Handbuch Industrie 4.0: Band 3: Logistik [3. Aufl.] 9783662585290, 9783662585306

Mit der Neuauflage des erfolgreichen Werkes wird die Geschichte der vierten industriellen Revolution fortgeschrieben und

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German Pages XVIII, 643 [631] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Front Matter ....Pages 1-1
Logistik 4.0 in der Silicon Economy (Michael ten Hompel, Michael Henke)....Pages 3-9
Front Matter ....Pages 11-11
Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik (Simon Sohrt, André Heinke, Nikita Shchekutin, Björn Eilert, Ludger Overmeyer)....Pages 13-39
Das bewegliche Lager auf Basis eines cyber-physischen Systems (Christian Wurll)....Pages 41-79
Plug&Play-Fördertechnik in der Industrie 4.0 (Zäzilia Seibold, Kai Furmans)....Pages 81-97
Front Matter ....Pages 99-99
Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme (Ludger Overmeyer, Lars Dohrmann, Steffen Kleinert, Florian Podszus, Andreas Seel, Björn Eilert et al.)....Pages 101-141
Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von Industrie 4.0 (Jens Schaffer, Maira Weidenbach)....Pages 143-169
Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine (Joachim Tödter, Bengt Abel, Ralf König, Dennis Schüthe)....Pages 171-186
Schlüsseltechnologien für intelligente, mobile Transport- und Automatisierungsplattformen (Christopher Kirsch, Sören Kerner, Alexander Bubeck, Matthias Gruhler)....Pages 187-203
Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung (Alex Vastag, Maximilian Schellert)....Pages 205-224
Front Matter ....Pages 225-225
Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen (Sören Kerner, Jens Leveling, Oliver Urbann, Luise Weickhmann, Maximilian Otten, Maurice Vogel)....Pages 227-250
Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik (Jürgen Grotepass, Joseph Eichinger, Florian Voigtländer)....Pages 251-284
Device Clouds (Uwe Kubach)....Pages 285-303
Industrie-4.0-fähige Software-Dienste auf Basis von Cloud Computing (Andreas Trautmann, Damian Daniluk, Oliver Wolf, Michael ten Hompel)....Pages 305-323
Innovative Warehouse-Management-Systeme im Kontext von Industrie 4.0 (Kira Schmeltzpfenning, Björn Krämer)....Pages 325-346
Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Warehouse-, Transport- und Supply-Chain-Management-Systeme (Giovanni Prestifilippo)....Pages 347-360
Front Matter ....Pages 361-361
Aktorik für Industrie 4.0 (Heiko Stichweh)....Pages 363-383
Intelligente Sensorik als Grundbaustein für cyber-physische Systeme in der Logistik (Kay Fürstenberg, Christopher Kirsch)....Pages 385-411
Wandlungsfähige Fabriken – Der Stellenwert von Sensorik und Aktorik in der Materialflusstechnik (Johann Soder, Simon Beck, Andre Frankenberg)....Pages 413-431
Front Matter ....Pages 433-433
Einsatz digitaler Assistenzsysteme in der Logistik 4.0 (Benedikt Mättig, Veronika Kretschmer)....Pages 435-459
Sensoren und Algorithmen für die automatische Analyse von manuellen Prozessen in der Logistik 4.0 (Malcolm Anthony Harris, Sascha Kaczmarek, Sascha Feldhorst)....Pages 461-475
Einsatzmöglichkeiten von Drohnen zur Inventur in der Logistik 4.0 (Martin Fiedler, Benjamin Federmann)....Pages 477-491
Front Matter ....Pages 493-493
Digitalisierung industrieller Arbeit (Hartmut Hirsch-Kreinsen, Michael ten Hompel, Veronika Kretschmer)....Pages 495-512
Mit Serious Games zum Trainingserfolg: Digitale Lernspiele in der Mitarbeiterschulung (Sabrina Schäfer, Gerald Müller, Veronika Kretschmer)....Pages 513-527
Mensch-Technik-Interaktion in Industrie-4.0-Umgebungen am Beispiel von EMILI (Thomas Kirks, Jana Jost)....Pages 529-539
Front Matter ....Pages 541-541
Geschäftsmodelle für die Logistik 4.0 (Michael Henke, Tobias Hegmanns)....Pages 543-553
Dortmunder Management-Modell (Michael Henke, Christoph Besenfelder, Sandra Kaczmarek)....Pages 555-571
Machine-To-Machine Communication (Thomas Knoll, Alexander Lautz, Nicolas Deuß)....Pages 573-582
Big Data – Mustererkennung als Erfolgsfaktor der Logistik 4.0 (Götz Wehberg)....Pages 583-597
Blockchain-basiertes Supply Chain Management (Michael Henke, Axel T. Schulte, Sabine Jakob)....Pages 599-615
Innovative Pricing-Modelle (Natalia Broza-Abut, Axel T. Schulte, Diana Conrad, Johannes Kaumanns)....Pages 617-631
Back Matter ....Pages 633-644
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Handbuch Industrie 4.0: Band 3: Logistik [3. Aufl.]
 9783662585290, 9783662585306

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Michael ten Hompel Thomas Bauernhansl Birgit Vogel-Heuser  Hrsg.

Handbuch Industrie 4.0 Band 3: Logistik 3. Auflage

Handbuch Industrie 4.0

Michael ten Hompel • Thomas Bauernhansl • Birgit Vogel-Heuser Hrsg.

Handbuch Industrie 4.0 Band 3: Logistik Unter Mitwirkung von Felix Feldmann, TU Dortmund – Lehrstuhl fu¨r Fo¨rder- und Lagerwesen FLW 3. Auflage

mit 231 Abbildungen und 10 Tabellen

Hrsg. Michael ten Hompel Technische Universität Dortmund Dortmund, Deutschland

Thomas Bauernhansl Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Stuttgart, Deutschland

Birgit Vogel-Heuser Maschinenwesen, AIS Technische Universität München Garching b. München, Deutschland

ISBN 978-3-662-58529-0 ISBN 978-3-662-58530-6 (eBook) ISBN 978-3-662-58535-1 (print and electronic bundle) https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2016, 2017, 2020 Ursprünglich erschienen unter Vogel-Heuser, B., Bauernhansl, T., ten Hompel, M., „Handbuch Industrie 4.0“ als Bd. 2 des 4-bändigen Werkes. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Thomas Lehnert Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort zur 3. Auflage

Mit der 1. Auflage dieses Buches, das bereits 2014 unter dem Titel „Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Handel“ (Hrsg.: Bauernhansl, ten Hompel, VogelHeuser) erschienen ist, wurde ein wichtiger Schritt unternommen, das Thema Industrie 4.0 in der Fachliteratur zu verankern. Doch bereits damals war uns als Herausgeber klar, dass ein statisches Buch einer Entwicklung dieser Tragweite und Dynamik nicht gerecht werden kann. Aus diesem Grund haben wir entschieden, dieses Werk ab der 2. Auflage in ein Handbuch zu überführen, um einen Rahmen zu schaffen, die Geschichte der vierten industriellen Revolution fortzuschreiben. Der große Erfolg des „Handbuch Industrie 4.0“ und die rasanten technologischen Entwicklungen münden nun in einer 3. Auflage des Nachschlagewerks. Dieses Werk wird sowohl online als auch in gedruckter Form veröffentlicht und besteht aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Beiträgen zu dem Thema Industrie 4.0 in Logistik, Produktion und Automatisierung. Die Online-Version kann, ähnlich einem Wiki, fortlaufend ergänzt und weiterentwickelt werden und bietet die Grundlage, in regelmäßigen Abständen eine neue Auflage der Druckversion zu verlegen. Um dem Format eines Nachschlagewerks gerecht zu werden, sind nicht nur Beiträge aus der 2. Auflage übernommen und überarbeitet worden, sondern auch zahlreiche Beiträge hinzugekommen. Diese teilen sich auf die folgenden Kapitel auf: • • • • • • • • • • • • • •

Digitalisierung – Stufe 1 der Digitalen Transformation Virtualisierung – Stufe 2 der Digitalen Transformation Vernetzung – Stufe 3 der Digitalen Transformation Autonomisierung – Stufe 4 der Digitalen Transformation Produktionsarbeit 4.0 Digitale Transformation – Strategie und Umsetzung Industrie-4.0 – Unternehmensbeispiele Industrie-4.0-Anwendungsszenarien für die Automatisierung Cyber-physische Systeme im Betrieb Engineering-Aspekte in der Industrie 4.0 Vertikale und horizontale Integration in der Automatisierung Datamining und Datenanalyse in der Industrie 4.0 Zusammenwirken von Mensch und Maschine in der Industrie 4.0 Materiaflusssysteme für Industrie 4.0 VII

VIII

• • • • • •

Vorwort zur 3. Auflage

Industrie-4.0-fähige Flurförderzeuge IT-Systeme für Logistik 4.0 Sensorik und Aktorik für Industrie-4.0-Logistiksysteme Devices für Logistik 4.0 Human-Machine Interaction in der Logistik 4.0 und Industrie 4.0 allgemein Management von Industrie-4.0-Systemen in der Logistik

Zur Realisierung dieser umfassenden Erweiterung konnten wir, wie bereits in den ersten beiden Auflagen, zahlreiche Fachleute aus Forschung und Wirtschaft als Autoren gewinnen, um das Thema aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht aufzubereiten. Erst die Betrachtung aus beiden Blickwinkeln ermöglicht es unserer Auffassung nach, den Überblick über das Mögliche und die Vision in einem Werk zu vereinen und Migrationspfade hinein in die vierte industrielle Revolution aufzuzeigen. In diesem Sinne ist das Handbuch Industrie 4.0 als ein lebendiges Nachschlagewerk für Forscher, Praktiker und Studierende gleichermaßen zu verstehen und richtet sich an alle Leserinnen und Leser, die sich mit diesem spannenden Thema beschäftigen wollen. Diese Druckversion umfasst den Stand der Dinge im Frühjahr 2020 und ist in einem Team gleichberechtigter Partner entstanden. Wir danken allen Autoren, dem Verlag, dem Lektorat und all denen, die sonst noch zum Gelingen beigetragen haben, sehr herzlich. Ganz besonderer Dank gilt Gabriele McLemore vom Springer-Verlag und unseren Mitarbeitern Andreas Bildstein, Felix Feldmann und Michaela Franke, die durch ihren unermüdlichen Einsatz in Koordination und Organisation die Grundlage für die Aktualisierung des Handbuchs gelegt haben. Im April 2020

Birgit Vogel-Heuser Thomas Bauernhansl Michael ten Hompel

Inhaltsverzeichnis

Teil I Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Logistik 4.0 in der Silicon Economy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael ten Hompel und Michael Henke

3

Teil II

Materialflusssysteme in der Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Simon Sohrt, André Heinke, Nikita Shchekutin, Björn Eilert und Ludger Overmeyer

13

.....

41

...................

81

Industrie-4.0-fa¨hige Flurfo¨rderzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Das bewegliche Lager auf Basis eines cyber-physischen Systems Christian Wurll Plug&Play-Fördertechnik in der Industrie 4.0 Zäzilia Seibold und Kai Furmans Teil III

Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludger Overmeyer, Lars Dohrmann, Steffen Kleinert, Florian Podszus, Andreas Seel, Björn Eilert und Benjamin Küster

101

Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Schaffer und Maira Weidenbach

143

Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Tödter, Bengt Abel, Ralf König und Dennis Schüthe

171

Schlüsseltechnologien für intelligente, mobile Transport- und Automatisierungsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christopher Kirsch, Sören Kerner, Alexander Bubeck und Matthias Gruhler

187 IX

X

Inhaltsverzeichnis

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung . . . . . . . Alex Vastag und Maximilian Schellert Teil IV

IT-Systeme fu¨r Logistik 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie4.0-Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sören Kerner, Jens Leveling, Oliver Urbann, Luise Weickhmann, Maximilian Otten und Maurice Vogel

205

225

227

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik . . . . . . . . . . . Jürgen Grotepass, Joseph Eichinger und Florian Voigtländer

251

Device Clouds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Kubach

285

Industrie-4.0-fähige Software-Dienste auf Basis von Cloud Computing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Trautmann, Damian Daniluk, Oliver Wolf und Michael ten Hompel

305

Innovative Warehouse-Management-Systeme im Kontext von Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kira Schmeltzpfenning und Björn Krämer

325

Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Warehouse-, Transport- und Supply-Chain-Management-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Giovanni Prestifilippo

347

Teil V

Sensorik und Aktorik fu¨r Industrie-4.0-Logistiksysteme . . .

361

....................................

363

Intelligente Sensorik als Grundbaustein für cyber-physische Systeme in der Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kay Fürstenberg und Christopher Kirsch

385

Wandlungsfähige Fabriken – Der Stellenwert von Sensorik und Aktorik in der Materialflusstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johann Soder, Simon Beck und Andre Frankenberg

413

Aktorik für Industrie 4.0 Heiko Stichweh

Teil VI

Devices fu¨r Logistik 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Einsatz digitaler Assistenzsysteme in der Logistik 4.0 . . . . . . . . . . . . . . Benedikt Mättig und Veronika Kretschmer

433 435

XII

Inhaltsverzeichnis

Sensoren und Algorithmen für die automatische Analyse von manuellen Prozessen in der Logistik 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Malcolm Anthony Harris, Sascha Kaczmarek und Sascha Feldhorst

461

Einsatzmöglichkeiten von Drohnen zur Inventur in der Logistik 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Fiedler und Benjamin Federmann

477

Teil VII

493

Human-Machine Interaction in der Logistik 4.0

........

Digitalisierung industrieller Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Hirsch-Kreinsen, Michael ten Hompel und Veronika Kretschmer

495

Mit Serious Games zum Trainingserfolg: Digitale Lernspiele in der Mitarbeiterschulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Schäfer, Gerald Müller und Veronika Kretschmer

513

Mensch-Technik-Interaktion in Industrie-4.0-Umgebungen am Beispiel von EMILI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kirks und Jana Jost

529

Teil VIII Management von Industrie-4.0-Systemen in der Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

541

..........................

543

Dortmunder Management-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Henke, Christoph Besenfelder und Sandra Kaczmarek

555

Machine-To-Machine Communication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Knoll, Alexander Lautz und Nicolas Deuß

573

Big Data – Mustererkennung als Erfolgsfaktor der Logistik 4.0 . . . . . . Götz Wehberg

583

Blockchain-basiertes Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Henke, Axel T. Schulte und Sabine Jakob

599

Innovative Pricing-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natalia Broza-Abut, Axel T. Schulte, Diana Conrad und Johannes Kaumanns

617

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

633

Geschäftsmodelle für die Logistik 4.0 Michael Henke und Tobias Hegmanns

Autorenverzeichnis

Bengt Abel STILL GmbH, Hamburg, Deutschland Simon Beck SEW-EURODRIVE GmbH & CO KG, Bruchsal, Deutschland Christoph Besenfelder Forschungsmanager Institutsbereich Unternehmenslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Natalia Broza-Abut Einkauf und Finanzen im SCM, Fraunhofer IML, Dortmund, Deutschland Alexander Bubeck Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, Deutschland Diana Conrad M2M Strategy & Business Development, Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Damian Daniluk PHOENIX CONTACT GmbH & Co. KG, Blomberg, Deutschland Nicolas Deuß M2M Strategy and Business Development, Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Lars Dohrmann Jungheinrich AG, Hannover, Deutschland Joseph Eichinger Huawei Technologies GmbH, Düsseldorf, Deutschland Björn Eilert Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg, Deutschland Benjamin Federmann doks. innovation GmbH, Kassel, Deutschland Sascha Feldhorst MotionMiners GmbH, Dortmund, Deutschland Martin Fiedler doks. innovation GmbH, Kassel, Deutschland Andre Frankenberg SEW-EURODRIVE GmbH & CO KG, Bruchsal, Deutschland Kai Furmans Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme IFL, Karlsruher Institut für Technologie KIT, Karlsruhe, Deutschland Kay Fürstenberg Research & Technology, SICK AG, Hamburg, Deutschland XIII

XIV

Autorenverzeichnis

Jürgen Grotepass European Research Institute, Huawei Technologies Düsseldorf GmbH, München, Deutschland CDHK, Honorarprofessor, Tongji Universität, Shanghai, China Matthias Gruhler Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, Deutschland Malcolm Anthony Harris MotionMiners GmbH, Dortmund, Deutschland Tobias Hegmanns Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland André Heinke Bitmotec GmbH, Hannover, Deutschland Michael Henke Institutsbereich Unternehmenslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Hartmut Hirsch-Kreinsen Technische Deutschland

Universität

Dortmund,

Dortmund,

Sabine Jakob Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Einkauf und Finanzen im Supply Chain Management, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Jana Jost Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Sascha Kaczmarek MotionMiners GmbH, Dortmund, Deutschland Sandra Kaczmarek Lehrstuhl für Unternehmenslogistik LFO, Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Johannes Kaumanns IoT/M2M Strategy & Business Development, Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Sören Kerner Abteilung Automation und eingebettete Systeme, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Thomas Kirks Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Christopher Kirsch Abteilung Automation und eingebettete Systeme, FraunhoferInstitut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Steffen Kleinert Electronic Interfaces, ZF Friedrichshafen AG, Diepholz, Deutschland Thomas Knoll Finance, Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Ralf König STILL GmbH, Hamburg, Deutschland Björn Krämer Fraunhofer IML, Dortmund, Deutschland

XVI

Autorenverzeichnis

Veronika Kretschmer Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Uwe Kubach Digital Supply Chain, SAP SE AG, Walldorf, Deutschland Benjamin Küster Produktionsautomatisierung, IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gGmbH, Hannover, Deutschland Alexander Lautz Digital Business, Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Jens Leveling Abteilung Software & Information Engineering, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Benedikt Mättig Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Gerald Müller Schenker Deutschland AG, Frankfurt am Main, Deutschland Maximilian Otten Abteilung Software & Information Engineering, FraunhoferInstitut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Ludger Overmeyer Institut für Transport- und Automatisierungstechnik, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Garbsen, Deutschland Florian Podszus Bitmotec GmbH, Hannover, Deutschland Giovanni Prestifilippo PSI Logistics GmbH, Dortmund/Berlin, Deutschland Sabrina Schäfer Schenker Deutschland AG, Frankfurt am Main, Deutschland Jens Schaffer YesCon Consulting, Bielefeld, Deutschland Maximilian Schellert Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Kira Schmeltzpfenning Fraunhofer IML, Dortmund, Deutschland Axel T. Schulte Abteilungsleitung, Einkauf und Finanzen im Supply Chain Management, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Dennis Schüthe STILL GmbH, Hamburg, Deutschland Andreas Seel Produktionsautomatisierung, IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gGmbH, Hannover, Deutschland Zäzilia Seibold Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme IFL, Karlsruher Institut für Technologie KIT, Karlsruhe, Deutschland Nikita Shchekutin Institut für Transport- und Automatisierungstechnik, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Garbsen, Deutschland Johann Soder SEW-EURODRIVE GmbH & CO KG, Bruchsal, Deutschland

XVIII

Autorenverzeichnis

Simon Sohrt Institut für Transport- und Automatisierungstechnik, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Garbsen, Deutschland Heiko Stichweh Lenze SE, Aerzen, Deutschland Michael ten Hompel Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Joachim Tödter KION Group AG, Frankfurt am Main, Deutschland Andreas Trautmann Bitergo GmbH, Dortmund, Deutschland Oliver Urbann Automation & Eingebettete Systeme, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Alex Vastag Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Maurice Vogel Abteilung Software & Information Engineering, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Florian Voigtländer Technische Universität München, München, Deutschland Götz Wehberg Partner, Deloitte Consulting, Königswinter, Deutschland Luise Weickhmann Abteilung Software & Information Engineering, FraunhoferInstitut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Maira Weidenbach SAFELOG GmbH, Markt Schwaben, Deutschland Oliver Wolf Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland Christian Wurll Faculty of Management Science and Engineering, University of Applied Sciences Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland

Teil I Einleitung

Logistik 4.0 in der Silicon Economy Michael ten Hompel und Michael Henke

Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeichnet das Bild der Silicon Economy einer Logistik 4.0. Technische Entwicklungen unter Überschriften wie Künstliche Intelligenz, Blockchain oder 5G-Funknetze werden die Logistik von Grund auf verändern. In der Logistik 4.0 werden sich die cyberphysischen Systeme in Echtzeit vernetzen, große Datenmengen erzeugen und autonom handeln. Sichere Datenräume (Data Spaces) werden notwendig, in denen Daten sicher genutzt, getauscht und verbunden werden können. Es entsteht eine Silicon Economy – Grundlage für eine industrielle Plattformökonomie.

1

Einleitung

Wir erleben eine Zeitenwende, die grundsätzlicher nicht sein könnte. Durch die Digitalisierung von allem und die Künstliche Intelligenz (KI) in allem wird sich alles für alle ändern. Und diese Veränderung wird unumkehrbar sein. Wir werden nach der Einführung Künstlicher Intelligenz nie wieder in die weitgehend analoge Welt von heute zurückkehren. Wie in der Natur werden Entwicklungspfade resilienter Generationen Künstlicher Intelligenz und adäquater Technologien vom intelligenten Sensor bis zum autonom agierenden Roboter entstehen, lernen und sich weiterentwickeln. Der Weg zurück ist genauso verschlossen wie der Rückfall in die Zeit vor der Erfindung des Smartphones, des Computers oder der Dampfmaschine. M. ten Hompel (*) Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Henke Institutsbereich Unternehmenslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_120

3

4

M. ten Hompel und M. Henke

Das Rubrum einer „vierten industriellen Revolution“ verweist auf diesen grundlegenden, nachhaltigen und strukturellen Wandel der uns umgebenden Technik in Produktion und Logistik. In der Tat steuern wir, getrieben durch das mehrfach exponentielle Wachstum von Rechner- und Sensorikleistung, Speicherkapazität und breitbandiger, echtzeitfähiger Vernetzung bereits heute auf eine Singularität zu, die wesentliche Bereiche unserer Biosphäre betreffen wird. In Summe wie auch im Einzelnen halten wir zum ersten Mal in der Geschichte deutlich mehr technische Möglichkeiten in Händen, als wir sinnvoll nutzen können. Es ist nicht mehr die Frage, ob wir in naher Zukunft über ausreichende Rechnerleistung verfügen werden. Die eigentliche Frage ist, wie die Algorithmen aussehen, welche die verteilten Systeme eines zukünftigen Internet der Dinge dergestalt nutzen und miteinander verbinden und welche Formen Künstlicher Intelligenz vernünftiger weise entstehen werden.

2

Künstliche Intelligenz

Bis heute gilt vielen der Turing-Test als das Maß der Dinge, wenn es darum geht, über den „Quotienten Künstlicher Intelligenz“ zu entscheiden. Seit 1950 galt er als „heiliger Gral“ in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz. Bei ihm geht es darum, dass in der Kommunikation zwischen Mensch und Computer nicht mehr zu unterscheiden ist, wer Mensch und was Computer ist. Dies beruht auf einem klassischen Grundsatz, in dem als Künstliche Intelligenz verstanden wird, was vom Menschen als intelligent wahrgenommen wird. In der Folge stehen viele Versuche zur Übertragungen kognitiver, menschlicher oder tierischer Fähigkeiten auf die Maschine, wie: Wahrnehmung, Erinnerung, Planung, Organisation etc. Ebenfalls seit den fünfziger Jahren werden hierzu erste künstliche neuronale Netze und vieles mehr entwickelt, die immer wieder auf das einzelne Individuum, den Menschen oder das Gehirn referenzieren. Zugleich wurde versucht, das Verhalten von Schwärmen auf Kollektive von Maschinen zu übertragen. Der bekannteste Vertreter der Klasse korrespondierender, naturäquivalenter Algorithmen ist, zumindest in der Logistik, der Ameisen-Algorithmus (Dorigo et al. 2000), der sich auch in ersten industriellen Schwärmen autonomer Fahrzeuge wiederfindet. Der fortwährende Versuch, die Biologie als Vorbild zu nehmen und auf die Systeme Künstlicher Intelligenz zu übertragen, erlebt zurzeit eine Renaissance. In „biointelligenten Wertschöpfungssystemen“ wird der Versuch unternommen, einerseits eine direkte Verbindung zwischen biologischen und künstlichen Entitäten zu schaffen und andererseits systemische Lösungen aus der Natur abzuleiten. Die Motivation zur Entwicklung und Übertragung biointelligenter Methoden und Verfahren auf industrielle Applikationen liegt häufig in der Resilienz biologischer Systeme. Sie haben Milliarden Jahre überlebt und waren in der Lage, sich über die Zeit den widrigsten Verhältnissen anzupassen. Zugleich sind sie erstaunlich effektiv und effizient. Dies beginnt schon im Kleinen. So sind wir trotz allen Fortschritts beispielsweise noch nicht in der Lage, den stundenlangen und wendigen Flug einer Hummel nachzuahmen.

Logistik 4.0 in der Silicon Economy

5

In der virtuellen Welt sieht die Bilanz gänzlich anders aus. Das „Big Picture“ einer kommenden „Silicon Economy“ (s. u.) zeigt exemplarisch den Lebensraum und das „Spielfeld“ Künstlicher Intelligenz einer künftigen, virtualisierten und hochfrequenten Logistik.

3

Warum Logistik?

Die Logistik ist, wie die Geometrie, ein axiomatisches Konstrukt. Ihrem meistzitierten Ziel, die richtige Ware zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen, liegen Axiome zugrunde, welche die vernünftige Bewegung der Dinge (Waren, Güter etc.) durch die Zeit an Orten und in Relationen betreffen. Die Logistik ist vollständig deterministisch und algorithmierbar – im Gegensatz zu ihrer Umgebung (Wetterund Verkehrsbedingungen etc.) und zu anderen Branchen (Handel etc.). Die einzelnen (atomaren) Prozessschritte der physischen Logistik sind einfach und vollständig beschrieben, nicht selten sogar standardisiert. Die Komplexität ergibt sich in der Folge vieler Prozessschritte und deren gleichzeitiger, flexibler Vernetzung und vor allem durch deren multikriterielle Optimierung. Die Disposition logistischer Distributionssysteme ist eine der komplexesten Aufgaben moderner Informatik, und der hochfrequente Internethandel hat für ein Übriges gesorgt. Daher wird die Logistik seit jeher als erste Anwendungsbranche für eine Industrie 4.0, das Internet der Dinge und für die physische Umsetzung von Verfahren Künstlicher Intelligenz gesehen. Intelligente Ladungsträger und Schwärme von Shuttles oder autonomer, Fahrerloser Transportsysteme sind erste physische Belege hierfür.

4

Daten- und Plattformökonomie

Künstliche Intelligenzen brauchen sprichwörtlich „Nahrung“ in Form von Daten wie der Mensch das tägliche Brot. Daten gewinnen an Wert, je besser sie annotiert sind und je mehr sie getauscht und verarbeitet werden. Viele KI-Algorithmen brauchen zudem große Datenmengen, um sinnvoll zu lernen. Mit ihrer Verarbeitung gewinnen Daten an Wert. Es entsteht eine Datenökonomie. Im Mittelpunkt des korrespondierenden „Big Picture“ (Abb. 1) steht daher ein sicherer Datenraum, der es ermöglicht, die Nutzung von Daten mit den Daten selbst zu verbinden und diese sicher zu tauschen: der International Data Space. Eine Initiative, verbunden mit einem Verein von über 90 Unternehmen (Stand Mai 2019), die sich zum Ziel gesetzt haben, über einen hierfür geschaffenen offenen Datenraum (den Data Space) die Souveränität über Daten und deren Nutzung zu bewahren – unbedingte Voraussetzung für eine föderale Struktur einer kommenden Silicon Economy (Datenökonomie). Die wichtigsten Datenquellen werden in naher Zukunft cyberphysische Systeme (CPS) einer Industrie 4.0 sein. Von der intelligenten Türklingel, die per Kamera erkennt, wer vor der Haustüre steht, über intelligente Paletten, die bemerken, wenn sie bewegt werden, bis zum Supermarktregal, das persönliche Einkaufstipps gibt. Nahezu alles wird digitalisiert und liefert per KI-Algorithmen individualisierte

Abb. 1 Das Big Picture der Silicon Economy

6 M. ten Hompel und M. Henke

Logistik 4.0 in der Silicon Economy

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Daten. Möglich wird dies durch die exponentielle Entwicklung der Rechnerleistung, die (dem mooreschenen Gesetz folgend) nicht nur in den Rechnern unter unseren Schreibtischen, sondern auch in den eingebetteten, cyberphysischen Systemen eines Internet der Dinge stattfindet. Ein typischer Vertreter aktueller CPS verfügt über einen Dual-Core-Prozessor mit einer Taktfrequenz von bis zu 1,2 Gigahertz und kann eine einfache Support Vector Machine oder adäquate Algorithmen – zum Beispiel zur Klassifikation von Sensor- oder Bilddaten – verarbeiten. Zugleich stieg die Energieeffizienz ebenfalls exponentiell, so dass heute Batterielaufzeiten von 10 Jahren und mehr erreicht werden (vgl. Telekom 2019). Um Daten zu handeln, müssen sie zunächst auch übertragen werden. Funknetze der fünften Generation (5G) werden in naher Zukunft für eine schnelle und stromsparende Übertragung sorgen. Einige Unternehmen setzen in ganzer Breite auf diese neuen Netze. Andere, wie der Europäische Palettenpool, sammeln erste Erfahrungen mit dem 5G-kompatiblen „Narrow Band Internet of Things – NBIoT“ (z. B. EPAL 2018) und niedrige Pauschaltarife sorgen für adäquate Verbreitung (1nce im August 2018: 10 € NBIoT Flatrate für 10 Jahre, 500 MB Daten max.). Weitere, nicht 5G-kompatible Netze wie Lora und Sigfox bieten zu ähnlichen Konditionen an und lassen in Summe erwarten, dass in den nächsten Jahren alle zwölf Monate mehr als eine Milliarde CPS Verbindung aufnehmen. Insbesondere die echtzeitfähige Vernetzung auf Basis von 5G-Funknetzen führt zu einem weiteren bemerkenswerten Effekt: der Virtualisierung. Cyberphysische Systeme verfügen nicht nur über eine nennenswerte Rechnerleistung vor Ort, sondern können auf die quasi unbegrenzte Leistung der Clouds und Plattformen zugreifen, mit denen sie verbunden sind. Es entstehen verteilte Netze Künstlicher Intelligenz in einer neuen Dimension. Auch der nächste Schritt in Richtung einer universellen, industriellen KI ist vorgezeichnet: Cyberphysische Systeme, ausgestattet mit entsprechender Software, fangen an, autonom zu handeln. „Handeln“ ist in diesem Kontext insofern wörtlich zu verstehen, als dass Verträge automatisiert, per Software verhandelt und autonom abgeschlossen werden. Dieses „Smart Contracting“ erfordert wiederum eine revisionssichere Buchung und Bezahlung. Beides lässt sich nach heutigem Stand der Technik in einem „Distributed Ledger“ und in verteilten Blockchain-Datenspeichern sicherstellen. Eine Blockchain ist ein verschlüsselter, manipulationssicherer und dezentralisierter, kooperativ genutzter Datenspeicher. Sie ist der sichere Speicherort für Verträge, Werte und Identitäten. Die Einträge (Blocks), wie zum Beispiel ein geschöpfter Bitcoin, werden unter den Teilnehmern verteilt und sind nachträglich nicht manipulierbar. Alles, was einmal eingetragen wurde, bleibt in der Blockchain. Dies prädestiniert diese Technologie nicht nur für Kryptowährungen, sondern auch für die chronologische und automatische Ausführung von Prozessen entlang von Supply Chains. So können beispielsweise Temperaturdaten über einen Sensor, der an einem Kühlcontainer angebracht ist, bei Überschreitung eines Grenzwertes in einer Blockchain gespeichert werden. Tritt ein Schaden aufgrund von Temperaturunterschieden ein, ist die Beweiskette über die Blockchain transparent und revisionssicher dokumentiert und kann wiederum automatisiert ausgewertet werden. Supply

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M. ten Hompel und M. Henke

Chains stellen aufgrund der Vielzahl an wirtschaftlich unabhängigen Partnern eines der zentralen Anwendungsfelder für Blockchain-Technologien dar.

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Industrielle Plattformökonomie

Plattformen wie Airbnb, myTaxi oder Uber haben den einzelnen Menschen und seine Mobilität im Fokus und konnten sich in den letzten Jahren in manchen Regionen als Quasi-Standard etablieren. Es ist anzunehmen, dass nun logistische Plattformen für die Lagerung und Bewegung der Dinge ebenso folgen werden wie professionelle Business-to-Business-(B2B-)Plattformen für weite Teile des Supply Chain Management. Diese „industrielle“ Form der Plattformökonomie wird vorrangig Unternehmen so miteinander verbinden, dass eine automatisierte und zunehmend autonomisierte Abwicklung der Geschäftstätigkeit ermöglicht wird. Programmierschnittstellen, kurz API (application programming interface), ermöglichen im B2B-Bereich nicht nur den Austausch von Daten, sondern auch die automatisierte Ausführung von Operationen. B2B-Plattformen erfordern jedoch sehr spezifisches Branchen-Know-how, dessen Umsetzung in Verfahren Künstlicher Intelligenz alles andere als trivial erscheint. Daher verlaufen die korrespondierenden Entwicklungsprozesse deutlich langsamer als im B2C-Bereich und werden von der Öffentlichkeit häufig nicht wahrgenommen. Einmal mehr wird es die Logistik sein, die aus den oben genannten Gründen wahrscheinlich die erste Branche sein wird, innerhalb der sich voll automatisiertes und hochfrequentes Organisieren, Disponieren und Verhandeln durchsetzen werden. Amerikanische und chinesische Unternehmen dominieren den Markt der B2C-Plattformen – die Marktanteile logistischer und industrieller B2B-Plattformen sind noch nicht verteilt. Aber es stehen hierfür alle Basis-Technologien zur Verfügung.

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Alles ist algorithmierbar – nur unsere Zukunft nicht

Das „Big Picture“ zeigt nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart. Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine strukturierte Sammlung des zurzeit Möglichen. Hinter jedem Piktogramm verbirgt sich eine vorhandene Technologie oder ein Programm, das mindestens in einer Version umgesetzt wurde. Die weitaus meisten Softwarekomponenten sind (versionsabhängig) als Open Source frei verfügbar – einschließlich NoSQL-Datenbanken, Frameworks etc. Auch dies ist ein bemerkenswerter Wandel. Wir halten alles in Händen, um eine totale Plattformökonomie Wirklichkeit werden zu lassen – nicht nur in der Logistik. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Technologien, wenn sie einmal in der Welt sind, auch zur Anwendung kommen, und die

Logistik 4.0 in der Silicon Economy

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Geschichte zeigt, dass dieser Prozess unumkehrbar ist. So wird es auch in diesem Fall sein, und die Frage ist nicht mehr, ob, sondern nur noch wann und wie es geschieht. Das „Big Picture“ zeigt aber auch eine Umgebung für Künstliche Intelligenz. Es beginnt im Kleinen, zum Beispiel mit der Bildanalyse, die es einem cyberphysischen Regal erlaubt, per Kamera zu erkennen, wer vor ihm steht, auch um individuelle Kaufempfehlungen oder logistische Anweisungen zu geben. Es geht weiter mit autonomen Fahrzeugen, welche die Waren verteilen und per KI ihre Umgebung analysieren. Darüber hinaus werden Algorithmen mit Kunden sprechen und Bestellungen entgegennehmen, Verträge verhandeln und bezahlen. Letztendlich werden KI-Algorithmen alle Ebenen durchdringen und zugleich mittels Virtualisierung die Ebenen selbst auflösen. Die uns vertrauten Ebenenmodelle werden nur noch ein Vehikel der menschlichen Vorstellung sein. Da nahezu alles in der operativen Logistik algorithmierbar ist, erscheint es nahezu zwangsläufig, dass weite Teile von ihr durch die Effektivität und Effizienz ihrer Algorithmen bestimmt werden. Es werden hoch verteilte und weltumspannende Künstliche Intelligenzen entstehen, und sie werden lernen und weit jenseits der Imitation menschlichen Handelns operieren. Die Herausforderungen, die mit der laufenden Digitalisierung auf uns zukommen, sind bei weitem nicht nur technischer oder ökonomischer Natur. Vielmehr sehen wir einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel entgegen. Natürlich werden menschliche Arbeitskräfte durch Automaten und ihre Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Auch das ist so wenig aufzuhalten wie die Einführung der Dampfmaschine oder des Computers in vergangenen industriellen Revolutionen. Wir werden die Zukunft weder vorhersagen noch determinieren können, aber wir können sie gestalten. Nur wenn es gelingt, eine wesentliche und aktive Rolle in einer industriellen Plattformökonomie mit ihren verteilten Künstlichen Intelligenzen zu spielen, wird sie unseren gesellschaftlichen Normen und Zielen folgen. Eines ist klar: Die Welt wird sich mit und ohne uns auf den Kopf stellen – weil sie es kann.

Literatur Dorigo M, Di Caro G, Stützle T (2000) Special issue on „Ant Algorithms“. Futur Gener Comput Syst 16(8) EPAL (2018) IT-Zoom: „Die interaktive Palette“, DV-Dialog 13.03.2018 Telekom Open IoT Labs: low cost tracker. www.iot.telekom.com/iot-de/aktuelles/telekom-openIoT-labs. Zugegriffen am 05.05.2019

Teil II Materialflusssysteme in der Industrie 4.0

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik Simon Sohrt, André Heinke, Nikita Shchekutin, Björn Eilert und Ludger Overmeyer

Zusammenfassung

In diesem Artikel stellen wir kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik am Beispiel einer Fördermatrix vor. Diese Fördermatrix wird modular aus einzelnen Fördermodulen zusammengesetzt, die kleiner als die zu transportierenden Pakete sind. Die Fördermatrix ist in der Lage, verschiedene intralogistische Funktionen wie den Transport, die Rotation, die Pufferung und die Sequenzierung von Paketen durchzuführen. Parallel zu der Route des physischen Paketes wird ein Datenschatten mitbewegt: Hierdurch sind zu jedem Transportzeitpunkt alle Daten zur Beschreibung des Transportvorganges vorhanden. Die Steuerung der Fördermatrix ist dezentral und verteilt, da jedes einzelne Fördermodul über eine eigene Steuerung verfügt. Wir beschreiben sowohl den hardwareseitigen Aufbau der Fördermodule als auch die notwendigen Steuerungsalgorithmen, um physische Pakete samt Datenschatten durch die Fördermatrix zu bewegen.

S. Sohrt (*) · N. Shchekutin · L. Overmeyer Institut für Transport- und Automatisierungstechnik, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Garbsen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; ludger. [email protected] A. Heinke Bitmotec GmbH, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Eilert Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_4

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S. Sohrt et al.

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Einführung

1.1

Neuartige Anforderungen an die Intralogistik durch Industrie 4.0

Die Ermöglichung einer kundenindividuellen Massenproduktion (mass customization) ist ein wesentliches Ziel der Industrie 4.0 (BMBF 2013). Durch diese Form der Massenproduktion steigt die Anzahl von Produktvarianten drastisch an. Gleichzeitig werden durch einen stetig wachsenden elektronischen Geschäftsverkehr (e-commerce) Innovationszyklen und Produktlebensdauern verkürzt. Diese veränderte Marktsituation stellt neuartige Anforderungen an die Produktionskette: Sie muss in Zukunft flexibel auf wechselnde Produktionsbedingungen reagieren können (Schmidt et al. 2009; BMBF 2013). Als Teil der Produktionskette gelten diese Anforderungen auch für die Intralogistik. Konventionelle Förderanlagen werden diesen neuen Anforderungen nicht gerecht, da sie nicht flexibel genug sind (Schmidt et al. 2009). Als Folge nimmt mit Zuwachs der Produktvarianten der Grad der vorhandenen Automatisierung ab (Furmans et al. 2010). Als Folge des sinkenden Automatisierungsgrades steigt der Anteil der manuellen Tätigkeiten wieder an. Dies wirkt sich negativ auf wichtige Schlüsselfaktoren aus: Der Durchsatz sinkt und die Betriebssicherheit nimmt ab. Als direkte Folge dessen steigen die Betriebskosten an (Furmans et al. 2010; ten Hompel et al. 2018). Neben der Erreichung dieser neuartigen Anforderungen müssen weiterhin die „klassischen“ Anforderungen beachtet werden, die in Jünemann und Daum 1989 definiert wurden und weiterhin in der aktuellen Literatur (ten Hompel et al. 2018) referenziert werden: die richtige Menge der richtigen Objekte (Güter, Personen, Energie, Information) am richtigen Ort im System (Lieferant, Hersteller, Kunde, Produktion etc.) zum richtigen Zeitpunkt (09:30 Uhr, Just-in-Time) in der richtigen Qualität (fehlerfrei, nach ISO 9000 ff etc.) zu den richtigen Kosten (optimales PreisLeistungs-Verhältnis) bereitzustellen.

1.2

Cyber-physische Fördertechnik

Aus den „klassischen“ und neuartigen Anforderungen wurden in (Furmans et al. 2010) Designkriterien für cyber-physische Fördertechnik abgeleitet: Ein cyberphysisches Fördersystem wird aus einzelnen Modulen zusammengesetzt, die über eigene dezentrale Steuerungen verfügen. Weiterhin sind die Schnittstellen der Module standardisiert, über welche diese sowohl mit Energie als auch mit Daten versorgt werden. Diese Definition von Furmans et al. stimmt mit der Definition des VDI überein: Cyber-physische Produktionssysteme (CPPS) werden dort definiert als sich selbst konfigurierende und teilweise dezentral selbstorganisierende, flexible Produktionsanlagen. Diese bestehen aus Produktionsmaschinen, welche durch Flurförderzeuge oder Stetigförderer, wie kleinskalige Fördertechnik, verbunden werden (VDI 2014). Eine ähnliche Definition wurde in dem BMBF-Vorhaben „Internet der

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

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Dinge“ (Günthner und ten Hompel 2010) getroffen: Dort wird eine sich selbst organisierende logistische Umgebung gefordert, die auf „intelligenten Objekten“ basiert. Damit diese intelligenten Objekte ihren Weg durch die Anlage finden und dieser Weg automatisch an dynamische Anforderungsprofile angepasst werden kann, wird eine adaptive Fördertechnik mit zellularer Struktur vorgestellt. Der Schwerpunkt bei der Betrachtung dieses zellularen Logistiksystems liegt nach (ten Hompel und Kamagaew 2011) auf der Vernetzung der Systeme, der Ausprägung einer dienstorientierten Architektur oder einem agentenbasierten Aufbau. Durch den modularen Aufbau und die dezentrale Steuerung sind cyber-physische Fördersysteme sehr flexibel: Beispielsweise kann eine Layoutanpassung schnell und unkompliziert umgesetzt werden. Nach der physischen Neuanordnung der Module erfassen die dezentralen Steuerungen über die standardisierten Cyber-Schnittstellen ihre direkten Nachbarn und tauschen mit diesen Informationen aus. Informationen aus einer zentralen Steuerung oder eines Menschen werden nicht benötigt: Nach Abschluss der Initialisierungsphase ist das Fördersystem bereit, Transporteinheiten zu bewegen. Während des Transportes werden parallel zu den physischen Transporteinheiten Datenpakete mitgesendet, in denen alle notwendigen Informationen über die Transporteinheiten enthalten sind. Cyber-physische Fördertechnik gibt es in verschiedenen Ausführungsformen: In diesem Kapitel erfolgt die Unterteilung danach, ob die einzelnen Module ortsgebunden sind und ob die einzelnen Module kleiner sind als eine Transporteinheit. Eine Ausführungsform von ortsungebundener cyber-physischer Fördertechnik sind dezentral gesteuerte, Fahrerlose Transportfahrzeuge. Eine genauere Beschreibung der Funktionsweise von dezentral gesteuerten, Fahrerlosen Transportsystemen ist in (Overmeyer et al. 2017) zu finden. Ortsgebundene cyber-physische Fördertechnik wird unterteilt anhand der Modulgröße: Wenn die Transporteinheiten kleiner sind als die Fördermodule, werden diese als großskalig bezeichnet. Folglich werden Systeme, bei denen Transporteinheiten nur durch das Zusammenspiel von mehreren Fördermodulen bewegt werden können, als kleinskalig bezeichnet. Ein Beispiel für ortsgebundene, großskalige Fördermodule sind die FlexConveyor-Module (siehe (Seibold 2016; Mayer 2009)) zu nennen. In der Abb. 1 ist zusammenfassend die hier verwendete Einteilung der cyber-physischen Fördertechnik dargestellt.

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Systemkonzept der kleinskaligen, cyber-physischen Fördertechnik

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik zeichnet sich dadurch aus, dass jedes einzelne kleinskalige Modul in der Lage ist, einen Kraftvektor, der tangential zu der Unterseite der Transporteinheit liegt, zu erzeugen. Zur Erzeugung dieses Kraftvektors verfügen die Module häufig über zwei Antriebe: Der Förderantrieb wird von einem Schwenkantrieb ausgerichtet. Der Schwenkantrieb bestimmt die Richtung des Kraftvektors und der Förderantrieb bestimmt die Größe des Kraftvektors.

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Abb. 1 Einteilung der cyber-physischen Fördertechnik

Kleinskalige Fördermodule gibt es in verschiedenen Ausführungsformen: Im Forschungsprojekt „Celluveyor“ wurden wabenförmige Module entwickelt, die zentral gesteuert werden (Thamer et al. 2018; Uriarte et al. 2015). Ebenfalls zentral gesteuerte Module hat die Firma ITOH Denki Ltd. auf der CEMAT 2016 vorgestellt. Die Grundform der Module ist hierbei jedoch quadratisch und nicht wabenförmig (Itoh Denki Ltd. 2017). Das Gesamtkonzept der am Institut für Transport- und Automatisierungstechnik der Leibniz Universität Hannover entwickelten Fördermatrix, die im Rahmen des Forschungsvorhabens „Kognitive Logistiknetzwerke – CogniLog“ entstand, ist in Abb. 2 dargestellt. Die Fördermatrix besteht aus mehreren gleichartigen Modulen (Abb. 2, rechts), deren Abmessungen im Vergleich zu den zu transportierenden Einheiten klein sind und die die Transporteinheiten in beliebige Richtungen fördern können. Zu einer Matrix verbunden, können diese einzelnen Module komplexe Aufgaben im Materialfluss lösen. Beim Einschleusen einer Transporteinheit wird dem ersten Modul mitgeteilt, an welchem Punkt die Transporteinheit wieder ausgeschleust werden soll. Die Module organisieren sich anhand dieser Informationen untereinander so, dass eine Route geplant und die Transporteinheit kollisionsfrei durch die Fördermatrix geführt wird. Größe und Form der Fördermatrix spielen dabei keine Rolle, sodass auch eine spätere Layoutänderung ohne weiteren Programmieraufwand möglich ist. Um die mechanische Umsetzbarkeit der Fördermatrix zu zeigen, wurde ein Versuchsaufbau aus 16 aktiven und 20 passiven Fördermodulen realisiert (Abb. 2). Die mechanische Konstruktion ist auf eine einfache Austausch- und Erweiterbarkeit der Fördermatrix ausgelegt. Soll die Form oder die Größe der Fördermatrix verändert werden oder ist es notwendig, ein Modul auszutauschen, ist dies nach dem Plugand-Play-Prinzip während der Laufzeit des Systems ohne komplexe Montage und Anpassungsarbeit möglich. (Krühn 2015) Die passiven Module beinhalten keine Elektronik und besitzen an der Oberseite jeweils vier leichtgängige Kugelrollen. Eines der passiven Module beinhaltet einen Adapter zwischen der optischen Schnittstelle der Module und einem Profibus. Über diesen wird eine Kommunikation zwischen der Fördermatrix und anderen Förder-

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

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Abb. 2 Überblick über den aufgebauten Demonstrator (Krühn 2015)

Abb. 3 Detailansicht eines geöffneten Prototyps (Krühn 2015)

systemen ermöglicht. Die aktiven Module sind als rotierende Schrägscheiben ausgeführt und beinhalten die Steuerungs- und Kommunikationselektronik. Sie verfügen jeweils über zwei Motoren (Nanotec ST2818L1006), zwei Motorsteuerungen (Nanotec SMCI35) und einen Lichttaster (beta sensorik RT-M6-MHP) (Abb. 3). Die individuell entwickelte Steuerungsplatine besteht im Wesentlichen aus einem Spannungswandler und einem Atmel AVR Controller (atmega2560) sowie Steckern zum Anschließen der Motorsteuerungen, des Sensors, der Spannungsversorgung und der Kommunikationsplatine. (Krühn 2015) Die ebenfalls individuell entwickelte Kommunikationsplatine verfügt über jeweils vier unabhängige Sender und Empfänger und wird mit einer Datenrate von

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115 kBit/s betrieben. Um die Kommunikation eines Moduls mit seinen vier benachbarten Modulen zu gewährleisten, darf der Abstand zwischen den Leuchtdioden und den Photodioden von unterschiedlichen Transportmodulen maximal so groß sein, dass noch ein visueller Kontakt der Bauelemente vorhanden ist. (Krühn 2015) Aufbauend auf den Ergebnissen aus dem CogniLog-Forschungsprojekt wurden im netkoPs-Forschungsprojekt die kleinskaligen, cyber-physischen Fördermodule weiterentwickelt. Neben der direkten Weiterentwicklung der Fördermodule wurde auch deren Integration mit angrenzenden Systemen umgesetzt: So wurde eine weiterentwickelte Kommunikationsplatine fertiggestellt, die basierend auf dem CAN-Netzwerkprotokoll unter anderem das Senden und Empfangen des Datenschattens (siehe Abschn. 4) sicherstellt. Weiterhin wurde die Integration mit konventioneller Fördertechnik am Beispiel von Bandförderern umgesetzt: Hierzu wurden die Bandförderer ebenfalls mit einer dezentralen Steuerung und mit Feststellrollen ausgestattet. Durch diese Anpassung der Bandförderer können diese über eine im Forschungsprojekt entwickelte Plug-and-Play-Schnittstelle mit der Fördermatrix verbunden werden, sodass eine schnelle Layoutanpassung möglich ist. In Abb. 4 und 5 ist die netkoPs-Fördermatrix und ein einzelnes Modul der Fördermatrix dargestellt. (Stichweh et al. 2016; Overmeyer und Stichweh 2017) Als Steuerungsplatine wurde für die netkoPs-Fördermatrix ein BeagleBone Black rev c eingesetzt. Dieser ist per USB mit der Kommunikationsplatine verbunden. Die netkoPs-Fördermodule werden immer in einem Verbund, bestehend aus 3  3 Fördermodulen, angesteuert. Jeder dieser Verbünde verfügt über eine eigene „Backplane“. An diese Backplane müssen Motorenbefehle über einen CAN-Bus gesendet werden. Jeder einzelne Verbund wird von einem BeagleBone angesteuert, der mit einem CAN-Cape erweitert wurde. Diese vier BeagleBones werden im „Slave“Modus betrieben, sodass sie nur Befehle entgegennehmen. Diese Befehle erhalten sie vom „Master“-BeagleBone, mit dem sie per Ethernet verbunden sind. (Overmeyer und Stichweh 2017)

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Steuerung der kleinskaligen, cyber-physischen Fördertechnik

Die Aufgabe der Steuerung besteht darin, alle in Abb. 6 beschriebenen intralogistischen Funktionen zu realisieren. Grundlage für alle erweiterten Funktionen wie beispielsweise Vereinzeln oder Puffern sind die Basisfunktionen „translatorische Bewegung“ und „Rotation“. Anhand dieser beiden Basisfunktionen ist es möglich, unterschiedlich große Transporteinheiten von einem beliebigen Punkt der Fördermatrix zu einem anderen Punkt zu bewegen.

3.1

Anforderungen an die Steuerung und Routenplanung

Aufgrund des Gesamtkonzepts der Fördermatrix ergeben sich die folgenden Randbedingungen an die Steuerung (Overmeyer et al. 2010b, 2012, Krühn et al. 2013):

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Abb. 4 netkoPs-Fördermatrix (angelehnt an (Overmeyer und Stichweh 2017))

1. Die Fördermodule können immer nur mit ihren direkten Nachbarn kommunizieren. 2. Die Fördermodule sind kleiner als die Transporteinheiten. 3. Die Fördermodule besitzen nur eine begrenzte Rechen- und Speicherkapazität. 4. Die Fördermodule besitzen nur einen Belegungssensor, um festzustellen, ob sie momentan eine Transporteinheit tragen. 5. Die Kommunikation zwischen den Fördermodulen ist trägheitsbehaftet. Durch die Randbedingungen ergeben sich mehrere Anforderungen an die Steuerung, um die in Abb. 6 dargestellten intralogistischen Funktionen zu realisieren: Bedingt durch die Kleinskaligkeit der Fördermodule müssen mehrere Module synchron zusammenarbeiten, um einen Transportvorgang durchführen zu können. Da die Module keine Möglichkeit besitzen, die Transporteinheiten neu zu identifizieren, muss während des Transportvorgangs ein Datenschatten (vgl. Abschn. 4) mitgeführt wer-

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Abb. 5 Einzelnes netkoPs-Fördermodul

den. Der Datenaustausch zwischen den Modulen untereinander muss dabei schnell genug erfolgen, um die Echtzeitfähigkeit des Systems zu gewährleisten. Die Trägheit der Kommunikation ist hierbei der begrenzende Faktor (Krühn et al. 2013). Bevor mit dem Transportvorgang begonnen werden kann, müssen für die einzelnen Transporteinheiten Routen geplant werden. Die Notwendigkeit der Reservierung ist in Abb. 7 dargestellt: Falls sich mehrere Transporteinheiten über die Fördermatrix bewegen, ohne vorher eine Route zu reservieren, können diese an Engstellen aufeinandertreffen, an denen ein Ausweichen nicht möglich ist. Ein Zurücksetzen der Transporteinheiten, um die Engstelle freizugeben, wird durch nachrückende Transporteinheiten verhindert. An dem Beispiel ist zu erkennen, dass es durch die geschickte Reservierung von Routen möglich gewesen wäre, ohne Zeitverlust beide Transporteinheiten zu ihrem Zielpunkt zu bewegen (Krühn 2015). Durch die Randbedingungen ergeben sich die folgenden Anforderungen an die Erstellung der Routen: Da die Module immer nur mit ihren direkten Nachbarn kommunizieren können, muss die Reservierung der Routen modulweise erfolgen. Eine Route besteht somit aus einzelnen Routensegmenten. Eine weitere Anforderung ergibt sich aus der Skalierbarkeit der Fördermatrix. Hierdurch können Routen

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Abb. 6 Intralogistische Funktionen der Fördermatrix Abb. 7 Notwendigkeit der Routenreservierung (Krühn 2015)

sehr lang werden. Gleichzeitig besitzen die einzelnen Fördermodule jedoch nur eine konstante und begrenzte Rechen- und Speicherkapazität. Somit darf die Gesamtlänge der Routen keinen Einfluss auf die modulweise Berechnung der einzelnen Routensegmente besitzen (Krühn 2015). Weiterhin muss bei der Berechnung der Routen die Kleinskaligkeit der Fördermodule in Bezug auf die Transporteinheiten berücksichtigt werden. Eine Route kann nur erstellt werden, falls genügend umliegende Module zur Verfügung stehen, um den Transportvorgang durchführen zu können. In Abb. 8 ist eine Situation darge-

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Abb. 8 Planung einer Route ohne Berücksichtigung der Abmessungen von Transporteinheiten (Radosavac et al. 2012) Abb. 9 Darstellung einer Verklemmungssituation

stellt, in der bei der Routenreservierung die Größe der Transporteinheit nicht beachtet worden ist. Neben der Berücksichtigung der Größe der Transporteinheiten bei der Routenplanung muss auch die zeitliche Reihenfolge beachtet werden. Dies wird an dem Beispiel in Abb. 9 deutlich: Die einzelnen Elemente der Fördermatrix sind hierbei ringförmig angeordnet. Falls nun Transporteinheit A in den Ring einfährt, blockieren sich die Transporteinheiten gegenseitig und es kommt zu einer Verklemmungssituation.

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Damit Verklemmungssituationen verhindert werden können, ist es notwendig, Bereiche, in denen sich die Routen von unterschiedlichen Transporteinheiten kreuzen, zu überwachen. Diese Kreuzungsbereiche müssen anschließend für die anstehenden Transporteinheiten eine Reihenfolge bilden.

3.2

Gesamtkonzept der Steuerung und Routenplanung

Um Transporteinheiten auf der Fördermatrix zu bewegen, wird die Fördermatrix in verschiedene Funktionsblöcke unterteilt, die einzelne Aufgaben zu erfüllen haben (siehe Abb. 10). Bevor Transporteinheiten auf der Fördermatrix bewegt werden können, muss zunächst die Initialisierungsphase abgeschlossen werden. In dieser bestimmt jedes Fördermodul seine direkten Nachbarn und stellt eine Verbindung her. Hierdurch entsteht innerhalb der Fördermatrix ein Kommunikationsnetz zwischen den einzelnen Modulen. Randmodule, an die eine Bearbeitungsstation oder angrenzende Fördersysteme angeschlossen sind, definieren sich selbst als mögliche Zielpunkte und verteilen diese Information über das Kommunikationsnetz. Die Erstellung von Routen erfolgt auf Basis eines Distance-Vector-Algorithmus, welcher für das Finden von Routen in Kommunikationsnetzwerken entwickelt wurde (Jaffe und Moss 1982). Hierzu ist es notwendig, dass die Module die virtuellen Kosten für das Bewegen einer Transporteinheit in jede der vier möglichen Richtungen bestimmen. Diese virtuellen Kosten eines Fördermoduls werden dabei als Metrikwert bezeichnet. Durch die Ausbreitung der Metrikwerte werden zudem die Zielpunkte an den Einschleusepunkten registriert. In Abb. 11 ist die initiale Erstellung der Metrikwerte für einen Zielpunkt dargestellt. Neben den unterschiedlichen Zielpunkten werden auch die unterschiedlichen Größen der Transporteinheiten beachtet. Die einzelnen Module besitzen dabei nach der Initialisierungsphase für jeden von ihnen aus erreichbaren Zielpunkt und jede

Abb. 10 Funktionsblöcke der Steuerung und deren Aufgaben

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Abb. 11 Berechnung des initialen Metrikfeldes

ihnen bekannte Transporteinheitengröße einen eigenen Metrikwert. Da bestimmte Informationen, wie z. B. der Abstand der Fördermodule zum Rand der Fördermatrix, für alle Metriken berechnet werden müssen, werden diese in einer Grundmetrik separat berechnet. Der Zusammenhang der einzelnen Metriken ist in Abb. 12 dargestellt. Die Berechnung der Routen erfolgt transporteinheitenspezifisch und beginnt, sobald an einem Einschleusepunkt eine Transporteinheit detektiert wird. Zusammen mit der Transporteinheit wird an die kleinskaligen, cyber-physischen Fördermodule ein Datenpaket übergeben. In diesem Datenpaket sind Informationen abgespeichert, welche die Transporteinheit beschreiben. Es werden drei Informationen für den Transportvorgang benötigt: Abmessungen der Transporteinheit, eine eineindeutige Identifizierungsnummer und das Transportziel. Am Einschleusepunkt kann nun mit der Planung einer Route begonnen werden: Es wird ein Routensegment erstellt, welches in Richtung des benachbarten Fördermoduls mit der niedrigsten Entfernung

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Abb. 12 Zusammenhang der einzelnen Metriken (Sohrt et al. 2014)

zum Transportziel zeigt. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis die Route das Transportziel erreicht. In jedem Routensegment wird hierbei die Identifizierungsnummer des Datenpaketes hinterlegt, um eine Zuordnung der geplanten Routen zu den jeweiligen Transporteinheiten zu ermöglichen. (Sohrt et al. 2016a, b) Die Routenplanung erfolgt zweistufig: Im ersten Schritt wird die Route von dem Einschleusepunkt zum Transportziel geplant. Im zweiten Schritt wird die nun geplante Route ausgehend vom Transportziel zu dem Einschleusepunkt reserviert. Dieser zweistufige Prozess ist notwendig, um die Detektion von Kollisionen und Verklemmungssituationen zu ermöglichen. Routen, die sich im Zustand „in Planung“ befinden, dürfen sich gegenseitig noch widersprechen. Sobald jedoch ein Routensegment in den Zustand „reserviert“ wechselt, muss sichergestellt sein, dass der nachfolgende Transport ohne Kollisionen oder Verklemmungen durchgeführt werden kann. Kollisionen können sowohl auf geraden Transportstrecken auftauchen als auch in Kreuzungsbereichen. Die Möglichkeit einer Verklemmung besteht nur in Kreuzungsbereichen. (Sohrt et al. 2016a, b) Da die Routenplanung auf den Metrikwerten aufbaut, werden diese so berechnet, dass Kollisionen und Verklemmungen vermieden werden. So werden in den Metrikwerten neben der räumlichen Distanz zu den Zielpunkten auch andere Faktoren berücksichtigt. Den größten Einfluss haben dabei bereits reservierte Routen für Transporteinheiten. Durch die Beachtung dieser wird es möglich, dass nahe beieinanderliegende Routen gebündelt werden können. Die genaue Berechnung der Metrikwerte M erfolgt folgendermaßen und die Lage der berücksichtigten Nachbarmodule ist in der Abb. 13 dargestellt (Krühn et al. 2016):

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Abb. 13 Metrikberechnendes Fördermodul mit Nachbarmodulen

  M ¼ min M R _ M N , i with ( M N ,i ¼ M D þ M S ,i þ

M MS,i

MR MN,i MO,i

MG,i

MD SR

S R  M O, i , falls eine Route exisiert S R  M G, i , falls eine entgegengesetzte Route existiert

günstigster Metrikwert dieses Fördermoduls hängt von der Entfernung des Fördermoduls vom Rand der Fördermatrix ab. Ms,i wird 1, wenn das Nachbarmodul i zu nah an der Systemgrenze ist, um Transporteinheiten bewegen zu können. Der Wert berechnet sich aus der Basismetrik. sind die Kosten für die Rotation einer Transporteinheit auf diesem Fördermodul. ist der Metrikwert des Nachbarmoduls i. sind die Kosten, um eine Transporteinheit in die Richtung des Nachbarmoduls i zu bewegen, auf dem schon eine Route existiert, welche von dem anfragenden Fördermodul wegführt. sind die Kosten, um eine Transporteinheit in die Richtung des Nachbarmoduls i zu bewegen, auf dem schon eine Route existiert, welche zu dem anfragenden Fördermodul hinführt (also entgegengesetzt zur angefragten Richtung). Transportkosten sind die Kosten, die nur von der physischen Distanz zwischen zwei Fördermodulen abhängen. Faktor, der den Routenzustand berücksichtigt. SR ist größer für reservierte Routen und kleiner für Routen, die sich lediglich in Planung befinden.

Durch das Verhältnis MG,i/MO,i wird die maximale akzeptable Länge eines Umweges definiert, bevor die Fördermatrix eine Route entgegen einer bereits existierenden Route plant. Die bereits existierende Route wird hierdurch möglicherweise neu geplant. Falls dieses Systemverhalten nicht gefordert ist, ist es notwendig, dass der Wert des Quotienten MG,i/MO,i größer gewählt wird als die längste mögliche Route im System. Die genaue Festlegung dieser Werte ist ein Optimierungsproblem und hängt von dem gewünschten Systemverhalten ab. Nahe beieinanderliegende Routen, die in die gleiche Richtung zeigen, werden übereinandergelegt, um die zur Verfügung stehende Fläche der Fördermatrix effizient auszunutzen. Das Verhältnis

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MD/MO,i definiert dabei die relative Nähe der Routen zueinander, bevor eine Zusammenlegung geschieht. (Krühn et al. 2016) Ausgehend von den nun berechneten Metrikwerten kann ein Gradientenfeld gebildet werden (siehe Abb. 14): Der Gradient jedes Fördermoduls zeigt hierbei auf denjenigen Nachbarn, der den günstigsten Metrikwert hat. Ausgehend von diesem Gradientenfeld kann die Routenplanung erfolgen: Bei einer anstehenden Transporteinheit wird in Richtung des Gradienten ein Routensegment erstellt. Durch die Aneinanderreihung der einzelnen Routensegmente wird vom Einschleusepunkt zum Ausschleusepunkt eine Route reserviert. Da bei der Berechnung der Metrikwerte die Abstände zu anderen Routen beachtet werden, sind alle reservierten Routen kollisionsfrei. Nachdem die Routen geplant worden sind, beginnt die Fördermatrix damit, die entsprechenden Transporteinheiten zu bewegen. Während des Transportvorgangs muss die Steuerung dabei sicherstellen, dass es zu keinen Verklemmungssituationen kommt. In (Mayer 2009) wurde eine Methode beschrieben, mit der Verklemmungssituationen in ringförmig angeordneten Fördersystemen während des Transportvorgangs erkannt und gelöst werden können. Dieser Typ von Verklemmungen wird im Folgenden als globale Verklemmung bezeichnet, da zur Lösung der Verklemmung räumlich weit entfernte Fördermodule miteinander Informationen austauschen müssen. Neben den globalen Verklemmungen ist es möglich, dass es auf der Fördermatrix zu lokalen Verklemmungen in Kreuzungsbereichen kommen kann. In Abb. 15 ist eine solche lokale Verklemmung dargestellt: Sowohl die Transporteinheit A als auch die Transporteinheit B haben eine Route durch den Kreuzungsbereich geplant. Falls beide Transporteinheiten gleichzeitig in den Kreuzungsbereich einfahren, kommt es zu einer lokalen Verklemmung. (Krühn 2015)

Abb. 14 Darstellung von reservierten Routen und des Gradientenfeldes (angelehnt an (Krühn 2015))

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S. Sohrt et al.

Abb. 15 Darstellung einer lokalen Verklemmungssituation (Krühn 2015)

Abb. 16 Zwei Kreuzungsbereiche überlappen sich gegenseitig (Krühn 2015)

Um diese lokalen Verklemmungen zu verhindern, müssen alle Module, die im Kreuzungsbereich liegen, überwacht werden. Die Überwachung geschieht dabei durch das Kreuzungsmodul, in dem die Routen von den anstehenden Transporteinheiten zusammenlaufen. Da dieses Kreuzungsmodul die Größen beider Transporteinheiten kennt, kann es auch die Größe des Kreuzungsbereichs bestimmen und alle Module, die in diesem Kreuzungsbereich liegen, ansteuern. Die Entscheidung, welche Transporteinheit zuerst auf den Kreuzungsbereich gelassen werden soll, kann mithilfe einfacher Regeln erfolgen, z. B. dass Transporteinheiten, die sich schon länger auf der Fördermatrix befinden, Vorrang erhalten. (Krühn 2015) In Abb. 16 ist ein komplexerer Fall dargestellt. Mehrere Kreuzungsbereiche überlappen sich gegenseitig. Beide Kreuzungsbereiche müssen sich gegenseitig

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abstimmen, um lokale Verklemmungen zu verhindern. Die notwendigen Regeln wurden dabei in (Krühn et al. 2013) formuliert und lauten: L1: Befindet sich ein Modul in keiner Kreuzungsnachbarschaft, darf es jederzeit von einer Transporteinheit befahren werden. L2: Befindet sich ein Modul in genau einer Kreuzungsnachbarschaft, darf es von einer Transporteinheit nur befahren werden, wenn sich das Kreuzungsmodul für die Einfahrt dieser Transporteinheit entschieden hat. L3: Befindet sich ein Modul in mehreren Kreuzungsnachbarschaften und alle Kreuzungsmodule haben die gleiche Transporteinheit freigegeben, wird diese akzeptiert. L4: Befindet sich ein Modul in mehreren Kreuzungsnachbarschaften und die dazugehörigen Kreuzungsmodule haben verschiedene Transporteinheiten freigegeben, ist die Situation nicht eindeutig. Zur Lösung der Situation wird die Transporteinheit des Kreuzungsmoduls akzeptiert, welches die Routen aller beteiligten Transporteinheiten kennt. L5: Existiert kein Modul, das alle Routen kennt, wird die ältere Transporteinheit ausgewählt.

4

Datenkommunikation für kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

Die Datenkommunikation zwischen den Fördermodulen der Fördermatrix muss den Anforderungen an zukünftige Fördersysteme (vgl. Abschn. 2) genügen. Hierfür ist zu beachten, dass in Bezug auf die Datenkommunikation im Zuge der Umsetzung von Industrie 4.0 die klassische Automatisierungspyramide aufgelöst wird. An ihre Stelle tritt ein dezentral gesteuerter Verbund aus Produktionssystemen (Abb. 17) (VDI 2014).

Abb. 17 Auflösung der hierarchischen Automatisierungspyramide durch CPPS mit verteilten Diensten (VDI 2014)

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S. Sohrt et al.

In diesem Kontext stehen der Realisierung von cyber-physischen Produktionssystemen (CPPS) derzeit technologische Hemmnisse entgegen (Kagermann et al. 2014). Insbesondere eine mangelnde intelligente Vernetzung aufgrund fehlender einheitlicher Kommunikationsschnittstellen ist als ein wesentlicher Faktor zu nennen. Unter intelligenter Vernetzung ist die systematische Digitalisierung vorhandener Infrastruktur und Informationen sowie branchenübergreifende Vernetzung der Akteure zu verstehen (BMWI 2014). Eine mangelnde intelligente Vernetzung in der heutigen Produktion verhindert den Informationsaustausch zwischen den Elementen eines Produktionssystems. So findet in der Regel ein Informationsaustausch über ein Zentralsystem, wie z. B. ein Maschinendatenerfassungssystem, statt (Overmeyer et al. 2010a). Beim intralogistischen Transport von Produktionsgütern, z. B. zwischen Produktionsmitteln über eine Fördermatrix, wird nur das physische Gut übergeben, eine digitale Informationsübergabe findet nicht statt (Overmeyer et al. 2013). Somit ist eine Trennung von Material- und Informationsfluss festzustellen. Ein zur Transporteinheit paralleler Informationsfluss hingegen ermöglicht es dem CPPS, z. B. diese Transporteinheit dezentral durch die Produktion zu steuern. Das folgende Konzept zur Datenkommunikation zwischen Fördermodulen einer Fördermatrix sieht hierfür einen zur Transporteinheit parallelen Informationsschatten vor.

4.1

Anforderungen an eine Datenkommunikation zwischen kleinskaligen Fördermodulen

An eine intelligente Vernetzung von CPPS und im speziellen an die Datenkommunikation von Fördermodulen einer Fördermatrix wird eine Vielzahl von Anforderungen gestellt. Die zentralen Anforderungen an kleinskalige Fördermodule werden nachfolgend dargestellt, unterteilt in die vier Bereiche Feldbustechnologie, Intralogistik, Transporteinheit, und Mensch. Die Feldbustechnologie muss in Bezug auf kleinskalige Fördermodule die Möglichkeit bieten, den Aufbau und die Anordnung einer Fördermatrix zu erkennen und darauf aufbauend ein informationstechnisches Abbild der Topologie des Produktionssystems abzuleiten. Hierfür ist eine Nachbarschaftserkennung von zentraler Bedeutung. Weiterhin müssen alle gängigen Feldbustopologien unterstützt werden, da z. B. in Randbereichen der Fördermatrix nicht jedes Fördermodul in allen Richtungen Nachbarn aufweist und somit eine neue Feldbustopologie Verwendung findet. Eine weitere zentrale Anforderung ist eine gleichbleibende Datenübertragungsgeschwindigkeit, um der nachfolgend erwähnten intralogistischen Echtzeitfähigkeit gerecht zu werden. Darüber hinaus muss eine Datenkommunikation für kleinskalige Fördermodule aktuellen Anforderungen an ein intralogistisches System genügen. Neben z. B. der Robustheit gegenüber Störungen ist die Echtzeitfähigkeit ein wesentlicher Aspekt in Bezug auf ein intralogistisches System. So müssen die Informationen zu der Transporteinheit in einer definierten Verarbeitungszeit ausgewertet und an den nächsten Nachbarn

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weitergegeben werden. Hierfür sind u. a. die Größe des angestrebten Informationsschattens und, wie bereits erwähnt, die Übertragungsgeschwindigkeit der angestrebten Feldbustechnologie zu beachten. Für das Beispiel eines kleinskaligen Fördermoduls beträgt die berechnete Verarbeitungszeit, bei einer angestrebten Fördergeschwindigkeit von 2 m/s und einer Kantenlänge von 6 cm, maximal 30 ms (siehe Abb. 18). Weiter müssen die Anforderungen an die produktspezifischen Daten betrachtet werden, die als Informationsschatten parallel zur Transporteinheit geführt werden sollen. Dazu zählen z. B. die Abmessungen der Transporteinheit, damit das Fördermodul die Auflagefläche der Transporteinheit kennt. Hinzu kommen die Informationen über die Prozesskette mit einer Abfolge von Produktionsmitteln, über die die Transporteinheit läuft. Somit kann jedes Fördermodul der Fördermatrix entscheiden, zu welchem Ausgang der Fördermatrix eine Transporteinheit befördert werden muss. Diese Prozesskette darf jedoch nicht starr sein. Vielmehr muss diese Prozesskette dynamisch erweiterbar sein, um die im Kap. „Steuerung von kleinskaliger cyber-physischer Fördertechnik“ bereits vorgestellten intralogistischen Funktionen und im speziellen das Puffern zu ermöglichen, da sich das Ziel in diesem Fall temporär ändern kann. An Technologien für CPPS wird hinzukommend die Anforderung gestellt, den Menschen in die dezentral gesteuerten Produktionssysteme einzubinden, um z. B. die Abläufe hinsichtlich Fehlerbehebung und Produktionsüberwachung zu erleichtern. Hierfür ist es notwendig, die im Informationsfluss zu transportierenden Daten der Transporteinheit auch für den Menschen lesbar und interpretierbar zu machen. Zudem werden in den Entwicklungen zur Industrie 4.0 offene Standards zur Datenkommunikation, wie z. B. die Beschreibungssprache XML, bevorzugt. Gleichermaßen wird auf die Kompatibilität zu vorhandenen Standards wie AutomationML Wert gelegt, damit nicht ähnliche Systeme zur Datenkommunikation parallel existieren, jedoch nicht miteinander kommunizieren können.

Abb. 18 Verarbeitungszeit des Informationsschattens

32

4.2

S. Sohrt et al.

Stand der Forschung für die Datenkommunikation zwischen Produktionsmitteln

Häufig liefert jeder Hersteller von Fördertechnik seine eigenen Kommunikationsprotokolle z. B. auf Basis eines Feldbusses. Als Beispiele dafür können die höheren Spezifikationen der Feldbustechnologie Controller Area Network (CAN) betrachtet werden, wie z. B. ISO-TP, CANopen oder auch DeviceNet. Diese bauen auf dem eigentlichen CAN-Bus auf, unterscheiden sich jedoch z. B. in der Beschreibung des physikalischen Steckers. Offene Standards im Bereich der Feldbusse wie z. B. OPC-UA zeigen heute bereits, dass ein Kommunikationsprotokoll für diverse Anwendungsszenarien verwendet werden kann. Dieser Weg steht jedoch erst am Anfang, wodurch aktuell eine Fülle an Kommunikationsschnittstellen in der Produktionsindustrie zu finden ist. Somit müssen heutige Lösungen zur Datenkommunikation noch diverse Feldbusse physikalisch wie auch informationstechnisch unterstützen, um mit verschiedenen Produktionsmitteln zu kommunizieren. Feldbustechnologien, die die Anforderungen nach Echtzeitfähigkeit, Nachbarschaftserkennung und Topologie-Unabhängigkeit erfüllen und damit eine Vernetzung kleinskaliger Fördermodule erlauben, sind derzeit grundsätzlich bereits am Markt vertreten. So ist es möglich, mit einer CAN-Feldbustechnologie ein digitales Abbild des Realsystems zu ermitteln. Dabei ist diese Feldbustechnologie mit allen gängigen Topologien umsetzbar, wie z. B. Ring- oder Baumtopologie. Aufgrund der Übertragungsgeschwindigkeit der CAN-Feldbustechnologie erfüllt diese die Anforderungen an Echtzeitfähigkeit in dem konkreten Beispiel der kleinskaligen Fördermodule unter der Bedingung, dass die effektive Größe des angestrebten Informationsschattens ca. 1,75 Kilobyte nicht überschreitet (siehe Abb. 19). Um die Produktinformationen im Informationsschatten für Mensch und Maschine lesbar zu machen, kann ebenfalls auf vorhandene Technologien im Bereich der

Abb. 19 Maximale Größe des Informationsschattens in Abhängigkeit von der Verarbeitungszeit und der Feldbustechnologie

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

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Beschreibungssprachen, wie z. B. den offenen Standard XML, als Grundlage zurückgegriffen werden. Auf diesem Standard basieren bereits Ansätze für offene Datenaustauschformate, wie z. B. AutomationML (DIN EN 62714-1 2012-06). Der AutomationML e. V. etablierte damit im Anlagenengineering eine einheitliche Kommunikationsschnittstelle auf Basis einer Beschreibungssprache. Als Softwareschnittstelle ermöglicht sie das Austauschen von Daten des Anlagenengineerings über Werkzeuggrenzen hinweg und reduziert händische Übertragungsfehler. AutomationML garantiert jedoch keine gleichbleibende Dateigröße, da die Historie des Datensatzes umfangreich in ihm selbst abgebildet wird (DIN EN 62714-1 2012-06). Somit erhöht sich die Dateigröße mit jeder Änderung des Datensatzes. Am Markt erhältliche offene Standards für Beschreibungssprachen für die Anwendung in der Intralogistik müssen somit, z. B. zur Realisierung von Echtzeitfähigkeit in den hier gezeigten Grenzen, Adaptierungen erfahren. Abschließend kann formuliert werden, dass aktuelle Technologien im Bereich der Kommunikationsschnittstellen erste Ansätze zur Standardisierung liefern, jedoch noch nicht allen Anforderungen der Datenkommunikation für Fördermodule einer Fördermatrix gerecht werden.

