produktions-, Marketing-, Wiederverwendungs- und Logistikfunktionen. Letztere kann nochmals unterteilt werden in die Schutz-, Lager-, Transport-, Manipulations- und Informationsfunktion.252 Für eine Abgrenzung von Handlungen der Logistikeinheitenbildung scheint jedoch

250

Vgl. Pfohl (2010), S. 146; Ten Hompel/Schmidt (2007), S. 33–34.

251

Siehe z.B. Robertson (1990), S. 38–39; Prendergast/Pitt (1996), S. 60–61; Lee/Lye (2003), S. 164; Ten Hompel/ Schmidt (2007), S. 6–7; Pfohl (2010), S. 134–136.

252

Vgl. Pfohl (2010), S. 134–136.

52

2 Logistikeinheitenbildung

eine Abgrenzung von Robertson besser geeignet zu sein, der sechs prinzipielle Funktionen anführt:253 • Containment (Eingrenzung): Abschluss eines Gutes gegenüber seiner Umwelt. • Protection (Schutz): Schutz eines Gutes vor Einwirkungen von außen sowie Schutz der Umgebung vor einem Gut. • Apportionment (Aufteilung): Aufteilung eines Gutes in angemessene Teilmengen. • Unitization (Zusammenfassung): Zusammenfassung von mehreren Logistikeinheiten zu größeren Logistikeinheiten. • Convenience (Nützlichkeit): Herstellen von nützlichen Hilfsfunktionen. • Communication (Kommunikation): Präsentation von Informationen. Die Funktion der Eingrenzung ist bei gasförmigen, flüssigen, pulverförmigen und losen Gütern von Bedeutung,254 da diese nur als eingegrenzte Logistikeinheit transportiert und gelagert werden können. Viele solcher Stoffe, z.B. Mehl, Mineralwasser etc., werden zudem erst durch eine eingrenzende Verkaufsverpackung zum Konsumgut. Die primäre Handlung zur Realisation dieser Funktion ist das Befüllen von Packmitteln, wie z.B. Beuteln, Dosen, Fässern, Kästen und Schachteln, sowie von Behältern und Tanks. Die Eingrenzung loser Stoffe kann zudem durch Handlungen des Einschlagens oder Einwickelns in einen Packstoff erfolgen. Wesentlich für die Funktion der Eingrenzung ist auch die Verwendung von geeigneten Verschließmitteln und Verschließhilfsmitteln. Die wichtigste Funktion zum Erhalt der Eignung zeitlich und räumlich transferierter Güter ist die Schutzfunktion. Deshalb steht zunächst der Schutz der zu transferierenden Güter vor Einwirkungen von außen im Vordergrund. Neben dem Schutz vor physikalischen und chemischen Einwirkungen, vor allem vor mechanischen Stoß- und Druckbelastungen, müssen Handlungen der Logistikeinheitenbildung auch für eine Sicherung vor klimatischen Belastungen, wie z.B. zu hoher oder zu niedriger Temperatur und Feuchtigkeit, sorgen. Neben der Umhüllung der Packgüter mit Packmitteln aus geeigneten Packstoffen kommt deshalb dem Einsatz von Inneneinrichtungen (z.B. Stege, Einsätze), Verstärkungselementen (z.B. Leisten, Eckenverstärkungen), Schutzhilfsmitteln (z.B. Kieselgel, Flammschutzmittel, Schutzgas) und Polstermitteln (z.B. Holzwolle, Luftkissen) besondere Bedeutung zu.255 Umgekehrt verlangt die Erfüllung der Schutzfunktion Handlungen, welche die Umgebung vor dem Packgut schützen, soweit dies noch nicht durch die Eingrenzungsfunktion gegeben ist. Neben dem Umweltschutz ist hier vor allem der Arbeitsschutz zu beachten.256 Mit der Aufteilungsfunktion der Verpackung werden die Anforderungen der Konsumenten und der Produktion nach für die Verwendung angemessenen Mengen erfüllt. Die gewählte Packgutmenge und damit die Größe der Logistikeinheit richten sich damit nach den Konsumgewohnheiten und den Erfordernissen der Produktion. In der Regel wird diese Funktion jedoch bereits durch jene Handlungen sichergestellt, die für die beiden erstgenannten Funktionen erforderlich sind. Daneben gehen auch von logistischen Prozessen Anforderungen an 253

Vgl. Robertson (1990), S. 38–39.

254

Vgl. Robertson (1990), S. 38.

255

Zu diesen Begriffen siehe DIN 55405.

256

Siehe dazu ausführlich Band 2.

2.3 Handlungen der Logistikeinheitenbildung

53

die Bildung von Mengen aus. Logistikeinheiten dürfen beispielsweise nicht zu groß oder zu schwer sein, um sie manuell oder mit den vorgesehenen technischen Hilfsmitteln bewegen zu können. Damit ist bereits eine wesentliche weitere Verpackungsfunktion angesprochen: die Funktion der Zusammenfassung zu Einheiten, welche effiziente Transport-, Umschlag- und Lagerprozesse ermöglichen. Im Rahmen der Diskussion der Mehrstufigkeit der Logistikeinheitenbildung wurde die Bedingtheit des Begriffs der Einheit angesprochen.257 So können beispielsweise bereits kleine Einheiten wie Steigen die effiziente manuelle Handhabung von einzelnen Objekten, z.B. von Gemüse, ermöglichen. Von besonderer Bedeutung sind jedoch technische Hilfsmittel, die auf den Stufen 2 und 3 der Systematik einer mehrstufigen Logistikeinheitenbildung (Abbildung 6) eingesetzt werden und eine mechanisierte oder sogar automatisierte Handhabung erlauben, also vor allem Paletten, Boxpaletten, Rollbehälter bis hin zu Containern und Wechselbehältern. Im Mittelpunkt dieser Funktion stehen somit Prozesse des Palettierens und des Beladens. Eng verbunden damit sind Handlungen der Ladungssicherung, z.B. das Sichern von einzelnen Schachteln oder Kleinbehältern auf einer Palette durch Umwickeln mit Folien oder durch Umreifen. Verpackungen sowie Ladungsträger bis hin zu Großbehältern dienen auch der Kommunikation, denn sie bieten eine Oberfläche für grafische und textliche Zeichen, insbesondere dann, wenn ein direktes Aufbringen auf das Packgut unmöglich ist oder zu Beschädigungen führen würde. Gleiches gilt für den Fall, dass die Verpackung zur Erfüllung der bisher angeführten Funktionen die Sicht auf das Packgut verdeckt. Zum Ausgleich kann die Verpackung beschriftet, bedruckt sowie mit Etiketten, Banderolen oder ähnlichen Informationsmitteln versehen werden. Neben Informationen, die aus Sicht des Marketings258 oder anderer betrieblicher Funktionen von Belang sind, tragen Logistikeinheiten in aller Regel logistische Informationen, in Form von Beschriftungen, Benummerungen, Barcodes, QR-Codes oder elektronischen Datenträgern, die zumindest eine Identifikation und Zuordnung dieser Einheiten ermöglichen. Darüber hinaus können auf der Verpackung Texte und Piktogramme aufgebracht sein, die Informationen über das Packgut und bestimmte Anforderungen an die Handhabung der Logistikeinheit liefern. Aus Sicht des Arbeits- und Umweltschutzes sind vor allem Gefahrenhinweise, z.B. im Sinne der Gefahrstoffverordnung,259 von Bedeutung. Die Nützlichkeitsfunktion ist erfüllt, wenn neben den bisher diskutierten Funktionen, die prinzipiell bereits die Transport- und Lagerfähigkeit gewährleisten, eine Logistikeinheit über weitere nützliche Eigenschaften verfügt. Aus Sicht der Logistik schaffen vor allem jene Hilfsmittel und konstruktive Maßnahmen einen Nutzen, die einen mitarbeiterfreundlichen Umgang mit einer Logistikeinheit ermöglichen. Handlungen zur Erfüllung der Nützlichkeitsfunktion sind in diesem Fall z.B. das Anbringen von Tragebügeln oder das Ausschneiden von Grifflöchern an bzw. in Schachteln. Ein Zusatznutzen kann ebenso durch die Verwendung von Öffnungshilfen oder von Dosier- und Entnahmehilfen260 sowie durch die spezifische Gestaltung der Verpackung für bestimmte Nutzergruppen erreicht werden. Ein Beispiel dafür 257

Siehe dazu Abschnitt 2.1.

258

Zur Marketingfunktion der Verpackung siehe Pfohl (2010), S. 134.

259

Siehe dazu GefStoffV in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008.

260

Zu diesen Begriffen siehe DIN 55405.

54

2 Logistikeinheitenbildung

ist die Verwendung großer Schrift für ältere Menschen mit Sehschwäche. Eine zusätzliche Brauchbarkeit kann ebenso in der Weiterverwendung der Verpackung für andere Zwecke bestehen.261 Betrachtet man die Kosten der Logistikeinheitenbildung stehen zunächst die unmittelbaren Handlungen des Einschlagens, Einwickelns, Füllens, Palettierens, Umreifens, Umschnürens oder Verschließens im Mittelpunkt. Vor allem die Kosten manueller Prozesse werden wesentlich durch die für die einzelnen Handlungen erforderlichen Zeiten beeinflusst.262 Aus den bisherigen Ausführungen wird jedoch deutlich, dass neben den eigentlichen Handlungen der Logistikeinheitenbildung auch vorbereitende und nachbereitende Aktivitäten betrachtet werden müssen, um die Gesamtkosten dieser logistischen Teilfunktion zu erfassen. Am Beginn stehen die Preise der zu beschaffenden Packmittel, Packhilfsmittel, Ladungsträger und Behälter. Bei Mehrwegverpackungen und Behältern kommen im Laufe der Nutzung ggf. Reinigungs- und Instandhaltungskosten hinzu. Verpackungsmaterialien263 und andere Mittel der Logistikeinheitenbildung müssen zudem logistisch bereitgestellt werden, wofür Kosten der physischen Lagerung, Lagerhaltungskosten und Transportkosten anfallen. Werden zur Reduktion dieser Logistikkosten flachgelegte Packmittel, wie z.B. Faltschachteln, Beutel etc., verwendet oder einfache Packmittelzuschnitte eingesetzt, dann müssen diese ggf. unter Anwendung zusätzlicher Hilfsmittel, z.B. Klebstoff oder Klebestreifen, zunächst aufgerichtet werden, wodurch zusätzliche Kosten entstehen.264 Im Nachgang zu den Verpackungshandlungen im engeren Sinne fallen in Abhängigkeit von den angewendeten Technologien möglicherweise Reinigungs- oder Entsorgungskosten für Abfälle und Verschnitte an. Neben diesen Kosten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bildung von Logistikeinheiten stehen, sind solche zu beachten, die als Folge dieser Prozesse in anderen Bereichen entstehen. Als Kern der Teilfunktion der Logistikeinheitenbildung wurde die Aufgabe herausgearbeitet, Güter in den Zustand der räumlichen und zeitlichen Transferierbarkeit zu versetzen. Wird diese Aufgabe nicht hinreichend erfüllt, entstehen zusätzliche Kosten in anderen Bereichen. Wird beispielsweise die Zusammenfassung von Gütern zu mechanisch handhabbaren Einheiten unzureichend verfolgt, entstehen zwar vergleichsweise geringe Verpackungskosten. Diese vermeintlichen Einsparungen werden jedoch durch die Kosten personalintensiver Prozesse beim Umschlag oder bei der Ein- und Auslagerung mehr als egalisiert. Gleiches gilt für eine Vernachlässigung der Schutzfunktion, die zu Abschreibungen beschädigter Güter sowie ggf. zu Zusatzkosten für Ausgleichstransporte führt. Nicht zu vernachlässigen sind zudem die Entsorgungskosten für nicht mehr benötigte bzw. nicht mehr zu gebrauchende Verpackungen, Ladungsträger und Behälter. Die Handlungen der Logistikeinheitenbildung liefern deshalb ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit einer koordinierten Kosten- und Leistungsüberwachung in der Logistik.265

261

Vgl. Pfohl (2010), S. 135.

262

Vgl. Lee/Lye (2003), S. 168–175.

263

Die DIN 55405, S. 122, versteht unter Verpackungsmaterial alle „zum Verpacken benötigte Werkstoffe, Halbzeuge und Packstoffe sowie Packmittel und Packhilfsmittel.“

264

Vgl. DIN 55405, S. 41.

265

Siehe dazu Band 2.

2.4 Planung der Logistikeinheitenbildung

2.4

55

Planung der Logistikeinheitenbildung

Sollen Entscheidungen über Logistikeinheiten nicht nur intuitiv getroffen und die Bildung von Logistikeinheiten nicht dem Zufall oder lediglich traditionalen Verhaltensweisen überlassen werden, so ist eine rationale Planung von Logistikeinheiten und der Logistikeinheitenbildung erforderlich. Darunter soll das rechtzeitige Durchdenken von zukünftigen Handlungsalternativen der Logistikeinheitenbildung verstanden werden, welches das Treffen von Entscheidungen einschließt.266 Die bisherigen Ausführungen haben die Spannweite der Handlungen der Logistikeinheitenbildung aufgezeigt. Die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Planung dieser Handlungen erfolgt deshalb als zwingende Konsequenz. Bei aller Heterogenität der Einzelaufgaben erscheint es gerechtfertigt, zwei Felder von Planungshandlungen im Rahmen der Logistikeinheitenbildung abzugrenzen: die Gestaltung von Logistikeinheiten unter Einsatz standardisierter Packmittel, Ladungsträger und Großbehälter und die individuelle Gestaltung von Logistikeinheiten aufgrund spezifischer Anforderungen des zu transferierenden Gutes oder der an der Logistikeinheit zu vollziehenden Handlungen. Jedes dieser beiden Planungsfelder umfasst neben der Gestaltung von Logistikeinheiten im engeren Sinne auch das Durchdenken von Handlungen, die erforderlich sind, die entworfenen Logistikeinheiten zu erstellen. Nach Möglichkeit sollte zunächst immer die Gestaltung von Logistikeinheiten unter Einsatz standardisierter Packmittel, Ladungsträger und Großbehälter angestrebt werden. Die Logistikeinheitenbildung wird dabei an die Anforderungen der anderen logistischen Teilfunktionen angepasst.267 Zur Verfügung stehen dazu prinzipiell alle in Abschnitt 2.2 eingeführten Hilfsmittel. Häufig wird jedoch die Zusammenfassung zu standardisierten Einheiten, welche effiziente Transport-, Umschlag- und Lagerprozesse ermöglichen, angestrebt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Verwendung von Einheiten, die auf dem genormten Flächenmodul 600 mm × 400 mm basieren.268 Mit dem Einsatz standardisierter Mittel der Logistikeinheitenbildung geht nicht selten die Verwendung von Mehrwegverpackungen einher. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung von Paletten, Rollbehältern und Kleinladungsträgern. Standardisierte Logistikeinheiten haben zudem den Vorteil, dass technische Informationen, z.B. Abmessungen, Tragfähigkeit, Gewicht, Stapelbarkeit, und die zu erwartenden Kosten für die Packmittel und Packhilfsmittel schon zu Beginn des Planungsprozesses bekannt sind. Allerdings können beim Einsatz standardisierter Logistikeinheiten auch Kostenkonflikte im Planungsprozess entstehen. Je kleiner eine Verpackung für ein gegebenes Packgut gewählt wird desto geringer sind üblicherweise die Transportkosten und die Kosten der physischen Lagerung.269 Eine überzogene Standardisierung und einhergehend damit eine zu starke Einschränkung auf nur wenige Packmittelgrößen kann jedoch zur Wahl des nächst größeren und damit eigentlich zu großen Packmittels führen. Die Folge davon sind ineffiziente Lager- und Transportprozesse, da Lade- und Lagerkapazitäten verschwendet werden. Schließlich können 266

Zum hier zugrundegelegten Planungsverständnis siehe Abschnitt 1.1.1.

267

Vgl. Klevås (2005), S. 127–128.

268

DIN 55510 Teil 3, S. 4.

269

Vgl. Lockamy (1995), S. 55.

56

2 Logistikeinheitenbildung

für standardisierte Logistikeinheiten Verfahren zur optimalen Logistikeinheitenbildung entwickelt werden. Beispiele dafür sind quantitative Verfahren zur Optimierung oder zumindest Verbesserung der Palettierung270 und zur Beladungsplanung von Containern.271 Nicht in jeder Situation kann jedoch auf standardisierte Verpackungen und Ladungsträger zurückgegriffen werden. Einen wichtigen Grund hierfür bilden spezifische Merkmale des zu transferierenden Gutes, die eine individuelle Gestaltung von Logistikeinheiten erfordern. Im einfachsten Fall liegt die Ursache für Individualverpackungen in den Abmaßen des Packgutes. Deutlich wird dies bei Holzkisten im konventionellen Hochseeverkehr, die eingesetzt werden, wenn das Packgut die Maße eines Standardcontainers überschreitet. Häufig handelt es sich jedoch um besondere Anforderungen hinsichtlich der Schutzfunktion, die eine individuelle Gestaltung bedingen. Beispiele dafür sind spezifische Ladehilfsmittel in der Beschaffungslogistik und der Einsatz von Spezialverpackungen in der Kunstlogistik. Liegen spezifische Anforderungen des Packgutes vor, so wird in der Regel die Verpackungsgestaltung in enger Abstimmung mit der Produktentwicklung erfolgen. Dabei ist eine frühe Einbindung der Logistik in den Entwicklungsprozess anzustreben, um Anforderungen des Packgutes hinsichtlich seiner logistischen Konsequenzen zu reflektieren und somit die Verpackungsund die Produktgestaltung aufeinander abzustimmen.272 Hierdurch wird prinzipiell die Möglichkeit der Anpassung des zu entwickelnden Produktes an die wünschenswerte Logistikeinheit und damit an die vorhandenen Prozesse der Logistik eröffnet. Im Hinblick auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung kommt zudem der Abstimmung mit dem Umweltmanagement besondere Bedeutung zu.273 Unter bestimmten Umständen können zudem die an einer Logistikeinheit zu vollziehenden Handlungen eine individuelle Gestaltung von Logistikeinheiten nahelegen. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich vorhandene Lager- und Transporteinrichtungen nicht für standardisierte Logistikeinheiten eignen oder solche Einheiten für Produktions- und Konsumptionsprozesse nicht angebracht sind. Individuelle Verpackungslösungen finden sich deshalb besonders häufig bei Gütern, die direkt für den Verkauf bestimmt sind. Bei Verkaufsverpackungen tritt aus Sicht des Marketings häufig die Informationsfunktion in den Vordergrund.274 Diese wird nicht nur durch Aufdrucke oder Etiketten erfüllt, sondern besonders durch die ansprechende Gestalt der Verpackung selbst. Nimmt der Kunde die Verpackung sogar als Teil des Produktes wahr, so treten logistische Belange bei der Verpackungsgestaltung häufig in den Hintergrund.

270

Vgl. z.B. Günther/Tempelmeier (2012), S. 308–316.

271

Vgl. z.B. Isermann (1998b).

272

Vgl. Klevås (2005), S. 121–123.

273

Vgl. Prendergast/Pitt (1996), S. 65–66; Jahre/Hatteland (2004), S. 125–126.

274

Siehe dazu Abschnitt 2.3.

3

Außerbetrieblicher Transport

3.1

Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

In Abschnitt 1.1.2 wurde die primäre Hauptfunktion des Transports in die beiden Bereiche des außerbetrieblichen und des innerbetrieblichen Transports unterschieden. Im Folgenden soll zunächst der außerbetriebliche Transport vorgestellt werden, der aufgrund seiner Charakteristik im engen Zusammenhang mit dem Verkehrswesen einer Volkswirtschaft bzw. der Weltwirtschaft steht.

3.1.1

Verkehrswege, Verkehrsmittel und Verkehrsträger

Menschen vollziehen Handlungen des außerbetrieblichen Transports unter Nutzung der verfügbaren Verkehrswege und der auf diese Wege abgestimmten Betriebsmittel, den Verkehrsmitteln. Letztere basieren auf verschiedensten Technologien und weisen deshalb unterschiedliche qualitative und quantitative Merkmale auf. Beispiele dafür sind erreichbare Geschwindigkeiten und Ladekapazitäten. Neben den durch bauliche Maßnahmen bewusst angelegten Wegen, also den Straßen, den Schienenwegen, den Kanälen und den Rohrleitungen, zählen hierzu auch gegebene Verkehrswege auf natürlichen Gewässern und in der Luft. Entsprechend dieser Verkehrswege können die verschiedenen Verkehrsträger abgegrenzt werden.275 Unter dem Begriff „Verkehrsträger“ kann die Gesamtheit der Akteure subsumiert werden, die unter Nutzung einer bestimmten Art von Verkehrswegen und den darauf abgestimmten Verkehrsmitteln, Handlungen des räumlichen Transfers vollziehen oder ermöglichen. Aus Sicht der Logistik interessiert vor allem jener Teilbereich eines Verkehrsträgers, der sich mit dem Transport von Gütern oder Abfällen beschäftigt. Durch die gemeinsame Nutzung von Verkehrswegen entstehen jedoch häufig Interdependenzen mit dem Personentransport, die bei der Lösung logistischer Probleme nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. So konkurrieren der Personenverkehr und der Güterverkehr einerseits um knappe Verkehrswege. Andererseits ist bei manchen Verkehrsträgern die gemeinsame Erstellung von Personen- und Gütertransporten zumindest prinzipiell möglich. Für die weiteren Betrachtungen können nun auf Basis der angesprochenen Verkehrswege die folgenden Verkehrsträger abgegrenzt werden.

275

Siehe dazu auch Ihde (2001), S. 135; Aberle (2009), S. 18.

58 • • • • • •

3 Außerbetrieblicher Transport Straßenverkehr Eisenbahnverkehr Binnenschifffahrt Seeschifffahrt Luftverkehr Rohrleitungsverkehr

Der Straßengüterverkehr als Teilbereich des Straßenverkehrs nutzt das öffentliche Straßennetz, bestehend aus Kommunal-, Kreis-, Landes- und Bundesstraßen sowie den Bundesautobahnen. Allein die Länge der Straßen des überörtlichen Verkehrs beträgt in Deutschland 230969 km und davon der Bundesautobahnen 12813 km.276 Bezogen auf die Fläche der Bundesrepublik (357124 km2) ergeben sich daraus Dichten von 0,647 km/km2 bzw. 0,036 km/km2. Dieses Netz steht in Deutschland dem Straßenverkehr in der Regel ohne Gebühren zur Verfügung. Eine Ausnahme davon bilden nur die Bundesautobahnen für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mindestens 12 t (LKW-Maut).277 Aufgrund des dichten Straßennetzes in entwickelten Volkswirtschaften ist jeder besiedelte Punkt in Deutschland mit Straßenverkehrsmitteln erreichbar. Neben dem Fernverkehr über längere Strecken eignet sich der Straßengüterverkehr somit auch für die Abholung bzw. Zustellung im Rahmen des Nahverkehrs. Allerdings konkurriert der Straßengüterverkehr mit dem öffentlichen und privaten Personenverkehr um knappe Straßenkapazitäten. Durch die gemeinsame Nutzung des Straßennetzes können sich Risiken im Güterverkehr unmittelbar auf die Sicherheit des Personenverkehrs auswirken. Die Fahrgeschwindigkeiten im Straßengüterverkehr sind nicht zuletzt deshalb reglementiert. Außerhalb geschlossener Ortschaften liegt die Höchstgeschwindigkeit für Nutzfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t bei 80km/h und über 7,5 t bei 60 km/h.278 Auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen gilt ab 3,5 t eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h.279 Zu beachten ist die gesetzliche Einschränkung des Straßengüterverkehrs an Sonn- und Feiertagen. So dürfen von Ausnahmen abgesehen Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 t sowie Anhänger hinter Lastkraftwagen in der Zeit von 0 bis 22 Uhr nicht verkehren.280 Für den Transport auf der Straße können Straßenverkehrsmittel unterschiedlicher Bauart eingesetzt werden. Beispielsweise werden PKW-Kombis, Lastkraftwagen, Lastkraftwagenzüge (Lastkraftwagen mit einem Deichselanhänger) und Sattelkraftfahrzeuge (Sattelzugmaschine mit einem Sattelanhänger) unterschieden.281 Aufgrund dieser unterschiedlichen Bauarten sind Fahrzeuge in unterschiedlichen Gewichts- und Größenklassen bis hin zu Zügen mit einem Gesamtgewicht von 40 t, einer Breite von 2,55 m und einer Länge von 18,75 m gebräuchlich,282 wodurch wirtschaftliche Transporte sowohl großer als auch kleiner Mengen möglich werden. Darüber hinaus wird derzeit über die Einführung eines Langlastkraftwagens 276

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 422.

277

Vgl. §1 Abs. 1 ABMG.

278

Vgl. §3 Abs. 3 StVO.

279

Vgl. §18 Abs. 5 StVO.

280

Vgl. §30 Abs. 3 StVO.

281

Vgl. DIN 70010.

282

Siehe dazu die in §32 und §34 StVZO genannten Abmessungen und zulässigen Gesamtgewichte.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

59

von 25,25 m Länge und einem zulässigen Gesamtgewicht von 40–44 t – berechtigterweise kontrovers – diskutiert. Die Abmessungen der LKW-Ladeflächen sind in aller Regel auf das genormte Flächenmodul 1200 mm × 800 mm (4 M) abgestimmt.283 Ein Sattelanhänger mit 13,6 m Länge fasst beispielsweise nahezu passgenau 33 Europaletten. Das Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) definiert Güterkraftverkehr als „die geschäftsmäßige oder entgeltliche Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen, die einschließlich Anhänger ein höheres zulässiges Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen haben.“284 In diesem Gesetz findet sich auch die wichtige Unterscheidung von gewerblichem Güterkraftverkehr und Werkverkehr. Beim Werkverkehr handelt es sich um Transporte von eigenen Gütern durch ein Unternehmen, das die Beförderung nur als Hilfstätigkeit im Rahmen seiner eigentlichen Aufgaben durchführt.285 Im Gegensatz dazu wird der gewerbliche Güterkraftverkehr von spezialisierten Transportunternehmen gegen Entgelt angeboten. Für den gewerblichen Güterkraftverkehr ist eine Erlaubnis (Zulassung) der Landesbehörden erforderlich, die an bestimmte Anforderungen gebunden, jedoch nicht kontingentiert ist.286 Werkverkehr kann dagegen erlaubnisfrei erfolgen.287 Der Eisenbahnverkehr erfolgt schienengebunden und ist somit zur Transportausführung auf das verfügbare Schienennetz angewiesen, welches in Europa mit Ausnahme von Spanien und Russland überwiegend in der Spurweite von 1435 mm ausgeführt ist.288 In Deutschland steht eine normalspurige Eisenbahnstrecke von 37734 km zur Verfügung, wovon 18312 km mehrgleisig ausgebaut sind.289 Hieraus folgt eine Netzdichte von 0,106km/km2. Gütertransporte mit der Eisenbahn sind somit nur zwischen Orten möglich, die über einen Gleisanschluss an dieses Netz verfügen. Die Zahl der Privatgleisanschlüsse an das Netz der Deutschen Bahn AG belief sich im Jahr 2010 jedoch nur noch auf 3732 im Vergleich zu 15653 im Jahr 1990.290 In Abhängigkeit von der Güte des Schienennetzes und der Auslegung des rollenden Materials, lassen sich im Eisenbahnverkehr Geschwindigkeiten bis 120 km/h realisieren, die damit über jenen des Straßengüterverkehrs liegen. Eisenbahnwagen stehen in unterschiedlichen Bauformen und Größen, z.B. als offene Wagen, gedeckte Wagen, Schiebewandwagen, Flachwagen und Behälterwagen,291 zur Verfügung und sind in der Regel nach Normen des Internationalen Eisenbahnverbands Union Internationale des Chemins de Fer (UIC) ausgelegt. Aufgrund der Breite und Länge ist eine sehr gute Flächenausnutzung durch Europaletten gegeben. Beispielsweise kann ein gebräuchlicher Wagen mit 12,72 m Ladelänge und einer Ladebreite von 2,6 m bis zu 31 Paletten aufnehmen. Darüber hinaus sind auch längere Wa-

283

DIN 55510 Teil 3, S. 4. Siehe dazu ausführlich Abschnitt 2.2.

284

§1 Abs. 1 GüKG.

285

Vgl. §1 Abs. 2 GüKG.

286

Siehe dazu ausführlich §3 GüKG.

287

Vgl. §9 GüKG.

288

Vgl. §5 Abs. 2 EBO.

289

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 420.

290

Vgl. Deutsche Bahn AG (2010), S. 21; Fischer (2005), S. 546.

291

Vgl. DIN 25003.

60

3 Außerbetrieblicher Transport

gen verfügbar, die z.B. bis zu zwei 40ft-Container laden können. Die Lastgrenzen variieren und richten sich neben der Bauart des Wagens nach der Streckenklasse. Traditionell wurde in Europa der Gütertransport mit der Eisenbahn von staatlichen Institutionen mit monopolistischer Stellung beherrscht, die über die Schienennetze und die entsprechenden Transportmittel verfügten. Im Rahmen der europäischen Integration erfolgte jedoch die Trennung von Fahrweg und Betrieb, um Schienentransportunternehmen der Mitgliedsländer den Zugang zu fremden Schienennetzen zu eröffnen. Zentrale Bedeutung kam dabei der EU-Richtlinie 2001/14/EG zu, welche u.a. die Zuweisung von Fahrwegkapazität und die Erhebung von Entgelten für die Netznutzung regelt. Entsprechend werden heute im Allgemeinen Eisenbahngesetz Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Verkehrsleistungen erbringen, und Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die eine Eisenbahninfrastruktur betreiben, unterschieden.292 Wesentliches Merkmal des Gütertransports mit der Eisenbahn ist die Bildung von Zügen. Züge bestehen aus Lokomotiven und mehreren Wagen und können gezogen oder auch geschoben werden.293 Üblicherweise wird ein Güterzug in Abhängigkeit von der Achsenzahl der Wagen, der Beladung und der Streckenmerkmale aus etwa 20–30 Wagen gebildet. Aus der Zugbildung resultieren die wesentlichen Vor- und Nachteile des Eisenbahngüterverkehrs. Mit einem hinreichend langen Güterzug können große Mengen mit vergleichsweise geringem Arbeits- und Energieeinsatz transportiert werden. Allerdings erfordern diese großen Transporteinheiten erhebliche Anstrengungen, um eine kontinuierliche Auslastung zu erreichen. Zur Konsolidierung der Transportgüter verschiedener Versender, sind verbindliche Fahrpläne erforderlich. Hierdurch wird einerseits die Zuverlässigkeit des zeitlichen Ablaufs gesichert, andererseits ergibt sich für Kunden die Notwendigkeit der Planung und Ausrichtung ihrer Aktivitäten auf Abfahrts- und Ankunftszeiten. Die Bildung und Auflösung von Zügen erfordern zudem Rangierarbeiten. Trotz wesentlicher technologischer Fortschritte entstehen hierdurch zusätzliche Kosten und vor allem Zeitverzögerungen. Der Geschwindigkeitsvorteil der Bahn kommt deshalb vor allem dann zum Tragen, wenn ganze Züge über lange Strecken ohne Rangierarbeiten transportiert werden. Die Binnenschifffahrt wird auf den Binnenwasserstraßen abgewickelt. Darunter versteht man oberirdische Gewässer im Binnenland, die für den Schiffsverkehr bestimmt sind,294 also die schiffbaren Flüsse und Kanäle sowie die Binnenseen. Deutschland verfügt über ein Binnenwasserstraßennetz von 7707 km Länge, woraus eine Netzdichte von 0,022 km/km2 resultiert.295 Allerdings weisen die natürlichen Gegebenheiten der Binnenwasserstraßen sowie die Schifffahrtsanlagen, wie z.B. die Schleusen, Schleusenkanäle und Schiffshebewerke, und die wasserbaulichen Anlagen sehr unterschiedliche Eigenschaften auf. Die Binnenschifffahrt ist damit in Deutschland nicht nur auf ein vergleichsweise kleines, sondern auch auf ein sehr heterogenes Netz beschränkt. Aufgrund der geographischen Lage, Breite, Wassertiefe und Witterungsunempfindlichkeit nehmen der Rhein und seine Nebenflüsse eine zentrale Stellung im deutschen Binnenwasserstraßennetz ein. Gemessen in Tonnen werden etwa 85% der 292

Vgl. §2 Abs. 1 AEG.

293

Vgl. §18 und §34 EBO.

294

Vgl. DIN 4054, S. 11.

295

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 426.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

61

in Deutschland in der Binnenschifffahrt beförderten Güter im Rheingebiet transportiert.296 Neben den Wasserstraßen wird das Netz der Binnenschifffahrt durch die verfügbaren Binnenhäfen bestimmt. Unter einem Hafen werden allgemein „Wasser- und Landflächen in einem festgelegten Gebiet mit Anlagen für das Liegen von Schiffen, Laden und Löschen usw.“297 verstanden. Den Häfen kommt somit eine Knotenfunktion im Wasserstraßennetz zu, da dort Umschlagtätigkeiten ermöglicht werden und der Übergang zu anderen Verkehrsträgern stattfindet. Als Verkehrsmittel der Binnenschifffahrt dienen die Binnenschiffe. Die Binnenschifffahrtsstraßenordnung unterscheidet Fahrzeuge mit eigenem Maschinenantrieb und Verbände, die als Schleppverband, Schubverband oder als gekuppelte Fahrzeuge realisiert werden können.298 Während heute der Schleppschifffahrt keine Bedeutung mehr zukommt, werden auf größeren Flüssen neben selbstfahrenden Binnenschiffen auch Schubverbände eingesetzt. Ein Schubverband besteht aus einem Schubschiff und mehreren nicht angetriebenen Schubleichtern. Verkehrsmittel für den Gütertransport auf Wasserstraßen existieren in unterschiedlichen Bauformen. Neben klassischen Massengutfrachtern finden sich vor allem Tankschiffe und zunehmend Containerschiffe. Die Abmessungen von einzelnen Binnenschiffen und zusammengestellten Verbänden sind sehr unterschiedlich und richten sich ebenso wie die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten nach den verschiedenen Fahrtgebieten.299 Auf dem Neckar dürfen beispielsweise Schiffe und Verbände zwischen Mannheim-Neckarstadt und Hafen Plochingen eine Länge von 105m und eine Breite von 11,45m nicht überschreiten.300 Die Höchstgeschwindigkeit beträgt hier 16 km/h.301 Auf dem Rhein sind längere und breitere Fahrzeuge zugelassen.302 Auf dem Niederrhein dürfen unter bestimmten Voraussetzungen Schubverbände mit 193,00 m Länge und 34,35 m Breite (Breite Formation) oder 269,50 m Länge und 22,90 m Breite (Lange Formation) mit maximal 6 Leichtern verkehren.303 Die Abmessungen der Binnenschiffe und Verbände bestimmen wesentlich deren Tragfähigkeit, die entsprechend zwischen einigen hundert und mehreren tausend Tonnen variiert. Damit eignet sich die Binnenschifffahrt vor allem für den Transport großer Einzelladungen oder größerer Teilladungen im Massengutverkehr im Rahmen der Gelegenheitsschifffahrt und zur Abwicklung konsolidierter Ladungen in der Linienschifffahrt. Die Linienschifffahrt fasst kleinere Ladungen verschiedener Versender zusammen und transportiert diese auf festgelegten Relationen nach verbindlichem Fahrplan. Von besonderer Bedeutung ist dabei heute die Linienschifffahrt mit ISO-Containern,304 vor allem im Hinterlandverkehr der Seehäfen. Dabei werden Binnenschiffe eingesetzt, die 200 TEU305 und mehr, in Einzelfällen sogar 296

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 426.

297

DIN 4054, S. 21.

298

Vgl. §1.01 BinSchStrO.

299

Vgl. §8.01 BinSchStrO.

300

Vgl. §10.02 BinSchStrO.

301

Vgl. §10.04 BinSchStrO.

302

Vgl. Kapitel 11 RheinSchPV.

303

Vgl. RheinSchPV §11.03.

304

Zu den ISO-Containern siehe Abschnitt 2.2.

305

Twenty Foot Equivalent Unit.

62

3 Außerbetrieblicher Transport

500 TEU transportieren können, eine Menge, die also 100 bzw. 250 LKW-Ladungen entspricht. Aufgrund der großen Transportmengen pro Fahrzeug und der günstigen Transportverhältnisse auf dem Wasser, ist die Binnenschifffahrt zu vergleichsweise geringen Kosten pro Mengeneinheit möglich und im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern eine umweltfreundliche Transportalternative. Im Gegensatz zur Binnenschifffahrt stehen der Seeschifffahrt prinzipiell alle Meere zur Durchführung von Transporten zur Verfügung. Das genutzte Wegenetz der Seeschifffahrt wird jedoch wesentlich durch die Seehäfen sowie durch einzelne, die Meere verbindende Kanäle, wie den Panama-Kanal, den Suez-Kanal oder in Deutschland den Nord-OstseeKanal, festgelegt. Die Seeschifffahrt lässt sich in die Bereiche der Küstenschifffahrt und der Hochseeschifffahrt unterteilen, welche im Gegensatz zur Erstgenannten die offenen Meere kreuzt. Die wesentliche Stärke der Hochseeschifffahrt besteht in der Fähigkeit, Interkontinentalverkehre zu vergleichsweise geringen Kosten anzubieten. Sie ist damit eine unverzichtbare Voraussetzung des Welthandels. Seeschiffe sind in unterschiedlichen Bauformen, z.B. als Stückgutfrachter, Massengutfrachter, Tankschiffe oder Container-Schiffe, im Einsatz und stehen in unterschiedlichen Größen zur Verfügung. Küstenschiffe sind kleiner als Hochseeschiffe und werden auf kürzeren Distanzen eingesetzt. Sie können, sofern keine baulichen Restriktionen z.B. durch Brücken bestehen, auch breite und tiefe Flüsse befahren. Ähnlich wie in der Binnenschifffahrt werden in der Seeschifffahrt die Gelegenheitsschifffahrt und die Linienschifffahrt unterschieden, die heute ganz überwiegend unter Einsatz von ISO-Containern abgewickelt wird. Dazu werden mittlerweile Container-Schiffe mit einer Kapazität von mehr als 8000 TEU eingesetzt. Für die Seeschifffahrt ergibt sich deshalb in noch stärkerem Maße das bereits für die Binnenschifffahrt angesprochene Problem, einerseits vergleichsweise geringe Energieverbräuche und günstige Transportkosten pro Logistikeinheit durch große Schiffe zu erreichen, diese Kapazitäten jedoch auch jederzeit auslasten zu müssen. Obwohl in der Container-Schifffahrt Geschwindigkeiten von 25 kn (ca. 45 km/h) realisiert werden können, ergeben sich aufgrund der üblicherweise ausgedehnten Fahrtstrecken, den ggf. erforderlichen Vor- und Nachlauftransporten im Binnenland sowie notwendigen Hafenoperationen vergleichsweise lange Transportzeiten. So liegen die Transportzeiten von Deutschland nach den USA oder nach Asien in einer Größenordnung von etwa 30 Tagen. Direkte Konkurrenz der Seeschifffahrt im Interkontinentalverkehr ist deshalb der Luftverkehr. Prinzipiell steht dazu der gesamte Luftraum zu Verfügung. Aus Sicherheitsgründen ist das Netz des Luftverkehrs jedoch auf die überwachten Verkehrskorridore beschränkt. Im Gegensatz zu Seehäfen ist die Lage von Flughäfen nicht an die Küste gebunden. Flughäfen können deshalb grundsätzlich in Ballungszentren angeordnet werden, also an Standorten, die ein hohes Verkehrsaufkommen aufweisen. Allerdings sieht das Luftverkehrsgesetz explizit vor, bei der Genehmigung von Flughäfen die Erfordernisse der Raumordnung, den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie den Städtebau und den Schutz vor Fluglärm zu beachten.306

306

Vgl. §6 Abs. 2 LuftVG.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

63

Für den Transport von Gütern können unterschiedliche Luftfahrzeuge eingesetzt werden,307 insbesondere Flugzeuge und Hubschrauber. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern erfolgt in der Luftfahrt der Gütertransport häufig in Kombination mit dem Personentransport. Jedes Personenflugzeug verfügt über Ladekapazitäten, die sich für Gepäck aber auch alternativ für Luftfracht nutzen lassen. Deshalb befinden sich an Personenflughäfen in aller Regel auch Frachtterminals. Allerdings wird Luftfracht nicht nur als Beiladung transportiert, sondern auch mit reinen Frachtflugzeugen und Kombiflugzeugen, die einen höheren Anteil der Kapazität für Güter verwenden. Aufgrund der spezifischen Technologie des Fliegens weist der Luftverkehr ausgeprägte Vorund Nachteile auf. Zum einen sind Fluggeschwindigkeiten von ca. 900 km/h üblich, woraus relativ zu anderen Verkehrsträgern kurze Transportzeiten vor allem auf langen Strecken resultieren. Andererseits verfügen selbst reine Frachtflugzeuge über vergleichsweise geringe Ladekapazitäten, die üblicherweise in der Größenordnung von etwa 100 t liegen. Wie in Abschnitt 2.2 gezeigt, werden zudem im Luftfrachtverkehr zur Ausschöpfung von Volumenrestriktionen und zur Ausnutzung der Laderaumgeometrie von Flugzeugen, spezielle Paletten und Luftfrachtcontainer eingesetzt, die nicht auf andere Verkehrsträger abgestimmt sind. Der wesentliche Nachteil des Luftverkehrs besteht jedoch in einem sehr hohen Energieverbrauch. Dieser führt nicht nur zu erheblichen Transportkosten, die jene aller anderen Verkehrsträger deutlich übersteigen, sondern auch zu einem hohen Ausstoß an CO2 und anderen Schadstoffen. Zusätzlich belastet der Flugverkehr die Umwelt durch Lärmemissionen insbesondere beim Starten und Landen. Da reine Luftfrachtflüge häufig in den Nachtstunden abgewickelt werden, ist diesem Aspekt besondere Beachtung zuzumessen. Der Gesetzgeber nimmt deshalb die Beteiligten am Luftverkehr aus gutem Grunde in die Pflicht, um insbesondere während der Nachtruhe „vermeidbare Geräusche zu verhindern und die Ausbreitung unvermeidbarer Geräusche auf ein Mindestmaß zu beschränken“308. Fasst man diese Sachverhalte zusammen, ist der Einsatz von Luftverkehr in der Logistik vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung stets kritisch zu hinterfragen. Das primäre Anwendungsgebiet des Rohrleitungsverkehrs liegt im Transport von flüssigen und gasförmigen Massengütern. Neben der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung werden Rohrleitungsnetze vor allem in der Distribution von Energieträgern, insbesondere von Erdgas und Rohöl sowie deren Produkte, eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist die mehr als 1200 Kilometer lange Rohrleitung durch die Ostsee, die der Versorgung mit russischem Erdgas dient. Durch Rohrleitungsnetze ist im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern, deren Transportleistungen von einzelnen Transportmitteln erbracht werden, eine kontinuierliche Belieferung möglich.

307

Vgl. §1 Abs. 2 LuftVG.

308

§29b Abs. 1 LuftVG.

64

3 Außerbetrieblicher Transport

3.1.2

Beförderungsaufkommen, Beförderungsleistung und Fahrleistung

Zur Quantifizierung des Ergebnisses von Transporthandlungen werden üblicherweise zwei Messgrößen verwendet, das Beförderungsaufkommen und die Beförderungsleistung.309 Das Beförderungsaufkommen im Güterverkehr kennzeichnet die in einem Zeitraum transportierte Masse an Abfällen und Gütern einschließlich Verpackung gemessen in Tonnen. Die Beförderungsleistung berücksichtigt zusätzlich die dabei überwundene räumliche Distanz. Bestimmt wird die Beförderungsleistung deshalb als Produkt aus transferierter Masse und zurückgelegter Strecke (tkm). Durch Division der Beförderungsleistung durch das Beförderungsaufkommen kann die mittlere Transportweite (km) für die Volkswirtschaft insgesamt bzw. für einzelne Verkehrsträger berechnet werden. Wird die Beförderungsleistung auf das reale Bruttoinlandsprodukt bezogen, so folgt daraus die Gütertransportintensität. Diese gibt somit an, welche Menge über welche Strecke in einer Volkswirtschaft transportiert werden muss, um eine Einheit des Bruttoinlandsprodukts zu erzeugen. Die Gütertransportintensität kann deshalb als volkswirtschaftlicher Transportaufwand pro erzeugte monetäre Gütereinheit interpretiert werden.310 Die Transportintensität in Deutschland steigt, d.h. immer größere Massen an Gütern müssen über weitere Strecken transportiert werden, um die gleiche Wirtschaftsleistung zu erzeugen. Beispielsweise ist die Transportintensität von 1999 (= 100) im Jahr 2008 auf einen Indexwert von 118,4 gestiegen, obwohl die nationale Nachhaltigkeitsstrategie für das Jahr 2010 einen Rückgang auf 98 und für das Jahr 2020 auf 95 anstrebt.311 Die einzelnen Verkehrsträger weisen spezifische Vor- und Nachteile auf und sind deshalb in unterschiedlicher Weise für die verschiedenen Transportbedarfe einer Volkswirtschaft geeignet. Dies wird in ihrem Beitrag zum Beförderungsaufkommen und zur Beförderungsleistung deutlich. Die Leistungsfähigkeit der Verkehrsträger beruht auf deren unterschiedlichen Eigenschaften, u.a. hinsichtlich der Netzbildung, Transportgeschwindigkeit, Transportkapazität oder Umweltbelastung. Kein Verkehrsträger kann deshalb allein die mannigfachen Anforderungen an Transporte, die in einer Volkswirtschaft durchgeführt werden müssen, effizient erfüllen. Vielmehr ergänzen sich die Verkehrsträger, woraus eine Aufteilung der Transporte auf die Verkehrsträger resultiert. Dieser Sachverhalt wird in der verkehrswirtschaftlichen Literatur mit dem Begriff des „Modal Split“ umschrieben.312 Die folgende Tabelle 2 weist das Beförderungsaufkommen und die Beförderungsleistung der verschiedenen Verkehrsträger in Deutschland für das Jahr 2010 aus.

309

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 417. Eine gute Übersicht der Quellen deutscher Verkehrsstatistik findet sich in Klaus (2011), S. 56.

310

Vgl. Aberle (2009), S. 28.

311

Vgl. Statistisches Bundesamt (2010), S. 32–33.

312

Siehe z.B. Ihde (2001), S. 200.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

65 313

Tabelle 2: Beförderungsaufkommen und Beförderungsleistung im Güterverkehr Deutschlands (2010). Beförderungsaufkommen Mill. t

Beförderungsaufkommen %

Beförderungsleistung Mill. tkm

Beförderungsleistung %

Mittlere Transportweite km

Straßenverkehr314

2.734

74,1%

313.097

62,6%

115

Eisenbahnverkehr

356

9,6%

107.317

21,4%

301

Binnenschifffahrt

230

6,2%

62.278

12,4%

271

Seeschifffahrt315

276

7,5%

Luftverkehr316

4,2

0,1%

1.602

0,3%

385

Rohrleitungsverkehr

89

2,4%

16.259

3,2%

183

3.689

100,0%

500.553

100,0%

Summe

Vergleicht man die Anteile der Verkehrsträger am gesamten Beförderungsaufkommen und an der gesamten Beförderungsleistung (ohne Seeschifffahrt) wird zunächst die Dominanz des Straßengüterverkehrs in Deutschland deutlich. Hier schlägt sich vor allem das dichte Straßennetz nieder, welches dem Straßengüterverkehr klare Vorteile im Nahverkehr verleiht. Dieser Effekt wird auch an der im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern kleinen mittleren Transportweite ersichtlich. Die Bedeutung des Eisenbahnverkehrs übersteigt sowohl hinsichtlich der transportierten Massen als auch der Beförderungsleistung die der Binnenschifffahrt. Der Anteil des Luftverkehrs an der beförderten Tonnage ist erwartungsgemäß vernachlässigbar. Die auf dem Bundesgebiet zurückgelegte mittlere Transportweite zeigt deutlich die Eignung des Luftverkehrs für lange Transporte. Im Wesentlichen handelt es sich zudem um Transporte ins und aus dem Ausland, vor allem nach und aus Asien.317 Im Europäischen Vergleich treten deutliche Unterschiede im Modal Split der Länder auf.318 So weist beispielsweise die Niederlande mit über 30% den höchsten Anteil der Binnenschifffahrt an der Beförderungsleistung aus. Im Baltikum finden sich hohe Anteile der Eisenbahn von z.T. über 50%. Dagegen wird in Irland, Griechenland, Island, Zypern, Malta und Spanien mehr als 95% der Beförderungsleistung durch den Straßengüterverkehr erbracht. Im Zeitvergleich nahm der Anteil des Straßengüterverkehrs an der Beförderungsleistung in Deutschland zu: Zwischen 1995 und 2010 von 61% auf 63%.319 Gleichzeitig stieg die mittlere Transportweite des Straßengüterverkehrs von 75 km auf 115 km. Verlierer in diesem Zeitraum war die Binnenschifffahrt, deren Anteil an der Beförderungsleistung von 17% auf 12% sank. Der Güterverkehr mit der Eisenbahn konnte dagegen seine Stellung leicht von 18% auf 21% ausbauen. Diese auf den ersten Blick kleinen Veränderungen in den letzten

313

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 415. Siehe auch Abschnitt 1.2.5.

314

Nur Verkehrsleistungen deutscher Kraftfahrzeuge.

315

Seegüterumschlag deutscher Häfen einschließlich des Seeverkehrs der Binnenhäfen.

316

Ein- und Ausladungen deutscher Flughäfen einschließlich Doppelzählungen des Umladeverkehrs. Beförderungsleistung nur über Deutschland.

317

Vgl. Walter/Fiege (2011), S. 462–463.

318

Vgl. Eurostat (2011), S. 466.

319

Eigene Berechnungen auf Basis des Beförderungsaufkommens und der Beförderungsleistung im Zeitvergleich. Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a), S. 415.

66

3 Außerbetrieblicher Transport

Jahren nehmen an Deutlichkeit zu, wenn längere Zeiträume betrachtet werden. In Tabelle 3 ist die langfristige Entwicklung der Beförderungsleistung des Straßenverkehrs, des Eisenbahnverkehrs und der Binnenschifffahrt angegeben. Dabei ist zu beachten, dass die Erfassung des Straßengüterverkehrs von der in Tabelle 2 abweicht.320 Insgesamt ist auf Basis dieser Abgrenzung die Beförderungsleistung der drei genannten Verkehrsträger zwischen 1950 und 2010 von 70,4 auf 603,6 tkm gewachsen, also um 757,4%. Während 1950 der Anteil des Straßengüterverkehrs an der Beförderungsleistung nur 20,3% betrug und damit gegenüber den beiden anderen Verkehrsträgern den kleinsten Wert aufwies, konnte sich dieser bis 2010 auf 71,9% steigern. Gleichzeitig fiel der Anteil der Binnenschifffahrt von 23,7% auf 10,3% und jener des Eisenbahnverkehrs von 56,0% auf 17,8%. Tabelle 3: Langfristige Entwicklung der Beförderungsleistung des Straßenverkehrs, des Eisenbahnverkehrs und der 321 Binnenschifffahrt. Straßenverkehr Mrd. tkm

Eisenbahnverkehr Mrd. tkm

Binnenschifffahrt Mrd. tkm

Summe Mrd. tkm

Veränderung ggü. 1950 %

Anteil Straßenverkehr %

Anteil Eisenbahnverkehr %

Anteil Binnenschifffahrt %

1950

14,3

39,4

16,7

70,4

20,3%

56,0%

23,7%

1960

45,5

53,1

40,4

139,0

97,4%

32,7%

38,2%

29,1%

1970

78,0

71,5

48,8

198,3

181,7%

39,3%

36,1%

24,6%

1980

125,4

64,9

51,4

241,7

243,3%

51,9%

26,9%

21,3%

1990

169,9

61,9

54,8

286,6

307,1%

59,3%

21,6%

19,1%

2000

346,3

82,7

66,5

495,5

603,8%

69,9%

16,7%

13,4%

2010

434,0

107,3

62,3

603,6

757,4%

71,9%

17,8%

10,3%

Die aktuelle Bundesverkehrsprognose erwartet für den Zeitraum 2004 bis 2025 ein Wachstum des Beförderungsaufkommens um 27% und der Beförderungsleistung um 71%.322 Ursache für den hohen Zuwachs der Beförderungsleistung ist somit weiterhin die Vergrößerung der Transportweiten, die auf 41% geschätzt wird. Hinsichtlich der Verkehrsträger ergibt sich ein differenziertes Bild. Der Anstieg der Beförderungsleistung wird mit 79% für den Straßengüterverkehr am größten und für die Binnenschifffahrt mit 26% am kleinsten prognostiziert. Der Eisenbahnverkehr wird nach dieser Prognose um 65% wachsen. Aufgrund dieser Zahlen ist somit eine weitere Verschiebung des Modal Splits zu Gunsten des Straßengüterverkehrs zu erwarten. Obwohl solche Langfristvergleiche bedingt durch unterschiedliche Abgrenzungen und Erfassungsmethoden im Zeitverlauf sowie im Fall Deutschlands zusätzlich durch einen deutlichen Bruch aufgrund der deutschen Wiedervereinigung nur eine grobe Linie vorgeben können, tritt der Strukturwandel im Güterverkehr nach dem 2. Weltkrieg auffallend hervor. Für diese Veränderung des Modal Splits lassen sich mehrere Gründe identifizieren. Aberle nennt

320

Insbesondere werden in Tabelle 3 die Beförderungsleistungen ausländischer Fahrzeuge berücksichtigt.

321

Vgl. Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (2011a).

322

Vgl. Beratergruppe Verkehr + Umwelt GmbH/Intraplan Consult GmbH (2007), S. 12.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

67

die folgenden vier Ursachen: den Substitutionseffekt, den Güterstruktureffekt, den Integrationseffekt und den Logistikeffekt.323 Der Substitutionseffekt beschreibt den Ersatz von kollektiven Verkehrsträgern durch individuelle Verkehrsträger und spiegelt so die Verschiebung gesellschaftlicher Präferenzen hin zu unabhängigen und eigenständigen Lösungen wider. Hierdurch wird wesentlich der Straßengüterverkehr begünstigt, der im Gegensatz zum Eisenbahnverkehr und zur Binnenschifffahrt weitaus geringere Anforderungen an die Ladungskonsolidierung und an die Einhaltung von Fahrplänen stellt. Der Güterstruktureffekt markiert den Einfluss der Produktstruktur einer Volkswirtschaft auf den Modal Split. Während die Binnenschifffahrt und der Eisenbahnverkehr aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften hohe Anteile am Transport von Massengütern verzeichnen, weisen der Straßengüterverkehr und auch die Luftfracht Vorteile beim Transport technologischer Güter mit geringem Gewicht und Volumen auf. Verschieben sich in einer Volkswirtschaft im Laufe der Entwicklung die Anteile produzierter und konsumierter Güter hin zu der zweiten Gruppe, so ist dies – wie im Fall der Bundesrepublik Deutschland – mit einer Veränderung der Verkehrsträgeranteile verbunden. Der Integrationseffekt hebt auf die zunehmende Integration auf europäischer und weltweiter Ebene ab, die generell den grenzüberschreitenden Transport fördert. Hiervon konnten vor allem der See- und Flugverkehr, jedoch aufgrund geringer Hemmnisse beim Grenzübertritt auch der Straßengüterverkehr profitieren. Dagegen leidet die Eisenbahn trotz großer Fortschritte noch immer unter technischen Schnittstellen, z.B. aufgrund länderspezifischer Antriebs- und Sicherungssysteme. Der Logistikeffekt beschreibt die Wirkung veränderter Anforderungen an den räumlichen Gütertransfer. In Abschnitt 1.2.2 wurden Merkmale einer „guten Logistik“ abgeleitet. Da in der Vergangenheit zunehmend zeitliche Leistungsmerkmale, wie Lieferzeit und Termintreue, sowie die Notwendigkeit von kleinen Sendungsgrößen zur Reduktion der Lagerhaltungskosten betont wurden, lässt sich auch aus diesen Zielsetzungen eine relative Zunahme des Straßengüterverkehrs und des Luftverkehrs ableiten. Neben diesen vier von Aberle angeführten Effekten kann im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen der Nachhaltigkeitseffekt angeführt werden. Dieser beschreibt den Einfluss nationaler Nachhaltigkeitsstrategien auf den Modal Split.324 Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands sieht die Steigerung der Anteile des Schienenverkehrs an der Güterbeförderungsleistung auf 25% und der Binnenschifffahrt auf 14% bis 2015 vor.325 Entgegen dieser Zielsetzung ist jedoch der Anteil der Binnenschifffahrt weiter zurückgegangen. Der Eisenbahnverkehr konnte zwar gegenüber dem Basisjahr 1999 seinen Anteil ausbauen. Beide Verkehrsträger sind jedoch weit von den Zielsetzungen entfernt.326 Zudem ist fraglich, ob die vergleichsweise gute Entwicklung des Eisenbahnverkehrs nicht primär durch den vereinfachten Zugang für private und ausländische Bahnen zum Schienennetz erreicht wurde. Die bisherigen Ausführungen haben sich wesentlich auf das Beförderungsaufkommen und die Beförderungsleistung bezogen. Beide Größen geben jedoch keinen Aufschluss darüber, 323

Vgl. Aberle (2009), S. 91–98. Siehe dazu auch Ihde (2001), S. 59–63; Pfohl (2010), S. 310–311.

324

Siehe dazu Abschnitt 1.2.5 sowie Large (2010), S. 488–489.

325

Vgl. Deutscher Bundestag (2008), S. 208–210.

326

Vgl. Statistisches Bundesamt (2010), S. 36–37.

68

3 Außerbetrieblicher Transport

ob die Handlungen der Transportausführung rational ausgeführt werden. Fahren beispielsweise zwei Fahrzeuge jeweils halbvoll entlang einer bestimmten Strecke, so ergibt sich exakt die gleiche Beförderungsleistung, wie im Fall eines einzelnen vollbeladenen Fahrzeugs. Neben den bisher betrachteten Messgrößen sollte deshalb auch die gesamte Fahrleistung in Fahrzeugkilometern (Fzkm) der einzelnen Verkehrsträger betrachtet werden.327 Diese ergibt sich vereinfacht gesprochen als Summe der Fahrleistungen aller vorhandenen Fahrzeuge eines Verkehrsträgers in einer Periode. Die Höhe der Fahrleistung ermöglicht z.B. eine treffendere Aussage über den Grad der Infrastrukturnutzung oder die resultierende Umweltbelastung als die Beförderungsleistung. Insbesondere im Straßengüterverkehr sind die Fahrleistungen von Lastkraftwagen und Sattelzugmaschinen in geringerem Maße gewachsen als die Beförderungsleistung.328 Ursache dafür ist neben der Verwendung größerer Fahrzeuge vor allem die Verbesserung der Auslastung und die Vermeidung von Leerfahrten durch entsprechende organisatorische Maßnahmen.

3.1.3

Rechtliche Grundlagen des Fracht- und des Speditionsgeschäfts

Werden außerbetriebliche Transporte nicht im Werkverkehr von Industrie- und Handelsunternehmen mit eigenen oder gemieteten Fahrzeugen selbst ausgeführt, sondern Logistikdienstleistern übertragen, so werden hierzu spezielle Verträge abgeschlossen. Das deutsche Recht kennt zwei Grundtypen von Rechtsgeschäften, die auf den ersten Blick sehr ähnlich sind und umgangssprachlich häufig vermengt oder sogar verwechselt werden. Das Frachtgeschäft und das Speditionsgeschäft sind im Handelsgesetzbuch als spezielle Handelsgeschäfte im Bereich des außerbetrieblichen Transports definiert und inhaltlich geregelt. Im Mittelpunkt des Frachtgeschäfts steht der Frachtvertrag (§§407ff.), der eine Sonderform des Werkvertrags darstellt.329 Durch den Frachtvertrag „wird der Frachtführer verpflichtet, das Gut zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern.“330 Im Gegenzug ist der Absender verpflichtet, für die vereinbarte Fracht zu bezahlen.331 Diese generellen Normen des HGB gelten für alle Verkehrsträger mit Ausnahme der Seeschifffahrt, sofern „die Beförderung zum Betrieb eines gewerblichen Unternehmens gehört.“332 Der Frachtführer kann die Ausstellung eines Frachtbriefs verlangen, der, sofern von beiden Seiten unterzeichnet, als Nachweis des Zustandekommens und des Inhaltes eines Frachtvertrages sowie der Übernahme des Gutes durch den Frachtführer dient.333 Die Pflicht der Ver-

327

Siehe dazu Aberle (2009), S. 10–14.

328

Vgl. Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (2011b).

329

Vgl. Szuka (2008), S. 12.

330

§407 Abs. 1 HGB.

331

Vgl. §407 Abs. 2 HGB.

332

§407 Abs. 3 HGB.

333

Vgl. §408 und §409 HGB. Nachbildungen der eigenhändigen Unterschriften sind zulässig.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

69

packung und Kennzeichnung liegt prinzipiell beim Absender.334 Sofern nicht anders üblich oder abweichend vereinbart, muss der Absender das Gut beförderungssicher laden, stauen, befestigen und entladen.335 Der Frachtführer bzw. der Fahrer des Frachtführers trägt allerdings eine Kontrollpflicht und muss für die betriebssichere Verladung sorgen.336 Grundsätzlich nimmt der Frachtführer die Beförderung vor. Allerdings besteht für den Frachtführer die Möglichkeit, damit einen Dritten, den ausführenden Frachtführer, zu beauftragen.337 Frachtverträge der Seeschifffahrt sind im fünften Buch des HGB über den Seehandel geregelt. Diese können sich auf das ganze Schiff, auf bestimmte Teile eines Schiffes oder auf einzelne Stückgüter beziehen.338 Im Seeverkehr wird von einem Verfrachter statt von einem Frachtführer und von einem Befrachter statt von einem Absender gesprochen. Der Verfrachter muss für die Einrichtung, Ausrüstung und Bemannung des Schiffes sorgen sowie die Ladungstüchtigkeit der Laderäume sicherstellen.339 Falls nicht üblich oder abweichend geregelt, trägt der Verfrachter die Kosten der Verladung, wobei der Befrachter die Güter am Schiff bereitstellen muss.340 Umgangssprachlich werden Logistikunternehmen, die Aufgaben von Frachtführern übernehmen, häufig als Spediteure bezeichnet. Diese Gleichsetzung ist prinzipiell falsch, denn das Handelsrecht weist Spediteuren eine spezielle Funktion im Gütertransport zu. Diese entsteht durch einen Speditionsvertrag. Der Speditionsvertrag basiert auf einer Geschäftsbesorgung.341 „Durch den Speditionsvertrag wird der Spediteur verpflichtet, die Versendung des Gutes zu besorgen.“342 Als Gegenleistung entrichtet der Versender die vereinbarte Vergütung (Speditionsentgelt) und ersetzt dem Spediteur seine Auslagen. Im nachfolgenden Paragrafen wird diese Pflicht zur Versendung im Sinne der Organisation der Beförderung konkretisiert. Die Besorgung der Versendung umfasst u.a. die Auswahl des Verkehrsträgers, des Transportweges und der mit der Beförderung beauftragten Unternehmen sowie den Abschluss der erforderlichen Fracht-, Lager- und Speditionsverträge.343 Grundsätzlich muss der Spediteur dabei das Interesse des Versenders vertreten und ggf. dessen Weisungen befolgen. Damit unterscheidet sich die Aufgabe von Spediteuren als Organisatoren des Transports deutlich von jenen der Frachtführer, die für die Ausführung von Transporten zuständig sind. Warum findet sich trotz dieser klaren Trennung häufig die bereits angesprochene Sicht des Spediteurs als Transportunternehmen des Straßengüterverkehrs? Eine Ursache dafür ist zunächst der Selbsteintritt des Spediteurs. „Der Spediteur ist befugt, die Beförderung des Gutes durch Selbsteintritt auszuführen.“344 Damit übernimmt der Spediteur die Aufgaben 334

Vgl. §411 HGB.

335

Vgl. §412 HGB. Siehe dazu Oetker (2010), S. 264.

336

Vgl. §412 HGB sowie im Fall des Straßenverkehrs §22 Abs. 1 StVO.

337

Vgl. §437 HGB.

338

Vgl. §556 HGB.

339

Vgl. §559 HGB.

340

Vgl. §561 HGB.

341

Vgl. Szuka (2008), S. 11.

342

§453 HGB.

343

Vgl. §454 HGB.

344

§458 HGB.

70

3 Außerbetrieblicher Transport

eines Frachtführers oder Verfrachters und kann entsprechend neben dem Speditionsentgelt auch eine angemessene Vergütung für die Transportleistung verlangen. In der Vergangenheit war der Selbsteintritt für Spediteure aufgrund von Marktzugangsbeschränkungen und Tarifbindungen sehr lukrativ und wurde deshalb umfänglich betrieben. Mit der Aufhebung der Tarifbindung im deutschen Straßengüterverkehr (1994) und der Abschaffung der Kontingentierung für Binnentransporte im Rahmen der europäischen Integration (1998) sind diese Vorteile jedoch weitgehend entfallen, so dass vor allem größere Speditionen die Transportausführung externen Frachtführern überlassen. Ein weiterer Grund ist die Spedition zu festen Kosten.345 Dieser Fall liegt vor, wenn die zwischen dem Versender und dem Spediteur fest vereinbarte Vergütung auch die Kosten der Beförderung einschließt.346 Auch hier übernimmt der Spediteur zusätzlich die Rechte und Pflichten eines Frachtführers. Ein originäres Geschäftsfeld der Speditionen ist die Bildung von Sammelladungen im Rahmen des Speditionssammelgutverkehrs. Spediteure können Teilladungen und einzelne Sendungen zu Ganzladungen zusammenfassen, denn der „Spediteur ist befugt, die Versendung des Gutes zusammen mit Gut eines anderen Versenders auf Grund eines für seine Rechnung über eine Sammelladung geschlossenen Frachtvertrages zu bewirken.“347 Erst durch die Konsolidierung dieser Güter wird der effiziente Transport mit gut ausgelasteten Fahrzeugen möglich, wodurch auch für die Versender deutliche Kostenvorteile entstehen. Neben den Regelungen des Handelsgesetzbuches wird das Speditionsgeschäft wesentlich durch die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) bestimmt.348 Rechtlich stellen die ADSp allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die von mehreren Verbänden der verladenden Wirtschaft und des Verkehrsgewerbes gemeinsam erarbeitet wurden. Die ADSp haben eine sehr weite Verbreitung und beanspruchen Gültigkeit nicht nur für Speditionsverträge im engeren Sinne des §453 HGB, sondern für „alle Arten von Tätigkeiten, gleichgültig ob sie Speditions-, Fracht-, Lager- oder sonstige üblicherweise zum Speditionsgewerbe gehörende Geschäfte betreffen.“349 Diese allgemeinen Geschäftsbedingungen regeln unterschiedliche Sachverhalte, z.B. die Verpackung, die Gestellung von Ladehilfs- und Packmitteln, die zollamtliche Abwicklung, die Verpackungs- und Kennzeichnungspflichten des Auftraggebers, die Kontrollpflichten des Spediteurs, die Verrechnung von Aufwendungen des Spediteurs und Haftungsfragen.

3.1.4

Dienstleister des außerbetrieblichen Transports

Als Dienstleister des außerbetrieblichen Transports stehen unterschiedliche Typen von Logistikunternehmen zur Verfügung, die sich jedoch nicht immer auf den ersten Blick den beiden rechtlichen Konstrukten – Frachtführer und Spediteur – zuordnen lassen.350 Reine Transportunternehmen schließen Frachtverträge mit Absendern ab und sind damit im Sinne des 345

Vgl. §459 HGB.

346

Vgl. Szuka (2008), S. 14.

347

§460 Abs. 1 HGB.

348

Vgl. ADSp (2003).

349

Abschnitt 2.1 ADSp (2003).

350

Zu den Logistikunternehmen und deren Tätigkeitsfeldern siehe ausführlich Band 3.

3.1 Grundlagen des außerbetrieblichen Transports

71

Handelsgesetzbuches Frachtführer. Häufig sind diese Unternehmen auf Leistungen unter Nutzung eines Verkehrsträgers spezialisiert. Neben Unternehmen des Eisenbahngüterverkehrs, des Luftverkehrs und der Binnenschifffahrt finden sich besonders zahlreich die Unternehmen des Güterkraftverkehrs. Sehr viele dieser Fuhrunternehmen verfügen jedoch nur über wenige Lastkraftwagen oder gehören sogar der Kategorie der selbstfahrenden Transportunternehmer an.351 Diese arbeiten beinahe ausschließlich als Subunternehmer für größere Logistikdienstleistungsunternehmen. Im Güterverkehr der Eisenbahn sind heute in Deutschland neben der DB Schenker Rail Deutschland AG, als Nachfolgeunternehmen der früheren Staatsmonopolisten Bundesbahn (BRD) und Reichsbahn (DDR), eine Vielzahl von Privatbahnen und ausländischen Bahnen tätig. Die Rolle des Verfrachters in der Seeschifffahrt können einerseits Reeder einnehmen. Reeder sind Schiffseigner, die ihre eigenen Schiffe zum Erwerb einsetzen.352 Ebenso kann es sich um Ausrüster handeln, die ein fremdes Schiff für die gewerbliche Seefahrt verwenden.353 In der Binnenschifffahrt finden sich neben größeren Binnenreedereien auch Partikuliere, die häufig über nur ein Schiff verfügen. Auch die im vorangegangenen Abschnitt eingeführten Speditionen können einen Bezug zu bestimmten Verkehrsträgern aufweisen. Beispiele dafür sind die Luftfrachtspeditionen und die Kraftwagenspediteure. Letztere führen in aller Regel Transporte im Selbsteintritt aus und sind deshalb von reinen Straßentransportunternehmen nur schwer zu unterscheiden. Speditionen im eigentlichen gesetzlichen Sinne sind jedoch verkehrsträgerneutral, da sie die Beförderungsmittel individuell zum Vorteil des Versenders auswählen müssen.354 Neben den Spezialspeditionen, die besondere Gütergruppen oder Regionen bedienen, kommen die Sammelgutspeditionen dem Idealbild des Besorgens von Versendungen wohl am nächsten. Da in Deutschland zur Realisation von schnellen Sammelgutverkehren flächendeckende Netzwerke bestehend aus etwa 40 bis 45 Depots erforderlich sind, handelt es sich heute bei solchen Netzwerken entweder um Kooperationen mittelständischer Speditionen (z.B. CargoLine, 24plus Systemverkehre, IDS Logistik) oder um Großspeditionen (z.B. Dachser, Schenker). Heute sind diese nationalen Netzwerke durchgängig in europäische Strukturen eingebunden, welche die europaweite Abwicklung von Stückguttransporten im Landverkehr ermöglichen. Die rechtliche Einordnung von Express- und Paketdiensten ist nicht trivial, denn deren Tätigkeit zeigt häufig neben den Elementen der Frachtführerschaft auch jene der Spedition.355 Im Kern handelt es sich bei Paketdiensten um Frachtführer. Allerdings wird von diesen der gesamte Transport von der Abholung bis zur Übergabe, ergänzt durch Zusatzleistungen, z.B. die Versicherung oder Verzollung, organisiert und dafür ein fester Betrag berechnet. In diesem Sinne könnte es sich je nach Vertragsgestaltung auch um den Fall der Spedition zu festen Kosten handeln.356 Dieses ambivalente Bild dieses Geschäftsmodells bestätigt sich durch einen Blick in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Unternehmen. Danach 351

Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (2005), S. 5.

352

Vgl. §484 HGB.

353

Vgl. §510 HGB.

354

Vgl. §454 HGB.

355

Vgl. Helm (1994), S. 21.

356

Vgl. §459 HGB.

72

3 Außerbetrieblicher Transport

legen beispielsweise DHL und Hermes der nationalen Paketbeförderung explizit Frachtverträge im Sinne des §407 HGB zugrunde. UPS (United Parcel Service) verwendet den Begriff „Beförderungsaufträge“ und stellt einen Bezug zu den ADSp her. DPD spricht dagegen von der Besorgung der Beförderung und der Beförderung von Paketen und verwendet damit die Terminologie der Spedition und der Frachtführerschaft. Nicht selten werden im Rahmen von Transporten auch Leistungen der physischen Lagerung erbracht, wodurch sich zusätzlich die Notwendigkeit zum Abschluss von Lagergeschäften ergibt.357 Werden neben Transportleistungen auch Lagerleistungen in höherem Umfang durchgeführt und ggf. zusätzlich weitere Leistungen, wie z.B. Verpackungsleistungen, einbezogen, so handelt es sich um komplexe Logistikdienstleistungspakete. Werden hierfür neben einzelnen Fracht-, Lager- und Speditionsverträgen langfristige Rahmenverträge abgeschlossen, so liegt das Geschäftsmodell der Kontraktlogistik vor.358 Kontraktlogistikunternehmen bieten Leistungen an, welche die logistischen Kernaktivitäten des Lagerns und Transportierens in ein komplexes Paket von Logistikleistungen und sonstigen Sach- und Dienstleistungen einbinden und damit eine weitgehende und dauerhafte Fremdvergabe der Logistik von Industrie- und Handelsunternehmen auf Basis von langfristigen Rahmenverträgen ermöglichen.359 Die eindeutige Kategorisierung von Logistikunternehmen wird zudem durch die Existenz mehrerer Geschäftsfelder und dem Vorhandensein von Konzernstrukturen erschwert. Gerade größere Logistikunternehmen weisen neben Geschäftsfeldern im Bereich der Transportausführung auch solche der Spedition, der Lagerung bis hin zur Kontraktlogistik auf. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Schenker Deutschland AG, welches unterschiedliche Transportdienstleistungen des Straßengüterverkehrs, des Eisenbahnverkehrs, der Luftfracht und der Seeschifffahrt sowie Sammelgutspedition und Kontraktlogistikleistungen anbietet.