4.3

Aufbau der Beschreibungssprache zur Datenkommunikation

Basierend auf den Anforderungen an eine Datenkommunikation zwischen Fördermodulen einer Fördermatrix basiert das hier erläuterte Konzept auf einer Beschreibungssprache. Eine Instanz der nachfolgend beschriebenen Beschreibungssprache mit spezifischen Dateninhalten wird hierbei für einen Informationsschatten zu einer Transporteinheit verwendet. Im Folgenden wird der grundsätzliche Aufbau eines solchen Informationsschattens skizziert, um darauf aufbauend die zu übermittelnden Daten hinsichtlich der Transporteinheit und des kleinskaligen Fördermoduls aufzuzeigen. Der Aufbau des Informationsschattens, der jeweils zu einer Transporteinheit existiert, beruht auf den Spezifikationen der AutomationML, um eine Kompatibilität zu diesem Standard zu ermöglichen. Der Aufbau teilt sich, wie bei der AutomationML vorgesehen, in die zwei Bereiche Kopfinformationen („AdditionalInformation“) und Nutzdaten („InstanceHierarchy“) auf (Abb. 20). Abb. 21 zeigt den Aufbau der Kopfinformationen. Diese enthalten als Attribut die Versionsnummer der zugrunde liegenden Spezifikation der Beschreibungssprache sowie als XML-Element den sogenannten „WriterHeader“ mit Informationen des Informationsschattens. Der „WriterHeader“ besteht aus einer definierten Menge an XML-Elementen, wovon in Abb. 21 exemplarisch der „WriterName“, die „WriterID“ und das XML-Element „LastWritingDateTime“ dargestellt sind. Das XML-Element „WriterName“ beschreibt nach der AutomationML-Spezifikation den Namen der Organisationseinheit, welche den Informationsschatten zuletzt verändert hat. Die „WriterID“ ist eine dem „WriterName“ zugewiesene eineindeutige Identifikationsnummer. Die „LastWritingDateTime“ enthält die Zeit, zu der der Informationsschatten zuletzt verändert wurde.

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S. Sohrt et al.

«xmlFile» Informationsschatten

«XSDtopLevelElement» AdditionalInformation

«XSDtopLevelElement» InstanceHierarchy

Abb. 20 Aufbau Informationsschatten

«xml» AdditionalInformation

double «XSDtopLevelAttribute» Version

«XSDtopLevelElement» WriterHeader

string «XSDtopLevelElement» WriterName

string «XSDtopLevelElement» WriterID

dateTime «XSDtopLevelElement» LastWritingDateTime

Abb. 21 Aufbau Kopfinformationen

string «XSDtopLevelAttribute» ChangeMode

«xml» InstanceHierarchy

string «XSDtopLevelAttribute» Name

«XSDtopLevelElement» InternalElement

«XSDtopLevelElement» InternalElement

string «XSDtopLevelElement» Attribute

string «XSDtopLevelElement» Value

Abb. 22 Aufbau Nutzdaten

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

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Abb. 22 zeigt den Aufbau der Nutzdaten, welche immer ein „InternalElement“ beinhalten. Ein „InternalElement“ beschreibt in diesem Fall die Transporteinheit mittels der XML-Attribute „Name“ und „Identifikationsnummer“. Unter dem „InternalElement“ ist eine definierte Menge von XML-Elementen „Attribute“ enthalten, wovon jedes ein spezifisches Merkmal beschreibt, wie z. B. das Gewicht der Transporteinheit. Der dazugehörige Wert, in diesem Beispiel das Gewicht der Transporteinheit, findet sich in einem darunterliegenden XML-Element Value. Weiterhin kann ein „InternalElement“ wiederum „InternalElemente“ enthalten. Hiermit werden abweichend zur AutomationML Datenlisten abgebildet. In der AutomationML-Spezifikation beschreibt dieses Konstrukt ein Anlagenunterelement zu einem Elternelement, wie z. B. einen Motor, der zu einem Fördermodul gehört. Prinzipiell werden in dem hier beschriebenen Konzept zur Datenkommunikation transporteinheitsspezifische und produktionsmittelspezifische Daten unterschieden. Um den Informationsschatten bezogen auf den Speicherbedarf so klein wie möglich zu halten, werden lediglich die transporteinheitsspezifischen Daten transportiert. Diese werden wiederum in die drei Bereiche Grunddaten, Produktionsauftragsdaten und Prozessschritte eingeteilt, wobei jeder Bereich spezifische Daten zu der Transporteinheit enthält (Abb. 23). Die produktionsmittelspezifischen Daten orientieren sich an dem beschriebenen Aufbau des Informationsschattens. Diese werden in die drei Bereiche Grunddaten, Identifikationsdaten und Produktionsauftragsdaten eingeteilt, wobei jeder Bereich spezifische Daten zu dem Produktionsmittel enthält (Abb. 24). So bilden die produktionsmittelspezifischen Daten u. a. alle Daten zur informationstechnischen Abbildung des Produktionssystems ab, wie z. B. die Raumorientierung zu den Nachbarn des Fördermoduls, sowie alle Daten für die Spezifikation des Fördermoduls, wie z. B. die Breite des Fördermoduls.

Abb. 23 Daten des Informationsschattens mit Beispielen

36

S. Sohrt et al.

Abb. 24 Daten des Produktionsmittels mit Beispielen

4.4

Umsetzung im industriellen Umfeld

Der Einsatz des zuvor erläuterten Informationsschattens im Beispiel-Anwendungsfall der kleinskaligen Fördermodule der Fördermatrix wird an einem Versuchsstand validiert (siehe „Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik“ – Abschn. 3: „Aufbau der kleinskaligen, cyber-physischen Fördertechnik“). Für diesen Anwendungsfall können in Bezug auf den Informationsschatten u. a. die drei zentralen Szenarien Anlegen des Informationsschattens, Transport des Informationsschattens und Ändern des Informationsschattens betrachtet werden. Bei dem ersten Eintritt der Transporteinheit in das CPPS wird der Informationsschatten angelegt, unterstützt durch einen AutoID-Vorgang und ergänzt um Daten aus einer Datenbank (siehe Abb. 25). Das Scannen eines Matrixcodes, z. B. mittels eines industriellen Handscanners, wird hier als Beispiel für einen AutoID-Vorgang verwendet. Der so gebildete Informationsschatten wandert parallel zu einer spezifischen Transporteinheit durch das CPPS. Situationsbedingt kann es nötig sein, dass der Informationsschatten während des Transports durch das CPPS durch ein Produktionsmittel wie z. B. ein kleinskaliges Fördermodul verändert wird. Änderungen am Informationsschatten werden z. B. notwendig, wenn eine neue hochpriorisierte Transporteinheit in das CPPS eintritt. In diesem Fall werden die Prioritäten in allen auf dem CPPS befindlichen Informationsschatten herabgesetzt, sodass diese neue Transporteinheit zügig durch die Produktion geschleust werden kann. Ein weiteres Beispiel für eine dynamische Änderung des Informationsschattens im Anwendungsfall tritt bei der intralogistischen Funktion Puffern auf. Diese benötigt eine Änderung der Liste der Prozessschritte innerhalb des Informationsschattens, indem „Puffern“ als Prozessschritt eingefügt wird. Die intelligente Vernetzung kleinskaliger Fördermodule einer Fördermatrix kann auf Basis einer einheitlichen Beschreibungssprache in CPPS realisiert werden. Die

Kleinskalige, cyber-physische Fördertechnik

37

Abb. 25 Bildung des Informationsschattens

hier vorgestellte Beschreibungssprache zur Datenkommunikation wurde bereits für erste Versuche umgesetzt. Sie wird zukünftig die dezentrale Steuerung von CPPS auf Basis des zur Transporteinheit parallel fließenden Informationsschattens ermöglichen. Die vorgestellte Beschreibungssprache erhöht dabei die Transparenz innerhalb eines CPPS, da zu jeder Zeit Orts- und Zeitinformationen aller Produktionsgüter bekannt sind. Zudem können die für die Produktion verwendeten Produktionsmittel nachvollzogen werden. Dies wird mit Bezug auf ein dezentral gesteuertes CPPS, welches sich dynamisch verändern kann, und aktuelle Anforderungen der Produktionsindustrie, z. B. zur Nachverfolgung ihrer Produktionsmittelauslastung, an Bedeutung gewinnen.

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Das bewegliche Lager auf Basis eines cyber-physischen Systems Christian Wurll

Zusammenfassung

Das amerikanische Unternehmen Kiva Systems hat mit der Nutzung von mobilen Robotern das klassische Kommissionierkonzept „Ware-zur-Person“ revolutioniert. Das im Folgenden „Kiva-Konzept“ genannte Verfahren gewann seine größte Aufmerksamkeit aufgrund der Übernahme des Start-up-Unternehmens durch die Internetplattform Amazon. Das Kiva-Konzept besteht aus einer Flotte von mobilen Robotern, frei konfigurierbaren Regalen und manuellen Arbeitsstationen. Die leichte Anpassbarkeit der Regale an unterschiedliche Produkte und Verpackungen sowie die einfache Skalierbarkeit der Gesamtanlage machen das Kiva-Konzept zu einer idealen Kommissionierlösung für den schnelllebigen Online-Versandhandel. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber noch eine Vielzahl von weiteren Verfahren, wie z. B. Shuttle-Systeme oder Zellulare Transport Systeme u. v. a., welche mit mobilen Komponenten das Kommissionieren automatisieren. In diesem Artikel erfolgt ein ausführlicher Überblick über die verschiedenen Konzepte, ein „bewegliches Lager auf Basis von cyber-physischen Systemen“ zu realisieren.

1

Einführung

30,8 Milliarden US-Dollar in nur 24 Stunden: Das ist der neue Rekordumsatz des weltgrößten Online- und Offline-Shoppingevents im Jahr 2018. Die Rede ist vom chinesischen „Singles’ Day“, dem der Online-Shopping-Gigant Alibaba 2009 neues

C. Wurll (*) Faculty of Management Science and Engineering, University of Applied Sciences Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_12

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C. Wurll

Leben eingehaucht hat und der seitdem Umsatzrekord nach Umsatzrekord bricht (Kharpal 2018). Als Vergleich werden meist der „Prime Day“ im Juli von Amazon und der amerikanische „Black Friday“ und „Cyber Monday“ herangezogen. Erstgenannter spielte nach Schätzungen 2018 circa 4 Milliarden US-Dollar in 17 Ländern ein. Das amerikanische Shopping-Wochenende dagegen wird mit ungefähr 14 Milliarden US-Dollar beziffert (Porter 2018). Das Wachstum des Online-Handels hält an, ganz besonders in der Volksrepublik China. 730 Millionen Chinesen (Dragonfly 2018) nutzen das Internet als festen Teil ihres Alltags, chatten, lassen sich unterhalten und bestellen – und das immer mehr. 2017 ist der chinesische Online-Handel um 24 % gewachsen und erzielt damit fast doppelt so hohe Umsätze wie das amerikanische Pendant (Duriez 2018), welches sich auf ein Wachstum von 15 % auf 18 % in 2018 einstellt (Demaitre 2018). Auch im heimischen Markt steigen die Umsätze im Online-Handel, um zuletzt 11 % auf 58,5 Milliarden Euro im letzten Jahr (dpa 2018). Online Einkaufen ist in der heutigen Zeit ein normaler Vorgang. Die Kaufentscheidung ist nur einen Maus-Klick entfernt. Ohne uns zu bewegen navigieren wir abends auf der Couch mit dem Tablet in der Hand durch ein weltweites Sortiment und googeln nach dem gewünschten Produkt – oder wir finden einen Artikel, bei dem wir zuvor nicht wussten, dass es diesen überhaupt gibt. Finden wir das gewünschte Produkt nicht, dann müssen Amazon, eBay, idealo.de oder andere Online-Marktplätze herhalten. Angeklickt, bestellt, geliefert – und, falls es nicht gefällt, wird es retourniert. Alles vom Sofa aus. Sachlich, nüchtern – jedoch ohne die Inspiration des Einkaufens im stationären Handel: aber eben sehr einfach und bequem. Diese Entwicklung stellt vor allem Distributionslager vor immer neue Herausforderungen, die ein Umdenken in Größe und Charakter erfordern. Viel stärker als vorher ist die Geschwindigkeit in den Fokus gerückt, die mit Batchbildung und vielen manuellen Schritten kaum erreicht werden kann. Losgrößen verkleinern sich immer weiter bis zur Losgröße eins, und die Variantenvielfalt nimmt dagegen immer mehr zu bei immer individuelleren Kundenwünschen. Schnelles Wachstum und Marktvolatilität erfordern schnelle Anpassbarkeit, die mit skalierbarer Automatisierung von Lagertechnik, weiterführenden Robotics-as-a-Service-Modellen und dem Outsourcing von Lageraktivitäten durch Händler realisiert werden kann. Ein gutes Beispiel für letzteres ist kein geringerer als Alibaba, der kein einziges Lager selbst betreibt (Heragu 2019). Eine Vision dabei ist das vollautomatische, autonome Lager ohne manuelle Zwischenstufen, wie es zum Beispiel von JD.com dargestellt (JD.com 2016) und in der Nähe von Shanghai zu großen Teilen automatisiert bereits betrieben wird (Bellini und McDonald 2018). Vollautomatisierung würde bedeuten, dass Lager und Distributionszentren rund um die Uhr betrieben werden können, ohne von Einschränkungen und Kostenfaktoren wie regionaler Gesetzgebung, Fachkräftemangel, steigenden Löhnen, Nachtzuschlägen, Pausenzeiten, Ermüdung oder mitarbeitergerechter Gestaltung von Arbeitsplätzen betroffen zu sein. Die Logistikschauplätze könnten, je nach gelagerten Produkten

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natürlich, ohne Kostentreiber wie Klimatisierung und Beleuchtung betrieben werden. Auch mit Ware-zu-Mann-Systemen ohne Vollautomatisierung können bereits erhebliche Energieeinsparungen erzielt werden, da lediglich die Bereiche um die bemannten Stationen den Arbeitsanforderungen entsprechen müssen, die lediglich 10 Prozent des Lagers ausmachen (Intralogistics 2014). Zudem kann menschliche Arbeitskraft für geistig anspruchsvollere und physisch weniger belastende Aufgaben eingesetzt werden. Die oben angeführten Vorteile von Automatisierung und ihre Notwendigkeit für das Fortbestehen des Wachstums werden immer mehr in der in der Logistik und darüber hinaus wahrgenommen. Der globale Markt für Roboter allgemein wird von 2018 auf 2022 um durchschnittlich jährlich 28 % wachsen, schätzt Technavio. Die Studie schließt Indoor- und Outdoor-Logistik wie Produktionslogistik ein sowie die zur Hardware benötigte Software. Gründe für das Wachstum finden sich einmal auf der Angebotsseite in Form von kostengünstigeren Einbaukomponenten wie Sensoren, aber auch niedrigeren Kosten und immer kürzeren Zeiten für die Implementierung. Nachfrageseitig greift Technavio in der Begründung den viel erwähnten Arbeitskräftemangel unter anderem in der Logistik auf (Technavio 2018). Durch Faktoren wie alternde Bevölkerung und steigende Löhne verschärft sich der Bedarf zusätzlich, auch in vergleichsweise weniger entwickelten Volkswirtschaften. China beispielsweise erlebte zwischen 2008 und 2016 mehr als eine Verdopplung der Gehälter in urbanen Regionen (Bellini und McDonald 2018). Durch das stetige Wachstum bedeutet Automatisierung jedoch nicht notwendigerweise den Wegfall von Arbeitsplätzen, vielmehr wird die zusätzliche Kapazität sogar benötigt, um Schritt halten zu können. Ted Dengel, Managing Director Operations Technology beim amerikanischen Paketzusteller FedEx, geht sogar so weit zu sagen, dass Automatisierung notwendig für weiteres Marktwachstum ist („Automation is necessary for the market to grow“ (Demaitre 2018)). Speziell für die Logistik nimmt Tractica ein Wachstum von Sendungen von Logistik-Roboter-Einheiten von 40.000 auf 620.000 an bei einem Marktvolumenanstieg von 1,9 auf 22,8 Milliarden US-Dollar im Zeitraum 2016 bis 2021 (Tractica 2017) Diese Entwicklungen machen die Relevanz deutlich, die das Thema Automatisierung in der Logistik hat. Aufbauend auf dem gleichnamigen Beitrag im Handbuch Industrie 4.0 Logistik der vorherigen Auflage wird in dieser Arbeit der aktuelle Stand einiger ausgewählter Logistikautomatisierungsansätze untersucht. Dabei werden vor allem signifikante Neuerungen an bestehenden Systemen und aufstrebende neue Marktteilnehmer mit ihren Lösungen berücksichtigt. Für die Umsetzung des Kommissionierens in den Paketfabriken haben sich zwei wesentliche Konzepte etabliert: „Ware-zur-Person“ und „Person-zur-Ware“. Die Person-zur-Ware-Kommissionierung beschreibt eine Kommissionierart, bei der die Bereitstellung der Ware statisch erfolgt. Der Mitarbeiter entnimmt die benötigte Ware direkt am Lagerplatz. Im Gegensatz zur Kommissionierart „Ware-zur-Person“ wird die Ware nicht vom Lagerplatz zum Kommissionierer transportiert. Die Materi-

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alentnahme bei der Person-zur-Ware-Kommissionierung erfolgt in der Regel manuell ohne automatische Hilfsmittel. Deshalb eignet sich diese Kommissionierart auch nur bei Warenmengen von geringem Umfang. Zusätzlich dazu wird bei Eilaufträgen auf diese Form zurückgegriffen. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass ein geringer Investitionsaufwand nötig und hohe Kommissionierleistungen möglich sind. Die Kommissionierleistung ist umso höher, je geeigneter die Lagerorte sind. Nachteil ist, dass die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung für den Mitarbeiter durch die erhöhte Anstrengung bei der Warenentnahme eingeschränkt wird. Außerdem sind aufgrund der Laufwege erhöhte Wegzeiten einzukalkulieren (ten Hompel et al. 2011). Einige jüngere Konzepte unterstützen die Person-zur-Ware-Methode mit Automatisierungskomponenten für den Auftragsbehälter- oder Palettentransport. In diesen Lösungen ist ein Mitarbeiter oder ein Team von Mitarbeitern nur für bestimmte Zonen oder Gänge eingeteilt. Der Mitarbeiter ist nur für den eigentlichen Kommissioniervorgang zuständig, aber der Zielträger wird automatisch bewegt. Da die Mitarbeiter weniger Strecke zum Lagerort zurücklegen müssen, kann mit weniger Personal die gleiche oder unter Umständen eine größere Kommissionierleistung erzielt werden. In diesem Fall ist das Lager zwar starr, aber der eigentliche Transport beweglich. Im Folgenden wird dieses Konzept als Person-zur-Ware-Automatisiert bezeichnet. Die Ware-zur-Person-Kommissionierung beschreibt eine Kommissionierart, bei der die Bereitstellung der Ware dynamisch erfolgt. Die Ware wird vom Lagerplatz zum Kommissionierer mittels Automatisierung (z. B. Fördertechnik, mobiler Roboter etc.) transportiert. Der Mitarbeiter nimmt die Ware anschließend an seinem Arbeitsplatz entgegen und entnimmt die benötigte Menge. Nach der Entnahme werden die leeren oder mit Restmengen befüllten Behälter wieder zurück ins Lager transportiert. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass der Kommissionierer durch die kürzeren Laufwege und geringere körperliche Betätigung (geringe Hub- oder Streckbewegung) entlastet wird. So wird eine vergleichsweise hohe Kommissionierleistung erreicht. Außerdem wird durch den Einsatz automatischer Entnahmehilfsmittel die Fehleranfälligkeit verringert. Nachteil ist, dass durch erhöhte Wartezeiten oder mögliche Ausfälle der Automatisierung sowohl Personalaufwendungen als auch Investitionskosten entstehen (ten Hompel et al. 2011). Die ersten Realisierungen von automatisierten Ware-zur-Person-Konzepten basierten in der Regel auf automatischen Kleinteilelägern (AKL). Die Behälter oder Kartons sind einfach oder mehrfachtief in einem Hochregallager gespeichert und in jeder Gasse ist ein Kran dafür zuständig, die gewünschten Artikel ein- bzw. auszulagern. Die Kranlösungen wurden zwischenzeitlich durch sogenannte Shuttle-Systeme ergänzt, um höhere Leistungen zu erreichen. Pro Ebene ist typischerweise ein schnelles Shuttle aktiv, welches mit einem Lastaufnahmemittel ausgerüstet ist. Bei geringeren Leistungsforderungen kann auch ein Shuttle über einen Lift in eine andere Ebene transportiert werden. Für den Ein- und Auslagervorgang fährt das Shuttle zu einem Lift in die Mitte oder an das Ende des Ganges. Jeder Lift bedient mehrere Ebenen, und das Kleinteilelager wird dann über ein Netzwerk an Behälterfördertechnik mit den manuellen Arbeitsstationen angeschlossen. Im Folgenden wird dieses Konzept als das Shuttle-Konzept bezeichnet. Die Firmen Knapp und

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Dematic waren unter den ersten Anbietern von Shuttle-Lösungen, die im weiteren Verlauf des Artikels kurz vorgestellt werden. Das von Mick Mountz im Jahre 2003 gegründete amerikanische Start-up-Unternehmen Kiva Systems mit Sitz in Woburn, MA revolutionierte das Ware-zur-PersonKonzept durch die Verwendung einer Flotte mobiler Roboter. Die sogenannten Kiva Bots transportieren mobile Regale (sogenannten Pods) aus einem Lagerbereich zu Pickstationen und wieder zurück. Im Gegensatz zu den klassischen AKL und Shuttle-Konzepten überzeugt das Kiva-Konzept durch hohe Skalierbarkeit, einfache Installation und flexible Anpassbarkeit an das Artikel- und Auftragsspektrum. 2012 wurde Kiva Systems von Amazon gekauft und zwischenzeitlich in Amazon Robotics umgetauft (siehe www.amazonrobotics.com). Trotz einer breiten Absicherung des Kiva-Konzeptes durch Patente gibt es mittlerweile eine große Anzahl von Nachahmern (z. B. Grey Orange, Scallog, Bär, Grenzebach, Swisslog/KUKA, Geek +, Eurotec), welche die Lieferlücke nach der Akquisition durch Amazon schließen und an dem Erfolg des Konzeptes partizipieren wollen, da Amazon das Konzept nur für seine eigene Lager nutzt und nicht an Dritte anbietet. Ein zeitlicher Vorreiter von Kiva Systems für eine mobile Roboterlösung auf Behälterebene war die Firma Hatteland in Norwegen. Die Firma entwickelte in den 90er-Jahren das sogenannten AutoStore-Konzept für ihren Eigenbedarf an Lagerverwaltung und Kommissionierung von Elektronik-Komponenten für deren Fertigungsprozess. Auch hier gibt es bereits mit Ocado einen Nachahmer dieser Technologie und eine konsequente Weiterentwicklung des ursprünglichen Ansatzes mit der Einführung der Black Line durch Hatteland selbst. Vermutlich inspiriert durch Shuttle-Konzepte und die Kiva-Systems-Idee sind neue Varianten eines mobilen Lagers entstanden. Unter der Bezeichnung Zellulare Transport Systeme hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund in Kooperation mit der Dematic GmbH ein Konzept entwickelt, in dem modifizierte Shuttle-Fahrzeuge das Hochregallager verlassen und die Behälter direkt zu Bearbeitungsstationen bringen. Eine kommerzielle Variante ist von dem amerikanischen Start-up-Unternehmen Symbotic (ehemals CasePick LLC) unter dem Produktnamen „MatrixSelect“ in den Markt eingeführt worden. Das von dem französischen Unternehmen Exotec Solutions entwickelte Skypod-System passt ebenfalls in diese Kategorie und wurde auf der LogiMAT 2019 mit dem Preis für das beste Produkt 2019 in der Kategorie „Kommissionierungs-, Förder-, Hebe- und Lagertechnik“ ausgezeichnet (Exotec Solutions 2019). Eine ähnliche Idee auf Palettenebene verfolgt die Firma Gebhardt mit der Entwicklung des Paletten-Shuttles „StoreBiter 500-OLPS“ (Gebhardt 2018b). Der Rest des Artikels gliedert sich wie folgt: Im nächsten Unterkapitel wird das Thema Industrie 4.0 im Zusammenhang mit dem beweglichen Lager genauer betrachtet. Es folgt im Weiteren ein ausführlicher Überblick über den Stand der Technik mit einem detaillierten Vergleich der Kiva-Konzept-Anbieter sowie der anderen Ansätze. Die Ausführung endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick über die Entwicklungsherausforderungen und laufenden Forschungsprojekte.

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Industrie 4.0 im beweglichen Lager

Ein cyber-physisches System, engl. „cyber-physical system“ (CPS), bezeichnet den Verbund informatischer, softwaretechnischer Komponenten mit mechanischen und elektronischen Teilen, die über eine Dateninfrastruktur, wie z. B. das Internet, kommunizieren. Die Ausbildung von cyber-physischen Systemen entsteht aus der Vernetzung eingebetteter Systeme durch drahtgebundene oder drahtlose Kommunikationsnetze. Cyber-physische Systeme ermöglichen neuartige industrielle Anwendungen mit hohem wirtschaftlichem Potential. Beispiele sind etwa selbststeuernde Logistiksysteme, integrierte Systeme zur Verkehrssteuerung oder intelligente Stromnetze (Smart Grids) (Broy 2010). Das Kiva-Konzept ist gemäß obiger Definition ein klares Beispiel für ein cyberphysisches System. Nach Zuweisung eines Kommissionierauftrages an eine Arbeitsstation fragt diese das Lager an, in welchem Regal sich die gewünschte Ware befindet. In Kenntnis der Lagerposition erfolgt dann autonom die Beauftragung eines Roboters unter Berücksichtigung der aktuellen „Verkehrssituation“ und des jeweiligen Ladezustandes der Roboter. Bei Ankunft des Regals an der Arbeitsstation werden zwischen dem Fahrzeug und der Arbeitsstation Daten (z. B. Eindeutige ID des Regals) ausgetauscht, um den Werker bei seiner Tätigkeit zu unterstützen. Nach Abschluss des Kommissioniervorganges wird das Regal entweder wieder in das Lager zurück oder zu einer anderen Arbeitsstation transportiert. Der Lagerort wird durch das übergeordnete System berechnet in Kenntnis der zukünftigen Kommissionieraufträge. Auf diese Weise passt sich das mobile Lager ständig dem aktuellen Bestellverlauf an. Durch die frei konfigurierbaren Regale kann das mobile Lager nach dem Kiva-Konzept auch leicht auf neue Anforderungen angepasst werden. Da der Arbeitsstation die präsentierte Regalkonfiguration (geometrische Anordnung und Größe der Fachböden, Lagerplätze sowie Zuordnung von eindeutigen Adressen) zur Verfügung gestellt wird, kommt diese mit dem neuen Regal ohne zusätzlichen Programmieraufwand zurecht. Das Verwalten der Konfigurations-, Lager-, Bestands- und Auftragsdaten erfolgt bei den logistischen Systemen in der Regel noch zentral in einer Datenbank. Je nach Realisierung übernehmen die Roboter im Kiva-Konzept selbstständig die Wegeplanung, oder die Route wird durch das übergeordnete System vorgegeben. Im ersten Fall können die Roboter „Vorfahrtsrechte“ an Kreuzungen selbst aushandeln oder zum Beispiel Reihenfolgen regeln. Im zweiten Fall werden in der Regel nur Teilwegabschnitte an die Roboter übermittelt, um flexibel auf Störungen bzw. Verkehrssituationen reagieren zu können.

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Stand der Technik

Im diesem Abschnitt wird der Stand der Technik für folgende Kommissionier- und Sortierkonzepte genauer dargestellt: • Ware-zur-Person nach dem SHUTTLE-Konzept • Ware-zur-Person nach dem Kiva-Konzept

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• • • • •

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Ware-zur-Person nach dem AutoStore-Konzept Ware-zur-Person mit Zellularen Transport Systemen Roboter-zur-Ware mit flexiblen Kommissionierrobotern Person/Roboter-zur-Ware-Automatisiert Sortierung durch mobile Roboter

Allen Konzepten gemein ist die Tatsache, dass jedes Verfahren einen mobilen Anteil hat. Entweder werden durch mobile Roboter Paletten, Regale oder Behälter zur Person transportiert oder die Person wird durch mobile Roboter beim Kommissionieren unterstützt. Ware-zur-Person nach dem SHUTTLE-Konzept Das Konzept Ware-zur-Person ist nicht neu. Unterschiedliche Konzepte, um Ware zu einer Person zu bringen, gibt es bereits seit den 70er-Jahren. Zum Beispiel gibt es horizontale oder vertikale Karussells bereits seit mehreren Jahrzehnten, und diese haben nach wie vor noch für bestimmte Anwendungen ihre Daseinsberechtigung. In den 90erJahren wurden für die Behälterkommissionierung Kleinteilelagerkräne entwickelt mit teleskopförmigen Lastaufnahmemitteln. Trotz hoher Geschwindigkeiten ist aber die Leistung solcher Systeme beschränkt. Abhilfe schaffte hier die Entwicklung der sogenannten Shuttle-Konzepte. In diesem Konzept arbeiten mobile Geräte, sogenannte Shuttles, gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen, so dass mehrere Lageebenen simultan angesprochen werden können. Diese neue Generation von Ware-zur-Person-Technologie ist schneller, flexibler und skalierbarer als die bislang üblichen AKL-Lösungen. In Abb. 1 und 2 sind die Shuttle-Lösungen von Dematic und Knapp dargestellt. Die wesentlichen Komponenten eines Shuttle-Systems sind das Regalsystem, die eigentlichen Shuttle-Fahrzeuge, die Lifte, die Vorkommissionierzone, die Arbeitsstationen sowie die Steuerungssoftware. Das Regalsystem als starre Installation kann ein- oder mehrfachtief ausgelegt sein in Abhängigkeit der Kundenanforderungen und der Ausstattung des Ladeaufnahmemittels. Eine mehrfachtiefe Lagerung erhöht bei flexibler Einlagerung die Lagerdichte und erlaubt auch den Zugriff von beiden Seiten. Durch den beidseitigen Zugriff kann auch eine bessere Lastverteilung erzielt werden.

Abb. 1 (a) Multi Shuttle von Dematic; (b) Typische Multi-Shuttle-Installation (Wulfraat 2013)

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Abb. 2 (a) OSR Shuttle von Knapp; (b) OSR-Shuttle-basierte Installation (Knapp 2014)

An einem oder beiden Enden oder in der Mitte des Ganges ist ein Lift dafür zuständig, die Behälter in die richtige Ebene zu heben oder zum Ausgang zu bringen. Das Shuttle in seiner Standardausführung ist mit einem teleskopförmigen Lastaufnahmemittel ausgestattet, das gleich große Behälter handhaben kann. Andere Ausführungen erlauben die Handhabung von Behältern unterschiedlicher Größe oder die direkte Handhabung der Artikelverpackungen. Die Lagerung der Behälter oder Kartons kann entweder in einem festen Raster erfolgen oder dynamisch in Abhängigkeit der Behälter- und Kartongrößen frei gewählt werden. Im letzteren Fall erreicht man üblicherweise eine höhere Lagerdichte, aber die Einlagerung von neuen Objekten unterliegt zusätzlichen Restriktionen, was eine Leistungsreduzierung zur Folge haben könnte. Ein großes Objekt passt nicht in einen Lagerplatz, in dem vorher ein kleines Objekt gelagert war. In der Systemauslegung ist in Abhängigkeit der Artikelabmessungen genau zu prüfen, ob eine dynamische Rasterung Vorteile bringt. Neben der Firma Dematic gibt es viele weitere Systemanbieter von ShuttleLösungen (u. a. Knapp, SSI-Schäfer, Viastore, Vanderlande, Dematic, Swisslog, Witron, TGW). Einen umfassenden Marktüberblick bekommt man auf der jährlich stattfinden Logistikfachmesse LogiMat in Stuttgart (siehe www.logimat-messe.de). Horizontal multidirektionale Erweiterung Die meisten etablierten Anbieter halten sich bei der Weiterentwicklung ihrer ShuttleFahrzeuge an die horizontal multidirektionale Erweiterung, womit die Befahrbarkeit des Regalrasters sowohl längs als auch quer gemeint ist. Die österreichische KNAPP AG versteht sich selbst als Pionier der Shuttle-Technik. 2001 brachte die KNAPP AG als erster Anbieter Shuttlesysteme industrietauglich auf den Markt und blickt seitdem auf Erfahrung aus ca. 300 Installationen zurück. 2018 erschien das neue OSR ShuttleTM Evo (Pieringer 2018), dessen Vorgänger bereits 2001 vorgestellt worden war, gefolgt vom YLOG Shuttle 2008. Während YLOG noch über vier drehbare Räder an den Ecken in der Lage war, auf einer Wendefläche im Regallager die Richtung zu wechseln, setzt das OSR ShuttleTM Evo auf acht Räder an den Seiten des Fahrzeugs (siehe Abb. 3 und 4). Gründe hierfür sind zum einen die geringere Fehleranfälligkeit beim Wechsel von Längs- auf Querfahrt und umgekehrt sowie eine kürzere Umsetzzeit. Seine Energie bezieht das Fahrzeug hierbei über Stromschienen beziehungsweise einen integrierten Energiespeicher während des Umsetzvorgangs.

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Abb. 3 YLOG Shuttle der Firma Knapp AG

Abb. 4 Produktskizzen OSR Shuttle™ Evo und Evo+ der KNAPP AG

Über die Kombination mit dem FTF Open Shuttle kann das System außerdem zum OSR Shuttle™ Evo+ erweitert werden, welches dann in der Lage ist, Ladungsträger vom Regal direkt zum Bedarfspunkt zu transportieren (siehe Abb. 4). Gassen-und-nicht-Ebenen-gebunden-Ansatz Die zweite Gruppe neuerer Shuttle-Systeme verfolgt den Gassen-und-nicht-Ebenengebunden-Ansatz, der bereits als zweithäufigste verwendete Form im Handbuch Industrie 4.0 angeführt wurde. Bei den dort genannten Lösungen muss es sich jedoch aufgrund der zeitlichen Einordnung um solche handeln, die die vertikale Bewegung durch die Befahrbarkeit von Liften durch die Shuttles ermöglichen. Bei dieser Variante wird das Engpassproblem der Lifte jedoch nicht umgangen. Zusätzlich bedingt die hinzugewonnene Flexibilität in der Ebene, dass Shuttles für den Zeitraum, in dem sie sich im Lift befinden, nicht genutzt werden können. Die Installation eines solchen Systems bietet sich an, wenn weniger Shuttles als Ebenen benötigt werden. Daraus ergibt sich, dass die Variante eher für Systeme geeignet ist, von denen zumindest Ebenen-bezogen ein geringerer Durchsatz gefordert wird. Bei neueren Lösungen wird aus diesem Grund auf die Lifte als Vertikalförderer von Shuttles verzichtet, indem die Fahrzeuge selbst vertikal beweglich gemacht werden.

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Ein Beispiel, das zu dieser Kategorie gehört, ist das System PerfectPick®, welches von der Firma Opex entwickelt wurde. Die Shuttles, sogenannte iBot®, können sowohl horizontal als auch vertikal fahren. Sämtliche Antriebstechnik ist in den Fahrzeugen verbaut, es werden weder Aufzüge noch Fließbänder im System benötigt. Eine Erweiterung des Systems ist als PerfectPickHD® seit 2018 auf dem Markt. Die Erweiterung bietet mehrfachtiefe Lagerplätze für zwei Standardbehälter. So können bei maximalen Abmaßen der Regalstruktur von 62 m  10 m  4 m bis zu 12.200 Stellplätze für größere und schwerere Behälter geschaffen werden als in der Vorgängerversion (ca. 36 statt 30 kg). Je nach Bedarf sind in der Gasse 10–20 Fahrzeuge im Einsatz. An die Regalgasse angeschlossen ist an beiden Seiten eine manuelle Arbeitsstation, welche das simultane Ein- und Auslagern in das System ermöglicht. Die Stationen sind mit Hilfssystemen zur Entnahme (wie Pick-by-light) und Bestückung (Überwachung von Höhenüberschreitung) ausgestattet. Beide Systeme sind Stand-aloneLösungen, die nicht in ein bestehendes Regalsystem integriert werden können. Eine ähnliche Idee haben auch die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund gehabt. Der vom IML entwickelte RackRacer (siehe Abb. 5) kann sich sowohl horizontal in einer Ebene bewegen als auch durch Schwenken seiner Raupenelemente diagonal zwischen den Ebenen wechseln. Das innovative Fahrzeug zeichnet sich durch eine bessere Lagervolumennutzung, geringe Fixkosten und eine hohe Energieeffizienz aus (IML 2014). Allerdings führte diese Konzeptidee bislang noch zu keiner kommerzialisierten Lösung. Ware-zur-Person nach dem Kiva-Konzept Mick Mountz hat im Jahre 2003 Kiva Systems zusammen mit zwei Experten aus dem Ingenieurwesen und der Robotik, den Professoren Peter Wurmann und Raffaello D’Andrea, gegründet. Nach nur 20 Monaten Entwicklungszeit war die erste prototypische Anlage mit den Kiva-Robotern einsatzbereit (siehe Abb. 6). Mit Hilfe von Finanzspritzen durch diverse Investoren und der Entwicklung des Kiva-Konzeptes legte Kiva eine amerikanische „Bilderbuchkarriere“ hin. In den Jahren 2003 bis 2012 implementierte Kiva Systems zahlreiche Projekte u. a. für Staples, Walgreens, Gap, Crate and Barrel, Toys R Us u. v. m. und wurde 2009 als die am sechstschnellsten

Abb. 5 (a, b) RackRacer vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund

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Abb. 6 (a) Mobiler Roboter von Amazon Robotics; (b) Amazon-Robotics-Installation. (Quelle: Amazon)

wachsende amerikanische Firma ausgezeichnet (Wulfraat 2012). Mit der Übernahme durch Amazon im Jahre 2012 erreichte Kiva Systems und das Kiva-Konzept den Gipfel an Popularität. Mittlerweile ist Kiva Systems vollständig in die AmazonOrganisation integriert und firmiert unter dem Firmennamen „Amazon Robotics“ (https://www.amazonrobotics.com/). Aufgrund des plötzlichen Verschwindens von Kiva Systems vom Markt entstand eine Bedarfslücke, die von einer Reihe von Nachahmern geschlossen werden will. Im Folgenden werden die Lösungen der Firmen Grey Orange, Scallog, Grenzebach, Swisslog/KUKA, Eurotec und Geek+ mit der Kiva-Lösung verglichen. All diese Anbieter konzentrieren sich mit ihren Produkten zunächst auf die Distributionslogistik (Abb. 7). Die beiden Firmengründer von Grey Orange, Samay Kohli und Akash Gupta, sind auf dem besten Weg, die Kiva-Erfolgsstory zu wiederholen. Nach einer ersten Findungsphase mit einem Abstecher in die Roboterausbildung und Lehre im Jahre 2011 folgte sehr schnell der Schwenk in die Produktentwicklung und der Einstieg in die Automatisierung von Warenverteilzentren auf Basis des Kiva-Konzeptes. Mit signifikanten Finanzspritzen in bislang drei Finanzierungsrunden (2014: 10 Mio. USD, 2015: 30 Mio. USD und 2018: 140 Mio. USD) ist das Unternehmen auf großem Wachstums- und Expansionskurs (GOR 2015; Keith Shaw 2018; RBR Staff 2014). In Indien bedient Grey Orange Kunden wie Flipkart, Amazon India, Jabong, Delhivery u. v. m. und besitzt laut eigenen Aussagen über 90 % des Indischen WarenhausAutomatisierungsmarkes. Grey Orange plant die Weiterentwicklung der Produkte und ist sehr aktiv an der Expansion in die Regionen Asien-Pazifik, West-Asien, Europa und seit 2018 auch in die USA. Die Firma Scallog (Scalable Logistics) wurde 2013 von Olivier Rochet gegründet. Inspiriert durch das Kiva-Konzept hat Rochet eine analoge Lösung für den nicht amerikanischen Markt entwickelt. Während sich Scallog zur Erscheinung der zweiten Auflage noch in der Entwicklungsphase befand, hat Rochet mit Hilfe eines Inverstors seine Firma erfolgreich weiter ausgebaut. Durch die Teilnahme an den international renommierten Messen wie LOGIMAT und CEMAT 2018 wurde die Bekanntheit von Scallog größer, und erste Aufträge konnten gewonnen werden (Scallog 2019).

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Abb. 7 Fünf verschiedene mobile Roboter der Kiva-Nachahmer: (a) Grey Orange; (b) Scallog; (c) Grenzebach; (d) KUKA/Swisslog; (e) Eurotec

In einer partnerschaftlichen Entwicklung hatten die Firmen Grenzebach und Swisslog innerhalb einer kurzen Zeit von Januar bis August 2013 das G-Com/ CarryPick-System entwickelt und auf der LogiMAT 2014 präsentiert (Grenzebach 2014). Zwischenzeitlich verfolgen beide Partner getrennte Wege und entwickeln und vertreiben eigenständig ihre jeweiligen Lösungen weiter. Die Firma Grenzebach hat ihre Produktlinie mit der Einführung der Fahrzeuge L600, L1200S und FL 1200S systematisch weiter ausgebaut. Speziell die beiden letztgenannten personensicheren Fahrzeugvarianten erlauben die Anwendung des Konzeptes in einer Arbeitsumgebung, in der eine Trennung zwischen Robotern und Menschen nicht möglich ist. Die höheren Traglasten und die integrierte Personensicherheit erweitern darüber hinaus die Einsatzmöglichkeiten z. B. zur Implementierung von Supermärkten mit nachfolgender Teileanlieferung in die Produktion in Automobilwerken (Schreiner 2018) oder zur Andienung von gesamten Paletten in Warenverteilzentren.

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Die Firma Swisslog hielt am Produktnamen „CarryPick“ für die Systemlösung fest. Eine Flotte mobiler Fahrzeuge (KMP600), die gemeinsam von Swisslog und KUKA entwickelt wurden, navigieren in einem Raster, um mobile Regale zur Kommissionierung an Arbeitsplätze zu transportieren. CarryPick wird durch die Swisslog Warehouse Management Software SynQ gesteuert. SynQ reduziert die Anzahl von Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen und sorgt so für eine optimale Ausrichtung und niedrigere Fehlerraten. Der „Newcomer“ unter den europäischen Anbietern ist die niederländische Firma Eurotec BV, die zur Eurogroep (https://eurogroep.com/) gehört. Die 2017 auf den Markt gebrachten Produkte „Lowpad Medium“ und „Lowpad Large“ erfüllen alle Anforderungen zur Realisierung eines Kiva-Konzeptes und bestechen vor allem mit einer Bauhöhe von maximal 125 mm. Darüber hinaus sind alle Fahrzeuge gleich personensicher und nutzen die integrierten Sicherheitsscanner für die Navigation und Lokalisation. Das Kiva-Konzept wurde auch von einigen chinesischen Herstellern mit finanzieller Unterstützung der chinesischen Online-Giganten Alibaba, JD, VIPShop, Tencent u. a. nachgeahmt (Tobe 2018a). Die prominentesten Vertreter sind u. a. die Firmen Quicktron (www.flashhold.com) sowie Geek+ (www.geekplusrobotics.com/). Da letztere zum ersten Mal als Aussteller auf der CeMAT 2018 und LogiMAT 2019 in Stuttgart teilgenommen hat, wird Geek+ im Rahmen dieses Artikels näher betrachtet. Das Start-up Geek+ hat sich in den ersten zwei Jahren seit seiner Gründung 2015 von einem vierköpfigen Gründerteam zu 300 Mitarbeitern entwickelt und bereits über 3000 Roboter ausgeliefert (Tobe 2018b). Der generelle Aufbau der Fahrzeugmechanik ist bei allen Anbietern sehr ähnlich. Die mobilen Roboter sind mit zwei angetriebenen Rädern ausgestattet. Die Richtungsänderung des Fahrzeuges erfolgt hier durch unterschiedliche Drehzahlen der Antriebsräder (der sogenannte „Panzerantrieb“). Die Stabilität des Fahrzeuges wird durch vier zusätzliche frei drehbare Stützräder erzeugt. Alle Fahrzeuge verfügen über eine integrierte Steuerung, welche die Motoren und Sensoren verwenden, um das Fahrzeug zu navigieren. In Abb. 8 sind verschiedene Navigationsverfahren grafisch dargestellt, die bei klassischen Fahrerlosen Transportsystemen zum Einsatz kommen. Alle Anbieter bis auf Scallog und Eurotec verwenden den Gitter-basierten Ansatz mit Einsatz von entsprechenden Markierungen auf dem Boden. Die globale Lokalisation erfolgt mit Hilfe einer 2D-Kamera, welche den Versatz und die Orientierung des Codes relativ zum Kamerakoordinatensystem zurückliefert. Die Bahnplanung errechnet sich aus den gemessenen Koordinaten des aktuellen QR-Codes und den Zielkoordinaten des nächsten QR-Codes eine Trajektorie für die Antriebssteuerung. Durch die Auswertung der Odometrie (Schätzung der Position und Orientierung anhand der jeweiligen Radumdrehungen) wird der Roboter auf Kurs gehalten. Aufgrund von Störfaktoren wie Bodenbeschaffenheit, Verschleiß der Räder oder ungleichmäßige Belastung der Räder kommt es zu einer Messungenauigkeit, welche nur durch zusätzliche Sensorik kompensiert werden kann. Meist kommen hier Gyroskope zum Einsatz, welche eine nicht geplante Orientierungsänderung detektieren und somit eine Gegensteuerung einleiten können.

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Abb. 8 Navigationsverfahren für Fahrerlose Transportsysteme (Bilder a-e aus (BlueBotics SA 2019), f analog ergänzt)

Abb. 9 (a) Beispiel eines QR-Codes (b) QR-Code von Swisslog/Grenzebach

In Abb. 9 sind exemplarisch die QR-Codes von Kiva Systems und Grenzebach abgebildet. Während Kiva Systems einen einzelnen größeren QR-Code verwendet, hat Grenzebach jeweils neun kleinere Codes auf dem Bodenmarker angeordnet. Die Kodierung der Informationen am Marker erfolgt über sechs numerische Zeichen. Die ersten fünf Zeichen entscheiden über die Klebeposition vom Marker innerhalb einer Strecke. Die letzte Ziffer kennzeichnet einen der neun Codes. Auf Grund der geringen Bodenfreiheit und des begrenzten Sichtfeldes der Kamera können nur alle Codes erkannt werden, wenn das Fahrzeug exakt mittig über dem Bodenmarker steht. Im Falle einer Bahnabweichung liefert die Kamera als Messer-

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gebnis eine Liste der erkannten Codes zurück. Durch geometrische Mittelung kann die Positions- und Orientierungsabweichung berechnet werden (Deutscher und Baier 2014). Durch statistische Auswertung, welche der neun Codes von welchem der Fahrzeuge erkannt werden, können Rückschlüsse auf das System gezogen werden. Liefern alle bzw. viele Fahrzeuge den gleichen Messfehler für einen bestimmten Code, dann muss z. B. die Bodenbeschaffenheit in der Nähe des Codes untersucht werden. Liefert nur ein Fahrzeug an einem oder mehreren Codes mehr Abweichungsfehler als die anderen Fahrzeuge, dann muss das Fahrzeug überprüft werden. Somit kann durch strukturierte Datenauswertungen das System diagnostiziert werden und im Falle einer erkannten Abweichung oder einem Trendverhalten präventiv eingegriffen werden. Auf diese Weise wird die Verfügbarkeit der Anlage erhöht. Scallog verwendet einen einfachen Linienverfolgungsansatz zur Navigation der Fahrzeuge. Das ist eine bewährte Technologie und vereinfacht die Steuerung des Fahrzeuges. Allerdings erhöht sich der Inbetriebnahme- und Wartungsaufwand durch das Verkleben oder Einzeichnen der kompletten Fahrspuren. Eurotec sowie Geek+ (Modell P800) haben ihre Fahrzeuge mit Laserscannern ausgestattet und verwenden zur Navigation einen SLAM-Ansatz. SLAM steht hierbei für das englische „Simultaneous Localization and Mapping“ (Yang 2014), also die simultane Ortsbestimmung und Kartenerstellung. Nach Angaben von Geek+ erlaubt dies dem Roboter, das Raster aus QR-Codes zu verlassen, Kurven zu fahren und sich lediglich an gelegentlich überfahrenen QR-Codes zu orientieren. Zur Hinderniserkennung ist im „P800“ nur noch Laser und Ultraschall verbaut, im Vergleich zu den beiden anderen Modellen wurde auf Infrarot verzichtet. Bei Eurotec entfällt in jedem Fall der hohe Inbetriebnahmeaufwand zum Vermessen und Kleben der benötigten QR-Codes. Zum Transport der Lastaufnahmemittel ist jedes der Fahrzeuge mit einem Hubmechanismus ausgestattet. Kiva Systems hat ein interessantes Verfahren entwickelt und patentiert, bei dem das Anheben und Abstellen der Last durch die Drehbewegung des Fahrzeuges realisiert wird. Durch entsprechendes Ein- und Auskuppeln des Hubmechanismus kann das Fahrzeug auch beim Fahren um die Kurve oder beim Wechseln der Fahrtrichtung um 90 Grad die Orientierung der Last entsprechend ändern oder beibehalten. Wohl bedingt durch das US-Patent (US 7,850,413 B2), welches auch in Europa (EP 2 102 091 B1) und Japan (JP 5265572 B2) anerkannt wurde, haben (fast) alle Nachahmer einen klassischen Hubmechanismus durch einen separaten Antrieb realisiert. Damit sind diese aber gezwungen, bei einer Eckumsetzung durch die Sequenz „Anhalten, Absetzen, Drehen, Anheben, Weiterfahren“ die Beibehaltung der Lastorientierung zu realisieren. Diese längere Sequenz wirkt sich unvermeidbar auf die Zykluszeit eines Fahrzeuges aus, und der zusätzliche Antrieb erhöht die Fahrzeugkosten. Hier hat sich Kiva Systems klar einen Vorteil erarbeitet. Alle Kiva-Konzept-Anbieter für die Distributionslogistik sind mit der Angabe von technischen Details sehr zurückhaltend. In Tab. 1 sind einige Informationen zusammengefasst, die aus den jeweiligen Firmen-Webseiten, Produktprospekten und verschiedenen Youtube-Videos entnommen wurden. Die Fahrzeuggrößen sind durchaus unterschiedlich. Amazon Robotics hatte es bislang geschafft, das Fahrzeug immer kompakter zu gestalten. Eine niedrige Bau-

970  680  385 1390  900  465

~800  600  300

340

1,3–1,7

1,3–1,7

1200  1200

Beibehalten und Ändern der Regal Orientierung

vorwärts/rückwärts

Jede Stunde 5 Minute laden

Ladestation

Nein

Abmessungen Fahrzeug (Länge  Breite  Höhe in [mm])

Fahrzeug Traglast in [kg]

Geschwindigkeit (leer) in [m/s]

Geschwindigkeit (beladen) in [m/s]

Regale (Länge  Breite in [mm])

Drehen mit angehobenen Regal

Fahrtrichtung

Batterielaufzeit

Lademechanismus

Personensicher

Nein

Ladestation

ca. 8 h ca. 4 h

Vorwärts/ rückwärts

Ändern der Regalorientierung

1,0 1,0

1,0 1,0

600 1600

Butler M Butler XL

Grey Orange

Amazon Robotics

Fahrzeug

Amazon Robotics

Tab. 1 Systemeigenschaften im Vergleich Scallog

Nein

Ladestation

ca. 8 h

vorwärts

Ändern der Regalorientierung

1200/1000  800

2,0

2,0

600

800  550  450

Boby

Grenzebach

Nein Ja

Induktiv über Ladematten (stationär) oder Ladeschleife (dynamisch)

ca. 10 h

vorwärts/rückwärts

Ändern der Regalorientierung

1300  900

1,0 1,0

1,5 1,0

600 1200

967  750  320 1238  693  340

L600 L1200S

Swisslog/KUKA

Eurotec

Ja Ja

Ladestation (stationär und dynamisch) Induktiv über Ladematten (stationär) oder Ladeschleife (dynamisch) Nein

ca. 6–8 h

Vorwärts/ rückwärts/ seitwärts Omnidirektional

Beibehalten und Ändern der Regal Orientierung

1000  1000

1,5 1,5

1,5 1,5

450 650

800  675  125 1075  800  125

Lowpad Medium Lowpad Large

ca. 8 h

vorwärts/rückwärts

Ändern der Regalorientierung

1300  900

1,0

1,5

600

971  750  320

KMP 600

Geek+

Nein

Ladestation

Vorwärts/ rückwärts

Ändern der Regalorientierung

1,5

2,0

500 1000 800

920  690  280

P500 P1000 P800

56 C. Wurll

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höhe des Fahrzeuges erlaubt eine bessere Raumausnutzung des Regals, da der untere Fachboden tiefer angebracht sein kann. Somit kann aus ergonomischen Gründen ein größeres Regalvolumen verwendet werden. Mit 450 mm Höhe ist das Fahrzeug von Scallog in der Traglast bis 600 kg am höchsten von allen Anbietern. Signifikante Konkurrenz in Bezug auf die Bauhöhe kommt vom Neuling Eurotec. Die Fahrzeuge Lowpad Medium und Lowpad Large besitzen eine Höhe von nur 125 mm. Es ist bemerkenswert, wie es Eurotec geschafft hat, alle mechanischen und elektrischen Komponenten inklusive der Sicherheitstechnik auf so kleinem Bauraum zu integrieren. Aufgrund der niedrigen Bauhöhe kann Eurotec im Gegensatz zu den anderen Nachahmern viele existierende (mobile) Ladungsträger ihrer Kunden unterfahren und somit direkt handhaben. Darüber hinaus erhöht sich das Ladungsvolumen um ca. 20 % im Vergleich zu den Mitbewerbern (Eurotec BV 2019). Kiva Systems, Grey Orange und Eurotec haben für ihre Regale eine quadratische Grundform gewählt, während Scallog, Grenzebach und Swisslog eine nicht quadratische Form verwenden. Grenzebach orientierte sich bewusst an der Europalettengröße, um europäische Verpackungen optimaler in den Regalen anzuordnen. Es ergibt sich zwar je nach Kundenanforderungen eine bessere Volumennutzung im Regal, aber die rechteckige Grundform hat Auswirkungen auf das Gesamtlayout des Lagers. Die quadratische Grundform erlaubt außerdem die Präsentation des Regals an der Arbeitsstation von allen vier Seiten, während die rechteckige Grundform sich nur von zwei Seiten präsentieren lässt. Somit ist man viel flexibler in der Gestaltung und Nutzung der Regale. In Abb. 10 ist exemplarisch je ein Regal der Anbieter dargestellt.

Abb. 10 Mobile Regal-Varianten: (a) Amazon Robotics; (b) Grey Orange Robotics; (c) Scallog; (d) Grenzebach; (e) Swisslog/KUKA; (f) Eurotec

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Interessant ist die Gestaltung des Regals von Amazon Robotics in Abb. 10a. Während die Regale von Kiva Systems früher auch aus metallischen Fachböden bestanden, ist Amazon Robotics zu einer „textilförmigen“ Fachbodengestaltung übergegangen. Damit ist die Montage eines Regals um ein Vielfaches schneller und somit sicherlich günstiger. Die einzelnen Fächer werden zwar eine geringere Last tragen können, was aber je nach Produktspektrum nicht kritisch ist. Die Flexibilität der Regalkonfiguration und -ausführung in Abhängigkeit des Produktsortiments unterstreicht die Vorteile des Kiva-Konzeptes. Die Regale der KivaNachahmer sind alle sehr ähnlich und es besteht in jedem Fall Aufholbedarf im Design und der Produktion, um wirtschaftliche Lösungen (geringe Herstellungskosten, kurze Montagezeiten) zu realisieren. Die Regale von Grey Orange sind zwar auch noch aus Metall, allerdings gibt es modulare Einsätze aus Karton, die eine schnelle Einteilung bzw. Aufteilung unterstützen und somit ebenfalls eine schnellere Montage ermöglichen. Die mobilen Roboter von Kiva Systems fuhren bislang mit Abstand am schnellsten. Aber mit einer Geschwindigkeit von 2.0 m/s im unbeladenen Zustand setzen sich Scallog und Geek+ an die Spitze. Scallog gibt zwar auf seinen Webseiten eine Geschwindigkeit von 2 m/s an (Scallog SAS 2018), aber in mehreren Videos wird eine Geschwindigkeit von 1,2 m/s eingeblendet und das Fahrverhalten sieht nicht so dynamisch aus. Mit einer Geschwindigkeit von 1,5 m/s in beiden Zuständen bietet Eurotec ebenfalls sehr leistungsfähige Systeme. Die Fahrzeuge aller Anbieter sind batteriebetrieben und müssen regelmäßig geladen werden. Gemäß Wulfraat fahren die Kiva-Roboter jede Stunde zu einer Ladestation und werden für ca. 5 Minuten aufgeladen, um dann wieder in den Produktionsablauf eingegliedert zu werden. In der Systemauslegung werden daher ca. 5 % mehr Fahrzeuge eingeplant, um den Fahrzeugausfall durch die Ladezeit zu kompensieren (Wulfraat 2012). Durch die induktive Lademöglichkeit während des Fahrens benötigen Grenzebach und Swisslog/KUKA theoretisch keine zusätzlichen Roboter. Häufig erfolgt das Laden allerdings stationär, so dass zusätzliche Fahrzeuge einzuplanen sind. Die regelmäßige Erfassung des Ladezustandes aller Fahrzeuge ist bei einem mobilen Lager elementar wichtig. Aus den entsprechenden Kennlinien kann eine Vorschau erstellt werden, wann welche Fahrzeuge zur Wartung, z. B. zwecks Batterieaustausch, müssen. Die Arbeitsstationen aller Anbieter sind sehr ähnlich aufgebaut (siehe Abb. 12). Ein mobiler Roboter transportiert ein Regal aus dem Lager zu einer ausgewählten Arbeitsstation. Mit Hilfe eines frei beweglichen „Laserpointers“ (Pick-by-light) und eines Benutzerbildschirms wird der Kommissionierer angewiesen, aus welchem Fach er welches Produkt in welcher Anzahl greifen soll. Der gleiche Benutzerbildschirm signalisiert, in welchen Auftragsbehälter die Ware zu kommissionieren ist. Je nach Arbeitsplatzgestaltung wird der Kommissionierer über eine „Put-to-light“-Leiste unterstützt. Grey Orange bietet als einziges Unternehmen mit dem Produkt „Butler PickPal“ ein automatisches Kommissioniersystem an, welches mit dem Butler Picking System kombiniert werden kann. Das in Abb. 11 dargestellte System kann entweder als eigenständige Arbeitsstation oder als kollaborative Station betrieben werden. Mit Hilfe eines Kamerasystems werden die zu kommissionierenden Artikel erkannt, und

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Abb. 11 Butler PickPal System von der Firma Grey Orange (2018)

a

Pick-by-light

b HMI für den Arbeitsplatz

Kartonfächer mit Put-to-light

Zu bearbeitendes Regal

Abb. 12 Unterschiedliche Arbeitsstationen: (a) Scallog; (b) Grenzebach

falls eine gültige und kollisionsfreie Greifplanung berechnet werden kann, übernimmt der Roboter den Auftrag anstelle des Kommissionieres. In Kiva-Systems-Realisierungen können auch die Auftragsbehälter auf einem mobilen Regal angedient werden. Alle anderen Nachahmer haben bislang nur stationäre Lösungen realisiert und publiziert. Beim Anfahren an die Arbeitsstation muss in der Warteschleife davor die Orientierung des Regals realisiert werden. Muss ein Regal zum Beispiel von beiden Seiten an der Arbeitsstation präsentiert werden, dann wird das Regal nach dem ersten Kommissioniervorgang über die Warteschleife mit integriertem Drehen ein zweites Mal vorgefahren. Scallog löst das sehr elegant über die Anordnung von zwei Stopplätzen im 90-Grad-Winkel wie in der Abb. 12c schematisch dargestellt. Im Scheitelpunkt kann das Regal entsprechend gedreht werden. Mit zwei Stopplätzen ist Scallog auch in der Lage, die Totzeit des Regal-

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wechsels zu reduzieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Regal bereitsteht, so dass der Kommissionierer weiterarbeiten kann, ist hier entsprechend höher. Das Thema Sicherheit wird sehr unterschiedlich behandelt. Generell sind die Fahrzeuge aller Anbieter – mit Ausnahme von Eurotec und Grenzebach (Typ: L1200S) – nicht personensicher ausgeführt. Wird eine Anlage in Europa installiert, müssen die Hersteller die EU-Maschinenrichtlinien einhalten und die gültigen Normen erfüllen. Aus diesem Grund müssen die Lösungen entsprechend mit Sicherheitszäunen und -lichtgittern bei den Arbeitsstationen ausgeführt werden. Grenzebach nutzt z. B. ein parallel zum WLAN aufgebautes Funknetz zur Aussendung eines oszillierenden Signals. Jedes Fahrzeug ist mit einem Empfänger ausgestattet, welches die Antriebe stromfrei schaltet, wenn das Synchronisationssignal ausgesetzt wird. Ein Aussetzen wird beim Öffnen der Schutztür erreicht oder beim Durchbrechen des Lichtgitters im nicht freigeschalteten Zustand. Sobald die Sicherheit wiederhergestellt ist, führt das Einschalten des Synchronisationssignales zur Aktivierung der Antriebe, und der Prozess kann fortgesetzt werden. Die meisten Amazon-Robotics- oder auch Geek+-Realisierungen sind ohne nennenswerte Sicherheitstechnik (im Europäischen Verständnis) ausgerüstet. Die Werker sind zwar angewiesen, auf den Matten zu stehen und die gelb/schwarz markierten Linien nicht zu überschreiten, aber es ist nicht zu erkennen, ob die Fahrzeuge stehen bleiben würden, wenn der Werker die Verfahrfläche betritt. Offensichtlich haben Amazon Robotics aber das Thema Sicherheit für Europa nun auch gelöst, zumal Amazon am polnischen Logistikstandort Wroclaw im Herbst 2015 zum ersten Mal in Europa das Kiva-Konzept installiert und in Europa getestet hat (Gropp 2015). Nach dem erfolgreichen Test folgten weitere Installationen in Europa: fünf Systeme in England (Doncaster, Dunstable, Manchester, Warrington, und Tibury), ein System in Polen (Szczecin), ein System in Italien (Passo Corese) und zwei Systeme in Deutschland (Winsen, Frankenthal). Vier weitere Verteilzentren in Europa sollen 2019/2020 mit Robotern ausgestattet werden: Deutschland (Mönchengladbach), Frankreich (Brétigny-sur-Orge), Italien (Torrazza Piemonte) und England (Bristol). Geek+ verkündet auf seiner Webseite, dass es die CE-Zertifizierung erhalten hat und damit die Voraussetzungen erfüllt, in den Europäischen Markt zu expandieren (Geek+ 2018b). Die Verwaltung der Fahrzeugflotte und die Synchronisation aller Fahraufträge ist eine der schwierigsten Aufgaben im Kiva-Konzept. Mit ca. 10 Jahren Vorsprung und wissenschaftlicher Unterstützung durch Prof. Raffaello D’Andrea hat Kiva Systems klar Vorteile gegenüber den Nachahmern. Gemäß Wurman basiert die Bahnplanung und Flottensteuerung von Kiva Systems auf einem Multi-Agenten-Ansatz und einer A-Suche auf einem Graphen, wobei die Knoten die QR-Codes bzw. Stellplätze darstellen und die Kanten zwischen den Knoten die zulässigen Verfahrwege symbolisieren (Wurman et al. 2007). Physikalische Eigenschaften (z. B. Wegstrecke, maximal zulässige Geschwindigkeiten etc.) sind Attribute der Kanten und werden bei der Wegeplanung als Kostenfunktionen in die Suche mit einbezogen. Der Flottenmanager von Grenzebach (Stand 2015) basiert auf der Arbeit von Stenzel mit zusätzlichen Erweiterungen (Stenzel 2008). Grenzebach hat bewusst einen zentralen Planungsansatz implementiert, da der dezentrale Multi-Agenten-

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basierte Ansatz durch diverse Kiva-Patente in den USA geschützt wurde. Auch wenn eine Anerkennung in Europa eher unwahrscheinlich ist, wollte Grenzebach nicht das Risiko eingehen, dass bei einer Erteilung des Kiva-Patents die zentrale Komponente von Grenzebach ein Kiva-Patent verletzt. Auch hier erfolgt eine A Suche auf dem modellierten Graph für eine dynamische Planung in Echtzeit (Gawrilow et al. 2008). Sobald ein Fahrzeug frei ist, wird aus dem Pool an offenen Fahraufträgen nach bestimmten Kriterien ein Auftrag ausgewählt und unter Berücksichtigung aller bereits geplanten Wege eine „optimale“ Trajektorie berechnet. Das Verfahren funktioniert sehr gut bis maximal 100 Fahrzeugen in einem Graphen mit ca. 3000 Knoten und ca. 10.000 Kanten. Da der Planungsansatz auf der Einhaltung der Zeitfenster basiert, ist das Verfahren sehr sensibel im Störungsfall. Das führt bei einem verzögerten Eintreffen eines Roboters an einer Kreuzung zu offensichtlichem Warten von anderen Fahrzeugen. Hier besteht in jedem Fall noch Optimierungsbedarf. Ob die heutige Version des Grenzebach-Flottenmanagers noch diesen Ansatz verfolgt, ist dem Autor nicht bekannt. Vorteilhaft für Kiva Systems ist auch die enge Verzahnung der Fahrauftraggenerierung und der Planung der entsprechenden Bahnen. Bei Berücksichtigung des Verkehrsaufkommens in einer Zone (z. B. weil ein Kommissionierer an einer Arbeitsstation langsamer ist als angenommen) können somit vermehrt andere Fahraufträge für andere Arbeitsstationen generiert werden. Somit ist das Kiva-System besser in der Lage, dynamisch auf Störsituationen und Einflüsse durch die Kommissionierer zu reagieren. Das Thema „Flottenmanagement“ – häufig in der Literatur auch als „Multi-Agent Path Finding (MAPF) bezeichnet – ist in den vergangenen Jahren auch vermehrt in der Forschungswelt aufgegriffen worden. Im Rahmen einer Masterarbeit wurde der Stand der Forschung von Algorithmen für die Verwaltung und Koordination eines Schwarms von mobilen Robotern untersucht. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchte Literatur ist über die Online-Bibliothek https://www.zotero.org/groups/hska_mapf/items/ zu finden, über die direkt auf die Artikel zugegriffen werden kann. In Abb. 13 sind die Anzahl und Art der Veröffentlichungen zur MAPF-Problematik pro Jahr dargestellt (Steiner 2017). In Tab. 2 werden die wichtigsten und erfolgversprechenden Ansätze, welche die Anforderungen des Kiva-Konzeptes erfüllen, verglichen und durch eine farbliche Hervorhebung bewertet (gemäß Ampelfarben). Daraus lässt sich auf einen Blick der Weiterentwicklungsbedarf der einzelnen Ansätze erkennen. In der rechten Spalte werden offene Forschungsfragen und Ideen zur Verbesserung der Ansätze stichwortartig beschrieben. Am ausgereiftesten ist der zentralisierte, entkoppelte CARP-IAP-Ansatz. Dieser bildet auch die Basis für den dezentralisierten Delegate-MAS-Routing-Ansatz, der zwar noch Weiterentwicklungsbedarf hat, jedoch aufgrund seiner Selbstorganisationseigenschaft und damit Robustheit sehr vielversprechend ist. Strebt man jedoch nach der optimalen Lösung, stellt der CBM-Ansatz, der sogar eine optimale Auftragsallokation bewerkstelligt, derzeit die beste Wahl dar. Insgesamt haben die gekoppelten Ansätze den höchsten Nachholbedarf, um für Anwendungen in der Praxis eingesetzt werden zu können. MGSx bietet aufgrund seiner Schnelligkeit und guten Lösungsqualität eine gute Basis für eine Weiterentwicklung.

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Abb. 13 Übersicht über die Anzahl und Art an Veröffentlichungen zum Thema „Verwaltung von einer Flotte von Fahrerlosen Transportsystemen unter Betrachtung des Kiva-Konzeptes“

Auch Anbieter von Materialflusssimulationssystemen wie z. B. Emulate3D von Rockwell Automation haben das Thema aufgegriffen. So können komplette Layouts aus einer Konfigurationsdatei automatisch generiert und dann simuliert werden (Emulate3D 2016). Der integrierte und modifizierbare Flottenmanager entspricht zwar nicht zu 100 % der jeweiligen individuellen Lösung. Aber in der AkquisePhase kann mit Hilfe der Simulation schnell eine erste Indikation, wie viele Fahrzeuge und Arbeitsstationen benötigt werden, erarbeitet werden. Im Hinblick auf realisierte Projekte hat Kiva Systems mit Abstand am meisten Fahrzeuge integriert. Eine detaillierte Übersicht an Kundenprojekten von Kiva Systems ist in (Wulfraat 2012) aufgeführt. Amazon selbst hat in 26 von 175 Verteilzentren das Kiva-Konzept eingeführt. Aktuell sind weltweit in diesen Werken über 100.000 mobile Roboter im Einsatz (Amazon 2019). Gemäß Ghosh folgt Grey Orange Robotics mit insgesamt mehr als acht Projekten in Indien (Ghosh 2015). Seit 2015 sind mindestens sechs weitere Projekte in Japan, Europa (bei Zalando in Schweden (Grey Orange 2019)) und Amerika realisiert worden. Grenzebach/Swisslog haben zusammen zwei Projekte in Europa realisiert: ein Projekt für den Kunden BLG in Frankfurt (75 Fahrzeuge, 800 Regale und 4 Arbeitsstationen) und ein Projekt für den Kunden DB Schenker in Schweden (65 Fahrzeuge, 2500 Regale und 6 Arbeitsstationen). Beim BLG-Projekt wurde der GrenzebachFlottenmanager an das Warehouse Control System von Inconso angebunden. Beim DB-Schenker-Projekt erfolgte die Realisierung mit dem Warehouse Control System von Swisslog. Nach der Trennung von Swisslog hat Grenzebach selbst eigene Projekte in der Produktions- und Distributionslogistik umgesetzt. So ist Grenzebach z. B. Partner von myEnso, Deutschlands erstem Online-Supermarkt, bei dem Kunden das Sorti-

Tab. 2 Zusammenfassender Vergleich der State-of-the-Art-Ansätze

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ment bestimmen (Insights 2018). Bei Audi wurden der „Supermarkt“ und die Linienversorgung bei der Produktion des A8 durch 30 FTF vom Typ L1200S von Grenzebach optimiert (Schreiner 2018) (Abb. 14). Swisslog selbst hat zwischenzeitlich in acht Ländern über 20 Projekte mit in Summe 440 Fahrzeugen und 77 Arbeitsstationen realisiert. Ausführliche Informationen zu weiteren Projekten und deren Details sind im gleichen Buch im Artikel „Beitrag zu flexiblen Kommissioniersystemen am Beispiel von CarryPick“ zu finden (Jäkle et al. 2020). Neben mehreren Projekten in Asien, insbesondere in Singapur, und Entwicklungsprojekten in Spanien und Brasilien arbeitet Scallog an zwei neuen Systemen in Deutschland (Factory 2018). Diese werden im Auftrag vom Kunden Decathlon umgesetzt, der in Frankreich schon mit Erfolg damit arbeitet. Er hat sich nun in der Folge dafür entschieden, seine Lager in der Nähe von Mannheim und Dortmund damit auszustatten. Wie auch bei den Lagern in Frankreich sucht Decathlon Lösungen, die Auftragsvorbereitung zu beschleunigen, den Lagerbereich zu sichern oder kurzfristige Kapazitätserweiterungen einzuplanen. Diese beiden nun angelaufenen Leuchtturmprojekte auf dem deutschen Markt (Scallog 2019) will Scallog nutzen, um noch mehr Partner für seine leistungsstarke Roboterlösung für Logistiklager zu finden.

Abb. 14 Mit Bauteilen gefüllte Sequenzwagen werden vollautomatisch und eigensicher durch das unterfahrende L1200S von der Supermarktzone zum Bereitstellort transportiert (Schreiner 2018)

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Obwohl die Produkteinführung von Lowpad erst ein Jahr zurückliegt, hat Eurotec bereits mehrere Projekte realisiert. In einem Video auf der Eurotec-Webseite wird z. B. der Einsatz von mehreren Lowpad-Fahrzeugen in einem Gewächshaus gezeigt. Drei wesentliche Produkteigenschaften waren sicherlich von Vorteil für die Durchführung des Projektes: (1) Aufgrund der niedrigen Fahrzeugbauhöhe konnten die vorhandenen Rollbehälter des Gewächshausbetreibers weiterbenutzt werden. (2) Die SLAM-Navigation funktioniert auch auf „verschmutzten“ Böden im Vergleich zur QR-Code-basierten Navigation. (3) Das Nebeneinanderarbeiten von Robotern und Menschen konnte aufgrund der integrierten Personensicherheit einfach implementiert werden. Der Autor ist sehr zuversichtlich, dass Eurotec in naher Zukunft noch weitere Projekte gewinnen wird. Geek+ hat bereits über 5000 Roboter in mehr als 100 Verteilzentren ausgeliefert. Die Kunden sind vor allem in China, Hong Kong, Taiwan, Australien, Singapur und neuerdings auch in den USA und Europa. Die Kunden von Geek+ sind u. a. Alog (Betreiber für die Verteilzentren von Tmall.com, die zu Alibaba gehören), SF Express (Post), vip.com (E-Commerce), 3PL Fiser Logistics technology, Suning (E-Commerce), Lianhua (Lebensmittel) u. v. m. Die Projektgrößen sind eher klein, etwa 30–50 Roboter und 400–800 Regale. Durch den Messeauftritt auf der LogiMAT 2019, den Erhalt der CE-Zertifizierung sowie die zweite Finanzierungsrunde in Höhe von 150 Mio. USD wird der Ausbau in Europa und den USA weiter fortgesetzt (Geek+ 2018a). Kiva Systems war sehr aktiv mit dem Schützen seiner Erfindung. So hat Kiva Systems in den USA mehr als 20 Patente eingereicht und eine Vielzahl der Patente auch anerkannt bekommen. Vermutlich aufgrund der Bezeichnung ihrer Fahrzeuge als mobile Roboter und nicht als Fahrerlose Transportsysteme wurden viele Anmeldungen vom US Patentamt anerkannt, auch wenn viele der Anmeldungen bereits in der FTS-Domäne Stand der Technik waren. Aktuell ist Kiva Systems dabei, die zugelassenen US-Patente auch in Europa und Asien anzumelden. AutoStore-Konzept AutoStore ist ein automatisches Kleinteilelagersystem zur effizienten Kommissionierung und Lagerung von Einzelstücken und Kleinteilen. Es ermöglicht eine bessere Ausnutzung der verfügbaren Lagerflächen und bietet höhere Effizienz an integrierten Ware-zur-Person-Arbeitsplätzen. Der Elektrokomponentenanbieter Hatteland initiierte die Entwicklung des ersten sogenannten „Cube Storage Automation System“ in den späten 1990ern aufgrund des eigenen Bedarfs nach effizienterer Ausnutzung von Lagerfläche (AutoStore Systems 2018). In Abb. 15b ist eine typische AutoStore-Installation abgebildet. Sie besteht aus einer Menge von Stapeln von standardisierten Plastikkisten, die in einer Matrix angeordnet sind. Damit die Stapel nicht umfallen, sind diese in Schächten abgelegt. Auf der obersten Ebene können sich die AutoStore-Roboter über Schienen orthogonal auf der Matrix bewegen. Zum Fahren in die jeweilige Richtung können die Roboter vier von acht Rädern entsprechend heben bzw. senken (siehe Abb. 15a). Über einen seilbasierten Hebemechanismus – ähnlich einem Kran – können die Roboter die Plastikkisten abholen und zu einer Arbeitsstation an den Seiten des Rasters transportieren. Dort kann die Ware händisch entnommen werden.

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Abb. 15 (a) AutoStore-Roboter R5; (b) Typische Installation eines AutoStore-Systems. (BildQuellen: AutoStore System GmbH, Mönchengladbach)

Eine übergeordnete Steuerungssoftware verwaltet das Inventar und instruiert die Roboter z. B., eine Plastikkiste aus einer der unteren Ebenen „freizulegen“. Hier können mehrere Roboter unterstützen, um die Bereitstellung zu beschleunigen (Wulfraat 2015). Im Anschluss an den Kommissioniervorgang wird die Plastikkiste wieder auf einen freien Platz zurückgefahren. Die Anordnung der Behälter in der dreidimensionalen Matrix ist letztendlich selbstorganisierend. Die Behälter, welche länger nicht mehr benötigt werden, wandern automatisch in tiefere Ebenen. Das System wird durch zehn namenhafte Partner weltweit vertrieben und betreut. Von den insgesamt 300 Installationen hat Swisslog ungefähr 160 umgesetzt und ist damit führender Integrator des Systems (swisslog 2018b). Die Tendenz ist hierbei durch den wachsenden Bekanntheitsgrad, die Erschließung neuer Märkte, wie Frankreich im nächsten Jahr, und weiterer Branchen steigend. Neuerungen an dem System haben in den letzten zwei bis drei Jahren vor allem an der Software und den Arbeitsstationen stattgefunden. So bietet Swisslog z. B. mit dem ItemPiQ-System ein automatisches roboterbasiertes Kommissioniersystem an, das sich einfach an das Autostore anbinden lässt (swisslog 2018a). Ein neueres, ähnliches System kommt aus Großbritannien: Ocado Technology, ein Tochterunternehmen des Online-Supermarktes Ocado, entwickelt dort hauptsächlich für den eigenen Onlineshop und andere (Lebensmittel-)Händler, wie zum Beispiel die britische Supermarktkette Morrisons (Ocado Group 2017). Sehr ähnlich zur AutoStore-Lösung ist der Rasteraufbau, hier jedoch aus Stahl, und die Stapelung von Standardbehältern. Deutliche Unterschiede lassen sich auf den ersten Blick im Design der Roboter feststellen, die von Ocado Engineering kommen. Während der R5 des AutoStore-Systems einen ausgestellten Aufbau von der Größe der eigentlichen Grundfläche der Roboter zur Aufnahme der Behälter besitzt, ist von Bildmaterial anzunehmen, dass der Hebemechanismus bei den Ocado-Robotern in der Fläche der Roboter integriert ist (siehe Abb. 16). Auf diese Weise können sich mehr Roboter auf dem Raster bewegen, da durch einen Roboter nicht zwei angrenzende Quadrate blockiert werden. Das System wurde bereits im Mai 2018 im Ocado-Distributionszentrum in Andover, England in Betrieb genommen und operiert dort mit 1100 Robotern, die

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Abb. 16 Neue Produktlinie Black Line von Autostore mit dem Roboter B1 (AutoStore Systems 2019). (Bild-Quelle: AutoStore System GmbH, Mönchengladbach)

über 65.000 Bestellungen pro Woche kommissionieren. Die Roboter kommunizieren hierbei über ein drahtloses Netz mit 4G-Technologie (Godwin 2018). Das System ist damit bezogen auf die Zahl aktiver Roboter deutlich größer als die realisierten AutoStore-Systeme, die im Schnitt 34 und bisher maximal 250 Roboter für ein System in Betrieb haben. Hierbei ist die Tendenz ebenfalls steigend, da die Größe meistens durch die Installation in vorhandenen Gebäuden begrenzt war. Auf der LogiMAT 2019 präsentierte Autostore sein neues Produkt „Black Line“ mit dem deutlich kleineren und leichteren Robotertyp B1. Das neue Konzept erlaubt ähnlich dem Ocado-Ansatz eine zentrale Handhabung der Behälter innerhalb der Grundfläche des Roboters. Aufgrund des neuen Designs kann der B1 höhere Behälter transportieren. Da die oberste Schicht des Regalsystems für das Herausheben und Sortieren der Behälter verwendet wird, und der Roboter nicht mehr zwei Rasterelemente blockiert, können komplexere Pfade und höhere Geschwindigkeiten und Beschleunigungen realisiert werden. Das neue Batteriekonzept BattPackTM erlaubt einen schnellen automatischen Batteriewechsel, so dass kein Fahrzeug aufgrund von Ladezeiten ausfällt. Im Schnitt ist die Performance von B1 um 20 % größer als die von R5. Höhere Dynamiken sind in jedem Fall wichtig für große Raster, in denen langen Strecken zurückgelegt werden müssen (AutoStore Systems 2019). Ware-zur-Person mit Zellularen Transport Systemen Ein Nachteil des Kiva-Konzeptes ist die Raumausnutzung in die Höhe. Die mobilen Roboter können letztendlich nur in einer Ebene fahren. Sicherlich kann man baulich weitere Ebenen einziehen und die Ebenen mit einem Lift verbinden, aber diese Methode ist mit hohen Kosten verbunden. Interessanterweise hat Kiva Systems die Berücksichtigung von Beförderungselementen, wie z. B. Lift, Fahrtreppen o. Ä. im Rahmen der Bahnplanung über Patente (EP 2 407 845 B1 und EP 2 044 495 B1) geschützt. Die Kombination aus mobilen Robotern und klassischen Shuttle-Systemen kann eine Alternative für eine bessere Raumausnutzung darstellen. Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund hat für diese Variante den Begriff der „Zellularen Transport Systeme (ZTS)“ eingeführt.

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Die ZTS sollen Stetigfördersysteme dort ersetzen und ergänzen, wo ein hohes Maß an Flexibilität und Wandelbarkeit gefragt ist. Im Gegensatz zur traditionellen Stetigfördertechnik transportiert nun eine Vielzahl kleiner, baugleicher und kostengünstiger autonomer Transportfahrzeuge die Kleinladungsträger. Typische Anwendungsgebiete sind kleine und mittlere Distributionszentren sowie Produktionsbetriebe. Interessant für den Anwender ist das System insbesondere dann, wenn die Verknüpfung von Transportquellen und -senken flexibel gestaltet werden soll, die Transportleistung an stark schwankende Bedarfe angepasst werden muss oder wenn die Fläche zwischen Lager und Bedarfsort nicht dauerhaft durch Stetigfördertechnik verbaut werden soll (Abb. 17). Das neue Multishuttle Move ist kompatibel zum schienengeführten StandardMultishuttle, besitzt aber ein zusätzliches Flur-Fahrwerk. Die Lenkung im FlurBetrieb erfolgt durch Drehzahl-Differenz-Regelung der beiden Fahrantriebe, das dritte Rad dient als passive Lenkrolle. Vorne und hinten am Fahrzeug befindet sich je ein Laserscanner, der im Flurbetrieb sowohl Sicherheitsfunktion hat als auch zur Wegfindung benutzt wird. Die Energieversorgung erfolgt im Flurbetrieb aus mitgeführten Akkus, im Schienenbetrieb mittels Schleifleitungen, über die auch die Akkus geladen werden. Das Lastaufnahmemittel ist identisch mit dem des Standard-Multishuttle. Das ZTS-Konzept hat die amerikanische Firma Symbotic aufgegriffen. Symbotics mobiler Roboter namens „Matrix Rover“ kann ebenfalls innerhalb eines Standardregals fahren und Kartons ein- und auslagern. Es kann aber auch das Regalsystem verlassen und frei zu einem beliebigen Abgabepunkt manövrieren oder über einen Lift die Ebenen wechseln. Die Roboter navigieren nach dem Prinzip der Spurverfolgung und sind mit einem Standardlastaufnahmemittel ausgestattet. Die Roboter kommunizieren über das WLAN mit der zentralen Steuerung, um die Einund Auslageraufträge zu erhalten, aber auch um Kollisionen mit anderen Robotern zu vermeiden. Ein ähnlicher Ansatz kommt vom französischen Start-up Exotec Solutions (www. exotecsolutions.com), der die Shuttle Fahrzeuge komplett vom Regal entkoppelt und befähiget, selbst Kommissionierstationen anzufahren. Das junge Unternehmen wurde, motiviert durch die Übernahme von Kiva Systems durch Amazon (O’Brien 2017), 2015 gegründet und kündigt den Markteintritt seines Systems für 2019

Abb. 17 (a) „Multishuttle Move“ vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML; (b) Testinstallation „Zellulare Transport Systeme“ (ZTS) beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund (Kirks et al. 2012)

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an. 1000 Roboter sollen bis dahin in vier Projekten ausgeliefert werden (Schreiber 2018). Neben dem französischen Lebensmitteldiscounter Cdiscount arbeitet das Unternehmen mit weiteren Partnern zusammen, die zum jetzigen Stand nicht namentlich bekannt sind. Die Produktpalette umfasst die Shuttle-Fahrzeuge „Skypod“, eine Regallösung, frei platzierbare menschliche Pickstationen und die Software „WCS ASTAR“. Für diese neue Lösung wurde Exotec Solutions auf der LogiMAT 2019 mit dem Preis für das beste Produkt 2019 in der Kategorie „Kommissionierungs-, Förder-, Hebe- und Lagertechnik“ ausgezeichnet (Exotec Solutions 2019). Die 660  800  380 mm großen Fahrzeuge, die jeweils mit bis zu 30 kg schweren Behältern beladen werden können, kombinieren direkt zwei Neuerungen verglichen mit herkömmlichen Shuttle-Systemen: die Bewegung vertikal im Regal, ohne dabei fest in vorgegebenen Schienen fahren zu müssen, und die Möglichkeit, das Regal zu verlassen und als FTF zu agieren. Damit sind die Shuttle-Fahrzeuge die nächsten ihrer Art, die sich selbst in allen drei Dimensionen mit 360 -Wendigkeit auf dem Boden bewegen können. Der Kommissioniervorgang wird folgend basierend auf Beobachtung der verfügbaren Imagefilme auf der Homepage des Unternehmens geschildert. Beim Tätigen einer Online-Bestellung erhalten die Fahrzeuge über WLAN ihren Auftrag und starten ihren autonomen Kommissioniervorgang. Hierbei fährt ein Shuttle auf seinen vier Rollen mit schienenlosem Bodenkontakt in den Regalgang zweier Regalzeilen bis zum Erreichen der korrekten Bodenkoordinaten. Die Orientierung findet hierbei mittels Laserscanner-Navigation anhand fester Orientierungspunkte in Form von Regalen und kleinen Pfosten an Weggabelungen statt. Von dort bewegt sich das Fahrzeug vertikal bis zu 10 m an den Regalen entlang zum erforderlichen Lagerplatz, um mit einem Teleskoparm den entsprechenden Standardlagerbehälter durch Unterfahren auf seine Ladefläche zu heben, zum Boden zurückzukehren und dort die Arbeitsstation anzufahren. Hergeleitet aus verfügbarem Videomaterial auf der Homepage des Unternehmens wird die Vertikalbewegung über ausfahrbare Rollen mit einer Haftbeschichtung ermöglicht, die beidseitig an gegenüberliegende Regalschienen gepresst werden. Der Motor treibt dabei die beiden seitlich befindlichen Antriebswellen an, die die vertikale Fortbewegung über je zwei fest verbundene Rollen pro Welle realisiert, so dass ein Kippen des Skypods ausgeschlossen wird. Dabei erreichen die Fahrzeuge im Bodenbetrieb eine Geschwindigkeit von 4 m/s. Wie in Imagefilmen zu sehen ist, sind die Arbeitsbereiche aufgrund des Personenschutzes durch Zäune abgetrennt und die Mensch-Maschine-Interaktion auf ein Minimum an den Arbeitsstationen begrenzt. Die Arbeitsstationen bestehen aus einer U-förmigen Rampe für die Roboter auf einer Seite und einem ergonomischem Steharbeitsplatz für Mitarbeiter auf der anderen. Durch die Rampe wird der Behälter in ergonomisch optimaler Entnahmehöhe präsentiert. Im Gegensatz zu Systemen mit Regaltransport ist somit kein Bücken oder Strecken erforderlich. Das Unternehmen verspricht durch die Flexibilität eine bis zu drei Mal schnellere Inbetriebnahme als bei herkömmlichen Systemen und perfekte Skalierbarkeit ohne Ausfallzeiten.

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Person/Roboter-zur-Ware-Automatisiert Es gibt noch weitere Konzepte, welche mobile Roboter verwenden und somit als mobiles Lager bezeichnet werden können. Einige ausgewählte Konzepte werden im Folgenden ebenfalls kurz vorgestellt, um die Übersicht abzurunden. Das WEASEL ® von der Firma SSI Schäfer ist die ideale Lösung zur Automatisierung von Transportaufgaben in bestehenden Lagersystemen. Es befördert Kartons, Behälter oder verschiedenartige Güter mit einem Gewicht bis 35 kg flexibel ohne großen Aufwand und ohne klassische Fördertechnik (siehe Abb. 18). Es meistert nahezu alle Transportaufgaben – barrierefrei und sicher gelangt die Ware an das gewünschte Ziel. Und dies bei niedrigen Kosten in Anschaffung und Betrieb (Weasel 2014). Im Jahr 2016 erhielt das WEASEL ® gleich zwei Auszeichnungen: das Prädikat „Best of 2016“ des Industriepreises und den IFOY Award in der Kategorie „Intralogistic Solutions“ mit dem Projekt „Next Level Logistics“. Die Navigation des Fahrerlosen Transportsystems erfolgt entlang einer optischen Fahrspur, die einfach, schnell und flexibel angebracht wird. Mit dem Fahrerlosen Transportsystem WEASEL ® bietet SSI Schäfer eine innovative Lösung, die gleichermaßen durch Flexibilität und Skalierbarkeit besticht. Veränderte Kundenbedürfnisse und Schwankungen in der Nachfrage sind so jederzeit kostengünstig und kurzfristig beherrschbar (siehe www.ssi-schaefer.com). Die Bestückung der Transportfahrzeuge kann wahlweise manuell, halbautomatisch oder vollautomatisch erfolgen, je nach kundenspezifischer Ausrichtung. Eine manuelle Übergabestation wird beispielsweise im Vorfeld von Mitarbeitern bestückt. Zwischenzeitlich sind zahlreiche WEASEL® z. B. im Einsatz in der FashionLogistik oder der Produktionslogistik. Aufbauend auf den Ergebnissen des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „KARIS PRO – Kleinskaliges Autonomes Redundantes Intralogistik-System in der Produktion“ hat Gebhardt in einer Kooperation von Industrieunternehmen und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Fahrerlose Transportsystem zur Marktreife entwickelt. KARIS PRO ist ein vollkommen neues Fahrerloses Transportsystem, das alle Stationen in Unternehmen verbindet: vom Lager bis zur Produktion (Abb. 19).

Abb. 18 (a) WEASEL ® von SSI Schäfer; (b) WEASEL ® im Lager

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Abb. 19 Das Fahrerlose Transportsystem KARIS PRO von Gebhardt

Dabei transportiert das FTS Behälter oder Kleinladungsträger vollkommen autonom. Das System benötigt dank einer intelligenten Navigation keine Induktionsschleifen oder Reflektoren an der Wand. Initial wird die Umgebung einfach per Teach-in erfasst: Per Web-App wird hierzu ein Fahrzeug manuell durch den Einsatzbereich gesteuert, dabei lernt es die Karte ein und plant die Pfade dann eigenständig. Bei Veränderungen an der Umgebung lernt das System mit und aktualisiert die Karte selbst (Gebhardt 2018a). Roboter-zur-Ware mit flexiblen Kommissionierrobotern Das Münchener Unternehmen Magazino besteht seit 2014 und hat 2016 sein erstes Produkt eingesetzt. Neben dem Roboter HAKO, der den gesamten Einlagerungsprozess von Wareneingang bis Einlagern am Regalplatz unterstützt, und SOTO, die Magazino-Lösung für die Produktionslogistik, vertreibt das Unternehmen den Roboter TORU, der nach dem Pick-by-Robot-Prinzip einzelne Kartons aus Regalen kommissioniert. Der menschenhohe Roboter untergliedert sich in eine Fahrbasis, Hubsäule, Greifer und sogenanntes Rucksackregal. Beim Erreichen des gewünschten Lagerplatzes verfährt der Greifer entlang der Hubsäule, wobei ein Bereich von 8 cm bis 250 cm über dem Boden erreicht werden kann. Auf der richtigen Höhe angelangt, scannen 2D- und 3D-Kameras den Lagerplatz, erkennen die darin befindlichen Artikel anhand von Barcodes und greifen diese. Magazino beschreiben hierbei auf ihrer der eigenen Firmenhomepage einen Sauggreifer, der über Unterdruck Ware bis zu 5,8 kg aufnimmt, und eine Push-Back-Unit, die nicht gebrauchte Artikel aus einem herangezogenen Stapel wieder zurückschiebt. Bei den Anwendungsfällen DHL und Fiege ist noch ein winkliger Teleskoparm zu sehen, der die Ware an der Oberseite umfasst und zum Roboter schiebt (Magazino 2017). Einmal aufgenommen, wird der Greifer mit der Kommissionierware in der Hubsäule gedreht und gibt die Ware an ein freies Fach im Rucksackregal an der Rückseite des Roboters ab. Dort können bis zu 16 Schuhkartons gepuffert werden (Abb. 20). Im oben erwähnten Anwendungsfall bei DHL sind jedoch auch verschieden hohe Fächer zu sehen, was auf eine flexible, anwendungsbezogene Ausgestaltung des Rucksackregals schließen lässt. Nach dem Kom-

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Abb. 20 Autonomer Kommissionierroboter TORU der Firma Magazino GmbH (Magazino 2018)

missionieren fährt der Roboter entweder den Versand oder einen Kommissionierwagen an und lädt die Artikel aus dem Rucksackregal ab. Zudem kann TORU auch Ware annehmen und in die Regale einlagern. Das System ist bewusst auf die Kollaboration mit dem Menschen ausgerichtet, um menschliche Mitarbeiter zu Stoßzeiten bis zu acht Stunden ohne Ladeunterbrechung zu unterstützen. Zum einen verfügt TORU über die nötige Sicherheitstechnik in Form von Laserscannern, die nicht nur navigieren, sondern in Kombination mit 3D-Kameras auch Hindernisse und Menschen wahrnehmen können, um diese entsprechend zu umfahren. So können Mensch und Roboter zeitgleich im selben Gang arbeiten (Magazino 2018). Dass der Roboter für die Zusammenarbeit mit menschlichen Mitarbeitern im Lager gedacht ist, lässt sich auch von der erreichbaren Höhe ableiten, die der höchstmöglichen erreichbaren Höhe eines Menschen entspricht. Das junge amerikanische Unternehmen inVia geht die Lösung des Kommissionierproblems mit ihrem bisher einzigen Produkt etwas anders an. 2015 ließen sie sich den „inVia robot“ patentieren, der aus einer fahrenden Basis besteht, auf der eine Scherenhub-Plattform mit einem Sauggreifer positioniert ist. Dieser kann bis zu ca. 18 kg schwere Ladungsträger auf einer Höhe von bis zu 240 cm aufnehmen und mit bis zu 2,2 m/s zu einem Kommissionier- oder Versandplatz befördern. Dabei ist das System so einfach in Betrieb zu nehmen, dass das Unternehmen mit einer Robotics-as-a-Service Lösung wirbt. Es soll mit jedem Lagerverwaltungssystem kompatibel sein und sich mühelos innerhalb weniger Tage in manuelle bestehende Lager integrieren lassen. Zur Navigation werden QR Codes nicht nur an den Ladungsträgern, sondern auch sämtlichen Regalböden angebracht (inVia Robotics 2018a) (Abb. 21). Die Batterien mit einer Laufzeit von 10 Stunden müssen manuell ausgetauscht werden. Obwohl dies für größere Lager mit einer hohen Zahl Roboter nicht umsetzbar wäre, erlaubt es kleineren Lagern die Nutzung der vorhandenen Roboter fast pausenlos, da die Roboter weiterfahren, während die Austauschbatterie lädt. Obwohl einige der Anwendungsszenarien, die das Unternehmen beschreibt, dem Ware-zum-Kommissionierer-Prinzip mit einem menschlichen Kommissionierer entsprechen, ist dennoch auch ein Kommissionieren einzelner ausreichend großer Artikel mit dem System denkbar (inVia Robotics 2018b).

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Abb. 21 inVia-Logistik-Robotik-System (inVia Robotics 2018a)

IAM Robotics entwickelt ähnlich wie inVia einen Roboter, der über einen Sauggreifer Gegenstände aus Regalen aufnimmt. Hierbei spezialisiert sich IAM Robotics’ „Swift“ jedoch auf die Herausnahme einzelner Artikel über einen Roboterarm, an dessen Ende der Greifer befestigt ist und der Gegenstände direkt in einer Kiste ablegt (IAM Robotics 2018). Dies bedeutet im Vergleich zu inVias Roboter zusätzlich die Möglichkeit der Aufnahme von mehr als einem Produkt in einer Kiste, ähnlich wie bei Magazinos „TORU“, der einzelne Artikel jedoch getrennt auf verschiedenen Regalböden des Rucksackregals lagert statt gemeinsam in einer Kiste. Sortierroboter nach dem Vorbild von „Little Orange“ Neben steigenden Löhnen und alternder Bevölkerung beflügeln unter anderem chinesische Subventionen für Roboterhersteller die Automatisierung (German Desk 2018). Ein Beispiel sind Sortierroboter in chinesischen Transitlagern, von denen Videos und Schlagzeilen im Netz kursieren. Shentong (STO) Express, einer der größten Kurierdienste Chinas, setzt in einigen Verteilzentren (Hangzhou, Yiwu, Tianjin und Linyi) den intelligenten Sortierroboter von Hikrobot, einer Sparte von Hikvision, ein. Der aufgrund seiner Optik auch als „Little Orange“ bezeichnete 46  38  9 cm große Roboter vermag es, bei einem Eigengewicht von 12 kg Pakete bis zu 5 kg aufzunehmen. Mit einer Ladezeit von 90 min kann der Roboter eine gesamte Schicht von acht Stunden durcharbeiten. Dabei operieren die zu Spitzenzeiten über 300 Roboter bei einer Geschwindigkeit von 3 m/s getrennt von Menschen (MailOnline 2017). Pakete werden immer noch manuell von Förderbändern oder aus Containern vereinzelt und mit dem Label nach oben auf die Roboter gelegt. Der Roboter fährt

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anschließend eine Station weiter unter einen Kamerabogen, der das Label scannt. Je nach Bestimmungsort und Versandart – Expresslieferungen befahren optimierte Route – navigiert der kleine Roboter anhand von rasterförmigangeordneten QRCodes auf dem Boden, die er mit einer Kamera an seiner Unterseite liest, zur richtigen Auslassung im Boden. Dort kippt er seinen Deckel um 28 Grad und entlässt das Versandstück auf eine Rutsche. Ein Stockwerk tiefer werden die Pakete, die durch die Provinzen und Städten zugeordneten Luken fallen, gesammelt und im weiteren Verlauf zum Weitertransport verladen. Obwohl die Roboter 24 Stunden operieren könnten, wird zum derzeitigen Stand lediglich die normale Arbeitsschicht von sechs bis sieben Stunden unterstützt. Da die Roboter noch manuell mit Paketen beladen werden müssen, sind sie an die Arbeitszeiten der Mitarbeiter gebunden. Außerdem sind die Roboter aufgrund ihrer Aufnahmekapazität von maximal 5 kg und Paketabmaßen von etwa 60  50 cm (YICAI Global 2017) noch nicht in der Lage, alle im Zentrum umzuschlagenden Pakete zu sortieren. Zudem scheint das Herunterfallen von Paketen immer noch manuelle Eingriffe zu erfordern, sowohl im Sinne des physischen Eingreifens als auch die Aus- und richtige Wiedereinbuchung in das System (Galileo 2017). Neben den „Little Orange“-Robotern, die die weltweite Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, gibt es eine sehr ähnliche Lösung unter dem Namen „S10“ von Geek+. Auf unterschiedlichen Darstellungen auf der Firmenseite sieht man unter dem Produktnamen „S10“ sowohl einen fast identischen Roboter mit einer abkippenden Schale auf der Oberseite des Roboters als auch eine Version mit montierter Bandfördereinheit auf dem Fahrzeug. Das Prinzip des manuellen Vereinzelns der Pakete und des Transports und Ablegens der Ladungsträger in Luken durch die Roboter ist jedoch das gleiche. Der zweite der beiden S10 Typen wurde bereits für China Post EMS installiert. Ebenfalls wird dort der sogenannte „S20“ eingesetzt (Geek+ Inc. 2018). Durch die Roboter entfallen zum einen menschliche Sortierarbeit, die Fehlerpotenzial bietet, und statische Sortiersysteme. Zudem kann auf Teile der sonst installierten Stetigfördertechnik verzichtet werden. Daher bietet das System eine deutlich skalierbarere und flexiblere Lösung als herkömmliche Sortiersysteme. Bei höherer Auslastung der Verteilzentren, können bis zur Kapazitätsobergrenze des bestückenden Personals beliebig viele Roboter ins System eingebracht werden. Ebenfalls ist die Erweiterung der Ausschleusungen beliebig erweiterbar, da hierfür lediglich weitere Aussparungen im Boden, Auffangbehälter im Untergeschoss und eine Änderung der QR-Codes ergänzt werden müssen. Denkbar wäre natürlich die automatisierte Paketzuführung ins System, die jedoch höhere Zuverlässigkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit bezüglich des automatisierten Greifens erfordert.

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Zusammenfassung und Ausblick

Aufgrund der signifikanten Weiterentwicklungen im Bereich der mobilen Roboter haben sich in den vergangenen Jahren neuartige Konzepte für das Kommissionieren, Lagern und Sortieren von Waren etabliert. Die Entwicklung des Kiva-Konzeptes

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kann in jedem Fall als „Game Changer“ bezeichnet werden und hat das Ausrollen von innovativen mobilen Lagerlösungen weiter motiviert und inspiriert. Auch wenn viele der mobilen Läger noch zentral gesteuert werden, so verwenden diese Ansätze dennoch den Grundgedanken von Industrie 4.0. Viele einzelne cyber-physische Systeme sind vernetzt und interagieren miteinander. Die erfassten Daten werden zu Diagnose- und Wartungszwecken verwendet, um so die Verfügbarkeit und damit auch die Systemleistung zu erhöhen. Störeinflüsse, wie z. B. der Ausfall eines Roboters oder der menschliche Faktor, können dynamisch erkannt und in der Planung berücksichtigt werden. Die Entwicklung der Zellularen Transport Systeme ist ein weiterer Schritt, die klassische Lagertechnik mit der mobilen Robotik zu verbinden. Dadurch können neue effizientere Lösungen realisiert werden. Die Entwicklung eines Indoor-GPS-Systems für das autonome Lokalisieren und Navigieren ohne künstliche Marker oder die Einführung von günstigen und sicheren 3D-Sensoren wird den Einsatz von mobilen Robotern noch weiter fördern, da dadurch signifikant Inbetriebnahme- und Wartungskosten eingespart werden können bzw. eine höhere Autonomie realisiert werden kann. Danksagung Ein herzlicher Dank geht an Frau Carolin Barnett, Studentin im Studiengang International Management, der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, die mich bei der Aktualisierung dieses Beitrages umfangreich unterstützt hat.

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Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0 €r Dezentrale Koordinationsmechanismen fu Multifunktionalita¨t und Wiederverwendbarkeit Za¨zilia Seibold und Kai Furmans

Zusammenfassung

F€ ur die Umsetzung der Vision „Industrie 4.0“, in der Mensch und Maschine unter- und miteinander vernetzt sind, werden u. a. cyber-physische Systeme beno¨tigt. Im Bereich der Intralogistik wurden in den letzten Jahren bereits mehrere Materialflusssysteme entwickelt, die diesen Anspr€uchen zumindest teilweise entsprechen, indem sie modular aufgebaut und dezentral gesteuert sind. In diesem Artikel werden zuerst gew€unschte Eigenschaften von Fo¨rdertechniksystemen identifiziert, aus denen Gestaltungsregeln abgeleitet werden. Daraufhin werden Beispielsysteme vorgestellt, die diese Gestaltungsregeln befolgen, und es wird untersucht, inwieweit die gew€unschten Eigenschaften erf€ ullt sind. Im Fazit wird auf die zuk€unftigen Herausforderungen eingegangen.

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Einleitung

In der Vision „Industrie 4.0“ werden Maschinen und Objekte „intelligent“; sie kommunizieren miteinander und mit dem Menschen (Kagermann et al. 2012). Die sogenannten cyber-physischen Systeme, die mittels Sensoren ihre Umgebung erfassen, mit Aktoren auf sie einwirken und untereinander vernetzt sind, sind fester Bestandteil der Vision „Industrie 4.0“. F€ur einen effizienten Materialfluss durch die Produktionssysteme ist auch die Materialflusstechnik innerhalb des Produktionssystems vernetzt. Furmans et al. (2010) beschreiben gew€unschte Eigenschaften und daraus resultierende Gestaltungsregeln f€ur sogenannte Plug&Play-Fo¨rdertechnik, die aus einzelnen selbststa¨ndigen Modulen besteht. Bei den Systemen, die inner-

Z. Seibold (*) · K. Furmans Institut f€ur Fo¨rdertechnik und Logistiksysteme IFL, Karlsruher Institut f€ ur Technologie KIT, Karlsruhe, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_2

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halb dieses Abschnitts vorgestellt werden, wird das Prinzip der Vernetzung von Objekten und Maschinen innerhalb der jeweiligen Systemgrenzen umgesetzt. Einzelne Fo¨rdermodule oder Transportfahrzeuge kommunizieren und interagieren autonom miteinander. Mithilfe dieser Vernetzung kommen dezentrale Koordinationsmechanismen zum Einsatz, die in einem zielgerichteten Systemverhalten resultieren. Je nach technischer Ausf€uhrung und Steuerungsalgorithmus sind die Systeme f€ ur unterschiedliche intralogistische Aufgabenstellungen geeignet. Innerhalb der letzten Jahre wurde vermehrt an solchen modularen Systemen geforscht. In diesem Artikel wird untersucht, welche Herausforderungen bei der Umsetzung von Plug&Play-Fo¨rdertechnik als Implementierung von cyber-physischen Systemen innerhalb von Industrie 4.0 entstehen. Im na¨chsten Abschnitt werden zuna¨chst die gew€unschten Eigenschaften zuk€unftiger Materialflusstechnik beschrieben. Daraufhin werden Gestaltungsregeln abgeleitet und resultierende Herausforderungen identifiziert. An mehreren Beispielsystemen wird untersucht, inwieweit die gew€unschten Eigenschaften bereits erreicht sind. Grundlage f€ur diese Untersuchung bildet hauptsa¨chlich die Stetigfo¨rdertechnik, es wird jedoch auch auf Unstetigfo¨rdertechnik eingegangen.

2

Gewu¨nschte Eigenschaften von Plug&Play-Fo¨rdertechnik

Mit welchem Ziel werden cyber-physische Systeme im Bereich der Fo¨rdertechnik entwickelt? Im folgenden Abschnitt werden die gew€unschten Eigenschaften vorgestellt, die es dem Nutzer erleichtern, automatisierte Fo¨rdertechnik auf Dauer und produktiv einzusetzen. Die von Furmans et al. (2010) beschriebenen Eigenschaften werden in diesem Artikel aufgegriffen und vertieft untersucht.

2.1

WYSIWYG

Das Prinzip „What you see is what you get“ (WYSIWYG), das bei Textverarbeitungssoftware Anwendung findet, wird auf den physischen Aufbau einer Fo¨rdertechnikanlage € ubertragen. Der Nutzer k€ummert sich ausschließlich um den mechanischen Aufbau der Fo¨rdertechnikanlage, mit der er seine Fo¨rderaufgabe beschreibt. Der Nutzer bekommt die Mo¨glichkeit, hierbei uneingeschra¨nkt und intuitiv vorzugehen. Das bedeutet, dass es mo¨glichst keine Einschra¨nkungen hinsichtlich der Topologie der Anlage gibt. Es ko¨nnen entsprechend beliebig dichte Topologien mit redundanten Routen und resultierenden Kreisschl€ussen aufgebaut werden. Zusa¨tzlicher Aufwand wie das Verkabeln oder die Programmierung einer passenden Steuerung entfa¨llt. Die aufgebaute Fo¨rdertechnikanlage wird ohne manuellen Aufwand visualisiert, sodass der Nutzer zum einen die Anlage in ihrer Gesamtheit € uberblicken und zum anderen den aktuellen Status abrufen kann. Vorzugsweise ist dies €uber eine ortsunabha¨ngige Mensch-Maschine-Schnittstelle mo¨glich.

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

2.2

83

Plug&Play-Fa¨higkeit

Das „Plug&Play“-Prinzip, das ebenfalls aus der Computertechnologie bekannt ist, wird auf Fo¨rdertechnik €ubertragen. Sobald der Nutzer die Anlage physisch aufgebaut hat, ist sie betriebsbereit. Die Steuerung der Anlage konfiguriert sich selbst. Dementsprechend ko¨nnen einzelne Elemente mithilfe einfacher Steckverbindungen, die alle notwendigen Schnittstellen enthalten, hinzugef€ugt oder entfernt werden.

2.3

Skalierbarkeit

Das System kann vergro¨ßert oder verkleinert werden, um vera¨nderten Leistungsanforderungen zu entsprechen.

2.4

Rekonfigurierbarkeit

Der Nutzer kann die Fo¨rdertechnikanlage eigensta¨ndig auf- und umbauen, ohne auf die Hilfe von Elektrikern und Programmierern angewiesen zu sein. Der Auf- oder Umbau einer Anlage ist innerhalb von Minuten oder Stunden mo¨glich. Die einzelnen Module der Fo¨rdertechnik sind wiederverwendbar, um eine hohe Ressourceneffizienz zu erreichen. Wiederverwendbarkeit kann in unterschiedlichen Formen umgesetzt werden: Zum einen ko¨nnen vorhandene Module in gea¨nderter Topologie f€ ur die gleiche intralogistische Aufgabe verwendet werden. Zum ande¨ nderung der Topologie und Steueren ko¨nnen vorhandene Module allein durch A rung unterschiedliche intralogistische Aufgaben lo¨sen. Hier f€uhrt die Entkopplung der technischen Ausf€uhrung der Module von der intralogistischen Aufgabe zu einer verbesserten Wiederverwendbarkeit.

2.5

Robustheit

Das Fo¨rdertechniksystem ist robust gegen€uber dem Ausfall einzelner Komponenten. Das bedeutet, dass schwerwiegende Ausfa¨lle unwahrscheinlich sind und dass das System bei Ausfa¨llen einen mo¨glichst großen Teil der Leistung ohne manuellen Eingriff aufrechterha¨lt (Schmidt et al. 2015). Das System ist dazu imstande, den Ausfall eigensta¨ndig zu detektieren und die Steuerung so anzupassen, dass der Leistungsabfall mo¨glichst gering gehalten wird (Fuss et al. 2015). Topologien mit redundanten Routen f€uhren zu verringertem Leistungsabfall. Nach Benachrichtigung des Nutzers f€uhrt dieser die Instandsetzung einfach manuell durch den Austausch des defekten Elements durch. In einer weiteren Entwicklungsstufe realisiert das System die Instandsetzung eigensta¨ndig. Diese Eigenschaft wird als Resilienz definiert.

84

2.6

Z. Seibold und K. Furmans

Inha¨rente Sicherheit

Das System beinhaltet alle Funktionen f€ur die Personensicherheit. Außerdem darf die transportierte oder gelagerte Fo¨rdereinheit, die aus Fo¨rdergut und gegebenenfalls Fo¨rderhilfsmittel besteht, nicht bescha¨digt werden oder verloren gehen.

2.7

Ressourceneffizienz

Neben der Ressourceneffizienz, die durch Rekonfigurierbarkeit und Wiederverwendbarkeit erreicht wird, kann außerdem durch intelligentes An- und Abschalten der Antriebe im Betrieb Energie effizient genutzt werden.

2.8

Selbstanpassung

Das System passt sich an vera¨nderte Leistungsanforderungen selbststa¨ndig an. Ist ¨ nderungen es in einer fr€ uheren Entwicklungsstufe nicht in der Lage, physische A ¨ ¨ eigenstandig durchzuf€uhren, unterbreitet es dem Nutzer Anderungsvorschla¨ge.

3

Gestaltungsregeln

Furmans et al. (2010) haben die f€unf folgenden Gestaltungsregeln f€ur Plug&PlayFo¨rdertechnik abgeleitet, damit die genannten Eigenschaften erzielt werden. Im Folgenden werden die Gestaltungsregeln untersucht und die Herausforderungen beschrieben, die in unterschiedlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten erkannt wurden. Die Gestaltungsregeln beziehen sich hierbei auf den grundsa¨tzlichen Systementwurf. Regeln f€ur die Gestaltung einer konkreten Anlage und ihrer Topologie werden hier nicht behandelt.

3.1

Modularita¨t

Das System besteht aus vollsta¨ndig handlungsfa¨higen Modulen, die gemeinsam eine intralogistische Aufgabe erf€ullen ko¨nnen. Die Module ko¨nnen einfach physisch miteinander verbunden werden und bauen die datentechnische Verbindung eigensta¨ndig auf. Bei der Ausgestaltung der notwendigen Modularten ko¨nnen entweder viele unterschiedliche Module eingesetzt werden, die auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert sind, oder identische Module verwendet werden, die multifunktional f€ur unterschiedliche Aufgaben einsetzbar sind. Zum Beispiel ist es bei Stetigfo¨rdertechnik f€ ur die Wiederverwendbarkeit zwar sinnvoll, nur Eckumsetzer-Module zu verwenden, da hiermit die gro¨ßte Layout-Flexibilita¨t garantiert wird. Allerdings ist es unwirtschaftlich, eine lange Fo¨rderstrecke nur aus Umsetzer-Modulen aufzu-

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

85

bauen, die f€ ur diesen Zweck €uberinstrumentalisiert sind. In einem sogenannten Modulbaukasten sind unterschiedliche Module f€ur unterschiedliche Aufgaben enthalten.

3.2

Funktionsintegration

Nach Arnold und Furmans (2009) la¨sst sich jedes Materialflusssystem in die Grundfunktionen Fo¨rdern, Verzweigen, Zusammenf€uhren, Warten und Bedienen zerlegen. Besitzen die Module diese Grundfunktionen, ko¨nnen sie durch Koordination untereinander auch komplexe intralogistische Aufgaben wie z. B. Kommissionieren, Sortieren oder Sequenzieren durchf€uhren. Jedes Modul muss also f€ur diese Grundfunktionen in der Lage sein, den Transport von Fo¨rdereinheiten selbststa¨ndig durchzuf€uhren. Entsprechend dem Konzept der cyber-physischen Systeme muss es dazu mit Sensoren ausgestattet sein, um die Lage der Fo¨rdereinheit zu erkennen, und mit Aktoren, die den Transport der Fo¨rdereinheit durchf€uhren. Das Modul muss in der Lage sein, Transportvorga¨nge zu steuern, mit Nachbarmodulen zu kommunizieren und Routing-Entscheidungen zu treffen oder dazu beizutragen. Die Steuerung sollte mo¨glichst unabha¨ngig vom Aufbau des Moduls, der eingesetzten Sensorik und Aktorik sowie der Fo¨rdereinheit sein. Zusatzfunktionen wie z. B. die Identifizierung der aufliegenden Fo¨rdereinheit kann in spezialisierte Module integriert werden. Eine weitere Herausforderung ist die Integration der Funktionen f€ur die Personensicherheit in jedes Modul, weil herko¨mmliche Konzepte wie z. B. Notaus-Schalter keine Integration in jedes einzelne Modul vorsehen.

3.3

Dezentrale Steuerung

Da ein Modul in sich abgeschlossen ist, besitzt es eine eigene Steuerung. Mithilfe dieser Steuerung werden Materialflussentscheidungen getroffen. Da die Topologie vom Nutzer aufgebaut wird, ist eine automatisierte Topologie-Erkennung notwendig. Sobald ein Transportauftrag ins System eingeschleust wird, muss eine Routenfindung durchgef€uhrt werden. Ist die Routing-Entscheidung getroffen, m€ussen Transportvorga¨nge koordiniert durchgef€uhrt werden. F€ ur die Topologie-Erkennung ko¨nnen Internet-Routing-Algorithmen (Tanenbaum und Wetherall 2012) wie das Distance-Vector Routing oder das Link-State Routing zum Einsatz kommen. Die Routenfindung und die Koordination der Transportvorga¨nge ko¨nnen auf unterschiedliche Art und Weise durchgef€uhrt werden. Eine Herausforderung dabei ist die Vermeidung bzw. Verhinderung von Deadlocks. In Abb. 1 ist ein Deadlock durch Kreisschluss dargestellt. Vier Fo¨rdereinheiten warten gegenseitig aufeinander. Nach der WYSIWYG-Eigenschaft sollte der Nutzer aus den Fo¨rdermodulen beliebige Topologien aufbauen ko¨nnen. In engmaschigen Layouts, in denen eine Vielzahl an Fo¨rdereinheiten gleichzeitig

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Z. Seibold und K. Furmans

Abb. 1 Ein Deadlock durch Kreisschluss vierer aufeinander wartender Fo¨rdereinheiten

transportiert wird, ist der sichere Ausschluss von Deadlocks eine große Herausforderung f€ ur dezentrale Koordinationsmechanismen. Nach Mayer (2009) gibt es grundsa¨tzlich folgende Mo¨glichkeiten f€ur die Routenfindung: schrittweise Routing-Entscheidung nach jedem Transportvorgang, teilweise oder vollsta¨ndige Reservierung der Route und daraufhin DeadlockVermeidung vor jedem Transportvorgang oder zeitfensterbasierte Routenreservierung. Bei der schrittweisen Routing-Entscheidung entscheidet jedes Modul basierend auf seinem eigenen Status und dem der Nachbarn, in welche Richtung die Fo¨rdereinheit transportiert werden soll. Diese lokalen Entscheidungen m€ussen so aufeinander abgestimmt sein, dass sie nicht in Deadlocks oder Livelocks enden. Ein Livelock zeigt sich in einem Materialflusssystem dadurch, dass Fo¨rdereinheiten zwar transportiert werden, aber aufgrund von gegenseitiger Behinderung nie an ihrem Ziel ankommen. Bei der Routenreservierung vor Transport einer Fo¨rdereinheit werden Routen verhindert, die gleichzeitig auf demselben Modul entgegengesetzte Fo¨rderrichtungen beinhalten. Vor jedem Transportschritt muss durch Kommunikation mit einer theoretisch unbegrenzten Zahl an Modulen eine Kontrolle zur Deadlock-Vermeidung durchgef€uhrt werden. Bei der zeitfensterbasierten Reservierung werden Module nur f€ur eine bestimmte Zeit f€ur eine Fo¨rdereinheit reserviert. Wird hier das Prinzip der Logischen Zeit (Seibold und Furmans 2014) eingesetzt, werden Deadlocks schon bei der Routenreservierung strukturell verhindert. Logische Zeit basiert auf einer partiellen Ordnung von Ereignissen durch Zeitstempel (Lamport 1978). Durch die Ordnung der Transporte der einzelnen Fo¨rdereinheiten ko¨nnen keine Deadlocks mehr entstehen.

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

3.4

87

Interaktion zwischen Modulen

Der Austausch von Information und Fo¨rdereinheiten basiert alleine auf der Interaktion zwischen benachbarten Modulen. F€ur die Koordination von Transportvorga¨ngen ist nur Kommunikation und Koordination mit den direkten Nachbarn notwendig. An der Routenfindung sind mehrere Module beteiligt, die beliebig weit voneinander entfernt sein ko¨nnen, aber indirekt € uber andere Module miteinander verbunden sein m€ussen. Auch bei dieser Koordination sollten Module nur mit dem direkten Nachbarn kommunizieren und lokal Entscheidungen treffen. Bei den Koordinationsmechanismen besteht das Ziel darin, mo¨glichst einfache und intuitive Entscheidungsregeln anzuwenden. Das resultierende Systemverhalten kann trotz einfacher Regeln passend auf unterschiedliche Anforderungen reagieren. Diese Eigenschaft, dass aus einfachen Regeln komplexes Verhalten entsteht, wird Emergenz genannt. Einige Beispielsituationen werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.

3.5

Standardisierte physikalische und Informationsschnittstellen

Um einen einfachen physischen Aufbau des Systems zu ermo¨glichen, m€ussen die physikalischen Schnittstellen der Module standardisiert werden. Die Informationsschnittstellen m€ ussen unabha¨ngig von der technischen Ausf€uhrung der Module sein. Eine Mo¨glichkeit, dies zu realisieren, ist der Austausch von Information auf einem mo¨glichst hohen logischen Niveau (also nicht „An Eingang 8 der Steuerung liegt aktuell eine Spannung von 24 V an“, sondern „Palette wurde von Fo¨rderer X an Fo¨rderer Y € ubergeben“). Ziel ist es, dadurch die Entwicklung der dezentralen Koordinationsmechanismen zu erleichtern und die Ha¨ufigkeit und Gro¨ße der kommunizierten Nachrichten zu reduzieren. Werden mehrere Materialflusssysteme miteinander verbunden, sollte ein Transportauftrag so generisch definiert sein, dass er alle mo¨glichen intralogistischen Anforderungen beschreibt wie z. B. Start- und Zielort, Ankunftszeit, Reihenfolge und Ausrichtung der Fo¨rdereinheiten. Die sich daraus ergebenden Aufgaben werden von den Modulen untereinander koordiniert.

4

Beispielsysteme in der Stetigfo¨rdertechnik

In diesem Abschnitt werden Systeme der Stetigfo¨rdertechnik vorgestellt, die heute bereits in Forschung und Entwicklung Realita¨t sind. Alle Systeme, die hier vorgestellt werden, verfolgen bereits die f€unf genannten Gestaltungsregeln. Es wird untersucht, inwiefern die Gestaltungsregeln zu den gew€unschten Eigenschaften f€uhren.

88

4.1

Z. Seibold und K. Furmans

FlexFo¨rderer

Der FlexFo¨rderer ist modular aufgebaut und dezentral gesteuert (siehe Abb. 2). Jedes Modul ist auf Rollen montiert, um einfach verschoben zu werden, und verf€ugt € uber Sensoren, Aktoren und eine Steuerung, um Fo¨rdereinheiten transportieren zu ko¨nnen. Es kommuniziert €uber Ethernet mit den direkten Nachbarn und trifft eigensta¨ndige Entscheidungen. Der FlexFo¨rderer ist in erster Linie zum Transport von Fo¨rdereinheiten €uber Fo¨rderstrecken beliebigen Layouts vorgesehen. Um Fo¨rdereinheiten € uber beliebige Strecken mo¨glichst schnell und effizient zu transportieren, gibt es einen Modulbaukasten mit unterschiedlichen Modulen wie z. B. langen, geraden Strecken oder Kurven. Die Steuerung unterschiedlicher Module soll mo¨glichst a¨hnlich sein. Der sogenannte Transportautomat ist ein Zustandsautomat, der den Transport einer Fo¨rdereinheit mit benachbarten Modulen koordiniert steuert. Eine Herausforderung ist es, den Transportautomaten so generisch zu gestalten, dass er den Transport unterschiedlich großer und geformter Fo¨rdereinheiten € uber unterschiedliche Modularten (z. B. Drehtisch vs. lineare Strecke) steuern kann. Dadurch ist es mo¨glich, einfach neue Modularten zu entwerfen und in das System zu integrieren. Abb. 2 Eine FlexFo¨rdererAnlage aus quadratischen Modulen (Foto oben) und aus unterschiedlichen Modulen des Modulbaukastens (schematische Skizze unten). Bildquelle unten: flexlog GmbH (2015)

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

89

Der Routing-Algorithmus sucht f€ur jedes Paket die k€urzeste Route, die bereits bestehenden Reservierungen nicht entgegensteht. Durch diese intuitive Umsetzung der Routenfindung entsteht bei einer ringfo¨rmigen Strecke mit mehreren Ein- und Ausschleusungen emergentes Verhalten, das auf wechselnde Leistungsanforderungen reagiert: Solange der ankommende Warenstrom gering ist, werden die Fo¨rdereinheiten auf dem k€urzesten Weg zum Ziel transportiert: Die ringfo¨rmige Strecke wird bidirektional genutzt. Nimmt der ankommende Warenstrom zu, schla¨gt das Systemverhalten an einem bestimmten Punkt in das Verhalten eines Kreisverkehrs um. Es ist g€ unstiger, die Fo¨rdereinheiten auf einem Umweg zum Ziel zu befo¨rdern, als zu warten, bis der k€urzeste Weg verf€ugbar ist. Die Deadlock-Vermeidung wird ¨ berpr€ durch das U ufen mo¨glicher Kreisschl€usse vor jedem Transportschritt mithilfe von Nachrichten realisiert (Mayer und Furmans 2010). Der Ausfall eines Moduls wird von benachbarten Modulen detektiert und an die € ubrigen Module kommuniziert. Je nach Topologie kann der Betrieb mo¨glicherweise aufrechterhalten werden. Dank des modularen Aufbaus kann das defekte Modul einfach ausgetauscht werden. Der FlexFo¨rderer erf€ullt alle gew€unschten Eigenschaften außer der Selbstanpassung hinsichtlich Topologie. Aktuell wird ein Analyse-Tool entwickelt, das dem Nutzer im Betrieb Vorschla¨ge zur Umgestaltung der Topologie gibt.

4.2

GridSorter

Der GridSorter basiert auf der Idee des FlexFo¨rderers und ist aus identischen, rechteckigen Umsetzer-Modulen aufgebaut (siehe Abb. 3). Durch die Verwendung einer einzigen Art von Modulen wird in dieser Ausf€uhrung eine hohe Wiederverwendbarkeit und Multifunktionalita¨t erreicht. Allein durch die Anpassung der Steuerung ko¨nnen viele unterschiedliche intralogistische Aufgaben wie Sortieren, Puffern, Sequenzieren und der Transport gro¨ßerer Fo¨rdereinheiten durchgef€uhrt werden. Beim Puffern zeigt sich ein anderes Beispiel f€ur emergentes Verhalten: Gepufferte Fo¨rdereinheiten m€ussen ausweichen, wenn sie auf der Route von Fo¨rdereinheiten liegen, die ausgeschleust werden sollen. Gepufferte Fo¨rdereinheiten werden also nicht einem festen Pufferplatz zugeordnet, sondern bewegen sich durch das Fo¨rdersystem. Allein durch die einfache Regel des Ausweichens, ohne dass zusa¨tzliche Kriterien verwendet werden, werden die gepufferten Fo¨rdereinheiten auf Module transportiert, die f€urs Puffern geeignet sind. Das System reagiert auf aktuelle Anforderungen, die sich aus den Transportauftra¨gen ergeben. Der GridSorter kann in beliebigen Topologien aufgebaut werden. F€ur die Leistung und Robustheit ist ein sehr engmaschiges Netz (engl. grid) vorteilhaft. Vor allem, wenn viele Fo¨rdereinheiten gleichzeitig transportiert werden, was notwendig ist, um den Durchsatz zu steigern, entsteht dabei ein hohes Risiko von Deadlocks durch Kreisschl€ usse. Beim GridSorter wird eine zeitfensterbasierte Routenreservierung mit Logischer Zeit angewandt, die Deadlocks strukturell verhindert (Seibold und Furmans 2014).

90

Z. Seibold und K. Furmans

Abb. 3 Die Module und Verbindungen des GridSorters

Beim GridSorter werden die einzelnen Module in ein festes Rahmengestell eingesteckt. Dadurch erho¨ht sich die Dauer eines Umbaus im Vergleich zum FlexFo¨rderer, weil Hilfswerkzeug zum Umbau beno¨tigt wird. Die Austauschbarkeit einzelner defekter Module ist zur Unterseite hin gegeben. Obwohl der GridSorter aus den gleichen Modulen wie der FlexFo¨rderer aufgebaut ist, ist er €ublicherweise robuster gegen€ uber dem Ausfall einzelner Module als der FlexFo¨rderer, weil die engmaschigen Topologien des GridSorters viele redundante Routen aufweisen.

4.3

GridFlow aus Fo¨rdermodulen

Auch GridFlow basiert auf der Idee des FlexFo¨rderers und besteht aus rechteckigen Umsetzer-Modulen, die in dichten, vorzugsweise rechteckigen Topologien aufgebaut werden. GridFlow ist je nach Steuerungsalgorithmus f€ur unterschiedliche Anwendungen geeignet (siehe Abb. 4): Als GridStore ist es in der Lage, Fo¨rdereinheiten zu puffern und bereitzustellen (Gue et al. 2014). Dabei wird ein hoher Belegungsgrad erreicht, weil pro Zeile nur eine Leerstelle (Modul ohne Fo¨rdereinheit) beno¨tigt wird. Dadurch, dass mehrere Fo¨rdereinheiten parallelisiert bereitgestellt werden, wird ein hoher Durchsatz erreicht. Als GridSequence bildet es eine Reihenfolge im Warenstrom (Gue et al. 2012). Als GridPick ermo¨glicht es eine dynamische Warenbereitstellung, sodass die Wege des Kommissionierers reduziert werden (Uludag 2014). Der Fokus bei GridFlow liegt darauf, mo¨glichst viele Fo¨rdereinheiten gleichzeitig auf der Fo¨rderfla¨che des Systems unterzubringen, also einen hohen Belegungsgrad zu erreichen. Dadurch m€ussen Fo¨rdereinheiten oft ausweichen, um die Bewegung einer bestimmten Fo¨rdereinheit zu ermo¨glichen. Bisher wurde daf€ur die schrittweise Routing-Entscheidung eingesetzt. Durch die Reduzierung des Belegungsgrades, also eine erho¨hte Anzahl Leerstellen, kann in einem GridFlow-System der Durchsatz erho¨ht werden, wa¨hrend gleichzeitig die

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

91

Abb. 4 Das GridPick-System (links) und das GridSequence-System (rechts). Bildquellen: Uludag (2014) und Gue et al. (2012) Abb. 5 Die einzelnen Module (links) und die Fo¨rdermatrix (rechts) des Cognitive Conveyor. Bildquelle: Kr€uhn et al. (2013)

Fla¨chennutzung sinkt (Gue et al. 2014). Insbesondere die ersten zusa¨tzlich eingef€ ugten Freipla¨tze bringen eine so erhebliche Durchsatzsteigerung, dass trotz hoher Lagerdichte ein großer Durchsatz erzielt werden kann. Die gew€ unschten Eigenschaften sind im gleichen Maße wie beim GridSorter gegeben.

4.4

Cognitive Conveyors

Der Cognitive Conveyor (siehe Abb. 5) verfolgt ebenfalls die f€unf genannten Gestaltungsregeln. Er hat als Alleinstellungsmerkmal die besondere Kleinskaligkeit der Module: Eine Fo¨rdereinheit kann nur von vielen Modulen gemeinsam getragen und transportiert werden. Dadurch entstehen hochfunktionale Intralogis-

92

Z. Seibold und K. Furmans

tikknoten (Kr€ uhn et al. 2013), welche die Fo¨rdereinheiten omnidirektional bewegen ko¨nnen. Die Koordinationsmechanismen werden dadurch komplexer, weshalb bisher die Bewegungsrichtungen auf die vier Kardinalrichtungen und das Drehen der Fo¨rdereinheiten beschra¨nkt ist. Vor dem Transport der Fo¨rdereinheiten werden Routen reserviert. Die Deadlock-Vermeidung wird a¨hnlich wie beim FlexFo¨rderer durchgef€ uhrt. Zusa¨tzlich dazu werden wegen der Kleinskaligkeit sogenannte lokale Deadlocks, die an Kreuzungen auftreten ko¨nnen, vermieden. Die Module sind physisch nicht miteinander verbunden, sondern werden in eine Bodenplatte eingesteckt, €uber die auch die Energieversorgung erfolgt. Benachbarte Module kommunizieren €uber eine drahtlose, optische Datenschnittstelle. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Systemen ist der Cognitive Conveyor HotPlug-fa¨hig, d. h. Module ko¨nnen wa¨hrend des Betriebs ein- und ausgesteckt werden. Die Dauer eines Umbaus liegt in diesem Fall also im Sekundenbereich. Die Entwicklung eines Konzepts f€ur die inha¨rente Sicherheit steht dabei noch aus.

5

Beispielsysteme in der Unstetigfo¨rdertechnik

Zwischen Stetig- und Unstetigfo¨rdertechnik besteht die Gemeinsamkeit, dass sich mehrere mobile Objekte gleichzeitig bewegen. In den bereits vorgestellten Systemen der Stetigfo¨rdertechnik kommunizieren die statischen Objekte miteinander und treffen Entscheidungen. Ist die Anlage aufgebaut und im Betrieb, a¨ndern sich die Nachbarschaften und die Topologie nicht mehr. Bei der Unstetigfo¨rdertechnik sind es die mobilen Objekte, die miteinander kommunizieren und Entscheidungen treffen. Die Definition eines benachbarten Moduls ist hinfa¨llig; die Fahrzeuge m€ussen fa¨hig sein, €uber unterschiedliche Entfernungen hinweg miteinander zu kommunizieren. Die dezentralen Koordinationsmechanismen unterscheiden sich dementsprechend von denen der Stetigfo¨rdertechnik. Die Modularita¨t der Systeme ist von Natur aus gegeben, da jedes Fahrzeug in sich abgeschlossen ist. Dadurch ist die Skalierbarkeit der Systeme durch das Hinzuf€ ugen oder Entfernen von Fahrzeugen gegeben. Die Qualita¨t der dezentralen Steuerung bemisst sich daran, wie viele Fahrzeuge sich in einem System bewegen ko¨nnen, ohne sich gegenseitig zu behindern.

5.1

KARIS PRO

KARIS PRO steht f€ur Kleinskaliges Redundantes Intralogistik-System in der Produktion. Es bezeichnet ein modulares, dezentral gesteuertes Fahrerloses Transportsystem (Furmans et al. 2014). Die Navigation und Lokalisierung der Fahrzeuge wird €uber Laserscanner realisiert und ist infrastrukturunabha¨ngig, d. h. beno¨tigt keine Landmarken oder andere Installationen. Dies ist die Grundlage f€ur die Plug&Play-Fa¨higkeit: Nachdem der Nutzer das Fahrzeug manuell durch den Einsatzbereich gesteuert hat, ist es betriebsbereit. Die Rekonfigurierbarkeit des Systems ist dadurch gegeben, dass

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93

¨ bergabestellen, also der Start- und Zielpunkte von Fo¨rdereinheidie Position der U ten, vom Nutzer vera¨nderbar ist. Die Fahrzeuge f€uhren Auktionen durch, um Transportauftra¨ge zu verteilen, und koordinieren sich €uber lokal reaktives Verhalten, um Kollisionen und Deadlocks zu vermeiden. Wenn ein Fahrzeug ausfa¨llt, bemerken das die anderen Fahrzeuge und kommunizieren diesen Ausfall dem Nutzer. Der Betrieb wird weiterhin aufrechterhalten. Um die Personensicherheit zu gewa¨hrleisten, wenn sich Menschen im gleichen Bereich aufhalten, sind besondere Sicherheitskonzepte notwendig (Trenkle et al. 2013). Dabei wird die Gestaltungsregel der Funktionsintegration angewandt, d. h. jedes Fahrzeug soll f€ur sich selbst sicher sein. Ein KARIS-PRO-Fahrzeug besteht aus einem Basismodul und einem wechselbaren Aufsatzmodul, das je nach Ausf€uhrung unterschiedliche Aufgaben bewerkstelligen kann. Ein Fo¨rdermodulaufsatz ist f€ur den Transport von Fo¨rdereinheiten geeignet, wa¨hrend ein anderer Aufsatz einen ziehbaren Wagen ankoppeln kann. Ein einzelnes Fahrzeug ist also f€ur unterschiedliche Aufgaben wiederverwendbar, wodurch die Ressourceneffizienz des Systems gesteigert wird. KARIS PRO hat unterschiedliche Betriebsarten zur Verf€ugung (siehe Abb. 6): zum einen durch die Aufsatzmodule, die es eigensta¨ndig wechseln kann, und zum anderen durch die Kooperation mehrerer Fahrzeuge. Im Stetigcluster baut es eine Fo¨rderstrecke auf, um hohe Durchsa¨tze zu erreichen. Im Unstetigcluster ko¨nnen mehrere Fahrzeuge gemeinsam einen Großladungstra¨ger transportieren. Dieser Variantenreichtum der Betriebsarten ermo¨glicht eine Selbstanpassung des Systems an aktuelle Leistungsanforderungen.

5.2

GridFlow mit Transportfahrzeugen

Ist weniger Durchsatz gefordert, bietet es sich an, ein GridFlow-System mithilfe von Fahrerlosen Transportsystemen anstelle von Fo¨rdermodulen zu realisieren

Abb. 6 Einige Betriebsarten von KARIS PRO

94

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Abb. 7 GridFlow mit Transportfahrzeugen. Bildquelle: Nobbe (2015)

(siehe Abb. 7). Da die Fahrzeuge nicht ortsfest sind, werden weniger Fahrzeuge als Fo¨rdermodule bei gleicher Systemgro¨ße beno¨tigt. Nobbe (2015) untersucht, in welchen Fa¨llen welche der beiden Varianten o¨konomisch sinnvoll ist. Schwab (2015) zeigt zudem, dass der dezentral implementierte „LivePath“-Algorithmus in der Lage ist, die notwendigen Bewegungen der Fahrzeuge dezentral zu koordinieren.

5.3

Shuttle-Systeme mit erweiterten Bewegungsdimensionen

Ein Shuttle-System hat im Vergleich zu den bisher vorgestellten Systemen die Besonderheit, dass eine fest installierte Infrastruktur, na¨mlich das Regalsystem, besteht. Die Dauer f€ur den Auf- oder Umbau dieser Infrastruktur nimmt bei den heutigen Regalstrukturen eine bedeutende Zeit in Anspruch. Damit sich der Nutzer nach dem WYSIWYG-Prinzip nur um den mechanischen Aufbau k€ ummern muss, ist das Ziel, dass sich das System eigensta¨ndig konfiguriert. In diesem Fall m€ ussen die Fahrzeuge ohne manuelle Hilfe die Topologie des Regals erkennen. Denkbar ist es, bestehende Erkundungsalgorithmen aus dem Bereich der Robotik zu nutzen, mit denen die Fahrzeuge sich auf ihre Fahrwege und die Topologie identifizieren. Hinsichtlich des Hinzuf€ugens oder Entfernens von Fahrzeugen ist die Plug&Play-Fa¨higkeit des Systems gegeben. Dadurch kann das System hinsichtlich Durchsatz skaliert werden. Bei Shuttle-Systemen geht der Trend hin zu allen drei Bewegungsdimensionen: Der RackRacer (Rotgeri et al. 2014) kann innerhalb einer Gasse auch Ebenen wechseln. Ein neu entwickeltes Paletten-Shuttle (Gebhardt 2015; Klopfenstein 2015) bewegt sich innerhalb einer Ebene beliebig in die vier Kardinalrichtungen (siehe Abb. 8). Die zusa¨tzlichen Bewegungsdimensionen erho¨hen die

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

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Abb. 8 Schematische Darstellung eines Shuttles, das sich in einer Ebene in zwei Fahrdimensionen beliebig bewegen kann. Bildquelle: Gebhardt 2015

Skalierbarkeit des Systems. Zum einen kann das System mit sehr wenigen ShuttleFahrzeugen betrieben werden, weil die Shuttle-Fahrzeuge einen gro¨ßeren Teil des Lagers erreichen ko¨nnen als herko¨mmliche Shuttles. Zum anderen ko¨nnen dadurch eine Vielzahl von Shuttle-Fahrzeugen parallel eingesetzt werden, weil sie sich gegenseitig ausweichen ko¨nnen. Bei den dezentralen Koordinationsmechanismen kommt wie bei KARIS PRO eine Auktion zum Verteilen der Transportauftra¨ge zum Einsatz. Das Routing der Fahrzeuge erfolgt wie beim GridSorter €uber eine zeitfensterbasierte Reservierung mit Logischer Zeit (Seibold et al. 2015).

6

Fazit und Ausblick

Im Vergleich zu der Aufstellung der Beispielsysteme im Jahr 2010 (Furmans et al. 2010) hat sich die Idee der modularen, dezentral gesteuerten Fo¨rdertechnik weiter verbreitet. Hier konnten bereits mehr Systeme vorgestellt werden, die die f€unf Gestaltungsregeln anwenden. Vor allem im Bereich der Stetigfo¨rdertechnik ist die Forschung und Entwicklung schon sehr nahe an der Markteinf€uhrung. Ein erstes System, der FlexFo¨rderer, ist schon im industriellen Einsatz. Wir sehen, dass solche modularen, dezentral gesteuerten Stetigfo¨rdersysteme funktionieren. Im Bereich der Unstetigfo¨rdertechnik ist die Entwicklung noch nicht so weit vorangeschritten, weil vor allem Navigation und Personensicherheit zusa¨tzliche Herausforderungen bergen. Aber auch hier sind bei KARIS PRO und dem vorgestellten Shuttle-System erste Piloteinsa¨tze geplant.

96

Z. Seibold und K. Furmans

Welche zuk€ unftigen Handlungsfelder gibt es im Bereich der Plug&Play-Fo¨rdertechnik? • Die Eigenschaft der Selbstanpassung im Sinne von eigensta¨ndiger Anpassung der Topologie ist bei den vorgestellten Systemen der Stetigfo¨rdertechnik noch eingeschra¨nkt. Es ist nicht zu vermuten, dass die Systeme in Zukunft befa¨higt sein werden, die physische Topologie eigensta¨ndig anzupassen, da stetige Fo¨rdersysteme naturgema¨ß ortsfest sind. Allerdings sollte der Schwerpunkt auf einer anpassungsfa¨higen Steuerung liegen, d. h. die lokalen Entscheidungsregeln sollten auf aktuelle Leistungsanforderungen reagieren. • Bisher wurde der Schwerpunkt auf die technische Weiterentwicklung der Systeme gelegt. Bei Industrie 4.0 steht der Mensch im Mittelpunkt. Intuitive Mensch-Maschine-Schnittstellen sollten einhergehen mit der Weiterentwicklung der Fo¨rdertechnik. Bei der Stetigfo¨rdertechnik wurde eine Mo¨glichkeit geschaffen, mit der der Nutzer beliebige Topologien aufbauen kann. Wie kann er dabei unterst€utzt werden, Topologien aufzubauen, die z. B. in Bezug auf Leistung und Robustheit gut geeignet sind? Ein Ansatz ko¨nnte sein, ebenso modulare und ortsunabha¨ngige Mensch-Maschine-Schnittstellen zu entwerfen, mithilfe derer die Mensch-Maschine-Beziehung erleichtert wird. • In Bezug auf die Vernetzung durch Standardisierung der physikalischen und datentechnischen Schnittstellen wurde bisher vor allem Erfahrung innerhalb von Systemgrenzen gesammelt. Basierend auf dieser Erfahrung, die bei der Entwicklung der unterschiedlichen Systeme gesammelt wurde, sollten Schnittstellen zwischen den Systemen definiert werden. Beispiele daf€ur sind die Definition eines generischen Transportauftrags und der Inhalt einer Nachricht zum Austausch von Routing-Informationen. Hier sind wahrscheinlich offizielle oder Defacto-Standards erforderlich. • Eine Herausforderung ist es, zu verstehen, wie das Systemverhalten durch die lokalen Entscheidungen beeinflusst wird. Bisher werden alle Systeme mithilfe ¨ ndern einzelner Parameter der Steuevon Simulation untersucht. Schon beim A rung kann sich das Systemverhalten stark vera¨ndern. Ziel sollte es sein, diese Zusammenha¨nge besser zu verstehen. Die Entwicklung analytischer Verfahren zur Untersuchung der Systeme kann in Teilbereichen wie z. B. der Ermittlung eines geeigneten Layouts helfen. Durch Entkopplung des technischen Aufbaus eines Moduls von der €ubergeordneten intralogistischen Aufgabe kann die Wiederverwendbarkeit erho¨ht werden. Mithilfe dezentraler Koordinationsmechanismen entsteht emergentes Systemverhalten; es ko¨nnen komplexe Transportaufgaben durch einfache, intuitive lokale Entscheidungsregeln gelo¨st werden. Intralogistik spielt eine zentrale Rolle in der Vision „Industrie 4.0“. Mit der Entwicklung der Plug&Play-Fo¨rdertechnik als cyber-physisches System ist die Forschung bereits so weit, dass erste Erfahrungen in der industriellen Anwendung gesammelt werden. Diese Erfahrungen ko¨nnen in der weiteren Entwicklung von „Industrie 4.0“ hilfreich sein.

Plug&Play-Fo¨rdertechnik in der Industrie 4.0

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Teil III Industrie-4.0-fa¨hige Flurfo¨rderzeuge

Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme Ludger Overmeyer, Lars Dohrmann, Steffen Kleinert, Florian Podszus, Andreas Seel, Björn Eilert und Benjamin Küster

Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeigt, wie die von Menschen bekannte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gegenüber veränderten Umgebungsbedingungen, die sich in den kognitiven Eigenschaften der Menschen widerspiegelt, auf Flurförderzeuge in der Intralogistik übertragen werden kann. Als Beispiele für die Umsetzung von Industrie 4.0 in der Intralogistik werden Technologien vorgestellt, die es Flurförderzeugen ermöglichen, ihre Umgebung zu erkennen, Informationen zu kommunizieren, zu schlussfolgern, autonom zu handeln, Entscheidungen zu treffen, zu lernen oder zu planen. Realisiert werden diese Fähigkeiten durch ein optisches Ortungssystem zur Positionsbestimmung, eine kamerabasierte Ein-/AuslageL. Overmeyer Institut für Transport- und Automatisierungstechnik, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Garbsen, Deutschland E-Mail: [email protected] L. Dohrmann Jungheinrich AG, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Kleinert Electronic Interfaces, ZF Friedrichshafen AG, Diepholz, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Podszus Bitmotec GmbH, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Seel (*) · B. Küster Produktionsautomatisierung, IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gGmbH, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] B. Eilert Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_9

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rungsunterstützung und in Reifen integrierte Sensorik. Darüber hinaus werden Methoden zur sprach-, gesten- und blickbasierten Mensch-Maschine-Interaktion (MMI) zwischen einem Bediener und einem Fahrerlosen Transportfahrzeug erläutert. Für diese Interaktionsformen werden fahrzeuggebundene und bedienergebundene Technologien vorgestellt.

1

Einführung

Der Mensch verfügt durch seine kognitiven Eigenschaften über eine hohe Anpassungsfähigkeit und kann dadurch sowohl auf physische Veränderungen der Umgebung als auch organisatorische Veränderungen des Arbeitsablaufs sehr flexibel reagieren. Ein Ziel der Umsetzung von Industrie 4.0 in der Intralogistik ist die Befähigung von Flurförderzeugen (FFZ), mittels kognitiver Technologien ähnlich flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. In Anlehnung an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen sollen FFZ befähigt werden ihre Umgebung zu erkennen, Informationen zu kommunizieren, zu schlussfolgern, autonom zu handeln, Entscheidungen zu treffen, zu lernen oder zu planen. Hierdurch entstehen interaktive Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF), die den heutigen konventionellen Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) dadurch überlegen sind, dass sie ihr Verhalten selbstständig und flexibel an sich wandelnde Produktionsumgebungen und -anforderungen anpassen können (Furmans und Overmeyer 2011). Im Zuge dessen kann gleichzeitig der aktuell hohe Inbetriebnahmeaufwand fahrerloser Systeme reduziert werden. Ähnlich wie Industrie 4.0 einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der industriellen Produktion in Abgrenzung zu den vorangegangenen industriellen Entwicklungsepochen beschreibt, lässt sich auch für den Bereich der autonomen Flurförderzeuge ein Wandel feststellen. Das FFZ soll seine Arbeitsumgebung eigenständig erfassen und ihm zugewiesene Transportaufträge autonom ausführen. Für die Ausführung der Transportaufträge besitzt das FFZ ein Ortungssystem, um seine Position jederzeit ermitteln und eine eigenständige Navigation zum Zielort durchführen zu können. Am Zielort erfolgt eine autonome Ein- bzw. Auslagerung des Transportguts mittels in die Gabelzinken integrierter 3D-Kameras. Während der Ausführung der Transportaufträge überwacht das Fahrzeug seinen eigenen Zustand mittels integrierter Sensorik. Die Zuweisung von neuen Transportaufträgen und die Steuerung der FFZ soll durch eine möglichst natürliche MMI mittels Sprache, Gestik und Blicken erfolgen. Es werden zwei Varianten dieser MMI vorgestellt. Die fahrzeuggebundene MMI zeichnet sich dadurch aus, dass ein Großteil der Sensoren wie z. B. Kamerasystem und Recheneinheit in dem FFZ verbaut sind. Bei der bedienergebundenen MMI sind die Sensoren ausschließlich in eine vom Bediener mitgeführte Datenbrille integriert. Die zur Realisierung dieser Industrie-4.0-fähigen FFZ erforderlichen Technologien werden in diesem Beitrag vorgestellt (vgl. Abb. 1).

Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme

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Abb. 1 Technologien zur Realisierung Industrie-4.0-fähiger FFZ

2

Optisches Ortungssystem für Flurförderzeuge

Für die Positionsbestimmung von FFZ wird hier ein neuartiger Lösungsansatz auf Basis eines optischen Ortungssystems vorgestellt, der neben der Positionsbestimmung von FFZ der Verfolgung und Speicherung der Positionsdaten von Ladungsträgern in der Intralogistik dient. Das Ortungssystem, das am IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover entwickelt wurde, besteht aus einer Empfangseinheit und einer aktiven optischen Infrastruktur (Overmeyer und Mänken 2013).

2.1

Anforderungen an Ortungssysteme in der Intralogistik

Zur Realisierung einer Navigation werden immer Ortungssysteme benötigt. Satellitengestützte Ortungssysteme bieten beispielsweise für die Routenplanung eine Bandbreite an Lösungen, können jedoch nicht in Innenräumen eingesetzt werden. Grundsätzlich liefern Ortungssysteme, die in der Intralogistik eingesetzt werden, Positionsdaten in Echtzeit und eröffnen verschiedene Möglichkeiten, wie die Verfolgung von Fahrzeugen, Gütern oder Personen. Echtzeitinformationen über im Lager bewegte Ladungsträger ermöglichen neuartige Methoden zur Transport- und Produktionssteuerung. Neben den Echtzeitanforderungen ist auch die Genauigkeit eine entscheidende Anforderung an intralogistische Ortungssysteme. Zur Ortung von Fahrzeugen oder

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L. Overmeyer et al.

Gütern sind Genauigkeiten im Bereich von einigen Zentimetern erforderlich. Darüber hinaus spielen insbesondere bei industriellen Anwendungen die Systemkosten, inklusive des benötigten Installationsaufwands, eine wichtige Rolle bei der Systemauswahl. Für Genauigkeitsanforderungen größer einem Meter sind funkgestützte Ortungssysteme auf Basis von z. B. Bluetooth, W-LAN oder RFID geeignet. Für höhere Genauigkeitsanforderungen existieren für den industriellen Innenraumeinsatz keine mit geringem Installationsaufwand und somit kostengünstig zu implementierende Lösungen. Nachfolgend wird ein optisches Ortungssystem vorgestellt, das aufwandsarm für den Innenraumeinsatz zu implementieren ist.

2.2

Aufbau des optischen Ortungssystems

Die Umsetzung des Ortungssystems erfolgte mittels optischer Komponenten, die die erforderliche Positionsgenauigkeit erfüllen. Zentraler Bestandteil des Systems sind optische Baken, die innerhalb einer Produktions- oder Logistikumgebung an definierten Punkten aufwandsarm fixiert werden können. Diese Baken emittieren über 32 LEDs ein infrarotes Lichtsignal mit einer Wellenlänge von 940 nm, das von einer mobilen Empfangseinheit, die auf dem FFZ befestigt ist, empfangen wird. Damit sich die Baken mit in Sichtweite befindlichen anderen Baken synchronisieren können, sind zusätzlich Fotoempfänger integriert. Für die Datenübertragung wird ein Zeitmultiplexverfahren mit einer Rahmendauer von 200 ms, aufgeteilt in 25 Zeitfenster (8 ms), verwendet. Auf den ihnen zugeteilten Zeitschlitzen senden die Baken mit einer effektiven Datenübertragungsrate von 160 Bit/s. Der Aufbau der Empfangseinheit sowie der optischen Baken ist in Abb. 2 dargestellt. Die Standortinformationen im Weltkoordinatensytem werden durch die Baken in regelmäßigen Zeitabständen übertragen. Mithilfe von Triangulation und Kordinatentransformation wird hieraus die Position (x,y,z) sowie die Orientierung (Drehung um die z-Achse) der Empfangseinheit und somit des FFZ im Weltkoordinatensystem berechnet (Heißmeyer et al. 2012). Die Empfangseinheit verfügt über zwei Arten

Abb. 2 Empfangseinheit (links), optische Baken (rechts)

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Abb. 3 Systemkomponenten des optischen Ortungssystems. (Quelle: Jungheinrich AG)

von Sensoren. Zum einen wird mittels einer Kamera mit 180 -Fischaugenobjektiv der obere Halbraum über dem FFZ aufgenommen, um aus der Bildsequenz die Bildkoordinaten der sichtbaren Baken zu bestimmen. Dadurch lässt sich der Einfallswinkel der Signale der an der Hallendecke montierten Baken ermitteln. Zum anderen verfügt die Empfangseinheit über vier räumlich angeordnete Fotoempfänger, um Nachrichten der anderen Baken parallel aufzuzeichnen (vgl. Abb. 2 links). Die verwendete Kamera (Zelos 02150M, Kappa optronics) ist mit einem Infrarotfilter zwischen Objektiv und Bildsensor ausgestattet, um den Bildkontrast zu erhöhen, und kann mit einer Auflösung von 1920  1080 (HD) Pixeln betrieben werden. Abb. 3 stellt die Funktionsweise der auf einem FFZ montierten Systemkomponenten des Ortungssystems dar.

2.3

Industrielle Anwendung

In der industriellen Anwendung soll das System dazu eingesetzt werden, die Echtzeitaufnahme von Palettenbewegungen und die Speicherung ihrer Positionen zu ermöglichen. Dieses kann dadurch realisiert werden, dass das System am FFZ angebracht ist und über eine Koordinatentransformation die Position und Orientierung der Palette berechnet werden kann. Hierdurch ist eine flexible Einlagerung ohne die Definition von fixen Lagerplätzen möglich. Die Genauigkeit der Positionsbestimmung muss dabei mindestens einer halben Palettenbreite entsprechen, damit zwischen zwei Paletten unterschieden werden kann. Um dieses Einlagerungskonzept zu ermöglichen, wurde zusätzlich eine Software für ein flexibles Lagerverwaltungssystem entwickelt.

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Für einen Test unter Realitätsbedingungen wurden zwei Baken an der Hallendecke eines Lagerbereichs in einer Höhe von ca. 7 m angebracht und eine Empfangseinheit auf einem FFZ montiert. Diese erfasst das entsprechend der Rahmendauer von 200 ms mit einer Frequenz von 5 Hz ausgesendete Infrarotsignal und wertet es aus. Abb. 4 zeigt im linken Teil eine Momentaufnahme des originalen Kamerasignals der Empfangseinheit. Die Baken sind im linken Bildbereich als helle Punkte zu erkennen. Im rechten Teil von Abb. 4 wird die Signalstärke der Momentaufnahme dargestellt, die in der Empfangseinheit zur Auswertung genutzt wird. In dieser Darstellung erfolgt eine eindeutige Unterscheidung der Baken von anderen Lichtquellen anhand des niederfrequent modulierten Signals mittels eines Schwellwerts. Hieraus ist ersichtlich, dass das System auch in hellen und beleuchteten Umgebungsbereichen eingesetzt werden kann, da optische Störquellen herausgefiltert werden können (Heißmeyer et al. 2013). Die Ermittlung der Genauigkeit des Ortungssystems erfolgte anhand eines Vergleichs von definierten und berechneten Positionen und Orientierungen der Empfangseinheit. Mithilfe eines auf dem Boden aufgebrachten Testrasters (14  5 m) wurden definierte statische Positionen und Orientierungen der Empfangseinheit dargestellt und in ca. 75.000 Einzelmessungen in 360 Lagen mit den Berechnungen des Ortungssystems verglichen. Abb. 5 zeigt die ermittelte mittlere Positionsabweichung über dem Testraster bei Verwendung der Zelos-02150M-Kamera. Im statischen Anwendungsfall konnte eine mittlere Positionsabweichung von 20 cm erreicht werden. Abb. 6 zeigt die zugehörige Orientierungsabweichung, die im Mittel weniger als 2,5 beträgt. Die Empfangseinheit des Ortungssystems wurde während der Erprobungsphase auch mit einer PAL-Kamera mit einer Auflösung von 640  480 Pixeln betrieben. Bei Verwendung der PAL-Kamera benötigte die Recheneinheit (Panasonic CF-19 Toughbook, Intel Core i5 CPU mit 1,2 GHz) weniger als 125 ms für eine Positions-

Abb. 4 Momentaufnahme des originalen Kamerabilds (links), Signalstärke der Momentaufnahme (rechts)

Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme

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Abb. 5 Mittlere Positionsabweichung über dem Testraster

Abb. 6 Mittlere Orientierungsabweichung auf dem Testraster

berechnung aus einer Bildsequenz von fünf Bildern. Diese Laufzeit der Signalverarbeitung bestimmt die Anzahl von Positionsbestimmungen pro Zeiteinheit, was auch als Updaterate bezeichnet wird. Bei einer Parallelisierung der Berechnung auf einer Dual Core CPU wird mit einer Berechnungszeit von 65 ms eine Updaterate von ca. 15 Hz erzielt. Wird eine HD-Kamera verwendet, erhöht sich die Laufzeit der Signalverarbeitung abhängig von der verwendeten Bildgröße. Bei einer Bildsequenz mit sechs Bildern und einer Auflösung von 1080  1080 Pixeln benötigt die Recheneinheit weniger als 500 ms für eine Positionsberechnung. Aufgrund der höheren Framerate (30 fps) der Kamera werden hier sechs Bilder verwendet. Mittels einer parallelen Berechnung kann eine Updaterate von 4 Hz erreicht werden.