3.2

Abbildung außerbetrieblicher Transporte

3.2.1

Räumliche Transferbeziehungen, Entfernungen und Transportmengen

Reale Handlungen des räumlichen Transfers von Gütern sind komplex und werden von einer Vielzahl von unterschiedlichsten Rahmenbedingungen determiniert. Letzteres trifft vor allem für außerbetriebliche Transporte zu, die, wie in Abschnitt 3.1.1 gezeigt, sehr stark durch die in einer Volkswirtschaft vorhandenen Verkehrswege und Verkehrstechniken bestimmt werden. Sollen Transporthandlungen beschrieben und geplant werden, muss deshalb eine Abstraktion unter Vernachlässigung der für den jeweiligen Fall nicht relevanten Details erfolgen. Damit ist die Modellbildung angesprochen. Modelle sind vereinfachte Muster realer Sachverhalte. In diesem Abschnitt werden Beschreibungsmodelle behandelt, die eine abstrahierte

357

Zu Lagerleistungen siehe Abschnitt 5.1.2.

358

Zur Kontraktlogistik siehe ausführlich Band 3.

359

Vgl. Large (2009b), S. 446.

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

73

Abbildung realer Situationen des Gütertransports ermöglichen. Beschreibungsmodelle sind eine zentrale Voraussetzung der Planung von Transporten, da sie die jeweils relevanten Informationen zur Verfügung stellen. Sollen räumliche Gütertransfers beschrieben werden, so ist zunächst von Bedeutung, von welchem Ort zu welchem Ort ein Transfer stattgefunden hat bzw. stattfinden soll. Dieser Aspekt des Transports wird als räumliche Transferbeziehung bezeichnet. Zur Abbildung von räumlichen Transferbeziehungen stehen verschiedene Darstellungen zur Verfügung. Eine wichtige Form von Beschreibungsmodellen für Transferbeziehungen stellen Graphen dar, mit denen sowohl gerichtete als auch ungerichtete Austauschbeziehungen modelliert werden können. Ungerichtete Graphen bestehen allgemein gesprochen aus Knoten und Kanten. Formal kann ein ungerichteter Graph mit der Knotenmenge N = {1, …., n} und der Kantenmenge H wie folgt ausgedrückt werden:360 (1)

G = [ N, H ]

Bezogen auf den außerbetrieblichen Transport entsprechen die n Knoten den Orten des Versands, des Umschlags oder des Empfangs. Die Kanten beschreiben die eigentliche Austauschbeziehung. Ist eine Kante [i, j] zwischen den Knoten i und j vorhanden, so besteht zwischen diesen eine räumliche Transferbeziehung. Sind alle Knoten miteinander verbunden, wird von einem vollständigen ungerichteten Graphen gesprochen. Solche Graphen enthalten die Anzahl q von Kanten.

(2)

q=

n (n −1) 2

Ist die Richtung der Transferbeziehung zwischen zwei Knoten von inhaltlicher Bedeutung, dann werden die Kanten durch Pfeile ersetzt. Ein Pfeil (i, j) ausgehend von Knoten i nach Knoten j kennzeichnet damit einen räumlichen Transfer von i nach j. Hierdurch entstehen gerichtete Graphen (Digraphen).361 Da die Flussrichtung von außerbetrieblichen Transporten häufig wesentlich ist, stellen gerichtete Graphen wichtige graphische Mittel zur Abbildung dieser Transfers dar. (3)

G = ( N, H )

Vollständige gerichtete Graphen weisen für jedes Knotenpaar zwei Pfeile, d.h. jeweils einen Pfeil für jede der beiden Richtungen, auf. In diesem Fall ergibt sich die folgende Anzahl q von Pfeilen.

(4)

q = n (n −1)

Der Aufbau von gerichteten Graphen kann an dem folgenden einfachen Fallbeispiel verdeutlicht werden:

360

Vgl. Domschke (2007), S. 1.

361

Vgl. Domschke (2007), S. 1.

74

3 Außerbetrieblicher Transport

Fallbeispiel 1: Abbildung von räumlichen Transferbeziehungen

Das Unternehmen Autotech produziert Zulieferteile an den Standorten P1 (Hannover) und P2 (Stuttgart). Dazu werden Materialien von den Lieferanten L1 (Frankfurt, 10t bzw. 15t), L2 (Mannheim, 22t bzw. 6t) und L3 (Duisburg, 17t bzw. 19t) bezogen. Die Erzeugnisse werden von P1 an die Kunden K1 (Hamburg, 20t) und K2 (Kassel, 29t) und von P2 an K3 (Würzburg, 26t) und K4 (München, 15t) geliefert. Der Lieferant L1 versorgt auch direkt den Kunden K2 (4t). Darüber hinaus werden regelmäßig leere Transportbehälter (1t) von K3 nach P2 transportiert. Abbildung 7 zeigt den gerichteten Graphen für das Unternehmen Autotech. Der Graph enthält 9 Knoten und 12 Pfeile bzw. gerichtete Transferbeziehungen. Im Vergleich dazu würde der zugehörige vollständige gerichtete Graph 72 Pfeile umfassen.

L1

K2

P1

K1

L2 K3 L3

P2

K4

Abbildung 7: Gerichteter Graph zu Fallbeispiel 1.

Graphen stellen somit eine einfache und übersichtliche Abbildung von Güterflüssen dar. Zudem können die Kanten bzw. Pfeile durch Gütermengen, Transportzeiten oder auch Entfernungen gekennzeichnet und damit bewertet werden.362 Sollen Graphen den Ausgangspunkt von Berechnungen bilden, müssen diese in mathematische Ausdrücke überführt werden. Die einfachste Form der mathematischen Abbildung von räumlichen Transferbeziehungen ist die Adjazenzmatrix A.363 Tabelle 4 zeigt die entsprechende Adjazenzmatrix am Beispiel des Unternehmens Autotech. Deren Elemente αij können nur die Werte eins (es ist ein Pfeil vorhanden) oder null (es ist kein Pfeil vorhanden) annehmen. Die Summe über alle Matrixelemente ist somit gleich der Anzahl der Pfeile. Da mögliche räumliche Transfers innerhalb der Knoten (Schlingen) im Rahmen des außerbetrieblichen Transports nicht betrachtet werden, nehmen alle Diagonalelemente der Adjazenzmatrix den Wert null an.

362

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 53.

363

Siehe dazu z.B. Arnold/Furmans (2009), S. 53–54; Domschke (2007), S. 13–14.

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

75

Tabelle 4: Adjazenzmatrix zu Fallbeispiel 1. L1

L2

L3

P1

P2

K1

K2

K3

K4

L1

0

0

0

1

1

0

1

0

0

L2

0

0

0

1

1

0

0

0

0

L3

0

0

0

1

1

0

0

0

0

P1

0

0

0

0

0

1

1

0

0

P2

0

0

0

0

0

0

0

1

1

K1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K2

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K3

0

0

0

0

1

0

0

0

0

K4

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Die Matrixelemente der Adjazenzmatrix zeigen nur das Vorhandensein eines gerichteten Flusses an. Ebenso wie im Fall von Graphen kann jedoch eine Bewertung erfolgen. Die einzelnen Felder liefern dann statt lediglich einer Binärvariablen zusätzliche Informationen über den räumlichen Transfer und erhöhen auf diese Weise den Informationsgehalt der Matrix.364 Die Adjazenzmatrix ist somit Ausgangspunkt für weitere Abbildungen realer Transportverhältnisse. Von wesentlicher Bedeutung für den außerbetrieblichen Transport ist das Beförderungsaufkommen von einem Knoten i zu einem Knoten j innerhalb einer bestimmten Periode gemessen in Masseneinheiten, z.B. in Tonnen.365 Diese Matrix soll im Folgenden als Massenmatrix M mit den Elementen mij bezeichnet werden. Diese Werte können sich prinzipiell von Periode zu Periode ändern. Deshalb stellen die Werte mij je nach Anwendungsfall einzelne gemessene Vergangenheitswerte, Durchschnitte mehrerer Vergangenheitswerte oder auch Prognosewerte zukünftiger Massen dar. Die folgende Tabelle 5 zeigt die Massenmatrix für das Fallbeispiel 1. Tabelle 5: Massenmatrix zu Fallbeispiel 1. in t

L1

L2

L3

P1

P2

K1

K2

K3

K4

L1

0

0

0

10

15

0

4

0

0

L2

0

0

0

22

6

0

0

0

0

L3

0

0

0

17

19

0

0

0

0

P1

0

0

0

0

0

20

29

0

0

P2

0

0

0

0

0

0

0

26

15

K1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K2

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K3

0

0

0

0

1

0

0

0

0

K4

0

0

0

0

0

0

0

0

0

364

Für diese Matrizen finden sich in der Literatur uneinheitliche und zum Teil widersprüchliche Bezeichnungen, wie z.B. Beförderungsmatrix, Belastungsmatrix und Transportmatrix. Siehe dazu beispielsweise Arnold/Furmans (2009), S. 65–70; Gudehus (2010), S. 776, 783.

365

Zum Begriff Beförderungsaufkommen siehe Abschnitt 3.1.2.

76

3 Außerbetrieblicher Transport

Durch Bildung der Zeilensummen der Massenmatrix kann die gesamte von einem Knoten abgehende Masse bestimmt werden.366 So versendet beispielsweise Lieferant 1 insgesamt 29 t. Die Spaltensummen geben den Empfang eines Knotens an. Die Produktionsstätte 2 empfängt insgesamt 41 t Güter und Leergut. Ergibt die Spaltensumme eines Knotens den Wert null und die Zeilensumme einen Wert ungleich null, so handelt es sich um eine Quelle, d.h. es werden von diesem Knoten nur Güterflüsse abgegeben. Dagegen kennzeichnet eine Zeilensumme gleich null und eine Spaltensummen ungleich null eine Senke, d.h. einen Knoten, der nur Güterströme aufnimmt. Ein Knoten befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Summe der aufgenommenen Massen gleich den abgegebenen ist. Die Produktionsstätte 2 empfängt in diesem Beispiel 41 t und gibt auch 41 t pro Periode ab. Damit besteht für diesen Knoten ein Gleichgewichtszustand. Neben der transportierten bzw. zu transportierenden Masse können auf die gleiche Weise Matrizen mit den Volumina vij (Volumenmatrix V), den im Fahrzeug erforderlichen Stellflächen fij (Stellflächenmatrix F), den benötigten Lademetern lij (Lademetermatrix L) oder der Anzahl der Ganzladungstransporte γij (Ganzladungsmatrix Γ) gebildet werden. Insbesondere im Rahmen der mathematischen Modellierung wird häufig zunächst allgemein von den zu transportierenden Mengen xij und damit der Mengenmatrix X gesprochen.367 Welche Matrizen zur Beschreibung eines räumlichen Transfers verwendet werden, hängt von der konkreten Fragestellung und dem primären Engpass ab. Sollen beispielsweise nichtstapelbare Güter mit geringer Masse transportiert werden, ist es in der Regel sinnvoller, eine Lademetermatrix statt einer Massenmatrix zur Beschreibung der Güterflüsse zu verwenden. Ebenso wird im obigen Beispiel der Leerguttransport bei alleiniger Betrachtung der Massen unterschätzt, da die leeren Transportbehälter zwar nur eine Tonne wiegen, jedoch ein vergleichsweise großes Volumen aufweisen können. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, mehrere Matrizen gleichzeitig zu verwenden, wenn beispielsweise Restriktionen hinsichtlich Masse und Stellfläche zu beachten sind und der Engpass nicht auf den ersten Blick erkannt werden kann. Werden unterschiedliche Güter auf bzw. in einheitlichen Ladungsträgern transportiert, bietet sich die Abbildung des Transfers durch Auszählen der Anzahl der transportierten Logistikeinheiten an. Diese Darstellungsform wird häufig als Transportmatrix Λ bezeichnet.368 Die Elemente einer Transportmatrix λij geben die Anzahl von Logistikeinheiten an, die in einem Zeitraum von Knoten i nach Knoten j transportiert werden. Dabei kann es sich beispielsweise um beladene Paletten, gefüllte Boxpaletten, um bestückte Rollbehälter oder sogar um beladene Wechselbehälter handeln. Ebenso wie im Fall der Massenmatrix können Zeilen- und Spaltensummen gebildet werden, die eine Eingangs-Ausgangs-Bilanz für jeden Knoten erlauben. Darüber hinaus kann die Transportmatrix auch Leergutströme abbilden, so dass ein Element λij z.B. neben der Anzahl beladener Boxpaletten auch die Anzahl leer zu transportierender Boxpaletten angeben kann. Allerdings wird üblicherweise bei Leerguttransporten versucht, Volumen zu sparen. So werden leere Paletten auf einer Palette gestapelt und als

366

Siehe dazu beispielsweise Arnold/Furmans (2009), S. 69.

367

Siehe grundlegend Großeschallau (1984), S. 11.

368

Siehe z.B. Arnold/Furmans (2009), S. 69.

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

77

Gebinde transportiert. Ebenso finden sich häufig zusammenfaltbare Behälter oder Behälter, die ineinander gestapelt werden können. Räumliche Transfers können allein durch die beförderten Massen, Volumina oder Mengen nur unzureichend beschrieben werden. Erforderlich ist zusätzlich die Abbildung von Verkehrswegen, insbesondere der Entfernungen, die bei der Transportausführung auf diesen zurückgelegt werden müssen. Gewöhnlich wird eine Entfernung als Strecke abgebildet und z.B. in Kilometern gemessen. Prinzipiell kann die Angabe jedoch auch zeitlich, d.h. im Sinne einer für diese Strecke erforderlichen Fahrzeit, erfolgen. Zur Abbildung können zunächst ungerichtete Graphen verwendet werden, wobei die Knoten einzelne Orte und die Kanten die Verkehrswege repräsentieren. Die Entfernung von i nach j kann sich jedoch von jener von j nach i unterscheiden. In diesem Fall ist die Nutzung von gerichteten Graphen erforderlich. Ursache dafür können Einbahnstraßen oder unterschiedliche Streckenführungen sein. Die Entfernung von einem Knoten i zu einem Knoten j wird als Pfeilbewertung dargestellt. Auf Basis dieser Bewertungen lässt sich ein gerichteter Graph unmittelbar in eine Entfernungsmatrix E mit den Matrixelementen eij überführen. Besteht eine Verbindung zwischen zwei Knoten so handelt es sich in aller Regel um die kürzeste Strecke auf der Knoten j von Knoten i aus erreicht werden kann. Falls keine unmittelbare Verbindung von Knoten i nach Knoten j existiert, wird üblicherweise die Entfernung eij als unendlich groß angenommen. Verbindungen zwischen diesen Knoten bestehen allerdings in solchen Fällen häufig mittelbar, d.h. als Pfeilfolge über andere Knoten. Eine Pfeilfolge in einem gerichteten Graphen wird als Weg bezeichnet.369 In der Regel stehen mehrere alternative Wege zwischen Knoten i und Knoten j zur Auswahl. Es ist einsichtig, kürzere Wege (räumlich oder zeitlich) gegenüber längeren vorzuziehen, denn die geringsten Kosten und besten Leistungen lassen sich – von begründeten Einzelfällen abgesehen – durch die Nutzung der kürzesten Wege erreichen. Unnötig lange Wege sind nicht rational und führen zu ineffizienten Transporthandlungen. In Einzelfällen kann sogar ein Weg unter Einbeziehung anderer Knoten kürzer sein als die unmittelbare Verbindung zwischen zwei Knoten. Dies ist z.B. bei gebirgigem Gelände der Fall, wenn die unmittelbare Strecke in Serpentinen über den Berg länger ist als der Weg, der beim Umfahren des Bergs über zusätzliche Knoten zurückgelegt werden muss. Zur Bestimmung der kürzesten Wege aus vorgegebenen Entfernungen eij finden sich in der Literatur des Operations Research zahlreiche Verfahren.370 Das bekannteste davon ist das Verfahren von Dijkstra.371 Unter Nutzung der kürzesten Wege von i nach j lässt sich die Distanzmatrix D (Kürzeste-Wege-Matrix) aufstellen.372 Deren Elemente dij geben die jeweils kürzeste Strecke von Knoten i nach Knoten j an, unabhängig davon, ob diese als unmittelbare Verbindung oder als Pfeilfolge über andere Knoten realisiert werden kann. Tabelle 6 zeigt die Distanzmatrix zu dem obigen Fallbeispiel des Unternehmens Autotech. Die Elemente dij gemessen in km wurden dabei unmittelbar, d.h. ohne vorherige Ermittlung der einzelnen eij, mit einem Routenplaner als Länge der schnellsten Verbindung berechnet. Ana369

Vgl. Domschke (2007), S. 2.

370

Vgl. Domschke (2007), S. 77–93.

371

Siehe dazu Dijkstra (1959).

372

Siehe dazu z.B. Arnold/Furmans (2009), S. 55; Domschke (2007), S. 76.

78

3 Außerbetrieblicher Transport

log zur Distanzmatrix kann aus den Elementen tij die Matrix der kürzesten Fahrzeiten T zwischen Knoten i und Knoten j gebildet werden. Auch diese lassen sich mit üblichen Routenplanern sehr einfach für reale Verbindungen berechnen. Tabelle 6: Distanzmatrix zu Fallbeispiel 1. in km

L1

L2

L3

P1

P2

K1

K2

K3

K4

L1

0

80

248

349

204

491

193

119

391

L2

80

0

301

423

138

565

266

179

345

L3

248

301

0

266

425

376

220

360

632

P1

349

423

266

0

511

157

165

365

631

P2

204

138

425

511

0

656

357

148

219

K1

491

565

376

157

656

0

309

510

775

K2

193

266

220

165

357

309

0

210

476

K3

119

179

360

365

148

510

210

0

278

K4

391

345

632

631

219

775

476

278

0

Die Beförderungsleistung bij ergibt sich durch Multiplikation der entsprechenden Elemente der Massenmatrix und der Distanzmatrix. (5)

bij = mij ⋅ d ij

(6)

b = ∑∑ mij ⋅ d ij

n

n

i =1 j=1

Für das Fallbeispiel 1 ergibt sich daraus eine gesamte Beförderungsleistung b in der Periode von 45259 tkm. Die einzelnen Werte der Beförderungsleistungsmatrix B sind in Tabelle 7 dargestellt. Tabelle 7: Matrix der Beförderungsleistung zu Fallbeispiel 1. in tkm

L1

L2

L3

P1

P2

K1

K2

K3

K4

L1

0

0

0

3490

3060

0

772

0

0

L2

0

0

0

9306

828

0

0

0

0

L3

0

0

0

4522

8075

0

0

0

0

P1

0

0

0

0

0

3140

4785

0

0

P2

0

0

0

0

0

0

0

3848

3285

K1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K2

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K3

0

0

0

0

148

0

0

0

0

K4

0

0

0

0

0

0

0

0

0

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

3.2.2

79

Produktionstheoretische Abbildung von Transporthandlungen

Generell erfolgt die produktionstheoretische Abbildung von Leistungsprozessen mit Hilfe von Produktionsfunktionen. Diese beschreiben Input-Output-Beziehungen zwischen den Mengen ri der n verschiedenen Faktoren und den Mengen wj der m erzeugten Leistungen. Durch die Bewertung der Faktormengen mit Preisen lassen sich daraus Kostenfunktionen ableiten. Produktionsfunktionen können allgemein wie folgt beschrieben werden: (7)

P = P (r1 ,..., rn ; w1 ,..., w m )

Allerdings ist der Nutzen einer derart allgemein dargestellten Funktion gering, da weder die Eigenschaften der Faktoren und Erzeugnisse noch die Art des funktionalen Zusammenhangs spezifiziert werden. Deshalb stellt die Produktionstheorie insbesondere im Hinblick auf limitationale oder substitutionale Faktoreinsatzbedingungen eine Vielzahl unterschiedlicher Produktionsfunktionen zur Verfügung.373 Auch der räumliche Transfer als ein spezieller Leistungserstellungsprozess lässt sich prinzipiell mit Hilfe einer Produktionsfunktion formal abbilden. Allerdings liegen einige grundsätzliche Besonderheiten vor, die es zu beachten gilt. In der Regel stellt die Durchführung von außerbetrieblichen Transporten eine Verbundproduktion dar.374 Eine solche liegt vor, wenn bei Mehrproduktproduktion aufgrund knapper Ressourcen die realisierbaren Mengen an Erzeugnissen voneinander abhängig sind (Alternativproduktion) oder sogar in einem bestimmten Verhältnis erstellt werden müssen (Kuppelproduktion). Im Fall der Produktion von Transportleistungen besteht zunächst das Problem der Konkurrenz um knappe Wegekapazitäten, zumal sich der Güterverkehr und der Personenverkehr die Verkehrswege teilen müssen. Konkurrenz um Kapazitäten besteht jedoch auch auf Ebene der einzelnen Transportmittel, sofern diese in beschränkter Menge zur Verfügung stehen. Ein Beispiel dafür sind Seeschiffe im Linienverkehr. Auch die Kuppelproduktion findet sich bei außerbetrieblichen Transporten. Während jedoch früher die Kuppelproduktion von Güter- und Personentransporten im Eisenbahnverkehr und in der Seeschifffahrt üblich war, findet sich heute diese Kombination fast nur noch im Luftverkehr. Weiterhin erzeugen Transportprozesse neben den gewünschten Leistungsmengen wj auch zusätzliche positive und negative Ergebnisse, die so genannten externen Effekte.375 Diese werden im Rahmen betriebswirtschaftlicher Betrachtungen üblicherweise vernachlässigt. Transporthandlungen sichern beispielsweise die Versorgung von Menschen auch in wenig entwickelten Gebieten und können hierdurch positive Effekte auf die Regionalentwicklung ausüben. Andererseits verbrauchen Verkehrswege Land, versiegeln Oberflächen oder erfordern wasserbauliche Maßnahmen mit negativen Auswirkungen auf die Natur. Ebenfalls als negative Effekte einzustufen sind der CO2-Ausstoß und sonstige Schadstoffemissionen von Verkehrsmitteln. 373

Siehe dazu z.B. Bloech et al. (2008), S. 15–18.

374

Vgl. Aberle (2009), S. 247–251.

375

Siehe dazu ausführlich Aberle (2009), S. 574–625.

80

3 Außerbetrieblicher Transport

Eine dritte Besonderheit besteht in der besonderen Bedeutung der Auslastung der eingesetzten Transportmittel. Aufgrund von Faktorverbräuchen, die bei der Durchführung eines Transports mit einem Fahrzeug unabhängig von der dabei bewegten Gütermenge entstehen, sollten Transportmittel möglichst hoch ausgelastet sein. Nur bei hoher Auslastung ergeben sich niedrige Verbräuche pro Tonne oder pro Logistikeinheit. Das wohl wichtigste Beispiel für einen solchen Faktorverbrauch ist die erforderliche Arbeitszeit des Fahrers bzw. der Fahrerin. Auch ein deutlicher Anteil des Kraftstoffverbrauchs ist nicht von der Masse der Ladung, sondern vor allem von der zurückgelegten Strecke abhängig. Die hohe Auslastung von Schiffen, Zügen oder Straßenfahrzeugen ist jedoch keineswegs einfach zu bewerkstelligen und lässt sich häufig nicht erreichen. Dies wird exemplarisch an den Auslastungsgraden von Fahrten mit Ladung deutscher Lastkraftfahrzeuge über 3,5t Nutzlast deutlich, die durch das Kraftfahrt-Bundesamt ermittelt werden.376 Diese Auslastungen werden als Quotienten des Beförderungsaufkommens und des Ladevermögens bzw. der tatsächlichen und der möglichen Beförderungsleistung gebildet. Bezogen auf das gesamte Beförderungsaufkommen im Jahr 2010 in Höhe von 2717 Mio. t und ein Ladevermögen von 4552 Mio. t ergibt sich ein durchschnittlicher Auslastungsgrad über alle Gütergruppen hinweg von 59,7%. Auf Basis der tatsächlichen (281891 Mio. tkm) und der möglichen Beförderungsleistung (505914 Mio. tkm) folgt ein durchschnittlicher Auslastungsgrad von 55,7%.377 Erwartungsgemäß ergeben sich vergleichsweise hohe Auslastungsgrade von über 80% bei klassischen Massengütern, z.B. bei Erzen, Steinen und Erden. Auslastungsgrade unter 50% weisen dagegen Fahrten mit Maschinen, Textilien, Paketen und Sammelgut auf. Da die einzelnen Verkehrsträger, wie in Abschnitt 3.1.1 gezeigt, sehr unterschiedliche Transportmittelkapazitäten aufweisen, hängt das Auslastungsproblem eng mit der Frage der Verkehrsträgerwahl zusammen. Darüber hinaus gibt es auch innerhalb eines Verkehrsträgers mehrere alternative Fahrzeugklassen mit unterschiedlichen Ladekapazitäten. Insbesondere der Straßengüterverkehr bietet ein breites Spektrum von unterschiedlichen Fahrzeuggrößen. Damit eröffnet sich innerhalb eines Verkehrsträgers zur Auslastungsoptimierung zusätzlich die Option der Verkehrsmittelwahl. Abstrahiert man von diesen Besonderheiten, können auch Transporte mit Hilfe von vergleichsweise einfachen Produktionsfunktionen beschrieben werden. Notwendig ist dafür zunächst die Definition der Ergebnisgrößen dieser Transportprozesse und deren Quantifizierung als entsprechende Leistungsmengen wj. In Abschnitt 1.2.2 wurden die vier Kategorien des Logistikleistungsbegriffs nach Weber zur Abgrenzung herangezogen: Potenzial-, prozess-, ergebnis- und wirkungsbezogene Logistikleistungen.378 Geeignet für die Formulierung von Produktionsfunktionen erscheinen zunächst die ergebnisbezogenen Leistungsgrößen des Transports, die einen durchgeführten räumlichen Transfer von Gütern oder Abfällen quantitativ erfassen.379 Als Messgrößen dafür könnten die bereits eingeführten Größen „Beförderungsaufkommen in t“ und „Beförderungsleistung in tkm“ herangezogen werden. Auf376

Vgl. Kraftfahrt-Bundesamt (2011), S. 3.

377

Ein Grund für geringe Auslastungen sind Rundreisen, die nur der Sammlung oder nur der Verteilung dienen. Siehe dazu Abschnitt 3.4.1.

378

Vgl. Weber (1986), S. 1198–1204; Weber/Kummer (1998), S. 116–117; Weber (2002), S. 115–128.

379

Zu den anderen Kategorien siehe ausführlich Band 2.

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

81

grund der Berücksichtigung der transportierten Massen gewinnt jedoch bei dieser Vorgehensweise das oben beschriebene Auslastungsproblem an Relevanz. Geht man dagegen von einem konstanten Auslastungsgrad eines Fahrzeugs aus, so reicht als Ergebnisgröße eine prozessbezogene Logistikleistung aus. Im Fall von Transporten bietet sich hierzu die erbrachte Fahrleistung eines betrachteten Fahrzeugs gemessen in Fahrzeugkilometern (Fzkm) an. Neben der Fahrleistung werden die Faktorverbräuche wesentlich von der gewählten Intensität der Leistungserstellung, d.h. von der Fahrgeschwindigkeit, bestimmt. Die Arbeitszeit des Fahrers, die erforderlich ist, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen, sinkt mit zunehmender Geschwindigkeit. Deutlich wird dieser Effekt auch am Kraftstoffverbrauch. Dieser hängt nicht nur von der Art des Fahrzeugs, der transportierten Masse und von der zurückgelegten Strecke ab, sondern auch von der gefahrenen Geschwindigkeit. Diese Eigenschaft von Transportprozessen legt deren Abbildung als so genannte GutenbergProduktionsfunktion nahe.380 Das einzelne Fahrzeug bildet in diesem Falle das betrachtete Aggregat. Geht man von einer konstanten an der Kapazität ausgerichteten Beladung des Fahrzeugs aus, so kann die Leistung des Transportprozesses mit der zurückgelegten Strecke w in Fahrzeugkilometern (Fzkm) gemessen werden. Die Intensität der Leistungserstellung wird durch die Fahrgeschwindigkeit d des Fahrzeugs beschrieben.381 Diese kann zwischen der minimalen Geschwindigkeit dmin und der Höchstgeschwindigkeit dmax, die sich aus den Verkehrsvorschriften ergeben, frei gewählt werden. In Abhängigkeit von der Fahrzeit t ergibt sich somit die zurückgelegte Strecke w aus der Intensität der Leistungserstellung: (8)

w = d⋅ t

Kennzeichnend für Gutenberg-Produktionsfunktionen ist der Bezug der eingesetzten Faktormengen ri auf die erstellte Leistungsmenge. Daraus ergib sich unter Verwendung von Gleichung (8) für jeden Faktor die zugehörige Verbrauchsfunktion in Abhängigkeit von d: (9)

vi (d) =

ri r = i w d⋅ t

Für die Verbrauchsfunktionen können sich in Abhängigkeit von den Eigenschaften der Faktoren verschiedene Verläufe ergeben.382 So können beispielsweise für Kraftstoffe die geringsten Verbräuche pro km bei mittleren Geschwindigkeiten angenommen werden. Beziehen Fahrer Stundenlöhne, so sinkt mit zunehmender Geschwindigkeit der Lohn pro gefahrenen km. Werden alle Verbrauchsfunktionen mit konstanten Preisen pi pro Faktoreinheit bewertet, können diese zu einer Funktion der variablen Kosten pro Fahrzeugkilometer kv in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit aggregiert werden. (10)

380

k vi (d) =

ri ⋅ pi ri ⋅ pi = w d⋅ t

Zu den folgenden Ausführungen siehe Gutenberg (1983), S. 314–325; Bloech et al. (2008), S. 51–66.

381

Siehe dazu auch das Rechenbeispiel in Bloech et al. (2008), S. 67–78.

382

Vgl. Gutenberg (1983), S. 322; Bloech et al. (2008), S. 54–55.

82

3 Außerbetrieblicher Transport (11)

n

k v (d) = ∑ k vi (d) i =1

Durch Ableitung der variablen Kosten pro Fahrzeugkilometer kv(d) nach d und Nullsetzung lässt sich daraus die optimale Fahrgeschwindigkeit dopt bestimmen: (12)

dk v (d) = 0 ⇒ d opt dd

Entsprechend der getroffenen Annahmen muss die optimale Fahrgeschwindigkeit im Intervall zwischen dmin und dmax liegen. Da dopt die Geschwindigkeit mit den minimalen variablen Kosten pro Fahrzeugkilometer darstellt, wird versucht, diese Geschwindigkeit einzuhalten, sofern die zu fahrende Strecke in der aus arbeits- und verkehrsrechtlicher Sicht maximal verfügbaren Fahrzeit t0 zurückzulegen ist. Durch Anweisungen und entsprechende Vergütungsmodelle können Fahrer und Fahrerinnen dazu bewegt werden, diese Geschwindigkeitsvorgabe zu berücksichtigen. Die unter Einhaltung von dopt maximal zu überwindende Distanz w0 bestimmt sich damit wie folgt: (13)

w 0 = d opt ⋅ t 0

Soll eine kürzere Strecke als w0 zurückgelegt werden, so wird die Fahrzeit t entsprechend kleiner als t0 gewählt („Zeitliche Anpassung“).383 Bei längeren Strecken als w0 muss d auf den erforderlichen Wert erhöht werden, um unter Ausnutzung der maximal verfügbaren Zeit t0 den gewünschten Ort zu erreichen („Intensitätsmäßige Anpassung“).384 Dabei darf d den Wert dmax nicht überschreiten. Obwohl die Gutenberg-Produktionsfunktion auf den ersten Blick sehr gut geeignet erscheint, Transportprozesse zumindest im Ganzladungsverkehr abzubilden, besteht eine wesentliche Einschränkung. Im strengen Sinne muss zur Gültigkeit der obigen Aussagen die gewählte Geschwindigkeit d über die gesamte Strecke konstant gehalten werden. Die Verbräuche bzw. die variablen Kosten pro Fahrzeugkilometer sind nicht von der Durchschnittsgeschwindigkeit, sondern von der jeweils aktuell gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Diese Forderung ist für Fertigungsmaschinen problemlos einzuhalten, für Fahrzeuge, die sich auf öffentlichen Verkehrswegen bewegen, jedoch nicht. Eine Abbildung in der gezeigten Weise ist deshalb nur dann zutreffend, wenn lange Strecken mit annähernd konstanter Geschwindigkeit gefahren werden können. Dies ist insbesondere im Seeverkehr möglich. So können GutenbergProduktionsfunktionen angewendet werden, um die optimale Fahrtgeschwindigkeit von Container-Schiffen zu bestimmen. Weitere bisher nicht berücksichtigte Probleme der produktionstheoretischen Abbildung von räumlichen Transfers liegen im Dienstleistungscharakter des Transports begründet. Transportleistungen sind wie alle Dienstleistungen prinzipiell nicht lagerbar, da deren Erstellung und Nutzung zeitlich zusammenfallen (uno-actu-Prinzip).385 Allerdings können Transporte, 383

Siehe ausführlich Gutenberg (1983), S. 359–367.

384

Siehe ausführlich Gutenberg (1983), S. 349–359.

385

Siehe z.B. Burr/Stephan (2006), S. 22–23.

3.2 Abbildung außerbetrieblicher Transporte

83

sofern die Lagerung der Güter am Zielort möglich und sinnvoll ist, im übertragenen Sinne „auf Vorrat“ erstellt werden. Dies setzt die rechtzeitige Bereitstellung der Transportobjekte voraus. Generell sind Beförderungen ohne das zu transferierende Gut bzw. den zu transferierenden Abfall nicht möglich. Transporte können nur ausgeführt werden, wenn die zu transportierenden Objekte bereitstehen und die damit verbundenen spezifischen Daten der Transportleistung, insbesondere der Lade- und Abladeort, bekannt sind. Mit anderen Worten benötigen Transporthandlungen externe Faktoren. Externe Faktoren stellen materielle oder immaterielle Güter dar, die von den Auftraggebern oder Empfängern dieser Leistungen eingebracht werden.386 Im Fall von Transportleistungen kann es sich dabei um unternehmensexterne aber auch um interne Kunden handeln,387 welche die zu transferierenden Logistikeinheiten zur Verfügung stellen. Transportleistungen werden deshalb typischerweise in einem zweistufigen Produktionsprozess erstellt (Abbildung 8).388 Interne Faktoren r1 . . ri . . rn

Vorkombination

Leistungspotenzial

Leistungsergebnis

Externe Faktoren z1 . . zk . . zo

Endkombination

w1 . . wj . . wm

Leistung konkretisiert sich am externen Faktor 389

Abbildung 8: Grundmodell der Erstellung von außerbetrieblichen Transportleistungen.

Die Vorkombination kann weitgehend unspezifisch ohne Berücksichtigung des externen Faktors erfolgen. Im Fall von Transportprozessen werden dazu verschiedene Produktionsfaktoren, beispielsweise Transportmittel bestimmter Kapazität, Kraftstoffe, Ladehilfsmittel, kombiniert und Mitarbeitern zugeordnet, um eine Leistungsbereitschaft herzustellen. Die Mengen dieser Faktoren können formal mit dem Mengenvektor (r1, …., ri) beschrieben werden. Die Vorkombination kann deshalb bereits als die Erstellung einer potenzialbezogenen Logistikleistung interpretiert werden. Die Endkombination kann jedoch erst erfolgen, wenn die richtigen externen Faktoren in den entsprechenden Mengen (z1, …., zo) zur Verfügung stehen. Wie bereits angemerkt, sind mit den zu transportierenden Logistikeinheiten auch 386

Vgl. Maleri/Frietzsche (2008), S. 64; Burr/Stephan (2006), S. 21.

387

Siehe dazu Abbildung 3.

388

Vgl. Corsten/Gössinger (2007), S. 128–130; Maleri/Frietzsche (2008), S. 85–93.

389

Vgl. Corsten (1996), Sp. 341–342; Corsten/Gössinger (2007), S. 130.

84

3 Außerbetrieblicher Transport

bestimmte Transportinformationen verbunden, die ebenfalls zur Leistungserstellung zwingend erforderlich sind. Unter Einbeziehung weiterer interner Faktormengen (ri+1, …., rn), die nun entsprechend der konkreten Ausgestaltung des externen Faktors situativ gewählt werden, erfolgt sodann der Transport als Prozess im Sinne einer bestimmten Raumüberbrückung. Das Leistungsergebnis (w1, …., wm), z.B. gemessen als Beförderungsleistung in tkm, konkretisiert sich schließlich an den transportierten Logistikeinheiten, die nach Abschluss der räumlichen Transferhandlungen an einem gewünschten Ort verfügbar sind. Somit ist letztlich auch die wirkungsbezogene Dimension der Transportleistung erkennbar. Eine derartige verbale Beschreibung von Transporthandlungen ist schlüssig, jedoch von einer produktionstheoretischen Abbildung im Sinne einer Produktionsfunktion weit entfernt. Insbesondere die formale Abbildung der zu transportierenden Logistikeinheiten als externe Faktoren ist schwierig. Isermann hat einen ausführlichen Vorschlag zur produktionstheoretischen Fundierung von logistischen Prozessen unterbreitet, welcher die Leistungserstellung nicht als reine Mengentransformation versteht, sondern an der Zustandsänderung von Logistikobjekten ansetzt.390 Formuliert man diese Zustandsänderung als Ortsveränderung, dann lassen sich auf diese Weise Prozesse des räumlichen Transfers abbilden. Zudem werden explizit die Prozesse der Vor- und Endkombination und darüber hinaus einer möglichen Nachkombination unterschieden. Aufgrund der allgemeinen Formulierung und des hierdurch erforderlichen hohen Abstraktionsgrades ist dieser Ansatz jedoch für die Beschreibung realer räumlicher Transfers nur bedingt geeignet.

3.3

Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

3.3.1

Grundstrukturen räumlicher Gütertransfers

In Abschnitt 3.2.1 wurden räumliche Transferbeziehungen mit Hilfe von Graphen und Matrizen abgebildet. An dieser Stelle sollen nun bestimmte Grundstrukturen von räumlichen Gütertransfers herausgearbeitet werden, die eine Klassifikation von Transporten zulassen. Dazu wurden in den vorangegangenen Abschnitten bereits verschiedene Merkmale von außerbetrieblichen Transporten unterschieden. Insbesondere erfolgte die Abgrenzung von verschiedenen Verkehrsträgern durch den Rückgriff auf die möglichen Arten von Verkehrswegen und den darauf abgestimmten Verkehrsmitteln. Da diese Verkehrsmittel je nach Verkehrsträger und technischer Ausgestaltung unterschiedliche Kapazitäten aufweisen,391 sollte stets versucht werden, Ladungen zu bilden, die mit den verfügbaren Verkehrsmitteln effizient zu einem Bestimmungsort transportiert werden können.392 Solche Ganzladungen können von Anfang an aus hinreichend großen Mengen von Gütern oder Abfällen bestehen (ursprüngli-

390

Vgl. Isermann (1998a), S. 41–46; Isermann (1999), S. 76–85. Siehe auch Corsten/Gössinger (2007), S. 203– 210.

391

Zu den unterschiedlichen Kapazitäten der Verkehrsmittel siehe ausführlich Abschnitt 3.1.1.

392

Das Auslastungsproblem von Transportmitteln wurde in Abschnitt 3.2.2 behandelt.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

85

che Ganzladungen) oder auch aus einzelnen Teilladungen und Einzelsendungen durch Ladungskonsolidierung393 gebildet werden (Sammelladungen).394 Außerbetriebliche Transporte von Ganzladungen unterscheiden sich zunächst nach der Art der organisatorischen Abwicklung. Grundlegend lassen sich danach direkte und indirekte Transporte abgrenzen (Abbildung 9).395 Direkte Transporte verbinden einen Abgangspunkt A und einen Zielpunkt Z auf dem kürzesten mit dem gewählten Verkehrsmittel zu realisierenden Weg.396 Es werden also keine Umwege über Orte zurückgelegt, die nicht auf dieser direkten Verbindung liegen. Ein Spezialfall direkter Transporte sind solche, die als Pendelverkehre abgewickelt werden. Dabei werden zwischen einem bestimmten Abgangspunkt A und einem bestimmten Zielpunkt Z mehrfach in einer Periode direkte Transporte durchgeführt. Häufig liegt sogar eine Taktung vor. Die Rückfahrt von Z nach A erfolgt leer, mit Leergut oder mit Ladung, die aus Z stammt und für A bestimmt ist. Ein Beispiel dafür sind die Transporte zwischen den Sequenzierungslagern und den Montagehallen in der Automobilindustrie. Direkte Transporte A

Indirekte Transporte Z

Direkter Transport i.e.S.

A

Z

V

Z

Auflösung A

Z

Pendelverkehr

Z A

A A

B

S

Z

Z

Bündelung A

Stafettenverkehr A

Z

A

A

Z

A

Z

A

A

Rasterverkehr

Z

H

Nabe-Speiche-Verkehr

Z

Z

Abbildung 9: Möglichkeiten der organisatorischen Abwicklung von Transporten.

393

Vgl. Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 232–233.

394

Die Bildung von Sammelladungen ist insbesondere die Grundlage des Speditionssammelgutverkehrs. Siehe dazu Abschnitt 3.1.3 sowie Band 3.

395

Siehe ähnliche Abbildungen z.B. bei Ihde (2001), S. 16; Pfohl (2010), S. 6; Chopra/Meindl (2010), S. 389–393.

396

Zur Bestimmung der kürzesten Wege siehe 3.2.1.

86

3 Außerbetrieblicher Transport

Zu den direkten Transporten zählen auch Stafettenverkehre, sofern der Begegnungspunkt B auf dem kürzesten Weg zwischen A und Z liegt. Dabei verlässt jeweils ein beladenes Fahrzeug die Orte A und Z. Diese treffen sich an Punkt B. Dort wechseln die Fahrer die Fahrzeuge und fahren zu ihrem Ausgangsort zurück. Stafettenverkehre ermöglichen den Fahrern auch bei längeren Fahrtstrecken die tägliche Rückkehr an ihren Heimatort. Im Gegensatz dazu werden bei indirekten Transporten Umwege bewusst in Kauf genommen. Statt der Durchführung eines direkten Transports zwischen einem Abgangspunkt A und einem Zielpunkt Z werden zusätzliche Knoten angefahren,397 die nur in Ausnahmefällen zufällig auf dem kürzesten Weg liegen. Hierdurch wird die räumliche Zusammenführung von mehreren Gütermengen in diesen zusätzlichen Knoten und damit auf bestimmten Teilstrecken ermöglicht. Der wichtigste Anlass für solche Zusammenführungen ist die Ladungskonsolidierung als Voraussetzung zur Wahl großer Fahrzeuge oder zumindest zur Verbesserung der Fahrzeugauslastung dieser Transportmittel. Statt kleine Mengen direkt mit Fahrzeugen geringer Ladekapazität oder sogar mit ungenügender Auslastung über weite Entfernungen zu einzelnen Zielpunkten Zj zu transportieren, werden diese zusammengefasst und mit Fahrzeugen großer Ladekapazität als Ganzladung zunächst zu einem Verteilpunkt V transportiert.398 Dort wird die Ladung auf kleinere Fahrzeuge umgeschlagen (Auflösung) und in einem zweiten Schritt an die Zielpunkte ausgeliefert. Eine ähnliche Funktion erfüllen Sammelpunkte S. Dort werden kleinere Gütermengen verschiedener Abgangspunkte Ai zusammengeführt und sodann gebündelt mit größeren Fahrzeugen zum gemeinsamen Ziel transportiert. Die Funktion von Verteilpunkten wird typischerweise durch Auslieferungslager und die von Sammelpunkten durch Zulieferlager übernommen.399 Eine Kombination beider Vorgehensweisen findet sich häufig in den Netzwerken der Paketdienste und der Sammelgutspeditionen. Während bei Rastersystemen direkte Transporte zwischen den Depots abgewickelt werden, dominieren bei Nabe-Speiche-Strukturen indirekte Transporte über die Nabe.400 Die Nabe H dient dabei als zentraler Sammel- und Verteilpunkt für alle Depots. Hierdurch werden direkte Transporte mit geringer Kapazitätsauslastung vermieden und die Anzahl der erforderlichen Fahrten sinkt deutlich. Eine vergleichbare Funktion des Sammelns und des Verteilens erfüllen auch die Zentrallager des Handels, in denen Güter der verschiedenen Lieferanten zusammengeführt und zu den einzelnen Verkaufsstellen verteilt werden. Zur Vermeidung von hohen Beständen in solchen Lagern können verschiedene Methoden des Cross Docking angewendet werden.401 Die Art der organisatorischen Abwicklung beeinflusst wesentlich die Ergebnisse von Transportprozessen. Durch den Umweg über Verteil- bzw. Sammelpunkte erhöht sich die Transportzeit. Ebenso steigt aufgrund der längeren Strecken die Beförderungsleistung in Tonnenkilometern. Allerdings sinken durch die Bündelung von Teilladungen zu Ganzladungen die gesamten Fahrzeugkilometer und damit die Lohn- und Kraftstoffkosten sowie die 397

Vgl. Ihde (2001), S. 16.

398

Der Transfer von A nach V stellt somit isoliert betrachtet einen direkten Transport dar.

399

Vgl. Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 248–251.

400

Sie dazu ausführlich Bretzke (2010), S. 317–331.

401

Zu den verschiedenen Formen des Cross Docking siehe Yang/Balakrishnan/Cheng (2010), S. 122–127, sowie ausführlich Abschnitt 5.1.1.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

87

Schadstoffemissionen, da die Verteil- bzw. Sammelfahrzeuge nur vergleichsweise kurze Strecken fahren. Je nach Lage des Auslieferungslagers bzw. des Zulieferlagers nehmen als Folge davon die Kosten des Transports zu einem bestimmten Zielpunkt gegenüber dem Direkttransport deutlich ab.402 Die Grundstrukturen des räumlichen Gütertransfers lassen sich neben der Art der organisatorischen Abwicklung vor allem danach unterscheiden, ob ein Wechsel des Transportmittels erfolgt. Im Fall ungebrochener Transporte findet kein Wechsel des Transportmittels zwischen dem Abgangspunkt A und dem bestimmten Zielpunkt Z statt.403 Im Gegensatz dazu erfolgt bei gebrochenen Transporten ein solcher planmäßig. Wie bereits gezeigt, sind indirekte Transporte häufig gebrochene Transporte, da Umwege gerade zum Zweck des Transportmittelwechsels an bestimmten Verteil- oder Sammelpunkten zurückgelegt werden. Dabei können zwei Stufen unterschieden werden. Bei einem gebrochenen Transport erster Ordnung werden verschiedene Verkehrsmittel des gleichen Verkehrsträgers eingesetzt. Beispielsweise werden an einem Verteilpunkt V die einzelnen Logistikeinheiten von Sattelkraftfahrzeugen mit 40t Gesamtgewicht auf kleinere Verteilfahrzeuge mit 7,5t umgeschlagen. Neben unterschiedlichen Kapazitäten können auch andere Merkmale der Fahrzeuge eine Unterbrechung des Transports rechtfertigen. So können z.B. kleine Fahrzeuge mit entsprechenden Ladeeinrichtungen erforderlich sein, um Kunden in Innenstadtlagen zu beliefern. Im Fall von gebrochenen Transporten zweiter Ordnung findet darüber hinaus ein Wechsel des Verkehrsträgers statt. Beispielsweise werden Güter per Lastkraftwagen zu einem Luftfrachtterminal transportiert, sortiert und dann in Flugzeuge verladen. Durch den Einsatz verschiedener Verkehrsträger können deren spezifische Vorteile, z.B. die hohe Geschwindigkeit, die geringen Transportkosten, die große Kapazität oder die hohe Netzdichte,404 für einen Transport von A nach Z genutzt werden. Prinzipiell können auch gebrochene Transporte direkt erfolgen. Da jedoch Umschlagpunkte, vor allem Umschlagpunkte zwischen den Verkehrsträgern, in der Regel nicht auf dem kürzesten Weg liegen, der sich im Direktverkehr mit einem bestimmten Transportmittel zwischen A und Z realisieren ließe, sind häufig Umwege erforderlich, um diese Orte zu erreichen. Gebrochene Transporte sind deshalb i.d.R. auch indirekte Transporte. Sollen beispielsweise statt dem direkten Transport mit einem Lastkraftwagen Binnenschiffe für einen Streckenabschnitt genutzt werden, so folgt daraus ein indirekter Transport, da mindestens ein Hafen als Umschlagort angefahren werden muss. Gebrochene Transporte erfordern im Vergleich zu direkten Transporten, bei denen Handlungen des Umschlags nur im Abgangspunkt A und im Zielpunkt Z vollzogen werden, zusätzliche Umschlagsaktivitäten in jenen Knoten, in denen ein Wechsel des Transportmittels erfolgt. Als Umschlag kann „die Gesamtheit der Förder- und Lagervorgänge beim Übergang der Güter auf ein Transportmittel, beim Abgang der Güter von einem Transportmittel und wenn Güter das Transportmittel wechseln“405 verstanden werden. Jeder Bruch muss deshalb sorgfältig bedacht werden. Erforderliche Umwege und aufwendige Umschlagprozesse kön402

Vgl. Pfohl (2010), S. 112–116.

403

Vgl. Pfohl (2010), S. 151.

404

Siehe dazu Abschnitt 3.1.1.

405

DIN 30781 Teil 1, S. 3.

88

3 Außerbetrieblicher Transport

nen die durch indirekte und gebrochene Verkehre erreichten Vorteile, insbesondere Konsolidierungsvorteile und spezifische Vorteile der Verkehrsträger, schnell kompensieren. Neben den Kosten ist dabei insbesondere der Zeitaufwand zu beachten. Umschlagprozesse können durch größere Logistikeinheiten vereinfacht werden. Bezogen auf die in Abschnitt 2.2 eingeführten Stufen der Logistikeinheitenbildung sollte es sich möglichst um Logistikeinheiten der Stufe 2 oder 3 handeln.406 Paletten, Boxpaletten und Rollbehälter (Stufe 2) erlauben im Vergleich zu einzelnen Packungen und Kleinladungsträgern einen schnellen und kostengünstigen Umschlag, denn Hand in Hand mit der Verwendung dieser Logistikeinheiten geht die Mechanisierung der Aktivitäten.407 Eine weitere Beschleunigung und Vereinfachung des Umschlags ist durch Container und Wechselbehälter möglich (Stufe 3). Die Logistikeinheiten der Stufe 3 liegen insbesondere dem Kombinierten Ladungsverkehr als Spezialform gebrochener Transporte zweiter Ordnung zugrunde, der ausführlich in Abschnitt 3.3.4 behandelt wird. Zur Darstellung aller Arten von räumlichen Transferprozessen, jedoch insbesondere von gebrochenen Transporten, bietet sich das Modell der Transportkette an. DIN 30781 definiert eine Transportkette als eine „Folge von technisch und organisatorisch miteinander verknüpften Vorgängen, bei denen Personen oder Güter von einer Quelle zu einem Ziel bewegt werden.“408 Bezogen auf Güter und Abfälle gehören zu diesen Vorgängen neben den einzelnen Transporten zwischen den Knoten, die ggf. durch unterschiedliche Verkehrsträger ausgeführt werden, auch alle Handlungen des Umschlags in den einzelnen Knoten. Die Planung von gebrochenen Transporten kann deshalb als Entwurf von komplexen Transportketten verstanden werden.409 Die bisherigen Ausführungen sind von der Möglichkeit der Bildung von Ganzladungen ausgegangen, welche eine hohe Auslastung von – wenn auch ggf. kleineren – Transportmitteln erlauben. Nicht in jedem Fall ist jedoch die Zusammenfassung von Teilladungen zu hinreichend großen Ganzladungen möglich, so dass mehrere Teilladungen mit unterschiedlichen Abgangspunkten Ai oder Zielpunkten Zj zum Transport anstehen, die für sich allein selbst bei Nutzung von Fahrzeugen geringer Ladekapazität keine befriedigende Auslastung erlauben. Solche Teilladungen können allerdings durch die Bildung einer oder mehrerer Touren zu geringeren Kosten befördert werden, als dies im direkten Transport mit nur teilweise beladenen Fahrzeugen möglich wäre. Die Aufgabe der Bildung von Touren soll an dieser Stelle nur angerissen werden, denn sie wird ausführlich in Abschnitt 3.4 diskutiert. Die Beförderung mit Hilfe einer Auslieferungs- oder Sammeltour zählt zu den ungebrochenen indirekten Transporten, denn es findet kein Wechsel des Transportmittels statt und der Transport einer einzelnen Teilladung erfolgt i.d.R. nicht direkt an den Zielpunkt Zj bzw. beginnt nicht direkt am Abgangspunkt Ai. Vielmehr legen diese Güter Umwege über die Zielpunkte bzw. die Abgangspunkte anderer Teilladungen zurück, die auf dem Weg zuerst zugestellt bzw. später abgeholt werden. Abbildung 10 enthält eine zusammenfassende Übersicht zur Klassifikation von räumlichen Transfers. 406

Siehe dazu Abbildung 6.

407

Siehe dazu Abschnitt 4.2.

408

DIN 30781 Teil 1, S. 3.

409

Siehe dazu Abschnitt 3.3.3.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen Ungebrochene Transporte Indirekte Transporte

Touren

Gebrochene Transporte

Direkte Transporte Direkte Transporte i.e.S. Pendelverkehre Stafettenverkehre Rasterverkehre

89

Indirekte Transporte Auflösung bzw. Bündelung Nabe-Speiche-Verkehre Nutzung von Verkehrsträgervorteilen

Ohne Umweg

Mit Umweg

Abbildung 10: Klassifikation von räumlichen Gütertransfers.

3.3.2

Planung ungebrochener Transporte

Einzelne ungebrochene und direkte Transporte von Ganzladungen lassen sich vergleichsweise einfach planen, steuern und realisieren. Die Bildung einer Ganzladung aus einzelnen Teilladungen und Einzelsendungen ist entweder bereits durchgeführt oder es lag sogar ursprünglich eine hinreichend große Gütermenge als Ganzladung vor. Eine weitere Ladungskonsolidierung ist nicht möglich oder nicht gewünscht. Für diese Ganzladung werden der Verkehrsträger und das geeignete Verkehrsmittel gewählt, die den Abgangspunkt A und den Zielpunkt Z durch einen ungebrochenen Transport effizient verbinden können. Danach kann der kürzeste mit dem gewählten Verkehrsmittel zu realisierende Weg bestimmt werden. Die dabei ermittelte Distanz liefert sodann die Grundlage zur Überprüfung der Realisierbarkeit des Transports in der notwendigen Zeitdauer. Zur Realisation des geplanten Transports müssen schließlich, wie in Abschnitt 3.2.2 dargestellt, die erforderlichen internen und externen Faktoren disponiert und kombiniert werden.

Eine kompliziertere Entscheidungssituation liegt vor, wenn simultan mehrere Zielpunkte Zj und Abgangspunkte Ai betrachtet werden. Im einfachsten Fall sollen diese durch mehrere Ganzladungstransporte eines bestimmten Gutes direkt verbunden werden. Eine solche Situation lässt sich als Klassisches Transportproblem beschreiben.410 In den m Abgangspunkten Ai liegen bestimmte Mengen ai eines identischen Gutes vor. Entsprechend werden in den n Zielpunkten Zj jeweils bestimmte Mengen zj dieses Gutes benötigt. Die Lösung des klassischen Transportproblems besteht in einer kostenminimalen Verbindung der Abgangs- und Zielpunkte zum Ausgleich des Angebots und der Nachfrage. Gesucht ist somit eine optimale Mengenmatrix X. Da es sich um ein homogenes Gut, z.B. ein Schüttgut, handelt, können die Elemente der Mengenmatrix xij als reelle Zahlen angenommen werden. Hierdurch ergibt sich ein einfaches lineares Optimierungsproblem. Grundlage für die Optimierung sind die Kosten cij je transportierte Mengeneinheit zwischen Ai und Zj. Die Zielfunktion des klassischen Transportproblems lässt sich damit formal wie folgt formulieren:

410

Siehe dazu z.B. Domschke (2007), S. 41–44; Günther/Tempelmeier (2012), S. 294–300.

90

3 Außerbetrieblicher Transport (14)

m

n

minimiere K (X ) = ∑∑ cij ⋅ x ij i =1 j=1

Gleichung (14) unterstellt einen proportionalen Kostenverlauf in Abhängigkeit von der transportierten Menge xij. Diese Annahme ist jedoch üblicherweise nicht erfüllt. Wie in Abschnitt 3.2.2 erläutert, fallen bei einem Transport Kosten an, z.B. die Lohnkosten des Fahrers, die unabhängig von der konkret transportierten Menge xij und damit von der Auslastung der Verkehrsmittel sind. Diese entstehen immer dann, sobald ein Transport durchgeführt wird. Im Fall von Ganzladungstransporten besteht ein einfacher Ausweg für dieses Problem darin, nicht die Gütermenge xij als Kosteneinflussgröße zu modellieren, sondern die Anzahl der zwischen Ai und Zj transportierten Ganzladungen γij. Folgt man diesem Verständnis, so ergibt sich die Gütermenge xij als Produkt aus γij und der konstanten Ladekapazität κl der genutzten Verkehrsmittel. Allerdings muss bei einer solchen modifizierten Formulierung der Zielfunktion die Ganzzahligkeit von γij gefordert werden, um die Auslastung der Fahrzeuge sicherzustellen. Die Kosten cij* stellen in Folge davon die Transportkosten dar, die für eine Ganzladung zwischen Ai und Zj anfallen. Diese lassen sich ohne Änderung der generellen Modellstruktur in einen streckenabhängigen (variablen) und einen streckenunabhängigen (fixen) Anteil unterteilen. (15)

c*ij = c0 + c1 ⋅ d ij

Die Kosten c0 fallen an, sobald ein Transport durchgeführt wird. Dagegen stellt die Konstante c1 die Transportkosten pro Ganzladung für eine zurückgelegte Entfernungseinheit dar. Die Größen dij kennzeichnen die jeweils kürzesten Entfernungen zwischen den Orten Ai und Zj. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Zielfunktion: (16)

m

n

minimiere K (Γ) = ∑∑ (c0 + c1 ⋅ d ij )⋅ γ ij i =1 j=1

Neben der Zielfunktion umfasst die Formulierung des Klassischen Transportproblems auch die einzuhaltenden Restriktionen, wobei die verfügbaren Mengen ai in den m Abgangspunkten Ai und die benötigten Mengen zj in den Zielpunkten Zj durch Transporte auszugleichen sind. (17)

n

j=1

(18)

ij

m

j=1

ij

⋅ κl = ai

∀i = 1,..., m

ij

⋅ κl = z j

∀j = 1,..., n

m

∑ x =∑ γ i =1

(19)

n

∑ x =∑ γ ij

i =1

γ ij ∈ IN

Die Gleichung (17) fordert für alle Abgangspunkte Ai den vollständigen Abtransport der dort vorhandenen Logistikeinheiten. Da die Variable γij als Anzahl der zwischen Ai und Zj transportierten Ganzladungen operationalisiert wurde, wird diese Größe mit der Ladekapazität κl der

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

91

eingesetzten Transportmittel multipliziert. Die Bedingung (18) sichert die vollständige Belieferung der n Zielpunkte Zj mit den dort erforderlichen Gütermengen zj. Um zu verhindern, dass Teilladungen transportiert oder Rücklieferungen abgewickelt werden, fordert die Bedingung (19) die Nichtnegativität sowie die Ganzzahligkeit der Anzahl der Ganzladungstransporte. Übersteigt – wie im folgenden Beispiel – das gesamte Angebot in den Abgangspunkten die gesamte Nachfrage in den Zielpunkten, muss die Gleichung (17) leicht modifiziert werden.

(20)

n

∑γ j=1

ij

⋅ κl ≤ ai

∀i = 1,..., m

Die Relation (20) beschreibt nun für alle Abgangspunkte Ai lediglich eine Obergrenze der zur Verfügung stehenden Gütermengen. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Formulierung des Klassischen Transportproblems. Fallbeispiel 2: Klassisches Transportproblem

Die Lindenbaum Brauerei AG produziert an drei Standorten das gute Lindenbaum Bier: Mannheim, Stuttgart und Regensburg. Die Wochenproduktion der drei Standorte beträgt 700 (Mannheim), 300 (Stuttgart) und 400 (Regensburg) Paletten Bier. In Regensburg besteht ein zusätzlicher Lagerbestand von 100 Paletten aus der Vorperiode. Bei den Kunden der Lindenbaum Brauerei handelt es sich um überregionale Getränkegroßhändler und große Einzelhandelsketten. Das in Flaschen abgefüllte Bier muss deshalb palettenweise an die Zentral- bzw. Regionallager dieser Kunden in Hamburg, Düsseldorf, Halle, Erfurt, Ludwigshafen und München geliefert werden. Die Kunden erhalten einen Preisnachlass, wenn sie ganze LKW-Ladungen Bier bestellen. Zur Belieferung der Lager hat Lindenbaum einen Vertrag mit dem Transportunternehmen Hopfentrans abgeschlossen. Hopfentrans nimmt die Bestellungen der Lager entgegen und plant entsprechend die Transporte. Für nächste Woche sind die folgenden Bestellungen eingegangen (Anzahl Paletten): Hamburg (175), Düsseldorf (560), Halle (70), Erfurt (105), Ludwigshafen (175) und München (350). Pro Lastkraftwagenzug können 35 Paletten transportiert werden. Lindenbaum muss an Hopfentrans 1,50€ pro LKW und gefahrenen Kilometer sowie einen Festbetrag von 50€ pro Transport zahlen. Auf der Rückfahrt lastet Hopfentrans die LKW mit Ladungen anderer Kunden aus. Die Kunden der Lindenbaum Brauerei AG nehmen offensichtlich das Angebot eines Preisnachlasses an und bestellen jeweils mehrere Ganzladungen in Höhe der Fahrzeugladekapazität κl (= 35 Paletten): Hamburg (5), Düsseldorf (16), Halle (2), Erfurt (3), Ludwigshafen (5) und München (10). Die Produktionsstandorte verfügen über ein Angebot von 20 Ganzladungen (Mannheim), 8 Ganzladungen (Stuttgart) und 14 Ganzladungen (Regensburg). Diese 42 Ladungen übersteigen um eine Ladung die Bestellungen von insgesamt 41 Ladungen. In Stuttgart und Regensburg bleiben zudem weitere 20 bzw. 10 einzelne Paletten auf Lager, die nicht als Ganzladung mit den verfügbaren Fahrzeugen transportiert werden können. Deshalb muss nicht die Gleichung (17), sondern lediglich die Relation (20) für alle Zj erfüllt sein.

92

3 Außerbetrieblicher Transport

Unter Berücksichtigung der Restriktionen (18), (19) und (20) kann mit Hilfe der Nord-WestEcken-Regel händisch eine zulässige Lösung des Problems ermittelt werden.411 Dabei wird in der Nord-West-Ecke der Ganzladungsmatrix begonnen, also im Fall der Lindenbaum Brauerei mit der Relation Mannheim-Hamburg. Werden die 5 erforderlichen Ladungen für Hamburg ab dem Lager Mannheim bedient, so verbleiben von den 20 dort ursprünglich vorhandenen Ladungen 15 für Düsseldorf übrig. Damit ist Restriktion (20) für den Abgangspunkt Mannheim erfüllt. Düsseldorf muss zusätzlich mit einer Ladung aus Stuttgart beliefert werden, um die Restriktion (18) für diesen Zielpunkt zu erfüllen. Von den in Stuttgart verbleibenden 7 Ladungen gehen 2 nach Halle, 3 nach Erfurt und 2 nach Ludwigshafen. Die restlichen 3 Ladungen für Ludwigshafen kommen aus Regensburg. Der Standort Regensburg beliefert schließlich München mit 10 Ladungen, womit dort eine Ganzladung als Bestand im Lager verbleibt. Tabelle 8: Zulässige Ganzladungsmatrix Γ für das Fallbeispiel 2. HH

D

HAL

EF

LU

M

Angebot an LKW-Ladungen

MA

5

15

0

0

0

0

20

S

0

1

2

3

2

0

8

R

0

0

0

0

3

10

14

Nachfrage nach LKW-Ladungen

5

16

2

3

5

10

Diese Lösung ist zulässig, jedoch nicht optimal. Die Nord-West-Ecken-Regel legt willkürlich die Relation Mannheim-Hamburg als Startpunkt des Verfahrens fest. Das Ergebnis hängt deshalb von der Sortierung der Matrix ab. Lediglich die Einhaltung der Restriktionen wird überprüft. Um eine optimale Lösung zu erreichen, muss deshalb zusätzlich die Zielfunktion (16) berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist die Bestimmung der Distanzmatrix D. Da die Transporte im Straßengüterverkehr abgewickelt werden, lassen sich die kürzesten Wege zwischen den Produktionsstätten Ai und den Lagern Zj der Lindenbaum Brauerei einfach mit Hilfe eines gebräuchlichen Routenplaners berechnen. Dieser Ausschnitt der Distanzmatrix D zum Fallbeispiel 2 ist in Tabelle 9 wiedergegeben. Tabelle 9: Erforderliche Elemente der Distanzmatrix D zu Fallbeispiel 2. in km

HH

D

HAL

EF

LU

M

MA

565

281

473

328

5

347

S

656

409

488

340

140

220

R

702

542

351

325

333

127

Unter Nutzung der Gleichung (15) kann aus der Distanzmatrix mit c0 = 50€ und c1 = 1,5€/km die Kostenmatrix C bestimmt werden. Diese ist in Tabelle 10 dargestellt.

411

Siehe z.B. Domschke (2007), S. 105–106; Günther/Tempelmeier (2012), S. 297–298.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

93

Tabelle 10: Kostenmatrix C zu Fallbeispiel 2. in €/LKW

HH

D

HAL

EF

LU

M

897,50

471,50

759,50

542,00

57,50

570,50

S

1.034,00

663,50

782,00

560,00

260,00

380,00

R

1.103,00

863,00

576,50

537,50

549,50

240,50

MA

Zur Lösung des klassischen Transportproblems steht eine Vielzahl von Näherungs- bzw. von Optimierungsverfahren zur Verfügung.412 Im vorliegenden Beispiel ist zusätzlich die Forderung der Ganzzahligkeit einzuhalten, um nicht ausgelastete Transporte zu verhindern. Das Fallbeispiel 2 wurde in Microsoft Excel abgebildet und mit dem Excel-Solver gelöst. Tabelle 11: Optimale Ganzladungsmatrix Γ für das Fallbeispiel 2 (Berechnung mit dem MS-Excel-Solver). HH

D

HAL

EF

LU

M

Angebot an LKW-Ladungen

MA

0

15

0

0

5

0

20

S

5

1

0

1

0

0

8

R

0

0

2

2

0

10

14

Nachfrage nach LKW-Ladungen

5

16

2

3

5

10

In der Produktionsstätte Stuttgart werden somit nur 7 der möglichen 8 Ganzladungen versendet. Die Transportkosten der optimalen Lösung betragen 18.387€. Legt man die zunächst ermittelte zulässige Lösung zugrunde, ergeben sich dagegen Kosten in Höhe von 20.041€. Mit Hilfe der Optimierung lässt sich somit eine deutliche Kostenreduktion erreichen.

3.3.3

Planung gebrochener Transporte

Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, sind ungebrochene und direkte Transporte selbst bei mehreren abzuwickelnden Transporten vergleichsweise einfach zu planen, zu steuern und zu realisieren. Dagegen sind gebrochene Transporte stets komplex, da neben dem Zielpunkt Z und dem Abgangspunkt A ein oder sogar mehrere Zwischenknoten durchlaufen werden und dort Umschlag- und ggf. Lagervorgänge anfallen. Außerdem werden verschiedene Verkehrsmittel (gebrochene Transporte erster Ordnung), möglicherweise sogar mehrere Verkehrsträger (gebrochene Transporte zweiter Ordnung) eingebunden. Zur Darstellung von gebrochenen Transporten eignen sich Transportketten. DIN 30781 definiert eine Transportkette als eine „Folge von technisch und organisatorisch miteinander verknüpften Vorgängen, bei denen Personen oder Güter von einer Quelle zu einem Ziel bewegt werden.“413 Transportketten bestehen somit aus einzelnen Handlungen des Transports, der Lagerung und des Umschlags. Unter Umschlag versteht die Norm dabei die „Gesamtheit der Förder- und Lagervorgänge beim Übergang der Güter auf ein Transportmittel, beim Abgang der Güter von einem Transportmittel und wenn Güter das Transportmittel wechseln.“414 412

Siehe z.B. Domschke (2007), S. 102–118.

413

DIN 30781 Teil 1, S. 3.

414

DIN 30781 Teil 1, S. 3.

94

3 Außerbetrieblicher Transport

Da Lager- und Umschlagaktivitäten an bestimmten Orten stattfinden, kann die Transportkette als gerichteter Graph, bestehend aus Knoten (Orten) und Pfeilen (räumliche Transfers), abgebildet werden (Abbildung 11).

A Un U1 Z Uk Abbildung 11: Abbildung einer Transportkette als Graph.

Der Aufbau von Transportketten wird aus Abbildung 11 deutlich. Transportketten ungebrochener direkter Transporte bestehen nur aus dem Abgangspunkt A und dem Zielpunkt Z. Im Abgangspunkt A findet ein Übergang der Güter oder Abfälle auf ein Transportmittel (Beladung) und im Zielpunkt der Abgang (Entladung) statt. Bei gebrochenen Transporten sind in der Transportkette zusätzlich mindestens ein Umschlagpunkt U1 und gegebenenfalls weitere Uk enthalten. Der letzte Umschlagpunkt vor dem Zielpunkt wird dabei als Un bezeichnet. In den Umschlagpunkten findet der Wechsel zwischen den Transportmitteln und ggf. den Verkehrsträgern statt. Die Technik des Umschlags richtet sich im Wesentlichen nach der Stufe der eingesetzten Logistikeinheiten.415 Das Be- und Entladen von Transportmitteln mit einzelnen Packstücken kann nur bedingt mechanisiert werden. Dagegen erlauben Paletten und Rollbehälter bereits den schnelleren Übergang größerer Einheiten. Der Umschlag von ganzen beladenen Containern und Wechselbehältern kann schließlich innerhalb weniger Minuten erfolgen. Weiterhin können die Umschlagpunkte Uk die Funktion von Verteilpunkten V, Sammelpunkten S oder Hubs H ausüben und damit der Ladungskonsolidierung dienen.416 In diesem Fall ist die Transportkette über diese Knoten mit anderen Transportketten verknüpft, wodurch komplexe Netze gebrochener Transporte entstehen. Die Transportkette gebrochener Transporte enthält häufig nur zwei Umschlagpunkte (U1 und U2) und kann deshalb in drei Abschnitte – den Vorlauf, den Hauptlauf und den Nachlauf – untergliedert werden.417 Als Hauptlauf wird jener Abschnitt der Transportkette bezeichnet, auf welchem der wesentliche Anteil der Raumüberbrückung geleistet wird. Für den Hauptlauf eignen sich somit primär Verkehrsträger, die weite Strecken effizient überbrücken können. Hierzu zählen der Eisenbahnverkehr, die Binnenschifffahrt, die Seeschifffahrt, der Luftverkehr und bei vergleichsweise kurzen Strecken auch der Fernverkehr auf der Straße. Durch die Wahl des Verkehrsträgers für den Hauptlauf werden bereits die erforderlichen Umschlag415

Siehe dazu Abschnitt 2.2 und insbesondere Abbildung 6 sowie die Beispiele im Beiblatt der DIN 30781 Teil 1, S. 6.

416

Siehe dazu Abbildung 9.

417

Vgl. Pfohl (2010), S. 152.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

95

aktivitäten weitgehend festgelegt und potenzielle Umschlagpunkte selektiert. Soll beispielsweise ein Transport von Deutschland nach China im Hauptlauf mit dem Seeverkehr abgewickelt werden, kommen für Umschlagpunkt U1 verschiedene Häfen in Europa und für U2 solche in Fernost in Betracht. Aufgrund der großen Kapazität von Seeschiffen dient dabei U1 als Sammelpunkt und U2 als Verteilpunkt. Der Vor- und der Nachlauf werden primär durch die Lage des Abgangspunktes A bzw. des Zielpunktes Z und die dort vorhandenen Zugänge zu den Verkehrsnetzen bestimmt. Wie die Ausführungen zu den Verkehrsträgern in Abschnitt 3.1.1 gezeigt haben, verfügen heute die meisten Abgangs- bzw. Zielpunkte nicht über eigene Gleisanschlüsse oder gar einen eigenen Zugang zum Wasserstraßennetz. Deshalb kommt die Aufgabe des Vor- und Nachlaufs i.d.R. dem Straßengüterverkehr zu, der aufgrund des dichten Straßennetzes über entsprechende Zugangsmöglichkeiten verfügt. Zudem kann der Straßengüterverkehr aufgrund vergleichsweise kleiner Fahrzeugkapazitäten auch kleinere Gütermengen für U1 sammeln bzw. ab U2 verteilen. Um den Bahnverkehr oder die Binnenschifffahrt auch im Vor- oder Nachlauf zu nutzen, können weitere Umschlagpunkte sinnvoll sein. So kann beispielsweise ein Transport zunächst über die Straße zu einem Binnenhafen und von dort über einen Fluss zum Seehafen erfolgen, bevor der Seetransport im Hauptlauf durchgeführt wird. Die Kosten eines Transports entlang einer Transportkette von A nach Z bestimmen sich somit aus der Summe der Kosten der dabei zu vollziehenden Handlungen. Neben den Transportkosten im engeren Sinne für den Vor-, Haupt- und Nachlauf zählen dazu vor allem die Umschlagkosten, die an den Umschlagpunkten U1 bis Un entstehen. Im Seeverkehr übersteigen beispielsweise die Transportkosten des vergleichsweise kurzen Vor- und Nachlaufs und die Umschlagkosten in den Häfen i.d.R. die Kosten des reinen Seetransports, da in der Seeschifffahrt große Mengen konsolidiert mit einem Schiff transportiert werden können. Die Umschlagkosten variieren zwischen den Häfen. Zudem unterliegen Transport- und Umschlagkosten konjunkturbedingt erheblichen Schwankungen im Zeitverlauf. Die Planung von Transportketten, insbesondere für gebrochene Transporte zweiter Ordnung, stellt eine komplexe und dynamische Aufgabe dar, bei der die Kosten alternativer Transportwege und Transportmittel im Einzelfall ermittelt und verglichen werden müssen. Dabei ist bei Transporten zwischen Unternehmen zu beachten, wie die Kosten aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Geschäftspartnern verteilt sind. Eine verbreitete Möglichkeit, die Verantwortung für den Transport und die Verteilung der Kosten zu regeln, ist die Nutzung von Incoterms.418 Neben den Kosten ist bei der Planung von gebrochenen Transporten auch die Zeitdauer zwischen der Versendung am Abgangspunkt A und der Ankunft am Zielpunkt Z zu beachten. In Abhängigkeit von den gewählten Verkehrsträgern und Transportmitteln ergeben sich zwischen den Anteilen für den Vor-, Haupt- und Nachlauf unterschiedliche Verteilungen. So ist beispielsweise im Seeverkehr zwischen Europa und Asien in aller Regel der Zeitbedarf für den Vor- und Nachlauf im Vergleich zu den Transportzeiten auf See von etwa 30 Tagen vernachlässigbar. Dagegen kann im Fall der Luftfracht der Vor- und Nachlauf zu wesentlichen Verzögerungen führen. Neben den reinen Transportzeiten, die zwischen den Knoten anfallen, sind zudem die Verweilzeiten in den Umschlagpunkten zu beachten. Zu den Umschlagzeiten können Wartezeiten hinzukommen, die bei fahrplangebundenen Transporten, beispielsweise 418

Siehe dazu die Seiten der Internationalen Handelskammer (ICC): http://www.icc-deutschland.de.

96

3 Außerbetrieblicher Transport

in der Linienschifffahrt, der Luftfracht oder bei Eisenbahnverkehren, typisch sind. Zeitverzögerungen in einzelnen Abschnitten der Transportkette lassen sich dabei nur sehr begrenzt durch eine Beschleunigung an anderer Stelle ausgleichen und führen deshalb zu einer Reduktion der Zuverlässigkeit des Transports. Da bei der Planung von Transportketten die Transportwege und die Transportmittel festgelegt werden, sollte als weitere Entscheidungsgröße die daraus resultierende Umweltbelastung berücksichtigt werden.419 Die Forderung, zur Reduktion von Umweltbelastungen eine bewusste Auswahl von Verkehrsträgern vorzunehmen, findet sich bereits in der frühen Literatur zum Zusammenhang von Logistik und Umweltschutz.420 Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie fordert explizit eine Ausweitung der Anteile des Eisenbahnverkehrs und der Binnenschifffahrt an der Güterbeförderungsleistung.421 Soll eine Verkehrsverlagerung auf die Bahn oder das Binnenschiff durch ungebrochene Verkehre erfolgen, sind direkte Zugänge zu diesen Verkehrsträgern erforderlich. Diese Möglichkeit ist aufgrund der in der Vergangenheit häufig gegen diese Verkehrsträger gefällten Standortentscheidungen begrenzt. So liegen viele Industriestandorte heute fernab der Wasserstraßen und der Eisenbahnnetze und sind nur im Straßengüterverkehr zu erreichen. Außerdem wurden auf Basis kurzfristiger Kostenüberlegungen in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Gleisanschlüsse stillgelegt und somit die Möglichkeit des unmittelbaren Zugangs zum Eisenbahnnetz beseitigt.422 Erforderlich werden somit gebrochene Transporte zweiter Ordnung, bei denen Eisenbahn- und Binnenschifftransporte für den Hauptlauf genutzt werden. Der Straßengüterverkehr übernimmt bei solchen Transportketten den Vor- und Nachlauf. Für die erforderlichen Umschlagaktivitäten fallen jedoch nicht nur weitere Kosten an, sondern es entstehen auch zusätzliche Umweltbelastungen durch Emissionen und Flächenverbrauch. Da gebrochene Verkehre in der Regel auch indirekte Verkehre sind, sollten zudem erforderliche Umwege in das Kalkül einbezogen werden. Ein Ansatz, die Effekte unterschiedlicher Transportketten auf die Umwelt zu bestimmen, ist die Berechnung des resultierenden CO2-Ausstoßes und anderer Treibhausgasemissionen.423 Allerdings ist die Kalkulation komplex und von vielen Annahmen, z.B. den realisierbaren Auslastungen der Transportmittel oder der tatsächlichen Verfügbarkeit von Umschlageinrichtungen, abhängig. Nur einen ersten Eindruck können deshalb Online-Portale zur einfachen Bestimmung des CO2-Ausstoßes alternativer Transportketten vermitteln. Ein Beispiel dafür ist das Werkzeug „EcoTransIT“, welches gemeinsam von mehreren europäischen Eisenbahngesellschaften zur Verfügung gestellt wird.424 Allerdings ist bei der Nutzung dieses Werkzeugs kritisch zu prüfen, ob sich die vorgeschlagenen Transportketten tatsächlich realisieren lassen. Als problematisch ist diesbezüglich die Einbeziehung kleinerer Güterbahnhöfe als Umschlagpunkte zu sehen, die nicht über die erforderlichen Umschlageinrichtungen verfügen. Die bisherigen Ausführungen haben sich auf die isolierte Planung einzelner Transportketten beschränkt. Zur Realisation ausreichender Transportmittelauslastungen kann es jedoch erfor419

Vgl. Large (2010), S. 488–489.

420

Vgl. Pfohl/Hoffmann/Stölzle (1992), S. 96.

421

Vgl. Die Bundesregierung (2002), S. 112, 177–204.

422

Vgl. Deutsche Bahn AG (2010), S. 20; Fischer (2005), S. 546.

423

Siehe dazu DIN EN 16258.

424

Siehe http://www.ecotransit.org/ecotransit.de.phtml.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

97

derlich sein, mehrere gebrochene indirekte Transporte simultan zu planen. Dies führt zur Klasse der Umladeprobleme, zu denen auch das zweistufige Transportproblem zählt.425 Dazu wird das in Abschnitt 3.3.2 formulierte klassische Transportproblem um reine Umschlagknoten mit ausreichender Abwicklungskapazität erweitert, in denen kein eigenständiges Angebot bzw. keine Nachfrage auftritt. Entsprechend muss in jedem Umschlagknoten k die dort eintreffende Menge gleich der abgehenden Menge sein. (21)

n

∑x i =1

m

ik

= ∑ x kj

∀k

j=1

Gerade am Anfang und am Ende von Transportketten können auch Touren einbezogen werden, denn häufig müssen zur Ermöglichung eines Hauptlaufs als Ganzladungstransport zunächst kleinere Mengen mit Hilfe mehrerer Sammeltouren abgeholt und zu einem Umschlagknoten als Sammelpunkt S gebracht werden. Dort erfolgt die Konsolidierung dieser Teilmengen, um einen Ganzladungstransport mit einem Transportmittel großer Kapazität zu einem weiteren Umschlagknoten, dem Verteilpunkt V, durchführen zu können. In V wird die Ladung aufgelöst und mehreren Auslieferungstouren zugeordnet. Solche Transportketten finden sich insbesondere im Bereich der Sammelgutspedition und der Paketdienste. Da die Tourenplanung ein vergleichsweise komplexes Problem darstellt, wird diese in Abschnitt 3.4 gesondert behandelt.

3.3.4

Transporte im Kombinierten Ladungsverkehr

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die Potenziale und ebenso die Probleme gebrochener indirekter Transporte angesprochen. Viele Transporte, insbesondere interkontinentale Transporte, sind ungebrochen nicht realisierbar. Gebrochene Transporte ermöglichen zudem die Verknüpfung der Vorteile verschiedener Transportmittel und Verkehrsträger. Allerdings steht diesen Potenzialen der Nachteil zusätzlicher Umschlagaktivitäten gegenüber, die sich durch einen Anstieg der Kosten und der Transferzeiten manifestieren. Dieses Dilemma des gebrochenen Transports versucht der Kombinierte Verkehr zu lösen. Ziel des Kombinierten Verkehrs ist es, „die Vorteile verschiedener Transportmittel miteinander sinnvoll zu kombinieren und die für den Transport notwendige Verladung der Güter zu vereinfachen.“426 In der Regel wird dabei für den Vor- und Nachlauf der Straßengüterverkehr genutzt, da dieser die Erreichbarkeit beliebiger Abgangspunkte Ai und Zielpunkte Zj ermöglicht. Der Hauptlauf wird dagegen mit der Eisenbahn, dem Binnenschiff oder dem Seeschiff abgewickelt, um deren spezifische Vorteile beim Transport über lange Strecken in die Transportkette einzubringen.427 Zu diesen Vorteilen gehört auch der gegenüber dem Straßengüterverkehr vergleichsweise geringe Energieverbrauch dieser Verkehrsträger pro transportierte Masseneinheit. Mit steigenden Energiepreisen ist deshalb langfristig mit einem steigenden Marktanteil des Kombinierten Verkehrs zu rechnen.428 Schon heute erfährt der Kombinierte Verkehr

425

Vgl. Domschke (2007), S. 36–38.

426

Pfohl (2010), S. 160.

427

Zu den spezifischen Vor- und Nachteilen dieser Verkehrsträger siehe Abschnitt 3.1.1.

428

Vgl. Macharis et al. (2010).

98

3 Außerbetrieblicher Transport

wesentliche politische Unterstützung, um die Verlagerung von Straßengüterverkehren auf die Eisenbahn und die Binnenschifffahrt zu beschleunigen.429 Die genaue Abgrenzung des Kombinierten Verkehrs gegenüber den sonstigen gebrochenen Verkehren ist nicht einfach zu bewerkstelligen.430 In der deutschen Normung findet sich die folgende Definition des Kombinierten Verkehrs: „Mit kombinierter Verkehr wird eine Transportkette mit Ladeeinheiten als technischer Verknüpfungsbasis bezeichnet. Diese Ladeeinheiten sind in der Regel genormt.“431 Da allerdings die gleiche Norm Ladeeinheiten als Güter bezeichnet, „die zum Zwecke des Umschlags durch einen Ladungsträger zusammengefasst sind“,432 würden auch gebrochene Transporte einzelner Paletten dieses Kriterium erfüllen.433 Dies entspricht jedoch nicht dem allgemeinen Verständnis des Kombinierten Verkehrs. Um Transporte einzelner Paletten oder Kleinbehälter auszuklammern, wird in diesem Buch der engere Begriff des Kombinierten Ladungsverkehrs (KLV) verwendet und wie folgt definiert. Unter Kombiniertem Ladungsverkehr sollen alle Arten gebrochener Transporte zweiter Ordnung434 zusammengefasst werden, bei denen Logistikeinheiten der dritten Stufe435 sowie auch komplette Lastkraftwagen, Lastkraftwagenzüge (Lastkraftwagen mit einem Deichselanhänger), Sattelkraftfahrzeuge (Sattelzugmaschine mit einem Sattelanhänger) und einzelne Sattelanhänger ohne Sattelzugmaschine als durchgängige Ladeeinheiten zum Einsatz kommen.436 Die Formen des Kombinierten Ladungsverkehrs lassen sich mit Hilfe unterschiedlicher Kriterien abgrenzen. Häufig findet sich die Unterscheidung nach der verwendeten Ladungseinheit in den Behälterverkehr (Container und Wechselbehälter) und den Huckepackverkehr (komplette Lastkraftwagen und Sattelanhänger).437 Im Bereich des Huckepackverkehrs wird zudem zwischen begleitetem und unbegleitetem Verkehr unterschieden. Im ersten Fall begleitet der LKW-Fahrer sein Fahrzeug auch auf dem Transport mit einem anderen Verkehrsträger. Für die folgenden Ausführungen wird eine andere Gliederung gewählt. Als Unterscheidungskriterium soll der Verkehrsträger des Hauptlaufes herangezogen werden. Danach lässt sich Kombinierter Ladungsverkehr mit der Eisenbahn, mit dem Binnenschiff und mit dem Seeschiff unterscheiden. Typische Umschlagpunkte Uk im Kombinierten Ladungsverkehr sind deshalb die See- und Binnenhäfen sowie die Güterbahnhöfe und die Güterverkehrszentren, 429

Vgl. Reim (2009), S. 585. Siehe dazu auch Abschnitt 1.2.5.

430

Zudem werden die Begriffe Kombinierter Verkehr, Kombinierter Ladungsverkehr, Kombi-Verkehr, Multimodaler Verkehr und Intermodaler Verkehr teils als Synonyme und teils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt verwendet.

431

DIN 30781 Teil 1, S. 2.

432

DIN 30781 Teil 1, S. 2.

433

So z.B. auch Ihde (2001), S. 201–202.

434

Siehe dazu Abschnitt 3.3.1.

435

Siehe dazu Abbildung 6.

436

Im Gegensatz dazu bezeichnet das Statistische Bundesamt den Transport von Containern, Wechselbehältern, Straßengüterfahrzeugen und Anhängern von Straßengüterfahrzeugen mit verschiedenen Verkehrsträgern als Kombinierten Verkehr. Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 2.

437

Vgl. Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 213; Ihde (2001), S. 203–204; Pfohl (2010), S. 160.

3.3 Außerbetrieblicher Transport von Ganzladungen

99

sofern diese über entsprechende Umschlageinrichtungen verfügen. Da die durchgängige Verwendung von Luftfrachtcontainern i.d.R. nicht möglich ist, wird üblicherweise der Luftverkehr nicht als Verkehrsträger des Kombinierten Ladungsverkehrs betrachtet.438 Die wichtigste Form des Kombinierten Ladungsverkehrs für das Binnenland ist der Kombinierte Ladungsverkehr Straße-Schiene. Bei dieser Form werden für den Hauptlauf der Eisenbahnverkehr und für den Vor- und Nachlauf der Straßengüterverkehr eingesetzt. Die wohl imposanteste Form des Kombinierten Ladungsverkehrs Straße-Schiene ist der Transport von ganzen Lastkraftwagen, Lastkraftwagenzügen und Sattelkraftfahrzeugen mit speziellen Niederflurwagen der Eisenbahn, die so genannte Rollende Landstraße. Dabei werden die Straßenverkehrsmittel auf die Eisenbahnwagen aufgefahren, so dass keine Krananlagen erforderlich sind. Allerdings kommt dieser Form des Kombinierten Ladungsverkehrs gegenwärtig nur geringe Bedeutung zu, da dieser Huckepacktransport von kompletten Straßenfahrzeugen vergleichsweise hohe Totlasten mit sich bringt. So muss beispielsweise bei einem Lastkraftwagenzug von 40t zulässigem Gesamtgewicht von etwa 15t Eigengewicht ausgegangen werden. Vielmehr sind heute ISO-Container (20ft und 40ft), 45ft-Container, Wechselbehälter und in begrenztem Maße Sattelanhänger ohne Sattelzugmaschine gebräuchliche Einheiten des Kombinierten Ladungsverkehrs Straße-Schiene, die jedoch allesamt eine Verladung mit einem Kran erfordern. Die höchste Flexibilität bei der Bildung von Transportketten des KLV bietet dabei der ISO-Container,439 da dieser auch auf See- und Binnenschiffen transportiert werden kann. Containertransporte mit der Eisenbahn haben deshalb besondere Bedeutung für den Seehafenhinterlandverkehr. Die Vor- und Nachteile der Kombination von Straße und Schiene ergeben sich aus den spezifischen Leistungen dieser Verkehrsträger und aus den verwendeten Logistikeinheiten. Wesentlicher Vorteil gegenüber dem gebrochenen Verkehr ist der schnelle mechanisierte Umschlag. Beispielsweise führt der Umschlag eines gesamten Wechselbehälters von 7,45 m Länge statt von 18 einzelnen Paletten oder sogar einzelnen Packstücken zu Kostenreduktionen und Zeiteinsparungen. Ebenso entfallen Tätigkeiten der erneuten Ladungskontrolle und Ladungssicherung beim Wechsel des Verkehrsträgers. Wie in Abschnitt 3.1.1 gezeigt, wirken sich die vergleichsweise hohen Geschwindigkeiten des Eisenbahntransports vor allem dann positiv aus, wenn ganze Züge über lange Strecken ohne Rangierarbeiten transportiert werden. Um gegenüber dem direkten Transport mit dem LKW konkurrenzfähig zu sein, sollten die Transportstrecken im KLV deshalb hinreichend groß sein. Obwohl sich die erforderliche Transportweite nur im Einzelfall bestimmen lässt, finden sich in der Literatur Aussagen über Mindestentfernungen des KLV, die jedoch nur als Orientierungswerte verstanden werden dürfen. Häufig werden in Abhängigkeit von den eingesetzten Techniken Mindestentfernungen von 300 bis 500 km genannt.440 Besonders geeignet ist somit der Kombinierte Ladungsverkehr Straße-Schiene vor allem für transeuropäische Strecken sowie für den Hinterlandverkehr der Seehäfen. Neben verkehrsträgerspezifischen Vorteilen existieren in Deutschland

438

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 2.

439

Siehe dazu Abschnitt 2.2.

440

Siehe z.B. Ihde (2001), S. 205; Clausen/Eiband (2010), S. 21–22; Pfohl (2010), S. 163.

100

3 Außerbetrieblicher Transport

auch rechtliche Begünstigungen für den KLV, z.B. im Bereich der Kraftfahrzeugsteuer oder hinsichtlich der Ausnahme vom Sonntagsfahrverbot.441 Diese grundsätzliche Einschätzung wird durch die Statistiken zum Kombinierten Ladungsverkehr Straße-Schiene untermauert. Der Transport von Großcontainern, Wechselbehältern und Straßenfahrzeugen mit der Eisenbahn deckte 2009 bereits etwa 20% des Beförderungsaufkommens des Eisenbahnverkehrs ab.442 Im Verkehr innerhalb Deutschlands standen im gleichen Jahr etwa 19,1 Mill. t mit Containern und Wechselbehältern transportierten Gütern gerade 0,8 Mill. t gegenüber, die in Straßenverkehrsfahrzeugen auf der Bahn befördert wurden.443 Ähnliche Größenordnungen ergeben sich im grenzüberschreitenden Verkehr mit 19,2 Mill. t bzw. 4,2 Mill. t. sowie im Durchgangsverkehr mit 6,5 Mill. t bzw. 0,6 Mill. t. Hierdurch wird die These unterstützt, dass Kombinierter Ladungsverkehr Straße-Schiene heute im Wesentlichen Behälterverkehr bedeutet. Die größten Massen in Containern und Wechselbehältern wurden 2009 mit der Eisenbahn von Rotterdam, Antwerpen, Köln und Ludwigshafen/Mannheim nach Italien sowie von Hamburg in die Tschechische Republik und in die Slowakei transportiert.444 Auch im Bereich des Fahrzeugtransports auf der Schiene dominieren die Verkehre von und nach Italien.445 Stellt man vereinfacht dem gesamten Beförderungsaufkommen von 44,7 Mill. t, welches 2009 in Containern und Wechselbehältern mit der Eisenbahn transportiert wurde, die Beförderungsleistung von 22,5 Mrd. tkm gegenüber, so ergibt sich eine durchschnittliche Transportweite von etwa 500km.446 Der derzeit durchgeführte Kombinierte Ladungsverkehr basiert auf reifen Technologien. Neuere Technologien des Kombinierten Ladungsverkehrs Straße-Schiene konnten sich dagegen in Europa nicht durchsetzen. Dies betrifft zunächst die Trailerzüge, die heute noch vor allem in den USA und Kanada als „RoadRailer“ beschränkt Anwendung finden.447 Bei dieser Technologie werden ohne Kräne einzelne Eisenbahndrehgestelle unter spezielle Sattelanhänger (Trailer) montiert. Da die hierfür geeigneten Sattelanhänger zur Aufnahme von Zugkräften im Eisenbahnverkehr ausgelegt sein müssen, sind mit dieser Technologie jedoch erhebliche Totlasten im Straßengüterverkehr verbunden. Ebenso wurde das Projekt des Cargosprinters nach einer Versuchsphase eingestellt. Dieser Lastkraftwagen auf Schienen verfügte über einen eigenständigen Antrieb und konnte für längere Strecken zu größeren Einheiten verbunden werden. Da Deutschland über leistungsfähige Wasserstraßen verfügt, kommt auch dem Kombinierten Ladungsverkehr Binnenschifffahrt-Straße Bedeutung zu. Im Kombinierten Ladungsverkehr der Binnenschifffahrt werden vor allem volle und leere Container transportiert. Aufgrund der primären Eignung der Binnenschifffahrt für Massengüter entfielen im Jahr 2009 jedoch gerade 18,3 Mill. t, d.h. 9%, der insgesamt in der Binnenschifffahrt transportierten Masse (203,9 Mill. t), auf den Containerverkehr.448 Der Vor- und der Nachlauf findet dabei – sofern 441

Vgl. Clausen/Eiband (2010), S. 21–22.

442

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 9.

443

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 10.

444

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 24.

445

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 26 und 28.

446

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 24.

447

Siehe dazu z.B. http://www.wabashnational.com/roadrailer.htm.

448

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 29.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

101

erforderlich – in der Regel mit dem Straßengüterverkehr, in Einzelfällen auch mit der Eisenbahn statt. In begrenztem Maße werden auch Roll-on-Roll-off-Verkehre (RoRo) durchgeführt, bei denen Straßenfahrzeuge, vor allem Sattelanhänger, auf spezielle Binnenschiffe aufgefahren werden. In Abschnitt 3.1.1 wurde bereits die weite Verbreitung des ISO-Containers in der Linienschifffahrt über See aufgezeigt. Die Seeschifffahrt – Hochseeschifffahrt und Küstenschifffahrt – lässt sich somit sehr gut in Transportketten des Kombinierten Ladungsverkehrs integrieren. Neben Containern können auf Seeschiffen auch Fahrzeuge transportiert werden. Solche Roll-on-Roll-off-Verkehre mit speziellen RoRo-Schiffen oder Fähren finden sich überwiegend auf kürzeren Strecken. Für den Vor- und Nachlauf des Seeverkehrs kann der Straßengüterverkehr genutzt werden. Allerdings eignen sich auch der Kombinierte Ladungsverkehr mit der Eisenbahn und dem Binnenschiff sehr gut für die Abwicklung der Seehafenhinterlandverkehre auf Basis von Containern und Fahrzeugen. Im Jahr 2009 wurden im Seeverkehr 121,3 Mill. t, davon 97,6 Mill. t in Containern und 23,7 Mill. t in Fahrzeugen, transportiert.449 Neben den in Straßengüterfahrzeugen transportierten Massen zählen dazu auch 1,4 Mill. t auf Eisenbahngüterwagen.450 Insbesondere der ISO-Container ermöglicht eine flexible Kombination der beteiligten Verkehrsträger. Der RoRo-Verkehr mit Straßengüterfahrzeugen ist aus deutscher Sicht vor allem im Ostseeverkehr von Bedeutung. Nicht durchgesetzt hat sich die Technologie „Lighter Aboard Ship“ (LASH), als Kombination von See- und Binnenschifffahrt.

3.4

Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

3.4.1

Grundlagen der Tourenplanung

Insbesondere am Ende von Transportketten müssen nicht selten mehrere Zielpunkte ab einem Verteilpunkt V mit einzelnen kleineren Logistikeinheiten über im Vergleich zum Hauptlauf kurze Strecken beliefert werden. Beispiele dafür sind die Versorgung von Einzelhandelsfilialen mit Rollbehältern und die Zustellung von Paketen an einzelne Konsumenten. Dieser Aspekt wurde bereits in Abschnitt 3.3.3 angesprochen und wird zuweilen mit dem Schlagwort „Logistik der letzten Meile“ belegt.451 Betrachtet man diesen letzten Abschnitt der Transportkette isoliert und verallgemeinert damit die Fragestellung, so dient der Verteilpunkt V als Abgangspunkt A0 für die nachfolgenden Transporte von λ0j Logistikeinheiten zu den verschiedenen Zielpunkten Zj. Dabei tritt das Problem auf, dass die zu transportierende Anzahl von Logistikeinheiten λ0j nicht ausreicht, um zwischen A0 und Zj direkte ungebrochene Transporte mit hinreichender Fahrzeugauslastung zu realisieren. Kleine Mengen müssten also in einem Fahrzeug mit geringer Auslastung 449

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 36–40.

450

Vgl. Statistisches Bundesamt (2011b), S. 40.

451

Siehe z.B. Vahrenkamp (2007), S. 441; Bretzke (2010), S. 158.

102

3 Außerbetrieblicher Transport

transportiert werden, wodurch sich sehr hohe Kosten pro Logistikeinheit einstellen würden. Um dieses Problem zu entschärfen, könnten deshalb prinzipiell Fahrzeuge geringerer Ladekapazität eingesetzt werden. Diese lassen sich mit einer gegebenen Anzahl von Logistikeinheiten höher auslasten und verursachen beispielsweise geringere Treibstoffkosten und Abschreibungen. Allerdings fallen bei jedem Transport Kosten an, z.B. in Form der Lohnkosten des Fahrers, die weitgehend unabhängig von der Ladekapazität sind. Auch Fahrzeuge sehr kleiner Kapazität würden deshalb zu vergleichsweise hohen Kosten je transportierter Logistikeinheit führen. Die Durchführung von Direkttransporten mit kleineren Fahrzeugen ergibt deshalb in der Regel keine befriedigende Lösung des Problems. Eine Alternative dazu besteht in der Bildung einer Tour. Dabei werden die Mengen λ0j, die einen Abgangspunkt A0 in Richtung n verschiedener Zielpunkte Zj verlassen sollen, aggregiert und zusammen auf ein Fahrzeug verladen. Der Abgangspunkt A0 wird in diesem Zusammenhang als Depot bezeichnet.452 Das Fahrzeug verlässt das Depot und fährt sodann die Zielpunkte Zj sukzessiv an, um die jeweiligen Logistikeinheiten λ0j an ihren Bestimmungsort anzuliefern.453 Dabei soll das Fahrzeug einen Zielpunkt Zj nur einmal erreichen. Nachdem der letzte Zielpunkt beliefert wurde, kehrt das Fahrzeug leer zum Depot zurück. In der Regel endet die Tour im gleichen Depot, in der sie begonnen wurde (geschlossene Tour). Prinzipiell ist jedoch auch ein Ende in einem anderen Depot möglich (offene Tour).454 Die Reihenfolge, in der die Zielpunkte Zj angefahren werden, wird dabei als Route bezeichnet.455 Die Bestimmung der optimalen Route einer Tour wird Gegenstand von Abschnitt 3.4.2 sein. Touren wurden bereits in Abschnitt 3.3.1 den ungebrochenen indirekten Transporten zugeordnet, da kein Wechsel des Transportmittels stattfindet und der Transport einer einzelnen Teilladung λ0j zu einem bestimmten Punkt Zj nicht auf direktem Weg erfolgt. Die transportierten Güter legen entlang der Route Umwege über jene Zielpunkte anderer Teilladungen zurück, die auf dem Weg zuerst zugestellt werden. Dies kann an dem einfachen Fall von zwei Zielpunkten (Kunden) verdeutlicht werden. Die linke Seite der Abbildung 12 zeigt zunächst den Fall der Direktbelieferung der beiden Zielpunkte Zi und Zj. Die beiden genutzten Fahrzeuge sind mit λ0i bzw. λ0j Logistikeinheiten beladen und nur gering ausgelastet. Da es sich um eine reine Auslieferung handelt, bleiben die Fahrzeuge auf der Rückfahrt leer. Deshalb liegt es nahe, eine Tour zu bilden. Dazu wird im Depot (A0) ein Fahrzeug mit beiden Sendungen beladen. Hierdurch wird der Einsatz des zweiten Fahrzeugs vermieden. Das Fahrzeug fährt zunächst Zi an. Auf diesem Streckenabschnitt wird somit eine höhere Auslastung realisiert. Nach der Entladung der λ0i Logistikeinheiten verbleiben λ0j auf dem Fahrzeug, die nun zu Zj transportiert werden. Die Teilladung λ0j legt allerdings im Vergleich zum Direkttransport den Umweg δ über Zi zurück, der wie folgt bestimmt werden kann: (22)

δ = d 0i + d ij − d 0 j

452

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 198.

453

Vgl. Tempelmeier (1983), S. 251–252; Günther/Tempelmeier (2012), S. 301.

454

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 64.

455

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 198.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren Zj

Zj λ = λ0j

λ = λ0j

dij

λ= 0 d0j = dj0

Zi

103

Zi

dj0

λ= 0

λ =0 d0i

λ = λ0i d0i = di0

λ = λ0i+ λ0j A0

A0

Abbildung 12: Bildung einer Tour mit zwei Kunden.

Durch den Umweg steigt die Lieferzeit der Teilladung λ0j an. Stellt diese eine kritische Größe dar und wird die maximal zulässige Lieferzeit für die Teilladung λ0j durch den Umweg überschritten, so führt dies zur Unzulässigkeit der Tour. Betrachtet man jedoch nicht nur eine einzelne Teilladung und vergleicht somit nicht nur einen einzelnen direkten Transport mit dem indirekten Transport entlang der Tour, muss die Vorstellung des Umwegtransports relativiert werden. Liegt der Fokus auf der Gesamtladung und wird deshalb die Länge der Tour mit der gesamten Länge aller ansonsten erforderlichen Direkttransporte verglichen, so äußert sich die Vorteilhaftigkeit von Touren auch hinsichtlich einer Wegstreckeneinsparung. Die Länge der gefahrenen Strecke im Vergleich zu den alternativ möglichen Direkttransporten wird trotz der aufgezeigten Umwege einzelner Teilladungen in der Regel deutlich reduziert. Insbesondere entfallen n – 1 Leertransporte zurück zum Depot. Im aufgezeigten Beispiel mit zwei Zielpunkten Zi und Zj kann die Größe der Wegstreckeneinsparung sij aus den entfallenen und neu hinzugekommenen Transportrelationen bestimmt werden. (23)

sij = d i0 + d 0 j − d ij

Im allgemeinen Fall mit einem Depot A0, n Zielpunkten Zj und i = j – 1 (i ist der Vorgängerzielpunkt von j) folgt analog eine gesamte Wegstreckeneinsparung s in folgender Höhe: (24)

n

n

n

j= 2

j= 2

j= 2

s = ∑ d j−1,0 + ∑ d 0, j − ∑ d j−1, j

Die obigen Ausführungen bezogen sich auf Verteiltouren, bei denen ausgehend von einem Abgangspunkt A0 (Depot) mehrere Kunden an verschiedenen Zielpunkten Zj durch ein Fahrzeug beliefert werden. Das Fahrzeug verlässt somit beladen das Depot und kehrt leer dahin zurück. Man kann diese deshalb auch als Auslieferungstouren bezeichnen. Ein Beispiel dafür ist die Auslieferung von Backwaren einer Großbäckerei an die verschiedenen Verkaufsstellen. Andererseits kann der Zweck einer Tour in der Aufnahme von Gütern oder Abfällen an mehreren Abgangspunkten Aj bestehen, die am Ende der Route an einem zentralen Zielpunkt Z0 (Depot) abgeladen werden. Das Fahrzeug ist also zunächst leer und kehrt beladen zum

104

3 Außerbetrieblicher Transport

Depot zurück. Diese Fälle stellen Sammeltouren dar. Ein Beispiel dafür ist die Abholung von Milch mit einem Tankwagen bei mehreren Bauern. Beide Formen von Touren können kombiniert werden. Bei kombinierten Sammel- und Verteiltouren werden entlang der Route mehrere Abgangs- und Zielpunkte von dem gleichen Fahrzeug angefahren.456 Wird an einem Ort sowohl Ladung abgegeben als auch aufgenommen, handelt es sich dabei um einen kombinierten Abgangs- und Zielpunkt. Die besondere Schwierigkeit dieser Problemstellung besteht in der Einhaltung der Kapazitätsgrenze des Fahrzeugs während der gesamten Tour. Ebenso müssen die Güter im Fahrzeug so angeordnet werden, dass ein Be- und Entladen bei jedem Zwischenhalt ohne aufwendiges Umräumen möglich ist. Sammel- und Verteiltouren treten beispielsweise auf, wenn bei der Auslieferung Leergut aufgenommen und zurück zum Depot transportiert wird.457 Ein weiterer Fall sind Touren von Paketdiensten bei denen Pakete ausgeliefert und andere bei den Kunden für den Transport zum Depot angenommen werden. Bei den bisher beschriebenen Situationen handelt es sich um knotenorientierte Probleme, da einzelne Knoten (Orte) in einem Netzwerk, in einer bestimmten Reihenfolge angefahren werden. Ein Knoten wird auf einer solchen Tour nur einmal zum Be- oder Entladen erreicht. Bei kantenorientierten Problemen sollen dagegen die Kanten (Straßen) zwischen den Knoten eines Netzwerkes in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen werden.458 Dabei soll jede Kante mindestens einmal durchfahren werden. Beispiele für kantenorientierte Probleme sind die Verteilung von Wurfsendungen oder die Einsammlung von Hausmüll. In der Literatur werden diese deshalb als Briefträgerprobleme bezeichnet.459 Da beim Transfer von Gütern und Abfällen überwiegend knotenorientierte Probleme auftreten, werden diese im Folgenden primär betrachtet. Die obigen Ausführungen haben die Möglichkeit vorausgesetzt, alle Kunden bzw. alle Lieferanten auf einer Tour zu erreichen. Dies kann jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sein. Zum einen ist die Ladekapazität von Fahrzeugen begrenzt. Wird die Kapazitätsgrenze erreicht, kann die Ladung zusätzlicher Kunden bzw. Lieferanten nicht mehr aufgenommen werden. Ebenso kann die maximal zulässige Fahrzeit oder der Zeitbedarf für die erforderlichen Ent- bzw. Beladeprozesse eine Grenze für die Zuordnung weiterer Aufträge darstellen.460 In beiden Fällen werden mehrere abgestimmte Touren notwendig. Hierdurch entsteht das Tourenplanungsproblem im weiteren Sinne, da zur Bestimmung der einzelnen Routen eine Zuordnung von Zielpunkten zu Touren vorgenommen werden muss.461 Das Tourenplanungsproblem umfasst deshalb ein Zuordnungsproblem und für jede Tour ein Reihenfolgeproblem, welche durch einen zulässigen und möglichst optimalen Tourenplan gelöst werden.462 Dieser fasst mehrere Touren und die zugehörigen Routen zusammen, welche ausgehend von einem Depot in ihrer Gesamtheit die Abholung bzw. Lieferung der Güter sicherstellen.463 456

Siehe dazu auch Abschnitt 3.4.4.

457

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 63.

458

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 63.

459

Siehe z.B. Domschke/Scholl (2010), S. 167.

460

Vgl. Tempelmeier (1983), S. 253.

461

Vgl. Tempelmeier (1983), S. 252.

462

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 199.

463

Vgl. Laporte (2007), S. 811.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

105

Dabei können unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden.464 Häufig steht die Minimierung der zurückgelegten Wege (Fahrzeugkilometer), der benötigten Zeiten oder der Fahrtkosten im Vordergrund. Ebenso kann das Ziel der Minimierung der eingesetzten Fahrzeuge verfolgt werden. Darüber hinaus ist die Verwendung einer hierarchischen Zielfunktion möglich, welche eine Optimierung der Anzahl der Fahrzeuge und der Strecken erlaubt.465 In Abschnitt 3.4.3 werden einfache Verfahren zur Ermittlung von Tourenplänen vorgestellt.

3.4.2

Bestimmung der Reihenfolge innerhalb einzelner Touren

Reicht ein Fahrzeug aus, um alle n Zielpunkte Zj mit der erforderlichen Anzahl von Logistikeinheiten λ0j ab dem Depot A0 in der zulässigen Zeit zu beliefern, kann das komplexe Tourenplanungsproblem auf die Planung einer einzelnen Tour reduziert werden. In diesem Fall müssen die Transportmengen bzw. die Anzahl der Logistikeinheiten nicht weiter betrachtet werden. Das Problem reduziert sich somit auf die Festlegung einer Route für diese einzelne Auslieferungstour, d.h. auf die Planung der optimalen Reihenfolge in der die Zielorte Zj durchlaufen werden. Analog ergibt sich für Sammeltouren die gleiche Aufgabe, wenn ein Fahrzeug und die verfügbare Zeit ausreichen, alle Güter in m Abgangspunkten Ai abzuholen und zu einem Depot Z0 zu bringen. Da beide Fälle die gleiche Problemstruktur aufweisen, werden die folgenden Aussagen stellvertretend für Auslieferungstouren vorgenommen. Die Festlegung der Reihenfolge kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Zunächst kann die Planung der Route dem Fahrer überlassen werden. Ein erfahrener Fahrer kennt die schnellsten und kürzesten Wege, beachtet temporäre Hindernisse, wie z.B. Baustellen, und kann bestimmte Kundenwünsche, z.B. hinsichtlich bestimmter Anlieferungszeitfenster, flexibel berücksichtigen. Durch die Übertragung der Planungsaufgabe auf den ausführenden Mitarbeiter kommt es zudem zu einer Aufgabenbereicherung, welche i.d.R. positive Effekte auf dessen Zufriedenheit ausübt. Der Fahrer empfindet keine Einengung seiner Entscheidungsfreiheit durch eine zentrale Planungsinstanz. Allerdings verfügt der Fahrer über keine Hilfsmittel zur Optimierung der Route und muss sich deshalb allein auf seine Erfahrung und Intuition verlassen. Hierdurch kann es zu suboptimalen Routen kommen, insbesondere dann, wenn viele Zielpunkte angefahren werden müssen und eine sinnvolle Reihenfolge für den Fahrer nicht unmittelbar ersichtlich ist. Die Vorteilhaftigkeit der gewählten Route hängt somit wesentlich von dem Geschick, der Erfahrung und auch der Motivation des einzelnen Fahrzeugführers ab. Sollen auch im Fall von komplexen Touren oder Fahrern mit geringer Ortskenntnis gute oder sogar optimale Routen gefunden werden, empfiehlt sich deshalb die Bestimmung der Route durch spezialisierte Planer unter Nutzung spezieller quantitativer Verfahren. Dabei sind zwei Situationen zu unterscheiden. Verändert sich die Lage der Zielpunkte Zj im Zeitablauf nur selten, kann eine Route für diese Standardtour geplant werden, die somit für längere Zeit Bestand hat. Ein Beispiel dafür ist die Belieferung von eigenen Verkaufsstellen durch eine Bäckerei. Ändern sich dagegen die Kunden und damit die Zielpunkte Zj täglich, so ist 464

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 64; Domschke/Scholl (2010), S. 203.

465

Vgl. Bräysy/Gendreau (2005), S. 106.

106

3 Außerbetrieblicher Transport

die Planung jeweils auf Basis der aktuellen Daten zu wiederholen. Insbesondere die Planung der Route einer solchen Tagestour erfordert schnelle und nutzerfreundliche Verfahren. Im Rahmen des Operations Research wird die Planung einer Route für eine einzelne Tour, bei der die Transportmengen aufgrund der ausreichenden Kapazität des Fahrzeugs vernachlässigt werden können, als Traveling-Salesman-Problem (TSP) abgebildet.466 Ziel des Händlers ist es, auf einer Rundreise eine Anzahl räumlich verstreuter Kunden an einem Tag nacheinander zu besuchen, dabei einen minimalen Weg zurückzulegen und an seinen Ausgangsort zurückzukehren. Im gleichen Sinne wird bei der Festlegung einer Route eines Auslieferungsfahrzeugs der kürzeste oder schnellste Weg gesucht, der das Depot mit den Zielpunkten Zj verbindet und eine Rückkehr zum Depot zulässt. Die Lösung des TSP besteht somit in einer Rundreise, welche die n Knoten eines Graphen467 verbindet. Dabei wird eine kostenminimale, kürzeste oder schnellste Rundreise angestrebt. In Anlehnung an die klassische Formulierung von Miller, Tucker und Zemlin kann das Traveling-Salesman-Problem mathematisch für den allgemeinen Fall eines Digraphen wie folgt als ganzzahliges Optimierungsmodell beschrieben werden.468 Mit der Zielfunktion wird die Minimierung der Gesamtlänge der Rundreise R über n Knoten angestrebt. (25)

n

n

min R (Ξ) = ∑∑ d ij ⋅ ξ ij i =1 j=1

Der Index i bezeichnet den Vorgängerknoten und j den Nachfolgerknoten. Die Größe dij gibt die kürzeste Distanz von Knoten i nach Knoten j an. Für die Lösung des Problems wird also eine Distanzmatrix D (Kürzeste-Wege-Matrix) für alle Knoten benötigt. Als Optimierungsvariablen dienen die Binärvariablen ξij, welche den Wert 1 annehmen, wenn die Rundreise auf direktem Weg von i nach j führt. Ist dies nicht der Fall beträgt deren Wert 0. (26)

ξ ij ∈ {0,1}

Zusätzlich müssen zur Erreichung einer zulässigen Lösung die folgenden Restriktionen eingehalten werden: (27)

n

∑ξ j=1

(28)

= 1 ∀i

ij

= 1 ∀j

n

∑ξ i =1

(29)

ij

ξ ii = 0 ∀i

Die Gleichung (27) stellt sicher, dass jeder Knoten i nur genau einmal verlassen wird. Analog wird mit (28) das Erreichen jedes Nachfolgerknotens j von genau einem Vorgängerknoten i 466

Siehe dazu Domschke/Drexl (2011), S. 144–157.

467

Zum Begriff des Graphen siehe Abschnitt 3.2.1.

468

Vgl. Miller/Tucker/Zemlin (1960), S. 326–328; Domschke/Scholl (2010), S. 99–100.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

107

bewirkt. Die Gleichung (29) schließt Verbindungen von einem Knoten zu sich selbst aus. Diese Schlingen könnten auch ohne diese Restriktion verhindert werden, wenn in der Distanzmatrix für alle dii sehr große Werte eingesetzt würden. Das bisher aufgestellte Modell lässt sich als lineares Zuordnungsproblem leicht lösen, führt jedoch in der Regel zu Kurzzyklen statt zu einer geschlossenen Rundreise.469 Dieser Effekt wird in Abbildung 13 verdeutlicht. Offensichtlich erfüllt auch die rechte Lösung mit zwei Kurzzyklen alle bisherigen Restriktionen und liefert eine kleinere Gesamtlänge R als die geschlossene Rundreise. Trotzdem ist diese Lösung hinsichtlich der Problemstellung nicht sinnvoll, da nicht alle Zielpunkte mit einem Fahrzeug auf einer Tour erreicht werden.

1

1

2

3

2

3 2

5

2 5

3

5 5 3

3 4

3

4

Rundreise: R = 18

3

3 Zwei Kurzzyklen: R = 14

Abbildung 13: Bildung von Kurzzyklen bei Traveling-Salesman-Problemen.

Zur Verhinderung von Kurzzyklen müssen deshalb weitere Restriktionen formuliert werden. Dazu stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung.470 An dieser Stelle soll wiederum dem Ansatz von Miller, Tucker und Zemlin gefolgt werden.471 (30)

u i − u j + n ⋅ ξ ij ≤ n −1 i, j = 2,…, n

mit i ≠ j

Diese (n – 1)(n – 2) zusätzlichen Bedingungen schließen die Bildung von Kurzzyklen aus, die nicht den Knoten 1 enthalten. Für die Hilfsvariablen ui und uj sind beliebige reelle Werte zulässig. Im Fall ξij = 0 können die Paare ui und uj stets so gewählt werden, dass die Relation (30) erfüllt wird. Beispielsweise trifft immer die folgende Bedingung zu: (31)

0 − 0 + n ⋅ 0 ≤ n −1 i, j = 2,…, n

mit i ≠ j

469

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 100.

470

Siehe dazu Laporte (1992), S. 233–234; Domschke/Scholl (2010), S. 100–101.

471

Vgl. Miller/Tucker/Zemlin (1960), S. 327.

108

3 Außerbetrieblicher Transport

Die Wirkung dieser Bedingung im Fall von ξij = 1 kann an dem obigen Beispiel verdeutlicht werden.472 (32)

i = 2 u 2 − u5 + 5 ≤ 4

(33)

i = 3 u3 − u 4 + 5 ≤ 4 ⇒ u 4 − u3 ≥ 1

(34)

i = 4 u 4 − u 3 + 5 ≤ 4 ⇒ u 4 − u 3 ≤ −1

Die Relation (32) kann beispielsweise mit u5 = 3 und u2 = 1 erfüllt werden. Eine der beiden Restriktionen (33) und (34) ist jedoch stets verletzt, da unabhängig von der Wahl der Variablen die Differenz von u3 und u4 nicht gleichzeitig ≥ 1 und ≤ –1 sein kann. Die Bedingung (31) führt somit im Fall von Kurzzyklen zu einem Widerspruch und sichert damit die Bildung einer vollständigen Rundreise.473 Durch die Aufnahme der Zyklusbedingungen wird das TSP jedoch bei größerer Knotenzahl schwer lösbar. Die Berechnung einer optimalen Rundreise soll nun an dem folgenden Beispiel aufgezeigt werden. Fallbeispiel 3: Traveling-Salesman-Problem

Ein Handelsvertreter möchte im Rhein-Neckar-Raum 12 Kunden an einem Tag besuchen. Die kürzesten Entfernungen zwischen den Kunden auf Basis des realen Straßennetzes sind bekannt (siehe Tabelle 12). Gesucht ist die optimale Rundreise, mit der jeder Kunde genau einmal besucht werden kann. Tabelle 12: Distanzmatrix D für das Fallbeispiel 3. 1

2

Mannheim, Flachsstraße

1

0

3,5

Mannheim, Eisenstraße

2

3,5

0

2,8

7,0

4,8 13,8 7,6 15,4 11,8 9,0

6,3 17,7

Mannheim, Dammstraße

3

6,7

2,8

0

6,8

2,9 11,5 5,1 13,5 9,9

4,4 17,4

Mannheim, Klingenberger Straße

4 10,1 7,0

6,8

0

Mannheim, Jungbuschstraße

5

2,9

8,6

Mannheim, Durlacher Straße

6 27,4 13,8 11,5 10,0 10,7

Mannheim, Speyrer Straße

7 11,6 7,6

Mannheim, Kolmarer Straße

8 26,0 15,4 13,5 12,0 12,3 10,8 10,7

8,7

4,8

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

6,7 10,1 8,7 27,4 11,6 26,0 9,8 13,0 10,3 23,6 7,1

8,6 10,0 10,2 12,0 24,6 13,1 10,4 14,4 0

5,1 10,2 4,5

10,7 4,5 12,3 8,7 0 5,7

5,7 10,8 0

18

5,9

10,7 11,7 7,3 0

9,8 11,8 9,9 24,6 8,7 18,0 11,7 31,3

3,2 18,3

13,6 10,8 23,1 4,6 23,1

31,3 17,3 14,4 21,4

Ludwigshafen, Bürgerm. Fries Straße

9

Ludwigshafen, Trifels Straße

10 13,0 9,0

7,1 13,1 5,9 13,6 7,3 17,3 11,5

0

11,5 8,5 28,7 0

Ludwigshafen, Yorck Straße

11 10,3 6,3

4,4 10,4 3,2 10,8 4,6 14,4 8,5

4,1

Weinheim, Elisabethstraße

12 23,6 17,7 17,4 14,4 18,3 23,1 23,1 21,4 28,7 23,0 19,7

4,1 23,0 0

19,7 0

Auf Basis dieser Entfernungen wird das oben aufgestellte Modell spezifiziert. Neben der Zielfunktion und den 36 Restriktionen aus (27) bis (29) umfasst das Modell 110 Zyklusbe-

472

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 101.

473

Zum generellen Nachweis dieser Wirkung siehe Miller/Tucker/Zemlin (1960), S. 328; Laporte (1992), S. 234.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

109

dingungen. Zur Ermittlung der optimalen Reihenfolge der Kunden müssen die 132 Binärvariablen ξij bestimmt werden. Dazu können exakte Verfahren der ganzzahligen linearen Optimierung, vor allem das Branch-and-Bound-Verfahren, eingesetzt werden.474 Das Fallbeispiel 3 wurde mit dem MS-Excel-Solver gelöst, der ebenfalls das Branch-and-BoundVerfahren zur Bestimmung der optimalen Rundreise verwendet.475 Abbildung 14 zeigt die resultierende Route. Die sich ergebende Lösungsmatrix Ξ ist in Tabelle 13 wiedergegeben.

Weinheim 12 1 9 2

Mannheim

3

Ludwigshafen

4

5 11

10

7

Neckar 8

Rhein

6

Abbildung 14: Ermittelte optimale Rundreise für das Fallbeispiel 3. Tabelle 13: Lösungsmatrix Ξ für das Fallbeispiel 3. 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Mannheim, Flachsstraße

1

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

Mannheim, Eisenstraße

2

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Mannheim, Dammstraße

3

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Mannheim, Klingenberger Straße

4

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Mannheim, Jungbuschstraße

5

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

Mannheim, Durlacher Straße

6

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

Mannheim, Speyrer Straße

7

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

Mannheim, Kolmarer Straße

8

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

Ludwigshafen, Fries Straße

9

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

Ludwigshafen, Trifels Straße

10

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

Ludwigshafen, Yorck Straße

11

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

Weinheim, Elisabethstraße

12

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

474

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 103. Zum Grundprinzip dieses Verfahrens siehe z.B. Domschke/Drexl (2011), S. 133–135.

475

Siehe dazu die Seiten von Frontline, den Entwicklern des Solvers (http://www.solver.com/technology3.htm).

110

3 Außerbetrieblicher Transport

Aus der Lösungsmatrix lässt sich die Reihenfolge 1-9-11-10-5-7-6-8-12-4-3-2-1 ablesen. Die Länge der Rundreise R beträgt in diesem Fall 98,2 km. Auf den ersten Blick erscheint diese Reihenfolge suboptimal, da man aufgrund der Lage der Knoten eine Verbindung von 9 nach 10, von dort nach 11 und weiter nach 5 vermuten würde. Die in dieser Weise modifizierte Rundreise hätte jedoch eine Länge von 98,5 km. Der Grund dafür liegt in der Verwendung realer Straßennetze. Insbesondere sind das dichte Autobahnnetz sowie in der Region Rhein-Neckar die Lage von Brücken zu beachten. Das Fallbeispiel 3 mit 12 Kunden führt bereits zu einem vergleichsweise komplexen Modell, welches zwar wie angegeben mit MS-Excel modelliert, jedoch mit dem Standard Solver nur mit einen Zeitaufwand von einigen Minuten berechnet werden kann. Obwohl bei gegenwärtigem Stand der Forschung auch bereits sehr große TSP mit entsprechenden Verfahren exakt gelöst werden können, finden sich deshalb in der Literatur auch eine Reihe von leistungsfähigen Heuristiken.476

3.4.3

Bestimmung von Tourenplänen

Wie bereits in Abschnitt 3.4.1 dargelegt, wird häufig die Ladekapazität eines einzelnen Fahrzeugs nicht ausreichen, alle erforderlichen Zielorte zu beliefern. Ebenso können Rundreisen gebildet werden, die nicht in der rechtlich zulässigen Arbeitszeit des Fahrers bzw. der Fahrerin oder im Rahmen der Lieferzeitvorgaben der Kunden realisiert werden können. In diesen Fällen ist die Planung von mehreren interdependenten Touren erforderlich, die gleichzeitig von mehreren Fahrzeugen ausgeführt werden. Neben dem im Abschnitt 3.4.2 dargestellten Reihenfolgeproblem ist somit zusätzlich das Problem der Zuordnung von Zielpunkten zu Touren bzw. zu Fahrzeugen zu lösen, um einen zulässigen Tourenplan zu erhalten.477 Gleiches gilt für den Fall von Sammeltouren. Die Grundform eines knotenorientierten Tourenplanungsproblems stellt das Capacitated Vehicle Routing Problem (CVRP) dar,478 welches wohl erstmals von Danzig und Ramser unter der Bezeichnung „Truck Dispatching Problem“ am Beispiel der Auslieferung von Benzin an Tankstellen unter Nutzung mehrerer Lastkraftwagen beschrieben wurde.479 Das CVRP geht von einer begrenzten Ladekapazität κl der verfügbaren m Fahrzeuge aus. Die Fahrzeuge beginnen ihre Fahrt in einem zentralen Depot und kehren, nachdem alle ihnen zugeordneten Zielpunkte bzw. Abgangspunkte durchlaufen wurden, zu diesem zurück. Den Kapazitäten stehen die zu den Zielpunkten zu liefernden bzw. von den Abgangspunkten abzuholenden Gütermengen gegenüber, welche in ihrer Gesamtheit die Kapazität eines einzelnen Fahrzeugs deutlich übersteigen.480 Die Gütermengen sowie die Kapazitäten können in Gewichts- und Volumeneinheiten, Lademetern oder auch als Anzahl von Logistikeinheiten gemessen werden. Im Fall von einheitlichen Logistikeinheiten, z.B. Paletten oder Rollbehältern, bietet sich die Verwendung der Transportmatrix Λ an, welche als Elemente die Anzahl der Logistikein476

Siehe dazu Laporte (1992); Domschke/Scholl (2010), S. 103–153.

477

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 199.

478

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 204.

479

Vgl. Danzig/Ramser (1959), S. 80.

480

Vgl. Danzig/Ramser (1959), S. 81.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

111

heiten λ0j enthält, die von dem Depot D0 zu den Zielpunkten Zj transportiert werden müssen. Neben der Ladekapazität der Fahrzeuge kann eine maximal zulässige Arbeitszeit τ der Fahrer die Länge einer einzelnen Tour begrenzen. Ziel der Lösung des CVRP ist die Minimierung der insgesamt von den eingesetzten Fahrzeugen zurückgelegten Strecke unter Einhaltung der genannten Restriktionen. Die mathematische Formulierung des CVRP kann im Sinne einer Verallgemeinerung des TSP als lineares Zuordnungsproblem erfolgen.481 Hierzu sind zusätzliche Restriktionen erforderlich, welche die Einhaltung der Kapazitätsgrenzen κl der einzelnen Fahrzeuge und ggf. der verfügbaren Zeit τ für eine Tour sicherstellen. Da die Struktur des TSP in die des CVRP integriert ist, kommt wiederum der Unterbindung von Kurzzyklen innerhalb der einzelnen Touren eine zentrale Bedeutung zu. Hierdurch ergeben sich, wie bereits in Abschnitt 3.4.2 gezeigt, erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der exakten Lösung dieser Probleme. Obwohl verschiedene exakte Lösungsverfahren für Tourenplanungsprobleme zur Verfügung stehen,482 sind diese bei höherer Anzahl von Knoten aufgrund der aufgezeigten Problemstruktur nur mit erheblichem Rechenaufwand anwendbar und derzeit kaum zur Lösung realer Fragestellungen geeignet.483 Aus diesem Grunde werden sich die folgenden Ausführungen auf heuristische Lösungsverfahren der Tourenplanung konzentrieren. Heuristiken lassen sich generell entsprechend der gewählten Lösungsstrategie verschiedenen Klassen zuteilen.484 Wie bereits angemerkt, setzt sich das Tourenplanungsproblem aus einem Zuordnungsproblem (Zielorte zu Touren) und aus mehreren Reihenfolgeproblemen (Reihenfolge der Zielorte innerhalb jeder einzelnen Tour) zusammen. Aus dieser Problemstruktur lässt sich eine spezielle Klassifikation der heuristischen Lösungsverfahren der Tourenplanung ableiten.485 Sukzessivverfahren trennen beide Teilprobleme und lösen diese nacheinander. Dazu erfolgt entweder zuerst für alle Zielpunkte die Bildung einer Rundreise, die danach entsprechend der Kapazitätsrestriktionen zerlegt wird. Oder es wird zunächst eine Zuordnung von Zielpunkten zu Touren vorgenommen, für die sodann jeweils ein vergleichsweise kleines Traveling-Salesman-Problem (TSP)486 gelöst wird. Ein Beispiel für ein solches Verfahren ist der Ansatz von Fisher und Jaikumar.487 Simultanverfahren versuchen dagegen, beide Teilprobleme gleichzeitig zu lösen. Neben den simultanen Eröffnungsverfahren, welche eine zulässige Lösung ermitteln, zählen hierzu die Verbesserungsverfahren, welche ausgehend von einem ersten zulässigen Tourenplan, eine weitere Verbesserung dieser Ausgangslösung anstreben.488 Als Beispiel für ein simultanes Eröffnungsverfahren wird im Folgenden das SavingVerfahren ausführlich behandelt. Die Grundlage dieses Verfahrens, welches auf Clarke und 481

Siehe dazu z.B. Domschke/Scholl (2010), S. 206–208; Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 65–66.

482

Siehe dazu z.B. Laporte (2007), S. 812–814; Laporte (2009), S. 408–411; Domschke/Scholl (2010), S. 211–225; Baldacci/Mingozzi/Roberti (2012).

483

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998b), S. 164; Laporte (2007), S. 811; Domschke/Scholl (2010), S. 226.

484

Vgl. Domschke/Drexl (2011), S. 129–133.

485

Vgl. zum Folgenden Domschke/Scholl (2010), S. 226–228.

486

Siehe dazu Abschnitt 3.4.2.

487

Vgl. Fisher/Jaikumar (1981).

488

Vgl. Laporte (2007), S. 814.

112

3 Außerbetrieblicher Transport

Wright zurückgeht,489 bilden die in Abschnitt 3.4.1 angestellten Überlegungen zur Einsparung von Wegen durch Einbeziehung eines weiteren Knotens in eine Pendeltour.490 Die Ausgangslösung des Saving-Verfahrens besteht aus der direkten Belieferung jedes einzelnen Kunden ab dem Depot mit Hilfe von Pendelverkehren. Es liegen somit n Touren bestehend aus jeweils zwei Knoten – dem Depot und einem Kunden – vor. Danach wird für jedes Knotenpaar die Wegstreckeneinsparung sij (Saving) gemäß Gleichung (23), die aus Gründen der Übersichtlichkeit nachfolgend nochmals angeführt wird (35), berechnet.

(35)

sij = d i0 + d 0 j − d ij

In der sich daraus ergebenden Matrix wird jenes Knotenpaar identifiziert, das bei einer Zusammenfassung zu einer Tour die größte Wegstreckeneinsparung (Saving) zur Folge hat. Damit wird die erste Tour mit drei Knoten – dem Depot und diesen beiden Kunden – gebildet. Das Verfahren wird mit jenem Knotenpaar fortgesetzt, welches den nächst größten Saving aufweist, sofern es sich bei diesen um Endknoten von zwei verschiedenen Touren handelt und die Kapazitätsgrenze κl oder eine Zeitrestriktion τ noch nicht überschritten ist.491 Diese Vorgehensweise wird solange fortgeführt, bis sich keine Erweiterung von Touren mehr durchführen lässt oder keine positiven Savings mehr zur Verfügung stehen. Die Funktionsweise des Saving-Verfahrens soll nun anhand eines Fallbeispiels aufgezeigt werden.492 Fallbeispiel 4: Tourenplanungsproblem (Capacitated Vehicle Routing Problem)

Der Lebensmittelgroßhändler Foodexpress hat die Bestellungen seiner Kunden bearbeitet, die morgen in den Vormittagsstunden ausgeliefert werden müssen. Hierfür stehen 4 Fahrzeuge zur Verfügung, die jeweils über eine Ladekapazität von 12 Rollbehältern verfügen. Insgesamt müssen morgen 35 Rollbehälter mit verschiedenen Waren zugestellt werden. Die Anzahl der Rollbehälter, welche die einzelnen Kunden erhalten sollen, sind in Tabelle 14 gegeben. Die 12 Kunden sind über den Rhein-Neckar-Raum verteilt. Das Zentrallager des Großhändlers befindet sich in der Lagerstraße 5 in Mannheim. Die kürzesten Entfernungen zwischen den Kunden sowie zwischen den Kunden und dem Depot sind auf Basis des realen Straßennetzes bekannt (Tabelle 15). Dabei wurden jene Strecken gewählt, welche die schnellste Verbindung ermöglichen. Gesucht ist ein zulässiger und möglichst guter Tourenplan. Tabelle 14: Anzahl der Rollbehälter λ0j für die einzelnen Kunden j.

Anzahl der Rollbehälter

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

2

4

3

6

2

4

2

1

5

2

1

3

489

Siehe dazu Clarke/Wright (1964); Tempelmeier (1983), S. 256–270; Scholl/Domschke/Klein (1998b), S. 167; Domschke/Scholl (2010), S. 235–240.

490

Siehe dazu Abbildung 12.

491

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 236.

492

Das folgende Beispiel stellt eine Erweiterung des in Abschnitt 3.4.2 behandelten TSP dar.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

113

Tabelle 15: Distanzen dij zwischen den Kunden sowie zwischen den Kunden und dem Depot (Knoten 0). in km

0

1

2

3

4

Mannheim, Lagerstraße

0

0

5,1

1,7

2

7,5

Mannheim, Flachsstraße

1

5,1

0

3,5

Mannheim, Eisenstraße

2

1,7

3,5

0

2,8

7,0

4,8 13,8 7,6 15,4 11,8 9,0

6,3 17,7

Mannheim, Dammstraße

3

2

6,7

2,8

0

6,8

2,9 11,5 5,1 13,5 9,9

4,4 17,4

Mannheim, Klingenberger Straße

4

7,5 10,1 7,0

6,8

0

Mannheim, Jungbuschstraße

5

3,8

2,9

8,6

Mannheim, Durlacher Straße

6 12,9 27,4 13,8 11,5 10,0 10,7

Mannheim, Speyrer Straße

7

Mannheim, Kolmarer Straße

8 14,6 26,0 15,4 13,5 12,0 12,3 10,8 10,7

8,7

4,8

6,7 11,6 7,6

5

6

7

8

9

10

3,8 12,9 6,7 14,6 10,9 8,1

11

12

5,4 18,2

6,7 10,1 8,7 27,4 11,6 26,0 9,8 13,0 10,3 23,6 7,1

8,6 10,0 10,2 12,0 24,6 13,1 10,4 14,4 0

10,7 4,5 12,3 8,7

5,1 10,2 4,5

0

5,7 10,8

5,7

0

18

5,9

10,7 11,7 7,3 0

3,2 18,3

13,6 10,8 23,1 4,6 23,1

31,3 17,3 14,4 21,4

Ludwigshafen, Fries Straße

9 10,9 9,8 11,8 9,9 24,6 8,7 18,0 11,7 31,3

Ludwigshafen, Trifels Straße

10 8,1 13,0 9,0

7,1 13,1 5,9 13,6 7,3 17,3 11,5

0

11,5 8,5 28,7 0

Ludwigshafen, Yorck Straße

11 5,4 10,3 6,3

4,4 10,4 3,2 10,8 4,6 14,4 8,5

4,1

Weinheim, Elisabethstraße

12 18,2 23,6 17,7 17,4 14,4 18,3 23,1 23,1 21,4 28,7 23,0 19,7

4,1 23,0 0

19,7 0

Aus den gegebenen Distanzen (Tabelle 15) lassen sich unter Nutzung von Gleichung (35) die Savings für jedes Knotenpaar berechnen. Diese Werte sind in Tabelle 16 angeführt. Aufgrund der Symmetrie der Distanzmatrix weist auch die Matrix der Savings eine symmetrische Struktur auf. Tabelle 16: Matrix der Wegstreckeneinsparungen sij (Savings) zu Fallbeispiel 4. in km

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Mannheim, Flachsstraße

1

0

3,3

0,4

2,5

0,2

–9,4

0,2

–6,3

6,2

0,2

0,2

–0,3

Mannheim, Eisenstraße

2

3,3

0

0,9

2,2

0,7

0,8

0,8

0,9

0,8

0,8

0,8

2,2

Mannheim, Dammstraße

3

0,4

0,9

0

2,7

2,9

3,4

3,6

3,1

3,0

3,0

3,0

2,8

Mannheim, Klingenberger Straße

4

2,5

2,2

2,7

0

2,7

10,4

4

10,1 –6,2

2,5

2,5

11,3

Mannheim, Jungbuschstraße

5

0,2

0,7

2,9

2,7

0

6,0

6,1

6,0

6,0

6,0

3,7

Mannheim, Durlacher Straße

6

–9,4

0,8

3,4

10,4

6,0

0

13,9 16,7

5,8

7,4

7,5

8

Mannheim, Speyrer Straße

7

0,2

0,8

3,6

4,0

6,0

13,9

10,6

5,9

7,5

7,5

1,8

Mannheim, Kolmarer Straße

8

–6,3

0,9

3,1

10,1

6,1

16,7 10,6

0

–5,8

5,4

5,6

11,4

Ludwigshafen, Fries Straße

9

6,2

0,8

3,0

–6,2

6,0

5,8

5,9

–5,8

0

7,5

7,8

0,4

Ludwigshafen, Trifels Straße

10

0,2

0,8

3,0

2,5

6,0

7,4

7,5

5,4

7,5

0

9,4

3,3

Ludwigshafen, Yorck Straße

11

0,2

0,8

3,0

2,5

6,0

7,5

7,5

5,6

7,8

9,4

0

3,9

Weinheim, Elisabethstraße

12 –0,3

2,2

2,8

11,3

3,7

8,0

1,8

11,4

0,4

3,3

3,9

0

6,0 0

Den größten Saving weisen mit 16,7 km die Knoten 8 und 6 auf, gefolgt von 6 und 7 mit 13,9 km. Deshalb kann eine erste Tour mit Knoten 8, 6 und 7 gebildet werden, auf der bisher 7 Rollbehälter transportiert werden. In diesem Fahrzeug stehen somit nur noch Stellplätze für 5 Rollbehälter zur Verfügung. Da Zielpunkt 6 in der Mitte der Tour liegt, kann er nicht mehr mit anderen Knoten verbunden werden, so dass alle si,6 und s6,j aus der weiteren Betrachtung ausscheiden. Als nächst größte Wegstreckeneinsparung folgt s8,12 mit 11,4 km. Da die Kapazitätsgrenze noch nicht erreicht ist, kann somit auch der Knoten 12 in diese Tour einbezogen werden. Damit entfällt auch Knoten 8 als Endknoten. Eine Einsparung s12,4 = 11,3 km legt

114

3 Außerbetrieblicher Transport

die Einbeziehung von Knoten 4 in die erste Tour nahe, die jedoch mit λ04 = 6 die Kapazitätsbedingung verletzen würde. Die nächste relevante Einsparung ist s10,11 mit 9,4 km. Deshalb wird mit den Knoten 10 und 11 eine zweite Tour eröffnet und einem weiteren Fahrzeug zugeordnet, welches nun noch über 9 (= 12 – 2 – 1) freie Stellplätze verfügt. Zu dieser Tour kommt sodann Knoten 9 hinzu mit einem Saving von 7,8 km. Auch Knoten 11 wird damit zu einem inneren Knoten. Der Saving s9,10 wird nicht berücksichtigt, da beide Knoten zwar Endknoten darstellen, jedoch bereits der gleichen Tour angehören. Die Verbindung von Knoten 7 und 10 (s7,10 = 7,5 km) würde beide Touren vereinigen, jedoch eine Kapazität von 18 Rollbehältern erfordern. Sie ist deshalb unzulässig. Als nächster Knoten wird vielmehr Zielort 1 der zweiten Tour zugeordnet (s9,1 = 6,2 km). Knoten 5 könnte der ersten oder der zweiten Tour zugeordnet werden, denn s5,7 und s5,10 zeigen identische Werte. Da die zweite Tour kürzer ist als die erste, wird dieser Knoten mit Knoten 10 gepaart. Wiederum scheitert dagegen eine Verbindung beider Touren über 5-7 oder 5-12 an der Kapazitätsgrenze. Ebenso können die Knoten 3 und 2 nicht mehr der ersten bzw. zweiten Tour zugeordnet werden, da jeweils die Kapazitätsgrenze überschritten wäre. Die nächste mögliche Verbindung ist vielmehr 3-4 zu einer dritten Tour, wodurch ein Saving von 2,7 km realisiert wird. Da zum zweiten Knoten 4 Rollbehälter transportiert werden müssen und keine der gebildeten 3 Touren über ausreichend freie Kapazität verfügt, wird eine vierte Tour gebildet, die nur diesen Kunden beliefert. Die Ergebnisse der Tourenbildung sind in Tabelle 17 zusammengefasst. Die vier Touren sind in Abbildung 15 dargestellt. Tabelle 17: Ergebnisse des Saving-Verfahrens zu Fallbeispiel 4. Tour 1 κl

Tour 2

belegt frei

κl

Tour 3

belegt frei

κl

Tour 4

belegt frei

κl

Gesamt

belegt frei

12

10

2

12

12

0

12

9

3

12

4

8

Zj

λ

sij

Zj

λ

sij

Zj

λ

sij

Zj

λ

sij

D

0

Z

7

2

0

Z

6

4

Z

8

Z

12

Z



D

0

0

0

5

2

13,9

10

2

1

16,7

11

3

11,4

0

3

3

2

6

4

6

1

9,4





9

5

7,8





1

2

6,2





0

0

2,7

4



κl

belegt

frei

48

35

13

Gesamtlänge der Touren Anfang

193,8 km

Ende

119,7 km

Savings

Σs

42

29,4

2,7

0

Σd

62,8

37,2

16,3

3,4

74,1 km

Die Reihenfolge der Zielpunkte innerhalb der vier Touren entspricht ohne Berücksichtigung des Depots jener Route, die bei der Lösung des entsprechenden TSP gefunden wurde: [1-9-11-10-5], [7-6-8-12], [4-3], [2].493 Anhand des Fallbeispiels von Foodexpress wird zudem die Vorgehensweise des Saving-Verfahrens deutlich: Zunächst werden die beiden

493

Siehe Abschnitt 3.4.2, insbesondere Abbildung 14.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren Tour 1 Tour 2 Tour 3 Tour 4

1

115

Weinheim 12

9 2 0 4

3

Ludwigshafen

10

5 11 7

Mannheim Neckar

Rhein

8 6

Abbildung 15: Tourenplan für das Fallbeispiel 4.

Knoten zusammengefasst, die nahe beieinander liegen, jedoch weit von dem Depot entfernt sind. Im Fallbeispiel 4 sind dies die Knoten 6 und 8 (Abbildung 15). Zudem ist auf den ersten Blick erstaunlich, dass zur Belieferung vier Fahrzeuge erforderlich sind, obwohl sich die gesamte Lieferung aus nur 35 Rollbehältern zusammensetzt, für welche rechnerisch die Kapazität von drei Fahrzeugen ausreichen würde. Da jedoch Knoten 2 in der Nähe des Depots liegt und deshalb nur einen kleinen Saving aufweist, wird er erst sehr spät berücksichtigt. Die vergleichsweise große Ladung von vier Rollbehältern lässt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch aufgrund der Kapazitätsrestriktion κl nicht mehr in die anderen Touren einbinden und muss durch eine eigene Tour ausgeliefert werden. Nach Abschluss eines Eröffnungsverfahrens sollte deshalb ein Verbesserungsverfahren angewendet werden, um durch Verschiebungen von Zielorten innerhalb einer Tour, von einer Tour zu einer anderen sowie von Vertauschungen zwischen Touren weitere Verbesserungen zu erreichen.494

3.4.4

Erweiterungen des Tourenplanungsproblems

Die Ausführungen des vorangegangenen Abschnittes haben sich auf eine einfache Problemstruktur beschränkt. In der Realität finden sich dagegen häufig komplexere Situationen, die zu wesentlichen Erweiterungen des Tourenplanungsproblems führen. So kann beispielsweise ein Kunde ein Zeitfenster vorgeben, in dem die Lieferung erfolgen muss, oder es wird die Möglichkeit eröffnet, auf einer Auslieferungstour auch Retouren abzuholen. Diese Beispiele belegen bereits die Vielfalt dieser Problemvariationen.495 494

Siehe dazu Scholl/Domschke/Klein (1998b), S. 167–168; Domschke/Scholl (2010), S. 240–243.

495

Siehe dazu die Übersichten z.B. in Fleischmann (1998), S. 288–289; Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 63–64; Domschke/Scholl (2010), S. 24–249.

116

3 Außerbetrieblicher Transport

Um diese Varianten zu strukturieren, bieten sich Ansätze der Klassifikation von Tourenplanungsproblemen an. In Anlehnung an Desrochers, Lenstrab und Savelsbergh sowie Domschke und Scholl können vier Gruppen von Merkmalen herangezogen werden, um Tourenplanungsprobleme zu klassifizieren: • • • •

Depot- und Kundenmerkmale, Fahrzeugmerkmale, Problemmerkmale im engeren Sinne, Zielsetzungen.496

Bisher wurden ausschließlich Tourenplanungsprobleme mit einem Depot betrachtet. Daneben können Mehrdepotprobleme auftreten, bei denen die Fahrzeuge auf mehrere Depots verteilt sind. Beispiele dafür sind Situationen mit mehreren regionalen Auslieferungslagern, die ein identisches Sortiment führen. Bei diesen Problemen muss folglich eine Zuordnung einer Tour zu einem Depot erfolgen. Im Extremfall können sich Abgangs- und Enddepot sogar unterscheiden.497 Hinsichtlich der Kundenmerkmale können neben den bereits behandelten Liefer- und Abholungsproblemen solche mit Be- und Entladungen auftreten. Dabei lassen sich zwei Situationen unterscheiden.498 Im einfacheren Fall werden auf einer Auslieferungstour bei einem Kunden auch Güter oder Abfälle aufgenommen und zurück zum Depot transportiert („Backhaul“).499 Beispiele dafür sind die Mitnahme von Leergut bei der Auslieferung oder die parallele Auslieferung und Abholung von Paketen. Sollen auch Lieferungen zwischen den Knoten erfolgen, so ergibt sich das komplexere Problem des Pickup and Delivery.500 Weitere Kundenmerkmale beziehen sich auf die Möglichkeit von Teillieferungen. Teillieferungen können dazu beitragen, Touren besser auszulasten. So wäre es in Fallbeispiel 4 aus Abschnitt 3.4.3 möglich gewesen, den Knoten 2 mit λ02 = 4 bei Aufspaltung der Ladung in zwei Teillieferungen in die Tour 1 und die Tour 3 zu integrieren, ohne die Kapazitätsrestriktionen zu verletzen.501 Hierdurch könnte auf die vierte Tour gänzlich verzichtet werden. Eine neue Klasse von Tourenplanungsproblemen entsteht durch die Berücksichtigung von vorgegebenen Lieferzeitpunkten oder Zeitfenstern.502 Ein solcher Fall liegt beispielsweise bei der Belieferung von Einzelhandelsgeschäften in Fußgängerzonen vor, bei denen vor 8.00 Uhr keine Warenannahme erfolgt und die nach 10.00 Uhr nicht mehr angefahren werden dürfen. Zeitfenster spielen jedoch auch in der Industrie eine große Rolle, wenn der Kunde die Lieferung bzw. Abholung innerhalb vorgegebener Zeitintervalle erwartet, um hierdurch die Abläufe im Wareneingang bzw. Warenausgang zu optimieren und Wartezeiten an der Rampe zu vermindern.