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L. Overmeyer et al.

Zur Bestimmung der Positionsgenauigkeit während der Fahrt ist die Updaterate entscheidend. Die Fahrzeugbewegung verringert die Positionsgenauigkeit um den Betrag, den das Fahrzeug zwischen zwei Zeitpunkten der Positionsberechnung zurücklegt. Bei einer maximalen Geschwindigkeit von 5 m/s und einer Updaterate von 15 Hz entspricht dies einem Weg von 325 mm. Bei einer Updaterate von 5 Hz erhöht sich diese Wegstrecke auf maximal 1,25 m. Die erreichte Genauigkeit ermöglicht eine Differenzierung von Palettenlagerplätzen und somit eine koordinatenbasierte Lagerplatzverwaltung. Die Genauigkeit kann z. B. durch eine Kopplung des Ortungssystems mit der Fahrzeugsensorik (Weg- und Lenkwinkelsensor) oder einem Intertialmesssystem, beispielsweise auf Basis von Erweiterten Kalman-Filtern (EKF), die Stand der Technik sind, weiter gesteigert werden.

3

Kamerabasierte Ein- und Auslagerungsunterstützung

Während der Handhabung von Ladungsträgern mit einem Flurförderzeug beispielsweise innerhalb eines Hochregallagers, wie in Abb. 7 dargestellt, muss der Bediener des FFZ sein Fahrzeug exakt vor seiner Zielposition ausrichten. Erfolgt diese Ausrichtung nicht ausreichend exakt, kann es zu einem unbeabsichtigten Kontakt zwischen FFZ und Ladungsträger oder zu einer Kollision mit der Regalkonstruktion

Abb. 7 Eine typische Situation in einem Hochregallager. Die Gangbreite ist gerade ausreichend zum Rangieren eines FFZ. Fährt das aus dem Gang kommende FFZ zu nah an das rangierende, besteht Kollisionsgefahr, insbesondere da der Fahrer des rangierenden FFZ das zweite Fahrzeug schlecht sehen kann. (Quelle: Jungheinrich AG)

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kommen. Außerdem ist der Fahrer während des Rangierens des Fahrzeugs auf die Positionierung konzentriert und läuft Gefahr, seine Umgebung nicht aufmerksam genug beobachten zu können. Unfälle durch Zusammenstöße während des Rangierens, herunterstürzende Lasten sowie Beschädigungen an Regalkomponenten sind neben den verursachten betrieblichen Kosten vor allem ein Risiko für den FFZ-Bediener und andere Personen im Umfeld (Standke 2013). Bei der Fahrzeugausrichtung vor der Zielposition wird das Sichtfeld des Bedieners durch Gabelstaplerkomponenten sowie die FFZ-Beladung eingeschränkt und die Fahrzeughandhabung zusätzlich durch die vertikale Distanz von bis zu 12 Metern zwischen Bedienerstandort und Zielposition erschwert. Um diesen Schwierigkeiten entgegenzuwirken und dem Bediener eines FFZ sowohl bei der Ein- als auch bei der Auslagerung leicht verständliche Unterstützung zukommen zu lassen, wurde am Institut für Transport- und Automatisierungstechnik der Leibniz Universität Hannover ein Assistenzsystem entwickelt, das durch die automatische Auswertung von 3D-Aufnahmen des Bereichs vor den Gabelzinken Empfehlungen zur Positionskorrektur ausgibt (Overmeyer und Kleinert 2011, 2012).

3.1

Anforderungen an ein 3D-Kamerasystem für FFZ

Wesentliche Anforderungen an ein FFZ in Industrie und Logistik und dementsprechend auch an elektronische Systeme für FFZ sind eine hohe Robustheit insbesondere gegenüber mechanischen Stößen und Schwingungen. Ein 3D-Kamerasystem, das diesen Anforderungen genügen soll, muss daher in der Lage sein, Stöße zu überstehen, wie sie beim abrupten Aufnehmen oder Abstellen eines Ladungsträgers sowie bei Kollisionen der Zinken mit anderen Objekten auftreten. Zudem werden durch die geringe Federwirkung der an FFZ verwendeten Vollgummireifen fahrbedingte Schwingungen auf das gesamte Fahrzeug übertragen (Overmeyer et al. 2013). Für den Einsatz im Schmalgang – also zur Regalbedienung – sollen FFZ so kompakt wie möglich gestaltet sein, damit möglichst wenig Lagerfläche für die Regalgänge erforderlich ist. Ein 3D-Kamerasystem, das in einem entsprechenden Fahrzeug integriert wird, darf daher die Fahrzeugmaße nicht vergrößern und sollte zudem auf zusätzliche kostenintensive Anbaugeräte verzichten. Damit eine kamerabasierte Unterstützung bei der Ein- und Auslagerung von Ladungsträgern erfolgen kann, muss hinsichtlich der Kameraanbauposition sichergestellt sein, dass der Ladungsträger bzw. der Lagerplatz mit der Kamera erfasst werden kann. Anbaupositionen im Bereich des Gabelrückens sowie der Gabelzinken sind daher optimal. Allerdings bedeutet dies, dass die 3D-Kamerasysteme am Hubgerüst verfahren werden müssen (Kleinert und Overmeyer 2013).

3.2

Anwendungsbereiche von Kamerasystemen im FFZ-Bereich

Kamerasysteme werden im FFZ-Bereich überwiegend zur Unterstützung der FFZ-Bediener beim Rangieren eingesetzt. Systeme wie Gabelrücken- oder Gabel-

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L. Overmeyer et al.

Abb. 8 Links: Gabelzinkenkamera montiert im hinteren Bereich der Gabelinnenseite. (Quelle: www.logistik-xtra.de). Mitte: Sichtfeld einer Gabelzinkenkamera bei einem transportierten Ladungsträger. (Quelle: dragtimes.com). Rechts: Montage einer Gabelzinkenkamera in der Gabelzinkenspitze. (Quelle: Vetter GmbH)

zinkenkameras (Abb. 8, links), aber auch Rückfahr- und Seitenkameras, übertragen das Livebild einer am Fahrzeug montierten Kamera an den Bediener, der die übertragenen Bilder selbstständig interpretieren und die relative Fahrzeugposition anhand seiner individuellen Erfahrung abschätzen muss (Motec 2015). Für den Fall, dass ein aufgenommener Ladungsträger in einen Regalplatz eingelagert werden soll, bieten gängige, am Gabelrücken montierte Kameras keine und an den Gabelzinken montierte Kameras nur eine eingeschränkte Unterstützung (Abb. 8, mitte), da der Sichtbereich der Kameras während des Ladungsträgertransports zumindest teilweise verdeckt wird (Vetter 2014). Eine bessere Sicht mit einem aufgenommenen Ladungsträger bietet ein Einbau der Kamera im Bereich der Gabelzinkenspitze (Abb. 8, rechts).

3.3

Funktionsweise einer kamerabasierten Ein- und Auslagerungsunterstützung

Bei dem entwickelten System werden keine konventionellen 2D-Kameras verwendet, sondern Systeme zur dreidimensionalen optischen Erfassung der FFZ-Umgebung. Für die kamerabasierte Erfassung dreidimensionaler Oberflächen und Objekte werden im industriellen Umfeld überwiegend zwei Grundprinzipien eingesetzt: die Messung über Triangulation und die Entfernungsmessung anhand der Signallaufzeit (Schiller 2011; Piepenburg 2012). Bei Verfahren, die auf der trigonometrischen Berechnung von Entfernungswerten basieren, werden Aufnahmen des zu vermessenden Objekts aus verschiedenen Blickrichtungen verwendet und die Unterschiede zwischen den jeweiligen Aufnahmen bestimmt (Abb. 9, links). Alternativ dazu können Aufnahmen mit einer speziellen Projektionslichtquelle erstellt werden, bei denen die Projektionsstruktur entsprechend der dreidimensionalen Oberflächenform verzerrt aufgenommen wird (Abb. 9, rechts). Unter Kenntnis der Relativstellung und des Abstandes zwischen den Aufnahmerichtungen bzw. der Kamera und der Projektionslichtquelle (Basislinie genannt) wird die Entfernung zur Objektoberfläche über Winkelfunktionen bestimmt (Alt und Stadler 2010).

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Abb. 9 Links: Funktionsprinzip Stereovision – zwei Kameras mit unterschiedlichen Blickwinkeln (Blickfeld Blau dargestellt) auf ein Objekt. Rechts: Trigonometrische Aufnahme mit Projektionslichtquelle (hier zylindrisch dargestellt), das projizierte Muster wird durch das Objekt verzerrt

Charakteristisch für trigonometrische Messmethoden ist, dass 3D-Informationen nicht flächendeckend, sondern nur an eindeutig identifizierbaren Bildmarken, z. B. Objektkanten, -ecken oder Hell/Dunkel-Übergängen des Projektionsmusters, bestimmt werden können (Piepenburg 2012). Neben diesen konzeptionellen Einschränkungen erfordern trigonometrische Verfahren eine für die Messreichweite ausreichende Länge der Basislinie, um 3D-Messdaten von ausreichend hoher Qualität zu liefern. Zudem ist die Ausrichtung der Systemkomponenten (Kamera zu Kamera bzw. Kamera zu Projektor) entscheidend für die Messung. Abweichungen von der vorgesehenen Konfiguration führen zu systematischen Fehlern in der Entfernungsberechnung. Für den Einsatz an einem FFZ sind trigonometrische Systeme nur bedingt geeignet, da die minimalen Abmessungen der Sensoren durch die technisch erforderliche Basislänge vorgegeben sind und ein Risiko besteht, dass durch Stöße und Schwingungen die Ausrichtung der Sensorkomponenten zueinander verändert wird. Kamerabasierte Verfahren, die nach dem Prinzip der Laufzeitmessung (engl. Time-of-Flight, ToF) Entfernungswerte ermitteln, basieren darauf, die Zeit zwischen dem aktiven Aussenden eines Messsignals bis zum Eintreffen der Reflexion zu messen. Da die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines optischen Signals konstant ist, ergibt sich die Entfernung zu einem angestrahlten Objekt direkt aus der Laufzeit des Messsignals (Abb. 10, rechts). ToF-Kamerasysteme senden ein flächendeckendes, moduliertes Signal aus und erfassen sämtliche Messpunkte im Sichtbereich zeitgleich, wodurch insbesondere in Bewegung befindliche Objekte im Bild gut aufgenommen werden können (Fardi et al. 2006; Schiller 2011). Laserscanner (Abb. 10, links), als alternatives Verfahren zur kamerabasierten Entfernungsmessung, arbeiten ebenfalls nach dem ToF-Prinzip. Allerdings erfassen sie immer nur einen einzelnen Bildpunkt und setzen eine vollständige Aufnahme aus mehreren aufgenommenen Punkten zusammen. Zudem sind hochpräzise Antriebe und bewegliche Komponenten erforderlich, um den Laserstrahl auf den zu vermessenden Punkt zu lenken. Im Vergleich zu den trigonometrischen Messverfahren sind ToF-Kamerasysteme toleranter in Bezug auf die Ausrichtung ihrer Sensorkomponenten. Eine geringfügige Änderung der Beleuchtungsausrichtung hat nur geringen Einfluss auf die Entfernungsmessung. Zudem sind diese Systeme kompakter und robuster als alternative 3D-Messsysteme, da sie nicht auf bewegliche Komponenten und Antriebe angewiesen sind (Buxbaum 2002).

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L. Overmeyer et al.

Abb. 10 Links: Funktionsprinzip eines Laserscanners: Der Laserstrahl wird mit mehreren Spiegeln über ein Objekt bewegt und die Laufzeit der Reflexion gemessen. Rechts: Funktionsprinzip einer ToF-Kamera: Eine modulierte Lichtquelle sendet mit der Kamera synchronisierte Signale aus, deren Reflexionen auf dem Kamerachip mit dem aktuellen Lichtquellensignal verglichen wird. Die Signalverschiebung entspricht der Laufzeit und ist somit proportional zur Entfernung

Abb. 11 Schmalgangstapler ETV 216 mit eingezeichneten Kameraanbaupositionen (Kreise) und Sichtfeld der Kameras (rot). Im unbeladenen Zustand (links) ist das Sichtfeld für alle Anbaupositionen frei, bei einer aufgenommenen Last (rechts) ist nur die Kamerasicht bei einer Einbauposition in der Zinkenspitze frei

Um mithilfe eines ToF-Kamerasystems ein Fahrerassistenzsystem für FFZ zu realisieren, ist die Einbauposition der Kameras von besonderer Relevanz. Ein Einbau der Sensoren beispielsweise am Gabelrücken oder der Gabelinnenseite, wie in Abschn. 3.2 beschrieben, kann die Kamera vor Beschädigungen schützen. Eine Unterstützung durch das Assistenzsystem sowohl bei der Ein- als auch der Auslagerung ist aufgrund der Sichtverdeckung der Kameras nicht möglich. Anbauten ober- oder unterhalb des Gabelrückens (Abb. 11, links, untere Kameraposition) sowie seitlich der Lastaufnahmemittel würden konstruktive Änderungen am Gabelstapler erfordern und die Integration bei Standardfahrzeugen erschweren. Ein optimaler Sichtbereich ohne umfangreiche konstruktive Änderungen am FFZ sowohl mit einem aufgenommenen Ladungsträger als auch ohne Last wird bei einem Kameraeinbau in den Gabelzinkenspitzen erreicht (Abb. 11, rechts).

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Die potentiellen mechanischen Belastungen auf die Kamera sind an dieser für die Datenaufnahme optimalen Einbauposition allerdings deutlich größer als an den genannten Alternativpositionen, und die Sensoroptik muss für den Einsatz auf Messabstände von wenigen Zentimetern bis über einen Meter angepasst sein.

3.4

Umsetzung in Form eines Ein-/Auslagerungsassistenten

Bei einem typischen Anwendungsszenarios für einen Gabelstapler, der mit dem entwickelten Assistenzsystem ausgestattet ist, positioniert der Fahrer sein FFZ grob vor der anvisierten Zielposition. Der vertikale und horizontale Versatz zur Zielposition bleibt dabei jeweils unter 100 mm und eine Schrägstellung von 10 wird nicht überschritten. Da die Gangbreite in einem Hochregallager üblicherweise nur wenig Platz zum Rangieren bietet, beträgt die Entfernung zu Objekten und Oberflächen am Ort der Zielposition dabei maximal 250 mm. Um auch bei diesem Szenario die Frontseite eines Ladungsträgers, z. B. einer Palette, möglichst vollständig erfassen zu können, werden zwei Kameras mit jeweils einem Öffnungswinkel von 120 in die Spitzen der Gabelzinken integriert. Um die Funktion der Gabelzinke nicht einzuschränken und deren Querschnittsfläche nicht übermäßig zu vergrößern, müssen die integrierten Kamerasysteme so kompakt wie möglich gestaltet und gleichzeitig gegen mechanische Beschädigungen geschützt werden. Hierzu wurde die Kamerahardware auf mehrere Platinen verteilt, wodurch das Gehäuse ausreichend flach gestaltet werden konnte. In Richtung der Gabelzinkenspitze wurden lediglich die Optik mit dem dahinter liegenden Kamerachip sowie zwei Beleuchtungselemente platziert (Abb. 12, rechts). Die Aufbereitung der aufgenommenen Rohdaten erfolgt auf einem zusätzlichen FPGA innerhalb der Kameras, welcher den nachgeschalteten Auswertungsrechner und die Kommunikationsschnittstelle entlastet. Eine aktive Kühlung der Hardware ist nicht erforderlich, da die Gabelzinken als Kühlkörper fungieren. Durch die Ausführung der Kameragehäuse als demontierbarer Gabelschuh (Abb. 12, links) ist der Zugang zur Kamerahardware mit geringem Aufwand möglich.

Abb. 12 Links: Aufbau der modifizierten Gabelzinken mit einem Gabelschuh als Kameraschutzgehäuse. Rechts: Aufbau der Kamerahardware

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L. Overmeyer et al.

Für die Auswertung der aufgenommenen 3D-Bilder sind Bildverarbeitungsverfahren auf Basis von Kantenerkennung nicht geeignet, da aufgrund der Kameraintegration in den Gabelzinkenspitzen und dem geringen Abstand zwischen Kamera und Zielposition nicht sichergestellt werden kann, dass die Kameras immer eine verwendbare Kontur erfassen. Der Algorithmus, der die Relativstellung zwischen FFZ bzw. den Gabelzinken und der Zielposition ermittelt, um anschließend Empfehlungen für eine Positionskorrektur zu bestimmen, basiert daher auf der Erfassung von sichtbaren charakteristischen Oberflächen. Dies sind beispielsweise die Begrenzungsflächen der Ladungsträgeröffnungen und falls sichtbar der Ladungsträgerfront. Bei der Auswertung der Daten erfolgt zunächst eine Minimierung der Messwertstreuungen, indem mehrere Einzelaufnahmen mit gleicher Aufnahmeposition zu einer kombinierten Aufnahme verschmolzen und über zusätzliche konventionelle Rauschfilter geglättet werden. Anschließend wird für jeden Bildpunkt die räumliche Ausrichtung der durch ihn repräsentierten Oberfläche ermittelt und charakteristische Orientierungsflächen anhand ihrer räumlichen Position und Ausrichtung zusammengefasst. Die ideale Position der Gabelzinken ist erreicht, sobald die Kamera bzw. die Gabelzinkenspitze mittig zwischen den Orientierungsflächen ausgerichtet ist. Die Abweichungen gegenüber dieser Ausrichtung entsprechen der Positionskorrektur für den Bediener. Die Auswertung wird für beide Kamerasysteme unabhängig voneinander durchgeführt, damit der Abstand der Gabelzinken zueinander variabel bleiben kann. Zusätzlich zu der Positionsbestimmung wird jedes Bild vor der Auswertung auf eine Kollisionsgefahr hin überprüft und der Bediener gegebenenfalls gewarnt. Die Ausgabe der ermittelten Positionskorrekturen erfolgt auf dem Terminal des Fahrzeugs in Form von einfachen grafischen Symbolen wie Pfeilen und Skalen in unterschiedlichen Signalfarben, um eine möglichst einfache und intuitive Verständlichkeit zu gewährleisten.

4

Sensorintegration in FFZ-Reifen

Neben Kollisionen mit anderen Fahrzeugen, Personen oder Objekten haben sich Reifenschäden durch das Fahren mit Überlast sowie das Umkippen des FFZ als besonders kritische Ausfälle mit hohen Stillstandszeiten für FFZ herausgestellt. Als Indikator für einen beginnenden Kippvorgang kann eine Belastungsänderung bis hin zur vollständigen Entlastung der Fahrzeugreifen verwendet werden. Längere Fahrten mit hoher Reifenlast führen zu einer Temperaturerhöhung im Inneren der bei Flurförderzeugen typischen Superelastikreifen (SE-Reifen). Die Temperatur im Reifeninneren kann aufgrund der geringen Wärmeleitfähigkeit des Reifenmaterials an der Reifenaußenseite nicht erfasst werden. Als Folge der hohen Temperaturen wird der Reifen auf Dauer irreparabel beschädigt, muss ausgetauscht werden und kann in kritischen Belastungssituationen versagen. Am ITA wird an einem drahtlosen Sensorsystem geforscht, das mithilfe von RFID-Technologie Sensoren auswertet, die in den Reifen integriert wurden, um den Reifenzustand kontinuierlich zu überwachen.

Intelligente Flurförderzeuge durch die Implementierung kognitiver Systeme

4.1

115

Anforderungen an Sensorsysteme zur integrierten Reifenüberwachung

SE-Reifen, wie sie für FFZ verwendet werden, bestehen nicht aus einer luftgefüllten Gummimembran, sondern bestehen aus unterschiedlichen, aufeinander geschichteten Gummimischungen (Abb. 13). Die innere Schicht, als Bodenschicht bezeichnet, gewährleistet den festen Sitz des Reifens auf der Felge und besteht aus besonders hartem Gummi und zusätzlichen Stahlarmierungen. Die in der Mitte befindliche Zwischenschicht ist besonders elastisch und sorgt für die Abfederung von Stößen und Schwingungen. Die Laufschicht, mit Kontakt zur Fahrbahn, ist auf Verschleißund Schnittfestigkeit ausgelegt und schützt die darunter liegende Zwischenschicht. Während der Fahrt wird kontinuierlich Energie durch die periodischen Verformungen in den Reifen eingebracht. Diese Energie wird größtenteils in der elastischen Zwischenschicht in Wärme umgewandelt und idealerweise nach Außen abgegeben. Überhitzt der Reifen aufgrund zu großer Energie- bzw. Wärmezufuhr, beginnt dies im Zentrum der Zwischenschicht (Hotspot). Um die Reifentemperatur daher korrekt erfassen zu können, sollte ein integrierter Temperatursensor an dieser Stelle platziert sein. (Kleinert und Overmeyer 2014) Die Integration elektronischer Komponenten in einen SE-Reifen stellt wegen der rauen Umgebungsbedingungen eine große Herausforderung dar. Im Fahrbetrieb des FFZ werden die integrierten Komponenten mit hohen Biegewechselbelastungen beaufschlagt sowie komplexen Zug- und Druckkräften ausgesetzt. Gleichzeitig dürfen die als Fremdkörper im Reifen wirkenden Komponenten die Haltbarkeit des Reifens nicht beeinträchtigen. Neben der mechanischen Belastung müssen die integrierten Sensor- und RFIDSysteme auch die Temperaturen während des Betriebs und der Vulkanisation überstehen. Hierbei sind Temperaturen von 130  C während des Fahrbetriebs und annähernd 150  C bei der Vulkanisation typische Werte.

Abb. 13 Aufbau eines typischen SE-Reifens aus Boden-, Zwischen- und Laufschicht. Der beispielhaft integrierte RFID-Transponder befindet sich im Bereich der größten Wärmebelastung (Hotspot)

116

4.2

L. Overmeyer et al.

Systeme zur kontaktlosen Parameterüberwachung

Für den Einsatz in SE-Reifen wurden bislang keine integrierten Sensoren verwendet. In luftbereiften Fahrzeugen werden jedoch Sensorsysteme zur Überwachung von Temperaturen, Druck und Reifendeformationen eingesetzt, wobei der überwiegende Teil der Systeme nicht in das Gummimaterial, sondern meist am Ventil integriert wird (Bartels 2002; Technical Research Centre of Finland (VTT) 2005). Derartige und vergleichbare Messsysteme zur Überwachung des Reifendrucks sind für neuzugelassene PKW seit November 2014 EU-weit verpflichtend. Neben funkbasierten Sensorsystemen für Luftreifen existieren auch Verfahren, bei denen passive Komponenten (z. B. ferromagnetische Drähte) in den Reifen eingebracht oder spezielle hartmagnetische Gummimaterialien verwendet werden (Quandt 2005; Becherer et al. 2000). Durch die zusätzlichen elektromagnetischen Eigenschaften der Reifen und deren Änderung bei Reifenbelastung ist es möglich, mithilfe eines außerhalb des Reifens liegenden Sensors Rückschlüsse auf die ursächliche Verformung zu erhalten.

4.3

Entwicklung und Aufbau eines Reifensensors für FFZ

Eine erfolgreiche Integration elektronischer Bauteile in einen SE-Reifen ist nur möglich, wenn die im Reifen vorherrschenden Verformungen und Spannungen aufgrund der Reifenbelastungen während des Fahrens bekannt sind. Um diese zu untersuchen, wurden Analysen mithilfe von FE-Modellen durchgeführt und Verschiedene Strategien für den mechanischen Schutz der Transponder verglichen. Als Vorgabe für das FE-Modell wird ein SE-Reifen der Dimension 180/70-8 gewählt. Dieser Typ wird bei FFZ besonders häufig verwendet und ist für Testzwecke gut zu handhaben. Das entwickelte System soll allerdings nicht ausschließlich auf eine Reifendimension beschränkt werden. Das FE-Modell ist analog zum realen Reifen aus drei unterschiedlichen Schichten, mit unterschiedlichen Materialparametern, aufgebaut. Um den erforderlichen Rechenaufwand der Simulation zu reduzieren, wurden verschiedene Ersatzmodelle erstellt, die je nach Simulationsszenario lediglich Reifenteile oder vereinfachte Reifengeometrien, wie in Abb. 14 dargestellt, verwenden. Zur Validierung der numerischen Berechnungen wurden Vergleichsmessungen an einem Reifenprüfstand der Firma Continental Reifen Deutschland GmbH durchgeführt und die berechneten Verformungen aus dem FE-Modell mit den Verformungen des realen Reifens verifiziert. Zunächst wurden statische Belastungssimulationen durchgeführt, um unterschiedliche Schutzstrategien für Transponder und Sensoren untereinander zu vergleichen. Hierbei wurden Fern- und Nahfeldtransponder mit einem Trägermaterial aus Folie, Gewebe und Platinensubstrat sowie mit unterschiedlich komplex aufgebauten Schutzkapseln untersucht. Drei unterschiedliche Schutzstrategien waren laut Simulation besonders vielversprechend und wurden in realen SE-Reifen untersucht. Schutzstrategie eins (Abb. 15a) basiert weniger auf einem Schutz der Transponderkomponenten, sondern eher auf einer Minimierung der mechanischen Angriffs-

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117

Abb. 14 a) vereinfachtes Modell für dynamische Untersuchungen der Transponderbelastung; b) komplexes Modell für die statische Verformungsanalyse; c) vereinfachtes Teilmodell für die Entwicklung einer Laboruntersuchung von integrierten Komponenten

fläche. Die großflächige Fernfeldantenne des Transponders wird auf ein Glasfasergewebe genäht und über eine Nahfeldantenne an eine kleine Platine mit dem integrierten Transponderchip angekoppelt. Durch diese Kombination wird die durch den Transponder erzeugte Störstelle im Reifen besonders klein und bietet weniger Angriffsfläche für mechanische Verformungen. Für die zweite Schutzstrategie (Abb. 15b) werden die Transponder als Schaltkreis in einer Platine aus Epoxidharz mit Glasfasergewebe (FR4) realisiert. Die elektronischen Komponenten und Leiterbahnen werden dabei zwischen mehrere Schichten der Platine laminiert und sind somit vor direktem Kontakt mit dem Reifenmaterial geschützt. Die dritte Schutzstrategie (Abb. 15c) basiert auf der Verwendung von konventionellen Folientranspondern, die zum Schutz vor mechanischen Beschädigungen mit einem starren Gehäuse aus PET gekapselt werden. Das Innere des Gehäuses mit dem Transponder wird mit einem elastischen PUR-Gießharz ausgefüllt und bettet den Transponder ein. Für die Untersuchungen der integrierten Transponder in realen Reifen wurden mehrere Reifen mit unterschiedlichen Transpondern ausgestattet und auf einem Trommelprüfstand mit stufenweise ansteigender Achslast dynamisch untersucht. Diese Versuche ergaben, dass die Schutzstrategien eins und zwei den Anforderungen an Stabilität und Funktionalität am ehesten entsprechen. In beiden Untersuchungen konnten die Transponder auch nach dem Erreichen von 100 % der Reifennennlast erfolgreich gelesen werden. Die Ergebnisse der nach Schutzstrategie eins gekapselten Transponder waren nicht zufriedenstellend, da die mechanischen Belastungen zu Brüchen an den Verbindungsstellen der Gehäuse führten. Die entstehende Reibung an den Gehäusekomponenten zerstörte die Transponder und machte einen erfolgreichen Datenaustausch unmöglich. (Bär et al. 2012)

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L. Overmeyer et al.

Abb. 15 Unterschiedliche Transponderkonzepte für die Integration in SE-Reifen; a) Gewebetransponder; b) Platinentransponder; c) Folientransponder in Epoxidharz mit PUR-Gehäuse

25

Spannung in N/mm2

20 15 10

Hauptspannung in tangentialer Richtung Hauptspannung in radialer Richtung Hauptspannung in axialer Richtung

5 0 160

180

200

220

240

260

280

300

320

340

360

−5 −10 −15 Winkel in Grad

Abb. 16 Spannungsverteilung an einem integrierten Transponder während des Fahrbetriebs im Bereich des Reifenlatsch

Im Rahmen weiterführender Simulationen wurde untersucht, welche Belastungen und Belastungsverteilungen auf integrierte Komponenten während einer vollständigen Reifenrotation wirken. Diese Daten sind insbesondere für die Auswahl und Platzierung geeigneter Sensoren zur Erfassung der Reifenbelastung hilfreich. Abb. 16 stellt die Belastungsverteilung während des Fahrbetriebs im Bereich des Reifenlatsch dar.

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5

119

Sprachsteuerung zur Beauftragung von Fahrerlosen Transportfahrzeugen in der Intralogistik

Die MMI gewinnt im Zuge der vierten industriellen Revolution immer mehr an Bedeutung, da autonom agierende und sich in der Umgebung selbstorientierende FTF im Gegensatz zu starren Förderelementen, wie z. B. Förderbändern, flexibel einsetzbar sind. Gegenüber klassischen FTS, die über eine Leitsteuerung verfügen, werden autonome FTF dezentral von einem Bediener beauftragt. Bei dem Design einer MMI wird sich an der Kommunikation zwischen Menschen orientiert, um einen möglichst natürlichen Informationsaustausch abzubilden. Zur Kommunikation zwischen Mensch und Mensch wird am häufigsten der auditive Informationskanal verwendet (Schorn 2004). Diese Art der Kommunikation verspricht einen hohen Informationsdurchsatz. Bei der Sprachverarbeitung im technischen Sinne wird zwischen Sprachsynthese und Spracherkennung unterschieden. Letztere kann über die Vorgabe eines definierten Befehlssatzes zur Sprachsteuerung genutzt werden (vgl. Abb. 17). Dabei wird zwischen Spracherkennern mit kleinem Wortschatz (1000 Wörter) unterschieden (Euler 2006). Die technische Realisierung einer MMI über Sprache weist jedoch einige Herausforderungen auf, auf die im Folgenden Bezug genommen wird. Des Weiteren wird eine technische Umsetzung einer Sprachsteuerung zur Beauftragung von FTF vorgestellt.

5.1

Anforderungen an eine Sprachsteuerung für FTF

Bei der Kommunikation mittels Sprache hängt der Erfolg der Informationsverarbeitung des Empfängers im Wesentlichen von der Güte des Sprachsignals und vom

Abb. 17 MMI über eine Sprachsteuerung mit einem FTF

120

L. Overmeyer et al.

Erfahrungsschatz ab. Undeutliche Aussagen des Senders, Umgebungsgeräusche und die Kenntnis über die empfangenen Wörter beeinflussen die Informationsverarbeitung. Zum Beispiel kann der Mensch Wörter, die er nicht kennt, in der Regel nicht verarbeiten. Er kann jedoch auf Basis seiner Erfahrung eventuell auf den Kontext schließen. Vergleicht man diesen Sachverhalt mit der Verarbeitung eines Sprachsignals zur Steuerung von FTF, resultieren daraus folgende Anforderungen, die beim Entwurf einer Sprachsteuerung für FTF zu berücksichtigen sind. Einen Einfluss auf die Erkennungsgenauigkeit einer Sprachsteuerung haben nach Pfister und Kaufmann (2008) die physiologischen Eigenschaften des Vokaltrakts, da dessen Beschaffenheit vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Sprechers abhängt. Die Sprechweise und der emotionale Zustand haben einen weiteren Einfluss. Hinzu kommt, dass die Geräuschkulisse und die Übertragungswege variieren. So weisen beispielsweise unterschiedliche Hallenbereiche eine andere Raumakustik auf oder Fahrzeug- und Maschinengeräusche wirken als Störsignal auf die Spracherkennung. Hieraus resultiert, dass eine Sprachsteuerung für FTF, die von mehreren Bedienern in unterschiedlichen Umgebungen eingesetzt werden soll, weitgehend benutzerunabhängig verwendbar und robust gegenüber Störgeräuschen sein muss. Die von der Spracherkennung berechnete Wortkette kann prinzipiell an jeder Stelle eines oder mehrere der möglichen Wörter enthalten. Um die Kombinationsmöglichkeiten zu verringern und somit die Erkennungsgenauigkeit zu erhöhen, muss eine Grammatik implementiert werden (Euler 2006). Des Weiteren wird durch eine Grammatik die Interpretation des Inhaltes erleichtert, da dieser in direktem Zusammenhang mit dem Befehl an das Fahrzeug steht. Der Einsatz eignet sich bei kleinen bis mittleren Wortschätzen. Nach der Erkennung eines Befehls agiert das FTF autonom, sodass der Bediener nur noch begrenzte Kontrolle über das Fahrzeug besitzt. Die Anforderungen an die Einsatzsicherheit von FTF sind jedoch besonders hoch (Ullrich 2013). Im Zuge der Interaktion kann nicht eindeutig sichergestellt werden, wie hoch die Aufmerksamkeit des Bedieners zum Zeitpunkt der Eingabe war oder ob äußere Einflüsse wie Störgeräusche das Sprachsignal verfälscht haben. Deswegen ist es erforderlich, dass die Richtigkeit eines Befehls bestätigt wird. Die Akzeptanz zur Verwendung einer Sprachsteuerung setzt eine möglichst natürliche Interaktion voraus. Dafür ist es notwendig, dass ein Spracherkennungssystem eine Verarbeitungsgeschwindigkeit aufweist, die nahe der kognitiven Prozessverarbeitung des Menschen liegt. Daraus ergibt sich, dass nur eine geringe Latenz zwischen Sprachbefehl und Erkennungsergebnis liegen darf.

5.2

Einsatzgebiete von Sprachsteuerungen

Schon frühzeitig begann der Wunsch, natürliche Sprache zur Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu nutzen. Die ersten Spracherkennungssysteme wurden in den Fünfzigerjahren entwickelt (Pfister und Kaufmann 2008). In Forschung und Entwicklung wurde in allen Bereichen der Sprachverarbeitung gearbeitet, woraus

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einige Methoden und Algorithmen zur Sprachsignalverarbeitung hervorgegangen sind. In Li et al. (2014) wird ein umfassender Überblick gegeben. Aus den Erkenntnissen entstanden, überwiegend in Forschungsprojekten, einige Open-SourceSpracherkennungs- und Sprachsynthesebibliotheken. Tab. 1 gibt einen Überblick. Vergleichbare Ansätze zur sprachgesteuerten Beauftragung von autonomen FTF in der Intralogistik sind nach dem derzeitigen Wissensstand nicht bekannt. In anderen Arbeiten werden jedoch Spracherkennungssysteme für vergleichbare Anwendungen genutzt. Beispielsweise wird in Fezari et al. (2005) und Fezari (2007) der Einsatz von Sprachsteuerungen zur Lenkung von Rollstühlen untersucht. Die Spracherkennung basiert auf einem klassischen Mustervergleichsansatz, bei dem nur isolierte Wörter erkannt werden können. Alle sprachverarbeitenden Algorithmen sind auf einem Mikrocontroller implementiert und arbeiten sprecherabhängig, sodass vor dem Einsatz der Spracherkennung diese auf den jeweiligen Benutzer trainiert werden muss. Der Wortschatz umfasst acht Wörter. Ein anderes Anwendungsgebiet ist die sprachgesteuerte Beauftragung von mobilen Robotern. In Nauth (2010) wird ein multimodaler Ansatz gezeigt, bei dem Sprachsignale mit Kamerabilddaten fusioniert werden. Nach der Aufnahme des Sprachsignals wird dieses in äquidistanten Abständen in Segmente zerlegt. Für jedes Segment wird das Frequenzspektrum berechnet. Aus dem Frequenzspektrum werden die Frequenzmerkmale extrahiert und im Anschluss werden diese durch Verwendung der jeweiligen Mittelwerte über ein neuronales Netzwerk klassifiziert. Das System wird zur robusteren Steuerung der Gliedmaßen eines humanoiden Roboters eingesetzt. In Bezug auf die Steuerung mehrerer FTF bietet die Arbeit von Al-Dahoud et al. (2010) vergleichbare Ansätze, da hier ein Spracherkennungssystem zur Steuerung eines Schwarms von Robotern verwendet wird. Das Kommunikations-Interface basiert auf einem Multi-Agenten-Modell. Für die Spracherkennung selbst werden Techniken wie beispielsweise das Zero-Crossing und das Dynamik-Time-Warping angewandt. Das Spracherkennungssystem besteht aus den drei Komponenten Spracherkennungsagent, Syntax-Agent und dem Semantik-Agent. Letzterer liefert nach dem Durchlaufen der Verarbeitungskette den erkannten Befehl. In der Arbeit von Valin et al. (2007) wird ein Spracherkennungssystem für einen mobilen Roboter vorgestellt, welches mehrere Sprecherquellen simultan in Echtzeit verarbeiten kann. Dafür wird ein Array-Mikrofon eingesetzt. Die Sprecher können bis zu 2 m von dem Roboter in einem Winkelbereich zwischen 0 und 180 entfernt positioniert sein. Der Wortschatz umfasst 200 Wörter. Für die eigentliche Spracherkennung wurden das CASA Tool Kit und Julius verwendet. Laut Aussagen des Autors verspricht das CASA Tool Kit bessere Erkennungsgenauigkeiten, wobei Julius deutlich schneller arbeiten soll. In Versuchen wurden mit dem CASA Tool Kit Erkennungsgenauigkeiten zwischen 94 und 99 % erreicht. Des Weiteren haben sich in der Intralogistik Pick-by-Voice-Systeme etabliert. Diese Systeme wurden zumeist von kommerziellen Anbietern entwickelt. Ziel dieser Systeme ist es, die Effizienz bei der Distribution zu steigern. Dabei kombinieren Pick-by-Voice-Systeme Sprachein- und -ausgaben. Dem Bediener wird über einen Sprachbefehl ein Auftrag erteilt, indem vorgegeben wird, welche Produkte benötigt

122

L. Overmeyer et al.

Tab. 1 Übersicht zu Open-Source-Spracherkennungs- und Sprachsynthesebibliotheken Name Hidden Markov Model Toolkit (HTK) (Young et al. 2009) Julius – large vocabulary continuous speech recognition (LVCSR) (Lee et al. 2001; Lee und Kawahara 2009) CMU Sphinx (Walker et al. 2004) RWTH ASR toolkit (Rybach et al. 2009) Kaldi Speech Recognition Toolkit (Povey et al. 2011) CASA Tool Kit (CTK) (Barker 2004) eSpeak (eSpeak 2015) Festival (Black und Taylor 1997; Taylor et al. 1998)

Bezeichnung Spracherkennung

Programmiersprache C

Spracherkennung

C

Spracherkennung Spracherkennung Spracherkennung

Java, C C++ C++

Spracherkennung Sprachsynthese Sprachsynthese

C/C++ — —

werden. Wenn der Auftrag erfolgreich ausgeführt wurde, bestätigt der Bediener dies mit einem Sprachbefehl. Durch diese Art der Kommunikation kann das System augen- und handfrei bedient werden, was zur Steigerung der Produktivität führt (Yurick 2011). Weitere Anwendungsbeispiele, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, sind die sprachgesteuerte Bedienung von Navigationsgeräten und mobilen Endgeräten wie beispielsweise Smartphones oder Tablets (Lei et al. 2013). Die zuvor vorgestellten Arbeiten unterscheiden sich zum einen darin, dass kein Bezug auf den Anwendungsfall, FTF sprachgesteuert in der Intralogistik zu beauftragen, besteht. Zum anderen werden, mit Ausnahme der Arbeit von Valin et al., nur sprecherabhängige Spracherkenner verwendet. Pick-by-Voice-Systeme haben Gemeinsamkeiten bezüglich der Einsatzumgebung. Aufbauend auf dem zuvor beschriebenen Forschungsstand wird im Folgenden ein Spracherkennungssystem zur Steuerung von autonomen FTF vorgestellt.

5.3

Umsetzung einer Sprachsteuerung für FTF

Mit Bezug auf die in Abschn. 5.1 aufgestellten Anforderungen wurde eine Sprachsteuerung zur Beauftragung von FTF umgesetzt. Der Aufbau der Sprachsteuerung besteht aus einem Spracherkennungsserver, einem Sprachmodell und einer Kommunikationsoberfläche zur Interaktion mit dem Bediener und der Auftragsverwaltung (vgl. Abb. 18). Die eigentliche Spracherkennung des Spracherkennungsservers wurde unter Verwendung der Spracherkennungsbibliothek Julius (Lee et al. 2001; Lee und Kawahara 2009) realisiert. Das Erkennen der Sprachbefehle erfolgt durch den Vergleich des Audioeingangssignals mit einem befehlssatzspezifisch erstellten statistischen Sprachmodell. Dieses Modell setzt sich aus einem Akustikmodell, einem Wörterbuch und einer Grammatik zusammen. Dabei repräsentiert das Akustikmodell die Phonetik der Sprache. In diesem Fall wird ein deutsches Akustikmo-

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123

Abb. 18 Aufbau der Sprachsteuerung

dell eingesetzt. Im Wörterbuch sind die zulässigen Wörter und in der Grammatik die zulässigen Wortkombinationen erfasst. Über die Kommunikationsoberfläche, welche auf einem Tablet-PC ausgeführt wird, erfolgt die Interaktion mit dem Bediener. Dadurch wird sowohl eine visuelle als auch eine auditive Interaktion ermöglicht. Die akustische Ausgabe wird durch den Open-Source-Sprachsynthesizer eSpeak (2015) möglich. Die Kommunikation zwischen Spracherkennungsserver, Sprachsynthese und der Kommunikationsoberfläche wird über das TCP/IP-Protokoll umgesetzt. Im Betrieb überprüft die Spracherkennung alle durch das Mikrofon erfassten Eingaben und gleicht diese mit dem vorliegenden statistischen Sprachmodell ab. Erkannte Eingaben werden an die Kommunikationsoberfläche übergeben und auf ihre Plausibilität überprüft. Bei der Plausibilitätsprüfung wird die jeweils erkannte Eingabe dahingehend untersucht, ob sie an der derzeitigen Stelle im Dialog zulässig ist. Ist dieser Vorgang abgeschlossen, wird der erkannte Befehl über den Sprachsynthesizer wiederholt und durch den Bediener abschließend bestätigt. Der erkannte und überprüfte Befehl wird im Anschluss an die Auftragsverwaltung übermittelt. Die zuvor beschriebene Sprachsteuerung für FTF wurde auf einem industrietauglichen Tablet-PC (Panasonic Toughpad FZ-M1) unter Nutzung eines USB-Headsets (Microsoft LifeChat LX-4000 USB 2.0) implementiert. Abb. 19 zeigt das Headset zur Ein- und Ausgabe von akustischen Befehlen, ein zeitkontinuierliches Sprachsignal mit dem Aufbau eines Befehls und den Tablet-PC mit der Kommunikationsoberfläche. Zur Untersuchung der Sprecherunabhängigkeit wurden zwanzig mögliche Befehle unter fünfmaliger Wiederholung mit elf unterschiedlichen sowohl männlichen als auch weiblichen Probanden eingesprochen. Die Kombination der zwanzig Befehle wurde so gewählt, dass jedes Wort im Wortschatz, welcher insgesamt 51 Wörter umfasst, mindestens einmal vorkommt. Berechnet wurde die Wortkorrektheit Wk nach Pfister und Kaufmann (2008). Die Versuche wurden bei einem

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L. Overmeyer et al.

Abb. 19 Headset (links), Sprachsignal (Mitte) und Tablet-PC mit erkanntem Befehl (rechts)

durchschnittlichen Umgebungsschallpegel von 45,7 dB in einem geschlossenen Raum durchgeführt. Die Versuchsergebnisse zeigen Wortkorrektheiten von 87,2 % bis zu 100 %. Im Mittel ließ sich eine Wortkorrektheit von Wk = 95 % mit einer Standardabweichung von 4 % ermitteln. Für die einsatznahe Beurteilung der Sprachsteuerung im Logistik- und Produktionsumfeld müssen weitere Versuche mit Umgebungsschallpegeln von 45 bis zu ca. 90 dB durchgeführt werden.

6

Gestenbasierte Transportgutzuweisung für Fahrerlose Transportfahrzeuge

Intelligente FTF sollen ihre Arbeitsumgebung eigenständig erfassen und durch Bediener zugewiesene Transportaufträge autonom ausführen. Insbesondere wenn Transportgüter nicht an definierten Lagerplätzen, sondern in Lagerzonen oder Freiflächen, wie dem Wareneingang, platziert werden, gestaltet sich die Beschreibung der Pose (Position und Orientierung) abzulegender Transportgüter sowie die Zuweisung aufzunehmender Transportgüter innerhalb des mobilen Koordinatensystems des FTF als schwierig. Unterstützend zur sprachbasierten Beauftragung von FTF kann hier eine gestenbasierte Interaktion Abhilfe schaffen. Gegenüber anderen autonomen Beauftragungskonzepten ermöglicht sie eine Zuweisung bzw. Beschreibung der Pose des Transportguts über große Distanzen ohne technische Hilfsmittel am Körper. Das Ausführen einer Zeigegeste, um eine Richtung oder Position eines Objekts anzugeben, stellt eine der intuitivsten Kommunikationsmethoden von Menschen aller Altersgruppen dar (Perez Quintero et al. 2013).

6.1

Anforderungen an eine Gestensteuerung für FTF

Eine Gestensteuerung für die Transportgutzuweisung in der Intralogistikumgebung ist sowohl intuitiv als auch personenungebunden zu gestalten, um eine einfache

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125

Bedienung durch jeden Mitarbeiter zu ermöglichen. Dazu ist aus den vorhandenen Personen der zur Steuerung des FTF berechtigte Bediener zu identifizieren. Dieser muss auch bei kurzzeitigen Verdeckungen, z. B. durch kreuzende Fahrzeuge oder Personen, wie auch bei Körperdrehungen um 360 relativ zum FTF weiterhin sicher erfasst werden. Die durch diesen Bediener erteilten Gestenbefehle müssen trotz industrieller Umgebungsbedingungen (z. B. Arbeits- und Schutzkleidung, Beleuchtungsschwankungen oder reflektierende Hallenböden) eindeutig erkannt werden. Zusätzlich ist trotz der Bedienbesonderheiten, wie beispielsweise hohe Bediendistanzen, eine möglichst hohe Kommunikationssicherheit und Genauigkeit einer gestenbasierten MMI zu gewährleisten. Um universell einsetzbar zu sein, muss das System hardwareunabhängig arbeiten und somit für unterschiedliche 3D-Kameras bzw. Messprinzipien geeignet sein.

6.2

Gestensteuerungen im industriellen Umfeld

Gestensteuerungen zur intuitiven MMI werden in zahlreichen Forschungsprojekten und Anwendungsfeldern, beispielsweise der mobilen Robotik, untersucht. Dabei werden z. B. Telepräsenz-Systeme entwickelt, um den Bewegungsablauf eines Roboters über große Distanzen zu steuern (Murthy und Jadon 2009). Im industriellen Umfeld hingegen werden Gestensteuerungen nur begrenzt eingesetzt. In Schick und Sauer (2013) wurde beispielsweise in Zusammenarbeit mit der BMW AG ein Gestenerkennungssystem für die zeigegestenbasierte Qualitätskontrolle von Karosserieteilen entwickelt, um die manuelle Eingabe an Bedienpanels zu substituieren. Darüber hinaus wurde zur Vereinfachung der Inbetriebnahme von Industrierobotern in Ende et al. (2011) ein System zum gestenbasierten Teach-in entwickelt. Bei den benannten Systemen werden jeweils die Bewegungen des Bedieners direkt erfasst und umgesetzt. Bei einer Gestensteuerung für FTF hingegen ist insbesondere eine robuste Unterscheidung von gestenbasierten Befehlen zu natürlichen Bewegungsabläufen des Bedieners während paralleler Arbeitsprozesse sicherzustellen. Einzig in Trenkle (2014) wird ein Referenzsystem zur gestenbasierten Interaktion mit einem FTF unter industriellen Realbedingungen vorgestellt. Das System folgt einem Bediener, bietet eine Ablagemöglichkeit für kommissionierte Ware und kann dabei beispielsweise über Gesten feinpositioniert werden. Der Prozess der Transportgutzuweisung wurde nicht betrachtet, da das FTF nicht über einen Gabelhub verfügt.

6.3

Systemaufbau

Ziel der Gestensteuerung ist die Übermittlung der Pose von Transportgütern, auf deren Basis das FTF die Auftragsbearbeitung (z. B. Anfahrtsberechnung an das Transportgut) einleitet. Die hierzu notwendigen Informationen werden ausschließlich vom erfassten Bediener abgeleitet. Dies bietet den Vorteil, dass keine weiteren Informationen der Umgebung notwendig sind. Im Rahmen der Transportgutaufnahme (vgl. Abb. 20) positioniert sich der Bediener auf der Aufnahmeseite der

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L. Overmeyer et al.

Abb. 20 Ablauf der Transportgutaufnahme

Abb. 21 Arbeitsschritte des Gesamtsystems

Palette und zeigt auf den Mittelsteg der Palette. Die 3D-Position des Mittelstegs der Aufnahmeseite sowie der 2D-Vektor der Zeigerichtung (Orientierung) dienen zur Beschreibung der Pose. Weiterhin wird zur optimalen Anfahrtsplanung des FTF die Standortkoordinate des Bedieners übermittelt. Zur vollautomatisierten Aufnahme der Transportgüter verfügt das FTF u. a. über Gabelzinkenkameras (vgl. Abschn. 3) (Dohrmann et al. 2014). Zur Erfassung der Gesten werden am FTF 3D-Industriekameras eingesetzt, deren Messprinzip auf dem Lichtlaufzeitverfahren (ToF) beruht. Der Ansatz zur Erkennung der Zeigerichtung basiert sowohl auf Grauwert-Bildern als auch auf 3D-PointCloud-Daten und ist mit unterschiedlichen 3D-Kameras kompatibel. Die entwickelte Bildverarbeitungskette zur Erkennung von Bedienbefehlen gliedert sich in sechs Arbeitsschritte (vgl. Abb. 21).

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127

Im Rahmen der Messwerterfassung wird die Intralogistik-Umgebung in Fahrtrichtung des FTF mithilfe einer Time-of-Flight Kamera (ToF) erfasst. Die Kameradaten werden über einen Multicast verteilt und u. a. sowohl für die Navigation als auch das Sicherheitssystem des FTF genutzt (Dohrmann et al. 2014). Das Kamerabild wird im Arbeitsschritt der Vorverarbeitung gefiltert und eine Segmentierung relevanter Bildbereiche vorgenommen. Aus diesen vorverarbeiteten Messwerten des Sensors wird im Rahmen der Bedienererkennung aus den im Kamerabild vorhandenen Personen der Bediener identifiziert, welcher alleinig zur Erteilung von Gestenbefehlen berechtigt ist. Gesten bestimmen sich dabei durch definierte Stellungen oder Bewegungen von Körperteilen relativ zueinander. Deshalb ist es notwendig, ein Körpermodell des Bedieners zu bilden und dessen Gelenkpunkte, z. B. Schultern und Ellenbogen, zu identifizieren. Der menschliche Körper kann dazu als volumenloses Skelett repräsentiert werden. Da die Kommunikation mit dem FTF mittels Armgesten umgesetzt wird, ist die Modellierung des Oberkörpers ausreichend. Auf Basis der identifizierten Gelenkpunkte, die sich im 3D-Raum bewegen, erfolgt die Gestenerkennung. Hierzu müssen anhand definierter Trainingsdatensätze Klassifikatoren trainiert werden, um aus dem aktuellen Kamerabild die Gesten zu erkennen. Im Rahmen der Weiterverarbeitung wird bei erkannten Zeigegesten die Pose des aufzunehmenden Transportguts im Koordinatensystem der Kamera erfasst und in das Koordinatensystem des FTF transformiert. Zusätzlich erfolgt eine akustische Bestätigung korrekt oder falsch erkannter Befehle sowie eine Warnung beim Verlassen des Kamerasichtfelds, da Bediener ohne ein Feedback des Systems nicht effizient mit diesem interagieren können (Argelaguet und Andujar 2013).

6.4

Realisierung

Der Schwerpunkt lag bei der Vorverarbeitung auf der Analyse und Auswahl geeigneter Filter, um Verfälschungen, die bei der Erkennung der Objektgrenzen des Bedieners zu einem ungenauen Körpermodell führen können, auszuschließen. Dazu wurde ein Directional weighted Median Filter (DWM) nach Dong und Xu (2007) implementiert. Weiterhin wird das Tiefenbild der ToF-Kamera auf Basis der durch eine Kamerakalibrierung bekannten intrinsischen Parameter in eine 3D-Punktwolke umgerechnet. Für die Bedienererkennung wird auf Gesichtsdetektionsverfahren der OpenSource-Bibliothek OpenCV aufgesetzt. Die dort vorhandenen Gesichtsdetektionsverfahren wurden in Ahmad et al. (2012) mittels fünf Datenbanksätzen in Frontalund Profilansicht hinsichtlich ihrer Erkennungsgenauigkeit evaluiert. Auf Basis dieser Evaluation wurde das Verfahren nach Viola und Jones (2001) für die Gesichtsdetektion im Grauwert-Bild in Frontal- und Profilansicht ausgewählt und implementiert. Bei mehreren Personen im Kamerasichtfeld wird bei Initialisierung des Systems die Person als Bediener ausgewählt, die sich am nächsten zum FTF befindet. Nach erfolgter Detektion kann sich der Bediener frei zwischen anderen Mitarbeitern bzw. Objekten bewegen und wird im Kamerabild verfolgt. Da es sowohl bei sich ändernden Lichtverhältnissen, erhöhten Abständen zur Kamera als auch Körper-

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L. Overmeyer et al.

drehungen zu Fehldetektionen im Grauwert-Bild kommen kann, werden nach initialer erfolgreicher Gesichtsdetektion zusätzlich die geometrischen Abmessungen des Bedieners in der 3D-Punktewolke für die Validierung der Detektion genutzt. Sobald der Bediener im Grauwert-Bild nicht mehr erfasst werden kann, bietet dies den Vorteil, dass das Tracking in den Tiefendaten fortgesetzt werden kann. Kreuzen im Sichtfeld der Kamera Personen oder Fahrzeuge, die den Bediener verdecken, detektiert das System einen Sprung der Distanzwerte und setzt nach Auflösen des Hindernisses den Suchvorgang nach dem Bediener in den vergangenen Distanzwerten der 3D-Punktwolke fort. Sollte ein Hindernis, beispielsweise ein Fahrzeug, über eine definierte Zeitspanne hinaus im Sichtfeld halten und den Bediener verdecken, wird zur Vermeidung von Fehldetektionen das Tracking abgebrochen. Auf Basis der Bedienerkennung wird das entwickelte Körpermodell gebildet. Anstatt auf eine festgelegte Datenbank mit vorab trainierten Posen zurückzugreifen, die z. B. beleuchtungs-, posen- oder perspektivabhängig stark variieren können, wird ein graphbasiertes Körpermodell, angelehnt an Schwarz et al. (2011), verwendet. Dieses ist in der Lage, auch vorher unbekannte Körperposen zu detektieren und kann sich schnell von Trackingfehlern „erholen“. Mittels eines 3D-Dijkstra-Algorithmus wird in der 3D-Punktwolke des identifizierten Bedieners nach drei Extremstellen (linke Hand, rechte Hand, Kopf), die unabhängig von der Position, Größe und Orientierung des Bedieners zur Kamera gefunden werden, gesucht. Zur Zuordnung der Extremstellen zu den Extremitäten wird keine lineare Distanzberechnung zwischen zwei Punkten durchgeführt, sondern es handelt sich um eine Streckenmessung auf der Oberfläche des Menschen mittels des 3D-Dijkstra-Algorithmus. An dieser Stelle wird zur Vermeidung von Trackingfehlern u. a. geprüft, ob die Armlängen im Vergleich zur Körpergröße in einem anatomischen Normbereich liegen. Hierfür werden die geometrischen Verhältnisse des Menschen aus der Anthropologie-Studie von Churchill et al. (1978) zu Grunde gelegt. Zeigt ein Mensch präzise auf ein Objekt, erfolgt dies in der Regel über die Blicklinie der Spitze des Zeigefingers zum Objekt (Kopf-Hand-Vektor). Dieser Vektor erwies sich in zahlreichen Untersuchungen als derjenige, der bei der Auswertung von Zeigeoperationen die höchste Genauigkeit bietet (Jing und Ye-peng 2013). Daher wird häufig ein großer Aufwand betrieben, um neben Skelettmodellen, die z. B. die Handmitte abbilden, zusätzlich einzelne Finger zu detektieren. Das entwickelte graphbasierte Körpermodell bietet aufgrund der Extrempunktsuche in der Punktwolke des Bedieners den Vorteil, dass der Extrempunkt der Hand bereits in die Spitze des Fingers gesetzt werden kann. Aus dem beschriebenen Körpermodell werden zur Gestenerkennung die normalisierten 3D-Gelenkkoordinaten extrahiert. Gesten werden dabei anhand der Position definierter Skelettpunkte und deren Orientierung zueinander bestimmt. Dies bietet den Vorteil, dass die Parameteranzahl und somit die Prozesszeiten verringert werden. Zur Beschreibung der Körperpose wurde eine winkelbasierte Darstellung aus einem Winkel zwischen Arm und der dazugehörigen Schulter (αleft, αright) und einem Winkel zwischen Schulter und der Vertikalachse (βleft, βright) gewählt (vgl. Abb. 22). Die Repräsentation der Körperpose über einen Vektor der Winkel (αleft, αright, βleft, βright) ermöglicht die Verallgemeinerung der Armposition zur Körperposition

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Abb. 22 Punktwolke der ToF-Kameradaten unter Realbedingungen mit fusionierten Farbdaten und winkelbasierter Beschreibung der Körperpose

(bedienerzentriertes Koordinatensystem). Diese Absolutwerte hängen nicht von der Distanz der Person zum FTF, seinen Körperproportionen, der Zeigerichtung oder der Rotation in der horizontalen Ebene ab. Die Auswahl eines geeigneten Klassifizierers zur Erkennung der Zeigegesten beeinflusst sowohl die Genauigkeit als auch die Berechnungskomplexität. Betrachtet wurden nur Klassifizierer für statische Posen, die mit einem begrenzten Trainingsdatensatz eine Klassifizierung ausschließlich anhand von Positiv-Beispielen vornehmen können, um die Robustheit der Detektion zu steigern und eine leichte Erweiterbarkeit zu bieten. Die Bewegungsgeschwindigkeit der Hand bildet einen zusätzlichen Parameter der Gestenerkennung. Detektiert der Klassifizierer eine Zeigegeste, so wird diese erst nach einer gewissen Haltedauer als solche validiert. Zur Approximation einer möglichst natürlichen Haltedauer wurde der für eine zweidimensionale Zeigeaufgabe im ISO Standard 9241-9 definierte Zusammenhang zwischen der Zeit vom Beginn einer Bewegung bis zum Erreichen eines Zeigeziels in Abhängigkeit der Objektgröße bzw. -breite und Objektentfernung zu Grunde gelegt (Fitts Law). Auf Basis der Zielbreite des Mittelstegs einer Europalette wurde in Abhängigkeit unterschiedlicher Zielabstände eine Funktion der Haltedauer approximiert. Im Rahmen der Weiterverarbeitung wird die Zeigerichtung einer detektierten Geste genutzt, um den Drehwinkel des FTF zu bestimmen, der ausgehend von der Standortkoordinate des Bedieners eingenommen werden muss, um eine Palette anzufahren bzw. abzulegen. Dabei ist die Zeigerichtung bezüglich der zweidimensionalen Orientierung von Interesse, da im Allgemeinen angenommen werden kann,

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dass sich das FTF in der Ebene bewegt. Die Standortkoordinate des Bedieners wird auf Basis der bekannten Einbauhöhe der Kamera am FTF in das mobile Koordinatensystem des FTF umgerechnet, das seinen Ursprung zwischen den Lastarmen des FTF und somit auf dessen Drehachse hat. Die tatsächliche Position der Palette wird als 3D-Punkt im mobilen Koordinatensystem des FTF als Schnittpunkt des HandKopf-Vektors mit der Ebene des Bodens ermittelt, wobei dieser auch außerhalb des Kamerasichtfelds liegen kann. Auf Basis dieser Informationen kann das FTF den Punkt anfahren und die Palette aufnehmen bzw. ablegen.

7

Datenbrillen zur Steuerung von FTF

Eine Datenbrille ist ein kleines, mobiles Computersystem (engl. Wearable), das aus den drei Hauptkomponenten Recheneinheit, Anzeige und Trägereinheit sowie einer potentiellen Vielzahl zusätzlicher Hardware wie z. B. Kameras oder Bewegungssensoren besteht. Die Recheneinheit ähnelt den Reicheneinheiten in Smartphones und kann u. U. umfangreiche Software, die die Datenverarbeitung, die Ergebnisdarstellung und eine MMI bereitstellen, enthalten. Die Anzeige befindet sich unmittelbar vor dem Auge des Bedieners und wird durch eine optische Einheit, die die Einblendungen auf der Anzeige auf einen sehfreundlichen Abstand zwischen 1 m und 5 m bringen, ergänzt. Die Anzeige einer Datenbrille wird anhand von zwei Kriterien in vier Typen eingeordnet (vgl. Abb. 23). Eine monokulare Anzeige blendet nur Informationen vor einem Auge des Bedieners ein, während eine binokulare Anzeige vor beiden Augen des Bedieners digitale Informationen darstellen kann. Darüber hinaus wird zwischen See-through-Anzeigen und Look-around-Anzeigen differenziert. See-through-Anzeigen sind halbtransparent, sodass der Bediener durch die Einblendungen hindurchsehen kann. Bei Look-around-Anzeigen kann der Bediener nur „um die Einblendungen herum“ seine Umgebung wahrnehmen, sodass seine Sicht auf die Umgebung stärker eingeschränkt ist. Monokulare See-through-Anzeigen schränken damit die Sicht des Bedieners am wenigsten ein, während binokulare Look-around-Anzeigen die Sicht des Bedieners am stärksten einschränken. Zugunsten einer besseren Immersion isoliert dieser Anzeigetyp den Bediener von seiner Umgebung, sodass sein Sichtfeld vollständig mit einem virtuellen Bild ausgefüllt ist. Diese Darstellung von digitalen Informationen wird als virtuelle Realität (engl. Virtual Reality) bezeichnet. Die anderen drei Anzeigetypen werden der erweiterten Realität (engl. Augmented Reality) zugeordnet, da die reale Umgebung des Bedieners mit virtuellen Einblendungen angereichert wird (Milgram et al. 1995). Die Trägereinheit befestigt die Datenbrille am Kopf des Bedieners und existiert in Form eines Brillengestells, einer Kopfbefestigung oder eines Helmes (Kirchhoff 2015). Datenbrillen weisen bezüglich Hard- und Software viele Analogien zu anderen Endgeräten wie einer Smartwatch oder einem Smartphone auf. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der MMI. Eine Datenbrille bietet im Allgemeinen vergleichs-

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Abb. 23 Beispiele für verschiedenen Datenbrillentypen

weise wenig Möglichkeiten zur haptischen Interaktion und ist daher auf sprach- und gestenbasierte Interaktion ausgelegt. Außerdem werden die Einblendungen im Gegensatz zu vergleichbaren Technologien ohne Unterbrechung ins Sichtfeld des Bedieners projiziert, sodass eine Informationsaufnahme ohne zusätzlichen Blick auf eine Anzeige erfolgen kann. Auf diese Weise ist es möglich, dem Bediener passend zu den in seiner Umgebung befindlichen realen Objekten kontextbezogene Informationen und im Fall von binokularen Anzeigen 3D-Modelle einzublenden (Bach et al. 2018). Im Einsatz als MMI-Schnittstelle kombinieren Datenbrillen die sprach- und gestenbasierte Interaktion und ermöglichen dank integrierter Sensoren zur Erfassung von Kopf- und Augenbewegung eine blickbasierte Interaktion. Die sprachund gestenbasierte Interaktion hat gegenüber der konventionellen Steuerung von FTF viele Vorteile. Eine sprach- und gestenbasierte Steuerung weist viele Analogien zur Kommunikation zwischen Menschen auf und ist dadurch bei der Ausführung sehr intuitiv. Bediener benötigen keine lange Einarbeitung für die Anwendung dieser MMI-Systeme, und für die Verwendung ist zudem keine Lizenz wie z. B. ein Fahrausweis für Flurförderzeuge erforderlich. Darüber hinaus ist mit dieser Technologie eine Steuerung von i. d. R. autonom arbeitenden FTF, in die keine konventionellen Steuerelemente integriert sind, ohne das Hinzuziehen von Fachkräften, die in der Bedienung der Leitsteuerung ausgebildet sind, möglich. Dadurch lassen sich kritische Betriebssituationen schnell, einfach und wirtschaftlich lösen (Seel et al. 2018).

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7.1

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Eingabemodalitäten zur MMI

Der Bediener kommuniziert über die MMI-Schnittstelle mithilfe von Befehlen mit dem FTF. Während einige Befehle einfacher und intuitiver über die sprachbasierte Interaktion vermittelt werden können, eignet sich für andere Befehle die gestenbasierte Interaktion. Je komplexer der Inhalt eines Befehls, desto mehr Gesten müssten verwendet werden, um diesen Inhalt darzustellen. Solche Befehle werden bspw. bei einer Beauftragung verwendet. Wenn Befehle die Einstellung einer Verfahrgeschwindigkeit beinhalten wie z. B. das Verfahren eines aktiven Lastaufnahmemittels, eignet sich die gestenbasierte Interaktion, da die Verfahrgeschwindigkeit intuitiv und genau mit der Bewegungsgeschwindigkeit einer dynamischen Geste an das Fahrzeug übermittelt werden kann. Obwohl die blickbasierte Interaktion auch als Geste interpretiert werden kann (Bremmer 1992), wird sie in Anlehnung an die Einordnung von dominierenden Herstellern von Datenbrillen als eigene Modalität klassifiziert. Diese Form der Interaktion eignet sich am besten zur Adressierung von Objekten in der direkten Umgebung (also im Sichtbereich) des Bedieners. Bevor ein Objekt durch eine Zeigegeste adressiert werden kann, wird das Objekt i. d. R. intuitiv angeblickt. Dadurch wird das Objekt annähernd im Zentrum des Sichtfeldes des Bedieners positioniert. Da Datenbrillen am Kopf getragen werden, wird das Objekt gleichzeitig im Bildbereich einer Kamera platziert und kann über eine geeignete Software identifiziert werden. Der Vorteil gegenüber der sprachbasierten Adressierung im direkten Umfeld des Bedieners liegt darin, dass mit der blickbasierten Adressierung auch undefinierte, d. h. dem FTS nicht bekannte Orte angesprochen werden können. Befindet sich das zu adressierende Objekt nicht in der direkten Umgebung des Bedieners, ist die blickbasierte Interaktion nicht anwendbar und es muss von der Adressierung von undefinierten Orten abgesehen werden. Keine der drei Eingabemodalitäten liefert alleinstehend die einfachste oder intuitivste Lösung zur Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Um die MMI so effizient wie möglich zu gestalten, müssen alle drei Varianten der Interaktion kombiniert und zielführend angewendet werden.

7.2

Einsatz von Datenbrillen im industriellen Umfeld

In der Arbeit von Streibl und Brandl (2016) wird ein Assistenzsystem vorgestellt, das zur Unterstützung eines Mitarbeiters bei der Durchführung von komplexen Service- und Instandhaltungsarbeiten durch einen Experten eingesetzt werden soll. Mit diesem System soll der steigenden Komplexität der Anlagen begegnet werden, indem die fehlende Qualifikation der Mitarbeiter durch das Hinzuschalten eines Experten über ein Live-Video kompensiert wird. Das System ist herstellerunabhängig und kann auf mobilen Endgeräten wie z. B. Smartphones oder Tablets genutzt werden. Die Verwendung der Software auf Datenbrillen ist jedoch am effektivsten, da der Experte die Problemsituation aus der Egoperspektive des Mitarbeiters verfolgen kann und der Mitarbeiter freie Hände für das Ausführen der

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Service- und Instandhaltungsaufgaben hat. Es besteht außerdem die Möglichkeit, Videos und Bilder aufzuzeichnen und diese zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Mitarbeiter und Experte sowie zur Dokumentation des Arbeitsvorgangs zu nutzen. In der Arbeit von vom Stein und Günthner (2017) ist ein KommissionierAssistenzsystem beschrieben mit dem Ziel, die Inklusion von hörbehinderten Bedienern bei Kommissioniertätigkeiten zu ermöglichen. Die Sinnesmodalität Hören und das Sprechen werden bei der MMI vollständig ausgeschlossen oder nur optional verwendet. Obwohl das System deswegen ohne auditive Informationsübertragung auskommen muss, ist es für gesunde Menschen uneingeschränkt nutzbar. Nach der Methode Pick-by-Vision werden monokulare Datenbrillen als MMI-Schnittstelle zur Darstellung von Einblendungen genutzt, die als Markierungen und Hilfestellungen für den aktuellen Arbeitsschritt dienen. Lindner et al. (2017) stellen ein Assistenzsystem vor, das mit Android-fähigen, binokularen Datenbrillen, die als MMI-Schnittstellen genutzt werden, und einer Kommunikationsschnittstelle, die Echtzeit-Maschinedaten und Auftragsinformationen wie z. B. den Maschinenstatus oder die Gesamtanlageneffektivität (engl. Overall Equipment Effectiveness – OEE) von Anlagen anfordert, Informationen verdichtet und visualisiert. Außerdem werden dem Bediener Störungen angezeigt, sodass ein schnelles und effektives Eingreifen möglich ist. Für Einarbeitungen und Wartungsaktivitäten kann darüber hinaus auf eine Bibliothek von spezifischen Video-Anleitungen und Dokumentationen zugegriffen werden.

7.3

Möglichkeiten und Herausforderungen einer Steuerung von FTF mit Datenbrillen

Durch den Einsatz von Datenbrillen zur Steuerung von FTF kann die Datenbrille auch als Assistenzsystem, das dem Bediener digital Informationen bereitstellt und Steuerbefehle für ein FTF entgegennimmt, verstanden werden. Aus der Nutzung der Datenbrillen ergeben sich im Vergleich zu anderen Endgeräten wie Smartphones und Tablets sowie im Vergleich zu den fahrzeuggebundenen Technologien zur sprachund gestenbasierten MMI aus Abschn. 5 und 6 verschiedene Vor- und Nachteile, die im Folgenden erläutert werden. Im Vergleich zur fahrzeuggebundenen MMI hat die bedienergebundene MMI durch eine mobile Datenbrille den Vorteil der Ortsunabhängigkeit. Während sich der Bediener ohne Datenbrille immer im Sichtfeld der am FTF befestigten Kamera befinden muss, kann bei dem System mit Datenbrille die gestenbasierte Steuerung unabhängig von den Positionen von FTF oder anderen Geräten angewendet werden, da die Sensoren zur Erkennung und Interpretation der Gesten vom Bediener mitgeführt werden. Gleichzeitig ergibt sich daraus ein deutlicher finanzieller Vorteil, da die erforderliche Technologie nur einmalig (bzw. einmal pro Bediener) angeschafft werden muss. Sobald die Datenbrille in das FTS integriert wurde, besteht theoretisch die Möglichkeit, alle Fahrzeuge, die über das System koordiniert werden, zu steuern. Je größer die Anzahl der FTF, desto größer ist der wirtschaftliche Vorteil, der sich

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aus der Nutzung einer Datenbrille ergibt. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass in Abhängigkeit von der Häufigkeit von Einsatzfällen und der Einsatzdauer die Anzahl der pro Bediener überwachten Fahrzeuge limitiert sein kann. Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch die Führung der Datenbrille unmittelbar im Sichtfeld des Bedieners. Dadurch kann im Vergleich zu den bisher vorgestellten Methoden die MMI-Schnittstelle zusätzlich als Assistenzsystem für eine Vielzahl anderer Aufgaben wie z. B. die begleitete Instandsetzung von Fahrzeugen, die an eine Transportaufgabe vorangestellte oder angeschlossene Kommissionierung oder die Dokumentation von Störfällen verwendet werden. Die bereitgestellten Informationen können durch eine Datenbrille kontextsensitiv vorselektiert und dem Bediener in einer verbesserten sowie vereinfachten Form zur Verfügung gestellt werden. Außerdem können zur Fehlerdiagnose digitale Informationen angefordert und dargestellt werden. Darüber hinaus wäre potentiell das Einblenden von freien Lagerflächen über ein Lagerverwaltungssystem möglich, während Transportaufgaben abgearbeitet werden. Diesen Vorteil bieten auch andere Endgeräte wie ein Smartphone oder ein Tablet. Der entscheidende Unterscheid ist, dass der Bediener bei der Verwendung einer Datenbrille immer die Hände frei hat, um sie z. B. zur Gestensteuerung eines FTF zu verwenden. In gängigen Systemen werden Kamerasysteme und Bildverarbeitungsalgorithmen zur Identifikation von Gesten für eine gestenbasierte Interaktion verwendet. Da die Bilddaten aus der Egoperspektive des Bedieners aufgezeichnet werden, erfordert die Segmentierung einer Geste viel Rechenleistung. Die Rechenleistung ist in Datenbrillen bis auf einige Ausnahmen sehr limitiert. Dieses Problem kann umgangen werden, wenn die Datenbrille mit einem Kamerasystem ausgestattet ist, das Bildinformationen mit Tiefeninformationen überlagert. Solche Kamerasysteme bestehen entweder aus mehreren Kameras (Stereoskopie) oder aus Kameras, die mit ToF-Sensoren kombiniert sind. Diese Maßnahmen erhöhen jedoch das Gewicht und den Energiebedarf einer Datenbrille. Die größten Schwächen weisen Datenbrillen vor ergonomischen Gesichtspunkten auf. In vielen Fällen sind Datenbrillen schwer oder ihr Gewicht ist nicht gleichmäßig verteilt. Aus diesem Grund kommt es bei einer längeren Verwendung zu einer leicht erhöhten Aktivität der Nackenmuskulatur. Bediener beschweren sich häufig über Kopf- und Nackenschmerzen (Kirchhoff 2016). In vielen Fällen kommt es bei der Anwendung zu Schwindelgefühlen und Übelkeit. Diese Effekte nehmen aber nach der Eingewöhnung ab. Außerdem sind bei Datenbrillen bedingt durch die geringe Beleuchtung der Anzeigen Einblendungen bei hellem Tageslicht im Freien nur eingeschränkt erkennbar. In Produktions- und Logistikumgebungen ist dieser Einflussfaktor in vielen Fällen vernachlässigbar (Theis et al. 2015). Der allgemeine Tragekomfort wird bei längerer Einsatzdauer ebenfalls als negativ empfunden (Kirchhoff 2016). Einen weiteren Nachteil stellt die Einschränkung des Sichtfeldes dar. Je nachdem, was für ein Typ Datenbrille verwendet wird, kann das Sichtfeld des Bedieners stark durch die virtuellen Einblendungen eingeschränkt sein. Ein eingeschränktes Sichtfeld bedeutet insbesondere im intralogistischen Umfeld ein Sicherheitsrisiko. Diesem Problem kann mit Datenbrillen begegnet werden, die mit Sensoren zur Positi-

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onsbestimmung ausgestattet sind. Sobald diese Informationen an ein FTS kommuniziert werden, kann die Gefahr einer Kollision mit FTF über die Leitsteuerung reduziert werden. Eine noch sicherere Lösung bieten Datenbrillen, die ähnlich wie FTF ihre Umgebung mithilfe von optischen Sensoren kartographieren und Objekte in der direkten Umgebung identifizieren. Die Kollision mit anderen Mitarbeitern in der Umgebung des Bedieners kann auf diese Weise nicht verhindert werden. Kirchhoff et al. (2016) führten eine Studie bzgl. des Einflusses von monokularen Datenbrillen auf das menschliche Auge und die Sehleistung durch. Es wurde die Nah- und Fernakkommodation, die Lidschlussrate, die Lidschlussdauer und das Gesichtsfeld nach einem vierstündigen Einsatz untersucht. Bei der Studie konnte jedoch kein nachhaltiger Einfluss von monokularen Datenbrillen auf das menschliche Auge und die Sehleistung nachgewiesen werden.

7.4

Anforderungen an eine Datenbrillen-Steuerung für FTF

In diesem Unterkapitel werden beispielhaft in Anlehnung an Seel et al. (2018) Anforderungen für einen Anwendungsfall beschrieben, bei dem ein FTF sprach-, gesten- und blickbasiert gesteuert und beauftragt werden soll. Das FTF ist mit Hubgabeln ausgestattet, besitzt aber keine konventionellen Elemente zur Steuerung. Die Steuerung soll das Verfahren der Hubgabeln und das Fahren des FTF beinhalten. Es sollen sowohl undefinierte als auch definierte Orte adressiert werden können. Für die gestenbasierte Interaktion ist ein Kamerasystem notwendig, das Bildinformationen mit Tiefeninformationen überlagert, um die erforderliche Rechenleistung für die Gestenerkennung zu reduzieren Diese Anforderung schließt bereits einen Großteil der Datenbrillen aus. Für die blickbasierte Interaktion muss die Datenbrille einen Bewegungssensor enthalten, damit die Blickrichtung des Bedieners erfasst werden kann. Für die Adressierung von undefinierten Orten ist ergänzend zu den Tiefeninformationen des Kamerasystems die Position des Bedieners erforderlich. Zur Positionsbestimmung des Bedieners kann kein globales Navigationssatellitensystem (GNSS) wie z. B. NAVSTAR GPS, GLONASS, Galileo oder Beidou verwendet werden, da die Genauigkeit nicht genügt und die Verbindungsqualität in Lager- und Produktionshallen i. d. R. nicht ausreichend ist. Alternativen bestehen in der Navigation anhand künstlicher und/oder natürlicher Landmarken, wie sie in Ullrich (2013) beschrieben werden. Eine weitere wesentliche Anforderung ist eine hohe Rechenleistung, da die Vielzahl an Sensoren große Datenmengen erzeugen, die in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Bezüglich des Anzeigentyps besteht die Reglementierung, dass das Sichtfeld des Bedieners so wenig wie möglich eingeschränkt wird. Die Verwendung von binokularen Look-around-Anzeigen wird aus sicherheitstechnischen Gründen deshalb ausgeschlossen. Davon abgesehen können sowohl monokulare als auch binokulare Anzeigen genutzt werden, da eine Darstellung von 3D-Modellen nicht notwendig ist. Um die Richtigkeit der an das FTS übermittelten Befehle überprüfen zu können, muss eine auditive oder visuelle Form der Rückmeldung erfolgen. Da auch Orte und FTS, die sich nicht in der direkten Umgebung des Bedieners befinden, adressiert werden sollen, reicht eine

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rein visuelle Rückmeldung nicht aus. Deshalb ist eine auditive Form der Rückmeldung eine notwendige Anforderung und eine visuelle Rückmeldung eine optionale Anforderung. Abschließen muss die Datenbrille mit einem Mikrofon zur sprachbasierten Interaktion und einer Technologie zur drahtlosen Kommunikation mit der Umgebung ausgestattet sein. Diese Komponenten sind in einem Großteil der Datenbrillen verbaut.