496

Vgl. Desrochers/Lenstrab/Savelsbergh (1990), S. 324; Domschke/Scholl (2010), S. 200.

497

Vgl. Scholl/Domschke/Klein (1998a), S. 63; Domschke/Scholl (2010), S. 246.

498

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 248.

499

Siehe dazu Parragh/Doerner/Hartl (2008a).

500

Siehe dazu Parragh/Doerner/Hartl (2008b).

501

Siehe dazu Tabelle 17 und Abbildung 15.

502

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 243–245.

3.4 Außerbetrieblicher Transport mit Hilfe von Touren

117

Zu den Kundenmerkmalen kann im weiteren Sinne auch der Grad der Unsicherheit hinsichtlich der Orte und Mengen gezählt werden. Bisher wurde die vollständige Kenntnis dieser Daten bei der Erstellung der Tourenpläne vorausgesetzt. Im Fall von Online-Problemen können im Gegensatz dazu noch während der Ausführung einer Tour Auftragsänderungen und -erweiterungen auftreten.503 Als wichtigstes Fahrzeugmerkmal wurde bereits die Ladekapazität eingeführt, die in unterschiedlichen Maßeinheiten, z.B. in Tonnen, Kubikmetern oder Lademetern gemessen werden kann. Diese wurde in dem betrachteten Beispiel in Abschnitt 3.4.3 für alle Fahrzeuge als gleich angenommen. Falls jedoch Fahrzeuge mit unterschiedlicher Kapazität zur Verfügung stehen, muss dies bei der Tourenplanung berücksichtigt werden. Neben der Beachtung der Ladekapazität können auch fahrzeug- bzw. fahrerabhängige Zeitrestriktionen notwendig werden. Fahrzeitbeschränkungen, die im Rahmen der Tourenplanung berücksichtigt werden müssen, ergeben sich in der Regel aus gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeits- oder Lenkzeit von Fahrern.504 Ein Beispiel dafür ist die EU-Verordnung zur Harmonisierung von Sozialvorschriften im Straßenverkehr, die bestimmte Lenk- und Ruhezeiten für Fahrer von Fahrzeugen mit mehr als 3,5t zulässigem Gesamtgewicht verbindlich vorgibt.505 Zeitliche Beschränkungen bestimmen auch die maximale Anzahl der Touren pro Fahrzeug, die in einem bestimmten Planungszeitraum möglich sind. Die Gruppe der Problemmerkmale im engeren Sinne umfassen insbesondere Restriktionen hinsichtlich der Bedienbarkeit der Kunden durch einzelne Fahrzeuge.506 So können spezielle Vorrichtungen, z.B. eine Ladebordwand, erforderlich sein, um bestimmte Kunden zu beliefern. Ebenso gehört dazu die Unterscheidung von einperiodischen und mehrperiodischen Tourenplänen. Die Minimierung der zurückgelegten Strecke stellt die einfachste Zielsetzung der Tourenplanung dar und findet sich deshalb in den bisherigen Ausführungen. Ebenso kann jedoch eine Minimierung der Fahrzeiten angestrebt werden.507 Dies ist z.B. der Fall, wenn die gesamte Tour innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums abgewickelt werden muss. Im Fall der Fahrzeitminimierung wird statt der streckenbezogenen Distanzmatrix zur Bestimmung der Savings die Matrix der kürzesten Fahrzeiten mit den Elementen tij verwendet. Da letztlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Kosten einer Tour von zentralem Interesse sind, folgt die Entscheidung für eine strecken- oder eine zeitbezogene Optimierung der Überlegung, ob eher die gefahrene Strecke oder die benötigte Zeit als primäre Kosteneinflussgröße zu sehen ist. So hängt der Energieverbrauch von der Strecke ab, die Personalkosten jedoch eher von der benötigten Zeit. Bei komplexeren Kostenfunktionen empfiehlt es sich deshalb, die Minimierung und somit die Bestimmung der Savings auf Basis einer Kostenmatrix vorzunehmen. Dabei können auch Fixkosten einer Tour berücksichtigt werden, die tendenziell zu einer Minimierung der Anzahl der benötigten Touren und somit von Fahrzeugen führen. 503

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 247–248.

504

Siehe dazu Kopfer/Meyer/Wagenknecht (2007); Kopfer/Meyer (2010).

505

Vgl. Art 6 bis 9 2006/561/EG.

506

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 203.

507

Vgl. Domschke/Scholl (2010), S. 203.

4

Innerbetrieblicher Transport

4.1

Handlungen und Prozesse des innerbetrieblichen Transports

Bereits in Abschnitt 1.1.2 wurde die Hauptfunktion des räumlichen Transfers in die beiden logistischen Teilfunktionen außerbetrieblicher Transport und innerbetrieblicher Transport unterschieden. Die Behandlung des außerbetrieblichen Transports erfolgte ausführlich in den vorangegangenen Abschnitten. Viele der angesprochenen Sachverhalte lassen sich ebenso auf innerbetriebliche Transporte anwenden. Dennoch bestehen grundlegende Unterschiede zwischen beiden Teilfunktionen, die es zu berücksichtigen gilt. Innerbetriebliche Transporte werden nicht in einer öffentlichen Infrastruktur, sondern ausschließlich auf privaten Betriebsgeländen und häufig sogar innerhalb von Gebäuden abgewickelt. Hieraus resultieren spezifische innerbetriebliche Rahmenbedingungen. Durch diese Beschränkung der Transfers auf geschlossene Betriebe sind die Entfernungen deutlich kürzer und die Geschwindigkeiten geringer, so dass prinzipiell andere Technologien eingesetzt werden als im außerbetrieblichen Transport. Da Betriebe allerdings Schnittstellen zum außerbetrieblichen Transport aufweisen, finden auch auf Betriebsgeländen Transporte mit Verkehrsmitteln verschiedener Verkehrsträger, vor allem des Straßengüterverkehrs und des Bahnverkehrs, statt. Zudem können die spezifischen Aufgaben eines Betriebs rein innerbetriebliche Transporte mit Hilfe von Verkehrstechnologien erfordern. Ein Beispiel dafür sind Transporte innerhalb von Baustellen oder innerhalb eines Tagebaus sowie Sammel- und Verteilverkehre auf einem großräumigen Industriegelände, welches über viele Einzelgebäude verfügt. Diese Sonderfälle sollen in diesem Kapitel nicht weiter betrachtet werden. Die Aussagen werden sich vielmehr auf solche Handlungen der Logistik konzentrieren, die spezifische innerbetriebliche Transporttechnologien erfordern. Die Prozesse des innerbetrieblichen Transports setzen sich im Wesentlichen aus Handlungen des Förderns zusammen. In der ingenieurwissenschaftlichen Literatur wird zur Definition des Förderns häufig auf die VDI-Richtlinie 2411 verwiesen, die jedoch bereits 2006 ersatzlos zurückgezogen wurde. Unter Fördern soll deshalb grundsätzlich der räumliche Transfer von Gütern und Abfällen innerhalb von Betrieben verstanden werden. Durch Förderprozesse lassen sich prinzipiell die gleichen Grundstrukturen räumlicher Gütertransfers realisieren, die in Abschnitt 3.3.1 eingeführt wurden.508 So finden sich neben direkten auch indirekte inner508

Siehe dazu insbesondere Abbildung 9.

120

4 Innerbetrieblicher Transport

betriebliche Transporte, welche dem Zusammenführen oder Trennen von Gütern dienen. Ebenso lassen sich komplexe Transportketten zwischen innerbetrieblichen Abgangs- und Zielpunkten definieren, bei denen unterschiedliche Fördermittel zum Einsatz kommen. Neben Handlungen des Förderns sind zur Abwicklung innerbetrieblicher Transporte zuweilen auch solche des Handhabens erforderlich. Im engeren Sinne bezwecken Handlungen des Handhabens „das Schaffen, definierte Verändern oder vorübergehende Aufrechterhalten einer vorgegebenen räumlichen Anordnung von geometrisch bestimmten Körpern in einem Bezugskoordinatensystem.“509 Neben Bewegungen in Richtung der drei Raumachsen, die ebenso im Rahmen des Förderns bewirkt werden, sorgen Handlungen der Handhabung auch für die Ausrichtung eines Objektes durch Rotationen um diese Achsen.510 Solche definierten Ausrichtungen sind u.a. am Ende eines Transportprozesses zur Bestückung von Maschinen mit zu bearbeitenden Teilen oder beim Verpacken, z.B. dem Einlegen von Objekten in eine Schachtel, notwendig. Allerdings wird der Handhabungsbegriff in der betrieblichen Praxis sehr unterschiedlich gebraucht. So findet sich häufig in Anlehnung an den weit gefassten angelsächsischen Begriff des Materials Handling511 eine Verwendung im Sinne des Umschlagens oder sogar des gesamten innerbetrieblichen Transports. Dieser weiten Sichtweise soll hier nicht gefolgt werden. Die Form der innerbetrieblichen Transportprozesse wird wesentlich durch den Betriebstyp bestimmt. In Industriebetrieben, vor allem in Betrieben der verarbeitenden Industrie mit mehrstufigen Produktionsprozessen, stehen die Transporthandlungen innerhalb der Fertigung und Montage im Vordergrund. Eine Sonderstellung innerhalb der Industrie nehmen der Bergbau und die Gewinnungsindustrie ein. Die wesentlichen innerbetrieblichen Aufgaben des räumlichen Transfers entstehen dort durch das Fördern der gewonnenen Stoffe. Hinzu tritt der Transport von erforderlichem Reparatur- und Instandhaltungsmaterial zu den Einsatzstellen der Betriebsmittel. Handarbeitsplätze und Produktionsmaschinen müssen im Bereich der verarbeitenden Industrie mit dem erforderlichen Material und ggf. mit Werkzeugen und Vorrichtungen versorgt werden. Ebenso müssen Zwischen- und Fertigprodukte sowie Abfälle an diesen Produktionsstellen abgeholt und zu ihren Bestimmungsorten transportiert werden. Interne Transporte sind deshalb sowohl Vorbedingung als auch Folge von Produktionshandlungen und werden wesentlich durch diese determiniert. Die Güterflüsse werden dabei wesentlich durch den Produktionstyp512 bestimmt, wobei dem Kriterium der räumlichen Anordnung der Produktionsmittel besondere Bedeutung zukommt. Bei Werkstattfertigung werden verschiedene Arbeitsgänge nacheinander an einem Material verrichtet, welches dazu eine oder mehrere Werkstätten durchläuft. Die Transportmengen und -wege variieren dabei zum einen mit der im Arbeitsplan festgelegten Abfolge der Arbeitsgänge und den darin vorgeschriebenen Maschinen. Zum anderen werden diese von der im Einzelfall gewählten Maschinenzuordnung beeinflusst, da eine Werkstatt i.d.R. meh509

VDI 2860, S. 2.

510

Vgl. VDI 2860, S. 2.

511

Siehe z.B. Stock/Lambert (2001), S. 441–459; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 276–286.

512

Siehe dazu z.B. Bloech et al. (2008), S. 252–259.

4.1 Handlungen und Prozesse des innerbetrieblichen Transports

121

rere gleichartige Maschinen eines Typs umfasst. Ein besonderes Problem bei Werkstattfertigung stellt somit die effiziente Zuordnung von Transportkapazitäten zu den unterschiedlichen und unregelmäßigen Transportaufträgen dar. Kennzeichen der Fließfertigung sind dagegen die feste Anordnung von Handarbeitsplätzen und Betriebsmitteln entsprechend der Arbeitsgangfolge und die Verbindung dieser Stationen durch eine Fördereinrichtung, welche die zu bearbeitenden Objekte getaktet von einer Station zur anderen transportiert. Der Transport zwischen den Fertigungseinheiten wird deshalb bereits im Rahmen der Fließbandplanung festgelegt. Werden Bearbeitungsprozesse in Fließfertigung verrichtet, muss zu Beginn das Ausgangsmaterial bereitgestellt und am Ende des Fließbands das Fertigprodukt übernommen und zum Bestimmungsort transportiert werden. Im Fall von Montageprozessen spielt die Bereitstellung der an den einzelnen Montagestationen benötigten Teile eine zentrale Rolle. Diese Teile können entweder aus Lagern, eigenen Vormontagen bzw. Fertigungen oder von externen Lieferanten herangeführt und kurzzeitig an der Montagelinie gelagert werden. Zur Vermeidung größerer Bestände erfolgt die Bereitstellung in der Regel einsatzsynchron,513 d.h. die bereitgestellten Mengen werden zeitlich auf den Verbrauch abgestimmt („Just-in-Time“).514 Ist darüber hinaus bei Variantenproduktion eine bestimmte Verbaureihenfolge dieser Teile erforderlich, erfolgt die Bereitstellung nach dem Prinzip „Just-in-Sequence”.515 Die Zentrenproduktion versucht beide Möglichkeiten der Anordnung von Betriebsmitteln miteinander zu verknüpfen. In der Regel werden dabei vergleichsweise kleine Einheiten von Betriebsmitteln entsprechend der Arbeitsgangfolge kombiniert und mehrfach angeordnet. Die Anforderungen an den innerbetrieblichen Transport entsprechen deshalb den bereits beschriebenen. Eigenen Charakter aus Sicht der Logistik weist dagegen die Baustellenproduktion auf. Bei der Baustellenproduktion werden nicht die zu bearbeitenden Objekte zu den Betriebsmitteln verbracht, sondern umgekehrt die Betriebsmittel und die erforderlichen Materialien mit Hilfe innerbetrieblicher und ggf. außerbetrieblicher Transporte bei dem ortsfesten Arbeitsobjekt bereitgestellt. Neben der klassischen Anwendung in der Bauindustrie findet sich die Baustellenproduktion vor allem bei der Herstellung von großen Produkten, deren Beweglichkeit eingeschränkt ist, z.B. im Schiff- oder Flugzeugbau. Neben der Fertigung und Montage erfordern auch andere Bereiche innerhalb von Betriebsstätten der Industrie die Abwicklung innerbetrieblicher Transporthandlungen. Genannt seien vor allem die Prozesse innerhalb von Lagern.516 Daneben können Handlungen des innerbetrieblichen Transports innerhalb der Verwaltung (Aktentransporte) oder im Bereich der Instandhaltung erforderlich werden. Innerbetriebliche Transporte treten zudem auch zwischen diesen Bereichen auf. Beispiele sind vor allem solche zwischen den verschiedenen

513

Zu den Bereitstellungsprinzipien und insbesondere der einsatzsynchronen Bereitstellung siehe grundsätzlich Grochla (1978), S. 24–29 sowie Abschnitt 6.1.1.

514

Vgl. Wildemann (1991), S. 150–151.

515

Vgl. Thun/Drücke/Camargos (2007), S. 21–22.

516

Siehe dazu ausführlich Abschnitt 5.1.1.

122

4 Innerbetrieblicher Transport

Zonen der Produktion und den internen Lagerbereichen, insbesondere den Beschaffungs-, Produktions- und Absatzlagern, innerhalb des Betriebsgeländes. Handelsbetriebe verfügen definitionsgemäß über keine Aktivitäten der Gütererzeugung oder der Gütergewinnung. Innerbetriebliche Transporte sind dort vor allem innerhalb von Lagerhäusern und von Verkaufsstätten erforderlich. Letztere sind insbesondere bei kleineren Verkaufsstätten des Einzelhandels durch einen hohen Anteil manueller Arbeiten geprägt. Logistikbetriebe führen als Dienstleister logistische Aufgaben für ihre Kunden aus. In Abhängigkeit von der Art dieser Aufgaben fallen ggf. Tätigkeiten des innerbetrieblichen Transports an. Beispiele dafür sind Förderprozesse in Lagerhäusern, die zur Bevorratung im Rahmen der Kontraktlogistik oder als Umschlagknoten im Bereich der Sammelgutspedition bzw. der Paketdienste dienen.517

4.2

Stetige und unstetige Fördermittel

Handlungen des innerbetrieblichen Transports können rein manuell durchgeführt werden. Dazu zählen insbesondere das Tragen, Heben und Umsetzen von Lasten. Diese Tätigkeiten führen zu schwerwiegenden körperliche Belastungen der eingesetzten Mitarbeiter,518 die durch entsprechenden Technikeinsatz reduziert werden. Die dabei eingesetzten Technologien des innerbetrieblichen Transports sind vielfältig und unterscheiden sich wesentlich von denen des außerbetrieblichen Transports, die in Abschnitt 3.1.1 beschrieben wurden. Entsprechend finden sich unterschiedliche und an spezifische Aufgaben und Einsatzbedingungen angepasste Fördermittel.519 Grundlegend für die Beschreibung von Betriebsmitteln des innerbetrieblichen Transports ist die Unterscheidung von Stetig- und Unstetigförderern. Bei Stetigförderern handelt es sich um Betriebsmittel, die einen festgelegten Förderweg vorgeben und prinzipiell einen kontinuierlichen Fluss von Schütt- und Stückgütern ermöglichen.520 Von Ausnahmen abgesehen, z.B. im Fall von verschiebbaren Förderbändern zur Entoder Beladung von Fahrzeugen, sind diese ortsfest ausgeführt. Stetigförderer ermöglichen bei hinreichender Auslastung einen effizienten Güterfluss, sind jedoch vergleichsweise unflexibel gegenüber Mengenschwankungen und Änderungen der Transportwege. Der Aufbau von Förderstrecken mit Stetigförderern erfordert deshalb eine sorgfältige Planung, bei der die auf einem bestimmten Weg zu transportierenden Mengen möglichst genau abgeschätzt werden müssen.

517

Siehe dazu ausführlich Abschnitt 5.1.2.

518

Siehe dazu Band 2.

519

Übersichten der Fördermittel finden sich zahlreich in der ingenieurwissenschaftlichen Literatur. Siehe z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 122–222.

520

Vgl. DIN 15201 Teil 1, S. 1.

4.2 Stetige und unstetige Fördermittel

123

Stetigförderer verfügen entweder über einen eigenen Antrieb oder nutzen die Schwerkraft zur Bewegung der Logistikeinheiten bzw. Schüttgüter. Bei Beförderung durch Schwerkraft, die aus der Masse der transportierten Güter resultiert, gibt ein Stetigförderer zunächst nur eine Potenzialleistung im Sinne der in Abschnitt 1.2.2 getroffenen Unterscheidung der Leistungsarten ab.521 Die Leistung von angetriebenen stetigen Fördermitteln stellt dagegen eine kontinuierlich erbrachte Prozessleistung dar. Wird mit einem Stetigförderer tatsächlich eine bestimmte Anzahl von Logistikeinheiten in einem Zeitraum transportiert, so entstehen zusätzlich ergebnis- und wirkungsbezogene Logistikleistungen. Die technische Norm DIN 15201 Teil 1 teilt die vielfältigen Formen stetiger Fördermittel in zehn Gruppen ein: 1. Bandförderer, 2. Becherwerk, 3. Kettenförderer, 4. Hängeförderer, 5. Förderer mit Schnecken, 6. Schwingförderer, 7. Rollen- und Kugelbahn, 8. Rutschen und Fallrohre, 9. Förderer mit Luft (Gas) als Fördermittel, 10. Hydraulische Förderer. Die verschiedenen Stetigförderer unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der eingesetzten Trag- und Zugorgane. Das Tragorgan trägt das zu fördernde Gut, während das Zugorgan für die Bewegung in die gewünschte Richtung sorgt. Beide Funktionen können durch das gleiche konstruktive Element wahrgenommen werden. So übernimmt beispielsweise bei Bandförderern ein umlaufendes Band das Tragen und das Ziehen der geförderten Güter.522 Ebenso werden beide Aufgaben bei pneumatischen Förderern von der strömenden Luft erfüllt. Andererseits können zwei getrennte Organe eingesetzt werden. Dies ist beispielsweise bei Becherwerken der Fall. Dabei übernehmen die Becher die Aufnahme des Gutes und als Zugorgane wirken Ketten oder Gurte.523 Diese verschiedenen Betriebsmittel können weitgehend kombiniert werden, um spezifische Förderstrecken zur Realisation einer innerbetrieblichen Transportkette aufzubauen. So kann beispielsweise eine längere Strecke durch eine angetriebene Rollenbahn überbrückt werden. Eine Verzweigung ist durch die Kreuzung einer Rollenbahn mit einem Tragkettenförderer unter Verwendung eines Hubtischs möglich. Schließlich lassen sich Höhenunterschiede durch Rutschen überwinden. Die zweite Hauptgruppe von Fördermitteln bilden die Unstetigförderer. Ihr besonderes Merkmal ist die Aufteilung eines zu bewältigenden Güterflusses in Teilmengen, die durch einzelne Fördermittel selbstständig transportiert werden. Unstetigförderer sind in der Regel

521

Siehe dazu Weber (1986), S. 1198–1204.

522

Vgl. DIN 15201 Teil 1, S. 2.

523

Vgl. DIN 15201 Teil 1, S. 3.

124

4 Innerbetrieblicher Transport

nicht ortsfest angeordnet. Mit ihnen lassen sich deshalb vergleichsweise flexible Transportketten realisieren. Die Leistungserstellung ist ebenfalls vielfältig. Unstetigförderer geben im Fall der reinen Bereitstellung Potenzialleistungen und bei Leer- oder Bereitstellungsfahrten Prozessleistungen ab. Beim Transport von einzelnen Logistikeinheiten oder losen Schüttgütern lassen sich ergebnis- und wirkungsbezogene Logistikleistungen bestimmen. Neben der Gruppe der Krane bilden die Flurförderzeuge (FFZ) die wohl wichtigste Gruppe innerhalb der Unstetigförderer.524 Im Gegensatz zu den flurfreien Unstetigförderern, d.h. i.d.R. an der Hallendecke geführten Fördermitteln, bewegen sich diese gesteuert von einem Fahrer, von einem Mitgänger oder auch fahrerlos direkt auf dem Boden.525 Die DIN ISO 5053 unterscheidet Flurförderzeuge nach der Benutzungsart (Wagen, Schlepper, Flurförderzeug mit Hubeinrichtung), der Antriebsart, der Art der Räder, der Art der Steuerung, der Hubhöhe und den Fahrbewegungen.526 In der VDI-Richtlinie 3586 wird eine Kategorisierung und eindeutige Kennzeichnung von Flurförderzeugen nach dem Fahr- und Hubantrieb, der Art der Bedienung, der Benutzung (Schlepper, Wagen, Hubwagen, Stapler, Schubstapler, Dreiseitenstapler, Sonstige) sowie der Art der Zwangsführung bzw. Zwangslenkung vorgeschlagen.527 Wagen befördern Güter direkt auf einer Plattform als Ladefläche und müssen deshalb manuell oder mit anderen Fördermitteln be- und entladen werden.528 Sie dienen dem Transport vergleichsweise kleiner Mengen, sind wendig und flexibel. Neben den verschiedenen Kraftantrieben finden sich beispielsweise in der Kommissionierung für kleine Mengen und kurze Wege auch manuell gezogene oder geschobene Wagen. Mit Hilfe von angetriebenen Schleppern können Züge aus mehreren Wagen gebildet werden, die über keinen eigenen Antrieb verfügen oder im Verband nicht angetrieben werden. Durch Handlungen nur eines Fahrers können so größere Mengen auch über längere Strecken transportiert werden. Die einzelnen Wagen können an ihrem Bestimmungsort abgeladen oder abgekuppelt werden, wodurch sich Züge auch für innerbetriebliche Touren eignen. Im Vergleich zu einzelnen Wagen sind solche Züge jedoch nicht wendig und benötigen große Kurvenradien.529

Zentrale Bedeutung für die Abwicklung unstetiger Förderprozesse haben Flurförderzeuge mit Hubvorrichtung, denn damit sind Mitarbeiter in der Lage, selbständig „Lasten aufzunehmen, zu heben und zu befördern.“530 Grundsätzlich lassen sich innerhalb dieser Gruppe Hubwagen und stapelnde Flurförderzeuge unterscheiden. Mit einem Hubwagen wird eine stehende Logistikeinheit lediglich leicht angehoben, um diese auf der Gabel oder mit einer anderen Vorrichtung transportieren zu können.531 Weite Verbreitung haben beispielsweise manuell bediente Gabelhubwagen zur Bewegung von einzelnen Flachpaletten oder Boxpalet524

Einen Überblick der verschiedenen Formen von Flurförderzeugen bieten die Richtlinien VDI 2198 und VDI 3586 sowie die Norm DIN ISO 5053.

525

Vgl. VDI 3586, S. 3.

526

Vgl. DIN ISO 5053, S. 3–12.

527

Vgl. VDI 3586, S. 3–10.

528

Vgl. DIN ISO 5053, S. 3.

529

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 157.

530

DIN ISO 5053, S. 5.

531

Vgl. VDI 3586, S. 3–10.

4.2 Stetige und unstetige Fördermittel

125

ten, die als Kufen oder Fensterpaletten ausgeführt sind.532 Stapler erlauben dagegen die Überwindung einer größeren Höhendifferenz, um Logistikeinheiten aufeinanderzusetzen oder diese an höhere Orte, z.B. einen Regalplatz oder die Ladefläche eines Fahrzeugs, zu verbringen. Stapler erfüllen damit neben dem reinen innerbetrieblichen Transport auch Aufgaben beim Umschlag und bei Ein- und Auslagerungsprozessen. Klassisches Beispiel für diese Gruppe ist der Gabelstapler, der Flachpaletten, Rungenpaletten, Boxpaletten oder Gitterboxpaletten mit einer Gabel aufnimmt und auf dieser transportiert. Aufgrund unterschiedlicher Bauformen ergeben sich für Stapler vielfältige Einsatzmöglichkeiten. In Ausführungen als Schubmast- oder Hochregalstapler sind diese für Hubhöhen bis etwa 12 m geeignet.533 Eine Sonderstellung nehmen die so genannten Kommissionierer, d.h. Flurförderzeuge zum Kommissionieren, ein.534 Sie verfügen über eine Fahrerkabine, die vertikal verschoben werden kann und damit eine manuelle Entnahme von kleineren Logistikeinheiten, z.B. Schachteln, aus hohen Regalen ermöglicht. Die Ablage der kommissionierten Güter erfolgt i.d.R. auf eine Palette bzw. in eine Gitterbox, die mit der Kabine gehoben bzw. gesenkt wird.535 Da solche Fördermittel auf den ersten Blick Staplern ähneln und auch entsprechende Palettentransfers ausführen können, werden diese oft auch als Kommissionierstapler bezeichnet. Wie bereits erwähnt kann die Steuerung eines Flurförderzeugs durch einen Fahrer bzw. eine Fahrerin sowie im Fall eines Gabelhubwagens durch eine mitgehende Person erfolgen.536 Ist eine genaue Spurführung erforderlich, wie beispielsweise in engen Regalgassen, wird zur Unterstützung des Fahrers eine mechanische Zwangsführung vorgesehen.537 Fahrerlose Flurförderzeuge werden definitionsgemäß nicht durch einen mitfahrenden oder mitgehenden Menschen gesteuert und benötigen deshalb eine Vorrichtung zur Zwangslenkung. Diese kann durch unterschiedliche Technologien realisiert werden, die von mechanischen, optischen bis zu elektronischen Systemen reichen.538 Solche Systeme erfordern die sorgfältige Planung und Installation von entsprechenden Einrichtungen der Wegführung.539 Es ist deshalb im Einzelfall kritisch zu hinterfragen, ob diese gegenüber flexiblen mitarbeitergesteuerten Fördermitteln Vorteile aufweisen. Generell können zur Vorteilhaftigkeit bestimmter Fördermittel keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden, da diese für unterschiedliche Anwendungssituationen gestaltet sind. In der ingenieurwissenschaftlichen Literatur finden sich allerdings Vorschläge für eine systematische Auswahl von Fördermitteln540 sowie Kriterienkataloge und Bewertungstabellen, welche eine erste Einschätzung der Eignung bestimmter Technologien ermöglichen.541

532

Siehe dazu Abschnitt 2.2.

533

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 174–177.

534

Vgl. VDI 2198, S. 11–12; VDI 3586, S. 8.

535

Siehe dazu auch Abschnitt 5.2.2.

536

Vgl. DIN ISO 5053, S. 12.

537

Vgl. VDI 3586, S. 10.

538

Vgl. VDI 3586, S. 10. Siehe dazu auch Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 199–205.

539

Siehe dazu z.B. Le-Anh/de Koster (2006), S. 3–8; Vis (2006), S. 682–686.

540

Siehe z.B. Hassan (2010), S. 251–260.

541

Siehe z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 223–230.

126

4 Innerbetrieblicher Transport

Grundlage für Entscheidungen in einem bestimmten Anwendungsfall ist, wie im folgenden Abschnitt gezeigt, eine genaue Erfassung bzw. Prognose der erforderlichen innerbetrieblichen Transportprozesse und der dabei zu beachtenden Rahmenbedingungen.

4.3

Planung innerbetrieblicher Transportstrukturen

Der vorangegangene Abschnitt hat bereits die Notwendigkeit einer gründlichen Planung innerbetrieblicher Transporte angerissen. Im Gegensatz zu der im 3. Kapitel dargestellten Planung außerbetrieblicher Transporte, die im Rahmen einer vorgegebenen und unbeeinflussbaren Verkehrsinfrastruktur abgewickelt werden, umfasst das Aufgabenfeld der innerbetrieblichen Transportplanung nicht nur den Entwurf von Transportketten oder die Bildung von Touren, sondern auch die Gestaltung jener Strukturen, welche zur Durchführung dieser räumlichen Transfers erforderlich sind. Im Fall von Unstetigförderern zählen dazu die Fahrwege und die Steuerungseinrichtungen für Flurförderzeuge sowie der erforderliche Fahrzeugpark. Innerbetriebliche Transportstrukturen werden weiterhin durch Förderstrecken geschaffen, die mit Hilfe von stetigen Fördermitteln aufgebaut werden. Dieser Abschnitt wird sich deshalb mit der mittelfristig orientierten innerbetrieblichen Transportstrukturplanung beschäftigen.542 Die innerbetriebliche Transportstrukturplanung stellt insbesondere in der Industrie neben der Gestaltung von Lagerbereichen543 den Kern der Materialflussplanung dar. Dabei stehen üblicherweise die Bereiche der Fertigung und der Montage und damit die Materialflüsse zwischen den Betriebsmitteln der Produktion im Vordergrund. Zur Planung innerbetrieblicher Transportstrukturen kann deshalb zunächst auf Phasenmodelle der Materialflussplanung zurückgegriffen werden, die sich vor allem in der ingenieurwissenschaftlichen Literatur finden.544 Ten Hompel, Schmidt und Nagel schlagen beispielsweise ein Planungsmodell vor, welches zur Strukturierung der folgenden Ausführungen herangezogen wird.545 Dieses besteht aus 7 einzelnen Planungsphasen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Aufgabenstellung, Planungsdatenanalyse, Entwurf von Prozessvarianten, Entwurf von Arbeitsmittelvarianten, Dimensionierung, Überprüfung und Bewertung der Varianten, Feinplanung, Realisierung.

In der Phase der Aufgabenstellung (1) werden, wie im Rahmen komplexer Entscheidungssituationen üblich, zunächst die Planungsaufgaben abgegrenzt und Ziele festgelegt. Ten 542

Die Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporthandlungen wird Gegenstand von Abschnitt 4.4 sein.

543

Siehe dazu ausführlich Abschnitt 5.2.3.

544

Siehe z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 329–331; Arnold/Furmans (2009), S. 233–234.

545

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 329.

4.3 Planung innerbetrieblicher Transportstrukturen

127

Hompel, Schmidt und Nagel unterscheiden dazu vier Planungsarten: Die Neuplanung, die Umplanung, die Erweiterungsplanung und die Rationalisierungsplanung.546 Wesentlich bei dieser Unterscheidung ist die Frage, welche Rahmenbedingungen als unveränderlich und deshalb bindend betrachtet werden müssen. Die Neuplanung erfolgt weitgehend losgelöst von solchen Bindungen, während bei einer reinen Rationalisierungsplanung lediglich die Leistungsverbesserung einer bestehenden Struktur im Mittelpunkt steht, diese jedoch grundlegend nicht in Frage gestellt wird.

Da Entscheidungen für bestimmte innerbetriebliche Transportstrukturen nicht ohne Aufwand revidiert werden können, muss eine sorgfältige Erfassung und Analyse der erforderlichen Daten (2) erfolgen. Dies beginnt mit der Erfassung der zu überbrückenden Distanzen durch die Bestimmung der relevanten Wege. Bei Neuplanungen sollte die Anordnung der Betriebsmittel im Rahmen einer betrieblichen Layoutplanung mit dem Ziel der Realisation kürzester Wege erfolgen.547 Häufig müssen jedoch innerbetriebliche Transporte für die bereits bestehende Betriebsgliederung und für feste Maschinenanordnungen geplant werden. In solchen Situationen erfolgt die Ermittlung von möglichen Wegen zwischen den Betriebsmitteln und deren Messung im Nachhinein. Aus diesen Entfernungen werden sodann die kürzesten Wege bestimmt548 und in der Distanzmatrix D hinterlegt.549 Sofern ein innerbetriebliches Transportaufkommen auf diesen Wegen auftritt, müssen die Entfernungen durch Stetig- oder Unstetigförderer überbrückt werden. Die zweite wichtige Voraussetzung für die innerbetriebliche Transportplanung ist deshalb die Kenntnis der in einem bestimmten Zeitraum zwischen den innerbetrieblichen Orten, z.B. den Maschinenstandorten oder zwischen diesen und dem Produktionslager, zu transferierenden Gütermengen. Diese Mengen können zum einen aus den beabsichtigten Produktionsmengen sowie aus den Arbeitsplänen abgeschätzt werden. Besteht eine Fertigung bereits, besteht zum anderen die Möglichkeit Güterströme zu messen. Insbesondere im Bereich der Gewinnungs- und Grundstoffindustrie werden dabei in der Regel die Massen der bewegten Güter bestimmt. Mit Hilfe der Distanzen lassen sich daraus die Förderleistungen gemessen in kgm, tm oder ggf. tkm berechnen. Da in vielen sonstigen Branchen innerbetriebliche Güterflüsse aus einzelnen Logistikeinheiten bestehen, werden diese durch den Durchsatz λij abgebildet, d.h. die Anzahl der von Knoten i nach Knoten j bewegten Logistikeinheiten in einer Periode, und in der Transportmatrix Λ hinterlegt. Tabelle 18 enthält beispielhaft die täglichen Durchsätze einer Produktionsstätte gemessen in Logistikeinheiten der Größe 4 M, die in Abbildung 16 nochmals als Graph visualisiert wurden. Bildet man die Zeilen- und Spaltensummen der Transportmatrix so kann eine erste Analyse der Güterströme durchgeführt werden.550 Insgesamt werden in diesem Beispielbetrieb durchschnittlich 662 Logistikeinheiten der Größe 4 M pro Tag bewegt. Der Knoten EL (Eingangslager) bildet eine Quelle, denn er gibt 130 Logistikeinheiten ab, nimmt jedoch keine aus

546

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 332–333.

547

Siehe dazu die Aussagen zur Layoutplanung für Lagerhäuser in Abschnitt 5.2.4.

548

Vgl. Domschke (2007), S. 77–93.

549

Siehe dazu Abschnitt 3.2.1.

550

Siehe dazu z.B. Arnold/Furmans (2009), S. 69, sowie Abschnitt 3.2.1.

128

4 Innerbetrieblicher Transport

Tabelle 18: Transportmatrix eines Produktionsbetriebs. U1 EL

U2

10

U1

B1

B2

B3

25

B4

H

PL

10

V1

V2

V3

5

M1

M2

M3

M4

M5

AL

80

10

10

U2

10

B1

10

10

10

5

25

B2

7

B3

3

10

10

B4

10

10

10

H

5

PL

5

5

V1

10

V2

5

5 7

5

5

27 10 5

V3

8

M1

2

80

M2

80 80

M4

80 80

M5 10

10

25

10

10

10

Blechumformung U1

B1 EL

U2

27

Härterei H

PL B3

B4

V1

Vormontage

15

5

15

90

90

85

85

88

80 80

80

82

662

Endmontage M1

M2

B2

Spanende Bearbeitung

Wareneingangslager

5

10 80

80

M3

Σ

Σ 130

Produktionslager

V2

M3

M4

M5 V3

Warenausgangslager AL

Abbildung 16: Exemplarischer Graph der Durchsätze innerhalb eines Betriebs.

dem Betrieb auf. Analog stellt das Ausgangslager eine Senke dar, die lediglich 82 Paletten innerbetrieblich aufnimmt. Werden die Transporte mit einzelnen Flurförderzeugen ausgeführt, müssen Fahrzeuge leer von der Senke zur Quelle zurückfahren, um dort wieder zur

4.3 Planung innerbetrieblicher Transportstrukturen

129

Verfügung zu stehen. Die Maschinen in der Blechumformung, der Härterei und der spanenden Bearbeitung befinden sich im Gleichgewicht. Die Anzahl der ankommenden Logistikeinheiten entspricht jener der abgesendeten. Gleiches gilt für das Produktionslager. Dagegen nehmen die Knoten V1 und V3 sowie alle Knoten der Endmontage mehr Einheiten auf als sie abgeben. Grund dafür ist die Reduktion der Teilezahl durch Montageprozesse. Entsteht in Knoten Leergut so muss es zurückgeführt werden. Entsprechend sind diese Transporte in der Transportmatrix ersichtlich. Ist eine Verdichtung möglich, z.B. durch das Stapeln von Leerpaletten oder durch das Zusammenklappen von Leerbehältern, entfallen einige Transportbewegungen. Werden innerhalb eines Betriebs Logistikeinheiten mit unterschiedlichen Stellflächen eingesetzt, beispielsweise 4 M, 1 M und ½ M,551 verursacht die Abbildung der Güterströme mit nur einer Transportmatrix in der Regel Probleme. In diesem Fall ist für jede unterschiedliche Größe eine eigene Transportmatrix zur Abbildung erforderlich.552 Falls allerdings der Transport der Kleinladungsträger gebündelt auf Paletten erfolgt, kann mit Hilfe der durchschnittlichen Anzahl KLT pro Palette eine Umrechnung vorgenommen werden, so dass die Abbildung beider Ströme in einer Transportmatrix möglich ist. Ein weiteres Problem bei der Erfassung von Gütermengen besteht in der zeitlichen Verteilung dieser Mengen. Massen- oder Transportmatrizen geben lediglich Mittelwerte an. Reale Güterströme unterliegen jedoch häufig Schwankungen, wodurch innerhalb einer Periode unterschiedliche Förderleistungen zu erbringen sind. Da sich diese Schwankungen nur selten durch konkrete Ursachen vollständig erklären lassen und häufig zufällige Ereignisse darstellen, liegen von getakteten Güterflüssen abgesehen in der Regel stochastische Phänomene vor. Deshalb sollte neben den Erwartungswerten auch die Verteilung eines Durchsatzes oder zumindest ein Streuungsmaß bestimmt werden. Wichtige Größen stellen ebenso die erforderlichen innerbetrieblichen Transportzeiten dar. Diese können aus den Anforderungen an die Durchlaufzeit der produzierten Güter oder anderen zeitlichen Restriktionen, z.B. einer bestimmten erforderlichen Bereitstellungszeit abgeleitet werden. Werden im Fall von Um-, Erweiterungs- oder Rationalisierungsplanungen innerbetriebliche Transporte bereits mit bestimmten Technologien durchgeführt, können Transportzeiten durch Zeitaufnahmen bestimmt oder aus bekannten physikalischen Größen, insbesondere der Geschwindigkeit eines Fördermittels und den zu überwindenden Entfernungen, berechnet werden. Zur Zeitaufnahme kann auf bekannte arbeitswissenschaftliche Verfahren zurückgegriffen werden.553 Auch hierbei besteht das Problem der Streuung dieser Zeiten. Muss eine zu transferierende Logistikeinheit zudem auf ein Förderzeug warten oder ergeben sich Staus auf stetigen Förderstrecken, so können die tatsächlichen Transportzeiten den Erwartungswert deutlich übersteigen. Wartezeiten spielen deshalb eine wesentliche Rolle im innerbetrieblichen Transport. Die Phase des Entwurfs von Prozessvarianten (3) umfasst die kreative Aufgabe der Bestimmung von möglichen Handlungen, mit denen die ermittelten Mengen auf den zur Verfü551

Siehe dazu Abschnitt 2.2.

552

Siehe Fallbeispiel 7 in Abschnitt 5.2.4.

553

Siehe dazu z.B. Schlick/Bruder/Luczak (2010), S. 672–675; Arnold/Furmans (2009), S. 245–246.

130

4 Innerbetrieblicher Transport

gung stehenden Wegen transferiert werden können. Dabei wird auch deutlich, ob eher potenzial-, prozess-, ergebnis- oder wirkungsbezogene Logistikleistungen erforderlich sind.554 Eine solche Klärung ist für die daran anknüpfende Betriebsmittelwahl von besonderer Bedeutung. Beim Entwurf von Prozessvarianten soll jedoch bewusst noch keine Festlegung auf konkrete Transport- oder Handhabungstechnologien erfolgen.555 Im Mittelpunkt steht vielmehr das Durchdenken von möglichen Transportketten und deren Abstimmung mit Handlungen der Fertigung und Montage. Deshalb findet sich in der ingenieurwissenschaftlichen Literatur häufig der breitere Begriff der Prozesskettenmodellierung.556 Die Konkretisierung der Prozessalternativen durch die Auswahl von jeweils geeigneten Betriebsmitteln erfolgt in der nachfolgenden Phase des Entwurfs von Arbeitsmittelvarianten (4). Den Ausgangspunkt dafür stellen die in Abschnitt 4.2 diskutierten Eigenschaften der unterschiedlichen Fördermittel dar. Von zentraler Bedeutung ist das Abwägen der Vor- und Nachteile von Stetig- und Unstetigförderern, da aus diesen Technologien unterschiedliche Bindungswirkungen resultieren. Wesentlich sind ebenso sorgfältige Überlegungen zum angestrebten Automatisierungsgrad, der zum einen die zukünftige Kostenstruktur des innerbetrieblichen Transports bestimmt, zum anderen jedoch auch die Anpassungs- und Veränderbarkeit der geschaffenen Strukturen. Bereits beim Entwurf von Arbeitsmittelvarianten werden erste Überlegungen der Dimensionierung angestellt. Beispielsweise wird der mit Hilfe der maximalen Anzahl von Logistikeinheiten pro Zeiteinheit gemessene Grenzdurchsatz λijmax einer Förderstrecke557 oder die notwendige Kapazität und Anzahl von Flurförderzeugen betrachtet. Der Übergang zur Phase der Dimensionierung, Überprüfung und Bewertung der Varianten (5) ist deshalb fließend. Ziel dieser Planungsstufe ist die Auswahl eines Entwurfs, welcher nachfolgend weiter detailliert wird. Die Grundlage der Auswahl bilden prinzipiell die in Abschnitt 1.2 abgeleiteten betriebswirtschaftlichen Beurteilungskriterien der Logistik, die durch entsprechende ingenieurwissenschaftliche Betrachtungen ergänzt werden. Insbesondere ist eine Materialflussrechnung durchzuführen, welche für potenzielle Engpässe im Güterfluss, wie z.B. zentrale Förderstrecken sowie Sammel- oder Verteilknoten,558 eine hinreichende Kapazität sichert. Die Kapazitätsauslastung ρij einer Förderstrecke zwischen den Knoten i und j muss dabei stets die folgende grundlegende Bedingung erfüllen: (36)

ρij =

λ ij λmax ij

≤1

Diese Betrachtungen werden im Rahmen der Feinplanung (6) für die vorausgewählte Variante vertieft. Dabei erfolgt eine detaillierte technische Ausgestaltung und weitere Überprüfung der Realisierbarkeit. Da wie bereits angemerkt innerbetriebliche Transporte in der Regel stochastische Prozesse darstellen, d.h. die Zeiten zwischen der Ankunft aufeinanderfolgender 554

Siehe zu diesen Leistungsarten Abschnitt 1.2.2.

555

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 343–344.

556

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 345.

557

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 13.

558

Siehe dazu ausführlich Arnold/Furmans (2009), S. 21–45 sowie grundlegend Großeschallau (1984), S. 60–89.

4.4 Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporte

131

Logistikeinheiten (Zwischenankunftszeiten) Zufallsschwankungen unterliegen, reicht oft die Einhaltung der auf dem Mittelwert λij basierenden Bedingung (36) nicht aus, einen staufreien Güterfluss zu sichern. Aufgrund schwankender Transportnachfrage im Zeitverlauf können sich auch bei Auslastungen kleiner als eins bereits temporäre Warteschlangen an Fördermitteln und insbesondere an Sammel- oder Verteilknoten bilden.559 Die Abbildung und rechnerische Überprüfung von stochastischen Materialflüssen ist somit komplex. Insbesondere im Rahmen der Feinplanung wird deshalb häufig das Hilfsmittel der Simulation zur Auslegung und Evaluation eingesetzt. Als Ergebnis der bisherigen Planungsschritte kann ein detailliertes Lastenheft erstellt werden, welches alle Anforderungen an die zu verwirklichenden innerbetrieblichen Transportstrukturen sowie die zu beachtenden Rahmenbedingungen enthält.560 Dieses bildet die Grundlage für die abschließende Phase der Realisierung (7). Da die Realisation von innerbetrieblichen Transportstrukturen eine spezielle und nur selten zu erfüllende Aufgabe darstellt, greifen Unternehmen in aller Regel spätestens in dieser Phase auf die Unterstützung externer Berater und Lieferanten zurück.

4.4

Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporte

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die erforderlichen Planungsschritte zur Schaffung innerbetrieblicher Transportstrukturen dargestellt. Analog zum außerbetrieblichen Transport, der innerhalb einer öffentlichen Infrastruktur abgewickelt wird, erfolgt nun die Planung, Steuerung und Ausführung einzelner innerbetrieblicher Transportprozesse innerhalb dieser betrieblichen Strukturen. Dazu sind neben der operativen Ausführung der Transporte drei Teilaufgaben zu erfüllen: • die Generierung von Transportaufträgen, • die Zusammenfassung von Transportaufträgen und • die Zuordnung von Transportkapazitäten zu Transportaufträgen.

In Industrieunternehmen wird der innerbetriebliche Transport durch die Anforderungen und Abläufe der Produktion bestimmt. Die Generierung von Transportaufträgen erfolgt deshalb von Einzelfällen abgesehen, z.B. dem räumlichen Transfer von Instandhaltungsmaterial, im Rahmen der Produktionsplanung und -steuerung (PPS). Prinzipiell ist damit die Herausforderung verbunden, Transport- und Fertigungshandlungen zeitlich und hinsichtlich der Mengen zu koordinieren.561 In Abschnitt 4.1 wurden bereits die vielfältigen Transportaufgaben in der Industrie beim Vorliegen unterschiedlicher Fertigungstypen angesprochen. Stellvertretend kann deshalb an dieser Stelle der Fall des innerbetrieblichen Transports zwischen zwei Bearbeitungsstationen betrachtet werden. Station n – 1 fungiert dabei als Abgangspunkt

559

Siehe dazu z.B. Großeschallau (1984), S. 90–106; Arnold/Furmans (2009), S. 112–123.

560

Vgl. VDI 3694, S. 3.

561

Vgl. Inderfurth (1998), S. 629.

132

4 Innerbetrieblicher Transport

A und die nachfolgende Station n als Zielpunkt Z. Wesentlich für die Art und Weise des Entstehens von Transportaufträgen zwischen diesen beiden Orten ist die Form der Fertigungssteuerung.562 Bei bedarfsorientierter Steuerung erfolgt ausgehend von der Programmplanung eine zentrale Planung der Fertigungsaufträge und damit der Arbeitsgangfolge. Auf diese Weise erhält die Bearbeitungsstation n – 1 zentral gesteuert einen Teilauftrag zur Verrichtung der erforderlichen Arbeitsgänge. Sobald die Fertigung abgeschlossen ist, wird das bearbeitete Los oder das einzelne Werkstück für die Abholung bereitgestellt. Durch eine Fertigmeldung der Station n – 1 an das zentrale PPS-System kann dort ein Transportauftrag generiert werden, da der Nachfolger n durch die Maschinenbelegungsplanung bekannt ist. Damit verursacht die zentrale Planung und Steuerung den Transportauftrag und „schiebt“ die bearbeiteten Werkstücke zum Zielort Z weiter. In der Literatur hat sich deshalb für diese Form der Materialflusssteuerung der Begriff „Push-Prinzip“ etabliert. Dagegen wird bei rein verbrauchsorientierter Steuerung auf eine zentrale Planung der gesamten Produktion verzichtet. Zentral geplant wird lediglich die letzte Produktionsstufe, d.h. in der Regel die Endmontage.563 Wenn dort aufgrund des aktuellen Verbrauchs ein Meldebestand unterschritten wird, löst diese Station n als Zielpunkt Z direkt einen Fertigungsbzw. Auslagerungsauftrag für die Station n – 1 aus. Als Voraussetzung dafür müssen der Station n Informationen vorliegen, welche Bearbeitungsstation das erforderliche Vormaterial erzeugt bzw. im Fall von Lagern bevorratet. Dort werden die bestellten Teile oder Baugruppen in der erforderlichen Menge erzeugt bzw. ausgelagert und danach bereitgestellt. Da der Station n – 1 der Auftraggeber und damit der Zielort bekannt ist, kann diese dezentral einen Transportauftrag generieren. Eigentlicher Verursacher dieses Transportauftrags ist jedoch die Station n, da diese den Fertigungsauftrag als Grundlage des Transports gegeben hat und damit die Teile oder Baugruppen zu sich „zieht“. Aus diesem Grunde wird diese Form der Materialflusssteuerung häufig mit dem Begriff „Pull-Prinzip“ belegt. Kern der verbrauchsorientierten Steuerung ist damit die direkte Beauftragung der Vorgängerstation n – 1 durch den Nachfolger n. Dabei können unterschiedliche Kommunikationsmedien zur Auftragserteilung eingesetzt werden. Denkbar sind ein einfacher Zuruf, ein Telefonanruf, optische oder akustische Signale, die Weitergabe eines schriftlichen Auftragsdokuments, die Versendung einer E-Mail oder die Eingabe der Auftragsdaten in ein Dispositionssystem. Bei arbeitsteiliger Produktion kleinerer Handwerkergruppen auf einer Baustelle ist beispielsweise die mündliche Beauftragung eine übliche und angemessene Vorgehensweise. Allerdings eignen sich schriftliche Medien besser als Medien der Audiokommunikation für die Übertragung sachbezogener und insbesondere numerischer Informationen, die hier im Mittelpunkt stehen.564 Eine in der industriellen Produktion übliche Form verbrauchsorientierter Steuerung basiert auf der Verwendung von vorbereiteten und wiederverwendbaren Karten, welche Informatio-

562

Siehe zum Folgenden z.B. Günther/Tempelmeier (2012), S. 343–352; Arnold/Furmans (2009), S. 262–264; Pfohl (2010), S. 188–189.

563

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 344.

564

Vgl. Large (2002), S. 244–245.

4.4 Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporte

133

nen über das zu liefernde Erzeugnis, die erforderlichen Mengen, die Logistikeinheiten, den Abgangs- und Zielort und ggf. weitere Daten enthalten. Da solche Auftragsdokumente zunächst in der japanischen Automobilindustrie eingesetzt wurden, werden diese mit dem japanischen Wort für Karte als Kanban bezeichnet. Die Kanban-Steuerung stellt somit keine grundsätzliche Form der Fertigungssteuerung, sondern lediglich eine spezielle Ausprägung der verbrauchsorientierten Steuerung dar. Allerdings weist diese gegenüber anderen Ausprägungen zusätzliche Vorteile auf. Der Hauptvorteil besteht in der Begrenzung der Fertigungsaufträge und damit der Lose in der Produktion durch die Festlegung der Anzahl von Karten pro Erzeugnis. Entsprechend werden keine innerbetrieblichen Transporte von Materialen durchgeführt, die nicht oder zumindest noch nicht benötigt werden. Eine weitere Stärke besteht in der Definition der Losgrößen und Logistikeinheiten, welche die Abwicklung des innerbetrieblichen Transports vereinfacht. Kanban-Steuerungen werden heute in verschiedenen Modifikationen verwendet.565 Die bekannteste davon ist der Behälter-Kanban, bei dem die Informationen des Kanban auf einem Behälter, z.B. einem Kleinladungsträger, aufgebracht sind. Ist der Behälter leer, so erfolgt ein Transport von der Station n zur Station n – 1. Dort löst dieser einen entsprechenden Fertigungsvorgang aus. In der Regel werden die Werkstücke, die einem Fertigungsauftrag zugeordnet sind, als geschlossenes Los zur nächsten Bearbeitungsstation weitertransportiert. In diesem Fall entsprechen die Losgrößen den Transportmengen. Allerdings müssen sinnvolle Fertigungslosgrößen nicht notwendigerweise zu angemessenen Auslastungen führen. Deshalb kann eine Zusammenfassung von Transportaufträgen insbesondere bei Verwendung von Unstetigförderern sinnvoll sein. Ein Beispiel sind Lose, die nur wenige Kleinladungsträger (KLT) umfassen, jedoch mit einem Hubwagen oder Stapler transportiert werden sollen. Analog zum außerbetrieblichen Transport können in solchen Situationen indirekte innerbetriebliche Transporte durchgeführt werden.566 Neben der Bündelung von mehreren Losen an Sammelpunkten und deren Auflösung an Verteilpunkten bietet sich vor allem die Durchführung von innerbetrieblichen Touren an. Beispielsweise können Züge, bestehend aus einem Schlepper und mehreren Wagen, nacheinander mehrere Bearbeitungs- oder Montagestationen anfahren und dort einzelne beladene KLT abliefern und leere KLT aufnehmen. Prinzipiell lassen sich zur Tourenplanung die gleichen Methoden anwenden, die im Rahmen des außerbetrieblichen Transports vorgestellt wurden.567 Müssen bestimmte Zielpunkte regelmäßig angefahren werden, so kann die Bildung von dauerhaften Standardtouren sinnvoll sein, die mit konstanter Route und nach festem Fahrplan durchlaufen werden. Andererseits ist es möglich, dass ein Fertigungslos die Kapazität eines Flurförderzeugs übersteigt. In diesen Fällen muss das Fertigungslos durch mehrere Fahrten mit dem gleichen Fördermittel (Pendeltransport) oder unter Einsatz mehrerer Fahrzeuge transportiert werden. Die dritte Aufgabe im Zusammenhang mit der Planung und Steuerung einzelner innerbetrieblicher Transporte umfasst die Zuordnung von Transportkapazitäten zu einzelnen oder bereits zusammengefassten Transportaufträgen. Prinzipiell kann ein Transport zwischen einem Abgangspunkt A und dem Zielpunkt Z von Mitarbeitern der Station n – 1 oder der 565

Siehe dazu z.B. Lödding (2008), S. 177–189.

566

Siehe dazu Abbildung 10.

567

Siehe dazu die Abschnitte 3.4.2 und 3.4.3.

134

4 Innerbetrieblicher Transport

Station n mit entsprechendem Gerät ausgeführt werden. Letzteres wäre z.B. der Fall, wenn die Mitarbeiter eines Fertigungsbereichs das erforderliche Material selbst im Lager abholen.568 Üblicherweise wird jedoch der innerbetriebliche Transport von spezialisierten Mitarbeitern durchgeführt. Neben dem Vorteil der Spezialisierung auf logistische Aufgaben ist in der Regel auch die Eingruppierung dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in niedrigere Lohngruppen ein wesentlicher Grund für diese Arbeitsteilung. Werden Transportaufträge nicht von den Fertigungsstellen selbst ausgeführt, stellt sich die Frage, wodurch die Belegung der Fördermittel resultieren soll. Zunächst kann die Belegung durch die abgebende Stelle, d.h. die Station n – 1, erfolgen. Im Fall von Stetigförderern geschieht dies i.d.R. durch die Übergabe der mit der Transportinformation versehenen Logistikeinheit an eine Rollenbahn, einen Kettenförderer oder eine Rutsche. Werden dagegen Unstetigförderer, insbesondere Flurförderzeuge, eingesetzt, erfolgt die Bereitstellung an speziellen Übergabeorten. Im Gegensatz zu Stetigförderern, die permanent eine Prozessleistung abgeben, erfordert die Nutzung von Unstetigförderern die explizite Disposition eines geeigneten Betriebsmittels, um aus einer reinen Potenzialleistung ergebnis- und wirkungsbezogene Leistungen zu entfalten. Die hierfür notwendige Weisung kann durch Mitarbeiter der abgebenden Bearbeitungsstation erfolgen, sofern diese dazu ermächtigt werden. Diese werden jedoch lediglich die Situation an der eigenen Bearbeitungsstation beurteilen können. Die zweite Möglichkeit besteht deshalb darin, auf eine suboptimale dezentrale Disposition zu verzichten und die Übernahme von Transportaufträgen den Akteuren des innerbetrieblichen Transports zu überlassen. In diesem Fall bilden sich an den Abgabepunkten Warteschlangen, die von den Transportmitarbeitern unter Nutzung angemessener Fördermittel selbständig abgearbeitet werden. Allerdings verfügen diese über keine Gesamtübersicht und können deshalb nicht beurteilen, welche Transportaufträge vorrangig zu bearbeiten sind. Die dritte Möglichkeit besteht deshalb in der zentralen Disposition der Fördermittel. Die zentrale Disposition eröffnet prinzipiell die Möglichkeit der koordinierten und optimierten Ausführung der anstehenden Transportaufträge. So könnte ein umfassender Tourenplan aufgestellt werden, der alle innerbetrieblichen Abholungen und Anlieferungen einer bestimmten Periode umfasst (Pickup and Delivery).569 Allerdings wäre ein solcher äußerst komplex, da viele Fördermittel, z.B. Stapler, nur eine Logistikeinheit aufnehmen können und permanent neue Transportaufträge generiert werden, die eine Anpassung des Plans erfordern würden. In der betrieblichen Praxis wird deshalb häufig mit vergleichsweise einfachen Regeln zur Belegung von Flurförderzeugen gearbeitet.570 Die einfachste Regel fordert die Abarbeitung der Transportaufträge in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Bei Anwendung der Regel „nächstliegende Station“ wird einem freiwerdenden Fördermittel derjenige Transportauftrag zugeteilt, der auf kürzestem Weg zu erreichen ist. Dabei besteht die Gefahr, dass Bearbeitungsstationen, die innerhalb des Betriebs eher periphere Lagen einnehmen, vergleichsweise lange auf einen Abtransport warten müssen. Die Regel „nächstliegendes Fördermittel“ weist dagegen einem Transportauftrag das Fördermittel zu, welches die kürzeste Distanz überwinden muss, um die bereitgestellte Logistikeinheit zu erreichen. 568

Vgl. Pfohl (2010), S. 188–189.

569

Siehe dazu Abschnitt 3.4.4.

570

Vgl. de Koster/Le-Anh/van der Meer (2004), S. 376–377; Le-Anh/de Koster/Yu (2010), S. 7232–7233.

5

Physische Lagerung

In Abschnitt 1.1.2 wurde die physische Lagerung bereits als wesentliche Teilfunktion der Logistik abgeleitet. In Anlehnung an die US-amerikanische Bezeichnung „Warehousing“ wird diese Teilfunktion in der deutschsprachigen Literatur zuweilen auch mit dem Begriff „Lagerhaus“ belegt,571 denn im Mittelpunkt stehen neben Lagerbereichen innerhalb von Betrieben vor allem Lagerhäuser als eigenständige Betriebe. Hauptaufgabe der physischen Lagerung bildet der zeitliche Transfer von Gütern und Abfällen. Daneben erfüllen Lager auch wesentliche Aufgaben als Verteilpunkte, Sammelpunkte oder Naben bei der organisatorischen Abwicklung von Transporten.

5.1

Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

5.1.1

Funktionen von Lagerbereichen und Lagerhäusern

Lager können als abgegrenzte Lagerbereiche innerhalb von Gebäuden oder auf Freiflächen von Industrie-, Handels- und Dienstleistungsbetrieben angeordnet werden. Beispiele für solche Lagerbereiche sind Material- oder Werkzeuglager in einer Werkstatt und Warenlager in einem Einzelhandelsgeschäft. Das Ausgangslager eines Produktionsbetriebs wird dagegen häufig als separates Lagerhaus auf dem Betriebsgelände realisiert. Eine wesentliche Fragestellung ist in diesen Fällen die Anordnung der Lagerbereiche bzw. Lagerhäuser innerhalb des Betriebsgeländes. Andererseits kann es sinnvoll sein, Lagerhäuser als eigenständige Betriebe an anderen Standorten zu errichten. Beispiele dafür sind Auslieferungslager, die in bestimmten Regionen kundennah betrieben werden. Solche Lagerhäuser umfassen neben den Lagerbereichen im engeren Sinne auch Büros, Sozialräume und ggf. Bereiche für Montageoder Konfektionierungsarbeiten. Primäre Funktion von Lagern ist der zeitliche Transfer von Gütern. Lager, die primär diese Funktion erfüllen, stellen Vorratslager dar. Durch die Bevorratung von Gütern wird deren faktische Verfügbarkeit am Lagerort gewährleistet. Werden aus diesem Vorrat gezielt einzelne Logistikeinheiten eines Gutes oder einer Gütergruppe ausgewählt, kann zudem die Reihenfolge der Verwendung bewusst verändert werden. Von zentraler Bedeutung für Vorratslager ist deren Lagerkapazität im Sinne einer Bevorratungskapazität κb. Diese wird beispielsweise bei Palettenlagern mit Hilfe der Anzahl der verfügbaren Stellplätze oder bei Schüttgut- oder Flüssigkeitslagern mit dem Volumen gemessen. Allerdings ist auch bei Vorratslagern die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Ein- und Auslagerung sowie der Kommis571

So z.B. Pfohl (2010), S. 10.

136

5 Physische Lagerung

sionierung nicht zu vernachlässigen. Gerade bei der Distribution von schnelldrehenden Gütergruppen, z.B. im Lebensmittelbereich, und in der Produktionsversorgung ist eine hinreichend große Anzahl von Ein- und Auslagerungen pro Zeiteinheit zu gewährleisten. Auch Abfälle können zeitlich transferiert werden, um sie einer nachfolgenden Verwertung oder Beseitigung zuzuführen. Weiterhin kommt es gerade im Bereich der Entsorgung von Abfällen auf Deponien zu sehr langen Lagerzeiten. Obwohl der Bevorratung eine zentrale Stellung bei der Betrachtung der physischen Lagerung zukommt, haben die Ausführungen zu den Grundstrukturen des räumlichen Gütertransfers in Abschnitt 3.3.1 eine weitere Funktion von Lagern aufgezeigt: Lager stellen wichtige Knoten in Transportketten dar und ermöglichen damit indirekte und gebrochene Transporte.572 Reine Umschlaglager dienen nicht der Bevorratung, sondern ermöglichen Handlungen, „die beim Übergang der Güter auf ein Transportmittel, beim Abgang der Güter von einem Transportmittel und wenn Güter das Transportmittel wechseln“573 vollzogen werden. Die umgeschlagenen Güter befinden sich nur für jenen Zeitraum in dem Umschlaglager, der für das Entladen, Sortieren, ggf. Umpacken, Bereitstellen und Beladen erforderlich ist. Rein zeitliche Transferhandlungen finden sich in solchen Lagern im engeren Sinne nur im Bereich der Bereitstellung. Ein wichtiges Merkmal von Umschlaglagern ist deshalb deren Abwicklungskapazität κa bezogen auf eine Periode, die beispielsweise mit Hilfe der maximalen Anzahl von LKW, die pro Tag abgefertigt werden können, oder der maximalen Anzahl im Warenausgang pro Tag verladbaren Paletten gemessen werden kann. Entsprechend Abbildung 9 können Umschlaglager primär der Verteilung dienen. In diesem Fall erfolgt der Transport der Güter mit Fahrzeugen großer Kapazität zum Lager. Dort werden diese Ladungen aufgelöst und auf kleinere Fahrzeuge umgeschlagen, die im direkten Transport oder mit Hilfe von Touren kleine Gütermengen an Zielpunkte ausliefern. Umgekehrt können Umschlaglager vorwiegend die Sammlung von Gütern ermöglichen. Hierbei werden die Güter mit kleineren Fahrzeugen zum Lager gebracht, die Ladungen gebündelt und auf Transportmittel großer Kapazität verladen, die sodann den weiteren Transfer übernehmen. Beide Funktionen werden beispielsweise von den Depots der Sammelgutspeditionen und Paketdienste wahrgenommen. Es ist offensichtlich, dass diese Sendungen nicht im Lager bevorratet, sondern möglichst schnell weitergeleitet werden sollen. Umschlaglager, welche die Funktion einer Nabe (Hub) in Sammelgut- oder Paketnetzwerken wahrnehmen, kombinieren beide Funktionen. Im Mittelpunkt steht das schnelle relationsbezogene Umsortieren von Sendungen, wobei in aller Regel für eingehende und abgehende Transporte Fahrzeuge gleicher Kapazität verwendet werden. Ebenso wird das Prinzip des reinen Umsortierens im Rahmen des so genannten CrossDockings angewendet. Dieses findet sich in der Realität in zwei unterschiedlichen Ausprägungen.574 Beim Cross-Docking im engeren Sinne wird das Lager von den Lieferanten mit bereits für mehrere Zielorte kommissionierten und spezifisch beschrifteten Logistikeinheiten, z.B. Mischpaletten, beliefert, die im Lager lediglich ausgehenden Fahrzeugen für einzelne 572

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 391–393; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 248–251; Pfohl (2010), S. 112– 113.

573

DIN 30781 Teil 1, S. 3.

574

Vgl. Yan/Tang (2009), S. 844; Yang/Balakrishnan/Cheng (2010), S. 122–124.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

137

Zielpunkte (Kunden) zugeordnet werden.575 In diesem Fall werden somit im Umschlaglager keine Kommissioniertätigkeiten durchgeführt, da diese bereits von den Lieferanten vollzogen wurden. Entsprechend müssen diese über die genauen Bestellinformationen der einzelnen Kunden verfügen. Die Logistikeinheiten werden entsprechend der Bezeichnung „crossdocking” im Lager also lediglich von einem Tor zum anderen „durchgeschoben“. Im weiteren Sinne erhalten die Lieferanten lediglich die aggregierten Bedarfe für alle Kunden. Entsprechend liefern diese zunächst sortenreine Logistikeinheiten an das Umschlaglager.576 Erst dort werden diese aufgebrochen und die Lieferungen für die einzelnen Kunden kommissioniert, gepackt und beschriftet. Beiden Fällen ist jedoch gemein, dass sich im Umschlaglager lediglich die Tagesbedarfe als Bestand befinden. Eine Vorratshaltung findet nicht statt. Im Gegensatz zu diesen reinen Umschlaglagern nehmen Auslieferungs- und Zulieferungslager jedoch häufig eine Zwitterstellung ein, da sie zwar primär Verteil- bzw. Sammelpunkte darstellen, jedoch in der Regel auch die Funktion von Vorratslagern ausüben, um die Verfügbarkeit der Güter für die Kunden einer Region bzw. für eine eigene Produktionsstätte sicherzustellen. Gerade diese Lager weisen deshalb eine komplexe Struktur auf.577

5.1.2

Dienstleistungen und Dienstleister der physischen Lagerung

Menschen haben zu allen Zeiten Vorräte angelegt und dafür Lager betrieben. Neben den privaten Haushalten, die Lager zur Sicherung ihrer Eigenversorgung führen, legen Unternehmen der Industrie, des Handels und des Dienstleistungssektors Lagerbereiche und Lagerhäuser mit eigenen Beständen an, um ihre Aufgaben im Bereich der Beschaffung, Produktion, Distribution und Entsorgung zu realisieren. In entsprechender Weise unterhalten Logistikdienstleistungsunternehmen Lager, um darin die Güter ihrer Kunden gegen Entgelt zu lagern und umzuschlagen. Häufig werden diese Unternehmen dabei auf eigene Lagerkapazitäten zurückgreifen. Daneben besteht die Möglichkeit der Anmietung von Lagerraum, der im Eigenbetrieb von diesen Unternehmen selbst bewirtschaftet wird. Eine wachsende Zahl spezialisierter Logistikimmobilienunternehmen errichten oder kaufen Lagerhäuser und vermieten diese komplett oder abschnittsweise, wobei häufig auch die operative Betreuung des Gebäudes, z.B. die Instandhaltung, angeboten wird.578 Eine jüngste Entwicklung stellen die Selbsteinlagerungsdienstleistungen dar,579 bei denen der Dienstleister dem Kunden gegen Entgelt „eine abgegrenzte, sicherbare Einheit zur Lagerung zuweist, zu der der Kunde das alleinige Zugangsrecht hat.“580 Für die Ein- und Auslagerung sowie die Aufbewahrung der eingelagerten Güter ist der Kunde selbst verantwortlich. Dieses Konzept richtet sich deshalb vor allem an Privatpersonen sowie an Kleingewerbetreibende, die nicht über ausreichenden Lagerraum verfügen. 575

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 398; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 249; Pfohl (2010), S. 112.

576

Vgl. Ihde (2001), S. 318–319.

577

Siehe dazu Abschnitt 5.2.3.

578

Vgl. Hesse (2004), S. 164–166.

579

Beispiele dafür sind die Unternehmen Lagerbox und Secur.

580

DIN EN 15696, S. 5.

138

5 Physische Lagerung

Die wichtigste Dienstleistung im Rahmen der physischen Lagerung folgt aus dem Lagergeschäft nach §467 HGB. Danach „wird der Lagerhalter verpflichtet, das Gut zu lagern und aufzubewahren. Der Einlagerer wird verpflichtet, die vereinbarte Vergütung zu zahlen.“581 Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Formen der Vermietung, bei denen lediglich Lagerraum zur Verfügung gestellt wird, übernimmt der Lagerhalter aktiv die Aufgaben der Einlagerung, der Aufbewahrung und Sicherung sowie der Herausgabe.582 Ebenso abzugrenzen ist das Lagergeschäft gegenüber kurzfristigen Zwischenlagerungen, die beförderungsbedingt, z.B. in einem Umschlaglager, anfallen. In diesen Fällen findet i.d.R. Transportrecht Anwendung.583 Physische Lagerleistungen stellen zudem häufig auch den Kern von komplexen Kontraktlogistikleistungen dar.584 Kontraktlogistikleistungen bestehen aus mehreren logistischen Dienstleistungsarten und umfassen als wesentliches Element die kundenspezifische Koordination dieser Einzelleistungen.585 Obwohl im Rahmen der Kontraktlogistik häufig Lager-, Transport- und Speditionsleistungen auf Basis der Regeln des HGB erbracht werden, ist das Kontraktlogistikgeschäft selbst gesetzlich nicht normiert.586 Im Gegensatz zum einzelnen Lagergeschäft, welches sich auf ein bestimmtes zu lagerndes Gut bezieht, werden im Rahmen der Kontraktlogistik langfristige Verträge geschlossen. Der Kontraktlogistikdienstleister übernimmt für einen längeren Zeitraum (i.d.R. 3–5 Jahre) die Aufgabe, wiederholt Güter für einen Kunden zu lagern oder sogar ein Lager speziell für diesen Kunden zu betreiben. Zusätzlich werden häufig weitere Aufgaben im Zusammenhang mit der physischen Lagerung übernommen, wie z.B. Kommissionierung, Logistikeinheitenbildung, Versand, Qualitätskontrolle sowie einfache Montage- oder Demontagearbeiten. Bei einem hohen Grad der Anpassung des Dienstleisters an den Kunden werden Lagerleistungen im Rahmen der Kontraktlogistik spezifisch in kundenbezogenen Lagerhäusern erbracht.587 Häufig werden dazu Lagerhäuser genutzt, die sich im Eigentum des Kunden befinden oder sich zumindest vor der Fremdvergabe an den Dienstleister in dessen Eigentum befanden. Andererseits können bei vergleichsweise geringer Anpassung Kontraktlogistikleistungen in Lagerhäusern des Dienstleisters zusammen mit Leistungen für andere Kunden erstellt werden. In diesen Fällen wird von Multi-user Warehouses (Mehrkundenlagerhäusern) gesprochen. In beiden Fällen finden sich auch Geschäftsmodelle in denen der Kunde oder der Dienstleister Lagerraum bei einem Logistikimmobilienunternehmen anmietet.

581

§467 HGB Abs. 1 und 2.

582

Vgl. Szuka (2008), S. 64–65.

583

Vgl. Szuka (2008), S. 64; Gimmler/Fischer (2009), S. 419–420.

584

Siehe dazu ausführlich Band 3.

585

Vgl. Large (2009b), S. 446–447.

586

Vgl. Gimmler/Fischer (2009), S. 444.