7.5

Aufbau eines MMI-Systems mit einer Datenbrille

Aus den definierten Anforderungen in Abschn. 7.4 lässt sich ein Assistenzsystem für eine sprach-, gesten- und blickbasierte Steuerung von FTF entwickeln. In Abb. 24 ist der Aufbau eines derartigen Assistenzsystems schematisch dargestellt. Die Befehlskette für die Steuerung beginnt bei dem Bediener. Der Bediener interagiert über Sprache, Gesten oder blickbasierte Ortszuweisungen mit der Datenbrille. Die Datenbrille fungiert als MMI-Schnittstelle und erfasst die multimodalen Befehle des Bedieners. Gleichzeitig und permanent zeichnet die Datenbrille mithilfe der erforderlichen Sensoren Messdaten auf. Für den hier betrachteten Anwendungsfall werden Geräusch-, Bewegungs-, Bilddaten- und Tiefendatenmessungen vorgenommen. Außerdem kommuniziert die Datenbrille über eine drahtlose Verbindung mit der intralogistischen Umgebung, um digitale Informationen zu empfangen und zu senden. Die Daten aus den beiden Datenquellen (Sensoren und intralogistische Umgebung) werden von der Recheneinheit der Datenbrille in Echtzeit ausgewertet und aufbereitet, um anschließend die Informationen weiterzuleiten. Damit stellt die Recheneinheit einen Flaschenhals des Datenstroms dar. Aus diesem Grund ist eine ausreichend hohe Rechenleistung der Datenbrille entscheidend. Ein Teil der Informationen geht über auditive und visuelle Kanäle an den Bediener zurück. Dieser wird auf diese Weise permanent mit den für ihn relevanten und aktuellen Informationen versorgt. Bei dem anderen Teil der aufbereiteten Informationen handelt es sich um Steuerbefehle für die Leitsteuerung des FTS. Die Leitsteuerung überträgt die Steuerbefehle an ein FTF. Alle FTF können sequentiell von der Leitsteuerung angesprochen werden. Die Fahrzeuge werden vom Bediener adressiert, sodass die Adressierung der Fahrzeuge in den Steuerbefehlen bereits enthalten ist.

7.6

Zusammenfassung

Aktuell bietet der Markt ein großes Sortiment an Datenbrillen, die insbesondere durch Anzeigenform, integrierte Sensoren und zur Verfügung stehende Rechenleistung unterschieden werden können, an. Bei der Auswahl einer Datenbrille ist zu beachten, dass verschiedene Eingabemodalitäten zur Verfügung stehen, die sich je nach Anwendungsfall mehr oder weniger eignen. In komplexeren Fällen müssen Modalitäten kombiniert werden, um bzgl. Sicherheit, Effizienz und Ergonomie die effektivste MMI-Lösung zu erreichen.

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Abb. 24 Aufbau eines Assistenzsystems für die Steuerung von FTF mithilfe einer Datenbrille als MMI-Schnittstelle

Vor allem im Bereich der Instandhaltung, Reparatur, Wartung und Kommissionierung wurden Assistenzsysteme, die eine Datenbrille als MMI-Schnittstelle nutzen, zumindest in prototypischer Form erfolgreich realisiert. Der Aufbau eines Assistenzsystems, das eine Datenbrille als MMI-Schnittstelle nutzt, um FTF zu beauftragen und zu steuern, zeichnet sich durch eine umfangreiche Ausstattung an Sensoren und eine hohe Rechenleistung aus. Die vollständige Erfassung der Umgebung des Bedieners und die Verarbeitung des Datenstroms in Echtzeit sind dabei von entscheidender Wichtigkeit. Datenbrillen zeichnen sich beim Einsatz in der Produktions- und Logistikumgebung durch eine Vielzahl an Vorteilen aus. Durch die sprach-, gesten- und blickbasierte Interaktion benötigt der Bediener keine zusätzliche Qualifikation, um das Assistenzsystem bedienen zu können. Auf diese Weise löst sich die betriebliche Abhängigkeit von speziell ausgebildeten Fachkräften oder FTS-Herstellern. Eine Datenbrille ist mobil und am Kopf eines Bedieners befestigt, sodass die Hände des Bedieners frei für andere Tätigkeiten sind. Das ermöglicht dem Bediener außerdem, das Assistenzsystem ortsflexibel einzusetzen und kontextbezogene Betriebsinformationen vorselektiert, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort abzurufen. Im Bereich

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der Intralogistik könnte bspw. ein Bediener, der gerade über das Assistenzsystem ein FTF steuert, über die Datenbrille eine digitale Karte des Lagersystems aufrufen, um nach freien Lagerflächen zu suchen. Die Integrierbarkeit eines derartigen Assistenzsystems ist hoch und der finanzielle Aufwand niedrig, da benötigte Hardware in der Datenbrille bereits inkludiert ist und FTF nicht modifiziert werden müssen. Nachteile bei der Nutzung von Datenbrillen liegen z. B. in der Ergonomie, da die Datenbrille i. d. R. zu schwer oder ihr Gewicht nicht gleichmäßig verteilt ist. Außerdem stellen Datenbrillen bei der Verwendung von Anzeigetypen, die die Sicht des Bedieners stark einschränken, ein Sicherheitsrisiko dar. Im Einsatz zur Steuerung und Beauftragung von FTF werden Datenbrillen in Zukunft ein intuitives Eingreifen in den automatisierten Ablauf von mehreren FTF ermöglichen. Der Bediener ist bei seinem Einsatz ortsflexibel und wird nach Bedarf mit für ihn vorselektierten Betriebsinformationen versorgt. Auf diese Weise können z. B. Betriebsstörungen schneller behoben oder außerroutinemäßige Transportaufgaben einfacher durchgeführt und somit die operative Effizienz eines FTS im Allgemeinen gesteigert werden.

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Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von Industrie 4.0 Jens Schaffer und Maira Weidenbach

Zusammenfassung

Skalierbarkeit und höchste Flexibilität gehören zu den wesentlichen Anforderungen an ein zeitgemäßes Fahrerloses Transportsystem (FTS). Insbesondere die dezentrale Organisation des Gesamtsystems ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Die effiziente Umsetzung ermöglicht ein agentenbasierter Ansatz auf Basis der Eigenschaften von Schwarmintelligenz. In diesem Beitrag werden zunächst die notwendigen Eigenschaften eines FTS im Umfeld von Industrie 4.0 erarbeitet. Diese werden dann bei der Analyse einer bestehenden technischen Lösung zur Anwendung gebracht, um die bestehenden Eigenschaften sowie das zukünftige Potenzial zu beleuchten.

1

Einleitung

Die grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Gesamtkonzeptes „Industrie 4.0“, Vernetzung, Informationstransparenz, technische Assistenz und dezentrale Entscheidungen (Herrmann et al. 2016), sind, bezogen auf innerbetriebliche Materialflussprozesse und Transport, zu großen Teilen wesentliche Merkmale der technischen Lösung agentenbasierter FTS. Technische Assistenz Einfache Transportaufgaben werden, abhängig von Parametern wie Gewicht, Distanz, Geschwindigkeit bzw. Versorgungsfrequenz, seit Jahrzehnten nicht mehr J. Schaffer (*) YesCon Consulting, Bielefeld, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Weidenbach (*) SAFELOG GmbH, Markt Schwaben, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_100

143

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J. Schaffer und M. Weidenbach

rein manuell durch Mitarbeiter ausgeführt, sondern motorisch unterstützt durch angetriebene Flurförderzeuge. Bei sich wiederholenden Prozessen auf festen Routen oder Alternativrouten mit geringer Komplexität bestand der nächste Innovationsschritt in der Automatisierung der Transportprozesse mit Hilfe fahrerloser Systeme, die durch unterschiedliche Spurführungstechnologien (mechanisch, magnetisch, optisch etc.) entlang vorgegebener Routen geführt werden können. Vernetzung Auf dieser Technik aufbauend war es damit möglich, mehrere Fahrzeuge zu einer Gruppe zu verbinden, die mit Hilfe einer zentralen Steuerung logistisch komplexere Aufgaben ausführen kann. Die Kommunikation mit angrenzenden Prozessen sowie die Kontrolle der Transportprozesse auf Basis entsprechender Algorithmen erfolgt dabei grundsätzlich über den zentralen Leitstand. Informationstransparenz Durch die sensorische Erfassung von Umgebungsbedingungen (Beladung, Position, Hindernisse etc.) und die Kommunikation mit angrenzenden Prozessen und Systemen (Übermittlung von Transportbedarfen an logistischen Quellen oder Senken) sowie – über entsprechende Schnittstellen – mit dem Anwender kann durch simultanes Austauschen der relevanten Daten die notwendige Informationstransparenz geschaffen werden. Diese Transparenz (gleichzeitige Verfügbarkeit der Information an verschiedenen Stellen des Gesamtsystems) bildet die Grundlage für das Treffen dezentraler Entscheidung. Dezentrale Entscheidungen Den aktuellsten Evolutionsschritt in Richtung „Industrie 4.0“ stellt die agentenbasierte dezentrale Steuerung dar, mit deren Hilfe die Einheiten des Gesamtsystems Transportaufgaben autonom abwickeln. Dies ermöglicht es den in einer Gruppe verbundenen Fahrzeugen, sich im Sinne einer Schwarmintelligenz eigenständig ohne externe zentrale Steuerung zu organisieren.

2

Schwarmintelligenz

Künstliche Intelligenz (KI) befasst sich als Zweig der Kognitionswissenschaft mit der Möglichkeit der Übertragung mentaler Prozesse auf Computer (Binder et al. 2009). Als Teilgebiet der KI befasst sich Schwarmintelligenz (SI) mit der Entwicklung spezifischer Multi-Agenten-Systeme (MAS). Ziel des MAS ist es, ein bestimmtes oder gewünschtes Verhalten durch einen Schwarm unabhängiger, kooperativer Einheiten zu erzeugen – inspiriert durch das kollektive Verhalten sozialer Insekten oder anderer Tiergesellschaften. In der Natur können Interaktionen zwischen vielen einfachen Individuen zu gesamtheitlich koordiniertem Verhalten führen. Es ist dabei nicht erforderlich, dass einzelne Entitäten das gemeinsame globale Ziel kennen. Effiziente Kommunikation reicht aus, um auch komplexere Aufgaben zu lösen. Typische Beispiele für ein globales Ziel sind Nahrungssuche oder Migrationsbewegungen. Bei den

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verschiedenen Arten sind Kommunikations- und Interaktionsmechanismen vielfältig, wobei das grundsätzliche Konzept ähnlich ist (Beekman et al. 2008). Der Begriff Schwarm bezeichnet umgangssprachlich einen mobilen Verband fliegender oder schwimmender Lebewesen. Daher erscheint es zunächst sinnvoll, den Ursprung von SI in der Biologie zu suchen. Doch auch im Bereich der Physik finden sich Beispiele systematischer zielgerichteter Interaktion einzelner Einheiten ohne zentrale Steuerung. (Spears und Spears 2012).

2.1

Physikalische Herleitung

Eine Möglichkeit im Rahmen der physikalischen Herangehensweise ist die Übertragung des Verhaltens einzelner Partikel innerhalb einer Gesamtmenge (zum Beispiel Partikel eines Gases) auf die Interaktion innerhalb eines Schwarms agierender Roboter. Wenn ein Gas, das schwerer ist als normale Luft, in einem Raum freigesetzt wird, fällt es leicht zu Boden. Auf seinem Weg wird es um Hindernisse herumfließen und schließlich den Boden auch unter diesen bedecken. Das aus einzelnen Molekülen bestehende Gas löst hiermit das Problem der maximalen Abdeckung. Auf dieser Basis kann der Gasmodellansatz von Physikern auf einen Schwarm von Robotern angewendet werden, um ein beliebiges Problem der maximalen Abdeckung zu lösen (Kerr 2012). Ein praktischer Anwendungsfall wäre eine industrielle Produktion mit verschiedenen unabhängigen Fertigungszellen, die mit Material und Leergut versorgt werden sollen. Wenn diese keine konstante Ausbringung an Fertigteilen aufweisen (z. B. verursacht durch Ausschuss oder Störungen), ist es erforderlich, FTS mit einem bestimmten Aktionsradius derart auf der gesamten Fertigungsfläche zu verteilen, dass die Reaktionszeit möglichst kurz ist – unabhängig davon, wann und von welcher Fertigungszelle eine Transportanfrage eingeht.

2.2

Biologische Herleitung

Während sich die Physik mit Teilchen auf atomarer Ebene beschäftigt, finden sich in der Biologie Beispiele lebender Organismen. Soziale Insekten wie Ameisen oder Termiten verfügen über erstaunliche Fähigkeiten zur Lösung gewöhnlicher Überlebensprobleme (Nahrungssuche, Aufbau von Nestern oder dynamische Verteilung von Aufgaben). Aber auch Säugetiere, Fische oder Vögel leben in Gesellschaften, die Mechanismen kollektiver Intelligenz aufweisen. Die Koloniegröße kann zwischen wenigen Tieren und Millionen von Individuen liegen (Garnier et al. 2007). Besonders Bienen werden häufig beobachtet und analysiert, da sie auch zur Klasse der sozialen Insekten gehören. Aufgrund ihrer Größe können Bienen leicht markiert werden, was eine Unterscheidung der Individuen einfach macht. Es wurde festgestellt, dass Bienen immer eine bestimmte Art haben, ihre Waben zu organisieren. Dennoch steuert und kontrolliert die Königin nicht andere Bienen, sondern Entscheidungen werden dezentral getroffen (Beekman et al. 2008).

146

J. Schaffer und M. Weidenbach

Die biologische Forschung zur Schwarmintelligenz konzentriert sich hauptsächlich auf soziale Insekten, doch auch intelligentes Verhalten von Säugetieren kann Entwicklungen zur SI inspirieren.

2.3

Optimierung und Automatisierung als Anwendung

Abb. 1 konkretisiert verschiedene Ansätze der SI in den zwei Hauptanwendungsbereichen Optimierung und Automatisierung. Mögliche Methoden zur Optimierung (grün) können entweder in mathematischen Ansätzen oder Heuristiken liegen. Letztere können auf Statistiken basieren oder sich von der Natur inspirieren lassen. Bioinspirierte Ansätze können auf evolutionären Ansätzen oder SI basieren. In blau hervorgehoben sind Spezifikationen der Automatisierung. Im Allgemeinen kann die Automatisierung in physische und nicht-physische Ansätze unterschieden werden. Die physische Automatisierung kann durch Verwendung eines leistungsstarken und ausgereiften Roboters oder mehrere zusammenwirkende Systeme erreicht werden. Die Steuerung kann dabei zentral oder dezentral erfolgen. Schwarmintelligenz ist dabei eine Strategie, eine verteilte Steuerung zu realisieren. Biologen und Roboterspezialisten sind die wichtigsten Akteure bei der Erforschung der Schwarmintelligenz. In der Robotik werden Schwärme als Konstrukte betrachtet, die ein Muster erzeugen (Beni 2004). „Ein Muster ist eine Art Thema von wiederkehrenden Ereignissen oder Objekten“ (Vescio 2013).

Abb. 1 Schema der Beziehung zwischen SI und den beiden Hauptanwendungen: Optimierung und Automatisierung nach (Slowik und Kwasnicka 2018)

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Diese Muster können entweder intern als Selbstorganisation oder extern als Selbstreproduktion klassifiziert werde (Beni 2004). Biologen teilen diese Ansicht, betrachten den Schwarm aber noch mehr als optimierendes Konstrukt im Hinblick auf Effizienz und Effektivität (Beni 2004). Dies erklärt, warum viele Algorithmen, die von sozialen Tieren inspiriert sind, als SI-Optimierungsalgorithmen betrachtet werden.

2.4

Robotik für Automatisierung basierend auf Schwarmintelligenz

Die Schwarmrobotik ist ein Ansatz zur Gestaltung skalierbaren und robusten kollektiven Verhaltens eines gesamten Schwarms, nicht nur einzelner Roboter. Dabei können verschiedene Verhaltensweisen in Roboterschwärmen beobachtet werden (Brambilla et al. 2013): • Aggregation Das Ziel der Aggregation ist die Gruppierung aller Roboter des Schwarms in einer bestimmten Region. Dieses Verhalten kann beispielweise bei Bakterien, Bienen und Pinguinen gefunden werden. • Musterbildung Musterbildung in Robotersystemen kann beobachtet werden, wenn Roboter einen bestimmten Abstand zueinander einhalten. Ein biologisches Beispiel ist die räumliche Anordnung von Bakterienkolonien. Ein physikalisches Beispiel sind Kristallformationen. • Kettenbildung Bei der Kettenbildung richten sich Roboter sich zwischen zwei Punkten aus und verbinden diese miteinander. Dies kann für die kontinuierliche räumliche Überwachung oder Navigation nützlich sein. Die Kettenbildung ist durch die Suche von Ameisen inspiriert. • Selbstorganisation Selbstorganisation ist der Prozess, bei dem sich Roboter physisch miteinander verbinden. Dies erhöht zum einen die Stabilität beim Durchqueren von schwierigem Gelände und kann zum anderen die Kraft erhöhen, Massen zu bewegen, die für einen einzelnen Roboter zu groß sind. Dieses Verhalten kann bei Ameisenkolonien beobachtet werden, die Brücken, Flöße oder Mauern bilden.

2.4.1 Eigenschaften von Schwarmsystemen in der Robotik Die Hauptmerkmale von Schwarm-Robotersystemen sind: Robustheit, Skalierbarkeit und Flexibilität (Sahin und Winfield 2008; Beni 2004; Brambilla et al. 2013; Sahin et al. 2008). Diese Eigenschaften sollen im Folgenden näher betrachtet und analysiert werden.

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J. Schaffer und M. Weidenbach

Robustheit Das System muss funktionsfähig sein, ohne durch geringfügige Störungen von der Umgebung oder von Systemelementen mit Fehlfunktionen beeinträchtigt zu werden. Die folgenden Eigenschaften tragen dazu bei, Robustheit zu gewährleisten: • Einfachheit Jeder Agent ist relativ einfach und nicht für eine bestimmte Aufgabe vorbelegt und kann somit leicht ausgetauscht oder aus dem Schwarm entfernt werden. Inspiration: Insekten können zwar, absolut betrachtet, kognitive und kommunikative Fähigkeiten besitzen, sind jedoch relativ einfache Individuen. Ein einzelnes Insekt kann selbst keine effiziente Lösung für ein Kolonieproblem, wie eine gute Nestauswahl oder optimale Nahrungswege, finden. Wenn ein Insektenschwarm ein Individuum verliert, ändert sich nichts am Verhalten des gesamten Schwarms (Garnier et al. 2007). • Homogenität Ein Schwarm ist quasi homogen, d. h. Individuen können unterschiedliche Eigenschaften und Formen besitzen, sind aber vom gleichen Typ. Dies erleichtert die Substitution von Individuen. Inspiration: In einem Bienenschwarm können sowohl Arbeiterinnen und männliche Drohnen gefunden werden als auch eine Königin. Diese drei Arten von Bienen sind von Natur aus unterschiedlich strukturiert und haben daher unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Ein Bienenschwarm besteht jedoch nur aus Bienen und nicht aus anderen Fluginsekten wie Wespen oder Hummeln (v. Frisch 1977). • Dezentrale Kontrolle Nicht ein einzelner Agent trifft alle Entscheidungen, sondern alle oder zumindest alle jeweils betroffenen. Somit existiert kein einzelner Fehlerpunkt. Auch wenn Teile des Systems ausfallen, bleibt der Rest weiterhin funktionsfähig. Inspiration: Ameisen und Termiten verlassen sich auf ihren Schwarm. Sie können als Einzelwesen nicht überleben. Daher müssen sie kollektive Entscheidungen treffen, etwa darüber wo sie suchen, welches neue Nest am besten ist etc. Diese Entscheidungen werden dezentral getroffen. Ameisen verwenden beispielsweise Pheromone, Gruppenlauf oder andere Mechanismen als Schwarmstrategien (Beekman et al. 2008). • Selbstreparatur Bei Verlust von Individuen können sich Schwärme automatisch anpassen und reorganisieren. Die verbleibenden Agenten agieren so effizient wie zuvor. Inspiration: Die Bienenkönigin ist für die Zucht des Nachwuchses verantwortlich. Sie ist die einzige fruchtbare Biene im Schwarm. Es gibt immer nur eine Königin. Wenn diese Königin den Schwarm verlässt, um eine neue Kolonie zu gründen, bleibt die alte Kolonie ohne Königin zurück. Um den alten Schwarm am Leben zu erhalten, brüten die übrigen Bienen eine neue Königin aus (v. Frisch 1977). Flexibilität Ein Schwarm kann in verschiedenen Umgebungen unterschiedliche Aufgaben bewältigen, indem er sein Verhalten koordiniert.

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• Vielfältige Aufgaben Ein Schwarm ist nicht auf eine einzige Aufgabe spezialisiert, sondern kann zahlreiche verschiedene Aufgaben übernehmen. Inspiration: Um zu überleben, müssen Ameisen effizient Nahrung finden können und ggf. ihre Nester verlegen. Sie können aufgrund unterschiedlicher Koordinierungsstrategien auch große Beute oder andere Ameisen tragen und bestimmen, wann sie sich vermehren müssen (Beekman et al. 2008). • Asynchrones Verhalten Jeder Agent ist unabhängig von allen anderen. Auch wenn sie synchron handeln können, ist das Verhalten anderer dafür keine zwingende Voraussetzung. Inspiration: Bei der Suche nach Honig werden andere Bienen mit einem sogenannten Wackeltanz geführt. Im Wackeltanz sind die Richtung und die Entfernung zum Ziel kodiert. Zusätzlich ist die Qualität des Futterplatzes verschlüsselt. Es können mehrere Tänze zur selben Zeit stattfinden. Sie können unterschiedlich sein, wenn die Bienen verschiedene Plätze gefunden haben. Dies ist nur möglich, wenn sich die Bienen asynchron verhalten (Beekman et al. 2008). Skalierbarkeit Die Gruppengröße beeinflusst die Leistung des Schwarms nicht entscheidend (Sahin et al. 2008). Ein Schwarm kann in verschiedenen Gruppengrößen gute Leistungen erzielen. • Lokale Interaktion Jedes Gruppenmitglied kann mit anderen in einem bestimmten Bereich interagieren oder kommunizieren. Entweder hinterlassen sie in einem bestimmten Bereich temporäre Marker oder sie kommunizieren direkt mit ihrem Nachbarn. Inspiration: Bei Termiten hängen Bautätigkeiten hauptsächlich von der Neststruktur ab und nicht von den Arbeitern selbst. Informationen zur lokalen Umgebung leiten die Tätigkeit eines einzelnen Arbeiters. Der Arbeiter gestaltet das Umfeld und beeinflusst und spezifiziert die Arbeit der nächsten Termite, die an der entsprechenden Stelle arbeitet. Lokale Änderungen in der Umgebung lösen bestimmte zukünftige Änderungen aus (Garnier et al. 2007). • Selbstorganisation Wenn Schwärme zentral oder zufällig platziert werden, können sie sich selbst organisieren, d. h. sie formieren sich neu, um ihre Aufgaben zu erledigen. Inspiration: Bienen, die in einen zufällig vorbereiteten neuen Stock verlegt werden, werden die Bienenwaben kontinuierlich an ihr bekanntes Muster anpassen. Jede Biene wird ihre Aufgabe erfüllen, auch wenn sie in eine neue Umgebung verlegt wird (Beekman et al. 2008).

2.4.2 Schwarmintelligenz bei Robotersystemen Der Begriff der Intelligenz ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert (Bringsjord 1992; Dretske 1993; Mulgan 2014). Eine Annäherung über die Wortherkunft aus

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J. Schaffer und M. Weidenbach

dem französischen im späten 14. Jahrhundert führt zu einer Definition „die höchste Fähigkeit des Geistes ist seine Kapazität, allgemeine Wahrheiten zu verstehen“ (Online Etymology Dictionary 2018). Diese Eigenschaft lässt sich nur schwer auf Roboter übertragen. Manchmal wird KI als „die Kunst Maschinen zu bauen, die Aufgaben erfüllen, die, wenn sie von Menschen ausgeführt werden, Intelligenz erfordern würden“ beschrieben (Ratsch und Stamatescu 1998). Das klingt plausibel und anwendbar auf Robotersysteme, erklärt allerdings noch nicht, was Intelligenz ist. 1950 entwickelte Alan Turing (1950) den heute bekannten Turing-Test, der feststellen soll, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen hat. Für diesen Test ging Turing von der Voraussetzung aus, dass Menschen intelligent sind. Wenn eine Maschine das gleiche nicht mechanische Verhalten wie der Mensch zeige, könne diese ebenfalls als intelligent betrachtet werden. Im Laufe des Tests führt ein Mensch eine Kommunikation mit einem Menschen und einer Maschine durch. Wenn er nach dem Gespräch nicht unterschieden kann, wer Mensch und Maschine war, dann wird der Maschine Intelligenz zugeschrieben (Hodges 2009). SI erfordert jedoch wie beschrieben keine intelligenten Individuen. Daher ist der Turing-Test auf dieses Konzept nicht anwendbar. Bei SI geht es nicht um individuelle Intelligenz, sondern um intelligentes Verhalten der Gruppe. Daher wird häufig der Begriff „kollektive Intelligenz“ verwendet. Der Begriff bezieht sich auf das Auftreten von Intelligenz innerhalb einer Gruppe, jedoch nicht durch die einfache Aggregation von individueller Intelligenz (Malone 2012; Mulgan 2014).

3

Wesentliche Komponenten von FTF in Schwarmanwendungen

3.1

Der Agent

Es gibt viele verschiedene Definitionen eines Agenten, aber im Allgemeinen wird damit eine Entität beschrieben, die in der Lage ist, ihre Umgebung zu erfassen und mit ihr zu interagieren, um die eigenen Ziele zu erreichen. Die Umgebung kann entweder die reale physische Welt oder auch eine virtuelle sein (Rizk et al. 2018). Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) beschreibt Agenten als gekapselte Systeme, die durch spezifizierte Ziele andere technische Systeme kontrollieren können. Die Agenten werden so konzipiert, dass sie ihre Ziele durch autonome Interaktion mit der Umwelt und anderen Agenten erreichen. Autonomie heißt in diesem Fall, dem Agenten die Kompetenz zu geben, seine eigenen internen Zustände zu kennen und auswerten zu können. Er kann dadurch auf Basis seines eigenen Wissens und damit verbundenen möglichen Aktionen über seine nächste Reaktion entscheiden (VDI 2018). Generell besitzt ein Agent immer Sensoren, um seine Umwelt wahrzunehmen, und Aktoren, um diese zu manipulieren. Eine Steuerungseinheit verbindet

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Abb. 2 Schematisches Konzept eines Agenten

diese beiden (siehe Abb. 2). Agenten können in zwei Hauptkategorien unterschieden werden: Software-Agenten und Physikalische Agenten.

3.1.1 Software-Agent Ein Teil einer Software, der autonom handeln kann, wird auch als Software-Agent beschrieben. Antoniou und van Harmelen definieren einen Software-Agenten als autonome und vorausschauende Software und ziehen den metaphorischen Vergleich zu einem Assistenten. Ein persönlicher Web-Assistent kennt die Präferenzen des Nutzers und verwendet diese Informationen, um mögliche Lösungen für eine Problemstellung (z. B. Priorisierung von Transportaufträgen, kürzeste Route, schnellste Route etc.) zu finden. Dazu muss mit verschiedenen anderen Software-Agenten interagiert und es müssen verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Am Ende wird dem Nutzer unter den gegebenen Voraussetzungen eine möglichst gute Lösung für sein Problem präsentiert (Antoniou und van Harmelen 2004). Software-Agenten sind dafür konzeptioniert, sowohl mit menschlichen Nutzern als auch mit anderen Software-Anwendungen zu interagieren und dabei ohne externe Kontrolle auszukommen. Die Foundation for Intelligent Physical Agents (FIPA) bezeichnet Autonomie auch deshalb als notwendige Eigenschaft eines Agenten (Breitman et al. 2007). 3.1.2 Physischer Agent In der wirklichen bzw. physischen Welt sind Agenten reale Objekte, die mit tatsächlicher (aus verschiedenen Modulen aufgebauter) Hardware ausgestattet sind. Mit Hilfe von sensorischen Modulen wird die Umwelt erfasst und mit Aktoren kann sie manipuliert

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werden. Ein weiteres Modul wird benötigt, um die eingehenden Informationen zu verarbeiten, die zielführenden Schritte zu berechnen und die nächste Aktion auszuführen (Julián und Carrascosa 2008). Da diese Agenten nur mit Agenten in ihrer Umgebung interagieren können, muss die Steuerung lokal erfolgen (Spears et al. 2005).

3.1.3 Beispiele für Agentenarchitektur Unabhängig davon, ob es sich um einen Software oder einen Physischen Agenten handelt, ist das zentrale Modul von Bedeutung. Diese Kontrolleinheit definiert, wie empfangene Informationen verarbeitet und interpretiert werden. Die Umsetzung ist deshalb vollständig von den Aufgaben, die ein Agent lösen soll, abhängig. Es ist wichtig, ob der Agent lediglich flexibel agieren soll oder sich sogar an eine sich ändernde Umwelt anpassen muss. Die drei folgenden Agentenarchitekturen sind die verbreitetsten. Darüber hinaus gibt es aber noch sehr viele weitere Ansätze. Reaktive Agenten haben keine vordefinierten Ziele. Sie reagieren aufgrund der eingehenden Informationen aus ihrer Umwelt und ihrer eigenen internen Zustände (Alechina et al. 2010; Shehory und Sturm 2014a). Die Steuerungseinheit kann deshalb auch über eine Finite State Machine (FSM) beschrieben werden, die zusätzlich an eine Speichereinheit angebunden ist (Kefalas 2002). Rationale Agenten haben Ziele und können im Vergleich zu reaktiven Agenten Entscheidungen treffen. Sie besitzen eine Datenbasis mit verschiedenen ausführbaren Aktionen und können berechnen, welche dieser Aktionen die vielversprechendste ist, um ihr Ziel zu erreichen. Der Kernaspekt von Rationalität ist hierbei, dass der Agent seine Entscheidungen aus einem bestimmten Grund heraus trifft. Aus einer abstrakten Sicht sind Belief–Desire–Intention (Glauben, Wünsche, Absichten) weitere Schlüsselbegriffe. Der Glauben beschreibt dabei die interpretierten Informationen aus der Umgebung des Agenten. Die Wünsche stehen für die Ziele und die Absichten beschreiben die intrinsische Wahl der nächsten Aktion, um einem Teilziel näher zu kommen (Bordini et al. 2010). Kognitive Agenten sind konzipiert, um nicht nur ihre Umgebung wahrzunehmen und zu interpretieren, sondern auch, um aus vergangenen Situationen zu lernen, Ergebnisse von anderen Events vorherzusagen und sich an verändernde Gegebenheiten anzupassen. Viele Versuche zielen darauf ab, die Kognition von menschlichen kognitiven Fähigkeiten abzuleiten. Dadurch ist es für die Menschen auch einfacher, diese Agenten zu verstehen und ihr Verhalten nachzuvollziehen. Grundlegend für kognitive Agenten ist die Fähigkeit, nicht nur mit aktuellen Situationen umzugehen, sondern auch mit zukünftigen Szenarien (Vernon 2014).

3.2

Multi-Agenten-Systeme

Die Kombination aus mehreren miteinander agierenden Agenten resultiert in einem Multi-Agenten-System (MAS). Agenten innerhalb dieses Systems müssen ihre Aktionen und Fähigkeiten koordinieren, um erfolgreich zu sein (Nagwani 2009). Die Ziele der einzelnen Agenten können entweder übereinstimmen oder auch Konflikte hervorrufen, dementsprechend können die Interaktionen positiv oder

Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von . . .

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negativ sein. Kollektive oder kooperative Interaktionen werden als positiv eingestuft. Im ersten Fall müssen die Agenten nichts von der Präsenz der anderen Agenten wissen, aber sie teilen das gleiche Ziel. Dies ist zum Beispiel bei der Nahrungssuche sehr hilfreich. Bei der kooperativen Interaktion kennen sich die Agenten untereinander und können somit zum Beispiel Erkundungsmissionen oder Such- und Rettungsaktionen effektiv zusammen durchführen. Wenn Agenten nicht die gleichen Ziele verfolgen, sich aber gegenseitig unterstützten, sodass jeder sein eigenes Ziel erreichen kann, wird dies als kollaborative Interaktion beschrieben. Koordiniert ist eine Interaktion, sobald kollaborativ interagiert wird, um Ressourcen optimal zu nutzen oder um Störungen zu reduzieren. Negative Interaktion kann durch Ressourcenknappheit oder Zielkonflikte forciert werden (Rizk et al. 2018). Die Architekturstile für ein MAS können über die Ausprägung von zwei Eigenschaften charakterisiert werden: Koordination und Kontrolle. Die Koordination kann synchron sein, dann agieren die Agenten gleichzeitig. Oder sie kann asynchron sein. Asynchrone Koordination beschreibt eine kontinuierliche Interaktion zwischen den Agenten, da die einzelnen Aktionen nicht aneinander gebunden sind. Kontrolliert werden kann die Interaktion entweder mit Hilfe einer zentralen Instanz oder komplett verteilt. Je nachdem, in welchem Kontext das MAS eingesetzt wird, ist der eine oder andere Architekturstil passender (Davidsson et al. 2006). Die Offenheit eines Systems beschreibt die Möglichkeit, neue Agenten in ein bestehendes MAS zu integrieren oder einzelne Agenten zu entfernen. Dies ist keine notwendige Charakteristik eines MAS, kann aber sehr sinnvoll sein (Shehory und Sturm 2014a). In (Shehory und Sturm 2014b) werden drei verschiedene Formen von Offenheit präsentiert. • Dynamische Offenheit Agenten können das System dynamisch betreten oder verlassen. Dies kann zu jeder Zeit, auch zur Laufzeit, passieren, ohne dass eine explizite Information an die anderen Agenten nötig ist. Damit ist das System hoch flexibel, es kann sich an Veränderungen der Aufgaben, der Umwelt oder der Ressourcen anpassen. Jedoch ist das Design der Interaktion zwischen den Agenten innerhalb des MAS nicht trivial, direkter Nachrichtenaustausch ist kompliziert. • Statische Offenheit Agenten können dynamisch das System verlassen oder betreten, allerdings muss hierbei eine Notifikation an die anderen Agenten im MAS gesendet werden oder es muss eine vorher festgelegte Liste mit möglichen hinzukommenden Agenten geben. Diese Einschränkung reduziert zwar die Komplexität des Designs, vermindert aber zeitgleich die Flexibilität. Vorteilhaft kann dies in einem Umfeld sein, welches sich nur langsam und voraussagbar verändert. • Offline-Offenheit Dies ist die restriktivste Form. Agenten können das System nur betreten oder verlassen, wenn dieses offline ist. Dabei werden die Verbindungsdaten aktualisiert und das System muss neu gestartet werden. Die Flexibilität wird dadurch stark eingeschränkt, aber das Gesamtsystem vereinfacht, da es keine Veränderungen zur Laufzeit betrachten muss.

154

3.3

J. Schaffer und M. Weidenbach

Inter-Agenten-Kommunikation

Kommunikation ist in einem MAS essenziell, um Interaktionen zwischen verschiedenen Agenten zu realisieren. Dafür müssen Nachrichten in einem verständlichen Format ausgetauscht werden. Hierbei wird zwischen direkter und indirekter Kommunikation unterschieden. Bei der direkten Kommunikation sendet ein Agent eine Nachricht direkt an einen bekannten und bestimmten Agenten. Soll die Nachricht an mehrere Agenten gehen, müssen so viele Nachrichten verschickt werden wie es Empfänger gibt. Mit jeder Nachricht ist also die Absicht verbunden, etwas beim Empfänger auszulösen, sei es eine erwartete Antwort oder eine andere Information, die zu einer Handlung auffordert. Motivation für eine direkte Kommunikation ist es, einen zuverlässigen Weg für den Informationsaustausch zu haben, ohne die Umwelt interpretieren zu müssen. Allerdings kann es die empfangenen Agenten in ihrer Autonomität einschränken, da diese strikt nach den Protokollregeln der hereinkommenden Nachricht handeln müssen. Des Weiteren wird eine spezifizierte Sprache benötigt. Zurzeit sind zwei verbreitete Sprachen gebräuchlich: die KQML (Knowledge Query and Manipulating Language) und die FIPA ACL (Agent Communication Language) (Huget 2014). Die indirekte Kommunikation nutzt die Umgebung des Agenten als Nachrichtenträger. Ein Agent platziert somit seine Nachricht in der Umwelt und jeder Agent, der sich in der Nähe befindet, kann diese Nachricht empfangen und diese dann frei interpretieren. Damit wird allerdings stark eingeschränkt, wer die Nachricht überhaupt lesen kann. Außerdem kann sie eine vordefinierte Größe nicht überschreiten (Huget 2014). Des Weiteren wird auch noch zwischen horizontaler und vertikaler Kommunikation unterschieden. Dies ist von der hierarchischen Organisation des MAS abhängig. Horizontale Kommunikation findet zwischen Agenten statt, die sich auf denselben hierarchischen Ebenen befinden. Sobald es verschiedene Ebenen gibt, wird die Kommunikation unter Agenten von verschiedenen Ebenen als vertikal beschrieben (Beigi und Mozayani 2016).

4

Agentenbasierte FTS – Fallbeispiel Safelog

In der praktischen, industriellen Anwendung wird die überwiegende Anzahl der verfügbaren FTS-Modelle über einen zentralen Leitstand gesteuert. Zu den ersten Anbietern autonom agierender Systeme in industriellem Maßstab gehört die Safelog GmbH. Diese deckt mit agentenbasierter Steuerungstechnologie das breiteste Spektrum an Traglasten und Zuglasten ab (Staplerworld 2019). Im Folgenden sollen die technischen Lösungen der Safelog GmbH detaillierter betrachtet werden. Die Safelog GmbH ist ein deutsches Unternehmen, welches integrierte Logistiklösungen anbietet. Sie wurde 1996 in der Nähe von München gegründet. Beginnend mit der Wartung von Prüfständen in der Automobilindustrie gingen die Gründer zu Pick-by-Light-Systemen über, die es den Mitarbeitern ermöglichten, einfache Kommissionieraufgaben möglichst fehlerfrei durchzuführen. Auf der Grundlage des kon-

Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von . . .

155

tinuierlichen Wachstums des Unternehmens entwickelte Safelog weitere Produkte zur Automatisierung von Logistikprozessen, u. a. 2014 das automated guided vehicle (AGV). Im Jahr 2018 positionierte sich Safelog damit auf dem internationalen Markt. Die AGV werden in Produktionsstätten in Europa und den USA eingesetzt.

4.1

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) ohne zentrale Kontrolle

Die industrielle Produktion des 21. Jahrhunderts wird in vielen Bereichen durch automatisierte Fertigungsprozesse geprägt. Gerade bei statischen und eher einfacheren Aufgaben wird die menschliche Arbeitskraft zunehmend durch Maschinen und Roboter ersetzt. Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) übernehmen häufig den Materialtransport innerhalb von Fabriken, zumeist von Lagern zu Produktionslinien oder anderen Zielpunkten (Tasci et al. 2017). Allerdings beschränkt sich der Nutzen von FTF nicht nur auf intralogistische Prozesse, sondern sie werden z. B. auch für die Krankenhausautomatisierung eingesetzt (Bubeck et al. 2014). Durch eine interne Energiespeichereinheit ist das FTF hochflexibel und nicht abhängig von dauerhafter externer Stromversorgung. Dadurch unterstützen sie das Ideal dynamischer Fertigungsprozesse (Ganesharajah et al. 1998). Die ersten FTS wurden um 1950 installiert und nutzten zur Streckenführung induktive Leitungen im Boden (Tasci et al. 2017). Das erste Großprojekt, welches FTS nutzte, wurde bei dem schwedischen Autobauer Volvo 1974 in Betrieb genommen. Nur ca. 10 Jahre später unterstützten schon 15.000 FTF diverse Unternehmen weltweit, u. a. General Motors, Eastman Kodak oder auch die New York Times profitierten vom Komfort dieser autonomen Systeme. Zur Spurführung wurden optische oder magnetische Spurbänder verwendet, die eine hohe Flexibilität mit sich brachten, da sie relativ leicht umgeklebt werden konnten (Ganesharajah et al. 1998). Diese Form der Liniennavigation ist die verbreitetste Methode zur Spurführung von FTF, da sie kostengünstig und robust ist. Ein Nachteil ist jedoch, dass sie bei Veränderung der Umgebung immer physikalisch vor Ort geändert werden muss. Ein weiterer Ansatz ist die Gitter-Navigation. Dabei werden Referenzpunkte in Form eines Gitters in den Boden eingelassen, was eine große Menge an unterschiedlichen Fahrwegen zur Folge hat, die auch im Nachhinein softwaretechnisch verändert werden können. Allerdings ist hierbei die Lenkkontrolle der FTF deutlich aufwendiger. Ein weiteres verbreitetes Verfahren ist die Navigation mit Hilfe von Laserscannern. Reflektorbänder werden an stabilen, statischen Punkten angebracht, z. B. an Wänden oder Regalen, und haben dabei keinen festen Bezug zum Kurs. Auf der einen Seite kann damit die Streckenführung sehr flexibel gestaltet werden, auf der anderen Seite ist die erste Installation sehr zeitintensiv und die notwendigen Sensoren sehr kostspielig. Alle drei Methoden haben jedoch gemein, dass eine vordefinierte Spur existieren muss. Damit ist das spontane Umfahren kleiner Hindernisse nicht möglich (Bubeck et al. 2014). Moderne Ansätze kombinieren deshalb die Informationen mehrerer Sensoren, wie beispielsweise von Kameras, RadioFrequenz Identifikationen (RFID) oder Sonar, um das FTF ohne vordefinierte Spur zu führen (Wang et al. 2018).

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4.2

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Beispiel eines agentenbasierten FTS – Das Safelog AGV

Safelog AGV kommen zum Einsatz, um Objekte just-in-time von einer Abholstation zu einem bestimmten Ziel zu transportieren. Die Spurführung erfolgt über Magnetband. Diese Technik ist weniger empfindlich gegen Verunreinigungen und robuster als optische Varianten. Safelog stellt drei verschiedene Modelle des Safelog AGV (S, M, und L) her (s. Abb. 3), die sich in Größe, Form und Fahrleistung unterscheiden. Das AGV M war das erste Modell von Safelog und wird momentan in der dritten Generation gefertigt. Tab. 1 zeigt die Hauptmerkmale und Unterschiede zwischen den drei Typen. Obwohl die drei Modelle etwas unterschiedliche Hard- und Software haben, sind die grundlegenden Eigenschaften sowie Sensoren, Aktoren und Steuergeräte gleich. Nachfolgend werden übliche Aufgaben und Komponenten eines Safelog AGV beschrieben.

4.2.1 Einsatzgebiete Die Aufgaben eines Safelog AGV in der industriellen Anwendung können vielfältig sein. In der Regel wird das AGV ein Objekt abholen und an einen Zielpunkt liefern. Dies kann periodisch oder auf Anfrage erfolgen. Ersteres bedeutet, kontinuierlich auf der Strecke zu fahren. Im letzteren Fall werden Objekte nur auf Anforderung transportiert. Das AGV wartet bis dahin in einem bestimmten

Abb. 3 Die drei verschiedenen Safelog-AGV-Modelle (Safelog GmbH 2019a)

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Tab. 1 Eigenschaften der verschiedenen Safelog AGV (Safelog GmbH 2018a, 2019b,c)

Model S M L

Maße Neuste (l/b/h) Geschwindigkeit Version [cm] Fahrtrichtung [m/s] 2 71/ Uni0,7 45/26 direktional 3 146/ Bidirektional 1,0 45/26 1 135/ Omni1,0 70/34 direktional

Hubkraft [kg] -

Zugkraft [kg] 350

-

2000

1500

3000

Stromversorgung Batterie Batterie oder Kondensator Batterie

Bereich, kann jedoch auch den Bedarf eines bestimmten Produkts melden, wenn ein leerer Behälter entdeckt wird. Insbesondere in der Automobilfertigung spielen aufgrund der Variantenvielfalt bei großen Stückzahlen hohe Flexibilität und Autonomie sowie durch die Größe der Produkte hohe Traglasten eine wesentliche Rolle. Aufgrund des Fertigungskonzeptes der getakteten Fließfertigung mit teilweise hunderten über eine Montagelinie voneinander abhängigen Arbeitsstationen ist darüber hinaus die Robustheit und damit Einfachheit des Gesamtsystems ein wesentliches Kriterium. Die aus diesen Anforderungen resultierenden Lösungen spiegeln die technischen Daten der verschiedenen Geräte wider. Die untereinander kompatible agentenbasierte Steuerung und die von allen Modellen nutzbare, technisch unkomplizierte magnetische Spurführung sind dabei weitere wesentliche Merkmale. Spuren für wiederkehrende Transportaufgaben können entweder kreisförmig oder als Raster angeordnet sein. Abhängig von den Entfernungen und Zykluszeiten wird die Anzahl der benötigten FTF berechnet. Die längste Strecke, die Safelog bedient, befindet sich heute in einem Automobilwerk in den USA. Der Weg ist fast einen Kilometer lang und das System beinhaltet 44 AGVs. An einem Lagerbereich packen Mitarbeiter einen Warenkorb mit spezifischen Komponenten. Ein AGV trägt den Wagen und gibt ihn am Montageband ab. Anschließend nimmt das AGV einen leeren Wagen auf und kehrt mit diesem in den Lagerbereich zurück, wo der Warenkorb neu bestückt wird. Ein Beispiel für Bedarfsübermittlung ist in einem deutschen Automobilwerk installiert. AGVs folgen einer Spur entlang von Behältern mit Komponenten eines Produkts, während sie selbst einen Behälter tragen. Wenn sie einen leeren Platz auf dem Weg zu ihrem Ziel passieren, scannen sie den Barcode der Position, an der ein Behälter fehlt, und senden eine Anforderung an den Server. Diese Informationen werden verarbeitet und ein neuer Container wird ausgeliefert. Das Anforderungsverfahren ist in einer anderen Produktionsstätte in Deutschland zu finden. Solange es keine Anforderung gibt, warten die AGVs in einer Wartestation. Sobald ein Mitarbeiter eine Anforderung über das Netzwerk sendet, startet eines der AGVs in Richtung des Ziels, liefert einen vollständigen Behälter mit Komponenten und bringt den leeren zu einer Abgabestation. Danach wartet es auf die nächste Bestellung.

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4.2.2 Komponenten des Safelog AGV Safelog AGVs bestehen aus mehreren Komponenten, die durch zwei verschiedene Bussysteme miteinander verbunden sind. Der Aktuator-Sensor-Interface-Bus (AS-I) ist spezialisiert auf Aktoren und Sensoren und folgt einem strengen Master-Slave-Prinzip. Der Controller-Area-Network-Bus (CAN) arbeitet mit einem Multi-Master-Prinzip. Eine Schnittstelle für den Benutzer wird durch eine Ethernet-Verbindung realisiert. Abb. 4 zeigt die Komponenten eines AGV. Dargestellt ist das Modell M. Weitere Modelle basieren auf gleichen Komponenten. Blau gekennzeichnete Komponenten sind Sensoren, die die Umgebung wahrnehmen, rot eingekreist sind Aktuatoren, die miteinander interagieren können. Steuergeräte, die Sensoren und Aktoren verbinden und die entsprechenden Informationen verarbeiten, sind grün markiert. Im Folgenden werden die Komponenten im Detail beschrieben. Sensoren Alle aktuellen Modelle sind mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die der Beobachtung der Umgebung sowie der Interaktion mit dem Anwender und der manuellen Kontrolle dienen. Einige sind für die Sicherheit und andere für die Navigation erforderlich. • RFID-Reader Entlang der Spur sind RFID-Tags installiert. Diese Transponder werden für die Segmentierung der Fahrstrecke oder einfache lokale Aktionsanweisungen verwen-

Abb. 4 Model des M Gerätes der neusten Generation i. A. a. (Safelog GmbH 2018b)

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• •

• • •

• • •

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det. Somit ist der Leser für die Positionierung und einfache reaktive Aktionen, z. B. „links abbiegen“, erforderlich. Magnetsensor Die Spur besteht aus einem Magnetband, das vom Sensor im Verhältnis zur Position des AGV lokalisiert wird. Laserscanner Zur Vermeidung von Kollisionen werden Laserscanner in jeder möglichen Fahrtrichtung eingesetzt. Sie überwachen ständig die Entfernung und Richtung von Objekten in einem bestimmten Bereich. Dies ist aus Sicherheitsgründen zwingend erforderlich. Inkrementalgeber Der Inkrementalgeber misst die vom AGV zurückgelegte Strecke. Der Encoder ist entweder in ein externes Rad oder in die Räder des AGV integriert. Touchscreen-Display Die Anzeige am AGV zeigt den aktuellen Status des AGV an und bietet Optionen zur manuellen Manipulation des AGV. Tasten Mit einer grünen, einer gelben und einer roten Taste kann das Verhalten des AGV beeinflusst werden. Durch Drücken auf die grüne Taste wird der Fahrbetrieb gestartet, die gelbe Taste steuert den Hubbolzen, die rote löst die Motorbremse oder den Nothalt aus. Nothalt In Notfällen stoppt ein Not-Aus-Taster den Motor. Lichtsensor Das AGV kann Warenkörbe oder anderes Equipment bewegen. Der Sensor prüft, ob das AGV beladen ist. Barcode-Kamera Barcodes werden zwischen Regalen verwendet, um die Position des AGV genau zu spezifizieren, oder sie werden zur Identifizierung bestimmter Objekte verwendet.

Aktoren Die Aktoren steuern die physische Manipulation der Umgebung. Sie sind entweder verantwortlich für die Bewegung des AGV oder für physische Verbindungen mit anderen Objekten. • Lenkeinheit Die Lenkeinheit ermöglicht Rotation und Kurvenfahrten für das AGV und ist ebenso für eine genaue Positionierung notwendig. • Motoreinheit Die Motorleistung wird von einer Curtis-Motorsteuerung gesteuert. Programmierbare Parameter steuern das Fahrverhalten des AGV. Integrierte Einstellungen ermöglichen genaue Definitionen für Beschleunigung, Verzögerung und Geschwindigkeit.

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• Hubbolzen Der Hubbolzen ermöglicht die Verbindung des AGV mit Transportwagen und -gestellen über das Verriegeln mit dem Wagen oder durch Anheben der Einheit. • Steuerung Die Steuerungssoftware wird hauptsächlich von Safelog selbst entwickelt. Es gibt zwei wesentliche Kontrolleinheiten: Der MotorController ist der programmierbare Teil und wird hauptsächlich für die reaktive Steuerung benötigt. Der IntelliAgent ist für Planung und Interaktion mit anderen AGVs verantwortlich. Dabei wird in reaktive und rationale Kategorien unterschieden.

4.2.3 Kooperation zwischen AGVs In den meisten Fällen ist eine Gruppe von AGVs zur Materialversorgung bzw. Abwicklung der Transportaufgaben erforderlich. Die Gruppe kann als MAS im Sinne von Abschn. 3.2 betrachtet werden. Das globale Ziel der Gruppe ist, Material an bestimmten Zielpunkten in vorgegebenen Zykluszeiten zu liefern. Jeder Agent in einer Gruppe hat die gleiche Konfiguration und Firmware-Version. Daher sind alle AGVs innerhalb einer Gruppe heterarchisch organisiert. Dies impliziert auch, dass die Gruppe dezentral gesteuert wird. Es gibt keinen Server oder Agenten, der die AGVs extern steuert. Jeder Agent kann sich mit jedem anderen AGV verbinden und ist in Entscheidungen eingeschlossen, die für einen reibungslosen Betrieb relevant sind. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit zwischen den AGVs vollständig kooperativ und jeder Agent gehört durch seine Konfiguration zu seiner Gruppe. Die Systemteilnehmer arbeiten zusammen, um das globale Ziel sowie einzelne Unterziele zu erreichen, z. B. das Fahren von der Abholung zu einer Zielstation. Die AGVs arbeiten asynchron, obwohl sie Aufgaben gemeinsam mit den anderen durchführen. Das Fahrverhalten selbst ist auch asynchron. In Anbetracht der Offenheit dieses Systems erfüllt es die Anforderungen an statische Offenheit. Die Liste der möglichen teilnehmenden AGVs ist a priori bekannt. Sobald ein AGV in das System eingeschleust wird, wird eine Nachricht gesendet, die die anderen informiert. Wenn ein AGV korrekt aus dem System entfernt wird, sendet es ebenfalls eine Nachricht. 4.2.4 Kommunikation innerhalb einer Gruppe von AGVs Die Gleichheit aller Mitglieder in einer Gruppe von AGVs bedeutet, dass die Kommunikation horizontal ist. Da die Kommunikation darüber hinaus direkt ist, senden AGVs Nachrichten und Informationen direkt an andere AGVs. Es wird keine vordefinierte Sprache wie KQML oder ACL verwendet, eher eine vollständig proprietäre Sprache. Das reicht aus, da die FTS nur mit sich selbst interagieren. Ein Standard ist nicht erforderlich. Die Kommunikation ist verbindungslos, in einer kritischen Situation wartet das AGV immer auf eine Antwort. Wenn keine Antwort eingeht, stoppt das Fahrzeug und die Nachricht wird noch einmal gesendet. Nachrichten werden über UDP und, ähnlich wie beim Broadcasting, an jedes AGV in der Gruppe gesendet. Da die Adressen der empfangenden AGVs bekannt sind, handelt

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es sich hierbei um einen Eins-zu-Jeden-Multicast. Somit sind alle AGVs logisch miteinander verknüpft und bilden damit ein vollständig vermaschtes Kommunikationsnetz. Im Hinblick auf die Symmetrie verwenden die AGVs ein Client-ServerProtokoll. Das Kommunikationsverhalten insgesamt ist symmetrisch, da jedes AGV Client und Server zur gleichen Zeit ist.

4.3

Klassifizierung und Analyse des Safelog-Systems

Um die Relevanz von autonom gesteuerten FTS für die Industrie 4.0 evaluieren zu können, soll im Folgenden am Beispiel des Safelog AGVs ein autonomes FTF mit dem modernen Modell des Cyber-physischen Systems (CPS) verglichen werden. Das AGV-System von Safelog ist ein Robotersystem, das für verschiedene Anforderungen entwickelt wurde. Diese liegen jedoch alle im logistischen Bereich. Wie in Abschn. 4.2.2 gezeigt, kann jedes AGV als Agent betrachtet werden. Des Weiteren wird evaluiert, ob Safelog auf SI basierte Algorithmen verwendet. Das AGV-System wird im Rahmen der Automatisierung untersucht. Zu diesem Zweck werden die Merkmale der Schwarmrobotik diskutiert. Cyber-physische Systeme können z. B. Objekte, Gebäude, Transportmittel oder auch logistische Komponenten sein. Charakterisiert sind sie durch eingebettete Systeme, die kommunikationsfähig sind und durch das Internet Daten austauschen können (Bauernhansl 2014). Abb. 5 veranschaulicht, dass CPS aus Sensoren, Aktoren sowie Steuerungs- und Recheneinheiten bestehen. Ähnlich wie ein physischer Agent (s. Abschn. 3.1.2) agieren die Aktoren und Sensoren mit der echten realen

Abb. 5 Konzept eines Cyber-physischen Systems nach (Gorldt et al. 2017)

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Welt, zusätzlich verfügen sie über eine Kommunikationseinheit. Abhängig vom Anwendungszweck des CPS kann es zeitabhängige Informationen mit anderen CPS austauschen oder ihre Dienste teilen. Dabei gibt es keine externe Kontrolle, das CPS entscheidet selbstständig über seine Aktionen. Sie können als Schnittstelle zwischen der virtuellen und der realen Welt gesehen werden, denn ein CPS muss in der Lage sein, sowohl mit Objekten und Diensten wie auch mit Menschen zu interagieren (Gorldt et al. 2017). Safelog AGVs können als CPS betrachtet werden. Die Steuereinheit, der „IntelliAgent“, enthält eine Netzwerkkomponente, die es ihr ermöglicht, mit den andern AGVs oder auch anderen Objekten, wie z. B. Feuerschutztüren, über ein Netzwerk zu kommunizieren. Darüber hinaus können sie sich auch mit anderen Diensten verbinden, um einen Bedarf zu melden. Aus Gründen der Privatsphäre werden die AGVs nur mit dem lokalen Intranet der Kunden verbunden, allerdings wäre auch eine Anbindung an das Internet möglich. Die Schnittstelle zum Menschen wird durch die in Abschn. 4.2.2 beschriebenen Interaktionsmöglichkeiten garantiert. Somit kann jedes Safelog AGV als CPS betrachtet werden. Auch wenn nicht alle Optionen verwendet werden, besteht trotzdem die Möglichkeit, diese Optionen zu nutzen. Cyber-physische Systeme bilden die Grundlage der Industrie 4.0 (Kagermann 2014). Sie verbinden das „Internet der Dinge“, das „Internet der Dienste“ und das „Internet der Menschen“ (Bauernhansl 2014). Abb. 6 zeigt die Verbindung der verschiedenen Sichtweisen des Internets auf. Die Menschen sind zum Beispiel über soziale Medien vernetzt und besitzen diverse Möglichkeiten, das Internet für sich zu

Abb. 6 Das Internet der Dinge und Dienste (i. A. a. Bauernhansl 2014)

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nutzen, wie den Computer oder das Smartphone. Das „Internet der Dinge“ beschreibt die Verknüpfung von Objekten durch das Internet. Viele serviceorientierte Dienste und Daten sind online verfügbar, dies wird als „Internet der Dienste“ verstanden (Bauernhansl 2014). In Grau wird verdeutlich, dass es keine klare Unterscheidung bzw. Einteilung gibt und dass CPS diese vereinen und zusammenführen. Dies unterstreicht, dass FTS wie das Safelog AGV ein Produkt von hoher Relevanz für die Branche sind. CPS spielen für die deutsche Regierung eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Zukunftsindustrie und werden deshalb gefördert (BMWi 2018). Der Einsatz von FTS in Fabriken oder Lagern kann daher als eine wichtige Industrieanwendung betrachtet werden.

4.4

Verwendung von Schwarmintelligenz in Safelog AGV

In Bezug auf Abschn. 2 über Schwarmintelligenz könnte Safelog SI entweder Optimierungsalgorithmen verwenden oder innerhalb eines Konzeptes der Schwarmrobotik agieren. Der erste Fall kann ausgeschlossen werden, da es keine externe Steuerung gibt und auch in der internen Steuerung der AGVs kein Optimierungsalgorithmus verwendet wird. Der zweite Fall setzt voraus, dass das AGV-System ein Schwarmrobotersystem ist, dafür wird das Safelog-System mit den genannten Charakteristika in Abschn. 2.4.1 verglichen.

4.4.1

Schwarm-Charakteristiken im Vergleich

Robustheit • Einfachheit Bezogen auf die limitierte Anzahl an Sensoren und Aktoren und nur zwei Steuerungseinheiten ist das AGV relativ einfach. Jedes AGV in einer Gruppe ist gleich konfiguriert und in der Lage, jede notwendige Aufgabe, die der Gruppe zugewiesen wird, auszuführen. Deshalb ist es auch möglich, ein AGV aus einer Gruppe dynamisch zu entfernen und es durch ein anderes AGV, das auch Teil der Gruppe ist, zu ersetzen. • Homogenität Es werden drei verschiedene Modelle von Safelog angeboten: S, M, L. Diese unterscheiden sich in der Konstruktion und im Einsatzbereich. Abgesehen davon ist das zugrunde liegende Prinzip das gleiche: Die AGVs sind aus den gleichen Komponenten und den gleichen Steuerungseinheiten aufgebaut. Die Komponenten unterscheiden sich nur in der Anzahl und in der Integration, um die Anwendungsfelder zu maximieren. • Dezentrale Kontrolle Eine Gruppe der AGVs agiert unabhängig von einer zentralen Steuerungseinheit. Die Lokalisierung wird durch RFID-Tags sichergestellt. Dies reicht dem AGV aus, um zu wissen, wo es ist und was für Aktionen erwartet werden. Interaktion ist für kritische Situationen notwendig, wie z. B. einen Fahrweg mit weiteren Teilnehmern zu überqueren oder in eine Einbahnstraße zu fahren. Das erste Szenario mit

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weiteren Verkehrsteilnehmern kann über Ampeln und ein damit verbundenes Kommunikationsinterface gelöst werden. In der zweiten Situation werden Vereinbarungen zwischen den AGVs getroffen. Wenn ein AGV einen kritischen Punkt erreicht, sendet es eine Anfrage an die anderen AGVs in der Gruppe und fährt erst bei einer positiven Antwort. • Selbstreparatur Es gibt verschiedene Ursachen dafür, dass ein AGV dem System nicht mehr zur Verfügung steht. Zum einen kann ein technischer Defekt oder unsachgemäße Handhabung (Kollision mit anderen Flurförderzeugen) zum Ausfall führen. Ein AGV, das aufgrund einer Störung im System nicht weiterfahren kann, kann eine Störnachricht an einen Instandhalter senden, der dann den Fehler beseitigen kann. Eine andere Möglichkeit ist die absichtliche und aktive Entfernung eines AGV aus dem Kurs. Auch in diesem Fall wird das AGV-System unbeeinträchtigt weiterarbeiten, solange genügend AGVs vorhanden sind, um die Aufgabe zu erfüllen. Flexibilität • Vielfältige Aufgaben Die Aufgaben eines AGV lassen sich nicht auf eine einzige Funktion reduzieren. Obwohl viele eingesetzte AGV-Systeme nur im Kreis fahren und verantwortlich für die rechtzeitige Warenanlieferung sind, können sie auch für andere Aufgabenbereiche, wie in Abschn. 4.2.1 beschrieben, eingesetzt werden. Verschiedene Aufgaben erfordern auch einen stetigen Strategiewechsel. Für einfache zyklische Versorgungsaufgaben kommunizieren die AGVs nur in kritischen Situationen, wohingegen in Anforderungsverfahren Absprachen getroffen werden müssen. • Asynchrones Verhalten Jedes AGV kann völlig unabhängig voneinander agieren, es gibt keine Synchronisation mit einem Zeitserver oder untereinander. Für eine Synchronisation wäre dasselbe Zeitverständnis notwendig, dies ist aber nicht gegeben und gewollt. Skalierbarkeit • Lokale Interaktion Lokalität bezieht sich auf die Interaktion mit Nachbarn, aber, wie in Abschn. 4.2.3 beschrieben, ist die Kommunikation zwischen den AGVs innerhalb einer Gruppe global. Jedes AGV sendet Informationen über sich selbst zu allen anderen AGVs in der Gruppe. Diese Redundanz liegt im möglichen Nachrichtenverlust durch Netzwerkprobleme begründet. Es ist also keine direkte lokale Kommunikation zwischen einzelnen AGVs vorgesehen. Direkte lokale Interaktion kann aber beispielsweise beim selbstständigen Aufrücken der Geräte in einer Warteschlange über das Schutzfeld der Sicherheitssensoren realisiert werden. • Selbstorganisation Jedes AGV muss auf der Spur platziert werden, die Reihenfolge oder genaue Positionierung ist dabei irrelevant. Sobald sie anfangen zu fahren und einen RFIDTag lesen, wissen sie genau, wo sie sind und kennen die nächste Aktion.

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4.5

165

Zusammenfassende Betrachtung von Safelog AGV Systemen

In diesem Kapitel wurde das Safelog AGV vorgestellt, der Anwendungsbereich wurde demonstriert und die Komponenten wurden vorgestellt. In den folgenden beiden Tabellen wird die Analyse des Safelog AGV-Systems auf einen Blick dargestellt. Tab. 2 zeigt die Organisation des Systems selbst. Sie fasst die oben beschriebenen Funktionen zusammen und zeigt, wie Safelog sie implementiert hat. Tab. 3 fasst die Analyse bezüglich der Schwarmintelligenz zusammen. Selbstreparatur ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Wie in Abschn. 4.4.1 beschrieben, können sich die Geräte nicht selbst reparieren. Sie können jedoch eine Statusmeldung an einen Arbeiter senden. Selbstorganisation ist unter bestimmten Bedingungen gegeben. Die AGVs müssen auf der Strecke platziert werden, sie können sich nicht ohne Referenz in der Halle orientieren, wie in Abschn. 4.4.1 gezeigt.

5

Zusammenfassung und Ausblick

Zunächst wurden der Ursprung der Schwarmintelligenz sowie ihre Einsatzgebiete untersucht. Das Interesse an der Nutzung von SI beruht auf Optimierung und Automatisierung. Tab. 2 Organisationsstruktur des Safelog AGV-Systems Organisation des Schwarms Hierarchieform Kooperationsform Offenheit Kommunikationsrichtung Nachrichtenaustausch Sprache Topologie

Safelogs AGV System Heterarchisch Kooperativ Statische Offenheit Horizontal Direkt Proprietär Vollvermascht

Tab. 3 Realisierung der Schwarmcharakteristika beim Safelog AGV-System Charakteristika der Schwarmintelligenz Einfachheit Homogenität Dezentrale Kontrolle Selbstreparatur Vielfältige Aufgaben Asynchrones Verhalten Lokale Interaktion Selbstorganisation

Safelogs AGV System Ja Ja Ja Ja, mit Einschränkungen Ja Ja Ja, mit Einschränkungen Ja, mit Einschränkungen

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Algorithmen auf SI-Basis wurden im Bereich der Optimierung bereits häufig eingesetzt, werden aber selten verwendet, um Roboter zu steuern. Dies kann der Fall sein, weil Optimierung in der Regel in einer definierten und bekannten Umgebung stattfindet, während sich die physische Automatisierung in einer unkontrollierbaren Umgebung abspielt, die den Einsatz komplizierter macht. Auch wird Automatisierung häufiger im industriellen Umfeld eingesetzt, in dem man Ergebnisse nicht mit Wettbewerbern teilen möchte. Die Beziehung agentenbasierter FTS zu Ansätzen der Industrie 4.0 wurde durch den Vergleich mit Cyber-physischen Systemen untersucht, da diese ein zentrales Konstrukt im Umfeld von Industrie 4.0 darstellen (Kagermann 2014). Die im Rahmen einer Fallstudie beispielhaft ausgewählten Safelog AGVs erfüllen die Anforderungen an CPS und können daher als solche betrachtet werden. Um die Frage der Schwarmintelligenz agentenbasierter FTS zu beantworten, wurden zwei Hauptanwendungsmöglichkeiten untersucht. Da momentan noch keine selbstständige Optimierung innerhalb des betrachteten Beispiel-Systems vorgesehen ist, sind keine auf SI basierenden Optimierungsalgorithmen implementiert. Um zu prüfen, ob Safelog SI zur Steuerung der FTS verwendet, wurde das System zunächst hinsichtlich der Eigenschaften von typischen Schwarmrobotersystemen analysiert und dann auf Intelligenz untersucht. Wie Tab. 3 zusammenfasst, weist das Safelog-System viele der SI-Eigenschaften auf. Untypisch für einen natürlichen Schwarm ist jedoch die vollständige Vermaschung des Kommunikationsnetzes, welches zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand und Nachrichtenaustausch führt. Die Kommunikation bezieht sich zwar lokal nur auf die eigene Gruppe; wenn diese allerdings zu groß wird, ist durch den erhöhten Aufwand den eine vollständige Vermaschung erfordert, eine technische Obergrenze gesetzt, was dem Prinzip der Skalierbarkeit widersprechen würde. Das FTS muss ein robustes und vorhersagbares System sein, da diese Eigenschaften für einen gleichmäßigen und sicheren Produktionsprozess erforderlich sind. Ein fehlerhaftes System führt zu hohen Kosten für den Benutzer. Daher sollte es keine Ungewissheit oder Unvorhersehbarkeit in einem FTS geben, das als zuverlässig gilt. Safelog bietet Industrieanwendungen, die über Eigenschaften von Schwarmintelligenz verfügen und entsprechende Prozesssicherheit gewährleisten können. Darüber hinaus weisen die Systeme in verschiedenen Bereichen Entwicklungspotenzial auf. Entwicklungsmöglichkeiten bieten sich beispielsweise bei der Einbeziehung lokaler Kommunikation, der Reduzierung der übertragenen Datenmengen oder bei der Aufteilung des Wissens in globale und spezifische Informationen. Letztere beziehen sich auf Wissen, über das die Entität bezüglich ihrer eigenen internen Zustände verfügt. Ein FTF muss nicht wissen, ob ein anderes Gerät in einem anderen Bereich des Fahrkurses in einen Fehlerzustand übergegangen ist. Es kann jedoch hilfreich sein, dies über seine Nachbarn zu wissen. Auch dieser Ansatz würde die Gesamtmenge der übertragenen und gespeicherten Daten verringern. Im konkreten Anwendungsbeispiel befinden sich bereits Ansätze zur Erhöhung der Flexibilität der FTF innerhalb der Fahrkurse in Umsetzung. Ein erster Schritt ist dabei der Verzicht auf die magnetische Spurführung in bestimmten Bereichen der

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Strecke. Das Safelog AGVorientiert sich hier an der bestehenden Umgebung. Damit ist auch eine wichtige Voraussetzung für weitere Optimierungsschritte gegeben. Die Ant-Colony-Optimierung (ACO) beispielsweise basiert auf einem Algorithmus über das Suchverhalten von Ameisen. Ameisen finden immer den kürzesten Weg zwischen ihrem Nest und einer Nahrungsquelle (Du und Swamy 2016). Daher ist ACO ein perfekter Ansatz, um den kürzesten Weg für ein FTS zwischen einem bestimmten Start- und Zielpunkt zu finden. Dies wäre ein großer Vorteil für den Ingenieur, der bisher alle Pfade vorgeben muss. Je größer das Layout wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen, die wiederum zu fehlerhaften Konfigurationen führen. Wenn das FTF selbst ist in der Lage ist, eigene Wege zu finden, würde diese Fehlerquelle abnehmen. Dies erhöht auch die Flexibilität dadurch, dass das FTF blockierte Strecken berücksichtigen und umfahren kann. Auch durch die Implementierung einer Umgebungskarte im Safelog AGV wird die Flexibilität erhöht. Wenn auf eine implementierte Karte zugegriffen wird, dann wird bei einem defekten AGV auf der Strecke das folgende AGV nicht mehr aufgehalten. Das funktionierende AGV kann das defekte AGV kurzzeitig umgehen und wieder auf die Strecke zurückkehren. Zusammenfassend betrachtet bietet der Ansatz, FTS mit Hilfe von SI zu steuern, eine ideale Grundlage für weitere Optimierungsschritte. Der modulare agentenbasierte Aufbau in Soft- und Hardware ermöglicht dabei sukzessive Evolutionsschritte, die sich neben technischen Lösungen gut auf die im industriellen Umfeld ebenfalls wichtigen Anforderungen hinsichtlich Kosten und Nutzen abstimmen lassen.

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Agentenbasierte Steuerung Fahrerloser Transportsysteme im Umfeld von . . .

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Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine Joachim Tödter, Bengt Abel, Ralf König und Dennis Schüthe

Zusammenfassung

Anhand von Produkten und Forschungsprojekten werden die Entwicklungsschritte aufgezeigt, die zu autonomen Transportfahrzeugen führen. Dabei wird auf der einen Seite von einer zunehmenden computerbasierten Assistenz der Bediener von Flurförderzeugen ausgegangen und auf der anderen Seite von den heute bekannten automatisierten Fahrerlosen Transportfahrzeugen. Die Bedeutung der Schlüsseltechnologie Funkkommunikation für die Umsetzung von Industrie 4.0 wird ausführlich behandelt.

1

Einleitung

Materialflusssysteme werden in der einschlägigen Literatur ausführlich beschrieben (ten Hompel et al. 2018). Im Kontext Industrie 4.0 besteht nun die Aufgabe einer Betrachtung der intralogistischen Prozesse über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts sowie über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Heutige Flurförderzeuge sind, von wenigen fahrerlosen Flurförderzeugen abgesehen, nahezu ausschließlich manuell bedient und besitzen keine oder nur eine geringe IT-Anbindung. Diese beschränken sich aktuell hauptsächlich auf den Austausch von Transaktionsdaten für das Lagermanagement oder das Flottenmanagement. Diese Lösungen lassen sich zwar durch Assistenzsysteme weiter optimieren, allerdings ist das Potential für Effizienzsteigerungen begrenzt.

J. Tödter (*) KION Group AG, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Abel · R. König · D. Schüthe STILL GmbH, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_99

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J. Tödter et al.

In den vergangenen Jahren haben sich die Technologien, die die Industrie 4.0 erst möglich machen, erheblich weiterentwickelt. Diese werden bereits für Assistenzsysteme verwendet und bilden somit den ersten Schritt zur Autonomie. Teilprozesse werden zwar jetzt schon automatisiert, der Mensch übernimmt aber immer noch die Aufgaben, die für das System/Fahrzeug derzeit noch zu komplex sind. Aufbauend auf diese Technologien können fahrerlose Flurförderzeuge jedoch künftig eine Autonomie erreichen, die ihre Einsatzbandbreite erheblich erweitert, sodass eine nächste Stufe an Optimierungspotentialen erschlossen werden kann. Neben einer Weiterentwicklung der technischen Fähigkeiten der Fahrzeuge – in Hinblick auf die Erkennung und Interpretation ihrer Umgebung und entsprechender Reaktion darauf – bietet vor allem auch deren nahtlose Integration in das Warenhaus- bzw. Produktionsmanagement erhebliche Wertschöpfungspotentiale: Durch eine Kommunikation zwischen Transportgütern, Anlagen, Flurförderzeugen und Personen kann das Ziel einer weitgehend selbstorganisierten Produktion und Warenverteilung erreicht werden. Dieser Artikel gibt, ausgehend von heutigen manuell bedienten Flurförderzeugen und deren neuen Assistenzsystemen, einen Ausblick auf zukünftige Generationen von (autonomen) Flurförderzeugen anhand von Beispielen erster Serienprodukte wie auch von Forschungsprojekten. Durch die zunehmende Individualisierung von Produkten verändert sich neben den verfügbaren Technologien auch das Anforderungsspektrum an den innerbetrieblichen Transport: Statt Paletten sind zunehmend kleinere Ladungseinheiten wie Umverpackungen, Kisten, Boxen oder einzelne Teile individuell zu transportieren, zu lagern und zu kommissionieren. Am Beispiel des Projekts QBIIK wird dargestellt, wie ein autonomes Fahrzeug für die Handhabung von Boxen aussehen könnte. Der Austausch von Daten zwischen dem Fahrzeug und seiner Umwelt – wie etwa Managementsystemen, Werkzeugmaschinen, anderen Fahrzeugen oder weiterer Peripherie, die von Personen genutzt werden, um zu interagieren, wo es nötig ist – ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Aus diesem Grund wird in einem kurzen Abschnitt auf die Erwartungen an zukünftige Kommunikationssysteme als Fundament für die dargestellten Lösungen eingegangen werden. Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor ist die Energie: Umweltfreundliche Energieträger wie regenerativ erzeugter Strom oder Wasserstoff sind mit hoher Energiedichte im Fahrzeug zu speichern, um einem erhöhten Energiebedarf der Fahrzeuge durch Autonomie und Automatisierung Rechnung zu tragen: Tätigkeiten wie das Kommissionieren, die zuvor von einer Person ausgeführt wurden, werden nun vom Fahrzeug übernommen.

2

Fahrzeug-zu-X-Kommunikation und Fahrzeugsteuerung

Für eine Optimierung der intralogistischen Prozesse im Sinne der Industrie 4.0 ist eine Vernetzung aller am Warenfluss beteiligten Systeme notwendig. Das können Fahrzeuge, stationäre Fördertechnik, Bearbeitungsmaschinen, Rolltore, Fahrstühle, Verschieberegale, aber auch die Steuerungsebene sein. Also ist eine X2X-Vernetzung, eine Vernetzung und Kommunikation jedes Elements mit jedem anderen notwendig.

Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine

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Die Vernetzung der Systeme auf einem Fahrzeug oder in einer Förderanlage wird vorausgesetzt, entsprechende Feldbus-Systeme wie CANopen-Netzwerke sind seit mehr als 15 Jahren Stand der Technik. Diese werden in der Zukunft bei Anforderungen an höhere Datenraten durch andere Systeme wie z. B. Ethernet (bzw. echtzeitfähige und sicherheitsgerichtete Derivate) ergänzt werden müssen, was aber den prinzipiellen Aufbau nicht ändert. Für herstellerübergreifende Vernetzung sind einheitliche Definitionen der Schnittstellen erforderlich. Für Flottenmanagementinformationen wurde im Jahr 2018 die VDI-Richtlinie 4458 für die Schnittstelle zwischen dem Flurförderzeug (FFZ) und der Datenübertragungseinheit für Flottenmanagementsysteme definiert. Betrachtet man die Vielzahl der beteiligten Akteure, ist diese Schnittstellendefinition aber nur ein erster kleiner Schritt. Damit alle Akteure einbezogen werden können, ist ein Rahmenwerk notwendig, das die Architektur beschreibt. OPC-UA kann diesbezüglich eine gute Lösung für den Austausch von Daten sein. Allerdings ist zu beachten, dass bei der Steuerung von Fahrzeugen geringe Datenumfänge, diese aber sehr hochfrequent, zu übertragen sind. Für solche Anwendungen sind aus Erfahrung der Autoren Protokolle mit kleinem Header, wie DDS oder MQTT, vorteilhaft, die ein besseres Verhältnis von Nutzdaten zu Overhead haben. Für den Betrieb von Fahrerlosen Transportsystemen ist derzeit in Kooperation von VDMA und VDA eine Schnittstellendefinition in der Erarbeitung. Diese Schnittstelle wird im Jahr 2019 veröffentlicht und im Weiteren um zusätzliche Komponenten wie die Navigationskartenübertragung oder die Kommunikation mit stationären Systemen erweitert.

2.1

Zentrale Steuerung oder (Teil-)Autonomie

Steuerungen der Materialflusssysteme sind heute zentrale Steuerungen, die mit Servern on-premise betrieben werden. Sie kommunizieren auf der einen Seite mit den ERP-Systemen, die die Transportaufträge definieren, und auf der anderen Seite mit Lagerverwaltungssystemen sowie Transportleitsystemen. Werden diese Lösungen skaliert, sind cloudbasierte Steuerungssysteme zu präferieren. Damit ist der Materialfluss zwar abhängig von der Informationsinfrastruktur außerhalb des Unternehmens, aber diese Abhängigkeit ist aufgrund der ERP-Systeme häufig ohnehin gegeben. Dem gegenüber stehen die deutlichen Vorteile einer Cloud-Lösung: Skalierbarkeit, einfache Implementierung an neuen Standorten, Wartung, einheitliche Versionen, Erweiterung durch neue Dienste etc. Ein cloudbasiertes Steuerungssystem bedeutet, dass die Systeme des Warentransports aus der Cloud heraus gesteuert werden. Während manuelle Fahrzeuge nur wenige Daten wie Quelle, Senke und Materialnummer für den Transport benötigen, ist bei automatisierten Systemen die Ablaufsteuerung aus der Cloud heraus zu gewährleisten. Fahrerlose Transportfahrzeuge benötigen die Vorgabe eines definierten Pfades und melden ihrerseits zyklisch hochfrequent ihre Position. Zudem bedarf das gesamte System einer Verkehrsregelung zur Vermeidung von DeadlockSituationen. Für die Steuerung dieser Systeme ist eine stabile, breitbandige Anbindung an die Cloud mit geringer Latenz notwendig.

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J. Tödter et al.

Die weitere Option besteht darin, die Autonomie der Fahrerlosen Transportfahrzeuge massiv zu erhöhen, sodass sie – ähnlich wie manuell bediente Fahrzeuge – mit einer geringen Zahl an Daten beauftragt werden können. Während der Abarbeitung des Auftrags sind die Fahrzeuge nicht mehr auf einen hochfrequenten Datenaustausch mit einem zentralen System angewiesen, sondern planen ihre Pfade eigenständig, navigieren auf diesen Pfaden und klären dabei die Vorfahrt oder das Vermeiden von Deadlocks mit den anderen Fahrzeugen in ihrer Umgebung mittels direkter Fahrzeugzu-Fahrzeug-Kommunikation. Ein derartiges Verhalten wird seit vielen Jahren in der Forschung untersucht. Im Projekt Hub2Move (Follert und Behling 2016) wurde eine entsprechende Lösung auch bereits gezeigt. Aufgrund der wachsenden Zahl an Teilnehmern in einer Lagerumgebung wird dies künftig auch nicht mehr anders möglich sein. Heute würde niemand auf die Idee kommen, den Straßenverkehr auf der Ebene der einzelnen Verkehrsteilnehmer zentral zu regeln. Dabei kann lokal allerdings ein hohes Datenvolumen austauschbar sein, wenn beispielsweise Fahrzeuge ihre Sensordaten teilen. Will ein Fahrzeug ein vorausfahrendes, langsameres Fahrzeug überholen, ist es unter Umständen nicht in der Lage zu sehen, ob ausreichend Platz für das Überholmanöver vorhanden ist. Kann es auf die Sensoren des vorausfahrenden Fahrzeugs zugreifen und diese Daten mit den eigenen fusionieren, ist diese Beurteilung möglich. An diesem Beispiel wird deutlich, dass für die Zeit kurz vor und während des Überholmanövers ein großer Datenaustausch entsteht, der echtzeitfähig sein muss, um das Manöver überhaupt ausführen zu können. Die Situation könnte sich bei entgegenkommenden Verkehr sehr schnell ändern, dies muss in der Kommunikation ebenfalls berücksichtigt werden. Entscheidend ist hierbei, dass dieser Datenaustausch lokal auf das Lagersystem begrenzt bleibt und somit nicht Bestandteil des externen cloudbasierten Datenaustauschs ist. Im Abschnitt Warentransportsysteme wird weiter darauf eingegangen. Am Ende wird es nicht eine optimale Lösung geben, sondern es wird im Einzelfall zu beurteilen sein, welches Betriebskonzept in welchem Anwendungsfall vorteilhaft ist oder ob eine Mischung aus zentraler Steuerung und lokaler Intelligenz zum besten Ergebnis führt. Strukturell gesehen bietet der eben genannte Ansatz eine breite Variationsmöglichkeit an, die zwischen den Extremen eines rein lokalen und eines rein cloudbasierten Datenaustauschs gestaltet werden kann. In jedem Fall ist aber für die Anbindung der Fahrzeuge eine funkbasierte Kommunikation notwendig, um diese an die lokale Datenwelt anzubinden. Deshalb ist dieser Kommunikation der nachfolgende Abschnitt gewidmet.

2.2

Funkstandards für eine Vernetzung von Flurförderzeugen

Datenfunk wird auf Flurförderzeugen seit vielen Jahren genutzt: • Für Datenterminals bzw. das Flottenmanagement werden administrative Daten mit geringer Dynamik zwischen dem Fahrzeug und einer externen Stelle ausgetauscht.

Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine

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• Herkömmliche Fahrerlose Transportsysteme dagegen tauschen hoch aggregierte Daten wie die Fahrzeugposition dynamisch im Sekundentakt mit einer Leitsteuerung aus • Bei autonomen Flurförderzeugen ist eine weitere Steigerung in den Anforderungen an den Datenaustausch zu erwarten: Gering aggregierte Daten (z. B. Bilddaten) sind hochdynamisch mit einer Vielzahl von Kommunikationspartnern auszutauschen Daraus ergeben sich für kommende Kommunikationssysteme als Anforderungen: • • • •

hohe Bandbreite für große Datenmengen geringere Latenz für Echtzeit Quality of Service (sicher, zuverlässig, steuerbar) einfache Installation

Heute werden WLAN, Bluetooth, 2G, 3G und 4G für die Vernetzung von Fahrzeugen verwendet. Aufgrund der Begrenzungen bei diesen Verfahren, insbesondere in Hinblick auf Abdeckung, Datenraten, Latenz und Roaming, aber auch bei Datensicherheit und der Stabilität der Verbindung, wird erwartet, dass die Einführung der 5G-Technik viele dieser Einschränkungen auflöst. Derzeit werden im Forschungsumfeld Lösungen für die lokale FFZ-Kommunikation mit 5G erarbeitet. So stehen etwa im Projekt IC4F (Industrial Communication for Factories 2018), an dem der Intralogistikanbieter STILL beteiligt ist, sichere, robuste und echtzeitfähige Kommunikationslösungen für die Industrie im Vordergrund. An der RWTH Aachen werden am „Center Connected Industry“ in einer Testumgebung für neue logistische Anwendungen neue Technologien wie 5G und Blockchain in eine reale, funktionale Produktionslandschaft eingebettet (CGI 2018). Es wird erwartet, dass basierend auf der 5G-Technik in den Produktions- und Lagerstandorten sogenannte Pico-Zellen aufgebaut werden, die die Übertragung hoher Datenraten (>1 GBit/s in der Praxis) mit geringer Latenz (~5 ms) sowie ein latenzfreies Roaming zwischen Zugangspunkten ermöglichen. Ein wichtiger Aspekt bei der Einführung von 5G ist der QoS (Quality of Service), um gezielt minimale oder auch maximale Datenraten für Teilnehmer bereitzustellen und dabei das eigene Intrakommunikationsnetz nicht zu belasten. Damit soll es im Vergleich zur heutigen Technologie einfacher werden, die Kommunikation zu Fahrzeugen mit geringem Aufwand aufzusetzen und auch Fremdsysteme in solchen Netzwerken zuzulassen, da die maximalen Auswirkungen auf das Funknetz steuerbar sind. Für die Einbindung von Flurförderzeugen, insbesondere in zentrale Systeme, kommen zwei Architekturen in Frage: Das FFZ kann mit WLAN oder Bluetooth über einen Hub direkt in das Firmennetzwerk eingebunden werden. Vorteil ist dabei, dass die Informationen direkt im Unternehmen genutzt, verarbeitet und dargestellt werden können, ohne das Firmennetz zu verlassen. Nachteil ist der Aufwand für die Integration des Fahrzeugs in das Netzwerk, insbesondere um sicherzustellen, dass das Fahrzeug Dritten nicht den Zugriff auf das Firmennetzwerk ermöglicht. Zudem können die Bandbreiten nicht

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J. Tödter et al.

explizit für einzelne Anwendungen kontrolliert werden. Daraus resultiert unter Umständen eine Beeinträchtigung für andere Anwendungen innerhalb des gleichen Netzwerks. Dies ist ein Hauptgrund dafür, Fahrzeuge oder Anwendungen nicht in das eigene Firmennetz zu integrieren – das Risiko ist für den Betreiber einfach zu groß oder nicht abschätzbar. Die direkte Integration ist heute der Standard bei der Integration von Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF), bei denen das Fahrzeug Daten mit einer Leitsteuerung austauscht: Das FTF liefert Status sowie Position und erhält von der Leitsteuerung Aufträge und freigegebene Pfade. Flottenmanagementsysteme, die in die IT-Landschaft des Kunden integriert sind, arbeiten nach dem gleichen Prinzip: Sie geben berechtigten Bedienern Fahrzeuge zur Nutzung frei und rufen die Nutzungsdaten der Fahrzeuge ab, um den Zustand des Fuhrparks transparent darzustellen. Alternativ kann das FFZ mittels Mobilfunk oder mittels WLAN/Bluetooth (über getrennte Systeme/Frequenzbereiche) vernetzt werden und über definierte Server oder aber über cloudbasierte Systeme Informationen austauschen. Dieses Verfahren ist der übliche Standard bei Flottenmanagementsystemen von FFZ, da es den großen Vorteil besitzt, dass die Daten system-, plattform- und ortsunabhängig zur Verfügung stehen und mit weiteren Daten aus anderen Datenbanken kombiniert werden können. Beispiele sind Linde connect, STILL FleetManager 4.0/ NeXXt fleet, Jungheinrich ISM online und I. D. Systems Powerfleet. So werden z. B. bei STILL NeXXT fleet Fahrzeugstatusinformationen und Fahrzeugnutzungsdaten mit Fahrzeugdokumenten, Finanzdaten zu Service und Leasing, Serviceberichten und -rechnungen sowie der Fahrzeughistorie kombiniert. Da in Zukunft die Datenmenge, -qualität und -art, die von einem FTS bereitgestellt werden, steigen werden, müssen hier auch Konzepte gefunden werden, die es dem Betreiber erlauben zu sehen, welche Daten in die Cloud kommuniziert werden. Für die effiziente Umsetzung von Industrie 4.0 wird darüber hinaus eine direkte Kommunikation zwischen Flurförderzeugen, stationären Systemen und Personen benötigt. Im Forschungsumfeld sind direkte Verbindungen zwischen Fahrzeugen schon untersucht worden: FTF haben im Forschungsprojekt Hub2Move (2015) zum Beispiel zur Abstimmung der Vorfahrt über ad hoc aufgebaute Peer-to-Peer-Netzwerke ihre geplanten Pfade direkt ausgetauscht (Follert und Behling 2016). Gerade in Bezug auf Anwendungsfälle robotischer Fahrzeuge gewinnt diese FTF-zu-FTFKommunikation signifikant an Bedeutung, da der Austausch größerer Datenmengen (Sensordaten wie Laserscandaten oder Bilddaten) selbst mit hardware- oder softwareseitiger Vorverarbeitung im Vergleich zu Flottenmanagementsystemen hohe Bandbreiten benötigt, die über lokale Peer-to-Peer-Netzwerke effizient übertragen werden können, ohne das gesamte Netzwerk zu belasten. Bei neuen Funkstandards ist vor allem auf eine einfache Erstintegration neuer Teilnehmer wie auch auf eine schnelle und selbstständige Integration nach einem Hochlauf zu achten. Heutige Kommunikationsverfahren sind diesbezüglich unzureichend. Vielfach sind Experten notwendig, um eine stabile und sichere Kommunikation aufzusetzen. Zwischenfazit: Spätestens mit einer Vernetzung von Fahrzeugen mittels 5G sowie cloudbasierten Architekturen für die Datendienste sind die Voraussetzungen für die Integration von FFZ in die Welt der Industrie 4.0 geschaffen.

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3

177

Warentransport- und Lagersysteme

Flurförderzeuge werden in der Produktion und in der Verteilung von Waren auf vielfältige Weise eingesetzt: zum Be- und Entladen von LKW, zum innerbetrieblichen Transport, dem Einlagern in Regale, dem Kommissionieren wie auch zur Verkettung von Bearbeitungsstationen oder zur Versorgung von Produktion und Endmontage. Nach Kenntnis der Autoren wird die überwiegende Zahl der Fahrzeuge durch Personen bedient, nur ein verschwindend kleiner Anteil sind Fahrerlose Transportfahrzeuge. Allerdings gewinnt das Segment der automatisierten Fahrzeuge an Bedeutung, automatisierte Lösungen werden zunehmend nachgefragt. Gleichzeitig steigt auch das Angebot, sowohl in der Reife als auch in der Vielfalt der Lösungen. Aus diesem Grund soll nachfolgend neben den manuell bedienten Fahrzeugen ein Schwerpunkt auf die automatisierten Fahrzeuge gelegt werden.

3.1

Manuell bediente Fahrzeuge

Manuell bediente Flurförderzeuge gibt es heute in einer breiten Vielfalt, maßgeschneidert auf die jeweiligen spezifischen Anwendungsfälle. Das gilt insbesondere für die Lagertechnikfahrzeuge mit Sitz-, Stand- und Mitgängerfahrzeugen für Block-, Breitgang- und Schmalgangläger mit unterschiedlichen Antriebs- und Stützradkonfigurationen. Bei den Gegengewichtsstaplern ist die Varianz bei den Grundfahrzeugen kleiner, Differenzierung und Anpassung an die Einsatzfälle erfolgt hier über die Maste und Anbaugeräte. Eine Optimierung dieser Geräte zur Verbesserung der Umschlagleistung ist bei den Fahrzeugen durch eine Erhöhung der Fahrzeugleistung kaum mehr möglich. Geschwindigkeit und Dynamik sind für einen sicheren Betrieb nicht mehr zu steigern. Aber es gibt zwei Bereiche, in denen eine Optimierung möglich ist: Fahrassistenzen sowie Transportmanagement – ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Sicherheitsassistenz In der Breite eingeführt ist heute eine Fahrerassistenz zur Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit (z. B. Linde curve assist, STILL curve speed control und Jungheinrich curve control), sodass seitliche Kippunfälle aufgrund zu hoher Geschwindigkeit bei Kurvenfahrt vermieden werden. Die Active Floor Compensation (AFC) von STILL erfasst Bodenunebenheiten auf den Fahrspuren der Lasträder von Schmalganggeräten und gleicht diese in Echtzeit aus. Der Fahrzeugrahmen bleibt immer in der Waagerechten und das Hubgerüst stets in der Senkrechten – auch bei maximal möglicher Fahrgeschwindigkeit. Damit kann in vielen Fällen auf eine aufwendige Sanierung des Bodens verzichtet werden. Im Unfallgeschehen mit Flurförderzeugen fallen insbesondere Anfahrunfälle auf, bei denen Personen in der Umgebung des Fahrzeugs aufgrund von Unachtsamkeit

178

J. Tödter et al.

oder schlechter Sichtverhältnisse angefahren werden. Der Linde Safety Guard erkennt die Personen in der Umgebung eines Fahrzeugs und warnt sowohl den Fahrer als auch die Person vor einem möglichen Unfall. Neben den bereits erwähnten Sicherheitssystemen gibt es weitere, die sowohl der Erhöhung der Sicherheit als auch der Verbesserung der Umschlagleistung dienen: Bei der Abschätzung der Last kann sich der Fahrer unterstützen lassen: Die Messung der Last auf den Gabeln mit Genauigkeiten von ca. 2 % reicht sowohl für die Beurteilung der Standsicherheit durch den Fahrer als auch für eine Plausibilisierung der Ware aus, stellt aber kein geeichtes Messsystem dar. Hubhöhenmessungen werden vielfach angeboten. In Verbindung mit einer Vorwahl der Hubhöhe kann der Fahrer direkt das gewünschte Regalfach anwählen, muss sich nicht auf das Treffen der richtigen Hubhöhe konzentrieren, nicht nachjustieren und kann entspannter sowie effektiver arbeiten. Ein Positionslaser, der die Gabel optisch verlängert, bietet weitere Unterstützung beim Einlagern. Mit Last und Hubhöhe stehen dem Fahrer die Informationen zur Verfügung, die er für die Beurteilung der Standsicherheit benötigt, sodass er die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs ohne übermäßige Sicherheitsabschläge aufgrund von Schätzungen ausnutzen kann. Noch einen Schritt weitergehend kann dem Fahrer auch diese Beurteilung abgenommen werden: Bei dem Linde Safety Pilot ist das Traglastdiagramm elektronisch im Fahrzeug hinterlegt und begrenzt Hubhöhe sowie Mastneigung von Gegengewichtsstaplern abhängig von der aufgenommenen Last. Damit kann sich der Fahrer voll auf seine Kernaufgabe konzentrieren und mit gesteigerter Produktivität arbeiten. Das DLC von STILL bietet eine ähnliche Funktion für Fahrzeuge der Lagertechnik. Fahrassistenz Unter dieser Überschrift werden Systeme geführt, die vorrangig der Erhöhung der Umschlagleistung dienen, als Nebeneffekt aber gleichzeitig eine Steigerung der Sicherheit bewirken. Ein anderes Assistenzsystem unterstützt die Fahrer von Schubmaststaplern bei dem Einlagern von Ware: Bei großen Hubhöhen neigen die beladenen Hubgerüste, angeregt durch die Schubbewegung, zu Schwingungen, die nur schwach gedämpft sind. Als Lösung dafür wurden in der Vergangenheit Dämpfungen angeboten, so dass die Schwingungen schneller abklingen. Nunmehr sind aber aktive Systeme im Angebot (Linde Dynamic mast control, STILL ALS), die die Schubbewegung so steuern, dass nahezu keine Schwingungen mehr auftreten und verbleibende Oszillationen sofort getilgt werden. Bei Schmalganggeräten kommen spezifische Systeme zur Assistenz des Fahrers zum Einsatz: Linde Lagernavigation oder STILL Optispeed sind eine Navigationshilfe im Schmalgang und ermöglichen dem Fahrer eine exakte, zeitoptimierte, halbautomatische Anfahrt an die Zielfachposition. Dadurch werden falsche Transporte vermieden und die Effizienz durch Entlastung des Fahrers erhöht. Das Fahrerassistenzsystem ist eine Navigationshilfe im Schmalgang und ermöglicht dem Fahrer eine exakte halbautomatische Anfahrt an die Zielfachposition. Das System erleichtert und optimiert die Anfahrt, indem das Fahrzeug und die Gabel automatisch an der horizontalen und vertikalen Zielposition gestoppt werden.

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Die zuvor aufgeführte Auswahl von Assistenzsystemen verdeutlicht, dass der Fahrer in zunehmendem Maße beim Fahren und Stapeln der Waren unterstützt wird und er sich stärker auf die Aufgaben konzentrieren kann, die nur mit hohem Aufwand zu automatisieren wären: das Identifizieren der zu transportierenden Ware, des Lagerorts, das Interpretieren unvollständiger oder schlecht lesbarer Daten, das Manövrieren in engen Räumen oder in Sondersituationen wie bei verrutschter Ladung. Alle standardisierten Transportvorgänge werden in dem Maße von automatisierten Fahrzeugen übernommen, in dem der Aufwand für die Einrichtung und die Anschaffungskosten sinken. Durch die sinkenden Kosten für den Einsatz von künstlicher Intelligenz, insbesondere von maschinellem Lernen, eröffnet sich ein weites Feld intelligenter Assistenzfunktionen für die Unterstützung des Fahrers, die schrittweise zu einer Teilautomatisierung von Transportvorgängen führen können. Allerdings ist zu erwarten, dass die Fahrer manuell bedienter Fahrzeuge zukünftig durch weitere Assistenzen unterstützt werden und die Umschlagleistung steigt, so dass sich die Schwelle für einen wirtschaftlichen Einsatz von Automatisierung laufend verschieben dürfte. Transportmanagementsysteme Transportmanagementsysteme sind ein weiterer Bereich zur Erhöhung der Effizienz im Warentransport. Im Gegensatz zu den eben vorgestellten fahrzeugbezogenen Systemen zielen Transportmanagementsysteme stärker auf die Prozesse und die Arbeitsorganisation ab. Flottenmanagementsysteme sind seit vielen Jahren eingeführt und werden in zunehmendem Maße eingesetzt. Das Zuweisen von Fahrberechtigungen ist eine Kernfunktion dieser Systeme: Fahrer werden explizit für die Nutzung einzelner Fahrzeuge oder Fahrzeugtypen in einem Unternehmen oder in einer Abteilung mittels einer Zugangskarte berechtigt. Damit kann die Nutzung des Fahrzeugs gezielt auf den Kreis der geschulten und beauftragten Personen eingeschränkt werden und eine unberechtigte Nutzung durch ungeschulte Fahrer oder Fremdpersonal wird vermieden: Das ist ein deutlicher Sicherheitsgewinn. Außerdem geben Flottenmanagementsysteme einen Überblick über die Nutzung und Auslastung der Fahrzeuge, sodass basierend auf diesen Daten die Fahrzeugflotte gezielt optimiert werden kann. Hinzu kommt eine vollständige Fahrzeugdokumentation über den gesamten Lebenszyklus, einschließlich aller Serviceinformationen, bis hinunter zur einzelnen Rechnung. Werden zusätzlich Fehlerinformationen an Servicetechniker wie beim STILL Proactive weitergeleitet, ist über eine schnelle Instandsetzung eines defekten Fahrzeugs hinaus ein erster Schritt in Richtung Predictive Maintenance getan. Gewaltschäden werden durch einen in das Fahrzeug integrierten Schocksensor erkannt. Damit entsteht eine digitale Fahrzeugakte, die sowohl über den Fahrzeugzustand als auch den Fahrzeugeinsatz Auskunft gibt. Fuhrparkleiter oder Fahrer können in Hinblick auf einen fahrzeug- und ressourcenschonenden Einsatz auf Basis der Analysedaten beraten werden. Transportleitsysteme zur Organisation des innerbetrieblichen Transports berücksichtigen bei der Auftragsdisposition verschiedene Kriterien wie Distanzen, Termine, Prioritäten, Ladekapazitäten, Lagerflächen sowie technische oder organisatorische Randbedingungen.

180

3.2

J. Tödter et al.

(Teil-)Automatisierte und autonome Fahrzeuge

Nach einem Hype in den 1980er-Jahren wurden Fahrerlose Transportsysteme in den vergangenen Jahrzehnten vornehmlich in Nischen eingesetzt. Gründe dafür waren neben den Anschaffungskosten vor allem der Aufwand für die Integration in die Transportprozesse und die konkrete Inbetriebnahme der Fahrzeuge – einschließlich der Definition der Pfade und der Lastübergabepunkte – , die mangelnde Flexibilität im Einsatz sowie die im Vergleich zu manuellen Fahrzeugen geringere Umschlagleistung. Die Einrichtung wird überwiegend vom Hersteller der FTS vorgenommen, weil Expertenwissen sowohl in Bezug auf die Einsatzrandbedingungen als auch für die Bedienung der herstellerspezifischen Software notwendig ist, das ein Anwender üblicherweise nicht besitzt. Somit konnten auch Änderungen an den Systemen nicht durch den Betreiber vorgenommen werden. In diesen Jahren erleben Fahrerlose Transportsysteme einen Evolutionsschub: Durch leistungsfähigere und günstigere Sensoren sowie den Wechsel von SPS-Steuerungen hin zu Controller- bzw. Mikroprozessor-basierten Steuerungen werden die Fahrzeuge zunehmend performanter in der Erkennung, Interpretation und damit auch Reaktion auf ihre Umgebung (Tödter 2015). Das wiederum schlägt sich in einer erheblichen Vereinfachung der Inbetriebnahme als auch einer gesteigerten Flexibilität im Einsatz nieder. In Abb. 1 ist dieser Trend grafisch illustriert: Während in der Vergangenheit die Steuerungen der Fahrerlosen Transportfahrzeuge vornehmlich als Regler in einem starr definierten Prozess dienten, werden sie zunehmend durch Piloten ersetzt, die im Rahmen definierter Randbedingungen flexibel auf Basis von interpretierten Sensordaten reagieren können. Hierbei charakterisiert „Regler“ die Fähigkeit, die Längsbewegung sowie die Lenksteuerung eines Fahrzeugs auszuführen (vergleichbar mit einem Tempomaten oder einem Spurassistenten im Auto). „Pilot“ hingegen meint die Fähigkeit, den Fahrweg selbst zu definieren und ihn abzufahren (vergleichbar mit einem autonom fahrenden Auto). Der nächste Schritt deutet sich bereits an: Die Planungsebene verlagert sich von den übergeordneten Managementsystemen auf die Fahrzeuge, die mit diesen gesteigerten Kompetenzen als autonome Fahrzeuge bezeichnet werden können; Fahrzeuge, die – wie ein Fahrer – einen Transportauftrag erhalten und diesen Auftrag autonom ausführen, von der Lastaufnahme, der Wegplanung, der Abstimmung der Vorfahrt mit manuell bedienten wie auch automatisierten Fahrzeugen bis hin zur Lastabgabe. Der Planer erweitert somit die Fähigkeiten des Piloten um die Integration des Fahrzeugs in einen logistischen Prozess – und geht damit über die Fähigkeiten eines autonom fahrenden Autos deutlich hinaus, welches nur einen Auftrag kennt: Fahre von A nach B. Mit den Dimensionen Regler, Pilot und Planer lässt sich die Entwicklung der Systeme treffend charakterisieren. Anhand eines Beispiels je Dimension wird diese Struktur durch die Produkte iGo easy, iGo neo sowie das Forschungsprojekt QBIIK in den nachfolgenden Abschnitten weiter beschrieben. iGo easy Mit dem iGo easy weist STILL bei den Automatisierungslösungen den Schritt weg vom Projekt hin zum Produkt. Das Fahrzeug kann vom Kunden selbstständig

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Abb. 1 Kennzeichnung des autonomen Materialtransports in den Dimensionen Regler, Pilot und Planer. (Quelle: Eigene Darstellung)

installiert und an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden (iGo easy 2014) – ein gutes Beispiel für die sich verändernde Mensch-Maschine-Interaktion, bei der die direkte Bedienung durch komplexe Anweisungen ersetzt werden: „Der Schlüssel zur selbstständigen Installation durch den Kunden liegt in der leicht verständlichen Benutzeroberfläche der iGo easy-App, die den Nutzer durch alle Schritte der Automatisierung leitet. Zuerst werden Reflektoren zur Positionsbestimmung des Fahrzeugs installiert sowie ihre Positionen eingemessen. Hierzu wird das Fahrzeug manuell durch den entsprechenden Lagerbereich bewegt. Die unterschiedlichen Stationen werden anschließend ebenfalls manuell mit dem Fahrzeug abgefahren und per Fingertipp auf dem Tablet aktiviert. Alle angedachten Fahrwege werden dabei automatisch aufgezeichnet. Aus den aufgezeichneten Daten generiert und visualisiert die App den optimalen Fahrkurs. Kurven und Geraden können danach einfach angepasst werden. Einstellungen, wie Tempolimits, Einbahnstraßen und Stationseigenschaften, lassen sich ebenfalls selbsterklärend konfigurieren. Nach erfolgreicher Testfahrt ist das automatisierte Fahrzeug betriebsbereit: Fahraufträge werden durch einen einfachen Fingertipp auf den entsprechenden Button des mobilen Endgeräts per WLAN an das Fahrzeug übermittelt und automatisch ausgeführt. Mit der Cockpitfunktion inklusive Livebild hat der Benutzer das automatisierte Fahrzeug dabei

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jederzeit im Blick. Die aktuelle Fahrzeugposition wird auf einem virtuellen Lagerplan angezeigt und wichtige Daten wie Geschwindigkeit, Batterieladung oder Transportaufträge werden durch übersichtliche Grafiken dargestellt“. (iGo easy 2014)

Damit ist erstmals ein Fahrzeug auf den Markt gebracht worden, das keine Inbetriebnahme durch den Hersteller mehr erfordert. Die Mensch-Maschine-Interaktion ist in diesem Fall durch die (einfache) Einrichtung und durch das Einlasten von Aufträgen eine direkte Interaktion, insbesondere im Vergleich zu herkömmlichen FTF, deren Arbeitsbewegungen und Fahrstrecken für die Beschäftigten im Lager nicht vorhersagbar sind. Es sind aber auch Limitationen dieses Systems zu beachten: Wegen fehlender Anbindung an Transportleit- und Warenmanagementsysteme kann nur ein einzelnes Fahrzeug in einem Bereich genutzt werden und die Aufträge für das Fahrzeug müssen manuell erzeugt werden. Somit ist das Fahrzeug für Anlagen mit geringem Transportvolumen und mit standardisierten Aufträgen, wie sie z. B. in der Ver- und Entsorgung der Produktion auftreten, prädestiniert. Die einfache Bedienung wird durch Intelligenz im Planungssystem des iGo easy gewährleistet. Die Landmarken und die zu fahrenden Pfade können interaktiv eingelernt werden und werden im Planungssystem optimiert. Das eigentliche Fahrzeug hat keine Planungsebene (jeder Auftrag muss von Hand eingegeben werden) und auch nur einen Regler, der versucht, den vorgegebenen Pfad exakt abzufahren. Es ist somit nicht in der Lage, auf sich ändernde Bedingungen, wie sie durch herumstehende Waren oder Paletten verursacht werden, zu reagieren. Ein Ausweichen von Gegenständen ist somit nicht möglich, das Fahrzeug bleibt stur auf seinem vorgegebenen Pfad. Um eine solche Intelligenz in das Fahrzeug zu bringen, muss der Regler um den Piloten erweitert werden, wie es z. B. bei dem iGo neo der Fall ist. iGo neo Anfang 2016 führte STILL den ersten robotisch agierenden Horizontal-Kommissionierer „STILL iGo neo“ ein. Der iGo neo erkennt den Bediener automatisch und folgt ihm während des Kommissionierprozesses durch den Gang, ohne dass manuell gefahren werden muss: Nach einer Initialisierung des Verfolgungsmodus erfasst der iGo neo permanent die Position des Bedieners. Geht der Bediener zur nächsten Kommissionierstelle, folgt ihm der iGo neo und stoppt neben dem Bediener, sodass dieser die Ware direkt aus dem Regal entnehmen und auf der Palette auf dem iGO neo ablegen kann. Dabei hält er den eingestellten Abstand zum Regal, umfährt kleine Hindernisse und stoppt vor größeren Hindernissen wie etwa vorausfahrenden Fahrzeugen oder Personen im Gang. Es muss keine Taste gedrückt werden, um das Fahrzeug zu bewegen. Der Bediener hat die Hände somit frei zum Kommissionieren der Waren und gibt durch seine Bewegung die Geschwindigkeit und Dynamik für den Stapler vor. Am Ende des Kommissioniergangs stoppt das Fahrzeug, sodass andere Vehikel im Quergang nicht behindert werden. Die Personenabsicherung ist über eine übliche Laserscanner-basierte Personenschutzeinrichtung gewährleistet. Neben dem Automatikmodus kann der Bediener das Fahrzeug auch in einem manuellen Modus betreiben.

Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine

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Diese intuitiv bedienbare Mensch-Maschine-Schnittstelle ist ein Beispiel für das derzeit höchstmögliche Maß an Integration und Interaktion, da der Bediener keinerlei explizite Aktionen zur Bedienung ausführen muss. Die Maschine erkennt die Bewegung des Bedieners und reagiert, im Rahmen der gegebenen Randbedingungen, vollständig autonom auf die Bewegung – zur bestmöglichen Unterstützung des Bedieners. Technisch werden die Umgebungserkennung für das Fahren wie auch die Bedienerverfolgung mit Laserscannern als Sensoren abgebildet, deren Signale auf dem Fahrzeug analysiert und in Fahrbefehle umgesetzt werden. Aufgrund des klaren Auftrags des iGo neo ist es möglich, ihn ohne Vorwissen in einer unbekannten Umgebung ad hoc zu betreiben. Der iGo neo erkennt seine Umgebung und leitet davon Handlungsanweisungen ab. Er benötigt nicht mehr einen vorgegebenen Pfad, auf den er regelt, sondern er bewertet seine Umgebung zyklisch und entscheidet, was zu tun ist. Dabei dient der Bediener als Planer für den iGo neo, der die Aufträge erhält und entsprechend ausführt. Damit bietet das Fahrzeug entscheidende Ergonomie-Vorteile: Es ist kein Aufund Absteigen für das Verfahren notwendig und Wegstrecken mit der Ware entfallen. Als weitere Ausbaustufen sind eine Vernetzung mit einem Lagerverwaltungssystem, Pick-by-Voice-Systeme oder aber weitere autonome Arbeitsprozesse denkbar, die jedoch, anders als das bisherige System, eine Integration in die IT-Systeme benötigen. QBIIK In vielen Bereichen gibt es eine Verlagerung von manuell bedienten Fahrzeugen zu automatisierten Fahrzeugen, die in erhöhtem Maße mit Sensoren ausgestattet sind, ihre Umgebung wahrnehmen und die mit Hilfe von Algorithmen der künstlichen Intelligenz auch bei unscharfen Randbedingungen Entscheidungen treffen können. Solche autonomen Fahrzeuge verfügen über eine komplexere Form der Entscheidungsfindung verglichen mit heutigen Systemen, die üblicherweise entscheidungsbaumgeführte Logiken einsetzen. Dies bedarf der Einführung eines Planers, wie oben beschrieben. Der Planer übernimmt hierbei die Funktion von Auftragsannahme, Überwachung der Situation, Planung des Ablaufs und andere – alles auf Grundlage der ausgewerteten Sensordaten. Die Handhabung von Ladungsgütern wie Umverpackungen oder Einzelteilen setzt andere Handhabungsgeräte als heute für Paletten voraus. Lösungen dafür werden stärker an Knickarmroboter mit ihren vielfältigen End-of-Arm-Tools erinnern als an heutige Flurförderzeuge. Andererseits besitzen auch die heutigen Flurförderzeuge Handhabungsgeräte mit einer hohen Zahl von Freiheitsgraden: im einfachen Fall drei Freiheitsgrade (Fahren, Heben, Neigen), im komplexen Fall sechs Freiheitsgrade (Fahren/Vorschieben, Heben, Vor-/Rückneigen, Seitschieben, Schwenken, Drehen). Es erfolgt ein Umdenken in der Behandlung von Ware. Ein Beispiel dafür ist das Forschungsprojekt QBIIK. In diesem Szenario wird eine Kombination aus einem autonomem Fahrzeug und einem industriellen Roboterarm gezeigt, die in der Lage ist, einzelne Kleinladungsträger mit bis zu 20 kg Gewicht aus einem Anhänger zu entnehmen und sie in die entsprechenden Regalfächer im

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Supermarkt einzusortieren – völlig autonom. Hierbei kommen neue Sensorik und Felder der künstlichen Intelligenz, wie etwa maschinelles Lernen, zum Einsatz. Das gewährleistet die Autonomie in hochdynamischen Umgebungen. QBIIK ist in vielerlei Hinsicht ein nächster Schritt in der mobilen autonomen Robotik. Zum einen wird ein autonomes Fahrzeug um die Freiheitsgrade eines Roboterarms erweitert, um komplexere Aufgaben zu übernehmen. Zum andern wird auch der klassische Einrichtungsprozess auf ein neues Level gehoben. Die Vereinigung von mobiler Robotik und stationärer Lastmanipulation bringt aber auch viele Herausforderungen mit sich. Solche Systeme haben einen erhöhten Energiebedarf. Hierfür muss in Zukunft eine praktikable Lösung gefunden werden, um solche Systeme industriegerecht zu betreiben. Die weitaus größere Herausforderung ist es, ein industrietaugliches Sicherheitskonzept für ein solches System zu erstellen. Zwar haben autonome Flurförderzeuge heute bereits einen Mast und Gabeln mit ähnlich vielen Freiheitsgraden wie ein Roboterarm. Doch kann sich ein Roboterarm mit deutlich höheren Geschwindigkeiten bewegen, und der Aktionsradius wird in vielen Anwendungen eine größere Schnittmenge mit dem menschlichen Arbeitsbereich haben. Neben dem Sicherheitskonzept wird auch die Einrichtung solcher Systeme mit jedem Freiheitsgrad schwieriger. Anders als z. B. ein Industrieroboter, der ortsfest vorgegebene Bewegungsabläufe exakt reproduziert, muss ein Handhabungsgerät für Lasten in einer volatilen Lagerumgebung an verschiedenen Positionen seine Aktion an die vorliegende Situation anpassen können, ein Vorplanen der möglichen Bewegungen ist bei einem solchen System nicht mehr möglich. Das gilt zum Teil auch bereits für die heute eingesetzten Fahrerlosen Transportfahrzeuge. Ein wichtiger Aspekt, der mit diesem Forschungsprojekt gezeigt wird, ist deshalb die Umsetzung eines industrietauglichen Sicherheitskonzepts. Dies trägt dazu bei, dass der Roboterarm nicht mit der Geschwindigkeit einer Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) arbeiten muss und auch keine Sensorik wie einen MRK-Roboterarm benötigt. Nur so kann das autonome System in der Bearbeitungsgeschwindigkeit wettbewerbsfähig zum Menschen werden und für Entlastung sorgen. Das Fehlen von expliziten Sicherheitsnormen für derartige Anwendungen führt zu einer komplexen Risikobewertung, selbst bei Voraussetzen einer Aufgabenteilung, d. h. entweder ist das Fahrzeug aktiv und der Roboterarm blockiert oder umgekehrt. Ein gleichzeitiges Bewegen von Ware mit dem Arm und Fahren mit dem Fahrzeug brächte eine noch höhere Anforderung an die Sicherheitskonzepte. Das Einrichten erfolgt ähnlich wie beim iGo easy durch eine manuelle Einrichtungsfahrt. Dabei werden dem Fahrzeug seine Wege „aufgezeigt“. In diesem Schritt wird auch die Verbindung zum globalen System hergestellt. Gleichzeitig werden Bereiche, die nicht befahren werden dürfen, abgegrenzt. Anders als beim iGo easy wird allerdings kein Pfad aufgenommen, der dann später wiederholt abgefahren wird. QBIIK nimmt während der Einrichtungsfahrt alle notwendigen Informationen (Bodenmarkierungen, Lagerpositionen, Gänge usw.) auf, die es braucht, um die Abarbeitung der Aufträge selbstständig zu planen. Einen Auftrag erhält QBIIK nicht über ein Leitsystem, sondern ermittelt diesen selbstständig aus der auszuliefernden Ware im Anhänger. Damit ist eine zügige Einrichtung vor Ort gewährleistet: Die

Flurförderzeuge für ein interaktives Zusammenspiel von Mensch und Maschine

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Einrichtungsfahrt ist wiederholbar und kann vom Betreiber selbst durchgeführt werden. QBIIK ist somit in vielen Hinsichten autonom: Dem System muss nicht viel mehr gezeigt werden als einem neuen Mitarbeiter. Darüber hinaus wird das kontinuierliche Lernen des Greifens mit in den Arbeitsprozess integriert. Stellt QBIIK ein Problem während der Ausführung seiner Aufgabe fest, z. B. dass die Label auf einer Kiste nicht leserlich sind, meldet es diesen Vorfall an einen Operator. Dieser Operator ist zentral für mehrere Fahrzeugflotten zuständig und kann sich remote auf die Situation aufschalten. Der Operator bekommt den aktuellen Zustand und über die Sensoren einen Blick für die aktuelle Situation, die er remote löst. Diese Lösung wird zum kontinuierlichen Training des neuronalen Netzes verwendet. Dies ermöglicht die kontinuierliche Weiterentwicklung des Fahrzeugverhaltens und die fortwährende Optimierung der Fahrzeugleistung mit Prozessen, die im Hintergrund laufen und die für den Betreiber im täglichen Einsatz nicht sichtbar sind. Somit ist QBIIK ein bedeutender Schritt auf dem Weg vom „Piloten“ zum „Planer“.

4

Ausblick

In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Schritte der Evolution von der Assistenz/Automatisierung hin zur Autonomie an Beispielen erläutert. Für die ersten Schritte sind die entsprechenden Produkte bereits am Markt, für die weiteren Schritte wurden die Forschungsprojekte vorgestellt. Neben den technischen Aspekten sind weitere Einflussfaktoren zu berücksichtigen: Die Verfahren der künstlichen Intelligenz, insbesondere die des maschinellen Lernens, werden diese Entwicklung weiter beflügeln: Die Fahrzeuge werden ihre Umgebung sehr viel differenzierter interpretieren und sie werden damit flexibler agieren können. Erweiterte Sicherheitsmechanismen werden eine engere Kollaboration von Mensch und Maschine erlauben, sobald Wahrscheinlichkeiten als Maß für die Vermeidung von Unfällen akzeptiert werden und nicht mehr einen Ausschluss von Unfällen verlangt wird (unter definierten, einschränkenden Randbedingungen). Damit begeben wir uns auf das Gebiet der Technikethik, in der diese Fragen derzeit interdisziplinär diskutiert werden. Verbunden mit dem intensivieren Einsatz künstlicher Intelligenz wird der zunehmende Einsatz autonomer Fahrzeuge wahrscheinlich dazu führen, dass sowohl Arbeitsplätze substituiert als auch solche entstehen werden, die eine höhere Qualifikation erfordern. Es ist nun eine Aufgabe der Technikfolgenabschätzung (Grunwald 2010), Chancen und Risiken dieser Entwicklung vorherzusehen und abzuwägen, um z. B. Mitarbeiter in Unternehmen auf die veränderten Anforderungen vorzubereiten. Nur wenn die technische und die personalpolitische Entwicklung parallel vorangetrieben werden, wird sich das Potential des interaktiven Zusammenspiels von Mensch und Maschine ausschöpfen lassen.

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Literatur CGI (2018) Center Connected Industry. https://connectedindustry.net/. Zugegriffen am 02.02.2019 Follert G, Behling J (2016) Abschlussbericht zum Verbundprojekt Hub2Move im Leitthema Wandelbare Logistiksysteme: EffizienzCluster LogistikRuhr: Laufzeit vom 01.06.2011 bis 31.05.2015. Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund Grunwald A (2010) Technikfolgenabschätzung – eine Einführung. Edition Sigma, Berlin Hub2Move (2015) Wandelbare Logistiksysteme. https://www.effizienzcluster.de/files/1/17/1066_ hub2move.pdf. Zugegriffen am 02.02.2019 IC4F (2018) Industrial Communication for Industries. https://www.ic4f.de/. Zugegriffen am 02.02.2019 iGo easy (2014) https://www.ifoy.org/ifoy-2014/nominierungen-2014/igo-easy. Zugegriffen am 02.02.2019 ten Hompel M, Schmidt T, Dregger J (2018) Materialflusssysteme, Förder- und Lagertechnik. Springer Vieweg, Berlin Tödter J et al (2015) Steigerung des Autonomiegrades von autonomen Transportrobotern im Bereich der Intralogistik – technische Entwicklungen und Implikationen für die Arbeitswelt 4.0. In: Botthof, Hartmann (Hrsg) Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Springer Vieweg, Berlin/ Heidelberg, S 69–75 VDI-Richtlinie (2018) VDI 4458 Flottenmanagementsysteme für Flurförderzeuge. Ausgabe Nov. 2018

€ sseltechnologien fu € r intelligente, Schlu mobile Transport- und Automatisierungsplattformen Christopher Kirsch, So¨ren Kerner, Alexander Bubeck und Matthias Gruhler

Zusammenfassung

Autonome Plattformen ko¨nnten in der Industrie 4.0 viele neue Aufgaben € ubernehmen. Jedoch sind aktuell verschiedene Technologien noch nicht weit genug entwickelt, um die beno¨tigte Flexibilita¨t f€ur die Smart Factory bereitzu¨ berblick €uber verschiedene Schl€usselstellen. Dieser Artikel soll einen kurzen U technologien bieten, die f€ur die Erreichung dieses Zieles notwendig sind. Zudem werden einige Beispiele f€ur solche Plattformen angef€uhrt sowie mo¨gliche Szenarien vorgestellt, die durch intelligente, mobile Plattformen ermo¨glicht werden ko¨nnen.

1

Motivation

Die Logistik entlang der Wertscho¨pfungskette – sowohl innerbetrieblich als auch € uber die gesamte Supply Chain – wird f€ur Entwicklungen im Kontext von Industrie 4.0 immer wichtiger. Neben den produktionszentrierten Ansa¨tzen einer Smart Factory gewinnen somit auch die technologischen und organisatorischen Themenfelder des Materialtransports an Bedeutung. In einer Smart Factory spielt zum einen die Schaffung von dezentral organisierten und miteinander vernetzten Produktionsanlagen innerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen eine wichtige Rolle, zum anderen aber auch die Vernetzung mit

C. Kirsch (*) · S. Kerner Abteilung Automation und eingebettete Systeme, Fraunhofer-Institut f€ ur Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] A. Bubeck · M. Gruhler Fraunhofer-Institut f€ur Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_10

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der Unternehmensumwelt. Durch eine engere Vernetzung mit den Partnern der Supply Chain ko¨nnen Informationen automatisch ausgetauscht werden und somit Produktionsprozesse auf Basis einer ganzheitlichen Informationsgrundlage opti¨ nderungen miert werden. Des Weiteren ko¨nnen Anforderungen des Kunden und A bei den Lieferanten direkt in die Prozesse einbezogen werden. Mit Blick auf die einzelnen Produktionsanlagen werden somit Technologien f€ur die Selbstkonfiguration, Selbstorganisation und intelligente Wartung no¨tig. Damit die Smart Factory wandelbar und flexibel ist, muss auch die Vernetzung auf der Materialflussebene und den damit verbundenen Informationsebenen (Warehouse Management System, Enterprise Resource Planning etc.) weiterentwickelt und neu geschaffen werden, wie bereits in Bubeck et al. (2014) hergeleitet wurde. Es sind somit neue Technologien notwendig, welche unter anderem ein vollsta¨ndig autonomes Fahren von Transportplattformen ermo¨glichen. Zudem sollten diese Technologien die Integration von Transportmitteln in dezentrale Steuerungen sowie deren Koordination bereitstellen. Des Weiteren sollten sie den Transport von einzelnen Halberzeugnissen wie auch die Kooperation von Transport- und Produktionsanlage ermo¨glichen. Indem neue Technologien, Vernetzungs- und Koordinierungsmo¨glichkeiten geschaffen werden, kann das Prinzip eines „Internet der Dinge und Dienste“ im industriellen Umfeld umgesetzt werden, was wiederum das Aufkommen neuer Gescha¨ftsmodelle nach sich ziehen wird. Neben neuartigen Stetigfo¨rdertechniken und anderen Mo¨glichkeiten, den Materialfluss entsprechend den Anforderungen der Industrie 4.0 zu realisieren, stellen neuartige Technologien im Bereich der Fahrerlosen Transportsysteme (FTS) den notwendigen Hauptentwicklungszweig dar. Diese Technologien ermo¨glichen einen Paradigmenwechsel im FTS-Bereich, welcher von Großinstallationen, Insello¨sungen und Spezialfahrzeugen hin zu universell einsetzbaren und intelligenten Transportfahrzeugen und hochflexiblen Automatisierungsplattformen f€uhrt (Bubeck et al. 2014). Die intelligenten Transportfahrzeuge umfassen neuartige Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF), die in hochdynamischen Umgebungen autonom und sicher operieren ko¨nnen und gleichzeitig einen zeit- und ressourceneffizienten Materialtransport durch eine intelligente Koordination unterschiedlicher Fahrzeugtypen gewa¨hrleisten. Der vorliegende Buchbeitrag wird neuartige Szenarien f€ur den Einsatz von intelligenten Transport- und Automatisierungsplattformen beschreiben. Außerdem stellt er die notwendigen Technologien dar, um diese Zukunftsbilder schnellstmo¨glich in die Realita¨t €uberf€uhren zu ko¨nnen. Als Branchenbeispiele dienen hier unter anderem der autonome Transport von Sendungen in einem Paketzentrum sowie die Automobilfertigung.

1.1

Intelligente Transportplattformen

Das Szenario f€ ur den Bereich der intelligenten Transportplattformen stellt den Transport von G€ utern innerhalb von Distributionszentren dar. Im Detail umfasst dies den Transport von Ladungstra¨gern, Paletten oder einzelnen Packst€ucken von

Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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einer Lagerfla¨che (bspw. einem Regal) zu einer Entnahmestelle (bspw. Kommissionierstation). Somit betrachten wir in diesem Szenario Schl€usseltechnologien, welche intelligente mobile Transportplattformen f€ur den Einsatz in „Ware-zumMann“-Szenarien befa¨higen. Im Hinblick auf Industrie 4.0 werden insbesondere in diesen Umgebungen wandelbare und flexible Transportplattformen eingesetzt werden, denn die individuell produzierten G€uter sollten in Zukunft schnellstmo¨glich zum Kunden oder zum Endverbraucher gelangen. Die Kundenanforderung „same day delivery“ kann in Zukunft nur realisiert werden, wenn der G€utertransport sowohl innerhalb eines Distributionszentrums als auch auf der Straße mo¨glichst effizient, schnell und sicher erfolgt. Diese Leistungsanforderung gepaart mit den genannten Anforderungen der Wandelbarkeit und Flexibilita¨t erfordern neue Technologien in unterschiedlichen Technologiefeldern, um innovative Materialflusstechnologien zu realisieren. In einem Szenario der Deutschen Post DHL aus der Studie „Self-Driving Vehicles in Logistics“ (DHL Trend Research 2014) wird ein Lager gezeigt, in dem intelligente, mobile Transportplattformen und Menschen zusammenarbeiten. Es existieren Transportplattformen, die einzelne Kisten oder Kartonagen transportieren ko¨nnen, aber auch Transportfahrzeuge, welche ganze Regale oder Paletten bewegen. Der Einsatz von verschiedenartigen Fahrzeugen zur Bewerkstelligung unterschiedlicher Transporte in einer gemeinsamen Umgebung ist ein aktueller Trend, der Einzug in vielen zukunftsweisenden Distributionszentren und Lagern ha¨lt. Um dieses aufgezeigte Szenario Wirklichkeit werden zu lassen, arbeiten unterschiedliche FTF-Hersteller, Technologieanbieter und Forschungseinrichtungen an verschiedensten Technologien und neuartigen Transportplattformen. Dabei werden nicht nur einzelne Schl€usseltechnologien entwickelt und getestet, sondern auch neuartige Verfahren zur Koordinierung der Fahrzeuge in diesen dynamischen und wandelbaren Umgebungen. Um eine hohe Transportkapazita¨t in Distributionszentren zu erreichen, wird je nach Anwendungsfall ein homogenes oder heterogenes Kollektiv von intelligenten, mobilen Transportplattformen eingesetzt. In einem spa¨teren Abschnitt dieses Artikels werden exemplarisch verschiedene Fahrzeuge, welche bereits auf dem Markt verf€ugbar sind oder aktuell den Status eines Konzeptfahrzeugs innehaben, vorgestellt und mo¨gliche Schl€usseltechnologien aufgezeigt, welche diese Art der Fahrzeuge f€ur den Einsatz in der Industrie 4.0 bereit machen.

1.2

Intelligente, mobile Automatisierungsplattformen

Die zuk€ unftigen Prozesse und Automatisierungsmo¨glichkeiten im Bereich der Automobilfertigung untersuchen das Fraunhofer IPA und das Fraunhofer IML in den Projekten „ARENA2036“ und dem Projekt „SmartFace“. Im Szenario der Automobilfertigung sind neben intelligenten und mobilen Transportplattformen auch Automatisierungsplattformen angesiedelt. Diese Automatisierungsplattfor-

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men sind mit Handhabungsgera¨ten ausgestattet (bspw. industrietauglichen Leichtbaurobotern). Sie befa¨higen die Plattform zum einen, einzelne Halberzeugnisse oder Endprodukte zu handhaben und zu transportieren, aber zum anderen auch, einzelne Montageschritte oder Wartungsarbeiten an den Produktionspla¨tzen durchzuf€ uhren. Durch diese Kombination aus mobiler Plattform und Handhabungseinheit (weshalb diese Plattformen auch mobile Manipulatoren genannt werden) ko¨nnen neue Gescha¨ftsmodelle entwickelt und erstmals die ha¨ufig unabha¨ngig voneinander betrachteten Felder Produktion und Logistik gemeinsam in einem System adressiert werden. In diesen Szenarien sind verschiedene Anwendungen f€ur mobile Automatisierungsplattformen denkbar. Einerseits ko¨nnen mobile Transportfahrzeuge die Flexibilita¨t in der Montage und Produktion erho¨hen, indem sie als Ersatz f€ur die klassischen Fließba¨nder die Aufgabe des Transports der Karossen durch die Montage € ubernehmen. Zudem ko¨nnen auch die Montagearbeiten auf den Plattformen durchgef€ uhrt werden. Dabei kann €uber einzelne Teilschritte das komplette Spektrum bis zur Montage eines kompletten Pkws, von der „leeren“ Karosse bis zum fahrt€ uchtigen Auto, auf der Plattform realisiert werden. Andererseits ko¨nnen die Automatisierungsplattformen selbst Teile der Montage €ubernehmen, indem sie Seite an Seite mit den Werkern arbeiten und einfache Handhabungs- und Montageaufgaben durchf€uhren. Auch wenn in der Automobilfertigung aufgrund der hohen Innovationsbereitschaft der OEMs viele Use Cases f€ur mobile Automatisierungsplattformen angedacht und realisiert werden, gibt es nat€urlich auch in vielen anderen Branchen a¨hnliche Anwendungen.

2

Beschreibung ausgewa¨hlter Schlu¨sseltechnologien

Im Folgenden werden einige ausgewa¨hlte Schl€usseltechnologien na¨her beschrieben, die f€ ur intelligente, mobile Plattformen notwendig sind. Viele dieser Technologien sind bereits Gegenstand der Forschung, haben aber noch nicht den Sprung in die industrielle Umsetzung geschafft. Des Weiteren ist eine große Teilmenge der im Nachgang beschriebenen Schl€usseltechnologien f€ur die ganzheitliche Umsetzung der Konzepte der vierten industriellen Revolution unerla¨sslich. Die folgende ¨ berblick €uber einen Großteil der wichtigsten Schl€usseltechnoAbb. 1 zeigt einen U logien im Bereich der mobilen Plattformen.

2.1

Sensorik

Wie jedes cyber-physische System (kurz CPS) werden auch die neuartigen, intelligenten Transport- und Automatisierungsplattformen mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet sein. Nach Definition umfasst ein CPS „eingebettete Systeme, also Gera¨te, Geba¨ude, Verkehrsmittel und medizinische Gera¨te, aber auch Logistik-, Koordinations- und Managementprozesse sowie Internet-Dienste, die mittels Sensoren unmittelbar physikalische Daten erfassen und mittels Aktoren auf physikalische Vorga¨nge

Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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Abb. 1 Schl€usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und Automatisierungsplattformen

einwirken [. . .]“ (Geisberger und Broy 2012). Um den neuen Anforderungen der Industrie 4.0 wie einer erho¨hten Wandelbarkeit, Flexibilita¨t und einer fast vollkommenen Autonomie der Systeme gerecht zu werden, m€ussen die zuk€unftigen Transportfahrzeuge und Automatisierungsplattformen mit einer Vielzahl von zum Teil neuartigen Sensoren ausgestattet werden. Nat€urlich spielen auch bei den Entwicklungen der Transportfahrzeuge allumfassende Trends wie beispielsweise Low-cost-Sensoren oder Standards f€ ur Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle eine wichtige Rolle. Dennoch sind verschiedene Schl€usseltechnologien besonders hervorzuheben: neuartige Sicherheitssensorik, intelligente Sensoren und 3D-Sensoren, Die Entwicklung neuartiger Sicherheitssensorik hat hierbei einen hohen Stellenwert (SPARC 2015), da sowohl Transport- als auch Automatisierungsplattformen in Umgebungen eingesetzt werden, in denen Menschen arbeiten oder sogar direkt mit diesen Fahrzeugen interagieren. Zudem wird der Mensch auch in zuk€unftigen Smart Factories als sensorisches und motorisches Multitalent eine sehr wichtige Rolle spielen. Aus diesem Grund muss ein Wandel im Bereich der Sicherheitssensorik erfolgen. Damit Mensch und Maschine noch mehr kooperieren ko¨nnen und die Produktion wandelbarer und flexibler wird, m€ussen dynamische Schutzeinrichtungen die starren Sicherheitssysteme wie Za¨une und Lichtschranken ersetzen. Konkret bedeutet dies zum einen, dass Sicherheitssensoren eine beliebige Anzahl an Schutz- und Warnfeldern unterst€utzen m€ussen, und zum anderen, dass Verba¨nde von Sensoren eine ganzheitliche Sicherheit zuverla¨ssig und einfach gewa¨hrleisten ko¨nnen m€ussen. Bei letzterem kann sogar die Zukunftsvision von Sensoren, die einzeln nicht „safe“ sind, aber im Verbund eine funktionale Sicherheit bieten ko¨nnen (Ullrich 2013, S. 182 f.), aufgezeigt werden. Des Weiteren ist es notwendig, eine ra¨umliche Absicherung des Fahr- bzw. Arbeitsraums von Transport- und Automatisierungsplattformen zu ermo¨glichen. In diesem Bereich ko¨nnten mehrschichtige Laserscanner, industrietaugliche 3D-Kameras (bspw. auf Basis der PMD-Technologie) oder andere Sensoren von der Industrie zu sicheren Produkten weiterentwickelt werden. Durch diese Schl€usseltechnologie ko¨nnten Firmen befa¨higt werden, Einzelabnahmen von Systemlo¨sungen zu vermeiden, da die neuartige

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Sicherheitssensorik bereits notwendige Sicherheitsstandards und somit sa¨mtliche sicherheitstechnischen Anforderungen erf€ullt. Damit ko¨nnte endlich der ersehnte Wandel „vom Projekt- zum Produktgescha¨ft“ im Bereich der FTF-Branche stattfinden. 3D-Sensoren ko¨nnen nicht nur Informationen f€ur sicherheitsrelevante Applikationen bereitstellen, sondern haben zudem das Potenzial, die Anwendungsgebiete von Transport- und Automatisierungsplattformen zu vergro¨ßern. F€ur verschiedene Anwendungen sind ra¨umliche Informationen €uber die Umgebung, in der diese Fahrzeuge operieren, erforderlich. Im Bereich der Lastaufnahme von Transportplattformen ko¨nnten ra¨umliche Informationen €uber die exakte Lage und eventuell die Beschaffenheit der Last, wie zum Beispiel einer Palette, das Fahrzeug veranlassen, sich optimal auf die Last einzustellen (To¨dter et al. 2015). Dies ko¨nnte sowohl eine optimierte Route zur Aufnahme der Last beinhalten, aber auch die Ausrichtung der Lastaufnahmemittel wie Staplergabeln und einen mo¨glichen Gewichtsausgleich auf dem Fahrzeug. Auch wenn die 3D-Sensorik heute (noch) keine funktionale Sicherheit bietet, ko¨nnen diese ra¨umlichen Informationen f€ur eine prozesssichere Routenplanung genutzt werden. In Abha¨ngigkeit von der Lastho¨he oder der Ho¨he des Fahrzeugs ko¨nnen verschiedene Objekte in der Umgebung (bspw. Leitern oder herunterha¨ngende Gegensta¨nde wie Kabel) als Hindernisse klassifiziert werden, obwohl sie von 2D- Sicherheitssensorik nicht erfasst werden ko¨nnen. F€ ur Automatisierungsplattformen ist die dreidimensionale Erfassung der Umgebung ein essenzieller Bestandteil f€ur die Steuerungsalgorithmen, da die Handhabungsaufgaben vornehmlich nur mithilfe von ra¨umlichen Informationen durchgef€ uhrt werden ko¨nnen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Bandbreite an industrietauglichen 3D-Sensoren sehr gering, und somit behelfen sich die verschiedenen Forschungseinrichtungen und vereinzelt Industrieunternehmen mit Sensoren aus dem Consumer-Bereich wie bspw. der Microsoft Kinect 2 oder a¨hnlichen Produkten. W€ unschenswert wa¨re ein industrietauglicher Sensor, welcher zum einen von der IP-Schutzklasse die Industriestandards erf€ullt und zum anderen sehr robust gegen€ uber externen Licht- und Oberfla¨cheneinfl€ ussen ist. Die beschriebenen Eigenschaften sollten in industrietauglichen Sensoren vereint werden, die gleichzeitig eine hohe Auflo¨sung erreichen, wie sie aktuell nur in Consumer-Produkten verf€ ugbar ist. Im Kontext von Industrie 4.0 wird in vielfa¨ltiger Weise der Begriff „intelligente Sensorik“ verwendet, ohne explizit definiert zu werden. Die in diesem Artikel getroffene Auslegung von intelligenter Sensorik im Bereich der Transport- und Automatisierungsplattformen bezieht sich auf Sensoren, die in der Lage sind, eine Vorverarbeitung der Rohdaten bereits auf dem Sensor durchzuf€uhren. Dadurch kommen sie auf ein sehr hohes Aussagelevel der Daten und besitzen dabei gleichzeitig unterschiedliche Mo¨glichkeiten der Vernetzung und somit Erweiterung der verf€ ugbaren Datenmenge. Dies ko¨nnte zum einen der neuartige Sicherheitslaserscanner sein, welcher auf Basis eines Umgebungsmodells nicht nur f€ur die funktionale Sicherheit des Systems verantwortlich ist, sondern gleichzeitig noch eine exakte Position und Ausrichtung des Fahrzeugs an die Fahrzeugregelung € ubergeben kann. Der Punkt Vernetzung ist vorteilhaft, wenn verschiedenartige

Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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Sensoren an einem Fahrzeug angebracht sind, die alle f€ur einen Anwendungsfall genutzt werden ko¨nnen. So ko¨nnen sich Sensoren mittels der Orchestrierung von Diensten in Zukunft selbststa¨ndig vernetzen und einen gemeinsamen Datensatz mit semantischer Beschreibung bieten. Eine Anwendung im Bereich der intelligenten Automatisierungsplattformen ko¨nnte die automatische Fusion von Daten externer Sensorik (bspw. RGB-Kamera am Arbeitsplatz) und der oben beschriebenen 3D-Sensoren an der Automatisierungsplattform sein, um verschiedene Features in 2D und in 3D zu erkennen und somit die Genauigkeit des Gesamtsystems zu erho¨hen. Intelligente Sensoren bieten das Potenzial, den Engineeringaufwand und die Inbetriebnahmezeiten zu senken und gleichzeitig die Wandelbarkeit einzelner Systeme zu verbessern. Die Vorteile dieser Sensoren beziehen sich dabei auf alle CPS in der Smart Factory. Alle aufgezeigten Sensoren sind maßgeblich f€ur die Steigerung der Kognitionsfa¨higkeit und die Ho¨he der Autonomie von Transportfahrzeugen und Automatisierungsplattformen verantwortlich. Nichtsdestotrotz m€ussen neuartige Softwaremodule die Daten der Sensoren verarbeiten, um den erwa¨hnten Autonomiegrad zu erlangen. Unter anderem ist dazu zu jedem Zeitpunkt eine mo¨glichst exakte Lokalisierung und sichere Bahnplanung in der Smart Factory notwendig. Neue Themenfelder wie beispielsweise „Livelong Navigation“ werden zuk€unftig dazu beitragen und sind im nachfolgenden Kapitel kurz beschrieben.

2.2

Aktorik

Intelligente Transport- und Automatisierungsplattformen sind CPS, welche in der Smart Factory den Materialtransport und einfache Handhabungsaufgaben durchf€ uhren. Neben der Sensorik als elementarer Bestandteil intelligenter Plattformen sind auch verschiedenartige Aktorikelemente unerla¨sslich. Zum einen m€ussen die Plattformen mit mo¨glichst flexiblen Aktoren ausgestattet sein, die eine Bewegung zwischen Start- und Zielposition ermo¨glichen. In diesem Bereich sind besonders fla¨chenbewegliche (omnidirektionale) Antriebe hervorzuheben. Plattformen mit diesen Antrieben sparen auf der einen Seite Fla¨che, welche sonst f€ur das Rangieren notwendig ist. Zum anderen bieten sie die Flexibilita¨t, die Routen in unterschiedlichen Orientierungen zu befahren und sich an den Zielorten noch variabel und hochgenau positionieren zu ko¨nnen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Kinematik des Handhabungswerkzeugs €uberbestimmt bzw. redundant ist. Somit kann mittels intelligenter Regelung entweder das Fahrzeug omnidirektional verfahren oder der Industrieroboter auf der Automatisierungsplattform beliebig positioniert werden. Dadurch ergeben sich viele Mo¨glichkeiten, Manipulationsaufgaben zuverla¨ssig und effizient zu lo¨sen. Es existieren unterschiedliche Konzepte, welche unter anderem auf Mecanum-Ra¨dern oder Lenk-Fahrantrieben beruhen. Bei beiden Mo¨glichkeiten sind die Kosten und die Anforderungen an die Regelungsgenauigkeit sowie die Bodenbeschaffenheit recht hoch. Aus diesem Grund sind neue Antriebs- und Aktortechnologien zu entwickeln, die eine freie und hochgenaue Positionierung in der Ebene ermo¨glichen.

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Auch die Industrieroboter an Start- und Zielpunkten der Plattformen beno¨tigen geeignete Aktorik f€ur entsprechende Handhabungsaufgaben. Selbst wenn die im vorherigen Abschnitt beschriebenen sicheren 3D-Sensoren auf den Markt kommen, stellen eigensichere Industrie- und industrielle Leichtbauroboter eine Schl€usseltechnologie f€ ur die Automatisierungsplattformen dar. Nur damit ko¨nnen die f€ur die Smart Factory beno¨tigte Flexibilita¨t und Wandelbarkeit sowie die Arbeit der Roboter in der direkten Na¨he zum Menschen umgesetzt werden.

2.3

Navigation

Eine der Hauptfa¨higkeiten von mobilen Plattformen ist die autonome Bewegung von einer Start- zur Zielposition. Diese Fa¨higkeit ist schon seit langem, wenn auch nur in begrenztem Umfang, auf Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF) vorhanden. Allerdings wird dies im Allgemeinen €uber das Einbringen von k€unstlichen Leitmarken (seien es Leitlinien, Magnetraster oder Reflektormarken) erreicht. Diese Infrastruktur bedeutet meist erho¨hte Kosten f€ur die Inbetriebnahme, Integration und Wartung sowie entsprechenden zeitlichen Aufwand. Seit kurzem werden in industriellen Anwendungen vereinzelt auch Navigationsverfahren eingesetzt, die auf der Erkennung von geometrischen Merkmalen in der Umgebung von FTF basieren. Diese Navigationsverfahren werden in der Robotik schon seit einigen Jahrzehnten erforscht. Diese Verfahren sind f€ur intelligente Transport- und Automatisierungsplattformen jedoch nicht ausreichend, da diese sich nicht mehr nur in statischen Umgebungen, sondern in der sich sta¨ndig neu konfigurierenden Smart Factory bewegen. Deshalb m€ ussen f€ ur die Navigation neue Verfahren entwickelt werden, die diesen spezifischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Das Ziel hierbei ist, dass sich die Fahrzeuge wa¨hrend ihrer kompletten Lebensdauer an die Umgebung anpassen ¨ nderungen in der Umgebung detektieren und darauf ko¨nnen. Daf€ ur m€ ussen sie A reagieren ko¨nnen. Dies beschreibt das neuartige Themenfeld der „Livelong Navigation“ (Tipaldi et al. 2013). Unter „Livelong Navigation“ (manchmal auch „Livelong SLAM“, Simultaneous Localization and Mapping, genannt) versteht man dabei die Fa¨higkeit der Plattformen, vorhandenes Kartenmaterial anhand der aufgenommenen Sensordaten kontinuierlich zu aktualisieren und sich durchgehend in der Umgebung lokalisieren zu ko¨nnen. Dabei muss das Augenmerk insbesondere auf die Robustheit der Verfahren gelegt werden. Spezielle Umgebungsmodelle, die diese zeitliche Dimension abbilden ko¨nnen, sind dabei unerla¨sslich. Diese Verfahren ermo¨glichen intelligenten Transportplattformen, die Anforderungen an einen zuverla¨ssigen und effizienten Materialfluss zu erf€ullen. Wenn mehrere Fahrzeuge in ¨ nderungen an der Umgederselben Umgebung operieren, ko¨nnen sie detektierte A bung kartieren und an das Kollektiv verteilen. Somit kann jedes Fahrzeug zu Beginn eines Transportauftrags bereits zuverla¨ssig eine Bahn zur Zielposition planen und gleichzeitig reaktives Verhalten – bspw. Ausweichverhalten – reduzieren. Insbesondere f€ur ein Kollektiv von Transportplattformen wird dies zukunftsweisend sein, da sich dadurch die einzelnen Fahrzeuge in der nun durchge-

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hend bekannten Umgebung optimal koordinieren lassen und Deadlocks nicht mehr entstehen. Dadurch steigt die Zuverla¨ssigkeit, und neue Leistungen im Bereich des innerbetrieblichen Warentransports sind in Zukunft denkbar. Das Fraunhofer IML hat im Projekt der Zellularen Transportsysteme (Kamagaew et al. 2011) mit einem Kollektiv von Transportplattformen (siehe Abb. 2) Entwicklungen in diesem Bereich vorangebracht. Die folgenden Bilder (Abb. 3) zeigen jeweils neue Informationen, die von einzelnen Fahrzeugen mittels SLAMVerfahren kartiert und in eine globale Karte integriert wurden. Die Fahrzeuge fuhren unterschiedliche Routen und hatten somit andere Blickwinkel auf die zwei Paletten, welche in die Umgebung gestellt wurden. Dies spiegelt das Szenario in einem Distributionszentrum wider, in dem ein spontanes Bodenblocklager mit Paletten aufgebaut wird. In herko¨mmlichen Fahrerlosen Transportsystemen w€urde dies ha¨ufig zu einem Teilstillstand verschiedener Fahrzeuge oder schlimmstenfalls des ganzen Systems f€ uhren, da diese im Allgemeinen weder ein reaktives Verhalten f€ ur das Umfahren von Hindernissen noch die Mo¨glichkeit besitzen, die Routen der einzelnen Fahrzeuge schnell und automatisch zu adaptieren. Bei einer Vielzahl von Transportplattformen ko¨nnen zur Lokalisierung beziehungsweise zur Kartenerstellung die bereits vorhandenen Laserscanner eingesetzt werden, die eine zweidimensionale Ebene des Raumes ausmessen. Dies ist jedoch

Abb. 2 Zellulares Transportfahrzeug

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Abb. 3 a Detektion einer Umgebungsa¨nderung und resultierende Karte der 1. Transportplattform. b: Detektion einer Umgebungsa¨nderung und resultierende Karte der 2. Transportplattform. c: Detektion einer Umgebungsa¨nderung und resultierende Karte der 3. Transportplattform. d: Detektion einer Umgebungsa¨nderung und resultierende Karte der 4. Transportplattform

f€ur die intelligenten Automatisierungsplattformen nicht mehr ausreichend. Diese Art der Fahrzeuge braucht eine aktuelle ra¨umliche Repra¨sentation der Umgebung, da an den verschiedenen Punkten eines Kurses zusa¨tzlich noch Handhabungsaufgaben durchgef€ uhrt werden m€ussen. Dazu sind zum einen die beschriebenen industrietauglichen 3D-Sensoren notwendig, aber auch neuartige Kartierungsverfahren, welche mo¨glichst in Echtzeit aus dieser Menge von Daten eindeutige Aussagen €uber die Position und den Zustand der Umgebung liefern ko¨nnen. Entwicklungen in diesem ra¨umlichen Bereich sind vornehmlich aus dem Bereich der autonomen Pkw zu erwarten, da die Großkonzerne mit Hochdruck an unterschiedlichen Arten der Navigation und Umgebungserfassung/-modellierung arbeiten. Neben der Lokalisierung, also der Frage: „Wo befindet sich die Plattform?“, spielt nat€ urlich auch die Frage der Pfadplanung eine große Rolle. Die gro¨ßtmo¨gliche Flexibilita¨t wird von freien Pfadplanungsverfahren erzielt, jedoch sind diese in industriellen Umgebungen ha¨ufig nicht gew€unscht. Dies liegt hauptsa¨chlich an der nicht eindeutigen Routenwahl, die diese Systeme f€ur den Menschen weniger vorhersagbar machen. Trotzdem sind diese Verfahren, in eingeschra¨nkter Form, von großem Vorteil, indem Plattformen nicht mehr nur strikt ihren vorgegebenen Pfaden folgen, sondern in einem Korridor ihren Weg selbst suchen. Durch intelligente Leitsysteme, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden, ko¨nnen die Plattformen ihre Lokalisierungsinformationen, Auftra¨ge und (vor-)geplante Pfade teilen und somit neue Pfadplanungsverfahren ermo¨glichen. Eine pra¨diktive Planung ber€ ucksichtigt nicht nur die geometrischen Informationen der Umgebung (wie klassische Karten), sondern auch zeitliche Informationen (Foka und Trahanias 2002) wie die aktuellen und voraussichtlichen Positionen aller anderen bekannten Plattformen, sowie, in einer weiteren Ausbaustufe, auch die voraussichtlichen Pfade von Personen und anderen Fahrzeugen. Dadurch werden die Pfade nicht nur weg-, sondern auch zeit- oder sogar energieoptimal geplant. Zudem ko¨nnten solche Verfahren auch ho¨herwertige Informationen ber€ucksichtigen und so zum Beispiel wa¨hrend der Mittagszeit gemeinsam mit Personen genutzte Flure in der Na¨he der Kantine meiden. Selbiges gilt f€ur Orte, an denen sich aus anderen Gr€ unden ha¨ufig Menschen, wie vor Fahrst€uhlen, oder andere Flurfo¨rderzeuge, wie vor Intralogistik-Superma¨rkten, befinden.

Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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Wenn die intelligenten Transport- und Automatisierungsplattformen in Zukunft in der Lage sind, die Umgebung zu jedem Zeitpunkt korrekt zu modellieren, ko¨nnen sowohl die Fahrzeuge als auch ho¨hergelagerte Koordinierungs- oder Steuerungsinstanzen davon profitieren. Im klassischen Fall werden die Fahrzeuge von einem zentralen Leitsystem gesteuert, welches in Zukunft auf die Informationen der Fahrzeuge zur€ uckgreifen kann und somit immer die geeignetsten Routen vorausberechnen und optimal koordinieren kann. Welche weiteren Neuerungen auf diese € uberlagerten Systeme in Zukunft zukommen werden, erla¨utert der folgende Abschnitt.

2.4

Leitsystem und SOA-Fahrzeuge

Neben den Schl€ usseltechnologien, die f€ur die Funktionsweise einer Transport- oder Automatisierungsplattform notwendig sind, werden außerdem Systemelemente vorhanden sein, welche die Funktionen dieser Fahrzeuge €uberlagerten Systemen zur Verf€ ugung stellen und gleichzeitig die Koordination der Fahrzeuge €ubernehmen. Diese Bereitstellung wird €uber eine Serviceorientierte Architektur (serviceoriented architecture, SOA) erfolgen. Insbesondere mobile Plattformen ko¨nnen zum Beispiel den Service eines Transports dem Gesamtsystem zur Verf€ugung stellen. Im Kontext von Industrie 4.0 werden herko¨mmliche Leitsysteme, die vorwiegend Funktionen einer Blockstreckensteuerung €ubernehmen, durch Multiagentensysteme und intelligente Koordinierungsmechanismen abgelo¨st. Durch diese Softwaresysteme lassen sich sowohl Leitsysteme mit einer dezentralen Architektur als auch mit einer dezentralen Datenhaltung realisieren. Diese ko¨nnen verteilt auf den verschiedenen Fahrzeugen ihre Arbeit verrichten, um eine Koordinierung und Optimierung € uber eine effiziente Kommunikation durchzuf€uhren. Ein weiterer Vorteil der Multiagentensysteme ist die Einbettung weiterer Systeme der Smart Factory in diese Art der dezentralen Steuerung. Transport- und Automatisierungsplattformen interagieren auf jeden Fall mit unterschiedlichen peripheren Einrichtungen, um G€ uter abzugeben, aufzunehmen oder Handhabungsvorga¨nge durchzuf€ uhren. Durch die Agentenmodellierung lassen sich die verschiedenartigen peripheren Einrichtungen (bspw. Roboterzellen, Regalbediengera¨te und so weiter) direkt in die Koordinierung einbeziehen und auch in diesen Modulen ein gewisses Maß an Autonomie erzeugen. Ein weiterer Vorteil ist die Virtualisierung der Ta¨tigkeiten des Menschen: In Zukunft werden diese dezentralen Leitsysteme auch den Menschen mit seinen Fa¨higkeiten ber€ucksichtigen, sodass eine effiziente Transport-, Produktions- oder Montagesteuerung erfolgen kann. Dies ist Gegenstand des Forschungsprojekts „SMARTFACE – Smart Micro Factory f€ur Elektrofahrzeuge mit schlanker Produktionsplanung“ (s. Abb. 4a), in welchem im Speziellen der Einsatz von verschiedenartigen Montagestationen und innovativen Transportplattformen untersucht wird. Gleichzeitig werden Mechanismen f€ur eine dezentrale Steuerung sa¨mtlicher Gewerke und die Verkn€upfung mit innovativen Produktionsplanungs¨ nderungen der tools entwickelt. Letztere sollen k€urzere Reaktionszeiten bei A

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Abb. 4 a Zukunftsszenario der Automobilfertigung im Forschungsprojekt „SMARTFACE“. b Zukunftsszenario der Automobilfertigung in der „ARENA2036“. (Quelle: ARENA2036, Graphik: Werner Sobek Stuttgart)

Prozesse oder bei individuellen Kundenw€unschen und somit eine flexible Smart Factory als Ganzes ermo¨glichen. Folglich werden Multiagentensysteme die Zukunftstechnologie f€ur eine Vielzahl der dezentralen Steuerungsmechanismen innerhalb der Smart Factory sein. Die Entwicklung dieser Schl€usseltechnologie im Bereich der Transport- und Automatisierungsplattformen wird die Einsatzvielfalt in modernen Logistik- und Produktionsumgebungen bedeutend vergro¨ßern. ¨ hnliches wird in Zukunft auf dem Forschungscampus „ARENA2036“ A (s. Abb. 4b) erforscht, welcher Anfang Ma¨rz 2015 die Baufreigabe erhalten hat. Neben den Anwendungen und Technologien der Transport- und Automatisierungsplattformen werden auch neuartige Materialien, autonome Industrieroboterapplikationen und die Rolle des Menschen in der Smart Factory gemeinsam mit einer Vielzahl von Partnern aus Industrie und Forschung erforscht. Des Weiteren empfiehlt sich f€ur Transport- und Automatisierungsplattformen der Einsatz von SOA-Technologien. Jedes dieser Fahrzeuge besitzt unterschiedliche Transport- und Handhabungsfa¨higkeiten, die anderen Systemen €uber die

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Bereitstellung von Diensten bekannt gemacht werden. Dadurch ist ein wahrer Mischbetrieb von unterschiedlichen Fahrzeugen zur Erlangung eines ganzheitlichen Ziels mo¨glich, ohne eine explizite bzw. zentrale Koordinierung durchzuf€uhren. Durch diese Technologien lassen sich auch neuartige €uberlagerte Systeme integrieren. Ein Zukunftsszenario im Bereich der Distributionszentren ko¨nnte die Verlagerung einer klassischen Leitsteuerung bzw. Auftragsverwaltung in eine Cloud beinhalten. Bei dieser melden sich die Fahrzeuge mit ihren Fa¨higkeiten an und die Auftragsverteilung kann somit effizient planen, welcher Typ von Fahrzeug welche Aufgabe durchf€uhrt. Vor allem wenn wandlungsfa¨hige Transportplattformen auf den Markt kommen, ko¨nnen diese schnell in die zukunftsfa¨higen Systeme eingebunden werden. Zusa¨tzlich besteht die Mo¨glichkeit, gleichartige oder verschiedenartige Fahrzeugtypen zusammenzuschließen, um im Kollektiv mit neuen Fa¨higkeiten gemeinsam Aufgaben zu erledigen, die einzelne Fahrzeuge nicht erf€ ullen ko¨nnten. Mit Blick auf das Projekt KARIS Pro (Kleiner et al. 2011) ha¨lt eine solche Technologie bereits Einzug in die Forschung. Dabei sind die einzelnen Fahrzeuge in der Lage, Kleinladungstra¨ger zu transportieren, aber ein Kollektiv von vier dieser Fahrzeuge kann gemeinsam eine ganze Palette transportieren. Eventuell wird in Zukunft auch eine Wandlungsfa¨higkeit der Plattformen und Funktionen durch das Kollektiv mo¨glich, welche nur durch innovative Leitsysteme und moderne Dienstarchitekturen ga¨nzlich genutzt werden ko¨nnen. Unabha¨ngig von der Art des Leitsystems und von der Dienstarchitektur der Fahrzeuge m€ ussen auf der Funktionsebene dieser Systeme noch Entwicklungen bei der Routenoptimierung, dem reaktiven Verhalten der Standards (bspw. f€ur unterschiedliche Fahrzeuge) und den Simulationswerkzeugen geta¨tigt werden. Diese sind unter Randbedingungen in verschiedenen forschungsnahen Anwendungen und Prototypen bereits gelo¨st und m€ussen nun mit den neuartigen Leitsystemen fusioniert und industriell ausgerollt werden.