587

Vgl. Large (2011), S. 39–40.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

5.1.3

139

Aufgaben und Entscheidungskriterien der Lagerstandortwahl

Wie in den vorangegangenen Abschnitten aufgezeigt, erfüllen Lager die Funktion der Bevorratung von Gütern oder sie bilden Umschlagpunkte in Transportketten. Bestände müssen für ihre Nutzer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort verfügbar sein. Divergieren der Ort des Lagers und der Ort der Nutzung müssen zusätzliche räumliche Transfers vollzogen werden, welche Kosten verursachen und Zeit beanspruchen. Auch die Lage eines Umschlagpunkts bestimmt wesentlich den Nutzen gebrochener und indirekter Transporte. Sind diese ungünstig angeordnet, ergeben sich zu große Umwege, welche die Bündelungseffekte beim Transport kompensieren. Für beide Funktionen ist somit der Standort eines Lagers von elementarer Bedeutung. Die Standortwahl ist somit eine der grundlegenden Entscheidungen in logistischen Netzwerken. Hinzu tritt das Problem der Bindungswirkung einer solchen Entscheidung: Fehlentscheidungen bei der Standortwahl sind nur mit vergleichsweise hohem Aufwand revidierbar, vor allem dann, wenn es sich um eigene Lager oder um angemietete Lager mit langer Vertragslaufzeit handelt. Bevor nun Kriterien und Methoden der Standortwahl genauer diskutiert werden können, müssen zwei ähnliche und dennoch im Detail unterschiedliche Problemstellungen differenziert werden.588 Die logistische Aufgabe der Lagerstandortwahl gliedert sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht in die innerbetriebliche und die außerbetriebliche Lagerstandortwahl. Die innerbetriebliche Standortwahl beschäftigt sich mit der Frage, an welchem Ort innerhalb eines geschlossenen Industrie-, Handels- oder Dienstleistungsbetriebs ein Lagerbereich angeordnet werden soll. Diese Fragestellung wird häufig in Zusammenhang mit der Layoutplanung bzw. im ingenieurwissenschaftlichen Bereich mit der Fabrikplanung diskutiert.589 Lagerbereiche konkurrieren bei der innerbetrieblichen Standortverteilung mit Produktions-, Verwaltungs- und Sozialeinrichtungen um verfügbare Flächen.590 Bei der Festlegung eines innerbetrieblichen Lagerstandorts werden üblicherweise Zielgrößen, wie z.B. die Transportkosten, die Transportleistung, die Durchlaufzeiten, die Übersichtlichkeit der Anordnung und Standortwechselkosten, herangezogen.591 Ebenso sind zahlreiche und oft unternehmensspezifische Rahmenbedingungen als weitere Entscheidungskriterien zu berücksichtigen, wie z.B. die Organisationsform der Fertigung, die Verfügbarkeit von Fördermitteln und -wegen, bauliche Restriktionen sowie vor allem auch Aspekte der Sicherheit und des Arbeitsschutzes.592 Bei der außerbetrieblichen Standortwahl handelt es sich dagegen um eine Entscheidung über die Anordnung eines Lagerhauses oder ggf. sogar mehrerer vernetzter Lagerhäuser im

588

Siehe z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 2–3; Domschke/Krispin (1997), S. 181; ReVelle/Eiselt (2005), S. 1.

589

Siehe dazu z.B. Dangelmaier (1996).

590

Vgl. Wäscher (1998), S. 321–322.

591

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 12–14.

592

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 14; Dangelmaier (1996), Sp. 429–430.

140

5 Physische Lagerung

Raum. Im Gegensatz zur Layoutplanung bilden die Lagerhäuser als anzuordnende Einheiten nur kleine Punkte auf einer vergleichsweise großen Fläche.593 Dabei kann sowohl die Errichtung neuer Lagerhäuser als auch die Nutzung bestehender Lagerhäuser in Betracht gezogen werden. Die Ausführungen in Abschnitt 5.1.2 haben dazu mehrere Alternativen des Aufbaus von Lagerhauskapazitäten aufgezeigt, die von unternehmenseigenen Einrichtungen über angemietete Räumlichkeiten bis hin zur Fremdvergabe an Logistikdienstleister reichen. Neben betriebswirtschaftlichen Kriterien im engeren Sinne, insbesondere den erforderlichen Investitionen und den langfristigen Betriebskosten, sollten dabei auch ökologische Auswirkungen berücksichtigt werden.594 Durch die Errichtung von Lagerhäusern findet eine deutliche Flächeninanspruchnahme statt, da nicht nur Lagerflächen, sondern auch Bewegungsflächen zur Abwicklung der An- und Auslieferung benötigt werden. Deshalb sollte der Bau neuer Lagerhäuser stets sorgfältig und verantwortungsbewusst überdacht werden.595 Alternativen dazu sind wie bereits angemerkt vor allem leer stehende Lagerhäuser sowie Mehrkundenlagerhäuser von Dienstleistern. Die außerbetriebliche Standortwahl ist ein komplexes Problem, welches durch eine Vielzahl unterschiedlichster Einflussgrößen596 und ein hohes Risiko von Fehlentscheidungen geprägt ist. Pfohl unterscheidet mit der interlokalen und der lokalen Standortwahl deshalb zwei Entscheidungsebenen der außerbetrieblichen Standortplanung,597 wodurch eine Komplexitätsreduktion erreicht werden kann. Bei der interlokalen Standortwahl wird zunächst versucht, die optimale Region oder den optimalen Wirtschaftsraum zu identifizieren, in dem ein Vorrats- oder Umschlaglager betrieben werden soll. Zu den primären Einflussgrößen dieser Entscheidung zählen die Lage der Zielpunkte Zj, welche von diesem Lager beliefert werden, und jene der Abgangspunkte Ai, von denen dieses Lager beliefert wird, denn hierdurch werden die zurückzulegenden Entfernungen, die Transportzeiten und i.d.R. wesentliche Anteile der Transportkosten bestimmt. In diesem Zusammenhang muss zusätzlich berücksichtigt werden, welche Gütermengen, mit welchen Transportmitteln zwischen diesen Punkten und dem Lager zu transportieren sind. Da ein Lager für längere Zeit an einen Standort gebunden ist, sollten auch Abschätzungen über die zukünftige Veränderung der Lage der Zielund Abgangspunkte sowie der zugehörigen Transportmengen und ggf. der eingesetzten Verkehrsträger vorgenommen werden. Unterscheiden sich die Wirtschaftsräume hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen wesentlich, so müssen auch die daraus resultierenden Bedingungen für den Betrieb des Lagers berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn potenzielle Standorte in mehreren Ländern verglichen werden. Bedeutsame Einflussgrößen können beispielsweise die verfügbare Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, die Stabilität der Energieversorgung, das Klima, die Verfügbarkeit und die Kosten von Arbeitsleistungen usw. sein. Neben den bisher angeführten Kriterien können auch strategische Überlegungen eine Rolle im Entschei-

593

Vgl. ReVelle/Eiselt (2005), S. 1.

594

Zur Begründung dieser Forderung siehe Abschnitt 1.2.5.

595

Vgl. Large (2010), S. 488.

596

Siehe z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 6–9.

597

Vgl. Pfohl (2010), S. 116.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

141

dungsprozess spielen. Ein Beispiel dafür ist die durch das Management wahrgenommene Notwendigkeit der physischen Präsenz eines Unternehmens in einem Wirtschaftsraum. Im Rahmen der interlokalen Standortwahl sollte zudem geprüft werden, ob eine Lösung unter Einbeziehung mehrerer Lagerhäuser gegenüber einer solchen mit nur einem Lagerstandort Vorzüge aufweist. Damit ist die Frage der optimalen Anzahl von Lagerhäusern angesprochen. Diese lässt sich nochmals in zwei Teilfragen hinsichtlich der Art der Arbeitsteilung zwischen diesen Lagern zerlegen. Zum einen kann eine horizontale Arbeitsteilung das Ziel sein, d.h. in mehreren Wirtschaftsräumen werden Lagerhäuser angeordnet, die dort identische Aufgaben, z.B. als Auslieferungslager, erfüllen. Mit der Anzahl solcher Lager sinken die Kosten der Transporte zu den Zielpunkten Zj, da sich die Entfernungen verringern, gleichzeitig steigen jedoch die Kosten der Nachlieferung. Die Lagerhaltungskosten steigen ebenso, da bei gleichem Sortiment in jedem Lager Sicherheitsbestände parallel gehalten werden müssen. Auch die Betriebskosten der Lager steigen, jedoch unterproportional, da mit der Anzahl der Lager deren Größe sinkt. Addiert man diese Kosten, so ergibt sich eine Gesamtkostenfunktion, die ein Minimum aufweist, woraus auf eine optimale Anzahl von Lagern geschlossen werden kann.598 Bei vertikaler Arbeitsteilung ergeben sich mehrstufige Lagerstrukturen, bei denen Lager mit unterschiedlichen Aufgaben – z.B. Warenausgangslager und Auslieferungslager – unterschieden werden.599 Die zentrale Fragestellung ist dabei, ob sich durch die Einbeziehung einer weiteren Lagerstufe Vorteile erzielen lassen.600 In Abbildung 17 werden die Zielpunkte Z4, Z5 und Z6 durch das Regionallager R beliefert, alle anderen Zielpunkte durch den zentralen Abgangspunkt A (Zentrallager). Das Zielgebiet umfasst alle potenziellen Zielpunkte, die trotz Umweg über das Lager R zu geringeren Kosten beliefert werden können als dies bei

Z5

Z1

Z6

Z4

R A

Z3

Zielgebiet des Regionallagers

Z2 Z7

Z9

Z8

Abbildung 17: Mehrstufige Lagerstrukturen durch Errichtung eines Regionallagers.

598

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 408–409.

599

Siehe dazu Abschnitt 3.3.1, insbesondere Abbildung 9.

600

Vgl. Pfohl (2010), S. 114–116.

142

5 Physische Lagerung

Direktbelieferung ab A möglich wäre. Dies ist auch für den Zielpunkt Z4 der Fall, obwohl dessen Bedienung sogar eine Rückfahrt in Richtung A erfordert. Zielpunkte die auf der xAchse im positiven Bereich liegen (Z6) erfordern keine Umwege. Aus diesem Grunde ist der Zielbereich in diese Richtung gestreckt. Die Gründe dafür liegen in Kostenreduktionen durch die Integration des Regionallagers. Der Transport über den Sammelpunkt R ermöglicht die Konsolidierung der Ladungen für Z4, Z5 und Z6. Ist in dem Regionallager R eine Bevorratung vorgesehen, ergibt sich zusätzlich ein zeitlicher Bündelungseffekt, da die Lieferungen mehrerer Perioden zusammengefasst werden können. Die Belieferung der drei Zielpunkte Z4, Z5 und Z6 erfolgt nicht wie im Fall von Z7, Z8 und Z9 über eine vergleichsweise lange Distanz, sondern nur über die kurzen Strecken innerhalb des Zielgebietes. Allerdings müssen durch diese Einsparungen die Kosten des Lagers zumindest kompensiert werden. Förderlich für die Errichtung des Regionallagers sind somit hinreichend große Liefermengen und eine möglichst große Anzahl von Kunden im Zielgebiet. Der Standort des Regionallagers wird deshalb entsprechend dieser Zielsetzungen ausgewählt. Ein weiteres wesentliches Argument für ein Regionallager sind die Lieferzeitanforderungen der Kunden, die im Direktverkehr ab A nicht erfüllt werden können. Die zweite Entscheidungsebene bildet die lokale Standortwahl innerhalb eines durch die interlokale Standortwahl identifizierten Wirtschaftsraums. Dabei wird ein konkretes Grundstück für den Bau eines Lagers oder ein bereits bestehendes Lagerhaus ausgewählt. Aus Gründen der Nachhaltigkeit sollte, wenn möglich, auf den Neubau auf der „grünen Wiese“ verzichtet und ernsthaft überprüft werden, ob bestehende Lagerhäuser oder zumindest bereits versiegelte Flächen, z.B. Industriebrachen, als potenzielle Lagerstandorte zur Verfügung stehen.601 Nach einer Phase der Suche und Vorauswahl findet dazu ein direkter Vergleich der Alternativen statt. Beispiele für die vielfältigen Kriterien der lokalen Standortwahl sind die Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten, die Grundstücks- und Erschließungskosten, baugrundabhängige Baukosten, Abgaben und Gemeindesteuern, Subventionen, Umweltschutzauflagen und zu befürchtende örtliche Widerstände.602 Aufgrund der Langfristigkeit von Standortentscheidungen sind die Erweiterungsmöglichkeiten vor Ort von besonderer Bedeutung. Die zu berücksichtigenden Kriterien beziehen sich direkt auf diese potenziellen Standorte. So nützt ein dichtes Eisenbahnnetz in dem ausgewählten Wirtschaftsraum wenig, wenn für das betrachtete Grundstück kein Gleisanschluss realisiert werden kann. Im Fall von angemieteten Lagerhäusern sind die Kriterien entsprechend zu modifizieren. Von Wichtigkeit sind in diesem Fall beispielsweise die Mietkosten, die Fristigkeit der Vertragsbindung und erforderliche Umbauten und Anpassungen.

5.1.4

Grundmodelle und Verfahren der Lagerstandortplanung

Zur Planung von Lagerstandorten stehen eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle und Verfahren zur Verfügung.603 Dabei lassen sich zwei prinzipielle Ansätze unterscheiden.604 Die 601

Vgl. Large (2010), S. 488.

602

Vgl. Pfohl (2010), S. 117.

603

Siehe z.B. die Überblicksabhandlungen Domschke (1996); Domschke/Krispin (1997); ReVelle/Eiselt (2005).

604

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 10; Domschke/Krispin (1997), S. 182.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

143

Standortwahl in der Ebene eignet sich zur Unterstützung der interlokalen Standortwahl, denn es wird nach einem oder mehreren optimalen Standorten gesucht. Als Ausgangspunkt dient jeder beliebige Ort in der Ebene als potenzieller Lagerstandort. Aus diesem Grund wird dieser Ansatz auch als kontinuierliche Standortwahl bezeichnet. Die Lage dieses bzw. dieser Standorte wird auf Basis der Lage der Zielpunkte (bei Verteillagern) bzw. Abgangspunkte (bei Sammellagern) und der jeweiligen Transportmengen mit Hilfe der Minimierung der Transportkosten bestimmt, wobei von entfernungs- und mengenabhängigen Transportkosten ausgegangen wird. Aufgrund der Vereinfachungen dieses Ansatzes dient jedoch der gefundene Ort lediglich als Repräsentant für reale Standorte in diesem Gebiet. An die Standortwahl in der Ebene schließt sich deshalb wie oben beschrieben eine lokale Standortwahl an, um den genauen Ort im Sinne eines zu bebauenden Grundstücks oder einer bestehenden Logistikimmobilie zu identifizieren.

Der zweite Ansatz lässt sich als Standortwahl in Netzen beschreiben. In diesem Fall dient nicht jeder beliebige Ort in der Ebene als möglicher Lagerstandort, sondern es werden konkrete potenzielle Standorte vorgegeben, die sich an bestimmten Knoten des Netzes befinden und spezifische Kapazitäts- und Kostenmerkmale aufweisen. Entsprechend findet sich in der Literatur die Bezeichnung der diskreten Standortplanung für diese Vorgehensweise.605 Prinzipiell kann es sich dabei um eigene bereits bestehende Lagerhäuser, zu errichtende Lagerhäuser oder auch um Lagerhäuser von Logistikdienstleistern und Händlern handeln. Bei der Standortwahl in Netzen erfolgen somit die interlokale und die lokale Standortwahl simultan. An den anderen Knoten des Netzes sind die Zielpunkte bzw. die Abgangspunkte angeordnet. Durch die Lokalisierung an bestimmten Knoten lassen sich die Distanzen zwischen den potenziellen Lagern und den Ziel- bzw. Abgangspunkten vorab bestimmen. Die Optimierung findet sodann auf Basis der entfernungs- und mengenabhängigen Transportkosten sowie der den potenziellen Standorten zugeordneten Lagerhauskosten statt. Als Beispiel für eine Standortwahl in Netzen soll im Folgenden zunächst das kapazitierte einstufige Lagerstandortproblem betrachtet werden, welches in der englischsprachigen Literatur als Capacitated Warehouse Location Problem (CWLP) bezeichnet wird.606 Das CWLP stellt eine Erweiterung des klassischen Transportproblems607 dar und wird als gemischt ganzzahlige Optimierung der Gesamtkosten formuliert. Im Fall von m potenziellen Auslieferungslagern setzt sich die Zielfunktion wie folgt aus den Transportkosten zur Belieferung der n Kunden und aus den Kosten der gewählten Lagerhäuser zusammen: (37)

min K ( x, ψ) =

m

∑ψ ⋅F i

i

i =1$"$$$% #$$

Lagerhauskosten

+

m

n

∑∑ x

⋅ cij #$$$$$"$$$$$% i =1 j=1

ij

Auslieferungstransportkosten

Die Lagerhauskosten Fi fallen als Fixkosten einer Periode an, wenn ein potenzieller Lagerstandort i tatsächlich aufgebaut bzw. genutzt wird. Um diesen Sachverhalt abzubilden, wird eine Binärvariable ψi eingeführt. Diese nimmt den Wert 1 an, falls ein Lager an diesem 605

Siehe z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 162.

606

Siehe dazu z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 53–54; Domschke/Krispin (1997), S. 182–183.

607

Vgl. Abschnitt 3.3.2.

144

5 Physische Lagerung

Standort genutzt wird. Wird dagegen ein potenzieller Standort i nicht realisiert, ergibt sich der Wert 0. Die Transportkosten folgen entsprechend dem klassischen Transportproblem aus den zwischen einem Lager i und einem Kunden j innerhalb einer Periode zu transportierenden Mengen xij und den auf dieser Relation dafür anfallenden Kosten pro Mengeneinheit. Statt der Menge xij, kann auch die Anzahl der Logistikeinheiten λij oder analog zu dem in Abschnitt 3.3.2 formulierten Transportproblem die Anzahl der Ganzladungen als Bezugsgröße verwendet werden. Wird beispielsweise der Transport durch einen Frachtführer ausgeführt, der pro Palette und zurückgelegtem Kilometer den konstanten Betrag c abrechnet, dann lassen sich die Kosten cij aus den Elementen der Distanzmatrix dij bestimmen. In diesem Fall nimmt die Zielfunktion die folgende Form an: (38)

m

m

n

min K (λ, ψ) = ∑ ψi ⋅ Fi + c∑∑ λ ij ⋅ d ij i =1

i =1 j=1

Dabei sind die folgenden Nebenbedingungen zu berücksichtigen. Die m Gleichungen (39) stellen die genaue Erfüllung der Bedarfe zj aller Kunden – gemessen in Paletten – sicher. Da Paletten nicht teilbar sind, bewirkt die Bedingung (40) die Ganzzahligkeit von λij und verhindert gleichzeitig negative Werte, d.h. den Rücktransport von einem Kunden zu einem Lager. Der Ausdruck (41) modelliert ψi als Binärvariable. (39)

m

∑λ i =1

ij

=zj

∀j

(40)

λ ij ∈ IN ∀ i, j

(41)

ψi ∈ {0,1} ∀i

Von zentraler Bedeutung für das kapazitierte einstufige Lagerstandortproblem ist die Formulierung einer Kapazitätsrestriktion für jedes potenzielle Lager: Die Lager verfügen bei bestimmten Fixkosten nur über eine begrenzte Kapazität. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Bevorratungskapazität des Lagerhauses, z.B. die Anzahl der Palettenstellplätze, sondern um die Abwicklungskapazität bezogen auf eine Periode. Beispiele dafür sind die maximale Anzahl von LKW, die pro Tag abgefertigt werden können, oder die maximale Anzahl der im Warenausgang pro Tag bearbeitbaren Paletten. Die Formulierung der Kapazitätsrestriktionen richtet sich nach dem relevanten Engpass. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass täglich nur κia Paletten im Lager i zum Versand bereitgestellt werden können. (42)

n

∑λ j=1

ij

≤ κ ia ⋅ ψi

∀i

Aufgrund der Einbeziehung der Binärvariablen ψi steht diese Kapazität nur dann zur Verfügung, wenn der potenzielle Lagerstandort tatsächlich gewählt wird, d.h. ψi den Wert 1 annimmt. In Abhängigkeit von den Fixkosten, den Distanzen und den Bedarfsmengen sind Lösungen möglich, die mehrere Standorte einbeziehen. Große Distanzen, große Mengen und geringe Fixkosten erhöhen die Wahrscheinlichkeit für mehrere Lager. Übersteigt die Summe

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

145

der Kundenbedarfe die Kapazität des größten Lagers, müssen auf jeden Fall mehrere Standorte realisiert werden, welche gemeinsam die anfallenden Transportströme bewältigen können. Das kapazitierte einstufige Lagerstandortproblem beantwortet damit auch die Frage nach der optimalen Anzahl von Lagern auf dieser Stufe. Die Wirkungsweise der einstufigen kapazitierten Lagerstandortplanung soll mit dem folgenden Beispiel erläutert werden. Fallbeispiel 5: Kapazitiertes einstufiges Lagerstandortproblem (Capacitated Warehouse Location Problem)

Das Handelsunternehmen Trollinger & Maultäschle mit Sitz in Stuttgart vertreibt schwäbische Spezialitäten an Großhändler in den Großräumen München, Heidelberg, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Berlin und Halle (Saale) und arbeitet dazu mit der Spedition Fleißig zusammen. Fleißig liefert für Trollinger & Maultäschle palettierte Ware für 0,06€ pro Palette und gefahrenem Kilometer innerhalb Deutschlands aus. Die prognostizierten Monatsbedarfe der Kunden in diesen Regionen sind in Tabelle 20 aufgeführt. Da das bisher genutzte eigene Lager in Stuttgart baufällig geworden ist, möchte Trollinger & Maultäschle eine neue Lagerstruktur festlegen. Das Logistikdienstleistungsunternehmen Food-Transfer verfügt über Lagerraum in Magdeburg, Kassel, Mannheim und Stuttgart und bietet Trollinger & Maultäschle ausreichenden Lagerraum und den Versandservice zu einem Festpreis von 7.500€ pro Monat und Lager an. An jedem Lagerstandort können monatlich bis zu 1.750 Paletten für Trollinger & Maultäschle versendet werden. Die kürzesten Wege von den potenziellen Lagerstandorten zu den Kunden sind bekannt (Tabelle 19). Tabelle 19: Distanzen dij zwischen den potenziellen Lagerstandorten und den Kunden. in km

München

Heidelberg

Frankfurt

Düsseldorf

Hamburg

Berlin

Magdeburg

525

507

428

414

274

155

Halle 98

Kassel

478

276

197

230

308

386

210

Mannheim

347

21

83

281

565

619

473

Stuttgart

220

129

212

409

656

634

488

Tabelle 20: Monatsbedarfe zj der Kunden j. München Heidelberg Frankfurt Düsseldorf Hamburg Anzahl Paletten

175

350

245

105

140

Berlin

Halle

Summe

280

315

1610

Betrachtet man die Summe der insgesamt pro Monat zu distribuierenden Paletten (1610 Stück), so fällt zunächst auf, dass jedes der vier potenziellen Lager aufgrund einer Abwicklungskapazität von 1750 Paletten diese Aufgabe allein bewältigen könnte. Das Fallbeispiel 5 wurde mit MS-Excel entsprechend der Beziehungen (38) bis (42) modelliert und mit dem Solver gelöst.608 Als Ergebnis ergeben sich zwei Lagerstandorte: Magdeburg und Mannheim. Ab Magdeburg werden die nordöstlichen Zielpunkte in Hamburg, Berlin und Halle beliefert. Alle anderen Kunden werden ab Mannheim versorgt. Allerdings sind beide Lager

608

Zur Lösung des CWLP mit dem Excel-Solver siehe auch Drezner/Drezner (1998), S. 103–106.

146

5 Physische Lagerung

mit 735 bzw. 875 Paletten pro Monat nicht ausgelastet. Insgesamt entstehen bei dieser Lösung Kosten in Höhe von 28.833€, davon 15.000€ fixe Lagerhauskosten pro Monat für die beiden Standorte und 13.833€ Transportkosten. Trollinger & Maultäschle sollte deshalb versuchen, mit Food-Transfer eine geringere Kapazität zu reduziertem Festpreis auszuhandeln. Eine Lösung mit nur einem Lager (Kassel) ergibt sich erst dann, wenn die Fixkosten der Lager deutlich erhöht oder die Transportkosten deutlich gesenkt werden. Sollte Trollinger & Maultäschle aus lokaler Verbundenheit weiterhin ein Zentrallager in Stuttgart präferieren, entstehen hierdurch zwar nur 7.500€ Fixkosten jedoch 36.097€ Transportkosten und damit Gesamtkosten in Höhe von 43.597€. Obwohl für das Fallbeispiel 5 mit Magdeburg, Kassel, Mannheim, Stuttgart vier potenzielle Lagerstandorte zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob andere Standorte möglicherweise zu besseren Ergebnissen führen würden. Diese Frage kann mit der Standortwahl in der Ebene beantwortet werden, denn im Gegensatz zur Vorgabe diskreter Standortalternativen ermöglicht diese eine kontinuierliche Standortwahl.609 Dieser Ansatz eignet sich somit zur Identifikation eines auf Basis der Modellannahmen optimalen Standorts im Rahmen der interlokalen Standortwahl. Wie bisher werden im Rahmen der Standortwahl in der Ebene die Zielpunkte Zj und die Bedarfe der Kunden zj als bekannt angenommen. Da jedoch keine potenziellen Lagerstandorte vorgegeben werden, können ex ante keine kürzesten Wege zwischen dem Lagerstandort und den Zielpunkten im Sinne einer Distanzmatrix bestimmt werden. Die Entfernungen sind vielmehr das Resultat der Optimierung. Hieraus ergibt sich das Problem der Beschreibung der Lage des Lagers und der Distanzmessung zu den Kundenstandorten. Zur Lösung dieses Problems werden der Lagerstandort und die Standorte der Kunden in ein rechtwinkliges Koordinatensystem in einer Ebene eingeordnet. Der vertikale und der horizontale Koordinatenwert beschreiben somit eindeutig jeden einzelnen Standort. Mit Hilfe der Koordinaten lassen sich sodann Distanzmaße zwischen dem – noch zu identifizierenden – Lagerstandort und den Kundenstandorten als Funktion bestimmen. Dazu stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, von denen der rechtwinkligen und der euklidischen Distanz die größte Bedeutung zukommt.610 Diese sind in Abbildung 18 dargestellt. Die rechtwinklige Distanz (2) zwischen dem Lagerstandort A0 und dem Kundenstandort Zj bestimmt sich wie folgt: (43)

d 0r j = x 0 − x j + y 0 − y j

Ebenso lässt sich die euklidische Distanz (3) im Sinne einer Luftlinienentfernung aus den Koordinaten bestimmen. (44)

d e0 j =

2

2

( x 0 − x j ) + ( y0 − y j )

609

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 162.

610

Siehe dazu z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 163–164; Domschke (1996), Sp. 1916–1917; Domschke/Krispin (1997), S. 186–187; ReVelle/Eiselt (2005), S. 2.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte y yj

147

Zj 3 1

y0

2

A0

x0

1

Reale Distanz

2

Rechtwinklige Distanz

3

Euklidische Distanz

xj

x

Abbildung 18: Möglichkeiten der Distanzmessung im Rahmen der Standortwahl in der Ebene.

Die Entscheidung für ein Distanzmaß kann nicht allgemeingültig getroffen werden. Die rechtwinklige Distanzmessung wird häufig im Rahmen der innerbetrieblichen Standortplanung verwendet, da innerbetriebliche Wege i.d.R. rechtwinklig zueinander angelegt werden. Außerbetrieblich stellt dagegen die euklidische Distanz üblicherweise die bessere Annäherung dar, da Straßen- und Bahnstrecken häufig den Luftlinien angenähert werden. Ein Beispiel dafür ist die Autobahnverbindung von Stuttgart nach München. Im Gegensatz dazu zeigt die Autobahnverbindung von Stuttgart nach Mannheim aufgrund der Streckenführung über Karlsruhe oder Heilbronn eher ein rechtwinkliges Profil. Wie in Abbildung 18 angedeutet, liegt der reale Weg häufig zwischen beiden Alternativen. So gibt Gudehus beispielsweise für das deutsche Fernstraßennetz einen durchschnittlichen Wert von 1,23 (Umwegfaktor) an,611 mit dem die euklidische Distanz multipliziert werden kann. Allerdings erlauben solche Durchschnittswerte, wie das obige Beispiel der Autobahnanbindung Stuttgarts zeigt, keinen Rückschluss auf die reale Wegstrecke zwischen zwei konkreten Orten. Eine empfehlenswerte Vorgehensweise besteht deshalb darin, eine Lagerstandortplanung zunächst mit euklidischen Distanzen durchzuführen und danach mit rechtwinkligen Distanzen zu verifizieren. Reale Standorte sind jedoch auf der kugelförmigen Erdoberfläche und nicht in einer Ebene angeordnet. Sind die Kundenstandorte über den gesamten Erdball verteilt und wird Luftfracht eingesetzt, muss dieser Sachverhalt bei der Distanzmessung berücksichtigt werden.612 Befinden sich dagegen die Zielpunkte und damit die möglichen Lagerstandorte in nur einem vergleichsweise kleinen Gebiet, z.B. in nur einem Staat oder einer grenzüberschreitenden Region, so lässt sich der entsprechende Ausschnitt der Kugeloberfläche als Ebene interpretieren. Als Koordinaten können dabei die geographischen Koordinaten (geographische Breite und Länge) verwendet werden, da hierdurch jeder Ort eindeutig identifiziert werden kann. Beispielsweise ergeben sich für einen Standort in Stuttgart die Koordinaten 48°46′56″ nördlicher Breite und 9°10′29″ östlicher Länge. Mit Hilfe dieser Koordinaten können näherungsweise rechtwinklige und euklidische Distanzen berechnet werden. Der Abstand von einem Breiten-

611

Vgl. Gudehus (2010), S. 562.

612

Siehe dazu z.B. Drezner/Drezner (1998), S. 98–100.

148

5 Physische Lagerung

grad zum nächsten beträgt stets den Wert des Erdumfangs (40.000 km) geteilt durch 360° also etwa 111 km. Der Abstand der Längengrade ist jedoch von der Position abhängig. Am Äquator misst dieser ebenfalls 111 km. Im Norden Deutschlands, z.B. auf dem 54. nördlichen Breitengrad, beträgt der Abstand zwischen den Längengraden jedoch lediglich 65 km (111 km * cos(54°)). Im Süden, z.B. auf dem 48. nördlichen Breitengrad, entspricht der Abstand von einem Längengrad dagegen etwa 74 km. Bei der Verwendung von geographischen Koordinaten werden somit Distanzen im Süden eher unterschätzt und solche im Norden überschätzt. Trotzdem stellt die Verwendung geographischer Koordinaten eine vertretbare Näherung dar. Die Standortplanung in der Ebene kann nun unter Verwendung der euklidischen Distanz als Steiner-Weber-Problem formuliert werden.613 Dabei wird die Minimierung der Transportkosten angestrebt, die in linearer Abhängigkeit von den Distanzen zwischen dem Lager und den Kunden d0je sowie von der nach Zj zu transportierenden Anzahl von Logistikeinheiten λ0j formuliert werden: (45)

n

min K = c ⋅ ∑ λ 0 j ⋅ d e0 j j=1

Da bei dieser Modellformulierung nur ein Lagerstandort betrachtet wird, ist die zu transportierende Anzahl von Logistikeinheiten λ0j identisch mit dem Bedarf zj in Zielpunkt Zj. Die Größe c stellt die konstanten Transportkosten pro Logistikeinheit und Entfernungseinheit dar und beeinflusst das Ergebnis der Optimierung nicht. Durch Einsetzung der Gleichung (44) ergibt sich daraus die Zielfunktion in Abhängigkeit von den zu ermittelnden Koordinaten x0 und y0 des gesuchten Lagerstandorts: (46)

n

min K ( x 0 , y 0 ) = c ⋅ ∑ λ 0 j ⋅ j=1

2

2

( x 0 − x j ) + ( y0 − y j )

Die Wirkungsweise der Standortplanung in der Ebene kann nun mit Hilfe der Daten aus dem obigen Fallbeispiel 5 erläutert werden. Fallbeispiel 6: Standortwahl in der Ebene (Steiner-Weber-Problem)

Das Handelsunternehmen Trollinger & Maultäschle möchte überprüfen, ob es neben den potenziellen Lagerstandorten Magdeburg, Kassel, Mannheim und Stuttgart (siehe Fallbeispiel 5) einen besseren Lagerstandort gibt, der als zentraler Lagerstandort für Deutschland dienen könnte. Die Anzahl der zu transportierenden Logistikeinheiten λ0j (= zj) sind in Tabelle 20 gegeben. Für das Fallbeispiel 6 werden die Koordinaten (xj,yj) der Zielpunkte Zj benötigt.

613

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 167–168; Domschke (1996), Sp. 1917; Domschke/Krispin (1997), S. 187; ReVelle/Eiselt (2005), S. 5.

5.1 Lagerbereiche, Lagerhäuser und deren Standorte

149

Tabelle 21: Koordinaten (xj,yj) der Zielpunkte Zj. Nördliche Breite

Östliche Länge

Grad

Minuten

Sekunden

Umgerechnet in Sekunden

Grad

Minuten

Sekunden

Umgerechnet in Sekunden

München

48

13

29

173609

11

23

15

40995

Heidelberg

49

24

6

177846

8

40

48

31248

Frankfurt

50

6

26

180386

8

38

2

31082

Düsseldorf

51

13

43

184423

6

46

46

24406

Hamburg

53

33

15

192795

9

59

48

35988

Berlin

52

31

21

189081

13

24

50

48290

Halle

51

28

46

185326

11

58

8

43088

Das Optimierungsmodell kann mit MS-Excel abgebildet und mit dem Solver unter Einsatz eines iterativen Approximationsverfahrens gelöst werden. Die Koordinaten von (x0,y0) dienen dabei als die veränderbaren Werte des Solvers. Mit beliebigen Startwerten, beispielsweise mit x0 = 0 und y0 = 0 (Standort läge auf dem Äquator vor der afrikanischen Westküste), kann die Optimierung begonnen werden. Für die gegebenen Werte ermittelt der Solver den Standort mit den Koordinaten 50°32′0″ nördlicher Breite und 10°3′25″ östlicher Länge als optimalen Standort. Dieser würde jedoch in einem Wäldchen nahe der thüringischen Ortschaft Birx etwa 30 km östlich von Fulda liegen. Da potenzielle Standorte für ein Lagerhaus über angemessene Infrastrukturanbindungen verfügen müssen, scheidet dieser genaue Ort selbstverständlich aus. Allerdings käme im Sinne einer interlokalen Standortwahl der Großraum Fulda in Betracht. Um zu überprüfen, ob ein Lagerhaus in Fulda und Umgebung Vorteile gegenüber den im obigen Beispiel bereits betrachteten Alternativen Magdeburg, Kassel, Mannheim, Stuttgart aufweisen würde, kann dieser als fünfter potenzieller Standort in das kapazitierte einstufige Lagerstandortproblem integriert werden. Dazu können zunächst Fixkosten für diesen Standort angenommen werden, die denen der bisherigen Lager entsprechen. Die nachfolgende Optimierung bestätigt unter diesen Annahmen die bisherige Lösung mit zwei Lagern in Mannheim und Magdeburg als kostenminimale Alternative. Wenn Fulda alleiniger Standort würde, entstünden Gesamtkosten von 35.932€. Damit wäre diese Lösung sogar – wenn auch nur unwesentlich – teuer als ein einzelnes Lager in Kassel (35.701€). Ein auf den ersten Blick erstaunliches Ergebnis. Ursache dafür ist die Verwendung von euklidischen Distanzen im Fall der kontinuierlichen Standortwahl und von realen Entfernungen bei der Lösung des kapazitierten einstufigen Lagerstandortproblems.

5.1.5

Ansatz der mehrstufigen Lagerstandortplanung

Bisher wurden lediglich die Kosten der Auslieferung an die Zielorte Zj ab Lager betrachtet. Vernachlässigt wurden dabei die Kosten für die Nachschubtransporte ab den Produktionswerken zu den Lagerhäusern. Diese Kosten treten immer dann auf, wenn sich ein Lagerhaus nicht direkt am Ort der Güterentstehung befindet. Selbst Entfernungen von wenigen Kilometern erfordern zusätzliche außerbetriebliche Transporte und zugehörige Umschlagprozesse. Die Kosten der Nachlieferungen üben deshalb in der Regel einen deutlichen Einfluss auf die Standortwahl der Lagerhäuser aus. Geht man beispielsweise in dem obigen

150

5 Physische Lagerung

Beispiel von „Trollinger & Maultäschle“ (Fallbeispiel 5) davon aus, dass sich in Hamburg und in Stuttgart Produktionswerke befinden, könnte sich in Abhängigkeit von den in den Werken produzierten Mengen beispielsweise eine modifizierte Lagerstruktur unter Einbeziehung der Lager in Magdeburg und Stuttgart (als Werkslager) ergeben (Abbildung 19).

W1

Z5

Magdeburg L1

Z6

Kassel L2

Z4

Z7

Z3

Mannheim

L3

Z2

L4

W2

Stuttgart

Z1

Abbildung 19: Standortplanung in mehrstufigen Lagerstrukturen

Nachschubtransporte treten zudem bei vertikaler Arbeitsteilung mehrerer Lager zusätzlich zwischen den einzelnen Lagerstufen auf (Abbildung 17). Es stellt sich deshalb die Frage, wie die obigen Überlegungen zur Standortwahl hinsichtlich dieser Problemstellung erweitert werden können. Werden Nachschubtransporte zu und ggf. zwischen Lagerhäusern berücksichtigt, resultiert ein kapazitiertes mehrstufiges Lagerstandortproblem, welches durch entsprechende Erweiterung aus dem einstufigen Lagerstandortproblem abgeleitet werden kann.614 Zunächst muss dazu die Zielfunktion (38) um die Nachschubkosten zwischen den Werken k und den potenziellen Lagern i erweitert werden. Da üblicherweise der Nachschub in Ganzladungen zu besseren Konditionen erfolgt, sollten unterschiedliche Transportkosten pro Logistikeinheit und Entfernungseinheit – c1 und c2 – berücksichtigt werden. Hieraus ergibt sich z.B. die Zielfunktion des kapazitierten zweistufigen Lagerstandortproblems wie folgt: (47)

o

m

Nachschubtransportkosten

614

m

m

n

min K (λ, ψ) = c1 ∑∑ λ ki ⋅ d ki + ∑ ψi ⋅ Fi + c 2 ∑∑ λ ij ⋅ d ij k =1 i =1 i =1$"$$$% i =1 j=1 #$$$$$$"$$$$$$ % #$$ #$$$$$ $"$$$$$$% Lagerhauskosten

Auslieferungstransportkosten

Siehe z.B. Domschke/Drexl (1996), S. 57–59; Chopra/Meindl (2010), S. 147–149.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

151

Ebenso wie die Lager verfügen die Werke k im Versand über eine maximale Abwicklungskapazität κka, die i.d.R. an der Produktionskapazität des Standorts ausgerichtet ist. Analog zur Bedingung (42) erfordert dies eine weitere Kapazitätsrestriktion je Werk. Im Gegensatz zu den Lagerhäusern wird dabei keine Binärvariable einbezogen, da die Existenz der Werke im Rahmen der Lagerstandortwahl nicht zur Disposition steht. (48)

m

∑λ i =1

ki

≤ κ ak

∀k

Ebenso wie beim zweistufigen Transportproblem615 wird ein Ausgleich der innerhalb einer Periode in ein Lager eingelieferten und daraus ausgelieferten Mengen gefordert. Analog zur Gleichgewichtsbedingung dieses Problems (21) muss somit für jedes Lager die folgende Anforderung erfüllt sein: (49)

o

∑λ k =1

n

ki

= ∑ λ ij

∀i

j=1

Durch die Einbeziehung der Gleichgewichtsbedingung in die Modellstruktur des WLP wird dieses jedoch vergleichsweise komplex. Zur Lösung des kapazitierten zweistufigen Lagerstandortproblems soll deshalb an dieser Stelle auf die Spezialliteratur verwiesen werden.616

5.2

Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

Die bisherigen Ausführungen zur Standortwahl haben Lagerbereiche in Betrieben und eigenständige Lagerhäuser als homogene Einheiten betrachtet, die an bestimmten Orten in Betrieben bzw. im Raum anzuordnen sind. Der innere Aufbau von Lagern bis hin zu der Anordnung der einzelnen Lagerplätze wurde nicht thematisiert. Sowohl für die Leistungsfähigkeit dieser Einrichtungen als auch für die Kosten der physischen Lagerung ist jedoch die interne Gestaltung von Lagern von wesentlicher Bedeutung.

5.2.1

Grundprozesse in und Grundaufbau von Lagerhäusern

Ausgangspunkt der Gestaltung von Lagerbereichen in Betrieben bzw. von eigenständigen Lagerhäusern sind die logistischen Handlungen, die in diesen verrichtet werden sollen. Neben der Lagerung i.e.S., die einen zeitlichen Transferprozess darstellt, erfolgen in Lagerhäusern in hohem Maße räumliche Transfers sowie ergänzende Handlungen.

615

Siehe dazu Abschnitt 3.3.3.

616

Siehe dazu Domschke/Drexl (1996), S. 59–60.

152

5 Physische Lagerung

Üblicherweise lassen sich in der Realität die folgenden Grundprozesse in Lagerhäusern unterscheiden, die sich entsprechend in dieser oder ähnlicher Abgrenzung auch in der Lehrbuch- und Forschungsliteratur finden:617 • • • • • • • •

Wareneingangsprozesse, Sortierprozesse, Einlagerungsprozesse, Lagerungsprozesse, Auslagerungsprozesse, Kommissionierprozesse, Warenausgangsprozesse, Managementprozesse.

Die Wareneingangsprozesse umfassen beispielsweise logistische Handlungen des Abladens ankommender Güter von Transport- bzw. Fördermitteln, der Identifikation, der Wareneingangsbuchung, des Bildens oder Änderns von Logistikeinheiten, der Kennzeichnung und der Konservierung. Hinzu können ergänzende Tätigkeiten, wie beispielsweise die Qualitätsprüfung der gelieferten Güter, kommen. Sollen eingegangene Güter im Lager nur umgeschlagen werden oder weist das Lager eine komplexe Struktur mit mehreren unterschiedlichen Vorrats- und Funktionsbereichen auf, so können sich an den Wareneingang Sortierprozesse anschließen, um diese Güter zum richtigen Bestimmungsort innerhalb des Lagers zu leiten. Einlagerungsprozesse verbringen Logistikeinheiten an festgelegte Lagerorte, wobei insbesondere Handlungen des Förderns und der Handhabung vollzogen werden. Der Lagerungsprozess im engeren Sinne dient dem zeitlichen Transfer. In Abhängigkeit von der Art der gelagerten Güter können dabei Maßnahmen der Überwachung und Sicherung notwendig werden. Ein Beispiel dafür ist die Überwachung des Produktzustands, der Lagertemperatur und der hygienischen Zustände in einem Lebensmittellager. Bei werthaltigen Gütern oder solchen des allgemeinen Bedarfs kommt dem Diebstahlschutz Bedeutung zu. Besondere Anforderungen stellen Lager, die aus gesetzlichen Gründen eine intensive Überwachung und Sicherung erfordern, wie beispielsweise Lager für Tabakwaren oder Gefahrstofflager.

Werden eingelagerte Güter benötigt oder sollen sie an andere Lagerorte oder in einen anderen Bereich des Lagers verbracht werden, müssen zunächst Auslagerungsprozesse vollzogen werden. Diese umfassen analog zur Einlagerung Aktivitäten des Förderns und der Handhabung. Die Auslagerung kann bereits Bestandteil eines Kommissionierprozesses sein, denn die Kommissionierung verfolgt das Ziel, auftragsbezogene Teilmengen aus einem Gesamtbestand zu entnehmen.618 Kommissionierprozesse umfassen in Abhängigkeit von dem angewendeten Kommissionierprinzip619 unterschiedliche Einzelhandlungen, z.B. des Auswählens und Greifens, des Förderns, des Sammelns, des Sortierens und des Trennens. Werden im Rahmen der Kommissionierung die Güter bereits in eine Verpackung oder auf einen La-

617

Siehe z.B. Rouwenhorst et al. (2000), S. 516–517; Hassan (2002), S. 435; de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 483; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 3–17; Stock/Lambert (2001), S. 396–397; Ten Hompel/ Schmidt (2010), S. 23–53; Pfohl (2010), S. 117–120.

618

Vgl. VDI 3590 Blatt 1, S. 2.

619

Siehe dazu ausführlich Abschnitt 5.3.2.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

153

dungsträger verbracht, so sind damit Aktivitäten der Logistikeinheitenbildung verbunden. Typischerweise schließen sich daran Warenausgangsprozesse an. Diese dienen primär der Weitergabe der ausgelagerten und ggf. kommissionierten Güter an den innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Transport. Analog zum Wareneingang erfolgen hier beispielsweise Handlungen der Logistikeinheitenbildung, der Kennzeichnung, der Zuordnung zu Fahrzeugen oder Transportrelationen, der Bereitstellung, der Warenausgangsbuchung sowie der Beladung und Ladungssicherung. Diese exemplarische Beschreibung der Ausführungstätigkeiten in Lagern zeigt eindrücklich die Bedeutung von Bewegungsprozessen, insbesondere des innerbetrieblichen Transports, auf. Physische Lagerprozesse umfassen folglich mitnichten lediglich Tätigkeiten der Zeitüberbrückung. In Lagerbereichen und insbesondere eigenständigen Lagerhäusern fallen zudem umfangreiche Managementaufgaben an. Diese können sich zum einen direkt auf die beschriebenen Ausführungshandlungen beziehen und damit Managementhandlungen der physischen Lagerung im engeren Sinne erfordern. Hierzu zählen beispielsweise die Planung und Steuerung der Lagerplatzzuordnung, die Planung und Steuerung der Kommissionierung und die Verladeplanung im Warenausgang. Gerade in Lagerhäusern, die als eigenständige Betriebe geführt werden, ergeben sich zudem allgemeine Managementaufgaben, z.B. im Bereich des Personalmanagements, des Controllings, des Gebäudemanagements sowie des Informations- und Kommunikationsmanagements. Abzugrenzen davon sind Aktivitäten, die dem Management von Beständen in Lagern dienen und ausführlich in Kapitel 6 behandelt werden. Das Auftreten und der Umfang dieser Grundprozesse hängen wesentlich von der Funktion eines Lagers im Güterfluss ab. In Abschnitt 5.1.1 wurden nach diesem Kriterium zwei Grundtypen – Vorratslager und Umschlagslager – abgegrenzt. In Umschlaglagern des Güterverkehrs oder in Cross-Docking-Lagern dominieren Wareneingangs- und Warenausgangsprozesse zwischen denen im Wesentlichen Handlungen der Sortierung vollzogen werden. Im Vordergrund steht die Fähigkeit, Sendungen anzunehmen, umzusortieren und zu versenden. Auch in Vorratslagern spielen diese Fähigkeiten eine Rolle, von größerer Bedeutung sind allerdings Einlagerungs-, Lagerungs-, Auslagerungs- und Kommissionierprozesse. Vorratslager zeichnen sich deshalb vor allem durch die Fähigkeit aus, ein bestimmtes Sortiment effizient zur Verfügung zu stellen. Entsprechend der auszuführenden Prozesse variiert der Grundaufbau eines Lagers.620 Interne Lagerbereiche, z.B. in der Produktion, verfügen oft über keinen ausgeprägten Eingangs- und Ausgangsbereich, da sie direkt über den internen Transport mit anderen betrieblichen Bereichen verbunden sind. Sie dienen primär der Bevorratung oder der Änderung der Reihenfolge von Güterflüssen. Dagegen verfügen alle Lagerhäuser über einen Wareneingang und einen Warenausgang als Schnittstellen des Betriebs zu seiner Umwelt (Abbildung 20). Die Gestaltung des Wareneingangs und des Warenausgangs hängt wesentlich von den eingesetzten Verkehrsträgern ab. So kann bei Nutzung des Straßengüterverkehrs die Entladung der Lastkraftwagen in einer Vorzone des Lagerhauses im Freien oder auch an speziellen Toren oder Rampen erfolgen. Eisenbahnwagen werden häufig innerhalb der Lagerhalle an speziellen Rampen be- und entladen. 620

Siehe z.B. Stock/Lambert (2001), S. 397–399; de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 483; Ten Hompel/ Schmidt (2010), S. 24.

154

5 Physische Lagerung Umschlaglager

Vorratslager Wareneingang

Verwaltung

Sortier- und Transferbereich

Kurzzeitlager

Verwaltung

Wareneingang

Nachschublager

Transferbereich

Kommissionierlager Warenausgang

Warenausgang

Abbildung 20: Grundaufbau von Lagern.

Vorratslagerhäuser weisen als wesentliches Charakteristikum einen ausgeprägten Bevorratungsbereich auf (Abbildung 20). Dieser ist häufig nochmals, z.B. entsprechend der Gütergruppen oder der verwendeten Ladungsträger, in mehrere abgegrenzte Areale unterteilt. Beispiel dafür ist die Kombination eines Paletten- und eines Kleinteilelagers. In vielen Fällen besteht in Vorratslagern zudem eine organisatorische Abgrenzung in Nachschubbereiche (Einheitenlager) und in Kommissionierbereiche.621 Bei einer solchen Trennung werden in dem Nachschubbereich mit großer Bevorratungskapazität i.d.R. mehrere komplette Logistikeinheiten eines Gutes gelagert, z.B. vollständig beladene Paletten. Im Kommissionierbereich befinden sich dagegen primär angebrochene Logistikeinheiten. Gehen diese Gütermengen zur Neige, werden aus dem Nachschublager entsprechende Einheiten nachgeführt. Auf diese Weise wird die Anzahl der Einheiten im Kommissionierbereich klein gehalten und damit der Zugriff erleichtert. Werden vollständige Logistikeinheiten, z.B. Vollpaletten, für einen Auftrag benötigt, so werden diese direkt aus dem Nachschublager entnommen und am Kommissionierlager vorbei in den Warenausgang transferiert. Ebenso können eingehende Logistikeinheiten ohne Umweg über das Nachschublager in das Kommissionierlager oder sogar in den Warenausgang gelangen, wenn sie dort sofort benötigt werden.

Der Aufbau von Umschlaglagerhäusern wird wesentlich durch die Schnittstelle zum außerbetrieblichen Transport und damit häufig durch die Anzahl der Tore und deren Anordnung bestimmt. Neben dem klassischen I-förmigen Aufbau finden sich auch Lagerhäuser, die einen Grundaufbau in Form eines L, U, T, H oder E aufweisen.622 Durch diese Formen erfolgt eine Anpassung an die Gegebenheiten des Grundstücks und es werden kurze Wege zwischen dem Eingang und dem Ausgang angestrebt. 623 In Umschlaglagern sind zwischen dem Wareneingang und dem Warenausgang lediglich die erforderlichen Flächen zur Sortierung der Sendungen und zum internen Transfer angeordnet (Abbildung 20). Neben manuellen Sortier- und Transporthandlungen können dabei auch automatisierte Sortier- und Fördereinrichtungen, z.B. zur Paketsortierung, zum Einsatz kommen. Ist beispielsweise aufgrund 621

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 488.

622

Vgl. Bartholdi/Gue (2004), S. 236.

623

Vgl. Bartholdi/Gue (2004), S. 238.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

155

der Ladungskonsolidierung oder Fahrplanbindung zwischen dem Wareneingang und dem Warenausgang einer Logistikeinheit ein Zeitraum zu überbrücken, werden auch in Umschlaglagern dezidierte Bereiche zur Kurzzeitlagerung eingerichtet. Hierbei ist der schnelle Zugriff auf die gelagerten Güter wichtiger als die große Aufbewahrungskapazität. Neben den dargestellten Bereichen umfassen Lagerhäuser auch Flächen für die Lagerverwaltung, auf denen die beschriebenen Handlungen des Lagerhausmanagements vollzogen werden. Hinzu kommen Sozialflächen, z.B. Pausen- oder Umkleideräume für die Mitarbeiter, und Flächen für den Gebäudebetrieb, z.B. für die Heizung und Lüftung. Werden in Lagerhäusern ergänzende Tätigkeiten durchgeführt, z.B. Montagearbeiten oder das Aufstellen von Verkaufsdisplays, sind auch hierfür spezielle Funktionsflächen vorzusehen.

5.2.2

Lagermittel und lagerbezogene Fördermittel

Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Bereiche eines Lagerhauses hängt wesentlich von den dort einzusetzenden Lager- und Fördermitteln ab. Bei Lagermitteln handelt es sich um spezielle Betriebsmittel der Aufbewahrung von Gütern und Abfällen. Bei der Auswahl von Lagermitteln sind primär die beiden konkurrierenden Ziele der hohen Raumausnutzung und der einfachen Zugriffsmöglichkeit auf die einzelnen Einheiten zu beachten. Die Art der eingesetzten Lagermittel richtet sich somit nach der Anzahl der Artikel, den jeweiligen Artikelmengen, den Abmessungen und Gewichten, der erforderlichen Ein- und Auslagerzeit und der Zugriffshäufigkeit.624 Zur Gestaltung von Lagermitteln steht ein breites Spektrum von Technologien zur Verfügung, die unterschiedlichste Lagerlösungen ermöglichen. In der ingenieurwissenschaftlichen Lehrbuchliteratur finden sich deshalb umfangreiche Übersichten und detaillierte Systematiken, auf die an dieser Stelle verwiesen werden kann.625 Die folgenden Ausführungen werden sich deshalb auf einen groben Überblick beschränken. Die einfachste Form der Lagerung stellt die Bodenlagerung dar. Dabei wird als Lagermittel eine überdachte (Halle) oder auch offene Fläche (Freilager) genutzt, um Güter für eine bestimmte Zeit nebeneinander abzustellen. Sind diese Güter bzw. die einzelnen Logistikeinheiten stapelbar, so können diese auch aufeinander gelagert werden (Abbildung 21). Stapelbarkeit ist gegeben, wenn eine Logistikeinheit die Druckkräfte, die durch die Masse der auf ihr gestapelten Logistikeinheiten entstehen, beschädigungsfrei aufnehmen kann.

Blocklagerung

Zeilenlagerung

Abbildung 21: Möglichkeiten der Bodenlagerung. 624 625

Ten Hompel/Schmidt (2010), S. 73. Siehe dazu z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 55–57.

156

5 Physische Lagerung

Die größte Raumausnutzung ergibt sich bei Blocklagerung. Auf vergleichsweise geringem Raum kann eine große Anzahl von Logistikeinheiten kompakt gelagert werden. Allerdings wird dadurch der Zugriff auf einzelne Logistikeinheiten, beispielsweise eine weiße Einheit, die sich in Abbildung 21 in der Mitte des Blocks befindet, nur durch umfangreiche Umlagerungen möglich. Deshalb werden in der Regel nur Logistikeinheiten an den Rändern ein- oder ausgelagert. Blocklager ermöglichen deshalb nicht das Prinzip des First-in-first-out (Fifo) und werden primär für temporäre Lager oder homogene Güter verwendet. Die Zeilenlagerung versucht dieses Problem zumindest ansatzweise zu beheben. Die weiße Einheit in Abbildung 21 ist bei Befahrung des Gangs erkennbar und – da sich nur eine Logistikeinheit darüber befindet – durch deren Umlagerung mit vergleichsweise geringem Aufwand auslagerbar. Zeilenlagerung ermöglicht zudem die Trennung von Gütern oder Gütergruppen. Allerdings sinkt durch die Aussparung von Gängen zwischen den Zeilen der Raumausnutzungsgrad. Sie wird insbesondere für die Bevorratung homogener stapelbarer Güter oder für die kurzzeitige Zusammenstellung von Gütern, z.B. zur Verladung im Warenausgang, eingesetzt. Sind Logistikeinheiten nicht stapelbar oder zumindest nicht in der erforderlichen Höhe, so erfolgt die Lagerung mit Hilfe von Regalen. Die Regalkonstruktion nimmt dabei die Kräfte aufgrund der Masse der gelagerten Güter auf. Hierdurch lassen sich im Fall von Hochregallagern Höhen von über 50 m erreichen. Prinzipiell kann die Regallagerung analog zur Bodenlagerung als Blockregallagerung oder als Zeilenregallagerung realisiert werden. Beide Anordnungen weisen dabei auch bei Verwendung von Regalen die bereits beschriebenen grundsätzlichen Vor- und Nachteile auf. Im Fall der verbreiteten Zeilenregallagerung kann jede individuelle Logistikeinheit identifiziert und ohne Umlagerung einzeln entnommen werden. Logistikeinheiten können auf Fachböden oder in Schubladen abgestellt werden. Fachbodenund Schubladenregale eignen sich vor allem für heterogene Sortimente und Logistikeinheiten unterschiedlicher Größe und Form, z.B. für Dosen, Flaschen, Kästen und Schachteln. Standardisierte Paletten, Gitterboxen und Kleinteilebehälter werden dagegen i.d.R. in speziellen Regalen lediglich auf Traversen abgestellt. Sie können die Last ihrer Ladung selbst tragen und benötigen deshalb keine Lastaufnahmefläche in Form eines Fachbodens, der somit aus Kosten- und Gewichtsgründen eingespart werden kann. Bei solchen Palettenoder Behälterregalen weist jeder Lagerplatz die gleiche Größe auf und jede einzulagernde Logistikeinheit kann prinzipiell an jedem freien Lagerplatz untergebracht werden. Lange stabförmige Güter, wie z.B. Rohre, werden häufig in Kragarmregalen gelagert. Die bisher beschriebenen Lagermittel ermöglichen eine statische Lagerung, d.h. eine Logistikeinheit erfährt zwischen der Ein- und der Auslagerung keine Ortsveränderung. Einen räumlichen Transfer ermöglichen Lagermittel, die sich für die dynamische Lagerung eignen.626 Dabei können die Logistikeinheiten innerhalb feststehender Regale bewegt werden, z.B. in Durchlaufregalen, oder das Regal wird mit der feststehenden Logistikeinheit bewegt. Zur zweiten Gruppe zählen vertikale und horizontale Umlaufregale sowie Verschieberegale. Eine dynamische Lagerung findet auch auf Fördermitteln wie z.B. Rollenbahnen statt, die als Puffer Güter kurzzeitig aufnehmen. Die Gründe für die Verwendung von Lagermitteln für die dynamische Lagerung sind vielfältig. So kann die verbesserte Raumnutzung (Verschiebere-

626

Siehe dazu z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 80–90.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

157

gale), die Realisation des Fifo-Prinzips (Durchlaufregale) oder die Wegeeinsparung bei der Kommissionierung (Umlaufregale) im Vordergrund stehen. Neben den Lagermitteln erfordern Lagerhäuser weitere Betriebsmittel zur Abwicklung der erforderlichen Bewegungsprozesse. Deshalb kommen im Lager unterschiedliche Arten universeller Stetig- und Unstetigförderer zum Einsatz, die ebenso in anderen Bereichen des innerbetrieblichen Transports verwendet werden.627 Daneben erfordern vor allem große Lagerhöhen spezielle lagerbezogene Fördermittel zur Bedienung der Regale. Auch hierzu stehen verschiedene Technologien zur Verfügung,628 die Lagerlösungen mit unterschiedlichen Leistungs- und Kostenmerkmalen ermöglichen. Die Bauart dieser Geräte beeinflusst zudem die erforderliche Gangbreite und damit die Raumausnutzung des Lagers.629 Schubmaststapler ermöglichen die Ein- und Auslagerung von Paletten in Höhen bis ca. 12 m. Bei speziellen Flurförderzeugen zum Kommissionieren, den so genannten Kommissionierern, wird die Fahrerkabine mit angehoben, um eine manuelle Entnahme aus dem Regal in größerer Höhe zu ermöglichen.630 Diese Fördermittel erlauben i.d.R. auch die üblichen Operationen eines Staplers und werden deshalb häufig als Kommissionierstapler bezeichnet. Hochregale benötigen aufgrund der großen Höhen Regalbediengeräte, die auf Schienen am Boden und an der Decke geführt werden. Diese können mit Hilfe von Umsetzern mehrere Regalgassen bedienen oder auch in einer einzelnen Gasse fest installiert sein. Regalbediengeräte werden häufig fahrerlos betrieben, allerdings sind auch Bauformen gebräuchlich, bei denen ähnlich wie bei Kommissionierstaplern ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin die Gassen durchfährt und dabei manuelle Entnahmen vornimmt.

5.2.3

Aufgaben und Phasen der Gestaltung von Lagerhäusern

Nach der Standortwahl folgt die Planung und Realisation des inneren Aufbaus von Lagerhäusern. Sowohl bei neu errichteten Lagerhäusern und innerbetrieblichen Lagerbereichen als auch bei gemieteten Immobilien oder genutzten Lagerkapazitäten eines Logistikdienstleisters erfolgt hierdurch eine Ausrichtung auf die spezifischen Logistikaufgaben und die zu verrichtenden Handlungen. In Abschnitt 5.1.3 wurde bereits die langfristige Bindungswirkung der Lagerstandortwahl angesprochen. Dieser Effekt tritt ebenso, wenn auch i.d.R. in geringerem Umfang, bei Gestaltungsentscheidungen hinsichtlich des Aufbaus von Lagerhäusern ein, denn auch diese sind nur mit erheblichem Aufwand zu revidieren. In der englischsprachigen Literatur wird die Aufgabe der Planung des Aufbaus von eigenständigen Lagerhäusern und von innerbetrieblichen Lagerbereichen eng mit dem Begriff des Warehouse design (Gestaltung von Lagerhäusern) verbunden.631 Als Bestandteile dieser Gestaltungsaufgabe werden die Auswahl der Lagermittel und der zugehörigen Fördermittel sowie die räumliche Anordnung der Funktionsbereiche des Lagers (Lagerlayout) verstan-

627

Siehe dazu Abschnitt 4.2.

628

Siehe dazu z.B. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 95–96; Ten Hompel/Schmidt (2010), S. 99–112.

629

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 95.

630

Siehe dazu Abschnitt 4.2.

631

Siehe z.B. Rouwenhorst et al. (2000); Baker/Canessa (2009), S. 425–426.

158

5 Physische Lagerung

den.632 Baker und Canessa ordnen der Gestaltung alle Aktivitäten von der Entstehung eines spezifischen Bedarfs für ein Lagerhaus bis zur Erstellung der Spezifikation zu. Die Spezifikation umschreibt insbesondere die operativen Abläufe, die erforderlichen Betriebsmittel, die benötigten Mitarbeiterkapazitäten und -qualifikationen, die räumliche Anordnung sowie die daraus resultierenden Kosten.633 Diese eher exemplarischen Aufzählungen von Einzeltätigkeiten verdeutlichen bereits: Bei der Gestaltung von Lagerhäusern handelt es sich um eine komplexe Aufgabe von hoher Bedeutung für die im nachfolgenden Betrieb realisierten Leistungen und die damit verbundenen Kosten.634 Im Rahmen der Neugestaltung bzw. Umgestaltung bestehender Lager treten eine Vielzahl von Gestaltungsproblemen auf, die unterschiedliche Methoden erfordern. Deshalb soll im Folgenden der Versuch einer Systematisierung dieser Aufgaben vorgenommen werden. Rouwenhorst et al. ordnen die Entscheidungsprobleme bei der Gestaltung von Lagerhäusern drei Planungsebenen zu.635 Auf der strategischen Ebene sind danach insbesondere die Aufgaben der Prozessgestaltung und der Auswahl der dafür notwendigen technischen Einrichtungen mit den erforderlichen Leistungsmerkmalen zu erfüllen. Insbesondere wird dabei die Abwicklungskapazität κa und die Bevorratungskapazität κb des Lagers festgelegt. Die taktische Ebene ist insbesondere durch die Aufgabe der räumlichen Anordnung der Funktionsbereiche innerhalb des Lagers geprägt. Ebenso ordnen die Autoren die Personalplanung dieser Ebene zu. Auf der operativen Ebene werden Aufgaben der Steuerung des Personals und der Anlagen angeführt. Kritisch muss jedoch angemerkt werden, dass operative Aufgaben der Steuerung nicht dem Gestaltungsprozess zugerechnet werden können und die Abgrenzung von strategischen und taktischen Aufgaben unscharf bleibt.

Aus diesen Gründen erscheint ein Gliederungsansatz von Gu, Goetschalckx und McGinnis besser geeignet, das Spektrum von Aufgaben der Lagerhausgestaltung zu beschreiben. Diese unterscheiden fünf Entscheidungsfelder der Lagerhausgestaltung: • • • • •

Gestaltung der Grobstruktur, Bestimmung der Größe und Dimensionierung, Festlegung der räumlichen Anordnung innerhalb der Funktionsbereiche, Auswahl der erforderlichen Betriebsmittel, Festlegung der Hauptprozesse im Lager.636

Durch die Bestimmung der erforderlichen Funktionsbereiche wird in einem ersten Schritt die Grobstruktur des Lagerhauses festgelegt.637 Ausgehend von der Lagerhausfunktion und einigen grundlegenden Anforderungen werden die einzelnen Funktionsbereiche abgegrenzt, die Güterflüsse zwischen diesen Bereichen abgeschätzt und eine grobe räumliche Anordnung

632

Vgl. Ashayeri/Gelders (1985), S. 285.

633

Vgl. Baker/Canessa (2009), S. 426.

634

Vgl. Baker/Canessa (2009), S. 425–426; Rouwenhorst et al. (2000), S. 515–516.

635

Vgl. Rouwenhorst et al. (2000), S. 519–523.

636

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 539–544.

637

Vgl. Hassan (2002), S. 435.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

159

vorgenommen.638 Zu diesem Entscheidungsfeld zählen auch die Anordnung des Lagerhauses auf einem gegebenen Grundstück sowie die Anordnung der Tore bzw. Laderampen.639 Die Entscheidung über die Größe des Lagerhauses und insbesondere des Bevorratungsbereichs umfasst vor allem die Festlegung der zu erreichenden Abwicklungskapazität κa und der Bevorratungskapazität κb. Zu unterscheiden ist davon das Problem der Dimensionierung.640 Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die Definition der für eine bestimmte Lagerhausgröße erforderlichen Flächen und Höhen. Mit der Festlegung der räumlichen Anordnung innerhalb der Funktionsbereiche wird der Schwerpunkt der Gestaltung von dem Lagerhaus als Ganzes auf die einzelnen Funktionsbereiche des Lagers verschoben. Das Vorhandensein einzelner Funktionsbereiche hängt wesentlich von der Grundfunktion eines Lagerhauses und damit von den zu verrichtenden Lagerhausprozessen ab.641 So findet sich ein ausgeprägter Bevorratungsbereich und ggf. eine weitere Unterteilung in Nachschubbereiche (Einheitenlager) und in Kommissionierbereiche nur in Vorratslagern. Die Gestaltung innerhalb eines solchen Nachschubbereichs erfolgt durch die Festlegung der Lagertechnologien, die räumliche Anordnung von Freiflächen, Regalen, Gängen, Arbeitsplätzen und stationären Fördermitteln sowie die Dimensionierung der Lager- und Fördermittel.642 Eng verbunden mit diesen Entscheidungen erfolgt die Auswahl der dazu erforderlichen Betriebsmittel. Als letztes Entscheidungsfeld führen Gu, Goetschalckx und McGinnis die Festlegung der Hauptprozesse an. Hierzu gehören beispielsweise Entscheidungen über die Art der Lagerplatzzuweisung643 oder die Organisation der Kommissionierung.644 Gerade die drei letzten Entscheidungsfelder weisen starke Interdependenzen auf und beschreiben keine Abfolge der zu treffenden Entscheidungen. Insbesondere die Festlegung der erforderlichen Hauptprozesse muss vergleichsweise früh erfolgen, da diese beispielsweise die Betriebsmittelauswahl und die räumliche Anordnung wesentlich beeinflussen. Neben einer sachlichen Abgrenzung von Hauptaufgaben ist es deshalb sinnvoll, den zeitlichen Ablauf durch einzelne Phasen der Lagerhausgestaltung zu strukturieren. Dazu bietet sich zunächst der Rückgriff auf allgemeine Phasenmodelle der Materialflussplanung an.645 Daneben finden sich in der Literatur jedoch auch spezielle Aussagen zur Planung von Lagerhäusern. Beispielsweise nennen Rouwenhorst et al. eine Reihe von aufeinanderfolgenden Phasen, wie beispielsweise die Datengenerierung, die Spezifikation, die Auswahl von Betriebsmitteln oder die Planung der räumlichen Anordnung.646 Baker und Canessa haben auf

638

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 540. Zur räumlichen Anordnung der Funktionsbereiche im Lagerhaus siehe ausführlich Abschnitt 5.2.4.

639

Vgl. Bartholdi/Gue (2004), S. 237.

640

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 541.

641

Siehe dazu Abschnitt 5.2.1.

642

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 541.

643

Siehe dazu Abschnitt 5.2.5.

644

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 543.

645

Siehe dazu Abschnitt 4.3.

646

Vgl. Rouwenhorst et al. (2000), S. 518.

160

5 Physische Lagerung

Basis einer Literaturanalyse 11 Schritte der Lagerhausgestaltung abgeleitet und dieses Phasenschema durch Fallstudien überprüft:647 1. Festlegung der Anforderungen, 2. Datengenerierung, 3. Datenanalyse, 4. Definition der verwendeten Logistikeinheiten, 5. Festlegung der Prozesse, 6. Generierung von Betriebsmittelalternativen, 7. Berechnung der Anzahl und der Kapazität der Betriebsmittel, 8. Festlegung von Zusatzoperationen, 9. Generierung von Anordnungsalternativen, 10. Bewertung und Überprüfung, 11. Auswahl des bevorzugten Entwurfs.648 Am Beginn des Gestaltungsprozesses steht die Festlegung der Anforderungen (1) an ein Lagerhaus. Ausgangspunkt dafür ist die grundlegende Funktion des Lagerhauses.649 Wesentliche Anforderung für Vorratslager ist die Bevorratungskapazität κb. Bei Umschlaglagern steht die Abwicklungskapazität κa im Vordergrund. Weitere wichtige Bedingungen sind die maximale Reaktionszeit sowie Obergrenzen hinsichtlich der zu tätigenden Investitionen und der Betriebskosten.650 Bestimmte Vorgaben für das Lagerhaus können auch aus der vertikalen und horizontalen Arbeitsteilung zwischen mehreren Standorten resultieren.651 Hinzu kommen im Einzelfall weitere Anforderungen aufgrund des gewählten Standorts (z.B. spezielle Umweltschutzanforderungen), der gewählten Verkehrsträger (z.B. die Realisierung eines Bahnanschlusses), der spezifischen Kundenwünsche (z.B. die Möglichkeit der Selbstabholung) oder der örtlichen Bauauflagen. Damit ist bereits die zweite Phase angesprochen, denn zur Identifikation und Quantifizierung von Anforderungen muss häufig eine Datengenerierung (2) erfolgen. Neben Anforderungsdaten sind vor allem Vergangenheitsdaten aus dem eigenen Unternehmen, z.B. Bestände, Bestellungen, Warenein- und -ausgänge sowie Kosten zu erfassen.652 Daran schließt sich die Phase der Datenanalyse (3) an. Durch die Auswertung dieser Daten sollen die erforderlichen Basisinformationen für die nachfolgenden Entscheidungen generiert werden. Beispielsweise schaffen Klassifikationen der zu lagernden Güter die Grundlage für Entscheidungen über erforderliche Betriebsmittel und deren Anordnung. Informationen über saisonale Schwankungen der Kundennachfrage helfen das Lager zu dimensionieren.653

647

Vgl. Baker/Canessa (2009), S. 430–435. Ein ähnliches Schema mit 14 Phasen findet sich bei Hassan (2002), S. 433–438.

648

Vgl. Baker/Canessa (2009), S. 431.

649

Vgl. Hassan (2002), S. 433.

650

Vgl. Rouwenhorst et al. (2000), S. 520.

651

Siehe dazu Abschnitt 5.1.3.

652

Vgl. Baker/Canessa (2009), S. 431.