3

Beispiele aktueller intelligenter, mobiler Systeme

Nach der Vorstellung verschiedener Schl€usseltechnologien f€ur mobile, intelligente Transport- und Automatisierungsplattformen geht dieser Abschnitt auf einige aktuelle Systeme aus Industrie und Forschung ein und stellt ihren Bezug zu obigen Schl€ usseltechnologien kurz heraus. F€ ur Distributionszentren hat Grenzebach auf der Logimat 2015 das G-ComSystem vorgestellt, das Ware-zum-Mann-Szenarien ermo¨glichen soll. G-Com agiert aktuell hauptsa¨chlich getrennt vom Menschen. Hier ko¨nnten neue Sicherheitssensoren den Arbeitsraum erweitern und weitere Anwendungen ermo¨glichen. F€ur diese Anwendungen ko¨nnten auch neuartige autonome Navigationstechnologien die Flexibilita¨t des Systems weiter erho¨hen. Das gilt auch f€ur den Einsatz neuer SOA-basierter Ansa¨tze f€ur die Vergabe von Auftra¨gen durch eine Leitsteuerung aus der Cloud, deren Vorstufe mit dem aktuellen Flottenmanager schon Einzug gehalten hat. Erste Anwendungen des G-Com-Systems bestehen bereits aus einem Kollektiv von 50 bis 75 G-Com-Fahrzeugen. (Hofmann 2015).

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Die Firma STILL hat mit dem cubeXX ein Konzeptfahrzeug f€ur zuk€unftige Transportplattformen im Portfolio (W€urmser 2012). Das cubeXX kann sich in sechs verschiedene Transportfahrzeuge „transformieren“ und somit als SOAPlattform bezeichnet werden. Der duale Betrieb (manuell oder automatisch) erho¨ht die Flexibilita¨t weiter. Zudem hat das Fahrzeug die Mo¨glichkeit, omnidirektional zu fahren, und besitzt somit Ansa¨tze der oben beschrieben Schl€usseltechnologien. Insbesondere im autonomen Betrieb sind jedoch neue Safety-Technologien notwendig, um den verschiedenen Konfigurationen Rechnung zu tragen. Auch im Bereich der Navigation sind weitere Anpassungen notwendig, da die Mano¨vrierbarkeit je nach Einsatz variiert. Zum Beispiel kann ein Schubmaststapler deutlich engere Kurvenradien oder sogar seitwa¨rts fahren, was f€ur einen Routenzug nicht mo¨glich ist. Technologien in den Bereichen der innovativen Leitsysteme und der MultiRoboter-Navigation erforscht das Fraunhofer IML mit einem Kollektiv von 50 intelligenten Transportfahrzeugen: den bereits erwa¨hnten Zellularen Transportfahrzeugen. Jedes dieser Fahrzeuge ist mit zwei Sicherheitslaserscannern ausgestattet, welche sowohl f€ ur die funktionale Sicherheit als auch f€ur die Navigation genutzt werden. Durch den intelligenten Austausch von vorverarbeiteten Sensorinformationen ko¨nnen die Fahrzeuge ihre Routen an die Umgebung anpassen und gleichzeitig die Positionsbestimmung verbessern. Dies wurde vor allem durch ein Multiagentensystem mo¨glich, welches die klassische Blockstreckensteuerung ersetzt und die Fahrzeuge bei der Fahrt auf der Fla¨che zwischen Regalsystem und Kommissionierstationen koordiniert. Zuk€unftige Schl€usseltechnologien wie intelligente Sensoren, 3D-Sicherheitssensorik sowie koordinierte Multi-Roboter-Navigation ko¨nnen diese Fahrzeuge noch flexibler machen und die Anwendungsgebiete deutlich vergro¨ßern. Den Trend der „Low-cost“-Technologien setzte das Fraunhofer IML im Bereich der Transportfahrzeuge mit dem LOCATIVE – Low Cost Automated Guided Vehicle – um. Dieses Fahrzeug nutzt eine eigenentwickelte optische Spurf€uhrung, um auf festen Routen Beha¨lter zu transportieren. Dabei wurden sowohl im Bereich der Steuerungselektronik und Sensorik als auch im Bereich der Konstruktion auf „Low-cost“-Module und auf das Minimum reduzierte Eigenentwicklungen gesetzt. Durch das geringe Eigengewicht beno¨tigt der Prototyp des LOCATIVE keine Sicherheitssensorik, da die Richtwerte auch bei einer Ber€uhrung des Menschen eingehalten werden und somit kein Verletzungspotenzial besteht. Schl€usseltechnologien aus dem Sektor der intelligenten Sensorik und der kosteng€unstigen Sicherheitssensorik ko¨nnten dieses Fahrzeug befa¨higen, gro¨ßere Lasten bei einer ho¨heren Geschwindigkeit zu transportieren. Besonders das innovative Lastaufnahmemittel „KammLAM“ befa¨higt das LOCATIVE, sehr simpel und dabei energieeffizient sowie sicher Beha¨lter aufzunehmen und abzugeben. Durch eine patentierte kamma¨hnliche Struktur ko¨nnen Beha¨lter durch die Fahrtbewegung an entsprechenden Stationen abgestreift und aufgenommen werden. Sensoren und teure Aktoren sind f€ur diesen Vorgang nicht zwingend erforderlich. Durch Schl€usseltechnologien aus den Bereichen der CloudLeitsysteme und eine anwendungsorientierte Umsetzung der Serviceorientierten

Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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Abb. 5 a rob@work3 in Langversion mit UR10 Manipulator b: rob@work3 in Kurzversion mit ABB Dual Arm Concept Robot

Architektur la¨sst sich in Zukunft mit diesem Fahrzeug ein kosteng€unstiger und dezentraler Materiafluss umsetzen. Dadurch ist eine Integration in verschiedenartige Applikationen der Smart Factory f€ur den Kunden einfach zu realisieren. Insbesondere in der Forschung wird aktuell viel Arbeit in die Entwicklung und die Erweiterung neuer Technologien f€ur neuartige Automatisierungsplattformen oder auch mobile Manipulatoren gesteckt. Zum Beispiel entwickelt das Fraunhofer IPA mit dem rob@work3 einen kleinen, omnidirektionalen mobilen Manipulator, der in der Gro¨ße skalierbar ist und mit verschiedenen Manipulatoren best€uckt werden kann (s. Abb. 5). So ko¨nnen mit dieser Automatisierungsplattform sowohl Intralogistikszenarien, wie zum Beispiel die vollautomatische Best€uckung von Durchlaufregalen mit Kleinladungstra¨gern oder die Unterst€utzung von Arbeitern in der Produktion als Produktionsassistenzplattform umgesetzt werden. Um den Sprung in die industrielle Anwendung zu erreichen, sind jedoch auch hier neuartige Sicherheitstechnologien notwendig. Weiterhin werden, trotz der vorhandenen freien Navigationsverfahren f€ ur diese Plattformen, erweiterte Navigationslo¨sungen und Leitsteuerungen entwickelt, die die Robustheit weiter erho¨hen und kooperative Lokalisierung und pra¨diktive Pfadplanungsverfahren ermo¨glichen. Somit ko¨nnen diese Plattformen den Schritt hin zu einer SOA-Plattform vollziehen und die Mo¨glichkeit der Automatisierung weiterer Intralogistik- und Produktionsaufgaben ero¨ffnen.

4

Zusammenfassung und weitere Zukunftsvisionen

In diesem Artikel wurden Schl€usseltechnologien vorgestellt (s. Abb. 6), die aus der Sicht der Autoren notwendig f€ur die Entwicklung von neuartigen mobilen, intelligenten Transport- und Automatisierungsplattformen sind. Aufgrund der steigenden Anforderungen hinsichtlich Flexibilita¨t, Selbstkonfiguration und Vernetzung durch Industrie 4.0 sind f€ur solche Plattformen die beschriebenen Technologien wie

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Abb. 6 Vorgestellte Schl€usseltechnologien

Sicherheitssensorik, omnidirektionale Antriebe, Navigationslo¨sungen oder neuartige Leitsysteme notwendig. Neuartige Sensorik ermo¨glicht die sichere Interaktion von Mensch und Plattform, omnidirektionale Antriebe erho¨hen die Mano¨vrierbarkeit und ¨ hnlich ko¨nnen neue Navigationslo¨sunsomit die Flexibilita¨t in der Smart Factory. A gen flexibel auf Anpassungen in der Umgebung reagieren sowie neuartige Leitsysteme die Selbstkonfiguration des Gesamtsystems durch Vernetzung erleichtern. Diese Technologien ko¨nnen somit bestehende Businessmodelle im Bereich der FTS erweitern und neue Anwendungsbereiche, insbesondere f€ur Automatisierungsplattformen, erschließen. Somit kann im Bereich der FTS der Schritt vom Projektgescha¨ft zum Produktgescha¨ft vollzogen werden. Neue Businessmodelle ko¨nnten zum Beispiel FTF-Renting oder -Leasing sein, wie sie im Bereich von Flurfo¨rderzeugen schon ga¨ngig sind. Eine Alternative wa¨re auch „FTF as a Service“, bei dem der Kunde nicht mehr die Fahrzeuge kauft und in eine Anlage integrieren la¨sst, sondern die Dienstleistung eines Transports von entsprechenden Serviceprovidern ankauft. Um diesen Zukunftsvisionen einen Schritt na¨her zu kommen, sollten aus Sicht der Autoren Industrie und Forschung gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um Fortschritte in den oben genannten Schl€usseltechnologien zu erzielen.

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Schl€ usseltechnologien f€ ur intelligente, mobile Transport- und . . .

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Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung Alex Vastag und Maximilian Schellert

Zusammenfassung

Durch technische und logistische Innovationen erweitern die Teilnehmer des KEP-Marktes den Handlungsspielraum einer zuverlässigen Paketzustellung in Innenstädten. Hierzu zählt insbesondere der Einsatz vernetzter und automatisierter Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung, der in diesem Beitrag beleuchtet wird. Im ersten Teil werden die Bedeutung und Relevanz des KEP-Marktes aufgezeigt sowie die technischen Grundlagen des vernetzten und autonomen Fahrens dargestellt. Anschließend erfolgt die Betrachtung des urbanen Raums aus logistischer Perspektive sowie ein Überblick über die daraus resultierenden Anforderungen an automatisierte Transportfahrzeuge. Abschließend werden gegenwärtig genutzte und für die Zukunft konzipierte Transportfahrzeuge vorgestellt. Der Beitrag endet mit einem kurzen Fazit und einem Ausblick auf den zukünftigen Einsatz von autonomen Fahrzeugen in der innerstädtischen Paketzustellung.

1

Einführung und Begrifflichkeiten

1.1

Bedeutung des Kurier-, Express- und Paket-Markts

Der Kurier-, Express- und Paket-Markt (KEP-Markt) umfasst den Transport von Sendungen mit geringem Gewicht und Volumen und zeichnet sich durch individuellen Kundenservice, Schnelligkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit aus. Durch den hohen Standardisierungsgrad des Marktes bei Sendungsgrößen und Gewicht kann eine schnelle Abwicklung und Beförderung erreicht werden. (Arnold et al. 2008)

A. Vastag · M. Schellert (*) Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_101

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A. Vastag und M. Schellert

4,000 3,500 3,000 2,500 2,000 1,500 1,000 500 0

Abb. 1 Sendungsvolumen im deutschen KEP-Markt (in Anlehnung an Esser und Kurte 2018)

Bei den Paketen, die von den KEP-Dienstleistern geliefert werden, handelt es sich zumeist um nicht-palettierte Güter. Die Sendungen sind selten über 50 kg schwer, wobei kein einzelnes Stück der Sendung mehr als 70 kg wiegen darf. Konventionelle Paketsendungen werden selten mit dem Flugzeug geliefert, während ExpressSendungen zum Teil per Luftverkehr transportiert werden. Express ist eine zeitgebundene Lieferung, bei der die Lieferung innerhalb von ein oder zwei Tagen erfolgt. Die Zustellung „over night“ ist auch möglich. Der Begriff Kurier stammt ursprünglich von einer Person bzw. einer Firma, die Nachrichten, Pakete und Post liefert. Kurierdienstleister liefern Sendungen zumeist personengebunden in kurzer Distanz aus. Das rasche Wachstum des KEP-Markts der letzten Jahre war stärker als das des Logistikmarktes. Der KEP-Markt ist von 2000 bis 2017 jährlich um durchschnittlich 3,9 % gewachsen; der Logistikmarkt demgegenüber nur um 2,5 %. Unterstützt wird dieses Wachstum durch den schnell wachsenden Online- sowie Einzelhandel. Im Jahr 2016 wurden erstmals mehr als 3 Mrd. Sendungen in Deutschland verschickt (s. Abb. 1). Im Jahr 2017 sind das Sendungsvolumen und der Umsatz im KEP-Markt sogar überdurchschnittlich um 6,1 % bzw. 4,9 % gestiegen. Für die Zukunft ist weiterhin ein deutlicher Anstieg des Sendungsvolumens prognostiziert. (Esser und Kurte 2018)

1.2

Automatisiertes, vernetztes und autonomes Fahren

Automatisierungsstufen Zur Beschreibung der Automatisierungsstufen straßengebundener Fahrzeuge haben sich fünfstufige Klassifikationssysteme etabliert. Darüber hinaus existieren weitere Definitionen, bspw. durch den „Runden Tisch Automatisiertes Fahren“ des Bundes-

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung

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ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Jede Stufe beschreibt einen Grad, in dem ein Fahrzeug Aufgaben und Verantwortlichkeiten von seinem Fahrer übernimmt. National und international ist die Definition der SAE International weit verbreitet und wird daher im Folgenden näher erläutert. Die folgende Abb. 2 zeigt die fünf Automatisierungsstufen nach der Definition des Verband der Automobilindustrie, die der SAE International Definition entspricht. Stufe 1 – Assistiertes Fahren Die erste Stufe bildet die Vorstufe zum automatisierten Fahren. Sie umfasst das assistierte Fahren. Zum Einsatz kommen diverse Fahrassistenzsysteme. Das System übernimmt die Quer- oder Längsführung des Fahrzeugs. Der Fahrer muss dieses jedoch permanent überwachen und eingriffsbereit sein. Stufe 2 – Teilautomatisiertes Fahren In der zweiten Stufe, dem teilautomatisierten Fahren, werden beide Fahrzeugführungen (Quer und Längs) vom System in bestimmten Situationen übernommen. Nach wie vor ist die permanente Überwachung durch den Fahrer und seine Eingriffsbereitschaft unabdingbar. Stufe 3 – Hochautomatisiertes Fahren Die dritte Stufe, das hochautomatisierte Fahren, ist dadurch gekennzeichnet, dass, wenn das System die Quer- und Längsführung des Fahrzeugs übernimmt, der Fahrer nicht permanent überwachen muss. Jedoch muss der Fahrer zu jeder gegebenen Zeit in der Lage sein, die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Stufe 4 – Vollautomatisiertes Fahren In der vierten Stufe, dem vollautomatisierten Fahren, wird in bestimmten Zeitperioden bzw. Anwendungsfällen das Fahrzeug vom System vollständig übernommen. Beim vollautomatisierten Fahren kann das System in definierten Fahrsituationen die

Abb. 2 Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens (in Anlehnung an Verband der Automobilindustrie 2015)

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Fahrzeugführung (Quer- und Längsführung) zeitweise vollständig übernehmen. So kann beispielsweise auf der Autobahn das Fahrzeug eine konstante Geschwindigkeit, in entsprechendem Abstand zum Vorderfahrzeug, halten und in gegebenen Situationen abbremsen bzw. die Spur wechseln. Der Fahrer kann jederzeit in das Fahrgeschehen eingreifen. Stufe 5 – Fahrerloses Fahren Die fünfte Stufe, das autonome bzw. fahrerlose Fahren, bildet die höchste Automatisierungsstufe. Hierbei übernimmt das System die komplette Führung des Fahrzeugs. Personen im Fahrzeug sind Passagiere und greifen nicht in das Fahren ein. Roadmap Technologien für automatisiertes Fahren Neben den Automatisierungsstufen ist auch von Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Technologien zum automatisierten Fahren wahrscheinlich am Markt verfügbar sein und somit in Serienfahrzeugen zur Verfügung stehen werden. In verschiedenen Markthochlaufszenarien und Technologie-Roadmaps wurde eine Abschätzung zur zukünftigen Marktreife der Technologien des vernetzten und automatisierten Fahrens gegeben. In der Studie „Energie- und Treibhausgaswirkungen von automatisiertem und vernetztem Fahren im Straßenverkehr“ (Krail et al. 2019) wurde eine zeitliche Abfolge der zu erwartenden technologischen Entwicklung erarbeitet, die verschiedene Quellen zusammenfasst. In Abb. 3 ist die Roadmap aus der Studie dargestellt. Die Markteinführung für Technologien der Automatisierungsstufen wird demnach wie folgt angenommen: • • • •

Teilautomatisiertes Fahren der Stufe 2 ab 2012, Hochautomatisiertes Fahren der Stufe 3 ab 2018, Vollautomatisiertes Fahren der Stufe 4 ab 2025, Fahrerloses Fahren der Stufe 5 ab 2035.

In der Grafik sind Technologien verschiedener Automatisierungsstufen dargestellt, von Stufe 1 (hellgrün) bis Stufe 5 (dunkelgrün), sowie deren Zusammenhänge. Die Technologien verhalten sich nicht unabhängig voneinander. In der Regel existieren Anknüpfungspunkte untereinander oder die Technologien beruhen in ihrer Entwicklung auf Vorgängertechnologien einer anderen Automatisierungsstufe. Deutlich wird dies zum Beispiel bei den Highway- und Traffic-Jam-Technologien, bei denen sich der Funktionsumfang entlang der Stufen technisch weiterentwickelt und dadurch nach und nach mehr Fahrsituationen vom Fahrzeug selbst durchgeführt werden können. Die für die innerstädtische Paketzustellung ausschlaggebende Technologie ist vor allem der „Urban Pilot“ der Automatisierungsstufe 4, der die Längs- und Querführung im Innenstadtbereich übernimmt (s. Abb. 3, oben rechts). Da die Fahraufgabe innerstädtisch aufgrund der zahlreichen Verkehrsteilnehmer und Dynamik des Stadtverkehrs und den daraus resultierenden Anforderungen sehr komplex ist, wird mit einer Marktreife des Urban Pilot erst ab dem Jahr 2030 gerechnet. (Krail et al. 2019)

Abb. 3 Roadmap Technologien für automatisiertes Fahren (Krail et al. 2019)

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung 209

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A. Vastag und M. Schellert

2

Urbane Logistik heute und morgen

2.1

Vielfältige Anforderungen an eine zuverlässige Logistik

In Hinblick auf die Logistik der letzten Meile sind diverse Trends zu beobachten, die einen Einfluss auf die technologische Entwicklung haben. Trends, die wiederkehrend beschrieben werden, sind unter anderem (Kadow und Clausen 2016; Kersten et al. 2017): • Demografischer Wandel (Verschiebungen der Alterspyramide), • Zunehmende Urbanisierung, • Convenience (Veränderung der Art und Weise, wie Lebensmittel den Weg zum Endverbraucher finden (Vorkonfektionierung, flexible Zustellung oder Abholung)), • Individualisierung und steigende Komplexität, • Same Day Delivery (Beschleunigung der Endkundenbelieferung), • Ökologisch nachhaltiger Nahverkehr (Umweltbewusstsein, Gesundheit der Bürger), • Wachsende Digitalisierung der Prozesse Die Trends werden im Folgenden näher erläutert. Demografischer Wandel Der demografische Wandel bezeichnet unter anderem die Überalterung der Gesellschaft und ist ein Megatrend, welcher auch die Logistik vermehrt beeinflussen wird. Auf der globalen Betrachtungsebene wächst bspw. in Asien die Bevölkerung zahlenmäßig stark an, wohingegen in den westlichen Staaten diese fortschreitend altert. Die Weltbevölkerung wird in den kommenden Jahren insgesamt weiter anwachsen und dabei der Anteil älterer Mensch über 65 Jahren zunehmen. Für die Logistikwirtschaft in den westlichen Staaten hat dies insbesondere Auswirkungen auf die Arbeitskräfteverfügbarkeit sowie auf die Arbeitsplatzgestaltung (körperliche Belastung der Arbeitnehmer). Durch den demografischen Wandel und das damit einhergehende veränderte Konsumverhalten sowie die Verfügbarkeit an Arbeitskräften werden die Logistikdienstleistungen auf der letzten Meile besonders beeinflusst. Das heißt, dass diese Dienstleistungen serviceorientierter gestaltet werden und sich an den Anforderungen der kleineren Haushalte sowie der alternden Bevölkerung orientieren müssen. Aufgrund des sich zurückziehenden Handels aus der Fläche und insbesondere aus ländlichen Gebieten wird die tägliche Belieferung der Konsumenten zunehmen. Herausforderungen bestehen hier in der effizienten Gestaltung der letzten Meile. Urbanisierung Ein weiterer Megatrend ist die Zunahme von Megastädten und Metropolen. Bis 2050 wird vor allem in Afrika und Asien mit einer stark zunehmenden Urbanisierung gerechnet. Aber auch in den westlichen Industrieländern nimmt die Bevölkerung in den Kommunen und Städten zu, wodurch diese vermehrt danach streben,

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einen qualitativ hochwertigen Lebensraum für die Einwohner bereitzustellen. Lebten 1950 noch weltweilt 30 % der Bevölkerung in einer Stadt, so lebten im Jahr 2018 bereits 55 % der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten. Für das Jahr 2050 wird davon ausgegangen, dass der Anteil auf 68 % steigt. (United Nations 2018) Für die Logistikwirtschaft bedeutet dies, dass neue logistische Konzepte hinsichtlich des Stadtverkehrs entwickelt werden müssen. Hierzu zählen beispielsweise der unterirdische kombinierte Güter- und Personenverkehr, der die Innenstadtlogistik gut abdecken kann. Convenience Lebensmittel und verderbliche Ware werden heutzutage zumeist vor Ort gekauft, abgeholt und nach Hause transportiert. Der Trend geht jedoch in die Richtung, dass die Waren zunehmend online gekauft und nach Hause geliefert werden. In der sogenannten letzten Meile werden also in Zukunft immer mehr Lebensmittel und leicht verderbliche Ware transportiert. So erwarben 2016 erst ca. 1 Mio. Kunden aus Deutschland ihre Lebensmittel online (Marktanteil 1 %). Allerdings ist in Ländern wie Großbritannien und Frankreich der Umsatz heute bereits wesentlich höher. Prognosen gehen von einem Marktanteil von bis zu 5 % in Deutschland bis 2030 aus. (Clausen et al. 2016) Hier sind beispielsweise höhere Anforderungen an den zugesagten Belieferungstermin erforderlich. Individualisierung und steigende Komplexität Der Begriff Human Empowerment bezeichnet die gesteigerte Selbstbestimmung des Menschen. Mit der Zunahme der Selbstbestimmung geht auch eine erhöhte Nachfrage nach individualisierten Dienstleistungen und Produkten einher. Mit Individualisierung ist hier auch gemeint, dass, aufgrund von speziellen Anforderungen des Kunden, die Vielfalt an Produkten immer mehr zunimmt und auch Logistikdienstleistungen diversifiziert werden müssen. Infolge dieser zunehmenden Individualisierung werden für die Logistik die Lieferungen immer kleiner und die Lieferzeiten immer kürzer. Die Herausforderung besteht darin, die Logistiksysteme auf die kleinen, individualisierten Losgrößen auszurichten. Aus der vermehrten individualisierten Nachfrage der Kunden entsteht aus Sicht der Produzenten und Logistikdienstleister eine steigende Komplexität. Diese Komplexität in Logistiksystemen steigt bspw. auch, weil Produktprogramme ausgeweitet werden und dadurch die Auftragsabwicklung, die Verpackung und den Transport oftmals komplexer werden lassen. Weitere Faktoren, die Logistikprozesse komplexer machen, sind individuelle Kundenwünsche und steigende Kundenanforderungen, folglich komplexere Beschaffungsnetzwerke, sinkende Umschlagshäufigkeiten und steigende Kommissionierungskosten. Dies erfordert standardisierte Abläufe und neue technologische Lösungen, die Komplexität reduzieren können. Same Day Delivery Same Day Delivery bedeutet, dass die Ware noch an dem Tag der Bestellung zugestellt wird, d. h. es findet eine taggleiche Belieferung des Kunden statt. Um das Konzept als Massenprodukt zu etablieren, erfordert es ein hohes Maß an Flexibilität und Dynamik

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zur Integration von spontanen Bestellungen in die Prozesskette, insbesondere auf der letzten Meile. Damit einher geht im besonderen Maße das Erfordernis, Fehlzustellungen und wiederholte Zustellversuche zu vermeiden. Ökologisch nachhaltiger Verkehr Nachhaltiger Transport auf der letzten Meile spielt zunehmend eine wichtigere Rolle, um die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Immer mehr Kunden entwickeln ein höheres Umweltbewusstsein und erwarten, dass ihre Ware ökologisch „sauberer“ geliefert wird. Im Kontext einer ressourcenschonenden Logistik ist es daher zunehmend wichtiger, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, Energieverbrauch einzudämmen und nachhaltige Belieferungsstrategien anzustreben. Für Fahrzeuge, die treibhausgasneutral fahren bzw. fahren sollen, kommen verschiedene Optionen in Betracht, die regenerativ hergestellte Antriebskonzepte nutzen, zum Beispiel gas-, wasserstoff- oder batterieelektrische Antriebe. Im Regionalverkehr sowie Lkw-Verteilerverkehr können Plug-in-Hybride oder batterieelektrische Fahrzeuge aus Sicht der Ökologie einen wichtigen Beitrag leisten. Im Fernverkehr werden Oberleitungs-Hybrid-Lkw getestet. Allerdings muss die Nutzung dieser Konzepte, auch auf grenzüberschreitenden Verkehren, genau getestet und geprüft werden. Die Logistikwirtschaft wird in Zukunft Lösungen für nachhaltige und emissionsarme Transportketten anbieten müssen, um den Anforderungen von Verladern, Empfängern und Legislative gerecht zu werden. Digitalisierung Der Gedanke von Industrie 4.0 mit dem flächendeckenden Einsatz von cyberphysischen Systemen und der Weg zur sogenannten Losgröße 1 werden die Güterproduktion revolutionieren. Doch auch die Auswirkungen auf die Logistik sind unübersehbar: Gerade in der Transportlogistik besteht der Bedarf nach neuen innovativen Wegen und somit einer Transportlogistik 4.0 oder auch Smart Transportation Logistics. Die Ansprüche an Lieferketten wachsen vor allem in den Bereichen Robustheit und Flexibilität, da den zunehmend kleiner werdenden Losgrößen Rechnung getragen werden muss. Der Gedanke einer Smart Factory muss somit auf die Logistik übertragen werden, sodass selbststeuernde Logistiksysteme entstehen. Eine zunehmende Digitalisierung erfasst auch zunehmend alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Verfügbarkeit von immer mehr Daten und deren Auswertung führt zu völlig neuen Formen des Wissensmanagements. Daten sind die Grundlage für effektive Entscheidungen und die Gestaltung von effizienten Arbeitsprozessen. Digitalisierung führt zu disruptiven Innovationen und wird die Arbeit in der Logistikbranche nachhaltig verändern. Heutzutage spielt es eine immer wichtigere Rolle, dass die Wertschöpfungsketten der Unternehmen stärker digitalisiert und standardisiert werden. Die physische Bewegung der Waren wird somit mit intelligenten IT-Systemen eng verzahnt. Die Handlungsoptionen werden so erweitert und Unternehmen können hinsichtlich der Logistik die Warenflüsse besser planen und steuern.

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung

2.2

213

Innovative Technologien der urbanen Logistik

In der urbanen Logistik werden derzeit zahlreiche technologische Ansätze getestet und diskutiert, wie Micro Hubs, intelligente Roboter etc., die zur Unterstützung der Prozesse genutzt werden können. Insbesondere das automatisierte Fahren (vgl. Abschn. 1.2) wird in verschiedenen Ausprägungen als ein Beitrag für eine neuartige Innenstadt- und Letzte-Meile-Logistik angesehen. In diesem Zusammenhang werden neue Konzepte von Transportrobotern und Lieferdrohnen diskutiert und erste Pilotprojekte durchgeführt. Im Folgenden werden Micro Hubs, Drohnen, Elektrofahrzeuge sowie Transportroboter näher beschrieben. Mikro-Depots Mikro-Depots sind Nutzfahrzeuge oder Container, die sich an geeigneten Orten in Zustellbezirken befinden. Sie können auch die Immobilien sein, in denen dann Lastenfahrräder/Transporthilfen bestückt werden. So kann die Ware in kleinerem Umkreis auf der letzten Meile effizient mit Lastenfahrrädern/ fußläufigen Transporthilfen zugestellt werden. Sie bieten sich insbesondere für die Zustellung auf der „allerletzten Meile“ an und ergänzen die konventionellen Zustellfahrzeuge in Innenstadtbereichen. (Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V. 2017) Drohnen Für Regionen, die wenig besiedelt und schwer zu erreichen sind, können fliegende Roboter, sog. Drohnen, den Prozess der Paketzustellung unterstützen. In Städten können Drohnen bei Bedarf sehr dringliche Pakete transportieren. Aufgrund von geringen Transportkapazitäten und -reichweiten ist das Konzept von fliegenden Robotern derzeit nur auf bestimmte Spezialfälle, wie humanitäre Hilfe oder den Medikamententransport, beschränkt. Bspw. wird der Paketkopter der DHL seit 2013 getestet und hat diverse erfolgreiche Lieferungen von wichtigen Gütern, wie Medikamenten, zu ländlichen Gebieten (besonders Gebirge und Inseln) durchgeführt. (DHL 2016) Denkbar ist aber auch die Verwendung von handelsüblichen Drohnen für administrative Aufgaben in großen Lagerhallen, zum Beispiel für Inventar- oder Umlagerungsarbeiten. Für die erfolgreiche logistische Adaptierung sind jedoch noch eine bessere technologische Reife, bessere Regelungen zur Datensicherheit und Problemlösungen öffentlicher Belange (Privatsphäre, Sicherheit etc.) erforderlich und daher derzeit auch intensiver Gegenstand der Forschung und Entwicklung. Elektrofahrzeuge Im städtischen Verkehr wird vor allem durch das „Stop-and-go“ viel Treibstoff verbraucht und Schadstoffe ausgestoßen. Elektrisch angetriebene Fahrzeuge haben den Vorteil, dass kein Schadstoffausstoß stattfindet und sie leise fahren. Besonders durch letzteres sind sie optimal für die Belieferung der Innenstadt – auch die geräuschlose Zustellung in der Innenstadt bei Nacht. Dadurch kann auch das Verkehrsaufkommen tagsüber deutlich gemindert werden.

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Transportroboter Logistikunternehmen können Transportroboter dazu nutzen, ihre Angebote im KEPBereich technologisch zu erweitern und dadurch kostengünstiger zu gestalten. Transportroboter können daher im Rahmen des hochautomatisierten Güterverkehrs innerhalb von Städten bei dem Transport von Post, Paketen, Lebensmitteln, Medikamenten etc. Anwendung finden. Sie haben das Potential, die Kosten von lokalen Lieferungen um 5- bis 10-Mal zu senken. (DHL 2016) Sobald eine bestimmte technische Reife erreicht ist, kann das Mobilitätskonzept von autonomen bzw. hochautomatisierten Fahrzeugen, wie Transportroboter, die Logistik und das Supply Chain Management fundamental ändern.

3

Anforderungen einer zuverlässigen automatisierten Paketlogistik

Für die Nutzung automatisierter Fahrzeuge sind umfangreiche Anforderungen zu erfüllen. In den folgenden Unterkapiteln werden diese Anforderungen an die Fahraufgabe und -funktionalitäten, die Güter- und Infrastruktur sowie die Sendungsübergabe näher betrachtet.

3.1

Fahraufgabe und -funktionalitäten

In Verbindung mit der Fahraufgabe und den -funktionalitäten sind verschiedene Anforderungen vorhanden. Insbesondere komplexe Technologien für die Bewältigung der Fahraufgabe, wie bspw. das Erkennen kreuzender Verkehre und von Baustellen sowie die Navigation. Es ist wichtig, dass das Fahrzeug mit Hilfe der Sensorik und des Austausches von Daten effizient und sicher an das Ziel fährt. So soll der Fahrer entlastet bzw. die Fahreraufgabe komplett von der Technologie übernommen werden. Von diesen Technologien wird weiterhin die Bewältigung spezifischer Prozesse erwartet, wie bspw. die Anfahrt der Ladestelle, der Be- und Entladeprozess, die Rangierfahrt usw. Eine weitere Anforderung ist die Automatisierung gegenwärtiger manueller Fahrertätigkeiten, wie bspw. Hecktüren öffnen, Seitenplanen betätigen, Twist-Locks entriegeln. Auch sind Anforderungen hinsichtlich der Schnittstelle zwischen Fahrzeug und digitaler Infrastruktur zur Datenkommunikation vorhanden, wie bspw. zur Anmeldung sowie zur Fahrweg- und Ladestellenzuweisung.

3.2

Güter- und Infrastruktur

Güterstruktur Bezüglich der Güterstruktur sind ebenso verschiedene Anforderungen existent. Wichtig sind umfangreiche Sicherheitsprüfungen der Fahrzeuge sowie Güter und Sicherheitsunterweisungen der Fahrer. Weiterhin wird das Vorliegen von möglichst einheitlichen Fahrzeugen und standardisierten Paketeinheiten gefordert, um die ge-

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung

215

wünschte Automatisierung effizient umsetzen zu können. Um einen sicheren Güterumschlag zu gewährleisten, sollte zudem die sichere Vernetzung zwischen verschiedenen Verkehrsträgern bzw. Transportsystemen vorliegen, sprich standardisierte und kompatible Datenschnittstellen vorhanden sein. Infrastruktur Um die Effizienz der Infrastruktur zu verbessern, sollten autonome Fahrzeuge gut in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur eingebunden sein. Die Verkehrsführung und die Fahrwege sollten daher möglichst einheitlich sein (z. B. Einbahnstraßen oder zweispurig). Für die Vernetzung mit der vorliegenden Infrastruktur sind hohe technische Anforderungen vorhanden, z. B. an die Kommunikation sowie die Vernetzung zwischen Fahrzeug und Verkehrsumgebung, an die Datennetzte und an die Bearbeitung hoher Datenmengen. Gefordert ist daher möglichst die Kommunikation unter Echtzeitbedingungen. Mobilfunkdatenkommunikation der neusten Generation (5G) sind für einen zuverlässigen Betrieb daher unerlässlich, um einen raschen Datenaustausch über die verschiedenen Akteure hinweg sicherzustellen.

3.3

Sendungsübergabesysteme

Automatisierte Fahrzeuge der Automatisierungsstufen 4 und 5 (vgl. Abschn. 1.2) sollten perspektivisch ohne einen Fahrer auskommen können, der heute neben der Fahraufgabe noch vielerlei Aufgaben übernehmen muss. So liegt seine Kernaufgabe darin, die individuelle Paketzustellung samt Kundenkontakt durchzuführen. Da dies häufig der einzige Kontaktpunkt von KEP- Dienstleister und Endkunde ist und eine hohe Kundenzufriedenheit angestrebt wird, muss diesem Prozess besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. In der folgenden Abb. 4 ist die Klassifikation verschiedener Zustellungskonzepte dargestellt. Das bisher meist genutzte und seitens der Empfänger akzeptierte Zustellkonzept ist die Adresszustellung (statisch). Jedoch nimmt die dynamische Abb. 4 Klassifikation der Zustellungskonzepte in der KEP-Branche (in Anlehnung an Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V. 2015)

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Adresszustellung im B2C/C2C-Segment eine zunehmend wachsende Rolle rein. Auch werden Zustellformen wie Paketshops oder automatisierte Schließfächer weiter etabliert, um eine Verdichtung des Netzes zu erreichen. Bei personalisierten Zustellkonzepten gewinnen neben der klassischen statischen Adresszustellung neue Konzepte an Bedeutung, nämlich Zustellung an Paketshops sowie die dynamische Adresszustellung. Bei letzterer wird der Empfänger mittels Informations- und Kommunikationssysteme über die voraussichtliche Zustellzeit informiert und hat die Möglichkeit, diese zu beeinflussen, etwa durch Auswahl von Zustelltag oder -ort. Die Schließfächer lassen sich dabei in proprietäre sowie generische Schließfächer unterscheiden. Ersteres meint die Etablierung von individuellen Schließfächern bzw. Paketboxen an den Zustelladressen. Dies kann sich aus baulicher Sicht jedoch aufgrund des mangelndes Platzes in/zwischen Mehrfamilienhäusern schwierig erweisen. Letzteres meint Schließfächer, die nicht individuell an der Heimadresse, sondern allgemein auf geeigneten Flächen im öffentlichen Raum ausgelegt sind. In Bezug auf die Nachhaltigkeit ist die Lieferung an Paketshops zu bevorzugen, da diese Objekte bereits in der Infrastruktur vorhanden sind und nur noch angesteuert werden müssen.

4

Fahrzeuge der Innenstadtbelieferung heute und morgen

Für die Paketzustellung werden verschiedene Fahrzeugtypen und Antriebssysteme heute bereits eingesetzt oder sind in der Konzeptentwicklung.

4.1

Stand der Technik

Bestand Auf der letzten Meile werden meist leichte Nutzfahrzeuge genutzt. Gemäß einer Statistik des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) „Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern am 1. Januar 2018“ ist ein Bestand von ca. 3 Mio. Lastkraftwagen zu verzeichnen, davon ca. 1 Mio. mit zulässigem Gesamtgewicht (zGG) bis 2,8 t und ca. 1,3 zwischen 2,8 t und 3,5 t. (Kraftfahrt-Bundesamt 2018) Basierend auf einer Befragung der KEP-Dienste kommen zu 98 % dieselangetriebene Zustellfahrzeuge zum Einsatz. Diese Fahrzeuge sind mehrheitlich leichte Nutzfahrzeuge in der Klasse bis 3,5 t zGG. Danach folgen Transporter und Vans sowie Zustellfahrzeuge mit 7,5 t zGG. Neben motorisierten Zustellfahrzeugen ist die Zustellung per Muskelkraft, sprich per Lastenfahrräder oder fußläufig mit Transporthilfen, möglich (s. Abb. 5). Emissionen Ein aktuelles Thema bzgl. Innenstadtbelieferung sind die beim Transport ausgestoßenen CO2-Emissionen. Aus Sicht der europäischen Union bietet der innerstädtische Verkehr viel Potential, um die durch den Transport entstehenden Emissionen zu reduzieren. In dem Weißbuch „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden

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217

Abb. 5 Transporttechnologien der KEP-Branche auf der „letzten Meile“ (in Anlehnung an Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V. 2015)

Verkehrssystem“ der europäischen Kommission heißt es: „Die Städte leiden am stärksten unter Überlastung, schlechter Luftqualität und Lärmbelästigung. Auf den Stadtverkehr entfällt rund ein Viertel der verkehrsbedingten CO2-Emissionen. Die schrittweise Verringerung dieser Zahl mit konventionellem Kraftstoff betriebener Fahrzeuge in Städten ist ein wesentlicher Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie der lokalen Luftverschmutzung und Lärmbelastung.“ (Europäische Kommission 2011) In größeren städtischen Zentren soll bis zum Jahr 2030 eine im Wesentlichen CO2-freie Stadtlogistik realisiert werden sowie eine Infrastruktur für das Beladen und Betanken von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben. Motorisierte Zustellfahrzeuge – vollelektrisch Ein Alleinstellungsmerkmal von Elektro-Lkw besteht in dem sehr geräuscharmen Fahrbetrieb. Nach der Feinstaubdebatte und Einrichtung von Umweltzonen in deutschen Ballungsräumen ist zu erwarten, dass sich die Lärmproblematik und die daraus resultierende schärfere Gesetzgebung stärker als bisher auf die urbane Versorgung auswirken werden. Heutzutage kommen zunehmend leichtere Nutzfahrzeuge und Lkw bis 7,5 t mit elektrischen Antrieben zum Einsatz. Logistikdienstleister, besonders KEP-Dienstleister, nutzen diese im urbanen Raum. Gegenwärtig werden verschiedene Fahrzeugkonzepte getestet und in der Praxis erprobt. Innerhalb des vom BMBF geförderten Forschungsvorhabens GeNaLog verfolgte das Fraunhofer IML zusammen mit der DOEGO, REWE Group, DLG Dortmunder Logistik Gesellschaft mbH (ehemals: TEDi Logistik) und dem Fraunhofer ISI das Ziel, neue technische Konzepte und Geschäftsmodelle zur stadtverträglicheren Innenstadtbelieferung von Handelsfilialen zu entwickeln. Im Rahmen des Vorhabens konnte die REWE Group erfolgreich eine fünfwöchige Testphase in Köln abschließen. Dort wurden ausgewählte Filialen nach 22 Uhr mit einem 18 t Elektro-Lkw beliefert, der mit geräuscharmem Umschlagequipment speziell für die „leise Logistik“ ausgestattet war. Die strikten Lärmrichtwerte wurden in den Tests eingehalten. Das Projekt GeNaLog hat gezeigt, dass die geräuscharme Nachtlogistik technisch umsetzbar ist. (Vastag et al. 2017)

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Der wirtschaftliche und ökologisch sinnvolle Einsatz von elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugen (e-Nfz) ist das Ziel des Projekts „Elektromobile Nutzfahrzeuge wirtschaftlich und nachhaltig einsetzen (EN-WIN)“. Das Konsortium bestehend aus der Florida Eis Manufaktur GmbH, Ludwig Meyer GmbH & Co. KG, der Hochschule Fulda, dem Fachgebiet Fahrerverhaltensbeobachtung der TU Berlin und dem Fraunhofer IML will auf diese Weise einen Beitrag für die klima- und energiepolitischen Ziele im Sektor Verkehr leisten. Hierzu werden über 18 Monate Feldversuche durchgeführt, die einen Vergleich zwischen Diesel- und e-Nfz zulassen. Zudem wird ein 26 t schweres e-Nfz und prototypisch ein Prognosemodell speziell zur Tourenplanung von e-Nfz entwickelt. (EN-WIN 2019)

4.2

Zukünftige Entwicklungsperspektiven

Mit Blick auf die Zukunft wird für die Fahrzeuge der Innenstadtbelieferung eine Automatisierung und bedarfsgerechte Belieferung für Endkunden und Händler von hoher Bedeutung sein. Verschiedene Anwendungsfälle automatisierter Kleinstfahrzeuge könnten die städtische Versorgung maßgeblich verändern. So ist die Kombination mit (betriebsneutralen) City-/Micro-Hubs denkbar oder auch in Arbeitsprozessen unterstützende Roboter. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen von Direktlieferungen der Empfänger bis zu der Bestückung von mobilen Packstationen. Die Automatisierung der urbanen Logistikprozesse bringt viele Vorteile für Betreiber und Nutzer mit sich, so sind bspw. höhere Lieferfrequenzen, Fahrleistungen im Einklang mit E-Antrieben und eine Verkehrsreduzierung in Kommunen erzielbar. Derzeit engagierte Akteure auf diesem Gebiet sind beispielsweise Starship und Deutsche Post mit ihrem PostBOT. Im Folgenden werden der PostBOT sowie weitere relevante Technologien näher beschrieben. Zustellroboter Kleine autonome Fahrzeuge, die nur wenig größer als ein normales Paket sind, liefern Pakete bis vor die Haustür. Diese Fahrzeuge fahren mit 5 bis 10 km/h und benutzen den Bürgersteig als Fahrspur, um ihr Ziel zu erreichen. Solche Transportroboter müssen derzeit noch überwacht werden. In der Praxis hat die Deutsche Post einen elektrischen Zustellroboter entwickelt und erfolgreiche Praxistests durchgeführt. Der PostBOT (s. Abb. 6) soll Zusteller auf der letzten Meile begleiten. Es ist 1,5 m hoch und soll in erster Linie den Zusteller bzgl. physischer Belastungen entlasten. Insgesamt können mit dem Roboter Sendungen bis zu insgesamt 150 kg transportiert werden. Außerdem ist der Roboter in der Lage, Bordsteine zu überqueren und Hindernissen aus dem Weg zu fahren. (Deutsche Post DHL 2017) Emissionsfreie Elektroautos Emissionsfreie Elektroautos sind gut geeignet für die Zustellung auf der letzten Meile auf Kurzstrecken der Innenstädte. So nutzt sie Deutsche Post DHL in verschiedenen Regionen (u. a. in Köln, im Ruhrgebiet), um emissionsfrei zu beliefern (s. Abb. 7). Ebenso werden Hybridfahrzeuge eingesetzt. Für DPD werden in Berlin

Autonome Fahrzeuge in der innerstädtischen Paketzustellung

219

Abb. 6 „PostBOT“ (Deutsche Post AG) Abb. 7 Deutsche Post StreetScooter (Deutsche Post AG)

und Hamburg sieben Zustellfahrzeuge (Mercedes Benz Vito E-CELL) eingesetzt. Die Reichweite beträgt 130 Kilometer, die Höchstgeschwindigkeit 80 km/h – ideal für die Zustellung in der Innenstadt sowie für Überlandstrecken in Stadtnähe. (Lehmacher 2015) In Göttingen wird seit Mai 2017 die Paketzustellung mit dem Elektromobil TRIPL getestet. Das Fahrzeug ist ein elektrisches Dreirad. Vorwiegend werden kleinere Pakete und Tüten transportiert. Das Ladevolumen des Fahrzeugs, worin ca. 40–60 Sendungen verstaut werden können, beträgt 750 Liter. (Bertram 2017)

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Mercedes-Benz Vision Van und eActros Für die Zustellung auf der letzten Meile wurde der elektrisch angetriebene Mercedes-Benz Vision Van (s. Abb. 8) entwickelt. Der Sendungszusteller erhält aus dem automatisierten Ladungsraum automatisch die Sendung und übergibt diese dann manuell dem Kunden. Auf dem Dach des Vans befinden sich zwei Drohnen, die zeitgleich in einem Umkreis von 10 km Sendungen autonom zustellen. Das Gewicht darf dabei 2 kg nicht überschreiten. Ein reibungsloser Ablauf und effiziente Zusammenarbeit zwischen Zusteller, Fahrzeug und Drohne wird durch intelligente Algorithmen ermöglicht. Die geräuscharme Zustellung begünstigt die Belieferung bei Nacht und steht somit im Einklang mit der Same Day Delivery. Weiterführende Praxiserfahrungen der Technologie müssen noch gewonnen werden. Mit dem eActros von Mercedes steht seit 2018 auch ein vollelektrischer Lastkraftwagen zur Verfügung, der über ein Gesamtgewicht von 25 Tonnen verfügt. Das Fahrzeug hat eine tägliche Reichweite zwischen 150 und 300 km und ist unter anderem für die Warendistribution in urbanen Räumen konzipiert. Derzeit testen verschiedene Logistikdienstleister das Fahrzeug im Praxisbetrieb. (Deutsche Verkehrszeitung 2018) Autonome Fahrzeuge Autonome Fahrzeuge sollen in Zukunft Pakete ohne jeglichen menschlichen Eingriff liefern. Die Kunden werden über die genaue Ankunftszeit informiert, bei der Ankunft an der Haustür werden sie informiert, das Paket vom Lieferwagen oder den auf dem Lieferwagen angebrachten Schließfächern – einem mobilen Gepäckfach ähnlich – abzuholen. Ein zentraler Supervisor könnte etwa acht bis zehn solcher autonomen Fahrzeuge verwalten. (Joerss et al. 2016) Unterirdische Rohrleitungssysteme Weiterhin wird an Transportlösungen gearbeitet, die unabhängig von bestehenden oberirdischen Infrastrukturen auch unterhalb der Erdoberfläche Güter transportieren zu können. Es werden gegenwärtig verschiedene Konzepte entwickelt, die auf einen

Abb. 8 Mercedes-Benz Vision Van (Bild: Mercedes-Benz)

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221

hohen Automatisierungsgrad setzen, indem die unterirdischen Transporte mit speziellen Fahrerlosen Transportfahrzeugen durchgeführt werden. Umschlagpunkte sind Knoten (Hubs), an denen die Güter mittels Aufzugsystemen in das System ein- bzw. ausgeschleust werden. Außerhalb von Städten könnten dies bspw. Güterverteilzentren sein, innerhalb von urbanen Räumen bspw. Micro Hubs, von denen die innerstädtische Feinverteilung ausgeht. Durch die Entkopplung der Transportwege erhofft man sich einen ungehindert vom konventionellen Fahrzeugverkehr fungierenden Gütertransport, ohne Staus und Verzögerungen. So adressiert das Projekt „Smart City Loop“ vor allem Transporte zwischen dem Stadtrand und dem Stadtkern, die in einem unterirdischen Kanalsystem auf vollautomatischen Ladungsträgern realisiert werden sollen. Durch die Verlagerung des Güterverkehrs soll die Umweltbelastung, u. a. Verkehrslärm und Feinstaubbelastung in Städten, verringert, aber auch Staus vermieden werden. Der Rohrdurchmesser beträgt 2,6 Meter, wodurch Genehmigung und Bau vereinfacht werden sollen. Das Konzept basiert auf einer integrierten Transportkette, bei der die Güterfeinverteilung im Stadtkern durch andere Verkehrsmittel, z. B. Lastenfahrräder und Lieferwagen, durchgeführt wird. (Smart City Loop 2019) „Cargo Sous Terrain“ ist ein von der Cargo Sous Terrain AG geführtes Projekt aus der Schweiz (Zürich). Im Fokus steht der unterirdische Transport von Gütern mittels elektrisch angetriebener Fahrzeuge, die auch über große Distanzen über Stadtgrenzen hinweg einsetzbar sein sollen. Die Stecke soll dreispurig sein. Dabei soll zunächst die Strecke zwischen Zürich und Härkingen (Logistik-Cluster im schweizerischen Mittelland) bis 2030 ausgebaut werden. Nach und nach sollen dann etappenweise Verbindungen von Luzern nach Basel und von Genf nach St. Gallen hergestellt werden. Für das Vorhaben des Projekts soll bis 2028 ein unterirdischer Tunnel mit einem Durchmesser von 6 m gebaut werden. Auf den dreispurigen Fahrstreifen sollen die elektrischen Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h fahren und zwei Paletten mitnehmen können. Insgesamt sind 8000 Fahrzeuge geplant. (Cargo Sous Terrain 2019)

5

Fazit und Ausblick

Der KEP-Markt ist in den letzten Jahren stark gewachsen und wird aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter deutlich zunehmen. Die standardisierten Sendungsgrößen und Prozesse sind ein Vorteil, die das Wachstum zusätzlich begünstigen. Gleichzeitig verändern sich die Anforderungen an eine zuverlässige Innenstadtlogistik. Insbesondere durch die steigenden Kundenanforderungen, die durch den wachsenden E-Commerce und flexible Zustellwünsche geprägt sind, wird in Zukunft ein höherer Servicegrad der Logistikdienstleister erforderlich sein. Urbane Logistik stellt daher eine wichtige Funktion für Industrie, Handel und Bürger einer Stadt dar, und eine Vielzahl von Dienstleistern bieten bereits entsprechende Services an. Die Anforderungen an die Ver- und Entsorgung urbaner Räume erleben aktuell eine deutliche Verschärfung: Auf der einen Seite nimmt der Anteil kleinteiliger Warenmengen bei Kurier-, Paket- und Express (KEP)-Dienstleistern

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erheblich zu, auf der anderen Seite erfolgt eine Zuspitzung der Verkehrssituation für die Erreichung von Umwelt- und Klimaschutzzielen in Städten. Städte und Kommunen zielen daher verstärkt auf eine Verringerung ihrer Verkehrsemissionen und auf eine hohe Lebensqualität der Innenstädte. Mittels verschiedener Restriktionen, z. B. durch Einfahrtsbeschränkungen und Fahrzeugmindestanforderungen, versuchen die Städte und Kommunen, die Umweltbelastung zu verringern. Automatisierte Fahrzeuge in der Paketzustellung bieten in diesem Zusammenhang vielfältige Perspektiven an, sowohl die wachsenden Kundenanforderungen als auch die Ziele der Kommunen zu erfüllen. Hochautomatisiertes und vernetztes Fahren von Fahrzeugen ist ein Megatrend und wird die Mobilität in den kommenden Jahren revolutionieren. Zahlreiche Hersteller, Zulieferer und IT-Unternehmen entwickeln derzeit intensiv Fahrzeuge und Komponenten, so dass in den kommenden Jahren mit der Einführung des hoch- und vollautomatisierten Fahrens zu rechnen ist. Wichtigen Herausforderungen wie einer Überlastung des Straßennetzes, der Verantwortung für eine schadstoffarme Umwelt und für eine klimafreundliche Zukunft kann jedoch nicht allein durch den weiteren Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur begegnet werden – dies verhindern häufig zunehmende Flächenknappheit und Nutzungskonkurrenzen in gewachsenen, bestehenden Städten. Es sind vielmehr neue stadtverträgliche, ressourcen- und infrastrukturschonende urbane Logistikkonzepte gekoppelt mit neuen technischen Lösungen erforderlich, um Personen- und Gütermobilität zu sichern. Elektromobilität ist hier ein wesentlicher Baustein einer stadtverträglichen Logistik in der Zukunft. Beispielsweise der Einsatz von Mikro Depots, logistischer Kleinststandorte in der Innenstadt, ist aufgrund der Reichweitenproblematik Voraussetzung für die stadtverträgliche Zustellung mit Lastenfahrrädern und Transportrobotern. Großen Einfluss auf die effiziente und bedarfsgerechte Versorgung von Städten werden aber besonders die informatorische Vernetzung der Akteure und die Digitalisierung haben. Auch die zunehmende Automatisierung der letzten Meile, z. B. durch Paketroboter in der Paketzustellung, wird zu einer Entzerrung der Verkehre führen. Die bestehenden Hürden für eine erfolgreiche und flächendeckende Umsetzung von autonomen Fahrzeugen in der innerstädtischen Paketzustellung sind groß. Einerseits können einige der bisher entwickelten technischen Lösungen mit bestehenden Geschäftsmodellen (noch) nicht erfolgreich und wirtschaftlich angewendet werden. Eine Realisierung ist nur durch Kooperation und bisweilen sogar nur über eine Vielzahl von Sondergenehmigungen einer Kommune möglich. Andererseits ist es heute schlicht nicht möglich, auf einfache Art und Weise zu erkennen, welches logistische und technologische Konzept sich individuell für welche Stadt besonders gut eignet, um eine bestmögliche Bündelung bei den lokalen Gegebenheiten vor Ort zu erzielen (Bernsmann und Vastag 2018). Automatisierte Fahrzeuge erhöhen jedoch perspektivisch Flexibilität und Servicegrad in der Paketzustellung erheblich und werden damit den Anforderungen einer zukunftsorientierten Stadt in besonderer Weise gerecht, da sie die bisherigen Zustellvarianten unterstützen und zudem völlig neue Zustellkonzepte ermöglichen. Diese neuen Konzepte, etwa mobile Paketstationen oder Direktzustellungen mittels

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Transportrobotern, werden den Zustellkomfort für Empfänger erweitern, zum Beispiel an Tagesrandzeiten oder individuellen Übergabeorten. Verbunden mit einem vollelektrischen Antrieb lassen sich autonome Fahrzeuge flexibel in die bestehenden KEP-Prozesse integrieren und werden einen Beitrag zur Reduzierung der Emissionen leisten. Zukünftig sollte daher weiteres Optimierungspotential durch Kooperation der Logistikdienstleister, beispielsweise durch Nutzung neutraler Transportfahrzeuge, die Pakete verschiedener Dienstleister gebündelt zustellen können, erzielt werden. Hierfür ist eine zunehmende Transparenz der Transportkette und Zusammenarbeit verschiedener Akteure notwendig. Fahrzeughersteller und IT-Unternehmen sollten nun passende Fahrzeugkonzepte entwickeln und diese mit den Logistikdienstleistern im Praxisalltag intensiv erproben.

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224

A. Vastag und M. Schellert

Krail M, Hellekes J, Schneider U, Dütschke E, Schellert M, Rüdiger D, Steindl A, Luchmann I, Waßmuth V, Flämig H, Schade W, Mader S, Wagner U (2019) Energie- und Treibhausgaswirkungen von automatisiertem und vernetztem Fahren im Straßenverkehr. Studie im Rahmen der wissenschaftlichen Beratung des BMVI zur Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung. Fraunhofer ISI/Fraunhofer IML/PTV Transport Consult GmbH, Karlsruhe/Dortmund, S 28–35 ff Lehmacher W (2015) Logistik im Zeichen der Urbanisierung Versorgung von Stadt und Land im digitalen und mobilen Zeitalter. Springer Fachmedien, Wiesbaden, S 11 f Smart City Loop (2019) Über Smart City Loop. https://www.smartcityloop.de/#smartcityloop. Zugegriffen am 12.04.2019 United Nations (2018) World urbanization prospects – the 2018 revision. https://www.un.org/ development/desa/publications/2018-revision-of-world-urbanization-prospects.html. Zugegriffen am 12.04.2019 Vastag A, Kirsch D, Bernsmann A, Moll C, Stockmann M (2017) Potenziale einer geräuscharmen Nachtlogistik Ergebnisse und Handlungsempfehlungen des Forschungsprojekts GeNaLog. Fraunhofer Verlag, Stuttgart Verband der Automobilindustrie e. V. (2015) Automatisierung Von Fahrerassistenzsystemen zum automatisierten Fahren. Berlin, S 15 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017) Automatisiertes Fahren im Straßenverkehr Herausforderungen für die zukünftige Verkehrspolitik. Z Straßenverkehrstech (8/9):18 (Erschienen)

Teil IV IT-Systeme fu¨r Logistik 4.0

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen Sören Kerner, Jens Leveling, Oliver Urbann, Luise Weickhmann, Maximilian Otten und Maurice Vogel

Zusammenfassung

Die Begriffe Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Deep Learning sind in aller Munde. Doch was ist damit gemeint und was steckt dahinter? Wofür kann Künstliche Intelligenz heutzutage schon (produktiv) eingesetzt werden? Dieser Beitrag ordnet zunächst diese Begriffe ein, stellt verschiedene Ansätze vor und beschreibt die Vorgehensweise für den Projekteinsatz. Dies wird anhand zweier Beispielanwendungen vertieft. Abgerundet wird der Beitrag durch die Vorstellung von aktuellen Ansätzen aus der Industrie und Forschung für den Einsatz von Lernalgorithmen in ressourcenbeschränkten Systemen.

1

Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz (KI) ist das Thema in der Industrie. Sie verspricht unter anderem durch intelligente Objekterkennung, Prozessplanung und Lagerhaltung Verbesserungen in vielen Bereichen der Logistik. S. Kerner (*) Abteilung Automation und eingebettete Systeme, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] J. Leveling · L. Weickhmann · M. Otten · M. Vogel Abteilung Software & Information Engineering, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; maximilian. [email protected]; [email protected] O. Urbann Automation & Eingebettete Systeme, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_121

227

228

S. Kerner et al.

Mit Sprachassistenten und Gesichtserkennung ist Künstliche Intelligenz schon in unseren Alltag eingezogen. Durch die großen Fortschritte im Bereich der Algorithmik und Hardware wird Künstliche Intelligenz immer relevanter für den produktiven Einsatz in der Industrie. Dabei ist zu beachten, dass KI – entgegen mancher Erwartungen – nicht die Lösung für alles ist. Es gibt bestimmte Anforderungen und Aufgaben, die für die Umsetzung notwendig sind, und auch (noch) Grenzen der Einsatzfähigkeit. Umso interessanter ist, in welchen Bereichen KI bereits produktiv genutzt werden kann: So können gute Bilderkennungsalgorithmen eingesetzt werden, um beispielsweise verschiedene Objekte in einer Lagerhalle oder einzelne Merkmale auf einem Paket zu erkennen. Ferner sind fortgeschrittene Spracherkennungsalgorithmen auch in der Lage, Texte auf Aufklebern automatisch zu lesen, wobei Sprachassistenten z. B. die Kommissionierung erleichtern können. Diese konkreten Anwendungen werden von mehreren spezifischen Künstlichen Intelligenzen (eng. specific artificial intelligence) bearbeitet. Eine „Allzweck-KI“ (general artificial intelligence), die wie der menschliche Verstand zur beliebigen Problemlösung (Sprach-, Bilderkennung, Entscheidungsfindung etc. ) befähigt ist, existiert jedoch nicht, sondern ist Gegenstand der Grundlagenforschung (Nilsson 2009; Lu et al. 2018). Insgesamt kann der Einsatz von KI bestehende Prozesse gezielt verbessern und das Personal bei seinen Aufgaben unterstützen. Dazu müssen die zu verbessernden Anwendungsbereiche, z. B. die Beladung einer Palette, zunächst erfasst werden. Sind die Daten bereits vorhanden, ist zu untersuchen, inwiefern sie für den Aufbau eines KI-Systems direkt verwendet werden können. Alternativ ist eine umfangreiche Datenerfassung und/oder -aufbereitung notwendig. Unter Umständen ist eine andere oder genauere Methode zur Datenerfassung einzusetzen, die für diesen Zweck genutzt werden kann. Eine bessere Datenverarbeitung ermöglicht in der Regel auch eine verbesserte Prozessplanung. Hierbei ist vor allem zu klären, wie und in welchem Umfang Künstliche Intelligenz im Betrieb sinnvoll eingesetzt werden kann und welche Schritte dafür erforderlich sind. Je nach Anwendungsfall müssen verschiedene Verfahren ausgewählt und evaluiert werden, da jeder KI-Algorithmus andere Stärken und Schwächen hat. Besonders können sie nicht von heute auf morgen im laufenden Betrieb genutzt werden, da die Künstliche Intelligenz erst über einen gewissen Zeitraum antrainiert werden muss. Mit Fokus auf den industriellen Kontext gibt dieses Kapitel einen Überblick über das Thema KI. Daran schließen sich aktuelle Anwendungsbeispiele und Umsetzungsmöglichkeiten an, die das Potenzial, aber auch die Vorgehensweise konkret veranschaulichen (Kap. „Cyber-physische Produktionssysteme“). Abschließend beschäftigt sich Kap. „Vertikale und horizontale Integration der Wertschöpfungskette“ mit der Frage, wie und in welchem Umfang eine Künstliche Intelligenz in ressourcenbeschränkten Umgebungen trainiert und ausgeführt werden kann. Dies wird am Beispiel Fahrerloser Transportsysteme (FTS) beschrieben.

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

1.1

229

Abgrenzung Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Deep Learning

Meist wird im gleichen Atemzug mit Künstlicher Intelligenz der Begriff Maschinelles Lernen bzw. Machine Learning verwendet, oft sogar als Synonym. Tatsächlich beschreiben beide unterschiedliche oder zumindest nicht deckungsgleiche Themen und Vorgehensweisen. Für eine Differenzierung der beiden Begriffe stellt sich zunächst einmal die Frage, was Intelligenz überhaupt ist: Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit eines Wesens oder Objekts, angemessen zu funktionieren. Aus dieser Angemessenheit ergeben sich mehrere Grade an Intelligenz, die fließend ineinander übergehen, weil jede Situation unterschiedliches Verständnis und andere Handlungen erfordert (Russell und Norvig 2009). Der Begriff Künstliche Intelligenz wird von dem britische Mathematiker Alan Turing wie folgt beschrieben: „A computer would deserve to be called intelligent if it could deceive a human into believing that it was human.“ Turing (1950)

Turing (1950) beschränkt sich hier auf einen rein funktional orientierten Intelligenzbegriff. Durch den sog. Turing-Test könne dann geprüft werden, ob eine Maschine in diesem Sinne als intelligent gilt. Die Forschung an Künstlicher Intelligenz ist hierbei ein interdisziplinäres Feld, auf dem die Kognitionswissenschaften (Psychologie, Neurologie etc.) und Biologie mit der Mathematik und Statistik zusammenkommen. Dabei bedient sich die Informatik mathematischer Modelle und Methoden zur Erstellung effizienter Lernalgorithmen, wobei die einzelnen Fachgebiete ihre jeweilige Domänenexpertise zur Erarbeitung von spezifischen intelligenten Systemen einbringen. Nur durch Zusammenarbeit der verschiedenen Forschungs- und Anwendungsgebiete ist es möglich, KI in den produktiven Einsatz zu bringen und von da aus weiterzuentwickeln. Dabei wird Künstliche Intelligenz wie folgt definiert: Definition 1 – Künstliche Intelligenz Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz beschreibt gleichermaßen die Fähigkeit einer Maschine, intelligent zu agieren, und die Forschung an der Erschaffung von Intelligenz. Der Begriff Intelligenz bezieht sich dabei grundsätzlich auf die Fähigkeiten, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und daraus eine Handlung abzuleiten (Russell und Norvig 2009).

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S. Kerner et al.

Die Informationsaufnahme ist vielseitig und wird heutzutage durch Sensorik und Kameratechnik umgesetzt. Zur Verarbeitung von Information wird ein gewisser Grad an „Verständnis“ benötigt, sodass aus den aufgenommenen Informationen logische Schlüsse gezogen werden und bestenfalls vorausschauend gehandelt wird. Um dieses Verständnis aufzubauen, kann die Maschine etwas über ihr Einsatzgebiet oder ihr Schlussfolgern lernen. Als Teilbereich der KI beschäftigt sich das Maschinelle Lernen (ML) mit dem automatisierten Lernprozess einer Maschine. Dabei gibt es verschiedenen Ansätze, wie ein Agent neues Wissen erlernen kann (s. Abschn. 1.1). Das menschliche Lernen besteht generell aus expliziten und impliziten Lernvorgängen, wobei beide letztendlich zu Wissen und Fähigkeiten führen. Das Ziel beim Machine Learning ist es, diesen menschlichen Lernprozess auf Computer zu übertragen. Dabei kann der Computer zunächst aus gegebenen Daten Wissen ableiten, welches dann sein weiteres Schlussfolgern und Handeln bei unbekannten Daten beeinflusst. Für das Training dieses „Basiswissens“ wird eine entsprechende Datengrundlage benötigt. Neue Daten erlauben dem System dabei eine Aktualisierung und Anpassung seines Wissens, wodurch sich auch dessen Bewertungen und Entscheidungen dynamisch neuen Gegebenheiten anpassen können. Definition 2 – Machine Learning Machine Learning

Machine Learning ist die Verhaltensänderung eines Computers zwischen einem Zeitpunkt t1 und einem Zeitpunkt t2, die durch ein Ereignis E hervorgerufen wurde und gemessen an einem Maß P eine Verbesserung ist (Mitchell 1997).

Zur Abbildung dieser maschinellen Lernprozesse existieren schätzungsweise hunderte von Algorithmen, welche jeweils vor dem Hintergrund unterschiedlicher Problemstellungen (bspw. Datengruppierung, Prognosen etc.) und Daten (Texte, Bilder etc.) konzipiert wurden. Die Auswahl und Bewertung der verschiedenen Lernverfahren mit Blick auf den gegebenen industriellen Anwendungsfall stellt dabei eine zentrale Aufgabe der jeweiligen ML-Experten dar. Die aktuell medial sehr präsenten Begriffe „neuronales Netz“ und „Deep Learning“ bezeichnen in diesem Kontext nur eine spezielle Gruppe maschineller Lernverfahren, welche sich aber als sehr erfolgreicher Ansatz zur Lösung verschiedener Probleme erwiesen haben, an denen vorherige Lernverfahren noch scheiterten. Definition 3 – Neuronale Netze Neuronale Netze

Als neuronales Netz bezeichnet man ein maschinelles Lernmodell der Informatik, welches die Lernprozesse im menschlichen Gehirn künstlich zu imitieren sucht. Man spricht deswegen auch häufig von Künstlichen Neuronalen Netzen (artificial neuronal networks).

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

231

Neuronale Netze verknüpfen – in Anlehnung an das menschliche Gehirn – digitale Neuronen über mehre Verbindungen miteinander. Die Neuronen sind dabei in Schichten (Layer) von vielen Neuronen organisiert. In jeder Schicht können unterschiedlich viele Neuronen liegen. Die Neuronen sind zwischen den Schichten, nicht aber innerhalb einer Schicht miteinander verknüpft. Das Wissen im Netz wird dann über die Aktivierung oder Deaktivierung von Neuronen simuliert. Beispielsweise ist ein Neuron, das eine Aussage über die Helligkeit eines Bildes trifft, aktiviert, wenn ein bestimmter Schwellwert überschritten wird. Das dadurch erfasste Wissen (hell oder dunkel) wird dann an Neuronen der nächsten Schicht weitergegeben, die auf dieser Grundlage weitere Einzelentscheidungen treffen. Jedes Neuron wird durch unterschiedliche Bedingungen (Aktivierung gewisser oder auch aller Neuronen in der vorherigen Schicht) aktiviert. Die einzelnen Vorbedingungen erhalten dabei sogar Werte, welche deren Gewichtung für die Auswertung bestimmen. Diese Gewichtung kann sich bei jedem Trainingsschritt des Netzes verändern und damit die Aktivierungsbedingungen der einzelnen Neuronen beeinflussen. Moderne neuronale Netzwerkarchitekturen bestehen i. d. R. nicht nur aus einer, sondern mehreren dutzend oder sogar hunderten Schichten. Dies hat den Vorteil, dass das System dadurch in der Lage ist, komplexere Funktionen für die Lösung des gegebenen Problems (z. B. Bilderkennung) zu erlernen. Diese komplexe innere Struktur ermöglicht es einem solchen Netz, auch für schwierigere Entscheidungsprobleme sehr gute Ergebnisse zu liefern. Allerdings benötigt dieses Verfahren mehr und umfassendere Daten (Geron 2017). Definition 4 – Deep Learning Deep Learning

Neuronale Netze mit komplexeren, tiefen Strukturen zur Abbildung von Lernvorgängen werden mit dem Begriff Deep Learning bzw. Deep Neuronal Networks (DNN) assoziiert. Hierbei existiert allerdings keine Einigkeit in der Forschung darüber, ab welcher Anzahl von Schichten ein neuronales Netz als DNN gilt.

Abb. 1 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen den einzelnen Begrifflichkeiten.

1.2

Machine Learning Konzepte

Zu Beginn einer Lernphase steht ein Datensatz. Je nach dessen Beschaffenheit, kann darauf eines der Machine-Learning-Konzepte (s. Abschn. 1.2.1, 1.2.2 und 1.2.3) angewendet werden. Existieren zu jedem Datenpunkt bereits sogenannte Labels, welche die gewünschte Information des Datenpunkts beschreiben, kann das Training damit überwacht (eng. supervised) werden. Möglich ist auch eine Vorverarbeitung der Daten, bei der diese Labels erzeugt werden. Ohne Labels muss der Computer eigenständig (eng. unsupervised) Gemeinsamkeiten in den Daten ermitteln, um dann z. B. die Daten nach diesen Kriterien gruppieren zu können. Dieser Ansatz ist

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S. Kerner et al.

Abb. 1 Abgrenzung der einzelnen Begriffe im Bereich der Künstlichen Intelligenz

insbesondere dann anwendbar, wenn wenig über die Daten und ihre Aussagekraft bekannt ist. Ein dritter Ansatz ist das Reinforcement Learning, welches methodisch zwischen den beiden anderen Verfahren liegt. Die Leistungsfähigkeit eines ML-Systems hängt maßgeblich mit der Menge und Qualität der verwendeten Trainingsdaten zusammen: Je mehr unterschiedliche Daten zum Trainieren und Testen genutzt werden, umso besser werden die Ergebnisse. Letztendlich wird das dort antrainierte Verständnis auf neue, unbekannte Daten angewendet, weswegen möglichst viele mögliche Variationen in den Daten abgebildet sein müssen. All diese Verfahren können nur dann erfolgreich sein, wenn die Daten, auf denen trainiert wird, auch eine gute Qualität haben, also z. B. eine gute Auflösung der Bilder bei der Objekterkennung. Die ML-Algorithmen dürfen allerdings auch nicht zu stark auf die Gegebenheiten angepasst sein (sog. overfitting), da sonst nur auf den Trainingsdaten und nicht auf neuen Daten gute Ergebnisse erzielt werden, wodurch das trainierte System nicht für den produktiven Einsatz geeignet wäre. Im Folgenden werden die gängigen Lernverfahren des Maschinellen Lernens genauer vorgestellt.

1.2.1 Supervised Learning Beim Supervised Learning oder auch überwachten Lernen steht vor Beginn des Trainings fest, was das ML-Modell zu erkennen hat. Dies muss auch in den Trainingsdaten entsprechend abgebildet sein. Wenn z. B. bestimmte Klassen von Objekten (Paletten und FTS u. v. m.) und Symbolen in einem Bild erkannt werden, muss für jedes Bild die entsprechende Objekt- oder Symbolklasse, welche auf dem Bild zu sehen ist, hinterlegt sein. Dieses Vorgehen wird als Klassifikation bezeichnet. Steht hingegen die Vorhersage von kontinuierlichen Werten im Fokus, bspw. die Länge eines Packstückes, handelt es sich um eine Regression. Das trainierte Modell kann dann zur Vorhersage von Werten oder Klassen genutzt werden (Abb. 2).

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

233

Abb. 2 Prinzip des Supervised Learning: Zuordnung einzelner Objekte zu bestimmten Klassen

Abb. 3 Prinzip des Unsupervised Learning: eigenständige Gruppierung der Objekte

1.2.2 Unsupervised Learning Unsupervised-Learning-Modelle (Abb. 3) werden – abgrenzend zum überwachten Lernen – zur Gewinnung von neuem Wissen verwendet, zum Beispiel für ein Erkennen neuer Strukturen oder Muster (eng. Pattern Recognition). Der wesentliche Unterschied zum Supervised Learning besteht darin, dass in den Daten keine Informationen zu bestimmten Klassenzugehörigkeiten oder Kategorien vorhanden sind, sondern diese Zusammenhänge durch das überwachte Lernverfahren automatisch bestimmt werden. Ein Untergruppe innerhalb des Unsupervised Learning stellt das sog. Clustering dar, bei dem Daten aufgrund ihrer Ähnlichkeit zueinander gruppiert werden. Je nach gewähltem Clustering-Verfahren kann auch eine RestGruppe mit nicht-gruppierbaren Datenpunkten entstehen (Outliner, „unbekannte“

234

S. Kerner et al.

Gruppe). Diese Gruppe ist besonders für weitergehende Untersuchungen von Relevanz, da die Merkmale dieser Gruppe – gemessen am Rest der Daten – nicht typisch sind und sich damit u. a. Unregelmäßigkeiten in den Daten auffinden lassen.

1.2.3 Reinforcement Learning Das Reinforcement Learning unterscheidet sich grundlegend von den beiden zuvor beschriebenen Modelltypen durch eine andere Vorgehensweise: Es werden keine Modelle mit bekannten Schemata antrainiert, sondern solche, die bestimmte Funktionen unter der Berücksichtigung von Regeln in unbekannten Situationen anwenden können. Die Ausführung einer Funktion wird anschließend bewertet und bei Erfolg belohnt und bei Misserfolg bestraft. Das Modell speichert die Konsequenz (Belohnung oder Strafe) der Ausführung einer Funktion in einer bestimmten Situation. Dies wird ab sofort bei jeder weiteren Ausführung/Entscheidungsfindung berücksichtigt. Über die Zeit wächst der Speicher und entsprechende Modelle werden immer besser in der Entscheidungsfindung durch die Bewertung der Folgen einer Funktionsanwendung. Dadurch kann die beste bekannte Funktion in einer bestimmten Situation bestimmt werden. Entsprechende Modelle erlauben mit der Zeit die Realisierung von autonomen Systemen. Allerdings müssen sie in simulierten Umgebungen ausführlich trainiert werden. Dieser Bereich steckt noch mehrheitlich in der Forschung und es gibt bisher wenige Anwendungen. Viele aus den Medien bekannte Ansätze aus dem Bereich KI vs. menschlicher Spieler, wie aktuell AlphaGo von Google DeepMind (2019), basieren u. a. auf Reinforcement Learning.

1.3

Vorgehensweise Machine Learning

Der Einsatz von Machine Learning und den entsprechenden Technologien erfordert eine strukturierte Vorgehensweisen. Diese fokussieren die Abbildung von Anwendungsfällen auf Daten und Machine-Learning-Modellen. Insbesondere die Rolle der Daten in Machine-Learning-Projekten wird häufig unterschätzt, obwohl gerade in der Zusammenstellung von Datensätzen viel Potenzial für erfolgreiche Projekte liegt.

1.3.1 ML-Methoden Die Umsetzung von Anwendungsfällen im Bereich Machine Learning basiert heute auf dem im Jahre 1996 entwickelten Standard CRISP-DM „CRoss Industry Standard Process for Data Mining“ (Chapman et al. 2000). Dieser Ansatz unterteilt einen Machine-Learning-Prozess in die folgenden sechs Phasen: Geschäftsverständnis, Datenverständnis, Datenvorbereitung, Modellierung, Evaluation und Bereitstellung. Zusammen bilden die Phasen einen iterativen Zyklus der Rücksprünge erlaubt, siehe Abb. 4. Geschäftsverständnis Diese Phase initiiert das Projekt und erfasst die Anforderungen und Voraussetzungen. Hierbei gilt es, eine Balance zwischen konkurrieren-

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Abb. 4 Übersicht der einzelnen Phasen des CRISP-DM-Modells (Chapman et al. 2000)

den Zielvorgaben und Rahmenbedingungen zu finden. Wichtig ist zudem die Beschreibung von Faktoren, die das Projektergebnis beeinflussen. Abschließend werden sowohl Metriken für den Machine-Learning-Prozess als auch Kennzahlen (KPIs) festgelegt, welche Aussagen über den Erfolg des Gesamtprojekts aus betriebswissenschaftlicher Sicht ermöglichen. Durch den iterativen Zyklus des Gesamtprozesses können die Anforderungen und Kennzahlen im Projektverlauf angepasst und erweitert werden. Datenverständnis Daten sind von besonderer Bedeutung für Machine Learning, denn anhand dieser kann der Anwendungsfall umfassend dargestellt werden. Wichtig dafür ist, dass zu Beginn ein tief gehendes Verständnis für den Datensatz erlangt wird. Dazu werden die unterschiedlichen Variationen und Formen der Daten abge-

236

S. Kerner et al.

bildet und analysiert. Anschließend erfolgt die Beschreibung der Daten. Dies ist eine entscheidende Grundlage für die spätere Auswahl eines Machine-Learning-Modells. Das Modell muss einerseits auf die Daten angewendet werden können und andererseits die festgelegten Metriken und Kennzahlen erfüllen. In dieser Phase wird außerdem die Qualität der Daten bewertet. Hierzu überprüft man die Daten auf Vollständigkeit bezüglich der Ausprägungen der vorhandenen Attribute vor dem Hintergrund des Anwendungsfalls. Des Weiteren werden fehlerhafte Daten aufgefunden, um sie in der nächsten Phase zu bereinigen. Wenn die Qualität als nicht ausreichend zur Abbildung des Anwendungsfalls bewertet wird, sucht man in dieser Phase entweder nach weiteren Daten oder nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenqualität. Datenvorbereitung Aufbauend auf den Ergebnissen der vorherigen Phasen erfolgt die Aufbereitung der Daten für das eigentliche Machine Learning mit dem Ziel, den zuvor festgelegten Qualitätsmerkmalen gerecht zu werden. Zunächst befasst man sich mit der Vorbereitung der Daten für das Machine Learning, z. B. durch das Markieren von Bildern oder Bildbereichen oder die Herausstellung von bestimmten Attributen in Sensordatensätzen. Diese auch als Labelling bezeichneten Arbeitsschritte sind von sehr großer Bedeutung. Hierdurch wird der Fokus für die MachineLearning-Algorithmen auf relevante Informationen und besondere Merkmale der Daten für den Anwendungsfall gelegt. Auch bestehendes Wissen (eng. feature engineering (Will Koehrsen 2018)) der Domänenexperten wird in diesem Schritt in den Daten hervorgehoben. Abschließend findet eine Überführung des Datensatzes in das richtige Format und Datenmodell statt. Modellierung Basierend auf den Daten und dem im Geschäftsverständnis erarbeiteten Projektziel kommt es zur Auswahl eines Machine-Learning-Modells. Der anschließende Trainingsprozess zielt darauf ab, das Modell iterativ über Modellparameter anzupassen. Es gilt, Parameter zu bestimmen, aus denen ein Modell resultiert, welches die zuvor definierten Metriken optimiert. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, gibt es zwei Möglichkeiten: 1. erneuter Durchlauf der Parameteroptimierung, 2. Veränderungen der Datenvorverarbeitung. Evaluation Sind optimale Modellparameter gefunden, findet eine Evaluation des bis dato erstellten Machine-Learning-Prozesses statt. Erfüllt das Modell die anfangs definierten Metriken und KPIs wird es für das Deployment freigegeben, andernfalls wird jede Phase analysiert, um herauszufinden, wo ein Bedarf für Korrekturen besteht. Dies induziert die eingangs eingeführte Bezeichnung des iterativen Zyklus von CRISP-DM. Bereitstellung Nach Freigabe wird das erarbeitete Machine-Learning-Modell mittels gewohnter Software-Engineering-Methoden in die bestehende Software des Kunden integriert. Zudem werden Maßnahmen zu Monitoring und Wartung geplant und vereinbart.

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

237

1.3.2 Bedeutung der Daten Wie schon in der Beschreibung von CRISP-DM nahegelegt, bilden die Daten, welche zur Erstellung von Modellen im Machine Learning genutzt werden, die Basis für einen erfolgreichen Einsatz des Machine-Learning-Prozesses. Dies bildet einen weiteren Aspekt mit Blick auf die in Abschn. 1.1 erläuterte Definition von Machine Learning. Basierend auf der Möglichkeit, Datenmengen effizient speichern und verarbeiten zu können, fand ein Paradigmenwechsel von rule-based zu datadriven statt (siehe Abb. 5). Laut Ajanki (2018) modelliert traditionelle Softwareentwicklung den Prozess, eine Aufgabenstellung zu automatisieren, in dem Regeln erarbeitet werden (rule-based), die ein Computer zu befolgen hat. Diese Regeln sind durch ein Programm modelliert, welches zur Laufzeit die gewünschte Aufgabenstellung erfüllt. Eine Umsetzung der Regeln in ein Programm findet dabei manuell durch einen Programmierer statt. Machine Learning geht einen Schritt weiter: Es automatisiert das Finden der Regeln für eine gegebene Aufgabenstellung und realisiert damit die automatische Erstellung eines Programms bzw. Modells, was unter den im Abschn. 1 und 1.1 verwendeten Begriff „Training“ fällt. Das resultierende Modell muss anschließend in den bestehenden Quellcode eingebunden werden, um dann wie gewohnt die Aufgabenstellung zur Laufzeit zu lösen.

Abb. 5 Vergleich der Herangehensweise zwischen traditioneller Programmierung und Machine Learning (Antti Ajanki 2018)

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Ein erfolgreicher Einsatz eines Machine-Learning-Prozesses ist jedoch nur gegeben, wenn entsprechende Daten für die Aufgabestellung zu Grunde liegen (datadriven). Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, dass die ersten drei Phasen des CRISP-DM-Modells ein hohes Maß an Relevanz für den Gesamtprozess besitzen. Dabei geben die definierten KPIs die Aufgabenstellung vor, für die es mit den vom Unternehmen gegebenen Daten Regeln zu finden gilt (Phase 1). Die Qualität der Regeln geht dabei Hand in Hand mit der Qualität der Daten (Phase 2), welche wiederum für den Machine-Learning-Prozess passend vorzubereiten sind (Phase 3). Dennoch ist CRISP-DM als Gesamtkonzept zu verstehen, bei dem eine zyklische Wiederholung/Iteration über alle Phasen hinweg notwendig ist, um ein Projekt erfolgreich abzuschließen.

1.3.3 Quelle der Trainingsdaten Will man Machine Learning in seine Prozess-Pipeline integrieren, ist im Vorfeld genau zu klären, was mit der Anwendung erreicht werden soll. Nur so kann bestimmt werden, welche Daten zum Einsatz kommen und wie diese generiert werden. Um die Qualität der Datenvorbereitung hoch zu halten, ist eine geeignete Schnittstelle zu schaffen, über die der Datenaustausch zwischen dem Unternehmen und dem beauftragten Machine-Learning-Verantwortlichen erfolgen kann. Die eingesetzte Technologie ist dabei auf den jeweiligen Anwendungsfall anzupassen.

1.3.4 Augmentierung / synthetische Datenerzeugung Wie in Abschn. 1.2 erwähnt, kann es bei dem Trainieren von Machine-LearningModellen aus dem Bereich des Supervised Learnings zum so genannten Overfitting kommen. In diesem Fall lernt das Modell die zum Training verwendeten Daten nahezu auswendig. Als Resultat reduziert sich die Erkennungs-Performance von Klassen/Objekten noch nicht „gesehener“ Daten. Daher ist darauf zu achten, ein Modell nicht zu lange auf den gleichen Daten zu trainieren. Eine weitere Lösung für eine bessere Generalisierung der Modelle ermöglichen Methoden der Augmentierung. Dabei werden aus den zum Training verfügbaren Daten neue Daten generiert. Bilddaten können beispielsweise durch Rotieren, Rein-/Raus-Zoomen, Verunschärfung (Blurring), Strecken und Stauchen verändert werden. Die Grundinformation bleibt dabei im Bild erhalten, dem Trainingsalgorithmus wird jedoch eine komplett neue Eingabe vorgetäuscht. Hieraus ergeben sich Modelle, die zur Laufzeit robuster gegenüber Veränderungen zum Originalbild sind, beispielsweise aufgrund von Rauschen oder schlechten Lichtverhältnissen. Kann man aus wie auch immer gearteten Umständen (beispielsweise Geheimhaltung) keine Original-Daten herausgeben, besteht die Möglichkeit durch synthetische Datenerzeugung künstliche Datensätze zu erstellen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Daten den späteren Daten möglichst ähnlich sind. Andernfalls liefern die Modelle später keine validen Ergebnisse, was auch aus der bisherigen Beschreibung von CRISP-DM und der Bedeutung der Daten hervorgeht.

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2

239

Machine Learning in der Praxis

Bereits heute sind verschiedene Anwendungsfälle mit Machine Learning industrietauglich realisierbar. In diesem Kapitel werden zwei praktische Beispiele aus dem industriellen Kontext vorgestellt.

2.1

FTF – Objekt Detektion

In der Intralogistik wird die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen/Robotern immer wichtiger. Gleichzeitig werden die Systeme stärker autonom. Hierzu zählt insbesondere der Anstieg von Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF). Im Allgemeinen ist die Sicherheit im Arbeitsumfeld für den Menschen zu gewährleisten. FTF nehmen bereits heute einen Teil ihrer Umgebung durch Sensoren wahr. Als typisches Beispiel sind hier die Laserscanner zu nennen, die zur Kollisionsvermeidung eingesetzt werden (Kavraki und LaValle 2008). Die dafür notwendige Technik ist allerdings mit großen Kosten verbunden. Eine andere Möglichkeit, um die Sicherheit in der Mensch-Roboter-Interaktion zu gewährleisten, ist eine sogenannte „Roboter-Zelle“. Hierbei wird der Roboter mittels Umzäunung physikalisch vom Menschen getrennt (Khalid et al. 2017). Machine Learning basierend auf Bilddaten stellt hierzu eine Alternative dar. Vordefinierte Objekte (Fahrzeuge, Personen etc.), die sich in der Umgebung des Roboters befinden, werden per Kamera detektiert (erkannt) und klassifiziert (zugeordnet), wie in Abb. 6 zu sehen. Dies fällt unter die Begrifflichkeit der Objektdetektion. Durch die Erkennung der definierten Objekte findet eine automatische Unterscheidung zwischen diesen und anderen Objekten statt, wie beispielsweise Regalen. Des Weiteren lässt sich die Position der erkannten Objekte mittels Lokalisierungsalgorithmen bestimmen. Aus den so gewonnenen Informationen erlangt man wichtige Erkenntnisse für die Fahrzeugsteuerung, um beispielsweise ein automatisches Ausweichen zu realisieren. Entsprechende Kamerasysteme kombiniert mit kleinen Embedded Boards, auf denen die Algorithmen zur Detektion von wenigen Objekten (Anzahl < 10) ausgeführt werden, sind im Gegensatz zu teuren Lasersensoren bereits zu deutlich geringeren Preisen am Markt erhältlich. Allgemein fällt der Einsatz von Embedded Boards zur Ausführung von Machine-LearningModellen unter die Thematik ressourcenbeschränktes Lernen, auf die in Kap. „Vertikale und horizontale Integration der Wertschöpfungskette“ genauer eingegangen wird. Algorithmen zur Realisierung der Objektdetektion stammen aus einem Teilbereich von Machine Learning, dem in Abschn. 1.1 beschriebenen Deep Learning. Zur Auswahl stehen eine Reihe von Netz-Architekturen, welche über Open-SourceProjekte zur Verfügung stehen. Ein prominentes Beispiel ist Googles „Tensorflow Model Zoo“ (Google Inc. 2019a). Hier können fertig trainierte Modelle heruntergeladen werden, die dann nur noch in den eigenen Quellcode eingebunden werden müssen. Jedes Modell ist darauf trainiert, zwischen 90 verschiedenen Objektklassen zu unterscheiden. Dabei ist anzumerken, dass eine Individualauswahl der zu erken-

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Abb. 6 Erkennung vordefinierter Objekte mittels Algorithmen aus dem Bereich Deep Learning bzw. Objektdetektion

nenden Klassen auch im Nachhinein möglich ist. Die einzelnen Architekturen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ausführungszeit und Detektionsperformance. Möchte man die Detektionsperformance steigern, ist dies meist mit einer erhöhten Ausführungszeit verbunden, gerade im geschilderten Anwendungsfall, bei dem Embedded Boards zum Einsatz kommen. Derzeit ist keine Architektur bekannt, die es erlaubt, die zuvor beschriebene Lasertechnik zu ersetzen. Grund dafür ist eine zu niedrige Detektionsperformance und eine zu hohe Ausführungszeit. Keine Architektur erfüllt damit die Kriterien zur Gewährleistung der Sicherheit einer Kollisionsdetektion. Demnach bietet die Bildverarbeitung – umgesetzt mit Methoden des Deep Learning – momentan lediglich einen Ansatz zur Informationserweiterung der FTF. Kommende Architekturen sowie die weitere Entwicklung von Embedded Boards sind zu beobachten, um den zukünftigen Einsatz der Algorithmen zu bewerten.

2.2

Chatbots

Die zunehmende Automatisierung und Robotisierung der Arbeitswelt bedingt auch eine deutlich stärkere Vermischung und Überschneidung von menschlichen und maschinellen Arbeitstätigkeiten in unterschiedlichsten Prozessen (Produktion, Service, Personal etc.). Doch wie kann diese Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine gestaltet sein? Eine Antwort auf diese Frage bietet z. B. das Konzept der Social Networked Industry (Prasse et al. 2018; Tüllmann et al. 2018; Erler et al. 2017), in der eine Kollaboration zwischen Mensch und Technik innerhalb der Struktur eines sozialen Netzwerkes angestrebt wird: Maschinen würden hierbei vor allem Routine-Aufgaben übernehmen, wohingegen dem Menschen komplexere Tätigkeiten, Kontroll- und Leitfunktionen zukommen würden. Für eine erfolgreiche Mensch-Maschine-Interaktion (MMI) kommt hierbei dem Thema Kommunikation eine zentrale Bedeutung zu. So sollte eine kompli-

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

241

zierte Steuerung der verschiedenen Maschinen und Roboter über umfangreiche Benutzermenüs und Oberflächen möglichst vermieden werden, da dies einen hohen Zeit- und Kostenaufwand bei der Einarbeitung menschlicher Mitarbeiter/ innen in ständig wechselnde IT-Systeme erfordert. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems können z. B. Chatbots darstellen, welche menschlichen Mitarbeiter/innen hierbei eine natürlichsprachliche Kommunikation mit verschiedenen IT-Systemen (Robotern, Datenbanken etc.) innerhalb eines Unternehmens ermöglichen (vgl. Abb. 7). Als Chatbot bzw. Dialogsystem (Jurafsky und Martin 2018; Fellbaum 2012; McTear 2004) wird eine Gruppe von Softwareanwendungen bezeichnet, welche einen Dialog zwischen einem (oder mehreren) menschlichen und einem maschinellen Agenten ermöglichen. Das Gespräch zeichnet sich hierbei unter anderem durch den stetigen Rollenwechsel der Gesprächspartner zwischen Sprecher- und Hörerrolle aus, d. h. die Gesprächsinitiative liegt in der Regel nicht bei einem Agenten, sondern ändert sich dynamisch (gemischte Initiative). Tendenziell lässt sich hierbei feststellen, dass je mehr Gesprächsinitiative der Nutzer vom System zugestanden bekommt, desto flexibler die entsprechende Softwarearchitektur des Dialogsystems entworfen sein muss (McTear 2004). Für einfache Dialogsysteme mit einem klar abgegrenzten Aufgabenbereich kann die Initiative jedoch ausschließlich systemoder sprecherseitig konzeptualisiert sein. Mit Blick auf den Domänenbereich dieser Anwendungen unterscheidet man in der (linguistischen) Forschung zwischen aufgabenbezogenen (task-oriented) und nicht-aufgabenbezogenen (chit-chat) Dialogsystemen bzw. konversationellen Agenten (Jurafsky und Martin 2018). Aufgabenbezogene Dialogsysteme werden meist vor dem Hintergrund eines konkreten Anwendungskontextes, wie etwa der Kundenberatung, entwickelt und verfügen über eingeschränkte Flexibilität beim Dialogverlauf und geringes Weltwissen. Typische Beispiele in diesem Kontext wären digitale Assistenzsysteme wie Siri, Alexa (Jurafsky und Martin 2018) oder Google Assistant Inc. (2019b). Die meisten Dialogsysteme im industriellen Kontext lassen sich dieser Gruppe zuordnen. Nichtaufgabenbezogene Dialogsysteme erlauben dem Nutzer hingegen deutlich umfangreichere Gespräche mit wechselnder Themenwahl, wobei die Systeme unstrukturierte menschliche Kommunikation (bspw. Alltagsgespräche) zu imitieren suchen. So könnten derartige Dialogsysteme z. B. auf Grundlage der gespeicherten Dialoghistorie Anknüpfungspunkte für neue Gesprächsthemen finden. Der medial eher geläufige Terminus Chatbot bezeichnet in der Sprachwissenschaft i. d. R. letztgenannte Gruppe von Softwareanwendungen (Jurafsky und Martin 2018), weswegen im Folgenden der weniger spezifische Oberbegriff Dialogsystem verwendet wird.

Abb. 7 Chatbots als Kommunikationsmedium zwischen Mensch und Maschine

242

S. Kerner et al.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal für Dialogsysteme stellt ihr jeweiliger Operationsmodus dar, womit u. a. auf die Art des vom System verarbeitbaren sprachlichen Inputs (z. B. Text vs. gesprochene Sprache) referiert wird. Darüber hinaus können aber auch – im Falle elaborierterer multimodaler Systeme – nichtsprachliche Informationen, wie z. B. Bilder, in die Analyse von Sprachstrukturen miteinbezogen oder als Output generiert werden. Die Systeme können dabei zwischen verschiedenen Input- und Outputmodi wechseln (Jurafsky und Martin 2018; Fellbaum 2012; McTear 2004). Die prototypische Architektur von Dialogsystemen folgt dem oben dargestellten Pipeline-Muster (vgl. Abb. 8). Im Falle von auditiven Signalen als Input werden diese vom Spracherkennungsmodul (Speech Recognition) zunächst in eine entsprechende Hypothese der erkannten Wortsequenz überführt, wobei häufig probabilistische oder neuronale Verfahren und Modelle genutzt werden (Fellbaum 2012; Vadwala et al. 2017). Bei rein text-basierten Dialogsystemen würde dieser Schritt hingegen entfallen. Diese Text-Hypothese kann dann vom Sprachverstehen-Modul (Language Understanding) hinsichtlich ihrer grammatischen und semantischen Struktur analysiert und in einzelne bedeutungsvolle Bestandteile segmentiert werden. Die aus diesem Schritt gewonnenen Informationen werden dann vom Dialogmanager (Dialogue Management) unter Berücksichtigung des aktuellen Dialogzustands, allgemeiner Dialogregeln und etwaiger externer Wissensressourcen (z. B. Weltwissen in Form von Ontologien) zu einer (abstrakten) System-Antwort ausgewertet. Auf Basis dieser Antwort kann das Sprachgenerierungsmodul (Natural Language Generation) dann eine angemessene Antwortsequenz erzeugen und an den Nutzer senden, wobei z. B. vorgefertigte Antwort-Templates (Reiter und Dale 2000) zum Einsatz kommen.

Abb. 8 Beispiel für eine Pipeline-Architektur bei Dialogsystemen (Chen et al. 2018), (Young 2000)

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

243

Es sei anzumerken, dass die Sprachverarbeitung in Dialogsystemen nicht notwendigerweise in diesen diskreten Schritten erfolgen muss. Sie kann auch – im Falle von sog. End-zu-End-Systemen, vgl. (Shang et al. 2015; Vinyals und Le 2015; Sordoni et al. 2015) – innerhalb einer verknüpften Netzwerkarchitektur modelliert werden, wobei keine klare Trennung mehr zwischen den o. g. Verarbeitungsschritten zu treffen ist. Das System würde in diesem Fall selbstständig lernen, welche Antwort für welche Nutzereingabe angemessen ist, wenn es zuvor mit ausreichend Beispieldialogen trainiert wurde. Dies erfordert zwar eine deutlich größere Datenbasis als bei rein regel-basierten Dialogsystemen, allerdings erlaubt diese Art der Verknüpfung (vgl. Deep Learning, Abschn. 1.1) kontinuierliche „Fehlerkorrekturen“ zwischen einzelnen Teilverarbeitungsschritten (= Layern) der Netzwerkarchitektur. So können Fehler während früherer Verarbeitungsschritte besser ausgeglichen werden, als dies bei getrennten Teilprozessen (s. o.) der Fall wäre. Aufgrund zunehmender technischer Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz sowie der automatisierten Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing, NLP) in den letzten 10–15 Jahren gewinnen auch Dialogsysteme eine stärkere Relevanz im Rahmen industrieller Anwendungen. Der Erfolg digitaler Assistenzsysteme (z. B. im Smart-Home-Bereich) und die mediale Diskussion um den geplanten Sprachdienst Google Duplex / Google Assistant Google Inc. (2019b) zeigen sehr deutlich, dass Endnutzer einen Bedarf für eine vereinfachte Interaktion mit technischen Geräten und Anwendungen haben. Allein eine (unvollständige) OnlineSammlung (Choi 2019) listet aktuell ca. 1400 Chatbot-Applikationen in 60 Ländern, davon 85 nur in Deutschland. Dazu kommt eine steigende Zahl von Start-ups und Dienstleistern sowie unternehmensinternen F&E-Abteilungen, welche für Industriekunden bereits Lösungen in diesem Bereich anbieten oder entwickeln. Obgleich Dialogsysteme mit einem allgemeinen, menschenähnlichen Sprachverständnis in beliebigen Gesprächssituationen noch Gegenstand aktueller Forschung sind, können die o. g. Lösungen im Rahmen einfacher Dialogsituationen mit einem begrenzten Kontext bereits sehr gut eingesetzt werden: Diese Anforderung erfüllen viele der aktuell prototypischen Anwendungsfällen von Dialogsystemen in Unternehmen wie Kunden-Support, Maschinen-Steuerung und Informationsabfrage, sodass diese Applikationen bereits mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand implementiert werden können. Für Unternehmen ergeben sich vor allem folgende Vorteile durch den Einsatz von Dialogsystemen: • (Teil-)Automatisierung von Prozessen mit hohem manuellem Personalaufwand – z. B. Beratung, Service, Support – kostengünstige 24/7-Bearbeitung von Anfragen durch Dialogsysteme möglich • Entlastung von Arbeitnehmern/innen – menschliche Experten bearbeiten komplexe Fragestellungen, Dialogsysteme unterstützen bei Bearbeitung von Routine-Aufgaben • Vereinfachung der Mensch-Maschine-Interaktion – z. B. Informationssuche in internen Anwendungen, Steuerung von Robotern und Maschinen

244

S. Kerner et al.

– ermöglicht ‚natürliche‘ Kommunikation mit technischen Anwendungen und Geräten, Einsparung von Einarbeitungs- und Fortbildungskosten für verschiedene IT-Systeme

3

Ressourcenbeschränktes Lernen

Maschinelles Lernen ist ein bereits seit einiger Zeit bekanntes Konzept, gewinnt aktuell jedoch an Beliebtheit aufgrund der wachsenden Menge an verfügbaren Daten. Zum einen ist es für einen Menschen herausfordernd, in großen Datenmengen heuristisch Zusammenhänge zu finden, zum anderen sind große Datenmengen ideal für automatisiertes Training. Mit der wachsenden Rechenkapazität wird die Verarbeitung ausreichend dimensionierter Datensätze für präzise Bildverarbeitung erst ermöglicht, birgt allerdings Nachteile für eine spätere Inferenz mittels eingebetteter Systeme, beispielsweise in der Robotik oder in Form des Internet of Things. Insbesondere die in der Bildverarbeitung beliebten Convolutional Neural Networks können durch eine komplexe Problemstellung zu groß werden, um mit hinreichend kleiner Latenz beispielsweise in der Robotik rechtzeitig Objekte zu detektieren. Die folgenden Abschnitte zeigen einige Möglichkeiten, wie dieses Problem in Wirtschaft und Wissenschaft aktuell angegangen wird. Lösungen setzen dabei derzeit noch auf die getrennte Betrachtung von Hard- oder Software.

3.1

Hardware für Lernen auf eingebetteten Systemen

Abb. 9 zeigt eine Übersicht von unterschiedlichen Leistungsklassen für die Inferenz von neuronalen Netzen, angefangen bei Microcontrollern über eingebettete Systeme

Abb. 9 Leistungshierarchie des ressourcenbeschränkten Lernens. Die einzelnen Stufen XS bis XL beschreiben verschiedene Leistungsklassen von Systemen für die Inferenz von neuronalen Netzen

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

245

bis hin zu Servern und Workstations. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale der einzelnen Klasse sind, ob spezielle Chips für die Inferenz verbaut wurden, beispielsweise eine oder mehrere GPUs, wie das System mit Energie zu versorgen ist und ob ein Betriebssystem installiert werden kann. Die Ebenen L und XL sind klassische Vertreter der Gruppe von Systemen, die geeignet sind für Maschinelles Lernen. Die Notwendigkeit, mobile Systeme wie Roboter mit einem System auszustatten, welches sich noch mit einer Batterie für ausreichend lange Zeit betreiben lässt und dennoch geeignet für Maschinelles Lernen ist, ließ die Ebene M erst vor wenigen Jahren entstehen. Bekannte Vertreter sind die Jetson-Systeme von NVIDIA, die kleinere Versionen der üblichen GPUs enthalten, aber auch viele Mobiltelefone mit GPUs, aber begrenzter Laufzeit. Andere Unternehmen, deren Kerngeschäft nicht Entwicklung und Vertrieb von Grafikbeschleunigern ist, haben die Notwendigkeit ebenfalls erkannt. Unternehmen wie Google haben daher eigene Beschleuniger ausschließlich für Maschinelles Lernen konzipiert. Googles Tensor Processing Units (TPU) beschleunigen ausschließlich die Matrixmultiplikation, welche eine der häufigsten und zeitaufwendigsten Operationen im Maschinellen Lernen ist. Zuvor nur für die eigenen ServerSysteme vorgesehen, sind seit kurzem auch Systeme mit den sogenannten Edge TPUs erhältlich, die in Leistung, Energieverbrauch und Preis mit der Jetson-Reihe vergleichbar sind. Sie sind auch als Erweiterung für andere Systeme erhältlich, und in ähnlicher Form auch von Intel (Movidius Neural Compute Stick). Alle Systeme der Ebene M haben jedoch gemein, dass sie ausschließlich für die Inferenz von Netzen entwickelt wurden. Für das Training der Netze werden weiterhin Systeme der Größe L oder XL benötigt. Chips in dieser Form verbrauchen dennoch viel Energie, da sie eines nicht lösen können: Jede Berechnung, sei es in Form einer Matrixmultiplikation oder als einzelne Multiplikationen, muss in Form von schaltenden Transistoren durchgeführt werden. Hardware mit speziellen Operationen kann hier nur Overhead verringern, nicht jedoch die Notwendigkeit der Operation selbst und auch nicht den Aufbau eines Multiplikators aus Transistoren. So sinkt der Energiebedarf (pro Zeit) kleinerer Systeme ohne spezielle Chips der Ebenen S, da diese weniger Transistoren besitzen, entsprechend verlängert sich aber die Inferenz. Die Ebene XS unterscheidet sich abermals, da hier die Systeme zu schwach für ein Betriebssystem sind und daher heute im Bereich Maschinelles Lernen noch kaum genutzt werden. Dafür benötigen sie nur noch kleinere Batterien zur Versorgung statt Lithium-Ionen-Akkus.

3.2

Software für Lernen auf eingebetteten Systemen

Ein Ausweg aus dem Dilemma sucht die Forschung daher aktuell in speziellen Netzen oder softwareseitigen Umsetzungen, die beispielsweise die Zahl der notwendigen Operationen verringert, diese jeweils vereinfacht oder den Overhead bei der Berechnung verringert.

246

S. Kerner et al.

Pruning ist eine Methode für neuronale Netze, um sie zu verkleinern, ohne die Genauigkeit signifikant zu beeinflussen. Man geht davon aus, dass diese zuvor größer gewählt wurden als nötig und verkleinert sie entsprechend nach dem Training (Molchanov et al. 2016), so dass Operationen ganz eingespart werden. Häufig ist aufgrund der Problemstellung bereits im Vorhinein möglich, Netze kleiner zu wählen, um so Operationen zu sparen. Ist zum Beispiel die Anzahl von Objekten im Bild gefragt, ließe sich die Objektdetektion wie in Abschn. 2.1 beschrieben anwenden. Da sie auch die Position und Größe liefert, muss das Netz allerdings mehr leisten als nötig. Spezielle Zählnetzwerke (Urbann und Stenzel 2019), die nur die Anzahl beispielsweise von Fahrzeugen liefern (siehe Abb. 10), können hier deutlich kleiner ausfallen. Dennoch wird in diesem Beispiel, welches aus 1244 Bildern von Verkehrsüberwachungskameras besteht, mit einer mittleren Abweichung von nur 10,8 Fahrzeugen gezählt. Insbesondere Systeme der Ebene XS verfügen nicht nur über keine GPU, sondern zumeist auch über keine Einheit zur Berechnung von Fließkommazahlen, so dass Multiplikationen hier zu besonders großen Nachteilen führen. Aber auch stärkere Systeme würden davon profitieren, wenn Berechnungen nur auf ganzen Zahlen durchgeführt würden. Dabei gilt: Je weniger Speicher die Darstellung einer Zahl benötigt, desto weniger aufwändig sind auch die Berechnungen. Quantisierung (Krishnamoorthi 2018) ist eine Methode, die ein neuronales Netz entsprechend umformt. Kürzere Darstellungen verringern aufgrund der „gröberen“ Berechnung die Genauigkeit, allerdings nur leicht. Eine Möglichkeit, die Inferenz zu beschleunigen, ohne die Genauigkeit zu beeinflussen, ist das Vermeiden von Overhead. Qualität und Umfang der Quelltexte von Programmen haben sich, seit Compiler existieren, potenziert, allerdings auf Kosten der Komplexität. Um das für den Menschen beherrschbar zu machen, werden Problemstellungen stetig weiter abstrahiert und immer mehr Aufgaben dem Compiler oder anderen Tools überlassen. Für im Alltag gebräuchliche Software wuchs der so entstehende Overhead zusammen mit der steigenden Rechenleistung, so dass für den Benutzer gewöhnlich keine Nachtteile entstehen. Bei der Inferenz von neuronalen Netzen werden jedoch gleiche Berechnungen millionenfach erneut durchgeführt, wobei die eigentliche Rechenaufgabe klein ist im Vergleich zum Aufwand, der durch den Overhead von Deep Learning Frameworks wie Google TensorFlow entsteht. Für Systeme der Ebene M werden daher vereinfachte Varianten entwickelt, beispielsweise TensorFlow Lite. Bedingt sind diese auch für Systeme der Ebene S anwendbar, akzeptable Inferenzgeschwindigkeiten sind aber, je nach Aufgabe, nicht zu erwarten. Insbesondere Microcontroller (Ebene XS) ohne eigenes Betriebssystem und mit sehr wenig Speicher können derartige Frameworks gar nicht erst ausführen. Eine Lösung sind Code-Generatoren wie TensorFlow XLA oder Glow von Facebook, welche aus einem trainierten Modell eine Objektdatei mit ausführbarem Inhalt erzeugen. Dies vermeidet auf der Zielplattform die Installation eines Deep Learning Frameworks, TensorFlow XLA setzt jedoch keinen Fokus auf Ausführungsgeschwindigkeit und Facebooks Schwerpunkt sind Graphoptimierungen. Der Neural Network Code Generator (NNCG) hingegen geht einen anderen Weg. Er führt die Inferenz für ein Bild an einem Rechner beispielhaft aus und erzeugt für

Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz in Industrie-4.0-Systemen

247

Abb. 10 Beispiel für die Zählung von Fahrzeugen im Bild einer Verkehrsüberwachungskamera. Zu sehen ist die Eingabe und Ausgabe der drei Schichten des Zählnetzwerkes

Eingabebild Erste Schicht

Zweite Schicht

Dritte Schicht

...

...

Zähl-Neuronen

...

... ...

Ausgabe: Anzahl

...

248

S. Kerner et al.

jede dabei notwendige Berechnung gleichzeitig auch eine Zeile Quelltext in der Sprache C. Dabei entsteht eine Datei, die exakt die gleiche Berechnung ausführt unter Beachtung von vier Regeln, die die Inferenz wesentlich beschleunigen. Zum einen ist aufgrund dieses Erzeugungsprinzips kein Aufruf an eine Bibliothek oder andere Funktion notwendig, so dass der entstehende Quelltext dafür keine zusätzliche Operationen benötigt (Overhead) und zudem für den Prozessor gut vorhersehbar ist. Auch Schleifen sind nicht notwendig mit gleichen Konsequenzen. Zudem kann bei der Erzeugung auf die bekannte Architektur des trainierten Netzes zurückgegriffen werden, um Quelltext zu erzeugen, der den Zielprozessor optimal nutzt. Single-Instruction-Multiple-Data-(SIMD-)Befehle können mittels dieses Hintergrundwissens passgenau erzeugt und auch die trainierten Konstanten direkt eingesetzt werden, was Ladevorgänge von Festspeichern als auch RAM reduziert. Es kann gezeigt werden, dass dieses System eine dreifach schnellere Inferenz erzeugt als Glow und sogar eine fünf- bis elffach schnellere wie TensorFlow XLA. Zudem ergibt sich aus diesem Erzeugungsprinzip ein weiterer Vorteil. Da der Quelltext keine weiteren Funktionen oder Bibliotheken aufruft, reicht ein ANSI C Compiler zur Übersetzung aus. Der Quelltext kann daher ohne Weiteres in Projekte für XS-Systeme eingebunden werden (und natürlich aller anderen Ebenen), was die Verteilung auf beliebige Zielplattformen nicht nur ermöglicht, sondern auch so einfach gestaltet wie möglich.

3.3

Ausblick auf zukünftige Verfahren für ML auf eingebetteten Systemen

Die Popularität von speziellen Chips wird insbesondere mit steigendem Einsatz von neuronalen Netzen in der Praxis weiter wachsen. Sie können passgenau für die Aufgabe entwickelt werden zur Vermeidung von unnötigem Energie- und Ressourcenverbrauch. Aktuell sind sie spezialisiert auf Berechnungen neuronaler Netze, hier aber noch allgemein für ein beliebiges. Der massenhafte Rollout trainierter Netze für ein bestimmtes Problem, z. B. Erkennung von PKWs, wird die Entwicklung von Chips speziell für ein trainiertes Netz lohnend machen und so weiter Energie und Ressourcen sparen. Zudem erlaubt dies eine beidseitige Betrachtung der Problematik: Die vom Chip bereitgestellten Operationen können passend für automatische CodeGenerierung entworfen werden, während diese auf die Architektur zugeschnittenen Quelltext erzeugt.

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Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik Jürgen Grotepass, Joseph Eichinger und Florian Voigtländer

Zusammenfassung

5G als nächste Mobilfunkgeneration nach 4G/LTE Advanced wird nicht mehr nur für Telefonie und die klassischen Datendienste ausgelegt sein, wie es bei den bisherigen Mobilfunkstandards der Fall ist. Vielmehr ermöglicht der 5G-Standard den Aufbau von Netzen für die Kommunikation von Geräten, die über die heutigen Anwendungen mit Smartphones weit hinausgeht. Letztendlich soll mit 5G das Internet der Dinge ermöglicht werden, in dem Geräte wie Sensoren, Motoren, Steuerungen mit allem und jedem in unserer Umgebung – und darüber hinaus – kommunizieren können. Die servicebasierte Architektur von 5G-Netzen ermöglicht zudem, schnell und effizient differenzierte Kommunikationsdienste für unterschiedliche Anforderungen der Industrie zu generieren und in Form sogenannter „Network Slices“ für den Nutzer maßgeschneidert bereitzustellen. Verschiedene Network Slices können dabei auf einer gemeinsamen physischen Infrastruktur betrieben – und damit dem Nutzerbedarf nach der Realisierung unterschiedlicher Anforderungsprofile für seine Netzkommunikation konfliktfrei und zugleich integrativ gerecht werden. Es werden Fallbeispiele aus Produktion

J. Grotepass (*) European Research Institute, Huawei Technologies Düsseldorf GmbH, München, Deutschland CDHK, Honorarprofessor, Tongji Universität, Shanghai, China E-Mail: [email protected]; [email protected] J. Eichinger Huawei Technologies GmbH, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Voigtländer Technische Universität München, München, Deutschland E-Mail: fl[email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 M. ten Hompel et al. (Hrsg.), Handbuch Industrie 4.0, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58530-6_106

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J. Grotepass et al.

und Logistik aufgezeigt, wie durch 5G-Konnektivität zu Clouddiensten bestehende Anlagen im Sinne eines Retrofits mehr Wertschöpfung leisten – bei gleichzeitig reduzierter Komplexität der lokalen Hardware. Die ansonsten lokal im Anlagendesign einzuplanende Rechnerleistung wird in diesen Beispielen aus der Factory-Cloud als Leistung bezogen. Das 5G Interface zur Cloud bzw. zur Edge garantiert die für die Applikation notwendige Latenzzeit und Verfügbarkeit auch zeitkritischer Anforderungen.

1

Einführung

5G bietet eine Sicherheit, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit, die es in mobilen Netzwerken vorher nicht gab. Dies kann für die Industrie 4.0 genutzt werden (Mon 2018). 5G als nächste Mobilfunkgeneration nach 4G/LTE (Advanced) wird nicht mehr nur für Telefonie und die klassischen Datendienste ausgelegt sein, wie es bei den bisherigen Mobilfunkstandards der Fall ist. Vielmehr ermöglicht der 5G-Standard den Aufbau von Netzen für die Kommunikation von Geräten, die über die heutigen Anwendungen mit Smartphones weit hinausgeht. Letztendlich soll mit 5G das Internet der Dinge ermöglicht werden, in dem Geräte wie Sensoren, Motoren, Steuerungen mit allem und jedem in unserer Umgebung – und darüber hinaus – kommunizieren können. Als drahtloser, sicherer Kommunikationsstandard wird 5G die dynamische Konfiguration und einen flexiblen Zugriff auf Daten erlauben und schlussendlich auch zu einer verbesserten Visualisierung führen. Dabei muss die neue Technologie eine wesentlich breitere Spanne unterschiedlicher Anforderungen abdecken. Echtzeitfähige Kommunikation geringer Latenzzeiten für verteilte Anlagensteuerungen ist hier ebenso zu nennen wie der minimierte Energieverbrauch für die Kommunikation von Langzeit-Sensoren für Tracking und Tracing von Gütern innerhalb der Fabrik, aber auch global. Perspektivisch wird 5G ein weltweit einheitlicher Standard wie 4G/LTE, der sich jedoch im Gegensatz zu 4G besonders an den Anforderungen der Industrie ausrichten wird. Im Zuge der Flexibilisierung von Produktionsanlagen durch modulare Systeme kommt der „Plug & Produce“-Fähigkeit eine besondere Bedeutung zu. Wenn die Datenkommunikation über kabellose Telekommunikationsstandards erfolgt, reduzieren sich die Aufwände für die Inbetriebnahme einzelner Komponenten und Produktionszellen auf das Anschließen der Stromversorgung. Aber auch der auftragsspezifische, dynamische Zusammenschluss von Produktionsmitteln unterschiedlicher Werke und Standorte zu adaptiven digitalen Fabriken wird jetzt vereinfacht. Die Steuerung der einzelnen Zelle, die Beschickung mit Material wie auch die Orchestrierung der Produktionszellen untereinander erfolgt von IT-Systemen in der Cloud bzw. der Fabrik-Edge, die über 5G in Echtzeit Daten für Analyse- und Steuerungszwecke abfragen und Steuerbefehle an die Robotik senden. Das Anwendungsspektrum reicht von der Synchronisierung kooperierender Roboter bis zum Flottenmanagement oder sogar der Fernsteuerung von Fahrerlosen Transportsystemen. Auch die echtzeitfähige Auswertung großer Datenvolumina (z. B. Videostreams von

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

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Objekt und Umgebung) im ersten Knoten – „Edge Computing“ genannt – ist eines der Fallbeispiele, die von 5G in der Produktion profitieren werden. In vielen Anwendungsfällen können bereits vorhandene Möglichkeiten des CATM1 und CAT-NB1 (Narrowband Internet of Things: NB-IoT) genutzt werden – die Bestandteil des aktuellen 4G-Standards sind – und bei 5G fortgeführt werden. Die Schmalband-Technik (Low Power Wide Area) für das „Internet der Dinge“ ermöglicht großflächige Abdeckung und zugleich Empfang bis tief in Gebäude hinein, was den Trend zur infrastrukturlosen Vernetzung (teil-)autonomer cyber-physischer Systeme über NB-IoT befeuert. Das Kapitel „Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik“ umreißt im Kern den Mehrwert in der Wertschöpfung, der durch die jetzt überall verfügbare Konnektivität – drahtloser und drahtgebundener Technologien – zum virtuellen Zwilling von Produkt und Produktionsmitteln im Lebenszyklus von Anlagen und smarten Produkten gewonnen wird.

2

5G ist mehr als nur ein schnelleres 4G

5G ist viel mehr als nur ein schnelleres 4G-Netz (Zue18). Von Anfang an war es erklärtes Ziel, dass 5G neue Anwendungsszenarien unterschiedlicher Industrien adressieren muss und damit eine wesentliche Erweiterung des Funktionsumfangs erforderlich ist. Neue Anwendungen kommen aus den Bereichen Automatisierung (I4.0), Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation (V2x), Digitalisierung von Krankenhäusern (e-health), Stromverteilung (smartgrid) und vielen weiteren (ITU 02/2017). Die servicebasierte Architektur von 5G-Netzen ermöglicht zudem, schnell und effizient differenzierte Kommunikationsdienste für unterschiedliche Anforderungen der Industrie zu generieren und in Form sogenannter Network Slices für den Nutzer maßgeschneidert bereitzustellen. Verschiedene Network Slices können dabei auf einer gemeinsamen physischen Infrastruktur betrieben – und damit dem Nutzerbedarf nach der Realisierung unterschiedlicher Anforderungsprofile für seine Netzkommunikation konfliktfrei und zugleich integrativ gerecht werden. Die Anforderungen an 5G hat die ITU (International Telecommunication Union) unter dem Namen IMT 2020 festgelegt (ITU 11/2017). • Spitzendatenrate von 20 Gigabit/s für den Downlink und 10 Gigabit/s für den Uplink • Spektrale Effizienz von 30 bit/s/Hz im Downlink und 15 bit/s/Hz im Uplink • Nutzerdatenrate von 100 Mbit/s im Downlink und 50 Mbit/s im Uplink • Verzögerungszeiten der Nutzerdaten (Latenzzeit) von 1 ms für Ultra Reliable Low Latency Communication (URLLC) und 4 ms für enhanced Mobile BroadBand (eMBB) • Zuverlässigkeit der Datenübertragung von mindestens 99,999 % für URLLC • Pro km2 sollen 1 Million Geräte unterstützt werden. • Batterielaufzeit von 10 Jahren für Kommunikation mit Sensoren • Fahrzeuggeschwindigkeiten von 500 km/h

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J. Grotepass et al.

• Mindestsignalbandbreite von 100 MHz Seit 2017 arbeitet die 3GPP als zuständige Standardisierungsstelle für Mobilfunk an den technischen Lösungen und hat den 5G-Standard unter der Bezeichnung 3GPP Release 15 Mitte 2018 verabschiedet.

2.1

Eigenschaften der neuen 5G-Mobilfunkgeneration

Um die Anforderungen der unterschiedlichen Industrien zu erfüllen, bedarf es einer Vielzahl von Innovationen und neuer Technologien, die im 5G-Zugangsnetz (5G NR = 5G New Radio) und im 5G-Kernnetz (5GC=5G Core) Verwendung finden. Um die kommerzielle Einführung von 5G zu vereinfachen, entschied sich die Standardisierung, zwei grundsätzliche Varianten zu unterstützen. 5G Non-StandAlone (NSA) ermöglicht den Anschluss des 5G RAN (5G Radio Access Networks) an ein bestehendes LTE-Kernnetz. Den vollen Funktionsumfang von 5G unterstützt die als 5G Stand-Alone (5G SA) bezeichnete Variante, bei der 5G RAN von einem 5G Core gesteuert wird und damit die innovative „Service-based Architecture“ eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, insbesondere für die Nutzung von 5G im industriellen Umfeld, eröffnet. Die neuen Eigenschaften im Überblick: • 5G New Radio (5GNR) basiert im Grundsatz auf der von LTE bekannten Technologie mit substanziellen Erweiterungen, die notwendig sind, um die neuen Anforderungen nach kurzer Signalverzögerung und höherer Kapazität zu erfüllen. Speziell um die unterschiedlichen Bedürfnisse der Industrie abzudecken, definiert 5G drei Modi nach Abb. 1: – eMBB (enhanced Mobile Broad Band), der hauptsächlich für Dienste verwendet wird, wie wir sie heutzutage mit Smartphones verwenden. Auch neue Anwendungen wie AR/VR basieren im Wesentlichen auf diesem Modus. – uRLLC (Ultra Reliable Low Latency Communication). Dieser Modus wird von allen zeitkritischen und hochzuverlässigen Diensten verwendet, sobald Verzögerungen von 1 ms bei gleichzeitiger Zuverlässigkeit von 99,999 % gefordert sind, wie z. B. bei schnellen Regelungen in der Automatisierungstechnik. – mMTC (massive Machine Type Communication). Dieser Modus adressiert Anwendungen z. B. von Sensordatenerfassung, die im Vergleich zum eMBBModus besonders große Reichweiten und gute Erreichbarkeit innerhalb von Gebäuden bei extrem geringem Energieaufwand (Batterielaufzeit von mehr als 10 Jahren) erfordern. • Flexible Rahmenlängen (Slots) von 1 Millisekunde (ähnlich wie LTE), 0,5 ms, 0,25 ms bis zu 125 Mikrosekunden. Die sehr kurzen Rahmenlängen ermöglichen kurze Signalverzögerungszei-

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

255

Abb. 1 Übersicht über 5G-Modi und mögliche Anwendungsfelder [5GACIA 2018]

ten oder die intelligente Wiederholung von Datenpaketen, um die Zuverlässigkeit von mehr als 99,999 % auch in schwierigen Umgebungen zu garantieren. • Massive-MIMO (Multiple Input Multiple Output) zur Erhöhung der Datenrate und Kapazität. mMIMO verwendet neuartige Antennensysteme mit bis zu 128 Einzelantennen die individuell angesteuert unabhängige, nutzerspezifische Funkzellen ermöglichen. • Neue Frequenzbänder im Frequenzbereich von über 6 GHz Alle heutigen Mobilfunksysteme verwenden Frequenzen unterhalb 2,6 GHz. Mit der Einführung von 5G hat die Weltradiokonferenz (WRC=World Radio Conference) neue 5G-Frequenzen vorgeschlagen, die von vielen Mitgliedstaaten auch ratifiziert wurden. Es handelt sich dabei um Frequenzen im Bereich von 3,5 GHz und dem Bereich von 28 GHz. Im Frequenzbereich von 28 GHz sind sehr hohe Signalbandbreiten verfügbar, die vorteilhaft für industrielle Anwendungen sein werden. • „Service-based Architecture“(SBA) Mit dieser Technologie ermöglicht 5G die Aufteilung des 5G-Mobilfunknetzes in logische Netzwerke, die als eigenständige virtuelle Netze – auch „Slices“ genannt – nach den Vorgaben des Anwenders maßgeschneidert sind. Dabei ist jedes „Slice“ als eigenständiges, isoliertes Netz durch seine Parameter definiert und einem Nutzer beziehungsweise einem Service zugeordnet. So können mehrere parallele logische Netzwerke mit verschiedenen Service Level Agreements (SLA) und verschiedenen Funktionalitäten auf einer gemeinsamen physikalischen Infrastruktur laufen. Slicing ist auch eine Basistechnologie, die notwendige Ressourcen für ein privates Netzwerk als Teil eines öffentlichen Netzes bereit-

256

J. Grotepass et al.

stellen kann. Slicing ermöglicht es dem Netzwerkbetreiber, kundenspezifische Netzwerke bereitzustellen, deren genutzte Ressourcen vollkommen isoliert von einander sind. Zum Beispiel die Unterstützung von privaten Netzwerken mit verschiedenen Netzwerkfunktionalitäten (z. B. Priorisieren, Vergütung, Zugangskontrolle, Security, und Mobilitätsunterstützung), unterschiedliche Leistungsanforderungen (z. B. Signalverzögerung, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Datenraten). Oder dass ein spezifischer Slice nur bestimmte Nutzer oder Services unterstützt (z. B. MPS users, Public Safety users, Geschäftskunden, Roaming oder Hosting eines MVNO). Besonders interessant dürfte Slicing für den Betrieb verschiedener Sicherheitszonen und die Trennung von OT - und IT-Subnetzen innerhalb einer Fabrik sein. • Nahtlose Integration von Industriellem Ethernet und TSN (Time Sensitive Networks) Zentraler Schwerpunkt ist die nahtlose Integration von 5G und Industriellem Ethernet wie z. B. ProfiNet, EtherCAT. Als Basis dient die SBA des 5G-Systems, die Erweiterung bestehender Funktionalitäten wie auch das Hinzufügen von neuen Funktionalitäten für die Integration z. B. von EtherCAT ermöglicht. Eine besondere Herausforderung stellen dabei die geforderten extrem kurzen, garantierten Latenzzeiten von weniger als 1ms dar, die notwendig sind, um Zykluszeiten von 1ms mit der geforderten Zuverlässigkeit und Taktgenauigkeit zu garantieren. Das 5GS (5G-System) wird auch um Funktionen erweitert, die eine Einbindung von 5G in TSN (Time Sensitive Networks) ermöglicht. Spezielle Erweiterungen der SBA, z. B. Adapter in der UPF (User Plane Funktion), übersetzen die in TSN standardisierten Protokolle in Kontrollfunktionen und Kontrollnachrichten, die für das 5GS verständlich sind. • Lokalisierungsdienste, Positionierung Eine wichtige Eigenschaft ist die Ortung von Gütern und Geräten wie z. B. Sensoren, Paletten etc., um die Position und den Zustand an eine zentrale Auswertungssoftware zu übermitteln. Bereits 4G unterstützt diese Funktion, aber die dabei erzielten Genauigkeiten sind um Größenordnungen schlechter als von der Industrie oder Logistik gefordert.

2.2

Mehrwert von 5G im Vergleich zur Vorläufergeneration

Im vorausgegangenen Abschnitt wurden die neuen Fähigkeiten des 5G-Mobilfunksystems beschrieben, doch um wie viel größer die Leistungsfähigkeit des 5GSystems ist, illustriert Abb. 2. Der Vergleich zeigt, dass 5G eine 30- bis 50-fach kürzere Signalverzögerung ermöglicht als LTE-Advanced. Neben der kurzen Signalverzögerung ist auch die um den Faktor 1000 höhere Zuverlässigkeit für den Einsatz im industriellen Umfeld entscheidend (Gangakhedkar et al. 2018). Für datenintensive Anwendungen (eMBB mode) ist die um den Faktor 16 höhere Datenrate von Vorteil. Sensornetzwerke, aber auch Anwendungen mit sehr vielen Anschlüssen auf engstem Raum, profitieren von

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

257

Abb. 2 Vergleich LTE zu 5G. (Quelle: Huawei)

der um den Faktor 100 größeren Anzahl von Verbindungen, die 5G pro Kilometer bedienen kann. Wie bereits im vorigen Kapitel beschrieben, ermöglicht Slicing im Gegensatz zur starren Konfiguration von LTE eine flexible Konfiguration auf einen auf den jeweiligen Services optimierten Betrieb. Für den Einsatz in der Praxis sind natürlich grundsätzliche Einschränkungen zu berücksichtigen, wie z. B. die reduzierten Empfangsqualitäten am Rand der Funkzelle. Durch smarte, adaptive Methoden ist 5G wesentlich effizienter als LTE. Aber trotz aller Leistungsfähigkeit von 5G ist es unrealistisch, am Rand der Funkzelle 10 Gbit/s für eine Vielzahl von Verbindungen zu erwarten. Grundsätzlich gilt für alle Funksysteme, dass die zur Verfügung stehende Frequenzbandbreite auf die Anzahl der Nutzer und Services aufgeteilt wird. Um den gleichzeitigen Betrieb von hochzuverlässigen Verbindungen (uRLLC) und datenintensiven Datenzugriffen (eMBB) zu ermöglichen, ist Slicing entwickelt worden. Slicing garantiert die Konfiguration verschiedener logischer isolierter Netzwerke, so dass eine Änderung im eMBB-Service keine nachteiligen Auswirkungen auf den hochzuverlässigen uRLLC-Anschluss bewirkt.

2.3

5G-Standardisierung für Industrie 4.0

Der erste 5G-Standard ist als Release 15 Mitte 2018 offiziell verabschiedet worden. Der Schwerpunkt dieses und der nachfolgenden 5G Releases liegt auf der Nutzung von zellulären Mobilfunknetzen für die sogenannte vertikale Industrie und wird auch als 5G-Phase 1 bezeichnet. Im Begriff „Vertikale Industrie“ werden alle Anwendungsfelder zusammengefasst, die über die Nutzung eines Smartphones hinausgehen, wie z. B. Connected Cars, Industrie 4.0, Gesundheitswesen usw. Nahezu

258

J. Grotepass et al.

Abb. 3 3GPP 5G-Standardisierung [5G-ACIA]

gleichzeitig mit den abschließenden Arbeiten an der 3GPP Release 15 wurden von der Arbeitsgruppe SA1 (Service & Systems Aspects) neue Anforderungen für die nächste Erweiterung von 5G, genannt Release 16, erarbeitet, die speziell zeitkritische, echtzeitfähige Anforderungen der Automatisierungstechnik adressiert. Die zeitliche Einordnung der Standardisierungsschritte und wann entsprechende Produkte erwartet werden, illustriert Abb. 3. Ein wichtiger Fokus von Release 16 und Release 17 ist die Erarbeitung der exakten Anforderungen der Industrie und der Festschreibung geeigneter Funktionen. Dazu zählen neben Industrie 4.0 (Factory of the Future), Eisenbahnkommunikation (Rail-bound masstransit), Smart Grid (Electric-power Distribution), Stromerzeugung (Central Power Generation) und sind in (3GP1) zusammengefasst. Einzelne neue Funktionalitäten für die Unterstützung erweiterter Anforderungen wie auch die Optimierung aus den Rückmeldungen der bis dahin durchgeführten Feldtests sind auch für Release 18 zu erwarten. Anforderungen aus der produzierenden Industrie sind für ein Spektrum unterschiedlicher Anwendungen in Abschn. 3.1 als Tab. 2 zusammengefasst.

3

Wertversprechen von 5G für die Industrie 4.0

5G als neue Technologie beschleunigt die Konvergenz des Internets der Daten, des Internets der Menschen, des Internets der Services und des Internets der Dinge zum „Internet of Everything“, dem Haupttreiber der Evolution traditioneller Produkte zu Smarten Produkten (SMA 2014). Der für die Industrie 4.0 relevante Vorteil der 5G-Technologie liegt in der jetzt möglichen Erweiterung des RAMI4.0-Modells in allen Ebenen. Wird das Netz selber als Industrie-4.0-Komponente im „Internet of Everything“ verstanden und über eine Verwaltungsschale beschrieben, ermöglicht dies eine semantische Interoperabilität zwischen Netz- und Produktionstechnik. Hierdurch verschmelzen auch

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

259

Abb. 4 Applikationen in einer Fabrik der Zukunft (5GACIA 2018)

Anlagen- und Netzwerkplanung im Engineering, wodurch die klassische Trennung der Netzwerkdomänen des Maschinen- und Anlagenbaus (z. B. in Anlagenhardware und Elektronik) und IT (z. B. im Bezug intelligenter Dienste aus der Cloud bzw. Edge) aufgehoben wird. Dabei steht es dem Planer und dem Betreiber einer Fertigung oder Prozessanlage frei zu entscheiden, welche Daten in der Fabrik-internen Datenverarbeitung (Factory Edge Computing) oder in der übergeordneten FirmenCloud verarbeitet werden. Die nachstehende Abb. 4 zeigt das Spektrum der Applikationen, in denen 5G hierdurch in der Fabrik der Zukunft Mehrwert generieren kann. Erste Evaluierungsergebnisse im Kontext einer Smartfactory nach Abb. 5 und Tab. 1 werden später in Abschn. 3.2 weiter ausgeführt.

3.1

Anforderungen der Industrie

Seit Beginn der Arbeiten an der neuen Mobilfunkgeneration im Jahre 2016 haben sich führende Unternehmen aus der Automatisierung in den Standardisierungsgremien von 5G für die Berücksichtigung ihrer Anforderungen eingesetzt. Seit April 2018 unterstützt die neu gegründete Organisation 5G-ACIA (5G Alliance for Connected Industry and Automation (5GACIA 2018)) die Arbeit der 5G-Standardisierung mit spezifischen Beiträgen aus der Industrie.

260

J. Grotepass et al.

Abb. 5 Modulares Anlagenkonzept der SmartFactory KL. Der Materialfluss erfolgt durch ein Fließband innerhalb der Produktionsinseln und durch ein fahrerloses Transportmittel, welches unterschiedliche Produktionsinseln miteinander verbindet. (Quelle: SmartFactory-KL)

Tab. 1 Aufschlüsselung des neuen Potentials in der Fabrik der Zukunft nach Abb. 4 Domäne Mobile Logistik

Applikation in Produktion und Logistik Liefer- und Versandmanagement: Adaptiver Materialfluss innerhalb und außerhalb der Fabrik

Produktion

Modulare, adaptive Produktion: (Sensorik, Montage, Robotersteuerung) Monitoring, Fernwartung, Qualitätssicherung, Closed Loop Control

Engineering

Anlagen- und Netzwerkplanung: Dynamische Sicherheitskonzepte und cloud/edge-basierte Zertifizierungsprozesse

Neues Potential 5G-Konnektivität erlaubt E2E-Planung einschließlich Wertschöpfung während des Transportes. Sichere Intra- und globale Logistik mit 5G-basiertem Tracking von Waren und Maschinen Effizienzgewinn durch Reduktion von Hardware-, Kommunikations- und Netzwerk-Komplexität vor Ort, Einsparung von Energie- und Zeitanteilen. Neue Formen der Flexibilität im Zusammenspiel der Komponenten (Dynamik, Adaptivität) Produktivitätssteigerung durch adaptive, modulare Anlagenkonzepte. Zeiteinsparung mit vereinfachten Planungs- und Zertifizierungsprozessen

Der 5G-Standard gliedert die Anforderungsfelder in die Gruppen: Fertigungs-, Prozessautomatisierung, Mensch-Maschineninterface und Produktions-IT, Logistik und Warenhausmangement sowie Monitoring und Wartung (Abb. 4), mit sehr unterschiedlichen Anwendungsfällen. Die nachfolgende Tab. 2 beschreibt die geforderten Leistungsmerkmale für das industrielle Umfeld, die das Release 16 von 5G erfüllen sollte. Wie üblich bei der Mobilfunk-Standardisierung werden die Anforderungen für jedes Release getrennt festgelegt, so dass durchaus neue, heute noch unbekannte Anforderungen in die

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

261

Definition der zukünftigen 5G-Releases (Rel17/18) Einzug finden werden, wenn die Vertreter der Industrie dies mit Nachdruck fordern. Die Umsetzung der Definitionen in ein Gesamtsystem, das sich nahtlos in die doch sehr unterschiedlichen Fertigungsprozesse integrieren lässt, ist eine große Herausforderung. Beispiele sind die nahtlose Integration von existierenden Feldbussen wie z. B. den 16 verschiedenen Protokollen des Industriellen Ethernets wie ProfiNet oder EtherCAT (IEC 61784) sowie der sich gerade eben entwickelnde Standard TSN (Time Sensitive Networking) nach IEEE 802.1. Der neue 5G-Standard muss sich auch der Herausforderung stellen, Lösungen für existierende Fertigungs- und Prozessanlagen anzubieten (Retrofit, Brownfield, siehe Abschn. 3.2.1) wie auch für die Konzepte von Industrie 4.0 und dem dort definierten RAMI4.0-Modell sowie neuen Methoden der Datenkommunikation wie OPC-UA mit Integration von TSN (3GP1).

3.2

Evaluierungsergebnisse im Kontext einer Smart Factory

Dieses Unterkapitel zeigt vier Fallbeispiele auf, wie durch 5G-Konnektivität zu Clouddiensten bestehende Anlagen im Sinne eines „Retrofits“ mehr Wertschöpfung leisten – bei gleichzeitig reduzierter Komplexität der lokalen Hardware. Die ansonsten lokal im Anlagendesign einzuplanende Rechnerleistung wird in diesen Beispielen aus der Factory-Cloud als Leistung bezogen. Das 5G Interface zur Cloud bzw. zur Edge garantiert die für die Applikation notwendige Latenzzeit und Verfügbarkeit auch zeitkritischer Anforderungen an Dienste. Die Demonstratoren wurden im Kontext eines multilateralen Kooperationsprojektes von 20 Partnern des Smartfactory-KL e.V. (SFKL18) erarbeitet und 2018 innerhalb der Smartfactory Anlage evaluiert (Voigtländer et al. 2017). Erstmalig konnte im Zusammenspiel von sechs unterschiedlichen Partnerclouds auch die Interoperabilität von Clouddiensten für einen adaptiven Anlagenbetrieb demonstriert werden. Die 5G-Konnektivität ermöglichte hierbei die Robotersteuerung aus der Cloud und die Erweiterung des bisher nur für ortsfeste Produktionsanlagen geltenden Sicherheitskonzepts auf mobile Anlagen (siehe Abb. 5). Die vier Fallbeispiele für 5G in Produktion und Logistik weisen Effizienzsteigerung und Mehrwert auf durch: • Retrofit modularer, mobiler Anlagen zum Bezug intelligenter Dienste aus der Cloud • mobile Qualitätskontrolle mit Bezug intelligenter Dienste (KI) aus der Cloud • Edge Computing: Steuerung von Robotern aus der Cloud- „RAAS: Robot as a Service“ • dynamische Sicherheits- und Zertifizierungskonzepte Die in den Fallbeispielen genutzten 5G-Fähigkeiten und der jeweils erreichte Benefit beziehen sich auf die Domänen nach Tab. 1 und werden nachfolgend individuell erläutert.

262

3.2.1

J. Grotepass et al.

Retrofit modularer, mobiler Anlagen zum Bezug intelligenter Clouddienste 5G bietet eine besondere Attraktivität für die Nachrüstung bestehender Anlagen, da nicht nur die Fähigkeit der bestehenden Sensorik und Aktorik ausgeschöpft werden kann, sondern auch ohne Modifikation an bestehender Netzwerkinfrastruktur neue Kapazitäten erschaffen werden können. Aktuell werden Daten oft nur im laufenden Prozess genutzt und nicht langfristig aus Aufwandsgründen gespeichert, und um die Netzwerkkapazität vor allem auf der Feldebene zu schonen. Für weitere Analysen im Bereich Big Data, wie z. B. in Qualitätssicherung und der vorausschauenden Wartung, können diese Daten sehr wertvoll sein, wenn sie vom Werker mit Zusatzinformation ergänzt werden. 5G ermöglicht, dass die bestehende Netzinfrastruktur in eine Koexistenz mit einem performanten Drahtlosnetzwerk für Mensch und Maschine übergeht. Ein großvolumiger Übertragungskanal für das Sammeln massiver Datenmengen kann somit minimalinvasiv geschaffen werden, z. B. Einsatz industrieller Kamerasysteme. Das Nachrüsten von 5G-Sensoren und -Aktoren wird komfortabel sein, da dafür weniger Verkabelungsaufwand notwendig ist. Einzig die Energieversorgung muss gewährleistet sein, welche bei entsprechender Konzeptionierung auch durch Batterien oder durch Ausnutzung von Umgebungsenergie („Energy Harvesting“) erfolgen kann, was den Verkabelungsaufwand vermeiden würde. Modulbauweise und die damit einhergehende Möglichkeit zur Rekonfiguration von Anlagen sind Aspekte, die von 5G profitieren werden. Neben der Rekonfiguration auf Komponentenebene ist insbesondere auch die Segmentierung nach Arbeitsprozessen zu betrachten, da sich Prozesslinien in Prozessinseln aufteilen lassen, die über ein ATV (Automated Transfer Vehicle) verbunden werden können. Dies bildet die Grundlage für dynamische Produktionsflüsse, wie in Abschn. 3.2.2 beschrieben. Für Produkte mit einem hohen Individualisierungsgrad, z. B. bei Losgröße 1, wird dies in Zukunft fast unerlässlich sein. Im Zuge einer Umrüst- oder Revitalisierungsmaßnahme können alte Komponenten, z. B. Motoren, durch neue 5G-fähige Komplettsysteme ersetzt werden, die ihre Steuerung aus der Fabrik-Edge beziehen. Dies reduziert den Migrations- und Investitionsaufwand erheblich und kann z. B. bei Einsatz an rotierenden Systemen zu neuen innovativen Lösungen führen, z. B. Vermeiden von Schleifringen. Im oben vorgestellten Evaluierungskontext ist eine mobile Roboterplattform als (AGV/FTS) eingesetzt und mit einer Vielzahl neuer, heterogener Sensorik und Aktorik ausgerüstet worden (Abb. 6). Die anfallende, massive Datenmenge könnte nicht alleine auf dem Roboter oder durch bestehende Funktechnologien (WLAN, 4G . . .) verarbeitet werden in Anbetracht der Serviceanforderungen (QoS). 5G erlaubt das Auslagern von zeit- und sicherheitskritischen Anwendungen auf die Edge. Auch energietechnisch bietet 5G Vorteile, da mobile Plattformen in ihrer Laufzeit meist durch die Batteriekapazität begrenzt sind. Bei einer verlässlichen, nieder-latenten Verbindung können aufwendige Berechnungen extern erfolgen und belasten somit nicht den internen Prozessor des Roboters. Weiterhin besteht das Potenzial, recht simple, energieeffiziente Prozessoren zum Betrieb des Roboters einzusetzen, die nur grundlegende Anforderungen erfüllen müssen.

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

263

Abb. 6 Holonome, mobile Roboterplattform ausgestattet mit einer Vielzahl von heterogenen Sensoren. a) Robotino® Premium Edition, b) Laserscanner, c) Förderband mit Lichtschranke, d) Huawei Mate 10, e) Webcam, f) 360 -Kamera, g) RFIDLesegerät, h) Funk-Not-Aus

Ähnlich dem Stammhirn des Menschen werden so grundlegende „Reflexe“ lokal berechnet, währen komplexere Operation auf dem Gehirn in der Edge stattfinden. 5G erlaubt somit eine Weiterentwicklung und Leistungssteigerung von Plattformen, die maßgeblich durch Softwareinnovation getrieben ist. Durch moderne Ansätze können auch mit einfacher, bestehender Sensorik neue Erkenntnisse gewonnen werden. Gleichzeitig bietet das Aufrüsten bestehender Plattformen mit neuer Sensorik großes Potential, um die so gewonnen Daten im Kontext von Predictive Maintenance, Big Data und Condition Monitoring zu nutzen. Auch auf Seiten des Retrofittings in bestehenden Produktionslinien gilt dies. So können neue Komponenten eingebracht werden, ohne bestehende Infrastrukturen zu verändern. Auch ein Einsatz von mobilen Produktionsstrukturen ist denkbar als Erweiterung des Produktionsinselkonzeptes. Einige Module einer Produktion werden weiterhin ortsgebunden sein, wie Drehund Fräsbearbeitungszentren. Andere Module, wie Montage, Funktionen der Qualitätssicherung etc., bieten Potenzial zur Implementierung als portable oder bewegliche Module.

3.2.2 Mobile Qualitätskontrolle mittels KI aus der Cloud Dieses Unterkapitel zeigt am Beispiel einer mobilen Qualitätskontrolle, wie bisherige Zeitanteile bzw. Orte, die aufgrund fehlender Kommunikationsanbindung nicht zur Wertschöpfung genutzt werden konnten, nunmehr wertschöpfend werden. Während die mobile Roboterplattform ein Objekt planmäßig von einer Produktionsinsel abholt und es dem nächsten Produktionsschritt an einer anderen Produktionsinsel

264

J. Grotepass et al.

Abb. 7 Datenströme, die über die 5G-Luftbrücke an die Cloud zur Auswertung geschickt werden

zuführt, werden sowohl die Bilddaten des Produktes gewonnen als auch das Produktgedächtnis zum bisherigen Prozessverlauf ausgelesen. Drei Datenströme (Bilddaten und RFID-Daten) sowie die Sensordaten des Roboters (Ladestatus, gemessene Abstandswerte der Lasersensoren, Beschleunigungswerte) werden über die 5G-Funkzelle zur Auswertung an die Cloud geschickt, wie in nachstehender Abb. 7 dargestellt. Durch die Auslagerung der Auswertung in die Cloud, kann der Roboter selber von lokaler Rechenkapazität und -einheiten befreit werden, was Gewicht und Energie sparen hilft. Als Ergebnis der Auswertung nach Abb. 7 wird der Qualitätsstatus visualisiert und das Transportziel des mobilen Roboters aktualisiert. Er fährt entweder wie geplant zur nächsten Produktionsinsel oder zur Reparaturstation. Gleichzeitig sendet das ERPSystem einen Serviceauftrag an den nächsten Mitarbeiter. Sollte der Energiezustand des Roboters kritisch sein, fährt er die nächste drahtlose Ladestation an. Für die Auswertung können unterschiedlichste Cloudlösungen zum Einsatz kommen, hier wurde die AIN-(Asset-Intelligence-Network)Plattform von SAP genutzt, das auf einem Edgecomputer im Rechenzentrum der Fabrik und möglicherweise sogar in einer virtualisierten Umgebung (Cloud) laufen kann.

3.2.3 Edge Computing zur Steuerung mobiler Roboter Speziell mobile Roboterplattformen profitieren von der Anbindung an 5G, da ein Outsourcing von rechen- und speicherintensiven Aufgaben durchgeführt werden kann. Daraus erfolgt ein Paradigmenwechsel für Funktionserweiterung von Hardzu Softwareupgrades. Bestehende, simple Hardware erfährt eine neue Funktionalität durch Software. Ein Beispiel sei hier eine holonomische Roboterplattform, welche mit einer Vielzahl von Sensoren nachgerüstet wurde. Die existierende Kommunikation über WLAN kann die Datenmenge, die von den heterogenen Sensoren erfasst wird, nicht übertragen. Außerdem wäre WLAN für die zukünftigen Erweiterungen mit zeitkritischen Anwendungen wie in Tab. 2 nicht geeignet. Durch ein Auslagern von Rechen- und Speicheroperationen auf die Edge kann nicht nur das volle Volumen der Sensordaten verarbeitet werden, sondern es ermög-

Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

265

licht die Implementierung von neuartigen Algorithmen zur echtzeit fähigen Regelung, welche die Kapazität des Robotersystems über kurz oder lang übersteigen. Durch 5G uRLLC (Rel 15) und dessen Erweiterung, genannt eURLLC (enhanced URLLC mit Zuverlässigkeit von 99,9999 %), lassen sich regelungstechnische Aufgaben flexibel über mehrere Systeme verteilen. Die durch Slicing garantierte Isolierung der verschiedenen Datenströme garantiert eine hochzuverlässige Echtzeitregelung, während gleichzeitig andere Dienste wie hochauflösende Kameras in der gleichen 5G-Funkzelle funktionieren. Dies führt auch zu einer Einsparung von Rechenkomplexität, Hardware und Energie auf der batteriebetriebenen mobilen Plattform, da aufwändige Berechnungen in der Edge ausgelagert werden. Dadurch erreicht das System eine längere Laufzeit, und die Investition in die mobile Roboterplattform ist von der Innovation der Dienste, die darauf laufen, entkoppelt (Robot-as-a-Service – RaaS). Eine weitere Implikation der Entkopplung von Roboterhardware und Diensten ermöglicht in Zukunft, SPS-Steuerungen in die Edge auszulagern und gegebenenfalls in einer virtuellen Umgebung zu betreiben, da 5G die dafür notwendige Zuverlässigkeit, Echtzeitfähigkeit und Integration in die Feldbusebene unterstützt. Im Gegensatz zu den normalen IT-basierten Anwendungen verwenden SPS je nach verwendetem Protokoll keine IP-Daten. Um die Übertragung von IP- und nicht-IP-basierten Daten mit der notwendigen deterministischen Bereitstellung der Daten zu garantieren, wird es neue Modi geben, in denen das 5G, System z. B. als TSN Bridge oder EtherCATKnoten agieren kann. In voller Konsequenz könnte eine mobile Einheit ein Träger für komplexe Fertigungsprozesse sein, deren Funktionalität in weitem Rahmen mit Hilfe von IndustryGrade 5G flexibel „verdrahtet“ und die Logik und Intelligenz der Prozesse in der Edge der Fertigungsline oder der Fabrik definiert wird. Natürlich sind die elementaren Sicherheitsfunktionen nach wie vor lokal auf dem mobilen Roboter und im Allgemeinen auch nicht-mobilen Roboter integriert. Eben wegen der vielfältigen Möglichkeiten, die 5G in der Fertigung eröffnet, muss auch bewusst sein, dass die Installation und Integration des 5G-Netzes sorgfältig geplant und ausgeführt sein muss, um alle Anforderungen zuverlässig zu erfüllen. Wie die Tab. 2 zeigt, fordert die Industrie die Anbindung der mobilen Robotereinheiten bzw. AGV auch, um kooperatives Fahrverhalten zu optimieren und die AGV von der Edge bzw. der Cloud fernzusteuern. In der Prozessindustrie verspricht man sich große Vorteile, wenn Gefahrgutcontainer automatisch oder ferngesteuert (tele-operated) zwischen den Prozesseinheiten bewegt werden können. Die unten stehende Abb. 8 beschreibt den Aufbau einer anspruchsvollen, zeitkritischen Anwendung. Die mobile Robotereinheit hat die Aufgabe, einen Ball auf der Glasplatte zu balancieren, während sie sich bewegt. Dabei sind die Bewegungsvektoren der mobilen Roboterplattform durch manuelle Eingriffe mit zufälligen Richtungsänderungen gestört. Als kritische Komponente hat sich dabei die Verarbeitungszeit im Edge Computing erwiesen. Die Verzögerung der Übertragung der Daten über die Funkschnittstelle kann je nach Konfiguration 2 ms oder auch deutlich weniger betragen.

Factory of the Future Motion Machine tool control Packing machine Printing machine Control to control Mobile Machine Robots control, Cooperative driving Video operated remote control mobile robot & traffic management Realtime streaming to control system

99,999 to 99,99999 %

availability 99,999 to 99,99999 %

40–500

10

40–250

>10 Mbit/s

~1 year

~1 week

10–100

15 k–250 k

~1 year

40–500 ms

10–100 ms

50

1 – 50 ms

1–50

40–250

0

10 ms

10 ms

1000

100

5 to 10

100

72

2 ms

2 ms–0,5 us

# of UEs 20 50

UE speed km/h 72 72

20

Survival time 500 μs 1 ms

Transfer interval (tfi) 500–0,5 us 1 ms–0,5 us

Message size [byte] 50 40

~10 years

reliability : MTBF ~10 years

Communication service

Tab. 2 Leistungsanforderungen an 5G Release 16 aus Sicht der Fabrik der Zukunft (3GPP TS 22.104)

1 km2

100  30  10 m

Service area 50 m  10 m  10 m

266 J. Grotepass et al.

Process Closed loop Automation control Process monitoring Human Remote Machine control for Interface, assembly mobile robots control (Periodic panels bi-directional) additional A-periodic for remote control mobile cranes, pumps (Periodic bi-directional) Augmented Reality Monitoring and Maintenance 1 month 1 month



1 year

1 month

1 week

1 year

>99,9 %

99,9999 to 99,999999 %

99,9999 to 99,999999 % 99,99 %

>1 Mbit/s

12 ms

3 xtfi

0

End to end Latency