653

Siehe dazu Abschnitt 6.1.2.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

161

Die Definition der verwendeten Logistikeinheiten (4) stellt eine wesentliche Vorentscheidung der Lagerhausgestaltung dar. Ausgehend von den Anforderungen der eingesetzten Verkehrsträger sowie der vor- oder nachgelagerten Knoten in der Transportkette werden jene Logistikeinheiten festgelegt, die in dem betrachteten Lager bevorratet bzw. umgeschlagen werden sollen. Es ist offensichtlich, dass Lager in denen lediglich genormte Europaletten zum Einsatz kommen, eine weitaus geringere Komplexität aufweisen als solche, in denen daneben auch Paletten verschiedener privater Anbieter, sowie Kleinbehälter, Faltschachteln oder sonstige Logistikeinheiten bewegt und gelagert werden müssen. Auch die Prozesse innerhalb des Lagerhauses (5) werden neben der Grundfunktion vor allem durch die Wahl der Logistikeinheit beeinflusst. Die Prozesse lassen sich, wie in Abschnitt 5.2.1 gezeigt, unterteilen. Die zumindest grobe Festlegung dieser Prozesse bedingt bereits eine Vielzahl von Einzelentscheidungen, die von der Art und Weise der Zuordnung der Transportmittel zu Toren über die Lagerplatzzuordnung bis hin zu den gewählten Kommissionierprinzipien und -abläufen reicht.654 In dieser Phase sollten ebenfalls Überlegungen zur Abbildung dieser Prozesse in entsprechenden Lagermanagementsystemen erfolgen.655 Sind die Prozesse determiniert, können die Technologien und die darauf aufbauenden Betriebsmittel bestimmt werden, die sich zur Realisation dieser Prozesse eignen. Hierzu steht ein breites Spektrum von Lager- und Fördermitteln zur Verfügung.656 Die Generierung von Betriebsmittelalternativen (6) ist somit ein wesentlicher Schritt zur technologischen Umsetzung der Lagerabläufe. Eng verbunden damit ist die Berechnung der Anzahl und der Kapazität der Betriebsmittel (7) auf Basis der definierten Anforderungen und Ziele. Neben Berechnungsmethoden i.e.S., die vor allem auf Vergangenheitsdaten aufbauen, können in dieser Phase auch Simulationsmethoden eingesetzt werden.657 Nach der Bestimmung der Lagerhausprozesse i.e.S. und der hierfür notwendigen Betriebsmittel erfolgt die Festlegung von Zusatzoperationen (8). Beispiele dafür sind Montagearbeiten, das Aufbauen von Verkaufsdisplays oder das Aufbügeln und Reinigen von Textilien. Auch für diese Arbeiten sind entsprechende Flächen vorzusehen, die im Rahmen der Generierung von Anordnungsalternativen (9) eingeplant werden. Die Layoutplanung für das Lagerhaus als Ganzes sowie für die einzelnen Funktionsbereiche stellt eine zentrale Aufgabe im Rahmen der Lagerhausgestaltung dar. Neben Optimierungsverfahren, welche die prinzipielle Anordnung einzelner Lagerbereiche bzw. Betriebsmittel erlauben, werden dazu insbesondere graphische Verfahren eingesetzt.658 Nach diesen Phasen hat die Gestaltung des Lagerhauses einen Detaillierungsgrad erreicht, der eine ganzheitliche Bewertung und Überprüfung (10) der entworfenen Alternativen erlaubt.659 Als Maßstab der Bewertung dienen die konkreten Anforderungen an das Lagerhaus sowie grundsätzlich die allgemeinen Beurteilungskriterien der Logistik, die in Abschnitt 1.2 654

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 3–17.

655

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 546–547.

656

Siehe dazu die Abschnitte 4.2 und 5.2.2.

657

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 434.

658

Siehe dazu Abschnitt 5.2.4.

659

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 544–546; Rouwenhorst et al. (2000), S. 518–519.

162

5 Physische Lagerung

dargestellt wurden. Neben rechnerischen Verfahren, z.B. einer Investitionsrechnung, sollten vor allem Simulationsmethoden zum Einsatz kommen, um die Funktionsfähigkeit des Lagerhauses sicherzustellen. Da die Datengrundlagen der Lagerhausgestaltung insbesondere aufgrund der Langfristigkeit der Nutzung stets unsicher sind, sollten die gefundenen Lösungen auch hinsichtlich einer Variation der Annahmen bzw. der Gewichtungen zwischen den Kriterien überprüft werden.660 Auf dieser Basis kann sodann die Auswahl des bevorzugten Entwurfs (11) erfolgen. Aufgrund der Bedeutung dieser Entscheidung und des investiven Charakters der Lagerhausgestaltung werden an dieser Entscheidung mehrere Personen aus unterschiedlichen Funktionsbereichen des Unternehmens beteiligt sein.

5.2.4

Räumliche Anordnung der Funktionsbereiche innerhalb des Lagerhauses

Im vorangegangenen Abschnitt wurde die räumliche Anordnung der Funktionsbereiche als wesentliches Entscheidungsfeld der Lagerhausgestaltung erkannt. Durch diese erfolgt die Festlegung des prinzipiellen Lagerlayouts und damit der räumlichen Grobstruktur des Lagerhauses. Ebenso werden hierdurch die Güterflüsse innerhalb des Lagerhauses und damit die Transportkosten sowie die für diese Transporte erforderlichen Zeiten determiniert. Bei der Anordnung der Funktionsbereiche innerhalb eines Lagerhauses handelt es sich um einen Spezialfall der innerbetrieblichen Standortwahl, welcher bereits in Abschnitt 5.1.3 angesprochen wurde. Zur Planung der Grobstruktur eines Lagerhauses kann deshalb auf allgemeine Verfahren der Layoutplanung zurückgegriffen werden. Neben der rein intuitiven erfahrungsgeleiteten Anordnung der Bereiche bieten sich zunächst einfache konstruktive Verfahren an, welche lediglich die Intensitäten der Güterflüsse zwischen diesen Bereichen berücksichtigen. Die Intensität zwischen zwei Funktionsbereichen i und j des Lagerhauses wird aus der Transportmatrix als Summe von λij und λji bestimmt, d.h. die Logistikeinheiten, die von i nach j und von j nach i fließen, werden addiert. Ein Beispiel für ein solches Verfahren ist das aus der Werkstattplanung bekannte Dreieckverfahren.661 Dabei erfolgt eine Aufteilung der zu belegenden Lagerfläche mit Hilfe eines Rasters aus gleichseitigen Dreiecken. Die Funktionsbereiche können an den Ecken der Dreiecke angeordnet werden. Kern des Layouts bilden die beiden Bereiche, welche die größte Intensität der Güterflüsse aufweisen. An diesen Kern werden sukzessive die Bereiche angeschlossen, die zu den bereits angeordneten Bereichen die größte Intensität der Güterflüsse aufweisen. Das Dreieckverfahren kann ohne Rechnerunterstützung händisch durchgeführt werden. Es stößt jedoch bereits an Grenzen, wenn das Lagerhaus eine vorgegebene Geometrie aufweist oder wenn verschiedene Logistikeinheiten Verwendung finden. Außerdem findet die Größe und geometrische Gestalt der Bereiche keine Berücksichtigung. Hierzu eignen sich insbesondere

660

Vgl. Min (2009), S. 274.

661

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 291–294.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

163

interaktive Verfahren, welche rechnergestützte Optimierungs- und Verbesserungsverfahren mit konstruktiven Hilfsmitteln des Computer Aided Design (CAD) verbinden.662

Zur Durchführung der innerbetrieblichen Layoutplanung wurde eine Vielzahl von mathematischen Modellen und Lösungsverfahren entwickelt, die in der Literatur unter dem Stichwort „Facility Layout Problem“ zu finden sind.663 In der Regel reicht es für die Planung der Grobstruktur eines Lagerhauses zunächst aus, die Transportkosten zwischen den einzelnen Bereichen heranzuziehen. Allerdings lassen sich weitere Zielgrößen bei der Planung berücksichtigen.664 Vor allem bauliche Restriktionen und die Einhaltung des Arbeitsschutzes dürfen nicht vernachlässigt werden. Ein mittlerweile klassischer Ansatz der innerbetrieblichen Standortwahl ist die Formulierung des Entscheidungsmodells als Quadratisches Zuordnungsproblem.665 Übertragen auf den hier interessierenden Fall der Planung der Grobstruktur von Lagerhäusern wird eine ebene Lagerfläche bestimmter Form vorgegeben,666 auf der durch entsprechende Aufteilung n Teilflächen („Orte“) zur Anordnung von n verschiedenen Funktionsbereichen entstehen. Dabei werden annähernd gleich große Flächenangebote bzw. Flächenbedarfe der Funktionsbereiche angenommen.667 Die gewählte Anordnung soll zur Minimierung der Kosten für die zwischen den Funktionsbereichen durchzuführenden internen Transporte führen.668 Mathematisch lässt sich das Problem wie folgt formulieren. Die Zielfunktion strebt eine Minimierung der gesamten internen Transportkosten K an, die von der Anzahl der zwischen dem Bereich i und dem Bereich j bewegten Logistikeinheiten λij, den dabei zurückgelegten Strecken dij* und den Transportkosten je Logistikeinheit und Entfernungseinheit c abhängen. (50)

n

n

min K = c ⋅ ∑∑ d*ij ⋅ λ ij i =1 j=1

Während die Elemente der Transportmatrix Λ ex ante bekannt sind, stellen die Wegstrecken dij* zunächst unbekannte Größen dar. Gegeben sind lediglich die Entfernungen dkl zwischen dem Ort k und dem Ort l im Lager. Erst wenn der Bereich i am Ort k und der Bereich j am Ort l angeordnet werden, dann entspricht dij* der bekannten Entfernung dkl. Um diesen Zusammenhang abzubilden wird eine n × n Zuordnungsmatrix bestehend aus den Binärvariablen ξik eingeführt.

662

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 294–301.

663

Siehe beispielsweise Meller/Gau (1996); Canen/Williamson (1996); Singh/Sharma (2006); Drira/Pierreval/ Hajri-Gabouj (2007).

664

Vgl. Drira/Pierreval/Hajri-Gabouj (2007), S. 261.

665

Vgl. Koopmans/Beckmann (1957), S. 64–65; Wäscher (1984), S. 930–932; Domschke/Drexl (1996), S. 194– 196; Singh/Sharma (2006), S. 426; Drira/Pierreval/Hajri-Gabouj (2007), S. 260.

666

Zur Planung von Lagerlayouts über mehrere Ebenen siehe z.B. Drira/Pierreval/Hajri-Gabouj (2007), S. 258.

667

Zur Erweiterung des Problems bei ungleichem Platzbedarf siehe Domschke/Drexl (1996), S. 201–203.

668

Zur Integration weiterer Kostenarten und sonstiger Ziele siehe Wäscher (1984), S. 934–939.

164

5 Physische Lagerung (51)

⎧⎪1 falls Bereich i an Ort k angeordnet ist ξ ik = ⎪⎨ ⎪⎪⎩0 sonst

Damit kann die Wegstrecke dij* zwischen Bereich i und Bereich j aus den Entfernungen dkl zwischen dem Ort k und dem Ort l wie folgt bestimmt werden: (52)

n

n

d*ij = ∑∑ ξ ik ⋅ ξ jl ⋅ d kl k =1 l=1

Da jeder Bereich nur auf einem Ort platziert und jeder Ort nur durch einen Bereich belegt werden darf, gibt es nur eine Kombination von ξik und ξjl bei der beide Binärvariablen den Wert 1 annehmen. Eingesetzt in die Gleichung (50) ergibt sich damit die Zielfunktion der Layoutplanung in ihrer Formulierung als Quadratisches Zuordnungsproblem. (53)

n

n

n

n

min K = c ⋅ ∑∑∑∑ ξ ik ⋅ ξ jl ⋅ d kl ⋅ λ ij i =1 j=1 k =1 l=1

Um eine eindeutige Zuordnung von Bereichen zu Orten zu erreichen, müssen darüber hinaus die folgenden Nebenbedingungen eingehalten werden. (54)

n

∑ξ i =1

(55)

= 1 ∀k

ik

= 1 ∀i

n

∑ξ k =1

(56)

ik

ξ ik ∈ {0,1} ∀i, k

Die Restriktion (54) stellt sicher, dass sich an jedem Ort k genau ein Funktionsbereich des Lagers befindet. Ebenso verhindert die Bedingung (55) die Anordnung eines Bereichs i an mehr als einem Ort. Zugleich garantiert diese die Anordnung aller Bereiche. Die letzte Bedingung definiert alle ξik als Binärvariable. Bauliche Restriktionen oder Anliegen des Arbeitsschutzes können in diesem Modell berücksichtigt werden, indem einzelne Orte im Lagerhaus für die Zuordnung bestimmter Bereiche gesperrt werden (ξik = 0). So kann beispielsweise die Anordnung des Wareneingangs im Inneren des Lagerhauses verhindert werden. Andererseits können bestimmte Orte mit einem Bereich fest vorbelegt werden (ξik = 1). Dies ist z.B. der Fall, wenn sich ein bestimmter Bereich des Lagerhauses nur für die Einrichtung von Büros eignet. Obwohl Sozial- und Bürobereiche über keine Güterflussbeziehungen zu anderen Bereichen verfügen, sollten diese jedoch sofern möglich mit in das Modell integriert und nicht vorab an vermeintlich ungünstigen Orten positioniert oder erst nachträglich eingepasst werden.669 Die Wirkungsweise des entworfenen Modells soll nun am Beispiel eines Vorratslagers verdeutlicht werden. 669

Im Gegensatz dazu schlägt Hassan (2002, S. 433) eine nachträgliche Anordnung dieser Bereiche vor.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

165

Fallbeispiel 7: Lagerhauslayoutplanung (Facility Layout Problem)

Das Großhandelsunternehmen Medilux vertreibt medizinische Einwegprodukte an andere Großhändler, Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken. Großhändler und Krankenhäuser werden überwiegend palettenweise im Sammelgutverkehr, Arztpraxen und Apotheken über mehrere Paketdienste beliefert. Aufgrund der hierfür erforderlichen Prozesse werden neun Funktionsbereiche mit annähernd gleichem Flächenbedarf im Lagerhaus benötigt: Wareneingang (WE), Vorratslager (A, B und C), Kommissionierung (K), Packerei (P), Sozialund Bürobereich (S), Warenausgang Paletten (WAPAL) und Warenausgang Paket (WAPAK). Die prognostizierte Anzahl von Paletten und Schachteln, die täglich das Lagerhaus durchlaufen, sind in Tabelle 22 bzw. in Tabelle 23 gegeben. Das bisherige Lagerhaus der Medilux reicht für die aktuellen Liefermengen nicht mehr aus. Das Unternehmen hat deshalb eine Standortplanung durchgeführt und am Standort Bernburg in Sachsen-Anhalt eine bestehende Immobilie gefunden, die sich prinzipiell für die Belange des Unternehmens eignet. In dem Lagerhaus lassen sich neun mögliche Flächen mit annähernd gleicher Größe abgrenzen (Abbildung 22). Die Entfernungen zwischen den Orten sind in Tabelle 24 gegeben. Es bestehen sowohl rechtwinklige als auch diagonale Wege zwischen den Bereichen. Die internen Transportkosten einer beladenen Palette werden aufgrund von Vergangenheitswerten mit 0,05€ pro Meter und die einer gefüllten Schachtel mit 0,01€ pro Meter angesetzt. Tabelle 22: Transportmatrix des Medilux-Lagerhauses für beladene Paletten (Fallbeispiel 7). WE

A

B

C

K

P

S

WAPAL

WAPAK

WE

0

130

140

0

0

0

0

0

0

A

0

0

0

0

110

0

0

20

0

B

0

0

0

0

120

0

0

20

0

C

0

0

0

0

0

0

0

0

0

K

0

0

0

0

0

0

0

230

0

P

0

0

0

0

0

0

0

15

0

S

0

0

0

0

0

0

0

0

0

WAPAL

0

0

0

0

0

0

0

0

0

WAPAK

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Tabelle 23: Transportmatrix des Medilux-Lagerhauses für gefüllte Schachteln (Fallbeispiel 7). WE

A

B

C

K

P

S

WAPAL

WAPAK

WE

0

0

0

3024

0

0

0

0

0

A

0

0

0

0

0

0

0

0

0

B

0

0

0

0

0

0

0

0

0

C

0

0

0

0

0

720

0

0

2304

K

0

0

0

0

0

0

0

0

0

P

0

0

0

0

0

0

0

0

0

S

0

0

0

0

0

0

0

0

0

WAPAL

0

0

0

0

0

0

0

0

0

WAPAK

0

0

0

0

0

0

0

0

0

166

5 Physische Lagerung

5

6

3

4

1

2

7

8

9

Abbildung 22: Geometrie des Medilux-Lagerhauses, belegbare Orte und mögliche Wege (Fallbeispiel 7). Tabelle 24: Matrix der kürzesten Entfernungen zwischen den Orten des Medilux-Lagerhauses (Fallbeispiel 7). 1 1

2

3

4

5

6

7

8

9

50

50

72

100

122

144

194

244

72

50

122

100

122

172

222

50

50

72

122

172

222

72

50

72

122

172

50

100

150

200

50

100

150

50

100

2

50

3

50

72

4

72

50

50

5

100

122

50

72

6

122

100

72

50

50

7

144

122

122

72

100

50

8

194

172

172

122

150

100

50

9

244

222

222

172

200

150

100

50 50

Die Produkte werden in Faltschachteln auf Fachbodenregalen oder auf Paletten gelagert. Bei den Vorratslagern A und B handelt es sich um Palettenlager, während der Bereich C ein Lager für Schachteln darstellt. Die Packerei nimmt gefüllte Schachteln aus dem Lager C auf und gibt Paletten ab, da Mischpaletten für Großkunden aus einzelnen kommissionierten Schachteln zusammengestellt werden. Aus den ein- und ausgehenden Güterflüssen kann auf eine durchschnittliche Anzahl von 48 Schachteln pro Palette geschlossen werden. In der Kommissionierung werden von artikelreinen Paletten einzelne Schachteln entnommen und kundenspezifische Mischpaletten gebildet. Außerdem werden Vollpaletten unter Umgehung der Kommissionierung direkt zur Versendung in den Warenausgang transferiert. Aufgrund der beiden unterschiedlichen Logistikeinheiten muss die Zielfunktion (53) modifiziert werden, da sich die gesamten Transportkosten aus einem Anteil für den Transfer von Paletten und für die Bewegung von lediglich kartonierten Waren (Schachteln) zusammensetzt. Hierfür sind im Fallbeispiel 7 zwei unterschiedliche Kostensätze für Paletten (cP) und Schachteln (cS) angegeben. (57)

n

n

n

n

n

n

n

n

min K = c P ∑∑∑∑ ξ ik ξ jl d kl λPij + cS ∑∑∑∑ ξ ik ξ jl d kl λSij i =1 j=1 k =1 l=1 i =1 j=1 k =1 l=1 #$$$$$$$$$$ $"$$$$$$$$$$$% #$$$$$$$$$$ $"$$$$$$$$$$$% Palettentransport

Schachteltransport

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung n

n

n

167

n

min K = ∑∑∑∑ ξ ik ξ jl d kl (c P ⋅ λPij + cS ⋅ λSij )

(58)

i =1 j=1 k =1 l=1

Zur Lösung des quadratischen Zuordnungsproblems stehen exakte und heuristische Verfahren zur Verfügung.670 Generell ist das quadratische Zuordnungsproblem jedoch schwer lösbar.671 Das vergleichsweise einfache Fallbeispiel 7 mit neun Bereichen erfordert bereits die Bestimmung von 81 Binärvariablen. Die Modellstruktur lässt sich vergleichsweise einfach in MS-Excel abbilden, konnte jedoch mit dem Branch-and-Bound-Verfahren des Standard MS-Excel-Solvers nicht befriedigend gelöst werden. Zur Lösung wurde deshalb das heuristische Verfahren des Premium Solver Pro von Frontline eingesetzt (Standard Evolutional Engine).672 Die ermittelte Grobstruktur des Lagerhauses verursacht danach Transportkosten von 5.564 € pro Tag. Die Zuordnung der Bereiche zu den Orten ist in Tabelle 25 und in Abbildung 23 wiedergegeben. Die durchgezogenen Pfeile repräsentieren Palettenströme, die gepunkteten Pfeile Flüsse von kartonierter Ware. Die Stärke der Pfeile deutet die Anzahl der transferierten Logistikeinheiten an. Tabelle 25: Ermittelte Zuordnungsmatrix des Medilux-Lagerhauses. WE

A

B

C

K

P

S

WAPAL

WAPAK

1

0

0

0

0

0

0

0

1

0

2

0

0

0

0

0

0

1

0

0

3

0

0

0

0

1

0

0

0

0

4

0

0

1

0

0

0

0

0

0

5

0

1

0

0

0

0

0

0

0

6

1

0

0

0

0

0

0

0

0

7

0

0

0

1

0

0

0

0

0

8

0

0

0

0

0

0

0

0

1

9

0

0

0

0

0

1

0

0

0

A

WE

K

B

WA PAL

S

C

WA PAK

P

Abbildung 23: Ermitteltes Layout des Lagerhauses von Medilux und die resultierenden Güterströme.

670

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 204–221; Singh/Sharma (2006), S. 426–430; Drira/Pierreval/Hajri-Gabouj (2007), S. 262–263.

671

Vgl. Domschke/Drexl (1996), S. 125.

672

Siehe dazu http://www.solver.com/technology3.htm.

168

5 Physische Lagerung

Wie Abbildung 23 zeigt, wurden die Funktionsbereiche, zwischen denen starke Güterflüsse erforderlich sind, als direkte Nachbarn angeordnet und damit kurze Wege realisiert. Diagonale Wege wurden nur für die vergleichsweise schwachen Ströme zwischen dem Vorratslager B und dem Warenausgang (20 Paletten) sowie der Packerei und dem Warenausgang (15 Paletten) gewählt. Bei Verwendung ausschließlich rechtwinkliger Wege würde sich die gleiche Anordnung als Lösung ergeben mit nur leicht erhöhten Transportkosten von insgesamt 5.634€. Die Kosten der einzelnen Verbindungen gehen aus der Transportkostenmatrix hervor (Tabelle 26). Tabelle 26: Transportkostenmatrix des Medilux-Lagerhauses. WE WE

A

B

C

325 €

350 €

1.512 €

K

A

275 €

B

300 €

C

P

S

WAPAL

WAPAK

100 € 72 € 720 €

1.152 €

K

575 €

P

183 €

S WAPAL WAPAK

Die Flüsse der gefüllten Schachteln verursachen aufgrund der größeren Anzahl von Logistikeinheiten vergleichsweise hohe Transportkosten, obwohl die internen Transportkosten einer Palette 0,05€ pro Meter und die einer Schachtel 0,01€ pro Meter betragen. Betrachtet man die Packerei im Detail, so gehen dort pro Tag 720 Schachteln ein, die auf 15 ausgehende Paletten gepackt werden. Damit entstehen pro zurückgelegtem Meter für den Transport der Schachteln zur Packerei 7,20€ und für den Abtransport der Paletten 0,75€. Mit diesen Kostenunterschieden ist auch die auf den ersten Blick überraschende Anordnung der Packerei und des Sozial- und Bürobereichs zu erklären. Intuitiv würde man von einem Platztausch der Packerei mit dem Sozial- und Bürobereich eine Verbesserung der Lösung erwarten. Wird die Packerei am Ort 2 angeordnet verkürzt sich der Weg der Paletten um 194m von 244m auf 50m (–145,50€) gleichzeitig verlängert sich der Weg der Schachtel um 22m von 100m auf 122m (158,40€). Durch einen Tausch von S und P würden somit zusätzliche Kosten von 12,90€ pro Tag entstehen. Allerdings ist dieser Betrag klein und die verwendeten Daten insbesondere die beiden Kostensätze mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet. Es könnte somit in diesem Fall durchaus überlegt werden, den Sozial- und Bürobereich auf Platz 9 anzuordnen. Argumente dafür wären die empfundene Nähe zum Warenausgang für Paletten, die größere Übersichtlichkeit des Lagers und die räumliche Abtrennung des Sozial- und Bürobereichs von den operativen Bereichen. Die beste Lösung wäre sicherlich, den vergleichsweise kleinen Bereich der Packerei in das Vorratslager C zu integrieren, ohne allerdings hierdurch die Entfernung von C zum Wareneingang oder zum Warenausgang für Pakete zu erhöhen. Eine solche Gestaltungsoption berührt allerdings bereits die Aufgabe der räumlichen Anordnung innerhalb der Funktionsbereiche, die im Prinzip mit ähnlichen Ansätzen der Layoutplanung erfüllt werden kann. Da es sich dabei im Kern jedoch um eine Feinplanung handelt, sind in stärkerem Maße quantitative und qualitative Rahmenbe-

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

169

dingungen, z.B. Restriktionen des Gebäudes, Anforderungen der Lager- und Fördermittel etc., sowie die Organisation der Abläufe zu berücksichtigen. Bisher wurde lediglich das Gebäudeinnere betrachtet. Für alle Arten von Lagerhäusern, jedoch insbesondere für Umschlaglager, gehört die Planung der Flächen um das Gebäude ebenfalls zu den zentralen Aufgaben. Dies betrifft zunächst Flächen auf denen Außenlager errichtet werden sollen. Die Außenbereiche müssen darüber hinaus zur effizienten Abwicklung der An- und Abtransporte geeignet und dazu ausreichend dimensioniert sein. Ebenso ist auf überschneidungsfreie Zu- und Ausfahrten sowie auf ausreichend große Stellflächen zu achten. Dies trifft insbesondere zu, wenn mehrere Verkehrsträger, z.B. Straßengüterverkehr und Eisenbahnverkehr, genutzt werden. Von besonderer Bedeutung ist die Anordnung von Toren, Laderampen und Bereichen für den Umschlag im Freien. Diese müssen so angeordnet werden, dass ein reibungsloser Zugang möglich ist und die Fahrzeuge sich nicht gegenseitig behindern. So würde die Anordnung von Toren an Innenecken des Lagerhauses, also beispielsweise an den Orten 4 und 7 des Lagerhauses der Medilux (Abbildung 22) zu Überschneidungen der Stellflächen der Fahrzeuge führen.673 Tore und Rampen stellen zudem die Schnittstellen zum Wareneingang und zum Warenausgang im Inneren des Lagerhauses dar. Beispielsweise kann die Anordnung von Toren an den Außenecken eines Lagers zu Überschneidungen und Engpässen innerhalb des Lagerhauses führen.674 Die Nutzung der Flächen innerhalb und außerhalb des Gebäudes ist deshalb nicht unabhängig voneinander. Entsprechend ist eine abgestimmte Planung der Anordnung erforderlich.

5.2.5

Planung der Lagerplatzzuordnung

Neben der Gestaltung der Grobstruktur des Lagerhauses und der Aufstellung der Förder- und Lagermittel innerhalb der Funktionsbereiche stellt die Zuordnung von Logistikeinheiten zu Lagerplätzen die dritte Ebene der Anordnung im Lagerhaus dar. Die gewählte Form der Lagerplatzzuordnung bestimmt nicht nur die konkrete Anordnung der Güter auf einer Fläche oder in einem Regal. Sie übt darüber hinaus wesentlichen Einfluss auf die im Lager zu vollziehenden Prozesse, insbesondere jene der Auslagerung und Kommissionierung, sowie auf die hierfür notwendigen Lagerverwaltungssysteme aus. Dabei lassen sich zwei grundlegende Entscheidungsprobleme identifizieren: die Wahl des Zeitpunkts der Zuordnung und die Wahl der verwendeten Regeln. Allerdings werden diese beiden Entscheidungsprobleme in der betrieblichen Praxis und häufig ebenso in der Literatur nicht hinreichend abgegrenzt.675 Das erste Entscheidungsproblem besteht darin, den Zeitpunkt dieser Zuordnung festzulegen. Bei fester Lagerplatzzuordnung werden vorab und damit für eine gewisse Zeit bindend die Lagerplätze der gelagerten Güter geplant und festgelegt. Die Anordnung erfolgt somit unabhängig von konkret anstehenden Einlagerungen. Jedes Gut, z.B. eindeutig identifiziert durch eine bestimmte Sachnummer, bekommt einen festen Platz im Lager bzw. in einem Lagermittel zugewiesen. Durch die eindeutige Festlegung ist der Lagerplatz und somit das gelagerte Gut jederzeit auffindbar. Ist der Bestand aufgebraucht und erfolgt keine Nach673

Vgl. Bartholdi/Gue (2004), S. 238.

674

Vgl. Bartholdi/Gue (2004), S. 239.

675

Siehe z.B. Pfohl (2010), S. 121–123; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 8.

170

5 Physische Lagerung

lieferung, so bleibt der Lagerplatz leer und wird nicht durch ein anderes Gut belegt. Die Auswahl eines Lagerplatzes für ein Gut richtet sich nach den im Folgenden noch zu diskutierenden Regeln. Der Lagerplatz kann sogar mit der Benennung und Sachnummer des Gutes gekennzeichnet werden, da die Zuordnung für einen längeren Zeitraum erfolgt. Der Lagerplatz sollte an die Art und Größe des Gutes bzw. der verwendeten Logistikeinheiten angepasst werden. Der reservierte Raum richtet sich an der maximalen Füllmenge aus und kann ebenfalls individuell angepasst werden. Da sich i.d.R. Gütersortimente und benötigte Bestandsmengen im Zeitablauf ändern, ist eine regelmäßige Überarbeitung der Zuordnung erforderlich. Insbesondere sind Plätze für neue Güter zu schaffen und solche von entfallenen zu räumen, freizugeben und neu zuzuordnen. Das Gegenmodell dazu ist die freie Lagerplatzzuordnung. Bei dieser Form der Zuordnung wird vorab keine Entscheidung über die Anordnung bestimmter Güter im Lager getroffen, sondern diese wird unmittelbar vor einer Einlagerung gefällt. Steht eine Logistikeinheit eines Gutes zur Einlagerung an, so wird ein freier Lagerplatz entsprechender Größe für diese ermittelt. Die freie Lagerplatzzuordnung entfaltet deshalb ihre Vorteile insbesondere dann, wenn standardisierte Logistikeinheiten und Lagerplätze verwendet werden. Beispiele dafür sind Lager für Europaletten oder genormte Kleinladungsträger.676 In diesem Fall ist prinzipiell die Einlagerung einer Logistikeinheit an jedem freien Platz möglich. Zur Ermittlung des „besten“ Platzes bietet sich die Berücksichtigung von im Folgenden noch zu diskutierenden Regeln an. Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit und schnelle Verarbeitung der für die Entscheidung erforderlichen Daten, um die anstehende Einlagerung nicht zu verzögern. Der neu belegte Lagerplatz wird der Logistikeinheit datentechnisch zugewiesen und damit genau registriert. Auf diese Weise ist die Logistikeinheit ohne Probleme im Lager wiederauffindbar. Deshalb ist die Bezeichnung „chaotische Lagerung“, die häufig für die freie Lagerplatzzuordnung verwendet wird, völlig unzutreffend. Chaotisch wäre die Lagerung nur dann, wenn die Registrierung und Speicherung der Lagerorte nicht oder fehlerhaft erfolgen würde. Diese Aufgabe wird jedoch heute durch entsprechende Lagerverwaltungssysteme zuverlässig erfüllt. Ein großes Sortiment, ein weiträumiges Lager, unterschiedliche Logistikeinheiten und Lagermittel oder die Unverträglichkeit bestimmter Gütergruppen können eine Modifikation der freien Lagerplatzzuordnung erfordern. Bei freier Lagerplatzzuordnung in bestimmten Bereichen werden Güter vorab definierten Lagerbereichen zugeteilt, ohne den konkreten Lagerplatz jedoch fest vorzugeben.677 Die Lagerplatzzuordnung innerhalb des Bereiches bleibt also frei. So werden beispielsweise palettierte Waren dem Palettenlager, Gefahrstoffe dem Gefahrstofflager, Frischeprodukte dem Kühllager oder Güter mit sehr hohem Tagesbedarf einem Blocklager vor dem eigentlichen Vorratslager zugewiesen. Solche vorab erfolgenden Zuordnungen erleichtern die Zuführung der Güter, ermöglichen Bereiche mit speziellen Lagermitteln und reduzieren die Komplexität der freien Lagerplatzzuordnung. Jede der beiden Grundformen weist spezifische Vor- und Nachteile auf. Als Nachteil der festen Lagerplatzzuordnung wurde bereits die Notwendigkeit aufwändiger Anpassungen an geänderte Mengen und Sortimente genannt. Sie erfordert jedoch keine permanente Registrierung der Lagerorte, ist übersichtlich und lässt sich von Mitarbeitern gut memorieren. Sie 676

Siehe dazu Abschnitt 2.2.

677

Siehe z.B. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 489.

5.2 Lagerhausaufbau und Lagerplatzzuordnung

171

eignet sich deshalb vor allem für überschaubare Bestände und stabile Sortimente. Der Hauptvorteil der freien Lagerplatzzuordnung liegt auf dem Gebiet der Raumausnutzung. Bei fester Zuordnung muss für jeden Artikel die maximal notwendige Kapazität des Lagerplatzes vorgehalten werden. Geht man von einem kontinuierlichen Verbrauch aus, ist der feste Lagerplatz eines Gutes durchschnittlich lediglich mit der halben Bestellmenge und ggf. mit dem Sicherheitsbestand belegt.678 Bei freier Lagerplatzzuordnung werden dagegen nicht die Bestände eines bestimmten Gutes insgesamt, sondern die einzelnen Logistikeinheiten eines Gutes individuellen Lagerplätzen zugewiesen. Wird eine Logistikeinheit ausgelagert, so kann der freiwerdende Platz umgehend einer anderen Logistikeinheit eines beliebigen Artikels zugewiesen werden. Hierdurch kann eine hohe Kapazitätsauslastung des Lagers erreicht werden. Allerdings wird dieser Effekt abgeschwächt, wenn sich auch angebrochene Logistikeinheiten, z.B. nur teilweise beladene Paletten, im Lager befinden. Häufig bestimmt deshalb die Funktion eines Lagerbereichs die Form der Lagerplatzzuordnung. So eignet sich beispielsweise die übersichtliche feste Lagerplatzzuordnung vor allem für Bereiche, in denen nach dem Prinzip Mensch-zur-Ware679 kommissioniert wird, während der zugehörige Nachschubbereich mit freier Lagerplatzzuordnung betrieben werden sollte, um eine hohe Raumausnutzung zu erreichen.680 Zum zweiten müssen Regeln der Zuordnung festgelegt werden, nach denen die Lagerplatzzuordnung erfolgen soll. In der Forschungs- und Lehrbuchliteratur finden sich dazu zahlreiche Vorschläge.681 Prinzipiell lassen sich die meisten dieser Regeln sowohl bei fester als auch bei freier Lagerplatzzuordnung heranziehen. Bei Anordnung nach dem Zufallsprinzip wird das einzulagernde Gut an einem zufällig bestimmten Lagerplatz angeordnet. Mit dieser Regel wird eine gleichmäßige Verteilung der Logistikeinheiten über das Lager erreicht. Hierdurch wird verhindert, dass bei zunehmender Auslastung nur noch „schlechte“ Lagerplätze zur Verfügung stehen. Allerdings müssen grundsätzlich alle Lagerplätze zur Aufnahme eines Gutes geeignet sein. Die Zufallsauswahl kann deshalb insbesondere bei gleichartigen Logistikeinheiten, z.B. bei der Einlagerung von Paletten in ein Palettenlager, eingesetzt werden. Grundsätzlich könnte auch eine feste Lagerplatzzuordnung vorab nach dem Zufallsprinzip vorgenommen werden. Dabei gingen jedoch die meisten der genannten Vorteile, insbesondere die Übersichtlichkeit, verloren. Die Regel „nächstgelegener freier Platz“ versucht die Wege der Ein- und Auslagerung zu minimieren. Dabei wird jener Lagerplatz belegt, der auf dem kürzesten Weg zu erreichen ist. Allerdings führt die Belegung des jeweils nächstgelegenen freien Platzes nicht notwendigerweise zu einem Gesamtoptimum, da jede Zuordnung eines Lagerplatzes diesen für eine spätere Belegung sperrt. Bei zunehmender Auslastung der Lagerkapazität nimmt die Zahl „schlechter“, d.h. in diesem Fall weit entfernter Lagerplätze zu, die dann möglicherweise mit Gütern belegt werden müssen, die häufiger ein- und ausgelagert werden. Diese einfache

678

Siehe dazu Abschnitt 6.2.2.

679

Zu dem Kommissionierprinzip Mensch-zur-Ware siehe Abschnitt 5.3.2.

680

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 489.

681

Siehe dazu beispielsweise de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 488; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 10; Ten Hompel/Schmidt (2010), S. 31–32; Pfohl (2010), S. 122–123.

172

5 Physische Lagerung

Regel wird trotzdem bei freier Lagerplatzzuordnung angewendet und kann zudem auch helfen, feste Lagerplätze innerhalb eines Bereichs einer Gütergruppe anzuordnen. Besser als diese einfachen Regeln eignen sich deshalb solche, die Eigenschaften der zu lagernden Einheiten berücksichtigen. Diese können bei fester und freier Lagerplatzzuordnung angewendet werden. So sollten Logistikeinheiten, die häufig ein- oder ausgelagert werden, möglichst kurze Wege im Lager zurücklegen. Zu beachten ist deshalb die voraussichtliche Zeitdauer zwischen der Ein- und Auslagerung einer Logistikeinheit (Verweildauer), die aus den Bedarfen der Vergangenheit sowie der Anzahl der bereits gelagerten Logistikeinheiten dieses Gutes geschätzt werden kann. Logistikeinheiten, die voraussichtlich nach kurzer Zeit das Lager wieder verlassen, sollten an Lagerplätzen gelagert werden, die auf kurzen Wegen zu erreichen sind. Güter mit langer Lagerdauer („Lagerhüter“) werden dagegen eher im hinteren Teil des Lagers eingelagert. Ein weiteres Kriterium kann das Volumen sein. Eine voluminöse Logistikeinheit sollte eher an einem weit entfernten Ort platziert werden, um nicht im vorderen Bereich des Lagers Raum einzunehmen, der für mehrere kleine Logistikeinheiten nutzbar wäre. Da beispielsweise ein Gut ein großes Volumen und eine kurze Verweildauer aufweisen kann, können sich solche Regeln wiedersprechen. Deshalb bieten sich Kennzahlen an, die mehrere Produktmerkmale vereinigen. Eine komplexe Regel der Lagerplatzzuordnung in Kommissionierlagern ist die Anordnung nach Produktfamilien.682 Im Gegensatz zu den bisherigen Regeln werden hierbei einzelne Güter nicht isoliert betrachtet, sondern Bedarfsbeziehungen zwischen diesen berücksichtigt. Werden bestimmte Güter häufig zusammen benötigt, sollten diese nahe beieinander angeordnet werden, um die Wege bei der Kommissionierung zu reduzieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Kunden häufig zu einem Primärprodukt bestimmte Zubehörteile bestellen oder in der Montage Teile immer zusammen mit anderen benötigt werden. Voraussetzung für diese Regel sind Bedarfsdaten, die solche Beziehungen erkennen lassen. Allerdings ist zu bedenken, dass durch solche Anordnungen möglicherweise sachlich unterschiedliche Produktgruppen kombiniert werden und die Übersichtlichkeit des Lagers darunter leidet. Die Ausführungen zu den Grundformen und Regeln der Lagerplatzzuordnung haben bereits die enge Verbindung dieser Thematik mit der Planung und Steuerung der Kommissionierung aufgezeigt, die im nachfolgenden Abschnitt behandelt wird.

5.3

Kommissionierung

5.3.1

Gegenstand der Kommissionierung

In Abschnitt 5.2.1 wurde bereits der Begriff der Kommissionierung eingeführt. Nach VDI 3590 Blatt 1 verfolgt die Kommissionierung das Ziel „aus einer Gesamtmenge von Gütern (Sortiment) Teilmengen auf Grund von Anforderungen (Aufträge) zusammenzustellen.“683 Ähnliche Definitionen finden sich auch in der forschungsorientierten Literatur. So beschrei682

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 490–491.

683

VDI 3590 Blatt 1, S. 2.

5.3 Kommissionierung

173

ben de Koster, Le-Duc und Roodbergen die Kommissionierung als “the process of retrieving products from storage (or buffer areas) in response to a specific customer request.“684 Darüber hinaus wird in anderen Definitionen der Aspekt des Auswählens und Entnehmens aus einer größeren Gesamtheit betont: „Order picking is the activity by which a small number of goods is extracted from a warehousing system to satisfy a number of independent customer order.“685 Definitionen der Kommissionierung weisen drei zentrale Elemente auf: das Sortiment, den Auftrag und den Prozess des Entnehmens und Zusammenstellens. Die zu kommissionierenden Güter werden aus einem Sortiment entnommen, welches sich in einem Lagerhaus oder in einem internen Lagerbereich befindet und eine bestimmte Struktur aufweist. Die Lagerplatzzuordnung definiert die Orte, an denen sich bestimmte Bestandteile des Sortiments im Lager befinden. Die gelagerten Güter können vergleichsweise homogen sein, d.h. nur wenige und sich ähnliche Güter umfassen. In Abhängigkeit vom Einzelfall sind jedoch auch sehr heterogene Sortimente möglich, die aus einer komplexen Struktur der Lagerobjekte resultieren. Die gelagerten Artikel können sich beispielsweise hinsichtlich Masse, Volumen, Abmessung, gewählter Logistikeinheit und spezifischer Eigenschaften wesentlich unterscheiden und unterschiedliche Anforderungen an das Lager und damit auch an die Kommissionierung stellen.686 Als Beispiele seien die Lagerung von großvolumigen Teilen, von Gefahrstoffen, von verderblichen Gütern oder von Wertgütern genannt. Werden von einzelnen Gütern vergleichsweise große Bestände vorgehalten, die den Bedarf eines längeren Zeitraums decken, findet sich häufig die in Abbildung 20 aufgezeigte Trennung von Vorrats- und Kommissionierlager. Das zweite Element stellt der Auftrag dar. Der Auftrag liefert den Anlass zur Durchführung einer Kommissionierung und stellt gleichzeitig wesentliche Informationen dafür zur Verfügung. Der Auftrag benennt zumindest die gewünschten Güter und die jeweils erforderliche Menge.687 Typischerweise finden sich darin weitere Informationen, wie z.B. der Lieferort und -zeitpunkt. Die Rolle des Auftraggebers wird realiter von unterschiedlichen Personen und Personengruppen eingenommen. Der klassische externe Auftraggeber ist der Abnehmer eines Unternehmens, der eine Bestellung an dieses abgibt. Eine solche Bestellung gelangt direkt oder aufbereitet durch eine Verkaufsabteilung an das Distributionslager und dient dort als Auftrag. Als interne Auftraggeber kommen prinzipiell alle Organisationseinheiten eines Betriebs in Betracht. Beispiele für interne Auftraggeber sind die Instandhaltung, die Versuchsabteilung oder der Werkzeugbau. In Industrieunternehmen tritt vor allem die Produktion als Auftraggeber auf, die Rohmaterialien sowie vorgefertigte Teile und Baugruppen aus dem Wareneingangs- oder Produktionslager ordert. Neben der Auslagerung sortenreiner Logistikeinheiten, z.B. von Kleinteileträgern, die nur ein Gut enthalten, nimmt die produktionsbezogene Kommissionierung zuweilen auch die Aufgabe war, bereits alle notwendigen 684

de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 481.

685

Goetschalckx/Ashayeri (1989), S. 99.

686

Vgl. VDI 3590 Blatt 1, S. 3.

687

Vgl. VDI 3590 Blatt 1, S. 3.

174

5 Physische Lagerung

Materialien für einen bestimmten Montageschritt vorab zu bündeln. Damit wird dem Mitarbeiter am Montageband das Zusammensuchen der erforderlichen Teile aus verschiedenen Behältern erspart. Zur Auftragsübermittlung können alle Kommunikationsmedien eingesetzt werden. Das Spektrum reicht dabei von mündlichen Anforderungen eines Instandhalters im Lager bis zu Bestellungen eines Abnehmers unter Nutzung von Technologien des elektronischen Datenaustauschs. Welche Medien eingesetzt werden, hängt vor allem ab von der räumlichen Distanz zwischen dem Sender und dem Empfänger, der Komplexität der Inhalte, dem Grad der Beratungsbedürftigkeit des Auftraggebers und von der Notwendigkeit der Dokumentation. Vor allem bei externer Beauftragung stellt die Umsetzung der Auftragsinformationen in die innerbetrieblichen Informationssysteme eine wesentliche Fehlerquelle dar. Auch aus diesem Grund wird die Auftragsübermittlung mit Hilfe des elektronischen Datenaustauschs präferiert. Das dritte Element der Kommissionierung besteht in dem charakteristischen Prozess der Entnahme und Zusammenstellung der im Auftrag genannten Güter. Häufig werden dabei die gelagerten Logistikeinheiten angebrochen und aus den daraus entnommenen Teilmengen neue Logistikeinheiten gebildet, die Sammeleinheiten.688 Der Prozess der Kommissionierung setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Handlungen zusammen, z.B. aus dem Auswählen, Auspacken, Greifen, Fördern, Quittieren, Sortieren usw.689 In Abhängigkeit von den gewählten Abläufen variieren diese Tätigkeiten sehr stark und werden in unterschiedlichem Maße automatisiert vollzogen. Entsprechend ergeben sich eher arbeitsintensive oder kapitalintensive Prozesse der Entnahme und Zusammenstellung.690 Als Folge davon dominieren Personalkosten oder Abschreibungen, Instandhaltungskosten und Energiekosten die Gesamtkosten der Kommissionierung. Von wesentlicher Bedeutung für die Ausgestaltung der Kommissionierung ist somit die Entscheidung über den anzustrebenden Automatisierungsgrad. Dabei stellt sich die prinzipielle Frage, ob ggf. gänzlich auf ausführende Arbeit in der Kommissionierung verzichtet werden sollte. In diesem Fall würde eine vollständig automatisierte Kommissionierung vorliegen. Als Beispiele dafür können der Einsatz von Kommissionierrobotern zur Entnahme von Teilmengen oder die Verwendung von Automaten in der Kleinteilekommissionierung genannt werden.691 Allerdings erkennen auch ingenieurwissenschaftliche Fachvertreter die Grenzen des Einsatzes solcher Anlagen, da Menschen aufgrund ihrer Flexibilität sowie ihrer sensorischen und motorischen Fähigkeiten diesen Maschinen i.d.R. überlegen sind.692 Da alle Menschen über diese grundlegenden Fähigkeiten verfügen, bietet die Kommissionierung auch Personen mit geringer Berufsqualifikation eine Beschäftigungsmöglichkeit. Auch aus diesem Grund ist der Einsatz von Menschen in der Kommissionierung erstrebenswert.

688

Vgl. VDI 3590 Blatt 1, S. 3.

689

Siehe dazu VDI 3590 Blatt 1, S. 5–7.

690

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 481.

691

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 484.

692

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 218.

5.3 Kommissionierung

5.3.2

175

Grundlegende Kommissionierprinzipien

Die klassische Form der Kommissionierung, die auch noch heute als vorherrschend bezeichnet werden kann, stellt die arbeitsintensive Kommissionierung nach dem Prinzip Menschzur-Ware dar.693 Wird dieses Kommissionierprinzip verfolgt, begibt sich ein Kommissionierer bzw. eine Kommissioniererin in ein Lager, um sukzessiv an den jeweiligen Lagerplätzen jene Güter in der entsprechenden Menge abzuholen, die zur Erfüllung des Auftrags erforderlich sind. Die Güter werden also am Lagerplatz durch den kommissionierenden Menschen entnommen. Dabei werden Handlungen des Identifizierens, Auspackens, Zählens, Greifens, Ablegens und Quittierens verrichtet. Neben diesen Tätigkeiten sind vor allem solche der Wegüberbrückung und des Förderns der entnommenen Güter zu einem Übergabeort auszuführen. Zum Fördern der entnommenen Güter können in Abhängigkeit von den zu transportierenden Massen und Volumen sowie von den zu überbrückenden Strecken unterschiedliche Fördermittel eingesetzt werden, deren Spektrum von einfachen Handwagen bis zu Kommissionierstaplern reicht.694 Die erforderliche Gesamtzeit zur Kommissionierung eines Auftrags tk mit n Positionen ergibt sich beim Prinzip Mensch-zur-Ware somit wie folgt:695 (59)

n

t k = t b + ∑ ( t b,i + t g,i + t w,i ) i =1

Die Basiszeit für einen Auftrag tb fällt bei jedem Auftrag an, z.B. zur Entgegennahme der Kommissionierdaten oder zur Bereitstellung der erforderlichen Betriebs- und Packmittel. Die reine Greifzeit tg,i zur Entnahme der Güter der Position i ist in der Regel relativ klein. Die Basiszeit tb,i für die Position i umfasst alle weiteren Zeiten, die am Entnahmeort anfallen, z.B. für das Suchen des Artikels oder für das Buchen der Entnahme. Diese Zeitanteile können durch eine sachgemäße Organisation des Lagers gering gehalten werden. Insbesondere sind unproduktive Tätigkeiten, wie z.B. das Suchen oder aufwendige Identifizieren durch Auspacken, zu vermeiden. Erheblichen Anteil an der Gesamtzeit hat die Wegzeit tw,i zum Erreichen des Lagerortes der Position i, vor allem dann, wenn sich das Lager über eine größere Fläche erstreckt und nur wenige, verstreut liegende Orte aufzusuchen sind. Da die Kosten der Kommissionierung bei Anwendung dieses Grundprinzips wesentlich durch die Arbeitszeiten des eingesetzten Personals bestimmt werden, fällt somit ein hoher Anteil der Kommissionierkosten für die Distanzüberwindung an. Die Planung und Steuerung der Kommissionierung nach dem Prinzip Mensch-zur-Ware widmet sich deshalb insbesondere der Aufgabe der Wegeoptimierung.696 Um die Geschwindigkeit der Raumüberbrückung zu erhöhen und damit Zeit einzusparen, können verschiedene technische Hilfsmittel eingesetzt werden, die i.d.R. zugleich den Transport der entnommenen Güter unterstützen. Kommissionierer können sich z.B. mit Fahrrä-

693

Häufig wird dieses Prinzip auch als Mann-zur-Ware oder als picker-to-parts bezeichnet.

694

Siehe dazu die Abschnitte 4.2 und insbesondere 5.2.2.

695

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 218; Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 263.

696

Siehe dazu Abschnitt 5.3.3.

176

5 Physische Lagerung

dern, Tretrollern oder angetriebenen Wagen oder Schleppern durch das Lager bewegen. Der Bereich der Entnahme ist bei ausschließlicher Bewegung in der Ebene jedoch begrenzt, da sehr tief oder sehr hoch angeordnete Regalfächer nur durch belastendes Bücken bzw. Strecken erreicht werden können. Eine manuelle Entnahme in größeren Höhen ohne angemessene Hilfsmittel verbietet sich aus Gründen des Unfallschutzes. Deshalb werden Fördermittel auch eingesetzt, um die Höhe des Lagers zu erschließen. Werden Stapler verwendet, können Paletten zur Entnahme von Teilmengen auf den Boden umgesetzt werden. Regalbediengeräte mit mitfahrenden Personen und Kommissionierstapler eröffnen zusätzlich die Möglichkeit, Güter direkt in größeren Höhen zu entnehmen.697 Trotz des Einsatzes von Transportmitteln besteht der Hauptnachteil der Kommissionierung Mensch-zur-Ware in den vergleichsweise langen Wegzeiten zwischen den eigentlichen Entnahmen. Das Prinzip Ware-zum-Menschen versucht deshalb, diese Wegzeiten gänzlich zu vermeiden. Die kommissionierende Person verbleibt an einem definierten Ort, dem Kommissionierplatz. Die auftragsbezogene Entnahme der Teilmengen erfolgt nicht am Lagerplatz, sondern am Kommissionierplatz. Die Logistikeinheiten aus denen diese Teilmengen entnommen werden sollen, müssen deshalb an diesen Ort transportiert werden. Um wiederum Wegzeiten zu vermeiden, werden statt fahrergeführten Förderzeugen i.d.R. Stetigförderer und fahrerlose Regalbediengeräte (RBG) eingesetzt. Die Anlieferung der benötigten Logistikeinheiten wird parallel vollzogen. Am Kommissionierplatz reihen sich diese Einheiten. Der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin entnimmt sukzessive daraus die georderten Artikel in der erforderlichen Menge. Am Kommissionierplatz erfolgt ebenso die Übergabe der kommissionierten Güter. Die jeweils nicht benötigte Restmenge muss zurück in das Lager verbracht werden. In Abhängigkeit von der Art der Lagerplatzzuordnung kehren die angebrochenen Logistikeinheiten an den bisherigen Lagerplatz oder an einen neu zu bestimmenden zurück. In Abbildung 24 sind nochmals beide Prinzipien gegenübergestellt. Mensch-zur-Ware

Ware-zum-Menschen RBG

RBG RBG

Ausgangsort

Übergabeort

Entnahme am Lagerplatz Abbildung 24: Grundlegende Prinzipien der Kommissionierung.

697

Vgl. Arnold/Furmans (2009), S. 216.

Kommissionierplatz: Entnahme- und Übergabeort Lagerplatz alt

Lagerplatz neu

5.3 Kommissionierung

177

Bei hinreichender Leistungsfähigkeit der innerbetrieblichen Transportprozesse kann der Kommissionierende beim Prinzip Ware-zum-Menschen einen kontinuierlichen Prozess der Entnahme realisieren. Die Gesamtzeit zur Kommissionierung eines Auftrags sinkt erheblich, da die Wegzeiten tw,i des Kommissionierers entfallen. Die Zeiten zur Anlieferung der gelagerten Logistikeinheiten zum Kommissionierplatz und zum Rücktransport der angebrochenen Einheiten zu einem Lagerplatz sind aus Sicht eines einzelnen Auftrags unbedeutend, da sie parallel zur Entnahmezeit dieses oder eines anderen Auftrags anfallen und somit die Dauer der Kommissionierung nicht beeinflussen. Diesem Vorteil der deutlichen Zeitreduktion und der damit verbundenen Steigerung der Arbeitsproduktivität des Kommissionierers steht der gravierende Nachteil hoher Investitions- und Betriebskosten zur Realisation der erforderlichen innerbetrieblichen Transporte gegenüber. Bisher wurde die auftragsweise Entnahme und Zusammenstellung vorausgesetzt, d.h. angenommen, dass ein Auftrag in einem einstufigen Kommissionierprozess Position nach Position sukzessiv abgearbeitet wird. Der Planung und Steuerung der einstufigen Kommissionierung ist der nachfolgende Abschnitt 5.3.3 gewidmet. Allerdings ist es auch möglich, Aufträge in Teilaufträge zu zerlegen oder mehrere Aufträge zusammenzufassen. Hierdurch werden in der Regel mehrstufige Kommissionierprozesse erforderlich. Bei großen Sortimenten und ausgedehnten Lagerflächen kann eine mehrstufige Kommissionierung dazu beitragen, die Vorteile der beiden Prinzipien zu kombinieren und gleichzeitig deren Nachteile zu vermeiden. Die Planung und Steuerung der mehrstufigen Kommissionierung wird deshalb in Abschnitt 5.3.4 genauer dargestellt.

5.3.3

Planung und Steuerung der einstufigen Kommissionierung

Wie bereits aufgezeigt, kann die einstufige Kommissionierung grundsätzlich nach jedem der beiden vorgestellten Prinzipien gestaltet werden. Da bei Anwendung des Prinzips Warezum-Menschen keine Wegzeiten anfallen und der Kommissionierer bzw. die Kommissioniererin kontinuierlich Entnahmen vornimmt, stellt dieses aus Sicht der operativen Planung und Steuerung der Kommissionierung eine vergleichsweise einfache Methode dar, da lediglich die Güter zu Entnahme an einen festen Ort verbracht werden müssen. Die Planung der hierfür erforderlichen innerbetrieblichen Transportstrukturen und die Planung und Steuerung der einzelnen innerbetrieblichen Transporte fällt in den Bereich der Teilfunktion „Innerbetrieblicher Transport“ und wurde bereits behandelt.698 Das Prinzip Mensch-zur-Ware erfordert aufgrund großer Zeitanteile für die Überwindung von Distanzen die Optimierung der Wegstrecke für jeden einzelnen Auftrag. Außerdem muss im Rahmen der Steuerung die eingesetzte Person an die jeweiligen Entnahmeorte geführt werden, um dort die einzelnen Positionen des Auftrages zu bearbeiten. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen wird deshalb bei diesem Kommissionierprinzip liegen. Die kommissionierende Person bewegt sich beim Prinzip Mensch-zur-Ware von einem Ausgangsort, an dem Kommissionierinformationen aufgenommen werden, durch das Lager zu einem Übergabeort, an dem die entnommenen Güter zum weiteren innerbetrieblichen Trans698

Siehe dazu die Abschnitte 4.3 und 4.4.

178

5 Physische Lagerung

port übergeben werden (Abbildung 24). Auf diesem Weg müssen die einzelnen Lagerplätze erreicht werden, um die Entnahmen vorzunehmen. Im Rahmen der Kommissionierung auf einer Ebene ist somit für jeden Auftrag ein Traveling-Salesman-Problem (TSP) für eine Sammeltour zu lösen.699 Dabei wird eine ausreichende Transportkapazität zum Transfer der zusammengestellten Güter vorausgesetzt. Zur Lösung des TSP können prinzipiell die in Abschnitt 3.4.2 behandelten Ansätze herangezogen werden. Grundlage dafür wäre jedoch eine kürzeste Wegematrix, welche die Distanzen zwischen allen Lagerortpaaren angibt. Das Lagerlayout, insbesondere die Anordnung und Länge der Regale bzw. der Zeilen bei Zeilenlagerung, gibt die möglichen Wege zwischen den Lagerorten vor.700 So ist die für das in Abbildung 25 dargestellte Beispiel intuitiv kürzeste Verbindung A-1-2-4-5-7-6-3-E aufgrund der Anordnung der Regalzeilen nicht zulässig, da die kurzen Verbindungen zwischen den Lagerorten durch Regale versperrt sind. Es müssen vielmehr vergleichsweise lange Wege durch die Gänge und über die Quergänge am Anfang (A) oder am Ende (E) des Regalbereichs zurückgelegt werden. Anderseits schließt eine vorgegebene Regalanordnung zahlreiche Reihenfolgealternativen auf den ersten Blick aus und vereinfacht damit die Suche nach der richtigen Reihenfolge wesentlich. Befindet sich ein Kommissionierer beispielsweise an Lagerort 4, so ist offensichtlich der Lagerort 5 der nächste Entnahmeort, da dieser schnell durch Gang IV erreicht werden kann. Ebenso ist es naheliegend, wenn auch nicht zwingend, danach in x-Richtung weiterzugehen, um bei Lagerort 6 anzukommen. y VI

7

V 5

6

IV

4

III 2

3

II

1

I A

E

x

Abbildung 25: Beispiel eines Auftrags mit 7 Positionen in einem Regallager mit 6 Gängen.

Es lassen sich deshalb vergleichsweise einfache Regeln, so genannte Routing Strategies, anwenden, um zumindest eine geringe, wenn auch nicht notwendigerweise optimale, Summe der Wegzeiten zu erreichen.701 Solche Regeln lassen sich durch das ausführende Personal 699

Vgl. Rouwenhorst et al. (2000), S. 526–527; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 13–16; de Koster/LeDuc/Roodbergen (2007), S. 494; Ten Hompel/Schmidt (2010), S. 141.

700

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 487.

701

Vgl. Hall (1993), S. 77–80; Petersen (1997), S. 1100–1102; de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 495–496; Chen et al. (2010), S. 73–74; Henn et al. (2010), S. 83–85.

5.3 Kommissionierung

179

Mäanderregel

y

Rückkehrregel

y VI

7

VI

7

V 5

6

V 5

IV

4

6

IV

4

III

III 2

3

2

II

1

3

II

1

I

I A

E

x

Mittellinienregel

y

A

Regel der größten Lücke

y VI

7

VI

7

V

V 5

6

5

IV

4

4

6

„größte Lücke“ in Gang IV

3

2

II

1

3

II

1

I

I E

A

IV III

III 2

x

E

x

A

E

x

Abbildung 26: Regeln zur Kommissionierung Mensch-zur-Ware in der Ebene.

häufig leicht erlernen und in die erforderlichen Handlungsabläufe umsetzen. Hierdurch kann in vielen Fällen auf eine zentrale Planung verzichtet werden. Die nachfolgend beschriebenen Regeln sind in der Abbildung 26 beispielhaft veranschaulicht. Die einfachste Regel ist die Mäanderregel (transversal). Bei dieser werden alle Gänge, in denen mindestens ein Lagerort aufzusuchen ist, vollständig durchquert. Im obigen Beispiel wären dies die Gänge II, IV und VI. Die Mäanderregel ist vor allem dann sinnvoll, wenn ein Auftrag viele Positionen umfasst, deren Lagerorte auf möglichst wenige kurze Gänge verteilt sind.702 Im Gegensatz dazu geht oder fährt der kommissionierende Mensch bei der Rückkehrregel (Return) stets wieder zum Quergang zurück, nachdem alle erforderlichen Lagerplätze in einem Gang erreicht wurden. Diese Regel wird zwangsweise angewendet, wenn aus baulichen Gründen nur ein Quergang als Zugang zu den Regalgängen besteht. Sie lässt sich jedoch auch sehr gut mit entsprechenden Regeln der Lagerplatzzuordnung kombinieren. Werden Güter, die sehr häufig benötigt werden in der Nähe des Querganges gelagert, so steigt die Wahrscheinlichkeit kurzer Wege innerhalb eines Gangs, wodurch sich insgesamt kurze Wegzeiten erreichen lassen.703 Bei Verfolgung der Mittellinienregel wird eine Linie als Grenze durch die Mitte des Lagers, also in Höhe der halben Entfernung zwischen A und E gelegt. Der erste Gang, in dem ein zu kommissionierendes Gut lagert, wird ebenso wie der letzte Gang vollständig durchlaufen. Alle dazwischenliegenden Gänge werden nur bis zu jenem Lagerplatz durchquert, der noch vor der Mittellinie liegt. Die dahinter positionierten Güter werden von der Rückseite der Regalanordnung erreicht. Diese Regel führt bei einer geringen Anzahl von Positionen zu 702

Vgl. Hall (1993), S. 80–82.

703

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 490.

180

5 Physische Lagerung

vergleichsweise kurzen Wegzeiten, vor allem dann, wenn keine Trennung der Güter nach Verbrauchshäufigkeiten erfolgt. Allerdings zeigt bereits das Beispiel für diese Regel Verbesserungsmöglichkeiten auf. Würde Lagerplatz 6 nach 5 besucht, ließe sich die Wegstrecke und somit die Kommissionierzeit verkürzen. Solche Verbesserungen werden bei der Regel der größten Lücke (Largest Gap) berücksichtigt. Mit dieser Regel soll vermieden werden innerhalb eines Gangs eine große Entfernung zurückzulegen.704 Ein Kommissionierer schreitet in einem Gang nur so lange voran, bis er das längste Teilstück zwischen einem Quergang und einem Lagerplatz, zwischen zwei Lagerplätzen oder zwischen einem Lagerplatz und einem Quergang erreicht. Dieses Teilstück wird sodann nicht durchlaufen, sondern es wird zum Ausgangsquergang zurückgekehrt bzw. der Gang wird von dieser Seite aus nicht durchlaufen. Im obigen Beispiel betritt die kommissionierende Person von Quergang E aus nicht den Gang IV. Diese geht bzw. fährt vielmehr zu Gang VI weiter. Erst auf dem Rückweg wird Gang IV von Quergang A bis Lagerplatz 6 durchlaufen. Die vergleichsweise lange Doppelstrecke E-6 wird somit eingespart und stattdessen die Distanz 5-6 durchlaufen. Allerdings ist diese Regel vergleichsweise komplex, da die größte Lücke für jeden Gang bestimmt und jeweils eine Entscheidung zugrunde gelegt werden muss. Neben diesen vier Grundregeln existieren verschiedene Mischregeln (Composite), welche die beschriebenen Vorgehensweisen kombinieren. So könnten beispielsweise die Gänge II und IV mäanderförmig durchlaufen werden, während Gang VI lediglich bis Lagerplatz 7 beschritten wird und danach der Kommissionierer bzw. die Kommissioniererin zum Quergang A zurückkehrt. Allerdings erfordern Mischregeln eine zentrale Planung der Route vorab oder eine vorausschauende Kommissionierung durch erfahrenes Personal. Bei langen Regalreihen und nur wenigen Positionen je Gang führen jedoch auch die beschriebenen Regeln zu vergleichsweise langen Wegzeiten. In solchen Fällen kann über die Anordnung von zusätzlichen Quergängen nachgedacht werden.705 Da zusätzliche Quergänge Fläche benötigen, wirken sich diese allerdings negativ auf die Lagerkapazität aus. Sie ermöglichen jedoch den Wechsel zwischen den Gängen innerhalb des Regalbereichs. Hierdurch können Umwege vermieden werden. Dies wird an dem obigen Beispiel eines Regalbereichs deutlich, welcher um einen Mittelgang erweitert, kürzere Wege ermöglicht (Abbildung 27). Prinzipiell können auch bei zusätzlichen Quergängen die bereits eingeführten Regeln nach entsprechender Modifikation angewendet werden.706 Eine weitere Vorgehensweise für Aufträge mit wenigen Positionen, deren Lagerorte zudem weit über den Regalbereich verstreut sind, ist die Zusammenfassung von mehreren Aufträgen zu einem Gesamtauftrag, der von einer Person auf einer Tour abgearbeitet wird (Batch-Kommissionierung).707 Hierdurch erhöht sich die Anzahl der Entnahmen pro Tour und die gesamte Wegzeit wird auf mehrere Aufträge verteilt, wodurch eine wesentliche Re-

704

Vgl. Petersen (1997), S. 1102.

705

Vgl. Roodbergen/de Koster (2001a), S. 33; de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 487.

706

Vgl. Roodbergen/de Koster (2001b), S. 1868–1871.

707

Vgl. Petersen (2000), S. 321; de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 492; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 544; Henn et al. (2010), S. 84–85.

5.3 Kommissionierung

181

y VI

7

V 5

6

IV

4

III 2

3

II

1

I A

M

E

x

Abbildung 27: Route durch ein Kommissionierlager mit einem mittleren Quergang.

duktion der Wegzeitanteile erfolgt. Gleichzeitig wird damit der Grundsatz der auftragsweisen sequenziellen Kommissionierung aufgegeben. In der Literatur findet sich deshalb für diesen Ablauf auch die Bezeichnung des auftragsparallelen Kommissionierens.708 Bei einstufiger Bearbeitung kommt der kommissionierenden Person zusätzlich die Aufgabe zu, ein entnommenes Gut sofort einem bestimmten Auftrag zuzuordnen („Sort-While-Pick“).709 Diese Tätigkeit kann z.B. durch einen gesonderten Behälter je Auftrag oder Farbmarkierungen unterstützt werden. Trotz solcher Hilfsmittel stellt die erforderliche Zuordnung der entnommenen Güter durch die kommissionierende Person, insbesondere bei höherer Anzahl zusammengefasster Aufträge, eine nennenswerte Fehlerquelle dar.710 Bisher wurde die Kommissionierung auf einer Ebene betrachtet. Werden höhere Regale eingesetzt, die von Kommissionierstaplern oder von Regalbediengeräten (RBG) mit mitfahrenden Personen bedient werden, ist zusätzlich die Höhe als dritte Dimension z bei der Kommissionierungsplanung zu beachten.711 Somit erfolgt die Kommissionierung im Raum. Setzt man eine gangweise Abarbeitung des Auftrags voraus, weil beispielsweise das Regalbediengerät fest in einem Gang installiert ist oder die eingesetzten Kommissionierstapler die Gänge sukzessive nach der Mäanderregel durchfahren, können die einzelnen Gänge isoliert betrachtet werden. Die anzufahrenden Lagerplätze eines Gangs sind über die rechte und linke vertikale Regalwand in x- und z-Richtung verteilt. Auch in diesem Fall müssen die Lagerplätze eines Gangs in der kürzesten Zeit durchlaufen werden. Diese Planungsaufgabe lässt sich somit prinzipiell als Traveling Salesman Problem712 beschreiben. Allerdings sind dabei die ggf. unterschiedlichen Geschwindigkeiten der eingesetzten Geräte in x- und z-Richtung sowie deren typische Bewegungsmuster zu beachten.713 708

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 263.

709

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 16. Zur nachträglichen Sortierung bei zweistufiger Kommissionierung siehe Abschnitt 5.3.4.

710

Vgl. Lolling (2002a), S. 89.

711

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 14; Arnold/Furmans (2009), S. 221–223.

712

Siehe dazu 3.4.2.

713

Siehe dazu Arnold/Furmans (2009), S. 197–200.

182

5 Physische Lagerung

Die Schnittstelle zwischen der Planung und der Ausführung der Kommissionierung bildet die Steuerung. Im Rahmen der Steuerung werden den eingesetzten Personen gezielt Informationen weitergegeben, um sie zum gewünschten Vollzug der geplanten Handlungen zu bewegen.714 Deshalb findet sich zur Kennzeichnung dieser Aufgabe auch der Begriff der Kommissionierführung.715 Bei diesen Informationen handelt es sich neben solchen, die aus dem Auftrag übernommen werden (z.B. Artikelnummer, Benennung, Menge, Packeinheit), vor allem um Lagerplatzinformationen (Lagerort) und um einzelne Ergebnisse der Planung (z.B. Routen, Zuordnung der Position zu Einzelaufträgen). Die Informationsweitergabe und die Rückmeldung der Kommissionierer erfolgen in der Realität durch unterschiedliche Verfahren und technische Hilfsmittel. Traditionell wird aus dem Auftrag eine Kommissionierliste erzeugt und dem Kommissionierer bzw. der Kommissioniererin als Ausdruck zur Verfügung gestellt. Auf der Papierliste finden sich in der Regel die Positionen des Auftrags in der Reihenfolge der geplanten Route, ergänzt um Angaben über den Lagerort und ggf. weiteren Hinweisen. Die Positionen werden sukzessive abgearbeitet. Zu Kontrollzwecken werden die bearbeiteten Positionen i.d.R. auf der Liste markiert. Ebenso lassen sich Fehlmengen oder andere Fehler vermerken. Die verwendeten Papierlisten werden häufig am Ende der Tour gesammelt und nachträglich ausgewertet. Kommissionierlisten können mit Barcodes bedruckt sein, die den direkten Abgleich mit einem Barcode auf dem Gut oder am Regalplatz erlauben. Als weitere Möglichkeit finden Kommissionierlisten mit Klebeetiketten Verwendung. Diese werden abgezogen und an die entnommenen Logistikeinheiten geklebt, um diese zu kennzeichnen. Gleichzeitig wird durch das Entfernen der Etiketten von der Liste die Entnahme dokumentiert. Prinzipiell die gleiche Funktion wie Papierlisten erfüllen „elektronische Kommissionierlisten“, die auf Bildschirmen oder Handgeräten angezeigt werden. Die Erzeugung von Papierdokumenten, die bei der Tour mitgeführt werden müssen, lässt sich hierdurch vermeiden. Darüber hinaus ist bei solchen Geräten i.d.R. eine unmittelbare Quittierung der bearbeiteten Position, z.B. durch manuelle Eingabe oder Einscannen von Barcodes, möglich. Da Listen mit mehreren Positionen die Gefahr von Lesefehlern erhöhen, wird in der Regel nur die nächste zu bearbeitende Position angezeigt. Durch die sukzessive Anzeige der Positionen wird zudem die kommissionierende Person zur Einhaltung der geplanten Reihenfolge der Entnahme gezwungen. Papierlisten oder Anzeigen auf Bildschirmen müssen aktiv gelesen werden und lenken die Mitarbeiter hierdurch beim Gehen oder Fahren ab. Außerdem müssen Papiere bzw. erforderliche Geräte mitgeführt werden. Diese Nachteile werden durch neuere Verfahren der Kommissionierführung vermieden. Die Sprachkommissionierung durch das Verfahren „Pick-byVoice” beruht auf der Kommissionierführung durch sprachliche Anweisung. Ebenso kann der Kommissionierer bzw. die Kommissioniererin eine Entnahme durch das gesprochene Wort quittieren oder das System zur Wiederholung der Sprachausgabe auffordern. Als Geräte sind lediglich ein Kopfhörer und ein Mikrofon sowie eine Sende- und Empfangseinheit mitzuführen. Mit dem Begriff „Pick-by-Light” werden Verfahren der Kommissionierführung 714

Analog erfolgt die Informationsübertragung an technische Einrichtungen insbesondere bei der Kommissionierung Ware-zum-Menschen.

715

Vgl. Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 266–269.

5.3 Kommissionierung

183

umschrieben, die auf optischen Signalen beruhen. Beispielsweise können an jedem Regalplatz Signallampen angebracht sein, die aufleuchten, wenn sich der Mitarbeiter zu diesem Platz bewegen soll. Weiterhin sind dort i.d.R. Anzeigen, welche die Anzahl der zu entnehmenden Einheiten angeben, sowie Bedienfelder, die eine Bestätigung der Entnahme ermöglichen, zu finden. Da solche Einrichtungen an jedem Lagerplatz angebracht werden müssen, wird der Aufwand für ein solches Verfahren wesentlich durch die Anzahl der Lagerplätze bestimmt. Aus Sicht der ausführenden Mitarbeiter muss der sehr hohe Grad an Fremdbestimmung bei der Anwendung der Verfahren Pick-by-Light und Pick-by-Voice kritisch angemerkt werden, denn die kommissionierenden Personen fungieren dabei lediglich als manuell ausführende Organe eines maschinellen Steuerungsapparats. Hinsichtlich der Fehlerhäufigkeit lassen sich keine eindeutigen Aussagen für oder gegen einzelne Methoden der Kommissionierführung treffen. So konnte Lolling zwar eine sehr geringe Fehlerhäufigkeit der Sprachkommissionierung feststellen.716 Dieses Ergebnis beruht jedoch auf einer vergleichsweise kleinen Anzahl von Fällen. Ebenso zeigte auch die klassische Kommissionierung auf Basis von Papierlisten im Vergleich zu anderen Verfahren der Kommissionierführung unterdurchschnittliche Fehlerraten.

5.3.4

Planung und Steuerung der mehrstufigen Kommissionierung

Bereits im vorangegangenen Abschnitt wurde die Problematik von Aufträgen mit vergleichsweise geringer Anzahl von Positionen angeführt. Müssen solche Aufträge aus einem großen Sortiment zusammengestellt werden, das über weite Lagerbereiche verteilt ist, sollte über den Einsatz einer mehrstufigen Kommissionierung nachgedacht werden, um die resultierenden Wegzeiten zu verringern. Ein Beispiel dafür ist die Erfüllung von Kundenaufträgen im Versandhandel. Wesentliches Merkmal der mehrstufigen Kommissionierung ist die Trennung der Zusammenstellung in Handlungen der Entnahme und in nachfolgende Prozesse der Zusammenführung der Positionen eines Auftrags. Dabei lassen sich drei gebräuchliche Formen der mehrstufigen Kommissionierung unterscheiden:717 • Auftragsparalleles Kommissionieren mit nachfolgender Trennung, • Sequenzielles Kommissionieren in Zonen, • Simultanes Kommissionieren in Zonen.

Im vorangegangenen Abschnitt wurde als Verfahren der einstufigen Kommissionierung die auftragsparallele Bearbeitung mit sofortiger Zuordnung der entnommenen Güter zu einem Auftrag vorgestellt. Das auftragsparallele Kommissionieren mit nachfolgender Trennung verschiebt den Arbeitsschritt der Zuordnung („Sort-After-Pick“).718 Die Positionen des vorab gebildeten Gesamtauftrags („Batch“) werden somit zunächst ohne Berücksichtigung

716

Vgl. Lolling (2002b), S. 113–115.

717

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 484–485; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 544. Zu einem engeren Verständnis der Mehrstufigkeit siehe Ten Hompel/Schmidt/Nagel (2007), S. 264.

718

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 16.

184

5 Physische Lagerung

der Zugehörigkeit zu einem Einzelauftrag vollständig abgearbeitet. Am Ende der Tour liegt eine Gesamtmenge vor, die Güter der verschiedenen Aufträge ungeordnet enthält. Durch die Verschiebung der Zuordnung entsteht die Möglichkeit, die Trennung dieser Gesamtheit nicht manuell am Lagerplatz, sondern automatisiert durch entsprechende Sortieranlagen in speziellen Lagerbereichen vorzunehmen.719 Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Kennzeichnung der kommissionierten Güter, die eine maschinelle Erkennung der Zugehörigkeit erlaubt. Eine solche Kennzeichnung kann beispielsweise durch die Verwendung der bereits erwähnten Klebeetiketten der Kommissionierliste oder durch das Anbringen von RFIDTranspondern erfolgen. Eine weitere Vorgehensweise zur Reduktion von langen Wegzeiten bei großen Sortimenten ist die Bildung von mehreren getrennten Kommissionierzonen.720 Diese werden beispielsweise nach sachlichen Gütermerkmalen oder nach der Art der Logistikeinheiten gebildet. Neben der Verkürzung von Wegzeiten wird hierdurch gleichzeitig eine größere Vertrautheit des Personals mit dem Sortiment ihrer Zone erreicht. Mit der Bildung von Zonen ist jedoch die Aufgabe verbunden, die Positionen eines Auftrags diesen Zonen zuzuordnen. Der Kommissionierer, der in einer bestimmten Zone eingesetzt ist, kommissioniert nur „seine“ Positionen. Da in einer Zone lediglich ein Teil der Positionen eines Auftrags bearbeitet wird, muss eine Zusammenführung der gebildeten Teilmengen erfolgen, woraus der mehrstufige Charakter des Prozesses resultiert. Die Zusammenführung der Teilmengen kann durch zwei unterschiedliche Vorgehensweisen geschehen.721 Im Fall des sequenziellen Kommissionierens durchläuft ein Auftrag nacheinander jene Zonen, in denen die erforderlichen Güter lagern. Die Kommissionierführung kann beispielsweise durch eine Kommissionierliste erfolgen, auf der die Positionen nach Zonen sortiert sind. In einer Zone werden die erforderlichen Entnahmen vorgenommen und sodann die Güter zusammen mit der Kommissionierliste in einem entsprechenden Behältnis an die nächste Zone weitergeleitet. Der Transfer zwischen den Zonen erfolgt i.d.R. mit Hilfe von Stetigförderern. Hat der Auftrag die letzte Zone durchlaufen, sind die im Auftrag genannten Güter vollständig zusammengestellt. Im Gegensatz dazu werden beim simultanen Kommissionieren in Zonen die Teilmengen in den verschiedenen Zonen nahezu zeitgleich zusammengestellt und im Nachhinein mit Hilfe einer Sortieranlage zusammengeführt.722 Im Vergleich zur sequenziellen Kommissionierung kann hierdurch die Durchlaufzeit eines Auftrags gesenkt werden. Allerdings steht diesem Vorteil der Nachteil eines finalen Sortierprozesses gegenüber. Wird das simultane Kommissionieren in Zonen mit der auftragsparallelen Zusammenstellung kombiniert,723 kann dieser Sortierprozess jedoch gleichzeitig zur Trennung von Gütermengen genutzt werden. Eine solche Kombination ist vor allem dann sinnvoll, wenn vergleichsweise große Zonen gebildet wurden und ein Auftrag für eine Zone nur wenige Positionen enthält.

719

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 16–17.

720

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 491.

721

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 491–492.

722

Vgl. de Koster/Le-Duc/Roodbergen (2007), S. 497.

723

Vgl. Gu/Goetschalckx/McGinnis (2010), S. 544.

6

Lagerhaltung

In diesem Kapitel wird die Lagerhaltung als logistische Teilfunktion betrachtet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Gütermengen erforderlich sind, um den notwendigen Grad faktischer Verfügbarkeit zu vertretbaren Kosten zu gewährleisten. Primäres Ziel dieser Überlegungen ist somit die Effizienz der Lagerhaltung. Die Höhe von Beständen darf deshalb kein zufälliges Ereignis darstellen, sondern muss die Folge bewusster Handlungen sein. Wesentliche Bestimmungsgrößen des Gesamtbestands in Lagern sind die gewählten Bestellmengen und die festgesetzten Sicherheitsbestände. Beide Größen sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden. Die Grundlage dazu stellen Überlegungen zum Zusammenhang von Lagerhaltung und Bestandsmanagement, zur Bedarfsplanung und zu den grundsätzlichen Möglichkeiten der Lagerauffüllung dar.

6.1

Grundlagen der Lagerhaltung

6.1.1

Lagerhaltung und Bestandsmanagement

An mehreren Stellen in diesem Buch finden sich bereits Bezüge zu dem Phänomen von Beständen an Gütern und Abfällen. Im Rahmen der einführenden Gedanken des Abschnittes 1.1.2 wurden der logistischen Teilfunktion der Lagerhaltung all jene dispositiven Aufgaben zugewiesen, deren Erfüllung einen Einfluss auf die Bestandshöhen insbesondere in Lagern ausüben. Allerdings wurde der Begriff des Bestands bisher nicht geklärt. Ein Bestand ist eine Menge vorhandener Materialien, Erzeugnisse oder Abfälle, an der gewollt oder ungewollt ein zeitlicher Transferprozess vollzogen wird. Bestände befinden sich primär in Lagerhäusern und internen Lagerbereichen, denn zum Zweck der Aufnahme von Beständen werden Vorratslager errichtet und betrieben.724 Bestände umfassen jedoch mehr als diese Vorräte im engeren Sinne. Selbst in reinen Umschlaglagern befinden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt Gütermengen, die gerade umsortiert oder umgeschlagen werden. Prozesse der physischen Lagerung sind somit stets mit Lagerbeständen verbunden. Auch in Bereichen, die primär der Transformation von Gütern dienen, existieren Bestände. Solche Produktionsbestände bestehen zum einen aus den Objekten, die gerade bearbeitet, montiert oder geprüft werden. Daneben zählen hierzu bereitgestellte Materialien, Zwischenprodukte und Fertigerzeugnisse. Insbesondere bei mehrstufigen Produk724

Siehe dazu Abschnitt 5.1.1.

186

6 Lagerhaltung

tionsprozessen, die eine längere Durchlaufzeit zur Folge haben, können solche Bestände eine beachtliche Größe erreichen. Auch im Rahmen von internen und externen Transporthandlungen entstehen Bestände, da ein räumlicher Transfer stets mit einem zeitlichen Transfer verbunden ist. Transportbestände fallen dabei vor allem bei langen Wegen und Transportzeiten ins Gewicht. Ein Beispiel dafür sind interkontinentale Seeverkehre. Bestände sind in der Regel das Resultat geplanter und beabsichtigter Handlungen. Entscheidungen über Sicherheitsbestände, gewählte Bestellmengen und Fertigungslose, angestrebte Maschinenauslastungen sowie die Transportmittelauswahl beeinflussen typischerweise die Bestandshöhe in einem Unternehmen. Daneben können sich in Betrieben auch unbeabsichtigte Bestände bilden. Beispielsweise bleiben die Kundenbestellungen deutlich hinter den Prognosen zurück, wodurch unerwartet hohe Bestände in einem Distributionslager entstehen. Ein weiteres Beispiel sind Warteschlagen vor Produktionsmaschinen, die sich aufgrund technischer Probleme bilden. Aufgabe des Bestandsmanagements ist die umfassende Beeinflussung all dieser Effekte. Bestandsmanagement geht somit über die logistische Teilfunktion der Lagerhaltung im engeren Sinne hinaus.725 Bestände üben einen wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit der Logistik aus. Bestände erfordern Raum. Sie müssen vor Verlust, Verderb und Alterung geschützt und, sofern dies nicht gelingt, ersetzt werden. Folge davon sind Lagerhaltungskosten beispielsweise in Form von Aufbewahrungskosten und Versicherungskosten.726 Bestände sind zudem Teil des Umlaufvermögens eines Unternehmens. Investitionen in Bestände erfordern Kapital. Damit verursachen Lager-, Produktions- und Transportbestände in Abhängigkeit von ihrem monetären Wert Kapitalbindungskosten im Sinne von Zinskosten für die zu ihrer Beschaffung oder Herstellung eingesetzten finanziellen Mittel. In der betrieblichen Praxis dominiert deshalb häufig ein einseitig negatives Bild von Beständen und deren Wirkungen. Als Folge davon finden sich zahlreiche Ansätze zur Bestandssenkung, wie z.B. die Verkürzung von Durchlaufzeiten, der Verzicht auf Fertigwarenlager, die Verkleinerung von Bestellmengen, die Verbesserung der Bedarfsprognose, die Zentralisation von Lagerbeständen zur Reduktion von Sicherheitsbeständen.727 Insbesondere Entscheidungsträger außerhalb des Logistikbereichs erheben nicht selten die Verkleinerung von Beständen zum Selbstzweck. Dabei werden jedoch zu leicht die wichtigen Funktionen von Beständen, insbesondere von Lagerbeständen, übersehen. Ausreichende Lagerbestände ermöglichen im Sinne einer Bevorratung die schnelle und sichere Deckung von Bedarfen, selbst wenn diese im Zeitverlauf schwanken und nur unzureichend prognostizierbar sind.728 Ebenso reduzieren Lagerbestände Versorgungsrisiken, welche durch Verknappungen oder sogar Unterbrechungen des Angebots verursacht werden. Darüber hinaus gleichen sie saisonale Schwankungen des Angebots und der Nachfrage aus, ermöglichen Größendegressionseffekte durch die Bildung von Produktionslosen und die Zusammenfassung von Kleinsendungen zu Ganzladungstransporten und reduzieren die Abhängigkeit von schwankenden

725

Siehe dazu Band 2.

726

Zur genaueren Abgrenzung der Kosten der Lagerhaltung siehe Abschnitt 6.2.1.

727

Vgl. Baker (2007), S. 66.

728

Vgl. Baker (2007), S. 65–66; Gu/Goetschalckx/McGinnis (2007), S. 1.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

187

Marktpreisen.729 Durch bewusst gebildete Bestände lässt sich somit die Anfälligkeit von komplexen Versorgungsketten gegen interne und externe Störungen reduzieren.730 Durch Bestandsbildung können zudem komplexe Prozesse entkoppelt und hierdurch für Entscheidungsträger überschaubar werden. Generell sollte deshalb die einseitige Verdammung von Beständen unterbleiben. Vielmehr sind die negativen und positiven Wirkungen von Vorräten sorgsam zu ermitteln und abzuwägen. Zur Bestimmung des in einer bestimmten Situation angemessenen Grades der Bestandsbildung kann auf die klassischen drei Prinzipien der Bereitstellung von Gütern zurückgegriffen werden.731 Beim Prinzip der Beschaffung oder Produktion im Bedarfsfall werden Beschaffungs- bzw. Fertigungsaufträge frühesten dann generiert, wenn der Bedarf terminlich und sachlich determiniert ist. Beschaffte bzw. erzeugte Güter werden damit vollständig einer vorbestimmten Verwendung als Faktoreinsatz oder als zu veräußerndes Gut zugeführt. Hierdurch erfolgt keine Vorratsbildung. Bestände entstehen lediglich ungewollt, wenn sich eine Bereitstellung zu früh oder eine beabsichtigte Verwendung zu spät ereignet. Die Bestandskosten sind deshalb gering. Das Hauptproblem dieser Form der Bereitstellung liegt in der rechtzeitigen Verfügbarkeit. Der Zeitraum zwischen dem Bekanntwerden des Bedarfs und der tatsächlichen Verwendung muss ausreichen, das benötigte Gut zu beschaffen oder zu erstellen. Übersteigen die Liefer- bzw. Fertigungszeiten diesen Zeitraum, entstehen Fehlmengen. Die Anwendbarkeit dieses Prinzips hängt somit wesentlich von den am Markt realisierbaren Lieferzeiten bzw. von den internen Durchlaufzeiten ab. Können beispielsweise Beschaffungsquellen genutzt werden, die eine Lieferung von standardisierten Gütern über Nacht gewährleisten, so ist dieses Prinzip auch bei vergleichsweise kurzfristig auftretenden Bedarfen möglich. Vorratshaltung ist dagegen notwendig, wenn die Lieferzeiten bzw. die internen Durchlaufzeiten zu lang sind, um einen entstehenden Bedarf rechtzeitig zu decken. Wesentlicher Vorteil dieser Form der Bereitstellung ist die – von Zeiten der Auslagerung bzw. Kommissionierung abgesehen – sofortige Verfügbarkeit dieser Güter. Daneben können auch alle anderen bisher aufgezeigten Funktionen von Beständen, z.B. die Realisation von Größendegressionseffekten, als Argumente für die Lagerhaltung dienen. Die hierdurch verursachten positiven Effekte sind in diesem Fall den Lagerkosten gegenüberzustellen, die durch die Bevorratung entstehen. Die Höhe der Bestände bei Vorratshaltung wird wesentlich durch die Wiederauffüllung des Lagers, d.h. insbesondere durch die verwendeten Bestellmengen, bestimmt. Eine weitere Einflussgröße bilden die gewählten Sicherheitsbestände. Grundlage für diese Größen ist die Abschätzung zukünftiger Bedarfe bzw. Bedarfsschwankungen.

Die dritte Form der Bereitstellung versucht, auch bei längeren Liefer- bzw. Produktionszeiten eigene Lagerbestände weitgehend zu vermeiden. Die einsatzsynchrone Bereitstellung stellt eine Modifikation des Prinzips der Beschaffung im Bedarfsfall dar und eignet sich für Güter, deren Bevorratung einerseits zu teuer und zu risikoreich ist, deren Bereitstellung im Bedarfsfall andererseits an zu langen Liefer- bzw. Produktionszeiten scheitert. Die an einem Tag oder sogar innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Stunden benötigten Gütermengen wer729

Vgl. Pfohl (2010), S. 88–89.

730

Vgl. Baker (2007), S. 66–67.

731

Vgl. Grochla (1978), S. 23–29.

188

6 Lagerhaltung

den kurzfristig abgerufen und ohne Zwischenlagerung möglichst direkt den Bedarfsträgern zur Verfügung gestellt. Hierdurch erfolgt die zeitliche Abstimmung (Synchronisation) von Bereitstellung und Verbrauch. Als Konsequenz ergeben sich vergleichsweise geringe Bestände. Die für die Realisation einer solchen Versorgung benötigten kurzen Lieferzeiten und hohen Termintreuen können im einfachsten Fall durch die Verlagerung der Vorräte zum Lieferanten erreicht werden. Diese Form der einsatzsynchronen Bereitstellung entspricht allerdings lediglich einer schnellen Bereitstellung von kleinen Mengen im Bedarfsfall, wobei im Vergleich zur Vorratshaltung mit steigenden Transport- und Bestellkosten aufgrund kleinerer Sendungsgrößen zu rechnen ist. Vorteilhaft ist diese Vorgehensweise deshalb nur dann, wenn der Lieferant mit diesem Gut mehrere Abnehmer beliefert und durch die Zentralisation der Bestände eine Reduktion der Lagerhaltungskosten erreicht wird.732 Ist dies nicht der Fall, da es sich beispielsweise um abnehmerspezifische Güter handelt, findet auf diese Weise eine reine Überwälzung von Lagerhaltungskosten auf den Lieferanten statt, die bereits von Grochla kritisiert wird.733 Die Potenziale der einsatzsynchronen Bereitstellung können dagegen entfaltet werden, wenn es gelingt, nicht nur die Bereitstellung und den Verbrauch zeitlich abzustimmen, sondern auch die Erzeugung der bereitgestellten Güter. In diesem Fall bietet die einsatzsynchrone Bereitstellung insbesondere bei der Erstellung von Produktvarianten im Rahmen der Großserienfertigung wesentliche Vorteile gegenüber den beiden anderen Prinzipien. Grundlage dafür stellt die zeitlich gestaffelte Planung der Bedarfe dar. Die zunächst groben mittelfristigen Plandaten werden den externen bzw. internen Lieferanten frühzeitig zur Verfügung gestellt, die auf dieser Informationsbasis unspezifische Materialien beschaffen oder einzelne Komponenten und Baugruppen vorfertigen und auf Lager halten können. Im Vergleich zum Prinzip der Vorratshaltung werden statt der bereitzustellenden Produkte lediglich vergleichsweise unspezifische Vorprodukte von geringerem Wert gelagert. Die Fertigstellung der Erzeugnisse wird auf jenen Zeitpunkt verschoben, an dem die genaue Spezifikation und Menge der benötigten Varianten feststeht. Durch diese als „Produktions-Postponement“ bezeichnete Vorgehensweise bleiben die Lagerhaltungskosten des Lieferanten vergleichsweise klein und das Produkt kann trotzdem innerhalb der verbleibenden Zeit bereitgestellt werden, sofern dieser Zeitraum zur Durchführung der noch erforderlichen Produktions- und Logistikprozesse ausreicht.734 In diesem Fall lässt sich eine abgestimmte „Just-in-Time“ Produktion (JIT) realisieren.735 Erfordert die Verwendung der bereitgestellten Güter die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge der unterschiedlichen Varianten, wie dies beispielsweise in der Automobilindustrie der Fall ist, so kann die JIT-Produktion zur Bereitstellung „Just-inSequence“ erweitert werden.736

732

Siehe dazu Band 2.

733

Vgl. Grochla (1978), S. 26.

734

Vgl. Pagh/Cooper (1998), S. 14.

735

Vgl. Wildemann (1991), S. 150–151.

736

Vgl. Thun/Drücke/Camargos (2007), S. 21–22.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

6.1.2

189

Bedarfsermittlung als Ausgangspunkt der Lagerhaltung

Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, stellen Lagerbestände kein generelles Übel und andererseits jedoch auch keinen Selbstzweck dar, sondern erfüllen die Funktion der Deckung von auftretenden Bedarfen. Grundlage der Lagerhaltung ist deshalb die Ermittlung der Bedarfe, die in einer Periode zu erwarten sind. In Betrieben treten Bestände an Materialien, Erzeugnissen und ggf. an Handelswaren auf. Entsprechend muss sich die Bedarfsermittlung sowohl auf die Ermittlung der eigenen Bedarfe an Werk- und Betriebsstoffen als auch auf die Bestimmung der kundenseitigen Bedarfe an Erzeugnissen und Handelswaren erstrecken. Die Ermittlung von Bedarfen lässt sich prinzipiell in einen qualitativen und in einen quantitativen Bereich unterteilen. Gegenstand der qualitativen Bedarfsermittlung ist die Bestimmung jener Güter nach Art und Güte, die in einer Periode benötigt werden. Im Rahmen der Planung des Produktprogramms werden die Erzeugnisse und Handelswaren sowie deren Merkmale ermittelt, die auf dem Markt angeboten werden sollen. Analog dazu erfolgt im Rahmen der Planung des Materialsortiments die Festlegung, welche Werk- und Betriebsstoffe im Unternehmen Verwendung finden. Für die Logistik, deren Verantwortungsbereich sich auf den räumlichen und zeitlichen Transfer dieser Güter erstreckt, stellt die Mitwirkung an der qualitativen Bedarfsermittlung eine wichtige Einflussmöglichkeit auf die Effizienz dieser Prozesse dar. Beispielsweise kann im Rahmen der Bestimmung des Materialsortiments auf die Standardisierung und damit die Reduktion der Anzahl der verwendeten Materialien geachtet werden. Analog dazu bietet die Mitwirkung bei der Produktplanung die Chance, eine aus Sicht der Logistik zu große Breite und Tiefe der Angebotspalette zu vermeiden. Die Erfüllung der Aufgabe der qualitativen Bedarfsermittlung geht jedoch weit über das Tätigkeitsfeld der Logistik hinaus und ist deshalb berechtigterweise ebenso auf Ziele der Forschung und Entwicklung, der Produktion und des Marketings ausgerichtet. Während sich die qualitative Bedarfsermittlung dem Was widmet, beschäftigt sich die quantitative Bedarfsermittlung mit den daran unmittelbar anschließenden Fragen nach dem Wie viel und dem Wann. Die quantitative Bedarfsermittlung umfasst die Aufgabe der Bestimmung der erforderlichen Mengen an Werk- und Betriebsstoffen, Erzeugnissen und Handelswaren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem festgelegten Zeitraum benötigt werden. Neben der zu Beginn des Abschnitts angeführten Unterscheidung nach den Bedarfsträgern ist die Unterscheidung nach dem Grad der Unsicherheit für die Bedarfsermittlung von wesentlicher Bedeutung. Sichere Bedarfe resultieren aus bereits getroffen Nutzungsentscheidungen oder eingetreten Zuständen. Die Menge und der Bedarfszeitpunkt sind in einem solchen Fall determiniert. Unsichere Bedarfe stellen dagegen lediglich Bedarfserwartungen dar. Die in einem bestimmten Zeitraum zu erwartenden Mengen stehen dabei nicht fest, sondern unterliegen Schwankungen. Prinzipiell ist sogar der Fall eines Nichtbedarfs, d.h. einer Menge von Null, in einer Periode möglich. Durch die Kombination dieser beiden Merkmale und den jeweils möglichen Ausprägungen lassen sich vier Anwendungsfelder der Bedarfsermittlung unterscheiden.

190

6 Lagerhaltung

Eigene Bedarfe

Kundenseitige Bedarfe

Determinierte Bedarfe

Programmorientierte Materialbedarfsplanung

Verbindliche Einplanung vorliegender Aufträge

Bedarfserwartungen

Grad der Unsicherheit

Bedarfsträger

Verbrauchsorientierte Materialbedarfsplanung

3

1

Nachfrageprognose

4

2

Abbildung 28: Anwendungsfelder der Bedarfsermittlung.

Ausgangspunkt der Bedarfsplanung sind die kundenseitigen Bedarfe an den Erzeugnissen und Handelswaren eines Unternehmens. Liegen mit ausreichendem zeitlichem Vorlauf Bestellungen der Kunden vor, so kann die Ermittlung der kundenseitigen Bedarfe durch das verbindliche Einplanen der beauftragten Mengen vorgenommen werden (Fall 1). Der Kunde erhält eine entsprechende Auftragsbestätigung zu einem festgelegten Termin. Aufträge, die aufgrund von Engpässen oder unzureichenden Erfolgsbeiträgen nicht angenommen werden, führen aus Sicht des Unternehmens zu keinem kundenseitigen Bedarf an diesem Erzeugnis. Die bestätigten Mengen werden aggregiert und den einzelnen Perioden zugeordnet. Auf diese Weise ergibt sich in diesem Fall der gesamte Primärbedarf. Statt einzelner Bestellungen können auch bestehende Sukzessivlieferungsverträge für die Planung genutzt werden. Bei Sukzessivlieferung im engeren Sinne, dem Ratenlieferungsvertrag, werden in einem Übereinkommen die Lieferung einer bestimmten Menge eines Gutes innerhalb eines längeren Zeitraums fest vereinbart und für die Lieferung der Teilmengen bestimmte Termine festgelegt (Lieferplan).737 Eine Sonderform der Sukzessivlieferung sind Abrufverträge. Diese enthalten zwar eine verbindliche Vereinbarung der Gesamtmenge für einen Zeitraum. Da die konkreten Abrufmengen und Liefertermine jedoch nicht im Vorhinein feststehen, ergeben sich daraus Unsicherheiten für die Bedarfsermittlung. Rahmenverträge eignen sich dagegen nur als grobe Orientierung für die Ermittlung zukünftiger Bedarfe der Kunden. Solche Vereinbarungen enthalten jedoch in der Regel nur unverbindliche Absichtserklärungen über Gütermengen oder sogar nur beabsichtigte Einkaufsvolumen.738 Bei sehr kurzen Lieferzeiten und dem Fehlen von mittelfristigen Vereinbarungen stehen Informationen über verbindliche kundenseitige Bedarfe an Erzeugnissen und Handelswaren des Unternehmens nicht oder zumindest nicht rechtzeitig zur Verfügung, um die eigenen 737

Vgl. Large (2009a), S. 209.

738

Vgl. Large (2009a), S. 211.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

191

Produktions- und Beschaffungshandlungen auf dieser Basis planen und durchführen zu können. Deshalb erfolgt mit dem notwendigen zeitlichen Vorlauf zunächst eine Prognose der Kundennachfrage (Fall 2). Die daraus gewonnenen Nachfrageerwartungen werden im Rahmen der Produktionsprogrammplanung mit den eigenen Produktionsmöglichkeiten abgeglichen (Kapazitäten) und daraus der Primärbedarf abgeleitet.739 Durch diese zweistufige Vorgehensweise wird ausgehend von der Nachfrageprognose eine Einschätzung der kundenseitigen Bedarfe, die in einer zukünftigen Periode zu befriedigen sind, ermöglicht. Neben der rein subjektiven Schätzung aufgrund von Erfahrungswerten und allgemeinen Zukunftserwartungen bietet sich für die Prognose der Kundennachfrage vor allem die mathematische Bestimmung mit Hilfe statistischer Modelle an.740 Grundlage für diese Prognosemodelle ist die Kenntnis der Nachfragemengen der Vergangenheit, die je Erzeugnis für einen ausreichend langen Zeitraum als Zeitreihe vorliegen müssen. In Anlehnung an Tempelmeier sollte dabei die folgende prinzipielle Vorgehensweise gewählt werden: • • • • •

Analyse der Zeitreihe, Auswahl eines angemessenen Prognosemodells, Parameterschätzung des Prognosemodells, Berechnung des Prognosewerts, Evaluation der Schätzung.741

Ausgangspunkt der Nachfrageprognose sollte stets die Analyse der vorliegenden Zeitreihe sein. Dabei ist zunächst auf eine ausreichende Regelmäßigkeit zu achten. Schwanken die Nachfragewerte der Vergangenheit sehr stark, so ist mit einer vergleichsweise schlechten Prognosequalität zu rechnen. Problematisch sind dabei insbesondere Güter mit nur gelegentlichen Bedarfen, d.h. Produkte bei denen in der Vergangenheit in mehreren Perioden keine Nachfrage zu verzeichnen war.742 Weiterhin wird die Zeitreihe auf ihren prinzipiellen Verlauf untersucht. Beispielsweise kann die Nachfrage um einen gleichbleibenden Wert schwanken, im Zeitablauf kontinuierlich sinken oder ein ausgeprägtes Ansteigen jeweils zum Jahresende aufzeigen. In diesen Fällen ist somit eine gleichbleibende Nachfrage, eine Nachfrage mit trendförmigen Verlauf bzw. eine saisonale Nachfrage anzunehmen. Abbildung 29 zeigt als Beispiele einen trendförmigen Nachfrageverlauf sowie eine nahezu gleichbleibende Nachfrageentwicklung über 10 Perioden für ein bestimmtes Produkt auf.743

739

Zur Einordnung der Produktionsprogrammplanung siehe z.B. Bloech et al. (2008), S. 125–127; Günther/ Tempelmeier (2012), S. 147–148.

740

Siehe dazu z.B. Syntetos/Boylan/Disney (2009).

741

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 37.

742

Vgl. Syntetos/Boylan/Disney (2009), S. S153.

743

Für Nachfrageverläufe mit saisonalen Schwankungen sei auf die Spezialliteratur verwiesen. Siehe dazu z.B. Tempelmeier (2008), S. 69–85.

192

6 Lagerhaltung

136 138

111

127

131 103

147

140 108

109

150

100

100

50

50

0

210

200

200 150

237

250

250

t*-9 t*-8 t*-7 t*-6 t*-5 t*-4 t*-3 t*-2 t*-1

t*

0

136

148

157 131

181

168

189

143

t*-9 t*-8 t*-7 t*-6 t*-5 t*-4 t*-3 t*-2 t*-1

t*

Abbildung 29: Beispiel für ein Produkt mit gleichbleibendem und für eines mit trendförmigem Nachfrageverlauf.

Die Analyse der Zeitreihe bildet die Grundlage für die Auswahl eines angemessenen Modells zur Prognose der Nachfrage.744 Eine Zeitreihe besteht im vorliegenden Fall aus einer Anzahl von in der Vergangenheit realisierten Nachfragemengen yt eines Gutes, wobei der jüngste Wert für die Periode t* zur Verfügung steht. Liegt – von zufälligen Schwankungen abgesehen – eine nahezu gleichbleibende Nachfrage vor, kann ein Prognosewert pt+1 für eine beliebige Periode t + 1 im einfachsten Fall als arithmetisches Mittel der Mengen der vorangehenden Perioden bestimmt werden. Auf diese Weise ergibt sich auch der Prognosewert pt*+1 als Mittelwert der Nachfragemengen yt für t ≤ t*. Für das obige Beispiel (Abbildung 29, links) beträgt dieser Wert 125 Stück. Dabei werden alle Nachfragemengen yt der Zeitreihe gleich gewichtet. Sollen dagegen neuere Werte stärker berücksichtigt werden als alte, bietet sich eine Prognose mit Hilfe der exponentiellen Glättung erster Ordnung an. Der Prognosewert pt+1 entspricht dabei dem gleitenden Durchschnitt yt(1) der Periode t: (60)

(1) p t +1 = y (1) t = g ⋅ y t + (1 − g )⋅ y t −1

Die Bestimmung des Prognosewerts erfordert entsprechend der Gleichung (60) die sukzessive Berechnung der geglätteten Nachfrage der Vorperioden. Sollen alle Werte der Zeitreihe genutzt werden, so ist in dem obigen Beispiel für die Periode t* – 10 ein Startwert yt*–10(1) zu wählen. Der Glättungsparameter g dient der Gewichtung der aktuellen Nachfrage in der Periode t gegenüber älteren Nachfragemengen. Wird g = 1 gewählt, so entspricht die geglättete Nachfrage der Istnachfrage. Mit g = 0 würde sich jeweils der Startwert ergeben. Im vorliegenden Beispiel wurde zur Berechnung der Mittelwert als Startwert und ein Glättungsparameter von 0,2 verwendet (Tabelle 27). Für das Beispiel ergibt sich somit ein Prognosewert pt*+1 in Höhe von 126 Stück. Liegt ein trendförmiger Verlauf vor (Abbildung 29 rechts), würde die Bestimmung des Prognosewerts mit Hilfe der Mittelwertbildung oder der exponentiellen Glättung erster Ordnung zu einem systematischen Fehler führen. Im Fall eines trendförmigen Verlaufs lässt sich die Nachfragemenge y in einer bestimmten Periode t vielmehr als lineare Funktion wie folgt abbilden. (61)

744

y t = β 0 + β1 ⋅ t + ε t

Zu den folgenden Prognoseverfahren siehe z.B. grundlegend Grochla (1978), S. 61–69; Günther/Tempelmeier (2012), S. 152–158, sowie ausführlich Tempelmeier (2008), S. 40–69.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

193

Tabelle 27: Exponentielle Glättung erster Ordnung. t

yt

yt(1)

t* – 10



125

t* – 9

136

127

t* – 8

138

129

t* – 7

111

125

t* – 6

127

125

t* – 5

103

121

t* – 4

131

123

t* – 3

108

120

t* – 2

140

124

t* – 1

109

121

t*

147

126

Dabei steht der Koeffizient β0 für den Ordinatenabschnitt und β1 für die Steigung der Geraden. Der unerklärte Zufallseinfluss ist in der Residualgröße εt enthalten. Die nachfolgende Schätzung des Prognosewerts erfordert jedoch zunächst die Bestimmung der Koeffizienten dieser Funktion. Deren Schätzung ist mit Hilfe einer linearen Regression möglich. Neben der händischen Berechnung oder dem Einsatz spezieller Statistiksoftware, bietet sich in der praktischen Anwendung die Ermittlung der Koeffizienten durch den Einsatz eines einfachen Tabellenkalkulationsprogramms an. So kann β0 mit der Funktion „ACHSENABSCHNITT“ und β1 mit der Funktion „STEIGUNG“ mit MS-Excel aus einer eingegebenen Zeitreihe berechnet werden. Für das obige Beispiel (Abbildung 29, rechts) ergeben sich hierdurch Werte von 114,60 für β0 und von 10,07 für β1. Der Prognosewert für die Periode t + 1 lässt sich sodann mit der folgenden Gleichung bestimmen. (62)

p t +1 = β 0 + β1 ⋅ (t + 1)

Durch Einsetzen der beiden Parameter und der betreffenden Periode t* + 1 = 11 in Gleichung (62) folgt daraus der zu ermittelnde Prognosewert p11. (63)

p11 = 114, 60 + 10, 07 ⋅11 = 225, 4 ≈ 225

Folgt man dieser Voraussage werden somit in der Periode 11 voraussichtlich 225 Stück benötigt. Im Rahmen der Regressionsanalyse werden die Nachfragemengen aller Perioden mit gleichem Gewicht in die Schätzung einbezogen. Durch die Anwendung der exponentiellen Glättung, verbunden mit der Wahl eines entsprechenden Glättungsparameters, ist es analog zu den obigen Ausführungen möglich, neuere Werte stärker zu berücksichtigen als alte und die Schätzung aufgrund hinzukommender neuer Istwerte mit geringem Aufwand anzupassen. Bei Gebrauch der exponentiellen Glättung erster Ordnung würden sich für Zeitreihen mit Trendverlauf systematische Prognosefehler ergeben. Deshalb findet in diesem Fall die exponentielle Glättung zweiter Ordnung Anwendung. Grundlage dafür ist die erneute Glättung der gleitenden Durchschnitte yt(1) erster Ordnung. Hierdurch erhält man die gleitenden Durchschnitte yt(2) zweiter Ordnung.

194

6 Lagerhaltung (64)

(2) y (2) = g ⋅ y (1) t t + (1 − g )⋅ y t −1

Im Gegensatz zur linearen Regression wird im Rahmen der exponentiellen Glättung zweiter Ordnung eine Gerade geschätzt, deren Ausgangspunkt in der Periode t liegt. Statt eines Ordinatenabschnitts bezeichnet deshalb das konstante Glied β0,t den Abstand der Gerade von der Abszisse in der Periode t und β1,t die aktuelle Steigung zu diesem Zeitpunkt. Die beiden Koeffizienten und der Prognosewert für die Periode t+Δt lassen sich ausgehend von der Periode t wie folgt bestimmen:745 (65)

(2) β 0,t = 2 ⋅ y (1) t − yt

(66)

β1,t =

(67)

(2) p t +Δt = β 0,t + β1,t ⋅ Δt = 2 ⋅ y (1) t − yt +

g (2) ⋅ ( y (1) t − yt ) 1− g g (2) ⋅ ( y (1) t − y t )⋅ Δt 1− g

Zur Berechnung der gleitenden Durchschnitte erster und zweiter Ordnung des obigen Beispiels werden die Startwerte yt*–10(1) und yt*–10(2) benötigt. Diese können durch Umstellen und Einsetzen der Gleichung (65) in die Gleichung (66) für die Periode t = t* – 10 bestimmt werden.746 1− g ⋅ β1,t*−10 g

(68)

y (1) t*−10 = β 0,t*−10 −

(69)

y (2) t*−10 = β 0,t*−10 − 2 ⋅

1− g ⋅ β1,t*−10 g

Als Schätzwerte für die beiden Parameter β0,t*–10 und β1,t*–10 können die Koeffizienten der obigen linearen Regression β0 und β1 genutzt werden. Durch Einsetzen in die Gleichungen (68) und (69) und Verwendung eines Glättungsparameters g = 0,2 ergeben sich die folgenden Startwerte. 1− 0, 2 ⋅10, 07 = 74,32 0, 2

(70)

y (1) t*−10 = 114, 60 −

(71)

y (2) t*−10 = 114, 60 − 2 ⋅

1− 0, 2 ⋅10, 07 = 34, 04 0, 2

In der folgenden Tabelle finden sich die gleitenden Durchschnitte erster und zweiter Ordnung, sowie die jeweiligen Parameter und Prognosewerte für das obige Beispiel. Als Ergebnis ergibt sich ein Prognosewert pt*+1 für die Periode t* + 1 von 229 Stück. 745

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 61–62.

746

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 62–64.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

195

Tabelle 28: Exponentielle Glättung zweiter Ordnung. t

yt(1)

yt

t* – 10

yt(2)

β0,t

β1,t

pt

et

74,31

34,02

114,60

10,07

t* – 9

136

86,65

44,54

128,75

10,53

124,67

t* – 8

148

98,92

55,42

142,42

10,87

139,28

8,72

t* – 7

131

105,33

65,40

145,27

9,98

153,29

–22,29

t* – 6

157

115,67

75,45

155,88

10,05

155,25

1,75

t* – 5

143

121,13

84,59

157,68

9,14

165,93

–22,93

t* – 4

181

133,11

94,29

171,92

9,70

166,81

14,19

t* – 3

168

140,09

103,45

176,72

9,16

181,62

–13,62

t* – 2

210

154,07

113,58

194,56

10,12

185,88

24,12

t* – 1

189

161,05

123,07

199,04

9,50

204,68

–15,68

t*

237

176,24

133,71

218,78

10,63

208,53

28,47

t* + 1

11,33

229,42

Zur Beurteilung der Vorhersagequalität schließt sich an die Prognose eine Evaluation der Schätzung an. Die Grundlage dafür bildet der Prognosefehler, welcher als Differenz der Nachfragemenge einer Periode und dem jeweiligen Prognosewert definiert ist. (72)

et = yt − pt

Die Prognosefehler sollten für die zurückliegenden Perioden klein sein und im Zeitverlauf um Null schwanken. Eine angemessene Qualität der Schätzung setzt zudem eine geringe Streuung der Fehler voraus.747 Die Prognosefehler et für das obige Beispiel sind in Tabelle 28 ausgewiesen. Die Prognosefehler schwanken annähernd um Null (der Mittelwert beträgt 1,41). Allerdings fallen aufgrund des spezifischen Nachfrageverlaufs, bei dem sich jeweils größere und kleinere Nachfragemengen abwechseln, die Prognosewerte jeweils zu hoch oder zu niedrig aus (Abbildung 30). Dieser Effekt zeigt sich auch in einer Standardabweichung des Prognosefehlers von 18,96. Es würde sich deshalb in diesem Fall anbieten, die Zeitreihe auf saisonale Einflüsse zu untersuchen und gegebenenfalls eine Zeitreihendekomposition durchzuführen oder ein anderes geeignetes Verfahren zur Prognose saisonaler Verläufe anzuwenden.748 Die Ergebnisse statistischer Prognosen sollten nicht blindlings übernommen werden. Eine nachträgliche Anpassung statistischer Prognosen ist im Rahmen der Evaluation der Schätzung nicht unüblich und kann die Güte der Bedarfsplanung durchaus verbessern.749 Eine solche Anpassung durch subjektive Abschätzungen der beteiligten Bedarfsplaner empfiehlt sich vor allem dann, wenn hierdurch wichtige Informationen berücksichtigt werden können,

747

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 34–36. Als weitere Beurteilungsgrößen werden dort die mittlere absolute Abweichung und das so genannte Abweichungssignal vorgeschlagen.

748

Siehe dazu z.B. Tempelmeier (2008), S. 69–85.

749

Vgl. Fildes et al. (2009), S. 20.

196

6 Lagerhaltung

250 200 150 100 50 0

t*-9

t*-8

t*-7

t*-6

t*-5

t*-4

t*-3

t*-2

t*-1

t*

t*+1

Abbildung 30: Nachfrageprognose mit exponentieller Glättung zweiter Ordnung.

die nicht in die Schätzung der Nachfrage eingegangen sind.750 Stadtler unterscheidet dabei drei Arten von potenziellen Einflussgrößen: • Eigene Handlungen, z.B. beabsichtigte Werbekampagnen, • Handlungen der Konkurrenz, z.B. die Einführung verbesserter Produkte, • Handlungen dritter Parteien, z.B. politische Maßnahmen.751

Darüber hinaus können durch Integration der Kunden in die Bedarfsplanung Informationsasymmetrien abgebaut werden. Insbesondere lassen sich durch eine solche kooperative Planung (Collaborative Planning) beabsichtigte Handlungen der Kunden einbeziehen und bei der Abschätzung der kundenseitigen Bedarfe berücksichtigen.752 Neben den kundenseitigen Bedarfen treten in Unternehmen eigene Bedarfe an Betriebsstoffen, Werkstoffen und Zwischenprodukten auf (Abbildung 28). Zwischenprodukte werden durch Produktionsprozesse selbst erstellt, während Betriebsstoffe sowie Werkstoffe im weitesten Sinne, d.h. Rohstoffe, Einzelteile, Baugruppen und Funktionsgruppen, auf den Beschaffungsmärkten bezogen werden. Ist das Produktionsprogramm geplant und sind damit die Bedarfe an Enderzeugnissen inklusive der ggf. kundenseitig benötigten Ersatzteile festgelegt (Primärbedarfe), können daraus rechnerisch die eigenen Bedarfe an Werkstoffen und Zwischenprodukten, die Sekundärbedarfe, abgeleitet werden (Abbildung 28, Fall 3). Dazu wird im Rahmen des Produktionsmanagements die entsprechend als programmorientierte Materialbedarfsplanung bezeichnete Bestimmung der eigenen Bedarfe an Werkstoffen und Zwischenprodukten vorgenommen. Voraussetzung für die Berechnung der Sekundärbedarfe aus den Primärbedarfen ist die Kenntnis der jeweiligen Erzeugnisstruktur, welche als Graph, Matrix oder in Tabellenform als Stückliste vorliegen kann.753 Darstellungen der im Rahmen der programmorientierten Materialbedarfsplanung eingesetzten Verfahren finden 750

Vgl. Syntetos/Boylan/Disney (2009), S. S155.

751

Vgl. Stadtler (2005), S. 580.

752

Vgl. Stadtler (2009), S. 6.

753

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 100–113.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

197

sich in jedem Grundlagenlehrbuch des Produktionsmanagements.754 Da über das in einer Periode zu realisierende Produktionsprogramm eine verbindliche Entscheidung getroffen wurde, welche zu einer Realisation dieses Programms führt, können die daraus abgeleiteten Sekundärbedarfe trotz ggf. zugrunde liegender unsicherer Nachfrageerwartungen als sicher betrachtet werden.755 Neben den auf diese Weise ermittelten Sekundärbedarfen fallen weitere eigene Bedarfe an (Abbildung 28, Fall 4), die analog zu Fall 2 mit Hilfe von statistischen Verfahren auf Basis der Verbräuche der Vergangenheit bestimmt werden. Diese Form der Bedarfsermittlung wird als verbrauchsorientierte Materialbedarfsplanung bezeichnet.756 Die Vorgehensweise entspricht dabei prinzipiell der bereits vorgestellten Nachfrageprognose. Verbrauchsorientiert werden Bedarfe geplant, die nicht aus einem Produktionsprogramm und einer Erzeugnisstruktur bestimmt werden können. Dabei handelt es sich um Betriebsstoffe, da diese definitionsgemäß nicht in ein Produkt eingehen und somit nicht in Erzeugnisstrukturen vorzufinden sind. Daneben werden auch Werkstoffe verbrauchsorientiert geplant, wenn die Primärbedarfe nicht rechtzeitig festgelegt werden können, um deren zuverlässige Bereitstellung zu gewährleisten. Die verbrauchsorientierte Materialbedarfsplanung bietet sich jedoch unter Umständen auch für Werkstoffe an, die prinzipiell programmorientiert geplant werden können. Dies ist in Produktionsbetrieben insbesondere bei solchen Materialien der Fall, die in vielen verschiedenen Erzeugnissen Verwendung finden und einen vergleichsweise geringen Wert aufweisen. Beispiele dafür sind einfache Dicht- oder Verbindungselemente. Liegen für diese Materialien zuverlässige Verbrauchsdaten aus der Vergangenheit vor, kann eine Prognose der zukünftigen Bedarfe vorgenommen werden.

6.1.3

Steuerung der Lagerauffüllung

Bereits in Abschnitt 6.1.1 wurde die Art und Weise der Wiederauffüllung von Lagern als wesentlicher Parameter der Bestandshöhe im Fall der Vorratshaltung angeführt. Dieser Gedanke soll nun aufgegriffen und vertieft werden. Dabei ist es prinzipiell unerheblich, ob die Auffüllung durch die Lieferung eines externen Lieferanten (Beschaffungsauftrag) oder bei Industriebetrieben durch die eigene Produktion (Fertigungsauftrag) erfolgt. In beiden Fällen soll im Folgenden von der Wiederauffüllung eines Lagers durch Nachbestellung und entsprechende Nachlieferung eines Gutes gesprochen werden. Die zugehörige Wiederbeschaffungszeit umfasst die Zeitdauer zwischen der Abgabe der Bestellung und dem Zeitpunkt, an dem das gelieferte Gut im Lager wieder verfügbar ist. Auch hierbei wird nicht unterschieden, ob diese Zeitdauer eine Lieferzeit eines Lieferanten oder der eigenen Produktion darstellt. Die Zeitspanne zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bestellungen wird als Bestellzyklus bezeichnet. Üblicherweise liegt die Verantwortung für die rechtzeitige Nachbestellung beim Lager als der bestandsführenden Organisationseinheit. Allerdings kann zur Reduktion des administrativen Aufwandes diese Aufgabe auch an eine nachliefernde Organisationseinheit oder sogar 754

Siehe dazu z.B. Bloech et al. (2008), S. 185–193; Tempelmeier (2008), S. 114–131.

755

Siehe zu dieser Problematik auch Pfohl (2010), S. 94.

756

Siehe z.B. Bloech et al. (2008), S. 180; Tempelmeier (2008), S. 31–33.

198

6 Lagerhaltung

an einen externen Lieferanten übertragen werden. Im letzten Fall wird entsprechend von Vendor-managed Inventories (VMI) gesprochen.757 Voraussetzung für die Verlagerung dieser Aufgabe ist jedoch der Zugriff dieser Einheiten auf die erforderlichen Informationen, insbesondere auf die aktuellen Bestände. Folgt man der mittlerweile klassischen Abhandlung von Silver so ergeben sich für die Planung und Steuerung der Nachbestellung von Materialien oder Erzeugnissen drei grundlegende Fragestellungen:758 1. In welchen zeitlichen Abständen findet die Überwachung des Lagerbestands statt (Überwachungsintervall)? 2. Welches Ereignis löst eine Nachbestellung aus (Steuerung der Wiederauffüllung)? 3. Welche Menge wird nachbestellt (Bestellmenge)? Durch die Beantwortung dieser Fragen ergeben sich für die drei daraus resultierenden Merkmale jeweils mehrere Ausprägungen. Mit diesen Merkmalsausprägungen kann ein konkreter Prozess der Wiederauffüllung eines Lagers mit einem bestimmten Gut eindeutig beschrieben werden. Diese Möglichkeiten sind in Abbildung 31 als morphologischer Kasten dargestellt.

Bestandsüberwachung Auslöser der Nachbestellung

Kontinuierliche Überwachung

1

Unterschreiten eines Meldebestands

2

Bestellmenge 3

Auffüllung auf Maximalbestand a

a

Periodische Überwachung

a Erreichen eines Zeitpunktes

Konstante Bestellmenge

b

b

Ablauf einer Zeitdauer b

Bedarfsdeckung für vorbestimmte Eindeckzeit c

c Dynamische Bestellmenge

d

Abbildung 31: Morphologischer Kasten der Steuerung der Lagerauffüllung.

Hinsichtlich des Überwachungsintervalls (1) lassen sich die kontinuierliche und die periodische Bestandsüberwachung unterscheiden. Bei kontinuierlicher Überwachung (a) erfolgt bei jeder Bestandsänderung eines Gutes – Lagerabgang oder Lagerauffüllung – die Neubestimmung des aktuellen Lagerbestands. Die Länge des Überwachungsintervalls hängt somit von den Bestandsbewegungen ab und ist deshalb nicht fest. Im Gegensatz dazu erfolgt bei periodischer Überwachung (b) die Bestandskontrolle nach Ablauf einer bestimmten Zeitdauer oder beim Erreichen ex ante festgelegter Zeitpunkte. Das Auslösen der Nachbestellung (2) und damit die Steuerung der nachfolgenden Wiederauffüllung des Lagerbestands erfolgt durch das Eintreten bestimmter Ereignisse. Ein solches 757

Siehe dazu z.B. Waller/Johnson/Davis (1999).

758

Vgl. Silver (1981), S. 629.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

199

Ereignis kann im Unterschreiten eines Meldebestands, im Ablauf einer Zeitdauer, im Erreichen eines Zeitpunktes oder in einer Kombination dieser Elemente bestehen. Bei reiner Bestandssteuerung wird eine Nachbestellung ausgelöst sobald ein vorab festgelegter Meldebestand bm erreicht wird (a). Der gewählte Meldebestand soll ausreichen, die Nachfrage nach diesem Gut während der Wiederbeschaffungszeit tw zu decken. Dieser umfasst deshalb neben dem erwarteten Verbrauch während der Wiederbeschaffungszeit einen angemessenen Sicherheitsbestand. Um ein zu starkes Unterschreiten des Meldebestands zu vermeiden, wird der Bestand in der Regel kontinuierlich überwacht. Prinzipiell ist jedoch auch eine periodische Überwachung möglich. Im Gegensatz dazu führt bei Zeitsteuerung der Ablauf einer Zeitdauer Δt (b) oder das Erreichen eines Zeitpunktes t (c) zu einer Nachbestellung. So können in einem Unternehmen für einzelne Güter oder Gütergruppen konstante Bestellzyklen festgelegt werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Belieferung durch den Lieferanten oder die Produktion der Güter aus organisatorischen bzw. technologischen Gründen in konstanten Zeitintervallen erfolgt. Bestellzyklen können sich auch aus den Planungszyklen der programmorientierten Materialbedarfsplanung ergeben. Ebenso findet sich gerade bei kleineren Unternehmen oder in Bereichen mit geringem Bedarf die Praxis, Bestellungen nur an festgelegten Wochentagen abzugeben. Weiterhin können bei der Nachbestellung von Materialien oder Erzeugnissen die Bestellmengen (3) in unterschiedlicher Weise festgelegt werden. Im einfachsten Fall wird die Bestellmenge bei einem aktuell vorliegenden Bestand gerade in jener Höhe gewählt, um das Lager mit diesem Gut wieder aufzufüllen (a). Zur Bestimmung der Bestellmenge dient die Differenz zwischen dem maximalen und dem aktuellen Bestand759 oder zwischen dem maximalen und dem zu erwartenden Bestand beim Eintreffen der Lieferung. Eine weit verbreitete Vorgehensweise besteht in der Verwendung konstanter Bestellmengen Q, die für jedes Gut vorab zu bestimmen sind (b). Neben Bestellmengen, die sich aufgrund von technischen Anforderungen der Produktion, der Logistikeinheitenbildung, der Lagerung oder des Transports ergeben, zählen hierzu solche, deren Festlegung auf Basis wirtschaftlicher Überlegungen vorgenommen wird.760 Stehen für ein bestimmtes Gut die Nachfragemengen zukünftiger Perioden bereits fest oder liegen zumindest verlässliche Prognosen darüber vor, kann eine Bestellung jene Mengen umfassen, die zur Bedarfsdeckung innerhalb einer ex ante zu bestimmenden Anzahl von Perioden (Eindeckzeit te) erforderlich sind (c).761 Dieser Ansatz kann erweitert werden, wenn die Eindeckzeit nicht vorab gegeben, sondern selbst Gegenstand einer Optimierung auf Basis von Kostenbetrachtungen wird. Dies führt zur dynamischen Bestellmengenplanung (d).762 Die Verknüpfung dieser Merkmalsausprägungen führt zu den Lagerhaltungspolitiken oder Bestellregeln.763 Diese lassen sich grundsätzlich danach unterscheiden, ob sich die Steuerung der Wiederauffüllung primär an den bisherigen und aktuellen Verbräuchen oder an den zu-

759

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 274.

760

Zur Bestimmung konstanter Bestellmengen siehe ausführlich Abschnitt 6.2.2.

761

Vgl. Grochla (1978), S. 107–109.

762

Diese entspricht der dynamischen Einproduktlosgrößenrechnung. Siehe dazu Tempelmeier (2008), S. 137–148.

763

Siehe z.B. Grochla (1978), S. 101–109; Silver (1981), S. 634–637; Günther/Tempelmeier (2012), S. 273–287; Pfohl (2010), S. 95–96.

200

6 Lagerhaltung

künftigen Bedarfen orientiert.764 Obwohl prinzipiell viele Kombinationen der angeführten Merkmalsausprägungen denkbar sind, finden sich in der Realität vor allem drei verbrauchsorientierte Lagerhaltungspolitiken. Wohl am weitesten verbreitet ist die Bestellregel „1a/2a/3b“ (Abbildung 31), die auch als „bmQ-Regel“ bezeichnet werden könnte. Gekennzeichnet ist diese durch die Nachbestellung einer konstanten Menge Q eines bestimmten Gutes, wobei eine Nachbestellung ausgelöst wird, sobald ein bestimmter Meldebestand bm unterschritten wird. Um die Abweichung zwischen dem Istbestand und dem Meldebestand nicht zu groß werden zu lassen, erfolgt eine kontinuierliche Überwachung des Bestands, d.h. bei jeder Bestandsveränderung wird der neue Istbestand bestimmt und mit dem Meldebestand verglichen. Im Prinzip kann damit eine Automatisierung des Bestellvorgangs realisiert werden. Zwei weitere wichtige Vorteile dieser Bestellregel sind die konstante und damit für die Lieferanten bzw. die Produktion verlässliche Bestellmenge sowie die nach oben begrenzte Lagermenge eines Gutes. Beträgt der Istbestand beim Erreichen des Meldebestands gerade bm und erfolgt im schlimmsten Fall danach keine Nachfrage mehr, so beträgt der Lagerbestand nach dem Eintreffen der Lieferung bm + Q. Ohne weiteren Lagerabgang und damit ohne Absinken des Bestands auf das Niveau bm findet kein weiterer Bestellvorgang mehr statt. Die Lagerhaltungspolitik „1a/2a/3b“ führt somit zu einer Selbstregulation des Lagerbestands und begrenzt das Bestandsrisiko auf den maximalen Wert von bm + Q. Voraussetzung für die Anwendung dieser Regel ist jedoch die korrekte und pünktliche Buchung aller Bestandsbewegungen und Bestellvorgänge, um stets den tatsächlichen Istwert des verfügbaren Bestands abgebildet zu haben. Ein Beispiel für einen Bestandsverlauf bei Anwendung der Bestellregel „1a/2a/3b“ ist für Q = 300 Stück, bm = 130 Stück und tw = 5 Tagen sowie einem durchschnittlichen Verbrauch von 20 Stück pro Tag in Abbildung 32 wiedergegeben. 350

300

250

200

150

100

50

0

Abbildung 32: Bestandsverlauf bei kontinuierlicher Überwachung, Meldebestand und konstanter Bestellmenge.

764

Vgl. Grochla (1978), S. 102.

6.1 Grundlagen der Lagerhaltung

201

Eine weitere gebräuchliche Lagerhaltungspolitik stellt die Bestellregel „1b/2c/3a“ dar. In diesem Fall wird nach Ablauf einer festen Zeitdauer Δt eine Bestellung vorgenommen und dazu zunächst der Istbestand erfasst. Die Bestellmenge ist nicht konstant, sondern ergibt sich als die Menge, die zur Wiederauffüllung auf den Maximalbestand bmax erforderlich ist. Das eigentliche Planungsproblem besteht deshalb in diesem Fall in der Festlegung eines angemessenen Maximalbestands. Ist dieser zu klein, treten zu häufig Fehlmengensituationen auf. Ist er zu groß, ergeben sich unnötig hohe Lagerhaltungskosten. Der ausreichende Maximalbestand wird deshalb entsprechend eines vorgegebenen Servicegrads bestimmt.765 Insbesondere bei der Möglichkeit der sofortigen Auffüllung oder zumindest bei kurzen Wiederbeschaffungszeiten tw wird die Bestellmenge als Differenz zwischen dem maximalen und dem aktuellen Bestand bestimmt.766 Findet innerhalb der Wiederbeschaffungszeit jedoch ein weiterer Verbrauch statt, wird mit der Nachlieferung der bestellten Menge keine vollständige Auffüllung auf den Maximalbestand erreicht. Bei längeren Wiederbeschaffungszeiten bietet es sich deshalb an, statt dem aktuellen Bestand den erwarteten Bestand unmittelbar vor dem Eintreffen der Nachlieferung zur Berechnung der Bestellmenge zu verwenden. Allerdings besteht dabei die Gefahr, bei einem geringeren als dem erwarteten Verbrauch den Maximalbestand zum Zeitpunkt der Wiederauffüllung zu überschreiten. Dies kann insbesondere bei fester Lagerplatzzuordnung zu Überfüllung am Lagerplatz führen.767 Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn die Verbräuche höher ausfallen als erwartet und somit vor Ablauf von Δt bereits Fehlmengen auftreten oder zu kleine Bestände entstehen, die nicht mehr zur Überbrückung der Wiederbeschaffungszeit ausreichen. Wesentliche Vorteile dieser Politik liegen im Verzicht auf eine kontinuierliche Überwachung und in den konstanten Bestellzyklen, die den liefernden Stellen trotz schwankender Bestellmengen eine gute Planbarkeit eröffnen. Die dritte Bestellregel „1b/2a/3a“ kombiniert eine periodische Bestandsüberwachung im Abstand Δt mit einem festen Meldebestand bm und einer Wiederauffüllung auf den Maximalbestand bmax.768 In diesem Fall wird eine Bestellung nur dann ausgelöst, wenn bm genau erreicht oder unterschritten wurde. Übersteigt der Istbestand bei der Bestandskontrolle den Meldebestand, so erfolgt keine Bestellung. Die nächste Bestandskontrolle wird sodann nach einem weiteren Überwachungsintervall Δt vorgenommen. Diese Bestellregel wird vor allem angewendet, wenn eine kontinuierliche Überwachung zu aufwendig oder aufgrund nicht dokumentierter Entnahmen unmöglich ist. Bedarfsorientierte Lagerhaltungspolitiken basieren nicht auf der kontinuierlichen oder periodischen Überwachung der Istbestände, die sich in einem Lager befinden, sondern auf den bereits feststehenden oder prognostizierten Bedarfsmengen und den zugehörigen Bedarfszeitpunkten. Werden die Bedarfe mehrerer zukünftiger Perioden zu einer Nachbestellung zusammengefasst, ist im Gegensatz zur Beschaffung im Bedarfsfall769 die physische Lagerung der nicht unmittelbar verbrauchten Gütermengen erforderlich. Die zentrale Frage bei bedarfsorientierter Steuerung der Wiederauffüllung befasst sich mit der Anzahl der Pe765

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 97–103.

766

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 274.

767

Siehe dazu Abschnitt 5.2.5.

768

Vgl. Silver (1981), S. 635–636.

769

Siehe dazu Abschnitt 6.1.1.

202

6 Lagerhaltung

riodenbedarfe, die zu einer Bestellung zusammengefasst werden sollen. Diese kann einerseits durch die Definition einer konstanten Eindeckzeit vorgegeben werden. Die Liefertermine und damit bei bekannter Wiederbeschaffungszeit auch die Bestellzeitpunkte t werden dabei unmittelbar aus den Bedarfszeitpunkten abgeleitet. Ebenso ergeben sich als Ergebnis einer dynamischen Bestellmengenrechnung für ein bestimmtes Gut nicht nur die aggregierten Bestellmengen, sondern auch die zugehörigen Bestellzeitpunkte im Zeitverlauf, d.h. ein Produktions- bzw. Lieferplan als zeitliche Folge von terminierten Bestellmengen.770

6.2

Planung von Lagerbeständen

Die Planung von Lagerbeständen in einem Lager erfordert die Festlegung der in Abschnitt 6.1.3 eingeführten Parameter der jeweiligen Lagerhaltungspolitik für jedes gelagerte Objekt. Die folgenden Ausführungen werden sich auf die gebräuchliche Bestellregel „1a/2a/3b“ wie in Abbildung 31 dargestellt konzentrieren.771 Erforderlich sind somit die Planung der konstanten Bestellmenge (6.2.2) sowie des Meldebestands und des erforderlichen Sicherheitsbestands (6.2.3). Voraussetzung für diese Berechnungen ist eine Auseinandersetzung mit den Zielsetzungen der Lagerbestandsplanung.

6.2.1

Zielsetzungen der Planung von Lagerbeständen

In Abschnitt 6.1.1 wurden bereits die positiven und negativen Wirkungen von Lagerbeständen angesprochen. Diese Gedanken können an dieser Stelle vertieft und hinsichtlich der Planung der Bestandshöhen geschärft werden. Prinzipiell verfolgt die Teilfunktion der Lagerhaltung die Aufgabe, einen Ausgleich zwischen akzeptablen Lagerhaltungskosten einerseits und den positiven Wirkungen einer angemessenen Verfügbarkeit andererseits zu erreichen. In diesem Sinne ist der Begriff der Optimierung der Lagerhaltung zu verstehen. Lagerhaltungskosten lassen sich in mannigfacher Art und Weise untergliedern und erfordern eine Abgrenzung gegenüber den Kosten anderer Logistikteilfunktionen, insbesondere den Lagerhauskosten. Hinsichtlich der Untergliederung von Lagerhaltungskosten finden sich unterschiedliche Ansätze in der Literatur. Stock und Lambert unterscheiden beispielsweise vier Kostengruppen: Kapitalkosten, Steuern und Versicherungen, Lagerraumkosten sowie Bestandsrisikokosten.772 In einer weiten Abgrenzung führt Silver die Kosten der Wiederauffüllung, die Kosten der Bevorratung, Fehlmengenkosten sowie die Kosten der Steuerungssysteme der Lagerhaltung an.773 Die Kosten der Bevorratung umfassen ihrerseits ein breites Spektrum einzelner Kosten, insbesondere die Kapitalkosten der Bestände, die Betriebskosten des Lagerhauses, Versicherungskosten, Steuern und Kosten aufgrund Überalterung und Verderb. Pfohl gliedert in einer frühen Abhandlung die Kosten der Lagerhaltung in vier Gruppen. Neben den Lagerbestandskosten im engeren Sinne werden Fehlmengenkosten, 770

Vgl. Tempelmeier (2008), S. 138; Günther/Tempelmeier (2012), S. 206.

771

Zu anderen Bestellregeln siehe z.B. Tempelmeier (2010), S. 96–114.

772

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 203–204.

773

Vgl. Silver (1981), S. 630–631.

6.2 Planung von Lagerbeständen

203

Bestellkosten und Lagerhauskosten angeführt.774 Zur Abgrenzung der Lagerbestandskosten gegenüber den anderen drei Gruppen wird das Kriterium der Abhängigkeit von der Bestandshöhe herangezogen. Als Lagerbestandskosten werden jene Kosten betrachtet, „die sich mit der Höhe des Lagerbestands im Lagerhaus ändern, also als variable Kosten in Abhängigkeit von der Lagerbestandshöhe angesehen werden können.“775 Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, bleibt allerdings auch bei Nutzung dieses scheinbar klaren Abgrenzungsmerkmals die Definition von Lagerhaltungskosten schwierig. Bei der Planung des Lagerbestands einzelner Güter sollten fünf Gruppen von Lagerhaltungskosten berücksichtigt werden: Kapitalbindungskosten, Kosten der Aufbewahrung, Bestellkosten, Fehlmengenkosten und Bestandsverlustkosten. Eine wesentliche Größe zur Beurteilung von Lagerbeständen ist die Höhe der daraus resultierenden Kapitalbindungskosten. Lagerbestände sind Teil des Umlaufvermögens eines Unternehmens. Zu ihrer Anschaffung oder Herstellung ist Kapital erforderlich. Die Höhe des in Beständen gebundenen Kapitals entspricht rechnerisch dem monetären Wert dieser Güter. Entsprechend können die vorhandenen Mengen an Material, Handelswaren oder Fertigprodukten mit Einstandspreisen bzw. Herstellkosten bewertet werden.776 Die Kapitalbindungskosten ergeben sich aus den Finanzierungskosten, die für dieses Kapital anfallen. Voraussetzungen für die Bestimmung der Kapitalbindungskosten sind Überlegungen zu dem angemessenen Zinssatz. In der Literatur werden dazu verschiedene Vorgehensweisen vorgeschlagen.777 Da eine genaue Zuordnung eines Bestands an einem Gut zu einer bestimmten Finanzquelle und damit einem realisierten Zinssatz kaum möglich ist, werden in der Regel Durchschnittszinssätze verwendet, die sowohl die unterschiedlichen Zinssätze für Fremdkapital als auch kalkulatorische Zinsen für Eigenkapital berücksichtigen. Bestände besitzen jedoch nicht nur einen monetären Wert, sondern stellen physische Objekte dar, die aufbewahrt werden müssen. Entsprechend fallen Kosten der Aufbewahrung an. Bei diesen Kosten handelt es sich jedoch im Wesentlichen um Kosten, die der Teilfunktion der physischen Lagerung zuzurechnen sind. Es muss deshalb die schwierige Frage beantwortet werden, welche Lagerhauskosten der Aufbewahrung von Beständen zugeordnet werden sollen. Dazu können die einzelnen Grundprozesse im Lagerhaus getrennt betrachtet werden.778 Im engeren Sinne dient lediglich der Lagerungsprozess dem zeitlichen Transfer und damit der Aufbewahrung. Nach diesem Verständnis würden deshalb nur die für die Aufbewahrung von Gütern in einem Vorratslager anfallenden Kosten als Lagerhaltungskosten gelten. Werden im Rahmen von Lagergeschäften oder der Kontraktlogistik Fremdleistungen der Aufbewahrung nach Volumen, Stellfläche oder Warenwert abgerechnet,779 erfüllen diese Kosten zusätzlich die oben aufgestellte Forderung nach einer Variabilität hinsichtlich der 774

Vgl. Pfohl (1977b), S. 106.

775

Pfohl (1977b), S. 106.

776

Vgl. Siepermann (2010), S. 64–67.

777

Vgl. Weber (2002), S. 145–147; Vahrenkamp/Siepermann (2009), S. 829–830.

778

Siehe dazu Abschnitt 5.2.1.

779

Siehe dazu Abschnitt 5.1.2.

204

6 Lagerhaltung

Bestandshöhe.780 Dagegen handelt es sich im Fall eigener oder angemieteter Lagerhäuser weitgehend um Fixkosten, die nur mittelfristig gesenkt werden können. Bestandsreduktionen führen deshalb zunächst lediglich zu ungenutzten Kapazitäten und damit kurzfristig nicht zu sinkenden, sondern zu steigenden Lagerhaltungskosten je gelagerter Einheit. Auch Personalkosten, die für die Überwachung und Sicherung von Beständen entstehen, sind in der Regel nicht kurzfristig an geänderte Bestände anzupassen. Bestellkosten fallen mit jedem Bestellprozess an. Hierzu zählen zunächst die Bestellkosten im engeren Sinne, d.h. die Kosten, die zur Generierung von Beschaffungs- oder Fertigungsaufträgen anfallen. Werden solche Aufträge weitgehend automatisch, z.B. bei einer Meldebestandsunterschreitung, erzeugt, sind die entstehenden Kosten gering. Sind jedoch mit einer Nachbestellung aufwendige Arbeiten wie beispielsweise das Einholen und Vergleichen von Angeboten oder das Rüsten von Produktionsmaschinen verbunden, so können die daraus resultierenden Kosten für Bestandsentscheidungen relevant werden. Da mit einer Nachbestellung immer eine Lagerauffüllung einhergeht, sollten bei der Bestimmung der Bestellkosten im weiteren Sinne auch die hierdurch verursachten Logistikkosten Berücksichtigung finden. Hierzu zählen in Abhängigkeit von der Weite der Abgrenzung insbesondere die Kosten des Wareneingangs, des innerbetrieblichen Transports und der Einlagerung sowie ggf. der Anlieferung. Neben den Kosten des Bestellprozesses könnte man auch die Kosten der gekauften oder erzeugten Güter im weitesten Sinne zu den Bestellkosten zählen.781 Eine solche Abgrenzung ist dann sinnvoll, wenn die Preise der Güter bzw. die Herstellkosten je Stück von der Bestellmenge abhängen (Staffelpreise, Mengenrabatte, Mindermengenzuschläge) und deshalb im Rahmen der Lagerhaltung berücksichtigt werden sollten.

Werden Güter benötigt, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht oder nicht in der erforderlichen Menge im Lager verfügbar sind, so liegt ein Fehlmengenereignis vor. Als Folge davon können Fehlmengenkosten unterschiedlichster Art entstehen.782 Ist der Bedarfsträger bereit, einen späteren Liefertermin zu akzeptieren, so wird der Bedarf nach dem Eintreffen der Nachlieferung befriedigt („Backorder“). In der Regel resultieren aus diesen Rückstandsaufträgen keine oder vergleichsweise geringe Kosten. Häufen sich jedoch solche Vorkommnisse, so sind negative Auswirkungen auf die Zufriedenheit des Kunden zu befürchten. Das Unternehmen sollte deshalb versuchen, ein Fehlmengenereignis durch Ausgleichsmaßnahmen, wie z.B. Expresslieferungen, Sonderschichten in der Produktion oder Ausgleichslieferungen durch andere Lager, zu kompensieren. Diese Handlungen haben jedoch zum Teil erhebliche Kosten zur Folge. Ist der Bedarfsträger nicht bereit oder selbst nicht in der Lage, einen späteren Liefertermin zu akzeptieren, und sind Ausgleichsmaßnahmen nicht möglich, zu kostspielig oder nicht erfolgreich, so wird er sich alternativen Bezugsquellen zuwenden. Das Fehlmengenereignis führt in diesem Fall zur Nichtbelieferung. Vor allem bei kundenseitigen Bedarfen führen solche Mengeneffekte direkt zu Erlösreduktionen („Lost Sales“). Ereignen sich Fehlmengenereignisse häufiger, so werden sich entsprechend der in Abschnitt 1.2.2 diskutierten Marktreaktionsfunktion zudem mittelfristig negative Erlöseffekte aufgrund eines als unzureichend wahrgenommenen Servicegrades einstellen. Im schlimmsten Fall wird ein 780

Vgl. Pfohl (1977b), S. 109.

781

Vgl. Silver (1981), S. 631.

782

Vgl. Silver (1981), S. 633; Pfohl (2010), S. 97.

6.2 Planung von Lagerbeständen

205

Kunde dauerhaft die Geschäftsbeziehung aufkündigen. Die Höhe der Fehlmengenkosten hängt deshalb wesentlich von eigenen Maßnahmen und vor allem von den unsicheren Reaktionen der Bedarfsträger ab. Außerdem treten Fehlmengenkosten als Folge von Fehlmengenereignissen auf, für die lediglich Wahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Aus diesen Gründen ist deren Quantifizierung ausgesprochen schwierig. Bestandsverlustkosten entstehen durch Bestände, die im Laufe der Zeit ihre Eignung und damit ihren Wert verlieren oder hinsichtlich ihrer Substanz gänzlich verloren gehen. Dies ist zum einen der Fall, wenn Bestände wegen technischer Änderungen nicht mehr benötigt werden und sich aufgrund spezifischer Eigenschaften keine alternativen Verwendungen dafür finden lassen. Weitere Gründe stellen Korrosion und Verderb dar, die bei Überlagerung auftreten.783 Letzteres findet sich vor allem im Bereich der Lebensmittellogistik. Güter, die keine Eignung mehr aufweisen, stellen Abfälle dar und müssen als solche behandelt werden.784 Derartige Bestandsverluste sind somit Folge unangemessen hoher Bestände, die nicht rechtzeitig verbraucht werden konnten. Sie stellen in diesem Sinne den Gegenpol zu den Fehlmengenkosten dar. Diebstahl und Zerstörung, z.B. durch Feuer, können dagegen unabhängig von der Bestandshöhe jederzeit eintreten. Sie führen ebenfalls zum Bestandsverlust, der jedoch durch Versicherungen kompensiert werden kann. Dabei sind die entsprechenden Versicherungskosten zu beachten. Die aus Bestandsverlust resultierenden Kosten sind primär Abschreibungen. Hinzu können erhebliche Entsorgungskosten kommen. Ist eine Verwertung der Abfälle möglich, z.B. durch Verschrottung, werden die Bestandsverlustkosten durch entsprechende Erlöse gemindert.

Den Kostenkonsequenzen von Beständen stehen die positiven Wirkungen in Form einer angemessenen Verfügbarkeit gegenüber. Im Rahmen der Planung von Lagerbeständen muss deshalb auch die durch die Bestandshöhe eines Gutes erreichte logistische Leistung betrachtet werden. Der zeitliche Transfer gilt als erbracht, wenn das betreffende Gut im Bedarfsfall in der gewünschten Menge für einen Bedarfsträger verfügbar ist. Diese stellt somit aus Sicht eines Bedarfsträgers eine wirkungsbezogene Logistikleistung dar. Entsprechend lässt sich die Ausprägung der Verfügbarkeit durch qualitative Einschätzungen der Bedarfsträger bestimmen. Hierzu könnten beispielsweise die fünf von Bienstock, Mentzer und Bird entwickelten Messgrößen der Verfügbarkeit eingesetzt werden.785 Ist ein bestimmtes Gut nicht oder nicht in der gewünschten Menge verfügbar, so tritt wie bereits oben angesprochen ein Fehlmengenereignis ein. Quantitative Aussagen über die Häufigkeit und ggf. die Größe von Fehlmengen lassen sich entsprechend mit dem Servicegrad treffen. In der Literatur finden sich unterschiedliche Definitionen von lagerbezogenen Servicegraden, die zudem mit uneinheitlichen Bezeichnungen belegt werden (Lieferbereitschaft, α-Servicegrad, β-Servicegrad, γ-Servicegrad, fill rate, order fill etc.).786 Für die folgenden Ausführungen ist es jedoch unerlässlich, ein genaues Verständnis dieser unterschied-

783

Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 204.

784

Siehe dazu Abschnitt 1.1.1.

785

Vgl. Bienstock/Mentzer/Bird (1997), S. 42.

786

Siehe z.B. Stock/Lambert (2001), S. 247–250; Bowersox/Closs/Cooper (2009), S. 159, 385–386; Pfohl (2010), S. 36–38; Tempelmeier (2010), S. 27–30; Günther/Tempelmeier (2012), S. 276–279.

206

6 Lagerhaltung

lichen Messgrößen zu entwickeln. In Anlehnung an Günther und Tempelmeier sollen drei unterschiedliche Servicegrade unterschieden werden.787 Der α-Servicegrad basiert auf dem Eintreten von Fehlmengenereignissen in einem Zeitraum und gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Nachfrage, welche zu einem beliebigen Zeitpunkt in diesem Zeitraum an das Lager gerichtet wird, vollständig aus dem Bestand befriedigt werden kann.788 Ein realisierter α-Servicegrad lässt sich bestimmen, indem man innerhalb eines Zeitraums die Tage an denen ein Fehlmengenereignis eintritt (nPf), d.h. die Bedarfe nicht mit dem verfügbaren Lagerbestand vollständig gedeckt werden können, auszählt und zur Gesamtzahl der Tage (nP) in Relation setzt.789 (73)

α = 1−

n Pf nP

Der α-Servicegrad ergibt somit ein gutes Bild der Verfügbarkeit eines Gutes im Zeitablauf. Da jedoch beim Verfolgen einer Bestellpolitik mit festgelegtem Meldebestand und kontinuierlicher Überwachung des Bestands Fehlmengenereignisse in der Regel nur zum Ende der Wiederbeschaffungszeit auftreten, wird dieser Servicegrad wesentlich durch die Bestellmenge und weniger durch den Melde- und Sicherheitsbestand bestimmt. Wird nur selten und damit jeweils eine große Menge nachbestellt, werden vergleichsweise wenige Fehlmengenereignisse auftreten. Als Folge davon nimmt der α-Servicegrad hohe Werte an. Zudem würde die Verwendung dieses Servicegrades zur Bestimmung von Sicherheitsbeständen eine Wahrscheinlichkeitsverteilung des Lagerbestands erfordern.790 In der Literatur findet sich deshalb eine davon abweichende Bestimmung eines Servicegrads,791 der im Folgenden als α*-Servicegrad bezeichnet wird. Auch dieser bezieht sich auf das Eintreten von Fehlmengenereignissen. Er gibt jedoch die Wahrscheinlichkeit an, mit welcher der Bestand nach Auslösen der Nachbestellung ausreicht, die Nachfrage bis zum Eintreffen der Nachlieferung (Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit) vollständig zu decken.792 Empirisch bestimmt werden kann der realisierte α*-Servicegrad, indem mehrere Bestellzyklen über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Dabei werden die Anzahl der Bestellzyklen mit mindestens einem Fehlmengenereignis (nBf) und die Gesamtzahl der insgesamt beobachteten Bestellzyklen (nB) ausgezählt. (74)

α* = 1−

n Bf nB

Eine solche Definition des Servicegrades ermöglicht durch den Rückgriff auf die ebenfalls empirisch zu ermittelnde Verteilung der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit eine 787

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 276–279.

788

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 276; Tempelmeier (2010), S. 27.

789

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 276.

790

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 27.

791

Siehe z.B. Grochla (1978), S. 119–121; Pfohl (2010), S. 100–103.

792

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 27; Günther/Tempelmeier (2012), S. 277.

6.2 Planung von Lagerbeständen

207

vergleichsweise einfache Bestimmung des erforderlichen Sicherheitsbestands. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der α*-Servicegrad nicht die durch einen Bedarfsträger wahrgenommene Verfügbarkeit eines Gutes widerspiegelt. Günther und Tempelmeier sprechen sogar von einem unsinnigen Servicekriterium und verdeutlichen dies eindrücklich an einem Beispiel:793 Angenommen es besteht eine Nachfrage von durchschnittlich 10 Stück pro Tag. Die konstante Bestellmenge beträgt 200 Stück. Tritt nun in jedem Bestellzyklus ein Fehlmengenereignis jeweils am letzten Tag der Wiederbeschaffungszeit auf, so ist α* = 0. Die Nachfrager werden allerdings trotz dieses äußerst geringen Servicegrades über eine Zeitdauer von 19 Tagen kein Fehlmengenereignis wahrnehmen. Der α-Servicegrad nimmt in diesem Beispiel entsprechend den Wert von 19/20 = 95% an. Insbesondere bei großen Bestellmengen lassen sich somit auch bei vergleichsweise kleinen α*-Servicegraden hohe α-Servicegrade erreichen. Obwohl das Eintreten von Fehlmengenereignissen ein wesentliches Servicekriterium darstellt, interessiert häufig auch der Umfang der aufgetretenen Fehlmenge. Die Anzahl der nicht zur Verfügung stehenden Gütereinheiten ist insbesondere aus Sicht der Bedarfsträger ein wesentlicher Indikator für die Leistungsfähigkeit eines Vorratslagers. Das Quantum der nicht erfüllten Nachfrage lässt zudem eine bessere Abschätzung der oben diskutierten Fehlmengenkosten zu. Auf einer Mengenbetrachtung baut der β-Servicegrad auf.794 Ein realisierter β-Servicegrad lässt sich empirisch aus den ermittelten Fehlmengen fT und der gesamten Nachfragemenge yT eines Betrachtungszeitraums T wie folgt ermitteln: (75)

β = 1−

fT yT

Der zu erreichende β-Servicegrad für ein bestimmtes Gut wird nachfolgend zur Bestimmung des Meldebestands und des darin enthaltenen Sicherheitsbestands verwendet.795

6.2.2

Planung konstanter Bestellmengen

Die gewählte Bestellmenge eines Materials oder Erzeugnisses stellt eine der wichtigsten Einflussgrößen der Kosten und Leistungen der Lagerhaltung dar. Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, beeinflusst die gewählte Bestellmenge den durchschnittlichen Lagerbestand eines Gutes (Abbildung 32) und damit direkt die Kapitalbindungskosten, die Kosten der Aufbewahrung und die Bestandsverlustkosten. Bei gegebenem Periodenbedarf bestimmt sie weiterhin die Bestellhäufigkeit und wirkt somit auf die Höhe der Bestellkosten in diesem Zeitraum. Da Fehlmengen bei kontinuierlicher Überwachung in aller Regel nur innerhalb der Wiederbeschaffungszeit auftreten, übt die Bestellmenge auch einen Einfluss auf den αServicegrad und den β-Servicegrad sowie auf die Höhe der Fehlmengenkosten aus.

793

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 277.

794

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 29; Günther/Tempelmeier (2012), S. 277–278.

795

Siehe dazu Abschnitt 6.2.3.

208

6 Lagerhaltung

In Abschnitt 6.1.3 wurden vier prinzipielle Möglichkeiten der Bestimmung der Bestellmengen aufgezeigt (Abbildung 31) und zum Teil bereits diskutiert. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Fall 3b, d.h. auf die Nutzung vorab festgelegter konstanter Bestellmengen. Der Grund für konstante Bestellmengen vorbestimmter Größe liegt zum einen im Bereich der Technik. So kann beispielsweise die Fertigung des nachzubestellenden Gutes nur in Behältern fester Größe vollzogen werden oder es sind für die Herstellung Materialen erforderlich, die nur in einer bestimmten Gebindegröße verfügbar sind. Weiterhin kann die Auslastung vorgegebener Transportmittel oder die Nutzung standardisierter Logistikeinheiten für Bestellmengen bestimmter Größe sprechen. Neben solchen technischen Argumenten ergibt sich die Größe der konstanten Bestellmenge eines Gutes vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen. Diese führen zur Bestimmung einer aus ökonomischer Sicht rationalen Bestellmenge. Ein einfaches Verfahren stellt dabei die Nutzung der so genannten „Optimalen Bestellmengenformel“ dar, die auch als „Klassische Bestellmengenformel“ oder als „Economic Order Quantity“ bezeichnet wird.796 Als „optimale“ Bestellmenge wird jene verstanden, welche die geringsten Gesamtkosten verursacht.797 In dieser Beschränkung auf die relevanten Kosten ist eine wesentliche Vereinfachung zu sehen, da Auswirkungen der Bestellmenge auf die Leistungen der Lagerhaltung, insbesondere auf den α-Servicegrad, nicht berücksichtigt werden. Weiterhin stellt sich die Frage, welche der in Abschnitt 6.2.1 angeführten und diskutierten Gruppen von Lagerhaltungskosten Berücksichtigung finden sollen. Zur Herleitung der Bestellmengenformel werden üblicherweise die Kapitalbindungskosten, die Kosten der Aufbewahrung sowie die Bestellkosten inklusive der Kosten der gekauften bzw. der erzeugten Güter einbezogen, die in einem bestimmten Zeitraum anfallen. Zunächst wird vereinfacht angenommen, dass die Kapitalbindungskosten und die Kosten der Aufbewahrung von dem monetären Wert der im Betrachtungszeitraum durchschnittlich gelagerten Menge des betrachteten Gutes abhängen und sich mit Hilfe eines konstanten Lagerhaltungskostensatzes l bestimmen lassen. Dieser setzt sich aus dem Durchschnittszinssatz für das gebundene Kapital im Betrachtungszeitraum und einem Kostensatz für die physische Lagerung zusammen. Letzterer wird üblicherweise durch Division der im Betrachtungszeitraum in einem Lager angefallenen Kosten der Aufbewahrung durch den durchschnittlichen Bestandswert aller Güter erzeugt. Während diese Vorgehensweise für Kapitalbindungskosten durchaus zutreffend ist, führt sie bei den Kosten der Aufbewahrung nur zu einer groben Näherung, da die Kosten der physischen Lagerung eher durch das Volumen oder die Stellfläche der Güter als durch deren Wert bestimmt werden. Der Stückwert p ergibt sich für selbst erstellte Erzeugnisse aus den Herstellkosten pro Stück und für gekaufte Güter aus dem Stückpreis. Die durchschnittlich gelagerte Menge des betrachteten Gutes lässt sich mit Hilfe eines idealisierten Bestandsverlaufs erkennen, der sich bei deterministischer Nachfrage ergeben würde (Abbildung 33).

796

Siehe dazu z.B. Kosiol (1958); Grochla (1978), S. 81–83; Silver (1981), S. 634; Pfohl (2010), S. 96.

797

Grundlage dafür bilden die Überlegungen von Harris (1913) zur optimalen Losgröße.

6.2 Planung von Lagerbeständen

209

Bestand

Q

Q 2 Zeit Abbildung 33: Idealisierter Bestandsverlauf (zu einem realen Verlauf siehe Abbildung 32).

Aus Abbildung 33 lässt sich die durchschnittlich gelagerte Menge des Gutes ablesen. Daraus folgen die Lagerhaltungskosten, die in dem Betrachtungszeitraum anfallen: (76)

Q ⋅ p⋅l 2

Die konstanten Bestellkosten kb und die Kosten der gekauften bzw. erzeugten Güter einer Nachbestellung (Produkt von Q und p) fallen pro Bestellzyklus an. Die Anzahl der Bestellzyklen im Betrachtungszeitraum T, d.h. die Bestellhäufigkeit, lässt sich aus der Nachfrage yT im gesamten Betrachtungszeitraum und der Bestellmenge Q bestimmen. Aus diesen Überlegungen folgen die gesamten Bestellkosten für den Betrachtungszeitraum: (77)

yT ⋅ (k b + Q ⋅ p) Q

Fasst man beide Kostengruppen zusammen, so folgen daraus die zu minimierenden Gesamtkosten des Betrachtungszeitraums: (78)

min K (Q) =

yT ⋅ (k b + Q ⋅ p) + Q $"$$$$$$% #$$$$$ Bestellkosten

(79)

min K (Q) =

Q ⋅ p⋅l 2$"$$% #$

Aufbewahrungs− und Kapitalbindungskosten

yT ⋅ k b Q⋅ p⋅l + yT ⋅ p + Q 2

Durch Ableitung der Kostenfunktion nach der Bestellmenge Q kann nun das Minimum und damit die optimale Bestellmenge Qopt bestimmt werden: (80) (81)

dK (Q) dQ Qopt =

=

yT ⋅ k b p⋅l +0+ =0 ⇒ 2 2 Q

2 ⋅ yT ⋅ k b p⋅l

210

6 Lagerhaltung

Die schließlich resultierende Gleichung (81) stellt die so genannte „Optimale Bestellmengenformel“ dar, welche die einfache Bestimmung einer kostenminimalen Bestellmenge erlaubt. Dies soll anhand des nachfolgenden Fallbeispiels gezeigt werden. Fallbeispiel 8: Planung von konstanten Bestellmengen

Ein Weingroßhändler bestellt bei seinem griechischen Lieferanten Rotwein der Marke „Dionysos“ und lagert diesen ein. Der Bedarf betrug im letzten Jahr 21.000 Flaschen. Der Wein wird kontinuierlich über das ganze Jahr verkauft. Pro Bestellung fallen unabhängig von der bestellten Menge 50 € Verwaltungskosten im Einkauf und 100 € Wareneingangskosten an. Der Einkaufspreis pro Flasche beträgt 3,40 € frei Haus, sofern die Anlieferung auf kompletten Europaletten erfolgt. Jeweils 6 Flaschen sind in Schachteln mit 240 mm Länge, 160 mm Breite und 300 mm Höhe verpackt. Aus Gewichtsgründen können vier Lagen Schachteln auf einer Palette transportiert werden. Der Lagerhaltungskostensatz beträgt 5,5%. Wie groß ist die optimale Bestellmenge? Da die Anlieferung in kompletten Europaletten erfolgen soll, ist die Berechnung der Bestellmenge in Paletten und nicht in Flaschen angezeigt.798 Dazu muss zunächst die Anzahl der Flaschen pro Palette bestimmt werden. Aufgrund der Maße einer Europalette (1200 mm × 800 mm) passen pro Lage 25 Schachteln auf eine Palette, d.h. 100 Schachteln insgesamt und somit 600 Flaschen. Der Preis einer Palette Wein beträgt damit 2.040 €. Der Jahresbedarf beläuft sich auf 35 Paletten. Aus diesen Angaben kann nun unter Nutzung der „Optimalen Bestellmengenformel“ (81) die kostenminimale Bestellmenge in Paletten berechnet werden.

(82)

Qopt =

2⋅

35 Pal. ⋅ (100 + 50) € Jahr = 9, 67 Pal. ≈ 10 Pal. 2040 € 0, 055 ⋅ Pal. Jahr

Die optimale Bestellmenge beträgt somit 10 Paletten bzw. 6.000 Flaschen. Da der Jahresbedarf, die Bestellkosten und der Lagerhaltungskostensatz lediglich aus Abschätzungen und Näherungen resultieren, stellt die Rundung auf 10 oder auch auf 9 Paletten keinerlei Problem dar. Im Gegenteil wäre ein Transport einzelner Schachteln oder sogar einzelner Flaschen aus logistischer Sicht völlig unsinnig. Deshalb sollte im Rahmen der Bestellmengenplanung stets die berechnete Bestellmenge an sinnvolle Logistikeinheiten angepasst werden. Die Bestimmung der optimalen Bestellmenge basiert auf wesentlichen Grundannahmen, die aus den verwendeten Größen oder aus dem zugrunde liegenden Modell des Bestandsverlaufs resultieren. So wird eine näherungsweise konstante Nachfrage pro Zeiteinheit vorausgesetzt. Ebenso werden bekannte Bestellkosten und eine zuverlässige Prognose der Gesamtnachfrage für den Betrachtungszeitraum angenommen. Eine Bestellung kann zu einem beliebigen Zeitpunkt abgegeben werden. Ein möglicher Verderb oder Verlust der Ware wird ebenso nicht betrachtet. Vernachlässigt wird auch eine Konkurrenz verschiedener Artikel um 798

Prinzipiell kann jedoch auch zunächst die Berechnung in Flaschen erfolgen, sofern danach eine Umrechnung in ganze Palettenladungen erfolgt.

6.2 Planung von Lagerbeständen

211

knappe Bevorratungs- oder Einlagerungskapazitäten. Zudem wird die zutreffende Ermittlung des Lagerhaltungskostensatzes unterstellt. Insbesondere sollte sich der Wert des Gutes proportional zum Volumen oder der Stellfläche verhalten. Schließlich werden Herstellkosten pro Stück bzw. Stückpreise angenommen, die nicht von der Bestellmenge abhängig sind. Viele dieser Prämissen werden in der Realität nicht eingehalten. Problematisch erscheint zudem an dieser Berechnung vor allem die Vernachlässigung der Servicewirkungen bzw. der Fehlmengenkosten, denn mit zunehmender Bestellmenge und damit mit abnehmender Anzahl der Bestellzyklen fällt das Risiko von Fehlmengenereignissen. Trotzdem wäre es nicht gerechtfertigt, die „Optimale Bestellmengenformel“ zu verwerfen, denn die auf dieser Basis ermittelte Bestellmenge stellt zumindest eine Orientierung für Bestellmengenentscheidungen dar. Gegenüber der gerade bei kleineren Unternehmen vorzufindenden Festlegung von Bestellmengen mit Hilfe von Faustformeln werden zumindest die Kapitalbindungskosten, die Kosten der Aufbewahrung und die Bestellkosten explizit einbezogen, wenngleich deren Quantifizierung, wie in Abschnitt 6.2.1 gezeigt, nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Einige der Prämissen können durch Modifikationen des Modells gelockert werden. Deutlich wird dies am Beispiel der Annahme konstanter Herstellkosten bzw. konstanter Preise je Stück. In der Realität sind von der Bestellmenge abhängige Stückpreise, insbesondere Preisnachlässe bei steigenden Bestellmengen bzw. Preisaufschläge für Kleinmengen (Mindermengenzuschlag), verbreitet. Ursachen für Preisnachlässe stellen die Fixkostendegression bei der Produktion oder bei der Distribution sowie die absatzfördernde Preispolitik der Lieferanten dar. In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen zur Handhabung von Preisnachlässen, wobei generell unterschieden wird, ob ein Preisnachlass alle Teile einer Bestellmenge betrifft oder nur jene, die über eine Mengengrenze hinaus zusätzlich geordert werden.799 Im letzteren Fall sind bei Überschreiten der Mengengrenzen für die Teile einer Bestellmenge unterschiedliche Preise anzusetzen. Liegen dagegen Preisnachlässe vor, die alle Teile einer bestellten Menge betreffen, lässt sich Gleichung (78) prinzipiell durch Einführung eines mengenabhängigen Preises p(Q) abwandeln. (83)

min K =

yT Q ⋅ (k b + Q ⋅ p(Q)) + ⋅ p(Q) ⋅ l Q 2 #$$$"$$$% #$$$$$$$$"$$$$$$$$% Bestellkosten

Aufbewahrungs− und Kapitalbindungskosten

Handelt es sich bei p(Q) um eine stetige und differenzierbare Funktion, so kann die optimale Bestellmenge entsprechend der oben aufgezeigten Vorgehensweise analog bestimmt werden. Aufwendiger ist dagegen die Berechnung der Bestellmenge bei Staffelpreisen. Staffelpreise gelten jeweils nur für einen bestimmten Bestellmengenbereich. Da in diesem Fall die Funktion p(Q) an den Übergängen von einem Bereich zum anderen unstetig ist, kann diese nicht differenziert werden. Aus diesem Grund ist für jeden Preisabschnitt getrennt die kostenminimale Bestellmenge zu bestimmen und davon jene auszuwählen, welche die geringsten Gesamtkosten zur Folge hat.800 Findet sich im Definitionsbereich eines Preisabschnittes kein

799

Vgl. Benton/Park (1996), S. 220–221.

800

Siehe dazu z.B. Grochla (1978), S. 84–85.

212

6 Lagerhaltung

absolutes Minimum der Kosten, so sind die Kosten an den Übergängen der Bereiche zu beachten und das jeweilige Minimum zu bestimmen.

6.2.3

Planung von Melde- und Sicherheitsbeständen

Neben der Bestellmenge bestimmt auch die Art und Weise der Steuerung der Wiederauffüllung die Höhe der Bestände. Besondere Bedeutung kommt dabei der Höhe der erforderlichen Sicherheitsbestände zu. In Abschnitt 6.1.3 wurden hinsichtlich der Steuerung zeitorientierte und bestandsorientierte Bestellregeln unterschieden. Die nachstehenden Betrachtungen konzentrieren sich auf den Meldebestand als Auslöser einer Nachbestellung.801 Bezeichnet die Größe E{ytw} den Erwartungswert der Nachfragemenge des betrachteten Gutes während der Wiederbeschaffungszeit, so kann der Meldebestand wie folgt definiert werden. (84)

b m = E {y tw } + bs

Da der Sicherheitsbestand bs somit eine Teilmenge des Meldebestands bm darstellt, werden beide Größen im Folgenden simultan bestimmt. Der Sicherheitsbestand erfüllt dabei die Funktion, Schwankungen der Nachfragemenge während der Wiederbeschaffungszeit ytw in einem gewissen Umfang auszugleichen und hierdurch einen vorgegebenen Servicegrad zu gewährleisten. Die Schwankung der Nachfragemenge eines Gutes während dessen Wiederbeschaffung hat im Wesentlichen zwei Ursachen.802 Zum einen ist die Nachfragemenge eines Gutes pro Zeiteinheit, die sogar ggf. von mehreren Nachfragern an ein Lager gerichtet wird, in aller Regel nicht konstant. Geht man zunächst von einer festen Wiederbeschaffungszeit aus, so ergibt sich die Nachfragemenge in der Wiederbeschaffungszeit ytw als Summe der Nachfragen pro Zeiteinheit in diesem Zeitraum. Wird nun auch die Annahme einer konstanten Wiederbeschaffungszeit aufgegeben, d.h. die Nachlieferung kann schneller oder langsamer erfolgen, unterliegt dieser Zeitraum ebenfalls Schwankungen. Als Folge sind somit sowohl die Nachfragemenge pro Zeiteinheit als auch die Wiederbeschaffungszeit und damit die Gesamtnachfrage in der Wiederbeschaffungszeit ytw im doppelten Sinne als stochastische Größen zu verstehen. Extreme Überschreitungen der Wiederbeschaffungszeit können sich durch Fehllieferungen oder durch den kompletten Ausfall einer Nachlieferung ergeben,803 die jeweils eine erneute Nachbestellung erfordern. Von grundlegender Bedeutung für die Bestimmung des Meldebestandes ist die Frage nach den Folgen von Fehlmengen. Im Rahmen der Betrachtung von Fehlmengenkosten wurde bereits die Vormerkung von Rückständen, d.h. von nicht erfüllten Bedarfen, einerseits („Backorder“) und der anhaltende Ausfall von Nachfragen („Lost Sales“) andererseits unterschieden. Diese beiden Möglichkeiten von Fehlmengenkonsequenzen führen zu unterschiedlichen Bestandsverläufen, die in Abbildung 34 dargestellt sind.804 Im Fall von Rückständen

801

Zur Zeitsteuerung siehe z.B. Tempelmeier (2010), S. 96–103; Günther/Tempelmeier (2012), S. 273–287.

802

Vgl. Grochla (1978), S. 112–115; Günther/Tempelmeier (2012), S. 271–273.

803

Vgl. Grochla (1978), S. 115–116; Günther/Tempelmeier (2012), S. 270.

804

Vgl. Bijvank/Vis (2011), S. 2.

6.2 Planung von Lagerbeständen

213

werden diese Nachfragen direkt nach dem Eintreffen der Nachlieferung erfüllt. Entsprechend kleiner fällt die Wiederauffüllung des Lagers aus. Bei „Lost Sales“ steht dagegen die gesamte Bestellmenge zur Lagerauffüllung und damit zu Befriedigung der ab diesem Zeitpunkt neu eintreffenden Nachfragen zur Verfügung. Im Folgenden wird – wie in der Regel im Rahmen der Lagerhaltung üblich805 – von der Situation der Bildung von Rückständen ausgegangen.806 Bestand

Bestand

„backorder“

Q

Q

Q

Rückstandsmenge

„lost sales“

Q

Zeit

Zeit

Abbildung 34: Bestandsverlauf bei Rückständen und bei Ausfall von Nachfragen.

Weiterhin muss zur Bestimmung des Melde- und des Sicherheitsbestands geklärt werden, welche Servicegraddefinition dazu herangezogen werden soll. Wie in Abschnitt 6.2.1 erläutert, bezieht sich der α-Servicegrad auf die Verfügbarkeit des betrachteten Gutes während des gesamten Bestellzykluses, wodurch Bezüge zur Schwankung der Nachfragemenge während einer veränderlichen Wiederbeschaffungszeit problematisch sind. Der α*-Servicegrad würde sich dagegen prinzipiell zur Bestimmung des erforderlichen Sicherheitsbestands eignen.807 Allerdings deckt sich der üblicherweise niedrige α*-Servicegrad, welcher lediglich den Anteil der Bestellzyklen ohne Fehlmengenereignis zur Gesamtzahl der insgesamt beobachteten Bestellzyklen in Relation setzt, nicht mit der Wahrnehmung der Verfügbarkeit durch einen Bedarfsträger, dessen Nachfragen überwiegend außerhalb der Wiederbeschaffungszeit und somit ohne Probleme erfüllt werden.808 Verbreitete Vorstellungen von einem Servicegrad, der 95% übersteigen sollte, würden deshalb hinsichtlich des α*-Servicegrades zu überzogenen Sicherheitsbeständen führen. Statt ereignisbezogener Servicegrade bietet sich deshalb zur Bestimmung des Melde- und Sicherheitsbestands der mengenbezogene β-Servicegrad an, der sich aus dem Erwartungswert der Fehlmenge und der gesamten Nachfragemenge eines Zeitraumes bestimmen lässt.809 Nicht trivial ist allerdings auch in diesem Fall die Wahl der richtigen Sollvorgabe für die Ausprägung des Servicegrades. Obwohl sich in der betrieblichen Praxis häufig sehr hohe 805

So betrachtet beispielsweise Tempelmeier (2010, S. 19) ausschließlich solche Rückstandsmengen als Fehlmengen.

806

Zum Fall der Lost Sales siehe Bijvank/Vis (2011).

807

Siehe z.B. Grochla (1978), S. 119–121; Pfohl (2010), S. 100–104.

808

Siehe dazu Abschnitt 6.2.1.

809

Siehe dazu Gleichung (75).

214

6 Lagerhaltung

Servicegradvorgaben finden, sind diese oft nicht durch entsprechende Überlegungen hinsichtlich der Fehlmengenkosten begründet. Vielmehr scheint es sich eher um gängige Setzungen zu handeln. Es sollte deshalb stets kritisch überprüft werden, ob sehr hohe Servicegrade tatsächlich erforderlich sind. Ist allerdings ein Unternehmen bzw. ein Lager bereits eine Verpflichtung eingegangen, einen vorgegebenen Mindestservicegrad für ein Gut einzuhalten, so muss dieser Wert als Sollvorgabe angesetzt werden. Auf dieser Basis soll nun zunächst jener Erwartungswert der Fehlmenge fT(bm) bestimmt werden, welcher in Abhängigkeit von dem gewählten Meldebestand bm bei einer erwarteten Nachfragemenge yT im Zeitraum T gerade noch zu einer gewünschten Servicegradausprägung β führt. Dazu kann durch Umstellen der Definitionsgleichung des β-Servicegrades (75) die folgende Bedingung abgeleitet werden: (85)

E {f T (b m )} ≤ (1− β )⋅ E {y T }

Der Erwartungswert der Fehlmenge im Betrachtungszeitraum E{fT} entspricht dem Erwartungswert der Fehlmenge in einem Bestellzyklus E{fy} multipliziert mit der Bestellhäufigkeit in diesem Zeitraum. Wird nun eine konstante Bestellmenge Q vorab bestimmt und die Vormerkung von Rückständen vorausgesetzt, so lässt sich die Bestellhäufigkeit als Quotient des Erwartungswerts der Nachfrage im Betrachtungszeitraum E{yT} und dieser Bestellmenge Q ausdrücken.810 Damit lässt sich die Relation (85) wie folgt umformen:811 E {yT }

(86)

E {f y (b m )} ⋅

(87)

E {f y (b m )} ≤ (1− β)⋅ Q

Q

≤ (1− β)⋅ E {y T } ⇒

Kann man den mathematischen Zusammenhang zwischen dem Meldebestand bm und der auf den Bestellzyklus bezogenen Fehlmenge fy herstellen, so lässt sich aus der Relation (87) der Mindestmeldebestand zur Erreichung des Servicegrades β bestimmen. Dies ist vor allem dann möglich, wenn die Nachfragemenge während der Wiederbeschaffungszeit ytw eine normalverteilte Zufallsvariable mit dem Erwartungswert μytw und der Standardabweichung σytw darstellt.812 In diesem Fall können die einzelnen Ausprägungen der Nachfragemenge während der Wiederbeschaffungszeit ytw standardisiert werden. Daraus folgt die standardisierte Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit ztw. (88)

z tw =

y tw − μ ytw σ ytw

Unter der Annahme einer Normalverteilung ist es weiterhin möglich, einen Zusammenhang zwischen dem Erwartungswert der Fehlmenge E{fy(bm)} auf Basis der Originalwerte und 810

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 69.

811

Vgl. Tempelmeier (2010), S. 69; Günther/Tempelmeier (2012), S. 278.

812

Siehe zum folgenden Vorgehen ausführlich Günther/Tempelmeier (2012), S. 279–282; Tempelmeier (2010), S. 69–74. Zu anderen Verteilungsannahmen siehe Tempelmeier (2010), S. 74–79.

6.2 Planung von Lagerbeständen

215

dem Erwartungswert der Fehlmenge E{fz(ζ)} auf Basis der standardisierten Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit herzustellen:813 (89)

E {f y (b m )} = E {f z (ζ )} ⋅ σ ytw

Dabei ist die Größe ζ, die als Sicherheitsfaktor bezeichnet werden kann, wie folgt definiert: (90)

ζ=

b m − μ ytw σ ytw

Wird nun Gleichung (89) in die Relation (87) eingesetzt, so ergibt sich eine Bedingung für den Erwartungswert der Fehlmenge E{fz(ζ)} auf Basis der standardisierten Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit. (91)

E {f z (ζ )} ≤

(1− β)⋅ Q σ ytw

Unter der nun mit Hilfe der Standardisierung erfüllten Voraussetzung einer standardnormalverteilten Nachfragemenge in der Wiederbeschaffungszeit lässt sich der Erwartungswert der Fehlmenge E{fz(ζ)} mit Hilfe der Dichtefunktion φ(ζ) und Verteilungsfunktion Φ(ζ) der Standardnormalverteilung darstellen.814 (92)

E {f z (ζ )} = φ (ζ ) − ζ ⋅ ⎡⎣1− Φ (ζ )⎤⎦

Durch Einsetzen der Gleichung (92) in die Relation (91) ergibt sich eine Bedingung für den zumindest erforderlichen Sicherheitsfaktor ζe, der benötigt wird, einen vorgegebenen Servicegrad β zu gewährleisten. (93)

φ (ζ ) − ζ ⋅ ⎡⎣1− Φ (ζ )⎤⎦ ≤

(1− β)⋅ Q σ ytw

Diese Beziehung kann nicht nach ζ aufgelöst werden. Der erforderliche Sicherheitsfaktor ζe lässt sich jedoch numerisch mit Hilfe einer Wertetabelle bestimmen. Durch Einsetzen in die Gleichung (90) folgt daraus schließlich der Meldebestand bm. (94)

b m = μ ytw + ζ e ⋅ σ ytw

Vergleicht man diesen Ausdruck mit der Gleichung (84), so wird unmittelbar die Größe des Sicherheitsbestands bs deutlich. (95)

bs = ζ e ⋅ σ ytw

813

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 281; Tempelmeier (2010), S. 72.

814

Vgl. Günther/Tempelmeier (2012), S. 281; Tempelmeier (2010), S. 72, 278.

216

6 Lagerhaltung

Diese Vorgehensweise bei normalverteilter Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit und vorgegebenem Servicegrad soll nun mit einem Fallbeispiel erläutert werden. Fallbeispiel 9: Planung von Melde- und Sicherheitsbeständen

Das Unternehmen Rohr & Frei ist im Sanitärgroßhandel tätig und möchte seine Bestände im Lager neu planen. Bisher waren die Kunden bereit, im Fall von Fehlmengen den Liefertermin bis zum Eintreffen der Nachlieferung zu verschieben. Da allerdings einige Kunden aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit bereits recht unzufrieden sind, möchte Rohr & Frei einen hohen Servicegrad bieten und damit in Zukunft auch werben. Deshalb werden für alle Artikel die Sicherheits- und Meldebestände auf Basis eines βServicegrades von 99% neu bestimmt. Zum Vergleich soll die Berechnung auch für βServicegrade von 98%, 98,5%, 99,5% und 99,9% erfolgen. Von dem Anschlussstück mit der Sachnummer A2834274 wurden bisher pro Jahr 9.600 Stück benötigt. Dieses wird bei einem französischen Lieferanten bezogen. Die Bestellmenge beträgt 1.200 Stück. Aufgrund der Verkäufe in der Vergangenheit kann eine normalverteilte Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit angenommen werden, die über die Bestellzyklen hinweg einen Mittelwert von 300 Stück und eine Standardabweichung von 100 Stück zeigt. Durch Einsetzen der Zahlenwerte des Fallbeispiels in die Relation (91) lässt sich die Obergrenze für den Erwartungswert der Fehlmenge E{fz(ζ)} bei einem Servicegrad von 99% bestimmen. (96)

E {f z (ζ )} ≤

(1− β)⋅ Q σ ytw

=

(1− 0,99)⋅1200 100

= 0,12

Der zugehörige Sicherheitsfaktor kann nun aus einer Wertetabelle (Tabelle 29) abgelesen werden, welche die Erwartungswerte der Fehlmenge E{fz(ζ)} in Abhängigkeit von den jeweiligen Sicherheitsfaktoren zeigt. Grundlage für deren Berechnung ist Gleichung (92) und damit die Dichtefunktion φ(ζ) und die Verteilungsfunktion Φ(ζ).815 Für den Erwartungswert der Fehlmenge auf Basis der standardisierten Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit ergibt sich aus Tabelle 29 ein erforderlicher Sicherheitsfaktor von ζe = 0,80. Mit diesem Sicherheitsfaktor lassen sich aus den Gleichungen (94) und (95) der Melde- bzw. der Sicherheitsbestand für das Fallbeispiel 9 bestimmen.

815

(97)

b m = μ ytw + ζ e ⋅ σ ytw = 300 + 0,80 ⋅100 = 380 Stück

(98)

bs = ζ e ⋅ σ ytw = 0,80 ⋅100 = 80 Stück

Zur Bestimmung der Werte mit Hilfe von MS-Excel siehe Tempelmeier (2010), S. 282–283.

6.2 Planung von Lagerbeständen

217

Tabelle 29: Wertetabelle der Erwartungswerte der Fehlmenge E{fz(ζ)} in Abhängigkeit vom Sicherheitsfaktor ζ. ζ

E{fz(ζ)}

….

….

0,7800

0,1245

0,7900

0,1223

0,8000

0,1202

0,8100

0,1181

0,8200

0,1160

….

….

!

Fallbeispiel 9 sieht weiterhin die Berechnung der Sicherheitsbestände für alternative Servicegrade vor. In Tabelle 30 sind die vorgegebenen β-Servicegrade, die mit Hilfe der Definitionsgleichung (75) bestimmten Fehlmengen pro Jahr und die entsprechend der dargestellten Vorgehensweise berechneten Sicherheitsbestände aufgeführt. Tabelle 30: Servicegrade, Fehlmengen pro Jahr und erforderliche Sicherheitsbestände. β-Servicegrad

Fehlmengen pro Jahr

Sicherheitsbestand

98,0%

192

37

98,5%

144

56

99,0%

96

80

99,5%

48

117

99,9%

9,6

187

Vergleicht man die berechneten Sicherheitsbestände, so wird eine deutliche Zunahme bei ansteigenden Servicegraden erkennbar. Deshalb kommt der Festlegung eines angemessenen Servicegrades besondere Bedeutung zu. So erfordert eine Steigerung des Servicegrades von „nur“ 1% von 98% auf 99% ein Anwachsen des Sicherheitsbestands von 37 auf 80 Stück. Wird gar ein Servicegrad von 99,9% verlangt, steigt der erforderliche Sicherheitsbestand auf 187 Stück. Allerdings sinken die Fehlmengen pro Jahr im obigen Beispiel von 192 Stück bei 98% auf weniger als 10 Stück bei 99,9%. Wie zu Beginn des Abschnittes bereits angesprochen, sollten Logistikmanager deshalb nicht leichtfertig einen bestimmten Servicegrad vorgeben, sondern sorgfältig abwägen, welche Fehlmengenkosten einerseits und welche Kapitalbindungskosten und Kosten der Aufbewahrung andererseits daraus resultieren. Weiterhin sollte geprüft werden, ob die Reduktion der Schwankungen der Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit durch einfache Maßnahmen erreicht werden kann. Dies ist zum Beispiel durch eine mit dem Lieferanten verbindlich festgelegte Lieferzeit möglich. Ebenso kann versucht werden, die Nachfrage durch entsprechendes Einwirken auf das Bestellverhalten der Kunden zu verstetigen. Durch solche Maßnahmen sinkt die Standardabweichung und vorgegebene Servicegrade lassen sich durch geringere Sicherheitsbestände realisieren. Gelänge es beispielsweise dem Unternehmen Rohr & Frei die Standardabweichung der Nachfrage in der Wiederbeschaffungszeit auf 50 Stück zu senken, würde ein Sicherheitsbestand von 19 Stück ausreichen, um einen Servicegrad von 99% zu erreichen. Zudem dürfen bei der Planung von Sicherheits- und Meldebeständen die zugrunde gelegten Modellannahmen nicht vergessen werden. Bisher wurde beispielsweise das punktgenaue

218

6 Lagerhaltung

Erreichen des Meldebestands angenommen. Diese Voraussetzung trifft jedoch in der Realität nicht notwendigerweise zu. Wenn einzelne Nachfragemengen die Menge von einem Stück übersteigen oder lediglich eine periodische Überwachung im Abstand von Δt erfolgt, kann der Meldebestand beim Auslösen der Nachbestellung bereits deutlich unterschritten sein.816 Diese als „Undershoot“ bezeichnete Situation führt zu kleineren realisierten Servicegraden als dies bei einem entsprechend bestimmten Sicherheitsbestand zu erwarten wäre. Im Fokus der Betrachtung stand zudem bisher lediglich der Bestand einzelner Güter. Für diese wurden isoliert die jeweiligen Bestellmengen sowie die Melde- und Sicherheitsbestände geplant. In der Realität wird jedoch eine Vielzahl verschiedener Güter in einem Lager zusammen bevorratet. Die Wechselwirkungen zwischen diesen Beständen dürfen nicht vernachlässigt werden. Einige wesentliche Aspekte seien deshalb zum Ende der Betrachtungen zur Lagerhaltung angeführt.817 In der Realität bestehen Restriktionen hinsichtlich des gesamten Bestandswertes eines Lagers und hinsichtlich des insgesamt verfügbaren Lagerraums. Die Erhöhung des Bestands eines Gutes geht somit zu Lasten des Bestands eines anderen. Bei der Bestimmung von Sicherheitsbeständen ist weiterhin zu beachten, dass Fehlmengen ggf. durch vergleichbare und im Lager noch ausreichend verfügbare Substitute vermieden werden können. Andererseits umfassen Kundenbestellungen häufig mehrere Positionen, d.h. die Nachfrage verschiedener Güter entsteht nicht unabhängig voneinander. Insbesondere im Fall komplementärer Güter können Fehlmengen eines Gutes somit auch zu Nachfrageausfällen bei anderen Gütern führen, obwohl diese in ausreichender Menge verfügbar sind.

816

Vgl. Johansen/Hill (2000), S. 281.

817

Vgl. Silver (1981), S. 632.

Schlussbemerkungen zum ersten Band Die Logistik als Phänomen umfasst nach dem in diesem Buch entwickelten Verständnis alle Handlungen der Planung, Steuerung und Ausführung des Transfers von Gütern und Abfällen. Als Lehre versucht sie, Praktikern und Studierenden die richtigen logistischen Handlungen zu vermitteln. Logistik als Wissenschaft strebt schließlich das Erklären und Verstehen logistischer Phänomene an und versucht, die Logistiklehre durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu bereichern. Ausgehend von den beiden primären Hauptfunktionen der Logistik, dem Transport und der Lagerung, können fünf logistische Teilfunktionen unterschieden werden: der außerbetriebliche und der innerbetriebliche Transport, die physische Lagerung, die Lagerhaltung und die Logistikeinheitenbildung. Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen deshalb jene logistischen Handlungen, die zur Erfüllung dieser einzelnen Teilfunktionen erforderlich sind. Die Teilfunktion des außerbetrieblichen Transports ist eng mit der Abwicklung von Verkehren auf Basis einer öffentlichen Infrastruktur verknüpft. Für den innerbetrieblichen Transport müssen dagegen eigene Transportstrukturen geschaffen werden, die als Grundlage für die einzelnen Transporthandlungen dienen. Aufgabe der Teilfunktion der physischen Lagerung ist die Schaffung von Lagerkapazitäten und deren Nutzung zur Ausführung von Prozessen des zeitlichen und räumlichen Transfers innerhalb dieser Einheiten. Dagegen widmet sich die Lagerhaltung vor allem dispositiven Aufgaben, deren Erfüllung einen Einfluss auf die Bestandshöhen in Lagern ausübt. Die Teilfunktion der Logistikeinheitenbildung schafft geschlossene Einheiten, welche den effizienten und sicheren Transfer von Gütern und Abfällen ermöglichen. Die Logistik lässt sich definitionsgemäß in zwei eng verwobene Bereiche zerlegen: in die Ausführung des Gütertransfers und in das Logistikmanagement. Obwohl sich die Darstellung der logistischen Teilfunktionen primär den Ausführungshandlungen gewidmet hat, wurden an vielen Stellen auch Verfahren zur Planung und Steuerung innerhalb dieser Teilfunktionen behandelt. Beispiele dafür sind die Planung ungebrochener Transporte, die Tourenplanung, die Standort- und Layoutplanung für Lagerhäuser sowie die Bestellmengen- und Bestandsplanung im Rahmen der Lagerhaltung. Logistikmanagement ist jedoch mehr als ein Allerlei von Einzelplanungen. Wesentliche Aufgabe des Logistikmanagements ist die Koordination der logistischen Teilfunktionen. Hierdurch soll die zielorientierte Abstimmung von logistischen Einzelhandlungen und Prozessen ermöglicht werden. Der 2. Band der Betriebswirtschaftlichen Logistik wird deshalb vor allem jenen Teil des Logistikmanagements behandeln, welcher der koordinierten Erfüllung der aufgezeigten Teilfunktionen innerhalb eines Unternehmens und über Unternehmensgrenzen hinweg dient.

Verzeichnis der Variablen ai b bij bm bmax bs c c0 c1 cij cij* cP cS d dij dij* dije dijr dmax dmin dopt eij et fij fT fy fz g kb kv

Verfügbare Gütermenge in Abgangspunkt i Gesamte Beförderungsleistung einer Periode Beförderungsleistung von Knoten i nach j Meldebestand Maximalbestand Sicherheitsbestand Konstante Transportkosten pro Logistikeinheit und Entfernungseinheit Fixe Kosten des Transports einer Ganzladung Variable Kosten des Transports einer Ganzladung pro zurückgelegte Entfernungseinheit Kosten des Transports einer Mengeneinheit von Knoten i nach j Kosten des Transports einer Ganzladung von Knoten i nach j Konstante Transportkosten pro Palette und Entfernungseinheit Konstante Transportkosten pro Schachtel und Entfernungseinheit Intensität der Leistungserstellung / Fahrgeschwindigkeit Kürzester Weg von Knoten i nach j (Element der Distanzmatrix) Wegstrecke zwischen einem Lagerbereich i und einem Lagerbereich j Euklidische Distanz zwischen Knoten i und j Rechtwinklige Distanz zwischen Knoten i und j Maximale Intensität der Leistungserstellung / maximale Fahrgeschwindigkeit Minimale Intensität der Leistungserstellung / minimale Fahrgeschwindigkeit Optimale Intensität der Leistungserstellung / optimale Fahrgeschwindigkeit Entfernung von Knoten i nach j (Element der Entfernungsmatrix) Prognosefehler der Periode t Stellfläche der von Knoten i nach j zu transportierenden Güter (Element der Stellflächenmatrix) Fehlmenge im Betrachtungszeitraum T Fehlmenge in einem Bestellzyklus Standardisierte Fehlmenge in einem Bestellzyklus Glättungsparameter Konstante Bestellkosten Variable Kosten pro Fahrzeugkilometer

222 kvi l lij mij n nB nBf nP nPf p pi pt q ri s sij t t0 tb tb,i te tg,i tij tk tw tw,i vi vij w w0 wj xij (x,y) (x0,y0)

Verzeichnis der Variablen Variable Kosten des Faktors i pro Fahrzeugkilometer Lagerhaltungskostensatz Lademeter der von Knoten i nach j zu transportierenden Güter (Element der Lademetermatrix) Masse der von Knoten i nach j zu transportierenden Güter (Element der Massenmatrix) Anzahl Knoten in einem Graphen Anzahl der Bestellzyklen insgesamt Anzahl der Bestellzyklen mit mindestens einem Fehlmengenereignis Anzahl der Perioden insgesamt Anzahl der Perioden mit mindestens einem Fehlmengenereignis Wert eines gelagerten Gutes pro Stück Preis von Faktor i Prognosewert der Nachfrage in der Periode t Anzahl der Kanten bzw. Pfeile in einem Graphen Menge des Faktors i Gesamte Wegstreckeneinsparung Wegstreckeneinsparung („Saving“) durch Verbindung von Knoten i mit j Zeit, Zeitpunkt oder Periode Maximal zur Verfügung stehende Arbeitszeit Basiszeit für einen Auftrag Basiszeit für die Position i Eindeckzeit Greifzeit zur Entnahme der Position i Kürzeste Transportzeit von Knoten i nach j (Element der kürzesten Transportzeitenmatrix) Gesamte Kommissionierzeit für einen Auftrag Wiederbeschaffungszeit Wegzeit zum Erreichen des Lagerortes der Position i Verbrauch von Faktor i Volumen der von Knoten i nach j zu transportierenden Güter (Element der Volumenmatrix) Zurückgelegte Strecke Unter Einhaltung von dopt maximal zurückzulegende Strecke Menge der erzeugten Logistikleistung j Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Güter (Element der Mengenmatrix) Koordinaten eines Ortes in der Ebene Koordinaten des Lagerstandorts in der Ebene

Verzeichnis der Variablen yT yt yt(1) yt(2) ytw zj zk ztw Α

Nachfrage im Betrachtungszeitraum T Nachfrage in der Periode t Geglättete Nachfrage erster Ordnung in der Periode t Geglättete Nachfrage zweiter Ordnung in der Periode t Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit tw Erforderliche Gütermenge in Zielpunkt j Menge des externen Faktors k Standardisierte Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit tw Adjazenzmatrix

Ai B C D E E{ } F Fi G H K L M N P Q Qopt R S T Uk V V X Zj α

Abgangspunkt i Beförderungsleistungsmatrix Kostenmatrix Kürzeste Wegematrix (Distanzmatrix) Entfernungsmatrix Erwartungswert einer Variablen Stellflächenmatrix Fixe Kosten des Lagerhauses i Graph Kantenmenge Gesamtkosten Lademetermatrix Massenmatrix Knotenmenge Produktionsfunktion Bestellmenge Optimale Bestellmenge Gesamtlänge einer Rundreise Sammelpunkt Kürzeste Transportzeitenmatrix Umschlagpunkt k Verteilpunkt Volumenmatrix Mengenmatrix Zielpunkt j α−Servicegrad

α∗

α∗−Servicegrad

αij

Binärvariable [0,1] (Element der Adjazenzmatrix)

β

β−Servicegrad

223

224

Verzeichnis der Variablen

β0

Achsenabschnitt der Regressionsgeraden

β0,t

Abstand der Regressionsgeraden von der Abszisse in der Periode t

β1

Steigung der Regressionsgeraden

β1,t

Steigung der Regressionsgeraden in der Periode t

δ

Länge des Umwegs

εt

Unerklärte Nachfrage in der Periode t

φ

Dichtefunktion der Standardnormalverteilung

γij κa

Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Ganzladungen (Element der Ganzladungsmatrix) Abwicklungskapazität eines Lagers pro Periode

κb

Bevorratungskapazität eines Lagers

κia κk a l

Abwicklungskapazität eines Lagers i pro Periode

κ

Ladekapazität eines Transportmittels

λij

λijP

Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Logistikeinheiten (Element der Transportmatrix) Maximal mögliche Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Logistikeinheiten (Grenzdurchsatz) Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Paletten

λijS

Anzahl der von Knoten i nach j zu transportierenden Schachteln

μytw

Erwartungswert der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit tw

ρij

Kapazitätsauslastung einer Förderstrecke zwischen Knoten i und j

λijmax

Abwicklungskapazität eines Werks k pro Periode

σytw

Standardabweichung der Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit tw

τ

Verfügbare Zeit für eine Tour

ξij

Binärvariable [0,1]

ψi

Binärvariable [0,1]

ζ

Sicherheitsfaktor

ζe

Erforderlicher Sicherheitsfaktor

Δt

Zeitdifferenz

Φ

Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung

Γ

Ganzladungsmatrix

Λ

Transportmatrix

Ξ

Lösungsmatrix des Traveling-Salesman-Problems

Verzeichnis der Fallbeispiele Fallbeispiel 1: Abbildung von räumlichen Transferbeziehungen.......................................... 74 Fallbeispiel 2: Klassisches Transportproblem ....................................................................... 91 Fallbeispiel 3: Traveling-Salesman-Problem ...................................................................... 108 Fallbeispiel 4: Tourenplanungsproblem (Capacitated Vehicle Routing Problem) .............. 112 Fallbeispiel 5: Kapazitiertes einstufiges Lagerstandortproblem (Capacitated Warehouse Location Problem) ............................................... 145 Fallbeispiel 6: Standortwahl in der Ebene (Steiner-Weber-Problem) ................................. 148 Fallbeispiel 7: Lagerhauslayoutplanung (Facility Layout Problem)................................... 165 Fallbeispiel 8: Planung von konstanten Bestellmengen ...................................................... 210 Fallbeispiel 9: Planung von Melde- und Sicherheitsbeständen........................................... 216

Literatur- und Quellenverzeichnis Literatur Aberle, Gerd (2009): Transportwirtschaft. Einzel- und gesamtwirtschaftliche Grundlagen. 5., überarb. u. erg. Aufl. München 2009. Arnold, Dieter/Furmans, Kai (2009): Materialfluss in Logistiksystemen. 6., erweiterte Aufl. Berlin u.a. 2009. Arnolds, Hans/Heege, Franz/Röh, Carsten/Tussing, Werner (2010): Materialwirtschaft und Einkauf. Grundlagen, Spezialthemen, Übungen. 11., vollst. überarb. Aufl. Wiesbaden 2010. Ashayeri, Jalal/Gelders, L. F. (1985): Warehouse design optimization. In: European Journal of Operational Research 21(1985)3, S. 285–294. Baker, Peter (2007): An exploratory framework of the role of inventory and warehousing in international supply chains. In: The International Journal of Logistics Management 18(2007)1, S. 64–80. Baker, Peter/Canessa, Marco (2009): Production, Manufacturing and Logistics Warehouse design: A structured approach. In: European Journal of Operational Research 193(2009)2, S. 425–436. Baldacci, Roberto/Mingozzi, Aristide/Roberti, Roberto (2012): Recent exact algorithms for solving the vehicle routing problem under capacity and time window constraints. In: European Journal of Operational Research 218(2012)1, S. 1–6. Bamberger, Ingolf/Wrona, Thomas (1996): Der Ressourcenansatz und seine Bedeutung für die Strategische Unternehmensführung. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 48(1996)2, S. 130–153. Barney, Jay (1991): Firm Resources and Sustained Competitive Advantage. In: Journal of Management 17(1991)1, S. 99–120. Bartholdi, John J./Gue, Kevin R. (2004): The Best Shape for a Crossdock. In: Transportation Science 38(2004)2, S. 235–244. Benton, W.C./Park, Seungwook (1996): A classification of literature on determining the lot size under quantity discounts. In: European Journal of Operational Research 92(1996)2, S. 219–223. Bijvank, Marco/Vis, Iris F.A. (2011): Lost-sales inventory theory: A review. In: European Journal of Operational Research 215(2011)1, S. 1–13.

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248

Literatur- und Quellenverzeichnis

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Sachverzeichnis A

Abfall........................................................3, 15 Ablauforganisation .......................................36 Adjazenzmatrix.............................................74 Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen .............................................70 Anpassung intensitätsmäßige......................................82 zeitliche ....................................................82 Arbeit..... 1, 10, 26, 34, 36, 110, 117, 122, 134, 175, 183 Arbeitsbelastung .........................................122 Arbeitsleistung............................................140 Arbeitsproduktivität......................................32 Arbeitsschutz ................................52, 139, 164 Arbeitsteilung .................................................3 Arbeitszeit........................... 110, 111, 117, 129 Aufbauorganisation ......................................36 Aufbewahrungskosten ........................203, 208 Auftragsübermittlung .................................174 Auslagerung........................................152, 172 Auslastung ........................60, 80, 88, 101, 171 Auslieferungslager......................................137 Autobahnmaut ..............................................58 Automatisierungsgrad.................................174

B

Baustellenproduktion..................................121 Bedarfsermittlung .......................................189 qualitative...............................................189 quantitative.............................................189 Bedarfsplanung...........................190, 196, 197 kooperative.............................................196 Bedarfsträger ......................................189, 207 Beförderungsaufkommen .......................64, 75 Beförderungsleistung..............................64, 78 Behälter.........................................................47 Behälter-Kanban.........................................133 Behälterverkehr ............................................98 Bereitstellungsprinzip Beschaffung im Bedarfsfall....................187

Einsatzsynchrone Bereitstellung............ 187 Vorratshaltung ........................................ 187 Beschaffungslogistik .................................... 15 Bestand .. 12, 34, 132, 137, 141, 153, 171, 185, 186 Bestandsfunktion ........................................ 186 Bestandsmanagement ................... 12, 153, 186 Bestandssenkung ........................................ 186 Bestandsverlustkosten ................................ 205 Bestellkosten ...................................... 204, 209 Bestellmenge ...................... 199, 207, 210, 211 konstante ........................................ 200, 208 Bestellmengenformel ................................. 208 Bestellregel................................. 199, 200, 201 Bestellzyklus .............................................. 197 Bevorratung ................................................ 139 Bevorratungskapazität ................................ 135 Binnencontainer ........................................... 50 Binnenhafen ................................................. 61 Binnenschiff ................................................. 61 Binnenschifffahrt.................................. 60, 100 Binnenwasserstraße ...................................... 60 Blocklagerung ............................................ 156 Bodenlagerung ........................................... 155 Boxpalette..................................................... 49 Bundesvereinigung Logistik ........................ 11 Bundesverkehrsprognose ............................. 66 Business Logistics ........................................ 15

C

Capacitated Vehicle Routing Problem........ 110 Capacitated Warehouse Location Problem 143, 145 Chaotische Lagerung............................... Siehe Lagerplatzzuordnung Container ........................ 49, 61, 62, 88, 98, 99 45ft-Container .......................................... 50 ISO-Container ......................................... 49 Council of Supply Chain Management Professionals ............................................ 10 Cross-Docking............................................ 136

250 D

Dienstleistung ............................................... 82 Disposition.................................................. 134 Distanzmaß ................................................. 147 Distanzmatrix ................................. 77, 92, 113 Distanzmessung..........................................146 Distributionslogistik .....................................15 Dreieckverfahren ........................................162

E

Economic Order Quantity ..........................208 Effizienz .......................................................31 Eignungswert..................................................1 Einlagerung ........................................ 152, 172 Eisenbahnverkehr ......................................... 59 Eisenbahnwagen ...........................................59 Endkombination ........................................... 83 Entfernungsmatrix ........................................ 77 Entsorgung......................................................4 Erfolg logistikinduzierter ....................................30 Erfolgspotential ............................................36 externes .................................................... 37 internes .....................................................36 Erklären ........................................................16 Erlöse logistikinduzierte...................................... 28 Erzeugnisstruktur........................................196 Europalette.................................................... 48 Evaluation...................................................195 Exponentielle Glättung erster Ordnung........................................192 zweiter Ordnung..................................... 193 Expressdienst................................................ 71

F

Fachbodenregal........................................... 156 Facility Layout Problem ............................. 163 Fähigkeit ....................................................... 35 Fahrgeschwindigkeit..................................... 81 optimale.................................................... 82 Fahrleistung ............................................ 68, 81 Fahrzeit ....................................................... 117 Fahrzeugkilometer.................................. 68, 81 Fehlleistung .................................................. 25 Fehlmenge .................................. 207, 212, 214 Fehlmengenkosten......................................204 Fernverkehr ..................................................58

Sachverzeichnis Fertigungssteuerung bedarfsorientierte ................................... 132 verbrauchsorientierte.............................. 132 Flächenmodul ............................................... 46 Flachpalette .................................................. 48 Fließfertigung ............................................. 121 Flughafen...................................................... 62 Flurförderzeug.................................... 124, 134 fahrerloses .............................................. 125 Fördermittel........................................ 122, 134 lagerbezogene ........................................ 157 stetige ..................................................... 123 unstetige ................................................. 123 Fördern ....................................................... 119 Förderstrecke.............................................. 123 Frachtbrief .................................................... 68 Frachtführer............................................ 15, 68 Frachtvertrag ................................................ 68 Fremdvergabe............................................... 37 Führung .......................................................... 5 Funktion Logistik .................................................... 11 Wirtschaft................................................... 1

G

Ganzladung................................................... 90 Gebrauchswert................................................ 2 Gelegenheitsschifffahrt ................................ 61 Gerechtigkeit ................................................ 37 Graph............................................................ 73 Gutenberg-Produktionsfunktion................... 81 Güterkraftverkehr ......................................... 59 Güterstruktureffekt ....................................... 67 Gütertransportintensität................................ 64 Güterverkehrszentrum.................................. 98

H

Handhaben.................................................. 120 Handlung . 1, 4, 17, 22, 26, 35, 51, 64, 87, 119, 175 Effizienz................................................... 31 Konsequenz.............................................. 22 logistische .................. 11, 15, 23, 30, 32, 44 nachhaltige ............................................... 38 Wirtschaftlichkeit..................................... 33 Handlungsfolge .................................... 1, 4, 32 Hauptlauf...................................................... 94 Hub-and-Spoke...Siehe Nabe-Speiche-Struktur Hubwagen................................................... 124 Huckepackverkehr........................................ 98

Sachverzeichnis

251

I

Incoterms ......................................................95 Informationstechnologie...............................37 Informationsversorgung .................................5 Integrationseffekt..........................................67 International Society of Logistics.................10 Internationalisierung.......................................3 ISO-Container ..............................................49

Kontraktlogistikleistung ............................. 138 Kontraktlogistikunternehmen................. 15, 72 Kontrolle......................................................... 5 Koordinate geographische ........................................ 147 Kostenarten................................................... 26 Kürzeste-Wege-Matrix ................................. 77 Kurzzyklus ................................................. 107

J

L

Just-in-Sequence.........................................188 Just-in-Time................................................188

K

Kanban........................................................133 Kapazitätsrestriktion...........................144, 151 Kapitalbindungskosten ...............186, 203, 208 Kapitalrentabilität .........................................34 KEP-Dienst.............................................15, 71 Klassisches Transportproblem........89, 93, 143 Kleinladungsträger .......................................47 Kombinierter Ladungsverkehr................97, 98 Straße-Schiene .........................................99 Kommissionierer ........................................125 Kommissionierfehler ..................................183 Kommissionierführung...............................182 Kommissionierliste.....................................182 elektronische ..........................................182 Kommissionierung .............................152, 172 auftragsparallele .....................................183 Batch ......................................................180 einstufige................................................177 Gesamtzeit......................................175, 177 Mäanderregel .........................................179 mehrstufige.....................................177, 183 Mensch-zur-Ware ...................................175 Mittellinienregel.....................................179 Pick-by-Light .........................................182 Pick-by-Voice.........................................182 Regel der größten Lücke ........................180 Rückkehrregel ........................................179 sequenzielle ............................................184 simultane in Zonen.................................184 Sort-after-Pick ........................................183 Sort-While-Pick .....................................181 Ware-zum-Menschen .............................176 Kommissionierzone....................................184 Kommunikation............................................53 Kommunikationsmedien .............................132 Kontraktlogistik............................................72

Ladeeinheit ................................................... 47 Ladekapazität ........................ 90, 102, 110, 117 Ladungskonsolidierung ................................ 86 Ladungssicherung................................... 49, 69 Ladungsträger............................................... 47 Ladungsverkehr kombinierter....................................... 97, 98 Lagerbereich....................................... 121, 135 interner ................................................... 153 Lagerbestand ...................................... 185, 197 Lagerbestandskosten .................................. 203 Lagerfunktion ............................................. 153 Lagergeschäft ............................................. 138 Lagerhalter ................................................... 15 Lagerhaltung................................. 12, 185, 207 Backorder....................................... 204, 212 Lost Sales ....................................... 204, 212 Lagerhaltungskosten................... 141, 186, 202 Lagerhaltungspolitik................................... 199 bedarfsorientierte ................................... 201 verbrauchsorientierte.............................. 200 Lagerhaus ........................................... 135, 152 Anzahl ............................................ 141, 145 Aufbau............................ 153, 157, 158, 162 Gestaltung .............................................. 157 Layout .................................................... 178 Lagerhauskosten......................................... 143 Lagerhauslayoutplanung .................... 162, 164 Lagermittel ................................................. 155 Lagerplatzzuordnung.................................. 169 feste ........................................................ 169 freie ........................................................ 170 Regeln .................................................... 171 Lagerstandortproblem einstufiges kapazitiertes ................. 143, 145 mehrstufiges kapazitiertes...................... 150 Lagerung....................................................... 12 dynamische ............................................ 156 physische............................ 12, 72, 135, 153 statische.................................................. 156

252 Layoutplanung.................................... 139, 162 Leerfahrt ............................... Siehe Auslastung Lenkzeit ...................................................... 117 Lieferanten-Abnehmer-Beziehung ................. 3 Lieferbereitschaft................. Siehe Servicegrad Lieferzeit .............................................. 28, 142 Lineare Regression ..................................... 193 Linienschifffahrt ...........................................61 Logistik Definition ..................................... 11, 16, 21 deskriptiv-konzeptioneller Ansatz............ 20 explikativer Ansatz................................... 20 Funktion ................................................... 11 Lehre .......................................................... 6 mathematisch-instrumenteller Ansatz ......20 nachhaltige ...............................................39 Phänomen................................................... 9 Wissenschaft ............................................ 16 Wissenschaftsprogramm .......................... 18 Logistikabteilung.......................................... 10 Logistikausführender.................................... 10 Logistikbegriff................................................6 Logistikeffekt ...............................................67 Logistikeinheit........43, 88, 129, 161, 166, 210 Gestaltung ................................................55 Planung.....................................................55 Systematik................................................45 Logistikeinheitenauflösung ..........................44 Logistikeinheitenbildung...................13, 43, 51 Kosten ......................................................54 Planung.....................................................55 Logistikerfolg ............................................... 30 Logistikerlös .................................................33 Logistikforschung.........................................21 Logistikhandlung....................................26, 30 Logistikimmobilie .............................. 143, 157 Logistikkanal .................................................. 9 Logistikkosten ........................................26, 33 Logistikleistung ...................................... 23, 31 ergebnisbezogene .....................................25 potenzialbezogene.................................... 25 prozessbezogene.......................................25 wirkungsbezogene....................................25 Logistikmanagement ....................................14 Logistikmanager ...........................................10 Logistikobjekte .............................................43 Logistikteilfunktion .......................... 11, 12, 13 Logistikumsatzerlös...................................... 27 Logistikunternehmen.......... 10, 15, 37, 70, 137 Logistikverband............................................ 10

Sachverzeichnis Luftfahrzeug ................................................. 63 Luftfrachtcontainer....................................... 51 Luftverkehr................................................... 62

M

Managementhandlung .................................... 5 Marktreaktionsfunktion................................ 28 Massenmatrix ............................................... 75 Materialbedarfsplanung programmorientierte .............................. 196 verbrauchsorientierte.............................. 197 Materialflussplanung.................................. 126 Maximalbestand ......................................... 201 Mehrdepotproblem ..................................... 116 Mehrkundenlagerhaus ................................ 138 Meldebestand ............. 132, 199, 200, 212, 214 Mengenmatrix ........................................ 76, 89 Mensch-zur-Ware ............................... 175, 177 Militär............................................................. 6 Mindermengenzuschlag ............................. 211 Modal-split ................................................... 64 Modellbildung .............................................. 72 Multi-user Warehouse ................................ 138

N

Nabe-Speiche-Struktur ......................... 86, 136 Nachbestellung ........................... 197, 198, 206 Nachfrage ................................................... 207 gleichbleibende ...................................... 192 im Betrachtungszeitraum ....................... 209 in der Wiederbeschaffungszeit....... 212, 214 saisonale................................................. 191 schwankende .......................................... 212 trendförmige........................................... 192 Nachfrageprognose..................................... 191 Nachhaltige Entwicklung ............................. 37 Nachhaltigkeitseffekt.................................... 67 Nachhaltigkeitsstrategie ............................... 40 Nachlauf ....................................................... 95 Nachschubtransport.................................... 149 Nahverkehr ................................................... 58 Nord-West-Ecken-Regel .............................. 92

O

Ökologie ....................................................... 39 Operations Research..................................... 20 Optimale Bestellmengenformel.......... 208, 210 Organisation ................................................... 5 Outsourcing ..................... Siehe Fremdvergabe

Sachverzeichnis P

Packmittel .....................................................46 Packung ........................................................46 Paketdienst....................................................71 Palette ...........................................................48 Palettenpool Europäischer.............................................48 Palettenregal ...............................................156 Pendelverkehr ...............................................85 Personal ........................................................36 Physische Distribution................................6, 8 Pick-by-Light..............................................182 Pick-by-Voice .............................................182 Planung ...........................................................5 Planungshandlung...........................................5 Postponement .............................................188 Preisnachlass............................................... 211 Primärbedarf .......................................190, 191 Produktionsbestand.....................................185 Produktionsfunktion ...............................79, 81 Produktionslogistik.......................................15 Produktionsprogrammplanung ...................191 Produktivität .................................................32 Prognosemodell ..........................................192 Prognosewert ......................................192, 194 Prozess........................................................1, 4

Q

Quergang ....................................................180

R

Rationalität ...................................................22 Reeder...........................................................71 Regallagerung .............................................156 Regionallager..............................................142 Reihenfolge.................................................105 Rentabilität ...................................................34 Ressourcenorientierter Ansatz ......................35 Risiko............................................................33 Rohrleitungsverkehr .....................................63 Rollbehälter ..................................................49 Roll-on-Roll-off-Verkehr............................101 Rückführungslogistik ...................................15 Rückstandsauftrag ..............................204, 212

S

Sammelladung ..............................................70 Sammelpunkt................................................86 Sammeltour.................................................104

253 Sammlung................................................... 136 Saving-Verfahren................................ 111, 113 Schienennetz........................................... 59, 60 Schlepper .................................................... 124 Schutzfunktion ............................................. 52 Seehafen ....................................................... 62 Seeschiff ....................................................... 62 Seeschifffahrt.................................. 62, 69, 101 Selbsteinlagerung ....................................... 137 Selbsteintritt ................................................. 69 Servicegrad................................... 28, 205, 217 α*-Servicegrad............................... 206, 213 α-Servicegrad................................. 206, 213 β-Servicegrad................................. 207, 213 Sicherheitsbestand ................ 33, 199, 212, 215 Sicherheitsfaktor......................................... 215 Sinn subjektiver................................................ 17 Solver ........................................... 93, 145, 149 Sortierprozess ............................................. 152 Spediteur....................................................... 69 Spedition................................................. 15, 71 zu festen Kosten....................................... 70 Speditionssammelgutverkehr ....................... 70 Speditionsvertrag.......................................... 69 Stafettenverkehr............................................ 86 Staffelpreis.................................................. 211 Standardisierung........................................... 46 Standardtour ............................................... 105 Standortwahl............................................... 139 außerbetriebliche.................................... 139 diskrete................................................... 143 in der Ebene ................................... 143, 146 in Netzen ................................................ 143 innerbetriebliche .................................... 139 interlokale .............................................. 140 kontinuierliche ............................... 143, 146 lokale...................................................... 142 Rahmenbedingung ................................. 140 Stapler......................................................... 125 Steiner-Weber-Problem .............................. 148 Stetigförderer...................................... 122, 157 Steuerung........................................................ 5 Steuerungshandlung ....................................... 5 Straßengüterverkehr ............................... 58, 65 Straßennetz ................................................... 58 Straßenverkehrsmittel................................... 58 Strategie........................................................ 35 Substitutionseffekt........................................ 67 Sukzessivlieferungsvertrag......................... 190

254 T

Tagestour .................................................... 106 Tauschpalette ................................................ 48 Teilfunktion logistische..................................... 11, 12, 13 Teillieferung ............................................... 116 Tour...............................................97, 102, 133 Tourenplan.......................................... 104, 112 Tourenplanung Lösungsverfahren................................... 111 Saving-Verfahren ........................... 111, 113 Tourenplanungsproblem.............. 104, 110, 112 Klassifikation ......................................... 116 Transaktionsprozess........................................2 Transfer räumlicher .............................. 3, 57, 73, 119 zeitlicher.....................................3, 135, 185 Transferprozess...............................................4 Transformationsprozess..................................2 Transport...........................................12, 57, 84 außerbetrieblicher.....................................12 direkter................................................85, 89 externer Effekt..........................................79 gebrochener........................................87, 93 indirekter ....................................86, 87, 102 innerbetrieblicher ..................... 12, 119, 122 ungebrochener......................87, 88, 89, 102 Transportauftrag .........................................131 Transportbestand ........................................186 Transporthandlung..................................64, 79 Transportkapazität ......................................133 Transportkette...........................88, 93, 94, 136 Transportkosten ......................90, 95, 144, 168 Transportmatrix ....................................76, 127 Transportmittel .......................................87, 91 Transportplanung außerbetriebliche..........................89, 95, 96 innerbetriebliche..................................... 126 Transportproblem ganzzahliges.............................................. 90 klassisches........................................89, 143 zweistufiges......................................97, 151 Transportprozess.....................................80, 86 innerbetrieblicher ...................................131 Transportstrukturplanung innerbetriebliche.....................................126 Transportunternehmen..................................70 Transportverpackung ....................................45 Transportweite ..............................................64

Sachverzeichnis Traveling-Salesman-Problem ............. 106, 178 Verfahren................................................ 109

U

Überwachungsintervall............................... 198 Umsatzrentabilität ........................................ 34 Umschlag...................................................... 87 Umschlaglagerhaus ............................ 136, 154 Umschlagpunkt........................................... 139 Umverpackung ............................................. 44 Umweltbelastung.......................................... 96 Undershoot ................................................. 218 Unitization.............................................. 13, 44 Unsicherheit ................................. 33, 117, 189 Unstetigförderer ................................. 123, 157 Unternehmenslogistik................................... 15

V

Vendor-managed Inventory ........................ 198 Verbrauchsfunktion ...................................... 81 Verbundproduktion....................................... 79 Verfügbarkeit...................................... 205, 207 faktische ..................................................... 2 rechtliche.................................................... 2 Verkaufsverpackung ..................................... 44 Verkehrsinfrastruktur.................................... 16 Verkehrsmittel ........................................ 57, 80 Verkehrsträger ............................ 57, 64, 80, 98 Verkehrsweg ........................................... 57, 77 Verpackung ............................................. 13, 46 Verpackungsfunktion.................................... 51 Verstehen ...................................................... 17 Verteilpunkt .................................................. 86 Verteiltour................................................... 103 Verteilung ................................................... 136 Vorkombination ............................................ 83 Vorlauf .......................................................... 95 Vorratslagerhaus ......................... 135, 154, 164 Vorratsverlagerung ..................................... 188

W

Wagen......................................................... 124 Warehouse Location Problem ............ 143, 145 Warenausgang ............................................ 153 Wareneingang............................................. 152 Ware-zum-Menschen.................................. 176 Wechselbehälter............................................ 50 Wegeoptimierung ....................................... 175

Sachverzeichnis Wegstreckeneinsparung ...................... 103, 112 Werkstattfertigung ......................................120 Werkverkehr .................................................59 Wertrationalität .......................................23, 37 Wertschöpfung................................................1 Wertschöpfungsprozess ..................................4 Wiederauffüllung................................197, 212 Wiederbeschaffungszeit.....197, 199, 206, 212, 217 Wirtschaft .......................................................1 Wirtschaftlichkeit .........................................33 Wissenschaftliche Kommission Logistik .....19

255 Z

Zeilenlagerung............................................ 156 Zeitfenster................................................... 116 Zeitreihenanalyse ....................................... 191 Zeitrestriktion ............................................. 117 Zentrallager .................................................. 86 Zentrenproduktion ...................................... 121 Zielfunktion .......................................... 89, 143 Zulieferungslager........................................ 137 Zuordnungsproblem quadratisches.................................. 163, 167 Zweckrationalität.......................................... 22